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German Pages 524 [593] Year 1998
I
Stoffwechselphysiologie der Pflanzen
Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
III
Stoffwechselphysiologie der Pflanzen Physiologie und Biochemie des Primärund Sekundärstoffwechsels Gerhard Richter 6., völlig neubearbeitete Auflage 186 Abbildungen in 211 Einzeldarstellungen 267 Formelschemata 56 Boxen 10 Tabellen
1998 Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
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IV
Prof. Dr. Gerhard Richter Institut für Botanik Universität Hannover Herrenhäuser Straße 2 30419 Hannover
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Zeichnungen von Ruth Hammelehle und Uwe Neumann
Richter, Gerhard: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen : Physiologie und Biochemie des Primär- und Sekundärstoffwechsels / Gerhard Richter. – 6., völlig neubearb. Aufl. – Stuttgart ; New York : Thieme, 1997
1. Auflage 1969 2. Auflage 1971 3. Auflage 1976 4. Auflage 1982 5. Auflage 1988 1. spanische Auflage 1972 1. polnische Auflage 1976 1. englische Auflage 1978 1. französische Auflage 1993
䉷 1969, 1998 Georg Thieme Verlag Rüdigerstraße 14 D-70469 Stuttgart Printed in Germany Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach-Ernsbach Satz und Druck: Druckhaus Götz GmbH, Ludwigsburg (gesetzt auf CCS Textline, Linotronic 630)
ISBN 3-13-442006-6 1 2 3 4 5 6
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V
Vorwort zur 6. Auflage
Seit dem Erscheinen der letzten Auflage haben sich große Teile der Biologie stürmisch weiterentwickelt und uns eine Fülle neuer Erkenntnisse beschert. Dies gilt inbesondere für die Pflanzenwissenschaften. Demgemäß waren neue Forschungsergebnisse und sich abzeichnende Entwicklungen bei der Neufassung des Stoffwechsels pflanzlicher Organismen angemessen zu berücksichtigen. Da mit der „Biochemie der Pflanzen“ nunmehr ein Lehrbuch von umfassendem und vertiefendem Inhalt vorliegt, konnte bei der vorliegenden Neuauflage auf eine allzu detaillierte Beschreibung mancher komplexer Sachverhalte und spezieller Biosynthesen verzichtet werden; so sind u. a. die Synthesewege für Aminosäuren und einige Sekundärverbindungen entfallen. Bei der Darstellung des Stoffes wurde zwar die bewährte Gliederung der letzten Auflage beibehalten, doch hat sich der Inhalt einzelner Kapitel im Hinblick auf den überwiegend einführenden Charakter des Buches und der anstehenden Aktualisierung mehr oder weniger deutlich verändert. Auch die äußere Form hat sich gewandelt: Der Text ist durch die Einführung von Merksätzen und Boxen didaktisch neu gestaltet worden; in den letzteren finden sich neben den Beschreibungen von gängigen Methoden auch ergänzende Informationen zum Basistext. Zum besseren Verständnis sollen auch die zweifarbig ausgeführten Abbildungen, Schemata und Formeln beitragen. Jedes Kapitel beginnt mit einer einführenden Zusammenfassung. Für die vielen Anregungen, aber auch kritischen Hinweise von Kollegen und Studierenden, welche zur 5. Auflage eingegangen sind, bedanke ich mich; sie sind weitgehend bei der Neufassung des Textes berücksichtigt worden. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des Thieme Verlags, inbesondere Frau HauffTischendorf, welche mit großem Engagement die Entstehung dieses Buches in entscheidender Weise beeinflußt und beschleunigt hat, Frau Hauser und den Herren Helms, Kummer, Lehnert und Neumann. Zu danken habe ich auch Frau Hammelehle für die gelungene Ausführung von Strukturformeln und Reaktionsschemata. Meine Frau war mir in vielfältiger Weise eine große Hilfe, wofür ich mich herzlich bedanke. Nicht vergessen beim Danksagen sei Katze Minou, welche mir in manch nächtlicher Stunde Gesellschaft geleistet hat. Hannover, im Oktober 1997
Gerhard Richter
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung · · · 1 1
Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen · · · 7
1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3
Chemisches Gleichgewicht und Fließgleichgewicht · · · 7 Biokatalyse · · · 11 Biokatalysatoren oder Enzyme · · · 12 Wirkgruppen · · · 18 Elektronenübertragung im Stoffwechsel · · · 27
2
Ernährung pflanzlicher Organismen · · · 31
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2
Wasser · · · 31 Eigenschaften des Wassers · · · 32 Biomembranen · · · 34 Wasseraufnahme · · · 39 Wasserleitung bei Landpflanzen · · · 43 Bedarf an Elementen · · · 49 Allgemeines · · · 49 Beschaffung essentieller Elemente · · · 52 Ionenhaushalt · · · 59 Voraussetzungen · · · 59 Ionenaufnahme · · · 60 Ferntransport der Ionen · · · 61 Kohlendioxid · · · 63 Verfügbarkeit · · · 63 Kohlendioxidaufnahme – Mechanismus und Regulation · · · 64
3
Photosynthese · · · 67
3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1
Reaktionspartner und Produkte · · · 67 Die Pigmente der Photosynthese · · · 70 Allgemeines · · · 70 Garnitur der Photosynthese-Pigmente · · · 73 Struktur der Pigmente und Strahlungsabsorption · · · 76 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese · · · 91 Allgemeines · · · 91
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VIII 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5
3.5.6 3.5.7 3.5.8 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6 3.6.7 3.7 3.7.1 3.7.2 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.9 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4 3.9.5 3.9.6
Inhaltsverzeichnis Thylakoide und Pigmentlokalisation · · · 93 Bildung und Struktur von Thylakoiden · · · 94 Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze · · · 101 Licht · · · 101 Temperatur · · · 104 Wirksamkeit verschiedener Spektralbereiche · · · 105 Rolle der akzessorischen Pigmente · · · 108 Der photochemische Reaktionsbereich · · · 109 Allgemeines · · · 109 Strahlungsabsorption durch Atome und Moleküle · · · 114 Photochemie des Chlorophylls · · · 115 Die Kopplung zweier Lichtreaktionen · · · 119 Räumliche Anordnung der Komponenten des photochemischen Reaktionsbereiches in der Thylakoidmembran (Membran-Architektur) · · · 141 Verteilung von Anregungsenergie zwischen den Photosystemen · · · 145 Photophosphorylierung · · · 147 Quantenbedarf der Photosynthese · · · 158 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat · · · 158 Aufklärung der Kohlendioxid-Reduktion mittels Radioisotopen · · · 159 Biochemischer Mechanismus der Kohlenhydratbildung · · · 162 Regulation der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion · · · 173 Kompartimentierung · · · 175 Biosynthesen als Folgereaktionen der Kohlendioxid-Reduktion · · · 175 C4-Dicarbonsäurezyklus · · · 179 Crassulaceen-Säurestoffwechsel (CAM) · · · 184 Photorespiration (Lichtatmung) · · · 189 Reaktionssequenz und Kompartimentierung · · · 190 Biologische Bedeutung · · · 192 Transport der Assimilate · · · 194 Das Transportsystem · · · 194 Transportmechanismus · · · 197 Transportrichtung · · · 198 Photosynthese ohne Sauerstoff · · · 199 Allgemeines · · · 199 Purpurbakterien · · · 200 Grüne Schwefelbakterien · · · 206 Bildung von Reduktionsäquivalenten · · · 209 Photophosphorylierung · · · 210 Reduktion von Kohlendioxid im Licht · · · 210
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Inhaltsverzeichnis
IX
4
Kohlenhydrate · · · 213
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.5.7 4.5.8 4.5.9
Monosaccharide · · · 213 Intramolekulare Umlagerungen · · · 213 Hexoseabbau: Pentosephosphatzyklus · · · 214 Nucleosiddiphosphat-Zucker: energiereiche Überträger für Monosaccharide · · · 218 Disaccharide · · · 223 Allgemeines · · · 223 Saccharose · · · 225 Transglykosidierung · · · 228 Oligosaccharide · · · 229 Polysaccharide als Speicherstoffe · · · 231 Stärke und andere pflanzliche Speicherstoffe · · · 232 Fructosane (Fructane) · · · 242 Mannane · · · 243 Polysaccharide in der Zellwand · · · 244 Pektinverbindungen · · · 245 Fibrillenverknüpfende Polysaccharide · · · 247 Cellulosane · · · 248 Cellulose · · · 248 Glykoproteine und andere Proteine der Zellwand · · · 250 Zellwand-Polysaccharide von Algen · · · 251 Kallose · · · 252 Biosynthese von Zellwandkomponenten · · · 252 Molekulare Architektur der Primärwand · · · 258
5
Biologische Oxidation und Energiegewinnung · · · 261
5.1
Der Betriebsstoff der Energiegewinnung und seine Bereitstellung · · · 263 Glykolyse · · · 264 Umformung des C6-Moleküls · · · 264 Bildung des C3-Moleküls und erste energieliefernde Reaktion · · · 265 Bildung von Pyruvat und zweite energieliefernde Reaktion · · · 266 Regulation der Glykolyse · · · 267 Anaerober Stoffwechsel (Gärungen) · · · 268 Allgemeines · · · 269 Alkohol-Gärung · · · 269 Milchsäure-Gärung · · · 271 Anaerobiose bei der Keimung · · · 272 Pasteur-Effekt · · · 272 Aerobe Dissimilation · · · 272 Allgemeines · · · 272 Umwandlung von Pyruvat in Acetyl-Coenzym A · · · 275
5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.4 5.4.1 5.4.2
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Inhaltsverzeichnis
X 5.4.3 5.4.4 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.6
Die Rolle von Acetyl-Coenzym A im Stoffwechsel · · · 279 Citratzyklus · · · 280 Endoxidation · · · 285 Organisation der Atmungskette · · · 286 Warum alternative Wege der NADH-Oxidation in pflanzlichen Mitochondrien? · · · 293 Atmungskettenphosphorylierung · · · 293 Regulation der Atmungskette · · · 297 Bilanz des aeroben Abbaus von Glucose · · · 298
6
Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide · · · 299
6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.6 6.6.1 6.6.2
Neutralfette · · · 300 Chemischer Aufbau · · · 300 Fettsäuren · · · 301 Fette als pflanzliche Speicherstoffe · · · 303 Fettbildung · · · 305 Biosynthese von Fettsäuren · · · 305 Veresterung mit Glycerol · · · 311 Fettabbau · · · 313 Allgemeines · · · 313 β-Oxidation der Fettsäuren · · · 315 Umwandlung von aktivierter Essigsäure in Kohlenhydrat · · · 317 Membranlipide · · · 320 Allgemeines · · · 320 Biosynthese von Glycero- und Glykolipiden · · · 323 Biosynthese von Galaktolipiden · · · 326 Biosynthese von Sulfolipiden · · · 327 Lipidpolymere: Cutin, Suberin, Wachse · · · 327 Allgemeines · · · 327 Biosynthese · · · 330
7
Isoprenoide · · · 331
7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3 7.4 7.5 7.5.1
Isopren als gemeinsamer Molekül-Baustein · · · 331 Allgemeines · · · 331 Biosynthese von Isopentenyldiphosphat · · · 333 Verknüpfung zu Molekülketten · · · 335 Monoterpene · · · 337 Offenkettige Monoterpene · · · 338 Zyklische Monoterpene · · · 339 Sesquiterpene · · · 342 Diterpene · · · 343 Triterpene · · · 347 Bildung von Squalen als Schlüsselverbindung · · · 347
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Inhaltsverzeichnis 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.6 7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.5 7.7 7.7.1 7.7.2 7.7.3
Phytosterole · · · 348 Saponine · · · 351 Herzglykoside · · · 352 Steroidalkaloide · · · 354 Tetraterpene · · · 356 Errichtung der C40-Grundstruktur · · · 356 Bildung von Carotinen · · · 356 Bildung von Xanthophyllen · · · 359 Carotinoidsäuren · · · 361 Polyterpene · · · 362 Kautschuk · · · 362 Guttapercha · · · 364 Chicle · · · 364
8
Phenole · · · 365
8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.3 8.4 8.4.1 8.4.2 8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4 8.5.5 8.5.6 8.6
Errichtung der Grundstrukturen · · · 366 Shikimat-Weg · · · 366 Acetat-Malonat-Weg · · · 369 Acetat-Mevalonat-Weg · · · 369 Phenolcarbonsäuren · · · 370 Hydroxy-substituierte Derivate · · · 370 Cumarine · · · 371 Capsaicinoide · · · 372 Lignine · · · 373 Einfache Phenole · · · 376 Polyprenylchinone und 9,10-Anthrachinone · · · 378 Polyprenylchinone und ihre Biosynthese · · · 378 Anthrachinone · · · 381 Flavan-Derivate oder Flavonoide · · · 382 Der gemeinsame Biosyntheseweg für Grundstrukturen · · · 382 Flavonole · · · 386 Flavanone · · · 386 Flavone · · · 387 Flavanole und Flavandiole · · · 387 Anthocyanidine und Anthocyane · · · 387 Stilbene · · · 389
9
Aminosäuren und Nucleotide · · · 391
9.1 9.1.1 9.1.2 9.2 9.2.1
Stickstoff-Assimilation · · · 391 Assimilatorische Nitratreduktion · · · 391 Bindung von elementarem Stickstoff · · · 395 Schwefel-Assimilation · · · 406 Allgemeines · · · 406
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XI
XII
Inhaltsverzeichnis
9.2.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.4 9.4.1 9.4.2
Assimilatorische Sulfatreduktion · · · 407 Aminosäuren · · · 409 Allgemeines · · · 409 Stoffwechsel von Aminosäuren · · · 412 Biosynthese der Aminosäuren · · · 413 Die „Familien“ der Aminosäuren · · · 416 Nucleotide · · · 420 Allgemeines · · · 420 Biosynthese von Nucleotiden · · · 422
10
Nucleinsäuren · · · 429
10.1 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.4 10.4.1 10.4.2
Allgemeines · · · 429 DNA · · · 430 Sequenz und Raumstruktur · · · 430 Genom-Organisation bei höheren Pflanzen · · · 436 Das Genom von Chloroplasten und Mitochondrien · · · 441 Biosynthese der DNA · · · 447 RNA · · · 452 Allgemeines · · · 452 Funktionsformen von RNA · · · 453 Biosynthese von RNA · · · 457 Transkription im Chloroplasten · · · 466 Gen-Regulation bei Pflanzen · · · 469 Regulationsfaktoren · · · 469 Organell-übergreifende Regulation · · · 471
11
Proteine · · · 473
11.1 11.2 11.3 11.3.1 11.4 11.5 11.5.1 11.5.2 11.6 11.6.1 11.6.2
Peptidbindung · · · 473 Natürliche Peptide · · · 474 Struktur und Eigenschaften der Makropeptide · · · 475 Allgemeines · · · 475 Faltung der Proteine · · · 477 Einteilung der Proteine · · · 482 Pflanzliche Speicherproteine · · · 482 Lectine · · · 487 Protein-Biosynthese (Translation) · · · 487 Allgemeines · · · 488 Aktivierung der Aminosäure-Bausteine – Mitwirkung der Transfer-RNAs · · · 489 11.6.3 Verknüpfung der Aminosäuren zur spezifischen Sequenz und Freisetzung des Polypeptids · · · 492 11.6.4 Translation im Chloroplasten · · · 496 11.6.5 Posttranslationale Modifizierung und Transport · · · 497
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Inhaltsverzeichnis 11.6.6 Chloroplasten-Proteine · · · 498 11.7 Proteinabbau · · · 500
12
Stickstoffhaltige Naturstoffe · · · 503
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4 12.5.5 12.5.6 12.5.7 12.5.8
Amine · · · 503 Senfölglykoside und cyanogene Glykoside · · · 504 Betacyane und Betaxanthine · · · 506 Pseudoalkaloide · · · 508 Alkaloide · · · 509 Allgemeines · · · 509 Pyrrolizidinalkaloide · · · 511 Nicotiana- oder Tabakalkaloide · · · 513 Tropanalkaloide · · · 516 Chinolizidinalkaloide · · · 517 Benzylisochinolinalkaloide (Isochinolinalkaloide) · · · 519 Indolalkaloide · · · 522 Purinalkaloide · · · 525
13
Tetrapyrrole · · · 527
13.1 13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5 13.1.6 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.3
Chlorophylle · · · 527 Biosynthese von 5-Aminolevulinat · · · 527 Errichtung des Porphyrin-Systems · · · 529 Biosynthese von Chlorophyll a · · · 532 Chlorophyll b · · · 537 Bakteriochlorophylle · · · 537 Chlorophyll-Abbau · · · 538 Phytochrom und Phycobiliproteide · · · 538 Biosynthese der Chromophore · · · 538 Bildung von Holophytochrom · · · 539 Wirkungsweise von Phytochrom · · · 540 Entstehung von Eisenporphyrinen · · · 541
Literatur · · · 543 Sachverzeichnis · · · 551
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XIV
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XV
Verzeichnis der Boxen
Box 1.1 Box 1.2 Box 2.1 Box 2.2 Box 2.3 Box 2.4 Box 3.1 Box 3.2 Box 3.3 Box 3.4 Box 3.5 Box 3.6 Box 3.7 Box 3.8 Box 3.9 Box 3.10 Box 3.11 Box 3.12 Box 3.13 Box 3.14 Box 3.15 Box 3.16 Box 3.17
Box 3.18
Atommasse und Molmasse · · · 11 Isoenzyme · · · 17 Patch-ClampTechnik · · · 37 Trockenresistenz · · · 40 Mangelsymptome bei Pflanzen · · · 50 Calmodulin · · · 57 Gaswechselmessung · · · 69 Strahlung · · · 71 Chromatographie · · · 73 Absorptionsspektrum · · · 80 Gelfiltration · · · 83 Gefrierätzung · · · 98 Strahlungsabsorption · · · 112 Analyse der Primärvorgänge · · · 113 Analyse von Membrankomplexen · · · 120 Energiefluß über Pigmente: Theorie · · · 124 Herbizide · · · 125 Hill-Reaktion · · · 131 Cytochrome · · · 132 Photoinhibition · · · 136 Isolierung von Photosystem I · · · 139 Ferredoxine · · · 141 Lokalisierung von MembranKomponenten · · · 142 Chemiosmotische Theorie · · · 150
Box 3.19
Box 3.20 Box 3.21 Box 3.22
Box 4.1 Box 4.2 Box 4.3 Box 4.4 Box 4.5 Box 4.6 Box 5.1 Box 6.1 Box 6.2 Box 6.3 Box 6.4 Box 7.1 Box 7.2 Box 7.3 Box 7.4 Box 9.1 Box 9.2 Box 9.3 Box 10.1 Box 10.2
Verwendung von Isotopen zur Aufklärung biochemischer Reaktionen · · · 159 δ-13 C-Wert · · · 184 Aphidentechnik · · · 198 Gliederung photosynthetisch aktiver Bakterien · · · 200 SaccharosephosphatSynthasen · · · 227 Elicitoren · · · 231 Enzyme der Stärkesynthese · · · 235 Enzyme des Stärkeabbaus · · · 239 Strukturaufklärung der Primärwand · · · 245 Golgi-Apparat · · · 253 Methoden der Atmungsmessung · · · 262 Cis-trans-Isomerie · · · 302 Oleosomen · · · 304 Glyoxysomen · · · 314 Linol- und Linolensäure · · · 327 Sekundärstoffwechsel · · · 332 Etherische Öle · · · 338 Phytoalexine · · · 343 Gibberelline · · · 344 nif-Gene · · · 405 Chiralität · · · 410 Tetrahydrofolsäure · · · 417 Techniken mit DNA · · · 433 Restriktionsendonucleasen und DNA-Klonierung · · · 439
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XVI
Verzeichnis der Boxen
Box 10.3 EndosymbiontenTheorie · · · 441 Box 10.4 Gezielte Vermehrung einer DNA-Sequenz · · · 450 Box 10.5 Techniken mit RNA · · · 453 Box 10.6 Promotor-Analyse · · · 458 Box 11.1 Isolierung und Reindarstellung von Proteinen · · · 478
Box 12.1
Pyrrolizidinalkaloide als chemische Schutzstoffe · · · 512 Box 12.2 Opium-Alkaloide · · · 516 Box 13.1 ProtochlorophyllidOxidoreduktase (POR) · · · 535
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Einleitung
Unter Stoffwechsel sind alle Umwandlungen von Verbindungen zu verstehen, die ein Organismus oder jede seiner Zellen zur Gewinnung von chemischer Energie und zur Bildung von eigener Substanz benutzt. Die hierbei stattfindenden stofflichen Umsetzungen erfüllen weitgehend die Kriterien chemischer Reaktionen. Sie werden fast immer durch Biokatalysatoren (Enzyme) beschleunigt. Wegen der engen Beziehung zur lebenden Substanz bezeichnet man sie auch als biochemische Reaktionen. Der Stoffwechsel der grünen Pflanze wird entscheidend von der Erscheinung der Autotrophie geprägt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lebewesen kann sie das organische Substrat, welches für die oben genannten Aufgaben des Stoffwechsels benötigt wird, aus Kohlendioxid, Wasser und anorganischen Salzen mit Hilfe von Licht selbst aufbauen, wobei meistens Sauerstoff freigesetzt wird. Dieser elementare Prozeß, bei dem die Energie sichtbarer Strahlung in die chemischer Bindungen umgeformt wird, heißt Photosynthese. Von geringerer Bedeutung ist die zweite Form der Autotrophie, die Chemosynthese: Einige Mikroorganismen gewinnen durch die Oxidation anorganischer Verbindungen genügend Energie, um damit organisches Substrat aus Kohlendioxid und Wasser aufzubauen. Sie werden als chemoautotroph bezeichnet – im Gegensatz zu den lichtbedürftigen photoautotrophen Organismen. Den autotrophen pflanzlichen Organismen stehen hinsichtlich ihres Stoffwechsels alle anderen gegenüber, denen die Selbstversorgerqualität für organisches Substrat fehlt: die meisten Bakterien, die Pilze, die Tiere und der Mensch. Sie müssen das lebensnotwendige Substrat in Form komplexer organischer Verbindungen von außen aufnehmen. Diese Organismen bezeichnet man als heterotroph, ihren Stoffwechseltyp als Heterotrophie. Die Existenz aller heterotrophen Organismen hängt somit von der Substanzproduktion der autotrophen Organismen ab. Sie sind die Quelle für die verschiedenen komplexen organischen Verbindungen, aus denen heterotrophe Organismen ihre Energieerzeugung und ihren Substanzaufbau bestreiten. Die Photosynthese ist damit von fundamentaler Bedeutung für das Leben auf der Erde, denn die Pflanzen dienen direkt oder indirekt den meisten Organismen als Nahrungs- und Energiequelle; das schließt die fossilen Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas mit ein. Abb. E.1 verdeutlicht diese Zusammenhänge. Durch die Photosynthese entnehmen grüne Pflanzen der Atmosphäre Kohlendioxid und setzen Sauerstoff frei.
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Einleitung
4H
Abb. E.1 Photosynthese. Ihre zentrale Stellung im Stoffumsatz der belebten Natur.
He + 2e
+
Energie
O2 Mikroorganismen
O2 Tiere
Photosynthese CO2
CO2
Organische Substanz
Die heterotrophen Organismen verwerten das durch Pflanzen produzierte organische Material und verbrauchen dabei Sauerstoff; die Restprodukte Kohlendioxid und Wasser kehren in die Atmosphäre zurück und schließen den Kreis. Kohlendioxidaufnahme und -entwicklung befinden sich dabei in einem Gleichgewicht, dessen Störung schwerwiegende Folgen für das Leben auf der Erde hätte. Nicht nur die organische Materie, sondern auch die biologisch verwertbare Energie „fließt“ in bestimmten Bahnen innerhalb der belebten Natur. Sie hat ihren Ursprung in der Strahlungsenergie des Sonnenlichtes. Diese entsteht bei extrem hohen Temperaturen durch Verschmelzung von Wasserstoffkernen (Protonen) zu Heliumatomen, wobei Positronen und relativ große Energiebeträge in Form von γ -Strahlung freigesetzt werden: 4 H 씮 He + 2 e + Energie
Die Strahlung unterliegt einem komplexen Umwandlungsvorgang und erreicht schließlich die Erde in Form von Photonen oder Quanten. Die Sonne versorgt gewissermaßen als überdimensionaler Kernreaktor die belebte irdische Natur mit der notwendigen Energie. Ihre Überführung in die chemische Energie metastabiler organischer Kohlenstoffverbindungen erfolgt über die Photosynthese. Aus dieser Quelle befriedigen zunächst die grünen Pflanzen, dann aber auch die heterotrophen Organismen ihren Energiebedarf (s. o.). Der Fluß der Energie innerhalb der belebten Natur ist allerdings mit einer ständigen Qualitätsminderung verbunden, da auf die hochwertige Form der Strahlungsenergie das deutlich niedrigere Energieniveau eines organischen Mole-
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Einleitung
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küls und schließlich die biologisch weitgehend wertlose Energieform der Wärme folgt. Es treten bei zahlreichen chemischen Umsetzungen unvermeidbare Verluste auf, die sich durch Abstrahlung von Wärme anzeigen. Der Energiefluß folgt damit einem natürlichen Energiegefälle und bewegt sich irreversibel in dieser Richtung. Er bedarf der ständigen Nachlieferung aus dem Energiereservoir der Sonne. In thermodynamischer Sicht entspricht diese Abnahme der Energie auch einem Übergang der Materie von einem hohen molekularen Ordnungszustand zu einem niedrigeren. Die Entropie* nimmt entsprechend zu. Neben dem gravierenden Unterschied im Stoffwechsel autotropher und heterotropher Organismen bestehen auch Gemeinsamkeiten, die jedoch oft übersehen werden, da auch hier das Trennende stärker ins Auge fällt. An erster Stelle ist der Reaktionsbereich der Energiegewinnung zu nennen. Jede Zelle, ob sie nun als selbständiger Organismus oder als Baustein eines höher organisierten Lebewesens existiert, gewinnt aus organischem Substrat Energie in einer für sie verwertbaren Form. Dieser komplexe Prozeß der Dissimilation oder biologischen Oxidation („Atmung“) verläuft einheitlich für autotrophe und heterotrophe Organismen. Der Betriebsstoff Glucose wird im Normalfall unter Sauerstoffverbrauch in Kohlendioxid und Wasser zerlegt (s. o.), wobei die freiwerdende Energie teilweise in chemischen Energieäquivalenten erhalten bleibt (Abb. E.2, S. 4). Diese versetzen die Zelle in die Lage, biologische Arbeit zu leisten, die zu ihrer Erhaltung unbedingt notwendig ist. Grundsätzlich sind drei Arten derselben zu unterscheiden: 1. chemische Arbeit 2. Aufnahme und Transport von Substanzen („osmotische Arbeit“) 3. mechanische Arbeit Für unsere Betrachtung ist vor allem die chemische Arbeit von Interesse. Sie umfaßt die energiebedürftigen Vorgänge, welche die zelleigene Substanz aufbauen. Unter Mitwirkung spezifischer Enzyme entstehen aus relativ kleinmolekularen Bausteinen die Makromoleküle. Als solche liegen die nachfolgend genannten wichtigsten Komponenten der Zelle vor: Proteine, Nucleinsäuren, Polysaccharide und auch Lipide. Ihre Bildung, verbunden mit einer Nettozunahme von Zellsubstanz, ist das typische Merkmal wachsender Zellen bzw. Organismen. Charakteristisch für pflanzliche Organismen ist ihr Sekundärstoffwechsel. Er produziert eine Fülle chemisch sehr unterschiedlicher – teilweise auf einzelne taxonomische Kategorien beschränkter – Verbindungen, welche offensichtlich
*
Die Entropie ist nicht nur ein Maß für den molekularen Ordnungszustand, sondern auch für die Zerstreuung der Energie. Der Übergang zu einem ungeordneten Zustand entspricht einer Entropiezunahme, die Errichtung eines höheren Ordnungszustandes einer Entropieverminderung.
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Einleitung
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Licht
a
O2
CO2 O2
C6H12O6 Aufbau zelleigener Substanz
Energie
elektrische + mechanische Arbeit
b
Abb. E.2 Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Stoffwechsel a einer autotrophen grünen Pflanzenzelle, b einer heterotrophen tierischen Zelle.
Dissimilation
Aufnahme und Transport
CO2
exogenes Substrat (Kohlenhydrat, Fett, Protein)
C6H12O6
Aufbau zelleigener Substanz elektrische + mechanische Arbeit
O2
Energie Dissimilation
Aufnahme und Transport
CO2
im Primärstoffwechsel keine entscheidende Rolle spielen. Solche sekundären Pflanzenstoffe (natural products; engl.), wie die historische, aber wenig aussagekräftige Sammelbezeichnung lautet, sind teils End- oder „Abfall“produkte des Stoffwechsels, teils Speicherstoffe mit erneuter Mobilisierung. Für eine Anzahl von Verbindungen wurde eine eindeutige Funktion nachgewiesen, so z. B. als Lichtwandler, Phytohormon, Abwehrstoff, Signalsubstanz oder Grundbaustein essentieller komplexer Moleküle. Von ihrer Entstehung her sind sekundäre Pflanzenstoffe Produkte des Stoffwechsels von Kohlenhydraten, Fetten und Aminosäuren. Da viele eine spezifische Wirkung auf andere Organismen ausüben, nutzen Pharmazie und Medizin in steigendem Maße diese für ihre Zwecke. Aber auch in Zellen, die sich nicht mehr teilen und deren Differenzierung abgeschlossen ist, laufen noch Biosynthesen ab. Die meisten ihrer Bestandteile un-
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Einleitung
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terliegen einem ständigen Abbau und Wiederaufbau (turnover; engl.), wobei die Geschwindigkeit der beiden gegenläufigen Prozesse gleich ist. Hieraus resultiert ein dynamisches Gleichgewicht (dynamic steady state; engl.), d. h. die Zellsubstanz nimmt nicht an Masse zu. Selbst die offenbar so festgefügt erscheinenden Bestandteile von Zellorganellen (Mitochondrien, Zellkern, Chloroplasten) mit ihren zahlreichen Enzymen werden von dieser ständigen Erneuerung betroffen. Sie unterstreicht das dynamische Element des Stoffwechsels. Bei der Synthese bzw. Erneuerung einiger makromolekularer Zellkomponenten tritt eine wichtige Eigenschaft derselben in Erscheinung: Sie sind aufgrund ihres chemischen Aufbaus zur Speicherung, zur Weitergabe und auch zur Realisierung von Information befähigt. Diese ist nicht nur für die Erhaltung der Artspezifität einer Zelle oder eines Organismus bei Wachstum und Vermehrung, sondern auch für den exakten Aufbau biologisch aktiver Moleküle, vor allem von Enzymen, verantwortlich. Ihre „Baupläne“ sind im genetischen Material einer jeden Zelle niedergelegt. Man hat früher die Dissimilation, den Prozeß der Energiegewinnung, als „Betriebsstoffwechsel“ gegen die am Aufbau der zelleigenen Substanz beteiligten Umsetzungen, den „Baustoffwechsel“, abgegrenzt. Diese Einteilung ist heute weitgehend überholt. Beide Stoffwechselkomplexe sind so eng miteinander verwoben, daß sich die Grenzlinien verwischen. So liefern dissimilatorische Teilprozesse bei autotrophen und heterotrophen Organismen wichtige Vorstufen für die Synthesen des „Baustoffwechsels“, während dieser umgekehrt Substrate für die Energiegewinnung vorschießen kann. Auch die laufende Erneuerung der Zellbestandteile (s. o.), der die meisten Makromoleküle unterliegen und die der Energiezufuhr bedarf, spricht für eine enge Verzahnung der formal konträren Vorgänge von Assimilation und Dissimilation. Die Gemeinsamkeit von Autotrophie und Heterotrophie findet ihre Fortsetzung in dem Begriff Arbeitsteilung in der Zelle. Zur näheren Erläuterung ist der Vergleich der stoffwechselaktiven Zelle mit einer chemischen Fabrik sehr zutreffend. Ihre unter einem Dach harmonisch miteinander arbeitenden Abteilungen finden ihr Gegenstück in den verschiedenen Reaktionsräumen oder Kompartimenten einer Zelle. Eine Koordination von zentraler Stelle gewährleistet in beiden Fällen das Gleichgewicht zwischen Anlieferung von Rohprodukten und Fertigung von Endprodukten. Die Fließbänder in der Fabrik entsprechen den Reaktionsketten von Assimilation und Dissimilation. Die Arbeitsteilung in der Zelle findet ihren Ausdruck in charakteristischen Strukturen. Diese lassen sich wiederum mit speziellen Maschineneinheiten eines Fabrikationsbetriebes vergleichen. Die Mitochondrien sind die Organelle der Energieerzeugung, die „Kraftwerke“ der Zellen, die Chloroplasten als Träger der Pigmente der Ort der Photosynthese. An den Ribosomen vollzieht sich die Biosynthese der Proteine. Der Zellkern als Koordinations- und Steuerzentrum enthält den überwiegenden Teil des genetischen Materials, die „Fabrikationspläne“ der Zelle. Die Cytoplasmamembran übernimmt die Kontrolle bei Import und Export von Produkten. Das Cytosol schließlich fungiert nicht nur als verbindendes Medium zwischen den
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Einleitung
Organellen, sondern bildet seinerseits einen wichtigen Reaktionsraum des Zellstoffwechsels. Schließlich kann die Zellwand als extrazelluläres Kompartiment aufgefaßt werden.
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Die Kenntnisse der Besonderheiten biochemischer Reaktionen sind eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis des komplexen Stoffwechselgeschehens. Die nachfolgende Besprechung, die sich im Rahmen dieser Ausführungen auf die wichtigsten Erscheinungen beschränken muß, trägt einführenden Charakter und kann eine ausführliche Beschäftigung mit den Grundlagen von organischer Chemie und Biochemie unter Benutzung der einschlägigen Fachliteratur nicht ersetzen.
1.1
Chemisches Gleichgewicht und Fließgleichgewicht
Für das Verständnis biochemischer Reaktionen sind die Gesetzmäßigkeiten des chemischen Gleichgewichtes und der chemischen Energetik unentbehrlich. Zwischen zwei Reaktionspartnern, A und B, einer chemischen Reaktion stellt sich mehr oder weniger schnell ein Zustand ein, in dem keine Nettoveränderung mehr stattfindet: das chemische Gleichgewicht. Seine Lage ergibt sich aus der Beziehung Keq =
c (B) c (A)
wobei Keq (Gleichgewichtskonstante) von den Konzentrationen der beiden Reaktionspartner, angegeben in mol · mol–1, bestimmt wird. Hat die Reaktion mehr als zwei, so ergibt sich der Wert für Keq aus dem Produkt der Endprodukte dividiert durch das Produkt der Ausgangssubstanzen. Für die Umsetzung A + B C + D gilt dementsprechend:
៝
៝
Keq =
c (CD) c (AB)
Die Gleichgewichtskonstante (Keq) steht im engen Zusammenhang mit der Änderung der freien Enthalpie (∆G). Hierunter wird der Energiebetrag (in Joule)* verstanden, der einer chemischen Umsetzung zugeordnet werden kann. Er wird freigesetzt, wenn die Reaktion in Richtung des natürlichen Energiegefälles, d. h. von einem Niveau hoher Energie zu einem niedrigerer Energie, abläuft (Abb. 1.2, S. 12). *
Anstelle des bisher in der Bioenergetik verwendeten Energiemaßes von 1 Kalorie (cal) oder 1 Kilokalorie (1 kcal) ist 1 Joule (J) bzw. 1 Kilojoule (kJ) getreten. 1 cal = 4,1868 J; 1 J = 0,2388 cal.
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1
Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Bei dieser exergonen oder exergonischen Reaktion trägt ∆G negatives Vorzeichen, da die eintretende Abnahme der freien Enthalpie in der Bilanz als Verlust gewertet wird. Keq besitzt in diesem Falle einen relativ hohen Wert; er besagt, daß die Reaktion A + B C + D freiwillig und nahezu quantitativ abläuft. Am ៝ Ende, d. h. bei Erreichen des Gleichgewichtes, liegen viel C und D, aber wenig A und B im Reaktionsgemisch vor; das Gleichgewicht ist stark „nach rechts verschoben“. Es ist erreicht, wenn ∆G = 0 ist, das System also keine Energie mehr abgeben kann.
៝
Bei einem Wert von Keq unter 1,0 zeigt die betreffende Reaktion wenig Tendenz, freiwillig oder annähernd quantitativ abzulaufen. Sie bedarf dazu der Zufuhr von Energie, damit sie sich unter Überwindung des natürlichen Energiegefälles, d. h. von einem niedrigen Energieniveau zu einem höheren, vollziehen kann. Bei einer solchen endergonen oder endergonischen Reaktion trägt ∆G positives Vorzeichen, denn es wird Energie im System investiert; die freie Enthalpie erfährt eine Zunahme. Gewohnheitsmäßig, aber nicht ganz korrekt, wird bei biologischen Systemen ∆G meist als „freie Energie“ (Gibbs free energy; engl.) bezeichnet. Für die ausschließlich isobaren Reaktionen im biologischen Bereich werden die Änderung der inneren Energie (∆U) eines isothermen Systems und die Volumenarbeit (p ⋅ ∆V) zur neuen Größe der Reaktionsenthalpie oder Enthalpieänderung (∆H) zusammengefaßt:
∆H = ∆U + p ⋅ ∆V ∆H beinhaltet die Wärmeänderung einer chemischen Reaktion und zeigt an, ob sie Wärme abgibt (exotherm) oder Wärme aus der Umgebung aufnimmt (endotherm). Für isotherme biologische Systeme ist nun von Bedeutung, daß sich ∆H aus der eigentlich nutzbaren, arbeitsfähigen Energie, d. h. einem chemischen Potential, nämlich der freien Enthalpieänderung (∆G) und einem Anteil an „gebundener Energie“, dem Entropie-Anteil (T ⋅ ∆S; T Temp. in Kelvin, K; ∆S Entropieänderung des Systems, vgl. S. 3) zusammensetzt:
∆H = ∆G + T ⋅ ∆S Dieser Entropie-Anteil wird als Wärme umgesetzt und vermag keine biologische Arbeit zu leisten. Somit gilt für die Änderung der freien Enthalpie:
∆G = ∆H – T ⋅ ∆S Sie zeigt an, ob eine Reaktion spontan abläuft oder nicht. Obwohl ∆H und ∆G oft gleiches Vorzeichen tragen, gibt es auch Reaktionen, bei denen es entgegengesetzt ist.
Für die Änderung der freien Enthalpie (∆G) der oben angeführten Umsetzung von A und B zu C und D gilt folgende Gleichung:
∆G = ∆G0 + RT · ln
c (CD) c (AB)
R Gaskonstante T absolute Temperatur ln natürlicher Logarithmus
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1.1
Chemisches Gleichgewicht und Fließgleichgewicht
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∆G0 oder neuerdings ∆Gm entspricht der freien Enthalpie unter Standardbedingungen: Reaktionsteilnehmer in der Konzentration von 1 mol ⋅ l – 1 einschließlich H-Ionen (pH = 0) und Wasser als potentielle Reaktionspartner; Stoffumsatz 1 mol ⋅ l – 1; Gasdruck 1 bar; Temperatur 298⬚ Kelvin.
Mit Hilfe von ∆Gm läßt sich die Änderung der freien Enthalpie einer Reaktion für unterschiedliche Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer als ∆G erfassen. Bei biochemischen Reaktionen, welche nicht bei pH = 0 ablaufen, wird die Änderung der freien Standardenthalpie für den pH-Wert 7,0 (Aktivität von H+ gleich 1) und für die Wasserkonzentration von 55,5 mol ⋅ l – 1 berechnet. Als ’ Symbol dient ∆G0' oder ∆G m ; letzteres wird in diesem Buch verwendet. Die Gesetzmäßigkeiten des chemischen Gleichgewichtes gelten nur für sog. „geschlossene Systeme“. Sie sind im Sinne der physikalischen Chemie dadurch charakterisiert, daß sie weder Materie noch Energie an ihre Umgebung abgeben, noch aus ihr aufnehmen. Sie erreichen ein thermodynamisches Gleichgewicht, wobei Zeit und Geschwindigkeit ohne Bedeutung sind. Eine Zelle oder ein Organismus ist jedoch kein geschlossenes, sondern ein „offenes System“, denn Stoffe und Energie werden mit der Umgebung ausgetauscht. Der Zustand des chemischen Gleichgewichtes in der vorab dargelegten Form existiert daher in der lebenden Zelle nicht, denn dieser würde jeglichen Energiegewinn und die Fähigkeit zur Arbeitsleistung in der Zelle unmöglich machen. Nur ein System, das sich auf ein Gleichgewicht einstellt, vermag Energie freizusetzen. Daher ist in der lebenden Zelle bzw. in einem Organismus genau dieser Zustand stabilisiert: Das Gleichgewicht wird zwar dauernd angestrebt, aber nie erreicht. Dadurch bleibt das lebende System in der Lage, kontinuierlich Energie für die Bewältigung zellulärer Arbeit zu gewinnen. Die chemischen Komponenten scheinen zwar in stationären Konzentrationen vorzuliegen, doch besteht in Wirklichkeit kein thermodynamisches Gleichgewicht, sondern ein Fließgleichgewicht (steady state; engl.). Es ist dadurch charakterisiert, daß Ausgangsverbindungen mit der gleichen Geschwindigkeit eingeschleust werden, mit der auch die Endprodukte das Reaktionssystem verlassen. Zwischengeschaltet ist eine Folge von Teilreaktionen, von denen jede die Produkte der vorhergehenden verarbeitet und daraus das Substrat für die nachfolgende Reaktion formt und an diese abgibt. Das Schema in Abb. 1.1 versucht diese Verhältnisse, deren restlose Aufklärung noch aussteht, zu verdeutlichen. Die einzelnen Systeme und ihre Stoffe im Fließgleichgewicht sind als Gefäße mit einem Auslauf bzw. durch verschiedene Symbole (Kreise, Dreiecke, Quadrate) dargestellt, wobei die Gefäße eine absteigende Stufenfolge bilden. In jedem herrscht ein dynamisches Gleichgewicht, da genauso viel Ausgangsmaterial zufließt, wie Endprodukt austritt. Dieser Zustand wird dadurch aufrechterhalten, daß Startsubstanz im obersten Gefäß mit der gleichen Geschwindigkeit zutropft, mit der Endprodukt das letzte Gefäß des Systems verläßt. Eine photographische Momentaufnahme eines jeden Gefäßes würde den (falschen!) Eindruck einer stationären Konzentration wiedergeben, ein bewegter Film hingegen den (richtigen) Zustand eines dynamischen Gleichgewichtes.
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hohes Energieniveau
Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen Abb. 1.1 Fließgleichgewicht. Modellvorstellung zum Mechanismus, basierend auf einer biochemischen Reaktionskette. Einzelheiten im Text
energiereiches Substrat
+ Energie
+ Energie
+ Energie
niedriges Energieniveau
energiearmes Endprodukt
Die Anordnung des ersten Gefäßes auf dem höchsten Niveau soll anzeigen, daß in der Zelle Ausgangssubstanzen mit einem relativ hohen Energiegehalt in das System eintreten. Ihre schrittweise Zerlegung unter Energieabgabe in ein energieärmeres Endprodukt entspricht insgesamt einer exergonischen Reaktion. Dieser Übergang von einem hohen zu einem niedrigen Energieniveau wird durch die natürliche Strömung der Flüssigkeit von einem Gefäß in das nächst tieferliegende symbolisiert. Die Reaktionskette läuft zwar freiwillig auf ein energetisch vorgegebenes Gleichgewicht hin ab, ohne dieses jedoch zu erreichen. Dadurch kann laufend Energie abgegeben werden. Der angestrebte Gleichgewichtszustand tritt ein, wenn der Zufluß in das oberste Gefäß aufhört; die übrigen Gefäße laufen dann aufgrund des natürlichen Gefälles sehr schnell leer. Für die Zelle oder den Organismus bedeutet dieses „Leerlaufen“ das Ende der Energiegewinnung und damit den Tod. Ihr Bestreben muß daher sein, durch Verfügbarmachen von energiereichem Substrat – autotroph oder heterotroph – diesen Zusammenbruch zu verhindern, mit anderen Worten: aktiv das bestehende Ungleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wir haben darin ein elementares Prinzip des Lebendigen zu sehen.
Daß diese Erörterungen nicht theoretischer Natur sind, geht aus Befunden hervor, wonach sich einige Reaktionsfolgen des Zellstoffwechsels nachweislich im Zustand eines Fließgleichgewichtes befinden, z. B. die Atmungskette (Einzelheiten, S. 286 ff). Nun handelt es sich bei dem komplexen Reaktionssystem eines Fließgleichgewichtes nicht immer ausschließlich um exergonische Reaktionen. Vielmehr sind auch endergonische Reaktionen eingeschaltet, deren Ablauf in Verbindung
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1.2 Box 1.1
Biokatalyse
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Atommasse und Molmasse
1 Dalton (Da) als Einheit der atomaren Masse entspricht dem 12. Teil der Masse eines Atoms des Kohlenstoffisotops 12C: 1,660 ⋅ 10 – 24g (benannt nach J. Dalton, Schöpfer der Atomtheorie der Materie, 1766 – 1844). Die Molmasse von großen Molekülen – Makromolekülen – wird in Kilodalton (kDa) angegeben. Die „relative Molmasse“ oder das Molekulargewicht (Mr) ist das Ver-
hältnis von Molmasse zur atomaren Masseneinheit. Bei Polypeptiden (Proteinen) wird teilweise zwischen „aktueller“ und „apparenter“ Molmasse unterschieden: die erste beruht auf der von der GenStruktur abgeleiteten Aminosäuresequenz, die zweite auf dem Verhalten bei Elektrophorese in einem Trenngel (S. 478 f).
mit einer exergonischen Reaktion ermöglicht wird (S. 26). Dieser Vorgang der energetischen Kopplung, der im Stoffwechsel eine wichtige Rolle spielt, ist jedoch nur dann realisiert, wenn die Abnahme der freien Enthalpie bei der exergonischen Reaktion gleich groß oder größer ist als die Zunahme derselben bei der endergonischen Reaktion. Zur Regulation von Fließgleichgewichten s. S. 16.
1.2
Biokatalyse
Wenn jede mögliche exergonische Reaktion tatsächlich spontan und freiwillig ablaufen würde, bis der Gleichgewichtszustand erreicht ist, so ergäbe sich für die belebte Natur diese fatale Situation: die meisten organischen Verbindungen zerfielen infolge Gleichgewichtseinstellung durch Reaktion mit Sauerstoff sehr schnell in Kohlendioxid und Wasser. Tatsächlich sind sie aber im biologisch wichtigen Temperaturbereich gegenüber Sauerstoff beständig oder metastabil. Obwohl eine deutliche energetische Differenz zwischen Ausgangsverbindungen und Endprodukten besteht, erfolgt kein Ausgleich des Ungleichgewichtes. Dieses bleibt so lange bestehen, bis eine Aktivierung der Reaktionspartner eintritt, d. h., wenn ein bestimmter Betrag an Energie, die Aktivierungsenergie (Aktivierungsenthalpie), zugeführt wird. Im chemischen Laboratorium geschieht dies durch Erhitzen des Reaktionsgemisches oder Zugabe eines Katalysators, in der Zelle durch die Tätigkeit von Biokatalysatoren oder Enzymen (s. u.). Das Energiediagramm einer Reaktion (Abb. 1.2) macht dies deutlich. Die Aktivierungsenergie hebt gewissermaßen die Reaktionspartner auf ein höheres Energieniveau, so daß sie – bildlich gesprochen – die reaktionshemmende Barriere ohne Schwierigkeiten überspringen können. In der folgenden „Bergab“- oder „Bergauf“-Reaktion vollzieht sich die Einstellung des durch ∆G vorgegebenen Gleichgewichtszustandes. Daraus wird deutlich, daß sowohl exergonische als auch endergonische Reaktionen der Zufuhr von Aktivierungsenergie bedürfen.
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Aktivierungsenergie
A+B
G+H
–∆ G
+ ∆G C+D a
1.2.1
E+F
Abb. 1.2 Die Änderung der freien Enthalpie (∆G) a bei einer exergonen oder exergonischen Reaktion, b bei einer endergonen oder endergonischen Reaktion. In beiden Fällen muß zusätzlich Aktivierungsenergie aufgewendet werden.
b
Biokatalysatoren oder Enzyme
Eine Möglichkeit, die teilweise recht hohen Beträge der Aktivierungsenergie herabzusetzen, besteht darin, dem Reaktionsgemisch einen Katalysator zuzusetzen (s. o.). Hierbei handelt es sich um eine Verbindung, die selbst in kleinsten Mengen eine starke Beschleunigung der Reaktion hervorruft, ohne daß sie unter den Endprodukten erscheint oder dauernd umgewandelt wird. Der Katalysator bildet im allgemeinen mit den Reaktionspartnern einen Komplex, der sehr schnell wieder unter Freisetzung des oder der Reaktionsprodukte zerfällt (s. u.). Die dabei erfolgende Herabsetzung der Aktivierungsenergie entspricht einer Erniedrigung der Barriere, welche bei der nichtkatalysierten Reaktion der Einstellung des Gleichgewichtes entgegensteht (s. Abb. 1.2). Ein Katalysator beschleunigt entsprechend die Einstellung des Gleichgewichtes einer Reaktion, aber er verschiebt es nicht. Auch die Zelle benutzt das Prinzip der Katalyse, allerdings unter Wahrung physiologisch tragbarer Bedingungen. Ihre Biokatalysatoren (Enzyme) ermöglichen bzw. beschleunigen genau wie die technischen Katalysatoren die Einstellung des Gleichgewichtes einer exergonischen oder einer endergonischen Reaktion. Die Reaktionsgeschwindigkeit kann eine Steigerung um den Faktor 108 – 1010 erfahren. Auf seine Lage hingegen haben sie keinen Einfluß, denn die Änderung der freien Enthalpie bleibt bei einer katalysierten Reaktion unberührt. Das Energiediagramm für katalysierte und nichtkatalysierte Reaktionen verdeutlicht dies. Allerdings gilt diese Aussage strenggenommen nur für „geschlossene Systeme“; im „offenen System“ hingegen kann ein Enzym die Gleichgewichtslage dadurch verändern, daß es infolge höherer Konzentration ein Substrat sehr viel schneller umsetzt als es von einer vorgeschalteten Reaktion angeliefert werden kann, eine Situation, welche bei einem Fließgleichgewicht durchaus eintreten kann; deren Reaktionsgleichgewicht wird dadurch stark „nach rechts verschoben“.
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Biokatalyse
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Natur und Aufbau von Enzymen Bei den Enzymen handelt es sich um Proteine, meist vom globulären Typ (S. 482). Teilweise bestehen sie aus mehreren Polypeptidketten, d. h. sie haben eine Quartärstruktur (S. 481). Oft ist dem Protein – Apoenzym – eine niedermolekulare Nichtprotein-Komponente – Wirkgruppe – zugeordnet; beide bilden das Gesamt- oder Holoenzym. Solche Wirkgruppen bestimmen entscheidend den Ablauf der katalysierten Reaktion mit (S. 18 ff). Teilweise sind Enzyme, welche aufeinanderfolgende Teilschritte einer Reaktionssequenz katalysieren, in einem Multi-Enzym-Komplex zusammengefaßt (Beispiel auf S. 275 f). Bei multifunktionellen Enzymen sind mehrere katalytische Zentren auf einer Polypeptidkette vereinigt; bei einigen dürfte die Entstehung auf Gen-Fusion beruhen (Beispiel: Fettsäure-Synthase; s. S. 307 f). Einige Enzyme kommen ausschließlich in einem Zellorganell vor, andere sind feste Bestandteile von Biomembranen. Für eine Reihe von „löslichen“ Enzymen zeichnet sich Komplexbildung in vivo ab. Enzyme bieten aufgrund ihrer hohen Spezifität (s. u.) die Gewähr dafür, daß zahlreiche chemische Reaktionen in der Zelle oder in einem ihrer Reaktionsräume nebeneinander ablaufen können. Entsprechend groß ist die Enzymgarnitur. Dank ihrer chemischen Struktur können sowohl ihre Bildung als auch ihre Aktivität von der Zelle nach den Erfordernissen des Stoffwechsels gesteuert werden. Wir kommen auf diese Regulationsspezifität zurück (S. 16 f). Über Aufbau, Wirkungsweise und Regulation von Enzymen sind wir deshalb so gut informiert, weil sie im allgemeinen nach schonender Isolierung aktiv bleiben und mit geeigneten Methoden der Proteinchemie (S. 478 f) gereinigt und sogar kristallisiert werden können.
Die Besonderheit von Enzymen besteht darin, daß sie Moleküle des Substrats in ihrem katalytischen oder aktiven Zentrum räumlich so binden, daß bei ihrer Umsetzung die Aktivierungsenergie in typischer Weise erniedrigt wird (s. Abb. 1.2). Unter Substrat wollen wir die umzusetzende chemische Verbindung verstehen; sind es zwei Reaktionspartner, müssen entsprechend zwei unterschiedliche Substratmoleküle spezifisch gebunden werden. Die dreidimensionale Struktur des katalytischen Zentrums in Form einer Kaverne oder Rinne wird von mehreren Abschnitten der Polypeptidkette gebildet, welche teilweise weit auseinanderliegen. Durch die spezifische Faltung werden sie dann zur typischen Form des katalytischen Zentrums arrangiert. Dieses umfaßt zwar nur einen relativ kleinen Bereich des Gesamtenzyms, ist aber als Bindungsort für das Substrat, oft auch für Wirkgruppe und Cofaktor(en), der eigentliche Ort der Katalyse. Welche Bedeutung dabei dem größeren Rest des Enzymproteins zukommt ist unklar. Denaturierung des Enzymproteins verändert die Struktur des katalytischen Zentrums so stark, daß die enzymatische Aktivität erlischt.
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Die Substratbindung im katalytischen Zentrum besorgen die funktionellen Gruppen von Aminosäure-Resten, welche Teil der inneren Oberfläche sind. Sie gehen mit geeigneten Molekülstrukturen des Substrats nichtkovalente, manchmal auch kovalente Bindungen ein. Da diese Aminosäure-Reste überwiegend hydrophob oder unpolar sind (s. S. 412), unterbleiben Wechselwirkungen mit Wassermolekülen weitgehend – außer, sie sind Substrat. Größe, Ladungsmuster und Anordnung dieser Bindungsstellen sind bei jedem Enzym individuell gestaltet; dies erklärt die Substratspezifität: nur die Moleküle eines Substrats werden erkannt und gebunden (s. u.). Wenn außerdem eine Wirkgruppe sowie ein Cofaktor beteiligt sind, ist die Reihenfolge von Aufnahme und Bindung durch das katalytische Zentrum meist genau festgelegt. Der entstehende Enzym-Substrat-Komplex ist die entscheidende Voraussetzung für den Start der katalysierten Reaktion.
Katalytischer Mechanismus Das Geschehen im katalytischen Zentrum läßt drei Phasen erkennen (Abb. 1.3): 1. Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes, mit deren Einzelheiten wir bereits vertraut sind (s. o.) 2. Konformationsänderung ergibt die korrekte Paßform, wobei die reaktiven Strukturen sterisch in optimale Positionen gelangen: induzierte Komplementarität (induced fit) von Substrat und Enzym; dabei unterliegt das Substratmolekül einer Deformation oder Destabilisierung. 3. Im Verlauf der einsetzenden, stark beschleunigten Reaktion geht der Enzym-Substrat-Komplex in den Enzym-Produkt-Komplex über, welcher abschließend zerfällt. Der hier beschriebenen Aufteilung des Gesamtprozesses entspricht eine Zerlegung der Aktivierungsenergie in kleinere Teilbeträge, wodurch die spezifische Reaktion insgesamt beschleunigt abläuft (Prinzip der Zwischenstoff-Katalyse).
Abb. 1.3 Ablauf der EnzymKatalyse. Modellvorstellung zum Mechanismus der induzierten Komplementarität: Errichtung des Enzym-SubstratKomplexes.
Substrat
Enzym
Enzym-SubstratKomplex (ES)
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1.2
Biokatalyse
15
Die Energetik der Enzym-Katalyse kann noch nicht befriedigend erklärt werden. Einige Enzymologen neigen zu der Ansicht, daß Konformationsänderungend des Enzymproteins bei der Bindung des Substrats soviel Energie liefern, daß dieses in den destabilisierten oder „gespannten“ Zustand übergehen kann. Nach der Theorie von L. Michaelis und M. Menten (1913) ist für die Geschwindigkeit der katalysierten Reaktion die Konzentration des anfangs entstehenden Komplexes aus Enzym und Substrat (s. o.) entscheidend: Je mehr Substrat- und Enzymmoleküle in dieser Form vorliegen, um so höher ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Sie ist maximal, wenn alles Enzym in komplexer Bindung am Substrat vorliegt. Diese Sättigungskonzentration unter stationären Bedingungen ist nicht für alle Substrate gleich; auch variiert sie für einzelne Enzyme. Eine geeignete Meßgröße stellt die Michaelis-Konstante (KM) dar. Sie entspricht der Substratkonzentration (in mol · l–1), bei welcher die Geschwindigkeit der katalysierten Reaktion halbmaximal ist. Ein hoher Wert von KM bedeutet, daß die erforderliche Substratmenge relativ groß bzw. die Affinität des Enzyms für diese Verbindung gering ist. Umgekehrt zeigt ein kleiner Wert für KM an, daß hohe Substrataffinität vorliegt. Generell liegen die Werte für KM zwischen 10 – 1 und 10 – 7 M.
Eigenschaften von Enzymen Wirkungsspezifität. Obwohl mehrere Umsetzungen möglich sind, um ein Substrat zu verändern, wird nur bei einer die Aktivierungsenergie durch das Enzym soweit erniedrigt, daß sie ablaufen kann. Hierbei ist oft die Wirkgruppe eines Enzyms bestimmend. Substratspezifität. Von verschiedenen Verbindungen, welche durch die gleiche Reaktion verändert werden könnten, wird nur eine vom Enzym erkannt, gebunden und der Katalyse zugänglich gemacht. Verantwortlich hierfür ist das katalytische Zentrum, dessen diesbezügliche Funktion wir schon kennen (S. 13). Diese Spezifität ist so ausgeprägt, daß von optisch aktiven Verbindungen meist nur eine Form akzeptiert wird; das gleiche gilt für chiral gebaute Verbindungen (s. Box 9.2, S. 410). In manchen Fällen allerdings beschränkt sie sich nur auf eine funktionelle Gruppe oder einen bestimmten Bindungstyp. Beide können an verschiedenen Verbindungen auftreten; man spricht dann von Gruppenspezifität. Wegen der hohen Spezifität ist praktisch für jedes Substrat bzw. jede Umsetzung ein individuelles Enzym zuständig; dies erklärt ihre große Anzahl.
Temperatur- und pH-Optimum. Ein Enzym erreicht seine volle katalytische Wirkung nur bei einem bestimmten pH-Wert und innerhalb eines begrenzten Temperaturbereiches. Aktivierung. Zahlreiche Enzyme sind nur in Gegenwart von Ionen, z. B. Mg2 +, Mn2 + oder Zn2 +, voll aktiv. Sie fungieren als Cofaktoren (s. Tab. 2.2, S. 56).
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16
1
Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Hemmung. Die Wirkung vieler Enzyme wird durch bestimmte Substanzen (Inhibitoren) vorwiegend spezifisch blockiert. Dieser „Vergiftungseffekt“ kann in einigen Fällen durch geeignete Verbindungen, welche den Hemmstoff binden, aufgehoben werden. Bei kompetitiver Hemmung ist die Molekülstruktur des Hemmstoffs der des Substrats so ähnlich, daß er an das Enzym gebunden wird. Da er aber nicht umgesetzt wird, verhindert er dessen spezifische Wirkung (Beispiel: S. 282 f). Regulationsspezifität. Sie ist notwendig, um Reaktionsabläufe in der Zelle an die jeweiligen Erfordernisse des Stoffwechsels anzupassen. Dies kann entweder durch Veränderung der Aktivität der beteiligten Enzyme oder ihrer Menge erreicht werden. Beide Mechanismen haben letztlich den gleichen Effekt: die Geschwindigkeit der katalysierten Reaktion wird verändert. Hier soll die Modulation der Enzymaktivität kurz betrachtet werden; die Quantifizierung von Enzymen als Mittel der Regulation über Abbau bzw. Neusynthese wird später besprochen. Als wichtiges Prinzip der Aktivitätskontrolle ist die allosterische Wechselwirkung erkannt worden. Enzyme mit der entsprechenden Befähigung heißen deshalb allosterische Enzyme. Ihr Kennzeichen ist mindestens ein weiterer Mikrobereich neben dem katalytischen Zentrum, welcher als Bindungsstelle für einen allosterischen Effektor dient. Seine Anlagerung verändert die Konformation des Enzymprotein mit dem Ergebnis, daß die Bindung des spezifischen Substrats im katalytischen Zentrum beeinflußt und damit die Enzymaktivität gefördert oder gehemmt wird; entsprechend unterscheidet man einen positiven Effektor oder Aktivator und einen negativen oder allosterischen Inhibitor. Diese sehr effektive Kontrolle setzt bevorzugt am Schlüssel- oder Schrittmacherenzym einer Synthese- oder Abbaukette an; es ist vom allosterischen Typ und katalysiert meist die erste Teilreaktion; sie ist stark exergonisch und daher praktisch irreversibel. Als negativer Effektor wirkt in der Regel das Endprodukt der Reaktionssequenz; es besetzt die regulatorische Bindungsstelle des Schlüsselenzyms und blockiert seine Aktivität. Damit ist nicht nur die Startreaktion, sondern auch der Ablauf der gesamten Reaktionskette gehemmt: Inhibition durch negative Rückkopplung (feed-back inhibition). Auf diese höchst ökonomische Weise wird verhindert, daß am Bedarf vorbei produziert oder abgebaut wird. Besteht erneuter Bedarf für das Endprodukt, kommt es nach Ablösung des Effektors vom Schlüsselenzym zur Reaktivierung der gesamten Reaktionskette. Wird eine solche durch Anlagerung eines Aktivators an das Schlüsselenzym in Gang gesetzt, so spricht man von positiver Rückkopplung. Allosterisch kontrolliert werden auch sich verzweigende Reaktionsketten, welche die gleiche Startverbindung benutzen. Generell katalysiert ein Isoenzym (Box 1.2) vom allosterischen Typ die erste Umsetzung der abzweigenden Kette (Beispiel S. 419 f). Für allosterische Enzyme mit einer oligomeren Struktur ist Kooperativität typisch: zwischen den Untereinheiten kommt es zu spezifischen Wechselwirkungen, welche insgesamt die Aktivität steigern oder erniedrigen (S. 481).
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1.2 Box 1.2
Biokatalyse
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Isoenzyme
Diese Isoformen eines Enzyms haben gleiche Substrat- und Wirkungsspezifität; hinzu kommen weitere Gemeinsamkeiten. Isoenzyme unterscheiden sich jedoch in ihrer Struktur, da sie meist von verschiedenen Genen determiniert werden; aufgrund der etwas unterschiedlichen Größe gelingt ihre Trennung bzw. Isolierung mit verfeinerten Methoden der Proteintrennung, z. B. mittels Gelelektrophorese (S. 478 f).
Typisch für einige Isoenzyme ist der Aufbau aus zwei oder mehreren Untereinheiten gleicher oder unterschiedlicher Größe. So bestehen die 5 Isoenzyme der Lactat-Dehydrogenase von Säugetieren jeweils aus einem Tetramer, in welchem die zwei nichtidentischen Polypeptide M und H unterschiedlich kombiniert sind: M4, M3H1, M2H2, M1H3 und H4.
Die Aktivitätskontrolle eines Enzyms kann auch über chemische Veränderung seines Proteins erfolgen. So können Phosphorylierung bzw. Dephosphorylierung sowohl hemmend als auch fördernd wirken. Die hierfür notwendigen Kontrollenzyme – Kinase und Phosphatase – unterliegen ihrerseits einer übergeordneten Kontrolle, welche von Induktoren oder Signalen ausgeübt wird: Substrate, Endprodukte, Metaboliten oder Phytohormone. Dieser auch als Interkonversion bezeichnete Mechanismus wird außerdem zur Kontrolle anderer biologisch aktiver Proteine eingesetzt (Beispiel S. 147). Eine andere Form der Modifikation des Enzymproteins in Verbindung mit Aktivitätskontrolle liegt vor, wenn die zunächst inaktive Vorstufe eines Enzyms, das Pro-Enzym, unter Mitwirkung eines spezifischen Kontrollenzyms in die aktive Form überführt wird.
Einteilung und Standardisierung der Enzymaktivitäten Die Wirkungsspezifität wird neuerdings benutzt, um die Enzyme international einheitlich und verbindlich zu klassifizieren. Nach dem Vorschlag einer internationalen Kommission* werden sie in die folgenden sechs Hauptgruppen aufgeteilt: 1. Oxidoreduktasen 2. Transferasen 3. Hydrolasen
4. Lyasen 5. Isomerasen 6. Ligasen
Diese werden nach dem Typ der chemischen Bindung, welche von der katalysierten Reaktion betroffen ist, in weitere Gruppen untergliedert. Entsprechend erhält jedes Enzym eine Klassifizierungsnummer (EC), deren erste Ziffer die Hauptgruppe, die folgenden die Untergruppen angeben. Beispiel: EC 1.1.1.27 = Lactat-Dehydrogenase. *
Recommendations of the Commission on Biochemical Nomenclature on the Nomenclature and Classification of Enzymes (1972)
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1
18
Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Als Oxidoreduktase gehört sie zur Hauptgruppe 1; sie wirkt auf die Bindung ⬎CH –OH, daher: Untergruppe 1; das Enzym arbeitet mit NAD (s. u.) als Wirkgruppe, folglich Ziffer 1 für die 2. Untergruppe; es ist Nummer 27 der Reihung von Untergruppe 3.
Trotzdem sind noch zahlreiche Trivialnamen, besonders für länger bekannte Enzyme, in Gebrauch (Invertase, Lipase, Pepsin, Trypsin); diese sollten jedoch nicht länger benutzt werden. Andere Bezeichnungen resultieren aus dem früher üblichen Verfahren, die Nachsilbe „-ase“ an den Namen des Substrats anzuhängen. Ebenfalls international verbindlich wird als Maß für die Aktivität eines Enzyms in vitro die unter Optimalbedingungen erreichte Reaktionsgeschwindigkeit zugrunde gelegt. Die entsprechende Standardeinheit, das Katal (kat), ist als diejenige Enzymmenge definiert, welche 1 mol Substrat in der Sekunde unter optimalen Bedingungen (Temperatur, pH-Wert usw.) umsetzt. In der Praxis hat man es allerdings im wesentlichen mit Mikrokatal (µkat) und Nanokatal (nkat) zu tun. Die Ermittlung der spezifischen katalytischen Aktivität (in kat/mg), d. h. der Anzahl von Enzymeinheiten pro mg Protein, ist vor allem für Enzymreinigungen wichtig. Die Wechselzahl (turnover number) gibt an, wieviel Substratmoleküle pro Zeiteinheit vom aktiven Zentrum eines Enzyms umgesetzt werden. Hohe Wechselzahl bedeutet, daß die katalysierte Reaktion sehr schnell abläuft; so beträgt der Wert für Katalase 5 ⋅ 106 ⋅ min – 1.
1.2.2
Wirkgruppen
Die meisten Enzyme sind in ihrer Funktionsform mit einer Wirkgruppe (S. 13) assoziiert, welche aktiv am Katalysegeschehen teilnimmt. Sie wird dabei chemisch verändert und muß in einer nachgeschalteten Enzymreaktion in die Ausgangs-oder „aktive“ Form zurückverwandelt werden. Die Wirkgruppe kann als Coenzym oder prosthetische Gruppe vorliegen. Die Unterscheidung der beiden ist nicht eindeutig, wenn man die Stabilität ihrer Bindung an das Apoenzym als Kriterium wählt. Wesentlich besser gelingt dies, wenn der Modus ihrer Mitwirkung an der katalysierten Reaktion verglichen wird: Coenzyme benötigen ein zweites Apoenzym, prosthetische Gruppen hingegen ein zweites Substrat bei unveränderter Holoenzym-Struktur. Dementsprechend trennt sich ein Coenzym nach vorausgegangener chemischer Veränderung relativ leicht vom Apoenzym und bindet sich problemlos an ein zweites Apoenzym; es katalysiert eine Reaktion, aus welcher das Coenzym in der aktiven Ausgangsform hervorgeht (Abb. 1.4 a). Diese Wirkungsweise ist typisch für die Nicotinamidnucleotide NAD und NADP (Einzelheiten S. 20 ff). Diese Beweglichkeit ist der prosthetischen Gruppe verwehrt, da sie in der Regel fest mit dem Apoenzym verknüpft ist. Ihre Funktion im katalytischen Prozeß ist nur dann gewährleistet, wenn zwei verschiedene Substrate nacheinander gebunden und umgesetzt werden (Abb. 1.4 b). Parade-
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1.2 a Enzym I
HH
H S-I
Enzym II
H H
Enzym I
H+
S-II
S-II HH S-II Enzym II
S-I
H H+
Biokatalyse
19
Abb. 1.4 Arbeitsweise von Wirkgruppen. Als Beispiel dient die Wasserstoffübertragung mittels a Cosubstrat; S-I, S-II Substrate I und II (Einzelheiten in Abb. 1.6) oder b prosthetischer Gruppe; A, B Substrate A und B, jeweils reduziert (red) oder oxidiert (ox), Apo Apoenzym.
Enzym II
S– Iox
+
Apoenzym I b A (red)
H H
A (ox)
FAD
H
H
Apo
B (red)
FADH2
B (ox)
Apo
beispiele hierfür sind die Flavinnucleotide FMN und FAD, die prosthetischen Gruppen der Flavoproteine oder gelben Enzyme (Einzelheiten S. 23 ff). Beide Formen der Wirkgruppe setzen sich mit dem Substrat der katalysierten Reaktion stöchiometrisch um (Mol mit Mol!), nicht aber katalytisch (kleine Menge – großer Umsatz!). Da sie sich wie ein zweites Substrat verhalten, sollten vor allem die Coenzyme besser als Cosubstrate bezeichnet werden. Wie Abb. 1.4 a vermittelt, stellen Coenzyme nicht nur den Kontakt zwischen einzelnen Enzymen her, sondern besorgen auch den Transfer von chemischen Komponenten im Stoffwechsel, wie hier für den Wasserstoff demonstriert; zu den Transferprodukten gehören auch funktionelle Gruppen und Molekülfragmente sowie chemische Energie (s. u.). Coenzyme übernehmen somit die Rolle von Transporteinheiten oder Transportmetaboliten (Th. Bücher) in der Zelle.
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Einteilung Legt man die katalysierte Reaktion zugrunde, an welcher eine Wirkgruppe beteiligt ist, so ergeben sich drei Hauptgruppen: Zur ersten gehören die wasserstoffübertragenden Vertreter, zur zweiten die mit Gruppenübertragung befaßten und zur dritten die Wirkgruppen von Isomerasen und Lyasen. Wir beschränken uns auf die Betrachtung jeweils eines typischen Vertreters. Mit vielen anderen werden wir im Verlauf der weiteren Ausführungen Bekanntschaft machen. Die Struktur zahlreicher Coenzyme und prosthetischer Gruppen geht auf ein Vitamin zurück; hieraus erklärt sich die eminente biologische Bedeutung dieser organischen „Spurenverbindungen“. Hauptproduzenten von Vitaminen sind pflanzliche Organismen; sie decken den essentiellen Bedarf von Mensch und vielen Tieren. Die Entdeckung der Coenzyme nahm ihren Anfang im Jahre 1906, als die von Buchner gefundene „Zymase“ durch Harden und Young in einen hochmolekularen Proteinanteil und eine niedermolekulare Komponente, das „Coferment“, zerlegt werden konnte. Die Isolierung dieser „Cozymase“ („Codehydrase I“), heute als Nicotinamidadenin-dinucleotid bekannt, gelang schließlich H. v. Euler (1931). Warburg und Christian entdeckten später die „Codehydrase II“, das heutige Nicotinamid-adenin-dinucleotidphosphat.
Wasserstoffübertragung. Die Nicotinamidnucleotide bilden die Coenzyme (Cosubstrate; S. 19) von zahlreichen Enzymen, welche die Abspaltung oder Anlagerung von Wasserstoff katalysieren: Dehydrogenasen oder Oxidoreduktasen. Der Name zeigt an, daß Nicotin(säure)amid wichtiger Bestandteil eines Nucleotids ist, d. h. eines Dreierverbundes von Base, Zucker und Phosphorsäure. Aus seiner Bindung an ein zweites Nucleotid mit der Base Adenin resultieren zwei etwas abweichende Dinucleotid-Strukturen: 1. Nicotinamid-adenin-dinucleotid, Kurzform NAD (1) 2. Nicotinamid-adenin-dinucleotidphosphat, NADP (2)
Wie ihre Strukturformeln zeigen, ist Nicotinamid, ein stickstoffhaltiges Pyridin-Derivat (Vitamin-B12-Komplex; Biosynthese S. 513 f) mit Ribose (Rib) N-glykosidisch zu Ribosylnicotinamid (Nir) verknüpft; über zwei Phosphorsäure-Gruppen (Diphosphat; P – P) ist das Nucleosid Adenosin (Ado; S. 25 f) angebunden. NADP enthält eine dritte Phosphorsäure-Gruppe in Position 2′ der Ribose. Das Nicotinsäureamid bildet die eigentliche „aktive“ Gruppierung des Coenzyms, denn hier erfolgt die reversible Anlagerung eines H-Atoms. In dieser reduzierten Form reagiert dann das Coenzym nach Bindung an ein neues Apoenzym mit einem zweiten Substrat unter Wasserstoffabgabe. Diese Veränderung der chemischen Struktur hat eine typische Änderung des optischen Verhaltens der Verbindungen zur Folge; Lösungen von NADH und NADPH zeigen im Gegensatz zu denen von NAD+ bzw. NADP+ ein deutliches Absorptionsmaximum bei 340 nm (Abb. 1.5).
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1.2 O Nicotinamid
C +
Biokatalyse
21
NH2
N 5'
N
N
NH2 O
N
O
Ade
N
5'
CH 2 O P O P O CH2
Rib
–
OH HO
–
O
O
O
O
HO Nir
P
Rib
OH
Ado
P
1 NAD + O C
NH2 NH2
N 5'
N
N
+
O
N
N
O
5'
CH2 O P O P O CH2 OH HO
O
–
O
–
O
O
4' 3'
1' 2'
HO
O
–
O P O
2 NADP +
–
O
Abb. 1.5 UV-Absorptionsspektren von Nicotinamidnucleotiden. Charakteristisch für die reduzierten Verbindungen von NAD und NADP ist das Absorptionsmaximum bei der Wellenlänge (λ) von 340 nm.
NAD+ (NADP+)
Absorption (A)
NADH (NADPH)
260
300
340
380 nm 420
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Hierauf basiert z. B. das folgende hoch empfindliche Meßverfahren für NAD- bzw. NADP-aktivierte Enzyme: Die Veränderung der Absorption bei dieser Wellenlänge im zeitlichen Verlauf der katalysierten Reaktion wird direkt im Testansatz gemessen und damit die Reduktion bzw. die Oxidation der Nicotinamidnucleotide verfolgt. Die zeitbezogene Absorptionsänderung ist wegen der herrschenden Stöchiometrie (S. 19) ein direktes Maß für die Reaktionsgeschwindigkeit (Substratumsatz in mol · s–1) und damit für die Aktivität des Enzyms. Allerdings muß die Substratkonzentration (sie wird in mol · l – 1 angegeben) während des gesamten Meßvorgangs hoch sein, damit eine Sättigung des Enzyms gewährleistet ist. Dieses Verfahren kann auch auf Enzyme ausgedehnt werden, welche Reaktionen ohne Nicotinamidnucleotide katalysieren; so dient z. B. ein anfallendes geeignetes Reaktionsprodukt als Substrat für eine nachgeschaltete Oxidations- oder Reduktionsreaktion obiger Art, welche mit Hilfe eines zugesetzten NAD- oder NADP-abhängigen „Hilfsenzyms“ zum Ablauf gebracht wird (gekoppelter optischer Test).
Formal wird ein vom Substrat abgespaltenes Wasserstoffatom gebunden und die positive Ladung des Pyridinringes ausgeglichen; dadurch verliert er seine aromatische Natur. Tatsächlich wird dem Substrat ein Hydrid-Ion (H – ) entzogen und an Position 4 des Pyridinringes gebunden. Das dehydrogenierte Substratmolekül verliert nun ein Proton (H+; Abb. 1.6), welches dementsprechend in der Reaktionsgleichung berücksichtigt wird: NAD-H + H+ bzw. NADP-H + H+.
Die Anlagerung des Hydrid-Ions am C-4 erfolgt stereospezifisch, d. h. es kann jeweils nur von einer Seite des Ringes gebunden bzw. abgenommen werden; die zwei H-Atome am C-4 sind nicht gleichwertig und werden von den Dehydrogenasen unterschiedlich behandelt. Oxidierte und reduzierte Form von NAD bzw. NADP bilden ein effektives Redoxsystem (S. 27 ff), eine Eigenschaft, welche auch andere Wirkgruppen besitzen (s. u.).
Ethanol CH3
Kation-Zwischenform CH3
H C OH
Acetaldehyd CH3
H C OH +
H
H–
+
Ado P P Rib N
4
H
H
NAD+
Abb. 1.6 Sterospezifität der Nicotinamidnucleotid-Katalyse. Mechanismus der Reduktion von NAD+ bei der durch Alkohol-
C
O
H A-Seite
Ado P P Rib N
4
H B-Seite C O
C O H2N
H
+
H2N
NAD-H + H+
Dehydrogenase katalysierten Oxidation (= Dehydrogenierung) von Ethanol zu Acetaldehyd.
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Biokatalyse
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Wasserstoffübertragung mit Hilfe von Flavinnucleotid als prosthetischer Gruppe ist das Kennzeichen der sog. gelben Enzyme oder Flavoproteine. Ihr Name beruht auf dem Gehalt an gelbgefärbtem Riboflavin (Vitamin-B2-Komplex). Dieses Derivat des Alloxazin trägt den fünfwertigen Alkohol Ribit als Seitenkette. Als Wirkgruppe im Enzym liegt dieses 6,7-Dimethyl-9-ribityl-isoalloxazin entweder in der phosphorylierten Form als Riboflavin-5'-phosphat, Flavinmononucleotid, Kurzform FMN (3), vor oder ist mit Adenosin und DiphosphatBrücke zum Flavin-adenin-dinucleotid, Kurzform FAD (4) erweitert. Beide Strukturen sind über Haupt- oder Nebenvalenzen fest am Apoprotein verankert. Auf dieser Konstruktion basiert die Lokalisation von Flavoproteinen: bis auf wenige Ausnahmen sind sie Bestandteile von Membranen oder anderen Zellstrukturen. O HN3 4
2 1
N
O
N 5
6
10
9
N
7 8
CH3
7,8-Dimethylisoalloxazin
CH3
CH2 H C OH H C OH
Ribit(ol)-5'-phosphat
H C OH O –
H2C O P O 5'
–
O 3 Flavin-mononucleotid, FMN O HN 4 O
1
N
N
5 10
N
6 9
7
CH3
8
CH3
CH2
NH2
H C OH
N
H C OH H C OH O
N
O
N N
H2C O P O P O CH2 O – – O O OH
OH
4 Flavin-adenin-dinucleotid, FAD
Die Bindung eines H-Atoms an N-5 überführt die Chinon-Struktur in die „halbreduzierte“ des Semichinons, welches dann durch Aufnahme eines weiteren Elektrons sowie eines Protons zum reduzierten Chinon oder Hydrochinon wird
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
(2-Elektronen-Übergang! s. Reaktionsschema). Die Ausbildung eines freien Radikals durch eine 1-Elektron-Übertragung tritt nur selten ein. O N
HN O
N
N
R oxidierte Form, FMN oder FAD
O
+ CH3 e, H
CH3
HN O
e, H+
H N 5
1
N
N R Semichinon
O
+ CH3 e, H
CH3
HN O
e, H+
H N
CH3
N
CH3
5
1
N H
R reduzierte Form, FMNH2 oder FADH2
Die Funktionsfähigkeit eines Flavoproteins, d. h. sein oxidierter Zustand, wird dadurch wieder hergestellt, daß seine prosthetische Gruppe den angelagerten Wasserstoff auf ein geeignetes Substrat überträgt, welches vom Enzymprotein als spezifisch akzeptiert wird (s. Abb. 1.4 b). Das Enzym wirkt jetzt als eine Transhydrogenase oder Oxidoreduktase. Da seine prosthetische Gruppe zwischen dem reduzierten und dem oxidierten Zustand entsprechend der Anlagerung oder der Abgabe von H-Atomen bzw. von Elektronen und H-Ionen wechselt, verkörpert sie ein effektives Redoxsystem (S. 27 f).
Gruppenübertragung. Wie wir schon festgestellt haben, übernehmen bestimmte Coenzyme den Transfer von chemischen Gruppen wie Methyl-, Formyl-, Carboxy-, Acetyl-, Amino-, Phosphat- sowie von C2-Aldehyden und Zukkermolekülen im Stoffwechsel. Daran sind ein Donator und ein Akzeptor beteiligt. Als Donator fungiert meist ein Cosubstrat, welches einleitend mit der zu übertragenden Gruppierung beladen wird. Der Akzeptor ist generell eine Verbindung von nucleophilem Zuschnitt. Gruppentransfer ist besonders effektiv, wenn der zugrundeliegende Reaktionsablauf stark exergonisch (S. 8) ist; dies ist meistens der Fall. Entsprechend kann den einzelnen Cosubstrat-gebundenen Gruppierungen ein Gruppenübertragungspotential zugeordnet werden. Adenosintriphosphat. Bei diesem Coenzym oder Cosubstrat, Kurzform ATP, welches wir als Beispiel betrachten wollen, ist die Übertragung von Phosphat mit der von chemischer Energie in besonderer Weise gekoppelt (s. u.). Die Voraussetzung hierfür findet sich in der Struktur von ATP (5). Das Molekül setzt sich, wie die Strukturformel zeigt, aus drei Grundbausteinen zusammen: aus der Purinbase Adenin (6-Aminopurin; Ade), dem C5-Zucker βD-Ribose (in Furanose-Form; Rib) und aus drei Phosphorsäure-Resten (P-P-P). Eine N-Glykosidbindung verknüpft N – 9 des Adenin mit C – 1 der Ribose zu Adenosin (Ado). Diese trägt in Stellung 5 den ersten Phosphorsäure-Rest in Esterbindung, an den ein zweiter und ein dritter durch Anhydridbindung so gebunden sind, daß eine lineare Polyphosphat-Struktur entsteht. Die beiden Anhydridbindungen werden nicht ganz korrekt als energiereiche Bindungen bezeichnet; gemeint ist damit die hohe Hydrolyse-Energie, welche bei Abspaltung des terminalen Phosphorsäure-Restes und des nachfolgenden unter Entstehung von ADP bzw. AMP als Wärme frei wird. In der Zelle hingegen liefern diese Reaktionen überwiegend chemische Energie, d. h. eine Form, welche bio-
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1.2
Biokatalyse
25
NH2 N
6
9
O
O
N
O
O P O P O P O CH2 –
O
–
O
O
O
4'
1'
HO P
P
Ade
5'
–
–
N
N
Rib
OH
Ado
P
AMP ADP ATP 5
logische Arbeit leisten kann (s. S. 3). Eine solche Bindung wird in der Strukturformel mit dem Symbol ⬃ gekennzeichnet. Die Bestimmung der Enthalpie-Änderung bei der hydrolytischen Spaltung von ATP, welche für das Verständnis der Energieverhältnisse im Stoffwechsel von großer Bedeutung ist, stößt experimentell auf Schwierigkeiten. Demgemäß finden sich recht unterschiedliche Werte in der Literatur; sie liegen zwischen – 30 kJ ⋅ mol – 1 und – 40 kJ ⋅ mol – 1. Neuere Messungen ergaben Werte um – 34 kJ ⋅ mol – 1, aufgerundet: – 35 kJ ⋅ mol – 1. Diese unter Standardbedingungen (25 ⬚C, 1 bar, Spaltung von 1 mol ATP zu 1 mol ADP und Pi), aber bei pH 7,0 ermittelten Werte gelten sicherlich nicht für In-vivo-Verhältnisse. Dort ist die Stoffmengenkonzentration wesentlich geringer; zudem liegt ATP größtenteils in komplexer Bindung mit einem Magnesium-Ion vor (6). Bei Annahme einer einigermaßen realistischen physiologischen Konzentration von 0,01 mol ⋅ l – 1 für die drei Reaktionspartner ATP, ADP und Pi und eines Umsatzes von 1 mol ATP zu 1 mol ADP ergibt sich ein Wert von – rund – 50 kJ ⋅ mol – 1. Vermutlich ist aber die Konzentration der Partner nicht äquimolar; daher sind Werte zwischen – 40 und – 50 kJ ⋅ mol – 1 wahrscheinlicher. O– O
O P
O–
O –
O P O
HO
O– 2+
Mg
NH2
N
O CH2
P O
O
N
N N
OH
6 Mg-ATP-Komplex
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
Die Bildung von ATP aus ADP und Monophosphat erfolgt durch energetische Kopplung mit einer stark exergonischen Reaktion, denn erst die dabei frei werdende Energie ermöglicht die endergonische Reaktion der ATP-Synthese (s. Abb. 1.7). Die Summe von ∆Gm (∆G0) beider Reaktionen ist dabei negativ oder gleich Null. Dieses biochemisch wichtige Prinzip, welches sowohl die Bildung von ATP als auch den Ablauf einer endergonischen Reaktion ermöglicht, verdeutlicht Abb. 1.7. Das Reaktionssystem ADP/ATP ist in einen Kreisprozeß einbezogen, der mit exergonischen bzw. endergonischen Reaktionen energetisch gekoppelt ist. ATP übernimmt somit als universelles Energieäquivalent die Funktion eines Transportmetaboliten für chemische Energie im Stoffwechsel der verschiedensten Zellen, d. h. ubiquitär in denen von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren einschließlich des Menschen. In Ausnahmefällen wird ATP von anderen Nucleosidtriphosphaten (CTP, GTP, UTP) oder von Kreatinphosphat vertreten. Als Beispiele für den eingangs postulierten gemeinsamen Transfer von Phosphorsäure-Rest und chemischer Energie seien die Phosphorylierung von freien Zuckern, d. h. ihre Überführung in reaktionsbereite Phosphorsäure-Ester (S. 263), und die „Aktivierung“ von Sulfat (S. 406 f) genannt. Wie diese Reaktionen zeigen, besitzt ATP ein hohes Gruppenübertragungspotential für Phosphat. Dieses reagiert unter Mitwirkung spezifischer Enzyme, der Kinasen, mit verschiedenen funktionellen Gruppen (OH, COOH, NH2) organischer Verbindungen. In seltenen Fällen werden auch zwei Phosphorsäure-Reste als Diphosphat (PPi) übertragen. Von größerer Bedeutung hingegen ist der Transfer von Adenosinmonophosphat (AMP) aus dem ATP auf einen Akzeptor, der dadurch in eine „aktivierte“ Verbindung überführt wird. Disphosphat (PPi) wird dabei freigesetzt (Beispiel S. 418 f) und wird oft anschließend gespalten.
Wirkgruppen von Lyasen und Ligasen. Lyasen katalysieren die reversible Zerlegung einer Verbindung in zwei Teilprodukte. Sie erfüllen oft auch die Kriterien der gruppenübertragenden Kategorie. Zwei wichtige Vertreter agieren als prosthetische Gruppe von Decarboxylasen: Pyridoxalphosphat (S. 415) und Thiamindiphosphat oder Diphosphothiamin (DPT; S. 168 f); letzteres ist auch Bestandteil von Transferasen.
ATP –∆ Gm (–∆ G°) exergonische Reaktion
Pi ADP
+ ∆ Gm (+∆G °)
Abb. 1.7 Das ADP/ATPSystem. Seine zentrale Bedeutung für die energetische Kopplung einer energieliefernden (exergonischen) Reaktion mit einer energiebedürftigen (endergonischen) Reaktion.
endergonische Reaktion
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1.3
Elektronenübertragung im Stoffwechsel
27
Da Ligasen neue Bindungen unter Freisetzung von Diphosphat (PPi) knüpfen, ist in erster Linie ein Nucleosidtriphosphat, meistens ATP, als Wirkgruppe beteiligt. Auch Biotin (S. 307) kann gelegentlich diese Funktion übernehmen. Damit ist auch hier keine klare Trennlinie zum Gruppentransfer zu ziehen.
1.3
Elektronenübertragung im Stoffwechsel
Die Wirkungsweise der Nicotinamid- und Flavinnucleotide hat uns schon mit der Tatsache vertraut gemacht, daß die Wasserstoffübertragung in der Zelle oft gleichbedeutend mit Elektronenübertragung unter Beteiligung von Protonen ist. Wie schon festgestellt, sind beide Wirkgruppen-Formen effektive Redoxsysteme, durch deren Vermittlung die Enzyme jeweils Oxidation oder Reduktion von Substraten katalysieren. Den Entzug von Elektronen bezeichnet man allgemein als Oxidation, die Aufnahme von Elektronen als Reduktion. Entsprechend befindet sich ein Molekül, welches ein Elektron abgegeben hat (Elektronendonator) im oxidierten, ein Molekül, welches ein Elektron aufgenommen hat (Elektronenakzeptor), im reduzierten Zustand. Beide können ein Redoxsystem bilden: ein Elektron vom Donatormolekül, dem Reduktionsmittel (Reduktant), wird auf ein Akzeptormolekül, das Oxidationsmittel (Oxidant) übertragen. Dadurch wird der Donator oxidiert, der Akzeptor reduziert. Jedes Redoxsystem, welches in der vorstehend beschriebenen Weise ein oder mehrere Elektronen austauscht, ist durch ein elektrisches Potential, das Redoxpotential, charakterisiert. Seine Normgröße E0 (Standardpotential; in Volt) wird unter folgenden Bedingungen bestimmt: Oxidierter und reduzierter Partner je 1 mol ⋅ l – 1 H+ : 1 mol ⋅ l – 1 (pH = 0) Temperatur 25 ⬚C, Druck 1 bar
Sind aus methodischen Gründen diese Werte nicht zu ermitteln, weil z. B. das Redoxsystem fester Bestandteil einer Biomembran oder einer anderen Zellstruktur ist, so behilft man sich mit dem Mittelpunktpotential EM. Als Bezugsgröße dient die Wasserstoffelektrode, die ihrerseits ein Redoxsystem (H+-Ionen/H2-Moleküle) darstellt. Sie bildet den Nullpunkt einer Skala, auf der sich jedes beliebige Redoxsystem aufgrund seines Redoxpotentials (E0) einordnen läßt. Da diese Standardpotentiale für pH = 0, c[H+] = 1, gelten, ergeben sich für biochemische Redoxsysteme experimentelle Schwierigkeiten: bei pH = 0 laufen keine Enzymreaktionen mehr ab. Man hat daher das Potential E0' eingeführt, welches auf dem physiologischen pH-Wert von 7,0 basiert. Die Wasserstoffelektrode hat dann ein Potential von E0' = – 0,42 V. Für alle vom pH-Wert abhängigen Redoxsysteme gilt daher: E0' (bei pH 7,0) = E0 – 0,42 V
Aus der Redoxskala mit dem Potential der Wasserstoffelektrode bei pH = 0 bzw. 7,0 als Nullpunkt läßt sich ablesen, ob sich ein gegebenes Redoxsystem gegen-
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Gesetzmäßigkeiten von Stoffwechselreaktionen
über einem anderen als Elektronendonator oder Elektronenakzeptor verhält. Je negativer nämlich das Potential eines Reaktionspaares ist, um so stärker ist seine Reduktionskraft und damit sein Elektronendruck. Umgekehrt entspricht einem stark positiven Potential eine große Oxidationskraft und eine hohe Affinität für Elektronen. Von zwei Redoxsystemen wird das Paar mit dem stärker negativen Potential das zweite mit dem schwächer negativen oder positiven Potential reduzieren. Werden einzelne Redoxsysteme anhand ihres Redoxpotentials so angeordnet, daß am Anfang auf der höchsten Stufe das System mit dem am stärksten negativen Potential, am Ende auf der niedrigsten Stufe das mit dem am stärksten positiven Potential steht (s. Abb. 1.8), dann erhält man eine Elektronentransportkette. Die Bezeichnung rührt daher, daß Elektronen dem natürlichen Potentialgefälle folgend, aber auch in umgekehrter Richtung über diese Stufenfolge von Redoxsystemen bewegt werden können. Bei mehreren Stoffwechselprozessen in der Zelle ist dieser Mechanismus der Elektronenbewegung verwirklicht, wobei Coenzyme und prosthetische Gruppen spezifischer Enzyme die Redoxsysteme bilden. In einer Elektronentransportkette kann der Elektronenübergang auch in eine Übertragung von Wasserstoff übergehen. Trotzdem handelt es sich um eine Elektronenübertragung, die allerdings jetzt in Verbindung mit Protonen (H+-Ionen) stattfindet (s. S. 23 f). Dabei kommt es zu einem 2-Elektronen-Übergang, während sonst der 1-Elektron-Übergang typisch ist.
–0,60
Donator
e
Aox Ared –∆ G'm (– ∆G °´)
Elektronendruck
e –0,40
Box
–0,20
Bred
Elektronenaffinität
0,00
e
–∆ G'm (– ∆G °´)
+ 0,20
M3+
+ 0,40
M2+
+ 0,60
Abb. 1.8
e
Abnahme der molaren freien Enthalpie ∆G´m (∆G°´)
E´0 (V) –0,80
–∆ G'm (– ∆G °´)
Akzeptor
Elektronentransportkette in biologischen Systemen (schematisch).
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1.3
Elektronenübertragung im Stoffwechsel
29
Die schrittweise Änderung des Elektronendruckes bei jeder Reaktionsstufe einer Elektronentransportkette steht in einem direkten Zusammenhang mit der Änderung der freien Enthalpie. Für ihre Größe ist die Differenz der beteiligten Redoxpotentiale entscheidend:
∆ G ’m = – n ⋅ F ⋅ ∆ E ’o n Anzahl der übertragenen Elektronen F Faraday-Konstante: e ⋅ N = 9,649 ⋅ 104 C ⋅ mol – 1 C = elektrische Ladung in Coulomb; 1 C = 1 A ⋅ s = 1 Joule [J] ⋅ Volt [V] – 1
Unter Standardbedingungen (Umsatz von 1 mol Substanz; Valenzwechsel von 1; Potentialdifferenz von 1 V; pH = 0) entspricht die Übertragung von 1 mol Elektronen einer Änderung der freien Enthalpie von 96 kJ. Handelt es sich um einen 2-Elektronen-Übergang, ist der Energiebetrag mit ca. 192 kJ · mol–1 doppelt so groß. Wird ein Elektron gegen das natürliche Energiegefälle, d. h. in einer „Bergauf-Reaktion“ bewegt, so müssen 96 kJ · mol–1 bzw. für zwei Elektronen 192 kJ · mol–1 zugeführt werden; die Reaktion ist endergonisch. Folgt das Elektron hingegen dem natürlichen Energiegefälle in einer „Bergab-Reaktion“, so wird der oben genannte Energiebetrag bzw. das Doppelte bei einem 2-Elektronen-Übergang frei; die Reaktion ist exergonisch. In der lebenden Zelle sind die Standardbedingungen naturgemäß kaum gegeben. Das effektive Redoxpotential wird sich nach den jeweiligen Konzentrationen seines oxidierten und reduzierten Reaktionspartners einstellen. Auch stößt die Bestimmung von Redoxpotentialen in biologischen Systemen auf methodische Schwierigkeiten.
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Ernährung pflanzlicher Organismen
Die niederen und höheren Pflanzen sowie einige autotrophe Mikroorganismen beschaffen sich aus anorganischen Verbindungen ihrer unbelebten Umwelt jene chemischen Elemente, welche für den Aufbau einer Vielzahl organischer Verbindungen in den Zellen bzw. Geweben und Organen benötigt werden. Diese Fähigkeit zur Aufbereitung von geeignetem Rohmaterial sowie die exklusive Gewinnung der dafür erforderlichen Energie sind einleitend als typische Merkmale der Autotrophie herausgestellt worden. Als Nährstoffe dienen neben Kohlendioxid und Wasser vor allem anorganische Ionen; deren Verfügbarkeit, Aufnahme und Transport sowie ihre intrazelluläre Verarbeitung bestimmen in entscheidender Weise den Stoffwechsel pflanzlicher Organismen. Folglich müssen wir uns zunächst mit diesen Prozessen beschäftigen. Dabei bietet sich an, mit dem Wasser wegen seiner vielfältigen und überragenden Bedeutung für die Lebensprozesse zu beginnen, dann die Beschreibung der essentiellen Elemente anzuschließen und zuletzt die Bedeutung von Kohlendioxid (C02) zu untersuchen.
2.1
Wasser
Wasser ist nicht nur Ausgangsverbindung der Photosynthese, sondern nimmt auch als wichtiger Reaktionspartner an Stoffwechselumsetzungen teil. Diese Funktionen allein erklären nicht, warum praktisch alle Stoffwechselreaktionen in der wäßrigen Phase ablaufen. Wasser ist ein unentbehrliches Lösungsmittel für die meisten anorganischen und organischen Verbindungen. Auch für die Funktionsfähigkeit vieler Proteine, insbesondere der an der Struktur von Enzymen beteiligten, ist es unentbehrlich. Entsprechend zeichnen sich die Organismen durch einen hohen Wassergehalt aus: er kann bei höheren Pflanzen 60 – 90%, teilweise auch mehr, der lebenden Substanz betragen. Bei höheren Pflanzen übernimmt das Wasser auch außerhalb der Zellen die Funktion eines Transportmittels, mit dem vor allem die Nährsalze von der Wurzel in die oberirdischen Organe gelangen. Hieraus wird verständlich, daß eine unzureichende Wasserversorgung nicht nur die Photosynthese, sondern auch andere elementare Lebensvorgänge beeinträchtigt oder blockiert. Eine ausgeglichene Wasserbilanz der Einzelzelle und des Gesamtorganismus ist daher erforderlich.
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2
Ernährung pflanzlicher Organismen
2.1.1
Eigenschaften des Wassers
Die Abhängigkeit der Lebensprozesse vom Wasser beruht auf seinen besonderen Eigenschaften, welche nicht nur in physiko-chemischer, sondern auch vor allem in biologischer Hinsicht bemerkenswert sind: 1. Schmelz- und Siedepunkt sind im Vergleich zu anderen Dihydriden relativ hoch 2. die Wärmekapazität liegt 2 – 3mal höher als die anderer Lösungsmittel 3. die Oberflächenspannung ist hoch 4. die hohe Dielektrizitätskonstante kommt der Aufnahme von Ionen sehr entgegen 5. die Viskosität ist trotz Häufung von Wasserstoffbindungen nicht ungewöhnlich hoch (s. u.) 6. das Dichtemaximum liegt bei 4 ⬚C (nicht bei 0 ⬚C!): Eis schwimmt auf dem Wasser; Gewässer frieren daher von der Oberfläche her zu!
Struktur Im molekularen Aufbau und in der intermolekularen Konfiguration liegen viele Eigenschaften begründet, welche Wasser gegen die analogen Dihydride abgrenzen. Im Molekül bilden die beiden kovalenten O-H-Bindungen einen Winkel von 104,5⬚ ; jede besitzt einen zu 40% ionischen Charakter, wodurch die H-Atome eine schwach positive, das O-Atom eine schwach negative Ladung aufweisen (Abb. 2.1 a). Das Wassermolekül ist daher ein Dipol. Aufgrund der beiden ungeteilten Elektronenpaare am O-Atom sind Wasserstoffbindungen möglich, d. h. H-Atome benachbarter Wassermoleküle können über schwache Bindungen angelagert werden (Abb. 2.1 b). Dies führt zur Verknüpfung von zahlreichen Molekülen in einem dreidimensionalen Raumnetz (Cluster; Abb. 2.1 c). Freie Wassermoleküle liegen in so hoher Anzahl vor, daß die ClusterStrukturen isoliert sind und keinen zusammenhängenden Körper bilden können (Abb. 2.1 c). Daher bleibt die Viskosität von Wasser entgegen der Erwartung relativ niedrig (s. o.). Die Dipol-Natur von Wassermolekülen bedingt auch ihr charakteristisches Verhalten gegenüber gelösten Ionen, indem sie von diesen aufgrund ihrer Ladung angezogen und angelagert werden. Dabei ist je nach der Ladung des Ions der positive bzw. der negative Pol der Wasser-Dipole dem geladenen Teilchen zugekehrt (Abb. 2.1 d). Als Folge dieser Hydratation sind die Ionen von einer Hülle aus Wassermolekülen umgeben. Wie umfangreich sie ausgebildet wird, hängt nicht nur von der Teilchengröße, sondern auch von der Anzahl der verfügbaren Ladungen an der Oberfläche ab. So nimmt beispielsweise bei den AlkalimetallIonen bei gleichbleibender Ladung mit wachsendem Durchmesser die Größe der Hydrathülle deutlich ab, weil die Ladungsdichte an der Oberfläche verringert wird.
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2.1
H
O
H
H O H O H H b
a H
H
O H O
H
H
O
O H
H
H O H
H
H
H
O H
H O
H
H O
c
O
O H
H
H
H
O H
O H
O
H
Wasser
33
Abb. 2.1 Struktur und Eigenschaften von Wasser. a Dipol-Charakter des Wassermoleküls, b H-Bindungen zwischen den Molekülen, c dreidimensionales Raumnetz von Wassermolekülen (Cluster), umgeben von freien Molekülen, d Hydrathülle um ein Kation bzw. Anion.
H H O H O H
H H O H O O H O H O O H H H H H O H H O H H
H
d
Wasser in der Zelle Neben seiner Funktion als Lösungsmittel und seiner Beteiligung als Partner bei chemischen Umsetzungen übernimmt Wasser in verschiedenen Bereichen der Zelle, gebunden oder frei beweglich, weitere Funktionen. Wie die Hydrathüllen seiner Moleküle um Ionen (s. o.) besetzen sie über polare Gruppen die Oberfläche von Proteinen und Polysacchariden. Oft entstehen dabei geschichtete Hüllen von strukturiertem Wasser um diese Moleküle. Obwohl nur 5 – 10% des gesamten Wassers in der Zelle an der Hydratation beteiligt sind, stellt diese eine lebensnotwendige Voraussetzung für die Funktion und Erhaltung der cytoplasmatischen Strukturen dar. Unter der Annahme, daß sich Leben zuerst im Meer entwickelt hat, ist sicherlich die „Erfindung“ einer Membran, mit der sich Vorstufen von Zellen oder Organismen gegen die äußere Umgebung mit ihrer relativ hohen Salzkonzentration (⬇ 0,5 mol/l) abgrenzten, ein entscheidender Schritt gewesen. Hierdurch
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34
Ernährung pflanzlicher Organismen
waren sie in der Lage, ein eigenes „inneres Milieu“ und damit ein chemisches System für einen Stoffwechsel aufzubauen. Gegen den Einstrom externer Substanzen wurde eine Barriere errichtet, welche die gesteuerte und auch selektive Aufnahme lebenswichtiger Verbindungen als auch eine Abgabe von Substanzen ermöglichte. Dies gilt im weiteren Sinne für alle membranumschlossenen Organellen und Strukturen in eukaryotischen Zellen. Die unterschiedliche chemische Zusammensetzung von äußerem Milieu und lebendem System, die für alle Organismen typisch ist, beruht auf dem Vorhandensein einer biologischen Membran, generell Biomembran genannt; als Teil des Protoplasten begrenzt sie diesen nach außen (= Cytoplasmamembran). Trotz ihrer geringen Dicke von maximal 10 nm wird sie offensichtlich den verschiedenartigen Anforderungen (s. o.) in optimaler Weise gerecht. Die Voraussetzungen hierfür liegen im molekularen Feinbau begründet.
2.1.2
Biomembranen
Diese elementaren Zellstrukturen sind gleichermaßen für Prokaryoten und Eukaryoten typisch, wobei sie bei den letzteren in vielfältiger Weise ausgestaltet sind. Dort erreichen sie als Funktionsmembran (Thylakoid- und innere Mitochondrienmembran) ihre größte Komplexität. Allen Varianten sind jedoch zwei Grundstrukturen gemeinsam: 1. Eine Doppelschicht oder Matrix aus amphipathischen (amphiphilen) Lipiden 2. damit assoziierte Proteine von unterschiedlicher Anzahl und Größe. Von den Modellen, in welche die zahlreichen Ergebnisse von elektronenmikroskopischen, biochemischen und physikalischen Untersuchungen eingeflossen sind, ist das des Flüssigen Mosaik weitgehend akzeptiert (Abb. 2.2 a); es bildet die Grundlage für die nachfolgende Beschreibung. Am Aufbau der Matrix sind Phospholipide, Glykolipide und Sterole wie Cholesterol beteiligt (zur Struktur s. S. 320 ff bzw. S. 348 ff). In der Lipiddoppelschicht sind die Acyl-Reste der Lipidmoleküle einander zugewandt; sie sorgen über hydrophobe Wechselwirkungen für den Zusammenhalt; die polaren „Köpfe“ (s. u.) liegen außen und bilden die beiden hydrophilen Außenflächen. Hier finden sich die ebenfalls hydrophilen Kohlenhydrat-Anteile der Glykolipide. Sie sind vorwiegend für Zellerkennung zuständig; da diese bei pflanzlichen Zellen von geringer Bedeutung ist – ihre Oberfläche wird bekanntlich von der Zellwand abgedeckt –, fehlen Kohlenhydrate in der Außenmembran (Plasmalemma) weitgehend. Eine Ausnahme bilden die Membranen der Chloroplastenhülle (s. u.), welche relativ viele Glykolipide, vor allem mit Galaktose bestückte, aufweisen (S. 322). Die Zusammensetzung der beiden Lipidschichten kann un-
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2.1
Wasser
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terschiedlich sein (Asymmetrie der Membranstruktur!). – Zum Mechanismus der Membran-Insertion von Proteinen s. S. 498. Die halbfeste bis flüssig-kristalline Beschaffenheit der Doppelschicht ist für typische Eigenschaften von Biomembranen verantwortlich: Flexibilität und Fluidität; letztere bildet eine wichtige Voraussetzung für die laterale Beweglichkeit von Komponenten innerhalb von Biomembranen sowie für die Fusion von Membranen und die Abgliederung von Teilen derselben als Vesikel im System des Membranflusses. Der Anteil der Proteine in Biomembranen entspricht häufig dem der Lipide, kann sich aber in den Funktionsmembranen von Chloroplast und Mitochondrion (s. o.) bis auf 80% bei entsprechender Verringerung der Lipide erhöhen. Man unterscheidet periphere Membranproteine, welche nur locker mit der Membranoberfläche assoziiert sind, und integrale Membranproteine, welche mehr oder weniger tief in die Lipiddoppelschicht eingesenkt sind oder diese vertikal durchdringen (Abb. 2.2 a). Letztere schaffen dies dank eines oder mehrerer hydrophober Sequenzabschnitte in ihrer Polypeptidkette, welche allgemein rechtsgängige Helices aus maximal 30 Aminosäure-Resten bilden (Abb. 2.2 b). Solche integralen Proteine bauen die diversen Transporteinrichtungen von Biomembranen auf (s. u.). Biomembranen sind generell in sich zum Vesikel geschlossen. Sie trennen als Grenzschicht stets zwei wasserreiche Räume: Als Cytoplasmamembran (Plasmalemma) begrenzen sie den Protoplasten nach außen; intern schaffen sie individuelle Reaktionsräume oder Kompartimente (S. 5). Diese sind meist mit
a a2 a3
a1
a1
a2
b
LipidDoppelschicht
b1
b2
b3
Abb. 2.2 Aufbau von Biomembranen. a Modellvorstellung „Flüssiges Mosaik“ (nach Singer u. Nicholson) mit integralen Proteinen (a1, a3) und peripheren (a2). b Integrale Proteine durchqueren die Membran mit einer einzelnen α-Helix (b1) oder mehreren α-Helices (b2; s. S. 480 ff). Periphere Proteine sind kovalent über einen Lipid-„Anker“ (b3) oder nichtkovalent über schwache Wechselwirkungen mit einem anderen Membran-protein (b4) gebunden.
b4
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Ernährung pflanzlicher Organismen
Organellen identisch: Zellkern, Chloroplast und Mitochondrion; ihre Hülle aus zwei unterschiedlich konstruierten Biomembranen weist auf den möglichen endosymbiontischen Ursprung der Organellen hin (s. S. 441). Die meisten Biomembranen erfüllen ihre Aufgabe nicht allein in der Abgrenzung von Kompartimenten, sondern auch in der lebenswichtigen Kommunikation derselben: dank der molekularen Architektur ermöglichen sie die spezifische und selektive Passage von Ionen und niedermolekularen Verbindungen zwischen Kompartimenten und sind somit auch ein wichtiges Kontrollinstrument für deren Biochemie. Teilweise unterliegen solche Vorgänge der Steuerung durch externe und interne Signale, welche von der Biomembran bzw. ihren Transporteinrichtungen aufgenommen und umgesetzt werden.
Transportsysteme. Membranspezifische Strukturen sorgen nicht nur dafür, daß Ionen und niedermolekulare Verbindungen gezielt von einer Seite der Membran zur anderen gelangen, sondern daß vielfach Ionen- und Substanzgradienten entstehen bzw. aufrechterhalten werden. Diese können wiederum zelluläre Prozesse kontrollieren. Die modulierende Wirkung von internen und externen Faktoren oder Signalen auf die Aktivität der membranen Transportsysteme – Pumpen, Kanäle, Carrier – ist schon angesprochen worden (s. o.). Ihre Charakterisierung in pflanzlichen Membranen hat in den letzten Jahren dank neuer methodischer Ansätze, z. B. der Patch-Clamp-Technik (Box 2.1), beachtliche Fortschritte gemacht. Die gewonnenen Erkenntnisse machen deutlich, daß hinsichtlich Konstruktion und Wirkungsweise große Ähnlichkeit bis weitgehende Übereinstimmung mit den entsprechenden Membransystemen in tierischen Zellen bestehen. Abweichungen sind insbesondere dadurch bedingt, daß Pflanzen in ihren Zellen meist eine Zellsaftvakuole und Plastiden aufweisen, welche zusätzliche und speziell entwickelte Transporteinrichtungen erfordern. Hinzu kommt, daß einzelne Zellen Spezialaufgaben übernehmen, wie die Schließzellen in Spaltöffnungen oder Transferzellen als Vermittler zwischen Parenchym- und Leitgewebe. Bei den Ionenkanälen bilden membrandurchspannende Proteine eine Pore, deren Öffnen und Schließen meist über ein elektrisches Membranpotential gesteuert wird. Dieses resultiert oft daraus, daß „primär“ ein transmembraner Transport von Protonen stattfindet. Er wird durch die Spaltung von ATP oder Diphosphat mittels membrangebundener ATPase oder Diphosphatase (Pyrophosphatase) angetrieben (= Protonenpumpen). Dieser Errichtung einer elektrochemischen Potentialdifferenz folgt „sekundär“ die Membranpassage der Ionen bei zeitlich begrenzter Öffnung der Pore (Millisekunden bis Sekunden). Dabei fließt ein elektrischer Strom, welcher dank seiner Größe als Leitfähigkeit der Pore (in Siemens, S) gemessen werden kann. Beim nachfolgenden Verschluß geht die Pore in den nichtleitenden Zustand über. Als spannungsgesteuerter Ionenkanal (voltage gated) hat sich das für den Import von Kalium-Ionen zuständige Transportsystem des Plasmalemmas erwiesen (vgl. S. 45). In den
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2.1 Box 2.1
Wasser
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Patch-Clamp-Technik
Diese, ursprünglich für tierische Objekte entwickelt, um transmembrane Ionenbewegungen messend zu verfolgen (Neher u. Sakmann), wird inzwischen auch erfolgreich bei pflanzlichen Protoplasten eingesetzt. Wie der Name besagt, wird ein relativ kleines Membranareal (Patch) einbezogen, an welches eine hochempfindliche Spannungsklammer (Clamp) angelegt wird; sie erlaubt die Messung der Aktivität einzelner Ionenkanäle über den entsprechenden Stromfluß beim Anlegen einer definierten Spannung. Dazu wird die Spitze einer sehr feinen Glaskapillare auf die Außenfläche des Protoplasten aufgesetzt und durch Unterdruck das von ihr er-
faßte Membranstück angesaugt (a). Seine Oberfläche und die Innenwandung der Kapillare gehen eine enge, elektrisch dichte Bindung ein; ihr Widerstand ist entsprechend hoch (⬎ 109 Ohm). Durch vorsichtiges Abziehen der Kapillarspitze kann auch das angesaugte Areal aus der Membran herausgelöst und getrennt untersucht werden; da jetzt beide Membranflächen zugänglich sind, ist zwischen ihnen ein Potential etablierbar: Kapillareninhalt gegen Außenmedium (b). Mittels empfindlicher Meßtechnik wird anhand auftretender Ströme die Aktivität des oder der Ionenkanäle bestimmt.
Registrierung
a
des Stroms bei konstanter Spannung
PatchElektrode
stromleitendes Medium
b
Innenmedium mit PatchElektrode
Ionenkanäle
Patch mit Ionenkanal
intrazelluläre Elektrode Protoplast
Außenelektrode (= Referenz–) Außenmedium
isoliertes Membranstück
Schließzellen von Spaltöffnungen ist auch ein Kanal für Anionen (Nitrat, Chlorid, Malat) aktiv, welcher spannungs- und Calcium-abhängig reguliert wird. ATPasen als Ionenpumpen sind im Plasmalemma aktiv (P-ATPasen; Abb. 2.3). Sie unterliegen dem Einfluß sehr unterschiedlicher interner und externer Stimuli wie Licht, Phytohormone, Nährstoffangebot und Phytotoxine, z. B. Fusicoccin („Welke“-Toxin). Andere Vertreter sind im Tonoplasten entdeckt und charakterisiert worden. Dabei stellte sich heraus, daß zu diesen V-ATPasen (tp-ATPasen) auch H+-translozierende Pyrophosphatasen – V-PPasen (tp-PPasen) – gehören;
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2
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Ernährung pflanzlicher Organismen H+
P-ATPase
V(tp)-PPase PP
H+ ATP
ADP + Pi
H+ 2 P i
Tonoplast H+
ATP H+
H+
H+
ADP + Pi
H+
Vakuole
ATP ADP + Pi
V(tp)-ATPase
Cytoplasma
Abb. 2.3 Anordnung von energiegetriebenen Protonenpumpen in der Pflanzenzelle. ATP-abhängige P-ATPasen im Plasmalemma, V-ATPasen und V-PPasen im Tonoplast (daher: tp-ATPasen bzw. tp-PPasen); die Antriebsenergie für letztere kommt – im Gegensatz zu den anderen Protonenpumpen – aus der hydrolytischen Spaltung von Diphosphat (Pyrophosphat).
Plasmalemma
sie requirieren die erforderliche Antriebsenergie aus der Spaltung von Pyrooder Diphosphat. Diese Systeme des aktiven Transports im Tonoplasten sorgen wie die des Plasmalemmas dafür, daß ein H+-elektrochemisches Potential errichtet und damit der Eintransport von Ionen (Malat) und niedermolekularen Verbindungen über sekundäre Transportsysteme in die Vakuole ermöglicht wird. H+-ATPasen sollen auch in den Membranen von Dictyosomen und ER aktiv sein. Eine Na+/K+-ATPase, welche bei tierischen Zellen in der Cytoplasmamembran vorkommt und Natrium-Ionen im Gegentausch mit Kalium-Ionen aus der Zelle befördert, ist in Pflanzenzellen offenbar nicht vorhanden.
Als Beispiel für einen Carrier soll der Cotransporter genügen, welcher eine lösliche Substanz, z. B. einen Zucker, kombiniert mit Protonen, durch eine Membran befördert. Bei Pflanzen sind bisher drei Arten solcher H+-gekoppelter Cotransporter charakterisiert worden: H+-Nitrat-, H+-Saccharose- und H+-GlucoseTransporter. Ein typisches Strukturmerkmal derselben sind die 12 membrandurchspannenden α-Helices des zugehörigen Polypeptids. Wasserkanäle, auch – weniger glücklich – als Aquaporine bezeichnet, haben die Palette der Transportsysteme in pflanzlichen Membranen erweitert. Sie waren bisher nur in Erythrozyten sowie in Nieren- und Epithelzellen bekannt, wo sie selektiv die Passage von Wasser, nicht aber von Ionen und Metaboliten ermöglichen. Ihre typische molekulare Struktur, u. a. mit 6 membrandurchspannenden Helices, fand sich erstaunlicherweise bei den bisher identifizierten pflanzlichen Membranproteinen. Aquaporine gehören offensichtlich einer phylogenetisch sehr alten Gruppe von intrinsischen Proteinen an, der sog. MIPFamilie (major intrinsic proteins), welche gleichermaßen bei Prokaryoten und Eukaryoten vertreten ist.
Der erste Wasserkanal bei höheren Pflanzen wurde im Tonoplasten entdeckt und als Tonoplasten-intrinsisches Protein (TIP) bezeichnet. Inzwischen sind mindestens 8 Vertreter dieses Typs bekannt.
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2.1
Wasser
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Das Plasmalemma verfügt offensichtlich über eigene Wasserkanäle, von denen einer bei Arabidopsis thaliana (AthH2 oder PIP) über das codierende Gen identifiziert und charakterisiert worden ist. Die Expression seines Polypeptids von 30 kDa ist in den Keimlingen von Arabidopsis durch Bestrahlung mit Blaulicht oder durch Zugabe von Abscisinsäure (ABA; S. 342 f) induzierbar. Als Beispiel für einen Anionenkanal, welcher für höhere Pflanzen typisch ist, kann die spannungs- und Calcium-abhängige Einrichtung in Schließzellen von Spaltöffnungen dienen. Sie ähnelt in ihren Eigenschaften den spannungsabhängigen Na+-Kanälen in tierischen Nerven- und Muskelzellen. Bei Öffnung dieses Anionenkanals strömen Anionen wie Nitrat, Chlorid oder Malat aus dem Cytoplasma nach außen, d. h. in den apoplastischen Raum (S. 46). Seine Aktivität wird durch Auxin, photosynthetisch gebildetes Malat sowie Chlorid- und Calcium-Ionen modulierend beeinflußt.
2.1.3
Wasseraufnahme Allgemeines
Pflanzliche Organismen können für die Wasseraufnahme grundsätzlich die gesamte Oberfläche benutzen. In den meisten Fällen versorgen sie sich jedoch aus dem Boden – vor allem dann, wenn ihnen in der Wurzel ein hochspezialisiertes und leistungsfähiges Aufnahmeorgan zur Verfügung steht. Poikilohydre Pflanzen, insbesondere Vertreter von Bakterien, Cyanobakterien, Grünalgen, Flechten und Moose, sind stark vom Wasserangebot abhängig. Cyanobakterien als Flechtenpartner betreiben Photosynthese nur, wenn tropfbares Wasser zur Verfügung steht. Bei Grünalgen ist höhere Luftfeuchtigkeit allgemein für die Hydratation ausreichend. Die aufgenommenen Wassermengen sind recht beachtlich und übertreffen teilweise den Anteil der Trockensubstanz um das Vielfache. Diese Organismen trifft unzureichende Wasserversorgung um so nachhaltiger, als ihren Zellen eine zentrale Vakuole und damit eine Speichermöglichkeit fehlt. Mit sinkendem Wassergehalt, d. h. unter Wasserstreß (s. Box 2.2) werden daher verschiedene Stoffwechselbereiche stillgelegt. Doch kommt es zu keinen irreversiblen Störungen wichtiger Funktionen, denn nach erneuter Wasseraufnahme verlaufen Stoffwechsel und Wachstum wieder normal. Homoiohydre Pflanzen sind im Hinblick auf ihre Wasserversorgung weniger stark von den äußeren Bedingungen abhängig, denn ihre Zellen verfügen allgemein über die zentrale Vakuole. Ihr Wasservorrat wirkt stabilisierend auf die Hydratur der Zellen. Allerdings überleben die meisten homoiohydren Pflanzen keine Austrocknung. Daher sind zumindest alle höher entwickelten Vertreter mit verdunstungsverhindernden Einrichtungen (Cuticula!) an ihrer Oberfläche versehen bzw. können die dort unvermeidlich erfolgende Wasserabgabe aktiv regulieren (Spaltöffnungen!). Da gleichzeitig eine enge funktionelle Beziehung zum Aufnahmeorgan der Wurzel besteht, können auch größere Schwankungen
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2
Box 2.2
Ernährung pflanzlicher Organismen Trockenresistenz
Die meisten Vertreter der höheren Pflanzen überleben eine unzureichende oder fehlende Wasserversorgung auf Dauer nicht, ausgenommen ihre Samen. Dennoch gibt es einige Beispiele, wo Überleben ohne Wasser zu hoher Perfektion entwickelt worden ist. Selbst nach Wasserverlusten von bis zu 90% laufen die Lebensprozesse schon wenige Stunden nach dem ersten Kontakt mit Wasser wieder (fast) normal ab. Extremfälle solcher Austrocknungsresistenz sind bei den „Auferstehungspflanzen“ beobachtet worden, z. B. bei Craterostigma plantagineum. Bei der Dehydratisierung ihrer Gewebe kommt es in den Zellen zur Bildung spezifischer Proteine, von denen viele jenen ähneln, welche in größeren Mengen bei der
Embryo-Reifung im Samen höherer Pflanzen entstehen, die LEA-Proteine (LEA ⫽ late embryogenesis-abundant). Hier wie dort setzt offensichtlich die Austrocknung das Signal für die Expression solcher Proteine. Induzierende Wirkung scheint auch die Abscisinsäure (ABA; S. 342 f) sowohl bei der Austrocknung als auch bei der Embryogenese auszuüben; als Streßhormon vermittelt sie die Aktivierung solcher nukleären Gene, welche die für beide Prozesse typischen Streßproteine codieren (daher: streßrelevante Gene). Die Wirkungsweise der Streßproteine ist noch nicht klar erkennbar; es zeichnet sich jedoch ab, daß sie u. a. mit dem Kohlenhydrat-Stoffwechsel interferieren.
im Wasserangebot ohne Beeinträchtigung der Lebensfunktionen überstanden werden. Mit der Ausbildung eines Verdunstungsschutzes verhindert allerdings die Pflanze umgekehrt die Aufnahme von Wasser durch die Oberfläche weitgehend. Diese ist nur noch an nichtcutinisierten Stellen (z. B. Ansatzstellen von Haaren) oder über spezielle Bildungen (Saugschuppen bei epiphytischen Bromeliaceae) möglich. Damit trägt die Wurzel den Hauptanteil bei der Wasseraufnahme.
Wasser im Boden. Je nach der Beschaffenheit des Bodens wird sich eindringendes Wasser in variabler Verteilung als Haftwasser oder als Senkwasser verhalten. Letzteres gelangt normalerweise relativ schnell ins Grundwasser und wird wegen seiner relativ tiefen Lage nur von hierauf spezialisierten Wurzelsystemen einiger weniger Pflanzen erreicht. Hingegen bildet das Haftwasser die eigentliche Versorgungsbasis für die meisten Pflanzen. Es handelt sich dabei um Wasser, welches in Kapillaren zwischen den Bodenpartikeln festgehalten wird (Kapillarwasser). Das spezifische Fassungsvermögen eines Bodens an Haftwasser (Wasser- oder Feldkapazität) wird durch seine Beschaffenheit und die Größe der vorhandenen Poren bestimmt.
Die Wurzel als Aufnahme-Organ Die Aufnahme von Haftwasser durch eine Wurzel erfolgt nur, wenn ihre Saugkraft größer als die des Bodens ist. Tatsächlich hat erstere in den an der Aufnahme beteiligten Zellen (s. u.) die erforderlich höheren Werte. Da sich die Größe
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2.1
Wasser
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der absorbierenden Oberfläche positiv auswirkt, ist das Wurzelsystem meistens stark aufgegliedert und verzweigt. Oft vergrößert es sich auf der Suche nach Wasser; in unergiebige Zonen vorgetriebene Teile können hingegen verkümmern oder absterben. Auch die Umbildung der Wurzeln als Organe der Wasserspeicherung (bei Xerophyten) kommt vor. Reduktion läßt sie bei Hydrophyten in Anpassung an den Standort verkümmern oder verschwinden. Die Beschaffenheit des Bodens bestimmt über seinen Gehalt an Haftwasser im wesentlichen darüber, welche Pflanzen gedeihen bzw. welche Anpassungen zu ihrem Überleben erforderlich sind. Feinporige Böden wie Ton machen z. B. eine wesentlich höhere Saugkraft erforderlich als sandige, da erstere das Wasser besser „festhalten“, d. h. eine höhere Bodensaugkraft besitzen.
Die eigentlichen Aufnahmeorte sind die Wurzelhaare, jene Bildungen der Wurzel-Epidermis (Rhizodermis) mit ihren unverdickten und nichtcutinisierten Zellwänden. Sie besetzen eine relativ schmale Zone der Oberfläche, wenige Zentimeter hinter der Wurzelspitze, welche auch den stoffwechselaktivsten Teil des Wurzelgewebes bildet. Die Lebensdauer der Haare ist begrenzt. Dank ihres Aufbaus können sie in die Räume zwischen den Bodenpartikeln und Gasblasen vordringen und das kapillar gebundene Wasser erschließen. Grundsätzlich sind allerdings auch die übrigen Teile der Wurzel bei der Wasseraufnahme aktiv, doch ist dieser Anteil geringer, weil oft die Wände der Exodermiszellen weitgehend wasserundurchlässig geworden sind (Verkorkung).
Apoplastischer und symplastischer Transport. Dem Wasser (und den darin gelösten Ionen, vgl. S. 60 ff) stehen zwei Wege beim radialen Transport durch das Rindengewebe zum Zentralzylinder offen: 1. über die Zellwände, indem es in die intermicellären und interfibrillären Räume frei diffundiert und sich relativ schnell über dieses zusammenhängende System bis zur Endodermis hin ausbreitet (Abb. 2.4). Dort endet dieser apoplastische Transport über den äußeren freien Raum (outer free space; engl.) oder den „freien Diffusionsraum“, zunächst für die mitgeführten Ionen, welche den Casparischen Streifen nicht passieren können, später für die Wassermoleküle, wenn die Wandung der Endodermiszellen sekundär mit einer Suberinlamelle abgedeckt ist. Der Weg in den Zentralzylinder führt nur über Cytoplasma und Vakuole, vor allem der Durchlaßzellen. 2. über die Protoplasten der Rindenzellen. Man spricht dann vom symplastischen Transport; unter Symplasma oder Symplast (nach Münch) wird der funktionelle Zusammenschluß der Protoplasten eines Gewebes über Plasmodesmen verstanden (Abb. 2.4). Das Wasser kann auf diesem Wege nur dann in den Zentralzylinder gelangen, wenn ein Gefälle der Saugkraft in radialer Richtung vorliegt. Tatsächlich ist im Innern die Saugkraft am höchsten, weil die Gefäße in den Leitbündeln den Zellen relativ viel Wasser entziehen. Nach außen nimmt die Saugkraft allmählich ab. Die Wasserbewegung folgt entsprechend gerichtet dieser Saugkraftkette. Der Übertritt des Wassers aus dem Protoplasten von Durchlaßzellen in den Zentralzylinder auf direktem Wege oder auf dem „Umweg“ über den Apoplasten un-
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Ernährung pflanzlicher Organismen C
APT D
Pl
W
A
V
V
To
V
A
Abb. 2.4 Symplastischer (SYT, —䉴) und apoplastischer Transport (APT ---䉴) in einem pflanzlichen Gewebe (schematisch; nach Lüttge).
Pld SYT A
V
V
V
D
A
D
aktive Vorgänge beim Membrantransport von Wasser oder Stoffen zwischen dem äußeren freien Raum bzw. der Vakuole und dem Symplasten Aufnahme und Abgabe von Stoffen durch den äußeren freien Raum mittels Diffusion
C PI Pld To V W
Cytoplasma Plasmalemma Plasmodesmen Tonoplast Vakuole Zellwand
ter evtl. Einbeziehung von Perikambium-Zellen und damit in das Fernleitsystem ist noch nicht eindeutig geklärt; auch hier ist zu fragen, inwieweit Wasserkanäle beteiligt sind (vgl. S. 38 f). Andererseits ist eine „aktive“, d. h. energieabhängige Komponente dabei nicht auszuschließen. Sie ist als Wurzeldruck darstellbar und bewirkt bei dekapitierten Pflanzen (Sproßteil abgetrennt) den Austritt von Gefäßflüssigkeit („Blutungssaft“) an der Schnittfläche. Der Wurzeldruck, welcher bis zu 6 bar betragen kann und mit Hilfe eines aufgesetzten Manometers nachweisbar ist, unterstützt die beim Wassertransport wirksame und durch die Transpiration ausgelöste Saugkraft (s. u.). Er ersetzt die letztere sogar, wenn die Pflanze nur wenig transpirieren kann (bei hoher Luftfeuchtigkeit!) oder überhaupt nicht (laubfreie Bäume im Frühjahr!). Da die ausgetretene Gefäßflüssigkeit relativ viel Ionen (K+!) enthält, könnten sie die eigentliche Ursache für die erhöhte Saugkraft und den daraus resultierenden hydrostatischen Druck sein. Die Abhängigkeit des Wurzeldruckes von der Energieversorgung wird u. a. dadurch unterstrichen, daß er durch spezifische Hemmstoffe der Atmung (S. 262) oder durch Entzug von molekularem Sauerstoff ausgeschaltet werden kann. Eine begrenzte Wasserbewegung ist außerdem im Phloem möglich, ebenso in nichtleitenden Geweben. Außerdem findet ein schneller lateraler (radialer) Transport von Wasser durch die Markstrahlen zur Peripherie hin statt.
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2.1
2.1.4
Wasser
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Wasserleitung bei Landpflanzen Allgemeines
Die in den Leitbahnen der Bündel bzw. des Holzkörpers von der Wurzel zu den Blättern erfolgende Wasserbewegung wird als Wasserleitung oder „Ferntransport des Wassers“ von den Vorgängen in der Wurzelrinde („Wasserverschiebung“ oder auch „Mittelstreckentransport“ nach Lüttge) abgegrenzt. Die Konstruktion der Leitsysteme erlaubt eine schnelle und gleichmäßige Versorgung aller Bereiche des Vegetationskörpers mit Wasser. Die Geschwindigkeit der Wasserbewegung liegt im allgemeinen zwischen einem bis mehreren Metern in der Stunde. In Ausnahmefällen bei über 100 m/h (Lianen!). Solche Werte stellen oft nur Mindestgeschwindigkeiten dar, weil sich die tatsächliche Strömungsgeschwindigkeit wegen der vielfältigen Austauschvorgänge zwischen den wasserleitenden Elementen und den umgebenden Zellen bzw. Zellwänden kaum ermitteln läßt. Zur Messung diente vor allem die thermoelektrische Methode (nach Huber): Im Xylem einer Versuchspflanze wird kurzfristig der aufsteigende Saft in einem räumlich begrenzten Bereich aufgeheizt; ein oberhalb im definierten Abstand eingebrachtes Thermoelement erfaßt die Ankunft des erwärmten Anteils im Saftstrom; aus der gleichzeitig registrierten Zeit zwischen beiden Ereignissen läßt sich die ungefähre Strömungsgeschwindigkeit des aufsteigenden Saftes ermitteln. Wesentlich präziser arbeitet die NMR-Technik (nuclear magnetic resonance = Kernresonanz, s. Box 3.8, S. 113), welche die Erfassung von Wasserflußraten und Fließgeschwindigkeiten in Xylem-Gefäßen eines einzelnen Leitbündels anhand lokalisierter 1H-NMR-Signale erlaubt.
In der Bilanz zeigt sich, daß Pflanzen überraschend große Mengen an Wasser aufnehmen und befördern, aber nur einen Bruchteil in ihren Zellen festhalten oder im Stoffwechsel verwenden. Der größte Teil verläßt die Pflanze wieder als Wasserdampf (Transpiration, s. u.). Dieses Phänomen wird dadurch bedingt, daß sich der Wasserzustand der Pflanze von dem ihrer Umgebung unterscheidet. Jener wird oft als Wasserpotential (ψw) definiert. Dessen Wert für reines Wasser unter Standardbedingungen wurde gleich Null festgelegt; gelöste Verbindungen, aber auch Strukturen machen Wasser weniger „verfügbar“: das Wasserpotential wird folglich erniedrigt, so daß kleinere oder negative Werte resultieren. Sie sind als Druck (in bar oder Pascal) meßbar. Der Kormus von Landpflanzen mit seinem mittleren Wasserpotential erstreckt sich über einzelne Teile in Räume mit unterschiedlicher Hydratur: mit der Wurzel in den wassergetränkten Boden (schwach negatives Wasserpotential!), mit dem Sproßsystem hingegen in den allgemein wasserarmen Luftraum (stark negatives Wasserpotential!). Dementsprechend wird ihr Wasserhaushalt von einer ständigen Wasserabgabe des Sproßsystems an die umgebende Atmosphäre geprägt, welche durch Aufnahme aus dem Boden und Transport gegen die Schwerkraft ausgeglichen werden muß. Normalerweise stellt sich – abgesehen von kleineren Schwankungen im Tag-Nacht-Ablauf – ein (dynamisches) Gleichgewicht ein.
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Ernährung pflanzlicher Organismen
Damit sind bereits die grundlegenden Prozesse des pflanzlichen Wasserhaushalts und auch seine Probleme angesprochen.
Transpiration. Zum besseren Verständnis der obigen Aussagen müssen wir zunächst den wichtigsten Mechanismus der Wasserabgabe bei höheren Pflanzen eingehender betrachten, die Transpiration. Sie erfolgt in Form von Wasserdampf durch die oberirdischen Sproßteile, vor allem durch die Blätter, über deren Spaltöffnungen (Stomata) bis zu 90% abgegeben werden können (stomatäre Transpiration). Der Rest entfällt auf die Oberfläche von Blättern und Sproß, wobei die Epidermiszellen wegen ihrer cutinisierten Außenwände der Wasserabgabe zwar hohe Diffusionswiderstände entgegensetzen, sie jedoch nicht völlig verhindern können (cuticuläre Transpiration). Die Transpirationsintensität hängt von verschiedenen Faktoren wie Temperatur, Luftbewegung, Luftfeuchtigkeit, aber auch vom Bau und der Funktionstüchtigkeit der Spaltöffnungen ab. Die höchsten Werte wurden für Sumpf- und Schwimmpflanzen ermittelt; von den Landpflanzen sind die krautigen Pflanzen an sonnigen Standorten am aktivsten; Bäume und Sträucher transpirieren im Vergleich dazu wesentlich schwächer. Pappel und Birke übertreffen Eiche und Buche unter gleichartigen Bedingungen. Durch die Spaltöffnungen, meistens nur an der Blattunterseite angeordnet (100 – 1000/mm2), werden nur ca. 1 – 2% der Oberfläche bei normaler Öffnung freigelegt. Dennoch beträgt die Transpiration 50 – 70%, wenn sie mit der Evaporation einer gleich großen Wasserfläche verglichen wird. Diese erstaunlich hohe Leistung erklärt sich aus dem Randeffekt: über jeder Spaltöffnung bildet sich ein größeres Diffusionsfeld als über einem gleich großen Areal einer offenen Wasseroberfläche; folglich passieren mehr Wasserdampf-Moleküle pro Zeitspanne. Bekanntlich kann die stomatäre Transpiration über die Schließzellen reguliert werden, wobei nicht nur der Wassergehalt der umgebenden Luft, sondern auch Belichtung, Temperatur, KohlendioxidPartialdruck und der Wasserzustand der Pflanze als Faktoren wirksam sind (s. u.). Die Transpiration ist über die Diffusion von Kohlendioxid durch die Spaltöffnungen eng mit der Photosynthese verknüpft, wird zeitweilig sogar zu einem begrenzenden Faktor: mit dem Schließen der Spaltöffnungen zur Tagesmitte zwecks Herabsetzung der Transpiration wird zwangsläufig die Kohlendioxid-Aufnahme blockiert und damit die Photosynthese trotz maximaler Einstrahlung gedrosselt.
Mechanismus der Stomata-Bewegungen Die Spezialisierung der Schließzellen von Spaltöffnungen wird neben der unterschiedlichen Ausgestaltung ihrer Zellwände – äußere und innere verdickt, Rücken- und innere Bauchwand hingegen unverdickt – durch den Besitz von Chloroplasten angezeigt (Abb. 2.5); diese fehlen den Nebenzellen bzw. den Epidermiszellen. Sie deuten auf einen andersartigen Stoffwechsel hin. Dieser steht, gemeinsam mit dem besonderen Bau der Schließzellen, in engem Zusammenhang mit der Arbeitsweise von Stomata, nämlich mit dem Öffnen und Verschließen ihres Spaltes durch Turgor-Veränderung. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist das weitgehende Fehlen von Plasmodesmen zwischen den Pro-
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2.1 Vh
a
Cu
Schl Hg
Rw Ep b
Bw Hh
Zs
Vak Chl Ep
Wasser
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Abb. 2.5 Spaltöffnung an der Blattunterseite (schematisch, nach Nultsch). a Querschnitt durch die Schließzellen, b Stellung der Schließzellen im geöffneten (turgeszenten; grau) und im geschlossenen (nichtturgeszenten; rot) Zustand. Bw Bauchwand mit unverdicktem Mittelteil Chl Chloroplasten Cu Cuticula Ep Epidermiszelle Hg Hautgelenk Hh Hinterhof Rw unverdickte Rückenwand Schl Schließzelle Vak Vakuole Vh Vorhof Zs Zentralspalte
toplasten der Schließzellen und denen der benachbarten Zellen (Epidermisoder Nebenzellen). Zunahme des Turgors in den Schließzellen bewirkt eine Krümmung derselben, welche auf der ungleichen bzw. lokalen Verdickung ihrer Zellwände beruht (s. Abb. 2.5): der Spalt öffnet sich. Ausgelöst wird diese Bewegung durch einen gezielten Eintransport von Kalium-Ionen (K+) in die Schließzellen. Die hierfür erforderliche Energie liefert ein Protonengradient: unter ATP-Spaltung befördert eine ATPase des Plasmalemmas Protonen aus den Schließzellen in den extrazellulären (apoplastischen) Raum. Dieses Enzym gehört zur Kategorie von ATPasen, welche einer intermediären Phosphorylierung (Aspartat-Rest) unterliegen. Die so entstandene Potentialdifferenz bildet die treibende Kraft für den Import von K+, welcher von einem spannungsabhängigen Kaliumkanal vermittelt wird (= einwärtstransportierender Kaliumkanal; s. S. 36). Seine Öffnung besorgt die eingetretene Depolarisierung des Plasmalemmas. Die importierten K+ akkumulieren in der Vakuole, wobei möglicherweise eine H+-ATPase des Tonoplasten (s. S. 37) unter ATP-Hydrolyse Protonen in die Vakuole pumpt, welche dann im Gegentausch den Eintritt der K+ ermöglichen. Das eingetretene Protonendefizit im Cytoplasma der Schließzellen wird durch die Bildung von Äpfelsäure kompensiert, welche Protonen durch Dissoziation freisetzt. Ihr Produktionsweg ist noch unklar; vermutlich dient Triosephosphat als Startsubstanz, welches im Chloroplasten aus Stärke entsteht und auf dem
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Ernährung pflanzlicher Organismen
„Umweg“ über das cytosolische Kompartiment in Oxalacetat übergeführt wird (Zwischenstufe: Phosphoenolpyruvat; S. 181 f); dieses soll in Chloroplasten transferiert und dort zu Äpfelsäure reduziert, dann im Gegentausch mit Oxalacetat über einen Translokator der Chloroplastenhülle (S. 177 f) in das Cytosol zurückbefördert werden. Die beim Transfer von K+ in die Vakuole auftretende Potentialdifferenz soll gleichzeitig das Nachströmen von Malat-Ionen in diese über einen spezifischen Kanal vom Anionen-Typ (s. S. 39) bewirken, wodurch das Übergewicht der positiven Ladungen kompensiert wird. Mit der Konzentrierung von Kalium-Malat in der Vakuole steigt deren osmotisches Potential: Wasser strömt ein; der resultierende Anstieg des Turgors öffnet die Spalte. Für die Turgor-Erniedrigung in den Schließzellen, welche zum Verschluß der Spalte führt, ist zunächst das gesteuerte Ausströmen von Malat und K+ aus denselben verantwortlich. Dabei bewirkt ersteres bei der Passage durch die zuständigen Anionenkanäle die Depolarisierung des Plasmalemmas, welche vermutlich Kaliumkanäle vom auswärtstransportierenden Typ öffnet. Mit der Abgabe von Malat, K+ und möglicherweise auch Chlorid-Ionen (Cl – ) und dem damit verbundenen Abfall des osmotischen Druckes ist ein entsprechendes Ausströmen von Wasser verbunden: der Turgor sinkt ab. Nach den bisherigen Erkenntnissen stellt die Spaltöffnung ein komplexes Regelsystem dar, welches von recht unterschiedlichen Faktoren kontrolliert wird. Obwohl deren genaue Wirkungsweise in einigen Fällen noch unbekannt ist, zeichnen sich für andere Ansatzpunkte ab. Neben der Kohlendioxid-Konzentration und dem Wasserpotential sind Calcium-Ionen (Ca2 +), das Phytohormon Abscisinsäure (ABA; S. 342 f) sowie blaue Strahlung als Stellglieder der Stomata-Regulation erkannt worden. Wasserstreß (S. 39 f) setzt alle anderen Regelmechanismen außer Kraft und löst die Schließung aller Stomata als Teil einer Überlebensstrategie aus.
Mechanismus des Wassertransportes Ähnlich wie in der Wurzelrinde können wir auch für das Blatt einen „Mittelstreckentransport“ von Wasser (vgl. S. 41 f) feststellen: in die Interzellularen, welche bei geöffneten Spaltöffnungen die Verbindung zur Atmosphäre herstellen, verlieren die Mesophyllzellen ständig Wasser durch Transpiration. Bestimmend hierfür ist die Wasserpotential-Differenz oder das Hydraturgefälle zwischen Luft (bei 50% Wasser-Gehalt ca. 1000 bar!) und Zellen (10 – 100 bar, vgl. S. 48 f). Hiervon ist zunächst die Wand der beteiligten Zellen betroffen: ihr Wasserpotential wird stark erniedrigt und führt zu einer Veränderung des zellulären Potentialgleichgewichtes (s. S. 43); es versucht sich neu einzustellen: Wasser wird entsprechend dem Cytoplasma und der Vakuole entzogen. Dadurch sinkt das osmotische Potential im Apoplasten; der Protoplast weist schließlich ein stark negatives Wasserpotential auf. Er entzieht nun aufgrund seiner Saug-
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Wasser
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spannung der Nachbarzelle Wasser, an der sich die gleichen Ereignisse wiederholen. Als Folge beschafft sich diese nun ihrerseits aus der nächsten Zelle Wasser usw., bis schließlich der Anschluß an ein Gefäßende im Blatt hergestellt ist. Die gleichen Vorgänge bestimmen auch die cuticuläre Transpiration: durch Diffusion verlieren die äußeren Wände der Epidermiszellen trotz der Cuticula ständig etwas Wasser an die umgebende Luft. Dieses Defizit wird durch Nachsaugen über die anderen Zellwände aus Cytoplasma und Vakuole der Epidermiszelle ausgeglichen. Ihr Wasserpotential wird entsprechend stark erniedrigt, die resultierende Potentialdifferenz führt zum Wasserentzug aus der darunter gelegenen Mesophyllzelle. Es resultiert die gleiche Saugkraftkette, wie sie oben beschrieben wurde. Auf diese Weise strömt Wasser ständig – vor allem über die Zellwände (apoplastisch! S. 41) – nach außen ab. Wieviel ein symplastischer Transport dazu beiträgt, ist umstritten; immerhin findet ein „Kurzstreckentransport“ von Wasser auf osmotischem Wege statt. Auf diesem „Transpirationssog“ beruht nach der Kohäsionstheorie (Böhm 1893, Dixon und Joly 1894) die aufsteigende Wasserbewegung in den Leitelementen von der Endodermis bis zu ihren Endigungen im Blatt. Kohäsionskräfte zwischen den Wassermolekülen, dazu ihre Adhäsion an den Wandungen der Leitelemente sollen das Abreißen des kapillaren Wasserfadens selbst bei den extrem hohen Negativ-Drucken verhindern, wie sie vor allem mit steigender Höhe (über 100 Meter bei Bäumen) auftreten. Dies setzt u. a. voraus, daß sich keine Gasblasen (Luft, Wasserdampf) in den Gefäßen bzw. Tracheiden bilden dürfen (Cavitation). Gleichzeitig werden laut Theorie die nicht unerheblichen Reibungswiderstände überwunden. Diese saugende Wirkung von Transpiration läßt sich zumindest an abgetrennten Zweigen überzeugend demonstrieren. Neuere Befunde haben gewisse Zweifel an der allgemein akzeptierten Kohäsionstheorie aufkommen lassen. Sie betreffen folgende Punkte: 1. der postulierte negative Druckgradient in den wasserleitenden Gefäßen („Xylem-Spannung“), läßt sich bisher nicht durch direkte Messung nachweisen, 2. die Aufrechterhaltung der Kontinuität des angenommenen Wasserstroms über längere Zeiträume, ohne daß Cavitation oder Embolie ihn unterbrechen, 3. die Eignung der verwendeten Druckkammer-Meßtechnik (nach Scholander) zur Erfassung des vertikalen Druckgradienten im Leitsystem, 4. die Größe des als Schwellenwert für Cavitation in der Wassersäule gemessenen Negativ-Druckes. Auslöser für die Kontroverse waren Ergebnisse von Experimenten, welche mit neuartiger Technik erarbeitet worden sind, z. B. mit der NMR-Methode (S. 113). Des weiteren wurde eine Meßsonde entwickelt, welche die direkte Erfassung von subatmosphärischen bzw. negativen Drucken in einer einzelnen Leitbahn bzw. in einem Xylem-Element an der intakten Pflanze erlaubt. Der Vergleich
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Ernährung pflanzlicher Organismen
von solcherart ermittelten Werten mit denen von Druckkammer-Messungen unter gleichen Feld- und Laborbedingungen ergab, daß die letzteren oft mehr oder weniger deutlich höher lagen, d. h. stärker negativ waren. Bei direkten Messungen des Gefäßdruckes an einzelnen Elementen in verschiedenen Regionen von Bäumen (Höhen von 1 – 35 Meter ab Boden) im Tagesgang oder bei unterschiedlichen Witterungsbedingungen, war der nach der Kohäsionstheorie wirksame hydrostatische Druckgradient nicht in der postulierten Form erfaßbar. Sowohl die ermittelten Negativ-Drucke von – 0,2 bis – 0,3 MPa, ausnahmsweise von – 0,4 MPa (Atmosphärendruck: 0,1 MPa), als auch der nur unter gewissen Bedingungen ausgebildete flache Gradient – geringere (schwach negative) Werte in der Bodenregion des Stammes, etwas höhere in den oberen Regionen desselben – sind mit der Kohäsionstheorie kaum vereinbar. Gleiches gilt für den Schwellenwert für Cavitation in der Gefäßwassersäule: bei der Bestimmung mittels Drucksonde lag er mit – 0,2 bis – 0,3 MPa niedriger als der zuvor im Druckkammer-Verfahren gemessene, deutlich stärker negative Druck. Damit stellt sich die Frage nach der Natur von weiteren Kräften, welche die Aufwärtsbewegung von Wasser in der höheren Pflanze antreiben, wenn der Transpiration möglicherweise nur eine Nebenrolle zufällt. Als Kandidaten werden osmotischer Druck sowie Grenzschicht- und Konvektionskräfte diskutiert; inwieweit sie realistisch sind, bleibt abzuwarten. Wie auch immer die aufsteigende Wasserbewegung in den Gefäßen bzw. Tracheiden zustande kommt, sie hat eine wichtige Konsequenz: Die höhere Landpflanze macht sich bei ihrem „Ferntransport“ von Wasser (und Ionen! S. 60 f) hauptsächlich die besonderen physikalischen Gegebenheiten ihrer Umgebung zunutze, nämlich das zwischen Boden und Atmosphäre bestehende Hydraturgefälle, in welches sie sich erfolgreich eingepaßt hat. Ihr eigener Energiehaushalt wird praktisch durch den Wassertransport nicht belastet, wenn man von der geringfügigen Aufwendung für den Wurzeldruck (S. 42) absieht. Der sich ergebende Energiebedarf, insbesondere zur Überwindung des hohen Übergangswiderstands, d. h. des relativ starken Potentialgefälles, zwischen Sproßoberfläche und Atmosphäre (Übergang flüssig 씮 gasförmig!) wird letztlich durch Sonnenenergie abgedeckt. Der Transpirationsstrom, welcher den eigentlichen „Langstreckentransport“ des Wassers und auch der mitgeführten Ionen in der Pflanze darstellt, soll in seiner Leistung vor allem von dem Saugspannungsgradienten oder der Differenz der Wasserpotentiale zwischen Blatt und Wurzel bestimmt werden (Abb. 2.6). Er hängt aber auch von der Anzahl und der Querschnittsgröße der vorhandenen Gefäße bzw. Tracheiden, von der sog. Leitfläche ab. Das Gefäßwasser enthält normalerweise in geringen Mengen (Massenanteil: 0,1 – 0,4%) anorganische und organische Bestandteile, darunter von der Wurzel gebildete Stickstoffverbindungen (S. 391 f), u. a. Alkaloide bzw. deren Vorstufen (S. 510). Die Zusammensetzung kann sich im Jahresgang stark verändern, vor allem im Frühjahr beim Knospenaustrieb durch mobilisierte Speicherstoffe.
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Bedarf an Elementen
49
93
47 relative Luftfeuchte in %
Abb. 2.6 Gefälle des Wasserpotentials (in bar) zwischen Atmosphäre, Pflanze und Boden (schematisch, nach Kausch).
0
– 25
feuchter trockener Boden Boden
– 100
feuchte Luft
bar
–1000
trockene Luft
2.2
Mit den Ursachen und dem Mechanismus der wichtigsten Form der Wasserabgabe durch oberirdische Pflanzenteile, der Transpiration, haben wir uns bereits ausführlich befaßt (S. 43 f). Zu erwähnen ist die Fähigkeit einiger Pflanzen, auch bei Ausfall oder starker Abschwächung der Transpiration infolge hoher Wasserdampfsättigung der Atmosphäre, Wasser (und damit lebenswichtige Ionen!) aufzunehmen, zu transportieren und sogar abzuscheiden. Diese Guttation, bei der Wassertröpfchen aus den Hydathoden der Blätter austreten, wird durch den Wurzeldruck hervorgerufen (s. o.).
2.2
Bedarf an Elementen
2.2.1
Allgemeines
Für die Konstruktion von Biomolekülen in pflanzlichen Organismen werden vor allem die Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel benötigt, welche wegen ihres mengenmäßig größten Bedarfs die Gruppe der Makroelemente bilden. Mit geringerem Anteil folgen Kalium, Calcium, Eisen und Magnesium als Mikroelemente. In kleinsten Mengen, daher Spurenelemente, werden Bor, Kobalt, Kupfer, Mangan, Molybdän, Nickel,Vanadium und Zink, ausnahmsweise auch Aluminium, Chlor, Selen und Silicium gebraucht.
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Ernährung pflanzlicher Organismen
Die aufgeführten Elemente sind lebensnotwendig oder essentiell: nur wenn sie in ausreichender Menge und in geeigneter chemischer Form von der Pflanze aufgenommen werden, wächst diese normal; andernfalls treten Mangelsymptome auf (Box 2.3). Pflanzliche Organismen erschließen anorganische Verbindungen, um sich die essentiellen Elemente zu verschaffen. Nur ausnahmsweise werden organische Substanzen herangezogen, z. B. Harnstoff, Aminosäuren oder Amide als Stickstoffquelle. Kohlendioxid bzw. Wasser liefern Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff; Stickstoff, Schwefel und Phosphor stammen aus Mineralien des Bodens, welche meist als Ionen vorliegen. Stickstoff und Schwefel sind in einen Box 2.3
Mangelsymptome bei Pflanzen
Diese treten bei höheren Pflanzen infolge unzureichender Versorgung mit essentiellen Elementen auf; sie sind vielschichtig und meist nachhaltig, wobei direkte und indirekte Effekte oft schwer voneinander zu trennen sind. Grundsätzlich werden Wachstum bzw. Entwicklung sowie Stoffwechselabläufe in Mitleidenschaft gezogen. In deren Gefolge beobachtet man meist Ausbleichung oder Vergilbung wegen eingeschränkter oder blockierter Chlorophyllsynthese (= Chlorose). Bräunliche Verfärbung deutet auf Chlorophyllabbau hin (S. 538). Stickstoffmangel schlägt besonders auf Nucleinsäuren und Proteine durch, weil die Synthese ihrer Molekülbausteine, Nucleotide bzw. Aminosäuren, stark beeinträchtigt ist: Stickstoff ist ein elementarer Bestandteil ihrer Strukturen. Von der defizitären Proteinbildung werden besonders die Enzyme betroffen, was sich negativ auf den Ablauf vieler Stoffwechselreaktionen auswirkt. Die für Schwefelmangel typischen Ausfallerscheinungen ähneln denen des Stickstoffmangels, was nicht überrascht, da Schwefel ebenfalls Bestandteil vieler Proteine bzw. Enzyme ist. Unzureichende Versorgung mit Phosphor wirkt sich sicherlich zunächst auf die Funktionsfähigkeit des Systems ADP/
ATP aus und damit auf die ausreichende Bildung der Phosphorsäure-ester von Zuckern. Mangel an letzteren hat u. a. negative Folgen für die Biosynthese der Nucleotide; die Auswirkungen sind die gleichen wie beim Stickstoffmangel (s. o.). Bei einzelligen Grünalgen, z. B. Ankistrodesmus, Chlorella, Chlamydomonas, steigt bei fortgeschrittenem Stickstoffmangel der Lipidgehalt der Zellen deutlich an; diese färben sich intensiv orange-rot, da Sekundärcarotinoide massiv gebildet werden und sich anhäufen. Vermutlich fließen die Produkte der anfangs noch intakten Photosynthese zunächst in den Kohlenhydrat-Stoffwechsel, werden dann aber verstärkt zum Aufbau von Lipiden verwendet: der Weg in die Neubildung von Aminosäuren und Nucleotiden ist mangels Stickstoffangebot weitgehend blockiert. Durch diese Umsteuerung ihrer Substanzproduktion reagieren die autotrophen Organismen geschickt und angemessen auf die Mangelsituation. Die infolge Unterversorgung mit Mikro- und Spurenelementen auftretenden Mangelsymptome fallen meist wegen der mehr speziellen Verwendung dieser Elemente eindeutiger aus; dies macht Tab. 2.2 (S. 56) für die Spurenelemente deutlich.
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2.2 a
Bedarf an Elementen
51
Pflanzen und Mikroorganismen NH4+
Tiere Zersetzung (Proteolyse)
Bindung
NH4+ „assimilatorische“ und „dissimilatorische“ Nitratreduktion
NH4+
NH4+
(N2)= 80 % der Atmosphäre N2
elektrische Entladungen
N2O Nitrifizierung durch Bakterien
Denitrifikation b
NO3 Pflanzen und Mikroorganismen Tiere Zersetzung (Desulfuration)
? S2–
S2–
H 2S „assimilatorische“ und „dissimilatorische“ Sulfatreduktion
Oxidation
S2– S0 SO42–
Chemosynthese
Abb. 2.7 Reaktionszyklus von Stickstoff und Schwefel. Kreislauf des Stickstoffs (a) und des des Schwefels (b).
Reaktionszyklus einbezogen, welcher unbelebte und belebte Natur verbindet (s. Abb. 2.7). Zur Ermittlung des absoluten Bedarfs einer Pflanzenspezies an einzelnen mineralischen Nährstoffen bzw. Elementen und deren optimaler Quantität eignet sich die hydroponische Kultur oder Hydrokultur. Dabei taucht die Wurzel der Versuchspflanze in eine Nährlösung ein, welche verschiedene anorganische Salze in destilliertem Wasser gelöst enthält; Zusammensetzung und Mengen können variiert werden. Dieses auf Julius Sachs (um 1860) zurückgehende Verfahren ist von Knop (um 1880) perfektioniert worden; er entwickelte eine Nährlösung, welche ein für viele Pflanzenarten ausreichendes Angebot an den essentiellen Elementen in Form von Kationen und Anionen enthält (Tab. 2.1). Makround Mikroelemente liegen in der erforderlichen mengenmäßigen Ausgewogenheit vor (Ionen-Balance). Der gewählte pH-Wert ist der Aufnahme der einzelnen Ionen durch die Wurzel förderlich. Die Bedeutung von Spurenelementen konnte von Knop nicht erkannt werden: ihr Bedarf wurde quasi unbemerkt aus den Verunreinigungen der damals verfügbaren Chemikalien gedeckt. Bei Ver-
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52
2
Ernährung pflanzlicher Organismen
Tab. 2.1
Zusammensetzung von synthetischen Nährlösungen (in g bzw. mg* pro Liter)
nach Knop
nach Hoagland
Ca(NO3)2 MgSO4 · 7 H2O KH2PO4 KNO3 FeSO4 (pH = 5,7)
1,00 0,25 0,25 0,25 Spur
Ca(NO3)2 MgSO4 · 7 H2O NH4PO4 KNO3 H3BO3 MnCl2 · 4 H2O CuSO4 · 5 H2O ZuSO4 · 7 H2O MoO3 Fe (III)-Komplex
0,657 0,241 0,115 0,606 2,86* 1,81* 0,08* 0,22* 0,016* 1,70*
wendung solcher von analysenreiner Qualität und von Gefäßen aus Kunststoff anstelle von Glas war die Nährlösung dementsprechend zu modifizieren: die Salze der Spurenelemente kamen hinzu (nach Arnon und Hoagland; s. Tab. 2.1). Um Eisen stabil in Lösung zu halten und es gleichzeitig in konstanter Menge verfügbar zu machen, wird dieses Element in komplexer Bindung an ein Chelat, vor allem Ethylendiamin-tetraacetat (EDTA; 1) in der Nährlösung angeboten. –
–
CH2 COO
OOC CH2
–
N CH2 CH2 N
OOC CH2
–
CH2 COO
1 Ethylendiamin-tetraacetat (EDTA)
Bei guter Belichtung und ausreichender Versorgung mit Kohlendioxid gedeihen die meisten Pflanzenarten optimal in einer solchen Hydrokultur. Durch Belüftung des Mediums kann die Ionenaufnahme durch die Wurzel deutlich gesteigert werden. Die Hydrokultur wird heute als vielfältige und hochentwickelte Technik erfolgreich zur Anzucht von Zier- und Nutzpflanzen eingesetzt.
2.2.2
Beschaffung essentieller Elemente Stickstoff
Obwohl chemisch deutlich verschieden, besitzt dieses Element in biologischer Hinsicht wichtige Gemeinsamkeiten mit dem Schwefel. So greifen autotrophe Organismen in der Regel auf oxidierte Verbindungen beider Elemente, nämlich auf Nitrat und Sulfat, zur Deckung ihres Bedarfs zurück. Mit der Autotrophie für Kohlenstoff ist eine entsprechende für Stickstoff und Schwefel verbunden. Neben höheren Pflanzen, Farnen, Moosen und Algen benutzen auch eine Anzahl von Bakterien- und Pilzspezies Nitrat und Sulfat als einzige Quelle für ihren
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2.2
Bedarf an Elementen
53
Stickstoff- bzw. Schwefelhaushalt. Einige Bakterien-Arten, Protozoen, Säugetiere und der Mensch vermögen die beiden Elemente nur in organischer Bindung aufzunehmen. Zwischen einer strikten Autotrophie und einer strikten Heterotrophie für Stickstoff und Schwefel finden sich jedoch in der belebten Natur Übergangsformen. Hinzu kommt bei einigen Zelltypen bzw. Organismen eine ausgesprochene Stoffwechselplastizität insofern, als sie ihre Stickstoff- bzw. Schwefelaufnahme den gerade herrschenden Gegebenheiten des Biotops anzupassen vermögen. Eine andere wichtige Gemeinsamkeit beider Elemente besteht darin, daß sie vor dem Eintritt in den Zellstoffwechsel meist reduziert werden. Mit dieser Aufnahme von Elektronen, welche von der Zelle über geeignete Stoffwechselreaktionen bereitgestellt werden, beginnt ihre eigentliche Assimilation, d. h. ihr Einbau in zelluläre Verbindungen. Der Stickstoff im Nitrat (NO3 – ) geht aus der 5wertig positiven Form in die 3wertig negative des Ammonium-Ions (NH4+; N5+ 씮 N3 – ) über; der 6wertig positive Schwefel des Sulfats (SO42 – ) in den 2wertig negativen Zustand des Sulfids (S6 + 씮 S 2 – ). Auf die Einzelheiten dieser assimilatorischen Nitrat- bzw. Sulfatreduktion werden wir später eingehen (S. 391 ff u. S. 407 ff). Für die zelluläre Aufnahme ist vermutlich ein Nitrat-Transporter im Plasmalemma zuständig, welcher im Symport mit Protonen arbeitet (s. S. 38). Die biologische Verwandtschaft von Stickstoff und Schwefel setzt sich fort in den charakteristischen Kreisläufen, denen beide Elemente unterworfen sind und die sich zwischen belebter und unbelebter Natur vollziehen. Einzelheiten zeigt Abb. 2.7 (S. 51). Wichtigste Stickstoffquelle für autotrophe Organismen ist Nitrat, welches in relativ geringer Menge im Boden bzw. in den Gewässern vorkommt. Bei unzureichender Versorgung können niedere und höhere Pflanzen allgemein auf den Ammoniumstickstoff (NH4+) ausweichen, doch bringt die Nutzung dieser Quelle erhebliche Nachteile mit sich, da der Boden angesäuert wird: Aus dem Ionengemisch der Ammoniumsalze (NH4+, Cl – , SO42 – ) und des Wassers (H+, OH – ) werden NH4+-, OH – - und SO42 – -Ionen aufgenommen, während neben Cl – Ionen vor allem die H+-Ionen (Protonen) zurückbleiben, die den pH-Wert ungünstig verändern. Einige Algen ziehen in Ausnahmefällen auch organische Stickstoffverbindungen wie Harnstoff, Aminosäuren oder Amide zur Deckung ihres Stickstoffbedarfs heran (s. o.). Die Erschließung des riesigen Reservoirs von elementarem Stickstoff (Dinitrogen, N2) in der Atmosphäre zur Deckung des Stickstoffbedarfs ist nur einer kleinen Gruppe von höheren Pflanzenarten über eine Symbiose oder Parabiose mit prokaryotischen Mikroorganismen gelungen (Einzelheiten auf S. 395 ff). Stickstoff hat zusammen mit Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff einen erheblichen Anteil an der Trockenmasse der Pflanze, denn er ist Bestandteil zahlreicher organischer Verbindungen: Nucleotide, Nucleinsäuren, Aminosäuren, Proteine, Wirkgruppen. Hieraus erklären sich auch die vielfältigen und nachhaltigen Mangelerscheinungen, welche sich bei Verarmung des Bodens oder
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2
Ernährung pflanzlicher Organismen
des flüssigen Mediums an Nitrat- oder Ammonium-Ionen (NO3 – bzw. NH4+) einstellen und dabei ganz unterschiedliche Bereiche des Stoffwechsels in Mitleidenschaft ziehen (s. Box 2.3, S. 50).
Schwefel Dieser wird von den meisten pflanzlichen Organismen als Sulfat aufgenommen und transportiert. Allerdings können bei Mangelzuständen auch einige organische Schwefelverbindungen wie Cystein, Cystin oder Glutathion (S. 474) diese Funktion übernehmen. Unter humiden Bedingungen sind die Sulfat-Ionen (SO42 – ) entweder in der Bodenlösung vorhanden oder an Bodenkolloide adsorbiert. Ähnlich wie beim Phosphat stellt sich zwischen beiden ein von verschiedenen Faktoren abhängiges Gleichgewicht ein. Organisch gebundener Schwefel, das zweite wichtige Reservoir für dieses Element im Boden, wird durch Mikroorganismen für die Pflanze erschlossen. Der bei dieser Mineralisation entstehende Schwefelwasserstoff unterliegt bei aeroben Verhältnissen der nichtbiologischen Autoxidation zu elementarem Schwefel oder der mikrobiellen chemolithotrophen Umwandlung über elementaren Schwefel zu Sulfat (Abb. 2.7, S. 51).
Sulfat gelangt vermutlich über einen Protonen-Cotransport in die Aufnahmezelle, welcher von einer Sulfat-Permease hoher Affinität vermittelt wird (vgl. S. 38). Wichtige Schwefelverbindungen im Stoffwechsel sind einmal die Aminosäuren Cystein, Cystin, Homocystein und Methionin, die teilweise frei, zum überwiegenden Teil jedoch gebunden in den Proteinen vorliegen; Schwefel ist damit auch essentieller Bestandteil der meisten Enzyme. Zum anderen enthält die Zelle eine Reihe von Schwefelverbindungen, die als Wirkgruppen (Diphosphothiamin oder Thiamindiphosphat, Biotin, Liponsäureamid) oder in Redoxkatalysatoren als Eisen-Schwefel-Zentren – [FeS] – wichtige Funktionen im Zellstoffwechsel ausüben. Bei einigen bildet Schwefel als freie Thiol- (Mercapto-Gruppe: – SH) die Reaktionsstelle im Molekül (Coenzym A, Liponsäureamid). In Form von Sulfolipid ist dieses Element am Aufbau von plastidären Membranen (S. 323 f) beteiligt.
Phosphor Dieses Element wird von der Pflanze als Dihydrogenphosphat (H2PO4 – ) unter sauren Bedingungen, als Hydrogenphosphat (HPO42 – ) unter neutralen aufgenommen. Im Gegensatz zu den Elementen Stickstoff und Schwefel, welche meist erst nach Reduktion Eingang in den Zellstoffwechsel finden, tritt Phosphor in diesen direkt als Phosphat bzw. Phosphorsäure ein. Damit wird die gleiche Molekülform intrazellulär wirksam, in welcher dieses Element vom pflanzlichen Organismus aufgenommen und transportiert wird.
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2.2
Bedarf an Elementen
55
Bei einem Überangebot bzw. bei verstärkter Aufnahme von Phosphat sind viele pflanzliche Organismen in der Lage, eine Speicherung desselben durchzuführen. Vermutlich entstehen dabei bei niederen Pflanzen neben Metaphosphaten vorwiegend Polyphosphate (2), bei den höheren Pflanzen hingegen Phytin, das Calcium-Magnesium-Salz der Inosithexaphosphorsäure (Phytinsäure, 3). Seine Biosynthese findet sich in Abb. 4.2 (S. 221). O
O
O
HO P O P O P OH OH
OH
OH
n
2 Polyphosphat 2– O P 3 2– O P 3
O O
2–
O PO3 O PO32–
2–
O3P O
O PO32–
3 Phytinsäure
Als weitere mögliche Funktion der Polyphosphate wird eine Komplexbildung mit Kationen wie Ca2 +, Mg2 + und Na+ diskutiert; aus diesen Strukturen treten sie im Bedarfsfall in den Stoffwechsel ein.
Für die Rolle von Phytin als Phosphatspeicher spricht sein gehäuftes Vorkommen in Samen, und zwar als Kondensat in Aleuronkörnern (S. 483). Diese Vorstellung wird dadurch gestützt, daß Phytin parallel zum Abbau der Reserveproteine gespalten wird: spezifisch eingestellte Phosphatasen – Phytasen – katalysieren die hydrolytische Freisetzung der Phosphorsäure-Reste. Phytinsäure besorgt auch die Bindung und damit die Speicherung des Spurenelementes Zink (s. Tab. 2.2). Das Element Phosphor trägt entscheidend zum Aufbau wichtiger Zellverbindungen bei. So spielen die Phosphorsäure-Ester eine dominierende Rolle bei Photosynthese, Glykolyse, Pentosephosphatzyklus sowie bei diversen Biosynthesen. Die Phosphorsäure-Ester können aber nur gebildet werden, wenn die Funktionsfähigkeit des Systems ADP/ATP durch ein ausreichendes Angebot an Phosphorsäure bzw. Mono- oder Diphosphat (Pi bzw. PPi) gewährleistet ist. Als Bestandteil von Phosphatidsäure ist das Element außerdem maßgeblich am Aufbau von Phospholipiden, den Bausteinen der zellulären Membranen, beteiligt (S. 320 ff).
Mikro- und Spurenelemente Kalium. Obwohl dieses Element für alle Pflanzen essentiell ist und in weitaus größeren Mengen als die übrigen Kationen und einige Anionen aufgenommen wird, ist es nicht Bestandteil von organischen Molekülen. Eine wichtige Funk-
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56
2
Ernährung pflanzlicher Organismen
Tab. 2.2
Die Bedeutung von Spurenelementen
Element
Biochemische Funktion
Mangelsymptome
Bor
Komplexbildung mit PolyhydroxyVerbindungen?
Störungen in der Gewebsentwicklung, im Kohlenhydrat-Stoffwechsel und beim Zuckertransport; „Herzfäule“ bei Rüben: Absterben des apikalen Meristems
Mangan
Cofaktor von Enzymen; Mitwirkung bei der Sauerstoffentwicklung am Photosystem II (S. 129)
Chlorose: „Dörrfleckenkrankheit“; Veränderung der ChloroplastenStruktur
Zink
Cofaktor von Enzymen: AlkoholDehydrogenase (S. 270), CarbonatDehydratase (Kohlensäure-Anhydratase)
Chlorose; gestörte Blattentwicklung und Rosettenbildung; Störung im Wuchsstoffhaushalt
Kupfer
Bestandteil von – Enzymen; Oxidasen: MonophenolMonooxygenasen (Phenolase, Tyrosinase), Tyrosin-Phenol-Lyase (β-Tyrosinase), Ascorbat-Oxidase, Cytochrom c-Oxidase, – Redoxkatalysatoren (z. B. Plastocyanin, S. 134)
Wachstumsstörungen
Molybdän
Bestandteil von Enzymen des anorganischen Stickstoff-Stoffwechsels: Nitratreduktase (S. 392 f) und Nitrogenase (S. 400 ff)
Ähnlichkeiten mit dem Stickstoffmangel (S. 53 f)
Kobalt
Cofaktor der symbiontischen Fixierung von molekularem Stickstoff; Bestandteil von Vitamin B12 (S. 527)
?
Vanadium
N2-Fixierung Aktivierung einer membrangebundenen ATPase (Protonenpumpe, S. 36 f)
tion übt Kalium offensichtlich bei Turgorbewegungen als Osmotikum aus, z. B. bei der Spaltöffnungsbewegung. Als Cofaktoren von Enzymen spielen KaliumIonen außerdem eine wichtige Rolle im Zellstoffwechsel.
Magnesium. Dieses Element ist die typische Metallkomponente von Chlorophyllen (S. 77 f), stabilisiert die Struktur der Ribosomen (S. 488 f) und ist wie Calcium an Zellwandkomponenten gebunden. Darüber hinaus aktivieren Magnesium-Ionen eine Anzahl von Enzymen als Cofaktoren; in dieser Funktion ist das Element teilweise durch Mangan-Ionen (Mn2 +) ersetzbar. Mit ATP bildet es einen Komplex (S. 25). Über die Funktion von Magnesium-Ionen (Mg2+) bei der Regulation der photosynthetischen Kohlendioxidfixierung wird noch zu sprechen sein (S. 164). Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
2.2
Bedarf an Elementen
57
Calcium. Seine Ionen verknüpfen – teilweise zusammen mit Magnesium-Ionen – die makromolekularen, sauren Bestandteile von Zellwänden (Protopektine in der Mittellamelle, Alginsäure bei Algen). Calcium-Ionen reagieren gelegentlich mit organischen Säure-Anionen unter Bildung schwerlöslicher Salze: Calciumcarbonat und Calciumoxalat, seltener Calciumphosphat und -sulfat. Nach neuerer Erkenntnis fördert Calcium die Depolymerisation von Mikrotubuli und wirkt somit als ein möglicher endogener Regulator von zellulären Bewegungsvorgängen. Dabei übt Calmodulin, ein Protein mit spezifischer Bindungskapazität für Calcium, eine wichtige Steuerfunktion aus (Box 2.4). Eisen. Das Element wird zum Aufbau zahlreicher Porphyrin-Verbindungen benötigt, welche als prosthetische Gruppe von Enzymen fungieren: Cytochrome (Box 3.13, S. 132 ff), Peroxidasen und Katalasen. Außerdem ist das Eisen Bestandteil von Nicht-Häm-Eisenproteinen (Ferredoxine, Box 3.16, S. 141 f). Da Eisen für die Chlorophyllbiosynthese essentiell ist, führt Mangel sehr schnell zu Chlorosen (Box 2.3, S. 50). Box 2.4
Calmodulin
Dieses Protein gehört zu einer Familie, deren Mitglieder in fast allen Eukaryoten-Zellen als Calcium-Binder oder -Detektoren fungieren. In seinem Polypeptid (17 kDa) verklammert eine α-Helix zwei globuläre Bereiche, von denen der eine zwei Calcium-Ionen (Ca2 +) mit hoher Affinität, der andere zwei weitere mit geringerer Affinität bindet (s. u.). Letztere „aktivieren“ das Calmodulinmolekül, d. h. befähigen es, auf andere Moleküle, vor allem Enzyme, stimulierend zu wirken. Calmodulin sorgt generell dafür, daß der intrazelluläre Calciumspiegel niedrig bleibt (ca. 0,1 mM) im Vergleich zur extrazellulären Konzentration (mehrere Größenordnungen höher); nur so kann Calcium seiner Rolle als Signalgeber bzw. Kontrollinstanz für zahlreiche Prozesse gerecht werden. Gleichzeitig wird durch die Bindung verhindert, daß Calcium-Ionen mit den zahlreich vorhandenen Phosphorsäure-Estern im Cytosol Bindungen eingehen und als schwer lösliche Verbindungen ausfallen. Der niedrige Spiegel erleichtert entsprechend die Aufnahme von Calcium-Ionen durch die zugehörigen Kanäle in den
zellulären Membranen; dieser schnelle Anstieg in den einzelnen Kompartimenten kann demgemäß Signalwirkung entfalten.
H2N
Ca2+
COOH
Ca2+
Ca2+
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2
58
Ernährung pflanzlicher Organismen
Bei der Aufnahme von Eisen durch die Wurzel ergeben sich Probleme insofern, als sein Kation, ähnlich wie andere essentielle Kationen, kaum in freier Form vorliegt, sondern überwiegend komplex entweder an Bodenkolloide gebunden oder unlöslich in Oxyhydroxy-Polymeren (allgemeine Formel FeOOH) festgelegt ist. Damit ist Eisen bei neutralem pH-Wert in aerober, wäßriger Umgebung so gering gelöst, daß Pflanzen u. U. ihren Bedarf nicht decken können. Abhilfe schaffen bei einer Anzahl von Spezies vor allem zwei alternative Strategien: 1. Ansäuerung der Rhizosphäre durch die Wurzel und Reduktion von Fe3+ zu Fe2+ vor der Aufnahme 2. die Bildung und Freisetzung von Phytosiderophoren: Hydroxy- und Aminosubstituierte Imino-Carbonsäuren wie Mugeneinsäure bei Gerste oder Avininsäure beim Hafer; sie entziehen den Bodenpartikeln Eisen, binden es und führen es einem membrangebundenen Transportsystem zu, welches das Eisen intrazellulär verfrachtet (Abb. 2.8). Für die Speicherung von Eisen sind – ähnlich wie in tierischen Organismen – Ferritine zuständig (Phytoferritine), oligomere Proteine mit einer zentralen „Kaverne“, welche eine große Anzahl von Eisen-Ionen aufnehmen kann. Sie sind möglicherweise in Plastiden lokalisiert.
Spurenelemente. Die biologische Bedeutung der wichtigsten Spurenelemente zeigt Tab. 2.2. Bindung von Schwermetallen. Höhere Pflanzen sind teilweise in der Lage, toxische Schwermetalle wie Zink, Blei, Kupfer, Cadmium, welche zwangsläufig mit anderen Ionen aufgenommen werden, zu eliminieren. Als wirksame Syste-
Neusynthese
PL
Abb. 2.8 Modell zur Wirkungsweise von Phytosiderophoren. PL Plasmalemma der aufnehmenden Zelle TP membranes Transportsystem.
Phytosiderophore
TP Abbau
e–
Fe
Fe
Fe3+ Fe2+ Reduktion
Erdpartikel
Fe Fe
Hydrolyse TP Fe3+
Fe3+
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2.3
Ionenhaushalt
59
me dieser Detoxifikation oder Sequestrierung sind Phytochelatine (4) und Homophytochelatine (5) erkannt worden. Wie die Formeln zeigen, sind in ihren Molekülen 2 – 11 γ-Glutamyl-cysteinyl-Einheiten repetitiv angeordnet; terminal steht ein Glycin- bzw. Alanin-Rest. Die SH-Gruppen der Cystein-Bausteine binden bevorzugt die toxischen Schwermetall-Ionen und beseitigen sie auf diese Weise. Eine zweite Gruppe von Verbindungen mit gleicher Funktion bilden die Metallothioneine, welche vor allem für Mensch und Tier typisch sind. Einige Vertreter gibt es auch bei höheren Pflanzen, insbesondere bei Arten mit hoher Schwermetall-Toleranz, welche auf Böden mit entsprechend hohen Gehalten wachsen können. Auch diese Verbindungen enthalten zahlreiche CysteinBausteine, deren SH-Gruppen wie bei den Phytochelatinen die Metall-Ionen binden und sie letztlich in die Vakuole transferieren. SH O H2N
N H
COOH
H N O
COOH
n
4 Phytochelatin; n = 2 –11 (Kurzschreibweise) SH O H2N COOH
N H
H N O
COOH
n
5 Homophytochelatin; n = 2 –7
2.3
Ionenhaushalt
2.3.1
Voraussetzungen
Wie schon ausgeführt, decken pflanzliche Organismen ihren Bedarf an essentiellen Elementen bis auf wenige Ausnahmen über Mineralsalze, welche in gelöstem Zustand als Anionen oder Kationen vorliegen und in dieser Form aufgenommen werden. Hierfür ist bei Algen und submers lebenden höheren Pflanzen die gesamte Oberfläche, bei Landpflanzen normalerweise die Wurzel zuständig. Allerdings können Ionen auch über die Blätter aufgenommen werden; hierauf beruht die in Gartenbau und Landwirtschaft bisweilen praktizierte „Blattdüngung“. Verglichen mit der Hydrokultur muß die Pflanze unter natürlichen Bedingungen die Ionen einer wesentlich verdünnteren Lösung entnehmen. Ihre Beschaffenheit bestimmt letztlich das Ausmaß des pflanzlichen Wachstums. Während
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Ernährung pflanzlicher Organismen
diese Bodenlösung freie Ionen in einer gut importierbaren Form enthält, wirkt die feste Phase mit ihren anorganischen und auch organischen Bestandteilen vorwiegend als Nährelementspeicher, welcher bei Milieu-Veränderung oder Zerfall (Verwitterung) die Ionen freisetzt. Wie schon erwähnt, steigert gute Sauerstoffversorgung die Ionenaufnahme durch Wurzeln. Jene ist gewährleistet, wenn der Boden wegen reichlich vorhandener organischer Stoffe und Mikroorganismen ein krümeliges, gut luftdurchgängiges Substrat bildet. Auf dem Wege eines Ionenaustausches Protonen (H+) gegen Kationen, Hydrogencarbonat (HCO3 – ) gegen Anionen
oder auch über die Ausscheidung von organischen Verbindungen (Säuren, Aminosäuren), welche vor allem Schwermetalle wie Eisen löslich machen und binden wie die (Phyto-)Siderophoren (S. 58), konkurriert die Wurzel gewissermaßen mit den Bodenkolloiden um Ionen. Somit besteht eine weitere Möglichkeit für die Pflanze zur Beschaffung von frei gelösten Ionen. Von Wichtigkeit für den Nährsalzgehalt des Bodens ist auch die im humiden Klima eintretende Auswaschung einzelner Ionen, die besonders bei Verarmung an Kolloiden eintritt. Von dieser werden am stärksten Ca2 +, Mg2 +und NO3 – , am schwächsten die Phosphate betroffen. Diese Erscheinung sowie der ständige Entzug durch den Pflanzenwuchs bedingen zwar Schwankungen in der Ionenmenge der Bodenlösung, doch verhindert die puffernde Wirkung des Bodens im allgemeinen eine einseitige Anreicherung einzelner Ionenarten und damit eine toxische Wirkung auf die Pflanzen. Die mineralische Düngung ergänzt die durch die Ernte dem Boden entzogenen Nährsalze direkt. Dieses Verfahren geht auf Justus von Liebig (1803 – 1873), den Begründer der modernen Agrarchemie, zurück. Die organische Düngung mit Mist, Kompost etc. vermehrt einmal die organischen Bestandteile des Bodens und erhält damit die unbedingt notwendige Mikroflora, zum anderen werden durch Verwesung Nährsalze freigesetzt.
2.3.2
Ionenaufnahme
Wie schon bei der Aufnahme von Wasser durch die Wurzel ausführlich erörtert, dringen die Ionen mit diesem passiv durch freie Diffusion in den äußeren freien Raum (S. 41) ein. Sein spez. Volumen ist mit ca. 0,10 – 0,15 ml pro Gramm Frischmasse (8 – 25% des Gewebevolumens) anzusetzen; er wird vom Plasmalemma der umgebenden Zellen begrenzt, denn Plasmolyse dieser Zellen erweitert den äußeren freien Raum deutlich. Das Plasmalemma als abgrenzende Biomembran ist normalerweise weitgehend undurchlässig für Ionen und organische Moleküle. Der weitere Transport der Ionen führt über den Symplasten (S. 41 f) oder den inneren Raum, indem sie von den Protoplasten der Rindenzellen nach Passieren des Plasmalemmas aufgenommen und dann über die Plasmodesmen bis zu den Parenchymzellen im Zentralzylinder weitergeleitet werden. Hier erfolgt dann der Übertritt in die Leitelemente des Xylems.
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2.3
Ionenhaushalt
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Über den zugrundeliegenden Mechanismus kann z. Z. nur spekuliert werden. Transporteinrichtungen, welche für die Durchführung dieser Membranpassage in Frage kommen, sind schon früher vorgestellt worden (S. 36 ff). Bei der Analyse der Ionenbewegung in Zellen und Geweben hat sich die Verwendung von instabilen Isotopen wie 35S, 32P, 36Cl, 45Ca, 86Rb (vgl. Box 3.19, S. 159 f) als außerordentlich fruchtbar erwiesen. Von geeigneten Verbindungen, welche jeweils eine dieser isotopen Atomarten enthalten, werden Lösungen hergestellt und in die Wurzel – an der intakten Pflanze oder isoliert – bzw. in isolierte Gewebeteile aus verschiedenen pflanzlichen Organen eingebracht. Mit Hilfe autoradiographischer Methoden (S. 160) lassen sich in anschließend angefertigten Gewebeschnitten Aufnahme, Transport bzw. Anreicherung einzelner Ionen anhand der radioaktiven Markierung ermitteln. Neuerdings sind isolierte Zellvakuolen und Membranpräparationen als vielversprechende Experimentalsysteme hinzugekommen. Als weitere Technik, deren Anwendungsmöglichkeiten bei pflanzlichen Objekten noch längst nicht ausgeschöpft sind, gelten Verfahren der Röntgen-Spektrometrie oder -Mikroanalyse (Röntgen-Mikroanalyse mittels Elektronensonde). Sie erlauben die qualitative und auch quantitative Erfassung einzelner Elemente in situ bei einer räumlichen Auflösung zwischen 10 nm und mehreren µm; zwischen ionischen und nichtionischen Formen eines Elementes kann allerdings nicht unterschieden werden. Das gängige Verfahren beruht auf der Erfassung spezifischer Röntgensignale, welche bei Elektronenbestrahlung der Probe von den Atomen eines Elements infolge Ionisation ausgehen. Diese Emission, deren Größe mit der Atomzahl ansteigt, wird mit einem geeigneten Detektor im Verbund mit konventioneller TransmissionsElektronenmikroskopie bestimmt.
2.3.3
Ferntransport der Ionen
Die Abgabe der Ionen in die Leitelemente des Xylems, d. h. ihr Eintritt in das Fernleitsystem von Wurzel und Sproß, ist in seinen Einzelheiten noch unbekannt. Da Gefäßsaft aus dem Xylem im allgemeinen einen höheren Ionenbestand aufweist als das Milieu außerhalb der Wurzel, muß zwischen beiden ein aktiver Transportmechanismus eingeschaltet sein. Wir haben ihn bereits als Wurzeldruck (S. 42) und Transpirationsströmung (S. 46 ff) kennengelernt. Über diesen Ferntransport erreichen die Ionen nicht nur alle Bereiche der oberirdischen Organe, sondern auch jene in den älteren Teilen der Wurzel. Dabei werden – sozusagen „unterwegs“ – zusätzlich Ionen und Moleküle aus angrenzenden Zellen, vermutlich „aktiv“ bzw. über entsprechende membrane Transportsysteme, in den Gefäßsaft aufgenommen oder umgekehrt von diesem auch abgegeben. Dadurch ändert sich seine Zusammensetzung ständig; auch die von den Ionen nur bedingt abhängige und unterschiedliche Wasseraufnahme und -abgabe trägt dazu bei. Auf ihrem Weg aus den Gefäßen und anderen Leitelementen in die Gewebezellen benutzen die Ionen sicherlich die gleichen Wege wie im Rindengewebe der Wurzel: die Diffusion über den äußeren freien Raum mit anschließender aktiver und selektiver Aufnahme in die Protoplasten und den symplastischen Transport. Im ersten Falle umspült die Ionenlösung gewissermaßen die Protoplasten.
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2
Ernährung pflanzlicher Organismen
Zu ergänzen ist, daß der Xylemsaft neben den Ionen K+, Ca2 +, Mg2 +, HPO42 – bzw. H2PO4 – , NO3 – und SO42 + auch in geringen Mengen Aminosäuren und andere stickstoffhaltige Verbindungen sowie organische Säuren und auch Zucker enthält. Diese Substanzen entstehen in den Wurzeln. Vor allem bei Bäumen wird Stickstoff oft in Form von Säureamiden und Aminosäuren, weniger als NO3 – oder NH4+, transportiert (S. 391 f). Die Menge der gelösten Substanzen schwankt in Abhängigkeit vom physiologischen Zustand der Pflanze; der pH-Wert des Gefäßsaftes beträgt im allgemeinen 5,0 – 6,0.
Salzausscheidung. Einige Vertreter der Plumbaginaceae (Limonium, Statice), Tamaricaceae (Tamarix), Chenopodiaceae (Chenopodium, Atriplex), Verbenaceae (Avicennia: Mangrovenbaum) und Rhizophoraceae (Rhizophora: Mangrove, Aegialitis) gedeihen auch an salzreichen Standorten (Meeresküste, Salzwüste). Diese Halophyten werden relativ gut mit Salzbelastungen fertig, weil sie überschüssig bzw. unerwünscht oder zwangsläufig aufgenommene Ionen als Salz abscheiden können. Sie verfügen nämlich über Salzdrüsen oder Salzhaare, welche meist in großer Zahl die Blattoberflächen besetzen; als Ergebnis ihrer Aktivität tragen die Blätter eine Schicht von Salzkristallen. Bei fakultativen Halophyten lösen erst größere Mengen an Natriumchlorid (NaCl) in der Bodenlösung die aktive Sekretion von Chlorid-Ionen aus, z. B. bei einigen Vertretern der Chenopodiaceae. Ihre Salzhaare enden mit einer blasenförmigen Endzelle (Blasenzelle), welche mit einer großen Vakuole ausgestattet ist; in diese gelangt das von der darunter gelegenen, drüsigen Stielzelle aktiv sekretierte NaCl. Ist die Speicherkapazität der Blasenzelle erschöpft, stirbt sie ab und wird durch eine neue ersetzt. Dieser Modus ist als typisch für mehrjährige, immergrüne Arten erkannt worden; bei einjährigen Vertretern hingegen, z. B. Atriplex spongiosa, wird die Funktion der Salzhaare von der Lebensdauer der Blätter bestimmt. Die Folgen der Belastung, welche Pflanzen aufgrund des überhöhten Salzgehaltes im Boden erfahren, werden als Salzstreß bezeichnet. Die Symptome entsprechen weitgehend denen von Wasserstreß, weil letztlich die Wasseraufnahme durch die Pflanze generell erschwert oder verändert ist (s. Box 2.2, S. 40). Als Schutzmechanismus akkumulieren einige pflanzliche Organismen geeignete organische Verbindungen, welche Veränderungen in der osmotischen Balance der Zellen weitgehend unterbinden und somit den normalen Ablauf der physiologischen Prozesse garantieren. Diese kompatiblen Solute sind polar gebaut, gut wasserlöslich und arm an Ladungen; ihre Hydrathülle ist weitaus größer als die von anorganischen Anionen. Als typische Verbindungen dieser Gruppe sind Mannit (6), Sorbit (7), Prolin (S. 411 f), Glycin-Betain (8) und Ononit/Pinit (9; 10) erkannt worden. Möglicherweise lösen auch andere Streßfaktoren wie Wasserdefizit oder Kälteschock ihre Bildung aus.
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2.4 CH2 HO
HO C
CH2
OH
C H H
OH
HO C H H C OH
H C OH
H C OH CH 2
CH 2 OH 6 Mannit
H3C
O OH 9 Ononit
2.4
Kohlendioxid
2.4.1
Verfügbarkeit
63
H C OH
H C OH
OH OH OH OH
Kohlendioxid
OH
7 Sorbit
–OOC
+
CH2 N(CH3)3
8 Glycin-Betain
OH OH H3C
O OH OH 10 Pinit
HO
Einleitend hatten wir festgestellt, daß sich im Laufe der Erdgeschichte ein Gleichgewicht zwischen Kohlendioxidbindung und -freisetzung im Kreislauf der organischen Materie stabilisiert hat. Mit dem Auftreten der ersten photosynthetisch aktiven Organismen vom Cyanobakterien-Typ vor ca. 3 Milliarden Jahren reicherte sich allmählich Sauerstoff – gewissermaßen als „Abfallprodukt“ fortschrittlicher Photosynthese (vgl. S. 199) – in der Atmosphäre an. In engem Zusammenhang damit muß die Ausbildung des Ozongürtels in der oberen Atmosphäre gesehen werden, welcher dank seiner Wirkung als Sperrfilter für die energiereiche UV-Strahlung erst die Ausbreitung von Leben auf den Landmassen ermöglichte. Mit der Umgestaltung zur oxidativen Biosphäre ergaben sich Konsequenzen für den Stoffwechsel der Organismen. Sie führten u. a. zur Entwicklung der wesentlich effektiveren Energiegewinnung durch oxidative Dissimilation des photosynthetisch erzeugten Substrats. In der Folge bildete sich ein Kreislauf des Sauerstoffs in enger Verzahnung mit dem des Kohlenstoffs heraus. Als Ergebnis dieser biologischen Evolution registrieren wir heute in der Atmosphäre konstante Gehalte von Sauerstoff u. Kohlendioxid, 210 ml/l bzw. 0,32 ml/l. Dieser Zustand wird allerdings in jüngster Zeit in steigendem Maße von der menschlichen Technik und ihren Auswirkungen destabilisierend beeinflußt, so daß auf längere Sicht eine Verschiebung im wohlbalancierten Gasgleichgewicht der Atmosphäre mit schwerwiegenden Folgen für die Biosphäre erfolgen könnte. Obwohl Kohlendioxid nur ein „Spurengas“ der Atmosphäre ist, kontrolliert es in entscheidender Weise das Klima der Erde: durch Absorption infraroter Strahlung wird Wärme in einem solchen Ausmaß gespeichert, daß sie bestimmend für den Klimaablauf wird. Eine Erhöhung des Gehalts an Kohlendioxid zusammen mit anderen Spu-
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Ernährung pflanzlicher Organismen
renstoffen (Stickoxide, Aerosol-Teilchen etc.) hätte demgemäß neben anderen Effekten einen Anstieg der Durchschnittstemperatur und damit einen Klimawechsel zur Folge. Wahrscheinlich wäre damit u. a. eine Ausbreitung der ariden Zonen mit einer Zurückdrängung der landwirtschaftlichen Nutzung verbunden. Tatsächlich zeichnet sich unabhängig von jahreszeitlichen und lokalen Schwankungen eine Zunahme von Kohlendioxid in der Atmosphäre ab. Als Hauptursachen für diese Entwicklung werden neben der stark angestiegenen Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl) die zunehmende, erdweite Zerstörung der Wälder angesehen. Die Photosyntheseleistung der letzteren, d. h. ihre Bindungskapazität für Kohlendioxid, übertrifft die jeder anderen Vegetation bei weitem und vermag daher den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre über kürzere Zeiträume nachhaltig zu beeinflussen. Mit der Verminderung der Waldfläche entfällt nicht nur dieses wichtige Regulativ, sondern es wird nach neueren Untersuchungen offenbar ins Gegenteil verkehrt: anstelle photosynthetischer Fixierung von Kohlendioxid tritt seine Abgabe aufgrund der beschleunigten Zersetzung des organischen Materials im Boden, vor allem von Humus. Dieser bildet zusätzlich zur Atmosphäre und zu den Lebewesen den dritten Pool für austauschbaren Kohlenstoff. Ihnen steht das im Vergleich riesige Reservoir der Ozeane gegenüber, in deren Tiefenwasser die Hauptmenge an Kohlenstoff gelöst als Kohlendioxid vorliegt oder Teil des CaCO3/Ca(HCO3)2-Systems ist. Dieser Puffer von gewaltiger Kapazität trägt durch intensiven Austausch mit den drei vorgenannten Pools entscheidend dazu bei, daß Kohlendioxid in der Atmosphäre (noch!) in einer durchschnittlich konstanten Menge von 0,03% vorliegt.
2.4.2
Kohlendioxidaufnahme – Mechanismus und Regulation
Dem Kohlendioxid der Luft steht auf seinem Weg zu den assimilierenden Blattzellen und ihren Chloroplasten als erste von mehreren Diffusionsbarrieren der Grenzschichtwiderstand der blattnahen Luftschicht entgegen. Dieser steigt mit der Dicke der Grenzschicht und ist dementsprechend hoch bei geringer oder fehlender Luftbewegung, hingegen niedrig bei starkem Wind. Ausbildung und Beständigkeit solcher Grenzschichten werden von der Blattanatomie mitbestimmt (Behaarung!). Aufgrund seines niedrigen Anteils in der Außenluft vermag Kohlendioxid nicht auf dem Wege der Diffusion über Cuticula und Epidermiszellen einzudringen. Nach dem Fickschen Gesetz hängt nämlich die Diffusionsrate entscheidend von der Steilheit des Konzentrationsgefälles ab; für Kohlendioxid ist dieses zwischen Außenluft und fixierendem Chloroplasten unter natürlichen Bedingungen zu flach, um den cuticulären Widerstand zu überwinden. Dieses Handikap wird dadurch wettgemacht, daß Kohlendioxid seinen Weg über die Spaltöffnungen (S. 44 ff) und die Interzellularen nimmt. Dabei baut sich ein Konzentrationsgradient auf, dessen Ausmaß letztlich von der Photosyntheseaktivität abhängt; er ermöglicht den Nettofluß von Kohlendioxid zur Rubisco. Zwei Umstände wirken sich günstig aus: einmal diffundiert Kohlendioxid praktisch bis zum Reaktionsort in der Gasphase, d. h. mit maximaler Geschwindigkeit, zum anderen unterliegt der Diffusionswiderstand von Spaltöffnungen – stomatärer Diffusionswiderstand – einer aktiven, den physiologischen Bedürfnissen entsprechenden Regulation durch die Pflanze, indem die Öffnungsweite vergrößert oder verringert wird.
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2.4
Kohlendioxid
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Die erzeugte Differenz zwischen Außenluft und interzellulärem Gasraum liegt bei etwa 100 ppm CO2; seine im letzteren vorliegenden Konzentration von ca. 250 ppm steht im Gleichgewicht mit der wäßrigen Lösung des Gases in einer Konzentration von ca. 8 µmol. Hieraus resultiert eine deutliche Differenz zu den entsprechenden Werten im Außenbereich: ca. 350 ppm bzw. 11,6 µmol. Auf dem weiteren Weg müssen noch einige Diffusionsbarrieren überwunden werden: im System der Interzellularen, beim Eintritt in die flüssige Phase des äußeren freien Raums (Zellwände! S. 41) und beim Übergang in das Cytoplasma und die Chloroplasten. Sie werden als Mesophyllwiderstand zusammengefaßt. Schließlich ist noch als „chemischer Widerstand“ oder „Carboxylierungswiderstand“ die Leistungsfähigkeit des kohlendioxidfixierenden Enzymsystems (S. 162 ff) in Rechnung zu stellen, welche oft entscheidend die Steilheit des Kohlendioxidgradienten (s. o.) und damit den Einstrom von Kohlendioxid mitbestimmt. Hingegen können sich die sog. „C4-Pflanzen“ (S. 179) einen relativ hohen stomatären Widerstand leisten, denn sie verfügen über einen sehr effektiven Mechanismus der Kohlendioxidfixierung; dieser und andere Besonderheiten (niedriger Kohlendioxid-Kompensationspunkt, S. 102; geringe Photorespiration, S. 189 ff) sind Ausdruck einer wirksamen Anpassung solcher Pflanzen an trokkene Standorte mit starken Lichtflüssen und hohen Temperaturen (Einzelheiten S. 179 ff). Inwieweit im Stroma des Chloroplasten durch das Enzym Kohlensäure-Anhydrase das Gleichgewicht zwischen CO2 und HCO3 – hergestellt und damit die Bewegung des anorganischen Kohlenstoffs beschleunigt wird, bedarf der weiteren experimentellen Überprüfung. Das durch die Atmungsaktivität der Mitochondrien und die Photorespiration der Peroxisomen (S. 190) in den Blattzellen erzeugte Kohlendioxid gelangt ebenfalls in die Interzellularen und von dort auf dem gleichen Weg wie das von außen eingeströmte Kohlendioxid der Luft in die Chloroplasten. Da im Wasser gelöstes Kohlendioxid bei Temperaturen um 15 ⬚C etwa die gleiche Konzentration wie in der Luft erreicht, ist die Kohlendioxidbeschaffung für die meisten Wasserpflanzen unproblematisch. Bedingt durch das häufige Fehlen von Spaltöffnungen sowie einer Cuticula, dient die Oberfläche des Blattes oder auch des Sprosses der Aufnahme.
Der durchschnittliche Kohlendioxidgehalt der Luft ist mit 0,03% nicht nur naturgemäß sehr niedrig, sondern erfährt auch noch einen weiteren unvermeidbaren Konzentrationsabfall auf dem Wege zum fixierenden System der Photosynthese. Demgemäß wäre eine Einschränkung der von Rubisco katalysierten Carboxylierung zu erwarten; sie tritt jedoch nicht ein, weil dieses Manko offensichtlich durch die große Anzahl von aktiven Enzymmolekülen (s. S. 163) ausgeglichen wird. Sie macht auch die relativ niedrige Wechselzahl von Rubisco im Vergleich zu anderen Enzymen (S. 18) weitgehend wett. Eine Steigerung der Carboxylierungseffizienz ist grundsätzlich dadurch erreichbar, daß das Kohlendioxidangebot „vor Ort“ erhöht wird, nämlich durch größere Öffnung der Sto-
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2
Ernährung pflanzlicher Organismen
mata: ihr Diffusionswiderstand wird entsprechend erniedrigt und die interzelluläre Kohlendioxidkonzentration erhöht. Dies bedeutet aber auch, daß zwangsläufig die Transpiration auf einen Wert ansteigt, welcher in der Regel physiologisch oft nicht mehr tolerierbar ist. Generell werden die Stomata nur soweit geöffnet, wie es für die Belieferung der Photosynthese mit Kohlendioxid notwendig ist – selbst wenn ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Wird dieses jedoch knapp, so schließen die Stomata, um die Gefahr des Welkens bzw. Austrocknens zu bannen. Zwangsläufig wird damit aber auch die Kohlendioxidzufuhr abgeschnitten, was zur Limitierung bis Sistierung der Photosynthese führt.
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3
Photosynthese
Photosynthese ist der komplexe Prozeß, mit dem chlorophyllhaltige pflanzliche Organismen organische Substanz aus Kohlendioxid und Wasser im Licht bilden. In der Regel entsteht dabei molekularer Sauerstoff. Die Photosynthese nimmt unter den lichtabhängigen biologischen Vorgängen insofern eine Sonderstellung ein, als absorbierte Strahlungsenergie zur Synthese einer energetisch höherwertigen organischen Verbindung aus einfachen anorganischen Ausgangssubstanzen verwendet wird. Hierbei handelt es sich um einen endergonischen Prozeß, der mit einer Zunahme an freier Enthalpie verbunden ist. Unter Berücksichtigung dieses energetischen Aspektes ergibt sich für den Gesamtvorgang der Photosynthese folgende Gleichung: 6 CO2 + 12 H2O
hVν Chloroplast
C6H12O6 + 6 H2O + 6 O2
∆Gm ' (∆Go') = + 2872 kJ/mol Hexose
Die Aufklärung des Stoffwechsels der Pflanze hat die Forscher seit dem Altertum beschäftigt. Es verwundert nicht, daß bereits Aristoteles bestimmte Vorstellungen hierüber entwickelte. Im Verlauf der Jahrhunderte entstanden zahlreiche Ansichten und Hypothesen, die jedoch in den meisten Fällen auf falsch interpretierten Beobachtungen und unrichtigen Schlußfolgerungen basierten. Die Ursache hierfür liegt in der Komplexität des Photosynthese-Prozesses, insbesondere in der Beteiligung so verschiedener Reaktionsteilnehmer und reaktionsbestimmender Faktoren wie Gasen, komplizierten organischen Verbindungen, Mineralsalzen, Wasser und sichtbarer Strahlung. Erst aus vielen Einzelbeobachtungen schälte sich schließlich die richtige Interpretation der Photosynthese heraus, die in der oben formulierten Bruttogleichung ihren Niederschlag gefunden hat. In Abb. 3.1 sind die Namen der Forscher vermerkt, die an der Identifizierung einzelner Reaktionspartner bzw. an der Erkennung des chemischen und energetischen Aspektes der Photosynthese maßgeblichen Anteil hatten.
3.1
Reaktionspartner und Produkte
Diese sind schon relativ früh anhand der jeweilig verfügbaren Methoden erkannt und bestimmt worden. Kohlendioxid. Hält man eine Pflanze unter optimaler Belichtung und Wasserversorgung in einer kohlendioxidfreien Atmosphäre, aus welcher auch die bei der Atmung freiwerdenden geringen Mengen an Kohlendioxid durch Kalilauge oder Natronlauge entfernt werden, so stellt die Pflanze ihr Wachstum ein und verkümmert. Verfahren zur Messung der Kohlendioxidaufnahme in Box 3.1.
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3 Photosynthese
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Jean Senebier : 1782 : „Rote Strahlung wirksam“ (1. Versuch einer Chlorophyll-Isolierung) Nicolas Théodore de Saussure :
1783 : „CO2-Verbrauch durch Pflanzen“
1804 : „Wasser wird benötigt“ (Abgrenzung von Atmung und Assimilation; Bestimmung des Assimilationsquotienten O2 /CO2) Kohlendioxid
+
Wasser
Richard Willstätter (1905–1913) u. Hans Fischer : 1939 : „Struktur des Chlorophylls aufgeklärt“ organische Substanz
+
Licht
grüne Blattfarbe
Joseph Priestley :
+
molekularer Sauerstoff
Robert Mayer : 1845 : „Energie wird in chemischer Form festgelegt, Gewinn 113,4 kcal“
Abb. 3.1
Ian Ingen-Houz : 1779 : „Licht und grüne Blattfarbe sind notwendig“ 1771– 1777 : „Durch tierische Atmung verdorbene Luft wird durch grüne Pflanzen verbessert“
Photosynthese und deren Erforschung.
Wasser. Der Verbrauch an Wasser bei der Photosynthese ist relativ gering, wenn man von der vorhandenen Gesamtmenge ausgeht. Es bedurfte schon der Isotopentechnik, d. h. der Verwendung von isotopenmarkiertem Wasser, dessen Moleküle teilweise den schweren Sauerstoff (18O) anstelle des normalen (16O) enthalten, um die Beteiligung und Funktion des Wassers bei der Photosynthese nachzuweisen. Chlorophyll. Zellen, denen dieses typische Photosynthesepigment fehlt, sind zur Substanzproduktion unter photoautotrophen Bedingungen unfähig. Das gilt nicht nur für Bakterien, Hefen und Pilze, sondern auch für pflanzliche Zellen, die durch Mutation chlorophyllfrei geworden sind. Licht. Schon im Jahre 1882 konnte Engelmann zeigen, daß eine photosynthetische Sauerstoffproduktion bei Algen nur bei Einstrahlung bestimmter Qualitäten sichtbarer Strahlung nachweisbar ist (s. dazu S. 105 ff). Organische Substanz (Kohlenhydrat). Im Verlauf der Photosynthese entsteht „Assimilationsstärke“, die nach Einlegen eines belichteten Blattes in Iod-Kaliumiodid-Lösung intensiv blau angefärbt wird. Diese Stärkebildung ist nachweislich (Schablonenversuch!) auf die belichteten Partien des Blattes beschränkt.
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3.1 Reaktionspartner und Produkte Box 3.1
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Gaswechselmessung
Durch Messung des Einbaus von radioaktivem Kohlendioxid, dessen Moleküle das instabile, d. h. strahlende Kohlenstoffisotop14C anstelle von normalem 12C enthalten, kann nicht nur die Kohlendioxidaufnahme bei der Photosynthese bestimmt, sondern auch der Weg des Kohlenstoffs bis zu seiner Bindung im spezifischen Assimilationsprodukt verfolgt werden (s. dazu S. 159 ff). Mit dem Ultrarot-Absorptionsschreiber (URAS) wird die mit der Photosynthese verbundene Abnahme von Kohlendioxid in einem geschlossenen Versuchsraum erfaßt. Dieses wichtige Verfahren basiert auf der charakteristischen Absorption von ultraroter (infraroter) Strahlung durch Kohlendioxid. Das Gerät ist in der Lage, noch 0,0001% in der Luft nachzuweisen. Sauerstoffbestimmung durch Manometrie eignet sich besonders für die Messung des photosynthetischen Gasaustausches einzelliger Algen. Sie bedient sich des von Warburg (1926) entwickelten „Respirometers“, das eine Modifikation der entsprechenden Geräte von Barcroft und Haldane bzw. Brodie darstellt. Bei konstanter Temperatur und einem konstanten Volumen werden Veränderungen im Gasraum
des Reaktionsgefäßes anhand der resultierenden Druckänderungen gemessen. Methodisch am einfachsten ist die polarographische Sauerstoffmessung mit einer Sauerstoffelektrode. Häufig benutzt wird ein Elektrodensystem aus einer Platin- oder Gold-Kathode und einer Kalomel- oder Silber-Anode (ClarkElektrode), verbunden durch ein Kaliumchlorid-Gel und abgegrenzt gegen das Versuchsmedium, z. B. eine belichtete Algensuspension, durch eine sauerstoffdurchlässige Membran. Die durch Anlegen einer negativen Gleichspannung von ca. 0,85 Volt normalerweise eintretende Polarisierung der Kathode wird durch eindiffundierenden Sauerstoff beeinflußt; er wird dort unter Elektronenverbrauch reduziert und löst einen Stromfluß aus, dessen Stärke dem Sauerstoff-Partialdruck direkt proportional ist. Dieser Strom wird verstärkt und als zeitbezogene Sauerstoffproduktion registriert. Da das Medium um die Elektrode ständig erneuert, der Zutritt von Luft aber verhindert werden muß, arbeitet man in einer verschlossenen, lichtdurchlässigen Küvette mit Rührer und einer Vorrichtung zur Erhaltung von Temperaturkonstanz.
Sauerstoff. In Anlehnung an das von Bonnet beobachtete Phänomen werden die von belichteten Wasserpflanzen (Elodea, Fontinalis) aufsteigenden Gasbläschen gesammelt. Ein eingeführter glimmender Holzspan verbrennt darin mit heller Flamme; das Gas ist damit als Sauerstoff identifiziert. Eindeutiger sind spezifische chemische Nachweisreaktionen: Alkalische Pyrogallol-Lösung wird durch Einleiten des photosynthetisch gebildeten Gases braungefärbt; unter seiner Einwirkung gewinnt auch eine zuvor entfärbte Lösung von Indigokarmin ihre blaue Farbe zurück. Beide Reaktionen sind typisch für molekularen Sauerstoff. Zur Methodik der Sauerstoffmessung s. Box 3.1.
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3 Photosynthese
3.2
Die Pigmente der Photosynthese
3.2.1
Allgemeines
Licht als die vom menschlichen Auge wahrnehmbare Strahlung natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist elektromagnetischer Natur. Im Gesamtspektrum dieser Strahlung umfaßt der sichtbare Teil nur ein relativ schmales Band, welches durch die Wellenlängen von etwa 390 bis 760 nm gegeben ist. Es wird begrenzt von der kurzwelligen ultravioletten und der langwelligen infraroten Region (Box 3.2). Dieses „Weißlicht“ kann durch ein Prisma in die Spektralfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blaugrün, Blau und Violett zerlegt werden; jeder Farbe entspricht eine definierte Wellenlänge (Abb. 3.2). Rekombination aller Spektralfarben ergibt wiederum farbloses Licht. Der Eindruck einer Farbe entsteht also immer dann, wenn ein Teilbetrag der sichtbaren Strahlung fehlt und das Auge gewissermaßen nur noch den Restbetrag oder die Differenz registriert. Genau wie die übrigen Formen der elektromagnetischen Strahlung breitet sich Licht mit einer Geschwindigkeit von 3 ⋅ 108 m · s–1 (300 000 km · s–1) aus. Daß wir das menschliche Auge als Maßstab zur Unterscheidung und Bewertung verschiedener Strahlungsqualitäten heranziehen, ist naheliegend. Doch ist bekannt, daß die Augen anderer Organismen eine abweichende optische Empfindlichkeit besitzen. So können Bienen und andere Insekten das für uns unsichtbare Ultraviolett noch wahrnehmen. Hinsichtlich der Aufnahme von Strahlung besteht für tierische und pflanzliche Organismen eine Gemeinsamkeit insofern, als beide mit Photorezeptoren oder Pigmenten ausgestattet sind, welche bestimmte Strahlungsanteile „verschlucken“, d. h. absorbieren, für andere hinge-
d Ra ell iow
–4
en
ot
Infrar
–6
r ze
–12 –10 – 8
ku
γ-S tra hle n Rön tge nst rah len Ultravio lett
Sonne
2
0
–2
lan ge Ra dio we lle n
Abb. 3.2 Spektrum der elektromagnetischen Strahlung. Einordnung des sichtbaren Lichtes in das Gesamtspektrum.
4 log cm 8 = „Weißlicht“
dunkelrot
hellrot
gelb
orange
violett
blau blaugrün grün gelbgrün
390 430 470 500 530 560 600 640 675 nm 760
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese Box 3.2
71
Strahlung
Beim Licht handelt es sich um eine Wellenbewegung feinster Partikel, der Photonen (h ⋅ ν), welche die kleinsten absorbierbaren Einheiten der elektromagnetischen Strahlung darstellen. Sie werden auch als Quanten bezeichnet. Die Energie eines solchen Lichtquant (Quantenenergie) ist jedoch nicht konstant, sondern verhält sich zur Wellenlänge der Strahlung umgekehrt proportional: je kürzer diese, um so höher die Energie. Eine Strahlung wird folglich nicht nur durch ihre Wellenlänge, sondern auch durch die Energie ihrer Quanten definiert. Als dritte Größe tritt die Frequenz hinzu; sie ist um so höher, je größer die Energie der Quanten bzw. je kürzer die Wellenlänge der Strahlung ist. Diese Zusammenhänge werden aus der grundlegenden Gleichung deutlich: Qe ⫽ h ⋅ ν oder Qe ⫽ h ⋅ c / λ Qe Strahlungsenergie in Joule (J) oder Elektronenvolt (eV) h Planck-Konstante ⫽ 6,63 ⋅ 10 – 34 J ⋅ s ν Frequenz der Strahlung c Lichtgeschwindigkeit = 3 ⋅ 108 m · s–1 λ Wellenlänge in nm
Da die Stoffmengen bei Umsetzungen in Mol angegeben werden, sollte auch die dabei wirksame Energie von Quanten in einer adäquaten Größe berechnet werden. Hierfür werden 6,023 ⋅
1023 Quanten · mol–1 zugrunde gelegt. Die entsprechende Größe ist die Loschmidt-Zahl oder Avogadro-Konstante, L bzw. NA, auch molare Teilchenzahl. Die zugehörige Energiemenge (molare Strahlungsenergie, Qe,m; früher: Einstein) ergibt sich aus Qe, m =
NA · h · c
λ
und hängt demgemäß von der Wellenlänge ab. Für sichtbare Strahlung (λ ⫽ 390 – 760 nm) liegt dieser Wert in der Größenordnung von 158 – 300 kJ·mol–1. Im Bereich der sichtbaren Strahlung tragen die Photonen des kurzwelligen violetten Lichtes die größte Energie. Allerdings differiert diese zwischen den Quanten der violetten und roten Strahlung nur um den Faktor 2. Quanten verschiedener Strahlungsqualitäten, welche in der Wellenlänge voneinander abweichen, unterscheiden sich durch ihre Energie. Daher ist leicht einzusehen, daß „Weißlicht“ nicht aus energetisch gleichartigen Quanten bestehen kann, sondern eine natürliche Mischung aus Quanten der verschiedenen Strahlungsqualitäten darstellt, deren Wellenlängen zwischen Ultraviolett und Infrarot liegen. Diese sind auch für die meisten lichtabhängigen biologischen Reaktionen zuständig.
gen optisch „durchlässig“ sind. In der Regel handelt es sich bei diesen Substanzen um gefärbte, komplexe organische Verbindungen, deren chemische Struktur für diese optische Eigenschaft verantwortlich ist. Die Funktion der Pigmente besteht darin, Strahlung definierter Wellenlängen zu absorbieren und für einen photochemischen Prozeß nutzbar zu machen. Die nichtabsorbierten (transmittierten) Strahlungsanteile bleiben hingegen photochemisch unwirksam. Diese Gesetzmäßigkeit, wonach Strahlung nur dann photochemisch wirksam ist, wenn ihre Photonen – durch geeignete Photorezeptoren oder Pigmente – absorbiert werden, ist bereits 1872 von Grotthus und Draper erkannt und formuliert worden.
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3 Photosynthese
Allerdings variiert der Absorptionsbereich tierischer und pflanzlicher Pigmente. Unterschiedlich ist auch die Nutzung der absorbierten Strahlungsenergie: Während sie bei der Photosynthese vor allem unter Einschaltung des Chlorophylls in chemische Energie überführt wird, fehlt den meisten lichtabhängigen Prozessen in der belebten Natur diese typische Energietransformation. Zum Studium des chemischen Aufbaus und der Funktionsweise von Photosynthese-Pigmenten muß man sie aus den Zellen oder Organismen extrahieren und rein darstellen. Die Extraktion der Pigmente aus Blättern gelingt am besten, wenn man sie in organischen Lösungsmitteln wie Aceton, Alkohol u.ä. zerreibt, wobei etwas Wasser zugesetzt wird. Nach Filtration liegt eine grüngefärbte Lösung vor. Bringt man davon einen Tropfen auf Filtrierpapier, so entstehen bei seiner Ausbreitung konzentrische grüne und gelbe Farbzonen. Sie zeigen an, daß der grüne Blattextrakt nicht einheitlich zusammengesetzt ist und offensichtlich ein Gemisch aus grünen und gelben Pigmenten darstellt. Den Trenneffekt auf Papier hat Goppelsroeder schon gegen Ende des letzten Jahrhunderts zur Isolierung der Blattpigmente benutzt (Kapillaranalyse). Wesentlich effektiver ist die Chromatographie, welche erstmalig von Tswett im Jahre 1906 zur Auftrennung von Pigmenten, d. h. von gefärbten Stoffen, angewendet wurde (s. Box 3.3). Als er einen Blattextrakt durch eine Säule von Calciumcarbonat, eingefüllt in ein Glasrohr, laufen ließ, bildeten sich mit der Wanderung der Lösung grüne und gelbe Farbzonen.
Neoxanthin
Abb. 3.3 Säulenchromatographische Trennung von Blattpigmenten an Stärke. β -Carotin wird nicht adsorbiert und verläßt die Säule während der „Entwicklung“.
Chlorophyll b Chlorophyll a Violaxanthin
Lutein
β-Carotin
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese Box 3.3
Chromatographie
Die von Tswett entdeckte Chromatographie wurde für analytische und präparative Zwecke konsequent weiterentwickelt, so daß heute mehrere modifizierte Verfahren für die Auftrennung der unterschiedlichsten Substanzgruppen zur Verfügung stehen. Sie sind unentbehrliche Hilfsmittel moderner biochemischer Forschung. Abb. 3.4 zeigt, nach welchen Prinzipien sie im einzelnen arbeiten. Die Adsorptionschromatographie basiert meist noch auf dem ursprünglichen Verfahren: Polare Trägerstoffe werden in senkrecht stehende Glasröhren gefüllt und die zu isolierenden Substanzen in geeigneten Lösungsmitteln oben aufgebracht. Zur Verteilungschromatographie gehören die Papierchromatographie (Filtrierpapier als Trägerstoff! Abb. 3.5) und wesentliche Verfahren der Dünnschichtchromatographie (Abb. 3.6); beide Arten sind technisch wenig aufwendig und haben den Vorteil, daß sie mit geringen Mengen an Ausgangssubstanz (5 µg und weniger!) auskommen; sie eignen sich auch zur
3.2.2
73
Auftrennung pflanzlicher Pigmentextrakte (vgl. Abb. 3.11, S. 87). Bei der Ionenaustauschchromatographie ist die unterschiedlich starke Bindung geladener Substanzen an einen Trägerstoff entscheidend, welcher seinerseits geladene Gruppen trägt (Polyelektrolyt!). Mit Affinitätschromatographie läßt sich eine Verbindung aufgrund besonderer biologischer Eigenschaften abtrennen, indem für ihre Moleküle Bindungsstellen mit spezifischer Affinität am Trägerstoff geschaffen werden (Beispiel S. 453). Eine spezielle Entwicklung liegt bei der Gaschromatographie vor: unterschiedliche Moleküle werden im Gas- oder Dampfzustand nach dem Prinzip von Verteilung oder Adsorption getrennt. Schneller und mit höherer Auflösung arbeitet die Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie (HPLC): Die zu analysierenden Substanzen werden in Lösung unter hohem Druck durch eine lange, dünne Säule gepumpt, welche Miniperlen in dichter Packung enthält.
Garnitur der Photosynthese-Pigmente
Schon Tswett hatte seinerzeit die beiden grünen Komponenten, welche er bei der Chromatographie eines Blattextraktes erhalten hatte (s. o.), als Chlorophyll a bzw. Chlorophyll b, die gelben als Xanthophyll – heute: Lutein – und Carotin erkannt. Verbesserte Trennverfahren, z. B. durch Verwendung von Säulen aus Stärke oder Puderzucker, führten zur Abtrennung und Identifizierung weiterer Pigmente (Abb. 3.3, S. 72), nämlich oben das gelbe Xanthophyll Neoxanthin, dann das gelbgrüne Chlorophyll b, darunter das blaugrüne Chlorophyll a und schließlich die gelben Xanthophylle Violaxanthin und Lutein als distinkte Farbzonen. Ein weiteres gelb-orange gefärbtes Pigment, nämlich β-Carotin, wird nicht adsorbiert und wandert mit dem organischen Lösungsmittel durch die Säule. Von den drei Xanthophyllen dominiert mengenmäßig das Lutein, dann folgen in der Regel Violaxanthin, Neoxanthin und β-Carotin, in zahlreichen Fällen auch Zeaxanthin. Spuren anderer Xanthophylle können bis zu 1% der Gesamtmenge ausmachen.
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3 Photosynthese
74
a
b
Substanzgemisch stationäre Phase mobile Phase
c
d Adsorption
Elution
Elution
c Ionenaustauschchromatographie: Der Träger – meist ein Kunstharz – hat positive Gruppen [basische: –+NH3, –+N(CH3)3] oder negative (saure: –SO3 – , –COO – ) und wirkt demgemäß als „Anionen-“ bzw. „Kationenaustauscher“. Beim Aufbringen des Trenngemisches auf einen Anionenaustauscher werden die Verbindungen mit negativer Nettoladung gebunden; anschließend wird mit einem Salzgradienten steigender Ionenstärke eluiert; dabei werden die gebundenen Probenanteile gegen die negativ geladenen Ionen der Salzlö-
Abb. 3.4 Auftrennung von Substanzgemischen durch verschiedene Verfahren der Chromatographie. a Adsorptionschromatographie: Entsprechend ihrer unterschiedlich schnellen Adsorption und Desorption wandern die einzelnen Verbindungen im polaren Träger (Adsorbens) mit verschiedener Geschwindigkeit und reichern sich in getrennten Zonen an. Lage und Färbung der Verbindungen helfen bei ihrer Identifizierung; auch können sie einzeln aus dem Träger eluiert und weiter verarbeitet werden. b Verteilungschromatographie: Der Trägerstoff wird zunächst mit einer polaren Flüssigkeit, z. B. Wasser, getränkt („stationäre Phase“); die aufzutrennenden, meist polaren Verbindungen werden dann in einer damit nur begrenzt mischbaren organischen Flüssigkeit auf die Säule gegeben („mobile Phase“). Die Trennung resultiert aus der unterschiedlichen Verteilung der Stoffe entsprechend ihrer Polarität: die in der wäßrigen Phase wandern langsam, die in der organischen Phase hingegen relativ schnell.
sung „ausgetauscht“, worauf jene mit der geringsten negativen Ladung als erste frei werden und die Säule verlassen. d Affinitätschromatographie: An den Träger sind Gruppen kovalent gebunden, welche eine spezifische Affinität für einen Bestandteil des aufgebrachten Substanzgemisches besitzen; folglich werden dessen Moleküle selektiv adsorbiert, die übrigen hingegen ausgewaschen; für die nachfolgende Eluierung des gebundenen Anteils eignen sich Salzgradienten oder eine veränderte Protonen-Konzentration.
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese
0,0 0,1
U1
U2
V
Abb. 3.5 Papierchromatogramm nach der Entwicklung. Die beiden Substanzgemische unbekannter Zusammensetzung (U1, U2) sind in mehrere Komponenten aufgetrennt worden. Von diesen sind A, B und C durch die Vergleichssubstanzen (V) identifiziert. Die Lage jedes Flecks ist durch den Rf-Wert gegeben; es handelt sich um den Quotienten aus
Startlinie
A
Rf -Wert
0,2 0,3
B
0,4 0,5 0,6 0,7
75
Entfernung Startpunkt – Substanzfleck
C
0,8
Entfernung Startpunkt – Lösungsmittelfront
0,9 1,0
Lösungsmittelfront
b
a
I
II
Glasplatte
Front
A B
Beschichtung
C Lösungsmittel
Abb. 3.6 Dünnschichtchromatographie. Trägerstoff ist eine auf eine Glasplatte gleichmäßig ausgestrichene Schicht aus Cellulose, Aluminiumoxid, Kieselgel o. ä. Die wirksamen Trennprinzipien sind Verteilungs- und Adsorptionschromatographie (s. Abb. 3.4).
U
U
V
U
U
V
Startlinie
a Auftrennung mittels aufsteigender Technik. b Dünnschichtplatte vor (l) und nach der Entwicklung (II); Substanzgemisch mit den Komponenten A, B und C strichförmig bzw. punktförmig aufgetragen. V Vergleichssubstanzen zur Identifizierung.
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3 Photosynthese
76
Diese Pigmentgarnitur der Blätter ist auch für viele Vertreter niederer Pflanzen, insbesondere für Grünalgen typisch, bei welchen von Fall zu Fall kleinere Mengen anderer Pigmente auftreten können. So wird bei einigen Vertretern der Chlorophyceae α-Carotin gefunden. Viele siphonale Grünalgen enthalten noch Siphonaxanthin und Siphonein, dazu Luteinepoxid.
3.2.3
Struktur der Pigmente und Strahlungsabsorption
Das optische Verhalten einer Verbindung wird vom chemischen Aufbau ihrer Moleküle bestimmt. Absorbieren sie nur geringe Anteile der sichtbaren Strahlung, so erscheinen sie farblos. Wasser gehört zu diesen Verbindungen. Lösen wir darin einen Farbstoff, so wird jetzt ein bestimmter Strahlungsanteil verschluckt, der Rest tritt ungehindert durch die Lösung, trifft unser Auge und ruft den Eindruck einer charakteristischen Farbe hervor. Wie dieser Farbstoff, so wirken auch die Blattpigmente in einem farblosen organischen Lösungsmittel. Die Absorption sichtbarer Strahlung und damit die Färbung einer organischen Verbindung beruht in vielen Fällen darauf, daß ihre Moleküle konjugierte C,CDoppelbindungen enthalten. Hierunter ist eine regelmäßige Aufeinanderfolge von Einfach-und Doppelbindungen zwischen den C-Atomen, in einigen Fällen unter Einbeziehung von N- und S-Atomen, zu verstehen (s. u.). Ein solches mesomeres System liegt allen photosynthetisch aktiven Pigmenten, aber auch zahlreichen anderen Farbstoffen im Pflanzen- und Tierreich zugrunde und bietet einen guten Ansatzpunkt zur Besprechung ihrer chemischen Struktur und deren Bedeutung für die Strahlungsabsorption. Die molekularen Grundlagen der letzteren besprechen wir später ausführlich (s. Box 3.7, S. 112; S. 114 ff). C C C C C C
oder
C C C N C C C N C
Chlorophylle Die Chlorophylle sind chemisch als Verbindungen mit 4 Pyrrolringen zu klassifizieren. Zur gleichen Gruppe gehören die Phycocyanine und die Phycoerythrine, zusätzliche Pigmente vor allem der Cyanobakterien und Rotalgen. Der stickstoffhaltige Grundbaustein Pyrrol (1) ist ein Hetaren. Die zwei dem N-Atom benachbarten C-Atome werden mit α bzw. α' (2 und 5), die beiden anderen mit β bzw. β' (3 und 4) bezeichnet; jedes besitzt eine freie Valenz. Bilden vier dieser Pyrrole ein Ringsystem, wobei Methinbrücken ( – CH⫽) die Verbindung zwischen ihnen herstellen, so handelt es sich um Porphyrin* (2; früher: Porphin). Dieses pentazyklische System bildet die Grundstruktur nicht
*
Von dieser Struktur existieren verschiedene Resonanzformen; von einer ist die Formel wiedergegeben.
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese 3
2 5
H N
4
H N
α'
2
20
β
β'
3
1
α
4
A
19 18
5
N
21 24
D 17
HN 15
14
10
1 Pyrrol
I
12
13
3
NH
N
II
δ 8
4
β
N
11
C
neue Numerierung
1
9
22 23
N
16
8
B
NH
α
2
7
6
77
HN
IV 7
III
γ
5
6
alte Numerierung 2 Porphyrin
nur der Chlorophylle (Strukturformel u. Beispiele s. Tab. 3.1), sondern auch einiger anderer, biologisch wichtiger Substanzen wie Hämoglobin und Cytochrome (Box 3.13, S. 132). Alle haben ein zentrales Metallatom in ihrer Molekülstruktur. Bei den Chlorophyllen ist es Magnesium (3, 4), bei den übrigen Vertretern Eisen und je einmal Kobalt (Vitamin B12) und Nickel (Tetrapyrrol-Faktor bei methanogenen Bakterien). 4 Chlorophyll b
CH2 HC 7
3
H3C
A
B
N
H
CH3 8
C
O
CH2 CH3
N Mg
H3C
18
D
N
N
C
17
CH2 CH2 3
17
CO
CO
CH3 Cyclopent-3-en-on-Ring (isozyklischer O Pentanonring)
OCH3
O
CH3
CH3
CH3
H3C
CH3
3 Chlorophyll a und 4 Chlorophyll b
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3 Photosynthese
78 Tab. 3.1 Pigment
Position: 3
7
8
Chlorophyll a
CH CH2
CH3
Chlorophyll b
CH CH2
C
7, 8
173
17, 18
CH2
CH3
-dehydro
Phytol
-dihydro
CH2
CH3
-dehydro
Phytol
-dihydro
c 1:
CH2
CH3
c 2:
CH
H O
Chlorophyll c1, c2
CH CH2
Protochlorophyll
CH CH2
Bakteriochlorophyll a
C
CH3
-dehydro
CH2
CH3
-dehydro
Phytol
-dehydro
CH3
CH2
CH3
-dihydro
Phytol oder Geranylgeraniol
-dihydro
CH3
C
-dehydro
Phytol
-dihydro
CH3
CH3 C O
-dehydro
CH3
O Bakteriochlorophyll b
CH CH COOH
CH2
CH3 H
Neben dieser zyklischen Form ist auch eine offenkettige Anordnung der 4 Pyrrolringe in der Natur realisiert. Sie liegt den Chromophoren, d. h. den farbgebenden Gruppierungen, von Phycocyaninen und Phycoerythrinen zugrunde; erstere besitzen damit eine ähnliche Struktur wie die Gallenfarbstoffe und werden daher auch als Phycobiline bezeichnet (S. 82 f).
Wenden wir uns wieder der Struktur des Porphyrins zu. Da die Pyrrolringe A – D durch Methinbrücken mit ungesättigten Bindungen verknüpft sind, ergibt sich für das Gesamtmolekül eine Häufung von konjugierten Doppelbindungen – insgesamt 11. Demgemäß sind Porphyrine, also auch die Chlorophylle, intensiv gefärbte Verbindungen (s. S. 76). Bei den Porphyrinen tragen die β- und β'-Atome der Pyrrolringe (s. 1, S. 77) verschiedenartige Seitenketten. In der Struktur von Chlorophyll a (3; eine der beiden möglichen Resonanzformen ist dargestellt) befinden sich Seitenketten und H-Atome an den Pyrrolringen in charakteristischer Anordnung: 1. Die C-Atome 17 und 18 tragen zwei zusätzliche H-Atome (s. 2, S. 77), Chlorophylle sind daher als Derivate des 17, 18-Dihydroporphyrins aufzufassen (über die Auswirkungen zusätzlicher Hydrogenierung auf das optische Verhalten von Chlorophyll s. S. 81).
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese
79
2. Der Pyrrolring C trägt eine weitere carbozyklische Struktur, den Cyclopentanonring, der durch Veresterung mit Methanol eine Methoxycarbonyl-Gruppe trägt. 3. An den β- bzw. β'-C-Atomen treten folgende Seitenketten auf: in Stellung 2, 7, 12 und 18 je eine Methyl-Gruppe, in 8 eine Ethyl- und in 3 eine Vinyl(Ethenyl-)Gruppe. Die zweite Carboxy-Gruppe der Chlorophylle gehört zu dem Propionsäure-Rest am C-Atom 17; sie ist ebenfalls verestert, und zwar mit dem Alkohol Phytol, dessen Kette aus 16 C-Atomen mit 4 Methyl-Gruppen als Verzweigung besteht und eine C,C-Doppelbindung aufweist. Diese Kohlenwasserstoffkette verleiht dem reinen Chlorophyll eine wachsige Beschaffenheit und verhindert seine Kristallisation. Sie ist auch der Grund für die Unlöslichkeit des Pigments in Wasser und seine Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln. Das beweist folgender Versuch: tauscht man chemisch das Phytol gegen Methanol, Ethanol oder einen anderen kurzkettigen Alkohol aus, so wird das entstehende Methyl- bzw. Ethylchlorophyllid wasserlöslich bzw. kristallisiert aus. Unter einem Chlorophyllid wird das Restmolekül nach Abspaltung der Phytyl-Gruppe verstanden. Hinsichtlich seiner Löslichkeit besitzt das Chlorophyll eine Doppelnatur. Während die schwanzartige Struktur des Phytol wasserunlöslich oder hydrophob ist, besitzen der Porphyrin-Kern und besonders der Cyclopentanonring einen schwach wasserfreundlichen oder hydrophilen Charakter. Chlorophyllmoleküle können sich aus diesem Grunde mit Verbindungen assoziieren, die ähnlich dem Chlorophyll aufgrund ihres Molekülbaus hydrophile und hydrophobe (lipophile) Eigenschaften besitzen. Dieses Verhalten ist von besonderer Bedeutung für die Anordnung der Chlorophyllmoleküle in einer funktionsfähigen Struktur der lebenden Zelle. Abweichungen vom Grundmuster des Chlorophyll a führen zu anderen Chlorophyllen; sie sind in Tab. 3.1 (S. 78) aufgelistet: 1. Chlorophyll b (4), Bestandteil der Pigmentgarnitur von Chloroplasten und Grünalgen-Chromatophoren (s. S. 73, 76), unterscheidet sich von Chlorophyll a nur dadurch, daß die Methyl-Gruppe an Position 7 durch die FormylGruppe (Aldehyd) ersetzt ist 2. Chlorophylle c1 und c2 sind neben Chlorophyll a für die braune Linie der Algen charakteristisch: Phaeophyceae (Braunalgen), Bacillariophyceae (Kieselalgen), Xanthophyceae und Cryptophyceae. Während Chlorophyll c2 praktisch immer vorhanden ist, kann Chlorophyll c1 bei einigen Spezies der vorstehend aufgeführten braunen Hauptgruppen fehlen. 3. Chlorophyll d wird in relativ geringen Mengen in Pigmentextrakten zahlreicher Rotalgen gefunden 4. Protochlorophyll repräsentiert eine Form ohne zusätzliche H-Atome. Ring D hat daher die für Porphyrin typische C,C-Doppelbindung zwischen den Positionen 17 und 18 (s. 2, S. 77)
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80
3 Photosynthese
5. Bakteriochlorophyll a, Grundform der Chlorophylle von photosynthetisch aktiven Bakterien, weist drei wichtige Unterschiede zu den bisher besprochenen Vertretern auf; sie betreffen die Positionen 3, 7/8 und 173 (s. Tab. 3.1, S. 78). Bakteriochlorophyll b fungiert als Hauptpigment bei Rhodopseudomonas viridis und Thiocapsa sp. Abweichungen in der Struktur finden sich an den Positionen 7/8 und 8 (s. Tab. 3.1). 6. Bakteriochlorophylle c, d und e sind für Grüne Photosynthesebakterien, z. B. Chlorobium, typisch – daher auch Chlorobium-Chlorophylle genannt. Sie unterscheiden sich vom Bakteriochlorophyll a durch die Substitutionen an den Positionen 3, 8, 12, 173 und 20.
Absorption von Chlorophyllen. Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Anteile der sichtbaren Strahlung durch die Chlorophylle absorbiert werden und welcher Zusammenhang mit der beschriebenen Struktur der Pigmente besteht. Box 3.4
Absorptionsspektrum
Eine genaue Aussage über die spezifische Absorption einer Verbindung ist erst möglich, wenn man ihr Absorptionsspektrum kennt. Zu diesem Zwekke bringt man sie in Lösung und bestimmt in einem Spektralphotometer für jede Wellenlänge die Absorption. Werden die erhaltenen Meßwerte gegen die zugehörige Wellenlänge aufgetragen und miteinander verbunden, so ergibt sich ein charakteristisches Kurvenbild: Für absorbierte Strahlungsanteile erscheint über den zugehörigen Wellenlängen ein Maximum, für trans-
mittierte hingegen ein Minimum. In vielen Fällen wird jedoch nicht die Absorption, sondern die Extinktion für die Aufstellung eines Absorptionsspektrums verwendet. Nach dem Gesetz von Bouguer-Lambert-Beer ist sie definiert als E = log I0/l, wobei I0 dem auffallenden Quantenfluß, I dem transmittierten Quantenfluß entspricht. – Oft sind Verbindungen wesentlich leichter über ihre spezifische Absorption als anhand ihrer Struktur zu identifizieren, zumal wenn diese, wie im Falle der Chlorophylle, sehr ähnlich ist.
In den Absorptionsspektren der beiden Chlorophylle a und b (Abb. 3.7) zeigen die beiden Absorptionsmaxima an, daß hellrote und blaue Strahlung (640 – 675 nm bzw. 430 – 470 nm) sehr stark, grüne und dunkelrote (470 – 560 nm bzw. 675 – 760 nm) wenig bzw. gar nicht absorbiert wird; in den beiden letztgenannten Spektralbereichen besitzt die Kurve entsprechend deutliche Minima. Verdünnte Chlorophyllösungen erscheinen in der Durchsicht grün, in konzentrierter Form oder in dicker Schicht hingegen dunkelrot. Im letzten Falle wird auch der größte Teil der grünen Strahlung noch absorbiert, die „Grünlücke“ im Spektrum damit geschlossen. Aus dem gleichen Grunde sind mehrere übereinandergelegte Blätter nur noch für die langwellige Rotstrahlung durchlässig.
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Absorption
3.2 Die Pigmente der Photosynthese
340
300
a 366 430
b 453
410
b 642
a 662
770
Bakteriochlorophyll a
81
Abb. 3.7 Absorptionsspektren. Chlorophyll a und Chlorophyll b (in Diethylether) sowie Bakteriochlorophyll a (in Methanol).
605
400
500
600
700
800 nm 900
Chlorophyll a ist blaugrün, Chlorophyll b gelbgrün gefärbt. Dieser Unterschied kommt auch im Absorptionsspektrum zum Ausdruck: Beim Chlorophyll b sind die beiden Absorptionsmaxima deutlich in den Grünbereich verschoben: der hellrote Gipfel zu kürzeren, der blaue zu längeren Wellenlängen. Gleichzeitig ist eine Veränderung in der Höhe der beiden Absorptionsmaxima festzustellen; sie variiert bei den einzelnen Chlorophyllen (s. u.). Der geringe Unterschied in der chemischen Struktur beider Chlorophylle beeinflußt somit deutlich die Absorption sichtbarer Strahlung. Hier ist anzumerken, daß die Lage der beiden Absorptionsmaxima eines Chlorophylls nicht absolut ist. Sie hängt vielmehr von der Natur des Lösungsmittels ab, in dem die Messung vorgenommen wird. Beim Bakteriochlorophyll a ist vor allem der Besitz zusätzlicher H-Atome für die starke Verschiebung des Rot-Absorptionsmaximums in den langwelligen Bereich des Spektrums verantwortlich (Abb. 3.7). Hierdurch werden die phototrophen Bakterien in die Lage versetzt, längerwellige Strahlung zu absorbieren, welche von den grünen Pflanzen nicht mehr photochemisch genutzt werden kann. Das Absorptionsmaximum im Blaubereich umfaßt im Vergleich zu den anderen Chlorophyllen kürzere Wellenlängen und ist auch niedriger. Bakteriochlorophyll b absorbiert extrem langwellige rote (infrarote) Strahlung, d. h. Wellenlängen von ⬎ 800 nm. Die Rot-Absorption der Bakteriochlorophylle c – e liegt um 700 nm.
Chemische Reaktionen. Chlorophylle sind anhand einiger charakteristischer Reaktionen leicht zu identifizieren. Zugabe von Säure zu einer chlorophyllhaltigen Lösung bewirkt einen sofortigen Farbwechsel zu oliv-gelb bis braun. Er zeigt an, daß die magnesiumfreie Verbindung des Chlorophylls, das Pheophytin, durch Hydrolyse entstanden ist. Diese Verbindung absorbiert unterschiedlich vor allem im Blau- und Grünbereich.
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82
3 Photosynthese
Phycocyanine und Phycoerythrine Das Vorkommen dieser blaugrün- und rotviolettgefärbten Pigmente ist – von einigen Ausnahmen abgesehen – auf die Cyanophyceae (Cyanobakterien/früher: Blaualgen) und Rhodophyceae (Rotalgen) sowie Cryptophyceae beschränkt. Zusammen mit dem Chlorophyll a und einigen Carotinoiden (S. 89) bilden sie die Pigmentgarnitur dieser Organismen. Trotz gleicher Funktion weichen sie in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften beträchtlich vom Chlorophyll ab. Der wichtigste Unterschied ist ihre Wasserlöslichkeit, deren Ursache im molekularen Aufbau dieser Pigmente zu suchen ist: Ein Proteinanteil – Apoprotein – und der für die Farbgebung verantwortliche Chromophor – prosthetische Gruppe – sind kovalent verknüpft. Der Chromophor wird im Hinblick auf die große Ähnlichkeit mit den Gallenfarbstoffen (Biline; bilis ⫽ Galle) als Phycocyanobilin bzw. Phycoerythrobilin bezeichnet. Bei den kompletten Pigmenten handelt es sich demgemäß um Chromoproteide. Man spricht allgemein von Phycobiliproteiden. Ihre wichtigsten Vertreter sind Phycocyanine, Phycoerythrine, Allophycocyanine und Phycoerythrocyanine. Bei Cyanobakterien kann der Anteil solcher Chromoproteide am gesamten Zellprotein bis zu 50% betragen. Aufgrund ihrer Wasserlöslichkeit lassen sich die Phycobiliproteide nicht mit organischen Lösungsmitteln aus den Zellen extrahieren. Diese werden daher in einer wäßrigen Pufferlösung aufgebrochen, die Zellfragmente durch Zentrifugation des Homogenats entfernt und der stark gefärbte Überstand einer Gelfiltration (s. Box 3.5) zwecks Isolierung der einzelnen Pigmente unterzogen. Bei der Auftrennung eines wäßrigen Zellextraktes aus Cyanobakterien durch Gelfiltration reichern sich Carotinoide und Chlorophyll a als gelbgrüne Bande im unteren Teil der Säule, blaues Phycocyanin und gegebenenfalls rotviolettes Phycoerythrin (s. u.) im oberen Teil an (Abb. 3.8). Ihre Identifizierung ist anhand der spezifischen Absorption möglich. Die Gegenwart von Chlorophyll und Carotinoiden in einem wäßrigen Zellextrakt, wie sie durch die Gelfiltration eindeutig belegt wird, scheint im Widerspruch zur Unlöslichkeit dieser Pigmente in Wasser zu stehen. Im vorliegenden Falle handelt es sich jedoch nicht um die freien Farbstoffe; vielmehr sind sie teilweise mit Proteinen assoziiert und werden dadurch begrenzt wasserlöslich; allerdings ist diese Bindung sehr schwach und wird durch ein organisches Lösungsmittel schnell gelöst. Das gleiche Verhalten zeigt auch ein Teil der Chloroplastenpigmente (vgl. S. 91 f).
Chemischer Aufbau der Chromophore. Die Grundstruktur von Phycocyanobilin und Phycoerythrobilin besteht aus 4 Pyrrolringen in linearer Anordnung, da zwischen den Ringen A und D die ringschließende Methinbrücke fehlt. Statt dessen tragen die beiden dafür zuständigen Ring-C-Atome je ein O-Atom (5, 6). Beide Chromophore unterscheiden sich lediglich in der Anordnung einer C,C-
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese Box 3.5
Gelfiltration
Dieses Trennverfahren beruht auf einer Fraktionierung nach der Molekülgröße. Das Substanzgemisch wird dabei in wäßriger Lösung auf eine Säule aus gequollenen Gelpartikeln geschichtet. Diese bestehen aus Dextranen, d. h. einem dreidimensionalen Netzwerk von linearen Polysaccharid-Makromolekülen. Anschließend wird das Substanzgemisch mit Pufferlösung durch die Säule gewaschen. Für den eintretenden Trenneffekt ist die Porengröße der Gelpartikel von entscheidender Bedeutung (s. Schema): Moleküle, die kleiner sind als diese, vermögen die Gelkörner zu durchdringen; mit abnehmender Molekülgröße erhöht sich die Zahl der zugänglichen Poren und verringert sich die Wanderungsgeschwindigkeit. Moleküle, deren Größe die weitesten Poren übertrifft, können nicht in die Gelkörner eindringen und wandern folglich an diesen vorbei. Da sie die Säule ent-
sprechend am schnellsten durchdringen, bilden sie die unterste Zone bzw. werden als erste eluiert. Umgekehrt bleiben die kleinsten Moleküle am weitesten oben auf der Säule und verlassen sie entsprechend als letzte Fraktion („Mokekülsieb-Effekt“). Da die Porengröße der Gelkörner als sog. Ausschlußgrenze bekannt ist, erlauben die erzielten Trennungen Aussagen über die ungefähren Molekülmassen der isolierten Verbindungen. I
Absorption
15
20 Fraktionen a
25
30
II
III
Die einzelnen Phasen (I – III) bei der Trennung von Molekülen unterschiedlicher Größe
rotviolettes B-(C-)Phycoerythrin rotes C-Phycoerythrin blaues Phycocyanin gelbgrüne Chlorophyll a- und Carotinoid-Protein-Komplexe
10
83
35 b
Abb. 3.8 Isolierung von Phycobiliproteiden durch Gelfiltration. a Das Eluierungsdiagramm resultiert aus der Messung der spezifischen Absorption für jedes Biliproteid in den aufgefangenen Fraktionen. Die Großbuchstaben B und C kennzeichnen einen bestimmten Typ des Pigments (s. S. 85). b Bereits auf der Säule kommt es zur Auftrennung der einzelnen Pigmente, welche anschließend nacheinander eluiert werden, beginnend mit den Pigment-ProteinKomplexen von Chlorophyll und Carotinoiden (s. Text).
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3 Photosynthese
Doppelbindung: Beim Phycocyanobilin an Position 15, beim Phycoerythrobilin an Position 18'; beide Verbindungen sind demgemäß Isomere. Neben den für Chlorophylle typischen Seitenketten (vgl. S. 78 f) befindet sich eine EthylidenGruppe (⫽ CH – CH3) in Position 3, welche die kovalente Anbindung des Apoproteins besorgt. Bei einigen Vertretern der Phycoerythrine kann eine zweite gleichartige Bindung über die Vinyl-Gruppe in Position 18' hinzukommen. In beiden Fällen entsteht durch Reaktion mit einem Cystein-Rest der Polypeptidkette eine Thioetherbindung. Polypeptid COOH COOH
Cys S H3C 3' H3C CH H3C 2 3
A
O 1 N 4 H
5
7 8
6
B
N H
CH2
CH2
CH2
CH2
CH3 H3C
12
13
17
N 14
16
9
10
11
C
CH3
15
18'
D
CH2 18
N 19 O H
5 Phycocyanobilin mit Polypeptid-Bindung (3') Polypeptid
Cys S H3C 3' H3C CH 2 3
O
A N H
CH2
CH2
C H 3 CH2
CH2
B
N H
C H 318'CH 17
C N
CH2
CH2 CH3
15
16
D N H
18
Cys
COOH
COOH COOH
oder
O
CH2
S H3C 18' CH3 H3C CH 17
C
N
15
16
18
D N H
O
6 Phycoerythrobilin mit möglicher, zusätzlicher Polypeptid-Bindung (18')
Phyco-urobilin hat im Ring A eine C,C-Doppelbindung zwischen C-2 und C-3. Die Bindung an das Apoprotein erfolgt zweifach, d. h. vermutlich in gleicher Weise wie bei den vorstehend beschriebenen Vertretern der Phycoerythrine. Die native Form von Phycobiliproteiden besteht aus monomeren Grundeinheiten, von denen jede zwei Untereinheiten aufweist: ein „leichtes“ oder α-Polypeptid und ein „schweres“ oder β-Polypeptid. Ihre Sequenzen sind bei den verschiedenen Phycobiliproteiden sehr ähnlich aufgebaut. Für C-Phycocyanin (s. u.) aus Cyanobakterien und Rotalgen sind die Molmassen beider Untereinheiten fast gleich: α-Kette 16 – 18 kDa, β-Kette 15 – 20 kDa. Bei den Phycoerythrinen liegen diese Werte etwas höher: 18 – 20 kDa. Jede Untereinheit kann 1 – 3 Chromophore tragen, so daß verschiedene Typen von Phycocyaninen und Phycoerythrinen mit 2, 3, 5 oder 6 gleichen oder verschiedenartigen Chromophoren pro Monomer-Grundeinheit [α, β] vorkommen. Hieraus resultieren unterschiedliche spektrale Eigenschaften der einzelnen Biliproteide (s. u.). Untereinheiten mit Phycoerythrobilin können noch Phyco-urobilin als weiteren Chromophor binden.
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese
85
Die Grundeinheiten lagern sich in vivo zu ring- oder doppelringförmigen Aggregaten zusammen; solche Trimere bzw. Hexamere sind die Bauelemente der Superstruktur von Phycobilisomen (s. Abb. 3.15, S. 95).
Strahlungsabsorption. Trotz fehlenden Ringschlusses besteht über die Pyrrolringe und Methinbrücken ein System konjugierter Doppelbindungen zwischen C- und N-Atomen. Genau wie bei den Chlorophyllen liegt auch hier ein mesomeres System vor (S. 76). Dieses in Verbindung mit dem jeweiligen Faltungszustand des gebundenen Proteinanteils (s. o.) ist für die charakteristische Färbung bzw. für die spektralen Eigenschaften verantwortlich: Phycocyanine absorbieren vor allem gelbe und orange Anteile, Phycoerythrine hingegen grüne (s. Abb. 3.9). C-Phycocyanin, das charakteristische Pigment von Cyanobakterien und Rotalgen, besitzt ein deutliches Absorptionsmaximum bei 618 nm (s. Abb. 3.9). Hingegen absorbiert das R-Phycocyanin maximal bei 552 nm bzw. 615 nm; dieses Pigment kommt bei Vertretern beider Organismengruppen vor.
Bei den Allophycocyaninen, verbreitet bei Cyanobakterien und Rotalgen, liegt das Absorptionsmaximum weiter im langwelligen Rotbereich: bei 650 nm bzw. bei 670 nm für B-Allophycocyanin. Das bei Cyanobakterien entdeckte Phycoerythrocyanin absorbiert maximal bei 568 nm. Die Buchstaben „C“ (für Cyanophyceae), „R“ (für Rhodophyceae) und „B“ (für Bangiales) sollen einen bestimmten Typus von Pigment, weniger – wie ursprünglich – seine Herkunft bezeichnen.
R-Phycoerythrin und B-Phycoerythrin, Hauptpigmente der Rotalgen, absorbieren maximal zwischen 540 nm und 570 nm (s. Abb. 3.9). Bei einer Reihe von Cyanobakterienspezies, welche neben Phycocyanin auch noch Phycoerythrin enthalten, wird das Mengenverhältnis beider Chromoproteide stark von der eingestrahlten Lichtqualität bestimmt. Diese Photoregulation, auch chromatische Adaptation genannt, bewirkt, daß im Grünlicht mehr Phycoerythrin, im Rotlicht hingegen mehr Phycocyanin gebildet wird.
C-Phycocyanin 618
C-Phycoerythrin B-(C-)Phycoerythrin
R-Phycocyanin
560 565 543
Abb. 3.9 Absorptionsspektren von Phycocyaninen (nach OhEocha) bzw. Phycoerythrinen (nach Nultsch).
Absorption
615
552
400
500
600
nm
700
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3 Photosynthese
86
Chlorophyll a Phycoerythrine Phycocyanine Chlorophyll a
Absorption
Carotinoide
Abb. 3.10 In-vivo-Absorptionsspektrum des Cyanobakteriums Phormidium uncinatum. Aufnahme bei tiefer Temperatur (nach Häder u. Nultsch). Die vorhandenen Pigmente geben sich durch charakteristische Absorptionsmaxima zu erkennen.
400
500
600
700 nm 800
Durch den Besitz der Phycobiliproteide sind Cyanobakterien und Rotalgen in die Lage versetzt, diejenigen Anteile der sichtbaren Strahlung zu absorbieren, welche von grünen Pflanzen und Grünalgen mangels geeigneter Pigmente nicht genutzt werden können. Die resultierende Absorptionslücke im Grünbereich wird bei den Cyanobakterien und Rotalgen eingeengt oder sogar weitgehend geschlossen. Die In-vivo-Absorption des Cyanobakteriums Phormidium uncinatum macht dies deutlich (Abb. 3.10, s. auch Abb. 3.25, S. 107).
Carotinoide Bei den gelb bis rot gefärbten Farbstoffen der Carotinoide sind am System der konjugierten Doppelbindungen nur C-Atome beteiligt, denn diese Verbindungen bestehen aus einer langen Kohlenwasserstoffkette. Sie sind daher unlöslich in Wasser, gut löslich hingegen in Fetten und in fettlösenden Mitteln, und verhalten sich somit wie der im Chlorophyllmolekül gebundene Alkohol Phytol. Sie werden eingeteilt in die Carotine, mehrfach ungesättigte Kohlenwasserstoffe, und in die Xanthophylle, sauerstoffhaltige Derivate der erstgenannten Gruppe. Die an der Photosynthese beteiligten Carotinoide werden als Primärcarotinoide den Sekundärcarotinoiden gegenübergestellt, die in vielfältiger Form vor allem in Blüten und Früchten als Bestandteile von Chromoplasten, aber auch in heterotrophen Organismen wie Bakterien, Hefen und Pilzen vorkommen. Sekundärcarotinoide entstehen auch in photosynthetisch aktiven Organismen als Folge unzureichender Mineralsalz-Ernährung (S. 50). Für die Isolierung von Carotinoiden wird die Säulenchromatographie (S. 72 f) und auch die Dünnschichtchromatographie (s. Abb. 3.6) mit gutem Erfolg benutzt. Abb. 3.11 zeigt die Darstellung der Carotinoide aus isolierten Chloroplasten nach diesem Verfahren.
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese
87
Abb. 3.11 Die Carotinoide isolierter Chloroplasten (Spinat). Darstellung mittels Dünnschichtchromatographie. Unter den gewählten Versuchsbedingungen bleiben die Chlorophylle an der Startlinie liegen (nach Hager u. Bertenrath).
Front 1 2 3
1 2 3 4 5 6 7 8
4 5 6 7 8
β-Carotin Lutein-5,6-expoxid Violaxanthin Lutein Antheraxanthin Neoxanthin Zeaxanthin Chlorophyll a und b
Chemische Struktur von Carotinoiden. Das aus 40 C-Atomen bestehende Grundskelett der Carotinoide setzt sich aus 8 Baueinheiten einer chemischen Gruppierung zusammen, dem Isopren (Formel S. 331), einem C5-Kohlenwasserstoff von ungesättigtem Charakter und mit einer Methylseitenkette. Diese Einheiten sind so angeordnet, daß eine kettenförmige zentrale Struktur mit 14 C-Atomen und 7 konjugierten C,C-Doppelbindungen sowie 4 Methyl-Gruppen als Seitenketten entsteht (7). Die Molekülenden sind als offene oder geschlossene Ringstruktur ausgebildet (8, 9); liegen zwei endständige Ringe vor, so können sie gleich oder verschieden aufgebaut sein.
7
8
9
Die Carotinoide mit ihren C,C-Doppelbindungen zeigen die Erscheinung der cistrans-Isomerie. Die natürlich vorkommenden Verbindungen liegen praktisch alle in der trans-Konfiguration vor.
Carotine sind isomere Verbindungen mit der Summenformel C40H56. Ihre Unterscheidung gelingt anhand der endständigen Gruppierungen ihrer Molekülstruktur. Beim α-Carotin (11) und β-Carotin (10) sind beide, beim γ-Carotin (12) ist nur eine zu einem Ring (Jononring) geschlossen, wodurch die endständige C,C-Doppelbindung entfällt. Während beim β-Carotin die C,C-Doppelbindung jedes endständigen Ringes konjugiert zur letzten in der kettenförmigen Grund-
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88
3 Photosynthese
struktur liegt, ist dies beim α-Carotin nur in einem Ring der Fall (= β-Jononstruktur); im anderen ist die C,C-Doppelbindung um ein C-Atom verschoben. Durch diese typische ε-Jononstruktur unterscheidet sich α-Carotin vom β-Carotin, welches statt dessen eine zweite β-Jononstruktur besitzt. 5' 1 2
6 5
3
7
11
9 8
10
15
13 12
14
14' 15'
13'
12'
10' 11'
9'
8'
4' 3'
6' 7'
2' 1'
4
β-Jononstruktur
10 β-Carotin
11 α-Carotin
ε -Jononstruktur
12 γ-Carotin
Die Strukturformel von β-Carotin (mit der allgemein üblichen Numerierung der C-Atome) zeigt, daß es sich um ein symmetrisch gebautes und daher optisch inaktives Molekül (s. u.) handelt, das sich in zwei gleiche Teile zerlegen läßt. Diese symmetrische Aufspaltung des β-Carotins führt formal zu zwei Molekülen Vitamin A. β-Carotin entspricht dem Provitamin A. α-Carotin hingegen ist aufgrund eines asymmetrisch substituierten C-Atoms optisch aktiv: Die Ebene des polarisierten Lichtes wird durch eine Lösung des Pigments nach rechts („+“) gedreht (vgl. S. 224). Xanthophylle sind Derivate der Carotine: sie enthalten Sauerstoff, und zwar in einer Hydroxy-, Oxo-, Epoxy-, Carboxy- bzw. Methoxy-Gruppe. Hierdurch ist eine größere Mannigfaltigkeit in der chemischen Struktur gegenüber den Carotinen gegeben. Unsere Betrachtung der Xanthophylle beschränkt sich indes auf die Verbindungen, welche bei der Photosynthese von Bedeutung sind.
Lutein (13; C40H56O2) leitet sich vom α-Carotin (11) ab. Da jeder endständige Ring zusätzlich eine Hydroxy-Gruppe trägt, handelt es sich chemisch um das 3,3'-Dihydroxy-α-carotin. Violaxanthin (14; C40H56O4) besitzt geschlossene Jononringe, von denen jeder eine Epoxy-Gruppierung (5 씮 6 bzw. 5' 씮 6') und eine Hydroxy-Gruppe (3 bzw. 3') aufweist. Alle C,C-Doppelbindungen gehören einem konjugierten System an. Das gleiche gilt für das Zeaxanthin (15, 3,3'-Dihydroxy-β-carotin), wo zwei weitere C,C-Doppelbindungen in den Jononringen sowie 2 Hydroxy-Gruppen (3 bzw. 3') vorliegen. Sehr ähnlich ist auch das Cryptoxanthin (C40H56O) gebaut, das sich vom Zeaxanthin nur dadurch unterscheidet, daß die Hydroxy-Gruppe in Position 3' fehlt.
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3.2 Die Pigmente der Photosynthese 3'
OH
3'
OH
3'
OH
89
3
HO
13 Lutein 5'
O
6 3
HO
6'
O 5
14 Violaxanthin 5' 6
6'
3
HO
5
15 Zeaxanthin
Neoxanthin (C40H56O4) leitet sich möglicherweise vom α-Carotin ab und besitzt neben zwei Hydroxy-Gruppen (3 bzw. 3') eine weitere in Stellung 6' sowie eine Epoxy-Gruppierung (5 씮 6). Für Echinenon (16; C40H54O; Myxoxanthin), einem charakteristischen Carotinoid der Cyanobakterien, ist die Oxo-Gruppe in Stellung 4 typisch. Die Besonderheit einiger Cyanobakterien-Carotinoide wie Myxoxanthophyll (17), Oscillaxanthin und Aphanizophyll besteht darin, daß sie in der Zelle in Bindung an verschiedene Zucker als „Carotinoid-Glykoside“ vorliegen. Beim Myxoxanthophyll, einem γ-Carotin-Derivat, sind es Rhamnose (s. 17 a u. S. 246) bzw. eine andere Hexose (s. 17 b):
4
O
16 Echinenon (H3C)2C
OH
HO
17a Myxoxanthophyll
(H3C)2C
HO
CH3 OH
O
O OH
CH2 OH
OH OH O
O HO
HO
OH
17b Myxoxanthophyll
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3 Photosynthese
90
Der chemische Aufbau von Fucoxanthin (18) ist ebenfalls aufgeklärt worden: 6
HO
O
3 5
5'
8
O
6'
18 Fucoxanthin
HO
3'
O CO CH3
Spirilloxanthin (19, C42H60O2), das typische Carotinoid der Purpurbakterien, enthält zwei Methoxy-Gruppen: H3CO
1
1'
OCH3
19 Spirilloxanthin
Strahlungsabsorption durch Carotinoide. Die Formelbilder machen deutlich, daß durch die lineare Anordnung der Isopren-Einheiten ein relativ langes System konjugierter C,C-Bindungen entsteht. Meist gehören ihm 11 oder mehr C,C-Doppelbindungen im Grundgerüst und in den Endgruppen an. Dieser Molekülaufbau bedingt die gleiche Eigenschaft, die wir bereits bei den Chlorophyllen und Phycobilinen kennengelernt haben: Alle Carotinoide sind ebenfalls lebhaft gefärbte Verbindungen. Sie absorbieren vor allem blaue und blaugrüne Anteile der sichtbaren Strahlung. Entsprechend weisen die Absorptionsspektren der einzelnen Pigmente jeweils ein Maximum zwischen 380 nm und 550 nm auf, welcher meist aus einem Haupt- und zwei Nebengipfeln besteht (Abb. 3.12). 490 Spirilloxanthin
459
Abb. 3.12 Absorptionsspektren von Xanthophyllen: Lutein in Ethanol, Spirilloxanthin und Fucoxanthin in Hexan.
524
446 475 Lutein
452 Fucoxanthin
Absorption
421
400
450
500
nm
550
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3.3 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
91
Mit steigender Anzahl konjugierter C,C-Doppelbindungen verschieben sich die Absorptionsmaxima zu größeren Wellenlängen. Ihre absolute Lage ist jedoch noch von anderen strukturellen Gegebenheiten des Moleküls bzw. von der Natur des verwendeten Lösungsmittels abhängig. Insgesamt erschließt die Absorption der Carotinoide jenen Teil des Spektrums, welcher von den Chlorophyllen trotz ihrer Blau-Absorption nur ungenügend abgedeckt wird. In der grünen Pflanze wird die Farbe der Carotinoide von der der Chlorophylle überlagert. Beim Rhodopin und Spirilloxanthin (s. 19, s. o.), den typischen Carotinoiden der Rhodospirillaceae („Purpurbakterien“), reicht das Absorptionsmaximum bis in den Grünbereich (Abb. 3.12). Da die gelbe Strahlung praktisch durch diese Pigmente, die langwellige rote sowie ein Teil der blauen durch das Bakteriochlorophyll absorbiert werden, resultiert eine rosa bis purpurne Färbung (Name!) für diese Organismen. Fucoxanthin (s. 18, s. o.) bewirkt die bräunliche Färbung von Braunalgen und Kieselalgen, da es in relativ großer Menge vorliegt und die anderen Hauptpigmente – Chlorophyll a, β-Carotin und Violaxanthin – sowie Diatoxanthin und Diadinoxanthin überdeckt.
Wir halten fest: Durch den Besitz geeigneter Absorptionspigmente kann die photosynthetisch aktive Pflanzenzelle die biologisch ungefährlichen Qualitäten der sichtbaren Strahlung für die Photochemie nutzen, selbst wenn deren Energie deutlich niedriger als die der energiereichen, dafür aber gefährlichen Ultraviolett-Strahlung ist.
3.3
Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
3.3.1
Allgemeines
Erst nach Freisetzung der Pigmente aus den zellulären Strukturen ist es möglich, ihre Verteilung in verschiedenen Photosynthese-Organismen, ihre chemische Beschaffenheit und ihre Fähigkeit zur Absorption sichtbarer Strahlung zu studieren. Mit ihrer Isolierung und Überführung in organische Lösungsmittel ändern sich jedoch zwangsläufig Zustandsform und Eigenschaften der Pigmente so stark, daß nur noch bedingt Aussagen über ihre Verteilung und Funktion in vivo möglich sind. Auch ist nicht zu erwarten, daß sie im isolierten Zustand noch zu den Reaktionen befähigt sind, welche sie bei der Photosynthese übernehmen. Zwar zeigen die Chlorophylle auch in Lösung noch einige charakteristische photochemische Reaktionen (S. 114 ff), doch ist ihre spezifische Funktion bei der Photosynthese offensichtlich nur dann gegeben, wenn sie an definierte Strukturelemente der Zelle gebunden sind. Dieser enge Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion, auf den wir noch öfter stoßen werden, bildet die Grundlage für den komplexen Reaktionsmechanismus der Photosynthese. Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
3 Photosynthese
92
662
Chlorophyll a in Diethylether bei 23°C
Absorption
Abb. 3.13 Absorption von Chlorophyll im Rotbereich. Unterschiedliche Spektren für Chlorophyll in Lösung (Lösungsmittel: Ether) und in Bindung an die Struktur des Chloroplasten (ermittelt an Fragmenten von Euglena; nach French u. Mitarb.). Im letzten Falle ist nicht nur das Absorptionsmaximum deutlich in den langwelligen Bereich verschoben, sondern es treten mindestens fünf neue Maxima als Schultern am Hauptgipfel auf; zur besseren Erfassung derselben wurde bei tiefen Temperaturen gearbeitet (vgl. Abb. 3.25).
672 681
Chloroplastenfragmente in H2O bei – 196°C
693 649
625
706
600
620
640
660
680
700
720
nm
760
Wie ein Vergleich der Absorptionsspektren für isoliertes und noch an Chloroplasten gebundenes Chlorophyll (Abb. 3.13) zeigt, ist das Rot-Absorptionsmaximum für das letztere deutlich in den langwelligen Bereich verschoben; außerdem erscheint eine zusätzliche Schulter im kurzwelligen Rot. Noch ungleich stärker ist die Verschiebung des Absorptionsmaximums bei den phototrophen Bakterien ausgeprägt (vgl. hierzu Abb. 3.14). Vergleicht man die Strahlungsabsorption intakter Photosynthese-Organismen mit der von extrahiertem Chlorophyll a (Abb. 3.14), so ergeben sich entspre-
Chlorophyll a in Ether
Cyanobakterien (Phormidium uncinatum)
Grünalgen (Chlorella pyrenoidosa)
Rotalgen (Porphyra perforata)
Absorption
Purpurbakterien (Rhodospirillum rubrum)
dunkelrot
hellrot
orange
gelb
gelbgrün
grün
blaugrün
700
600
500
blau
violett
400
800
nm
900
Infrarot 760 –1100 nm
Abb. 3.14 Vergleich der Strahlungsabsorption durch gelöstes Chlorophyll a und durch verschiedene Photosynthese-Organismen.
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3.3 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
93
chende Befunde. Der Verlauf der einzelnen Absorptionskurven macht darüber hinaus deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Organismengruppen sichtbare Strahlung auszunutzen vermögen. Die Ursache für dieses Verhalten, das nicht ohne Konsequenzen für die Photosynthese ist (vgl. S. 105 ff), liegt in ihrer unterschiedlichen Pigmentgarnitur. Da es sich bei dem Chlorophyll in vivo und in organischer Lösung chemisch um die gleichen Verbindungen handelt, muß das unterschiedliche Absorptionsverhalten mit der strukturellen Bindung des Pigments in der Zelle zusammenhängen. Wir wissen heute, daß Chlorophylle und Carotinoide ihre Funktionstüchtigkeit erst in der Assoziierung mit spezifischen Proteinen erlangen. Diese Komplexbildung beruht vermutlich auf schwachen hydrophoben oder auch polaren Wechselwirkungen zwischen beiden Partnern. Auf die Beschaffenheit dieser Pigment-Protein-Komplexe und ihre Bedeutung für die Photochemie der Photosynthese kommen wir zurück (S. 118 ff).
3.3.2
Thylakoide und Pigmentlokalisation
Pigment-Protein-Komplexe sind nach dem derzeitigen Stand unseres Wissens Bestandteile von Thylakoiden. Hierbei handelt es sich um vesikelartige Bildungen, welche von einer Funktionsmembran, der Thylakoidmembran, umschlossen sind. Thylakoide können entweder frei im Cytoplasma liegen (Vorkommen: phototrophe Bakterien, Cyanobakterien) oder innerhalb von Chromatophoren oder Chloroplasten angeordnet sein (Vorkommen: Algen, höhere Pflanzen).
Phototrophe Bakterien. Bei autotrophem Stoffwechsel enthalten die Vertreter der Rhodospirillaceae* und Chromatiaceae in ihren Zellen intracytoplasmatische Membranen (ICM; „Chromatophoren“), welche vorwiegend die Photosynthese-Strukturen tragen. Sie sind artspezifisch als Vesikel, Doppelmembranen („lamellär“) oder als Tubuli gestaltet. Diese Thylakoidstrukturen bilden vermutlich in jedem Falle ein zusammenhängendes System und sind oft – aufgrund ihrer Entstehungsweise (S. 94 f) – mit der Cytoplasmamembran (CM) verbunden. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß bei den Rhodospirillaceae auch bei andauernder strikter Autotrophie die CM und die ICM oft Enzyme der Atmungskette (S. 286 ff) tragen. Für die Vertreter der Chlorobiaceae ergibt sich ein abweichendes Bild insofern, als Pigmente sowohl in der CM als auch „extramembran“ vorkommen, d. h. in Binnenstrukturen zigarrenförmiger Vesikel auf der Innenseite der CM. Die Pigmente dieser Chlorosomen absorbieren Strahlungsenergie und leiten sie dem Photosystem in der CM zu (Einzelheiten S. 206 f). Elektronenoptisch zeigen ICM und CM das typische Bild einer Elementarmembran von ca. 7 nm Dicke. Die äußere Oberfläche der ICM ist nicht glatt, sondern mit gestielten Partikeln besetzt (Kopplungsfaktoren! S. 150 ff). *
Zur Einteilung der phototrophen Bakterien s. S. 200.
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3 Photosynthese
94
Cyanobakterien. Ihre Thylakoidanordnung erinnert stark an die bei den phototrophen Bakterien. Sie liegt in einfachster Form bei Synechococcus vor: 2 – 5 Thylakoide, parallel zur Längsachse der Zelle angeordnet, besetzen den peripheren cytoplasmatischen Bereich. Obwohl Verbindungen zur Cytoplasmamembran bestehen können, unterscheidet sich diese strukturell von den Thylakoidmembranen, insbesondere durch das Fehlen von Phycobilisomen (s. u.). Bei Oscillatoria rubescens finden sich Thylakoide auf einem Querschnitt durch ein ausgewachsenes Trichom in radialer Ausrichtung stapelförmig in der Nähe der Zellwand. Bei einigen Thylakoiden ist auch der typische Binnenraum erkennbar: Intrathylakoidraum. Jedes Thylakoid hat eine Dicke von ca. 30 nm und ist vom nächsten 50 – 100 nm weit entfernt. Im Längsschnitt wird die überwiegend axiale Anordnung und Ausdehnung der Thylakoide zwischen den Querwänden der Zelle in einer Länge von 2 – 4 µm deutlich. Bei Oscillatoria chalybea liegen sie parallel zur Zelloberfläche. Diese Anordnung ist für Synechococcus sp. (Anacystis nidulans) typisch, wobei im Durchschnitt 13 konzentrisch liegende Thylakoide als flachgepreßte Vesikel den Raum des Chromatoplasmas erfüllen (aufgrund lichtoptischer Untersuchungen wird bei Cyanobakterien häufig ein farbloses „Centroplasma“ von einem pigmentführenden „Chromatoplasma“ unterschieden. Bei Nostoc und Anabaena sind weniger regelmäßige Anordnungen der Thylakoide beobachtet worden. Sicherlich ist die beschriebene Anordnung der Thylakoide nicht streng artspezifisch und wird vom physiologischen Zustand der Zelle mitbestimmt.
Phycobilisomen. Wie schon erwähnt, sind die Phycobiliproteide in Phycobilisomen strukturell organisiert. Diese stäbchenförmigen, rundlichen (⭋ ca. 35 nm) oder scheibenförmigen Partikel besetzen die Außenfläche der Thylakoide, wobei zwischen ihnen ein Mindestabstand von 50 nm eingehalten wird. Sie fungieren bei Cyanobakterien und Rotalgen als extramembrane Lichtsammlersysteme (s. S. 109). 300 – 800 Pigmentmoleküle sind in einem Phycobilisom vereint; hinzu kommen weitere, welche an Struktur- oder Linker-Polypeptide gebunden sind (bis zu 15%). Den komplexen Aufbau eines Phycobilisoms der Cyanobakterien vermittelt das in Abb. 3.15 dargestellte Modell. Extramembrane Lichtsammlersysteme gibt es auch bei den grünen Photosynthese-Bakterien, den Chlorobiaceae, in Form der Chlorosomen, welche jedoch anders als die Phycobilisomen konstruiert sind (s. Abb. 3.69, S. 207).
3.3.3
Bildung und Struktur von Thylakoiden
Cyanobakterien und phototrophe Bakterien. Hier haben die Thylakoide ihren Ursprung in Vorwölbungen, Invaginationen, der Cytoplasmamembran ins Zellinnere, wobei ihre Außenseite zur Innenseite der entstehenden Thylakoide
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3.3 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
(αβ)6PC-L29
c
a
95
(αβ)6PC-L33-L8,5
III I
d II 4
LHC II LHC II RZ RZ WSA WSA
b α β β α
β α β
α
β
Photosystem II-Dimer
α
L33 /L8,5
Abb. 3.15 Modellvorstellung zum Aufbau der Phycobilisomen beim Cyanobakterium Synechococcus sp. PC 7002 (nach Maxson u. Mitarb.). a 6 stabförmige Einheiten – Peripher-Stäbchen – umschließen eine zentrale Struktur aus 3 rollenförmigen Aggregaten – Kern(Core)-Stäbchen (I – III). Erstere bestehen aus je 2 scheibenförmigen Segmenten, von denen jedes 6 Grundeinheiten (S. 84) umfaßt; b deren α- und β-Untereinheiten bilden einen Doppelring, (α, β)6 (Hexamer; 11 ⫻ 6 nm), welcher zusätzlich mit Linker-Peptiden (L; γUntereinheiten), eingepaßt in die zentrale Höhlung, versehen ist. c die jeweils äußeren der 2 Scheibensegmente werden ausschließlich von Phycocyanin (PC) und Linker-Polypeptiden (33 kDa und 8,5 kDa) gebildet; die inneren Segmentscheiben unterscheiden sich lediglich dadurch, daß nur ein Linker-
1
3
2
3
3
4
4
III II I
1 αAPB αAP βAP-L8
2 αAP βAP β18-L99 3 (αβ)3AP 4 (αβ)3AP-L8
Polypeptid abweichender Größe – 29 kDa – vorliegt. d die Scheibensegmente 1 – 4 eines jeden der drei Kern(Core)-Stäbchen (I – III) bestehen aus drei Grundeinheiten in einem einfachen Ring (Trimer; 11 ⫻ 3 – 3,5 nm), ergänzt durch Linker-Polypeptide. Von diesen besorgt die 99 kDa-Spezies am Ring 2 vermutlich die Membran-Verankerung und damit auch den Transfer der Anregungsenergie vom Phycobilisom zum Chlorophyll a im Photosystem II (s. S. 109). In den einzelnen Scheibensegmenten variiert die Anordnung der Phycobiliproteid-Untereinheiten aus Allophycocyanin (AP) und Allophycocyanin B (APB). Bei den Kern(Core)-Stäbchen ist die Reihenfolge der Scheibensegmente offensichtlich unterschiedlich. WSA wasserspaltender Apparat RZ Reaktionszentrum LHC II Lichtsammlersystem II (s. S. 121 ff)
wird. Diese Gebilde vergrößern sich und bilden vorwiegend im peripheren Bereich des Cytoplasmas Membranstapel, Vesikel-Aggregate oder Tubuli-Bündel. Parallel zur Neubildung von Thylakoiden verläuft allgemein die Pigmentsynthese, welche in vielen Fällen nicht allein von der Intensität und Dauer der Belichtung abhängt.
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3 Photosynthese So ist der Sauerstoff-Partialdruck als wichtigster Regulationsfaktor bei der Bakteriochlorophyll-Biosynthese erkannt worden. Sinkt er in einer chemotrophen Dunkelkultur unter einen bestimmten Schwellenwert (~ 500 Pascal oder 5 mbar), so wird bei einigen Vertretern der Rhodospirillaceae eine deutliche Synthese von Bakteriochlorophyll ausgelöst. Ihre Geschwindigkeit steigt mit abnehmender Sauerstoffmenge. Gleichzeitig beginnt mit Invaginationen der CM bzw. mit einsetzender Vergrößerung bereits vorhandener ICM die Ausbildung der tragenden Membranstrukturen (Rhodospirillum capsulatus). Andere Funktionen, z. B. Reaktionen der Atmungskette und des Transportes, werden nun reduziert. Die Bildung des Photosyntheseapparates kann demnach grundsätzlich im Dunkeln erfolgen; seine endgültige Funktionstüchtigkeit erhält er jedoch erst durch nachfolgende Belichtung. Diese stellt nämlich erst die Energieversorgung sicher und koordiniert gleichzeitig die Bildung von funktionstüchtigen Pigment-Protein-Komplexen (S. 93). Dieser Lichteffekt ist allerdings nur bei geringer Beleuchtungsstärke positiv; z. B. reichen 400 – 500 lx bei Rhodospirillum rubrum; höhere Intensitäten hemmen zunehmend die Bakteriochlorophyll-Biosynthese sowie die Ausbildung von weiteren ICM (Drews u. Mitarb.).
Grünalgen und höhere Pflanzen. Schon seit längerer Zeit weiß man, daß die Chromatophoren der Algen und die Chloroplasten der höheren Pflanzen die Organellen der Photosynthese sind. In ihnen sind die photosynthetisch aktiven Pigmente konzentriert und an die Thylakoide gebunden. Sie sind Bestandteile eines Systems höherer struktureller Ordnung. Die Organellen werden als eigen-
Abb. 3.16 Anordnung der Thylakoide im Chloroplasten.
Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Dünnschnitts durch einen Spinat-Chloroplasten (Ausschnitt); Fixierung mit Glutaraldehyd-OsO4; Vergrößerung: 49 000fach (Originalaufnahme Prof. W. Wehrmeyer). cm ⫽ Chloroplastenmembran g ⫽ Thylakoide des Grana-Bereiches st ⫽ Stromathylakoide
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3.3 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
97
ständige Reaktionsräume gegen das Cytoplasma der Zelle durch eine Doppelmembran (Hülle) abgegrenzt und tragen somit zur Kompartimentierung der Zelle bei. Im Innern enthalten sie eine Grundsubstanz, Stroma oder Matrix genannt, in welche die Thylakoide eingebettet sind. Aufgrund ihrer besonderen Anordnung unterscheiden sich die Chromatophoren der Algen und grünen Flagellaten oft von den Chloroplasten der höheren Pflanzen. In den erstgenannten durchziehen die Thylakoide das Organell in ganzer Länge in einer ziemlich regelmäßigen Anordnung und bedingen so eine durchgehende Lamellierung. Oft sind sie mit ihren Flächen dicht aufeinander gelagert, so daß einzelne Stapel von Doppelmembranen entstehen. Auch die Pyrenoide werden von Thylakoiden durchzogen; allerdings ist ihre Zahl in diesen Bereichen reduziert. Die Chloroplasten der höheren Pflanzen hingegen gehören dem sog. Granatyp an. Hier ist eine regelmäßige und dichte Parallelanordnung von Thylakoiden nur im begrenzten Bereich der Grana gegeben. Zwischen den Thylakoiden des Stromas hingegen besteht kein enger Kontakt (Abb. 3.16). Eine Ausnahme bilden die Chloroplasten in den Bündelscheiden-Zellen der Blätter von C4-Pflanzen (S. 179 ff): ihnen fehlen bei einigen Vertretern die typischen Grana (Membranstapel), was vermutlich mit ihrer besonderen Funktion zusammenhängt.
Nach einem inzwischen allgemein akzeptierten Modell soll die Granastruktur durch Übereinanderlagerung (Überschichtung) scheibenförmiger Membranen zustande kommen (Abb. 3.17). Deren Durchmesser ist in Abhängigkeit von den Anzuchtbedingungen für die betreffende Pflanze gewissen Schwankungen unterworfen. Die Granathylakoide sind mit denen des Intergranabereiches verbunden, aus denen sie vermutlich durch Ausstülpung entstehen. Hieraus resultieren stegartige Verbindungen, welche die Thylakoide zwischen den Grana in der Flächenansicht oft netzartig durchbrochen erscheinen lassen. Dieser Eindruck kann durch die Anwendung bestimmter Fixierungsverfahren noch verstärkt werden. In diesem Raummodell eines zusammenhängenden Membrankörpers trägt ein Thylakoid zum Aufbau mehrerer Grana bei bzw. stellt die Verbindung zwischen ihnen her. Entsprechend müssen auch alle Binnenräume dieser gemeinsamen Struktur miteinander kommunizieren. Abb. 3.17 Räumliches Modell zur Thylakoid-Anordnung im Chloroplasten (nach Wehrmeyer). Dargestellt sind zwei Stapel von Granathylakoiden, von denen der vordere (gTh) angeschnitten ist. Die Verbindung zwischen ihnen stellen die Stromathylakoide (stTh) her.
gTh
stTh
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3 Photosynthese
Thylakoide entstehen in diesem Falle dadurch, daß sich die innere der beiden Hüllenmembranen in den Binnenraum des Plastiden vorwölbt. Selbst im ausgewachsenen Zustand kann zwischen der Ursprungsmembran und den Thylakoiden noch eine Verbindung bestehen. Durch eine starke Abflachung der gebildeten Vesikel mit ihrem mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Binnenraum (Intrathylakoidraum oder Loculus) entsteht elektronenoptisch das Bild einer Doppelmembran. Unterschiede in der Ausbildung und der Anordnung der Thylakoide bedingen die oben besprochene verschiedene Feinstruktur von Chromatophoren und Chloroplasten.
Strukturmodelle von Thylakoidmembranen Mit so unterschiedlichen Methoden wie Elektronenmikroskopie einschließlich Gefrierätzung (Box 3.6), Messung der Röntgenkleinwinkelstreuung, polarisationsoptischen Verfahren und Immunologie ist die Feinstruktur der Thylakoidmembran untersucht worden. Obwohl allgemein Übereinstimmung darin besteht, daß diese Biomembran dem Typ einer Funktionsmembran mit einem speziell auf die Funktion zugeschnittenen Feinbau entspricht, bleiben Widersprüche hinsichtlich der Eignung einzelner Methoden und der Interpretation der erzielten Ergebnisse. Eine kritische Analyse der mit der Gefrierätzung erhaltenen Befunde hat zu einem abgewandelten Modell der ursprünglich als dreischichtig beschriebenen Thylakoidmembran geführt (s. Abb. 3.18). Ein wesentlicher Anstoß war die Erkenntnis, daß die Bruchebene beim Abtragen des tiefgefrorenen Objektes nicht entlang der Thylakoidoberfläche verläuft, sondern im Innern der Thylakoidmembran, d. h. entlang der lipidreichen Zentralschicht. Damit ergibt sich je nach Lage der Bruchebene ein unterschiedliches Relief der freigelegten inneren Box 3.6
Gefrierätzung
Mit diesem speziellen Verfahren der Elektronenmikroskopie gelingt es in vielen Fällen, die räumliche Anordnung submikroskopischer Strukturen in der lebenden Zelle zu erfassen. An die Stelle der chemischen Fixierung tritt hier eine schnelle Abkühlung der Objekte auf ca. – 190 ⬚C zwecks Konservierung ihrer Strukturen. Die Oberfläche des tiefgefrorenen Objektes wird dann mit dem Ultramikrotom bei ca. – 100 ⬚C gewissermaßen „abgehobelt“, wobei die feineren Binnenstrukturen der Zellen durch die Bruchebene reliefartig freigelegt werden. Ihre Feinheiten treten
aber erst bei der eigentlichen Ätzung hervor: Durch gesteuerte Gefriertrocknung wird der maskierende Eisfilm von der Schnittfläche vorsichtig entfernt, ohne daß die Strukturen deformiert werden. Von der strukturierten Oberfläche wird dann durch Bedampfung im Hochvakuum ein Abdruck hergestellt, welcher als Folie nach Abbau des organischen Materials erhalten bleibt und im Elektronenmikroskop abgebildet werden kann. Auf diese Weise erhält man den plastischen Abdruck aller Feinstrukturen, welche für die angeschnittene Oberfläche typisch sind.
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3.3 Die strukturellen Grundlagen der Photosynthese
99
Oberflächen. Diese Auffassung wird durch folgende Beobachtungen gestützt: die freigelegten Bruchebenen unterscheiden sich deutlich in ihrer Struktur von der Membranoberfläche; nach Extraktion der Lipide trat eine Aufspaltung entlang der inneren Ebene nicht mehr auf; bei Modellversuchen mit lipidreichen Membransystemen lag die Bruchebene immer in der hydrophoben Region. Bei der Bezeichnung der verschiedenen Oberflächen einer Biomembran – natürlicher und experimentell erzeugter – hat man sich auf eine international verbindliche Terminologie geeinigt: S (surface, engl.) für natürliche Membranoberflächen, F (fracture face) für künstlich erzeugte Bruchflächen. Durch den angefügten Buchstaben P wird die an Cytoplasma oder Stroma grenzende Oberfläche bzw. Bruchfläche, durch E (extraplasmatic) die von Cytoplasma oder Stroma abgewandte gekennzeichnet. Demgemäß ergibt sich für eine Thylakoidmembran folgende Reihenfolge in der Bezeichnung von außen (Stroma) nach innen (Intrathylakoidraum): PS, PF, EF und ES; entsprechend lassen sich die Oberflächen der beiden Hüllenmembranen des Chloroplasten unterscheiden. Der unterschiedlichen Anordnung der Thylakoide in Chloroplasten vom Granatyp (S. 97 f) wird dadurch Rechnung getragen, daß die Oberflächen bzw. Bruchflächen von Granathylakoidmembranen mit dem Index „s“ (von stacked, engl. ⫽ gestapelt), die von Stromathylakoidmembranen mit dem Index „u“ (unstacked ⫽ ungestapelt) gekennzeichnet werden: PSs, ESs, PFs und EFs bzw. PSu, ESu, PFu und EFu (Abb. 3.18 b). Diese Untergliederung ist insofern berechtigt, als sich die einzelnen Bruchoberflächen in ihrem Relief teilweise in charakteristischer Weise unterscheiden.
Für EFs sind relativ große Partikel von ellipsoider Gestalt (⭋ 12 bzw. 18 nm) in einer mittleren Verteilungsdichte (ca. 1500/µm2) typisch, denen in der komplementären Fläche PFs entsprechend große Eintiefungen entsprechen; zwischen jene sind zahlreiche kleinere Partikeln (⭋ 8 nm) eingestreut (ca. 5000 µm2). Bei den ersten handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um die Reaktionskomplexe von Photosystem II (S. 121 ff) mit dem zugehörigen Lichtsammlersystem II (LHC II, S. 121 f); sie sind, da sie durch die Membran reichen, auch auf ESs vorhanden. Die zweite Kategorie von kleineren Partikeln auf EFs soll freies LHC II repräsentieren. EFu trägt nur wenige der großen Partikel, weist dafür aber zahlreiche Vertiefungen auf, in welche die etwas kleineren Partikel (⭋ 8 – 11 nm) „passen“, mit denen die Komplementärfläche PFu besetzt ist (ca. 7000/µm2); sie sind vermutlich größtenteils mit dem Reaktionskomplex von Photosystem I plus Lichtsammlersystem I (LHC I; S. 136 ff) identisch (⭋ 10 – 11 nm), andere (⭋ 8 – 9 nm) mit LHC II oder dem integralen Cytochrom b6/f-Komplex (S. 131 ff). Da eine sichere Unterscheidung wegen der fast identischen Größe unmöglich ist, müssen andere Kriterien herangezogen werden (s. u.). Ein weiterer Partikeltyp (⭋ ca. 15 nm) besetzt PSu (ca. 1000/µm2); es handelt sich dabei um den Kopplungsfaktor CF1, die periphere Teilstruktur des CF1/CF0-Komplexes; dieser katalysiert als ATP-Synth(et)ase die lichtabhängige Bildung von ATP: Photophosphorylierung (S. 147 ff). Diese ungleiche Verteilung von integralen Membrankomplexen der Photosynthese, welche sich an diesen Befunden der Feinstrukturanalyse ablesen läßt, konnte mit biochemischen und molekulargenetischen Methoden weitgehend bestätigt werden. Hier ist vor allem die gelungene Isolierung und Anreicherung einzelner Komplexe aus Stroma- und Granathylakoidmembranen in
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3 Photosynthese
100
Endmembran des Granum
a
Granathylakoid
Partitionregionen
Stromathylakoid
Granumbereich b EFu PFs
PFu PSs
EFs
ESu ESs
PSu
c
PS II + LHC II PS I + LHC I Cyt b6 /f-Komplex CF1 / CF0-Komplex
Abb. 3.18 Modelle zum Aufbau der Thylakoidmembran in Chloroplasten höherer Pflanzen. a Anordnung von Grana- und Stromathylakoiden. Endmembran eines Granum mit freiliegender Oberfläche entspricht einer Stromathylakoidmembran (s. u.). Abstand der Membranen über den Intrathylakoidraum 2 – 8 nm. In belichteten Chloroplasten sind die Membranen in der Partition-Region 15 – 16 nm voneinander entfernt, in verdunkelten hingegen ca. 20 nm. b Die nach Gefrierätzung entstehenden Bruchflächen von Grana- und Stromathylakoidmembranen (nach Staehelin; s. Text). c Modell zur supramolekularen Organisation der Membranen von Grana- und Stromathylakoiden. Beachte die unterschiedliche Verteilung der Membrankomplexe in gestapelten (Grana-) und ungestapelten (Stromathylakoide) Membranbereichen! – Die Zahl und die Anordnung der einzelnen Komplexe ist willkürlich (Einzelheiten im Text).
unterschiedlichen Partikelfraktionen hervorzuheben (S. 139). Weitere Bestätigungen lieferten elektronenmikroskopische Untersuchungen an Thylakoiden von Mutanten, denen erwiesenermaßen Photosystem I oder Photosystem II fehlte. Die als laterale Heterogenität bezeichnete Ungleichheit der Thylakoidmembran versucht das in Abb. 3.18 c wiedergegebene Modell zu verdeutlichen. Danach ist die Partikelanordnung in den Thylakoidmembranen eines Granum in den Bereichen, wo sie einander genähert sind – Partition-Region (Abb. 3.18 a) – eine andere als in jenen mit frei liegender Oberfläche, nämlich in Stromathylakoiden und auch Endmembranen von Grana (s. Abb. 3.18 c). Die Anordnung der einzelnen Membrankomponenten in dem vorgestellten Modell darf man sich nicht statisch und unveränderbar vorstellen; das Gegenteil ist sicher der Fall: wie die meisten Biomembranen ist auch die Thylakoidmembran ein dynamisches System in dem Sinne, daß die räumliche Anordnung seiner Komponenten
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3.4 Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze
101
Änderungen unterliegt, welche mit der Funktionsweise des photochemischen Apparates der Photosynthese im Zusammenhang stehen (vgl. S. 145 ff). Dies ist kein Widerspruch zu Befunden, wonach die asymmetrische Anordnung einzelner Funktionseinheiten in der Membran eine unerläßliche Voraussetzung für den Ablauf wichtiger Prozesse, wie z. B. der Energietransformation, ist.
Wir kommen später auf die oben angesprochene Problematik zurück, inwieweit die elektronenoptisch nachweisbaren Partikel der Thylakoidmembran mit den erwähnten Funktionseinheiten bzw. mit Pigment-Protein-Komplexen identisch sind.
3.4
Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze
Bei der experimentellen Analyse des komplexen Vorgangs der Photosynthese standen zunächst praktische Gesichtspunkte im Vordergrund. Die Untersuchungen konzentrierten sich vor allem auf den Einfluß jener äußeren Faktoren wie Licht, Temperatur, Wasser, Mineralsalze und Kohlendioxidversorgung, welche für die Substanzproduktion und damit für den Ertrag der Kulturpflanzen von wesentlicher Bedeutung sind. Ganz nebenbei lieferten diese Untersuchungen eine Reihe von Befunden, die nicht nur wesentlich zum Verständnis der Photosynthese als einem grundlegenden biologischen Prozeß beitrugen, sondern auch gute Ansatzpunkt für die weitere Erforschung der methodisch schwer zugänglichen Reaktionen auf molekularer Basis ergaben. Da über die Bedeutung von Kohlendioxid und Wasser als Ausgangsverbindungen der Photosynthese schon einleitend ausführlich berichtet worden ist (Kap. 2), können wir uns hier auf die beiden wichtigen Faktoren Licht und Temperatur beschränken.
3.4.1
Licht
Ohne Licht gibt es keine Photosynthese. Als typisch lichtbedürftiger Prozeß zeigt sie eine starke Abhängigkeit von der Quantität und – wie wir später noch sehen werden (S. 105 ff) – auch von der Qualität der herrschenden Strahlung.
n(O2)/ t
Abb. 3.19 Lichtabhängigkeit der Photosynthese. Einfluß verschiedener Beleuchtungsstärken auf die Geschwindigkeit der Photosynthese (zeitbezogene Sauerstoffproduktion).
5000
10 000
15 000 lx 20 000
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3 Photosynthese
102
Abb. 3.19 macht deutlich, daß mit zunehmender Beleuchtungsstärke die Geschwindigkeit der apparenten Photosynthese zunächst linear ansteigt, sich dann stetig verringert und schließlich einen konstanten Wert erreicht. Die Kurve verläuft jetzt parallel zur Abszisse: Die photosynthetische Kapazität ist mit Licht „gesättigt“. Dieser Sättigungswert wird bei den einzelnen Arten verschieden schnell erreicht; bei den Sonnenpflanzen erst bei Einstrahlung relativ hoher Lichtintensitäten (Abb. 3.20 a), bei den Schattenpflanzen dagegen tritt der Zustand der Lichtsättigung schon relativ früh ein, d. h. es sind nur geringe Lichtintensitäten erforderlich. Noch einen anderen wichtigen Unterschied zwischen beiden Gruppen macht der Verlauf der Photosynthesekurven deutlich, vor allem, wenn wir deren Ausgangspunkte genauer analysieren (Abb. 3.20 b). In beiden Fällen sind diese nicht identisch mit dem Nullpunkt. Vielmehr schneiden beide Kurven vorher die Abszisse, d. h. in einem Bereich geringer Lichtintensitäten. Man bezeichnet diesen Schnittpunkt als Kompensationspunkt; er entspricht der Lichtintensität, bei der die Photosynthese gerade soviel Kohlendioxid verbraucht, wie die gleichzeitig ablaufende Atmung der Pflanze erzeugt. Letztere wird durch die Photosynthese kompensiert. Bei Sonnenpflanzen wird der Kompensationspunkt bei einer wesentlich höheren Lichtintensität erreicht als bei Schattenpflanzen. Mit anderen Worten: Schattenpflanzen haben schon bei niedrigen
a n(O2)/t
Sonnenpflanze
Schattenpflanze
0 n(CO2)/ t
1000
2000 lx 3000
n(O2)/t
b
n(CO2)/t
0
JSO
Photosynthese
JS
Abb. 3.20 Lichtsättigung der Photosynthese. a Photosynthese-Leistung einer „Sonnenpflanze“ und einer „Schattenpflanze“ in Abhängigkeit von der Beleuchtungsstärke. b Das Verhalten der Photosynthese im Bereich relativ niedriger Beleuchtungsstärken. Ks Kompensationspunkt der Schattenpflanze mit der zugehörigen Beleuchtungsstärke Js. Kso Kompensationspunkt der Sonnenpflanze bei der Beleuchtungsstärke Jso As und Aso Atmung (Sauerstoffverbrauch, Kohlendioxidabgabe) der Schatten- bzw. Sonnenpflanze. Jv Beleuchtungsstärke (lx). Einzelheiten im Text
KSO
KS AS
ASO
JV in lx
Atmung
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3.4 Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze
103
Beleuchtungsstärken eine positive Stoffbilanz und können folglich existieren. Sonnenpflanzen hingegen weisen unter diesen Bedingungen eine negative Bilanz auf. Dem Licht kommt somit auch eine Funktion bei der standortmäßigen Verteilung einzelner Pflanzenarten zu. Aber nicht nur sie, sondern auch die Blätter einer Baumkrone unterliegen dieser Gesetzmäßigkeit. Es lassen sich Sonnenblätter und Schattenblätter unterscheiden, deren Kompensationspunkt bei verschiedenen Lichtintensitäten erreicht wird. Die beiden BlattTypen sind schon an ihrem unterschiedlichen anatomischen Bau leicht erkennbar: an Starklicht angepaßte Pflanzen weisen oft ein zweischichtiges Palisadenparenchym auf. Bei Schwachlicht-Adaptation, z. B. als Folge ständiger Beschattung durch das Blätterdach hoher Bäume, wird oft eine stärkere Ausbildung von Grana in den Chloroplasten der betroffenen Pflanzen beobachtet. Allerdings ändert sich die Chlorophyllmenge pro Blattfläche meist nur unwesentlich. Der Gaswechsel zahlreicher Pflanzenarten kompliziert sich dadurch, daß mit steigender Beleuchtungsstärke neben der Photosynthese ein weiterer Prozeß in Gang gesetzt wird, welcher gewissermaßen in Umkehrung ihres Gaswechsels Sauerstoff verbraucht und Kohlendioxid abgibt. Wegen dieser – allerdings nur äußerlichen – Ähnlichkeit bezeichnet man den Vorgang als Lichtatmung oder Photorespiration. Aufgrund seines engen Zusammenhangs mit der Kohlendioxid-Reduktion bei der Photosynthese wird er dort ausführlich behandelt (S. 189 ff).
Im Zustand der Lichtsättigung hat die Photosynthese im Hinblick auf den Faktor Licht zwar den Optimalwert erreicht, doch ist eine weitere Steigerung ihrer Geschwindigkeit dadurch möglich, daß der Kohlendioxidgehalt im Gasraum erhöht wird. Seine Bedeutung als begrenzender Faktor der Photosynthese am natürlichen Standort wird offenbar. Mit einem Volumengehalt von 0,03% Kohlendioxid (0,3 ml CO2/l Luft) ist die Luft unteroptimal für die Photosynthese und stellt nach dem Gesetz der begrenzenden Faktoren den am weitesten im Minimum befindlichen Faktor dar. Sie bestimmt damit die Ausbeute der Photosynthese. Allerdings besteht ein deutlicher Unterschied bei einzelnen Pflanzenarten hinsichtlich ihrer Effektivität in der Ausnutzung des natürlichen Kohlendioxidangebots bei verschiedenen Beleuchtungsstärken. Sie ist besonders hoch bei einigen Pflanzen aus dem tropischen und subtropischen Raum (Zuckerrohr, Mais), welche Kohlendioxid über den C4-Dicarbonsäurezyklus (S. 179 ff) vorfixieren können. Bei diesen C4-Pflanzen wird selbst bei höchsten Beleuchtungsstärken die Lichtsättigung der Photosynthese wegen der offenbar großen Leistungsfähigkeit des kohlendioxidbindenden Mechanismus kaum erreicht. Auch in mittleren Bereichen der Beleuchtung sind sie den C3-Pflanzen, welche Kohlendioxid ausschließlich über den Calvin-Zyklus (S. 162 ff) fixieren, oft deutlich überlegen.
Die Ausnutzung einer künstlich vermehrten Kohlendioxidmenge in der Luft durch die Photosynthese hängt zunächst von der verfügbaren Lichtintensität ab (Abb. 3.21). Ein anderer möglicherweise begrenzender Faktor ist die Temperatur.
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104
3 Photosynthese hohe Lichtintensität
mittlere
n(O2)/t
niedrige
n(O2)/ t
Starklicht
Gehalt der Luft 0,05
0,10
Schwachlicht 0,15 0,20 % CO2
Abb. 3.21 Kohlendioxid-Menge bzw. Beleuchtungsstärke als begrenzender Faktor der Photosynthese.
3.4.2
10
20
30 °C 40
Abb. 3.22 Einfluß der Temperatur auf die Photosyntheseleistung bei niedriger und hoher Beleuchtungsstärke.
Temperatur
Abb. 3.22 zeigt die Bedeutung dieses Faktors für die Photosynthese unter niedriger und hoher Beleuchtungsstärke. Während ihre Geschwindigkeit im ersten Falle praktisch unverändert bleibt – Licht ist hier der begrenzende Faktor – erfährt sie im zweiten Falle mit der Erhöhung der Temperatur innerhalb eines definierten Bereiches eine beträchtliche Steigerung. Wird dieser überschritten, so kommt es zu einer schnellen Abnahme der Photosynthese-Aktivität, weil der Mechanismus durch Hitze geschädigt wird. Der Kurvenverlauf entspricht einer typischen Optimumskurve, deren Höchstwerte für die höheren Pflanzen unserer Breiten zwischen 20 und 30 ⬚C liegen. Aus der beobachteten Abhängigkeit der Photosynthese von den Faktoren Licht und Temperatur ergibt sich eine wichtige Schlußfolgerung: Die Photosynthese ist kein einheitlicher Prozeß, sondern setzt sich aus einem lichtabhängigen oder photochemischen Reaktionskomplex und einer Folge von temperaturabhängigen oder enzymatischen Reaktionen zusammen. Letztere werden erst im Zustand der Lichtsättigung erkennbar, wo Temperaturerhöhung die Geschwindigkeit der Photosynthese steigert (vgl. Abb. 3.22). Im Schwachlicht hingegen bleibt die Temperatur praktisch ohne Einfluß auf die Photosynthese. Unter diesen Bedingungen ist offensichtlich nur der photoche-
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3.4 Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze b
a CO2 + H2O
photochemischer Bereich
CO2 + H2O
Starklicht
Schwachlicht = Engpaß
hohe Temperatur
enzymatischer Bereich
niedrige Temperatur
105
Abb. 3.23 Beeinflussung des „photochemischen“ und des „enzymatischen“ Reaktionsbereiches der Photosynthese durch die Faktoren Licht und Temperatur (schematisch). a Schwachlicht und optimale Temperatur: der photochemische Bereich bildet den Engpaß und begrenzt die Photosynthese-Leistung. b Starklicht und niedrige Temperatur: der enzymatische Bereich wird zum Engpaß der Gesamtreaktion.
= Engpaß
Assimilate
Assimilate
mische Reaktionsbereich aktiv. Er zeichnet sich durch Temperatur-Unempfindlichkeit aus. Die Geschwindigkeit des photosynthetischen Gesamtprozesses erfährt eine deutliche Verlangsamung, wenn dem photochemischen Reaktionsbereich nur eine niedrige Lichtintensität zur Verfügung steht. Er wird damit zum Engpaß für die Gesamtreaktion (Abb. 3.23 a), da nur eine begrenzte Lieferung von Reaktionsprodukten für die angekoppelten enzymatischen Reaktionen erfolgt. Umgekehrt bilden die letzteren einen Engpaß, wenn die Kapazität des photochemischen Systems bei hohen Lichtintensitäten voll ausgelastet ist, die Temperatur jedoch unteroptimal bleibt. Durch Erhöhung derselben wird bildlich gesprochen der Leitungsquerschnitt so vergrößert, daß eine optimale Ausbeute an Assimilaten resultiert (Abb. 3.23 b).
3.4.3
Wirksamkeit verschiedener Spektralbereiche
Die Bedeutung des Lichtes für die Photosynthese ist bisher nur unter Bedingungen betrachtet worden, bei denen Weißlicht einer bestimmten Intensität eingestrahlt wurde. Die Versuchsergebnisse erlauben daher keine Aussage darüber, ob von den verschiedenen, im Weißlicht enthaltenen Strahlungsqualitäten möglicherweise nur einige für die Photosynthese benötigt werden, während andere wirkungslos sind.
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106
3 Photosynthese
Entsprechend der anfangs zitierten Gesetzmäßigkeit, wonach Strahlung nur dann wirksam sein kann, wenn sie absorbiert wird, bestimmen die vorhandenen Pigmente, welche Spektralbereiche grundsätzlich für die Photosynthese in Frage kommen. Ihre relative Wirksamkeit geht aus einem Aktionsspektrum oder Wirkungsspektrum hervor. Dieses zeigt die Aktivität der Photosynthese (oder eines anderen lichtbedürftigen Prozesses) in Abhängigkeit von der Strahlung verschiedener Wellenlängen. Dabei wird genau die gleiche Anzahl von Quanten eingestrahlt. Eine größere Genauigkeit erhält das Aktionsspektrum, wenn man die Anzahl der Quanten mißt, die für jede Wellenlänge eingestrahlt werden müssen, um die gleiche Aktivität des lichtabhängigen Prozesses zu erzielen. In Verbindung mit dem Absorptionsspektrum aller vorhandenen Pigmente sind nicht nur Aussagen über die photosynthetisch wirksamen Strahlungsqualitäten, sondern auch über die an ihrer Absorption beteiligten Pigmentsysteme möglich. Die ersten Aktionsspektren der Photosynthese hat Engelmann in den Jahren 1882 – 1884 aufgenommen. Er benutzte als Versuchsobjekt zunächst Zellfäden der Grünalgen Oedogonium und Cladophora, auf deren Zellen er mit Hilfe eines Prismas ein Mikrospektrum projizierte. Mit Hilfe von Bakterien, welche schon auf geringste Spuren von Sauerstoff mit einer aerotaktischen Anhäufung reagieren, stellte er fest, daß dieses Gas nur in den von roter und blauer Strahlung getroffenen Zellabschnitten entstand. Bei Kiesel- und Braunalgen sowie Rotalgen hingegen wurde Sauerstoff auch beim Auftreffen von grünem bzw. gelbem Licht ausgeschieden. Engelmann hat schon damals vermutet, daß neben den Chlorophyllen noch andere Pigmente aktiv an der Photosynthese teilnehmen.
Die heute vorliegenden Aktionsspektren der Photosynthese sind zwar durch die verbesserten Methoden schärfer geworden, doch bestätigen sie im Prinzip nur die Beobachtungen Engelmanns von vor ca. 100 Jahren. Bei vielen folgt die Kurve der Photosynthese-Aktivität weitgehend dem Absorptionsspektrum der Pigmente. Die Maxima und Minima der ersten fallen mit den Absorptionsgipfeln bzw. -tälern zusammen. Rückschlüsse auf die in den einzelnen Strahlungsbereichen wirksamen Pigmente sind damit innerhalb gewisser Grenzen möglich. Im Aktionsspektrum von Chlorella (Abb. 3.24) koinzidiert die maximale Photosynthese-Aktivität mit den Absorptionsgipfeln der Chlorophylle im roten und im blauen Spektralbereich, wobei sich im letzten die Maxima beider Kurven infolge Überlagerung durch die Carotinoide zu längeren Wellenlängen hin verbreitern. Die Aktionsspektren der Photosynthese bei Cyanobakterien in Verbindung mit der Totalabsorption dieser Organismen sprechen eindeutig für eine Mitbeteiligung der blauen und der roten Biliproteide an der Photosynthese. Bei Phormidium uncinatum, einem fädigen Cyanobakterium, das Phycocyanine und Phycoerythrine nebeneinander enthält, folgt die Pigmentabsorption weitgehend dem Verlauf des Aktionsspektrums der Photosynthese (Abb. 3.25). Diese erreicht hier ihre höchste Aktivität im Hauptabsorptionsbereich der Phycoerythrine zwischen 500 und 560 nm; im Absorptionsmaximum von Chlorophyll a und der Phycocyanine (610 – 680 nm) ist die Photosynthese weit weniger aktiv.
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1,0
435 475
678
0,8
Strahlungsabsorption in vivo
0,6
650
0,4 Wirkungsspektrum der Photosynthese
400
500
Absorption
Photosynthetische O2-Produktion
3.4 Beobachtungen an der photosynthetisch aktiven Pflanze
107
Abb. 3.24 Aktions- oder Wirkungsspektrum der Photosynthese. Vergleich zur In-vivo-Absorption sichtbarer Strahlung bei Chlorella pyrenoidosa.
0,2
600
nm
700
1,8 1,6 1,4
1,0 0,8
Extinktion
CO2-Fixierung (nmol . mg N–1)
1,2
Abb. 3.25 Aktionsspektrum der Photosynthese. Photosynthetischer 14CO2-Einbau bei dem Cyanobakterium Phormidium uncinatum. Absorption sichtbarer Strahlung bei tiefer Temperatur (nach Häder, Nultsch u. Richter). Bezugsgröße der Kohlendioxidfixierung: Stickstoffgehalt der Zellen.
0,6 0,4 0,2
400
500
600
700 nm
Diese offensichtlich geringere photosynthetische Wirksamkeit von Chlorophyll a gegenüber den Biliproteiden ist ebenso deutlich bei den Rotalgen ausgeprägt. Für die im Aktionsspektrum der Cyanobakterien und Rotalgen zutage tretende Überlegenheit der akzessorischen Pigmente gegenüber dem Chlorophyll a ermangelte es lange Zeit einer plausiblen Erklärung. Sie war erst gegeben, als ein neues Konzept der Photosynthese entwickelt wurde, das von der Beteiligung zweier Lichtreaktionen und entsprechend zweier aktiver Pigmentsysteme ausgeht (S. 119 ff). Erst aus der Zusammenarbeit beider resultiert eine optimale Photosyntheseleistung. Diesen Verhältnissen wird jedoch ein Aktionsspektrum der Photosynthese nicht gerecht, dessen Meßwerte jeweils nur auf der Wir-
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3 Photosynthese
108
eingestrahlte Wellenlänge in nm 700
dunkel
650
700 + 650
650
n(O2)
∆ EH „700“ b „650“ a
0
6
12
18
24 min 30
Abb. 3.26 Emerson-Effekt bei Chlorella (nach Myers u. French). a Größe der Dunkelatmung. b Photosynthetische O2-Entwicklung bei sukzessiver, kurzfristiger Einstrahlung (Zeitdauer auf der Abszisse!) der Lichtqualitäten 700 nm und 650 nm. ⌬EH: Größe der zusätzlichen PhotosyntheseLeistung durch Enhancement (= Steigerung; s. Text) bei simultaner Einstrahlung der Qualitäten von 700 nm und 650 nm; die photosynthetische O2-Entwicklung für beide Wellenlängen bei getrennter Einstrahlung ist dabei in Abzug gebracht („650 “ bzw. „700 “).
kung von Strahlung einer Wellenlänge basieren. Erst durch zusätzliche Einstrahlung einer zweiten Wellenlänge ist die Aktivierung beider Photosysteme und damit ein reeller Wert für die Photosyntheseleistung zu erwarten. Eine erste überzeugende Bestätigung hierfür lieferte der nach seinem Entdekker benannte Emerson-Effekt (Abb. 3.26). Er basiert auf der Beobachtung, daß die relativ schwache photosynthetische Sauerstoffproduktion durch Zellen von Chlorella bei Belichtung mit langwelligem Rot (⫽ 700 nm) durch eine gleichzeitige Einstrahlung von kurzwelligem Rotlicht (⬍ 670 nm) stark erhöht wird: Steigerungseffekt (enhancement; engl.). Da der gleiche Effekt auch bei der Rotalge Porphyridium und dem Cyanobakterium Synechococcus beobachtet wurde, schloß Emerson, daß bei den Grünalgen das Chlorophyll b, bei den Rotalgen und Cyanobakterien ein Phycobiliproteid (Phycoerythrin bzw. Phycocyanin) offenbar eine Funktion als Hilfspigment erfüllen. Die Bedeutung von solchen akzessorischen Pigmenten für den lichtabhängigen Teilprozeß der Photosynthese ist durch die photosynthetischen Aktionsspektren klar herausgestellt worden.
3.4.4
Rolle der akzessorischen Pigmente
Nach einer historisch älteren Einteilung gehören zu den akzessorischen Pigmenten Chlorophyll b, die Carotinoide sowie die Phycobiliproteide. Ihnen werden als primäre Pigmente Chlorophyll a und Bakteriochlorophyll a gegenübergestellt. Daß diese Trennung auch heute noch eine gewisse Berechtigung hat, zeigt die unterschiedliche Verteilung von Pigmenten beider Gruppen in den lichtabsorbierenden Reaktionszentren der Photosynthese. Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
109
Die Beteiligung von akzessorischen Pigmenten an der Strahlungsabsorption und Weiterleitung der Energie gilt heute als sicher. Unter geeigneten Bedingungen besteht nämlich die Möglichkeit, daß ein angeregtes Pigmentmolekül seine Anregungsenergie auf ein benachbartes Molekül überträgt, wenn dieses nur räumlich nahe genug angeordnet ist. Diese Bedingung ist sicherlich in den pigmenttragenden Membranen der photosynthetischen Strukturen erfüllt. Wie wir heute mit einiger Sicherheit annehmen dürfen, führen die akzessorischen Pigmente die von ihnen absorbierte Strahlungsenergie an ein Reaktionszentrum (s. Box 3.10, S. 124) ab, in welchem sich am Chlorophyll a bzw. Bakteriochlorophyll a die eigentliche photochemische Reaktion, d. h. die Umwandlung von Strahlungsenergie in chemische Energie, vollzieht. Lutein und β-Carotin (13, S. 88 f bzw. 10, S. 87 f) sind im Gegensatz zum Fucoxanthin 18 (S. 90) in dieser Hinsicht kaum wirksam, obwohl sie mengenmäßig im Chloroplasten überwiegen. Sie erfüllen eine andere wichtige Funktion, indem sie Chlorophyll vor der photooxidativen Zerstörung durch zu starke Lichteinstrahlung bewahren: zusammen mit anderen Carotinoiden sind sie vermutlich in der Lage, diesen Überschuß an Strahlungsenergie effektiv in Wärme umzuwandeln und abzuführen.
Aus den besprochenen Untersuchungen an aktiven Photosynthese-Organismen lassen sich zwei wichtige Erkenntnisse ableiten: 1. Die Photosynthese erweist sich als ein komplexer Vorgang, der sich aus einem photochemischen und einem enzymatischen Teilkomplex zusammensetzt. 2. Für die optimale Wirksamkeit sichtbarer Strahlung bei der Photosynthese sind mindestens zwei verschiedene Photoreaktionen erforderlich.
3.5
Der photochemische Reaktionsbereich
3.5.1
Allgemeines
Einleitend wurde die Photosynthese als ein endergonischer Vorgang charakterisiert, bei dem absorbierte Strahlungsenergie die Synthese von organischen Verbindungen aus Kohlendioxid und Wasser ermöglicht. Da die beiden Ausgangsverbindungen ein erheblich niedrigeres Energiepotential als die Endprodukte besitzen, ist ein spontaner Ablauf dieser Reaktion thermodynamisch unmöglich. Eine Synthese von Kohlenhydrat und molekularem Sauerstoff erfolgt nur dann, wenn das Gleichgewicht durch Zufuhr von Energie „verschoben“ wird. Diese wird dank der einzigartigen Fähigkeit von Chlorophyll aus der absorbierten Strahlung verfügbar gemacht. Ein Energiediagramm der Photosynthese (Abb. 3.27) macht diese Verhältnisse deutlich. Wir erkennen, daß infolge der zusätzlich aufzuwendenden Aktivierungsenergie (E; s. S. 110) das Energieniveau der Gesamtreaktion etwas höher liegt als das der Endprodukte. Damit wird die spontane Rückreaktion von Kohlenhydrat und Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser verhindert, welche aufgrund des hohen Energieniveaus
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110
3 Photosynthese
C6H12O6 + O2
Chlorophyll + Struktur
E
Abb. 3.27 Energiediagramm der Photosynthese. E Aktivierungsenergie.
∆ G'm = + 2872 kJ . mol–1
h ν CO2 + H2O
der beiden Endprodukte theoretisch gegeben ist. Zwischenverbindungen und das Endprodukt der Photosynthese sind, wie übrigens die meisten organischen Kohlenstoffverbindungen bei normaler Temperatur und in Gegenwart von freiem Sauerstoff, metastabil (S. 11). Wie leicht einzusehen ist, muß dieser Zustand allerdings in der Bilanz durch die Aufwendung zusätzlicher Energie bezahlt werden.
Das Energiediagramm der Photosynthese gibt zwar bilanzmäßig die Änderung der freien Enthalpie des Gesamtprozesses wieder, sagt jedoch nichts über den komplexen Mechanismus der Energieumwandlung aus, die sich in zahlreichen Teilreaktionen vollzieht. Von diesen sind viele in den letzten Jahren aufgeklärt oder zumindest theoretisch erkannt worden. Obwohl unsere Kenntnisse inzwischen so fundiert sind, daß sie zur Erklärung des Gesamtprozesses der Photosynthese ausreichen, bleiben einige ihrer Reaktionsabläufe experimentell noch wenig gesichert. Es ist daher durchaus möglich, daß in Kürze einige der nachfolgend geschilderten Vorgänge einer Korrektur bedürfen bzw. verworfen werden müssen.
Versuchsobjekte Einzellige oder coenobiale Algen lassen sich zwar für Photosynthese-Experimente an intakten Zellen verwenden (s. S. 108 u. S. 160 ff), eignen sich jedoch kaum für die Gewinnung aktiver, subzellulärer Strukturen, z. B. von Chloroplasten.
Die Versuche, Photosynthese mit isolierten Chloroplasten durchzuführen, nehmen ihren Anfang im ausgehenden 19. Jahrhundert, als es Haberlandt bzw. Ewart gelang, eine Sauerstoffentwicklung durch belichtete Chloroplasten aus Moosen nachzuweisen. Viele spätere Versuche waren zum Scheitern verurteilt, weil nur die Blätter einiger weniger Pflanzen zur Isolierung aktiver Chloroplasten geeignet sind. Abgesehen von mechanischen Problemen beim Zellaufschluß zerstören bei den meisten anderen in den Zellen vorhandene Stoffe (Saponine, Gerbstoffe, organische Säuren) die photosynthetische Aktivität der Chloroplasten bei der Isolierung. Hier liegt auch die
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
111
Ursache für die unangefochtene Monopolstellung von Spinat als Lieferquelle für „aktive“ Chloroplasten (zur Technik der Isolierung, s. Abb. 3.28). Nach der Isolierung ist der Chloroplast von Stoffwechselprozessen des Cytosols abgekoppelt; dies ist sicher für die Bearbeitung einiger Fragestellungen von Vorteil, für andere hingegen von Nachteil. Chloroplasten-Fragmente (broken chloroplasts; engl.) sind für die Lokalisierung einiger Teilreaktionen und die Analyse ihres Mechanismus oft geeigneter als isolierte Chloroplasten mit einer noch intakten Hülle (vgl. S. 131). Daher wird diese in einem
Puffer + Saccharose (0,33 mol)
Aufschluß
Vorzentrifugation
600g
1000g
Überstand 46 % 6 ml Sediment (verwerfen)
2 min
50 % 10 ml
20 min
Chlfrg +M intakte Chloroplasten
Saccharose„Kissen“ in Puffer
Medium (s.o.)
gereinigte ChloroplastenFraktion
1000g
Abb. 3.28 Isolierung von Chloroplasten. Arbeitsgang bei der Gewinnung aus zuvor stärkefrei gemachten Blättern. Aufschlußmedium: isotonisch; anstelle von Saccharose werden auch Sorbit oder Percoll verwendet.
20 min
Ergebnis: 70 – 95% intakte Chloroplasten; dazu ca. 5% Mitochondrien (M) und fragmentierte Chloroplasten (Chlfrg) in einer getrennten Fraktion.
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112
3 Photosynthese
Box 3.7
Strahlungsabsorption
Absorption von elektromagnetischer Strahlung im photobiologisch wirksamen Bereich entspricht einer Reaktion von Atomen bzw. Molekülen mit Photonen (Quanten). Von diesen sind jedoch nur diejenigen wirksam, deren Energie genau ausreicht, die Differenz zwischen zwei energetisch bedingten Anregungszuständen in einem Atom oder Molekül zu überbrücken. Betrachten wir als einfachsten Fall die Anregung eines Atoms. In ihm verteilen sich die Elektronen auf einzelne Orbitale, die in verschiedenen Abständen um den Atomkern angeordnet sind. Die Elektronen in der Nähe des Kernes besitzen relativ niedrige Energie, die von ihm am weitesten entfernten eine vergleichsweise hohe. Die Verlagerung eines Elektrons von einem kernnahen auf ein kernferneres Orbital erfordert die Zufuhr eines bestimmten Energiebetrags, denn es wird ein negativ geladenes Teilchen (Elektron) von dem stark positiv geladenen Kern wegbewegt. Dieses Ereignis tritt ein, wenn das Atom von einem Photon getroffen wird, dessen Energie genau ausreicht, das Elektron auf ein äußeres Orbital und damit auf ein höheres Energieniveau zu heben. Das betroffene Atom wird dadurch aus dem Grundzustand in einen Anregungszustand (excited state; engl.) überführt. Daß ein Atom nur die Strahlung einiger bestimmter Wellenlängen absorbiert, findet hier seine Erklärung. Nur ihre Quanten besitzen die Energie, die zur Überwindung der Energiedifferenz zwischen dem Grundzustand und einem Anregungszustand gerade ausreicht. Die Strahlungsenergie eines Quants kann – mit anderen Worten – nur als Ganzes, nicht aber in Bruchteilen genutzt werden („Alles-odernichts-Reaktion“). Da nur die Quanten einer Wellenlänge an jeder Elektronenverschiebung im Atom beteiligt sind,
ist eine Absorptionslinie zu beobachten. Entsprechend umfassen die Absorptionsspektren von Atomen gewöhnlich nur wenige enge Linien. Wichtiger für unsere Betrachtungen ist jedoch die Absorption durch Moleküle. Bei ihnen verbreitern sich die Absorptionslinien der Atome zu Absorptionsbanden (Abb. 3.30, S. 117), d. h. zu einer Gruppe von Übergängen. Sie resultieren aus der zusätzlichen Anregung von Rotation und Schwingungszuständen, welche mit dem Elektronenübergang im vielatomigen Molekül in enger Beziehung stehen. Die dafür erforderliche Energie liefert ebenfalls das absorbierte Quant. Infolgedessen entspricht dessen Energie nicht exakt dem Betrag, welcher für einen einfachen Elektronenübergang erforderlich ist. Gesättigte organische Verbindungen absorbieren im allgemeinen ultraviolette Strahlung und erscheinen daher unserem Auge als farblos. Sind jedoch Chromophore (Atomgruppen mit Wirkung auf Absorption; vgl. S. 78) wie C
C ,
C
O, C
N
, C
S oder
N
O
vorhanden und stehen diese in Konjugation, dann verschiebt sich die Absorption zu längeren Wellenlängen, d. h. in den sichtbaren Bereich des Spektrums: die Verbindung ist mehr oder weniger intensiv gefärbt. Die selektive Lichtabsorption durch Pigmentmoleküle beruht auf einer Häufung von Chromophoren im konjugierten System (S. 76). Sie hat ihre Ursache in den π-Elektronen der Mehrfachbindungen, welche mit zunehmender Beweglichkeit (Delokalisation) schon durch langwellige (energieärmere!) Strahlung angeregt werden können und damit Farbvertiefung bewirken.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich Box 3.8
왔
113
Analyse der Primärvorgänge
1. Isolierung und Charakterisierung von Substanzen aus Chloroplasten oder deren Äquivalenten, die möglicherweise an den Primärvorgängen beteiligt sind. Die genaue Kenntnis ihrer Eigenschaften erlaubt Aussagen über ihre Teilnahme an einem vermuteten Reaktionsablauf. Neben den Chlorophyllen und Carotinoiden sowie den Biliproteiden, die in diesem Zusammenhang besonders interessieren, wurden mehrere Verbindungen gefunden, die ganz offensichtlich eine spezifische Funktion im photochemischen Apparat erfüllen: Cytochrome, Plastochinon, Plastocyanin, Flavoprotein, Ferredoxin, Mangan. Über sie wird in den folgenden Abschnitten noch ausführlich zu sprechen sein. 2. Messung von Menge und Bildungsgeschwindigkeit einzelner für die Primärvorgänge typischer Reaktionsprodukte in Abhängigkeit von den äußeren Bedingungen. Hier konzentrierte sich das Interesse schon früh auf den freigesetzten Sauerstoff. Später kamen die „Reduktions-“ und „Energieäquivalente“ hinzu. 3. Mit der Kernresonanz- oder NMRSpektroskopie (nuclear magnetic resonance) ist die Erfassung von Strukturbestandteilen, aber auch von Stoffwechselprodukten in intakten Zellen und Geweben möglich. Die Technik beruht darauf, daß bestimmte Atomkerne ein inneres magnetisches Moment oder Spin besitzen, d. h. sie ähneln einem kleinen Stabmagneten. Beim Anlegen eines externen Magnetfeldes richtet sich der Spin parallel zu diesem aus. Pulse einer elektromagnetischen Strahlung im Radiowellenbereich versetzen ihn in einen nichtparallelen, an geregten Zustand. Die Rück-
4. kehr in den parallelen Grundzustand ist mit Strahlungsemission verbunden, welche gemessen und in Form eines Spektrums dargestellt werden kann. Die Umgebung eines solchen Kerns wird ebenfalls beeinflußt: seine Anregung wirkt sich auf die Absorption und Emission durch Kerne in der Nachbarschaft aus. Mit der zweidimensionalen NMR können dicht beieinander liegende Wasserstoffkerne in verschiedenen Aminosäureresten eines Polypeptids anhand kleiner Verschiebungen in den erzeugten Signalen erfaßt und gemessen werden. Aus der Größe der letzteren ergibt sich die jeweilige Entfernung zwischen einem wechselwirkenden Paar von Wasserstoffkernen und damit deren Abstand innerhalb eines Moleküls, z. B. eines Proteins. Diese Kenntnisse in Kombination mit Sequenzdaten erlaubt die Erstellung dreidimensionaler Strukturen von Proteinen mit Größen bis zu 20 kDa. 4. Elektronenspin-Resonanz-Spektroskopie (ESR; electron paramagnetic resonance) erlaubt die Erfassung einzelner Moleküle soweit sie eine Gruppierung mit einem ungepaarten Elektron als „Spin-Markierung“ enthalten. Dieses erzeugt ein paramagnetisches Signal, welches erfaßt und ausgewertet wird; es entspricht der vom ungepaarten Elektron absorbierten Energie. Die Grundlagen dieser Technik stimmen mit denen der NMR-Spektroskopie weitgehend überein (s. o.). 5. Beobachtung und Registrierung von physikalischen Veränderungen in der lebenden Zelle als Folge der Lichtabsorption. An erster Stelle steht dabei die Fluoreszenz (S. 115 ff). Aus ihrer Intensität bzw. ihrer Erscheinungsform haben sich
Box 3.8: Hinweis fehlt Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
왔
114
3 Photosynthese
왔 Box 3.8
Analyse der Primärvorgänge (Fortsetzung)
wertvolle Erkenntnisse über die Wirkungsweise und die Verteilung lichtabsorbierender Pigmente gewinnen lassen (vgl. S. 118). Eine weitere Methode zur Analyse der Primärvorgänge in Algenzellen, Chloroplasten bzw. in deren Fragmenten erfaßt Stoffumsetzungen durch eine direkte Messung der damit verbundenen optischen Absorptionsveränderungen. Da diese sehr klein sind (Größenordnung 0,1 %) und die beteiligten Reaktionen zeitlich in einem Bereich von 10 – 1 bis 10 – 5 s ablaufen, mußten zunächst Registriervorrichtungen mit einer entsprechend hohen Empfindlichkeit entwickelt werden. Die Anregung der Photosynthese erfolgt in diesem Falle mit kurzen Lichtblitzen (Dauer: bis 1 µs!) oder Laser-Blitzen (PicosekundenAnalyse; 10 – 12s!), wobei der gesamte zeitliche Verlauf der stattfindenden Absorptionsänderungen zwischen 220 und 800 nm registriert wird. Das Ver-
왔
4. fahren heißt Blitzlicht-Photometrie. Will man aus der Folge der erhaltenen Absorptionsänderungen eine einzelne, deren zeitliche Lage bekannt ist, getrennt messen, so bedient man sich der Periodischen Blitzlicht-Photometrie. Die Photosynthese wird bei diesem Verfahren durch eine periodische Folge von kurzen Lichtblitzen angeregt, worauf die Registrierung der Absorptionsänderung zu dem betreffenden Zeitpunkt vorgenommen und sogar mehrfach wiederholt werden kann. 6. Vergiftung einzelner Reaktionen der Photosynthese durch Zugabe spezifisch wirkender Substanzen zu Zellen bzw. isolierten Chloroplasten und Äquivalenten. Aus den auftretenden Hemmeffekten sind Rückschlüsse auf beteiligte Verbindungen bzw. den Reaktonsmechanismus unbekannter Umsetzungen möglich.
hypertonischen Medium durch den eintretenden osmotischen Schock aufgesprengt. Zur Zerlegung der Substrukturen, d. h. der Thylakoide und ihrer Membranen, eignen sich Ultraschall oder eine Behandlung mit Detergenzien (Natriumdodecylsulfat, S. 478; Triton, Digitonin). Durch fraktionierende Zentrifugation bzw. durch Reinigung in einem Dichtegradienten gelingt die Anreicherung von Bestandteilen in mehr oder weniger einheitlichen Fraktionen. Ihr chemischer Aufbau oder ihre Fähigkeiten zur Durchführung von photosynthetischen Primärvorgängen werden geprüft (Beispiel: Box 3.12, S.131).
3.5.2
Strahlungsabsorption durch Atome und Moleküle
Zum Verständnis von Primärvorgängen bei der Photosynthese bedarf es der Erläuterung einiger wichtiger Grundlagen von Strahlungsabsorption und Photochemie; sie sind in Box 3.7 (S. 112) zusammengestellt. Beim Chlorophyll können π-Elektronen, ausgehend vom Niveau des 1. Anregungszustands, weitere, energetisch höherwertige Zustände erreichen, wenn Quanten sichtbarer Strahlung absorbiert werden. Ein auf ein höheres Energieniveau angehobenes Elektron wird versuchen, unter Energieabgabe möglichst schnell wieder den Grundzustand herzustellen. Entspre-
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
115
chend ist der Anregungszustand nur von extrem kurzer Dauer. Eine Differenzierung tritt ein, wenn mehrere Anregungszustände in einem Molekül – wie beim Chlorophyll – möglich sind (s. Abb. 3.30, S. 117).
Beim Elektronenübergang vom Anregungs- in den Grundzustand kann Energie u. a. in Form von Photonen freigesetzt werden. Diese Emission wird als Fluoreszenz bezeichnet (zuerst am Flußspat, Calciumfluorid, beobachtet!). Feste Körper und zahlreiche gelöste organische Verbindungen, darunter Farbstoffe (Eosin, Fluoreszein) und Pigmente, zeigen eine spezifische Fluoreszenzstrahlung, wenn sie einer kurzwelligen Anregungsstrahlung ausgesetzt werden. In der Photosyntheseforschung ist die Fluoreszenz zum wertvollen Hilfsmittel bei der Anlayse der Primärvorgänge und der daran beteiligten Pigmente geworden. Die Fluoreszenz von Chlorophyll wird wegen der Schlüsselstellung dieses Pigments anschließend ausführlich behandelt. Carotine und Xanthophylle zeigen in vivo keine Fluoreszenz. Phycobiliproteide fluoreszieren in der Zelle nur schwach, wesentlich stärker hingegen im isolierten Zustand. Die Ausbeute kann für Phycocyanin und Phycoerythrin bis zu 53 bzw. 85% der Anregung betragen.
3.5.3
Photochemie des Chlorophylls
Chlorophyll a verdankt seine Schlüsselstellung im photochemischen Reaktionsbereich einer Reihe von außergewöhnlichen Eigenschaften, welche seine Überlegenheit im Verlauf der Evolution begründet haben. Zu diesen zählen 1. die strukturbedingte spezifische Strahlungsabsorption und die Ausbildung von Anregungszuständen, 2. die Eignung, Anregungsenergie von zugeordneten Pigmenten zu übernehmen, 3. die Fähigkeit zur spezifischen photochemischen Reaktion. Wir wollen uns einleitend mit einigen Fakten zur erstgenannten Eigenschaft bekannt machen. Die Fluoreszenz von Chlorophyll wird sichtbar, wenn es in organischer Lösung, beispielsweise in Aceton, mit kurzwelligem Blaulicht bestrahlt wird. In der auftretenden intensiv roten Strahlung werden etwa 30% der absorbierten blauen Strahlung als Photonen roter Strahlung reemittiert. Beim Zutropfen von Wasser zu der Lösung erfolgt eine langsame „Löschung“ (quenching; engl.) der Fluoreszenz. Die Ursache liegt darin, daß Chlorophyll in eine kolloidale Verteilungsform überführt wird, in welcher die Fluoreszenz weitgehend ausgeschaltet ist. Aus dieser Beobachtung hat man früher geschlossen, daß Chlorophyll auch in vivo wäßrig-kolloidal verteilt vorliegt, denn im funktionstüchtigen Chloroplasten ist die nachweisbare Fluoreszenz relativ schwach; sie beträgt höchstens 3% der absorbierten Strahlung. Das Absorptionsspektrum der Chlorophylle (Abb. 3.7, S. 81; 3.29) zeigt bereits an, daß nur die Photonen roter und blauer Strahlung bestimmter Wellenlängen
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116
3 Photosynthese
430
Fluoreszenz-Emission Absorptionsspektrum
Absorption
662 669
Abb. 3.29 Absorptionsspektrum und Fluoreszenzspektrum von Chlorophyll a. Messung in Diethylether (nach Goedheer).
400
500
600
nm
700
für eine Fluoreszenzanregung der Moleküle in Frage kommen. Die auftretende Fluoreszenzstrahlung besteht jedoch für beide Photonen-Arten aus Quanten gleicher Qualität: Das Fluoreszenzspektrum (Abb. 3.29) besitzt nach Anregung mit Quanten blauer bzw. roter Strahlung ein identisches Maximum im roten Spektralbereich. Es unterscheidet sich hinsichtlich seiner Wellenlänge nur geringfügig von dem der Chlorophyllabsorption. Durch die Aufnahme energiereicher Quanten blauer Strahlung wird demnach eine Emission energieärmerer Quanten roter Strahlung hervorgerufen. Wird rote Strahlung zur Anregung verwendet, so tritt der gleiche Effekt, allerdings in sehr viel geringerem Ausmaß auf: die Wellenlänge der Fluoreszenzstrahlung ist jetzt nur noch geringfügig länger als die der Anregungsstrahlung. Die Erklärung für dieses Phänomen liefern die energetisch unterschiedlichen Anregungszustände im Chlorophyllmolekül, wobei π-Elektronen als delokalisierte Außenelektronen auf höhere Orbitale angehoben werden (π 씮 π*-Übergang). Wie die nachfolgende Abb. 3.30 zeigt, sind es deren drei: 1. 1. Triplettzustand mit dem niedrigsten Energieniveau 2. 1. Singulettzustand 3. 2. Singulettzustand mit dem höchsten Energieniveau Die Bezeichnung „Singulett“ weist darauf hin, daß jeweils ein einzelnes Elektron auf ein höheres Orbital befördert wird, „Triplett“ hebt darauf ab, daß für den ungepaarten Elektronenspin drei Richtungen möglich sind.
Durch Absorption eines blauen Quants (430 nm) wird der 2. Singulettzustand erreicht. Bei Absorption eines energieärmeren Quants (670 nm) durch das Molekül erreicht ein delokalisiertes Elektron lediglich das Niveau des 1. Singulettzustands. Der 2. Singulettzustand gehört zu den Anregungszuständen, die sich durch extreme Kurzlebigkeit (10 – 12s ⫽ 1 ps) und geringe Stabilität auszeichnen. Die Gründe hierfür wurden bereits erläutert (S. 114 f). Das angeregte Elektron fällt daher sehr schnell in den 1. Singulettzustand zurück (in 0,01 – 0,1 ps), wobei die freiwerdende Energie ausschließlich als Wärme abgestrahlt wird.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich kJ/mol
2. Singulettzustand (S2)
∼273
1. Singulettzustand (S1)
∼172
Phosphoreszenz
Wärme
Energietransfer
Fluoreszenz (8%)
1. Triplettzustand (T1)
Wärme
Absorption 670 nm
∼130
Wärme
Absorption 430 nm
Qe, m
Wärme (100%)
117
Abb. 3.30 Energieumwandlungen. Anregungszustände des Chlorophyllmoleküls bei Absorption von Quanten roter bzw. blauer Strahlung (430 bzw. 670 nm) und die daraus resultierenden Energieumwandlungen. Übergänge aus Schwingungs- und Rotationsanregungen der einzelnen Zustände schematisch angedeutet (Einzelheiten im Text).
Grundzustand (T0)
Von der ursprünglichen Anregungsenergie eines Quants blauer Strahlung wird somit zunächst ein Teilbetrag als Wärme emittiert, der Rest dann als Strahlung: Die Rückkehr des Elektrons vom 1. Singulettzustand in den Grundzustand ist nämlich mit der Freisetzung eines Quants roter Strahlung verbunden. Dieser letzte Übergang ist identisch mit der Folgereaktion einer Fluoreszenzanregung durch einen Quant roter Strahlung (vgl. Abb. 3.29, s. o.). Aus diesem Grunde ist die von roter und blauer Strahlung erzeugte Fluoreszenzstrahlung von gleicher Qualität. Allerdings ist nicht jeder Übergang vom 1. Singulett- in den Grundzustand ausschließlich mit der Freisetzung eines Quants verbunden; vielmehr kann die Energie auch als Wärme freiwerden. Es leuchtet ein, daß die Energie eines angeregten Chlorophyllmoleküls, die als Wärme oder Fluoreszenzstrahlung bei der Rückkehr in den Grundzustand frei wird, keine chemische Arbeit im Sinne von Knüpfen oder Lösen chemischer Bindungen zu leisten vermag. Sie ist für die Photosynthese verloren. In den Chloroplasten und seinen chlorophylltragenden Äquivalenten muß daher Vorsorge getroffen sein, um die während eines sehr kurzlebigen Anregungszustands (ca. 5 ns) verfügbare Energie in eine stabilere Form zu überführen und für chemische Arbeit nutzbar zu machen. Da letztere vor allem von der Anregungsenergie des 1. Singulettzustands – auch aufgrund der etwas längeren Lebensdauer von ca. 10 – 8s – geleistet werden kann, ist dieser Anregungszustand offensichtlich von großer Bedeutung für die photochemischen Reaktionen im Chloroplasten. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß noch andere Wege für diese Energie offenstehen, beispielsweise ein Übergang zum 1. Triplettzustand, welcher metastabil und daher recht langlebig ist; dieser kann nur vom 1. Singulett erreicht werden. Von dort ist die Rückkehr in den Grundzustand mit
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3 Photosynthese
118
einer verzögerten Emission von Strahlung verbunden, genannt Phosphoreszenz; ihre Wellenlänge ist deutlich länger als die der ursprünglich absorbierten. Nur einige wenige Chlorophyllmoleküle liegen offensichtlich bei der Normalphotosynthese im 1. Triplettzustand vor, so daß er bei der Photosynthese praktisch keine Rolle spielt. Nun hat die Erforschung der Primärvorgänge bei der Photosynthese (s. Box 3.8, S. 113 f) gezeigt, daß die allgemeinen Bedingungen und Abläufe photochemischer Reaktionen nicht notwendigerweise auch für die Photosynthese gelten. So wird von einigen Forschern angezweifelt, ob bei dieser überhaupt ein relativ langlebiger Zustand der Anregung – 1. Singulett- oder 1. Triplettzustand – erreicht werden muß, um absorbierte Strahlungsenergie abzufangen und in chemische Energie zu überführen.
Aus Untersuchungen zum Fluoreszenzverhalten intakter Photosynthesestrukturen haben sich zunächst wertvolle Hinweis auf die Dauer von Anregungszuständen (life-time; engl.) der Pigmentmoleküle und damit auf den Zeitraum, in welchem Anregungsenergie für chemische Arbeit verfügbar ist, ergeben. An intakten Chloroplasten gelang mit Hilfe von Fluoreszenz-Emissionsspektren der Nachweis zweier aktiver Photoreaktionssysteme in vivo (Abb. 3.31). Dieser Befund belegt eindrucksvoll die früheren Beobachtungen und Voraussagen von Emerson (S. 108 f).
Funktionsformen der Chlorophylle. Neben Untersuchungen der Fluoreszenz von photosynthetisch aktiven Pigmenten in vivo (s. o.) brachte vor allem die Aufnahme ihrer spezifischen Absorptionsspektren bei tiefen Temperaturen (French) den entscheidenden Durchbruch bei der Ermittlung der Funktionsform. Wie Abb. 3.32 zeigt, schärfen sich unter diesen Bedingungen die Absorptionsbanden einzelner Komponenten so weit, daß das Rot-Absorptionsmaximum der Chlorophylle in vivo in eine Gruppe von kleineren Absorptionsmaxima aufgelöst werden kann. Diese unterscheiden sich durch Lage sowie Größe und entsprechen verschiedenen spektralen Formen von Chlorophyll a und b, welche als Pigment-Protein-Komplexe (S. 93) in der nativen Struktur vorliegen. Sie können aus solubilisierten Thylakoidmembranen durch Elektrophore-
Photosystem II
Fluoreszenzintensität
Photosystem I
600
650
685 695 735 700 750 nm
800
Abb. 3.31 Photosystem I und Photosystem II. Nachweis in intakten Chloroplasten anhand des Fluoreszenz-Emissionsspektrums. Bei tiefen Temperaturen (– 196 ⬚C) zeigt Photosystem I eine starke Fluoreszenz bei 735 nm, eine schwächere bei 684 bzw. 695 nm (punktierte Kurve); für Photosystem II sind vor allem die Maxima bei 685 und 695 nm typisch (rote Kurve).
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
Abb. 3.32 In vivo Absorption von Chlorophyllen. Spektrum einer Chloroplastenfraktion aus Scenedesmus mit Photosystem I und Photosystem II, welches bei – 196 ⬚C aufgenommen und dessen Absorptionsmaximum im Rotbereich in die Absorptionsanteile der einzelnen Formen von Chlorophyll a und b aufgelöst wurde (nach French).
677,7 669,7
Absorption
119
661,3
648,9
684,3 692,4
630 640 650 660 670
680 690 nm 710
se in Polyacrylamid-Gel (S. 478) unter nicht-denaturierenden Bedingungen isoliert werden. Entsprechende Formen wurden in Algenchromatophoren bzw. in Partikelfraktionen aus diesen (z. B. Scenedesmus u. Chlorella) gefunden.
3.5.4
Die Kopplung zweier Lichtreaktionen Allgemeines
Absorbierte Strahlungsenergie wird bei der Photosynthese über zwei verschiedene Photoreaktionen wirksam. Diese laufen in zwei supramolekularen Reaktionskomplexen der Thylakoidmembran ab, welche aus zahlreichen Proteinen (Untereinheiten) und einigen hundert Pigmentmolekülen bestehen: Photosystem I und Photosystem II. Die für beide typischen photochemischen Ereignisse werden als 1. Lichtreaktion bzw. 2. Lichtreaktion bezeichnet. Jedes Photosystem besteht aus einem intramembranen Lichtsammlersystem oder -komplex (LHC; auch: Antennenkomplex) – in Ausnahmefällen erweitert um ein extramembranes – und einem Kern-(Core-)Komplex, welcher das Reaktionszentrum einschließt. Das Lichtsammlersystem leitet absorbierte Strahlungsenergie an das Reaktionszentrum. Dadurch wird jeweils einer spezifischen Form von Chlorophyll a eine so hohe Photoanregung erteilt, daß ein energiereiches Elektron emittiert und von einem Primärakzeptor übernommen wird. Dieser gibt es an eine Elektronentransportkette (s. S. 28 f) ab, an deren Ende die Bildung des stabilen Reduktionsäquivalent NADP-H + H+ steht. Einige der beteiligten Redoxsysteme sind Bestandteile eines weiteren, allerdings pigmentfreien Membrankomplexes; er heißt nach seinen funktionellen Kompo-
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3 Photosynthese
Box 3.9
Analyse von Membrankomplexen
Die Untereinheiten oder Polypeptide von Komplexen der Thylakoidmembran lassen sich in der Regel durch Behandlung mit einem Detergenz (S. 114) freisetzen und dann durch Elektrophorese in einem Polyacrylamid-Gel (S. 478) isolieren. Allerdings verlieren dabei einige ihre funktionellen Komponenten; andere büßen ihre ursprüngliche Aktivität ein. Hieraus ergeben sich Schwierigkeiten bei der Identifizierung und Charakterisierung einzelner Polypeptide. Bei der Strukturaufklärung von Reaktionskomplexen der Thylakoidmembran sind zwei Verfahren erfolgreich eingesetzt worden: 1. Röntgenstrukturanalyse; ein Röntgenstrahl wird durch eine kristallisierte Probe des Materials geschickt und aus dem entstehenden Beugungsmuster der molekulare Aufbau abgeleitet. 2. Hochauflösende Elektronen-Kristallographie an Strukturen mit kristalliner Ordnung in zwei Dimensionen, welche regelmäßig und sich wiederholend auftreten, mit Hilfe des Kryoelektronenmikroskops. Bei dieser Technik sind die unvermeidlichen Strahlungsschäden aufgrund der tiefen Temperaturen (4,2 Kelvin) weitaus geringer als bei Raumtempera-
tur; folglich können mehr Elektronen eingestrahlt werden: Die Hochauflösung von Strukturen wird dadurch noch akkurater. Somit resultieren Atom-Modelle komplexer Proteine (S. 122). Die Anwendung beider Verfahren ist erfolgreich, seitdem Membrankomplexe in der erforderlichen geordneten, kristallinen Form hergestellt werden können. Der experimentelle „Trick“ bestand darin, ein Detergenz mit einem hydrophilen Ende und einem hydrophoben, z. B. N,N’-Dimethyldodecylamin-N-oxid, mit Polypeptiden eines isolierten Komplexes in Kontakt zu bringen. Dabei besetzt jenes mit seinem hydrophoben Anteil die entsprechenden Abschnitte der Polypeptide: es entstehen wasserlösliche ProteinDetergenz-Mizellen. In diesen bleibt die native Struktur der Proteine erhalten. Damit ist die Voraussetzung für eine (langsame) Kristallisation in einem wäßrigen Milieu unter bestimmten Bedingungen (Ausfällung mit Ammoniumsulfat oder Polyethylenglykol) gegeben. Polypeptide und Hilfsmoleküle bilden gemeinsame Kristalle (Kokristallisation), wobei in denselben die Mizellen einen hohen Ordnungszustand aufweisen (Beispiel S. 206).
nenten Cytochrom b6/f-Komplex (Cyt b6/f-Komplex). Kleinere bewegliche Membrankomponenten besorgen den Elektronentransfer zwischen den integralen Komplexen und dem Elektronen-Endakzeptor NADP+ . Eine weitere Funktion des komplexen photochemischen Reaktionsbereiches besteht darin, Energieäquivalente – ATP – zu produzieren, welche neben den Reduktionsäquivalenten für die chemische Umwandlung von Kohlendioxid in Kohlenhydrat benötigt werden. Auch an diesem Prozeß – Photosphosphorylierung – ist ein pigmentfreier Komplex der Thylakoidmembran maßgeblich beteiligt; er setzt sich aus zahlreichen Proteinen zusammen: CF1/CF0-Komplex oder ATP-Synth(et)ase-Komplex. Zur Strukturaufklärung dieser Komplexe s. Box 3.9.
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Bevor wir auf die Besonderheiten der zugrundeliegenden Membran-Architektur – Membran-Topographie oder -Topologie – näher eingehen (S. 141 ff), soll zunächst der Weg des emittierten energiereichen Elektrons nachgezeichnet werden. Dieser wird im wesentlichen vom Redoxpotential jedes Überträgersystems – komplexgebunden oder frei beweglich – in der abführenden Transportkette bestimmt. Ihre Mittelpunktspotentiale (EM; S. 27) werden vertikal so angeordnet, daß das Redoxsystem mit dem am stärksten negativen Potential ganz oben, das mit dem am stärksten positiven ganz unten steht (Einzelheiten S. 28 ff; Abb. 1.8). Diese Art der Darstellung des photosynthetischen Elektronenflusses bei sauerstoffproduzierenden Pflanzen geht auf Hill u. Bendall zurück und ist allgemein als Z-Schema („Zickzack-Schema“) akzeptiert (Abb. 3.34, S. 126). Diese Darstellungsweise sagt jedoch nichts über die räumliche Anordnung der beteiligten Reaktionssysteme in der Thylakoidmembran aus. Hierüber gibt das Modell in Abb. 3.42 (S. 144) Auskunft. Wir beginnen die Betrachtung nicht mit Photosystem I (was wegen der Numerierung logisch wäre), sondern mit Photosystem II, vor allem aus zwei Gründen: Dieses ist die Quelle des photosynthetischen Elektronenflusses und – entgegen früherer Auffassung – entwicklungsgeschichtlich mindestens ebenso alt wie Photosystem I. Ein gewichtiges Indiz hierfür ist die jüngst entdeckte Übereinstimmung im molekularen Aufbau seines Reaktionszentrums mit dem einiger photosynthetisch aktiver Bakterien (s. S. 124).
Photosystem II und 2. Lichtreaktion Photosystem II, einer der am besten charakterisierten multimeren Komplexe der Thylakoidmembran, besteht aus dem Lichtsammlersystem LHC II und dem Kern-(Core-)Komplex mit dem Reaktionszentrum und dem wasserspaltenden oder sauerstoffentwickelnden Komplex. Am Aufbau von Photosystem II sind mindestens 26 verschiedene Proteine (Polypeptide oder Untereinheiten) beteiligt. Vom Lichtsammlersystem sind bisher 6 verschiedene Chlorophyll-ProteinKomplexe nachgewiesen worden: LHC IIa, IIb, IIc, IIc', IId und IIe. Von diesen überwiegt mengenmäßig LHC IIb: Dieser Komplex enthält etwa ein Drittel aller Proteine der Thylakoidmembran und rund 42% des Gesamtchlorophylls. In der nativen Form ist er vermutlich zu Trimeren aggregiert. Jedes Protein oder Monomer soll mit 12 – 15 Chlorophyll- (a : b ⫽ 1,3) und drei Xanthophyllmolekülen, davon möglicherweise 2 Lutein, bestückt sein. Vermutlich sind dem Photosystem II insgesamt 12 LHC IIb-Komplexe zugeordnet. Auf alle übrigen LHC II-Komplexe entfallen etwa 3% des Gesamtchlorophylls. Jeder soll mit ein bis zwei Exemplaren am Aufbau von LHC II beteiligt sein. Für LHC IIa, vermutlich identisch mit CP29, ist der höchste Anteil an Chlorophyll a ermittelt worden; außerdem ist seine Proteinkomponente am größten: 26 kDa bzw. 28 kDa bei Tomate, 31 kDa bei Gerste. LHC IId oder CP24 zeichnet sich durch ein außergewöhnlich niedriges Verhältnis von Chlorophyll a zu Chlorophyll b aus: 0,9. Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
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Zum Grundmuster der Sekundärstrukturen (s. S. 479 f) von LHC II-Proteinen gehören drei transmembrane Helices – I bis III – sowie eine extramembrane Helix nahe dem Carboxy-Terminus. Sie sind durch unterschiedlich lange Sequenzabschnitte getrennt. Beim Spinat ist für den Gesamtkomplex von LHC II eine Mindestzahl von 150 Chlorophyllmolekülen gefunden worden. Bei anderen Spezies sind es bis zu 250 Pigmentmoleküle. Mit Hilfe hochauflösender Elektronen-Kristallographie (Box 3.9, S. 120) gelang an Kristallen des LHC IIb-Monomer die Erstellung eines dreidimensionalen Atom-Modells. Danach sind zwei der drei membrandurchspannenden Helices der Protein-Untereinheit, nämlich I und III, durch Ionenbindung zu einem Paar vereint. Dieses bindet mindestens 7 Moleküle Chlorophyll a sowie 6 Moleküle Chlorophyll b; außerdem sollen 2 Carotinoidmoleküle (Lutein?) damit assoziiert sein. Für Helix II wird die Bindung von Chlorophyll b angenommen.
Gene von LHC II-Proteinen. Die Aminosäuresequenzen der einzelnen Proteine oder Polypeptid-Untereinheiten von LHC II sind einander sehr ähnlich. Ihre codierenden Gene gehören nämlich einer großen Familie – CAB – des Kern-Genoms an (die Bezeichnung steht für „Chlorophyll a/b“). Zum Kern-(Core-)Komplex von Photosystem II gehören, wie das Modell in Abb. 3.33 zeigt, die Komponenten des Reaktionszentrums (s. u.) sowie die beiden intrinsischen (integralen) Polypeptide CP 47 (PS II-B; ca. 47 kDa) und CP 43 (PS II-C; ca. 43 kDa), welche jeweils mit 11 – 30 Molekülen Chlorophyll a assoziiert sind. Ursprünglich als integrale Proteine des Reaktionszentrums deklariert, werden sie heute als interne Komponenten des Lichtsammlersystems von Photosystem II angesehen, welche möglicherweise weitere Funktionen übernehmen, u. a. bei der Stabilisierung des wasserspaltenden Komplexes (s. u.).
CP 43
D2
D1
C
D
A
QA Phe a E Cyt b559
Fe
CP 47 F
QB
Phe a
I
Chl a Chl a Chl a P-680 Chl a
Z
O
(n-Seite) Thylakoidmembran
Intrathylakoidraum P
Q
Stroma
(p-Seite)
D
Mn Mn Mn _ Mn2+ Cl Ca
B
wasserspaltender Komplex
Abb. 3.33 Kern-(Core-) Komplex von Photosystem II sowie wasserspaltender Komplex (Modell). Die Anordnung der einzelnen Polypeptide in diesem stark vereinfachten Schema stimmt nur ungefähr mit der nativen Struktur überein. Die niedermolekularen Polypeptide H, K, L sowie R und S sind nicht berücksichtigt. Von der Bezeichnung der Polypeptide ist lediglich der Großbuchstabe verwendet, der Rest „PS-II“ weggelassen worden. Phe a Pheophytin a Cyt b559 Cytochrom b559 Chl a Chlorophyll a
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Zu den peripheren oder extrinsischen Proteinen des Kern-(Core-)Komplexes gehören drei Komponenten des wasserspaltenden Komplexes: PS II-O (33 kDa), PS II-P (23 – 24 kDa) und PS II-Q (17 – 18 kDa). Hinzu kommen mindestens zwei weitere Proteine, welche möglicherweise mit dem Komplex assoziiert sind, wenngleich ihre Funktion noch unbekannt ist: PS II-R (10 kDa) und PS II-S (22 kDa). Gleiches gilt vielleicht auch für PS II-K (2,4 kDa), PS II-L (5 kDa) und PS II-H (10 kDa), wobei letzteres mit dem kürzlich beschriebenen regulatorischen Phosphoprotein des Chloroplasten identisch sein könnte.
Codierung von Proteinen des Kern-(Core-)Komplexes II. Für die bisher identifizierten 13 intrinsischen (integralen) Proteine – PS II-A bis PS II-F sowie PS II-H bis PS II-N – sind ausschließlich Gene des Plastiden zuständig (s. S. 441 ff): psbA bis psbF und psbH bis psbN (psb steht für Photosystem II). Sequenzvergleiche zeigen an, daß sie sich bzw. ihre Codierungsprodukte im Verlauf der Evolution nur wenig verändert haben: 75 bis 98% Identität – selbst bei Spezies mit einem sehr unterschiedlichen phylogenetischen Hintergrund. Hingegen werden die extrinsischen (peripheren) Proteine, nämlich die Bestandteile des wasserspaltenden Komplexes, von Kern-Genen (s. S. 436) codiert: psbO bis psbR. Das Reaktionszentrum von Photosystem II besteht nach heutiger Auffassung aus den beiden intrinsischen Polypeptiden D 1 (PS II-A; ca. 37 kDa; D von „diffus“ nach dem Wanderungsverhalten im Gel) und D 2 (PS II-D; ca. 39,5 kDa). Sie bilden ein Heterodimer und binden redoxaktive Komponenten der Photochemie von Photosystem II (s. Abb. 3.33): Eine spezielle Form von Chlorophyll a, wegen ihrer charakteristischen Absorption als Pigment 680 (P-680) bezeichnet; zwei Moleküle bilden vermutlich ein Paar (Dimer); hinzu kommen 4 weitere Moleküle Chlorophyll a, 2 Moleküle Pheophytin a, 2 Moleküle β-Carotin sowie zwei Moleküle Plastochinon (Struktur S. 128): QA mit fester Bindung an D 2 und QB mit reversibler an D 1. Zwischen beide plaziert ist vermutlich ein Nicht-Häm-Eisenprotein (Box 3.16, S. 141), dessen Funktion noch obskur ist. Schließlich gehören noch zwei funktionell wichtige Tyrosin-Bausteine der Aminosäuresequenzen von D 1 (Position 161) und D 2 (Position 160) dazu, ursprünglich nach Oxidation anhand spezifischer ERP-Signale entdeckt („Z+“ und „D+“). Über die spezifische Funktion aller dieser Komponenten wird anschließend berichtet. Eng verbunden mit D 1 und D 2 sind offensichtlich die zwei kleineren integralen Polypeptide PS II-E (ca. 9 kDa) und PS II-F (ca. 4 kDa). Sie entsprechen den „Untereinheiten“ von Cytochrom b559, einem Vertreter der Eisen-Porphyrin-Proteide (S. 132). Vermutlich sind die beiden Polypeptide über die Häm-Gruppierung miteinander verknüpft, wobei jeweils ein Histidin-Rest in der einzigen transmembranen Helix als axialer Ligand dient. Die Funktion dieses Cytochroms im Photosystem II ist ungeklärt. Es fehlt im Reaktionszentrum der bak-
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teriellen Photosysteme, welches ansonsten eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem von Photosystem II zeigt (vgl. Abb. 3.66, S. 201). Zum Reaktionszentrum gehört außerdem ein kleines Polypeptid, PS II-I (ca. 4,8 kDa), dessen Funktion unbekannt ist. Vergleichende Untersuchungen am Reaktionszentrum des Photosystems von Purpurbakterien, einer Gruppe photosynthetisch aktiver Organismen (Rhodospirillaceae; S. 200) haben ergeben, daß zwei integrale Proteine – L und M – ein Heterodimer bilden und die typischen Funktionskomponenten der Photochemie tragen. Damit besteht eine erstaunliche Übereinstimmung mit D 1 und D 2 im Reaktionszentrum von Photosystem II, welche sich auch auf Sequenzaufbau, Faltungsmuster (S. 477) und die Anbindungsstellen der Funktionskomponenten erstreckt. Diese Befunde können dahingehend interpretiert werden, daß im Photosystem II die bakterientypische Konstruktion des Reaktionszentrums weitgehend erhalten – konserviert – ist und lediglich eine Erweiterung um den wasserspaltenden Komplex im Verlauf der Evolution erfahren hat. D 1 ist die Zielscheibe einiger Herbizide (s. Box 3.11).
Photochemische Reaktion und Energietransfer Die vorstehend beschriebenen Teilstrukturen des Membrankomplexes von Photosystem II bilden funktionell eine Einheit. Die Chlorophyllmoleküle im Lichtsammlersystem wirken wie Antennen, indem sie Strahlung definierter Box 3.10
Energiefluß über Pigmente: Theorie
Wie die vom Lichtsammlersystem absorbierte Strahlungsenergie effizient konzentriert und gerichtet dem Reaktionszentrum zugeleitet wird, ist weitgehend ungeklärt. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist sicherlich der geringe räumliche Abstand der Pigment-Protein-Komplexe in einer hochgeordneten Struktur. Hierfür spricht das Fehlen von nennenswerter Fluoreszenzstrahlung, welche normalerweise den Energietransfer zwischen zwei Pigmentmolekülen begleitet. Offensichtlich wandert Energie im Lichtsammlersystem weitgehend verlustfrei, insbesondere von Chlorophyll b nach Chlorophyll a. Hierfür kommen als geeignete Mechanismen der induktive Resonanztransfer (nach Förster) – Abstand zwischen den Pigmentmolekülen mehr
als 2 nm – oder der Excitonentransfer – Partner stark angenähert, daher Wechselwirkungen verstärkt – in Frage. Wichtig zum Verständnis einer gerichteten Energiebewegung ist der Befund, wonach die Pigmentmoleküle zu einzelnen Gruppen – Cluster – mit jeweils unterschiedlicher Absorption zusammengefaßt sind und räumlich in einer definierten Anordnung vorliegen: Mit zunehmender Nähe zum Reaktionszentrum verschiebt sich das Absorptionsmaximum der einzelnen Cluster immer weiter in den langwelligen Bereich. Damit ergibt sich energetisch eine abfallende Stufenfolge im Anregungszustand, welche einen Energietransfer in umgekehrter Richtung ausschließt.
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Wellenlängen empfangen und ihre Energie gerichtet und mit hoher Effizienz dem Reaktionszentrum zuführen. Man hat diesen Mechanismus mit einer Sammelfalle (trapping center, engl.) verglichen, weil Photonen, einmal „eingefangen“, praktisch keine andere Wahl haben, als dem vorgezeichneten Pfad zum Reaktionszentrum zu folgen. Der genaue Mechanismus der Energieleitung im Lichtsammlersystem ist noch ungeklärt (Box 3.10). Daß sie grundsätzlich stattfindet, bestätigen UntersuBox 3.11
Herbizide
Diese synthetischen Verbindungen dienen der Beseitigung von „Unkräutern“ unter minimaler Beeinträchtigung der Kulturpflanzen; dazu müssen sie in der jeweils wirksamen Menge ausgebracht werden. Die Wirkung einiger Herbizide (herba: Kraut, caedere: töten) setzt am Photosystem II an. Es handelt sich dabei um Harnstoff-Derivate wie Diuron [DCMU; 3-(3,4-Dichlorophenyl)-1,1-dimethylharnstoff], s-Triazine (s ⫽ „symmetrisch“; Atrazin, Simazin: mit Chlor!), Triazinone (Metribuzin), Anilide (Propanil), Biscarbamate und Uracile (Bromacil). Ein wichtiger Angriffspunkt ist D 1: Das Herbizidmolekül verdrängt im typischen Falle QB aus seiner Bindungsstelle und besetzt diese, insbesondere dann, wenn QBH2 frei wird (s. Abb. 3.35, S. 127). Da dem Plastochinonmolekül aus dem Kollektiv somit der Zugang verwehrt ist, kommt es zur Blockierung des Elektronentransfers in die an Photosystem II gekoppelte Transportkette. Die hieraus resultierende allgemeine Hemmung der Photosynthese schädigt Wachstum und Entwicklung der Pflanze und führt meist zum Absterben. Daß im Zustand QAQB – kaum Herbizid-Bindung erfolgt, spricht für eine relativ stabile Anbindung des vermuteten Semichinons. Das Ausmaß von Bindung und Hemmung ist bei den einzelnen Herbiziden unterschiedlich. Ihre Bindungorte liegen zwar dicht beieinander, sind aber nicht exakt iden-
tisch. Letztlich verantwortlich ist die Anordnung einzelner Aminosäure-Reste in der Polypeptidkette von D1. Sie konnten einerseits durch spezifische Markierung des Herbizidmoleküls (Azido-Form oder Radioaktivität), andererseits über gezielte Mutagenese des codierenden plastidären Gens psbA ermittelt werden. In der Primärstruktur von D1 gehören sie zwar räumlich getrennten Domänen an, liegen aber in der dreidimensionalen Faltungsstruktur dicht beieinander und formen eine Bindungsnische oder -tasche. Austausch einzelner Aminosäuren durch Mutation verändert nicht nur die Bindung von Herbizid, sondern auch die Bindigkeit von QB. Bei einigen dieser Herbizid-resistenten Mutanten erwies sich der Elektronenübergang zwischen den beiden Plastochinonen kaum oder nur geringfügig beeinträchtigt. Hieraus ergeben sich neue Perspektiven der Herbizidanwendung in Gartenbau und Landwirtschaft: Den solcherart mutierten Kulturpflanzen kann das betreffende Herbizid praktisch nichts anhaben, während die meisten „Unkräuter“ (und natürlich auch der Wildtyp der Kulturpflanzen!) geschädigt werden. Allerdings sollten solche Resistenzlinien von Kulturpflanzen nur gegen Herbizide entwickelt werden, welche sehr schnell ohne die Bildung toxischer Produkte im Boden abgebaut werden und nicht persistent sind.
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chungen an den akzessorischen Pigmenten, welche absorbierte Strahlungsenergie so wirkungsvoll und schnell an Chlorophyll a weiterleiten, daß ihre Eigenfluoreszenz praktisch unterdrückt wird. Die zugeleitete Strahlungsenergie zeitigt im Reaktionszentrum drei Ereignisse: 1. Wasserspaltung und Sauerstoff-Freisetzung 2. Trennung und Stabilisierung von Ladungen 3. Elektronentransfer. Bei der Aufklärung der zugrundeliegenden Reaktionsmechanismen sind in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte erzielt worden. Sie haben ihren Niederschlag in Modellvorstellungen gefunden, von denen einige experimentell recht gut gesichert, andere noch hypothetischer Natur sind. Allen gemeinsam ist die Erkenntnis, daß ein enger Zusammenhang zwischen funktionellen Abläufen
EM (Volt)
P-700*
–1,0
P-680*
A0
–0,8
A1 Phe
–0,6
FX 2e
–0,4 –0,2 2e
0
QB
+ 0,2 + 0,4
1/
+ 1,0
zyklischer Elektronenfluß
2 H+
PCkoll 2 O2
+ 0,6 H2O + 0,8
QA
Cyt b6 [2 Fe-2 S] Cytf PCY
Mn Ca2+, CB–
2e
Z 2 H+
2 H+
?
Fd FP
NADP+
NADPH + H+
P-700
Photosystem I
P-680
Photosystem II
2 H+
FB/FA
h.ν h.ν 1. Lichtreaktion
h.ν h.ν 2. Lichtreaktion
Abb. 3.34 Z-Schema („Zickzack-Schema“) des photosynthetischen Elektronentransportes. Reihung der beteiligten Redoxsysteme nach ihrem Potential (Einzelheiten im Text).
Cyt Fd FP PCkoll PCY Phe
Cytochrom Ferredoxin Flavoprotein Plastochinon-Kollektiv Plastocyanin Pheophytin a
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und der räumlichen Anordnung der beteiligten Strukturen in der Thylakoidmembran besteht. Hierüber wird später noch zu sprechen sein (S. 141 ff). Das Molekül von P-680 – möglicherweise im Verbund mit einem zweiten (⫽ Dimer; S. 123) – geht durch Absorption eines Lichtquants in photoangeregtes P-680* über, welches aufgrund seines stark negativen Potentials (EM ca. – 0,7 bis – 0,9 Volt) ein energiereiches Elektron sehr schnell auf Pheophytin a (S. 81), den Primärakzeptor, überträgt (Abb. 3.34). Von dort gelangt es ebenfalls sehr schnell auf das „primäre“ Plastochinon QA, welches als Sekundärakzeptor agiert und entsprechend zum Plastosemichinon reduziert wird. Damit Q A– wieder ein Elektron von reduziertem Pheophytin übernehmen kann, muß es oxidiert werden: Das „sekundäre“ Plastochinon QB übernimmt das Elektron. Ob dabei das räumlich zwischen beiden Plastochinonen angeordnete Nicht-HämEisenprotein als vermittelnder Redoxkatalysator wirkt, bleibt offen. Das entstandene Semichinon Q –B bleibt solange an D1 gebunden, bis es erneut durch ein zweites, photochemisch freigesetztes Elektron via QA zum QB2 – reduziert und nach Bindung von zwei Protonen zum QBH2 – Plastohydrochinon oder Plastochinol – wird. Dieses wird freigesetzt und durch ein Molekül Plastochinon aus dem membraninternen Kollektiv oder Pool (PQkoll) ersetzt. Abb. 3.35 zeigt die einzelnen Stationen dieser zyklischen Reaktionsfolge, welche zwei Photoanregungen erfordert. Der Elektronentransfer von QA auf QB verknüpft die „1-Elektron-Photochemie“ im Photosystem II mit der „2-Elektronen-Chemie“ des Plastochinon-Kollektivs.
Reaktionszentrum PC-Kollektiv
Abb. 3.35 Elektronentransfer im Photosystem II. Reaktionszyklus über die einzelnen Plastochinone im Reaktionszentrum.
h.ν QAQB
PQ-H2
e QAQB QAQB-H2
2 H+
QAQB (stabil !) QAQB
e h.ν
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Die Reduktion von Plastochinon zum Plastohydrochinon kann als eine Elektronenaufnahme aufgefaßt werden, welche mit der Bindung von Protonen gekoppelt ist. Die Konzeption einer Elektronenübertragung bei der Photosynthese behält damit auch für einen solchen Schritt der Wasserstoffübertragung ihre Gültigkeit. Im Plastochinon (20) trägt der Benzochinonring zwei Methyl-Gruppen und eine Seitenkette aus 9 Isopren-Resten (s. dazu S. 337 f), welche demgemäß 45 C-Atome umfaßt (Plastochinon45; zur Biosynthese s. S. 378 ff). Vor allem diese lipophile Seitenkette befähigt ein Polyprenylchinon wie das Plastochinon, als beweglicher Redoxkatalysator in der Lipidphase einer Biomembran zu fungieren. O H3C H3C n=9
H O
CH3
n
20 Plastochinon
Wie schon beschrieben, ist sowohl 1-Elektron-Übertragung als auch 2-ElektronenÜbergang möglich. Die reversible Aufnahme von Elektronen durch das Plastochinon – Bildung von Plastohydrochinon (21) – vollzieht sich unter Beteiligung von Protonen in gleicher Weise wie beim FAD. Damit ist auch hier Elektronenübertragung mit Wasserstoffübertragung gleichzusetzen: O–
O H3C
+2e
H3C
R O 20
–2e
OH
H3C H3C
+ 2 H+ R O–
– 2 H+
H3C H3C
R
OH 21 Plastohydrochinon
Außer Plastochinon45 finden sich im Chloroplasten sowie in Cyanobakterien weitere Verbindungen dieser Klasse sowie Naphthochinone (mit Naphthochinonring! Beispiel S. 206) und Tocochinone unbekannter Funktion.
Wasserspaltung. Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Photosynthese lieferte van Niel mit seiner Vorstellung, wonach bei der „primären photochemischen Reaktion“ die stabile Bindung zwischen einem H- und dem O-Atom im Wassermolekül durch Strahlungsenergie aufgelöst wird: Photolyse des Wassers! Während die freigesetzten H-Atome über eine Reihe von lichtunabhängigen Zwischenreaktionen („Dunkelreaktionen“) in eine im Vergleich zum Wasser weniger stabile Bindung an das C-Atom gebracht werden, lagern sich die OAtome zu Sauerstoffmolekülen (O2) zusammen (s. Box 3.12, S. 131). Auf diese Weise erreicht das H-Atom, gebunden in der metastabilen Kohlenstoffverbindung des Kohlenhydrats, gegenüber dem Sauerstoff ein höheres Energieniveau; zwischen beiden entsteht ein Energiepotential. Seine Ausbildung kann mit dem energieverbrauchenden Spannen einer Metallfeder verglichen werden:
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
H
+ CO2
129
C6H12O6
+∆ G'm
H
O
H2O + O2 h· ν
Der Elektronenübergang von P-680 zum Primärakzeptor schafft ein Elektronendefizit. Dieses wird sehr schnell dadurch ausgeglichen, daß das Kation P-680+ der Komponente Z umgehend ein Elektron entzieht. Wie schon beschrieben, soll Z mit einem Tyrosin-Rest von D 1 identisch sein (S. 123). Die Neutralisierung von entstandenem Z+ erfolgt auf Kosten der Spaltung von Wasser als dem „sekundären“ Elektronendonator. Dieser Prozeß läuft in einem eigenen Kollektiv von Proteinen ab (s. Abb. 3.33, S. 122). PS II-0 ist vermutlich für die Stabilisierung einer Gruppierung von 4 Mangan (Mn-Cluster) zuständig, welche für die wasseroxidierenden Reaktionen essentiell ist, daher: Manganstabilisierendes Protein (MSP). Dabei wird eine enge Kooperation mit D 1 und D 2, vielleicht auch mit CP 47, vorausgesetzt. Nach neueren Befunden könnte für die eigentliche Manganbindung vor allem D 1, möglicherweise auch D 2, zuständig sein. PS II-P wird offensichtlich erst angelagert, wenn zuvor PS II-0 und das Mn-Cluster ihre spezifischen Positionen eingenommen haben. Als letztes Protein komplettiert vermutlich PS II-Q die Struktur. Da der chemische Mechanismus der Wasserspaltung noch nicht aufgeklärt ist, sind wir auf Modellvorstellungen angewiesen. Nach der in Abb. 3.36 skizzierten
H+
Intrathylakoidraum
e 4h.ν
S1
H+
e S0
2 H+
S2 e
Z
Abb. 3.36 Photolyse des Wassers. Vermuteter zyklischer Reaktionsablauf am Photosystem II (nach Kok u. Mitarb.).
P-680+
S3 e S4
2 H2O
O2
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3 Photosynthese
soll ihm eine zyklische Reaktionsfolge aus vier Elektron-freisetzenden Schritten zugrunde liegen: S0 bis S4 (S ⫽ state; Numerierung nach der Ladungszahl bzw. der Oxidationsstufe). Pro Übergang wird ein Elektron freigesetzt, welches von Z übernommen, dann auf P-680+ übertragen wird. Auf diese Weise produziert der Zyklus 4 Elektronen aus 2 Molekülen Wasser sowie 4 Protonen, welche in den Intrathylakoidraum gelangen. Am Ende wird auf der Stufe S0 eine -O – OBindung geknüpft: 1 Molekül Sauerstoff (O2) wird frei. Nach neueren Vorstellungen soll Mangan, assoziiert mit Polypeptiden des wasserspaltenden Komplexes, an einigen Umsetzungen des Zyklus beteiligt sein. Auch wird die Mitwirkung eines Proteinkomplexes mit 4 Mangan diskutiert, an welchem Oxidation von Mn3 + zu Mn4 + in Verbindung mit den S-Zuständen stattfinden soll. Essentielle Faktoren der Wasserspaltung sind Chlorid- und Calcium-Ionen; ihre genaue Wirkungsweise ist noch unbekannt. Angemerkt sei, daß der wasserspaltende Komplex von Cyanobakterien ohne PS II-P und PS II-Q auskommt. Die 2. Lichtreaktion erzeugt ein starkes Reduktionspotential – Reduktion eines Primärakzeptors mit einem EM von mindestens – 0,7 Volt – und ein starkes Oxidationspotential von ⬎ + 1,0 Volt – Oxidation von Wasser zu Sauerstoff (letzteres ist eines der stärksten, welches in biologischen Systemen gefunden worden ist). Der resultierende Potentialsprung, welcher das emittierte Elektron gegen das natürliche Energiegefälle auf ein hohes Energieniveau befördert, liegt in der Größenordnung von 1,2 – 1,6 Volt. Die hierbei zugrunde gelegten Mittelpunktpotentiale schwanken teilweise erheblich bei den einzelnen Versuchsobjekten. Aufgrund der ermittelten Potentialdifferenz läßt sich vorhersagen, daß von der Energie eines Mol absorbierter Quanten roter Strahlung (ca. 168 kJ · mol–1) etwas mehr als zwei Drittel als chemisches Potential erhalten bleibt (Potentialdifferenz von 1 Volt entspricht etwa 98 kJ · mol–1). Die restliche Energie schlägt als unvermeidlicher Verlust zu Buche. Die enge räumliche und funktionelle Kopplung von Reaktionszentrum und wasserspaltendem Komplex wird durch Untersuchungen an isolierten Granathylakoidmembranen aus Spinat-Chloroplasten angezeigt. Ihre wasserspaltende Aktivität war gleich oder sogar höher als in vivo. Sie lag besonders hoch, wenn die ursprüngliche Innenseite der Membranen (Fläche zum Intrathylakoidraum!) künstlich zur Außenseite von in sich geschlossenen Vesikeln gemacht worden war (inside-out-vesicles).
Elektronenfluß zum Photosystem I Ausgehend vom Photosystem II werden die freigesetzten Elektronen über die Stationen Plastochinon-Kollektiv (PCkoll), Cytochrom b6/f-Komplex und Plastocyanin zum Photosystem I befördert (s. Abb. 3.34, S. 126). Wir machen uns zunächst mit diesen Redoxkomponenten vertraut.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich Box 3.12
Hill-Reaktion
Den ersten Beweis für die Funktionsfähigkeit des wasserspaltenden Systems in isolierten Chloroplasten erbrachten Hill und Scarisbrick (1940), als sie mit Präparaten aus Stellaria media und Lamium album in Gegenwart vom Kaliumeisen(III)oxalat und Kaliumeisen(III) cyanid eine kontinuierliche Sauerstoffentwicklung im Licht erhielten. Sie erlosch, wenn alle Fe3 +-Ionen in Fe2 + überführt waren. Der Menge des freigesetzten molekularen Sauerstoffs entsprach eine äquivalente an gebildeten Fe2 +-Ionen. h 2 H2O Elektronendonator O2 + 4 H+ („oxidiertes Produkt“)
131
.ν
4e Chloroplast
4 Fe3+ Elektronenakzeptor
4 Fe2+ („reduziertes Produkt“)
Dieser lichtbedingte Reduktionsvorgang ist nicht direkt abhängig von Kohlendioxid, dessen Funktion von künstlichen Wasserstoff- oder besser Elektronenakzeptoren wahrgenommen wird. Der photochemische Reaktionsbereich der Photosynthese wird auf diese Weise künstlich von dem Dunkelprozeß der Kohlendioxid-Reduktion getrennt. Dieser Hill-Reaktion isolierter Chloroplasten kommt eine fundamentale Bedeutung in der Photosyntheseforschung zu. Sie ist in der Folgezeit vielfach bestätigt und erweitert worden. So zeigte sich bald, daß für Chloroplasten aus Be-
ta und Spinacia Eisen(III)cyanid allein als Elektronenakzeptor ausreicht. Folgende Umsetzungen finden bei dieser einfachsten Hill-Reaktion statt: 4 K3 [Fe(CN)6] + 2 H2O + 4 K+ 4 K4[Fe(CN)6] + 4 H+ + O2 ' (∆Go') = + 35 kJ/mol ∆ Gm
Auch andere Verbindungen haben sich als geeignete Hill-Reagenzien erwiesen, darunter so unphysiologische Substanzen wie Chinon und einige Farbstoffe, vor allem das (2,6-Dichlorophenol)-indophenol (22). Bei Verwendung des letzteren müssen allerdings isolierte Chloroplasten zunächst aufgebrochen werden, weil ihre Membranhülle für diese Verbindung impermeabel ist. CB N
O CB
OH
22
War die Hill-Reaktion zunächst nur als Modellreaktion oder gar als Artefakt angesehen worden, so wurde ihre physiologische Bedeutung offenkundig, als neben der Entwicklung von molekularem Sauerstoff auch die Bildung von NADPH + H+ und ATP (S. 147 ff) durch isolierte Chloroplasten bei Belichtung nachgewiesen wurde. NADP+ tritt damit in die Reihe der Verbindungen, die als Elektronenakzeptoren bei der HillReaktion wirksam sind.
Im Vorgriff auf spätere Besprechung sei vermerkt, daß über das PlastochinonKollektiv ein wesentlicher Anteil des transmembranen Protonentransports abgewickelt wird (s. Abb. 3.42, S. 144).
Cytochrom b6/f-Komplex. Bestandteile dieses pigmentfreien, integralen Membrankomplexes sind: Cytochrom f (31,1 bis 31,4 kDa) und Cytochrom b6
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3 Photosynthese Cytochrome
Cytochrome sind Proteine mit Enzymcharakter, die als Wirkgruppe das gleiche Ringsystem des Porphyrins enthalten wie das Chlorophyll. An die Stelle des Magnesiumatoms tritt in diesem Falle ein zentrales Eisenatom. Modifikationen dieser prosthetischen Gruppe (Seitenketten!), welche die Cytochrome als Eisen-Porphyrin-Proteide (HämEisen-Proteide) ausweist, haben zur Unterscheidung der Typen A, B und C geführt, welche die einzelnen Cytochrome spezifizieren. Ihre Funktion besteht in der Übertragung von Elektronen, welche sich am zentralen Eisenatom durch Valenzwechsel vollzieht. Dieses pendelt entsprechend zwischen der zweiwertigen, reduzierten Form mit Fe2 + und der dreiwertigen, oxidierten mit Fe3 +. Letztere wird leicht durch die Aufnahme eines Elektrons zu Fe2 + reduziert. Umgekehrt kann ein geeigneter Elektronenakzeptor das Elektron von Fe2 + übernehmen und den oxidierten Zustand wieder herstellen. Daher sind Cytochrome exzellente biologische Redoxkatalysatoren mit einem jeweils individuellen Redoxpotential. Eine exakte Potentialbestimmung ist bei vielen Cytochromen nicht möglich, weil sie wegen ihrer starken Bindung an Zellstrukturen nur schwer und oft nur unter Veränderung ihrer nativen Struktur in lösliche Form zu bringen sind; man begnügt sich daher mit der Festlegung des Mittelpunktpotentials EM (S. 27). Da die Porphyrin-Grundstruktur der Wirkgruppe eine Folge konjugierter C,C-Doppelbindungen (S. 76) enthält, sind Cytochrome genau wie Chlorophylle und Carotinoide gefärbte Verbindungen. Die Absorption sichtbarer Strahlungsanteile wird zur Identifizierung einzelner Cytochrome genutzt. Sie führt zu besonders typischen Spek-
tren, wenn die Verbindungen in der reduzierten Form vorliegen, weil dann vier Absorptionsmaxima im Blau- und Orange-Bereich auftreten: α, β, γ und δ (s. Abb.). Bei Oxidation verschwinden die beiden ersten, während γ und δ ihre Positionen ändern. Verantwortlich hierfür ist das mesomere System in der Porphyrin-Struktur, welches schon bei einer 1-Elektron-Übertragung mit einer deutlichen Änderung der Lichtabsorption reagiert. Besonders die ausgeprägte γ-Bande, auch Soret-Bande genannt, ist zur Unterscheidung zweier reduzierter Cytochrome geeignet (s. Spektren).
Cytochrom f Cytochrom c
Absorption
Box 3.13
300
400
500 nm 600
Absorptionsspektren der reduzierten Cytochrome c und f (nach Hill u. Mitarb.). γ reduziert
Absorption
132
oxidiert
δ β 300
400
α
500 nm 600
Absorptionsspektren von Cytochrom c. Reduzierte (rote Kurve) und oxidierte Verbindung. Kennzeichnung der einzelnen Absorptionsmaxima mit α, β, γ, δ.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
133
(24,1 kDa), beides Vertreter der Eisen-Porphyrin-Proteide (Box 3.13), Untereinheit IV (suIV; 17,4 kDa) und das Rieske-Protein mit einem [2Fe-2S]-Zentrum (18,9 kDa). Für die Präsenz von weiteren 2 – 3 kleineren Polypeptiden (4 – 6 kDa) liegen erste Hinweise vor. Cytochrom f (von frons ⫽ Laub, um es als pflanzlichen Vertreter zu kennzeichnen) entspricht dem Cytochrom c1, seinem Gegenstück in Mitochondrien (S. 289) und Photosynthese-Bakterien (S. 204 f). Cytochrom b6 hingegen ist nur halb so groß wie Cytochrom b im mitochondrialen b/c1-Komplex (S. 289). Die Aminosäuresequenz seines Amino-Terminus bis Rest 214 zeigt ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der Gesamtsequenz von Cytochrom b6 (214 Reste); die des Carboxy-Terminus von Cytochrom b (Reste 215 – 374) weist hingegen signifikante Homologie mit den 160 Aminosäure-Resten der Untereinheit IV (suIV) auf. Man könnte deshalb spekulieren, daß Cytochrom b6 und suIV aus der Spaltung eines ursprünglichen Polypeptids von ca. 40 kDa im Verlauf der Evolution entstanden sind – ein Ereignis, welches im Falle der Cytochrome vom b-Typ möglicherweise unterblieben ist. Trotz dieser großen Ähnlichkeit in den Primärstrukturen von Cytochrom b6/ suIV und Cytochrom b differiert offensichtlich die Topologie (Abb. 3.37): Während Cytochrom b nach allgemeiner Auffassung 8 transmembrane Helices ausbildet, bringen es Cytochrom b6 und suIV gemeinsam nur auf 7. Wiederum gleichartig bei beiden b-Cytochromen ist vermutlich die Häm-Bindungsdomäne beschaffen: Vier konservierte Histidin-Reste, welche sich in den Helices II und IV gegenüberstehen (s. Abb. 3.40, S. 135). Da eine entsprechende COOH H2N
H2N
Stroma (n-Seite)
Häm Cyt b6
Thylakoidmembran
Häm I
II
IV
III
I
II
III
(p-Seite) Intrathylakoidraum COOH
Cytochrom b6
Abb. 3.37 stellung.
su IV
Faltungsmuster von Cytochrom b6 und der Untereinheit IV (suIV). Modellvor-
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134
3 Photosynthese COOH
Cys
Cys
Pro
Gly His
S Fe
Fe
Cys Gly
S
Leu Cys
Thr
His
N Polypeptidkette
N
N
N
Cu His-37
His-57 S
Met-92 CH3
S H Cys 84
H2N
Abb. 3.38 Modell des Eisen-SchwefelZentrums im Rieske-Protein. AminosäureReste der Polypeptidkette in Kurzschreibweise (Tab. 9.1, S. 411).
Abb. 3.39 Struktur des koordiniert gebundenen Kupfers im Plastocyanin.
Konstellation in der Sequenz von suIV fehlt, glaubt man, daß der Untereinheit ein entsprechendes Redoxzentrum fehlt. Das Rieske-Protein soll im Bereich des Carboxy-Terminus aufgrund der Sequenzabschnitte mit ungeladenen bzw. hydrophoben Aminosäure-Resten (S. 412) eine transmembrane Helix ausbilden. Abb. 3.38 zeigt ein Modell zur Struktur des [2Fe-2S]-Zentrums vom Rieske-Protein. Die codierenden Gene von Cytochrom f (petA), Cytochrom b6 (petB), Untereinheit suIV (petD) sowie die von prospektiven kleineren Polypeptiden des Komplexes (petE bis petG) gehören zum Plastiden-Genom. Lediglich das Rieske-Protein wird von einem Kern-Gen (petC) codiert. petB und petD bilden mit psbB und psbH ein Cluster (s. S. 442 ff).
Plastocyanin. Dieses Redoxsystem des Chloroplasten gehört zu den „blauen“ Kupferproteiden vom Typ I, welche ein einziges Kupfer enthalten. Für dessen Bindung ist bei höheren Pflanzen eine konservierte Region in der Primärstruktur aus 8 Aminosäure-Resten, darunter die Liganden Cystein und Histidin (Abb. 3.39) zuständig. Die übrigen Sequenzregionen differieren bei den einzelnen Vertretern teilweise beträchtlich. Für die aktuelle Molmasse von plastidärem Plastocyanin wurden 10,2 kDa (Karotte) und 10,6 kDa (Gurke) ermittelt. Die Elektronenübertragung basiert auf dem Valenzwechsel zwischen Cu2 + und Cu+. Das Redoxpotential von Plastocyanin liegt bei + 0,37 Volt. Plastocyanin ist ein peripheres Protein, denn es ist an der inneren Oberfläche der Thylakoidmembran lokalisiert (s. Abb. 3.41, S. 137). Daher wird dieses überwiegend hydrophile Protein relativ leicht freigesetzt, insbesondere bei Membranschädigung.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
135
Nichtzyklische und zyklische Elektronenbewegung Als erstes System der mit Photosystem II gekoppelten Transportkette leitet das Plastochinon-Kollektiv die photochemisch aktivierten Elektronen weiter (s. Abb. 3.34, S. 126). Für Plastohydrochinon oder Plastochinol (PQ-H2) existiert eine spezifische Andockstelle QZ am Cyt b6/f-Komplex. Sie wird vermutlich von hydrophoben Sequenzabschnitten des Apoproteins von Cytochrom b6 bzw. der Untereinheit suIV gebildet. Der Cyt b6/f-Komplex übernimmt zwei Elektronen und 2 Protonen vom Plastochinol – Oxidation zu Plastochinon – und reduziert Plastocyanin. Demgemäß entspricht seine Aktivität der einer Plastochinol/Plastocyanin-Reduktase. Der Wasserstoff- oder 2-Elektronen-Transport wird zum 1-Elektronen-Transfer. Jedes der eingebrachten Elektronen nimmt den Weg über das [2Fe-2S]-Zentrum des Rieske-Proteins (EM ca. + 0,29 Volt) zum Cytochrom f (EM ca. + 0,35 Volt) und von dort zum Plastocyanin (s. Abb. 3.34, S. 126). Gleichzeitig werden 2 Protonen in den Intrathylakoidraum abgegeben: transmembraner Protonentransfer (Abb. 3.42, S. 144). Eines der beiden Elektronen kann möglicherweise auf einer zweiten Schiene die niederpotentiale Form von Cytochrom b6, Häm LP, dann die hochpotentiale, Häm HP, reduzieren (Abb. 3.40). Diese überträgt das Elektron auf ein Plastochinon, welches über eine vermutete zweite Andockstelle den Komplex erreicht. Durch Aufnahme eines zweiten Elektrons, vielleicht vom reduzierten Ferredoxin (s. u.) beigesteuert, sowie von zwei Protonen entsteht Plastochinol, welches nun wieder in der oben geschilderten Weise oxidiert werden kann. Damit endet dieser zyklische Elektronentransport des ursprünglich von Plastochinol in den Cyt b6/f-Komplex eingebrachten Elektrons. In der Bilanz werden zwei zu-
Phe
Phe His
Häm LP
n-Seite
His Thylakoidmembran
Phe
Try His
Häm HP
II
HP hochpotentiale (high potential) LP niederpotentiale (low potential) Form Anheftung jeweils über Histidin-Reste (His)
His Tyr Phe
Abb. 3.40 Anordnung der beiden Häm-Gruppen von Cytochrom b6 zwischen den transmembranen Helices II und IV.
p-Seite
IV
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136
3 Photosynthese
sätzliche Protonen vom Stroma in den Intrathylakoidraum befördert: Der Komplex agiert entsprechend als Protonenpumpe (S. 36). Ob diese als Q-Zyklus bezeichnete zweite Elektronenbewegung tatsächlich in der hier beschriebenen Weise abläuft, ist noch nicht schlüssig bewiesen. Letztes Glied in der Elektronentransportkette ist das Plastocyanin, welches in seiner spezifischen Bindungsnische am Cyt b6/f-Komplex ein Elektron übernimmt (s. o.). Reduziertes Plastocyanin stellt die Verbindung zum Photosystem I her, welches den beweglichen Redox-Katalysator über eine spezifische Bindungsstelle anlagert. Plastocyanin bildet gewissermaßen den Steckkontakt, über den Elektronen zum Reaktionszentrum von Photosystem I fließen und dort ein Elektronendefizit ausgleichen (S. 139). Box 3.14
Photoinhibition
Trotz der offensichtlichen Perfektion in der Konstruktion von Photosystem II gibt es Schwachpunkte, vermutlich dadurch bedingt, daß die Pflanze das Licht als essentiellen Reaktionspartner nur schwierig zu kontrollieren vermag. Hinzu kommt, daß bei der Produktion von molekularem Sauerstoff Zwischenprodukte mit toxischer Wirkung auf das wasserspaltende System auftreten können. Auch sind die im Reaktionszentrum intermediär entstehenden hohen Oxidationspotentiale von mehr als 1 Volt sicherlich nicht unproblematisch. Licht oder Strahlung kann also durchaus auch negative oder schädigende Wirkungen auf den Photosyntheseapparat haben. Sie fallen unter
den Begriff der Lichthemmung oder Photoinhibition. Der Hauptangriffspunkt ist dabei offensichtlich D 1 (PS IIA) im Reaktionszentrum von Photosystem II (S. 123). Obwohl diese Untereinheit die meisten funktionellen Komponenten trägt, unterliegt sie generell im Licht einem kontinuierlichen Wechsel von Abbau und Neubildung. Mit steigender Strahlenbelastung verstärkt sich der Abbau, wobei vermutlich eine Protease vom Serin-Typ aktiv ist. Glücklicherweise reicht der installierte Reparaturmechanismus aus, um die durch eine nicht ganz perfekte Photochemie bedingten Schäden am Photosystem II zu beheben – allerdings auf Kosten eines nicht unerheblichen Aufwands an Energie und Substrat.
Photosystem I und 1. Lichtreaktion Allgemeines Der Membrankomplex von Photosystem I ist, ähnlich wie der von Photosystem II, in Lichtsammlersystem (Antennenkomplex) und Kern-(Core-)Komplex mit dem Reaktionszentrum gegliedert (Isolierung: Box 3.15). Das Lichtsammlersystem LHC I ist im Gegensatz zu LHC II offensichtlich weniger aufwendig ausgebildet. Als Bestandteile sind bisher lediglich zwei Komplexe bei Gurke und Spinat nachgewiesen worden. Sie enthalten 3 unterschiedliche Polypeptid-Untereinheiten, deren Größe bei Mais mit 17 kDa, 21 kDa und 24 kDa ermittelt wurde. Vermutlich binden alle die Chlorophylle a und b sowie Carotinoide. Aus Chloroplasten der Gerste stammen LHC Ia und Ib, oligomere Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
137
(trimere?) Pigment-Protein-Komplexe. LHC Ia hat pigmentbindende Proteine von 21,5 kDa und 24 kDa, LHC Ib solche von 20 kDa und 21 kDa. In Übereinstimmung mit entsprechenden Komponenten von LHC II (S. 121 f) weisen sie zwei konservierte Regionen in ihrer Aminosäuresequenz auf, welche vermutlich den ersten und dritten transmembranen Abschnitt der Polypeptidkette beinhalten. Dies spricht für phylogenetische Verwandtschaft der beiden Lichtsammlersysteme. Als integrale Bestandteile des Kern-(Core-)Komplexes einschließlich des Reaktionszentrums von Photosystem I sind bisher mindestens 11 Proteine oder Untereinheiten erkannt worden. Sie werden als Ia, Ib und II bis XI in der Reihenfolge ihrer abnehmenden Molmasse bezeichnet. Ihre mögliche Anordnung im Komplex bei höheren Pflanzen zeigt das Modell in Abb. 3.41. Hinsichtlich der Struktur sowie der biochemischen, biophysikalischen und immunologischen Eigenschaften des Kern-(Core-)Komplex besteht bei Photosynthese-Organismen von unterschiedlichem taxonomischen Status eine erstaunliche Übereinstimmung, was für Konservierung während der Evolution spricht. Die beiden größten Polypeptide Ia (PS I-A) und Ib (PS I-B) bilden das Reaktionszentrum; ihre Größe ist praktisch identisch: Aktuelle Molmasse von 82,4 bis 83 kDa bzw. apparente Molmasse (s. S. 11) von 50 kDa bis 70 kDa. Die Aminosäuresequenzen sind zu 45% identisch. Bei beiden handelt es sich um trans-
– – Fd + – –– II (D) ++ ++ V(G)
FA VIII(J)
(n-Seite)
VII (C)
FB
FX
IX ( I )
X (M) (Chl a)n Car Ia (A)
PCY
Stroma
VI (H)
IV (E) Thylakoidmembran
XI (N) A1 A0 P-700
(Chl a)n Car Ib(B)
+ –– + –– + –– + + +
Abb. 3.41 Modell des Kern-(Core-)Komplexes von Photosystem I. Die Anordnung der einzelnen Polypeptide (Ia, Ib, II – XI) stimmt nur teilweise mit der In-vivo-Struktur überein.
? (L)
(p-Seite) Intrathylakoidraum
III (F)
Car Chl a Fd PCY
Carotinoide Chlorophyll a Ferredoxin Plastocyanin
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3 Photosynthese
membrane Proteine, welche eine komplexe Struktur bilden; sie bindet bis zu 100 Moleküle Chlorophyll a sowie einige wenige Carotinoidmoleküle. Am Pigment 700 – P-700 –, einer speziellen Form von komplex gebundenem Chlorophyll a, vollzieht sich die für Photosystem I spezifische photochemische Reaktion: Als Einzelmolekül oder wahrscheinlicher als Molekülpaar (Dimer) fungiert es als primärer Elektronendonator. Unklar ist, an welches der beiden Proteine des Reaktionszentrums P-700 gebunden ist; möglicherweise sind beide beteiligt. Auch die genaue Lokalisation weiterer funktioneller Komponenten, welche mit dem Reaktionszentrum assoziiert sind, ist strittig: Der Primärakzeptor AO, vermutlich ein Monomer von Chlorophyll a, der intermediäre Elektronenüberträger A1, vielleicht mit einem Molekül Vitamin K (Phyllochinon; S. 380 f) identisch, und schließlich A2 oder FX („X“) mit einem Eisen-SchwefelZentrum der Form [4Fe-4S] (s. Struktur) und ebenfalls im Dienste des Elektronentransfers. Cys
Cys Fe S
Fe S
Fe Cys
S Fe
S Polypeptidkette
Cys
Polypeptid II (PS I-D; 15,6 bis 17,9 kDa) bildet aufgrund seiner peripheren Natur vermutlich die Anlagerungs- oder Andockstelle für das Protein Ferredoxin (Box 3.16; S. 141), welches als beweglicher Redoxkatalysator die Weiterbeförderung eines vom Photosystem I emittierten, energiereichen Elektrons übernimmt (s. u.); es liegt an der Außenseite von Photosystem I (Stroma- oder n-Seite). Für Polypeptid III (PS I-F, 15,7 bis 17,3 kDa), einer peripheren Spezies an der Innenseite der Thylakoidmembran (p-Seite) zeichnet sich als Funktion die reversible Bindung von Plastocyanin ab, dem zweiten beweglichen Redoxsystem (S. 134). Elektrostatische Kräfte besorgen offensichtlich die reversible Anheftung dieses Cu-Proteins. Das periphere Polypeptid VII (PS I-C, 8,8 bis 9,0 kDa) weist in seiner Aminosäuresequenz 9 konservierte Cystein-Reste auf, welche die aktiven [4Fe-4S]-Zentren von A und B – neuere Bezeichnung FA und FB – tragen sollen. Sie sind die Endakzeptoren für die von Photosystem I produzierten energiereichen Elektronen; sie werden von jenen auf Ferredoxin übertragen, wenn dieses an Polypeptid II reversibel gebunden hat (s. o.).
Gene von Polypeptiden des Kern-(Core-)Komplexes von Photosystem I. Von den bisher identifizierten 12 Vertretern (s. Abb. 3.41) gehören bei höheren
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
139
Pflanzen und dem Lebermoos Marchantia fünf zum Plastiden-Genom: psaA, psaB, psaC, psaI und psaJ (psa steht für Photosystem I). Nach gelungener Kristallisation konnte mittels Röntgenstrukturanalyse (S. 120) ein Modell von Photosystem I des thermophilen Cyanobakteriums Synechococcus sp. entwickelt werden; es repräsentiert eines der drei Monomere, welche bei diesem Organismus in der Thylakoidmembran zu Homotrimeren vereint sind. Jedes Monomer besteht aus mindestens 11 Polypeptiden und bindet insgesamt etwa 90 Chlorophyllmoleküle, von denen die meisten als Antennenpigmente dienen. Aus den Daten der Röntgenstrukturanalyse können die Positionen von [4Fe-4S]-Zentren, von FX, FA und FB sowie von etwa 45 Molekülen Chlorophyll a angegeben werden; außerdem gelingt die Einordnung von insgesamt 28 α-Helices, von denen je 9 auf die beiden größten Untereinheiten PS I-A und PS I-B entfallen. Auf die mit gleicher Technik durchgeführte Strukturaufklärung des Reaktionszentrums im Photosystem der Purpurbakterien kommen wir später zu sprechen (S. 200 ff).
Box 3.15
Isolierung von Photosystem I
Da der Gesamtkomplex von Photosystem I dank seiner stark hydrophoben Natur tief in die Thylakoidmembran eingebettet ist, hängt seine Isolierung und Zerlegung in die Einzelkomponenten zunächst von der Wahl geeigneter Detergenzien ab. Solche auf GlykosidBasis wie Dodecylmaltosid oder Octylglucosid setzen den Gesamtkomplex (Holokomplex) weitgehend intakt aus der Membran frei. Mit nichtionischen Detergenzien wie Triton X-100 wird die Abtrennung der Pigment-Protein-Komplexe des Lichtsammlersystems weitgehend erreicht: Der Kern-(Core-)Komplex bleibt übrig (früher „Photosystem I-Partikel“ genannt). Behandlung mit chaotropen Agenzien (6.8 M Harnstoff) löst die hydrophilen extrinsischen Poly-
peptide PS I-C, PS I-D, PS I-E und vermutlich auch PS I-H aus dem Komplex (mit PS I-C gehen entsprechend FA und FB verloren!). Der resultierende Restkomplex verfügt in der Regel noch über die anderen funktionellen Komponenten: Chlorophyll a, A0, A1, und FX (daher auch „Photosystem I-Kern-(Core-)Protein“ genannt). Die völlige Abtrennung aller extrinsischen Polypeptide, insbesondere des an der Membraninnenseite lokalisierten PS I-F (s. Abb. 3.41, S. 137) vom PS I-A/PS I-B-Heterodimer gelingt mit starken ionischen Detergenzien: Na- oder Li-Dodecylsulfat (SDS). Das entstehende „CP 1-Partikel“ zeigt noch die photochemische Ladungstrennung zwischen P-700 und A0.
Photochemische Reaktion im Photosystem I Wie LHC II funktioniert auch das Lichtsammlersystem LHC I nach dem Prinzip der Sammelfalle für Photonen oder Quanten (vgl. S. 124 ff): Die von seinen Pigmenten absorbierte Strahlungsenergie gelangt höchst effektiv und gerichtet zum P-700. Die resultierende Photoanregung zeitigt eine Ladungstrennung: P-700* überträgt als primärer Elektronendonator dank seines stark negativen Redoxpotentials (ca. -0,9 bis -1,2 Volt) ein energiereiches Elektron auf den Primärakzeptor AO, vermutlich ein Molekül Chlorophyll a. Das zurückbleibende Kation P-700+ wird vom reduzierten Plastocyanin neutralisiert (s. Abb. 3.34,
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3 Photosynthese
S. 126). Von AO gelangt das Elektron sehr schnell zunächst auf A1 als erstem intermediären Redoxsystem, dann mit etwas geringerer Geschwindigkeit auf ein weiteres System dieser Art: Fx oder X. Sein Eisen-Schwefel-Zentrum [4Fe4S] hat mit ca. – 0,7 Volt ein extrem niedriges Mittelpunktpotential. Die letzten intermediären Elektronenüberträger im Reaktionszentrum von Photosystem I sind FA (Zentrum A) und FB (Zentrum B), zwei [4Fe-4S]-Zentren, welche vermutlich an das Polypeptid VII (PS I-C) gebunden sind (s. o.). Aufgrund seines stärker negativen Potentials – ca. – 0,6 Volt – müßte FB in der Transportkette vor FA – ca. 0,55 Volt – rangieren; eine solche Anordnung ist jedoch noch nicht eindeutig nachgewiesen. Möglicherweise agieren beide auch in Parallelanordnung und speisen das Elektron jeweils in den nichtzyklischen bzw. den zyklischen Elektronentransport ein. FB/FA reduzieren anschließend das Ferredoxin, jenes Nicht-Häm-Eisenprotein, welches als beweglicher Redoxkatalysator an der Stroma- oder n-Seite der Thylakoidmembran operiert. Über seine potentielle Bindungsstelle am Polypeptid II (PS I-D) ist schon gesprochen worden (S. 138).
Bildung von Reduktionsäquivalent. Vom reduzierten Ferredoxin geht das Elektron auf ein Redoxsystem über, welches aufgrund seines schwächer negativen Potentials von ca. – 0,38 Volt als Akzeptor geeignet ist. Hierbei handelt es sich um einen Vertreter jener Oxidoreduktasen, welche mit FAD bzw. FMN als prosthetischer Gruppe arbeiten und entsprechend als Flavoproteine bezeichnet werden (S. 126 ff.). Die hier wirksame Ferredoxin-NADP+-Oxidoreduktase, ein peripheres Membranprotein (s. Abb. 3.34, S. 126), katalysiert die Elektronenübertragung auf Nicotinamid-adenin-dinucleotidphosphat (NADP+), den Endakzeptor der Elektronentransportkette. Da es sich dabei um einen 2-Elektronen-Übergang (Wasserstoffübertragung!) handelt, sind formell zwei aus dem Matrixraum aufgenommene Protonen beteiligt. Im NADP-H + H+, dem Reduktionsäquivalent, ist das ursprünglich aus dem Wasser freigesetzte Elektron nach zweimaliger Photoanregung nunmehr stabil und dennoch reaktionsfähig – energiereich! – gebunden. Der zugrundeliegende Elektronenfluß, welcher auf der Zusammenschaltung der beiden Photosysteme basiert, wird als nichtzyklischer oder offenkettiger Elektronentransport bezeichnet. Beim alternativen zyklischen Weg soll Ferredoxin sein Elektron zum Cyt b6/f-Komplex zurückbefördern, welches dann in den bereits besprochenen Q-Zyklus einfließt (S. 135 f). Bei der 1. Lichtreaktion sind ein starkes Reduktionspotential – EM von mindestens – 0,9 Volt – und ein mäßig starkes Oxidationspotential – EM von ca. + 0,45 Volt (P-700) – entstanden. Die erreichte Potentialdifferenz ist mit der für die 2. Lichtreaktion (S. 130) durchaus vergleichbar.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich Box 3.16
Ferredoxine
Sie gehören zu den Eisen-Schwefel-Proteinen, auch Nicht-Häm-Eisenproteine oder FeS-Proteine genannt. Eisen ist bei ihnen nicht im Häm wie bei den Cytochromen, sondern über Schwefel gebunden. Die für Chloroplasten und Cyanobakterien typischen Vertreter (⫽ Pflanzen-Ferredoxine) haben ein [2Fe2S]-Zentrum oder Cluster: 4 CysteinReste in einem konservierten Abschnitt der Polypeptidkette (Eisen-SchwefelBindungsregion) verknüpfen Fe in typischer Weise (s. Modell). Diese Konstruktion ist labil: Ansäuern setzt Schwefelwasserstoff (H2S) frei! 90 bis 100 Aminosäure-Reste bilden die Primärstruktur; die apparenten Molmassen liegen um 10 kDa. Ferredoxine fungieren als Elektronenüberträger bei diversen Stoffwechselprozessen, wobei der Valenzwechsel zwischen Fe2 + und Fe3 + entscheidend ist. EM der einzelnen Ferredoxine ist recht unterschiedlich: – 0,4 bis + 0,3 Volt. Für die am photosynthetischen Elektronentransport beteiligten Vertreter liegt EM bei – 0,4 Volt. Ferredoxine und auch einige Enzyme, welche mit einem Eisen-Schwefel-
3.5.5
141
Zentrum ausgestattet sind – teilweise in Kombination mit einer prosthetischen Gruppe (FAD, FMN) und einem Metallfaktor (Molybdän) – , sind vermutlich sehr ursprüngliche, d. h. aus der Frühzeit der Evolution stammende, Redoxkatalysatoren. Die Beschränkung ihres Vorkommens auf Chloroplasten und Mitochondrien könnte ein weiterer Beleg zugunsten der EndosymbiontenTheorie sein (Box 10.3, S. 441).
Cys
Ser
Ser
Ala
Cys
S
Gly Fe
Ala
Fe S
Arg Cys
Cys
H 2N
COOH
Modell des Eisen-Schwefel-Zentrums im Ferredoxin des Chloroplasten. Aminosäure-Reste der Polypeptidkette in Kurzschreibweise (Tab. 9.1, S. 411).
Räumliche Anordnung der Komponenten des photochemischen Reaktionsbereiches in der Thylakoidmembran (Membran-Architektur)
Das auf thermodynamischen und kinetischen Daten basierende Z-Schema (Abb. 3.34, S. 126) vermittelt zwar ein anschauliches Bild von der Reihenfolge der Redoxsysteme im photosynthetischen Elektronentransport und ihrer Potentiale sowie von der Änderung der freien Enthalpie bei den einzelnen Elektronenübergängen, sagt aber nichts über die Anordnung dieser Komponenten in oder an der Thylakoidmembran aus. Erst die Kenntnis der räumlichen Organisation des membrangebundenen Elektronentransportes liefert letztlich den Schlüssel zum tieferen Verständnis des komplexen Geschehens, in dessen Verlauf absorbierte Strahlungsenergie in chemische Energie überführt wird. Zur Methodik s. Box 3.17.
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142
3 Photosynthese
Box 3.17
왔
Lokalisierung von Membran-Komponenten
Spezifisch eingestellte Antikörper sind nicht nur geeignet, einzelne Redoxkatalysatoren oder Membranproteine anhand der spezifischen und empfindlichen Antigen-Antikörper-Reaktion zu identifizieren, sondern sie können darüber hinaus deren mögliche Position an der Membranoberfläche, d. h. über die Erreichbarkeit durch Antikörper, anzeigen. Da in einem solchen „Immunotest“ auch die Funktionsfähigkeit des betroffenen Redoxsystems blockiert wird, läßt sich dessen Zugehörigkeit zur Elektronentransportkette, zu einem Photosystem oder zum Bereich der Photophosphorylierung (S. 147 ff) ermitteln. Bei diesem Verfahren werden die zuvor gegen ein definiertes, aktives Membranprotein hergestellten Antikörper in einem geeigneten Testsystem mit isolierten Thylakoiden oder daraus hergestellten Vesikeln, z. B. solchen mit der ursprünglichen Innenseite der Membran nach außen („inside-outvesicles“) in Kontakt gebracht. Mit dieser Technik konnte gezeigt werden, daß die Redoxkomponenten der Akzeptorsysteme von Photosystem I und Photosystem II zur Außenseite, zum Matrixraum hin, orientiert sind, die ihrer Donorsysteme hingegen zur Innenseite, zum Intrathylakoidraum hin (Abb. 3.42, S. 144). Letztere werden von den spezifischen Antikörpern nur erreicht, wenn die Thylakoide zuvor aufgebrochen oder künstlich zu Vesikeln vom Inside-out-Typ (s. o.) umgeformt wurden. Polypeptide, welche sich durch die Membran spannen, können in vielen Fällen auf beiden Oberflächen mit dem Antikörper reagieren; auch besteht die Möglichkeit, daß die funktionelle Komponente eines solchen Polypeptids, welche auf einer Membranseite angeordnet ist, durch die Antikörper-Reaktion auf der anderen Membranseite inaktiviert wird.
Zur Aufklärung der räumlichen Anordnung von Reaktionssystemen in Thylakoidmembranen werden sog. molekulare Sonden und lipophile bzw. hydrophile Redoxsubstanzen eingesetzt. Die Vertreter der ersten Gruppe können wegen ihrer Ladung und Molekülgröße nur mit zugänglichen, d. h. an der äußeren Oberfläche der Thylakoidmembran lokalisierten Redoxsystemen reagieren. So hemmt Sulfodisalicylinpropandiamin (SDSPD) die Elektronenabnahme am Photosystem I durch Inaktivierung des mobilen Überträgers Ferredoxin; demgemäß ist jene an der äußeren, zum Matrixraum weisenden Membranoberfläche lokalisiert. Zur gleichen Schlußfolgerung führten die Untersuchungen mit künstlichen Redoxsystemen lipophilen oder hydrophilen Charakters. Beide Arten können als Akzeptorsysteme Elektronen vom Photosystem I übernehmen, z. B. (2,6-Dichlorophenol)-indophenol (DCPIP; Box 3.12, S. 131) oder Methylviologen, was anzeigt, daß die entsprechenden nativen Komponenten von Photosystem I nahe der Membranaußenseite (Matrixseite) angeordnet sind. Als Elektronendonatoren für Photosystem I in intakten Thylakoiden können hingegen nur lipophile Redoxverbindungen fungieren; nur sie passieren die Lipidphase der Membran und erreichen so die spezifische Zulieferstelle (Donorstelle) an der inneren Oberfläche, d. h. der dem Intrathylakoidraum zugewandten Membranseite (vgl. Abb. 3.42 u. Beispiel: Phenazinmethosulfat). Ein anderes Hilfsmittel sind Hemmstoffe, mit deren Hilfe bei isolierten Chloroplasten oder ihren Fragmenten jeweils eines der beiden Photosysteme ausgeschaltet werden kann. So blokkiert 3-(3,4-Dichlorophenyl)-1,1-dime-
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왔
3.5 Der photochemische Reaktionsbereich 왔 Box 3.17
143
Lokalisierung von Membran-Komponenten (Fortsetzung)
thylharnstoff (DCMU) Photosystem II, indem QB von seiner spezifischen Bindungsstelle an D 1 verdrängt wird (vgl. S. 125). Da gleichzeitig die Aktivität von Photosystem I unbeeinflußt bleibt, können seine Eigenschaften und die mit ihm gekoppelten Elektronenbewegungen studiert werden; allerdings muß dann ein geeigneter künstlicher Elektronendonator zugesetzt werden, z. B. reduziertes DCPIP (s. o.).
왔
Als Hemmstoff für Photosystem I hat sich 2,5-Dibromo-3-methyl-6-isopropyl-1,4-benzochinon (DBMIB), ein Antagonist von Plastochinon, erwiesen, in dessen Gegenwart ausschließlich Photosystem II arbeitet – vorausgesetzt, ein künstlicher Akzeptor für die freigesetzten Elektronen ist präsent (Kaliumeisen(III)cyanid, oxidiertes DCPIP, s. o.).
Aus der Beschreibung von einzelnen Reaktionskomplexen der Thylakoidmembran ist schon deutlich geworden, wie ihre Polypeptid-Untereinheiten einer bestimmten Orientierung in der Membran unterliegen (vgl. Abb. 3.33, S. 122, u. Abb. 3.41, S. 137). Diese wird letztlich von ihrer Konformation und auch ihrer spezifischen Funktion bestimmt. Erst aus dem engen Zusammenwirken beider resultiert optimale Effektivität. Aussagen zur Membran-Orientierung einzelner oder komplex gebundener Polypeptide in der Thylakoidmembran basieren zunächst auf der Kenntnis ihrer Aminosäuresequenz und der davon ableitbaren Konformation. Der Hydropathie-Plot zeigt die Verteilung hydrophiler und hydrophober Bereiche über die gesamte Länge der Sequenz auf (S. 476). Zusammen mit den Sequenzdaten erlaubt dieses Verfahren Aussagen über die mögliche Ausbildung von extra- und intramembranen bzw. transmembranen Abschnitten innerhalb der Polypeptidkette, aus denen sich ihre Membran-Orientierung ableiten läßt (vgl. Abb. 3.37). Die für solche Untersuchungen notwendigen Methoden kommen aus dem Arsenal der Gentechnik (Klonierung, DNA-Sequenzierung, Transformation; Box 10.1, S. 434 f). Ihnen verdanken wir auch die Identifizierung und Charakterisierung der codierenden Gene solcher Membranproteine, seien sie nun Bestandteile des nukleären oder des plastidären Genoms.
Asymmetrischer Bau der Thylakoidmembran. Die Anordnung der integralen Komplexe sowie der mobilen Elektronenüberträger in Abb. 3.42 (S. 144) entspricht einer Modellvorstellung, welche auch die unterschiedliche Verteilung in Stroma- und Granathylakoiden berücksichtigt; sie hatte sich bereits aus den Ergebnissen der Ultrastruktur-Analyse ergeben (S. 97 ff). Die Darstellung macht deutlich, daß die Struktur der Thylakoidmembran durch eine ausgeprägte laterale Heterogenität (S. 35) gekennzeichnet ist. Im Vorgriff auf die spätere Besprechung ist auch der CF1/CF0-Komplex oder ATP-Synth(et)ase-Komplex, ein weiterer integraler Membrankomplex, eingezeichnet worden, über welchen die Synthese von ATP unter Abbau des Protonenüberschusses im Intrathylakoidraum läuft (S. 150 ff).
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3 Photosynthese
144
Granum
Außenseite (Stroma)
18 23
33 Mn
LHC II B
P-680 E C F
Partitionregion
2 H+
LHC II
31 24 17 D2 D1 F LHC Cyt LHC PC Cyt b6 II 43 koll 19 f II 39 37 47 C E P-680 B Rieske Mn 33 Cyt b6 /f23
Komplex
18
Photosystem II mit Lichtsammlersystem und wasserspaltendem Komplex
Abb. 3.42 Strukturmodell der Thylakoidmembran. Darstellung unter Berücksichtigung der bisher bekannten, am photosynthetischen Elektronentransport sowie an der Photophosphorylierung beteiligten integralen und peripheren Membrankomplexe inklusive ihrer wichtigsten Untereinheiten
H D G C E
Fd
4 H+ 2 H+
2 H+
Ia
CF1
Ib
LHC (A) (B) LHC I 82 83 I P-700 PCY
CF0
F
Photosystem I mit Lichtsammlersystem CF1 / CF0-Komplex Innenseite (Intrathylakoidraum; „Loculus“)
(Großbuchstaben). Die unterschiedliche In-vivo-Gestalt der einzelnen Strukturen ist nicht berücksichtigt. Die abweichende Anordnung in der Partition-Region (vgl. Abb. 3.18 c, S. 100) ist angedeutet. Eingesetzte Zahlen: aktuelle Molmassen der Polypeptide. Abk.: s. Abb. 3.34 (S. 126).
Das in Abb. 3.42 wiedergegebene Verteilungsmuster ist kein statisches; es entspricht daher eher der Momentaufnahme einer sich in Wirklichkeit verändernden dynamischen Organisation, welche vor allem von den mobilen Überträgern Plastochinon, Plastocyanin und Ferredoxin, aber auch von LHC II (s. u.) geprägt wird. Man nimmt an, daß diese Beweglichkeit nach beiden Seiten in der Membran (laterale Diffusion) u. a. auch Ausdruck eines Regulationsmechanismus ist, welcher das Zusammenwirken der beiden Photosysteme in Abhängigkeit von der jeweils verfügbaren Strahlung optimiert (s. u.). Das Modell geht von einer asymmetrischen Konstruktion der Thylakoidmembran aus: Einige Redoxkomponenten sind auf der Membranseite angeordnet, welche dem Matrixraum (Stroma) zugekehrt ist, andere auf der gegenüberliegenden Seite, welche an den Intrathylakoidraum (Loculus) grenzt. Diese Anordnung ist die Ursache für die lichtgetriebene Zickzack-Bewegung von Elektronen, welche sie zwischen den Membranseiten pendeln läßt. So sind die Untereinheiten des wasserspaltenden Komplexes, welche die Elektronen für Photosystem II liefern, auf der Innenseite der Membran („Donorseite“!), primäres und sekundäres Akzeptorsystem hingegen auf der Außenseite angeordnet („Akzeptorseite“!). Die Wirkgruppen von Rieske-Protein und Cytochrom f sowie eine der zwei Häm-Gruppen von Cytochrom b6 finden sich
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
145
wiederum auf der Innenseite. Hier erfüllt auch Plastocyanin seine Funktion und versorgt die zur gleichen Membranseite hin orientierte Donorseite von Photosystem I mit Elektronen. Dessen Akzeptorseite befindet sich analog zum Photosystem II an der Außenseite der Membran. Folgerichtig sind hier die spezifischen Überträger postiert, welche die Elektronen zur Bildung von Reduktionsäquivalenten weiterleiten: Ferredoxin und Ferredoxin-NADP⫹-Oxidoreduktase.
Als Konsequenz dieser räumlich unterschiedlichen Anordnung werden nicht nur Elektronen vom Intrathylakoidraum zum Matrixraum (Stroma) transportiert, sondern gleichzeitig Protonen in umgekehrter Richtung bewegt (s. Abb. 3.42). Dieser transmembrane Protonentransfer ist – wie schon angedeutet – mit folgenden elektronenübertragenden Schritten gekoppelt: Wasserspaltender Komplex, Plastohydrochinon-Oxidation sowie zusätzlich: zyklischer Elektronentransport und Q-Zyklus – letzterer noch hypothetisch, da die erforderliche Reaktionsfolge am Cyt b6/f-Komplex noch nicht eindeutig nachgewiesen ist (S. 135 f). Eine wesentliche Voraussetzung für diese im Licht einsetzende Protonenanreicherung im Intrathylakoidraum während des Elektronenflusses besteht darin, daß die Thylakoidmembran keine andersartigen transmembranen Protonenbewegungen zuläßt, z. B. ein unkontrolliertes Rückfließen zum Stroma. Die lichtabhängige Anhäufung von Protonen läßt den pH-Wert im Intrathylakoidraum auf ca. 5 absinken, während er im Stroma auf ca. 8 ansteigt (Konzentrationsunterschied 1 : 1000!). Die protonenmotorische Kraft dieses Gradienten treibt die Synthese des Energieäquivalents – ATP – an: Photophosphorylierung (Einzelheiten, S. 147 ff).
3.5.6
Verteilung von Anregungsenergie zwischen den Photosystemen
Das Funktionieren des nichtzyklischen Elektronentransportes als Voraussetzung für eine ausreichende Produktion von Energie- und Reduktionsäquivalenten ist nur gewährleistet, wenn die beiden Photosysteme gleich gut von der absorbierten Strahlung profitieren und die von ihnen angetriebenen Reaktionsabläufe optimal aufeinander abgestimmt sind. Da jedoch die nutzbare Strahlung in Intensität und spektraler Zusammensetzung tagsüber oder auch jahreszeitlich schwanken kann, muß die photosynthetisch aktive Membran über einen Mechanismus verfügen, welcher die ankommende Strahlungsenergie gleichgewichtig den beiden Photosystemen zuleitet und eine ungleiche Auslastung derselben ausgleicht. Eine entscheidende Rolle spielt dabei offensichtlich die Oxidation des von Photosystem II produzierten Plastohydrochinon letztlich durch Photosystem I. Dieser komplexe Prozeß verliert an Schwung, wenn Photosystem I mit Strahlungsenergie „unterversorgt“ ist. Die Diskrepanz in der Energiebelieferung bzw. der ungenügende Energietransfer zwischen beiden Photosystemen (Status 1) löst nun einen Reaktionsmechanismus aus, welcher ausreichenden Energietransfer
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3 Photosynthese
146 a
PS II
LHC II
LHC II
– – – – –– – – –– – – – – – – – –– PS II
LHC II
– –
+ + + + + + +
LHC II ATP
Pi Phosphatase
Kinase ADP LHC II
LHC II
PS II
LHC II
PS II
– P + + ++ – – – – – + – – – –– – – –– – – – – – – – – P –+ + – – LHC II PS I b
LHC II – P LHC II
PS II
LHC II
LHC II
PS II
LHC II
LHC II
PS II
LHC II
PS II
Stroma – P LHC II
PS I
Intrathylakoidraum
Abb. 3.43 Modelle zur Energieverteilung zwischen Photosystem II und Photosystem I. Sie basieren auf reversibler Phosphorylierung und Wanderung von Komponenten des Lichtsammlersystems LHC II. a Theorie der Oberflächenladungen: Intermembrane elektrostatische Kräfte der Abstoßung zwischen Phosphat-Gruppen und fixierten Negativladungen treiben phosphorylierte LHC II von gestapelten Thylakoid-Domänen zu ungestapelten.
b Theorie der molekularen Erkennung: Phosphoryliertes LHC II weist deutlich geringe Affinität zum Kern-(Core-)Komplex von Photosystem II und auch zu sich selbst auf, wird daher frei und wandert in der Membran; es dockt ggf. an das Lichtsammlersystem von Photosystem I an. Im Gegensatz zu Theorie a soll für die Dissoziierung von phosphoryliertem LHC II Wärme als Energieform ausreichen.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
147
zwischen ihnen ermöglicht (Status 2): Einzelne Pigment-Protein-Komponenten (21 – 29 kDa) von LHC II werden vermutlich lateral verlagert und unterliegen dabei der Phosphorylierung. Bei dieser wird der γ-Phosphorsäure-Rest des ATP von einer membranassoziierten LHC II-Kinase auf eine Aminosäure – Threonin beim LHC IIb – jenes Sequenzabschnittes übertragen, welcher zur Stroma-Seite der Membran orientiert ist (s. Abb. 3.42, S. 144). Der Energieausgleich in umgekehrter Richtung, d. h. der Übergang von Status 2 zu Status 1 (s. o.), soll mit Dephosphorylierung der LHC II-Komponenten verbunden sein, katalysiert von einer Phosphatase der Membran. Einiges spricht dafür, daß die LHC II-Kinase über den Oxidationszustand einer noch unbekannten Komponente des Chloroplasten kontrolliert wird. Ein guter Kandidat ist das Plastochinon-Kollektiv; wird es aufgrund höherer Aktivität von Photosystem II überdurchschnittlich stark reduziert, steigt die Aktivität der Kinase an. Phosphorylierte LHC II-Komponenten transferieren nun Energie zum Photosystem I und sorgen für Energiebalance. Wird Plastohydrochinon durch überhöhte Aktivität von Photosystem I oxidiert, gewinnt die Phosphatase die Oberhand, während die Kinase inaktiviert wird. Allerdings haben neuere Befunde diese Modellvorstellung in Frage gestellt; sie sprechen dafür, daß der Cytochrom b6/f-Komplex als eigentlicher Regulator der Kinase fungiert. Nach einer anderen Version übernimmt er gemeinsam mit dem Plastochinon-Kollektiv die Kontrolle von LHC II-Kinase. Wie die Pigment-Protein-Komponenten von LHC II den Energietransfer zwischen beiden Photosystemen bewerkstelligen, ist weitgehend unbekannt; bisher gibt es dazu lediglich Modelle. Die beiden wichtigsten – Oberflächenladungstheorie und Molekulare Erkennungstheorie – zeigt Abb. 3.43.
3.5.7
Photophosphorylierung Allgemeines
Neben Reduktionsäquivalenten (NADP-H + H+), deren Entstehung wir anhand des Z-Schemas verfolgt haben, werden für den endergonischen Prozeß der Kohlenhydratsynthese aus Kohlendioxid auch Energieäquivalente benötigt. Sie entstehen als zweites stabiles Endprodukt der beiden Lichtreaktionen. Dabei vollzieht sich jene Umwandlung von Strahlungsenergie in chemische Energie, welche einleitend als das hervorstechende Merkmal der Photosynthese herausgestellt wurde. Formal ist ein insgesamt stark exergonischer Vorgang mit einer spezifischen, endergonischen Reaktion in der Weise gekoppelt, daß die freiwerdende Energie teilweise in chemische Bindung übergeführt wird. Wir treffen hier auf das gleiche biologische Prinzip, welches einleitend als allgemeingültig für die Gewinnung chemischer Energie in der Zelle erwähnt worden ist (vgl. S. 24 f). Es überrascht daher nicht, daß ATP gemäß seiner Funktion als spezifischer Träger von chemischer Energie auch am energieliefernden Prozeß des photochemischen Reaktionsbereiches beteiligt ist. Durch Kopplung mit diesem wird die Phosphorylierung von ADP zu ATP energetisch möglich:
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148
3 Photosynthese Ade
O
CH2 O P P
HO OH ADP
Pi
H2O
' (∆Go') = ∆Gm + 30,5 kJ/mol
Ade
O
CH2 O P P P
HO OH ATP
Ein Teil der verfügbaren Energie bleibt in Form einer „energiereichen Bindung“ (S. 24 f) im Molekül des ATP erhalten und steht als Energieäquivalent zur Befriedigung des Energiebedarfs bei der Kohlendioxid-Reduktion zur Verfügung. Da diese Phosphorylierung praktisch nur bei Belichtung erfolgt, andererseits aber weder molekularen Sauerstoff noch energiereiches Substrat verbraucht wie die mit der Zellatmung verbundene ATP-Bildung („oxidative Phosphorylierung“, S. 293 ff), wird sie dieser als Photophosphorylierung gegenübergestellt. Erfolgt sie in Verbindung mit dem nichtzyklischen Elektronentransport (Abb. 3.34, S. 126), heißt sie entsprechend nichtzyklische Photophosphorylierung. Liefert hingegen ausschließlich die Elektronenbewegung des zyklischen Weges (S. 135 f) die notwendige Redoxenergie, so handelt es sich um zyklische Photophosphorylierung. Beiden liegt jedoch der gleiche Mechanismus der ATP-Synthese zugrunde (s. u.). Die nichtzyklische Photophosphorylierung ist sicherlich die dominierende Form in vivo, insbesondere dann, wenn grüne Zellen bei ausreichender Versorgung mit geeigneten Elektronenakzeptoren wie Kohlendioxid bzw. die Anionen Nitrat (NO3–) oder Sulfat (SO42 – ) belichtet werden. Sie liefert auch jenen Anteil an ATP, welcher nicht für die Kohlendioxid-Reduktion, sondern für endergonische Reaktionen innerhalb und außerhalb der Chloroplasten benötigt wird. Bei nichtzyklischer Photophosphorylierung in isolierten Chloroplasten entsteht eine dem NADPH + H+ bzw. dem O2 stöchiometrische Menge an ATP: NADP+ + H2O + ADP + H2PO4– h—· 왘v NADPH + H+ + ATP + H2O + 1/2 O2
Auch bei Verwendung typischer Hill-Reagenzien (S. 131) gilt diese Beziehung. Da die Redoxpotentiale der einzelnen Elektronenakzeptoren sehr verschieden sind, ist auch die Menge an chemisch gebundener Energie unterschiedlich groß. Es ist verschiedentlich bezweifelt worden, ob die in der vorstehend beschriebenen Weise meßbare zyklische Photophosphorylierung überhaupt in vivo, vor allem bei höheren Pflanzen, von Bedeutung ist.
Mechanismen und Teilreaktionen Die lichtabhängige ATP-Synthese als elementares Geschehen der Photosynthese ist nur mittelbar mit dem lichtgetriebenen Elektronenfluß vom Wasser zum NADP+ verknüpft, d. h. eine direkte chemische Kopplung liegt sicherlich nicht vor. Bei der vorausgegangenen Beschreibung des membrangebundenen Elektronentransportes ist deutlich geworden, daß bei den einzelnen Übertragungs-
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
149
schritten nicht nur Elektronen zwischen Redoxzentren transferiert, sondern dabei auch Protonen durch die Thylakoidmembran – vektoriell – in den Intrathylakoidraum befördert werden (s. Abb. 3.42, S. 144). Demgemäß arbeiten die beteiligten Redoxsysteme wie Protonenpumpen (S. 36), angetrieben von der bei Elektronenübergängen anfallenden Redoxenergie. Die resultierende Konzentrierung von Protonen im Binnenraum des Thylakoid, dessen Membran generell für sie undurchlässig ist, führt zum Aufbau eines Protonengradienten und damit zur Etablierung eines arbeitsfähigen Systems. Aus seinem beachtlichen ~ pH+ –, dessen bestimmende Größen die Konelektrochemischen Potential – ∆µ zentrationsdifferenz von Protonen – ∆ pH+ – und ein Membranpotential – ∆ sind, resultiert eine protonenmotorische Kraft – ∆ p – (proton motive force, pmf). Dabei ist es unerheblich, wie groß der jeweilige Anteil der beiden ist. Im Chloroplasten entsteht ∆ p praktisch nur aus dem Protonengradienten, während bei Mitochondrien die Größe des Membranpotentials deutlicher zu Buche schlägt. Das primär im Licht aus Redoxenergie aufgebaute elektrochemische Potential bildet die Grundlage für die Bildung von Energieäquivalenten: Das natürliche Bestreben der im Intrathylakoidraum angesammelten Protonen, durch Rückkehr in das Stroma den Gradienten auszugleichen, wird genutzt. Durch geschickte Steuerung kann die damit verbundene stark negative Änderung der freien Enthalpie zur Synthese von ATP eingesetzt werden. Dieser Prozeß vollzieht sich am ATP-Synth(et)ase- oder CF1/CF0-Komplex der Thylakoidmembran (s. u.). Dank seiner Konstruktion kann der energieliefernde, gerichtete Protonen-Rückstrom durch die Membran in die energieabhängige Phosphorylierung von ADP zu ATP umgesetzt werden. Allerdings ist die Stöchiometrie dieses Prozesses noch ungeklärt. Diese Vorstellungen zum Mechanismus der Photophosphorylierung basieren auf der Chemiosmotischen Theorie, welche von Mitchell zuerst für die ATPBildung in Mitochondrien formuliert worden ist (Box 3.18 u.). Die Aufklärung des Reaktionsmechanismus der Photophosphorylierung nahm mit den Pionierarbeiten der Arbeitsgruppe um Daniel Arnon (Berkeley/Kalifornien) vor ca. 30 Jahren ihren Anfang. Die zunächst vermutete direkte chemische Kopplung von Elektronenbewegung und ATP-Bildung, ursprünglich für die entsprechende, aber sauerstoffverbrauchende Energiekonservierung in Mitochondrien (oxidative Phosphorylierung) postuliert, mußte aufgegeben werden. An dessen Stelle trat nach der von Peter Mitchell* bereits 1961 formulierten Chemiosmotischen Hypothese die nur mittelbare Verknüpfung von Elektronentransport und ATP-Bildung über einen intermediären transmembranen Protonengradienten. Das Mitchell-Modell wird heute nicht mehr in Frage gestellt, da eine Vielzahl von Befunden seine Richtigkeit bestätigt haben.
*
1978 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet
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3 Photosynthese
Box 3.18
Chemiosmotische Theorie
Positive Befunde: 1. Isolierte Thylakoide reichern bei Belichtung und aktivem Elektronentransport Protonen aus dem umgebenden Medium in ihrem Loculus an, wodurch der pH-Wert dort gegenüber außen um bis zu 3,5 Einheiten absinken kann; 2. Induktion eines künstlichen pH-Gradienten an Thylakoiden im Dunkeln löst ebenfalls ATP-Synthese aus; 3. in Chloroplasten und isolierten Thylakoiden aus phototrophen Bakterien wird bei Belichtung über den membrangebundenen Elektronentransport ein elektrisches Feld aufgebaut, dessen positive Ladung bei Thylakoiden innerhalb, dessen negative außerhalb der Membran lokalisiert ist;
4. die zunächst unverständliche Hemmwirkung von Detergenzien auf die Photophosphorylierung findet jetzt eine plausible Erklärung: Der ausgelöste Abfluß von Protonen ins Stroma infolge der veränderten Membran-Architektur baut den Protonengradienten ab, ohne daß ATP synthetisiert wird („Entkopplung“! S. 155); 5. die Erkenntnisse über den Aufbau und die Wirkungsweise von ursprünglichen, d. h. früh in der Evolution entstandenen Systemen einer lichtinduzierbaren ATP-Synthese. Als Modellorganismus kann Halobacterium halobium gelten (S. 155 ff).
Bis heute ist ungeklärt, ob die Protonen frei – „delokalisiert“ – im Intrathylakoidraum vorliegen oder ob sie in sog. „metastabilen Protonen-Pufferdomänen“ mit Proteinen an der inneren Oberfläche assoziiert – „lokalisiert“ – sind, von wo sie zum CF1/CF0-Komplex (s. u.) fließen.
CF1/CF0-Komplex. Dieser integrale Membrankomplex koppelt Protonenrückfluß aus dem Intrathylakoidraum mit ATP-Synthese (= „Protonen-translozierende reversible ATPase“). Wie bereits erwähnt, beschränkt sich sein Vorkommen auf Thylakoidmembranen mit freier Fläche zum Stroma, d. h. die Granathylakoidmembranen der Partition-Region (S. 100) sind frei davon – sicherlich eine Konsequenz des verfügbaren Raumes, welcher der Einordnung des Komplexes wegen seiner besonderen Gestalt Grenzen setzt. Er besteht nämlich – in Analogie zu entsprechenden Strukturen in Bakterien und Mitochondrien – aus einem rundlichen „Kopf“, dem CF1-Kopplungsfaktor, welcher der Stromaseite der Membran aufgelagert ist, und einem membrandurchgängigen „Stiel“, dem CF0-Kopplungsfaktor (Abb. 3.44). Während CF1 die katalytische Aktivität trägt, fungiert CF0 als eine Art Kanal, über den vektoriell Protonen durch die Membran dem CF1 zufließen. Jene periphere Teilstruktur ist vermutlich über Kationen an die Membranoberfläche geheftet, wobei die Ionen Wechselwirkungen mit negativen Ladungen an beiden Strukturen eingehen. Aus diesem Grunde gelingt die Ablösung von CF1 und damit die Isolierung in nativer Form durch die Behandlung von Thylakoiden mit EDTA (S. 52) relativ problemlos. Die zurückbleibenden Membranen
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
151
mit den nunmehr offenen Protonenkanälen sind nicht mehr in der Lage, einen Protonengradienten aufzubauen. Durch Zugabe von CF1-Partikeln wird in Gegenwart von Magnesium-Ionen die phosphorylierende Aktivität wieder hergestellt; dabei müssen jene nicht unbedingt von der gleichen Spezies stammen. Aufgrund der problemlosen Isolierung und Solubilisierung von CF1 sind wir über den molekularen Aufbau recht gut informiert. Dieser Teilkomplex besteht aus 5 Polypeptiden oder Untereinheiten:
α (A; 55 – 56 kDa) β (B; 52 – 54 kDa) γ (C; ca. 37 kDa) δ (D; 21 – 25 kDa) ε (E; ca. 14 kDa) Das Teilchengewicht von CF1 zeigt an, daß einige Untereinheiten mehrfach vertreten sind. Tatsächlich liegen von α und β jeweils drei Ausfertigungen mit der Stöchiometrie α3β3 vor; γ, δ und ε sind hingegen nur einmal vertreten. Demgemäß hat CF1 die Zusammensetzung α3β3γδε.
α und β bilden in alternierender Anordnung eine symmetrische Ringstruktur um einen zentralen Hohlraum. Sie zeigt die enge funktionelle Assoziierung dieser Untereinheiten an (s. u.). Jedes α, β -Paar bildet eine von insgesamt drei katalytischen Reaktionsstellen. Wechselwirkungen zwischen ihnen, aber auch mit den Untereinheiten γ, δ und ε, welche vermutlich auf Konformationsänderungen (S. 14) beruhen, sollen für eine sequentielle Aktivierung ihrer aktiven Zentren hinsichtlich ATP-Synthese sorgen. Zumindest für γ wird eine diesbe-
β
a
β
β
α
γ δ
ε
α
α
CF1
Abb. 3.44 Strukturmodell von CF1. a Seitenansicht. b Blick von der Membranoberfläche, d. h. gegen die Unterseite des Komplexes.
Stroma
CF0
Intrathylakoidraum
b
β
α
γ
α
ε β
δ
β
α
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3 Photosynthese
zügliche Rolle anhand seiner räumlichen Anordnung erkennbar: Asymmetrische Einpassung in den zentralen Hohlraum, was für Interaktion mit den einzelnen αβ-Paaren spricht (s. u.). δ soll an der Anheftung von CF1 an CF0 beteiligt sein, aber auch den unerwünschten Austritt von Protonen am CF0 verhindern. Diese Funktion wird auch für ε angenommen, und zwar als Teil der generellen Regulationsaktivität dieser Untereinheit. Zu diesen gehört auch die Blockierung der latenten ATPase-Aktivität (s. u.). Der molekulare Feinbau von CF1 ist noch nicht restlos aufgeklärt; wir sind daher vorerst auf Modelle angewiesen, von denen eines in Abb. 3.44 vorgestellt wird. Eine deutliche Asymmetrie in der Anordnung der Untereinheiten ist unverkennbar; sie steht – wie später erklärt wird (s. u.) – in engem Zusammenhang mit der zu katalysierenden Reaktion; diese ist auf das koordinierte Zusammenwirken aller Untereinheiten angewiesen. Da CF0 aus Polypeptiden mit überwiegend hydrophoben Eigenschaften besteht, gestaltet sich die Aufklärung der molekularen Struktur wesentlich schwieriger. Vier Polypeptide konnten bisher als integrale Untereinheiten, versehen mit membrandurchspannenden Helices, identifiziert werden: I (F, 18 – 19 kDa) II (G; ca. 16 kDa) III (H; ca. 8 kDa) IV (I; ca. 27 kDa)
Die Untereinheiten I und II bilden vermutlich die Struktur des „Stiel“, welcher CF1 und CF0 verbindet. Beide sind zwar in der Membran verankert, besitzen aber hydrophile, extramembrane Sequenzabschnitte, welche die Anheftung von CF1 besorgen könnten. Untereinheit III ist reich an hydrophoben Aminosäure-Resten (81!) und wird deshalb auch als Proteolipid bezeichnet; 6 – 12 Moleküle bilden ein stabförmiges Aggregat, welches zusammen mit Untereinheit IV den eigentlichen Protonenkanal (Protonenpore) darstellt. Bei höheren Pflanzen und Grünalgen verteilen sich die Gene der PolypeptidUntereinheiten von CF1/CF0 auf Plastiden- und Kern-Genom. α, β und ε (atpA, atpB, atpE) sowie I, III und IV (atpF, atpH, atpI) werden von Plastiden-Genen codiert; sie sind in zwei Cluster zusammengefaßt (S. 442 ff). Ihre Sequenzen sind bekannt; die von ihnen abgeleiteten Aminosäuresequenzen der codierten Polypeptide erlauben Aussagen über ihre mögliche räumliche Einordnung in die Thylakoidmembran (s. o.). Auch die Isolierung des intakten und aktiven Gesamtkomplexes CF1/CF0 ist gelungen. Nach Einbau solcher Partikel in künstliche Membranen, welche sich zu Vesikeln schließen (Liposomen), läuft die Synthese von ATP ab, wenn ein transmembraner Gradient von Protonen experimentell errichtet wird oder ein externes elektrisches Feld mehrfach für kurze Zeit (Pulse-Anregung) einwirkt. Diese Befunde untermauern die Richtigkeit der Chemiosmotischen Theorie (s. Box 3.18). – Für den Zusammenhalt des Gesamtkomplexes sollen hydrophobe Wechselwirkungen verantwortlich sein.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
153
Energietransformation. Wie die Energie der transmembranen Potentialdifferenz übertragen und in der chemischen Bindung von ATP konserviert wird, entzieht sich noch einer exakten Beschreibung. Die bisher aufgeklärten Details haben ihren Niederschlag in Modellvorstellungen gefunden, von denen der „Mechanismus energieabhängiger Bindungsänderungen“ (nach Boyer u. Mitarb.) an Aktualität gewonnen hat (Abb. 3.45). Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß ADP und Monophosphat relativ leicht miteinander reagieren, was möglicherweise darauf beruht, daß Wasser vom katalytischen Reaktionsort ferngehalten wird: jetzt ist die Synthese von ATP gegenüber seiner hydrolytischen Spaltung energetisch deutlich begünstigt (vgl. Reaktionsgleichung S. 148) und bedarf keiner weiteren Energiezufuhr.
ADP
Abb. 3.45 ATP-Synthese. Bildung durch einen Mechanismus energieabhängiger Konformationsänderungen der drei beteiligten katalytischen Untereinheiten. Sie durchlaufen drei verschiedene Bindungszustände: hohe Affinität (T), geringe (L) und sehr schwache (0) für die Substrate ADP und anorganisches Phosphat sowie für das Produkt ATP (nach Boyer, Harris, Slater; Einzelheiten im Text).
Pi
O
T
AT P
AT P
L
Energie i
P
AD
P
AD
PP
i
T L
O
ATP
AT P AD P
P
i
T L
ADP O
Pi
Energie
ATP O ADP Pi
T
L
ADP Pi
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154
3 Photosynthese
Das gebildete ATP wird zunächst nicht frei, sondern bleibt ziemlich fest gebunden. Damit es abgegeben werden kann, muß ein erheblicher Energiebetrag aufgewendet werden. Boyer u. Mitarb. schlossen daraus, daß die protonenmotorische Kraft gar nicht so sehr für die Phosphorylierung von ADP, als vielmehr für die Freisetzung des gebildeten ATP vom Reaktionsort erforderlich ist. Nach ihrer Vorstellung treten drei Nucleotid-bindende Zentren oder Reaktionsstellen (catalytic sites) am CF1 miteinander in Wechselwirkung und durchlaufen dabei einen Reaktionszyklus mit drei Stationen, welche ATP oder ADP + Monophosphat unterschiedlich stark und zeitlich begrenzt binden: Fest (T, tight), gering (L, low) und sehr schwach (O, open). Wie schon erwähnt, sollen energieabhängige Konformationsänderungen der beteiligten Untereinheiten auf kooperativer Basis für die einzelnen Bindungszustände verantwortlich sein. Dabei werden unterschiedliche Wechselwirkungen der β-Untereinheit mit γ, δ oder ε vermutet, welche für die drei αβ-Dimere eine jeweils spezifische chemische Umgebung schaffen. Die Befunde, auf denen dieses Modell basiert, sind ursprünglich an Membranvesikeln von Mitochondrien (S. 294) erhoben worden. Sie haben sich generell als zutreffend für entsprechende Präparationen von Thylakoiden mit CF1/CF0Komplexen erwiesen. Eine Aktualisierung hat dieses Modell durch Befunde erfahren, wonach Nucleotid-Bindungsstelle und katalytischer Reaktionsort offensichtlich nicht identisch sind (Strotmann u. Mitarb.). Am wenigsten wird die Rolle der Protonen im Mechanismus der ATP-Synthese verstanden.
Regulation. Der Ablauf der Photophosphorylierung über zwei Teilbereiche – Errichtung eines intermediären Protonenpotentials und Ausbeutung desselben zur Gewinnung von ATP – bringt Vorteile bei der Kontrolle des Gesamtprozesses. Einer betrifft die selbstregulierenden Fähigkeiten des Systems: Der lichtgetriebene Elektronenfluß vom Wasser zum NADP+ wird nur in dem Umfange ablaufen, wie der dabei entstehende Protonengradient durch ATP-Synthese abgeschöpft wird. Da diese von der verfügbaren Menge an ADP und Monophosphat abhängt, werden beide letztlich die Geschwindigkeit des Elektronenflusses – und damit auch die Aktivität der beiden Photosysteme – bestimmen: Regulation durch Metaboliten! Hoher ATP-Verbrauch hinterläßt größere Mengen an ADP und Monophosphat im Chloroplasten, welche für die Rückbildung von ATP zur Verfügung stehen. Damit diese optimal erfolgen kann, muß das elektrochemische Potential auf maximale Größe gesteigert werden; entsprechend beschleunigt sich der Elektronenfluß. Sinkt hingegen der Spiegel von ADP und Monophosphat, weil infolge geringeren Energiebedarfs weniger ATP gespalten wird, so verlangsamt sich der Elektronenfluß, und der Protonengradient bzw. das Protonenpotential reduzieren sich entsprechend. Dank der selbstregulierenden Eigenschaften des Systems ist eine bedarfsgerechte Umsetzung von Strahlungsenergie in Energieäquivalente gewährleistet.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
155
Als wichtige Kontrollinstanz für CF1/CF0 ist der tägliche Licht/Dunkelwechsel erkannt worden: Während der Nacht ist die Photophosphorylierung generell abgeschaltet; ebenso unterbleibt die unerwünschte Rückreaktion, d. h. die hydrolytische Spaltung von ATP.
Entkopplung. In Gegenwart bestimmter, meist nichtphysiologischer Substanzen wird das geschilderte Zusammenspiel von membranem Elektronentransport und ATP-Synthese aufgehoben oder „entkoppelt“: Der Elektronenfluß im Licht geht weiter, aber die Bildung von ATP unterbleibt, weil die anfallende Redoxenergie als Wärme freigesetzt wird. Als „Entkoppler“ wirken neben Natriumazid, Desaspidin und Salicylaldoxim auch Ammonium-Ionen (NH4+) sowie einige Detergenzien. Ihre Wirkung ist mit der von Ionophoren vergleichbar: Sie öffnen Membrandurchgänge, über welche Protonen, gewissermaßen unter Umgehung von CF1/CF0, zurück in das Stroma gelangen, ohne chemische Arbeit zu leisten. Durch diesen Nebenweg im membrangebundenen Protonenkreislauf wird der Aufbau des Protonenpotentials verhindert. Ob spezifisch entkoppelnde Agenzien auch nativ im Chloroplasten vorkommen, ist unbekannt. Einige Entkoppler der Photophosphorylierung beeinflussen in gleicher Weise die im Mitochondrion ablaufende ATP-Synthese, die oxidative Phosphorylierung (S. 293 ff), was wegen des sehr ähnlichen Reaktionsmechanismus nicht überrascht.
ATPase-Aktivität von CF1/CF0. Die Fähigkeit des Komplexes, auch die Spaltung von ATP zu katalysieren, d. h. als ATPase zu wirken, wird in vitro durch Behandlung desselben mit dem eiweißabbauenden Enzym Trypsin, mit reduzierenden Agenzien wie Dithiothreitol (DTT) oder mit einigen organischen Lösungsmitteln aktiviert. Vermutlich wird dadurch die Affinität von ε so stark erniedrigt, daß seine blockierende Wirkung auf die potente ATPase-Aktivität vermindert oder gänzlich aufgehoben wird. Über diesen experimentellen Ansatz wurde es erst möglich, die Synthase-Aktivität von CF1/CF0 auf dem Umweg über die Rückreaktion verläßlich zu bestimmen.
Urform von Photophosphorylierung bei Halobacterium Ihre stärkste Stütze hat die chemiosmotische Theorie in der bei Halobacterium halobium entdeckten ATP-Synthese über einen lichterzeugten Protonengradienten gefunden. Dieses stäbchenförmige, begeißelte Bakterium wächst nur in Medien mit extrem hoher Natriumchlorid-Konzentration (ca. 4 mol · l–1; z. Vgl. Seewasser: 0,5 mol · l–1) und besitzt ein relativ einfach gebautes, aber sehr effektives Lichtwandlersystem. Unter anaeroben Bedingungen färben sich begrenzte Areale der Cytoplasmamembran intensiv purpurn (Purpurmembran), weil es zu einer dichten, sehr regelmäßigen Einlagerung eines Pigments kommt (s. Abb. 3.47). Dieses Chromoproteid von ca. 26 kDa besitzt große Ähnlichkeit mit dem Rhodopsin, dem typischen Sehpigment von Mensch und Tier, und wurde deshalb Bacteriorhodopsin genannt.
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3 Photosynthese
156
Der Chromophor Retinal (23), welcher als Photorezeptor fungiert, ist mit der εAmino-Gruppe eines Lysin-Restes von Bacterioopsin, dem Apoprotein, in Form eines Imins (Schiff-Base) verknüpft; sie lagert ein Proton an (Abb. 3.46 a). Das Apoprotein durchspannt die Membran mit 7 Helices. Bei eintretendem Sauerstoffmangel schalten die Bakterien auf einen PhotoStoffwechsel um: Das Bacteriorhodopsin wirkt jetzt als lichtgetriebene Protonenpumpe, welche Protonen (H+) aus der Zelle in das Außenmedium befördert. Der Photorezeptor durchläuft dabei eine Sequenz von schnellen Konformationsübergängen, welche charakteristische Änderungen in der Absorption zeitigen. Sie können mit Hilfe der Tieftemperatur-Spektroskopie erfaßt werden. Absorption eines Quants isomerisiert über Zwischenstufen die all-trans-Form des Retinal zur 13-cis-Form unter Freisetzung des Protons (s. Abb. 3.46 b). Bei dieser kurzfristigen „Bleichung“ – das typische Absorptionsmaximum bei 570
Bacterio-Opsin Polypeptidkette
a
5 4
6 1
3
7
11
9 8
10
12
O
HN
15
13
+
N H
14
O
2
N H
Lysin-Rest
all-trans-Retinal (protoniertes Imin: Schiff-Base) 23 CH3
b
13C
14 C
H
+
H „Dunkelreaktion“
Abb. 3.46 Bakteriorhodopsin. a Struktur von Retinal und die Bildung eines protonierten Imins (Schiff-Base) bei der Bindung an Bacterio-Opsin über einen Lysin-Rest.
C + N H
h·
all-trans
13
H+ Protonenpumpe
H 15
CH3 C
14
CH
HC + 15 N H 13-cis
b Photozyklus des Bacteriorhodopsins (BR). Wechsel zwischen all-trans- und 13-cisForm durch Photoisomerisierung.
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3.5 Der photochemische Reaktionsbereich
157
nm verschwindet, ein neues erscheint bei 412 nm – wird ein Proton freigesetzt und vektoriell durch die Cytoplasmamembran nach außen befördert. Die 13cis-Form geht unter Aufnahme eines Protons sehr schnell wieder in die Ausgangs- oder protonierte all-trans-Form über, welche spezifisch bei 570 nm absorbiert. Durch vielfache Wiederholung dieses Photozyklus – pro Sekunde sollen mehrere hundert Protonen exportiert werden – kommt es extrazellulär zu einer Protonenakkumulation, intrazellulär hingegen zu einer -verarmung. Hieraus resultiert ein transmembraner Protonengradient in Verbindung mit einem Membranpotential. Dessen protonenmotorische Kraft ermöglicht die Bildung von ATP, katalysiert durch eine membrangebundene ATP-Synth(et)ase (Abb. 3.47). In Gegenwart von Sauerstoff wird der transmembrane Protonengradient über den „normalen“ Weg, d. h. über die Elektronentransportkette der Endoxidation errichtet (s. S. 285 ff). ATP entsteht dementsprechend über den Mechanismus der oxidativen Phosphorylierung. Diese Art von Energiekonservierung mit Hilfe einer lichtgetriebenen Protonenpumpe und ohne Beteiligung von Redoxreaktionen, wird nicht nur den besonderen äußeren Bedingungen (Sauerstoffmangel, starke Lichteinstrahlung) gerecht, sondern deckt offensichtlich auch den laufenden Bedarf an Energieäquivalenten.
H+
O2
Plasmamembran
Atmungskette H+ ATP
ADP, Pi
H+ Geißeln H+,CB–
BR-570
H+
ATP-Synth(et)ase Purpurmembran H+
H+, Cl– h.ν
Abb. 3.47 ATP-Synthese über transmembranen Protonengradienten bei Halobacterium halobium. Dieser wird bei Anaerobiose im Licht durch Photoisomerisierung von Bakteriorhodopsin in der Purpurmembran aufgebaut. Eine zweite lichtgetriebene Ionenpumpe der Plasmamembran befördert Chlorid-Ionen und Protonen in die
BR-412
H+
h.ν
Zelle. In Gegenwart von Sauerstoff ist die Atmungskette in der Plasmamembran aktiv und baut den Protonengradienten mittels Redoxenergie auf (s. S. 148 f). – Die Zellwand ist bei der Darstellung nicht berücksichtigt, die Begeißelung nur partiell.
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158
3 Photosynthese
3.5.8
Quantenbedarf der Photosynthese
Die Wirksamkeit der Photosynthese wird allgemein nach ihrem Quantenbedarf bewertet. Hierunter ist die Anzahl von Lichtquanten zu verstehen, die zur Bildung eines Moleküls Sauerstoff (O2) benötigt werden. Auch der Begriff der Quantenausbeute, welcher die pro Quant vollbrachte photosynthetische Leistung beinhaltet, ist gebräuchlich. Unter der Voraussetzung, daß die 1. und 2. Lichtreaktion in Serie geschaltet sind, müssen vier Elektronen die gesamte Reaktionskette vom H2O bis zum NADP+ durchlaufen, damit ein Molekül Sauerstoff (O2) freigesetzt wird. Pro Elektron sind zwei Lichtquanten erforderlich, woraus sich ein theoretischer Quantenbedarf von 8 für ein Molekül Sauerstoff (O2) ergibt. Tatsächlich haben die meisten diesbezüglichen experimentellen Bestimmungen Werte zwischen 8 – 10 h ⋅ v/Molekül O2 erbracht. Da die Messungen an Algenzellen und intakten Blättern oft mit Fehlern aufgrund von Störungen durch andere Reaktionen (Atmung, Induktionsperioden, Wachstum) behaftet waren, hat man isolierte Chloroplasten zur Messung des Quantenbedarfs der Photosynthese herangezogen. Die erhaltenen Meßwerte lagen bei diesen mit 10 – 14 h ⋅ v/Molekül O2 im allgemeinen etwas höher.
3.6
Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
Bei den bisherigen Ausführungen über die Photosynthese ist vom zweiten Reaktionspartner, dem Kohlendioxid (CO2), nur am Rande die Rede gewesen. Seine chemische Umformung ist nämlich nicht unmittelbar mit den beiden Lichtreaktionen verknüpft (s. Abb. 3.34, S. 126). Diese liefern Sauerstoff, NADPH + H+ und ATP, wobei die beiden letztgenannten den Bedarf an reaktionsbereitem Wasserstoff bzw. chemischer Energie, welche für die Reduktion des Kohlendioxid benötigt werden, decken. Erschwerend für die Aufklärung der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion war der Umstand, daß die gängige chemische Analyse der Zellbestandteile keinen Aufschluß darüber geben konnte, ob die nachgewiesenen Zwischenverbindungen spezifisch für die Photosynthese oder für den Kohlenhydratabbau waren. Außerdem erwies sich die Erfassung der relativ geringen Substanzmengen als eine kaum lösbare Aufgabe. Erst mit der Anwendung von Radioisotopen war eine erfolgreiche Bearbeitung des Problems gegeben (Box 3.19). Versuchsobjekte waren zunächst einzellige Grünalgen (S. 110 f), später phototrophe Bakterien (S. 199 ff), niedere und höhere Pflanzen.
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
159
Box 3.19 Verwendung von Isotopen zur Aufklärung biochemischer Reaktionen Die chemischen Umwandlungen einer Verbindung in einem komplexen Reaktionsgeschehen lassen sich gut verfolgen, wenn ein Atom oder auch mehrere in ihren Molekülen durch die isotope Atomart ersetzt ist, vor allem durch eine radioaktive, d. h. strahlungsemittierende. Diese Strahlung verleiht dem Molekül oder einer Gruppierung desselben eine „Markierung“, die als sicherer Indikator seinen Weg in einer Reaktion, aber auch in der lebenden Zelle verrät. Die aus dem Molekül entstehenden Reaktionsprodukte enthalten das Isotop und sind aufgrund der Strahlung bei der abschließenden Analyse relativ leicht zu identifizieren. Unter Isotopen versteht man Atome eines Elements, die bei gleicher Kernladung und gleicher Anzahl von Elektronen unterschiedliche Atomgewichte besitzen. Während sie chemisch einheitlich reagieren, prägt sich dieser Unterschied im physikalischen Verhalten aus. Radioaktive Isotopen sind instabil und zerfallen unter Abgabe von Strahlung.
3.6.1
In der biochemischen Forschung finden vor allem die Isotopen des Kohlenstoffs (14C), des Phosphors (32P,33P), des Wasserstoffs (3H), des Schwefels (35S) und des Stickstoffs (15N) in steigendem Maße Verwendung. 15N als stabiles Isotop strahlt nicht; die drei anderen zerfallen unter Emission von βStrahlung jeweils unterschiedlicher Stärke. Bei der Markierung einer Verbindung mit einem radioaktiven Isotop wird dieses in der Regel nur in einen bestimmten Prozentsatz der Moleküle eingeführt; dieses Verhältnis von markiert zu unmarkiert ist als spezifische Aktivität definiert. Voraussetzungen für eine breite Anwendung der Isotopentechnik waren der steigende Anfall von Isotopen in den Kernreaktoren sowie die Entwicklung von empfindlichen und genauen Meßmethoden für ihre verschiedenen Arten (Massenspektrograph für stabile Isotope, Geiger-Müller-Zählrohr und Szintillationsspektrometer für die radioaktiven).
Aufklärung der Kohlendioxid-Reduktion mittels Radioisotopen
Für das Aufspüren der spezifischen Reaktionen, über welche das Kohlendioxid bei der Photosynthese gebunden und in das Endprodukt Kohlenhydrat überführt wird, bot sich das langlebige Radioisotop 14C als ein ideales Hilfsmittel an. Das experimentelle Prinzip zum Nachweis spezifischer Primär- und Zwischenprodukte bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion besteht darin, den photosynthetisch aktiven Zellen einzelliger Grünalgen für kurze Zeit Kohlendioxid oder Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3) anzubieten, deren Moleküle teilweise radioaktiven Kohlenstoff (14C) gewissermaßen als „Spurenleger“ oder „Fährtenfinder“ (tracer; engl.) enthalten. Die Zellen bevorzugen zwar 12 CO2 gegenüber 14CO2, doch wird genügend von dieser radioaktiv markierten Form aufgenommen und chemisch fixiert.
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160
3 Photosynthese
Der Kontakt der Zellen mit dem Kohlenstoff-Isotop 14C muß möglichst kurz sein, will man das Primärprodukt der Kohlendioxid-Fixierung erfassen. Längere Inkubation hat ein schnelles „Ausfließen“ des 14C über eine relativ große Anzahl von Verbindungen in der Zelle zur Folge. Durch verschieden lange Einbauzeiten sowie geeignete analytische Methoden zur Identifizierung der löslichen Zellbestandteile kann der Weg des radioaktiven C-Atoms über typische Zwischenstufen bis zum Endprodukt verfolgt werden. Abb. 3.48 zeigt eine Versuchsanordnung, die Kurzzeitfixierung (pulse; engl.) von 0,4 bis 15 s Dauer im Zustand optimaler Photosynthese bei einzelligen Grünalgen ermöglicht. Die Fixierung wird durch Einbringen der Zellen in kochendes Ethanol abgebrochen. Gleichzeitig erfolgt die Extraktion der löslichen organischen Verbindungen, während das nichtfixierte 14CO2 gasförmig entweicht. Die im Extrakt zurückbleibenden radioaktiv markierten Substanzen werden mittels zweidimensionaler Papier- oder Dünnschichtchromatographie aufgetrennt. Zur Ermittlung der Position von radioaktiv markierten Substanzen auf dem fertigen Chromatogramm wird dieses mit einem Blatt Röntgenfilm im Dunkeln für 1 bis 4 Wochen in engem Kontakt belassen (Autoradiographie). Jede in einem distinkten Flecken angereicherte Verbindung mit radioaktivem Kohlenstoff verändert durch die emittierte β-Strahlung die empfindliche Filmschicht derart, daß nach ihrer Entwicklung und Fixierung ein Schwärzungsfleck erscheint. Das Filmblatt, das Autoradiogramm, liefert somit einen genauen Abdruck der 14C-Verteilung auf dem Papierchromatogramm (s. Abb. 3.49 a u. b). Die einzelnen Verbindungen können dann identifiziert werden.
V
CO2 + Luft I
h.ν
NaH14CO3 Sch
Abb. 3.48 Erfassung früher Produkte der Kohlendioxid-Reduktion. Versuchsanordnung zur Durchführung eines kurzfristigen (0,4 bis 15 s) photosynthetischen Einbaus von radioaktivem Kohlenstoff (14C) bei einzelligen Algen. Das radioaktive Natriumhydrogencarbonat (NaH14CO3) wird in die Algensuspension gespritzt, die in einem lichtdurchlässigen Kunststoffschlauch (Sch) aus dem Reservoir (V) abfließt und am Ende in kochendes Ethanol (Al) tropft. Die Fixierung von 14C ist auf die Zeit begrenzt, welche die Algensuspension zum Passieren der Schlauchwindungen nach der Injektionsstelle benötigt. Die Injektionsspritze (l) enthält das radioaktive NaH14CO3. HP: Heizplatte (nach Calvin u. Mitarb.).
Al HP
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PEP 3-P-G
Triose-P
Pentose-P Hexose-P Heptose-P Bisphosphate Startpunkt
a Phenol–Wasser Ala
Malat Gly
Citrat Glu
Ser
Saccharose
PEP
Asp Triose-P
3-P-G UDP-Glc
Pentose-P Hexose-P Heptose-P b
RuBP
FBP SBP
Startpunkt
Butanol –Propionsäure–Wasser
Malat
Butanol –Propionsäure–Wasser
3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
161
Abb. 3.49 Identifizierung früher Produkte der Kohlendioxid-Reduktion. Autoradiogramm der Photosyntheseprodukte aus den Zellen von Chlorella pyrenoidosa nach zwei (a) bzw. sechzig Sekunden Inkubation (b) mit NaH14CO3 im Licht (nach Calvin u. Mitarb.). Auftrennung des Ethanolextraktes (nach vorausgegangener Entfernung der Lipide und Konzentrierung) mittels zweidimensionaler Papierchromatographie. Die mit dem 14C markierten Verbindungen erzeugen charakteristische Schwärzungsflecke nach Auflegen des Papierchromatogramms auf Röntgenfilm. Einzelheiten im Text.
Phenol–Wasser
Ala Alanin Asp Aspartat Glu Glutamat Gly Glycin Ser Serin FBP D-Fructose-1,6bisphosphat (D-Fru-1,6-P2)
PEP 3-P-G
Phosphoenolpyruvat 3-Phospho-D-glycerat (D-Glycerat-3-phosphat) RuBP D-Ribulose-1,5-bisphosphat SBP Sedoheptulose-1,7-bisphosphat UDP-Glc Uridindiphosphat-Glucose
Exakte Aussagen über den Synthesemechanismus für einzelne 14C-markierte Verbindungen wurden möglich, als es mit Hilfe chemischer und mikrobiologischer Methoden gelang, auch die mengenmäßige Verteilung von 14C auf die einzelnen C-Atome ihrer Moleküle zu bestimmen. Zu diesem Zwecke wird deren Kohlenstoffkette schrittweise in bekannte Bruchstücke zerlegt und diese als C1- oder C2-Körper in einer geeigneten chemischen Form der Radioaktivitätsbestimmung zugänglich gemacht.
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162
3 Photosynthese
3.6.2
Biochemischer Mechanismus der Kohlenhydratbildung Allgemeines
Die entscheidenden Experimente zur Aufklärung der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion unter Verwendung von Radioisotopen wurden an zwei Grünalgen, Chlorella pyrenoidosa und Scenedesmus obliquus, vorgenommen. Nach Photosynthese mit 14CO2 über 60 Sekunden treten bei Chlorella mehrere radioaktiv markierte Verbindungen im Autoradiogramm auf (Abb. 3.49 b): Zukkerphosphate, Salze von Carbonsäuren und Aminosäuren. Durch stufenweise Verkürzung der Kontaktzeit mit 14CO2 vermindert sich ihre Anzahl, bis schließlich unterhalb von zwei Sekunden nur noch eine markierte Verbindung erscheint: 3-Phospho-D-glycerat (25, D-Glycerat-3-phosphat). Seine CarboxyGruppe enthält etwa 95% des eingebauten radioaktiven Kohlenstoffs (*C in der Reaktion 24 a 씮 25; s. u.). Demnach würde der erste Reaktionsschritt zur Reduktion des Kohlendioxids in einer Carboxylierung bestehen, bei der letzteres in die Carboxy-Gruppe des 3-Phospho-D-glycerat übergeführt wird. Die Herkunft der beiden anderen C-Atome dieser Verbindung – als hypothetische „C2Verbindung“ diskutiert – blieb solange im dunkeln, bis der wirkliche Kohlendioxidakzeptor entdeckt und der Prozeß der Kohlendioxid-Reduktion als ein Kreisprozeß mit mehreren enzymatischen Teilschritten erkannt worden war. Drei Phasen können dabei unterschieden werden: 1. Bindung von Kohlendioxid durch einen spezifischen Akzeptor: Carboxylierung, 2. Umwandlung des Fixierungsproduktes zum Zuckerphosphat: Reduktion 3. Rückbildung des Akzeptors: Regeneration. Die Aufklärung dieses komplexen Geschehens gelang der Arbeitsgruppe von Calvin und Benson an Grünalgen. Man bezeichnet dieses daher auch als den Calvin-Zyklus oder den reduktiven Pentosephosphatzyklus (vgl. S. 214). 1961 wurde M. Calvin mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Carboxylierung. Die Funktion des Kohlendioxidakzeptors übernimmt eine Pentulose, die in den Positionen 1 und 5 je einen Phosphorsäure-Rest in Esterbindung trägt, das D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24). Vermutlich wird dieses zunächst enolisiert (Endiol-Intermediat), bevor Kohlendioxid unter Proton-Freisetzung angelagert wird; als Zwischenverbindung entsteht 2-Carboxy-3-ketoD-arabinit(ol)-1,5-bisphosphat (24 a), welches nach Hydratisierung in ein Molekül 3-Phospho-D-glycerat (25) und ein Molekül 3-Phosphoglycerat-Carbanion (25 a) zerfällt; letzteres geht durch Protonaufnahme in 3-Phospho-D-glycerat über (s. Reaktionsschema). Diese Verbindung stellt das erste stabile Reaktionsprodukt der Kohlendioxidfixierung dar. Unter den oben geschilderten Bedingungen der Kurzzeitfixierung trägt nur das eine der beiden Moleküle eine radioaktive Markierung, und zwar ausschließlich in der Carboxy-Gruppe. Die C6-Zwischenverbindung wird dem-
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
163
nach zwischen dem zweiten und dritten C-Atom der ursprünglichen Pentulose gespalten: – 1COO
H2C O P
H2C O P O C
24 D-Ribulose-1,5bisphosphat
H2C O P 3
25 3-PhosphoD-glycerat
C O
H C OH H2C O P
H2O
HO C *COO–
*CO2
H C OH
H 2C OH
+
H
H C OH H2C O P
24a 2-Carboxy-3-ketoD-arabinit-1,5-P2 Rubisco
H2C O P 3
HO C
H+
–
2 *COO– 1
H2C O P HO C OH
25a (Carbanion)
*COO– 25
Katalysiert wird die Kohlendioxidfixierung von Ribulosebisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco). Im Chloroplasten ist das Enzym Hauptbestandteil der Stroma-Proteine (früher als „Fraktion-1-Protein“ bezeichnet). Sein Anteil am löslichen Protein eines Blattes kann bis zu 50% betragen. Rubisco der höheren Pflanzen gehört vermutlich zu den Proteinen mit der mengenmäßig größten Verbreitung auf unserem Planeten; dieses Enzym erschließt als einziges den Pool des anorganischen Kohlenstoffs und ermöglicht damit letztlich erst Leben auf der Erde. Bei Cyanobakterien und photosynthetisch aktiven Bakterien ist die Menge an Rubisco so groß, daß ihre Moleküle teilweise in dichtgepackten, kristallähnlichen Strukturen vereinigt sind (Carboxysomen). Von Rubisco gibt es zwei unterschiedliche multimere Strukturen: Form I besteht aus 8 großen Untereinheiten (L- oder A-) von 50 – 56 kDa und 8 kleinen (Soder B-) von 12 – 16 kDa. Dieses Hexadecamer (L8S8) ist für höhere Pflanzen, Grünalgen und Cyanobakterien typisch. In Form II sind ausschließlich große oder L-Untereinheiten in unterschiedlicher Anzahl vertreten; sie findet sich bei den photosynthetisch aktiven Bakterien, z. B. bei Rhodospirillum rubrum als Homodimer (L2). Bei Rhodopseudomonas sphaeroides kommen Form I und Form II offensichtlich nebeneinander vor, wobei letztere 4 – 6 L-Untereinheiten umfaßt. Das Gen der L-Untereinheit gehört zum Plastiden-Genom, das der S-Untereinheit zum Kern-Genom. Der Substratbindung geht eine Aktivierung von Rubisco voraus: Kohlendioxid wird am katalytischen Zentrum über einen Lysin-Rest unter Beteiligung von Magnesium-Ionen angelagert: Carbamat-Komplex (Abb. 3.50). Diese Reaktion soll von einer Rubisco-Aktivase unter ATP-Verbrauch katalysiert werden, wobei Licht und ein hoher pH-Wert entscheidend fördern (s. u.). Das Enzym liegt bei höheren Pflanzen vermutlich als Dimer vor, bei Chlamydomonas hingegen als singuläres Polypeptid von ca. 48 kDa (inklusive Transferpeptid; S. 497).
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3 Photosynthese
164
CO2 Lys
CH2 NH2
CH2
H N C
Mg2+ CH2
H N C
Carbamat
O Mg2+ O–
O–
H+ ε-Amin-Gruppe des Lysins
O
Metall-Chelat: Carbamat-Komplex
Abb. 3.50 Aktivierung von Rubisco durch Kohlendioxid. Bildung eines CarbamatKomplexes.
Rubisco ist nicht nur als Carboxylase für die Bindung von Kohlendioxid zuständig, sondern kann auch unter bestimmten Bedingungen als Oxygenase agieren (Name!), indem sie unter Sauerstoffverbrauch den spezifischen Akzeptor D-Ribulose-1,5-bisphosphat spaltet, eine Reaktion, über welche die Lichtatmung (Photorespiration; S. 189 ff) eingeleitet wird.
Regulation von Rubisco. Frühere Untersuchungen an isolierten Chloroplasten hatten Anhaltspunkte dafür geliefert, daß die lichtabhängige Alkalisierung des Stromas, bedingt durch Abfluß von Protonen in den Intrathylakoidraum (Aufbau des transmembranen Protonengradienten! S. 149), und der gleichzeitige Import von Magnesium- und Phosphat-Ionen aus dem Cytosol die Rubisco aktivieren. Diese Vorstellung kann aufgrund neuerer Befunde konkretisiert werden; wie vorab ausgeführt, sind pH-Anstieg, Belichtung und die Präsenz von Magnesium-Ionen entscheidend für die Aktivierung von Rubisco, d. h. für die Bildung des Carbamat-Komplexes (s. o.). Das Enzym wird dadurch in die Lage versetzt, das niedrige natürliche Angebot an gelöstem Kohlendioxid von ca. 8 µmol · l⫺1 optimal zur Fixierung zu nutzen; es entspricht etwa dem KM-Wert des Enzyms. Dieser liegt jedoch erheblich höher, wenn Rubisco nach lytischer Freisetzung aus Chloroplasten und schneller Überführung in ein isotonisches Medium in Gegenwart aller Reaktionspartner getestet wird. Die Diskrepanz könnte darauf beruhen, daß bei dem gewählten Verfahren die an der Aktivierungsreaktion beteiligte Rubisco-Aktivase (s. o.) inaktiv ist oder sogar verlorengeht. Die für die nächtliche Dunkelphase typische Inaktivierung von Rubisco (diurnale Regulation!) besorgt nach neueren Erkenntnissen ein natürlicher Inhibitor, welcher als 2-Carboxy-D-arabinit(ol)-1-phosphat (CA-1-P) identifiziert worden ist. Er ist demgemäß strukturell eng mit dem natürlichen C6-Intermediate der Carboxylierungsreaktion verwandt (S. 162 f). CA-1-P bindet vermutlich an das carbamylierte katalytische Zentrum von Rubisco und blockiert dadurch die Kohlendioxidfixierung. Im Licht zerfällt der Inhibitor relativ schnell, vermutlich unter Mitwirkung eines spezifischen Enzyms.
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
165
Umwandlung zum Zuckerphosphat: Reduktion Das 3-Phospho-D-glycerat (25) geht durch Reduktion in D-Glycerinaldehyd-3phosphat (28, 3-Phospho-D-glycerinaldehyd) über, indem formal die CarboxyGruppe (– COOH) durch Sauerstoffentzug (Reduktion oder Deoxygenierung) in die Formyl-Gruppe (– CHO) umgewandelt wird. Diese Reaktion ist stark endergonisch. Um das Reaktionsgleichgewicht zugunsten der Aldehydbildung zu verschieben, bedarf es daher der Zufuhr von Energie. Diese wird bei der Spaltung von ATP, dem Energieäquivalent, dessen Synthese über die Reaktionen der Photophosphorylierung bereits beschrieben wurde (S. 147 ff), verfügbar. Auch über die Herkunft des benötigten Wasserstoffs und seinen Transportmetaboliten ist bereits gesprochen worden; es handelt sich um NADPH + H+, das Reduktionsäquivalent (s. o.). Die Reduktion von 3Phospho-D-glycerat verläuft in mehreren Teilschritten und bedarf der Mitwirkung zweier Enzyme (Abb. 3.51). Im ersten Reaktionsschritt überträgt Phosphoglycerat-Kinase den terminalen Phosphorsäure-Rest von ATP auf 3-Phospho-D-glycerat (25). Am entstehenden 3-Phospho-D-glyceroyl-1-phosphat (26; D-Glyceroylphosphat-3-phosphat) wird auf diese Weise eine energiereiche Bindung etabliert: Carboxy-Gruppe und Phosphorsäure haben unter Ausbildung einer Anhydridbindung reagiert – Substratphosphorylierung! Das Reaktionsprodukt ist dadurch in der Lage, an das Apoenzym der plastidenspezifischen NADP-Glycerinaldehydphosphat-De-
O
C
O–
H
H2C O P
H2C O P
3
28 D-Glycerinaldehyd3-phosphat
25 3-PhosphoD-glycerat
O
ATP
Enzym-SH
ADP
1C
O
O
H C OH
H C OH
PhosphoglyceratKinase
C
P
H 2C OH H2C O P 3
26 3-Phospho-Dglyceroyl1-phosphat
NADP-H + H+ P
O
C
S-Enzym
H C OH P
H2C O P
NADP+
OH H C
S-Enzym
H C OH H2C O P
27 S-Acyl-Enzymprotein NADP-Glycerinaldehyd-Dehydrogenase
Abb. 3.51 Bildung von Triosephosphat. Entstehung von D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) aus 3-Phospho-D-Glycerat (25).
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166
3 Photosynthese
hydrogenase zu binden: Dieses tritt quasi an die Stelle des Phosphorsäure-Restes, wobei die Thiol(Mercapto)-Gruppe eines Cystein-Restes im katalytischen Zentrum die Anheftung besorgt. Die energiereiche Bindung bleibt im entstehenden Thiocarbonsäure-S-Ester (Thioester bzw. S-Ester) erhalten. Dieses S-Acyl-Enzymprotein (27) reagiert nun mit NADP-H + H+, was zur reduktiven Spaltung des Komplexes in D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) und reaktiviertem HS-Apoenzym führt. Beide Reaktionsschritte sind zwar prinzipiell reversibel, doch ist im belichteten Chloroplasten die Bildung von D-Glycerinaldehyd3-phosphat wegen des relativ großen Angebots von 3-Phospho-D-glycerat, ATP und NADP-H + H+ stark begünstigt. Diese energieverbrauchende Reduktion des C3-Körpers ist die wichtigste Teilreaktion des gesamten Zyklus, denn hier vollzieht sich die eigentliche Umwandlung von Kohlendioxid in die energiereiche, metastabile Verbindung der Kohlenhydrat-Stufe. Sie verkörpert die endgültige Form chemisch gebundener Energie, welche in der absorbierten Strahlungsenergie ihren Ursprung hat. Von den sich anschließenden Umformungen dieses Triosephosphats zu anderen Zuckerphosphaten verlaufen die meisten praktisch auf dem gleichen Energieniveau, so daß die Einstellung des jeweiligen Gleichgewichtes weitgehend von der Konzentration der Reaktionspartner bestimmt wird, d. h. die Änderung der freien Enthalpie ist bei diesen Umsetzungen relativ gering. Das Aldo-Triosephosphat D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) wird durch Triosephosphat-Isomerase weitgehend (ca. 96%) in das isomere Keto-Triosephosphat 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (29; Glyceronphosphat) überführt (Abb. 3.52). Die erstgenannte Verbindung kann im Bedarfsfalle problemlos und schnell über Neueinstellung des Gleichgewichtes nachgeliefert werden, wie z. B. bei der nachfolgenden Vereinigung beider Isomere zu α-D-Fructose-1,6bisphosphat (30; s. u.). Von der NADP-Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase existieren zwei Isoenzyme – I und II – im Chloroplasten. Ihre Quartärstruktur (S. 481), ein Tetramer von ca. 170 kDa, wird von den Untereinheiten GapA und GapB aufgebaut, wobei sie nach folgendem Muster kombiniert sein sollen: A2B2 für Isoenzym I und A4 für Isoenzym II (Cerff). Die etwas längere Primärstruktur von GapB stimmt zu etwa 80% mit der von GapA überein. Beide sind bei den bisher untersuchten Spezies (Erbse, Tabak, Spinat) hoch konserviert (jeweils 90 – 95% Homologie). Die Polypeptide beider Untereinheiten werden von Genen des Zellkern codiert; folglich müssen sie bei ihrer Synthese an cytosolischen Polysomen mit einem zusätzlichen Sequenzabschnitt, dem Transferpeptid, versehen werden; dieses ermöglicht dann den Eintransport der beiden Polypeptide in den Chloroplasten (Einzelheiten S. 499 ff).
Im nächsten Schritt vereinigen sich die beiden isomeren Triosephosphate zum α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (30). Diese Aldolkondensation (s. Abb. 3.52) wird von einer Aldolase (Name!), nämlich von der Fructosebisphosphat-Aldolase des Chloroplasten, katalysiert. Isoformen des Enzyms kommen bei Cyanobakterien und photosynthetisch aktiven Bakterien vor.
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat H+
O P
CH2 CH2
Lys
NH2
OH
H
C
δ +H
OH
CH2
OH
H+
protoniertes Imin (Schiff-Base)
O
C
O P
CH2
29 1,3-Dihydroxyacetonphosphat
H
CH2 H+ N C
Lys
C O
oder:
CH2 H+ N C
Lys
–
C
Oδ
O P
HO C H
Enolat- oder Carbanion
H C OH
O P
CH2O P
28 D-Glycerinaldehyd3-phospat
H2O 1
CH2
Lys
167
Lys
NH2
O P
2
N C 3
HO C H 4
H C OH CH2
5
O P
H C OH 6
C O
CH2
O P
HO C H H C OH H C OH CH2
O P
6
P
H2O
1
O H2C
O HO
5 4
3
CH2
Pi
O P
2
OH
OH 30 α-D-Fructose-1,6-bisphosphat
6
P Fructosebisphosphatase
Abb. 3.52 Synthese von α-D-Fructose1,6-bisphosphat. Katalytischer Mechanismus der beteiligten Fructosebisphosphat-Al-
O H2C
CH2 O HO
OH
OH OH 31 α-D-Fructose-6-phosphat
dolase und die Umwandlung des Produktes (30) zu α-D-Fructose-6-phosphat (31) durch Fructosebisphosphatase.
Die im Calvin-Zyklus wirksame Fructosebisphosphat-Aldolase gehört zur Klasse I, welche vorwiegend für Eukaryoten typisch ist, während Bakterien, Cyanobakterien und auch Pilze meist über Aldolasen der Klasse II verfügen. Vertreter beider Klassen kommen bisweilen auch gemeinsam in einer Zelle vor, z. B. bei Chlorella und Chlamydomonas. Der Unterschied liegt im Mechanismus der kataly-
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168
3 Photosynthese
sierten Reaktion: Bei Aldolasen der Klasse I entsteht intermediär ein Imin (Schiff-Base) durch Reaktion von 1,3-Dihydroxyacetonphosphat mit der ε-Amino-Gruppe eines Lysin-Restes im Bereich des katalytischen Zentrums (s. Abb. 3.52). Vertreter der Klasse II benutzen hingegen die Kationen von Zink und Eisen als Elektrophil im katalytischen Zyklus. In den meisten Aldolasen der Klasse I – so auch in der plastidären – sind vier identische Untereinheiten von je 36 – 38 kDa vereinigt, deren Primärstruktur während der Evolution weitgehend konserviert worden ist.
α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (30) verliert anschließend durch Mg2 +-aktivierte Fructosebisphosphatase einen Phosphat-Rest (Pi) und geht in α-D-Fructose-6phosphat (31) über. Diese Umsetzung gehört zu den wenigen irreversiblen Reaktionen im Calvin-Zyklus; sie macht seine Reaktionsabfolge zur „Einbahnstraße“. Fructosebisphosphatase gehört daher sicherlich nicht ohne Grund zu jenen Enzymen, deren Aktivität durch Licht regulierbar ist (Einzelheiten S. 173 ff). Die Aminosäuresequenz des Enzyms von verschiedenen Spezies höherer Pflanzen ist zwischen 80 und 90% identisch. Lediglich etwa 50% Identität ergab sich für die Isoform im Cytosol. Damit ist die erste Aufgabe des komplexen Prozesses gelöst: Kohlendioxid ist in ein C6-Zuckerphosphat übergeführt worden, wie nach der Bruttogleichung (s. S. 67) zu erwarten war. Das besagt freilich nicht, daß nun alle weiteren Stoffwechselwege ausschließlich auf das Endprodukt α-D-Fructose-6-phosphat angewiesen sind. Vielmehr hat sich gezeigt, daß Zucker grundsätzlich nur in Form der C3-Zuckerphosphate (28, 29) den Chloroplasten verlassen (S. 176 ff). Auf der anderen Seite wird ein phosphorylierter C6-Zucker als Baustoff für die Chloroplastenstärke verwendet oder dient in Form von α-D-Fructose-6phosphat (31) zusammen mit D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) als Starterverbindung für die Regeneration des spezifischen Kohlendioxidakzeptors D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24).
Rückbildung des Kohlendioxidakzeptors: Regeneration Diese zweite Funktion des kohlendioxidfixierenden Mechanismus wird mit Hilfe einer zyklischen Reaktionsfolge (s. Abb. 3.56; S. 172) bewältigt, welche auf den ersten Blick recht verwirrend erscheint. Sie beginnt damit, daß das Enzym Transketolase von α-D-Fructose-6-phosphat (31) die Kohlenstoffatome 1 und 2 als C2-Fragment abspaltet und als aktiven Glykolaldehyd (HO-CH2-COH–) mit Hilfe seiner Wirkgruppe Diphosphothiamin (DPT; früher: Thiaminpyrophosphat oder -diphosphat) auf D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) überträgt (Abb. 3.53). Der Grundkörper des Thiamins (Aneurin, Vitamin B1) muß vom Menschen als lebenswichtiges Vitamin mit der Nahrung aufgenommen werden. Hierbei spielt der Beitrag von Pflanzen eine wichtige Rolle: nur ihre Zellen synthetisieren dieses Vitamin. Es besteht aus einem substituierten Pyrimidin- und einem Thiazolring, die
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
169
CH2OH C O
CH2OH
HO C H
C O H
H C OH
O C H
CH2
H C OH H C OH CH2
CH3
+
N
C R HC C R S S H+ Carbanion DPT Transketolase +
C
O
N
HOH2C C
H C OH
C
C
S
R
O P
CH2OH C O
CH3
H C OH
N
HOH2C C
OH aktivierter Glykolaldehyd
H C OH CH2
PhosphopentoseEpimerase
C
CH3 C
S
O P
33 D-Xylulose-5-P
CH3
+
N
O P
31 D-Fructose-6-P
H
H+
C
H C OH
R
CH2
OH
O P
34 D-Ribulose-5-P H
32 D-Erythrose-4-P
C
O
H C OH CH2
O P
28 D-Glycerinaldehyd-3-P
Abb. 3.53 Entstehung von Pentulosephosphat. Wirkungsweise von Transketolase und Phosphopentose-Epimerase bei der
Umwandlung von Hexosephosphat (31; DFructose-6-phosphat) in D-Ribulose-5-phosphat (34).
über eine Methylen-Gruppe verknüpft sind. Der C2-Körper wird reversibel am C-Atom 2 des Thiazolrings gebunden. Methylen-Gruppe H3C N H3C
O P P
+
CH2 N
N
NH2 Pyrimidinring
H
2
S Thiazolring
Diphosphothiamin (DPT; Thiamindiphosphat, ThPP)
Eine Spaltung von Ketosephosphat durch die Transketolase ist nur dann möglich, wenn für den an die Wirkgruppe gebundenen Glykolaldehyd ein geeignetes Aldosephosphat als Akzeptor vorliegt. Hier wird das D-Glycerinaldehyd-3phosphat (28) in dieser Funktion wirksam und übernimmt das C2-Fragment
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170
3 Photosynthese
vom Diphosphothiamin. Es entsteht D-Xylulose-5-phosphat (33), das durch Phosphopentose-Epimerase in D-Ribulose-5-phosphat (34) und damit in die unmittelbare Vorstufe von D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24) umgewandelt wird (s. Abb. 3.53; Bilanz: C6 + C3 = C4 + C5). Das zurückbleibende C4-Bruchstück, das DErythrose-4-phosphat (32), reagiert dann in einer Aldolkondensation mit 1,3Dihydroxyacetonphosphat (29) zu Sedoheptulose-1,7-bisphosphat (35), einem C7-Zuckerphosphat (Abb. 3.54; Bilanz: C4 + C3 = C7). Der Name geht auf die Gattung Sedum zurück, da bei ihren Vertretern zuerst die Heptulose gefunden wurde.
Bei dem mitwirkenden Enzym handelt es sich vermutlich um die gleiche chloroplastenspezifische Aldolase, welche die Bildung von α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (S. 166 ff) katalysiert. Da sich ihre Spezifität auf 1,3-Dihydroxyacetonphosphat beschränkt, werden verschiedene Aldosen, wie hier D-Erythrose-4phosphat als zweiter Reaktionspartner akzeptiert (s. auch S. 217). Aus Sedoheptulose-1,7-bisphosphat entsteht Sedoheptulose-7-phosphat (36) durch Dephosphorylierung unter Beteiligung von Sedoheptulosebisphosphatase; auch dieses Enzym benötigt Mg2 + als Cofaktor (s. Abb. 3.54). Dieser Schritt ist neben der schon beschriebenen Dephosphorylierung von α-DFructose-1,6-bisphosphat (S. 168) die zweite irreversible Umsetzung im Calvin-
H CH2
O P
C O CH2
+ OH
29 Dihydroxyacetonphosphat
C
O
H C OH H C OH CH2
CH2
O P
32 D-Erythrose4-phosphat
H2O CH2
Aldolase
1
HO C H
O P
H C OH
C O
H C OH
2
HO C H
Pi
3
H C OH
Sedoheptulosebisphosphatase
4
H C OH 5
H 6C OH 7CH2
OH
C O
H C OH CH2 O P 36 Sedoheptulose7-phosphat
O P
35 Sedoheptulose-1,7-bisphosphat
Abb. 3.54 Synthese von Sedoheptulose1,7-bisphosphat und -7-phosphat. Aldolkondensation von 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (29) und Erythrose-4-phosphat
(32) zu Sedoheptulose-1,7-bisphosphat (35) und dessen Dephosphorylierung zu Sedoheptulose-7-phosphat (36).
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
171
Zyklus. Sie ist ebenfalls für seine Regulation von Bedeutung, denn die Aktivität des beteiligten Enzyms wird durch Licht kontrolliert (s. S. 173 ff). Sedoheptulose-7-phosphat dient wiederum der Transketolase als Substrat (Abb. 3.55). Die beiden ersten Kohlenstoffatome werden als Ketol-Fragment – ähnlich wie beim α-D-Fructose-6-phosphat – abgespalten und nach Bindung an die Wirkgruppe auf ein Molekül D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28) übertragen. Als Reaktionsprodukte fallen je ein Molekül D-Xylulose-5-phosphat (33) und D-Ribose-5-phosphat (37) an, welche von Phosphopentose-Epimerase (S. 170) bzw. Ribosephosphat-Isomerase in jeweils Ribulose-5-phosphat (34) übergeführt werden. (Bilanz: C7 + C3 = C5 + C5.) Damit ist die Umwandlung aller Zwischenstufen in die Pentulose-Form vollzogen. Beim abschließenden Phosphorylierungsschritt überträgt Phosphoribulokinase, eine Mg2 +-abhängige Phosphotransferase, einen Phosphorsäure-Rest vom ATP auf das D-Ribulose-5-phosphat (34). Das entstehende D-Ribulose-1,5bisphosphat (24) ist damit zur Fixierung von Kohlendioxid bereit. Der Zyklus
OH
1CH2
CH2
C O 2 H
O 3C H
H C OH
H C OH 5
CH2
H 6C OH 7CH2
CH2 PhosphopentoseEpimerase
HO C H
H 4C OH
O P
36 Sedoheptulose7-phosphat CH2
OH
C O
OH
C O H C OH H C OH
O P
CH2
33 D-Xylulose5-phosphat
O P
34 D-Ribulose5-phosphat
OH
C O Transketolase
C OH C OH CH2
O P
34 D-Ribulose5-phosphat
H
C
O
H C OH H C OH
RibosephosphatIsomerase
H C OH CH2
O P
37 D-Ribose5-phosphat
Abb. 3.55 Synthese von D-Ribulose-5phosphat. Umwandlung von Sedoheptulose-7-phosphat (36) und D-Glycerinaldehyd-
H
C
O
H C OH CH2
O P
28 D-Glycerinaldehyd3-phospat
3-phosphat (28) zu D-Ribulose-5-phosphat (34). Zur Wirkungsweise der katalysierenden Transketolase s. Abb. 3.54.
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3 Photosynthese
hat mit der Regeneration des spezifischen Kohlendioxidakzeptors seine zweite Funktion erfüllt. CH2 OH
CH2
ADP
ATP
C O H C OH
Phosphoribulokinase
H C OH CH2
O P
C O H C OH H C OH
O P
O P
CH2
34 D-Ribulose5-phosphat
24 D-Ribulose1,5-bisphosphat
Der Kreisprozeß der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion macht uns mit einer wichtigen Erscheinung vertraut, welche für die meisten Umsetzungen von Zukkern in der Zelle Gültigkeit besitzt: Die Umsetzungen vollziehen sich auf der Stufe ihrer Phosphorsäure-Ester, und diese befinden sich in einem energiereicheren Zustand als die freien Verbindungen. Die freie Enthalpie der Hydrolyse für die verschiedenen Phosphorsäure-Esterbindungen liegt in der Größenordnung von ∆G⬘m = – 9,6 bis 21 kJ · mol–1.
In der Zusammenfassung bietet der Kohlendioxid-Reduktionszyklus somit das in Abb. 3.56 dargestellte und im folgenden beschriebene Bild: Geht man davon aus, daß aus sechs Molekülen Kohlendioxid ein Molekül Hexosemonophosphat
6 ADP 6 ATP
6 RuBP
C6–P
24
1
31
34
6
6
2 C5–P
37
2
8
6 RuP 7
2 C5–P
12 Triosephosphate (C3 –P)
2 C5–P 33
33
3
2 C3–P 28
1
2
3
2 C4–P 2 C7–P 4 36
32
2 C6–P 31
5
2 C3–P 29
2 C3–P 28
Abb. 3.56 Regenerationzyklus für D-Ribulose-1,5-bisphosphat. Beteiligte Enzyme: 햲 Fructosebisphosphat-Aldolase 햳 Fructosebisphosphatase 햴 Transketolase 햵 Aldolase
햶 햷 햸 햹
Sedoheptulosebisphosphatase Phosphopentose-Epimerase Ribosephosphat-Isomerase Phosphoribulokinase
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
173
entsteht, so werden für den Fixierungsvorgang sechs Moleküle D-Ribulose-1,5bisphosphat (24, C5) benötigt. Sie führen zur Bildung von zwölf Molekülen C3Zuckerphosphaten (28 u. 29), von denen je ein Molekül zu einem Molekül Hexosemonophosphat (31; C6-P) vereinigt werden. Die restlichen Moleküle der C3-Zuckerphosphate dienen ausschließlich der Regeneration von D-Ribulose1,5-bisphosphat (24), wobei je zwei an insgesamt 4 Reaktionsschritten beteiligt sind: C3 + C3 씮 C6; C3 + C6 씮 C5 + C4; C3 + C4 씮 C7; C3 + C7 씮 C5+ C5.
Aus der Summe aller enzymatischen Einzelreaktionen ergibt sich folgende Bilanz: 6 CO2 + 12 NADPH2 + 18 ATP + 6 H2O
C6
P + 18 ADP + 17 Pi
+ 12 NADP+
Daß die bei Chlorella und Scenedesmus gefundenen Umsetzungen bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion in vielen Photosynthese-Organismen offensichtlich identisch ablaufen, haben analoge Untersuchungen an chlorophyllhaltigen Pflanzen aller systematischen Abteilungen ergeben.
3.6.3
Regulation der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion
Der Stoffwechsel der grünen Pflanzenzelle wird nachhaltig von Licht und Dunkel geprägt. So ändert sich die metabolische Aktivität des Chloroplasten mit dem Übergang zur nächtlichen Dunkelphase in charakteristischer Weise: Die Umsetzungen des Calvin-Zyklus und die Deponierung des gebildeten Triosephosphats via C6-Zuckerphosphate im chloroplasteneigenen Speicher der unlöslichen Assimilationsstärke (Synthese und Regulation S. 232 ff) werden vom Abbau der letzteren und dem Export des dabei anfallenden Triosephosphats abgelöst. Diese Umschaltung wird möglich, weil Regelmechanismen im Verbund mit Milieu-Änderungen des Stromas für die schnelle Inaktivierung von „Lichtenzymen“ – Fructosebisphosphatase, Sedoheptulosebisphosphatase, Phosphoribulokinase und Rubisco – und für die Aktivierung von „Dunkelenzymen“ (s. u.) sorgen. Mit Hilfe der letztgenannten werden Reaktionssequenzen in Gang gesetzt, welche denen im Cytosol sehr ähnlich sind: Glykolyse und oxidativer Pentosephosphat-Zyklus. Die Umsetzungen im letzteren entsprechen größtenteils denen im Calvin-Zyklus, laufen jedoch generell in Gegenrichtung ab: Der reduktive Zyklus wird zu einem oxidativen umgepolt! Von den angesprochenen Milieu-Änderungen kennen wir schon die lichtabhängige Akkumulation von Magnesium- und Phosphat-Ionen im Stroma sowie dessen Alkalisierung als essentielle Faktoren für die Aktivität von Rubisco (S. 164) im Licht. Bei Untersuchungen zur Klärung der Lichtregulation von Enzymen wurde ein neuartiger Reaktionsmechanismus entdeckt, welcher in erster Linie bei den
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3 Photosynthese
oben genannten Enzymen des Calvin-Zyklus, aber möglicherweise auch bei anderen Enzymen innerhalb und außerhalb desselben ansetzt: An- oder Abschalten ihrer Aktivität durch gezielte Hydrogenierung einer -S-S-Brücke im Cystin unter Bildung zweier Thiol-Gruppen an den entstehenden zwei Cystein-Resten des Enzymproteins, wobei die notwendigen Elektronen von einem Vertreter aus der Gruppe der Thioredoxine angeliefert werden (Wolosiuk, Buchanan). Thioredoxine sind niedermolekulare Proteine aus rund 100 Aminosäure-Resten, welche in sehr unterschiedlicher Ausfertigung in den Zellen vorkommen. Sie können wie ein Redoxsystem agieren: Für die reduzierte Form sind zwei Thiol(Mercapto)-Gruppen an Cystein-Resten typisch, für die oxidierte Form deren Ringschluß zum Disulfan (Cystin). Erstere liefert Elektronen bzw. Wasserstoff für eine Anzahl von Umsetzungen, darunter solche mit Relevanz für Lichtregulation (Abb. 3.57). Die für die Regeneration von reduziertem Thioredoxin erforderlichen Elektronen kommen entweder von NAD(P)–H + H+ oder von reduziertem Ferredoxin (Chloroplast!). Thioredoxin-Oxidoreduktase mit entsprechender Spezifität besorgt den Transfer. Hierbei handelt es sich um ein heterodimeres Protein von unterschiedlicher Molmasse – 16 kDa beim Spinat – , welches zunächst die Elektronen übernimmt, wobei unter Einbeziehung von Protonen zwei Thiol (Mercapto)-Gruppen an Cystein-Resten der Polypeptidkette entstehen. Von dort werden sie dann auf oxidiertes Thioredoxin übertragen.
In pflanzlichen Zellen sind verschiedene Formen von Thioredoxin gefunden worden, welche jeweils einen spezifischen Reaktionspartner haben. Während Thioredoxin h vermutlich auf das Cytosol beschränkt ist, gehören die Vertreter f und m zum Ferredoxin/Thioredoxin-System des Chloroplasten und stehen im Dienste der Lichtregulation von Plastiden-Enzymen. Dabei soll Thioredoxin f auf solche des Calvin-Zyklus, aber auch auf NADP-Malat-Dehydrogenase (S. 180 ff) und Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase (S. 215) spezialisiert sein. Letztere wird durch reduziertes Thioredoxin inaktiviert und mit diesem Ausfall
SH
SH Fdred
Th
FTR SH
Photosystem I
S
FTR
Th S
FerredoxinThioredoxinOxidoreduktase
Th S
S Th
Enzym S
SH
SH
SH
S Fdox
SH
SH Enzym
S
S
Thioredoxin Lichtgesteuertes Regeneration von Enzym reduziertem Thioredoxin
Abb. 3.57 Wirkungsweise von Thioredoxin. Elektronen- bzw. Wasserstoff-Transfer vom Ferredoxin zum Thioredoxin mit anschließender Aktivierung/Inaktivierung des Ziel-Enzyms.
Fd Ferredoxin FTR Ferredoxin-ThioredoxinOxidoreduktase Th Thioredoxin
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
175
des Schlüsselenzyms auch der oxidative Pentosephosphatzyklus abgeschaltet. Interessanterweise sind cytosolische Isoformen von Fructosebisphosphatase und Malat-Dehydrogenase nicht für plastidäre Thioredoxine zugänglich. Die Situation verändert sich grundlegend mit Beginn der nächtlichen Dunkelphase: Die gespeicherte Stärke wird mobilisiert, indem sie in Hexose- bzw. Hexulosephosphat zerlegt und nach Spaltung desselben in Triosephosphat vom Chloroplasten exportiert wird (s. S. 176 ff). Die Abschaltung des lichtspezifischen Programms führt zu der geschilderten schnellen Inaktivierung von typisch lichtaktivierten Enzymen, während andere des Calvin-Zyklus davon unberührt bleiben; ihre Verwendung zur Beschleunigung von Dunkelreaktionen ist insofern unproblematisch, als die Enthalpieänderung (∆G) der von ihnen katalysierten Reaktionen klein oder gleich Null ist; die Einstellung des Gleichgewichtes hängt daher von der jeweiligen Konzentration der Reaktionspartner ab. Teile des Calvin-Zyklus sind jetzt gewissermaßen auf „Rückwärtslauf“ geschaltet. Eine Anzahl von Dunkelreaktionen im Chloroplasten ist mit solchen des oxidativen Pentosephosphatzyklus identisch, einer zyklischen Reaktionssequenz, über welche vorwiegend Hexosephosphat zu Pentosephosphat und Reduktionsäquivalenten abgebaut wird (Einzelheiten S. 214 ff).
3.6.4
Kompartimentierung
Die photosynthetische Kohlendioxid-Reduktion liefert ein schönes Beispiel für die räumliche Eingrenzung eines komplexen Reaktionsablaufs, einem wichtigen Ordnungsprinzip des Stoffwechsels. Der Chloroplast als abgegrenzter Reaktionsraum bildet eine funktionelle und selbstregulierende Einheit, welche in begrenzter Unabhängigkeit – semiautonom – vom übrigen Stoffwechsel als eigenständiges Kompartiment operiert. Intern verteilen sich die diversen Aktivitäten auf unterschiedliche Bereiche oder Subkompartimente, welche auf eine organellspezifische Differenzierung zurückgehen. Die beiden Formen der Thylakoide fungieren gewissermaßen als Subkompartiment für die Photochemie der Photosynthese, das Stroma als solches für Kohlenhydrat-Produktion sowie angeschlossene Synthesen (s. u.). Dies ermöglicht einen regulierbaren, arbeitsteiligen Ablauf des vielfältigen Reaktionsgeschehens. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der kontrollierte und selektive Austausch von Metaboliten sowohl zwischen den internen Subkompartimenten als auch zwischen Chloroplast und Cytosol (s. S. 176 ff).
3.6.5
Biosynthesen als Folgereaktionen der Kohlendioxid-Reduktion
Ein Blick auf die Autoradiogramme von löslichen Verbindungen belichteter Algenzellen nach einer 14CO2-Kurzzeitmarkierung zeigt, daß nicht nur die charakteristischen Zuckerphosphate des Zyklus, sondern auch Aminosäuren, Carbon-
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176
3 Photosynthese
säuren, Saccharose und in seltenen Fällen freie Zucker 14C enthalten. Die meisten dieser markierten Verbindungen entstehen nicht nur in den Algenzellen relativ schnell, sondern auch in den Chloroplasten der höheren Pflanze. In denselben werden darüber hinaus so komplexe Verbindungen wie Proteine, Nucleinsäuren, Lipide und Isoprenoide synthetisiert (Einzelheiten werden in den nachfolgenden Kap. ausführlich besprochen). Viele dieser Prozesse laufen auch in belichteten isolierten Chloroplasten ab; allerdings müssen ihnen im Falle der komplexen Moleküle teilweise die entsprechenden Vorstufen-Verbindungen zugeführt werden. Solche Befunde widerlegen ältere Vorstellungen, wonach der Chloroplast lediglich eine Produktionsstätte für Kohlenhydrat ist, dessen Verarbeitung dem Dunkelstoffwechsel der Zelle obliegt. Vielmehr entstehen zunächst in enger Korrelation mit der Kohlendioxid-Reduktion diverse Synthese-Bausteine, welche entweder allein oder zusammen mit anderen, aus dem extraplastidären Raum stammenden, in die diversen Synthesewege des Chloroplasten einfließen.
Neuere Untersuchungen sprechen dafür, daß im Chloroplast die Synthese aller jener Aminosäuren stattfindet, welche für den Aufbau von Proteinen benötigt werden (proteinogene Aminosäuren). Ausschlaggebend hierfür ist sicherlich die Verfügbarkeit von Reduktions- und Energieäquivalenten, reduziertem Stickstoff und von geeigneten Kohlenstoffgerüsten. Da letztere nicht alle im Chloroplasten gefertigt werden, müssen einige vom Cytosol importiert werden; sie fallen dort bei den typischen Reaktionsabläufen wie Glykolyse (S. 264 ff), Citratzyklus (S. 280 ff) und oxidativer Pentosephosphatzyklus (S. 214 ff) an. Spezifische Transportsysteme oder Translokatoren der Chloroplastenhülle besorgen vermutlich den Eintransport (s. u.). Dies schließt nicht aus, daß Aminosäuren auch extraplastidär entstehen; tatsächlich sind entsprechende Synthesewege im Cytosol nachgewiesen worden. Reduzierter Stickstoff in Form von Ammoniumstickstoff (NH4+) ist das Produkt der Nitratreduktion, welche größtenteils im Chloroplasten abläuft (Einzelheiten S. 391 ff). Jener findet sich in der Amino-Gruppe ( – NH2) jeder entstehenden Aminosäure wieder. Auch die reduzierte Form von Schwefel wird im Chloroplasten produziert. Diese Sulfatreduktion ist ebenfalls ein lichtgetriebener Prozeß. Ihre Endstufe (S2 – ) wird sofort in organische Bindung übergeführt: sie endet als Thiol-(Mercapto-) Gruppe in der Aminosäure Cystein (Einzelheiten S. 407 ff).
Stoffaustausch zwischen Chloroplast und Cytosol. Assimilierter Kohlenstoff wird überwiegend als Triosephosphat – 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (29) bzw. D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (28), unter besonderen Bedingungen auch als Glykolat (S. 190) – vom Chloroplasten exportiert (Abb. 3.58). Für Triosephosphate gibt es ein spezifisches Exportsystem in der inneren Chloroplastenmembran, welches im Gegentausch Monophosphat in den Chloroplasten befördert: Triosephosphat/Phosphat-Translokator (Phosphat-Translokator).
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat Cytosol
Chloroplast (Stroma)
?
Phosphoglykolat
Pi 2
3-PG
ADP + Pi
NAD+
Glycerat RuBP Calvin-Zyklus O2 CO2 Fru-6-P
ATP
Pi
3 –PG
ADP, Pi GAP
NADP+
OA NADH + H+
Assimilationsstärke RuP
1
Peroxisom
Glykolyse
ATP
ADP
Glycerat
ATP
177
DHAP MDH NADPH + H+
OA 3
Malat
Malat
GAP DHAP Hexose– P
Proteinsynthese 4
Pi
Pi Aminosäuren Malat
Saccharosesynthese
[–NH2] 2-Oxoglutarat
5
Malat 2-Oxoglutarat
Glutamat Glutamat Aspartat
6
Aspartat Innenmembran Chloroplastenhülle
Außenmembran
Abb. 3.58 Austausch von Verbindungen zwischen Chloroplast und Cytosol (Einzelheiten im Text). 햲 햳 햴 햶 햷
Glykolat/Glycerat-Translokator und 햵 Triosephosphat/Phosphat-Translokator (Phosphat-Translokator) Malat/Oxalacetat-Translokator oder -Shuttle (Dicarbonsäure-Translokator) Malat/Oxoglutarat-Translokator Glutamat/Aspartat-Translokator
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3 Photosynthese
Die Sequenz dieses stark hydrophoben Proteins stimmt bei Spinat (29 kDa), Erbse (30 kDa) und Kartoffel (31 kDa) weitgehend überein; es wird von einem Gen des Zellkerns codiert. Die aktive Form liegt offensichtlich als Homodimer vor.
Über den gleichen Translokator gelangt 3-Phospho-D-glycerat (25) vom Cytosol in den Chloroplasten, wiederum im Gegentausch mit Monophosphat: GlyceratDihydroxyacetonphosphat-Shuttle (nach Stocking, Heber, Heldt, Santarius; s. u.). Dieser gegenläufige Transfer von 3-Phospho-D-glycerat ist zumindest im belichteten Chloroplasten stark eingeschränkt. Zwischen den beiden in das Cytosol gelangten Triosephosphaten (28, 29) stellt sich wie im Chloroplasten das typische Gleichgewicht ein, katalysiert von der cytosolischen Isoform der Triosephosphat-Isomerase (S. 265). Beide Isomere sind nicht nur wichtige Molekül-Bausteine, sondern fungieren auch als Transportmetaboliten für chemische Energie und Wasserstoff: 3-Phospho-D-glycerat (25) wird im Chloroplasten gewissermaßen mit chemischer Energie vom ATP und mit Wasserstoff vom NADP-H + H+ „beladen“, d. h. in die reduzierte und energetisch höherwertige Form des D-Glycerinaldehyd-3-phosphats (28, s. S. 165 f) umgewandelt, welche im Gleichgewicht mit 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (29) steht. Nach Export in das Cytosol gehen beide Triosephosphate in die Synthese von Saccharose ein (s. S. 225 ff) oder werden in der Glykolyse zu 3Phospho-D-glycerat oxidiert, wobei die gebundene Energie auf ADP, der Wasserstoff auf NAD+ „umgeladen“ wird. Pro mol Metabolit werden somit die chemische Energie und der Wasserstoff für die Bildung von 1 mol ATP bzw. 1 mol Reduktionsäquivalent aus dem Chloroplasten in das Cytosol befördert. 3Phospho-D-glycerat als Umwandlungsprodukt kann als Transportmetabolit vom Chloroplasten wieder selektiv aufgenommen werden (s. o.). Durch eine Kompartiment-übergreifende Regulation wird u. a. verhindert, daß vom Chloroplast praktisch das gesamte Triosephosphat ins Cytosol abfließt. Ein solches „Leerlaufen“ hätte fatale Folgen für den Calvin-Zyklus: Die Regeneration von D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24) käme zum Erliegen und damit die gesamte Kohlendioxid-Fixierung. Daher wird ein gewisser Vorrat an Triosephosphat im Chloroplasten vorgehalten, welcher für den Export tabu ist. Erst wenn diese Grenzkonzentration überschritten wird, werden die Weichen auf Export gestellt (Einzelheiten S. 227 ff). Weitere Translokatoren sorgen für den Transfer von Oxo- und Dicarbonsäuren sowie Aminosäuren zwischen Cytosol und Chloroplast: Oxalacetat, 2-Oxoglutarat bzw. Aspartat und Glutamat. Auch sie arbeiten nach dem Prinzip des Gegentausches. Beim sog. Malat/Oxalacetat-Shuttle (s. Abb. 3.58, o.) soll Wasserstoff via Transportmetabolit ins Cytosol gelangen und dort zur Bildung von Reduktionsäquivalenten beitragen. Reguliert wird dieser Malat-Export vermutlich über die plastidäre Malat-Dehydrogenase, welche nur im Licht und bei großem Überschuß an NADP-H + H+ gegenüber NADP+ aktiv ist. Das in den Chloroplasten gelangende Oxalacetat und das 2-Oxoglutarat können prinzipiell die für plastidäre Biosynthese von Aspartat bzw. Glutamat notwendigen Kohlenstoffgerüste liefern.
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
179
Diskutiert wird außerdem ein Glykolat/Glycerat-Translokator. Danach sollen zwei Moleküle Glykolat den Chloroplasten im Austausch gegen ein Molekül Glycerat verlassen. Glycerat wird anschließend von plastidärer Glycerat-Kinase zu 3-Phospho-D-glycerat phosphoryliert.
3.6.6
C4-Dicarbonsäurezyklus
Für eine Anzahl tropischer Gramineen-Arten wie Mais, Zuckerrohr und Sorghum („Mohrenhirse“) sowie Spezies der Amaranthaceae, Chenopodiaceae und Portulacaceae ist eine Modifikation des Photosyntheseapparates, insbesondere der Kohlendioxidverarbeitung, charakteristisch, welche diesen Organismen das Gedeihen an wasserarmen, stark besonnten und heißen Standorten ermöglicht: Der C4-Dicarbonsäurezyklus („C4-Syndrom“ oder C4-Photosynthese; nach Hatch, Slack und Kortschak). Er erlaubt den betreffenden C4-Pflanzen eine ausreichende Akquirierung von Kohlendioxid, obwohl die Spaltöffnungen am Tage weitgehend oder völlig geschlossen bleiben müssen, um die Wasserabgabe auf ein Minimum zu reduzieren. Damit ist die generell enge Kopplung von Transpiration und Kohlendioxidaufnahme bei diesen Spezies gelockert bzw. weitgehend aufgehoben. Das Manko der begrenzten Kohlendioxidversorgung wird durch eine äußerst effektive Kohlendioxidbindung bzw. -verarbeitung, selbst bei extrem niedrigem Angebot, wettgemacht. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die C4-Dicarbonsäuren Äpfelsäure (Malat) und Asparaginsäure (Aspartat), was in der Benennung des Phänomens zum Ausdruck kommt. Solche C4-Pflanzen zeichnen sich oft durch schnelles und gutes Wachstum aus, welches auf hoher photosynthetischer Substanzproduktion beruht, wie beispielsweise bei Mais und Zuckerrohr. Im Gegensatz zu den C3-Pflanzen, welche Kohlendioxid über den normalen Weg des Calvin-Zyklus verarbeiten, ist die Photorespiration (Lichtatmung) stark herabgesetzt. Bei dieser wird in kontraproduktiver Weise Kohlendioxid im Licht unter Sauerstoffverbrauch freigesetzt (s. S. 189 ff). – Zum Nachweis des C4-Syndroms s. Box 3.20.
Blattanatomie. C4-Pflanzen lassen sich allgemein aufgrund des abweichenden Aufbaus ihrer ausdifferenzierten Blätter erkennen. Anstelle der sonst üblichen schichtweisen Anordnung in Palisaden- und Schwammparenchym umschließen die assimilierenden Zellen hier die Leitbündelstränge in zwei Scheiden: Die innere wird von den Bündelscheidenzellen gebildet, die äußere von den Mesophyllzellen; Abb. 3.59 a zeigt diese „Kranz“-Anordnung. Wie wir noch sehen werden, stehen diese anatomischen Abweichungen in engem Zusammenhang mit der speziellen Biochemie dieser Anpassungsform hinsichtlich Kohlendioxidassimilation. Sie können im Sinne von Arbeitsteiligkeit gedeutet werden, welche vor allem konkurrierende Bindungsstellen für Kohlendioxid räumlich trennt: In den Mesophyllzellen wird dieses primär fixiert bzw. angereichert, in den Bündelscheidenzellen dann via Calvin-Zyklus in organische Bindung überführt. Die C4-Dicarbonsäure – Malat oder Aspartat – übernimmt dabei die Rolle des Transportmetaboliten oder des Vehikels. Der enge physiologische Kontakt
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3 Photosynthese
180 a
Gefäßbündel
Interzellulare
Mesophyllzellen
b
Bündelscheidenzellen
h.ν
h.ν
Interzellulare ATP ADP, Pi NADP+ Malat OA 2 NADPH + H+ NADP+
OA CO2
Malat
Pi
NADPH + H+
3–PGS 3–PG
1 HCO3
GAP 3
TP PEP
Cytosol
AMP, PPi PEP
4
3–PG
Pi
Pi TP Pyruvat
TP
CO2
CalvinZyklus Fr–6–P RuBP
Assimilationsstärke
ATP, Pi Pyruvat
Pyruvat Saccharose
Cytosol Bündelscheidenzelle
Mesophyllzelle
Abb. 3.59 Blattanatomie einer typischen C4-Pflanze und C4-Syndrom. Beteiligte Enzyme: a Schematischer Querschnitt durch das 햲 Phosphoenolpyruvat (PEP)-Carboxylase Blatt mit Mesophyllzellen und Bündel햳 NADP-Malat-Dehydrogenase scheidenzellen. 햴 decarboxylierende NADP-Malatb Gesamter Reaktionsablauf beim C4-DicarDehydrogenase (Malat-Enzym) bonsäurezyklus in den Zellen des Kranzes 햵 Pyruvat,Orthophosphat-Dikinase (schematisch); die hell unterlegten Flächen symbolisieren je einen Chloroplasten Fr-6-P D-Fructose-6-phospat, in Mesophyll- und Bündelscheidenzelle. 3-PG 3-Phospho-D-Glycerat, GAP OA PEP RuBP TP
D-Glycerinaldehyd-3-phosphat,
Oxalacetat, Phosphoenolpyruvat, Ribulose-1,5-bisphosphat, Triphosphat
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
181
zwischen beiden Zelltypen wird u. a. durch die ungewöhnlich hohe Anzahl von verbindenden Plasmodesmen angezeigt.
Chloroplasten-Dimorphismus. Bei einer Anzahl von C4-Pflanzen, insbesondere bei den Spezies der Gramineen, sind die Chloroplasten in den beiden Zelltypen unterschiedlich ausgestaltet. Während sie in den Mesophyllzellen die typischen Grana enthalten (S. 96 ff), fehlen diese Strukturen in den Chloroplasten der Bündelscheidenzellen, welche überdies reichlich Stärke speichern. Untersuchungen zur Expression des Chloroplasten-Genoms in den beiden Zelltypen des Kranzes beim Mais haben ergeben, daß die große Untereinheit der Ribulosebisphosphat-Carboxylase/Oxygenase in den Mesophyllzellen nicht synthetisiert wird (vgl. S. 163). Dieser Befund erklärt, warum die Chloroplasten dieser Zellen keine typische photosynthetische Kohlendioxid-Reduktion durchführen.
Anreicherung, Transport und Verarbeitung von Kohlendioxid Wie oben ausgeführt, existiert ein primäres System der Kohlendioxidbindung und ein sekundäres, welche räumlich auf Zellen unterschiedlicher Blattgewebe verteilt und etwa zeitgleich aktiv sind. Wir betrachten zuerst den Reaktionsweg, welcher mit Malat als Transportmetaboliten arbeitet und die größere Verbreitung hat (Abb. 3.59 b u. Abb. 3.60). Im Cytosol der Mesophyllzelle bindet Hydrogencarbonat (HCO3 – ) an Phosphoenolpyruvat (38), katalysiert von Phosphoenolpyruvat-Carboxylase, einem Enzym, für dessen Substratsättigung schon geringe Konzentrationen ausreichen (niedriger KM-Wert!). Das gebildete Oxalacetat (39) wird in den Chloroplasten transportiert und dort mit Hilfe von lichtproduziertem NADP-H + H+ zu Malat (40) reduziert. Dieses gelangt nach Austritt aus dem Chloroplasten (Translokator!) auf symplastischem Wege (Plasmodesmen!) in die Bündelscheidenzelle, dann in deren Chloroplasten (Translokator!). Decarboxylierende, NADP-spezifische Malat-Dehydrogenase („Malat-Enzym“) zerlegt die Dicarbonsäure in Kohlendioxid und Pyruvat (41); gleichzeitig entsteht NADP-H + H+. Malat liefert demgemäß nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Reduktionsäquivalent zur Verwendung im Calvin-Zyklus. Möglicherweise reicht deren Menge nicht aus, um alle Moleküle 3-Phospho-D-glycerat (25) zu reduzieren. Man beobachtet nämlich einen teilweisen Export derselben in die benachbarte Mesophyllzelle, wo sie in Triosephosphat umgewandelt und dann in die Bündelscheidenzelle rückgeführt werden (Triosephosphat/PhosphatTranslokator). Die Belieferung mit reaktionsfähigem Wasserstoff durch Malat hat vermutlich dazu geführt, daß im photochemischen Bereich das Photosystem II in den Chloroplasten der Bündelscheidenzellen „eingespart“ worden ist; dies würde das Fehlen von Grana-Strukturen erklären (s. o.). Der damit verbundene Ausfall der Sauerstoffproduktion ist insofern vorteilhaft, als die davon abhängige Photorespiration (Lichtatmung) nachhaltig betroffen wird. Das bei der Malatspaltung im Chloroplasten freiwerdende Pyruvat (41) wird in die Mesophyllzelle befördert und gelangt in die Chloroplasten, wo die Um-
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182
3 Photosynthese
wandlung zu Phosphoenolpyruvat (38) durch Pyruvat,Orthophosphat-Dikinase erfolgt; dabei werden 2 ATP verbraucht. Mit dieser Regeneration des spezifischen Kohlendioxidakzeptors endet das zyklische Reaktionsgeschehen, welches Abb. 3.60 zusammenfaßt. Bei anderen C4-Pflanzen übernimmt Aspartat die Funktion des Transportmetaboliten für Kohlendioxid. Diese Aminosäure entsteht im Cytosol der Mesophyllzelle über folgende Umsetzung:
៝
Oxalacetat + Glutamat ៝ Aspartat + 2-Oxoglutarat
Sie wird von Aspartat-Aminotransferase katalysiert. In Umkehrung dieser Reaktion entsteht aus Aspartat nach seinem Eintritt in die Bündelscheidenzelle Oxalacetat, wobei gleichzeitig 2-Oxoglutarat aminiert wird. In der sich anschließenden energieverbrauchenden Umsetzung spaltet cytosolische Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase aus dem Oxalacetat Kohlendioxid ab, welches dann in den Chloroplasten gelangt und im Calvin-Zyklus verarbeitet wird:
៝
Oxalacetat + ATP ៝ Phosphoenolpyruvat + CO2 + ADP
Hierfür sprechen Befunde von Untersuchungen an isolierten Strängen von Bündelscheidenzellen (Urochloa panicoides). Das zurückbleibende Phosphoenolpyruvat wird dann in die Mesophyllzelle transferiert; damit schließt sich der Kreis. Pi
HCO3–
1
O H2C
CH2 C O
C
–
OOC COO– 39 Oxalacetat
P
COO–
NADPH + H+
38 Phosphoenolpyruvat 2
AMP, PPi 4
NADP + ATP, Pi
OH
CH3
H2C
C O
OOC COO–
COO – 41 Pyruvat
CO2
CH
–
40 Malat 3 NADPH + H+
Abb. 3.60 Umsetzungen beim C4-Dicarbonsäurezyklus (Gramineen-Typ). Die beteiligten Enzyme 햲 bis 햵 sowie die Zwi-
NADP+
schenverbindungen sind unter Abb. 3.59 benannt.
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
183
In einer anderen Variante wird dem Transportmetabolit Aspartat in Mitochondrien der Bündelscheidenzelle das Kohlendioxid entzogen, dieses dann in die Chloroplasten transferiert. Mit Aspartat als Transportmetaboliten für Kohlendioxid entfällt naturgemäß die gleichzeitige Lieferung von Wasserstoff zur Bildung von NADP-H + H+ in den Chloroplasten der Bündelscheidenzellen, wie sie für Malat typisch ist (vgl. S. 181). Vermutlich deshalb sind diese Chloroplasten mit Grana bestückt und verfügen demgemäß sicherlich auch über beide Photosysteme und den kompletten photosynthetischen Elektronentransport; er garantiert eine ausreichende Versorgung mit Reduktionsäquivalenten im Licht.
Energiebilanz. Der Vergleich mit C3-Pflanzen macht deutlich, daß der C4-Weg mit seiner überaus effektiven Fixierung und Verarbeitung von Kohlendioxid energetisch seinen Preis hat: 2 mol ATP müssen zusätzlich aufgewendet werden, und zwar zur Regeneration von Phosphoenolpyruvat, wenn Malat als Transportmetabolit dient. Unter Einbeziehung des Calvin-Zyklus werden insgesamt 5 mol ATP pro mol fixierten Kohlendioxids verbraucht. Bei C3-Pflanzen sind es lediglich 3 mol ATP. Regulation. Wie einige Enzyme des Calvin-Zyklus werden auch Phosphoenolpyruvat-Carboxylase und Pyruvat,Orthophosphat-Dikinase durch Licht aktiviert, allerdings auf andere Weise, nämlich über Veränderung des Phosphorylierungsstatus. Diesen Mechanismus haben wir schon als Regulativ zur Kanalisierung von Strahlungsenergie zwischen den Photosystemen kennengelernt (S. 147). Bei der Phosphoenolpyruvat-Carboxylase wird ein Serin-Rest nahe am Amino-Terminus einer jeden Untereinheit durch eine spezifische Kinase mittels ATP phosphoryliert. Hierdurch wird die typische Aktivitätshemmung durch Malat erniedrigt, die Bindungskapazität für Kohlendioxid hingegen stark erhöht. Alternativ beruht die Lichtaktivierung von Pyruvat,OrthophosphatDikinase auf Dephosphorylierung, Inaktivierung im Dunkeln hingegen auf Phosphorylierung. Ansatzstelle der letzteren ist vermutlich ein Threonin-Rest. Dephosphorylierung als auch Phosphorylierung werden offensichtlich vom gleichen Enzym – deshalb als Tandem-Enzym bezeichnet! – katalysiert. Die Überlegenheit von C4-Pflanzen gegenüber C3-Pflanzen beruht im wesentlichen auf folgenden Fakten: 1. Die vorgeschaltete Anreicherung von Kohlendioxid führt dazu, daß dessen Konzentration in den Bündelscheidenzellen bis um das 20fache höher ist als in der Außenluft; dabei bleibt der Rückstrom in die Mesophyllzellen praktisch auf die Plasmodesmen beschränkt, weil oft Suberine (S. 327) in die trennenden Zellwände eingelagert sind. 2. Das optimale Kohlendioxidangebot fördert in den Chloroplasten der Bündelscheidenzellen die Carboxylierung von Ribulose-1,5-bisphosphat durch Rubisco; es unterdrückt deren Oxygenase-Aktivität (S. 189) und damit die „störende“, weil Kohlendioxid freisetzende Photorespiration. Der Kompensationspunkt für dieses Gas liegt deutlich niedriger als bei den C3-Pflanzen.
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3 Photosynthese
3. Im Gegensatz zu den C3-Pflanzen ist die Kohlendioxidkonzentration nicht der begrenzende Faktor der Photosynthese im Starklicht. Insgesamt kann daher die tägliche Zuwachsrate (g Trockenmasse · m – 2 Blattfläche · Tag – 1) maximal das 10fache der von C3-Pflanzen betragen. Diese schneiden auch beim Vergleich des Wasserverlustes durch Transpiration (berechnet pro g fixierten Kohlenstoffs) deutlich schlechter als C4-Pflanzen ab: Die Werte dieses Transpirationsquotienten liegen für C4-Pflanzen bei 250 – 350, für C3Pflanzen hingegen bei 450 – 940 g H2O · g – 1 Kohlenstoff. Box 3.20
δ-13C-Wert
Zum Nachweis des C4-Weges dient u. a. die Verteilung der natürlichen Kohlenstoffisotope 13C und 12C in den Produkten der Kohlendioxidfixierung. Wie zuerst bei der Datierung von fossilen Holzresten festgestellt, schwankt das 13 12 C/ C-Verhältnis, obwohl im Kohlendioxidanteil der Luft der Gehalt an beiden Isotopen konstant ist (98, 89% 12C zu 1,11% 13C). Die Erklärung liegt in ihrer unterschiedlichen „Diskriminierung“ durch die beiden Carboxylierungsreaktionen der Photosynthese: Phosphoenolpyruvat-Carboxylase ist weniger „genau“ und verwendet als Substrat relativ mehr 13CO2 (neben 12CO2) als die Ribulosebisphosphat-Carboxylase/ Oxygenase. Folglich enthalten C4-Pflanzen mehr 13C: Der nachgeschaltete Calvin-Zyklus verwertet ausschließlich über Phosphoenolpyruvat-Carboxylase vorfixiertes Kohlendioxid mit einem relativ hohen 13C-Anteil. Umgekehrt liegt dieser deutlich niedriger bei den C3Pflanzen, weil die allein wirkende Ribulosebisphosphat-Carboxylase/Oxygenase wesentlich effektiver 13C zugunsten
3.6.7
von 12C „verschmäht“. C4-Pflanzen sind entsprechend „schwerer“! Ihr charakteristischer, durch Massenspektrometrie ermittelter δ-13C-Wert ist mit – 10 bis 18‰ höher (weniger negativ!) als der von C3-Pflanzen mit – 23 bis 34‰ (δ-13 C-Wert von Luft: -8‰). (13C/12C) Probe – 1 · 103[‰] (13C/12C) Standard
δ-13C =
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß auch 14C einer deutlichen Diskriminierung gegenüber 12C bei der Fixierung unterliegt (S. 159). Die Ermittlung von δ -13C hat sich inzwischen als ein wertvolles Hilfsmittel bei der Bearbeitung der unterschiedlichsten Fragestellungen erwiesen, die letztlich alle etwas mit den Mechanismen der Kohlendioxidfixierung pflanzlicher Organismen zu tun haben, sei es der Stoffwechsel von CAM-Pflanzen (s. u.), sei es die Herkunft von Rohrzukker aus Zuckerrübe oder Zuckerrohr, die Reinheit von Lebensmitteln oder der 13C-Gehalt tierischer Proteine.
Crassulaceen-Säurestoffwechsel (CAM)
Diese Modifikation der Photosynthese, welche wiederum eine biochemische Variante der Kohlendioxidassimilation beinhaltet, ist zuerst bei sukkulenten Arten der Crassulaceae (Dickblatt-Gewächse) entdeckt und nach dieser Familie benannt worden (s. u.). Später kamen auch semisukkulente und nichtsukkulente Arten aus insgesamt 28 Mono- und Dikotylen-Familien hinzu. Auch einige
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
185
tropische Farne erwiesen sich als CAM-Pflanzen – ein Hinweis auf die frühe Etablierung dieser Anpassungsform während der Phylogenie. Das breite Spektrum der Verbreitung spricht für unabhängige Entstehung auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen (Konvergenz). Eine wichtige Voraussetzung ist offensichtlich die Entwicklung von Geweben, deren Zellen mit großen Vakuolen und Chloroplasten ausgestattet sind. CAM-Pflanzen sind entsprechend an trockene oder salzreiche Standorte mit hohen Temperaturen während des Tages, aber relativ niedrigen in der Nacht sehr effektiv angepaßt. Mit den C4-Pflanzen besteht Übereinstimmung insofern, als auch hier die zwangsläufige Kopplung von Transpiration und Kohlendioxidaufnahme aufgehoben ist. CAM-Pflanzen bedienen sich ebenfalls eines vorgeschalteten Systems zur Kohlendioxidanreicherung: Phosphoenolpyruvat-Carboxylase bindet Kohlendioxid äußerst effektiv. Das entstehende Oxalacetat (39) wird in das stabilere Malat (40) überführt (s. Abb. 3.61, S. 186). Diese Verbindung liefert nach enzymatischer Decarboxylierung Kohlendioxid für die Fixierung im CalvinZyklus. Der entscheidende Unterschied besteht in der Art der Verknüpfung des primären und sekundären Systems der Kohlendioxidfixierung: Beim C4-Dicarbonsäurezyklus sind beide räumlich getrennt, nämlich auf Zellen unterschiedlicher Blattgewebe, arbeiten jedoch praktisch zeitgleich. Bei CAM hingegen sind beide Systeme in der gleichen Zelle lokalisiert, wenn auch in unterschiedlichen Kompartimenten, werden aber mit zeitlicher Versetzung aktiv: Bindung von Kohlendioxid in der Nacht, Verarbeitung desselben am Tage im Licht. Diese Unterschiedlichkeit kommt auch in abweichenden cytologischen und anatomischen Eigenschaften zum Ausdruck. Ein weiterer Unterschied besteht insofern, als das C4-Syndrom prinzipiell genetisch fixiert ist, während CAM von physiologischen Faktoren induziert und gesteuert wird.
Dunkelfixierung von Kohlendioxid. Die Aufnahme und Bindung von Kohlendioxid ist in die Nacht verlegt, wenn Außenluft durch die geöffneten Stomata einströmt, ein für höhere Pflanzen ungewöhnlicher Vorgang! Gefahr für den Wasserhaushalt durch starke Transpiration besteht kaum, da die Luftfeuchtigkeit am Standort der Pflanzen bei den herrschenden, meist gemäßigten Temperaturen in der Regel relativ hoch ist. Die Reaktionsfolge, welche Abb. 3.61 zusammenfaßt, beginnt damit, daß Phosphoenolypyruvat-Carboxylase im Cytosol die Bindung von Kohlendioxid an Phosphoenolpyruvat (38) katalysiert. Diese Akzeptorverbindung fällt als Zwischenprodukt der Glykolyse an (S. 267), d. h. über den Abbau von Speicherstärke bzw. Hexosephosphaten. Hierin besteht ein deutlicher Unterschied zum C4-Syndrom. Im gleichen Kompartiment kommt es auch zur Umwandlung des entstandenen Oxalacetats (39) durch NAD-spezifische Malat-Dehydrogenase. Das gebildete Malat (40) kann sekundär auch partiell in eine andere Carbonsäure überführt werden. Deren Salze, insbesondere aber Malat, werden in die gro-
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3 Photosynthese
186
Nacht
Tag h.ν
Chloroplast
Cytosol
Stärke
TP
Glykolyse CO2
PEP
Hexosephosphat
RuBP
TL ADP, Pi
1
ATP
OA
ATP
NADH + H+ 2
2 H+
Vakuole NADP+ NADPH + H+
2 H+
NAD+ Malat2–
CO2
3–PG
Malat2–
Malat2–
Malat–H2
2 H+
ADP, Pi
3 Pyruvat ATP, Pi
4 PEP
PEP
TL TL
AMP, PPi
3-Phospho-D-glycerat
Abb. 3.61
Reaktionsabläufe beim CAM im Nacht/Tag-Wechsel.
Beteiligte Enzyme: 햲 Phosphoenolpyruvat (PEP)-Carboxylase 햳 NAD-Malat-Dehydrogenase 햴 decarboxylierende NADP-Malat-Dehydrogenase (Malat-Enzym) 햵 Pyruvat,Orthophosphat-Dikinase Abk. s. Abb. 3.59, S. 180
ße Zellsaftvakuole transferiert und dort gespeichert. Diese nächtliche Akkumulation hat starke Ansäuerung zur Folge, wobei pH-Werte zwischen 3,5 und 4,0 erreicht werden. Der gleichzeitige Anstieg des osmotischen Wertes sorgt für zusätzliche Wasseraufnahme der Pflanze aus ihrer Umgebung. Da der Eintransport von Malat in die Zellsaftvakuole gegen ein Konzentrationsgefälle erfolgt, muß Energie aufgewendet werden: ATP wird durch eine ATPase, ein Tonoplasten-gebundenes Enzym, hydrolysiert und die dabei freiwerdende Energie dazu benutzt, Protonen in die Vakuole zu befördern: Einwärts gerichtete Protonenpumpe! (S. 36). Die Malat-Anionen sollen dann dank des aufgebauten Protonengradienten bzw. elektrochemischen Potentials über einen Carrier-
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3.6 Umwandlung von Kohlendioxid zu Kohlenhydrat
187
Mechanismus passiv nachfolgen: Protonen/Anionen-Cotransport (S. 36). So erstaunt es nicht, daß insgesamt 6 ATP pro Molekül reduziertes Kohlendioxid verbraucht werden. Mit steigender Ansäuerung des Vakuoleninhalts gehen immer mehr Malat-Anionen in undissoziierte Äpfelsäuremoleküle (Malat-H2) über. Deren Bildung wirkt sich vorteilhaft für den osmotischen Wert aus: er beträgt nämlich nur ein Drittel dessen, welcher vom Kalium-Salz des Malats bei Dissoziation erzeugt wird. Entsprechend kann vom Malat etwa dreimal mehr in Form von Äpfelsäure als in der ihrer beiden Ionen gespeichert werden, ohne daß der osmotische Wert ansteigt. Die Äpfelsäuremoleküle diffundieren dann vermutlich am Tage passiv durch den Tonoplasten in das Cytosol, wobei sie einem Konzentrationsgefälle folgen.
Kohlendioxidverarbeitung im Licht. Am Tage wird das in der Äpfelsäure „gespeicherte“ Kohlendioxid freigesetzt und genutzt: Die Verbindung verläßt als Malat + Protonen die Vakuole, gelangt in das Cytosol, dann mittels Translokator in den Chloroplasten und liefert nach Spaltung durch NADP-spezifische MalatDehydrogenase (Malat-Enzym; S. 181 f) das Kohlendioxid für den Calvin-Zyklus. Wie beim C4-Weg entsteht ein Reduktionsäquivalent als „Beigabe“. Somit wird die Synthese von Kohlenhydrat ausschließlich mit „internem“ Kohlendioxid betrieben. Die Stomata können daher am Tage weitgehend geschlossen bleiben, wodurch Störungen im Wasserhaushalt vermieden werden. Mit dem Efflux von Äpfelsäure aus der Vakuole beginnt der pH-Wert ihres Inhalts auf 7,5 bis 8,0 anzusteigen (Absäuerung). Diese Änderung der Protonenmenge im Wechsel von Tag und Nacht wird als Diurnaler Säurerhythmus bezeichnet. Er läßt sich direkt im Preßsaft sukkulenter Blätter oder Sprosse messen. Da dieses Phänomen zuerst für Spezies der Crassulaceae beschrieben wurde, hat man es als Crassulaceen-Säurestoffwechsel (CAM: Crassulacean Acid Metabolism, engl.) bezeichnet. Bei einigen Pflanzenarten reichert sich in der Nacht nicht nur Äpfelsäure, sondern auch Citronensäure an, z. B. bei Mesembryanthemum crystallinum. Als Produkt der oxidativen Decarboxylierung von Malat im Chloroplasten entsteht Pyruvat (41). Seine Überführung in Phosphoenolpyruvat (38) besorgt vermutlich plastidäre Pyruvat,Orthophosphat-Dikinase, welche wir schon als wirksames Enzym des C4-Weges kennen (S. 181 f). Phosphoenolpyruvat gelangt über einen Translokator, vermutlich im Gegentausch mit Phosphat, in das Cytosol und wird dort zu 3-Phospho-D-glycerat (25) umgeformt. Dieses fließt entweder in den Chloroplasten zurück und wird dort zu Triosephosphat verarbeitet oder geht in den cytosolischen Kohlenhydrat-Stoffwechsel ein (s. Abb. 3.61).
Regulation. Das reibungslose Zusammenspiel von Kohlendioxid-Dunkelfixierung und lichtabhängiger Verarbeitung bei CAM-Pflanzen sowie die erwiesenermaßen hohe Flexibilität in der Anpassung an Umweltbelastungen erfordern eine effektive und wahrscheinlich vielschichtige Regulation. Ein wichtiger Ansatzpunkt sind die beteiligten Enzyme. So wird die Aktivität von Phosphoenolpyruvat-Carboxylase durch die aus der Vakuole freigesetzte
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3 Photosynthese
Äpfelsäure am Tage weitgehend blockiert. Dieser Transportmetabolit für Kohlendioxid reagiert vermutlich als negativer Effektor mit dem allosterisch konstruierten Enzym (S. 16). Damit wird verhindert, daß aus Äpfelsäure freigesetztes Kohlendioxid von der wesentlich effektiveren PhosphoenolpyruvatCarboxylase „weggefangen“ wird, d. h. die Rubisco im Chloroplast nicht erreicht. Neuere Versuche zeigen an, daß die Aktivität des erstgenannten Enzyms auch über den Phosphorylierungsstatus geregelt werden kann: In der Nacht soll Phosphorylierung zur aktiven Form führen, am Tage Dephosphorylierung zur inaktiven. Ähnlich wie C4-Pflanzen sind auch CAM-Pflanzen anhand ihrer geringeren Diskriminierung von 13C zu erkennen. Aufgrund der ausgeprägten Anpassungsfähigkeit ihrer Physiologie variiert der Wert von δ -13C deutlich stärker als bei den C4-Pflanzen (S. 184). Insbesondere Dürre oder Salzbelastung wirkt sich deutlich erniedrigend aus: – 14 bis – 32‰ .
Im Gegensatz zur weitgehend genetischen Fixierung des C4-Syndroms wird CAM vorwiegend durch Umweltfaktoren geprägt und gesteuert. Die gleiche Pflanze kann deshalb ihren Kohlendioxidbedarf wechselweise am Tage oder in der Nacht decken; die Wahl wird jeweils von den Auswirkungen auf die Wasserbilanz bestimmt sein. Dementsprechend bedeutet Sukkulenz nicht zwangsläufig, daß Pflanzen mit dieser Eigenschaft auch CAM betreiben. Umgekehrt bedienen sich auch einige nichtsukkulente Pflanzen erfolgreich des CAM (z. B. Welwitschia mirabilis, Tillandsia usneoides). Zusammenfassend läßt sich feststellen: CAM ist als ökologische Anpassung an aride und semiaride Standorte so erfolgreich, weil Kohlendioxidaufnahme und Transpiration weitgehend entkoppelt sind. Die Öffnung der Stomata in relativ kühlen Nächten dient primär der Beschaffung von Kohlendioxid, weniger der Abgabe von Wasser. Jenes akkumuliert nach chemischer Bindung zu einem internen Vorrat, welcher am Tage im Licht ausgebeutet wird. Deshalb kann während dieser Zeit auf die Aufnahme von exogenem Kohlendioxid verzichtet werden. Entsprechend können die Stomata geschlossen bleiben, was die Transpiration minimiert. Die resultierende Wassereinsparung ist beachtlich. Gegenüber C3-Pflanzen ohne CAM reduziert sich der unvermeidliche Verlust an Wasser auf etwa 1/10. Überdies werden Photorespiration (Lichtatmung; s. u.) und Photoinhibition (S. 136) am Tage sicherlich durch die hohe Kohlendioxidkonzentration stark erniedrigt. Diese fördert andererseits die Carboxylierung von Ribulose-1,5-bisphosphat durch Rubisco. Solche Vorteile gehen allerdings zu Lasten der Produktivität von CAM-Pflanzen; sie ist deutlich niedriger als die von C3- und C4-Pflanzen.
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3.7 Photorespiration (Lichtatmung)
3.7
189
Photorespiration (Lichtatmung)
Bei zahlreichen Pflanzen läßt sich unter gewissen Bedingungen mit Hilfe geeigneter Methoden nachweisen, daß sie im Licht molekularen Sauerstoff aufnehmen und Kohlendioxid abgeben. Wegen dieser äußerlichen Übereinstimmung mit dem Gaswechsel der Atmung (s. S. 261) spricht man deswegen von Photorespiration oder Lichtatmung photosynthetisch aktiver Organismen. Tatsächlich stehen jedoch die zugrundeliegenden Reaktionen im engen Zusammenhang mit der Photosynthese und haben wenig mit der Dunkelatmung zu tun. Hierfür sprechen Befunde, wonach die Lichtatmung mit steigender Beleuchtungsstärke und Temperatur zunimmt und erst bei einem relativ hohen Sauerstoffanteil – im Gegensatz zur Dunkelatmung – gesättigt ist: ca. 200 ml · l– 1 zu 20 ml · l– 1. Offensichtlich wird der Kohlendioxid-Kompensationspunkt einer Pflanze (S. 102) entscheidend von der Rate der Photorespiration bestimmt: ein hoher Wert desselben zeigt an, daß eine starke Kohlendioxidabgabe im Licht erfolgt. Dieses Verhalten ist typisch für viele C3-Pflanzen, welche Kohlendioxid ausschließlich über den Calvin-Zyklus fixieren. Hingegen ist für C4-Pflanzen, bei denen der Kohlendioxideinbau primär über den C4-Dicarbonsäure-Zyklus (S. 179 ff) erfolgt, in der Regel eine niedrige Rate der Lichtatmung charakteristisch; aufgrund ihres sehr effektiven Kohlendioxid-Bindungsmechanismus verwerten sie vermutlich den größten Teil des freigesetzten Kohlendioxids wieder photosynthetisch.
Bildung von Glykolat als Ausgangsverbindung. Für die Lichtatmung ist eine Folge von Reaktionen verantwortlich, welche sich auf verschiedene Kompartimente der Zelle verteilen und durch Sauerstoffverbrauch (O2) bzw. Kohlendioxidabgabe zum typischen Gaswechsel dieses Geschehens beitragen. Bei der Bildung der Schlüsselverbindung Glykolat (44; OOC – CH2OH; s. Abb. 3.64, S. 193) bewirken die oben beschriebenen Bedingungen, daß die Rubisco ausschließlich als Oxygenase katalytisch aktiv ist: aus D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24) entstehen nun Phosphoglykolat (43) und 3-Phospho-D-glycerat (25) unter Sauerstoffverbrauch (Abb. 3.62). (Bei Zugabe von Sauerstoff-Isotop 18O2 enthält lediglich die Carboxy-Gruppe [COO – ] von 43 das schwere Isotop; 18O in der For-
CH2
18
C O H C OH H C OH CH2
2 H+
O P
O P
24 Ribulose-1,5bisphosphat
–
O2
CH 2
Rubisco H2O
H 2O
–O
C
O
O P
+
O
C
O
H C OH
18
CH2
O P
18
43 Phosphoglykolat
25 3-PhosphoD-glycerat
Abb. 3.62 Oxygenase-Aktivität von Rubisco: Spaltung von D-Ribulose-1,5-bisphosphat (24) mittels Sauerstoff.
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190
3 Photosynthese
mel.) Der hier beschriebene Sauerstoffverbrauch soll nach allgemein akzeptierter Auffassung wesentlich zum typischen Netto-Sauerstoffverbrauch der Lichtatmung beitragen (s. auch u.). Auch scheint erwiesen, daß steigende Temperaturen und/oder ein hoher pH-Wert die Oxygenase-Aktivität der Rubisco begünstigen; dies wäre eine plausible Erklärung für die beobachtete Steigerung der Lichtatmung bei höheren Temperaturen gegenüber der lichtgesättigten Photosynthese.
3.7.1
Reaktionssequenz und Kompartimentierung
Phosphoglykolat (43) wird durch eine spezifische plastidäre Phosphatase dephosphoryliert (s. Abb. 3.64, S. 193). Das entstehende Glykolat (44) muß den Chloroplasten zur Weiterverarbeitung verlassen (vgl. S. 179). Diese erfolgt in Peroxisomen, einer funktionellen Untergruppe der Cytosomen (Microbodies, S. 314 f), deren enger, im Elektronenmikroskop erkennbarer Kontakt mit der Chloroplastenhülle mögliche Austauschprozesse zwischen beiden Zellorganellen vermuten läßt. Die anschließende Umwandlung zu Glyoxylat (45; –OOC – CHO, Salz der Glyoxylsäure) stellt den zweiten sauerstoffverbrauchenden Reaktionsschritt der Lichtatmung dar: das beteiligte Enzym Glykolat-Oxidase, ein Flavoprotein mit Flavin-mononucleotid (FMN; S. 23) als Wirkgruppe, überträgt zumindest bei höheren Pflanzen Elektronen auf molekularen Sauerstoff (s. Abb. 3.64, S. 193). Das entstehende Dihydrogenperoxid (H2O2) wird durch Peroxidase, ein typisches Enzym der Peroxisomen (Name!), in molekularen Sauerstoff und Wasser zerlegt; in der Bilanz verschwindet demgemäß 1/2 O2 aus dem Gaswechsel. Ebenfalls im Peroxisom findet die anschließende Überführung von Glyoxylat in Glycin (46; Gly) unter Mitwirkung von Glutamat (Glu; Kisaki u. Tolbert) statt, denn die dafür verantwortliche Glycin-Aminotransferase ist ein Peroxisomen-Enzym. Glycin wechselt das Kompartiment: Seine Decarboxylierung und Deaminierung zu Serin (47) durch Glycin-Decarboxylase im Zusammenwirken mit SerinHydroxymethyltransferase (s. u.) findet in den Mitochondrien der Blattzellen statt. Dies ist vermutlich der einzige Reaktionsschritt der Photorespiration mit Kohlendioxidabspaltung. In ihm wird zudem eine erste Vernetzungsstelle mit dem zellulären Stickstoffhaushalt gesehen, denn das gleichzeitig freigesetzte Ammonium unterliegt sehr schnell der Reassimilierung (s. u.). Glycin-Decarboxylase ist bei Pflanzen wahrscheinlich nur in den Mitochondrien grüner Zellen vorhanden. Dieses Matrix-Enzym besteht aus 4 Polypeptiden: P (Dimer; 2 ⫻ 97 kDa), H (13,9 kDa), T (45 kDa) L (49,7 kDa) Jedes Polypeptid ist mit mehreren Exemplaren in dem locker gefügten nativen Enzymkomplex vertreten (vermutlich 4 ⫻ P, 27 ⫻ H, 9 ⫻ T, 2 ⫻ L). Damit besteht Übereinstimmung mit entsprechenden Konstrukten in Bakterien sowie in den
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3.7 Photorespiration (Lichtatmung)
191
Mitochondrien tierischer Zellen. Das Homodimer von P (s. o.), mit Pyridoxalphosphat als Wirkgruppe (S. 415) bestückt, spaltet als eigentliche Decarboxylase das Glycin zu Kohlendioxid und Methylamin, wobei intermediär ein Imin (Schiff-Base) zwischen der Wirkgruppe und der α-Amino-Gruppe des Glycins entsteht (Abb. 3.63). Untereinheit H übernimmt das Methylamin mit seiner Wirkgruppe Liponsäureamid (S. 277) und überträgt es auf Untereinheit T, wobei das Methylen-C-Atom an deren Wirkgruppe Tetrahydrofolsäure (S. 417) als Hydroxymethyl-Gruppe bindet, während die Amino-Gruppe als Ammonium freigesetzt wird. Von der entstandenen N5,N10-Methylentetrahydrofolsäure (aktiver Formaldehyd) übernimmt abschließend Serin-Hydroxymethyltransferase den C1-Körper und bindet ihn an ein zweites Molekül Glycin: Serin (47) entsteht. Jede der 4 Untereinheiten dieses Enzyms trägt eine PyridoxalphosphatWirkgruppe. Die notwendige Reoxidation von Dihydroliponsäureamid wird von der Untereinheit L – Lipoamid-Dehydrogenase – mit Hilfe von FAD und NAD+ katalysiert (vgl. S. 277). Nach dem Verlassen des Mitochondrion stehen dem Serin zwei Wege offen: 1. der cytosolische Aminosäure-Stoffwechsel 2. der Rücktransport in ein Peroxisom und damit letztlich Verarbeitung im Calvin-Zyklus nach geeigneter Umformung.
CH2 THF + [NH2]
THF
T H2N
CH2 S
SH
SH H
CO2
SH FAD NAD+
P
S
L
S COOH H 2N C H
FADH2
NADH + H+
H
Abb. 3.63 Wirkungsweise des Multi-Enzym-Komplexes der Glycin-Decarboxylase (nach Oliver). H, L, P und T Untereinheiten des Komplexes (s. Text) THF Tetrahydrofolsäure
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3 Photosynthese
Beim zweiten Weg katalysiert Serin-Glyoxylat-Aminotransferase die Umwandlung zu 3-Hydroxypyruvat (48), welches anschließend durch HydroxypyruvatReduktase unter Oxidation von NAD-H + H+ in D-Glycerat (49) übergeführt wird. Dieses gelangt in den Chloroplasten und liefert nach Phosphorylierung mittels ATP das 3-Phospho-D-glycerat (25), welches als natürliche Zwischenverbindung problemlos vom Calvin-Zyklus akzeptiert wird. Damit schließt sich ein Kreisprozeß, über welchen im günstigsten Falle bis zu zwei Drittel des ursprünglich als Glykolat abgeflossenen Kohlenstoffs „wiederbeschafft“ werden können. Der Rest ist u. a. als Kohlendioxid gewissermaßen „verlorengegangen“ und muß über Refixierung ersetzt werden. Einige Forscher sehen in der Photorespiration lediglich einen Mechanismus zur „geschickten“ Beseitigung von Glykolat, welches zwangsläufig wegen der derzeitigen hohen Sauerstoff-Volumenkonzentration (210 ml · l–1) unserer Atmosphäre entsteht: diese fördert entscheidend die Oxygenase-Aktivität der Rubisco! Photorespiration wird damit als Auswirkung eines „Evolutionsfehlers“ deklariert – eine Interpretation, welche insbesondere im Hinblick auf die nachfolgend erläuterten Aspekte nicht überzeugt.
3.7.2
Biologische Bedeutung
Photorespiration präsentiert sich auf den ersten Blick als ein wenig vorteilhaftes Reaktionsgeschehen: Fixierter Kohlenstoff geht verloren, Energieäquivalente und reduzierter Stickstoff werden verbraucht. Als positives Ergebnis ist die schnelle Bildung der Aminosäuren Glycin und Serin zu vermerken, möglicherweise ihr wichtigster Syntheseweg in Blattzellen. Die Frage nach der eigentlichen physiologischen Funktion von Photorespiration kann noch nicht befriedigend beantwortet werden. Die schon angedeutete Verknüpfung mit dem zellulären Stickstoffhaushalt hat in den letzten Jahren einen anderen bedenkenswerten Aspekt zur möglichen Rolle deutlich gemacht, welcher zum Modell des Photorespiratorischen Stickstoffzyklus geführt hat (Keys u. Mitarb.). Ausgangspunkt war der Befund, wonach das bei der Serin-Biosynthese im MitoAbb. 3.64 Photorespiration (Lichtatmung). Die Reaktionsabläufe im Chloroplasten, im 왘 Peroxisom, im Mitochondrion sowie im Cytosol bei der Photorespiration und dem damit verbundenen Stickstoff-Zyklus (unterbrochene Linien). Beteiligte Enzyme: 햲 Ribulosebisphosphat-Carboxylase/ Oxygenase 햳 Phosphoglykolat-Phosphatase 햴 Glykolat-Oxidase 햵 Peroxidase 햶 Glycin-Aminotransferase 햷 Glycin-Decarboxylase + Serin-Hydroxymethyltransferase 햸 Glutamin-Synthetase 햹 Serin-Glyoxylat-Aminotransferase
햺 Hydroxypyruvat-Reduktase 햻 D-Glycerat-Kinase 쎻 11 Glutamin-2-OxoglutaratAminotransferase (GOGAT) Fd Gly Gln Glu Ser
Ferredoxin Glycin Glutamin Glutamat Serin
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3.7 Photorespiration (Lichtatmung) Cytosol
Gln
Fdred
Fdox 2 Glu 11 CH2 24
2-Oxoglutarat
O P
C O
H C OH
O2
H C OH
Chloroplast
CH2 O P Calvin-Cyclus
–
COO
1 –
COO
CO2
CH2 O P 43
H C OH CH2
O P
25 3-PhosphoD-glycerat
ADP
2
Pi
10
ATP
–
COO
COO
H C OH
CH2
CH2 OH 49 D-Glycerat
OH
44 Glykolat
O2 49 D-Glycerat
NAD+
H2 O2
4
–
COO
–
CHO
CH2 OH 48 3-Hydroxypyruvat
45 Glyoxylat
NH 4+
2-Oxoglutarat Gly
–
COO H3N C
Glu
5
Ser
+
H2O + ½ O2
COO
C O
8
Mitochondrion
O2
3
9
NADH + H+ Peroxisom
44 Glykolat
NADH + H+ CO2 NAD+ 6
2 – COO +
H3N C
H
CH 2OH 47 Ser
NH 4+ Glu
7 ATP
H
H 46 Gly Gln ADP + Pi
Abb. 3.64
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193
194
3 Photosynthese
chondrion freigesetzte Ammonium (NH4+) in das Cytosol gelangt und dort von einer ATP-abhängigen Glutamin-Synthetase (GS) reassimiliert wird (Hartmann u. Ehmke). Dieses Enzym erwies sich als Isoform der im Chloroplasten lokalisierten GS (S. 414). Das gebildete Glutamin soll anschließend vom Chloroplasten aufgenommen werden. Dies steht im Widerspruch zu einer alternativen Auffassung, wonach die Reassimilierung von Ammonium nicht im Cytosol, sondern im Chloroplasten stattfindet, d. h. nach vorausgegangenem Import. Glutamin-Synthetase arbeitet eng mit Glutamin-2-Oxoglutarat-Aminotransferase (GOGAT) zusammen. Dieses Enzym katalysiert die Umwandlung von Oxoglutarat und Glutamin zu zwei Glutamat mit Hilfe von reduziertem Ferredoxin – im Chloroplasten – oder NAD-H + H+ – im Cytosol: Reduktive Aminierung (Einzelheiten S. 413 ff). Glutamat kann den Chloroplasten verlassen und als Transportform für reduzierten Stickstoff fungieren, welcher in verschiedenen Kompartimenten für die Synthese organischer Stickstoffverbindungen benötigt wird, z. B. im Peroxisom zur Bildung von Glycin aus Glyoxylat (s. o.). In Abb. 3.64 sind die wichtigsten Stationen des Photorespiratorischen Stickstoffzyklus berücksichtigt. Für die Aufnahme von 2-Oxoglutarat und die Abgabe von Glutamat durch den Chloroplasten sowie für den Austausch von Serin gegen Glycin durch die Mitochondrien sind entsprechende Translokatoren zuständig (s. S. 177 f u. S. 284).
3.8
Transport der Assimilate
Bei der höheren Pflanze findet die photosynthetische Substanzproduktion überwiegend im Assimilationsparenchym der Blätter statt. Sie liefert nicht nur das Substrat für alle Gewebe und Zellen mit heterotrophem Stoffwechsel, sondern auch für jene, deren spezifische Funktion im Aufbau makromolekularer Speicherstoffe wie Polysaccharide, Fette oder Proteine besteht. Dementsprechend müssen die Assimilate in einer geeigneten chemischen Form in die verschiedenen Teile des Vegetationskörpers geleitet und verbreitet werden. Die Pflanze bewältigt diese Aufgabe mit Hilfe eines Transportsystems, welches getrennt von dem des Wassers operiert; dessen Möglichkeiten zum Transport von Assimilaten mit Hilfe des Transpirationsstromes sind, wie wir schon gesehen haben (S. 48), sehr begrenzt.
3.8.1
Das Transportsystem
Als Transportbahnen dieses spezialisierten Leitsystems, in welchem ein kontinuierlicher Strom gelöster Assimilat-Moleküle fließt, dienen Siebröhren (bei Angiospermen) oder entsprechend spezialisierte, in Strängen angeordnete Siebzellen (bei Gymnospermen) sowie einfache Siebschläuche (z. B. bei Braunalgen). Die beiden erstgenannten Elemente gehören zum Phloem der Leitbündel bzw. zum Bast, wenn sekundäres Dickenwachstum vorliegt.
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3.8 Transport der Assimilate
195
Daß der Phloemtransport tatsächlich über die Siebröhren erfolgt, konnte mit Hilfe einer eleganten Methodik nachgewiesen werden: Eine wäßrige Lösung von radioaktiv markierter 3H-Saccharose oder 3H-Glucose (Formeln S. 225 u. S. 223) wurde auf die Oberfläche eines Blattes an einer intakten Pflanze (z. b. Cucurbita, Cucumis) gegeben; nach 3 – 4 Stunden konnte in Quer- und Längsschnitten aus dem Phloem von Sproß-Leitbündeln unterhalb der Applikationsstelle mit Hilfe der Autoradiographie (S. 160) 3H-Radioaktivität nachgewiesen werden, welche ausschließlich auf das Lumen der Siebröhren beschränkt war.
Demgemäß weisen besonders die Siebröhrenglieder (Siebröhrenelemente) eine der Leitfunktion angepaßte Differenzierung auf. So sind im funktionsfähigen Zustand der Zellkern und mit ihm Dictyosomen, Ribosomen, Mikrotubuli und Mikrofilamente aus dem Cytoplasma verschwunden, während die Mitochondrien und Plastiden eine Umstrukturierung bzw. einen partiellen Abbau erfahren haben. Das Endoplasmatische Retikulum bleibt zwar erhalten, unterliegt aber einer Veränderung insofern, als es sich parallel zur Längsachse der Siebröhre orientiert. Auffallend ist die Präsenz von zahlreichen Enzymen des Kohlenhydrat-Stoffwechsels, welche mit der Funktion der Siebröhre in engem Zusammenhang steht (s. S. 196 f). Da der Tonoplast teilweise aufgelöst ist, fehlt die klare Abgrenzung des Cytoplasmas gegen die Vakuole, vor allem im Bereich der Querwände (Siebplatten). Deshalb spricht man vom Lumen der Siebröhre. Das Plasmalemma ist hingegen normal ausgebildet. Typisch für die Siebröhren von Angiospermen ist das Auftreten von P-Protein (P von Phloem) im Cytoplasma. Diese Aggregate von fibrillären Proteinen haben sicherlich nichts mit dem eigentlichen Transportgeschehen zu tun. Möglicherweise werden sie im Notfall, z. B. bei Verletzung, zur Verstopfung der Siebplattenporen herangezogen. Die Funktionsfähigkeit einer Siebröhre ist allgemein auf eine Vegetationsperiode beschränkt; meistens werden dann die Siebplattenporen, welche während der metabolischen Aktivität geöffnet sind, durch Kallose (S. 252) verschlossen. Zu den Geleitzellen besteht oft ein enger physiologischer Kontakt, wie die zahlreichen Plasmodesmen zwischen ihnen und den Siebröhrengliedern anzeigen. Welche Bedeutung die Geleitzellen für die Leitfunktion der Siebröhren haben, ist noch unbekannt (s. u.). Immerhin deutet ihr Aufbau auf hohe Aktivität hin: großer Zellkern, wenig vakuolisiertes Cytoplasma mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von Mitochondrien und Ribosomen.
Den Siebzellen der Gymnospermen fehlen die typischen Geleitzellen; ihre Funktionen übernehmen vermutlich benachbarte Parenchymzellen des Phloems bzw. Bastes (Strasburger-Zellen). Zwischen ihnen und den Siebzellen sind zahlreiche Plasmodesmen ausgebildet. Die Analyse des Siebröhrensaftes zeigt, daß der überwiegende Anteil der gelösten und geleiteten Verbindungen aus Saccharose besteht; ihr Anteil liegt etwa zwischen 5 und 15%. Die Saccharose (s. S. 225) bildet die wichtigste Transportform für Kohlenhydrate, möglicherweise auch für Fette, die zuvor in Kohlenhydrate umgewandelt werden müssen (vgl. S. 317 ff). So wird die in den Chloroplasten während des Tages gebildete Assimilationsstärke während der nächtlichen
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3 Photosynthese
Dunkelperiode abgebaut und als Saccharose zu den Orten des Verbrauchs geleitet. Außer ihr werden in geringen Mengen auch Aminosäuren, Amide, Carbonsäuren (organische Säuren), Nucleotide sowie einige Vitamine und Phytohormone befördert; an anorganischen Ionen sind die Kationen K+ und Mg2 + sowie Phosphat-Anionen (H2PO4 – ; HPO42 – ) reichlicher vertreten. Auch Virus-Partikel sollen über die Siebröhren verbreitet werden. In Ausnahmefällen übernehmen Raffinose (S. 229) oder auch Stachyose (S. 230) bzw. Verbascose die Funktion von Saccharose, seltener auch Mannit oder Sorbit. Als Transportform für Schwefel fungiert vermutlich das Tripeptid Glutathion (S. 474). Auch für die Verteilung von Phytohormonen sollen Siebröhren zuständig sein. Der Transport in den Siebröhren erfolgt bei einigen Pflanzenarten mit recht unterschiedlicher Geschwindigkeit. Sie liegt zwischen wenigen Zentimetern und einigen Metern pro Stunde. Zur Gewinnung von Siebröhreninhalt s. Box 3.21 (S. 198).
Beladung. Hierbei handelt es sich um einen aktiven Prozeß, welcher Saccharose in die Siebröhre bzw. Siebzelle befördert und dort anreichert – bis zu 40fach gegenüber den Blattzellen. Diese oder zwischengeschaltete Phloem-Parenchymzellen sollen nach neueren Untersuchungen das Discaccharid, aber auch Aminosäuren (Glutamin, Glutamat und Aspartat) zunächst in den apoplastischen Raum sezernieren, wenn wie im Falle von Zuckerrübe und Mais relativ wenige Plasmodesmen zwischen Blattzelle bzw. Geleitzelle und Siebröhre vermitteln (Theorie der apoplastischen Phloembeladung; Abb. 3.65); offenbar gelangt in vielen Fällen die Saccharose tatsächlich dann via Geleitzelle in die Siebröhre. Sie passiert das Plasmalemma der ersteren mittels Protonen-Symport, vermittelt durch einen H+-Saccharose-Transporter. Der zugrundeliegende Pro-
PhloemParenchymzelle
Apoplast
Geleitzelle
TL Saccharose
Siebröhre
Abb. 3.65 Apoplastische Phloem-Beladung der Siebröhren mit Saccharose (Modell).
PL Saccharose
H+
H+
ATP ATPase ADP, Pi
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3.8 Transport der Assimilate
197
tonengradient wird von einer membrangebundenen H+-ATPase etabliert, welche Protonen aus der Geleitzelle in den Apoplasten befördert (Protonenpumpe; S. 36). Alternativ findet auch symplastische Beladung der Siebröhre statt; dieser Mechanismus ist offensichtlich dann verwirklicht, wenn Oligosaccharide die Saccharose als Transportform für Kohlenhydrate vertreten (s. o.). Voraussetzung ist sicherlich eine ausreichende Anzahl von Plasmodesmen zwischen Phloem-Parenchymzelle und Siebröhre (Cucurbita). Als Transportform für organisch gebundenen Stickstoff fungiert jetzt überwiegend Citrullin, während die typischen Aminosäuren (s. o.) in den Hintergrund treten.
3.8.2
Transportmechanismus
Der genaue Mechanismus der Assimilatleitung, d. h. des „Langstreckentransportes“ von Saccharose oder Raffinose sowie von anderen organischen Verbindungen, ist noch ungeklärt. Im Gegensatz zur Fernleitung des Wassers (S. 43) reichen offenbar rein physikalische Vorgänge zur Erklärung dieses Geschehens nicht aus. Von den verschiedenen Hypothesen und Modellvorstellungen ist die von Münch 1926 – 1930 entwickelte Druckstrom-Theorie trotz aller Kontroversen auch heute noch aktuell. Danach soll die Ursache der für den Transport verantwortlichen Druckströmung ein Gradient der Saccharoseverteilung und damit eine osmotische Potentialdifferenz in den Siebbahnen sein: Im Bereich des Blattes (source! engl., „Quelle“ oder Lieferant) resultiert aus dem reichlichen Übertritt von Assimilaten in die Siebröhren eine relativ konzentrierte Lösung, welche osmotisch Wasser aufnimmt und den Turgordruck in den Siebröhren ansteigen läßt. Hingegen wird am Ort des Verbrauchs (sink! engl. „Ausguß“ oder Abnehmer) durch ständige Entnahme von Assimilaten der osmotische Wert der Siebröhrenflüssigkeit stark erniedrigt; Wasser strömt nun aus. Aufgrund dieser osmotischen Potentialdifferenz oder Druckdifferenz soll die Lösung in den Siebröhren als Massenströmung vom Bereich hoher Konzentration (source) zu dem geringer Konzentration (sink) fließen. Diese Bewegung dauert an, solange am source-Ende der Leitbahn die Assimilate akkumuliert und am sink-Ende ständig abgenommen werden. Die Geschwindigkeit der Strömung wäre demnach vor allem vom Gradienten des osmotischen Potentials und vom Widerstand in den Siebröhren abhängig. Der nach diesem Mechanismus zu fordernde gleichgerichtete Transport verschiedenartiger gelöster Verbindungen ist experimentell nachgewiesen worden (selbst Virus-Partikel bewegen sich in der gleichen Richtung wie die Zuckermoleküle!). Der Nachweis einer gleich schnellen Bewegung hingegen ist wegen der bestehenden methodischen Schwierigkeiten bisher nicht überzeugend gelungen. Obwohl diese und weitere Fakten die Vorstellungen von Münch stützen, scheinen andere damit unvereinbar. Problematisch ist vor allem die postulierte gute Durchlässigkeit der plasmadurchsetzten Siebporen für die Massenströmung.
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3 Photosynthese
Osmotische Vorgänge bilden auch die Grundlage der alternativen Volumenstrom-Theorie (Eschrich). Diese sind allerdings lokal begrenzt und können sich entlang der gesamten Oberfläche des Siebröhren-Protoplasten abspielen, weil dort entsprechend Saccharose, d. h. ortsunabhängig, aufgenommen oder auch abgegeben werden kann. Die dadurch ausgelöste Wasserbewegung zwischen Lumen und Apoplast soll zu lokalen Volumenänderungen führen, in deren Gefolge die Saccharosemoleküle in Bewegung gesetzt werden. Aufgrund der weitgehend ungehinderten Passage von Wassermolekülen zwischen Lumen und Apoplast, bleiben diese weitgehend ortsfest oder stationär. Im Gegensatz zu einer Massenströmung, welche gleichermaßen Wasser und darin gelöste Substanzen bewegt, wandert hier allein die Saccharose in Längsrichtung durch die Siebröhre. An die Stelle des longitudinalen Druckgradienten bzw. der osmotischen Potentialdifferenz nach der Druckstrom-Theorie tritt jetzt eine Abfolge von quergestellten oder transversalen osmotischen Teilgradienten. Möglicherweise wirken Teilprozesse sowohl von Druckstrom als auch von Volumenstrom beim Siebröhrentransport zusammen; Belege hierfür konnten mit Hilfe der eingangs beschriebenen Methoden erhalten werden. Box 3.21
Aphidentechnik
Zur Entnahme von Siebröhrensaft aus der intakten Pflanze benutzt man mit Erfolg Blattläuse, da diese mit ihrem Saugrüssel gezielt ein einzelnes Siebröhrenglied anbohren. Wird der Insektenkörper durch einen Schnitt vom Rüssel getrennt, so bleibt dieser wie ei-
3.8.3
ne winzige Kanüle in der Siebröhrenwand stecken; Siebröhrensaft beginnt durch diese nach außen abzufließen, weil im Innern der Siebröhre der Turgordruck relativ stark ist. Die entstehenden Tropfen werden abgenommen und untersucht.
Transportrichtung
Der oben beschriebene „Abwärtsweg“ der Assimilate stellt eine starke Vereinfachung insofern dar, als in der Pflanze je nach der Lokalisation des produzierenden Organs oder Gewebes organische Verbindungen durchaus auch „aufwärts“ transportiert werden können. Dies ist nachweislich im Jugendstadium schnell wachsender Pflanzen der Fall, wo von den fertig ausgebildeten Blättern Assimilate an die darüber angeordneten jüngeren und noch wachsenden geliefert werden. Auch experimentell läßt sich eine Umkehrung der ursprünglichen Transportrichtung auslösen, indem man beispielsweise einzelne Blätter aus einer bestimmten Sproßregion entfernt und somit eine Zone schafft, deren Assimilatversorgung dann von darunter angeordneten Blättern übernommen wird. Diese fungieren nun als Lieferant oder „Quelle“, source (s. o.), und dirigieren durch ihre Position den Assimilatfluß zum „Abnehmer“, sink (s. o.), d. h. in jenen Bereich, dessen Assimilatproduktion künstlich ausgeschaltet wurde. Entsprechend wird auch in einzelnen Bereichen des intakten und wachsenden Sprosses die jeweilige Anordnung von source und sink die Richtung des Assimilattrans-
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
199
portes bestimmen. Dabei kann u. U. eine source zwischen zwei sinks angeordnet sein, was auf einen Transport in entgegengesetzten Richtungen im Phloem hinausläuft. Ob ein solcher bidirektioneller Transport tatsächlich vorkommt, ist umstritten.
Entladung. Die Ausschleusung von Saccharose aus der Siebröhre am Ort des Bedarfs bzw. des Verbrauchs (sink) erscheint auf den ersten Blick insofern unproblematisch, als der Zucker wegen seiner relativ starken Anreicherung in der Siebröhre durch katalytische Permeation in den Apoplasten übertreten sollte. Tatsächlich haben sich Hinweise für die Mitwirkung eines Saccharose-spezifischen Carriers in der Plasmamembran des Siebröhren-Protoplasten ergeben. Das eigentliche Problem dabei ist die erforderliche schnelle Abführung der in den Apoplasten gelangten Saccharose, um einerseits ihren aktiven Rücktransport in die Siebröhre, andererseits ihre Akkumulation und damit die allmähliche Blockierung des Abflusses aus der Siebröhre zu verhindern. Abhilfe schafft eine apoplastisch lokalisierte Invertase, ein Enzym, welches Saccharose hydrolytisch in die Hexosen Glucose und Fructose zerlegt (S. 228). Da beide sehr schnell von den Zellen des Sink-Gewebes, nicht aber von der Siebröhre, aufgenommen und verarbeitet werden, kann Saccharose in dem Umfang dem Apoplasten zugeführt werden, wie sie dort dem Abbau unterliegt.
3.9
Photosynthese ohne Sauerstoff
3.9.1
Allgemeines
Wie bereits erwähnt, existiert eine zweite Form der Photosynthese, welche keinen Sauerstoff produziert und deren lichtabhängige Kohlendioxid-Reduktion mit der Oxidation von anorganischen oder organischen Verbindungen gekoppelt ist. Vieles deutet darauf hin, daß sie nicht die Fähigkeit zur Photolyse des Wassers besitzt und entsprechend ihre Reduktionsäquivalente über andere Mechanismen gewinnen muß. Phototrophe Bakterien sind die wichtigsten Vertreter jener Organismen, bei denen kein molekularer Sauerstoff als Endprodukt der Photosynthese entsteht, mehr noch: diese funktioniert überhaupt nur in seiner Abwesenheit, d. h. im Zustand der Anaerobiose. Aber auch Cyanobakterien und einige Grünalgen sind in der Lage, für die Kohlendioxid-Reduktion im Licht andere Elektronendonatoren als Wasser zu verwenden. Zweifellos handelt es sich bei diesen Photosynthese-Mechanismen um Relikte phylogenetisch sehr alter Formen, welche auf eine Atmosphäre ohne nennenswerte Sauerstoffanteile eingestellt waren und heute nur noch in entsprechenden ökologischen Nischen überleben können. Ihre Funktionsweise wollen wir nachfolgend bei den drei Organismengruppen näher untersuchen. Bei den zur Photosynthese befähigten (phototrophen) Bakterien übernehmen Bakteriochlorophylle (z. Struktur s. S. 80) und einige Carotinoide die Strahlungsabsorption. Diese Pigmente sind an typische Membranstrukturen gebunden, welche teilweise mit dem Thylakoiden der Chloroplasten höherer Pflanzen vergleichbar sind (S. 94 ff). Obwohl allen phototrophen Bakterien eine photo-
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200
3 Photosynthese
Box 3.22
Gliederung photosynthetisch aktiver Bakterien
Purpurbakterien umfassen zwei Familien: 1. Rhodospirillaceae (früher: Athiorhodaceae oder „schwefelfreie Purpurbakterien“) mit den Gattungen Rhodospirillum, Rhodopseudomonas, Rhodobacter, Rhodomicrobium, Rhodocyclus/Rhodopila 2. Chromatiaceae (früher: Thiorhodaceae) mit den Gattungen Chromatium, Thiospirillum, Thiocystis, Thiocapsa u. a.
Bei den Grünen Schwefelbakterien werden zwei Familien unterschieden: 1. Chlorobiaceae mit den Gattungen Chlorobium, Chlorochromatium u. a. 2. Chloroflexaceae („Grüne Bakterien“) vor allem mit der Gattung Chloroflexus. Aus der Gruppe der Heliobakterien sind bisher Vertreter von drei Gattungen bekannt: Heliobacterium, Heliospirillum und Heliobacillus. Alle sollen Bakteriochlorophyll g enthalten.
synthetische Sauerstoffproduktion fehlt, verwenden sie im Licht bei Abwesenheit von Sauerstoff exogene Elektronendonatoren unterschiedlichster Art: organische Verbindungen, molekularen Wasserstoff, Schwefelwasserstoff, Sulfit, Thiosulfat, und zwar unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer der in Box 3.22 aufgelisteten Hauptgruppen. Die Abgrenzung der Rhodospirillaceae gegen die Chlorobiaceae basierte ursprünglich auf der unterschiedlichen Färbung: Den letzteren fehlt als Carotinoid u. a. das typische, zwischen 440 und 560 nm absorbierende Spirilloxanthin (19, s. S. 90). Dieses rötlich-violett gefärbte Pigment überdeckt zusammen mit weiteren Carotinoiden die grüne Farbe des Bakteriochlorophylls. Die lichtabhängige Oxidation von anorganischen Schwefelverbindungen durch strikt phototrophe (photolithotrophe) Bakterien ist schon früh erkannt worden, da sich der gebildete freie Schwefel in leicht unterscheidbaren Tröpfchen in den Zellen ablagert (Van Niel). Für die stattfindende chemische Umsetzung ergibt sich folgende Bruttogleichung: 6 CO2 + 12 H2S
3.9.2
h.ν
C6H12O6 + 12 S + 6 H2O
Purpurbakterien Photosystem und Lichtreaktion
Die Purpurbakterien sind wegen der recht intensiven Erforschung ihres Stoffwechsels am besten geeignet, uns mit der Bakterienphotosynthese vertraut zu machen. Sie arbeitet im Unterschied zu den höheren Pflanzen und Algen sowie den Cyanobakterien nur mit einem Photosystem und einer Lichtreaktion. Dies erklärt, warum oft nur die Bildung von Energieäquivalenten stattfindet, während die Bereitstellung von Reduktionsäquivalenten nur fakultativ damit gekoppelt ist oder sogar unabhängig von der Lichtreaktion erfolgt. Daher neigte man zunächst zu der Ansicht, daß der photochemische Apparat ähnlich wie
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
201
Photosystem I konstruiert sei; dies hat sich jedoch nur für die Grünen Schwefelbakterien bestätigen lassen. Bei den Rhodospirillaceae und Chromatiaceae kam überraschenderweise eine größere Übereinstimmung mit Photosystem II zutage – ein Befund, welcher vordergründig mit der fehlenden Sauerstoffproduktion photosynthetisch aktiver Bakterien schlecht vereinbar erscheint. In Analogie zu den beiden Photosystemen der höheren Pflanzen setzt sich auch das Photosystem der Rhodospirillaceae aus einem Lichtsammlersystem (Antennenkomplex) und dem Kern-(Core-)Komplex mit dem Reaktionszentrum zusammen. Sie sind zu einem supramolekularen Komplex der Thylakoidmembran vereinigt, welche auf die intracytoplasmatische Membran (ICM, S. 93) zurückgeht. Das Lichtsammlersystem ist intramembran angeordnet und gleicht darin den entsprechenden Einrichtungen bei den Photosystemen der höheren Pflanzen. Es gliedert sich in die akzessorischen oder „äußeren“ (LHC 2) Pigmentkomplexe B 800 – B 820 und B 800 – B 850 (B von bulk, engl.: Masse des Antennen-Chlorophylls) und die „inneren“ (LHC 1) Komplexe B 870, B 880, B 920 und B 1020, welche entsprechend dem Kern-(Core-)Komplex des Photosystems zugerechnet werden (Abb. 3.66). Die Vertreter beider Kategorien sind nach dem typischen Rot-Absorptionsmaximum des gebundenen Bakteriochlorophylls benannt worden. Mit 918 nm liegt das Absorptionsmaximum von Bakteriochlorophyll a bei komplexer Bindung am weitesten im langwelligen Rotbereich; entsprechend enthält B 1020 ausschließlich Bakteriochlorophyll b. Als Grundeinheit der inneren oder Kernkomplex-assoziierten Pigment-Protein-Komplexe (LHC
Cytoplasma
H LHC 2 B 800 /820
LHC 1 B 870 B 880 B 920
B 800/850
LHC 1 B 870
QA
QB BPheM
BPheL
BChlM
BChlL
B 880
LHC 2 B 800 /820
B 920 B 800/850
B 1020
B 1020 M
B Chl 2 C-559
h.ν
C-554
C-566 C-552 Cytochrom
Abb. 3.66 Modell des Photosystems von Purpurbakterien (Rhodospirillaceae, Chromatiaceae). Der vermutete Weg des
L Intrathylakoidraum
photoemittierten Elektrons ist eingezeichnet (Einzelheiten im Text).
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202
3 Photosynthese
1) ist ein Heterodimer aus einem α- und einem β-Polypeptid ermittelt worden. Dieses kann um ein γ-Polypeptid erweitert sein (s. u.). Auch bei den akzessorischen oder „äußeren“ Pigmentkomplexen (LHC 2) bilden ein α- und ein β-Polypeptid die Grundeinheit. Bestimmungen der Molmasse (Gelfiltration, Gelelektrophorese unter nichtdenaturierenden Bedingungen, Ultrazentrifugation, Neutronenbeugung an kristallisierten Präparationen von LHC 2) zeigen, daß die Grundeinheit hier zu oligomeren Strukturen von definierter Größe aggregiert. Jede bindet 2 – 3 Moleküle Bakteriochlorophyll sowie 1 Carotinoidmolekül. Im LHC 2-Komplex von Rhodobacter capsulatus wurde ein drittes Polypeptid – γ – gefunden, welches vermutlich kein Pigment anlagert. Es erweitert möglicherweise auch bei anderen Spezies die Grundeinheit zu einem Heterotrimer. Aus der Anordnung der einzelnen Pigment-Protein-Komplexe resultiert ein gerichteter Energietransfer von den außen gelegenen, im kurzwelligen Rotbereich absorbierenden Komponenten über die zentral angeordneten mit maximaler Absorption im längerwelligen Rot zum Reaktionszentrum: B 800 – 820/ B 800 – 850 씮 B 870/B 880/B 920/B 1020 씮 P-870 bzw. P-960 (s. u.). Die Bedeutung dieser Konstruktion als Sammelfalle für absorbierte Quanten ist schon eingehend diskutiert worden (S. 124 ff). Die Vielfalt in der Konstruktion des Lichtsammlersystems, welche sich im Verlauf der Evolution herausgebildet hat, ist ein Ausdruck der mehr oder weniger starken Eigenentwicklung einzelner Gruppen von photosynthetisch aktiven Bakterien. So sind offensichtlich nicht immer alle sechs beschriebenen Pigmentkomplexe im Lichtsammlersystem der Vertreter von Rhodospirillaceae und Chromatiaceae vollzählig vorhanden. Teilweise wird die Ausbildung einzelner Komplexe auch von äußeren Faktoren, z. B. Lichtstärke oder Lichtqualität, mitbestimmt.
Der Kern-(Core-)Komplex der Purpurbakterien besteht aus den schon beschriebenen inneren vier Pigmentkomplexen des Lichtsammlersystems (s. o.) und dem Reaktionszentrum (s. Abb. 3.66). Diesem gehören immer zwei pigmentbindende Polypeptide an, welche in Anlehnung an ihre apparenten Molmassen als L (light, engl., ca. 21 kDa) und M (medium, ca. 24 kDa) bezeichnet worden sind. Deren aktuelle, d. h. aus der Aminosäuresequenz abgeleiteten Werte (s. S. 11), betragen 31,3 kDa bzw. 34,3 kDa. Hinzu kommt bei Rhodopseudomonas (Rps.) viridis und Rps. sphaeroides das Polypeptid H (heavy; ca. 28 kDa bzw. 28,3 kDa) als weitere Untereinheit, welche jedoch kein Pigment bindet. Für Rps. viridis und eine Anzahl anderer Spezies der photosynthetisch aktiven Bakterien ist ein weiteres Polypeptid als vierte Untereinheit typisch; es handelt sich um ein Cytochrom vom C-Typ (S. 132) mit 4 Häm-Eisen-Zentren, von denen zwei – c-559 und c-554 – mehr zum photochemischen Zentrum, die beiden anderen – c-552 und c-566 – mehr zur Membranseite orientiert sind. L und M sind transmembrane Proteine und bilden das Kernstück des Reaktionszentrums. Sie tragen neben Pigmentmolekülen gemeinsam weitere funktionelle Komponenten. Ihre Aminosäuresequenzen zeigen einen hohen Grad an Homologie. Eine große Ähnlichkeit im Aufbau und teilweise auch in der Funktion
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
203
besteht mit den Untereinheiten D 1 und D 2 des Reaktionszentrums von Photosystem II; welche Konsequenzen sich hieraus ergeben, ist schon dargelegt worden (S. 124 f). Zu den funktionellen Komponenten gehören: 1. Eine spezielle Form von Bakteriochlorophyll a – Pigment 870 (P-870) oder von Bakteriochlorophyll b (Rps. viridis) – Pigment 960 (P-960), welche jeweils ein Paar (Dimer) – [BChl]2 – bildet 2. zwei monomere Moleküle Bakteriochlorophyll a bzw. b (BChlL, BChlM) 3. zwei Moleküle Bakteriopheophytin a bzw. b (BPheL, BPheM) 4. zwei Chinone – QA und QB, das erste mit Ubichinon 50 oder Menachinon (51; bei Rps. viridis), das zweite mit Ubichinon identisch 5. ein Nicht-Häm-Eisenatom 6. 1 – 2 Carotinoidmoleküle. Bei Rps. viridis ist das für diesen Organismus typische C-Cytochrom (s. o.) an M gebunden. Die Bindungsstelle für QB ist das Ziel von Herbiziden, welche mit dem Chinon um diese konkurrieren. Damit ergibt sich eine erstaunliche Parallele zur Untereinheit D 1 von Photosystem II (S. 124 f). – Die Funktion von Untereinheit H ist noch unklar.
Photochemische Reaktion und angeschlossener Elektronentransport Wir betrachten zunächst die Verhältnisse bei zwei Vertretern der Rhodospirillacea, Rhodobacter sphaeroides und Rhodopseudomonas (Rps) viridis. Durch Absorption eines Photons geht das Spezialpaar von P-870 bzw. P-960 in den angeregten Zustand – [BChl]2* über und emittiert ein Elektron; zurückbleibt [BChl]2+, vermutlich als asymmetrisches Dimer. Trotz der symmetrischen, paarweisen Anordnung der Funktionskomponenten im Reaktionszentrum werden höchstwahrscheinlich nur die des L-Weges für den anschließenden Elektronentransfer benutzt (s. Abb. 3.66). Das emittierte Elektron erreicht sehr schnell (ca. 4 ⋅ 10 – 12 s) den Primärakzeptor Bakteriopheophytin (BPheL), möglicherweise unter Vermittlung der beiden monomeren Bakteriochlorophyllmoleküle. Der weitere Weg führt über QA, den Sekundärakzeptor, zum QB. Das entstehende Semichinon benötigt ein zweites, photochemisch produziertes Elektron, um als Hydrochinon – QBH2 – freizuwerden und damit als beweglicher Elektronenüberträger zu fungieren. Die erforderliche, erneute Photoanregung ist jedoch nur dann möglich, wenn der oxidierte primäre Elektronendonator P-870+ bzw. P-960+ zuvor sein Elektronendefizit auf Kosten eines sekundären Elektronendonators ausgeglichen hat. Dessen Funktion übernimmt bei Rhodobacter sphaeroides das an der periplasmatischen Membranseite frei bewegliche Cytochrom c2. Bei Rps. viridis ist vermutlich die festgebundene Cytochrom-Einheit (s. o.) bei diesem Übertragungsschritt zwischengeschaltet. Nach Übernahme des zweiten mobilisierten Elektrons und gleichzeitiger Bindung von zwei Protonen wird QBH2 mobil und gegen ein oxidiertes Chinon-Äquiva-
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3 Photosynthese
204
h.ν
e
Cyt c2
e
Sp BChB
P-870 e
BPhe e QB e
Fe
QA
Abb. 3.67 Struktur des Reaktionszentrums im Photosystem von Rhodobacter sphaeroides. Wanderung des emittierten Elektrons nach Photoanregung über die funktionellen Komponenten; ihre Reihenfolge in den beiden parallel angeordneten „Ästen“ ist näherungsweise wiedergegeben. BChl Bakteriochlorophyll a BPhe Bakteriopheophytin a QA und QB Ubichinon Sp Spezialpaar von Bakteriochlorophyll a, [BChla]2
lent ausgetauscht; es agiert nun als erstes Glied einer sich anschließenden Elektronentransportkette. Mit der Abgabe eines Elektrons von reduziertem Cytochrom c2 an P-870+ bzw. P-960+, wodurch deren Ladung neutralisiert wird, schließt sich der Kreis von Reaktionen, welcher zur Ladungstrennung und zur Bildung von Ubihydrochinon bzw. Menahydrochinon führt und zwei oxidierte Cytochrom c2 hinterläßt (Abb. 3.67). Ubihydrochinon (50) bzw. Menahydrochinon (51) bildet vermutlich ein Reservoir (Pool) für Elektronen, welches nicht nur vom lichtgetriebenen Elektronenfluß, sondern vielleicht auch von externen Elektronendonatoren beschickt wird (s. Abb. 3.71). Abgegeben werden Elektronen zur Reduktion von [BChl]2+ über eine in sich geschlossene Reaktionskette aus mehreren Redoxkatalysatoren, deren Potentiale diese gerichtete Bewegung ermöglichen (Abb. 3.68): Zyklischer Elektronentransport (vgl. S. 135 f). Reduziertes Chinon als mobiler Überträger in der fluiden Membran (S. 128) transferiert Elektronen zum Cytochrom b/c1Komplex (Cyt b/c1-Komplex), einem integralen Membrankomplex aus mindestens 3 Polypeptiden mit folgenden aktuellen Molmassen: Cytochrom b (49,4 kDa, Rhodobacter capsulatus), Cytochrom c1 (30,3 kDa) und Rieske-Protein mit Eisen-Schwefel-Zentrum (20,4 kDa; s. S. 133). Die Apoproteine der beiden Cytochrome sind sehr ähnlich wie die von Cytochrom b6 bzw. f im entsprechenden Membrankomplex der Chloroplastenthylakoide aufgebaut; mögliche Schlußfolgerungen aus diesem überraschenden Faktum sind bereits erörtert worden (S. 133 f). Cytochrom b, welches als größte Untereinheit die Membran mit 9 α-Helices durchspannt, bindet kovalent zwei Häm-Gruppen: b566 – bL (EM = – 0,090 Volt) – und b562 – bH (EM = + 0,050 Volt). Die Wirkgruppe von Cytochrom c1 (EM = + 0,3 Volt) ist fest an ein Sequenzmotiv des Apoproteins mit der Folge – Cys – X – Y – Cys – His – gebunden. Das Potential des Eisen-SchwefelZentrums im Rieske-Protein wurde mit EM = + 0,28 Volt bestimmt. Der Cyt b/c1Komplex verfügt vermutlich über zwei Chinon-Bindungsstellen: QC und QZ.
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
Abb. 3.68 Lichtgeförderte Elektronenbewegung und Aufbau eines transmembranen Protonengradienten bei Vertretern der Rhodospirillaceae.
EM (Volt) –1,0 –0,8
B ChB * 2 B ChBL
–0,6
–0,2
h.ν
QA
0
+ 0,6
QB
Q ATP
+ 0,2 + 0,4
H+
B PheL
–0,4
205
Cyt b/Cyt c1 (Cyt c)
[B ChB]2
Cyt c2
[2 Fe-2S]
H+
∆pH ADP, Pi
+ 0,8
Die Elektronenbewegung vom reduzierten Chinon zum Cyt b/c1-Komplex markiert den Wechsel vom 2-Elektronen-Übergang (Wasserstoffübertragung) zum 1-Elektron-Übergang, welcher mit der Freisetzung von Protonen verbunden ist. Diese werden in den Thylakoidbinnenraum abgeführt, während die Elektronen oxidiertes Cytochrom c2 reduzieren (s. o.). Damit agiert der Cyt b/c1-Komplex wie eine Protonenpumpe (S. 36), angetrieben von der elektrischen Potentialdifferenz, welche letztlich durch die Ladungstrennung im Reaktionszentrum erzeugt wird. Gleichzeitig hat der Komplex auch die katalytische Aktivität einer Hydrochinon-Cytochrom c-Oxidoreduktase. Da pro Elektronenpaar 4 Protonen transferiert werden, kommt es im Licht zur Ausbildung eines transmembranen Protonengradienten, welcher – wie im Chloroplasten – die Bildung von Energieäquivalenten durch Phosphorylierung von ADP ermöglicht (s. u.). Cytochrom c2 als beweglicher Überträger (Elektronen-Shuttle) ist in seiner Funktion vergleichbar mit dem Plastocyanin; wie dieses ist auch Cytochrom c2 an der Innenseite der Membran, d. h. an der periplasmatischen Seite, lokalisiert. Seine Polypeptidstruktur zeigt deutliche Homologie mit der von Cytochrom c der Mitochondrien (S. 290). Ubichinone stehen chemisch dem Plastochinon der Chloroplasten nahe und gehören wie diese zur Gruppe der Polyprenylchinone (S. 378 ff). Wie der Name sagt, sind sie in der Natur weit verbreitet. Die Ubichinone bestehen wie alle Chinone aus einem aromatischen Ring mit einer Seitenkette (s. Formel 50). Neben der Methyl-Gruppe in ortho-Stellung trägt er noch zwei Methoxy-Gruppen. Am Aufbau der Seitenkette kann eine unterschiedliche Anzahl von Isopren-Resten beteiligt sein; entsprechend bezeichnet man die Verbindungen als UQ2, UQ6 bzw. UQ10 (Biosynthese: S. 380). Im Ubichinon der phototrophen Bakterien sind es 7 – 10 Isopren-Reste. Die Übertragung von Wasserstoff bzw. von Elektronen erfolgt in gleicher Weise wie beim Plastochinon/Plastohydrochinon-System (S. 128):
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206
3 Photosynthese OH
O CH3
H3CO H3CO
H O
CH3
+ 2 H +, + 2 e
H3CO
– 2 H +, – 2 e
H3CO
n
50 Ubichinon
CH3 H OH
CH3
n
Ubihydrochinon
Bei Rhodopseudomonas viridis und Chloroflexus aurantiacus tritt ein Naphthochinon, nämlich Menachinon (51), an die Stelle von Ubichinon. O CH3 H O
CH3
n
51 Menachinon
Die Darstellung der räumlichen Anordnung der funktionellen Komponenten im Reaktionszentrum und der von ihnen vorgegebenen Elektronenbewegung (Abb. 3.67) basiert auf den Ergebnissen von spektroskopischen Untersuchungen in Verbindung mit Röntgenstrukturanalyse (S. 120) durch Michel, Deisenhofer u. Huber* sowie Chang, Schiffer u. Mitarb. Diese wurde möglich, nachdem die Kristallisation des Reaktionszentrums von Rps. viridis, später auch von Rhodobacter sphaeroides, gelungen war (zur Technik s. Box 3.9, S. 120).
3.9.3
Grüne Schwefelbakterien Photosystem und Lichtreaktion
Bei diesen treffen wir auf eine andersartige Organisation des Photosystems, vor allem des Lichtsammlersystems. Als Modellfall für die Chlorobiaceae betrachten wir Chlorobium limicola f. thiosulfatophilum. Hier treten zu den intramembranen Pigmentkomplexen, wie sie für die Purpurbakterien typisch sind, weitere extramembrane, die Chlorosomen (Abb. 3.69). Sie liegen als längliche Vesikel (max. 260 ⋅ 100 nm; ⭋ ca. 50 nm) der inneren Oberfläche der Cytoplasmamembran mit einer Basalplatte (5 bis 6 nm dick) auf. Die aus Glykolipiden (S. 322 ff) und Polypeptiden bestehende Vesikelhülle umschließt als einschichtige Membran einen Stapel von 10 – 30 stabförmigen Elementen (⭋ ca. 10 nm), von denen jedes eine Aggregation von Pigment-Protein-Komplexen darstellt. Starke Absorption um 460 nm und 700 – 750 nm deuten auf die Präsenz der Bakteriochlorophylle c, d oder e (S. 80) sowie von Carotinoiden hin; sie repräsentieren vermutlich die Masse der Antennenpigmente. Neuere Befunde spre-
*
Die drei Forscher erhielten 1988 den Nobelpreis für Chemie.
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
207
Abb. 3.69 Aufbau eines Chlorosoms der Grünen Schwefelbakterien (Chlorobium limicola f. sulfatophilum). Einzelheiten im Text.
H St (B750) M
RZ P840
Cyt
RZ P840
BP (B 790)
B 804
chen dafür, daß Bakteriochlorophyll c nicht an Proteine gebunden ist, sondern oligomere Strukturen ausbildet (Holzwarth u. Mitarb.). Dies würde erklären, warum sich die Absorption dieses Pigments praktisch nicht verändert, wenn die Proteine entfernt werden. Ob diese Oligomere von c mit den stabförmigen Strukturen assoziiert sind, ist ungeklärt. In ihnen soll der Transfer von absorbierter Strahlungsenergie wegen der direkten Wechselwirkung zwischen den Pigmentmolekülen besonders effektiv erfolgen. Entsprechend wandert absorbierte Lichtenergie von Bakteriochlorophyll c sehr schnell und effizient durch das Chlorosom und gelangt zu den Komplexen mit Bakteriochlorophyll a in der Basalplatte (Absorptionsmaximum um 790 nm: B 790), von dort über die intramembranen Pigmentkomplexe des Lichtsammlersystems (Absorptionsmaximum bei 804 nm) zum Reaktionszentrum: B 750 씮 B 790 씮 B 804 씮 P-840 bzw. P-798.
Hinsichtlich des Gehalts an Bakteriochlorophyll, bezogen auf das Reaktionszentrum, übertreffen die Chlorobacteriaceae die Purpurbakterien um etwa das 10fache. Erstere kommen daher mit geringeren Lichtintensitäten aus, vor alllem in tieferen Bereichen der Gewässer. Diese zusätzliche Ausstattung mit peripheren Antennenpigment-Komplexen in Chlorosomen hat ihre Parallele in den Phycobilisomen, den extramembranen Lichtsammlersystemen von Cyanobakterien, Rhodophyceae und Cryptophyceae (S. 94 f). Durch ihre spezifische Absorption erschließen beide Systeme zusätzliche Strahlung für Energietransfer und -transformation.
Das Photosystem von Chlorobium ist wie das der Rhodospirillaceae als integraler Membrankomplex ausgebildet (intramembrane Partikel; ⭋ 10 – 14 nm); dieser findet sich in Vielzahl in jenen Bereichen der Cytoplasmamembran, welche von Chlorosomen bedeckt sind. Der Komplex enthält als Kern ein Reaktionszen-
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208
3 Photosynthese
FA / F B
LHC (intern)
LHC (intern)
FX
Abb. 3.70 Organisation des Photosystems von Grünen Schwefelbakterien (Chlorobium limicola). Modell und der Weg des photoemittierten Elektrons. Einzelheiten im Text.
A1 B 804
BPheM BPheM
BPheL A0
B 804
BChBa (BChBc) [BChB]2 L
M h.ν
c-553 c-551 Cytochrom
trum, dessen Übereinstimmung mit Photosystem I der höheren Pflanzen augenfällig ist (Abb. 3.70). Zwei sehr ähnlich aufgebaute Polypeptide, L und M, bilden vermutlich ein Heterodimer, welches die funktionellen Komponenten in einer gleichartigen symmetrischen Anordnung wie im Reaktionszentrum der Purpurbakterien trägt (s. Abb. 3.66, S. 201): 1 Spezialpaar von Bakteriochlorophyll a, [BChla]2 – Pigment 840 (P-840) oder Pigment 798 (P-798) – als primärer Elektronendonator, 1 Molekül Bakteriochlorophyll a oder c (BChla bzw. BChlc), 1 – 3 Moleküle Bakteriopheophytin (BPhe), A0 (identisch mit BChla?), A1, vermutlich ein Chinon (Phyllochinon? vgl. S. 138), 3 Eisen-Schwefel-Zentren: FX, FA und FB. Als weitere Untereinheiten sollen ein C-Cytochrom mit 4 HämEisen-Zentren und ein kleineres Polypeptid (8 – 14 kDa), welches FA und FB bindet, zum Reaktionszentrum gehören. Die für Purpurbakterien typische Untereinheit H fehlt offensichtlich.
Photochemie und Elektronenbewegung Photoanregung setzt ein Elektron vom Spezialpaar [BChla]2 frei, welches über A0, A1 und FX zu den terminalen Akzeptoren FA und FB (mit [4Fe-4S]-Zentren) gelangt. Möglicherweise wird das Elektron dann von Ferredoxin übernommen und durch eine Oxidoreduktase mit FMN als Wirkgruppe auf NAD(P)+ transferiert: Ein Reduktionsäquivalent entsteht auf diese Weise als stabiles Endprodukt einer nichtzyklischen Elektronenbewegung (Abb. 3.71). Alternativ können Elektronen auch zum Cytochrom b/c1-Komplex inklusive Rieske-Protein fließen, welcher auch hier als Protonenpumpe arbeitet (S. 36); entsprechend wird ein Protonengradient etabliert, welcher die Synthese von ATP ermöglicht (s. u.). Gleichzeitig agiert der Komplex als Cytochrom c-Oxidoreduktase, denn er katalysiert den Elektronenübergang zu dem am Reaktionszentrum gebunde-
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff EM (Volt) –1,0
[B ChB]* 2 B ChB
–0,8
A0
–0,6 –0,4
h.ν
A1 FX
–0,2 0
S2– /S2O32–
+ 0,2 + 0,4 + 0,6 + 0,8
Ferredoxin
FA /FB
[B ChB]2
Cyt c551 (Cyt c553)
Q?
NADH + H+ NAD+
209
Abb. 3.71 Photosynthese der Grünen Bakterien. Zyklischer und möglicher nichtzyklischer Elektronentransport im Licht mit Bildung von Reduktions- und Energieäquivalent bei Vertretern der Chlorobiaceae (Chlorobium limicola) und einigen der Chloroflexaceae. Anorganische Schwefelverbindungen als sekundäre Elektronendonatoren.
ATP Cyt b + Cyt c1 H ∆pH [2 Fe–2S] ADP, Pi
nen C-Cytochrom mit den Häm-Eisen-Zentren c-551 bzw. c-553 (EM ca. + 0,165 Volt). Über dieses erfolgt dann der Ausgleich der Elektronenbilanz von [BChla]2+. Das gleiche Cytochrom kann offensichtlich auch Sulfid oder Thiosulfat als Elektronendonator benutzen, wodurch der Abfluß von Elektronen zwecks Reduktion von NAD(P)+ möglicherweise kompensiert, und gleichzeitig der zyklische Elektronentransport gesichert wird.
3.9.4
Bildung von Reduktionsäquivalenten
Das Redoxpotential des Primärakzeptors ist bei der Mehrzahl der phototrophen Bakterien so schwach negativ, daß eine Bildung von Reduktionsäquivalenten durch direkte photochemische Reduktion energetisch nicht möglich ist. Daher vollzieht sich dieser wichtige Prozeß, d. h. die Reduktion von NAD+, weitgehend unabhängig vom zyklischen Elektronenfluß. Bei den meisten Vertretern der Rhodospirillaceae und Chromatiaceae liefern externe Substrate die erforderlichen Elektronen. Dieser „exogene“ Eintritt vollzieht sich wegen des relativ stark negativen Potentials von NAD+/NADH (E0' = – 0,32 V) gegen das natürliche Energiegefälle; er ist somit ein Prozeß, welcher auf die Zufuhr von Energie, d. h. auf die Spaltung von ATP, aus der zyklischen Photophosphorylierung (vgl. S. 205), angewiesen ist. Dieser als umgekehrter Elektronentransport bezeichnete Mechanismus ist ein typisches Merkmal bakterieller Photosynthese. Dient Succinat – wie in zahlreichen Fällen – als externer Elektronendonator, so müssen Elektronen über eine Spanne von 0,32 V „bergauf“ bewegt werden (Succinat/ Fumarat: E0' = 0,00 V), damit NAD+ reduziert werden kann. Ein abweichendes, gleichwohl „moderneres“ Bild in dem Sinne, daß bei der Bildung von Reduktionsäquivalenten ein nichtzyklischer Weg beschritten wird, bietet sich bei Chlorobium limicola f. thiosulfatophilum. Wie schon dargestellt (s. o.) gelangen
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210
3 Photosynthese
Elektronen von Schwefelwasserstoff oder Thiosulfat über ein FAD-haltiges DihämCytochrom c (Flavocytochrom) sowie zwei weitere Cytochrome vom C-Typ zum P840+. Nach erneuter Anregung steht ihnen der direkte Weg zum NAD+ oder in die zyklische Reaktionssequenz offen. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Systemen verfügt der angeregte Primärakzeptor über ein ausreichend negatives Potential (E0' ⬇ – 0,90 V), um NAD+ direkt photochemisch zu reduzieren (Abb. 3.71).
3.9.5
Photophosphorylierung
Das biologisch wirksame Prinzip, welches der Bildung von Energieäquivalenten zugrunde liegt, ist bereits erläutert worden (S. 147 ff). Auch bei der bakteriellen Photosynthese wird durch membrangebundenen Elektronentransport ein transmembraner Protonengradient in Verbindung mit einem Membranpotential aufgebaut. Gemäß der Chemiosmotischen Theorie (S. 149 f) wird der Ausgleich dieses elektrochemischen Gradienten – hier durch die Rückführung von Protonen aus dem Binnenraum der Thylakoide in das Cytoplasma – zur Synthese von ATP durch einen membrangebundenen F1/F0Komplex oder ATP-Synth(et)ase-Komplex genutzt, welcher dem CF1/CF0-Komplex im Chloroplasten entspricht. Die Primärstruktur seiner Untereinheiten ist hoch konserviert.
3.9.6
Reduktion von Kohlendioxid im Licht
Die Umwandlung von Kohlendioxid in Kohlenhydrat erfolgt bei den Rhodospirillaceae und Chromatiaceae über den gleichen biochemischen Mechanismus wie bei Grünalgen und höheren Pflanzen, nämlich über den Calvin-Zyklus (S. 162 ff). Dessen wichtigste Enzyme, vor allem die Ribulosebisphosphat-Carboxylase sind bei verschiedenen Vertretern phototropher Bakterien nachgewiesen worden. Auch lieferten Kurzzeit-Markierungsexperimente mit 14CO2 (S. 159 ff) die gleichen schnell markierten Verbindungen wie bei der Normalphotosynthese. Da allgemein NAD+ die Funktion als Transportmetabolit für den Wasserstoff übernimmt, wird die Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase (S. 165 f) dieser Organismen durch NAD aktiviert. Bei photoorganotrophen Bakterien ist oft zu beobachten, daß die Kohlenstoffgerüste der als Wasserstoffdonatoren für die Kohlendioxid-Reduktion dienenden organischen Verbindungen (z. B. der Säuren u. Alkohole) im Licht verwertet werden, wobei teilweise Kohlendioxid gebunden wird. Der Prozeß ist bei der Acetatverwertung näher untersucht worden: Rhodospirillaceae, aber auch Vertreter der Chlorobiaceae und Chromatiaceae benutzen diese Kohlenstoffquelle zur Synthese von Pyruvat über Acetyl-Coenzym A (S. 275 ff), welches mit Hilfe von reduziertem Ferredoxin und Pyruvat-Synthase carboxyliert wird: Acetyl-CoA + CO2 + Ferredoxinred 씮 Pyruvat + CoA-SH + Ferredoxinox
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3.9 Photosynthese ohne Sauerstoff
211
Aus Pyruvat entsteht Phosphoenolpyruvat, welches durch erneute Carboxylierung in Oxalacetat übergeht (s. dazu S. 181 f). Mit dieser Schlüsselverbindung ist der Einstieg in den Citratzyklus (S. 280 ff) möglich, welcher im Gegensatz zum dissimilatorischen Abbau in Umkehrung der Reaktionssequenz betrieben wird, d. h. weitere Moleküle Kohlendioxid werden unter Verbrauch von NADH + H+ bzw. Ferredoxinred sowie ATP fixiert. Ein Unterschied besteht hinsichtlich der beteiligten Enzyme: in den Bakterien wird die Synthese von 2-Oxoglutarat aus Succinyl-CoA durch eine spezifische 2-Oxoglutarat-Synthase katalysiert. Dieser reduktive Carbonsäurezyklus liefert über seine Zwischenstufen wichtige Synthese-Bausteine für Aminosäuren und andere zelleigene Verbindungen. Für einige Arten der Rhodospirillaceae zeichnet sich ein anderer Weg für die Verarbeitung von aufgenommenem Acetat ab: sie bilden daraus C4-Dicarbonsäuren über das zyklische Reaktionsgeschehen des Glyoxylatzyklus (S. 318 ff), und nicht durch direkte Carboxylierung (s. o.). Vermutlich fehlt vielen Vertretern der Grünen Bakterien der Calvin-Zyklus; während einige Chlorobium-Arten das Kohlendioxid über den reduktiven Carbonsäurezyklus (s. o.) fixieren, sollen die Spezies von Chloroflexus aus Kohlendioxid und Acetyl-CoA zunächst Pyruvat bilden (s. o.), welches dann direkt in die Synthesen eingeht.
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213
4
Kohlenhydrate
Den quantitativ größten Anteil an der irdischen organischen Substanz stellen die Kohlenhydrate, Verbindungen, welche überwiegend von pflanzlichen Organismen gebildet, vom Menschen und von zahlreichen Tieren aber als wichtiger Nahrungsstoff neben Fetten und Proteinen verbraucht werden. Neben einfachen Zuckern (Monosaccharide) und ihren Derivaten (Zuckersäuren, Zuckernucleotide, Aminozucker) gehören auch zusammengesetzte bzw. makromolekulare Verbindungen (Oligosaccharide, Polysaccharide) zu den Kohlenhydraten. Vielfältig wie ihr Molekülaufbau ist auch die Palette ihrer Funktionen im pflanzlichen Organismus: Baustoff für die meisten Verbindungen, Betriebsstoff der Energiegewinnung, Speicher- oder Reservestoff, Gerüstsubstanz – um nur die wichtigsten zu nennen. Da die meisten Kohlenhydrate Folgeprodukte der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion sind, erscheint ihre Besprechung im Anschluß an diese sinnvoll.
4.1
Monosaccharide
Die biologisch wichtigsten Monosaccharide (Einfachzucker) entstehen bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion als phosphorylierte Triosen, Tetrosen, Pent(ul)osen, Hex(ul)osen und Hept(ul)osen. Mit der Struktur dieser Verbindungen, mit den an ihrer Synthese beteiligten Umsetzungen sowie mit ihrem Transport aus dem Chloroplasten ins Cytosol haben wir uns im vorigen Kapitel vertraut gemacht. Wir wollen uns daher auf die Beschreibung einiger Veränderungen beschränken, welche diese Verbindungen vor dem Eintritt in wichtige Stoffwechselwege erfahren.
4.1.1
Intramolekulare Umlagerungen
Das als „vorläufiges“ Endprodukt des Calvin-Zyklus aufzufassende Hexulosephosphat D-Fructose-6-phosphat (Fru-6-P; 1) erfährt eine rasche Umwandlung zu D-Glucose-6-phosphat (D-Glc-6-P; 2) und zu D-Glucose-1-phosphat (D-Glc1-P; 3) wie Kurzzeitmarkierung mit 14CO2 (S. 160 f) bei Algen und Blättern ergeben hat. Glc-1-P fließt vor allem in die Synthese der Assimilationsstärke. Glucosephosphat-Isomerase katalysiert die reversible Umlagerung zu D-Glucose-6phosphat (s. Reaktionsschema, S. 214). D-Glucose-6-phosphat ist das Substrat der Phosphoglucomutase, welche dessen Umwandlung zu D-Glucose-1-phosphat (3) katalysiert.
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214
4 Kohlenhydrate 6
6
P O CH2 O OH 5 HO 2 CH OH 3 1 2 HO
GlucosephosphatIsomerase
1 D-Fru-6-P
4
HO
CH2 O P 5 O 1 OH OH 3
OH
2 D-Glc-6-P
Dieses entsteht vermutlich dadurch, daß der an einem Serin-Rest im katalytischen Zentrum von Phosphoglucomutase gebundene Phosphorsäure-Rest (daher: Phosphoenzym) auf D-Glc-6-P (2) in die Position 1 übertragen wird (s. Reaktionsschema). Von der entstandenen Zwischenstufe D-Glucose-1,6-bisphosphat (D-Glc-1,6-P2, 4) wechselt dann der Phosphorsäure-Rest vom C-Atom 6 zum Serin-Rest des Enzymproteins: D-Glc-1-P (3) entsteht, während gleichzeitig das Phosphoenzym regeneriert wird. Die als „Initialzündung“ erforderliche Phosphorylierung von Phosphoglucomutase besorgt D-Glc-1,6-P2, welches im Bedarfsfalle aus ATP und D-Glc-1-P unter Mitwirkung des Enzyms Glucophosphat-Kinase synthetisiert wird. Einen entsprechenden Umlagerungsmechanismus wird bei der Bildung von 2-Phospho-D-glycerat eingegangen (S. 266 f). Enzym
Enzym
Serin-Rest CH2 O
6 CH2
OH HO
O O
P
2 D-Glc-6-P
4.1.2
CH2 O
CH2 OH
P
6 CH2
OH
1
OH OH
Enzym
HO
O O
CH2 OH O OH
P 1
O OH
P
P
4 D-Glc-1,6-P2
HO
O OH
P
3 D-Glc-1-P
Hexoseabbau: Pentosephosphatzyklus
Die reduktive Variante dieser zyklischen Reaktionssequenz liegt, wie wir schon wissen, dem Calvin-Zyklus im Chloroplasten zugrunde; sie sorgt dort vorrangig für die Regeneration von D-Ribulose-5-phosphat, der Vorstufe von Ribulose1,5-bisphosphat. Die oxidative Variante, welche in Plastiden, und vermutlich auch im Cytosol aktiv ist, heißt entsprechend oxidativer Pentosephosphatzyklus oder wird nach ihren Entdeckern als Warburg-Dickens-Horecker-Weg bezeichnet. Seine Bedeutung für den Zellstoffwechsel wird überwiegend in der Bereitstellung von C5-Zuckerphosphaten und Reduktionsäquivalenten über den Abbau von Hexosephosphat gesehen. Dieses unterliegt zunächst der direkten Oxidation, gefolgt von Decarboxylierung. Als Endprodukte entstehen neben Reduktionsäquivalenten und Kohlendioxid vor allem Pentose- bzw. Pentulosephosphate (Name!): Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
4.1 Monosaccharide D-Glucose-6-P
215
씮 Pent(ul)ose-5-P + CO2 + 2 NADP-H + H+
Die C5-Zuckerphosphate können aber auch, quasi im „Rückwärtslauf“ des Zyklus, zur Regeneration von Hexosephosphat verwendet werden, wenn es die Stoffwechsellage erfordert. Der oxidative Pentosephosphatzyklus ist ein schönes Beispiel für die von Wieland (1912) entwickelte These der Substratdehydrogenierung als Mittel der biologischen Oxidation.
Entstehung von Pentosephosphat Ausgangsverbindung ist D-Glucose-6-phosphat (2; D-Glc-6-P), welches am C-1 oxidiert wird: Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase spaltet Wasserstoff ab und überträgt ihn auf NADP+ (s. Reaktionsschema). Es entsteht 6-PhosphogluconoP O CH2
P O CH2 O OH
OH
HO
+
NADP
NADPH + H
O
+
HO
Glucose-6-phosphatDehydrogenase
OH 2 D-Glc-6-P
O
OH
OH 5 6-Phosphogluconolacton H2O Mg2+ 1
COO–
6
2
P O CH2 OH HO 3
H C OH OH COO–
3
HO C H 4
1
H C OH 5
OH
H C OH 6
CH2 O P
6 6-Phosphogluconat NADP+ 6-PhosphogluconatDehydrogenase CO2 NADPH + H + H
C
O
CH2 (3) C
H C OH H C OH H C OH
RibosephosphatIsomerase
OH
O
H C OH H C OH
CH2 O P
CH2 O P
8 D-Ribose-5-P
7 D-Ribulose-5-P
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4 Kohlenhydrate
216
lacton (5), welches spontan oder unter Mitwirkung von 6-Phosphogluconolactonase in 6-Phosphogluconat (Gluconsäure-6-phosphat; 6) übergeführt wird. Dieses ist das Substrat einer weiteren Oxidation: Phosphogluconat-Dehydrogenase spaltet erneut Wasserstoff ab, diesmal am C-3, und überträgt ihn auf NADP+. Gleichzeitig wird Kohlendioxid freigesetzt (C-1!). Das Reaktionsprodukt D-Ribulose-5-phosphat (7) steht mit dem Aldo-Isomer D-Ribose-5phosphat (8) im Gleichgewicht, welches durch Ribosephosphat-Isomerase eingestellt wird (s. u.). Damit endet der erste oder oxidative Teilbereich: 2 NADP-H + H+ sind entstanden; das betroffene C-1 wurde als Kohlendioxid eliminiert. Dieser direkte Oxidationsschritt ist historisch von Bedeutung, weil er von Warburg (1931) als erste enzymatische Reaktion mit nachweislicher CoenzymBeteiligung aufgeklärt wurde.
Regeneration von Hexosephosphat Im zweiten, dem nichtoxidativen Teilbereich mit der eigentlich zyklischen Reaktionsführung, wird das bei erhöhter Produktion von NADP-H + H+ in größeren Mengen anfallende Pentosephosphat wieder in Hexosephosphat bzw. Triosephosphat übergeführt (Abb. 4.1). Der Zyklus arbeitet jetzt – im Gegensatz zur reduktiven Variante – im Rückwärtsgang. In energetischer Hinsicht ergeben sich dabei keine Probleme, da alle Teilreaktionen frei reversibel sind. Wie Abb. 4.1 zeigt, entsteht zunächst aus D-Ribulose-5-phosphat (8) das epimere DXylulose-5-phosphat (9) mit Hilfe von Ribulose-5-phosphat-Epimerase (Epimerisierung am C-3! s. S. 169 f). Aus beiden C5-Zuckerphosphaten synthetisiert die Transketolase Sedoheptulose-7-phosphat (10) und D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (11): Ein C2-Fragment (aktiver Glykolaldehyd, s. S. 168) wird von D-Xylulose-5-phosphat (9) abge-
1 Ribulose5-P (7)
Xylulose5-P (9)
C3 (11)
Abb. 4.1 Pentosephosphatzyklus. Bildung von Hexosephosphat und Triosephosphat aus C5-Zuckerphosphaten; alle Reaktionen sind reversibel.
C6 (1) 4
3 2 Ribose5-P (8)
C7 (10)
C4 (12)
C6 (1) 5
Xylulose5-P
Beteiligte Enzyme: 햲 PhosphopentoseEpimerase 햳 Ribosephosphat-Isomerase 햴, 햶 Transketolase 햵 Transaldolase
C3 (11)
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4.1 Monosaccharide
217
trennt und über die Wirkgruppe Diphosphothiamin (DPT, S. 168 f) auf D-Ribose5-phosphat (8) übertragen (Bilanz: C5 + C5 = C7 + C3). Mit der Wirkungsweise der Transketolase sind wir von der Kohlendioxidreduktion der Photosynthese bereits vertraut (S. 168 ff). Durch die Transaldolase wird nun vom Sedoheptulose7-phosphat (10) ein C3-Fragment, der 1,3-Dihydroxyaceton-Rest, abgespalten und mit D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (11) verknüpft (s. Schema). Formal entspricht diese Spaltung von Sedoheptulose-7-phosphat wiederum der Umkehrung eines Reaktionsschrittes im Calvin-Zyklus: dort sind allerdings Aldolase und Phosphatase beteiligt; da letztere eine irreversible Reaktion katalysiert, wird dort der Reaktionsablauf zur „Einbahnstraße“ in Richtung Pentosephosphat. Zurück bleibt D-Erythrose-4-phosphat (12), neu gebildet wird D-Fructose-6phosphat (1). Bilanz: C7 + C3 = C6 + C4. CH2 OH C O
CH2 OH
HO C H
C O
H C OH
HO C
H
H C OH
H C OH
H C OH
H C OH
CH2 O P
CH2 O P
10 Sedoheptulose-7-P
1 D-Fru-6-P P O CH2 O
Transaldolase
OH
OH
HO H
C
O
H C OH H C OH CH2 O P
12 D-Erythrose-4-P
H
C
O
OH 2 D-Glc-6-P
H C OH CH2 O P
11 D-Glycerinaldehyd-3-P
Aus D-Erythrose-4-phosphat (12) entsteht D-Fructose-6-phosphat (1), und zwar durch Anlagerung eines C2-Fragments, welches durch Transketolase aus DXylulose-5-phosphat (9) bereitgestellt wird. Vom letzteren bleibt D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (11) übrig (Bilanz: C4 + C5 = C6 + C3). Diese Umsetzung entspricht ebenfalls der Umkehrung einer charakteristischen Reaktion bei der Kohlendioxid-Reduktion der Photosynthese. Das zurückbleibende D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (11) kann entweder in die Glykolyse eingehen oder zur Regeneration von D-Fructose-6-phosphat bzw. D-Glucose-6-phosphat verwendet werden.
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218
4 Kohlenhydrate
Der Transaldolase fehlt im Gegensatz zur Transketolase eine definierte Wirkgruppe. Das als Ketose ausgelegte Substratmolekül reagiert mit der ε-Amino-Gruppe eines Lysin-Restes im katalytischen Zentrum; dabei entsteht ein Imin (Schiff-Base). Damit ergibt sich eine Parallele zur kovalenten Substratanbindung bei der Fructosebisphosphat-Aldolase (S. 166 ff). Nach Protonierung löst sich die Bindung zwischen C-3 und C-4, wodurch eine Aldose, z. B. D-Erythrose-4-phosphat (12), frei wird. Das gebundene Restfragment ist als Carbanion solange stabil, bis eine Aldose als geeigneter Akzeptor, z. B. D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (11), verfügbar ist. Hydrolyse des Imins (Schiff-Base) setzt das Endprodukt als Ketose frei.
Da alle in Abb. 4.1 vermerkten Umsetzungen praktisch reversibel sind, kann dieser nichtoxidative Teil des Pentosephosphatzyklus bei starkem Anfall von Hexosephosphat auf Rücklauf geschaltet werden und nun C5-Zuckerphosphate produzieren. Ob die höhere Pflanze tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, sei dahingestellt.
Die Rolle des oxidativen Pentosephosphatzyklus im Stoffwechsel Da der oxidative Pentosephosphatzyklus in energetischer Hinsicht aus der Substratoxidation kein Kapital schlägt, sondern den Wasserstoff Coenzym-gebunden beläßt, wird er zum Hauptlieferanten von Reduktionsäquivalenten in Form von NADP-H + H+ für reduktive Biosynthesen (Fettsäuren, S. 305 ff; Mevalonat, S. 333 f; Aminosäuren, S. 412 ff). Des weiteren hält der Zyklus einen Vorrat an C5Zuckerphosphaten vor, welche als Bausteine für Nucleotide bzw. Nucleinsäuren benötigt werden (S. 422 ff). Eine verstärkte Nachfrage für NADP-H + H+ hat zunächst eine starke Oxidation von D-Glc-6-P mit entsprechender Vermehrung von C5-Zuckerphosphaten zur Folge (oxidativer Weg!). Diesem Überschuß wird dadurch begegnet, daß über Transketolase- und Transaldolase-Reaktion verstärkt D-Fructose-6-phosphat und D-Glycerinaldehyd-3-phosphat aus den C5Verbindungen hergestellt werden, d. h. nichtoxidativ. Beide Verbindungen fließen im Bedarfsfall in die Glykolyse und damit in die Dissimilation ein. Bei starker Nachfrage können umgekehrt dank der Reversibilität der Umsetzungen C5-Zukkerphosphate aus C6-Zuckerphosphaten entstehen, wobei der oxidative Teil des Zyklus, d. h. die Bildung von NADP-H + H+, ausgespart bleibt (nichtoxidativer Weg! s. o.).
4.1.3
Nucleosiddiphosphat-Zucker: energiereiche Überträger für Monosaccharide
Monosaccharide müssen zuerst „aktiviert“, d. h. in eine energiereiche Verbindungsform überführt werden, bevor sie in die Biosynthese von komplexen Kohlenhydraten eintreten. Als aktivierende Gruppierung oder gruppenübertragendes Coenzym fungiert ein Nucleosiddiphosphat. Uridindiphosphat (UDP), aber auch Adenosin- (ADP), Guanosin- (GDP) und Cytidindiphosphat (CDP) übernehmen diese Funktion eines Überträgers für Zucker-Bausteine, deren C-1Atom „aktiviert“ ist. Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
4.1 Monosaccharide
219
Uridin-5'-diphosphat-Glucose (UDP-Glc; 13) oder „aktive Glucose“ entsteht enzymatisch aus D-Glucose-1-phosphat (3) und Uridin-5'-triphosphat (14; UTP).
Dabei werden die beiden äußeren Phosphorsäure-Reste von UTP (14) als Diphosphat freigesetzt (s. Reaktionsschema). Da dieses durch eine Diphosphatase schnell in Orthophosphat gespalten wird, ist die Reaktion praktisch irreversibel. Die dabei freiwerdende Energie treibt die Synthese von UDP-Glc entscheidend an. Wir beobachten hier ein häufig bei Biosynthesen anzutreffendes Reaktionsprinzip. UDP-Glc (13) besitzt demgemäß ein hohes Übertragungspotential für den Glucose-Rest. Soweit Glucose in freier Form vorliegt, muß sie zunächst mittels ATP und Glucokinase, einer Hexokinase, in D-Glucose-6-phosphat übergeführt (2) und dann durch Phosphoglucomutase in D-Glucose-1-phosphat (3) umgewandelt werden (s. S. 213 f). OH CH2 OH O OH HO
Ura
N O
O
O P O– OH O–
+
O
O
O O P O P O P O CH2 O – – – O O O
N
–
HO
3 D-Glc-1-P
Rib OH
Urd
P P P 14 UTP Glucose-1-phosphatUridylyltransferase
PPi
2 Pi OH
CH2 OH O O OH HO
N
O O O P O P O CH2 O OH O– –O HO
N
OH
13 UDP-Glc
UDP-Glc gehört zu den Verbindungen in photosynthetisch aktiven Zellen, die bei Kurzzeitmarkierung mit 14CO2 sehr schnell radioaktiv markierten Kohlenstoff einbauen.
UDP-Glc ist das Substrat weiterer Reaktionen. Durch das Enzym UDP-Galaktose-4-Epimerase, welches NAD+ festgebunden enthält, wird die Konfiguration der Hydroxy-Gruppe umgekehrt (Epimerisierung!): das entsprechende Galaktose-Derivat (15) entsteht:
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220
4 Kohlenhydrate UDP-Galaktose4-Epimerase
CH2 OH O OH
4
HO
CH2 OH O OH
HO 4
O P P Urd OH
O P P Urd OH 13 UDP-Glc
15 UDP-Gal
Durch anschließende Reaktion mit D-Glucose-1-phosphat kann Galaktose-1phosphat (Gal-1-P) freigesetzt werden (Enzym: UDP-Glucose: Galaktose-1-PUridylyltransferase): UDP-Gal + Glc-1-P
UDP-Glc + Gal-1-P
Die Umkehrung dieser reversiblen Umsetzung stellt eine zweite wichtige Bildungsmöglichkeit für UDP-Galaktose und damit für die Verwertung dieses Zukkers über seine phosphorylierte Form dar. Auch die enzymatische Oxidation von UDP-Glc (13) wird beobachtet: Wasserstoff wird von der Hydroxymethylgruppe ( – CH2-OH, mit C-Atom 6) abgespalten und auf NAD+ übertragen; es entsteht UDP-Glucuronat (16; UDP-GlcUA – ) oder „aktive Glucuronsäure“. CH2 OH O OH 1
6
HO
O P P Urd OH
2 NAD+
COO– O OH
6
2 NADH + H+ HO
O P P Urd OH 16 UDP-Glucuronsäure (-at) (UDP-GlcUA–)
UDP-Glc-Dehydrogenase
13 UDP-Glc
Diese gebundene Zuckersäure gehört zu den Uronsäuren (Oxidation am CAtom 6). In Bindung an UDP nimmt sie eine Schlüsselposition bei der Biosynthese von Polyuroniden sowie von einigen Pentosen ein (s. u.). Neben der skizzierten Bildung von UDP-GlcUA – aus UDP-Glc – Nucleotid-Zucker-Oxidation – existiert ein zweiter Weg, welcher für junge, in der Entwicklung befindliche pflanzliche Gewebe typisch sein soll und über myo-Inosit als Zwischenstufe abläuft: myo-Inosit-Oxidation (Abb. 4.2). In der abschließenden Umsetzung dieser Reaktionskette wird Glucuronat-1phosphat (17; 1-P-GlcUA – ) in UDP-GlcUA – (16) übergeführt, katalysiert von UTP:Glucuronat-1-phosphat-Uridylyltransferase als Schlüsselenzym. Unter Mitwirkung einer 4-Epimerase geht UDP-Glucuronat in UDP-Galakturonat (18) über: 4
HO
COO– O OH
1
O P P Urd OH 16 UDP-GlcUA–
4-Epimerase
HO 4
COO– O OH
1
O P P Urd OH 18 UDP-Galakturonsäure (-at) – (UDP-GalUA )
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4.1 Monosaccharide CH2 O P O OH OH HO OH 2 D-Glucose-6-phosphat myo-Inosit-1phosphat-Synthase OH O P
HO 4
HO
OH
5 ATP
P O
5 ADP
O P
1
Kinasen
5
P O O P Phytinsäure
OH
L-myo-Inosit-1-P
ADP H2O myo-Inosit-1Phosphatase
6 H 2O
myo-Inosit-1-Kinase
Phytasen
ATP
6 Pi
Pi HO
O P O P
OH OH
4
HO
HO HO
OH
5
HO OH planare Form
2 6
1
O2 H2O
COO– O OH OH
Inosit-Phosphatide
OH
OH
Sesselform
myo-Inosit
myo-Inosit-OxygenOxidoreduktase
OH 3
HO OH
D-Glucuronsäure (GlcUA–)
Inosit-Isomere u. Derivate (D-Bornesit, L-Quebrachit, Sequoit, Pinit)
ATP ADP 17 Glucuronat-1-P UTP: Glucuronat-1-phosphatUridylyltransferase (Pyrophosphorylase)
UTP PPi
16 UDP-Glucuronat (UDP-GlcUA–)
Abb. 4.2
Biosynthese von myo-Inosit und seine Funktion als Vorstufe.
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221
222
4 Kohlenhydrate
Dieses energiereiche Derivat dient vor allem als Donator für GalakturonsäureBausteine bei der Pektin-Biosynthese (S. 253 f). UDP-Glucuronat ist auch Ausgangsverbindung für die Bildung von Nucleosiddiphosphat-gebundenen Pentosen (Abb. 4.3). Durch Decarboxylierung (Eliminierung von C-Atom 6!) entsteht UDP-D-Xylose (19), welche durch eine 4-Epimerase in UDP-L-Arabinose (20; UDP-L -Ara), den zweiten wichtigen SyntheseBaustein für hochpolymere Pentose-Derivate (Pektinverbindungen, S. 245, Cellulosane, S. 248), überführt wird; die Arabinose liegt in der Pyranose-Konfiguration vor, während sie als Baustein von Zellwandpolysacchariden die Furanose-Form einnimmt. Ein kursives „p“ bzw. „f“ hinter dem Zuckersymbol kennzeichnet die Pyranose- bzw. Furanose-Form (vgl. S. 229 f).
Auch die Biosynthese von UDP-D-Apiose (21) geht von UDP-GlcUA – aus; sie wird durch UDP-D-Apiose-Synthase in das Pentose-Derivat übergeführt (s. Abb. 4.3). Da in vitro als weiteres Reaktionsprodukt stets auch UDP-Xylose anfällt, könnte es sich beim beteiligten Enzym um ein multifunktionelles System (s. S. 13) handeln. Mit der D-Apiose lernen wir einen Vertreter der „verzweigten Zucker“, d. h. mit verzweigter Kohlenstoffkette, kennen. Zum gleichen Typ gehören die D-HamaCOO– O OH
– 2 [H] O
COO– O OH
HO
O P P Urd OH 16 UDP-GlcUA–
2 [H] CO2 OH HO
O P P Urd OH 19 UDP-D-Xylose (Xylopyranose)
O P P Urd OH
CO2 H+
UDP-Arabinose 4-Epimerase HO
O
O
OH
O
OH
O O P P Urd OH
O P P Urd OH
20 UDP-L-Ara (Arabinopyranose) + HO CH
[H]
O
HO
Abb. 4.3
O P P Urd OH
CH2 OH O O P P Urd HO OH 21 UDP-D-Apiose
Bildung von Nucleosiddiphosphat-Pentosen aus UDP-Glucuronat.
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4.2 Disaccharide
223
melose und die L-Streptose, letztere ein Zuckerbaustein im Molekül des Streptomycin. Zwei weitere Vertreter der Nucleosiddiphosphatzucker sind noch von Interesse: Adenosindiphosphat-Glucose (ADP-Glc, 22), eine andere Form „aktiver Glucose“, und Uridindiphosphat-Fructose (UDP-Fru, 23). Ihre Synthese verläuft nach dem gleichen Muster wie die von UDP-Glc. OH CH2 OH O O OH HO
NH2
N N
N O
O N O P O P O CH2 O O HO O– O– CH2 OH HO HO OH
OH 23 UDP-Fru
22 ADP-Glc
4.2
Disaccharide
4.2.1
Allgemeines
O
HOH2C
N
N O P O P O CH2 O – – OH O O HO
O
Da Zucker freie reaktionsfähige Hydroxy-Gruppen besitzen, können sich zwei ihrer Moleküle formal zu einem Disaccharid vereinigen. Sein Aufbau ist unterschiedlich, je nachdem, wie die einzelnen Hydroxy-Gruppen reagiert haben. Dabei entsteht zwischen ihnen jene charakteristische Bindung, welche die Zuckereinheiten in zusammengesetzten Kohlenhydraten – also auch in Oligo- und Polysacchariden – verknüpft: Die Glykosidbindung. Diese resultiert allgemein aus dem Zusammentreten eines Zuckers mit einem Alkohol unter Wasserabspaltung (s. Reaktionsschema). CH2 OH O OH OH HO OH D-Glucose (Glc)
ROH
CH2 OH O OH
H2 O
O R OH α-D-Glucosid (Glykosid) HO
Das Reaktionsprodukt ist ein Glykosid (Vollacetal des Aldehyds!). Die entsprechenden Derivate der Glucose heißen auch Glucoside, die der Galaktose Galaktoside. Die dargestellte Reaktion ist reversibel: Durch Hydrolyse werden die Ausgangsverbindungen relativ leicht zurückgebildet, weil das Reaktionsgleichgewicht die spaltende Reaktion deutlich begünstigt. Die beteiligten Enzyme heißen Glykosidasen und gehören zu den Hydrolasen. Ihre Spezifität ist eingeschränkt, als sie sich auf die Natur der Glykosidbindung – α oder β – bzw. auf den beteiligten Zucker bezieht (Gruppenspezifität!).
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224
4 Kohlenhydrate
Die Glykoside bilden eine sehr heterogene Gruppe, denn außer den Alkoholen sind noch zahlreiche Verbindungen aus anderen Stoffklassen in der Lage, über eine Hydroxy-Gruppe (phenolische oder carboxylische) mit einem Zucker eine Bindung einzugehen. Sie werden als O-Glykoside den N-Glykosiden gegenübergestellt, wobei letztere durch Wasserabspaltung zwischen der 1-OH-Gruppe eines Zuckers und einer NH2-Gruppe hervorgehen und allgemein β-Konfiguration haben (Beispiele: Nucleoside, S. 421; Nucleinsäuren, S. 430). Der alkoholische oder phenolische Anteil, d. h. der Nichtzuckeranteil, wird oft als Aglykon bezeichnet. Glykoside kommen besonders zahlreich bei höheren Pflanzen vor; einige wichtige Vertreter – insbesondere sekundäre Pflanzenstoffe – werden wir später kennenlernen.
Grundsätzlich bestehen bei der Bildung eines Disaccharids zwei Möglichkeiten: 1. Beide halbacetalischen Hydroxy-Gruppen sind daran beteiligt; das entstehende Disaccharid reduziert nicht und zeigt keine Mutarotation*. Beide Zukker entsprechen jetzt Vollacetalen. Nach der einfachsten natürlichen Verbindung dieser Art, der Trehalose (24), werden alle entsprechend aufgebauten Disaccharide dem Trehalose-Typ zugeordnet, z. B. die Saccharose (27). 2. Die halbacetalische Hydroxy-Gruppe des einen Zuckers reagiert mit einer freien Hydroxy-Gruppe eines anderen; der letztere behält dadurch seine reduzierende Eigenschaft, zeigt Mutarotation und ist imstande, eine weitere CH2 OH O α OH 1
5 4
α 1
O
HO
OH H2C 4 OH O OH
OH 24 Trehalose CH2 OH O O OH 4 β HO
1
OH
HO
OH
OH 4
OH CH2
O OH
OH β 1
OH
4
O
O HO
1
OH
OH
25 Cellobiose
CH2 OH O OH O OH
O
HO HO
OH
OH HO HO
CH2 OH
O HO
O OH
HO OH
O HO HO
O OH OH
26 Melibiose
*
Als Mutarotation wird eine Änderung der Drehrichtung des polarisierten Lichtes bezeichnet, welche in der frischbereiteten Lösung der meisten einfachen Zucker auftritt. α-D-Glucose in Wasser zeigt zunächst den Wert [α]D = + 112⬚, nach Stunden nur noch einen von [α]D = + 52⬚. Diese Änderung ist das Ergebnis einer Gleichgewichtseinstellung zwischen den beiden anomeren Formen α-D-Glucose und β-D-Glucose ([α]D = + 19⬚ ) über die gemeinsame Zwischenform al-D-Glucose (Aldehyd-Form).
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4.2 Disaccharide
225
Glykosidbindung – mit einem Alkohol oder einem anderen Zucker – einzugehen. Im letzten Fall entsteht ein Oligosaccharid (S. 229 ff). Prototyp der Verbindungen der zweiten Gruppe ist die Maltose (36; S. 239). Alle entsprechenden Disaccharide, z. B. Cellobiose (25), Melibiose (26) und die davon abgeleiteten Oligosaccharide gehören zum Maltose-Typ. Bei diesen Verbindungen kann der freien halbacetalischen Hydroxy-Gruppe keine Konfiguration zugeordnet werden, weil α- und β-Form im Gleichgewicht stehen; demgemäß schreibt man in der Formel O OH.
Trehalose (24, Glcp[α1 씮 1α] Glcp) ist ein typisches Disaccharid der Pilze, Cyanobakterien und Rhodophyceae. Außer in Selaginella wurde die Verbindung auch in Blättern des Farns Botrychium lunaria als schnell markiertes Photosyntheseprodukt neben Saccharose und Maltose identifiziert.
4.2.2
Saccharose
Saccharose (engl. sucrose, Glcp[α1 씮 2 β] Fruf; 27) ist die Transportform für Kohlenhydrat bei den meisten höheren Pflanzenspezies. Dieses wichtige Folgeprodukt der Photosynthese dient überdies als bevorzugtes Speichermolekül für die C6-Zucker Glucose und Fructose, welche sowohl für die Energiegewinnung als auch für zahlreiche Biosynthesen unerläßlich sind. Daher ist die Behauptung sicher richtig, daß die meisten C-Atome in vielen biologischen Verbindungen aus dem Kohlenstoffgerüst der Saccharose stammen. OH CH2 OH O 1 OH α OH O HO CH2 OH HO β HO HO CH2 O
H2C HO HO
27 Saccharose
O HO
α O β OH
H2C O HO
OH CH2 OH
Welche Vorteile besitzt die Molekülstruktur der Saccharose gegenüber anderen Zuckern und macht sie für die oben genannten Funktionen besonders geeignet? Die einzige, bisher einigermaßen überzeugende Antwort lautet: Das Disaccharidmolekül der Saccharose stellt dank seiner chemischen und physikalischen Eigenschaften ein vergleichsweise wenig reaktives Derivat der Glucose dar, in welchem sie gegen vielfachen enzymatischen Angriff solange geschützt bleibt, bis die spezifischen Verwertungsorte erreicht sind. Saccharose als Speicherform findet sich in der Zellvakuole. Besonders reich daran sind Zuckerrohr und Zuckerrübe, aus denen unser „Zucker“ industriell gewonnen wird.
Biosynthese von Saccharose. Wie Abb. 4.4 (s. S. 226) zeigt, basiert die Bildung dieser Verbindung im cytosolischen Kompartiment auf dem vom Chloroplasten exportierten Triosephosphat, welches auch andere Reaktionswege bedient
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4 Kohlenhydrate
226
CH2 OH O OH HO
O P P OH
P O CH2 O OH HO CH2 OH HO
5'-Urd
13 UDP-Glc
1 D-Fru-6-P 1
UDP
CH2 OH O OH α HO HO
O OH
2
Abb. 4.4
CH2 OH O OH α
Pi
6
CH2 O P
2
HO HO
O OH 2
HO β HO CH2 O
HO β HO CH2 O
28 Saccharose-6 phosphat
27 Saccharose
CH2 OH
Biosynthese der Saccharose.
Beteiligte Enzyme: 햲 Saccharosephosphat-Synthase 햳 Saccharosephosphat-6-Phosphatase
(s. u.). Saccharose-Synthese findet generell während der nächtlichen Dunkelphase statt, weil dann ihr Substrat dank des Abbaus von Assimilationsstärke im Chloroplasten verfügbar ist. In der Lichtphase, d. h. tagsüber, kann Saccharose nur in begrenztem Umfange entstehen, weil die Masse des produzierten Triosephosphats chloroplastenintern in den Aufbau von Assimilationsstärke fließt. Am Anfang steht die Bildung von α-D-Fru-1,6-P2 (S. 168) aus Triosephosphaten, welche von Fructosebisphosphat-Aldolase katalysiert wird. Mit dieser Umsetzung und den nachfolgenden Umwandlungen des Hex(ul)osephosphats sind wir vom Calvin-Zyklus bzw. von den oben beschriebenen Reaktionen vertraut. Sie liefern α-D-Fru-6-P (1) und UDP-Glc (13) als „aktivierte“ Ausgangsverbindungen. Letztere besitzt ein ausreichend hohes Übertragungspotential für die Glucosyl-Einheit, um die Glykosidbindung im Saccharosemolekül (∆G’m der Hydrolyse: – 23 kJ/mol) problemlos zu errichten (Abb. 4.4). Da insgesamt 3 energiereiche Bindungen „verbraucht“ werden, ist das Gleichgewicht der Reaktion eindeutig zugunsten der Saccharosebildung verschoben. Katalysiert wird sie von zwei Enzymen: Saccharosephosphat-Synthase (Box 4.1) ist für den Transfer und die Bindung der Glucosyl-Einheit aus UDP-Glc an αFru-6-P, Saccharose-6-Phosphatase für die Abspaltung des Phosphorsäure-Restes vom entstandenen Saccharose-6-phosphat (28) und damit für die Bildung des freien Disaccharids zuständig. Dieser abschließende hydrolytische Schritt ist stark exergonisch und macht die Synthesereaktion praktisch unumkehrbar.
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4.2 Disaccharide Box 4.1
227
Saccharosephosphat-Synthasen Maiskörnern gewonnene Saccharosephosphat-Synthase aus 2 – 4 Untereinheiten von je 88 kDa zu bestehen; eine Bindungsdomäne für UDP-Glc ist bisher nicht identifiziert worden. Die Aminosäuresequenzen beider Enzyme zeigen nur wenig Übereinstimmung.
Das aus diversen Spezies (Weizen, Mais, Spinat) isolierte und gereinigte Enzym besteht aus zwei identischen Untereinheiten von jeweils 120 kDa, welche vermutlich beide eine Bindungsstelle für UDP-Glc aufweisen. Hingegen scheint die aus Samen von Mungbohne, aus Kartoffelknollen und
Regulation. Synthese von Saccharose wird im Cytosol nur dann stattfinden, wenn die Stoffwechselsituation stimmig ist, d. h. wenn einerseits vom Chloroplasten ausreichend Triosephosphat angeliefert wird, andererseits die Konkurrenz der Glykolyse um dieses Substrat weitgehend ausgeschaltet ist. Wir erinnern uns: der Triosephosphat-Export vom Chloroplasten unterliegt einer Limitierung insofern, als eine kritische Menge des Metaboliten im Chloroplasten verbleiben muß, um den reibungslosen Ablauf des Calvin-Zyklus zu gewährleisten (s. S. 173 f). Erst wenn diese infolge verstärkter Produktion überschritten wird, kann Triosephosphat vom Chloroplasten abgegeben werden. Als wichtiger Regulator oder Effektor für die Weichenstellung zugunsten von Saccharose-Biosynthese oder Glykolyse ist D-Fructose-2,6-bisphosphat (D-Fru2,6-P2; 29) erkannt worden. Diese Verbindung, welche nachweislich keine Intermediärverbindung des Kohlenhydrat-Stoffwechsels ist, steuert als allosterischer Effektor die Aktivität zweier cytosolischer Enzyme in reziproker Weise: 1-Phosphofructokinase und Fructosebisphosphatase. Endscheidend ist die jeweilige Menge an D-Fru-2,6-P2, welche vom Umfang der Triosephosphat-Anlieferung durch den Chloroplasten abhängt. Stagnation oder Absinken derselben unter einen kritischen Wert löst Synthese des Regulators aus, indem 2Phosphofructokinase (Fructose-6-phosphat-2-Kinase) aktiviert wird und verstärkt α-D-Fru-6-P (1) phosphoryliert: P O 6CH2 O 1CH2 OH HO 2 OH HO 1 α-D-Fru-6-P
ATP
ADP 1 2
Pi
1 2-Phosphofructokinase
H2O
P O 6CH2 O 1CH2 OH HO 2 O HO P 29 α-D-Fru-2,6-P2
2 Fructose-2,6-bisphosphatase
Das entstehende D-Fru-2,6-P2 inaktiviert mit zunehmender Menge als negativer Effektor die Fructosebisphosphatase. Dies verhindert die weitere Bildung von α-D-Fru-6-P aus α-D-Fru-1,6-P2 und bringt damit letztlich die Synthese von Saccharose zum Erliegen. Gleichzeitig fällt weniger Orthophosphat an, welches
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228
4 Kohlenhydrate
als Gegentausch-Partner beim Export von Triosephosphat über den spezifischen Translokator benötigt wird (s. S. 176). Als Folge der resultierenden Exportbeschränkung akkumuliert Triosephosphat im Chloroplasten und führt zu gesteigerter Synthese von Assimilationsstärke. Das durch die Inaktivierung der Fructosebisphosphatase gestiegene Angebot an α-D-Fru-1,6-P2 erhöht sich noch dadurch, daß α-D-Fru-6-P verstärkt phosphoryliert wird; die dafür zuständige 1-Phosphofructokinase wird nämlich durch den hohen Pegel an D-Fru-2,6-P2 aktiviert. Damit sind die Weichen eindeutig zugunsten der Glykolyse gestellt. Damit D-Fru-2,6-P2 seiner Rolle als Regulator gerecht wird, muß es bei Änderung der Stoffwechsellage inaktiviert werden. Dies besorgt Fructose-2,6-bisphosphatase, eine spezifische Phosphatase, welche D-Fru-2,6-P2 in α-D-Fru-6-P und Orthophosphat spaltet (s. Reaktionsschema o.). Der Modus ihrer Regulation ist noch unklar. Damit kehren sich die Verhältnisse um: Fructosebisphosphatase gewinnt nun zunehmend an Aktivität; mit dem verstärkt anfallenden α-D-Fru-6-P kommt die Saccharose-Synthese in Gang. Gleichzeitig steigt das Angebot an Orthophosphat, welches nun wieder ausreichend als GegentauschPartner zur Verfügung steht und die Ausschleusung von Triosephosphat aus dem Chloroplasten fördert. Dessen Kohlenhydratstoffwechsel muß entsprechend auf Export geschaltet sein, wie es für die nächtliche Dunkelphase typisch ist (s. o.). Der Regelmechanismus, welcher Saccharose-Synthese und Glykolyse im Cytosol koordiniert, verhindert, daß 1-Phosphofructokinase und Fructosebisphosphatase gleichzeitig aktiv sind. Dies garantiert einen störungsfreien und bedarfsgerechten Ablauf von jeweils nur einem der beiden Prozesse.
Spaltung von Saccharose. Für die Spaltung zwecks Bereitstellung von Monosacchariden für den Stoffwechsel stehen zwei Enzyme zur Verfügung: 1. Saccharose-Synthase, welche wegen der Bildung des energiereichen Überträgers UDP-Glc die energetisch vorteilhaftere Reaktion katalysiert: Saccharose + UDP 왗——왘 UDP-Glc + Fru
2. Invertase, eine β-Fructofuranosidase, welche über die energetisch wesentlich ungünstigere Hydrolyse die freien Zucker, Glucose und Fructose, liefert. Deswegen ist diese Reaktion wohl auch von untergeordneter Bedeutung für höhere Pflanzen.
4.2.3
Transglykosidierung
Bei der hydrolytischen Spaltung einer Glykosidbindung durch eine Glykosidase, z. B. bei der Saccharose durch Invertase (s. o.), wird formal der Glykosyl-Rest (R) auf Wasser übertragen, welches dank seiner hohen Konzentration (c[H2O] = 55,5 mol · l– 1) als Akzeptor bevorzugt wird; das Gleichgewicht begünstigt daher eindeutig die Hydrolyse:
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4.3 Oligosaccharide CH2 OH O OH
H2O
O R OH
HO
α-D-Glykosid
4.3
CH2 OH O OH
ROH
α-Glykosidase
229
HO
OH OH α-D-Glc
Oligosaccharide
Die Oligosaccharide leiten strukturmäßig von den Disacchariden zu den Polysacchariden über. Die einfachste Form eines Oligosaccharids ist das Disaccharid. Seine Erweiterung um eine Zucker-Einheit führt zum Trisaccharid, um zwei zum Tetrasaccharid usw.; Verbindungen mit bis zu acht Einheiten im Molekül bezeichnet man noch als Oligosaccharide, alle die mehr enthalten als Polysaccharide. Ein typisches Oligosaccharid enthalten Arten von Gentiana: die Gentianose (30), ein Trisaccharid: Glcp (β1씮 6) Glcp (α1씮 2β)Fruf*
Saccharose ist mit einer Glucose-Einheit verknüpft (Glucosid der Saccharose!). Diesem Bautypus entspricht auch die Raffinose (31), in der anstelle von Glucose eine Galaktose-Einheit sitzt: Galp (α1씮 6) Glcp (α1씮 2β)Fruf
(Galaktosid der Saccharose!). CH2 OH OO OH β HO
1
HO HO Glc
HO CH 2
6
OH
O O
HO HO
OH
1 α
O
2 β
OH
HO CH2 O
30 Gentianose
CH2 OH
CH2
6
O 1 OH α O HO H O HO CH2 OH O HO Gal α 1
HO
CH2 OH
2 β
HO CH2 O
31 Raffinose
Die Raffinose vertritt bei einigen Pflanzenarten die Saccharose als Transportform für Kohlenhydrat und wird daher in den Siebröhren gefunden (s. S. 196). Neuere Untersuchungen an Blättern, vor allem von Labiatae (Laminaceae) haben ergeben, daß bei
*
Der Pfeil bezeichnet die Richtung der Glykosidbindung zwischen der halbacetalischen Hydroxy-Gruppe und der beteiligten alkoholischen oder halbacetalischen Gruppe des folgenden Zuckers.
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230
4 Kohlenhydrate
Photosynthese in Gegenwart von 14CO2 die Raffinose, aber auch die Stachyose (s. u.) zu den relativ schnell markierten Verbindungen gehören.
Von der Raffinose leiten sich weitere Oligosaccharide ab (daher: Raffinose-Familie), die in höheren Pflanzen als Transportform von Zuckern bzw. als Speicherstoffe vorkommen. Bei der Stachyose, einem Tetrasaccharid, ist ein weiterer Galaktose-Baustein in Position 6 hinzugekommen: Galp (α1씮 6) Galp (α1씮 6) Glcp (α1씮 2β)Fruf
Dieser Zucker kommt in größeren Mengen in Leguminosen-Samen vor. Eine weitere Galaktose-Einheit besitzt die Verbascose, ein Pentasaccharid: Galp (α1씮 6) Galp (α1씮 6) Galp (α1씮 6) Glcp (α1씮 2β)Fruf
Die nächsthöhere Verbindung mit vier Galaktose-Einheiten heißt Ajugose. Bei anderen Oligosacchariden pflanzlicher Herkunft, welche Saccharose-Derivate darstellen, ist eine weitere Galaktose-Einheit über das Fructose-Ende (Position 6) gebunden, z. B. im Trisaccharid Planteose.
Biosynthese. Die Synthese von Saccharose mit Hilfe eines Nucleosiddiphosphat-Zuckers könnte auf den ersten Blick als Modell für die Bildung von Oligosacchariden dienen. Dies ist jedoch nur bedingt richtig. Eingehende Untersuchungen zur Biosynthese der Raffinose und ihrer Derivate haben zwar die Mitwirkung von UDP-Galaktose (15; Biosynthese s. S. 219 f) bestätigt, doch lediglich als Vorstufe für die Bildung des eigentlichen Donators für GalaktosylReste, des Galaktinols (32). Dieses α-Galaktosid des myo-Inosit (Galp[α1씮 3] myo-Inosit) entsteht folgendermaßen: HO
CH2 OH O α OH O P OH
15 UDP-Gal +
P
Urd
HO UDP
CH2 OH O α OH HO
OH OH OH OH HO OH
O
OH OH
OH HO OH 32 Galaktinol
myo-Inosit
Die Synthese von Raffinose erfordert Galaktinol und Saccharose. Sie wird von einer spezifischen Galaktosyltransferase katalysiert, welche aus Samen von Vicia faba isoliert sowie gereinigt wurde und nicht identisch mit α-Galaktosidase ist: Galaktinol + Saccharose 왗——왘 Raffinose + myo-Inosit
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe Box 4.2
231
Elicitoren
Oligosaccharide wirken auch als Signalsubstanzen, welche bei einer mikrobiellen Infektion den Abwehrmechanismus der befallenen Pflanzenzelle aktivieren, d. h. die Synthese von Antibiotika oder Phytoalexinen (S. 343) induzieren. Diese Elicitoren, auch als „Oligosaccharine“ bezeichneten Substanzen, entste-
hen durch gezielten Abbau der Zellwand, entweder des infizierenden Organismus oder der infizierten Zelle selbst, weil Enzyme bei der Infektion aktiv werden. Ein verzweigtes Heptaglucosid vom β-Typ und ein Oligogalakturonid sind als besonders wirksam erkannt worden.
Die Biosynthese von Stachyose und Verbascose vollzieht sich analog durch Transglykosidierung, d. h. durch Übertragung des Galaktosylrestes vom Galaktinol auf Raffinose bzw. Stachyose unter Beteiligung einer jeweils spezifisch eingestellten Transferase: Galaktinol + Raffinose 왗——왘 Stachyose + myo-Inosit Galaktinol + Stachyose 왗——왘 Verbascose + myo-Inosit
Vermutlich entstehen die Galaktoside der Hefen und Rotalgen nach dem gleichen Muster.
4.4
Polysaccharide als Speicherstoffe
Die Moleküle der Polysaccharide bestehen aus Ketten von MonosaccharidEinheiten, die durch Glykosidbindung verknüpft sind. Ihre molekularen Bausteine entstammen somit nur einer Stoffklasse. Variationen in der Struktur beschränken sich daher auf die Kombination verschiedenartiger Zucker-Einheiten im Molekül, auf die Knüpfung unterschiedlicher Bindungen zwischen diesen und die Ausbildung mehr oder weniger langer bzw. schwach oder stark verzweigter Molekülketten. Die Polysaccharide erfüllen Aufgaben, welche für die Strukturen und die Funktionsfähigkeit der Zelle unerläßlich sind: als Speicher- oder Reservestoffe, Gerüstsubstanzen und Pflanzengummi bzw. Schleimsubstanzen. Bei den Polysacchariden treffen wir erstmalig auf das makromolekulare Konstruktionsprinzip, das vor allem für die Nucleinsäuren und Proteine von großer Bedeutung ist. Die Makromoleküle besitzen einige Eigenschaften, die sie als Molekülform auch für Speicherstoffe bzw. Gerüstsubstanzen sehr geeignet machen. Die erste betrifft ihre relativ schlechte Löslichkeit, die ausgenutzt wird, um Speicherstoffe ökonomisch und ohne Störung des osmotischen Gleichgewichtes in der Zelle aufzubauen. Die zweite wichtige Eigenschaft kommt bei den Gerüstsubstanzen zur Geltung: Aus Makromolekülen lassen sich gut langgestreckte, fibrilläre Strukturen aufbauen, wie sie für den Kormus der höheren Pflanze wegen seiner starken mechanischen Beanspruchung von besonderer Wichtigkeit sind.
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4 Kohlenhydrate
Eine weitere Einteilungsmöglichkeit liefert der chemische Aufbau: Alle Polysaccharide, die nur eine Zuckerart als Grundbaustein enthalten, faßt man als Homoglykane, die mit mehreren verschiedenartigen Zuckern als Heteroglykane zusammen. In einer dritten Gruppe werden die Verbindungen vereinigt, die aus einem Polysaccharid und einer andersartigen chemischen Komponente (Protein, Lipid) bestehen: Glykoproteide und Glykolipide (zusammengesetzte oder konjugierte Polysaccharidverbindungen). Zur ersten Gruppe gehören wichtige Polysaccharide der Pflanzenzelle: Stärke und Cellulose, die als einzigen Baustein Glucose enthalten.
4.4.1
Stärke und andere pflanzliche Speicherstoffe Allgemeines
Wichtigstes Speicherpolysaccharid der Pflanzenwelt ist die Stärke. Als Organellen ihrer Synthese fungieren in photosynthetisch aktiven Zellen die Chloroplasten, in denen der Speichergewebe die Amyloplasten. Im ersten Fall liegt die Stärke, wie das elektronenmikroskopische Bild zeigt, zwischen den Thylakoiden eingebettet; im zweiten Fall entstehen die typischen Stärkekörner. Ihre Form, Größe und Schichtung sind oft artspezifisch ausgebildet, so daß man daran ihre Herkunft im Mikroskop feststellen kann. Chemisch handelt es sich immer um das gleiche Material, denn Kochen der Stärkekörner mit verdünnter Mineralsäure liefert immer α-D-Glucose, der Abbau durch die spezifischen Enzyme, die Amylasen (S. 238 f), immer Maltose als Endprodukt. Diese Befunde und auch die Formel, welche aufgrund der Elementaranalyse ermittelt wurde, zeigen an, daß die Stärke einem Polykondensat aus α-D-Glucose-Einheiten, einem α-Glucan, entspricht: (C6H10O5)n In den meisten Fällen liegen in der Stärke zwei Molekülformen vor: Amylose (33) und Amylopektin (34). Der Anteil des letzteren liegt zwischen 70 und 90% bei den einzelnen Stärkearten. Bei der Amylose sind etwa 200 bis 1000 α-D-Glucose-Einheiten kettenförmig durch (α1씮 4) Glykosidbindungen zu einem Makromolekül verknüpft. CH2 OH O OH nichtreduzierendes Ende
CH2 OH O OH O
HO OH
CH2 OH O OH O
OH
n
OH OH
reduzierendes Ende
33 Amylose
Jedes Molekül trägt an einem Ende ein glykosidisches C-Atom (reduzierendes Ende), am anderen das C-Atom 4 mit einer Hydroxy-Gruppe (nichtreduzierendes Ende). Die rel. Molmasse, die man aufgrund physikalischer Methoden erhält (Messung der Viskosität bzw. des osmotischen Druckes, Bestimmung der Sedimentationskonstan-
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe
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ten), beträgt 10 000 bis 100 000. Seitliche Verzweigungen an der Hauptkette sind bei der Amylose relativ selten. Die Molekülkette ist zu einer Schraube oder Helix aufgewunden. Bei der charakteristischen Farbreaktion mit Iod-Kaliumiodid wird molekulares Iod (I2) innerhalb der Umgänge eingelagert und festgehalten. Hieraus resultiert eine starke Absorption langwelliger Strahlungsanteile: blau-violette Färbung des Iodstärke-Komplexes! – Amylose ist meist in heißem Wasser löslich. Das Molekül des Amylopektin besteht aus 2000 bis 22 000 α-D-Glucose-Einheiten (Mr = 50 000 bis 1 000 000). Im Gegensatz zur Amylose ist es reich verzweigt, da Seitenketten unterschiedlicher Länge durch (α1씮 6)-glykosidische Bindungen an der Hauptkette ([α1씮 4]-Bindungen) angeheftet sind. Seitenketten haben demgemäß kein reduzierendes Ende. Durchschnittlich kommt bei jener auf 25 Glucose-Einheiten eine Verzweigung. Möglicherweise sind Haupt- und Seitenketten ebenfalls schraubig aufgewunden. Als Beweis für das Vorliegen von Verzweigungen ist das Auftreten geringer Mengen an Isomaltose (35) nach enzymatischer Spaltung von Amylopektin zu werten. Dieses ist unlöslich in heißem Wasser. Mit Iod-Kaliumiodid resultiert eine schwach violette bis rosa Färbung (kürzere Helixregionen als in Amylose!). CH2 OH O 1 OH α
CH2 OH O OH O
nichtreduzierendes Ende CH2 OH O 4 OH
O
HO
OH
O
HO
CH2
OH
CH2 OH O 1 OH α
O
O
OH
4
6
CH2 OH O OH OH
CH2 OH O OH
O
O OH
n
CH2 OH O OH O
HO 6CH 2
CH2 OH O OH O
OH
reduzierendes Ende
OH O
OH
OH
CH2 OH O 1 OH α
O
34 Amylopektin
CH2 OH O OH 1 O
HO HO
6CH2
OH
O
OH
O OH
OH
HO OH 35 Isomaltose
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HO
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4 Kohlenhydrate
Durch Kochen mit verdünnter Mineralsäure können Amylose und Amylopektin über verschieden große Spaltstücke, die Dextrine, zu D-Glucopyranose hydrolysiert werden. Die Entstehung und der anschließende Abbau der Dextrine läßt sich anhand der Iodprobe verfolgen: Nur bis zu einer bestimmten Kettenlänge tritt noch eine purpurne Färbung auf. Sie fehlt bei den kurzkettigen Dextrinen.
In den Körnern einiger Varietäten von Gerste, Mais und Reis besitzt die Stärke eine wachsartige und glutinöse Beschaffenheit. Sie besteht praktisch aus Amylopektin. Umgekehrt gibt es auch Züchtungen beim Mais und bei der Erbse, deren Speicherstärke zwischen 50 und 80% Amylose enthält.
Glykogen. Dieser typische Reservestoff der Cyanobakterien, Pilze und Bakterien ist ähnlich dem Amylopektin aufgebaut, jedoch besitzen die Moleküle einen höheren Verzweigungsgrad. Auch sind die Seitenketten kürzer, etwa 10 – 14 Glucose-Einheiten. Glykogen ist im Gegensatz zum Amylopektin trotz seiner größeren rel. Molmasse (1 – 16 ⋅ 106) im allgemeinen relativ gut wasserlöslich, sofern es nicht mit Proteinen assoziiert ist. Paramylon, das bei Euglenophyceae, Ochromonas malhamensis und Perenema trichophorum als „Protozoen-Reservestoff“ vorkommt, besitzt nach neueren Untersuchungen eine lineare Molekülstruktur aus D-Glucose-Einheiten in (β1씮 3)-glykosidischer Bindung ([β1-3]-Glucan). Laminarin und Chrysolaminarin, komplexe Glucane von Braunalgen (Laminaria) und Heterokontophyta (Chrysophyta) weisen vorwiegend (β1씮 3)-Glykosidbindungen, nur vereinzelt (1씮 6)-Bindungen auf.
Gleichfalls ist die Florideen-Stärke der Rotalgen aus D-Glucose-Einheiten aufgebaut, die mindestens teilweise (α1씮 4)-glykosidisch verknüpft sind. Aufgrund der charakteristischen Färbungsreaktion mit Iod nimmt man für die FlorideenStärke einen dem Amylopektin oder Glykogen ähnlichen Aufbau an.
Biosynthese von Stärke Das Auftreten von zwei unterschiedlichen Glykosidbindungen in der Stärke erfordert die Kooperation von zwei Formen spezifischer Enzyme bei der Synthese. So knüpft die Stärke-Synthase (Box 4.3) die (α1씮 4)-Bindungen in Amylose und Amylopektin über den Transfer und die sukzessive Anheftung neuer GlucoseEinheiten aus „aktiver Glucose“ – in diesem Falle ADP-Glucose (ADP-Glc, 22) – an das nichtreduzierende Ende eines Glucosekondensats mit (α1씮 4)-Bindungen (s. Reaktionsschema); die Funktion des letzteren als Startermolekül oder Primer können neben dem Disaccharid Maltose auch Oligo- und Polysaccharide übernehmen. Die „aktivierte“ Glucose entsteht aus D-Glc-1-P (3) und ATP; die Reaktion wird von Glucose-1-phosphat-Adenylyltransferase (ADP-Glucose-Pyrophosphorylase) katalysiert (s. Reaktionsschema).
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe CH2 OH
O
O OH
4
Adenin
O
–
O P O P O P O CH2 O O– O– O–
+
O
1
–
HO
O
235
O P O OH O– 3 D-Glc-1-P
ATP
Glucose-1-phosphatAdenylyltransferase
HO
OH
2 Pi
PPi
CH2 OH O 4
OH
HO
1
Adenin
O P O P O CH2 O OH HO
OH
22 ADP-Glucose Stärke-Synthase CH2 OH
CH2 OH
O 4
OH
4
O
OH
OH
O OH
CH2 OH
O 1
HO
ADP
O OH
O OH
wachsende Amylose-Kette
Box 4.3
Enzyme der Stärkesynthese
Stärke-Synthase liegt im Stroma von Plastiden als „lösliches“ Enzym, in Stärkekörnern als „granulagebundenes“ vor. Von letzterem sind Isoenzym I (GBSS I; 59 kDa) und Isoenzym II (GBSS II; 77 kDa) in Erbsenembryonen und in Kartoffelknollen gefunden worden. Die zugehörigen Gene werden bei der Erbse während der Embryoentwicklung aktiviert, wobei der Zeitpunkt differiert. Für Isoenzym II zeichnet sich dabei ab, daß es nur in der frühen Phase der Embryo- und Knollenbildung aktiv ist, bei Kartoffelpflanzen hingegen in jedem Organ. Isoenzym I entspricht der Stärke-Synthase im Mais-Endosperm, hat aber auch Ähnlichkeit mit GlykogenSynthasen. Das Mais-Enzym katalysiert
offensichtlich die Bildung von Amylose, zumindest in Endosperm-Plastiden. Von der Transglycosylase, dem Verzweigungsenzym (Q-Enzym), sind im Reis-Endosperm zwei Isoenzyme gefunden worden, von denen die dominierende Form QE I eine rel. Molmasse von 93 kDa hat. In Kartoffelknollen kommen zwei entsprechende Isoenzyme von 97 kDa und 103 kDa vor, welche nicht nur untereinander, sondern auch mit QE I in den Amyloplasten von Zellen des Reis- und Mais-Endosperms große Ähnlichkeit haben. Beide werden vermutlich vom gleichen Genlocus determiniert und erst nachträglich auf Proteinebene unterschiedlich modifiziert (s. S. 497 f).
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4 Kohlenhydrate
Dieses Enzym, ein Protein von 200 – 240 kDa, besteht vermutlich aus 4 Untereinheiten, welche zwei unterschiedlichen, aber im Aufbau ähnlichen Größenklassen angehören. Bei Spinat und Arabidopsis thaliana handelt es sich um Polypeptide von 51 kDa bzw. 54 kDa, welche von verschiedenen Genen determiniert werden. Hingegen soll das gleiche Enzym in Kartoffelknollen ein Homotetramer sein, denn bisher wurde nur eine Untereinheit von ca. 50 kDa identifiziert. Das zugrundeliegende Reaktionsprinzip dieser Kettenverlängerung, die Transglykosidierung, ist uns schon von der Biosynthese anderer Glykoside geläufig. Die stark exergonische Reaktion begünstigt eindeutig die Synthese. Die Errichtung von (α1씮 6)-Bindungen als Voraussetzung für die Ausbildung von Seitenketten im Amylopektinmolekül besorgt eine spezifische Transglykosylase, auch Verzweigungsenzym oder Q-Enzym (1,4-α-Glucan-6-α-Glucanosyltransferase) genannt (s. Box 4.3). Sie schneidet ein kurzkettiges Fragment (5 – 7 Glucose-Einheiten) von der linearen Molekülkette eines Glucan und setzt es weiter innen an einen Glucose-Baustein über dessen 6-Hydroxy-Gruppe wieder an (Abb. 4.5). Ausgehend von der terminalen Glucose-Einheit (nichtreduzierendes Ende!) des so verankerten Fragments werden über (α1씮 4)-Bindungen neue Glucose-Reste angefügt, bis die Endlänge der Seitenkette erreicht ist (s. 33). Beim Aufbau von Speicher- oder Reservestärke im Amyloplasten importiert dieser D-Glc-6-P (2), in Ausnahmefällen auch D-Glc-1-P (3) aus dem Cytosol und benutzt das Hexosephosphat als Substrat für die Synthese von ADP-Glc (22), katalysiert von Glucose-1-phosphat-Adenylyltransferase. Diese entspricht in Aufbau, Funktion und Regulationsmodus weitgehend dem entsprechenden Enzym im Chloroplasten. Das Funktionieren des vorstehend beschriebenen Synthesemechanismus für Stärke hängt von der Bereitstellung der Starterverbindungen durch andere Reaktionen ab.
Ein alternativer Synthesemechanismus für (α1씮 4)-Glucane ist in Kartoffelknollen und in suspensionskultivierten Karottenzellen aktiv. Einleitend wird ein Glucosemolekül kovalent an ein Polypeptid gebunden, welches anschließend als Starterverbindung für den enzymatischen Aufbau einer Glucan-Kette dient. Dieses Polypeptid (38 kDa) erwies sich als UDP-Glucose:Protein-TransglyQ-Enzym OH
Abb. 4.5 Mechanismus der Seitenkettenbildung im Amylopektin durch das Q-Enzym.
–Q-Enzym
Q-Enzym OH
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe
237
cosylase, welche mit UDP-Glc (13) als Substrat seine eigene Glucosylierung betreibt (Autoglucosylierung). Das Enzym arbeitet offensichtlich eng mit StärkeSynthase und einer -Phosphorylase zusammen, welche beide für die sukzessive Anheftung weiterer Glucose-Einheiten zuständig sind. Wie die Stärkesynthese so gesteuert wird, daß am Ende genau die typischen Anteile von Amylose und Amylopektin vorliegen, ist unbekannt. Man spekuliert, daß die in stärkebildenden Zellen nebeneinander vorkommenden verschiedenen Formen der Stärke-Synthase dabei eine Rolle spielen: einige sollen besonders eng mit dem Verzweigungsenzym zusammenarbeiten und ausschließlich Amylopektin synthetisieren; andere vermögen dies nicht, weshalb sie vorwiegend für die Synthese von Amylose zuständig sein sollen.
Regulation der Stärke-Biosynthese Da Glucose-1-phosphat-Adenylyltransferase in vitro allosterischer Kontrolle unterliegt – 3-Phospho-D-glycerat (s. S. 165) wirkt als positiver Effektor, Orthophosphat als negativer oder Inhibitor –, nimmt man einen entsprechenden Mechanismus in vivo an. Demnach würde das Mengenverhältnis der beiden Verbindungen darüber entscheiden, inwieweit die Stärkesynthese im Chloroplasten mit ihrem Substrat ADP-Glc versorgt wird. Da beim Export von Triosephosphat durch den spezifischen Translokator im Gegentausch Phosphat in den Chloroplasten gelangt, erfährt Glucose-1-phosphat-Adenylyltransferase eine deutliche Hemmung seiner Aktivität, was letztlich die Stärkesynthese infolge Substratmangels zum Erliegen bringt. Diese Situation ist für die nächtliche Dunkelphase typisch. Unterbleibt jedoch der Export von Triosephosphat, wie vorwiegend während der täglichen Lichtphase, so wird das Enzym durch photosynthetisch produziertes 3-Phospho-D-glycerat entscheidend stimuliert; dank des nun reichlichen Angebots an ADP-Glc läuft die Synthese von Stärke optimal. Als Gegenspieler von Glucose-1-phosphat-Adenylyltransferase beim Stärkeaufbau agiert 1-Phosphofructokinase; sie wird durch einen erhöhten Phosphatspiegel im Chloroplasten aktiviert. Entsprechend sind jetzt die Weichen auf Bildung von Triosephosphat über D-Fru-1,6-P2 und dessen Abgabe an das Cytosol gestellt.
Abbau von Speicherpolysacchariden Assimilationsstärke in Chloroplasten und Speicherstärke in Amyloplasten (Stärkekörnern) sowie Glykogen in Bakterien, Cyanobakterien und Pilzen müssen mobilisiert werden, d. h. in handliche transportfähige Molekül-Einheiten zerlegt werden, bevor diese Speicherstoffe in den Stoffwechsel eintreten.
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4 Kohlenhydrate
Die enzymatische Spaltung von Amylose und Amylopektin wird von mehreren Enzymen katalysiert, was zu etwas unterschiedlichen Endprodukten führt: 1. Hydrolytische Spaltung der Glykosidbindung durch spezifische Glykosidasen – α-Amylase und β-Amylase – liefert letztlich das Disaccharid Maltose (36), welches durch Maltase zu freier Glucose (37) gespalten werden kann. 2. Phosphorolyse durch Stärke-Phosphorylase (Name: nach dem Spaltungsmodus der Glykosidbindung) produziert D-Glucose-1-phosphat (D-Glc-1-P, 3), d. h. eine energetisch höherwertigere Form des direkt freigesetzten Hexosezuckers; dieser kann sofort im Stoffwechsel verarbeitet werden. Der genaue Mechanismus des Abbaus von Assimilationsstärke im Chloroplasten ist noch nicht restlos geklärt, doch spricht einiges dafür, daß er in ähnlicher Weise wie der von Speicherstärke abläuft. Erstaunlicherweise scheint β-Amylase im Chloroplasten nicht beteiligt zu sein; jedenfalls konnte das Enzym bisher nicht in diesem Organell nachgewiesen werden (s. u.). Generell wirken bei der hydrolytischen Spaltung von Stärke α-Amylase und eine (α1씮 6)-Glucanase oder R-Enzym eng zusammen. α-Amylase spaltet bevorzugt die Bindungen im Inneren, wirkt demgemäß als Endoenzym. Obwohl sie die (α1씮 6)-Bindungen im Amylopektin (34) nicht zu öffnen vermag, bilden die davon ausgehenden Seitenketten kein Hindernis: sie werden quasi „übersprungen“. Glc Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
1 6
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
6
Glc
1
Glc
Abbau von Amylopektin (34) durch α-Amylase
Bei längerer Einwirkung ist α-Amylase sicherlich auch imstande, die primär freigesetzten Oligo- und Polyglucan-Fragmente weiter in Maltose bzw. Isomaltose (35; mit [α1씮 6]-Bindung!) zu zerlegen. Vermutlich kann jedoch auch Stärke-Phosphorylase, von welcher Isoenzyme in Zellen unterschiedlicher Gewebe existieren, diese Aufgabe übernehmen, allerdings nur bei zuvor „linearisierten“, d. h. von Verzweigungen freigemachten, Fragmenten (s. u.). Damit stellt sich die Frage nach der physiologischen Rolle von β-Amylase, welche in vitro vom nichtreduzierenden Ende der Glucanketten zwei Glucose-Einheiten als Maltose (36) abspalten kann (Exoenzym; s. Reaktionsschema). Auf diese Weise kann Amylose vollständig hydrolysiert werden; vom Amylopektin bleiben Molekülfragmente als Grenzdextrine übrig, welche die (α1씮 6)-Verzweigungen tragen. Offensichtlich ist α-Amylase das eigentliche Schlüsselenzym des Stärkeabbaus (s. Box 4.4). Wir kommen auf diesen Aspekt zurück.
α-Amylase kommt ubiquitär vor, u. a. auch im menschlichen Speichel und Pankreas.
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe CH2 OH
CH2 OH
O OH
4
CH2 OH
O 1 4
HO
OH O
O OH
OH H2O
β-Amylase CH2 OH
CH2 OH
OH
4
1
HO
4
OH
O OH 36 Maltose Maltase
HO
Box 4.4
1 4 α
OH
OH OH OH
O OH
H2O
O
O OH
O
CH2 OH
CH2 OH 4
CH2 OH
CH2 OH
O
O
CH2 OH
O
OH
O OH
239
1 4 α
OH
1 α
OH OH OH OH OH 37 α-D-Glucose
Enzyme des Stärkeabbaus
Die beiden bisher bekannten Isoenzyme L und H der Stärke-Phosphorylase unterscheiden sich hinsichtlich Lokalisation und Substratspezifität. L kommt vermutlich nur in Plastiden vor und hat eine geringe Spezifität für Oligoglucane. Diese werden hingegen als Substrat von H, einem cytosolischen Protein, bevorzugt. Ein weiteres Isoenzym vom LTyp wurde kürzlich im Blattgewebe von Kartoffelpflanzen entdeckt; die Aminosäuresequenz seines Proteins aus 974 Resten ist zu über 80% mit der des anderen Isoenzyms von L identisch. Seine Synthese erfolgt offensichtlich bevorzugt in Blattzellen. Auch von α-Amylase existieren mehrere Isoformen, welche für den Abbau von Speicherstärke
zuständig sind; sie werden bei der Gerste dem Typ A oder B zugeordnet. Ihre Gene bilden ähnlich wie bei Weizen und Reis eine Familie. In keimenden Reiskörnern wurden drei verschiedene Isoenzyme der α-Amylase gefunden, welche einheitlich einem ca. 44 kDa-Protein entsprechen. β-Amylase, welche im Gegensatz zur α-Amylase schon im ruhenden Samen, teilweise in Bindung an Stärkekörner, als inaktives Enzym vorliegt, wird mit Beginn der Keimung durch Proteolyse in die aktive Form überführt. Diese ist allerdings allein kaum in der Lage, ein Stärkekorn effektiv zu attackieren; hierzu bedarf es der Mithilfe von α-Amylase (s. u.).
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4 Kohlenhydrate
Phosphorolytischer Abbau. Bei der von der Stärke-Phosphorylase katalysiertem Spaltung der (α1씮 4)-Glykosidbindung fungiert nicht Wasser, sondern Phosphat als Glycosyl-Akzeptor. Wie das Reaktionsschema zeigt, wird vom nichtreduzierenden Ende der Molekülkette schrittweise eine Glucose-Einheit abgetrennt, welche mit Phosphat zu D-Glucose-1-phosphat (D-Glc-1-P, 3) reagiert. Abbau-Richtung CH2 OH CH2 OH O 4
CH2 OH
O OH
OH
OH
OH
O
O
HO
O
OH
OH
CH2 OH
O
OH
33 Amylose Stärke-Phosphorylase
HPO4–2
CH2 OH
CH2 OH
O OH
4
1
HO
CH2 OH
O
O P OH 3 D-Glc-1-P
+
4
OH
OH
OH
O
OH
CH2 OH
O O
OH
OH
Da die (α1씮 6)-Bindungen als Ansatzstellen der Seitenketten in Amylopektin und Glykogen den Abbau durch Stärke-Phosphorylase blockieren, müssen sie zuvor beseitigt werden. Abhilfe schafft entweder das schon oben erwähnte REnzym oder eine Transglycosylase oder Amylo-1,6-glucosidase (D-Enzym), deren Vorkommen in pflanzlichen Zellen offensichtlich auf den Chloroplasten beschränkt ist. Dieses Enzym spaltet einen Seitenketten-Rest bis auf die (α1씮 6)verknüpfende Glucose-Einheit ab, heftet ihn mit (α1씮 4)-Bindung an ein anderes Kettenende. Damit ist ersterer dem weiteren Abbau durch die Phosphorylase zugänglich. Abschließend wird die an der Hauptkette verbliebene GlucoseEinheit freigesetzt. Glc
Glc
6 1
Glc
Glc
Glc
Glc
6 1
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
Glc
6 1
Glc
Glc Glc-P
Glc
Glc-P
Glc
Glc-P Glc-P
Abbau von Seitenketten im Amylopektin durch D-Enzym und Phosphorylase
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4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe
241
Auf diese Weise können, ähnlich wie bei der Aktion von R-Enzym, keine größeren Mengen an Isomaltose (35) und Isomaltodextrinen entstehen.
Regulation des Stärkeabbaus. Die optimale Aktivität von Stärke-Phosphorylase im Chloroplasten wird vermutlich erst bei höheren Phosphatkonzentrationen erreicht. Wir wissen bereits, daß unter diesen Bedingungen die Bildung und der Export von Triosephosphat begünstigt sind, d. h. das aus der Stärkespaltung anfallende D-Glc-1-P (3) wird überwiegend in die Produktion von Triosephosphat über die Zwischenstufe D-Fru-1,6-P2 fließen. Somit fügt sich die Aktivität der Phosphorylase problemlos in das übergeordnete Regulationsnetz ein (s. S. 237). Keimung und Stärkemobilisierung. Zu den markantesten Veränderungen, welche mit beginnender Keimung eintreten, gehört bei Samen mit stärkereichem Endosperm die Produktion der erforderlichen Abbau-Enzyme. Nach neueren Erkenntnissen werden diese von definierten Gewebebereichen – Aleuron und Scutellum – gebildet und an die Zellen des stärkehaltigen Endosperm abgegeben. Dieser Bildungsmodus ist nötig, weil die Protoplasten der Endospermzellen meist abgestorben sind, und daher eine Eigenproduktion der Enzyme ausscheidet. Induziert wird dieser Prozeß offensichtlich durch diffusable Faktoren des Embryos, von denen sich Gibberellinsäure (GA; S. 344) als der entscheidende erwiesen hat. Dieses Phytohormon entsteht mit großer Wahrscheinlichkeit in den Zellen des Aleuron, des Scutellum und der Embryoachse. Als Gegenspieler fungiert die Abscisinsäure (ABA; S. 342), welche sich im entstehenden Embryo anreichert und dessen Reifung sowie die Bildung von Reserve- oder Speicherstoffen kontrolliert. Dabei wird offensichtlich die Expression „keimungsspezifischer“ Gene unterdrückt, insbesondere solcher, welche durch GA aktiviert werden können. ABA kann andererseits die Bildung solcher Proteine induzieren, welche u. a. die Mobilisierung von Speicherstoffen bei ungünstigen Keimbedingungen wie Wassermangel, tiefe Temperaturen oder Salzstreß verhindern. Zu den in die Endospermzellen transferierten Enzymen gehört vor allem αAmylase, das vermutlich wichtigste Enzyme des Stärkeabbaus im Endosperm. In den Körnern (Karyopsen) von Gerste und Mais setzt die de novo Bildung von α-Amylase 1 – 2 Tage nach Wasseraufnahme (Imbibition) im Scutellum, nach etwa 5 Tagen auch im Aleuron ein. Ausgelöst wird sie von GA als Signal, welches die Transkriptions- und Translationsmaschinerie in den Zellen dieser Gewebe in Gang setzt. Damit α-Amylase und auch andere in Scutellum- und Aleurongewebe gefertigte Enzyme in die Zellen des benachbarten Endosperms und zu den dort gelagerten Speicherstoffen gelangen, werden die trennenden Zellwände partiell aufgelöst. Zu diesem Zwecke induziert GA die Bildung von spezifisch abbauenden Enzymen wie (β1 씮 3)- und (β1씮 4-Glucanasen; inwieweit auch solche mit Spezifität für andere Zellwandbestandteile und für Matrixkomponenten gebildet werden, ist noch ungeklärt. Der Abbauprozeß wird dadurch erleichtert, daß die betroffenen Zellwände frei von Ligninen sind (S. 373 ff) und mit Ausnahme vom
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4 Kohlenhydrate
242
Reis kaum Pektinverbindungen, Xyloglucan und Hydroxyprolin-reiche Proteine enthalten.
4.4.2
Fructosane (Fructane)
Stärke dominiert zwar eindeutig als Speichersubstanz der höheren Pflanzen, doch bleibt die Möglichkeit, daß auch andere Kohlenhydrate mit Speicherfunktion in geringeren Mengen während des vegetativen Wachstums gebildet werden. Dies geschieht nicht nur bei Getreidepflanzen, sondern auch bei Spezies der Asterales und Liliales. Zu den besagten Verbindungen gehören als höhermolekulare Vertreter die Fructosane oder Fructane. Diese Polykondensate der D-Fructofuranose mit Molmassen zwischen 5 kDa (Inulin) und 42 kDa (Phleine; s. u.) enthalten einen geringen Anteil von Glucose, weil ihre lineare Hauptkette mit einer Saccharose-Einheit beginnt; Fructosane sind dementsprechend als Heteroglykane (S. 232) ausgewiesen. Sie sind nicht reduzierend. Die Fructose-Reste in der Kette sind entweder über (β2씮 6)- oder (β2씮 1)-Glykosidbindung verknüpft (s. Strukturen u.). Die erste Bindungsform ist für die meisten höhermolekularen Fructosane der Gräser typisch und wird als Phlein- (nach Phleum pratense) oder Lävan-Typ bezeichnet. Fructosane mit der (β2씮1)-Glykosidbindung finden sich überwiegend bei den Asterales: Inulintyp (nach Inula hirta). Beim Inulin (38), dem typischen Speicherpolysaccharid in Knollen von DahliaArten und von Helianthus tuberosus (Topinambur oder Jerusalem-Artischocke), besteht die Molekülkette aus 30 – 40 Fructose-Einheiten, verknüpft durch CH2 OH O OH
1 α
HO HO O HO CH2 O 2 HO β CH2 1 HO O HO CH2 O 2 HO β CH2 1 HO O HO CH2 O 2 HO β HO
CH2 OH O OH n
CH2 OH
Fructosan vom 38 Inulin-Typ
1 α
HO O HO CH2 O 2 HO β HO
CH2 OH
CH2
6
HO
O HO
O
CH2
6
CH2 OH n
HO O O 2 HO β
HO
39 Phlein-Typ
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CH2 OH
4.4 Polysaccharide als Speicherstoffe
243
(β2씮1)-Glykosidbindungen. Am Anfang steht eine Saccharose-Einheit, bedingt durch den Modus der Biosynthese (s. u.). Jene ist auch für die höhermolekularen Phleine, die Fructosane der Gräser (Poaceae), typisch, an welche die Fructose-Einheit mit (β2씮 6)-Bindungen angefügt sind (39). Bei den Gräsern werden Fructosane in sehr flexibler Weise synthetisiert, gespeichert und wieder mobilisiert. Dabei bestehen gewisse Unterschiede zwischen Organen mit autotrophem Stoffwechsel (Blatt, Blüte) und solchen mit heterotrophem (Sproß, Wurzel, Samen). So ist in ersteren die Speicherung eng mit der Synthese und dem Export von Saccharose gekoppelt und unterliegt relativ schnellen Veränderungen. Die Einlagerung in reproduktive Gewebe wie z. B. in den Samen ist hingegen ein Langzeitprozeß. Gespeichert werden Fructosane vermutlich in der Zellvakuole.
Biosynthese. Hier steht eine endgültige Klärung des Reaktionsmechanismus noch aus. Nach einer aktuellen Modellvorstellung sind dabei zwei Enzyme in der Zellvakuole aktiv: Saccharose:saccharose-fructosyl-Transferase bindet eine erste Fructose-Einheit an Saccharose; Fructan:fructan-fructosyl-Transferase katalysiert anschließend die sukzessive Anlagerung weiterer Fructose-Einheiten. Möglicherweise gehen diese „aktiviert“ als UDP-Fructose (23) in die Reaktion ein. Tatsächlich ist dieser Substratdonator in Knollen und Gewebezellen mit aktiver Fructosan-Synthese gefunden worden. Fructan:fructan-fructosyl-Transferase ist aus den Knollen von Helianthus tuberosus isoliert und hochgereinigt worden. Dieses Enzym, ein Protein von 70 kDa, wirkt am Aufbau von Inulin mit, indem es den Selbsttransfer von Fructose-Einheiten katalysiert: Glc-Fru2, Glc-Fru3, Glc-Fru4 oder Glc-Fru5 dient jeweils als Substrat oder Akzeptor.
4.4.3
Mannane
Zu dieser Gruppe von Polysacchariden werden alle Verbindungen gezählt, welche mindestens 85% Mannose-Bausteine im Molekül enthalten. Nur ausnahmsweise wie beim Stein-Endosperm der Phytelephas-Palme (vegetatives Elfenbein; s. u.) sind D-Mannane homoglykanische Polykondensate mit (β1 씮 4)Bindungen. In der überwiegenden Zahl der Fälle sind weitere Hexosezucker wie D-Glucose und D-Galaktose am Molekülaufbau beteiligt. So sind bei den D-Galakto-D-Mannanen (40) an einer Hauptkette aus (β1씮 4)verknüpften Mannose-Resten seitlich Galaktose-Einheiten über (α1씮 6)-Glykosidbindung angehängt. Auch ähnlich aufgebaute D-Galakto-D-Gluco-Mannane kommen vor, deren Hauptkette aus vielen Mannose-, aber weniger zahlreichen Glucose-Einheiten besteht; als Seitenketten trägt sie Galaktose-Einheiten in (1씮 6)-Glykosidbindung (41). Auch Polysaccharide vom Xyloglucan-Typ dienen als Speicherstoffe in den Zellwänden zahlreicher Dikotylen. Bei ihrer Mobilisierung, welche bei der Keimung
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244
4 Kohlenhydrate CH2 OH HO
O OH
1
CH2 OH HO CH2 O
6
CH2 OH 4
O OH HO
O OH HO
4
β
O OH HO
4 β
β
O
O
O 1
O
40 D-Galakto-D-Mannan (Molekülausschnitt)
1
Man
4
1
Glc
4
4
1
Glc
Man
3
Man 6
Man
1
Gal 41 D-Galakto -D-Gluco-Mannan (Molekülausschnitt; nach Aspinall u. Mitarb.)
von Tropaeolum majus untersucht worden ist, arbeiten vier hydrolytische Enzyme zusammen: Endo-β-Glucanase, α-D-Xylosidase, β-D-Galaktosidase und β-DGlucosidase. Die vorstehend beschriebenen Verbindungen werden von Zellen des Endosperm- oder Kotyledongewebes während der Samenreifung in deren Wandungen deponiert, welche dadurch entsprechend verdickt erscheinen. Diese sekundären Ablagerungen können auch stark verhärtet sein (Festigungsfunktion!), wie bei dem schon zitierten Stein-Endosperm von Phytelephas, der Elfenbein-Palme (s. o.).
4.5
Polysaccharide in der Zellwand
Die pflanzliche Zelle bildet im Gegensatz zur tierischen eine Zellwand aus. Sie gibt dem Protoplasten die Gestalt und verleiht Stabilität und Schutz. Neben diesen mehr mechanischen Funktionen hat die Zellwand auch wichtige physiologische Aufgaben. Dank ausgesparter Miniräume im Innern kann Wasser mit darin gelösten Substanzen transportiert werden. Somit wird dieser externe oder apoplastische Raum (S. 41) wegen des Verbundes der Zellwände zu einem übergeordneten und lebenswichtigen Verteilersystem. Aufgrund ihres meist mehrstufigen Bildungsmodus stellt die Zellwand eine extrazelluläre Matrix von hoher struktureller Organisation dar, welche je nach Anforderung bzw. Funktion spezifisch modifiziert wird. Die endgültige Wandstärke ist entsprechend den Erfordernissen angepaßt; maximale Werte finden sich bei Zellen der Festigungsgewebe (Sklerenchym, Holz).
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand Box 4.5
245
Strukturaufklärung der Primärwand
Eine wesentliche Voraussetzung hierfür war die Wahl von geeigneten Versuchsobjekten. Von diesen haben sich Zellkulturen, welche in flüssigen Nährmedien wachsen, als wahrer Glücksfall erwiesen: sie bilden – wie im Falle von Acer pseudoplatanus – lediglich eine Primärwand aus; außerdem scheiden sie oft Wandpolysaccharide direkt ins Medium ab. Wegen der standardisierten Wachstumsbedingungen liefern sie ein recht einheitliches Versuchsmaterial. Ein entscheidender methodischer Durchbruch gelang mit dem gezielten Einsatz zellwandabbauender hydrolytischer Enzyme aus pflanzenpathogenen
Bakterien und Pilzen, welche die Makromoleküle der unlöslichen Nichtcellulose-Polysaccharide zu Fragmenten definierter Größe, Zusammensetzung und Verknüpfung reproduzierbar zerlegen. Diese werden isoliert, gereinigt und mit Hilfe anderer spezifischer Hydrolasen in ihre Einzelbausteine zerlegt. Ihre Identifizierung erfolgt durch Gaschromatographie (Box 3.3, S. 73) nach vorheriger Überführung der partiell methylierten Zucker (s. u.) in Alditacetate oder durch Massenspektrometrie bzw. durch eine Kombination beider Verfahren.
Insgesamt ist die Zellwand jedoch mit ca. 0,1 µm relativ dünn, was die Frage aufwirft, wie sie den teilweise enormen hydrostatischen Druck des Protoplasten aushält. Die Antwort liegt in dem besonderen Konstruktionsprinzip, welches folgende Bauelemente verwendet: 1. Grundmasse oder Matrix aus Polysacchariden, 2. Fibrillen aus Cellulose 3. Sortiment spezieller Glykoproteide und Proteine. Wie sie zusammengefügt sind, wollen wir später betrachten. Diese Ausführungen machen deutlich, daß die Zellwand mehr ist als lediglich eine totes Sekretionsprodukt des Protoplasten. Der Anteil von Polysacchariden, die als echte Gerüstsubstanzen am Aufbau der pflanzlichen Zellwand beteiligt sind, kann bis zu 90% des Trockengewichtes der Primärwand betragen. Nach ihrem chemischen Aufbau handelt es sich im wesentlichen um Vertreter dreier Gruppen von Kohlenhydraten: Pektinverbindungen, Cellulosane (Hemicellulosen) und Cellulosen. Sie werden durch spezifische Wandproteine (Glykoproteine, S. 482) ergänzt.
4.5.1
Pektinverbindungen
Typische Vertreter dieser Gruppe von komplexen Polysacchariden sind Polygalakturonsäure oder Homogalakturonan (PolyGalUA–; 44), welche Ketten bzw. Helices aus α-D-Galakturonsäure (GalUA–; 42) darstellen, und Rhamnogalakturonan I (RG I; s. u.), gewundene, stabförmige Heteroglykane mit L-Rhamnose (Rha; 43), einem neutralen Deoxyzucker, als zusätzlichem Molekül-Baustein.
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246
4 Kohlenhydrate HO
COO– 5
4
HO
3
HO
HO O
O 1
HO
OH OH HO CH3
OH
42 α-D-Galakturonsäure (GalUA–)
O
HO O
OH
OH
HO
OH
43 L-Rhamnose
OH
COO–
O HO
O CH3
COO–
O HO
O
O
COO–
OH
HO O
OH O O
COO–
44 Polygalakturonsäure (Poly GalUA–)
Die Moleküle von PolyGalUA (Pektinsäuren) aus ca. 200 Einheiten sind etwa 100 nm lang. Mit Ca2 + entstehen Quervernetzungen über sog. Knotenpunkte: Ketten werden dadurch in antiparalleler Orientierung miteinander vernetzt. Voraussetzung hierfür sind freie Carboxy-Gruppen in den zentralen Abschnit-
O 1
O 4
CH3
O
OH OH
4 2
COO–
Arabinan
O
HO OH
GalU
1
O
CH3
O
OH Rha OH
2
O
COO–
O
O
H3C O
3
OH
O
CH3
O
O
OH OH
4
COO–
Arabinogalaktan
O
HO OH O
O
CH3 OH OH
O
45 Molekülkette von RG A (Ausschnitt)
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
247
ten der Molekülketten; an den Endabschnitten derselben findet hingegen kaum Vernetzung statt, weil dort die Carboxy-Gruppen durch Methylierung „blokkiert“ sind. In der Molekülstruktur von RG I können Rha und GalUA im Wechsel angeordnet sein, so daß identische Disaccharid-Einheiten – GalUAp (α1씮 2)Rhap – resultieren (45). Daneben können mehrere GalUA-Einheiten zwischen zwei Rha eingeschoben sein oder auch längere Abschnitte an den Molekülenden bilden. Diese reagieren wie die freien PolyGalUA-Moleküle, indem sie Knotenpunkte mit Ca2 + bilden (s. o.); mehrere Moleküle von RG I werden auf diese Weise vernetzt. Die genaue Größe von RG I ist nicht sicher bestimmbar. RG I ist mit Seitenketten bestückt. Bei diesen handelt es sich um Arabinane, Galaktane und stark verzweigte Arabinogalaktane (AG). Sie besetzen in unterschiedlicher Länge und Konfiguration die Hauptkette, wobei die O-4-Position einer Rha-Einheit als Anknüpfstelle dient (s. 45). Die Anzahl der Seitenketten hängt offensichtlich vom Typ und vom physiologischen Zustand der betreffenden Zelle ab. Die Vertreter der PolyGalUA- und RG-Fraktion bilden nach gängiger Vorstellung die gelartige Matrix der jungen Zellwand, welche mit ziemlicher Sicherheit eine eigenständige Entwicklung im Verlauf der Zelldifferenzierung durchmacht. Die exakte räumliche Orientierung von Verbindungen beider Fraktionen in der Matrix und ihre mögliche Assoziierung mit den Cellulosefibrillen sind weitgehend unbekannt.
4.5.2
Fibrillenverknüpfende Polysaccharide
Die Mehrheit von Verbindungen dieser Kategorie sind D-Xylo-D-Glucane (XG; 46); hinzu kommen in geringen Mengen Vertreter der Cellulosane (s. u.). Die lineare Hauptkette von XG entspricht einem (β1씮 4)-D-Glucan. Von vier aufeinanderfolgenden Glucose-Einheiten tragen drei je einen Xylose-Rest (ausnahmsweise auch einen Arabinose-Rest). Dieses Heptasaccharid bildet die 1. Grundeinheit. Von dieser ist etwa jede zweite in der Kette um eine Trisaccharidstruktur erweitert, indem an den ersten Xylose-Rest des Heptasaccharids eine α-L-Fucosyl-(1씮 2)-β-D-Galaktosyl-Einheit angehängt ist. Es resultiert ein Nonasaccharid als 2. Grundeinheit. Ara 1
Glc
6 1
Xyl
β
4
1
Glc
6 1
β
4
Glc
Xyl
Heptasaccharid
Glc
6 1
Xyl
Glc
6 1
Glc
1 2
Glc
Xyl
Glc
6 1
Xyl
2 1
Gal
2 β 1
Fuc
Nonasaccharid 46 Molekülausschnitt von D-Xylo-D-Glucan (nach Albersheim)
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248
4 Kohlenhydrate
Beide Grundeinheiten liegen offenbar in mehrfacher Wiederholung im Molekül vor. Man vermutet, daß über die Trisaccharidseitenketten von XG die Anbindung der Cellulosefibrillen erfolgt, denn jene besitzen die hierfür erforderliche sterische Form. Die Galaktose-Bausteine der Seitenketten sind größtenteils (bis zu 80%) acetyliert. Die als Baustein verwendete L-Fucose repräsentiert einen weiteren Deoxyzucker (47). HO HO HO
O
CH3
6 CH 3
OH
O OH
OH
HO HO
47 L-Fucose
4.5.3
Cellulosane
Detaillierte Kenntnisse über die Struktur dieser Polysaccharide, welche zum Bestand der Matrix von Primär- und Sekundärwand gehören, fehlen noch weitgehend. Soweit bekannt, handelt es sich zum einen um Mannane – D-GlucoD-Mannane und D-Galaktose-D-Gluco-Mannane (41) – , mit deren Molekülbau wir schon vertraut sind (S. 243 f). Zum anderen gehören dazu D-Xylose-D-Glucane (46) und L-Arabino-D-Galaktane. Ob neben diesen Heteroglykanen auch noch Homoglykane in Form von Hexosanen wie D-Glucane, D-Mannane und D-Galaktane und von Pentosanen – D-Xylane und L-Arabinane – als native Vertreter der Cellulosane vorkommen, ist umstritten.
4.5.4
Cellulose
Als einziger Grundbaustein ist bisher die β-D-Glucose identifiziert worden. 8000 – 12 000 ihrer Moleküle in Pyranose-Form sind über (β1씮 4)-Glykosidbindungen zu einem unverzweigten Makromolekül verknüpft (s. Molekülausschnitt; 48): Dies entspricht einer rel. Molmasse von 1,3 – 2,5 ⋅ 106. Im Gegensatz zur ebenfalls homoglykanisch aufgebauten Stärke, bildet das Cellulosemolekül keine Helix als Sekundärstruktur aus, bedingt durch die Drehung der jeweils zweiten Zucker-Einheit um 180⬚ infolge der β-glykosidischen Verknüpfung (s. Struktur). Wasserstoffbindungen erhöhen einerseits die interne Stabilität der mehrere µm langen Molekülkette, erlauben andererseits die Assoziierung mit weiteren Cellulosemolekülen, wodurch kristallgitterähnliche Micellarstrukturen entstehen. Diese bilden vermutlich die molekulare Basis für die Errichtung von Fibrillenkonstrukten, wie sie in den Zellwänden vorgefunden werden (s. u.). H O H O H O CH2 H O CH2 1 1 O O HO HO β O 4 β O 4 β 4 O O H O O H O O 1 H O CH2 H O H O H O CH2
1
O
48
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
249
Einige der wichtigsten Eigenschaften der Cellulose beruhen auf ihrer hohen Resistenz gegen chemischen und enzymatischen Abbau. Längeres Erhitzen mit konzentrierten Säuren (H2SO4!) ist erforderlich, um alle glykosidischen Bindungen zu hydrolysieren und das Polymer in Glucose zu überführen („Holzverzuckerung“). Zahlreiche Bakterien und einige Keimlinge besitzen in den Cellulasen spezifische Enzyme, welche Cellulose durch hydrolytische Auflösung von β-Glykosidbindungen zu dem Disaccharid Cellobiose (25; S. 224 f) abbauen. Diese Verbindung ist als Grundbaustein der Cellulose aufzufassen, obwohl sie vermutlich nicht zur Biosynthese benutzt wird. Der Angriff der Cellulase ist oft mit dem eines zweiten Enzyms gekoppelt, einer Cellobiase, die durch hydrolytische Spaltung des Dimers den Abbau von Cellulose zu freier Hexose zu Ende führt. Beide Enzyme gehören zu den β-D-Glykosidasen. Die Bedeutung der Cellulose machen einige Zahlen deutlich. Von dem Kohlenstoff, der jährlich durch höhere Pflanzen in organischem Material gebunden wird, gelangt etwa ein Drittel in die Cellulose (3 – 10 ⋅ 1011 Tonnen). Unsere Kleidung besteht zu 80 – 90% aus Cellulose. Papier enthält etwa 50% Cellulose. Etwa zu einem Drittel ist sie an der Nahrung der Tiere beteiligt, die zu unserer Fleischversorgung beitragen. In der sekundär veränderten Zellwand ist Cellulose allgemein mit Holzstoffen oder Ligninen assoziiert („Verholzung“). Es handelt sich um polymere Verbindungen aus Phenylpropanen, mit denen wir uns noch eingehend beschäftigen werden (S. 373 ff). Ausnahmsweise in reiner Form liegt Cellulose in den Zellwänden von Samenhaaren der Baumwolle vor, was die große wirtschaftliche Bedeutung dieses Naturproduktes erklärt. Sonst müssen nämlich bei der technischen Gewinnung von Cellulose, z. B. aus Holz, die Lignine zuvor durch Kochen mit Calciumbisulfit („Sulfitablauge“) entfernt werden.
Viele Anzeichen sprechen dafür, daß Cellulose in einer speziellen Grundstruktur am Zellwandbau beteiligt ist, welche auf einer Zusammenlagerung vieler linearer Cellulosemoleküle (40 – 100) beruht: die Elementarfibrille (⭋ 3,5 – 5 nm). Charakteristisch für diese sind Micellarbereiche, in denen die Makromoleküle nach Art eines Kristallgitters streng parallel und gleichsinnig (reduzierende Molekülenden alle auf einer Seite!) angeordnet sein sollen. Den Zusammenhalt besorgen Wasserstoffbindungen zwischen dem Ring-O-Atom einer Glucose-Einheit und der Hydroxy-Gruppe einer anderen, welche sich auf fast gleicher Höhe in der benachbarten Kette befindet. An diese hochgeordneten Bereiche sollen sich solche mit einer gelockerten oder parakristallinen Parallelanordnung der Makromoleküle anschließen. Mehrere Elementarfibrillen sind zu einer Mikrofibrille vereint, die vermutlich nicht nur die typische Cellulosestruktur der Primärwände, sondern auch die eigentliche Grundeinheit für die Konstruktion von fibrillären Bauelementen höherer Ordnung, den Makrofibrillen, darstellt. Auf Einzelheiten kann leider nicht eingegangen werden; sie finden sich in jedem modernen Lehrbuch der Botanik. Die Bündelung der Elementarfibrille zur Mikrofibrille ist nicht kompakt; vielmehr bleiben kleine Bereiche ausgespart, die intermicellären und die interfibrillären Räume (⭋ 1 – 10 nm), welche wir schon im Zusammenhang mit der Wasserbewegung zwischen pflanzlichen Zellen kennengelernt haben (S. 41).
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250
4 Kohlenhydrate
4.5.5
Glykoproteine und andere Proteine der Zellwand
Polysaccharide in Bindung an Protein – Glykoproteine(-ide) –, aber auch Proteine ohne diesen Bindungspartner sind als wichtige Bauelemente der pflanzlichen Zellwand erkannt worden. Von der ersten Kategorie gehören die Extensine, Hydroxyprolin-reiche Glykoproteide (HRGP), zu den am besten charakterisierten Strukturproteinen pflanzlicher Zellen. Wie der Name besagt, enthält ihre Polypeptidkette Hydroxyprolin als modifizierten Aminosäure-Baustein (49), welcher interessanterweise bisher nur in tierischen Gerüstproteinen gefunden wurde. H
+
H
N OH
H COO–
4
49 trans-4-Hydroxy-L-Prolin (L-Hydroxyprolin)
Daneben erreicht auch Serin einen hohen Anteil. Diese Aminosäure bildet mit 4 Hydroxyprolin-Einheiten – zumindest bei Dikotylen – das Pentapeptid SerHyp4, welches als Wiederholungsmotiv, oft auch als Teil eines anderen, größeren Sequenzmotivs, in der Polypeptidkette von Extensinen auftritt. Die meisten der Hydroxyprolin-Reste sind mit bis zu 4 Arabinose-Resten glykosyliert, d. h. Arabino-Oligosaccharide bilden zahlreiche Seitenketten (50). Serin-Reste tragen oft eine Galaktose-Einheit. Gal Ser
[Ara]3 Hyp [Ara]4
Hyp
Ara Hyp
Hyp
Ser(Thr)
[Ara]2 50
Daneben ist auch für die Aminosäuren Lysin und Tyrosin ein relativ hoher Anteil in Extensinen gefunden worden. Beide sind häufig zu Lysin- bzw. Tyrosinreichen Regionen in der Polypeptidkette kombiniert: -Tyr-Lys-Tyr-Lys- oder -Tyr-Tyr-Tyr-Lys-
Über die Tyrosin-Reste soll die Vernetzung einzelner Extensinmoleküle erfolgen, indem recht stabile Diphenyletherbrücken ausgebildet werden (51). Solche Isodityrosine sind vermutlich im Abstand von ca. 30 Aminosäureresten in der Kette etabliert. Aufgrund der Massierung von Hydroxyprolin-Resten in einzelnen Sequenzabschnitten stellt man sich vor, daß diese helikal aufgewunden sind und damit der Poly-L-Prolin-Helix im tierischen Kollagen ähneln. Die Lysin- bzw. Tyrosin-reichen Regionen (s. o.) bleiben zwischen den Helixbildungen als flexible Bereiche ausgespart.
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
251
–
+
COO
H3N C H CH2
+
NH3 O
–
CH2 C COO H
OH 51 Isodityrosin
Zu den Glykoproteiden der Zellwand gehören auch die Arabinogalaktan-Proteine (AGP), welche weitverbreitet sind und 2 – 10% des Gesamtproteins ausmachen können. Da sie relativ gut wasserlöslich sind, gelingt ihre Extraktion mit wäßrigen Medien. Ihre Aminosäuresequenz ist reich an Hydroxyprolin, Serin, Alanin, Threonin und Glycin. Als Wiederholungsmotiv ist -Ala-Hyp- erkannt worden. Da die Polypeptidkette stark glykosyliert ist, vor allem durch zahlreiche Arabinogalaktane als Seitenketten (S. 247), ist sie gegen proteolytischen Abbau gut geschützt. Über die Funktion dieser Glykoproteide kann nur spekuliert werden. Als Zellwandproteine ohne erkennbaren Polysaccharidanteil gilt das Prolinreiche Protein (PRP) von ca. 33 kDa. Seine Funktion wird in der Beteiligung an der Quervernetzung von Extensinen in der fertigen Primärwand gesehen. Andere Vertreter dieser Gruppe sind die Glycin-reichen Proteine (GRP), welche in mannigfaltiger Form auftreten. Wie der Name besagt, enthalten ihre Sequenzen einen überdurchschnittlichen Anteil an Glycin, im Extremfall 70% und mehr. Die Glycin-Reste sind teilweise in Wiederholungsmotiven angeordnet, von denen -Gly-Gly-X- die einfachste Form darstellt. Die Funktion der GRP ist noch ungeklärt.
4.5.6
Zellwand-Polysaccharide von Algen
Neben Cellulose und Pektinverbindungen kommen in den Zellwänden einiger Algen zusätzliche Strukturkomponenten vor. Bei den Rhodophyceae sind es Galaktane, in denen wahrscheinlich als Bausteine D-Galaktose und L-Galaktose in (β1 씮 4)- oder (β1 씮 3)-Bindung verknüpft und teilweise mit Schwefelsäure verestert (vgl. S. 406) sind. Am bekanntesten ist Agar-Agar, welcher vor allem aus den Zellwänden von Rhodophyceae des Pazifik (Gelidium, Gracilaria) gewonnen wird. Alginate, welche vor allem für Phaeophyceae typisch sind, werden vielfältig verwendet, u. a. in der Lebensmittelindustrie.
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252
4 Kohlenhydrate
4.5.7
Kallose
Dieses Glucan aus (β1씮 3)-verknüpften D-Glucose-Einheiten ist normalerweise kein Bestandteil der pflanzlichen Zellwand. Es dient in erster Linie als Verschlußmasse für Poren in derselben und in den Siebplatten der Phloem- bzw. Bastelemente (s. S. 195). In Pollenmutterzellen (Mikrosporenmutterzellen) wird Kallose vor der Pollenbildung als kompakte Schicht der Cellulosewandung aufgelagert, wodurch diese während der nachfolgenden Meiose erhalten bleibt und die vier entstehenden Teilungsprodukte gegeneinander abgrenzen kann. Während der sich anschließenden Ausbildung des Sporoderms durch die jungen Pollenzellen wird die Kallose allmählich abgebaut und ist am Ende dieses Differenzierungsvorgangs verschwunden. Verantwortlich hierfür ist vermutlich eine Endo(β1씮 3)-Glucanase, welche von den Zellen des umgebenden Tapetum sezerniert wird. Schnelle Kallosebildung setzt oft bei Verwundung oder Pathogenbefall im Bereich der dadurch hervorgerufenen Gewebezerstörung ein; somit kann den eintretenden Schädigungen frühzeitig begegnet werden. Calcium-Ionen sollen die katalysierende Kallose-Synthase aktivieren, die Cellulose-Synthase hingegen inhibieren. Kallose kann auch ebenso schnell wieder abgebaut werden, wenn es die Situation erfordert.
4.5.8
Biosynthese von Zellwandkomponenten
Die Fertigung der verschiedenen Makromoleküle und ihr Einbau in die komplexen Strukturen der Zellwand sind das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit von cytosolischem und extrazellulärem Kompartiment. Neuere Befunde belegen, daß die Biosynthesen – mit Ausnahme von Cellulose – größtenteils über den Golgi-Apparat abgewickelt werden. Man schätzt, daß seine Kapazität in der Pflanzenzelle zu etwa 80% mit der Herstellung und Sekretion von Matrix-Polysacchariden und zu 20% mit der Glykosylierung von typischen Zellwandproteinen ausgelastet ist. Hierin besteht offensichtlich ein tiefgreifender Unterschied zur Arbeitsweise des Golgi-Apparates in tierischen Zellen, welcher dementsprechend anders als in Pflanzenzellen organisiert ist. Der Golgi-Apparat, d. h. die Gesamtheit der Dictyosomen (s. Box. 4.6), kommuniziert über Transportvesikel einerseits mit der Zellwand als extrazellulärem Zielort seiner Produkte, andererseits mit dem Endoplasmatischen Reticulum (ER) als dem Produktionsort von Polypeptiden, welche modifiziert werden. Bei der Biosynthese der Cellulose wird ein alternativer Weg beschritten: Sie entsteht an der Cytoplasmamembran (Plasmalemma), wo ihre Moleküle sofort zu Fibrillen gebündelt und in die Zellwand integriert werden (s. u.). Nur bei einigen Algen wird Cellulose in Form plattenförmiger Aggregate zusammen mit anderen Zellwandkomponenten vom Golgi-Apparat produziert und über Vesikel zur Wand transportiert.
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand Box 4.6
253
Golgi-Apparat
Obwohl derselbe in pflanzlichen Zellen mit der entsprechenden Bildung in tierischen Zellen vieles gemeinsam hat, gibt es doch wesentliche Unterschiede. So differiert zunächst die Anzahl der aufbauenden Dictyosomen, welche sich als flache, membranumschlossene Vesikel oder Zisternen darstellen. Während in einer Wurzelzelle (Zwiebel) rund 400 derselben, gleichmäßig im Cytoplasma verteilt, vorliegen, bringen es viele tierische Zellen lediglich auf etwa 10 Exemplare. Pflanzliche Dictyosomen sind generell in folgende vier distinkte Subkompartimente gegliedert: cis-, medial- und trans-Zisterne, zu denen noch das trans-Golgi-Netzwerk (TGN) kommt. In dieser Reihenfolge entstehen sie vermutlich auch durch Längsteilung einer Initialzisterne. Im typischen Falle sind in einem Stapel pflanzlicher Dictyosomen eine cis-Zisterne und eine variable Anzahl von medial- und trans-Zisternen vereinigt, so daß Stapel aus 3 – 10 Zisternen resultieren. Zwischen den trans-Zisternen können sich Filamente (⭋ 2 – 5 nm) in Parallelanordnung befinden, die Interzisternen-Elemente. Die rundlichen und teilweise verzweigten Vesikel von TGN,
deren Binnenraum deutlich eingeengt ist, fehlen bisweilen. Die an den Rändern der drei typischen Zisternen durch Knospung entstehenden Vesikel übernehmen vermutlich den Stoffaustausch zwischen den Zisternen eines Stapels, wobei die cis 씮 trans-Richtung vorgeschrieben ist. Das in einer cis-Zisterne gefertigte Produkt wird demgemäß zur weiteren Modifizierung zunächst in die medial-, dann in die trans-Zisterne befördert. Danach würde in jeder dieser Zisternen eine individuelle Biochemie stattfinden. Für den Abtransport der Endprodukte sind sekretorische Vesikel zuständig, welche von TGN oder der terminalen trans-Zisterne abgegliedert werden; im ersten Fall tragen sie teilweise eine Umhüllung infolge ClathrinAuflagerung (engl. coated). Hinsichtlich der Endprodukte unterscheiden sich pflanzliche Dictyosomen von ihren Gegenstücken in tierischen Zellen insofern, als sie überwiegend die Synthese der makromolekularen, komplexen Polysaccharide der ZellwandMatrix betreiben, eine Produktlinie, welche bei tierischen Dictyosomen unbekannt ist.
Matrix-Polysaccharide Wir betrachten Ort und Art der Synthese von Pektinverbindung, nämlich von Polygalakturonan/Rhamnogalakturonan (PolyGalUA/RG I; S. 245 f). Die einzelnen Syntheseschritte verteilen sich auf alle Formen der DictyosomenZisternen, wie Abb. 4.6 verdeutlicht: Die Fertigung der unveresterten Hauptkette läuft in der cis- und medial-Zisterne ab. Dort findet auch die Methylierung von Carboxy-Gruppen an den GalUA-Bausteinen der PolyGalUA-Abschnitte statt. Die Arabinose-tragenden Seitenketten werden in der trans-Zisterne angefügt. Dieses räumliche Verteilungsmuster beruht auf den Befunden der immunochemischen Analyse (Box 3.17, S. 142) in Zellen der Wurzelrinde. Die Zucker-Bausteine, welche für die Glykosidierung der Proteine benötigt werden, sind an Nucleosiddiphosphat gebunden und werden über ein Membran-
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254
4 Kohlenhydrate Abb. 4.6 Modell zur Biosynthese von Polygalakturonsäure/Rhamnogalakturonan (PolyGalUA/RG I).
R R
ZW
R
PM
왖 쑗 쐌– R
SV
GalUA Rhamnose Methylester-Gruppe Oligosaccharid-Seitenkette
R R R
R
TGN
R R R
,
trans
medial
,
cis
Transportsystem aus dem Cytosol in die Zisternen befördert. Dieses arbeitet nach dem Prinzip des Gegentausches: für jedes importierte Molekül UDP-Galaktose wird eines von UMP exportiert. Letzteres ist das Produkt einer internen, durch Phosphatase katalysierten Dephosphorylierung des freigesetzten UDP. Nach ihrer Fertigstellung werden die Matrix-Polysaccharide über TGN in Transportvesikel verpackt und in diesen zur Zelloberfläche befördert. Hier fusioniert die Membran des Vesikels mit dem Plasmalemma, wodurch sein Inhalt in das extrazelluläre Kompartiment gelangt.
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
255
Glykoproteine Nach dem derzeitigen Kenntnisstand wird der Syntheseort dieser Verbindungen davon bestimmt, ob die Glykokomponente N-glykosidisch oder O-glykosidisch gebunden wird. Verbindungen der ersten Kategorie entstehen offensichtlich nach dem gleichen Modus wie in tierischen Zellen. Während der Startphase im ER-Binnenraum reagiert eine Oligosaccharid-Einheit in Bindung an ein spezifisches Trägermolekül (Carrier) mit der Amid-Gruppe eines definierten Asparagin-Restes in der wachsenden Peptidkette, d. h. cotranslational (S. 498), unter Errichtung einer N-Glykosidbindung. Das als Carrier fungierende Dolicholphosphat (52), ein Polyprenyl (Polyterpen-)-Derivat (Abb. 7.2, S. 335), umfaßt bei den pflanzlichen Vertretern 9 – 13 Isopren-Einheiten. CH3
H3C
O –O
CH3
P O
CH3
O–
n
52 Dolicholphosphat (n: 15 – 19)
Über den Phosphat-Rest ist das ebenfalls phosphorylierte und entsprechend „aktivierte“ Oligosaccharid gebunden. Bei dessen Transfer auf ein Polypeptid wird Dolicholdiphosphat frei. Nach Dephosphorylierung entsteht durch schrittweise Addition von 2 N-Acetylglucosamin-, 9 Mannose- und 3 GlucoseEinheiten eine neue Oligosaccharidgruppierung (53). Man
1 2
Man 1
1 2
Man
1 3
Man
6
Man
1 6
1 4 GlcNAc 3 Man
(Glc)3
1
2
1
O GlcNAc
O
O P O P O Dolichyl –
O
–
O
(Man)3
53 Aktiviertes Kern(Core)-Oligosaccharid mit Dolicholphosphat (rot) als Carrier. GlcNAc N-Acetylglucosamin
Bei der Anheftung der ersten 7 Zucker-Bausteine ist die Phosphat-Gruppe des Carrier zur Außen- oder Cytosolseite der ER-Membran orientiert; dadurch ist sie für die aktivierten Substratmoleküle, Derivate von UDP und GDP, zugänglich. Anschließend erfolgt die Verlagerung in das ER-Lumen, indem der Carrier seine Position entsprechend verändert. Jetzt werden noch insgesamt 4 Mannose- und 3 Glucose-Einheiten angefügt. In der fertigen Glycan-Struktur hat sich ein Kern (Core) als Pentasaccharid – 3 Mannose- und 2 N-Acetylglucosamin-Reste – etabliert, welcher als gemeinsames Motiv aller N-glykosidisch gebunde-
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256
4 Kohlenhydrate
nen Oligosaccharide gilt. Da sowohl das Carrier-gebundene Glykan als auch die spezifische Transferase im ER-Lumen lokalisiert sind, kann nur hier, nicht aber im Cytosol die Glykosylierung von Proteinen stattfinden. Nach Abtrennung von einem Glucose- und drei Mannose-Resten vom gebundenen Oligosaccharid gelangt das Glykoprotein über Vesikeltransport in die Zisternen des Dictyosom, wo der Oligosaccharidanteil seine endgültige Form erhält. Glykoproteine mit O-glykosidisch gebundener Glykokomponente wie HPRP (S. 250) und AGP (S. 251) werden nach den Befunden von immunocytochemischen Studien in der cis-Zisterne des Dictyosoms fertiggestellt.
Cellulose Der Mechanismus der Synthese und „Bündelung“ von Cellulosemolekülen zu Fibrillen ist eng mit dem Plasmalemma assoziiert. Nach Meinung vieler Fachleute ist das katalysierende Enzymsystem, die Cellulose-Synthase (Cellulose-Glykosyltransferase), als integraler Komplex dieser Membran organisiert. Seine Produkte entstehen quasi an der Zelloberfläche und erreichen somit direkt ihren Bestimmungsort Zellwand. Damit entfällt die Notwendigkeit eines sicherlich nicht problemlosen Transfers des fertigen Makromoleküls durch das Plasmalemma nach außen. Diese Membran-Integration der Cellulose-Synthase sowie deren komplexe Struktur dürften ausschlaggebend dafür sein, daß bisher alle Versuche gescheitert sind, die Bildung von nativer Cellulose in vitro mit Hilfe von Enzympräparationen aus pflanzlichen Zellen bzw. Zellwänden nachzuvollziehen. Cellulose-Synthase setzt sich aus mehreren integralen Membranproteinen zusammen: Einem globulär geformten Terminal-Komplex und 6 transmembranen Polypeptiden, welche ihn umgeben. Ihre Strukturen werden bei Gefrierbruch des Plasmalemmas entlang der Lipidphase sichtbar (s. Abb. 4.7 a). Der Terminal-Komplex ist mit der äußeren Bruchfläche (EF) assoziiert, die übrigen Komponenten mit der inneren (PF), wo sie in Form einer regelmäßig gestalteten Rosette angeordnet erscheinen. Bei Prokaryoten und einigen Algenarten (Oocystis solitaria) hat der Synthase-Komplex stabförmige Gestalt, weil die zahlreichen Untereinheiten linear angeordnet sind. Bei anderen Algen-Spezies (Spirogyra) bilden zahlreiche Rosetten-Komplexe ein fast regelmäßiges hexagonales Gittermuster. Diese starke Verdichtung ist bisher bei höheren Pflanzen nicht beobachtet worden. Man stellt sich vor, daß die unabhängig von den einzelnen Rosetten-Komplexen produzierten Cellulosemoleküle spontan zu einer Mikrofibrille aggregieren (engl. self assembly). Sechs Elementarfibrillen als Produkte eines RosettenKomplexes sollen durch den Terminal-Komplex zu einer Mikrofibrille als nächsthöhere Organisationsstufe gebündelt werden, welche dann den Kom-
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
a EF
G MF
PF R
b
MF
EF
UE
G R
PM UE Cytosol
257
Abb. 4.7 Modell zur Anordnung und Wirkungsweise des Cellulose-SynthaseKomplexes. a Gefrierbruch der Plasmamembran (PM): Rosette (R) und globulärer TerminalKomplex (G) werden getrennt; erstere befindet sich auf der inneren Fläche (PF), der Terminal-Komplex hingegen auf der äußeren (EF; vgl. S. 99). Auf der Membranoberfläche entstehende Mikrofibrillen (MF) sind angedeutet. b Rosette und globulärer Terminal-Komplex bilden vermutlich gemeinsam den aktiven Enzymkomplex; jede der 6 Untereinheiten (UE) soll eine Elementarfibrille (EF) entlassen; diese Produkte vereinigen sich sehr schnell zur Mikrofibrille (MF).
plex verläßt (Modell in Abb. 4.7 b). Tatsächlich konnten solche Mikrofibrillen mit anhaftendem Terminal-Komplex isoliert werden. Der Terminal-Komplex bewegt sich vermutlich innerhalb des Plasmalemmas unter dem Druck der an der Membranoberfläche wachsenden Mikrofibrille, wobei die Richtung von den im membrannahen Cytoplasma angeordneten Mikrotubuli vorgegeben werden soll. Hierfür spricht die Beobachtung, wonach Blockierung der Aktivität dieser Cytoskelettstrukturen durch Colchicin auch Form und Funktion der Rosetten-Komplexe in Mitleidenschaft zieht. Als Substrat der Cellulose-Biosynthese fungiert UDP-Glucose („aktivierte Glucose“; S. 219), welche vermutlich im Cytosol unter Mitwirkung einer Glucose-1phosphat-Uridylyltransferase (Isoform des Plastiden-Enzyms?) entsteht. Die katalysierte Reaktion liefert praktisch unverzweigte Glucan-Ketten aus (β1씮 4)-glykosidisch verknüpften Glucopyranose-Einheiten. Daneben sollen auch solche mit (β1씮 3)-Bindungen gebildet werden, d. h. Glucane vom Kallose-Typ (S. 252). Was die Isolierung von aktiver Cellulose-Synthase aus Rosetten-Komplexen betrifft, hat es nicht an Versuchen gefehlt; bis jetzt ist jedoch der entscheidende Durchbruch nicht gelungen. Immerhin konnte aus angereicherten Plasmamembranen von Faserzellen der Baumwolle aktive Cellulose-Synthase mittels Digitonin-Behandlung erhalten werden. Sie katalysierte die Synthese von (β1씮 4)- und (β1씮 3)-Glucanen im Verhältnis von ungefähr 1 : 3. Die Entste-
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258
4 Kohlenhydrate
hung höher geordneter Strukturen konnte noch nicht eindeutig nachgewiesen werden.
4.5.9
Molekulare Architektur der Primärwand
Die bisher erzielten Ergebnisse bei der Strukturaufklärung pflanzlicher Zellwände reichen lediglich aus, um einigermaßen plausible Modellvorstellungen ihres Aufbaus im Frühstadium der Entwicklung sowie in der Primärwand zu entwerfen (s. Box 4.5, S. 245). Während weitgehend Einigkeit über die beteiligten Komponenten besteht, gehen die Meinungen hinsichtlich ihrer Anordnung und Verknüpfung auseinander. Nach dem in Abb. 4.8 wiedergegebenen Strukturvorschlag, welcher für die meisten Dikotylen, aber auch für einige Monokotylen charakteristisch ist (= Typ I), sind Mikrofibrillen von 5 – 25 nm Durchmesser zufallsverteilt in einem Netzwerk zusammengefaßt; der Abstand zwischen ihnen beträgt 20 – 40 nm. Im dargestellten Modell umhüllen die XG-Moleküle einerseits die Mikrofibrillen, durchspannen andererseits aufgrund ihrer Länge von 20 – 700 nm die Räu-
Poly Gal U XG
EX
MF RG I
Abb. 4.8 EX MF PolyGalUA RG I XG
Modell der wachsenden Primärwand (nach Capita u. Gibeaut). Extensin Mikrofibrille Polygalakturonsäure mit Kontakt-Regionen Rhamnogalakturonan mit Seitenketten aus Arabinogalaktan (rot) D-Xylo-D-Glucan
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4.5 Polysaccharide in der Zellwand
259
me zwischen einzelnen Fibrillen und vernetzen sie auf diese Weise. Durch Bindung mit sich selbst resultiert ein Netzwerk, welches der Struktur von Maschendraht ähnelt. Inwieweit diese duale Anordnung von der Ausstattung der XG-Moleküle mit Seitenketten abhängt, ist unbekannt. Polygalakturonsäure (PolyGalUA) und Rhamnogalakturonsäure I (RG I) formen die gelartige Matrix, welche sicherlich eine eigene Dynamik im Verlauf der Zellwandexpansion entwickelt. Mittels Immuno-Elektronenmikroskopie gelang der Nachweis, daß bei einigen Spezies mit Primärwänden vom Typ I PolyGalUA mit freien Carboxy-Gruppen über den gesamten Matrixbereich verteilt vorliegt, während sie bei anderen auf die Mittellamelle oder die äußeren Schichten der Primärwand beschränkt ist. Während die Zellen einiger Gewebe (Parenchym, Meristem) oder Pollenschläuche lediglich eine Primärwand aufweisen, sind andere wegen ihrer Funktion (Leitung, Festigung) mit einer erweiterten Wandstruktur, der Sekundärwand, ausgestattet. Dies bedeutet, daß nach Beendigung des Zellwachstums die Wanddifferenzierung weitergeht. Müssen die mechanischen Eigenschaften verstärkt werden, bildet sich zunächst eine Übergangslamelle aus, auf welche zusätzliche Schichten aufgelagert werden. Sie bestehen aus Fibrillen und einer stark verdichteten Matrix. Erstere erfahren eine parallele Anordnung (Paralleltextur), deren Streichrichtung in den einzelnen Schichten meist verschieden ist. Der Celluloseanteil kann jetzt auf über 90% ansteigen. Die oben erwähnte Modifizierung der Matrix beruht vor allem darauf, daß spezielle Polysaccharide, z. B. Cellulosane (S. 248), und Proteine eingelagert werden. Überzeugende Modelle zum Feinbau der Sekundärwand konnten bisher aufgrund fehlender Detailkenntnisse nicht entwickelt werden.
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261
5
Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Einleitend ist darauf hingewiesen worden, daß jede Zelle Energie in chemisch gebundener und verwertbarer Form erzeugen muß, um alle jene energiebedürftigen Prozesse bewältigen zu können, die zu ihrer Aktivität bzw. zu ihrem Überleben notwendig sind. Wir haben sie bereits unter der Sammelbezeichnung Biologische Arbeit – osmotische, mechanische und chemische (S. 3) – kennengelernt. Die chemische Arbeit ist vor allem für die Biosynthesen der Zellen von großer Bedeutung. Dieser Teil des Stoffwechsels („Baustoffwechsel“) wird in gesonderten Kapiteln behandelt.
Allgemeines Wird der Prozeß der Photosynthese als eine energieabhängige Zerlegung des Wassers mit anschließender Anhebung seines Wasserstoffs auf das höhere Energieniveau der metastabilen Kohlenstoffverbindung Hexose aufgefaßt, so entspricht die Dissimilation, der Prozeß der zellulären Energiegewinnung, der Umkehrung dieses Vorgangs. War früher die Errichtung des Energiepotentials zwischen Sauerstoff und Wasserstoff durch Strahlungsenergie mit dem Spannen einer Feder verglichen worden, so ist die Dissimilation mit der Aufhebung der Federspannung gleichzusetzen. Die bei diesem Vorgang freiwerdende Energie wird größtenteils als chemische Energie in Form von ATP konserviert. Der Wasserstoff, nach Oxidation von Kohlenhydraten in Reduktionsäquivalenten gebunden, kehrt letztlich zum Sauerstoff zurück; man spricht daher von aerober Dissimilation oder „Atmung“. Sie ist für die Zellen der meisten autotrophen und heterotrophen Organismen typisch (Aerobier). Demgemäß entspricht der Gesamtvorgang der aeroben Dissimilation summarisch einer Umkehrung der Assimilation bei Photosynthese und Chemosynthese: Glucose wird unter Sauerstoffverbrauch zu Kohlendioxid und Wasser bei gleichzeitiger Energieabgabe zerlegt: C6H12O6 + 6 O2 + 6 H2O 씮 12 H2O + 6 CO2 ∆G'm(∆G0’) ⫽ 2872 kJ ⋅ mol – 1 Glucose
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262
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Das zwischen Sauerstoff und Wasserstoff errichtete und im Glucosemolekül stabilisierte Energiepotential wird nicht nur von der autotrophen „Hersteller“-Zelle, sondern auch von Zellen des pflanzlichen Organismus ohne Chloroplasten und solchen mit heterotrophem Stoffwechsel ausgebeutet. Des weiteren nutzen alle heterotrophen Organismen wie Tiere, Pilze und die meisten Bakterien dieses durch die Autotrophie geschaffene Energiepotential zur Deckung ihres Energiebedarfs aus. Box 5.1
Methoden der Atmungsmessung
Gaswechsel. Vorliegen und Ausmaß von Atmung kann anhand der Kohlendioxidabgabe ( – mol CO2 ⋅ s– 1) oder der Sauerstoffaufnahme (+mol O2 ⋅ s – 1) mittels manometrischer, chemischer und physikalischer Methoden bestimmt werden. Setzt man die für ein Versuchsobjekt erhaltenen Meßwerte für Kohlendioxidabgabe und Sauerstoffaufnahme ins Verhältnis, so kommt man zum Gaswechsel- oder Respiratorischen Quotienten (RQ): RQ =
mol CO2앖 · ⌬t–1 mol O2앗 · ⌬t–1
Aus seinem Wert sind innerhalb gewisser Grenzen Rückschlüsse auf das Substrat des vermessenen Atmungsvorgangs möglich. Erfolgt ein vollständiger Abbau von Kohlenhydrat gemäß obiger Gleichung, so resultiert der Wert 1,0. RQ-Werte unter 1,0 zeigen an, daß Fette (0,7) oder Eiweiße (0,8) als relativ sauerstoffarme Substrate veratmet werden; dies ist der Fall bei der Keimung fett- oder eiweißreicher Samen. Stellen hingegen organische Säuren das Substrat der Atmung, wie teilweise in reifenden Früchten, so resultiert ein RQ größer als 1,0. Isotopentechnik. Mit Hilfe von radioaktivem Kohlenstoff (14C) kann der Weg der C-Atome einzelner Verbindungen beim dissimilatorischen Abbau ver-
folgt werden. Dabei wird entweder die Freisetzung von radioaktiv markiertem 14 CO2 durch das Versuchsobjekt erfaßt oder das Erscheinen bzw. die Verteilung von 14C in Zwischen- und Endprodukten nach vorhergegangener Fütterung mit 14C-markierten Vorstufen verfolgt. Fehlinterpretationen der erhaltenen Ergebnisse sind aufgrund von zyklischen Vorgängen, von neuerlicher Bindung des 14CO2, von Verwertung zelleigenen Materials und von Isotopenaustausch in den Zellen möglich. Die Möglichkeiten und Grenzen der Methode müssen daher von Fall zu Fall überprüft werden. Spezifische Hemmstoffe. Als wertvolles Hilfsmittel haben sich auch spezifische Hemmstoffe, Inhibitoren, erwiesen, die entweder einen bestimmten Reaktionsschritt oder aber eine Reaktionsfolge unterbinden, indem sie die hierfür verantwortlichen Enzyme inaktivieren. Die Art des erzielten Hemmeffektes gibt oft schon wichtige Hinweise auf die Eigenschaften des oder der betroffenen Enzyme: Gehalt an Schwermetallen (Fe, Cu) oder Thiol(Mercapto-)gruppen. Andere Hemmstoffe wie 2,4-Dinitrophenol oder einige Antibiotika lösen die enge Kopplung zwischen Oxidation und Phosphorylierung; die Atmung verläuft dementsprechend ohne Energiegewinn (vgl. S. 296).
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5.1 Der Betriebsstoff der Energiegewinnung und seine Bereitstellung
263
Bei der anaeroben Dissimilation oder Gärung, wie sie ohne Sauerstoff von einer Anzahl Mikroorganismen, aber auch von einigen Geweben höherer Pflanzen und Tiere (hier im Muskel!) betrieben wird, fungiert eine organische Verbindung, die selbst im Verlauf des Glucoseabbaus entsteht, als Endakzeptor für den Wasserstoff. Bei der Gärung kann das Energiepotential nur begrenzt ausgeschöpft werden.
5.1
Der Betriebsstoff der Energiegewinnung und seine Bereitstellung
Glucose ist bei weitem der wichtigste Betriebsstoff der Energiegewinnung, so auch bei pflanzlichen Organismen. Für den Abbau haben sich im Laufe der Evolution verschiedene Reaktionswege herausgebildet. Der am weitesten verbreitete heißt Glykolyse (griech. glykos = süß, lysis = Auflösung), nach den maßgeblichen Entdeckern auch Embden-Meyerhof-Parnas-Weg bzw. nach dem wichtigsten Zwischenprodukt auch Fructosebisphosphat-Weg genannt. Bevor wir auf den Ablauf der Glykolyse näher eingehen, wollen wir uns zunächst über die Herkunft der Glucose informieren. Wichtigste Quelle für Glucose sind Saccharose (S. 225) und die Polysaccharide, vor allem Stärke (S. 232 ff). Der enzymatische Abbau ihrer Makromoleküle ist auf zwei Wegen möglich: 1. hydrolytischer Abbau durch die Amylasen zu Maltose, welche durch das Enzym Maltase in Glucose zerlegt wird (S. 238 f). 2. phosphorolytischer Abbau durch Phosphorylase unter Bildung von Glucose1-phosphat (S. 240 f). Energetisch gesehen ist diese Reaktion die vorteilhaftere: Die Energie der Glykosidbindung, welche bei einer hydrolytischen Spaltung, wie z. B. durch Amylasen, als Wärme verloren geht (∆G'm ⫽ – 18 kJ · mol–1) bleibt in der Phosphorsäureester-Bindung des Glucose-1-phosphats erhalten.
Phosphorylierung. Bereits der photosynthetische Kohlendioxid-Reduktionszyklus hat uns mit der Tatsache vertraut gemacht, daß Zucker meist als Phosphorsäure-Ester stoffwechselaktiv sind. Auch an den Reaktionen der Glykolyse nehmen sie ausschließlich in dieser Form teil.* Hexose-Zucker unterliegen daher, soweit sie nicht aus einer anderen Umsetzung als Phosphorsäureester hervorgegangen sind, vor ihrem Eintritt in die Glykolyse einer gezielten Phosphorylierung.
*
Einige sind nach ihren Entdeckern bzw. nach den Forschern benannt, die entscheidend zur Aufklärung der Glykolyse beigetragen haben: Harden u. Young, Neuberg, Fischer, Negelein, Robison, Nilsson.
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264
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Die Übertragung eines Phosphorsäure-Restes in die 6-Position der Glucose erfolgt aus ATP unter Mitwirkung von Glucokinase (Hexokinase). Mit der Phosphorylierung ist eine Anhebung der Glucose auf ein höheres Energieniveau verbunden, wie die Änderung der freien Enthalpie bei Hydrolyse von Glucose6-phosphat anzeigt; sie beträgt – 14 kJ · mol – 1.
5.2
Glykolyse
5.2.1
Umformung des C6-Moleküls
Die ersten Umsetzungen der Glykolyse sind durch intramolekulare Umlagerungen des phosphorylierten Glucosemoleküls gekennzeichnet (s. Reaktionsschema). α-D-Glucose-6-phosphat (α-D-Glc-6-P ,1) geht durch Isomerisierung in αD-Fructose-6-phosphat (α-D-Fruc-6-P, 2) über, wobei der sechsgliedrige Pyranose-Ring zum fünfgliedrigen Furanose-Ring wird. Das wirksame Enzym heißt entsprechend Glucosephosphat-Isomerase (S. 213 f). Das Gleichgewicht der Reaktion liegt auf der Seite von α-D-Glucose-6-phosphat. Durch Phosphorylierung von α-D-Fructose-6-phosphat in Stellung 1 durch die 1-Phosphofructokinase mit ATP entsteht α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (3, D-Fru-1,6-P2). In Analogie zur P O CH2 5
OH HO
3
O
4 1
5
6
OH
1 α-D-Glc-6-P
3
CHO
2
H C OH
OH
CH2 O P
TriosephosphatIsomerase
4 D-Glycerinaldehyd-3-P
Glucose phosphatIsomerase
CH2
OH
C O
1 CH 2
O P
5 1,3-Dihydroxyaceton-P
FructosebisphosphatAldolase
6
6
1
HO
(4)
2 α-D-Fru-6-P ATP
1
P O H2C O H CH2 O P HO 5 O
CH2 OH P O CH2 O 5 HO OH 3 HO
3
(5)
1-Phosphofructokinase
ADP 6
1
CH2 O P P O CH2 O 5 HO OH 3 HO 3 α-D-Fru-1,6-P2
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5.2 Glykolyse
265
Phosphorylierung von freier Glucose muß auch hier Energie investiert werden. Von den 2 ⋅ 35 kJ ⋅ mol-1 der zwei energiereichen Bindungen des ATP bleiben nur ca. 16 und 14 kJ ⋅ mol-1 in den beiden Esterbindungen von α-D-Fru-1,6-P2 als chemische Energie erhalten. Dieser Verbrauch von 2 ATP zu Beginn der Glykolyse und die Schaffung eines energetischen Defizits erscheinen paradox für einen Prozeß, der gerade Energie in Form von ATP liefern soll. Wir werden jedoch bald erkennen, daß es sich hierbei um eine durchaus vernünftige und auch notwendige Investition handelt, welche sich – genau wie in der Wirtschaft – letztlich als Gewinn in der Bilanz niederschlägt. Der Einsatz von zwei Molekülen ATP wirkt wie eine „Initialzündung“, die den Gesamtprozeß in Gang setzt.
5.2.2
Bildung des C3-Moleküls und erste energieliefernde Reaktion
Im α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (3) hat das C6-Zuckermolekül die Struktur erhalten, die seine enzymatische Zerlegung in zwei weitgehend symmetrische C3Zuckerphosphate erlaubt, nämlich in D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (4, Glyceralphosphat) und 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (5, Glyceronphosphat). Die Einstellung des Gleichgewichtes dieser Reaktion (89% α-D-Fru-1,6-P2 und 11% C3-Zuckerphosphate) wird durch Fructosebisphosphat-Aldolase beschleunigt. Der Ablauf dieser Reaktion in Gegenrichtung bildet einen wichtigen Reaktionsschritt im Zyklus der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion. Durch diesen sind wir auch mit der nächsten Umsetzung der Glykolyse, nämlich der enzymatischen Einstellung des Gleichgewichtes zwischen dem Ketotriosephosphat und dem Aldotriosephosphat durch die Triosephosphat-Isomerase vertraut. Die nachfolgende Reaktion kann nur D-Glycerinaldehyd-3-phosphat als Substrat verwenden. Obwohl diese Verbindung nur zu 4% im Gleichgewicht der durch Triosephosphat-Isomerase katalysierten Reaktion vorliegt, wird sie sehr schnell durch eine laufende Neueinstellung des Gleichgewichtes nachgeliefert, wenn die angekoppelten Reaktionen D-Glycerinaldehyd-3-phosphat entziehen. Während die bisher besprochenen Umsetzungen der Glykolyse auf etwa dem gleichen Energieniveau ablaufen, bedeutet die nun folgende stark exergonische Dehydrogenierung des Aldotriosephosphats (4) durch Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase – Oxidation eines Aldehyds zur Carbonsäure! – eine einschneidende Änderung (s. Reaktionsschema u.). Nach Bindung von D-Glycerinaldehyd-3-phosphat an das Enzymprotein über eine SH-Gruppe wird ihm ein Hydrid-Ion (H – ) entzogen und auf NAD+ übertragen (vgl. S. 22), den universellen Transportmetaboliten für Wasserstoff. Intermediär entsteht eine energiereiche Thioesterbindung. Bei ihrer Spaltung kommt es durch Einbeziehung von Phosphat zur Bildung einer energiereichen Zwischenverbindung: 3-Phospho-D-glyceroylphosphat (6). Die Änderung der freien Enthalpie bei Hydrolyse [씮 3-Phospho-D-glycerat (7) + Orthophosphat (Pi)] ist mit ca. – 49,4 kJ · mol–1 relativ hoch. Diese Verbindung ist daher aufgrund
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266
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung Enzym-Protein
Cys
Cys
SH H
C
Cys
S
1 H
O
C
+ OH
H
H C OH
H C OH
CH2 O P
CH2 O P
+N
1
S
R
C O H C O
+ H
H
CO NH2
CH2
NADH + H + 1
Cys –
O
C
O
H C OH CH2 O P 7 3-Phospho-Dglycerat
H+ CO NH2 O P
NAD+
4 D-Glycerinaldehyd3-phosphat
N R
SH ATP ADP 2
P~ O H
Cys Pi
S
C O C OH CH2 O P
C O H
C OH CH2 O P
6 3-Phospho-Dglyceroylphosphat
1 Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase
2 Phosphoglycerat-Kinase
ihres hohen Gruppenübertragungspotentials in der Lage, den PhosphorsäureRest in exergonischer Reaktion von der Carboxy-Gruppe mit Hilfe der Phosphoglyceratkinase auf ADP zu übertragen; zurück bleibt 3-Phospho-D-glycerat (7). Die Bildung von ATP über diesen Reaktionsmechanismus bezeichnet man als Substratkettenphosphorylierung. Somit bleiben von der Energie der AldehydOxidation schließlich etwa 35 kJ ⋅ mol – 1 als chemische Energie im ATP erhalten. Die Energiebilanz nach diesem ersten energieliefernden Reaktionsschritt ist nun ausgeglichen: die beiden ATP-Moleküle, zu Beginn pro Molekül Glucose investiert, sind zurückgewonnen worden.
5.2.3
Bildung von Pyruvat und zweite energieliefernde Reaktion
Durch eine intramolekulare Verschiebung des Phosphorsäure-Restes geht 3Phospho-D-glycerat (7) unter Mitwirkung der Phosphoglyceromutase (Phosphoglycerat-Phosphomutase) in 2-Phospho-D-glycerat (8) über. Jedes entstehende Molekül des 2-Phospho-D-glycerat hat zuvor als „Cofaktor“ der Reaktion fungiert (s. Reaktionsschema), in diesem Falle als 2,3-Bisphosphat-D-glycerat (9). Im nächsten Schritt entsteht aus 2-Phospho-D-glycerat (8) durch Wasserabspaltung das Phosphoenolpyruvat (10; s. Reaktionsschema). Entsprechend heißt das hierbei wirksame Enzym Enolase (2-Phosphoglycerat-hydrolyase). Die
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5.2 Glykolyse
267
Phosphoglyceromutase COO–
COO–
H
H
C O P CH2
O P
COO–
C OH
H
CH2 O P
9 2,3-BisphosphatD-glycerat
C O P
COO–
+
H
CH2 OH
7 3-PhosphoD-glycerat
C O P CH2
8 2-PhosphoD-glycerat
O P
9 („Cofaktor“)
wichtigste Konsequenz dieser Reaktion besteht darin, daß der PhosphorsäureRest aus der Esterbindung in die energiereiche Bindung eines „Enol-phosphat“ überführt wird. Die Änderung der freien Enthalpie der Hydrolyse von Phosphoenolpyruvat (씮 Pyruvat + Orthophosphat) liegt mit – 55,7 kJ ⋅ mol–1 so hoch, daß diese Verbindung genau wie 3-Phospho-D-glyceroylphosphat (6) ein hohes Gruppenübertragungspotential für den Phosphorsäure-Rest besitzt. Dieser wird dementsprechend durch Pyruvat-Kinase auf ADP übertragen (s. Reaktionsschema). Neben ATP entsteht Pyruvat (11) als Endprodukt dieser exergonischen Umsetzung. H2O
COO– H
OH
8 2-Phospho-D-glycerat 1 Enolase
5.2.4
COO–
ADP
C O P
C O P CH2
ATP COO–
1
C H2
10 Phosphoenolpyruvat
2
COO–
C OH
C O
C H2
C H3
11 Pyruvat
2 Pyruvat-Kinase
Regulation der Glykolyse
Mit der Glykolyse als erster Etappe wird der Substratabbau der Dissimilation zwecks Energiegewinnung eingeleitet. Dies bedeutet jedoch nicht, daß automatisch jedes Glucosemolekül in die Glykolyse einfließt und verarbeitet wird. Schließlich ist dieser Zucker auch der Betriebsstoff für den Aufbau zelleigener Verbindungen, d. h. die stoffliche Basis für die Produktion der Molekül-Bausteine von Biosynthesen. Daher gibt es zelluläre Kontrollinstanzen, welche die Verteilung der Hexosemoleküle so regeln, daß sie als Betriebsstoff für beide Stoffwechselbereiche der Zelle jeweils bedarfsgerecht verfügbar sind. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Aktivität von Enyzmen, welche praktisch irreversible Teilschritte der Glykolyse katalysieren, nämlich Hexokinase, 1Phosphofructokinase und Pyruvat-Kinase. Von ihnen fällt der 1-Phosphofructokinase die Rolle als Schrittmacher-Enzym zu (s. S. 16); ihre Aktivität wird entsprechend allosterisch reguliert: ATP wirkt als negativer Effektor oder Inhibitor und ist damit nicht nur Cosubstrat der katalysierten Umsetzung. Diese rück-
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268
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
koppelnde Wirkung von ATP (feedback control) legt die nachfolgenden Reaktionen praktisch lahm, weil sie kein Substrat mehr erhalten. Als Gegenspieler von ATP – und damit als positiver Effektor oder Aktivator – fungiert ADP, aber auch AMP. Letztlich entscheidet das Verhältnis ATP: ADP/AMP über die Aktivität der Kinase und damit über die Versorgung der Glykolyse mit Substrat. Dementsprechend bestimmt die Energieladung in der Zelle entscheidend den Ablauf der Glykolyse; gleiches gilt auch für andere Stoffwechselabläufe. Ein zweiter Regulationsmechanismus hat ebenfalls 1-Phosphofructokinase als Ziel-Enzym; er wird von der Signalsubstanz D-Fructose-2,6-bisphosphat gesteuert. Über ihre Wirkungsweise ist schon anläßlich der Saccharose-Biosynthese ausführlich gesprochen worden (S. 227 f). Flankiert werden die vorstehend beschriebenen Kontrollen der Aktivität von 1Phosphofructokinase durch die Effektor-Funktion von Citrat, der Schlüsselverbindung des Citratzyklus (S. 280 ff): Zusätzliche oder multiple Rückkopplung. Überschuß an Citrat hemmt die Aktivität des Enzyms; er zeigt an, daß Energieäquivalente bzw. Synthesevorstufen in ausreichender Menge vorhanden sind und ein weiterer Abbau von Hexose deshalb unökonomisch wäre. Ist das überschüssige Citrat abgeschöpft, steigt die Aktivität von 1-Phosphofructokinase wieder an: die Weichen werden nunmehr zugunsten von ATP-Synthese und Vorstufenproduktion gestellt. Die Aktivität von Pyruvat-Kinase wird ebenfalls durch ATP allosterisch gehemmt, wenn dessen Spiegel einen kritischen Wert überschreitet. Demgemäß spielt auch hier die Energieladung eine entscheidende Rolle (s. o.). Steigendes Angebot von α-D-Fructose-1,6-bisphosphat (3) hingegen stimuliert die Aktivität von Pyruvat-Kinase, was einen erhöhten Durchsatz von Zwischenverbindungen der Glykolyse zur Folge hat.
5.3
Anaerober Stoffwechsel (Gärungen)
Höhere Pflanzen sind ohne Sauerstoff allgemein nicht lebensfähig. Die meisten ihrer stoffwechselaktiven Zellen werden schon durch eine kurzfristige Unterbrechung der Sauerstoffversorgung irreversibel geschädigt. Doch gibt es einige bemerkenswerte Ausnahmen, wo Sauerstoffmangel (Anoxia) dank spezieller Anpassung weitgehend ohne negative Folgen bleibt. So können Wasserpflanzen die natürlicherweise in ihrem Biotop auftretenden Schwankungen im Sauerstoffgehalt und die damit verbundene zeitweilige Unterversorgung ihrer Gewebe mit dem Gas gut überstehen. Gleiches trifft für die Samen einiger Spezies höherer Pflanzen zu. Bei der Keimung ist vermutlich ihre Schale während der einleitenden Quellung (Imbibition) undurchlässig für Sauerstoff; daher können die Zellen der umschlossenen Gewebe ihren Energiebedarf nur durch anaerobe Dissimilation oder Gärung decken. Dieser Prozeß liefert außerdem relativ energiereiche Endprodukte, welche den einzelnen Gärungstypen den Namen gegeben haben.
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5.3 Anaerober Stoffwechsel (Gärungen)
5.3.1
269
Allgemeines
Wie wir gesehen haben, wird der in der Glykolyse abgespaltene Wasserstoff auf NAD+ übertragen: Reduktionsäquivalente entstehen. Die Funktionsfähigkeit des Transportmetaboliten ist wegen der begrenzten Anzahl seiner Moleküle nur dann gewährleistet, wenn der gebundene Wasserstoff wieder abgegeben, d. h. NAD-H + H+ reoxidiert wird. Gelangt er dabei in Abwesenheit von Sauerstoff auf ein Zwischen- oder Endprodukt des Glucoseabbaus bzw. auf einen speziell synthetisierten Endakzeptor, liegt Gärung oder Fermentation vor. Die entstehenden reduzierten organischen Verbindungen häufen sich an und werden oft von den produzierenden Zellen ausgeschieden: Alkohole, Milchsäure, Ameisen-, Propan- und Butansäure, um nur die wichtigsten Gärungsprodukte zu nennen. Meist liefert ein Gärungsvorgang gleich mehrere davon: Heterofermentation, im Gegensatz zur Homofermentation mit nur einem Endprodukt. Nach moderner Auffassung besteht das entscheidende Merkmal einer Gärung in der Bildung relativ energiereicher Endprodukte; sie erfolgt in den meisten Fällen in Abwesenheit von Sauerstoff und entspricht damit der ursprünglich von L. Pasteur (1822 – 1895) geprägten Definition. Die im cytosolischen Kompartiment anfallenden Gärungsprodukte stellen für die Zellen eine Belastung wegen ihrer Giftigkeit dar. Ihr wird dadurch begegnet, daß solche Verbindungen ausgeschieden werden. Auf diese Weise reichern sich bei einigen Heferassen etwa 125 g Ethanol und mehr pro Liter Medium an, ein Vorgang, welcher bei der Wein- und Bierherstellung sehr geschätzt wird.
5.3.2
Alkohol-Gärung
Historisches. Mit der Anwendung der alkoholischen Gärung zur Herstellung berauschender Getränke ist die Menschheit seit frühester Zeit vertraut. 1815 stellt GayLussac die Bruttogleichung dieses Prozesses auf. L. Pasteur gelang der Nachweis, daß Gärung auf der Aktivität von Mikroorganismen beruht. Seine These, daß sie nur in der lebenden Zelle ablaufen kann, wurde durch Buchner erschüttert, der 1897 nachwies, daß auch ein zellfreier Hefepreßsaft die alkoholische Gärung durchführen kann. Dessen wirksames Prinzip bezeichnete er als Zymase. Im Verlauf der späteren Untersuchungen sollte sie sich als ein Komplex von vielen Enzymen herausstellen. Harden und Young entdeckten 1905, daß im Hefepreßsaft bei der alkoholischen Gärung Phosphorsäure-Ester von Zuckern entstehen. Diesen Forschern gelang auch die Abtrennung eines hitzestabilen, niedermolekularen Anteils der Zymase, den sie als Coferment* der Gärung bezeichneten. Intensive Bearbeitung hat schließlich zur genauen Kenntnis des Reaktionsablaufs und der beteiligten Enzyme geführt. Mit der Alkohol-Gärung war die Aufklärung des ersten komplexen biochemischen Prozesses gelungen. Später zeigte sich, daß ihre Reaktionen mit denen der Glucose-Oxidation *
„Ferment“ war damals eine andere Bezeichnung für die Hefezelle bzw. für das Agens der Alkohol-Gärung.
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270
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
im Muskel (Glykolyse) weitgehend identisch waren. Die Beiträge einer großen Zahl von Forschern haben zum heutigen Stand unserer Kenntnisse über Alkohol-Gärung und Glykolyse beigetragen. Hier können nur einige genannt werden: C. Neuberg, G. Embden, O. Meyerhof, J. K. Parnas, O. Warburg, K. Lohmann.
Bei der Bildung von Ethanol (Ethylalkohol) durch anaeroben Abbau von Glucose wird Kohlendioxid freigesetzt: C6H12O6 씮 2 C2H5OH + 2 CO2
Aus Glucose entsteht über die Reaktionen der Glykolyse (S. 264 ff) als typisches „Endprodukt“ Pyruvat (11). In Abwesenheit von Sauerstoff katalysiert PyruvatDecarboxylase seine Spaltung in Kohlendioxid und Acetaldehyd (12; s. Reaktionsschema). Als gebundene Wirkgruppe fungiert Diphosphothiamin (DPT; Thiamindiphosphat; S. 168 f). Mg2 + wird als Cofaktor benötigt. Dieses cytosolische Enzym wird bei einer Anzahl von Pflanzenarten konstitutiv in recht unterschiedlichen Geweben exprimiert. Seine Aktivität steigt signifikant mit einsetzendem Sauerstoffmangel an, z. B. beim Mais auf das 5 – 9fache. Glucose 13 Ethanol CH2 OH CH3 4
NADH + H+
Glykolyse
2
NAD+
6 10
COO– C O CH3 11 Pyruvat
1 Pyruvat-Decarboxylase
H 1
CO2
C
O
CH3 12 Acetaldehyd
2 Alkohol-Dehydrogenase
Im nächsten Schritt übernimmt Acetaldehyd den bei der Oxidation von D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (4) abgespaltenen und auf NAD+ übertragenen Wasserstoff (s. Reaktionsschema). Diese Reduktion zu Ethanol (13) wird von Alkohol-Dehydrogenase katalysiert. Von der bei höheren Pflanzen gefundenen Alkohol-Dehydrogenase existieren meist zwei Isoenzyme: Adh1 und Adh2. Sie bestehen aus zwei identischen Untereinheiten von 80 – 87 kDa (Homodimere), deren Struktur zu 82 – 87% homolog ist. Gleiches gilt für die Adh-Isoenzyme verschiedener Spezies (Arabidopsis thaliana, Mais, Reis), wo 72 – 85% Homologie ermittelt wurde. Ihre Bildung wird mehr oder weniger deutlich durch Sauerstoffmangel induziert, d. h. über Transkription (S. 457 ff) und Translation (S. 487 ff) erfolgt De-novo-Synthese ihrer Proteine.
Die Produktion von Ethanol aus Glucose ist ein exergonischer Prozeß (∆G'm ⫽ – 235 kJ ⋅ mol – 1 Glucose), welcher ausreichend Energie für die Synthese von 2 ATP liefert; sie sind Produkte der Substratkettenphosphorylierung im Verlauf
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5.3 Anaerober Stoffwechsel (Gärungen)
271
der Glykolyse. Dieser Gewinn ist bescheiden im Vergleich zum kompletten aeroben Abbau von Glucose zu Kohlendioxid und Wasser, welcher insgesamt ca. 30 ATP erbringt (s. S. 298). Wesentlich für diese Diskrepanz ist die fehlende Erschließung von Coenzym-gebundenem Wasserstoff als potente Energiequelle bei der Gärung: Endoxidation und oxidative Phosphorylierung sind inaktiv (vgl. S. 293 ff). Der Wasserstoff wird lediglich zur Reduktion geeigneter Akzeptorverbindungen verwendet und damit in relativ energiereichen Produkten festgelegt. Generell müssen daher Zellen mit Gärungsstoffwechsel viel Substrat umsetzen, um ihren Minimalbedarf an Energie zu decken.
5.3.3
Milchsäure-Gärung
Die Bildung von Milchsäure als Endprodukt des Glucoseabbaus findet ebenfalls in Gewebezellen einiger höherer Pflanzenarten bei Sauerstoffmangel statt. Der Prozeß kommt relativ schnell in Wurzeln und keimenden Samen in Gang, wird aber schon bald von der ebenfalls induzierten Alkohol-Gärung überlagert oder abgelöst. Durch die Ausscheidung der gebildeten Milchsäure vermeiden die Zellen eine letale Übersäuerung ihres Cytoplasmas. Schlüsselenzym ist die Lactat-Dehydrogenase, welche die Reduktion von Pyruvat zu Milchsäure (14; Lactat) katalysiert: COO–
NADH + H+
NAD+
HO C H
C O CH3 11 Pyruvat
–
COO
Lactat-Dehydrogenase
CH3 14 L-Lactat
Der erforderliche Wasserstoff stammt wie bei der Alkohol-Gärung aus der Oxidation von D-Glycerinaldehyd-3-phosphat während der Glykolyse. Ob das Enzym durch die steigende Ansäurerung inaktiviert wird und damit den Weg für die Alkohol-Gärung freimacht, ist strittig. Wie bei der Bildung von Ethanol reicht die Enthalpie-Änderung (∆Gm ⬘ ⫽ –197 kJ ⋅ mol – 1 Glucose) zur Bildung von 2 ATP aus. Als einziges Endprodukt der Gärungsprozesse, welche von einigen Grünalgenspezies unter Anoxia betrieben werden, entsteht Milchsäure bei einigen Stämmen von Chlorella, bei Ankistrodesmus braunii und bei Scenedesmus D3. Neben diesem offensichtlich homofermentativen Ablauf existieren auch komplexere Gärungsprozesse vom heterofermentativen Zuschnitt, bei denen neben Milchsäure andere Produkte wie Ethanol, Essigsäure und Kohlendioxid anfallen, z. B. bei Chlorella vulgaris; sie sind noch wenig erforscht.
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272
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
5.3.4
Anaerobiose bei der Keimung
Gute Beispiele für die Anpassung an zeitweiligen Sauerstoffentzug sind der Reis (Oryza sativa), die afrikanische Leguminose Erythrina caffra sowie einige Spezies von Echinochloa, von denen E. phyllopogon bezeichnenderweise in Reisfeldern wächst. Während der zeitweiligen Überflutung wird der Stoffwechsel ihrer keimenden Samen auf Anaerobiose umgeschaltet: Abbau von Saccharose, dem Folgeprodukt der Stärkemobilisierung in den speichernden Zellen, liefert α-D-Fructose-6-phosphat (2), welches anschließend zu Ethanol (13) vergärt wird. Erstaunlicherweise bleiben trotz des Mangels an Sauerstoff wichtige Teilprozesse der aeroben Dissimilation aktiv: die oxidative Decarboxylierung von Pyruvat (S. 273 ff) und Reaktionen des Citratzyklus (S. 280 ff). Auch verändern die Mitochondrien ihre Form nur wenig (s. S. 274 f). Bemerkenswert ist auch der Befund, wonach Lipide in Abwesenheit von Sauerstoff synthetisiert werden. Gegen das relativ toxische Endprodukt Ethanol haben die Zellen einen bisher wenig verstandenen Schutzmechanismus entwickelt. Möglicherweise kommt es auch zu einem Export in das umgebende Biotop, vor allem bei Wasserpflanzen, oder in andere Gewebe, deren Zellen aufgrund guter Belüftung den Alkohol abbauen können.
5.3.5
Pasteur-Effekt
Sauerstoffentzug läßt in fakultativ anaeroben Zellen den Stoffdurchsatz der Glykolyse stark ansteigen, weil – wie wir schon festgestellt haben – der drastische Rückgang der ATP-Ausbeute unter diesen Bedingungen durch einen Massenumsatz von Glucose einigermaßen wettgemacht werden muß (s. o.). Steht Sauerstoff wieder zur Verfügung, unterdrückt er die Gärung mehr oder weniger stark; die Verarbeitung von Glucose geht nun deutlich zurück. Dieses wichtige Kontrollprinzip, nach seinem Entdecker als Pasteur-Effekt bezeichnet, erlaubt eine schnelle Umschaltung auf den wesentlich effektiveren aeroben Weg der Energiegewinnung (Faktor 19!). Zentraler Ansatzpunkt beim Pasteur-Effekt ist die Aktivität der 1-Phosphofructokinase, deren allosterische Regulation durch ATP bzw. ADP/AMP schon ausführlich dargestellt worden ist (S. 267 f). Ob der Pasteur-Effekt auch für gärungsaktive Zellen und Gewebe höherer Pflanzen typisch ist, bleibt unklar; bei einigen Spezies wie Erythrina caffra ist er nachgewiesen worden, bei anderen nicht, z. B. beim Reis.
5.4
Aerobe Dissimilation
5.4.1
Allgemeines
Pyruvat, das „Endprodukt“ der Glykolyse, kann von Zellen der meisten Organismen optimal in energetischer Hinsicht ausgebeutet werden, weil Sauerstoff generell verfügbar ist. Als Endprodukte dieser aeroben Dissimilation fallen fol-
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5.4 Aerobe Dissimilation
273
gende Verbindungen an: Kohlendioxid durch Zerlegung der Kohlenstoffkette und Wasser durch die Vereinigung des abgespaltenen Wasserstoffs mit Sauerstoff. Wegen des stattfindenden Gaswechsels – Kohlendioxid wird abgegeben, Sauerstoff aufgenommen – spricht man nicht ganz korrekt auch von „Atmung“. Die zahlreichen Einzelreaktionen sind in mehrere Reaktionsbereiche gegliedert und laufen bei den Eukaryoten in den Mitochondrien ab: In ihrer Matrix (S. 275) entsteht aus Pyruvat die „aktivierte Essigsäure“ und läuft der größte Teil des Citratzyklus ab, in der inneren Mitochondrienmembran ist die Atmungskette (Endoxidation) lokalisiert. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang, daß
Glucose
C3-Zuckerphosphate (4, 5) NADH + H+
Glykolyse
ATP
Cytosol
3-P-Glycerat (7)
äußere Membran
Phosphoenolpyruvat (10) ATP Pyruvat (11)
Intermembranraum
H
innere Membran
CO2 oxidative Decarboxylierung
Intracristaeraum
Acetyl-CoA CitratH zyklus
CO2 CO2
oxidative Phosphorylierung ATP
Matrix Mitochondrion
GTP (ATP) e
Atmungskette H 2O
O2
Abb. 5.1 Die Reaktionsbereiche der aeroben Dissimilation von Kohlenhydrat. Kompartimentierung in der Eukaryoten-Zelle.
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Pyruvat über die Reaktionen der Glykolyse im Cytosol entsteht. Abb. 5.1 verdeutlicht diese Kompartimentierung und liefert die Grundlage für die Besprechung der einzelnen Reaktionsbereiche. Der Gesamtkomplex der aeroben Dissimilation wird demgemäß nicht nur von Reaktionssequenzen, sondern auch vom Zusammenspiel der Kompartimente geprägt, welche z. T. auch wichtige Ausgangsverbindungen für Biosynthesen liefern und damit die anabolen (aufbauenden) mit den katabolen (abbauenden) Stoffwechselreaktionen verknüpfen. Diese Erscheinung war einleitend als wichtiges Merkmal des Zellstoffwechsels herausgestellt worden.
Mitochondrien als Organellen der Dissimilation. Diese typischen Zellorganellen von variabler Gestalt – kugelig bis langgestreckt-fädig – sind bei Pflanze, Tier und Mensch sehr ähnlich aufgebaut und haben auch weitgehend gleiche Funktionen. Eine Hülle aus zwei Biomembranen grenzt sie gegen das umgebende Cytoplasma ab. Die Zahl pro Zelle ist sehr unterschiedlich und hängt von der Art ihres Stoffwechsels ab. In heterotrophen Pflanzenzellen mit starker aerober Dissimilation, z. B. während der Samenkeimung, Pollenentwicklung oder Fruchtreife, sind es oft mehrere tausende, in photoautotrophen hingegen nur einige wenige. Auch gibt es Zellen mit nur einem Mitochondrion (Algen, Flagellaten). Vollausgebildete Mitochondrien besitzen in der Regel eine ausgeprägte Innenstruktur: die Fläche der inneren Hüllenmembran ist durch Vorwölbungen (Invaginationen; vgl. S. 94) in den Innen- oder Matrixraum stark vergrößert: Ausbildung von Cristae, Tubuli oder Sacculi. Promitochondrien sind für gärende Hefezellen typisch; sie sind bisher bei pflanzlichen Zellen mit gleichem Stoffwechsel nicht beobachtet worden.
Obwohl sehr ähnlich im Aussehen, sind die beiden Hüllenmembranen weder im Aufbau noch in der Funktion gleich. Die Außenmembran, relativ reich an Phospholipiden und Cholesterol (S. 349 f) und damit den Membranen des Endoplasmatischen Reticulums ähnlich, enthält zahlreiche Poren; sie werden vorwiegend von Porin, dem mengenmäßig dominierenden integralen Protein (30 kDa) dieser Membran gebildet. Sie erlauben die Passage von Ionen und Verbindungen von bis zu 6 kDa Molmasse. Die Innenmembran bildet die eigentliche Permeabilitätsbarriere; sie ist ärmer an Phospholipiden und Cholesterol bzw. Sterolen als die Außenmembran, enthält dafür aber reichlich Cardiolipin (S. 321) als Leitlipid. Spezifische membrane Transporteinrichtungen besorgen die selektive Aufnahme und Abgabe von Substanzen: Translokatoren für Metaboliten-Austausch mit dem cytosolischen Kompartiment (s. S. 284 ff) und integrale Proteine für die Aufnahme von Polypeptiden (s. S. 498 f). Der zwischen den beiden Hüllenmembranen befindliche perimitochondriale Raum (Intermembranraum) erweitert sich im Bereich der Auffaltungen zum Intracristaeraum (s. Abb. 5.1). Beide sind vermutlich mit einer Flüssigkeit angefüllt.
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5.4 Aerobe Dissimilation
275
In den durch Invagination entstandenen Bildungen hat die innere Membran (s. o.) den Status einer Funktionsmembran: rund 60 biologisch aktive Proteine, von welchen die der Endoxidation (Atmungskette; S. 286 ff) und der ATP-Synthese (S. 293 ff) an erster Stelle stehen. Letztere vollzieht sich an den zahlreichen rundlichen Partikeln (⭋ 9 nm), welche die Matrixseite der inneren Membran, vor allem im Bereich der Auffaltungen, besetzen: Kopplungsfaktoren (Elementarpartikel; S. 294 f). Nach der Endosymbionten-Theorie (Box 10.3, S. 441) soll die innere Hüllenmembran von der Cytoplasmamembran des prokaryotischen Cytosymbionten stammen; hierfür spricht u. a. der hohe Anteil von Cardiolipin, dessen Vorkommen ansonsten auf Bakterien beschränkt ist. Die äußere Hüllenmembran soll auf die von der Cytoplasmamembran abgegliederte Vesikelmembran zurückgehen, welche den eingewanderten Endosymbionten ursprünglich umschloß.
Die Grundsubstanz oder Matrix, welche den Binnenraum erfüllt, enthält zahlreiche Enzyme u. a. der oxidativen Decarboxylierung von Pyruvat (s. u.), des Citratzyklus (S. 280 ff) und des Fettsäureabbaus – zumindest in tierischen Mitochondrien. Weitere Bestandteile sind DNA, Ribosomen und diverse RNA-Spezies als Komponenten eines eigenständigen genetischen Systems (Einzelheiten S. 445 ff). Die Isolierung intakter Mitochondrien gelingt auch aus pflanzlichen Zellen, z. B. aus Zellkulturen, mittels Fraktionierung von Homogenaten und anschließender Anreicherung durch Zonenzentrifugation (S. 433). Als Kriterien für den Erhaltungszustand dienen die Präsenz charakteristischer Enzyme in den beiden Membranen (Leitenzyme) sowie deren Impermeabilität gegenüber Substanzen, welche auch in vivo nicht aufgenommen werden.
5.4.2
Umwandlung von Pyruvat in Acetyl-Coenzym A
So wie das Glucosemolekül durch Phosphorylierung vor seinem Eintritt in die Glykolyse „aktiviert“ wird, erfährt auch das Pyruvat (11) eine entsprechende chemische Umformung (s. Reaktionsgleichung). Dabei wird es durch eine oxidative Decarboxylierung in Acetat überführt und dieses sofort energiereich an einen gruppenübertragenden Metaboliten, das Coenzym A (CoA), gebunden. In dieser Form geht es in den Citratzyklus ein. Pyruvat + NAD+ + CoA 씮 Acetyl-CoA + NADH + H+ + CO2
Diese Oxidation von Pyruvat ist ein komplexer Vorgang, welcher von der Pyruvat-Dehydrogenase, einem in der Mitochondrienmatrix lokalisierten Multi-Enzymkomplex (S. 13), katalysiert wird. Seine Arbeitsweise verdeutlicht Abb. 5.2. Insgesamt sind drei Polypeptide oder Untereinheiten und fünf verschiedene Wirkgruppen beteiligt. Diese strukturelle Organisation bedingt einen koordinierten und sehr effektiven Ablauf der einzelnen Reaktionsschritte. So werden die einzelnen Zwischenprodukte nicht frei, sondern bleiben solange gebunden bis sie das nächste katalytische Zentrum erreicht haben.
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
276
H3C SH C
COO– C O
O
E2
S
CH3
HS CoA
E1
11 Pyruat
R
+
N – 2
R –
O
O
O
HN
+
H3C
N
OOC
–
S
CH3
S
SCoA 15 Acetyl-CoA
R H O
N C
S
H N
O NH
H3C
H+
C
O
E3
S S
HS
CO2 FADH2
NAD+
SH
FAD
NADH + H +
Abb. 5.2 Oxidative Decarboxylierung von Pyruvat. Aufbau und Funktionsweise des Multi-Enzym-Komplexes der Pyruvat-Dehydrogenase. E1 Decarboxylase/Dehydrogenase E2 Dihydroliponamid-S-Acetyltransferase E3 Dihydroliponamid-Dehydrogenase
Die erste Untereinheit trägt Diphosphothiamin (DPT; Thiamindiphosphat; S. 168 f) als prosthetische Gruppe und agiert demgemäß als Decarboxylase oder Kohlendioxid-freisetzende Lyase. Durch Abgabe eines Protons vom C-2 des 1,3-Thiazolringes entsteht das Carbanion von DPT, welches relativ leicht mit der Carbonyl-Gruppe von Pyruvat reagiert (s. Abb. 5.2). In dieser Additionsverbindung wandern Elektronen zum positiv geladenen N-Atom; sie stabilisieren dadurch eine negative Ladung, welche die Abspaltung von Kohlendioxid stark begünstigt. Die zurückbleibende ionisierte C2-Verbindung nimmt ein Proton auf und bleibt als 1-HydroxyethylGruppe („aktiver Acetaldehyd“) an DPT gebunden. Diese Wirkgruppe übt damit auch eine gruppenübertragende Funktion aus; in dieser haben wir DPT bereits
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5.4 Aerobe Dissimilation
277
bei der Transketolase kennengelernt (S. 168 ff). Die 1-Hydroxyethyl-Gruppe wird anschließend oxidiert, wobei Liponamid als zweite Wirkgruppe agiert.
S S H2C
CH CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
C
NH Protein
S S
O Lipon(säure)amid; Bindung an das Enzym-Protein
C
NH Protein
O
Diese Thiooctansäure (5-[1,2-Dithiolan-3-yl]pentansäure) ist zwar kovalent über einen Lysin-Rest an das Polypeptid der zweiten Untereinheit gebunden (daher: Liponamid; s. Struktur), komplettiert aber die erste Untereinheit zu einer funktionsfähigen Dehydrogenase, d. h. zu einer zweiten katalytischen Aktivität: Wasserstoff wird vom gebundenen C2-Fragment abgespalten und nach Öffnung des 1,2-Dithiolanrings von einem S-Atom gebunden, während das zweite mit dem entstandenen Acetat-Rest, dem Oxidationsprodukt, reagiert (s. Abb. 5.2). Im gebildeten S6-Acetyl-dihydroliponamid (6-Acetylthio-8-mercapto-octanamid) ist ein Teil der freien Energie dieser Oxidationsreaktion als energiereiche Thioesterbindung (S-Esterbindung) konserviert. Beim nächsten Reaktionsschritt wird die besondere Rolle von Liponamid im Komplex deutlich: seine langgestreckte Molekülkette bringt als beweglicher Schwenkarm (Länge ca. 1,4 nm) nicht nur die Disulfan-S-Atome, sondern auch die daran gebundenen Zwischenprodukte in Kontakt mit den jeweils zuständigen katalytischen Zentren an den drei Untereinheiten. Die Vorteile, welche diese Konstruktion in Verbindung mit einem Enzymkomplex gegenüber einer Gruppe von freien Enzymen hat, liegen auf der Hand: Zwischenverbindungen können nicht abdiffundieren und werden auf kürzestem Wege zu den relevanten Reaktionsorten befördert; damit sind auch störende Einwirkungen durch andere Enzyme weitgehend ausgeschaltet. In der folgenden Umsetzung, welche sich an der zweiten Untereinheit vollzieht, wird der in das katalytische Zentrum derselben beförderte Acetyl-Rest dank des hohen Übertragungspotentials (s. u.) auf Coenzym A (s. Formel) transferiert, der dritten Wirkgruppe des Komplexes. Dabei bleibt die energiereiche Thioesterbindung erhalten. Die zweite Untereinheit entspricht somit einer Dihydroliponamid-S-Acetyltransferase. Das entstandene Acetyl-Coenzym A (AcetylCoA, 15) wird vom Komplex freigesetzt, während das gleichzeitig gebildete Dihydroliponamid in das katalytische Zentrum der dritten Untereinheit verbracht wird. Diese agiert als Dihydroliponamid-Dehydrogenase und sorgt für die Reoxidation zum Liponamid: Wasserstoff wird abgespalten, von der Wirkgruppe FAD übernommen und anschließend auf NAD+ übertragen. Dieser Transfer wird durch das ungewöhnlich stark negative Redoxpotential des Flavoproteins – –0,34 V – begünstigt. Der wiederhergestellte 1,2-Dithiolanring von Liponamid gelangt über einen Schwenk der Molekülkette in das katalytische Zentrum der ersten Untereinheit und aktiviert erneut deren Decarboxylase- und Dehydrogenase-Aktivität.
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278
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Mit der Anlagerung des Acetyl-Restes in energiereicher Bindung an Coenzym A ist die eingangs erwähnte Aktivierung des C2-Fragments abgeschlossen. Coenzym A (CoA), enthält drei Bausteine: Adenosin-3',5'-bisphosphat (Ado-3',5'-P2), Pantothensäurephosphat und das schwefelhaltige Cysteamin, ein Decarboxylierungsprodukt der Aminosäure Cystein (s. S. 411 f). Sie sind in folgender Struktur untereinander verknüpft: Cysteamin O β-Ala
C
NH (CH2)2 SH
(CH2)2 NH
Pantothensäure- P
NH2
C O Pantoinsäure-P
H
N
N
C OH
H3C C CH3 O
N
N
O 5'
CH2 O P O P O CH2 –
O
–
O
O
1'
3'
O –O
OH
P O O–
Coenzym A
Ado-3',5'- P 2
Die Pantothensäure* setzt sich aus der Pantoinsäure (2,4-Dihydroxy-3,3 dimethylbutansäure) und β-Alanin (abweichende Form einer β-Aminosäure!) zusammen. Sie ist ein Vitamin der B-Gruppe und muß beim Menschen sowie bei einigen Tierarten und Mikroorganismen von außen zugeführt werden. Die Verbindung wird vorwiegend zur Synthese von Coenzym A verwendet. Die Hauptproduzenten von Pantothensäure sind höhere und niedere Pflanzen sowie eine Reihe von Mikroorganismen.
Die Mercapto-Gruppe des Cysteaminanteils bildet die Reaktionsstelle am CoAMolekül (daher: HS-CoA!). Sie reagiert mit einem Acyl-Rest, welcher von geeigneten Überträgern mit hohem Gruppenübertragungspotential, z. B. S6-Acetyldihydroliponamid (s. o.), oder aus einer ATP-verbrauchenden Reaktion stammt: die entstehende Thiocarbonsäure-S-Esterbindung ist nämlich energiereich! Das resultierende Acyl-Coenzym A (Acyl苲SCoA) hat demgemäß ein hohes Gruppenübertragungspotential für den Acyl-Rest. *
Der Name rührt von der weiten Verbreitung dieser Verbindung her: tierische und pflanzliche Zellen, Mikroorganismen. Vermutlich ist die Pantothensäure ein Bestandteil jeder Zelle, wobei der größte Teil gebunden im Coenzym A vorliegt.
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5.4 Aerobe Dissimilation
279
Die Pyruvat-Dehydrogenase in pflanzlichen Mitochondrien ist vermutlich ähnlich wie in den tierischen als multimerer Komplex ausgebildet: jede der drei Untereinheiten liegt in mehrfacher Ausfertigung vor. Während im entsprechenden bakteriellen Komplex (E. coli) etwa 60 Polypeptidketten vereinigt sind (Molmasse ca. 4,6 ⋅ 106), sollen es im pflanzlichen und im tierischen weitaus mehr sein, wie die deutlich höhere Molmasse von etwa 9 ⋅ 106 anzeigt. Für den Zusammenhalt sorgen nichtkovalente Bindungskräfte, welche in vitro partiell durch Alkalisierung, vollständig hingegen durch Harnstoff gelöst werden können, so daß die Untereinheiten frei werden. Spontane Aggregation (self assembly) setzt ein, wenn die Protonenkonzentration erhöht bzw. der Harnstoff entfernt wird. Pflanzenzellen verfügen über eine zweite oder Isoform der Pyruvat-Dehydrogenase, welche in Plastiden, insbesondere in Chloroplasten, aktiv ist (s. u.).
Regulation der Bildung von Acetyl-Coenzym A. Da die Pyruvat-Dehydrogenase entscheidend die Biosynthese von Acetyl-CoA bestimmt, unterliegt ihre Aktivität einer effektiven Kontrolle, welche auf unterschiedlichen Ebenen ansetzt. Die Mechanismen sind schöne Beispiele für die einleitend erläuterte Regulationsspezifität von Enzymen (S. 16 ff). Im Sinne von Endprodukthemmung blockiert ein Überschuß an Acetyl-CoA und NAD-H + H+ die Aktivität von Dihydroliponamid-Acetyltransferase bzw. von -Dehydrogenase des Komplexes; entsprechend antagonistische Wirkung haben CoA und NAD+. Erhöhte Mengen an GTP erniedrigen die Aktivität des Komplexes, was einer Kontrolle über die Energieladung entspricht (vgl. S. 268). Wichtiger ist die Aktivitätskontrolle über reversible Phosphorylierung (S. 147), welche über zwei Enzyme des Komplexes gesteuert wird: eine Pyruvatdehydrogenase-Kinase überträgt einen Phosphorsäure-Rest von ATP auf einen spezifischen Serin-Rest im Polypeptid der ersten Untereinheit – Decarboxylase/ Dehydrogenase – und inaktiviert damit den Gesamtkomplex. Reaktivierung besorgt eine spezifische, Ca-Ionen abhängige Phosphatase, welche den Phosphorsäure-Rest abspaltet. Als Auslöser für die Aktion der Kinase hat sich die Anreicherung von ATP, Acetyl-CoA bzw. NAD-H + H+ erwiesen (s. o.). Für die Aktivierung der Phosphatase als zweitem Kontrollenzym ist die ansteigende Konzentration von Calcium-Ionen zuständig. Mit diesem, auch als Interkonversion bezeichneten Regulationsmechanismus sind wir schon vertraut (s. o.).
5.4.3
Die Rolle von Acetyl-Coenzym A im Stoffwechsel
Acetyl-Coenzym A ist nicht nur eine wichtige Zwischenverbindung beim aeroben Glucoseabbau, sondern liefert auch mit der „aktivierten Essigsäure“ das Bauelement für eine Anzahl von Biosynthesen. Damit nimmt dieses Cosubstrat eine Schlüsselposition im Stoffwechsel ein, denn in ihm laufen abbauende (katabole) und aufbauende (anabole) Reaktionswege wie in einem Knotenpunkt zusammen. Eine solche gemeinsame Zwischenverbindung wie das Acetyl-Coenzym A bildet oft ein „Sammelbecken“ oder einen Pool (genauer: metabolic pool). Sie beschickt diesen als Produkt diverser Abbaureaktionen und verläßt ihn wieder als Substrat, welches unterschiedliche Synthesewege bedient. Da der im Mito-
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280
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
chondrion entstehende, an CoA gebundene Acetyl-Rest in das Cytosol exportiert wird (z. Mechanismus, s. S. 285), besteht neben dem mitochondrialen Pool auch ein cytosolischer Pool. In pflanzlichen Zellen kommt ein dritter Pool von AcetylCoenzym A in den Plastiden hinzu: vor allem junge Chloroplasten produzieren über einen eigenen Reaktionsweg mittels Pyruvat-Dehydrogenase zusätzlich Acetyl-Coenzym A, dessen aktiviertes C2-Fragment als Molekül-Baustein in plastidäre Synthesen folgender Produkte eingeht: Fettsäuren (S. 305 ff), Carotinoide (S. 356 ff), Terpene (S. 335 ff), Polyprenylchinone (Plastochinon! S. 378 ff).
5.4.4
Citratzyklus Verlauf
Der Acetyl-Rest in Bindung an Coenzym A bildet den eigentlichen Betriebsstoff für den Citratzyklus*. Seine Verarbeitung erfolgt über ein ähnliches zyklisches Reaktionsgeschehen, wie wir es bereits bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion kennengelernt haben. Am Anfang steht ebenfalls ein spezifischer Akzeptor, welcher im Verlauf des Zyklus regeneriert wird: Oxalacetat (16, s. Abb.5.3). Als C4-Körper bindet er das C2-Fragment unter Freisetzung von CoA. Der entstehende C6-Körper, das Citrat (17), wird über eine Folge von Umsetzungen so verändert, daß schließlich wieder Oxalacetat als regenerierter Akzeptor vorliegt, während formal das eingeführte C2-Fragment zu Kohlendioxid und Wirkgruppen-gebundenem Wasserstoff abgebaut wird. Damit schließt sich der Kreis, ein neuer Acetyl-Rest kann eingeführt werden. In der Bilanz ergibt sich folgende Reaktionsgleichung: O H3C C S CoA + 3 H2O
2 CO2 + 8 [H] + HS
CoA
([H] soll anzeigen, daß der Wasserstoff an eine Wirkgruppe gebunden ist). Die Zerlegung des C2-Fragments ist demnach gekennzeichnet durch Decarboxylierungen, die zur Freisetzung von Kohlendioxid führen, durch Dehydrogenierungen sowie durch Anlagerung von Wasser. In Analogie zur Glykolyse stellen wir fest, daß Sauerstoff auch an den Umsetzungen im Citratzyklus nicht direkt beteiligt ist. Die stattfindenden Oxidationen entsprechen vielmehr einem Entzug von Wasserstoff bzw. von Elektronen. Den gesamten Reaktionsablauf zeigt Abb. 5.3. Er macht deutlich, daß sich alle Umsetzungen zwischen organischen Säuren bzw. ihren Salzen (entsprechend den pH-Werten in der Zelle!) vollziehen und phosphorylierte Zwischenstufen – im Gegensatz zur Glykolyse und zur photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion fehlen. *
Auch häufig als „Krebs-Zyklus“ bezeichnet. H. A. Krebs gelang 1937 gleichzeitig mit Knoop und Martius die Aufklärung des Prozesses. Er wurde 1953 dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
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5.4 Aerobe Dissimilation
–
HS-CoA
H2C COO
–
Acetyl-CoA
HO C COO
1
O C COO
–
NAD+
17 Citrat
H2O
–
H2C COO
(18 Aconitat)
H2C COO 16 Oxalacetat
8
2
–
H2C COO
–
NADH + H +
H HO
–
C COO
–
C COO
19 Isocitrat H
H
NAD+
–
HO C COO
3
– H2C COO 24 L-Malat
H2O
7
H2O
H
COO
CO2
C
–
OOC
FADH2
H
NADH + H+ –
H2C COO
–
C
281
20 2-Oxoglutarat
H2C –
O C COO
23 Fumarat HS- CoA, H+
NAD+
6 FAD
22 Succinat H – H C COO H C COO– H
4
HS-CoA
21 Succinyl-CoA
NADH + H+
–
H2C COO 5
GTP(ATP)
H2C
CO2
H2O O C S- CoA
GDP(ADP)
Abb. 5.3
Umsetzungen im Citratzyklus.
Beteiligte Enzyme: 햲 Citrat(si)-Synthase 햳 Aconitat-Hydratase 햴 Isocitrat-Dehydrogenase 햵 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase
햶 햷 햸 햹
Succinyl-CoA-Synthetase Succinat-Dehydrogenase Fumarat-Hydratase Malat-Dehydrogenase
Startreaktion ist die Bildung von Citrat (17) aus dem Acetyl-Rest und Oxalacetat (16) in einer Aldolkondensation, welche von Citrat-(si)-Synthase katalysiert wird (s. Reaktionsschema). Dabei wird die Thioesterbindung gespalten und Coenzym A freigesetzt; die Reaktion ist demgemäß irreversibel. O O O C COO–
+
H3C C S CoA
H2C COO– 16 Oxalacetat
15 Acetyl-Coenzym A
H2C C S CoA
H2O
–
H2C COO– HO C COO–
HO C COO
–
H2C COO
HS CoA
Citryl-CoA
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H2C COO– 17 Citrat
282
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Citrat (17) wird einleitend zu Isocitrat (19) umgeformt, wobei cis-Aconitat (18; Salz der Aconitsäure) als Zwischenstufe fungiert (s. Reaktionsschema). Bei der beteiligten Aconitat-Hydratase handelt es sich um ein Nicht-Häm-Eisenprotein mit einem [4Fe-4S]-Zentrum, welche streng stereospezifisch arbeitet. –
OOC
OH
H2C C H COO– C COO– H 17 Citrat
OH–
–
OOC CH2 –
–
OOC
H+
C COO H C H
+
COO–
18 cis-Aconitat (Ebene der Doppelbindung dargestellt)
OH
–
3
H
H2C C – H COO 2C – COO OH 19 Isocitrat
Isocitrat ist das Substrat der ersten Dehydrogenierung, welche von IsocitratDehydrogenase katalysiert wird; gleichzeitig wird Kohlendioxid reversibel abgespalten. Über Oxalsuccinat als Zwischenverbindung entstehen NAD-H + H+ und 2-Oxoglutarat (20). Diese Oxosäure wird anschließend oxidativ decarboxyliert: Kohlendioxid wird freigesetzt, Wasserstoff und das Oxidationsprodukt werden auf NAD+ bzw. Coenzym A transferiert: NAD-H + H+ und energiereiches Succinyl-Coenzym A (21; Succinyl-CoA) sind die Endprodukte. Ihre Synthese folgt weitgehend dem Reaktionsmodus, welcher der Bildung von Acetyl-Coenzym A aus Pyruvat zugrunde liegt; sie wird entsprechend von einem ähnlich konstruierten Multi-Enzym-Komplex, der Oxoglutarat-Dehydrogenase, gesteuert. Dessen Aktivitäten sind auf 2-Oxoglutarat als Substrat anstelle von Pyruvat bzw. auf den Succinyl-Rest, nicht auf den Acetyl-Rest, eingestellt: Oxoglutarat-Decarboxylase/Dehydrogenase und Dihydroliponamid-S-Succinyltransferase. Die gleichen Wirkgruppen wie bei der Pyruvat-Dehydrogenase sind beteiligt. Ein Teil der freien Energie der stark exergonischen Umsetzung von 2-Oxoglutarat bleibt in der Thioesterbindung von Succinyl-CoA konserviert. Sie liefert in der anschließenden Reaktion das einzige Energieäquivalent – GTP bzw. ATP – des Zyklus (s. Abb. 5.3); Succinyl-CoA-Synthetase (Succinat-CoALigase) setzt dabei Succinat (22) und Coenzym A frei. Der Name des Enzym zeigt an, daß die Reaktion wegen der geringen Änderung der freien Enthalpie auch in gegenläufiger Richtung katalysiert wird. Die für die Umwandlung von Succinat zu Fumarat (23) zuständige Succinat-Dehydrogenase gehört zu den Flavoproteinen und arbeitet dementsprechend mit FAD als Wirkgruppe. Im Gegensatz zu den übrigen Enzymen des Citratzyklus ist dieses ein integraler Bestandteil der inneren Mitochondrienmembran (Komplex II; s. Abb. 5.4, S. 287) und steht räumlich und funktionell mit Enzymsystemen derselben in engem Kontakt; sie gehören zur Atmungskette (S. 286 ff). Die von Succinat-Dehydrogenase katalysierte Reaktion wird durch Zugabe von Malonat in geeigneter Konzentration spezifisch blockiert. Der Hemmeffekt beruht darauf, daß Malonat dem natürlichen Substrat Succinat (22) strukturell sehr ähnlich ist und deshalb vom aktiven Zentrum des Enzyms unter Verdrängung der Succinatmoleküle
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5.4 Aerobe Dissimilation
283
gebunden wird. Da Malonat aber nicht dehydrogeniert wird, kann die Aktivität des Enyzms nur durch eine Erhöhung der Substratkonzentration und damit durch eine Verdrängung des Malonats vom aktiven Zentrum wiederhergestellt werden. Dieses Musterbeispiel einer kompetitiven Hemmung (s. S. 16) hat wesentlich zur Aufklärung der Wirkungsweise von Enzymen beigetragen.
Durch Wasseranlagerung (Hydratisierung) geht Fumarat in L-Malat (24) über. Dieses entsteht aufgrund der strikten Stereospezifität der katalysierenden Fumarat-Hydratase durch trans-Addition. Die Regeneration des Akzeptors wird durch die Dehydrogenierung von L-Malat zu Oxalacetat (16) abgeschlossen: Malat-Dehydrogenase spaltet Wasserstoff von der sekundären Alkohol-Gruppe ab und überträgt ihn auf NAD+. Mit der Rückbildung von Oxalacetat, dem spezifischen Akzeptor für „aktivierte Essigsäure“, ist der Kreis geschlossen, der Citratzyklus einmal durchlaufen. Das C2-Fragment ist dabei aufgearbeitet, das Akzeptormolekül regeneriert worden. Der Citratzyklus ist ein gutes Beispiel für eine Reaktionssequenz, welche sich im Fließgleichgewicht (S. 9 ff) befindet.
Bilanz des Citratzyklus Unter Wasseraufnahme entstehen aus einem über Coenzym A eingebrachten und aktivierten C2-Fragment zwei Moleküle Kohlendioxid und Wirkgruppengebundener Wasserstoff: 3 NAD-H + H+ und 1 FADH2. Für einen Zyklusdurchgang ergibt die Summe aller beteiligten Umsetzungen eine relativ geringe Abnahme der freien Enthalpie von ∆G'm ⫽ – 105 kJ ⋅ mol – 1. Sie resultiert vorwiegend aus der Spaltung der Thioesterbindungen in den beiden CoA-Verbindungen sowie aus den beiden Decarboxylierungen. Obwohl nur ein Energieäquivalent produziert wird, liegt die Energieausbeute erheblich höher: sie ist im energiereich gebundenen Wasserstoff der Reduktionsäquivalente gewissermaßen „zwischengelagert“; dieses Potential wird erst später in der Endoxidation (S. 293 ff) ausgebeutet, d. h. zur Bildung von ATP genutzt.
Der Citratzyklus als Mittler zwischen Abbau und Aufbau Bisher haben wir den Citratzyklus einseitig unter dem Blickwinkel der Dissimilation betrachtet. Wollen wir seiner ganzen Bedeutung gerecht werden, darf seine zweite wichtige Aufgabe nicht unerwähnt bleiben: Der Citratzyklus fungiert auch als Auffang- und Verteilerstation für zahlreiche Produkte des Intermediärstoffwechsels, bildet demgemäß ein „Sammelbecken“ oder einen Pool (S. 279 f) für diese.
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Einige Teilreaktionen des Zyklus liefern die Vorstufen für verschiedene Syntheseprozesse. Die über Coenzym A eingebrachten C2-Fragmente sind demnach nicht nur Betriebsstoff für den Zyklus, sondern werden auch über diesen umgeformt und für Synthesen abgezweigt. Die Beschreibung der plastidären Aminosäuresynthese hat uns mit der Tatsache vertraut gemacht, daß einige der benötigten Kohlenstoffgerüste vom Chloroplasten importiert werden müssen. Dabei könnten Oxalacetat bzw. Malat und 2-Oxoglutarat aus dem Citratzyklus, d. h. aus dem mitochondrialen Kompartiment, kommen. Die für tierische Zellen typische Entnahme von SuccinylCoA als Startsubstanz der Porphyrin-Biosynthese fehlt sicherlich bei höheren Pflanzen, weil jene offensichtlich nur im Chloroplasten stattfindet und überdies andere Vorstufen benötigt (s. S. 527 ff). Auftretende Defizite am Akzeptor und/oder an Zwischenverbindungen des Zyklus werden durch „auffüllende“ oder anaplerotische Reaktionen ausgeglichen. So kann Oxalacetat (16) durch Carboxylierung von Pyruvat (11) entstehen; sie wird von Pyruvat-Carboxylase katalysiert, einem MitochondrienEnyzm mit Biotin als Wirkgruppe: Biotin CO2
Biotin COO –
COO– C O CH3 11 Pyruvat
Pyruvat-Carboxylase
C O CH2
COO–
16 Oxalacetat
Diese wird einleitend unter ATP-Verbrauch mit Kohlendioxid beladen (s. Schema S. 307) und reagiert nach dieser Aktivierung mit Pyruvat in einer energetisch stark begünstigten Reaktion. Das Enzym unterliegt der allosterischen Kontrolle, wobei Acetyl-Coenzym A als positiver Effektor fungiert, wenn der beladene Metabolit im Überschuß vorliegt. Diese Situation erfordert dringlich die Vermehrung von Oxalacetat, damit der Überhang an Acetyl-Coenzym A abgeschöpft werden kann; der Prozeß wird über die Aktivierung von PyruvatCarboxylase in Gang gesetzt. Den Import des benötigten Pyruvats besorgt ein Pyruvat-Translokator der inneren Mitochondrienmembran im Gegentausch mit Hydroxyl-Ionen. Dieses Transportsystem ist nur eines von mehreren, welche den Austausch von Metaboliten zwischen cytosolischem Kompartiment und Mitochondrien übernehmen: ein Dicarboxylat-Translokator („Carrier“) transportiert Malat, Succinat oder Fumarat im Austausch mit anorganischem Phosphat, ein TricarboxylatTranslokator Citrat plus Proton im Gegentausch mit Malat. Weitere Translokatoren sind für den Austausch von Glutamat gegen Aspartat, von Malat gegen Oxalacetat sowie von internem ATP gegen externes ADP (AdeninnucleotidTranslokator) zuständig. Ob alle diese bei tierischen Zellen ermittelten Transportsysteme auch in Mitochondrien pflanzlicher Zellen aktiv sind, ist noch ungeklärt.
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5.5 Endoxidation
285
Ionen passieren die innere Mitochondrienmembran mit Hilfe spezifischer Kanäle (s. S. 36 f). Aufnahme von NAD-gebundenem Wasserstoff ist bei tierischen Mitochondrien nur in Ausnahmefällen möglich. Bei denen von höheren Pflanzen hingegen vermitteln spezifische NADH-Dehydrogenasen der inneren Mitochondrienmembran einen solchen transmembranen Eintransport von Wasserstoff externer Reduktionsäquivalente (Einzelheiten S. 293). Obwohl nicht zum Citratzyklus gehörend, soll hier der Vollständigkeit halber auch die Abgabe von Acetyl-Coenzym A durch Mitochondrien betrachtet werden. Da deren innere Membran auch für diese Verbindung praktisch undurchlässig ist, gelingt der Export des Acetyl-Restes nur nach Bindung an einen geeigneten „Träger“, für welchen ein Translokator existiert. Als solcher fungiert Oxalacetat: das aus der Vereinigung entstehende Citrat kann dann über den oben beschriebenen TricarboxylatTranslokator problemlos in das Cytosol ausgeschleust werden. Dort zerlegt eine ATPCitrat-(pro-3 S)-Lyase das Citrat in Oxalacetat und Acetyl-Coenzym A. Dieses steht nun als Substrat für Synthesen im Cytosol zur Verfügung, während Oxalacetat im Gegentausch mit Malat in das Mitochondrion zurückkehren kann (s. o.).
Regulation. Grundsätzlich bestimmt die Energieladung, wie Oxalacetat verarbeitet wird: Bei hohem Bedarf an ATP kondensiert dieses mit dem an Coenzym A gebundenen Acetyl-Rest zum Citrat, welches im Zyklus verarbeitet wird. Bei einem Überschuß an ATP wird Oxalacetat in Malat überführt und in das Cytosol exportiert. Dieses Prinzip macht deutlich, daß die Aktivität des Citratzyklus in erster Instanz über die Bildung von Citrat kontrolliert wird, wobei die Energieladung entscheidend ist. ATP steuert als positiver oder negativer Effektor die Aktivität der allosterischen Citrat(si)-Synthase. Dieser Kontrollmechanismus wird durch weitere Systeme gleichsinnig oder verstärkend ergänzt (multiple Rückkopplung): Phosphorylierung inaktiviert die Isocitrat-Dehydrogenase, Dephosphorylierung aktiviert sie (Interkonversion; S. 279). Die hierfür erforderlichen Enzyme, Kinase und Phosphatase, haben ihre katalytischen Zentren auf ein und demselben Polypeptid; die Mitwirkung eines solchen „bifunktionellen“ oder Tandem-Enzyms ist bei anderen Regulationsmechanismen anzutreffen. NAD+ ist als allosterischer Aktivator von Isocitrat-Dehydrogenase erkannt worden. Akkumulation von NAD-H + H+ als Endprodukt hemmt hingegen die Aktivität dieses Enzyms, aber auch die des Komplexes von Oxoglutarat-Dehydrogenase.
5.5
Endoxidation Allgemeines
Der Hauptgewinn an chemischer Energie wird aus dem dissimilatorischen Abbau bei der abschließenden Vereinigung des abgespaltenen und an Wirkgruppen gebundenen Wasserstoffs mit molekularem Sauerstoff erzielt (vgl. S. 261 f). Da die Oxidation von NADH + H+ mit einer stark negativen Änderung der freien Enthalpie verbunden ist (∆G'm ⫽ – 220 kJ ⋅ mol – 1), entspricht sie formal der
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286
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Knallgasreaktion. Im Gegensatz zu dieser wird jedoch die Energie nicht schlagartig als Wärme frei, sondern in kleinen „handlichen“ Teilbeträgen einer Form, welche sich zellulär sehr effektiv als chemische Energie im ATP konservieren lassen. Diese Aufgliederung in mehrere Übertragungsschritte mittels einer Stufenfolge von Redoxsystemen erlaubt nicht nur einen kontrollierbaren, entschärften Ausgleich des Energiegefälles, sondern auch die Nutzung der damit verbundenen Enthalpie-Änderungen zur Energie-Gewinnung. Der hierfür zuständige biochemische Mechanismus entspricht in seinen Grundzügen jenem, welchen wir schon vom lichtgetriebenen Elektronentransport der Photosynthese her kennen: Wie dort, wird ein transmembraner Protonengradient mit Hilfe integraler Redoxkatalysatoren aufgebaut, welche von Redoxenergie angetriebenen Protonenpumpen entsprechen. Das resultierende Energiepotential wird zur Synthese von ATP – Oxidative Phosphorylierung – genutzt, welche von einem unabhängigen, energietransformierenden Reaktionskomplex der inneren Mitochondrienmembran katalysiert wird: ATP-Synth(et)ase oder F1/F0-Komplex (S. 294 f). Diese Membran bildet entsprechend ein eigenständiges Subkompartiment, welches zwischen Matrix und Intermembranraum (= perimitochondrialer Raum; Abb. 5.1, s. S. 273) etabliert ist. Konstruktion und der Funktionsweise von Elektronentransportketten sind bereits im Zusammenhang mit der Photochemie der Photosynthese beschrieben worden. Ihre Prinzipien gelten auch hier, d. h. für die Atmungskette. Ihr Ende markiert der molekulare Sauerstoff als terminaler Elektronenakzeptor. Die Atmungskette repräsentiert eine Reaktionsfolge, die sich in dem typischen Zustand eines Fließgleichgewichtes (S. 9 ff) befindet.
5.5.1
Organisation der Atmungskette
Die beteiligten Redoxkomponenten sind, bis auf zwei, in vier supramolekularen Membrankomplexen vereinigt, von denen drei der eigentlichen Atmungskette angehören: NADH-Ubichinon-Reduktase (I) Ubichinon-Cytochrom c-Reduktase (III) Cytochrom-Oxidase (IV) (s. Abb. 5.4)
Der Komplex II, die Succinat-Ubichinon-Reduktase, agiert als Zulieferer von Wasserstoff für die Kette, gewissermaßen im „Seiteneinstieg“. Ubichinon und Cytochrom c sind nichtgebundene Komponenten und stellen als bewegliche Überträgersysteme den Kontakt zwischen den Komplexen her, so daß ein kontinuierlicher und gerichteter Elektronenfluß über die Kette von NAD-H + H bzw. FADH2 bis zum Sauerstoff gewährleistet ist. Die anfallende Redoxenergie der einzelnen Übergänge wird zum Aufbau des transmembranen Protonengradienten verwendet. Diese Arbeitsweise hat große Ähnlichkeit mit dem Elektronentransport in der Thylakoidmembran.
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5.5 Endoxidation
´E0 [V] –0,32
Abb. 5.4 Aufbau der Atmungskette und Verlauf des zugehörigen Elektronentransfers. Einbeziehung der für höhere Pflanzen typischen Komponenten.
NADH + H+Pool
AOX Ex-DH Cyt Skala:
e
H+
Komplex I FMN [FeS]n
Acyl –CoA e
e e 0
UbichinonPool
Alternative Oxidase externe Dehydrogenase (s. Text) Cytochrom Redoxpotentiale der einzelnen Komplexe bzw. vermittelnden Komponenten
Komplex II Succinat FAD, [FeS]n Fumarat
e Ex–DH
e
+ 0,25 H+
287
Komplex III Cyt b [FeS]n Cyt c1
NADH + H+ NAD+
e
e
Cyt c e
+ 0,30 H+
AOX
Komplex IV Cyt a, a3 Cu2+ O2
+ 0,82
O2
H2O
H2O
Modifikationen dieses Grundmusters finden sich bei der Atmungskette pflanzlicher Mitochondrien, auf welche später eingegangen wird (S. 292 f). Nach Abb. 5.4 übernimmt FMN im Komplex I den Wasserstoff von NAD-H + H+ und überträgt ihn auf Ubichinon (Coenzym Q). Diese mobile Redoxkomponente fungiert auch als Sammlersystem für den über FADH2 eingebrachten Wasserstoff, welcher von Komplex II bzw. von Acyl-CoA-Dehydrogenase sozusagen auf „Nebenwegen“ einkommt. Auch für den mit Hilfe einer zusätzlichen NAD(P)spezifischen Dehydrogenase eingebrachten Wasserstoff cytosolischer Herkunft bei pflanzlichen Mitochondrien dient Ubichinon als Sammelstelle. Letztere sind in der Regel auch noch zu einem direkten Elektronentransfer vom redu-
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288
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
zierten Ubichinon zur Endoxidase befähigt, wobei diese vermutlich nicht mit Komplex IV identisch ist (s. Abb. 5.6 u. S. 292 f). Cytochrom b und c1 in Komplex III dehydrogenieren das reduzierte Ubichinon (Ubichinol); während die Protonen frei werden, wandern die Elektronen zum Cytochrom c, der zweiten mobilen Redoxkomponente in der Kette, welche sie zur Cytochrom-Oxidase, dem Komplex IV bzw. zur Alternativen Oxidase (AOX) pflanzlicher Mitochondrien, transferiert. Diese katalysiert die Übertragung der Elektronen auf molekularen Sauerstoff. Wie Abb. 5.4 verdeutlicht, ist bei den Komplexen I, III und IV die Elektronenübertragung mit einem transmembranen Protonentransfer gekoppelt; sie wirken demgemäß wie Protonenpumpen (S. 36).
Struktur und Funktion der Membrankomplexe Der nachfolgenden Schilderung liegen experimentell gut gesicherte Befunde zugrunde, welche zunächst an tierischen Mitochondrien gewonnen, später an pflanzlichen bestätigt worden sind. Allerdings bestehen zwischen beiden, wie schon angemerkt, bemerkenswerte Unterschiede in einigen Details, was die Natur und die Funktionsweise einiger Komponenten der Atmungskette anbelangt. Der derzeitige Kenntnisstand beruht in erster Linie auf der gelungenen Isolierung der Komplexe I bis IV aus der mitochondrialen Membran und der anschließenden Zerlegung in ihre Einzelteile. Typisch für die drei Hauptkomplexe (I, III, IV) ist ihre asymmetrische Konstruktion in Verbindung mit membrandurchspannenden Polypeptidsegmenten, offensichtlich wichtige Voraussetzungen für die laterale Elektronenbewegung und den vertikalen Protonentransfer durch die Membran. NADH-Ubichinon-Reduktase (Komplex I) ist aus Mitochondrien von Vicia faba isoliert und gereinigt worden. Der Komplex besteht aus mindestens 25 Polypeptiden von 6 – 75 kDa, was einer Molmasse von etwa 850 kDa entspricht. FMN als Wirkgruppe ist vermutlich mit 8 Eisen-Schwefel-Zentren der Typen [2Fe-2S] und [4Fe-4S] funktionell verbunden. Als wirksame Inhibitoren erwiesen sich – ähnlich wie beim Komplex aus tierischen Mitochondrien – Rotenon, Barbiturate und Piericidin (s. Abb. 5.6, S. 292). Ubichinon oder Coenzym Q (Struktur S. 206), ein Vertreter der Polyprenylchinone, wird über zwei 1-Elektronen-Übergänge reduziert, wobei intermediär das Semichinon mit freiem Radikal entsteht. Damit liegt der gleiche Übertragungsmodus wie beim Plastochinon in der Photosynthese vor. Wie dieses, ist Ubichinon dank seiner stark hydrophoben Natur relativ gut in der Lipidphase einer Biomembran beweglich und kann dementsprechend als mobiler Elektronenüberträger agieren. Dank seiner relativ großen Menge, im Vergleich mit den anderen Komponenten der Atmungskette, übernimmt Ubichinon auch die Funktion eines Sammlersystems für Wasserstoff bzw. Elektronen.
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5.5 Endoxidation
289
Succinat-Ubichinon-Reduktase (Komplex II) besteht vor allem aus der Succinat-Dehydrogenase. Dies macht die frühere Aussage verständlich, wonach sie als einziges Enzym des Citratzyklus ein fester Bestandteil der inneren Mitochondrienmembran ist (S. 282). Die beiden Untereinheiten von 27 und 70 kDa sind mit FAD in kovalenter Bindung sowie mit zwei [2Fe-2S]-Zentren und einem [4Fe-4S]-Zentrum bestückt. Von den beiden anderen Polypeptiden, 13,5 und 15,5 kDa, ist eines möglicherweise mit Cytochrom b560 identisch. Da beim Wasserstofftransfer von Succinat auf Ubichinon die Änderung der freien Enthalpie praktisch gleich Null ist, fällt keine Redoxenergie an; infolgedessen geht dem Komplex II die Fähigkeit ab, Protonen durch die Membran nach außen zu befördern.
Auch für den von Acyl-CoA-Dehydrogenase abgespaltenen Wasserstoff besorgt Ubichinon den Eintritt in die Atmungskette. Als Zwischenträger fungiert Elektronen-transportierendes Flavoprotein (ETFP), ein Polypeptid-Dimer von je 30 kDa mit FAD als prosthetischer Gruppe und einem [2Fe-2S]-Zentrum, von welchem ETFP-Ubichinon-Reduktase den Wasserstoff auf Ubichinon überträgt. In Abb. 5.4 (S. 287) ist auch berücksichtigt, daß pflanzliche Mitochondrien unter Mithilfe einer speziellen NADH-Dehydrogenase an der äußeren oder Cytosolseite der inneren Membran in der Lage sind, „externen“ Wasserstoff zu requirieren und ihn dem Ubichinon zuzuleiten. Ob dort noch weitere Dehydrogenasen dieser Art (⫽ alternative Dehydrogenasen; s. Abb. 5.6, S. 292) existieren, wird zwar vermutet, ist aber noch nicht exakt bewiesen. Ubichinon-Cytochrom c-Reduktase (Komplex III) heißt nach seinen integralen Komponenten auch Cytochrom bc1-Komplex. Seine Molmasse von ca. 250 kDa setzt sich aus insgesamt 11 Polypeptiden von unterschiedlicher Größe (3 – 45 kDa) zusammen, darunter auch ein Eisen-Schwefel-Protein vom RieskeTyp (31 kDa; S. 13). Mit Struktur und Funktionsweise der Cytochrome sind wir schon vertraut (Box 3.13, S. 132). Cytochrom b (42,4 kDa) bindet zwei HämGruppen, welche zwischen zwei Helices jeweils nahe der Membranoberfläche angeordnet sind (s. Abb. 5.5, S. 290). Die gleiche Struktur findet sich beim plastidären Cytochrom b6. Beide Häm-Gruppen (b562, b566) stellen eigenständige Reaktionszentren dar. Eine weitere Übereinstimmung mit dem plastidären Cytochrom findet sich in der Aminosäuresequenz des Apoproteins (s. S. 133).
Vom QH2 geht ein Elektron auf das [2Fe-2S]-Zentrum des Rieske-Proteins über, von dort auf Cytochrom c1, dann auf Cytochrom c; damit verläßt das Elektron den Komplex III. Dieser 1-Elektronentransfer hinterläßt zunächst das Semichinon Q*, welches sein Elektron an das Zentrum b566 abgibt. Von dort gelangt es zum b562 und reduziert dann ein Chinonmolekül zum Semichinon, welches unter Aufnahme eines Elektrons aus dem Ubichinon-Pool zum QH2 wird. Damit schließt sich der Kreis. Dieses als Q-Zyklus bezeichnete Reaktionsgeschehen (Abb. 5.5) basiert vermutlich auf der Existenz der beiden beschriebenen HämReaktionsstellen im Komplex, von denen die eine an der Innenseite der Membran (Matrixseite) für Reduktion, die andere an der Außenseite (Cytosolseite) für Oxidation zuständig ist. Während formal ein Elektron ständig im Zyklus
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290
5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung Abb. 5.5 Vermutete Bewegungen von Elektronen und Protonen im Q-Zyklus.
2 H+
Intermembranraum
Cyt c Q
Zentrum P
e
Q*
Cyt c1
[FeS]
QH2
b566 e
QH2
b562 Zentrum N Q Ubichinon
Q* e 2 H+
Matrix
kreist, folgt das andere dem vorgezeichneten Weg zum Cytochrom c1 bzw. Cytochrom c. Die Funktion des Q-Zyklus wird darin gesehen, daß er die 2-Elektronen-Chemie mit der 1-Elektronen-Chemie effektiv verknüpft; allerdings sind einige der in Abb. 5.5 skizzierten Teilschritte noch hypothetischer Natur. Übereinstimmungen mit dem Elektronentransfer durch den Cytochrom b6/f-Komplex der Thylakoidmembran sind unverkennbar (s. S. 130 ff). Cytochrom c (25), ein Häm-Eisen-Proteid (12 kDa), ist locker mit der hydrophilen Außenfläche der inneren Mitochondrienmembran assoziiert. Hierfür sind vermutlich geladene Lysin-Reste des Apoproteins verantwortlich, welche mit negativen Ladungen an der Oberfläche der Komplexe III und IV in Wechselwirkung treten. Wie Ubichinon innerhalb der Membran, fungiert Cytochrom c an der Außenfläche derselben als Vektor und Sammlersystem für Elektronen. Aufgrund seiner überwiegend hydrophilen Natur geht dieses Häm-Proteid, im Gegensatz zu den meisten anderen, relativ leicht in Lösung. Daher sind wir über 16
15 14 13
17
Cys
Cys
S
S
18
H3C CH
1
A
6
N
N
B
CH 9
Fe H3C S 80
19
H3C
Met
D
NH
CH3 4
H3C
81
N 16
HOOC (CH2)2
N
19
His
N
CH3
11
C
14
CH3
(CH2)2 COOH
79
25 Cytochrom c
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5.5 Endoxidation
291
Sequenzaufbau und Raumstruktur seines Apoproteins (104 Aminosäure-Reste) und die Bindung der Häm-Gruppe recht gut informiert. Diese ist, wie die Strukturformel (25) zeigt, über kovalente und nichtkovalente Bindungen an die Polypeptidkette fixiert. Weil alle 6 Koordinationsstellen des zentralen Eisenatoms dabei beansprucht werden, ist die Bindung von Sauerstoff (O2), Kohlenmonoxid (CO) oder Cyanid-Ionen (CN – ) – wie beim Hämoglobin – nicht möglich. Cytochrom-Oxidase (Komplex IV) reagiert direkt mit Sauerstoff und katalysiert damit den terminalen Schritt der Elektronenübertragung. Von seinen maximal 13 verschiedenen Polypeptiden sind lediglich die drei größten als Untereinheiten I (57 kDa), II (26 kDa) und III (30 kDa) mit dem Transport von Elektronen befaßt. Die zwei Häm-Komponenten – Häm a und Häm a3 – in Bindung an II bzw. I heißen auch Cytochrom a (26) und Cytochrom a3. CH3
CH3
CH3
CH3 H
C OH
H3C 1
A
CH3
4
6
N
N
B
CH CH2
9
Fe 19
OHC
D
N 16
HOOC (CH2)2
N
11
C
CH3
14
(CH2)2
COOH
26 Cytochrom a
Obwohl in der Struktur identisch, besitzen sie unterschiedliche Eigenschaften, bedingt durch ihre jeweils verschiedenartige Anordnung im Komplex. Jede dieser Untereinheiten trägt ein Cu-Ion in der Nachbarschaft des Häm: CuA und CuB, so daß der Gesamtkomplex über zwei Reaktionszentren verfügt. Mit dem ersten, Häm a + CuA, startet der Elektronentransfer, indem ein Elektron vom reduzierten Cytochrom c aufgenommen und an das zweite Zentrum weitergeleitet wird. In ihm sind Häm a3 und CuB räumlich und funktionell eng verbunden. Dieses „binukleäre Reaktionszentrum“ reagiert nun mit Sauerstoff (O2), dem Endakzeptor von hoher Elektronenaffinität. Insgesamt werden 4 Elektronen in mehreren Teilschritten übertragen, so daß am Ende 2 Moleküle Wasser entstehen. Mit der Bindung des O2-Moleküls sowie seiner Reaktionsstufen an die beiden Metall-Ionen (Fe3 +, Cu2 +) im Reaktionszentrum von Häm a3 + CuB wird die Gefahr weitgehend gebannt, daß sehr reaktionsfreudige Radikale oder Anionen des Sauerstoffs frei werden und ihre toxische Wirkung entfalten können. Mögliche Spuren von entstehendem Hydroperoxidanion werden vermutlich von Superoxid-Dismutase eliminiert. Die Polypeptide der Untereinheiten I – III werden vom mitochondrialen Genom (S. 445 ff) determiniert. Die zugehörigen Gene (coxI, coxII, coxIII) wurden bei ei-
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
292
ner Anzahl höherer Pflanzen (Mais, Reis, Weizen, Soja, Erbse, Hirse, Oenothera berteriana) als Bestandteile der Organell-DNA ermittelt. Ob die Reduktion von molekularem Sauerstoff auch in pflanzliche Mitochondrien nach dem vorstehend beschriebenen Modus abläuft, ist noch nicht restlos geklärt. Zusätzlich verfügen diese über eine zweite Endoxidase, welche über den Cyanid-resistenten Weg (s. u.) angelieferte Elektronen auf molekularen Sauerstoff überträgt. Sie wird als Alternative Oxidase (AOX) bezeichnet (Abb. 5.6). Dieses Enzym wurde aus Spadix-Mitochondrien des Stinkkohls (Symplocarpus foetidus) isoliert. Es besteht aus zwei Hauptpolypeptiden von 36 und 29 kDa; offensichtlich fehlt eine Cytochrom-Komponente. In vitro wird die Übertragung von 4 Elektronen plus Protonen auf das Sauerstoffmolekül katalysiert, wobei Wasser entsteht. Eine entsprechende Endoxidase des Cyanid-resistenten Elektronentransportes ist bei Sauromatum guttatum (Araceae; S. 297) gefunden worden.
Intermembranraum NADH + H+ H+
NAD+ H+
H+ Cyt c
Ex –DH
I
Rotenon Amytal
e e
UQ e
? Al–DH
III
e
AA
IV
e II
AOX
NADH + H+ NAD+ NADH + H+ NAD+ Succinat Matrix
e
e
e
e
H+ SHAM 1 /2 O2
e
H+
KCN
Fumarat
Citratzyklus
H 2O
Abb. 5.6 Modell der Atmungskette pflanzlicher Mitochondrien. Cyanid-resistenter Weg des Elektronenflusses mit Rot markiert. AA Al-DH AOX Cyt c Ex-DH SHAM UQ
Antimycin alternative pflanzliche Dehydrogenase alternative Oxidase Cytochrom c externe Dehydrogenase Salicylhydroxaminsäure Ubichinon
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5.5 Endoxidation
5.5.2
293
Warum alternative Wege der NADH-Oxidation in pflanzlichen Mitochondrien?
Noch gibt es hierauf keine befriedigende Antwort. Nach einer gängigen Vorstellung sollen diese mit der Atmungskette gekoppelten Prozesse der Wärmeproduktion – Thermogenese – spezieller pflanzlicher Gewebe dienen, entdeckt von J. B. de Lamark 1778 bei Arum italicum (Einzelheiten S. 297). Der Wasserstoff gelangt unter Vermittlung einer externen NADH-Dehydrogenase zum Ubichinon. Dieser Schritt erwies sich als sensitiv gegenüber Rotenon (s. Abb. 5.6). Das Enzym konnte aus Mitochondrien dieser Gewebezellen gewonnen werden. Vermutlich handelt es sich um ein Flavoprotein mit FAD als Wirkgruppe, welches durch Calcium-Ionen aktiviert wird. Ähnliche Dehydrogenasen für extramitochondriales NADH + H+ mit Lokalisation an der äußeren Oberfläche der inneren Mitochondrienmembran sind bei Hefezellen und Neurospora crassa nachgewiesen worden. Nach einer anderen Version soll über diesen Seitenweg des Elektronentransports ein Überschuß an cytosolisch produziertem NAD-H + H+ abgeschöpft werden. Externe Dehydrogenase würde dabei als effektiver Redox-Shuttle agieren. Der Cyanid-resistente Transportweg für Elektronen (s. Abb. 5.6), die alternative Route in pflanzlichen Mitochondrien, kommt typischerweise in den Zellen thermogener pflanzlicher Gewebe vor (s. S. 297). Möglicherweise leitet er Elektronen ab, welche nicht vom Ubichinon-Kollektiv gebunden werden können, weil dessen Reoxidation durch Komplex III mangelhaft ist. Die spezielle oder Alternative Oxidase sorgt für die direkte Übertragung auf Sauerstoff. Da Cyanid sicherlich nicht in in vivo den alternativen Elektronenfluß auslöst, wird eifrig nach dem entsprechenden natürlichen Faktor gesucht, bisher allerdings mit wenig Erfolg. Ein Kandidat ist die Salicylsäure. Die Intensität der Cyanid-resistenten Atmung hängt sehr stark vom Entwicklungszustand des Gewebes sowie dessen physiologischem Status ab.
5.5.3
Atmungskettenphosphorylierung
Unerwähnt geblieben ist bisher die mit der Atmungskette gekoppelte ATP-Synthese, durch welche die freigesetzte Redoxenergie der Teilschritte als chemische Energie konserviert wird. Da es sich bei diesen um Oxidationen handelt – Wasserstoff bzw. Elektronen werden abgegeben – bezeichnet man diese ATPBildung als oxidative Phosphorylierung.
Kopplung von Elektronentransport und ATP-Synthese Daß die Atmungskette tatsächlich auf diesen Zweck hin konstruiert ist, wird deutlich, wenn wir bei der Reihung der beteiligten Redoxkatalysatoren auch ihre Standard-Redoxpotentiale berücksichtigen und somit die abgestufte Ände-
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
rung der freien Enthalpie im Verlauf des Elektronenflusses bis zum Sauerstoff hin erfassen. Dies ergibt, wie Abb. 5.4 (S. 287) zeigt, für zwei H-Atome bzw. die zugehörigen zwei Elektronen einen Potentialabfall von ca. 1,14 V ( – 0,32 씮 0,00씯 0,82 V). Er entspricht insgesamt einer Abnahme der freien Enthalpie von mindestens ∆G’m ⫽ –220 kJ ⋅ mol – 1 NADH + H+. Gemäß der Chemiosmotischen Theorie (nach Mitchell; Box 3.18, S. 150) trägt jeder Teilbetrag zum Aufbau eines transmembranen Protonengradienten bei, dessen elektrochemisches Potential anschließend mit Hilfe eines membrangebundenen ATP-Synth(et)ase-Komplexes – F1/F0-Komplexes – zur ATP-Bildung ausgebeutet wird. Hierin zeigt sich ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der Photophosphorylierung, dem ATP-konservierenden Prozeß der Photosynthese (S. 147 ff), wo ebenfalls ein transmembraner Protonengradient errichtet wird. Überdies besitzen Chloroplast und Mitochondrion gleichermaßen Membranen, welche impermeabel für Protonen und Hydroxyl-Ionen sind. Was die energetische Basis für die Errichtung des Protonengradienten bzw. des Membranpotentails anbelangt, besteht ein wesentlicher Unterschied: Beim Chloroplasten kommt die erforderliche Energie aus der absorbierten Strahlung, beim Mitochondrion hingegen aus der Substratoxidation. Bei beiden wird sie – wiederum übereinstimmend – intermediär über Redoxenergie wirksam. Ein anderer wichtiger Unterschied besteht insofern, als sich die Protonen beim Chloroplasten im Binnenraum der Thylakoide (Intrathylakoidraum, Loculus) anreichern, beim Mitochondrion hingegen zwischen den beiden Hüllenmembranen, d. h. im Perimitochondrial- oder Intracristaeraum (s. Abb. 5.1, S. 273); in beiden Fällen verbleiben die Hydroxyl-Ionen im Matrixraum. Auch scheint im Mitochondrion das gleichzeitig aufgebaute Membranpotential stärker als der Protonengradient bzw. die pH-Differenz den Wert von ∆p und damit die ATP-Produktion zu bestimmen. Das Potential kommt dadurch zustande, daß die Matrixseite negativ, die Cytosolseite positiv geladen ist. Seine Stärke wird mit etwa 220 mV veranschlagt; damit liegt sein Wert deutlich höher als in den Mitochondrien von Säugetieren. Man nimmt an, daß dieses Potential auch am Transfer einiger Proteine vom Cytosol in das Mitochondrion beteiligt ist. Methodisches. Mit Hilfe verfeinerter Techniken zur schonenden Zerlegung der inneren Mitochondrienmembran (nicht-ionische Detergenzien, Ultraschall) gelang es, den relativ empfindlichen Prozeß der oxidativen Phosphorylierung in den gewonnenen Membranfragmenten aktiv zu erhalten, allerdings unter einer Voraussetzung: letztere müssen sich zu allseitig geschlossenen Membranvesikeln abgerundet haben. Dieser Befund liefert ein gewichtiges Argument zugunsten der Chemiosmotischen Theorie (s. o.).
ATP-Synthese am F1/F0-Komplex (Komplex V) Dieser multimere Proteinkomplex der inneren Mitochondrienmembran besteht praktisch aus den gleichen Untereinheiten wie sein Gegenstück in der Thylakoidmembran. Demgemäß sind in der „Kopf“-Struktur die gleichen 5 Untereinheiten in identischer Stöchiometrie vereinigt: α3β3γδε. Diese Teilstruktur
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5.5 Endoxidation
295
F1 oder Kopplungsfaktor 1 (Molmasse ca. 380 kDa) liegt der Matrixseite der inneren Membran auf; sie entspricht CF1 der plastidären ATP-Synth(et)ase. Die Untereinheiten a, b, c und d bauen die membrandurchspannende „Fuß“-Struktur des Komplexes auf: F0 (im Chloroplasten: CF0). In dieser bilden vermutlich 6 Exemplare der Untereinheit c den eigentlichen Kanal oder die Membranpore für Protonen. Im Zwischenstück, welches F1 und F0 verbindet, finden sich die restlichen Untereinheiten, darunter ein Polypeptid von ca. 23 kDa, welches wegen seiner hohen Empfindlichkeit gegenüber Oligomycin (daher: oligomycin sensitivity carrying protein) für die Hemmung der ATP-Synthese durch dieses Antibiotikum verantwortlich zeichnet; dieses interferiert mit der Protonenbewegung.
Der F1/F0-Komplex gehört nicht direkt zur Atmungskette, sondern arbeitet nur indirekt über die Translokation von Protonen mit dieser zusammen: Er bewirkt deren Rückkehr in den Matrixraum. Entsprechend bewegen sich die Protonen im Kreisverkehr, wobei die Komplexe I, III und IV als Zwischenstationen fungieren (Protonenzyklus). Der P/O-Quotient gibt die Anzahl der gebildeten ATP pro Sauerstoff bzw. pro Molekül Wasser an. Insgesamt müssen 4 Protonen zurückfließen, damit 1 ATP aus ADP und Dihydrogenphosphat (H2PO4 – ) entsteht; ein Proton ist der Preis, welcher für den Cotransport des Dihydrogenphosphat-Ions aus dem Cytosol entrichtet werden muß. Beim geschätzten Membrantransfer von 10 H+/O sollen 2,5 ATP bei der Oxidation von 1 NAD-H + H+ entstehen (P/O-Quotient ⫽ 3). Gelangt Wasserstoff von Komplex II oder über „Seiteneinstieg“ in die Atmungskette, sind es lediglich 1,5 ATP. Gleiches kann geschehen, wenn der Protonengradient „fremd“ genutzt wird, z. B. für den Eintransport von Ionen oder niedermolekularen Verbindungen. Der Wirkungsgrad der Energietransformation durch oxidative Phosphorylierung läßt sich daran ablesen, wieviel der verfügbaren Energie aus der Oxidation von 1 mol NAD-H + H+ als chemische Energie in ATP gebunden wird. Für die erstere gilt: ∆G’m ⬇ –220 kJ ⋅ mol – 1. Werden hiervon 2,5 ⋅ 35 ⫽ 87,5 kJ in ATP fixiert, d. h. unter Standardbedingungen, beträgt der Wirkungsgrad nahezu 40%. Der Mechanismus der vom F1/F0-Komplex katalysierten ATP-Synthese dürfte weitgehend mit dem von CF1/CF0 übereinstimmen, da in der Konstruktion beider Systeme kaum Unterschiede bestehen. Entsprechend liefert das von Boyer u. Mitarb. vorgeschlagene Wechselspiel in der Stabilität dreier Bindungsstellen auch hier eine geeignete Modellvorstellung zur Erklärung der Wirkungsweise von mitochondrialer ATP-Synth(et)ase (Einzelheiten S. 153 f). Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Systemen sollte nicht übersehen werden: Die für CF1/CF0 typische Lichtregulation gibt es bei F1/F0 nicht.
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
Entkopplung und Hemmung der oxidativen Phosphorylierung Eine deutliche Veränderung des P/O-Quotienten (s. o.) tritt ein, wenn bei normaler Übertragung von Wasserstoff bzw. Elektronen zum Sauerstoff über die Atmungskette keine oder eine verringerte Bildung von ATP erfolgt. Dieser Zustand der Entkopplung von Energiebildung und -konservierung läßt sich an Zellen oder isolierten Mitochondrien beobachten, wenn man sie in Gegenwart entkoppelnder Agenzien atmen läßt. Von diesen ist das 2,4-Dinitrophenol (27) am längsten bekannt: NO2 O2N
OH 27
Andere Verbindungen wie Dicumarol, Carbonylcyanid-4-trifluormethoxyphenylhydrazon (FCCP) sind später entdeckt worden. Dabei handelt es sich meist um lipophile Substanzen, welche die innere Mitochondrienmembran problemlos passieren und sie dadurch gewissermaßen durchlässig für Protonen machen können. Infolgedessen wird der Protonengradient gewissermaßen durch „Kurzschluß“ abgebaut, und die ATP-Synth(et)ase umgangen. Diese entkoppelnden Verbindungen oder Entkoppler haben keinen Effekt auf die Substratkettenphosphorylierung (S. 266); auch beeinflussen sie keine anderen Umsetzungen im Stoffwechsel. Daß einige Detergenzien in gleicher Weise wirken, bestätigt die Vermutung, wonach entkoppelnde Agenzien tatsächlich die Impermeabilität der inneren Membran für Protonen aufheben. Die freiwerdende Energie wird als Wärme abgestrahlt; die Phosphorylierung von ADP unterbleibt. Entkopplung wird von einigen tierischen Geweben eingesetzt, um aus der freiwerdenden Redoxenergie der Atmungskette unter bestimmten physiologischen Bedingungen Wärme zu produzieren: Chemische Thermogenese. Als biologischer Entkoppler soll dabei Thermogenin fungieren, ein Protein der inneren Mitochondrienmembran, welches aus zwei Untereinheiten von je 33 kDa besteht. Es befördert Protonen auf einem Nebenweg durch die Membran (Protonophor). Fälle einer solchen Wärmeerzeugung gibt es auch bei höheren Pflanzen bzw. in speziellen Geweben derselben; mit ihnen befassen wir uns anschließend. Eine andere Gruppe von Substanzen beeinflußt ausschließlich die oxidative Phosphorylierung, jedoch nicht über Entkopplung, sondern durch gezielte Hemmung der Aktivität einzelner Komplexe der Atmungskette sowie des ATPSynth(et)ase-Komplexes. Hierdurch unterbleibt einerseits die Bildung von protonenmotorischer Kraft (S. 149), andererseits die Synthese von ATP. In Gegenwart eines solchen Hemmstoffes oder Inhibitors stagniert letztlich die Atmungskette, selbst wenn ihre Kopplung mit der ATP-Synthese noch intakt ist. Wichtigster Vertreter die-
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5.5 Endoxidation
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ser Gruppe von Inhibitoren ist das Antibiotikum Oligomycin, welches sich an eine Untereinheit des ATP-Synth(et)ase-Komplexes anlagert (s. S. 295) und dadurch die ordnungsgemäße Rückführung von Protonen in den Matrixraum unterbindet; folglich kann ∆p nicht zur Konservierung chemischer Energie genutzt werden.
Thermogenese. Dieser Prozeß der aktiven Wärmeproduktion, welche bei höheren Pflanzen in Blüten- und Infloreszenz-Geweben von Spezies diverser Familien abläuft (Annonaceae, Araceae, Aristolochiaceae, Nelumbonaceae) kann als ein Fall natürlicher Entkopplung aufgefaßt werden. So wird beim Aronstab (Arum maculatum) der Appendix, ein keulenförmiger Anhang des infloreszenten Blütenstands (Spadix), so stark aufgeheizt, daß die Werte um 15 ⬚C und mehr über der Umgebungstemperatur liegen. Dieser Anstieg bewirkt, daß flüchtige Verbindungen von aasartigem Geruch (Amine, Indole) freigesetzt und durch die sich gleichzeitig öffnende Spatha nach außen abgegeben werden: sie sollen Bestäuber anlocken. Bei anderen Spezies soll die produzierte Wärme die Aktivität der besuchenden Insekten anregen, wenn die Außentemperatur niedrig ist; dabei bleibt die Spatha geschlossen. Bei Philodendron selloum (Araceae) wurde ein entsprechender Temperaturanstieg der Spadix auf ca. 38 ⬚C gemessen, selbst bei einer Außentemperatur von nur 4 ⬚C. Erhöhung der letzten auf 20 ⬚C hatte einen Abfall der Spadixtemperatur auf etwa den gleichen Wert zur Folge. Offensichtlich verfügen Pflanzen dieser Spezies über eine effektive Thermoregulation. Gleiches gilt für den „heiligen Lotus“ (Nelumbo nucifera). Bei Symplocarpus foetidus (Stinkkohl; Araceae) werden Kälteschädigungen des Blütenstandes durch Aufheizen seiner Gewebe verhindert. Auch bei Früchten wie Apfel oder Avocado steigt die Temperatur in einer bestimmten Phase der Reifung mehr oder weniger deutlich an. Wie schon angesprochen, ist möglicherweise der Cyanid-resistente Elektronentransport die Grundlage von Thermogenese. Als mögliches Pendant zum Thermogenin, dem in tierischen Zellen wirksamen endogenen Regulator der Wärmeproduktion (s. o.), gilt das Calorigen, eine wasserlösliche Substanz, welche kürzlich aus den männlichen Blüten von Sauromatum guttatum (Araceae) isoliert werden konnte. Sie enthält als wirksame Komponente Salicylsäure (2Hydroxybenzoesäure), welche auch allein zur Induktion von Thermogenese befähigt ist (s. S. 293).
5.5.4
Regulation der Atmungskette
Die Atmungskette ist ein schönes Beispiel für ein komplexes System mit der Fähigkeit zur Selbstregulation. Ein wichtiger Faktor derselben ist die Menge an ADP. Der Elektronenfluß zum Sauerstoff ist nur dann gewährleistet, wenn der daraus resultierende Protonengradient durch die Kopplung mit der ATP-Synthese ständig abgebaut wird. Mangelnder Bedarf an ATP läßt das Protonenpotential auf maximale Werte ansteigen – mit der Folge, daß sich der Elektronenfluß durch die Atmungskette verlangsamt oder möglicherweise sogar völlig zum Erliegen kommt. Als Folge unterbleibt auch die Regeneration von ADP
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5 Biologische Oxidation und Energiegewinnung
weitgehend. Diese ist jedoch eine unerläßliche Voraussetzung für funktionierende ATP-Bildung durch den ATP-Synth(et)ase-Komplex, genauso wie ein ausreichendes Angebot an anorganischem Phosphat. Die Menge an ADP ist letztlich bestimmend für die Aktivität der gesamten Atmungskette. Diese Metabolit-Regulation ist deshalb so effektiv, weil die ADP-Menge im Mitochondrion generell gering ist und demgemäß zum begrenzenden Faktor wird. Der Kontrollmechanismus arbeitet jedoch nicht isoliert, sondern ist eingebunden in ein übergeordnetes regulatorisches Netzwerk, welches die Dissimilation als Ganzes unter Überspringen von Kompartiment-Grenzen steuert. Sie kann auf diese Weise ökonomisch und störungsfrei ablaufen; ATP wird nicht „am Bedarf vorbei“ produziert.
5.6
Bilanz des aeroben Abbaus von Glucose
Nach neueren Untersuchungen entstehen ca. 30 Moleküle ATP, wenn ein Molekül Glucose vollständig zu Kohlendioxid oxidiert wird. Damit reduziert sich die ursprüngliche Abschätzung von 36 ATP. 26 der 30 ATP sollen bei der oxidativen Phosphorylierung entstehen. Somit lautet die Gesamtgleichung: C6H12O6 + 30 ADP + 30 Pi + 6 O2 씮 6 CO2 + 36 H2O + 30 ATP
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6
Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Lipide als wichtige und charakteristische Biomoleküle sind generell wasserunlöslich und deswegen nur mit organischen Lösungsmitteln aus Zellen und Geweben extrahierbar. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt: Die amphipathischen oder amphiphilen Vertreter sind dank hydrophiler und hydrophober (lipophiler) Bereiche in ihren Molekülen befähigt, nicht nur mit Wasser, sondern vor allem mit Proteinen – soweit sie genügend hydrophile und hydrophobe Regionen haben – stabile Strukturen auszubilden, z. B. Biomembranen (S. 34 ff). Trotz deutlicher Unterschiede in der Struktur gibt es Gemeinsamkeiten bei den Lipiden; so geht ihre Biosynthese von Acetyl-Coenzym A, der „aktivierten Essigsäure“, aus. Auch ihre Umsetzungen im Stoffwechsel verlaufen sehr ähnlich. Zu den Lipiden gehören Verbindungen mit sehr unterschiedlichen Funktionen: 1. Fette dienen als Speicher- oder Reservestoffe 2. Glycerolphosphatide, Sphingo- und Glykolipide sind Bauelemente von Biomembranen 3. Wachse bilden schützende Oberflächenschichten 4. als Vitamine und Hormone übernehmen einige Vertreter wichtige biochemische Funktionen. Dieser funktionsgemäßen Einteilung kann eine andere, auf dem chemischen Aufbau basierende und daher mehr befriedigende, gegenübergestellt werden. Danach unterscheidet man zusammengesetzte (auch: hydrolysierbare) Lipide und einfache Lipide (nicht hydrolysierbare). Vertreter der ersten Gruppe sind Neutralfette (Acylglycerole), Glycerolphosphatide, Sphingo- und Glykolipide sowie Lipidpolymere; sie enthalten Fettsäuren in kovalenter Bindung an unterschiedliche Trägermoleküle wie Glycerol, Sphingosin und unpolare Alkohole. Einfache Lipide, ohne Fettsäuren im Molekül, sind die Terpene, Steroide und Polyisoprene; diese werden in Kap. 7 – Isoprenoide – behandelt. Lipide bilden oft mit anderen Biomolekülen komplexe Verbindungen: mit Proteinen die Lipoproteide, mit Zucker die Glykolipide. Beide Hauptgruppen gliedern sich in mehrere Untergruppen; sie sind in Tab. 6.1 aufgeführt.
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300
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Tab. 6.1
Einteilung der Lipide
I. Einfache, nicht hydrolysierbare Lipide Kohlenwasserstoffe Langkettige Fettsäuren Terpene, Steroide, Polyisoprene
6.1
Neutralfette
6.1.1
Chemischer Aufbau
II. Zusammengesetzte, hydrolysierbare Lipide Fette (씮 Glycerol + Fettsäuren) Phospholipide (씮 Fettsäuren, Glycerol, Phosphat, Aminoalkohol) Sphingolipide (씮 Fettsäuren, Sphingosin, Phosphat, Aminoalkohol) Glykolipide (씮 Fettsäuren, Glycerol, Zucker) Wachse (씮 Fettsäuren + langkettige Alkohole)
Bei den Neutralfetten handelt es sich um Ester des dreiwertigen Alkohols Glycerol (1) mit einer oder mehreren unverzweigten Monocarbonsäuren, den Fettsäuren. Ist nur eine Hydroxy-Gruppe im Glycerolmolekül mit einer Fettsäure verestert, so liegt ein Monoacylglycerol (2) vor; sind zwei oder alle drei verestert, so resultiert ein Diacylglycerol (3) bzw. ein Triacylglycerol (4; TAG). O CH2 O C (CH2)m
CH2 OH
CH2 OH
CH2 OH 1 Glycerol (Glycerin)
2 Monoacylglycerol O
O CH2 O C (CH2) m O H C O
CH3
C (CH2)n CH3
CH2 OH 3 Diacylglycerol
CH3
H C OH
H C OH
CH2 O C (CH2)m O H C O
C (CH2)n O
CH2 O C
CH3
CH3
(CH2)o
CH3
4 Triacylglycerol (TAG)
Theoretisch kann jede der drei Hydroxy-Gruppen von Glycerol mit jeder möglichen Fettsäure verestert sein, was eine enorme Anzahl von verschiedenen Triacylglycerolen zur Folge hätte. Daß von diesen nur ein Bruchteil in der Natur verwirklicht ist, beruht sicherlich darauf, daß den Organismen nur ein begrenztes Sortiment an Fettsäuren zur Verfügung steht. Wir begegnen hier dem wichtigen Grundprinzip, wonach die Natur aus der Vielzahl möglicher Verbindungen einer Stoffklasse nur eine begrenzte Anzahl für tauglich befunden hat.
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6.1 Neutralfette
301
Triacylglycerole (4), die bei normaler Temperatur eine feste Konsistenz besitzen, heißen allgemein „Fette“; solche, die flüssig sind, werden „Öle“ genannt. Letztere enthalten vor allem ungesättigte Fettsäuren (s. 7 – 10) in Esterbindung. Unter alkalischen Bedingungen werden die Triacylglycerole in freies Glycerol (1) und die Alkalimetallsalze der Fettsäuren („Seifen“) gespalten. Daher nennt man den Vorgang, der schon früh zur Seifenherstellung genutzt wurde, eine „Verseifung“. In der modernen organischen Chemie versteht man darunter in erweitertem Sinne allgemein die hydrolytische Spaltung verschiedener Verbindungen. CH2 O CO (CH2)m CH3 H C O CO (CH2)n
CH3
CH2 O CO (CH2)o
CH3
3 NaOH
CH2 OH H C
OH
+ 3 –OOC (CH2)m,n,o CH3 + 3 Na+
CH2 OH
Während Triacylglycerole praktisch wasserunlöslich sind, können Mono- und Diacylglycerole wegen ihrer polaren Natur – eine oder zwei freie HydroxyGruppen! – mit Wasser definierte Strukturen ausbilden. Entsprechend verhalten sich die von Diacylglycerolen abgeleiteten Phosphatidsäuren, welche als Zwischenstufen bei der Biosynthese von Neutralfetten und Glycerolphosphatiden auftreten (S. 312). Neutralfette als Speicher- oder Reservestoffe sind für Pflanzen von eher untergeordneter Bedeutung, ganz im Gegensatz zu vielen Tieren und dem Menschen. Immerhin finden sie sich in einigen Samen und Früchten in relativ großen Mengen (S. 303). Sie bilden einen wichtigen Bestandteil der menschlichen und tierischen Nahrung.
6.1.2
Fettsäuren
Für die ungewöhnlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften der zusammengesetzten Lipide sind vor allem die kettenförmigen Kohlenwasserstoffverbindungen der Fettsäuren verantwortlich, die meist eine gerade Anzahl von C-Atomen besitzen. Diese hat ihre Ursache in der Biosynthese, bei der C2Einheiten, nämlich Acetyl-Reste ( – CO – CH3), als Bausteine verwendet werden (S. 305 ff). Von den über 200 verschiedenen Fettsäuren, welche bisher in Pflanzen gefunden worden sind, haben nur wenige eine weite Verbreitung in den zusammengesetzten Lipiden der Zellen. Zu ihnen gehören gesättigte Monocarbonsäuren mit 12 – 24 C-Atomen; wichtige Vertreter sind die Palmitinsäure (5; C16H32O2, Hexadecansäure) und die Stearinsäure (6; C18H36O2, Octadecansäure) sowie Laurinsäure (C12, Dodecansäure), Myristinsäure (C14, Tetradecansäure) und Arachidinsäure (C20). Hinzu kommen einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit gleichartigen Kohlenstoffketten, welche entsprechend eine oder mehrere C,C-Doppelbindungen, meist in cis-Konfiguration (s. Box 6.1), aufweisen. Zu dieser Gruppe gehören die C18-Verbindungen der Ölsäure (7; C18H34O2), der Linolsäure (8; C18H32O2) und der Linolensäure (9; C18H30O2); eine C20-Kette hat die vierfach ungesättigte Arachidonsäure (10; C20H32O2). Wegen der cis-ständi-
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302
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Box 6.1
Cis-trans-Isomerie ner Ebene; bei ihrer Drehung senkrecht zur Papierebene besetzen die Substituenten oder Gruppen entweder die linke oder die rechte Seite: bei der Maleinsäure befinden sich beide CarboxyGruppen auf der rechten Seite – cis-Verbindung – , bei der Fumarsäure hingegen steht die eine rechts, die andere links: trans-Verbindung (s. Schema).
Diese tritt auf, wenn im Molekül eine besondere Ebene existiert. Befinden sich z. B. die C-Atome eines Ringes in einer Ebene, so können Substituenten oder Gruppen auf der gleichen Seite derselben –cis – oder auf beiden Seiten – trans – angeordnet sein (s. Schema). Bei einer C,C-Doppelbindung stehen die beteiligten C-Atome ebenfalls in eiHO
OH
COOH
HO
COOH
COOH
OH cis-1,3-Dihydroxycyclopentan
HOOC
trans-1,3-Dihydroxycyclopentan
cis-Verbindung: Maleinsäure
trans-Verbindung: Fumarsäure
gen C,C-Doppelbindung(en) erfährt die Kohlenstoffkette der ungesättigten Fettsäuren eine typische Abknickung (s. Formeln). COOH
H3C
COOH
H3C 9
COOH
10
5 Palmitinsäure 6 Stearinsäure
7 Ölsäure
H3C 9
COOH
10
8 Linolsäure
12 13
H3C 9
COOH
10 12 15
9 α-Linolensäure
13
16
H3C
5
COOH
6
11 12
8 9
10 Arachidonsäure
14
H3C
15
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6.2 Fette als pflanzliche Speicherstoffe
303
Die Doppelbindung wird oft durch ∆ symbolisiert, und ihre Position durch eine Indexzahl vermerkt: cis-∆12 bedeutet: C,C-Doppelbindung zwischen C-12 und C-13; trans-∆2 steht für ein trans C,C-Doppelbindung zwischen C-2 und C-3. Da eine Fettsäure bei physiologischen pH-Werten dissoziiert, wird oft, ähnlich wie bei anderen Carbonsäuren, der Name des Salzes benutzt, z. B. Palmitat, Oleat, Linolat. Fettsäuregemische, welche bei der Hydrolyse natürlicher Fette anfallen, können mit Hilfe der Gaschromatographie (S. 73) in ihre Komponenten aufgetrennt werden, wenn diese zuvor in verdampfbare Methylester übergeführt wurden.
6.2
Fette als pflanzliche Speicherstoffe
Eine Anzahl von Angiospermen deponieren neben Stärke und Protein auch Fette bzw. Öle in ihren Samen, wo sie teilweise den Hauptspeicherstoff bilden, z. B. beim Mais beträgt ihr Anteil etwa 18%. Bei Bohnen und Getreide sind lediglich Spuren vorhanden. Diese Triacylglycerole (TAG) werden in Zellen des sekundären Endosperms oder in den Kotyledonen von Samen angereichert, in Ausnahmefällen auch in den Geweben von Früchten: Olive, Avocado und Ölpalme. Solche Pflanzenarten werden in großen Mengen angebaut, um den ständig steigenden Bedarf an Pflanzenölen für die menschliche Ernährung, aber auch für industrielle Zwecke zu decken. Ihre vielseitige Verwendung beruht vor allem auf der Vielfalt in der Ausstattung mit Fettsäure-Resten. TAG sind effiziente Speicher für Energie: diese ist etwa doppelt so hoch wie die von Stärke oder Protein, wenn das Gewicht zugrunde gelegt wird. Die typische intrazelluläre Speicherform ist das Oleosom (Ölkörper; oil body), welches dank seiner Struktur nicht nur die Aggregation, d. h. die Zusammenballung, der wasserunlöslichen TAG verhindert, sondern auch den gezielten Angriff von Lipasen bei der späteren Mobilisierung ermöglicht. Entscheidend hierfür ist vor allem die Hülle, welche einer einfachen Schicht von Phospholipiden, sozusagen einer „halben“ Biomembran, entspricht (s. Abb. 6.3, S. 313). Ihre wichtigsten Strukturkomponenten sind die Oleosine (s. Box 6.2). Oleosomen können im Cytoplasma einer Speicherzelle in etwa der gleichen Dichte wie die Aleuronkörner (S. 483) verteilt sein. Oleosomen enthalten neben den Neutralfetten (92 – 98%) noch geringe Mengen an Diacylglycerol und freien Fettsäuren. Für etwa 50% der bekannten Pflanzenfette sind lediglich fünf Fettsäuren mengenmäßig von Bedeutung: 16 : 0, 18 : 0, 18 : 1, 18 : 2 und 18 : 3 (bei dieser Kurzschreibweise werden die Anzahl der C-Atome als 1. Ziffer, die der C,C-Doppelbindungen als 2. Ziffer angegeben). Sie sind generell auch Bausteine der Membranlipide. Hinzu kommen weitere Vertreter, welche von einigen Spezies speziell synthetisiert werden, z. B. die einfach ungesättigten Fettsäuren mit längerer Kette, 20 : 1 und 22 : 1 (Erucasäure) von Raps (Brassica napus) und Arabidopsis thaliana sowie die kürzeren gesättigten Vertreter von 10 : 0 und 12 : 0 (Laurinsäure) sowie 14 : 0 (Myristinsäure) der Ölpalme und der Kokosnuß. Fettsäuren mit Hydroxy-Gruppen, C,C-Dreifachbindungen und konjugierten C,C-Doppelbindungen sind als Bestandteile von Triacylglycerolen in den Ölreserven ei-
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304
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Box 6.2
Oleosomen ihre hydrophile Oberfläche; entsprechend können nur relativ hydrophile Lösungsmittel eindringen. Sie verhindert möglicherweise auch in vivo die Fusion oder Verklumpung der Oleosomen, wenn sie in dichter Packung vorliegen, wie z. B. nach Austrocknung des Samens.
Diese meist rundlichen Gebilde haben einen Durchmesser von 0,2 – 2,5 nm (s. Modell in Abb. 6.3, S. 313). Die Varianz in der Größe hat ihre Ursache vermutlich im jeweiligen Ernährungszustand bzw. physiologischen Status der speichernden Zelle. Auch kann die Größe in den unterschiedlichen Geweben des gleichen Samens differieren. Triacylglycerole machen 92 – 98% der Masse eines Oleosoms aus. Die Zusammensetzung dieser im Inneren akkumulierten Neutralfette ist in hohem Maße speziesspezifisch. Sie ist in vielen Fällen bekannt; schließlich sind die Samenöle von großer Bedeutung für Ernährung und Industrie. Die Proteine, welche einen Anteil von 1 – 4% am Oleosom haben, sind größtenteils mit Oleosinen identisch; es handelt sich um basische Polypeptide, welche ausschließlich in Oleosomen vorkommen. Trotz speziesspezifischer Unterschiede gliedert sich ihre Aminosäuresequenz einheitlich in drei Domänen (s. Strukturmodell). Die Isolierung und Reinigung von Oleosomen gelingt optimal durch Flotationszentrifugation. Sie behalten
NH2
(1–50)
(123 –170)
(171 – 187) COOH
Phospholipid-Schicht (PL)
(51 –122)
„Prolin-Knopf“
Struktur von Oleosin (Mais) und mögliche Bindung an die Oleosom-Hülle
niger weniger Spezies höherer Pflanzen gefunden worden. Zu ihnen gehört bei den meisten Arten der Apiaceae (Araliales) die Petroselinsäure (cis-∆-6-Octadecensäure; s. Formel). Sie ist bislang nicht in Membranlipiden entdeckt worden. H3C
COOH 6
Petroselinsäure (cis- ∆6-Octodecensäure; 18 : 1∆ 6 )
Aufgrund der positionsspezifischen Anordnung der Fettsäure-Reste im Diacylglycerol, welches als Molekül-Baustein u. a. für die Glycerolipide (S. 320) dient, werden ein „prokaryotisches“ und ein „eukaryotisches“ Muster unterschieden. Beim ersten befindet sich in Position 1 ein C16- oder C18-, in Position 2 meist ein C16-Acyl-Rest. Bei der „eukaryotischen“ Anordnung können C18-Acyl-Reste beide Positionen besetzen, dem C16-Acyl-Rest hingegen ist die Position 1 vorbehalten.
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6.3 Fettbildung
6.3
305
Fettbildung
Die molekularen Bausteine der Triacylglycerole (TAG), Glycerol und Fettsäuren, werden zunächst von eigenständigen Reaktionswegen in unterschiedlichen Kompartimenten synthetisiert: Fettsäuren entstehen im Plastiden, vor allem im Chloroplasten, Glycerol im Cytosol. Ihre Vereinigung zum Fettmolekül und dessen „Verpackung“ in einem Oleosom vollzieht sich wahrscheinlich in bzw. an Membranen des rauhen Endoplasmatischen Retikulums (rER). Dieses Zusammenspiel der Kompartimente kennzeichnet auch die Biosynthese von Membranlipiden (S. 320 ff), aber auch von anderen Biomolekülen, wie z. B. von Aminosäuren (S. 176). Dies schließt jedoch nicht grundsätzlich aus, daß Synthese von Fettsäuren auch in einem anderen Kompartiment „parallel“ abläuft, wobei Isoenzyme die einzelnen Reaktionsschritte katalysieren. Die im Chloroplasten entstehenden Fettsäuren werden nicht nur in TAG, sondern auch in Membranlipide eingebaut; bei den Spezies ohne TAG-Synthese – und das sind die meisten – gehen die synthetisierten Fettsäuren fast ausschließlich in die Produktion von Membranlipiden ein. Die wichtigsten Teilschritte bei der Biosynthese von TAG sind an reifendem Samen von Arabidopsis thaliana aufgeklärt worden. Ihre nachfolgende Beschreibung orientiert sich an dort gewonnenen Erkenntnissen. Diese sind sicherlich auch für die TAG-Bildung der meisten anderen Spezies höherer Pflanzen gültig.
6.3.1
Biosynthese von Fettsäuren Allgemein
Bildung von Fettsäuren findet mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließlich oder zumindest größtenteils im Chloroplasten statt. Ob es daneben noch eine extraplastidäre Produktionsstätte in Pflanzenzellen gibt, ist strittig. Die plastidäre Lokalisation macht insofern Sinn, als Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA), Lieferant des Bausteins der Fettsäuresynthese, ebenfalls vom Chloroplasten gebildet wird. Seine Ausgangsverbindung 3-Phospho-D-glycerat (11; 3-PGS) kommt – zumindest bei jungen, sich entwickelnden Chloroplasten – direkt aus der photosynthetischen Kohlendioxidfixierung. 3-PGS wird über 2-Phospho-DGlycerat (12), Phosphoenolpyruvat (13; PEP) und Pyruvat (14) als Zwischenstufen zur „aktivierten Essigsäure“ (15) umgeformt (s. Reaktionsschema, S. 306). Die Umsetzungen dieses „C3씮 C2-Weges“ kennen wir schon als Teil der aeroben Dissimilation, welche im cytosolischen Kompartiment abläuft. Alle erforderlichen Enzyme sind als Isoformen im Chloroplasten von Gerste, Erbse und Spinat nachgewiesen und charakterisiert worden: Phosphoglycerat-Mutase, Enolase, Pyruvat-Kinase und der Komplex von Pyruvat-Dehydrogenase. Ältere, d. h. ausdifferenzierte Chloroplasten, verwenden offensichtlich importiertes Acetat anstelle von 3-PGS als Startverbindung. Ein Grund für diesen Wechsel in der Sub-
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide ATP
COO–
COO–
1
H C OH
2
H C O P
CH2 O P
CH2 OH
11 3-PGS
H2O
12 2-PGS
ADP
COO–
COO–
3
C O
C O
P
4
O H3C C
S CoA CO2 + [2 H] 14 Pyruvat 15 AcetylCoenzym A
CH2
CH3
13 PEP
1 Phosphoglycerat-Mutase
3 Pyruvat-Kinase
2 Enolase
4 Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex
stratbeschaffung wird darin gesehen, daß im nunmehr „reifen“ Chloroplast die Kohlendioxidfixierung ihre maximale Kapazität erreicht hat: die Produktion von Triosephosphat verbraucht praktisch alles 3-PGS; dementsprechend wird es dem C3씮 C2-Weg weitgehend entzogen und kann nicht mehr zur Bildung von Acetyl-CoA beitragen. Gestützt wird diese These durch den Befund, wonach die Aktivität des Schlüsselenzyms Phosphoglycerat-Mutase mit voranschreitender Chloroplastendifferenzierung stetig abnimmt. Über die Entstehung des vom Cytosol importierten Acetats wird noch gerätselt. Seine Verarbeitung im Chloroplasten übernimmt Acetyl-CoA-Synthetase, welche aus diesem Organell von Erbse und Spinat isoliert worden ist. Das Enzym katalysiert die ATP-abhängige Bindung von Acetat (16) an Coenzym A (15, Acetyl-CoA; s. Reaktionsschema). Damit fällt das gleiche Endprodukt wie beim C3씮 C2-Weg an. CoA ATP COO CH3
16 Acetat
ADP O
–
Acetyl-CoASynthetase
H3C C S CoA 15 Acetyl-Coenzym A
Gesättigte Fettsäuren können auf zwei Wegen entstehen:
1. durch Neubildung (De-novo-Synthese) aus C2- bzw. C3-Einheiten 2. über die Verlängerung vorhandener Acyl-Verbindungen durch Anlagerung von C2-Bauelementen. Da im Chloroplasten offensichtlich der erstgenannte Mechanismus dominiert, wollen wir ihn zuerst betrachten.
De-novo-Synthese Sie startet mit Acetyl-CoA, an welches sukzessive Acetyl-Reste angefügt werden. Diese werden jedoch nur in Form von Malonyl-Coenzym A (-CoA) akzeptiert, d. h. das „zusätzliche“ C-Atom wird bei der Bindungsreaktion als Kohlendioxid freigesetzt. Malonyl-CoA ist für die Kettenverlängerung besser geeignet
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6.3 Fettbildung –
O HN
O NH
S
HCO3– ATP
–
OOC N
ADP,Pi
O
Lys Biotin-Enzym
OOC O O
H2C C S CoA
NH H3C C S CoA
HN
NH S
S
O HN(ε)
307
O
O HN Apoenzym
Lys
HN Lys
Carboxy-Biotin (= aktivierte Kohlensäure)
Abb. 6.1 Bildung von Malonyl-Coenzym A. Acetyl-CoA-Carboxylase (ACCase) katalysiert die Synthese aus Acetyl-Coenzym A über die Zwischenstufe Carboxy-Biotin.
als Acetyl-CoA. Demgemäß bestimmt letztlich das Angebot an Malonyl-CoA den Ablauf der Fettsäuresynthese. Malonyl-CoA entsteht aus Acetyl-CoA: Kohlensäure wird unter ATP-Verbrauch kovalent gebunden. Diese irreversible Reaktion wird von plastidärer AcetylCoA-Carboxylase (ACCase) katalysiert. Das Enzym hat große Ähnlichkeit mit dem entsprechenden aus Bakterien. Es enthält Biotin als Wirkgruppe, welche an einen Lysin-Rest des Apoproteins kovalent gebunden ist. Sie lagert zunächst unter ATP-Spaltung das Hydrogencarbonat-Anion (HCO3 – ) an (Abb. 6.1). Vom entstandenen Carboxy-Biotin als Zwischenstufe überträgt dann die aktive „Transferase“ des Enyzms den energiereich gebundenen C1-Körper („aktivierte Kohlensäure“) auf den an CoA gebundenen Acetyl-Rest. Mit dem Biotin (Vitamin H) lernen wir eine wichtige Wirkgruppe des C1-Stoffwechsels kennen. In diesem Falle wird ein Transfer der Carboxy-Gruppierung katalysiert. Im chemischen Aufbau entspricht das Biotin einem zyklischen Derivat des Harnstoffs, das außerdem einen schwefelhaltigen Ring enthält. Die Bindung im aktiven Enzym ist ebenfalls bekannt; sie erfolgt peptidartig über einen Lysyl-Rest des Proteins (s. Abb. 6.1).
Fettsäure-Synthase-Komplex Den Aufbau der Molekülkette einer Fettsäure besorgt ein Kollektiv von 7 Enzymen. Jedes katalysiert eine Umsetzung in einer zyklischen Reaktionsfolge, welche durchlaufen werden muß, damit die Kette um eine C2-Einheit wächst.
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Die Enzyme bilden den Funktionskomplex der Fettsäure-Synthase, welcher nach Isolierung aus dem Chloroplasten leicht in seine Komponenten zerlegbar ist. Zum Komplex gehört auch noch ein freies, lösliches Polypeptid von 10 – 14 kDa, das Acyl-Carrier-(Träger-)Protein (ACP); die Bezeichnung zeigt an, daß es sowohl die Substrate – Malonyl- und Acetyl-Rest – als auch die bei der Kettenverlängerung anfallenden Acyl-Zwischenverbindungen bindet, eine essentielle Voraussetzung für deren Reaktivität. Die plastidäre Fettsäure-Synthase entspricht in ihrem Aufbau der von Bakterien (prokaryotischer Typ). Damit besteht strukturell ein deutlicher Unterschied zu Hefe und Säugetieren, obwohl die gleichen Reaktionsschritte katalysiert werden. Bei der Hefe sind die katalytischen Zentren auf zwei Polypeptidketten oder Untereinheiten – α und β – untergebracht; je 6 bilden den Enzymkomplex (α6β6). Bei Säugetieren, einschließlich des Menschen, ist er auf ein Homodimer aus zwei α-Untereinheiten reduziert, d. h. eine Polypeptidkette trägt alle katalytischen Zentren (multifunktionelles Protein, S. 13). Als Wirkgruppe von ACP fungiert Pantethein, eine Verbindung, welche wir als Teilstruktur von Coenzym A kennen (s. S. 278). Sie ist über Phosphat an einen Serin-Rest des Apoenzyms gebunden (daher: 4'-Phosphopantethein). Über die reaktive HS-Gruppe erfolgt die Anknüpfung des Acyl-Restes (17).
Serin-Rest HS
N H
O
O
O N H
O P O OH
NH O
O– Apoprotein
17
Gesättigte Fettsäuren. Zu Beginn der De-novo-Synthese eines Fettsäuremoleküls werden Acetyl- und Malonyl-Rest durch spezifische Transacylasen von ihrem Träger, Coenzym A, auf ACP „umgeladen“. Dieser Transfer erfordert keine Energie, da er sich auf dem Niveau von Thiocarbonsäure-S-Estern vollzieht. Acetyl-ACP und Malonyl-ACP reagieren einleitend unter Bildung von Acetoacetyl-ACP (Abb. 6.2), katalysiert von 3-Oxoacyl-ACP-Synthase (Acetyl-MalonylACP-kondensierendes Enzym). Da gleichzeitig das ursprünglich über das Hydrogencarbonat-Ion (HCO3 – ) eingebrachte Kohlendioxid freigesetzt wird, verschiebt sich das Reaktionsgleichgewicht zugunsten der Kondensation. Die investierte Energie von 1 ATP pro Hydrogencarbonat-Ion bei der Bildung von Malonyl-CoA macht sich somit bezahlt. Damit wird deutlich, daß der C1-Körper lediglich fixiert wurde, um die freie Enthalpie der Kondensation zu vermindern. Die Aufgabe der nun folgenden Umsetzungen in dieser 1. Runde besteht darin, die 3-Oxo-(bzw. Carbonyl-)Gruppe am Reaktionsprodukt in eine MethylenGruppe umzuwandeln. Erstere wird zunächst von 3-Oxoacyl-ACP-Reduktase mit Hilfe von NADP-H + H+ reduziert. Das gebildete 3-Hydroxybutyryl-ACP wird
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6.3 Fettbildung O
O
309
O
–
O C CH2 C S ACP + H3C C S ACP Acetyl-ACP Malonyl-ACP 3-Oxoacyl-ACP 1 (C6) + [C2]
CO2
CO2, HS-ACP O
O
H3C C CH2 C S ACP O
3
+ [C2]
1
2
Acetoacetyl-ACP
H3C CH2 CH2 C S ACP
NADPH + H+
3
Butyryl-ACP
NADP+
2
NADP+
H FMN
3
4
FMN H2 NADPH + H+
O
H3C C CH2 C S ACP OH 3-Hydroxybutyryl-ACP 3 H
O
H3C C C C S ACP 3
H2O
H Crotonyl-ACP
Abb. 6.2
Reaktionsablauf bei der Biosynthese von gesättigten Fettsäuren.
Beteiligte Enzyme: 햲 3-Oxoacyl-ACP-Synthase 햳 3-Oxoacyl-ACP-Reduktase
햴 3-Hydroxyacyl-ACP-Dehydratase 햵 Enoyl-ACP Reduktase
von 3-Hydroxyacyl-ACP-Dehydratase unter Wasserabspaltung in Crotonyl-ACP, ein trans-∆2-Enoyl-ACP, übergeführt. Dieses unterliegt der erneuten Reduktion: Enoyl-ACP-Reduktase transferiert den Wasserstoff von NADP-H + H+. Mit diesem Schritt endet die 1. Runde. Sein Produkt, Butyryl-ACP, geht in die nächste Runde ein und reagiert mit Malonyl-ACP in gleicher Weise wie zuvor mit Acetyl-ACP: Unter Freisetzung von Kohlendioxid und ACP entsteht ebenfalls ein 3-Oxoacyl-ACP, allerdings jetzt mit 6 C-Atomen in der Kette. Wie in Runde 1 setzt jetzt an der 3-Oxo-(bzw. Carbonyl-)Gruppe wieder die Reaktionsfolge von 1. Reduktion, Wasserabspaltung und 2. Reduktion an, so daß am Ende C6-Acyl-ACP entstanden ist. Über weitere Runden – jede verlängert die Kette um eine C2-Einheit – werden schließlich Acyl-Reste mit 16 oder 18 C-Atomen erreicht: Palmitoyl-ACP und Stearoyl-ACP.
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310
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Beide werden nicht mehr als Substrat von 3-Oxoacyl-ACP-Synthase, dem kondensierenden Enzym, akzeptiert. Ungewiß ist, ob sich generell ein Reaktionsschritt anschließt, welcher mit Hilfe von Thioesterase(n) hydrolytisch Palmitinsäure und Stearinsäure freisetzt, oder ob dieser Schritt nur diejenigen Acyl-Reste betrifft, welche vom Chloroplasten an das Cytosol abgegeben und dort für die Synthese von TAG (s. u.) und von Membranlipiden (S. 320 ff) verwendet werden. Nach Passage durch die Chloroplastenhülle sollen die freien Fettsäuren auf CoA „umgeladen“ werden und in dieser Form in das Cytosol gelangen; diese Bindungsreaktion wird von Acyl-CoA-Synthase katalysiert, einem Enzym, welches vermutlich in der äußeren Hüllenmembran lokalisiert ist. Von der 3-Oxoacyl-ACP-Synthase gibt es offensichtlich 3 Isoformen, KAS I, II und III, von denen jede nur eine bestimmte Länge der anfallenden 3-Oxoacyl-Kette erkennt und als Substrat akzeptiert.
Ungesättigte Fettsäuren. Unsere derzeitigen Kenntnisse reichen nicht aus, um ein verläßliches Bild der Biosynthese von einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren in Pflanzen zu zeichnen. Soweit bekannt ist, setzen diese Desaturierungsreaktionen offenbar erst nach Fertigstellung von Lipid-Grundstrukturen ein; dies gilt insbesondere für plastidäre und extraplastidäre Membranlipide (Einzelheiten S. 324 ff). Eine Ausnahme bildet offensichtlich die Synthese von Ölsäure (7; cis-∆9-Octadecensäure); hier zeichnet sich ein alternativer Bildungsweg im Chloroplasten ab: Von Stearoyl-ACP wird durch ∆9-Stearoyl-ACP-Desaturase Wasserstoff abgespalten und die typische C,C-Doppelbindung (cis) errichtet. Dieses lösliche plastidäre Enzym, ein Homodimer von 70 kDa, besitzt nach neueren Erkenntnissen einige Besonderheiten. Seine Aminosäuresequenz ist bei diversen Pflanzenarten hochkonserviert, zeigt aber praktisch keine Homologie mit tierischen Desaturasen. Jeweils zwei Sequenzabschnitte von jeder Untereinheit erwiesen sich als Bindungsstellen für Eisen von der Art, wie sie auch bei NucleosiddiphosphatReduktase (S. 427) gefunden worden sind. Wie bei dieser, verfügt jede Untereinheit der plastidären Desaturase über zwei sauerstoffgebundene Eisen-Ionen. Ein solches binucleäres Eisenzentrum findet sich häufig in Enzymen, welche Umsetzungen mit molekularem Sauerstoff beschleunigen.
Synthese über Kettenverlängerung Dieses Reaktionsprinzip wird offensichtlich nur wirksam, wenn es um die Bildung von einfach ungesättigten Fettsäuren mit Ketten von C20 und C22 geht. Ausgangsverbindung ist Oleoyl-CoA (18 : 1), welches durch ein ER-gebundenes Enzymsystem umgeformt wird. Vermutlich laufen dabei die gleichen Umsetzungen ab, welche für die Bildung der gesättigten Vertreter kürzerer Kettenlängen im Chloroplasten typisch sind; die eindeutige Charakterisierung der beteiligten Enzyme steht allerdings noch aus. Als Modell für Kettenverlängerung kann die Biosynthese von Petroselinsäure dienen, welche in den Plastiden der Endospermzellen von Koriander (Coriandrum sativum) abläuft (s. Reaktionsschema). Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
6.3 Fettbildung
311
O C
H3C
S
ACP
Palmitoyl-ACP
1
2 [H] O C
H3C
S
ACP
4
2
[C2]
16 : 1∆ 4 –ACP O C
H3C
S
ACP
6
ACP-SH
3
18 : 1∆6 -ACP = Petroselinoyl-ACP COOH
H3C
6
18 : 1∆6 1 Palmitoyl-ACP-∆4-Desaturase
Petroselinsäure
2 3-Oxoacyl-ACP-Synthase 3 Petroselinoyl-ACP-Hydrolase
6.3.2
Veresterung mit Glycerol
Die abschließende Verknüpfung von Fettsäuren und Glycerol zu TAG findet mit großer Wahrscheinlichkeit im Cytoplasma bzw. abschließend in Membranen des rauhen Endoplasmatischen Reticulums (rER) statt. Die dorthin gelangten, CoA-gebundenen Fettsäure-Reste (s. o.) reagieren vermutlich zunächst mit 3Phospho-sn-glycerol* (19; sn-Glycerol-3-phosphat). Dieses entsteht durch Hydrogenierung von 1,3-Dihydroxyacetonphosphat (18) unter Mitwirkung einer plastidären Dihydroxyacetonphosphat-Reduktase (s. Reaktionsschema). Allerdings ist ein Import von 3-Phospho-sn-glycerol aus dem cytosolischen Kompartiment nicht völlig auszuschließen. CH2 OH
NADPH + H+
NADP+
C O CH2 O P 18 1,3-Dihydroxyacetonphosphat
*
CH2 OH HO C H CH2 O P
DihydroxyacetonphosphatReduktase
19 sn-Glycerol-3-phosphat
sn Stereospezifische Numerierung; Glycerin hat dabei L-Konfiguration.
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312
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
3-Phosphoglycerol-Acyltransferase überträgt „aktivierte“, d. h. an CoA gebundene Palmitinsäure spezifisch in Position 1 von 3-Phospho-sn-glycerol (19; s. Reaktionsschema). Das Reaktionsprodukt Monoacylglycerol-3-phosphat (Lysophosphatidsäure, 20) ist Ziel einer zweiten Veresterung in Position 2; sie wird von einer Monoacylglycerol-3-phosphat-Acyltransferase katalysiert, welche ungesättigte Acyl-Reste (18 : 2) in Bindung an CoA als Substrat bevorzugt (s. o.). Das solcherart entstandene Diacylglycerol-3-phosphat (21), allgemein als Phosphatidsäure bezeichnet, weist entsprechend ein „eukaryotisches“ Verteilungsmuster der Acyl-Reste auf (s. S. 304). CH2 OH
H3C (CH2)n
CO S CoA
HO C H CH2 O P 19 sn-Glycerol-3-phosphat
CH2 O CO
CH3
(CH2)n
OH C H HS CoA
CH2 O P
H3C (CH2)m CO
S CoA
20 Lysophosphatidsäure
HS CoA CH2 O CO
(CH2)n
CH3
H3C (CH2)m CO O C CH2 O P 21 Phosphatidsäure
Dephosphorylierung liefert Diacylglycerol, welches in die rER-Membran überwechselt. Seine durch die vorausgegangene Dephosphorylierung freigelegte Hydroxy-Gruppe in Position 3 wird nun mit einem als Acyl-CoA angelieferten Fettsäure-Rest (C16, C18) verestert. Diese letzte Umsetzung der TGA-Synthese wird von Diacylglycerol-Acyltransferase, einem integralen Enzym der rER-Membran, katalysiert. Die fertiggestellten TAG-Moleküle sollen sich lokal zwischen den beiden Lipidschichten der ER-Membran anreichern (Oleosom-„Knospe“). Eine entsprechende Modellvorstellung zeigt Abb. 6.3 Sie verdeutlicht, warum die Hülle eines Oleosoms nur aus einer einfachen Schicht von Phospholipiden besteht. Für die Oleosine wird angenommen, daß sie gewissermaßen in der ER-Membran „stekkenbleiben“. Allerdings gibt es noch keine plausible Erklärung, wie ihre Bindung an die ER-Membran und später an die Hülle der entstehenden Knospe erfolgt. Ungeklärt ist auch, wie Oleosine und Phospholipide bei der Gestaltung der Oleosomenhülle zusammenwirken. Nach einem alternativen Modell entstehen die Oleosomen im Cytosol, wobei die zunächst nackten Öltropfen nachträglich verpackt, d. h. mit der typischen Phospholipidhülle ummantelt werden.
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6.3 Fettbildung
mRNA PR
OL OL
313
PL
PL
rER PL
TAG
DAG– AT Acyl-CoA
OS
Abb. 6.3 Triacylglycerole: Synthese und Einlagerung. Möglicher Ablauf am rauhen Endoplasmatischen Reticulum (rER) mit anschließender Einlagerung in ein Oleosom (OS). DAG-AT Diacylglycerol-Acyltransferase mRNA Oleosin-spezifische Messenger-RNA OL Oleosin
6.4
Fettabbau
6.4.1
Allgemeines
PL Phospholipid PR Polyribosom TAG Triacylglycerol
Damit sich der Stoffwechsel der gespeicherten Fette bedienen kann, müssen die TAG-Moleküle zunächst in verwertbare Fragmente zerlegt werden. Schon äußerlich läßt sich dieser Prozeß bei der Keimung fetthaltiger Samen daran erkennen, daß ihr Lipidgehalt sehr schnell absinkt. Gleichzeitig erreichen die beteiligten Enzyme der Fettspaltung, die Lipasen, ihre höchste Aktivität. Sie besetzen die Oberfläche der Oleosomen, wie bei Mais und Ricinus gezeigt werden konnte. Die von ihnen katalysierte Lipolyse – 6 –10 Tage nach Keimungsbeginn – besteht in der schrittweisen hydrolytischen Spaltung von Fettmolekülen in Glycerol (1) und Fettsäuren. Beteiligt sind Monoacylglycerol-, Diacylglycerol- und Triacylglycerollipase (s. Reaktionsschema). CH2 O CO (CH2)m CH3 CH O CO CH2 O CO
(CH2)n
CH3
(CH2)o CH3
3 H 2O Lipasen
CH2 OH
–OOC
(CH2)m CH3
CH OH
–OOC
(CH2)n
CH3
–OOC
(CH2)o
CH3
CH2 OH
+
Die Oleosomenhüllen verschmelzen nach beendeter Lipolyse vermutlich mit der Vakuolenmembran; die Oleosine werden ebenso schnell wie TAG abgebaut. Die beiden Produkte der Fettspaltung werden nicht nur über verschiedene Stoffwechselwege, sondern auch in getrennten Kompartimenten weiterverarbeitet. Für Glycerol zeichnet sich eine enge Beziehung zum Kohlenhydrat-Stoffwechsel ab, indem diese Verbindung entweder in Saccharose überführt wird oder nach Oxidation und Phosphorylierung in die Glykolyse eingeht. Die Fett-
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314
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
säuren hingegen unterliegen dem Abbau zu Acetyl-CoA durch den speziellen Reaktionsmechanismus der β-Oxidation (Oxidation in 3-Stellung). Diese historische Bezeichnung beruht darauf, daß die entscheidenden chemischen Umwandlungen, welche zur Freisetzung eines endständigen C2-Fragments führen, vor allem das C-3-Atom betreffen. Die Grundlagen der β-Oxidation sind von F. Knoop bereits 1905 gefunden worden; die Aufklärung der Einzelheiten gelang hingegen erst in jüngerer Zeit, vor allem dank der Forschungen von F. Lipmann, F. Lynen, D. E. Green und anderen Wissenschaftlern. Der Reaktionsweg der β-Oxidation ist bei Pflanze und Tier sicherlich identisch, obwohl eine unterschiedliche Kompartimentierung vorliegt.
Die beteiligten Enzyme sind Bestandteil von Glyoxysomen (s. Box 6.3), den Organellen des Fett-Abbaus in pflanzlichen Speicherzellen. Der für Säugetiere übliche Ablauf der β-Oxidation in den Mitochondrien ist offensichtlich für Pflanzen von marginaler Bedeutung (s. u.). Die β-Oxidation in den Glyoxysomen arbeitet eng mit einem anderen typischen Reaktionsgeschehen dieser Organellen zusammen, nämlich mit dem Glyoxylatzyklus, welcher in der Matrix derselben operiert und für die Verarbeitung des beim Fettsäure-Abbaus anfallenden Acetyl-CoA sorgt. Dieses wird schnell und effektiv über Succinat bzw. Oxalacetat im Zuge der Gluconeogenese in Saccharose überführt (Einzelheiten S. 317 ff). Fett-Stoffwechsel und KohlenhydratStoffwechsel werden auf diese Weise miteinander verknüpft. Box 6.3
Glyoxysomen
Diese und die früher besprochenen Peroxisomen (S. 190 f) sind wegen ihrer biochemischen Funktion relativ gut definierte subzelluläre Partikel, welche zu den Cytosomen oder Microbodies (DeDuve) gerechnet werden und nur bei Eukaryoten vorkommen. Sie wurden zunächst in Säugerzellen, dann in Zellen niederer und höherer Pflanzen entdeckt. Aufgrund ihrer relativ hohen Schwebedichte im Saccharosegradienten lassen sich Microbodies von den übrigen Zellorganellen abtrennen und auf ihre Enzymgarnitur hin untersuchen. Diese sowie ihre rundliche Gestalt und Größe ( 0,2 – 1,5 µm) grenzen sie gegen die Mitochondrien ab; die einfache Begrenzungsmembran ohne Invaginationen und die fein granuläre Grundsubstanz (Matrix) ohne Ribosomen sind weitere typische Merkmale.
Mit Keimungsbeginn steigt die Zahl der Glyoxysomen in den fettspeichernden Zellen von Endosperm bzw. Kotyledonen drastisch an, entweder aufgrund von Teilung bereits vorhandener Exemplare oder durch Neubildung aus Material des Endoplasmatischen Reticulums. Gleichzeitig sollen die typischen Enzyme de novo im Cytoplasma synthetisiert und dann in die Glyoxysomen transferiert werden. In einigen Fällen wird die Bildung von Glyoxysomen hormonal bei Keimungsbeginn ausgelöst (Karyopse von Weizen, Gerste). Glyoxysomen umlagern die Oleosomen in großer Anzahl bei Keimungsbeginn, werden aber mit fortschreitender Lipolyse, ca. nach 8 – 10 Tagen, zahlenmäßig stark reduziert oder zu Peroxisomen umfunktioniert, falls die Kotyledonen ergrünen.
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6.4 Fettabbau
6.4.2
315
β-Oxidation der Fettsäuren
Dieser komplexe Vorgang, an dem mehrere Enzyme und Coenzyme beteiligt sind, läuft anscheinend in Tier und Pflanze identisch ab. Am Anfang steht die „Aktivierung“ des chemisch relativ schwer zugänglichen Fettsäuremoleküls, das unter ATP-Verbrauch in die energiereiche Verbindung des Acyl-CoA überführt wird. Zwischenstufe ist ein Acyladenylat; das beteiligte Enzym heißt AcylCoA-Synthetase (s. Reaktionsschema). Dieser Vorgang ist vergleichbar mit der Überführung des C2-Körpers bei der Pyruvat-Oxidation zur reaktionsfähigen Form des Acetyl-CoA. ATP H3C (CH2)n COO–
+
HS CoA
AMP + PPi
Acyl-CoA-Synthetase
H3C (CH2)n CO S CoA
Mit dem energiereichen Produkt, Acyl-CoA, beginnt eine zyklische Sequenz von mehreren enzymkatalysierten Umsetzungen, an deren Ende die Kohlenstoffkette des Acyl-Restes um zwei C-Atome kürzer geworden ist: sie sind als C2-Fragment abgespalten und an CoA angelagert worden; „aktivierte Essigsäure“ ist entstanden. Der auf diese Weise verkürzte Acyl-Rest – immer noch in Bindung an CoA – tritt als neues „Substrat“ in den gleichen Zyklus ein und verliert erneut ein C2-Fragment. Dieser Vorgang wiederholt sich solange, bis jener komplett in Acetyl-CoA zerlegt ist. In der ersten Reaktion wird Wasserstoff durch Acyl-CoA-Dehydrogenase (AcylCoA-Oxidase), ein Flavoprotein mit FAD als Wirkgruppe, abgespalten und vermutlich auf Sauerstoff übertragen. Das entstehende Dihydrogenperoxid (H2O2) wird von Katalase in Wasser (H2O) und Sauerstoff (O2) zerlegt. Am CoA-gebundenen Acyl-Rest ist eine trans-C,C-Doppelbindung zwischen C-2 und C-3 entstanden (Abb. 6.4). Von diesem membrangebundenen Flavoprotein existieren drei Formen mit abweichender Substratspezifität: Sie sind auf CoA-gebundene Acyl-Reste von langer, mittlerer oder kurzer Kettenlänge eingestellt. Die erste Form akzeptiert nur die langen Acyl-Reste, die zweite die mittellangen und die dritte die kurzen. Diese Kategorien fallen, wie schon angedeutet, im Verlauf der schrittweisen Verkürzung des Acyl-Restes an. Die gebildete ungesättigte Acyl-CoA-Verbindung geht durch Wasseranlagerung in 3-Hydroxyacyl-CoA über; sie erfolgt stereospezifisch, denn die katalysierende Enoyl-CoA-Hydratase produziert nur das β-L-Isomer. Die gebildete sekundäre Alkohol-Gruppe ist das Ziel einer zweiten Dehydrogenierung: β-L-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase überträgt den Wasserstoff auf NAD+. Die entstehende 3-Oxo-Gruppe macht den Acyl-Rest für die Spaltung durch CoA zugänglich; katalysiert wird sie von Acetyl-CoA-Acyltransferase (β-Ketothiolase). Das terminale C2-Fragment geht als Acetyl-CoA ab, während der so verkürzte AcylRest mit einem freien Molekül CoA reagiert. Die Aktivitäten von β-L-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase und Enoyl-CoA-Hydratase sind vermutlich in einem multifunktionellen Protein vereint.
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316
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide R1 CH2
CH2
COO–
CH2
ATP
HS CoA
1
AMP, PPi
β
R1 CH2
CH2
CH2
C S CoA
2
3
4
O2
O
α
1
FAD
Acyl-Coenzym A (Acyl-CoA)
2
R
H2O
3
R1 CH2 3C C C S CoA
3
2
H Acyl-CoA
H H 3-Hydroxyacyl-CoA
H O
R2 CH2 C C C S CoA H
2 O
FAD R2
3
4
FADH2
CH2
HO H O β
CH2 C C C S CoA 4
3
2
H3C
C S CoA
NADH + H+
4
5
[C2]n
NAD+
4
O
C S CoA
H 2O + 1/2 O2
FADH2
H O 1
6
H 2O2
O H O β
R1 CH2 C C C S CoA 4
HS CoA
3
2 1
H
3-Oxoacyl-CoA
5 O H3C
2
C S CoA 1
Acetyl-CoA
R1: H3C R2: H3C
(CH2)n (n=11 oder 13) (CH2)n (n=09 oder 11)
Abb. 6.4 β-Oxidation von Fettsäuren. Reaktionsfolge bei der β-Oxidation einer gesättigten Fettsäure, ausgehend von ihrer CoA-Verbindung. Beteiligte Enzyme: 햲 Acyl-CoA-Synthetase 햳 Acyl-CoA-Dehydrogenase 햴 Enoyl-CoA-Hydratase
햵 Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase 햶 Acyl-CoA-Acyltransferase (β-Ketothiolase) 햷 Katalase
Diese thioklastische Spaltung stellt den entscheidenden Abbauschritt dar, denn hier wird die C,C-Einfachbindung in der Molekülkette gelöst. Energetisch von großer Bedeutung ist der Umstand, daß nicht nur das freiwerdende C2-Fragment an CoA gebunden bleibt, sondern auch das zurückbleibende Restmolekül als Acyl-CoA-Verbindung aus der Spaltungsreaktion hervorgeht. Deren stark
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6.4 Fettabbau
317
negative Enthalpie-Änderung ist damit weitgehend in chemischer Bindung erhalten geblieben und macht eine erneute Aktivierung des Molekül-Restes durch ATP für den nachfolgenden Teil seines Abbaus überflüssig. Die Aktivierung beschränkt sich dementsprechend für jedes Fettsäuremolekül, unabhängig von der Kettenlänge, auf eine einmalige „Starter-Reaktion“ (s. S. 315), in der es mit CoA verbunden wird. Der um ein C2-Fragment verkürzte und an CoA gebundene Molekül-Rest tritt erneut in den oben beschriebenen Reaktionszyklus ein. Auch ungesättigte Fettsäuren werden über β-Oxidation abgebaut. Nach dreimaligem Durchlaufen der für β-Oxidation typischen Reaktionssequenz fällt cis∆3 Enoyl-CoA an, welches für keine der Acyl-CoA-Dehydrogenasen als Substrat akzeptabel ist: Die Präsenz der C,C-Doppelbindung zwischen C-3 und C-4 verhindert die Errichtung einer weiteren zwischen C-2 und C-3 im Kontext der normalen Reaktionsfolge. Dieses Dilemma wird dadurch beseitigt, daß die C,CDoppelbindung kurzerhand „verschoben“ und ihre Konfiguration in trans geändert wird: Eine Isomerase besorgt die Bildung dieser trans-∆2-C,C-Doppelbindung (s. Reaktionsschema). Der auf diese Weise „korrigierte“ Acyl-Rest kann nun wie ein normaler, gesättigter Fettsäure-Rest abgebaut werden. H H H O H3C
(CH2)5
C 4
C 3
C H
C S
2 1
Isomerase
CoA
H H H3C
(CH2)5
C
C
4 3
H
O C
C
2 1
S
CoA
H
trans- ∆2-Enoyl-CoA
cis-∆3-Enoyl-CoA
Findet der Fettsäureabbau in Mitochondrien statt, muß der abgespaltene FettsäureRest von CoA auf Carnitin (22) umgeladen werden (s. Schema). Nur in Bindung an diese spezifische Trägersubstanz, nämlich als Acylcarnitin (23), durchquert er die innere Membran des Mitochondrion. In dessen Matrix erfolgt der Transfer auf ein internes CoA, quasi in Umkehrung der vor der Einschleusung ablaufenden Reaktionsschritte. OH
+
(H3C )3N CH2
22 Carnitin (CH2)n
C
S
CoA
-– COO
O H3C
(CH2)n
C O
+
(H3C )3N CH2 HS
6.4.3
CH2
H
O H3C
C
CoA
C
CH2
COO–
23 Acyl-Carnitin
Umwandlung von aktivierter Essigsäure in Kohlenhydrat
In Samen mit überwiegender oder ausschließlicher Fettspeicherung fällt bei der Keimung vor allem Acetyl-CoA als Abbauprodukt an. Dementsprechend fehlen zunächst jene Kohlenhydrate, welche der Embryo für sein Wachstum dringend benötigt. Abhilfe schafft ein komplexes Reaktionsge-
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
318
schehen, welches, ausgehend vom reichlichen Angebot an Acetyl-CoA, Hexosephosphat produziert und im Glyoxysom aktiv ist. In diesem Glyoxylatzyklus, benannt nach seiner Schlüsselverbindung im ersten Teilbereich entsteht aus Acetyl-CoA das Succinat, welches im zweiten Teilbereich über die Zwischenstufe Malat in Hexosephosphat übergeführt wird; diese als Gluconeogenese bezeichnete Reaktionssequenz läuft im Cytosol unter Einbeziehung der Mitochondrien ab.
Glyoxylatzyklus. Diese Reaktionssequenz operiert zwar in einem eigenen Kompartiment, dem Glyoxysom, dennoch sind einige Umsetzungen mit denen des Citratzyklus identisch; sie werden von Isoformen seiner Enzyme katalysiert. So beginnt die Reaktionsfolge (Abb. 6.5) mit der Bildung von Citrat (25) aus Oxalacetat (24) und Acetyl-CoA (15). Citrat wird in Isocitrat (26) überführt. Diese Verbindung wird in der nächsten Reaktion von Isocitrat-Lyase (Isocitratase), dem ersten Leitenzym des Zyklus, in Glyoxylat (27) und Succinat (28) zerlegt; letzteres wird als zusätzlich gebildete C4-Verbindung frei. Malat-Synthase
NAD+
5
H HO C
NADH + H+
COO–
H3C
C S CoA 15 Acetyl-CoA
COO–
H2C
COO –
24 Oxalacetat
H2C COO– 29 L-Malat O
O C
HS CoA
HS CoA
C
O
1
3 H2C COO– H2C COO– 28 Succinat
H2C
COO –
HO C
COO–
H2C COO – 25 Citrat
COO– 27 Glyoxylat
Abb. 6.5
C S CoA 15
4
H2O H
O H3C
H2C
COO–
H C
COO–
2
HO C COO– H 26 Isocitrat
Die Reaktionsschritte im Glyoxylatzyklus.
Beteiligte Enzyme: 햲 Citrat(si)-Synthase 햳 Aconitat-Hydratase 햴 Isocitrat-Lyase
햵 Malat-Synthase 햶 Malat-Dehydrogenase (NAD)
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6.4 Fettabbau
319
als zweites Leitenzym katalysiert anschließend die Kondensation von Glyoxylat und Acetyl-CoA zu L-Malat (29), welche mit der Bildung von Citrat vergleichbar ist. Malat wird durch Malat-Dehydrogenase (NAD) dehydrogeniert: Oxalacetat (24) entsteht. Damit ist – ähnlich wie beim Citratzyklus – der spezifische Akzeptor regneriert, der Kreis damit geschlossen. Die Aktivität der beteiligten Enzyme ist zeitlich begrenzt: sie fällt mit der Phase der Fettmobilisierung zusammen. In der Bilanz ist aus zwei aktivierten Essigsäure-Resten ein Succinat entstanden. Diese C4-Verbindung verläßt das Glyoxysom, wird vom Mitochondrion aufgenommen und im Citratzyklus problemlos als typische Zwischenverbindung in Malat überführt. Diesem stehen zwei Wege offen: Als Zwischenstufe einer anaplerotischen Sequenz wird es zu Oxalacetat oxidiert (s. S. 284). Alternativ kann dieses nach Umformung zu Malat das Mitochondrion verlassen und im Cytosol zur Synthese von Hexosephosphat herangezogen werden: Gluconeogenese (s. u.).
Gluconeogenese. Dieser Reaktionsweg entspricht formal einer im „Rückwärtsgang“ arbeitenden Glykolyse, allerdings mit Abweichungen. So dient als Startsubstanz das Malat, Folgeprodukt des aus dem Glyoxylatzyklus ausgeschleusten Succinat (s. o.). Außerdem müssen zwei typische Reaktionsschritte „umgangen“ werden, welche im „Vorwärtsgang“ stark exergonisch und daher praktisch irreversibel sind: Die Bildung von 3-Phospho-D-glycerat aus D-Glycerinaldehyd-3-phosphat (S. 265 f) und die von Pyruvat aus Phosphoenolpyruvat (S. 266 f). In der ersten Umgehung wird die Schlüsselverbindung Phosphoenolpyruvat (13; PEP) aus Oxalacetat (24) durch Decarboxylierung und Phosphorylierung mit Hilfe cytosolischer PEP-Carboxykinase hergestellt. GTP O C
COO–
H2C
COO–
24 Oxalacetat
GDP
CO 2
PEP-Carboxykinase (GTP)
COO– C O P CH2 13 PEP
Dabei liefert die Freisetzung von Kohlendioxid die eigentliche Antriebskraft für die Phosphorylierung durch GTP. Die Anwendung dieses Prinzips einer reaktionsfördernden Decarboxylierung ist uns schon bei der Kondensationsreaktion im Fettsäurenzyklus begegnet (S. 308). PEP wird dann problemlos zu 3Phospho-D-glycerat (11) umgesetzt, weil die erforderlichen Reaktionsschritte frei reversibel sind. Dessen anschließende Reduktion mittels NAD-H + H+ zu DGlycerinaldehyd-3-phosphat ist stark endergonisch und verbraucht entsprechend 1 ATP; intermediär entsteht 3-Phospho-D-glyceroylphosphat. Der Reaktionsablauf entspricht prinzipiell der Triosephosphat-Bildung bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion – mit der Ausnahme, daß dort NADP-H + H+ als Reduktionsäquivalent fungiert. Für die Umkehrung der von 1-Phosphofructokinase katalysierten Phosphorylierung von α-D-Fructose-6-phosphat zu
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320
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
α-D-Fructose-1,6-bisphosphat, im Normallauf der Glykolyse ein stark endergonischer Schritt, ist Fructosebisphosphatase zuständig; sie spaltet hydrolytisch den Phosphorsäure-Rest an Position 1 ab, wodurch α-D-Fructose-6-phosphat entsteht. Insgesamt verbraucht die Reaktionsfolge vom Oxalacetat bis zum Hexosemonophosphat 4 ATP. Regulation. Gluconeogenese und Glykolyse dürfen nicht gleichzeitig mit voller Kraft im Cytosol ablaufen, wenn die Energiebilanz stimmen und kein Verlust an Energieäquivalente durch „Leerlauf“ entstehen soll. Für die erforderliche Abstimmung sorgt ein Regulationsmechanismus, welcher die Aktivität von Schlüsselenzymen beider Reaktionswege verändern kann. Ähnlich wie bei der schon früher beschriebenen Balanzierung von Saccharose-Biosynthese und Glykolyse (S. 227 f) erfolgt auch hier die entscheidende Weichenstellung über die Verfügbarkeit von α-D-Fructose-1,6-bisphosphat. Dessen Bildung wird durch erhöhte Quantitäten von α-D-Fructose-6-phosphat gefördert, weil diese den Spiegel der Signalsubstanz D-Fructose-2,6-bisphosphat ansteigen lassen; dadurch wird die 1-Phosphofructokinase stimuliert, Fructosebisphosphatase hingegen gehemmt – mit dem Resultat, daß die Glykolyse begünstigt, die Gluconeogenese aber gebremst wird. Sinkt die Menge an α-D-Fructose-6-phosphat unter einen kritischen Schwellenwert, kehren sich die Verhältnisse um: Die Aktivität von Fructosebisphosphatase erfährt eine deutliche Steigerung, die von 1-Phosphofructokinase eine Absenkung. Nunmehr schafft die zunehmende Spaltung von α-D-Fructose-1,6-bisphosphat genügend Substrat für den Ablauf von Gluconeogenese. Die molekularen Mechanismen, welche die jeweilige Menge an D-Fructose-2,6-bisphophat einstellen, sind schon beschrieben worden (s. o.).
6.5
Membranlipide
6.5.1
Allgemeines
Die elementaren Bestandteile von Biomembranen kommen aus verschiedenen Gruppen zusammengesetzter Lipide. Die Bestückung ihrer Moleküle mit hydrophilen und lipophilen Gruppierungen macht sie zu idealen Bauelementen für die tragende Lipid-Doppelschicht von Membranen. Im Vergleich mit den Neutralfetten sind Membranlipide komplexer aufgebaut. Bei den Phospholipiden steht – wie der Name andeutet – Phosphorsäure im Zentrum des Moleküls; bei den Glycerolipiden (Glycerolphosphatiden: wegen der Phosphatidsäure als Molekülbaustein!) ist sie zum einen mit Diacylglycerol, zum anderen mit einer Alkoholverbindung verestert (Tab. 6.2), vor allem mit Cholin, Ethanolamin (2-Aminoethanol) und L-Serin. Sie bringen jeweils über das basische N-Atom eine positive Ladung in das Molekül ein, welche der negativen Ladung der Phosphorsäure – ebenfalls im hydrophilen Bereich – gegenübersteht. Diese Zwitterion-Struktur ist für alle jene Phospholipide typisch, welche eine dieser drei Alkoholverbindungen enthalten. Ist an deren
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6.5 Membranlipide Tab. 6.2
321
Aufbau von Glycerolipiden +
HO CH2 CH2 N(CH3)3 Cholin + Ethanolamin HO CH2 CH2 NH3 (2-Aminoethanol) + HO CH2 CH NH3 L-Serin COO–
O O H3C (CH2) n
CH2 O C (CH2 )m CH3
C O C H O
HO HO
O
L-myo-Inosit(ol)
HO
H2C O P O (Amino+)Alkohol –
OH
OH OH
Glycerolipid (Glycerolphosphatid; Diacylglycerol in rot)
CH2 OH HO C H
Glycerol
CH2 OH
Stelle hingegen Inosit(ol) oder Glycerol im Molekül gebunden (s. Tab. 6.2), fehlt die positive Ladung. Cardiolipin, Leitlipid der inneren Mitochondrienmembran (S. 274), hat die Struktur eines sn-Glycerol-1,3-bisphosphatids (30). Art und Anordnung der gebundenen Fettsäuren stimmen bei den wichtigsten Glycerolipiden weitgehend überein. Das jeweilige Muster ist Ausdruck einer gewissen Spezifität. CH2 O R2
CO R1
CO O C H O
H2C O P O
CH2
– HO C H O O
H2 C O P O R1
CH2
O– CO O C H CH2 O CO R2 30 Cardiolipin
Bei den Sphingolipiden vertritt das Aminodiol Sphingosin (31) das Glycerol in der Molekülstruktur; es kann in unterschiedlicher Form vorliegen: Bei den Pflanzen als reduziertes und um eine Hydroxy-Gruppe erweitertes 4-Hydroxydihydrosphingosin (Phytosphingosin; 32). Bildet dessen Amino-Gruppe mit einem Fettsäure-Rest ein Säureamid, resultiert ein Ceramid (33). Veresterung seiner endständigen Hydroxy-Gruppe mit Phosphorylcholin, ergibt ein Sphingomyelin (34). Erweiterung der Grundstruktur des Ceramids durch Anlagerung eines Zuckers oder eines Oligosaccharids, welches saure Komponenten enthal-
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
322
ten kann, z. B. N-Acetylneuraminsäure, führt zu den Glykosphingolipiden. Die neutralen Vertreter heißen Cerebroside (mit Monosaccharid!), die sauren Ganglioside. Cerebroside mit Phytosphingosin sind in höheren Pflanzen gefunden worden, wo sie vermutlich in Membranen vorliegen. NH2 H3C
CH2 OH
31 Sphingosin
OH OH
NH2
H3C
CH2 OH
32 Phytosphingosin
OH O C
OH HN H3C
(CH2)n CH3 OH
CH2 OH 33 Ceramid O HN OH
H3C OH
C
(CH2)n CH3 O
CH2
+
O P CH2 CH2 N(CH3)3 –
O
Phosphorylcholin
34 Sphingomyelin
Glykolipide (Glycerolglykolipide) sind frei von Phosphorsäure. Diacylglycerol bildet gewissermaßen das Rückgrat ihrer Molekülstruktur. Diese ist um einen oder mehrere Zucker-Reste in glykosidischer Bindung erweitert. Demgemäß sind die Glykolipide den O-Glykosiden zuzuordnen. Bei den entsprechenden Verbindungen höherer Pflanzen dominiert die Galaktose (Gal) als Zucker-Baustein. Die wichtigsten Vertreter dieser Galaktosyl-diacylglycerole, welche einen gewichtigen Teil der Lipidgarnitur des Chloroplasten repräsentieren, sind: Monogalaktosyl-diacylglycerol (35), Digalaktosyl-diacylglycerol (36) und Trigalaktosyl-diacylglycerol. CH2 O CO (CH2) m CH3 H3C (CH2) n HO 4
CO O CH
CH2 OH OH
O
β
HO
CH2
OH
OH
O
OH O CH2
1
OH 35 Monogalaktosyl-diacylglycerol
CH2 O
α
R2 O CH
O CH2 HO
OH
O CH2
O β
OH 36 Digalaktosyl-diacylglycerol
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R1
6.5 Membranlipide
323
Sulfolipide oder schwefelhaltige Lipide sind im Prinzip modifizierte Glykolipide: Ein Zucker-Baustein ist zum Sulfonsäure-Derivat modifiziert. Bisher ist erst eine solche Verbindung in höheren Pflanzen gefunden worden: Sulfochinovosyl-diacylglycerol (37), das pflanzliche Sulfolipid schlechthin. Vom Aufbau her handelt es sich um ein modifiziertes Glycerolglykolipid. –O
3S
OH HO
CH2 O
CH2 O
R2
R1
O CH
1 α
O CH2
OH 37 Sulfochinovosyl-diacylglycerol
α-glykosidisch in Position sn-3 des Glycerols gebunden, ist zum Sulfonsäure-Derivat umgeformt worden (C씮 S-Bindung!): 6-Sulfo-6-deoxy-D-Glucose oder 6-Sulfo-D-chinovose. Bei den gebundenen Fettsäuren übertrifft Linolensäure mengenmäßig die gesättigten Vertreter wie Palmitinsäure. Kommt zusätzlich Chlor in den Verbindungen vor, handelt es sich um Chlorosulfolipide; sie wurden bisher nur bei Süßwasseralgen gefunden.
D-Glucose als ursprünglicher Zucker-Baustein,
Die Lipidgarnitur der beiden Hüllenmembranen des Chloroplasten ist verschieden: in der äußeren dominiert Digalaktosyl-diacylglycerol bei den Glykolipiden, (3-snPhosphatidyl)cholin bei den Phospholipiden. In der inneren Membran sind Monogalaktosyl-diacylglycerol und 3-(3-sn-Phosphatidyl)-sn-glycerol quantitativ am stärksten vertreten. Eine ähnliche Verteilung scheint in den Thylakoidmembranen vorzuliegen, wobei die Phospholipide nur schwach vertreten sind; (3-sn-Phosphatidyl)-2-aminoethanol fehlt offensichtlich völlig. Die äußere Hüllenmembran von Mitochondrien ist relativ reich an Phospholipiden und Cholesterol (S. 349 f) und ähnelt damit den ER-Membranen. Die innere Membran der Mitochondrienhülle weist deutlich weniger Phospholipide und Cholesterol bzw. Sterole auf, verfügt aber über reichlich Cardiolipin (30, S. 321), welches dementsprechend zum Leitlipid dieser Membran avanciert ist.
6.5.2
Biosynthese von Glycero- und Glykolipiden
Nach neueren Erkenntnissen, welche vorwiegend auf den Ergebnissen von Untersuchungen an Mutanten-Pflanzen (Arabidopsis thaliana) beruhen, erfolgt die Biosynthese von Glycerolipiden, den wichtigen Komponenten von Biomembranen, auf zwei Reaktionswegen. Sie laufen zwar in unterschiedlichen Kompartimenten – Chloroplast und Cytosol – ab, sind aber auf Lipidtransfer zwischen beiden angewiesen. Der Chloroplast ist die generelle Produktionsstätte für die benötigten Fettsäuren. Sie werden entweder dort selbst in Membranlipide eingebaut – prokaryotischer Weg – oder aber nach Umladung von ACP auf CoA exportiert (S. 310) und in den
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
324
3(-sn-Ptd)-sn-glycerol
(3-sn-Ptd) ethanol (3-sn-Ptd) cholin
(3-sn-Ptd)-myo-inosit 18 : 1 (16 : 0)
18 : 1 (16 : 0)
18 : 1 (16 : 0)
18 : 1
18 : 1
18 : 1
18 : 3 (16 : 0)
18 : 2 (16 : 0) 18 : 2
18 : 3
Endoplasmatisches Reticulum
DAG
PS
:
18 0
:
16 0
–
–
:
18 1
–
18 : 1–CoA 16 : 0–CoA 3–PG
Cytosol
ACP ACP ACP 3–PG 3(3-sn-Ptd)-sn-glycerol
LPS
PS
18 : 1
18 : 1
18 : 1
18 : 2
18 : 3
16 : 0
16 : 0
16 : 1 (16 : 0)
16 : 1 (16 : 0)
16 : 1 (16 : 0)
18 : 1
18 : 1
18 : 2
18 : 3
18 : 1 DAG
Chloroplast
DAG 18 : 2 (16 : 0) 18 : 2
Fettsäuresynthese
16 : 0
16 : 0
16 : 1
16 : 2
18 : 1
18 : 2
18 : 3
16 : 0
16 : 0
16 : 0
18 : 1
18 : 2
18 : 3
16 : 0
16 : 0
16 : 0
Abb. 6.6 Biosynthese und Kompartimentierung von Glycerolipiden bei Arabidopsis thaliana (nach Somerville u. Browse). Die Umsetzungen des prokaryotischen Weges im Chloroplasten sind durch rote Unterlegung hervorgehoben. Hauptwege durch dickere Pfeile gekennzeichnet.
16 : 3
MGD 18 : 2
DGD 18 : 2 (16 : 0)
SL 16 : 0
18 : 2
18 : 2
18 : 2
18 : 3
18 : 3 (16 : 0)
16 : 0
18 : 3
18 : 3
18 : 3
MGD
DGD
SL
DAG DGD LPS MGD 3-PG PS Ptd SL
Diacylglycerol Digalaktosyl-diacylglycerol Lysophosphatidsäure Monogalaktosyl-diacylglycerol 3-Phospho-sn-glycerol Phosphatidsäure Phosphatidyl Sulfolipid
ER-Membranen zur Synthese der typischen Lipidbestandteile verwendet – eukaryotischer Weg. Dieser wiederum liefert Diacylglycerol, welches in den Chloroplasten zurückfließt und dort als Baustein in die Synthese von Lipiden der Thylakoidmembran eingeht. Diese sind am eukaryotischen Muster (S. 304) ihrer Fettsäure-Reste erkennbar. Abb. 6.6 faßt das Gesamtgeschehen zusammen.
Prokaryotischer Weg Über diese Schiene entsteht zunächst eine Phosphatidsäure, welche einen Ölsäure-Rest in Position sn -1 und einen Palmitinsäure-Rest in Position sn -2 trägt
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6.5 Membranlipide
325
(prokaryotisches Muster! C18 – C16). 1-Acyl-ACP: sn-glycerol-3-phosphat-Acyltransferase überträgt einleitend den gebundenen Ölsäure-Rest in die Position sn -1 von 3-Phospho-sn-glycerol (sn-Glycerol-3-phosphat), dessen Biosynthese im Plastiden schon besprochen wurde (S. 310); ein Import dieser Verbindung aus dem Cytosol ist allerdings nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Die Acylierung von Position sn-2 mittels Palmitoyl-ACP übernimmt 2-Acyl-ACP-glycerol-3-phosphat-Acyltransferase; dieses Enzym ist im Gegensatz zur sn-1-spezifischen Acyltransferase nicht löslich, sondern membrangebunden. Für viele Vertreter der Angiospermen dient die so entstandene Phosphatidsäure als direktes Substrat für die Synthese von 3(3-sn-Phosphatidyl)-sn-glycerol, welches als Hauptprodukt des plastidären oder prokaryotischen Weges gilt. Bei den sogenannten „18 : 3-Pflanzen“ folgen zwei weitere Desaturierungen am 18 : 1Acyl-Rest, welcher dadurch zum 18 : 3-Rest der Linolensäure wird. Die übrigen Lipide des Chloroplasten gehen, was ihre Grundstruktur betrifft, auf den extraplastidären eukaryotischen Weg zurück (s. Abb. 6.6). Ausnahmen finden sich bei einigen Spezies „primitiver“ Angiospermen-Familien, wo beide Wege an der Synthese von Glykolipiden und Sulfolipiden mitwirken. Zu jenen, als „16 : 3Pflanzen“ bezeichnet, gehört Arabidopsis thaliana. Hierdurch wird angezeigt, daß am Rest in Position sn-2 zusätzliche Desaturierungen ansetzen (s. Abb. 6.6). Einleitend wird die Phosphatidsäure durch Dephosphorylierung in Diacylglycerol überführt, katalysiert von einer spezifischen Phosphatase des Chloroplasten.
Eukaryotischer Weg Am Anfang steht vermutlich die hydrolytische Freisetzung der gesättigten Fettsäuren aus ihrer ACP-Bindung (s. Abb. 6.6) durch ein oder zwei spezifische AcylACP-Thioesterasen. Wie bereits geschildert (S. 310), passieren die freien Fettsäuren die Chloroplastenhülle und werden vor ihrem Übertritt in das Cytosol durch Acyl-CoA-Synthetase an CoA gebunden. So werden sie löslich und bilden das geeignete Substrat für die Synthese extraplastidärer Phosphatidsäure; diese soll an Membranen des ER stattfinden. In ihnen sind die auf Acyl-CoA eingestellten Acyl-Transferasen geortet worden. Dementsprechend resultiert Phosphatidsäure, welche die typisch eukaryotische Anordnung der Fettsäure-Reste aufweist (sn-1: C18, C16, sn-2: C18). Ein Teil geht in den Aufbau spezifischer Phospholipide von extraplastidären Membranen: (3-sn-Phosphatidyl)cholin, (3-sn-Phosphatidyl)-2-aminoethanol, (3-sn-Phosphatidyl)-L-myo-inosit, 3-(3-sn-Phosphatidyl)-sn-glycerol und (3-sn-Phosphatidyl)-L-serin. Von diesen kommt (3-sn-Phosphatidyl)cholin offensichtlich eine Schlüsselfunktion bei der Synthese weiterer plastidärer Lipide zu: Nach Desaturierung der Oleoyl-Reste, vermutlich durch eine spezifisch, auf gebundene 18 : 1-Fettsäure eingestellte Desaturase der ER-Membran, und nach Abspaltung von Cholin, gelangt diese modifizierte Diacylglycerol-Einheit (18 : 2/16 : 0 – 18 : 2) zurück in den Chloroplasten. Dort dient sie als Molekül-Baustein für Galaktolipide und Sulfolipide (s. Abb. 6.6).
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6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
326
Der Mechanismus dieses entscheidenden Lipidtransfers vom Cytosol in den Chloroplasten ist noch wenig verstanden. Es gibt erste Anhaltspunkte dafür, daß an ihm – ähnlich wie in tierischen Zellen – Lipidtransfer-Proteine beteiligt sind. Bei der extraplastidären, ER-assoziierten Synthese von (3-sn-Phosphatidyl)cholin (40) können wie bei tierischen Zellen zwei Routen benutzt werden. Die eine wird wahrscheinlich beschritten, wenn Cholin oder Phosphorylcholin (38) ausreichend verfügbar ist. CTP: Cholinphosphat-cytidylyltransferase katalysiert die Synthese von CDP-Cholin oder „aktiviertem Cholin“ (39). An dieses lagert CDP-Cholin: Diacylglycerol-cholinphosphotransferase das Diacylglycerol an (s. Reaktionsschema). O +
–
H2C O R1
O P O CH2 CH2 N(CH3)3
R2 O CH
–
O 38 Phosphorylcholin
+
2 Pi
CTP PPi N O (H3C )3N (CH2)2
O P
O
P
O
Cholin
O 40 (3-sn-Phosphatidyl)cholin
2 N
O
HO
–
NH2
1
+
O
H2C O P O CH2 CH2 N(CH3)3
CMP Diacylglycerol
OH
CDP
39 CDP-Cholin
1 CTP-Cholinphosphat-cytidylyltransferase 2 CDP-Cholin: Diacylglycerol-cholinphosphotransferase
Der zweite, alternative Weg beginnt mit der Decarboxylierung von L-Serin zu Ethanolamin (2-Aminoethanol), welches durch Phosphorylierung und Methylierung zum 2-Methylaminoethanolphosphat (MEP) wird. Diese kann unterschiedlich verarbeitet werden: Methylierung führt zum Phosphorylcholin (Lemna), Übertragung auf Diacylglycerol zum intermediären CDP-MEP, welches durch Methyltransferasen mit Hilfe von SAM (S. 417 f) zum (3-sn-Phosphatidyl)cholin umgeformt wird (Zellkulturen von Sojabohne, Karotte).
6.5.3
Biosynthese von Galaktolipiden
Wie aus Abb. 6.6 ersichtlich, verfügen „16 : 3-Pflanzen“ (s. S. 325) über einen Pool an prokaryotisch strukturiertem Diacylglycerol (18 : 1 – 16 : 0), welcher den „18 : 3-Pflanzen“ völlig zu fehlen scheint. Deshalb sind diese ausschließlich auf die Zulieferung von extraplastidär produziertem Diacylglycerol (mit eukaryoti-
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6.6 Lipidpolymere: Cutin, Suberin, Wachse Box 6.4
327
Linol- und Linolensäure
Beide ungesättigten Fettsäuren (8, 9, s. S. 302) verdanken ihre Namen dem reichlichen Vorkommen in Leinöl. Ihre Synthese ist eine Domäne der höheren Pflanzen und findet kaum bei anderen eukaryotischen Organismen statt. Beide Fettsäuren gehören zu den essentiellen Bestandteilen der Nahrung von Mensch und anderen Säugetieren, mit welcher sie aufgenommen werden müssen. Sie gehen nicht nur als Molekül-Bausteine im Membranen ein, son-
dern werden über Kettenverlängerung (S. 310) zu Arachidonsäure (20 : 4) umgewandelt, der Muttersubstanz der Eicosanoide (vom griech. Wort für 20). Aus dieser gehen Mediatoren wie Prostaglandine, Thromboxane und Leukotriene hervor. Eine gute Quelle für Linol- und Linolensäure sind Blätter, wo beide mehr als 70% aller Fettsäuren ausmachen; in Wurzelzellen sind es 50 – 70%.
scher Acylbestückung!) angewiesen, wenn Galaktolipide synthetisiert werden müssen. Das Diacylglycerol reagiert bei der Bildung von Monogalaktosyl-diacylglycerol (35, MGD) mit UDP-Galaktose unter Mitwirkung von UDP-Galaktose-Diacylglycerol-β-D-galaktopyranosyltransferase. Dieses Enzym soll nur in der Chloroplastenhülle aktiv sein. Die Biosynthese von Digalaktosyl-diacylglycerol (36, DGD) geht vermutlich von MGD aus: MGD: MGD-galaktosyltransferase überträgt den Zucker-Rest von einem Molekül MGD auf ein zweites, wobei die Anbindung über (α-1씮 6)-Glykosidbindung erfolgt. Wie bei MGD können dann weitere Desaturierungen an den Acyl-Resten folgen (s. Abb. 6.6).
6.5.4
Biosynthese von Sulfolipiden
Zur Biosynthese des bisher einzig bekannten Sulfolipids des Chloroplasten, Sulfochinovosyl-diacylglycerol (37), fehlen bis jetzt konkrete Daten. Lediglich der finale Schritt ist klar: Die Zucker-Einheit, 6-Deoxy-6-sulfo-D-glucose, wird von UDP-Sulfochinovose, dem „aktivierten“ Reaktionspartner, durch eine spezifische Transferase auf Diacylglycerol übertragen.
6.6
Lipidpolymere: Cutin, Suberin, Wachse
6.6.1
Allgemeines
Diese auch als Biopolyester bezeichneten hochmolekularen, wasserabstoßenden Verbindungen sind ausschließlich Produkte höherer Pflanzen. Cutin (41) bildet hauptsächlich ihre Cuticula und Zellwandauflagerungen in Cutiszellen und – zusammen mit Suberin und Wachsen – die Korkschichten auf sekundären Zellwänden bei deren Akkrustierung. Die einzelnen Cutine sind hochmolekulare Polyester von unbekannter Struktur, welche sich aus Hydroxy- und Epoxifettsäuren – Cutinsäuren – aufbauen; deren wichtigste Vertreter aus der C16und C18-„Familie“ zeigt Tab. 6.3; ihre vermutliche Anordnung im Polymer verdeutlicht 41.
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328
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Tab. 6.3 Cutinsäuren der C16- und C18-Familie sowie die entsprechenden Monomere des Suberins Cutin
C16
Suberin
C18
H3C (CH2)x COOH
H3C (CH2)14 COOH
H3C (CH2)7 CH CH (CH2)7 COOH
HO CH2 (CH2 )14 COOH
HO C H2 (CH2)7 CH CH (CH2)7 COOH H3C (CH2)x CH2 OH
HO C H2 (CH2)n CH (CH2)m COOH HO C H2 (CH2)7 OH
H2C (CH2)y COOH
(CH2)7 COOH
HO
O HO C H2 (CH2)7 CH CH (CH2)7 COOH
n = 5 – 8, m = 13 u. mehr
HOOC (CH2)y COOH x = 18 – 30, y = 14 – 20
OH OH
O
O C O CH2
(CH2)5 CH (CH2)8 C
O
O
(CH2)8
C O CH OH
(CH2)5
O
CH O C (CH2)14 CH3
(CH2)8
CH OH
CH2 (CH2)5 (CH2)8 C O
(CH2)5
CH2 O C (CH2)14 CH2 O
CH2
O O C (CH2)8 CH (CH2)5 CH2 O C (CH2)8 CH (CH2)5 CH2 O O
O
O
O
C O
C O
CH
CH
CH
CH
OH
41 Cutin
OH n
Auch für Suberin steht die endgültige Strukturaufklärung noch aus; die Verbindung enthält beträchtliche Mengen an veresterten ω-Hydroxyfettsäuren, Dicarbonsäuren, relativ langen Säuren und Alkoholen ( C20 s. Tab. 6.3) sowie kleine Anteile von stärker oxidierten Monomeren, welche auch im Cutin vorkommen. Das Modell des Molekülaufbaus (42) macht deutlich, daß die tragende Struktur aus Phenylpropan-Bausteinen der von Lignin (S. 375 f) ähnelt – zumal auch hier eine Verknüpfung mit Polysacchariden der Zellwand vorzuliegen scheint. Wachse als Ester langkettiger unverzweigter Fettsäuren (C26 – C36, z. T. mit C,CDreifachbindungen) mit langen aliphatischen (C16 – C36) oder zyklischen Alkoholen werden im Wechsel mit Suberin bzw. Cutin schichtweise bei der Verkorkung aufgelagert.
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6.6 Lipidpolymere: Cutin, Suberin, Wachse
329
O
Zellwand-Kohlenhydrate
O
O O O O
O O
O
O O
O
O
OH O
H3CO O
OH O
O
O O
H3CO OH
H3CO
OH 42 Suberin
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330
6 Fette und fettähnliche Verbindungen: Lipide
Die Cuticula soll generell aus einer Polyestermatrix bestehen, in welche lösliche Lipide eingelagert sind. Ihre äußere, hydophobe Oberfläche weist in zahlreichen Fällen eine erstaunlich vielfältige Mikrostruktur (Mikrorelief) auf, deren wichtigste Funktion in der „Selbstreinigung“ der Blattoberfläche gesehen wird: epicuticuläre Wachskristalle verhindern weitgehend die Anheftung von Wasser und verunreinigenden Partikeln; beide werden quasi „abgewaschen“.
6.6.2
Biosynthese
Der Bildungsmechanismus für die drei Lipidpolymere zeichnet sich erst in Umrissen ab, wobei für Cutin noch die meisten Daten vorliegen. Neuere Untersuchungen haben etwas Licht in die Biosynthese der monomeren Synthese-Bausteine, nämlich der C18-Cutinsäuren, gebracht. Ausgehend von Ölsäure (7) entstehen 9,10-Expoxistearinsäure (43) 9,10-Epoxi-18-hydroxystearinsäure bzw. 9,10-Dihydroxystearinsäure (44) – Hauptkomponenten der Cutine – sowie 9,10,18-Trihydroxystearinsäure (46) über den Lipoxygenase/PeroxygenaseWeg, benannt nach den Schlüsselenzymen dieses biosynthetischen Geschehens. Außerdem ist ein Enzym beteiligt, welches die terminale oder ω-Hydroxylierung katalysiert (s. Schema). Der Einbau der Monomere in das hochmolekulare, unlösliche Material der Cuticula erfolgt extrazellulär, wobei vermutlich schon vorhandene Cutinstrukturen als Startsubstanzen (Primer) dienen. Als CoA-Verbindungen reagieren die diversen Cutinsäuren über ihre Hydroxy-Gruppen bei der Verknüpfung, welche von Hydroxyacyl-Transferasen katalysiert wird. COOH 9
CH3
7 Ölsäure
10
1 COOH
9
O
CH3
43 9,10-Epoxistearinsäure
10
3 COOH
2 COOH
HO
CH3
9
O
OH
18
45 9,10-Epoxi-18-hydroxystearinsäure 2 HO
9
HO 10 44 9,10-Dihydroxystearinsäure 3 COOH 18
OH 10 HO 46 9,10,18-Trihydroxystearinsäure
1 Lipoxygenase/Peroxygenase 2 Epoxidfettsäure-Hydrolase 3 Cytochrom P-450-abhängige ω-Hydroxylase
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331
7
Isoprenoide
In diesem Kapitel werden Verbindungen abgehandelt, welche bereits als einfache oder nichthydrolysierbare Lipide vorgestellt worden sind (S. 299). Bei ihnen handelt es sich in erster Linie um Isoprenoide, deren Namen auf den typischen Molekül-Baustein Isopren (1), einen ungesättigten Kohlenwasserstoff, hinweist. Seine Verknüpfung in unterschiedlicher Anzahl und die anschließende Modifizierung solcher Grundstrukturen – teilweise unter Einbeziehung der Elemente Sauerstoff und Stickstoff – bedingen eine außergewöhnliche Mannigfaltigkeit dieser Verbindungsklasse. CH3 CH2 C H 1 Isopren
H2C
C
Kurzschreibweise
7.1
Isopren als gemeinsamer Molekül-Baustein
7.1.1
Allgemeines
Zum Sortiment der Isoprenoide gehören so unterschiedliche Verbindungen wie Pigmente, etherische Öle, Harze, Steroide, Wachse und Gummi, welche sich in verschiedenen Kompartimenten pflanzlicher Zellen finden. Bis auf den Lipidcharakter sind Gemeinsamkeiten, zumindest auf den ersten Blick, nicht auszumachen; sie werden aber erkennbar, wenn wir die Biosynthese betrachten. Die Grundgerüste der angeführten Verbindungsgruppen entstehen nämlich nach einem einheitlichen Modus: C5-Einheiten werden schrittweise linear verknüpft, ein Reaktionsprinzip, welches schon 1922 durch Ruzicka als IsoprenHypothese formuliert worden ist. Sie liefert eine brauchbare Grundlage, um die enorme Anzahl von Isoprenoid-Verbindungen einigermaßen übersichtlich zu ordnen (s. u.). Auch das Zusammenfügen von bereits verbundenen C5-Einheiten („Dimerisierung“) wird als Mittel der Kettenverlängerung eingesetzt. Isopren geht in Form von Isopentenyldiphosphat (2; IPD) als aktivierte Vorstufe oder aktives Isopren in die Biosynthese ein. CH3 H2C
CH2
CH2
O P P
2 Isopentenyldiphosphat (IPD)
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332
7 Isoprenoide
Die solcherart entstandenen Grundgerüste von unterschiedlicher Kettenlänge werden dann jeweils durch Methylierung, Hydroxylierung, Oxidation, Decarboxylierung oder Umlagerung modifiziert. Während bei ihrer Mehrzahl die ursprüngliche C5-Verknüpfungsstruktur erhalten bleibt – Terpene –, hat sie sich bei den übrigen dadurch verändert, daß ein oder mehrere C-Atome nachträglich eliminiert worden sind – Terpenoide. Die hochmolekularen Polyisoprene oder Polyterpene sowie einige Sterole und ihre Derivate können den Biopolymeren zugerechnet werden. Obwohl Isoprenoide generell als sekundäre Pflanzenstoffe – besser: als pflanzliche Naturstoffe – deklariert sind (s. Box 7.1), gibt es einige Vertreter, welche im Primärstoffwechsel wichtige Funktionen übernehmen. Wir haben es hier mit dem interessanten Fall einer Überlappung oder einer Schnittstelle der beiden Stoffwechselbereiche zu tun. Dementsprechend versorgt die Isoprenoid-Biosynthese gleichermaßen Primär- und Sekundärstoffwechsel mit wichtigen Produkten. Ähnliches wird uns bei der Biosynthese der Phenole begegnen (Kap. 8). Als wichtiges Kompartiment der Biosynthese ist der Chloroplast erkannt worden, welcher seine typischen Isoprenoid-Verbindungen in Eigenproduktion fertigt: Carotinoide und Molekülkomponenten von Prenylchinonen. Außerdem Box 7.1
Sekundärstoffwechsel
Für die historisch bedingte Unterscheidung von pflanzlichem Primärstoffwechsel und Sekundärstoffwechsel waren vor allem die enorm große Anzahl von Sekundärverbindungen („Naturstoffen“), die Komplexität und das große Spektrum ihrer Strukturen sowie die scheinbar geringe Bedeutung für die elementaren Lebensprozesse der Pflanze ausschlaggebend. Während der Primärstoffwechsel mit vergleichsweise wenigen, meist niedermolekularen Verbindungen auskommt, welche zudem in praktisch allen Spezies in annähernd gleicher Verteilung vorhanden sind, treten einige Sekundärverbindungen bei einer Anzahl von Arten auf, andere lediglich bei einigen wenigen oder sogar nur bei einer einzelnen Spezies. Dank neuartiger Techniken zur Isolierung und Strukturaufklärung kennen
wir inzwischen über 80 000 Verbindungen aus dem Sekundärbereich; jährlich kommen etwa 1000 hinzu. Diese Zahlen lassen erahnen, über welche immense Synthesekapazität höhere Pflanzen verfügen. Im vorliegenden Text wird nicht nur auf neuere Vorstellungen zur möglichen Funktion von pflanzlichen Sekundärverbindungen als Abwehrsubstanzen, sondern auch auf die diversen Schnittstellen von primärem und sekundärem Stoffwechsel eingegangen. Sekundäre Pflanzenstoffe werden vom Menschen mit der pflanzlichen Nahrung aufgenommen und größtenteils ohne schädliche Folgen verwertet. Einige wirken jedoch, ähnlich wie in der Pflanze, mehr oder weniger toxisch, im Extremfalle sogar kanzerogen oder letal.
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7.1 Isopren als gemeinsamer Molekül-Baustein
333
sollen bestimmte Isoprenoide im cytosolischen Kompartiment auf einem mehr oder weniger unabhängigen Weg entstehen können; einige seiner Produkte gelangen vermutlich in den Chloroplasten.
7.1.2
Biosynthese von Isopentenyldiphosphat
Die Zugehörigkeit der Isoprenoide zur Verbindungsklasse der Lipide wird auch dadurch angezeigt, daß sie mit dem Acetyl-Coenzym A die gleiche Vorstufe für ihre Biosynthesen benutzen wie die bereits besprochenen hydrolysierbaren Lipide. Zwei Moleküle Acetyl-CoA treten zunächst zum Acetoacetyl-CoA zusammen; ein drittes Acetyl-CoA wird durch Kondensation angefügt (Abb. 7.1). Vom entstandenen 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA, einem Derivat der Glutarsäure, wird CoA reduktiv abgespalten; den erforderlichen Wasserstoff liefert NADP-H + H+. Dabei wird die ursprüngliche Carboxy-Gruppe zur Alkohol-Gruppe. Die so entstandene Mevalonsäure (Salz: Mevalonat) fungiert als Schlüsselverbindung, denn sie repräsentiert die unmittelbare Vorstufe des aktiven Isoprens: In einer komplexen Reaktion wird daraus unter Verbrauch von 3 ATP sowie nach Abspaltung von Kohlendioxid und Wasser das Isopentenyldiphosphat (2, IPD). Diese Verbindung entspricht formal dem um einen Diphosphat-Rest erweiterten Isopren. Die Ergebnisse von Einbauversuchen mit 14C-markiertem Hydrogencarbonat bzw. Acetat sowie von Studien mit Inhibitoren (Schultz u. Mitarb.) haben wichtige Belege dafür geliefert, daß die Autonomie des Chloroplasten hinsichtlich seiner Produktion von Acetyl-CoA als Vorstufe von IPD nicht absolut ist. Offensichtlich besteht auch hier die gleiche Diskrepanz zwischen dem jungen, sich differenzierenden Chloroplasten und dem reifen, ausdifferenzierten Organell, wie sie bei der Substratversorgung der Fettsäuresynthese im Plastiden offenkundig geworden ist (S. 305 f). Da der junge Chloroplast offenbar über die erforderliche Enzymgarnitur sowohl für die Bildung von Acetyl-CoA als auch von IPD verfügt, können beide Schlüsselverbindungen intern produziert werden; auch hierbei bleibt die extraplastidäre Fertigung des benötigten Acetats und dessen Import vom Chloroplasten (vgl. S. 306) problematisch. Der reife Chloroplast hingegen muß vermutlich wegen fehlender Eigenproduktion auf das vom cytosolischen Kompartiment gebildete IPD zurückgreifen und damit in Konkurrenz zu dessen Isoprenoid-Fertigung treten. Diese Form der Kooperation der beiden Kompartimente könnte das Ergebnis der insgesamt fortgeschrittenen zellulären Differenzierung sein. Aufgrund von Isotopen-Markierungsmustern einiger Isoprenoide plastidären Ursprungs (Phytol, Carotinoide), welche von heterotroph wachsenden Zellen der Grünalge Scenedesmus obliquus nach Fütterung mit den 13C-markierten Verbindungen Glucose und/oder Acetat anhand von 13C-NMR-Spektroskopie (Box 3.8, S. 113) erhalten wurden, zeichnet sich für den Grundbaustein IPD ein alternativer Syntheseweg ab. Dieser soll nicht über Mevalonat laufen, sondern IPD durch direkte Vereinigung
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7 Isoprenoide
334
O
CH3
O
C
C
S CoA
Acetyl-CoA
H2C
1 O
S CoA
H
CH3
O
C
C
CH2
CoA SH H CoA
S
C
S
CoA
Acetoacetyl-CoA 2
CH2
CoA SH
O
CH3 O
HO
–
OOC
C CH2
C
CH2
S CoA
3-Hydroxy-3-methyl-glutaryl-CoA 2 NADPH + H+ 3
CoA SH
–
OOC
2 NADP+ CH3
HO C CH2
CH2
CH 2 OH
Mevalonsäure 2 ATP 4
H2C
C
CH2
2 ADP
ADP, Pi ATP
CH3
CH2 O P P
Isopentenyldiphosphat (IPD)
5
–
OOC
CH3
HO C CH2
CH2
CH2 O P P
CO2 , H2O
Abb. 7.1 Biosynthese von Isopentenyldiphosphat („aktives Isopren“) über die Zwischenstufe der Mevalonsäure. Beteiligte Enzyme: 햲 Acetyl-CoA-Acetyltransferase 햳 Hydroxymethylglutaryl-CoA-Synthase 햴 Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reduktase
햵 Mevalonat-Kinase + Phosphomevalonat-Kinase 햶 Diphosphomevalonat-Decarboxylase
von Glycerinaldehyd-3-phosphat und Pyruvat liefern. Ein entsprechender Weg ist auch als typisch für die Isoprenoidsynthese einiger Bakterienarten, darunter E. coli, erkannt worden, was ein weiteres Argument zugunsten des prokaryotischen Ursprungs von Plastiden liefern könnte. Erste Untersuchungen deuten an, daß dieser alternative Weg der IPD-Synthese auch in Chloroplasten höherer Pflanzen aktiv ist. Zahlreiche Spezies höherer Pflanzen emittieren Isopren, welches aus 3,3-Dimethylallyldiphosphat (3, s. u.) unter Mitwirkung von Isoprensynthase entsteht. Dieses Enzym ist möglicherweise in Chloroplasten lokalisiert.
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7.1 Isopren als gemeinsamer Molekül-Baustein
7.1.3
335
Verknüpfung zu Molekülketten
Wie bereits ausgeführt, entstehen die Grundkörper der verschiedenen Isoprenoide über eine gemeinsame Reaktionssequenz: Zum einen werden C5-Einheiten schrittweise durch „Kopf-Schwanz-Polymerisation“, zum anderen bereits verbundene C5-Einheiten durch „Dimerisierung“ mittels „Schwanz-SchwanzPolymerisation“ zusammengefügt. Diese biogenetische Stufenfolge, wie sie Abb. 7.2 zeigt, liefert uns die Grundlage für die nachfolgende Besprechung der wichtigsten Gruppen der Isoprenoide. Einleitend formt Isopentenyldiphosphat-∆2,3-Isomerase das IDP zu 3,3-Dimethylallyldiphosphat (3-Methyl-2-butenyl-diphosphat, 3; Prenyldiphosphat nach neuer Nomenklatur) um (s. Abb. 7.3). Diese isomere Verbindung wird neben IPD als Startverbindung benötigt: Nach Abspaltung des Diphosphat-Anions (P2O74 – , PPi) reagiert das entstandene Carbenium-Kation (3-Methyl-2-butenylKation) mit IPD über dessen C,C-Doppelbindung (Abb. 7.3): unter Freisetzung eines Protons entsteht Geranyldiphosphat, der Grundkörper der Monoterpene (S. 337 ff). Die katalysierende Prenyl-Transferase, Geranyldiphosphat-Synthase, ist bisher nur in Plastiden gefunden worden. Dies stützt die These, daß Monoterpene vorwiegend in diesem Kompartiment entstehen.
3,3-Dimethylallyldiphosphat (Prenyldiphosphat) Geranyl–P–P (C10)
+
Monoterpene (C10)
IPD
Isopentenyldiphosphat (IPD)
PPi Sesquiterpene (C15)
Farnesyl– P–P (C15)
Triterpene (C30)
IPD PPi Diterpene (C20)
Geranylgeranyl–P–P (C20)
Tetraterpene (C40)
n IPD n PPi
n IPD n PPi
Polyterpene
Polyprenyl–P–P
Solanesyl–P–P (C45)
Dolichole
Decaprenyl–P–P (C50)
Abb. 7.2 Bildung von Isoprenoiden und Isoprenoid-Derivaten über eine gemeinsame Reaktionssequenz.
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7 Isoprenoide
336
CH3
CH3
1
H2C
O
P
P
2 IPD
O P
H3C
P
3 3,3-Dimethylallyldiphosphat 2
–
O P
CH3
P
+
CH2 H3C CH3
CH3
H3C
O P
–
O P
Beteiligte Enzyme: 햲 Isopentenyldiphosphat∆2,3-Isomerase 햳 GeranyldiphosphatSynthase 햴 GeranylgeranyldiphosphatSynthase
Carbonium-Kation
P 2
Geranyldiphosphat (C10) 3
Abb. 7.3 Biosynthese von Geranylgeranyldiphosphat. Sukzessive Verknüpfung von insgesamt vier C5-IsoprenEinheiten.
CH3
IPD H2C
O P
P
P
(Farnesyldiphosphat, C15) ? 3 –
O P
IPD
P
CH3
CH3
CH3
CH3
O P
H3C
P
Geranylgeranyldiphosphat (C20)
Die Allylstruktur von Geranyldiphosphat macht Kettenverlängerung nach dem oben beschriebenen Modus möglich (Abb. 7.3). Die „Kopf-Schwanz-Addition“ eines IDP ergibt Farnesyldiphosphat (C15), die Vorstufenverbindung der Sesquiterpene (S. 342 f). Dieser Reaktionsschritt fehlt offenbar im Chloroplasten, denn sein Produkt wurde dort noch nicht gefunden. Vermutlich ist die Synthese von Farnesyldiphosphat auf das cytosolische Kompartiment beschränkt. Dimerisierung (s. Abb. 7.2) eröffnet den Weg zu den Triterpenen (S. 347 ff) mit Squalen als Schlüsselverbindung, aus welcher die Sterole (Sterine) hervorgehen. Seine Präsenz im Chloroplasten ist ebenfalls bislang nicht überzeugend nachgewiesen. Verlängerung von Farnesyldiphosphat um eine C5-Einheit ergibt Geranylgeranyldiphosphat (C20, s. Abb. 7.3), die Muttersubstanz der Diterpene (S. 343 ff); zu ihnen gehören u. a. Phytol sowie die Polyprenyl-Seitenketten einiger Chinone. Auch diese Synthese läuft vermutlich nur im cytosolischen Kompartiment ab. Der Chloroplast verfügt offensichtlich über einen eigenen Weg zur Bildung des
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7.2 Monoterpene
337
C20-Grundkörpers, welcher die Bildung von Farnesyldiphosphat „überspringt“; der diesbezügliche Mechanismus ist allerdings noch weitgehend unbekannt. Die zuständige Prenyl-Transferase, Geranylgeranyldiphosphat-Synthase, ist ein Chloroplasten-Enzym von ca. 70 kDa in Dimerform, welches als peripheres Membranprotein vorliegt; dies deutet darauf hin, daß die aus dem C20-Grundkörper entstehenden Folgeprodukte wegen ihrer stark hydrophoben Natur in den Membranen lokalisiert sind. Aus dem Zusammenschluß von zwei Geranylgeranyldiphosphat-Einheiten resultiert der C40-Grundkörper der Tetraterpene, deren wichtigsten Vertreter, die Carotinoide, im Chloroplasten synthetisiert werden (S. 356 ff). Durch sukzessive Anhängung weiterer Isopentenyl-Einheiten (Prenyl-Reste), z. B. an Geranylgeranyldiphosphat, entstehen längere Molekülketten. Vermutlich wird dieser Weg bei der Biosynthese von Polyprenyldiphosphaten wie Solanesyl-(C45) und Decaprenyldiphosphat (C50) beschritten. Beide gehen in die Seitenkette der Polyprenylchinone – Plastochinone und Ubichinone – ein (Biosynthese S. 378 ff). Über eine getrennte Route, dazu auf ein spezielles Kompartiment beschränkt, entstehen lange Ketten aus einigen hundert bis mehreren tausend C5-Einheiten als Grundstrukturen der Polyterpene: Kautschuk, Guttapercha, Chicle (S. 362 ff). Wie elegant und vorteilhaft die Verwendung einer radioaktiv markierten Vorstufe bei der Aufklärung eines komplexen Biosyntheseweges sein kann, haben wir bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion erfahren. Entsprechende „tracer-Experimente“ halfen entscheidend mit, die Entstehung vieler Isoprenoide und anderer sekundärer Pflanzenstoffe zu enträtseln oder die Herkunft ihrer Molekül-Bausteine zu ermitteln. Allerdings ergeben sich oft bei der Wahl der anzubietenden Vor- und Zwischenstufen sowie bei der Interpretation der erhaltenen Markierungsmuster erhebliche Schwierigkeiten. Der Grund: viele Biosynthesewege pflanzlicher Inhaltsstoffe sind – sehr zum Leidwesen der Forscher – keine strikten „Einbahnstraßen“, d. h. die Stoffe entstehen oft auch über Nebenwege. Hierin liegt die Schwierigkeit, die „richtige“ Vorstufe, d. h. die für den Hauptweg spezifische und einzig mögliche, einzusetzen. Das Problem besteht darin, daß pflanzliche Organismen eine als Vorstufe angebotene Verbindung zunächst über einen anderen Stoffwechselweg als den gesuchten „spezifischen“ verarbeiten können und damit quasi über einen Neben- oder Umweg die Radioaktivität in das Endprodukt, z. B. in einen Inhaltsstoff, einbringen. Die zugegebene Verbindung ist in diesem Falle zwar eine verwertbare oder – wenn sie in der Pflanze vorkommt – auch eine natürliche Vorstufe, aber nicht die spezifische oder obligate Vorstufe des uns interessierenden Biosyntheseweges.
7.2
Monoterpene
Diese Verbindungen bilden – oft zusammen mit solchen der Sesqui- und Diterpene – den Hauptanteil in den meisten etherischen Ölen und bedingen durch ihren niedrigen Siedepunkt den flüchtigen Charakter (Name!) dieser Verbindungsgemische (Box 7.2). Sie sind oft mit weiteren Duftträgern vergesellschaf-
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7.2 Monoterpene
337
C20-Grundkörpers, welcher die Bildung von Farnesyldiphosphat „überspringt“; der diesbezügliche Mechanismus ist allerdings noch weitgehend unbekannt. Die zuständige Prenyl-Transferase, Geranylgeranyldiphosphat-Synthase, ist ein Chloroplasten-Enzym von ca. 70 kDa in Dimerform, welches als peripheres Membranprotein vorliegt; dies deutet darauf hin, daß die aus dem C20-Grundkörper entstehenden Folgeprodukte wegen ihrer stark hydrophoben Natur in den Membranen lokalisiert sind. Aus dem Zusammenschluß von zwei Geranylgeranyldiphosphat-Einheiten resultiert der C40-Grundkörper der Tetraterpene, deren wichtigsten Vertreter, die Carotinoide, im Chloroplasten synthetisiert werden (S. 356 ff). Durch sukzessive Anhängung weiterer Isopentenyl-Einheiten (Prenyl-Reste), z. B. an Geranylgeranyldiphosphat, entstehen längere Molekülketten. Vermutlich wird dieser Weg bei der Biosynthese von Polyprenyldiphosphaten wie Solanesyl-(C45) und Decaprenyldiphosphat (C50) beschritten. Beide gehen in die Seitenkette der Polyprenylchinone – Plastochinone und Ubichinone – ein (Biosynthese S. 378 ff). Über eine getrennte Route, dazu auf ein spezielles Kompartiment beschränkt, entstehen lange Ketten aus einigen hundert bis mehreren tausend C5-Einheiten als Grundstrukturen der Polyterpene: Kautschuk, Guttapercha, Chicle (S. 362 ff). Wie elegant und vorteilhaft die Verwendung einer radioaktiv markierten Vorstufe bei der Aufklärung eines komplexen Biosyntheseweges sein kann, haben wir bei der photosynthetischen Kohlendioxid-Reduktion erfahren. Entsprechende „tracer-Experimente“ halfen entscheidend mit, die Entstehung vieler Isoprenoide und anderer sekundärer Pflanzenstoffe zu enträtseln oder die Herkunft ihrer Molekül-Bausteine zu ermitteln. Allerdings ergeben sich oft bei der Wahl der anzubietenden Vor- und Zwischenstufen sowie bei der Interpretation der erhaltenen Markierungsmuster erhebliche Schwierigkeiten. Der Grund: viele Biosynthesewege pflanzlicher Inhaltsstoffe sind – sehr zum Leidwesen der Forscher – keine strikten „Einbahnstraßen“, d. h. die Stoffe entstehen oft auch über Nebenwege. Hierin liegt die Schwierigkeit, die „richtige“ Vorstufe, d. h. die für den Hauptweg spezifische und einzig mögliche, einzusetzen. Das Problem besteht darin, daß pflanzliche Organismen eine als Vorstufe angebotene Verbindung zunächst über einen anderen Stoffwechselweg als den gesuchten „spezifischen“ verarbeiten können und damit quasi über einen Neben- oder Umweg die Radioaktivität in das Endprodukt, z. B. in einen Inhaltsstoff, einbringen. Die zugegebene Verbindung ist in diesem Falle zwar eine verwertbare oder – wenn sie in der Pflanze vorkommt – auch eine natürliche Vorstufe, aber nicht die spezifische oder obligate Vorstufe des uns interessierenden Biosyntheseweges.
7.2
Monoterpene
Diese Verbindungen bilden – oft zusammen mit solchen der Sesqui- und Diterpene – den Hauptanteil in den meisten etherischen Ölen und bedingen durch ihren niedrigen Siedepunkt den flüchtigen Charakter (Name!) dieser Verbindungsgemische (Box 7.2). Sie sind oft mit weiteren Duftträgern vergesellschaf-
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338
7 Isoprenoide
Box 7.2
Etherische Öle
Diese kommen in nennenswerten Mengen bei ungefähr 2000 Pflanzenarten vor, die sich auf ca. 60 Familien verteilen. Von diesen sind vor allem Rutaceae, Lauraceae, Myrtaceae, Umbelliferae (Apiaceae), Labiatae (Lamiaceae), Compositae (Asterales) und Pinaceae reich an etherischen Ölen. Diese flüchtigen Verbindungen entstehen im einfachsten Fall als Abscheidungsprodukte im Cytosol von Gewebezellen, wo sie als meist lipophile Substanzen zu Tröpfchen zusammenfließen oder in Vakuolen, z. B. in den Epidermis- und Mesophyllzellen vieler Blütenblätter sowie in den sog. Ölzellen, gesammelt werden. Bei ausreichend hoher Temperatur treten die etherischen Öle dampfförmig durch Zellwand und Cuticula nach außen (Blütenduft!). Oft sind jedoch spezielle Drüsenzellen ausgebildet, welche die etherischen Öle aktiv entweder in spezielle interzelluläre Ölbehälter abschei-
den oder sie direkt nach außen, d. h. an die Oberfläche der Pflanzenkörper, abgeben. Die Ölbehälter entstehen teils schizogen durch Auseinanderweichen einer Gruppe von Drüsenzellen (Beispiel: Compositae), teils lysigen durch Auflösung von Wandungen und Protoplasten der sekretreichen Zellgruppen (Beispiel: Schalen von Citrusfrüchten!). Im Falle der Oberflächenabscheidung sind die Drüsenzellen als Haare ausgebildet oder in Gruppen zu Drüsenzotten vereint; oft sammelt sich das Sekret zwischen Außenwand und Cuticula der produzierenden Zelle an. Über die möglichen Funktionen der etherischen Öle kann man nur spekulieren (Schutz vor Tierfraß, Insektenanlokkung, Hemmung von Keimung und Wachstum, Inhibitoren für Bakterienund Pilzvermehrung?).
tet: Aldehyde, Alkohole, Ester, Ketone und Lactone. In zahlreichen Früchten bilden Monoterpene die charakteristischen Aromastoffe, z. B. in den Früchten von Papaya (Carica papaya) und von Citrusarten. Der Molekülbau der einzelnen Verbindungen erklärt sich aus der unterschiedlichen Faltung des Geranyldiphosphats. Dementsprechend gibt es offenkettige, monozyklische und bizyklische Monoterpene.
7.2.1
Offenkettige Monoterpene
Zu den acyclischen Monoterpen-Alkoholen gehören cis-Geraniol (4) und transNerol (5) sowie Citronellol (6). Die Aldehyd-Derivate werden von Citronellal (7) und Citral (8) repräsentiert; letzteres ist ein typischer Aromastoff von Gewürzen wie Ingwer, Zimt und Pfeffer sowie von Citrusfrüchten. Auch Ketone – Tageton (9) – und Olefine wie Myrcen (10) und (Z)- bzw. (E)-Ocimen (11), die Aromastoffe von Guave, Mango und Papaya, kommen vor.
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7.2 Monoterpene CH3
CH3
CH3
CH3
CHO
OH OH
OH H3C
CH3
339
H3C
4 cis-Geraniol
CH3
H3C
CH3
5 trans-Nerol
6 Citronellol
CH2
CH2
CH3
H3C
CH3
7 Citronellal
CH3
CHO
H3C
CH3
8 Citral (= Geranial)
7.2.2
O
CH2
H3C
CH3
9 Tageton
CH2 H3C
CH3
10 Myrcen
CH2 H3C
CH3
11 Ocimen
Zyklische Monoterpene
Einzelne Spezies bzw. Hybriden von Minze (Mentha) sind besonders effektive Produzenten von etherischen Ölen, welche eine Anzahl von strukturverwandten zyklischen Monoterpenen enthalten. Wenn wir ihren Aufbau und die dafür zuständigen Biosynthesewege in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen, so hat dies zwei Gründe: 1. die etherischen Öle der Minzen sind von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, weshalb ihre Bestandteile relativ gut erforscht sind, 2. die Charakteristika ihrer zyklischen Monoterpene entsprechen weitgehend denen von entsprechenden Verbindungen anderer Gattungen (Salvia, Foeniculum). Was die Biosynthese der zyklischen Schlüsselverbindungen Limonen (12), αPinen (13) und β-Pinen (14) betrifft, besteht weitgehend Übereinstimmung darin, daß sie von Geranyldiphosphat ausgeht. H3C
CH3
H3C CH3
13 α-Pinen
H3C
CH2
14 β-Pinen
Dieses wird zunächst durch Isomerisierung zu Linalyldiphosphat, dem tertiären Allyldiphosphat, dann durch Ionisierung zur zyklischen Grundstruktur umgeformt. Über die Natur derselben und die daraus hervorgehenden zyklischen Folgeprodukte entscheidet offensichtlich die jeweils katalysierende Cyclase,
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340
7 Isoprenoide
und zwar speziesspezifisch. So ist das entsprechende Enzym bei den Minzen für die Bildung von (–)Limonen verantwortlich und heißt daher Limonen-Synthase: CH3 O P P
CH3 Zyklisierung
Isomerisierung Limonen-Synthase
H3C CH3
Geranyldiphosphat
(+)3S-Linalyldiphosphat
12 (–)Limonen
Mögliche Bildung von Limonen
Limonen fließt als Substrat in mehrere Reaktionswege ein, woraus ein breites Spektrum strukturverwandter Monoterpene von zyklischem Aufbau resultiert. Die in Abb. 7.4 aufgezeigten zwei Routen, ausgehend von (–)Limonen sind typisch für Pfefferminze bzw. Grüne Minze. Welche von jenen eingeschlagen wird, hängt vom Modus der Oxygenierung ab: Einleitende Hydroxylierung am C-3 führt zum (–)trans-Isopiperitenol; sie ist auf Pfefferminze beschränkt und wird von deren Limonen-3-hydroxylase katalysiert. Bei Grüner Minze hingegen wird am C-6 hydroxyliert (Enzym: Limonen-6-hydroxylase); das Reaktionsprodukt ist entsprechend (–)trans-Carveol. Beide Allylalkohole werden von spezifischen Dehydrogenasen zu den zugehörigen α,β-Ketonen (2-En-one) umgewandelt: Isopiperitenon bzw. Carvon; letzteres gilt als „Leit-Monoterpen“ von Grüner Minze und deren verwandten Spezies. Wie Abb. 7.4 ausweist, fallen als wichtige Endprodukte des Hauptweges und der diversen Abzweigungen Piperiton, Menthofuran, Isomenthon und Menthol an. Limonen-Synthase (Geranyldiphosphat: [–]limonen-Cyclase), ein lösliches Protein von ca. 56 kDa, ist aus Drüsenhaaren von Pfefferminze und Grüner Minze isoliert und bis zur Homogenität gereinigt worden. Bei den beiden (–)Limonen-Hydroxylasen handelt es sich um Cytochrom P-450-abhängige Enzyme, welche vermutlich an Membranen des cytosolischen Kompartiments gebunden sind, denn sie lassen sich mit diesen in der sog. Mikrosomen-Fraktion isolieren.
Konjugation. Die bei Minzen anfallenden Monoterpen-Alkohole sind oft labil und bedürfen daher der Stabilisierung durch chemische Modifizierung. Diese besteht teilweise darin, daß eine Zucker-Einheit oder ein Essigsäure-Rest (von Acetyl-CoA) enzymatisch angelagert wird. Die beteiligten, teils hochspezifischen Acetyl- und Glykosyl-Transferasen sind bekannt. Bei zusammengesetzten Monoterpenen ist die Isoprenoidstruktur um eine chemisch andersartige Komponente erweitert. Aus der Kombination von Geranyl-Einheit und einem Phenol resultieren Verbindungen, zu denen auch die Inhaltsstoffe der weiblichen Pflanze des indischen Hanfs (Cannabis sativa ssp. indica) gehören; dem europäischen Hanf (C. sativa non indica) fehlen sie weitgehend. Beim Menschen erzeugen sie, wenn in unterschiedlicher Weise konsumiert, Rauschzustände (Halluzinationen) und evtl. Abhängigkeit (Sucht). Die
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7.2 Monoterpene
[OH] HO
Limonen [OH]
Abb. 7.4 Biosynthese zyklischer Monoterpene. Limonen als Startverbindung für die Biosynthese von zyklischen Monoterpenen.
O
Carvon
trans-Carveol
OH
OH
O
trans-Isopiperitenol
341
Menthol
Piperiton
[H] [H]
[H]
O
O
O
Isopiperitenon
Menthon
Pulegon
O Menthofuran
Cannabinoide als Hauptwirkstoffe bilden nur einen Teil der rund 260 bisher ermittelten Sekundärverbindungen des Hanfs. Sie liegen im abgesonderten Harz drüsiger Trichome der blütenbesetzten Spitzenregion (Haschisch) sowie in getrockneten Teilen der weiblichen Hanfpflanze (Marihuana) vor. Ihre biologische Bedeutung ist in der Fraßabschreckung zu sehen (s. Box 7.1, S. 332). Die Struktur der beiden wichtigsten Vertreter, Cannabinol (15) und Tetrahydrocannabinol (16), läßt erkennen, daß ihr C21-Grundgerüst vor allem im Isoprenoidanteil verändert ist. CH3
CH3
OH
OH
H 3C H 3C
O 15 Cannabinol
CH3
H3 C H3 C
O
CH3
16 Tetrahydrocannabinol
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342
7 Isoprenoide
7.3
Sesquiterpene
Vertreter dieser Verbindungsgruppe finden sich, wie schon erwähnt, in etherischen Ölen. Farnesol (17), meist als trans,trans-Isomer vorkommend, ist eines der wenigen azyklischen Sesquiterpene; dieser Alkohol gehört zu den bestimmenden Bestandteilen der Blütenduftstoffe von Rosen, Akazien und Linden. Zusammen mit seinem Acetyl-Derivat (Farnesylacetat) verleiht Farnesol, im Verbund mit einigen Monoterpenen und Myristicin, den Früchten von VacciniumArten (Heidel- und Preiselbeere) das typische Aroma. (+)Nootkaton (18) und (+)Valencen sind Aromastoffe von Grapefruit bzw. Orangen. β-Selinen und weitere Sesquiterpene haben die gleiche Funktion bei Artischocken. Weit verbreitet sind die Azulene, welche wegen ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften auch medizinisch interessant sind. In der Kamillenblüte kommt das bitter schmeckende Proazulen oder Matrizin vor; bei saurer Extraktion in der Hitze bildet sich daraus das tiefblau gefärbte Chamazulen. CH3 O CH3
CH2
OH H3C
H3C
CH3 17 Farnesol
CH3
CH3
18 (+)-Nootkaton
Charakteristische Aromastoffe von Gewürzen sind Zingiberen (19; im Ingwer: Zingiber officinale) und Caryophyllen (20; Nelken; Pfeffer, Zimt). Letzteres ist ein Derivat des Humulans (C11), welches auch das Grundgerüst von Humulen (21) bildet, des typischen Inhaltsstoffes vom Hopfen. CH3 H3C CH3 H3C
CH3 19 Zingiberen
CH3
H3C H2C
20 Caryophyllen
H3C
CH3
H3C H3C 21 Humulen
Aufgrund seiner Struktur ist das vielfältig wirksame Phytohormon (1 S)-Abscisinsäure als Sesquiterpen ausgewiesen. Seine Biosynthese geht allerdings nicht vom Farnesyldiphosphat, sondern nach neueren Informationen von einem Tetraterpen, vermutlich der Carotinoidverbindung Violaxanthin, aus (s. S. 306 f). Der Name dieses Phytohormons geht auf die zuerst beobachtete Wirkung zurück, nämlich den Blattabwurf (Abscission!) durch die Präsenz von relativ geringen Mengen auszulösen. Die ältere Bezeichnung „Dormin“ spielt auf die Fähigkeit zur Induktion von Ruheperioden bei Knospen und Samen an. Abscisinsäure wirkt teilweise als Antagonist anderer Phytohormone; so hemmt sie die durch Gibberelline geförderte
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7.4 Diterpene
343
Synthese von α-Amylase in Gerstenkörnern oder das durch Auxin induzierte Koleoptilwachstum bei Avena.
Ein Vertreter der trizyklischen Sesquiterpene ist das Cedrol. Auch Phytoalexine (Box 7.3) finden sich unter den Sesquiterpenen. So bilden Spezies von Solanum und Nicotiana Rishitin bzw. Capsidiol und Debneyol. Bei der Biosynthese liefert die Zyklisierung von Farnesyldiphosphat zunächst eine größere Anzahl unterschiedlicher Grundkörper, welche die Basis für ein breites Spektrum von Sesquiterpen-Verbindungen legt. Doch im Gegensatz zur Zyklisierung bei den Monoterpenen ist hier die Wirkungsweise der beteiligten Zyklasen noch unklar; offensichtlich entstehen bei den von ihnen katalysierten Umsetzungen recht unterschiedliche Zyklisierungsprodukte; damit fehlt die für Monoterpene charakteristische Einheitlichkeit in der Struktur derselben. Möglicherweise ist für jeden Syntheseweg eine individuelle Cyclase verantwortlich. Box 7.3
Phytoalexine
Diese vom Abwehrsystem höherer Pflanzen produzierten Substanzen agieren wie Antibiotika: sie unterbinden das Wachstum von Mikroorganismen, allerdings in recht unspezifischer Weise. Wie ihr Name verrät – „phyton“ Pflanze, „alexein“ abwehren – entstehen sie in der Regel, wenn pathogene Mikroorganismen in pflanzliches Gewebe eindringen und die hypersensitive Reaktion einsetzt. Ausgelöst wird die Synthese von Phytoalexinen durch Elicitoren, Oligosaccharid-Verbindungen
7.4
aus dem Zellwandabbau, welche in der Frühphase einer Infektion entstehen; aber auch Streßfaktoren wie Strahlung, Hitze und Verwundung können induzierend wirken. Die bisher ca. 200 bekannten Phytoalexine sind chemisch uneinheitlich, denn sie entstammen sehr unterschiedlichen Stoffklassen: Terpenen (s. o.), Isoflavonoiden (S. 385), Polyacetylenen, Dihydrophenanthrenen; zahlreiche Pflanzenarten synthetisieren sie bei Bedarf.
Diterpene
Aus Geranylgeranyldiphosphat (s. Abb. 7.3, S. 336), der gemeinsamen C20-Synthesevorstufe, entsteht durch Dephosphorylierung der Alkohol Geranylgeraniol. Dieser bildet bei einigen Vertretern von Bakteriochlorophyll a die charakteristische Seitenkette und ersetzt damit das Phytol. Geranylgeranyldiphosphat, ein wichtiges Produkt der plastidären Isoprenoid-Synthese, ist nicht nur die Ausgangsverbindung für die Seitenkette von Chlorophyllen, sondern auch für die von Polyprenylchinonen (S. 378 ff). Andere Diterpene entstehen offenbar im extraplastidären Kompartiment und sind demgemäß als Sekundärverbindungen einzustufen.
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344
7 Isoprenoide
Zu den Diterpenen gehören auch die Gibberelline (GA; engl. gibberellic acids), welche offensichtlich bei höheren Pflanzen weitverbreitet sind. Einige fungieren als Phytohormone mit wichtigen Kontrollfunktionen bei Wachstum und Entwicklung (Box 7.4). Sie finden sich vor allem in der Gruppe der C19-GA (s. u.), z. B. GA1 oder Gibberellinsäure A1, welche bei Mais und Erbse die höchste biologische Aktivität erreicht. GA1 kann im Experiment gut durch die synthetisch hergestellte Verbindung GA3 ersetzt werden; sie ist inzwischen auch als native GA erkannt worden. Box 7.4
Gibberelline
Gibberelline bilden eine Gruppe strukturell sehr ähnlicher Verbindungen; die erste wurde 1926 im Kulturfiltrat des phytopathogenen Ascomyceten Gibberella fujikuroi (heute: Fusarium heterosporum oder moniliforme) durch Kurosawa entdeckt; zahlreiche weitere (s. u.) sind heute bekannt, darunter typische Hormone höherer Pflanzen mit sehr ähnlichen physiologischen Wirkungen: 1. Förderung von Streckungswachstum 2. Auslösung und Steigerung von Zellteilungen in bestimmten Geweben
3. Zusammenwirken mit Indolylessigsäure bei Differenzierungsprozessen am Kambium 4. Blühauslösung bei manchen Langtagpflanzen unter Kurztagbedingungen usw. Die auslösende Wirkung von Gibberellinen auf die Neubildung von α-Amylase in Gerstenkörnern ist schon erwähnt worden (S. 241 f); diese Enzyminduktion dient neben der Förderung des Längenwachstums bei Zwergmutanten (z. B. vom Mais) als Biotest für Gibberelline.
Bisher ist die Struktur von rund 80 GA-Verbindungen aufgeklärt worden. Die dabei zutage getretene Vielfalt im Aufbau beruht auf zahlreichen Modifizierungen des zyklischen Grundkörper ent-Gibberellan (22). H3C 11 H 7
CH3
H H3C CH CH3 3 22 ent-Gibberellan
Viele GA sind vermutlich nur Zwischenverbindungen der diversen Synthesewege; dies würde ihre fehlende biologische Aktivität erklären. Zahlreiche Spezies höherer Pflanzen verfügen über eine mehr oder weniger umfangreiche Garnitur an GA, deren Zusammensetzung sich entwicklungsbedingt verändern kann. Infolge Bindung an Zucker liegen einige Vertreter in vivo als Glykoside oder Glykosylester vor. Ob es sich dabei um inaktive Speicherformen handelt, ist unbekannt.
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7.4 Diterpene
345
Den relativen Reichtum an GA in Samen und Früchten hat man sich zunutze gemacht, um die Biosynthese von GA aufzuklären. So ist der Kürbis, inklusive seiner Samen, zum bevorzugten Versuchsobjekt avanciert. Für die Biosynthese von GA, welche vor allem in Samen und Früchten, in Meristemen sowie in jungen Blättern abläuft, kann eine einigermaßen verläßliche Reaktionssequenz präsentiert werden (Abb. 7.5). Sie basiert auf Ergebnissen,
CH3
H3C
O P P H3C
O P P
CH3 Copalyldiphosphat
Geranylgeranyldiphosphat
1
H3C
H3C
CH2
CH2
2 H 3C
CH2 OH
H 3C
CH3 ent-Kauren
ent-Kaurenol 2
H3C
ent-Kaurenal 2
7
[OH]
[H]
H H3C
COOH
CH2
COOH H3C COOH Gibberellinsäure A12 (GA12)
ent-Kaurensäure
H 3C
H
CH2
H3C 7
OH
7-α-Hydroxykaurensäure
H
[–C1]
CH2
CHO H3C COOH Gibberellin A12 -Aldehyd
Abb. 7.5 Biosynthese von Gibberellinsäure A12 (GA12). Ausgehend von Geranylgeranyldiphosphat, über Gibberellin-A12-Aldehyd. Beteiligte Enzyme: 햲 Kauren-Synthase 햳 Kauren-Oxygenase
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346
7 Isoprenoide
welche entweder durch Studien an Mutantenpflanzen (Mais, Erbse, Tomate, Reis) – einzelne Teilschritte sind blockiert – oder durch Isolierung und Charakterisierung der beteiligten Enzyme erhalten wurden. Aus der Startverbindung Geranylgeranyldiphosphat entsteht unter Mitwirkung von Kauren-Synthase vermutlich zunächst das bizyklische Copalyldiphosphat, dann ent-Kauren. Seine anschließende Umwandlung zur 7-α-Hydroxykaurensäure über ent-Kaurenol, ent-Kaurenal und ent-Kaurensäure wird von KaurenOxygenase katalysiert. Bei diesem Enzym handelt es sich um eine Cytochrom P450-abhängige Monooxygenase (s. S. 340); ihre Bindung an Membranen des Endoplasmatischen Reticulums läßt vermuten, daß auch die katalysierten Reaktionsschritte dort ablaufen, d. h. im cytosolischen Kompartiment. „Ausgliederung“ eines C-Atoms vom mittleren Ring der 7-α-Hydroxykaurensäure liefert das erste Derivat von ent-Gibberellan: GA12-Aldehyd. Diesem kommt eine Schlüsselrolle bei der Bildung weiterer GA-Verbindungen zu. Den Anfang macht GA12, der erste „Diacid“-Vertreter: die Aldehydgruppe (C-7) ist zur Carboxy-Gruppe oxidiert worden (s. Abb. 7.5). Chemische Modifizierung setzt am C-20 an: mehrere Oxidationsschritte haben schließlich die Eliminierung dieses C-Atoms und die Errichtung eines Lactonringes zur Folge: GA1 als Repräsentant der GA-Gruppe mit einem C19-Grundgerüst steht am Ende der Reaktionsfolge (23). O
OH
O
CH2
HO CH3
COOH
23 Gibberellinsäure A1 (GA1)
Parallel dazu hat Oxidation an Position 3β stattgefunden. Wenn alternativ C-20 als Carboxy-Gruppe erhalten bleibt, entstehen die „Triacid“-Verbindungen, welche der GA-Gruppe mit einem C20-Grundgerüst zuzurechnen sind. Zuständig für die Oxidationen an den Positionen 20 und β3 sind lösliche, 2Oxoglutarat-abhängige Dioxygenasen, multifunktionelle Enzyme aus der Gruppe der Nicht-Häm-Eisenproteine (S. 140 f). Jedes katalysiert alle drei Umsetzungen der beschriebenen Reaktionssequenz, mit einer individuellen GA-Verbindung als Endprodukt. Mit einem zellfreien System aus unreifen Kürbis-Samen konnte nicht nur GA12Aldehyd synthetisiert, sondern dieser auch in diverse GA-Verbindungen überführt werden (Graebe u. Mitarb.). Gibberellin-20-Oxidase (Gibberellin-2-Oxoglutarat:oxygen Oxidoreduktase; 20-hydroxylierend) ist aus Kürbis-Samen isoliert und gereinigt worden. Seine molekulare Masse wurde mit 43,3 kDa bestimmt. Mit dem Casben (24) lernen wir ein Phytoalexin mit Diterpenstruktur kennen. Seine Bildung aus Geranylgeranyldiphosphat setzt ein, wenn Ricinus-Keimlinge vom Pilz Rhizopus stolonifer infiziert werden.
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7.5 Triterpene
347
H3C CH3 CH3
CH3 H3C 24 Casben
7.5
Triterpene
Die Triterpene, welche über eine Seitenlinie des in Abb. 7.2 (S. 335) skizzierten biosynthetischen Hauptweges entstehen, umfassen mehrere Substanzgruppen mit zahlreichen biologisch wichtigen Vertretern. Einige sind bei Pflanzen und Tieren biologisch aktiv. Die pflanzlichen Verbindungen gehören verschiedenen Gruppen an: Sterole (Sterine), Saponine, Herzglykoside, Steroidalkaloide; in dieser Reihenfolge werden sie vorgestellt.
7.5.1
Bildung von Squalen als Schlüsselverbindung
Von zentraler Bedeutung für die Biosynthese von zyklischen Triterpenen ist das Squalen (6). Diese Verbindung entsteht aus der „Schwanz-an-Schwanz“Vereinigung (Abb. 7.6, s. S. 348) zweier bereits vorgebildeter C15-Einheiten des Farnesyldiphosphats. Sie liefert zunächst Präsqualendiphosphat, welches dann zum Squalen umgeformt wird; NADPH + H+ liefert dazu ein Hydrid-Ion (H – ). Diesen Syntheseweg findet man gleichermaßen bei Pflanzen und Tieren, wie Einbauversuche mit radioaktiv markiertem (14C) Mevalonat (S. 333) und Geraniol (4) bestätigt haben. Auch konnten die einzelnen Reaktionsschritte sowie die gesamte Synthesesequenz von Mevalonat zu Squalen in zellfreien Systemen (z. B. aus Erbsenkeimlingen, Karotten- und Tomatengewebe sowie aus Zellkulturen von Nicotiana) nachvollzogen werden. Da diese „Dimerisierung“ reduktiv erfolgt, entsteht eine verknüpfende C,C-Einfachbindung; sie verleiht dem Squalen und seinen Derivaten eine gewisse Flexibilität in der Struktur, welche ihre Umformung zu zyklischen Grundkörpern begünstigt. Welcher von diesen realisiert wird, bestimmt offenbar das jeweils wirksame Enzym. Als Ergebnis fallen hauptsächlich zwei verschiedene Grundkörper an: der erste hat eine pentazyklische Struktur – Steran – der zweite eine tetrazyklische, welche mit einer Seitenkette versehen ist. Als „Muster“-Verbindung für die echten Triterpene – mit dem voll zyklisierten Grundkörper – gilt βAmyrin, für die pflanzlichen Sterole und ihre Derivate – mit dem partiell zyklisierten Grundkörper – das Cycloartenol (s. Abb. 7.7). Im Wirbeltier-Organismus wird diese Verbindung von Lanosterin vertreten.
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7 Isoprenoide
348 CH3
CH3
H3C
CH3
13
12
Farnesyldiphosphat
P + P P O CH2 15
CH2 O P
14
15
CH3
CH3
CH3 CH3
Farnesyldiphosphat 1
CH3
CH3
PPi 13'
CH3
13
H3C
15' 14'
14
CH3
CH3
CH2 O P
15
CH3 CH3
12'
P
Präsqualendiphosphat
NADPH + H+ 2
NADP+ CH3
CH3
CH3
15 15'
PPi CH3
CH3
CH3 CH3
H3C Squalen
Abb. 7.6 Biosynthese der Schlüsselverbindung Squalen. Aus Farnesyldiphosphat, katalysiert durch Squalen-Synthase: 햲 und 햳.
7.5.2
Phytosterole
Die eigentliche Zyklisierung beginnt damit, daß Squalen durch Squalen-Monooxidase mittels molekularem Sauerstoff zu 2,3-Oxidosqualen (Squalen-2,3epoxigenase) umgewandelt wird (Abb. 7.7). Der dabei in Position 2 gelangende Sauerstoff geht später in die typische Hydroxy-Gruppe ein, welche als „Markenzeichen“ der Sterole (Sterine) gilt und der Verbindungsgruppe den Namen gegeben hat („Sterole“ ist die bessere Bezeichnung, da sie auf diese HydroxyGruppe abhebt). Vermutlich öffnet sich der entstandene Epoxidring durch Aufnahme eines Protons, wodurch der Zyklisierungsprozeß in Gang gesetzt wird. In dessen Verlauf wechseln Wasserstoff und auch Methyl-Gruppen ihre Positionen. Die anfallenden Zwischenverbindungen bleiben vermutlich am Enzymprotein gebunden. Cycloartenol ist das Endprodukt bei höheren Pflanzen. Das zuständige Enzym, Cycloartenol-Cyclase, ein membrangebundenes Protein von etwa 55 kDa, katalysiert auch die nachfolgenden Umwandlungen. Die Errichtung der pentazyklischen Struktur des β-Amyrins besorgt eine eigene Cyclase (s. Abb. 7.7), ein Protein von etwa 35 kDa, welches in der Mikrosomenfraktion pflanzlicher Zellen aktiv ist.
β-Amyrin (β-Amyrenol) ist zusammen mit α-Amyrin (Viminalol) Bestandteil des Milchsaftes von Euphorbia pulcherrima (Weihnachtsstern) sowie der Blätter von Ilex aquifolium (Stechpalme) und Vaccinium-Arten. Beide Verbindungen sind stark lipophil.
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7.5 Triterpene H3C H3C
15
CH3
15'
CH3
H3C
H2O
CH3 CH3 H3C
349
CH3
1 O
CH3
O2 Squalen
CH3 CH3
2,3-Oxidosqualen
2
3 4
H3C H3C
C A HO H3C
B
H3C R4 H3C H3C E
CH3
D
CH3
H3C
R2
A
CH3
CH3 Cycloartenol
HO
1
R
C CH3 D B
CH3
CH3 Amyrin
α-Amyrin : R1, R3 =
CH3, R2, R 4 = H
β-Amyrin : R1, R3, R4 =
Abb. 7.7
R3
CH3, R2 = H
Zyklisierung von Squalen und Bildung typischer pflanzlicher Sterole.
Beteiligte Enzyme: 햲 Squalen-Monooxygenase 햳 Squalen-2,3-oxid: cycloartenol-Cyclase
햴 Squalen-2,3-oxid: α-amyrin-Cyclase 햵 Squalen-2,3-oxid: β-amyrin-Cyclase
Aus Cycloartenol entstehen bei höheren Pflanzen typische Phytosterole. Zusammen mit anderen Lipiden bauen sie Biomembranen auf, wo sie als Glykoside oder Acyl-Derivate vorliegen. Cholesterol (25) gilt zwar als der Prototyp tierischer Sterole – Zoosterole –, kommt aber zusammen mit einigen Derivaten auch in Pflanzen vor. Ihnen und dem Cholesterol fehlen zwei Attribute, welche für Phytosterole typisch sind und die Struktur der Seitenkette betreffen: C-24 trägt eine C1- oder C2-Seitenkette und C-22 ist meist mit einer Doppelbindung bestückt. Folgerichtig finden sich diese Merkmale in den Strukturen von Stigmasterol (26) und β-Sitosterol (27). Beide Substanzen kommen im Sojaöl vor; als Rohstoffe für die chemische Partialsynthese von Steroiden sind sie von gewisser wirtschaftlicher Bedeutung. Eine dem Cholesterol sehr ähnliche Struktur besitzt das Ecdyson (28), Häutungshormon der Insekten, dessen Synthese im Tier von der Zufuhr vorgefertigter Steroidstrukturen über die aufgenommene pflanzliche Nahrung abhängt. Tatsächlich finden sich viele dem Ecdyson strukturverwandte Verbindungen, z. B. Ecdysteron (29), im Pflanzenreich.
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350
7 Isoprenoide C2 H5 H3C H3C
H3C H3C
CH3 CH3
H3C
CH3
24
CH3
H3C
HO
HO 25 Cholesterol (-in)
26 Stigmasterol (-in) C2 H5 H3C H3C
CH3
24
CH3
H3C
HO 27 β-Sitosterol (-in) OH H3C H3C HO
H3C
H
H3C H3C
H3C OH HO
H HO
CH3
O
28 Ecdyson (α-)
OH
H3C H
OH HO
OH
H
CH3 H3C OH
OH
O
29 Ecdysteron (β-Ecdyson)
Biosynthese. Die Umwandlung von Cyloartenol zu Phytosterolen erfordert die Abspaltung von drei Methyl-Gruppen; außerdem muß der Cyclopropanring geöffnet sowie Alkyl-Reste an- oder umgelagert werden. Wie sich gezeigt hat, trifft es zuerst die α-Methyl-Gruppe am C-4. Mit ihrer Eliminierung wird die Ringöffnung möglich. Nun folgen die Methyl-Gruppen an C-14 und C-4 (= β). Bisher sind zwei mitwirkende 4-Methyloxidasen entdeckt worden; es handelt sich um Cytochrom P-450-abhängige, membrangebundene Multi-EnzymKomplexe. Die oben erwähnten typischen Seitenketten am C-24 werden unter Verwendung von Methyl-Gruppen etabliert. Eine C-24-Methyltransferase überträgt sie von S-Adenosylmethionin, dem spezifischen Donator (s. S. 417 f). Bei Stigmasterol (26) und β-Sitosterol (27) sind zwei solche Übertragungen erforderlich, um die C2-Kette zu kreieren.
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7.5 Triterpene
7.5.3
351
Saponine
Der Name dieser Glykoside von wasserunlöslichen Sterolen zeigt an, daß viele dieser Verbindungen im wäßrigen Milieu seifenartigen Schaum produzieren können (sapo, lat. Seife). Saure oder enzymatische Hydrolyse spaltet sie zu Zukkern und Sapogenin, dem Aglykon. Dieses Genin ist entweder ein Triterpen oder ein Steroid, d. h. ein Sterolderivat; daher unterscheidet man Triterpen- und Steroid-Saponine. Zuckerketten können an eine Hydroxy-Gruppe (meist an C-3) des Aglykon, an zwei desselben oder an eine Hydroxy-Gruppe und eine CarboxyGruppe (meist an C-17) glykosidisch bzw. als Säureester gebunden sein. Außer D-Glucose, D-Xylose, D-Ribose und L-Arabinose kommen auch einige seltenere Zucker vor: L-Rhamnose (S. 246), D-Fucose (S. 248) und Chinovose (S. 323). Sie alle bilden Oligosaccharide unterschiedlicher Sequenz und Länge. Im einfachsten Falle ist nur eine Zucker-Einheit am Genin gebunden. Auch gibt es Saponine mit zusätzlichen Säure-Resten am Zuckeranteil, gebunden als Ester.
Triterpen-Saponine. Zu dieser Gruppe gehört die Mehrzahl der pflanzlichen Saponine (ca. 120 Verbindungen); sie kommen überwiegend bei Dikotylen vor. Ihre Aglykone weisen in den meisten Fällen ein pentazyklisches Molekülskelett, seltener ein tetrazyklisches auf. Durch Anlagerung einer Carboxy-Gruppe an das Aglykon, an den Zuckeranteil (Uronsäure-Bildung!) oder an beide Strukturkomponenten entstehen saure Saponine. Häufig vorkommende Aglykone (Sapogenine) vom Triterpen-Typ sind die Ursolsäure (30) und die Oleanolsäure. CH3 H3C H3C HO
CH3
H
COO–
CH3
H H3C CH3 30 Ursolsäure
Gelegentlich wird auch β-Amyrin (S. 348 f) den Triterpenen zugerechnet, weil diese Verbindung als Aglykon von Glykosiden bei Arten höherer Pflanzen gefunden wurde.
Steroid-Saponine. Die Verbindungen dieser Gruppe sind eine Domäne der Monokotylen. Besonders reich an Saponinen sind die Gattungen Dioscorea, Smilax, Agave, Yucca. Die Struktur ihrer Aglykone leitet sich ausschließlich vom Sterangerüst (S. 347) ab und umfaßt 27 C-Atome. Entweder geht die am C-17 ansetzende Seitenkette voll in den Ringstrukturen E und F (Lacton! S. 31) auf (Spirostanol-Typ) oder nur teilweise, nämlich mit der Bildung von Ring E (FurostanolTyp); im letzten Falle trägt C-26 eine Hydroxy-Gruppe, welche mit D-Glucose unter Errichtung einer Glykosidbindung reagiert.
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352
7 Isoprenoide
Steroid-Saponine, vorwiegend vom Spirostanol-Typ, waren von wirtschaftlicher Bedeutung, nachdem man gelernt hatte, durch einfache Verfahren die Seitenketten dieser Verbindungen bzw. ihrer Aglykone zu eliminieren und sie damit für die Partialsynthese von Steroiden (männliche und weibliche Sexualhormone, Corticoide) zu nutzen. Von diesen Verbindungen war vor allem das Diosgenin (31), das Aglykon des Dioscins (aus mexikanischen Dioscorea-Arten), das als Ausgangsverbindung für die Herstellung von Ovulationshemmern („Antibaby-Pille“) begehrt. Diese Verbindung kann bis zu 18% des Knollengewichtes bei D. tokoro ausmachen. 24
H3C 20 H3C 22 F 17 O E O D C
H3C A
CH3
27 26
16
B
H
HO 31 Diosgenin
Dioscorea-Arten bilden eine Reihe von Saponinen mit verschiedenen Aglykonen wie Diosgenin (31), Yonogenin oder Tokorogenin. Sie werden auch von Dioscorea-Zellkulturen synthetisiert. Als weiteres Beispiel für Steroid-Saponine sei das in Samen von Digitalis vorkommende Digitonin (32) vorgestellt, welches aus dem Aglykon Digitogenin und einem Pentasaccharid besteht; über seine Verwendung als Detergenz bei der Isolierung von Thylakoidmembranen und deren Bestandteile ist schon gesprochen worden. Saponine bilden Schäume, wirken als Emulgatoren oder sie zeigen ausgesprochene Netz- oder Dispergierwirkung. Entsprechend werden sie in der Pharmaund Lebensmittelindustrie sowie in der Kosmetik eingesetzt. CH3
H3C H3C HO
O
H3C
O
H Xyl
Gal
Gal
Glc
Glc
O
H Digitogenin
Pentasaccharid 32 Digitonin
7.5.4
Herzglykoside
Einen sehr ähnlichen Aufbau wie die Steroid-Saponine haben die Herzglykoside, mit denen sie oft gemeinsam bei zahlreichen Pflanzenarten (aus ca. 15 Familien) vorkommen. Der Name dieser meist wasserlöslichen Verbindungen weist darauf hin, daß viele dieser Drogengruppe – insbesondere aus den Gattungen Digitalis und Strophanthus – die Dynamik und Rhythmik des insuffizienten, d. h.
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7.5 Triterpene
353
unzureichend arbeitenden, Herzmuskels beeinflussen und daher häufig therapeutisch verwendet werden (Cardiotonica). An wichtigen herzwirksamen Verbindungen bilden Digitalis-Arten Digitoxin, Digoxin sowie deren Acetylverbindungen, dazu die Lanatoside (A – E); bei Strophanthus sind es Strophanthin und Cymarin; Convallaria liefert Convallatoxin; in der Meerzwiebel (Urginea maritima) entstehen ca. 15 herzwirksame Glykoside, von denen vor allem Scillaren A und Priscillaridin A therapeutisch wichtig sind. Eranthis hyemalis (Winterling) steuert Eranthin A und B bei. Vom Aufbau her sind die Verbindungen Steroidglykoside. Aufgrund der etwas unterschiedlichen Struktur der Aglykone unterscheidet man zwei Gruppen: Die Cardenolide mit 23 C-Atomen und einem 5 gliedrigen, einfach ungesättigten Lactonring am C-17 und die Bufadienolide (Name nach dem Vorkommen gleichartiger Verbindungen in Sekreten der Kröte = bufo) mit 24 C-Atomen und einem doppeltungesättigten, 6 gliedrigen Lactonring am C-17. Die Strukturformeln von Strophanthidin (40; s. u.), des Aglykons im k-Strophanthin, und von Scillaren (41; s. u.) veranschaulichen den Unterschied. Erst die Präsenz eines dieser Lactonringe macht ein Glykosid zur herzwirksamen Substanz; außerdem gehört eine Zuckerbindung über die Hydroxy-Gruppe des C-3 dazu; allerdings ist die Herzwirksamkeit einer Verbindung nicht immer davon abhängig. Als Zuckerkomponenten treffen wir neben D-Glucose, D-Fucose (26, s. S. 248) und L-Rhamnose (S. 246; vgl. S. 351) noch einige nur für Herzglykoside spezifische Vertreter an: D-Digitoxose (33), D-Cymarose (34), D-Digitalose (35), L-Oleandrose (36). Ähnlich wie bei den Saponinen können mehrere Zucker-Reste im Molekül (bis zu fünf) vorliegen, wobei eine solche lineare Oligosaccharidkette aus C5- und C6-Zuckern bestehen kann; eine Hexose – meist Glucose – bildet das Ende. CH3
CH3 O
HO
O OH
HO OH 33 D-Digitoxose
OH
CH3 O OCH3
HO OH
HO OCH3 34 D-Cymarose
OH 35 D-Digitalose
O CH3
OH
OCH3 36 L-Oleandrose
Die meisten herzwirksamen Vertreter stellen die Cardenolide; sie kommen gehäuft und gemeinsam in etwa 15 Pflanzenfamilien vor, nämlich bei Arten der Apocynaceae, Asclepiadaceae, Liliaceae, Ranunculaceae und Scrophulariaceae. Auffällig ist, daß durch unterschiedliche Glykosidierung am gleichen Aglykon das Spektrum der Herzglykoside vom Cardenolid-Typ erheblich erweitert ist. Die Aglykone der Digitalis-Vertreter tragen stets eine Methyl-Gruppe am C-10, wie die Formeln von Digitoxigenin (37), Digoxgenin (38) und Gitoxigenin (39) zeigen (vgl. a. Scillaren [41]). Bei den entsprechenden Verbindungen von Strophanthus tritt an ihre Stelle eine Formyl- (–CHO: Strophanthidin; 40) oder eine Hydroxymethylgruppe (–CH2–OH).
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354
7 Isoprenoide O
O HO
H3C 17
H3C 10
HO
10
OH HO
H 37 Digitoxigenin
O
CH3
H3C 17
H3C
H H
O O
O
H
17
H3C
H
10
OH HO
H 38 Digoxigenin
H H
OH OH
H 39 Gitoxigenin O
O O H
O C 10
HO
O
H3C
H3C
H H
H3C OH
H H
OH
O
OH
L-Rha
40 Strophanthidin
β-Glc
41 Scillaren
Als Vorstufe bei der Biosynthese von Cardenoliden und Bufadienoliden dient Pregnenolon (42; 3β-Hydroxy-5-pregnen-20-on). Dieses entsteht aus Cycloartenol über die Zwischenverbindung Cholesterol (25), wobei ein „Seitenkettenabspaltendes Enzym“ aktiv sein soll. H3C H3C 20 H 3C
O
H H
H
HO 42 Pregnenolon
7.5.5
Steroidalkaloide
Über diese Verbindungen wird die Brücke zu einer anderen wichtigen und umfangreichen Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen, den Alkaloiden (Kap. 12) geschlagen. Diesen könnten die Steroidalkaloide aufgrund ihres chemischen Aufbaus, insbesondere wegen der Beteiligung von Stickstoff am Molekülaufbau, zugerechnet werden. Doch die Art ihrer Biosynthese weist sie eindeutig als Isoprenoide aus. Ihr Kohlenstoffgerüst wird ausschließlich aus C5-Einheiten zusammengefügt, geht also nicht von einer Aminosäure aus.
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7.5 Triterpene
355
Die meisten Steroid-Alkaloide liegen als Glykoside vor (Glykoalkaloide). Im Gegensatz zu den Herzglykosiden lassen sich ihre Aglykone jedoch nicht auf eine gemeinsame Grundstruktur zurückführen. Die Einteilung in zwei Gruppen beruht auf den unterschiedlichen Grundkörpern, welche den Aufbau der meisten pflanzlichen Steroidalkaloide bestimmen: Sterol- oder 5α-Pregnan-Struktur. Solche Produkte der Solanaceae und Liliaceae gehören zur ersten Gruppe (C27), da sie vom Cholesterol (25) ausgehen. Der Stickstoff kann auf zweierlei Weise eingefügt sein: die erste Variante – Spirosolan – findet sich beim Tomatidin (43), welches frei oder als Glykosid – Tomatin (mit Lycotetrasaccharid) – in der Tomate sowie in einigen Spezies der Solanaceae vorkommt. Die Sterolstruktur ist auch typisch für das C-22/C-25-Isomer Soladulcidin, das Aglykon von Soladulcin. In der adulten Pflanze reichert sich Tomatin in den Blättern an und bildet so einen wirksamen Schutz gegen Insektenfraß und Pilzbefall. H3C H3C ON H
H3C
CH3
H3C
CH3
N
H3C
CH3
HO
HO 43 Tomatidin
44 Solanidin
Als Musterverbindung für die zweite Variante – Solanidan – gilt Solanidin (44), welches sich mit dem Trisaccharid Solatriose (2α-L-Rhamnosido-3β-D-Glucosido-D-Galaktose) zum Solanin verbindet. Dieses steht ebenfalls im Dienste der chemischen Abwehr von Herbivoren, ist aber gegen den Kartoffelkäfer relativ machtlos. In die zweite Gruppe von Steroidalkaloiden mit dem Grundkörper Pregnan gehören vor allem die von Apocynaceae gebildeten Vertreter, insbesondere solche der Gattung Holarrhena, welche auch als Holarrhena- oder C21-Alkaloide bezeichnet werden. Hier ist die Hydroxy-Gruppe am C-3 durch eine Amino-Gruppe ersetzt, welche zusätzlich substituiert sein kann; infolgedessen kann hier nicht mehr glykosidiert werden. C-Atome der Seitenkette sind zusammen mit Stickstoff am Aufbau des Pyrrolinringes beteiligt, wie die Struktur von Conessin und Holarrhenin (45) verrät. CH3 HO
N
CH3
H3C H3C
N CH3 45 Holarrhenin
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356
7 Isoprenoide
7.6
Tetraterpene
Zu den biologisch wichtigen Verbindungen dieser Synthesestufe der Isoprenoide gehören die Carotinoide. Als zweite Gruppe kommen die zahlenmäßig weniger ins Gewicht fallenden Carotinoidsäuren hinzu. Eigenschaften und Struktur der Carotinoide sind bereits ausführlich behandelt worden (S. 86 ff). Sie sind typische und weitverbreitete Bestandteile tierischer und pflanzlicher Organismen, können aber nur von den letzteren sowie von Pilzen und Bakterien synthetisiert werden.
7.6.1
Errichtung der C40-Grundstruktur
Das aus 40 C-Atomen bestehende Molekülgerüst der Carotinoide entsteht durch Verknüpfung von zwei C20-Bausteinen über einen alternativen Mechanismus der Kettenverlängerung: 1 씮 2,3 („Dimerisierung“); dabei wird eine neue zentrale C,C-Doppelbindung errichtet. Diese Reaktion wird von PhytoenSynthase katalysiert, einem Chloroplastenenzym, welches vermutlich mit den Membranen der Hülle und der Thylakoide assoziiert ist. Über die Zwischenverbindung Präphytoendiphosphat (46) und ein hypothetisches Kation stabilisiert sich die Struktur von 15-cis-Phytoen (47) als dominierendem Isomer. Von dieser Verbindung leiten sich offensichtlich alle desaturierten und oxygenierten Carotinoide ab. Bei der in Abb. 7.8 formulierten Reaktionsfolge sind einige Details noch nicht ausreichend abgesichert.
7.6.2
Bildung von Carotinen
Die allgemeine Reaktionsfolge für die Umformung von 15-cis-Phytoen in ein typisches Carotin, das Lycopin (51), ist durch Analyse der Pigmentverteilung in Mutanten der Tomate wie auch bei der Grünalge Chlorella ermittelt worden. Insgesamt erfolgen vier Oxidations-(Dehydrogenierungs-)Schritte, welche nacheinander und alternierend rechts und links von der zentralen C,C-Doppelbindung ansetzen (Abb. 7.9); Sauerstoff fungiert als terminaler Elektronenakzeptor. Auf diese Weise wird stufenweise der ungesättigte Charakter des Moleküls verstärkt, denn die Anzahl der C,C-Doppelbindungen erhöht sich auf 13, von denen 11 zum konjugierten System beitragen (s. u.). Das Produkt des ersten Dehydrogenierungsschrittes, 15-cis-Phytofluen (48), erfährt vermutlich eine Umformung zum all-trans-Phytofluen, dem Substrat der nächsten Dehydrogenierung. Diese liefert ζ-(zeta-)Carotin (49), ebenfalls mit all-trans-Geometrie; sie wird auch bei den beiden nachfolgenden Reaktionsprodukten, Neurosporin (50) und Lycopin (51) beibehalten. Mit der schrittweisen Vergrößerung des konjugierten Systems (s. o.) ist eine typische Färbung der einzelnen Zwischenverbindungen und des Endproduktes verbunden: Während Phytoen noch farblos ist, zeigen Neurosporin (entdeckt
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7.6 Tetraterpene CH3
CH3
CH3 O
CH3
P
P
+
H3C P
O
P
CH3 CH3
CH3
11 Geranylgeranyldiphosphat
357
CH3
CH3
11 Geranylgeranyldiphosphat
PPi O P
CH3
P
H3C
46 Präphytoendiphosphat
PPi CH3 +
H3C
15 15'
CH3
CH3 CH3
H3C H3C
CH3
H3C H3C
CH3 47 15-cis-Phytoen
Abb. 7.8 Entstehung der C40-Grundstruktur. Zwei Moleküle Tetraprenyldiphosphat reagieren unter Bildung einer zu-
CH3
sätzlichen C,C-Doppelbindung (15 – 15'; die Numerierung der C-Atome der Kette erfolgt von 1 – 15 bzw. 1' – 15').
bei einer Neurospora-Mutante und danach benannt) und ζ-Carotin eine schwachgelbe Färbung. Lycopin als Endstufe ist hingegen intensiv gelbrot. In reifenden Früchten (Tomate, Paprika) werden die Dehydrogenierungsschritte vom Phytoen zum ζ-Carotin von einem einzigen – bifunktionellen – Enzym, der Phytoen-Desaturase, katalysiert. Sein Protein enthält FAD, welches über ein hochkonserviertes Bindungsmotiv am Amino-Terminus der Aminosäuresequenz gebunden ist. Immunhistochemische Studien an Tabak-Chloroplasten
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7 Isoprenoide
358
47 15-cis-Phytoen 2 [H] 15
H3C
15'
CH3
H3C
CH3
H3C
CH3
48 15-cis-Phytofluen
H3C
Isomerisierung
CH3 2 [H] CH3
H3C all-trans-Phytofluen H3C
CH3
CH3
H3C
CH3
H3C CH3
CH3
CH3
CH3
49 all-trans-ξ-Carotin 2 [H]
H3C
CH3
CH3 7
2
H3C
CH3
H3C
8 4
CH3
CH3
CH3
CH3
Abb. 7.9
CH3
H3C H3C
CH3
CH3
50 Neurosporin 2 [H]
H3C
CH3
CH3
CH3
CH3
51 Lycopin
Umwandlung von Phytoen in Lycopin.
haben die Präsenz von Phytoen-Desaturase in diesen Organellen bestätigt: Der größte Teil der spezifischen Markierung – an den spezifischen Antikörper gebundene kolloidale Goldpartikel – war mit Thylakoidmembranen assoziiert (79%), ein kleiner Anteil mit dem Stroma (16%) und ein minimaler mit der Hülle (5%). Für die abschließende Dehydrogenierung von ζ-Carotin zu Lycopin ist die ζ-Carotin-Desaturase zuständig.
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7.6 Tetraterpene
359
Zyklisierung von Kettenenden Für einige Carotinoide ist eine begrenzte Zyklisierung am Kettenende typisch. Obwohl die Umwandlung der azyklischen Endgruppe, der ψ-Gruppe, eines Carotins in einen β- oder ε-Ring, weitgehend geklärt werden konnte (Abb. 7.10), ist noch immer unklar, auf welcher Stufe dieser Vorgang bei höheren Pflanzen stattfindet. Hierfür kommt nach den bisher vorliegenden Versuchsergebnissen in erster Linie das Lycopin (51) als Ausgangsverbindung in Betracht: Über γ-Carotin ergibt die Zyklisierung β-Carotin, über δ-Carotin hingegen α-Carotin. Diese Schritte konnten mit Hilfe von radioaktiv markiertem Lycopin und Enzympräparaten aus Chloro- und Chromoplasten nachvollzogen werden. Neurosporin (50) besitzt als zweites azyklisches Carotin der höheren Pflanzen die notwendige strukturelle Voraussetzung für eine Zyklisierung: eine 7,8-C,C-Doppelbindung. Inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, weiß man noch nicht.
7.6.3
Bildung von Xanthophyllen
Die schon früher geäußerte Vermutung, wonach Xanthophylle (sauerstoffhaltige Carotinoide) aus Carotinen entstehen, ist inzwischen an mikrobiellen Systemen bestätigt worden, jedoch dürfte diese Umwandlung auch in höheren Pflan-
CH3
CH3 CH3
H3C 51 L ycopin
CH3
β-Zyklisierung H3C
CH3 ε-Zyklisierung
H3C
CH3
CH3
CH3 CH3
CH3
CH3
CH3
γ -Carotin
δ -Carotin
β-Zyklisierung
H3C
β-Zyklisierung H3C
CH3
CH3
H3C H3C
β-Carotin
Abb. 7.10
CH3
CH3
CH3
CH3
CH3
H3C
H3C CH3 α-Carotin
CH3
Mögliche Wege der Zyklisierung am Kettenende von Carotinen.
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360
7 Isoprenoide
H3C H3C
CH3 H3C
HO
OH
CH3
CH3
O2, dunkel N2, Licht
H3C H3C
HO
52 Zeaxanthin
OH
CH3 O CH3
H3C
53 Antheraxanthin H3C
HO
O2, dunkel
CH3 N2, Licht CH3
H3C O
O CH3
H3C
OH
CH3
54 Violaxanthin
Abb. 7.11
Epoxid-Zyklus vom Xanthophyllen.
zen stattfinden. Die Sauerstoff-Funktionen der Xanthophylle haben ihren Ursprung im molekularen Sauerstoff, wie Versuche mit dem stabilen Isotop 18O belegen. Durch die Mitwirkung von Enzymen ist offenbar die „richtige“ stereospezifische Anlagerung der sauerstoffhaltigen Gruppierungen gewährleistet. Die 3-Hydroxy-5,6-epoxi-β-Endgruppe von Violaxanthin (54) und Antheraxanthin (53) soll eine wichtige Rolle bei der Bildung typischer Xanthophylle in Früchten spielen, z. B. von Capsanthin und Capsorubin (bei Capsicum annuum, Paprika) oder von Eschscholtzxanthin. Auch eine Umlagerung einzelner Xanthophylle in Abhängigkeit von der Belichtung und der Versorgung mit molekularem Sauerstoff ist beschrieben worden; in Spinatblättern und Zellen von Euglena gracilis wurde dieses Phänomen – Epoxid-Zyklus – beobachtet. Wie Abb. 7.11 zeigt, entstehen auf diese Weise aus Zeaxanthin (52) die Verbindungen Antheraxanthin (53) bzw. Violaxanthin (54). Die aufgezeigten Reaktionsschritte sind reversibel in Gegenwart von molekularem Stickstoff und bei Belichtung. Auf die Entstehung von Sekundärcarotinoiden, die als Folge von Mangelzuständen bei Algen auftreten, ist bei der Besprechung des Stickstoff-Metabolismus eingegangen worden.
Biosynthese von Abscisinsäure. Nach neueren Erkenntnissen bildet ein Xanthophyll, vermutlich Violaxanthin (54), die Ausgangsverbindung für die Biosynthese von (+)1 S-Abscisinsäure (ABA; 56), dessen Bedeutung als Phytohormon schon gewürdigt worden ist (S. 342 f). Einleitend wird die Carotinoidstruktur durch Lipoxygenase oxidativ gespalten, so daß 2 Moleküle Xanthoxin (55) und eine Dialdehyd-Verbindung entstehen (s. Reaktionsschema). Während letztere zur 2,7-Dimethyl-2,4-octadiensäure umgewandelt werden soll, liefert Xanthoxin über Zwischenschritte ABA, ein Vorgang, welcher zuerst in einem zellfreien Extrakt aus Phaseolus vulgaris verifiziert werden konnte.
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7.6 Tetraterpene H3C
CH3
CH3
361
CH3
O HO Xanthophyll: Violaxanthin (54) O2
H3C
Lipoxygenase
CH3
CH3 O
2x
CHO
HO 55 Xanthoxin
H3C
CH3
CH3 OH
O
COO–
56 (+)1S-Abscisinsäure Vermutete Biosynthese von Abscisinsäure (ABA)
7.6.5
Carotinoidsäuren
Beim oxidativen Abbau von Carotinoiden besteht zunächst die Möglichkeit, daß die Molekülkette nur von einem Ende her verkürzt wird. Auf diese Weise entsteht vermutlich die Abscisinsäure (s. o.). Kettenabbau von beiden Seiten führt zu den Carotinoidsäuren, zu denen das Bixin (57) und das Crocetin (58) gehören. Letzteres ist das Aglykon des gelben Farbstoffes Crocin (z. B. in den Narben von Crocus sativus, Safran), bei dem die beiden Carboxy-Gruppen mit Gentiobiose, einem Disaccharid aus 1씮6 verknüpften Glucose-Resten, verestert sind. HOOC O
CH3
CH 3
H3C 57 Bixin CH3
CH3
CH3
CH3 COOH
HOOC CH3
CH3
58 Crocetin
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362
7 Isoprenoide
7.7
Polyterpene
Diese makromolekularen Verbindungen stehen am Ende der Synthesefolge für Isoprenoide (s. Abb. 7.2, S. 335). Von ihnen hat Naturgummi oder Kautschuk (59) große wirtschaftliche Bedeutung, was für Chicle und Guttapercha (60) wohl nicht mehr zutrifft. Ein Drittel der Weltproduktion von Gummi entfällt auf den Naturkautschuk, der Rest wird synthetisch hergestellt. H 3C
H 3C
H3C
H3C
H 3C
59 Kautschuk (Molekül-Ausschnitt) H 3C
CH2 C
H 3C
CH2 C
CH H 3C
H 3C
CH
H 3C CH
C
CH2
2
CH2
CH2
C
CH
CH2OH
CH2
> 5000
Alternativ-Struktur
CH3
CH3
CH3
CH3
CH3
CH3
60 Guttpercha (Molekül-Ausschnitt)
7.7.1
Kautschuk
Etwa 2000 Arten höherer Pflanzen enthalten Kautschuk in ihrem Milchsaft. Der Gehalt, bezogen auf die Trockenmasse, schwankt zwischen maximal 20% und minimal 1%. Nur etwa 500 Spezies, vor allem aus den Familien der Moraceae, Euphorbiaceae, Apocynaceae, Asclepiadaceae und Compositae, bilden die eigentlichen gummiführenden Pflanzen. So gehört der Kautschukbaum, Hevea brasiliensis, zu den Euphorbiaceae. Das Kompartiment für Bildung und Anreicherung von Kautschuk sind die Milchröhren, ein vernetztes Gefäßsystem mit zahlreichen Zellkernen im Phloem bzw. Bast von Hevea. Ihr Inhalt – Latex – besteht aus einer milchigen, kolloidalen Masse, welche relativ reich an Proteinen ist und den Kautschuk in Form winziger Partikel enthält. Wird das System der Milchröhren geschädigt, wie beim gezielten Anschneiden des Stammes zwecks Gewinnung, so tritt Latex aufgrund des starken inneren Turgordrucks aus. Dieser Ausfluß versiegt nach einiger Zeit, weil das System „leergelaufen“ ist; die Austrittsstellen werden dann von Latex wirksam versiegelt. Dabei übernimmt Hevein, ein Lektin-ähnliches Protein, eine Schlüsselfunktion.
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7.7 Polyterpene
363
Das abgeschiedene Latex enthält eine größere Anzahl intakter Organellen und aktiver Enzyme; dies waren günstige Voraussetzungen für die Aufklärung der Biosynthese des Kautschuks anhand von Latex-Präparationen. Einzigartig für Hevea ist die schnelle Regeneration von ausgeflossenem Latex. Sie wird dadurch möglich, daß genügend Enzyme und Zellorganellen (Ribosomen, Mitochondrien, Zellkerne) im Röhrensystem verbleiben. Entsprechend intensiv verlaufen die diversen Erneuerungsprozesse. Gleichzeitig steigt die Aktivität bzw. Transkription von solchen Genen an, welche die beteiligten Enzyme bzw. Proteine spezifizieren. Diese differentielle Gen-Expression (S. 458) ist auf den Bereich der Milchröhre beschränkt, was die strikte räumliche Trennung der Latexbildung von anderen Geweben unterstreicht. Bei Parthenium argentatum (Guayule; Asteraceae), einem Strauch in den Halbwüsten der USA und von Mexiko, wird Kautschuk abweichend von den anderen gummiführenden Pflanzen in Parenchymgeweben produziert. Der Molekülaufbau von Kautschuk (59) verrät, daß es sich um ein Polyisoprenoid (Polyterpen) aus 5 000 – 10 000 Isopren-Einheiten in unverzweigter Kette handelt. Vermutlich sind im kompletten Molekül die ersten drei Bausteine trans-, alle übrigen cis-verknüpft (s. Alternativ-Struktur). Kautschuk ist bei normaler Temperatur amorph; bei niedriger kristallisiert er. Mit steigender Erwärmung tendieren die Moleküle zu einer Ausdehnung, vor allem in Richtung ihrer Längsachse. Jene wird mit absinkender Temperatur rückläufig: Die Moleküle kehren in ihren ursprünglichen, ungestreckten Zustand zurück. Hierin liegt die Elastizität von Gummi begründet. Warum verwenden Pflanzen soviel Energie und Substrat, um Latex zu produzieren? Hierauf gibt es noch keine schlüssige Antwort. Manche Forscher sehen darin einen Schutzmechanismus gegen infizierende Mikroorganismen, weil erhebliche Mengen an abwehrtypischen Enzymen – Chitinase, Lysozym – sowie an pathogen-relevanten Proteinen (PR-Proteine) produziert werden. Hinzu kommen solche, welche möglicherweise mit der Bildung von Phytoalexinen befaßt sind.
Die Biosynthese von Kautschuk findet vermutlich an der Oberfläche von rundlichen oder birnenförmigen Partikeln ( 5 nm – 5 µm), den sog. Kautschuk-Körpern, statt. Das als Substrat benötigte Isopentenyldiphosphat (IPD) kommt aus dem Cytoplasma der Milchröhre, wo es aus Acetyl-CoA synthetisiert wird (S. 333 f). Eine spezifische Prenyl-Transferase katalysiert die schrittweise Addition von IPD-Einheiten an schon vorhandene isoprenoide Kettenstücke. Sie arbeitet eng mit einem „Verlängerungsfaktor“ (REF, rubber elongation factor) zusammen, einem Polypeptid von 14 kDa, welches vermutlich zum KautschukKörper gehört. Seine Bildung soll an freien Polysomen (S. 497) im Latex erfolgen. Bei der De-novo-Synthese der als Starter-Einheiten benötigten Kettenstücke (s. o.) muß zuerst 3,3-Dimethylallyldiphosphat (3-Methyl-2-butenyl-diphosphat) als zweites Substrat produziert werden (vgl. S. 335 f). Hierfür steht eine Isopentenyldiphosphat-∆2,3-Isomerase im Cytoplasma von Milchröhren zur Verfügung.
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364
7 Isoprenoide
7.7.2
Guttapercha
Dieses Produkt wird durch Eintrocknen von Milchsaft, vor allem von Palaquium balata (Sapotaceae), gewonnen und wurde früher als Isoliermaterial verwendet. Die Moleküle sind mit maximal 2000 Isopren-Einheiten kleiner als die des Kautschuks und liegen außerdem in der all-trans-Form vor (60, S. 362). Die Sporopollenine, spezifische Wandstoffe von Pilzsporen und Pollenkörnern, zeigen einen sehr ähnlichen chemischen Aufbau wie Guttapercha.
7.7.3
Chicle
Dieses kautschukartige Polyterpen wird aus dem eingedickten Milchsaft des Sapotillbaumes (Achras sapota; Mittelamerika) gewonnen. Es lieferte früher den Grundstoff für die Kaugummiherstellung; heute sind an die Stelle von „Chiclegummi“ synthetische Verbindungen wie Polyvinylester, Polyethen u. ä. getreten.
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365
8
Phenole
Verbindungen dieser zweiten großen Gruppe sekundärer Pflanzenstoffe erkennt man leicht daran, daß eine oder mehrere Hydroxy-Gruppen oder daraus entstandene Derivate an eine aromatische Ringstruktur geknüpft sind. Oft liegen die Phenole in Glykosiden gebunden vor, besonders dann, wenn sie in der Zellvakuole gelöst sind. Um einen Überblick zu gewinnen, betrachten wir zuerst die wichtigsten Grundkörper (Tab. 8.1, S. 366) mit ihren Ausgangssubstraten, von denen sich zahlreiche, in Struktur und Eigenschaften oft sehr unterschiedliche Verbindungen ableiten. Da diese aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff konstruiert sind, lassen sie sich auf dieser Basis problemlos an die zuvor behandelten Kohlenhydrate und Isoprenoide anschließen. Unter dem Blickwinkel der Biosynthese ergibt sich interessanterweise eine wichtige Gemeinsamkeit mit den aromatischen Aminosäuren, welche eindeutig Produkte des Primärstoffwechsels sind. Diese und die Schlüsselverbindung Zimtsäure entstehen über die gleiche Reaktionssequenz des Shikimat-Weges (s. u.). Die Verzahnung von primärem und sekundärem Stoffwechsel an dieser Stelle ist evident (s. Box 7.1, S. 332); wir kennen sie schon von den Isoprenoiden. Auch einige andere phenolische Verbindungen haben wichtige Funktionen im Primärstoffwechsel und sind für den Lebenszyklus einer Pflanze essentiell: Zusammengesetzte Chinone (S. 378 ff) und Lignine (S. 373 ff). Phenolische Verbindungen werden wegen ihrer Wirkung als Antioxidanzien verschiedenen Lebensmitteln in kleinen Mengen zugesetzt, um sie vor dem Ranzigwerden zu schützen. Sie beseitigen Sauerstoff- und andere Radikale schnell und effektiv, unterbinden damit störende und auch gefährliche Reaktionen derselben. Auch sollen pflanzliche Phenole, aufgenommen mit Gemüse und Obst, der menschlichen Gesundheit zuträglich sein, indem sie in ähnlicher Weise wie bei den oben erwähnten ungesättigten Fetten in Lebensmitteln die Oxidation bestimmter Lipoproteide verhindern und damit u. a. der Auslösung von Arteriosklerose entgegenwirken. In dieser Hinsicht wird Quercetin (S. 383), welches zu den pflanzlichen Gerbstoffen u. a. des Rotweins gehört, als besonders wirkungsvoll eingeschätzt. Möglicherweise beeinflussen pflanzliche Phenole auch Krebserkrankungen insofern, als sie die Bildung tumorauslösender Agenzien unterdrücken und das Wachstum der ersten entarteten Zellen blockieren.
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366
8 Phenole
Tab. 8.1
Grundstrukturen von Phenolen und Stilbenen
Allgemeine Formel
Bezeichnung
Kohlenstoff-Gerüst
HO
R
einfache Phenole; Erweiterung durch Prenyl-Einheiten: Prenylchinone, Anthrachinone
C6C2 C6C1 oder C6
COOH
Phenolcarbonsäuren (4-Hydroxy-Benzoesäuren)
C6C1
Zimtsäuren (3-Phenylacrylsäuren)
C6C3
Flavonoide
C6C3C6
Stilbene
C6C2C6
R1 HO R2 R1 R2
COOH R3 O
B
A
8.1
Errichtung der Grundstrukturen
Für die Bildung der aromatischen Systeme von Phenolen stehen den Organismen verschiedene Reaktionswege zur Verfügung. Wir wollen uns nur mit den für höhere Pflanzen typischen befassen, welche laut Übersichtsschema die Zimtsäure und das Flavangerüst liefern.
8.1.1
Shikimat-Weg
Zimtsäure entsteht über den Shikimat-Weg (Abb. 8.1), benannt nach der typischen Zwischenverbindung (Salz der Shikimisäure*), welche gleichzeitig für die Synthese der aromatischen Aminosäuren zuständig ist; von diesen dient Phenylalanin als direkte Vorstufe der Zimtsäure. Ausgehend von Phosphoenolpyruvat (2) und Erythrose-4-Phosphat (1) (zur möglichen Herkunft beider Bausteine s. S. 369 f) entsteht über einen C7-Körper (Aldolkondensation! S. 166) das 3-Dehydrochinat (4) bzw. Chinat (5), beides Derivate des Cylohexans. Bei dem C7-Körper handelt es sich um 3-Deoxy-D-arabino-heptulosonat (3; DAHP), in *
Benannt nach Shikimi-no-ki, dem japanischen Sternanisbaum (Illicium anisatum), aus dem die Verbindung erstmals isoliert wurde.
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8.1 Errichtung der Grundstrukturen
COO– 2 Phosphoenolpyruvat (PEP)
P O C
CH2 + H
COO– C CH2 O H HO C H H H2C C C O OH OH
1 O
C
HO
Pi
H C OH
COO–
367
–
HO
COO
2 3
Pi
O
OH
HO
OH
OH
OH
P
H C OH
4 3-Dehydrochinat
3 3-Deoxy-D-arabinoheptulosonat-7phosphat (DAHP)
H2C O P
1 Erythrose4-phosphat
3
5 Chinat
H2 O
NADPH + H+ –
COO 3
P
HO –
COO
5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat
COO
4
O C OH
–
NADP+
5
CH2
5
O
–
COO
PEP
ATP ADP
OH
O
OH
OH
OH
7 Shikimat
6 3-Dehydroshikimat
COO– [-NH2] Pi O –
OOC
CH2 C
–
COO
CH2 6
O C
COO–
8
COO– 8 Chorismat OH
NH2 Pyruvat
9 Anthranilat
OH 10 Prephenat [-NH2] 7
+
NH3 –
OOC
CH2 C
COO–
H
OH 11 Arogenat
Abb. 8.1 Shikimat-Weg. Beteiligte Enzyme: 햲 Aldolase 햵 Shikimat-Dehydrogenase 햳 Dehydrochinat-Synthase 햶 Shikimat-Kinase + Enolpyruvyl햴 Dehydrochinat-Dehydratase shikimatphosphat-Synthase
햷 Chorismat-Mutase 햸 Aminotransferase
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8 Phenole
368
dessen Struktur der nachfolgende Ringschluß vorgegeben ist. Chinat, aus Dehydrochinat durch Reduktion entstehend, kommt als Inhaltsstoff bei zahlreichen Pflanzenarten vor. Wasserabspaltung von 3-Dehydrochinat ergibt 3-Dehydroshikimat (6), welches mittels NADP-H + H+ zum Shikimat (7) reduziert wird. Beide Schritte werden vom gleichen – bifunktionellen – Enzym katalysiert: Dehydrochinat-Dehydratase/Shikimat-Dehydrogenase. Durch Phosphorylierung und Reaktion mit Phosphoenolpyruvat an Position 5 entsteht daraus zunächst ein reaktionsfähiger Enolether, das Chorismat (8). Auf dieser Stufe werden die Weichen für verschiedene Reaktionswege gestellt. Einer führt zum Anthranilat (9), Vorstufe der aromatischen Aminosäure Tryptophan (S. 411 f) bzw. Indolylessigsäure (IES). Der zweite produziert über Prephenat (10) die Schlüsselverbindung Arogenat (11; Salz der Arogensäure), Vorstufe von L-Phenylalanin (12) und L-Tyrosin (13) (s. Reaktionsschema). Bei nachfolgender Umsetzung können daraus Zimtsäure (14) bzw. 4-Cumarsäure (15) entstehen (s. Reaktionsschema). +
NH3 CH2 C COO–
[–NH2], 2 [H]
CH
CH
COO–
H H2O +
NH3 –
OOC
PAL 12 L-Phenylalanin
14 Zimtsäure
NADPH + H+ O2
CH2 C COO– H
OH
CO2
Zimtsäure4-hydroxylase NH3 CH2 C COO–
11 Arogenat
H2O NADP+
+
2 [H]
[–NH2], 2 [H]
CH
CH
COO–
H CO2
TAL OH 13 L-Tyrosin
4
OH 15 4-(p)-Cumarsäure
Zahlreiche experimentelle Daten haben die Vermutung bestätigt, daß bei höheren Pflanzen der komplette Syntheseweg für Shikimat im Chloroplasten abläuft, d. h. alle beteiligten Enzyme wurden aktiv im Stroma gefunden. Allerdings gibt es Hinweise, daß im Cytoplasma pflanzlicher Zellen ein zweiter Syntheseweg für Shikimat installiert ist; auch hier sollen alle notwendigen Enzyme als Isoformen der plastidären vorhanden sein. In Zellen nichtgrüner Gewebe bildet der Leukoplast das zweite eigenständige Kompartiment mit Shikimat-Weg. Anthranilat und Arogenat versetzen den Chloroplasten in die Lage, nicht nur die aromatischen Aminosäuren, sondern auch die phenolischen Molekül-Bausteine von Polyprenylchinonen in eigener Regie herzustellen; letztere können deshalb im Chloroplasten gefertigt werden (S. 378 ff). Wir erinnern uns: auch die Polyprenyl-Einheit als zweite Strukturkomponente entsteht im Plastiden! (S. 337 ff).
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8.1 Errichtung der Grundstrukturen
369
Die Ausgangsverbindungen liefert die photosynthetische Kohlendioxidfixierung: Erythrose-4-phosphat als Zwischenverbindung bei der Regeneration von Ribulose-1,5-bisphosphat, Phosphoenolpyruvat als Umwandlungsprodukt von 3-Phospho-D-glycerat über eine plastidenspezifische Reaktionssequenz (S. 305 f). Die oxidative Deaminierung von Phenylalanin (12) zu Zimtsäure (14) und von Tyrosin (13) zu p-Cumarsäure (15; s. o.) wird durch spezifische Enzyme katalysiert: Phenylalanin-Ammoniumlyase (PAL) und Tyrosin-Ammoniumlyase. Erstere fungiert als Schlüsselenzym an der Abzweigung, wo sich die Phenol-Synthesewege von denen der Aminosäuren bzw. Proteine trennen. Die Aktivität als auch die Synthese von Phenylalanin-Ammoniumlyase unterliegen daher einer vielfältigen Kontrolle durch sehr unterschiedliche Faktoren: Licht (UV/Blau), Elicitoren, Ethylen; sie setzen auf so unterschiedlichen Ebenen wie Transkription, mRNA-Stabilität und katalytische Aktivität an. Die von Tyrosin-Ammoniumlyase geförderte Umsetzung scheint vorwiegend bei Gramineae abzulaufen. Alternativ entsteht p-Cumarsäure über die Hydroxylierung von Zimtsäure durch eine an das Endoplasmatische Reticulum gebundene Zimtsäure-4-Hydroxylase, eine mit Cyrochrom P-450 arbeitende Monooxygenase, die oft auch mit Phenylalanin-Ammoniumlyase assoziiert ist (Mikrokompartimentierung!).
8.1.2
Acetat-Malonat-Weg
Aromatische Ringsysteme werden auch über mehrfache Kondensation von Acetat-Einheiten hergestellt. Dieser ursprünglich hypothetische Weg („AcetatHypothese“) hat sich zunächst bei Mikroorganismen als richtig erwiesen; er ist die Basis für ein breites Spektrum von aromatischen Verbindungen. Die Bezeichnung Acetat-Malonat-Weg zeigt an, daß nach Art der Fettsäure-Biosynthese Malonyl-CoA über Decarboxylierung die C2-Einheiten zur Verlängerung einer Acyl-CoA-Verbindung liefert, und zwar in drei aufeinanderfolgenden Schritten. Die entstehende Polyoxocarbonsäure (Polyketid) zyklisiert zum aromatischen Ring mit Seitenkette. Nach diesem Reaktionsprinzip wird der aromatische Ring A des Flavangerüstes erstellt (Einzelheiten S. 382 ff), welcher dann mit Hilfe von Zimtsäure-Derivaten um einen heterozyklischen Mittelring sowie einen zweiten aromatischen Ring (B) erweitert wird. Damit treffen sich die beiden für Phenole zuständigen Biosynthesewege – ein wichtiger Knotenpunkt im metabolischen Netzwerk dieser vielfältigen Inhaltsstoffe höherer Pflanzen.
8.1.3
Acetat-Mevalonat-Weg
Diese Route als dritte Möglichkeit zur Bildung aromatischer Systeme wird nur in Ausnahmefällen von höheren Pflanzen bemüht; er ist eine Domäne von Mikroorganismen.
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370
8 Phenole
8.2
Phenolcarbonsäuren
Von der Grundsubstanz Zimtsäure (14) leiten sich zahlreiche Derivate ab, welche durch Substitutionen am aromatischen Ring entstehen und salopp als „Zimtsäuren“, korrekt aber als 3-Phenylpropensäure-Abkömmlinge oder Phenolcarbonsäuren bezeichnet werden. Sie dienen als Startverbindungen für diverse Synthesewege, darunter die von Cumarinen, Lignanen, Ligninen, Flavonoiden und Stilbenen. Diese laufen in verschiedenen Kompartimenten pflanzlicher Zellen ab. Phenolcarbonsäuren sind oft an Zucker gebunden und liegen somit als wasserlösliche Glykoside bzw. Ester in den Zellen vor. Glucose-Derivate finden sich oft in Früchten, z. B. von Vaccinium-Arten, als phenolische Inhaltsstoffe.
8.2.1
Hydroxy-substituierte Derivate
Aus der Modifizierung von Zimtsäure durch Hydroxylierung, teilweise in Verbindung mit Methylierung der eingebrachten Hydroxy-Gruppe, gehen Verbindungen hervor, welche u. a. als Molekül-Bausteine von Ligninen Verwendung finden (S. 374 f). 4-Cumarsäure kennen wir schon als Produkt des Shikimat-Weges (15). Mit dieser Hydroxyzimtsäure startet eine Folge von Substitutionen, welche über Hydroxylierungen und Methylhydroxylierungen folgende Verbindungen liefert (Abb. 8.2): Kaffeesäure (16), Ferulasäure (17), Hydroxyferulasäure (18), und Sinapinsäure (19). HO HO
O C
C
COO–
C
1
O
3
HO Kaffeesäure- (16)
HO OH
Chinasäure-Rest (5)
20 Chlorogensäure
Ester von Hydroxyzimtsäuren sind keine Seltenheit im Pflanzenreich. Häufig ist der Zucker glykosidisch gebunden. In der Chlorogensäure (20; 5 – O-Caffeoylchinat), dem typischen Inhaltsstoff von Asteraceae, Solanaceae und Rubiaceae, speziell von Aubergine und Artischocke, sind Kaffesäure und Chinasäure verknüpft; die zugrundeliegende Esterbindung wird von Hydroxycinnamoyl-CoA: Chinat-hydroxycinnamoyl-Transferase errichtet. Artischocken enthalten auch das bitter schmeckende Cynarin, 1,3-Dicaffeoylchinasäure, welches bei richtiger Dosierung die Gallensekretion beim Menschen anregt; deshalb enthalten Medikamente gegen Leber- und Gallenleiden bisweilen Artischockenextrakte. Rosmarinsäure (21), der Ester aus Kaffeesäure und 3,4-Dihydroxyphenylmilchsäure hat das Interesse der Pharmazeuten wegen ihrer entzündungshemmen-
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8.2 Phenolcarbonsäuren
COO–
COO–
COO– [–OH]
[–OH] 4
1
COO– [–CH3]
2
5
OH 15 4-Cumarsäure
14 trans-Zimtsäure
371
3
OH
OCH3
OH 16 Kaffeesäure
OH 17 Ferulasäure [–OH]
4 COO–
COO– [–CH3]
H3CO
OCH3 OH
19 Sinapinsäure
Abb. 8.2
5
HO
OCH3
OH 18 Hydroxyferulasäure
Entstehung von Zimtsäure-Derivaten.
Beteiligte Enzyme: 햲 + 햳 Hydroxylase 햴 Catechol-O-Methyltransferase
햵 Ferulat-5-Hydroxylase 햶 Catechol-5-Methyltransferase
den Wirkung gefunden. Diese bei den Laminaceae und Boraginaceae dominierende Sekundärverbindung wird auch von Zellkulturen (Anchusa officinalis) mit guter Ausbeute produziert. COO –
O HO
C
O
C H
CH2
OH
HO 21 Rosmarinsäure
8.2.2
OH
Cumarine
Mit dem Geruch von Cumarin, der Ausgangs- oder „Mutter“-Verbindung, sind die meisten von uns – bewußt oder unbewußt – vertraut, ist er doch charakteristisch für Waldmeister (Asperula odorata) oder Steinklee (Melilotus alba), wo er bei Gewebeverletzung oder Trocknung frei wird. Hierbei wird das Cumarin aus seiner gebundenen Form, nämlich aus cis-Cumarsäure-β-glykosid (22), von ei-
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372
8 Phenole
[–OH] 1
COO–
O Glc
COO–
14 trans-Zimtsäure
COO–
25 trans-2-Cumarsäure
OH
O
O
[–Glc]
OH
trans -2-Cumarsäure-β-glykosid
[–Glc] COO–
O Glc COO–
2 23 cis-Cumarsäure
24 Cumarin
Abb. 8.3
22 cis -Cumarsäure-β-glykosid
Biosynthese von Cumarin.
Beteiligte Enzyme: 햲 Hydroxylase 햳 β-Glykosidase
ner spezifischen Glykosidase freigesetzt. Diese ist normalerweise von ihrem Substrat durch Kompartimentierung getrennt. Wird letztere jedoch durch äußere Einwirkung zerstört, kommt es zum Kontakt: cis-Cumarsäure (23; 4-Hydroxy-[Z]-Zimtsäure) wird frei und lagert sich spontan zur Lacton-Struktur des Cumarins (24) um. Die Biosynthese startet mit trans-Zimtsäure (Abb. 8.3), welche durch Zimtsäure-Hydroxylase zur trans-2-Cumarsäure (25) umgewandelt wird. Nach Veresterung mit β-Glucose lagert sich das entstandene Glucosid in einer durch Licht geförderten Reaktion zur cis-Form um: „gebundenes“ Cumarin – cis-Cumarsäure-β-glykosid (22) – ist das Produkt. Die mögliche Spaltung zum freien Cumarin (24) kennen wir schon (s. o.). Weitere Mitglieder der Cumarin-„Familie“ sind Umbelliferon (7-Hydroxycumarin; 26) und Äsculetin (27), das Aglykon des Äsculins. HO
O
O
HO
O
O
HO 26 Umbelliferon
8.2.3
27 Äsculetin
Capsaicinoide
Zu den Derivaten von Zimtsäure zählen auch Substanzen, welche als „Scharfstoffe“ bestimmter Paprika-Sorten wie Spanischer Pfeffer (Capsicum annuum) oder Chillie-Pfeffer (C. frutescens) geschätzt werden. Insbesondere Capsaicin (28) schmeckt scharf bis brennend. Diese Inhaltsstoffe akkumulieren in den Früchten während der Reifung.
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8.2 Phenolcarbonsäuren
CH2
O H N C
373
CH3 (CH2)4
CH
CH CH CH3
OCH3 OH
8.2.4
28 Capsaicin
Lignine
Lignine oder Holzstoffe führen durch Einlagerung vor allem in sekundäre Zellwände zur Verholzung und verleihen eine hohe Zug- und Druckfestigkeit auf Kosten ihrer ursprünglichen Elastizität. Demgemäß finden wir Zellen des Festigungsgewebes und der Wasserleitbahnen bevorzugt mit einer Lignin-Inkrustierung ihrer Wände ausgestattet. Vermutlich erfüllen Lignine auch eine Funktion im Abwehrsystem gegen Pathogene. Ihr Anteil an der Holztrockenmasse beträgt bei Dikotylen 15 – 36%, bei Monokotylen zwischen 1,2% (Gräser) und 26% (verholzter Bambus). Chemisch gesehen sind Lignine amorphe Mischpolymerisate aus den drei Grundbausteinen p-Cumarylalkohol (4-Hydroxyzimtalkohol), Coniferyl- und Sinapylalkohol; zu diesen Alkoholen oder Monolignolen (S. 374 f) kommen noch geringe Mengen an Zimtsäuren (s. o.) und Zimtaldehyd (verantwortlich für die spezifische Farbreaktion mit Phloroglucin-HCI-Gemisch!). Je nach Herkunft variieren die Mengenanteile der drei Grundbausteine: Beim Laubholz dominiert der Sinapylalkohol, beim Nadelholz der Coniferylalkohol; Gras-Lignin (Gramineae) ist reich an Cumarylalkohol. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, daß die verwendeten Extraktions- und Bestimmungsmethoden keineswegs ein exaktes Monomer-Verhältnis geliefert haben. Erschwerend kommt hinzu, daß sich der Ligninaufbau im Verlauf der Kormus-Entwicklung verändert, sowohl in toto als auch partiell in Zellen und Geweben. Die dreidimensional ausgebildeten Gerüste der Lignine erfüllen nach beendeter Verholzung die interfibrillären Räume der Zellwand, wobei vermutlich Verknüpfungen mit den Zellwand-Polysacchariden (über Etherverbindungen? s. u.) bestehen. Durch Javelle-Lauge oder Kochen mit Calciumbisulfitlösung werden Lignine aus Zellwänden herausgelöst, ohne daß die Polysaccharidanteile zerstört werden. Dieser Vorgang ist für die technische Cellulosegewinnung von großer Bedeutung. Lignine werden auch in Zellkulturen gebildet; diese Systeme werden erfolgreich zur Aufklärung ihrer Synthese benutzt.
Verholzte Zellwände erfahren oft eine nachträgliche Einlagerung von Gerbstoffen (S. 376) und anderen phenolischen Substanzen. Sie bedingen nicht nur die typische Färbung der Zellwände (unterschiedlich bei Kern- und Splint-Holz!), sondern verbessern vor allem deren mechanische Eigenschaften und erhöhen ihre Widerstandsfähigkeit gegen den Abbau durch Mikroorganismen und Pilze.
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8 Phenole
374
COO–
H2 C
R2
R1 HS
1 O
S
CoA
3 O
NADPH + H+ NADP
R1
R2
OH Cinnamoyl-CoA
Abb. 8.4
Zimtalkohol
AMP, PP i C
OH
NADPH + H+
ATP
CoA
R2
R1 NADP+
OH
OH
2 HS
R1 CoA
C
H
+
R2 OH Zimtaldehyd
Biosynthese von Zimtalkoholen.
Beteiligte Enzyme: 햲 Cinnamoyl-CoA-Ligase 햳 Cinnamoyl-CoA-Reduktase 햴 Aldehyd-Reduktase
Die Biosynthese von Ligninen geht aus von den drei Zimtsäure-Derivaten 4-Cumarsäure (15), Ferulasäure (17) und Sinapinsäure (19), deren Entstehung wir bereits besprochen haben (S. 370 f). Nach Überführung in die „aktivierte“ Form ihrer CoA-Verbindungen (Abb. 8.4) durch Cinnamoyl-CoA-Ligase gehen sie in einen Pool ein, der u. a. auch die Ligninsynthese speist. Durch kombinierte Aktion von Cinnamoyl-CoA-Reduktase und Aldehyd-Reduktase (Zimtalkohol-Dehydrogenase), welche beide mit NADP-H + H+ arbeiten, entstehen die zugehörigen Alkohole: Cumaroyl-, Coniferyl- (aus Ferulasäure) und Sinapylalkohol. Sie werden mit Glucose zu den β-Glucosiden Glucocumarylalkohol (29, Cumaroylalkohol-4-β-glucosid), Coniferin (30, Coniferylalkohol-4-β-glucosid) und Syringin (31, Sinapylalkohol-4-β-glucosid) verestert und vermutlich in dieser Form zu den Syntheseorten in der Zellwand transportiert. Eine dort lokalisierte β-Glykosidase setzt daraus die Alkohole als direkte Ligninvorstufen frei. Zu Beginn ihrer Verknüpfung greift an der 4-Hydroxy-Gruppe eine Peroxidase an und erzeugt über Dehydrogenierung (Abspaltung eines H·-Radikals bzw. Elektronenentzug vom phenolischen Anion) mesomere freie Monolignol-Radikale (s. Strukturen), welche sich spontan in vielfältiger Weise miteinander verknüpfen, d. h. ohne eine enzymatische Steuerung. Mehr als zehn Verknüpfungsstrukturen sind, teilweise mit 13C-NMR-Spektroskopie, im Lignin ermittelt worden (Abb. 8.5).
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8.2 Phenolcarbonsäuren CH2
OH
CH2
OH
CH2
OCH3 O
H3 CO
O
Glc
OH
OCH3 O
Glc
Glc
30 Coniferin (= Coniferylalkohol-4-βglucosid)
29 Glucocumarylalkohol (= Cumarylalkohol-4-βglucosid)
375
31 Syringin (= Sinapyllalkohol-4-βglucosid)
Die Mitwirkung von Peroxidase stützt sich vor allem auf Befunde, wonach in Zellwänden mehrere Isoformen des Enzyms lokalisiert sind. Nach Ansicht einiger Forscher könnten auch Laccase oder Laccase-ähnliche Oxidasen die Funktion von Peroxidase übernehmen oder möglicherweise gemeinsam mit ihr agieren. Laccase wurde zuerst beim ostasiatischen Lackbaum (Rhus vernicifera) entdeckt (was dem Enzym den Namen einbrachte), später auch bei Acer pseudoplatanus und Pinus taeda. Das Enzym, ein Monomer von 60 – 70 kDa, katalysiert die Oxidation von Phenolverbindungen unter Verwendung von molekularem Sauerstoff; somit entspricht sie einer Monooxygenase. Wegen des Kupfergehaltes wird Laccase den „Blauen Kupferenzymen“ zugerechnet, zu denen auch die pflanzliche L-Ascorbat-Oxidase gehört.
H2C OH HC
O
CH2 CH2
H2C OH HC HC
H2C OH
H3CO O
CH
HC
H3CO
CH CH
O OCH3
OCH3 O
H3CO
OCH3 O
OCH3
OCH3
OH H2C OH
H2C
CH2
HC
CH
HC
O
CH
OH
CH O
CH2
H3CO O
O
Abb. 8.5 Mögliche Verknüpfungen von Monolignolen im Lignin durch Dehydrogenierungs-Polymerisation.
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376
8 Phenole
Ob der als Dehydrogenierungs-Polymerisation bezeichnete Prozeß, welcher Monolignol-Bausteine zufallsverteilt in das Netzwerk von Lignin einknüpft, tatsächlich so in der Zellwand abläuft, erscheint zweifelhaft. Dieses Konstruktionsprinzip paßt nicht so recht zu dem doch sehr sorgfältig kontrollierten, in Stufen ablaufenden Prozeß der gesamten Zellwanddifferenzierung. Daß die Strukturaufklärung von Ligninen trotz intensiver Bearbeitung, insbesondere durch Freudenberg u. Mitarb., immer noch nicht abgeschlossen ist, hängt eng mit ihrer besonderen Entstehungsweise und mit den enormen Schwierigkeiten bei der Extraktion nativer Lignine aus Zellwänden zusammen. Immerhin ist es in den letzten Jahren gelungen, die Bindungsarten für Struktureinheiten zu ermitteln und mit zehn von diesen ein Konstitutionsschema für Lignin aus Buchenholz zu erstellen (s. o.).
8.3
Einfache Phenole
Auch diese Verbindungen sind sowohl von der Struktur als auch von ihrer Biosynthese her als Abkömmlinge von Zimtsäuren anzusehen. Sie haben die typischen Seitenketten teilweise oder völlig eingebüßt (s. Tab. 8.1, S. 366). Am aromatischen Ring erkennen wir die schon vertrauten Substitutionen von Hydroxy- und Methoxy-Gruppen. Von den nachfolgend aufgeführten Vertretern ist die Gallussäure (32) in Pflanzen weitverbreitet, vor allem als Bestandteil von Gerbstoffen. COO–
HO
OH
OH 32 Gallussäure
Diese Inhaltsstoffe unterschiedlicher chemischer Herkunft haben eines gemeinsam: Sie eignen sich – wie ihr Name besagt – wegen ihrer eiweißfällenden Eigenschaften hervorragend zum Gerben, d. h. unter ihrer Einwirkung verwandeln sich tierische Häute in Leder. In der Pflanze wirken die Gerbstoffe zusammen mit einfachen Phenolkörpern konservierend und schützend gegen Mikroorganismenbefall, insbesondere durch Einlagerung in die Zellwände, deren Dunkelfärbung sie verursachen: membranochrome Farbstoffe. Dabei entstehen oft durch Oxidation die Phlobaphene, z. B. im Kernholz. Reich an Gerbstoffen sind Teeblätter und Kaffeebohnen. In diesem Zusammenhang interessieren von den Gerbstoffen die Gallotannine (hydrolysierbare Gerbstoffe! Vgl. S. 387), deren Moleküle vermutlich aus vielen miteinander verknüpften Galussäure-Resten und Glucose-Einheiten bestehen.
Die 4-Hydroxybenzoesäure (33, s. u.) kommt meist verestert vor; sie fungiert als Zwischenverbindung bei der Biosynthese von Polyprenylchinonen (s. S. 380). Zu den einfachen Phenolen, von denen einige wie Catechol und Phloroglucin in höheren Pflanzen fast Seltenheitswert haben, gehören das Hydrochinon (34) und sein Glucosid, das Arbutin (35), deren Entstehung das nachfolgende Reaktionsschema zeigt. Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
8.3 Einfache Phenole
377
H3CO COO– 14 Zimtsäure
HO
COO–
15 4-Cumarsäure
HO
COO–
17 Ferulasäure H3CO
–
COO Benzoesäure
–
HO
COO
33 4-Hydroxybenzoesäure
HO
HO
COO–
33a Vanillinsäure
OH
34 Hydrochinon UDP-Glc
UDP-Glucosyltransferase
UDP HO
O-Glc 35 Arbutin
Biosynthese. Wie bereits angedeutet, geht der einfachste und von Pflanzen bevorzugt benutzte Weg zu den Phenolkörpern von Zimtsäure-Derivaten aus. Durch β-Oxidation (vgl. Fettsäureabbau, S. 315 ff) werden C-Atome der Seitenketten eliminiert. Aus den drei typischen, schon mehrfach zitierten ZimtsäureDerivaten werden die entsprechenden aromatischen Säuren (s. Reaktionsschema). Die entstehende 4-Hydroxybenzoesäure (33) wird zur Bildung von einfachen Phenolen verwendet: Decarboxylierung ergibt Hydrochinon (34), ein Diphenol, welches in Blättern als Glucosid (Beispiel: Arbutin, 35) oder frei vorkommen kann (Ericaceae, Rosaceae). O
H
O
OCH3 OH 36 Vanillin
H
4
OH 37 4-Hydroxybenzaldehyd
Vermutlich ist Ferulasäure (17) die Vorstufe von Verbindungen, welche hauptsächlich Geschmack und Aroma von Vanille bedingen: Vanillin (36), Vanillinsäure (33 a, s. Reaktionsschema) und 4-Hydroxybenzaldehyd (37). In der unrei-
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378
8 Phenole
fen Schote von Vanilla planifolia, einer tropischen Orchidee, liegen die Substanzen als geschmacklose Glykoside vor; aus ihnen werden während der Reifung die charakteristischen Aromastoffe durch enzymatische Hydrolyse freigesetzt; dieser Prozeß wird bei der technischen Gewinnung ausgenutzt. Er ist insofern sehr aufwendig, als die Blüten jeden Tag per Hand bestäubt werden müssen; jede existiert praktisch nur für einen Tag. Dies erklärt den hohen Preis von Naturvanille. Wesentlich billiger ist die sog. synthetische Vanille, welche durch Hydrolyse von Lignin gewonnen wird.
8.4
Polyprenylchinone und 9,10-Anthrachinone
Strukturgemäß stehen dem Hydrochinon (34) andere Chinone nahe, welche wir bereits in ihrer Funktion als Systeme der Elektronenübertragung kennengelernt haben: Plastochinone (S. 127 f) und Ubichinone (S. 205 f), dazu Vertreter der Phyllochinone (S. 138). Ihre substituierten Benzochinon- bzw. Naphthochinonkerne tragen polyisoprene Seitenketten. Daher werden diese Verbindungen zusammen mit den Tocopherolen, Tocochinonen und Tocopherolchinonen zur Gruppe der Polyprenylchinone (Terpenoidchinone) vereint. Plastochinon, Phyllochinon und einige Tocopherole sind aufgrund ihrer Präsenz und Funktion im Photosyntheseapparat dem Primärstoffwechsel zuzuordnen. Dies gilt nicht für andere Vertreter dieser Verbindungsgruppen, welche eindeutig in den Sekundärstoffwechsel gehören. Sie entstehen vermutlich extraplastidär, d. h. über einen parallelen Reaktionsweg im cytosolischen Kompartiment.
8.4.1
Polyprenylchinone und ihre Biosynthese
Beide Strukturkomponenten der einleitend aufgeführten Polyprenylchinone werden vor allem im Chloroplasten produziert: Der Shikimat-Weg stellt Chorismat bzw. 4-Hydroxyphenylpyruvat für den Chinonkörper, der IsoprenoidWeg Phytyl- oder oder Polyprenyldiphosphat bereit. Über die Herkunft der erforderlichen Startverbindung Acetyl-CoA in „jungen“ und „alten“ Chloroplasten sind wir schon informiert. Die Biosynthese von Plastochinonen und Tocopherolen (Abb. 8.6) startet mit der Umsetzung von 4-Hydroxyphenylpyruvat (38) zu Homogentisat (39, 2,5Dihydroxyphenylacetat) durch die plastidäre Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase. Dabei erfolgen Verkürzung und „Verschiebung“ der Seitenketten, kombiniert mit der Anlagerung einer zweiten Hydroxy-Gruppe an den aromatischen
Abb. 8.6
Biosynthesewege für Tocopherole und Plastochinon bei höheren Pflanzen. 왘
Beteiligte Enzyme: 햲 Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase 햳 Isoprenyl-Transferase 햴 Methyl-Transferase
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8.4 Polyprenylchinone und 9,10-Anthrachinone
8 Chorismat O CH2
C
COO–
38 4-Hydroxyphenylpyruvat HO 1
CO2
O2
OH CH2
–
COO
39 Homogentisat OH Phytyldiphosphat
Solanosyldiphosphat
2
2 CO2, PPi CO2, PPi
CH3
CH3
CH3
OH H
HO
H 3C
H 6
2
3
9
OH
OH OH
CH3
40 2-Methyl-6-nonaprenyl(solanosyl)-chinol
43 2-Methyl-6-phytylchinol
–CH 3
–CH 3
3 CH3
CH3
OH H
HO
3 CH3
H3C
H 9
3
H3C
OH
H3C
CH3
OH
44 2,3-Dimethyl-5-phytyl-1,4-benzochinol
41 Plastochinol-9
H2O
2 [H] O
R HO
CH3 O
H3C CH3
CH3
R=H γ -Tocopherol (45) R = —CH3 α -Tocopherol
CH3
H3C
H 9
H 3
H3C
O 42 Plastochinol-9
Abb. 8.6
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380
8 Phenole
Ring. Reaktion mit Solanesyldiphosphat (s. S. 337) und Abspaltung der CarboxyGruppe ergibt 2-Methyl-6-nonaprenyl (solanosyl-)chinol (40), katalysiert von einer Isoprenyl-Transferase. Nach der Übertragung einer Methyl-Gruppe von SAdenosylmethionin durch eine spezifische Transferase auf das Reaktionsprodukt liegt Plastohydrochinon (Plastochinol, 41) vor, welches durch Dehydrogenierung in Plastochinon – die „oxidierte“ Form – mit dem typischen Chinonring übergeht (42). Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist dieser Syntheseweg auf die innere Membran der Chloroplastenhülle beschränkt, denn nur dort wurden die beteiligten Enzyme gefunden. Das Molekülgerüst der Tocopherole kommt dadurch zustande, daß Homogentisat (39) mit Phytyldiphosphat (C20), einem Folgeprodukt von Geranylgeranyldiphosphat (s. Abb. 13.5, S. 536), reagiert: durch regioselektive Substitution entsteht 2-Methyl-6-phytylchinol (43, 2-Methyl-6-phytyl-1,4-benzochinol); dabei wird ebenfalls eine Carboxy-Gruppe als Kohlendioxid eliminiert. Nach Methylierung am Aromaten (Aren) kommt es beim entstandenen 2,3-Dimethyl-5phytylchinol (44, 2,3-Dimethyl-5-phytyl-1,4-benzochinol) zur Bildung des typischen Chromanolringes; die phenolische Hydroxy-Gruppe reagiert dabei mit der C,C-Doppelbindung im Phytyl-Rest. γ-Tocopherol (45) als Reaktionsprodukt kann durch weitere Methylierung in α-Tocopherol übergeführt werden. Auch diese Umsetzungen sollen in der inneren Hüllenmembran des Chloroplasten ablaufen. Das charakteristische Ringsystem der Phyllochinone, der 1,4-Naphthochinonkern, hat Chorismat (8, S. 367 f) bzw. Isochorismat als Grundlage. Dieses liefert durch Anlagerung von aktiviertem Oxoglutarat die erste aromatische Zwischenverbindung: Succinylbenzoat (46; Abb. 8.7); die mitwirkende Succinylbenzoat-Synthase hat auch decarboxylierende Aktivität und setzt entsprechend Kohlendioxid frei. Succinylbenzoat ist die Vorstufe von 1,4-Dihydroxy-2-naphthonat (47). Bei dieser Umsetzung sind zwei Enzyme aktiv: Succinylbenzoat: CoA-Ligase und 1,4-Dihydroxy-2-naphthonat-Synthase. Reaktion mit Phytyldiphosphat etabliert die Seitenkette unter Freisetzung von Kohlendioxid: 2-Phytyl-1,4-naphthochinol entsteht (48). Abschließende Methylierung und Dehydrogenierung ergibt Phyllochinon (49, Vitamin K1). Beim verwandten Menachinon (S. 206) tritt an die Stelle der Phytylseitenkette eine Prenylseitenkette, z. B. Difarnesyl beim Menachinon-30. Die Biosynthese von Ubichinonen, welche in Membranen von Mitochondrien lokalisiert ist, beginnt mit 4-Cumarsäure (15) bzw. 4-Hydroxybenzoesäure (33). Durch Anlagerung von Polyprenyldiphosphat, vor allem von Solanesyloder Decaprenyldiphosphat (C50), bildet sich die Zwischenstufe 3-Polyprenyl4-hydroxybenzoat. Nach Abspaltung von Kohlendioxid sowie Hydroxylierung und Methylierung fällt schließlich Ubichinon mit 9 oder 10 Isopren-Resten in der Seitenkette (Coenzym Q 9 bzw. Coenzym Q 10) an. Welche von beiden Verbindungen vorkommt, hängt von der jeweiligen Pflanzenspezies ab.
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8.4 Polyprenylchinone und 9,10-Anthrachinone 8 Chorismat
CO2
OH
COO– COO–
1
Isochorismat
2-Oxoglutarat
COO–
2, 3
O 46 Succinylbenzoat
OH 47 1,4-Dihydroxy2-naphthonat CO2
O
4
Phytyldiphosphat
OH
–CH3
CH3
381
Phytyl-Rest
5 H
O
CH3
CH3
H OH
3
49 Phyllochinon
Abb. 8.7
CH3
3
48 2-Phytyl-1,4-naphthochinol
Biosynthese von Phyllochinon.
Beteiligte Enzyme: 햲 Succinylbenzoat-Synthase 햳 + 햴 Succinylbenzoat: CoA-Ligase + 1,4-Dihydroxy-2-naphthonat-Synthase
8.4.2
CH3
햵 Phytyl-Transferase 햶 Methyl-Transferase
Anthrachinone
Diese werden oft zusammen mit 1,4-Naphthochinonen bei der gleichen Spezies höhere Pflanzen gefunden; sie sind Produkte des Sekundärstoffwechsels (s. o.). Als typische Vertreter seien Alizarin (50), Lucidin und Morindon (51) genannt. Daß 9,10-Anthrachinone vorwiegend auf verholzte Gewebe der Wurzelrinde beschränkt sind, erwies sich als fast unüberwindbares Hindernis bei der Aufklärung ihrer Biosynthese. Diese war erst erfolgreich, als Zellkulturen etabliert wurden, welche die gleichen Anthrachinone wie die Ausgangspflanzen produzierten und akkumulierten, z. B. von Arten der Rubiaceae. O
OH
O
OH CH3
OH HO O 50 Alizarin
OH O 51 Morindon
Die Substrate der Biosynthese sind Shikimat, Glutamat und Mevalonat. Die daraus gebildete Schlüsselverbindung o-Succinylbenzoat (46) wird in die asymmetrisch gebaute Zwischenstufe 1,4-Dihydroxy-2-naphthonat umgela-
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382
8 Phenole
gert (47). Nach Anheftung von Dimethylallyldiphosphat (3-Methyl-2-butenyldiphosphat) in Position 3 (oder auch 2) entsteht 1,4-Dihydroxy-3-prenyl-2naphthonsäure, welche nach Zyklisierung den Grundkörper bildet. Dieser hat bei den einzelnen 9,10-Anthrachinonen typische Substitutionen erfahren.
8.5
Flavan-Derivate oder Flavonoide
Dieser wichtigsten und umfangreichsten Gruppe der pflanzlichen Phenole gehören nicht nur Verbindungen mit gelber Färbung (wie die Ableitung des historischen Namens von flavus = gelb besagt) an, sondern auch solche mit anderer oder überhaupt keiner. Gemeinsam ist allen das Molekülgerüst des Flavan (C6C3C6-Struktur; s. Tab. 8.1, S. 366). Der aromatische Ring A ist um einen Heterozyklus mit dem zweiten aromatischen Ring B erweitert; diese beiden Strukturen gehen auf ein Zimtsäure-Derivat zurück (s. S. 369). Die Entstehung von Ring A ist schon einleitend skizziert worden. Die unterschiedliche Gestaltung des Heterozyklus gibt eine brauchbare Grundlage ab, um die enorme Anzahl von Verbindungen einigermaßen übersichtlich in Untergruppen aufzuteilen. Für jede ist ein typischer Vertreter in Abb. 8.8 vermerkt. Wie andere Verbindungen der Phenole liegen auch viele pflanzliche Flavonoide in vivo als Glykoside vor; unterschiedliche Zucker-Bausteine sind über eine Hydroxy-Gruppe am Ring A oder – häufiger – am Heterozyklus (Position 3!) angefügt. Diese Substanzen finden sich meist wegen ihrer guten Löslichkeit in den Vakuolen. So akkumulieren sie teilweise in denen von Epidermiszellen des Blattes; man vermutet daher, daß solche Flavonoide die assimilierenden Parenchymzellen vor Schädigungen durch ultraviolette Strahlung, insbesondere durch UV-B, bewahren.
8.5.1
Der gemeinsame Biosyntheseweg für Grundstrukturen
Wie schon erläutert, entsteht ein Polyketid aus einem aktivierten ZimtsäureDerivat (C6C3), indem an dieses sukzessiv insgesamt drei C2-Einheiten angelagert werden. Der Modus der einsetzenden Zyklisierung befindet darüber, ob die Grundstruktur von Chalkon (C6C3C6) oder von Stilben (C6C2C6) entsteht. Die Entscheidung hierüber trifft offensichtlich das jeweils mitwirkende Enzym: Chalkon-Synthase bzw. Stilben-Synthase. Als Ausgangsverbindungen dienen Malonyl-CoA, das Carboxylierungsprodukt von Acetyl-CoA und 4-CumaroylCoA aus dem allgemeinen Phenylpropan-Stoffwechsel. Abb. 8.9 zeigt den Syntheseweg, welcher allen Flavonoiden gemeinsam ist.
Abb. 8.8 Flavonoide. Ableitung einzelner Untergruppen vom Grundgerüst des Flavans mit 왘 typischen Verbindungen (außer Anthocyanidinen; s. Abb. 8.10, S. 388).
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8.5 Flavan-Derivate oder Flavonoide
383
OH HO
O OH OH
OH
HO OH
HO
O Naringenin
HO
O
OH OH O Luteolin O
O
Butein
O O Flavanone
OH
O Flavone
3'
O Chalkone
6
O
B
A
5'
+
O
6'
2 3 4
5
O
2' 1'
1
8 7
4'
OH Anthocyanidine
Flavan
3 OH Flavan-3-ole
O O 4
OH OH HO
OH
OH Flavan-3,4-diole
O Flavonole
OH
3
OH
O
OH HO
OH OH (+)-Catechin
O
OH
OH HO
OH
O
OH Robidandiol
OH OH
O Kämpferol OH OH
HO
O OH OH
O Quercetin
Abb. 8.8
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8 Phenole
384
OH COO– 3
H2C
+ C S
CoA
CoA 4 CoA SH 3 CO2
O Malonyl-CoA
S
C
O 4-Cumaroyl-CoA
1 OH HO HO
R2
OH
O
HO R3
OH O
R2
Naringenin-Chalkon R1 R2
HO
O
R3 OH
OH
3
O
HO
O
R3
O(H2)
Flavanonole/ Dihydroflavonole
OH OH Flavan-3-ole
Abb. 8.9
Anthocyanidine
[–OH]
R1
OH OH
R2
R3
6
R2
[H]
OH
[H] R1
HO
O OH
5
R1
R2 +
O Flavanone
[H]
Flavonole
R1
HO OH
[–OH]
O
4
R3
R2 O
R3
OH O Flavone
[H]
2
R1
O
OH O
R1
Isoflavone (Isoflavonole)
HO
R1
R2 HO
O
R3 OH
OH
OH
Flavan-3,4-diole
Biosynthese von Flavan-Derivaten.
Beteiligte Enzyme: 햲 Chalkon-Synthase 햳 Chalkon-Flavanon-Isomerase 햴 3-Hydroxylase
햵 Dehydrogenase 햶 Flavonol-Synthase 햷 Dihydroflavonol-4-Reduktase
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8.5 Flavan-Derivate oder Flavonoide
385
Einleitend werden 4-Cumaroyl-CoA und drei Moleküle Malonyl-CoA, welche nach Decarboxylierung zu Acetyl-CoA in die Reaktion eingehen, zum Naringenin-Chalkon (= 4,2,4,6-Tetrahydoxychalkon) zusammengefügt; außerdem entstehen drei Kohlendioxidmoleküle und vier Coenzym A. Vom Grundkörper Chalkon leiten sich Verbindungen ab, denen logischerweise der Heterozyklus fehlt (Beispiel: Butein; s. Abb. 8.8). Dieser formiert sich, wenn Chalkon-Flavanon-Isomerase das Chalkon in einer stereospezifischen Reaktion zum Flavanon umwandelt, z. B. zum Naringenin. Wasserstoffentzug am Heterozyklus, d. h. Errichtung einer Doppelbindung, führt zu den Flavonen, von denen wir Luteolin als typischen Vertreter registrieren. Alternativ resultieren aus 3Hydroxylierung die Flavanonole, aus denen dann die Flavonole wie Kämpferol und Quercetin, hervorgehen (s. u.). Die Reduktion von Flavanonol mittels NADP-H + H+ liefert hingegen über die Zwischenstufe eines 3,4-cis-Diol die 2,3trans-Flavan-3-ole, zu denen Catechin gehört. Durch zusätzliche Hydroxylierung an Position 4 entstehen Flavan-3,4-diole oder „Leucoanthocyanidine“ (Beispiel: Robidandiol). Auf der Stufe der Dihydroflavonole beginnen getrennte Synthesewege für Flavonole und Anthocyanidine. Jene werden von Flavonol-Synthase in die Flavonole überführt, durch Dihydroflavonol-4-Reduktase-(NADPH-abhängig) hingegen für die Bildung von Anthocyanidinen vorbereitet (s. Abb. 8.11). Von Flavanonen leiten sich vermutlich die Isoflavone bzw. Isoflavonole sowie die Gruppe der Pterocarpane ab. Über diese Syntheselinie entstehen einige Abwehrsubstanzen gegen Mikroorganismen aus der Gruppe der Phytoalexine: Glyceollin (52), Phaseollin (53) und Pisatin (s. Box 7.3. S. 343). Ihrer Bildung geht meist eine Induktion durch Elicitoren voraus, welche eine allgemeine Aktivierung des Phenylpropan-Stoffwechsels, insbesondere seiner Schlüsselenzyme Phenylalanin-Ammoniumlyase (PAL) und Chalkon-Synthase, auslöst. HO
H3C H3C
O
O
O OH H
O O
O
CH3 CH3
OH 52 Glyceollin
53 Phaseollin
Regulation. Als ein steuernder Faktor bei der Flavonoid-Biosynthese ist das Licht erkannt worden, welches im langwelligen Bereich über das PhytochromSystem wirksam wird. Dieser Effekt wird vor allem durch blaue und ultraviolette Strahlungsanteile mitbestimmt: Sie induzieren spezifisch die Synthese von Flavon- und Flavanolglykosiden über eine Aktivitätssteigerung und Neusynthese der beteiligten Enzyme in Zellsuspensionskulturen von Petroselinum hortense, wie umfangreiche Studien von Hahlbrock u. Mitarb. ergeben haben. In glei-
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386
8 Phenole
cher Weise induzierend wirken weitere Faktoren: extreme Temperatur und hohe Salzkonzentrationen, Nährstoff- und Wassermangel, Infektion durch Schaderreger, d. h. sog. Streßfaktoren. Besonders bei der Abwehr von Pathogenen wie Viren, Viroide, Bakterien und Pilze bei Nichtwirtsresistenz oder inkompatibler Interaktion kommt es während der hypersensitiven Reaktion (Überempfindlichkeitsreaktion) zur Ausbildung pflanzlicher Abwehrstoffe, den Phytoalexinen (s. o.); leiten sich diese von phenolischen Grundkörpern ab, so steigen in Analogie zu dem oben beschriebenen Effekt die Syntheseraten für Enzyme des allgemeinen Phenylpropan-Stoffwechsels drastisch an. Diese Befunde und die oben erwähnten erlauben den Schluß, daß die Zellen die Einwirkung von Blaulicht oder UV-Strahlung und von Elicitoren mit einer Erhöhung der Transkriptionsrate von jenen Genen beantworten, deren Produkte eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung von UV-Resistenz oder Infektionsabwehr spielen. – Eine ähnliche Stimulierung durch ultraviolette Strahlung ist für die Anthocyanbildung beobachtet worden.
8.5.2
Flavonole
Diese gelben Verbindungen sind nicht nur an der Farbgebung von Blüten, sondern auch von anderen Pflanzengeweben, z. B. von Kernholz, beteiligt. Dabei handelt es sich um Glykoside mit Rhamnose oder Glucose als Zuckeranteil, welche vermutlich in enger Korrelation mit der Entwicklung der Blütenblätter entstehen; ihre Akkumulation endet, wenn die Bildung der Anthocyanidine einsetzt. Beide Syntheseprozesse unterliegen getrennter Regulation. Als typische Verteter haben wir schon die Aglykone Kämpferol und Quercetin (s. Abb. 8.8, S. 383) kennengelernt.
8.5.3
Flavanone
Glykoside dieser Verbindungen schmecken z. T. mehr oder weniger bitter – Naringin (54), Poncirin – und finden sich u. a. in Citrusfrüchten; andere Vertreter sind geschmacklos. OH HO
Glc HO
Rha
OH
O CH3
HO
O
CH3
6
1
O
OH
β O
O 7
1
OH
O
OH
Rutinose
Flavanon-7-β-rutinosid
54a Hesperidin
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8.5 Flavan-Derivate oder Flavonoide
387
OH OH CH3 HO HO
1 β OO
OH HO CH2
2
1
O
Rha OH
β Glc O
O 7
Neohesperidose
OH
O
54 Naringin
Mit der Öffnung des Heterozyklus zur offenen Struktur, wie sie in den Dihydrochalkon-Derivaten vorliegt, ändert sich die Geschmacksrichtung zu intensiv süß, so beim Hesperidin, dem Hauptflavonoid von Citrusfrüchten (54 a).
8.5.4
Flavone
Ein wesentlicher Anteil des von Blattdrüsen der Mehlprimel (Primula farina) abgeschiedenen mehligen Produktes besteht aus Flavon als freier Verbindung. Weitere Vertreter mit dem Flavongrundkörper sind Chrysoeriol und Luteolin (s. Abb. 8.8, S. 383).
8.5.5
Flavanole und Flavandiole
Flavan-3-ole und Catechine (Vertreter: Catechin [Abb. 8.8, S. 383] und Epicatechin) bauen zusammen mit den Flavan-3,4-diolen die kondensierten Gerbstoffe als zweite Gruppe – nicht oder nur gering hydrolysierbar – auf (die erste Gruppe, die Gallotannine, haben wir bereits besprochen; S. 376). Die ältere Bezeichnung der Flavan-3,4-diole als „Leucoanthocyanidine“ macht auf eine Beziehung zu anderen Flavan-Derivaten, nämlich den wichtigen Blüten- und Gewebefarbstoffen der Anthocyane aufmerksam (s. u.).
8.5.6
Anthocyanidine und Anthocyane
Anthocyanidine liegen in der Regel als Aglykone glykosidisch gebunden in den vorwiegend rot oder blau gefärbten Anthocyanen vor, welche meist in der Zellsaftvakuole von Epidermiszellen deponiert, die typische Färbung von Blütenblättern, aber auch von anderen pflanzlichen Geweben verursachen (chymochrome Farbstoffe). Wie die Zusammenstellung (Abb. 8.10) dieser Aglykone zeigt, unterscheiden sie sich vor allem durch ihr Substitutionsmuster am Ring B, welches vom jeweiligen Zimtsäure-Derivat als Synthese-Baustein eingebracht wird: von der 4-Cumarsäure (15) beim Pelargonidin, von der Kaffeesäure (16) beim Cyanidin und von der Trihydroxyzimtsäure beim Delphinidin. Über die Hydroxy-Gruppe in Position 3 oder 5, manchmal auch über beide, wird je
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388
8 Phenole
H
OH
OH
OH
H
H
Pelargonidin
Cyanidin
3'
B
1 +
HO
O
7
2
A
3
6'
OH OH
R1 4' 5'
OH
OH Delphinidin
R2
O Glc Rha
OCH3
OH
OH OCH3
OCH3
H
OH Paeonidin
OH OH OCH3
Petunidin
Malvidin
Abb. 8.10
Aufbau von Anthcyanidinen mit typischen Substitutionen am Ring B
ein Zuckermolekül (Glucose, Galaktose, Arabinose) angeheftet. An einen solchen Rest kann eine zweite Zucker-Einheit (Glucose, Rhamnose) geknüpft sein; entsprechend liegt eine Disaccharidstruktur vor, z. B. Glucosylglucosid; sie kann durch einen Acyl-Rest erweitert sein (Beispiel: Cyanidin-3,5-diglucosid4-cumarat). In Abb. 8.11 sind die möglichen Biosynthesewege von wichtigen Vertretern der Anthocyanidine zusammengefaßt. Für die Glykosidierung von Anthocyanidinen sind UDP-Glucose: flavonoid-3-Oglucosyl-Transferase und UDP-Glucose: flavonoid-5-O-glucosyl-Transferase verantwortlich. Die Anfügung eines Rhamnose-Bausteins an die in Position 3 gebundene Glucose übernimmt Anthocyanin-Rhamnose-Transferase; die entstandene Disaccharidstruktur kann dann noch acyliert werden (Enzym: Anthocyanin-Acyl-Transferase [s. o.]). Die gezielte Methylierung von Hydroxy-Gruppen an fertiggestellten Anthocyanstrukturen katalysieren positionsspezifisch eingestellte Anthocyanin-Methyl-Transferasen; als Produkte fallen Paeonidin, Petunidin und Malvidin an (Abb. 8.10).
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8.6 Stilbene
Naringenin
Eriodictyol
3
Dihydroflavonole :
5,7,3',4',5'-Pentahydroxyflavanon
1
1 Dihydrokämpferol
1
Dihydroquercetin
3
2
Leucocyanidin
H +
O
Dihydromyricetin 2 Leucodelphinidin
OH OH
HO
4
2
Leucoanthocyanidine : Leucopelargonidin
H
OH OH
+
HO
O
OH OH Pelargonidin
389
H
OH HO
+
O
OH OH Cyanidin
OH OH
OH Delphinidin
Abb. 8.11 Vermutete Wege bei der Biosynthese von Anthocyanidinen. Beispiel: Eustoma grandiflorum (nach Davies u. Mitarb.). Beteiligte Enzyme: 햲 Flavanon-3-Hydroxylase 햳 Dihydroflavonol-4-Reduktase
8.6
햴 Flavonoid-3-Hydroxylase 햵 Flavonoid-3,5-Hydroxylase
Stilbene
Die für die Synthese zuständigen Enzyme, die Stilben-Synthasen, sind auf die gleichen Ausgangsverbindungen wie die Chalkon-Synthasen eingestellt; zudem ist der katalysierte Reaktionsablauf durchaus vergleichbar. Dennoch entstehen Verbindungen, welche sich eindeutig von den Flavonoiden unterscheiden. Stilbene haben einen Grundkörper, welcher dem 1,2-Diphenylethen entspricht; dies verdeutlicht die Struktur von Resveratrol (Abb. 8.12). Bei seiner Biosynthese aus 4-Cumaroyl-CoA, welche von Resveratrol-Synthase, einem Cytosol-Enzym, katalysiert wird und drei Malonyl-CoA verbraucht, werden insgesamt 4 Kohlendioxid abgespalten – bei der Chalkon-Synthese sind es lediglich 3! Verantwortlich hierfür ist der „Verlust“ eines zusätzlichen C-Atoms bei der Knüpfung des zweiten aromatischen Ringes (s. Abb. 8.12). Stilbene sind im Weich- und Hartholz sowie in Wurzeln und Blättern gefunden worden. Als Hauptvertreter von Pinus silvestris (scot pine) gelten Pinosylvin und Pinosylvin-3-O-methylester. In den Nadeln wird die Bildung von Stilben- bzw. Pinosylvin-Synthase induziert, wenn die UV-Einstrahlung hoch ist oder Infektion durch einen Pilz stattgefunden hat.
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390
8 Phenole
COO–
OH
3 H2C
+ C
S
CoA CoA
O
4 CoA SH 4 CO 2
Malonyl-CoA ResveratrolSynthase
S
C O
4-Cumaroyl-CoA
OH
HO
OH Resveratrol
Abb. 8.12 veratrol.
Biosynthese eines Stilbens. Stilben-Synthase katalysiert die Synthese von Res-
Von den sehr ähnlich aufgebauten 1,2-Diphenylethanen (Bibenzylen, 55), welche als Dihydrostilbene aufgefaßt werden können, sei die für Lebermoose typische Lunularsäure (56) erwähnt, eine Dihydrostilbencarbonsäure, welche als Wachstumsregulator gewissermaßen die Rolle von Abscisinsäure (S. 342 f) bei diesen Organismen übernimmt. OH HO
OH OH
55 o,p,p'-Trihydroxy-1,2diphenylethan (Bibenzyl)
COO – OH 56 Lunularsäure
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391
9
Aminosäuren und Nucleotide
In den Aminosäuren begegnet uns eine Klasse von Verbindungen, welche – wie ihr Name sagt – als zusätzliches Element den Stickstoff enthalten. Außerdem kommt in einigen dieser Verbindungen noch der Schwefel vor. Die Beteiligung von Stickstoff am Molekülaufbau ist auch für die Nucleotide charakteristisch; sie benötigen allerdings als weiteres Element den Phosphor. Daß Aminosäuren die Bausteine von Proteinen, Nucleotide die von Nucleinsäuren sind, untermauert die lebensnotwendige Rolle von Stickstoff. Dank seiner Beteiligung beim Aufbau von Molekülstrukturen hat sich das Spektrum der Biomoleküle erheblich erweitert. Bevor wir in die Besprechung von Aminosäuren und Nucleotiden eintreten, muß zunächst geklärt werden, wie die beiden zusätzlichen Elemente Stickstoff und Schwefel aus ihrer Aufnahmeform – Nitrat und Sulfat – in die geeignete Stoffwechselform – Ammonium-Ion (NH4+) bzw. Sulfid-Ion (S2 – ) – überführt werden. Nitratreduktion und Sulfatreduktion sind die Prozesse, über welche beide Elemente in organische Bindung gelangen. Beide sind für photoautotrophe Organismen, aber auch für Pilze und einige Bakterien typisch; alle anderen Lebewesen sind hingegen auf organisch gebundenen Stickstoff angewiesen.
Der Kreislauf des Stickstoffs (Abb. 2.7, S. 51) zeigt, daß neben Nitrat und Ammonium (NH4+), auch molekularer Stickstoff – wenn auch nur in bescheidenem Umfange – als Stickstoffquelle dienen kann. Bei dieser Stickstoffbindung freilebender und symbiontischer Mikroorganismen spielt ebenfalls die Reduktion zu Ammonium eine entscheidende Rolle.
9.1
Stickstoff-Assimilation
9.1.1
Assimilatorische Nitratreduktion
Der Ort der Nitratreduktion ist bei höheren Landpflanzen recht unterschiedlich: speziesbedingt läuft sie in Zellen der Wurzel, des Sprosses oder der Blätter ab. Konzentriert sie sich auf die Wurzel (wie bei den meisten Holzpflanzen und einigen krautigen Vertretern), so muß der reduzierte Stickstoff anschließend von dort über das Transportsystem des Xylems allen anderen Geweben möglichst schnell zugeführt werden. Zu diesem Zwecke wird er in geeigneten Speicher- und Transportverbindungen fixiert: bei vielen Arten in den Amiden Glutamin und Asparagin, aber auch in den Aminosäuren Arginin und Citrullin sowie
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392
9 Aminosäuren und Nucleotide
den Ureiden Allantoin und Allantoinsäure, letztere besonders in den Wurzelknöllchen (S. 403 f). Von diesen niedermolekularen „Trägerverbindungen“ wird dann der Stickstoff am Verbrauchsort auf die universellen „Verteilerverbindungen“ im zellulären Stoffwechsel, Glutamin und Glutamat, umgeladen. Findet hingegen Nitratreduktion ausschließlich im Blatt statt, so werden entsprechend die übrigen Gewebe von dort über identische oder auch andere Transportverbindungen mit reduziertem Stickstoff versorgt; allerdings fungiert jetzt das Phloem als Verteilersystem. Zwischen diesen beiden Extremen in der Lokalisation der Nitratreduktion beobachtet man bei krautigen Pflanzenarten alle Übergänge. Für die Reduktion von Nitrat zum Ammonium (NH4+) sind insgesamt acht Elektronen erforderlich, welche formal in vier Reduktionsschritten übertragen werden; Stickstoff wird aus der 5wertig positiven Form in die 3wertig negative des Ammoniums überführt (s. Reaktionsschema). Der entsprechend hohe Bedarf an Elektronen ist sicherlich ein Grund dafür, daß der Prozeß größtenteils im Chloroplasten bei zahlreichen Pflanzenarten abläuft. Dieses Kompartiment kooperiert mit dem cytosolischen, wo einleitend Nitrat in Nitrit durch die Aufnahme von 2 Elektronen überführt wird. Sie kommen von NAD-H + H+, produziert durch die Glykolyse (S. 264 ff). (+3)
(+5) – NO3
+2e
– NO2
(+1) +2e
X1
(–1) +2e
X2
(–3) +2e
+
NH4
Gut untersucht ist der Übergang von Nitrat zu Nitrit; unbekannt ist die Natur von „X1“ und „X2“; vermutlich handelt es sich um enzymgebundene Zwischenstufen. Nitratreduktion in nichtgrünen Zellen von Wurzel und Sproß läuft praktisch nach dem gleichen Muster ab: auch hier entsteht Nitrit aus Nitrat im Cytosol, wobei allerdings NADP-H + H+ die Elektronen beisteuert; sie kommen vermutlich aus Umsetzungen des oxidativen Pentosephosphatzyklus (S. 214 ff). Die anschließende Umwandlung von Nitrit zu Ammonium findet im Leukoplasten statt und bezieht die erforderlichen Elektronen wiederum von NADP-H + H+, gebildet vom organelleigenen Pentosephosphatzyklus. Dessen Substrat, Glucose-6-phosphat, soll vom Leukoplasten aus dem cytosolischen Kompartiment aufgenommen werden. Hier funktioniert offensichtlich das geregelte Zusammenspiel der beiden Kompartimente genau so effektiv wie in der grünen Blattzelle.
Biochemischer Mechanismus Die Umwandlung von Nitrat in Nitrit katalysiert die Nitratreduktase, ein Enzym von weiter Verbreitung (Bakterien, Pilze, Algen, höhere Pflanzen), welches vermutlich aus 4 gleichen Untereinheiten von je 100 kDa (Homotetramer) besteht; jede ist mit drei Wirkgruppen bestückt: FAD, Cytochrom b557 und Molybdopte-
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9.1 Stickstoff-Assimilation
393
rin (1), vermutlich im Verhältnis 1 : 1 : 1. Daß die Nitratreduktase von Blattzellen auch als Dimer aktiv sein kann, hat sicher wesentlich zu widersprüchlichen Angaben über die Molmasse des Enzyms beigetragen. O HN H 2N
N
H N N H
C
C S
S
O H H – C C O P O H – O OH
Mo
1 Molybdopterin oder Molybdän-Cofaktor (MoCo)
Ein Modell des katalysierten Elektronentransports bei der Nitratreduktion zeigt Abb. 9.1. Wahrscheinlich findet dabei reversibler Valenzwechsel am Molybdän zwischen + 5 und + 6 statt. NADH + H+
NAD+
FADH2
2 Mo5+
FAD
2 Mo6+
NO2 + H2O
Abb. 9.1 Modell zur Wirkungsweise der Nitratreduktase.
NO3
Regulation. Nitratreduktase übernimmt offensichtlich eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle der Nitratreduktion. Ihre Aktivität ist am Tage unter Belichtung hoch, in der Nacht hingegen niedrig, vermutlich in Anpassung an die jeweils verfügbaren Reduktionsäquivalente. Zudem könnte auf diese Weise die Anreicherung und damit die toxische Wirkung von Nitrit vermieden werden. Nitratreduktase gehört nach neueren Befunden zu den Enzymen, deren Aktivität vom Phosporylierungsstatus abhängt (vgl. S. 279): dieser ist hoch im Dunkeln und könnte für den beobachteten Aktivitätsabfall ausschlaggebend sein. Wichtiger scheint die Regulation über die Menge des Enzyms zu sein, d. h. über De-novoSynthese bzw. Abbau von Apoenzym und Wirkgruppen. Neubildung von Nitratreduktase wird bei einer Anzahl von Pflanzen durch Zufuhr von Nitrat oder Nitrit ausgelöst, ein Vorgang, welcher beim Mais nach etwa zwei Stunden abgeschlossen ist. Als Gegenspieler oder Repressor verhindert Ammonium (NH4+) diese Induktion – mit anderen Worten: dient NH4+ als ausschließliche Stickstoffquelle, fehlt den Zellen aktive Nitratreduktase. Nitritreduktase überführt das in der ersten Umsetzung entstandene Nitrit nach seinem Transfer in den Chloroplasten in Ammonium (NH4+; Abb. 9.2). Das im Stroma des Chloroplasten aktive Enzym, ein Protein von 68 kDa, trägt Sirohäm (2; Häm-Eisen-Proteid) als prosthetische Gruppe und ein aktives Eisen-Schwefel-Zentrum ([4Fe-4S]).
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394
9 Aminosäuren und Nucleotide COO
– –
COO
–
–
COO
OOC A
N
N
B
Fe H3C
D
18 –
COO
N
H
N
C
CH3 12
–
COO
H
–
–
COO
COO
2 Sirohäm
NO2 , H+
Ferredoxinred [4Fe–4 S] Ferredoxinox
e
Sirohäm
Abb. 9.2 Nitritreduktion. Elektronen- und Protonentransfer bei der Nitritreduktion, katalysiert von Nitritreduktase.
NH+ 4
Elektronendonator ist reduziertes Ferredoxin, welches als beweglicher Redoxkatalysator den Kontakt zum photosynthetischen Elektronentransport herstellt; daher die Bezeichnung des Enzyms als Ferredoxin-Nitrit-Reduktase, wodurch sie vom NADPH-abhängigen Gegenstück abgegrenzt wird. Die Anbindung an den lichtgetriebenen Elektronenfluß des Choroplasten kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Nitritreduktion durch 3-(3,4-Dichlorphenyl)-1,1dimethylharnstoff (DCMU; Box 3.11, S. 125) hemmbar ist, während die Nitratreduktion unbeeinflußt weiterläuft. Unter Verbrauch von insgesamt sechs Elektronen wird Nitrit zur Stufe des Ammoniums reduziert (s. Reaktionsschema). Dieses wird sofort an Glutamat (3) gebunden; das Produkt dieser stark endergonischen Reaktion, welche entsprechend ATP verbraucht, ist Glutamin (5). Intermediär entsteht γ-Glutamylphosphat (4). Das zuständige Enzym, Glutamin-Synthetase, ist von zentraler Bedeutung, weil von der katalysierten Überführung des Ammonium-N-Atoms in organische Bindung die Synthesen zahlreicher wichtiger Stickstoffverbindungen des Chloroplasten ausgehen, vor allem von Aminosäuren (Einzelheiten S. 413 ff).
Regulation. Die Bildung von Nitritreduktase wird ähnlich wie die von Nitratreduktase bei einer Anzahl von Pflanzenarten durch Nitrit oder Nitrat induziert. Auch hinsichtlich der anderen Regulationsmöglichkeiten besteht eine auffallende Übereinstimmung zwischen beiden Enzymen der Nitratreduktion.
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9.1 Stickstoff-Assimilation –
–
COO
COO
+
H 3N C H CH2
–
COO
+
+
H3N C H ATP
ADP
CH2
CH2
γ
395
H3N C H [NH 4+]
CH2
Pi
CH2 CH2
C O
C O
C O
O–
O
NH2
–
O P O –
O 3 Glutamat
9.1.2
4 γ -Glutamylphosphat
5 Glutamin
Bindung von elementarem Stickstoff
Das Nitrat bildet in dem zyklischen Umwandlungsprozeß, dem der Stickstoff in der Natur unterliegt, nur eine Zustandsform. Eine andere stellt der elementare Stickstoff dar, welcher durch chemische oder biologische Einwirkung aus anorganischer oder organischer Bindung freigesetzt wird (s. Abb. 2.7, S. 51). Er ist für die meisten Organismen nun nicht mehr zur Dekkung ihres Stickstoffbedarfs geeignet. Das biologisch notwendige Gleichgewicht zwischen freiem und fixiertem Stickstoff bleibt jedoch dadurch gewahrt, daß eine Reihe von Mikroorganismen in der Lage ist, molekularen Stickstoff (N2) aus der Atmosphäre aufzunehmen und zunächst durch Reduktion in anorganische Bindung zu überführen. Aus dieser Form gelangt der Stickstoff dann relativ leicht in die zelleigenen Verbindungen dieser Organismen.
Freilebende und symbiontische Stickstoffbinder Organismen, welche freien Stickstoff verwerten, sind bis jetzt nur unter den Prokaryonten glaubhaft nachgewiesen worden. Hierbei sind die freilebenden von den Symbionten zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehören aerobe und anaerobe Eubakterien sowie Vertreter der phototrophen Eubakterien und der Cyanobakterien, insbesondere solcher Arten mit Heterocysten-Bildung. In der zweiten Gruppe sind neben einigen Spezies von Nostoc und Anabaena (in Lebermoos-Thalli, in Blättchen von Azolla, in Wurzeln von Cycadaceae, im Stamm von Gunnera) die Vertreter der Knöllchenbakterien vereinigt: Verschiedene im Erdboden lebende Rassen oder Arten (s. u.) von Rhizobium, Bradyrhizobium und Azorhizobium sowie solche von Frankia (Actinomyceten). Sie dringen in die Wurzeln höherer Pflanzen ein, bewirken die Ausbildung von speziellen Gewebewucherungen – Nodulation – und leben in den entstehenden Wurzelknöllchen als Mikrosymbionten. Während Rhizobium und Bradyrhizobium die Fabales (Leguminosae) als Makrosymbionten bevorzugen, finden sich die Actinomyceten als Wurzelsymbionten ausschließlich bei verholzten Pflanzen (Actino-
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9 Aminosäuren und Nucleotide
rhiza). Die befallenen Pflanzen profitieren davon, indem sie die Produkte der bakteriellen Stickstoffbindung verwerten. Zu den Rhizobiaceae gehören die Gattungen Rhizobium, Bradyrhizobium, Agrobacterium und Phyllobacterium. Rhizobium geht mit etwa 90% der Fabales-Arten (etwa 17 000) Symbiosen ein; da teilweise die Wahl des Makrosymbionten hochspezifisch geschieht, hat man auf dieser Basis eine Unterteilung in Arten bzw. Biovarietäten (physiologische Rassen) vorgenommen; so sind für Rh. leguminosarum die Biovarietäten trifolii, viciae und phaseoli oder Rh. meliloti erkannt worden. Bei Bradyrhizobium mit seinem größeren Wirtsspektrum steht B. japonicum für die verschiedenen Biovarietäten. Die Vertreter von Agrobacterium induzieren bei Infektion keine Knöllchen, sondern tumorartige Bildungen: Wurzelhals-Gallen sowie Blatt- und Sproßtumoren – A. tumefaciens – , „behaarte“ Wurzeln – A. rhizogenes – oder Teratome, d. h. sproß- oder wurzelähnliche Differenzierungen. Phyllobacterium bildet bei mehreren Arten der Rubiaceae symbiontische Blattknöllchen aus, z. B. Ph. rubiacearum, denen jedoch die Stickstoff-Fixierung fehlt. Die eminente biologische Bedeutung der N2-Bindung machen zwei Zahlen deutlich: Für die symbiontische Form bei Fabales hat man einen Gewinn von 80 – 250 kg N2 pro Hektar und Jahr als Durchschnittswert errechnet; für freilebende N2-Binder soll dieser Wert bei ca. 5 kg N2 liegen. In Reisfeldern werden jährlich durch Nostoc- und Anabaena-Arten bis zu 50 kg N2 pro Hektar gebunden.
Knöllchenbildung (Nodulation) Dieser Prozeß und damit die Begründung einer Symbiose setzt ein enges Zusammenwirken von Mikro- und Makrosymbiont voraus und vollzieht sich über folgende Etappen: 1. 2. 3. 4.
Signalaustausch und Zellerkennung zwischen den Partnern, Infektionsprozeß mit Merkmalen von Pathogenese und Parasitismus, Zellvermehrung und Gewebedifferenzierung, Etablierung neuer Stoffwechselwege.
Diese Vielfalt macht verständlich, warum das zugrundeliegende Differenzierungsprogramm nur in enger Kooperation der Partner realisiert werden kann. Für mehr als 50 Gene des Bakteriums und für zahlreiche des pflanzlichen Partners konnte bisher eine aktive Teilnahme an den einzelnen Phasen der Nodulation nachgewiesen werden. Ihre Produkte erwiesen sich meist als essentiell für den Ablauf einzelner Entwicklungsschritte. Die nachfolgenden Ausführungen zur Nodulation orientieren sich an dem oben skizzierten Programmablauf.
Signale und Erkennung. Der Prozeß der Nodulation beginnt damit, daß die Wirtspflanze das Bakterium über eine von der Wurzel ausgeschiedene Signalsubstanz (Induktor) „anspricht“: Luteolin, Chrysoeriol (Flavone; S. 387), 4,4⬘-Dihydroxy-2⬘-methoxychalkon sowie Vertreter der Anthocyanidine (S. 387 ff), der Isoflavonoide (S. 385) und der Betaine (S. 503).
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9.1 Stickstoff-Assimilation
397
Der stimulierte bakterielle Zielorganismus schüttet Morphogene oder Nodulations-(Nod-)Faktoren aus; sie sind als Lipooligosaccharide identifiziert worden: In ihrer Struktur ist eine Kette aus 3 – 5 Einheiten von N-Acetyl-D-glucosamin (Chito-oligosaccharid) mit einem ungesättigten Fettsäure-Rest über das Amino-N-Atom der terminalen nichtreduzierenden Zucker-Einheit verknüpft. Diese Substanzen werden von der Wirtspflanze aufgenommen und initiieren den Differenzierungsprozeß. Dessen Ablauf wird von der Spezifität der beteiligten Signalsubstanzen bestimmt. Bei einigen Pflanzenarten kommt es beim Kontakt mit Rhizobien zur Ausscheidung eines Phytoalexins, d. h. einer Substanz, welche normalerweise nur bei Infektion durch pathogene Mikroorganismen von der Pflanze gebildet wird (s. Box 7.3, S. 343). Diese Beobachtung deutet an, daß sie den Mikrosymbionten zunächst wie ein Pathogen empfindet. Von den beteiligten pflanzlichen Rezeptorsystemen, welche Nod-Faktoren spezifisch erkennen und ihre Signale verarbeiten, sind erst wenige Details bekannt. Als typische Antwort auf die empfangenen Stimuli gilt die einsetzende Bildung von Nodulinen, pflanzlichen Proteinen, deren Auftreten den Beginn der Infektion durch Rhizobium und die einsetzende Organogenese markiert (s. u.).
Infektion. Dieser Vorgang beginnt bei Leguminosen damit, daß Zellen von Rhizobium oder Bradyrhizobium ein Wurzelhaar ihrer Wirtspflanze besiedeln. Erfolgreiche Kontaktaufnahme gibt sich durch charakteristische Formveränderungen des Wurzelhaares zu erkennen, vor allem durch seine spiralige Verkrümmung. Sie preßt die Bakterien an die Wandung, worauf diese anschließend lokal mit Hilfe von Pektinasen und Cellulasen aufgelöst wird. Durch die resultierende Öffnung dringen Bakterien in die Wurzelhaarzelle ein. Aus einer Infektionstasche heraus entwickelt sich ein Infektionsschlauch, welcher vorwiegend aus Pektinverbindungen und Fibrillen besteht. Wenn er sich unter kontinuierlicher Verlängerung durch das Wurzelhaar, dann durch die angrenzenden Zellen der Wurzelrinde schiebt, trennt ihn eine Plasmalemma-bürtige Biomembran vom umgebenden Cytoplasma. Mit Hilfe des Infektionsschlauches findet die in seinem Inneren entstandene Bakterienpopulation den Weg in die Protoplasten von Rindenzellen (s. Abb. 9.3 b). Unmittelbar nach Kontaktaufnahme der Symbiose-Partner – bisweilen auch schon vorher – bilden Rindenzellen ein sekundäres Meristem unmittelbar unter dem Kontakt- bzw. Infektionsort, indem sie sich teilen und Zellen nach innen, d. h. in Richtung Zentralzylinder, abgliedern (s. Abb. 9.3 b). Diese Meristemzellen sowie ihre Abkömmlinge sind, vermutlich infektionsbedingt, polyploid (n = 4 – 16). Die neugebildeten Zellen formieren sich zur Knöllchenstruktur, welche schon nach 3 – 4 Tagen die Wurzeloberfläche aufwölbt. Spätestens nach 3 Wochen ist die Differenzierung des Knöllchens beendet; es besetzt als distinkte Struktur die Wurzeloberfläche (Abb. 9.3 a). Je nach Symbiosesystem ist es sphärisch oder zylindrisch konstruiert, wobei Varianten dieser beiden Grundformen möglich sind.
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9 Aminosäuren und Nucleotide
398
c
a
d
b Wurzelrinde
zylindrisch
Rhizodermis
infizierte Zellen
Leitbündel
sphärisch Isch
M Wurzel-Leitbündel
Abb. 9.3
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9.1 Stickstoff-Assimilation
399
Daß ein Wurzelknöllchen mehr ist als ein Konglomerat von Zellen, verdeutlicht sein Feinbau: er verrät typische Merkmale von Organogenese: Zentral liegen die mit Symbionten oder Bacteroiden (s. u.) angefüllten Zellen; sie werden von Leitgewebe in einer dem Knöllchen-Typ entsprechenden Anordnung durchzogen (s. Abb. 9.3 d). Diese Stränge haben Anschluß an ein Wurzel-Leitbündel gefunden. Die peripheren Schichten bilden ein Abschlußgewebe und sind dementsprechend frei von symbiontischen Bakterien. Die Außenschicht ihrer Zellen ist oft verkorkt, was ihre Durchlässigkeit stark verringert. Ob und wie die reichlich auftretenden Phytohormone, Auxine, Cytokinine und Gibberelline die Organogenese der Knöllchen steuern, ist weitgehend im dunkeln. Wenn der Infektionsschlauch das neu errichtete Meristem passiert und die abgegliederten Zellen erreicht hat, verzweigt er sich zunächst, um dann die Bakterien zu entlassen. Dies ist der Beginn der intrazellulären Symbiose. Vor allem zwei Ereignisse prägen sie: 1. die Ausbildung einer Peribacteroidenmembran (PBM; s. Abb. 9.6) und 2. die Umwandlung der Bakterien zu Bacteroiden. Bei PBM handelt es sich um eine Biomembran, welche eindringende Bakterien umhüllt und somit vom Cytoplasma der Wirtszelle trennt. Sie geht auf das Plasmalemma zurück, ist aber durch Einlagerung von Nodulinen (s. u.) und möglicherweise auch von bakteriellen Proteinen modifiziert. Neben der Abgrenzung übernimmt PBM weitere Funktionen: über sie werden Signale und Substanzen zwischen den Symbiosepartnern ausgetauscht.
Mit der Umformung der Bakterien zu Bacteroiden ist nicht nur eine Vergrößerung und Formveränderung verbunden, sondern auch die Etablierung der Fähigkeit, molekularen Stickstoff (N2) zu binden und zu reduzieren: Stickstoff-Fixierung. Bacteroide erfüllen dichtgedrängt in Gruppen die von PBM umschlossenen Vesikel in den Knöllchenzellen (Symbiosom) beim sphärischen Typ (s. Abb. 9.3 d) sind bacteroidfreie Interstitialzellen eingestreut (Abb. 9.4). Bei den schon erwähnten Nodulinen (S. 397) handelt es sich um Verbindungen, welche in Zellen des Wurzelknöllchens zu unterschiedlichen Zeitpunkten seiner Differenzierung synthetisiert werden. Einige spielen offensichtlich eine Rolle beim Infektionsvorgang bzw. bei den damit verbundenen ersten strukturellen Veränderungen in der Frühphase der Morphogenese; sie werden daher den „frühen“ Nodulinen zugerechnet. Die „späten“ Vertreter erscheinen entsprechend erst im fertig differenzierten Knöllchen und wirken bevorzugt bei der nunmehr etablierten Stickstoff-Fixierung und ihren Folgereaktionen mit. 왗 Abb. 9.3 Wurzelknöllchen der Leguminosen. a Erbsenwurzel mit Knöllchen; im Kasten a und c aus Schlegel, H. G. (1992) Allgemeivergrößert: Wurzelhaarzone. ne Mikrobiologie, Thieme Verlag, Stuttgart – b Infektionsablauf. New York. c Schnitt durch fertig ausgebildete Abk.: Isch = Infektionsschlauch, Knöllchen. M = Meristembildung d Morphologie ausdifferenzierter Knöllchen mit Anschluß der Leitelemente an das Xylem eines Wurzel-Leitbündels.
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9 Aminosäuren und Nucleotide Abb. 9.4 Elektronenoptische Aufnahme eines Ultradünnschnittes von Zellen eines Wurzelknöllchens.
(Glycine max). Zwei mit Bacteroiden angefüllte Zellen schließen eine nicht befallene Zelle ein, deren Gestalt durch den starken Turgordruck der ersteren bedingt ist. Die Vesikel im Cytosol der infizierten Zellen enthalten teilweise mehrere Bacteroide (Originalaufnahme D. Werner u. E. Mörschel).
Für einige der bisher 20 bekannten Noduline sind die Gene (enod) bekannt; sie werden offenbar unter dem Einfluß spezieller Nod-Faktoren aktiviert. Zu den späten Nodulinen gehören die Leghämoglobine, rötlich gefärbte Verbindungen im Cytoplasma der von Bacteroiden besetzten Knöllchenzellen. Ihre Struktur ähnelt der von Hämoglobinen. Wie diese sollen sie als Transportproteine für Sauerstoff agieren; diesen führen sie der Atmungskette in den Bacteroiden zu, ohne daß die sauerstoffempfindliche Nitrogenase dabei Schaden nimmt (s. u.). Als späte Noduline sind auch zwei Enzyme einzustufen, deren Bildung die durch Stickstoff-Fixierung veränderte Stoffwechselsituation in den Knöllchenzellen reflektiert: 1. Glutamin-Synthetase als cytosolisches Isoenzym von ca. 380 kDa, bestehend aus 8 Untereinheiten. Bei aktiver Stickstoff-Fixierung kann seine Menge bis zu 2% der löslichen Proteine im Cytoplasma ausmachen. Unter diesen Bedingungen ist das entsprechende Enzym der Bacteroide praktisch inaktiv. 2. Uricase II (Urat-Oxidase), das Produkt eines typischen enod-Gens; dieses Enzym wird in den Bacteroid-freien Interstitialzellen exprimiert und ist an der Umformung der dort entstehenden Purine beteiligt, welche die typischen Transportverbindungen für den reduzierten Stickstoff liefert (s. u.).
Neue Stoffwechselwege: Stickstoff-Fixierung. Bei freilebenden und symbiontischen Mikroorganismen katalysiert Nitrogenase diesen komplexen Prozeß, in dessen Verlauf molekularer Stickstoff – Dinitrogen (N2) – aufgenommen, reduziert und in organische Bindung überführt wird. Nitrogenase besteht aus
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9.1 Stickstoff-Assimilation
401
den beiden Komponenten Eisen-Protein (Fe-Protein) und Molybdän-EisenProtein (MoFe-Protein). Bei Bacteroiden mit maximaler Fixierungskapazität steigt die Menge an Nitrogenase auf bis zu 10 % ihrer löslichen Proteine an. Im Fe-Protein binden die beiden identischen Untereinheiten von 32 – 34 kDa gemeinsam ein Eisen-Schwefel-Zentrum [4 Fe-4 S]. Außerdem verfügt dieses Dimer über Bindungsstellen für Mg-ATP und Mg-ADP. Das Fe-Protein – im Hinblick auf seine Funktionsweise auch Azoferredoxin oder Dinitrogenase-Reduktase genannt – ist offensichtlich räumlich und funktionell eng mit dem MoFe-Protein, der eigentlichen Dinitrogenase, assoziiert. Diese zweite Komponente ist ein Tetramer (240 kDa) aus 2α- und 2β-Untereinheiten, welche hinsichtlich Größe, Struktur und Faltungsmuster weitgehend übereinstimmen. An sie sollen insgesamt 30 Fe- und 2 Mo-Atome gebunden sein, welche in zwei unterschiedlichen Komplexen organisiert sind (Abb. 9.5): Jedes α/β-Dimer trägt 2 [4 Fe-4 S]-Zentren, welche zwischen seinen beiden Polypeptidketten im Bereich der Faltungsdomäne I bzw. I⬘ über Cystein-Reste angeheftet sind. Im zweiten Komplex sind neben Mo noch 6 – 8 Fe mit ebenso vielen S zusammengefaßt (FeMo-Cofaktor); sein Bindungsort soll in der Furche zwischen den Faltungsdomänen II und III der α-Untereinheit liegen (s. Abb. 9.5). Möglicherweise sind zwei Zentren ausgebildet: [4 Fe-3 S] und [Mo-3 Fe-3 S].
Reduktion von Dinitrogen (N2). Dieser Prozeß ist durch drei Besonderheiten geprägt: Eine hohe Empfindlichkeit gegen molekularen Sauerstoff, bedingt durch die Nitrogenase (s. o.), ein relativ hoher Energieaufwand – pro N2 werden 16 ATP gebraucht, deren Bereitstellung beträchtliche Substratmengen erfordert – und schließlich eine gleichzeitige Freisetzung von molekularem Wasserstoff, welcher bei der Rhizobium-Symbiose schätzungsweise etwa die Hälfte der zur Nitrogenase gelangten Elektronen zum Opfer fallen können. Vielleicht liegt in diesen drei Eigenarten begründet, warum die biologische Stickstoff-Fixierung im Laufe der Evolution nur bei so wenigen Organismen verwirklicht wurde.
β
β
4 Fe-4S
4 Fe-4S
4 Fe-4S
4 Fe-4S
Fe Mo
α
Abb. 9.5 Modell der Tetramer-Struktur α2β2 des MoFeProteins von Dinitrogenase. Nach Daten der Röntgenstrukturanalyse an Kristallen des Enzyms von Azotobacter vinelandii (nach Kim u. Rees).
Fe Mo
α
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402
9 Aminosäuren und Nucleotide
Die Stickstoffreduktion läuft in vivo vermutlich über folgende Schritte ab (Abb. 9.6): Die von reduziertem Ferredoxin oder Flavodoxin angelieferten Elektronen kommen von geeigneten Verbindungen (Pyruvat, C4-Dicarbonsäuren), welche spezifischen Dehydrogenasen der symbiontischen Rhizobien als Substrate dienen. Jene werden vermutlich von der Wirtszelle produziert und gelangen mit Hilfe spezifischer Transportsysteme der Peribacteroiden- und Cytoplasmamembran in die Bacteroide. Der Elektronenübergang vom reduzierten Ferredoxin/Flavodoxin zur Dinitrogenase-Reduktase („Komponente II“) ist mit ATP-Hydrolyse gekoppelt. An ihInterstitialzelle Substrat-A2
N2
H2
Transportsysteme Bacteroid CO2
e– NAD(P)H + H+
Ferredoxin (Flavodoxin)
4Fe-4S
ADP / Pi
e–
ATP ADP, Pi
Atmungskette
e–
e–
4Fe-4S
4Fe-4S
H+
4Fe-4S Fe Mo
4Fe-4S Fe Mo
Peribacteroidenmembran
MoFe-Protein mit FeMo-Faktor
Fe-Protein
NH+ 4
Bacteroid-Membran
O2 Leghämoglobin-O2
Cytoplasma der Wirtszelle Plasmalemma
? Purine
NH+ 4 Asp 2 Asparagin
Glu 1
Purine Allantoin
Gly, Asp Glutamin
Allantoinsäure
Xylem
Abb. 9.6 Elektronentransfer bei der Überführung von molekularem Stickstoff (N2) in organische Bindung durch die Bacteroide im Wurzelknöllchen. Das Schema zeigt die Wechselbeziehungen zwischen Wirtszelle und Mikrosymbiont sowie die Wirkungsweise des Nitrogenase-Systems. Im Gegensatz zu den zylindrischen Knöllchen besitzen die sphärischen allgemein bacteriodfreie Interstitialzellen; hier wird der zunächst an Glutamin, Glycin und Aspartat gebundene reduzierte Stickstoff über Purine in
die Transportmoleküle Allantoin und Allantoinsäure überführt (s. Text). Ob die Purinsynthese ausschließlich im Cytoplasma der Wirtszelle stattfindet ist noch unklar. Beteiligte Enzyme: 햲 Glutamin-Synthetase 햳 Asparagin-Synthetase Die an der Bildung der Ureide beteiligten Enzyme finden sich im Reaktionsschema auf Seite 403.
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9.1 Stickstoff-Assimilation
403
rem [4 Fe-4 S]-Zentrum kommt es zu einem 1-Elektron-Übergang zwischen den Zuständen 2 Fe2 +-2 Fe3 + und 3 Fe3 +-Fe3 +. Die mit der ATP-Spaltung verbundene Änderung des Redoxpotentials zu stärker negativen Werten ( – 0,25 Volt auf – 0,40 Volt) steigert die Reduktionskraft des Akzeptors. Die entsprechend aktivierten Elektronen gelangen vermutlich zunächst zum [4 Fe-4 S]-Zentrum der Dinitrogenase („Komponente I“), dann von dort zum FeMo-Cofaktor; hier erfolgt die Reduktion von Stickstoff zur Stufe des Ammoniums. Ungeklärt ist, mit welchen Bestandteilen des Zentrums – Mo, Fe oder S – der molekulare Stickstoff zuerst reagiert. Möglicherweise haben auch Protonen freien Zugang zum katalytischen Zentrum und werden dort als Substrat erkannt und behandelt; dies würde die Wasserstoffproduktion durch Nitrogenase erklären.
Transportverbindungen. Die weitere Verarbeitung des von den Bacteroiden erzeugten Ammoniums obliegt nach neueren Erkenntnissen weitgehend der Wirtszelle (s. Abb. 9.6). Ammonium (NH4+) wird zunächst in deren Cytoplasma verbracht – möglicherweise über einen spezifischen Kanal in der Peribacteroidenmembran, dort in organische Bindung überführt und dann auf eine spezifische Trägerverbindung umgeladen (s. S. 392). In den Wurzelknöllchen vom zylindrischen oder nichtdeterminierten Typ (s. Abb. 9.3 d, S. 398) katalysiert Glutamin-Synthetase, ein cytosolisches Enzym der Symbiontenzellen (S. 400), die Anlagerung des reduzierten Stickstoffs an Glutamat, eine Reaktion, welche uns von der Nitratreduktion bekannt ist (Reaktionsgleichung S. 395). Alternativ kann jener durch Asparagin-Synthetase auf Aspartat übertragen werden (s. Reaktionsgleichung S. 414); das entstehende Asparagin dient ebenso wie das Glutamin als Trägermolekül für den reduzierten Stickstoff; beide Amide werden anschließend in Xylem-Elemente des knöllcheneigenen Leitgewebes überführt (s. Abb. 9.6). Bei Knöllchen vom sphärischen oder determinierten Typ (s. Abb. 9.3 d, S. 398) hingegen übernehmen vorwiegend Ureide wie Allantoin oder Allantoinsäure die Vehikel-Funktion für den reduzierten Stickstoff. Diese Verbindungen, welche in den Interstitialzellen (s. Abb. 9.4, S. 400) entstehen, sind Produkte eines O Purinnucleotid
HN O
O N
N H
N H
Xanthin-Oxidase
Xanthin
O
Harnsäure (Urat) Uricase AA (Urat-Oxidase)
CO2
H2N C N C N C NH2 H H O H Allantoinsäure
N H
N H
O
O2
COO– O
H N
HN
H2O H2N Allantoinase
O
O
H N
N N H H Allantoin
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O
404
9 Aminosäuren und Nucleotide
gezielten Abbaus der Purine Urat und Xanthin (s. Reaktionsschema). Beide kommen aus dem Cytosol der mit Bacteroiden angereicherten Knöllchenzellen. Dort werden sie aus Glutamin, Serin und Glycerin synthetisiert; von den beteiligten, knöllchenspezifischen Enzymen zeichnen sich insbesondere PyruvatKinase und Phosphoenolpyruvat-Carboxylase – letztere ein Vertreter der Noduline – durch hohe spezifische Aktivität aus. In den Interstitialzellen sind die zur Verarbeitung der importierten Purine benötigten Enzyme wie Uricase II (UratOxidase) und Xanthin-Oxidase gefunden worden; sie sind an Peroxisomen gebunden. Methode. Die Messung der Aktivität von Nitrogenase in isolierten Wurzelknöllchen oder in Extrakten derselben kann wegen der erwiesenen Inaktivierung des Enzyms durch Sauerstoff nur unter anaeroben Bedingungen erfolgen. Im Testansatz müssen ATP, ein starkes Reduktionsmittel (Dithionit), Magnesium-Ionen (Mg2 +) und ein reduzierbares Substrat angeboten werden. Letzteres braucht nicht unbedingt Stickstoff zu sein; auch Distickstoffoxid (N2O) und vor allem Acetylen (Ethin: HC ⬅ CH) werden als Substrat akzeptiert, d. h. die Substratspezifität von Nitrogenase ist nicht sehr streng ausgelegt. Weil Acetylen in vitro und in vivo effektiv reduziert wird, ist es zum Standard-Testsubstrat avanciert. Die Menge des entstehenden Ethens (H2C = CH2) wird mittels Gaschromatographie bestimmt (S. 73).
Schutzmechanismen für die sauerstoffempfindliche Nitrogenase Stickstoffbindende Organismen schützen auf sehr unterschiedliche Weise ihre Nitrogenase vor der Inaktivierung durch Sauerstoff. Von den betreffenden heterotrophen Bakterienarten leben einige strikt anaerob und vermeiden damit jeglichen Kontakt mit dem Sauerstoff; andere tolerieren ihn nur in geringen Mengen (Mikroaerophilie!) oder sind fakultativ anaerob in dem Sinne, daß sie zwar ihren Stoffwechsel mit Sauerstoff betreiben, molekularen Stickstoff aber nur in seiner Abwesenheit reduzieren. Eine wichtige Strategie besteht darin, dem Sauerstoff intrazellulär den Zugang zur Nitrogenase zu versperren: durch Bindung an Leghämoglobine, jene rötlich gefärbten Häm-Eisen-Proteide, welche wir schon als Vertreter der Noduline kennengelernt haben (S. 400). Infolge starker Akkumulierung können sie bis zu 40% der löslichen Proteine im Cytoplasma symbiontischer Wirtszellen ausmachen. Bei der Sojabohne sind 4 Leghämoglobine als Hauptvertreter identifiziert worden, welche sich nur geringfügig in der Struktur unterscheiden. Sie liefern den gebundenen Sauerstoff bedarfsgerecht an die Bacteroide bzw. deren Atmungskette ab. Deshalb bleibt der SauerstoffPartialdruck niedrig; die Nitrogenase kann entsprechend ungestört arbeiten. Stickstoffbindende Cyanobakterien müssen ihre Nitrogenase zusätzlich vor ihrem photosynthetisch produzierten Sauerstoff abschirmen. Die meisten fädigen Vertreter haben eine räumliche Trennung beider Prozesse durchgeführt, so daß diese im Licht ungestört nebeneinander ablaufen können: die Stickstoff-
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9.1 Stickstoff-Assimilation
405
bindung ist auf die Heterocysten beschränkt, spezialisierte Zellen innerhalb des Fadens, die wegen fehlendem Photosystem II keinen Sauerstoff produzieren und deren besondere Zellwandstruktur eine Diffusion von Sauerstoff ins Innere weitgehend verhindert. Die vegetativen Zellen betreiben im Licht ausschließlich Photosynthese; möglicherweise enthalten auch sie Nitrogenase, die allerdings im Licht wegen der Sauerstoffproduktion inaktiv ist, bei Dunkelheit oder bei verminderter Sauerstoffspannung (z. B. durch erhöhte Aktivität der Dissimilation) zum Zuge käme. Damit würden sich diese Zellen ähnlich verhalten wie jene Arten der Cyanobakterien, denen Heterocysten fehlen.
Regulation der Stickstoffbindung Hierbei spielt Ammonium vermutlich eine wichtige Rolle: in seiner Gegenwart unterbleibt die Synthese von Nitrogenase: Repression; sie kommt nach Verbrauch von Ammonium in der Zelle mit gewisser Verzögerung wieder in Gang: De-repression. Mit Hilfe der Gentechnik (S. 439) gelang es, die für Stickstoff-Fixierung zuständigen Gene von Klebsiella pneumoniae sowie von Rhizobium leguminosarum biovar. trifolii auf Bakterienarten ohne stickstoffreduzierende Kapazität zu übertragen, d. h. diese Organismen bildeten anschließend aktive Nitrogenase de novo.
Box 9.1
nif-Gene
Die Gene, welche die Polypeptide der Nitrogenase determinieren, sind bei freilebenden und symbiontischen Prokaryoten weitgehend identisch. Sie gehören zur Gruppe der nif-Gene, welche generell für die Ausbildung der stickstoffbindenden Kapazität zuständig sind. 21 Vertreter sind bisher bei Klebsiella oxytoca (früher: K. pneumoniae) identifiziert worden. Hinsichtlich der Lokalisation und der Anordnung von nif-Genen sind Unterschiede bei den einzelnen Organismen festgestellt worden. So liegen sie bei einigen freilebenden Spezies wie Klebsiella oxytoca gemeinsam auf einem Abschnitt (Cluster; S. 444) der zirkulären DNA (Haupt-„Chromosom“), aufgegliedert in mehrere polycistronische
Operone (S. 444). Im Unterschied dazu sind die nif-Gene von Bradyrhizobium auf zwei räumlich getrennte Cluster verteilt. Hingegen sind bei den symbiontischen Rhizobium- Arten die nif-Gene (H, D, K) zusammen mit anderen, für die Knöllchenbildung relevanten Genen (nod, fix, hsn, efn) auf einem der beiden Großplasmide, nämlich auf dem Megaplasmid 1 (pSym-Plasmid 1; Größe: ca. 1200 Kilobasenpaare) lokalisiert, d. h. außerhalb des eigentlichen BakterienGenoms oder Haupt-„Chromosoms“. Während die drei Struktur-Gene der Nitrogenase ein eigenes Cluster bilden, gehören die übrigen nif-Gene, zusammen mit anderen Genen, einem zweiten an.
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406
9 Aminosäuren und Nucleotide
9.2
Schwefel-Assimilation
Die Biosynthese von Biomolekülen mit Schwefel ist auf die reduzierte Form dieses Elements, das Sulfid (S2–), angewiesen. Dementsprechend muß das aufgenommene Sulfat zuerst reduziert werden. Diese assimilatorische Sulfatreduktion bildet somit die Eingangspforte, durch welche der Schwefel in die Mehrzahl der einschlägigen Biomoleküle gelangt. Bei einigen wenigen liegt Schwefel hingegen in der oxidierten Form vor; Sulfat ist hier direkt nach Aktivierung an bzw. in die Molekülstruktur gelangt (s. u.). In einigen Sekundärverbindungen von Pflanzen kommt Schwefel teils in reduzierter, teils in oxidierter Form vor.
9.2.1
Allgemeines
Der größere Teil des intrazellulär aufgenommenen Sulfats – möglicherweise über Protonen-Cotransport (S. 36 f) mit Hilfe einer Sulfat-Permease – gelangt in die Vakuole. Zwei Wege stehen ihm offen: 1. Der direkte Einbau in zelluläre Verbindungen nach vorausgegangener „Aktivierung“ 2. die assimilatorische Reduktion Im ersten Falle entstehen unter Reaktion mit Hydroxy-Gruppen SchwefelsäureEster von Phenolen, Steroiden, Polysacchariden (Agar-Agar, Carrageenan bei Algen!), Cholin und anderen Verbindungen. Möglicherweise werden auch auf diesem Wege die Sulfonsäuren (direkte Bindung von Schwefel an Kohlenstoff!) gebildet, welche Bestandteile von Sulfolipiden (S. 323) oder von Taurinen (Rotalgen) sind. Im zweiten Falle gelangt Sulfat in den Chloroplasten – vermutlich im Gegentausch mit Phosphat über einen Translokator – und wird dort zur Sulfid-Stufe reduziert (s. u.). Da Sulfat wenig reaktionsfreudig ist, muß es zunächst „aktiviert“ werden. Dies geschieht durch Reaktion mit ATP, welches aus der Photophosphorylierung kommt: unter Mitwirkung von ATP-Sulfat-Adenylyltransferase (ATP-Sulfurylase) entsteht Adenosin-5′-phosphosulfat (APS; 6) oder „aktives Sulfat“ (Gleichung 햲). Diese stark endergonische Reaktion erhält ihren entscheidenden Antrieb durch die hydrolytische Spaltung des freigesetzten Diphosphats mittels Pyrophosphatase: die stark negative Änderung der freien Enthalpie dieser Reaktion (∆Gm' = – 33 kJ · mol⫺1; Gleichung 햳) verbessert die Ausbeute an APS entscheidend. Ein weiteres ATP wird gebraucht, um APS in 3'-Phosphoadenosin-5'phosphosulfat (PAPS; 7) zu überführen (Gleichung 햴 u. 햵). Adenylylsulfat-Kinase katalysiert die Phosphorylierung in 3'-Stellung der Ribose. Diese Umsetzungen machen deutlich, daß die Sulfat-Assimilation ein recht energieaufwendiger Vorgang ist. PAPS übernimmt die Rolle eines Donators für die Sulfat-Gruppe (gruppenübertragendes Coenzym!); PAPS-Sulfotransferase katalysiert den Reaktionsschritt, welcher zur Bildung der Schwefelsäure-Ester führt (s. o.).
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9.2 Schwefel-Assimilation NH2
NH2 N
N O
O
–
N
O
–
O
N
O
5'
O S O P O CH2 O
N
N
O
–
O
HO
N
N
5'
O S O P O CH2
407
–
O
O
3'
O
OH
OH
–
O P O –
O 7 3'-Phosphoadenosin-5'-phosphosulfat (PAPS = aktives Sulfat“) ”
6 Adenosin-5'-phosphosulfat (APS)
1
ATP + SO42–
APS + PPi
∆ Gm' = + 45 kJ V mol-1
2
PPi
2 P1
∆ Gm' = – 33 kJ V mol-1
3
APS + ATP
PAPS + ADP
∆ Gm' = – 24 kJ V mol-1
PAPS + 2 Pi + ADP
∆ Gm' = – 12 kJ V mol-1
+ H 2O
4 total: SO42– + 2 ATP
Die Bildung von APS und PAPS gehört mit ziemlicher Sicherheit zu den biosynthetischen Aktivitäten des Chloroplasten. Von der ATP-Sulfat-Adenylyltransferase wurden zwei Formen aus Spinatblättern isoliert, beides vermutlich Tetramere aus Untereinheiten von jeweils 49 – 50 kDa; die eine im Chloroplasten trägt mit 85 – 90% zur Gesamtaktivität des Enzyms im Blatt bei; die zweite ist offenbar auf das Cytoplasma beschränkt.
9.2.2
Assimilatorische Sulfatreduktion
Diese vollzieht sich formal in zwei Schritten unter Verbrauch von acht Elektronen; im ersten wird durch einen 2-Elektronen-Transfer die Stufe des Sulfits (SO32 – ) erreicht, im zweiten durch Übertragung von insgesamt 6 Elektronen die Stufe des Sulfids (S2 – ; s. Reaktionsgleichung). Die erforderlichen Elektronen werden vom photochemischen Apparat der Photosynthese angeliefert. Ungeklärt ist noch der Ablauf einiger zwischengeschalteter Umsetzungen (s. u.). Ein Grund hierfür ist die im Vergleich zur Nitratreduktion wesentlich geringere Aktivität der Sulfatreduktion; entsprechend ist die Menge der beteiligten Enzyme ebenfalls geringer. SO42–
2e
SO32–
6e
S2–
Das zugehörige Reaktionssystem ist in höheren Pflanzen und Algen im Stroma des Chloroplasten lokalisiert; in geringem Umfange soll Sulfatreduktion auch in Wurzelgeweben stattfinden, wobei möglicherweise die Umsetzungen in Leu-
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9 Aminosäuren und Nucleotide
408
koplasten ablaufen; NADP-H + H+ soll dabei als Elektronendonator fungieren. Der reduzierte Schwefel muß dann auf geeignete Transportverbindungen umgeladen und über die Leitelemente in Xylem oder Holz den einzelnen Geweben der höheren Pflanze zugeführt werden.
Biochemie der Sulfatreduktion Wie schon angedeutet, kann der zugrundeliegende Reaktionsmechanismus noch nicht zweifelsfrei beschrieben werden. Im wesentlichen werden zwei Alternativen diskutiert. Bei der ersten wird angenommen, daß APS als Substrat für eine APS-Sulfotransferase dient; diese soll den Sulfat-Rest auf reduziertes Glutathion (S. 474) übertragen, worauf Thiosulfat als Reaktionsprodukt entsteht (Abb. 9.7 a). Thiosulfat-Reduktase besorgt die Umwandlung desselben zum Sulfid (S2 – ), welches von O-Acetyl-L-Serin-Sulfhydrylase (O-Acetylserinthiol-lyase; Cystein-Synthase) zur Bildung von Cystein verwendet wird. Leider konnte der postulierte Schritt des Sulfattransfers auf die Thiolverbindungen bisher nicht eindeutig bewiesen werden. Die zweite Alternative hat große Ähnlichkeit mit dem Ablauf von Sulfatreduktion in Eubakterien. Bei diesen fungiert PAPS als Substrat für eine PAPS-Reduktase, welche daraus mit Hilfe von reduziertem Thioredoxin Sulfit (SO32 – ) bildet (Abb. 9.7 b). Dieses wird von Sulfit-Reduktase in Sulfid überführt, welches dann von der O-Acetyl-L-Serin-Sulfhydrylase zur Synthese von Cystein verwendet wird. Mit Hilfe molekulargenetischer Verfahren konnte bei Arabidopsis thaliana das Gen einer APS-Reduktase identifiziert werden (Abb. 9.7 c). Durch Komplemen-
a
Cystein 2 Pi
ATP 2–
SO4
APS
1
4
Glutathionred Thiosulfat
2
b
3
S2– Cystein
ADP
ATP APS
5
PAPS
2– SO3
6
c
Cystein
APS
4
6e
2e 8
2– SO3
7
4
6e
Thrxred Thrxox
S2–
7
S2–
Abb. 9.7 Mechanismen der Sulfatreduktion. a Ursprüngliches Modell für höhere Pflanzen, b nachgewiesener Weg bei Bakterien, c vermuteter Ablauf im Chloroplasten höherer Pflanzen. Beteiligte Enzyme: 햲 ATP-Sulfurylase 햳 APS-Sulfotransferase 햴 Thiosulfat-Reduktase 햵 O-Acetyl-L-SerinSulfhydrylase 햶 Adenylylsulfat-Kinase 햷 PAPS-Reduktase 햸 Sulfit-Reduktase 햹 APS-Reduktase Abk.: Thrx = Thioredoxin
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9.3 Aminosäuren
409
tation von E.-coli-Mutanten, denen Thioredoxin sowie Adenylylsulfat-Kinase fehlten, konnte sichergestellt werden, daß APS tatsächlich das spezifische Substrat ist und daß reduziertes Thioredoxin nicht als Elektronendonator benötigt wird. Vermutlich übernimmt dessen Funktion ein Sequenzabschnitt am Carboxy-Terminus (S. 474) des Enzymproteins, welcher strukturmäßig große Ähnlichkeit mit Thioredoxin aufweist. Man vermutet, daß diese Sequenz-Domäne den Kontakt zum photosynthetischen Elektronentransport – vielleicht zum Ferredoxin – herstellt und den Elektronentransfer zur Reduktase-Domäne des Enzyms vermittelt. Dieses könnte plausibel erklären, warum die katalysierte Reaktion ohne reduziertes Thioredoxin auskommt; das Enzym braucht somit nicht mit anderen Prozessen um diesen Elektronenüberträger zu konkurrieren. Für die Chloroplasten-Lokalisation der APS-Reduktase spricht die in seiner Polypeptidstruktur gefundene typische Transferpeptid-Sequenz, welche den Eintransport in das Organell ermöglicht (s. S. 497). Bei der Sulfit-Reduktase handelt es sich um ein Ferredoxin-abhängiges Enzym des Chloroplasten. Bei C4-Pflanzen ist die Sulfatreduktion auf die Bündelscheidenzellen beschränkt.
9.3
Aminosäuren
9.3.1
Allgemeines
Namengebend für die Aminosäuren sind die Amino- ( – NH2) und die CarboxyGruppe ( – COOH). In den biologisch wichtigen Vertretern besetzen beide C-1, und zwar in α(2)-Stellung (s. Strukturen). Beim Glycin (S. 193) trägt C-2 außer der Amino-Gruppe nur noch H-Atome. Ersetzen wir gedanklich eines durch eine aliphatische oder aromatische Kohlenstoffkette „R“, so kommen wir zu der allgemeinen Formel für Aminosäuren (s. u.). Da das C-Atom 2 jetzt vier verschiedene Substituenten trägt, ist es asymmetrisch substituiert und daher optisch aktiv. Demgemäß existiert Spiegelbildisomerie; die Moleküle sind chiral gebaut (s. Box 9.2). Aminosäuren können der D-Reihe (R) oder der L-Reihe (S) zugeordnet werden. Bei den L-Aminosäuren, zu denen die meisten der biologisch aktiven gehören, steht die Amino-Gruppe links, bei den D-Aminosäuren – mit wenigen biologisch wichtigen Vertretern – steht sie rechts in der Projektionsformel (s. Strukturen). Diese optischen Antipoden einer Aminosäure unterscheiden sich nicht in wichtigen physikalischen Eigenschaften, wohl aber durch die Art, wie ihre Lösungen die Ebene des polarisierten Lichtes drehen. Dieser optische Drehsinn wird mit + (rechtsdrehend) oder mit – (linksdrehend) bezeichnet und steht nicht mit der L- oder D-Form im Zusammenhang. Hinsichtlich der Eigenschaften von optischen Antipoden ist anzumerken, daß Unterschiede deutlich werden, wenn sie im Zellstoffwechsel mit chiralen Verbindungen reagieren. Zu diesen gehören in erster Linie die Enzyme, denn sie sind nur aus L-Aminosäuren aufgebaut.
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410
9 Aminosäuren und Nucleotide
Box 9.2
Chiralität
Dieser Begriff bezieht sich auf Moleküle, welche sich nicht mit ihrem Spiegelbild zur Deckung bringen lassen, und bedeutet „Händigkeit“. Tatsächlich verhalten sich ein chirales Molekül und sein Spiegelbild wie die linke Hand und die rechte Hand. Ersteres weist oft ein asymmetrisches C-Atom (genauer: asymmetrisch substituiertes C-Atom) auf, in dessen Tetraedermodell die vier Ecken mit verschiedenen Substituenten besetzt sind. Einige organische Moleküle haben eine chirale Struktur, obwohl sie kein solches asymmetrisches C-Atom enthalten. Auch sie zeigen Spiegelbildisomerie. Zwei Substanzen, welche spiegelbildisomer sind, werden als Enantiomere bezeichnet; sie besitzen zwar identische chemische und weitgehend gleiche physikalische Eigenschaften (Ausnahme s. u.), offenbaren aber ihre Chiralität, wenn sie biochemisch reagieren, d. h. eine Reaktion mit einer anderen chiralen Verbindung
eingehen. Dies ist der Fall bei der Biokatalyse (S. 11 f): das beteiligte Enzym als chiraler Partner akzeptiert nur eines der beiden Enantiomere oder Antipoden (s. u.), z. B. nur die L-Form einer Aminosäure, nicht aber die D-(R-)Form. Zu den abweichenden physikalischen Eigenschaften von Enantiomeren mit asymmetrischem C-Atom zählt die Art, wie sie in Lösung die Ebene des polarisierten Lichtes drehen, entweder nach rechts (+) oder nach links ( – ). Die Enantiomeren entsprechen somit optischen Antipoden. Diese werden von Enzymen als Substrat unterschiedlich akzeptiert (s. o.). Prochiralität liegt vor, wenn in einer zunächst symmetrischen, nichtchiralen Verbindung von den zwei gleichen Gruppen am Zentralatom eine so verändert wird, daß ihre Moleküle fortan chiralen Charakter haben. Ein gutes Beispiel einer prochiralen Verbindung liefert die Citronensäure.
Sind beide Funktionsgruppen in wäßriger Lösung dissoziiert, so liegt die Aminosäure als Zwitterion (s. Tab. 9.1) vor: sie tragen entgegengesetzte Ladungen. Dies ist auch die Form, in der wir die meisten Aminosäuren unter physiologischen Bedingungen antreffen. Durch Veränderung der H-Ionen-(Protonen-)Konzentration kann jeweils eine der beiden Gruppen entladen werden: – COO – durch Erhöhung (Ansäuerung), – NH3+ durch Erniedrigung derselben (Alkalisierung). Überwiegt bei einem bestimmten pH-Wert im Gemisch der drei möglichen geladenen Formen einer Aminosäure das Zwitterion, so wird dieser als isoelektrischer Punkt bezeichnet: Die Aminosäure erscheint jetzt nach außen ungeladen, obwohl die Mehrzahl der Moleküle eine positive und eine negative Ladung aufweist. Dieser Zustand ist auch für die aus Aminosäuren aufgebauten Proteine typisch.
Einteilung der Aminosäuren. Aus den Fomelbildern der biologisch wichtigen Aminosäuren (Tab. 9.1) geht deutlich hervor, daß der Molekül-Rest „R“ chemisch sehr unterschiedlich gestaltet und durch verschiedenartige funktionelle Gruppen erweitert ist. Letztere liegen teilweise in ionisierter Form vor. Bei Berücksichtigung dieser beiden Kriterien bietet sich eine Einteilung in vier Gruppen an:
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Tab. 9.1
Biologisch wichtige Aminosäuren; Abk. in runder Klammer, Bezeichnung im Einbuchstaben-Code in eckiger Klammer
C
H
+
H3N
C
H
C
CH
C H3 H3C
+
H3N
H
C
H 2C
CH
C H3
C OO–
C OO –
+
H3N
+
H2N
C
H
C H2
C H3
C H3
C H3
L-Leucin (Leu) [L]
L-Valin (Val) [V]
H
CH
C H2
H3C L-Alanin (Ala) [A]
C OO–
C OO – +
H3N
L-Isoleucin
L-Prolin (Pro) [P]
(Ile) [I]
L-Phenylalanin
(Phe) [F]
Gruppe 1 +
H3N
C OO – C
H2C
+
H3N
H
C OO – C
H
C H2
SH
+
H3N S
S
C OO – C
H
C H2
+
C OO –
C OO –
H3N
C
+
H3N
H
H2 C
C H2 H2 C
S
C
+
H OH
C OO –
H3N
C
H
H
C
OH
C OO –
+
H3N
C
H
+
H3N
C
+
H
H 3N
C H2
C H2
C H3
C H3
C OO –
C OO– C
H
+
H3N
C H2
C O
NH2 N H
NH2
O
H
C H2
C H2
C
C OO– C
OH
+
H3N
L-Cystein
L-Cystin
L-Methionin
L-Serin
L-Threonin
L-Tyrosin
L-Glutamin
L-Asparagin
L-Tryptophan
(Cys) [C]
(Cys-Cys) [C-C]
(Met] [M]
(Ser) [S]
(Thr) [T]
(Tyr) [Y]
(Gln) [Q]
(Asn) [N]
(Trp) [W]
C OO – C
+
H
H3N
C OO – C
H
Gruppe 2 +
C OO
H3N
C
H
C H2
C H2
C OO –
C H2
C H2
C OO – L-Glutaminsäure (Glu) [E]
C H2
L-Asparaginsäure
(Asp) [D]
Gruppe 3
+
H 3N
C
C OO– +
H
H3N
C H2
C H2
H2 C
C OO –
–
+
NH3
H
C H2 NH2
C H2 H2 C
C
C
+
NH2
N H
N HN
L-Lysin
L-Arginin
L-Histidin
(Lys) [K]
(Arg) [R]
(His) [H]
411
Gruppe 4
9.3 Aminosäuren
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C OO –
C OO– +
H3N
412
9 Aminosäuren und Nucleotide
1. „R“ entspricht einer unveränderten Kohlenwasserstoffkette von stark hydrophober Natur: Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Prolin, Phenylalanin. 2. „R“ enthält nichtionisierte, aber polar wirkende Gruppen: Mercapto- (Cystein, Cystin, Methionin), Hydroxy- (Serin, Threonin, Tyrosin), Carbonsäureamid- (Asparagin, Glutamin) oder einen Heterozyklus (Tryptophan). 3. „R“ trägt eine zweite Carboxy-Gruppe; es entstehen Aminodicarbonsäuren oder „saure“ Aminosäuren: Glutaminsäure (Salz: Glutamat) und Asparaginsäure (Salz: Aspartat). 4. „R“ ist mit einer zusätzlichen basischen Gruppe versehen; entsprechend handelt es sich um Diaminomonocarbonsäuren oder „basische“ Aminosäuren: Lysin, Arginin, Histidin. Glycin paßt in keine dieser Gruppen; wegen seines geringen Raumbedarfes verhält sich diese „einfachste“ Aminosäure auch atypisch in der Proteinstruktur. Zu diesen proteinogenen Aminosäuren kommen weitere hinzu, welche nicht in Peptiden oder Proteinen erscheinen und deshalb auch eine wesentlich geringere Verbreitung haben. Rund 200 Vertreter dieser nichtproteinogenen Aminosäuren sind bei Pflanzen gefunden worden. Ein wichtiges Derivat einer klassischen Aminosäure ist 4-Hydroxyprolin (S. 250). Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan absorbieren in Lösung ultraviolette Strahlung von 280 nm, was zu ihrer quantitativen Bestimmung genutzt wird. Da sie auch Bestandteile vieler Proteine sind, können diese entsprechend quantitativ erfaßt werden. Für die Isolierung und Identifizierung einzelner Aminosäuren eignen sich die Papier-, Dünnschicht- und Ionenaustausch-Chromatographie (Box 3.3, S. 73). Vollautomatische Verfahren, welche vor allem bei der Sequenzbestimmung von Proteinen zur quantitativen Analyse von Aminosäuregemischen benutzt werden, ermöglicht der vollautomatisierte Aminosäure-Analysator.
9.3.2
Stoffwechsel von Aminosäuren
Aminosäuren sind in erster Linie die Grundbausteine der Proteine, wo sie durch Peptidbindung verknüpft sind (s. S. 473). Daneben erfüllen sie jedoch auch andere Aufgaben im Stoffwechsel. Einige dienen als Ausgangsverbindungen bei Biosynthesen: Nucleotide (S. 422 ff), Alkaloide (S. 508 ff), Porphyrine (S. 527 ff), das Phyto-Hormon Ethylen (H2C = CH2) (S. 417 f). Einige Aminosäuren steuern zumindest funktionelle Gruppen bei: Methionin „aktives Methyl“, Serin, Glycin, Histidin: „aktive C1-Körper“ (s. Box 9.3, S. 417), Glutamin die Amino-Gruppe, (s. u.). In Keimlingen werden Aminosäuren durch die Mobilisierung von Speicherproteinen freigesetzt und versorgen nach entsprechender Umwandlung wichtige Biosynthesen mit Substrat oder gehen in die Dissimilation zwecks Energiegewinnung ein.
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9.3 Aminosäuren
9.3.3
413
Biosynthese der Aminosäuren
Die Bildung von Aminosäuren ist eine der wichtigsten biochemischen Aktivitäten des Chloroplasten und beeinflußt den Stoffwechsel der pflanzlichen Zellen und Gewebe nachhaltig. Begünstigt wird diese Lokalisation sicherlich durch die Verfügbarkeit von Reduktionsäquivalenten, reduziertem Stickstoff und Kohlenstoffgerüsten im gleichen Kompartiment. Da letztere nicht alle in Eigenleistung gefertigt werden können, werden einige in Form geeigneter Verbindungen vom cytosolischen Kompartiment importiert. Dort fallen sie bei den typischen Reaktionsabläufen wie Glykolyse, Citratzyklus oder oxidativem Pentosephosphatzyklus (S. 214 ff) an. Allerdings steht der eindeutige Nachweis noch aus, daß tatsächlich alle proteinogenen Aminosäuren im Chloroplasten entstehen. Ob der Chloroplast hier eine ähnliche Monopolstellung wie bei der Produktion von Kohlenhydrat einnimmt, erscheint zweifelhaft. Die Anzeichen mehren sich, daß auch extraplastidäre Synthesewege für Aminosäuren existieren. Dieses nicht ungewöhnliche Phänomen – eine Synthese wird identisch in zwei Kompartimenten betrieben – ist uns bereits begegnet. Zuerst wollen wir uns mit den grundlegenden Reaktionen vertraut machen, über welche der reduzierte Stickstoff als Amino-Gruppe an die Kohlenstoffkette angelagert wird: 1. Reduktive Aminierung 2. Amidbildung 3. Transaminierung
Einführung der Amino-Gruppe Hierbei übernimmt Glutamat (3) die Funktion des Donators, dessen AminoGruppe ursprünglich vom Glutamin (5) kommt. In dieser Verbindung ist bekanntlich der bei der Nitratreduktion entstandene Ammoniumstickstoff in organischer Bindung festgelegt (s. S. 394). Der anschließende Transfer der AminoGruppe vom Glutamin auf 2-Oxoglutarat (9) über reduktive Transaminierung wird von Glutamin: 2-Oxoglutarat-Aminotransferase (GOGAT; auch „GlutamatSynthase“ ) katalysiert (s. Reaktionsschema). Diese irreversible Reaktion ist u. a. –
–
COO
COO
+
H3N C H CH2 CH2
C O +
CH2 C O
NH2
O
–
–
Ferredoxinox (NADP +)
CH2
C O
5 Glutamin
Ferredoxin red (NADPH + H+)
COO +
H3N C H CH2
2
GOGAT
CH2 C O
H2O
9 2-Oxoglutarat
–
O
3 Glutamat
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9 Aminosäuren und Nucleotide
typisch für die Weiterleitung des reduzierten Stickstoffs bei der symbiontischen Stickstoff-Fixierung in Wurzelknöllchen (S. 403). Die vorstehend beschriebene Reaktionssequenz, auch Glutamin-Synthetase (GS)/GOGAT-Weg genannt, wurde zuerst bei Bakterien entdeckt, später auch als typisch für Chloroplasten erkannt. Diese Umsetzungen schaffen die Grundlage für die Aminierung von Oxosäuren, der Schlüsselreaktion für die Biosynthese von Aminosäuren. Wie das Reaktionsschema zeigt, fungiert entweder reduziertes Ferredoxin oder NADP-H + H+ als Elektronendonator bei der von GOGAT katalysierten Reaktion, und zwar abhängig davon, welches der beiden plastidären Isoenzyme bedient wird. Von diesen soll das Ferredoxin-abhängige hinsichtlich Menge und Aktivität eindeutig dominieren; sein Vorkommen erstreckt sich auch auf Plastiden von Sproß und Wurzel. GOGAT besteht aus zwei identischen Untereinheiten von je 120 kDa. Inwieweit ein drittes Enzym, die Glutamat-Dehydrogenase, am Aminotransfer beteiligt ist, bleibt unklar. Gegen ihre Schlüsselrolle spricht der relativ hohe KMWert für NH4+ (~ 1 mM); er läßt keine effektive Synthese von Glutamat bei dem erwiesenermaßen niedrigen Angebot von Ammonium (NH4+) in vivo erwarten. In dieser Hinsicht ist die Glutamin-Synthetase wegen ihres deutlich niedrigeren KM-Wertes eindeutig im Vorteil: selbst bei relativ geringen Mengen liefert die Reaktion das Endprodukt mit guter Ausbeute; allerdings muß sie mit ATP-Spaltung gekoppelt sein. Glutamat-Dehydrogenase beschleunigt vermutlich bevorzugt die Rückreaktion, d. h. die oxidative Deaminierung von Glutamat im Rahmen des Aminosäureabbaus.
Amidbildung Mit dem Glutamin (5) haben wir bereits das wichtigste Amid und seine Entstehung in der Primärreaktion beim Einbau vom Ammonium-N-Atom in das organische Molekül kennengelernt (s. o.). Eine andere Trägerverbindung ist Asparagin, welches in pflanzlichen Zellen vermutlich nur über folgende Reaktion entsteht: Aspartat + Glutamin
ATP
AMP + PPi
Asparagin-Synthetase
Asparagin + Glutamat
Die beteiligte Asparagin-Synthetase ist aus Kotyledonen und aus Wurzelknöllchen (S. 403) isoliert worden; in letzteren bilden sich u. U. größere Mengen an Asparagin.
Aus Richter, G.: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen (ISBN 978-3-13-442006-7) © 1998 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
9.3 Aminosäuren
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Transaminierung Die Übertragung der Amino-Gruppe vom Donator, in erster Linie Glutamat, Aspartat, Alanin, auf eine geeignete 2-Oxosäure besorgen Aminotransferasen. Sie arbeiten mit Pyridoxalphosphat; bei dieser Wirkgruppe handelt es sich – wie bei einigen anderen – um die modifizierte Struktur eines Vitamins, nämlich des Pyridoxols (Vitamin B6-Gruppe), einem substituierten Pyridin. Auf diese essentielle Funktion von