Sprach-Geschichte: Ein Handbuch Zur Geschichte Der Deutschen Sprache Und Ihrer Erforschung (Handbooks of Linguistics and Communication Science) (German Edition) (Pt. 3) [2nd ed.] 3110158833, 9783110158830 [PDF]

This second edition of the handbook Sprachgeschichte (History of Language) is an extended revision of the first edition,

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German Pages 826 Year 2003

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Sprach-Geschichte: Ein Handbuch Zur Geschichte Der Deutschen Sprache Und Ihrer Erforschung (Handbooks of Linguistics and Communication Science) (German Edition) (Pt. 3) [2nd ed.]
 3110158833, 9783110158830 [PDF]

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Sprachgeschichte HSK 2.3 2. Auflage



Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Handbooks of Linguistics and Communication Science Manuels de linguistique et des sciences de communication Mitbegründet von Gerold Ungeheuer (†) Mitherausgegeben 1985⫺2001 von Hugo Steger

Herausgegeben von / Edited by / Edite´s par Herbert Ernst Wiegand Band 2.3 2. Auflage

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

Sprachgeschichte Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage Herausgegeben von Werner Besch · Anne Betten Oskar Reichmann · Stefan Sonderegger 3. Teilband

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die 앪

US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-015883-3 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ⬍http://dnb.ddb.de⬎ abrufbar. 쑔 Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: META-Systems GmbH, Wustermark Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin Einbandgestaltung und Schutzumschlag: Rudolf Hübler, Berlin

Inhalt Dritter Teilband XV.

Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung im Gesamtüberblick I: Pragmatische und soziologische Aspekte

156. 157.

Ingo Reiffenstein, Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache . . . . . . . Ingo Reiffenstein, Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme bis 1800 in historischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Wegstein, Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Besch, Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Möhn, Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Schildt, Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Hoffmann/Klaus J. Mattheier, Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gaston Van der Elst (†), Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Wiesinger, Die Stadt in der deutschen Sprachgeschichte V: Wien . . . Wilfried Seibicke, Fachsprachen in historischer Entwicklung . . . . . . . . . Dieter Möhn, Sondersprachen in historischer Entwicklung . . . . . . . . . . Utz Maas, Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse in bildungs- und sozialgeschichtlicher Perspektive . . . . . . . . . .

158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167.

2191 2205 2229 2252 2297 2312 2321 2341 2354 2377 2391 2403

XVI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung im Gesamtüberblick II: Sprachsystematische Aspekte 168. 169. 169a. 170. 171. 171a.

Heinrich Löffler, Hyperkorrekturen als Hilfe bei der Rekonstruktion von Sprachzuständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gotthard Lerchner, Konsonantische Lautsystementwicklungen in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Wiesinger, Systementwicklungen des Deutschen im Bereich des Vokalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Nerius, Graphematische Entwicklungstendenzen in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Simmler, Geschichte der Interpunktionssysteme im Deutschen . . . . Richard Schrodt/Karin Donhauser, Tempus, Aktionsart/Aspekt und Modus im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2419 2425 2440 2461 2472 2504

VI

172. 173. 174. 175. 176. 177.

Inhalt

Johannes Erben, Hauptaspekte der Entwicklung der Wortbildung in der Geschichte der deutschen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Reichmann, Hauptaspekte des Ausbaus und Umbaus des Wortschatzes in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Mieder, Grundzüge einer Geschichte des Sprichwortes und der Redensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . John Evert Härd, Hauptaspekte der syntaktischen Entwicklung in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Stolt, Rhetorikkonzeptionen in der Geschichte der deutschen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Besch, Anredeformen des Deutschen im geschichtlichen Wandel . .

2525 2539 2559 2569 2582 2599

XVII. Regionalsprachgeschichte 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193.

Heinz Eickmans, Aspekte einer niederrheinischen Sprachgeschichte . . . . . Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Westfälischen . . . . . . Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Sassischen . . . . . . . . Ulrich Scheuermann, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostfälischen . . . Joachim Gessinger, Aspekte einer Sprachgeschichte des Brandenburgischen Irmtraud Rösler, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostniederdeutschen Klaus J. Mattheier, Aspekte einer rheinischen Sprachgeschichte . . . . . . . Hans Ramge, Aspekte einer Sprachgeschichte des Hessischen . . . . . . . . Gotthard Lerchner, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostmitteldeutschen Alfred Klepsch/Helmut Weinacht, Aspekte einer fränkischen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fre´de´ric Hartweg, Die Entwicklung des Verhältnisses von Mundart, deutscher und französischer Standardsprache im Elsaß seit dem 16. Jahrhundert Konrad Kunze, Aspekte einer Sprachgeschichte des Oberrheingebietes bis zum 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Aspekte einer Sprachgeschichte der deutschen Schweiz Ingo Reiffenstein, Aspekte einer Sprachgeschichte des Bayerisch-Österreichischen bis zum Beginn der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Reiffenstein, Aspekte einer bayerischen Sprachgeschichte seit der beginnenden Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Wiesinger, Aspekte einer österreichischen Sprachgeschichte der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2629 2640 2651 2663 2674 2699 2712 2729 2744 2767 2778 2810 2825 2889 2942 2971

Erster Teilband Verzeichnis der Siglen für wissenschaftliche Zeitschriften, Reihen und Sammelwerke XVI Verzeichnis textlicher Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI Geleitwort / Foreword / Avant-propos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Vorwort zur 2., vollständig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage . . . . . . . . . XXIX Vorwort zur ersten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI

VII

Inhalt

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

14. 15. 16. 17. 18. 19.

Deutsche Sprachgeschichte im Rahmen der Kulturgeschichte Oskar Reichmann, Sprachgeschichte: Idee und Verwirklichung . . . . . . . . Peter von Polenz, Deutsche Sprache und Gesellschaft in historischer Sicht . . Joachim Schildt, Deutsche Sprachgeschichte und Geschichte von Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Blank, Deutsche Sprachgeschichte und Kirchengeschichte . . . . . . Ruth Schmidt-Wiegand, Deutsche Sprachgeschichte und Rechtsgeschichte bis zum Ende des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruth Schmidt-Wiegand, Deutsche Sprachgeschichte und Rechtsgeschichte seit dem Ausgang des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin Burkhardt, Deutsche Sprachgeschichte und politische Geschichte . . Jürgen Bolten, Deutsche Sprachgeschichte und Wirtschaftsgeschichte . . . . Klaus-Peter Wegera, Deutsche Sprachgeschichte und Geschichte des Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Cox/Matthias Zender (†), Sprachgeschichte, Kulturraumforschung und Volkskunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karlheinz Jakob, Deutsche Sprachgeschichte und Geschichte der Technik Harald Burger, Deutsche Sprachgeschichte und Geschichte der Philosophie Uwe Pörksen, Deutsche Sprachgeschichte und die Entwicklung der Naturwissenschaften. ⫺ Aspekte einer Geschichte der Naturwissenschaftssprache und ihrer Wechselbeziehung zur Gemeinsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Koller, Übersetzungen ins Deutsche und ihre Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Geschichte deutschsprachiger Bibelübersetzungen in Grundzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hugo Steger, Sprachgeschichte als Geschichte der Textsorten, Kommunikationsbereiche und Semantiktypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Grubmüller, Sprache und ihre Verschriftlichung in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Grubmüller, Gegebenheiten deutschsprachiger Textüberlieferung bis zum Ausgang des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Schmitz, Gegebenheiten deutschsprachiger Textüberlieferung vom Ausgang des Mittelalters bis zum 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . .

II.

Sprachgeschichte in gesellschaftlichem Verständnis

20. 21.

Andreas Gardt, Die Sprachgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts . . Ulrike Haß-Zumkehr, Die gesellschaftlichen Interessen an der Sprachgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Stötzel/Klaus-Hinrich Roth, Das Bild der Sprachgeschichte in deutschen Sprachlehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen A. Bär, Die Rolle der Sprachgeschichte in Lexika und sonstigen Werken der Verbreitung kollektiven Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Hinrich Roth, Positionen der Sprachpflege in historischer Sicht . . . Klaus Gloy, Sprachnormierung und Sprachkritik in ihrer gesellschaftlichen Verflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22. 23. 24. 25.

1 41 55 63 72 87 98 123 139 160 173 181

193 210 229 284 300 310 320

332 349 359 370 383 396

VIII

26.

Inhalt

Alan Kirkness, Das Phänomen des Purismus in der Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III.

Wissenschaftshistorische Stufen sprachgeschichtlicher Forschung entlang der Zeitlinie

27.

Stefan Sonderegger, Ansätze zu einer deutschen Sprachgeschichtsschreibung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Sprachgeschichtsforschung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Putschke, Die Arbeiten der Junggrammatiker und ihr Beitrag zur Sprachgeschichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reiner Hildebrandt, Der Beitrag der Sprachgeographie zur Sprachgeschichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Schrodt, Sprachgeschichte in der Sicht strukturalistischer Schulen Willi Mayerthaler (†), Sprachgeschichte in der Sicht der Generativen Transformationsgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Cherubim, Sprachgeschichte im Zeichen der linguistischen Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28. 29. 30. 31. 32. 33.

IV.

Geschichte und Prinzipien der Sprachgeschichtsforschung nach Beschreibungsebenen

34. 35. 36. 37. 38. 39.

43.

Manfred Kohrt, Historische Graphematik und Phonologie . . . . . . . . . . Otmar Werner (†), Historische Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Solms, Historische Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Reichmann/Dieter Wolf, Historische Lexikologie . . . . . . . . . . . . Herbert Ernst Wiegand, Historische Lexikographie . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Gärtner/Peter Kühn, Indices und Konkordanzen zu historischen Texten des Deutschen: Bestandsaufnahme, Typen, Herstellungsprobleme, Benutzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Burger/Angelika Linke, Historische Phraseologie . . . . . . . . . . . Franz Hundsnurscher, Historische Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Bammesberger, Geschichte der etymologischen Forschung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Stolt, Historische Textologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V.

Methodologische und theoretische Problemfelder

44. 45.

Thorsten Roelcke, Die Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte . . . Ludwig Jäger, Das Verhältnis von Synchronie und Diachronie in der Sprachgeschichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus J. Mattheier, Allgemeine Aspekte einer Theorie des Sprachwandels Walter Haas, Ansätze zu einer Theorie des Sprachwandels auf lautlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Leiss, Ansätze zu einer Theorie des Sprachwandels auf morphologischer und syntaktischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40. 41. 42.

46. 47. 48.

407

417 443 474 495 520 529 538

552 572 596 610 643

715 743 755 775 786

798 816 824 836 850

IX

Inhalt

49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.

Gerd Fritz, Ansätze zu einer Theorie des Sprachwandels auf lexikalischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Hoffmann, Probleme der Korpusbildung in der Sprachgeschichtsschreibung und Dokumentation vorhandener Korpora . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kleiber, Möglichkeiten historischer Sprachgeographie I: Der hochdeutsche Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Goossens, Möglichkeiten historischer Sprachgeographie II: Der niederdeutsche und niederfränkische Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Schröder, Editionsprinzipien für deutsche Texte des Früh- und Hochmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bein, Editionsprinzipien für deutsche Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Tarot, Editionsprinzipien für deutsche Texte der Neuzeit I: literarische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Woesler, Editionsprinzipien für deutsche Texte der Neuzeit II: nichtliterarische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Krewitt, Probleme des Verstehens altdeutscher Texte und die Möglichkeiten ihrer Übersetzung ins Neuhochdeutsche . . . . . . . . . . . . . . .

VI.

Die genealogische und typologische Einordnung des Deutschen

58.

Elmar Seebold, Indogermanisch ⫺ Germanisch ⫺ Deutsch: Genealogische Einordnung und Vorgeschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Binnig, Der Quellenwert des Gotischen für die sprachgeschichtliche Beschreibung der älteren Sprachstufen des Deutschen . . . . . . . . . . Heinrich Beck, Die germanischen Sprachen der Völkerwanderungszeit . . . Karl-Horst Schmidt, Versuch einer geschichtlichen Sprachtypologie des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thorsten Roelcke, Typologische Unterschiede in den Varietäten des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59. 60. 61. 62.

860 875 889 900 914 923 931 941 948

963 973 979 993 1000

Zweiter Teilband VII.

Aspekte einer europäischen Sprachgeschichte

63.

Christian Schmitt, Sprach- und Nationenbildung in Westeuropa (bis zur Jahrtausendwende) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Sprachgeschichtliche Aspekte der europäischen Christianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmitt, Latein und westeuropäische Sprachen . . . . . . . . . . . Klaus J. Mattheier, Die Herausbildung neuzeitlicher Schriftsprachen . . . . Richard Baum, Französisch als dominante Sprache Europas . . . . . . . . . Manfred Görlach, Englisch als neuer Typ von Weltsprache und europäische Nationalsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Baldur Panzer, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Wortschatz europäischer Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64. 65. 66. 67. 68. 69.

1015 1030 1061 1085 1107 1117 1123

X

70.

Inhalt

John Ole Askedal, Gemeinsamkeiten in der grammatischen Struktur europäischer Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1136

VIII. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen I: Das Althochdeutsche 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.

Dieter Geuenich, Soziokulturelle Voraussetzungen, Sprachraum und Diagliederung des Althochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Simmler, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Althochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Morphologie des Althochdeutschen . . . . . . . . . . . . Jochen Splett, Lexikologie und Lexikographie des Althochdeutschen . . . . Albrecht Greule, Syntax des Althochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen Splett, Wortbildung des Althochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Schwarz, Die Textsorten des Althochdeutschen . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Reflexe gesprochener Sprache im Althochdeutschen . .

IX.

Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen II: Das Altniederdeutsche (Altsächsische)

79.

Thomas Klein, Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Klein, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Tiefenbach, Morphologie des Altniederdeutschen (Altsächsischen) Willy Sanders, Lexikologie und Lexikographie des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmengard Rauch, Syntax des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . Jürgen Meier/Dieter Möhn, Wortbildung des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willy Sanders, Die Textsorten des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . Ulrich Scheuermann, Die Diagliederung des Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willy Sanders, Reflexe gesprochener Sprache im Altniederdeutschen (Altsächsischen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

X.

Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen III: Das Mittelhochdeutsche

88.

Ursula Rautenberg, Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Mittelhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Wegera, Grundlagenprobleme einer mittelhochdeutschen Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Simmler, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Mittelhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Grosse, Morphologie des Mittelhochdeutschen . . . . . . . . . . . . Klaus Grubmüller, Lexikologie und Lexikographie des Mittelhochdeutschen Norbert Richard Wolf, Syntax des Mittelhochdeutschen . . . . . . . . . . . .

89. 90. 91. 92. 93.

1144 1155 1171 1196 1207 1213 1222 1231

1241 1248 1252 1257 1263 1270 1276 1283 1288

1295 1304 1320 1332 1340 1351

XI

Inhalt

94. 95. 96. 97. 98.

Herta Zutt, Wortbildung des Mittelhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . Hannes J. Kästner/Bernd Schirok, Die Textsorten des Mittelhochdeutschen Norbert Richard Wolf, Die Diagliederung des Mittelhochdeutschen . . . . Siegfried Grosse, Reflexe gesprochener Sprache im Mittelhochdeutschen Ulrike Kiefer, Das Jiddische in Beziehung zum Mittelhochdeutschen . . . .

XI.

Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen IV: Das Mittelniederdeutsche

99.

Robert Peters, Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Niebaum, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . John Evert Härd, Morphologie des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . Ingrid Schröder/Dieter Möhn, Lexikologie und Lexikographie des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . John Evert Härd, Syntax des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Cordes (†)/Hermann Niebaum, Wortbildung des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Meier/Dieter Möhn, Die Textsorten des Mittelniederdeutschen . . . Robert Peters, Die Diagliederung des Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . Karl Bischoff (†)/Robert Peters, Reflexe gesprochener Sprache im Mittelniederdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Peters, Die Rolle der Hanse und Lübecks in der mittelniederdeutschen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Timothy Sodmann, Die Verdrängung des Mittelniederdeutschen als Schreib- und Druckersprache Norddeutschlands . . . . . . . . . . . . . . . .

100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109.

XII.

Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen V: Das Frühneuhochdeutsche

110.

Hans-Joachim Solms, Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Richard Wolf, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Wegera/Hans-Joachim Solms, Morphologie des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Wolf, Lexikologie und Lexikographie des Frühneuhochdeutschen . . Johannes Erben, Syntax des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Wegera/Heinz-Peter Prell, Wortbildung des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hannes J. Kästner/Eva Schütz/Johannes Schwitalla, Die Textsorten des Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Reichmann, Die Diagliederung des Frühneuhochdeutschen . . . . . . Anne Betten, Zum Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache im Frühneuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Bentzinger, Die Kanzleisprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Knape, Das Deutsch der Humanisten . . . . . . . . . . . . . . . . .

111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120.

1358 1365 1385 1391 1399

1409 1422 1431 1435 1456 1463 1470 1478 1491 1496 1505

1513 1527 1542 1554 1584 1594 1605 1623 1646 1665 1673

XII

121. 122. 123.

Inhalt

Fre´de´ric Hartweg, Die Rolle des Buchdrucks für die frühneuhochdeutsche Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Richard Wolf, Handschrift und Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Besch, Die Rolle Luthers für die deutsche Sprachgeschichte . . . .

1682 1705 1713

XIII. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstufen VI: Das Neuhochdeutsche in seiner Entwicklung vom 17. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138.

Natalija N. Semenjuk, Soziokulturelle Voraussetzungen des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burckhard Garbe, Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Neuhochdeutschen seit dem 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Heinrich Veith, Bestrebungen der Orthographiereform im 18., 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Mangold, Entstehung und Problematik der deutschen Hochlautung Klaus-Peter Wegera, Morphologie des Neuhochdeutschen seit dem 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Reichmann, Die Lexik der deutschen Hochsprache . . . . . . . . . . . Siegfried Grosse, Die Belebung mittelhochdeutschen Sprachguts im Neuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ´ gel, Syntax des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. JahrhunVilmos A derts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudine Moulin-Fankhänel, Deutsche Grammatikschreibung vom 16. bis 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva-Maria Heinle, Wortbildung des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Endermann, Die Textsorten des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Wiesinger, Die Diagliederung des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus J. Mattheier, Die Durchsetzung der deutschen Hochsprache im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert: sprachgeographisch, sprachsoziologisch Heinrich Löffler, Gesprochenes und geschriebenes Deutsch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Utz Maas, Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . .

XIV.

Entwicklungstendenzen der deutschen Sprache seit der Mitte des 20. Jahrhunderts

139.

Lothar Hoffmann, Die Rolle der Fachsprachen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Schank/Johannes Schwitalla, Ansätze neuer Gruppen- und Sondersprachen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Clyne, Varianten des Deutschen in den Staaten mit vorwiegend deutschsprachiger Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140. 141.

1746 1765 1782 1804 1810 1818 1847 1855 1903 1911 1918 1932 1951 1967 1980

1991 1999 2008

XIII

Inhalt

142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153.

154. 155.

Hartmut Schmidt, Entwicklung und Formen des offiziellen Sprachgebrauchs der ehemaligen DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Löffler, Die Rolle der Dialekte seit der Mitte des 20. Jahrhunderts Rainer Wimmer, Sprachkritik in der wissenschaftlichen Diskussion des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Wimmer, Sprachkritik in der Öffentlichkeit seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Schoenthal (†), Impulse der feministischen Linguistik für Sprachsystem und Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regina Hessky, Entwicklungen der Phraseologie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arend Mihm, Die Rolle der Umgangssprachen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich Straßner, Neue Formen des Verhältnisses von Sprache und Visualität seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruth Römer, Entwicklungstendenzen der Werbesprache seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Nail, Zeitungssprache und Massenpresse in der jüngeren Geschichte des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Brandt, Sprache in Hörfunk und Fernsehen . . . . . . . . . . . . . Ulrich Schmitz, Auswirkungen elektronischer Medien und neuer Kommunikationstechniken auf das Sprachverhalten von Individuum und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Born/Wilfried Schütte, Die Stellung des Deutschen in den europäischen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Ammon, Geltungsverlust und Geltungsgewinn der deutschen Sprache seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2016 2037 2047 2054 2064 2101 2107 2137 2146 2152 2159

2168 2175 2185

Vierter Teilband XVIII. Grundlagen einer literarischen Sprachgeschichte des Deutschen 194. 195. 196. 197. 198. 199. 200.

Anne Betten, Deutsche Sprachgeschichte und Literaturgeschichte . . . . . . Kurt Gärtner, Grundlinien einer literarischen Sprachgeschichte des deutschen Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kaempfert, Grundlinien einer literarischen Sprachgeschichte in neuhochdeutscher Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Ernst, Die sprachliche Leistung und Wirkung der deutschen Klassik Thorsten Roelcke, Sprachgeschichtliche Tendenzen des literarischen Experiments im 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wulf Köpke, Das Sprachproblem der Exilliteratur . . . . . . . . . . . . . . . Anne Betten, Entwicklungen und Formen der deutschen Literatursprache nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3002 3018 3042 3070 3092 3110 3117

XIV

Inhalt

XIX. Das Deutsche im Sprachenkontakt I: Systematische und soziologische Aspekte 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213.

Els Oksaar, Terminologie und Gegenstand der Sprachkontaktforschung . . Nikolaus Henkel, Lateinisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niklas Holzberg, Griechisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isabel Zollna, Französisch und Provencalisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . Max Pfister, Italienisch und Rätoromanisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . Karl Mollay (†)/Peter Bassola, Ungarisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . Günter Bellmann, Slavisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Kiefer, Jiddisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Hinderling/Cornelius Hasselblatt, Baltisch/Deutsch . . . . . . . . . . Hans-Peter Naumann, Skandinavisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gilbert A. R. de Smet, Niederländisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . ˚ rhammar, Friesisch/Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nils A Wolfgang Viereck, Britisches Englisch und amerikanisches Englisch/Deutsch

XX.

Das Deutsche im Sprachenkontakt II: Aspekte der Sprachgrenzbildung des Deutschen

214.

Wolfgang Haubrichs, Geschichte der deutsch-romanischen Sprachgrenze im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Geschichte der deutsch-romanischen Sprachgrenze im Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Scheuringer, Geschichte der deutsch-ungarischen und deutschslawischen Sprachgrenze im Südosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vibeke Winge, Geschichte der deutsch-skandinavischen Sprachgrenze . . . Ludger Kremer, Geschichte der deutsch-friesischen und deutsch-niederländischen Sprachgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215. 216. 217. 218.

3160 3171 3183 3192 3203 3218 3229 3260 3269 3282 3290 3300 3317

3331 3347 3365 3380 3390

XXI. Deutsche Namengeschichte im Überblick 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225.

Stefan Sonderegger, Namengeschichte als Bestandteil der deutschen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Sonderegger, Terminologie, Gegenstand und interdisziplinärer Bezug der Namengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht Greule, Schichten vordeutscher Namen im deutschen Sprachgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedhelm Debus/Heinz-Günter Schmitz, Überblick über Geschichte und Typen der deutschen Orts- und Landschaftsnamen . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kleiber, Die Flurnamen. Voraussetzungen, Methoden und Ergebnisse sprach- und kulturhistorischer Auswertung . . . . . . . . . . . . . . Albrecht Greule, Überblick über Geschichte und Typen der deutschen Gewässernamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilfried Seibicke, Überblick über Geschichte und Typen der deutschen Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3405 3436 3460 3468 3515 3530 3535

XV

Inhalt

XXII. Register 226. 227.

Anja Lobenstein-Reichmann, Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anja Lobenstein-Reichmann, Verfasserregister . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3553 3641

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung im Gesamtüberblick I: Pragmatische und soziologische Aspekte 156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Voraussetzungen theodiscus Teutonicus *Ìeudisk ⫺ diutisk ⫺ deutsch Germanicus Bezeichnungen des Deutschen in den Nachbarsprachen Literatur (in Auswahl)

1.

Voraussetzungen

Die Sprachbezeichnung deutsch (zusammenfassende Darstellungen bei Sonderegger 1988; Haubrichs 1993) unterscheidet sich ihrer Bildung nach von den meisten anderen Sprachadj. grundsätzlich. Im Regelfall sind Sprachadj. von Stammes- oder Landesnamen abgeleitet, z. B. Latinus von Latinum, lingua Latina ‘Sprache der Leute von Latium’, ebenso Italicus von Itali ‘Italer’, englisch von Angeln, französisch (frz. franc¸ais ⬍ lat. franciensis) von Franken usw. Das Sprachadj. deutsch hat keine gentile Basis, vielmehr wurde umgekehrt der Volksname der Deutschen erst sekundär aus dem Sprachnamen gebildet. Die Etymologie des Wortes deutsch bietet im Gegensatz zur Wortgeschichte keine Probleme: zugrunde liegt germ. *peud-iskaz, Zugehörigkeitsadj. auf -isk- zu *peudo¯ ‘Stamm, Volk, Gruppe, Menge’ (got. piuda, ae. pe´od, ahd. deot(a), mhd. diet; zur Bedeutungsbreite von deota/diet vgl. Ehrismann 1993, 20ff.; auch in anderen Sprachen sind Entsprechungen von idg. *teuta gut bezeugt: z. B. oskisch touto ‘civitas’, tu´vtı´ks ‘publicus’, lit. tauta` ‘Volk, Land’, air. tuath ‘dass.’, der Stammesname der Teutonen [keltisiert aus germ. *Theudanoz]; zur Wurzel idg. *te¯u- ‘schwellen’, auch in lat. totus, dt. tausend usw.; Pokorny 1959, 1084f.). Als Ausgangsbedeutung von *peudisk- ist ‘zur diota gehörig, der d. eigentümlich’, auf die Sprache bezogen ‘volkssprachig’ zu erschließen. Die historischen Entsprechungen des Wortes (s. u.) beziehen sich auf die Sprache der Illitterati, stellen die (germ.,

vordt.) Volkssprache also in erster Linie in Gegensatz zum Latein der Schriftgebildeten.

Als im späten 8. und im 9. Jh. die ersten Texte entstanden, die wir heute als dt. (ahd., asächs.) bezeichnen, gab es noch keine dt. Sprache und noch weniger Deutsche, sondern es gab die gentes der Franken, Alemannen, Baiern, Thüringer, Sachsen und südlich der Alpen der Langobarden und deren je verschiedene Stammessprachen oder -dialekte. Die Variation zwischen diesen Sprachen war zwar kaum so groß, daß sie die Kommunikation zwischen den Angehörigen der verschiedenen gentes ernsthaft behindert hätte, aber es bestand weder Anlaß noch das Bedürfnis nach einer zusammenfassenden supragentilen Eigenbezeichnung der Sprachverwandtschaft. Die Zusammengehörigkeit auf politischer Ebene sicherte das Regnum Francorum, das aber auch Angehörige nichtgerm. Völker einschloß. Ein Bedürfnis, die supragentile Gemeinsamkeit der germ. Sprachen dieses Regnum im Gegensatz sowohl zum Lat. wie zu den rom. und slaw. Sprachen zu bezeichnen, ergab sich erst aus der Außensicht. Wollte man es befriedigen, dann bedurfte man eines neuen Wortes.

2.

theodiscus

2.1. Dieses neue Wort begegnet zuerst in mlat. Gestalt: 786 wurden nach dem Bericht des päpstlichen Legaten Bischof Georg von Ostia-Amiens an Papst Hadrian I. bei einer Synode in England die Beschlüsse tam latine quam theodisce verlesen, im „offiziellen“ Lat. und in der Volkssprache der anwesenden Laien, damit alle sie verstehen könnten. 788 wird im Hochverratsprozeß gegen den Baiernherzog Tassilo das todeswürdige Vergehen ausdrücklich mit dem volkssprachlichen Rechtsterminus benannt: quod theo-

2192

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

disca lingua harisliz (‘Heerschliß, Fahnenflucht’) dicitur; 801 läßt Karl d. Gr. diesen Begriff in ähnlicher Formulierung in das Capitulare Italicum aufnehmen: quod nos teudisca lingua dicimus herisliz. Insgesamt gibt es für unser Wort aus dem 9.⫺11. Jh. etwa 50 Belege in „amtlichen“ Texten der karolingischen Könige (Kaiser), in literarischen Texten vor allem von Autoren aus dem Umkreis des Hofes (von Smaragd von St. Mihiel und Hrabanus Maurus über die Heliand-Praefatio bis zu Otfried) und in Glossen (Beleg-Zusammenstellungen bei Krogmann 1936, 15⫺35; Eggers 1970, 406; Brühl 1990, 186⫺205; Wells 1990, 783; Reiffenstein 1997). Bezog sich theodisce des Erstbelegs offensichtlich auf das Aengl., so die theodisca lingua 788 und 801 auf die Sprache der in Karls Heerbann versammelten rechtsprechenden Franken, Baiern, Langobarden, Sachsen vel ex omnibus provinciis, qui […] congregati fuerint (788). Die gemeinsame Bedeutung aller Belege ist ‘volkssprachlich’ mit der Einschränkung auf germ. Sprachen. Im offiziellen Sprachgebrauch karolingischer Urkunden und Rechtstexte ist die Sprache der germ.vordt. Stämme in Karls Reich, ab der Mitte des 9. Jhs. im Ostfrankenreich gemeint. Im Vordergrund steht der Gegensatz der Volkssprache zum Lat. (in dessen Kontext die Markierung meist überhaupt erst Sinn gewinnt), so in allen Glossenbelegen (z. B. Unio […] et dicitur thuitisce perula; Calces […] in theotisca lingua dicitur chalc; Larum meˆh in diutisco dicitur Gl. I 654, 47; IV 226, 13; I 801, 20). Daneben dient theodiscus in Kanzleitexten auch zur Abgrenzung von den rom. Volkssprachen: Mehrere Synoden des Jahres 813 forderten die Predigt in der Volkssprache (Mainz: in sua lingua, Reims: secundum proprietatem linguae praedicare), jene von Tours konkret: in rusticam Romanam linguam aut Theotiscam. Ähnlich werden in Nithards Bericht über die Straßburger Eide (842) und in der Koblenzer Vereinbarung von 860 zwischen Ludwig, Karl und Lothar II. die Teudisca lingua und die Romana l. gegenübergestellt. Die Langobardi, 788 noch zur theodisca lingua gezählt, werden in einer Trienter Urkunde von 845 den Teutisci gegenübergestellt, waren also romanisiert; allerdings weiß noch 978 das Chronicon Salernitanum: lingua todesca (der älteste Beleg für die italienische Lautform), quod olim Langobardi loquebantur (Krogmann 1936, 33). Im literarischen Sprachgebrauch des 9. Jhs. fällt auf, daß einige Autoren in fast programmatischer

Weise theodiscus außer für das Frk. auch für das Got. (Smaragd, Walahfrid) et ceterae nationes Theotiscae (Frechulf von Lisieux) anwenden. Auch Hraban schreibt (De inventione linguarum), von den Markomannen (quos nos Nordmannos vocamus) stammten jene ab, qui Theodiscam loquntur linguam. Hinter solchen Äußerungen eines „Germanenbewußtseins“ hat man wohl zu Recht einen Schulzusammenhang vermutet, der auf Alcuin verweist (Brinkmann 1941, 201ff.; Baesecke 1943, 329ff.). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der auf die germ. Sprachen und Stämme erweiterte Gebrauch von theodiscus durch die Rezeption der Germania des Tacitus ermöglicht und angeregt wurde. Er blieb indes lediglich Episode.

Seit dem späten 9. Jh. tritt Teutonicus (s. u. 3.) in Konkurrenz zu theodiscus, das nun nur mehr selten und seit der Mitte des 11. Jhs. gar nicht mehr verwendet wird (lediglich in Glossen-Hss. begegnet es noch bis ins 12./13. Jh., Reiffenstein 1997, 78). Bis fast zum Ende seines Vorkommens ist theodiscus ausschließlich appellativisches Sprachadj. (anders Eggers 1961, 380f.). Es bezieht sich auf Varietäten des Ahd. und Asächs. oder auf ihre Gesamtheit (in gelehrten Texten gelegentlich erweitert auf historische germ. Sprachen) und stellt die Volkssprache vor allem dem Lat. (‘nicht-lat.’) gegenüber, auf der Ebene der Volkssprachen daneben der lingua Romana (s. o., so auch im Letztbeleg von ca. 1050, Miracula S. Trudonis [St. Truiden, Limburg], Krogmann 1936, 35), der lingua Sclavanisca (970, Schenkung Ottos I. an Salzburg, Thomas 1990 b, 33) und seit 845 dem Langob. (s. o.). Auch die wenigen Belege eines erweiterten Gebrauchs stellen das Adj. gleichzeitig in einen engen Bezug zur Sprache, so nationes Theotiscae bei Frechulf, gens teudisca bei Godescalc (Thomas 1976, 26), Theutisci bei Walahfrid. Am ehesten ist dieser Bezug gelockert bei einigen auffallend frühen Belegen des subst. Adj. aus Italien (816 Bergamo teotischis, Brühl 1990, 201f.; Jarnut 1996; 845 Trient s. o.; vgl. auch 933 comites Teutiski, Ehlers 1989, 307, A. 19). Eine Entwicklung des Appellativs zum Namen (‘dt.’) ist jedenfalls den nordalpinen Belegen bis zum Ende des 10. Jhs. nicht abzugewinnen. „Erst im 11. Jh. finden sich Stellen, die nun in der Tat einen erweiterten Sinn des Wortes erkennen lassen“ (Brühl 1990, 204), wenn die Viten der Hildesheimer Bischöfe Bernward und Godehard (ca. 1025 bzw. 1035) Theotiscos episcopos u. ä. nennen, wenn die erstere Otto III. in Rom meos Saxones et cunctos Theotiscos apostrophieren läßt und wenn etwa gleichzeitig Ademar von Chaban-

156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache

2193

nes von der Gründung Bambergs in terra Teodisca berichtet (Krogmann 1936, 34). Die semantischen Grenzen eines Sprachadj. sind damit überschritten; theodiscus konnte am Ende seiner Geschichte (auch) die Funktionen eines (geographischen, politischen?) Namens wahrnehmen.

tiutiscae St. Gallen 882; thiutisce Gl. II 73, 29.61, Salzburg 11. Jh.). All diese Schreibformen sind nicht allein aus mlat. Schreibgebrauch erklärbar, sondern erweisen mittelbar die Existenz eines ahd. *diutisk, th-, asächs. *thiudisk.

2.2. Theodiscus ist ein mlat. Wort germ. Ursprungs. Die Erklärung der Übernahme oder Bildung des Wortes hat man auf zwei grundsätzlich verschiedenen Wegen (mit Differenzierungen im einzelnen) gesucht: a) Entlehnung eines vorhandenen germ. Wortes *theudisk, z. B. aus dem Frk. (wie andere mlat. Rechtsbegriffe auch, z. B. allodium, feum/feudum, treuga); b) Neubildung durch Lehnübersetzungen (*theodisk nach lat. vulg-aris oder gent-ilis), die jedoch sogleich latinisiert (theodiscus) und ausschließlich lat. gebraucht worden sei. Spätahd. diutisk sei durch Eindeutschung von theodiscus entstanden.

2.2.1. Daß theodiscus die latinisierte Form eines bereits existierenden germ. *theudisk ‘volkssprachlich’ sei, war seit J. Grimm (1840, 7) immer die mehrheitlich vertretene Auffassung. Freilich ist dieses Wort (in dieser Bedeutung) in keiner älteren germ. Sprache belegt. Dennoch „ist an der Existenz eines vorahd.-germ. *piudisk nicht zu zweifeln“ (Klein 1994, 22; im einzelnen s. u. 4.). Das wichtigste Argument dafür liefern die Schreibformen des mlat. Wortes. Der für das Lat. ungewöhnliche Variantenreichtum der Schreibungen (th-, t-, d-; -eo-, eu-, -e-, -iu-; -d-, -t-) ist nur durch die Interferenz gesprochener volkssprachlicher Sprachformen (germ. p ⬎ ahd. th, d; germ. d ⬎ ahd. d, t; germ. eu ⬎ ahd. iu) verständlich (so auch Lühr 1994, 27). Insbesondere ist -iu- zweifellos Reflex der ahd. und asächs. Aussprache. Bair. Glossen des 9. Jhs. (diutisco sermone appellatur Gl. II 368, 27; diutisce Reiffenstein 1971, 251) spiegeln genau jene Lautform wider, die obd. zu erwarten und mit Notkers in diutiskun ⫺ freilich erst gut 100 Jahre später ⫺ belegt ist; lat. sind die Glossenwörter nur durch ihre Endungen. Ebenso paßt der wahrscheinlich älteste originale -iu-Beleg thiutisce aus dem „bonifatianischen Raum“ (Hofmann 1963, 129f.; Worstbrock 1978, 208; Fulda?, Mitte 9. Jh.) genau zu ofrk. Lautstand, und gleiches gilt für die Belege aus dem nd. Sprachgebiet (Hüpper 1987, 1077ff.; gegen Lühr 1994, 27). Natürlich wirkt daneben auch auf -iu-Belege die Schreibung von theodiscus, -t- ein (z. B.

Th. Frings (1941, 213) hatte, zur Stützung von L. Weisgerbers Hypothese von der Entstehung von *theudisk, *theodisk im Westfrk., nachzuweisen versucht, daß der Vokalismus von theodiscus westfrk. („merowing.“) Lautstand wiederspiegele. I. Strassner (1984, 18ff.) hat dagegen zeigen können, daß sich der Wechsel eo/eu hinreichend aus mlat. Schreibgewohnheiten erklären läßt und daher als Argument für eine dialektgeographische Lokalisierung der Bildung von theodiscus entfällt.

2.2.2. Tatsächlich besteht zwischen lat. gentilis oder vulgaris und germ. *peudisk genaue Bildungsgleichheit. Je einmalige got. piudisko (Adv.) ‘heidnisch’ und aengl. peodisce ‘Heiden’ sind denn wohl auch ad hoc gebildete Lehnübersetzungen von griech. ethniko¯s bzw. lat. gentiles (zuletzt Lühr 1994, 28). Da ahd. asächs. diutisk/thiudisk spät und nur vereinzelt belegt ist (Notker; Vergilglosse 11. Jh., Straßburger Gl.) und erst seit dem Annolied (ca. 1080) häufiger verwendet wird, hat man seit Behaghel (1921, 28ff.; zuvor schon in einer Bemerkung R. Hildebrands ca. 1880 DWB 4, 1, 2, 2963) immer wieder versucht, auch die Basis von theodiscus als Lehnübersetzung zu erweisen (Lerch 1942, 274; Baesecke 1943, 327; Betz 1965, 402; Lühr 1990; 1994), die freilich „von vornherein mit Blick auf das Lat. kreiert worden sei“ (Thomas 1988, 299; anders Lühr 1990, 99). Zur Unterstützung hat Lerch (1942, 307ff.; zustimmend Lühr 1990, 97; 1994, 29f.) darzutun versucht, daß im Ahd. appellativische Ableitungen auf -isk gelehrten Ursprungs seien (Lehnübersetzungen). Eine fundierte Analyse (Klein 1994b) hat diese Annahme als unbegründet erwiesen. Ist schon die Vorstellung schwer nachvollziehbar und durch keine Parallele zu stützen, man hätte ein germ. Wort nur zu dem Zweck gebildet, es als Grundlage für die „Entlehnung“ ins Lat. verwenden zu können, so erheben sich gegen diese Hypothese weitere wichtige Bedenken. Eine Übersetzung von lat. vulgaris (Betz 1965; 1974) hätte wahrscheinlich *folkisk ergeben, was aengl. tatsächlich einmal belegt ist (für lat. vulgo; Krogmann 1936, 95). Ahd. diot(a) entspricht vor allem lat. gens, daneben natio, plebs, nie aber vulgus (Reiffenstein 1988, 12f.; Thomas 1988, 318f.). Warum hätte man zudem ein (noch dazu „barbarisches“) Ersatzwort für das oft verwendete gut lat.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

vulgariter (Thomas 1988, 317, Anm. 59) bilden sollen? Hingegen sind lat. gentilis und germ. *piudisk wortbildungsmäßig und etymologisch parallele Bildungen. Die Schwierigkeit liegt hier jedoch in der Semantik: konnte gentilis bis ins 6. Jh. auch in der Bedeutung ‘landessprachlich, umgangssprachlich’ verwendet werden, so setzt sich danach die kirchensprachliche Bedeutung ‘heidnisch’ völlig durch (Braune 1921, 31), aber gerade davon findet sich im Gebrauch von theodiscus oder später ahd. diutisk keine Spur, nicht einmal als Konnotation. Damit fällt auch jede Wahrscheinlichkeit für ein vorahd. *thiudisk ‘heidnisch’ (so Lühr 1990, 99; ähnlich Zöllner 1986). Geht man mit der Entstehung von *thiudisk bis in die späte Völkerwanderungszeit zurück (Klein 1994 a, 22), so wäre immerhin eine Lehnübersetzung von gentilis denkbar. Allerdings vollzog sich zu dieser Zeit der westgerm.-lat. Sprachkontakt durch direkte Entlehnungen aus dem Bereich der Sachkultur, nicht durch Lehnübertragungen, und für die Bildung des lat. theodiscus im 8. Jh. käme erst recht nur die Entlehnung des längst eingebürgerten volkssprachlichen Wortes in Betracht (Hypothese a).

Das entscheidende Hindernis für eine Bildung von *thiudisk erst in der 2. Hälfte des 8. Jhs. liegt in der Phonologie. Damals war die Phonemenspaltung von germ. eu in iu/eo längst fest geworden (Klein 1994a, 13ff.). Eine Adj.-Ableitung von *theodo/diota hätte notwendig *theodisk/*diotisk und heute *dietsch anstelle von thiudisk/diutisk/deutsch ergeben müssen. Das Bestehen auf diesem lauthistorischen Argument mag den Historikern pedantisch erscheinen, aber es führt kein Weg daran vorbei. 2.3. Mlat. theodiscus bleibt natürlich eine gelehrte Neubildung karolingischer Litterati, auch wenn Erklärungsversuche des Typs b) verworfen werden müssen. Wie es zu dieser Neubildung kam, kann nur mit der Hilfe der Historiker geklärt werden (Wenskus 1965, 206ff.; Müller-Mertens 1970; Eggert 1973; Fichtenau 1985; Thomas 1988; 1990 a.b; Ehlers 1989). Vor 30 Jahren konnte „bis auf Einzelfragen das Problem des Wortes Deutsch […] als gelöst gelten“ (Eggers 1970, VIII im Vorwort seiner Sammlung wichtiger Aufsätze von Grimm 1840 bis Betz 1965). L. Weisgerbers Auffassung, *theudisk/theodiscus sei ein Wort der Sprachgrenze im Westen, „Heimatruf der in dem Schicksal der Romanisierung stehenden Franken“ gewesen (Sammlung der Aufsätze von 1936⫺1949 in Weisgerber 1953, einige auch bei Eggers 1970, Zitat dort 148), fand, auch bei Historikern, breite, wenn auch nicht einhellige (z. B. Betz 1965; 1974) Zustimmung. Davon kann heute keine Rede mehr sein.

Die Frühgeschichte von *theudisk wie von theodiscus hat mit der Entstehung eines Nationsbewußtseins im Frankenreich (frühestens im 11. Jh.) gar nichts zu tun. Die Bedeutung von theodiscus ist bis ins 10. Jh. ‘germ.-volkssprachlich’, etwas enger ‘frk.’ im staatlichen Sinn (s. o. 2.1.). Die amtlichen und literarischen Belege konzentrieren sich bis Ende des 8. Jhs. im Westen, oft im näheren Umkreis des karolingischen Hofes. Es liegt daher nahe, den Ursprung des mlat. Wortes in der Kanzlei Karls d. Gr. zu suchen. Das sprachliche Argument für die Entstehung im Westen (eo für *iu; Frings 1941, 2/3, s. o. 2.2.1.) ist allerdings hinfällig, theoretisch konnte die Entlehnung überall erfolgen; und tatsächlich bezeugen vor allem Glossenbelege das Wort schon im 9. Jh. auch in Baiern und im Norden (in stark schwankender Orthographie, meist mit -iu-). H. Thomas (1988, 326; 1990 b, 24) hat nachdrücklich den Blick auf Italien gelenkt: Wenn Georg von Ostia 786 in seinem Bericht an Papst Hadrian theodisce verwendete, mußte er voraussetzen oder wissen, daß das Wort in Rom bekannt sei (so schon Fichtenau 1985, 342); das gleiche gilt hinsichtlich des Capitulare Italicum von 801. Thomas nimmt an, daß das Wort anläßlich des Rombesuchs Karls 774 geprägt worden sei. Ist es denkbar, daß umgekehrt Karls Kanzleibeamte das Wort in Italien in vulgärlat. Sprachgebrauch vorfanden und übernahmen? Die Existenz des vorausliegenden volkssprachlichen Wortes ist im Langob. so gut möglich wie nördlich der Alpen. Immerhin ist theodiscus in Italien besonders früh volkssprachlich geworden (978 lingua todesca) und früh als Subst. belegt (816 teotischis, 845 Teutisci, s. o. 2.1. und u. 6.2.; Jarnut 1996; Wolfram 1998; Reiffenstein 2000). Obwohl theodiscus in der Umgebung Karls öfter verwendet wird, so ist doch sehr auffallend, daß Einhard, der Karls Bemühungen um die Volkssprache eingehend würdigt, von dessen patrius sermo, von barbara carmina und propriis appellationibus spricht (c. 29), nie aber von der lingua theodisca (Fichtenau 1985, 340; Thomas 1990 a, 70f.). Auch in der Admonitio generalis von 789 mit ihren vielen Predigtanweisungen kommt theodiscus nicht vor. Ein Programmwort in Karls Sprachenpolitik war es offenkundig nicht. Ob die interessante Hypothese, theodiscus sei (auch) Rechtsterminus mit der Bedeutung „in der Sprache der (fränkischen, d. h. supragentilen) Heeresversammlung“ gewesen (Rosenstock 1928; weiterführend Jakobs 1968; 1998; vgl.

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156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache

weiter Thomas 1988, 301ff.; sonst meist abgelehnt), haltbar ist, muß ich dem Urteil der Historiker überlassen; der Kontext mehrerer amtlicher Belege würde ihr m. E. nicht widersprechen. Im Ostfrankenreich Ludwigs des Deutschen wird in der 2. Hälfte des 9. Jhs der Übergang von einem karolingischen „Teilreich zu einem selbständigen Reich eigener Qualität“ und werden „wichtige Indizien für ein neues Nationsbewußtsein im ostrheinischen Reich“ sichtbar (Ehlers 1989, 312, 311; Eggert 1973, 329ff.). Wenn Otfrid von Weißenburg in seinem Begleitbrief an den Mainzer Erzbischof Liutbert die Sprache seiner Evangeliendichtung mehrmals mit theotisce (öfter freilich als propria lingua) und einmal synonym (?) damit mit francisce bezeichnet, dann rückt theodiscus in die Nähe eines Sprachnamens (s. aber u. 4.2.). In die gleiche Richtung weisen mit .f. ⫽ francisce überschriebene Glossen des 9. Jhs. (Baesecke 1943, 341f.; kritisch zu weiteren Folgerungen Schröder 1956, 167ff.; 190ff.). Zu ahd. Windnamen in einer Salzburger Hs. des 11. Jhs. steht zweimal thiutisce, einmal francisce (Gl. II 73, 29.61.65). Noch deutlicher als für Otfrid gilt die Nähe zum Sprachnamen für theodiscus in der Heliand-Praefatio (von Hrabanus Maurus?), wo der unter Ludwigs Herrschaft stehende populus durch theodisca loquens lingua charakterisiert wird. Name und nicht Appellativ ist schließlich auch teutonicus, das seit 876 zunächst synonym neben theodiscus tritt und dieses im 11. Jh. völlig verdrängt.

Wird der Sprache als einem identitätsstiftenden Faktor für das 7. und 8. Jh. geringe Kraft zugemessen (Wenskus 1965, 185), so hatte sie „im Verlaufe des 9. Jhs. […] eine seit der römischen Antike nicht mehr gekannte Bedeutung erlangt“ (Thomas 1990 a, 91; Haubrichs 1993, 28f.; Schnell 1989, 296f.). Unter den Ottonen kam es im 10. Jh. jedoch zu einer „Rückbildung bereits […] ausgebildeter ethnogenetischer Elemente“ zugunsten des imperialen („römischen“) Reichsgedankens (Ehlers 1989, 311). Daß sich franciscus als supragentile Bezeichnung der Sprachen im Ostfrankenreich trotz vorhandener Ansätze nicht durchgesetzt hat, lag wohl weniger an der „gentilen“ Empfindlichkeit der Baiern, Schwaben und Sachsen (vgl. vielmehr Notkers I. Gesta Karoli I, 10) als daran, daß Franci samt seinen Ableitungen eine feste Verbindung mit dem Westfrankenreich eingegangen war. Wollte man den Namen dennoch für die rechtsrheinischen Völker verwenden, dann mußte man ihn durch Zusätze eindeutig machen (orientales Franci, Franci Teutonici; Vigener 1901, 16f.). Zu Otfrids frenkisg s. u. 4.2.

3.

Teutonicus

3.1. Zum Jahr 876 berichten die Fuldaer Annalen von einem Vertrag zwischen den Söhnen Ludwigs des Dt. theutonica lingua conscriptus. Knapp hundert Jahre nach dem Erstbeleg von theodiscus tritt damit jenes Sprachadj. auf, dem im lat. Gebrauch für rund 600 Jahre die Zukunft gehören sollte, gelegentlich noch in Doppelformeln und in gegenseitiger orthographischer Beeinflussung: 886/87 theutonica sive teutisca lingua Notker I., Gesta Karoli I, 10 (Brühl 1990, 207⫺233, kommentierte Belegzusammenstellung bis Ende 11. Jh.). Die Voraussetzungen dafür, wie Teutonicus an die Stelle von theodiscus treten konnte, hat Weisgerber (1936, 17ff.) überzeugend aufgeklärt. Ein Großteil der antiken Tradition und die spätantike und mittelalterliche Glossographie bis hin zu den Vergilscholien zu Aen. VII 741 hielten die Kimbern und Teutonen für Kelten („Gallier“), Caesar, Plinius, Tacitus u. a. hingegen für Germanen (25). Die Tacitus-Rezeption in Fulda (9. Jh.) ermöglichte es, die „Gallier“-Interpretation der Teutonen zu korrigieren und durch die GermanenInterpretation zu ersetzen. Zeugnis dieser neuen Erkenntnis ist eine merkwürdige Glosse zu Vergil Aen. VII 741 von ca. 830 aus Tours (der letzten Wirkungsstätte Alcuins!), wo Teutonico ritu durch Teutones et Cimbri populi s(unt) Germanie˛ kommentiert wird. Dies ist eindeutig. Keinen Sinn ergibt hingegen die Glossierung von cateias des selben Verses durch catheie˛ lingua theotisca haste˛ dicuntur: Wenn man die Sprachangabe nicht auf lat. hastae beziehen will (wie Strasser 1984, 38; inhaltlich sehr unwahrscheinlich), sondern auf catheiae, dann muß theotiscus in der Bedeutung ‘germanisch’ verwendet sein (s. o. 2.1.), was freilich falsch ist, denn cateia ist kein germ. Wort (Weisgerber 1936, 36). Ob der Glossator theotiscus auch mit Teutonicus assoziierte, ist unentscheidbar.

Der Teutones-Beleg des Turonensis ist ein wichtiger Beleg für die neue Zuordnung dieses Stammes zu den Germanen. Er ist aber kein Zeugnis für die erst ein halbes Jh. später belegbare Gleichsetzung von theodiscus und teutonicus. Die lautliche Ähnlichkeit zwischen Teutonicus und theotiscus (-eu-) mochte dann den letzten Anstoß dazu gegeben haben, mit dem klassischen Namen der eigenen Sprache (und später dem eigenen Volk) einen „richtigen“ Namen und gleichzeitig die Würde eines alten Herkommens zu verleihen. In einer Zeit allgemeiner genealogischer Spekulationen erregte die spekulative Bedeutungsprägung offenbar keinerlei Widerspruch.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

3.2. Das neue Wort erwies sich dem älteren Konkurrenten aus mehreren Gründen als überlegen: Es war kein Neuwort, noch dazu auf „barbarischer“ Basis, sondern es war durch die antike Tradition legitimiert, es verlieh dem Sprachvolk eine gentile Basis (die es nicht besaß) und ermöglichte ein „normales“ Verhältnis zwischen Volks- und Sprachnamen. Bedeutungsmäßig schließt teutonicus allerdings unmittelbar an theodiscus des späten 9. Jhs. an: ‘volkssprachlich’, bezogen auf Varietäten des Ahd. und Asäschs. (der erweiterte Germanenbezug ist für teutonicus nicht bezeugt). In England wird im 12./13. Jh. gelegentlich teutonice, Theuthonica für die engl. Volkssprache (im Gegensatz zum AngloNorm. [Frz.] oder zum Schott.) verwendet (Richter 1979, 52, 122). Weiterhin bleibt der Sprachbezug dominant. Von den frühen Belegen (ca. 886/888) sind lediglich Notkers I. miliaria Teutonica ‘dt. Meilen’ und Teutonica (erg. terra) ‘Germania’ im „Rhythmus in Odonem regem“ aus Westfranken (Brühl 1990, 208f.) in geographischem Sinn zu verstehen. Obwohl teutonicus eindeutig ein Namensadj. ist, überwiegt, in Übereinstimmung mit theodiscus, doch bis weit ins 10. Jh. die appellativische Bedeutung. Der Übergang des Sprachadj. zum Sprach- und Volksnamen (Teutonici, Teutones) erfolgte seit der 2. Hälfte des 10. Jhs., zuerst belegt in einer Urkunde Ottos I. für Magdeburg 961, wo mehrfach von Theutunici vel Sclavi die Rede ist (Vigener 1901, 27f.; Brühl 1990, 211f.). Die Mehrzahl der Belege bis zum Jahr 1000 stammt allerdings aus Italien oder hat Italien-Bezug (spiegelt Sprachgebrauch in Italien wider), nach Thomas auch die Urkunde von 961 (vgl. auch 999 nullus Italicus nullusque Teutonicus; Thomas 1990 b, 29ff.; „zugespitzt“ 1994, 136; Liste ital. Belege bis 1026 bei Ehlers 1989, 306, A. 19). Im Verlauf des 11. Jhs. festigt sich der Gebrauch von Teutonicus (Adj. und Subst.), Teutones als Sprachund Volksname für ‘deutsch’ und ‘die Deutschen’, und zwar als Außen- wie als Eigenbezeichnung (z. B. im Brief Notkers d. Dt. an Bischof Hugo von Sitten: verba teutonica ‘dt. Wörter’ dürften nicht ohne Akzent geschrieben werden). Später (12./13. Jh.) und zögernder kommt auch die geographische Bezeichnung Teutonia in Gebrauch (Brühl 1990, 234ff.). Eine eigene Geschichte haben die politischen Termini regnum und rex Teutonicum, -us oder Teutonicorum, Teutonum (Müller-Mertens 1970; Brühl 1990, 218ff.; Eggert 1992, 269ff.). Nach einem vereinzelten und sehr fragwürdigen Irrläufer zu 919

(Thomas 1976 u. ö.) bezeugen Belege aus Italien seit dem frühen 11. Jh. ihre dortige Üblichkeit. Diesen Sprachgebrauch griff im Investiturstreit der 70er-Jahre Gregor VII. gezielt auf, um dieses regnum Teutonicum „als einen Staat unter anderen, ohne jeden Vorrang, hinzustellen und Heinrich IV., dessen Herrscher, allein auf dieses Reich zu verweisen“ (Eggert 1992, 269). Diese neue Terminologie wurde nicht nur von Heinrichs Gegenspielern im Reich aufgenommen, sondern konnte auch positiv gewendet (Lampert von Hersfeld) und Ausdruck eines „politischen Deutschbewußtseins“ (MüllerMertens 1970, 389) werden (vgl. auch Thomas 1994, 139ff.). Die offizielle salische Terminologie blieb davon freilich unberührt und hielt am imperium Romanum fest.

3.3. Teutonicus gilt als lat. Bezeichnung des Dt. im ganzen Mittelalter fast uneingeschränkt. Erst die Humanisten ersetzten Teutonici/Teutonia durch das wiederum zu Glanz gelangte Germani/Germania, zögernder auch Teutonicus durch Germanicus (Müller 1925, 282). Im 18. Jh. wird Teutonicus gelegentlich für ‘altdeutsch’ verwendet (J. Schilter 1726/ 28, K. J. Michaeler 1776; von Raumer 1870, 177; 252). Im Namen des Ordo Teutonicus ‘Deutscher Orden’ lebt das Wort in vielen Sprachen bis heute weiter. Auf die lautliche Entwicklung der volkssprachlichen Bezeichnung für ‘dt.’ hat teutonicus nur geringen Einfluß gehabt (s. u. 4.3.). Daß teutonicus, obwohl das herrschende Wort im Lat., nicht ins Dt. entlehnt wurde, beweist die feste Verankerung von diutisk/diutsch usw., aber auch das Widerstreben, die gelehrte Konstruktion des Volks- und Sprachnamens außerhalb der gelehrten Kreise zu akzeptieren. Erst als auch diese Kreise zum Dt. übergingen, konnte es gelegentlich auch dt. verwendet werden (teutonisch bei Jahn: Kainz 1974, 421). Heute wird die Wortsippe Teutonen/teutonisch für ‘dt.’ höchstens noch pejorativ gebraucht (Duden GDW 7, 3380; im DWB nicht gebucht).

4.

*peudisk ⫺ diutisk ⫺ deutsch

4.1. Volkssprachliches *diutisk ist im 9. Jh. zwar nur mittelbar über die Schreibungen thiutiscus, diutisce u. ä. greifbar, an seiner Existenz kann aber nicht gezweifelt werden (s. o. 2.2.1). Über das Alter des Wortes bestehen unterschiedliche Meinungen: gemeingerm. (Grimm 1840; Krogmann 1936), westgerm. (mit Einschluß des Nordgerm.? Dove 1916; Specht 1941; Reiffenstein 1988; Klein 1994a) oder vorahd. (Lühr 1990; 1994). Lühr (1994, 31ff.) hat in einer breit dokumentier-

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ten Analyse zu beweisen versucht, daß vorahd. *piudisk ‘volkssprachlich’ „allein aus germ. oder ahd. sprachlichen Mitteln“ nicht gebildet worden sein konnte. M. E. machen ihre Belege aus dem Aengl. und Ahd. aber im Gegenteil deutlich, daß für Ableitungen von germ. *peudo¯ der Bezug zu ‘(Volks-)Sprache’ einwandfrei zu sichern ist (aengl. pe´od, gepe´ode ‘Sprache’, ahd. in githiuti [Otfrid], zi diuta [Gl. II 167, 55, 9. Jh.] ‘volkssprachlich’, uncadiuti [Abrogans] ‘barbarus, fremdsprachig’). Aengl. peo˙disc ‘volkssprachlich’ (Aelfred) kann, muß aber nicht durch mlat. theodiscus beeinflußt sein (Lühr 1994, 29). Daß aengl. pe´od ‘Sprache’ keine ahd. Entsprechung hat, beweist nicht, daß ein entsprechendes westgerm. Wort nicht existiert hat. Viele Wörter, die ihre Lautform als alt erweist, sind erst spät bezeugt, viele sind nur durch Rekonstruktion erschließbar. Specht (1941, 255ff.) hat ahd. diuten (aengl. gepe´odan, anord. py´da) als Ableitung von *peudiska- (mit Suffixtilgung) verstanden. Lühr (1994, 37ff.) ist in ihrer Erörterung von deuten darauf nicht eingegangen (so auch KlugeSeebold 1989, 138; zuletzt Lloyd 1998, 669: „unwahrscheinlich“).

Erörterungsbedürftig ist das Fehlen von *thiutisg bei Otfrid. Im lat. Brief an Liutbert geht es um die Verschriftung der Volkssprache; dem entspricht die Verwendung von theodisce. Einmaliges francisce konkretisiert die Volkssprache (scripsi … evangeliorum partem francisce compositam), wie das dann akzentuiert in dem programmatischen Kapitel I 1 (Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit) mit frenkisg erfolgt: das volkssprachige Evangelienbuch (in frenkisgon 46.126; in frenkisga zungun 114.122) will sein Teil dazu beitragen, um Ludwig und seinem ostfrk. Reich, Frankono kuning und Frankono lant (Ad Lud. 2f., Frankono thiete 90), ihren Platz in der Heilsgeschichte zu sichern. *Thiutisg ‘volkssprachlich’ hätte dies nicht angemessen ausdrücken können. Offenbar war Otfrid der „reichsfrk.“ Akzent auch bei einigen anderen Stellen wichtig, wo ‘volkssprachlich’ (im Gegensatz zu ‘lat.’) auch genügt hätte: III 7, 13 theist in frenkisgon; V 8, 7f. thaz heizent […] in githiuti frenkisge liuti (vgl. noch I 3, 45; V 14, 3; Strasser 1984, 47ff.; Morciniec 1986; Haubrichs 1993, 26, A. 25; Klein 1994, 20f.).

4.2. Die Überlieferung von ahd. asächs. diutisk, thiudisc setzt erst zwei Jh. nach der von mlat. theodiscus ein, etwa gleichzeitig im Norden wie im Süden: in einer (verbrannten) asächs. Isidorglosse aus Straßburg (Germania thiudisca liudi, 10. Jh.?), bei Notker d. Dt. (mehrfach in diutiskun neben vereinzeltem teutonice) und in Vergilglossen des 11. Jhs. aus Tegernsee und Echternach (diutischemo, tutisscomo, mit älterer obd. Vorlage; Weisgerber 1936, 28). Während die asächs. Glosse eindeutig geographisch-ethnisch zu verstehen ist (ebenso die Trierer Glosse Thetonica thiudisca 11./12. Jh.), bleiben die übrigen frühen Belege in ihrer Bedeutung offen. Notker konfrontiert den Sprachgebrauch in diutiskun ‘in der (freilich: dt.) Volkssprache’ (424, 30 subst. dero diutiskun) mit jenem apud grecos, apud latinos, latine, völlig synonym mit teutonice (425, 27), und schließt damit bruchlos an die Verwendung von theotisce, teutonice in den Glossaren an (den Volksnamen konnte er offenbar nur lat. ausdrücken: uuir teutones 423, 8). Die Vergilglosse diutischemo/tutisscomo übersetzt Teutonico (ritu), vielleicht in bewußter Korrektur der lat. Glosse Gallia bzw. Gallico more (vgl. den vollständigen Abdruck bei Weisgerber 1936, 21).

Die späte Bezeugung von ahd. diutisk und sein Fehlen bei Otfrid ist jenen Forschern, die *theudisk für eine westfrk. Bildung (Weisgerber, Frings, Eggers) oder für eine Lehnübersetzung (Lerch, Betz, Thomas; anders Lühr: semantische Umdeutung) halten, ein wichtiges Indiz dafür, daß diutisk erst spät nach Osten „gewandert“ bzw. durch Eindeutschung von lat. theodiscus entstanden sei. Diutiscus u. ä. im 9. Jh. in Baiern und Sachsen belegen hingegen, daß es einer „Ostwanderung“ nicht bedurfte (s. o. 2.2.1.; Reiffenstein 1971; Strasser 1984). Eine Eindeutschung von lat. theodiscus im 9./10. Jh. hätte nur *tietsch ergeben können, nicht aber diutisk/diutsch/deutsch. Nicht haltbar ist allerdings auch die Auffassung einer getrennten Entwicklung von westlichem *theudisk/theodiscus und östlichem diutisk ⬎ deutsch (Strasser 1984); theodiscus und diutiscus stimmen semantisch völlig überein (Thomas 1987, 295). Das Fehlen von ahd. diutisk bis um 1000 erklärt sich hinreichend aus den Textsorten des Ahd., in denen für den Begriff ‘volkssprachlich’, praktisch kein Bedarf bestand (Klein 1994, 19f.). Daß das ahd. Wort aber ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt die Namensbedeutung des mlat. theodiscus übernahm, als dieses zugunsten des neu aufgegriffenen teutonicus allmählich wieder fallen gelassen wurde, ist m. E. nur verständlich, wenn diutisk schon vorher als Sprachadj. (noch nicht als Sprachname) einen festen Platz im ahd. Wortschatz besessen hatte. Die Bedeutungsentwicklung vom Sprachadj. ‘volkssprachig’ zum Sprach- und später zum Volks-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

namen ‘dt.’ erfolgte hingegen zweifellos unter dem Einfluß der mlat. Entsprechungen theodiscus/teutonicus (anders Strasser 1984, 31ff., 54) und mit zeitlicher Verzögerung. 4.3. Nach dem formelhaften Gebrauch durch Notker ist diutisch erst seit dem ausgehenden 11. Jh. in zunehmend breiterer Verwendung belegt: diutischin sprechin, diut(i)schi, -e lant, liuti, man im Annolied (um 1080), nach Thomas dem ersten Versuch einer Origo gentis Teutonicorum (Thomas 1991, 251ff., 259f.; 1994, 140f.), 70 Jahre später begegnen daneben in der Kaiserchronik zuerst die Dutiscen, in der Pilatuslegende (um 1200?) tutisch volk. Mit beträchtlicher Verzögerung gegenüber dem mlat. Sprachgebrauch hat damit auch das dt. Sprachadj. die Beschränkung auf den Sprachbezug überwunden. Aber noch im 13. Jh. verwendet man als Volksbezeichnung an Stelle des subst. Adj. lieber attr. Fügungen wie d. liute, man o. ä. (Thomas 1994, 143ff.). Bis heute ist der Volksname der Deutschen im Dt. im Gegensatz zu allen anderen Volksund Stammesnamen (Italiener, Franzosen, Schweizer, Tiroler usw.) subst. Adj.; lediglich die ebenfalls von Sprachadj. abgeleiteten und semantisch vagen Namen der Welschen (vgl. Notker 707, 27 in uualascun ‘latine’; daneben aber das Subst. uualha Romani Kasseler Gl.) und der Windischen (Gl. III 429, 27 windischer Slauicus, daneben III 132, 21 winida Sclavi) fungieren in gleicher Weise. Wie der zusammenfassende Volksname, so setzt sich auch der Landesname nur sehr langsam durch. Vom 11. Jh. (Annolied) bis ins 15. Jh. gelten ausschließlich attr. Fügungen, überwiegend im Pl.: diutschiu lant, deutsche l.; Sg.-Formen kommen fast nur in Präp.-Phrasen vor (in, ze, von diutscheme lande, zum Ausdruck der Pluralität? Smits 1977, 70ff.). In Fügungen mit endungslosem Nom. Akk. (diutsch lant), die den Numerus nicht mehr klar erkennen lassen, konnte der Pl.-Ausdruck zum Sg. umgedeutet werden. Daraus erwuchs seit dem 15. Jh. allmählich das neue Subst. Deutschland. Der zugrunde liegende Pl. spiegelt „die Vielzahl seiner regna (‘Lande’)“, die „föderative Grundstruktur“ wider (Smits 1977; Schnell 1989, 275ff.; Werner 1994, 77 [von dort die Zitate]; DWB 2, 1052f. [2DWB 6 fehlt das Lemma]).

Als Sprachsubst. wird mhd. überwiegend das F. diu diutsche (zunge, sprache) verwendet, wie auch diu latine; allerdings steht daneben auch das später allein übliche N. ⫺ Seit dem 12. Jh. zeigen die Schreibungen ein merkwürdiges Schwanken zwischen Formen mit dund t-. Im Südwesten mit der Schweiz über-

wiegt tiutsch u. ä., im Nd. herrscht ausschließlich dudesch u. ä., die restlichen Gebiete schwanken (md. und bair.-österr. überwiegend d-; WMU 1, 391). Regulär entwikkelt ist allein d-. Die t-Formen sind wahrscheinlich an teutonicus angelehnt. Dies war sicher bei der Form teutsch im 18. und noch im 19. Jh. (Arndt, Jahn) der Fall. Das Bedürfnis nach einer mythisch legitimierten Origo der Dt. führte schon im Spätmittelalter in etymologischer Spekulation über den Teutonennamen zur Erfindung des Heros eponymos Theuton (Kästner 1991, 81ff.) und später (noch bei Arndt), in Anlehnung an den taciteischen Tuisto, zu Urvater Teut. Gottsched, Adelung und vor allem J. Grimm gaben den Ausschlag für deutsch, Goethe und noch Nietzsche haben den Streit über die richtige Schreibung verspottet (Sonderegger 1979, 44; 1988, 453f.; Haubrichs 1993, 37; zu Heine vgl. Wülfing 1994, 117). 4.4. Die Bedeutung des Sprachnamens mhd. diutsch, mnd. dudesch und ebenso von mnl. dietsch, duutsch umfaßte im Mittelalter noch die gesamte Sprachen- und Dialektvielfalt von Flandern bis zur Südgrenze des dt. Sprachgebietes (Breuer 1973, 328ff., 346). Erst seit dem 16. Jh. differenzieren und festigen sich die heutigen Bedeutungen ‘dt.’ und ‘nl.’ (unter dem neuen Namen nederlands; de Smet 1973, 319ff.; vgl. auch Art. 223). Die Bedeutungsgeschichte des Volksnamens deutsch und sein Gebrauch (Kombinierbarkeit, Ableitungen, Komposita) spiegeln hingegen in Denotation und mehr noch in den Konnotationen die Geschichte der Nation und der nationalen Befindlichkeiten der Deutschen bis heute recht genau wider. Perioden gesteigerten nationalen Bewußtseins verliehen auch der eigenen Sprache nicht nur stärkere Gefühlswerte, sondern z. T. auch erweiterte Bedeutung. 1474 wurde das Reich erstmals als Hl. Römisches Reich deutscher Nation bezeichnet (Rosenfeld 1974, 464; Schnell 1989, 293; Haubrichs 1993, 31). Wenn humanistische Spekulationen über die Geneaologie der Deutschen (beflügelt durch die Wiederentdeckung der Germania) zu dem Schluß gelangten, das Dt. habe zeitlichen Vorrang noch vor dem Griech., und wenn gar der oberrheinische Revolutionär (um 1510) sich zu der Behauptung verstieg, „Adam ist ein tusch man gewesen“, seine Sprache all Manns, d. h. Alemannisch, dann schloß dt. notwendig auch das Germ. mit ein (Schnell 1989, 305f.). Galt zunächst allein die relatio-

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nale Bedeutung des Adj. (Bezug auf Sprache, Volk, Land), so konnte es jetzt auch qualitative Bedeutungsfunktionen („deutsch als Sittenbezeichnung“ Sonderegger 1988, 454) wahrnehmen. Ein vereinzelter Vorläufer war schon Walthers tiutschiu zuht. Seit dem 15./ 16. Jh. kann Treue, Gemüt, Mut, Glaube, Herz mit deutsch verbunden werden (Haubrichs 1993, 32). Der Gefährdung der dt. Nation und der dt. Sprache antworteten die Sprachgesellschaften des. 17. Jhs. mit einer emotional positiven Wertung von deutsch. In ihren Texten sind das Adj.-Abstr. Deutschheit (1639) und Komposita wie deutschgesinnt, t(1644), deutschliebend (1647), teutschherzig (1623) erstmals belegt. Die Befreiungskriege 1813⫺15 beförderten den Umschlag der Deutschgesinntheit in einen deutschthümelnden (1813 Rahel Varnhagen) Nationalismus, der in gerader Linie zu den Katastrophen des 20. Jhs. führte.

Ambivalenzen (z. B. im Ausdruck deutsche Literatur) werden allerdings zunehmend durch die Verwendung von deutschsprachig vermieden.

Nun können nicht nur Treue und Redlichkeit deutsch sein, sondern auch der Wald (die Eiche!) und die Quellen (Dehmel), Wein und Sang (Hoffmann von Fallersleben) usw. Neubildungen des 19. Jhs. sind z. B. Deutschtum, Deutschkunde, deutschnational, und auch unheilvolle Bildungen wie deutschvölkisch, -blütig, -stämmig gab es schon vor 1933 (alle Belege 2DWB 6, 812ff., 819ff.). Seit Klopstock ist deutsch auch steigerungsfähig (deutscher, Haubrichs 1993, 34), ähnliches leisten Bildungen wie echt-, rein-, urdeutsch (letzteres schon bei Goethe; Kainz 1974, 419ff.; 281). Freilich blieb auch die Kritik an Deutschtümlichkeit (Goethe) und Deutschtümelei (Heine) nicht aus. ⫺ Im romantischen Rückblick auf die eigenen Ursprünge verwischte sich auch wieder die Grenze zwischen dt. und germanisch; Jacob Grimm hat diese erweiterte Bedeutung in die junge Germanistik eingebracht, wenn er seine historische Darstellung der germ. Sprachen Deutsche Grammatik (1819) nannte (vgl. auch seine Deutschen Rechtsaltertümer 1828, VIIf.). Sie wirkte ⫺ etwa in der Einbeziehung des Got. in die Geschichte der dt. Sprache (vgl. auch Sonderegger 1979, 67) ⫺ bis ins 20. Jh. herein (Haubrichs 1993, 36f.).

Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nach 1945 haben die Anwendungsmöglichkeiten von deutsch als qualitatives Adj. stark eingeschränkt. Die nationale Bedeutung des Adj. und des Volksnamens ist enger geworden und genauer begrenzt auf den Bezug auf Deutschland (bis 1991 auf die beiden deutschen Staaten) und auf deutsche Institutionen; bis 1938 hatte sich auch die 1. Republik Österreich als einen deutschen Staat verstanden. Hingegen hat deutsch als Sprachadj. seine weite Bedeutung bewahrt; mögliche

5.

Germanicus (Germanus)

Die Römer kannten die Namen Germani und Germania als Bezeichnung für Leute und Land östlich des Rheins und für einige linksrheinische Stämme am Niederrhein seit Caesar; wahrscheinlich geht die Generalisierung des Namens eines Stammes auf die Gesamtheit überhaupt erst auf ihn zurück. Jedenfalls war Germani keine Selbstbezeichnung der so Benannten. Die Namen blieben in der antiken Literatur geläufig und wurden vom Mittelalter ⫺ vor allem von der Kirche ⫺ übernommen. Allerdings stand immer die geographische Bedeutung im Vordergrund; im ethnischen oder politischen Sinn für das Frankenreich oder seine Stämme ist Germani(cus) bis um 1500 selten belegt (Vigener 1901, 2ff.; 119ff.; 193f.; Müller 1925, 276ff.; Haubrichs 1966, 424ff.; zu Germania Brühl 1990, 134ff.). Als Sprachadj. für ‘dt.’ begegnet Germanicus im Mittelalter nur ganz vereinzelt. Niederschlag der fuldischen Tacitus-Rezeption im 9. Jh. ist offenkundig der Gebrauch von Germanica lingua, Germanice durch Lupus von Ferrie`res (Krogmann 1948, 50f.); und nach Fulda, sei es auf Hraban oder auf Lupus, weist auch das einmalige Vorkommen von in Germanicam linguam in der HeliandPraefatio (in der Bedeutung ‘asächs.’, neben Theodisca [lingua, poe¨mata] ‘volkssprachlich, dt.’? Haubrichs 1966, 425; Krogmann 1948, 47ff.). Erst die Germanen-Renaissance der deutschen Humanisten ⫺ entscheidend beeinflußt durch die Wiederentdeckung der Germania (Brühl 1990, 34ff.) ⫺ brachte den antiken Namen mit einem Schlag in die vorderste Linie, und auch als Sprachadj. setzte sich Germanicus nun über Teutonicus durch (Müller 1925, 281f.). Die Ablösung läßt sich gut an den Grammatiken und Wörterbüchern des 16. Jhs. beobachten (Müller 1882, 17ff.). Die Vokabularien des ausgehenden 15. Jhs., die Grammatiken von J. Cochläus (1511) und J. Aventin (1512) verwenden noch ausschließlich teutonicus. 1508 erschienen die Proverbia Germanica von H. Bebel, lingua germanica begegnet bei J. Tritheim (1518), F. Irenicus (1518), S. Gelenius (1537), bei den Grammatikern A. Oelinger (1573), L. Albertus (1573) und J. Clajus (1578) usw. bis ins 19. Jh. Beide Bezeichnungen verwendet J. Maaler im Titel seines Dt. Wörterbuches (1516):

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Dictionarium Germanico-latinum […] Hoc est, Linguae Teutonicae […] thesaurus; ein vereinzelter Spätbeleg ist J. Bellins Syntaxis Praepositionum Teutonicarum (1660; Jellinek 1913, 191). Wie teutsch verwenden die Humanisten auch germanicus gelegentlich für ‘germ.’ (B. Rhenanus 1531; Müller 1882, 309).

Im Dt. ist germanisch seit dem späten 18. Jh. zu belegen (Adelung; DWB 4, I/2, 3717f.). Selbst wo es in nationaler Euphorie übertragen für ‘dt.’ verwendet werden kann (Herder), ist es doch nie Sprachbezeichnung für ‘dt.’. Es bleibt ⫺ wie teutonicus ⫺ ein gelehrtes (gelegentlich ein pathetisches) Wort.

6.

Bezeichnungen des Deutschen in den Nachbarsprachen

6.1. Die Nachbarsprachen kennen eine ungewöhnliche Vielfalt an Bezeichnungen des/der Deutschen. Die Ursache dafür dürfte einmal darin liegen, daß sich die frühe Bildung theodiscus im Lat. nicht durchsetzen konnte, zum andern, daß dem Deutschen eine eindeutige gentile Grundlage fehlt. Die Folge davon war, daß die Deutschen teils nach den je benachbarten Stämmen (Alemannen, Sachsen), teils mit gelehrten Namen (Theodisci, Germani) benannt wurden. Ohne solche Anknüpfung blieben die slaw. Bezeichnungen (neˇmci). Bemerkenswert ist einerseits die Nachwirkung von *thiudisk-/theodiscus in der südlichen Romania bis heute, andererseits die „Folgenlosigkeit“ von teutonicus. ⫺ Übernamen der Dt. (in der Regel pejorativ, z. B. frz. boche, engl. Hun, poln. Szwab) beziehen sich nie auf die Sprache und bleiben hier weg. 6.2. *Theudisk/theodiscus/deutsch Zu unterscheiden ist das heutige Weiterleben von germ. thiudisk im Nordostfrz. und im Fries., von *thiudisk-/theodiscus im Ital. (mit Ausstrahlungen) und in den alpenrom. Sprachen und die Entlehnung von duutsch, thiudisk ins Engl. und in die skand. Sprachen. ⫺ Der älteste Beleg des afrz. tieis, tiois steht im Rolandslied (3795): Die Tiedeis werden dort neben den Bavier et Saisnes […] Franceis […] Alemans genannt; aus der Reihung ergibt sich als Bedeutung ‘die linksrheinischen [?] unverwälschten Franken’ (Rosenstock 1928, 94; bestätigend Frings 1941, 238 und von Wartburg, FEW 17 [1966], 394). Das Wort ist bis ins 15. Jh. in ganz Nordfrankreich gut belegt (tiois; tiesche langue, terre; t(h)ies) und hat sich erst danach auf den Nordosten zurück-

gezogen (lebt noch in wallonischen Mundarten; Weisgerber 1940, 123f.). Der Lautentwicklung liegt frk. thiudisk zugrunde (FEW 17, 394, Anm. 3; Strasser 1984, 9ff.; unentschieden Heim 1984, 65ff.). Die Bedeutung des Sprachadj. ist ähnlich weit wie die von mnl. dietsch/duutsch und mhd. diutsch, jene des Volksnamens meist eingeengt auf den Nordwesten (Nfrk.; Heim 1984, 99ff.; Frings 1941, 228f.). ⫺ Im Afries. begegnet der Sprach- und Volksname tyoesch ‘dt., holl.’ seit ca. 1400 und steht immer im Gegensatz zu ‘Fries.’ (Meijering 1983, 185ff.). ⫺ Frühe volkssprachliche Entwicklung von theodiscus (oder langob./frk. thiudisk?) in Italien (Pisani 1962) spiegelt schon der Beleg lingua todesca des Chronicon Salernitanum von 978 wider (s. o. 1.2.). Er entspricht genau dem neapolitan. todisco ‘Zechbruder’ und dialektalen Formen aus Oberitalien (todesc; Bruckner 1900, 68f.; Krogmann 1936, 36). Die alpenrom. Dialekte haben durchwegs Formen mit -u- (engadin. tudestg, tudaisch, friaul. todesc). Das Schwanken zwischen e und o für germ. iu hat Parallelen in langob. Namen des 10. Jhs., seine Ursache ist offenbar ungeklärt (Bruckner 1900, 68). Jedenfalls muß germ. *thiudisk- (Cortelazzo/Zolli 1988, 1320) oder das in Italien früh als Name für ‘dt.’ gebrauchte theodiscus zugrunde liegen (Entlehnung aus dem Langob.? Grünenthal 1943, 355; Reiffenstein 2000; langob. ist *thiudisk anzusetzen). Aus dem Ital. ist frz. tudesque (seit dem 16. Jh.) entlehnt, von dort weiter zu span. port. tudesco; es bedeutet ‘altdt.’ oder pejorativ ‘dt.; grob’. Engl. Dutch ‘Nl.’ (Carr 1962, 203) hat die Bedeutungsverengung erst seit dem 17./18. Jh. erfahren. Als Sprachname seit Wiclyf (1380) und Chaucer belegt, bezeichnet es bis ins 18. Jh. das Dt. mit Einschluß des Nl. (High D. ⫺ Low D.; Low Dutch für die Sprache der Sachsen noch 1871; bis heute erhalten in Pennsylvania Dutch). Erst seit 1568 kommt es zur Einschränkung auf ‘Nl.’ (1647 noch Netherduytch), etwa parallel zum Aufkommen von German für ‘dt.’. Die Lautform ist dem mnl. duutsch entlehnt, jenem „Deutschen“, mit dem die Engländer den engsten Kontakt pflegten. ⫺ Dem Nd. sind schon etwa im 11. oder 12. Jh. die skand. Bezeichnungen des Dt. entlehnt: awestnord. py´(d)verskr, py´diskr, py´zkr, aschwed. pydisker, thysker, dän. norw. schwed. tysk aus asächs. thiudisk. Im Nl. wurde duitsch erst im 20. Jh. auf die Bedeutung ‘dt.’ eingeschränkt (Breuer 1973, 345).

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2201

6.3. Alamannus Die Bezeichnungen Alamannia, Alamanni für Land und Leute der Dt. taucht vereinzelt im 11. Jh. auf und wird im 12. Jh. in Italien, Frankreich und England zunehmend üblich. Während in Italien sein Gebrauch hinter dem von Teutonici immer weit zurückbleibt, wird in Frankreich Alemanni seit dem 13. Jh. zur Hauptbezeichnung für die Dt. und auch von dt. Autoren immer häufiger verwendet. Das Adj. Alamannicus tritt hingegen überall nur vereinzelt auf (Belege bei Vigener 1901, 102ff.; 168ff.; Müller 1925, 280ff.; zu Alemannia Brühl 1990, 235ff.). Die „humanistische Wendung“ (Müller 1925, 281) setzt dem lat. Gebrauch von Alamanni usw. (wie Teutonici usw.) ein Ende. In den Volkssprachen erscheint frz. Aleman und it. Alemanno (neben dem weit häufigeren tedesco) seit dem 12. Jh., als frz. Lehnwort span. alema´n seit dem 13., port. alema˜o seit dem 15. und engl. Alemain vom 14. bis 17. Jh., als Sprachbezeichnung überall mit beträchtlicher Verzögerung nach dem Volks- und Landesnamen. Neben afrz. tiois stellt aleman stärker auf den politisch-staatlichen Bezug ab, tiois auf den sprachlichen (Heim 1984, 100f.). Als welsches (frz., ital.) Fremdwort verwenden auch mhd. Dichter (z. B. Walther, Wolfram u. a.) vereinzelt Alman. Durchgesetzt haben sich frz. allemand, span. alema´n und port. alema˜o.

tschech. neˇmecky, serbokroat. nemacki, slow. nemski, bulg. nemski usw. So wie deutsch sind auch die slaw. Sprachadj. für ‘dt.’ ursprünglich Appellativa, nämlich Ableitungen von neˇmъ ‘stumm’ (so schon Grimm 1840, 16): die Dt. sind den Slaw., die sich selbst als die ‘(verständlich) Redenden’ (von slovo ‘Wort’) bezeichnen, die ‘Stummen, die unverständlich Redenden’ (anders Kronsteiner 1980; 1983).

6.4. Germanus Die von den Humanisten neubelebten Namen Germani, Germanicus wurden seit dem 16. Jh. auch in Volkssprachen übernommen. Von diesen Übernahmen ist jene ins Engl. am wichtigsten. Als Volksname ist engl. German seit dem 16. Jh. belegt, als Sprachbezeichnung seit Ende des 17. Jhs. (Carr 1962, 204). Der Grund für die Ersetzung von Dutch (s. o. 6.2.) durch German liegt wohl in dem Bedürfnis, die nl. Nachbarn und Handelspartner deutlicher von den Deutschen abheben zu können, wahrscheinlich auch in der Konsolidierung der nhd. Gemeinsprache (bis ins 18. Jh. High Dutch). ⫺ Dem Neulatein. ist rumän. german (neben nemt¸esc, s. u. 6.5.), alban. gjerman usw. entlehnt. 6.5. Slaw. neˇmci Die slaw. Sprachen kennen für die Deutschen und ihre Sprache Bezeichnungen, die außerhalb der bisher besprochenen Zusammenhänge stehen: russ. nemeckij, poln. niemiecki,

Diese den Sprechern der slaw. Sprachen immer noch durchsichtige Etymologie wird auch dadurch gestützt, daß nemec in verschiedenen slaw. Sprachen auch ‘Stummer’ bedeuten kann (Sorokoletow/Schubin 1963, 65; Ska´la 1964, 290) und daß im älteren Russ. das Wort für Angehörige beliebiger europ. nichtslaw. Völker, für Fremde überhaupt verwendet werden konnte (Sorokoletow/Schubin 1963, 65f.; vgl. auch Specht 1941, 248f. über lit. lett. tauta).

Dem Slaw. ist ung. ne´met, rumän. nemt¸esc entlehnt. 6.6. Sonstiges Im Norden wurden die Dt., Deutschland und dt. auch nach jenem Stamm benannt, mit dem man den engsten Kontakt hatte, den Sachsen: aisl. Saxar, Saxland, saxlenzkr (saxneskr); z. B. Germania riki heitir pat, er ve´r köllum Saxland (Fritzner 1954, III 194; vgl. auch Cleasby 1957). In den skand. Sprachen hat sich dies nicht durchgesetzt, wohl aber wurde der Name den Finnen vermittelt: finn. saksalainen ‘dt.’. Bis heute nennen sich die Siebenbürger Deutschen Sachsen, ihr Deutsch sächsisch, obwohl es sich um moselfrk. Mundarten handelt (rumän. sas din Transilvania, sa˘ses¸te). Sonst heißen die Deutschen auf dem Balkan oft Schwaben, so die (1945 stark dezimierten) Banater Schwaben in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien, ihre Mundarten schwäbisch (tatsächlich sind sie überwiegend rhfrk.). In serb. Mundarten ist sˇvapski ‘dt.’ geläufiger als das eher literarische nemacki (Kronsteiner mdl.; im Rumän. wird suab [din suabia] ‘schwäbisch’ und s¸vaˇbesc ‘banaterdt.’ unterschieden). ⫺ Im Byzantinischen Reich hießen die Dt. und ihre Sprache Fra´ngoi (Fra´nkoi) und frangiko´s ‘Franken, fränkisch’ (neugriech. germaniko´s). ⫺ Ohne Anknüpfung und etymologisch ungedeutet bleibt lit. Vo´kia, lett. Väca ‘Deutschland’ und die Ableitungen lit. vo´kietis, lett. vacietis ‘Deutscher’, lit. vo´kiskas, lett. vacu ‘dt.’ (Fraenkel 1965, 1272; Grünenthal 1943, 352, A. 4).

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7.

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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2204

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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2205

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme Wülfing, Wulf, „Nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Teutscher“. Einige Bemerkungen zu Verwendungsweisen des Ausdrucks ‘deutsch’ in der deutschsprachigen Literatur zu Beginn des 19. Jhs. In: Haubrichs 1994, 113⫺126.

Zöllner, Erich, Bemerkungen zur Entstehung des deutschen Sprach- und Volksnamens aus der Sicht des Historikers. In: MIÖG 94, 1988, 433⫺437.

Ingo Reiffenstein, Salzburg

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme bis 1800 in historischer Sicht 1. 2.

7.

Abgrenzung des Themas Volkssprache als Literatursprache: Die Anfänge (8.⫺13. Jahrhundert) Regionale Subsysteme bis zum 16. Jahrhundert Stilistische Subsysteme am Beispiel der Übersetzungssprache (14.⫺18. Jahrhundert) „Hochdeutsch“: Das Ringen um die Hochsprache (16.⫺18. Jahrhundert) Hochsprache und Mundarten (16.⫺18. Jahrhundert) Literatur (in Auswahl)

1.

Abgrenzung des Themas

3. 4. 5. 6.

Äußerungen dt. Autoren über ihre eigene Sprache, über deren Mängel wie Vorzüge, über dialektale Varianten und über normative Zielvorstellungen u. a. m., gibt es vor allem seit dem 16. Jh. in stark ansteigender Zahl. Dies zwingt zu Auswahl und Ungleichgewichtigkeit. Die Auswahl berücksichtigt Äußerungen a) zu den Schwierigkeiten bei der Verschriftung und Literarisierung einer bislang nur mündlich gebrauchten Volkssprache; b) zur regionalen Variation in Dialekten und Schreibsprachen; c) zu der stilistischen Variation von Übersetzungstypen, besonders in der Zeit vom 14.⫺16. Jh.; d) zu der seit dem 16. Jh. sich herausbildenden Norm der dt. Hochsprache und e) zu der parallel dazu sich verstärkenden Absetzung der Volksmundarten von der Hochsprache der Gebildeten.

Auch die für die jeweiligen Subsysteme übliche Terminologie wird in ihrer Entwicklung verfolgt. Jeder Abschnitt behandelt die Belege chronologisch. Eine Ungleichgewichtigkeit in der Berücksichtigung der erfaßten Äußerungen ergibt sich daraus, daß Belege bis ca. 1500 vollständiger in die Darstellung mit einbezogen wurden als aus den folgenden drei Jahrhunder-

ten. Vor allem im 5. Kap. („Hochdeutsch“) konnte wegen der Überfülle an einschlägigen Äußerungen nur ein kleiner Teil der Zeugnisse besprochen werden. Dieser Mangel wird dadurch etwas ausgeglichen, daß für diesen Zeitraum auf mehrere Darstellungen verwiesen werden kann (Kaiser 1930; Blackall 1959; Nerius 1967; Josten 1976; Trümpy 1955 u. a.). ⫺ Ausgeschlossen bleiben Erörterungen seit dem Beginn der modernen Sprachwissenschaft zu Anfang des 19. Jhs. sowie (häufig pejorative) Urteile nichtdeutscher Autoren über die dt. Sprache. Der sprachgeschichtliche Hintergrund zu den hier besprochenen metasprachlichen Zeugnissen ist von Besch (1983, 961ff.) so dargestellt worden, daß sich die Beziehungen zwischen der inneren und äußeren Geschichte der Sprache und der Geschichte des Sprachbewußtseins gut verfolgen lassen. Für die Entwicklungen seit dem 14. Jh. ist durchgehend die neue Sprachgeschichte von P. v. Polenz (1991; 1994) zu vergleichen.

2.

Volkssprache als Literatursprache: Die Anfänge (8.⫺13. Jahrhundert).

Anlaß für das Nachdenken über die eigene Sprache ist vor allem dann gegeben, wenn man in und mit dieser Sprache in eine neue Situation mit neuen Anforderungen gestellt wird, z. B. am Anfang der literarischen Tradition einer Sprache oder am Anfang einer neuen Literaturgattung. Deutschschreibende sahen sich seit dem ausgehenden 8. Jh. in diese Lage versetzt. Zweifellos hat der gelehrte Anonymus aus dem Kreis um Karl den Großen, der Isidors Traktat Contra Judaeos ins Dt. übersetzte, Reflexionen über das Problem der Verschriftung einer bislang nur mündlich gebrauchten Volkssprache, über phonologisch-orthographische Probleme und über das Verhältnis zwischen Dt. und Lat.

2206

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

angestellt (vgl. Matzel 1966, 144ff.). Kapitularien Karls d. Gr. und Synodalbeschlüsse von 813 u. ö. enthalten vielzitierte ausdrückliche Gebote für den Gebrauch der eigenen Sprache in Mission und Seelsorge, die lat. aufgezeichneten Volksrechte beziehen systematisch die heimische Rechtsterminologie mit ein, und Einhard berichtet, Karl habe sogar mit einer Grammatik (einer Orthographieregelung?) seiner Muttersprache (patrii sermonis) begonnen. Explizite Äußerungen über die eigene Sprache, über charakteristische Abweichungen vom Lat. oder auch nur solche der Wertung fehlen jedoch aus dieser Zeit. Wenn etwa seit der Mitte des 9. Jhs. einige einschlägige Zeugnisse überliefert sind, wird es mehr als Zufall sein, daß sie alle von Schülern des großen Fuldaer Abtes Hrabanus Maurus stammen. Emotionale Motive für die Beschäftigung mit der Volkssprache bezeugt indirekt der in Fulda ausgebildete Westfranke Lupus von Ferrieres, wenn er gereizt die Unterstellung zurückweist, er sei Germanicae linguae captum amore (Rexroth 1978, 283; Hellgardt 1996, 31ff.) ⫺ wie Walahfrid und Otfrid fürchtete er offenbar den Spott der gelehrten Kollegen. Walahfrid aber wies diesen Spott indirekt zurück, indem er die engen Lehnzusammenhänge zwischen Hebr., Griech., Lat. und den germ. Sprachen im kirchlichen Wortschatz aufzeigte (Socin 1888, 39ff.). Der Sachse Gottschalk erkennt der Sprache der gens teudisca hohen Eigenwert zu, wenn er aus der Beobachtung, sie stimme im Gebrauch des Genitivs (anstelle des lat. Ablativs) mit dem Griech. überein, die durch Gott verliehene Würde auch der lingua barbara ableitet (Rexroth 1978, 290; Thomas 1976, 23ff.). Das bedeutendste Zeugnis über die eigene Sprache stammt von Otfrid von Weißenburg (vgl. auch Gasser 1970, 49ff.; Günther 1985). In dem seinem Evangelienbuch vorangestellten Approbationsschreiben Ad Liudbertum (Otfrid 1962, 4ff.) wird zwar eingeräumt, huius […] linguae barbaries sei inculta und des grammatischen Regelwerkes ungewöhnt (Z. 58f.). Auf das Beibringen von Beispielen für die besprochenen Fälle verzichte er aus Angst vor dem Hohnlachen (cachinnus, Z. 104) der Leser. Aber Otfrid sieht doch genau, daß das, was aus der Sicht der (lat.!) ars grammatica Mängel sind (phonologisch-orthographische Abweichungen; Metaplasmus und Synalöphe; doppelte Negation; Abweichungen in Genus und Numerus einiger Substantiva), einfach zur Eigenart (pro-

prietas, Z. 97) der dt. Sprache gehört. In Wahrheit sei es eine res mira (Z. 193f.), daß bedeutende Köpfe zum Ruhm einer fremden Sprache (des Lat.!) tätig seien, in der eigenen aber überhaupt nicht schreiben könnten! Aus der Struktur des Dt. leitet Otfrid auch die Notwendigkeit des Endreimes (omoeoteleuton, Z. 78⫺87) ab. Besonders bemerkenswert und bis ins 12. Jh. einzigartig ist, daß Otfrid metasprachliche Äußerungen nicht nur in der Sprache der Gelehrten formuliert, sondern auch in der Volkssprache selbst: das programmatische Kapitel I, 1 ‘Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit’ wiederholt einige allgemeine Gedanken des Briefes an Liudbert, verstärkt durch ein ausgesprochen reichsfränkisches (ostfrk.) Pathos (V. 35f.; 41⫺50; 113f. [vgl. V, 25, 9ff.]; 119ff.). Otfrids Freude darüber, thaz wir Kriste sungun in unsera zungun (V. 125), ist gleichzeitig die erste deutschsprachige Rechtfertigung der Lingua quarta, der Volkssprache neben den drei heiligen Sprachen Hebr., Griech. und Lat. Karl d. Gr. hatte ausdrücklich gefordert, niemand solle glauben, quod nonnisi in tribus linguis Deus orandus sit, quia in omni lingua Deus adoratur et homo exauditur (Richter 1982, 413). Etwa 150 Jahre nach Otfrid, um 1015, hält Notker der Deutsche in einem Brief an Bischof Hugo von Sitten (Notker 1882, 860f.; Sonderegger 1970, 81ff.) es für etwas bis dahin fast Unerhörtes (rem paene inusitatam), daß er es gewagt habe, lat. Texte ins Dt. zu übersetzen (ut latine scripta in nostram conatus sim vertere). Obwohl die Gebildeten davor wie vor etwas Ungewohntem zurückschrecken werden (abhorrebitis quasi ab insuetis), ist Notker davon überzeugt, daß man in der eigenen Sprache rasch begreife, was man in einer fremden kaum oder nicht vollständig erfassen kann (cito capiuntur per patriam linguam quae aut vix aut non integre capienda forent in lingua non propria). Und noch einmal gut eineinhalb Jhe. später, an der Schwelle zur mhd. Klassik, beschwört Herbort von Fritzlar im Prolog der Pilatuslegende (Weinhold 1877, 272ff.; 2VL 7, 676f.) die Sprödigkeit der dt. Sprache: Man sagit uon dutischer zungen / siv si unbetwungen / ze uogene herte / swer si dicke berte / si wrde wol zehe / als dem stale ir geschee (V. 1ff.; vgl. auch Gasser 1970, 10f.; zum Wortgebrauch von betwingen vgl. Kartschoke 1989, 206f.).

Sein sicherer Umgang mit einer kräftigen, bilderreichen Sprache straft seinen Bescheiden-

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme

heitstopos (ih wil spannin minen sin / zo einer rede an der ih bin / ane ghedenet uil cranc V. 11ff.) freilich Lügen. Jedenfalls bezeugt aber der Pilatus-Prolog noch das Bewußtsein (oder den Topos) von der schwierigen Handhabung einer ungeglätteten, des literarischen Gebrauchs ungewohnten Sprache. Folgerichtig fehlen denn auch in den folgenden Jahrzehnten höchster Sprachbeherrschung vergleichbare Klagen ⫺ im Gegenteil: Gottfrid von Straßburg (1962) kann sagen, die kunstvolle Beschreibung ritterlicher Pracht sei bereits so perfektioniert (mit rede also zetriben, Tristan V. 4618), daß er so etwas seinem Publikum nicht mehr zumuten wolle. Wie eng gattungsbeschränkt die Verfügbarkeit über die Volkssprache allerdings noch war, zeigt der Sachsenspiegel: do duchte in (Eike von Repgow) daz zu swere / daz herz an dutz wante (1974, Reimvorrede V. 276f.); was für die Dichtung bereits selbstverständlich war, erforderte für die Sachprosa noch einen besonderen Anstoß (vgl. auch Kloss 1978, 28ff.). Wie im Rolandslied erfolgte der Schritt zum Dt. überdies über eine lat. Zwischenstufe (Kartschoke 1989, 196ff., 202). Wie im Pilatus (s. o.) wird das Tun durch das Verb genenden „wagen, sich erkühnen“ ausgedrückt (Reimvorrede V. 278; Pilatus V. 16).

3.

Regionale Subsysteme bis zum 16. Jahrhundert

3.1. Gesprochene Sprache (Dialekte) 3.1.1. In der Frühzeit des Dt. bis ins 11. Jh. steht hinsichtlich der Volkssprache der Gegensatz zum Lat. im Vordergrund. Dem entspricht auch die Bedeutung des ahd. diutisk (vgl. Art. 156). Ob auch ein Bewußtsein von den in der geschriebenen Überlieferung deutlich greifbaren regionalen Verschiedenheiten bestand, läßt sich nicht sagen; Äußerungen gibt es dazu jedenfalls nicht. Lediglich der Unterschied zum Nd. ist so gravierend, daß er mehrfach registriert wird, z. B. an den Sachsenkaisern Otto I. in Regensburg (ore iucundo saxonizans) und Otto II. in St. Gallen (Socin 1888, 56; Schnell 1989, 297). Dieser Gegensatz zwischen Norden und Süden bleibt auch künftig im Vordergrund, seit dem 13. Jh. zudem z. T. mit einer Wertung verbunden. Das Prestige der mhd. höfischen Dichtung bewirkte, daß md. und nd. Autoren sich gedrängt fühlten, den schriftlichen Gebrauch ihrer eigenen, von der höfischen LiteraturKoine (?) abweichenden Sprache zu rechtfer-

2207

tigen, je nach Temperament entschuldigend oder polemisch (z. B. Albrecht von Halberstadt, Ebernand von Erfurt, Nikolaus von Jeroschin; Socin 1888, 106ff.; Wiesinger 1989, 332ff.). Das Gegensatzpaar Oberland-Niederland begegnet zuerst in der 18. Predigt Bertholds von Regensburg (1862, I, 249ff.), sowohl geographisch für den Oberrhein (Zürich, Bodensee) und für Sachsen (so bereits seit dem Nibelungenlied für das Niederrheingebiet, die Niederlande) wie übertragen für Himmel und Hölle (so auch bei Frauenlob, Oswald von Wolkenstein, Murner u. a.; Lexer 2, 72f., 135; DWB. 7, 771, 1095); daß Berthold die Begriffe übertragen verwenden konnte, setzt voraus, daß sie längst geläufig waren. In Entsprechung zur moraltheologischen Interpretation wird verurteilt, daz manic niderlender ist, der sich der oberlender sprache an nimet (I, 251, 26f.). In gleichem Sinn nennt auch der Thüringer Ebernand von Erfurt (ca. 1220) den Versuch, eine fremde Sprache (der er nicht gefuogen kan) zu übernehmen, effenlich: Ich bin ein Durenc von art geborn: / het ich die sprache nu verkorn / unt hete mine zungen / an ander wort getwungen, / warzuo were mir daz guot? (Heinrich und Kunigunde V. 4467ff.).

Ober- und Niderland / -lendisch bleibt bis ins 16. Jh. üblich, in weiter wie in engerer Bedeutung: Niderland, -lendisch hat von Anfang an teils die heutige Bedeutung (z. B. in Aventins ‘Bayerischer Chronik’ [1526⫺1533] Niderlender und Saxen [Turmair 1883, 20]), kann aber auch für den ganzen nd. Norden stehen: Fabian Frangk z. B. teilt in seiner Orthographia (1531; Müller 1882, 94) das Dt. in Ober vnd Niderlendisch, wobei sein Buch nur von oberlendischer (⫽ hd.) Sprache handelt. Oberland kennt Sebastian Helber (‘Teutsches Syllabierbüchlein’ 1593) noch für das Oberrheingebiet wie schon Berthold (s. o.), ersetzt es aber durch Höchst Reinisch, dan das Wort Oberland nicht meer breuchig ist (S. 24). Als Oberbegriff verwendet er die Ober oder Hoch Teutsche. Der Sprach- (und besonders der Reim-) gebrauch der höfischen Literatur um 1200 und gute Literaturhandschriften des 13. Jhs. lassen durchaus das Bemühen um eine Koine auf sdt. Grundlage erkennen. Ein Blick auf die deutschsprachigen Urkunden des 13. Jhs. macht aber deutlich, daß es sich dabei um gattungsbedingte Bestrebungen handelte: die Regionalismen, die in der Literatursprache einigermaßen unterdrückt sind, prägen das

2208

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Bild des sonstigen Schreibgebrauches. Literatur und Handschriften des 14. und 15. Jhs. lassen das ohnehin eher intuitiv wirkende Ideal einer Literatursprache über den Regionalsprachen wieder völlig fallen. Dazu kommt, daß sich ein Gutteil der Kennmerkmale der heutigen dt. Dialekte gerade in jener Zeit vom 12. bis zum 14. Jh. ausgebildet haben dürfte. Es hat also gute Gründe, wenn man sich seit dem 14. Jh. nun regionaler Unterschiede ⫺ weit über den Nord-Süd-Gegensatz hinaus ⫺ deutlicher bewußt wurde. Der locus classicus hierfür ist die farbige (und schnurrige!) Charakterisierung dt. Regionalsprachen durch den Bamberger Schulrektor Hugo von Trimberg (1908⫺1911; Renner V. 22 253ff., um 1300): Swer tiutsch wil ebene tihten, /der muoz sin herze rihten / uf mangerleie sprache […] An sprache, an maze und an gewande (vgl. Berthold von Regensburg I 250, 38ff.) / ist underscheiden lant zu lande.

Es folgt eine Liste von Artikulationsgewohnheiten der verschiedenen „Stämme“, von den Schwaben, Franken, Baiern über die Thüringer, Sachsen, Rheinleute, Wetterauer und Meissner bis ins Egerland, Österreich, Steierland und Kärnten. Die je durch ein Verb ausgedrückten Eigentümlichkeiten (Swaˆben ir wörter spaltent, die Franken ein teil si valtent, […] zezerrent, […] uf sperrent, […] würgent, […] schürgent usw.) lassen sich freilich nicht in phonetische Terminologie übertragen (und werden z. T. auch reimbedingt sein); lediglich zum Frk. bringt Hugo etwas konkretere Angaben (Schwächungen im Wortauslaut, Unterschiede zwischen der Sprache der Schwanfelder und Bamberger, V. 22 299ff.). Die Stelle mündet, wie schon bei Ebernand (s. o.), in den Rechtfertigungstopos: Keiner solle ihm wegen seiner frk. Sprache zürnen, wan ich von Franken bin geborn (V. 22 310). Schon Berthold von Regensburg hatte wortgeographische Verschiedenheiten registriert (eine hohe tugent […] heizet gedinge eteswa und eteswa heizet ez hoffenunge, eteswa heizet es zuoversicht I 546, 15ff.). Eine weitere, wertvolle Quelle dafür ist Konrads von Megenberg Buch der Natur (1349/50). Gegenstandsbedingt verbucht Konrad eine Fülle von Bezeichnungen für Sachbegriffe (Tier-, Pflanzen-, Krankheitsnamen u. dgl.) mit meistens reicher Synonymik. Tatsächlich stellt er in mehreren Fällen zwei Synonyme nebeneinander, das zweite in anderr (oder etleicher) däutsch (vgl. BdN, Glossar 589f.; Socin 1888, 120, Anm. 3). Wortgeographische

Analyse hat ergeben, daß Konrads Lexikon überwiegend bair. ist (entsprechend dem Wirkungsort Regensburg) und daß die vermerkten Abweichungen der (nordbair.-obfrk.) Sprache seiner Heimat Megenberg (heute Mäbenberg südl. von Nürnberg) angehören (Steger 1963, 65ff.). Wie zur Bestätigung heißt es bei der Besprechung des Iuniperus (BdN 325, 23f.): der kranwitpaum (das bairische Kennwort!) haizt in meiner müeterleichen däutsch ain wechalter (325, 23f.). Müeterleiche däutsch ist gleichzeitig die älteste dt. Wiedergabe von lingua materna. Wenig früher beteuert auch Nikolaus von Jeroschin (want ich) lutzil dutschis kan / ot als die mich larte / der spune mich e narte „weil ich nur soviel Deutsch kann, wie mich meine Mutter lehrte“ (Deutschordenschronik 12, V. 304ff.; weitere Belege für regionalsprachliches Bewußtsein im 14. Jh. bei Socin 1888, 129; über dialektbedingte Verstehensprobleme vgl. Schnell 1989, 297f. und Anm. 246). Phonetisch brauchbare Informationen über lautliche Unterschiede nicht nur zwischen regionalen Dialekten, sondern auch zwischen Soziolekten (Stadt ⫺ Land) gibt als erster der Baier Aventin (der gemain Baier auf dem land sprichts grob auß […] die in steten […] Turmair 1883, 30.33; weitere Hinweise s. u. 3.2.2.). 3.1.2. Die genannten Äußerungen und solche zur regionalen Verschiedenheit der Schreibsprachen (s. u. 3.2.) bezeugen nicht nur das völlige Fehlen einer überdachenden Gemeinsprache auch nur in Ansätzen, sondern selbst des Bedürfnisses danach. Ein ieglich mensche sprichet gern / die sprache, bi der ez ist erzogen (Hugo von Trimberg, Renner V. 22 306f.) ⫺ und davon soll niemand abgehalten werden. Andererseits bestand durchaus ein Bewußtsein eines übergeordneten Systems „Deutsch“, zu dem das Nd. (Sächs.) und das Nl. gehörten, nicht jedoch die angrenzenden germ. Volkssprachen (Schnell 1989, 298). Dieses Dt. existierte aber nur in einer Anzahl von regionalen Varianten, denen nun grundsätzlich (anders als im 13. Jh.) gleicher Rang zugebilligt wurde. Hugo von Trimberg bezeichnete diese von ihm charakterisierten regionalen Varianten als lantsprache (V. 22 287). Man hat, wohl auf Grund dieser Stelle, darin einen mhd. Terminus für ‘Dialekt’ gesehen (seit Socin 1888, 119; zuletzt Eggers 1986, 31; Löffler 1982, 443). Die sonstigen ⫺ nicht zahlreichen ⫺ Belege widersprechen dem jedoch eindeutig (Reiffenstein 1989, 348ff.). Die von Anfang an zutreffende Be-

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme deutung gibt vielmehr Josua Maaler (1561, 262r) e unter dem Stichwort Landspraach: Muterliche spraach, Vernacula lingua, Patrius sermo; das Wort wird im 17. Jh. durch Landessprache abgelöst (Georg Neumark 1668, zit. bei Josten 1976, 101; vgl. auch DWB. 6, 111: 2 Belege von Herder; DWB. 6, 142). Die mhd. Belege betreffen das Ir. (Gottfried, Tristan 8701. 10874), das Griech. (Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg 22616: Helena beklagt in Troja die lantsprache, / in der min künne wart geborn (!) / die muoz ich leider han verlorn / und fremde zungen üeben), das Lat.-Ital. (Wackernagel 1876, 256, 8 [Basler Hs. des 14. Jhs.]: der legendäre indische Priester Johannes bedient sich bei einer Predigt in Rom eines betiuters, […] der die lantsprach [sc. von Rom] vnd och die sinen [d. h. das Indische] wol kvnde). Wenn Hugo von Trimberg die regionalen Varianten des Dt. (die wir heute als Dialekte verstehen würden) als lantsprache bezeichnet, dann bestätigt er damit ihre (normative) Gleichrangigkeit untereinander: er versteht sie als Landessprachen. Auch der Beleg des Teichners läßt sich zwanglos anschließen (swaebisch machen nach der lantsprach auf und ab, Heinrich der Teichner 1953, Nr. 183, 28f.).

Für regionale Subsysteme unterhalb des Ranges von Sprachen stand bis ins 17. Jh. nur der griech.-lat. Terminus zur Verfügung, z. B. Luther: Deutschland hat mancherley Dialectos, Art zu reden, also, daß die Leute in 30 Meilen Weges einander nicht wol können verstehen (Tischreden 5, 511f., 6146), seit dem 17. Jh. auch eingedeutscht Dialekt (2DWB. 6, 852). Erst seit der Mitte des 17. Jhs. (Zesen, Schottelius) tritt daneben auch Mundart (vgl. auch Leser 1914, 6f.; s. u. 6.2.). 3.2. Schreib- und Druckersprachen 3.2.1. Im 14. und besonders im 15. Jh. erfolgte ein erster Schritt zu einer Überwindung der regionalen Zersplitterung durch die Ausbildung großregionaler Schreibsprachen, die in der 2. Hälfte des 15. Jhs. in den Drucksprachen ihre Fortsetzung fanden. Da der Zugang zur Schriftlichkeit sprunghaft anstieg, wuchs in gleichem Maße das Bedürfnis nach Unterweisung und nach Reflexion über die Bedingungen und Normen des Schreibens in der Volkssprache. Seit dem Anfang des 16. Jhs. nimmt daher die Zahl der für unsere Fragestellung relevanten Zeugnisse erheblich zu, und diese selbst werden systematischer. Man kann in dieser Zeit von den Anfängen einer dt. Grammatik sprechen. Da das Problem regionaler Verschiedenheit nach wie vor im Vordergrund steht und da sich diese Verschiedenheiten am ohren- und augenfälligsten in den phonologischen bzw. orthographischen Systemen konkretisieren, nimmt es nicht

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wunder, daß zunächst Reflexionen zur Orthographie überwiegen (wie schon im 9. Jh.!, s. o. 2.). In mehrfacher Hinsicht sind dafür Äußerungen Niclas von Wyles (1478) besonders aufschlußreich. Er legte nicht nur fundierte Überlegungen zur Theorie des Übersetzens vor (s. u. 4.3.), sondern erörterte auch materialreich technische und stilistische Probleme des Kanzleischreib- und Sprachgebrauchs. Hinsichtlich der regionalen Varianten ist Wyle ein entschiedener Vertreter des gleichen Rechts aller Schreibsprachen. Veränderungen, die auf einen Ausgleich orthographischer und sprachlicher Differenzen zielten, lehnte er als unbegründete modische Neuerungen (vnnütze endrung […] vnsers gezüngs, dar mit wir loblich gesündert waren von den gezüngen aller vmbgelegnen landen. Wyle 1861, 351, 19ff.) vehement ab. Aus seiner schwäb. Position wehrte er sich gleichermaßen gegen öst. (zwüschen mit Gen. statt mit Dat.), fläm. (üwer liebde, bequemlich statt üwer lieb, bekemlich) oder rheinische (geet, steet, rachtung, gescheen statt gat, stat, richtung, geschechen) Einflüsse. Ein besonders interessanter (in der Literatur der Zeit auch sonst öfter besprochener) Fall ist ai für ei (in burgermaister, nain, flaisch usw.): der gebürtige Aargauer hatte einige Mühe darauf verwendet, sich die schwäb. Graphie ai anzueignen; jetzt sollte er sich womöglich wieder umgewöhnen, um mit anderen Schreibern Schritt zu halten ⫺ das ich aber nit tuon wil (351, 26)! Als nu´wes gogelspiel verurteilte Wyle (wie andere nach ihm auch) funktionslose Konsonantendoppelungen (insbesondere -nn- in vnnser, vnnd, liebenn usw.); ästhetische Begründungen (es syge also hüpscher vnd stande bas, 352, 10f.) läßt er nicht gelten. Für phonologisch relevante Unterscheidungen von Simplex und Geminate gibt er gute Beispiele (Minimalpaare wie hof : hoff, sin : sinn usw.; 351, 33f.).

Niclas von Wyle war ein parteiischer Vertreter der regionalistischen Position; die sprachlichen Verschiedenheiten bewertete er positiv als lobliche Sonderungen. Diese wurden sonst ⫺ ohne Wertung ⫺ bloß konstatierend registriert. Die Tatsache der Aufsplitterung des Dt. in Regionalsprachen wurde bis ins 17. Jh. als Gegebenheit akzeptiert, ähnlich wie von den Autoren des 14. Jhs. (Hugo von Trimberg, Konrad von Megenberg) auch. ⫺ Der älteste Hinweis auf regionale Besonderheiten im Sprachgebrauch der Kanzleien findet sich in einer öst. Urkunde von 1363 (wb-Vertauschung nach der gewonheit dez land ze Payrn; Jellinek 1913, 39). Die gewonheit jedes „Landes“ blieb letztlich einzige Richtschnur für den Schreibgebrauch. Der Kölner anonyme ‘Schryfftspiegel’ (1527: Müller 1882, 382ff.) drückte dies am bündigsten aus: dat halt wie

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

dyr gheliefft (S. 385). Von einem berömden schriuer wird ausdrücklich die Kenntnis der wichtigsten Varianten des Dt. (ouch ander duitsch, dan als man in synk land singet) verlangt, da ihm mencher leye volck zo hant komme (S. 383). Genannt werden Frk., Schwäb., Bair., Rhein. etc. (zusammengefaßt als hochduytzsch), Sächs., Märk. etc. Auch der Basler Johannes Kolroß (Enchiridion 1530; Müller 1882, 64ff.) kann dem Lehrer, der sein Buch benützen will, nur empfehlen, es ye nach gelegenheyt des lands vnnd der sprach (S. 65) anzupassen. Für den Gebrauch von y/ey, ey/ai stellt er es eim yeden heim […], sie syner spraach nach (ir vßsprechen vß dem mund!) zu setzen. Auch Johann Fabritius (1532; Socin 1888, 258; Jellinek 1913, 51f.) weiß aus dem Dilemma, wo unser drey oder vier Deutsche schreibers zusammenkoment, hat yeder ein sonderlichen gebrauch, keinen anderen Ausweg als einen Stoßseufzer zu Gott. Und noch Anfang des 17. Jhs. äußert sich Henricus Caninius (Orthographia Germanica, Köln 1604; Burdach 1925, 25) ähnlich resigniert.

Daß die Autoren der Orthographiebüchlein und frühen Grammatiken als gegeben hinnehmen, daß das Deutsche nur in seinen unterschiedlichen „Landsprachen“ existiert, schließt keinesfalls die Billigung mit ein, daß eynn ytlicher wulde ader sülde syngen als ym der snauel gewassen were (‘Schryfftspiegel’; Müller 1882, 383). Es besteht durchaus ein Bewußtsein regionaler Schreibnormen, die von dialektalem Sprechen abgesetzt sind (vgl. z. B. Valentin Ickelsamer, ‘Teutsche Grammatica’ ca. 1534; Müller 1882, 131f.: beim Schreiben die bedeütung vnnd Etymologia der Teütschen worter beachten). 3.2.2. Erst der Schlesier Fabian Frangk aber fordert für rechtförmig deutsch schreiben oder reden ausdrücklich, daß man deutscher sprachenn auf eins lands art vnd brauch […] nicht nachfolgen dürfe (‘Orthographia’ 1531; Müller 1882, 92ff., Zitat 94). Wie der ‘Schryfftspiegel’ hält es auch Frangk für nützlich, vieler Landsprachen mit jren misbreuchen zuwissen ⫺ jedoch nicht, um allen Ansprüchen gerecht werden zu können, sone dern da mit man das vnrecht moge meiden! Entscheidungshilfe dabei leistet, das man gutter exemplar warnehme, das ist gutter deutscher bucher vnnd verbrieffungen; und zwar konkret des tewern (hochloblicher gedechtnis) Keiser Maximilianus Cantzelej vnd dieser zeit D. Luthers schreiben neben des Johan Schonsbergers von Augsburg druck. Damit ist zum ersten Mal das Ziel einer überregionalen Einheitssprache aufgestellt, wie es sehr ähnlich gut 100 Jahre später auch Schottelius vor

Augen hat (s. u. 5.3.). Zum ersten Mal ist auch ein Normenkanon aufgestellt, der ⫺ unterschiedlich gewichtet ⫺ rund 250 Jahre wichtig blieb: öffentliche (Kanzlei-) Sprache, Lutherdeutsch (was immer man darunter verstand) und Druckersprache (später: die Sprache vorbildlicher, Tradition bildender Autoren). Freilich klaffen Zielvorstellungen und Realität noch weit auseinander. Das Dilemma zeigt sich z. B. bei dem Schwaben Joh. El. Meichßner (1538; Müller 1882, 160), der zwar Frangks Forderung übernahm, das man guter exemplare warneme, wie man deren yetzo vil im truck findt, der aber gleichzeitig einräumen muß, daß für die Vokale nach eins yeden lands art kein entliche maß zusetzen sei. Hieronymus Wolf behauptete gar, daß, obwohl es bei uns weit mehr Dialekte gebe als bei den Griechen, una tamen quaedam communis lingua est Germanorum (1578; Socin 1888, 282). Wenn er sich dann bei der Erörterung konkreter Fragen nur mit regionalen Sprach- und Schreibformen herumschlagen muß, erweist sich freilich, daß sein Ist-Befund lediglich Postulat ist. Noch Anfang des 17. Jhs. stellt sich die Situation ⫺ jedenfalls aus der Sicht des Südens ⫺ nicht anders dar. Der Baseler Notar Johann Rud. Sattler (Teutsche Orthographey und Phraseologey, 1607, 5 Auflagen bis 1658; Jellinek 1913, 16. 47) empfiehlt zwar, sich am Vorbild guter Kanzleien (kaiserlich, [kur-]fürstlich, städtisch, von Niederösterreich und Baden bis Brandenburg, von Augsburg bis Frankfurt und Straßburg), der Reichsabschiede, Kammergerichtsordnungen und guter Bücher (in Rechten, Formulare, etliche Geschichtsschreiber) zu orientieren ⫺ aber: es wirdt aber hierzu niemandt verbunden; sondern es stehet zu eines jeden freyen willen, im reden und schreiben Teutscher Sprach zu folgen, wem er will (Socin 1888, 313f.).

Da die Grammatiker vor Schottel überwiegend ⫺ wenn auch meist unausgesprochen ⫺ dem Prinzip einer phonetischen Orthographie anhingen (ausdrücklich formuliert von H. Wolf 1578: Scriptura enim pronunciationem elegantem debet imitari; Socin 1888, 282), enthalten ihre Erörterungen viele Detailinformationen über regionales Sprechen und über Dialekte (meist als Mißbräuche getadelt). Besonders materialreich sind unter diesem Gesichtspunkt der ‘Mithridates’ Konrad Gesners (Zürich 1555), Wolfgang Lazius’ ‘De gentium aliquot migrationibus […] ac dialectis’ (Basel 1557 [auch über österreichisch-schwäbische Wortschatzverschiedenheiten]; Socin 1888, 290ff., 267ff.), Aventins ‘Bayerische Chronik’ (Turmair 1883, 16⫺32) oder Sebastian Helbers ‘Syllabierbüchlein’ (Freiburg i. Ü. 1593; Socin 1888, 294ff.), im 17. Jh. die ‘Consultatio de prudentiae et eloquentiae parandae

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme modis’ des Oberpfälzers Caspar Scioppius (1626, 321ff.; Socin 1888, 325ff.).

3.2.3. Für die Bezeichnung der Regionalsprachen werden meistens die Stammesnamen (Bair., Schwäb., Frk. usw.) verwendet; für die Großgliederung dient nieder- und oberländisch (s. o. 3.1.1.), für letzteres auch hochdeutsch (s. u.). Im ‘Exercitium puerorum grammaticale’ eines unbekannten Niederländers (Amsterdam 1485; Müller 1882, 17ff.) begegnen wir zuerst der Dreiteilung des dt. Sprachgebietes: teutonicum […] diuersificatur per altum bassum et medium (18). Wenn S. Helber (1593, 24) viererley Teütsche Sprachen unterscheidet, in denen man Büecher druckt (die Colnische oder Gülichische, die Sachsische, die Flammisch oder Brabantische vnd die Ober oder Hoch Teütsche. Vnsere Gemeine Hoch Teütsche wirdt auf drei weisen gedruckt: […] die Mitter Teütsche, […] die Donawische, die e […] Hochst Reinische),

dann liegt dieser Einteilung ⫺ mit weiterer Differenzierung ⫺ im Grunde die gleiche Dreiteilung zugrunde wie der des ‘Exercitium’. Für mitter- (später mittel-)deutsch bringt Helber den ältesten volkssprachlichen Beleg (daz mittelste duˆtsch [1343] ist stilistisch zu verstehen, s. u. 4.4.). Bemerkenswert ist, daß er dem Mitterteutschen auch Würzburg, Nürnberg und Straßburg zurechnet und daß das Donawische neben dem Bair.-Öst. auch das Schwäb. umfaßt (mindestens im Hinblick auf die dort behandelten Diphthonge durchaus zurecht). Hochdeutsch (DWB. 4/2, 1610f.; Trübner 3, 454f.; Sonderegger 1979, 48ff.) ist zuerst nl. bezeugt, als Gegensatz zum Nd. (ghetoghen van den hoghen duutsche int neder duutsche 1457, in einer Lesart der 1. Hälfte des 15. Jh.s ouerlantsch; van Wyk 1910, 239f.; ähnlich ca. 1470: DWB. 4/2, 1610); wenig später, noch im 15. Jh., folgen Belege aus dem Süden (Socin 1888, 20, A. 1; 173ff.; 188; 215; 219 usw.). Das Wort hat zunächst rein geographische Bedeutung und wird oft synonym zu (anfangs noch häufigerem) oberländisch verwendet; gelegentlich dürfte es wie dieses (besonders im Gebrauch von Schweizern) bloß auf das Oberrheinische bezogen sein (z. B. Adam Petri, Basel 1523: auff unser hoch teutsch), überwiegend ist es aber durch den Gegensatz zu niederdeutsch bestimmt (so z. B. auch bei F. Frangk). Dies gilt auch für den ‘Vnderricht der Hoch Teutschen Spraach’ von Albert Oelinger (Straßburg 1574); der Untertitel lautet zwar ‘Institutio

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Verae Germanicae linguae’ ⫺ aber S. 200 ist zu lesen, daß diese vera Germanica lingua […] commune est omnibus superioris Germaniae populis, was freilich der Grammatik des Laurentius Albertus (1573, 39) entnommen ist. Eine Verschiebung zum Normativen, zur Bedeutung „deutsche Hochsprache” (je nach Einstellung auf das Obersächsisch-Meißnische, die Sprache Luthers, oder auf eine Sprache über den Dialekten [Schottelius, Bödiker] bezogen), setzt sich im 17. Jh. vor allem bei mittel- und norddt. Autoren durch. Opitz und Schottelius dürften die neue Bedeutung allgemein gemacht haben. Wenn Bödiker (1690) die teutsche Sprache […] 1. in die Niederteutsche, 2. Oberteutsche, und 3. Hochteutsche dreiteilt, so hat diese Gliederung jedenfalls eine andere Qualität als im ‘Exercitium’ (1485) oder bei S. Helber (1593); die hochteutsche Sprache ist keine Mundart eines einige[n] volks oder einer Nation der Teutschen, sondern aus allen durch Fleis der Gelehrten zu solcher Zierde erwachsen (zit. nach Bödiker 1746, 350f.; Diedrichs 1983, 112ff.). In dieser Bedeutung lebt hochdeutsch in nicht-technischem Sprachgebrauch bis heute (Duden GDW 4, 1613). Anmerkung: Gelegentlich wird hohes (höfisches) teutsch, hochteutsch für ‘stilus altus’ verwendet. Leo Jud lehnt für seine Erasmus-Übersetzung (Basel 1523) mit Rücksicht auf den einfaltigen leyen […] das hohe vnd hofische tüsch zugunsten des gemeinen lantlichen ab (Werbow 1963, 51; s. u. 4.4.). Auch Fabian Frangk handelt nicht von Rein höflich deutsch mit geschmückten verblümbten worten […] der redmas vnd Rethoriken zustendig, […] da wirs auch bleiben lassen; Müller 1882, 95). Ähnlich heißt es in der ‘Rhetorica’ des Alexander Hug (Basel 1528; Socin 1888, 284): Mutatio leert jegklichen artickel durch synonyma […] verwächseln, das, die zum hohen hoflichem teutsch dannocht ein meinung bedeuten, verkert werden. Schon 1493 erschien in Straßburg eine New practicirt rethoric und briefformulary des adels, stetten und ländern des hochteutschen yetzlauffenden stylums und gebruchs (Socin 1888, 174). Vgl. auch eine Äußerung von Adam Puschmann (Josten 1976, 108, 153) und hocher redner ‘alti loquus’ im Vocabularius incip. teut. (DWB. 4/2, 1596).

Oberdeutsch begegnet zuerst bei S. Helber (Ober oder Hoch Teütsch, s. o. 3.2.3.; außer an dieser Stelle bei ihm sonst nur hochteutsch), noch synonym mit hochteutsch. Erstbeleg für den modernen Gebrauch ist Bödikers Grammatik (s. o., allerdings noch insofern synonym mit älterem oberländisch oder hochdeutsch, als es das Md. mit ein-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schließt). ⫺ Niederdeutsch taucht zwar gleichzeitig mit hochdeutsch in dem nl. Beleg von 1457 (s. o. 3.2.3.) auf, bleibt aber neben niederländisch (seit dem 17. Jh. meist in der engeren, heutigen Bedeutung) und sächsisch, sassisch selten (z. B. Socin 1888, 311, A. 3: Köln 1604; DWB. 7, 752f.). Schottelius betont noch, die niederteutsche Sprache sei, ebenso wie die hochteutsche, kein Dialectus, […] sondern beide haben ihre Dialectos (Schottelius 1663, 152), bei Bödiker (s. o.) ist hingegen Niederteutsch dem Oberteutsch gegenübergestellt, über beiden steht Hochteutsch. Das Absinken des Nd. zum Dialekt signalisiert auch das Aufkommen der an nl. plat ‘deutlich, verständlich’ angelehnten Bezeichnung plattdeutsch etwa seit der Mitte des 17. Jhs. (häufig abwertend; Trübner 5, 148f.).

4.

Stilistische Subsysteme am Beispiel der Übersetzungssprache (14.⫺18. Jahrhundert)

4.1. Das Übersetzen aus einer (oft kulturell überlegenen) Sprache in eine andere ist zu allen Zeiten ein wesentlicher Faktor des kulturellen Austausches und Fortschritts. Die Christianisierung der europäischen Völker ist begleitet von einem umfassenden Übersetzungsvorgang (Mounin 1967, 25ff.), und entsprechend dominiert im Dt. das ganze Mittelalter hindurch, aber weit darüber hinaus auch und wieder im 16. und 17. Jh., das Übersetzen aus dem Lat. Übersetzen ist zugleich ein Akt der Aneignung einer fremden und der Emanzipation der eigenen Sprachkultur (vgl. Art. 14). Der entsprechende Aneignungsprozeß der griech. Tradition durch Rom, später die Übertragung der Bibel ins Lat., hat berühmte und bis heute nachwirkende Reflexionen ausgelöst (neben Cicero und Quintilian besonders Horaz, Epistola ad Pisones [Ars poetica], 131ff.; Hieronymus, 503ff., Epist. 57, 5 ad Pammachium; Störig 1973, 1ff.), die eine grundsätzliche Alternative des Übersetzens erörtern: verbum e verbo oder sensum de sensu (Kloepfer 1982, 586f.). In der dt. Frühzeit fehlen Äußerungen zu diesem Thema; lediglich Otfrid bespricht einige strukturelle Verschiedenheiten zwischen den beiden Sprachen (s. o. 2.), und Konrad von Megenberg stellt seine Übertragung gegen (gelehrte?) Kritiker in eine bedeutende Traditionskette: Ez truog Jeronimus […] Sam truog Boethius […] Also trag ich (BdN, Vorrede Str. 4⫺6). Erst seit dem späten 14. Jh. begegnen dann

Aussagen über je angemessene Übersetzungsstile, die offenkundig Niederschlag einschlägiger Diskussionen sind. Die Frühhumanisten (Steinhöwel, Wyle) und die reformatorischen Übersetzer führen das Thema weiter. Während die Bibelübersetzung um eine möglichst wörtliche Wiedergabe des heiligen Textes (ubi et verborum ordo mysterium est, Hieronymus 508) bemüht war (vgl. Art. 15), entwickelte sich in der Predigtsprache früh eine relativ eigenständige Stiltradition, natürlich auf der Basis der lat. Homiletik, aber nicht gegen die Struktur der dt. Sprache (ähnlich auch in der dt. Rechts- und Urkundensprache). Bei Berthold von Regensburg wird zum ersten Mal ausgesprochen, was im 15. und 16. Jh. ein fester Topos aller Übersetzungskommentare ist: daß die prägnante Kürze des Lat. (mit kurzen worten begriffen) der Peri- oder Paraphrase im Dt. bedarf: vil wort in der latine, diu wir in tiutsche niemer uz künnen gelegen wan mit gar vil umbrede (I 520, 6; bei der behandelten Stelle Röm. 6, 23 geht es allerdings weniger um die Übersetzung von stipendia durch lon als um die Auslegung des Lohn-Begriffes). 4.2. Die „Wiener Schule“ Die ausführlichste Begründung des volkstümlichen Übersetzungsstils mit der Notwendigkeit der umbred steht in der Vorrede zu dem exegetischen Kompendium des Wiener Hofkaplans Ulrich von Pottenstein um 1400 (Unger 1969, 244ff.; Hohmann 1977, 261f.; Reiffenstein 1984, 175; Text bei Hayer 1972, II, 1ff.; Baptist-Hlawatsch 146; hier zit. nach Unger 1969, 246): Da daz puch vnd die lere der Predigt nahestehen (und er auch tatsächlich Teile davon ze Wienn vnd anderswa mv¨ndlich gepredigt habe, 245), sei er dem gemainen laüf dewtscher sprach nach des lanndes gewonhait gefolgt. Dem Zweck seines Buches (den frumen vnd verstanden layen […] zenucz vnd ze übung, 244) könne sich aigne dewtsch nach der latein, als die lawtet vnd nach dem text liget, weder geschikchen noch gefügen, wann vmbred bringen an maniger stat in der schrifft mer nuczes vor dem gemainen volkch dan aygnew dewtsch, als daz die gelerten wissen.

Die Gegenposition vertritt der ungenannte Übersetzer des ‘Rationale Divinorum Officiorum’ von Wilhelm Durandus (im Auftrag Herzog Albrechts III. von Österreich, 1384 abgeschlossen; Buijssen 1966, 4ff.; Unger 1969, 240ff.; Hohmann 1977, 258f.; Reiffenstein 1984, 175f.; 1984 a, 197f.).

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme Er werde sein Dt. zwar nicht reimen, es aber besliezzen […] mit der chunste slozzen, die da haizzent rethorica, indem er bei der schrifte worten beleibe und die selbe mazze behalte, die in latein geschriben ist (Buijssen 1966, 4, 23ff.); man möge daher verstehen, daß er etwann an dem ersten secze ain wort oder ainen sinn, der in gemainem teusche an daz leste gehoret oder umgekehrt: daz tun ich nach der ordenung der schrifte des lat. Textes. Daher habe er auch ettleiche dinch […] nicht aygenleich genennet […] als si in disem lannde gewonleich werdent genant (4, 28⫺5, 3). Den sinn und auch di mazze, die in latein geschriben seint, kann keine Sprache widerwegen, am wenigsten die Teusche zunge, die von alter her di mynniste und gegen latein e die wildiste […] (barbara) ist, und darumb muzzen wir ofte wort fur worte nennen, so wir latein bedeutschen wellen (5, 10⫺14).

Leitworte der beiden gegensätzlichen Stilrichtungen sind gemaine(z) deutsch, umbred, sin, verstentlich einerseits, aigne deutsch, aigenliche Übertragung des Lat., wort für wort andererseits. Es geht also um die alte Streitfrage, ob eine Übersetzung sinngemäß oder wörtlich sein solle. Als die Begründung für das (die) gemeine Dt. wird die Verständlichkeit für Laien genannt, als unerläßliche Bedingung für Paränese und Didaxe. Der Ehrgeiz der übersetzenden Gelehrten galt freilich der eigenlichen Verdeutschung. Auch Ulrich betont, daß er sein Buch vil paz hette mügen czu ainer aygen dewtsch pringen (Unger 1969, 246), und Leopold von Wien (2VL 5, 716ff.) rechtfertigt durch die fürstleichen wegier des Herzogs, daß er die Übersetzung von Cassiodors ‘Historia tripartita’ ainvoltichleich wedewt hab ⫺ die gelertenn sollten nicht meinen, daz es vor vnwizzen sey geschehen, daz ich nicht yedaz wart nach seiner art hab wedewt (1385; Hohmann 1977, 259f.; Heilig 1933, 281f.). Dagegen erhielt Johann von Neumarkt schon um 1360 von Karl IV. den Auftrag, daß er das buch der lipkozung von wort czu worte czu deutscher czung bringen vnd keren sold (Johann v. Neumarkt 1930, 8, 12ff.). Das Motiv für die Nachahmung der lat. Vorlage ist die Hoffnung, dadurch am ehesten Dignität und rhetorische Qualität des Originals ins inferiore Dt. hinüberzuretten ⫺ in anderer Weise, aber mit vergleichbarer Zielsetzung, wie der Ackermanndichter zur gleichen Zeit aus dem Dt. ⫺ hoc ydeomata indeclinabili ⫺ das Beste dadurch herauszuholen versuchte, daß er spica […] ex agro rhetoricalis iocunditatis zusammenlas (Widmungsbrief an Peter Rothirsch; Heilig 1968, 137ff.; Blaschka 1968, 346ff.). Der Rationale-Übersetzer leitet zwar die Würde der Schrift direkt von Gott her (der erste schreiber Ex. 31, 18; Buijssen 1966, 3f.), und die drei Sprachen, in denen die hl. Messe gefeiert werden darf (Griech., Lat., Kslaw.), „bezeichnen“ die Dreifaltigkeit (6,9ff.); die Normativität des Lat. wird aber nicht durch seine Heiligkeit begründet, sondern

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durch rechte mazze, ordenung und durch seinen Reichtum (4, 31.5, 5.10).

Die genannten Zeugnisse stammen von Autoren der Wiener Schule, einem Kreis von Theologen, die in enger Verbindung mit dem herzoglichen Hof und der Universität um religiöse Unterweisung, Laienbildung und Popularisierung katechetisch-exegetischer und „höfischer“ lat. Werke durch Übersetzung ins Dt. bemüht waren (Hohmann 1977, 257ff.). Als einen Vorläufer kann man die ValeriusMaximus-Auslegung verstehen, die Heinrich von Mügeln 1369 für Hertnit von Pettau, Landmarschall der Steiermark, verfaßt hat. Die Vorrede beruft sich auf Ieronimus und ander ausleger der schrift, […] das die auslegung pesser sey, wo sin zu sin gefugt wirt wann die auslegung, in der man sunderleichen ysleichem wort nach get (Schönbach 1898, 10; Wenzlau 1906, 16f.). Weitere Aussagen bestätigen, daß wir zurecht von einer in diesem Kreis geführten Diskussion über text- und funktionsgemäße Übersetzungsweisen sprechen dürfen. Der Fürstenspiegel ‘De regimine principum’ wurde für einen lateinkundigen Auftraggeber (vor steund lateynischew czungen; vor 1412, für Hzg. Albrecht III. oder IV.; Hohmann 1977, 260) ins Dt. übertrae gen also aygenleich, daz ir ganczen sin da von nemund seyt, als es latein geschriben stet, und sew paye e a dew pucher lesen mugt, latein und tewschcz; die Übersetzung will zum Original, mindestens zu einer zweisprachigen Lektüre, hinführen. Die von Hohmann herausgegebene Übersetzung von Langensteins ‘De discretione spiritum’ ist teutzsch gente zichleich gemacht […] nach der latein, vnd darumb ist die teutschz etwas seltzam (⫽ pretiosus; Hohmann 1966, 53, Vorrede Z. 6f.). Auch der Anonymus einer Kremsmünsterer Hs., der aus mitleiden […] mit gueten chindern Anfang des 15. Jhs. den Donatus übersetzt (glossiert) hat, stellt fest, daß dicz buech nach allen warten nicht enmag aygenleich auzgelegt werden, so ist doch mit vmbred vnd mit e auzzaigung dez sins vberbracht vnd bedäwt von gots hilf (Ising 1970, 36ff.; Müller 1882, 1ff.; 2VL 8, 1062 [B. Schnell über Joh. Seld]).

4.3. Der Schwäbische Frühhumanismus Etwa ein halbes Jh. später wurde die Diskussion im Kreise der schwäb. Frühhumanisten (vgl. auch Art. 120) wieder aufgenommen, und wieder begegnen wir den beiden Positionen: verbum e verbo oder sensum exprimere de sensu (Hieronymus 508; Schwarz 1944, 371, A. 3). Niclas von Wyle vertritt nachdrücklich die Position der strengen imitatio. Sie ist ausführlich dargelegt und begründet in seiner Widmungsvorrede an Jörg von Absberg von 1478 (Wyle 1861, 7⫺12). Wyle

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

räumt seinen Kritikern ein, daß seine Translationen an vil enden wol verstentlicher möchten worden gesetzet sein (7, 21); er weiß auch, daß er sich für eine freiere Übertragung (wyt vßlouffe 8, 6) auf Horaz (in siner alten poetrye 8, 7) hätte berufen können. Daß er nicht darauf geachtet habe, ob dem gemainen vnd vnvernieten man das vnuerstentlich sin werd oder nit, rechtfertigen ihm Leonardo Bruni und Enea Silvio; man müsse seinen Stil durch emsig lesung (9, 1) guter Literatur schulen. Daher habe er so nah wie möglich beim Lat. bleiben müssen, vmb daz nützit der latinischen subtilitet durch grobe tütschung wurd gelöschett (10, 16f.). Sein Hauptgewährsmann aber ist der bedeutende Nürnberger Jurist Gregor Heimburg (2VL 3, 629ff.). Ihm wird in den Mund gelegt, daz ain yetklich o tütsch, daz usz gutem zierlichen vnd wol gesatzten o latine gezogen […] wer, ouch gut zierlich tütsche vnd lobes wirdig haissen vnd sin müste, vnd nit wol verbessert werden möcht (9, 10ff.), daz er in der latio nischen rethorick wenig ützit fund zu zierung vnd hofflichkait loblichs gedichtes dienende, daz nit in dem Tütsche ouch statt haben vnd zu zierung sölicher tütscher gedichten als wol gebrucht werden möcht als in dem latine (10, 25ff.). Auch der zum Dalbergkreis gehörige Johann Gottfried ist in seinen Antike-Übersetzungen bestrebt, die eigenschafft der latinischen wort zu erhalten (Worstbrock 1970, 76). Im Grundsätzlichen stimmen Heimburg und Wyle völlig mit dem Rationale-Übersetzer überein; hinzugekommen ist lediglich die Vorbildkraft der Literatur und der pädagogische Impetus. Da Heimburg 1413 und Wyle 1430⫺33 in Wien immatrikuliert waren (2VL 3, 631; Schwenk 1978, 41ff.), spricht alles dafür, daß ihre übersetzungstheoretischen Auffassungen durch die Wiener Erfahrungen nachhaltig bestimmt wurden (Reiffenstein 1984 a, 200ff.).

„Wyle suchte nicht und fand nicht den Beifall des breiten Publikums“ (Worstbrock 1970, 51). Seiner Methode haftet die Luft der Schule an, aus der sie kommt; die ersten Translationen entstanden als Lehrbehelfe für seine Koststudenten (Wyle 1861, 9, 14ff.). Natürlich wußte auch Wyle, daß in vielen Fällen gebruchh (Mangel) ist aigenlicher tütscher worten vnd darumbe man die vmbreden o muß (8, 18f.; vgl. o. 4.1. Berthold von Regensburg, 4.2. Johann Seld). Aber auch darüber hinaus legten die teu´tschen der latine vnku´nne(n)d (Steinhöwel, ‘Speculum vitae humanae’ 145) ⫺ und für sie wurden ja in erster Linie die Übersetzungen gemacht ⫺ ofo fenbar Wert auf einen verständlichen Text czu e merer verstantnusz den lesenden menschen disz o buches; die geeignete Methode dafür sei nit […] eyn wort gegen wort transferieren, sonder […] ausz eynem synne eynen andern synne, doch gelaicher mainung zesetzen (Steinhöwel ebda. 145). Heinrich Steinhöwel, der übrigens

auch (1429⫺36) in Wien studiert hatte, beruft sich für seine Auffassung auf Horaz (Ars poet. 133f., zitiert allerdings nach der etwas erweiterten Fassung [sed sensum […] de sensu] des Hieronymus 508; Schwarz 1944, 370f. Mügeln nennt richtig ‘Hieronymus’, s. o. 4.2.). In mehreren Vorreden (zum ‘Speculum’, zum ‘Aesop’ und zu ‘De claris mulieribus’) fordert er sinngemäße, verständliche Übersetzung, wenn nötig auch um merer lütrung wegen des textes oft mit wenig zugelegten oder abgebrochnen worten (Aesop 4; ähnlich Aesop 276; Spec. vitae hum. 145; Hänsch 1981, 51⫺90 u. passim). Wyles Vorrede zu seinen Translationen (1478) kann als Auseinandersetzung mit Steinhöwel (‘Speculum vitae humanae’ ca. 1475) verstanden werden; auch er bringt das gleiche (falsche) Horaz-Zitat (Schwarz 1944, 370ff.). Es verwundert nicht, daß freie Übersetzungen auch künftig weit überwiegen. Das Horaz-Zitat (meist ohne Namensnennung und durch Sinn-fürSinn erweitert) wird zum festen Topos, z. B. auch bei Albrecht von Eyb (‘Sittenspiegel’; Herrmann 1890, 2, XVII; Liste einschlägiger Stellen bei Stammler 1954, 24, ergänzt von Schwarz 1944, 372, A. 3). Das sinngemäße Übersetzen wurde von den Frühhumanisten zwar in eine ehrwürdige antike Tradition gestellt, aber es war auch im 15. Jh. der Sache nach so wenig (oder noch weniger) neu wie das wörtliche Übersetzen. Auch hier kann auf die Wiener Schule verwiesen werden, die mit ihrem „volkstümlichen“ Übersetzungsstil ihrerseits in der Tradition der seit dem 12./13. Jh. ausgebildeten Predigt- und Erbauungssprache steht. In die gleiche Tradition stellt sich auch das ‘Manuale curatorum predicandi prebens modum’ von Joh. Ulrich Surgant (Basel 1503, 1514; Schwarz 1944, 372, A. 3; Hohmann 1977, 262, A. 20): Non oportet praedicatorem in modo vulgarisando se constringere ad istam difficultatem, quod velit transferre verba ita proprie (aigen!) et eodom ordine sicut in latino ponuntur; sed aliquando sensum ex sensu accipere (1514, f. 37r).

4.4. Seit der Übersetzung des Rationale (1384; s. o. 4.2.) ist für die Sprache der volkstümlichen Stilart u. a. die Bezeichnung gemeine(z) teutsch belegt. Werbow (1963, 47ff.) hat klargestellt, daß damit nicht eine noch ferne Gemeinsprache obd. Prägung antizipiert ist (so noch Bauer 1966, 7; 78f.), sondern daß damit ein einfaches, volkstümliches, „landläufiges“ Dt. gemeint ist (lingua vulga-

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme

ris). Besonders deutlich wird dies aus Vorreden zu Erasmus-Übersetzungen von Leo Jud (Werbow 1963, 51): meer des gemeinen lante lichen, dann das hohen vnd hofischen tüsches in o miner tranßlation geflissen (Basel 1523); klug (s. o. 4.2. seltzsam!) tütsch könnte Laien vnverstendig vnd verdrützig sein, daher schreibt er verstendig vnd gemein tütsch (Basel 1521; allerdings hat Jud den Schwierigkeiten von Erasmus’ Stil gegenüber auch einfach reo o signiert: us gutem zierlichen latin gut zierlich o tütsch zu machen [s. o. 4.3. Wyle/Heimburg], was arbeit das bruche, könne nur beurteilen, wer es versucht habe [1523]). Für die weiteren Belege, bis hin zu Rudolf Heüßlin, der 1582 Konrad Gesners Vogelbuch übersetzte und aus sachlichen Gründen ein gmain und verstene dig Teutsch statt vil schöner, geblumter vnd wolgezierter worten verwendete, kann auf Werbow (1963, 45⫺58) verwiesen werden (vgl. auch Josten 1976, 91ff.). Hervorgehoben sei noch, daß auch Luthers berühmter Tischreden-Ausspruch über seine Sprache (WA 1, 524f.) den Gegensatz zwischen der gewissen, sonderlichen, eigenen und der gemeinen deutschen Sprache, die alle Ober- und Niederländer verstehen können, thematisiert (vgl. auch Stolt 1964, 21; Eggers 1986, 152ff.; hingegen hält Besch 1983, 974 an der Bedeutung „geographisch allgemein“ fest; differenziert Mattheier 1991, 42ff.). Erst seit dem ausgehenden 16. Jh. (s. z. B. 3.2.3. S. Helber) wird gemein als Sprachadj. auch in geographischem Sinn (communis) verwendet.

Andere Adj. zur Bezeichnung eines unpretiösen, einfachen Dt. sind schlecht (mehrfach bei Steinhöwel), gewonlich, verstentlich. Das Register der Liedhs. Cgm 715 enthält zu einer dem Mönch von Salzburg zugeschriebenen Übersetzung den Hinweis ringer deütsch (Reiffenstein 1984, 180f.; Wachinger 1989, 16f.), so auch Steinhöwel: in ringem verstentlichem tüsch (Aesop 276; das Gegenwort schwer bei mehreren Liedern des Mönchs [Reiffenstein 1984, 180] und bei Wyle: costlich schwer vnd wol geziert latine 364, 24f., ähnlich 7, 9f.). Singulär ist daz mittelste dutsch für „stilus mediocris“ (briefl. Hinweis von Sonderegger) im Evangelienbuch für Matthias von Beheim von 1343: uz der byblien ist dise ubirtragunge in daz mittelste dutsch e mit einualdigen slechtin worten uz gedruckit zu glicheit des einualdigen textes […] der ouch mit einualdigen worten […] (Bechstein 1867, XVIII; Pfeiffer 1862, 228f.). Der ganze Kontext (u. a. Polemik gegen orekutzelere […] mit flojrenden gespitzetin sinnen) macht deutlich, daß von der Stilart und nicht von der regionalen Zuordnung der Übersetzung gesprochen wird (seit Pfeiffer wird die Stelle als ältester Beleg für mitteldeutsch [s. o. 3.2.3.] verstan-

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den ⫺ und tatsächlich ist die Sprache der Übersetzung md.!). Etwa 350 Jahre später bucht Stieler (1691, 2277) Mittelteutsch ‘stylus mediocris linguae Teutonicae’ (im Gegensatz zu Teutschteutsch sive Meisterteutsch).

4.5. Die häufigste Begründung für sinngemäße Übersetzung ist die Rücksichtnahme auf das Laienpublikum (dem dise […] arbeit e fürnamlich gschehen ist, Leo Jud; Werbow 1963, 51), auf die immer wieder zitierte Verständlichkeit. Neu in der Praxis und Theorie des 15. Jhs. ist die Einsicht in die Eigenart (proprietas) der dt. Sprache und in ihr daraus erwachsendes Eigenrecht (Schwarz 1945, 295ff.); Gelehrte des 9. Jhs. hatten davon freilich auch eine z. T. schon recht konkrete Ahnung (s. o. 2. zu Walahfrid, Gottschalk und besonders zu Otfrid). Die bessere Vertrautheit mit anderen Sprachen, besonders mit dem Griech., mag dazu beigetragen haben (so wohl auch schon im 9. Jh.). Ein (erstes?) Zeugnis des vertieften Sprachverständnisses findet sich im dt. ‘Belial’ (zit. nach dem Druck bei Baemler, Augsburg ca. 1472, Schwarz 1944, 272, A. 1; ähnlich Schönbach 1898, 28f. [nach Grazer Hss.]; vgl. auch Weinmayer 1982, 55ff., dort auch zu weiteren einschlägigen Vorreden; Ott 1984, 35ff.; 2VL 4, 441ff.). Der Übersetzer erklärt, warum er nicht wörtlich übersetzt: er will yeglichen syn also […] schreiben, als man den selben syn gewonlich in teutsch redt. Als geschriben ist daz man die hl. geschrifft in yeglicher sprach reden sol nach der sprach eygner gewonheyt (proprietas!), wan es mag ein syn in einer rede gewonlich geredt e werden, in einer andernn sprach war das vngewonlich […]. Auch der verstärkte Grammatikunterricht nötigt dazu, auf die Sprachverschiedenheit zu achten. Im Anschluß an die Warnung vor Germanismen in lat. Wortfolge sagt Jakob Wimpfeling (‘Isidoneus’ 1497; Müller 1882, 273; Schwarz 1945, 296) latinum enim ydeoma non potest per omnia sequi vernaculum nostrum neque e diuerso. Die Hauptursache für die Schwierigkeit des Übersetzens sieht der Livius-Übersetzer Nikolaus Carbach (1523; Stammler 1954, 32) darin, das eyn ytliche sprach ein besundere eygenschafft an ihr hat, die der andern etwan gar nit oder seer wenig gemeß und gleich ist. Ausführlich und einsichtig äußert sich Aventin in der Übersetzung seiner eigenen Bayerischen Chronik (1526, gedr. 1566; Turmair 1883, 5f.; Schwarz 1945, 298f.) zum Sprachproblem und über die von ihm verwendete Sprache (Stilart) des alten lautern gewönlichen iederman verstendigen teutsches. Er polemisiert gegen unser redner und schreiber, die die Sprache biegen, krümpen […], vermengens, felschens mit zerbrochen lateinischen worten, […] ziehens gar von irer auf die lateinisch art, aber: ein ietliche sprach hat ir aigne breuch und besunder aigenschaft; so übel das kuchenlatein ist (so man latein redt nach ausweisung der teutschen zungen), ebenso

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

laut’s übel […], wo man das teutsch vermischt mit frembden worten, verändert’s auf eine frembde sprach. Er selbst befleißige sich des alten, natürlichen […] teutsches, so im gemainen brauch ist, in den alten sprüchen […] und ie dannocht nit zue weit als vil müglich ist und die art der sprachen erleiden mügen (so auch Dietrich von Plieningen; Schwarz 1945, 295), vom latein. Wer seinen lat. und dt. Text zam lesen wil, mag ein sprach aus der andern wol versten. Der alte Streit ist damit aufgehoben: unter Wahrung der dt. aigenschaft so originalnah wie möglich (vgl. auch Erasmus von Rotterdam; Schwarz 1945, 291ff.). Der Boden für Luther war bereitet.

4.6. Von Luther bis ins 18. Jahrhundert Ausdruckskraft, sprachliche Sensibilität und Einfühlungsvermögen in das Original wie in die eigene Sprache heben Martin Luther als Übersetzer über seine „Kollegen“ vor und nach ihm weit hinaus und verleihen seiner Bibel ihren einzigartigen Rang (vgl. Art. 15). Wenn er sich neben den hl. Hieronymus stellt, so ist das eine zwar unbescheidene, aber zutreffende Einordnung seiner Leistung, auch unter Einrechnung der Tradition, in der natürlich auch er steht. Luthers glühendes Verhältnis zur Sprache ist gleichermaßen ein humanistisches (Übersetzung muß vom Urtext ausgehen) und ein religiöses. Weil Gottes Wort aus den heiligen Sprachen Hebräisch und Griechisch als aus eim brunnen in andere sprach durchs dolmetschen geflossen ist, sind auch diese geheiligt. Wir werden das Euangelion nicht wol […] erhallten on die sprachen. Die sprachen sind die scheyden, darynn dis messer des geysts stickt (An die Radherren 1524, WA I, 15, 38). Luther hat sich vor allem im Sendbrief vom Dolmetschen (1530; Luther 1951, 6ff.) und in den Summarien über die Psalmen (1532, Luther 1955, 128ff.) ausführlich und in heftiger Polemik gegen seine Kritiker zum Übersetzungsproblem geäußert (vgl. auch Kolb 1972, 15ff.; 33ff.). An vielen instruktiven Beispielen hat er seine Methode und die jeweiligen Beweggründe für seine Entscheidungen erläutert. Was Luther indes zur Theorie des Übersetzens sagt, ist nicht neu; seine Unterstellung, die Übersetzer vor ihm hätten von solcher regel nie nichts gewust (Summarien 140, 2), ist ungerechtfertigt. Wenn er einerseits sorgfältiges Hinhören auf die art unser deutschen sprache fordert (Sendbrief 16, 11ff. ⫺ denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch e kriegisch reden wollen 16.10), andererseits aber betont, wo etwa an einem ort gelegenn ist, hab ichs nach den buchstaben behalten (Sendbrief 22, 28) ⫺ oder in einer der für Luther charakteristischen prägnanten Formeln: zu weilen die wort steiff behal-

ten, zu weilen allein den sinn gegeben (Summarien 139, 32f.) ⫺, dann unterscheidet sich seine Position nicht grundsätzlich von der Aventins. Wenn er weiter verlangt, man müsse, um rechtes Dt. zu erfahren, die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen vnd den selbigen auff das maul sehen (Sendbrief 16, 28ff.), so hat das zwar keiner vor ihm so einprägsam formuliert und auch so konsequent befolgt (und schon gar bei der Bibelübersetzung); daß man aber auf diese Weise, d. h. für jedermann verständlich, die lere predigen schülle vor dem volkche (Pottenstein, s. o. 4.2.), war allen guten Predigern, von Berthold bis zu Abraham a Sancta Clara, bewußt. Wo Luther frei übersetzt und wo er hat ehe wollen der deutschen sprache abbrechen, denn von dem wort weichen (Sendbrief 22, 23f.), hängt von dem theologischen Gewicht der jeweiligen Stelle ab (der text vnd die meinung 24, 5; die sache […] selbs 28, 9), nicht von innersprachlichen Gründen. Die Verantwortung des Übersetzers ist damit zugleich eine philologische und theologische.

Die folgenden Jahrhunderte bringen zu unserem Thema keine neuen Aspekte (vgl. auch Apel 1983, 41ff.). Opitz (1624, 49) sah im Übersetzen der antiken Poeten eine gute Möglichkeit zur Einübung der formalen Mittel: die eigenschafft vnd glantz der wörter, die menge der figuren, vnd das vermögen auch dergleichen zue erfinden. Was Schottelius vom Übersetzen zu sagen weiß, ist durchaus von Luther übernommen, ergänzt durch nützliche Zusammenstellungen von Wortentsprechungen u. dgl. (1663, 1218⫺1268). Das 18. Jh. forderte von einer Übersetzung, daß so wohl Unwissende, als auch in der Grundsprache eie ner Schrift Ungeubte eben die Sachen in einer ihnen bekannteren Sprache mit grösserem Nute zen und Vergnugen lesen können; verwandelt e eine Übersetzung eine verdrußliche, dunkele oder verworrene Schreibart in eine angenehe mere und deutlichere […]: So ubertrift sie das Original selbst (Georg Venzky in den ‘Beyträgen zur Critischen Historie’ 1734, 63.64) ⫺ ein bloß auf den Inhalt ausgerichteter Übersetzungstyp, den auch Goethe zur Unterrichtung der Jugend und breiter Leserkreise (eben der Unwissenden!) etwa am Beispiel von Luthers Bibelübersetzung positiv bewertete (‘Dichtung und Wahrheit’ III, 11; ‘Noten […] zum westöstlichen Divan’ s. v. Übersetzungen; Hamburger Ausg. 9, 493f.; 2, 255f.; Versuche, die Eigentümlichkeiten des Originals verschiedener biblischer Bücher nachzubilden, dienen eigentlich nur zur Unterhaltung der Gelehrten untereinander, 9, 494). Erst das ausgehende 18. Jh. gewinnt mit bedeutenden Übersetzungsleistungen (Voss, A. W. Schle-

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gel) ein neues Verhältnis zum Begriff des auch in seiner sprachlichen Qualität je unverwechselbaren Originals; dem entsprechen vertiefte theoretische Einsichten (Schleiermacher; Goethe u. a.; vgl. Störig 1973; Schadewaldt 1973; Apel 1982; Apel 1983, 43ff.; vgl. Art. 14).

5.

„Hochdeutsch“: Das Ringen um die Hochsprache (16.⫺18. Jahrhundert)

5.1. Fabian Frangk entwickelte 1531 als erster die Zielvorstellung einer dt. Gemeinsprache. Sie sollte sich nicht an den Landsprachen, sondern an guten dt. Büchern orientieren. Freilich war es noch unumgänglich, daß bei der Erstellung des Normenkanons (Kaiserliche Kanzlei ⫺ Luther ⫺ Augsburger Drucker) die regionale Variation doch wieder hereingenommen werden mußte. Wichtig war aber, daß ein Ziel benannt war, das über das ⫺ von vielen als unbefriedigend empfundene ⫺ Stadium regionaler Diversifikation hinauswies. Und als wichtig sollte sich erweisen, daß mit der Sprache Luthers ein Leitbild aufgestellt war, das, wenn auch regional (⫽ konfessionell!) begrenzt, für gut zwei Jahrhunderte außerordentliche Strahlkraft entfalten sollte. Daß es für die Erreichung des Ziels hoch von noten weer, das ein gantze Grammatica hierinn beschrieben wurd, sah Frangk deutlich (Müller 1882, 93). 1578 schickte sich der Sachse Johannes Clajus an, dem Ziel in seiner ‘Grammatica Germanicae Linguae’ dadurch näherzukommen, daß er sich rigoros auf eine Autorität bezog: ex Bibliis Lutheri Germanicis et aliis eius libris collecta. Tatsächlich steht die zugrunde gelegte Sprache jener Luthers ⫺ schematisiert und vereinfacht (Jellinek 1913, 76f.) ⫺ recht nahe. Die regionale Variation überwand Clajus, indem er sie ⫺ anders als die Grammatiken von L. Albertus und A. Oelinger (1574) ⫺ weitgehend unterschlug (Jellinek 1913, 74). Der Erfolg schien Clajus recht zu geben: bis 1720 erschienen 11 Auflagen seiner Grammatik. Ein Jh. nach Frangk schien das von ihm antizipierte Ideal Realität zu sein. M. Opitz (‘Buch von der deutschen Poeterey’ 1624, 24) kann von denen, die reine reden mögen, fordern, sich zu befleissen deme welches wir Hochdeutsch nennen, besten vermögens nach zue kommen, vnd nicht derer örter sprache, wo falsch geredet wird. 1663 heißt es dann in der ‘Ausführlichen Arbeit Von der Teutschen Haubt Sprache’ von J. G. Schottelius in aller Deutlichkeit:

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Die Hochteutsche Sprache aber, davon wir handelen und worauff dieses Buch zielet, ist nicht ein Dialectus eigentlich, sondern Lingua ipsa Germanica, sicut viri docti, sapientes et periti eam tandem receperunt et usurpant […]. Omnibus dialectis aliquid vitiosi inest, quod locum regulae in Lingua ipsa habere nequit (174).

Daß freilich dieses Ziel auch jetzt noch nicht erreicht war, zeigt der tatsächliche Sprachgebrauch; daß man auch über den Weg dorthin nicht einer Meinung war, ist aus der Diskussion der folgenden 150 Jahre abzulesen (Josten 1976; v. Polenz 1994, 135ff.). 5.2. Normenkanon Frangk hat nicht nur als erster die Notwendigkeit einer über den Dialekten stehenden Gemeinsprache (für die er noch keinen Terminus hatte) ausgesprochen, von ihm stammt auch ⫺ nicht weniger zukunftweisend ⫺ der erste Kanon gutter exemplar. 5.2.1. An der Spitze steht Keiser Maximilianus Cantzelej. Die Berufung auf die Kanzleisprache (Moser 1977, 1ff.; 283ff.; Josten 1976, 144ff.; vgl. Art. 119) lag aus mehreren Gründen nahe: besonders den großen, überregionalen Kanzleien mußte an einer möglichst strengen, rationalen Regelung ihres Schreibgebrauchs gelegen sein, und tatsächlich vollziehen sich dort gewisse regionale Ausgleichsbewegungen. Hinzu kommt das Prestige, das die kaiserliche und die fürstlichen Kanzleien notwendig genossen. Und schließlich kommen mehrere der in Betracht kommenden Autoren und Texte unmittelbar aus der Kanzleipraxis und sind z. T. auch dafür bestimmt (z. B. Wyle, Schryfftspiegel, Meichßner, Frangk, Sattler, Helber). Aber auch außerhalb der Kanzleien genießt mindestens die formale Seite ihrer Sprache hohes Ansehen, man denke an die berühmten Urteile Luthers (ich rede nach der sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland […] die gemeinste deutsche Sprache. Kaiser Maximilian, und Kurfürst Friedrich […] haben die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen. WA, Tischreden 1, 524f.) und seines Gegenspielers Johann Eck (wie […] Niclas Ziegler / bei […] Kaiser Maximilian / das teütsch nach rechter art und regulierter ortographi herfür bracht hat, bei Moser 1977, 2). Bis ins 17. Jh. werden die Reichsabschiede, zumal solche des Reichskammergerichtes zu Speyer (Josten 1976, 165ff.), als Muster genannt, auch aus dem Kreis um die ‘Fruchtbringende Gesellschaft’ (Chr. Gueintz/J. G. Schottelius [mit hinterlassung der [d. h. ohne] Landrede] 1663, 1741, Zesen), ferner von J. B. Schupp/J. Girbert

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

u. a. (Socin 1888, 333⫺336; Josten 1976, 148ff.). In stilistischer Hinsicht erfuhr die Kanzleisprache wegen ihrer Formelhaftigkeit und vielen Latinismen freilich immer auch Tadel, so von Luther (Vorrede zum Alten Testament 1523, Luther 1951, 36) oder von den Geschichtsschreibern Ägidius Tschudi (1538; Socin 1888, 290; Wackernagel 1876a, 386) und Aventin (Turmair 1883, 5f.; s. o. 4.5.); im 17. Jh. verstärkt sich diese Kritik noch (Josten 1976, 158ff.). Sdt. Autoren wie Gelasius Hieber im ‘Parnassus Boicus’ (2, 1624, 193) und mit besonderem Nachdruck Augustin Dornblüth (1755) sahen in der Kanzleisprache des späten 17. Jhs. jedoch den Höhepunkt dt. Sprachentwicklung (Jellinek 1913, 227, 264f.), in Abwehr des modernen sächs. Konversationsstils. Besonders in der Auseinandersetzung mit Dornblüth lehnte Gottsched diesen „altfränkischen“ Stil scharf ab (Blackall 1959, 180⫺187 u. ö.). ⫺ Hand in Hand mit Berufungen auf die Sprache der Kanzleien geht seit H. Wolf (s. o. 3.2.2.) jene auf die vorbildhafte Sprache der Höfe, voran der vornehmsten (schon 1535 bei Johann von Schwarzenberg Hoffteütsch, Socin 1888, 155; Josten 1976, 160ff.; vgl. auch o. 3.2.3.).

5.2.2. Frangks Berufung auf die Augsburger Druckersprache hat historisch das geringste Gewicht. Augsburg war um 1500 nicht nur eine der wirtschaftlich florierendsten dt. Städte, sondern auch Platz einer bedeutenden Handschriften- und Druckproduktion. Seine Schreibsprache stimmt mit jener der maximilianischen Kanzlei dem Typus nach vollständig überein (Moser 1977, 246). So ist es leicht verständlich, wenn man die Augspurger sprach, die da vnder andern teütschen zungen gemainiglich für die verstentlichste genommen vnd gehalten wirt, lobt ⫺ noch dazu, wenn dies ein Augsburger Buchdrucker (Hans Otmar 1508; Erben 1970, 397, A. 37) selbst tut. Immerhin weiß auch der Züricher Konrad Gesner (in der Vorrede zu Josua Maalers Wörterbuch 1561, 4v; Socin 1888, 294), daß einige der Augsburger Sprache den Preis geben (andere freilich jener von Leipzig oder von Basel). Noch im 16. Jh. verlischt aber dieser Glanz aus früheren Zeiten (Josten 1976, 68ff.). 5.2.3. Traditionsbildend wurde die von Frangk aufgestellte Norm der Luthersprache (Bergmann 1983; v. Polenz 1994, 147f.), vor allem seit Johannes Clajus die Berufung darauf ausdrücklich in den Titel und in die Widmung seiner ‘Grammatica Germanicae linguae’ (Leipzig 1578; Socin 1888, 259ff., Jellinek 1913, 73ff., bes. 75ff.; Kolb 1972, 67ff.; Josten 1976, 104ff.) aufgenommen und Luther nicht nur zu einer (neben anderen), son-

dern zur alleinigen Autorität gemacht hatte (s. o. 5.1.). Wie der Heilige Geist durch die Propheten hebr. und durch die Apostel griech. gesprochen habe, so durch Luther dt. (4); daher disci potest ex ijsdem libris etiam perfecta et absoluta linguae Germanicae cognitio (3). Zwar steht seit der 2. Auflage (1587) Luthers Name nicht mehr auf dem Titelblatt (dafür: ex optimis quibusque Autoribus collecta) und seit 1617 wurde auch die Widmung weggelassen. Dennoch bleibt Luthers Autorität in sprachlichen Dingen im protestantischen Raum bis weit ins 17. Jh. unangetastet. Opitz, selbst normsetzender Autor, schrieb 1628 an B. Venator, so wie er das Schles., so dürfe auch dieser sein Els. nicht verwenden: Est quoddam quasi Atticum apud Graecos, genus quod Lutheranum vocitare per me potes, hoc nisi sequaris, erres necesse est (Jellinek 1913, 114). Wo man freilich die Berufung auf Luther (und auf die Reichsabschiede, häufig gemeinsam) nicht nur als Parole weiterreichte, sondern ins Konkrete ging, ließen sich die Unterschiede zwischen seiner und der eigenen Sprache nicht übersehen. Besonders Luthers Wortschatz zeigte unverkennbar Alterungserscheinungen (die man an Orthographie und Morphologie wohl bloß deshalb weniger wahrnahm, weil diese von den Drukkern ohnehin dem Zeitgebrauch angepaßt wurden). Johann Bödiker stellt in seinen ‘Grundsätzen der deutschen Sprache’ (1690) eine kleine Liste veralteter Luther-Wörter zusammen, die in der Neubearbeitung durch Joh. Leonhard Frisch (1723) beträchtlich erweitert wurde (Bödiker 1746, 290ff.; Socin 1888, 361f.; Kolb 1972, 79). Zu einem regelrechten Streit, auch über den Stellenwert Luthers für die dt. Grammatik, kam es zwischen Mitgliedern der ‘Fruchtbringenden Gesellschaft’ über die von Gueintz bearbeitete ‘Deutsche Rechtschreibung’ (1645). Die von Gueintz (und dem Fürsten Ludwig) auch für Rechtschreibfragen angezogene Autorität Luthers bestritt Gg. Phil. Harsdörffer: Luther sei „der deutschen Sprache Cicero, aber nicht Varro, ein Redner, aber kein Sprachlehrer gewesen. Seine wort sind unwidersprechlich für angenehm zu halten, aber derselben schreibung ist deswegen nicht richtig“ (Jellinek 1913, 160⫺184, Zitat 175).

Im 18. Jh. setzte sich zunehmend eine historische Bewertung der Sprache Luthers durch: Vieles ist durch die Folge der Zeit […] veraltet: vieles aber ist bis auf diese Stunde gut, brauchbar und nachahmungswürdig geblieben

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme

(Gottsched, Beobachtungen 1758, zit. nach Blackall 1959, 146). In Gottscheds ‘Sprachkunst’ ist Luther aber nur mit Archaismen zitiert, die man zwar an Luthern […] entschuldigen, aber nicht nachahmen muß (Gottsched 1762, 308). Bodmer beklagte 1768 den durch das Wirken Luthers eingetretenen Bruch der Kontinuität mit der älteren dt. Sprache (Socin 1888, 386). Für Adelung schließlich ist die kanonische Geltung der Luthersprache nur noch ein Vorurtheil, welches ein betrübtes Zeugniß von dem großen Verfalle der grammatischen Kenntniß unserer Sprache ist. Luthers Verdienste sind ohne dieß groß genug (1774, XV; Kolb 1972, 72ff.). Gottscheds und Adelungs Urteil über Luthers Sprache, das vornehmlich deren formale und lexikalische Seite im Auge hatte, stieß freilich bei den Gegnern der Leipziger auf heftigen Widerspruch. Insbesondere seit Lessing kommt es zu einem neuen, sehr positiven Bild der Luthersprache, vor allem auf Grund ihrer Stilqualitäten. Dieses Bild bleibt bestimmend bis ins 19. und 20. Jh., lange Zeit auch für die sprachhistorische Forschung: J. Grimm nannte in der Vorrede zu seiner Dt. Grammatik das Nhd. einen protestantischen dialect ⫺ und noch K. Burdach, der das Klischee von Luther als dem Schöpfer der nhd. Schriftsprache scharf ablehnte, konnte diesem Satz zustimmen (1925, 274; vgl. auch v. Polenz 1994, 140; zum Luther-Bild Adelungs und des 18.⫺20. Jhs. Kolb 1972, 72ff.; 104ff.). Daß der katholische (und auch der zwinglianische) Süden die sprachliche Führungsrolle Luthers nicht anerkennen konnte, versteht sich, Zeugnisse konfessioneller Polemik gegen die Luthersprache sind dennoch relativ selten. Ein frühes stammt von dem Niederösterreicher Johann Rasch (gegen den orthographischen Zusammenfall von vor ver fur in vor, von saitt und seitt, lueg und lug, spis und spiesz usw. 1584; Bechstein 1863, 462; Socin 1888, 217f.). Im Gefolge von Opitz’ Regelung von Elision und Erhaltung des tonlosen Endungs-e und dem Verbot der Apokope, gegen den obd. und wmd. Sprachgebrauch, kommt es zu einer Kontroverse um das „e Saxonicum“ (z. B. Grimmelshausen), die im 18. Jh. konfessionalisiert wird (Dornblüth 1755: Lutherisches e! Vgl. aber Burdach 1925, 67, Anm. 1). Der Jesuit Ignaz Weitenauer (1764, 24) kann freilich diesen unversöhnliche[n] Haß wider das unglückliche E nicht teilen: Was hat immermehr die Glaubenslehre mit dem E zu thun? (Vgl. Socin 1888, 437; Burdach 1925, 40ff., bes. 57ff.; Kluge 1918, 241ff.; Breuer 1979, 48ff.). Gelasius Hieber hatte im ‘Parnassus Boicus’ e zwar nicht behauptet, daß niemals ein argerer

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Sprachverderber in Deutschland aufgestanden sey, als eben Doctor Luther, wie ihm Gottscheds ‘Beyträge zur Critischen Historie’ (2, 1733, 445; 4, 1735, 74ff.; übernommen von Socin 1888, 429f.; Henzen 1954, 93f.) unterstellten; wohl aber wirft er Luther den Unformb vor, er wolle sein Dialectum, oder landliche Red-Art in das Hoch-Teutsche eintringen und seiner Ober-Sächsischen Teutschen Sprach die universal Monarchi in dem Hoch-Teutschen errichten (2, 1724, 204; Reiffenstein 1989 a). Damit aber trifft Hieber insofern Richtiges, als die Apologeten der Luthersprache zugleich auch den Primat des obersächsisch-meißnischen Deutsch verfochten (vgl. Josten 1976, 48ff., 105). Auf Widerstand in der Bevölkerung stieß nicht nur die von der katholischen Aufklärung betriebene Abschaffung volksfrommer barocker Bräuche, sondern da und dort auch das neue Hd. als „Lutherisch-Deutsch“. Auch Sonnenfels wurde in Wien von einem „Mann von Ansehen“ wegen seiner Sprache als Lutheraner verdächtigt (Raab 1984, 32ff., 22).

5.3. Das Meißnische Deutsch Die lange Reihe von Rühmungen der Zierlichkeit, Feinheit und Eleganz des Meißnischen beginnt nach der Mitte des 16. Jhs. und endet erst im ausgehenden 18. Jh. (Belegzusammenstellung bei Eichler/Bergmann 1967, 5ff.; Josten 1976, 29ff.; v. Polenz 1986, 189ff.). Die Liste der Lobredner enthält zwar viele Ostmitteldeutsche (also Eigenlob-Redner!), aber kaum weniger Niederdeutsche und immerhin auch einige Süddeutsche (Josten 1976, 21). Luther schätzte die nd. Schriftlautung des Hd. am höchsten (über Meißner und Thüringer äußerte er sich sehr abfällig [v. Polenz 1986, 187]). Erst nach seinem Tod wurde das meißnische Dt. zu einem bedeutenden Faktor in der Geschichte der dt. Gemeinsprache; es partizipierte nun voll an dem hohen Ansehen der Sprache Luthers. Als erster stellte Gesner (s. o. 5.2.2.) die Verbindung zwischen Luther und dem Meißnischen her: Sunt qui tractui circa Lipsiam elegantioris sermonis (quo Lutherus etiam libros suos condiderit) primas deferant, andere bevorzugen Augsburg, andere Basel (Maaler 1561, 4v). Nachdrücklich stellt der Luther-Biograph J. Mathesius diese Verbindung heraus (1567; Eichler/Bergmann 1967, 6). Wenn Opitz das „Lutherische“ (genus Lutheranum) dem Attischen gleichsetzte (s. o. 5.2.3.), so der gelehrte Caspar Scioppius das Meißnische (dialectus Misnica, quae Germanis idem est, quo Graecis Attica […] 1626, 321; Eichler/Bergmann 1967, 14; vgl. auch Josten 1976, 28ff.). Den engen Zusammenhang der Schwerpunktverlagerung der Gelehrsamkeit, Kultur und Sprache nach Obersachsen/Meißen mit der Reformation (Glaubensreinigung) sahen auch Gottsched (1762, 67) und Adelung (1774, VI), besonders klar J. D. Michaelis (1750; Jellinek 1913, 364, A. 2).

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

J. J. Bodmer, der 1740 noch den Vorrang des Meißnischen eingeräumt hatte, konnte 1746 keinen Grund mehr dafür sehen, warum eben der Meißner Dialekt die Herrschaft haben sollte; eine allgemeine Anpassung an die sächsiche Mundart könne nur zu einem völligen Kauderwelsch führen (Socin 1888, 379, 383). Was dem Meißnischen recht sei, müsse auch allen anderen Dialekten billig sein. Sowohl in ihren gegenwärtigen Merkmalen (Kürze, Reichtum) wie in ihrer historischen Kontinuität (der ursprünglichen Verfassung der deutschen Sprache getreuer geblieben, ebda. 381) erkennt Bodmer Vorzüge, die die Sprache der Schweizer über jene der Sachsen erhebt. Im Blick auf die Niederländer fordert er: „Lasset uns dernwegen alle Furcht für den Sachsen bei Seite setzen und unseres Rechtes und Eigenthums uns mit der Freiheit und Geschicklichkeit bedienen, daß unser Dialekt durch die Ausputzung und Erweiterung seines glücklichen und von Alters hergebrachten Schwunges zu einer für sich selbst bestehenden und für sich selbst zulänglichen Sprache werde“ (ebda. 385).

Allerdings ist Bodmer selbst in seiner eigenen Schreibpraxis dieser Forderung nicht nachgekommen. „Meißnisch“ wurde zur Parole, wie „Lutherdeutsch“ auch. Was war sein Inhalt? Im Nd. ist missensch seit der Mitte des 15. Jhs. in der Bedeutung „hochdeutsch“ (im geographischen Sinn) belegt (Teuchert 1961, 260; Eichler/Bergmann 1967, 6) und hält sich dort so bis ins 18. Jh.; Misnica lingua u. ä. bleibt im lat. Gebrauch auch da noch üblich, wo man auf dt. schon hochteutsch schreibt (Teuchert 1961, 256). Auch der Wortgebrauch Clajus’ ist hier anzuschließen (1578, 3: dialecto Misnica „auf hochdeutsch“ im Gegensatz zu Saxonum lingua). Das Wort lebt in leichter Bedeutungsverschiebung (und lautlich bewußt an Messing angelehnt?) in dem Sprachadj. missingsch bis heute weiter (Erstbeleg 1724; Teuchert 1961, 247; 252ff.; v. Polenz 1994, 219f.). Als man begann, hochteutsch nicht mehr in topographischer, sondern in axiologischer Bedeutung zu verwenden (s. o. 3.2.3.), erhoben vor allem omd. Theoretiker auch für das meißnische Deutsch Anspruch auf diese Bedeutung (nach der Gleichung meißnisch ⫽ hochteutsch). Ein stützendes Argument für den Vorrang Meißens war die geographische Lage im mittel e zwischen den Oberländischen vnd Sachsischen e Volckern (Petrus Albinus 1589), oder in Ze-

e

sens Worten im mitteltupfel des gantzen hochdeutschlandes (1649; ähnlich auch Gottsched und Adelung; Eichler/Bergmann 1967, 11.21.29.39; Josten 1976, 25ff.). Wortführer der meißnischen Sache im 17. Jh. war Philipp von Zesen; er wurde nicht müde, di allerlihblichst’ und reineste sprache, das zierlichste Hochdeutsch zu preisen: doch geht die Meissnische (Mundart) / welche die rechte Hochdeutsche / allen andern vor; Obersachsen und Meissen stehen in einer Reihe mit Atehn (Attisch!) und Rohm (Werke 11, 226f.; 9, 45; Eichler/Bergmann 1967, 13f., 21). Daß die rechte Meißnische Ausrede […] lieblich und wollautend sei (Schottelius 1663, 159), wurde, jedenfalls von den Protestanten, fast uneingeschränkt anerkannt. Aber die Hochteutsche Sprache ist kein Dialectus, […] sondern […] haben jhre Dialectos (Schottelius 1663, 152; s. auch o. 5.1.). Das war die Gegenthese. Viele Dialekte haben Vorzüge (das hat vor allem Leibniz betont), alle aber haben auch Mängel. Kein Dialekt einer Provinz kann daher mit dem Hd. (im axiologischen Sinn) gleichgesetzt werden; Meißens Anspruch, Richter und Schlichter zu seyn, weist Schottelius mit harten Worten zurück (fast lächerlich; 1663, 158). Hd., Lingua ipsa Germanica, ist jene Sprache, die die Gelehrten (viri docti […] s. o. 5.1.) entwickeln, regeln und gebrauchen. Richtschnur für die Spracharbeit der Gelehrten (unsere Teutsche Sprache […] wird […] nicht schlumpsweise aus dem gemeinen Winde erschnappet, sondern durch viel Fleiß und Arbeit erlernet 1641, Jellinek 1913, 134) ist die natürliche Grundrichtigkeit (ipsa analogica linguae natura, Jellinek 1913, 135), d. h. die der Sprache innewohnende Regelhaftigkeit; wo die durch den Sprachgebrauch korrumpiert ist, muß der Grammatiker durch Regeln nachhelfen, die mit Hilfe der Analogie gefunden werden. 5.4. Gebrauch und Grundrichtigkeit Die Antithese zwischen (meißnischem) Sprachgebrauch und einer durch die Grammatiker geregelten und normierten (überregionalen) Sprachrichtigkeit beherrschte die Diskussion der folgenden 150 Jahre, bis Gottsched und Adelung. Verfechter eines Hd. über den Provinzen waren vor allem die Niederdeutschen (wichtig vor allem die vielbenützte Grammatik von Joh. Bödiker, 1690 u. ö.), im 18. Jh. auch obd. Autoren (z. B. auch G. Hieber im Parnassus Boicus 2, 1724, 206; 297 in wörtlicher Übereinstimmung mit Bödiker; Reiffenstein 1988, 31ff.). Die Dis-

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme

kussion ist teils durch innere Widersprüche, teils dadurch belastet, daß einige unerläßliche Unterscheidungen nicht getroffen wurden (Henne 1968, 109ff.). Zwar nahm Gottsched eine maßvolle, vermittelnde Position ein. Da aber Adelung noch einmal prononciert (und stur) das Vorrecht des Meißnischen verfocht, kulminierte das wissenschaftliche Gespräch zum regelrechten Streit und rief auch die Vertreter der neuen Literatur (Wieland, Klopstock, Voss) auf den Plan. Es ist aus Raumgründen nicht möglich, den Gang der Auseinandersetzung im einzelnen darzustellen. Von Anfang an wurde gesprochene und geschriebene Sprache vermengt. Tatsächlich bezogen sich alle Bemühungen weit überwiegend auf die geschriebene Sprache; wenn aber Mängel eines Provinzialdialektes, z. B. oft auch des Meißnischen, aufgerechnet wurden, dann waren es dialektale Aussprachegewohnheiten, die aus dem Schreibgebrauch in der Regel längst ausgeschieden waren (z. B. Heebt pro Haubt, Zeeberer pro Zauberer, […] Jottjeb euch een jutes naues Gar, Scioppius 1626, 321; Eichler/Bergmann 1967, 16). Weil Schottelius bei usus nur an die gesprochene Sprache dachte, e lehnte er es nachdrücklich ab, daß das rechte hochste lobliche Sprachwesen (so viel die Ausrede, Bildung e und Rechtschreibung der Worter betrift) auf ein lauter ungewisses und Triebsand wolte gesetzet werden (1663, 158). Zesen weist gegen solche Vorwürfe darauf hin, daß es in jedem Land eine hohe und eine niedrige Sprache gebe, und daß man natürlich nur der letzteren folgen dürfe (Werke 11, 226; Eichler/Bergmann 1967, 13f.). Erst E. Neumeister (1728) betont den Unterschied zwischen Reden und Schreiben: obwohl auch in Meissen corrupt genung geredet wird, […] bedienet man sich dennoch im Schreiben des rechten Meisnischen Dialecti, wie solcher eigentlich seyn, geredt und geschrieben werden soll (Eichler/Bergmann 1967, 27). Für Schottelius stand obenan die geschriebene Sprache. Daraus resultierte implizit die für die dt. Hochlautung entscheidende Maxime „Sprich, wie du schreibst“ (explizit so formuliert freilich erst von B. H. Brockes 1721; Jellinek 1913, 222). Ihre Tradition reicht bis zur Lautiermethode V. Ickelsamers (1530; Penzl 1983, 223ff.), zu Luthers Schriftlautung (spelling pronounciation) und zur protestantischen Predigerausbildung zurück (v. Polenz 1986, 188; 1990, 191ff.; Moser 1987, bes. 386ff.). Aber natürlich konnten auch Schottelius und seine Nachfolger vom Gebrauch nicht völlig absehen (so strikt waren auch Schottelius’ theoretische Forderungen nie, vgl. Jellinek 1913, 134ff.); was sie ablehnten, war „niedriger“ dialektaler Gebrauch (worin sie sich von den „Meißnern“ natürlich nicht unterschieden) und der Gebrauch nur einer Region, Obersachsens, der allein über Sprachrichtigkeit entscheiden sollte. Weiter war der Begriff des „Meißnischen“ selbst allmählich zu einer Hohlform geworden; es erging ihm ähnlich wie dem „Lutherdeutschen“, das im

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17. Jh. auch nicht mehr viel mit der historischen Sprache Luthers zu tun hatte. Der Endpunkt der geographischen Ausweitung ist bei Gottsched erreicht. In der Polemik gegen Michaelis, der das Obersächsisch-Meißnische richtig auf das Gebiet zwischen Elbe und Saale einschränkt, nimmt Gottsched (1762, 68) das ganze Omd. von Thüringen und vom Vogtland bis nach Schlesien (und mit Anhalt und Mansfeld auch noch z. T. nd. Gebiete) dafür in Anspruch: überall dort werde in Städten, unter vornehmen […] ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen, welches man […] das Obersächsische zu nennen pflegt. Die Ausweitung führte dazu, daß dem Meißnischen auch positiv bewertete Merkmale zugeschrieben wurden, die gar nicht meißnisch waren, sondern nd. Zesen z. B. lobte die höflichen Leute in Meissen, die nicht wie das bäurische Volk schtand ‘stand’ sagen, sondern st-, sp- […] gleichsam mit einem lieblichen lispeln aussprechen ⫺ er lobte damit aber nicht die meißnische, sondern seine eigene anhaltische Aussprache (Werke 11, 171; Eichler/Bergmann 1967, 13). Gottsched (1762, 34f.) wußte zwar, daß in Meißen schpalten, schtehen, schclaven gesprochen wird, aber er bewertete dies wohl als Fehler (statt sp-, st-, sk-; Penzl 1977, 89 versteht die Stelle anders); seine Norm ist in diesem Punkt also nicht die meißnische, sondern auch die nd. Aussprache; freilich vertrat Gottsched auch nicht das streng meißnische, sondern ein eklektisches Prinzip (1762, 2f.). Adelung tat sich da schwerer: seiner Meißen-Ideologie zuliebe mußte er darauf bestehen, daß nicht allen Obersachsen der Vorwurf gemacht werden könne, p und b, t und d zu verwechseln: Personen, welche mit Aufmerksamkeit auf sich sprechen, unterscheiden ⫺ aber diese Personen werden Niederdeutsche gewesen sein wie der Pommer Adelung oder der Königsberger Gottsched (Jellinek 1913, 383ff.); die obsächs. Gesprächspartner des Hamburgers Brockes oder Wielands, auch die gelehrten, unterschieden jedenfalls nicht (Eichler/Bergmann 1967, 26).

5.5. Das 18. Jahrhundert: Gottsched, Adelung und die Dichter Der Streit zwischen den beiden Lagern war im 18. Jh. offenbar ein bloß noch ideologischer Streit um Begriffe oder gar nur um Worte geworden. Das überdialektale Hd. konnte nicht am Gebrauch vorbei entwickelt werden, und das gesprochene meißnische Dt. übernahm, wenn es hd. sein sollte, nd. Aussprachegewohnheiten und wurde „nach der Schrift“ gesprochen. In der Sache, d. h. in der Sprache, bestand, wenigstens im geschriebenen Gebrauch, kein Unterschied. Der Gegensatz scheint bei Johann Christoph Gottsched (‘Deutsche Sprachkunst’, 1748, 5. Aufl. 1762; BBHS 3, 281ff.) auch theoretisch einigermaßen aufgehoben, oder richtiger verunklärt dadurch, daß beide Standpunkte gewisserma-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

ßen kontaminiert sind; wichtige Begriffe werden ambivalent verwendet: „Mundart“ wird zuerst als regionale Sprechweise definiert (1762, 2); dem widerspricht aber, wenn es weiter heißt: Doch ist noch zu merken, daß man auch eine gewisse eklektische, oder ausgesuchte und auserlesene Art zu reden, die in keiner Provinz völlig im Schwange geht, die Mundart der Gelehrten, oder e auch wohl der Hofe zu nennen pflegt. Diese hat jederzeit den rechten Kern einer Sprache ausgemachet. […] kann man sie das wahre Hochdeutsche nennen (1762, 2f.). Der letzte Satz widerspricht zudem der eben vorher verwendeten geographischen Bedeutung von „hochdeutsch“ (mit traditioneller Mundartengliederung, 1762, 2). Obwohl Gottsched in seinem Sprachgebrauch zweifellos ein Vertreter des „wahren Hochdeutschen“ war und wesentlich zu seiner Durchsetzung beitrug (vgl. Penzl 1977, 92), läßt er wenigstens verbal doch auch dem obsächs. Standpunkt sein Recht: Ganz Ober- und Niederdeutschland sei sich darin einig, daß das mittelländische, oder obersächsische Deutsch, die beste hochdeutsche Mundart sey; indem es dasselbe überall […] auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen suchet (1762, 69).

Johann Christoph Adelung (Jellinek 1913, 329⫺385; Nerius 1967, 63ff.; Henne 1968, 116ff.; BBHS 1, 16ff.) führte Gottscheds Bemühungen um eine einheitliche dt. Hochsprache im wesentlichen in dessen Sinn weiter, stützte sie sprachwissenschaftlich ab und leistete durch Wörterbuch und Grammatiken Entscheidendes für die Verbreitung und Popularisierung der nun im Schriftgebrauch formal weitgehend gefestigten „hochdeutschen Mundart“, die in Wahrheit keine Mundart, sondern die Hochsprache war. Adelung war neben Schottelius der bedeutendste Grammatiker in der entscheidenden Entwicklungsphase der dt. Gemeinsprache, in seiner Wirkung auf die Zeitgenossen jenem bei weitem überlegen ⫺ trotz dem Scheitern seiner theoretischen Position. Im praktischen (schriftlichen) Sprachgebrauch und auch in den Vorstellungen von der konkreten Gestalt des Hd. bestehen zwischen Gottsched und Adelung keine wesentlichen Unterschiede. Auch theoretisch standen sich die beiden, zumindest zunächst, nahe: beide vertraten den Primat des Obersächs., aber wie Gottsched stand auch Adelung der Aufnahme von nichtobersächs. Ausdrücken und Wortfügungen in das Hochdeutsche (anfangs) relativ tolerant gegenüber; in der Vorrede zu seinem Wörterbuch rühmt er den Reichtum der obd. Mundarten an unerkannten erhabenen Wörtern (1774, XI) und räumt ein, daß das Meißnische durch die Schriftsteller aller Mundar-

ten zu seinem Vorteil beeinflußt worden sei (1774, VI). Aber Adelung wollte das Hd. auf feste Grundlagen stellen. Dies freilich konnte nach seiner Überzeugung nicht dadurch erreicht werden, daß man eine Sprache aus dem besten Sprachgebrauche aller Provinzen zusammensetzt, und zu deren Berichtigung jede Provinz […] beytragen könnte (1782, LVIIf.). Allgemeine Regeln und Grundsätze, welche für alle Mundarten einer Sprache gelten könnten, sind ein Hirngespinst. Denn: Ist das Hochdeutsche eine Mundart, so muß es doch irgendwo einheimisch seyn, und der Sprachgebrauch derjenigen Provinz, wo es einheimisch ist, ist das einige Gesetz für dasselbe und sonst nichts (1782, LV) ⫺ einheimisch aber sollte das Hd. in Obersachsen sein. Der Sprachgebrauch war für Adelung der höchste Gesetzgeber in allen Sprachen (1782, 98). Wenn er aber Richtschnur z. B. der Orthographie (Schreib, wie du sprichst!) sein sollte, dann mußte er homogen sein; um dies zu gewährleisten, mußte seine Basis möglichst schmal sein. Adelung erreichte dies durch eine rigorose soziale und geographische Beschränkung auf die gewöhnliche Gesellschaftssprache Obersachsens in den obern Classen (Magazin 1783, I/4, 83, zit. nach Henne 1968, 122, Anm. 41). Kritiker aus Nord- wie aus Süddeutschland und vor allem Vertreter der neueren Literatur (nicht die von Adelung verachteten Sturm- und Drang-Poeten, sondern angesehene Dichter wie Wieland und Klopstock) wiesen nicht nur die Anmaßung zurück, sondern zeigten auch Fehler und Widersprüche auf. Adelung verharrte uneinsichtig, starrköpfig und zunehmend aggressiver auf seiner Position, die durch Wiederholungen weder überzeugender noch widerspruchsfreier wurde und ⫺ der er in seiner eigenen Praxis widersprach! Ueberhaupt ist er in der Ausübung richtig und fehlt nur ein wenig in der feinen Theorie, die auf jene nur selten Einfluß hat, sagte 1783 der hallische Sprachgelehrte J. C. C. Rüdiger (Henne 1968, 124). Jellinek (1913, 383ff.) kam zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Auf die vielfachen Einwände, die obsächs. Oberschicht verwende im Wortschatz wie gar in der Aussprache mitnichten eine von Provinzialismen freie Gesellschaftssprache, reagierte Adelung mit der Behauptung, daß dies eben nicht für alle Personen gelte, daß Provinzialismen in Obersachsen jedenfalls weniger hervorträten als sonstwo, daß man sie hier als Fehler empfinde und zu vermeiden suche usw. Gerade das letzte Ar-

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gument zeigt deutlich, daß Adelung in der Praxis vom gleichen Hd. sprach wie seine Gegner: von dem in der Schrift nicht zum geringsten durch Gottscheds und seine eigene Wirkung weitgehend vereinheitlichten, durch Auswahl aus dem besten Sprachgebrauch aller Provinzen entwickelten („ausgehobenen“) sprachlichen Ideal der Hochsprache in unvollkommener Verwirklichung. Für den lautlich-orthographischen Bereich gilt die alte Regel, die in ihrem ersten Teil unsere Norm bis heute bestimmt: sprich, wie du schreibst, damit du schreiben kannst, wie du sprichst! Den Primat der meißnischen Gesellschaftssprache, die er ⫺ wenn möglich in der Gestalt ihres goldenen Zeitalters 1740⫺1760 (vor dem Siebenjährigen Krieg) ⫺ zum Hd. schlechthin verabsolutiert und ohne künftige Entwicklung erhalten sehen wollte (so auch schon Gottsched 1762, 19f.; eine bemerkenswert unhistorische Vorstellung eines Sprachhistorikers), hat Adelung ad absurdum geführt. Seit dem ausgehenden 18. Jh. sinkt der Stern des Meißnischen rasch, und schon im 19. Jh. rangiert das Obersächs. in der Beliebtheitsskala dt. Mundarten ganz weit unten (Äußerungen bei Becker/Bergmann 1969, 174ff.). Was seit dem 17. Jh. alle an der dt. Sprache Interessierten angestrebt hatten, die Süddeutschen und Schweizer nicht anders als die Mittel- und Norddeutschen, in ihren Wegen wie in ihren Zielvorstellungen durchaus verschieden, in der Sache aber gleich: die einheitliche dt. Hochsprache, sie war in der 2. Hälfte des 18. Jhs. Wirklichkeit geworden. Die Grammatiker durften sich an diesem Erfolg einen bedeutenden Anteil zuschreiben. Wenn Adelung (gest. 1806) zwar noch erleben mußte, wie sein Traum eines obersächs. Hd. von der Wirklichkeit völlig überholt wurde, so durfte er doch auch erleben, daß dies dem Weiterwirken seiner Bücher bis weit ins 19. Jh. hinein nichts anhaben konnte. Das letzte, Entscheidende haben die Dichter geleistet: sie haben dem jungen Deutschen den Glanz verliehen, den man 50 Jahre früher noch nicht hätte erahnen können (Blackall 1959). Die theoretische Diskussion über den rechten Weg zum Hd. mag zum besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen regionalen und überregionalen Sprachformen, zur Schärfung des Sprachbewußtseins beigetragen haben. Das Niveau der Diskussion aber war nicht hoch, manche Positionen, besonders die der „Meißner“, ideologisch erstarrt,

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das Verständnis von Sprache undifferenziert und mechanistisch. Zwei Äußerungen zum Schluß mögen belegen, daß Dichter zu differenzierteren, sensibleren Einsichten in Funktionen von Sprache gelangen konnten als Grammatiker. Wieland wies im Teutschen Merkur (1782, 202ff.; Wieland 1826, 187ff.; Socin 1888, 420ff.) zunächst Adelungs obsächs. Anspruch mit den bekannten Argumenten zurück. Weiterführend aber ist, was er über die Eigengesetzlichkeit verschiedener Funktional- und Gattungsstile (Sprach-Distrikte ⫺ wenn ich so sagen darf ) sagt; nur aus ihnen allen zusammengenommen (aus ihren „Existenzformen“!) besteht die Schriftsprache einer durch Künste und Wissenschaften gebildeten Nation (Wieland 1826, 230f.). Und der alte Goethe sagte im Rückblick auf seine Leipziger Studentenzeit (1770): Daneben hörte ich, man solle reden, wie man schreibt und schreiben wie man spricht; da mir Reden und Schreiben ein für allemal zweyerley Dinge schienen, von denen jedes wohl seine eignen Rechte behaupten möchte (Hamburger Ausg. 9, 252).

6.

Hochsprache und Mundarten (16.⫺18. Jahrhundert)

6.1. „Von Volksmundarten kann nur da die Rede sein, wo sich eine Gemeinsprache gebildet hat, die sich von den Mundarten des Volkes, wie sie in den einzelnen Landschaften gesprochen werden, unterscheidet“ (Raumer 1870, 242). Daß dieser Satz prinzipiell zutrifft, wird dadurch bestätigt, daß man sich der Mundarten dann bewußt wird und sich von ihnen pejorativ absetzt, wenn man das Ziel einer gemeinsamen Hochsprache ins Auge gefaßt hat. Omnibus dialectis aliquid vitiosi inest (Schottelius 1663, 174) ⫺ das ist der Grundtenor schon bei Fabian Frangk und einhellig seit den ersten Grammatikern des Dt. (L. Albertus/J. Clajus). Auf dem Weg zur Einheitssprache mußte die dialektale Zersplitterung des Dt. als das Haupthindernis erscheinen, und entsprechend entschieden ist die Ablehnung der Dialekte. Der „Drang zum Absoluten“ (Kaiser 1930, 25ff.) führte nicht nur zur national-pathetischen Überbewertung des Dt. als eines direkten Abkömmlings der Adamitischen Sprache und damit einer Schwester des Hebr., ursprünglicher noch als das Griech. und Lat. (Zesen, Werke 11, 98ff.; Ursprung der europäischen Völker und Sprachen Leibniz [Unvorgreifliche Gedanken 1697] 1983, § 46), sondern auch zu einer Verabsolutierung des Einheitsprinzips (Kaiser 1930, 26ff.; Knoop 1982, 3f.). Lingui-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

stisch wird das Verdikt über die Dialekte dadurch begründet, daß ihnen grammatische Regularität abgesprochen wird. Schottelius (1663, 158) hält es für unmöglich […] diese in den Dialectis sich auf unsägliche Weise anfindende Ungewisheit und Enderung zu einiger Gewisheit und Regulstande zu bringen; die Untersuchung der in den Dialekten auftretenden Variation bezeichnet er schlechtweg als närrisch und gantz unnötig […]; ist auch dem studio lingue˛ Germanice˛ damit wenig gedient. Die soziale und moralische Deklassierung der „Bauern- und Pöbelsprache“ als „grob, abgeschmackt, unanständig“ machte den Dialekt vollends inakzeptabel, auch wenn man ihn nicht generell mit der „Pöbelsprache“ gleichsetzte (Knoop 1982, 4).

Die Verabsolutierung des Hochspracheprinzips von Schottelius bis Adelung blieb aber nicht ohne Gegenreaktion. Die rigorose Ausschließung aller „Provinzialismen“ aus dem Hd. führte besonders im Bereich des Lexikons unvermeidlich zu einer Verarmung; selbst Adelung konnte sich dieser Einsicht nicht verschließen (1774, Xf.). Vor allem die Dichter seit der Mitte des 18. Jhs. erhoben dagegen vehementen Protest (Henzen 1954, 137ff.). Kein Geringerer als G. W. Leibniz hatte schon Ende des 17. Jhs. in den Unvorgreiflichen Gedanken (1697) und in der Korrespondenz mit gelehrten Freunden (Schulenburg 1937) nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, neben dem Wortgut der Fachsprachen auch Landworte des gemeinen Mannes (1983, § 34) zu sammeln. In den Mundarten erkannte er das Reservoir, auf das gute Schriftsteller sollten zurückgreifen können, um bei Bedarf die Hochsprache zu bereichern. In erster Linie freilich waren ihm die Mundarten als historische Quellen interessant. Zusammen mit Wörtern (und Wortbelegen) aus der älteren Sprache sollten Landworte in einem Glossarium Etymologicum (§ 33) Aufnahme finden. Ähnliche sprachhistorisch-etymologische Interessen hatten den von Leibniz lobend genannten J. L. Prasch aus Regensburg schon 1689 dazu bewogen, ein Glossarium Bavaricum (gedruckt durch J. Heumann 1747; Dünninger 1954, 185ff.) zu verfassen. Leibnizens Anregungen wirkten insbesondere im Wörterbuch von J. L. Frisch und in den seit der Mitte des 18. Jhs. entstehenden Idiotika (Richey, Strodtmann, J. C. Schmid, Popowitsch u. a.; Knoop 1982, 8f.) weiter.

Freilich darf nicht übersehen werden, daß Leibnizens positives Interesse für die Mundarten keineswegs einen Gegensatz zum Prinzip der Einheitssprache darstellte, sondern höchstens einen solchen zu einem sterilen Purismus den alten und Landworten gegenüber (ähnlich auch seine Einstellung zum Fremdwortgebrauch). Die Forderung nach der Reinigkeit schließt nicht nur unanständige Wör-

ter des Pöbels und unvernehmliche veraltete Worte aus, sondern auch die unzeitig angebrachten Verba provincialia oder Landworte (Leibniz 1983, § 80ff.). Richtschnur bleibt der Geschmack guter Autoren. Selbst Bodmer räumte noch 1740 ein, daß die Mundart an manchem Orte sehr verderbt ist (Socin 1888, 379). Erst im späteren 18. Jh. gelangt man zu einer positiveren Beurteilung des „ursprünglicheren“, „unverdorbenen“ Landlebens und damit auch der Dialekte (Herder, Sturm und Drang, Romantik). Voraussetzung der liberaleren Einstellung zum Verhältnis von Hochsprache und Mundart war der jetzt feste und nicht mehr ernsthaft bedrohte Besitz der hd. Hochsprache. 6.2. Im Gelehrten- und Poetenkreis um die Fruchtbringende Gesellschaft taucht um 1640 als neues Wort Mundart auf (Reiffenstein 1989, 350f.). Es ist kaum ein Zufall, daß dies genau zu dem Zeitpunkt geschah, als man konkretere Vorstellungen des „Hochdeutschen“ zu entwickeln begann. Der Erstbeleg steht bei Ph. v. Zesen (Helikon 1640; Werke 9, 45). Da das Wort aber fast gleichzeitig auch von Schottelius (1641), Gueintz (1641), Harsdörfer (1643) gebraucht wird (Kluge/Mitzka 1960, 493), ist die Annahme, Zesen habe es eingeführt (so seit Bach 1950, 4), nicht zwingend. Als Antonym zu Schreibart bedeutet es zunächst ‘Aussprache’ (nach seiner [Opitz’] Sprache Mundart Zesen Werke 9, 45; Aussprache und Mundart Bodmer 1740; Socin 1888, 377; Festsetzung einer reinen guten Pronunciation oder Mundart Antesperg 1747; Socin 1888, 432). Die Grenze zu ‘landschaftliche Aussprache’ ist freilich von Anfang an fließend; so wurde Mundart rasch dt. Fachwort für griech.-lat. dialectus, idioma: Dialectus vel Idioma […] die Mundart oder Eigenschaft der Ausrede; […] dialecti oder Mundarten (Schottelius 1663, 168; 152). Daneben wird Mundart, von Zesen bis Goethe, synonym mit ‘(gesprochener) Sprache’ verwendet, allerdings immer unter dem Aspekt der Sonderung in Einzelsprachen: wie die sprachen oder mund-ahrten der welt alle aus der ersten Adamischen geflossen; unsere sprache oder mundahrt; die Griechische und Lateinische sprachen oder mundahrt (Zesen Werke 11, 96ff.; 128; 201; 237); die Hochteutsche Sprache oder die rechte Hochteutsche Mundart für linguam nostram Germanicam sicut Attica Dialectus pro Lingua Graeca; Schottelius 1663, 174; 175). Ähnlich ist der Wortgebrauch bei Gottsched, Adelung, Goethe u. a. (Trübner 4, 698f.); vgl. auch noch Goethe in den Regeln für Schauspieler (1824): sich von allen Fehlern des Dialekts befreie […]; (auf der Bühne) herrsche nur die reine deutsche Mundart (Hamburger Ausg. 12, 252f.). Wenn allerdings Adelung sein Wörterbuch (1774) eines der „Hochdeutschen Mundart“ nennt, dann ist dies auch im Zusammen-

157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme hang mit seiner meißnischen Position zu verstehen. ⫺ Zu dialectus, Dialekt s. o. 3.1.2.

Im 17. und 18. Jh. begegnet auch (seltener) Redart. Die Wörterbücher geben darüber nur dürftige Auskunft. Die brauchbarste Information steht bei Adelung (Wb. 3, 21798, 1014f.): „Man muß dieses Wort (sc. Redensart) mit Redeart oder Redart nicht verwechseln, welches zuweilen für Mundart, zuweilen aber auch so wie Sprechart und Schreibart von der Art und Weise sich in verschiedenen Verhältnissen durch Worte auszudrucken gebraucht wird. Die Redeart des gemeinen Mannes. Im Oberdt. hingegen werden die Redensarten mehrmals Redarten genannt.“ Für die seit Bach (1950, 4) tradierte Meinung, Mundart sei an die Stelle des älteren, gleichbedeutenden Redart getreten, finde ich keinen Anhalt. Schottelius verwendet Redart zur Verdeutschung von locutio, phrasis ‘Redensart’ (1663, 168; 1217, 1221 u. ö.). In den sonstigen mir bekannten Belegen ist Redart meistens mit Schreibart verbunden, womit eine bestimmte mündliche und schriftliche Ausdrucksweise bezeichnet wird: Zur Erlernung einer guten teutschen Rede- und Schreib-Art muß man gute teutsche Bücher lesen (Bödiker 1746, 479); ähnlich bei J. Beer 1681 (Josten 1976, 165) und im Parnassus Boicus (2, 1724, 199f., 207; 5, 1737, 69ff., z. B. Red- und Schreib-Art der Gelehrten [abhängig von Bödiker, an den Hieber sich z. T. eng anlehnt?]). Mit entsprechendem Zusatz wird im Parnassus Boicus Red-Art auch für ‘Dialekt, dialektale Aussprache’ gebraucht: sein Dialectum, oder landliche Red-Art (2, 1724, 204, 207f.).

Was wir heute als Hochsprache (Gemein-, Einheits-, Standardsprache u. a.) bezeichnen, wurde im 17. und 18. Jh. Hochdeutsch genannt (s. o. 3.2.3.). Daneben war Schreibart als Verdeutschung für stilus sehr geläufig (DWB. 9, 1687f.). Ende des 18. Jhs. kommt Schriftsprache auf (Wieland, Bürger, Campe; DWB. 9, 1748; Trübner 6, 219). Unsere modernen Termini sind alle erst im 19. und 20. Jh. entstanden (Hochsprache fehlt im DWB. und bei Trübner!).

7.

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Ingo Reiffenstein, Salzburg

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Vorbemerkung Germanische Grundlagen Althochdeutsch ⫺ Altsächsisch Mittelhochdeutsch ⫺ Mittelniederdeutsch Frühneuhochdeutsch Neuhochdeutsch Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkung

Der Versuch, die raumgebundenen Gliederungen des Dt. von den germ. Grundlagen bis zur Gegenwartssprache in ein Bild zu fas-

sen, muß sich mit vielfältigen Abgrenzungsfragen auseinandersetzen. Die Kernprobleme, Periodisierung und Raumgliederung, hat Reichmann (1992, 177ff.) detailliert diskutiert. Sein „Schema gängiger Lehrmeinungen über die Periodengliederung der Geschichte des Deutschen“, beginnend bei Grimm im Jahr 1854 bis Wells aus dem Jahr 1990, demonstriert die Bandbreite der Forschungsdiskussion. Auch und gerade im Hinblick auf die daran anknüpfende Detailstudie von Roelcke (1995, 479ff.) wird die konven-

2230

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

tionelle Periodisierung des Hd. (in Ahd., Mhd., Frnhd. und Nhd.) bzw. Nd. (in Asächs. und Mnd.) beibehalten, mit den unscharf gehaltenen Angaben nach Jh. werden fließende Übergänge im Zeitkontinuum wenigstens angedeutet. Die Möglichkeiten und Grenzen der Raumgliederung des dt. Dialektkontinuums hat Wiesinger (1983, 807ff.) mit Blick auf die Wissenschaftsgeschichte der Dialektologie abgesteckt. Seine strukturell angelegte Dialekteinteilung gründet auf einer diachronischen Bezugsbasis, die Dialekte als „synchronische Systemeinheiten auf Grund diachronischer Entwicklungsprozesse“ (Wiesinger 1983, 813) beschreibt. Sie läßt sich sowohl mit Vorstellungen vom Stammescharakter der dt. Dialekte wie mit Erkenntnissen über spätere territorialgeschichtliche und verkehrsgeographische Einflüsse auf die Sprachraumbildung vereinbaren und ermöglicht es „ohne wesentlichen Traditionsbruch, die eingebürgerten stammeshistorisch, territorial oder geographisch motivierten Dialektbezeichnungen, in allerdings teilweise neu definierter Weise, weiter zu verwenden“ (Wiesinger 1983, 814). Wiesingers Gliederung in Dialektregionen, Dialektverbände und teilweise auch noch großräumige Dialektgruppen dient als Grundlage für die Darstellung der nhd. Verhältnisse der Gegenwart. Sie geht von vier Voraussetzungen aus: 1. lokal gebundener Basisdialekt als überall gültige, areal vergleichbare Grundschicht innerhalb der sprachlichen Mehrschichtigkeit; 2. einheitlicher, statischer Sprachzustand; 3. möglichst enger Zeitrahmen; 4. homogene Sprachdaten.

Doch schon für die Gegenwart müssen dabei Zugeständnisse gemacht werden, für die geschlossene Datenmasse der historischen Sprachstufen sind solche Voraussetzungen nicht einzuhalten. Beruht das heutige Bild der sprachgeographischen Gliederung des Dt. auf Erhebungen an gesprochener Mundart in über 49 000 Orten vor der Jahrhundertwende, so stehen für frühere Zeiten auch nur annähernd vergleichbare Materialien nicht zur Verfügung. Gesprochene Sprache der Vergangenheit wird bestenfalls in Reflexen sichtbar, die Differenzen zwischen mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung andeuten und damit auch historisch sprachliche Mehrschichtigkeit belegen (vgl. Heinrichs 1961, 97ff.). Zudem erweist sich das historische Datenmaterial keineswegs als homogen: mit den Jahrhunderten verändern sich Dichte

und Textsortenprofile der überlieferten Quellen und ebenso die Gesellschaftsschichten, die diese Textzeugnisse hervorbringen (vgl. Wolf 1981, 74f.; 179ff.). Hinzu kommt, daß sich in der Varietätenarchitektur des Dt. das Verhältnis zwischen sprachlicher Grundschicht und den diversen Schreibsprachen von unterschiedlicher lokaler oder regionaler Geltung dadurch verschiebt, daß sich darüber im Lauf der Sprachgeschichte eine nationale bzw. bereits übernationale Hochsprache herausbildet, die dann das zu Anfang alles überdachende Latein als Schrift- und Kultursprache ablöst. Für die historische Sicht bedeutet dies, den Begriff Synchronie sehr breit auszulegen, wenn nicht überhaupt die Gesamtdauer einer Sprachperiode als Profil für den synchronen Querschnitt herhalten muß. Schließlich bestimmt die Dichte der Überlieferung den Auflösungsfaktor, mit dem das Kartenbild dargestellt werden kann. Dabei wird angesichts der Erfahrungen des ‘Historischen Südwestdeutschen Sprachatlas’ darauf verzichtet, Grenzen von Mundarträumen moderner Sprachkarten auf frühere Verhältnisse zurückzuprojizieren: „bis in den Beginn der Neuzeit gelangt man in der Regel zurück. Dann müssen ältere Sprachaufzeichnungen einsetzen“ (Maurer 1979, 3).

2.

Germanische Grundlagen

2.1. Das Dt. ist Teil der germ. Sprachfamilie, die historische Sicht auf seine sprachgeographische Gliederung muß daher auch die germ. Grundlagen einbeziehen, aus denen es sich entwickelt hat. Der Begriff ‘germanisch’ ist hierbei primär sprachlich definiert, d. h. die Entstehung des Germ. ⫺ und damit auch die Ethnogenese der Germanen ⫺ wird mit der Entfaltung der sprachlichen Besonderheiten verknüpft, durch die sich diese Sprachstufe aus dem vorangehenden idg. Sprachkonglomerat ausgliedert, ein Vorgang, der allerdings im Dunkel vorliterarischer Zeit abläuft. Die ältesten Sprachzeugnisse, wenige Wörter und reichlicheres Namenmaterial, sind erst aus der Zeit um Christi Geburt überliefert und in ihrer sprachlichen Gestalt durch den Vermittlungsprozeß über die antiken Autoren bereits überformt. Die ältesten germ. Primärquellen, spärliche Runenzeugnisse aus Dänemark und Südskandinavien, sind frühestens in die Zeit um 200 n. Chr. (Seebold 1994, 61) zu datieren. (Die Meldorfer Fibel aus Dithmarschen, wohl noch dem

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

1. Jh. zuzuordnen, ist wegen zu großer Interpretationsunsicherheiten über Leserichtung und graphischen Charakter ⫺ Ornament oder Schrift, Runen oder lat. Buchstaben ⫺ hier auszuschließen (Stoklund 1994, 95f.; zur Rolle von Matroneninschriften zwischen 160 und 240 n. Chr. vgl. Vennemann 1995, 271ff.)). Kontinuierliche Textüberlieferung beginnt innerhalb der germ. Sprachfamilie wiederum weitere Jahrhunderte später: die got. Bibelübersetzung noch im 4. Jh. (überliefert freilich erst in Hss. des 6. Jhs.), Ahd. und Ae. sind seit dem 8. Jh. bezeugt, Asächs. und Anfrk. etwa seit dem 9. Jh., noch später das Anord.; das Afries. wird zum größten Teil erst im 13. Jh. tradiert. Die für die Entstehung des Germ. konstitutiven sprachlichen Ausgliederungsvorgänge können bei solcher Überlieferungslage nur durch eine vergleichende Rekonstruktion erschlossen werden, über deren Ausgangspunkt, zeitlichen wie räumlichen Verlauf und Resultat bis heute kontrovers diskutiert wird (Vennemann 1984, 1ff.; Seebold 1986, 168ff.). Der Versuch, die sprachwissenschaftliche Rekonstruktion mit Hilfe der Ergebnisse von Frühgeschichte und Archäologie abzusichern, trifft dabei auf das grundsätzliche Problem, daß der durch die Sprache definierte Begriff ‘germanisch’ weder zu dem Germanenbegriff der historischen Quellen, noch zu dem der archäologischen Kulturprovinzen paßt. „Es gibt eben Zeiten und Räume, in denen archäologische und überhaupt Gruppen mit gleicher Lebensform und Sprachgemeinschaften sich nicht zur Deckung bringen lassen“ (Wenskus 1986, 20). 2.2. Historische Quellen (zusammengestellt bei Goetz/Welwei 1995, 25ff.) führen zurück bis in die Zeit um Christi Geburt: die griech. und römischen Autoren berichten über die Germanen an der Peripherie ihrer Kultur nur ausnahmsweise ⫺ wie Plinius ⫺ auf Grund eigener Anschauung, sie verfolgen damit eigene Ziele und legen ihre Vorstellungen, Begrifflichkeiten und literarischen Vermittlungsmuster zugrunde. Dabei ist schon die römische Begriffsbildung von ‘Germani’ verworren und widersprüchlich (Wenskus 1986, 1ff.; Timpe 1986, 22ff.). Aus römischer Sicht werden die mitteleuropäischen Gebiete um Nord- und Ostseeküste (einschließlich des südlichen Skandinavien) und der Raum rechts des Rheins bis zur Weichsel und im Süden bis zur Donau den Germanen zugeschrieben, auch wenn sich die Stämme selbst

2231

nicht so bezeichneten. Ob sich diese Sicht mit den tatsächlichen Verhältnissen deckt, bleibt ungewiß. Historisch gesehen ist diese Einheit jung und, anders als Vorstellungen von sprachlicher Kontinuität vermuten lassen, auch nicht von langer Dauer. Die Stämme, aus denen sie sich konstituiert, bilden keine festen ethnisch oder kulturell abgegrenzten Einheiten im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft, vielmehr erscheint die Stammesbildung als ein permanenter Prozeß von Abspaltung, Überschichtung und Angliederung einzelner Personenverbände bzw. Bevölkerungsteile um einen namengebenden Kern (Wenskus 1977, 429ff.), ein Prozeß, bei dem lediglich der Aufbruch zu Wanderzügen als konstantes Prinzip zu erkennen ist. Folglich kann sich die Zusammensetzung der Stämme im Lauf der Zeit beträchtlich verändern, die antiken Bezeichnungen stellen daher vielfach nicht viel mehr als Sammelbezeichnungen für Gruppen unterschiedlicher Herkunft dar. Eine singuläre Ausnahme in der Frühzeit macht der Großverband der Sueben (dazu Timpe 1992, 278ff.; Koller/Laitenberger 1998, IXff.), der im östlichen Verbreitungsraum fast als Synonym für ‘Germanen’ gelten könnte. Daneben stehen Einzelstämme mit festeren Traditionskernen und längerer räumlicher Kontinuität (wie die Cherusker, Chatten, Hermunduren) und kleine, nur kurzlebige Personenverbände, deren Bezeichnungen kaum Anhaltspunkte bieten. Von den bei Tacitus in der Mannus-Genealogie erwähnten Kultverbänden kommt nur den Ingväonen als Küstenbewohnern einiges Profil zu, während Istväonen und Erminonen als Gliederungen in der Stammeswelt nicht erkennbar sind (Timpe 1995, 49ff.). Aus historischem Blickwinkel bezeugt daher die ‘Germania’ des Tacitus nicht nur, „daß ein von einem äußeren Standpunkt aus zusammenfassender ‘Volks’name für die Germanen neu sei, sondern daß es einen gewissen, die einheitliche Benennung herausfordernden Grad von Homogenität der rechtsrheinischen Stammeswelt erst seit jener Zeit gebe, als der Gesamtname aufkam, als Folge der römischen Präsenz am Rhein“ (Timpe 1995, 91). Andere Quellen, Geschichtsüberlieferungen germ. Autoren, Abstammungsversionen und Wandersagen einzelner Stämme werden auch erst wieder Jahrhunderte später aufgezeichnet und bedürfen, wie das Beispiel von Jordanes’ ‘Getica’ für die Goten zeigt (Wagner 1967, 103ff.), zur Herausarbeitung der Traditionskerne kritischer Interpretation. In

2232

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.1: Germanische Fundstellen des 1.⫺3. Jhs. nach Chr. Geb. in Mitteleuropa außerhalb des römischen Reichsgebiets (nach Jankuhn 1969). Grenze der Funderfassung durch Punktierung markiert

der Geschichtsschreibung der Spätantike verblaßt der Germanenbegriff ohnehin wieder und tritt hinter genauer kennzeichnenden Benennungen für die einzelnen Stammesverbände zurück, wie etwa der vor Beginn der Völkerwanderungszeit neugeschaffenen Bezeichnung Franci (für Salier, Chamaver, Chattuarier, Brukterer und Ampsivarier) oder Alamanni (Wagner 1986, 149). 2.3. Die Archäologie muß sich bei dem Versuch, die schriftlose Vorzeit zu erhellen, auf Besiedlung, Wirtschaft und Technik und Einzelfragen der sozialen Gliederung, Kunst und Religion beschränken, da ihre Quellen materialbedingt zu politischer Geschichte und Stammeskunde wenig aussagen. Sie kann in

der Römischen Kaiserzeit bei den Siedlungen und Gräberfeldern ansetzen, die im Sinn der antiken Geschichtsquellen germ. Stämmen zuzuordnen sind. Im Kartenbild (Kt. 158.1) zeigen sich dabei deutlich Siedlungsschwerpunkte und fundarme Zonen, wobei jedoch keineswegs sicher ist, daß all diese Ansiedlungen ‘gleichzeitig’ nebeneinander bestanden haben. Sicher scheint nur, daß die germ. Siedlungen in kleineren Regionen konzentriert waren, voneinander getrennt durch „dicht bewaldete Zonen mit Urwaldcharakter, also durch Ödmarkengrenzen, wie sie etwa Caesar für die Sweben beschreibt“ (Jankuhn 1976, 278). An der Urnenform, an Gefäßornamentik, Beigabensitten und Bestattungsart lassen sich im germ. Gebiet deutlich Kulturprovin-

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

zen unterscheiden, die allerdings nie vollständig einem der überlieferten Stammesgebiete entsprechen: die früher als kulturell einheitlich betrachteten „Westgermanen“ sind dadurch archäologisch zu differenzieren in eine elbgermanische Gruppe beiderseits der Elbe von Nordost-Niedersachsen bis Böhmen sowie in Mähren und Niederösterreich, in die Gruppe der „Weser-Rhein-Germanen“ (Maurer) westlich davon bis zur römischen Grenze am Rhein, und in eine nordseegermanische Gruppe an der Nordseeküste von Südjütland bis in die Niederlande. Ähnlich werden die Ostgermanen unterteilt in eine Przeworsker Gruppe (früher auch als Oder-WartheGruppe bezeichnet) an der oberen Oder, der Warthe und der oberen und mittleren Weichsel und in eine Weichselmündungsgruppe nördlich anschließend von Mittelpommern bis ins westliche Ostpreußen, „mitunter auch als Oxhöfter (Oksywie-) Gruppe und neuerdings als Willenberger (Wielbark-) Gruppe bezeichnet“ (Mildenberger 1986, 314; GodLowski, 1992, 9ff.); in Nordeuropa sind eine westnordische und ostnordische Gruppe zu unterscheiden, von kleineren Gruppierungen einmal abgesehen (zusammenfassend Mildenberger 1986, 310ff.). Wie lange diese germ. Kulturgruppen vor ihrer zufälligen ersten Nennung in den Geschichtsquellen schon germanisch waren, ist an dem archäologischen Befund nicht ablesbar: einen Bevölkerungswechsel, der sich als germ. Einwanderung interpretieren ließe, gibt es im germ. Kerngebiet nicht. Aus der sprachwissenschaftlichen Diskussion über die Datierung der Veränderungen, durch die sich das Germ. aus dem Idg. ausgliedert, etwa auf die Mitte des 1. Jts. v. Chr. folgert die archäologische Germanenforschung, „daß sich die Herausbildung der Germanen erst in diesem Zeitraum vollzogen haben könnte“ (Mildenberger 1986, 317; im Detail Krüger 1983, 86ff.; Spätdatierung in das Ende des 1. Jt. v. Chr. Ament 1986, 252). Jedenfalls ist die Archäologie längst von der einfachen Gleichsetzung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen mit ethnischen Einheiten, ‘Stämmen’ oder ‘Völkern’ abgerückt und damit auch von der Vorstellung Kossinnas, die germ. Kulturgruppen der Römischen Kaiserzeit seien ohne Bruch bis in die Jüngere Steinzeit zurückzuverfolgen, der Ursprung der Germanen somit um 2000 v. Chr. anzusetzen (Jankuhn 1986, 298ff.; Mildenberger 1986, 316f.), eine These, die noch immer durch germanistische Handbücher irrlichtert (Paul/ Schröbler/Wiehl u. a. 1998, 29).

2233

„Einigkeit besteht darüber, daß die eisenzeitliche Jastorfkultur zu beiden Seiten der Elbe von Holstein bis Nordböhmen […] „germanisch“ ist. Sie bildet sich in der jüngeren Hallstattzeit im Gebiet zwischen Aller und Oder und verbreitet sich während der Late`nezeit nach Sachsen, Thüringen und Böhmen. Während offen bleibt, ob ihre Ausbreitung nach Mitteldeutschland durch Wanderung oder durch kulturelle Angleichung der einheimischen Bevölkerung erfolgt, weist die Fundverbreitung in Böhmen am Rande der dortigen Gruppe der (keltischen) Late`nekultur deutlich auf eine Einwanderung hin. Wenn man aber die Entstehung der Jastorfkultur aus bronzezeitlichen Wurzeln der „Ethnogenese“ der Germanen gleichsetzt, so mißachtet man die Einwände Wahles gegen Kossinnas Verfahren. Ganz allgemein wird auch die eisenzeitliche Bevölkerung Dänemarks und Skandinaviens als germanisch angesehen“ (Mildenberger 1986, 317).

Über die Zuordnung des im Westen an die Jastorfkultur anschließenden Gebiets zwischen Weser und Rhein in der Eisenzeit gehen die Meinungen auseinander: germanisch, keltisch, keltisch überschichtet oder besiedelt durch „Völker zwischen Germanen und Kelten“ (Hachmann/Kossack/Kuhn 1962, 9ff.). Im archäologischen Fundbild tritt der Rhein dabei nicht als Grenze in Erscheinung (Ament 1986, 249), von der Frage nach den „Germani cisrhenani“ ganz abgesehen (von Petrikovits 1986, 88ff.; Neumann 1986, 107ff.). Germ. Wanderbewegungen werden bereits im 3. Jh. v. Chr. von Bastarnen und Skiren berichtet (Krüger 1983, 40f.), im 2. Jh. v. Chr. von Kimbern und Teutonen, im 1. Jh. v. Chr. von den Sueben unter Ariovist. In den Germanenzügen des 3. Jhs. und erst recht mit der Völkerwanderung gegen Ende des 4. Jhs. gerät dann fast die gesamte germ. Völkerwelt in Bewegung. Aus den gewaltigen räumlichen Verschiebungen treten als Resultat vielschichtiger Entstehungsprozesse (Wenskus 1977, 143ff.) im späteren dt. Sprachraum Bevölkerungsgruppen unter neuen Bezeichnungen hervor: die Großstämme der Alemannen, Franken, Sachsen, Thüringer, Langobarden, später auch der Baiern (vgl. Kt. 158.2; die starke Schraffur markiert markomannische Gruppen aus Südböhmen, die später in den Baiern aufgehen). Im archäologischen Fundgut werden zumindest Verbindungen zu den alten Gliederungen faßbar: elbgerm. Beziehungen bei Alemannen (Reallexikon 1973, 144f.), Langobarden und Baiern (RL 1973, 612f.), elbgerm. wie weser-rheingerm. Komponenten bei den Thüringern, weser-rhein-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.2: Ungefähre Wohnsitze germ. Stammesgruppen nördlich der Donau und östlich des Rheins um die Mitte des 5. Jhs. (nach Böhme 1988, 34)

germ. Bezüge bei den Franken und nordseegerm. bei den Sachsen (vgl. Wenskus 1977, 458ff.; Schützeichel 1976, 45ff.). Freilich darf darunter keinesfalls eine geradlinige Fortsetzung verstanden werden. So verläuft die Ethnogenese der Alemannen zwischen Rhein und Limes von der 2. Hälfte des 3. Jhs. an nicht als geschlossene Einwanderung eines Stammes, sondern die aus dem suebisch-elb-

germ. Raum zuwandernden gefolgschaftlich organisierten Personenverbände wachsen erst im neuen Siedlungsraum im Laufe der Zeit zum Stammesverband der Alemannen zusammen (Geuenich 1997, 73ff.; Schach-Dörges 1997, 79ff.). Auch die Baiern sind nicht als geschlossener Stamm zur Landnahme eingewandert. Ihre Ethnogenese vollzieht sich im eigenen Land, auf ursprünglich röm. Pro-

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

vinzialboden, unter vielfachen Einflüssen von Ostgoten, Alemannen, Thüringern, Langobarden, Romanen und den vermutlich namengebenden elbgerm. Markomannen aus Böhmen. (Reindel 1988, 56ff.; Fischer/Geisler 1988, 61ff.). Die weitere Ausbreitung der Stammesverbände, das westliche Vordringen der Franken bis in das nördliche Frankreich, das alemannische Einsickern nach Süden in Elsaß, Schwaben, Schweiz, die bairische Siedlungsbewegung im Südosten, die merovingerzeitlichen Reichsbildungen der Thüringer in Mitteldeutschland und die der Langobarden in Italien, im Norden die Expansion der Sachsen auch nach der Landnahme von Angeln und Sachsen in Britannien, führen zu den Siedlungsverhältnissen zu Beginn der Schrifttradition in karolingischer Zeit. 2.4. Die Ansatzmöglichkeiten der Sprachwissenschaft sind durch den Mangel unmittelbarer Sprachzeugnisse sehr eingeschränkt. Eine direkte Rückprojektion späterer Befunde auf die germ. Frühzeit ist angesichts der komplexen archäologischen und historischen Verhältnisse ausgeschlossen. Überlegungen zur sprachgeographischen Gliederung gründen daher im wesentlichen auf Verfahren und Modellen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, auf deren Möglichkeiten und Grenzen: „das einzig sichere Ergebnis der indogermanistischen Sprachvergleichung ist die Schlußfolgerung, daß die untereinander ähnlichen Einzelsprachen einen gemeinsamen Ursprung voraussetzen, der am besten als gemeinsame Ursprache zu denken und am deutlichsten durch den Stammbaum darzustellen ist. Alle Auffüllungen dieser abstrakten Konstruktion durch Rückgriffe auf zeitliche und räumliche Gegebenheiten und auf das Lexikon der verglichenen Sprachen bleiben im Bereich ungedeckter Vermutungen, des Versuchs der Veranschaulichung, die die Nachbarwissenschaften immer wieder von der Indogermanistik erwarten. Aber die in die Vorgeschichte hineinführende Sprachvergleichung ist kein Instrument, mit dem man historische Realität erkennen oder gar ethnische Größen und deren Genese beschreiben kann“ (Untermann 1985, 163).

Die Einwände gegen das Entwicklungsmodell der alten Stammbaumtheorie, das aus einheitlichem urgerm. Stamm die drei Hauptzweige Ngerm. (Anord.), Ogerm. (Got.) und Wgerm. ableitet und bis auf die Ebene der Einzelsprachen weiter verzweigt, richten sich gegen die Bevorzugung der Auseinander-Entwicklung zu Lasten von Kontaktphänomenen (Seebold); ihre Modifizierung durch Maurers

2235

Fünfergliederung in Elbgermanen, OderWeichselgermanen, Nordgermanen, Nordseegermanen, Weser-Rheingermanen trifft mit der Auffassung, archäologisch-historisch definierte Kulturprovinzen ließen eine frühe und grundlegende Binnengliederung das Germ. mit entsprechenden Nachwirkungen in der Folgezeit erkennen, auf teilweise heftigen Widerspruch (Kuhn 1955, 1ff.; zusammenfassend Lerchner 1965, 297ff.). Das Modell der Wellentheorie, das von einer allmählichen Sprachdifferenzierung durch unterschiedlich weit sich ausbreitende Neuerungen von verschiedenen Zentren ausgeht, kann zwar die Kontaktphänomene im räumlichen Kontinuum abbilden, erklärt aber nicht den Verlauf der Trennung in Einzelsprachen (Seebold). Die Frage, wie sprachrelevant die Dreiergliederung der bekannten Kultverbände (Ingväonen, Istväonen, Erminonen) ist, bleibt ohnehin offen (Beck). Die Detailproblematik der einzelnen Modelle ist in den Art. 58 (Nr. 5.1) und Art. 60 (Nr. 5) ausführlich behandelt. Neuere Überlegungen (Seebold 1986, 168ff.; Seebold 1995, 155ff. und Art. 58) operieren mit dem Modell des sprachlichen Kontinuums aus der Dialektforschung als Grundlage für ein modifiziertes Stammbaumkonzept. Das Germ. erscheint danach in der frühen Eisenzeit als sprachliche Einheit in Gestalt eines geschlossenen Kontinuums von Skandinavien bis in den Süden. Durch die permanenten Wanderzüge germ. Stämme wird es zwar beeinträchtigt ⫺ etwa mit der frühen Ausgliederung der Goten durch Abwanderung, aber erst als die Angeln, Sachsen und Jüten im 5. Jh. nach Britannien abziehen, löst die Einwanderung von Germanen aus dem Norden in das entvölkerte Gebiet einen nicht mehr zu überbrückenden Bruch im Kontinuum aus. Sieht man von der problematischen Stellung des Fries. einmal ab, entstehen drei sprachlich für sich stehende Kontinuen: das nordgermanische als Fortsetzung des ursprünglichen Kontinuums, ein sekundäres engl. (wgerm.) in Britannien und ⫺ als Resultat der wirren Völkerwanderungszeit auf dem Kontinent ⫺ ein sekundäres sgerm. Kontinuum, das die Stammesdialekte hervorbringt, die am Beginn der volkssprachlichen Überlieferung stehen: im Nordwesten das Asächs., in der Mitte das Frk. und Thür., im Süden das Alem. und Bair., möglicherweise noch das Langob. Sie prägen die Grundlinien in das sprachgeographische Bild des Dt. (wie auch des Nnl.), wenn auch die ethnisch-politische Einheit des Stammes im

2236

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Hochmittelalter verblaßt und so das Divergieren von Stammestum und Kulturraum bzw. Sprachraum begünstigt.

3.

Althochdeutsch ⫺ Altsächsisch

3.1. Die ahd. Sprachperiode (8.⫺11. Jh.) ist markiert durch das Einsetzen volkssprachlicher Schriftlichkeit in den eng verwandten Stammesdialekten, aus denen sich durch wechselseitige Einwirkungen innerhalb des politisch-kulturellen Verbundes im frk.-dt. Reich erst im Verlauf der Sprachgeschichte das Dt. entwickelt. Das nur noch als „Restund Trümmersprache“ (Tischler 1989, 195) bezeugte Langob., das an dieser Entwicklung nicht mehr teilnimmt, sondern spätestens im 10. Jh. erloschen ist, bleibt dabei außer Betracht (Braune/Eggers 1987, 3). In dem Begriff Ahd. ist sprachgeographisch bereits eine Grenze zum Asächs. (And.) gezogen, dem, abweichend von der ahd. Periodisierung, alle Texte bis um die Mitte des 12. Jhs. zugerechnet werden, die im Konsonantismus das and., nicht durch die hd. Lautverschiebung veränderte System aufweisen. Mit Blick auf diese Lautverschiebung, über deren Abschluß im 7. Jh. diskutiert wird, wird der Beginn des Ahd. „in einem weiteren Sinn“ schon in die textlose Zeit um 600 gerückt (Braune/Eggers 1987, 1 u. 83), mit Blick auf die runische Schriftlichkeit wird der handschriftlichen Phase vom 8.⫺11. Jh. eine inschriftlich-vorliterarische Phase im 6./7. Jh. vorgeschaltet (Schmidt 1996, 66) bzw. die sgerm. Runeninschriften aus dem frk., thür., alem., bair. und langob. Raum werden mit dem „restsprachlichen“ (Untermann 1989, 18) germ. Wortschatz in der frühen lat. Rechtsliteratur und der handschriftlichen Textüberlieferung bis um 800 zu einer ahd. Periodisierungseinheit zusammengefaßt (Sonderegger 1974, 68). Die Zweckmäßigkeit dieser Einschließung des „Voralthochdeutschen“ sei dahingestellt: schließlich endet der „Runenhorizont“ in Süddeutschland im ersten Drittel des 7. Jhs., um 600 (Roth 1994, 311), die ahd. Schriftlichkeit hingegen entwickelt sich aus und mit der im Frühmittelalter alle poetischen und religiösen, theologischen und profanen wissenschaftlichen Texte dominierenden Latinität. 3.2. Dies verdeutlicht der Blick auf die sprachlichen Quellen. Die Hauptmasse des Sprachmaterials überliefern ahd. Glossenhandschriften: von den etwa 1230 (Bergmann

1997, 216) Textzeugen mit lat.-volkssprachlichen Glossen stammen gut 70% aus der Zeit vom 8.⫺11. Jh. (Bergmann 1995, 24). Demgegenüber umfaßt die gesamte literarische Überlieferung des Ahd. in der Gliederung von Schützeichel (1995, 16ff.) nur 77 Denkmäler bzw. Autoren, erhalten in insgesamt 116 Textzeugen mit ganz überwiegend sehr kurzen Texten. Erst ansatzweise bearbeitet sind die volkssprachigen Wörter in lat. Annalen, Chroniken, Viten (die Überlieferung aus Einhards lat. Karlsvita ist bei Schützeichel nur pauschal eingerechnet), Briefen, Urkunden, Capitularien und Volksrechten sowie die Masse der überlieferten Namen etwa aus Verbrüderungsbüchern. Mehr ist aus ahd. Zeit nicht erhalten. Die Überlieferung der wenigen umfangreicheren, überwiegend theologisch-religiösen Texte ist auf das 9. Jh. konzentriert, Notkers von St. Gallen reiches Textkorpus aus dem 11. Jh. leitet ebenso wie die ältesten Hss. von Willirams Hoheliedkommentar (Schützeichel 1995, 42) schon über zum Mhd. (Wolf 1981, 66ff.). Die Auswertung der Quellen, die wenigen ungleichmäßig über das Land verteilten Schreibstätten entstammen, so daß nicht einmal alle Dialekträume (thür.) vertreten sind, wird dadurch erschwert, daß ein bedeutender Teil der Hss. nicht genau lokalisierbar ist und zusätzlich zwischen dem Schreibort der Hs. und dem Entstehungsort des Textes unterschieden werden muß, da durch Abschrift in anderen Dialektgebieten schreibsprachliche Mischungen entstehen. Außerdem spiegelt die Schreibsprache eines Klosters keineswegs immer den Dialekt der Umgebung: in Fulda wird anfangs bair. geschrieben, später ofrk. und erst danach rhfrk., wie es der Landschaft entspricht. Vergleichbares gilt für die frk. Gründungen auf alem. Gebiet in Murbach oder der Reichenau. Unter solchen Voraussetzungen ist der ahd.-asächs. Sprachraum nur punktuell darstellbar. Dies beeinflußt auch die Methodik sprachgeographischer Grenzziehung und Gliederung: die Auswertung der historischen Sprachbelege und des zeitlich wie räumlich bestimmten Namenguts muß für die Sprachgrenzforschung ergänzt werden durch die Ergebnisse der Siedlungsgeschichte, stellenweise deren archäologischen Hintergrund. Wo, wie in der Schweiz, historische Zeugnisse weitgehend fehlen, ist die Herausbildung der Sprachgrenzen oft nur durch die Unterstützung der Ortsnamenbelege zu beschreiben (Sonderegger 1967, 229ff.). Personennamenforschung liefert günstigenfalls

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

2237

Karte 158.3: Galloroman. und germ. Sprachinseln im 7./8. Jh. (nach Pfister 1995, 88)

durch historische Bevölkerungsquerschnitte Aufschluß über den Stand der Durchsiedlung neuer Sprachräume (Finsterwalder 1954, 105f.; 1967, 236ff.). Inwieweit der moderne Mundartbefund die Binnengliederung der ahd. Zeit auf Grund der „Folgerichtigkeit in der grundsprachlichen Entwicklung“ (Besch 1965, 128) noch reflektiert, wird kontrovers diskutiert (Debus 1984, 933ff.). Eine historisch-geographische Darstellung kann jedenfalls nicht auf die Absicherung durch historisches Datenmaterial verzichten. 3.3. Am Ausgangspunkt in karolingischer Zeit besitzen der asächs. und anfrk. sowie der ahd. Sprachraum etwa folgenden Umriß: im Norden trennt die „Eider-Linie“ das Asächs. vom Dän., gegenüber den Friesen, im Nordwesten,

ist die Geestgrenze sowie die Südgrenze Ostfrieslands und der Groninger Ommelande gut gesichert. Nach Osten ist das Gebiet offen, die Grenze zwischen Sachsen und Slawen nur militärisch festgelegt. Entlang der unteren bis zur mittleren Elbe bei Magdeburg erstreckt sich auch westlich des Stroms ein sächs.-polab. Mischgebiet. Sicher ist lediglich, daß Bardowiek, Lüneburg, Magdeburg und saaleaufwärts Halle und Merseburg sächs. besiedelte Orte sind (Cordes 1973, 15; Sanders 1973, 31f.). Südlich der Unstrut, im md. Thüringen, sind die Gebiete östlich der Saale bereits um 600 an die Slawen gefallen (Wenskus 1977, 558). Der im Süden anschließende bayer. Nordgau und Nordwald bilden noch eine weithin unbestimmte Grenzzone lediglich mit bayer. Siedlungskammern, entlang der Donau erstreckt sich eine waldfreie Siedelzone bis etwa zur Enns. Die Slawengrenze nach Südosten zu Kärnten verläuft von der Enns bis in das teils slaw., teils bayer. besiedelte Pustertal. Im Süden

2238

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.4: Reihengräberfelder von frühbair. Ansiedlungen des 6. und 7. Jhs. in Altbaiern. Die awarischen Siedelgebiete im Osten und die langob. im Süden datieren erst vom Jahr 568 an (nach Menke 1988, 71)

reicht das Bair. mit Bozen bis zur Grenze des Langobardenreiches, westlich bis ins obere Inntal (Spindler 1981, 354f.). Im Südwesten schließt sich der alem.-rom. Grenzbereich an, vom St. Galler Rheintal über das innerschweizerische und bernische Voralpengebiet bis zum Vogesenkamm (Sonderegger 1967, 253ff.; Pfister 1978, 130ff.). Den Abschluß im Westen bildet die durch den frk. Vorbruch in die Romania erst schwach ausgebildete frk.-rom. Grenzzone (Schützeichel 1976, 125ff.). Die Beschreibung läßt bereits erkennen, daß für weite Abschnitte noch keine fortlaufende oder lükkenlose Grenzlinie existiert, sondern z. T. nur eine unterschiedlich breite zweisprachige Mischzone, „die je nach Gegend ⫺ früher oder später ⫺ in monolinguale Räume aufgelöst wurde“ (Pfister 1995, 62). Kt. 158.3 zeigt als Musterfall im Westen die Verhältnisse im Moselraum (nach Pfister 1995, 88). Romanen sind daneben auch in Städten und Bischofssitzen, etwa in Köln, Trier, Mainz nachgewiesen; in Konstanz, Bregenz (Pfister 1978, 137f.; Ament 1992), im Salzburger Land und an der Do-

nau finden sich ebenfalls noch Spuren rom. Bevölkerung (Spindler 1981, 362). Umgekehrt reichen frk. Siedlungsinseln nach Westen bis auf die Höhe der Seine, vereinzelt noch an die Loire (Pfister 1978, 137f.). Schriftlicher Reflex dieser Zweisprachigkeit sind z. B. die Straßburger Eide (Gärtner/ Holthus 1995, 97ff.) oder die Überlieferung von ahd. Ludwigslied und afrz. Eulalia-Sequenz in einem Codex. Im Osten herrschen vergleichbare Verhältnisse in den slaw. Siedlungen westlich der Elbe, am oberen Main (Störmer 1996, 89ff.; 210ff.), in der Oberpfalz und im Bayer. Wald (Spindler 1981, 121f.; 362). Kt. 158.4 illustriert die Siedlungsverhältnisse von Baiern, Avaren und Langobarden im bayer. Südosten nach den Kämpfen des 6. Jhs., später rücken noch Slawen vor allem in die Gebiete zwischen Traun und Enns ein (Higounet 1986, 26ff.; Tovornik 1988, 118ff.). Durch fehlende Kontaktzonen bestehen andererseits Grenzlücken in bisher unbesiedelten bzw. siedlungsleeren Räumen. Die weitere Ausbildung der Sprachgrenze ist daher eng verknüpft mit der mittelalterlichen Siedlungsbe-

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

2239

D n. Nordalbing. Altfries. S chs.polabisches Mischgebiet

Ostfalen

Engern W estfalen

Anfrk.

Slawisch

K ln

Th r.

Mfrk. Echternach

Fulda

Rhfrk.

Ofrk.

Mainz

Slawisch

W rzburg Lorsch

Srhfrk.

Regensburg

Freising

Bair.

Alem. Reichenau St. Gallen

Staffelsee

Salzburg

Tegernsee Benediktbeuern

Mondsee

Slawisch Dialektgebiete im ahd.-as. Sprachraum mit Schreiborten ahd. Text berlieferungbis 800 Ungef hreAu§engrenzen

Romanisch Langobard.

Ahd.-As. Sprachgrenze

Karte 158.5: Dialektgebiete im ahd.-as. Sprachraum mit Schreiborten erhaltener ahd. Textüberlieferung bis zum Jahr 800

wegung: dies gilt in ahd. Zeit im bair. Südosten (Mitzka 1943/44, 85⫺92; Higounet 1986, 32ff.) und für die Alemannen in der Schweiz (Sonderegger 1967, 256⫺290; 1979, 219⫺254), im Westen für Vogesen und Ardennen und im Osten für die nordbair. Gebiete, die im Verlauf der folgenden Jhh. durch Siedlung im Rodungsgebiet eine schärfere Grenze gegen die slaw. Bereich herausbilden (Spindler 1981, 354). Klöster tragen durch ihre Ausstrahlungskraft wesentlich zur Entstehung und zum Verlauf der Sprachgrenze bei: die agilolfingischen Klostergründungen wie Chammünster oder Kremsmünster im Osten des bayer. Herzogtums (Spindler 1981, 463f.); Echternach, Prüm und Trier, z. B. mit der Germanisierung des Luxemburger Raums, aber auch auf der gallorom. Westseite der Vogesen in umgekehrter Richtung St. Die, Etival, Senones, Moyenmoutier, Remiremont (Pfister

1978, 136). An der Nordwestküste drängt das Rom. die fläm. Sprachgrenze seit dem 9. Jh. bis auf die Höhe von Calais. Im Westen wird die rom. Moselenklave eingedeutscht, ein Vorgang der zu Anfang des 11. Jhs. abgeschlossen ist (Petri 1977, 146f.). Die Entstehung der westlichen Sprachgrenze wird daher, anders als im Osten, nicht so sehr als Siedlungsgrenze, sondern als allmählich zustande gekommene Ausgleichslinie zwischen germ. und rom. Ausstrahlungsbereich interpretiert (Petri 1977, 168; 193).

3.4. Die Binnengliederung der Frühzeit kann sich primär ebenfalls nur auf die punktuelle Überlieferung stützen. Im asächs. Sprachraum sind als Schreiborte von Texten sicher nur Essen, Werden und Freckenhorst nach-

2240

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

weisbar (Cordes 1973, 18); weitere Stätten kommen in Frage (Cordes 1973, 17; Baesecke 1950, 14ff.), gerade die nach Umfang und Bedeutung gewichtigsten Textzeugnisse „Heliand“ und „Genesis“ sind jedoch nicht sicher lokalisiert. Überhaupt lassen die Sprachdenkmäler nur wenig von einer Dialektgliederung des Asächs. erkennen, wie sie die Einteilung von Karls. d. Gr. „Capitulare Saxonum“ in die Unterstämme der Westfalen, Engern, Ostfalen und Nordalbinger nördlich der Elbe nahelegt, die im Laufe der Zeit allerdings von der kirchenpolitischen Orientierung des Westens nach Köln, des Ostens nach Mainz überlagert wird (Sanders 1973, 32f.; Cordes 1973, 16). Der anfrk. Sprachraum im Westen läßt sich ebenfalls nicht sicher unterscheiden, weil der Lautverschiebungsstand hier nicht greift und die späteren nl. Kriterien noch kaum erkennbar sind. Ebensowenig ist die Südgrenze zum Hd. als Grenze der Lautverschiebung für den ganzen Zeitraum gesichert. Der ahd. Sprachraum hingegen läßt dialektale Vielfalt erkennen: im Obd. das Bair. und Alem., im Md. die frk. Dialekte: Mfrk. im Westen, in der Mitte Rhfrk. und Srhfrk., im Osten Ofrk., der omd. Raum, das Thür., bleibt in ahd. Zeit stumm. In den einzelnen Dialekträumen ist eine Reihe von Schreiborten ahd. Handschriften bekannt, so vor allem im Bair. aus der Hauptsiedlungslandschaft zwischen Lech und Inn Freising, Tegernsee, Salzburg, Monsee, Niederaltaich, Regensburg, im Alem. St. Gallen, Reichenau, Murbach, im Srhfrk. Weißenburg, im Rhfrk. Mainz, Lorsch, Fulda, im Ofrk. Würzburg, im Mfrk. Trier, Echternach, Köln, Aachen, Kt. 158.5 verzeichnet in einem synchronen Schnitt alle Schreiborte, aus denen ahd. Textüberlieferung bis zum Jahr 800 gesichert ist, als Beispiel für den Auflösungsfaktor, mit dem bei der Sicht auf das Ahd. zu rechnen ist. Die Lagerung der ahd. Dialekträume ist grob angedeutet, die Lokalisierung der insgesamt 49 Glossenhss. des 8. Jhs. (mit 10 670 Wortformen) erfolgt im Anschluß an Bergmann (1983, 3ff.), die der 6 literarischen Hss. nach Schützeichel (1995, 16ff.). Eine feinere Auflösung läßt das erhaltene Material nicht zu. Außerhalb der bekannten Überlieferungsorte sind Aussagen über ganze Dialekträume nicht möglich, Grenzen kaum zu ziehen. Selbst der problematische Rückschluß aus modernen Befunden ergibt kaum ungefähren Anhalt, da gerade die Probleme um die 2. Lautverschiebung, das entscheidende Gliederungskriterium, noch nicht ausdiskutiert sind

und über die Festlegung der Grenzlinien die Meinungen auseinander gehen (Wolf 1981, 30⫺47). Als erlöschender Zweig problematisch bleibt das Wfrk. und damit zugleich die Frage, wie lange im gallorom. Westen des Karolingerreiches noch mit einer frk. sprechenden Bevölkerungsgruppe gerechnet werden darf (Schützeichel 1976, 94ff.; Matzel 1970, 395 u. Anm.; Pfister 1978, 138ff.).

4.

Mittelhochdeutsch ⫺ Mittelniederdeutsch

4.1. In der mhd. Sprachperiode (11.⫺14. Jh.) hat sich bereits, ablesbar an der Geschichte des Begriffs „deutsch“, über aller dialektalen Vielfalt ein Bewußtsein von sprachlicher Einheit herausgebildet, das sich zum Teil in den mhd. Quellen niederschlägt. In der frühen Zeit dominieren epische literarische Texte, nach der frmhd. geistlichen Dichtung vor allem die höfische Literatur, erhalten in späterer abschriftlicher Überlieferung mit komplizierten Handschriftenverhältnissen und zeitlich wie räumlich sehr unterschiedlicher Streuung. In literarisch stilisierter Sprachform sind sie auf die führende Gesellschaftsschicht ausgerichtet und durch deutliche Ansätze ausgleichenden überlandschaftlichen Sprachgebrauchs rücken sie aus dem sprachgeographischen Gliederungsrahmen. Die Dichte der Textüberlieferung veranschaulicht Hellgardts Zusammenstellung der deutschsprachigen Hss. des 11. und 12. Jhs., d. h. aus der Übergangszeit des Ahd. zum Mhd. und aus der Frühzeit des Mhd.: mit Nachträgen insgesamt 300 Textzeugen überwiegend kurzer Gebrauchstexte, die höfische mhd. Literatur ist dabei noch so gut wie nicht vertreten (Hellgardt 1988, 35ff.). Im Vergleich mit der lat.-volkssprachlichen Glossentradition wird der Stellenwert der frühen mhd. Textüberlieferung noch deutlicher: denn aus dem gleichen Zeitraum sind über 400 Glossenhss. erhalten, gut ein Drittel der von Bergmann (1995, 24) zusammengestellten Glossenüberlieferung. Mit Beginn des 13. Jhs., verstärkt nach 1250, dringt in Folge veränderter wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Bedingungen die Volkssprache gegenüber dem Lat. auf breiter Basis in neue Bereiche der Schriftlichkeit ein, neben die poetischen Texte treten volkssprachliche geistliche und weltliche Prosa, Gebrauchsliteratur, Rechtstexte, vor allem Urkunden, in sprunghaft ansteigender Überlieferung, die bei un-

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

2241

Nordnd.

Ostf l.

S dm rk.

Westf l.

Rip.

Th r. Rhfrk.

Os chs.

Ofrk.

Mslfrk. Srhfrk. Els. Schw b. Alem. Bair. Dialektgebiete im mhd.-mnd. Sprachraum mit Schreiborten erhaltener altdeutscher Originalurkunden bis zum Jahr 1300 - - - ungef hreahd.-as. Grenze Datenaufbereitung und Entwurf: Werner Wegstein EDV-Berechnung: Peter Ruff, Rechenzentrum Uni W rzburg

Karte 158.6: Dialektgebiete im mhd.-mnd. Sprachraum mit den Ausstellungsorten altdeutscher Urkunden bis 1300

terschiedlicher Nähe zur mundartlichen Grundschicht (Heinrichs 1961, 97) häufig räumlich und zeitlich genauer fixierbar sind und damit schon zu einem feineren Raster des sprachgeographischen Bildes beitragen können, von den Einzelproblemen sprachlicher Urkundenauswertung (z. B. Ausstelleroder Empfängerausfertigung bzw. Schreiberherkunft) einmal abgesehen. Kt. 158.6 versucht ein Bild von der räumlichen Überlieferungsdichte des Mhd. am Beispiel der Textsorte ‘Urkunde’ zu vermitteln, indem mit Hilfe des Schreibortverzeichnisses zu den rund 4000 Urkunden des ‘Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300’ (Ohly/Schmitt 1991, 7ff.), alle in den

Urkunden genannten Ausstellungsorte kartiert werden. Die Untergliederung des mhd. Sprachraums ist freilich „nur mit Hilfe der heutigen Mundarten möglich, deren Raumverhältnisse indes nur mit Einschränkung auf das Mhd. übertragen werden können“ (Paul/ Schröbler/Wiehl u. a. 1998, 5). Der Vergleich der Sprachkarte „Kelter“ des Historischen Südwestdeutschen Sprachatlas (Kt. 158.7) mit der entsprechenden Kt. rom. Lehnwörter von Frings (Kt. 158.8) zeigt deutlich die Problematik von nicht auf historisches Datenmaterial gestützten Raumbildern (Kleiber 1979, 27). Die Periodisierung des Mnd. (13.⫺16. Jh.) stimmt nicht mit dem Mhd. überein. Ohnehin

2242

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.7: Bezeichnungen für ‘Kelter’ nach Urbaren im Südwesten (nach Kleiber 1979, 27 und Karte E17)

klafft zwischen dem Auslaufen der asächs. Schreibtradition und dem Einsetzen der mnd. Überlieferung in der ersten Hälfte des 13. Jhs. eine deutliche Lücke von rund 150 Jahren, in denen in Norddeutschland fast nur lat. geschrieben wird. Die literarischen Quellen des Mnd. sind zudem überwiegend mhd. beeinflußt. Hingegen entwickelt sich in der neu aufkommenden Prosa eine gegenüber dem Mhd. eigenständige mnd. Schriftlichkeit. Der Übergang von der lat. zur nd. Urkundensprache tritt nach 1300 und verstärkt in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. in Erscheinung. Die Schreibdialekte spiegeln mundartliche Untergliederungen des Mnd. nur unvollkommen. Auch zur Gliederung des mnd. Sprachraums werden deshalb die heutigen Mundarten vergleichend herangezogen (Peters 1973, 66ff.).

4.2. Hervorstechende Veränderung des Sprachraums gegenüber der vorangegangenen Epoche ist die Ostsiedlung (Higounet 1986, 85ff.). Im nd. Nordosten rücken seit der Mitte des 12. Jhs. deutsche Siedler nach Schleswig, Mecklenburg, Pommern, im 13. Jh. bis in die preuß. Gebiete des Dt. Ordens, bis Livland und Kurland, im md. Südosten seit dem 12. Jh. nach Brandenburg, in die Lausitz, nach Meißen und Schlesien bis in die böhm.-mähr. Grenzgebiete. Im Vergleich zu dieser bedeutenden Ausweitung des dt. Sprachraums erscheinen die übrigen Veränderungen als marginal. Im alem. Südwesten beginnen die Bewohner des Oberwallis in den letzten Jahrzehnten des 12. Jhs., in den Walserwanderungen die Hochtäler von Piemont zu besiedeln (Pfister 1978, 134f.), in Churrätien dringt seit dem 12. Jh., vornehmlich über den

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

2243

Karte 158.8: Kelter-Heteronymik (nach Theodor Frings, Germania Romana, Halle 1966, Kt. 9)

Sprachwechsel der rätorom. Bevölkerung, das Dt. weiter vor, Chur spricht indes im 14. Jh. noch rom. (Sonderegger 1979, 253f.; Boesch 1965, 194f.). Im bair. Südosten wird im 12. Jh. der Böhmerwald besiedelt, bereits im Zuge der ältesten bair. Ostwanderung ziehen Siedler bis nach Ungarn, die Sprachinsel Gottschee erscheint in Urkunden des 14. Jhs. (Mitzka 1943/44, 85ff.), in Italien entstehen in den Hochgebirgstälern die Sprachinseln der 7 und 13 Gemeinden. Im Nordwesten wird die Ausgliederung des Mnl. in der Textüberlieferung greifbar, seine Geltung als eigene Sprache damit dokumentiert. Gegen Ende der mhd. Sprachepoche zeigt der dt. Sprachraum so zumindest nach außen hin und in groben Zügen den für die folgenden Jahrhunderte gültigen Umriß.

4.3. In der Binnengliederung des Sprachraums zeichnen sich in mhd./mnd. Zeit Verschiebungen durch das Entstehen von Kolonialsprachen in den neu besiedelten Ostgebieten ab, in den älteren Gebieten tritt auf

Grund weiterer Lautveränderungen im 14. Jh. eine stärkere Untergliederung in Erscheinung. Im Mnd. stehen Nordnd., Westfäl., Ostfäl. auf dem sächs. Altland dem Ostelb. und Brandenburg. als Formen kolonialen Nd. von dt. Siedlern unterschiedlicher Dialektheimat gegenüber. Durch die Dominanz Lübecks setzt sich die lübische Ausgleichssprache als hansische Rechts- und Verkehrssprache durch und wird zur Grundlage der mnd. Schriftsprache. Ihre Blütezeit in den letzten Jahrzehnten des 14. und im 15. Jh. endet mit dem Übergang der Schriftlichkeit zum Hd. spätestens um 1600. Im mhd. Sprachraum differenziert sich das Mfrk. in das Rip. des Kölner und Mslfrk. des Trierer Raums, die Mittelstellung des Rhfrk.-Hess. bleibt bestehen, während das Ofrk. sich vom Md. stärker an den obd. Sprachraum anschließt. Das Thür. und die angrenzenden ko-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

lonialen Mundarten des Omd. bleiben zunächst noch ohne besondere Profilierung (Schieb 1970, 351; Paul/Schröbler/Wiehl u. a. 1998, 176ff.). Im Obd. erscheint das Alem. jetzt differenzierter als Nalem. vor allem im Elsaß, Halem. in der Schweiz, Schwäb. im diphthongierenden Norden. Im Bair. hebt sich Nordbair., das bis in den Nürnberger Raum reicht, durch frk. Einflüsse vom Mittelbair. in Nieder- und Oberbayern, Nieder- und Oberösterreich und Südbair. in Kärnten, der Steiermark und Südtirol ab, freilich mit entsprechenden Übergangszonen. Während die geläufige großräumige Dialekteinteilung weiterhin auf den Erscheinungen der hd. Lautverschiebung beruht, deren Reichweite aus dem heutigen Sprachbefund interpretiert wird, treten für die Untergliederung neue Lautwandlungen hinzu. Allerdings spiegelt die mittelalterliche Schriftlichkeit die mundartlichen Sprachformen je nach Texttyp in unterschiedlicher Intensität, wenn auch die landschaftliche Vielfalt im hochmittelalterlichen Dt. grundsätzlich noch erhalten bleibt (Wolf 1981, 169ff.). Sprachliche Grundschichten sind jedoch nur schwer faßbar. Mit dem Ansteigen der Schriftlichkeit bahnen sich neue Formen überregionaler Sprachverwendung an: nach der mhd. höfischen Literatursprache regionale bzw. überregionale Verkehrsprachen vor allem im Rechts- und Urkundenwesen, im Mnd. die Schriftsprache auf der Basis des Lübischen.

5.

Frühneuhochdeutsch

5.1. In der frnhd. Sprachperiode (14.⫺17. Jh.) lockert sich die Raumbindung der landschaftlichen Schreibsprachen je nach Kommunikationssituation mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität (Reichmann/ Wegera 1993, 5ff.), ein Ergebnis großräumiger schreibsprachhistorischer Ausgleichs- und Einigungsvorgänge (vgl. Stopp 1976, 23ff.). Freilich gibt es noch „bis ins 16. Jh. und unter vielen Aspekten selbst darüber hinaus keine Varietät des Frühneuhochdeutschen, die ⫺ wie die dt. Literatursprache des 18. und 19. Jhs. ⫺ ein zeitgenössisch allgemein anerkanntes, unbestreitbar über alle Varietäten hinausragendes Prestige gehabt hätte und der man aufgrund eines solchen sprachsoziologischen Faktums die Funktion einer Leitvariante für synchrones Schreiben und Sprechen und für die Diachronie zuschreiben könnte“ (Reichmann/Wegera 1993, 7f.). Viel-

mehr entsteht durch das sich gleichzeitig stetig vervielfachende dt.-sprachige Quellenmaterial, das bislang erst zum kleinsten Teil sprachwissenschaftlich aufgearbeitet ist, der Eindruck, das Frnhd. habe „einen besonders hohen Grad an Heterogenität“ (Reichmann/ Wegera 1993, 5). Verglichen mit den vorangegangenen Epochen löst die dt. Sprache auf weiteren Gebieten das Lat. als dominierende Schriftsprache ab und eröffnet sich neue Bereiche: Prosaroman, Volksbuch, Chronik, Legendar, aber auch Fachliteratur und Gebrauchsprosa des Alltags, im kirchlich-theologischen Bereich, beschleunigt durch die Reformation, Übersetzungen der Bibel, Katechismen, Liedgut, durch die Humanisten gefördert Übersetzungen auch antiker Texte, ferner Briefe, Flugblätter, Flugschriften, Monatsschriften (1597) und erste Wochenzeitungen (1609). Dazu tritt die gewaltige Masse der verwaltungs- und geschäftssprachlichen Archivalien, die „zunehmende Verschriftlichung des Lebens“ (Erben 1970, 393) zeichnet sich bereits ab. Einige Zahlen sollen Größenordnungen und Dynamik verdeutlichen: die Gesamtzahl aller Inkunabelausgaben bis zum Jahr 1500 wird nach dem Bearbeitungsstand des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke auf etwa 27 000 Ausgaben hochgerechnet; demgegenüber ist die Zahl der Druckausgaben des 16. Jhs. allein aus dem dt. Sprachraum auf 150 000 zu veranschlagen (Corsten/ Schmitz 1987, 100 u. 110). Die Ablösung des Lat. wird an der neuen Textsorte ‘Flugschrift’ besonders deutlich: die Bibliographie der Flugschriften des 16. Jhs. verzeichnet allein zwischen den Jahren 1501⫺1530 rund 5000 Flugschriften (Köhler 1991, VIII). „Durch einen beinahe lawinenartigen Anstieg der Produktion volkssprachlicher Texte (in der Größenordnung von 700%) kehrte sich von 1519 bis 1521 das Verhältnis von etwa 28% deutschen und 72% lateinischen Flugschriftendrucken vollständig um (in über 74% deutsche und knapp 26% lateinische Texte). Danach sank in den Jahren 1520 bis 1522 die Anzahl lateinischer Flugschriften auf etwa ein Drittel ab, so daß ihr Anteil an der Gesamtproduktion von den gesamten 26% auf nur noch 9,5% sank ⫺ insgesamt also ein Sturz von 72% auf 9,5% in ganzen drei Jahren“ (Köhler 1987, 331).

5.2. Die Außengrenzen des dt. Sprachraums verändern sich in frnhd. Zeit nur wenig. Die frz.-dt. Sprachgrenze im Westen bleibt stabil; in der alem.-rätoroman. Kontaktzone in Vorarlberg und im Rheintal weicht das Rom. weiter zurück, Chur, im Kern der Rätoroma-

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

nia, ist spätestens 1538 dt.-sprachig. Im Südosten hat sich gegen 1500 ein dt.-slaw. Grenzraum herausgebildet, der bis auf marginale Veränderungen bis zum 20. Jh. gilt: lediglich Klagenfurt ist noch bis zum Ende des 18. Jhs. Enklave in slowen. Gebiet. Die dt.-ungar. und die dt.-poln. Sprachgrenze im Osten bilden sich schärfer heraus, slaw. Enklaven verschwinden. Zwar wird die Ostbewegung der früheren Jahrhunderte nach 1500 noch einmal aufgenommen, führt aber in bereits dt. Gebiete und verändert den zusammenhängenden dt. Sprachraum nicht mehr wesentlich. Außerhalb werden jedoch Sprachinseln weit nach Osten hinaus gegründet, die bis in das 20. Jh. bestehen (Mitzka 1943/44, 84; Wiesinger 1983, 900ff.). 5.3. Bleibt so der Sprachraum im wesentlichen unverändert, zeigen sich im Innern Verschiebungen und Umstrukturierungen: die neuzeitlichen Territorialgrenzen prägen sich als weiterer jüngerer Gestaltungsfaktor auf die sprachlichen Raumgliederungen. Wirtschaftlichen Neuerungen wie dem Ersatz des teuren Pergaments durch Papier oder der Erfindung des Buchdrucks, gesellschaftlichem Wandel und geistesgeschichtlichen Strömungen kommt bei der Entstehung der nhd. Schriftsprache eine gewichtige Rolle zu, die Reformationsbewegung, insbesondere Luthers Bibelübersetzung hat diesen Vorgang weiter gefördert. Kt. 158.9 zeigt dabei am Beispiel der Veränderung von Druckorten und Druckzentren innerhalb eines Jhs. die Verlagerung des Schwerpunkts der sprachlich einflußreichen Zentren vom Süden in den md. Raum (Stopp 1978, 237). Der grundlegende sprachhistorische Gegensatz zwischen Hd. und Nd. bleibt auch für den Beginn des frnhd. Zeitraums gültig. Allerdings dringt das Hd. zunächst in einigen Randbereichen gegen das Nd. vor: an der westf.-frk. Grenze wechselt im 14. Jh. ein schmaler Streifen (Drolshagen⫺Remscheid⫺Ruhrort) an das Frk. über, „offensichtlich hat sich die frk.-sächs. Grenze hier der bergisch-märkischen Territorialgrenze angepaßt“ (Peters 1973, 69). Bedeutender sind die Veränderungen an der Südostgrenze. Um 1300 verläuft die md.-nd. Sprachgrenze zwischen Weser und Saale südlicher als heute: Mansfeld, Eisleben, Wittenberg, Merseburg, Halle, Bernburg, Köthen, Dessau, Reppichau und Aken gehören zum nd. Sprachraum (Peters 1973, 69). Dieser Raum gibt zwischen 1350 und 1450 seine nd. Schreibsprache, später auch seine Mundart

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auf und geht zum Md. über, der Berliner Raum richtet sich im 15./16. Jh. nach Süden auf das Md. aus, das bis in die Gegenwart weiter nach Norden vordringt. Der entscheidende sprachliche Umbruch im Frnhd., der sich in Norddeutschland im 16. Jh. anbahnt und im frühen 17. Jh. abgeschlossen ist, ist jedoch das Erlöschen der mnd. Schriftsprache durch den Schreibsprachwechsel zum Hd.: „Es hat sich dann eine ⫺ vom Süden gekommene ⫺ für Norddeutschland neue Schriftsprache durchgesetzt, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit den norddt. Mundarten ohne weiteres als überdachendes Moment auch dieser Dialekte aufgefaßt werden kann. Der schriftsprachliche Gegensatz Niederdeutsch-Hochdeutsch ist aufgehoben: Es gibt nur noch Hochdeutsch, das von diesem Augenblick an einfach Deutsch genannt werden kann“ (Goossens 1973, 19f.).

Die sprachlandschaftliche Vielfalt des spätmittelalterlichen Dt. im md. und obd. Raum nimmt nicht nur in quellensoziologisch höheren Schichten der Schriftlichkeit ab, auch mit zunehmender Verschriftlichung wächst der Abstand von der mundartlichen Basis, es entstehen überregionale schreiblandschaftliche Sprachformen, die frnhd. Gliederungen erschweren (vgl. Schützeichel 1974, 294⫺330). Je nach Textsorte werden bereits überregionale Verflechtungen wirksam: „Feste Abgrenzungen fehlen vor allem im Südosten und Osten, d. h. die Übergänge vom Bair. zum Ofrk. aber auch zum Omd. sind in vielen Fällen fließend“ (Besch 1967, 331). Zum Alem. hin ist das Bair. schärfer abgegrenzt (Kleiber 1980, 31ff.). Auf das Alem. wiederum wirken frk. Einflüsse vor allem am Oberrhein. Das Ofrk. scheint keine geschlossene Sprachlandschaft auszubilden, sondern ist durch seine Offenheit sowohl für md. wie obd. Verflechtungen gekennzeichnet. Im md. Sprachraum hebt sich das Rip. vom Mslfrk. und Hess. durch seinen Zusammenhang mit dem nfrk.-nd. Bereich ab, so daß seine „Umlagerung ins Hd. […] vielleicht das erstaunlichste Faktum der jüngeren Sprachgeschichte darstellt“ (Besch 1967, 333). Das Omd. der drei Sprachlandschaften Thür., Osächs., Schles., im frnhd. unter südlichem Einfluß aus dem Ofrk. und Bair., entwickelt sich zu einer überlandschaftlichen Form. Auf der sprachlichen Grundschicht entsteht eine Mischung in der Art kolonialer Ausgleichssprachen indes nicht. Reflexe dieser Grundschicht finden sich am ehesten noch in mundartnahen Niederschriften lokaler Vorgänge.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.9: Hochdeutsche Druckorte und Druckzentren (nach Stopp 1978. 245ff.)

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

Dazu zählen Urbare, die in kartographischer Aufbereitung in dem Historischen Südwestdt. Sprachatlas ausgewertet sind (Kleiber 1979, 9ff.). Damit erst kann das Bild sprachlicher Binnengliederung, wenn auch einstweilen nur kleinräumig, durch Grenzziehungen auf historischer Materialbasis präzisiert werden, die nicht mehr auf die historische Interpretation neuzeitlicher Befunde angewiesen sind (Kleiber 1968, 11ff.; Anderson/Goebel/Reichmann 1989, 117ff.).

6.

Neuhochdeutsch

6.1. Die nhd. Sprachperiode (17.⫺20. Jh.) bietet reichhaltiges Material für die Geschichte des schriftsprachlichen Standards, der im Verlauf auch auf die gesprochene Sprache wirkt und eine sprechsprachliche Norm, die Umgangssprache („Hochsprache“) entstehen läßt. Im Alltagsleben des 19. Jhs. herrschen aber noch die Mundarten vor, deren Formen Wenker und Wrede in ihren Fragebogenaktionen für den dt. Sprachatlas gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhs. gesammelt haben. Die heutigen standardsprachlichen Verhältnisse in der Schweiz, in Österreich und im Elsaß können hier außer Betracht bleiben. 6.2. Die Außengrenzen des dt. Sprachraums im Westen, Süden und Norden ändern sich in nhd. Zeit kaum. Im Westen bleibt die Sprachgrenze zwar unverändert, es wechselt jedoch in den frz. und belg. Grenzregionen in der Folge der Weltkriege die standardsprachliche Geltung des Dt. An der Südgrenze in der Schweiz sind die Verhältnisse stabil, lediglich das Rätorom., dessen Sprecher meist schon zweisprachig sind, scheint im Rückgang begriffen. Südtirol gehört seit dem 1. Weltkrieg zu Italien, die Sprachgrenze verschiebt sich dadurch jedoch kaum. In Österreich rückt im Süden die slow.-dt. Sprachgrenze seit der Gründung Jugoslawiens weiter auf die Landesgrenze zu. Die dt.-dän. Sprachgrenze an der Eider wandert im 18. Jh. etwas nach Norden auf die Höhe von Flensburg. Dies steht freilich in keinem Vergleich zu den Veränderungen an der Ostgrenze. Bis zum Ende des 17. Jhs. ziehen noch immer dt. und nl. Siedler nach Osten, der geschlossene Sprachraum erreicht um 1700 die Grenze, die noch im 19. Jh. gültig ist. Die entscheidenden Veränderungen vollziehen sich im Gefolge der beiden Weltkriege: nach 1919 verschieben sich durch

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den Versailler Vertrag zwar die politischen Grenzen, auf die Sprachgrenzen wirkt sich dies jedoch nur geringfügig in der dt.poln. Kontaktzone (Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Oberschlesien; dt.-sprachiger Teil der Sowjetunion) aus. Als Folge des 2. Weltkriegs verändert sich das dt. Sprachgebiet durch die Aussiedlung der dt.-sprachigen Bevölkerung aus osteuropäischen Gebieten (Sowjetunion, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien, in geringerem Maß auch aus Rumänien) beträchtlich. Im Nordosten wird die Oder-Neiße-Grenze zur neuen dt.-slaw. Sprachgrenze, ebenso verläuft die früher offene sprachliche Grenze zur CSSR jetzt an der Staatsgrenze. 6.3. Die innere Gliederung des dt. Sprachraums wird auf der Ebene der Mundarten durch den dt. Sprachatlas festgehalten, der auf Fragebogen aus über 49 000 Orten beruht, erhoben zwischen 1877 und 1888, bzw. 1926 bis 1933 (Schweiz, Südtirol, Österreich, Tschechoslowakei). Die Abgrenzungskriterien für die einzelnen Dialekträume und damit die Binnengliederung des Sprachraums bleiben jedoch problematisch (Wiesinger 1983, 807ff.). Bei Anwendung verschiedener Merkmale ergeben sich nur selten scharfe Grenzen, vielmehr fasern die Linien auf, einzelne Erscheinungen reichen jeweils in unterschiedlichem Maß in Teilräume von Nachbarmundarten, so daß Auswahl oder Gewichtung der Kriterien nötig wird. Kt. 158.10 übernimmt für das Nhd. Wiesingers auf struktureller Basis erarbeitete Gliederung (Wiesinger 1983, 807ff.). Sie zeigt deutlich, daß die ermittelten Dialekträume sich nicht scharf voneinander abgrenzen, sondern darunter eher Kerngebiete mit fliessenden Übergängen zu verstehen sind. Die Gliederung trennt zunächst großräumig in die Dialektregionen Hd. und Nd. Die weitere Differenzierung in Dialektbereiche und innerhalb dieser in Dialektverbände mit groß- und kleinräumigen Dialektgruppen ist je nach Sprachlandschaft verschieden ausgeprägt. Das Obd. konstituiert sich aus den Dialektverbänden des Alem. und Bair., die in die Dialektgruppen Niederalem., Schwäb., Mittel-, Hochund Höchstalem. bzw. Nord-, Mittel- und Südbair. untergliedert werden können. Teile des Nordbair., das Ofrk. und der Süden des Rhfrk. leiten als Interferenzdialekte zum Md. über, das in Wmd. und Omd. zu differenzieren ist. Das Wmd. umfaßt im Kern den Norden des Rhfrk., das Zentralhess. und das

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 158.10: Einteilung der dt. Dialekte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. (nach Wiesinger 1983, 830, Kt. 47.4)

Mfrk., unterteilt in Mslfrk. und Rip., sowie das Nfrk. Die Dialektverbände des Osthess. und Nordhess. sind als Interferenzdialekte stärker östlich ausgerichtet. Zum Omd. gehört schließlich das Thür. und ⫺ als Resultat der mittelalterlichen Ostsiedlung ⫺ das Obersächs. sowie die bis 1945/46 bestehenden Dialektverbände des Schles. und Hochpreuß. Aus der Umlagerung vom Nd. ins Hd. ist ferner das Nordobersächs./Südmärk. hier noch anzuschließen. Die Dialektregion des Nd. läßt sich in Wnd. und Ond. trennen. Zum Wnd. zählen die Dialektverbände des Wstfäl., Ofäl. und Nordnd. Das Ond. resultiert ebenfalls aus der mittelalterlichen Ostsiedlung und setzt sich zusammen aus den Dialektver-

bänden des Brandenburg., des Mittelpom., des Mecklb.-Vorpom. sowie des bis 1945/46 bestehenden Opom. und Niederpreuß. Die Materialbasis der Binnengliederung ist freilich zum Teil bereits über 100 Jahre alt. Neben die historischen und bevölkerungssoziologischen Veränderungen durch die Flüchtlingsströme nach dem 2. Weltkrieg treten heute verstärkt Wandlungen der Verwendung des Dialekts als regionaler Varietät, die horizontal-dialektale verblaßt hinter einer soziologisch-vertikalen Schichtung. Einflüsse der Massenkommunikation, verändertes Bildungsverhalten, Bevölkerungsbewegungen zu neuen Ballungsräumen und deren Ausstrahlung tragen ihr Teil dazu bei, daß die älteren

158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht

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kleinräumigen Mundartlandschaften in der Gegenwart weiter verschwimmen und von großflächigen Umgangssprachen überlagert werden.

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7.

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2252

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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Werner Wegstein, Würzburg

159. Die Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache 1. 2.

5. 6. 7.

Vorbemerkungen Vorangehende Ansätze zu einer überregionalen Schreibsprache Bisherige Entstehungstheorien Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache im Licht der neueren Forschung Phasen der Ausbreitung und Ausformung Von der Schriftsprache zur Standardsprache Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkungen

3. 4.

Das hier zu behandelnde Thema hat in der Germanistik früh und durchgehend Beachtung gefunden, wie es seiner Bedeutung ent-

spricht. Die frnhd. Zeit (ca. 1350⫺1650) erschöpft sich aber nicht in dem gleichsam teleologisch ausgerichteten Blick auf die Entstehung unserer Schriftsprache. Diese Zeit ist eigenständig wie andere Perioden unserer Sprachgeschichte auch, eigenständig in den Sprachstrukturen, im Zusammenspiel der Existenzformen unserer Sprache, in der Dynamik sprachlandschaftlicher Prägung und großräumigen Ausgleichs. Deshalb muß das spezielle Thema in den größeren Rahmen des Frnhd. eingebettet werden, das betrifft hier die Artikel 110⫺123, aber auch einige Folgeartikel über das 17. Jh. hinaus. Erst am Ende

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

des 18. Jhs. erlangt die Schriftsprache allmählich den Status einer Standardsprache, d. h. sie erweitert ihren Geltungsbereich über den schriftlichen Bereich hinaus in den Alltag, in die Domänen gesprochener Sprache hinein. Funktionserweiterung, Polyvalenz ist das Kriterium für Standardsprache in Abhebung von Schriftsprache. Der entsprechende Übergang wird gegen Schluß des Artikels kurz skizziert, doch soll die Entstehung und Ausformung der Schriftsprache eindeutig im Mittelpunkt der Darlegungen stehen. Die dt. Schriftsprache hat sich im Vergleich zu den Schriftsprachen benachbarter Nationen relativ spät herausgebildet. Das liegt an der plurizentrischen Struktur des dt. Sprachgebietes, womit das Fehlen eines über die Jahrhunderte hin dominierenden Zentrums politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art gemeint ist bzw. die Konkurrenz mehrerer Zentren gleichzeitig und im Ablauf der Zeit. Die plurizentrische Struktur bewirkt eine außerordentlich starke und für das Dt. typische Regionalgliederung der Sprache. Diese wiederum ist ein großes Hindernis für die Durchsetzung einer einheitlichen Schriftsprache. In der Regel vollzieht sich nämlich der schriftsprachliche Einigungsprozeß in zwei Dimensionen (s. auch die Ablaufdifferenzierung bei Mattheier, Art. 66): 1. durch Überwindung der Vorherrschaft einer fremden Schriftsprache (Lat.!), 2. durch Beseitigung der regionalen Sprachvielfalt. Der zweite Punkt hat sich als der eigentlich schwierige erwiesen, weil die regionalen Sprachvarianten durch jahrhundertelange Schreib- und Sprachtradition sehr gefestigt waren. Entsprechend kompliziert und langwierig lief der Einigungsprozeß ab. Er ist für uns heute noch nicht in allen Phasen und Details durchschaubar. Daher verwundert es nicht, daß im Laufe der Zeit nicht nur eine, sondern mehrere ‘Entstehungstheorien’ vorgelegt wurden, die sich z. T. geradezu widersprechen. Dies spiegelt teilweise den unbefriedigenden Stand der Forschung wider, aber mehr noch die Kompliziertheit der Einigungsvorgänge in einem sprachpartikularistischen Land.

2.

Vorangehende Ansätze zu einer überregionalen Schreibsprache

Deutschsprachige Texte sind seit dem 8. Jh. n. Chr. überliefert. Sie alle zeigen durch das ganze Mittelalter hindurch eine sprachland-

2253

schaftliche Prägung und damit auch eine regionale Begrenzung. Im Unterschied zur späteren Schriftsprache kommen sie über eine mittlere Reichweite nicht hinaus, sie sind rückgebunden an eine bestimmte Ausgangslandschaft, an deren Sprache und vor allem Schreibtradition. Diese Ausgangslandschaft zu verlassen, heißt übersetzen, transkribieren in die Konventionen einer anderen Landschaft, eines anderen Schreibdialekts. Wir müssen also von der grundsätzlichen territorialen Begrenztheit aller deutschsprachigen Schreibprodukte im gesamten Mittelalter ausgehen ⫺ auch noch im 15. Jh. Natürlich gab es im Mittelalter auch schon überregionale Kommunikationsnotwendigkeiten, und sie wurden mit dem Ablauf der Jhe. immer drängender. Das Lat. konnte sie aus verschiedenen Gründen nicht alle befriedigen, so daß deutschsprachige Ansätze einer territorialen Grenzüberschreitung zu erwarten waren und auch tatsächlich in Erscheinung traten. Die Ausbrüche aus der territorialen ‘Gefangenschaft’ gelangen aber nur ansatzweise und nur unter Eingrenzung auf bestimmte Zwecke (Funktiolekt) und damit auf begrenzte Gruppen, z. B. auf die Rede- und Schreibweise ritterlicher Dichter (mhd. Dichtersprache) um und nach 1200. Deren Texte sind nur ansatzweise überregional. Sie behalten eine gewisse landschaftliche Prägung. Ihrer nur mittleren Reichweite entspricht auch ein nur mittlerer Grad der sprachlichen Kodifizierung. Das alles zusammen zeigt den prinzipiellen Unterschied zur Schriftsprache. Schriftsprache, wie sie erst im 16. Jh. erreicht wird, erfordert die Selektion einer Norm über, d. h. außerhalb der einzelnen Schreibdialekte, etwas, das aus den einzelnen dt. Schreibprovinzen heraus nicht erreicht werden kann. (Zu den prinzipiellen Abgrenzungen von Schreibdialekt / Schriftsprache / Standardsprache vgl. Besch 1983, insb. 968f.). Im Blick auf das Mittelalter sind bisher in der Fachliteratur folgende Sonderformen des Ausbaus mit überregionaler Tendenz genannt worden: 1. die Karlingische Hofsprache; 2. die Mittelhochdeutsche Schriftsprache/Dichtersprache; 3. die Sprache der Hanse; 4. das Prager Kanzleideutsch Karls IV. und schließlich 5. das Gemeine Deutsch. 1. und 2. können hier ausgeklammert werden, weil sie zeitlich weitab liegen und jeweils unter Sonderbedingungen stehen (vgl. Besch 1983, 972f. und Henzen 1954, 44f. sowie die Art. 71, 96). Die Sprache der Hanse (vgl. Art. 108) ist als eine den früheren Schreibdialekten über-

2254

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

geordnete großräumige Schreibsprache in Norddeutschland und Nordeuropa auf der Basis der Lübecker Schreibsprache zu verstehen. Die Lübecker Schreibsprache ihrerseits ist eine Art Mischprodukt nordnd. und gewichtiger westlicher Sprachelemente. Sprechsprachliche Überregionalität dürfte damit nicht gekoppelt gewesen sein; das ist unter den damaligen Gegebenheiten prinzipiell nicht möglich. Für eine gewisse schriftliche Überregionalität mit einem allerdings nur mittleren sprachlichen Kodifizierungsgrad ist das Hanse-Deutsch ein gutes Beispiel. Es geht um 1600 unter, verdrängt von der nhd. Schriftsprache, für die es von der Sprachbasis her fremd war, so daß es in die weiteren Ausgleichsvorgänge nicht einbezogen werden konnte. So blieb der hansesprachliche Ausgleich zeitlich und räumlich in seinen Begrenzungen verhaftet und ohne Anschluß an die Zukunftsentwicklung. Das Prager Kanzleideutsch Karls IV. führt uns in das 14. Jh. Für Burdach war es in Verbindung mit den humanistischen Strömungen am dortigen Hof Ausgangspunkt und Grundlage der nhd. Schriftsprache. In der Tat zeigen die Kanzleitexte ein erstaunliches Maß an sprachlicher Überregionalität, vor allem in Form einer Addition unterschiedlicher Landschaftsvarianten. Genauere Einsichten verdanken wir der Arbeit von L. E. Schmitt (1936), sowohl hinsichtlich der sprachlichen Formen als auch der Herkunft des Kanzleipersonals. Sein Bestreben ging allerdings vornehmlich dahin, die Unabhängigkeit der Wettinischen von der Prager Kanzlei nachzuweisen. So erkennt er zwar die unbestrittene Sonderstellung Prags bezüglich der schreibsprachlichen Mischungs- und Ausgleichsverhältnisse, er kann sie aber auf dem Forschungshintergrund der 30er Jahre (Siedlermundarten, sprechsprachlicher Ausgleich, Wettinische Lande) nicht gebührend würdigen und glaubt, die schreibsprachliche Sonderstellung Prags mit dem Hinweis auf die landschaftsheterogene Zusammensetzung des Kanzleipersonals abtun zu können. Heute können wir den Vorgang wohl besser verstehen; man vgl. die instruktive Darstellung von Wiesinger (1978) sowie Besch (1967, 358f.). Prag ist natürlich nicht die ‘Wiege’ der dt. Schriftsprache. Aber die Kanzlei Karls IV. darf als ein instruktives Beispiel schreibsprachlicher Ausgleichsvorgänge gegen Ende des Mittelalters gelten, wobei gesehen werden muß, daß auch das addierende Verfahren, d. h. die Zusammenführung korrespondie-

render Regionalvarianten, eine notwendige Vorstufe des Ausgleichs sein kann und vielfach auch war. Im weiteren historischen Ablauf tritt dann Prag wieder in den Schatten. Was dort geschah, begünstigt durch die geographisch gute Vermittlerposition zwischen Ober- und Mitteldeutschland, geschah vielleicht zu früh und etwas zu abseits. Die zukunftsträchtigen schreibsprachlichen Raumbildungen und Ausgleichsvorgänge vollziehen sich vielmehr 100 bis 150 Jahre später innerhalb des kursächsisch-wettinischen und österreichisch-habsburgischen Einflußbereichs. Das Gemeine Deutsch ist in seiner Existenz und Bedeutung bis heute umstritten (vgl. Besch 1983, 974f.). Die bisherigen Erstbelege von 1384 (in gemeinen teusche) und 1464 (schlechten gemainen teücz) sind wohl eher stilistisch im Sinne von ‘gewöhnlich, nicht herausgehoben (vulgaris)’ zu verstehen als im Sinne von ‘allgemein, weit verbreitet, überregional’. Bei einer Anzahl von weiteren Belegen leistet der Kontext aber nicht die über alle Zweifel erhabene Deutungshilfe. Das mag die Erklärung dafür sein, daß in der Sekundärliteratur teils die überregionale Komponente, teils die stilistische favorisiert wird (vgl. Werbow 1963, dort auch ältere Literatur). Überregional meint in diesem Zusammenhang eine über den Dialekten stehende Schreibsprache im hd. Raum bzw. spezieller im donauländischen Gebiet und konkret bezogen auf das ausgehende Mittelalter und die frühe Neuzeit. Haben wir es neben der Hanse-Sprache im Norden parallel und ansatzweise mit einer Schreib-Koine des Südens zu tun? Ist eventuell Luthers Äußerung über die von ihm verwendete Sprachform (Ich rede nach der Sechsischen cantzley […], WA Tischreden, Bd. 2, Nr. 2758 b; bzw. die Aurifaber-Fassung Bd. 1, 524f.) ein Hinweis auf die ihm so dienliche Zusammenführung der kaiserlichen und der wettinischen Kanzlei-Schreibtraditionen mit dem Ergebnis einer südostdt.-ostmitteldt. Überregionalität des Schreibusus, auf der er weiterbauen kann? Werbow (1963, 54f.) zögert, die Stelle so zu verstehen. Neuere Untersuchungen erhärten aber den Eindruck, daß Luther eine Art oobd.-omd. Ausgleich der Schreibsprachen gemeint hat und z. T. auch wirklich vorfand. Man vgl. insbes. die Untersuchung von Hans Moser 1977, Zsf. 283f.; Art. 119; auch Tennant 1981; Besch 1967, 348f.; Mattheier 1991; für ältere Hinweise L. E. Schmitt 1944, 105; Henzen 1954, 89; u. mit der These einer Schriftlautung M. Luthers v. Polenz 1990.

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

Die Beobachtung geschichtlicher Abläufe lehrt, daß epochale Neuerungen nicht kometenhaft aus dem Nichts kommen, sondern in der Regel Vorlaufstadien haben. Hier wurden drei genannt, wenn auch mit unterschiedlicher Sicherheit der historisch zutreffenden Einschätzung. Es sind mehr oder weniger weitgehende Schritte in den Bereich einer überregionalen Schreibsprache. Zu einem wirklichen Durchbruch haben sie alle nicht geführt. Warum das so kam und warum erst im 16. Jh. unter bestimmten Umständen der nhd. Schriftsprachetypus entstand, ist eine faszinierend-beunruhigende Frage. Zutreffende Antworten setzen Analysen voraus, die den Geltungsbereich solcher Sprachformen betreffen, ebenso wie die geographische Lage, das politische Gewicht und das wirtschaftlich-kulturelle Prestige der jeweiligen Region.

3.

2255

Bisherige Entstehungstheorien

Es sind im wesentlichen drei Erklärungsmodelle zu nennen, die im Lauf der Zeit vorgebracht worden sind. Ihre Beschreibung kann hier nur in grober Skizzierung erfolgen. 3.1. Karl Müllenhoff entwickelte 1863 (S. XXXf.) die ‘Theorie’ von der Kontinuität der Schriftsprache seit ahd. Zeit. Er nimmt eine kontinuierliche Entwicklung vom 9.⫺16. Jh. an, gebunden hauptsächlich an die kaiserlichen Machtzentren, darstellbar in 5 Etappen, wie sie auf der beigefügten Karte 159.1 zur raschen Information schematisierend eingetragen sind. Nach Müllenhoff geht der früheste Versuch, eine Sprache zu schaffen, die über den Mundarten steht, auf Karl den Großen und seinen Hof zurück. Es bildet sich

Karte 159.1: Die Theorie von der Kontinuität der Schriftsprache seit althochdeutscher Zeit (nach Müllenhoff 1863)

2256

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

nach 800 eine karlingische Hofsprache heraus, die auch auf die schriftlichen Denkmäler der Zeit Einfluß hat. Grundlage für diese Sprache ist das Mainfränkische, das durch seine Mittellage gut vermitteln kann zwischen dem Norden und dem Süden (vgl. Karte 159.1, 1. Kreis). Die 2. Etappe ist die mhd. Sie hat ihren Schwerpunkt mehr im Südwesten (2. Kreis), baut aber auf den Grundlagen der karlingischen Hofsprache auf, wenn auch mit gewissen Veränderungen. Das heißt, die staufischen Kaiser des 12. und 13. Jhs. schaffen keinen neuen Sprachtypus, sondern stehen gewissermaßen in einer Tradition. Damit fassen wir einen Hauptgedanken Müllenhoffs, nämlich daß sich die Gemeinsprache von Kaiserhaus zu Kaiserhaus weiter tradiert bis zum Beginn der Neuzeit. Der kaiserliche Hof und die kaiserliche Kanzlei sind die tragenden Elemente, es geht also sowohl um gesprochene als auch geschriebene Sprache. Als 3. Etappe nennt er Prag. Hof und Kanzlei der Luxemburger werden im 14. Jh. Vermittlungszentrum zwischen Mitteldeutschland und Süddeutschland. Es nimmt zwei sprachliche Neuerungen auf, die für die neue Schriftsprache charakteristisch sind, nämlich die mitteldt. Monophthongierung und die süddt. Diphthongierung. Schließlich folgt als 4. Etappe das habsburgische Wien, das mit Prag in wechselseitigem Einfluß steht. Um die Wende des 15./16. Jhs. kommt es zu einer intensiven schreibsprachlichen Annäherung der habsburgischen und der sächsischen Kanzlei. Damit ist das letzte und entscheidende Stadium erreicht: Martin Luther schreibt nach der sächs. Kanzlei und setzt somit diese Sprache in allen dt. Landen durch. Die lange kontinuierliche Entwicklung findet ihren Abschluß. Am Anfang der dt. Schriftsprache steht Karl der Große, am Schluß Martin Luther als ihr Vollender, das ist die These von Müllenhoff. Dieses Erklärungsmodell ist letztlich nicht akzeptiert worden. Dem Kontinuitätsgedanken steht die plurizentrische Struktur der deutschsprachigen Lande stark entgegen. Zudem beurteilt die jüngere Forschung die Möglichkeiten schriftsprachlicher Einigung unter den Bedingungen des Mittelalters sehr skeptisch und schätzt daher auch den Kontinuitätsgedanken, der die Anfänge einer überregionalen Schriftsprache bis in das 9. Jh. zurückverlegt, entsprechend negativ ein. 3.2. Gegen 1900 wird ein anderes Erklärungsmodell propagiert, vertreten von Konrad

Burdach (1884). Den Kontinuitätsgedanken lehnt er ab, denn für ihn ist unsere Schriftsprache eine neue Schöpfung, unter einmaligen kulturellen Umständen entstanden (vgl. Karte 159.2). Diese Umstände finden sich im kaiserlichen Prag in der Zeit nach 1350. Zwei Faktoren spielen seiner Ansicht nach die entscheidende Rolle: der Frühhumanismus und die kaiserliche Kanzlei, die in enger Wechselwirkung stehen. Am Hof Kaiser Karls IV. (1346⫺78) versammeln sich Literaten und Gelehrte. Dieser Kreis hat intensive Beziehungen zu den Humanisten in Italien; bedeutende Italiener kommen nach Prag, so etwa Petrarca und Cola di Rienzo. Sie vermitteln vielfältige kulturelle Anregungen, vor allem ein reges Interesse an der Sprache, vornehmlich am Lat., dann aber auch an der Muttersprache. Der Kanzler des Kaisers, Johann von Neumarkt, gehört zu diesem Kreis. Er nimmt Einfluß auf die kaiserliche Kanzleisprache und verbessert sowohl die lat. als auch die dt. Urkundenformulare und Stilmuster. Er und seine Beamten regulieren die Schreibvielfalt der dt. Kanzleisprache (angeregt vom lat. Vorbild) und schaffen somit gewisse Grundlagen für die neue Schriftsprache, wie Burdach meint, zunächst einmal im lautlichen (Einführung der Diphthonge), dann im morphologischen Bereich durch einen gewissen Ausgleich der Flexionsformen, vor allem aber in Syntax und Stil. Burdachs Forschungen betreffen vor allem die Syntax und den Stil. Hier wird nach seiner Meinung der Einfluß der lat. Kunstprosa besonders greifbar, etwa in der rationalen Durchgliederung der Satzgefüge und in der gehobenen Ausdrucksweise, die die Kunstmittel der Rhetorik verraten. Damit erweise sich das humanistische Kanzleideutsch in Prag als eine Sprache der Bildung und des höheren Lebens und könne die Funktion einer Schrift- und Kultursprache übernehmen. Es liege keine bestimmte Mundart zugrunde, denn eine Mundart könne sich kaum zu einer Kultursprache erheben. Die nhd. Schriftsprache sei also eine Schöpfung der Gebildeten, und ihre Wiege stehe in Prag am Hofe und in der Kanzlei Karls IV. Alle bedeutenden Kanzleien geraten unter ihren Einfluß, auch die kursächsische und von da wiederum Martin Luther. Burdachs Ansatz kann heute zutreffender gewürdigt werden, als dies von Frings und Schwarz in den 30er Jahren geschehen ist. Er hat sicher richtig erkannt, daß eine Kultursprache nicht ohne weiteres aus einer Mund-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

2257

Karte 159.2: Die neuhochdeutsche Schriftsprache als Werk der Humanisten in Prag (14. Jh., zweite Hälfte). Theorie von K. Burdach

art hervorgehen kann. Diese Feststellung ist wichtig vor allem hinsichtlich des dritten noch folgenden Erklärungsmodells von Theodor Frings. Richtig ist auch, wie wir jetzt durch genaue Untersuchungen wissen (vgl. die Lit. in Abschnitt 2), daß sich in der Kanzlei Karls IV. ein beachtlicher schreibsprachlicher Ausgleich vollzog, der schon in einer Reihe von Fällen auf die nhd. Schriftsprache hin tendiert. Das Prager Mischungsergebnis bleibt aber ein Vorspiel im Blick auf die schriftsprachliche Einigung knapp zweihundert Jahre später. Das ist es, aber mehr auch nicht (vgl. Wiesinger 1978). Burdach hat die Einheitlichkeit des Prager Kanzleideutsch weit überschätzt, wie auch den prägenden Anteil der Humanisten. Die nhd. Schriftsprache ist das Produkt eines Ausgleichs mehrerer Schreiblandschaften, nicht das Werk einiger gelehrter Humanisten, geschaffen in der Kanzleistube. Überhaupt muß

man feststellen, daß seit Burdach, aber auch schon vorher, die meisten Untersuchungen auf die Kanzleien ausgerichtet waren. Das hat seine Berechtigung vor allem im Blick auf die orthographischen und morphologischen Entwicklungen bis zum Beginn des 16. Jhs. (vgl. Art. 119). Insofern liefert eine Reihe von Untersuchungen auch aus jüngerer Zeit zu einzelnen Kanzleiorten, bevorzugt im Omd., wertvolle Bausteine zur Entstehungsgeschichte der Schriftsprache. Andererseits gilt auch, daß Kanzleisprache im Blick auf Wortschatz und Syntax/Stil Fachsprache ist. Hier ist die Führungsrolle begrenzt. Es bedarf für den Ausgleich einer breiteren schreibsprachlichen Grundlage, früher schon und vor allem dann ab dem 16. Jh., in dem der Buchdruck zunehmend die Führungsrolle übernimmt. 3.3. Theodor Frings (1936a) entwickelt eine Konzeption, die zunächst sehr bestechend

2258

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 159.3: Die neuhochdeutsche Schriftsprache als gesprochene Ausgleichssprache im ostmitteldeutschen Siedlungsgebiet (Theorie v. Th. Frings)

und überzeugend wirkt: Im 11.⫺13. Jh. wird ein Gebiet im md. Osten kolonisiert. Es handelt sich um Obersachsen und Schlesien. Die Besiedlung erfolgt von drei Seiten her: vom Norden, vom Westen und vom Süden. Es treffen sich also Mundartsprecher (Bauern, Handwerker) aus drei großen Sprachgebieten in einem Raum. Dort müssen sie zusammenleben und sich auch sprachlich verständigen. Das Ergebnis ist für Frings eine koloniale Ausgleichssprache, die alle Siedler verbindet (vgl. auch Schwarz 1936). Sie setzt sich vor allem in Obersachsen im 12. und 13. Jh. durch (vgl. Karte 159.3). Mit dieser gesprochenen Ausgleichssprache der Siedler sei die Grundlage der nhd. Schriftsprache bereits geschaffen, lange vor dem Humanismus in Prag, lange vor Luther. Obersachsen wird die Modellandschaft für die sprachliche Einigung der Deutschen. Es führe ein klarer,

überschaubarer Weg von der Sprache der Siedler zur Sprache der Schreiber, zu Luther und zur nhd. Schriftsprache. Der Weg sei von unten nach oben gegangen, nicht umgekehrt. Ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung wirken dann auch die Schreibtraditionen des Südens und Westens auf die Ausgleichssprache ein (vgl. Frings 1944). Die kritischen Einwände der jüngeren Forschung gegenüber der Frings-These werden im Abschnitt 4 dargelegt. Sie beziehen sich vor allem auf die Streitfrage, ob am Anfang der überregionalen Sprachentwicklung ein sprechsprachlicher Ausgleich steht und wie gegebenenfalls ein sprechsprachlicher Ausgleich zu so früher Zeit nachweisbar sei. Eine dialektgeographische Rückführung von Mundartgegebenheiten des ausgehenden 19. Jhs. (Material des Deutschen Sprachatlas) in das 11.⫺13. Jh. ist methodisch nicht zulässig.

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

2259

3.4. Der Rückblick auf die bisherigen Erklärungsmodelle führt zu einigen Folgerungen und Fragen, die schon in Zusammenhang mit dem folgenden Abschnitt stehen.

4.

(1) Alle Theorien setzen zeitlich sehr früh an (Müllenhoff, Frings, Burdach). Es ist zu prüfen, ob dies den historischen Vorgängen entspricht, ob das entscheidende Stadium nicht später liegt, etwa zu Beginn des 16. Jhs. (2) Alle drei Theorien heben unterschiedliche Orte oder Landschaften als dominierend hervor. Der Widerstreit bedeutet natürlich eine Relativierung der jeweils postulierten Positionen. Es ist zu prüfen, ob die plurizentrische Struktur des dt. Sprachgebiets überhaupt das Denkmodell einer ‘punktuellen’ Entstehung mit folgender Ausstrahlung zuläßt, oder ob nicht vielmehr breit angelegte Ausgleichsvorgänge zwischen bestimmten Schreibsprachen die Grundlage bilden. (3) Von ganz entscheidender Bedeutung ist, ob man an den Anfang einen primär sprechsprachlichen oder schreibsprachlichen Ausgleich setzt. Frings (1936 b) geht davon aus, „daß das neue Deutsch im Munde der Siedler vorgeformt war und gesprochen wurde, lange bevor es in die Schreibstuben einzog und sich dort endgültig festigte. Wir dürfen den Finger darauf legen, daß die Prager [⫽ Ernst Schwarz; Einfügung v. W. Besch] und Leipziger Forschung nach jahrelanger Arbeit, die vom Gelände und von der Volkssprache, nicht von den Buchstaben ausgeht, zu dem gleichen Ergebnis gelangt ist.“ Er stimmt dem Satz von E. Schwarz zu: „Die Volkssprache hat die Kanzlei erobert, nicht umgekehrt.“ (Deutsche Literaturzeitung 1936, Heft 17, S. 708). Es ist zu prüfen, ob ein sprechsprachlicher Ausgleich so früh und in diesem Umfang bei den damaligen Gegebenheiten überhaupt möglich war. Direkte Nachweise gibt es nicht. Die Schrift reicht weiter als die gesprochene Sprache. Schrifteinigung geht in der Regel einer Sprach-(Sprech-)einigung voraus. Folgerung: man muß Schriftzeugnisse untersuchen; Quellen für die wirklich gesprochene Sprache der damaligen Zeit besitzen wir ja nicht. (4) Wenn die Untersuchungen von Schriftzeugnissen wieder unbestritten Vorrang hat, dann darf sie sich nicht allein auf den Kanzleibereich beziehen, dessen Wichtigkeit in keiner Weise bestritten wird, der aber doch gewissen Begrenzungen unterliegt (vgl. 3.2.). (5) Schließlich ist eine wichtige Frage noch nicht genügend erhellt: Welche Rolle spielt Martin Luther bei der Entstehung der Schriftsprache? In allen drei Erklärungsmodellen wird ihm eine Rolle zugedacht, wenn auch eher die Rolle des glücklichen Erben und dann des Verbreiters. Welche Sprache benutzt er? Welchen Grad von Ausgleich besitzt sie? Wird sie im Verlauf der Tätigkeit Luthers von ihm verändert? Wie sind die Auswirkungen?

Die neuere Forschung hat sich mit Beginn der 1960er Jahre intensiviert. Es ist im Rahmen eines Handbuchartikels nicht möglich, auf alle Arbeiten einzugehen, die unsere Kenntnis der Entstehungsvorgänge insgesamt gefördert haben. Hier kann es sich nur um Darstellung von Haupttendenzen der neueren Forschung handeln. Diese laufen, vorab gesagt, darauf hinaus, den zeitlichen Ansatz der Entstehung unserer Schriftsprache später zu legen, von der These einer sprechsprachlichen Grundlage eher Abstand zu nehmen, ebenso von der Vorstellung eines prädestinierten Ausgangsortes bzw. einer prädestinierten Modellandschaft (⫽ ‘Wiege’ der nhd. Schriftsprache). Das gibt Raum für vergleichende Untersuchungen verschiedener Schreiblandschaften im 15. und 16. Jh. Es kristallisieren sich allmählich gut erkennbare Regularitäten des schreibsprachlichen Ausgleichs zur Schriftsprache hin heraus. In diesem Rahmen läßt sich auch die Rolle Luthers genauer festlegen, als das bisher möglich war. Schließlich zeichnen sich methodische Forderungen ab, die dazu verhelfen können, künftige Untersuchungen gezielter anzusetzen und aussagekräftiger zu machen. Ohne Zweifel ist noch viel zu tun. Die binnensprachliche Differenzierung des Deutschen, sowohl horizontal wie auch vertikal, und die Fülle der Textsorten und Texte machen eine weitgreifende Bestandsaufnahme der damaligen Schreibwirklichkeit erforderlich.

Im folgenden Abschnitt werden diese Fragen wieder aufgegriffen und entsprechend dem Stand der Forschung beantwortet werden.

Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache im Licht der neueren Forschung

4.1. Der zeitliche Ansatz Müllenhoff geht letztlich bis in das 9. Jh. zurück, andere Ansätze betreffen das 11.⫺14. Jh. (vgl. Besch 1967, 350f.). Alles hängt davon ab, was man genau unter ‘Entstehung’ verstehen will. Rechnet man dazu einzelne Sprachphänomene, die früh greifbar sind und später zum Bestand der neuen Schriftsprache gehören, etwa die neuen Diphthonge (ıˆ ⬎ ei, etc.), so kommt man für dieses Beispiel in das 12. Jh. zurück. Darf man, um in eine etwas größere Kategorie zu gehen, die zweifellos im Spätmittelalter schon zu beobachtenden Annäherungsprodukte in Teilbereichen der Orthographie und Morphologie als Entstehungssignal nehmen? H. Bach (1955, 194) unterscheidet zwischen ‘Voraussetzungen’ und ‘Entstehung’. ‘Entstehung’ wird für die

2260

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

maßgebliche Grundlegung der Schriftsprache in der ersten Hälfte des 16. Jhs. reserviert. Einzelausprägungen der neuen Schriftsprache, die sich schon weit früher finden, haben für sich genommen keine Beweiskraft. Natürlich finden sich gewisse Entwicklungslinien auf eine übergreifende Schreibsprache hin schon vor dem 16. Jh. angelegt. Luther konnte davon profitieren. Aber erst in seiner Zeit und z. T. durch ihn werden gewisse Umrisse festgelegt. Für H. Bach (1955, 195) liegt bezüglich Thüringen/Obersachsen bis zur Reformation kein hinreichender Grund vor, weshalb diese Landschaft das Modell zur nhd. Hochsprache abgeben sollte. Besch (1967, 351) zieht folgendes Resümee aus seinen Untersuchungen: „Man kann vor Luther schlechterdings nicht von nhd. Schriftsprache oder vom nhd. Sprachtypus reden; denn erst durch ihn entscheidet es sich, welche gemeinsprachlichen Tendenzen der Zeit und in welcher Kombination sie zum Zuge kommen. Das heißt, daß Arbeiten, die auf frühere Zeiträume zielen, immer nur Teilvoraussetzungen klären, Vorformungen bestimmter Einzelzüge unserer Schriftsprache eruieren können, nicht diese selbst […]“

Kenner des Frnhd., hatte große Bedenken gegen die Festlegung auf einen Mundartausgleich. Er hielt es für einen schweren Fehler, unsere Einheitssprache allzusehr von der Mundart aus zu beurteilen, denn schon in vorlutherischer Zeit, wie auch bei Luther selbst, handle es sich zweifelsohne in erster Linie um einen schriftsprachlichen Angleichungsprozeß (ZMF 13, 1937, 41). Auch A. Schirokauer (Aufriß, Bd. I, 1952, Sp. 1039 u. 1038) äußert sich kritisch in der gleichen Richtung. Zu dem Vorwurf von H. Kuhn (AfdA 65, 1951/52, 62f.), daß es nicht angehe, die Bilder der modernen Mundartkarten auf alte Zeiten zu übertragen, hat sich Frings selbst geäußert (1955, 403f.; 1956, Bd. III, 6, Anm. 2). Für weitere Literaturhinweise auf Stellungnahmen aus den 60er Jahren vgl. Besch (1967, 352f.). Hervorzuheben sind die Feststellungen Schützeichels (1960, 123f.) im Zusammenhang seiner Untersuchung mittelrhein. Urkunden. Er sieht keine Möglichkeit, einer der md. Landschaften bis zur Reformation besonderen Vorrang einzuräumen. Md.obd. Sprachausgleich finde sich auch im Westen.

Es ist hier nicht auf Luther als Sprachschöpfer abgestellt, sondern auf die Tatsache, daß seine in die Entwicklung eingebundene Sprachwahl fürderhin dominant wird und andere Ansätze von Gemeinsprachlichkeit nicht mehr zuläßt.

„Die Betrachtung der mundartlichen Verhältnisse allein kann mithin ⫺ weder hier, noch im Gesamtgebiet der mitteldeutschen Prozesse dieser Jahrhunderte ⫺ zu einer befriedigenden Erklärung der Vorgänge ausreichen.“ (Man vgl. auch Schützeichel 1967, 86f. und sein kritisches Resümee S. 91f.).

4.2. Volkssprachlicher Ausgleich/ schreibsprachlicher Ausgleich? Diese Frage ist von weitreichender methodischer Konsequenz. Hält man am Gedanken eines volkssprachlichen Ausgleichs auf Mundartebene (vgl. 3.3.) als Grundlage der omd. Schreibsprache und späteren Schriftsprache fest, so ist das eine klare Festlegung auf den omd. Raum, der allein die optimalen Bedingungen für eine derartige Ausgleichssprache zu bieten vermöchte. Sieht man die Entwicklung jedoch als schreibsprachlichen Ausgleichsprozeß, dann öffnet sich das Feld, es gibt nicht mehr nur die bzw. eine einzige Ausgangslandschaft, sondern die Verpflichtung, die Schriftlichkeit mehrerer Landschaften ausreichend zu prüfen. In dem einen Fall: Konzentration der Forschungsarbeiten auf das Omd., im anderen Fall auf weitere Gebiete. Die neuere Forschung tendiert stark zur Annahme eines Ausgleichs auf der Schreibebene, also zur zweiten, hier skizzierten Möglichkeit. Schon Virgil Moser, einer der besten

Es ist zweifelsohne die Schriftlichkeit heranzuziehen. Der Übergang von den Siedlermundarten (bzw. der kolonialen Ausgleichssprache) zu der darüber liegenden Schicht der gesprochenen und geschriebenen Verkehrssprache ist in der Argumentation von Frings jedoch nicht ausreichend problematisiert. Es können hier die Einwände nur stichwortartig vermerkt werden, sie sind ausführlicher und im Zusammenhang dargetan von Besch (1967, 356f.). Der Übergang vom Gesprochenen zum Geschriebenen wird zu schematisch gesehen. Schreibsprache ist in der Regel keineswegs eine Abbildung gesprochener Sprache. Sie hat eigene Verflechtungen in Raum und Zeit, wenn auch nie in völliger Lösung von der sprechsprachlichen Basis. Die eigentliche Volkssprache ist am ehesten noch bei der Formung der landschaftlichen Schreibdialekte beteiligt, und da auch nur sehr mittelbar, wie man weiß (vgl. Besch 1983, 968f.). Mundart und Schreibsprache treten im Spätmittelalter immer mehr auseinander, der Prozeß überlandschaftlicher Angleichung scheint

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

sich mehr und mehr eigengesetzlich und hauptsächlich in der Schriftlichkeit zu vollziehen. Diese Feststellung schließt eine gewisse Einwirkung gesprochener Sprache nicht aus. Es wird sich dabei am ehesten um die Umgangssprache der oberen Schichten handeln, wie Hugo Moser (1955, 15 u. 1969, 143) mit aller Vorsicht annimmt. Erben (1968, 410) legt die Ebene nicht ausdrücklich fest, wenn er vorschlägt: „[…] von einem bestimmten Punkt an eine Wechselwirkung zwischen Sprech- und Schreibsprache anzunehmen und eine mehr oder minder starke Verankerung beider in der jeweiligen Sprachlandschaft, die auch durch die gleichfalls wahrscheinliche Wechselwirkung zwischen den großen Sprachlandschaften (bewirkt durch: Geschäftsverkehr, Korrespondenz sowie die Mobilität der Handwerker, Kaufleute, Studenten, Schreiber, Drucker, Schulmeister, Prediger u. a.) zunächst noch nicht völlig gelöst wird. Auch diese überlandschaftliche Wechselwirkung hat sich zweifellos nicht nur auf der Ebene der Schrift vollzogen.“

Man kann diesen Formulierungen im wesentlichen zustimmen, weil sie der Sprachrealität der damaligen Zeit nahezukommen scheinen, selbst wenn der sprechsprachliche Anteil im einzelnen nicht nachweisbar ist. Die hier angenommene Wechselwirkung ist demnach von zweifacher Art: jeweils Einwirkung der Sprechsprache auf die Schreibsprache und umgekehrt, und das jeweils landschaftlich und überlandschaftlich. Wenn man nun weiß, wie stark offensichtlich die omd. Schreibsprache des 14. und 15. Jhs. unter obd. Einfluß steht, dann wird auch hier die ganze Komplexität des Vorgangs deutlich, es sei denn, man leite alle obd. Elemente in omd. Texten aus der Sprechsprache ab. Außerdem sind Wechselwirkungen der geschilderten Art innerhalb einer Sprachlandschaft und zwischen den großen Sprachlandschaften in einem relevanten Umfang eher spät als früh zu erwarten, also eher in der Umbruchszeit des 15./16. Jhs., auf die ja die Beispiele Erbens im wesentlichen hinführen. Weder das Faktum der Wechselwirkung, worin ja der Einfluß rein schreibsprachlicher Verflechtungen enthalten ist, wie auch der Zeitpunkt, von dem man dabei realistischerweise ausgehen kann, scheinen ohne weiteres mit der Auffassung von Frings, daß das neue Dt. von den Ostsiedlern vorgeformt und gesprochen wurde, lange bevor es seit dem 13. Jh. in die Schreibstube einzog, in Einklang zu bringen zu sein (Zs.f. Geisteswiss. 1, 1938/39, 208). Die Frings-These hat sich mit dieser extremen

2261

Herleitung gegen die Burdach-These profiliert. Der Unterschied des Zugriffs, nämlich das Ausgehen „vom Gelände und von der Volkssprache, nicht von dem Buchstaben“ (Bd. III, 1956, 172), wurde programmatisch herausgehoben. So fand die These Eingang in die Handbücher. Der heutige Forschungsstand erlaubt es wohl, diesen Zugriff als nicht angemessen zu bezeichnen, sowohl methodisch wie faktisch. Die Arbeit im ‘Gelände’ hat keineswegs den Nachweis eines relevanten Mundartausgleichs im Omd. gebracht (vgl. Besch 1967, 355f.). Spätere Äußerungen von Frings berücksichtigen in immer stärkerem Maße die schreibsprachlichen Verflechtungen mit dem Süden und z. T. mit dem Westen. Schließlich kommt er zu Einsichten und Formulierungen bezüglich der Herausbildung der nhd. Schriftsprache, die unserer heutigen Kenntnis nach ganz nahe an die historische Wirklichkeit herankommen (vgl. etwa Frings 1944, 77 und 1956, Bd. III, 23f.). Es bleibt eigentlich nur ein Punkt strittig, wie schon ˚ sdahl Holmberg (Studia Neophilologica M. A 42, 1970, 290) zutreffend feststellt, nämlich ‘die Priorität’ des Omd., und zwar die von Frings postulierte durchgängige Priorität vom 11. bis zum 16. Jh. Nach H. Bach (1955, 195) liegt bezüglich Thüringens und Obersachsens bis zur Reformation „[…] kein hinreichender grund vor, weshalb diese landschaft das modell zur nhd. hochsprache abgeben sollte.“ Er führt bedenkenswerte Gründe für seine Aussage an und wehrt sich gegen die kulturelle Überprofilierung dieser Gebiete durch Frings und Schmitt. Stopp (1976, 64f.) prüft die von Frings genannten ‘wesentlichen Stücke’ der neudeutschen Schrift- und Hochsprache, die in der gesprochenen Sprache des Volkes im md./omd. Gebiet nebeneinander liegen und stellt fest, daß das schreibsprachliche Geltungsareal dieser Formen am Ende des 15./Anfang des 16. Jhs. entschieden größer war als das mundartliche. „An all dem zeigt sich eben, daß die neuhochdeutsche Schriftsprache mit keiner hochdeutschen Teilmundart ‘übereinstimmt’ ⫺ wobei Übereinstimmung so zu verstehen wäre, daß diese neuhochdeutsche Schriftsprache als die auch nur relativ geradlinige Fortsetzung oder fortentwickelte Entsprechung einer dieser Mundarten gelten könnte.“ (67).

Erben (1974, 511f.) hingegen hält an der Vorrangstellung des omd. Raumes seit der Ausbildung einer kolonialen Ausgleichssprache im 12./13. Jh. fest. Man kann heute davon ausgehen, daß sich in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. allmählich

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

eine omd.-oobd. Schreiballianz formt. Sie mag begünstigt sein durch sprechsprachliche Elemente im Zusammenhang mit einer wachsenden Mobilität, möglicherweise auch durch die historisch bedingte ‘Offenheit’ des omd. Raumes. Durch die Geschehnisse der Reformation erlangt dann dieser Raum eine unbestrittene sprachliche Priorität auf der Basis jener Schreiballianz, die durch Luther offensichtlich noch weiter gefördert wird. Das ist eine plausible und in vielen Punkten nachzuweisende Rahmenerklärung der entscheidenden schriftsprachlichen Vorgänge zu Beginn des 16. Jhs. Weitere Detail-Forschung ist nötig, diesen Rahmen zu füllen oder auch zu verändern. Es mag dahingestellt sein, ob man darüber hinaus den Rückgriff auf die Bauernsprache des 12./13. Jhs. noch braucht, ebenso die Annahme einer ungebrochen langen Kontinuität der Entwicklung in einem prädestinierten Gebiet, verbunden mit einer kulturellen Überprofilierung dieses Raumes und einer entsprechenden Degradierung des Altlandes. 4.3. Regularitäten bei den schreibsprachlichen Ausgleichsvorgängen im Frühneuhochdeutschen Die Feststellung solcher Regularitäten, die angenommen werden dürfen und sicherlich auch existierten, ist stark abhängig von Sprachuntersuchungen auf großer Fläche (vgl. Ising 1968, I, 135). Solche aber wurden erst in jüngerer Zeit vermehrt unternommen. Insofern ist es nicht erstaunlich, daß gewisse Gesetzlichkeiten in Auswahl und Abbau schreibsprachlicher Landschaftsvarianten erst so spät und vorerst nur in groben Umrissen zutage treten. Die Frage nach den Selektionsprinzipien ist zwar alt, sie war aber bei der eher punktuellen bzw. kleinräumigen Ansatzweise früherer Studien nicht beantwortbar. So hat z. B. F. Maurer schon 1951 die Frage nach dem ‘Wie’ und ‘Warum’ der Auswahlvorgänge bei der Entstehung der nhd. Schriftsprache gestellt. „Wie ist jene eigenartige Mischung von oberdeutschen und mitteldeutschen Elementen zustande gekommen, die sie kennzeichnet?“ (1951/52, Wiederabdruck 1963, 332). Die Frage zielt darauf hin, „[…] warum in jener Mischsprache das eine Mal diese, das andere Mal jene Form, das heißt hier Oberdeutsches, dort Mitteldeutsches, ausgeschieden oder allgemein angenommen worden ist.“ (1963, 332) „Beruhen die Entscheidungen zwischen den beiden (oder mehr?) Möglichkeiten auf dem ‘Zufall’?

Das wird man kaum annehmen wollen. Gab es also irgendeine Norm, nach der man sich richtete und der man nahekommen wollte? Und wenn ja, wo ist diese Norm zu suchen?“ (1963, 334). Maurer kann noch keine Einzelantworten geben; das ist auf Grund der jüngeren Forschung eher möglich. Als Regulatoren der schreibsprachlichen Ausgleichsprozesse scheinen sich vorerst folgende Prinzipien abzuzeichnen (vgl. für das folgende Besch 1979 a, 132f., hier mit einigen Umstellungen und Änderungen): Erklärungsprinzip 1: Die Verbreitungsfläche einer schreibsprachlichen Form, d. h. das Geltungsareal. Erklärungsprinzip 2: Die Abhängigkeit von bestimmten sprachgeographischen Konstellationen, d. h. in einer Reihe von Fällen bedarf das Prinzip Nr. 1 einer zusätzlichen Qualifikation: Der reine Flächengesichtspunkt scheint nicht auszureichen, die Fläche muß ihrer Lage nach näher bestimmt werden. Vorschlag eines Abkürzungsstichwortes: Landschaftskombinatorik. Erklärungsprinzip 3: Die strukturelle Disponiertheit für die Durchsetzung einer Variante, sagen wir also abkürzend: Strukturprinzip. Erklärungsprinzip 4: Die Frequenz (Verwendungshäufigkeit) einer Variante in Konkurrenz mit anderen, d. h. der Geltungsgrad. In Artikel 129, 5.2.4. der ersten Auflage (1985) dieses Handbuchs wird ein weiteres Prinzip genannt, „die Geltungshöhe (Varianten, die von Sendern mit hohem Sozialprestige gebraucht werden, haben einen Vorteil)“. Das ist im Textzusammenhang der Stelle insbesondere auf die großen fürstlichen Kanzleien bezogen (vgl. auch Hans Moser 1977, Bd. 1, 284, unter Berufung auf Kettmann 1967, 279). Dieser sprachsoziologische Wirkungsfaktor (vgl. Mattheier 1981) ist sicher von erheblicher Bedeutung. Er kann unter bestimmten Umständen auf weitere Institutionen und auch auf herausragende Einzelpersonen bezogen werden, insbesondere im weiteren Verlauf der Schriftsprache-Geschichte (vgl. u. a. Josten 1976). Er gehört allerdings in eine andere Kategorie als die vier genannten Prinzipien, die eher objektiv nachweisbar sind, während es sich bei der ‘Geltungshöhe’ um ein außersprachliches Kriterium (Prestige-Einschätzung des Senders) handelt. Vielleicht läßt es sich weiter erproben und differenzieren. Erklärungsfakto-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

ren der Geltungshöhe werden insbesondere auch nötig für das Verständnis der abschließenden Ausbauphase im 18. Jh. Kehren wir zurück zu den vier Prinzipien. Mit ihrer Herausarbeitung ist die Forschung gegenüber den vergangenen Jahrzehnten erheblich weitergekommen. Diese Aussage gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sich diese Prinzipien halten und weiter absichern lassen. Sie sollen jetzt noch einmal genauer und möglichst in Zitatform zur Kenntnis gebracht werden, damit eine angemessen differenzierte Grundlage für das Verständnis der gemeinten Sachverhalte gewährleistet ist. Die Abfolge der Zitate ist chronologisch. Das strukturelle Prinzip wurde insbesondere von Fleischer (1966) herausgestellt (ich zitiere hier die gut zusammenfassenden Stellen aus W. Fleischers Beitrag in: Die deutsche Sprache. Kleine Enzyklopädie. 2 Bände, Leipzig 1969, Bd. 1, 228f., insbes. 233): „Von großer Bedeutung ist […] auch die ‘innere Kausalität’ des Phonemsystems. Die Tatsache der strukturbedingten sprachlichen Veränderungen ist gerade im Hinblick auf die deutsche Sprache bisher noch zu wenig berücksichtigt worden. Das gilt in besonderem Maße für die Herausbildung des Graphemsystems der neuhochdeutschen Schriftsprache. Die Auswahl aus den unterschiedlichen Einzelzügen landschaftlicher Schreibsprachen wird ⫺ neben anderen Faktoren ⫺ auch von strukturellen oder sprachökonomischen Gesichtspunkten bestimmt. In manchen Fällen ist nur damit zu erklären, weshalb sich einmal die mitteldeutsche, ein andermal die oberdeutsche Variante durchgesetzt hat“ (1969, 233).

Fleischer verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Phänomene: klare Abhebung der Oppositionen, optimale Belastung des Systems, etymologische Durchsichtigkeit, Sicherung der grammatischen Funktionstüchtigkeit der Grapheme, unter Umständen auch gegen lautliche Entwicklungen, und anderes mehr. Das möge hier im Moment zur Verdeutlichung genügen. In der zeitlichen Abfolge darf jetzt aus eigenen Arbeiten zitiert werden. Die Stellen betreffen die Erklärungsprinzipien (1) und (2), am Rande auch (3), also das Geltungsareal, sodann die Landschaftskombinatorik, schließlich das Strukturprinzip. Besch 1968, 425: „Die Entwicklungen laufen offensichtlich nicht kontinuierlich in einer Landschaft ab, etwa der ostmitteldeutschen; andere Gebiete sind mit einbezogen, insbesondere das ostfränkische und das bairische. Eine Modellvorstellung etwa derart, daß sich die sprachliche Einheit in ei-

2263

nem geschlossenen Raum geformt hatte und von da auf das übrige große Sprachgebiet ausstrahlte, ist aufzugeben. Die Entstehung der Schriftsprache stellt sich eher dar als wirklicher Ausgleichsprozeß, der im Ergebnis abhängig ist von der flächenmäßigen Verbreitung einer sprachlichen Form und von bestimmten sprachgeographischen Konstellationen.“ Ising 1968, 98: „Wörter wie ziege […] und schmerz (K. 2) sind um 1500 im deutschen Sprachgebiet schon soweit verbreitet, daß die Entscheidung für sie im sprachlichen Ausgleich bereits gefallen ist.“ Besch 1973, 428, bezogen auf die Lexik: „Offensichtlich kommt […] der Größe und der sprachgeographischen Lage des jeweiligen Verbreitungsgebietes eines Wortes große Bedeutung zu. Auch spricht einiges dafür, daß bestimmte Landschaftskombinationen […] gegenüber anderen eine größere Durchsetzungskraft haben. […] Man muß davon ausgehen, daß neben der sprachgeographischen Konstellation auch wirkungsmächtige Schriften (Bibeldeutsch) und schließlich auch sprachimmanente Faktoren (Eindeutigkeit, Ableitbarkeit, Wortfeldbesetzung) die Entwicklung beeinflussen.“ H. Stopp (1973) im Zusammenhang der Behandlung des frühneuhochdeutschen Nebensilbenvokalismus (vgl. in der Lit.-Liste unter Grammatik des Frühnhd.): „Aufgrund der in diesem Band beschriebenen Fakten bieten sich vor allem zwei Erklärungsmöglichkeiten an: 1. Es zeigt sich, daß in den meisten Fällen die Tatsache und in gewissem Maß auch die Zeit des Ausgleichs zugunsten einer bestimmten Graphie als abhängig von der gesamthochdeutschen Verbreitung und Frequenz (dem Geltungsgrad) dieser Graphie (im 14. Jh.) angesehen werden kann. […] [Hier verweist Stopp auf Besch 1968, 425]. Es hat jedoch das Geltungsareal den Vorrang vor dem Geltungsgrad: häufigere, oder gar zunächst alleingeltende Leitgraphien setzen sich nicht durch, wenn das Geltungsgebiet der anderen Graphie(n) größer ist, sondern sie verzögern aufgrund ihrer Frequenz nur den Ausgleichsprozeß. […] (Bd. I, 2 (1973), 36/37). 2. In anderen, nicht auf die unter 1. genannte Weise zu erklärenden Fällen bestand ab einer gewissen Zeit gesamthochdeutsch insofern eine starke strukturelle Disponiertheit für die Annahme einer bestimmten Graphie, als der Rest oder zumindest der (ein) größere(r) Teil des jeweiligen Teilsystems diese Vokalgraphien schon fast gänzlich durchgeführt hatte. […] (Ebda., S. 38). Die beiden Erklärungsmöglichkeiten sind insofern miteinander gekoppelt, als eine gewisse geographische Verbreitung der analogisch einzuführenden Graphie bzw. der primären Bedingungen für deren Entstehung Voraussetzung ist für diese Einführung (s. dazu u. § 4.2.b) und als ab einer gewissen Stufe die Entwicklung in jedem Fall Ausgleich zugunsten der verbreiteteren und häufigeren Graphie stattfindet. […] (Ebda., S. 39). Es sei deshalb im folgenden die zweite Erklärungsmöglichkeit nur herangezogen, wenn aufgrund von Gel-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 159.4: gefallen ‘placere’ (aus Ising 1968, 11, S. 53)

tungsgebiet und Frequenz der Graphien keine oder eine andere Entwicklung zu erwarten wäre als die, welche eingetreten ist.“ (Ebda., S. 40).

Das sind die mir bekannten prinzipiellen Äußerungen der jüngeren Forschung zu unserem Problem. Man wird gut daran tun, die genannten Erklärungsprinzipien nicht mechanisch auf die verschiedenen Teilbereiche der Sprache anzuwenden. Am ehesten könnte das beim Geltungsareal-Prinzip noch zulässig sein, weniger schon beim Struktur-Prinzip, weil die System-Stringenz sehr unterschiedlich ausgeprägt ist in den Teilbereichen der Sprache, man denke vergleichsweise nur an die diesbezüglichen Unterschiede zwischen Phomen-/Graphembereich und Wortschatz. Weiter sind wohl die Faktoren ‘Zeitpunkt’ des Ausgleichs und ‘Landschaftskombinatorik’ variabel. Eine gewisse Überregionalität scheint für die einzelnen Teilbereiche der Schriftsprache (Graphemsystem, Morphemsystem, Lexik, Syntax) unterschiedlich früh (bzw. spät) und durch unterschiedliche Landschaftskombinationen erreicht worden zu

sein. Der Gang der künftigen Untersuchungen muß zunächst auf die Klärung der Auswahlregularitäten in den Teilbereichen zielen, ehe Regularitäten für die Gesamtentwicklung formuliert werden können, falls das am Ende in generalisierender Form überhaupt möglich sein wird. Nicht alle genannten Prinzipien kann man durch Tabellen oder Karten darstellen. Es ist aber sicher förderlich, wenigstens das eine oder andere Beispiel einer Veranschaulichung vorzustellen: Die Vokalgraphien der Vorsilbe er- verteilen sich z. B. im Frnhd. folgendermaßen: 14. Jh. W(est) O(st) md. i/e i; eu obd.

eiua

15. Jh. W(est) O(st) e; iu e; i eua

16. Jh. eiu eu

Ihnen entsprechen folgende Leitformen: 14. Jh. W(est) O(st) md. ir-/er- ir-; erobd.

er-

15. Jh. W(est) O(st) er-; irer-

16. Jh. er-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

2265

Karte 159.5: Scheune/Scheuer (aus Ising 1968, 11, S. 27)

Diese Aufstellung ist der Grammatik des Frnhd. I, 2 (1973, 71), bearbeitet v. H. Stopp, entnommen. Sie belegt das Prinzip Geltungsareal. er- ist, neben vereinzelten i, u und a-Graphien, die dominante Form im Obd. des 14.⫺16. Jhs. Das Md. hat im 14. Jh. ir- und er-, dann aber schließt es sich schrittweise dem größeren Geltungsareal von er- an. (Die Symbole für die relative Häufigkeit von Varianten sind in Grammatik des Frnhd. I, 3 (1978, 12) erklärt: Schrägstrich bedeutet etwa gleiche Häufigkeit der Varianten, Strichpunkt ein deutliches Zurücktreten der zweiten hinter der ersten Variante, Hochstellung meint nur vereinzelt vorkommend). Es finden sich in I, 2 und I, 3 der Grammatik des Frnhd. weitere instruktive Beispiele solcher Art. Karte 159.4 ist Ising 1968, II, 53 entnommen. Es handelt sich um Wortbelege aus spätmittelalterlichen Bibelübersetzungen und Glossaren (hauptsächlich 14./15. Jh.). Die Kreise beziehen sich auf die Bibelübersetzungen (größer oder kleiner bedeutet mehr oder weniger Textumfang), die Vierecke auf die Glossare. Abgebildet werden die vorlutherischen Schreibvarianten für lat. ‘placere’. Rechts unten in der Kartenecke ist die Wortwahl in der Bibelübersetzung Luthers vermerkt, hier eindeutig gefallen, nicht etwa behagen (Der weiße Kreissek-

tor bedeutet: andere Varianten). Die Karte kann mit aller Vorsicht als Beispiel für das Prinzip Landschaftskombinatorik verstanden werden. Karte 159.5 (nach Ising 1968, II, 27) zeigt, so gut das eben auf der genannten Materialgrundlage geht, die je großräumige Verteilung von zwei Varianten. In Luthers Bibelübersetzung haben beide gleichgewichtig ihren Platz, d. h. er addiert den Gebrauch zweier Großräume. Beide Varianten werden Bestandteil der Schriftsprache, wenn auch Scheuer in den heutigen Wörterbüchern die Markierung ‘oberdeutsch’ bzw. ‘(süd)westdeutsch’ erhält, während Scheune ohne Markierung bleibt. Man kann die Karte als Beispiel für das Prinzip Geltungsareal nehmen, hier bezogen auf den Sonderfall gleichgewichtiger Areale, der zur Additionslösung, nicht zu einer Selektion führt. Zum Vergleich wird mit der Karte 159.6: ‘Landwirtschaftliches Gebäude zum Aufbewahren von Heu und Stroh’ die heutige umgangssprachliche/ hochsprachliche Gebietsverteilung von Scheune und Scheuer aus Eichoffs ‘Wortatlas der deutschen Umgangssprachen’, Bd. 1 (1977), Karte 33, wiedergegeben. Vier weitere Karten stammen aus Besch 1968, gezeichnet auf Grund von Belegmaterial aus weitgehend lokalisierten Erbauungstexten hauptsächlich des 15. Jhs.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 159.6: Landwirtschaftliches Gebäude zum Aufbewahren von Heu und Stroh (aus J. Eichhoff, Wortatlas der deutschen Umgangssprachen, Bd. 1, Karte 33)

Bei Karte 159.7 (s. a. Besch 1967, 111f.) geht es um die Existenz einer ‘nördlichen’ und einer ‘südlichen’ Variante. Im gesamten obd. Gebiet und weithin im Omd. gilt schwester; dies setzt sich schriftsprachlich durch ⫺ ein Beispiel wohl für die Prinzipien Geltungsareal und Landschaftskombinatorik. Beide Prinzipien haben auch Geltung für Karte 1959.8: ‘Dentalplural beim Verb’ (s. a. Besch 1967,

310f.). Es geht um die Verb-Pluralendungen im Ind. Präs. Der Südwesten versucht eine eigene Systematik, die aber letztlich keinen Eingang in die Schriftsprache findet. In Karte 159.9 tritt uns eine Ost/West-Verteilung entgegen, wie sie auch von Ising (1968, I, 94) als wichtiger Typus einer wortgeographischen Lagerung erkannt wird. Beide Varianten bilden im 15. Jh. einen großen sprachräum-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

2267

Karte 159.7: schwester/suster (aus Besch 1968, S. 412)

lichen Gegensatz, das ist das erstaunliche und bisher nicht bekannte Faktum. Bisher hatte man die Verdrängung von minne durch liebe als einen sprachsoziologischen Vorgang gesehen, verursacht durch die Bedeutungsverschlechterung von minne im Spätmittelalter. Die ganze Frage kann jetzt viel differenzierter gesehen werden (vgl. Besch 1967, 192f.). Die Übernahme allein von liebe in die Schriftsprache kann mit dem Prinzip Landschaftskombinatorik gedeutet werden, das bei etwa vergleichbaren Flächenverteilungen (Geltungsarealen)

den Ausschlag zu geben vermag. Auf der Karte 159.10 (s. a. Besch 1967, 117f.) zeigt der ganze obd. Raum geschlossen die Variante kam (3. sg. prt. von kommen), es ergibt sich also eine Art Nord-SüdGegensatz. Im Omd. finden sich bereits Beispiele der südlichen Form. Bei Luther sind nach H. Bach (1934, 93) die obd. Formen kam, kamen durchgeführt. Im Sinne der Landschaftskombinatorik fällt die Entscheidung für die gesamtobd./omd. Schreibvariante.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 159.8: Dentalplural beim Verb (aus Besch 1968, S. 415)

4.4. Zur sprachgeschichtlichen Bedeutung Martin Luthers In einem Artikel zur ‘Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/ Standardsprache’ darf ein eigener Abschnitt über Martin Luther nicht fehlen. Das hat seinen Grund nicht so sehr in der bisherigen Tradition, als in der Sache selbst. Zur Entlastung an dieser Stelle kann allerdings auf Art. 123 verwiesen werden. Dort habe ich den neuesten Stand der germanistischen Lutherforschung zu skizzieren versucht unter dank-

barer Einbeziehung der Ausführungen Heinrich Bachs (†) im Luther-Artikel der ersten Auflage dieses Handbuches. In Artikel 123 finden sich alle speziellen Literaturnachweise, so daß ich mich hier ohne weitere Angaben auf einige wesentliche Aussagen zur sprachgeschichtlichen Bedeutung Martin Luthers beschränken kann, wie sie auf dem Hintergrund des gegenwärtigen Wissensstandes verantwortbar erscheinen. Die Skizze muß offen bleiben für Korrekturen durch weitere Forschung.

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

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Karte 159.9: liebe/minne (aus Besch 1968, S. 413)

Luther hat ohne sein Zutun von Beginn an zwei entscheidende Vorteile: er stammt aus einer mittleren Sprachlandschaft zwischen Nord und Süd (Brückenfunktion) und er profitiert von einem merklichen Schreibsprachausgleich im omd.-oobd. Raum damaliger Zeit. Über die Druckerpresse wird er in wenigen Jahren überregional bekannt, er wird eine Person der „Öffentlichkeit“, eine Tatsache, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hat.

Die Sache, die er vertritt, verschafft ihm diese Resonanz, nicht die Sprache, abgesehen einmal davon, daß diese Sprache dt. ist. Der überregionale Durchbruch ist also religiös bzw. im weiteren Sinn gesellschaftlich motiviert. Das Äußerungsmedium der Botschaft, nämlich Luthers Sprache, profitiert davon. Sie unterscheidet sich im Äußeren nicht von der zeitgenössischen Wittenberger Drucksprache. Der Bibeldruck in Wittenberg fügt sich in die dortige Tradition ein, gewinnt aber

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Karte 159.10: kam/quam (aus Besch 1968, S. 422)

schon zu Lebzeiten Luthers angesichts der Dignität des Textes eine gewisse orthographische Stabilität. Wenn allerdings Christoph Walther, Korrektor in Hans Luffts Wittenberger Offizin, in Streitschriften 1563 und 1569 die Orthographie der Lutherbibel von 1545 gleichsam zum Dogma erhebt, dann ist das in der Konkurrenz zu Frankfurt und Jena vor allem kommerziell motiviert. Das Lutherdeutsch definiert sich nicht primär über

Orthographie. So zu denken wäre wahrlich anachronistisch angesichts der ersten wirklich übergreifenden Orthographie-Normung zu einem so späten Zeitpunkt, nämlich 1876, wiewohl selbst Sprachwissenschaftler so gedacht haben. Die Jahrhunderte davor leben ganz selbstverständlich mit großlandschaftlich variierenden Orthographie-Traditionen, auch mit entsprechend variierenden Bibeldrucken. Für das Jahrhundert des Dreißig-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

jährigen Krieges gilt das ganz besonders. Aber schon um die Mitte des 17. Jhs. erwirbt sich die Lüneburger Bibel (Offizin der Sterne) den Ruf der Verläßlichkeit, sodann die Stader Bibel (ab 1690) nach den kritischen Grundsätzen des Generalsuperintendenten Dieckmann, der bezüglich der Rechtschreibung auf Bödikers Grammatik verweist ⫺ ein Signal, daß man ‘mit der Zeit’ geht, Lutherorthographie also kein Tabu-Thema ist. Die Stader Bibel von 1703 wird Textgrundlage der Canstein-Bibeln, Halle. Mit der Einführung des Stehsatzes (1712/13) in Halle beginnt die äußerst preiswerte Massenproduktion der Bibel. Jetzt erst kommt die Bibel millionenfach unter das Volk. Die Orthographie wird in zeitlichen Schüben angepaßt; an den Wörtern und an dem Wortlaut der Lutherbibel wird so gut wie nichts geändert. Erst Mitte des 19. Jhs. konkretisieren sich allmählich die diesbezüglichen Überlegungen zu einer ersten kirchenamtlichen Revision des lutherischen Bibeltextes. Kein Buch hat so viele Menschen erreicht wie diese Bibel. Über Jahrhunderte war es für die meisten das einzige Buch. An ihm lernte man lesen und schreiben und Kernstellen sprechen, man lernte die Sprache der ‘Schrift’ und damit auch die Schriftsprache, überregional, ohne Konkurrenz. Nicht Luther hat die Sprengung der sprachlichen Raumfessel bewirkt, sondern allein die Bibel, allerdings die deutschsprachige, im Verein mit den protestantischen Kirchenliedern und dem Katechismus. Die Textgattung Bibel ist also entscheidend. Alle sonstigen Schriften Luthers müssen bezüglich der sprachlichen Wirkungsgeschichte zurücktreten. Die Bibel baut die schriftsprachlichen Brücken. Daß Martin Luther von großer Sprachmächtigkeit war, bestreitet niemand. Sie kam auch der Bibelübersetzung zugute. Er hat mit seinen Übertragungen und mit seinen Liedern Geist und Herz vieler Generationen bewegt. Er war ein Meister der Rhetorik und des situationsgerechten Formulierens; er konnte sich den Oberen und dem ‘gemeinen man’ vermitteln. In letzter Instanz erachtete er aber dies alles als gering, wie man in der Vorrede zum 1. Band der Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften (1539) lesen kann. Gern hätte er es gesehen, so heißt es da, wenn alle seine Bücher untergegangen wären. Es gelte allein das Wort Gottes. Luther ist weder ‘Schöpfer’ unserer Schriftsprache, noch ‘Nachzügler’ in der Entwicklung. Er hat die deutschsprachige Bibel unter das Volk gebracht. Sie galt als das autorisierte

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Wort Gottes ⫺ Binnensprachgrenzen überschreitend. Kein anderer Text hätte eine solche grenzüberschreitende Kraft gehabt. Luthers Bibeldeutsch war durchaus noch landschaftsgebunden, anders konnte es gar nicht sein in damaliger Zeit. Es wurde über die Bibel Grundstock der neuhochdeutschen Schriftsprache. Das macht die sprachgeschichtliche Bedeutung Luthers aus. An der späteren Ausformung sind dann vielerlei Kräfte beteiligt. 4.5. Teilbereiche der Schreibsprache/ Drucksprache Welche Teilbereiche der Sprache (Laute/ Zeichen, Formen, Wortschatz, Syntax oder gar Stil) sind besonders relevant für den Entstehungsprozeß einer überregionalen Schriftsprache? Wenn Gewichtungen möglich sind, dann müssen sie auch vorgenommen werden, weil es erstens für einen Forscher selten möglich ist, die Untersuchungen gleichmäßig in allen Teilbereichen zu betreiben und weil zweitens die Verallgemeinerung von Ergebnissen aus Teilbereichen ausgerichtet werden muß an einer eventuell gegebenen Vorrangliste. Die oben gestellte Frage ist lange eine Streitfrage geblieben (vgl. Lit. bei Besch 1967, 17f.; 1968, 405f.) mit entsprechenden Einengungen extremer Art, etwa im Lautbereich auf die neuen Diphthonge, oder im anderen Extrem auf Phänomene von Syntax und Stil. Es zeichnet sich jedoch eine Art Übereinkunft ab, daß der erste Einigungsprozeß in geschlosseneren Teilsystemen intensiver und daher in der Regel auch schneller abläuft als in weniger geschlossenen. Zu den geschlosseneren Teilsystemen wird man den Orthographiebereich und die Flexionsmorphologie rechnen dürfen, zu den offeneren Syntax und Stil. Wortbildung und Wortschatz scheinen eher eine Zwischenstellung einzunehmen, indem die Grundmuster mehr zur ersten, die Ausbaumuster mehr zur zweiten Gruppe gerechnet werden können. Man kann davon ausgehen, daß die Ausgleichsbewegungen zwar in allen Bereichen etwa gleichzeitig ansetzen, aber unterschiedlich lange laufen, z. T. Jahrhunderte, bzw. heute noch nicht völlig abgeschlossen sind. Das ergibt eine zeitliche Stufung, so daß man die Entstehung und die schließliche Fixierung der Schriftsprache in Phasen beschreiben muß, etwa eine Phase der Grundlegung in Orthographie, Teilen der Flexionsmorphologie, der Wortbildung und des Wortschatzes, eine Phase des weiteren Ausbaus und schließlich eine dritte Phase der

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

abschließenden Bereinigung im 18. Jh. nach vornehmlich omd. Muster. Mit den Phasen ändern sich z. T. die Aufgaben, die Einzugsbereiche, die mitwirkenden Kräfte. Die Beschreibung des Gesamtablaufs wird also entsprechend differenziert sein müssen, während man wohl für die erste Phase den Blick etwas stärker auf bestimmte Schreiblandschaften eingrenzen darf. Nach meinem Kenntnisstand bedarf vor allem die frühere Einordnung des Wortschatzbereiches in den Entwicklungsgang der deutschen Schriftsprache einer deutlichen Korrektur. Frings rechnete Wörter und Satzbildung eher zum beweglichen Zusatz einer Schriftsprache, das tat wohl auch Heinrich Bach. Erben meldet bereits 1968 Bedenken an, und die Arbeiten von Besch (1967) und Ising (1968) zeigen u. a. die Schwierigkeiten eines schriftsprachlichen Wortschatzausgleichs (vgl. für die Nachweise Art. 123, 6.1). „Der Wortgebrauch der nhd. Schriftsprache kann erst um die Mitte des 17. Jhs. als einigermaßen befestigt und im wesentlichen einheitlich gestaltet bezeichnet werden.“ So beginnt K. von Bahder seine wichtige Studie von 1925. Nach Ising (1968, I, 136) gilt für den Wortschatz: „[…] erst im 16. und 17. Jh. erfolgt der Haupteinzug norddeutscher Elemente in die entstehende einheitliche deutsche Schriftsprache.“ „Die Einheit im Gerüst“ (Frings 1956, 8), d. h. in den Lauten, auch Buchstaben, und in den Formen war der leichtere Teil des Einigungsvorgangs. Viel schwieriger und langwieriger gestaltete sich der nötige überregionale Wortschatzausgleich. Er betraf nicht nur randständige Wörter, sondern auch zentrale Bereiche, wie man leichthin bereits an Adam Petris Basler Glossar von 1523 zu Luthers Neuem Testament sehen kann. Großregional unterschiedliche Wortschätze langer Tradition standen gegeneinander. Verlust wog schwer. Das tangierte ganz andere Bewußtseinstiefen als die bloße Änderung von orthographischen und flexivischen Elementen. Insofern muß neben der Einheit im Gerüst auch die schwierige Einigung auf einen schriftsprachlichen Wortschatz zu den Basisvorgängen der neuhochdeutschen Spracheinigung gerechnet werden. Das ist ein methodisches Postulat. Ausgleichsvorgänge setzen z. T. schon im Spätmittelalter ein, etwa mittels Addition (‘Doppelformen’, s. Besch 1993), aber mit Luther kommt der entscheidende Anstoß. Die Bibel wird Vehikel des Wortschatztransfers. Die Übernahme- und Abwahlprozesse prägen schon die

Phase der Grundlegung, gelten in der Phase des weiteren Ausbaus und reichen auch noch in die dritte Phase der abschließenden Bereinigung im 18. Jh. Nach welchen Kriterien sie ablaufen, muß noch genauer erforscht werden. Vielleicht gelingt es auch hier, über eine Reihe von Einzelwortgeschichten zu gewissen Regularitäten (vgl. Abschnitt 4.3.) vorzustoßen. In Besch (1998) werden z. B. die Durchsetzungsstadien des Wortes Scheffel gegen starke sprachlandschaftliche Konkurrenz nachgezeichnet, in Besch (1999) zeigt sich am Beispiel lecken (wider den Stachel löcken) letztlich ein Scheitern Luthers mit seiner Wortwahl. In den Registern altdeutscher und auch sonst schwerer Wörter, die durch das ganze 18. Jh. hindurch einer Anzahl von Lutherbibeldrucken beigegeben werden, finden sich untersuchenswerte Beispiele problematischer Wortwahl Luthers (vgl. Besch 1997). In diesem ganzen Bereich hat die Forschung Aufholbedarf. 4.6. Überregionale Studien auf Textkorpusbasis Das Textkorpus-Prinzip (s. Art. 50) hat seit den 1960er Jahren die Forschung entscheidend vorangebracht. Wir stehen heute, verglichen mit den Bemühungen früherer Generationen, auf einem wesentlich sichereren Boden. Textkorpora gestatten nämlich ⫺ anders als punktuelle Untersuchungen ⫺ den Vergleich von Arealen, von unterschiedlichen Zeitschnitten, von Textsorten, je nach Zuschnitt des Korpusdesigns. Solchen Untersuchungen gilt hier ein besonderes Augenmerk; es werden aber auch anderswie förderliche Arbeiten einbezogen. Bei der Vielzahl der Beiträge kann, trotz großer Sorgfalt, nicht ausgeschlossen werden, daß Wichtiges übersehen wurde. Man möge dann Nachsicht walten lassen. Erst sollen landschafts- und zeitübergreifende Textkorpora und darauf gründende Arbeiten vorgestellt werden, danach sprachhistorische Erkundungen in einzelnen Großregionen und schließlich schreibsoziologische ‘Tiefenbohrungen’ an einzelnen Orten. Immer wichtiger in unserem Zusammenhang werden auch Vorklärungen arealer Schreibsprachverhältnisse im späten Mittelalter (vgl. 4.8.). Anfang der 1970er Jahre wurden an der Universität Bonn und am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin fast gleichzeitig, aber ohne die Möglichkeit einer Ab-

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sprache in den Zeiten des ‘Kalten Krieges’, übergreifende Textkorpora aufgebaut. Das Bonner Korpus umfaßt ca. 1500 Texte tendenziell aller Textsorten mit wichtigen Überlieferungsdaten (Datierung, Lokalisierung, Produzenten, Überlieferungsform, Editionsqualität bei edierten Texten, u. a. m.) aus dem hochdt. Sprachgebiet von ca. 1350 bis ca. 1700, z. T. auch in das 18. Jh. ausgreifend und auch hochdt. Texte aus nd. Gebiet einbeziehend. Für die flexionsmorphologischen Untersuchungen wurde daraus auswählend ein Grundkorpus von 40 Texten maschinell gespeichert. Arbeitsgruppen in Bonn und Augsburg haben inzwischen vier Grammatikbände zur Flexionsmorphologie vorgelegt (s. Grammatik des Frühneuhochdeutschen) sowie mit der Untersuchung der Wortbildung im Frnhd. begonnen. Ein Band zur Verbableitung liegt bereits vor (Prell/Schebben-Schmidt 1996). Für weitere Informationen vgl. man hier wie auch sonst Art. 50, für genauere Angaben zur Anlage des Bonner Korpus und zu den Texten selbst Hoffmann/Wetter (1987) und die Einleitung zu Bd. III der Grammatik des Frühneuhochdeutschen. Die gespeichertenTexte sind verfügbar unter: http:\\www.ikp. uni-bonn.de\dt\forschfrnhd\. Ergebnisse dieser Grundlagenbände können hier nicht ausgebreitet werden, man vgl. dafür jeweils die zusammenfassenden Schlußkapitel. Sie vermitteln zum ersten Mal tragfähige Grundlagen für eine Geschichte der schriftsprachlichen Standardisierung im Bereich der Flexion unter Einbeziehung zeitlicher, landschaftlicher und sprachstruktureller Parameter. Das Großkorpus mit seiner Landschafts-, Zeitund Textsortensystematik eignet sich für die Untersuchung nahezu aller sprachhistorischlinguistischen Fragestellungen, das maschinell gespeicherte Grundkorpus eher für die Untersuchungen frequenter Sprachelemente. Das Berliner Textkorpus wurde erstmals samt ersten Auswertungen von Schildt/Kettmann/Dükkert/Müller (1974) vorgestellt. Eine knappe Skizzierung findet sich auch in Band II der Unterreihe: „Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache (1470⫺1730)“, 1976, 15 (im Lit.Verz. eingeordnet unter ‘Ausbildung’). Es handelt sich um etwa 350 Quellen aller wichtigeren Gattungen aus sieben Großlandschaften, stark ausgerichtet auf zwei Untersuchungszeiträume, nämlich 1470⫺ 1530 und 1670⫺1730. Insgesamt liegen sechs Auswertungsbände unter dem o. g. Reihentitel vor. Das aufgestellte Textkorpus wird in diesen Bänden aber recht unterschiedlich und in einem Fall (Bd. IV) überhaupt nicht benutzt. Die Titel der ca. 350 Texte sind in Bd. II, 1976, 321⫺339 publiziert,

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nicht jedoch die genauen Kriterien der Auswahl. Thematisch beziehen sich die Untersuchungen auf Teilbereiche der Syntax, des Wortschatzes, der Wortbildung und der Verbgrammatik. Die Einzelergebnisse können hier nicht referiert werden. Eine erste Zusammenschau läßt aber ahnen, welch unterschiedlichen Strukturierungsfaktoren die Normierungsprozesse in den verschiedenen Teilbereichen unterliegen. Das sind nicht nur die Faktoren Landschaft und Gattung, sondern vielfach auch sprachstrukturelle Muster, die die weitere Entwicklung bestimmen. Für die Entwicklung des Einfachsatzes scheint der Gattungseinfluß weit vor dem Landschaftseinfluß zu stehen. Die Summierung der Einzelangaben (für den Zeitraum 1470⫺1530) ergebe aber, „[…] daß weithin das Ostmitteldeutsche den Typ der entwicklungsgeschichtlich zu nhd. Norm vorangehenden Landschaft verkörpert […]“ (vgl. Band I, 514). Der lexikalische Ausgleich scheint demgegenüber breiter angelegt zu sein. „Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nach unseren Ergebnissen nicht eine Landschaft allein, z. B. das Ostmitteldeutsche, die überragende Rolle bei den Ausgleichsprozessen gespielt hat, sondern daß verschiedene Landschaften ⫺ auf Grund bestimmter (ökonomischer, politischer) Voraussetzungen ⫺ wirksam geworden sind, daß aber dem Ostmitteldeutschen, auf Grund seiner zentralen Lage und seiner Eigenart als Mischlandschaft, eine bedeutende sprachliche Mittlerrolle nicht abgesprochen werden kann“ (Bd. II, 315). Im Bereich der Tempus- und Modusentwicklung sind die Dinge auf andere Weise kompliziert und insgesamt stärker durch Gattung und Struktur bestimmt (Bd. V, 110f. und 263f.). Die sechs Bände liefern wertvolle Teilergebnisse. Für ihre Einordnung in die sprachgeschichtlichen Abläufe ist der Band über „Aspekte des Sprachwandels in der deutschen Literatursprache 1570⫺ 1730“, 1992 von Schildt herausgegeben, hilfreich. In der DDR-Zeit hat die Sprachgeschichtsforschung trotz widriger Umstände eine Blütezeit erlebt, ohne Zweifel angestoßen und lange beeinflußt von der Forscherpersönlichkeit eines Theodor Frings, weiterwirkend über seine Schüler. Die respektable Reihe: „Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen“, 1964 mit dem 1. Teil der wichtigen Monographie von M. M. Guchmann begonnen, zählte bis 1992 67 Bände. Bentzinger 1993 vermittelt einen Überblick über methodologische Fragen und über Ergebnisse, die in den ‘Bausteinen’ abgehandelt und geboten werden. Auf der Grundlage von überregionalen Textkorpora arbeitet auch M. M. Guchmann, nicht nur als Mitverfasserin von „Zur Ausbildung der Norm …“, Bd. V., sondern ebenfalls in ihren drei z. T. wegweisenden Monographien (in dt. Übersetzung) 1964, 1969 u. 1974. Die ersten beiden dienen der Analyse und Darstellung des Weges von den Regionalsprachen zur Schrift- und späteren Standardsprache der Deutschen, ansetzend im 12. Jh. und geleitet von einer eigenen Begrifflichkeit (Nationalitätssprache, Literatursprache, Nationalsprache, vgl. dazu auch Besch 1983, 962f.). Den Unter-

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suchungen von 1974 liegen ca. 150 Flugschriften zugrunde, ausgewählt nach den Kriterien: Gattung, Stil, landschaftliche Zugehörigkeit, sozial-politischer Inhalt. Die Wahl dieser Textgattung wie auch (zeitlich) der ersten Hälfte des 16. Jhs. ist wichtig für die Entstehungsfrage, wie auch die Ergebnisse erweisen. Das Bamberg-Rostocker Textkorpus zur Entwicklung der Großschreibung und die 1997 in zwei Bänden vorgelegten Untersuchungen (s. im Lit.Verz. unter ‘Entwicklung …’) erweisen angesicht zahlreicher bisheriger Studien in überzeugender Weise die Vorteile des Korpusprinzips. Die ‘deutsch-deutsche’ Gemeinschaftsarbeit unter der Leitung von Bergmann/Nerius begann 1990 und wurde 1996 abgeschlossen. Die Grundlage sind 145 Texte, ausschließlich Drucke, verteilt auf sechs Großlandschaften einschließlich Nd./Nrddt. und auf einen Zeitraum von 1500⫺1710, mit insgesamt acht Zeitschnitten, Anfang und Ende eingerechnet, im Abstand von je 30 Jahren. Hinsichtlich der Korpuskriterien stand das Bonner Unternehmen z. T. Pate. Insgesamt darf das Bamberg-Rostocker Unternehmen hinsichtlich Quellenbasis und Methodologie der sprachwissenschaftlichen Analyse und Ergebnisformulierung als Empfehlung für weitere Arbeiten ähnlichen Zuschnitts angesehen werden. Selbst der Textsortenaspekt ist berücksichtigt, wenn auch in vertretbar vereinfachter Form. Für verständlich (s. Bd. I, 77), aber im Blick auf eine wirklich abschließende Beurteilung der Großschreib-Entwicklung letztlich für falsch halte ich den Ausschluß der Bibeldrucktradition. Wenn es einen Zeiteinschnitt gibt, von dem ab sich der Bibeldruck zeitweise innovationsretardierend präsentieren kann, dann sind das die Jahre ab 1712/13 mit der Einführung des Stehsatzes. Davor ist eine gewisse Leitfunktion dieser Textgattung eigentlich nicht anzuzweifeln, zumal sich die ‘Luthersprache’, entgegen fälschlicher Annahme, nie im strikten Sinn über eine fixierte Orthographie definiert hat bzw. definiert werden darf. Die Untersuchungsergebnisse sind Bd. II, 972f., in sieben Punkten zusammengefaßt. Als Hauptentwicklungszeit für den Majuskelgebrauch in allen Kategorien erweist sich die Spanne von 1530⫺1590. Ab 1650 konzentriert er sich im lexikalischen Bereich auf die Substantive und deren vollständigere Erfassung. Das Ende der Entwicklung wird von dem Korpus (bis 1710) nicht mehr erfaßt. Die Grammatiker haben an der Hauptentwicklung (1530⫺1590) überhaupt keinen Anteil: „Die alte Streitfrage, Priorität des Gebrauchs oder der Grammatiker, ist durch die Befunde des Untersuchungskorpus eindeutig entschieden“ (Bd. II, 971). Über Landschaftsprioritäten ist in der Zusammenfassung nichts gesagt. Aus einer Anzahl von Tabellen scheint jedoch hervorzugehen, daß das Nobd. (⫽ Nürnbergisch, Ostfränkisch), das Omd. und das Oobd. eher an der Spitze der Entwicklung, das Wobd. und auch das Wmd. eher im Nachzüglerbereich stehen. Wie man das Korpusprinzip in gewisser Weise auch auf der Basis schon bestehender Textreihen

funktionalisieren kann, zeigt der interessante Zugriff von Schmid (1998). Er legt die bis 1995 erschienenen 40 Editionsbände der ‘Deutschen Inschriften’ zugrunde und prüft das Vorkommen von Bibelzitaten auf Grabsteinen nach dem Wortlaut der Luther-Übersetzung für die Zeit bis 1650, der vorgegebenen Grenze für alle Editionen. 16 Karten lassen Umrisse früher Rezeptionsareale der ‘Luther-Bibel’ hervortreten. Der Zugriff ist methodisch noch verbesserungsfähig. Mit den laufend neu hinzukommenden Bänden der ‘Deutschen Inschriften’ (2001 bereits Bd. 56) wird sich auch das überregionale Belegnetz verdichten lassen. Durch Schmids Auswertungsidee rückt diese wichtige Quellensammlung nun auch stärker in das Blickfeld der Germanistik, wie auch durch Hoffmann (2000). Auf einem großlandschaftlichen und chronologisch strukturierten Textkorpus von insgesamt 873 Quellen unter Verwendung auch der Bonner Sammlung beruht die Arbeit von Gießmann (1981) über die Entwicklung der Flexion von gehen und stehen im Frnhd. Die Festlegungen auf das Stammsilben-/e/ und auf die zweisilbigen Formen der heutigen Schriftsprache erfolgen in längeren Zeiträumen vorrangig im Nobd., Omd. und Oobd., entschieden zögerlicher im Wobd. und teilweise auch im Wmd. Die erhebliche Erweiterung der Grundlage durch Belegmaterial aus der Sekundärliteratur ist methodisch problematisch und schränkt z. T. den Aussagewert der Ergebnisse ein. Auch die Arbeit von Solms (1984) über die Umstrukturierung der starken Verben im Frnhd. geht von einer Korpus-Grundlage aus, die das Bonner Grundkorpus und ca. 40 zusätzliche Texte (meist aus dem Gesamtkorpus) umfaßt. Sowohl hinsichtlich der endgültigen Fixierung der Ablautvokale im Präteritum, als auch der sogenannten Tempusprofilierung sind die Vorgänge stark strukturell und weniger sprachlandschaftlich bestimmt. Es zeichnet sich aber in der Summe doch deutlich ab, daß wichtige Impulse zur Umstrukturierung vom Schwäb. ausgehen, also nicht im Omd. und schon gar nicht bei Luther liegen. Zwei weitere Arbeiten (Hatz 1986 und Rieke 1998) stützen sich auf das von Besch in Bonn angelegte Lutherbibel-Korpus und ergänzen es zum Teil. Dieses Bibelkorpus, nicht zu verwechseln mit dem Bonner Korpus frühnhd. Texte, enthält das Matthäus-Evangelium von 80 Bibeldrucken aus 11 wichtigen Druckorten, relativ gleichmäßig verteilt auf Landschaften und auf den Zeitraum von 1522⫺1797. Daran lassen sich für diese wichtige Textgattung vielfältige Beobachtungen allmählicher schriftsprachlicher Konsolidierung machen. Hatz untersucht die Durchführung des „etymologischen Prinzips“ bei der Graphie der Umlaute von *a+ und *au+ (Beispiel: teglich J täglich, gleubig J gläubig, usw.). Die obd., auch wmd. Druckorte sind da im Vorteil, weil sie die Graphie *ä+ und *äu+ im Inventar haben und bis zum Ende des 16. Jhs. auch schon weithin entsprechend einsetzen, während z. B. im Omd. nur *e+ und *eu+ gilt. Ende des 17. Jhs. ist dann die Annäherung an den heutigen Stand in allen Druckorten weithin vollzogen.

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache Rieke (1998) rekonstruiert auf breiter Belegbasis die komplizierten Vorgänge der Markierung von Vokallänge und Vokalkürze im landschaftlichen und zeitlichen Ablauf (16.⫺18. Jh.). Es handelt sich um die nun erstmals verläßlich untersuchte Einführung bzw. weitgehende Systematisierung der Dehnungszeichen *h+, *e+ und *Doppelvokale+ sowie *Doppelkonsonanz+ für Kürze in der Schriftsprache. Die heutige Form ist bis Mitte/Ende des 18. Jhs. zu 90% und mehr erreicht, zögerlicher und mit Landschaftsunterschieden bei der Markierung der Vokalkürze. Es wurden zusätzlich zu den Bibeldrucken auch weltliche Texte einbezogen. Arbeiten auf Textkorpusbasis mit arealen und diachronischen Vergleichsmöglichkeiten sind weiterhin unentbehrlich. Sie werden ergänzt und vertieft durch entsprechende Regionalstudien, d. h. genauere Klärungen der schreib- bzw. dann schriftsprachlichen Abläufe in bestimmten Regionen. Dieses genauere Hinsehen führt folgerichtig auch zur Untersuchung bedeutender Städte, ihrer schreib- und drucksprachlichen Ausstrahlung, ihres schreibsoziologischen Profils. Es werden da auch Entwicklungen aufscheinen, die eben nicht mit der Zielrichtung nhd. Schriftsprachlichkeit konvergieren. Insofern können die Regional- und Stadtstudien wohl beides im Blick haben, den überregionalen Einfluß auf die Region wie auch sprachstrukturelle Ansätze in der eigenen Schreib-/Druckregion, die nicht in die nhd. Schriftsprache einmünden.

4.7. Regionalstudien, Stadtsprachen (Schreibsoziologie) Das Konzept dieser 2. Auflage des vorliegenden Handbuches trägt dem voll Rechnung. Daher kann hier zur Entlastung mit Nachdruck auf das XVII. Kapitel „Regionalsprachgeschichte“ mit immerhin 16 Artikeln verwiesen werden, ebenso auf die fünf Stadtsprache-Artikel in Kapitel XV. Verweise im einzelnen sind mir kaum möglich, da die meisten Manuskripte beim Abfassen dieses Artikels noch nicht vorlagen. Gleiches gilt für das Sonderheft „Regionale Sprachgeschichte des Deutschen“ der Zeitschrift für deutsche Philologie (Jg. 117, 1998). Ich beschränke mich daher ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf bisher vorliegende wichtige Pionierarbeiten für einzelne Regionen. Da hier in Art. 159 die Entwicklung der Schriftsprache das Thema ist, rücken ‘Widerstandslandschaften’ stark ins Blickfeld. Dort finden schließlich ‘Überschichtungsprozesse’ statt, anderswo eher ‘Ausgleichsprozesse’ (vgl. zur Terminologie Maas/Mattheier 1987). Überschichtung betrifft den nd. und in teils unterschiedlicher und reduzierter Weise den obd. Raum. Md. Regionen unterliegen eher dem ‘Ausgleich’, bzw. im Westen einer Mischung beider Pro-

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zesse. ‘Überschichtung’ resultiert aus einem größeren sprachlichen Abstand, ‘Ausgleich’ aus einer gewissen Nähe. Das ist linguistisch gemeint und läßt sich im weiteren Sinn auch geographisch verstehen. Beginnen wir mit dem Nd. im Norden. Die Bedeutung und räumliche wie zeitliche Reichweite der sog. Hansesprache ist in Art. 108 beschrieben und an verschiedenen anderen Stellen (Regionalartikel, Stadtartikel) zusätzlich thematisiert. Artikel 109 dokumentiert deren Rückgang und Ablösung durch das Hd. Spracheinfluß aus dem hd. Raum ist bekanntlich schon im Mittelalter zu beobachten, kann aber hier vernachlässigt werden angesichts der massiven Überschichtungsprozesse im 16. und 17. Jh. Die tabellarische Übersicht zum Übergang der nd. zur hd. Schriftsprache von Gabrielsson (1983), hier in Abb. 159.11 übernommen, bietet gedrängte Informationen über den räumlichen und zeitlichen Ablauf. Mit den Markierungen I⫺III ist in etwa ein zeitliches Nacheinander bezeichnet. Der Übergang wird auch durch schreibsoziologische Stufenprozesse geprägt. Ende des 17. Jhs. ist der Überschichtungsprozeß in der Schrift weitgehend abgeschlossen. In der ersten Hälfte des 17. Jhs. läuft auch der Bibeldruck in nd. Sprache aus. Der Reformation selbst kann keine Verdrängungsabsicht der nd. Sprache unterstellt werden (vgl. Gabrielsson 1983, 135f.). Bibeltext, Katechismus, Kirchenlieder, Kirchenordnungen erschienen unmittelbar und notwendigerweise in nd. Sprache. Das galt über einhundert Jahre lang. Dann machte die sprachliche Gesamtentwicklung das Übersetzungsmodell zunehmend entbehrlich, wenigstens im Schriftbereich. Für die Gesamtentwicklung war die Reformation der entscheidende Anstoß ⫺ und so wurde sie wohl auch indirekt eine Wirkkraft in der Verdrängung des Nd. Der Beitritt des Nordens zum neuen hochdeutschen Schrifttypus ist sodann von ganz entscheidender Bedeutung für die Durchsetzung einer überregionalen Schriftsprache. Der Überschichtungsprozeß im Norden fand früh schon Interesse und ist daher relativ gut erforscht (Lit. in den Spezialartikeln). Er hat, nimmt man schreibsoziologische Aspekte und gar die gesprochene Sprache hinzu, eine lange Laufzeit. Da bleibt noch viel zu tun. Ganz im Süden des dt. Sprachgebietes gibt es ebenfalls Übernahme-Probleme, wenn auch der linguistische Abstand zwischen existierenden Schreibsprachen und dem neuen expan-

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Abb. 159.1: Der Übergang der nd. zur hd. Sprache in tabellarischer Übersicht. Die Jahreszahl vor dem Rechteck bedeutet den Beginn der Aufnahme des Hd. (in Klammern erste Anläufe, die sich nicht durchsetzen), die Zahl hinter dem Rechteck den endgültigen Abschluß des Ablösungsprozesses. Von den beiden Zahlen im Rechteck stellt die erste den Abschluß im auswärtigen, die zweite denjenigen im inneren Kanzleibetrieb dar. (Nach Gabrielsson 1983)

dierenden Schriftsprachentypus geringer ist als im Norden. Als Zeugen für ein ‘Fremdheitsgefühl’ können wir im westlichen Teil keinen geringeren als den schweizerischen evangelischen Pfarrer Johann Jakob Bodmer nennen. Er veröffentlichte 1755 ein Traktat mit dem Titel: „Bestimmung der Verdienste D. Martin Luthers um die deutsche Sprache“: Darin ist aber weniger von Verdiensten die Rede als von Verlusten. Bodmer beklagt den Abbruch der Kontinuität in der Entwicklung der dt. Sprache. Man hätte auf das Mhd. zurückgreifen sollen: „Ich bedaure, daß der grosse Luther diese Idee nicht in mehrerm oder wenigerm Grade gehabt hat; denn es ist gewiß, daß er in der Sprache, in der Verfassung und dem Gebrauche der Minnesinger e allen Reichtum der Worter, alle Wendungen der e Saze, allen Nachdruck, alle Zierlichkeit gefunden e e hatte, welche er zur Ausdrukung seiner eigenen Vorstellungen, und derjenigen, die er von andern, selbst den heil. Scribenten, verdollmetschen wollte, e immer nothig haben mochte. Aber von diesem e scheint er nicht uberzeugt gewesen zu seyn“ (Bodmer 1755, 311f.).

Luthers offensichtliche Abwahl und sein Neuansatz seien zwar in protestantischen Landen angenommen worden, dies habe aber erhebliche Unterschiede gegenüber der Spra-

che der „catholischen Provinzen Deutschlandes“ gezeitigt. e

„Vor Luthers Veranderungen war der Unterschied e zwischen der sachsischen Mundart und der Beierischen oder Oesterreichischen ungleich geringer, als er heut zu Tage ist. Eben dieses mag zum Theile auch Ursache seyn, daß die Provinzen an dem obern Rhein, welche des Zwingels Lehre folgten, e und seine Bucher lasen, in welchen die Sprache der e e Schwabischen Kaiser sorgfaltiger behalten ward, e e viel spater der Sachsischen Sprache sich beflissen e haben, und noch izo in vielen absonderlichen Stuken davon abweichen“ (S. 314/15; vgl. für weitere Details Besch 1999a).

Damit sind Distanzzonen im Süden beschrieben, einerseits der katholische Widerstand, andererseits die zwinglianisch-schweizerische Eigenentwicklung, beide an sprachlicher Kontinuität festhaltend. Die Zwingli-Bibel hatte in der Schweiz über lange Zeit hin sprachlich wohl eine ähnliche Leitfunktion wie die Luther-Bibel in Deutschland. Sie ist am Beginn ganz selbstverständlich eingebunden in die alem. Schreibtradition ihrer Zeit und ihrer Region, so wie das auch gleichzeitig bei Luther im omd. Raum der Fall war. Revisionen der Übersetzung und auch sprachliche ‘Modernisierungen’ treten bei der Zwingli-Bibel früher

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

und häufiger auf als bei der Lutherbibel. Informationen darüber wie auch Literaturhinweise finden sich in Art. 15 (Sonderegger). Bodmer (1755) konstatiert, wie wir gesehen haben, für seine Zeit bereits die Übernahme der „Sächsischen Sprache“, allerdings mit vielen Abweichungen. In der Vorrede zu einem Neudruck der Zürcher Bibel von 1772 wird von sprachlichen Modernisierungen berichtet und von der generellen Absicht „[…] e uberhaupt die ganze Schreibart nach sichern Regeln, und nach dem nun einmal in ganz Deutschland angenommenen Sprachgebrauche, einzurichten“ (s. Besch 1990, 302). Wenn auch diesem Neudruck kein Erfolg beschieden war (wohl wegen des modernen Registers, das man der Aufklärung verhaftet sah, so eine Auskunft von Walter Haas), so bleibt doch die zitierte Äußerung ein metasprachliches Zeugnis zeitgenössischer Spracheinschätzung. Die Konvergenz ist in der Folgezeit weit gediehen, wie man schon zu Beginn des 20. Jhs. sehen kann. Teilweise sind die Entwicklungsstufen bereits gut erforscht. Daten und Spezialliteratur finden sich im Art. 193 (Sonderegger). Bisher ging man eher von einer Angleichung der ‘helvetischen Schreibart’ an den „allgemein in Deutschland angenommenen Sprachgebrauch“ aus. Haas (1994) postuliert die Gleichzeitigkeit der Ausgleichsvorgänge in der Schweiz und in den verschiedenen Regionen Deutschlands. Von ‘Rezeption’ oder „von einer schweizerischen Verspätung kann überhaupt keine Rede sein“ (214). Der Verfasser des Vorwortes in der Zürcher Bibel von 1772 sieht es wohl anders. Sonderegger (1993) gibt in seiner materialreichen Standortbestimmung des Frnhd. in der Schweiz gute Hilfen zur weiteren Klärung dieser wichtigen Frage. Er spricht durchaus auch von „hierzulande verfestigtem Neuhochdeutsch“ (25), andererseits aber auch von „Sprachformwechsel“, „Mischsprachformen“, von „Alemannisierung“ und „Entalemannisierung“ (25/26). Frnhd. in der Schweiz ist nach ihm „keine Einheit, sondern eine durchaus auseinanderstrebende Größe“ (25). Das läßt Eigenentwicklung wie auch Fremdeinfluß zu. Der Ausdruck „Sprachformwechsel“ impliziert aber wohl den Übergang von einer bisher gültigen zu einer anderen Sprachform, die in der Tat anderweitig gegeben und primär nicht selbst entwickelt sein kann, sonst wäre es kein Wechsel. Möglicherweise lassen die differenzierten Schreib-/ Schriftpracheverhältnisse des 16.⫺18. Jhs. in der deutschsprachigen Schweiz gar kein kla-

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res Entweder ⫺ Oder zu bezüglich eigenständiger Gleichzeitigkeit oder fremdbestimmter Rezeption. Vielleicht ist das reale Geschehen nur über ein dominanz-variierendes Phasenmodell annähernd erreichbar ⫺ ein faszinierender Horizont für weitere Studien. Das ‘katholische Oberdeutschland’, womit vornehmlich das Gebiet Bayerns und Österreichs gemeint ist, hat vor allem durch zahlreiche Arbeiten von Reiffenstein und Wiesinger (s. Art. 194⫺196) Konturen erhalten hinsichtlich seiner Schreib- und Drucksprache vom 16.⫺18. Jh. Neu ist seit der Reformation, daß immer schon gegebene sprachlandschaftliche Unterschiedlichkeit nun zusätzlich auch konfessionell ‘markiert’ werden kann im Sinne von ‘protestantischer’ und ‘katholischer’ Sprache. Markierung von Gruppenunterschiedlichkeit mittels Sprache, oft nur über wenige ‘Marker’, ist der Soziolinguistik sehr wohl bekannt und im übrigen wohl eine Art Basisphänomen menschlichen Verhaltens (vgl. im Alten Testament Richter 12, 6). Im katholischen Oberdeutschland stabilisierte sich eigene landschaftliche Schreib- und Drucktradition, anderswo, z. B. in protestantischen Landen Mittel- und Norddeutschlands, wurde sie zügig aufgehoben. Gestützt wurde die Stabilisierung durch das Verbot der Lutherbibel, Verbreitung katholischer Bibelübersetzungen in eher obd. Sprachduktus und durch die Gegenreformation im 16. und 17. Jh., gestützt auf das Jus reformandi aller weltlichen Landesherren und betrieben vor allem vom Jesuitenorden. Das Neulatein wurde weiter gepflegt und erlebte sogar noch einmal eine Blüte bis in das 18. Jh. hinein. Auch dieses wird dann als Hemmnis für den dringend nötigen Ausbau der dt. Muttersprache gesehen (vgl. Wiesinger 1997 u. teilweise auch 1997 a; Raab 1984). Man darf aber nicht verkennen, daß im 16. u. 17. Jh. Lat. auch außerhalb Oberdeutschlands immer noch eine wichtige überregionale und übernationale Verständigungs- und Prestigesprache war mit einem hohen Anteil an der Buchproduktion. Führende Personen der Reformationszeit (vgl. Stolt 1964 zu Luther) und noch lange danach publizieren gewichtige Anteile ihrer Schriften in lat. Sprache, sind schriftsprachlich also mindestens zweisprachig. Mit der jeweiligen Sprachwahl ändern sich oft auch die Text- und Stilmuster. Dieser ganze Bereich, auch die lange Dominanz des Lat. in den Domänen Universität, Kirche, Recht ist nur ansatzweise aufgearbeitet, ge-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

hört aber doch auch ganz wesentlich zu einer Sprachgeschichte der frühen Neuzeit. Geschichtliche und sprachliche Angaben zur schriftsprachlichen Entwicklung in Österreich vom 16.⫺18. Jh. finden sich, z. T. frühere Beiträge des Autors zusammenfassend, bei Wiesinger 1987, 1993, 1995 und 1997, einmal abgesehen von Art. 196. Es ergeben sich etwa folgende stichwortartige Hinweise: Beginn der Gegenreformation um 1550; Niederlassung der Jesuiten in Wien 1551; Verbot protestantischer Religionsausübung in Niederösterreich 1578, 1580 in Innerösterreich (Steiermark, Kärnten); Gegenreformation in Oberösterreich erst in den 1590er Jahren und wie im Fürsterzbistum Salzburg nur z. T. erfolgreich. Tirol war weitgehend katholisch geblieben. Um 1610 gilt, abgesehen von Oberösterreich und Salzburg, der größte Teil der ländlichen und städtischen Bevölkerung wieder als katholisch, der Adel folgt allmählich (Wiesinger 1987). Als wichtige Textsorte im rekatholisierten Land gilt die katholische Predigt. Wiesinger (1987, 88f.) selbst untersucht Predigtsammlungen von 1631⫺1733. Österreich erweist sich nach ihm auch in dieser Zeitspanne als partiell offen für omd. Einflüsse, im Gegensatz zur strengen Zensur und zur intensiven Verketzerung der ‘Luthersprache’ in Bayern. Über Johann Balthasar Antesperger erfolgt 1734 die erste Kontaktaufnahme mit Johann Christoph Gottsched, der dann auch Antespergers „Kayserliche Deutsche Grammatick“ von 1747 durchgesehen und 1749 Wien selbst besucht hatte, geehrt durch einen Empfang bei Kaiserin Maria Theresia. Gottscheds Grammatik findet zunehmend weite Verbreitung in Österreich. Die Regierungszeit Maria Theresias (1740⫺1780) und ihres späteren Mitregenten und Nachfolgers Joseph II. (1780⫺1790) ist die Zeit der Sprachreform im Zuge der Aufklärung. Argumente für eine solche Reform liefern neben Antesperger vor allem Johann Heinrich Gottlob Justi, ab 1750 erster Professor für deutsche Beredsamkeit an der Theresianischen Akademie, und Joseph von Sonnenfels, Mitbegründer der Wiener Deutschen Gesellschaft 1761 (genauer ausgeführt in Wiesinger 1997). „Das Zustandekommen einer einheitlichen deutschen Schriftsprache um 1750/60 ist kein allmählicher Ausgleichsprozeß, sondern beruht auf Schriftsprachwechsel durch Aufgabe der heimischen ‘oberdeutschen Schriftsprache’ zugunsten der ‘mitteldeutschnorddeutschen Schriftsprache’ im Rahmen der Aufklärung“ (Wiesinger 1996, 317). Auflistungen der „hauptsächlichsten schriftsprachlichen Fehler der Österreicher“ finden sich in Wiesinger 1983 (⫽ Liste des Paul Graf Amor von Soria, 1772) und mit Aufzählungen von Joseph Sonnenfels 1784 und Samuel Riedl 1787 zusammengefaßt in Wiesinger (1995, 347f.). Es handelt sich um sprachlandschaftliche Varianten insbesondere im Flexionsbereich ⫺ ohne Beeinträchtigung des Verstehens in der Regel.

Einige Fälle erwecken den Verdacht, daß sie im 18. Jh. auch noch andernorts gebräuchlich sind. Dies bedarf der weiteren Prüfung, ebenso die Etikettierung dieses Vorgangs mit dem anspruchsvollen Terminus „Schriftsprachwechsel“.

Für Bayern gelten, soweit man es bisher übersehen kann, ähnliche Bedingungen. Nur scheint dort der Grad der Konfessionalisierung von Sprache merklich höher gewesen zu sein als im kaiserlichen Österreich, galt doch Bayern schon im 16. Jh. als Vormacht der Gegenreformation in Deutschland. Im Vielvölkerstaat mit dem Zentrum Wien war eine dominante Konzentration auf konfessionelle dt. Sprachpolitik wohl auch nicht möglich. Wiesinger (1987, 105) kommt am Ende seines Beitrags zu dem Schluß: „Von einer ‘sprachlichen Abgrenzung aus konfessionspolitischen Gründen’, wie Dieter Breuer dies annimmt, kann jedenfalls für Österreich, insbesondere für Wien keine Rede sein. Damit wird natürlich die Existenz einer bairisch-oberdeutschen Regionalsprache als einer von mehreren derartigen Regionalsprachen vor der Einigung zu einer allgemein verbindlichen deutschen Schriftsprache um 1750 nicht geleugnet […]“ (Mit Breuer ist entsprechend einer Anmerkung Breuer 1979 gemeint). Raab (1984) prüft die katholischen Territorien auf ihre Haltung zum ‘lutherischen Deutsch’ hin. Er hat Kurmainz, die Fürstbistümer Fulda und Würzburg, die Hochstifte Augsburg und Passau und Kurbayern im Blick. Für letzteres gilt: „Am längsten wehrte sich ,der allzeit selbstbewußte bayerische Stamm’ gegen das obersächsische, als lutherisch empfundene Deutsch“ (35). Die Angelegenheit erhielt z. T. Züge eines Sprachund Kulturkampfes, wobei Charakterisierungen von protestantischer Seite das katholische Deutschland zunehmend in die Defensive drängten. Die Kirchensprache der Protestanten war Dt., die der Katholiken Lat. Da lag die Gleichung ‘katholisch⫽römisch⫽undeutsch’ gleichsam auf der Hand, ebenso wie ‘lutherisch⫽deutsch’. Einerseits werden zunehmend gravierende Defizite katholischer Lande in Sprachkultur und Dichtung bemängelt, andererseits die ‘lutherische Sprache’ mit dem religiösen Verdikt ‘ketzerisch’ belegt. Schriften werden verboten, Bücher konfisziert. Die bayerische Einbindung in die abschließende Einigungsphase des modernen ‘Hochdeutschen’ erfolgte in gewisser Weise zeitlich parallel mit der öst., also etwa um die Mitte des 18. Jhs. „Gedruckte Publikationen voll-

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

zogen spätestens seit der Jahrhundertmitte den Übergang zur hochdeutschen Schriftsprache. In privaten Aufzeichnungen, in Briefen, Tagebüchern u. dgl. herrschte indes bei vielen Schreibern noch das Oberdeutsche vor, während andere, vornehmlich die Jüngeren und die ‘Fortschrittlichen’, schon das moderne Hochdeutsch verwenden“. Das ist Reiffensteins Beitrag (1995, 307) zu entnehmen, der vorangehende Detailstudien aus seiner Feder zu einem ersten Gesamtbild zusammenfügt. Bayern, wie auch der ganze Süden beteiligten sich erst „mit großer Verspätung“ am Diskurs über das richtige Hd. Eine erste Plattform dafür stellte der „Parnassus Boicus“ dar, eine zwischen 1722⫺1740 mit Unterbrechungen in München erscheinende Gelehrtenzeitschrift dt. Sprache, zugleich Organ der katholischen Aufklärung in Bayern. Der Sprachdisput verbindet sich insbesondere mit den Namen Gelasius Hieber und Agnellus Kandler (s. Reiffenstein 1995, 308f. u. seinen Beitrag 1988). Beide gehören den „Augustinern“ an ⫺ es geht also der sprachliche Anstoß nicht vom aufgeklärten Bürgertum aus, sondern von Angehörigen eines (alten) Ordens. Organisatorisch will man sich nicht mit einer Sprachgesellschaft üblicher Art zufrieden geben, sondern denkt an eine Art obrigkeitlicher Regelung von Sprachfragen über eine überregional vom Kaiser geförderte Akademie ⫺ wenn auch letztlich ohne Erfolg, wenigstens in dieser Form. Die Sprachangleichung erhält den entscheidenden Anstoß 1759 durch die Gründung der ‘Churbayerischen Akademie der Wissenschaften’ in München und ist verbunden mit den Namen Johann Georg Lori, Heinrich Braun (vgl. Matzel 1982) und Joseph Wismayr (s. Reiffenstein 1995, 312f.). Die Unterstützung des Kurfürsten Maximilians III. Joseph ermöglicht 1765 die Errichtung eines Lehrstuhls für dt. Sprache und Redekunst, auf den Heinrich Braun berufen wird. Noch im selben Jahr erscheint dessen „Anleitung zur deutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Schulen in den Churlanden zu Baiern“. Der Kurfürst ordnet deren offizielle Einführung an den Schulen Bayerns an (313). Eine Analyse von Brauns ‘Anleitung …’ findet sich bei Reiffenstein (1993); dort wie auch bei Reiffenstein (1995, 313f.) sind Merkmale der abgehenden obd. Schreibsprache zusammengestellt. Die Münchner Akademie ist über Mitgliedschaften mit Leipzig verbunden, Gottsched (s. Reiffenstein 1989) die anerkannte sprachliche Autorität, die Publikationssprache Dt., die

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Mitgliedschaft überkonfessionell. Viel ist Ordensleuten (in Gegnerschaft zu den Jesuiten) zu verdanken: „Die führenden Köpfe in der Schulreform und bei der Durchsetzung des modernen Hochdeutschen waren (ehemalige) Priester, (ehemalige) Ordensgeistliche, auch Exjesuiten. Immerhin begannen auch Laien im Dienste des Staates (Beamten), Gelehrte, Pädagogen und Aufklärungspublizisten eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen. Für sie alle blieb die Bayerische Akademie der Wissenschaften eine unentbehrliche Institution für ihre Kommunikation und Wirkung. Das Besitzbürgertum war an diesen Initiativen so wenig beteiligt wie der Adel“ (Reiffenstein 1995, 315).

Reiffenstein nennt den Übergang von der älteren obd. Schreibsprachetradition zur neuen hd. Schriftsprache einen „Kodewechsel“ (1995, 307). Wiesinger, wie schon erwähnt, einen „Schriftsprachwechsel“. Maas/ Mattheier (1987) sprechen, generell gesehen, von „Überschichtungsprozessen“ und „Ausgleichsprozessen“. In welche Kategorie gehören die Vorgänge in Österreich und Bayern um die Mitte des 18. Jhs? Welches Ausmaß hat jeweils die Konfessionalisierung von Sprache metasprachlich wie vor allem auch im Alltagsleben? Weitere regionale Sprachgeschichtsforschung kann hier zusätzliche Klärungen ermöglichen. Vermutlich ist das, was man gemeinhin Obd. nennt, deutlich nach Region und Zeit zu differenzieren, ebenso das Md., wobei dann Konfession eben nur ein Kriterium neben anderen sein kann. Auch stehen wir Heutigen ganz unbewußt in der Gefahr, eine moderne Vorstellung von Spracheinheitlichkeit in die fraglichen Jahrhunderte zurückzuprojizieren, wo doch die allgemeine Schulpflicht erst allmählich im 18. Jh. und die staatliche Aufsicht darüber in den großen und kleinen Territorien erst am Ende des 18. Jhs. einigermaßen gegeben war. Das Signum in all dieser Zeit ist Regionalität und z. T. eben auch Variabilität in Sprache und Orthographie. Es wird sich zeigen, ob man unter Berücksichtigung dieser Grundtatsache die um 1750 noch verbliebenen Varianten und deren Abbau tatsächlich in der Kategorie „Schriftsprachwechsel“ verbuchen darf. Ausgenommen sind allerdings gewisse Wortschatzprobleme, aber das ist ein Kapitel für sich. Die ‘mittleren’ Sprachlandschaften werden wohl wegen größerer linguistischer und z. T. auch geographischer Nähe oder gar Zugehörigkeit zur omd.-oberfrk.-nordbair. Ausgangsregion des Neuhochdeutschen dem Ty-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

pus ‘Ausgleichsprozeß’ in Erlangung der schriftsprachlichen Norm zugerechnet werden können ⫺ mit Ausnahme vielleicht westlicher Randgebiete. Der omd. Bereich ist da besonders gut erforscht. Hinweise auf eine stattliche Anzahl von wichtigen Einzelarbeiten finden sich bei Besch (1985, 1800f.), Peilicke (1981), Bentzinger (1993) und in Literaturverzeichnissen der jüngeren Bände aus diesem Gebiet. Fortschritte in der Gesamtbeurteilung der schreib-/schriftsprachlichen Vorgänge zeitigen vor allem die korpusgestützten Untersuchungen der Frühneuhochdeutschen Arbeitsgruppe am ehem. Zentralinstitut für Sprachwissenschaft in Ostberlin. Unter überregionalem Aspekt wurden sie in diesem Artikel bereits gewürdigt, regional, d. h. für Omd. finden sich zusätzliche Ergebnisse. Die ebenfalls korpusgestützten Arbeiten von Kettmann (u. a. 1967, 1968, 1987, 1993) erlauben zum ersten Mal eine verläßliche Einordnung Martin Luthers in die Schreibsoziologie und Druckersprache Wittenbergs zu seiner Zeit, ebenso in die kursächsische Kanzleisprachtradition und verfolgen auch die Drucktradition späterhin im omd. Raum. Auf dieser gesicherten Basis sind nun u. a. auch erhellende Vergleiche mit der Kanzlei Kaiser Maximilians I. möglich, auf die sich Luther in einer Tischrede ebenfalls bezieht (WA, Tischreden, Bd. 2, Nr. 2758/b) und deren Schreibusus Hans Moser (1977) genau untersucht. Sprachliche Veränderungen in omd. Drucken der Luther-Bibel vom 16.⫺18. Jh. werden in Besch (1984) aufgezeigt. Es wird ersichtlich, daß (a) die orthographische Gestalt der Luther-Bibel sich im behandelten Zeitraum ganz erheblich ändert, also nicht „statisch“ bleibt, daß es (b) Fälle des Gleichlaufs mit der allgemeinen Entwicklung, (c) des Vorlaufs und (d) auch der Retardierung gibt. Paralleluntersuchungen an weltlichen Texten, an unterschiedlichen Textarten, gebiets- und zeitbezogen, sind nötig, auch ‘Tiefenbohrungen’ in geeigneten städtischen Zentren. Berlin ist mit Art. 161 in diesem Handbuch vertreten; man vgl. auch den omd. Regionalartikel 189. Es sind noch zahlreiche korpusorientierte Zugriffe denk- und wünschbar. Die Erfahrung lehrt, daß bei aller Wichtigkeit von sprachtheoretischen Erwägungen es vor allem strukturierte Textquellen-Auswertungen gewesen sind, die die Forschung weitergebracht haben. Sie fehlen auch noch weithin für die frnhd. Schriftzeugnisse in Schlesien und teilweise auch in Böhmen/Mähren (s. aber hier

die im Lit.Verz. genannten Arbeiten von Piirainen). Es sind dies wohl schreibsprachliche Brückenlandschaften zwischen Omd. und Oobd. Der wmd. Bereich ist unterschiedlich gut erforscht. Es bedarf wohl auch einer deutlichen Differenzierung zwischen dem nördlichen und den südlicheren Teilen, wozu ich ausnahmsweise auch noch das obd. Straßburg hinzunehmen möchte. Im Norden ist das rip. Köln mit seinem Einflußgebiet stark mit den Nfrk. verbunden. Der schreibsprachliche Anschluß an das Nhd. erfolgt zwischen ca. 1540⫺1575; Details und Spezialliteratur werden in Art. 162 (Stadt Köln) und im Regionalartikel (187) über Aspekte rheinischer Sprachgeschichte geliefert. Für Maas/Mattheier (1987, 236f.) ist Köln ein Beispiel für ‘Überschichtung’: „Das 16. Jh. ist für Köln wie auch für die meisten niederdeutschen Städte das Jahrhundert des Zusammenbruchs der eigenständigen Schriftlichkeit und der Überschichtung durch die oberdeutsch geprägte überregionale Schriftsprache. […] Letzte Nachzügler ripuarischer Schriftlichkeit finden sich um die Jahrhundertwende zum 17. Jh.“. Gemessen an rip. und nd. Verhältnissen wird man im Mslfrk. und Rhfrk. nicht von Überschichtungs-, sondern eher von Ausgleichsprozessen ausgehen, so wie das sicher für das hess. Frankfurt und das els. Straßburg gilt, beides große Vermittlungsagenturen des Nhd. Bisherige Arbeiten (u. a. Schützeichel 1974; Steffens 1988) zeigen kontinuierlichen Einfluß südlicher Schreibsprache schon vor Beginn der Umwälzungen im Gefolge der Reformation. Weitere ältere und jüngere Studien zum rhfrk. Raum sind in Maas/Mattheier (1987, 239) aufgelistet. Dort ist auch Mattheiers Plan einer Zweiphasen-Analyse von Stadtsprache und Raumbezug skizziert. Die erste Phase zielt auf historische Stadtsprachenanalysen etwa für Speyer, Heidelberg, Worms, Mainz, Ingelheim und Frankfurt. In der zweiten Phase sollen diese Städte mit ihrer schreibsoziologischen Schichtung Ortspunkte werden für die vorsichtige Erschließung von Raumbezügen. Das Vorhaben ist vielversprechend. Spätere Ergebnisse könnten u. a. auch dazu verhelfen, die eine oder andere These Mattheiers zum Ablauf der nhd. Spracheinigung in mehreren seiner Beiträge (u. a. 1981, 1989, 1991) zu bestätigen oder auch zu relativieren. Er postuliert eine wesentlich stärkere Rolle Süddeutschlands im überregionalen Sprachausgleich. Die Beleggrundlage dafür ist aber derzeit

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

eher noch schwach, auch werden Bezeichnungen wie ‘Gemeines Deutsch’, ‘Süddeutsche Reichssprache’, ‘Jesuitendeutsch’ zu sehr als feste Größen genommen. Die weiteren Regionalstudien werden da wohl mehr Klarheit schaffen. Straßburg als bedeutende Reichsstadt und dann auch Stadt des Mitreformators Martin Bucer übernimmt überraschend schnell den neuen Schriftsprachtypus, wiewohl vorher und über längere Zeit die Tradition einer oberrheinischen Schreibsprache Geltung hatte. An jüngeren Arbeiten sind u. a. zu nennen Bauer (1988); Stadtsprachenforschung (1988); Hartweg (1984, 1986, 1988, 1990); Stockmann-Hovekamp (1991); Besch (1993a). Der hier versuchte Überblick über die Teillandschaften ging von Abstandsregionen (Norddeutschland, Schweiz, Bayern u. Österreich) aus und behandelte dann die ostd. und wmd. Regionen. Straßburg war schon ein Rückgriff auf das Obd., zu dem ja auch die dt. Sprache in der Schweiz, in Bayern und Österreich zählt. Auch das Schwäbische und das Ofrk. (Nürnberg, Bamberg) gehören zum Obd. Hier sind die Sprachverhältnisse z. T. ganz anders als im entfernten Südwesten oder Südosten. Insbesondere das Ofrk. erweist sich als zentrale ‘Ausgleichsagentur’ in der Grundlegung des nhd. Schrifttyps, speziell die Schreib-/Drucksprache Nürnbergs (wie dann auch Augsburgs). Wenn man also vom Obd. spricht und es dem Md. bzw. Nd. gegenüberstellt, dann muß man (mindestens) für die frühe Neuzeit von erheblichen Binnenunterschieden eben dieses Obd. ausgehen. In der Übersicht fehlt auch noch das Hess., das nun wiederum zum Md. zählt. Überall gibt es sprachhistorische Einzelarbeiten, besonders für herausragende Städte wie Nürnberg und Frankfurt, aber meines Wissens wohl keine systematischen Erkundungen der Schreibsprachgeschichte des jeweiligen Raumes unter Berücksichtigung von Textart und Zeitschnitten. Partiell werden die genannten Räume auch in den überregionalen Projekten (auf Textkorpusbasis) greifbar (vgl. die Bände Grammatik des Frühneuhochdeutschen; die Bände zur Ausbildung der Norm …; das Werk über die Entwicklung der Großschreibung). Für Spezialliteratur muß aus Platzgründen auf die betreffenden Regionalartikel zum Elsaß, zum Oberrheingebiet, zu Hessen verwiesen werden, sowie auf den Nürnberg-Artikel (163).

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Das Stichwort ‘Schreibsoziologie’ in diesem Abschnitt 4.7. zielt vor allem auf Untersuchungen von Städten mit reichem Bestand an Archivalien, Handschriften, Druckzeugnissen. Köln, Nürnberg, Wien sind Paradebeispiele dafür (s. die entsprechenden Artikel). Straßburg wurde eben schon genannt. Graser (1993) berichtet über ein „Korpus zur Augsburger Druckersprache“, das derzeit 86 Titel für den Zeitraum 2. Hälfte 15. bis Anfang 19. Jh. umfaßt. Idee und Auswahl geht auf Stopp (1979) in Zusammenarbeit mit Graser zurück. Augsburg zählt über die Jahrhunderte hin zu den bedeutenden Druckzentren (vgl. u. a. Stopp 1978), insbesondere auch durch seinen besonders hohen Anteil an deutschsprachigen Texten. Aber auch Städte mittlerer Größe und Reichweite, sofern gute Quellenlage gegeben ist, sind lohnende Untersuchungsziele. Peters (1995) z. B. liefert Aspekte einer Sprachgeschichte Münsters i. W., Elmentaler (1993) erörtert am Beispiel Duisburgs die Probleme der Rekonstruktion stadtsprachlicher Schreibsysteme. Für Duisburg hat insbesondere Mihm (1999a⫺c) erhellende Studien vorgelegt. Dies sind nur wenige Hinweise auf jüngere Arbeiten zum Aufgabenfeld ‘Stadtsprachenforschung’, dem sich übrigens seit einer Reihe von Jahren ein informeller Arbeitskreis von Sprachhistorikern widmet (vgl. Maas/Mattheier 1987 und die dort verzeichnete Literatur). Gibt es neben der vielfach bezeugten Schriftlichkeit in den Städten auch eine ,ländliche Schriftlichkeit’? Wenn es sie ⫺ auch schon früh ⫺ gegeben hat, dann ist sie von der Sprachgeschichtsschreibung sträflich vernachlässigt worden, und dies, nach Knoop (1995, 26f.) vor allem aufgrund völlig veralteter Vorstellungen von der ortsgebundenen ländlichen Bevölkerung und der entsprechenden fehlenden Mobilität. Knoop berücksichtigt in seiner Marburger Habilitationsschrift von 1992 neuere Forschungsergebnisse zur Sozialgeschichte der ländlichen Bevölkerung und versucht, diese für die ländliche Kommunikations- und Schriftlichkeitsgeschichte fruchtbar zu machen. Ähnliche Ansätze, wenn auch z. T. erst im 17. und 18. Jh., verfolgen Maas (u. a. 1995) und Gessinger (u. a. 1995). Peter v. Polenz (1994, 226f.) referiert die bis Anfang der 1990er Jahre vorliegenden Ansätze. Die Versuche über ‘Ländliche Schriftlichkeit’ sind hilfreich im Aufbrechen gewisser Stadt-Land-Stereotype und der damit gekoppelten Mobilitäts- und Sprachvorstellungen. Es müssen aber die bildungshisto-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

rischen Gegebenheiten auf dem ‘flachen Land’ sehr genau im Blick bleiben, insbesondere in der frühen Neuzeit, selbst noch im 18. Jh. ‘Ländliche Schriftlichkeit’ ist sicher nicht als ein ‘Flächenphänomen’ anzunehmen. Am ehesten wird man auf eine ‘ländliche Oberschicht’ (v. Polenz 1994, 230) rekurrieren können, als solche zahlenmäßig noch wenig greifbar, dann auch auf schreibkundige Mittelsleute aus Stadt und Klerus, dies vor allem im 15. und 16. Jh. 4.8. Umrisse schreibsprachlicher Areale im Spätmittelalter Der Rückgriff in das Spätmittelalter bedeutet auf keinen Fall eine erneute Rückverlagerung der Entstehung unserer Schriftsprache in das Mittelalter (vgl. dazu Abschnitt 4.1.). Der Neuansatz liegt zweifellos in der ersten Hälfte des 16. Jhs. Er kann allerdings nicht völlig unabhängig sein von Sprachraumkonstellationen seiner Zeit bzw. unmittelbar davor. Diese in Umrissen zu kennen, erleichtert mit einiger Sicherheit das Verständnis der turbulenten schreibsprachlichen Umbrüche in der ersten Hälfte des 16. Jhs. im Gefolge der Reformation. Es erfolgen Hinweise auf je ein größeres historisches Atlas-Unternehmen im Südwesten und im Norden, auf hilfreiche Ausarbeitungen einer (historischen) Rechtssprachgeographie und auf innovative Einzelarbeiten zur historischen Schreibgeographie. „Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas“ (HSS) ist der Titel eines 1979 erschienenen zweibändigen Werkes von Wolfgang Kleiber, Konrad Kunze und Heinrich Löffler. Ausgewertet sind ortsgebundene Güter- und Abgabenverzeichnisse (Urbare) von 114 Scriptorien im deutschen Südwesten von 1280⫺1430. Im Mittelpunkt steht die Kommentierung und Kartierung der Schreibtraditionen im Lautbereich, ergänzt durch Beobachtungen zur Nominal- und Verbalflexion und zu Wortarealen. Der HSS ist ein Pionierwerk historischer Sprachgeographie, sowohl hinsichtlich der linguistischen Auswertung historischer (schriftlicher) Belege wie auch hinsichtlich der Kartierungsmethoden. Es zeichnen sich Schreibsprachareale und Grenzbzw. Übergangszonen ab, die als Reflexe größerer Bewegungen bzw. regionaler Sprachgegebenheiten verstanden werden können. Eine Hintergrundfolie dieser Art ist dann auch für die Sprachentwicklungen in der 2. Hälfte des 15. und des beginnenden 16. Jhs. nicht uninteressant. Weitere Details zum HSS und zu seiner wissenschaftlichen Einschätzung fin-

den sich in den Artikeln 51 (Kleiber) und 192 (Kunze). An einem Atlas mnd. Schreibsprachen wird derzeit in Münster und Rostock gearbeitet. Das Textkorpus umfaßt innerörtliche amtliche Texte aus ca. 60 nd. Städten mit etwa 120 Texten pro Ort, in bestimmter Gewichtung verteilt auf das 14. und 15. Jh. Das Interesse gilt Erscheinungen der Lautlehre, der Morphologie und signifikanten Kleinwörtern. Vorbereitende Arbeiten sind am Lehrstuhl Jan Goossens in Münster entstanden. Einen Katalog zu untersuchender sprachlicher Merkmale (Variablen) hat Peters (in III Teilen) vorgelegt. Weitere Details finden sich in Art. 52 (Goossens) und bei Peters ˚ sdahl Holmberg (1950) hatte (1994). Schon A bei ihrer Kartierung mnd. Handwerkerbezeichnungen aus Archivalien der Zünfte bereits eine verläßliche Belegdichte erreicht. Die Rechtssprachgeographie als Sonderfall historischer Wortgeographie hat eine beachtliche Geschichte im deutschsprachigen Raum. Sie beginnt mit v. Künßbergs Arbeit (1926); die weitere Entwicklung ist bei Munske (1968) skizziert und danach vor allem durch wichtige Studien von SchmidtWiegand dokumentiert, man vgl. dazu etwa den auch methodisch bilanzierenden Beitrag von Schmidt-Wiegand 1989, ebenfalls die Artikel 5 und 6 aus der Feder derselben Autorin. Da es sonst noch sehr an der Herausarbeitung historischer Wortschatzareale mangelt, sind historische Rechtswortkarten wie auch historische Geltungsräume etwa von Handwerkerbezeichnungen sehr willkommen. Ende der 1960er Jahre sind fast gleichzeitig drei Monographien erschienen, die unabhängig voneinander schreibsprachliche Konvention und Variation im deutschsprachigen Raum des späten Mittelalters erkunden wollten. Textgrundlage bei Besch (1967) sind Handschriften einer weitverbreiteten Erbauungsschrift vornehmlich aus dem 15. Jh., bei Ising (1968) Bibeltexte und Glossare, bei Grubmüller (1967) ein Wörterbuchtyp großer Verbreitung mit lat. Lemmata und weitgehend deutschen Interpretamenten. Weiterhin ist N. R. Wolf (1975) zu nennen. Die Würzburger Forschergruppe unter Leitung von Kurt Ruh hat die Überlieferungsgeschichte des Vocabularius ex quo vorbildlich editorisch dokumentiert (man vgl. den Einführungsband ‘Vocabularius Ex quo’ 1988). Gleiches gilt für die Überlieferungsgeschichte der Elsässischen ‘Legenda aurea’ und für die

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

‘Rechtssumme’ Bruder Bertholds, ebenfalls erarbeitet von der Würzburger Forschergruppe. Die Variantenregister (s. auch Kirchert/Klein 1995) zeigen interessante wortgeographische Dimensionen des späten Mittelalters, allerdings nicht greifbar ohne akribische Prüfung der Vorlagen-, Datierungs- und Lokalisierungsprobleme. Wie man vorgehen muß bei der Auswertung der Variantenregister und wie man historische Wortareale verläßlich rekonstruieren kann, das hat Kunze (1975, 1985, 1989) in anregenden Beiträgen gezeigt; auch Schnell (1979) und Dittmann (1980) sind zu nennen. Auf ein „Lateinisch-mittelniederdeutsches Glossarienkorpus“ in Münster (Westfalen) weisen Peters (1992) und Fischer (1992) hin. Genauere Kenntnisse von Wortarealen, überhaupt von schreibsprachlichen Geltungsbereichen früherer Zeit, sind ein Gewinn für sich und zugleich (im ausgehenden Mittelalter) ein möglicher Schlüssel zum Verständnis der schriftsprachlichen Einigungsbewegung, einsetzend im 16. Jh.

5.

Phasen der Ausbreitung und Ausformung

5.1. Ausbreitung Nach allen Details der Skizzierung des Forschungsstandes mag ein zusammenfassendes Ablauf-Tableau der Schriftsprachenentwicklung im Blick auf Ausbreitung und Ausformung willkommen sein. An den Anfang stelle ich eine Übersicht über die Drucklandschaften Ende des 16. Jhs., wie sie sich zeitgenössisch nach der Einschätzung des Schulmeisters Sebastian Helber in Freiburg i. Br. 1593 ergibt. Viererlei Teu˘tsche Sprachen weiß ich, in denen man e Bu˘echer druckt, die Colnische oder Gu˘lichische, die e e Sachsische, die Flammisch od’ Brabantische, [32] vnd die Ober oder Hoch Teu˘tsche. Vnsere Gemeine Hoch Teu˘tsche wirdt auf drei weisen gedruckt: eine e mochten wir nennen die Mitter Teu˘tsche, die andere e die Donawische, die dritte Hochst Reinische: (dan das Wort Oberland nicht meer breu˘chig ist.) Die Drucker so der Mittern Teu˘tschen aussprach als vil die Diphthongen ai, ei au etc. belangt, halte¯, verstee ich die vo¯ Meinz, Speier, Franckfurt, Wu˘rzburg, Heie delberg, Nornberg, Straßburg, Leipsig, Erdfurt, vnd e andere, denen auch die von Colen volgen, wan sie das Ober Teu˘tsch verfertigen. Donawische verstee ich alle in den Alt Baierischen vnd Schwebischen Lande¯, e den Rein vnberurt. (Alt Baierische seind die, so vorzeiten all vnder eim Fu˘rsten waren, nemlich jeziges e Horzogthumb Beieren, Ost oder Oesterreich nid vnd

2283

e

ob der Ems, Karnten, Steier, Tirol, Krain, Saltzburgerland, samt der Ambergische¯ oder Obern Pfaltz e e mit iren anstossen, etc.) Hochst Reinische lestlich, die so vor iezigen jaren gehalten haben im Drucken die Sprach der Eidgenossen oder Schwei⫽[33]tzer, der Walliser, vnd etlicher beigesessener im Stifft Costantz, Chur, vn˜ Basel (Helber S. 24).

Ausschlaggebend für das weitere Schicksal einer gesamtdeutschen Schriftsprache war der rasche Beitritt Norddeutschlands zum Hd. meißnischer Prägung (wie es zeitgenössisch heißt). Dadurch erweiterte sich das Geltungsareal der in der Grundlegungsphase erreichten Form der neuen Schriftsprache in entscheidender Weise, wobei man ‘entscheidend’ in seinem eigentlichen Wortsinn verstehen muß, nämlich die Entscheidung herbeiführend. Sonst hätte der lange Widerstand im traditionsreichen und weithin katholisch gebliebenen Oberdeutschland gegen die ‘Luthersprache’ vielleicht doch einen z. T. anderen Gang der dt. Sprachgeschichte bewirkt, allein schon von den Geltungsarealen her, nämlich dann, wenn der nd. Raum eine eigene Schriftlichkeit (vgl. Hansesprache) beibehalten und weiterentwickelt hätte. Die objektiven Bedingungsfaktoren und die Bewußtseinsstrukturen, die den Übergang zu einer ‘fremden’ Sprache letztlich verursacht oder begünstigt haben, müssen über die vorhandenen Ansätze hinaus aus den zeitgenössischen Quellen noch genauer erarbeitet werden. Insofern ist der Hinweis auf das erweiterte Geltungsareal keine ‘Erklärung’ der Vorgänge (vgl. Mattheier 1981, 281f.), d. h. keine Antwort auf die Frage, warum Norddeutschland zum Hd. überging. Aber mit dem Vollzug erhält das Beschreibungsprinzip ‘Geltungsareal’ sozusagen auch eine Erklärungsqualität, weil fürderhin die Tatsache der weitesten Verbreitung einer bestimmten Sprachform selbst zum Wirkfaktor werden kann. Der Vorgang der Sprachübernahme im nd. Raum, der eine Sprachersetzung (Überschichtung) ist, erfaßt zuerst die offiziellen Bereiche, zuletzt die privaten; er vollzieht sich in der sozialen Stufenfolge vom Fürsten über den Bürger zum einfachen Volk; ebenso ist ein Fortschreiten vom Schriftlichen zum Mündlichen zu erkennen. Mit dem Anschluß an das Hd. durch Sprachersetzung ergab sich eine Diglossie-Situation für viele, die als Gewinn und Problem zugleich gesehen werden muß (vgl. u. a. Besch 1979 b). Den Charakter einer Sprachersetzung (Überschichtung) hat im wesentlichen auch

2284

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

die Ausbreitung der neuen Schriftsprache in den rip. und nfrk. Raum hinein. In der Kölner Schriftlichkeit vollzieht sie sich nach Schreibschichten gestuft zwischen 1540⫺ 1575. Teile des niederrhein. Gebietes (Geldern, Kleve, Rees), das Gebiet der ehemaligen Grafschaft Lingen und Teile Ostfrieslands haben ihre eigene Geschichte: Sie gehen erst im 18. Jh. oder sogar erst um und nach 1830 zur hd. Schriftsprache über, nicht ohne massiven Druck der staatlichen und kirchlichen Behörden. Bis dahin zogen sie aus Gründen der sprachlichen Nähe und vielfacher Grenzland-Verflechtungen die nl. Schriftsprache in Kirche, Schule und sonstigen offiziellen Bereichen vor (vgl. Lit. bei Besch 1979 b 340f., bzw. die Arbeiten von Taubken 1981; Cornelissen 1986). Die Durchsetzung der neuen Schriftsprache im oberdt. und restlichen wmd. Raum ist insgesamt leichter, weil es sich bei der größeren sprachlichen Nähe nicht um Sprachersetzung handelt, andererseits schwierig im Detail, weil gefestigte landschaftliche Schreibtraditionen und konfessionelle Barrieren (s. 4.7.) sich als hemmend erweisen. Auch hier gilt, daß mit zunehmendem geographischen und sprachlichen Abstand vom omd.-ofrk.oobd. Raum sich in der Regel zunehmende Schwierigkeiten der Übernahme und zunehmende Verzögerungen des Vorganges ergeben. 5.2. Ausformung Dies bedeutet zum einen den Abbau der vielfältigen regionalen Varianten, also schriftsprachliche Normierung. Auf Grund der starken sprachlandschaftlichen Gliederung des Dt. dauert dieser Vorgang Jahrhunderte (16.⫺18. Jh.) und ist z. T. heute noch nicht ganz abgeschlossen. Er vollzieht sich strikter im orthographischen und flexionsmorphologischen Bereich als etwa in Wortschatz und Syntax. Dabei wird die Frage nach der verbindlichen Norm-Instanz (‘was ist Hochdeutsch?’) im 17. und noch im 18. Jh. sehr kontrovers beurteilt (vgl. etwa Jellinek 1913/ 14 I, §3 138, 191f.; Nerius 1965, 1967; Henne 1968; Eichinger 1983; Naumann 1983). Mit dem Variantenabbau geht zweitens der strukturelle Ausbau einher. Zum Teil sind beide Vorgänge eng miteinander verflochten. Es melden sich zunehmend die Grammatiker zu Wort. Sie kommen nicht nur aus den Ausgangsgebieten des neuen Schriftsprachetyps, sondern auffallend häufig aus dem nd. Raum, dann auch aus dem obd. Dadurch er-

gibt sich eine Art gesamtdeutscher Beteiligung an den Normierungsvorgängen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, je nachdem, ob das Analogieprinzip oder der beste Sprachgebrauch von ‘Scribenten’ oder einer bestimmten Landschaft als Normrichtschnur angesehen wurden (vgl. Josten 1976). Es bilden sich mit vielen Schwankungen und Umwegen die späterhin gültigen orthographischlautlichen und grammatischen Klassifizierungen heraus (vgl. Jellinek 1913/14, Bd. II; auch verschiedene Artikel im XIII. Kap. dieses Handbuches; Glaser 1979; Bergmann 1982, 1983; Matzel/Penzl 1982; Heinle 1982; Poppe 1982; Diedrichs 1983; Moulin-Fankhänel 1994, 1997 u. Art. 132). Als auffallende entwicklungsgeschichtliche Grundzüge des Nhd. sind u. a. vermerkt worden: Funktionalisierung von orthographischen Varianten (e/ä im Sinne des sog. etymologischen Prinzips; von ei/ai; von Dehnungs -e- und -h- etc.); Funktionalisierung des Umlauts; Tendenz zur Monosemie (Geschlossenheit der Bedeutung); Unwichtigwerden der Kasuskategorie, Profilierung der Numeruskategorie, Tempusprofilierung, Ausbau der Satzklammer, etc. (vgl. vor allem Hotzenköcherle 1962; auch Straßner 1977; Stopp 1977; Schmidt-Wilpert 1980; Wegera 1980; die Bände der Grammatik d. Frühnhd.; zur Entwicklung der Sprache der Literatur s. Art. 199; Blackall 1966). Eine entschiedene Ausformung erhält auch der schriftsprachliche Wortschatz. Hier können die sachlichen Notwendigkeiten wie auch landschaftliche und gesellschaftliche Einflußfaktoren in vielfacher Weise zum Zuge kommen. (vgl. Art. 129, 175, 176). Es wird notwendig sein, die Vorgänge in der Grundlegungsphase, wo es z. T. um Auswahlvorgänge im Basiswortschatz geht, zunächst von den Vorgängen der Ausbau- und der Bereinigungsphase zu trennen. In letzteren nämlich erwächst die volle fachsprachliche (s. Steger 1988) und stilistische Differenziertheit eines schrift- und kultursprachlichen Wortschatzes unter Beteiligung aller Landschaften, verschiedener Sozialgruppen, mannigfacher Kulturströmungen. Oft dienen dabei die sprachlandschaftlich konkurrierenden Formen einer semantischen oder auch stilistischen Differenzierung. Schon in der Auseinandersetzung zwischen Gottsched und den Schweizern Bodmer und Breitinger ging es um die literatursprachliche Zulässigkeit von landschaftsgebundenen Wörtern, etwa schweizerischer Provenienz. Auch für die Ausformung des Wortschatzes fehlen uns noch Detailstudien

2285

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

ebenso wie ein befriedigender Gesamtüberblick (vgl. Maurer/Rupp 1974/78; Ising 1968; Tschirch 1989; über den Wortschatz hinausgehend: Wiesinger 1983). Die Wirkung der Luthersprache in gewissen Phasen der Ausbreitung und Ausformung unserer Schriftsprache wird wohl von niemand bestritten. Allerdings gehen die Einschätzungen dessen, was man unter Luthersprache verstehen darf, und wie lange sie als solche in welchen Bereichen gewirkt haben kann, beträchtlich auseinander. Virgil Mosers Auffassung (1923, 393), daß „[…] die ‘Luther-sprache’ im grammatischen sinn schon vor dem auftreten der Schlesier nur noch eine reine fiction“ gewesen sei, wird in einem engeren grammatischen Sinn möglicherweise richtig sein, sie ist aber mit Sicherheit falsch, wenn damit das Phänomen ‘Nachwirkung der Luthersprache’ als erledigt betrachtet werden soll. Luthers Bibelübersetzung und Katechismus haben natürlich Abweichungen und Veränderungen durch Nachdrucke und Raubdrucke erfahren, aber auch schon früh ‘buchstäbliche’ Übernahmen. Anfangs wurden seinem Text im obd. Raum Glossare beigegeben, bald aber nicht mehr, vgl. Art. 15 (Sonderegger). Im übrigen sind im 17. und 18. Jh. natürlich Orthographie-Änderungen im Bibeltext vorgenommen worden, auch grammatische Systematisierungen, nicht jedoch Korrekturen bei veraltenden Wörtern und in der Syntax. Dennoch scheint der Gesamtcharakter dieser Sprache immer noch als ‘Luthersprache’ empfunden worden zu sein.

BibelDruck

Gesamtzahl der Belege

Davon: Nhd. Norm (-e)

Ihr wird über die Wende zum 18. Jh. hinaus Autorität zugeschrieben (vgl. für Nachweise u. a. Kolb 1972; Josten 1976; Besch 1979; Bergmann 1983; Reinitzer 1983 und Art. 123). Die konkrete sprachliche Untersuchung der ‘Luthersprache’ und ihrer Wirkung muß systematischer als bisher betrieben werden. Bezüglich der Lutherbibel ist die Tradierung schreiblandschaftlich differenziert zu betrachten, damit es nicht zu Fehlschlüssen kommt, wie in Besch 1979, 144 an einem Beispiel aufgezeigt wurde. Der omd. Strang verdient wohl eine besondere Beachtung ⫺ allein schon auf Grund der historischen und sprachhistorischen Fakten, sodann im Blick auf die Millionen-Produktion an Bibeln vom 16.⫺18. Jh. in omd. Druckorten, schließlich mit Rücksicht auf die Tatsache, daß offensichtlich im 18. Jh. der omd. Raum erneut eine führende Rolle einzunehmen scheint, nämlich in der vielfach abschließenden Phase des Variantenabbaus zugunsten einer Einheitsform der dt. Schriftsprache. Für das Gesamtbild der Entwicklung brauchen wir sodann die Differenzprofile der Lutherbibeldrucke in den anderen Sprach- bzw. Drucklandschaften des dt. Sprachraums, dann auch die Differenzprofile des sonstigen (weltlichen) Schrifttums im Omd. und in den anderen Gebieten, weil möglicherweise die Bibelsprache unter Sonderbedingungen stehen kann. Schließlich ist eine Wirkungsanalyse der Grammatik-Literatur des 16.⫺18. Jhs., so schwierig sie auch sein mag, erforderlich (vgl. u. a. Bergmann 1982).

in %

Apokope

in %

hyperkorr. -e

in %

1522

605

368

64,8

200

35,2

37

6,1

1545

665

517

80,8

123

19,2

25

3,7

1569

673

530

81,4

121

18,6

22

3,3

1626

677

550

84,1

104

15,9

23

3,4

1694

686

641

96,4

24

3,6

21

3,1

1736

670

629

97,2

18

2,8

23

3,4

1797

675

653

99,7

2

0,3

20

3,0

Abb. 159.2: Auslautendes -e in ostmitteldeutschen Lutherbibel-Drucken (1522⫺1797) unter Berücksichtigung der Apokope und hyperkorrekter Formen; Materialgrundlage: Matthäus-Evangelium, je 10 Kapitel. (Die Prozentzahlen für Nhd. Norm und für Apokope sind berechnet von der Gesamtzahl der Belege minus hyperkorrekte -e.)

2286

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte e

e-Graphie

a-Graphie

Wortersatz

1522

235

97,51%

6

2,49%

1545

239

99,17%

2

0,83%

1569

241

100,00%

1626

195

80,91%

46

19,09%

[1665]

30

12,45%

210

87,14%

1

0,41%

1676

32

13,28%

209

86,72%

1682

33

13,69%

205

85,06%

3

1,25%

1691

29

12,03%

212

87,97%

1694

5

2,07%

236

97,93%

1736

18

7,47%

223

92,53%

1797

2

0,83%

235

97,51%

4

1,66%

241

100%

Abb. 159.3: Durchführung des ‘etymologischen Prinzips’ a-Umlaut (Beispiel: Geste/Gäste); LutherbibelDrucke ostmitteldeutscher Provenienz. Materialgrundlage: Matthäus-Evangelium

Besch (1984) hat anhand von sieben omd. Bibeldrucken der Zeitspanne 1522⫺1797 Veränderungen der äußeren Textgestalt untersucht: Durchsetzung der sog. etymologischen Schreibung (Hände statt Hende); Behandlung von auslautendem -e (die Worte statt die Wort ); Präfix ge- im Partizip Perfekt sogenannter perfektiver Verben (gefunden statt funden); Kennzeichnung der Vokallänge (Vokalverdoppelung, Dehnungs-e, Dehnungs-h); schließlich die graphische Unterscheidung von Artikel und Konjunktion bei das/daß. Als Anschauungsbeispiele seien die Ergebnisse bezüglich auslautendem -e (Abb. 159.2) und bezüglich der Durchführung des etymologischen Prinzips (Abb. 159.3) gegeben, hier unter Hinzuziehung von 4 weiteren Bibeldrucken im 17. Jh., in dem sich die entscheidende Änderung vollzieht. Nur wenn auf diese oder andere Weise die Texte des 16.⫺18. Jhs. landschaftlich differenziert untersucht und miteinander verglichen werden, lassen sich die Entwicklungsschritte und Einflußanteile genauer beschreiben. Für die omd. Lutherbibeldrucke dürfen folgende erste Eindrücke vermerkt werden: 1. Die graphisch-orthographische Gestalt der Lutherbibel ändert sich vom 16.⫺17. Jh. ganz erheblich, sie bleibt also nicht ‘statisch’. 2. Es scheint Fälle des ganz normalen Einbezogenseins in die Gesamtentwicklung zu geben (Gleichzeitigkeit, gleiche Richtung).

3. Es scheint Fälle der Progression vor anderen Landschaften und anderen Texten zu geben (z. B. das ‘Lutherische -e’). 4. Es scheint Fälle einer klaren Retardierung gegenüber anderen Landschaften und Texten zu geben (z. B. das/daß).

6.

Von der Schriftsprache zur Standardsprache

Die spätmittelalterlichen Schreibsprachen kamen über eine gewisse territoriale Begrenztheit und über einen nur begrenzten Grad der Kodifizierung nicht hinaus. Die nhd. Schriftsprache hingegen ist überregional und erreichte zunehmend einen hohen Grad von Kodifizierung. Dies spielte sich vornehmlich im Verlauf des 16.⫺18. Jhs. ab und betraf vor allem die schriftliche Form unserer Sprache, d. h., daß sich die dt. Spracheinigung zunächst in der Schrift vollzog. Die Alltagssprache großer Teile des Volkes war davon wenig berührt, ein Zustand, der sich aber mit der vollständigen Durchsetzung der Schulpflicht und im Zuge anderer Entwicklungen änderte. Die Schriftsprache übernahm zunehmend auch sprechsprachliche Funktionen, d. h. sie erweiterte ihren Geltungsbereich über den schriftlichen Bereich hinaus, sie wurde polyvalent (gesprochen/geschrieben und Ausprägungen von funktionalen und stilistischen Sonderformen). Polyvalenz ist das

159. Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache

Kriterium für die Standardsprache in Abhebung von Schriftsprache. Es ist für die Sprachforschung nützlich, diese Unterscheidung zu machen. Allerdings sind die Übergänge gleitend, daher ist die Festlegung eines Umschlag-Zeitpunkts schwierig. Die Ansätze der Polyvalenz erfahren wohl erst im 19. Jh. einen erheblichen Ausbau, insofern besteht eine gewisse Berechtigung, vom 19. Jh. an von Standardsprache zu sprechen, entsprechend im 16.⫺18. Jh. von Schriftsprache. Zur weiteren Begründung solch einer Unterscheidung vgl. Besch (1983, 964f., 977f.). Die genauere Beschreibung der Funktionserweiterung in den verschiedenen Sprachdomänen gehört aber nicht mehr zum Thema dieses Artikels.

7.

Literatur (in Auswahl)

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2287

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2288

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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Werner Besch, Bonn

160. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg

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160. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg 1. 2. 3.

7.

Stadt und Sprachgeschichte Niederdeutsch als urbane Leitsprache Der Umbau des urbanen Sprachenkosmos im 16. und 17. Jahrhundert. Hochdeutsch als Ökonomiefaktor und Sozialindikator Sprachreflexionen in Hamburg und zum Hamburgischen im 17. und 18. Jahrhundert Fortschreitende Zweisprachigkeit in der Stadt. Zunehmende Funktionsdifferenzierung von Hochdeutsch und Niederdeutsch im 18. und 19. Jahrhundert Hamburg im 20. Jahrhundert. Stadt zahlreicher Teilsprachen und mit hochdeutschem Substandard Literatur (in Auswahl)

1.

Stadt und Sprachgeschichte

4. 5.

6.

Daß Städten in der Sprachgeschichtsschreibung (vgl. z. B. Bach 1970; Eggers 1986; Polenz 1991⫺94) eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, hat viele Ursachen. Eine eher vordergründige ist die zugängliche Fülle des Sprachmaterials, das dank stadtbezogener Verwaltungsinstitutionen relativ dicht und kontinuierlich überliefert worden ist. Weitreichender ist da schon die Erkenntnis, daß diese Materialfülle für verschiedene Zeitpunkte der Stadtgeschichte höchst divergente, gleichzeitig ablaufende Prozesse preisgibt, welche auf die Triebkräfte der Sprachentwicklung schlechthin, wie Ökonomie, Variation, Innovation, hindeuten. Das Sozialgebilde „Stadt“ offenbart sich als Ereignisfeld intensiver und vielfältiger Sprachentwicklungen. Und wenn unterstellt werden kann, daß die Dauerhaftigkeit dieser Prozesse durch die Zeit die Stadt als Prototyp menschlicher Kultur(en) qualifiziert, dann sind Beobachtungen zur urbanen Sprachgeschichte von großem anthropologischen Interesse. Städtische Sprachgeschichte ist Beleg für die vielfältigen Aufgaben, die der Stadtbevölkerung zugefallen sind und sprachmanifest zu bewältigen waren. M. Webers vielzitierte „ökonomische Definition“ der Stadt: „Versucht man, die Stadt rein ökonomisch zu definieren, so wäre sie eine Ansiedlung, deren Insassen zum überwiegenden Teil von dem Ertrag nicht landwirtschaftlichen, sondern gewerblichen oder händlerischen Erwerbs leben. […] Jede Stadt […] ist ‘Marktort’“ (Weber 1972, 727f.) betont nicht nur die fortgeschrittene Arbeitsteilung, vielmehr transportiert sie implizit auch das Nebeneinander von vollständiger und unvollständiger Integration im städtischen Gesamtrahmen. „[…] die

Ordnung des Marktes garantiert gerade eine gewisse Beliebigkeit der Kontaktaufnahme jedes mit jedem […]. Ein Merkmal des Marktes ist also gerade die unvollständige Integration“ (Bahrdt 1961, 40).

Was hier als stadttypisch angesprochen wird und letztlich die soziale und damit auch sprachliche Dynamik charakterisiert, begegnet in jüngeren Darstellungen als die Kopräsenz von Gemeinschaften (⫽ vollständige Integration) und Begegnungen (⫽ Angebote an Gelegenheiten zur Kommunikation) in der Stadt (Hotzan 1997, 113). Für den einzelnen bedeutet dies in seiner Zeit eine Fülle von Nutzungsangeboten und die Teilnahme an mehreren Gruppierungen, zugleich eine greifende Markierung von Öffentlichkeit und Privatsphäre (zur Entwicklung und Interdependenz Bahrdt 1961, 55). Stadtgeschichtlich gesehen handelt es sich um die Folgen sozialer Ausgleichs- und Differenzierungsprozesse, sprachgeschichtlich um die Ausbildung zahlreicher urbaner Sprachvarietäten. Ein Ergebnis ist dabei gewiß auch ein Ausmaß an sprachlicher Stabilität, welche als gemeinsames Merkmal die Bewohner auszeichnet und zu ihrer externen Identität beiträgt (⫽ stadtrepräsentativer Sprachbesitz). Gleichzeitig schärfte der Wahrnehmungsraum Stadt mit seinem heterogenen Sprachaufkommen das Bewußtsein für die Sprachvariation in verschiedenen alltäglichen Verwendungssituationen (Mehrsprachigkeit der Stadtbevölkerung). Der urbane Raum konnte hierbei keine konstante Größe bleiben, er wird zur zeitweiligen Manifestation der Entwicklungsstadien (Bevölkerungswachstum und -differenzierung), zu der die lokalfunktionale Differenzierung ebenso gehört wie die Segregation einzelner urbaner Gruppen. Das stete Nebeneinander sprachlicher Ausgleichs- und Differenzierungsprozesse mit der Folge eines mehrere Varietäten umfassenden Sprachaufkommens in der Stadt („multidimensional geordneter Varietätenraum“; Dittmar/Schlobinski 1988, 43) fordert der sprachgeschichtlichen Darstellung einer Einzelstadt besondere Konsequenzen ab. Dies gilt um so mehr, wenn, wie im Falle Hamburgs, eine als Überdachung/Leitvarietät fungierende Einzelsprache im Verlauf der Stadtgeschichte gewechselt hat (Niederdeutsch ⫺ Hochdeutsch, teilweise auch Latein) und damit ein einschneidender Wechsel der Außenbeziehungen

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

einherging. U. Maas (1985) differenziert hierbei nach Auto- und Heterozentrierung. Dies konnte keinesfalls ohne Auswirkungen auf die urbanen Varietäten, in funktionaler und struktureller Perspektive, bleiben. Im konkreten Fall ist z. B. mit einer zwischen den beiden Teilsystemen des Nd. und des Hd. entwickelten Kontaktvarietät zu rechnen, welche ihre Funktionen und ihren Platz im urbanen Sprachgefüge nach sozialer Geltung der jeweiligen Leitvarietät verändert. Es liegt nahe, die jeweilige Überdachungssprache als sprachhistorisches Großzeitmaß im Falle Hamburgs zu wählen und die interdependenten Kommunikationskonstellationen in der Stadt darauf zu beziehen. Das heißt, hier grundsätzlich zwei Entwicklungsstadien der Stadtsprache Hamburgs zu unterscheiden, mit jeweiligen Vorbereitungs-, relativen Stabilitäts- und mit Ausklangsphasen. Das erste Stadium (Niederdeutsch als urbane Leitsprache) reicht vom 12. bis zum 16. Jh., das zweite (Hd. als urbane Leitsprache) dementsprechend bis in die Gegenwart.

2.

Niederdeutsch als urbane Leitsprache

2.1. Siedlungspolitische und demographische Grundlegung, sprachliche Disposition Der heutige Stadtstaat Hamburg verdankt seine Ursprünge dem Zusammentreffen mehrerer Merkmale. Da war die topographische Vorzugsposition auf einer Südkante der Geest, relativ hochwasserfrei und mit Zugang zur Alster. Eine Nutzung dieser Vorzugslage in Form eines Dorfes „mit relativ bescheidenem Lebenszuschnitt“ (Richter 1982, 19) erscheint für das 8. Jh. gesichert. Die Deutung des seit dem 9. Jh. überlieferten Siedlungsnamens Hammaburg, hamaburch, hamapurc als „Burg an der Flußbiegung“ (Hamburgisches Wörterbuch 1985ff. 12. Lfg., 486) nimmt die geographische Charakteristik des Gründungsplatzes auf. Von nicht geringerer Konsequenz erwies sich die geopolitische Konstellation, die mit wechselnden Dominanzen von Sachsen, Franken, Dänen und Elbslawen in den beiden letzten Jahrhunderten vor der Jahrtausendwende gestaltet wurde und in der dem frühen Hamburg jeweils große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Bei aller derzeitigen archäologischen Unsicherheit kann davon ausgegangen werden, daß ab 831 eine Koexistenz von befestigter

Anlage (politische Repräsentanz, Missions-/ Bischofsitz) und Wiksiedlung mit Hafen im Gründungsareal gegeben war. In den folgenden Jahrhunderten mit einer Vielzahl kriegerischer und politischer Auseinandersetzungen (zu Einzelheiten Bracker 1992; Richter 1982) wirkten die drei Konstituenten der Gründungsphase, eigenständig und interdependent, in der Stadtentwicklung fort. Dabei zeigte sich das Segment „Wiksiedlung mit Hafen“ (Kaufleute, Handwerker, Schiffer) als besonders beständig. Im 9. und 10. Jh. stetig erweitert und differenziert bildete es mit seiner inhärenten Konzeption der Arbeitsteilung die wesentliche Voraussetzung für die weitere innerstädtische Entwicklung. Die stadtgeschichtliche Konstituente „politische Repräsentanz“ trat entscheidend hervor, als Graf Adolf III von Schauenburg 1188 die Hamburger Neustadt gründete und ihre Bewohner mit einer Fülle von Privilegien ausstattete, an dem Vorbild der Stadt Lübeck orientiert. Mit der Neugründung war nicht nur eine Erweiterung des städtischen Areals gegeben, ab jetzt bestand durch die Konfrontation von Altstadt und Neustadt die unmittelbare Konkurrenz zweier Stadtmodelle, die sich zunehmend zugunsten der „freiheitliche[n] Verfassungszüge der Neustadt“ (Richter 1982, 72) entwickelte und schließlich zur Vereinigung der Teilareale im Jahre 1216 führte. Diese ist grundlegend für die weitere Stadtgeschichte und auch ursächlich dafür, daß fortan sich die bürgerliche Eigenständigkeit der städtischen Verwaltung (der städtische Rat) zu Lasten der Landesherren immer stärker behaupten konnte. Das am Ende des 13. Jhs. konzipierte, nicht in Kraft getretene Stadtrecht (bei Lappenberg 1845, 99, auf 1292 datiert; bei Richter 1982, 73, auf 1301 korrigiert) vermittelt einen Eindruck von dem Identitätsschub, der von der Vereinigung des alten und neuen Stadtteils ausging: „[…] deit de raet unde dhe witteghesten uan Hamborch witlich allen den ghenen, dhe nu hyr sin unde noch scolen werden gheborn: dat se sich hebbet voreuenet unde ere recht ghesat also hyr bescreuen steit, dat Hamborch ein is, unde ein bliuen scal iummermeir […]“ (Lappenberg 1845, 99).

Die Attraktivität der „neuen“ Stadt wird durch die Vervierfachung der Einwohnerschaft im 13. Jh. belegt. Mit dieser Entwicklung ging ein unabweisbarer Druck einher, auch die städtesprachliche Schriftlichkeit volkssprachlich zu gestalten. Waren die historischen Zeugnisse, die über Hamburg als Verhandlungsgegenstand urkundeten, bis in das

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13. Jh. ausschließlich lateinisch formuliert, brachte die Stadt als autonomer Ursprung einer Vielzahl politischer und ökonomischer Aktivitäten notwendigerweise den Sprachenwechsel zur „Buchführung der [städtischen; D. M.] Lebenspraxis“ (Maas 1985, 610) hin. Die Bevölkerungszusammensetzung (Daten bei Richter 1982, 78ff.) läßt auf eine innerstädtische nd. Sprechsprache schließen, die strukturelle Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen (Zuwanderung) aufwies. Gestützt wird ein solcher Befund durch Mahnkens (1925) Untersuchung der hamburgischen Personennamen des 13. Jh. Hier sind aus den Erbebüchern etliche nd. Gewerbenamen nachgewiesen (z. B. Clockengetere, Gropengetere, Isenmakere, Rademakere, Repslegere), und die Herkunftsorte gehören offenbar größtenteils dem nd. Sprachareal der Zeit an. Neben der nd. Sprechsprache wird es im klerikalen und juristischen Zusammenhang eine lat. Mündlichkeit gegeben haben. Für die stark ausgeprägte nd. Disposition der hamburgischen Stadtsprache und zahlreiche Transferenzen zwischen lat. Schriftlichkeit und nd. Mündlichkeit spricht ein interessantes Überlieferungsdetail: Eine Folge der o. a. Institutionalisierung des städtischen Rats war die Sammlung stadtbezogener Urkundentexte (Kopialbuch), um Handlungsgrundlagen parat zu haben. Aus der Schlußbemerkung des Ratsnotars Magister Jordan von Boizenburg „teste me, magistro Jordano, huius littere prelectore“ (1267) kann gefolgert werden, daß der Inhalt den Ratsherren mündlich vermittelt wurde und dies „wohl in summarischer Form und niederdeutscher Sprache“ (Reincke 1951, 99). Aus der hier gegebenen zweisprachig und medial (schriftlich/ mündlich) differenzierten Kontextualisierung erwuchs später die Kombination geschriebenen lat. und nd. Texte, indem nd. Summarien den lat. Urkunden hinzugefügt wurden, was die entwickelte Domäne des Nd. unterstreicht. Wurde das Stadtrecht 1220 noch lat. formuliert, folgte 1270 mit dem Ordeelbook das erste Stadtrecht auf Nd.: „[…] ordele bescreuen van der menen stad willen vnde van den wittegesten rade van Hamborch“ (Lappenberg 1845, 1). Der Abstand von Mündlichkeit und Schriftlichkeit war überwunden. Hier war nicht nur eine „allgemein verständliche Gebrauchsanweisung zur Handhabung ihres Gemeinwesens“ (Bracker 1992, 58) gegeben, hier war jetzt auch eine Leitsprache etabliert, die im weiteren bedarfsgerecht differenziert und ausgebaut werden konnte.

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2.2. Die Hansestadt. Sprachliche Integration und Diversifikation Hamburg hat mit zahlreichen Städten im Norden Deutschlands die Eigenschaft gemein, eine stad von der dudeschen hense (zu Einzelheiten Wernicke 1983) gewesen zu sein. Diese Eigenschaft enthält für die Stadtgeschichte zwischen dem 13. und 16. Jh. mehrere Merkmale, die sich unmittelbar auf die Sprache auswirkten. Neben der Einbindung (nicht immer gleichbleibend) in die Aktivitäten des Hansebündnisses (Korrespondenz und Rechtstexte zur Organisation), der Entwicklung des Fernhandels (Wirtschaftstexte: Briefe, Verträge, Warenlisten, Handlungsbücher) ist vor allem auf Formen der innerstädtischen Organisation (Stadtrechte, Stadtverwaltung, Rat, Bürgerschaft) und die fortschreitende Arbeitsteilung (Ämter, Bruderschaften, Berufsprofile) hinzuweisen. Die auf das Stadtganze gerichteten Teilaktivitäten müssen auf die synchron stattfindende Bevölkerungsexpansion bezogen werden; zwischen 1375 und 1500 hat sich die Einwohnerschaft mehr als verdoppelt (Gabrielsson 1982, 111). Hieraus läßt sich ableiten: Ein erheblicher Ausbau der Schriftlichkeit war ebenso notwendig wie eine beträchtliche Erweiterung und funktionale Differenzierung der sprachlichen Mittel. Den Gestaltungsspielraum (kognitiv und kommunikativ) eröffnete das Mnd. Strukturelles Hauptkennzeichen ist die Nichtbeteiligung an der 2. Lautverschiebung; sprachsoziologisch deutlich als bürgerlich zu klassifizieren, bot diese Vollsprache die Möglichkeiten, entsprechend der Versprachlichungsbedarfe einer bürgerlichen Stadt einzelne Teilsprachen/Varietäten zu entwickeln (Meier/Möhn 1989, 432). Die Existenz und das Zusammenwirken verschiedener sozialer Teilwelten tritt in einer Fülle sprachlicher Kennzeichen (Funktionsund Institutionsbenennungen) zutage, die ab dem 14. Jh. regelmäßig überliefert sind. Sie dienten der Orientierung von Außenstehenden ebenso wie der Identitätsgewinnung der Zugehörigen. Wollte man nach größeren Einheiten zusammenfassen, steht zuvorderst der Bereich der Stadtpolitik (borgere, borgersche, borgerschop, borgermeister, rat, de meine rat, ratmann, rathus, vorsettinge), in enger Verbindung damit das Rechtswesen (beclagen, dincbanc, gericht, hechte, ordeel, statrecht) und die Stadtverwaltung/-aufsicht (akzise, bursprake, der stat mathe unde wicht, prachervogt, vrede beden, wachte). Der Sozialausschnitt „Kirche“ (domherr, ghestlik, godeshus, kark, karkhove, predigt) ist eben-

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falls durch eine Auswahl von Leitwörtern vertreten.

Den größten Einfluß auf die Sprachentwicklung übten zweifellos Handel und Handwerk aus. Als Kollektivmarkierung für die selbständigen Fernkaufleute setzte sich -farer durch, das durch den Zusatz des Zieles präzisiert wurde. Auf diese Weise heben sich die Gruppierungen der Engellands farer, der Flander farer, der Ieslandes farer und der Schonen farer ab. Die so benannten Teilkollektive ⫺ später trat mehrfach die Kennzeichnung geselschop hinzu (vgl. Engellands farerGeselschop) ⫺ hatten teilweise bis in das 19. Jh. hinein Bestand. Von gleichem Aufschluß für die innerstädtische Differenzierung der Zeit und ihre Versprachlichung ist die Fülle der Handwerkerbezeichnungen einschließlich der zugehörigen Korporationen. Ihre Präsenz in den städtischen Rechtstexten (Stadtrechte, Burspraken), insbesondere aber die Ausbildung korporationsbezogener Regeltexte (Zunftordnungen, settinge), welche die Eigenständigkeit und die Koexistenz in der Stadt ordnen („umme des hantwerckes unde der borgher beste willen“; Rüdiger 1875, 12), belegt den Einfluß in der Stadt. Zu den im 14. Jh. überlieferten Handwerkerbezeichnungen gehören u. a. becker (später unterschieden nach groffbecker und wythbecker) bodeker, budelmaker, gherwer, gropengheter, kertzengheter, knokenhower, lynnenwever, maler, platenslegher, reepsleger, schroder, smed (Rüdiger 1875, XX). Mit der handwerklichen Differenzierung ergab sich offenbar auch der Zwang zur innerstädtischen handwerkskonformen Kollektivbildung. Ihren sprachlichen Ausdruck fand sie in den Bezeichnungen ampt (ammecht, ammicht, anbacht) und broderschop (broderschup), welche zunftmäßige Zusammenschlüsse benannten (z. B. ampt der beckere; bödekerampt binnen desser stadt, ampt der bödeker; ampt der knokenhowere). Daß „Amt“ ein Schlüsselbegriff (kennzeichnend und ordnend) in der Stadtkommunikation war, zeigt sich in einer Vielzahl von Lexemen wie amptmann/amptlude ‘Handwerker’, amptbroder ‘Zunftgenosse’, dat ampt besitten ‘Handwerksmeister sein’, ein ampt uprichten ‘eine Zunft gründen und organisieren’. Die vorgestellten Kollektivnamen vertreten arbeitsteilige Handlungssegmente, in denen bei fortschreitender gesellschaftlicher Akzeptanz allmählich eine arbeitsteilige Sprache entstand. Diese Entwicklung führte letztlich zur Ausbildung lokaler Fachsprachen (arbeitsteilige Gruppen in der Stadt)

und nahm ihren Anfang in der Etablierung von Spezialwortschätzen. Die zeitgenössischen Zunfturkunden geben davon reichlich Aufschluß, z. B. für die Bäckerei: brokaftich brot, dat brot bezeen, roggenbrod, semmele, withbrod (Rüdiger 1875, 22ff.); für die Hutmacherei: „5 dele thom meisterstück, alse 1 sammitten hodt mit 4 quarteren, 1 siden morischen bandt mit 7 spigaten schufern, dree middelmätige und enen grothen knop, 7 dosin klein(e) knopken, alle gearbeidet mit spigattten, 1 wanders bonnith, 6 mal getrocken, 1 sammitt hulle up fullen sammith mit eener schnoer, 1 pulverflasche mit 7 questen, de queste gebredet oder 1 liffreem“ (Rüdiger 1875, 117).

Die Beispiele lassen zugleich Zusammenhänge mit der Sprache der gesamten Stadtbevölkerung (städtische Gemeinsprache) erkennen; auf der handwerklichen Seite semantische Spezialisierung, z. B. dat brot bezeen ‘das Brot unter fachlichen Gesichtspunkten prüfen’ (Qualitätsprüfung); auf der Abnehmerseite die Übernahme von handwerklichen Produktbezeichnungen, hier Goldschmiedehandwerk: brasse, vingeren, hoykenspan, kledersmide, mouwenspange (Belege aus Bürgertestamenten; Loose 1970). Die bereits angedeutete urbane Sprachdynamik während der Hansezeit wird noch sichtbarer, wenn mediale und textsortenspezifische Kategorien hinzugezogen werden. Die erste betrifft das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und vor allem die Entwicklung der städtischen mnd. Schreibsprache. Die Verselbständigung der nd. Schriftlichkeit zeigt sich etwa bei einem diachronen Vergleich mehrerer Bursprakenfassungen. „Burspraken“ sind typische Manifestationen einer bürgerlichen Stadt im ausgehenden Mittelalter, die, im Stadtalltag regelmäßig wiederkehrend, Bürgerversammlung und Verkündung von Verordnungen durch den Rat zugleich waren (zur Definitionsproblematik Bolland 1960. Bd. 1, 2ff.). Die überlieferten Textversionen (zunächst als Grundlage der mündlichen Verkündung, später für den Textaushang) sind in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Eine systematische Analyse durch die Jahrhunderte könnte etwa den Ausbau des urbanen Lexikons (zum Begriff vgl. Artikel 102) aufzeigen. Die Aufzeichnung der Verordnungstexte erschließt in ihrer Sequenz zugleich die Genese der stadtbürgerlichen Problemfälle, mit der Konsequenz, daß die jeweiligen Burspraken an Umfang beträchtlich zunehmen. Schließlich präsentieren die Texte den Ausbau einer schriftlichen

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Syntax, wobei die Anfangsversionen offensichtlich stärker dem mündlichen Verkündungszweck verpflichtet waren. Beispiele der Entwicklung (nach Bolland 1960. Bd. 2, 2 u. 111): 1. 1358/1372 Dar enschal nen man stekemeste dreghen eder naghelmesthe eder langhe mesthe, de bazeler hethen. 2. 1358/1372 Dar enscal nen man stekemeste dregen eder nagelmeste eder langhe meste, de bezelere heten, in o desser stat, id enzy mit vulborde des raades. We dat brekt, de scal id betheren mit X sol. 3. 1464 Dar enschal nemand in desser stad dregen stekemeste, nagelmeste edder langemeste, de bezelere o heten, bi dage noch bi nachte, jd ensi mid vulborde des rades. Also but desse raed strengliken vnde wil o dat also gheholden hebben vmme wundinge vnde e mordes willen, dat hir scheen mochte in desser stad, dat nemant bi dage ofte bi nachte stekemeste, naghelmeste, bezelere, rutinghe noch nenerleie vorlouede wapene, de sin, welckerleie de sin, in desser stad dregen schal. Vnde desset schal eyn iewelick in desser stad sinen kinderen, knechten vnde gasten witlick doen, dat se sodane wapen van sick leggen vnde der nicht endregen. We des nicht endeit vnde dar mede wert begrepen, de schal dat beteren na willekore des rades.

Die Entwicklung einer nd. Schreibsprache verlief, wie angesichts der zahlreichen kontextuellen Faktoren (Schreiberbiographie, Kommunikationskontakte im Hanseraum, Bevölkerungswachstum, Varianten in der gesprochenen Stadtsprache) nicht anders zu erwarten, keineswegs geradlinig; vielmehr wechseln Phasen größerer Homogenität und solche größerer Variabilität zwischen dem 14. und dem 16. Jh. ab. R. Peters (1996) hat anhand eines nach Quellentypen und Entstehungszeit differenzierten repräsentativen Textkorpus einen Katalog sprachlicher Merkmale (Varianten) überprüft. Dabei gelang es, in der Dynamik von Variantenausbau, -reduzierung und -wechsel in zeitlicher Perspektive einzelne Stadien abzuheben. Erweist sich die erste Hälfte des 14. Jhs. als ein Zeitraum großer Variantenvielfalt, setzt ab der Jahrhundertmitte ein Normierungsprozeß (z. B. verbaler Einheitsplural -et/-en ⬎ -en; ses ⬎ sos) ein, der im 15. Jh. zu einem „festere[n] innerörtliche[n] Schreibusus“ (Peters 1996, 75) geführt hat. Diese relativ stabile Schreibkonvention kann als eine typisch nordniedersächsische gekennzeichnet werden, wobei in Hamburg offenbar konsequenter verfahren worden ist als in dem für den Vereinheitli-

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chungsprozeß immer wieder herausgestellten Lübeck. „Ein Vergleich der Variantenkombinationen Hamburgs und Lübecks im 15. Jh. führt zu der Beobachtung, daß das Lübische in der Mitte des 15. Jhs. vermutlich in geringerem Maße vereinheitlicht war als das Nordniedersächsische in seinem Schreibzentrum Hamburg“ (Peters 1996, 80).

Die so erreichte Schreibkonvention hatte freilich nur einige Jahrzehnte Bestand; in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. begegnet wiederum eine größere „spätmittelniederdeutsche“ Variantenvielfalt, die in das 16. Jh. hinüber reicht und, wie Fischer (1988) aufgezeigt hat, von einer Vielzahl von Produktionsfaktoren (Spontaneität, Verhältnis von Aussteller und Adressat, Routine u. a.) abhängig ist. Das für das 16. Jh. belegte Spektrum von Varianten weist nicht zuletzt auf den Ausbau schriftlicher Kommunikationsformen und Textsorten (z. B. Privatbriefe) und die vermehrte Beteiligung der Stadtbevölkerung. Insofern ist der Befund einleuchtend, daß die Schriftsprache der Zeit „alles andere als ein homogenes Subsystem des Mittelniederdeutschen“ gewesen sei (Fischer 1988, 105). Immerhin zeichnet sich, bei aller Variabilität auch in einzelnen Texten, die „Tendenz einer zunehmenden orthographischen Konstantschreibung“ ab, die aber aufgrund verstärkter hd. Einflüsse erneut „verunsichert“ wurde. Zu den hd. Spuren gehören die Graphie sch vor l, m, n und w, die Verwendung des Dehnungs-h und der zunehmende Gebrauch des Suffix -lich (Fischer 1988, 97ff.). Mit dem sich anbahnenden Verlust der schriftlichen Verwendung (vgl. 3.) in amtlichen und offiziellen Zusammenhängen endet auch die Entwicklungsdynamik der nd. Schreibsprache für mehrere Jahrhunderte. Die seit dem 19. Jh. wieder aufgenommene Orthographiegeschichte steht in enger Verbindung mit der neuniederdeutschen Literaturgeschichte (Hinsch 1983, 189ff.). Zur Sprachgeschichte der Hansestadt Hamburg unter der Leitsprache „Niederdeutsch“ gehört neben der bereits angezeigten Vermehrung und Differenzierung der sprachlichen Mittel, der Entwicklung einer urbanen Schriftlichkeit, der Kennzeichnung sozialer Teilwelten und ihrer Funktionsträger die Integration zahlreicher Text- und Gesprächsmuster, die fortan zum städtischen Sprachwissen zählten und in ihrer Vielfalt differenzierte Handlungsbedarfe erschließen. Zu den schon genannten Regelungstexten (Stadtrechte, Burspraken, Zunftordnungen,

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Kirchenordnungen, Zollbestimmungen, Kleiderordnungen) tritt eine Fülle weiterer Gebrauchstexte, die sich auch in der örtlichen Druckproduktion widerspiegelt. Kayser/Dehn (1968, 17ff.) unterscheiden zwischen 14 Sachgruppen bei den Hamburger Drucken des 16. Jhs. und betonen den innerstädtischen Verwendungszusammenhang: „Sie [die Druckereien] haben aber den Bedarf der Bürger und des gemeinen Mannes in Hamburg und seiner Umgebung zu decken versucht und dabei in der Verbreitung besonders des niederdeutschen Schrifttums der verschiedensten Themen und Gebiete eine wichtige Rolle gespielt.“

In diesen Praxisrahmen gehört der Druck von Schulbüchern, oft lat.-nd. kombiniert und damit die Erstsprache berücksichtigend, z. B. das 1579 erschienene lat.-nd. Vocabularium Vocabula rerum, in usum puerorum, qui erudiuntur in Schola Hamburgensi. Für die Kaufmannschaft wurden diverse Rechenbücher gedruckt, etwa die 1549 publizierte e e Arithmetica dudesch. Edder kunstlike Rekeninge mit linien vnd Zyphren / vp allerley Kophandel […] des Achacius Dörinck. Als das älteste Hamburger Kochbuch erschien 1570 Dat klene Kakeboeck / van sedende / bradende / vnd Kokenbackende […] (vgl. Brunzel 1994). Die verschiedenen Pestepidemien der Zeit, die auch Hamburg überzogen, fanden ihre Reaktion in einer speziellen Pestliteratur. Beispielhaft sei als Vorsorge- und Therapieanleie tung die Nutte lere vnd vnderricht […] Wo men˜ sick e o in dussen geferlicken Steruendes lufften holden / o vnde vor der gifftigen Pestilentzischen sucke bewaren schal […] genannt, welche der Arzt Sebastian Röe e der 1565 Dusser loffliken stadt Hamborch widmete; 1577 folgte eine zweite Auflage.

Zu den nd. Textsorten, die sich in der Hansezeit Hamburgs fest eingebürgert haben, gehört das Testament als Dokumentation eines einseitigen, widerrufbaren Rechtsgeschäftes. Seine soziale Funktion ergibt sich aus der stadtgewährten Gelegenheit, Vermögen ansammeln und frei darüber verfügen zu können; seinen urbanen Stellenwert und letztlich auch einen Grund für die Etablierung und Tradierung eines festen Dispositionsschemas erweisen die eigenständigen Artikel in der Folge der Stadtrechte, die mit Von testamenten to settende (1270) eröffnet wird. Die wegen der Rechtssicherheit der Verfügung vorgeschriebene Beteiligung zweier Ratsherren als Zeugen hat sicher zur Ausbildung eines textsortenbezogenen Formelvorrats beigetragen, wie Looses Edition (1970) erkennen läßt.

Zu den Formeln rechnen u. a. das Eingangssegment (in Godes namen amen; in deme namen Godes amen; in nomine Domini amen), die Deklaration der Handlung (so sette ik unde schicke myn testamentum, so schicke/ sette ik myn testament, meum preordino ac dispono testamentum), und der Zeugennachweis (in der jeghenwardicheyt der erliken heren […] radmanne tho Hamborch). Die Testamente sind zugleich ein Beispiel für die volkssprachliche Verselbständigung von Textsorten, wobei die Transferlösungen deutlich dem lat. Vorbild verpflichtet sind, das stückweise auch im 14. Jh. vereinzelt realisiert wird (vgl. die o. a. Beispiele). Kayser/Dehn (1968, 18) sehen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Hamburger Druckgewerbes im 16. Jh. und der Durchsetzung der Reformation vor Ort. Zurecht wird dabei auf deren bürgerliche Prägung hingewiesen; die Initiative ging von vor Ort ansässigen Bürgern aus, die in den Besitz von Lutherdrucken gelangt waren (1519). Die Auseinandersetzung mit dem Domkapitel endete stadtintern 1528 zugunsten der Lutheraner; über die zeitgleich angestrengte Klage des Kapitels vor dem Reichskammergericht gegen die Stadt, um die Wiedereinsetzung des Kapitels und der katholischen Geistlichen zu erreichen, wurde erst 1561 durch Vergleich entschieden (zu Einzelheiten Postel 1986; Reincke 1966). In den einzelnen Phasen der innerstädtischen Parteinahmen und Gruppenbildung, teilweise mit akuten Unruhen verbunden, spielten neben mündlichen Auseinandersetzungen (Kanzelpolemiken, Parteienstreit vor dem Rat) vor allem Druckschriften eine Rolle; hier ist zuvorderst die sogenannte Ketzerpresse zu nennen, „die den evangelischen Glauben in niederdeutscher Sprache in Norddeutschland verbreitete und ihm damit entscheidend in diesem Bereich zum Durchbruch verhalf“ (Kayser/Dehn 1968, 18). Daß Nd. zum tragenden Reformationsmedium in der ersten Hälfte des 16. Jhs. werden konnte, belegt ein weiteres Mal die gewachsene Selbstverständlichkeit und Polyfunktionalität dieser Sprache. Eine gewisse Stützung für ihren reformationsgerichteten Gebrauch mag daher rühren, daß Anfang der 20er Jahre Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden den lutherischen Glauben in Hamburg predigten. Entscheidend war, daß von den bürgerlichen Repräsentanten offensichtlich ganz gezielt im Umfeld Luthers nach einem Mann gesucht worden ist, der des Nd. mächtig war und da-

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mit auch die Sprachkompetenz besaß, um an den Sprachbesitz der Bevölkerung anknüpfend, als Promotor in Norddeutschland erfolgreich zu wirken. Als dieser wurde Johannes Bugenhagen gefunden. Sein für Hamburg wirksamstes Arbeitsergebnis war Der Erbarenn Stadt Hamborch Christlike Ordeninge […] (1529), welche nicht nur ein Fundament in Glaubensangelegenheiten war, sondern die Organisation kirchlicher Aktivitäten bis hin zur Armenfürsorge und Gestaltung der Lehrpläne für die Jugend regelte und damit wirksamen Anteil an der Stadtentwicklung nahm (Wenn 1976). Die Dominanz des Nd. im Verwendungskontext tritt auch in zeitgenössischen Ereignisberichten zutage, die zwischen 1528 und 1532 von katholischen und evangelischen Vertretern verfaßt worden sind. Den Autoren ist ohne weiteres eine Mehrsprachenkompetenz (einschließlich Lat.) zuzuerkennen, handelt es sich doch um studierte Juristen und Theologen; aber offensichtlich waren die stadtbezogene Retrospektive und Reflexion so eindeutig nd. dominiert, daß sich die Sprachwahl zwangsläufig ergab (zu Einzelheiten Jürgs 1997; vgl. auch Lasch 1918).

3.

Der Umbau des urbanen Sprachenkosmos im 16. und 17. Jahrhundert. Hochdeutsch als Ökonomiefaktor und Sozialindikator

3.1. Die Ursachen Die im Verlauf der Hansegeschichte immer nur relativ gegebene Kohärenz zwischen den einzelnen Hansestädten verlor im 16. Jh. zunehmend an Substanz. Die Ursachen dafür sind vielfältig, in ihrer Wirkung sich verstärkend. Letztlich ist es ein Zusammentreffen politischer und ökonomischer Faktoren, welches den über lange Zeit selbstverständlichen hansischen Wahrnehmungsrahmen auflöste und Neuorientierungen für die künftige Existenz erforderte. Zu diesem Faktorenspektrum rechnen das Erstarken der europäischen Nationalstaaten (zum Nachteil hansischer Privilegien), der Ausbau von Handel und Handelsniederlassungen durch Niederländer und Engländer (z. B. die Handelsgesellschaft der merchant adventurers, seit 1569 Niederlassung in Hamburg) und nicht zuletzt das sich entwickelnde Wirtschaftspotential md. und obd. Städte wie Leipzig, Augsburg und Nürnberg. Für eine Handelszentrale wie Hamburg mußte das tiefgreifende Wirkungen haben, die Kommunikationsgrenzen des Nd.

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zeichneten sich ab, das Hd. bot die modernen Beteiligungsmöglichkeiten (einschließlich der Korrespondenzen mit dem Reichskammergericht in Speyer). In die Zeit dieser Umorientierung fällt eine deutliche Profilierung einzelner fremdsprachlicher Gruppen in der Stadtbevölkerung. Hierher gehören in erster Linie die Niederländer, denen Hamburg, nicht zu seinem Nachteil, gegen religiöse Verfolgung (Spanische Niederlande) eine Zuflucht bot und die bald das wirtschaftliche und kulturelle Leben mitbestimmten. Zeitweise sollen die Niederländer ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben (Lungagnini 1970, 6). „Das Niederländische muß im 17. und beginnenden 18. Jh. in Hamburg fast allgemein verstanden worden sein“ (Foerste 1936, 7). Wenn auch die strukturellen Unterschiede zwischen Nd. und Nl. geringer waren als gegenüber dem Hd. (zum Sprachbewußtsein der Fremdgemeinden Menke 1992, 290) kann nicht ausgeschlossen werden, daß die im Bezugszeitraum massiv auftretende Fremdsprache die sprachliche Fixiertheit auf Nd. zusätzlich verunsichert hat. Eine weitere zunächst relativ geschlossene Gruppe der Stadtbevölkerung bildeten portugiesische Juden (Sephardim). 3.2. Die Folgen Die Umordnung des hamburgischen Sprachpotentials als Folge der angesprochenen Neubewertungen nahm mehrere Jahrhunderte ein und läßt sich nach einzelnen Stufen weiter gliedern. Zuvorderst ist die stadtoffizielle Schriftlichkeit betroffen, zu unterscheiden nach Adressaten und Textsorten, was den pragmatischen Anlaß des Sprachenwechsels unterstreicht. Erste hd. Anteile begegnen im auswärtigen Schriftverkehr um 1530, seit 1565 war das Hochdeutsche für die stadtexterne Schriftkommunikation durchgesetzt. Stadtintern folgte die Wahl der neuen Schriftsprache mit deutlicher Verzögerung. „Es ist augenscheinlich niemandem der Gedanke gekommen, dass innere und äussere Verwaltung sich der gleichen Amtssprache bedienen müssten. Der Rat macht, nachdem er in so kurzer Zeit die Sprache des Reichsverkehrs geändert, zunächst gar keine Anstalten in der Stadt das Nd. aufzugeben“ (Beese 1902, 15).

Zu Beginn des 17. Jhs. mehren sich auch stadtintern die Zeichen des Schriftsprachenwechsels; 1603 wurde eine neue Stadtrechtsversion hd. fixiert, 1620 kann der Wechsel

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

auch in der stadtinternen Verwaltung als vollzogen gelten (zu Einzelheiten Gabrielsson 1983). Eine solche Wechselstatistik darf nicht über den komplexen Prozeß hinwegtäuschen, dem die Stadtsprache unterworfen war („kein einheitliches Bild fortschreitender Entwicklung“; Lasch 1918, 7). Die unterschiedliche, sozial verteilte Sprachkompetenz bedingte, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, eine Koproduktion hd. und nd. Bücher. So begründete 1600 der Hamburger Drucker Hermann Moller die Bevorzugung des Nd. gegenüber dem Hd. mit dem Argument, daß sich ein großer Teil der Bevölkerung „in e sulcke fromde vthlendische sprake“ nicht schicken könne (vgl. Lasch 1918, 3). Der Schriftsprachenwechsel ist nicht nur hinsichtlich der Texte und Adressaten kein abrupter gewesen. Wie Gabrielsson (1983, 126ff.) aufzeigt, lassen sich im Sprachgebrauch ⫺ als Konsequenz der Sprachaneignung ⫺ drei Phasen grundsätzlich unterscheiden, die vom Nd. „mit hochdeutschen Eindringlingen“ über ein intensives hd.-nd. Gemisch hin zum Hd. mit nd. Resten reichen. In der ersten Umstellungsphase sind es vor allem Partikeln, Konjunktionen und Präpositionen (dazu auch Lasch 1918, 8), die neben Verben die geänderte Situation präsentieren. Die zweite Phase kennzeichnet die Verwendung von Lexemen beider Sprachen nebeneinander, dazu eine Vielzahl von Interferenzen, vgl. Zeller ‘Teller’, Schippfer ‘Schiffer’ (Lasch 1918, 3). In der dritten Phase bleibt ein gewisser nd. Restbestand, insbesondere was Eigennamen, aber auch Partikeln und Präpositionen angeht (Reflex auf die gesprochene Sprache; Möhn 1973, 123). Einige orthographische Wechselwirkungen (z. B. Einfluß hd. Schreibungen auf die Verschriftlichung des Nd.) hat Lasch (1918, 11ff.) im einzelnen nachgewiesen. Für die weitere Sprachgeschichte der Stadt sind das 16. und 17. Jh. besonders wirksam. Was mit dem Wechsel der Schriftsprache begann, setzte sich für die Sprechsprache, ungleich langwieriger und verwickelter, fort. Die Koexistenz von Hd. und Nd. blieb bis in die unmittelbare Gegenwart folgenreich, sie ist ursächlich für die Ausbildung eines hamburgischen Substandards (vgl. 6.). Im Bezugszeitraum war eine in der Konsequenz innerstädtischer Ausgleichsprozesse liegende Entwicklung zugunsten des Nd. nicht mehr möglich. Das gilt für die geschriebene wie für die gesprochene Sprache. Stattdessen wurde die regionale und soziale Differenzierung, zu-

mindest zunächst, eher gefördert. Was sich später in den Resultaten stadtgeographischer Sprachanalysen genauer darstellt (s. u.), wird schon früh registriert. Richey (1755, XXXII) weist in seinem Idioticon auf die Heterogenität „vornehmlich in einem grossen Handels-Orte, wohin das weitläufftige Gewerbe alle Tage Menschen aus allerhand Gegenden ziehet, die mit ihrer mitgebrachten Sprache die einheimische immerfort durchspicken und verändern“,

hin. Lasch (1918, 7) resümiert, daß naturgemäß Plattdeutsch nicht nur in den verschiedenen Gesellschaftsklassen sondern auch in verschiedenen Stadtteilen ungleich sei (dazu auch Möhn 1983 a, 160). Die Übernahme einer hd. Sprechsprache war zunächst ein Indiz der Zugehörigkeit zu höheren Schichten in der Stadt. Auf diese Weise entstand eine sozial markierte Zweisprachigkeit, während insgesamt im Alltag lange Zeit das Nd. vorherrschend blieb. Dafür ist eine Vielzahl von Zeugnissen überliefert. So stammt aus dem Jahre 1533 die Feststellung, daß „tho Hamborch … vele manne, frouwen vnd iunckfrouwen befunden werden, de de hochdüdesche sprake wedder lesen noch vorstan können“ (Gabrielsson 1932/33, 20). Die soziale Markiertheit der innerstädtischen Zweisprachigkeit und wiederum ihre pragmatischen Ursachen („Zweckmäßigkeitsgründe“) erhellt der Tatbestand, daß Hamburger Patrizier seit dem Beginn des 17. Jhs. ihre Söhne zur Ausbildung nach Leipzig schickten, „wegen der Sprache halber“ (Gabrielsson 1983, 125). Als Folge intensiver hd.-nd. Sprachkontakte bürgert sich in Hamburg als Sprachbezeichnung der Ausdruck Missingsch ein. Zugrunde liegt „Meißnisch“ als hd. Sprachkennung, tatsächlich werden mit „Missingsch“ höchst unterschiedliche Einflußformen des Hd. markiert, die sich an Intensität und grammatischem Inventar trennen lassen. Während zu Beginn des Sprachkontakts wohl das Nd. den Sprachgebrauch beherrschte, bei einzelnen hd. Einflüssen, hat sich in der Geschichte der Mischsprache das Mischungs-, Interferenzverhältnis immer mehr zugunsten des Hd. verschoben (zur Typik Scheel 1963). Letzte Entwicklungsmanifestation ist der hamburgische Substandard (vgl. 6.). Neben der hd.-nd. Koexistenz hat, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, die nl. Gemeinde der Zeit ihre Sprachspuren in die Stadtsprache eingebracht:

160. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg „Was haben nicht ehemals die vertriebenen Brabanter für eine Menge Wörter in unsere Sprache hineingeführet, die darin, so wie sie selber in der Stadt, allmählig das Bürger-Recht gewonnen“ (Richey 1755, XXXII).

Foerste (1936, 8ff.) bietet eine entsprechende Übersicht nach Sachgruppen.

4.

Sprachreflexionen in Hamburg und zum Hamburgischen im 17. und 18. Jahrhundert

Die metasprachlichen Aktivitäten des 17. Jhs. erschließen sich intensiv in der Institution der Sprachgesellschaften. Ihre deklarierten Ziele der Sprachkultivierung in theoretischer Auseinandersetzung und praktischer Teilhabe fanden überall dort Resonanz und Nachahmung, wo sich unterdessen ein bildungsbürgerliches Potential entwickelt hatte. Polenz (1994, 116) hebt als Rahmen die allgemeine Sozietätsbewegung des 17. Jhs. heraus, die sich nicht zuletzt in urbanen Zusammenhängen entfalten konnte. Hamburg bot hierfür zunehmend, in seiner Qualität als freie Reichsstadt, geeignete Voraussetzungen. Die Historiker attestieren ein „allgemeine[s] hamburgische[s] Selbstverständnis“ für das 17. Jh. (Loose 1982, 345f.) und ein „politisch selbstverantwortliches, ökonomisch selbstbewußtes und kulturell selbständiges Bürgertum“ (Kopitzsch 1982, 352) für das 18. Jh. Aus der Vielzahl sprachbezogener Aktivitäten der Zeit seien die Gründung der Teutsch gesinnten Genossenschaft (1643) durch Philipp von Zesen (1619⫺1689) erwähnt und vor allem die Arbeiten von Michael Richey. Sozietätsindikatoren der urbanen Aufklärungsbemühungen sind akademische Zirkel; ein erster Zusammenschluß war die Teutsch-übende Gesellschaft, 1715 gegründet, der neben Professoren wie Richey auch Barthold Heinrich Brockes angehörte. „Diese [die Gesellschaft] hatte das Glück und den Vortheil, daß sie von Anbeginn aus Männern von unterschiedenen Nationen bestund, deren Beyträge und Urtheile, in Sachen, den Ursprung und die Rechtschreibung der Wörter betreffend, billiger massen angenommen, erwogen, und zum gewissen Nutzen in der Wahl und Bestätigung des besten angewendet wurden“ (Richey 1755, XII).

1723 etablierte sich als Promotor und Protektor urbaner Aufklärung die Patriotische Gesellschaft, der wiederum Richey, Brockes, des weiteren führende Persönlichkeiten der Stadt, wie der Senatssyndicus Klefeker, angehörten.

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In einem solchen Umfeld bürgerlich-gelehrter Tätigkeit konzipierte Richey sein Idioticon Hambvrgense sive Glossarivm vocvm Saxonicarvm quae popvlari nostra dialecto Hambvrgi maxime freqventantvr (1743), dessen 2. Auflage, deutlich ausgebaut, 1755 erschien. Die in der ausführlichen Vorrede ausgebreitete Programmatik ist komplex. Auch ProvincialLexica könnten einen Beitrag dazu leisten, was man „als gut Teutsch“ in die beste Mund-Art aufzunehmen habe; Stammwörter seien im Norden „reiner und unvermischter“ aufzufinden; für „Erläuterung der Geschichte, und Verständniß der Urkunden“ liefere ein Idioticon den Schlüssel; schließlich sei ein gelehrter Forscher verpflichtet, bei seiner Beschäftigung mit der Haupt-Sprache „auf alle gegenwärtige Mund-Arten“ zu sehen und sie sich zunutze zu machen (Richey 1755, Vorrede). Hinter alledem steckt ein gutes Stück Patriotismus; auch die Herausgabe eines Wörterbuchs gehörte zu den „Pflichten eines rechtschaffenen Patrioten“, ist Bestandteil der Bemühungen, „dem Vaterlande zu dienen, wenn es auch nur in Erläuterung seiner Sprache seyn sollte“ (Richey 1755, Zuschrift). Das Idioticon Hambvrgense ist nicht nur Zeugnis metasprachlicher Aktivität, es überliefert auch, neben dem Wortbestand der Zeit, Momentaufnahmen zur oben angesprochenen Kontaktgeschichte von Hd. und Nd. und zu den sozialen Markierungen innerhalb des Nd. So wird etwa zwischen platten „dem Land-Volcke eigen“ und feinen Anteilen der Landessprache unterschieden; schließlich fehlt nicht der Hinweis, daß die Mund-Art von Tage zu Tage abnehme, „indem das Hoch-Teutsche schon längst nicht allein in öffentlichen Handlungen und Schriften, sondern auch in gemeinen Umgange dergestalt Besitz genommen, daß auch der Bauer selbst mit einem halb-Hoch-Teutschen Worte sich schon vornehm düncket“ (Richey 1755, Vorrede).

Die sprachproduktiven Resultate jener stadtbürgerlichen Zusammenschlüsse (s. o.) blieben keineswegs auf die Wörterbuchedition beschränkt. Zumindest auf zwei Konsequenzen, die sich nicht nur stadtintern auswirkten, aber durchaus stadteigene Ursachen und Merkmale zeigen, soll hier hingewiesen werden. Die eine betrifft die Geschichte der Casuallyrik, deren Programm durch Martin Opitz in seinem Buch von der deutschen Poeterey (1624) vorgegeben worden war. In Hamburg wurden die Gelegenheitscarmina, wie in anderen Städten, Bestandteil der Stadtkom-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

munikation; die Anzahl der Beiträger ist ansehnlich, zu ihnen gehören Brockes und Richey. Die von Fuchs (1994) für Bremen ausgemachten beteiligten Sozialkategorien (Ratsherren und Bürgermeister, Gelehrte, Handelsherren) lassen sich ebenso auf Hamburg übertragen wie die Nutzung der nd. Sprache, was wiederum die Zweisprachigkeit der Adressaten belegt. Daß Brockes nicht nur in der Tradition der Casuallyrik wirkte, sondern mit seinem Monumentalwerk Irdisches Vergnügen in Gott zur Fortbildung der deutschen Literatursprache beitrug, sei hier nur angemerkt (zu Einzelheiten Loose 1980). Dabei lassen sich Ortsbezug und Ortslob des Dichterratsherrn allenthalben auffinden. Seine Wirkung geht aus der Kritik Gottscheds an der Leserschaft: „Matronen, unstudierte[ ] Bürger[ ] und Landsleute[ ]“ ebenso hervor wie aus dem Befund, daß er vor allem geschrieben habe „für jene in sich sehr differenten städtischen Schichten und Gruppen, welche sich in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft als eigenständige Gruppierung einzuschätzen begannen“ (Ketelsen 1977, 47).

Die zweite angesprochene Konsequenz stadtbürgerlicher Aufklärungs- und Bildungsarbeit, zugleich Ausweis einer sich entwickelnden Pressestadt, war die von der Patriotischen Gesellschaft herausgegebene moralische Wochenschrift Der Patriot. Die erste Ausgabe erschien am 5. Januar 1724; in den vier Jahren ihres Bestehens erreichte die Zeitschrift bis zu 5000 Exemplare pro Ausgabe. Ihre Programmatik ist die Verkündung stadtbürgerlicher Tugenden; als weit über das Hamburger Gebiet hinaus wirkendes Medium wurde sie zum Träger und Verstärker eines Tugendvokabulars, welches als Ausdruck der Vernunft in zahlreichen Exempeln und Textformen entfaltet wurde. Schon die erste Nummer formuliert als Ziel, „daß die bey meinen Mit-Bürgern, insonderheit den Teutschen, und unter denen bey unsern Hamburgern, eingewurtzelte Irrthümer, Mißbräuche und übele Gewohnheiten, wo nicht ausgeräutet, wenigstens nach ihrer lächerlichen oder gefährlichen Wirckung vor Augen gestellet, werden mögen“. Dabei sollen die Leser „auf keine verdrießliche, sondern angenehme, Ahrt“ durch den Tugend-Weg geführt werden.

Deutschlands bedeutendste Wochenschrift dieses Genres ist nicht nur als Multiplikator des aufklärerischen Tugendvokabulars erwähnenswert; dank ihrer Programmatik gab sie den Anstoß für einen medial (Gegenschriften) geführten innerstädtischen Diskurs über die Qualitäten dieses Programms. Dabei

wurde, von Diskussionsbeiträgern in fiktiven Dialogen auch Nd. verwendet, um die Distanz der potentiellen Adressaten zum Patrioten zu signalisieren und damit seine Weltfremdheit, etwa wenn die Einrichtung einer höheren Unterrichtsanstalt für Töchter propagiert wurde. Zu den Gegenschriften zählt der Kindertreck-Discours, äver den Patrioten, In good Plattdütsch Geholden, Van acht Mademes, un ene Wartsfru, Hamburg 1724. Ausschnitt: Ancje. Patriot, Patriot, nu wil ick et wol beholen. Man wat is Patriot vor en Deert? Is et en Papagoy oder süs wat? Maturia. Ne, he is en Minsch. Un wiel he meent, de Lüde in Hamborg sünt Veh, so wil he se to Minschen macken. Pomponia. So wart he Diogenes wat schlachten. Da heff ick wol eher van hört, dat he an hellen Dage mit ener Lüchte is herumgegan und hefft Minschen gesögt. Fannia. Dat segt he ock in sinen ersten Nummer. Corella. He gifft jo vör, dat he bi de MinschenFreters wesen is. Wunder, dat de en nich all lang verteert hefft. Fannia. Se mägt en wol vör kenen Minschen ansehen hebben. Süs harden se [em] wol nicht lopen laten. (Zu Einzelheiten Holstein 1883).

5.

Fortschreitende Zweisprachigkeit in der Stadt. Zunehmende Funktionsdifferenzierung von Hochdeutsch und Niederdeutsch im 18. und 19. Jahrhundert

Das 18. und 19. Jh. haben, bei mancherlei temporären Hindernissen, zur Ausbildung einer städtischen-hanseatischen Identität, welche sich im 18. Jh. als „patriotisch“ (vgl. 4.) verstand, entschieden beigetragen. Die französische Besatzung zu Beginn des 19. Jhs., der große Brand 1842, die Auseinandersetzungen mit Preußen über die Integration der Hansestadt ⫺ um nur einige stadtgeschichtlich einschlägige Ereignisse zu nennen ⫺ konnten das Bewußtsein hamburgischer Souveränität nicht verdrängen. 1869 brachte dies einer der führenden politischen Vertreter Hamburgs auf den Punkt: „Wir verhehlen es nicht: wir wollen Hamburger bleiben, wir wehren uns mit Kopf und Fuß gegen die immer näher rückende Gefahr, denn was ist denn das ganze Wesen, welches Berlin erzeugt, anderes als eine allmähliche Aussaugung“ (Böhm 1982, 501).

160. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg

Merkmale wie Zentrum des Welthandels, Spezialisierung in Ex- und Import, Verdoppelung der Bevölkerung zwischen 1806 und 1860, massive Industrialisierung in der Gründerzeit (zu Einzelheiten Ahrens 1982 und Böhm 1982) lassen auf Prozesse der sprachlichen Differenzierung und Vermehrung (Fachsprachen, Sondersprachen, Stadtteilsprachen) schließen, wie sie unterdessen in der Sprachgeschichtsschreibung für das 19. Jh. immer deutlicher wahrgenommen werden (z. B. Klenk 1997). Die Besonderheiten einer hamburgischen Sprachentwicklung liegen in der fortdauernden Koexistenz von Hochdeutsch und Plattdeutsch. Für die vorausgehenden Jahrhunderte können deutliche Spuren einer sozialen Stigmatisierung monosprachlicher (d. h. ausschließlich nd.) Kompetenz aufgezeigt werden; das gilt etwa für das Personeninventar der lokalbezogenen Barockopern, in denen Kleinhändler und Hauspersonal ausschließlich nd. sprechen. Ausschnitt aus Die Hamburger SchlachtZeit / Oder Der Mißgelungene Betrug / In einem Singe-Spiel auf dem Hamburgischen Schau-Platze Aufgeführet (1725): (Der Hopfen-Marckt mit allerhand Buden.) Gretje, Claaß, ein Fisch-Händler. Gretje. Dee Oss iß dood, hee waß nich allto klein, See maackt upsteeds dee Pantzen rein, Vörn Awend kaamt de Gäst, un wilt den Dooden sehn; K’schall naa den Hoppen-Marckte loopen, Un lemdge Karpen koopen. (Zu Claaß.) Glück too! wo dür dit Stück? Claaß. Een Maarck, Gretje. Dat iß to veel; Acht Schilling weeren noog; Claas. Laat my de Karpen stahn! Gretje. Ick geewe ju de tein; Class. Jy könnt man wyder gahn! (dazu Schütze 1794, 154)

Im 19. Jh. begegnen Zeugnisse für eine mehrere Schichten auszeichnende, zugleich funktional differenzierte hd.-nd. Mehrsprachigkeit, die vorher doch deutlich begrenzt war. Aus dem Jahre 1760 stammt die Beobachtung, daß Plattdeutsch zwar in den Familien gesprochen werde, aber in großen Gesellschaften allein zum Scherz und im geschlossenen Kreise; für 1803 wird überliefert, daß Plattdeutsch aus den superfeinen Gesellschaften beinahe völlig verbannt sei, selbst der geringste Pöbel nicht nur ohne Ausnahme das Hd. verstehe, sondern es teilweise auch spreche oder sich zumindest bemühe, es zu spre-

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chen (Lasch 1918, 4, mit weiteren Beispielen für die mehrsprachige Praxis). Die sprechsprachliche Umordnung ist gewiß keine plötzlich durchgreifende, sondern eine allmähliche gewesen. Nur so erklärt es sich, daß in einer Gerichtsverhandlung des Jahres 1888 ein angeklagter Ewerführer zu Protokoll geben mußte: „Meine Herrens, se möt entschuldigen, opp hochdeutsch kann ick mi nich verdeffendern, ick mutt woll plattdütsch snacken“ (Möhn 1983 a, 174). Andererseits ist von dem Straßenhändler Weber (1790⫺1854), der Bürsten und geräucherte Aale („Aalweber“) verkaufte, bezeugt, daß er die Sprache je nach Adressat wechseln konnte: Zu einem jungen Mann: „Door hest’n Bost, Jan, segg ok Dank gah na Huus un putz dien Stebel blank!“ Zu einer Köksch: „Mein lüttje Madamm, Ihr Kaufen ehrt mich sehr, woll’n Sie nich noch’n büschen mehr?“ Zu einer Dame: „Gnädige Frau, ’n Besen zum Fegen woll’n Sie haben? Da ist er! Nu tun sie Ihre Augen dran laben!“ (Möhn 1978, 3)

Ein bemerkenswertes Zeugnis der zeitgenössischen Sprachmischungen zwischen Nd. und Hd. sind die sogenannten Jungfer-NichtenBriefe. Von sprachseismographischer Qualität und nicht ohne eine gewisse Geringschätzung gegenüber dem Phänomen ermöglichen die Texte einen Zugang zu jener historischen Sprachform, „welche sich in der halbplatten, halbhochdeutschen Redeweise der Hamburgischen wohlhabenden Mittel-stands-Classen, der eigentlichen Spießbürger, offenbarte“ (Beneke 1805, 5). Ausschnitt aus den Briefen: Ja, nu komm ich ganz von meine Hauptsache von, warum ich dies Schreibent verfaße. Liebe Mieckschen! es iß mich doch lieb, daß ich es Sie nicht selbsten verzälen muß. Denn ich schame mir doch ein bischen. Nun will ichs aber von Anfang an verzälen, und ganz so, wie es sich in die Wahrheit verholt.

Daß die nächste Generation (1847), mit der Sprachform der Briefe konfrontiert, bereits von einer untergehenden Sprechweise ausging, von der einiges noch bei „älteren Nähpersonen“ vorkomme (Beneke 1805, 6), bestätigt durchaus die behauptete sozial differenzierte Entwicklung. Wenn es auch nicht unproblematisch ist, hamburgische Milieugeschichten als Sprachzeugen zu wählen, soll Wilhelm Poecks Band Von Hamburger Herr-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schaften, Kökschen und Kindern (1910) genutzt werden, um weitere Stadien der Entwicklung und ihre Konsequenzen am Jahrhundertende zu belegen. In der Erzählung Hertha auf dem Kasperabend, gehören zu dem Personeninventar neben der Titelgeberin (aus gutbürgerlichem Hause) auch das Dienstmädchen Grete und der Milchausträgerjunge Max. Während Hertha mit einem sehr guten Hochdeutsch ausgestattet ist, spricht der Junge Missingsch: „‘Hat dir ein mit’n Stein geschmissen?’, fragte Max teilnehmend, als er Hertha klagend und zagend am Gitter des väterlichen Hauses vorfand. ‘Anders sag’ mich das man, denn verhau’ ich ihm, wenn es nich einer von die ganz großen Jungs is.“ (Poeck 1910, 111).

Aufschluß über die am Ende des 19. Jhs. fortgeschrittene, situativ geregelte Restriktion des sprechsprachlichen Gebrauchs von Hd., Missingsch und Nd. erlauben auch die überlieferten Texte der althamburgischen Kasperspiele. Dank ihrer stadtöffentlichen Relevanz (Möhn 1995) und der damit verknüpften alltäglichen Überprüfung durch das stadtkundige Publikum (Abgleich mit der städtischen Sprachwirklichkeit) kann ihnen ein hoher Authentizitätsgrad zugeschrieben werden. In den Rollenspielen wird das stadtinterne Inventar an Sprachvarietäten voll ausgeschöpft, namentlich durch die dominante Kasperfigur, z. B. in dem Stück Kasper als Arzt. Ausschnitt: Herr: Sie hat immer Hitze und Frost. Kasper: Also Hitze hat se, sagt se, hat se. Na, das wollen wir schon kreigen. Hol’n Sie mal von die Apotheke ’n halb Pfund Kremitarti und denn müssen Sie ihr ein Klapperbeinsches Mogenpflaster auf den Buk legen. Denn wird ihr schon besser werden. ⫺ Bitte um drei Mark für meine Bemühungen. […] Bauer: Un denn will se keen Melk geben. Kasper: Wat? De Koh will keen Melk geben? Dascho’n ganz osige Koh: Denn is de Koh woll gor keen Koh. Denn is de Koh woll’n Bull’n. Bauer: Ne, dat is en ganz gewöhnigliche Kauh. Kasper: Also en ganz gewöhnliche Koh? Wenn de Koh ober keen Melk geben will, denn hört Er ja, denn is das keine Koh, denn is das ein Bulle. ⫺ Nun hör’ Er man zu. (Rabe 1924, 187)

Die Stigmatisierung des Berlinischen in den Kasperstücken, etwa durch die Figur des Pieseke, hängt gewiß mit der oben angesprochenen politischen Expansion Preußens zusammen, die sich auch im Sprachalltag Hamburgs offenbarte (in ähnlicher Beobachtung Beneke 1805, 15). Zu den Domänen, in denen

vorwiegend Nd. im Lauf des 19. Jhs. gesprochen wurde, zählte die Sprache der Kinder und Jugendlichen, was erhebliche Probleme für den auf das Hd. zielenden Sprachunterricht der Schulen entstehen ließ. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Beschluß der 7. allgemeinen deutschen Lehrerversammlung (1855) in Hamburg, wonach der Dialekt der Schüler bei dem vorbereitenden Sprachunterricht zu berücksichtigen sei (zu Einzelheiten der Problematik Möhn 1983 b). In den selben Zusammenhang gehört die nd. Versprachlichung von Spielen hamburgischer Jugendlicher, so war etwa Klippball, ein Schlagballspiel, in seinen Regularien durchgängig plattdeutsch formuliert; hierher: Binnenslegers ‘Schlagpartei’, Butenlöpers ‘Gegenpartei’, Mannkiker, Sünnenkrüper ‘guter Schlag’, Kröpelslach, Schietslach ‘schlechter Schlag’ (weitere Belege im Archiv des Hamburgischen Wörterbuchs). Von anderer Qualität, aber ebenfalls mit nd. Grundlage, ist die Sprache der Hamburger Ketelklopper (Ketelbobbys), also derjenigen, die in den Kesseln der Dampfschiffe den Kesselstein abzuschlagen hatten. Hier werden neue Funktionen des Nd. in einer industrialisierten Umwelt sichtbar, die sondersprachlichen Züge dieser Berufsgemeinschaft (Laut- und Silbenmetathese nd. Vokabulars) weisen auf die ausgeprägte Einheit ihrer Mitglieder hin (Möhn 1984).

6.

Hamburg im 20. Jahrhundert. Stadt zahlreicher Teilsprachen und mit hochdeutschem Substandard

Schon die ökonomische und soziotopographische Charakteristik der Stadt mit ihren sieben Stadtbezirken und mehr als 1,5 Millionen Einwohnern läßt ahnen, welche Schwierigkeiten einer Beschreibung der gegenwärtigen städtischen Sprachpraxis entgegenstehen. Diese Hindernisse teilt Hamburg mit vielen Großstädten Deutschlands und der Welt. Versteht man unter „Hamburgisch“ heute die Sprachmenge nach Struktur, Gebrauch und Bevölkerungskompetenz, die auf Hamburger Staatsgebiet begegnet, eröffnet sich unschwer seine Fülle an präsenten Sprachen und Varietäten. Die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel steht für die Vielzahl und die Differenzierung sprachgebundener, sprachbegleiteter sozialer Handlungen in der Stadt und ließe sich in einem Diasystem städtischer Teilsprachen weiter gliedern. Für die einzelnen Bewohner wäre ein derartiges Sprachstrukturat die Ma-

160. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte I: Hamburg

nifestation städtischer Mehrsprachigkeit, an der sie jeweils in Konsequenz ihrer sozialen Möglichkeiten und Auswahlentscheidungen partizipieren. In diesen Lebenszusammenhang gehören Familie, Arbeitsplatz, Institutionsnutzung, Vereinsmitgliedschaften ebenso wie einzelne Feste im Jahresrhythmus (Dom, Alstervergnügen u. a.). Einige Untersuchungen und Dokumentationen etwa zur Sprache einer Berufsgruppe (z. B. Goltz 1984) oder zum Ereignis des Fischmarktes (Naused 1965) haben unterdessen zur Kenntnis der Sprachenvielfalt beigetragen. Mit dem allgemeinen Prozeß der Verstädterung menschlichen Zusammenlebens (dazu Saunders 1987) hat die schon mehrfach berührte Frage des städtischen Selbstverständnisses (vgl. 4. und 5.) keineswegs an Aktualität verloren, vielmehr scheint sie als Gegenstand von Fremd- und Eigenorientierung (Heterostereotyp und Autostereotyp), im Sinne der Identitätsgewinnung eher bedeutsamer geworden zu sein. Hier erhält der sprachlich besetzte Begriff „Hamburgisch“ eine gänzlich andere Füllung als die oben genannte, sind doch jetzt die Spezifika hamburgischen Sprachhandelns gefragt, eine Fragestellung, der schon Richey (1755) gefolgt war. Bei einer solchen Begriffsfüllung kommt der ortsrealisierten Kontaktgeschichte von Hd. und Nd. höchste Aufmerksamkeit zu. Zwar sind die in der dialektgeographischen Tradition des 19. Jhs. erhobenen lokalgeographischen Differenzierungen (z. B. Kloeke 1913; Larsson 1917) des Nd. (vgl. dazu auch die Ortskennungen in den Lieferungen des Hamburgischen Wörterbuchs) in den jüngeren Generationen weniger wahrnehmbar, zwar ist der Anteil der Plattdeutschsprecher an der Gesamtbevölkerung immer mehr zurückgegangen (vgl. Heinsohn 1963; zur Getas-Umfrage Stellmacher 1987), dennoch zeigt das Nd. in der Sprachgeschichte Hamburgs deutliche Wirkungen. Gemeint sind einzelne Sprechmerkmale, die von in Hamburg Gebürtigen und lange Zeit Wohnenden beim Gebrauch des Hd. verwendet werden. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Teilmenge phonetischer, morphologischer, lexikalischer und syntaktischer Relevanz, wobei dem phonetischen Inventar besondere Beachtung geschenkt worden ist. Letztlich hat A. Lasch (1918), die Geschichte des Nnd. in Hamburg aufarbeitend, bereits auf die wesentlichen phonetischen Phänomene hingewiesen, die offensichtlich beim Ablöseprozeß in den sprechsprachlichen Gebrauch des Hd. über-

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nommen worden sind. Hierzu gehören die Lenisierung von Doppelkonsonanten, vgl. Bodder, kladdern, treggen, widde, der Dentalausfall zwischen Vokalen goˆ⭸n (aus goden), die Spirantisierung von g im Auslaut sowie diverse Diphthongierungsphänomene. Wichtig ist dabei der Hinweis auf vergleichbare Entwicklungen in benachbarten nrddt. Mundarten (z. B. Lasch 1918, 7), demnach muß die unlängst aufgeworfene Frage nach dem Anteil Hamburgs an der „Herausbildung einer allgemein-norddeutschen ‘Umgangssprache’ “ (Auer 1998, 179) entsprechend gewichtet werden. „Die Ausländer behaupten, daß man einen Hamburger an seiner Aussprache durchaus nicht verkennen könnte […]. Das E geht in mancher Munde fast in Ei über, das O dagegen klingt beinahe wie Au, und Oe wie Oi. […] Mit der allgemeinen Einführung und Aufnahme der hochdeutschen Mundart hat man sich zwar an die Rechtschreibung gewöhnt, aber die Aussprache beibehalten […]“ (Pabel 1996, 17f.).

In dieser Sprachcharakteristik aus dem 19. Jh. sind wichtige Merkmale des sprechsprachlichen Hd. benannt, die später z. B. M. Lasch (1989) und Auer (1998) in Einzeluntersuchungen weiter verfolgt haben. In gleicher Richtung waren einzelne Arbeitsgruppen aus dem Seminar Möhn/Schröder zur Hamburger Stadtsprache (Sommersemester 1998) mit empirischen Erhebungen aktiv. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß in der Tat für einen Ausschnitt der länger in Hamburg ansässigen Bevölkerung ein hd. Substandard nachzuweisen ist. Dabei ergeben sich für die Verbreitung einzelner Variablen deutliche (generationsabhängige?) Unterschiede. Während [e:] anstelle des standardsprachlichen [i:], z. B. in [ke:z⭸] ‘Käse’ relativ durchgängig ist, ebenso wie die Spirantisierung des auslautenden [g] zu [x] bzw. [c¸] z. B. in [za:x] ‘sag’, [wic¸] ‘weg’, gibt es deutliche Ausfallerscheinungen bei der Aussprache von s vor p und t. Hier hat sich die standardsprachliche Aussprache stärker durchgesetzt (mit vergleichbaren Ergebnissen Lasch 1989 und Auer 1998). Letztlich ist auch bei der Durchsetzung des Hd. als urbane Leitsprache das lange Zeit die Stadtkommunikation Hamburgs bestimmende Nd. wahrnehmbar geblieben und trägt heute mit seinen Spuren zur Sprachprofilierung der Stadt bei.

7.

Literatur (in Auswahl)

Ahrens, Gerhard, Von der Franzosenzeit bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung. 1806⫺1860. In: Hamburg 1982, 415⫺490.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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Dieter Möhn, Hamburg

161. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin 1. 2. 3.

Vorgeschichte ⫺ Germanen, Slawen, Deutsche im Berliner Raum Die sprachliche Entwicklung Berlins Literatur (in Auswahl)

Ziel der folgenden Ausführungen über die Rolle der Stadt Berlin in der neueren dt. Sprachgeschichte soll es sein, die Vielschichtigkeit des Sprachgebrauchs in der Stadt und ihrer näheren Umgebung in ihren Grundzügen von den Anfängen im 13. Jh. bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Dabei liegt es nahe, daß auch den sprachlichen Besonderheiten seiner Einwohner, die sich vor allem in der Berliner Umgangssprache, auch Berliner Stadtsprache oder kurz Berlinisch genannt, niederschlagen, nachgegangen wird. Die Darlegungen sind in besonderem Maße Schmidt 1992 sowie Schönfeld 1992 verpflichtet.

1.

Vorgeschichte ⫺ Germanen, Slawen, Deutsche im Berliner Raum

Die beiden Schwesternstädte Berlin und Cölln, aus denen später die Stadt Berlin zusammenwächst, entstanden an der Wende vom 12. zum 13. Jh. im Rahmen der Ostkolonisation in den damals von Slawen besiedelten Landschaften des Teltow und des Barnim am Berliner Urstromtal der Spree. Berlin und Cölln, zu beiden Seiten der Spree gelegen, waren zum Zeitpunkt ihrer ersten Erwähnung voll ausgebildete Gemeinwesen (Cölln 1237, Berlin 1244). Ihre Gründungen werden um 1230 angesetzt.

Im unmittelbaren Umland von Berlin/ Cölln haben slaw. Siedler ihre Spuren hinterlassen. Köpenick und Spandau ⫺ heute Stadtbezirke von Berlin ⫺ nahmen von slaw. Burgen ihren Ausgang; einige der in diesem Gebiet liegenden mittelalterlichen Städte entwickelten sich also ⫺ nach dt. Recht ⫺ aus spätslaw. Burgstädten. Slaw. Bevölkerung war bereits seit dem 6./7. Jh. u. Z. in den Berliner Raum eingewandert, nachdem die vorher seit über 1000 Jahren ansässigen Germanen zum großen Teil im Zuge der Völkerwanderung nach Süden abgewandert und sich am Sturm auf das weströmische Reich beteiligt hatten. Zahlreiche Gewässer-, Flur- und Familiennamen gehen auf die slaw. Siedler zurück, die vor allem dem altpolabischen (altplb.) Stamm der Sprewanen angehörten, seltener dem der Sorben (die sorbisch-polabische Sprachgrenze verlief südlich von Berlin). Berlin z. B. ist sehr wahrscheinlich ein ursprünglich altplb. Gewässer- oder Flurname, der sumpfiges, feuchtes Gelände bezeichnet (slaw. Wurzel *brl ‘Sumpf, Morast’). Folgende heutigen Stadtteilbezeichnungen gehen ebenfalls auf das Slawische zurück: Britz altplb. *breza ‘Birke’, Buch altplb. *buk ‘Buche’, Köpenick altplb. *kop’nik / kopa Erdhügel, Grenzhügel’. Die sprachliche Situation im Berliner Raum ⫺ und darüber hinaus zwischen Elbe und Oder ⫺ läßt sich jedoch nur verstehen, wenn man berücksichtigt, daß vor den Slawen germ. Stämme ⫺ insbesondere der Stamm der Semnonen ⫺ über 1000 Jahre in

161. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin

diesem Gebiet ansässig waren. Sie werden der sog. Jastorfkultur zugerechnet, die sich durch charakteristische Gegenstände der materiellen Kultur (Töpferwaren, Schmuck, Trachten) gegenüber anderen auszeichnete. Auch die Germanen, die im 3./4. Jh. u. Z. abwanderten, hinterließen sprachliche Spuren. Germ. Herkunft sind u. a. die Gewässernamen Havel, Spree und Müggelsee. Havel gehört zur germ. Wurzel *hab-, die auch in Haff und Hafen zugrunde liegt. Der Name Spree wird zur germ. Wurzel *sprew- gestellt, die sich auch in mhd. spraejen/spraewen ‘stieben’ findet. Ein noch höheres Alter wird für den Namen Müggelsee angenommen; der erste Bestandteil beruht wohl auf der idg. Wurzel *migh-, die auch altslawisch und litauisch belegt ist.

2.

Die sprachliche Entwicklung Berlins

2.1. Die Sprachsituation im 13.⫺15. Jahrhundert: Niederdeutsch, Hochdeutsch, Latein Berlin und Cölln lagen Mitte des 13. Jhs. fernab von den großen Macht- und Kulturzentren des Südwestens Deutschlands und des Rheintals. Im Zuge der letzten Etappe des Vordringens der Deutschen in den ostelbischen Raum im Rahmen der Ostkolonisation wachsen sie in das Zentrum einer der später bedeutendsten Landesherrschaften, der sich konstituierenden Mark Brandenburg. Ihren schnellen wirtschaftlichen Aufstieg verdankten sie dem Handel, vor allem dem Fernhandel. Unter den Übergängen über die Spree besaß der bei Berlin/Cölln bereits 1280 besondere Bedeutung. In dieser Zeit, in der sich die Geldwirtschaft allmählich durchsetzte, statteten die askanischen Markgrafen ihre Städte mit besonderen Rechten aus, um selbst zu höheren Einnahmen zu gelangen. Die beiden Marktplätze an der Spree entwickelten sich zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkten. Verbunden waren sie durch den Mühlendamm, über den alle Handelsstraßen über die Spree führten. 1307 kam es zu einem Zusammenschluß beider Städte, zu einer „Unio“ mit einer gemeinsamen Bürgerverwaltung. ⫺ Mit dem Erlöschen des Geschlechts der Askanier im Jahre 1320 wurde das Land zu einem Streitobjekt unter verschiedenen Landesfürsten. Zu den schweren dynastischen Auseinandersetzungen zwischen den Landesherren um die Mark

2313

kamen erbitterte Fehden des märk. Adels. In dieser Situation, in der das Land in seiner Entwicklung zurückgeworfen wurde, setzt Kaiser Sigismund 1411 den Burggrafen Friedrich VI von Nürnberg aus dem Hause Hohenzollern in der Mark als Landeshauptmann und Verweser ein. 1415 wurde ihm die Würde eines Markgrafen und Kurfürsten verliehen. Ihm gelang es, Ruhe und Ordnung im Land wiederherzustellen. Um den Ausbau der Mark voranzutreiben, holten er und seine Nachfolger aus ihrer süddeutschen Heimat Ritter und Adlige ins Land; diese frk. Ministerialen bildeten eine Art Verwaltungsgremium. Sie, Angehörige einer dünnen Oberschicht, vermittelten nicht nur ihre Verwaltungskenntnisse, sondern auch Elemente der damals hochentwickelten sdt. Kultur. Die Städte Berlin/Cölln liegen im Geltungsbereich der nd. Mundarten, die Zuwanderer aus den Gebieten westlich von Elbe und Saale in die von Slawen besiedelte Mark mitbrachten. Es waren sehr wahrscheinlich zunächst Bauern, Handwerker, Kaufleute aus dem Harzvorland, Westfalen, dem Rheinland, die direkt oder in Etappen die Mark kolonisierten, meist gemeinsam mit der slaw. Bevölkerung dieser Gebiete. Unter den Siedlern waren auch Niederländer, die etwa eine Generation vor der Begründung der Kaufmannssiedlungen Berlin und Cölln in die Mark kamen. An frühen Ortsnamen läßt sich ihr Einfluß ablesen. So gehen z. B. die märkischen Namen Lichterfelde, der des Berliner Stadtbezirkes eingeschlossen, auf Lichtervelde in Flandern zurück; genannt sei ferner der Landschaftsname Fläming südwestlich von Berlin, einer Gegend, in der der Askanier Albrecht der Bär Flamen ansiedelte. Noch in der heutigen Standardsprache bzw. in der regionalen Umgangssprache finden sich Bezeichnungen, die auf nl. Einfluß zurückgehen, z. B. Erpel, Fenn, Flieder, Kachel, Kanten, Häcksel, Padde, Stulle sowie die Adjektive duster, kiesätig. K. Bischoff hat eine brandenb.-nl. Bauernmundart angenommen, neben der seiner Meinung nach bereits eine stärker ofäl. bestimmte Herrensprache existierte. ⫺ Die Siedler, später auch die Bewohner von Berlin-Cölln, lebten in wirtschaftlichem Kontakt mit slaw. Bevölkerungsgruppen der mittelmärkischen Umgebung; es ist davon auszugehen, daß sich diese auf den dt. Sprachgebrauch auswirkten. In den uns erhaltenen Dokumenten der Zeit sind die Einflüsse jedoch nur schwer zu fassen. Alle Texte aus den ersten Jahrzehnten der Stadtge-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schichte, in der Regel Urkunden, sind lat. abgefaßt. Die Schreiber waren meist Notare, juristisch geschulte Fachleute, die des Lateins kundig waren und sich entsprechend den Gepflogenheiten der Zeit dieser Sprache bei der Ausfertigung von Urkunden bedienten. Wir haben also keinerlei Kenntnis von einer möglichen dt. Schreibsprache, die neben der nd. Mundart, der Sprache des Alltags der Bevölkerung, existiert haben könnte. Dt. Einsprengsel in den lat. Urkunden, meist Personen- und Eigennamen, gelegentlich auch Ausdrücke für einheimische Rechtsgepflogenheiten, die offenbar lat. nicht angemessen wiedergegeben werden konnten, deuten darauf hin, daß die Herausbildung einer volkssprachlichen, dem Lat. gegenüber gleichberechtigten Schreibsprache zu einer Notwendigkeit geworden war. Aus dem Jahre 1321 stammt dann die erste wichtige Urkunde in nd. (in Entsprechung zur sprachgeschichtlich üblichen Terminologie: mnd.) Sprache. Darin bekunden nach dem Tod des letzten Fürsten aus dem Hause Askanien, des Markgrafen Waldemar, 23 märkische Städte ihre Absicht, ihre Rechte gegenüber der neuen Herrschaft ⫺ Herzog Rudolf von Sachsen als dem Inhaber der vormundschaftlichen Regierung ⫺ wahrzunehmen. Vom Schluß dieser Urkunde stammen die folgenden Zeilen: dat desse vorbenumede dync stede vnd vnuorwandelet blyuen, des hebbe wye dessen gheghenwordenghen bryf […] met usem yngheseghelen beseghelet. Desse dync synt gheschyn na godes bort dusent via vnd dryhundert yar in deme enenttuyntygsten yare, tu Berlyn, an sunte Bartholomeus daghe des hylghen apostoles.

Mit der Wende zum 14. Jh. änderten sich also offenbar die Verhältnisse. In der ersten Jahrhunderthälfte wurde eine stetig wachsende Zahl von nd. Urkunden angefertigt, die neben die noch vorherrschenden, lat. abgefaßten Urkunden traten. „In der zweiten Hälfte des 14. Jhs. verstärkt sich diese Tendenz. Urkunden des Berliner Gebietes bevorzugen nun nur dann die Lateinform, wenn geistliche Angelegenheiten, Fragen des Kirchenbesitzes, Interessen der Bischöfe, insbesondere der von Brandenburg und Lebus, die in Berlin Stadthäuser besaßen, berührt werden“ (Schmidt 1992, 121).

Urkunden in hd. Form sind in dieser Zeit noch die Ausnahme. Die seit dem Tode des letzten Askaniers und vor der Belehnung der Hohenzollern mit der Mark Brandenburg (zwischen 1320 und 1411) um die Macht im

Lande ringenden Wittelsbacher und Luxemburger mit den böhm. Königen waren es, die im Verkehr mit den märk. Adligen und Städten das Hd. verwendeten. Hd. Einfluß zeigt sich zunächst aber vorrangig nur darin, daß in nd. Urkunden und Schriften vereinzelt hd. Elemente begegnen. Ein wichtiges Denkmal aus den letzten Jahren des 14. Jhs., das diesen sprachlichen Entwicklungsstand widerspiegelt, ist das vom Berliner Rat angelegte „Berliner Stadtbuch“. In seinem ersten Teil wird eine Übersicht über die regelmäßigen Einnahmen der Stadt gegeben, der zweite Teil enthält die Privilegien der Stadt und der Handwerkerinnungen aus dem 13./14. Jh., den dritten Teil bildet eine Darstellung des Berliner Schöffenrechts, das im wesentlichen auf Eike von Repgows „Sachsenspiegel“ zurückgeht. Diese kurz vor 1393 niedergeschriebenen Teile ⫺ ein vierter mit Aufzeichnungen aktueller Ereignisse bis zum Jahre 1497 schließt unmittelbar an die Niederschrift der ersten drei Abschnitte an ⫺ weisen einen nd. Grundtext mit hd. Einsprengseln auf, enthalten jedoch auch schon ganze hd. Passagen in omd. Sprachform, z. B. Erlasse der aus dem hd. Gebiet stammenden Landesherren aus der Übergangszeit (1320⫺1411). ⫺ Die Tendenz zur Zunahme der Verwendung des Hd. in der Mark Brandenburg verstärkte sich in dem Maße, wie die Hohenzollern seit ihrer Belehnung mit der Mark im 15. Jh. ihre Macht dort festigten. Zweifellos spielten in diesem Zusammemhang auch die hd. sprechenden und schreibenden Verwaltungsfachleute eine Rolle, die die Hohenzollern aus dem Südwesten mitbrachten. Im 15. Jh. bevorzugte die einheimische Rechtsprechung noch das Nd., nahm also Rücksicht auf die Sprachgewohnheiten der Bevölkerung; in der Verwaltung dagegen drang das Hd. in immer weitere Bereiche vor. Der allmähliche Übergang zum Hd. wurde sicher auch dadurch vorangetrieben, daß sich die Bindungen der Stadt an die Hanse im Norden, deren Mitglied Berlin war, lockerten und sich eine wirtschaftliche Orientierung auf den hd. Süden durchsetzte. Im ersten Jahrzehnt des 16. Jhs. stellt der Berliner Stadtschreiber Johannes Nether, seit 1504 im Amt, die Stadtkanzlei auf den schriftlichen Gebrauch des Hd um. Selbst wenn dieser Schritt der Stadtverwaltung nicht als Abbild der Sprachverhältnisse außerhalb der Kanzlei und Schreibstuben angesehen werden kann ⫺ mit großer Wahrscheinlichkeit dominierte im mündlichen Sprachgebrauch noch das Nd. ⫺, so stellte er

161. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin

doch einen wichtigen Orientierungspunkt für die weitere Sprachentwicklung in Berlin und Umgebung dar. Untersuchungen von A. Lasch legen den Schluß nahe, daß Nether sein Hd. im obsächs. Gebiet erlernte und er sich der thür.-obsächs. Kanzleisprache bediente, sich also nicht nach den Schreibgepflogenheiten der z. T. mit Franken besetzten kurfürstlichen Kanzlei in Cölln richtete. ⫺ Während die märk. Städte im Osten und Südosten wie Frankfurt, Fürstenwalde, Beeskow, Storkow den Übergang zum Hd. lange vor Berlin vollzogen hatten, die Städte des Nordens der Mark wie Bernau, Neuruppin, Gransee und des Westens wie Brandenburg, Rathenow, Perleberg, Stendal, Tangermünde erst mit deutlichem Abstand Berlin folgten, blieb das Umland der Städte zunächst nd. ⫺ Der Sprachwechsel Berlins war also ⫺ insgesamt gesehen ⫺ keineswegs ein abrupter Übergang, sondern ein langwieriger Prozeß der Umorientierung in einem reich differenzierten Gefüge sozialer und kommunikativer Normen. 2.2. Die Sprachsituation im 16.⫺17. Jahrhundert: Hochdeutsch ⫺ Niederdeutsch Das sich ausbreitende Hd. omd. Prägung in Berlin war für A. Lasch eine im wesentlichen von außen bestimmte, dem obsächs. Vorbild folgende Sprachform, die der Berliner bewußt übernahm und die erlernt werden mußte. H. Teuchert, der andere Kenner märk. Sprachverhältnisse, meinte dagegen, hier liege eine Mischsprache vor, das Berlinische der hd. Periode sei auf dem Boden der nd. märkischen Heimatsprache erwachsen durch Einführung des obsächs. Vokalstandes sowie durch Anpassung der Verschlußlaute, sofern nicht schon eine gewisse Übereinstimmung bestand. Wie auch immer die Prozesse der Aneignung des Hd. im einzelnen interpretiert werden, der Übergang zum Hd. omd. Prägung war kein isolierter Schritt der Stadtkanzlei. Es liegen Briefe und Rechnungen von Berliner Handwerkern und Gewerbetreibenden vor, die schon zu Beginn des 16. Jhs. in hd. Sprachform verfaßt waren. Weitere Faktoren förderten die Übernahme des Hd. Mit der 1506 gegründeten Universität des Landes in Frankfurt ⫺ wo schon seit über 100 Jahren das Hd. galt ⫺ war eine Ausbildungsstätte entstanden, auf der Verwaltungsbeamte des Kurfürsten, Juristen, Stadtschreiber, Kämmerer, Gymnasiallehrer ihre Ausbildung in hd. Sprache erhielten. Die Erforder-

2315

nisse der hohen wissenschaftlichen Ausbildung hatten auch Einfluß auf die Bildungsziele der verschiedenen Schulformen. In Schulordnungen des 16. Jhs., z. B. der des Berliner Gymnasiums „Zum Grauen Kloster“ von 1574, wurde die Pflege des Hd. als Unterrichtssprache gefordert. Auch in der Kirche hielt das Hd. Einzug. Ab 1539 wurde die brandenb. Kirche reformiert. In der entsprechenden Kirchenordnung von 1540 trat nach Wittenberger Vorbild die hd. Sprache in Predigt, Liturgie und Kirchenlied an die Stelle des bis dahin vorherrschenden Lateins; in ländlichen Gebieten der Umgebung wurde dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit noch das Nd. bevorzugt. ⫺ Auch der Buchdruck trug zur Verbreitung des Hd. in Berlin bei. Bereits seit 1505 wurden u. a. für den Berliner Bedarf in Frankfurt/Oder hd. Schriften gedruckt. Um 1540 wurde in Berlin, wo es keinen nd. Buchdruck gab, der erste aus Wittenberg stammende Drucker tätig. Auch dem Buchhandel, der seit dem Beginn des 16. Jhs. nachweisbar ist, kommt in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. ⫺ Insgesamt ist der Umfang des Schrifttums im 16. Jh. angewachsen. Es liegen nicht mehr nur Kanzleitexte, also vor allem Urkunden, vor, sondern auch die Zahl politischer Texte hat zugenommen. Im 15. Jh. war der nd. verfaßte „Berliner Totentanz“, der wohl in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts als Wandmalerei in der Turmhalle der Berliner Marienkirche seinen Platz gefunden hatte, einer der wenigen erwähnenswerten nicht-urkundlichen Texte. Mit der Einführung der Reformation in Brandenburg begann jetzt z. B. die Pflege des Schuldramas in der Mark. Die von Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon zunächst zur Förderung der Lateinkenntnisse als Schullektüre an den Lateinschulen empfohlenen Komödien des Terenz wurden ins Hd. übertragen und durch Schüler aufgeführt. Seit 1546 sind Aufführungen dieser Art an Schulen in Berlin und Spandau belegt. Sie zeugen nicht nur von der Fähigkeit der Schüler, hd. Texte vorzutragen, sondern auch von der Bereitschaft des Publikums, sich diese anzuhören und sie aufzunehmen. Im Verlauf der Anpassung an das Hd. während des 16. und 17. Jhs. vollzog sich eine wesentliche Differenzierung der Sprachsituation in Berlin. Einerseits setzten sich hd. Schreibnormen durch, Berlin begann, am Prozeß der Ausbildung einer dt. Standardsprache teilzuhaben. Als Zeugnis für das Hd.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

seien einige Sätze aus dem Berliner Bürgereid aus der Mitte des 17. Jhs. zitiert: Ich N. gelobe und schwere, dem curfursten zu Brandenburgk, meinem gnädigstem herrn, und einem erbarn rat beider stedte Coln und Berlin jederzeit getreu, gehorsamb und gewehr zu sein, ihren nutzen und frommen noch meinem hochsten vermugen zu befordern und dokegen ihren schaden und nachteil zu kehren und abzuwenden.

Andererseits setzte im mündlichen Verkehr, wo bis dahin das Nd. vorherrschte, ein Sprachmischungsprozeß ein, in dessen Verlauf „sich allmählich eine hochdeutsch geprägte berlinische Umgangssprache mit starken niederdeutschen Relikten in der Aussprache, im Wortschatz, in der Satzgestaltung und in der Sprechmelodie“ (Schmidt 1992, 151) ausbildete. 2.3. Die Sprachsituation im 18. Jahrhundert: Hochdeutsch, Französisch, Berliner Umgangssprache Bereits gegen Ende des 17. Jhs. vollzogen sich in der Zusammensetzung der Bevölkerung in Berlin und Brandenburg/Preußen Veränderungen, die sich auch auf die Sprachsituation auswirkten. Im Jahre 1685 lud Kurfürst Friedrich Wilhelm mit dem Edikt von Potsdam in Frankreich verfolgte Hugenotten ein, sich in Berlin und Brandenburg anzusiedeln. Bis 1700 folgten seiner Einladung etwa 5000 bis 6000 frz. Emigranten, die sich vorwiegend in Berlin niederließen; es waren qualifizierte Fachleute, überwiegend Handwerker, Manufakturarbeiter und Kaufleute, die moderne Produktionstechniken und neue Gewerke an die Spree brachten. ⫺ Auch andere Zuwanderergruppen gaben der Sprachsituation im 18. Jh. ihr Gepräge. Salzburger, Schweizer, Württemberger Exilanten erhielten in Berlin/ Brandenburg Bürgerrechte. Die wichtigsten Zuwanderergruppen stellten die Juden dar, Rückwanderer aus Osteuropa, die seit 1671 in die Stadt aufgenommen wurden. Ohne Zweifel haben diese Gruppen von Einwanderern sowohl die Berliner Umgangssprache als auch die Standardsprache beeinflußt. Forschungsergebnisse dazu stehen jedoch noch aus, so daß dazu keine verbindlichen Aussagen gemacht werden können. In der sich ausbildenden Berliner Umgangssprache, hd. geprägt, entwickelten sich allmählich einige jener Besonderheiten, die später als typische Berlinismen gelten. Dazu gehören u. a. die s-Plurale (Kerls, Flegels, Professions, Ministers), die Dativform als Einheitskasus des Personalpronomens im

Singular (mir, dir, ihm), die Akkusativform als Einheitskasus des Substantivobjekts im Sg. und Pl. (mit meine gesundheit, mit den semtlichen adel, aus eure Landeskinder) sowie einge vokalische und konsonatische Eigenschaften, die z. B. die s-, sch- und z-Laute sowie den Sproßlaut nach r betreffen. Der Berliner Dichter und Pädagoge K. Ph. Moritz, aus Hameln gebürtiger Niedersachse, gab 1781 eine „Anweisung die gewöhnlichen Fehler, im Reden, zu verbessern nebst einigen Gesprächen“ heraus, die auch ein „Alphabetisches Verzeichnis einiger Wörter, die am häufigsten unrichtig ausgesprochen, oder, in einem unrichtigen Sinne gebraucht werden“, enthalten. Aus diesem Verzeichnis seien einige Beispiele herausgegriffen, die weitere Besonderheiten der Berliner Umgangssprache charakterisieren: allens ‘alles’, aberst ‘aber’, bisken ‘bißchen’, derf ‘darf’, ehngal ‘egal’, icke ‘ich’, Kinner ‘Kinder’, kihken ‘sehen’, man ‘nur’, Männicken ‘Männchen’. ⫺ In diese Umgangssprache, die Sprache des Alltags, findet frz. Wortgut Eingang, vielfach vermittelt durch die Hugenotten. Durchgesetzt haben sich z. B. Buddel (bouteille), Bulette (boulette), Buljong (bouillon), Kotelett (coˆtelette), Mallör (malheur), Ragufeng (ragout fin) oder Täng (taint). Als Beispiel für diesen Sprachtyp mag der Ausschnitt aus einem Brief dienen, den Friedrich II im Mai 1755 an seinen Kammerdiener und Vertrauten Fredersdorf schrieb: habe du nuhr vertrauen und Sei nicht verdrißlich! dis fiber ist baldt abgeholffen worden. wann du Glaubest, daß es Möglich ist, Dihr in 4 Wochen zu Curihren, das ist ohnmöhglich! ich habe mit allerhandt Docters und feldscheers umb die krankheit gesprochen. allein es ist ein Schlimer zufal, der nicht anders als durch die länge der tzeit zu helffen ist; und ohne was buhße könts nicht abgehen! allein in 3 oder 6 tage werden die Kräfte Schon Wieder ⫺ Komen. Setze Dihr nuhr feste in Kopf, daß deine besserung nicht anders, als lanksam, geschehen Kan und daß noch hier und dahr zufäle Komen müssen.

Auch die sich entwickelnde hd. Standardsprache gewann weiterhin an Boden; davon zeugen Zeitungen und Buchdruck, das Wirken zahlreicher bedeutender Schriftsteller, Wissenschaftler und Schulleute. G. W. Leibniz forderte von der „Königlich-Preußischen Sozietät der Wissenschaften“ (1700) aktive dt. Sprachpflege. Der Berliner Pädagoge J. Bödiker schrieb bereits Ende des 17. Jhs. eine wiederholt aufgelegte dt. Grammatik. Von L. Frisch, dem Rektor des Gymnasiums „Zum Grauen Kloster“, wurde 1741 ein Wörter-

161. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin

buch vorgelegt, das noch J. Grimm 100 Jahre später als vorbildlich anerkannte. Ende des 18. Jhs. bemühte sich die Berliner Akademie der Wissenschaften, die Erforschung und Pflege der dt. Sprache, d. h. der Standardsprache, zu beleben. ⫺ An dieser Entwicklung der hd. Standardsprache in Berlin und Umgebung waren der preußische Hof und in seinem Umkreis der höhere Adel sowie die Spitzen der Verwaltung kaum beteiligt. Bereits seit dem ausgehenden 17. Jh. galt das Frz. als Sprache der höheren Bildung sowie des Hofes. Die frz. Einwanderer, die Hugenotten, mögen zur Bestätigung dieser Rolle des Frz. beigetragen haben. Aber das häufig begegnende Urteil, das Frz. sei die Umgangssprache höfischer Kreise in Preußen bewesen, bedarf doch einer eingehenden Prüfung. Zumindest waren die Sprachverhältnisse auch am Hof differenzierter. Wie der Ausschnitt aus dem Brief Friedrichs II an seinen Kammerdiener zeigt, war er des Dt., der Berliner Umgangssprache, durchaus mächtig. Er verwendete sie ⫺ wie sicher auch viele seiner Standesgenossen ⫺ offenbar im Verkehr mit Untergebenen, vor allem Soldaten, Lakaien und auch des Frz. nicht kundigen vertrauten Freunden wie Fredersdorf. Aber Urteile und Verfügungen, meist Randbemerkungen auf Bittgesuchen, Eingaben, Beschwerden zeugen davon, daß er sich auch im Verkehr mit Ministern und hohen Beamten des Dt. bediente; das allerdings war häufig von zahlreichen fremden Elementen, meist frz., durchsetzt, wie die folgende Randverfügung auf einem Einspruch des Generaldirektoriums gegen eine königliche Kabinettsorder zeigt: Die Herren Seindt bestellet, Meine Arbeit zu Exsecutiren, aber nicht zu Intervertiren, oder die jenigen, die Sich nicht in Ihre Schranken halten, werde ohne facon cassiren. Sie müßen gehorsamer Sich regieren laßen und nicht regieren. ⫺ Die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtung der Sprachverhältnisse am Hof der preußischen Könige müßte einschließen, daß auch der Frage nachgegangen wird, welchen Einfluß die zeitweilige Dominanz des Frz. auf die Entwicklung der dt. Standardsprache gehabt hat. 2.4. Die Sprachsituation im 19. und 20. Jahrhundert: Berliner Hochdeutsch (Standardsprache) ⫺ Berliner Umgangssprache Seit der ersten Hälfte des 19. Jhs. vollzogen sich in Berlin grundlegende Veränderungen auf allen Gebieten, die entsprechende Aus-

2317

wirkungen auf die Sprachsituation hatten. Von den vielen Faktoren, die hier wirksam wurden, sei vor allem auf die Entwicklung Berlins zu einem Ballungszentrum der Industrie verwiesen. In diesem Zusammenhang nahm die Einwohnerzahl Berlins erheblich zu; Zuwanderer kamen vorwiegend aus der Mark Brandenburg, aber auch aus anderen Gegenden Deutschlands. Sie brachten ihre Sprache, meist eine Mundart, mit, die den Anforderungen des Industriebetriebes und der sich entwickelnden Großstadt nicht genügte. Sie mußten sich den sprachlichen Gegebenheiten ihrer neuen Umgebung anpassen und bedienten sich dabei der Berliner Umgangssprache, deren Trägerschicht damit erheblich anwuchs. Pendler, die am Tage ihrer Arbeit in Berlin nachgingen und am Abend zu ihren Wohnstätten am Rande der Stadt oder in der näheren Umgebung zurückkehrten, verbreiteten die Berliner Umgangssprache im Berliner Umland und trugen dazu bei, daß brandenburgische Mundarten dort allmählich zurückgedrängt wurden. ⫺ Berlin, seit 1920 Groß-Berlin, entwickelte sich jedoch im Zusammenhang mit seiner Funktion als Hauptstadt des Deutschen Reiches auch zu einem Zentrum von Politik, Verwaltung und Kultur. Die hier verwendete Standardsprache mit ihren typischen nrddt. Zügen (in der Aussprache) wurde für weite Teile des dt. Sprachgebietes zu einer wichtigen Orientierungsgröße. Die Berliner Umgangssprache des 19. Jhs. ist uns aufgrund ihrer mündlichen Verwendungsweise nicht direkt zugänglich; erst für das 20. Jh. liegen entsprechende Aufzeichnungen, Schallplatten und Tonbandaufnahmen vor. Einen guten Einblick in ihre Verwendung in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jhs. ermöglichen uns zwei Schriftenreihen des Berliners A. Glaßbrenner (1810⫺1876) „Berlin, wie es ist und ⫺ trinkt“ und „Buntes Berlin“, die zwischen 1832 und 1850 erschienen sind. Eine weitere Quelle sind die von J. v. Voß (1768⫺1832) verfaßten Bühnenstücke und Berichte, in denen Berliner Kleinbürger beobachtet und beschrieben werden. Beide Autoren bemühten sich um eine lautgetreue Wiedergabe der berlinischen Aussprache. Hinweise auf den Charakter der Berliner Umgangssprache geben auch Flugblätter und Maueranschläge aus dem Revolutionsjahr 1848, deren Verfasser teilweise unbekannt sind. Die hier verwendete Sprachform ist keineswegs einheitlich. Offenbar wenden sie sich an unterschiedliche Adressa-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

tenkreise. Darauf weisen z. B. Maueranschläge hin, die nicht in der üblichen Umgangssprache verfaßt sind, sondern deren Sprachform einen großen Anteil an jiddischen Elementen enthält. Im folgenden sollen einige Besonderheiten der Berliner Umgangssprache hervorgehoben werden, wie sie u. a. in den Schriften von Glaßbrenner und Voß, aber auch in den Maueranschlägen und Flugschriften begegnen. Lautung Vokale: i: oft ü (Rundung), z. B. Bürne, Füsch, Kürsche ö: oft e, z. B. Leffel, beese ü: oft i, z. B. Stick, miede ei: oft e (wenn altes ei vorliegt), z. B. Been, Seefe, klee, bleibt ei (wenn altes ˆi zugrunde liegt), z. B. Eis, Zeit, dein au: oft o (wenn altes au vorliegt), z. B. boom, loofen, ooch, bleibt au (wenn altes uˆ zugrunde liegt), z. B. Bauer, Haus eu: oft ei, z. B. heite, eire Kürzung: Ho¯f, oft Ho˘ff; Gra¯s, oft Jra˘ss, kriegt, oft kricht, viel, oft ville(e) Anfügung eines -e: Bett ⫺ Bette, allein ⫺ alleene, fest ⫺ feste, schön ⫺ schöne Konsonanten: pf: oft f (im Anlaut), z. B. Fennich, Ferd, Flanze, oft pp (im In- und Ausland), z. B. Appel, Kopp tt: oft dd (im In- und Ausland), z. B. schliddern, zoddelich ch: oft als (niederdeutsches) k, z. B. ich ⫺ icke, bißchen ⫺ bisken. st: Anfügung an Auslaut, z. B. aber ⫺ aberst, schon ⫺ schonst, lieber ⫺ lieberst g: oft j (im Anlaut), z. B. Gegend ⫺ Jejend, Gans ⫺ Jans, groß ⫺ jroß, gut ⫺ jut; oft j (zwischen Vokalen im Inlaut), z. B. Gegend ⫺ Jejend, Morgen ⫺ Morjen, oft ch (im Auslaut), z. B. Weg ⫺ Wech, Tag ⫺ Tach, Berg ⫺ Berch s: sch (zwischen r und t), z. B. Durst ⫺ Durscht, erst ⫺ erscht t (in Endungen einzelner Wörter), z. B. es ⫺ et, was ⫺ wat, das ⫺ dat z: s (stimmlos), z. B. zwei ⫺ ßwei, zwiefach ⫺ ßwiefach, zu ⫺ ßu

Zahlreiche Laute der berlinischen Umgangssprache, die von der Standardsprache abweichen, entsprechen denen der nd. Mundarten der Umgebung Berlins, andere wieder finden sich in der obsächs. Umgangssprache (z. B. Entrundung). Flexion Substantiv, Genitiv: Umschreibung durch einen präpositionalen Akkusativ, z. B. der Hund des Mannes ⫺ der Hund von den Mann

Dativ: Verwendung des Akkusativs anstelle des Dativs, z. B. gib das dem Mann ⫺ jib dat den Mann: schenk das dem Soldaten ⫺ schenk dat den Soldaten. Besondere Pluralbildung:⫺ auf ⫺ er: Dinge ⫺ Dinger, Stöcke ⫺ Stöcker ⫺ auf ⫺ s: Groschen ⫺ Groschens; Mädchen ⫺ Meechens Pronomen: Unsicherheiten in der Verwendung des Personalpronomens im Dativ und Akkusativ (gehen wahrscheinlich darauf zurück, daß in den niederdeutschen Mundarten der Umgebung Berlins einheitlich mi für mir und mich sowie di für dir und dich galten), z. B. det ist mich unangenehm, beruhige dir, ich frage Ihnen. Präposition: vor anstelle von für, z. B. vorn Groschen; nach anstelle von zu, z. B. nach Arbeit, Schule; bei anstelle von zu, z. B. bei die jeh ick nich; mank anstelle von zwischen, z. B. mank uns mank. Wortschatz Der Wortschatz der berlinischen Umgangssprache der ersten Hälfte des 19. Jhs. enthält Elemente unterschiedlicher Herkunft. Er spiegelt die Geschichte des Berliner Raums vor der Ostkolonisation, die Besiedlung selbst, bevölkerungspolitische Maßnahmen der brandenburgischen Kurfürsten sowie die Entwicklung Berlins zu einem wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentrum wider. Auf nl. und frz. Einfluß wurde bereits verwiesen. Wörter und Wendungen jüd. Herkunft gehen auf jüd. Einwanderer des 18. Jhs. zurück. Mit der Entwicklung Berlins zu einer Großstadt finden auch Elemente des Rotwelschen, der Gaunersprache, Eingang in die Berliner Umgangssprache. ⫺ jüdischer Herkunft: z. B. Mischpoche ‘Verwandtschaft’, Schabbes ‘Sonnabend’, Schaute ‘Dummkopf’. ⫺ aus der Gaunersprache (Rotwelsch): z. B. Kaschemme ‘Verbrecherkneipe’, Ische ‘Mädchen’, Zosse ‘Pferd’, aus Daffke ‘aus Trotz’, Moos ‘Geld’, keß, kiebitzen, pennen ‘schlafen’, es zieht wie Hechtsuppe.

Die in Berlin im 19. Jh. verwendete Umgangssprache war keineswegs ein einheitliches Gebilde; vielmehr existierten durchaus regionale und teilweise auch sozial bedingte Unterschiede. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde in 17 Orten des Zentrums von Berlin die Umgangssprache gesprochen, in 31 die nd. (mittelbrandenburgische) Mundart und in 4 Orten eine Mischung von beiden. Das geht ganz deutlich aus den Fragebögen des „Deutschen Sprachatlasses“ hervor, die um 1880 in Berlin und seinem Umland ⫺ wie in ganz Deutschland ⫺ vor allem von Lehrern ausgefüllt wurden (40 vorgegebene Sätze sollten in der ortsüblichen Mundart wiedergegeben werden). In vielen Vororten Berlins vollzog sich die Übernahme der berlinischen Umgangssprache schrittweise seit 1880. Sie war mit vielen Mischungen zwischen Umgangssprache und der nd. Mundart verbunden. Diese Entwicklung hinterließ stärkere

161. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte II: Berlin

sprachliche Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtbezirken Berlins, insbesondere zwischen denen des Zentrums und den erst später (1920) eingemeindeten am Rande der Großstadt. ⫺ Seit dem letzten Drittel des 19. Jhs., verstärkt zu Beginn des 20. Jhs., zeigte sich ferner die Tendenz, daß man beim Gebrauch der Berliner Umgangssprache auf einige ihrer Besonderheiten verzichtete. Offenbar machte sich hier der Einfluß der Schule bemerkbar, in der die Standardsprache gelehrt wurde und wo Eigenheiten der Berliner Umgangssprache als fehlerhaft angesehen und bewertet wurden. In Schichten Gebildeter zeichnete sich also eine gewisse Annäherung der gesprochenen Umgangssprache an die Standardsprache ab. In ihrer ursprünglichen Form lebte die Umgangssprache dagegen in den unteren sozialen Schichten, vor allem bei den Arbeitern, in der Stadtarmut und bei den Kleinbauern. Damit vollzogen sich in der Umgangssprache Berlins neben territorialen auch sozial bedingte Differenzierungen in ihrer Verwendung. Über diese Sprachform existieren aus dem 19. Jh. eine Reihe von Urteilen, die unterschiedlich ausfallen. Dabei gilt die Bewertung oft nicht nur der Sprachform an sich, sondern umfassender auch dem Sprachverhalten des Berliners, seiner Schlagfertigkeit, seinem Witz. Goethe äußerte in dem Gespräch mit Eckermann (4. 12. 1823) anläßlich der Charakterisierung seines Freundes K. F. Zelter, des Berliner Maurermeisters und Direktors der Singakademie: „Es lebt aber, wie ich an allem merke, dort [in Berlin, J. Sch.] ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten“. Für den aus Berlin stammenden Schriftsteller K. Gutzkow (1811⫺1876) war das Berlinische „der scheußlichste aller Dialekte“. W. Alexis (1798⫺1871), Verfasser historischer Romane aus der Mark Brandenburg, charakterisiert es als einen „Jargon, aus dem verdorbenen Plattdeutsch und allem Kehricht und Abwurf der höhern Gesellschaftssprache auf eine so widerwärtige Weise componiert, daß es nur im ersten Moment Lächeln erregt, auf die Dauer aber das Ohr beleidigt.“ Selbst Th. Fontane (1819⫺1898), Kenner der Mark Brandenburg und der Berliner Lebensweise, äußerte sich in einem Brief über das Buch „Der Richtige Berliner in Wörtern und Redensarten“ (1878) zurückhaltend: „Den

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*richtigen+ Berliner kenn ich noch nicht. Vielleicht, daß er, literarisch verputzt, unterhaltend wirkt. Sein Original ist aber eigentlich furchtbar, weil ich indessen einräume, daß der Königsberger und Cölner noch schrecklicher ist.“ G. W. F. Hegel äußerte sich zur Schlagfertigkeit des Berliners dagegen folgendermaßen: „Ein Berliner Witz ist mehr wert als eine schöne Gegend“ (1830). Ursachen für negative Urteile dürften vor allem darin liegen, daß das Berlinische vielfach als nachlässig gesprochene Standardsprache aufgefaßt wurde, als verderbtes Hochdeutsch, dessen Gebrauch Ausdruck mangelnder Bildung war. Im 20. Jh. breitete sich die Berliner Umgangssprache über die Grenzen des Großraums Berlin aus. Sie setzte sich in den Dörfern der Mark Brandenburg ⫺ und westlich sowie südlich etwas darüber hinaus ⫺ durch. In die von Berlin entfernter liegenden Regionen drang sie im wesentlichen erst nach 1945 ein. Damit entwickelte sie sich zur berlinischbrandenb. Umgangssprache. Einige ihrer Elemente sind noch in der Gegenwart großflächig über ihren Geltungsbereich hinaus im Vordringen, z. B. das anlautende j statt g (jut jebratene jans) in den Süden Mecklenburgs, det statt dat ‘das’ in die Altmark. Das gilt auch für einige typische Wörter, Wortschöpfungen und Redensarten, z. B. Schrippe oder die Wendung er geht gleich auf den Baum ‘er ist leicht erregt’. Bei der Verbreitung des Berlinischen in der Mark Brandenburg sowie einzelner Elemente z. T. über deren Grenzen hinaus war sicher von Bedeutung, daß Berlin als Hauptstadt des dt. Reiches in jeder Hinsicht, damit auch kulturell und sprachlich, eine bedeutende Ausstrahlungskraft besaß. In den Jahrzehnten der Teilung Deutschlands und damit Berlins nach 1945 entwickelten sich in beiden Teilen des Landes wie der Stadt unterschiedliche Gesellschaftssysteme mit jeweils spezifischen Wirtschaftsstrukturen, Ideologien und Wertorientierungen. Im Bereich der öffentlichen Rede bildeten sich 2 Kommunikationssysteme mit unterschiedlichen internationalen Bindungen heraus. Die direkte Kommunikation zwischen den beiden Teilen Deutschlands sowie Berlins war erheblich eingeschränkt, teilweise unmöglich. Die Teilung Deutschlands und Berlins hatte Auswirkungen auf die Sprache und ihre Verwendung. In den alten Bundesländern einschließlich des Westteils Berlins einerseits sowie in den neuen Bundesländern einschließlich des Ostteils Berlins andererseits bildeten sich

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

durch die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse determinierte eigenständige kommunikative Normen und Stilnormen heraus. Vor allem in Teilen des Wortschatzes spiegelt sich die unterschiedliche Entwicklung in Neubildungen, Neubedeutungen, Entlehnungen wider. Dazu liegen zahlreiche Untersuchungen vor, deren Ergebnisse hier nicht referiert werden sollen. Wieweit die unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklung im westlichen und östlichen Teil Berlins Auswirkungen auf die berlinische Umgangssprache und ihren Gebrauch hatte, ist dagegen bisher kaum näher analysiert worden. Auch die Sprachsituation Berlins nach der Wende und der Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands bedarf noch eingehender Untersuchungen, die sich sowohl auf die Standardsprache als auch die Berliner Umgangssprache erstrecken müssen. Einige Beobachtungen zur Umgangssprache, die vor allem Einzelphänomene des Wortschatzes, des Gebrauchs und der Bewertung betreffen, lassen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine differenzierten, dem Gegenstand angemessenen Aussagen zur Entwicklung dieser Sprachform im wiedervereinigten Berlin zu.

3.

Literatur (in Auswahl)

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2321

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln Schlobinski, Peter, Berliner Wörterbuch. Berlin 1986. Ders., Stadtsprache Berlin. Eine soziologische Untersuchung. Berlin/New York 1987. Schmidt, Hartmut, Die sprachliche Entwicklung Berlins vom 13. bis zum frühen 19. Jh. In: Berlinisch. Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt. Hrsg. v. Joachim Schildt/Hartmut Schmidt. 2. bearb. Aufl. Berlin 1992, 111⫺182. Ders. (Hrsg.), Berlinisch in Geschichte und Gegenwart. Berlin 1988. (LStA 174). Schönfeld, Helmut, Prozesse bei der Herausbildung regionaler Umgangssprachen im 19. und 20. Jh. (am Beispiel der berlinisch-brandenburgischen Umgangssprache). In: Umgangssprachen und Dialekte in der DDR. WZUG. Jena 1986. Ders., Die berlinische Umgangssprache im 19. und 20. Jh. In: Berlinisch. Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt. Hrsg. v. Joachim Schildt/ Hartmut Schmidt. 2. bearb. Aufl. Berlin 1992, 222⫺303. Schulze, Hans K., Die Besiedlung der Mark Brandenburg im hohen und späten Mittelalter. In: Jahr-

buch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Bd. 28. Berlin 1989. Seelmann, Wilhelm, Berliner Totentanz. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Bd. 24. Norden/Leipzig 1895. Teuchert, Hermann, Die Mundarten der brandenburgischen Mittelmark und ihres südlichen Vorlandes. Berlin 1964. Ders., Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jhs. Neumünster 1944. Weigel, Sigrid, Flugschriftenliteratur 1848 in Berlin. Geschichte und Öffentlichkeit einer volkstümlichen Gattung. Stuttgart 1979. Wiese, Joachim, Kleines Berliner Wörterverzeichnis. In: Berlinisch. Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt. Hrsg. v. Joachim Schildt/ Hartmut Schmidt. 2. bearb. Aufl. Berlin 1992, 351⫺422. Wolf, Siegmund A., Wörterbuch des Rotwelschen. Mannheim 1956.

Joachim Schildt, Berlin/Mannheim

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln 1. 2. 3.

Kölner Sprachgeschichte bis 1500 Kölner Stadtsprachgeschichte seit 1500 Literatur (in Auswahl)

Vorbemerkung: Aufgrund der geänderten Konzeption des Handbuchs mußte der ursprüngliche Artikel auf ca. ein Drittel des Umfangs gekürzt werden. Dies erfordert neben dem Generalverweis öfter Einzelverweise auf die ausführlicheren Darlegungen in der 1. Aufl. Das Kap. 1 mit grundsätzlichen Überlegungen zur historischen Stadtsprachenforschung mußte entfallen (vgl. Maas/Mattheier 1987; Grolimund 1995, 12⫺31). Den chronologischen Rahmen haben wir belassen.

1.

Kölner Stadtsprachengeschichte bis 1500

1.1. Der gesellschaftliche und sprachliche Ausgangspunkt im 13. Jahrhundert Die Kölner Bevölkerung bestand im 13. Jh. aus zwei bzw. drei gesellschaftlichen Gruppen (Ennen 1975; Mattheier 1982). Administrativ und intellektuell führend ist die Geistlichkeit, bestehend aus der erzbischöflichen Regierung, aus den meist hochadelig besetzten

Stifts- und Klostergemeinschaften, den wenigen stadtkölnischen klösterlichen Gemeinschaften und dem Pfarrklerus (Johag 1977). Der nicht-klerikale Adel spielt nur eine untergeordnete Rolle. Daneben steht im weltlichen Bereich das Stadtbürgertum, zu gliedern in Kaufleute, Handwerker und Nicht-Selbständige/Arme. Teile von Kaufmannschaft und auch Handwerk (v. a. ‘Gewandschneider’ und ‘Goldschmiede’) schließen sich bald innerhalb des Stadtregiments als Patriziat von den übrigen ab (vgl. Groten 1995; Überblick Groten 1991). Die Schriftlichkeit ist weitgehend auf die Geistlichkeit beschränkt, die in sicher unterschiedlichem Maß alphabetisiert war. Geschrieben und gelesen wurde weitgehend Lat. Nach Langosch (1978, 1152⫺1168, 1186⫺ 1192) ist Köln vor dem 13. Jh. ein Zentrum lat. Schriftlichkeit und Literatur. An deutschsprachigen literarischen Texten sind nur wenige vor 1250 sicher in Köln entstanden (Bekkers 1983 a, 1018; Morant u. Galie?; Bach 1931), bis 1270 Gottfried Hagen seine Reimchronik verfaßt (Rapp 1995). Da seit der Mitte des 13. Jhs. auch die ersten volkssprachlichen Urkunden (Schreinsbucheintrag

2322

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

1248; zu Schreinskarteneinträgen im 12. Jh. Gärtner 1994) auftreten, darf man seitdem mit einer gewissen Lese- und Schreibkompetenz in der (regionalen) Volkssprache bei der patrizischen und klerikalen Oberschicht rechnen. Über die Sprechsprache der Kölner in dieser Zeit ⫺ Unterschiede zwischen stadtund landkölnisch (vgl. Müller 1912), sozialvertikale Schichtung, Latein bei Klerikern und sonst ⫺ wissen wir so gut wie nichts. Zwei langfristige sprachgeschichtliche Prozesse kennzeichnen in Köln wie auch sonst die weiteren grundlegenden Veränderungen der Sprachgebrauchsstrukturen, nämlich Alphabetisierung und Standardisierung (Guchmann 1964, 1969; Besch 1988; Giesecke 1992). Beide gehen nicht zuletzt darauf zurück, daß wirtschaftliches Wachstum, Intensivierung und Differenzierung der administativen Tätigkeit seit dem 13. Jh. gerade in den Städten Schriftlichkeit unumgänglich machen. In der Folgezeit greifen die kommunikativen Kontakte über die eigene Region hinaus und erzwingen allmählich den Aufbau eines überregionalen standardisierten Kommunikationsmittels zunächst auf der Schriftebene. In Köln werden diese Veränderungen zeitlich gestaffelt in drei Entwicklungszügen resp. Phasen greifbar. Die erste Phase der kölnischen Sprachgeschichte nach 1250 besteht zunächst in der Ergänzung und dann in der Ablösung des Lat. durch eine dt. regionale Schreibsprache mit der Ausbildung einer eigenen schreibsprachlichen Tradition im Kölner Raum. Sie dauert bis zum Beginn des 16. Jhs., obgleich dann die Ablösung des Lat. noch keineswegs abgeschlossen ist. Die zweite Phase bringt die Überschichtung der rip.-kölnischen Schreibsprache durch eine überregionale, eher im ‘Oberland’ realisierte Schriftsprache, Grundlage der heutigen Standardsprache. Diese Entwicklung dauert ⫺ mit zwischenzeitlich sdt. (Mode)-Ausrichtung ⫺ bis in das 18. Jh., obgleich im wesentlichen gegen Ende des 16. Jhs. abgeschlossen (vgl. Hoffmann 1993; Macha 1993). Die dritte Phase der kölnischen Sprachgeschichte sehen wir in der Ergänzung des Ortsdialektes durch eine zunächst konkurrierende, unterschiedlich dialektgeprägte hd. Sprechsprache. Dieser Prozeß der langsamen Verhochdeutschung des kölnischen Stadtdialekts mit vielen Zwischenstufen ist heute noch im Gange. Dabei behauptet der Stadtdialekt, anders als wohl in ländlichen Regionen des Rheinlandes, durchaus noch seinen Platz im Sprachgebrauchsgefüge.

1.2. Die Durchsetzung der Volkssprache im Schrifttum der Stadt Köln Üblicherweise wird die ‘Ablösung’ des Lat. mit dem ersten Auftreten volkssprachlicher Urkunden in Verbindung gebracht. Aber auch in „Köln erstreckt sich der ganze Prozeß der Aufnahme des Deutschen in die Schriftlichkeit über einen Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten, ohne daß dies schon mit einer absoluten Verdrängung des Lateinischen gleichzusetzen wäre“ (Schützeichel 1974, 33; vgl. Langer 1970, 355⫺366). Im Hochmittelalter war das Schreib- und Bildungswesen weitestgehend vom latinisierten Klerus monopolisiert (vgl. etwa Rörig 1953) und volkssprachliches Schreiben auf eine vom Umfang her geringfügige literarische Schriftlichkeit beschränkt. ‘Belletristische’ Literatur spielt deshalb in Köln keine progressive Rolle in der Frage der Ablösung des Lat. (vgl. zu diesem Komplex Peters 1983; Honemann 1983; Bach 1931). Das städtische Geschäftsschrifttum, d. h. Urkunden und Akten, liefert folglich die wesentlichen Grundlagen für eine Analyse des Sprachenwechsels Latein⫺Volkssprache in der ersten Phase der Kölner Sprachgeschichte. Für das 13. Jh. in Köln darf man von wenigstens zwei institutionalisierten Schreibstätten ausgehen: einer Kanzlei des Erzbischofs und Kurfürsten (vgl. Janssen 1969) und einer der Stadtgemeinde (vgl. Pitz 1959). Im 14./15. Jh. ist mit einem organisatorischen Ausbau dieser Kanzleien zu rechnen, weitere schon selbständig Schriftverkehr führende Institutionen sind bezeugt bzw. nach der Zunahme der überlieferten Geschäftstexte sicher anzusetzen. Diese Schreibstätten sind in etwa vier Gruppen aufzuschlüsseln, nämlich 1. die zwölf Sondergemeinden (Grundbuchführung in den Schreinen der Kirchspiele mit äußerst umfangreichen Schreinsbüchern, dazu Amtleutebücher mit statutarischen Texten und Namenlisten); 2. die etwa 20 Ämter (so heißen in Köln die Zünfte) mit Zunftbüchern, beinhaltend Statuten, Protokolle und Bruderschaftsbücher; 3. die geistlichen Korporationen wie Klöster, Stifte, Konvente (Urkunden und Liegenschaftsverzeichnisse), 4. schließlich die Kontore der Händler und Kaufleute (Rechnungsbücher, Briefe) (vgl. Hoffmann 1983, 105f.).

Stein (1893, CXVIII⫺CLXXIX; vgl. dens. 1895) zeigt, daß im 14. Jh. überwiegend Kleriker, daneben allmählich schon juristisch gebildete und andere Laien, großenteils aus dem rheinischen Raum, die Kanzleileitung oder Schreiber-Ämter wahrgenommen haben.

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln

Lat. als Schreibsprache stand also diesem Personenkreis qua Ausbildung zur Verfügung, wohl auch den Schreibern der kleineren, ‘neueren’ Schreibstätten. Denn die Schule blieb als Lateinschule in geistlicher Hand, ob als Dom-, Stifts- oder schon städtische Pfarr- oder Bürgerschule (vgl. für Köln Lau 1898, 325f.; Johag 1977, 147⫺152, 187f.). Die ‘Ausbildung’ in der dt. Sprache/ Schreibe läuft unkoordiniert der Entwicklung des Schulwesens parallel, entstanden „aus den praktischen Bedürfnissen der von der Verschriftlichung des öffentlichen Lebens betroffenen Handwerker und Kaufleute“ (Grubmüller 1983, 392; vgl. auch Henkel 1988; Bodemann/Grubmüller 1992). Der Ausbildungsweg des Schreibpersonals liefert also kein entscheidendes Motiv für die Ablösung des Lat. im Geschäftsschrifttum. Vielmehr kommen im Spätmittelalter die Schreib- und Lesebedürfnisse anderer, weitgehend lateinunkundiger gesellschaftlicher Gruppen (die gesamte Ebene der bürgerlichen Selbstverwaltung, Kaufleute, Handwerker und ihre Organisationen) neu und mit neuen Aufgaben für Schriftlichkeit gerade in der Stadt immer stärker hinzu (vgl. Skrzypczak 1956; Maas 1985: „Demotisierung eines professionellen Arkanums“!). Der Teilprozeß des Sprachenwechsels Lat.Dt. in der ersten Phase der äußeren Kölner Sprachgeschichte wird nach den typologisch gefaßten Bereichen Urkunden und Akten im Geschäftsschrifttum dargestellt (vgl. Hoffmann 1980, Mattheier 1982, 234⫺240; zum späten Sprachenwechsel in der Wissenschaftssprache und an den Universitäten vgl. Menzel 1996, Schiewe 1996). Sprachliche Inter- und Transferenzen (Lat. in volkssprachlichen Texten, dt. Namen in lat. Texten, Entlehnungen) bleiben mangels Vorarbeiten zum historischen Ablauf ausgeklammert. Insgesamt scheint es so zu sein, daß in den neu auftretenden Textsorten im Aktenbereich die Volkssprache zumeist ohne eine Zwischenstufe von ausgeprägter Interferenz erscheint. In den traditionellen, den urkundlichen Texten dagegen sind öfter und längerfristig solche Zwischenformen mit Glossierungen lat. Lexeme bzw. kleiner Syntagmen, mit Erhaltung einzelner Teile des Urkundenformulars, etwa der Datumszeile, in lat. Sprache bis hin zum Typus des zweisprachigen Transsumpts zu beobachten (vgl. Hoffmann 1980, 143; Schultze 1975 zum Problem der Parallelurkunden des 13. Jhs.).

2323

1.2.1. Zur Entwicklung im urkundlichen Bereich Das frühe, in Relation zu anderen Städten erstaunlich häufige Auftreten des Deutschen in Kölner Urkunden zwischen 1250 und 1265 bleibt Episode (zu Vorstufen im 12. Jh. vgl. Gärtner 1994). Nach jüngsten paläographischen Forschungen (vgl. Gärtner 1995) sind allein 23 von 36 volkssprachlichen Urkunden dieses Zeitraumes dem Stadtschreiber und Chronisten Gottfried Hagen zuzuschreiben. Von den ca. 620 Urkunden des Kölner Stadtarchivs aus dem 13. Jh. sind insgesamt nur 39 volkssprachlich (vgl. Schellenberger 1974). Auch die 1. Hälfte des 14. Jhs. weist im gemischten Bestand des Stadtarchivs (Aussteller nicht nur Kölner) kontinuierlich nur um die 11% deutschsprachige Stücke auf. Die 50er Jahre kann man dann geradezu als Wendemarke in der Sprachenwahl ansehen: von 329 Urkunden verwenden schon 119 ⫽ 36,1% die Volkssprache. Zum Ende des 14. Jhs. sinkt der Anteil lat. Stücke deutlich unter 10% (vgl. Hoffmann 1980, 129ff.). Zugrundeliegender Rahmen für die Zunahme der Volkssprache ist die generelle Quantitätssteigerung in der städtischen Urkundenproduktion: Die Gesamtzahl der Urkunden im Stadtarchiv beträgt für die 1. Hälfte des 14. Jhs. 1300 Stücke, dagegen 4000 bis zum Jahr 1400 (vgl. Urkundenarchiv 1884ff.). Den Verlauf des Sprachenwechsels im 14. Jh. kann man für die Kanzlei des Erzbischofs genauer beschreiben, wenn man über das Regestenwerk (⫽ REK) nur die Ausstellerurkunden berücksichtigt (s. Abb. 1). Ein Vergleich der beiden Kanzleien zeigt, daß die Abwahl des Lat. in der erzbischöflichen Kanzlei langfristiger und kontinuierlicher verläuft als in der städtischen, wo eine kürzerfristige, schnellere Phasierung zu beobachten ist. Die Zunahme der Volkssprachlichkeit auch in der Kanzlei des Erzbischofs ist offenbar nicht mit einer solch erheblichen Steigerung der Gesamtproduktivität verbunden wie in der Stadtkanzlei. Man muß offenbar je Kanzleibetrieb/Schreibstätte unterschiedliche Faktoren für die Verwendung der Volkssprache in Rechnung stellen. Der Schriftverkehr der erzbischöflichen Kanzlei fand nicht zuletzt mit dem Klerus des Erzbistums, vom Domkapitel angefangen und darüber hinaus, etwa mit der Kurie, statt, der Kurfürst als Landesherr hatte lateinkundige Adressaten/Partner im Reich und außerhalb des Reiches. Die städtische Kanzlei zielte dagegen eher auf innerstädtische oder in der

2324

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Zeitraum

Latein

Deutsch

Gesamt

1304⫺1332

669 ⫽ 96,9%

21 ⫽ 3,1%

690

1332⫺1349

402 ⫽ 85,7%

67 ⫽ 14,3%

469

1350⫺1362

213 ⫽ 65,7%

111 ⫽ 34,3%

324

1363⫺1370

202 ⫽ 71,4%

81 ⫽ 28,6%

283

1371⫺1380

248 ⫽ 59,6%

168 ⫽ 40,4%

416

1381⫺1390

127 ⫽ 39,6%

194 ⫽ 60,4%

321

1391⫺1400

59 ⫽ 18,3%

264 ⫽ 81,7%

323

Abb. 162.1: Sprache der Ausstellerurkunden der Ezbischöfe von Köln (nach: REK Bd. 4⫺10)

rheinländischen Umgebung beheimatete, überwiegend laikale Adressaten/Partner. Sie wurde in viel stärkerem Maße zur Behörde für ca. 40 000 Einwohner in den verschiedensten Rechts- und Administrationsangelegenheiten. Hier wurde die Volkssprache als auch schriftliches Kommunikationsmittel der Betroffenen unentbehrlich (vgl. Hoffmann 1980, 132ff.). Ein weiterer Motivationsfaktor für die Sprachenwahl kann mittels einer textsortenspezifischen, inhaltlich definierbaren Gliederung nach Urkundentypen verdeutlicht werden. Unter den 416 Ausstellerurkunden des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden von 1371⫺1380 befinden sich 77 Lehnsurkunden (42 dt., 35 lat.), aber nur 9 Quittungen verschiedener Art und 2 Versorgungs-Urkunden für Ritterwitwen. Unter den ‘gemischten’ Urkunden des Stadtarchivs von 1351⫺1360 gibt es nur 7 Quittungen (6 dt.), in den 964 Urkunden von 1381⫺1390 befinden sich dagegen schon 189 deutschsprachige Quittungen, v. a. über Soldzahlungen, keine lat., sowie 107 deutschsprachige Versorgungs-Urkunden, nur eine lat. Weiter sind im letztgenannten Bestand Renten-Urkunden verschiedener Art (Bürger-, Jahrrenten) mit 210 Stücken in dt. Sprache hochfrequent vertreten gegenüber nur einer lateinischen. Solche Urkundentypen sind typische schreibsprachliche Produkte einer im stetigen Ausbau befindlichen arbeitsteiligen städtischen Wirtschaftsgesellschaft und typische Dokumente der administrativen Organisation der stadtbürgerlichen Gemeinde. Der Weg in die Volkssprachlichkeit verläuft also nicht zuletzt über ‘Privaturkunden’ und deren erhebliche Funktionserweiterung im 14. Jh.

1.2.2. Zur Entwicklung im Aktenbereich Besonders anhand der stadtkölnischen Akten können Verschiebungen in den Texttypen resp. -inhalten des Geschäftsschrifttums als wichtige Motivation für die Verwendung der Volkssprache beobachtet werden. Erste dt. Texte gehören noch ins 13. Jh.: 1250⫺1260 das Recht der Dienstmannen des Erzbischofs, 1240⫺1270 das Statutenbuch der Sondergemeinde St. Brigiden, 1270 die Zunftordnung der Tuchscherer. Dies sind neue Texttypen, ähnlich wie die in der Kanzlei des Rates, dem „Mittelpunkt des gesamten öffentlichen Lebens in der Stadt“ (Stein 1893, 11; Huiskes 1990, XXVII ff.) im 14./15. Jh., ab 1321 angelegten verschiedenen ‘Stadtbücher’ (vgl. Stein 1893, Einleitung), oder auch die ab 1367 erhaltenen Kopien- oder Missivenbücher mit Abschriften der städtischen Briefe (vgl. Möller 1998). Alle diese Typen von Akten werden im früheren 14. Jh. weitgehend neu und in dt. Sprache angelegt, während die alten Typen von Kanzleierzeugnissen, v. a. Urkunden, die tradierte lat. Sprache noch bis weit in dieses 14. Jh. in erheblichem Umfang beibehalten. In den einzelnen Aktenbeständen gerade der jungen Schreibstätten von den Sondergemeinden bis zu den Zünften ist durchweg die dt. Sprache von Beginn an vorherrschend (Ausnahmen: Schreinsbücher bis 1395 lat. [außer dem ‘neuen’ Judenschreinsbuch nach dem Pogrom von 1350] und Testamente bis nach 1400 mit lat. Tradition, dazu Klosterberg 1995, 46f.; vgl. im einzelnen Hoffmann 1980, 137ff., 144f.; 1. Aufl. 1845⫺47). Dies kann wiederum mit den quantitativen und qualitativen Verände-

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln

rungen des Wirtschafts-, Sozial- und Rechtslebens der spätmittelalterlichen Stadt begründet werden. 1.2.3. Zentrale Aspekte des Durchsetzungsprozesses Für eine Deutung der am Kölner Geschäftsschrifttum beobachteten Entwicklung bieten sich folgende in der Forschung unterschiedlich akzentuierte Aspekte an: ⫺ Der sozialgeschichtliche Aspekt: Es treten neue, nämlich laikale, nicht oder kaum lat. gebildete Personengruppen als Produzenten wie Adressaten in die Schreibtätigkeit ein, die anderen Schichten angehören (Stadtbürger, Handwerker, Kaufleute) als die Kleriker des Hochmittelalters. Mit dieser personalen Erweiterung wird auch individuelle Sprachenwahl der am Schreibprozeß Beteiligten (Auftraggeber, Schreiber, Drucker) eher möglich; Institution oder Textsorte schreiben die Sprache nicht allein zwingend vor. ⫺ Der wirtschaftsgeschichtliche Aspekt: In den wirtschaftlichen, rechtlichen und administrativen Verhältnissen treten Veränderungen ein, die zunehmend eine schriftliche Dokumentation unumgänglich machen; dies fordert und fördert die Volkssprache, die ja sicher die mündliche Umgangssprache der Betroffenen war. ⫺ Der Bildungsaspekt: Die Alphabetisierung als Lese- und Schreibfähigkeit wird qua erweiterter Ausbildung gesteigert und zieht auch eine stärker geschriebene Verwendung der Muttersprache nach sich. ⫺ Der textuelle Aspekt: Die Produktion von Texten im nicht-fiktionalen Bereich steigt; dies fordert und fördert wiederum die dt. Sprache als Muttersprache der Beteiligten. Es treten neue Inhalte/Themen auf, die innerhalb der tradierten Textsorten und ihrem lat. geprägten ‘Formular’ nicht mehr bewältigt werden können (Akten, Rechnungen, Quittungen). ⫺ Der Bewertungsaspekt: Die Volkssprache gewinnt (auch als Folgeerscheinung der bisher genannten Faktoren) an Prestige bei den Schreibenden und kann über diese Wertsteigerung das Latein allmählich auf bestimmte, z. T. universitäre Fach-Bereiche (Theologie u. ä.) zurückdrängen. Alle diese komplexen Faktorenbündel sind mit der Entwicklung der Städte im Spätmittelalter als Zentren von Modernisierung in Verbindung zu bringen, in der prägnanten

2325

Formel von Schmitt (1966, 140): „Urkunde, Pergament, Buchschrift, Latein, Kunsthandwerk, mönchisch-geistlicher Schreiber [Hochmittelalter] ⫺ Akt, Papier, Geschäftskursive, Deutsch, Handwerk, weltlicher Berufsschreiber [Spätmittelalter].“ Zusammenfassend können beim Sprachenwechsel Lat.-Dt. im Kölner Geschäftsschrifttum typologisch zwei Teilprozesse unterschieden werden. Einmal geht es um ein allmähliches ‘Ersetzen’ von zunächst lat. Texttypen durch dt., v. a. im traditionellen Urkundenbereich, auch bei Übersetzungen im fiktionalen Bereich, zum anderen um direktes, übergangsloses ‘Einsetzen’ der Volkssprache besonders im Aktenbereich und bei den neuen Urkundentypen. Beide Teilprozesse greifen in der sprachgeschichtlichen Konstellation ‘Köln 13.⫺15. Jh.’ ineinander. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jhs. wird die Volkssprache dann in allen Texttypen verwendet. Der Aufstieg der Muttersprache mit einer Steigerung ihrer Wertschätzung durchzieht das ganze 14. Jh., zeitlich einhergehend mit einem erheblich steigendem Maß an Schriftlichkeit überhaupt. Dabei liegt der Hintergrund dieser Entwicklung in der fortschreitenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlich-administrativen Binnendifferenzierung der spätmittelalterlichen Stadt. Zu erwähnen bleibt noch der Textbereich des Buchdrucks, in Köln ab 1464/66. Unter den 1271 Inkunabeln bis 1500 finden sich nur 50 ⫽ 3,9% in dt. Sprache, 25 davon allein aus der Koelhoffschen Offizin. Es handelt sich dabei zumeist um erbauliche, oft übersetzte Texte, bei den lat. zu 51% um theologische Fachtexte (Voullie`me 1903). Interessant ist der Befund der 90 Einblattdrucke bis 1500: Von den 41 kirchlich-religiösen Texten unter ihnen sind 36 lat., von den 35 ‘Amtsdrucksachen’ (Münzordnungen z. B.) dagegen nur 1 Text (Schmitz 1979). Dies stimmt in der Tendenz zur oben beschriebenen Entwicklung in der ‘geschriebenen’ Sprache. 1.3.

Der ripuarische Schreibdialekt bis gegen 1500

1.3.1. Methodisches Im spätmittelalterlichen Köln wird auf der schreibsprachlichen Ebene neben dem Lat. seit dem 13. Jh. und stark zunehmend im 14. und 15. Jh. eine volkssprachliche Schreibvarietät verwendet in geschäftlichen wie literarischen Texten, in offiziellen wie privaten Schreibsituationen. Ob und wie dieser rip.

2326

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Schreibdialekt in Struktur und Verwendung differenziert ist, oder Veränderungen erfährt, ist wenig erforscht (vgl. Überblicke bei Schützeichel 1962; 1972, Hoffmann 1983, Möller 1998). Zur Sprechsprache s. 1.3.3. Eine historische Darstellung der frühen Stadtsprache Kölns bis gegen 1500 sollte deren Entwicklung unter den Aspekten von Konstanz und/oder Wandel möglichst breit nach sprachlichen und außersprachlichen Bedingungen erfassen. Materialiter sind dazu möglichst viele Texte aus verschiedenen Schreibsituationen und verschiedenen Zeiträumen heranzuziehen, nach ihren Sprachformen auf allen Ebenen zu beschreiben und historisch-außersprachlich zu situieren. Mit einer solchen Darstellung wäre dann ein Grund gelegt für die in der weiteren Entwicklung seit dem 16. Jh. zentrale Frage nach der Ablösung des städtischen Schreibdialektes zugunsten der überregionalen Schriftsprache (vgl. unten 2.). Eine Art literarisierter Schreibdialekt erscheint danach in veränderter Form und funktional reduziert erst wieder in der Mundartdichtung seit dem 18. Jh. 1.3.2. Die schreibsprachliche Entwicklung Insgesamt muß man von einem in den Kernbereichen relativ stabilen rip. Schreibdialekt (Überblicke bei Neuß 1969, 311ff., Beckers 1980, 152ff., Möller 1998, 120⫺191 für die Ratskanzlei) im spätmittelalterlichen Köln ausgehen, wie dies in vielen Einzelstudien vor allem bezüglich des Konsonantismus dargestellt worden ist (Schellenberger 1974, Habscheid 1997 für die Urkunden des 13. Jh.; Langenbucher 1970 für das Judenschreinsbuch aus der 2. Hälfte des 14. Jh.; Dornfeld 1912, Rapp 1995 für die Hagensche Reimchronik; Beckers 1980 für Wilhelm von Boldensele; ders. 1983 für die Crane-Prosa um 1470/80, Möller 1998 für die Briefbücher des 15. Jhs.). Dazu gehört der spezifisch rip. Stand der Ausprägung der zweiten Lautverschiebung mit unverschobenem /p/ im Anlaut, in der Gemination und nach /m, r, l/ (pund, plegen, werpen), mit einigen lexikalisierten Ausnahmen (dat, wat, it, allit, dit, tuschen, soicken) bei den Tenues, mit Erhaltung von /d/ und /g/, letzteres wohl mit spirantischem Lautwert, bei den Medien, sowie mit *v/f(f)+ für germ. /b ¯/ (geven, gaff für ‘geben, gab’). Im Vokalismus sind die Verhältnisse komplizierter, auffallende Merkmale sind die Bezeichnung der Vokallänge durch nachgestelltes *i+, auch *e+ oder *y+, vor allem in geschlossenen Silben seit der Mitte des 13. Jhs. (zuletzt Klein 1995), sodann Dehnung und z. T. Senkung von /i/ und /u/, Monophthongierung und z. T.

Senkung von mhd. /uo/ und /ie/ mit Problemen des Zusammenfalls und der graphischen Differenzierung, und andere weniger systematische Kennzeichen. Im lexikalischen Bereich können etwa tuschen ‘zwischen’, wapen ‘Waffen’, portz ‘Pforte’, mallich ‘jeder’, kallen ‘sprechen’, umbtrint ‘ungefähr’ (vgl. Listen in Beckers 1983, 96ff., Hoffmann 1991, 162ff.) genannt werden, in der Morphologie die Endungsflexive -en und -s der 1. und 2. Pers. Sg. Präsens oder das Flexiv -t der 3. Pers. Sing. Präs. in wilt, Prät. und Part.-Prät. satte, gesat zu ‘setzen’ (dazu Habscheid 1997), das Nominalsuffix -de in der Wortbildung, z. B. gewoende ‘Gewohnheit’, und vieles andere. Nur sind diese Elemente nicht exklusiv stadtkölnisch und z. T. auch nicht exklusiv rip., und sie treten selten einmal ohne jede Variation in den Texten auf, insbesondere den geschäftssprachlichen. Deshalb können mit allen Vorbehalten unterschiedliche Phasen und Typen von Variation in der Kölner Schreibsprache bis gegen 1500 angesetzt werden.

Zum Typus geringer Variation gehört der o. g. Stand der Lautverschiebung wie der Konsonantismus insgesamt. Geht man über diesen relativ stabilen Kernbereich hinaus, läßt sich im 14. Jh. im Kölner Geschäftsschrifttum, aber auch in literarischen Texten, eine nicht unerhebliche Variation beobachten (s. dazu die ausgeführten Beispiele in Hoffmann 1983, 108ff., in der 1. Aufl., 1848ff., bei Beckers 1980, ders., 1983, Hoffmann 1988, 102f.). Im 15. Jh. scheint dann so etwas wie eine Autozentrierung und Standardisierung auf einen einheitliche(re)n kölnisch-rip. Schreibdialekt hin abgelaufen zu sein. Für ein Beispiel wie als/as erscheint es deshalb nur unter dem Blickwinkel des 15. Jhs. mit relativ stabilem as möglich, für Köln von einem ‘Vordringen’ des südlichen als zu sprechen: Im 13./14. Jh. gilt in Köln die Konkurrenz von as und als, im 15. Jh. wird as die klar dominierende Variante, die danach erst von südlichem als verdrängt wird (vgl. Möller 1998, 175f.). Dieses und weitere herangezogene Beispiele aus den im 13./14. Jh. inhomogenen Sprachbereichen verweisen darauf, daß der in Köln ablaufende Standardisierungsprozeß des 15. Jhs. keineswegs eine Antizipation hd. Merkmale wie als, zu, um, nicht, vnde usw. darstellt, sondern offenbar auf regionaler Grundlage beruht und zu as, zo, vmb/omb, niet, ind(e) führt. Es findet ein regional-interner Ausgleichs- bzw. Auswahlprozeß statt, „nicht ein kontinuierlicher Weg in Form einer Vor- oder Anlaufphase für ein Hochdeutsch südlicher oder östlicher Prägung“ (Hoffmann 1983, 111). In der frühen Phase der Entwicklung auch städtischer Ausprägungen von

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln

Schreibdialekten müssen wohl diskontinuierliche, innerhalb regionaler Merkmalsausprägungen variierende bis hin zu usuellen, innerdialektalen Standardisierungen reichende Prozesse verstärkt einbezogen werden. Wenn dann Variablen gefunden werden, die erst im späten 15. Jh. in stärkerem Maße Varianten aufweisen, erst dann kann man von südlichem Einfluß sprechen; so etwa bei of(f) ‘oder’, das zunächst nur graphisch/lautlich mit ove, ofte konkurriert, im 15. Jh. aber verstärkt durch ader und dann oder ersetzt wird (vgl. Möller 1998, 180). Köln ist vom 14. zum 15. Jh. Zentrum einer stabilen regionalen Schreibsprache mit Ausstrahlung auf sein rheinisches Umland, aber auch darüber hinaus etwa in den westfälischen Sprachraum (vgl. Peters 1993, 628ff. für Münster). Schreibsprachliche Schichtung in dieser Phase ist vor allem über die Textsorten zu rekonstruieren. Für die Entwicklung bis gegen 1500 kann für Köln in Ansätzen ein Bild bestätigt werden, wie es Debus (1983, 931) für ältere sprechsprachliche Dialekträume formuliert hat: „Auch die durch Sprachmischung und -ausgleich bestimmte mittelalterliche Stadt mit ihren die Sprachentwicklung zunehmend beeinflussenden Lebensformen hat wohl keine gravierenden Sprachschichtunterschiede gekannt.“ Die städtischen, kanzleimäßigen, mehr oder weniger offiziellen Geschäftstexte können weitgehend in dieses Bild eingeordnet werden. Die stärkere überregionale Orientierung der erzbischöflichen Kanzlei ermöglicht dabei offenbar frühere und intensivere südliche Einflüsse im späten 15. Jh. (vgl. Wrede 1926). Private Texte aus dieser Zeit fehlen so gut wie völlig, etwa private Rechnungen, Eingaben, Beschwerden etc. Aber auch in z. T. überlieferten Prozeßakten, z. B. der Verhörniederschrift des Falkenstein-Prozesses von 1482, wird, obgleich durchsetzt mit Elementen direkter wie indirekter Rede, dieselbe usuelle spätmittelrip. Schreibsprache verwendet wie im nachfolgenden offiziösen Edikt des Rates (Edition Stein 1895, 493ff.). Wie sprachlich gemischt aber um 1500 ein privates Tagebuch eines wohl gebildeten Kölner Bürgers aussehen kann, zeigen die Aufzeichnungen des Hilbrant Sudermann von 1489⫺1504 (normalisierende Edition Cardauns 1879) mit einer Reihe von diffusen Hyperkorrektionen auf rip. Basis (zuschen für tuschen, ufer für o(e)ver, klin für klein, verkuffen für verkouffen usw.) und ausgeprägten dialektalen Direktanzeigen (woren statt waren, goffen statt gaven,

2327

op statt up usw.); südliche Merkmale sind dagegen selten: neben is einmal eis ‘Eis’. Um 1500 schlägt sich in der schreibsprachlichen Situation der Stadt Köln zum einen der Kontakt mit dem Süden verstärkt nieder, vor allem in der erzbischöflichen Kanzlei, zum anderen ist ein noch relativ ausgeprägter, bewußt gepflegter rip.-stadtkölnischer Schreibusus bis in die literarischen Texte hinein breit zu belegen; dies gilt auch für die zahlreichen erbaulichen Erzeugnisse des frühen Kölner Buchdrucks (vgl. Beckers 1989). Nach einem längeren variativen Stadium bis zum 14. Jh. und einer Standardisierung im 15. Jh. ist das schreibsprachliche Verwendungsgefüge um 1500 aufgebrochen und für die Beobachtung von Schreibschichtung zunehmend zugänglich, weil die andere(n), v. a. hd., Schreibsprache(n) in den Horizont der in Köln Schreibenden/Druckenden geraten ist (sind). Dazu gehört auch, daß in den ausgehenden Briefen des Kölner Rates im 15. Jh. eine deutliche schreibsprachliche Empfängerorientierung üblich war, insbesondere im Schriftverkehr mit ‘oberländischen’ Städten, wie Möller (1998) eindrücklich nachgewiesen hat. 1.3.3. Die sprechsprachliche Entwicklung Für den gesprochenen Kölner Stadtdialekt im Mittelalter oder gar seine Varietäten darf der Satz Müllers (1912, 80) gelten, „dass man sich hüten muss, in den Kölner Archivalien des 12.⫺16. Jh. eine reine Quelle für die Erforschung der gleichzeitigen mdartl. Sprachzustände zu sehen“, besonders im Vokalismus. Ob und wieweit der Stadtdialekt selbst noch nach Stadtvierteln, sozialen Gruppen, Situationen differenziert war, läßt sich kaum feststellen (vgl. aber Elmentaler 1999 zu Duisburger Verhältnissen). Die Überlegungen von Heinrichs (1961) zu Reflexen sprechsprachlicher Schichtungen in rheinischen Texten des späteren Mittelalters aufgrund von Doppelformen wie andait eff andaicht, von Kontaminationen und Hyperkorrektionen beruhen auf nicht in allen Punkten vergleichbaren Text- und Sprachdaten, so daß von dem Ansatz einer dreifachen Schichtung eigentlich am Ende nur die zweifache in eine Grundund eine Hochschicht übrigbleibt (vgl. ebda, 125): letztlich ist von mehr mundartlich versus schreibsprachlich die Rede. Hervorgehoben werden durch solche nicht eben zahlreiche Beispiele ⫺ vorte eff vorhte etwa für den Ausfall von ch vor t ⫺ mögliche Lautungen

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

der Mundart, die in der Schreibsprache gemieden werden: Für eine sozialschichtliche Zuordnung solcher Phänomene ist damit noch wenig gewonnen. Daß, wie Heinrichs (1961, 105) schreibt, „die stolzen Kölner Kaufleute und Patrizier anders gesprochen haben als die ‘Kölsche Kappesbure’ und ‘Veschmenger’ [Fischhändler]“, braucht nicht bezweifelt zu werden, wie sie anders gesprochen haben, ist mit dem vorhandenen Instrumentarium ⫺ Variation in schreibsprachlichen Texten ⫺ kaum auszumachen. Für eine Kaufleute- und Fernhandelsstadt vom Ausmaß Kölns muß man weiterhin annehmen, daß allein aufgrund von Migration und Kontakt andere gesprochene Varietäten des Dt. und Nl. jedenfalls perzeptiv vorhanden waren (vgl. Mattheier 1986) wie auch andere Sprachen (Lat., Frz.). Mehrsprachigkeit auf der sprechsprachlichen Ebene kann man außer beim gebildeten Klerus wohl nur für die Verstehens- und Leseebene ansetzen.

2.

Kölner Stadtsprachengeschichte seit 1500

2.1. Der Wechsel der Schriftsprache Das 16. Jh. ist für die Stadt Köln wie für die meisten Städte des Nordens und Westens eine Achsenzeit in der sprachlichen Entwicklung. In diesem Jh. verdrängt eine auch im Bewußtsein der Sprecher ‘fremde’ Schreibsprache die angestammte, aus den regionalen Dialekten entstandene Schreibsprache. In Köln wird das Ripuarische verdrängt. Nichtripuarische Schriftlichkeit gibt es in Köln in unterschiedlichem Ausmaß schon seit der Entstehung volkssprachlicher Texte. In den Schreibstätten waren zumindest einige Kanzlisten vertraut mit Nürnberger, Augsburger, Straßburger, Lübecker und Brügger Schreibsprache ebenso wie mit Latein, Französisch und Englisch (Scheel 1893, 24). Die Leseund Hörkompetenz für andere dt. Regionalsprachen war sicher noch weiter verbreitet. Hinzu kommt in der 2. Hälfte des 15. Jhs. noch das rasch aufblühende Buchdruckergewerbe. Köln ist in der frühen Neuzeit das größte Buchdruckerzentrum des Reiches (Corsten 1976; Stopp 1978; Schmitz 1989). Von der Entstehung der ersten Offizin an produzierte das Kölner Buchdruckgewerbe volkssprachliche Texte nicht nur für den kölnischen Raum, sondern hauptsächlich für den wfäl.-nd., den nl., aber auch den obd. Raum. Daneben stehen jedoch durchaus rip.

Texte und Drucke. Über das Sprachbewußtsein der Kölner um die Jahrhundertwende gibt es wenig Informationen. Aus einer Bemerkung im ‘Schryfftspiegel’ von 1527 (Formulare 1527) läßt sich schließen, daß die Kanzlisten mehrere Schreibsprachen ohne Prestigedifferenzen nebeneinander verwenden sollten. Andererseits aber deutet etwa die Charakterisierung des Nürnbergers in dem ‘Styngyn’-Schwank (Mattheier 1986; Möller 1998) an, daß den Kölnern schon früher der Prestige-Anspruch des Obd. durchaus bewußt war, wenn sie ihn auch in dieser Zeit noch durch Spott und Regionalstolz zu neutralisieren wissen. Gegen Ende des 15. Jhs. wird der Prestigeanspruch des Obd. noch erheblich gewachsen sein. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jhs. muß sich diese Tendenz verstärkt haben. Der Topos von dem prestigereichen ‘Gemeinen Deutsch’ wird sich in dieser Zeit stabilisiert haben (Socin 1888, 215), da wir seitdem die ersten Auswirkungen in der Schriftlichkeit selbst beobachten können (Scheel 1893, 17⫺19). Vor diesem Hintergrund setzt dann mit der Jahrhundertwende zum 16. Jh. die Entwicklung ein, die innerhalb von etwa 100 Jahren zu einem vollständigen Umbau sowohl der linguistischen als auch der soziolinguistischen Struktur der Schriftsprache in Köln führte. Dieser Prozeß, der uns zur gleichen Zeit auch in den meisten nd. Stadtgesellschaften, aber wohl auch in Teilen des alem. Raumes begegnet, ist den Sprachhistorikern zwar in seinen groben Umrissen bekannt. Sein Ablauf im Detail, d. h. also etwa in den verschiedenen Schriftdomänen/Textsorten/Schreibanlässen wie auch die situativ-stilistische Steuerung und insbesondere eine etwa vorhandene gruppenspezifische Schichtung ist jedoch über weite Strecken, auch für die Kölner Konstellation, unbekannt. Im Rahmen einer Typologie soziolinguistischer Problemkonstellationen handelt es sich hier um einen Varietätenwechsel, wie er etwa von Peter Trudgill (1986) für den Übergang von einem Dialekt zu einem anderen über Phasen der Akkommodation, der Fokussierung, der Simplifizierung und des levelling skizziert worden ist. Besondere soziolinguistische Akzente erhält der Umlagerungsprozeß der Kölner Stadtsprachengemeinschaft jedoch dadurch, daß es sich hier ausschließlich um Entwicklungen im schriftsprachlichen Bereich handelt. Für eine angemessene Beschreibung dieses Vorgehens wird man durchweg zwei parallele Entwicklungsebenen

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln

im Auge behalten müssen: Die Präsenz verschiedener Sprechergruppen und ihre Varietätenkompetenz in Köln, also quasi die objektsprachige Ebene, und daneben die Präsenz verschiedener Schreibsprachenmodelle innerhalb der kölnischen Sprachgemeinschaft und die sich wandelnden Attitüden, die mit diesen Sprachnormmodellen verbunden sind. Am Jahrhundertbeginn gab es in Köln sicherlich unter den Alphabetisierten recht weitreichende Vorstellungen über das obd. geprägte Gemeine Deutsch und sein besonderes Ansehen, etwa als Sprachform, in der die größten Teile der schönen Literatur gedruckt waren. Trotzdem wird eine aktive Schreibkompetenz in dieser Varietät nur wenig verbreitet gewesen sein, und das Ansehen des Gemeinen Deutsch führte in Köln nirgends dazu, daß die eigene rip. Schreibsprache aufgegeben wurde. Obd. Sprachgut taucht um diese Zeit allenfalls in speziellem Fachwortschatz oder in einer quasi Fremdwortkonstellation auf. Hinzu kommt natürlich, daß nicht nur gemeindeutsche, sondern auch andere regionale Schreibsprachen in Köln durch eine relativ große Zahl von Auswärtigen und durch die überregionalen Interessen des für Köln so bedeutsamen Druckgewerbes (Bekkers 1989) präsent waren. Der Prozeß, der dann in den ersten Jahrzehnten des 16. Jhs. in Köln einsetzt, wird wohl ausgelöst durch einen allgemeinen ökonomischen, aber auch sozialen Wandel, der mit einem massiven Prestigeanstieg des gemeindeutschen bzw. hd. Schriftsprachemodells einherging (Macha 1991, 50⫺54). Über die genauen Zusammenhänge zwischen diesen beiden Entwicklungen wird nur eine vergleichende Untersuchung in möglichst vielen Städten des norddt. Raumes Auskunft geben können. Das 16. Jh. ist nun in Köln geprägt durch das Nebeneinander von zwei Sprachnormmodellen, einem ripuarisch und einem gemeindeutsch/hd. geprägten Modell. Diese Modelle sind in der Sprachgemeinschaft sowie im Sprachbewußtsein der Kölner unterschiedlich weit verbreitet, wobei das rip. Modell im Bereich der Schriftlichkeit kontinuierlich zurückgedrängt wird. In diesem Verdrängungsprozeß einer Varietät durch eine andere zeigt sich eine Reihe von soziolinguistischen Entwicklungen, die wir auch in Varietätenmischungs- und -ersetzungsprozessen der Gegenwart beobachten können. So finden sich etwa Hinweise darauf, daß in Texten des Übergangsbereichs Varianten der neuen Ziel-

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norm, des Gemeindeutschen/Hochdeutschen besonders hohe Vorkommenswerte in eher formellen Textsorten bzw. Textpassagen zeigen, während in informellen Passagen rip. Varianten hervortreten. Und es kommt in den wirren Zeiten des Reformationsversuchs des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied sogar vor, daß Texte in Rip. gedruckt werden, um bestimmte konfessionspolitische Konstellationen zu symbolisieren (Hoffmann 1991). Varianten, die ursprünglich zwei landschaftlich verschiedenen Normmodellen zugehören, werden in dieser Variantenmischungsphase zu Markern bzw. Symbolen für ganz anders motivierte soziolinguistische Zusammenhänge. Dabei steht in Köln im Vordergrund die attitüditionale Verbindung zwischen der Verwendung von Rip. oder einzelnen rip. Varianten und der Identifikation mit dem Köln der guten alten Zeit, in dem die ‘groisse verenderong’ noch nicht stattgefunden hatte (Hoffmann 1983/84). Für eine gewisse Zeit ist die rip. Schreibsprache Identifikationsmedium für die Kölsche Identität. Ob und in welchem Ausmaß die Verwendung rip. bzw. hd. Varianten ⫺ so, wie das aus gegenwärtigen Mischungskonstellationen bekannt ist ⫺ auch im engeren Sinne soziolinguistische Funktionen gehabt haben, ist nicht deutlich. Es finden sich, zumindest für das 16. Jh., keine Hinweise darauf, daß das Rip. mit anderen sozialen Gruppierungen assoziiert wird als das neue Hd. Eher kann man in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. erkennen, daß eine alte Schreibelite den rip. Schreibdialekt noch pflegt und verwendet, während das gesamte alphabetisierte Umfeld schon zum neuen Normmodell übergegangen ist (vgl. dazu Hoffmann 1983/84, Mattheier 1981/82). Ein wichtiger Faktor in dem hier zu skizzierenden Prozeß ist, darauf hat Hartmut Bekkers hingewiesen (Beckers 1993), der Bereich der Erlernung von Schriftsprache. Beckers zeigt, daß bis in die 50er Jahre die Schulen in Köln die Kinder nach rip. Fibeln und Lehrbüchern unterrichtet haben. Noch 1534 wird ein ursprüngl. omd. Text eines ABC-Buches in das Rip. übersetzt. So hat etwa Hermann Weinsberg in der Kölner Schule, die er besucht hat, als erste Schriftsprache noch die rip. Norm kennengelernt. Nach 1550 erfolgt in Köln wahrscheinlich der Primärschreibunterricht in der neuen Varietät. Das bedeutet, daß diejenigen, die noch Rip. als Primärvarietät gelernt haben, ihre Texte mit einer grundlegend anderen Kompetenz verfaßt haben als die späteren Schreiber. Der erste Typ

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

wird in Texte mit intendiertem Hd. Relikte seiner Schreibkompetenz des Rip. einfließen lassen, der zweite Typ wird Ripuarismen allenfalls aus seiner kölnischen Sprechkompetenz einfließen lassen. Diese allgemeinen Umrisse des Umlagerungsprozesses, den die Schriftlichkeit in Köln im 16. Jh. durchläuft, müssen auf allen Ebenen weiter konkretisiert werden. Dabei sollte eine soziolinguistische Perspektive und eine linguistische voneinander unterschieden werden. 2.1.1. Sprachsoziologische Entwicklung Für Köln kann davon ausgegangen werden, daß die regionale Schreibsprache im 16. Jh. im Zuge der Ausweitung des Kommunikationsraumes immer mehr provinziellen und auch traditionellen Charakter annahm, und im Laufe des Jahrhunderts diese Funktion sich wohl auch im Sprachbewußtsein der Kölner selbst verfestigte. Das zeigt etwa eine Äußerung des Chronisten des Kölner Alltagslebens, Hermann Weinsberg, der um 1584 feststellt: „(…) die wort, so man spricht, lauten nit wie vormails. Itz ist in Coln ein andere pronunciation und maneir zu reden, dann vor sesszich jaren, die littern werden versatzs (…) oberlendische oder nederlendische wort instat der alter colnischer sprachen (…) gebraucht“ (Das Buch Weinsberg 1897, 232f.).

Hier wird deutlich, daß für den Kölner der Zeit die neue und die alte Schreibsprache moderne und traditionelle Lebensweisen symbolisieren (Hoffmann 1983/84). Der seit 1500 einsetzende Verdrängungsprozeß des Rip. verläuft sprachsoziologisch in folgender Weise (Scheel 1893): Um 1500 zeigen sich erste nichtrip. Elemente im Konsonantismus der erzbischöflichen Urkunden. Zehn Jahre später setzt diese Entwicklung auch in der städtischen Kanzlei bei Korrespondenzen mit dem rheinischen Raum ein. Etwa 10 bis 20 Jahre danach zeigen sich auch beim Vokalismus fremde Formen. Die jeweils auf den Binnenverkehr gerichteten Dokumente der Ratskanzlei und der erzbischöflichen Kanzlei folgen innerhalb eines Jahrzehnts nach. Während das höhere Urkundenund Kanzleiwesen bis 1530 in allen Bereichen schon neue Sprachelemente zeigt, erweist sich die Druckersprache sowohl im fiktionalen als auch im nichtfiktionalen Bereich als konservativer (Beckers 1989, Schmitz 1993). Hier setzen die genannten Entwicklungen erst in den 30er Jahren ein. Die gesamte Schriftlich-

keit außerhalb der großen Kanzleien und Druckoffizinen ist jedoch in den 30er Jahren von dieser Entwicklung noch weitgehend unberührt. Selbst die offiziellen Statuten und die Klosterregeln des Kölner Frauenklosters der Terziarinnen lassen 1532 noch keinerlei Ansätze zu dieser Entwicklung erkennen (Beckers 1976, 122f.). Die folgenden zwei Jahrzehnte bringen dann in den Kanzleien und Offizinen den eigentlichen Wechsel. 1540 bis 1544 gehen die außenorientierten Texte der erzbischöflichen und der Ratskanzlei fast gleichzeitig mit der Druckersprache zu der neuen Schreibsprache über und enthalten von diesem Zeitpunkt an nur noch rip. Reste. Die innenorientierten Texte dieser Kanzleien folgen im Abstand von fünf bis zehn Jahren. Für diesen Termin ist sicherlich die konfessionspolitische Entwicklung mitverantwortlich. In diese Zeit fallen die religiösen und politischen Wirren, die mit dem Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs, Hermann von Wied, zusammenhängen, und die eine starke überregional orientierte Tätigkeit beider Kanzleien hervorruft. Die Druckersprache schließt sich besonders bei den nichtfiktionalen Texten diesem Sprachstand an. Das zeigen zuerst die im Zusammenhang mit dem Reformationsversuch entstandenen Protokolle, Protestationen und Bedenken, die in der Regel sofort gedruckt wurden (Scheel 1893, 63f.; Hoffmann 1991, 166ff.). Die Literatursprache im engeren Sinne folgt nach der Analyse der literarischen Produktion des Druckers/Literaten Jaspar von Gennep, die Scheel durchgeführt hat, im Abstand eines Jahrzehnts nach. Um 1550/1555 verliert die rip. Schreibsprache hier jegliche Bedeutung. Die Jahrhundertmitte ist daher auch der Zeitpunkt, zu dem beim gesamten Lesepublikum in Köln eine Kompetenz in der neuen Schreibvarietät angesetzt werden kann, da es rip. Bücher seit dieser Zeit nicht mehr gibt. In die zweite Hälfte des Jhs. fällt der weitere Abbau der rip. Schriftlichkeit besonders in den Kreisen, die ausschließlich auf die rip. Schriftlichkeit fixiert waren und daneben nicht immer schon fremde Schreibvarietäten verwenden konnten. In der offiziellen städtischen Schriftlichkeit sind hier besonders die Gerichtsprotokolle in den sogenannten Turmbüchern und die Grundbucheintragungen in den Schreinsbüchern zu nennen. In den Turmbüchern findet sich die neue Schreibsprache erst 1560, in den sehr tradi-

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tionellen und formelhaften Schreinsbüchern sogar erst 1570. Bei privaten Urkunden läßt sich ein Sprachwechsel sogar erst nach 1570 vermuten (Mattheier 1982, 246). Auch die Schriftlichkeit innerhalb der Kölner Ämter und Bruderschaften zeigt in den 70er Jahren den Übergang zur neuen Varietät (Schnyder 1981). Über den Schreibsprachengebrauch von Kölner Bürgern weiß man naturgemäß recht wenig, und es sind meist nur punktuelle Informationen, die Anhaltspunkte für die Gesamtentwicklung geben. Hermann Weinsberg, der in der Zeit von 1560 bis 1597 an seinen chronikalischen Aufzeichnungen schreibt, verwendet in der gesamten Zeit eine recht diffuse Mischsprache. Für den Durchführungsgrad der Diphthongierung ergibt sich ein Prozentsatz von ca. 40%, bei einem sehr hohen Anteil von Lexemen, von denen Belege in beiden Formen vorhanden sind (Balan 1969, 359). Eine ähnliche Mischsprache zeigt auch das Rechnungsbuch der Kölner Cronenburse, eines Vorläufers heutiger Studentenheime, das Wenzel Benseler in den Jahren 1563 bis 1566 geführt hat, der Burse übrigens, in der auch Herman Weinsberg in seiner Studentenzeit gelebt hat (Herborn/ Mattheier 1978, 158f.). In allen Leitformen des sprachlichen Übergangs zeigt dieser Text Doppelbelege. Ganz anders die privaten chronikalischen Aufzeichnungen des Gewaltrichters Jan van Brackerfelder, der von 1560 bis in die 70er Jahre schreibt (Eckertz 1859, Hoffmann 1983/84). Seine Texte zeigen nur ganz geringe nichtrip. Züge, besonders im Konsonantismus. Sie sind sonst rein rip. Es hat jedoch den Anschein, als ob die hd. Einflüsse in den 70er Jahren leicht zunehmen. Der vierte Text, der uns einen punktuellen Einblick in die Sprachverhältnisse des mittleren Bürgertums gegen Ende des Jahrhunderts gewährt, ist das Rechnungsbuch von Hermann Weinsbergs Nichte Elisabeth Horns, die von 1581 bis 1597 schreibt (Mattheier 1981/82). In der Schriftsprache von Fräulein Horns zeigen sich etwas deutlicher als bei Jan van Brackerfelder sprachliche Neuerungen. Von der Schreibintention her ist die Sprache aber, ebenso wie die Brackerfelders, rip. Bei Benseler und Weinsberg ist die Entscheidung in dieser Hinsicht nicht so klar. Man wird in beiden Fällen davon auszugehen haben, daß zwei fest in der rip. Schriftlichkeit stehende Männer in den vorliegenden Texten einer recht vagen Vorstellung von einem fremden, modernen Sprachgebrauch folgen, ihn jedoch meist nicht realisieren können und dafür

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auch keine institutionelle Notwendigkeit sehen, was den Texttyp und die Erwartungen der Leser angeht. 2.1.2. Innersprachliche Entwicklungen Ähnlich komplex wie die sprachsoziologische Entwicklung bei der Ablösung des Rip. verläuft auch die linguistische Entwicklung. Hier sind besonders zwei Fragestellungen interessant: wie verläuft der sprachliche Ersetzungsprozeß innerhalb der einzelnen Sprachebenen und welche Schreibvarietät wird in Köln anstelle des Rip. übernommen? Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir, je nach der angestrebten Zielvarietät, beim Schreiben zwei Phasen in dem Übergangsprozeß unterscheiden müssen: eine Phase des Rip. mit modernen Einsprengseln und eine Phase, in der die neuen Schreibvarietäten mit rip. Resten verwendet werden. Man kann annehmen, daß in der Übergangszeit dieselbe Person, je nach Schreibsituation, den einen oder den anderen Mischtyp realisiert. Der Einfluß der modernen Varietät zeigt sich in der Regel zuerst im Konsonantismus, und hier meist durch die Übernahme von neuen Plosiv-Graphien *p, b+ für die rip. Spirans *v/f+ im In- und Auslaut. Hinzu tritt dann später der Ersatz von wmd. *d+ durch *t+. In einem zweiten Schritt ⫺ oft mehrere Jahre später (Scheel 1893, 30) ⫺ erscheinen dann die ersten modernen Elemente im Vokalismus, in erster Linie die neuen Diphthonge und die hohen Kurzvokale für die gesenkten ripuarischen Laute. Die Diphthonggraphien werden besonders dort übernommen, wo sie auch in der Kölner Sprechsprache schon ansatzweise vorhanden sind, also im Auslaut und im Hiatus, danach überall da, wo das Rip. noch einen hohen Langvokal besaß, jedoch nicht dort, wo dieser Langvokal schon im Mittelalter gekürzt worden war (Balan 1969, 363ff.). Auch die orthographische Besonderheit des Rip., das Dehnungszeichen *i+ bei Langvokalen, wird dann abgebaut, erscheint aber häufig noch als Relikt in gemeindeutsch orientierten Texten. Wie der Ersetzungsprozeß bei der ⫺ wie oben erwähnt ⫺ recht progressiven (b)-Variable über das ganze Jh. hinweg abläuft, zeigt die Abb. 162.2. Welche ‘moderne’ Schreibsprachenform wird nun in Köln übernommen? Hier herrschte bisher die Meinung vor, daß sich der sprachliche Ersetzungsprozeß durch dieselbe Art von ‘Sprachmischung’ und ‘Sprachausgleich’ auszeichnet, die man der Entste-

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*) Es wurden keine Drucke herangezogen. Texte wurden nur verwendet, wenn mindestens 10 Belege vorlagen. Die Analyse basiert auf 123 Texten der oben angegebenen Art. Abb. 162.2: Die gesellschaftliche und situativ-stilistische Steuerung des Übergangs von ribuarisch *v/f+ nach hochdeutsch *b/p+ in der raumgebundenen Schriftsprache des Kölner Raumes im 16. Jahrhundert*). Angaben in Prozent des Auftretens ripuarischer Varianten im Verhältnis zum Auftreten der (b)-Variable überhaupt (aus Mattheier 1982, 246)

hung der Nhd. allgemein zugrundelegte (Besch 1968, Stopp 1973, Mattheier 1981, 276⫺279). Da aus heutiger Sicht in das Nhd. sowohl Sprachelemente des Omd. als auch des obd. geprägten Gemeinen Deutsch eingegangen sind, stellte man sich diese Entwicklung als einen Auswahlprozeß zwischen zwei möglichen Varianten vor, bei dem der Schreiber, je nach Prestige, regionaler Reichweite usw., einmal die obd. und einmal die omd. Variante wählte. Für die Prinzipien, nach denen dieser Auswahlprozeß abläuft, hat Werner Besch eine Reihe von Vorschlägen gemacht (Besch 1987). Es fragt sich jedoch, ob man sich den sprachlichen Umlagerungsprozeß in Köln wirklich als einen Auswahlprozeß von Form zu Form und von Laut zu Laut vorzustellen hat. Allenfalls auf der Wortschatzebene ist dieses Prozedere vorstellbar. Den Laut- und Formenwandel hat man sich wohl eher ⫺ wie auch in vielen niederdeutschen Städten ⫺ als einen Wechsel von einem sprachlichen Normtyp zu einem anderen, prestigereicheren, vorzustellen. In Köln wird danach im 16. Jh. der rip. Normtyp der Schreibsprache durch einen anderen ersetzt. Nun scheinen neuere Forschungsergebnisse darauf hinzudeuten, daß dieser neue Normtyp in Köln nicht das omd. geprägte Lutherdeutsch des 16. Jhs. gewesen ist, wie das in den meisten niederdeutschen Städten geschehen ist. In Köln deuten die sprachlichen Befunde in der ‘modernen’ Schriftlichkeit des 16. Jhs. darauf hin, daß der gemeindeutsch-

hochdeutsche Normtyp übernommen worden ist. Das zeigt sich insbesondere an Varianten wie der Apokope, der *p+-Schreibung für *b+ oder der Wortbildungssilbe -nus für nhd. -nis. Diese Varianten sind nur gemeindeutsch und nicht omd., und sie sind es, die Ripuarismen verdrängen (Mattheier 1981). Doch würde man die Aussagekraft dieser Befunde überziehen, wenn man daraus eine Prägung der Kölner Schreibsprache durch einen bairisch-obd. Typ in den folgenden Jahrhunderten ableiten würde. Macha (1991) hat darauf hingewiesen, daß von einer so weitgehenden Entwicklung nicht die Rede sein kann. Zwar kann wohl nicht bestritten werden, daß in Köln die lokale Schreibsprache durch das ‘Gemeine Deutsch’ ersetzt wird, eine Schreibsprache, die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. um die Druck- und Schreibzentren Augsburgs und Nürnbergs ausgebildet hat, und die auch für andere rheinische Städte, wie etwa Mainz, Bedeutung gewonnen hat. Für die weitere Entwicklung muß jedoch in Rechnung gestellt werden, daß auch dieses Gemeine Deutsch im 16./17. Jh. Veränderungsprozesse durchläuft. Einerseits kann man in der eher regionalbezogenen süddeutschen Schriftlichkeit ein deutliches Hervortreten von Bavarismen beobachten. Andererseits entwickelt sich das Gemeine Deutsch in den rheinischen Regionen, unter Abschwächung des bairischen Einflusses, weiter zu einer Varietät, die auch zeitgenössisch ver-

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mehrt ‘Hochdeutsch’ genannt wird, und die wohl auch den Orientierungspunkt für die sprachliche Umlagerung in Köln bildet. Weitgehend zu trennen ist von dieser Entwicklung eine andere, auf die auch Macha (1991) hinweist: die Zunahme von bair. Schreibspracheinflüssen in Köln im 17. Jh. Diese Entwicklung hat wohl insbesondere mit den dynastisch-politischen, kulturellen und konfessionellen Beziehungen zwischen den beiden Regionen zu tun. Zu klären bliebe dann noch, wie deutlich die Differenzen zwischen einem gemeindeutsch-hochdeutschen Normmodell und einem lutherdeutsch-omd. geprägten Modell gewesen sind. 2.2. Die gesprochene Sprache bis 1600 Bisher war nur von der Kölner Schreibsprache im 16. Jh. die Rede. Über die gesprochene Sprache der Zeit ist naturgemäß fast nichts bekannt. Insbesondere kann die Frage nicht beantwortet werden, ob und wann die Installierung einer neuen, modernen Schreibsprache auch zu einer Angleichung der Sprechsprache an diesen Typ geführt hat. Hier helfen die Methoden der historischen Dialektologie ⫺ etwa die Reimanalyse ⫺ nicht weiter. Balan (1969, 342f.) zeigt, daß in einem Weinsbergschen Gedicht das geschriebene Wort ‘Wein’ einmal bei hd. und viermal bei rip. Aussprache einen Reim ergibt. Auch gibt es Reime wie Kopf:auf, die auf die rip. Aussprache [kop:op] hindeuten, die allein einen Reim ergibt. Das verweist darauf, daß es im Köln des 16. Jhs. offensichtlich eine schriftlich/ mündliche Diglossie gab, die übrigens überall für die frühe Neuzeit nach der Ausbreitung einer relativ einheitlichen Schriftsprache anzusetzen ist. Da die Schriftsprache fast überall eine ‘fremde’ Sprache war, entwickelten sich wahrscheinlich in allen Regionen stark am eigenen Dialekt orientierte Aussprachenormen, die den hd. Schreibungen noch vielfach bis heute dialektale Lautungen unterlegen. Das stützen auch Überlegungen, wie sie Balan (1969) bei der Analyse der Weinsbergschen Diphthongierung anstellt. Balan nimmt an, daß die Übernahme der Diphthonge entweder eine rein graphische Nachahmung des Gemeinen Deutsch darstellt, oder daß die neuen Diphthonge auf der Basis der Mundart eingeführt worden sind, also für die lang ausgesprochenen hohen Vokale eine moderne Schreibnorm, quasi eine neue orthographische Regel gebildet wurde (Balan 1969, 362f.). Sie weist nach, daß Weinsberg fast nur dort diphthongiert, wo seine Mundart noch einen Langvokal zeigt, bei den rip. gekürzten Vokalen, wie etwa [wın] (Wein), jedoch nur eine sehr geringe Diphthongierungsquote aufweist.

Die Entwicklung zu einer regionalen Aussprache der überregionalen Schriftsprache

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führt einerseits zur Aufgabe des eigenständigen kölnischen Wortschatzes, der durch entsprechende gemeindeutsche Prestigewörter ersetzt wird, wie sich etwa in Ostern für Pasch (aus pascua) zeigt. Andererseits wurden die neuen Wörter in die Mundart integriert und erhalten ein rip. Lautgewand. So kommt es zu einer Annäherung zwischen beiden Varietäten, die durch die weitgehend kölnische Lautoberfläche in ihrer ersten Phase latent bleibt. 2.3.

Die Kölner Stadtsprache zwischen ‘Schriftdeutsch’ und ‘Kölsch’: 1600 bis heute 2.3.1. Schriftsprachenentwicklung Um 1600 ist die Kölner Stadtsprache charakterisiert durch eine fast überall installierte Schriftsprache mit ‘gemeindeutsch’-hochdeutschen Zügen und immer seltener werdenden Ripuarismen, einer noch in Resten bestehenden rip. Schreibsprache und einem gesprochenen Kölsch, das die oben skizzierten Schichtungen aufwies (Macha 1992). Die in Köln im 17. und auch noch im 18. Jh. verwendete Schriftsprache ist, wie oben ausgeführt, auf allen Ebenen geprägt durch die süddeutsche Variante der Hochsprache, die nicht mehr ‘Gemeines Deutsch’, sondern ‘Süddeutsche Reichssprache’ genannt wird, und durch rip. Relikte. Dabei ist bei Texten, die lokalen oder traditionellen Charakter haben, wie etwa den Ämtersatzungen oder Grundstücksbriefen, das rip. Element besonders ausgeprägt. In einem Formular für einen Erbrentenbrief aus dem Jahre 1635 (von Looz-Corswarem 1978, 422) finden sich Ripuarismen wie jegenwurtiger, ErffRenten, vurgeschrieven, darjhegen und uffkündigen. Daneben stehen aber auch sdt. Elemente wie gepott und plad. In der folgenden Zeit beschränken sich die Ripuarismen immer mehr auf regionalspezifischen Wortschatz. 1756 findet sich Röggelgen, 1767 Burggrev und 1778 Köllen und bönnisch. Unter den sdt. Merkmalen bis zum Ende des 18. Jhs. findet sich häufig die Apokope (die Prob, die Straf, die Woch), aber auch die sdt. Pluralform die Täg, die d-Verhärtung in beygetruckten, die sdt. ai-Graphie in aigener und das Abstraktsuffix -nus (LoozCorswarem 1978, 377⫺453).

Diese Schriftsprache isoliert sich im Laufe der Zeit immer mehr von dem eigentlichen Entwicklungsgang der hd. Schriftsprache, die schon seit der Mitte des 16. Jhs. in weiten Teilen des dt. Sprachraums omd. Züge annimmt. In Köln ist für diese konservative Haltung sicherlich die aktive Rolle verant-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

wortlich, die diese Stadt im 17. Jh. in der Gegenreformation übernimmt. Die Auswirkungen des katholischen Gegenschlages gegen die Reformation zeigen sich auch in der Sprachbewertung, wenn es in einer Denkschrift der rheinischen Jesuiten an die Ordensleitung im Jahre 1622 heißt: „Im ganzen Rheinland (…) hört man lieber Prediger mit dem Mainzer oder Speierer als mit dem niederrheinischen Dialekt; (…) Früher wurden die Oberdeutschen weniger verstanden, jetzt aber haben die Bewohner von Niederdeutschland ihre Sprache mehr geglättet, ja allgemein sucht man sich den oberdeutschen Dialekt anzueignen“ (Mattheier 1982, 249 und die dort angegebenen Quellen).

Mainz und Speyer stehen hier für die süddeutsche Reichssprache, die dort im 16. Jh. sekundäre Zentren gebildet hatte. Um die Mitte des 18. Jhs. wird die süddeutsche Reichssprache in Köln und übrigens auch in Süddeutschland und Österreich selbst aufgegeben (Socin 1888, 429⫺439). Sie hatte gegen Ende immer mehr ein klerikal-traditionalistisches Prestige angenommen, während die ‘moderne’ Sprache die Sprache Gottscheds und der Literaten war. In Köln ist der Übergang von der einen zur anderen Varietät sogar Thema einer Literaturfehde, die in den Jahren 1755 bis 1760 die in sprachlicher Hinsicht traditionellen Schriftsteller mit den modernistischen Autoren in lokalen Kölner Zeitschriften austrugen (Zeim 1932, 37⫺42). Zu Beginn des 19. Jhs. zeigt die in Köln verwendete Schriftsprache keinerlei Differenzen mehr zum normalen Schriftdeutschen der Zeit. Von dieser in erster Linie linguistischen Betrachtung der Schriftsprachensituation in Köln zu trennen ist eine eher soziolinguistische Perspektive, bei der es um die Verbreitung der neuen Varietät innerhalb der Sprachgemeinschaft geht. Wie schon erwähnt, findet wahrscheinlich seit der Mitte des 16. Jhs. die Schriftsprachenvermittlung in allen Schultypen in der neuen Schreibvarietät statt. Seit dieser Zeit gibt es in Köln eine mediale Diglossie. Gesprochen wird weiterhin Rip., geschrieben wird ‘Hochdeutsch’. Die Qualität dieses Hochdeutschen, d. h. der Anteil der sich einmischenden Ripuarismen, richtet sich nach der Intensität des individuellen Spracherwerbs, aber auch nach sozialen und situativen Aspekten. Je geringer der Bildungsgrad bzw. je informeller die Situation, desto deutlicher die rip. Färbung. Die Wandlungen in dieser Konstellation in den folgenden Jahrhunderten bestehen in ei-

ner langsamen Verbreitung und Verallgemeinerung der Standard-Schreibkompetenz, die für den größten Teil der deutschen Sprachgemeinschaft Ende des 19. Jhs. endgültig erreicht ist. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, auf deren gesamteuropäischen Charakter erst jüngst Wim van den Busche aufmerksam gemacht hat (van den Busche/ Willemyns 1999). Die Schriftlichkeit dieses Zeitraums weist überall eine Auffächerung hinsichtlich der Normstringenz auf. In Textsortengruppen mittlerer Ebenen, wie Macha sie für Köln genannt hat (Macha 1992), kommt es zwischen dem 17. und dem 19. Jh., situativ und sozial geschichtet, zu typischen Normvarianten, die den Zeitgenossen vermehrt als Fehler erscheinen. Quellen dieser Normabweichungen sind einmal der in der Mündlichkeit fest installierte Ortsdialekt, hinzu kommen aber auch Charakteristika der gesprochenen Sprache allgemein, die sich in die nicht mehr feste Schreibkompetenz mischen. Und drittens datieren derartige Normabweichungen aus den unvollständig ⫺ weil teilweise zu kurze Zeit ⫺ gelernten Schriftsprachenormen. Hinzu kommt, daß diese Normen selbst erst im Laufe des 19. Jhs. so fest werden, daß nur noch wenige Varianten zugelassen sind. Die meisten Texte, die zwischen dem 17. und dem 20. Jh. in Köln entstanden, weisen mehr oder weniger ausgeprägt eine derartige Variantenstruktur auf (vgl. auch Klenk 1995). 2.3.2. Entwicklung der gesprochenen Sprache Für die Entwicklung der gesprochenen Sprache mit ihren verschiedenen Varietäten ist die Stabilisierung der Schriftsprache um 1800 der eine wichtige Faktor. Den Gegenpol dazu bildet die fast gleichzeitige Entdeckung des Volkstümlichen und auch der Volkssprache im Gefolge Herders und Rousseaus in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. (Knoop 1982). Für Köln führte diese Entwicklung, ebenso wie für andere deutsche Regionen im Zusammenhang mit der Romantik, zu einer Rückbesinnung auf die Volkskultur und auf die Kölner Geschichte. Diese Tendenzen werden in Köln noch dadurch verstärkt, daß die Stadt 1795 nach dem Frieden von Basel französisch besetzt wurde, ihren reichsstädtischen Status verlor und in der Folgezeit nach 1815 unter preußische ‘Fremdherrschaft’ geriet. Volkskultur und Volkssprache wurden dadurch, zumindest bis nach 1848, zu Symbolen

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der reichsstädtischen politischen Identität (Mattheier 1994, 559). Das zeigt sich sehr deutlich an der Verwendung von Dialekt im volkstümlichen Theater der Stadt. 1802 gründete der Schneidergeselle Christoph Winters das Kölner Hänneschentheater (Schwering 1982, Bonk 1982), ein Stockpuppentheater, das sich evtl. auf die ältere Tradition der Krippenspiele mit Intermezzi zurückführen läßt. Bei diesem Theater spiegeln sich in der Auswahl der Puppen, in den Themen der Stücke und in der räumlichen Positionierung zwischen Stadt und Land zwei zentrale gesellschaftliche und politische Spannungsbereiche der Zeit: die Polarität zwischen den politischen Autoritäten, zuerst den Franzosen, dann den Preußen und den ‘uralten, echten Kölschen’, sowie die Polarität zwischen der Stadt mit all ihren neumodischen fremden Entwicklungen und der dörflich-ländlichen Idylle des Umlandes. Durch die biederen Landleute Meister Nicolas mit Frau Marizebill, den Enkel Hännesche, die beiden Nachbarn Tünnes und Pitter Mählwurm sowie den Schneider Speimanes, werden sowohl die innerstädtischen Verhältnisse als auch die Autoritäten, etwa der preußische Wachtmeister Schnauzerkowski, satirisch aufs Korn genommen. Dabei ist die Mundart die Sprache der Protagonisten, das Symbol für ‘das Kölsche’, manchmal sogar eine Art Geheimsprache gegenüber den französischen und preußischen Spitzeln. Hochdeutsch oder besser das, was der Puppenspieler für Hochdeutsch hielt, sprachen der Magistrat, der ‘Affekat’, der Doktor Fauzius, der Apotheker Piefekopp, der Herr Graf und die Gräfin.

Die Besinnung auf Volkskultur und Volkssprache führt in Köln wie auch in anderen deutschen Regionen zugleich zu einer Literarisierung des Dialekts (Haas 1983). Seit dem Ende des 18. Jhs. gibt es in Köln eine Dialektliteratur, die zu einer Aufwertung des Kölnischen im Bewußtsein besonders der Sprecher aus dem Bildungsbürgertum führt (May 1981). Die ersten Texte stammen von den großen Kunstsammlern der Romantik, de Noe¨l und Wallraff. Es sind Gelegenheitsdichtungen, karnevalistische Reimereien und poetisierte Abhandlungen über Volksbräuche, wie etwa die Kirmes oder das Schweineschlachten. In den kulturhistorischen Schilderungen und Gelegenheitsdichtungen ist die poetische Funktion der Mundart wohl die Bindung an ‘das Volk’ und dessen Sprachlichkeit. Interessanter ist jedoch die poetische Funktion der Mundart in der Karnevalslyrik, in der der Dialekt als satirisches und parodistisches Idiom mit einer deutlichen romantisch-konservativen Wendung gegen die Aufklärung verwendet wird. So ist der ‘poetische’ Dialekt im 19. Jh. in den unteren Bevölke-

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rungsschichten Symbol gegen die gesellschaftliche Unterdrückung und für das Bildungsbürgertum romantisches Symbol für das eigene Volkstum und gegen die Aufklärung. In dem Maße, in dem dann im Laufe des 19. Jhs. die Romantik ihre Bedeutung verliert, die verhaßten ‘Obrigkeiten’ nicht mehr die Fremden, sondern das Kölner Großbürgertum selbst stellt und die 1871 erreichte Reichseinheit ‘nationale’ Begeisterung weckt, wird die Kölner Mundartliteratur und auch die Mundartkomödie in die nationale Begeisterung integriert. Doch bleibt der Dialekt daneben natürlich auch zu Beginn des 19. Jhs. noch die normale Sprache der Kölner (Mattheier 1994). Die Literarisierung des Kölnischen wirkt allenfalls auf die Bewertung und soziale Funktion des Dialekts, nicht auf seine sprachlichen Strukturen. Differenziert nach Stadtvierteln und beeinflußt durch die landkölnischen Dialekte über Zuwanderung, Eingemeindung und Marktkontakte sowie durch unterschiedliche Grade der Schriftorientiertheit der Dialektsprecher bildet er auch weiterhin die eigentliche Kölner Sprechsprache. Dem widerspricht auch nicht, daß in der Kölner Lokalliteratur des 18. Jhs. nur die unteren Schichten als Dialektsprecher charakterisiert werden, während die Handelsherren Hochdeutsch reden (Lindenborn 1742, 168⫺170, vgl. dazu Hoffmann 1995). Hier zeigt sich allenfalls ein literarischer Topos und evtl. ein Hinweis auf die Bewertung der Mundart. Daß das Stadtkölnische zu dieser Zeit noch die normale Sprechsprache war, zeigt sich indirekt an zwei Phänomenen. Einmal ist für das Kölner Umland die Kölner Stadtsprache noch bis ins 20. Jh. hinein der eigentliche sprachliche Orientierungspunkt gewesen. Wilhelm Müller (Müller 1912) hat am Vokalismus nachgewiesen, daß im Raum um Köln eine ganze Reihe von Lautveränderungen unter stadtkölnischem Einfluß eingetreten sind. Als Vermittler von hochsprachlichen Erscheinungen ins Umland tritt Köln erst seit der Mitte des 20. Jhs. auf. Den zweiten Hinweis liefert der frz. Einfluß, dem Köln im 18. Jh. und besonders nach der frz. Besetzung ausgesetzt war. Durch diesen Einfluß gelangt eine gewisse Anzahl von frz. Wörtern in den kölnischen Sprachraum (vgl. Cornelissen 1988). Diese werden aber hier nicht in hd. Aussprache übernommen, wie es hätte sein müssen, wenn die frz. parlierenden Kölner, also die Oberschicht am Ende des 18. Jhs., schon hd. gesprochen hätte, sondern als kölsch ausge-

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sprochene frz. Schriftsprache. Beispiele dafür finden sich in einem Text von de Noe¨l (Schwering 1982, 60⫺62): ankarscheet (engager), Buffong (Buffo), Kunzep (concept), amüseere (amuser), trakteeren, ensiteeren (enviter), prizis, Lektör (lecture). Dialekt als normale Sprechsprache und als Symbol reichsstädtischer Identität sowie als literarisch verwendbare Schriftsprache ist jedoch nur die eine Komponente, die die Entwicklung der gesprochenen Sprache seit 1800 bestimmt. Die andere Komponente ist die Ausbreitung des ‘kölnischen Hochdeutschen’, wie man die hd. Sprechsprache mit einem Kölner Akzent nennen könnte. Diese Sprachform ist heute weit verbreitet, jedoch noch nicht beschrieben (Froitzheim 1984). Sie hat sich wahrscheinlich seit dem Ende des 17. Jhs. über die Vorlese- und Lesesprache, später dann auch als Theatersprache ausgebildet (Kurka 1980, 7⫺9) und verbreitet sich im 19. Jh. gruppen- und situationsspezifisch

entlang der Dimensionen ‘Schriftorientiertheit’ und ‘Öffentlichkeit’ im Kölner Bürgertum. Von den Mundartdichtern Fritz Hönig, Peter Paul Faust, Heinrich Maria Horster und Jacob Dreesen, die alle zwischen 1833 und 1842 geboren sind und aus dem gehobenen Bürgertum stammen, ist überliefert, daß sie die Mundart in der Familie und in der Schule schon nicht mehr gesprochen haben (Hönig 1877, 5; May 1981, 98). Seit dem Ende des 19. Jhs. existiert als Zielorientierung für diese Sprechsprache die lautreine Bühnenaussprache, die sich sicherlich aber erst durch Rundfunk und Fernsehen seit der Mitte des 20. Jhs. auswirkt. Viele Hinweise deuten darauf hin, daß auch unter den Kölner Lehrern erst nach der Jahrhundertmitte durch eine zunehmende Anzahl von Ortsfremden der Kölner Akzent seltener wird. Zwischen den beiden Polen Dialekt und Kölner Hochdeutsch entwickelt sich etwa seit Beginn des 20. Jhs. die Kölner Stadtsprache.

Abb. 162.3: Entwicklungsmodell für die neuere Geschichte der deutschen Sprache in Köln [2. Fassung; 1. Fassung in Mattheier (1982) 252.]

162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln

Die Bewertungen sind dabei eindeutig verteilt. Das Sprachprestige trägt das Hd. Die Wertschätzung des Kölner Dialekts führt zwar ⫺ wie überall ⫺ zu verschiedenen Institutionen der Dialektpflege (May 1981), die aber auch hier eher ein Indiz für die Pflegebedürftigkeit des Dialekts sind. Im 20. Jh. unterliegt der Kölner Stadtdialekt in seinen verschiedenen Ausprägungen kontinuierlichen Erosionsprozessen, sowohl was seine linguistische Struktur als auch was seine Trägergruppen und Verwendungsanlässe angeht. Ergebnis ist das heute vorliegende Kontinuum zwischen den breiten Kölner VeedelsDialekten, dem etwas feineren stadtkölnischen Dialekt, dem kölschen Hochdeutsch und dem Hochdeutschen ohne Lokalakzent, das sich im soziosituativen Raum ‘Köln’ entfaltet. Für die Beurteilung der weiteren Entwicklung der Kölner Stadtsprache ist mit den Auswirkungen der seit den 70er Jahren einsetzenden Dialektrenaissance zu rechnen, die jedoch hier wie in anderen Regionen wohl nicht zu einer Stabilisierung des tiefen Kölner Stadtdialekts, sondern einer städtischen dialektgeprägten Umgangssprache (Bellmann 1983) führen wird.

3.

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Walter Hoffmann, Bonn (Kap. 1) Klaus J. Mattheier, Heidelberg (Kap. 2)

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

2341

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Die Anfänge der städtischen Entwicklung Sprachhistorische Einordnung der Stadt im Spätmittelalter Nürnbergs Blütezeit im 15./16. Jahrhundert Die Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert Literatur (in Auswahl)

Die Anfänge der städtischen Entwicklung

Die Stadt Nürnberg ist im 11. Jh. vermutlich um zwei von einem fränkischen König gegründete Königshöfe entstanden. Ein erster Beleg für den späteren Stadtnamen ist einem Diplom (1050) des Salierkaisers Heinrich III. zu entnehmen, in dem zur Bezeichnung einer Kaiserburg der Name Noˇrenberc (nuorin „steinig“) erwähnt wird (Pfeiffer 1971, 12). Da das Stadtgebiet seit dieser Zeit zwar Königsboden war, aber auf bayerischem Territorium, dem bayerischen Nordgau, lag, war von Beginn an eine wesentliche Voraussetzung für die in der sprachhistorischen Forschung immer wieder betonte Sonderstellung der Stadt als fränkisch-bayerisches Übergangsgebiet gegeben. Von einer expandierenden Bürgersiedlung kann allerdings erst nach der Mitte des 12. Jhs. die Rede sein, und zwar vor allem auf Betreiben des Kaisers Friedrich Barbarossa (Pfeiffer 1971, 11ff.). Die Stadt war zunächst sowohl dem unmittelbaren Einfluß der Burggrafen als auch dem der Könige bzw. Kaiser ausgesetzt. Im 13./14. Jh. gewann Nürnberg jedoch zunehmend an politischer Unabhängigkeit, indem die Stadt die wichtigsten Aufsichtsämter unter ihre eigene Kontrolle bekam (insbes. die Ämter des Butiglers, der das Reichsgut um Nürnberg verwaltete, und des Schultheißen) (vgl. Pfeiffer 1971, 29ff.). Nürnberg nahm außerdem in gesellschaftlicher Hinsicht eine Sonderstellung unter den dt. Städten ein, die auch sprachhistorisch bedeutsam gewesen sein mag. Seit dem späten Mittelalter bis ins 19. Jh. hinein wurden die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Belange der Stadt von einer geschlossenen Oberschicht, dem sog. Patriziat, wahrgenommen. Hierbei handelt es sich um einen Personenkreis, der seit der Stauferzeit größtenteils als Ministeriale in Urkunden erwähnt wurde. Im städtischen Umfeld übernahmen Vertreter dieses Personenkreises nicht nur wichtige Verwaltungsaufgaben, sondern sie

widmeten sich seit dem 13. Jh. zunehmend auch dem Handel (Hofmann 1966, 65). Die betreffenden Geschlechter ⫺ ihre Zahl war von ursprünglich ca. 30 auf 43 angewachsen ⫺ bildeten zumindest seit 1521 (Tanzstatut, in dem die Zahl der zum Tanz im Rathaus zugelassenen Familien festgehalten wurde) für mehrere Jahrhunderte eine nach außen hin geschlossene Gesellschaft, de facto eine Stadtoligarchie (Hofmann 1966, 78f.). Das Amt eines Ratsherren war z. B. ein Privileg, das nur diesen patrizischen Familien zugänglich war. Es entwickelte sich dementsprechend in der Stadt eine spezifische soziale Ordnung mit sechs deutlich voneinander abgehobenen Sozialschichten, wobei die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht mit zahlreichen Bestimmungen und Gebräuchen verbunden war (z. B. die Beteiligung ausgewählter Gruppen aus der Bürgerschaft an den Ratsgeschäften, die Vergabe der städtischen Aufsichtsämter, die Vergabe von Ehrenämtern, die Kleiderordnung usw., vgl. Pfeiffer 1971, 33ff. sowie 194ff.).

2.

Sprachhistorische Einordnung der Stadt im Spätmittelalter

2.1. Übergang vom Lateinischen zum Deutschen in den Verwaltungstexten Die erste im Nürnberger Urkundenbuch (1959) enthaltene deutschsprachige Urkunde stammt aus dem Jahre 1269. Bis 1290 sind jedoch lediglich 5% der im Urkundenbuch enthaltenen Dokumente in dt. Sprache verfaßt. Erst danach nimmt deren Zahl stetig zu, so daß im Zeitraum zwischen 1296 und 1300 bereits ca. 30% der Urkunden in dt. Sprache vorliegen. Im Vergleich zu den Urkunden wird die dt. Sprache in den „Achtbüchern“ relativ spät verwendet: erst 1314 im Achtbuch I (1285⫺ 1345), das im ganzen noch zu etwa 80% lat. abgefaßt ist. Das nicht mehr erhaltene Achtbuch II (1308⫺1358/59) scheint laut Schultheiß (1960, § 10) gänzlich in dt. Sprache geschrieben gewesen zu sein. Der relativ späte Zeitpunkt für den Übergang zum Dt. könnte damit zusammenhängen, daß in den sog. „Acht- und Verbotsbüchern“ die Grundlagen für eine städtische Verfassung angelegt waren. Diese Rechtstexte stellten für den Schult-

2342

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

heißen und den Rat das Instrument zum Aufbau einer städtischen Verwaltung dar und waren dementsprechend für den internen Betrieb der Stadtverwaltung gedacht (vgl. Pfanner 1954, 25). Die „Satzungsbücher“ dagegen enthielten konkrete Vorschriften, die das innerstädtische Zusammenleben regelten und sind von Anfang an dt. gehalten (Das Satzungsbuch I/A (1302⫺ca. 1315) z. B. enthält u. a. die Brot- und Bäckerordnung, Waffenverbote der Friedenspolizei usw.) (vgl. Schultheiß 1965/78). Aus dem gleichen Grund sind vermutlich auch die „Polizeiordnungen“ ausschließlich dt. abgefaßt. Sie enthielten nämlich ebenfalls Niederschriften von Verordnungen, die in der Stadt von alters her galten. Diese relativ ungeordnete Sammlung wurde Ende des 13. Jhs. angelegt und in den Jahrzehnten danach bis in die erste Hälfte des 14. Jhs. fortwährend ergänzt (Baader 1861, 2). Ein weiterer praktischer Grund für die Verwendung der dt. Sprache in Verwaltungstexten lag in der zunehmenden Bedeutung der neuen Orden, besonders der Frauenklöster, die sich in der Stadt ansiedelten. Die neugegründeten Franziskaner- und Dominikanerorden waren als Bettelorden auf Schenkungen mit entsprechenden religiösen Gegenleistungen (z. B. das Halten einer Messe) angewiesen. Letztere wurden dementsprechend in dt. Sprache fixiert. Bei den Frauenklöstern kam noch hinzu, daß zu diesen nicht nur adlige Töchter Zugang hatten, sondern zunehmend auch Töchter aus dem Bürgertum, bei denen man kaum Lateinkenntnisse erwarten konnte (vgl. Pfanner 1954, 22ff.). 2.2. Sprachliche Charakterisierung des 13./14. Jahrhunderts Die Quellensituation wurde in historischer Hinsicht vor allem von Schultheiß (1960/65/ 78) sehr gut aufgearbeitet und von Straßner (1975/77) aus sprachwissenschaftlicher Sicht ausführlich kommentiert, so daß wir uns hier auf das Wesentliche beschränken können. Obwohl für das 14. Jh. deutschsprachige Quellen reichlich vorhanden sind, z. T. in gedruckter Form, sind diese nur bruchstückhaft sprachhistorisch untersucht. Im Mittelpunkt der bisher einzigen umfangreichen Quellenarbeit von Pfanner (1954) steht die Frage, inwieweit die Nürnberger Schreibsprache primär bair.-obd. oder ofrk.-md. geprägt war. Neben Verwaltungstexten der bereits beschriebenen Art (vgl. 2.1.) hat Pfanner vor allem religiöse Texte ausgewertet, die in Klöstern aus Nürnberg und der näheren Umgebung (z. B. Engelthal) verwendet wurden.

Pfanner kommt zu dem Ergebnis, daß in der Nürnberger Schreibsprache grob mundartliche Schreibungen von Anfang an gemieden wurden: z. B. die sog. gestürzten Diphthonge wie leib „lieb“, brouder „Bruder“ oder die Diphthongierung von Mhd. aˆ, oˆ zu ou (haut statt hat, blous statt blos), obwohl diese Formen z. T. bis heute in der Stadtmundart vorkommen (vgl. Klepsch 1988, 166). Hinsichtlich der oben gestellten Frage, ob die Nürnberger Schreibsprache im späten Mittelalter eher als bair.-oberd. oder als md. einzustufen sei, kommt Pfanner zu der Schlußfolgerung, daß sie zu zwei Dritteln bair. und zu einem Drittel ofrk.-md. gewesen sei. Davon abgesehen jedoch, daß die von Pfanner erwähnten Phänomene statistisch nicht ausgewertet werden können und man daher nicht weiß, inwiefern sie nur vereinzelt vorkommen, handelt es sich größtenteils um Schreibungen, die sich auch in späteren Jahrhunderten als Bestandteile einer überregionalen Koine herausstellen (siehe Pfanner 1954, 98⫺103; auch Tauber 1993). Bair.-obd. Herkunft wären u. a.: mhd. a, aˆ ⬎ o, z. B. monung, gethon; das Unterbleiben des Umlautes vor Doppelkonsonant (insbes. lt, rt, gg, ck), z. B. pruck statt Brücke, schuldig; häufiges Auftreten von Apokope und Synkope; zahlreiche p- für germ. b- im Anlaut, z. B. prot; die Bezeichnungen Ertag und Pfinztag; die Diminutivform -el. Als ostfränkisch-mitteldeutsche Erscheinungen bezeichnet Pfanner u. a.: das Phänomen, daß die Monophthongierung von mhd. ie, uo und üe erkennbar ist, obwohl seltener als das Vorkommen der alten Diphthonge; gelegentliches *i+ in den Nebensilben (vgl. Paul 1998, § 162); die recht seltene Schreibung *a+ für mhd. ei, z. B. has statt heiß (Letzteres entspräche wiederum der heutigen Mundart, vgl. Klepsch 1988, 265ff.) usw.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Nürnberger Schreibsprache von Beginn an als gemäßigt zu bezeichnen ist. Dies trifft vor allem auf die Texte der Nürnberger Stadtverwaltung zu, während Texte aus dem östlich gelegenen Kloster Engelthal etwas stärker bair. Züge aufweisen (vgl. hierzu auch Haacke 1964; Tauber 1993). 2.3. Regionale Einbettung Nürnbergs in sprachgeographischer Hinsicht Die sprachliche Zwischenstellung Nürnbergs geht auch aus dialektgeographischen Untersuchungen hervor. Um Nürnberg herum zeichnet sich diesen zufolge ein ofrk.-bair. Übergangsgebiet ab: Die westliche Sprachgrenze bringt Steger (1968, 551ff.) mit den Grenzen der Pfarreior-

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

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Karte 163.1: Nürnberger Raum (aus: Steger 1968)

ganisation im späten Mittelalter in Zusammenhang, während die Nordgrenze sich im wesentlichen mit der Nordgaugrenze deckt und auf bair. Besiedlung beruht (vgl. Schnelbögl 1954, 141ff.). Die Ostgrenze ist schließlich in Verbindung mit der staufischen Reichspolitik entstanden. Die heutige Sprachmischung im Nürnberger Land geht dementsprechend „auf gemeinsames Siedelwerk im Dienste der Erhaltung der Zentralgewalt“ zurück (Steger 1968, 566). Mit dem Ende der Staufer und dem Verfall der Reichslandpolitik seit der Mitte des 13. Jhs. fiel der gesamte Süden und Osten des nordbair. Übergangsgebietes an die Wittelsbacher. Die sprachliche Gegenströmung aus dem bair. Raum muß daher wohl im Zusammenhang mit diesen

Territorialbildungen gesehen werden (vgl. auch Eberl 1944). Die Sonderstellung des Nürnberger Raumes läßt sich allerdings auch psychologisch begründen. Seit dem 14. Jh. dringt die Reichsstadt politisch vor allem in die ostwärts gelegenen bair. Gebiete vor, deren Einbeziehung womöglich zu einem „westlich fränkisch orientierten Bewußtsein“ geführt hat (Steger 1968, 571). Das Prestige der Stadt im 15./16. Jh., das über die nürnbergischen Landstädtchen und Märkte vermittelt wurde, kommt noch hinzu. Seit der Reformation deckt sich die östliche Sprachgrenze außerdem mit einer Konfessionsgrenze. Die Ergebnisse aus der Schreibsprachanalyse Pfanners und der sprachgeographischen Untersuchung Stegers decken sich zwar in ei-

2344

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

nem wesentlichen Punkt, nämlich der Tatsache, daß Nürnberg im Übergangsbereich zweier Sprachlandschaften liegt. Die zugrundeliegenden Prämissen sind aber im Grunde genommen unvergleichbar. Die von Steger (1968, 544ff.) angeführten Lautentwickluno gen (z. B. graus „groß“, be˛is „böse“, sˇne˛i „Schnee“, leib „lieb“, fe˙is „Füße“, brouder „Bruder“, u¯fm „Ofen“, fi¯gl „Vögel“, (d)edsi⁄˚ld „erzählt“, ha¯s „heiß“ usw.) kommen, wenn überhaupt, kaum in signifikanter Anzahl in schreibsprachlichen Texten vor. Die Nürnberger Schreibsprache scheint daher bereits im 14. Jh. weitgehend mundartfern gewesen zu sein. Dies ist zwar noch nicht exhaustiv untersucht und bewiesen worden, aber viele Einzelbeobachtungen erlauben im Zusammenhang mit der Arbeit von Pfanner eine solche Vermutung (vgl. Ska´la 1970; Straßner 1975; Haacke 1964, 138).

3.

Nürnbergs Blütezeit im 15./16. Jahrhundert

Zeiten des Wohlstandes einer Gemeinschaft sind stets die Folge verschiedener sich gegenseitig befruchtender Faktoren. Für Nürnberg waren dies die politische Konsolidierung nach innen und außen, die Bemühungen um Schadensbegrenzung während der religiösen Auseinandersetzungen zu Beginn des 16. Jhs. und vor allem die Prosperität von Handel und Handwerk. 3.1.

Politische und wirtschaftliche Entwicklung

3.1.1. Politische Konsolidierung Die Fundamente einer innerstädtischen Organisation waren bereits im 14. Jh. gelegt worden und basierten zum einen auf der straff organisierten und vom Stadtregiment kontrollierten Handwerkerschaft, zum anderen auf einer fast ebenso streng gegliederten sozialen Schichtung mit entsprechenden Rechten und Pflichten, an deren Spitze die bereits erwähnte Oligarchie des Stadtpatriziats stand. Die politischen und rechtlichen Belange der Stadt wurden über Jahrhunderte mit fester Hand von diesem Personenkreis wahrgenommen. Auch wenn es durch Fleiß und etwas Glück durchaus möglich war, innerhalb von einer Generation bis in die Schicht der reichen Kaufleute aufzusteigen, so war der Sprung in die oberste Schicht trotzdem fast unmöglich, seit dem Anfang

des 16. Jhs. sogar de facto unmöglich (siehe 1.). Die Konsolidierung nach außen bezog sich vor allem auf das unmittelbare Umland. Um die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Rohstoffen wie Bau- und Brennholz sicherzustellen, war die Stadt daran interessiert, ihren Einfluß auf das unmittelbare Umland auszudehnen. Hierzu gehörten nicht nur der Reichswald vor den Toren der Stadt, die bäuerlichen Dörfer, sondern im Verlaufe des 16. Jhs. auch kleinere Städte wie Lauf oder Hersbruck, die selbst über eine eigene Industrie am Ufer der Pegnitz verfügten (vgl. Pfeiffer 1971, 125ff.). Im Verlaufe der reformatorischen Auseinandersetzungen tendierte die Stadtbevölkerung zu protestantischen Ideen, ohne es sich allerdings mit dem Kaiser verderben zu wollen. Bei den 1548 erlassenen Interimsbestimmungen z. B. zeigte sich das Stadtregiment durchaus kooperationsbereit mit dem Kaiser, während es dagegen die mit der Stadt verbundenen religiösen Orden bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend ihrer Unabhängigkeit beraubt hat (vgl. Pfeiffer 1971, 146ff.). 3.1.2. Die Stadt als Wirtschaftsmetropole der frühen Neuzeit Nürnberg war seit dem ausgehenden Mittelalter bis ins 17. Jh. hinein nicht nur wegen seiner Handwerke, sondern vor allem auch als Handelsmetropole von großer Bedeutung. Aufgrund ihrer geographischen Lage in der Mitte Europas war die Stadt dazu prädestiniert, eine wichtige Rolle als Handelsknotenpunkt zu spielen. Einerseits brauchte die Stadt Rohstoffe für ihre verarbeitenden Betriebe, vor allem für die Metallverarbeitung, andererseits war sie auf den Absatz ihrer Produkte angewiesen. Darüber hinaus trafen sich in der Mitte des 15. Jhs. zwölf wichtige Handelsstraßen in Nürnberg (vgl. Pfeiffer 1971, 178). Aus zahllosen Berichten, Aktenunterlagen und Briefen geht hervor, daß Handelsleute aus Nürnberg ihre Geschäfte nicht nur im ganzen deutschsprachigen Raum wahrnahmen, sondern daß ihre Handelsverbindungen im Süden bis Venedig, Neapel, Valencia, Barcelona, Lissabon, im Westen bis Antwerpen oder Bergen-opZoom, im Osten bis Posen und Krakau, im Norden über Lübeck bis in die Ostseeländer (z. B. Livland) reichten. Sehr enge Verbindungen gab es v. a. mit der Stadt Leipzig, die seit der Mitte des 15. Jhs. wichtigster Außenposten für den Nürnberger Osthandel war.

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

Aus Nürnberg und dessen Hinterland stammte in Leipzig nachweislich der größte Teil der Einwanderer (Pfeiffer 1971, 188; vgl. auch Schmitt 1966, 355ff.). Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden in sprachhistorischen Arbeiten (vgl. Schmitt 1966) als Indiz für einen bedeutenden Einfluß dieser Stadt als Vermittlerin zwischen einer obd. und einer omd. Schreibsprache gewertet. Sicherlich ist dieser wirtschaftliche Faktor eine „conditio sine qua non“ für eine sprachliche Wirkung über die eigene Region hinaus, man kann ihn aber trotzdem nicht unbedingt auch als hinreichende Bedingung bezeichnen. Eine solche Beweisführung läßt sich nur anhand vergleichender sprachhistorischer Untersuchungen führen. 3.2. Charakterisierung der Nürnberger Schreibsprache im 15. und 16. Jahrhundert Nachdem die Beschreibung der Nürnberger Schreibsprache lange Zeit als ein dringendes Desideratum angesehen wurde (v. Raumer 1863, Straßner 1975, Ska´la 1970), sind inzwischen umfassende Teilbereiche der Sprache: die Graphemik, die Wortbildung und auch Teile der Syntax, ausführlich untersucht worden. 3.2.1. Graphemebene Es liegen diesbezüglich umfangreiche Untersuchungen zu den literarischen Texten von Jacob Ayrer (Kozumplik 1942) und Hans Sachs (Johnson 1941, Marwedel 1973) vor sowie zu den fachsprachlichen Texten von Albrecht Dürer (Langston 1973, Koller 1989). Es gibt weiterhin eine interessante, weil stark mundartliche Züge aufdeckende Beschreibung der Briefe von Magdalena und Balthasar Paumgartner (Koch 1909/17). Am wenigsten untersucht wurde bemerkenswerterweise die Verwaltungssprache, für die man immer noch auf die Arbeit von Pfanner (1954) zurückgreifen muß. Eine Ausnahme hierzu ist die gründliche Analyse der städtischen Briefbücher (1519) (Tullos 1983). Schließlich ist eine Art Pilotstudie von Lippi-Green (1993) zu erwähnen, in der anhand eines umfangreichen Corpus (Texte von Pirckheimer, Dürer, Sachs, Spengler und Scheurl) bei ausgewählten Graphembereichen Korrelationen zwischen Graphemvarianten und nichtsprachlichen Parametern (z. B. Beruf, soziales Interaktionsfeld der Autoren) geprüft werden. Insgesamt betrachtet erlauben diese Untersuchungen die Hypothese, daß die Nürnberger

2345

Schreibsprache in der Zeit um 1500 weitgehend mundartfern war und daß sie in hohem Maße die Züge einer obd.-omd. Koine trug, allerdings mit einer stärkeren Gewichtung des omd. Elements. Die bisher detaillierteste auf statistischer Basis durchgeführte Graphemanalyse zu einem Nürnberger Corpus stammt von Koller (1989) und behandelt den schriftlichen Nachlaß Dürers. Aufgrund dieser Untersuchung läßt sich für Dürer ein Graphemsystem zusammenstellen, das in seinen Bestandteilen durchaus mit dem Nhd. übereinstimmt. Bei der Graphie einzelner Wörter gibt es zwar noch erhebliche Unterschiede zu den jeweiligen nhd. Entsprechungen, aber die bei Dürers Orthographie nachgewiesene Konsequenz läßt dennoch auf einen relativ stark ausgeprägten Sprachusus schließen. Mundartlich bedingte Abweichungen vom nhd. Gebrauch der betreffenden Graphien kommen relativ selten vor und betreffen außerdem gut abgrenzbare Bereiche der Graphie. Ein Vergleich mit Texten von Jacob Ayrer, Hans Sachs und den Briefbüchern bestätigt das bei Dürer gewonnene Bild. Im folgenden seien die wichtigsten Besonderheiten der Nürnberger Schreibsprache zusammengestellt: (1) Der Umlaut von *a+ wird in Dürers Texten regelmäßig als *e+ wiedergegeben, die Umlautmarkierungen von *u+ und *o+ sind dagegen nicht konsequent durchgeführt (vgl. Koller 1989, 218). Eine zusammenfassende Darstellung der Umlautverhältnisse bei Hans Sachs ist wegen der zahlreichen Schwankungen kaum möglich. Vor allem vor -er, -nuß, -lich und -ig kommen bei Sachs dem obd. Usus entsprechend regelmäßig umlautlose Formen vor (kostlich), ebenso vor Labialen (aufbaumen) (Johnson 1941, 173). (2) Beispiele für Entrundung (fergresseren, gitlich) sind bei Dürer recht zahlreich (Koller 1989, 219), werden jedoch in der Schreibsprache normalerweise gemieden (vgl. hierzu auch Marwedel 1973, 307ff. und Tullos 1983, 46.). (3) Die Quantitätsverhältnisse der Vokale scheinen im großen und ganzen dem Nhd. zu entsprechen. Es gibt bei Dürer allerdings kaum Ansätze zur Bezeichnung der Länge (Koller 1989, 219f.). Auf mundartlichen Einfluß sind u. U. mehrere Belege für Dehnung in geschlossener Silbe bei Hans Sachs e zurückzuführen (angrieff, fehl „Fell“, ful „Fülle“, begrieff ) (vgl. Johnson 1941, 46, 83ff. und Tullos 1983, 43ff.). (4) Die Verdumpfung von [a] zu [o] ist ein weiteres spezifisch obd. Merkmal und kommt bei Dürer fast ausschließlich bei Langvokalen vor (frogen-fragen). Bei Hans Sachs scheint das Phänomen zum größten Teil auf die Position vor Nasal beschränkt zu sein (vgl. Marwedel 1973, 312ff.; Johnson 1941, 232).

2346

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

(5) Mhd. u ist bei Dürer vor Liquiden und Nasalen wie im Obd. regelmäßig erhalten: frum-fromm, sunst-sonst (Koller 1989, 68; auch Johnson 1941, 233). Neutralisierungen von *i+ und *e+ (penselpinsel; send-sind) kommen bei Dürer dagegen häufiger vor. (6) Die nhd. Diphthongierung ist bei Dürer regelmäßig durchgeführt, wobei dieser fast generell die Graphie *ei+ verwendet, also auch für mhd. ei (Koller 1989, 95f.). Hans Sachs dagegen schreibt für den alten Diphthong häufig *ai+ (Johnson 1941, 234). (7) In den Nürnberger Texten gibt es generell zahlreiche Beispiele für Synkope und Apokope (vgl. hierzu auch Johnson 1941, 249ff.). (8) Es gibt grundsätzlich zahlreiche Neutralisierungen von *b+ und *p+ (babir(s)-bappir-pabir-papir), wobei die Graphie *p+ in initialer Stellung eindeutig überwiegt (Koller 1989, 108). Im Auslaut schreibt Dürer dagegen regelmäßig *b+, obwohl man hier aufgrund der Auslautverhärtung *p+ erwarten würde (vgl. Pfanner 1954, 68). (9) Recht häufig ist der Wechsel von *w+ und *b+, insbesondere beim Präfix *be-+ (beib-weib, wehalten-behalten, arweit-arbeit etc.) (Koller 1989, 110/ 140; Pfanner 1954, 70; Tullos 1983, 33). (10) Die zahlreichen Neutralisierungen von *g+*k+ bzw. *d+-*t+ bei Dürer weisen vermutlich auf eine gewisse Unsicherheit aufgrund der mundartlich bedingten Lenisierung hin: trey-drei; metzkermetzger usw. (Koller 1989, 113f./124, vgl. Pfanner 1954, 82). (11) Auf obd. Einfluß könnte die Variante *(-)kh-+ beim *k+-Graphem hinweisen, z. B. khommen (Koller 1989, 131). (12) Schreibungen wie *x+ oder *gs+ deuten auf ks-Aussprache für mhd. hs hin: erwagsen, wegsell „Wechsel“ oder erwaxnen (Koller 1989, 144/192). (13) Eine Aufhebung der Opposition bei *h+ und *ch+ in medialer und finaler Position in den DürerTexten könnte als Indiz für einen Reibelaut interpretiert werden: geschechen-geschehen, neche-nehe. (Dies entspricht ebenfalls obd., bair. Usus; vgl. Koller 1989, 147f.; auch Tullos 1983, 35 und Paul 1998, § 159.). (14) Das Graphem *t+ steht sehr häufig vor *r+, wo man vom Nhd. her *d+ erwarten würde: truck, trum statt drum, tran statt dran (Koller 1989, 114). Ostfränkisch würde man der Lenisierung entsprechend eher *d+ erwarten. (15) Schreibungen mit *ch+ statt *g+ in medialer und finaler Position (z. B. bewch-bewg oder billichbillig, messich-messig, selichs-selig etc.) lassen auf Spirantisierung schließen (vgl. Koller 1989, 124 und Gebhardt 1907, § 120).

Die Beweisführung für die Hypothese, daß es in Nürnberg um 1500 einen dialektfernen Schreibusus gab, wurde auf der Grundlage einer ausreichenden Analyse bisher nur bei Dürer nachgewiesen. Die Hypothese wird jedoch unter Berücksichtigung der übrigen Untersuchungen zu Texten des 14. bis 16. Jhs. nicht

widerlegt. Welche die möglichen Gründe oder die Entstehungsbedingungen für diesen Schreibusus waren, darüber lassen sich wiederum nur Vermutungen anstellen. Einerseits kommt hierfür die in Kanzleien gepflegte schriftsprachliche Tradition in Frage, an der die Schreibmeister sich möglicherweise orientiert haben. Andererseits könnten die Bemühungen der Drucker um einen überregionalen Usus eine Rolle gespielt haben. Solche Argumente erklären aber nicht den mundartfernen Schreibusus in den Verwaltungstexten des 14. Jhs. Nach Meinung von Marwedel (1973, 302ff.) soll es im Nürnberg des 16. Jhs. sogar eine nichtmundartliche Sprechsprachvariante gegeben haben, auf der nach seiner Analyse die Reimsprache von Hans Sachs aufbaut. Vergleiche zwischen der Reimsprache der frühen Fastnachtspiele mit Texten von Ayrer und sogar Harsdörffer lassen außerdem für die Zeit von 1450 bis mindestens 1650 eine gewisse Kontinuität annehmen. Der aus Nürnberger Texten ableitbare Schreibusus scheint allerdings, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht auf Nürnberg beschränkt zu sein. Eine ähnliche Vermittlerrolle zwischen dem Obd. und dem Md. wird z. B. auch Regensburg zugewiesen, worauf insbesondere Ska´la (1970) und Tauber (1993, 270) nachdrücklich hingewiesen haben. Daß es aber trotzdem erhebliche Diskrepanzen zwischen Schreibsprache und gesprochener Sprache gegeben haben muß, beweisen einige in der Regel von Frauen verfaßte, gebrauchssprachliche Texte (z. B. ein Kochbuch der Susanne Gewandtschneiderin aus dem Jahre 1582). Hier findet man Beispiele für die gestürzten Diphthonge (seidten „sieden“), für Entrundung (brie „Brühe“, schenn „schön“), für Diphthongierung von mhd. aˆ (haust für mhd. haˆst) oder für Monophthongierung und Kürzung von mhd. öu (lafft statt läuft) usw. Ähnliche Phänomene findet man in den Briefen der Magdalena Paumgartner an ihren Ehemann Balthasar (2. Hälfte des 16. Jhs.; vgl. Koch 1909/17). Auch ein Vergleich von Autograph und Druckfassung bzw. von privaten Konzepten und öffentlichen Texten desselben Autors, wie dies Lippi-Green (1993) ansatzweise versucht hat, könnte diesbezüglich zu aufschlußreichen Ergebnissen führen. 3.2.2. Lexik Der Wortschatz der beiden berühmten Nürnberger Autoren, Hans Sachs und Albrecht Dürer, ist mittlerweile eingehend untersucht worden. Aus den kunsttheoretischen Schrif-

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

ten Dürers wurden die von diesem verwendeten Ableitungsmöglichkeiten zur Bildung von Substantiven und Verben nahezu lückenlos analysiert. Außerdem gibt es eine umfassende Darstellung und historische Einordnung des Wortschatzes von Hans Sachs. In der Analyse zur Substantivderivation bei Dürer beschreibt Müller (1993 b), welche strukturellen Möglichkeiten Dürer bei der Suche nach Begriffen und Termini ausgenutzt hat, um Sachverhalte darstellen zu können, die bisher nur in lat. oder ital. Sprache vorlagen. Es hat sich gezeigt, daß Dürer ca. 80% der Substantivableitungen mit nur 6 von 33 möglichen Typen gebildet hat, also eindeutig bestimmte Muster bevorzugt hat: -ung, -lein, -er, -(e), -heit(-keit, -i(g)keit), -nus (-nis). Bei einem Vergleich mit den vorhandenen Corpora der Gegenwartssprache ergaben sich bemerkenswerterweise insgesamt gesehen mehr Übereinstimmungen als Gegensätze. Auch im gegenwartssprachlichen Corpus werden fast 80% der Wortbildungen mit diesen sechs Typen gebildet. Unter Berücksichtigung der internen Strukturierung des Systems erweist sich die Übereinstimmung mit der gesprochenen im Vergleich zur geschriebenen Gegenwartssprache allerdings als wesentlich höher. Die semantischen Unterschiede zur Gegenwartssprache sind bei den einzelnen Lexemen, häufig auch bezüglich der spezifischen Kombination von Basis und Wortbildungsmittel, dennoch recht groß (z. B. gesicht bedeutet entweder „Traumgesicht“, „das Sehvermögen“ oder „das, womit man sieht“, während die heute übliche Bedeutung „Antlitz“ kaum signifikant ist; abnemwng bedeutet „Minderung im Maß“ usw.; vgl. Müller 1993 b, 148ff., 161ff.). Der Vergleich mit den Corpora der Gegenwartssprache hat aber dennoch deutlich gemacht, daß das heutige System der Substantivableitungen sowohl hinsichtlich der Distribution der unterschiedlichen Ableitungstypen als auch hinsichtlich des Funktionspotentials im wesentlichen bereits im 16. Jh. ausgebildet war. Ähnliche Ergebnisse brachte die Analyse der Verbableitungen (Habermann 1994 a). Unterschiede zum Nhd. lassen sich auch hier vor allem im Rahmen von Umschichtungen im Lexembestand und dessen Zugehörigkeit zu einer Bezeichnungsklasse beobachten (z. B. bekennen konkurriert bei Dürer in ingressiver Funktion mit erkennen und weist darüber hinaus die heute übliche Bedeutung „gestehen“ auf; vgl. Habermann 1994 a, 531f.). Daß diese Ergebnisse nicht nur für Dürer charakteristisch

2347

sind, ergab sich aus einer vergleichenden Wortbildungsanalyse mit Texten des Predigers Veit Dietrich (1506⫺1549) und des Bierbrauers Heinrich Deichsler (1430⫺1507). Es läßt sich also nachweisen, daß im Bereich des Wortbildungspotentials die grundlegenden Komponenten unserer jetzigen Schriftsprache in den frnhd. Schreibsprachen um 1500, in diesem Fall Nürnberg, bereits angelegt sind. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für den Wortschatz selbst. Müller (1993) weist diesbezüglich nach, daß Dürers Fachtermini trotz dessen Bemühungen um Klarheit und Systematik in späterer Zeit wieder aufgegeben wurden und teilweise sogar durch Bezeichnungen ersetzt wurden, die einen engeren Bezug zur fremdsprachigen Vorlage gewährleisten (z. B. Spirallinie statt schnecken lini). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Tauber (1983) auf der Basis des Wortschatzes von Hans Sachs. Ein großer Teil des Wortschatzes bei Sachs erweist sich nach dem heutigen Kenntnisstand zwar als zuerst bei ihm belegt und kommt in den Nachschlagewerken erst sehr viel später vor. Der größere Teil dieser „Sachs-Neuprägungen“ ist allerdings wieder untergegangen. Als Anhänger der Reformation hat sich Sachs außerdem sehr stark von Luthers Bibel beeinflussen lassen (z. B. entpfängknuß, fratze, geizhals etc.). Tauber kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß bei der Herausbildung der nhd. Schriftsprache im lexikalischen Bereich das Md., das wiederum vieles aus dem Nd. übernommen hatte, schließlich dominierte (Tauber 1983, 188). 3.2.3. Syntaktische Ebene Die Entwicklung einiger den neuhochdeutschen Typus kennzeichnender Strukturen hat Ebert exemplarisch aufgrund Nürnberger Texte zwischen 1300 und 1600 untersucht. Eberts Beiträge sind insofern innovativ, als er die mehr als 40 Verfasser seiner Texte relativ detailliert ⫺ allerdings auch mit allen überlieferungsbedingten Unwägbarkeiten ⫺ anhand nichtlinguistischer Parameter (Zeit, Sprachstil, Beruf, Ausbildung, Geschlecht, Alter und Sozialschicht) näher zu charakterisieren versucht (vgl. Habermann 1994). Als sprachlich signifikant erwiesen sich lediglich die Parameter Zeit, Stil, Beruf und Ausbildung. Der Parameter Sozialschicht stellte sich deswegen als kaum brauchbar heraus, weil die uns erhaltenen Texte zwangsläufig von Autoren stammen, die den oberen Schichten angehören. Die von Ebert auf diese Weise untersuch-

2348

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

ten syntaktischen Phänomene sind im wesentlichen: die Ausbildung des Satzrahmens im Haupt- und Nebensatz (Ebert 1980) sowie die Wortstellungsstruktur des Verbkomplexes im Haupt- und Nebensatz (Ebert 1981/1998). In beiden Fällen kommt Ebert zu dem Ergebnis, daß die in der jetzigen Schriftsprache vorherrschenden Strukturtypen über die Verwaltungssprache in die allgemeine Schriftsprache Eingang gefunden haben. Die Häufigkeit der mit der nhd. Schriftsprache korrelierenden Typen ist nämlich nicht nur in den Verwaltungstexten am größten, sondern auch in Texten von Privatpersonen, die vorwiegend mit Verwaltungstexten umgehen. Ebert will hiermit die bereits von Maurer (1926) und Behaghel (1923ff.) vertretene These über den Einfluß des Lat. widerlegen. Dies gelingt ihm m. E. nur teilweise, weil die entsprechenden Strukturen in den Verwaltungstexten auch unter Einfluß des Lat. entstanden sein können. Umfassende Analysen unter neuen methodischen Gesichtspunkten zu weiteren Phänomenen auf der Ebene der Syntax oder der Satzsemantik gibt es kaum. Es sei lediglich auf das Ergebnis einer Analyse zum Tempusgebrauch in 85 Fastnachtspielen von Hans Sachs hingewiesen. Boon (1983) zeigt hierin, daß die morphologischen Tempusformen im Prinzip alle auch heute noch vorhandenen Gebrauchsmöglichkeiten aufweisen. Ein Schwund des Präteritums ist bemerkenswerterweise in diesen Texten nicht zu beobachten. Allerdings wird das Präteritum wie im Mhd. auch dann verwendet, wenn die Vergangenheit eines Geschehens unter dem Gesichtspunkt seiner Beziehung auf die Gegenwart betrachtet wird, also wo heute eine Perfektform wahrscheinlich wäre. Schließlich sind einige Beiträge zur Methodik einer Analyse der Nominalgruppe zu erwähnen, in denen Texte Nürnberger Autoren des 16. Jhs. (Veit Dietrich/Albrecht Dürer) als Materialgrundlage dienten (siehe Van der Elst 1988/1988 a; auch Ebert 1986/1993). 3.3. Sprachhistorische Rahmenbedingungen einer mundartfernen Schreibsprache Obwohl es beim jetzigen Stand der Forschung schier unmöglich ist, die Bedeutung einzelner außersprachlicher Parameter für die Entwicklung der Schreibsprache einzuschätzen, lassen sich doch einige allgemeine Rahmenbedingungen anführen, unter deren Einfluß die relative Homogenität Nürnberger Texte des 16. Jhs. plausibel erscheint. Es sind

dies m. E. das gut ausgebaute Schulwesen, der Einfluß der Drucker und das florierende Nachrichtenwesen. 3.3.1. Das Schulwesen Wenn wir davon ausgehen können, daß es in Nürnberg zumindest seit dem 15. Jh. einen mundartfernen Schreibusus gegeben hat, so müssen wir annehmen, daß sich die Schreiber bewußt oder unbewußt an einer schriftsprachlichen Norm orientiert haben. Nun wäre es durchaus plausibel, daß dieser Usus in den zahlreichen Nürnberger Schreibschulen vermittelt wurde. In diesem Falle wäre es allerdings sehr aufschlußreich zu erfahren, welche Hilfsmittel in den Schulen beim Leseund Schreibunterricht verwendet wurden. Unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist dieser Aspekt bisher noch nicht untersucht worden. Es gibt jedoch mehrere historische Untersuchungen, in denen Ausmaß und Bedeutung des Nürnberger Schulwesens seit dem späten Mittelalter geschildert werden (Endres 1983, Leder 1971, Jaeger 1925). In den vier seit dem 14. Jh. nachweisbaren Lateinschulen war das Lat. zwar im Prinzip alleinige Unterrichtssprache, in der Praxis wird jedoch das Dt. zumindest als Lernhilfe eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Ein Beispiel hierfür ist das von Sebald Heyden verfaßte Schulwörterbuch mit dem Titel ‘Nomenclatura rerum domesticarum’ (Nürnberg 1530), das in zahlreichen Ausgaben auch außerhalb Nürnbergs verbreitet war. Es handelt sich hierbei um ein zweisprachiges, sachlich geordnetes Vokabular, das in einigen Editionen eine übergeordnete Gliederung nach Wochentagen aufweist (vgl. Müller 1993 a; Müller/Van der Elst 1998). Bei einem Vergleich verschiedener Ausgaben an unterschiedlichen Druckorten zeigt sich wiederum, daß sich die Nürnberger Ausgabe sprachlich zwar geringfügig von den Ausgaben außerhalb der ofrk. Region unterscheidet, daß aber die Graphie im wesentlichen dem Usus anderer Texte dieser Zeit sehr ähnlich und dementsprechend weitgehend mundartfern ist (vgl. 3.3.2.). Wie bereits erwähnt war die Beherrschung der dt. Schreibsprache jedoch nicht Ziel des Unterrichts in den Lateinschulen. Dies war die Aufgabe der „Teutschen“ Schreib- und Rechenschulen, von denen es in Nürnberg im 16. Jh. so viele gab, daß in einer Ordnung von 1613 deren Anzahl auf 48 begrenzt wurde, so daß die Stadt die Aufsicht über solche Schulen besser organisieren konnte und die Konkurrenz unter den Schul-

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

meistern nicht allzu groß wurde. Die dt. Schulen, deren Tradition den Quellen zufolge ebenfalls bis ins 14. Jh. zurückgeht, waren keineswegs zweitklassige Einrichtungen, sie stellten in vielen Fällen eine praktische Ergänzung zu den eher humanistischen Zielen der Lateinschulen dar. Es ist m. E. davon auszugehen, daß der überregionale Schreibusus von den dt. Schulmeistern vermittelt wurde, indem diese nach Mustern von Briefen, Verträgen oder Urkunden den Kindern beibrachten, sich schriftlich zu äußern. Leider ist kaum überliefert, welche Mustersammlungen in den unterschiedlichen Regionen am häufigsten verwendet wurden. Einer der möglichen Gründe für die schlechte Überlieferung ist vermutlich die Tatsache, daß der Schreibmeisterberuf als Handwerk angesehen wurde und die Schreibmeister ihre Hilfsmittel mehr oder weniger als Geheimsache betrachteten. Einige wenige in Nürnberg gedruckte grammatikalische Abhandlungen aus der ersten Hälfte des 16. Jhs. sind allerdings überliefert (Jacob Grüßbeutels Stymmenbüchlein 1531; Johannes Kolroß’ Enchiridion 1534; Valentin Ickelsamers Teutsche Grammatica 1537; vgl. Moulin-Fankhänel 1994). Außerdem sind bereits seit dem Ende des 15. Jhs. einige Briefsteller, Formularbücher bzw. Titelbüchlein bei Nürnberger Druckern erschienen (vgl. Götz 1992, 41ff.). Verbreitung und Bedeutung dieser Bücher wurden jedoch kaum untersucht. Eine weitere bisher wenig beachtete Textsorte, die auch im Schulunterricht eine Rolle gespielt hat, ist die der religiösen Schriften. Der Religionsunterricht nahm nicht nur in den Lateinschulen eine wichtige Stellung ein, sondern trotz ihrer eher praktischen Ausrichtung auch in den dt. Schulen. In den Nürnberger Archiven sind zahllose in der Stadt entstandene Drucke dieser Art vorhanden, z. B. Gesangbüchlein (etwa von Martin Agricola), Katechismen (u. a. von Martin Luther und Andreas Osiander 1535), Evangelienauslegungen für Kinder (z. B. von Leonhard Culmann) oder christliche Lesebüchlein (z. B. von Martin Luther 1545). Nebenbei sei erwähnt, daß Luthers Katechismus 1553 auf Wunsch des Rates zur Pflicht in den dt. Schulen wurde. Der bereits genannte Culmann hat nach dem Vorbild der Lateinschulen für den Deutschunterricht geistige und weltliche Spiele in dt. Sprache verfaßt (z. B. Ein christenlich Teütsch Spil […] Nürnberg 1539). Überregionales Ansehen genoß im 16. Jh.

2349

auch die Nürnberger Schönschreibkunst, deren bekanntester Vertreter Johann Neudörffer war (vgl. Doede 1988). 3.3.2. Der Buchdruck Obwohl in Nürnberg seit der Erfindung der Buchdruckkunst nachweislich eine große Anzahl von Druckern tätig war, gibt es keine sprachhistorische Analyse der Besonderheiten gedruckter Texte im Vergleich zu zeitgenössischen Handschriften oder zu Druckerzeugnissen aus anderen Regionen. Bei den wichtigen Untersuchungen, die zumindest im Titel auf die Nürnberger Druckersprache Bezug nehmen (Johnson 1941, Marwedel 1973), handelt es sich de facto um singuläre Aussagen über ganz bestimmte Textsorten. Zu der Frage, wie die Buchdruckkunst auf die Entwicklung der Sprache Einfluß genommen hat, läßt sich aus Nürnberger Sicht kaum Stellung nehmen, obwohl es an Möglichkeiten zum Vergleich Handschrift ⫺ Druck von der Quellenlage her kaum mangelt. Im Verzeichnis der Buchdrucker von Benzing (1982, 350ff.) sind nicht weniger als 62 Drucker aufgeführt, deren Tätigkeit dem Ämterbüchlein zufolge zumindest partiell ins 16. Jh. fällt. Besonders auffällig ist die große Zahl der nach Nürnberg zugezogenen Bürger unter ihnen. In Benzings Verzeichnis sind für den gleichen Zeitraum 25 Drucker erwähnt, deren Geburtsort außerhalb Nürnbergs liegt oder die nachweisbar das Bürgerrecht erhalten haben. Da sich die Herkunft der betreffenden Personen nicht immer eruieren läßt, kann die Zahl der „Zugezogenen“ durchaus noch größer gewesen sein (vgl. auch Kiepe 1984, 151). Einen überzeugenden Hinweis auf den fortschrittlichen Charakter der Druckerwerkstätten findet man als Nebenprodukt bei den Ergebnissen in Müllers Untersuchung zur Substantivderivation in den Schriften Dürers. Anhand eines Vergleichs zwischen Autograph und den drei gedruckten kunsttheoretischen Schriften Dürers zeigt sich, daß die synkopierten bzw. apokopierten Formen bei einigen Suffixen im handschriftlichen Nachlaß Dürers signifikant höher sind als in den Druckschriften (Müller 1993 b, 129ff., 262ff.). Noch krasser ist der Unterschied zwischen Autograph und Druck in Bezug auf die Suffixvarianten -le(n), -lein. Im Gegensatz zu den Autographen kommt in den Drucken fast ausschließlich -lein vor (Müller 1993 b, 205ff.). Markante Differenzen bei den Wortbildungsstrukturen selbst sind allerdings nicht zu ver-

2350

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

zeichnen, obwohl auch hier ein Selektionsprozeß in Form einer Reduzierung von Varianten bei den Drucken nachweisbar ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Habermann (1994 a, 530). Zu einem gewissen Grad haben sich die Drucker in der ersten Hälfte des 16. Jhs. dennoch an den lokalen Schreibgewohnheiten orientiert. Ein schönes Beispiel hierfür bietet wegen seiner überregionalen Verbreitung das bereits erwähnte Vokabular Sebald Heydens (Nomenclatura rerum domesticarum, Nürnberg 1530) (vgl. 3.3.1.). Zwei Jahre nach der Nürnberger Erstausgabe erschienen bei Christian Egenolff in Frankfurt/M. eine stark erweiterte Fassung dieser Nomenclatura. Im lexikalischen Bereich werden dort relativ wenige, vorwiegend bair. Kennwörter wie Eritag, Pfinztag ersetzt oder regional gebundene Wörter wie roselwurst (ersetzt durch blutwurst, lat. apexabo). In der Graphie dagegen sind die Bemühungen zur Anpassung deutlicher zu sehen, vor allem der Ersatz von *p+ durch *b+ (pluot vs. bluot) oder von *-lein+, *-le+ oder *-la+ durch *-lin+ (z. B. gloecklein ⬎ gloecklin) (vgl. Müller 1993 a, 75; Müller/Van der Elst 1998, 25*f.). 3.3.3. Das Nachrichtenwesen Nürnberg war als Drehscheibe für den Handel in Mitteleuropa um 1500 neben Augsburg, Venedig und Wittenberg gleichzeitig ein Nachrichtenzentrum im weitesten Sinne. Nürnberger Kaufleute waren zwischen Portugal und Polen mit Niederlassungen in allen wichtigen europ. Handelszentren vertreten, so daß sich ein reger, teils privater, teils amtlicher Briefverkehr nach und von Nürnberg ergab. Solche Berichte von Reisenden ⫺ seien es nun Kaufleute, Boten oder Gesandte ⫺ gelten als die Vorboten des Zeitungswesens. Es wurde nämlich nicht nur aus privatem, politischem oder geschäftlichem Interesse berichtet, sondern es entstand gleichzeitig eine Art Berichterstattung, die generell der Befriedigung der Neugier diente. Die jeweiligen Nachrichten wurden oft in Form von Einbzw. Mehrblattdrucken veröffentlicht. Es ist zwar davon auszugehen, daß solche Nachrichten von außerhalb zunächst primär für den regionalen Gebrauch abgedruckt wurden. Die Nürnberger Drucker und Kaufleute haben aber mit großer Wahrscheinlichkeit Nachrichten auch an Geschäftspartner in anderen Städten weitergereicht. Dies könnte ebenfalls ein weiteres Mosaiksteinchen zur Erklärung des Phänomens sein, daß die

Schreibsprache in Nürnberg überregionalen Charakter trug (vgl. Quellensammlung in der Bayerischen Staatsbibliothek München Cod. germ. 1585 u. 1586, Schottenloher 1922, Sporhan-Krempel 1968).

4.

Die Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert

Da die Nürnberger Schreibsprache bereits um 1500 in großen Zügen überregionalen Charakter trug und sozusagen in die omd./ obd. Schreibtradition eingebettet war, wäre es wenig ergiebig, die weitere Entwicklung dieser Schreibsprache untersuchen zu wollen. Außerdem nahm die politische und wirtschaftliche Bedeutung Nürnbergs bis in die Mitte des 19. Jhs. zunächst langsam, dann aber rapide ab. Die Besonderheiten der gesprochenen Sprache und deren Einfluß auf die nähere Umgebung der Stadt lassen sich dagegen, von einigen wenigen älteren Quellen abgesehen (z. B. Texte des Mundartdichters Johann Conrad Grübel (1736⫺1809) sowie die Wörterbücher von Johann Heinrich Häßlein (1737⫺1796) (vgl. dazu Oswald-Müller 1993) und Georg Andreas Will (1727⫺1798) (vgl. dazu Maas 1959), erst seit dem Ende des 19. Jhs. mit den Aufnahmen des DSA untersuchen, wobei die Fragebogen des DSA aus dem Stadtbereich wegen der Herkunft der Gewährspersonen mit Vorsicht zu interpretieren sind. 4.1. Der politische und wirtschaftliche Niedergang der Stadt Nach einer Krise um die Mitte des 16. Jhs., vor allem wegen des zweiten Markgrafenkrieges und des Wegfalls wichtiger Absatzmärkte in den südlichen Niederlanden und Frankreich, stand die weitere Entwicklung bis um 1630 zunächst im Zeichen des Wohlstandes (vgl. Pfeiffer 1971, 302). Der eigentliche Niedergang begann um die Mitte des 17. Jhs. und hatte zahlreiche Ursachen. Es gingen erneut wichtige Absatzmärkte verloren, auf der Stadt lasteten weiterhin wegen hoher finanzieller Forderungen seitens der Reichs- und Kreisgemeinschaft enorme Schulden und der mittelbare wie unmittelbare Landbesitz, der im 16. Jh. beträchtlich war, wurde gegen Ende des 19. Jhs. vor allem von Kurbayern und der Krone Preußens stark eingeschränkt. Ein weiterer Grund für den Niedergang war vermutlich auch die Tatsache, daß die bereits um 1500 anzutreffende starre Gesellschafts-

163. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte IV: Nürnberg

ordnung bis ans Ende des 18. Jhs. (Grundvertrag von 1794, bei dem eine neue Verfassung zwischen Rat und Genannten erlassen wurde) bestehen blieb. Im Jahr 1806 schließlich wurde die Stadt und ihr noch verbliebenes Landgebiet aufgrund des Rheinbundakts mit aller Souveränität der Krone Bayerns zugewiesen. Trotz des sich in der 2. Hälfte des 17. Jhs. abzeichnenden Niederganges in wirtschaftlicher Hinsicht blieb das Streben nach Bildung in fast allen Schichten der Bevölkerung bis in den Handwerkerstand hinein erhalten. Bezeichnend hierfür waren z. B. die Einführung einer neuen Schulordnung nach Speners Vorbild (1698), die Gründung von sog. Armenschulen seit dem Ende des 17. Jhs. (Pfeiffer 1971, 326) oder die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs an der Altdorfer Universität (Universitätsstatus von 1622 bis 1809) (Pfeiffer 1971, 332). Nach dem Niedergang des Meistergesanges im 17. Jh. wurde das literarische Leben am stärksten durch die Arbeit des „Hirten- und Blumenordens an der Pegnitz“ (gegründet 1644) geprägt. Der Sprachgesellschaft gehörten renommierte Persönlichkeiten wie Johann Klaj, Georg Philipp Harsdörffer und Sigmund von Birken an. Insbesondere Harsdörffer hat einige auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht bedeutsame Gedanken veröffentlicht. Seine Ideen sind aber zunächst lediglich Programm geblieben: das Bemühen um Sprachreinheit, -richtigkeit und -schönheit, die Konzeption eines Wörterbuches der Stammwörter, die Idee eines Fachwörterbuches (siehe Georg Philipp Harsdörffer in: „Schutzschrift für die Teutsche Spracharbeit“ 1644). 4.2. Die Nürnberger Stadtsprache Anhand der Texte des Mundartdichters Johann Conrad Grübel sowie der Wörterbücher von Johann Heinrich Häßlein und Georg Andreas Will läßt sich ein erster Eindruck von der Nürnberger Stadtmundart um 1800 gewinnen. Eine ausführliche Ortsgrammatik entstand jedoch erst kurz nach der Jahrhundertwende (Gebhardt 1907). Diese Arbeit blieb jahrzehntelang das einzige Standardwerk zur Stadtsprache Nürnbergs, bis sie im Bereich der Lautlehre durch die Untersuchung von Klepsch (1988) aktualisiert wurde. Klepsch betrachtet den Sprachwandelprozeß über einen Zeitraum von ca. 200 Jahren (1802⫺1986) und kommt zu dem Ergebnis, daß eine stete „Abwendung von bairischen

2351

hin zu ostfränkischen Merkmalen“ zu beobachten ist, die mit der Abnabelung der Stadt vom sdt.-katholischen Kulturraum zusammenhängen könnte, eine Entwicklung, die auch ⫺ vielleicht erst recht ⫺ nach der Einverleibung durch Bayern (1806) anhielt (vgl. Klepsch 1988, 389). Sogar die massive Zuwanderung oberpfälzischer Industriearbeiter im 19. Jh. hat statt zur Bewahrung eher zum beschleunigten Rückgang nordbair. Merkmale geführt. So hat sich der mundartliche Monophthong a¯ für mhd. ei, ou (z. B. a¯mB „Eimer“, la¯fm „laufen“) in der Stadtmundart relativ gut halten können, während die typisch nordbair. Steigdiphthonge ei für mhd. ie, üe, eˆ (z. B. in „Dieb“, „trüb“, „Schnee“) und ou für mhd. uo, oˆ, aˆ (z. B. in „Ruf“, „Brot“, „getan“) stark zurückgegangen sind (vgl. Klepsch 1988, 162ff., 171ff., 192ff., 220ff., 232ff., 251ff., 265ff.).

Insgesamt gesehen läßt sich von der Zeit an, wo die Mundart einigermaßen zuverlässig schriftlich überliefert ist, ein steter Anpassungsprozeß in Richtung einer regional gefärbten Varietät der gesprochenen Standardsprache beobachten. Es sind offenbar vor allem die nordbair. Merkmale der Stadtsprache, die hierbei aufgegeben werden. Es ließe sich nun annehmen, daß der gleiche Prozeß auch in umgekehrter Richtung wirksam gewesen ist, daß nämlich die in der Stadt gesprochene Variante der Hochsprache nach und nach einen Einfluß auf die umliegenden Mundarten ausübt. Daß ein solcher Prozeß gegenwärtig abläuft, ist zwar sehr wahrscheinlich, konnte aber noch nicht in größerem Umfang empirisch belegt werden. Eine derartige Entwicklung wäre allerdings noch verhältnismäßig jung. Bezeichnenderweise sind die von Steger (1968, 551ff.) eruierten Mundartgrenzen, die das Nürnberger Land nach Westen, Norden und Osten abgrenzen, recht alt. Sie lassen sich allesamt bis in die Zeit der Besiedlung im Mittelalter zurückführen (vgl. 2.3.). Der sprachliche Einfluß der Stadt war offenbar nicht so groß, daß sich der Verlauf dieser mittelalterlichen Grenzen in den späteren Jahrhunderten gravierend geändert hätte. Die politische Bedeutung Nürnbergs war seit der frühen Neuzeit bis zum Zusammenbruch im 18. Jh. ohnehin am stärksten nach Osten orientiert, ein Faktum, das mit den Ergebnissen der Sprachgeographie übereinstimmt. Steger geht z. B. davon aus, daß der Nürnberger Raum ursprünglich ein recht großes ofrk.-bair. Übergangsgebiet gewesen sein muß, bei dem eine deutliche Tren-

2352

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

nung erst dann zustande kam, als Teile des östlichen Gebietes „aus allen Bindungen zu Nürnberg und dem Westen ausgeschieden“ waren und sozusagen die Außengrenzen des wittelbachischen Besitzes darstellten. Die Stadt Nürnberg dehnte seit dem späten Mittelalter ihren Einflußbereich bis über Hersbruck hinaus aus, und zwar teilweise in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den östlich gelegenen bair. Gebieten. In diesem Zusammenhang ist nach Steger vermutlich ein westliches, frk. orientiertes Bewußtsein entstanden.

5.

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2353

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2354

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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Gaston Van der Elst (†), Erlangen-Nürnberg

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien 1. 2.

7.

Einleitung Die geographische und sprachräumliche Lage Wiens Geschichte und Sprache Wiens in mittelhochdeutscher Zeit (12. und 13. Jh.) Geschichte und Sprache Wiens in der älteren frühneuhochdeutschen Zeit (Ende 13.⫺Anfang 16. Jh.) Geschichte und Sprache Wiens in der jüngeren frühneuhochdeutschen Zeit (Anfang 16.⫺Mitte 18. Jh.) Geschichte und Sprache Wiens in der neuhochdeutschen Zeit (seit der 2. Hälfte des 18. Jhs.) Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

3. 4. 5. 6.

Die selbständige Darstellung der sprachlichen Entwicklungsgeschichte einer Stadt ist als Teilbereich der regionalen Sprachgeschichte dann besonders sinnvoll und lohnend, wenn eine Stadt auf Grund ihrer Verkehrslage sowie ihrer politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Entwicklungen im Laufe der Geschichte Mittelpunktfunktion nicht nur für ihr unmittelbares Umland, sondern für eine größere Region hat und dadurch für die Sprachentwicklung die-

ser Region bestimmend ist, ja teilweise durch Fernverbindungen auch darüber hinaus Einfluß ausübt. Solche Voraussetzungen treffen für die Stadt Wien seit dem Ende des 12. Jhs. zu. Sie hat nicht nur im Rahmen des Bairischen, speziell des Ostmittelbairischen eigene mündliche und schriftliche Entwicklungen vollzogen, sondern im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung Österreichs vom kleinen, heute niederösterreichischen Territorium aus mit der zunehmenden Vergrößerung des Landes durch die territorialen Gewinne deutschsprachiger und fremdsprachiger Gebiete als Hauptstadt stets überallhin sprachlichen Einfluß ausgeübt bzw. selber Fremdsprachiges integriert und bestimmt schließlich seit der Schaffung der verkleinerten Republik Österreich im Jahre 1918 trotz ihrer östlichen Grenzlage weiterhin das gegenwärtige Sprachgeschehen des ganzen Landes. Eine Geschichte der Wiener Stadtsprache vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart ist bisher nicht geschrieben worden, wenn es auch in unterschiedlichem Umfang einzelne Untersuchungen der spätmittelalterlichen Schreibsprache und Rekonstruktionen der Aussprache mit Hilfe von Reimdichtungen, Untersuchungen zur frnhd. Druckersprache, zum schriftsprachlichen Codewechsel des 18.

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien

Jhs., zur Dialektentwicklung seit dem 18. Jh. und zur speziellen Form der Schrift- und Standardsprache besonders seit dem letzten Viertel des 19. Jhs., dem „österreichischen Deutsch“, gibt. Ebensowenig gibt es eine regionale bayerisch-österreichische Sprachgeschichte mit der entsprechenden Einbettung Wiens, wofür jedoch Pläne vorliegen (Reiffenstein 1995, Wiesinger 1998; vgl. Art. 194⫺ 196). Die folgende Darstellung besitzt daher den Charakter einer Pilotstudie. Als solche muß sie zwar Entwicklungslinien beschreiben, hat aber gleichzeitig die Forschungsdesiderate aufzuzeigen. Obwohl es hier in erster Linie um die Entwicklungen der Stadtsprache gehen soll, müssen, soweit erforderlich, auch die geschichtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse als deren Voraussetzungen skizziert werden. Eine städtische Sprachgeschichte hat bei Einbettung in die allgemeinen und in die regionalen Sprachentwicklungen in besonderer Weise die städtischen Entwicklungen sowohl der geschriebenen als auch der gesprochenen Sprache und ihre soziologischen Differenzierungen in Varietäten zu beschreiben. Ferner ist auf den Gebrauch von Fremdsprachen und deren unmittelbare Einflüsse wie auch auf die mittelbaren Einwirkungen benachbarter Fremdsprachen zu achten. Die Beschreibung der Entwicklungen der gesprochenen Sprache sind zwar für die Gegenwart im weiteren Sinn und damit für die letzten rund 120 Jahre auf Grund der unmittelbaren rezenten Beobachtungen und der mittelbaren Aussagen der um 1880 einsetzenden dialektologischen Forschungen möglich. Aber auch für frühere Zeiträume bestehen diesbezügliche, wenn auch eingeschränkte Rekonstruktionsmöglichkeiten, so für die spätmittelhochdeutsche und ältere frühneuhochdeutsche Zeit des 13. bis 15. Jhs. durch kombinierte Methoden mit Hilfe der Reimgrammatik von Dichtungen, phonetischen Direktanzeigen und Hyperkorrektismen als Abweichungen vom Usus in der Schreibsprache, der rezenten Dialektstruktur und Dialektgeographie sowie anhand der wechselseitigen Lehnbeziehungen mit den benachbarten Fremdsprachen. Erst in der Neuzeit des 18. Jhs. setzen sowohl metasprachliche Beschreibungen und Beurteilungen der Sprache und der Sprachsituation als auch ein unmittelbares Dialektschrifttum ein. Mit Bezug auf letzteres sprach Walter Steinhauser (1952) etwas mißverständlich von „250 Jahren Wienerisch“.

2.

2355

Die geographische und sprachräumliche Lage Wiens

In geographischer Hinsicht hat Wien eine günstige Verkehrslage, die seit dem Mittelalter besonders dem Handel zugute kam. Es liegt einerseits am Nordwestrand der pannonischen Tiefebene und an den Abhängen des Wienerwaldes als östlichster Ausläufer der Alpen und andererseits am Westufer des schiffbaren Stromes der Donau. Dadurch wurde Wien zu einem Kreuzungspunkt zwischen dem west-östlichen Donauweg von Bayern durch Österreich nach Ungarn und einer Süd-Nord-Verbindung von Oberitalien und der Adria zunächst über den Alpenrand und durch die Mährische Pforte nach Schlesien und seit dem 12. Jh. durch die Alpentäler Kärntens und der Steiermark und über den Semmering-Paß, woran heute noch die Kärntnerstraße als Ausfallsstraße in den Süden und historisch das nach Osten gerichtete, 1256 als Porta hungarica bezeichnete spätere Stubentor erinnern. Es sind jene alten Wege, denen im Voralpenland die Bundesstraße 1 und die Westbahn über Linz nach Salzburg und im Alpenraum die Bundesstraße 17 und die Südbahn einerseits nach Graz und andererseits nach Klagenfurt und Villach folgen und entlang derer, wie die Dialektgeographie zeigt, seit Jahrhunderten sprachliche Neuerungen von Wien aus in den donauländischen Voralpenraum nach Westen und in das Alpengebiet nach Süden vordringen. Bezüglich der sprachräumlichen Lage mag überraschen, daß Wien am Ostrand des vorgeschobenen deutschen Sprachraums in jeweils rund 60 km Entfernung von der deutschen Sprachgrenze gegen das Tschechische und Slowakische im Norden und Nordosten und das Ungarische im Südosten liegt. Es ist dies das Ergebnis einerseits der Eindeutschung ehemals slawischen Siedlungsgebietes während der althochdeutschen Zeit des 8. bis 11. Jhs. mit dem östlichen Vordringen der Baiern in das von Karl dem Großen nach den Awarenkriegen errichtete Markgebiet und andererseits der Seßhaftwerdung der Ungarn im ausgehenden 10. Jh. und der damit verbundenen territorialen Grenzbildungen. Daß aber Wien, dessen sprachliche Grundlage das Bairische und in der Weiterentwicklung das Mittelbairische bildet, trotz dieser jahrhundertealten sprachräumlichen Grenzlage spezifische, sprachliche Bedeutsamkeit erlangte, verdankt es den politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen.

2356

3.

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Geschichte und Sprache Wiens in mittelhochdeutscher Zeit (12. und 13. Jh.)

3.1. Zur Geschichte Das aus der Keltenzeit hervorgegangene Römerlager Vindobona ging zwar in den Wirren der Völkerwanderung unter, denn 881 taucht anläßlich einer kriegerischen Auseinandersetzung mit den Ungarn der neue, den WienFluß bezeichnende idg.-voreinzelsprachliche Name ahd. Weˆn(n)ia auf (Wiesinger 1985, 336ff.). Aber trotzdem scheint sich in seinen Mauern eine kleine dorfähnliche Siedlung gehalten zu haben. Nachdem 976 die den Babenbergern übertragene Markgrafschaft an der Donau zwischen der Enns und dem westlichen Wienerwald gegründet worden war, setzte von Bayern her ein Handel mit den Ungarn ein, dessen Umschlagplatz das 1030 frühmittelhochdeutsch bezeugte Wienne wurde. Es gewann in den folgenden Jahrzehnten rasch an Umfang und Bedeutung und schuf sich ein geordnetes Gemeinwesen, so daß es 1137 erstmals als civitas bezeichnet wird. Damals war die Stadt bereits im Südosten über das ehemalige Römerlager hinausgewachsen, und Passau als der bis 1469 zuständige diözesane Kirchensitz errichtete in Verbindung mit dem Babenberger Markgrafen Leopold IV. als neues Pfarrzentrum die mit dem Passauer Patrozinium versehene Kirche von St. Stephan. Damals wurde auch mit dem ersten, 1147 geweihten Kirchenbau begonnen, dessen spätmittelalterliche Nachfolgebauten noch heute das Stadtzentrum beherrschen. Die Babenberger Markgrafen hatten ihren Sitz sukzessive von Melk wohl über Gars und Tulln nach Klosterneuburg verlegt, bis schließlich Heinrich II. Jasomirgott (1141⫺77) mit der Erlangung der Herzogswürde 1156 Wien zur bleibenden Residenz machte. Damals stiftete er zu bereits vorhandenen vier Kirchen das Schottenstift mit irischen und schottischen Mönchen aus Regensburg, in dessen Nähe Am Hof sich auch der herzogliche Sitz befand. Rasch nahm die Stadt durch den neuen Adel und die Hofhaltung sowie intensivierten Handel, gefördert von den Herzögen Leopold V. (1177⫺94), Friedrich I. (1194⫺98) und Leopold VI. dem Glorreichen (1198⫺1230), weiteren Aufschwung, nachdem 1192 das Land durch den Erwerb der Steiermark einschließlich des heutigen östlichen Oberösterreichs beträchtlich erweitert werden konnte. Leopold VI. verlieh der Stadt 1221 nicht nur das Stapel-

recht, das die fremden Kaufleute zum Warenangebot verpflichtete und dadurch auch den Wiener Kaufleuten leichten Warenerwerb zum Wiederverkauf und damit der Bürgerschaft zunehmenden Gewinn und Wohlstand sicherte, sondern auch das Stadtrecht mit eigenständiger, patrizischer Verwaltung. Allerdings begann damit auch ein wachsendes Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Landesfürst, das schon 1237 unter dem letzten Babenberger Herzog Friedrich II. dem Sreitbaren (1230⫺46) ausbrach, als die Stadt von Kaiser Friedrich II. (1220⫺50) vorübergehend die Reichsunmittelbarkeit als Reichsstadt erlangte. Um 1230 erreichte die Stadt durch westliche Erweiterungen auch ihren bis 1857 bestehenden Umfang in der Größe des heutigen 1. Bezirkes bis Ringstraße und Kai und war mit Stadtmauern und Stadttoren befestigt, wozu dann im 16. und 17. Jh. noch die Basteien verstärkend hinzukamen. Davor lagen mehr oder minder ebenfalls bis 1857 Fluren mit Ackerland, Weingärten, Wiesen und Weiden und die bäuerlich-handwerklichen Vororte, die die späteren Vorstädte und heute die inneren Stadtbezirke 2 bis 9 bilden und bis zum späteren Linienwall, dem heutigen Gürtel, reichten, jenseits dessen das echte niederösterreichische Land begann. Für jene Zeit schätzt man die Anzahl der meist ebenerdigen Häuser auf 800⫺1000 und die Einwohner auf etwa 10.000. Von der Gesamtheit der Bürgerschaft hob sich die Bürgerschicht des Patriziats ab, das als Grundbesitzer, Fernhandelskaufleute und Inhaber von Luxusgewerben aus dem einst niederen Adel hervorgegangen war. Ein Mittelstand rekrutierte sich aus zahlreichen Handwerkern und kleinen Kaufleuten. Die Unterschicht bestand aus vielerlei Lohnarbeitern, wozu noch Bettler und allerlei Fahrende kamen. Außerhalb dieser bürgerlichen Gruppen stand der herzogliche Hofstaat, die Geistlichkeit sowie die im Ghetto lebenden, doch als Geldverleiher wirtschaftlich höchst wichtigen Juden. Dagegen lebte der Ministerialenadel auf seinen Burgen im ländlichen Raum. Um 1200 erreichte Wien auch seine erste kulturelle Hochblüte, indem am Hof die Minnesänger Reinmar von Hagenau und Walther von der Vogelweide wirkten, denen dann um 1230/40 mit auch bürgerlichen Beziehungen Neidhart von Reuenthal und der Tannhäuser folgten. 3.2. Zur Sprache Trotz der literarischen Blüte sind aus dem Wien der 2. Hälfte des 12. und der 1. Hälfte des 13. Jhs. weder literarische noch prosai-

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien

sche mhd. Texte überliefert. Vielmehr gibt es nur theologisches und urkundliches Schrifttum in lateinischer Sprache, wobei die zwar erst 1237 erstmals bezeugte, doch wohl schon um 1150 eingerichtete Bürgerschule bei St. Stephan als eine Art höhere Lehranstalt ebenfalls nur Latein unterrichtete. Zur Beurteilung des Mittelhochdeutschen können daher nur deutsche Orts- und Personennamen in Urkunden, Rückschlüsse aus der Reimgrammatik der erst ab der 2. Hälfte des 13. Jhs. und zum Teil in nicht bairischen Handschriften überlieferten Dichtungen sowie Vergleiche mit zeitgenössischem bairisch-mhd. Schrifttum aus anderen Gebieten dieses großen Sprachraumes dienen. Hier aber wären fehlende graphematische und grammatische Analysen sowohl des Namenmaterials als auch der Texte erforderlich. An charakteristischen bairischen Eigenheiten der Schreibsprache gegenüber dem durchaus einwirkenden sogenannten „Normalmittelhochdeutschen“ sind zu nennen, vor allem die unter dem überregionalen alemannischen Einfluß fortbestehende vorherrschende Monophthongschreibung *i+ ⫺ *u+ für mhd. ˆı ⫺ uˆ trotz gesprochener, nur selten bezeichneter Diphthonge; häufiges *ai+ für mhd. *ei+; die weitgehend fehlende Umlautbezeichnung für mhd. ä, ae, ü, ö, oe, öü, üe; *ch+ sowohl für affriziertes mhd. k als auch frikativisches ch; *kk+ für geminiertes gg (normalmhd. meist *ck+) und inlautendes geminiertes *zz+, *ff +, *tt+ auch nach Langvokalen und Diphthongen. Was aber besonders im Namenmaterial auffällt und schon von Nagl (1895, 22ff.) und dann von Köck (1946, 113ff.) beobachtet wurde und jetzt bei kritischer Bearbeitung zuverlässig im „Altdeutschen Namenbuch“ (1989ff.) vorliegt, sind vertauschte hyperkorrekte Wiedergaben von mhd. ei als *æ, ä, a, e+ und von mhd. ä und ae als *ai, ei+ (Wiesinger 2001). Sie begegnen seit etwa 1130 im gesamten bairischen Raum. Da die rezente Dialektgeographie zeigt, daß die ländliche Realisierung von mhd. ei teilweise noch der steigende Diphthong [o˛˛i ] und weithin der daraus entwickelte fallende Diphthong [o˛A] ist und sich für die Phoneme mhd. /ei/, /ae/ und /ä/ der einheitliche Monophthong [a¯, a] nur in Wien, im einst zweisprachigen deutsch-slowenischen Mittelkärntner Städtedreieck Villach ⫺ Klagenfurt ⫺ St. Veit sowie um Innichen im Südtiroler Pustertal findet, das bis 1806 ein Freising unterstehendes Kollegiatstift war, handelt es sich beim Monophthong um den Niederschlag eines schicht-

2357

spezifischen Merkmals. Damit wird eine seit dem 12. Jh. bestehende soziologische Differenzierung in eine sprachliche Ober- und Unterschicht faßbar (Wiesinger 1980), die in Niederösterreich gerade am Realisierungsunterschied von mhd. ei als [a¯] oder [o˛A] noch um 1900 von der ländlichen Bevölkerung als „herrisch“ für die Stadt und „bäurisch“ für das Land bezeichnet wurde und wovon man die Bezeichnung „Herrensprache“ abgeleitet hat. Wahrscheinlich ist dieses [a¯] rheinfränkischen Ursprungs und lautete anfänglich [ä¯]. Es gelangte wohl über das aus dem Rheinfränkischen stammende salische Königshaus in die bairische Herrensprache, zumal die Babenberger der 1. Hälfte des 12. Jhs. stark in die Reichspolitik verwoben waren und Agnes, die Tochter Kaiser Heinrichs IV., seit 1106 mit Markgraf Leopold III. dem Heiligen (1095⫺1136) vermählt war (Wiesinger 2001). Dieses [a¯] blieb jedenfalls bis Ende des 19. Jhs. ein typisch städtisches Wiener Merkmal, ehe es im 20. Jh. zunehmend nicht nur in den weiteren ostösterreichischen Städten bis Linz und Graz aufgegriffen wurde, sondern sich seit dem Zweiten Weltkrieg durch den regionalen Verkehrsdialekt bei der jüngeren Generation in ganz Niederösterreich etabliert.

4.

Geschichte und Sprache Wiens in der älteren frühneuhochdeutschen Zeit (Ende 13.⫺Anfang 16. Jh.)

4.1. Zur Geschichte Nach dem Aussterben der Babenberger begann 1246 ein österreichisches Interregnum, dem bald mit dem Ende der Staufer das Reichsinterregnum folgte. Beide wurden 1278 mit dem Sieg des neuen habsburgischen Königs Rudolf I. über den Böhmenkönig Przemysl Ottokar II. in der Schlacht auf dem Marchfeld nordöstlich von Wien beendet, der sich in der Zwischenzeit auch Österreichs und Wiens bemächtigt und als neuen Herrschersitz bis 1275 auch die Hofburg errichtet hatte. König Rudolf I. ernannte 1281 seinen Sohn, den späteren König Albrecht I. (1298⫺1308), zum Verweser Österreichs und der Steiermark und belehnte ihn schließlich 1282 mit den beiden Herzogtümern, womit die 630jährige österreichische Herrschaft der Habsburger und der spätmittelalterliche Abschnitt der Stadtgeschichte Wiens begann. Die aus dem Westschweizer Aargau stammenden und bis ins Oberelsaß begüterten

2358

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Habsburger waren mit ihrem sprachlich fremden alemannischen Gefolge in Wien zunächst keineswegs willkommen, so daß sie sich um Akzeptanz bemühen mußten. An sie erinnert heute noch der Name Schweizerhof in der von König Ottokar übernommenen Hofburg. Nach anfänglichem Entgegenkommen regelte Albrecht I. 1296 mit einem neuen harten Stadtrecht das Verhältnis zum Landesfürsten, indem er fortan die Stadt von diesem weitgehend abhängig machte. Trotz der verheerenden Pestepidemien von 1349 und 1359, wirtschaftsschädigender Mißernten und trotz Stadtbränden, vor allem dem Großbrand von 1361, nahm die Stadt besonders unter dem ehrgeizigen Rudolf IV. (1358⫺65) großen kulturellen Aufschwung. Hatte sein Vater Herzog Albrecht II. der Weise (1330⫺ 58) dem Land 1335 Kärnten hinzuerworben, so gewann Rudolf IV. 1363 Tirol, machte sich durch Urkundenfälschung zum Erzherzog, förderte den gotischen Ausbau der Stephanskirche, bemühte sich um die kirchliche Unabhängigkeit Wiens von Passau, was allerdings nur ein exemptes Kollegiatkapitel erbrachte, und gründete schließlich zur Erhöhung der Geltung der Stadt 1365 die nach Prag und Krakau dritte Universität nördlich der Alpen, die allerdings erst 1385 mit der Theologischen Fakultät Volluniversität wurde und bald Professoren und Studenten aus ganz Europa zusammenführte. In der Zeit Rudolfs IV. kam es aber auch zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, indem die gewerbliche Mittelschicht durch die Zunftorganisation, den Handel und die Möglichkeit zum Grundstückerwerb ihre Einkünfte vermehren konnte, während die Oberschicht des grundbesitzenden Patriziats durch steuerrechtliche Veränderungen an Gewinn verlor. Die Folge war zunehmender Aufstieg und Einfluß der Mittelschicht auf Kosten des bis dahin bestimmenden Patriziats. So legte die Stadtverwaltung damals auch das bis 1819 reichende sogenannte „Eisenbuch“ an, ein Stadtbuch mit der Eintragung von Verordnungen, Privilegien, Testamenten und Grundvermögen sowohl zur Sicherung der öffentlichen Ordnung als auch der steuerlichen Einkünfte. Schließlich kam es 1396 zu einer neuen Ratswahlordnung, die den Stadtrat unter Einbeziehung des Mittelstandes neu zusammensetzte. In kultureller Hinsicht wurden einerseits das neue Bürgertum und andererseits in Verbindung mit dem Hof die Universität prägend. So erfreute man sich etwa an der Schwankdichtung, wovon besonders

die allerdings erst um 1470 in ihre endgültige Fassung gebrachte „Geschichte des Pfaffen vom Kahlenberg“ zu nennen ist, sowie an der Spruchdichtung des sich um 1360 in Wien niederlassenden, aus der Obersteiermark stammenden Heinrichs des Teichners und dann seines allerdings dem Adel dienenden, 1372 hier ansässig gewordenen Nachfolgers Peter Suchenwirt. Unter Herzog Albrecht III. (1365⫺95) erfolgte der Ausbau der Universität, wobei es 1383 nach dem Pariser Schisma gelang, eine Reihe von Professoren wie die Theologen Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oytha nach Wien zu holen. In Verbindung mit dem Hof entfaltete sich ein katechetisches, historisches und theologischallegorisches, aus dem Lateinischen für Laien übersetztes, zum Teil dem Herzog gewidmetes deutsches Schrifttum, das unter dem Namen „Wiener Schule“ in der Forschung bekannt geworden ist (Hohmann 1977, 257ff.). Während im 15. Jh. die Kultur vor allem durch die Universität und die Klöster der Dominikaner, Minoriten, Augustiner-Eremiten, Augustiner-Chorherren und das 1418 von Iren und Schotten geräumte, an heimische Benediktiner übergebene Schottenkloster sowie die für die österreichische und bayer. Zisterzienserprovinz zuständige Ordensschule gefördert wurde, so daß Wissenschaft und Kunst mit lateinischem und übersetztem deutschem Schrifttum, Tafel- und Buchmalerei, Bildhauerei und Goldschmiedekunst blühten, kam es im Gefolge politischer Wirren zum wirtschaftlichen Abstieg. Schon nach dem plötzlichen Tod Albrechts IV. (1395⫺1404) geriet die Stadt wegen der Vertretung seines noch minderjährigen Sohnes Albrechts V. (1404/11⫺39) in Auseinandersetzungen. Obwohl der 1411 die Regierung antretende junge Herzog 1412 der Stadt erneut Rechte und Freiheiten bestätigte, zogen aber sich ansiedelnde fremde Fernhandelsleute im Rahmen der sich ausweitenden europäischen Handelsbeziehungen die Gewinne auf Kosten der einheimischen Kaufleute und Erzeuger an sich. Als Albrecht V. 1439 starb und sein Sohn Ladislaus nachgeboren wurde, ging die Herrschaft an Herzog Friedrich V. aus der innerösterreichischen Linie über. Als Friedrich III. (1440⫺93) erhielt er zwar die Königs- und Kaiserwürde, verwickelte aber Stadt und Land durch politische und militärische Schwäche in andauernde Kämpfe um Macht und Gebietsansprüche, die in der fünfjährigen Übernahme Wiens durch den ungarischen König Matthias Corvinus von 1480⫺

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien

85 gipfelten. Immerhin gelang Friedrich III. durch seine römischen Beziehungen 1469 die schon lange erstrebte Schaffung eines selbständigen Bistums Wien, das allerdings nur das heutige Stadtgebiet umfaßte und erst 1722 mit der Erhebung zum Erzbistum auf das östliche Niederösterreich ausgedehnt wurde, und 1485 die Heiligsprechung des Babenberger Markgrafen Leopolds III. des Heiligen als des niederösterreichischen Landespatrons. Auch Friedrichs mächtiger Sohn und Nachfolger, Kaiser Maximilian I. (1493⫺1519), zeigte wenig Interesse an Wien, das inzwischen wirtschaftlich längst von Augsburg, Ulm und Nürnberg im Rahmen des europäischen Fernhandels überflügelt worden war. Da diese Städte die Geldgeber des Kaisers wurden, machte er auch das näher gelegene Innsbruck zu seinem vorrangigen Sitz und ließ Wien durch Hofbeamte verwalten. Mit dem neuen Stadtrecht von 1517 leitete Maximilian auch die künftige absolutistische Beherrschung der Stadt mit der Absicht, die städtische Autonomie aufzuheben, ein. Trotzdem förderte der Kaiser sehr die kulturellen Belange, indem er 1497 den Humanisten Konrad Celtes (1459⫺1508) als Professor der Poetik und Rhetorik und als seinen Nachfolger den Historiker Johannes Cuspinian (1473⫺1529) berief und 1498 die Hofmusikkapelle gründete. 1509 ließ sich auch der aus [Alt-]Ötting in Bayern stammende Buchdrucker Johann Singriener d. Ä. († 1545) in Wien nieder, der nach den Anfängen seines 1482 aus dem pfälzischen Kreuznach ebenfalls zugewanderten Vorgängers Johann Winterburger und nach anfänglicher Zusammenarbeit mit Hieronymus Vie¨tor aus Krakau ab 1514 Wien zum bleibenden Druckzentrum zeitgenössischen lateinischen und deutschen Schrifttums machte. Während des Spätmittelalters war Wien zu einer der wenigen mitteleuropäischen Großstädte angewachsen und trat in enge Verbindung mit den außerhalb der Stadtmauern gelegenen, nun zu Vorstädten werdenden Vororten. Um 1500 zählte die Stadt etwa 1.250 meist einbis zweistöckige Häuser, rund 900 Häuser in den Vorstädten und etwa 50.000 Einwohner. 4.2. Zur Sprache Der geschichtliche Zeitraum vom Herrschaftsantritt der Habsburger mit Albrecht I. 1281/82 bis zum Tod des „letzten Ritters“ Maximilians I. 1519 markiert sprachgeschichtlich in Wien die Periode des älteren Frühneuhochdeutschen. Am Übergang aus

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dem Mittelhochdeutschen stehen die aus der mhd. Tradition kommenden, zwischen 1277 und 1290 entstandenen Reimdichtungen der „Weltchronik“ und des „Fürstenbuches“ des gebürtigen Wiener Patriziers Jans(en) Enikel. Obwohl die Reimgrammatik in anderen Zusammenhängen ebenso Berücksichtigung fand wie die der später in Wien wirkenden Dichter besonders des Teichners und Suchenwirts (Kranzmayer 1950; Ernst 1994, 1996; Wiesinger 1996), wären genaue Analysen und Interpretationen der Reimgrammatik im Hinblick auf Aussprache und Formen erforderlich. Was sich, so viel man sieht, abzeichnet, ist ein Zusammenhang der Stadtsprache mit dem Landdialekt. Zu schon genannten, weiterbestehenden Erscheinungen der oberschichtigen Herrensprache, die schließlich den Stadtdialekt prägt, gehören besonders der Zusammenfall von mhd. aˆ und Dehnungs-a¯ in offenes [oo˛¯ ], denen sich mhd. oˆ anschließt, gegenüber einstigem [o¯], [oo˛¯ ], [o˛˛i ] des Landdialekts; [oi] für bair.-mhd. iu gegenüber [ui] und [ui] für mhd. uo, neben dem aber schon im 14./15. Jh. durch Fremde das sonst übliche oberdeutsche [uA] galt. Aus dem Landdialekt kam die Monophthongierung von [a˛i] ⫺ [au˛] für mhd. ˆı ⫺ üˆ ⫺ uˆ zu [a¯], so daß in diesen Monophthong mit noch mhd. ae, ä, ei1, ei2 ⫺ öü ⫺ ou nicht weniger als 9 mhd. Phoneme zusammenfielen; aber wieder bestanden daneben durch Fremde die sich schließlich auch für mhd. ei2⫺ öü ⫺ ou neuerlich einbürgernden Diphthonge weiter. Für die Analyse der geschriebenen deutschen Sprache stehen nun große Mengen an Verwaltungsschrifttum und verschiedenen theologischen, historischen, literarischen und fachsprachlichen Texten zur Verfügung, die bisher nur in geringer Auswahl untersucht wurden. Wiener Urkunden, Testamente, Stadtrechte, verschiedene Verordnungen, Urbare, Lehenbücher, Rechnungsbücher, Zunftund Bruderschaftsordnungen gibt es aus der Stadtkanzlei des Rates, aus der habsburgischen landesfürstlichen Herzogs- und zeitweiligen kaiserlichen Reichskanzlei, von den Klöstern sowie von Einzelpersonen. Texte wurden vor allem in den Klöstern und dann von Universitätsangehörigen abgeschrieben. Als Urkundensprache setzt das Deutsche mit den Habsburgern ein, die den Gebrauch der Muttersprache an Stelle des üblichen Lateins aus dem Südwesten mitbringen. So beginnen die ersten deutschen Urkunden in Wien 1281. In der Stadtkanzlei treten die lateinischen Urkunden zugunsten der deut-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schen ab 1294 zurück, um ab 1305 gänzlich den deutschen zu weichen (Luntz 1917, 26). Auch die Abfassung bürgerlicher Testamente erfolgt ab dieser Zeit nur mehr auf Deutsch. Anders verhält sich die Herzogs- bzw. Königskanzlei, in der lateinische und deutsche Urkunden mit deutlicher funktionaler Trennung je nach Empfänger nebeneinander stehen. So urkundet Friedrich der Schöne (1308⫺30) als deutscher Gegenkönig gegen Ludwig den Bayern in den Jahren 1314⫺25 in Reichsangelegenheiten, für Personen nicht deutscher Muttersprache, für Adelige aus mittel- und norddeutschen Gebieten sowie für Kirchen und Klöster vorwiegend lateinisch. Als österreichischer Herzog urkundet Friedrich bis 1325 unter Reichseinfluß für Männerklöster, kirchliche Institutionen und für Personen nichtdeutscher Muttersprache sowie bei Erneuerung älterer, in lateinischen Urkunden festgehaltener Privilegien für Städte ebenfalls meist lateinisch, geht aber dann für Männerklöster und kirchliche Institutionen zunehmend auf das Deutsche über, das er von Anfang an für Frauenklöster, für Städte in aktuellen Angelegenheiten und für österreichische Einzelpersonen gebraucht (Wiesinger 1977, 560ff.). Auch Friedrichs Nachfolger Herzog Albrecht II. der Weise (1330⫺58) verfährt meist noch so. Ab Rudolf IV. dem Stifter (1358⫺65) bleibt Latein als internationale Koine Persönlichkeiten und Institutionen nicht deutscher Muttersprache sowie besonderen Anlässen vorbehalten. So stellt Rudolf 1365 die Stiftungsurkunde der Universität Wien sowohl in lateinischer als auch in deutscher Fassung aus. Soweit lückenhafte, meist als ungedruckte Prüfungsarbeiten durchgeführte Untersuchungen der Urkundensprache vorliegen, wobei fördernde historische Untersuchungen des Kanzleiwesens leider weitgehend fehlen, zeichnen sich im 13./14. Jh. folgende Verhältnisse ab (Pratscher 1982, Wiesinger 1977, F. Ernst 1973, Kommer 1974; P. Ernst 1994, 1995; Wiesinger 1971, Egert 1974, Bujssen 1966, Pack-Jung 1986, Baptist-Hlawatsch 1980, Nimmervoll 1973, Sima 1973, Greylinger 1975, Wollinger 1975). Auffällig ist, daß sich in der Graphemik die städtischen Ratsurkunden von den Herzogs- bzw. Königsurkunden in bestimmten Teilbereichen unterscheiden, was auf unterschiedliche Herkunft der anonymen Schreiber zurückzuführen ist. So gibt es in der Herzogskanzlei bis in die Zeit Friedrichs des Schönen (1308⫺30) neben bairischen Urkunden auch alemannische von

Schreibern aus den Vorlanden sowie bairischalemannisch gemischtsprachige Urkunden. Bei letzteren kann es sich einerseits um echt alemannische Züge handeln wie *pf + statt *ph+ und und *k+ statt *ch+ sowie die dreifache Differenzierung von mhd. ü, uo, üe als e e *u´+ : *u˚+ : *u+ gegenüber einheitlichem *u+ bei Umlautbezeichnung von mhd. ü oder, wenn diese fehlt, mit *u+ für mhd. ü. Andererseits können ältere bairische Schreibtraditionen nachwirken, so daß Pseudo-Alemannismen zustande kommen, wie monographisches *i+ ⫺ *u+ für mhd. ˆı ⫺ uˆ statt *ei+ ⫺ *ou+, die Bewahrung von *iu+ für mhd. üˆ und iu statt *eu+, *ei+ ⫺ *ou+ für mhd. ei1 ⫺ ou statt *ai+ ⫺ *au+ und die Differenzierung e von mhd. uo ⫺ üe als *u˚+ : *u+ statt einheitlie e chem *u+/*ue+ oder getrenntem *ue+ : *ue+. Die Aufgabe der Monographe für längst diphthongiertes mhd. ˆı ⫺ uˆ ⫺ üˆ erfolgt gegen 1310, doch halten sich vereinzelte Monographe bis um 1350. Auffällig ist dann die häufige Differenzierung von mhd. uˆ als *au+ gegenüber dem Alemannismus *ou+ für mhd. ou, der sich durchschnittlich bis um 1375 hält, jedoch in einzelnen Kanzleiwerken wie etwa dem Lehenbuch Albrechts III. von 1380⫺95 wohl durch ältere Schreiber noch länger. Er hat im Gesprochenen keine Grundlage. Demgegenüber sind die städtischen Ratsurkunden von Anfang an bairisch. Sie geben die alten Monographe *i+ ⫺ *u+ für mhd. ˆı ⫺ uˆ noch vor 1300 zunächst vorübergehend zugunsten von *ei+ : *ou+ wie für mhd. ei1 ⫺ ou und bald zugunsten von *ei+ : *au+ auf, wobei für mhd. ei1 - ou gleichzeitig *ai+ ⫺ *au+ eintreten, so daß mhd. uˆ und ou stets in *au+ zusammenfallen. Beiden Kanzleien gemeinsam sind überwiegendes *p+ neben seltenerem b für mhd. *b+ im Anlaut, *ph+ für mhd. pf sowie anlautendes *ch+ und in- und auslautendes *kch+ für mhd. k und ck. Erst um 1350 beginnt im Anlaut *k+ aufzutreten, das sich unterschiedlich durchsetzt. Während die Herzogskanzlei schon ab etwa 1370 zunehmend *k+ schreibt, wechselt es in der Stadtkanzlei noch nach 1400 mit *ch+. So verwendet etwa ein anonymer Urkundenschreiber 1428 noch ausschließlich *ch+, während ein anderer 1435 im „Eisenbuch“ *k+ bevorzugt. Dagegen verbleibt im In- und Auslaut weiterhin *kch+ oder neuerdings auch *ckh+, das nur nach Konsonant teilweise mit *k+ wechselt. Um 1310/20 beginnt im Auslaut überall die Verwechslung von *s+ und *z+, die dann mit *ss+ auch auf die Ge-

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien

minata *zz+ übergreift und um 1420 die Oberhand gewinnt. Was gegenüber hauptsächlich in Klöstern geschriebenen Texten und Urkunden auffällt, sind schreibsoziologische Differenzierungen, indem dort mittelbairisch-dialektale Einflüsse der gesprochenen Sprache ihren Niederschlag finden, so daß diesbezüglich eine „bairischdialektale“ Schreibform gegenüber einer „bairisch-neutralen“ der Stadt- und Herzogskanzlei vorliegt (Wiesinger 1971, 377ff.). Letzterer schließen sich namentlich bekannte Universitätsangehörige aus anderen Dialekträumen an, wie um 1390 der Schwabe Johannes Hochstetter von Nördlingen und um 1400 der Hesse Johannes Albrand von Sontra, doch gibt es umgekehrt für den Hof bestimmte Texte mit „dialektalen“ Eigenheiten. Hauptsächliche Unterschiede betreffen mhd. oˆ und mhd. o vor r, h, n, m als *a+ : *o+, teilweise *o+ : *a+ für mhd. aˆ und a, Unterlassung der Umlautbezeichnungen gegenüber Durchführung (obwohl dies auch in den Urkunden schwankt), Trennung von mhd. üˆ e und bair.-mhd. iu als *au+ : *eu+, Wiedergabe von Sproßvokalen gegenüber deren Unterdrückung, Vertauschbarkeit von *w+ und *b+ für mhd. w, inlautendes mhd. b und das Präfix be- gegenüber deutlicher Unterscheidung. Wahrscheinlich spiegeln sich in beiden Schreibformen Herkunfts- und Bildungsunterschiede der Schreiber. So war die Mitgliedschaft im Stadtrat bis 1396 den Patriziern vorbehalten und verfügte auch der Hof wohl über gut geschulte Schreiber, während sich die Klosterinsassen aus den niedrigeren und weniger gebildeten städtischen und auch ländlichen Schichten rekrutierten, so daß sich etwa Albrecht III. veranlaßt sah, 1385 für die Zisterzienser das eigene Bildungskolleg St. Niklas zu gründen. An weiteren gemeinsamen, auch im 15. Jh. geltenden bairischen Schreibeigenheiten seien noch genannt das Fehlen jeglicher Bezeichnungen von Vokaldehnungen, häufige Diphthongbezeichnung von mhd. i ⫺ u ⫺ ü vor r als *i+/*ie+ ⫺ *u+/*ue+ wie für mhd. ie ⫺ uo ⫺ üe, eu für bair.-mhd. iu, Beibehaltung der Geminaten *ff +, *zz+, *tt+ auch nach Langvokalen und Diphthongen und Bewahrung von anlautendem *s+ vor n, m, l, w. Aus der Morphologie seien erwähnt -ent für die 3. Person. plur. ind. praes. und -und für das Part. praes. sowie die Formen deu, seu und die Adjektivendung -eu neben der Abschwächung zu -e für mhd. diu, siu, -iu. Die e-Apokope tritt beim Substantiv, soweit die mhd.

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Deklinationsverhältnisse fortbestehen, zwar von Anfang an auf, doch begegnet daneben auch immer wieder e-Erhaltung. Das Superlativsuffix lautet -ist und das Abstraktsuffix -nus. Daß der Wortschatz bairisch ist und die bairischen Kennwörter auftreten, wie er(i)chtag ‘Dienstag’, phinztag ‘Donnerstag’, vaschang ‘Fasching’, maut ‘Maut, Zoll’, tenk ‘link’, versteht sich. Was Syntax und Stil des von Universität und Herzogshof geförderten, um 1380 beginnenden Übersetzungsschrifttums aus dem Lateinischen betrifft, gibt es die beiden Richtungen der gemainen deutsch und der aigen deutsch (Hohmann 1977, 258ff.). Während die eine eine freie, dem deutschen Satzbau folgende und dadurch allgemein verständliche Übertragung darstellt, folgt die andere als ziemlich wortgetreue Übersetzung der Vorlage und ahmt in verständnishemmender Weise spezifische lateinische Konstruktionen wie Partizipialkonstruktionen, ACI und Ablativus absolutus nach (Kellermann 1975). Schließlich muß noch vermerkt werden, daß die kanzleisprachlichen Verhältnisse von Kaiser Friedrich III. und Kaiser Maximilian I. zwischen 1440 und 1519, wie sie von Noordijk (1925) und Moser (1977) untersucht wurden, für Wien nicht charakteristisch sind. Unter Friedrich III. waren die Agenden weitgehend zwischen der Reichs- und der Herzogskanzlei für das Reich und die österreichischen Erbländer aufgeteilt, wobei sich deren Sitze längere Zeit in des Kaisers damals steirischer Lieblingsstadt Wiener Neustadt befanden. Das Personal der Reichskanzlei wurde zunächst von Kaiser Sigismund aus Prag übernommen, während die Herzogskanzlei sich aus der innerösterreichischen Steiermark rekrutierte, wozu in beiden Fällen Absolventen der Wiener Universität hinzutraten. Sprachlich bedeutet dies neben Stükken fremder Herkunft zwar hauptsächlich bairisches Gepräge, doch auch fremde Einflüsse, wobei Noordijk (1925) die Urkunden leider nicht einzeln, sondern nach bestimmten Merkmalen global untersucht hat. Sehr kompliziert gestalteten sich die Kanzleiverhältnisse unter Maximilian I. Er unterhielt zunächst als römischer König von 1486⫺90 eine einheitliche Kanzlei, die mit westmitteldeutschem Personal des Mainzer Erzkanzlers durchsetzt war. Mit der Übernahme der Erbländer richtete Maximilian I. 1490 für deren allgemeine Belange die Hofkanzlei und für die besonderen Kompetenzen des Westens in Innsbruck die Tirolische und

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

des Ostens in Wien die (Nieder-)Österreichische Kanzlei ein. Nach dem Tode Friedrichs III. kam es von 1494⫺1502 für die Reichsangelegenheiten zu einer eigenen Reichskanzlei, deren Agenden dann von der Hofkanzlei übernommen wurden. Was die Zeitgenossen (wie etwa Luther) und die Germanistik unter der „kaiserlichen Kanzlei Maximilians“ verstehen, war die Hofkanzlei, deren Sprache Moser (1977) untersucht hat. Sprachlich nicht untersucht ist dagegen die in Wien befindliche (Nieder-)Österreichische Kanzlei, die mit der Stadtkanzlei zu vergleichen wäre, wobei auf Schreibtraditionen, Neuerungen und Einflüsse der bedeutsamen Hofkanzlei zu achten wäre. Eine aus der Hofkanzlei, wohl über Tiroler Schreiber eindringende Erscheinung ist zuweilen anlautendes kh statt k und häufiges ckh im In- und Auslaut, die dann in Wien ab 1525 aufgegriffen werden.

5.

Geschichte und Sprache Wiens in der jüngeren frühneuhochdeutschen Zeit (Anfang 16.⫺Mitte 18. Jh.)

5.1. Zur Geschichte Durch die Heiratspolitik Kaiser Maximilians I. war es für die Habsburger gelungen, Burgund und über die Gemahlin seines Sohnes Philipps des Schönen Spanien zu gewinnen. So regierte Philipps Sohn als Karl I. von Spanien und als Kaiser Karl V. (1519⫺56) zwar über ein Weltreich, in dem „die Sonne nicht unterging“, war aber nicht in der Lage, sich näher um die österreichischen Erbländer und Wien zu kümmern. So übertrug er diese 1521/ 22 seinem Bruder und nachfolgendem König und Kaiser Ferdinand I. (1531/56⫺64). Diesem fielen 1526 nach dem Tod des in der Türkenschlacht von Moha´cs gefallenen ungarischen Königs Ludwigs II. auf Grund der Erbverträge von 1515 auch die Kronen von Böhmen und Ungarn zu, womit die Grundlagen einer fast 400-jährigen österreichischen Habsburgermonarchie geschaffen wurden. Ferdinand I. machte Wien zur kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt, die sie bis auf die Unterbrechung unter Rudolf II. (1576⫺1612) fortan auch blieb. Spanisch erzogen führte Ferdinand I. nicht nur das spanische Hofzeremoniell ein, sondern begründete nach burgundisch-spanischem Vorbild auch eine absolutistische zentrale Regierungs- und Verwaltungsform. So siedelte sich in Wien als dem natürlichen geographischen Mittelpunkt des neuen Großreiches nicht nur allmählich der

Adel der Kronländer und eine weitläufige Beamtenschaft an, sondern Ferdinand I. erließ auch in Fortführung der Ansätze seines Großvaters Maximilian I. 1526 ein strenges Stadtrecht, das dem Landesfürsten alle Macht einräumte und den Stadtrat mit dem Bürgermeister fortan zu seinen Vollzugsorganen machte. Trotz des Aufstiegs als Kaiserstadt war das ganze 16. Jh. von verschiedenen Schwierigkeiten geprägt. Nicht nur daß die Stadt 1527 zu einem Drittel Opfer eines Großbrandes wurde und 1529 die Türken nach der Einnahme Ungarns allerdings erfolglos auch Wien belagerten, faßte schon bald nach 1517 der Protestantismus Fuß. Zwar schritt bereits 1523 Ferdinand I. dagegen ein, wurde 1528 der Druck protestantischer Bücher verboten und in Verbindung mit der Universität eine Zensurkommission eingerichtet, doch waren das rasche Vordringen der neuen Lehre und der Zulauf von Adel und Bürgertum nicht aufzuhalten. Da um 1550 vier Fünftel der Bevölkerung bereits evangelisch waren, berief Ferdinand I. 1551 den Reformorden der Jesuiten, denen er die Universität übertrug, und ernannte 1552 Petrus Canisius zum Hofprediger und Leiter der Gegenreformation. Anfangs kaum erfolgreich, zumal Maximilian II. (1562⫺76) der neuen Lehre zugetan war, begann der Kampf gegen die Protestanten erst unter dem in Spanien streng katholisch erzogenen Erzherzog Ernst (1576⫺90) als dem von Kaiser Rudolf II. eingesetzten öst. Landverweser ab 1580 zu greifen. Die gegenreformatorische Führung übernahm damals der zum Katholizismus konvertierte anfängliche Lutheraner und schließliche Bischof und Kardinal von Wien Melchior Khlesl (1553⫺ 1630) als Offizial und Generalvikar des Bischofs von Passau für Niederösterreich sowie als Kanzler der Universität, der rigoros einzuschreiten begann, indem er die protestantischen Bethäuser schließen und die Rechte protestantischer Bürger einschränken ließ. So war schon zu Beginn des 17. Jhs. der größte Teil der Bevölkerung in den nieder- und oberöst. Städten, Märkten und verkehrsoffenen Landgebieten zumindest äußerlich zum Katholizismus zurückgekehrt. Zur inneren Umkehr und Glaubensstärkung begann nun Khlesl eine „Klosteroffensive“, indem er dann besonders unterstützt von Erzherzog bzw. Kaiser Matthias (1590/1612⫺19), dessen Regierungsgeschäfte er praktisch führte, sowie von Kaiser Ferdinand II. (1619⫺37) in Wien nicht weniger als 11 Ordensgemein-

164. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte V: Wien

schaften neu oder wieder zur seelsorglichen Betreuung ansiedelte. Zugleich wurde den Jesuiten die Leitung und Kontrolle des gesamten Schul- und Bildungswesens eingeräumt. Ordensgeistlichkeit, Jesuiten-Universität und neuer katholischer Adel ⫺ der protestantisch bleibende wurde wie die resistenten Bauern von Kaiser Ferdinand II. des Landes verwiesen ⫺ prägten auf der einen Seite die Stadt und leiteten die Barockkultur mit katholischem Predigtdruck, Jesuitentheater, Musikund Opernaufführungen, neuem oder umgestaltendem Kirchenbau und Adelspalästen ein, wobei vor allem italienische Musiker und Baumeister Einzug hielten. Besonders gefördert wurde das Ital. durch den musisch begabten Kaiser Ferdinand III. (1637⫺57), der selbst komponierte und ital. dichtete und darin unterstützt wurde durch seine ihm 1651 angetraute 3. Gemahlin Eleonore von Gonzaga aus Mantua, die die von Ferdinand gegründete künstlerische ital. Akademie bis zu ihrem Tod 1686 weiterführte. Auf der anderen Seite stand ein rechtloses, verarmtes Bürgertum, das hauptsächlich dem Handwerk und dem Dienstgewerbe bei den „Herren“ nachging und die bisherige landwirtschaftliche Tätigkeit nun den Vororten der Umgebung überließ, so daß Wien um 1660 aufhörte, eine „Ackerbürgerstadt“ zu sein. Größte Not ergriff die Stadt, als 1679 eine verheerende Pestepidemie ausbrach und einen Großteil der Bevölkerung dahinraffte und 1683 erneut die Türken vordrangen, um im Bündnis mit Frankreich mit Wien auch das Kaisertum zu stürzen. Damals trat nicht nur der aufrüttelnde Predigermönch Abraham a Sancta Clara nachdrücklich auf, sondern auf Betreiben von Kaiser Leopold I. und Papst Innozenz XI. vereinigten sich die katholischen Heere des Reiches und besiegten unter Führung des Polenkönigs Jan Sobieski und des Herzogs Karl von Lothringen die islamische Gefahr. In der Folge gelang es dem kaiserlichen Heer unter Prinz Eugen von Savoyen, sukzessive Ungarn zurückzuerobern und die habsburgische Hausmacht zu festigen. Nach dem Türkensieg von 1683 nahm die Stadt unter den Kaisern Leopold I. (1658⫺ 1705), Joseph I. (1705⫺11) und Karl VI. (1711⫺40) großen Aufschwung und entfaltete sich die barocke Hochblüte. So entstanden in der Stadt und in den im Türkenkrieg niedergebrannten, nun wiederaufzubauenden Vorstädten zahlreiche, heute noch das Stadtbild prägende hochbarocke Bauwerke durch

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nun meist heimische Baumeister, Maler und Bildhauer, wie die Nationalbibliothek, die Peters- und die Karlskirche und die vielen Stadt- und Gartenpalais wie Kinsky, Liechtenstein, Trautson, Auersperg, Schwarzenberg und neben dem Stadtpalais vor allem das zweiteilige Prunkschloß Belvedere des Prinzen Eugen. Eher bescheiden fiel die kaiserliche Sommerresidenz Schönbrunn aus. Erfreute sich der Adel an den italienischen Opern und Musikwerken, so vergnügten sich die Bürger an der Volkskomödie mit dem Hanswurst, den Joseph Anton Stranitzky (1676⫺1726) 1710 eingeführt hatte. Auch die Bürger konnten nach dem Türkenkrieg ihre wirtschaftliche Lage verbessern. Nicht nur daß die rege Bautätigkeit zahlreichen Handwerkern Arbeit und größeren Verdienst bescherte, entstanden zwischen 1700 und 1730 auch Textil- und Seidenmanufakturen. Ihre Gewinne streiften allerdings die ausländischen Besitzer ein, weil die alten Zunftordnungen, die erst von Karl VI. allmählich gelockert wurden, den neuen Entwicklungen hinderlich waren. Durch die Wiedergewinnung Ungarns entwickelten sich erneut Handelsbeziehungen mit dem Osten, so daß wieder ein bescheidener Kaufmannsstand entstand. Wie groß der wirtschaftliche Aufschwung war, zeigt ein Vergleich der Zahl der Handwerker, die sich von ca. 5.500 im Jahr 1674 auf ca. 11.000 im Jahr 1736 verdoppelten. Auch die Bevölkerung nahm in der 1. Hälfte des 18. Jhs. durch mehr Geburten stark zu, indem die Stadt mit den Vorstädten um 1700 ca. 80.000, nach der Volkszählung von 1759 aber bereits 175.460 Einwohner hatte. Ihre Bleibe fand sie nicht nur in den Vorstädten, sondern auch in den nun auf drei bis vier Stockwerke aufgestockten Häusern der Stadt selbst. 5.2. Zur Sprache Obwohl Steinhauser (1952, 163) für die Zeit des 16.⫺18. Jhs. ein Reformations- oder Predigtwienerisch und ein Barock- oder Prunkwienerisch ansetzt, liefert das auf solche Weise stilistisch charakterisierte Schrifttum in damaliger Schriftsprache höchstens indirekte Einblicke in die Mündlichkeit und das am ehesten noch durch den lokalen Wortschatz. Was die gesprochene Sprache betrifft, so herrscht bei der heimischen Bevölkerung zweifellos in allen Schichten als Alltagssprache der Dialekt, denn dies wird noch um 1740/50 von den ersten Sprachpflegern vor allem bei den Gebildeten und den Damen der

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

höheren Gesellschaft beklagt. In lautlicher Hinsicht hat sich zweifellos die spätmittelalterliche Herrensprache in Verbindung mit dem Landdialekt allgemein durchgesetzt. Das zeigen um die Mitte des 16. Jhs. die gereimten epischen Dichtungen und biblischen Schuldramen des aus Kemnat in der bayerischen Oberpfalz stammenden Wolfgang Schmeltzl (ca. 1500⫺60), der von 1540⫺53 Schulmeister am Schottenstift war. So reimt er mit charakteristischem Wiener Lautstand mhd. oˆ : aˆ als [oo˛¯ ], mhd. ei1 : ou als [a¯], dem sich mhd. ei1 : ˆı, ou : uˆ und bei allgemeiner Umlautentrundung mhd. ˆı : üˆ, ˆı : öü, ei1 : üˆ ebenfalls als [a¯] anschließen. Sind Reime wie mhd. o : a vor n und r als [o˛], die besonders mit mhd. i : ü vertretene Umlautentrundung und die auf [a¯] verweisenden optischen Reime von mhd. ae : a, aˆ allgemein bairisch, so zeigen sich auch ländlich-städtische Mischungen bzw. Schichtdifferenzierungen, wenn z. B. für ‘kommen’ im Reim teils kemen und teils kumen steht, wobei sich letzteres in der Stadt durchgesetzt hat. Auch ein Großteil seit dem 2. Drittel des 16. Jhs. erhaltener privater Briefe adeliger Damen spiegelt in ihrer dialektabhängigen Graphemik mit phonetischen Direktanzeigen und Hyperkorrektismen und in ihrer oft der Mündlichkeit folgenden Syntax die gesprochene Herrensprache. Die geschriebene Sprache setzt vor allem in den an Umfang ständig zunehmenden, für eine breite Leserschaft bestimmten Drucken, wobei neben Reisebeschreibungen und Fachliteratur besonders die katholische Predigt hervortritt, grundsätzlich die bairisch-schreibsprachlichen Verhältnisse des Spätmittelalters um 1500 fort, gerät aber im Gefolge der Reformation zunehmend unter den Einfluß des Omd. als der Sprache des Protestantismus. Obwohl die einzelnen Drucke beim Gebrauch charakteristischer Erscheinungen schwanken, lassen sich trotzdem gewisse Entwicklungslinien feststellen. Der zulässige variable Schreibgebrauch wird einerseits sowohl auf die Autoren als auch auf die Setzer zurückgehen und andererseits auf fremden Einflüssen beruhen, denn weder die Autoren noch die Verleger und ihre Setzer stammten immer aus Wien und kannten vor allem ostmitteldeutsch-norddeutsches, zunächst reformatorisches Schrifttum bzw. dessen Schreibgewohnheiten. An charakteristischen Erscheinungen sind hauptsächlich zu nennen (Wiesinger 1987, 1999a; Roessler 1998):

Im Vokalismus wird zunächst am Gebrauch der oberdeutschen Diphthonge *ie+ : *ue+ für mhd. ie ⫺ uo festgehalten, die von *i+ : *u+ für mhd. Dehnungs-ı¯ ⫺ u¯ unterschieden werden. Da sich der anfängliche Verzicht auf Diakritika bald nach 1530 verliert, werden auch die Umlaute mit übergesetztem e bezeichnet, so daß auch mhd. üe e e und Dehnungs-ü¯ als *ue+ und *u+ unterschieden werden können. Wird aber der Diphthong bloß diakritisch angezeigt, gilt in beiden Fällen wie auch für mhd. uo einheitlie ches *u+. Die Diphthongbezeichnung läßt aber unter ostmitteldeutschem Einfluß schon in der 2. Hälfte des 16. Jhs. nach und wird im 17. Jh. selten. Nur vereinzelt begegnen nach mitteldeutschem Vorbild *ie+ und *ih+ für mhd. Dehnungs-ı¯. Umlaute fehlen in oberdeutscher Weise bei *u+ vor Velaren (zuruck, Stuck) und bei *au+ vor Labialen (glaubig, raumen). Mit *ei+ und *ai+ werden mhd. ˆı und ei1 deutlich auseinander gehalten, doch dringen schon ab etwa 1530 einzelne *ei+ ein, wobei vom unbestimmten Artikel ein und seiner Negierung kein sowie von heilig und Geist abzusehen ist. Erst ab der Mitte des 17. Jhs. geht *ai+ stark zugunsten von *ei+ zurück, so daß dann die Unterscheidung zweier Diphthonge fällt. Vor Nasal bleiben *u+ und e *u+ für mhd. u und ü bis über die Mitte des 17. Jhs. weitgehend erhalten (Sun, sunder, e e Kunig, kunnen), wenn auch schon ab 1530 e einzelne *o+ und *o+ vorkommen. Im Konsonantismus tritt das anlautende *p+ ab 1560 zugunsten von *b+ zurück, und die Affrikata *ph+ ist schon seit 1525 durch *pf' + ersetzt worden, weil *ph+ nun unter humanistischem Einfluß für griechisch-lateinische Entlehnungen benötigt wird. Solcher Einfluß führt auch zum zunehmenden Gebrauch von anlautendem *th+ in deutschen Wörtern, besonders in *thuen+ und *Thail+. Was das mhd. k betrifft, so schwankt der Gebrauch, indem anlautend zwar weitgehend *k+ und in- und auslautend neben entsprechendem *ck+ auch noch *kh+ und *ckh+ begegnen. Es gibt aber bis in die 1. Hälfte des 17. Jhs. durchaus Drucke, die im Anlaut neben *k+ auch *kh+ verwenden. Hingegen weicht das anlautende *s+ vor l, m, n, w schon ab 1520 völlig dem sch. Was in der Morphologie das im Mündlichen apokopierte -e betrifft, wird es unter ostmitteldeutschem Einfluß im Nominativ und Akkusativ plur. der starken Maskulina und Feminina zwar vereinzelt gebraucht, nimmt aber nur im Singular der Feminina ab der Mitte des 17. Jhs. und besonders in der

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ersten Hälfte des 18. Jh. deutlich zu. Es fehlt gänzlich im Dativ sing. der starken Maskulina und Neutra und im Nominativ sing. der schwachen Maskulina. Umgekehrt erhalten hyperkorrektes -e der Artikel deme und die im Casus oft verwechselten Personalpronomina ihme und ihne. Im Präteritum, das als Erzählzeit nie schwindet, aber erst im 17. Jh. wieder stärker an die Stelle des der Mündlichkeit entsprechenden Perfekts tritt, erhält die 1. und 3. Person sing. starker Verben dann ebenfalls häufig hyperkorrektes -e. Das Hilfszeitwort ‘sein’ lautet in der 3. Person plur. praes. wechselnd seynd und seyn, im Präteritum weicht was der 1. und 3. Person sing. schon im 2. Drittel des 16. Jhs. war. Während das Abstraktsuffix -nuß/-nus feste bleibt, wobei teilweise vorkommendes -nuß/e nus wegen der Umlautentrundung Kompromißschreibung zu omd. -nis sein dürfte, geht die Negation nit schon Anfang des 17. Jhs zugunsten von nicht zurück. Syntaktisch bildet sich im 17. Jh. besonders in der reichlichen Predigtliteratur ein der Zeit entsprechender, auch unter rhetorischen Einflüssen stehender komplizierter Satzbau, wie er im mündlichen Vortrag wegen der schweren Verständlichkeit kaum angewandt worden sein wird (Brooks 1998). Ist das eine allgemeine Zeiterscheinung, so gibt es doch auch Einzelheiten, bei denen sich das Bair.-Obd. vom Omd. unterscheidet (vgl. Art. 196, 5.3.3.). Im Wortschatz werden weiterhin bodenständige Ausdrücke verwendet. So kommen z. B. in den Predigten des gebürtigen Wieners Johann Ernst von Jamaigne (1648⫺1719) um 1690 vor: Kuchel-Magd ‘Küchenmagd’, Harpfenschlager ‘Harfenspieler’, (Augen-)Winkker ‘Blick’, Amper ‘Eimer’, Metzen ‘Scheffel’, Geyß ‘Ziege’, büllen ‘brüllen’ (von Ochsen). Echt ma. Wortgut begegnet erst zu Beginn des 18. Jhs. bei der Figur des Hanswurst in den Haupt- und Staatsaktionen Johann Anton Stranitzkys, z. B. anbrennt, ‘geistesschwach’, auf die Letzt ‘zuletzt’, bicken ‘kleben’, brocken ‘pflücken’, Busserl ‘Kuß’, Drutscherl ‘dickes Mädchen’, gschnäpig ‘keck’, kiefeln ‘nagen’, Kirtag ‘Kirchweihfest’, Nachtscherm ‘Nachttopf’, schleußig ‘abgenutzt’, Tegel ‘Tiegel’, Wäsl ‘schüchterner Mensch’ (Wölfel 1963). Aus der Kanzleisprache stammen die Wortformen dahero, fürohin, deroselben. Bezüglich Fremdwörter weist schon 1548 Wolfgang Schmelzl in seinem „Lobspruch der Stadt Wien“ darauf hin, daß durch Handelsbeziehungen eine Menge Fremdsprachen zu hören sind. Während frz.

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Fremdwörter eine allgemeine Zeiterscheinung sind ⫺ sie begegnen kaum in der Predigtliteratur, wohl aber zahlreich bei Stranitzky ⫺, machen sich durch die starke Präsenz von Italienern besonders im Zusammenhang mit Kaiserin Eleonore von Gonzaga auch ital. Fremdwörter bemerkbar. So kommen bei Stranitzky u. a. vor: Fazonettl ‘Taschentuch’ (⬍ fazzoletto), Credenz ‘Anrichte’ (⬍ credenza), Capriol ‘Luftsprung’ (⬍ caprio`la), strapaziren ‘anstrengen’ (⬍ strappazare), piano ‘leise’. Obwohl sich ab 1520/30 zunächst durch die Reformation, dann aber durch weitere Beziehungen omd.-nordd. Einflüsse bemerkbar machen, bildet sich also im Gegensatz zu der von Luther formierten „protestantischen“ ostmitteldeutschen Schriftsprache im Süden durch die Gegenreformation eine bairisch geprägte, mit der Mündlichkeit in Verbindung stehende „katholische“ oberdeutsche Schriftsprache heraus (Wiesinger 2000). Der Gegensatz wird besonders nach der Durchsetzung der Gegenreformation in der Zeit von 1620⫺60 mit der neuerlichen Zunahme bair.-obd. Schreibeigenheiten deutlich, so daß die Schriftsprache konfessionalisiert wird. Ihre obd. Form bleibt bis 1750 in Gebrauch, wenn auch ihre Eigenheiten seit der 2. Hälfte des 17. Jhs. teilweise zugunsten des omd.-nordd. Usus zurückgehen.

6.

Geschichte und Sprache Wiens in der neuhochdeutschen Zeit (seit der 2. Hälfte des 18. Jhs.)

Ab der Mitte des 18. Jhs. setzt in Wien ein breites volkstümliches, zum Teil auch im Schriftbild der Mundart angenähertes Schrifttum ein, und ab etwa 1810 beginnen erste Wortschatzsammlungen und Dialektcharakterisierungen, ehe Ende des 19. Jhs. erste sprachwissenschaftliche Untersuchungen des Dialekts erfolgen. Anhand dieser Quellen hat Walter Steinhauser (1952) in Verbindung mit den Geschichtsabläufen eine Einteilung der Mundartentwicklung versucht, die er zeitlich an die Regierungszeiten der Kaiser und dann an die Republik bindet. Obwohl wir dieser Einteilung folgen, beziehen wir aber auch die Entwicklung der Schriftsprache ein. 6.1. Die Zeit Kaiserin Maria Theresias (1740⫺80) und Kaiser Josephs II. (1780⫺90) Hatte in den protestantischen Gebieten Mittel- und Norddeutschlands die sich seit dem ausgehenden 17. Jh. entwickelnde Aufklä-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

rung geistige, kulturelle und wirtschaftliche Neuerungen und Fortschritte gebracht, so begannen um 1730/40 progressiv eingestellte Persönlichkeiten die vergleichsweise konservativen Verhältnisse des katholischen Südens als Rückständigkeit zu erkennen und zu beklagen. Als die junge Maria Theresia 1740 nicht unumstritten die Herrschaft antrat und sogleich von Friedrich dem Großen von Preußen in Krieg verwickelt wurde, was Österreich nach rund 220-jähriger Zugehörigkeit um Schlesien brachte, umgab sie sich nicht nur mit den hervorragendsten Persönlichkeiten ihrer Länder, sondern leitete durch zahlreiche Reformen vielfältige Erneuerungen ein. Im Sinne der Aufklärung waren sie auf das Gemeinwohl der Untertanen ausgerichtet, was man mit dem Schlagwort Glückseligkeit zu benennen pflegte. In sprachlicher Hinsicht gehören dazu die Reformen der Schriftsprache und des Schulwesens (Wiesinger 1995). Die schriftsprachliche Erneuerung erfolgte nach ersten Anfängen durch Johann Balthasar von Antesperg (1682⫺1763; Wiesinger 1997; 1997 a, 728ff.; 1999 b; Roessler 1997) ab 1750 mit der Errichtung einer Professur für deutsche Beredsamkeit und der Aufnahme von Deutschunterricht in Form von Grammatik und syntaktisch-stilistischer Unterweisung im Verfassen von Briefen und Amtspapieren an der vier Jahre zuvor von der Kaiserin gegründeten Theresianischen Akademie zur Ausbildung der jungen Adeligen aus allen Ländern für die Verwaltungslaufbahn. Unterrichtet wurde nach den grammatischen Regeln von Johann Christoph Gottscheds (1700⫺66) epochemachender „Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst“ von 1748 und syntaktisch-stilistisch nach den Empfehlungen in dessen „Ausführlicher Redekunst“, deren 4. Auflage von 1750 Gottsched dem jungen Kaisersohn Joseph gewidmet hatte. Überhaupt wurde die Reform von Gottscheds Bestrebungen einer Vereinheitlichung und Erneuerung der deutschen Schriftsprache getragen. Ziel war eine klare ⫺ man sagte reine ⫺ grammatisch genormte und syntaktisch-stilistisch einfache, wohlverständliche Ausdrucksweise unter der aufklärerischen Prämisse, daß eine geregelte, logisch geschärfte Sprache das Denken fördere und dadurch geistig-kultureller Fortschritt zunächst in der Wissenschaft erreicht werden könne, um dann durch praktische Umsetzung das Gemeinwohl zu heben und zu verbessern, wie es Johann Heinrich Gottlob Ju-

sti, der erste Professor der Beredsamkeit am Theresianum, auch 1751 in seiner Antrittsvorlesung vortrug (Wiesinger 1997 a, 733ff.). Maria Theresia errichtete im selben Sinn nicht nur 1753 eine weitere solche Professur für deutsche Beredsamkeit an der Wiener Universität, die mit dem österreichischen Grammatiker Johann Siegmund Valentin Popowitsch besetzt wurde (Faninger 1996), sondern auch weitere Grammatiker wie Friedrich Wilhelm Gerlach und Franz Joseph Bob (Roessler 1997) waren auf dem Feld der Sprachpflege ebenso tätig wie der Jurist Joseph von Sonnenfels (Wiesinger 1997 a, 747ff.) und der Wochenschrift-Herausgeber Christian Gottlob Klemm. Besonders die praktische Anwendung der neuen Prinzipien in den seit 1762 erscheinenden Moralischen Wochenschriften und der sprachlich sorgfältige Buchdruck von Johann Thomas (von) Trattner übten große Wirkung aus und verhalfen zur allmählichen Durchsetzung der schriftsprachlichen Neuerungen. Daß die Umstellung, die ein Codewechsel war, nicht leicht fiel und auf Widerstand stieß, beweisen die sprachlichen Verhältnisse im Wiener Buchdruck der 60er Jahre (Wiesinger 1999 a). Ein nächster Schritt war dann die 1774/75 von der Kaiserin in Angriff genommene Schulreform mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Sie wurde geleitet von dem aus Schlesien dazu berufenen Pädagogen und Augustinerabt Johann Ignaz (von) Felbiger (1724⫺88). Felbiger verfaßte nicht nur ein pädagogisches Grundlagenwerk und leitete die Herstellung der Schulbücher, sondern er schrieb selbst auch die Schulgrammatik (Roessler 1997). Aufgebaut war der muttersprachliche Unterricht mit dem „ABC oder Namenbüchlein“, der „Anleitung zur deutschen Rechtschreibung“, der „Anleitung zur deutschen Sprachlehre“ und der „Anleitung zur Schreibart in Briefen, und einigen anderen Aufsätzen“ auf Orthographie, Grammatik und Stilistik. Die schon 1779 nach Gottscheds Grundsätzen „Verbesserte Sprachlehre“ wurde dann 1794 vor allem bezüglich des Gebrauchs von unbetontem e und weiteren grammatikalischen Regeln nach den Grundsätzen von Johann Christoph Adelung ausgerichtet. Die Schulreform trug wesentlich zu allgemeinen Schreib- und Lesekenntnissen bei und popularisierte die Schriftsprache in den sozial niedrigeren Schichten. Zur breiten Durchsetzung bedurfte es freilich auch noch der Regierungszeit des reformfreudigen Josephs II. als Nachfolger seiner Mut-

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ter. Unter seiner zentralistischen Herrschaft wurde nicht nur die deutsche Schriftsprache in die Kronländer getragen, sondern Joseph II. führte auch 1784 das Deutsche an Stelle des Lateins als Amtssprache in Ungarn ein und machte es 1783 zur Unterrichtssprache an der Wiener Universität. Diese war schon von Maria Theresia 1749 Reformen unterzogen und dem Staat unterstellt worden und der dadurch geschwächte Einfluß der Jesuiten schließlich 1773 mit der Aufhebung des Ordens ganz beendet worden. Was die soziolinguistischen Verhältnisse betrifft, war in Wien bis nach der Mitte des 18. Jhs., wie etwa die Klagen des ersten, seit 1734 hervortretenden Sprachpflegers und Grammatikers Johann Balthasar von Antesperg zeigen (Wiesinger 1995, 324ff.; 1997; 1997 a, 728ff.; 1999 b), der Dialekt die Alltagssprache aller Sozialschichten bis zum heimischen Adel. Von Maria Theresia ist bekannt, daß sie mit ihrem, des Deutschen nicht mächtigen Gemahl Franz Stephan von Lothringen, als Kaiser Franz I. (1745⫺65), französisch redete, im Familienkreis Wiener Stadtdialekt sprach und bei öffentlichen amtlichen Anlässen ein österreichisches, an der Lesesprache orientiertes Hochdeutsch gebrauchte. Jenes wurde auch in gebildeten Kreisen jüdischer Abkunft (wie von Joseph von Sonnenfels), in Gelehrtenkreisen und teilweise von Hofbeamten und Adeligen gesprochen, besonders wenn diese aus den fremdsprachigen Kronländern oder aus anderen deutschen Sprachlandschaften stammten. Aber noch in den 80er Jahren wurden die Damen der höheren Gesellschaft wegen unangemessenen Dialektsprechens getadelt, und es war damals noch durchaus selbstverständlich, daß die Geistlichkeit und das selbst in der Domkirche St. Stephan im Dialekt predigte. Dagegen opponierte nicht nur der Erzbischof, sondern mit Billigung Josephs II. unternahm der Literat und nachmalige Professor für deutsche Sprache Leopold Alois Hoffmann mit einer Gruppe von Mitarbeitern 1782/83 die kritische Beobachtung der Wiener Prediger sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht und veröffentlichte sie unter großem Zuspruch laufend in 9 Bänden als „Wöchentliche Wahrheiten für und über die Prediger in Wien". Was sich namentlich bei den Jüngeren allmählich ausbildete, war in der gehobenen Gesellschaft als Kompromiß zwischen Dialekt und Standardsprache die städtische Umgangssprache als neue Form der Alltagssprache. Hoffmann

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nannte und forderte sie 1790 als Sprache des Umgangs. Die von den gehobenen und gebildeten Kreisen getragene schriftsprachliche Reform löste teilweise nicht nur Kritik aus, sondern förderte das schon in der 1. Hälfte des 18. Jhs. einsetzende Mundartschrifttum in Form von Komödien, Liedern und Arien und schließlich auch in erzählender Briefform. Es ist allerdings weitgehend schriftsprachlich abgefaßt mit Einstreuung von verschriftlichten Dialektlautungen und Dialektausdrücken sowie teilweise deutlich erkennbarer dialektaler Syntax, so daß Steinhauser (1952) oftmals von „Halbmundart“ spricht. Seine Verfasser sind besonders Gottfried Prehauser (1699⫺ 1769), Joseph Felix von Kurz-Bernardon (1717⫺84) und Philipp Hafner (1731⫺64). Wegen ihrer teilweise stilistisch gezierten und syntaktisch umständlichen Ausdrucksweise charakterisiert Steinhauser (1952, 163) diese bis in die 70er Jahre reichende literarische Sprachform als rokokohaftes Schnörkelwienerisch. Nur wenige Werke wurden bisher sprachlich untersucht (L. Pokorny 1963, Till 1974). Natürlich gesprochener Dialekt wurde damals bloß gelegentlich verschriftlicht, so eine Dialektpredigt durch Hoffmann als abschreckendes Beispiel. Nach zeitgenössischen Schilderungen waren im Wien des 18. Jhs. als der Haupt- und Residenzstadt des weit nach Osten und Süden ausgedehnten habsburgischen Reiches, zu dem im Nordosten 1772 und 1777 noch Galizien und die Bukowina gekommen waren, als Fremdsprachen das Ungarische sowie slawische und romanische Idiome zu hören, wozu noch beim Adel das Französische als Sprache der Diplomatie und der galanten Konversation hinzutrat. So sprach Kaiser Franz Stephan von Lothringen und sein Gefolge nur frz. und gab es 1752⫺72 in Wien auch ein frz. Theater. In der Literatur setzen sich die schon bei Stranitzky am Jahrhundertanfang angetroffenen Fremdwortverhältnisse mit einem höheren frz. und einem geringeren ital. Anteil fort. Hinzu kommen einige jiddische Übernahmen. Obwohl sich einiges bis heute erhalten hat (Listberger 1967, Koller 2000), sind viele in der zeitgenössischen Literatur enthaltene Entlehnungen im Laufe des 19. Jhs. wieder verschwunden. Umgekehrt aber begann das Deutsche durch die Verwaltungszentralisierung Josephs II. sich nicht nur überall als Militär- und Amtssprache zu etablieren und wurde der Deutschunterricht gefördert, sondern kam es

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in den fremdsprachigen Kronländern auch zu zahlreichen Entlehnungen aus dem österreichischen Deutsch in umgangssprachlicher, von Wien geprägter Form (vgl. für Kroatien Häusler 1998, Z´epic´ 1998, Glovacki-Bernardi 1998, Pisˇkorec 1997). 6.2. Die Zeit Kaiser Franz II./I. (1792⫺1835) und Kaiser Ferdinands I. (1835⫺48) Die erste Hälfte der Regierungszeit von Kaiser Franz II./I. bis zum Wiener Kongreß von 1814/15 war von den Kriegen und Auseinandersetzungen mit Napoleon geprägt. Da sich Napoleon 1804 zum Kaiser von Frankreich krönte, sah sich Kaiser Franz im Gegenzug gezwungen, Österreich ebenfalls zum Kaisertum zu erheben und nannte sich Franz I. von Österreich. Zwei Jahre später legte er 1806 als Franz II. die römisch-deutsche Kaiserwürde nieder und beendete damit die über 1000jährige Geschichte des Hl. Römischen Reiches. Nach dem Wiener Kongreß erfolgte unter dem reaktionären Regime des Staatskanzlers Metternich mit verstärkter Zensur und ständiger polizeilicher Überwachung eine Zeit der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Stagnation mit dem starren Festhalten am Hergebrachten, die mit bewußter Behinderung bis Unterdrückung von allem Neuen zum Rückschritt führte. Bei Betonung des Kleinbürgerlichen spricht man von der Biedermeierzeit, deren spezieller künstlerischer Wiener Ausdruck die im Freundeskreis um den Komponisten Franz Schubert (1797⫺1828) veranstalteten Schubertiaden waren. Die höhere Gesellschaft traf sich in Salons, die meist von Damen geführt wurden und deren bekanntester jener von Karoline Pichler (1769⫺1843) war. Trotz seiner staatsmännischen Verdienste in der Außenpolitik mit der Wiederherstellung des politischen Gleichgewichts in Europa und der guten Positionierung Österreichs im Deutschen Bund aber konnte Metternich die dann besonders während der Regierung des schwächlichen Kaisers Ferdinand I. im Vormärz aufkommenden nationalen Verselbständigungsbestrebungen der einzelnen, in der Monarchie vereinigten Völker und die zunehmenden liberalen und demokratischen Strömungen nicht verhindern, die schließlich zur Revolution von 1848 und zum Zusammenbruch des Regimes führten. In wirtschaftlicher Hinsicht hatte Metternich durchaus die Bedeutung der aufkom-

menden Industrialisierung erkannt und die Gründung von Manufakturen und Fabriken zugelassen. Da er aber eine größere Ansammlung des sich durch Zugezogene vom Land bildenden Proletariats der meist ausgebeuteten und rechtlosen Arbeiterschaft und damit politische Unruhen verhindern wollte, wurden die neuen Betriebe und ihre Arbeitskräfte jenseits des Linienwalles, des heutigen Gürtels, in den zu neuen Vororten werdenden, bis dahin ländlichen Dörfern, das sind die heutigen Außenbezirke 10 bis 17, in neu errichteten Mietshäusern angesiedelt. Während Wien mit den Vorstädten 1800 bereits 231.000 Einwohner zählte, stieg die Einwohnerzahl mit den neuen Vororten innerhalb von 30 Jahren rapide auf 318.000 Einwohner an. In sprachlicher Hinsicht brachten die rund 60 Jahre seit dem ausgehenden 18. Jh. eine Festigung der schriftsprachlichen Normen, was vor allem durch den diesbezüglichen Einsatz der Lehrerschaft mit konstanten Sprachlehrbüchern von 1794 bis 1848 erzielt wurde. Waren 1794 die grammatischen Regeln von Gottscheds Nachfolger Johann Christoph Adelung (1732⫺1806) in die Schulgrammatik eingearbeitet worden, so wurden nun sowohl in orthographischer und grammatikalischer als auch in lexikalischer Hinsicht Adelungs Vorgaben in der 2. Auflage seines vierbändigen „Grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart“ (1793⫺1801) aufgegriffen. Es ist kein Zufall, daß Adelungs Wörterbuch 1807, 1808 und 1811 in großer Stückzahl in Wien neu aufgelegt wurde und bis 1826 in Wien mehrere verknappte Bearbeitungen und auch Adaptionen seiner weiteren orthographischen und grammatischen Nachschlagewerke entstanden (Wiesinger 1995, 343ff.). So wurde nicht nur Adelungs „Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung“ von 1788 als „Kleines Wörterbuch der Orthographie der Deutschen Sprache“ unter Auslassung der sich in Österreich anders regelnden Aussprache (Wiesinger 1993) seit 1795 zum Schulbuch, sondern eine andere, stets erweiterte Neubearbeitung als „Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch der deutschen Sprache“ von 1826 brachte es bis 1846 zu 5 Auflagen und wurde sogar noch 1876 nachgedruckt. Da Adelung vornehmlich den ostmitteldeutschen Wortschatz, der mehrfach im Widerspruch zum bairisch-österreichischen steht, zur Norm erhob, trat die Lehrerschaft für dessen schriftsprachliche Verwendung ein. Dies führte einerseits zu Auswüchsen, denen

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einzelne österreichische Sprachkritiker zurecht entgegentraten, bewirkte aber andererseits, daß einige damals eingeführte ostmitteldeutsch-norddeutsche Ausdrücke bis heute gegenüber bodenständigen als schriftspracheadäquater verwendet werden, wie z. B. nach Hause, zu Hause, statt heim, daheim. Was die Mündlichkeit betrifft, sprach zwar Kaiser Franz II./I. selber noch Wiener Dialekt, aber in dem sich seit der Zeit Josephs II. durch Zusammenwachsen des Großbürgertums und der Beamtenschaft neu gebildeten gehobenen Mittelstand begann sich die Umgangssprache zu etablieren. Damit aber wurde bei fließenden Übergängen der Dialekt zunehmend die Sprachform der kleinen Leute und der unteren Schicht des sich aus ländlicher Herkunft bildenden Arbeiterstandes. Das Altwienerische, wie Steinhauser (1952, 164) die Dialektperiode des ausgehenden 18. und der 1. Hälfte des 19. Jhs. bezeichnet, schlägt sich weiterhin besonders in den Komödien von Joachim Perinet (1763⫺1816), Franz Xaver Gewey (1764⫺1819), Joseph Ferdinand Kringsteiner (1775⫺1810), Joseph Alois Gleich (1772⫺1841), Karl Meisl (1775⫺1843), Adolf Bäuerle (1786⫺1859), Ferdinand Raimund (1790⫺1836), Johann Nestroy (1801⫺1862) und Friedrich Kaiser (1814⫺1874) nieder. Obwohl auf den Vorstadtbühnen der Leopoldstadt, Wieden und Josefstadt gespielt, sind sie größtenteils wieder in Schriftsprache mit eingestreuten Dialektwörtern und -phraseologismen abgefaßt (Zeeh 1963; Reutner 1997, 1998, 1998 a, b), lassen aber zunehmend an der Syntax stilistische Ausdrucksdifferenzierungen der handelnden Personen je nach Stand beobachten, indem vor allem bei den einfachen Leuten Mundart und bei gehobeneren Umgangssprache intendiert ist, was noch untersucht werden müßte. Hingegen sind die von Joseph Richter (1749⫺1813) und dann von Franz Xaver Gewey und Adolf Bäuerle betreuten, sehr erfolgreichen 4 Serien der „Briefe eines Eipeldauers“ von 1785⫺1821 sowie die ähnlichen „Hans Jörgel von Gumpoldskirchen"Serien von Johann Baptist Weis (1801⫺62) seit 1832 stark dem Dialekt angepaßt und müßten über den Wortschatz hinaus (Stöhr 1956) ebenfalls genauer untersucht werden. Alle diese Werke vermitteln in breiter Weise den inzwischen teilweise abgekommenen Altwiener Wortschatz. Dazu gehören weiterhin auch mehrere frz. und weniger ital. Fremdwörter. Jiddische Ausdrücke werden Juden in den Mund gelegt, wovon besonders Gleich

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Gebrauch macht, z. B. Herzleben ‘Herzliebchen’ mach, daß Chassene ‘Hochzeit’ bald sey; Gseres ‘Lärm’, meschigge ‘verrückt’, Ganef ‘Dieb’, Schägitzl ‘Lümmel’, bey meiner Schome ‘meiner Seel’ (⬍ bei mein Neschome), ich schlag dir eins auf’n Taches ‘Hintern’ (Reutner 1997, 86f., 125ff.). Bei Meisel kommen auch einige tschech. Entlehnungen vor wie pomali ‘langsam’ (⬍ poma´lu), karbatschen ‘prügeln’ (⬍ karabacˇ ‘Riemenpeitsche’), scherwenzeln ‘liebäugeln’ (⬍ cˇervenec ‘Herzbube’) und das schon seit dem Ende des 18. Jhs. bei Perinet und Gewey nachweisbare Rosomie ‘Verstand’ (⬍ rozumı´ ‘er versteht’), so daß diese Entlehnungen nicht erst auf die große tschech. Einwanderung der 2. Hälfte des 19. Jhs. zurückgehen (Reutner 1997, 136). Insgesamt zeigt das Altwienerische noch deutlich einen mit dem Landdialekt verbundenen Laut- und Formenstand sowie eine Menge von speziellen Dialektausdrücken. Wiener Wortschatz (einschließlich weiterer österr. Ausdrücke) wurde in größerem Umfang erstmals 1783 vom Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai (1733⫺1811) im 5. Band seiner „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“ als 75seitiger „Versuch eines österreichischen Idiotikons oder Verzeichnis österreichischer Provinzialwörter“ veröffentlicht. Nicolai, der sich als protestantischer Preuße zwar um Verständnis für den kulturell andersartigen katholischen Süden bemühte, stand jedoch dem bayr.-österr. Dialekt sehr distanziert gegenüber. Da er sich aber anfangs mit seinem Wiener Hausknecht bloß schriftlich verständigen konnte, sollte das Wörterverzeichnis weiteren Reisenden die mündliche Kommunikation erleichtern. In Wien selbst erfolgte die erste Sammlung von Wortschatz und Phrasen 1811 durch Joseph Sonnleithner, der sein „Idioticon Austriacum“ 1824 in 2. Aufl. „mit besonderer Rücksicht auf Wien“ ergänzte, ehe 1847 Carl Loritza ein „Neues Idioticon Viennense, das ist: Die Volkssprache der Wiener“ vorlegte. Insgesamt zeigt das Altwienerische noch deutlich einen mit dem Landdialekt verbundenen Laut- und Formenstand sowie eine Menge von speziellen Dialektausdrücken. 6.3. Die Zeit Kaiser Franz Josephs I. (1848⫺1916) Die Revolution von 1848 führte nicht nur zur Abdankung Kaiser Ferdinands I. und zum Regierungsantritt des jungen Kaisers Franz Josephs I., der dann weit über ein halbes

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Jahrhundert die Geschicke Österreichs lenken sollte, sondern auch zu zahlreichen Reformen und Neuerungen. Für die Stadt Wien war von entscheidender Bedeutung, daß der Kaiser 1857 die funktionslos gewordenen Stadtmauern und Basteien schleifen ließ. Das führte auf der einen Seite zum Bau der Ringstraße als „Via triumphalis“ mit Rathaus, Burgtheater, Parlament und Oper sowie der neuen Hofburg als „Kaiserforum“ mit den Museen in dem vom Historismus geprägten sogenannten Ringstraßenstil. Auf der anderen Seite ermöglichte es das Zusammenwachsen des neuen Zentrums mit den schon 1850 eingemeindeten Vorstädten der heutigen Innenbezirke 2 bis 9 sowie die großteils 1892 vollzogene Einbeziehung der Vororte jenseits des Linienwalls der heutigen Außenbezirke 10 bis 19, zu denen dann 1904 noch das Gebiet östlich der Donau als 21. Bezirk Floridsdorf hinzukam. Die Außenbezirke hatten sich rasch vergrößert, teils durch sich ansiedelnde Arbeiter im Gefolge der verstärkten Industrialisierung und teils durch die zunehmend aus dem Innenbereich hinausziehenden und sich in neuen Villenvierteln niederlassenden gehobenen Bürgerschichten. Die neue, sich stark vergrößernde Arbeiterschaft rekrutierte sich vorrangig aus zuziehenden Tschechen aus der böhmischen Reichshälfte. Ihre Zahl wird verschieden bis zu 400.000 angegeben und betrug 1900 nach der Angabe der Umgangssprache 103.000. Jedenfalls wuchs die städtische Bevölkerung von 1857 mit 476.000 Einwohnern bis 1900 auf 1.700.000 an, wozu noch 27.000 Mann des Militärs hinzukamen. Zur zentralen bedeutsamen Kaisermetropole aber war Wien durch die politischen Entwicklungen geworden. Nachdem das 1804 ausgerufene österr. Kaiserreich jahrzehntelang mit Preußen in Auseinandersetzungen um die Führung im Deutschen Bund verstrickt war, schied es 1866/67 nach der von Österreich gegen Preußen verlorenen Schlacht von Königgrätz endgültig aus den politischen Zusammenhängen mit Deutschland aus, was 1871 zur Gründung des Deutschen Reichs führte. Einer der Gründe für diese „kleindeutsche“ Lösung war die Multinationalität Österreichs. Trotz des zunehmenden Nationalismus und des vermehrten Strebens nach Selbständigkeit der Nationalitäten, insbesondere aber der Ungarn, was 1867 zur verwaltungsmäßigen Reichsteilung in die Österreichisch-Ungarische Monarchie führte, wurde aber der Kaiser als der gemeinsame Souverän anerkannt und damit Wien als die gemein-

same „k. und k.“-Hauptstadt, von der aus alles geschah und auf die alles ausgerichtet war. Die Entwicklung der Bevölkerung und der kulturellen Belange wirkte sich in der 2. Hälfte des 19. Jhs. und bis zum Ersten Weltkrieg, der das Ende der Monarchie brachte, in verschiedener Weise auf die stadtsprachlichen Verhältnisse aus. Durch die Industrialisierung, den Handel, die Zentralverwaltung und die seit 1849 erneuerte Universität entwickelte sich ein wohlhabendes Groß- und Bildungsbürgertum von Industriellen, Bankiers, vermögenden Gewerbetreibenden, Großkaufleuten, hohen Militärs, Universitätsprofessoren, Ärzten und Rechtsanwälten. Ein Teil dieser kulturell führenden Oberschicht war jüd. Abkunft, wobei sich die Gesamtzahl zugewanderter Juden in der 2. Jahrhunderthälfte auf 120.000 verzehnfachte. Die Alltagssprache der Oberschicht war eine sehr gehobene, standardnahe Form der Umgangssprache, die durchaus als „Hochdeutsch“ galt. Sie schlägt sich z. B. nieder in den Wiener Gesellschaftsstücken von Arthur Schnitzler (1862⫺1931) und Hugo von Hofmannsthal (1874⫺1929), wo sie zugleich als Ausdruck des aristokratischen Soziolekts mit frz. Wörtern durchsetzt ist (Thierberger 1957). In ihrer österreichischen Prägung unterschied sie sich besonders von der norddeutsch-preußischen Varietät, so daß nach dem Ausscheiden Österreichs aus deutschen Belangen nicht zufällig um 1870 die Bezeichnung „österreichisches Hochdeutsch“ aufkam. Allerdings wurde es im Vergleich negativ beurteilt, wie 1875 die erste Beschreibung durch Hermann Lewi „Österreichisches Hochdeutsch ⫺ Versuch einer Darstellung seiner hervorstechendsten Fehler und fehlerhaften Eigenthümlichkeiten“ zeigt. Es gewann aber nach 1848 insofern zunehmend an Boden und das vor allem im mündlichen wie schriftlichen Gebrauch des heimischen Wortschatzes, als die bis dahin gepflogene Orientierung an den Adelungschen Normen zunehmend nachließ. Allerdings konnte man sich in den 1879 für Österreich erlassenen „Regeln und Wörter-Verzeichnis für die deutsche Rechtschreibung“, die dann 1902 den neuen Orthographieregeln angepaßt und überarbeitet wurden, nicht entschließen, dem spezifisch österreichischen Wortschatz größeren Platz einzuräumen, so daß Schulbuch und Sprachgebrauch nicht konform gingen. In den traditionellen breiten kleinbürgerlichen Mittel- und Unterschichten der kleinen Geschäftsleute, niedrigen Beam-

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ten, Handwerker und der vielerlei Bediensteten wurde neben einer niedrigeren Form der Umgangssprache hauptsächlich Dialekt gesprochen. Steinhauser (1952, 165) nennt die anstehende Periode Neuwienerisch. Dieses setzt akzentuell nach Artikulation und Intonation das vorangehende Altwienerische bruchlos fort, verliert aber einerseits die Verbindung zum Landdialekt, indem es unter den Einfluß der Umgangssprache gerät und z. B. für -en nach labialen und velaren Frikativen das vokalische -A zugunsten des Nasals -m bzw. -n aufgibt, und neuert andererseits den Wortschatz. Der Gegensatz äußert sich in der zweifachen Beurteilung, indem die Sprache der Landbewohner abwertend als gschert eingestuft wird, was auf das einst geschorene Haar der leibeigenen Bauern zurückgeht, und indem die frühere Ausdrucksweise als altvaterisch empfunden wird. Sehr gute Beispiele für das Neuwienerische bieten die Gespräche in den trefflichen Wiener Skizzen mit den bekannten Wiener Typen der „Sopherl vom Naschmarkt“, des „Herrn Adabei“ und des „Herrn Nigerl“ von Vinzenz Chiavacci (1847⫺1916) und von Eduard Pötzl (1851⫺1914). Nur deren Wortschatz wurde bis jetzt untersucht (E. Pokorny 1958, Klauser 1986), obwohl es weitere reichliche Mundartliteratur gibt und sich auch die Syntax zur Analyse anböte. Über den sich gegen das Jahrhundertende herausbildenden Dialekt der neuen Arbeiterschaft besonders in einzelnen Außenbezirken wird im nächsten Abschnitt zu handeln sein. 6.4. Die Zeit der Republik Österreich (seit 1918) Mit dem Ersten Weltkrieg (1914⫺18) und der kurzen zweijährigen Regierung von Kaiser Karl I. (1916⫺18) ging nicht nur die Habsburgermonarchie zu Ende, sondern auch eine Epoche. Nach der Errichtung neuer, aus den Kronländern hervorgegangener selbständiger Staaten verblieb mit Abstrich von Südtirol und kleiner Gebiete von Kärnten und Niederösterreich als nunmehrige Republik Österreich der deutschsprachige Teil, der anfänglich Deutschösterreich hieß und zu dem 1921 als neues Bundesland Burgenland der allergrößte Teil des ehemaligen deutschsprachigen Westungarns mit seinen kroatischen Sprachinseln kam. Insgesamt zählte das neue Österreich bloß noch 61⁄2 Millionen Einwohner, von denen damals 2 Millionen auf Wien entfielen, das außerdem vom Mittelpunkt der

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großen Monarchie nun an den Ostrand eines Kleinstaates geraten war. Nachdem die Stadt lange Jahre von den bürgerlichen Christlichsozialen regiert worden war, erbrachten die Wahlen von 1919 eine sozialdemokratische Mehrheit von 60 %, so daß fortan die Verwaltung an die sich meist aus der Arbeiterschaft rekrutierende Sozialdemokratie überging und 1922 mit der Loslösung von Niederösterreich durch Verselbständigung zum eigenen Bundesland das sprichwörtliche „rote Wien“ entstand. Die neue Politik brachte Steuerreformen mit Mehrbelastungen der kapitalkräftigeren Kreise und Begünstigungen der weniger Verdienenden, sozialen Wohnbau mit allein 60.000 Wohnungen zwischen 1923 und 1934, Fürsorgeeinrichtungen und ein soziale Grenzen aufhebendes Schulsystem mit allgemeinem Zugang vor allem zu den höheren Schulen und damit der Möglichkeit sozialen Aufstiegs durch Bildung und Berufsverbesserung besonders für die niedrigen Schichten. Was vor allem der breiten Masse der Arbeiterschaft zugute kam, benachteiligte aber auch angesichts der Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre besonders durch die Umverteilung der Steuerbelastung die mittleren und höheren Bürgerschichten, so daß Christlichsoziale und Sozialdemokraten im neuen Staat, den ohnehin keiner wollte, zunehmend in Auseinandersetzungen gerieten. So kam es 1933 nicht nur zur Selbstauflösung des demokratisch gewählten Parlaments und zum austrofaschistischen Ständestaat unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, sondern 1934 zum gleichartigen Ersatz der sozialdemokratischen Stadtregierung. Obwohl die Kommunisten und Nationalsozialisten verboten wurden, nahmen deutschnationale Aktivitäten zu. Besonders die Bürger jüdischer Abkunft fühlten sich vom verstärkten Antisemitismus bedroht und begannen zu emigrieren, was für Wien einen sehr starken Verlust der gebildeten Oberschicht nach sich zog. Schließlich kam es 1938 zum Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich und 1939 zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Wien hatte 120.000 Kriegsopfer durch Bombenangriffe, Gefallene an der Front und in Konzentrationslagern Umgekommene sowie an Kriegsschäden den Verlust von 87.000 Wohnungen und zahlreichen öffentlichen Gebäuden zu beklagen. In der 1945 wiedererrichteten Zweiten Republik kam es nicht nur zur Aussöhnung der sich vorher bekämpfenden Parteien, sondern

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

auch zum raschen Wiederaufbau und 1955 mit dem Staatsvertrag zur Wiedererlangung der vollen Souveränität nach 10jähriger alliierter Besetzung. Gleichzeitig erwuchs ein besonders von der Bildungspolitik gefördertes österreichisches Nationalbewußtsein mit klarer Abgrenzung von Deutschland. In Wien wurde unter einer wieder mehrheitlichen sozialistischen Stadtverwaltung die sozialistische Kommunalpolitik wiederaufgegriffen und verstärkt fortgesetzt. Zählte die Stadt 1946 trotz der 96 Eingemeindungen aus dem niederösterreichischen Umland während des Nationalsozialismus, von denen dann 80 Gemeinden 1954 wieder an Niederösterreich abgetreten wurden, nur 1,380.000 Einwohner, so stieg die Zahl bis 1961 auf 1,627.000, um bis 1991 auf 1,534.000 Einwohner zu sinken. Darunter befinden sich 303.000 Ausländer, unter denen 124.000 Jugoslawen, 50.000 Türken und 22.000 Polen die größten Gruppen bilden. Insgesamt umfaßt Wien mit 20 % ein Fünftel der 7,822.000. zählenden Einwohnerschaft Österreichs und leistet 30 % des Bruttonationalprodukts. In sprachlicher Hinsicht konnten die starken sozialen Wandlungen mit der Herausbildung einer bevölkerungsdominanten Arbeiterschaft während der 2. Hälfte des 19. Jhs. nicht ohne Auswirkung bleiben. Da sie sich unter starkem Zuzug von Tschechen gebildet hatte, was sich heute noch in über 14.000 tschechischen Familiennamen bei 198.000 Trägern spiegelt (Neumann 1977), und da bis über den Ersten Weltkrieg hinaus bei einer großen Anzahl tschechisch-deutsche Zweisprachigkeit mit vielfach ungenügender Beherrschung des Deutschen bestand und das oft nur in Form des Dialekts mit tschechischer Lautbildung und Intonation als sogenanntes „Böhmakeln“, kam es zur Umbildung des Neuwienerischen zum Jungwienerischen (Steinhauser 1952, 165). Obwohl sich die sprachliche Integration der Tschechen ins Deutsche schon in der zweiten Generation vollzog, bewirkte es als Infiltrat die Umwandlung des Wiener Dialekts, die sich bereits um 1890 bemerkbar machte und dann um 1910/20 deutlich hervorzutreten begann. Die auffälligsten neuen Eigenschaften sind neben tschechischen Lehnwörtern eine gepreßte, tonal flache Intonation mit fallender Tonbewegung bei Dehnung besonders gegen das Satzende, die Monophthongierung von [ai˛] ⫺ [au˛] ⫺ [aü˛] zu überoffenen [ä¯] ⫺ [aa˚¯ ] ⫺ [œ¯], der Zusammenfall von geschlossenem [e]

und offenem [e˛] in leicht offenes [e˛], der Verlust der Nasalvokale, die Verschiebung der in Fortisfrikativen gelegenen Silbengrenze nach einem nun gedehnten ursprünglichen Kurzvokal, die breite velarisierte Artikulation des anlautenden und postdentalen l (sog. „Meidlinger l“) sowie der Gebrauch von reflexivem sich statt uns in der 1. Person plur. (Kranzmayer 1952, Seidelmann 1971, Steinhauser 1978). Ein charakteristisches literarisches Beispiel des Jungwienerischen, auch hinsichtlich der Mentalität, ist „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger (1928⫺1986) von 1961. Ihm schließen sich in verwandter Weise an die Fernsehserien von Ernst Hinterberger (*1931) „Ein echter Wiener geht nicht unter“ 1976/77 mit dem Familienoberhaupt Mundl im Mittelpunkt und „Kaisermühlen Blues“ 1992 mit der weiblichen Hauptfigur Gitti Schimek. Als Gedichtzyklus ist hier A. C. Artmanns (1921⫺2000) „Med ana schwoazzn dintn“ von 1958 zu nennen. Mit dem Jungwienerischen eng verbunden ist als dessen gesteigerte, extreme Ausformung besonders in intonatorischer Hinsicht der Jargon der früher als Pücher (‘Pilger’) oder Plattenbrüder bezeichneten sozial ausgegrenzten Randgruppen, der Wörter und Wendungen zum Teil aus der Gaunersprache meist rotwelscher und jiddischer Herkunft aufweist (Burnadz 1966, Wehle 1977, Teuschel 1990). Er hat teilweise auf die soziale Unterschicht übergegriffen. Literarisch verwendet den Jargon u. a. Wolfgang Teuschel (1943⫺1999) 1971 in seiner Umsetzung des Evangeliums „Der Jesus und seine Hawara“. Aus bürgerlicher Sicht wird das Jungwienerische auf Grund seines als unästhetisch empfundenen Klanges als „Beißerisch“ charakterisiert, während der Jargon als ordinärer, aggressiver Dialekt auf Ablehnung stößt. Die durch Gastarbeiter seit den 1960er Jahren hereingetragenen Fremdsprachen, besonders das Serbische, Kroatische und Türkische, wirken sich bis jetzt noch nicht auf den Dialekt aus. Neben dem Jungwienerischen setzte sich aber wenn auch nicht ohne gewisse Umgestaltungen insbesondere der steigenden Diphthonge zu Monophthongen das nach Intonation und Lautbildung tonal flexible, gemütlich klingende Neuwienerische in den traditionellen mittleren Bürgerschichten fort, so daß es zu deutlichen sozialen Sprachunterschieden kam. Ihre breite Palette nützte 1935 Josef Weinheber (1892⫺1945) in seinem Ge-

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dichtband „Wien wörtlich“, dessen soziales wie sprachliches Spektrum vom dekadenten Plauderton der Hofräte bis zum scharfen Jargon der Plattenbrüder reicht. Fälschlich wurden die sozialen Sprachunterschiede bis gegen den Zweiten Weltkrieg als räumliche Bezirksunterschiede gesehen, was aber insofern nicht ganz unrichtig war, als sich nach der dominanten Mehrheit ihrer Bewohnerschaft Bürgerbezirke und Arbeiterbezirke gegenüberstanden wie Wieden und Favoriten, Meidling und Hietzing oder Josefstadt und Ottakring. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die sprachlichen Verhältnisse durchmischt, indem einerseits der soziale Wohnbau auf früher bürgerliche Bezirke ausgeweitet wurde und die Leute umzogen und andererseits ständig sozialer und beruflicher Aufstieg aus früher unterschichtiger Herkunft durch schulische Ausbildung erfolgt, ohne daß dies eine entsprechende Änderung des Sprechens nach sich zieht und die anerzogene dialektale jungwienerische Intonation und Artikulation auch in der Umgangs- und Standardsprache beibehalten wird. Solches Sprechverhalten kennzeichnet heute nicht nur in auffälliger Weise zahlreiche Politiker, sondern tritt auch in der neuen höheren Mittel- und Oberschicht deutlich auf wie bei Lehrern, Industriellen, Technikern, Akademikern, Juristen und Ärzten, so daß soziale Sprachunterschiede zunehmend verwischt werden und bis in die 60er Jahre herrschende gesellschaftliche Sanktionen des Sprechverhaltens stark zurückgegangen sind. Was die gehobene, standardnahe Form der Umgangssprache des Groß- und Bildungsbürgertums und der Aristokratie aus der Endzeit der Monarchie betrifft, wurde es mit der Ächtung des Adels und der Vertreibung der Habsburger in der jungen Republik nun als „Schönbrunnerdeutsch“ nach dem Schloß Schönbrunn als dem bevorzugten Wohnsitz von Kaiser Franz Joseph I. negativ beurteilt und fälschlich als gezierte nasale Sprechweise verspottet. Es lebte in den fortbestehenden Kreisen dennoch weiter, erfuhr aber starke Einbußen durch die Emigration und Auslöschung von Angehörigen jüdischer Abkunft seit 1933. Die als Alltagssprache heute in gehobenen und gebildeten traditionellen Wiener Bürgerkreis gesprochene, meist als „Hochdeutsch“ eingestufte, gepflegte, gehobene Umgangssprache setzt es in gewisser Hinsicht fort, indem es auf der tonalen und artikulatorischen Basis des Neuwienerischen beruht.

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Über die heutige durchschnittliche Beherrschung und Verwendung von Dialekt, Umgangssprache und der als „Hochdeutsch“ bezeichneten Standardsprache gibt eine 1984/91 durchgeführte Repräsentativumfrage Auskunft (Steinegger 1998). Danach beherrschen in Wien 72 % den Dialekt, während dies 28 % verneinen. Als alltägliche „Hauptsprechlage“ verwenden 35 % Dialekt, 57 % Umgangssprache und 8 % „Hochdeutsch“. Gliedert man nach Sozialschichten auf Grund von Schulbildung und Beruf, so liegt die Dialektbeherrschung in der Unter-, Mittel- und Oberschicht mit 90, 73 und 64 % zwar relativ hoch, doch ist der Abstand zum alltäglichen Sprachgebrauch deutlich verschieden. So sind Dialekt : Umgangssprache : „Hochdeutsch“ in der Unterschicht 57 : 43 : 0 %, in der Mittelschicht 35 : 61 : 4 % und in der Oberschicht 27 : 59 : 14 % verteilt. Dazu kommt, daß Frauen besonders der Mittelund Oberschicht dem Dialekt mit nur 31 % reservierter gegenüberstehen als Männer mit 40 % und daß eine situative Differenzierung des durchschnittlichen Sprachgebrauchs je nach dem Gesprächspartner besteht, indem insgesamt der Dialektgebrauch zugunsten von Umgangssprache und „Hochdeutsch“ von der Familie über Kollegen am Arbeitsplatz und das kleine Geschäft zum Vorgesetzten am Arbeitsplatz, dem Arzt, dem Amt und dem Lehrer und damit von der informellen zur formellen Situation stark abnimmt. Dialekt erweist sich somit insgesamt als eine deutlich markierte Sprachform. Was die Beurteilung von vier Sprachschichten in Form der beiden tonal und artikulatorisch differenzierten Dialektvarietäten, der Umgangssprache und des „Hochdeutschen“ betrifft (Wiesinger 1995a), zeichnen sich deutliche Generationsunterschiede ab. So wird der jungwienerische Jargon von der älteren und mittleren Generation negativ beurteilt und gilt der neuwienerisch bestimmte Dialekt als eigentlicher Wiener Dialekt, der von beiden Gruppen klar von der Umgangssprache und dem „Hochdeutschen“ unterschieden wird. Dagegen wertet die junge Generation den jungwienerischen Jargon zum Wiener Dialekt auf und nivelliert den neuwienerisch bestimmten Dialekt zur Umgangssprache, während bisherige Umgangssprache und „Hochdeutsch“ zum neuen Standard mit bloß minimalen Abschattierungen zusammenfließen, so daß eine durchschnittliche ältere vierteilige Gliederung nun zu einer

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dreiteiligen vereinfacht wird und die einzelnen Sprachschichten Umwertungen erfahren. Wie sehr Wien Mittelpunktfunktion für Österreich ausübt, zeigt sich daran, daß die jungwienerische Sprechweise besonders in den letzten 50 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg von der heute mittleren und jüngeren Generation, gefördert durch das Pendlerwesen, in ganz Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland aufgegriffen wird und sich auch in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz und der steirischen Graz besonders in der Unterschicht einbürgert. Wien ist aber auch Ausstrahlungszentrum für das österreichische Deutsch als die in Österreich gebräuchliche Varietät der deutschen Schriftund Standardsprache. Es weist zwar Eigenheiten auf allen sprachlichen Ebenen auf, zeichnet sich aber besonders in lexikalischer und teilweise auch semantischer Hinsicht aus. Es basiert auf oberdeutsch-bairischer Grundlage und zeigt unterschiedliche Verbreitungsareale der einzelnen Erscheinungen (Ebner 1980; Wiesinger 1988, 1996a, 2001 a).

7.

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Peter Wiesinger, Wien

165. Fachsprachen in historischer Entwicklung 1. 2.

4. 5.

Zielsetzung Allgemeine Probleme der Historiographie der Fachsprachen Aspekte der Fachsprachengeschichte (im Deutschen) Schlußbemerkungen Literatur (in Auswahl)

1.

Zielsetzung

3.

Die Geschichte der verschiedenen Fachsprachen (FSS; im Singular: FS) im Dt. ⫺ soweit sie einigermaßen erforscht ist ⫺ einzeln nach-

zuzeichnen, würde den Rahmen eines Handbuchartikels sprengen. Ich beschränke mich deshalb darauf, einige mir wichtig erscheinende Probleme und allgemeine Züge in der geschichtlichen Entwicklung von FSS herauszustellen. Unter den Begriff ‘FS’ werden dabei auch die Wissenschafts- und die Verwaltungssprachen subsumiert. Die Literaturhinweise am Schluß des Artikels sind mit Absicht ausführlich gehalten, um die Aufmerksamkeit auf diesen noch vernachlässigten Forschungszweig der germanistischen Linguistik zu lenken.

2378

2.

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Allgemeine Probleme der Historiographie der Fachsprachen

2.1. Die Entstehung von Fachsprachen Trotz zahlreicher Arbeiten zur Geschichte einzelner FSS (s. Barth 1971, Seibicke 1973 und die Literatur am Ende des Artikels) steht eine wissenschaftstheoretische Diskussion über die Historiographie der FSS noch aus (dazu jetzt v. Hahn 1993 und Kalverkämper 1993). Vorrangig wäre dabei zu klären, welche überlieferten sprachlichen Erscheinungen als früheste Anzeichen für die Existenz von FSS aufgefaßt werden können. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, was für ein Begriff von ‘FS’ zugrunde gelegt wird. ⫺ Das Wort Fachsprache selbst ist erst im 19. Jh. aufgekommen. Es tritt für älteres Kunstsprache ein, das aber seinerseits bis zum Ausgang des 18. Jhs. noch überwiegend in der Bedeutung ‘sermo artificiosus’ verwendet wurde. Von Kunstwörtern oder termini techn(olog)ici einzelner Berufszweige und Wissenschaften ist jedoch schon lange vorher die Rede. Bemerkungen über die Eigenart und Unverständlichkeit (d. h. Nicht-Allgemeinverständlichkeit) von ‘Professionalismen’ finden sich bereits in antiken Texten. Es ist also in erster Linie der spezielle Wortschatz und Wortgebrauch, der die Aufmerksamkeit auf fachsprachliche Varietäten innerhalb einer Sprache lenkt. Dementsprechend wurde und wird Fachsprache häufig mit Fachwortschatz gleichgesetzt. Erst in jüngster Zeit werden auch Syntax, Stil, pragmatische und textlinguistische Aspekte bei der Beschreibung von FSS stärker berücksichtigt (Möhn 1968; Kalverkämper 1978). Es ist jedoch unbestreitbar, daß jeder Fachtext zunächst einer Sprache (langue) zugewiesen werden muß, bevor er als fachsprachliche Varietät eben dieser Sprache bestimmt werden kann. ⫺ Das Vorhandensein sondersprachlicher Phänomene im Wortschatz und auf den anderen Sprachebenen liefert aber allein schon deshalb kein brauchbares Kriterium für die Abgrenzung von FSS, weil es auch auf Standes- und Gruppensprachen zutrifft. Als zusätzliches Merkmal scheint mir wichtig zu sein, daß die sprachlichen Besonderheiten wesentlich in der intensiven tätigen (praktischen) und erkennenden (reflektierten) Bewältigung eines bestimmten Wirklichkeitsausschnittes begründet sind, den die an dieser Aufgabe Beteiligten (die Fachleute) als ihr Arbeitsfeld (Fachgebiet) verstehen. Damit ist keineswegs

behauptet, daß FSS keine gruppensprachlichen Züge aufwiesen. Unter Menschen, die miteinander arbeiten und sich aufgrund ihrer gemeinsamen Tätigkeit und eines daraus resultierenden besonderen Sach- und Sprachwissens von den übrigen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft abheben, führt die Kommunikation unweigerlich auch zu gruppensprachlichen Erscheinungen (besonders deutlich in der Arkansprache der Alchimisten oder in der Jägersprache), und natürlich trägt auch die Konkurrenz und „Schulen“bildung dazu bei. Kennzeichnend für FSS sind dennoch in erster Linie diejenigen sprachlichen Mittel, die aus der Auseinandersetzung mit den sachlichen Gegebenheiten des Arbeitsgebietes hervorgehen, wenngleich eine scharfe Abgrenzung nicht immer möglich ist. Aus dieser Perspektive erscheint als wichtigste Voraussetzung für das Entstehen von FSS die Arbeitsteilung, und zwar eine Teilung in der Weise, daß die Ausführung bestimmter Aufgaben in der Gemeinschaft sich fest mit einem besonderen Personenkreis verbindet. Hinzukommen muß dann ⫺ wie bei anderen Sondersprachen ⫺ eine Ausgliederung der Kommunikation dieses Personenkreises aus der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation. Hierzu trägt wesentlich die Organisation des gesellschaftlichen Lebens bei (Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte, Bildung von „Berufsverbänden“ oder Zünften u. ä.). Die Feststellung von Sach(bereichs)wortschätzen, z. B. des Hausbaus, des Schmiedehandwerks oder der Seefahrt (Eggers I, 1963, 22) erlaubt für sich allein noch keinen Schluß auf das Vorhandensein von FSS (Seibicke 1973, 9; Kalverkämper 1978). Andererseits ist die Herausbildung einer FS ein langwieriger und selten geradlinig verlaufender Prozeß ⫺ je nach Gesellschaftsstruktur, Wirtschaftslage, Erkenntnisstand usw. kommt es zur Differenzierung, Überlagerung, Verschmelzung und Neukonstituierung von Fachgebieten (s. u.) ⫺, so daß die vorausliegenden Sachwortschätze in der historischen FSSForschung mitberücksichtigt werden müssen. Es findet also eine allmähliche Verfachlichung von Wortschatzelementen nichtfachlicher Sprache statt, sei es durch unmerklich einsetzenden Bedeutungswandel in der Kommunikation, bewußte Bedeutungsfestlegungen, Neuprägungen unter Ausnutzung der im Sprachsystem gegebenen, aber zuvor nicht realisierten Möglichkeiten (Neologismen, neue Bildungsmuster), Entlehnungen und Kunstwortbildungen (im modernen Sinne:

165. Fachsprachen in historischer Entwicklung

Neubildungen mit Hilfe fremdsprachlichen Materials, Abkürzungswörter u. ä.). Eine FS entwickelt sich also stets als Varietät einer bereits vorhandenen langue. Dies gilt für mundartliche, gesprochene, nichtfixierte FSS ebenso wie für die modernen naturwissenschaftlichen, technischen usw. FSS, die man nicht erlernen kann, ohne die Grundzüge der allgemeinen Schrift- und Standardsprache zu beherrschen. In jüngeren FSS, die aufgrund technischer und/oder wissenschaftlicher Neuerungen entstehen, wird der überkommene Wortschatz teilweise der neuen Sachlage angepaßt, „umfunktioniert“ (so übernahm man z. B. im Luftfahrtwesen viele Ausdrücke aus der Seefahrt, bei der Eisenbahn solche aus dem Fuhr- und dem Postwesen). Außerdem werden immer wieder Anleihen bei anderen FSS gemacht (s. z. B. die Übertragung der chemischen Termini Valenz/Wertigkeit in die Linguistik). Neue FSS bilden sich heraus, sobald sich neue Fachgebiete mit einem speziell daran beteiligten Personenkreis konstituieren. Das kann geschehen z. B. (a) durch die intensivierte Beschäftigung mit einem bestimmten Ausschnitt der Lebenswelt aufgrund wirklicher oder angenommener gesellschaftlicher Bedürfnisse; (b) durch die Eroberung neuen Terrains, d. h. Entdeckungen und Erfindungen (z. B. die gesamten motorisierten Verkehrsmittel, die akustische und optische Telekommunikation); (c) durch Spezialisierung, also weitergehende Arbeitsteilung innerhalb schon bestehender Fächer (vgl. z. B. die Ausfächerung der architectura des Mittelalters in zahlreiche neuzeitliche Einzelfächer oder die Entwicklung der Germanistik seit dem frühen 19. Jh. oder die vielfache Untergliederung der Medizin heute); (d) durch den Zusammenschluß verschiedener Fach- oder Teilfachgebiete unter einem neuen Aspekt und mit gewandelter Zielsetzung (s. Raumfahrt, Ökologie, Umweltschutz u. a. m.).

Als etabliert kann ein neues Fach ⫺ mit einem entsprechenden Fachwortschatz ⫺ angesehen werden, wenn dafür eigene Ausbildungsgänge geschaffen und damit Fachleute für das neue Gebiet herangebildet werden. Aus all dem geht deutlich hervor, daß es eine scharf abgrenzbare „zeitlose“ Einteilung der Fächer (und damit der FSS) nicht geben kann. Der Bestand an Fachgebieten und ihr wechselseitiges Verhältnis sind unablässig Veränderungen unterworfen. Die Verflechtung untereinander ist so vielfältig, daß eine FS, die keine sprachlichen Elemente mit anderen FSS gemeinsam hätte, kaum vorstell-

2379 bar ist; und unter diachronischem Aspekt stellt sich auch oftmals die Frage, ob zu verschiedenen Zeitpunkten überhaupt noch dieselben Fächer vorliegen (hier ist besonders auf die Veränderungen in der Landwirtschaft und auf die Übergänge von den handwerklichen FSS zu denen der modernen industriellen Produktion hinzuweisen), ganz zu schweigen davon, daß manche Berufe, Fachgebiete und die dazugehörigen Sprachmittel im Laufe der Zeit untergehen. Deshalb ist es auch nicht möglich, exakt anzugeben, wieviele Fächer und FSS es gibt oder geben könnte. 2.2. Quellenlage Für die Historiographie der FSS stehen bis ins 20. Jh. hinein nur schriftliche Quellen zur Verfügung. Rekonstruierbar ist demnach im wesentlichen nur die Geschichte der FSS in ihren geschriebenen Formen und auch dies nur, soweit schriftliche Zeugnisse vorliegen. Die Überlieferungslage ist freilich für die verschiedenen FSS höchst unterschiedlich. Ein Teil der älteren Literatur ist außerdem gar nicht Bestandteil fachinterner Kommunikation, sondern dient (wie z. B. die mittelalterlichen Enzyklopädien) der „Vermittlung eines allgemeineren Wissens“ und der „Beförderung höherer Bildung“ (Assion 1973, 48) oder befaßt sich vornehmlich mit der rechtlichen und der sozialen Seite des Arbeitslebens (z. B. Handwerks-, Zunft-, Bau- und Hüttenordnungen). Die Niederschrift von Texten zur fachinternen Kommunikation setzt in vielen Bereichen erst spät ein. Besonders bei den physischen Tätigkeiten dürfte lange Zeit kaum ein Bedürfnis nach schriftlicher Beschreibung der Geräte, Verrichtungen usw. bestanden haben (das Pergament war überdies viel zu kostbar für derartige Aufzeichnungen, und nicht jeder Handwerker konnte schreiben und lesen). Vermutlich wurde vieles nicht einmal verbalisiert, sondern auf dem Wege praktischer Erfahrung (Beobachtung und Nachahmung) erlernt. Die ins Detail gehende Verbalisierung, die Bezeichnungsnormierung und der Aufbau hierarchischer Benennungssysteme sind erst Merkmale modernster FSS, und man könnte diese Entwicklungsstufe sogar als ein Periodisierungskriterium nehmen. 2.3. Periodisierung Für die Periodisierung der FSS-Geschichte ist die in der Sprachgeschichte übliche Einteilung in ‘Ahd.’, ‘Mhd.’ usw. ungeeignet. Nicht

2380

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Wandlungen im Lautsystem sind hier entscheidend, sondern Erfindungen, Entdeckungen, neue Organisations- und Wirtschaftsformen, neue Denkweisen und dgl., die den Bestand und die Qualität der FSS verändern. Sie treten in den einzelnen Fächern zu unterschiedlichen Zeiten auf, so daß eine für alle Fachgebiete geltende Periodisierung grundsätzlich nicht möglich ist. Von allgemeiner Bedeutung sind m. E.: (1) die Entwicklung neuer naturwissenschaftlicher Denkmodelle und Methoden seit der Renaissance, die zur Begründung der modernen Naturwissenschaften und der Technik im 18./19. Jh. führen; (2) die im 18. Jh. einsetzende „industrielle Revolution“, durch die der gesamte Bereich der materiellen Produktion wie auch das Verkehrswesen (Eisenbahn, Dampfschiff, Automobil, Flugzeug) tiefgreifend umgestaltet wurden; (3) der Übergang vom Lat. zur „Volkssprache“ (er vollzieht sich nicht überall gleichmäßig, findet aber im 19. Jh. allgemein seinen Abschluß); (4) die Verschriftlichung der Fachkommunikation und das Entstehen neuer Textsorten. Für den geistes- oder gesellschaftswissenschaftlichen Bereich ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch die Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden vom 19. Jh. an zu erwähnen, weil sich dadurch die FSS in den betroffenen Wissenschaften erheblich wandeln.

Gaunertum und Betrug) und die Rechtsliteratur (so bei Eis 1967). Über die bisherigen Forschungsergebnisse berichten Eis (1967 und 1971), Assion (1973), Keil (1968), Keil/ Assion (1974), Keil (1982) und die Artikel 232 ff. in: Fachsprachen 1999, S. 2255⫺ 2451. ⫺ Die Unterteilung der Fachprosa ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer parallellaufenden Gliederung in verschiedenen FSS. Teils gehören zu einer ars mehrere FSS (z. B. im Handwerk), teils gehören zur Fachprosa Texte, die nicht als fachlich einzustufen sind oder deren fachsprachlicher Charakter zweifelhaft ist. ⫺ Die Erforschung der neuzeitlichen FSS, deren Zahl seit dem 18. Jh. ständig wächst, ist nicht im gleichen Maße fortgeschritten.

2.4. Fachprosaforschung Der Erforschung der mittelalterlichen FSS hat die von G. Eis in den 30er Jahren begründete Fachprosaforschung wesentliche Impulse gegeben. Unter Fachprosa ist „alles nichtdichterische Schrifttum geistlichen und weltlichen Inhalts zu verstehen“ (Eis 1967, 1). Neben theologischen und philosophischen Texten und Geschichtswerken bildet die Artesliteratur ein Hauptgebiet der Fachprosaforschung. Gegliedert wird sie nach den sieben artes liberales (A. Trivium: Grammatik, Rhetorik, Dialektik; B. Quadrivium: Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie) und ⫺ parallel dazu ⫺ den sieben artes mechanicae (auch unfreie Künste oder Eigenkünste genannt): „1. Handwerk, 2. Kriegswesen, 3. Seefahrt mit Erdkunde und Handel, 4. Landbau und Haushalt, 5. Wald und Tiere, 6. Heilkunde, 7. Hofkünste“ (Eis 1967, 1; s. a. Sternagel 1966). Angeschlossen werden meist die „verbotenen Künste“ (Magie und Mantik,

3.1. Aspekte der Fachsprachengeschichte im praktisch-technischen Bereich Soweit es im frühen Mittelalter FSS in diesem Bereich oder wenigstens Ansätze dazu gab, existieren diese überwiegend in der mündlichen Kommunikation der lingua vulgaris. Zum volkssprachigen Wortschatz sind dabei auch die in manchen Sachgebieten recht zahlreichen Entlehnungen zu rechnen, z. B. der aus dem Lat. übernommene Wortschatz des Steinbaus (Mauer, Fenster, Ziegel, Dach usw. ⫺ Sind diese Entlehnungen und ihre morphophonematische Anpassung an das Dt. durch „Fachleute“ und „Fachsprachen“ vermittelt?). Vereinzelt finden sich Reflexe dieser mündlich tradierten Sach- und Fachwortschätze in lat. und dt. Quellen unterschiedlicher Provenienz, z. B. in bergrechtlichen Urkunden. Der volkssprachige Charakter dieses Wortschatzes wird besonders deutlich dadurch, daß die Schreiber, meist Kleriker, Schwierigkeiten mit dessen Wieder-

3.

Aspekte der Fachsprachengeschichte (im Deutschen)

In der Geschichte der FSS lassen sich zwei getrennte Entwicklungsstränge beobachten: die Entwicklung a) im praktisch-technischen Bereich, d. h. dort, wo es vor allem um die Erzeugung materieller Produkte geht (dies ist das Feld der FSS im engeren Sinne), und b) im theoretisch-wissenschaftlichen oder, allgemeiner ausgedrückt, im geistigen Bereich (hier liegen die Wurzeln der heutigen Wissenschaftssprachen), wenngleich es vielfach Berührungen und Überschneidungen, vor allem im Bereich der artes mechanicae, gibt.

165. Fachsprachen in historischer Entwicklung

gabe auf Lat. hatten. Teils werden die dt. Ausdrücke unübersetzt eingeflochten (z. B. silbrarius, xenklochus ‘Gesenkloch’), teils wörtlich ins Lat. übertragen, wodurch lat. Neologismen entstanden (z. B. montanus für Bergmann anstelle der klassischen Bezeichnungen fossor, scrutator, s. Wilsdorf 1969). Aus späteren Aufzeichnungen und Sammlungen sowie aus der Kenntnis mündlicher Arbeits- und Berufssprachen der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart (z. B. der Fischer- oder der Winzersprache) kann rückgeschlossen werden, daß die frühen FSS(ansätze) 1. stark mundartlich geprägt waren und infolgedessen zahlreiche regionale Synonyme (Heteronyme) aufwiesen; 2. daß die Benennung der Gegenstände und Verfahren nach Bedarf und aus der Situation heraus geschaffen wurde, also ohne theoretischen Hintergrund und ohne Systematik, das Besondere herausstellend (wie es z. B. die alte Jägersprache deutlich vor Augen führt, in der für funktional gleiche Körperteile unterschiedliche Bezeichnungen je nach Tierart gebraucht wurden, z. B. Ohr, Löffel, Lauscher usw.), als unwichtig Erscheinendes und Unauffälliges unbeachtet lassend und unter häufiger Verwendung von Vergleichen, Metaphern, Metonymien u. ä. (auch magische Naturvorstellungen sind wahrscheinlich mit eingeflossen und haben Bezeichnungstabuierungen und Umschreibungen bewirkt, zu schweigen vom vorwissenschaftlichen Verständnis physikalischer, chemischer und anderer Vorgänge). Auch die Weiterentwicklung im Laufe der Zeit dürfte weitgehend ungesteuert und in Form additiver Wortschatzvermehrung verlaufen sein. Die gesprochenen, mundartlichen Arbeits- oder Berufssprachen etwa der Fischer, der Imker, der Winzer u. a. m. verfügen noch in der Neuzeit nicht über eine ausgebildete Theoriesprache. Allerdings zeigen so komplizierte Wortbildungen wie die dekompositionelle Derivation ge-fedelgold-oˆt ‘mit Fadengold versehen’ bei Notker (um 1000 n. Chr.), daß in den FSS offenbar schon früh die Wortbildungsmöglichkeiten des Sprachsystems voll ausgeschöpft wurden. Außerdem gehörte im Bereich der „architectura“ die Zeichnung (Skizze, Riß) vermutlich schon bald zu den speziellen Mitteln fachlicher Kommunikation (s. Binding 1993). Mit dem Aufblühen der Städte, der Ausweitung des Handels, der Entwicklung neuer Bedürfnisse kam es im Spätmittelalter zu einer starken Vermehrung und Differenzierung (Spezialisierung) der Handwerke. Sie läßt

2381 sich gut an der Vielzahl der aus Berufsbezeichnungen hervorgegangenen Personennamen ablesen, wenngleich auch hier wiederum eine reiche Heteronymie vorliegt (sie spiegelt sich auch in lat. Übersetzungen wie z. B. chuoffarius, cuparius, bodicarius, confector vasorum, pinterus, tunnarius/tunnator für ‘Böttcher, Küfer’, s. Erb 1978, und es ist oft kaum noch zu ermitteln, wo gleiche und wo verschiedene Handwerke gemeint sind, wie überhaupt die punktuell überlieferten Einzelwörter der präzisen Erfassung ihrer spezifischen Bedeutung Schwierigkeiten bereiten). Ob durch die Wanderlehrjahre in einzelnen Handwerken allmählich ein überregionaler Ausgleich in der Lexik stattfand, ist eine offene Frage. ⫺ Papier, Buchdruck und die langsame Ausbreitung der Kunst des Lesens und Schreibens, vor allem in den Städten, schufen wichtige Voraussetzungen für die schriftliche Kommunikation auch in den „unfreien Künsten“, doch wurde sie anscheinend noch lange Zeit wenig genutzt. Auch die Geheimhaltung aus Konkurrenzgründen spielte dabei eine Rolle. ⫺ Im 16./17. Jh. setzt eine Sammlung schriftlicher Fixierung des „technologischen“ Wissens und damit auch des Fachvokabulars ein. Ein Großteil dieser Literatur tradiert zunächst ältere „Kunstbücher“ und Sammelwerke und spiegelt insofern sicherlich einen überholten Stand der handwerklichen Arbeitstechnik und -organisation wider. Gefördert wurde die Sammeltätigkeit durch die rationalistische Bewegung des Enzyklopädismus. So entsteht allmählich eine stattliche Reihe von Handwerksund Gewerbebeschreibungen, gewöhnlich in Form einer „Kunstgeschichte“ (historia artis), also noch weitgehend unter historisch-beschreibendem Aspekt. Diese Schriften und die „Theatra“, „Schauplätze“ und „descriptions des arts et me´tiers“ (so der Titel eines berühmt gewordenen späteren Werkes) sind anfänglich kaum schon als fachsprachliche Texte in dem Sinne anzusprechen, daß sie Bestandteil fachlicher Kommunikation wären, vielmehr handelt es sich noch überwiegend um Berichte über Gewerbe, also auch über die jeweilige FS. Den merkantilistischen bzw. (in Deutschland) kameralistischen Bestrebungen und Interessen kamen solche Arbeiten sehr entgegen: Der Staat als Unternehmer benötigte Verwaltungsleute, die nicht mehr nur juristisch ausgebildet waren, sondern wirtschaftliche und fachliche Grundkenntnisse besaßen, um die Manufakturen und Fabriken erfolgreich leiten zu können. 1727 wurden in Preußen die ersten Lehrstühle für „Cameralia

2382

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

und Oeconomica“ eingerichtet. Der Bedarf an geeigneter Literatur für die Ausbildung und Tätigkeit der Beamten nahm nunmehr rasch zu, und in der 2. Hälfte des 18. Jhs. finden wir bereits ein reichhaltiges Industrie(Handwerks- und Fabriken-) Schrifttum vor, vorgelegt von Akademien, Gesellschaften und Einzelpersonen, in Gestalt von Monographien, Sammelwerken, Lexika und Aufsätzen in den jetzt in immer größerer Zahl erscheinenden Fachperiodika (Kronick 1962). Viele Übersetzungen sind darunter, besonders aus dem Frz. und dem Engl., und da die Übersetzer oftmals keine „Fachleute“ im strengen Sinne sind, fließen unübersetzte Vokabeln, unnötige (Dubletten) und falsche Übertragungen ein. ⫺ Das staatliche Eingreifen in den Aufbau und die Organisation verschiedener Industrien führte zur Umgestaltung der FSS von außen und „oben“, indem die Verwaltung ordnend, ergänzend, regelnd, systematisierend und theoretisch unterbauend auf sie einwirkte. Mehr und mehr durchdringen auch die Naturwissenschaften die techn(olog)ischen Bereiche, und die neuen Produktionsformen und ihre Effektivierung ziehen ihrerseits eine theoretisch-wissenschaftliche Reflexion ihrer Voraussetzungen und Verfahren nach sich. Es bilden sich darüber hinaus zahlreiche neue Berufe und mit ihnen zusammen neue Ausbildungsformen und -zweige heraus, von Arbeitsschulen aller Art bis hin zu Ingenieurschulen, (poly)technischen Hochschulen und schließlich Technischen Universitäten. Man könnte die Epoche der „industriellen Revolution“ durchaus auch als eine der „fachsprachlichen Revolution“ bezeichnen. Die alten Handwerker- und sonstigen Arbeitssprachen verändern sich unter den neuen Bedingungen gewaltig und immer rascher, quantitativ wie qualitativ. Viele verschwinden oder gehen in anderen auf; neue FSS und FSS-Varietäten (z. B. auf den verschiedenen inner- und zwischenbetrieblichen Kommunikationsebenen oder zwischen Herstellung und Handel) entwickeln sich in kaum noch zu überschauender Zahl; die Verschriftlichung und die „Verwissenschaftlichung“ der FSS nehmen zu, teilweise so stark, daß sich mit der Zeit Lehrbuchterminologie und „Werkstattsprache“ oder „-jargon“ voneinander entfernen; dialektale und sonstige diatopische Unterschiede werden beseitigt oder unterdrückt. Die Veränderungen gehen nicht nur selbstläufig vor sich. Erinnert sei etwa an

die amtlichen Sprachregelungen (Verdeutschungen) bei Post und Bahn im 19. Jh.; und im 20. Jh. greift die Sach-, Begriffs- und Sprachnormung in der Technik lenkend ein, zunächst auf nationaler Ebene (Deutsche Industrienorm DIN 1917, Deutscher Normenausschuß DNA 1926), schließlich auch auf internationaler Ebene (International Organization for Standardization ISO 1946). 3.2. Aspekte der Fachsprachengeschichte im geistigen Bereich Hierzu zähle ich in erster Linie die verschiedenen Zweige der artes liberales (vor allem des Triviums), die darin involvierte Philosophie, Erkenntnislehre und Naturbetrachtung sowie die jahrhundertelang alles überdachende und durchdringende Theologie. Das Besondere an diesen Disziplinen ist nicht allein, daß sie es nicht ⫺ zumindest nicht vorrangig ⫺ mit der Erzeugung materieller Produkte zu tun haben, sondern ⫺ unter sprachgeschichtlichem Aspekt ⫺ auch, daß sie sich nicht „im Schoße“ der dt. Sprache entwickelt haben, vielmehr gleichsam von außen heranund in das Dt. hineingetragen wurden. Das ganze Mittelalter hindurch und weit in die Neuzeit hinein hat die Diskussion hier, mündlich wie schriftlich, überwiegend in lat. Sprache stattgefunden. Die Internationalität des Lateins als „Koine¯“ der Gelehrten ermöglichte ein allgemeines Fachgespräch über die Landessprachen hinweg und bewirkte einen vielseitigen geistig-kulturellen Austausch, der die gesamte europäische Kultur durchzieht und bis heute mitbestimmt. Als zweite Sprache der Gelehrsamkeit kam spätestens im Zeitalter des Humanismus das klassische Griech. dazu, das seinerseits bereits das Lat. wesentlich geformt hatte. Freilich war und blieb das Griech. im Vergleich mit dem Lat. eher eine passiv beherrschte Sprache bestimmter Quellentexte denn ein aktiv benutztes Verständigungsmittel. Bis heute sind diese beiden Sprachen das bedeutendste Reservoire für die Entlehnung von Wortmaterial und die Neubildung terminologischer Kunstwörter geblieben, die sich dank dieses gemeinsamen geschichtlichen Hintergrundes als sog. Internationalismen bequem von einer europäischen Sprache an die anderen weiterreichen lassen (Migliorini 1956; s. a. Lerch 1940; Braun [u. a.] 1990). ⫺ Zugang zur „Arbeit am Begriff“ war also nur über das Erlernen mindestens einer Fremdsprache, des Lat., zu gewinnen. Das Spezialwissen, seine Weiterentwicklung und Weitergabe waren somit in

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die Hände einer kleinen Menschengruppe gelegt und wurden von bestimmten Institutionen getragen (Klöstern, Universitäten). Die Trennung von Landes- und Gelehrtensprache wirkte sich zweifellos als innergesellschaftliche Kommunikationsbarriere aus. Außerdem spielte in diesem Bereich die schriftliche Vermittlung von vornherein eine wesentlich größere Rolle als in den FSS des praktischtechnischen Bereichs; d. h., eine zweite Hürde, um in diese Wissensgebiete vorzudringen, bestand im Lesen- und Schreibenlernen. Schließlich aber war nicht nur das Sprachgewand fremd; neuartig waren vielmehr auch die in der Fremdsprache vermittelten Inhalte. Versuche, die neuen Inhalte auf Dt. zu erfassen und auszudrücken, gab es ⫺ z. B. in der Theologie und Philosophie ⫺ schon früh. Dazu mußten freilich größtenteils die sprachlichen Mittel erst einmal geschaffen werden. Die dt. Texte entstanden demzufolge in enger Anlehnung an die lat. Vorlagen, bis in den Satzbau hinein. Die vorhandenen syntaktischen Mittel und Möglichkeiten und die der Wortbildung, besonders im Bereich der Abstrakta, wurden auf diese Weise erweitert, neugestaltet und zum Ausdruck komplizierter Sachverhalte fähig gemacht. Schwierige Begriffe wurden oftmals als fremdsprachige Brocken in der Übersetzung stehen gelassen, wodurch ihr Terminuscharakter unterstrichen wurde. Vor allem aber führten die Aneignungsbemühungen zu einer Fülle von ⫺ teilweise synonymen ⫺ Lehnprägungen aller Art. Diese Verfahren der sprachlichen Integration trifft man, vor allem in der Lexik, wiederum in der Neuzeit an, als das Lat. als Wissenschaftssprache mehr und mehr vom Dt. verdrängt wurde. Allerdings darf man nicht übersehen, daß die Landessprachen im Laufe der Geschichte ihrerseits in wachsendem Maße auf das Gelehrtenlatein einwirkten. Nicht nur neue Erkenntnisse also veränderten das Fachlatein vom Mittelalter zur Neuzeit, sondern es kamen Anstöße zur Veränderung auch aus den jeweiligen Landessprachen, die das Latein „von innen her“ umgestalteten. Neulat. Texte wirken manchmal wie übersetztes Dt., Frz. usw. Bei der Verflechtung von Lat. und jeweiliger Landessprache darf die Historiographie der FSS nicht beim ersten Auftreten eines Fachwortes in landessprachlichen Texten beginnen, sondern muß dessen lat. Vorgeschichte unbedingt miteinbeziehen (Seibicke 1973, 28). Die wechselseitigen Beziehungen sind aber leider

2383 noch zu wenig erforscht; das Neulat. ist nahezu eine terra incognita (wichtige Vorarbeiten: Höfler 1971; Prinz 1978; s. a. Lerch 1940; Eurolatein 1996). Die Wissenschaftsdisziplinen und Fachgebiete sind natürlich auch in diesem Bereich nicht ein für allemal festgelegt. So befreit sich etwa die Philosophie allmählich sowohl aus der Umklammerung der Theologie als auch aus der Begrenztheit des Triviums und erringt Eigenständigkeit. Im 18./19. Jh. bilden sich weitere neue Geistes- und Gesellschaftswissenschaften mit eigenen Terminologien heraus, wie z. B. Pädagogik, Psychologie, Sprachwissenschaft, Soziologie, die ihrerseits in Teildisziplinen und „Schulen“ mit speziellen Fachvokabularen unterteilbar sind. Besondere Erwähnung verdient die Rolle des Arab. im 10.⫺13./14. Jh. für die Entwicklung der Wissenschaften und der Wissenschaftssprachen; denn bei den Arabern hatte die antike Wissenschaft und Kultur eine Heim- und Pflegestätte gefunden. Von ihnen wurde sie tradiert, verbessert und später den christlichen Völkern vermittelt. So gelangte eine Vielzahl arab. Fachwörter, z. B. der Astronomie und der Mathematik, ins Gelehrtenlatein und von dort in die europäischen Landessprachen. In diesem Zusammenhang müssen natürlich auch Alchimie und Medizin genannt werden, die ebenfalls der arab. Vermittlung viel verdanken. Trotz allem Hantieren und Produzieren gehört nämlich auch die Alchimie zum geistig-spekulativen Bereich, zumal die Alchimisten selbst sich keineswegs als „Handwerker“ verstanden. Eigenwillig ist ihre geheimnisvolle, mystisch-kabbalistische Arkansprache, mit deren Hilfe sie sich von der übrigen Gesellschaft abschotteten und selbst Gleichstrebenden nur verschlüsselte Botschaften zukommen ließen. Bemerkenswert ist auch der reichliche Gebrauch von Abkürzungen und Symbolen in ihren Schriften ⫺ Vorstufen der künftigen chemischen Zeichen- und Formal„sprache“. ⫺ Auch die Heilkunde ist in mancher Hinsicht theoretisch-spekulativ ⫺ es bestehen auch enge Verbindungen zur Alchimie ⫺ und darf deshalb zu einem guten Teil dem geistigen Bereich zugeordnet werden. Zumindest da, wo sie mit dem lat.-arab. Schrifttum befaßt ist, steht sie einer Wissenschaft näher als dem „Handwerk“. Zum hergebrachten Wissen und Können stoßen hier viele neue Gedanken und Verfahren aus nichtdeutscher Überlieferung, die die FS der Medizin stark beeinflussen,

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

und trotz Paracelsus bleibt die Sprache der medizinischen Theorie noch lange das Lat. In einem langwierigen und komplizierten Prozeß gehen aus der gegenseitigen Durchdringung von Spekulation und Umsetzung in Praxis einerseits, reflektierter Praxis und theoretischer Überhöhung andererseits die neuzeitlichen Naturwissenschaften und die naturwissenschaftlich fundierten „Techniken“ samt ihren speziellen FSS hervor. Es ist zugleich ein Prozeß der Ablösung vom Lat. Die Forscheringenieure der Renaissance und des Barocks gehen hierbei voran (grundlegend dazu: Olschki 1919⫺27). Selbst dort, wo das Lat. noch als Wissenschaftssprache herrschend ist, gerät es jetzt unter den Einfluß der mit der Praxis enger verbundenen Landessprache. Viele lat. und griech. Ausdrücke jedoch werden als Termini beibehalten, viele neue Fachwörter aus klassischem Sprachmaterial künstlich zusammengefügt, und die Nomenklaturen (z. B. in der Anatomie, der Chemie, der Zoologie und Botanik, der Mineralogie) sind fast durchweg von den klassischen Sprachen beherrscht. Die terminologische Entwicklung in den Wissenschaftssprachen besteht aber selbstverständlich nicht bloß in der Vermehrung oder Neuformung der Fachlexik, sondern geht in Richtung auf höhere Abstraktheit, theoretische Durchdringung, Systematisierung und Begriffshierarchisierung und ist mit der Ausarbeitung neuer, exakterer Methoden verbunden, wodurch insgesamt die Qualität der Terminologie sich wandelt.

4.

Schlußbemerkungen

Bekannte Merkmale moderner Fach- und Wissenschaftstexte sind beispielsweise: ein überdurchschnittlich großer Anteil von Passivsätzen; Reduzierung der Satzperioden zugunsten einer starken Erweiterung der Nominalgruppen; ein hoher Grad an Begrifflichkeit, die sich im Übergewicht nominaler Fachausdrücke niederschlägt; Steuerung bzw. Systematisierung der Terminibildung und Abbau der stilistischen Wortvariation; häufige Verwendung von Abkürzungen und Kurzwörtern (besonders auffällig etwa bei der Benennung von Kunststoffen); Anwachsen der Zahl von Wortgruppen-Termini. Alle Möglichkeiten der Darstellung werden genutzt: Abbildung, Zeichnung, Skizze, Symbol, Formel, Tabelle. In neuester Zeit macht sich der Einfluß des Engl. und vor allem

des Angloamerikanischen in unübersehbarer Weise bemerkbar; auf einigen Gebieten werden die Forschungsergebnisse fast nur noch in engl. Sprache veröffentlicht (vgl. Lippert 1978; Kalverkämper/Weinrich 1986). Die FSS der Technik, der Industrie und der Naturwissenschaften zeichnen sich außerdem durch einen gewaltigen Wortbedarf und zugleich Wortverschleiß aus, verursacht durch eine Fülle von Entdeckungen, Erfindungen und neuen Produkten, die das vorangegangene Vokabular rasch veralten lassen. In den Geisteswissenschaften vollzieht sich der terminologische „Umschlag“ insgesamt langsamer, jedoch schneller als vor hundert oder zweihundert Jahren. Die Fortschritte und Spezialisierungen in allen Bereichen von Wissenschaft und Technik haben ein weites und farbenreiches Spektrum an Fachgebieten und FSS entstehen lassen, in denen praktisch-technische und theoretisch-wissenschaftliche Aspekte vielfältig ineinander verwoben sind. Zu dieser vertikalen Schichtung (im Sinne der Prager Funktionalstil-Theorie) kommt eine vermehrte horizontale Auffächerung in Teildisziplinen oder sich neu etablierende Fächer hinzu („die“ Mathematik, „die“ Physik, „die“ Biologie usw. und eine jeweils einheitliche FS gibt es nicht mehr; die Medizin umfaßte schon immer mehrere Teilgebiete). Gleichzeitig ist die Verzahnung der Fächer weit fortgeschritten: In dem Riesengebäude der Medizin z. B. belegen Elemente physikalischer, chemischer, biologischer, mathematischer, elektrotechnischer und vieler anderer FSS heute eigene Räume oder gar Geschosse; an der Ökologie sind die verschiedensten Sach- und Fachgebiete und Wissenschaften beteiligt usw. Es ist begreiflich, daß unter diesen Umständen zum einen die FSS mehr und mehr sich selbst zum Problem wurden und zum anderen die Kommunikationsbarrieren untereinander und erst recht die zwischen Fachmann und Laien-Öffentlichkeit rapide anstiegen, obwohl über die Schulausbildung, die neuen Medien und nicht zuletzt durch das Eingreifen der Fachgebiete bzw. ihrer Produkte und Resultate ins Alltagsleben eine Vielzahl von Fachwörtern in den Sprachbesitz der Allgemeinheit übergegangen ist. Der Übergang zum Engl. als übernationaler Fach-„Koine¯“ tut ein übriges, die Kluft zwischen Fachmann und Laie zu vertiefen. ⫺ Kennzeichnend für das 20. Jh. sind m. E.: die kaum noch überschaubare Menge von Fachwörterbüchern; die Entwicklung einer FSS-

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Linguistik und einer FSS-Didaktik, letztere zunächst im Fremdsprachenunterricht, dann aber auch im muttersprachlichen Unterricht; das Aufkommen einer neuen Art von Schrifttum: das Sachbuch und der Bericht der Wissenschaftsjournalisten. Mit dem Computer und den neuen elektronischen Medien hat eine neue Epoche in der Geschichte der FSS begonnen.

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Wilfried Seibicke, Heidelberg

166. Sondersprachen in historischer Entwicklung 1. 2. 3. 4.

1.

Sprachgeschichte und Gruppengeschichte Sprachliche Vermeidungsregeln als historisch tradiertes Aufbauprinzip Sondersprachen und ihre Gruppengeschichten Literatur (in Auswahl)

Sprachgeschichte und Gruppengeschichte

In der Sprachgeschichtsforschung besteht seit langem Einhelligkeit darüber, daß Sprachveränderung vor allem das Resultat gruppensprachlichen Handelns ist. Demnach gilt das bevorzugte Interesse jenen Prozessen und Resultaten, welche, entwicklungsrelevant, in der „Sprachfähigkeit und Sprachpraxis“ einzelner Gruppen ihren Ursprung haben (von Polenz 1991, 18). Wenn heute innerhalb der Gesamtsprache Dt. die Standardsprache als nicht gruppengebundene Varietät charakterisiert werden kann, dann weist dieser Befund auf einen historisch gewachsenen Ausgleich zahlreicher Einzelgruppen zugunsten der größeren kommunikativen Reichweite, zugleich aber auf die synchrone Koexistenz vielfältiger Gruppen und der zugehörigen Varietäten (Möhn 1998, 171).

Das Lexikon der dt. Sprache enthält eine Vielzahl an Morphemen und Lexemen, welche die Existenz von Gruppen in der Gesamtgesellschaft bezeugen und in der Abfolge ihres historischen Auftretens den Zusammenhang zwischen dem jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Zustand und seinen Teilgruppen erhellen. Vor allen anderen ist das Suffix -schaft zu nennen, das ursprünglich einen Zustand bezeichnete und immer mehr zur Kennzeichnung einzelner sozialer Organisationen genutzt worden ist: z. B. Ärzteschaft, Bauernschaft, Beamtenschaft, Bekanntschaft, Belegschaft, Gemeinschaft, Genossenschaft, Gesellschaft, Gewerkschaft, Handwerkerschaft, Körperschaft, Mannschaft, Ritterschaft, Schülerschaft, Seilschaft, Studentenschaft, Verwandtschaft. Darüber hinaus belegt die beachtliche Zahl von Einzellexemen die Einschlägigkeit der Gruppenexistenz: Bande, Bund, Clan, Clique, Familie, Gang, Gemeinde, Gesinde(l), Gilde, Gruppe, Hanse, Horde, Kreis, Mafia, Rotte, Schar, Sippe, Sekte, Syndikat, Truppe, Verein, Zunft. Hinzu kommt die Menge der Berufsbenennungen, welche ihrerseits wieder in zahlreichen Wortverbindungen auftauchen.

2392

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Schon eine oberflächliche Betrachtung dieser Sprechergruppenbenennungen läßt erkennen: sie sind nicht losgelöst vom Prozeß der Arbeitsteilung zustandegekommen (vgl. z. B. Ärzteschaft, Beamtenschaft, Gilde, Hanse, Zunft), verwandtschaftliche Beziehungen können eine Gruppe stiften (Familie, Sippe, Verwandtschaft), in vielen Fällen waren die primären Gruppen der Kriegergemeinschaft Benennungsvorbild: Bande, Gesinde(l), Horde (aus dem Türkischen übernommen), Rotte, Schar, Truppe; Kontakte mit anderen Kulturen schufen neue Gruppenkategorien (Clique, Gang, Mafia); schließlich weist das Lexikon heute mehrere abwertende Benennungen für Gruppen nach (Bande, Gesindel, Horde). Von der Sozialpsychologie und Gruppensoziologie ist die menschliche Neigung, sich in Gruppen zu organisieren, immer wieder hervorgehoben worden (z. B. Allport 1971; Schäfers 1980). Gruppenbildung und Gruppenleben entsprechen einem ausgeprägten Bedürfnis einzelner nach Soziabilität; die Wir-Gruppe bietet dem Einzelnen ein konventionelles Gefüge von Handlungsmustern, deren Mißachtung Sanktionen zur Folge haben kann, und damit zugleich ein Unterscheidungsraster gegenüber anderen Teilgruppen in der Gesellschaft. Derartige gruppenspezifische Handlungsmuster sind soziale Grenzwertgeber. Sie offenbaren sich, abgesehen von Maßstäben der jeweils gültigen Sozialordnung (vgl. z. B. die soziale Kategorie der Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, vgl. Schubert 1995, 121ff.), in Kleidung (z. B. Berufskleidung), Haartracht und vor allem im Sprachgebrauch. Sprache ist ein hervorragendes Mittel der internen Gruppenfestigung und externen Gruppenprofilierung (Möhn 1998, 168f.). Eine damit intendierte vorrangig isolative Funktion, unter zahlreichen anderen, hat zur Definition einer Sprachvarietät „Sondersprache“ innerhalb der Gesamtsprache Dt. geführt. Diese Varietät, die in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen (⫽ Sondersprachen) repräsentiert ist, dient der Nichtmitglieder ausschließenden Kommunikation von Gruppen, die in Opposition zu anderen Gruppen oder zur Gesamtgesellschaft stehen; sie ist charakterisiert durch eine besondere Auswahl, Frequenz und Verwendung sprachlicher Mittel, die sich auf kontrastive sprachliche Vermeidungsregeln (s. u.) zurückführen lassen. Sondersprachen werden vor allem gesprochen, seltener geschrieben; sie sind, entsprechend der Gruppenexistenz, zunächst regional begrenzt, können aber mit der Mobilität und

Expansion einer Gruppe auch überregional werden; sie finden in Verwendungssituationen Anwendung, die dem jeweiligen Handlungsspektrum einer Gruppe genügen. Auf die Sprachgeschichte gewendet kommt es darauf an, in der jeweiligen Zeit einzelne Gruppen zu bestimmen und ihre Gruppensprache auf die sondersprachlichen, d. h. sozial ausgrenzenden Merkmale hin zu untersuchen. Eine derartige historische Überprüfung vermag auch zu belegen, weshalb in der Diskussion und Definition der Sprachvarietäten lange Zeit Fach- und Sondersprachen unter dem Begriff „Sondersprachen“ zusammengefaßt worden sind. Dies hängt einmal mit der Berufsauffassung der jeweiligen Fachleute zusammen; so ist streckenweise die alchemistische Fachsprache zugleich Geheimsprache (Arkansprache). „Diese Kreise, die am technischen Fortschritt des späten Mittelalters maßgeblich beteiligt waren, suchten aus sozialethischem Verantwortungsgefühl zu verhindern, daß Unbefugte ihre Erkenntnisse zum Schaden der Menschheit mißbrauchen könnten“ (Eis 1962, 16). Ein anderes Beispiel bieten die überlieferten Handschriften zur Fechtersprache des 14./15. Jhs., in denen die gewählte Sprachtechnik beschrieben wird als Verwendung verborgener und verdeckter Worte, „darumb das die Kunst nitt gemain solt werden“ (Wierschin 1965, 97). Die isolative, also Außenstehende ausschließende Funktion kann auch durch den Gebrauch einer nicht der Gesamtgesellschaft verfügbaren Sprache erreicht werden. Prominente Zeugnisse liefert die Sprachgeschichte der Medizin. Pörksen (1994, 19ff.) hat am Beispiel von Paracelsus die „Anstößigkeit des Deutschen“ in engem Zusammenhang mit der Frage gesehen, „in welchem sozialen Umfeld Wissenschaft getrieben und verbreitet werden sollte“, und die prozeßhafte „Niederlegung der lateinischen Trennmauer“ rekonstruiert. Gegenüber einer historisch exklusiven Bestimmung fachsprachlichen Gebrauchs zeigt die Entwicklung heute, daß Fachsprachen grundsätzlich öffentlich zugängig sind, wie etwa die Breite fachlexikographischer Publikationen und die Zunahme fachexterner Texte belegen. Dies gilt nicht in gleichem Maße für die Zugänglichkeit fachlicher Verwendungssituationen; die enge Bindung von fachsprachlichem Gebrauch und Fachsituation läßt Fachsprachen dann zur Sondersprache werden, wenn sie in Gegenwart von Nichtfachleuten, diese ausschließend, verwendet werden. In einer solchen sonder-

166. Sondersprachen in historischer Entwicklung

sprachlichen Funktion wird Fachsprache als Jargon qualifiziert. Ein zweiter Grund für die Schwierigkeit, begrifflich zwischen Fach- und Sondersprachen klar zu trennen, liegt in der sozialgeschichtlich zu beobachtenden Erscheinung, daß in vielen arbeitsteilig motivierten Fachgruppen gleichzeitig die Tendenz bestand, den schon durch die fachliche Spezialisierung gegebenen sozialen Status durch zusätzliche sprachliche Muster ⫺ neben den fachlich bedingten ⫺ zu verstärken. Derartige, in der Sprachgeschichte vor allem als Standessprache erfaßten Sprachformen haben dazu geführt, daß manche Gruppensprachen sich heute, als Ergebnis einer sprachgeschichtlichen Entwicklung, als ein Gemisch von fach- und sondersprachlichen Anteilen darstellen lassen, wie etwa die Jägersprache (vgl. Lindner 1966⫺67; zur Problematik der Varietätenmischung in Gruppensprachen Möhn 1998, 175).

2.

Sprachliche Vermeidungsregeln als historisch tradiertes Aufbauprinzip

Wenn sich auch Art und gesellschaftliche Funktion der Gruppen innerhalb der geschichtlichen Entwicklung unterscheiden, sind die Prinzipien der sondersprachlichen Grammatik offensichtlich konstant geblieben; sie lassen sich unter Bezug auf die jeweils allgemein herrschenden Sprachen auf den Grundsatz: „Vermeide“ zurückführen. Dieser Grundsatz hat zahlreiche enttarnende Aufzeichnungen angeregt (vgl. die Sammlung von Kluge 1901), in denen die Regeln verzeichnet sind, durch welche die Gruppenmitglieder in Stand gesetzt werden, „mit einer bekannten sprach in einer andern bedeutung einem in geheim etwas zu sagen“ (Beleg um 1620, Kluge 1901, 133). Der Erwerb der Sondersprache gehört zur gruppenspezifischen Sozialisation: „Er könne die SpitzbubenSprache vollkommen. Denn sein Vater hab ihn immer deshalb geschlagen und gesagt: Du Strick und Widstock, willst du nicht platt [⫽ vertraut mit der Gruppensprache] werden“ (Verhörprotokoll 1753, Kluge 1901, 221). Daß Verstöße gegen die Sprachdisziplin in der Gruppe geahndet wurden, zeigt für die Jäger das Ritual des Weidmesserschlagens („wie man diejenigen Personen, welche bei einem ordentlichen Gejeid unweidmännisch reden, […] strafen solle“, Lindner 1967, 109). Als gruppeninternes Regelwerk, das den

2393 Sprachgebrauch einschließt, sei schließlich der Komment studentischer Vereinigungen genannt. Die Regelhaftigkeit von Sondersprachen war offensichtlich so ausgeprägt, daß Schottel in seiner „Ausführlichen Arbeit von der Teutschen Haubt-Sprache“ (1663) einige Seiten den „viererley Arten des also genannten Rotwelschen“ widmen konnte. Im folgenden sollen einige Hauptregeln näher vorgestellt werden, ohne daß damit behauptet wird, alle würden gleichermaßen in allen Sondersprachen vorkommen. Eine der wichtigsten Regeln sind Laut- und Silbenmetathese sowie Laut- und Silbenerweiterung. Beispiele: ich ⬎ chi; Meister ⬎ Steimer; Mutter ⬎ Tumter; eilen ⬎ leien. Beginnt ein Wort mit zwei Konsonanten, so werden beide vertauscht und ein e eingeschoben, frisch ⬎ refisch; groß ⬎ regoß usw. Ebenso kann man ein gewöhnliches Wort durch Einschübe verfremden, die Einschübe richten sich nach Art und Zahl der Silbenvokale: Wolf ⬎ Wobolf; Silber ⬎ Sibilbeber; wer glaubt und getauft wird ⬎ weber glabaubt ubund gebetabaufebet wibird. Eine Kombination von Lautmetathese und Silbenerweiterung stellt das Verfahren dar, den Anfangskonsonanten eines Wortes ans Ende zu ziehen und -en anzuhängen, also: Willst du mit mir nach Halle ziehen ⬎ illstwen uden itmen irmen achnen allehen iehenzen.

Ein zweites Verfahren, die konventionelle Grammatik zu brechen, ist die Ausdehnung, Verabsolutierung weniger, z. T. fremdsprachlicher Flexions- und Wortbildungsmuster; dies trifft schon für die letztgenannten Beispiele zu, vgl. in der Gaunersprache: Blechling ‘Kreuzer’, Flößling ‘Fisch’, Griffling ‘Hand’ oder in der Studentensprache: gemorken ‘gemerkt’, geprollen ‘geprellt’, geschanken ‘geschenkt’; anpumpigen, berappigen, einkneipigen; burschikos, studentikos, schanderös, schmissös ‘narbenreich’.

Neben den vorstehenden eher formalen Vermeidungsverfahren ist vor allem die Mißachtung vorhandener Bedeutungszuordnungen und -distributionen dominant. Auf dieser Grundlage entstandene kontrastive Lexika müssen immer auf ihr Gegenstück, ein in der jeweiligen Zeit allgemein geltendes „bürgerliches“ Lexikon bezogen werden. Durch die Kopplung von nach dessen Regeln nicht zusammenfügbaren Lexemen entstanden neue Bedeutungsgefüge, etwa in der Studentensprache: erkleckliches Pech, etwas höllisch gut finden. In diesen Zusammenhang gehört auch die Verfremdung gängiger Sprüche und Slo-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

gans in der heutigen Jugendlichensprache, etwa: Edel sei der Mensch, Zwieback und gut; es gibt viel zu tun, fangt schon mal an. Zur Entwicklung eines sondersprachlichen Lexikons reichten die o. a. Manipulationen an der gängigen Sprache nicht aus, vielmehr wurden, je nach Kontaktmöglichkeit, Bestandteile verschiedener fremder Sprachen integriert. Ein besonders deutliches Beispiel ist die Entwicklung des Rotwelschen (zur Sprachbezeichnung Lühr 1996), dessen frühe Bestände (13. Jh.) als ganz aus dt. Sprachgut, altertümlich-obsoleten, willkürlich umgewandelten oder neugebildeten Wörtern (Arnold 1968, 93) charakterisiert wurden, zu denen aber bald, den jeweiligen Bestand ergänzend oder erneuernd, hebr. und jidd. Wortgut sowie Transferenzen aus dem Roman hinzukamen; desgleichen erfolgten Übernahmen aus den jeweils kontaktierten Dialekten. Die Analyse einer heutigen rotw. Ortsmundart, des Manischen in Gießen ergab, daß von 574 Wortstämmen 402 romanieigener, 84 deutscher, 65 jidd. Herkunft zuzurechnen sind (Lerch 1976, 149). Die regionale Vielfalt, die sich aufgrund der verschiedensten Kontakte der zugehörigen Sprechergruppen entwickelte, war so groß, daß bei der sprachhistorischen Rekonstruktion von einem Konzept der Rotwelsch-Dialekte ausgegangen werden kann (Siewert 1996 mit Belegkarte). Neben dem Rotw. nutzten die Studenten des 18./19. Jhs. vor allem Frz., Lat. und Griech. als Sprachspender und Verfremdungsmittel, Vergleichbares zeigt die Sprache der Pennäler um die Jahrhundertwende (Eilenberger 1910, 38). Das gleiche Motiv ⫺ bewußte Abkehr von der Sprachkonvention ⫺ belegen Nutzung und Nachbildung älterer dt. Monatsbezeichnungen in der Wandervogelbewegung: Hartung ‘Januar’, Hornung ‘Februar’, Lenzing ‘März’ usw. In die Sprache der Nachkriegsjugend ist verstärkt das Angloamerikanische eingegangen, sein Gebrauch markiert den Sprachabstand zur älteren Generation, z. B. angry, down, porky, power, aber auch adaptierte Formen wie looken, smoken, tellen, writen, worken. Das jeweils für den einzelnen Zeitpunkt vorfindliche Gemisch in den Sondersprachen erschließt nicht nur die sprachlichen Kontaktgeschichten der Gruppen, sondern auch besonders einflußreiche Änderungen in der Gesamtgesellschaft, etwa die Entwicklung der Technik. Ihre Spuren reichen in der Sprache der Jugend von lange Leitung haben (Jahrhundertwende: ‘langsam reagieren’) bis

falsch programmiert sein ‘falsch reagieren’ in der Gegenwart oder auch die unterschiedlichen Metaphern für ‘Wanzen’ in der Soldatensprache der beiden Weltkriege: schwere Kavallerie versus Fallschirmjäger. Zu den wichtigen lexikalischen Mitteln, eine Gruppensprache zu organisieren, rechnen die gruppenspezifischen Eigennamen. In einer der frühesten Quellen zur Geschichte des Rotw. „Der boven orden“ (Der Bubenorden Köln 1505, Kluge 1901, 31ff.) werden die Namen der Ordensbrüder (namen der broder) mitgeteilt, etwa Galgen swengell, Lantschade, Ruyme die Kyste, Stapelgeck. Eis (1962, 49) weist darauf hin, daß im „Meier Helmbrecht“ ähnliche Gaunernamen auftauchen, es offensichtlich im 13. Jh. schon einen festen Katalog derartiger Namen gegeben habe, als Zugriffsmöglichkeit für die Schriftsteller. Je geregelter Ruf- und Familiennamen zum Hilfsmittel staatlicher Administration wurden, je stärker wurde in den Gruppen mit kriminellem Einschlag der Zwang zum onomastischen Kontrast. Analog zu den o. a. Kontrastpaaren der Appellativa lassen sich entsprechende für die Propria in den Gruppengeschichten ermitteln, etwa mit der obrigkeitlichen Vergleichspartikel vulgo oder alias, z. B. im 19. Jh.: Johannes Werner vulgo Wut wut wut oder Krügerhannes; Johannes Bückler vulgo Schinderhannes. Zusatznamen sind auch heute üblich, wie etwa Berichte aus der „Szene“ belegen; so erwähnt die BILD-Zeitung Hamburg (23. 10. 1982) anläßlich eines Mordfalles folgende Personen: Angie (Jürgen Becker), SS-Klaus (Klaus Breitenreicher), Karate-Tommy (Thomas Born). Das Spektrum derartiger gruppeninterner Namen reicht vom Verbergen der Identität bis zum sprachlichen Ausweis besonderer Gruppenintimität, hierher gehören auch die Kose- und Spitznamen in der Familie, in der Arbeitsgemeinschaft, in der Clique, im Verein. Zur Entwicklungsgeschichte gehört, daß ursprünglich gruppenintern gegebene und verwendete Einzelnamen (Schleif- oder mittelbare Berufsnamen, Bach 1960, 463) später zur Außenbenennung (⫽ Gruppenschelte) des gesamten Berufszweiges genutzt werden, z. B. Knieriem für Schuhmacher (Klenz 1910, 141; dort auch die erweiterte Form Knierieminalrat). Im sondersprachlichen Lexikon existieren syntaktische Verbindungen mit festliegender Bedeutung, z. B. den Bär losmachen, voll im Frust sein. Wenn auch grundsätzlich Merkmale der gesprochenen Sprache in der Syntax

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166. Sondersprachen in historischer Entwicklung

überwiegen, darf nicht übersehen werden, daß im Rahmen gruppeneigener Rituale auch stärker schriftsprachlich-archaische Formen der Syntax möglich sind, etwa im studentischen Komment oder in den Gesetzen und Eidesformeln von Mordbrennerbanden (Küther 1976, 92). Die Vermeidungsregeln beziehen sich auch auf die geschriebene Sprache; neben den bereits erwähnten Sprachtechniken und dem Gebrauch von unsichtbaren Tinten gehört dazu die Schaffung eines eigenen Zeichensystems, der sogenannten Zinken, in Gaunerund Mordbrennerkreisen; dieses verhüllende Schriftsystem ist mindestens seit dem 16. Jh. belegt, hat sich unter Stadt- und Landstreichern bis in die Gegenwart gehalten (Beispiele auch für eine komplexere Zinkensyntax bei Puchner 1974). Eine gänzlich andere Funktion haben Wandsprüche (Graffiti) an öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Gebäuden; sie dienen vor allem der „Veröffentlichung“ von Wertekategorien jugendlicher Alterskultur. Sondersprachen zeigen in der Geschichte der dt. Sprache Kontrast- und Komplementärgruppen an, in denen die Sprache nur ein Mittel der gesellschaftlichen Distanzierung war und ist: hinzukommen können eine besondere Kleidungskonvention (etwa das Tragen von Schlafröcken durch Studenten des 19. Jhs. auf offener Straße), eine besondere Haartracht und vor allem der Aufbau gruppeneigener Organisationsformen, für welche oft die umgebende Gesellschaft Anlaß und Abbildfunktion war; etwa, wenn nach den drei Normjahren akademischer Ausbildung der vergangenen Jhe. zwischen Fuchsenstand, Burschenstand und Kandidatenstand geschieden wurde, die zusammen die Gegengesellschaft zu den Philistern markierten. Ein weiteres Beispiel ist die gruppenexternen Vorbildern verpflichtete Hierarchisierung innerhalb der Räuberbanden des 19. Jhs., die in einzelne Klassen zwischen den Chefs und den Jungen aufgeteilt waren (zu Einzelheiten Bekker 1804, Tl. 2, 10). Eine derartige Spezialisierung innerhalb einer Gruppe ist seit dem 15. Jh. in einer Vielzahl von Dokumenten überliefert (Kluge 1901). Auch die Umfunktionierung bürgerlicher Reiserouten in gruppenspezifische Diebesstraßen, an denen Herbergen zugleich Kochemer Häuser (also mit geheimen Zimmern) waren, gehört hierher; es existierte eine regelrechte Pennengeographie für die Eingeweihten, die Kochemer (vgl. jidd.: chochom ‘der Weise’).

3.

Sondersprachen und ihre Gruppengeschichten

3.1. Berufsgemeinschaft und Sprachintimität Die kleinstmögliche Gruppe mit sondersprachlicher Ausprägung ist die Zweierbeziehung, um die herum sich oft Familie und Sippe ausgebildet haben; Leisi (1978, 36) hat das „wechselseitige Spendverhältnis“ von Paarsprache und Familiensprache hervorgehoben. Paar, Familie und Sippe stehen innerhalb einer menschlichen Gesellschaft für eine Mikrogemeinschaft mit eigenem Wertesystem, verfügen intern, d. h. nichtöffentlich, über eine spezifische Rollenkonstellation und ein ausgeprägtes gemeinsames Vorwissen. Dieses Vorwissen schlägt sich in einer Vielzahl von Präsuppositionen nieder, die ein Nichtmitglied aus dem Gruppengespräch ausscheiden, und ebenso in einer Vielzahl von sprachlichen Indikatoren mit demselben Effekt, z. B. die Verwendung von Orts- und Spitznamen, die für die Mitglieder eine „besondere“ Bedeutung angenommen haben. Mit dem Fortschreiten der Arbeitsteilung in der Geschichte des menschlichen Gemeinwesens trat als ein weiterer Typ der Intimgemeinschaft die Berufsgemeinschaft stärker hervor; auf dem Hintergrund der gemeinsamen Arbeit, getrennt von der Familie, bildeten sich neuartige enge Beziehungen heraus, welche die Entwicklung von Sondersprachen in komplementärer Funktion zu den Fachsprachen veranlaßten. Die Geschichte der Sprachvarietäten belegt diese Abhängigkeit; hierher gehörten die von Eggers (1963, 236) vermutete adt. mönchische Umgangssprache der Scholaren als Kontrastmittel zu den Regeln der „sehr strengen Klosterzucht“, ebenso wie die Sprachgewohnheiten einer Mitarbeitergruppe innerhalb eines Universitätsinstituts (vgl. Steger 1964). Das heute vorfindliche Gemisch von sonder- und fachsprachlichen Elementen in der Jägersprache, das Lindner (1966⫺67) in seiner historischen Rekonstruktion aufgezeigt hat, ist ein weiterer Beleg, oder wenn Hamburger Taxifahrer sich über Funk unterrichten: In der Bramfelder Chaussee hat Fotoladen eröffnet (⫽ dort steht eine Radarkontrolle). In denselben Entwicklungszusammenhang gehören das „Kaufmannswelsch“ (Schirmer 1911, XLVff.) und nicht zuletzt die Koexistenz von militärischer Fachsprache und soldatischer Gruppensprache im Militär (Möhn 1998, 177). Nicht immer bleiben derartige berufsbezogene sondersprachliche Markierungen auf die

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

engsten Mitglieder beschränkt, mit der Popularisierung der Jazzmusik wurden etwa Benennungen für Musikinstrumente und Musiker, wie Pfanne ‘Banjo’, Schießbude ‘Schlagzeug’, Tastenhengst ‘Klavierspieler‘, in die Sprache der Jugendlichen und teilweise in die Medien übernommen; ein anderes Beispiel ist die Verwendung von Spitznamen für Sportler außerhalb der Mannschaft in den Fanklubs. 3.2. Literarische Gesellschaften Eine besondere Form berufsgeprägter Zusammenschlüsse sind literarische Gesellschaften. Hierher gehört, mit einer gewissen Einschränkung, auch die 1617 von Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen gegründete Fruchtbringende Gesellschaft; sein Vorbild war die Florentiner Accademia della Crusca. Die Namenwahl für die bedeutendste deutsche Sprachgesellschaft des 17. Jhs. wurde damit erklärt, „damit ein jedweder, so sich hinein begiebet oder zu begeben gewillet, anders auch nicht, als was fruchtmäßig zu Früchten, Bäumen, Blumen, Kräutern oder dergleichen gehörig […] immer erwählen könne und darneben überall Frucht zu schaffen geflissen seyn solle“ (Conermann 1985, Bd. 1, A III).

Die Mitglieder, deren Aufgabe es war, sich „der reinesten und deutlichsten Art im Schreiben und Reimen-dichten“ zu befleißigen, erhielten dem Spenderbereich des Gesellschaftsnamens zugehörige Gesellschaftsnamen, z. B. Der Mehlreiche, Der Nährende, Der Wohlbekommende, Der Wohlriechende, Der Blühende, Der Erfrischende. Die Namen waren im Gesellschaftsbuch verzeichnet, integriert in ein Pflanzenbild; beigefügt wurde ein zugehöriges Gedicht, das sogenannte Reimgesetz. Die neuen Namen der Mitglieder hatten, vor dem angezeigten Spenderbereich und Aufgabengebiet, zunächst einen Homogenisierungseffekt; sie sollten „das Mitglied an seine eigene Verpflichtung in der Akademie erinnern und es zu diesem Zweck von den Rücksichten auf den eigenen Stand befreien, welche sich an die Nennung vor allem des fürstlichen oder bürgerlichen Namens knüpfen mußten“ (Conermann 1985, Bd. 2, 30).

Auf der anderen Seite wurde damit auch ein Verhüllungszweck erreicht, die Identität der Namensträger war nur wenigen bekannt, blieb der Öffentlichkeit zumeist verborgen. Als ein weiteres prominentes Beispiel für diesen Gruppentyp kann der „Tunnel über der Spree“ dienen. Diesem „literarischen Sonntagsverein“ (Jolles 1993, 6) gehörte

Theodor Fontane an, der 1844 unter dem Namen Lafontaine als ordentliches Mitglied aufgenommen wurde. Auch für diese Vereinigung gilt die Exklusivität der Namengebung, die an Vorbildern und Ähnlichkeiten in Dichtung und Malerei ausgerichtet war; zu den „Tunnelnamen“ zählten etwa Anakreon (Friedrich Eggers), Bürger (Heinrich Smidt), Claudius (George Hesekiel), Feuerbach (Ferdinand Streber), Gryphius (Anton Gubitz), Immermann (Wilhelm von Merckel), Rubens (Adolf Menzel). Wie der Briefwechsel Fontanes (Erler 1987) ausweist, wurden die Tunnelnamen zwischen Mitgliedern als Anrede und bei Nachrichten über andere Mitglieder regelmäßig verwendet. Über weitere Gruppenspezifika unterrichten die überlieferten Protokolle der Tunnelsitzungen. Als drittes Beispiel aus der Subkategorie der literarischen Gesellschaften sei der „Club der Galgenbrüder“ genannt. Christian Morgenstern hat mit seinen Galgenliedern als Mitglied dieser Vereinigung ein literarisches Denkmal gesetzt. Die Galgenbrüder führten die Namen Verreckerle, Schuhu, Stummer Hannes, Veitstanz, Spinna, Fahe-rügghh, Gurgeljochem und Rabenaas; die Namen verweisen auf den Ausbau des Galgensujets. Angefangen hatte alles mit dem Ausflug auf einen Galgenberg in der Nähe Potsdams; das Ende markierte ein ausgebautes Gruppenritual. „Ein sonderbarer Kult vereinte sie. Zuvörderst wird das Licht verdreht, ein schwarzes Tuch dann aus dem Korb und übern Tisch gezogen, mit Schauderzeichen reich phosphoresziert […]“ (Morgenstern 1989, 46). Dazu kamen die galgenbezogenen lyrischen Stücke, an erster Stelle das „Bundeslied“: O schauerliche Lebenswirrn, wir hängen hier am roten Zwirn! Die Unke unkt, die Spinne spinnt, und schiefe Scheitel kämmt der Wind. In den Galgenliedern tritt nicht zuletzt der sprachspielerisch-kreative Zug hervor, der als ein Merkmal von Sondersprachen immer wieder betont worden ist (Möhn 1998, 173f.) und hier massive Änderungen in der Literatursprache anzeigt. 3.3. Ehrliche und unehrliche Leute Folgenreich für die Ausbildung von sondersprachlichen Gruppen bis in die Gegenwart waren mittelalterliche Ständeordnungen, die zwischen ehrlichen und unehrlichen Gewerben unterschieden. Diese soziale Kategorisierung nahm Bezug auf eine schon deutlich existente Arbeitsteilung (verschiedene Gewerbe), legte aber mit der Unterscheidung in ehrlich

166. Sondersprachen in historischer Entwicklung

und unehrlich zugleich auch die Kommunikationsgrenzen der jeweiligen Mitglieder fest, etwa in der Weise, daß Unehrliche keine Ehrenämter annehmen konnten, und vor allem, daß den Ehrlichen der Verlust dieses Merkmals drohte, wenn sie intensiven Umgang mit den Unehrlichen pflegten. Die Folge: „Die sozialen Außenseiter zeigten in ihrer Reaktion auf den Verruf den gleichen Drang zur Vergemeinschaftung, der auch den Angehörigen der ehrlichen Stände eigen war“ (Kramer 1971, 857; Schubert 1995, 131ff.: „Versuch zur Selbsthilfe“). Zu den Unehrlichen rechneten u. a. Bader, Müller, Schäfer, Abdecker, Henker, Prostituierte, Fahrende, Spielleute, Landstreicher. Die Untermenge der Fahrenden steht für eine Vielzahl von Professionen wie Akrobat, Gaukler, Puppenspieler, Maulwurfsfänger, Musikant; ihnen eignete, bei aller Mobilität des Mittelalters, daß sie keinen lokal-sozialen Fixpunkt besaßen, zu dem die Seßhaften zurückkehren konnten, sie blieben lant-lauffer. Offensichtlich ist die o. a. ständische Differenzierung von der Kirche wesentlich mitgetragen worden; auf dem IV. Laterankonzil (1215) wurden u. a. Kommunikationsregeln für die Geistlichkeit festgelegt, die dieser den Umgang mit mimi, histriones, joculatores untersagten. Die Unehrlichkeit der Spielleute bedeutete zugleich eine „Gegenkultur“ gegen die herrschende schriftlich-lateinische Welt der Kirche, was nicht verhinderte, daß die fahrenden Spielleute eine feste Funktion in der Gesellschaft etwa anläßlich von Festen übernahmen (SchreierHornung 1981). Das Ausgeschlossensein von „bürgerlichem Stadtleben“ oder „ländlicher Seßhaftigkeit“ (Wolf 1956, 11) des Mittelalters, die Existenz im „ellende“, war Voraussetzung für die wohl bedeutendste Form der Sondersprachen, das Rotw. (vgl. 2). In der Sprachgeschichte des Dt. ist es in einer Vielzahl von dialektalen Varianten belegt (Kluge 1901; Siewert 1996), in der Sozialgeschichte förderten namentlich die Kriege (vor allem der 30jährige Krieg) die Kontinuität des Außenseiterstatus von Gruppen. Waren die Stadtpfeifer (des Rades Spellude, vgl. Schubert 1995, 174) das moderne Resultat der „Verstädterung“ der Spielleute (SchreierHornung 1981), so fanden die Abkömmlinge anderer Fahrender ihren Platz in bestimmten Vierteln der Städte, etwa im „schwarzen Viertel“ von Schillingsfürst in Franken, als aufgrund eines gräflichen Dekrets von 1758 u. a. Weißgerber, Bürstenbinder, Kürschner angesiedelt wurden (Nierhaus-Knaus 1980, 12):

2397 die Ansiedler „brachten von der heimischen Landstraße das Rotwelsch mit und nannten es Jenisch“ (Romani: dsan- ‘wissen’) oder in der Siedlung „An der Margaretenhütte“ in Gießen (Lerch 1976). Aus der Sprache der Fahrenden wurde die städtische Randgruppensprache. 3.4. Vaganten, Räuber und Knastologen War unter den unehrlichen Gewerben (vgl. 3.3.) des Mittelalters eine stattliche Anzahl, die heute zu den anerkannten Berufen zählt, so darf nicht übersehen werden, daß zu den Unehrlichen auch Betrüger und Räuber gehörten. Die Grenzen waren fließend, Gauner tarnten sich als Bärenführer, Kesselflicker, Maulwurfsfänger und trugen dazu bei, daß Vaganten ⫺ Fahrende ⫺ pauschal als Kriminelle betrachtet und behandelt wurden: „[…] unter dem Nahmen der Jauner aber alle diejenigen mit begriffen sind, so nirgends einen gewissen Aufenthalt, oder beständiges häusliches Wesen, auch keine glaubwürdige neue Pässe von ihrer Obrigkeit und ordentliche Nahrung und Gewerb haben, noch suchen, und womit sie sich ehrlich ernähren, nicht darthun können“ (Definition von 1746, Küther 1976, 17).

Zu den Unehrlichen kamen innerhalb der Großgruppe der Vaganten verstärkt seit dem ausgehenden Mittelalter als weitere Teilgruppen die Sinti und Roma mit ihrer Kontrastwelt des ständigen Umherziehens und die Handelsjuden hinzu, deren eigene Subkultur vorrangig religiös, d. h. nichtchristlich, motiviert war. Beide haben die weitere Entwicklung des Rotw. maßgeblich beeinflußt. Das Romani hat wesentlich zur mittel- und oberdeutschen Ausprägung des Rotw., des Jenischen beigetragen (Wolf 1956, 10; Matras 1998, 193 ff.). Mitglieder aller drei Teilgruppen der Vaganten (Schinderhannes beispielsweise war der Sohn eines Abdeckers) schlossen sich zu Räuberbanden zusammen, die seit dem 17. Jh. immer stärker in Erscheinung traten. Ursachen dafür waren nicht zuletzt die Kriege (vom 30jährigen Krieg bis zu den Napoleonischen Kriegen), in deren Folge vorhandene Ordnungen zerstört wurden, Betroffene (entlassene Soldaten, Deserteure, Vertriebene) die Menge der Vaganten verstärkten und versuchten, ihren Unterhalt durch Straftaten zu bestreiten. Die Nomenklatur der Organisation der Räuberbanden läßt oft das militärische Vorbild erkennen. 18. und frühes 19. Jh. markieren den Höhepunkt dieser Entwick-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

lung. Das moderne Verbrechen weist nach wie vor Züge straffer Organisation in Banden auf und damit auch Merkmale von Gruppensprachen, die Bandbreite ist größer geworden. Bei einer sozialen Werteordnung, die die Fahrenden von vornherein einer Gegenwelt zurechnete, bei kriminellen Vergehen, die nicht zuletzt durch die gegebene Werteordnung bedingt waren („Eventuell auftauchende Skrupel konnte der Vagant schon deswegen leicht unterdrücken, da ihn ohnehin alle Welt als Dieb einschätzte“, Küther 1976, 16), entwickelte sich ein obrigkeitliches Verfolgungs-, Disziplinierungs- und Ahndungssystem. Fahrende wurden aufgegriffen, festgesetzt, verurteilt, hingerichtet oder ausgewiesen, letzteres oft mit einem Laufzettel, der die genaue Reiseroute vorschrieb. Die Obrigkeit stellte eigens für diesen Zweck Polizeitruppen auf (etwa 1813 in Bayern), deren Erfolgsstatistiken die geltenden sozialen Normen dokumentieren. Derartigen Maßnahmen entspringt eine größere Menge der überlieferten Quellen zum Rotw., gruppensprachliche Aufklärungsliteratur, etwa wenn 1843 der Stromer Ferdinand Baumhauer in der Haft gezwungen wurde, Stromergespräche aus dem Gedächtnis aufzuzeichnen (Spangenberg 1970). Die staatliche Institution des Strafvollzugs (Arbeitshaus, Gefängnis, Strafvollzugsanstalt, Zuchthaus) führt die Rechtsbrecher in einer Zwangsgemeinschaft zusammen, dem Knast (jidd. Knas ‘Geldstrafe’). Ihre Mitglieder bedienen sich einer besonderen Gruppensprache, der Knastsprache, deren rotw. Anteil (z. B. Achile ‘Essen’, Fleppen ‘Papiere’, Osnik ‘Uhr’, Patte ‘Geld’) einen Fortgang der Gruppengeschichte der Fahrenden erschließt (dazu jetzt auch Girtler 1998, 133ff.). Viele von ihnen wurden straffällig oder hatten als Randgruppe in der Stadt Kontakt mit dem kriminellen Milieu, in das dann auch ihr Wortschatz Eingang fand. Neben den Übernahmen aus der Sprache der Außengruppen in den Knast ⫺ dazu gehört in letzter Zeit auch verstärkt das Vokabular der Drogenszene ⫺, ist seine Sprache vor allem das Zeugnis einer eigenen Subkultur mit einer spezifischen Deutung des Kommunikationsbereichs. Dazu rechnen die distanzierenden Benennungen der Institution (Bunker, Kiste, Schließfach), die Spitznamen für die Aufsichtsbeamten und die sprachlichen Doppelbenennungen für einzelne Referenzbereiche, z. B. Tabak, der auch Währungsersatz ist:

etwa Koffer ‘ein Päckchen Tabak’, Kofferblatt ‘Zigarettenpapier’, Greifmann ‘Portion Tabak’! Auch die Knastgesellschaft hat eine soziale Rangordnung, von den „gewöhnlichen“ Häftlingen bis zu einer Knastoberschicht. Daß die Knastgesellschaft und ihre Sprache für einen einzelnen Heimat sein können, hat Fallada eindrucksvoll in seinem Roman „Wer ein mal aus dem Blechnapf frißt“ am Beispiel des Willi Kufalt gestaltet. 3.5. Wanderhausierer und Wanderhandwerker Auch diese Gruppengeschichte weist zunächst einmal auf die Vaganten zurück, die am Hausierhandel teilhatten und über enge Kontakte zu den reisenden Händlern und Kaufleuten verfügten. Der Hausierhandel war lange Zeit die wichtigste Form der Warenverteilung auf dem Land und erlebte offensichtlich durch die Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jh. einen gewaltigen Aufschwung. Dadurch, daß die Legitimation eines Hausiergewerbetreibenden an den Nachweis eines festen Wohnsitzes gekoppelt wurde, sahen sich viele Wanderhausierer gezwungen, seßhaft zu werden, ein Grund dafür, daß in ihre Sprache verstärkt regionalsprachliche Merkmale eingingen. Aufgrund der Judenordnung Philipps des Großmütigen von 1539 hatten Juden schon relativ früh in Hessen Gelegenheit sich niederzulassen. Auf der anderen Seite wuchs in Gegenden mit ungünstigen Boden- und Klimaverhältnissen bei Zunahme der Bevölkerung der Mangel an Existenzmöglichkeiten; Landflucht und Auswanderung waren ein Ausweg, der andere, sich als Wanderhausierer und Wanderarbeiter zu betätigen, was dann bewirkte, daß zahlreiche rotw. Wörter als Folge auswärtiger Kontakte in die angestammte Mundart übernommen wurden. Aus beiden Anlässen bildeten sich regionale Gruppen, die außerhalb ihres Wohnsitzes arbeiteten und dabei eine eigene Gruppensprache zur internen Verständigung gebrauchten. Zu einer Geographie der dt. Krämersprachen hat schon Kluge (1901, 434ff.) wesentliche Beiträge geliefert, die in jüngster Zeit für einzelne Regionen vertieft worden sind (Jütte 1978; Veldtrup 1981). Die relativ frühe Ansiedlung der Juden in Hessen führte zu zahlreichen Übernahmen aus dem Jidd. in die hess. Mundarten, vor allem aber zu einer isolierbaren Sprache der Viehhändler und Metzger dieses Sprachraums (Althaus 1963/ 64). Für einen obd. Ortspunkt hat Matras

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(1996) verschiedene Entwicklungsstränge einer jüd.-dt. Mundart aufgezeigt. Zu trennen ist zwischen einer Viehhändlersprache (ortsexterner Gebrauch) und einer Alltagsmundart. Beiden kommt ein Sonderwortschatz zu, wobei für die Viehhändlersprache die einschlägige sondersprachliche Charakteristik zutrifft, nämlich außenstehende „aus spezifischen sprachlichen Handlungen auszuschließen“ (Matras 1996, 57). 3.6. Kriege und Soldaten Die Gruppengeschichte ist ein Sonderfall des Themas „Berufsgemeinschaft und Sprachintimität“; man darf davon ausgehen, daß die Gemeinschaft der Soldaten als „Gemeinsamkeit besonderer Lebensbedingungen“ (Porzig 1957, 218) stets auch Ansätze zur Sondersprache in Komplementärfunktion zur militärischen Fachsprache gezeigt hat. Deutlich werden die Quellen seit dem ausgehenden Mittelalter, als militärgeschichtlich der Übergang zum söldnerischen Heerwesen erfolgte (vgl. Schubert 1995, 415ff.). Die Sprache der Landsknechte, die Feldsprache, war merklich durch die Sprache der Vaganten, das Rotw., geprägt, wie etwa die „Kriegs-Institution“ des Dionysius Klein (1598) unterstreicht: „das ist Eigentlicher Bericht oder Grundtliche unnd rechte Unterweisung was einem Kriegsmann in seinem Stand, Ampt unnd Beruff zu wissen von nöthen seye“ (Kluge 1901, 115). Hier wird auch der häufige Übergang der Landsknechte zum „Berufsvagantentum“ beklagt. Noch in der Soldatensprache des 1. Weltkriegs sind Spuren dieser Art von Feldsprache ausfindig gemacht worden (Meier 1917). Mit der Entwicklung der einzelnen Waffengattungen, der Heeresorganisation und den zahlreichen Kriegen in der Neuzeit bildeten sich zahlreiche soldatische Sondersprachen als Kontrast zur militärischen Fachund Organisationssprache heraus (vgl. Forschungsbericht von Olt 1981). Ihnen gemeinsam ist eine Tendenz der Distanzierung innerhalb der Institution sowie besonders im Kriegsfall die Möglichkeit der verbalen Bewältigung existenzbedrohender und -vernichtender Situationen. Vgl. Botanisiertrommel ‘Gasmaskenbüchse’, Büchsenöffner ‘Seitengewehr’, Himmelfahrtsmarke ‘Erkennungsmarke’, Masern ‘Schrapnells’, Raupenschlepper, Häuptling ‘Stabsoffizier’. Einen Sonderfall der Gruppengeschichte stellen die Lagergemeinschaften der Kriegsgefangenen dar, die ihre soldatische Grup-

2399 pensprache mit dem fremdsprachlichen Vokabular ihrer Bewacher anreicherten. Auch die jüngsten Existenzformen des Militärs belegen die Koexistenz der durch die Einheitlichkeit des Kommunikationsbereichs bedingten Komponenten „Militärische Fachsprache“ und „Soldatische Sondersprache“. Während die erste Komponente einer strikten Normung durch die Institution unterliegt, um das institutionelle Funktionieren zu sichern (Pelz 1980, 42), ist die zweite Komponente Repräsentantin der nichtoffiziellen Kommunikation; vgl. dazu die Wortschatzsammlung von Küpper (1978) für die Bundeswehr, in der Kriegsbezüge gemäß den bis dahin wahrgenommenen Aufgaben kaum eine Rolle spielen („Friedenssoldatensprache“, Olt 1981). Für die „Nationale Volksarmee“ der DDR wurde das Vorkommen einer „Mischsprache“ ebenfalls bestätigt (Karlson/ Judersleben 1994, 146). 3.7. Alterskulturen Eine Vielzahl an Institutionen und Kategorien ⫺ vom Kindergarten bis zum Altersheim, vom Jugendstrafrecht bis zum Altersfreibetrag ⫺ bezeugt für die moderne Gesellschaft die Existenz altersspezifischer Lebensformen, die in Fortführung des Begriffs ‘Teilkultur’ (Tenbruck 1965, 55) als Alterskulturen gefaßt worden sind (Jugend 1981, 422). Dabei werden drei zentrale Attribute der „Gesellschaft der Altersgleichen“ hervorgehoben: die Gemeinsamkeit geistigkörperlicher Entwicklung, die Gemeinsamkeit in den gesellschaftlichen Aufgaben und die Gemeinsamkeit der historischen Situation. Die Gruppengeschichte ist eng an den Prozeß der Arbeitsteilung geknüpft, deutlich markiert durch die Stufen Ausbildung, Berufstätigkeit und Ruhestand (vgl. etwa den Begriff „Generationsvertrag“ im Zusammenhang mit der Altersversorgung). Wegbereiter für die Etablierung einer jugendlichen Alterskultur war vor allem die akademische Jugend; über die Gruppe der wandernden Handwerksburschen ist noch wenig gearbeitet worden. Vagierende Studenten und Scholaren des ausgehenden Mittelalters fanden offensichtlich Gefallen daran, in ihren Gruppensprache rotwelsche Benennungen zu übernehmen. Das erklärt auch, daß einige Autoren von Texten mit rotw. Anteilen der „universitären Lebenssphäre“ des 16. Jhs. zuzurechnen sind (Kleinschmidt 1975, 221). Wenn auch wahrscheinlich ist, daß es innerhalb der einzelnen mittelalterlichen Wohn-

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und Wirtschaftsgemeinschaften der Studenten, der Burse, sondersprachliche Züge gegeben hat, die Entwicklung zu einer studentischen Eigenkultur verstärkte sich erst durch die Bildung von landsmannschaftlichen Vereinigungen, Korporationen. Diese markierten innerhalb der Universitätsstädte privilegierte männliche Gruppen, mit einem ausgeprägten Brauchtum (z. B. Kleidung, Duellieren, Tabakrauchen) und einer eigenen Sprache als Zeichen ihres Selbstverständnisses. Die Gruppen waren hierarchisch organisiert, der Zusammenhalt wurde auch dadurch gefördert, daß es nicht üblich war, in Familiennähe zu studieren. Ein wichtiges Merkmal war die Fluktuation zwischen den Universitäten, die bei aller Gemeinsamkeit studentischer Sprache (griech., lat., frz. und rotw. Anteile) zu vielfältigen Mischungen führte, an denen auch die Dialekte beteiligt waren. Ein Beispiel für studienortzentrierte Ausprägungen und Analyse bietet Meier (1894). Studentische Gruppenprofilierung war im 18. Jh. weit fortgeschritten, wie lexikographische Reaktionen in Gestalt von systematischen Wörterbüchern (z. B. Kindleben 1781; Augustin 1795; dokumentiert bei Henne/Objartel 1984) unterstreichen. Die Studenten des 19. Jhs. führten Begonnenes fort und zeigten zugleich ein stärkeres gesamtgesellschaftlichpolitisches Engagement (Wartburgfest 1817). Nicht nur die Karlsbader Beschlüsse von 1819 bedeuteten hier eine Einschränkung, die studentische „Progreßbewegung“ leitete mit ihrer Ablehnung einer allzu starken Absonderung von der Bevölkerung eine Entwicklung ein, die Studenten und Studentinnen heute nicht als eigenen Stand, sondern als Teil der Jugend ausweist. Die Teilstadien einer solchen Entwicklung erweiterten den Kreis der Beteiligten zunächst um die bürgerliche Jugend des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jhs., während Land- und Arbeiterjugend kaum Gelegenheit fanden, ihre Eigenwelt zu schaffen. Jugendliche Gesellschaftskritik, insbesondere an der Institution Schule, wurde literarisches Motiv (Hesse, Huch, Musil, Rilke, Wedekind). Die studentische Sprache war Ausgangspunkt für die Pennälersprache (Eilenberger 1910); Wandern brachte als Kontrast zur Industriewelt und wilhelminischen Verwaltung die Gelegenheit der Selbstfindung (Wandervogelbewegung). Die Vaganten des Mittelalters gaben ein Vorbild. Die Weltkriege in ihrer Totalität trugen zu einer ausgreifenden „Solidarisierung“ der Ju-

gend bei; die Generationskonflikte wurden deutlicher, alte Vorbilder waren in Frage gestellt (zur Sprache der bündischen Jugend in der Weimarer Republik vgl. Casper-Hehne 1989). Jugendliche Alterskulturen sind heute mit ihren besonderen Kennzeichen (Musik, Kleidung, Sprache) Zielobjekte von Medien (Jugendliteratur, Jugendsendungen in Rundfunk und Fernsehen) und Industrie. Dabei wird unter der Entwicklungsperspektive deutlich, daß der Generationenkontrast in der Welterfassung und -benennung Bestand hat, andererseits keinesfalls von homogenen alterssprachlichen Konsequenzen ausgegangen werden darf, wie es etwa diverse Wörterbücher zur Jugendsprache mit ihren Lexemkonzentrationen nahelegen. Gegenüber einer vorgeblichen Einheitlichkeit (zur „Stilisierung von Jugendsprache“ in den Medien Schlobinski/Kohl/Ludewiger 1993, 11ff.) zeigen sich von Gruppe zu Gruppe bedeutende Unterschiede, die in den jeweiligen Kommunikationsbedingungen ihre Ursache haben; vgl.: „Das Phänomen, Jugendsprache wird seit Ende der achtziger Jahre als Ensemble jugendlicher Sprachregister und -stile begriffen, das sozial, kulturell und situativ verortet ist“ (Schlobinski/Heins 1998, 15). Eine Bestätigung liefert u. a. die Untersuchung einer Gruppe von Jugendlichen im Mannheimer Stadtteil Vogelstang (Schwitalla 1994). Es mag mit dem besonders deutlichen Gegensatz von Jugend und Alter zusammenhängen, daß die Sprache der Jugendlichen in zahlreichen Darstellungen behandelt worden ist, andere Alterskulturen aber kaum auf ihre Sprache hin untersucht worden sind. Was vereinzelt in Dialektarbeiten als sprachliche Generationsdifferenzen ermittelt werden konnte, muß unter den eingangs angeführten Merkmalen der Alterskulturen umfassender erhoben und bewertet werden (vgl. die Ansätze bei Bülow 1977). 3.8. Freizeitgesellschaft Die Entwicklung der arbeitsteiligen Gesellschaft führte zunächst zur Gruppe der Berufsgemeinschaften, wesentlich verstärkt durch die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung (vgl. 3.1.). Dadurch daß im Zeithaushalt der Industriegesellschaft systematisch Arbeitszeit und Freizeit getrennt werden, konnten in massiver Anzahl Freizeitgruppen entstehen. Ihre Aktivitäten sind vielgestaltig; sie reichen vom intensiven Vereinsleben einschließlich Fanklubs über die Ausübung von Hobbies als Komplementärtätig-

166. Sondersprachen in historischer Entwicklung

keit zum Hauptberuf bis hin zur Gruppenreise (vgl. hier im Anschluß an 3.7. die Kategorien „Jugendtourismus“ und „Altersferien“). Wenn auch die Gruppenexistenz von sehr unterschiedlicher Dauer ist, führt die Gemeinsamkeit der Interessen zu einer gruppeninternen Rollenverteilung (besonders deutlich in Vereinen) und zur Ausbildung spezifischer Sprachmuster, nicht zuletzt was die Personennamen angeht. Ähnlich wie in der Sprache der Berufsgemeinschaften ist eine Vielzahl von Präsuppositionen in der gruppeninternen Kommunikation präsent, die ein Nichtmitglied von der Teilhabe ausschließen.

4.

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

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Dieter Möhn, Hamburg

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

2403

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse in bildungs- und sozialgeschichtlicher Perspektive 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

1.

Alphabetisierung/Schriftkultur („Literacy“). Problemstellung und gegenwärtige Verhältnisse Zur Alphabetisierungsforschung: der „Mythos von der Schriftkultur“ Zur Definition von Schriftkultur: literat vs. orat Alphabetisierung im sprachgeschichtlichen Kontext, am Beispiel Deutschlands Alphabetisierung und Orthographie, am Beispiel Deutschlands Die schriftkulturelle Entwicklung in Deutschland im Überblick Zu den Bedingungen der Schriftkultur: Schriftkultur in Deutschland heute Literatur (in Auswahl)

Alphabetisierung/Schriftkultur („Literacy“). Problemstellung und gegenwärtige Verhältnisse

Alphabetisierung wird in der deutschsprachigen Forschung meist begrifflich sehr eng gefaßt, auf den elementaren Zugang zu dem jeweiligen Schriftsystem bezogen. Dem steht ein weiterer Begriff von Schriftkultur gegenüber, der dem englischen Terminus „literacy“ entspricht, wie er auch von den großen internationalen Organisationen (UNESCO, OECD u. a.) verwendet wird, der allgemeiner auf die Ressourcen einer symbolvermittelten Praxis zielt und entsprechend skalar gemessen wird (nicht nur Schreiben und Lesen mißt, sondern auch den Umgang mit Zahlen, Tabellen, Abbildungen u. dgl.). In diesem Beitrag wird Alphabetisierung in diesem umfassenden Sinne der Entwicklung von Schriftkultur verstanden (beide Termini werden daher auch synonym verwendet); begrifflich davon unterschieden werden, wo es der Kontext erfordert, Fragen der schriftkulturellen Techniken. Die Darstellung der Verhältnisse in Deutschland soll diese in Hinblick auf ihre kulturellen Randbedingungen durchsichtig machen, unter denen sie sich reproduzieren, und dadurch ihrer in der Literatur verbreiteten Naturalisierung zu einem universalen Modell von Schriftkultur gegensteuern. Dazu ist es nötig, die Verhältnisse in anderen Gesellschaften, denen der europäischen Nachbarstaaten wie denen der Dritten Welt, wenigstens kursorisch in Betracht zu ziehen. Im Weltvergleich repräsentieren die heutigen Verhältnisse in Deutschland ein Erfolgs-

modell, auch bezogen auf die entwickelten Länder. In diesen haben nach den jüngsten repräsentativen Erhebungen der OECD weniger als 20% ihrer Bewohner schriftkulturelle Probleme, wobei Deutschland mit einer Rate von 14,5% vor Ländern wie Kanada, USA oder auch der Schweiz liegt (aber nach den Niederlanden und Schweden rangiert). In den Entwicklungsländern ist demgegenüber die Partizipation an der Schriftkultur oft nur eine Sache der gesellschaftlichen Elite (oft in Verbindung mit einer professionellen Schicht von Schriftspezialisten). Die Befunde in den entwickelten Ländern zeigen allerdings auch, daß die verbreitete Annahme, nach der diese zu einer universellen Schriftkultur tendierten, problematisch ist: Offensichtlich liegt bei einer Rate von etwa 10% der Bevölkerung eine Schwelle für die volle Partizipation an der Schriftkultur. Nun ist eine trennscharfe Zerlegung der Welt unter diesem Gesichtspunkt nicht möglich: In allen Einwanderungsländern stammt ein großer Bevölkerungsanteil aus Ländern mit einer niedrigen Alphabetisierungsrate, sodaß hier eine Übergangszone besteht (auch in einem Land, das offiziell nicht als Einwanderungsland firmiert wie Deutschland, gilt das nach den offiziellen Statistiken für 9% der Bevölkerung). Allerdings ist die Quote derer, die nicht an der Schriftkultur partizipieren, auch in Deutschland nicht auf Immigranten beschränkt: Es gibt eine große Anzahl „Einheimischer“, die entweder nie lesen und schreiben gelernt haben ⫺ oder es nach der Schulzeit wieder verlernt haben, weil sie in ihrem Leben einfach keine Verwendung mehr dafür gefunden haben. Hier sind nur Schätzungen möglich: an entsprechenden Alphabetisierungskursen, die i. d. R. getrennt für Immigranten und muttersprachliche Analphabeten in Institutionen der Erwachsenenbildung angeboten werden, nehmen in Deutschland ca. 15 000 Erwachsene teil ⫺ offensichtlich nur die Spitze eines Eisbergs. Fachleute schätzen die entsprechende Klientel auf 500 000 Personen, entsprechend den Quoten bei systematisch erfaßten Bevölkerungsgruppen (Wehrpflichtigen, Gefängnisinsassen u. a.), s. Hubertus (1995). Das bedeutet, daß in einer entwickelten Gesellschaft wie der dt. annähernd ein Prozent der Bevölkerung nicht einmal die elementare Schwelle zur Partizipa-

2404

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

tion an der Schriftkultur nimmt (auf diese Zugangshürde zur Schrifttechnik beziehen sich die in der Literatur meist zu findenden Angaben zu den Alphabetisierungsraten, s. Giese 1996). Da die Befunde in den vergleichbaren Ländern korrespondieren, ist davon auszugehen, daß diese Schwelle einen strukturellen Charakter hat, sodaß sie zur Analyse der Schriftkultur gehört.

2.

Zur Alphabetisierungsforschung: der „Mythos von der Schriftkultur“

Die Alphabetisierungsforschung ist seit dem 19. Jh. eine fest etablierte Disziplin der Bildungs- und Sozialgeschichte, in der seriell verfügbare Quellen, z. B. Unterschriften in Heiratsregistern, ausgewertet werden, aus denen der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung extrapoliert wird. Solche seriellen Quellen sind in den europäischen Ländern für die letzten 200 Jahre verfügbar (seit Einführung der Zivilstandsregister bzw. Standesämter, der Wehrpflicht mit ihrem Verwaltungsapparat u. dgl.), s. etwa Cipolla (1989) für eine Zusammenfassung. Da ihre Auswertung proportional mit dem zeitlichen Abstand von heute eine kontinuierliche Abnahme der Alphabetisierungsrate zeigt, hat die Forschung aus einem durchschnittlichen Alphabetisierungsgrad der europäischen Bevölkerung (mit allerdings großen regionalen Unterschieden) von etwa 50% um die Mitte des 19. Jhs. für die vorausgehende Zeit eine asymptotische Annäherung an eine Phase mit einer nur dünnen professionell beschränkten Schreiberschicht gefolgert. Die Extrapolation früherer Bildungsverhältnisse wird von kulturellen Modellvorstellungen geleitet, die die Alphabetisierung an „hochkulturelle“ Praktiken binden: insbesondere die religiösen Praktiken der Schriftreligion und schließlich die Partizipation an der literarischen Kultur; kulturelle Diffusion wird meist entsprechend einem „Sickermodell“ von der gesellschaftlichen Elite nach „unten“ angenommen. Diese Vorstellungen können sich auf zeitgenössische Zeugnisse stützen, die vor allem aus zwei Epochen umfangreich vorliegen und ausgewertet wurden: Aus dem 16. Jh., als mit der Reformation (und ihrem altgläubigen Gegenstück) systematische Anstrengungen zu einem die gesamte Bevölkerung erfassenden Bildungssystem unternommen wurden (insbesondere mit der Katechismusschule), sowie dann aus der „Aufklärungszeit“, die zahlreiche Klagen

über die literarische Unzugänglichkeit der breiten Bevölkerung (vor allem auf dem Land) zeitigte. Daraus resultiert das die Handbücher bestimmende Bild von den Anfängen der „Volksalphabetisierung“ in der Reformation und ihrer verzögerten Durchsetzung bis zur Mitte des 19. Jhs. (s. etwa Engelsing 1973, Schenda 1970). Als Erklärungsfaktor wird für die so konstatierte Verzögerung i. d. R. der geringe Ausbaustand der Volksschulen angesehen, mit deren Durchsetzung in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. erst eine effektive universale Alphabetisierung einsetzen konnte. Neuere bildungsgeschichtliche Untersuchungen, für die vor allem Furet/Ozouf (1979) Modellcharakter hatte (s. für Deutschland etwa Hinrichs 1982), haben dieses Bild zwar differenziert, aber in seiner Grundstruktur meist doch fortgeschrieben (für einen differenzierten Forschungsüberblick s. Gawthrop/Strauss 1984). Das gilt vor allem für den notorischen Gegensatz von bildungsfördernder Stadt und bildungsfernem Land, der seit der Aufklärung ein Topos der einschlägigen Literatur ist (s. dazu Böning/Siegert 1990). Die jüngere sozialgeschichtliche Forschung hat dieses Modell zunehmend infragegestellt ⫺ vor allem in Hinblick auf die in der früheren Sozialgeschichte vorgenommene enge Verknüpfung von Alphabetisierungsgrad und gesellschaftlichem (vor allem auch ökonomischem) Fortschritt (s. Graff 1979, 1981). Konzeptuelle Probleme ergeben sich schließlich auch, wenn mit diesem Modell andere gesellschaftliche Verhältnisse analysiert werden sollen (s. Goody 1968, Akinasso 1992). Auf diese Problemstellung reagiert die neuere Forschung, die schriftkulturelle Praktiken in ihrem sozialen Zusammenhang analysiert. Wichtige Anstöße gingen von Scribner/Cole 1981 aus, die eine solche Untersuchung bei einer ländlichen Gesellschaft, den Vai in Liberia (Westafrika), durchführten, die seit der Mitte des 19. Jhs. über eine eigene Schrifttradition verfügen, ohne daß sich der traditionale Charakter ihrer Gesellschaft grundlegend geändert hätte. Scribner und Cole konnten zeigen, daß viele der in der Forschung, mehr noch aber in der öffentlichen Diskussion mechanisch an Schrift festgemachten Attribute, die auch schon mal zur Rechtfertigung kolonialer Eroberung gegenüber den vorgeblich primitiven, weil „schriftlosen“ und „geschichtslosen“ Völkern dienten, von dieser unabhängig sind und statt dessen an bestimmten gesellschaftlichen

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

Praktiken wie insbesondere der institutionalisierten Schulerziehung festzumachen sind. Unabhängig von aller inzwischen vorgebrachten Detailkritik an dieser Untersuchung (s. dazu etwa Olson 1994) gibt es in der neueren Diskussion einen breiten Konsens, daß es bei Schriftkultur nicht um Schrift selbst und um das technisch-instrumentelle Verfügen darüber geht, sondern um kulturelle Praktiken, die sich der Schrift bedienen. Es ist ein Spezifikum von Gesellschaften wie der dt., daß diese kulturellen Praktiken, die für die Partizipation an den gesellschaftlichen Ressourcen gefordert werden, in einem extrem verlängerten Entwicklungsmoratorium in der Schulzeit im Umgang mit Schrift erworben werden (s. Oxenham 1980). Die entsprechende neuere Forschung findet in unterschiedlichen disziplinären Kontexten statt, wobei der die ältere Forschung bestimmende hochkulturelle Blick, der eine literarische Praxis (mit der Muße als Randbedingung) als Ideal annimmt, überwunden ist. Ethnographisch ausgerichtete Arbeiten haben die pragmatische Schriftlichkeit im Alltag erschlossen (eine Pionierstudie war Heath 1983), z. B. auch am industriellen Arbeitsplatz die vielfältigen symbolisch vermittelten Praktiken (s. für den deutschsprachigen Raum: Häcki-Buhofer 1985); darauf reagiert inzwischen die Entwicklung einer arbeitsplatznahen Erwachsenenalphabetisierung, die die Schriftkultur von den blockierenden „hochkulturellen“ Praktiken trennt (s. Mikulecky/Drew 1991). Die neueren Handbücher tragen dieser Umorientierung in der schriftkulturellen Forschung Rechnung (s. Barr u. a. 1991; Günther/Ludwig 1994⫺96); entgegen der älteren Fortschreibung von Argumentationsfiguren des Kulturkampfes werden institutionellen Veranstaltungen der Schriftreligionen, die ihre primäre Funktion in religiösen Kontrollmechanismen („Sozialdisziplinierung“) hatten, von der Entwicklung schriftkultureller Fähigkeiten getrennt. Anstöße für die historisch orientierte Forschung sind in jüngster Zeit von der Agrarsoziologie und in Verbindung mit ihr von der historischen Volkskunde gekommen, die die reiche Überlieferung ländlicher Schriftkultur sichtbar gemacht haben, die offensichtlich in einem anderen Koordinatensystem zu sehen ist, das sich der Modernisierung der Produktions- und damit generell der Lebensweise verdankt, und die so pragmatisch und nicht „hochkulturell“ bestimmt ist (s. Maas 1995, Peters 1995 für einen Literaturüberblick).

2405

Im Rahmen dieser Revision des Bildes von Schriftkultur und ihrer Entwicklung ist auch die Erklärung des eingangs angesprochenen strukturellen Blocks derer zu suchen, die von ihr ausgeschlossen bleiben.

3.

Zur Definition von Schriftkultur: literat vs. orat

Die Redeweise von einer Alphabetisierung impliziert eine dynamische Perspektive, jeweils mit einem Zustand vorher und nachher, die traditionell mit Mündlich und Schriftlich expliziert werden. Es ist aber offensichtlich, daß das hier avisierte begriffliche Feld mehrdimensional zu verstehen ist, wobei zumindest die Form der symbolvermittelten Praxis (z. B. Kommunikation unter der situativen Kontrolle der Akteure gegenüber „monologischen“ Praktiken) von ihrer materiellen Verfaßtheit zu unterscheiden ist, zu der nicht nur Sprechen/Hören gegenüber Schreiben/Lesen gehört, sondern auch elektronische Medien u. a. mehr. Im einzelnen können hier sehr komplexe Konstellationen entstehen: Zu denken ist an die mündliche Weitergabe und den Vortrag ritueller Texte, oder die dialogische Interaktion in elektronischen Medien („email chat“). Auf der konzeptuellen Ebene läßt sich so eine Vielzahl von Registern definieren, die bei einem entsprechenden Bedarf „aktiviert“ werden und insofern in der gesellschaftlichen wie individuellen Praxis nebeneinander stehen; abhängig von bestimmten kulturellen Randbedingungen können sie einen mündlichen oder auch schriftlichen Ausdruck finden bzw. dementsprechend weiter entfaltet werden. Das ist Gegenstand einer außerordentlich dynamischen Forschungslandschaft, in der Sprach- und Literaturwissenschaftler, Pädagogen, Ethnologen, Psychologen u. a. tätig sind (s. etwa Günther u. a. 1994⫺96 für entsprechende Forschungsüberblicke). Im folgenden verwende ich, um die materiale Verfaßtheit sprachlicher Praktiken (mündlich/schriftlich bzw. oral/literal) von den angesprochenen Registerdifferenzen zu unterscheiden, für die letzteren orat/literat (in der Literatur finden sich terminologisch andere Vorschläge, z. B. konzeptuell/medial mündlich bzw. schriftlich). Bei der Analyse ist entsprechend nicht von einer einfachen Gegenüberstellung von oraten gegenüber literaten Verhältnissen auszugehen, sondern auf der Seite der Individuen zu differenzieren, welchen Zugang sie zu den

2406

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

verfügbaren kulturellen Ressourcen haben, auf der Seite der Gesellschaften, wie diese Ressourcen distribuiert sind bzw. genutzt werden. Daß es dabei nicht um eine einfache Verfügbarkeit schriftkultureller Techniken geht, haben dramatisch die Alphabetisierungskampagnen gezeigt, die seit den 60er Jahren international (insbes. von UNESCO), aber auch national mit enormen Anstrengungen ins Werk gesetzt wurden, die aber, auch bei großer Mobilisierung, nur minimale Effekte hinterlassen haben, wie Nachuntersuchungen gezeigt haben (s. Arnove/Graff 1987; zur Bibliographie der umfangreichen Forschung insgesamt s. Ehlich/Coulmas/Graefen (1996): das Register in Bd. III reicht für das Stichwort Literacy von S. 350⫺375). Es ist also erforderlich, anstelle eines simplen Gegensatzes von illiterat ⫺ literat ein differenziertes Modell sprachlicher (symbolvermittelter) Praktiken zu entwickeln. Dabei kann die Analyse von Gesellschaften mit einem geringen Alphabetisierungsgrad instruktiv sein. Untersuchungen wie die von Scribner/Cole (1981) haben gezeigt, daß die schriftsprachlichen Praktiken in mündlichen fundiert sind, daß auf einer individuellen Ebene viele der „kognitiven“ Leistungen von Alphabetisierten auch von Analphabeten erbracht werden können, daß andererseits aber die Beherrschung einer Schrift ohne einen entsprechenden sozialen Kontext auch nicht notwendig zu einer intellektuellen Weiterentwicklung führt. Literate Gesellschaften sind definiert durch ein universelles Anspruchsniveau an die Nutzung literater Potentiale, zu denen auch die Synergieeffekte literat vermittelter Praktiken gehören: der über den Buchdruck frei werdende Zugang zu dem gesellschaftlich akkumulierten Wissen war so ein wichtiger gesellschaftlicher Dynamisierungsfaktor (s. Eisenstein 1979) ⫺ während umgekehrt schriftkulturelle Praktiken ohne einen solchen gesellschaftlichen Kontext wie bei den Vai auch keine solchen sozialen Entwicklungsprozesse freisetzen. So gesehen erscheint Schrift als eine kulturelle Ressource, die praktiziert werden muß, um sich zu entfalten, gewissermaßen als eine intellektuelle Muskulatur, die wie die physische auch zurückgehen kann, wenn sie nicht genutzt wird (wie nicht nur die meisten Absolventen von Alphabetisierungskampagnen, sondern eben auch die „sekundären Analphabeten“ in den Industrieländern zeigen), s. Olson (1994) für ein entsprechend differenziertes Konzept der Schriftkultur.

Auch in rein mündlichen Gesellschaften findet sich eine Differenzierung sprachlicher Register, unter denen förmliche ausgezeichnet sind, die eine formidentische Reproduktion von Äußerungen (Texten) erlauben, und die etwa in zeremonialen Kontexten Verwendung finden (aber u. U. auch zur Aufklärung von Mißverständnissen u. dgl.), s. Akinaso (1982): Wo Anthropologen bei bis dahin ungeschriebenen Sprachen mit der Verschriftung experimentiert haben, greifen ihre Gewährsleute spontan auf solche maximal expliziten sprachlichen Formen zurück, wenn es um die Verschriftung eines Ausdrucks geht (s. Silverstein/Urban 1996). Die spezifischen formalen Anforderungen an ein schriftsprachliches Register sind also durchaus fundiert (bzw. fundierbar) in mündlichen Praktiken. Umgekehrt zeigt sich auch da, wo sich in solchen traditional-bäuerlichen Gesellschaften eine Schriftkultur entwickelt hat, keineswegs eine daran festgemachte „kognitive“ oder sonst soziale Transformation ⫺ ihre Praxis bleibt eingebunden in die etablierten kulturellen Formen (s. Scribner/Cole 1991). Schließlich ist in wohl allen heutigen Gesellschaften Schriftkulturelles präsent, finden die Menschen relativ zu ihren Lebensformen Möglichkeiten, damit umzugehen; das kann im extremen Fall von pseudoschriftkulturellen Praktiken, etwa der Negation der sprachlichen Struktur des Schriftlichen bei der Handhabung beschrifteter Objekte in magischen Praktiken, über die arbeitsteilige Nutzung von Schriftspezialisten bis zu partiell angeeigneter Analysefähigkeit gegenüber Schriftlichem gehen (s. etwa Wagner 1993 für instruktive Fallstudien in einer traditionalen Gesellschaft). Daß schriftkulturelle gesellschaftliche Verhältnisse auch im entwickelten Fall Mischungsverhältnisse sind (Ong 1982), wird bei der Rekonstruktion der europäischen Entwicklung zu weitgehend alphabetisierten Gesellschaften in jüngerer Zeit auch in Rechnung gestellt (s. etwa Bäuml 1980; Schlieben-Lange 1983); in diesem Horizont ist auch die angesprochene Gruppe derer, die unter den heutigen Bedingungen nicht in vollem Sinne an der Schriftkultur partizipieren, zu sehen.

4.

Alphabetisierung im sprachgeschichtlichen Kontext, am Beispiel Deutschlands

Für die Rekonstruktion der Anfänge der Schriftkultur in Deutschland ist auf die Zeit nach dem Zerfall des Römischen Reiches am

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

Ende des 5. Jhs. zurückzugehen, als sich die feudalen staatlichen Verhältnisse herausbildeten, die die weitere Entwicklung vorzeichneten. Ihre kulturell dominanten Ausdrucksformen versuchten zunächst die verschwundene römische Welt zu beerben, wobei das Christentum als Transmissionsfaktor diente: Das Lat. war die einzige Form differenzierter Kommunikation, gleich ob in der religiösen, der literarischen, der juristischen oder der Verwaltungssphäre. Das blieb so bis weit in die Frühe Neuzeit, wo auch noch im 17. Jh. der überwiegende Teil der Drucke in Lat. erfolgte; im Bereich der höheren Bildung setzte erst im 18. Jh. der Unterricht auf Dt. ein und noch zu Beginn dieses Jahrhunderts waren Dissertationen oft in Lat. redigiert. Die Herausbildung einer allumfassenden, nicht nur auf den „trivialen“ Alltag beschränkten nichtlateinischen Kultur war ein mühsamer und langwieriger Prozeß, der auch die Matrix für die schriftkulturelle Entwicklung bildete. Die dt.-lat. Zweisprachigkeit wird auch im Mittelalter angesichts der großen strukturellen Differenzen zwischen beiden Sprachen nur die Sache einer kleinen sozialen Schicht gewesen sein; für die andern, soweit sie an der gesellschaftlichen Geschäftsführung beteiligt waren (vor allem also die Grundbesitzer, der Adel), mußten die lat. Texte übersetzt werden, mußte neben der lat. Vertragsversion eine „volkssprachige“ entsprechend dem mündlichen Vertragsabschluß bestehen, die nach dem Verlesen von ihnen beglaubigt werden konnte: Entsprechende Dokumente (in regional unterschiedlichen sprachlichen Formen) sind seit dem Ende des 7. Jhs. überliefert. Das war die Sache einer professionell mit der Schriftlichkeit befaßten Schicht, die eng mit dem privilegierten Träger der lat. Kultur, der Kirche und ihren (Latein-)Schulen, verbunden war, deren ständisch-professionelle Beschränkung eine der signifikantesten Differenzen der mittelalterlichen gegenüber der antiken Schriftkultur ausmacht. Unterstützt wurde die herausgehobene Rolle des Lat. schließlich noch durch die sprachliche Heterogenität des gesellschaftlichen Raumes, die die Kommunikation zwischen Menschen aus entfernten Regionen schwierig machte. Mehrsprachigkeit war so zumindest für den mobilen Teil der Bevölkerung (etwa die Kaufleute und ihr Personal) ein Erfordernis: Mehrdialektalität, aber wohl auch die Möglichkeit, wenigstens doch auf eine pidginisierte Form des Lateinischen zu-

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rückgreifen zu können. Auf dieser Grundlage etablierten sich schließlich Verkehrssprachen, die später auch (mit unterschiedlich großen regionalen Geltungsräumen) geschrieben wurden, z. B. das Mnd. im Gegensatz zu hd. Varietäten. Am Ende des Mittelalters, zwischen dem 13. und 15. Jh., zeichnet sich mit dem Entstehen der modernen Städte eine kulturelle Umwälzung ab. Die Grundlage war die Produktion für den Markt, im immer größeren Maßstab vermittelt über Kaufleute, die nicht mehr mit ihren Waren reisten, sondern in den Städten vom Kontor aus den Warenverkehr kontrollierten und dazu auf eine Form von Buchführung angewiesen waren. Mit dem Wachsen der städtischen Bevölkerung entstand zugleich die Notwendigkeit, das Zusammenleben neu zu regeln (nicht zuletzt in Hinblick auf hygienische, feuerpolizeiliche u. ä. Probleme). In der ersten Zeit erfolgte alles das zwangsläufig in Lat.: Die Stadtverfassungen nicht anders als die kaufmännische Buchführung. Aber allmählich setzten sich sozialisiertere (demotisierte) Formen durch, die eine größere soziale Partizipation erlaubten und die dazu auf die etablierten überregionalen Verkehrssprachen zurückgriffen. Darauf bezogen wurde jetzt auch in den Städten schreiben und lesen gelernt: in ausdrücklich so genannten „deutschen Schulen“ (im Norden: dudesche scholen), die neben den kirchlichen Lateinschulen eingerichtet (oder zumindest vom Stadtregiment zugelassen) wurden. Instruktiv für den raschen kulturellen Umschwung ist der offensichtlich große Anteil der Frauen an der neuen Schriftkultur, die ja definitionsgemäß von dem kirchlichen Bildungssystem ausgeschlossen waren: Der beträchtliche Umfang von umlaufendem Lesestoff, den die Frauen oft selbst abschrieben, macht das deutlich (und die Erfindung und Kommerzialisierung von Brillen bezog jetzt gerade auch ältere Frauen in diese kulturellen Praktiken ein!); in ökonomischen Zentren wie Köln finden sich sogar Frauen als Schreiberinnen in kaufmännischen Kontoren. Es ist außerordentlich schwierig, den Alphabetisierungsgrad der spätmittelalterlichen Gesellschaft abzuschätzen. Auf dem Land war die Alphabetisierung sicherlich noch eine Ausnahme, auch beim niederen Adel. Aber in den Städten ist davon auszugehen, daß jeder, der das Bedürfnis hatte, lesen und schreiben zu lernen, es auch tun konnte bzw. tat. Auf diese Bedürfnisse antwortete eine Fülle von manchmal sicher reichlich dubiosen Unter-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

richtsanstalten, mit denen schon mal ein durchreisender Schreiber (oder auch „Student“) sich seinen Lebensunterhalt verdiente, in denen oft aber auch nur ein Handwerker (oder seine Frau) das weitergab, was er (oder sie) selbst gelernt hatte. Alle Städte hatten im 14. und 15. Jh. mit Streitigkeiten zwischen diesen Schulen (bzw. ihnen und denen der Kirche) zu tun, deren Akten im übrigen die wichtigste Quelle für die Bildungsverhältnisse der Zeit sind (s. dazu mit Hinweisen zur Literatur Maas 1985). Für die Städte ist entsprechend davon auszugehen, daß ein relativ großer Prozentsatz ihrer Bevölkerung Zugang zur Schriftkultur hatte ⫺ vermutlich wohl alle, die im kaufmännischen Gewerbe oder im Handwerk tätig waren (und mit ihnen wohl auch die meisten anderen Hausangehörigen). Geht man nun davon aus, daß am Ende des Mittelalters ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den Städten lebte, läßt sich die Alphabetisierungsrate auf etwa 20% der Gesamtbevölkerung schätzen. Die Dynamik dieser Entwicklung beschleunigte sich im 16. Jh. Die reformatorischen Auseinandersetzungen sind aber wie die Bauernkriege nur die markanten Höhepunkte dieser Entwicklung, bei der zwei Momente für die Schriftkultur entscheidend waren: die Nationalisierung der Kultur und die staatliche Kontrolle der Schriftkultur: ⫺ Zur Nationalisierung: Indem die religiösen Streitfragen zu einer persönlichen Angelegenheit geworden waren, die sogar eine Familie spalten konnten, entwerteten sie die traditionalen regional-kollektiven Lebensformen. Vor diesem Hintergrund bildete sich ein explodierender Markt für Druckerzeugnisse, mit denen die Menschen Antworten auf ihre persönlichen Fragen suchten. Die Sprache der Drucke war die der etablierten Tradition ⫺ auch die Lutherbibel wurde im Norden in Nd. gedruckt. Erst im letzten Drittel des Jhs. begann das Hd., sich im gesamten Sprachraum durchzusetzen ⫺ aber immer noch neben dem Lat. als der weiterhin dominanten Sprache der Kirche nicht anders als der Literatur, ⫺ zur staatlichen Kontrolle: In enger Verbindung mit den staatlichen Apparaten spielte die Kirche eine ambige Rolle. Die protestantische Kirche, und nach ihrem Modell dann auch die altgläubige, oktroyierte ein neues Schulsystem, die Katechismusschule, bei der zwei Aspekte zu isolieren sind: ⫺ auf der einen Seite sollte sie die Grundlage für die Rekrutierung des Klerikernachwuchses schaffen; daher war sie strikt auf das Lat. hin orientiert, wobei sie in der Tradition der Lateinschulen eine Art zweisprachigen Unterricht

praktizierte. Das dabei leitende humanistische Bemühen um ein „reines“ Lat. erzwang eine kontrastive Abgrenzung von der Muttersprache, die auf diese Weise aber eben auch selbst Unterrichtsgegenstand wurde; ⫺ auf der anderen Seite verschaffte sie einer Mehrheit der Bevölkerung (bzw. ihren Kindern) überhaupt erst einen Zugang zum Lesen der autorisierten Texte, beschränkte sie aber gleichzeitig auch darauf. Der Elementarunterricht der Katechismusschule war vor allem Leseunterricht; Schreiben war in der Regel kein Bestandteil des Curriculums ⫺ es wurde u. U. nur als zusätzliches Fach für fortgeschrittene Schüler (und gegen zusätzliches Schulgeld!) unterrichtet. Auf dem Land konnte die Katechismusschule im nationalen Maßstab u. U. überhaupt erst das Aufkommen einer gewissen Form von Schriftkultur bedeuten. Anders war es in der Stadt: Hier bedeutete diese Form der Dissoziierung von Lesen und Schreiben einen Schritt zurück hinter die traditionellen Formen des SchreibLese-Unterrichts. Davon zeugen die zahlreichen Konflikte, bei denen Eltern (und oft auch die Stadtregierung) gegen diese Form frommer Entwertung der Bildung protestierten und oft auch mit Erfolg die Fortsetzung des traditionellen pragmatischen Unterrichts durchsetzten. Auch auf dem Land, da, wo die Produktion für den Markt Fuß gefaßt hatte, wo Nebenerwerbstätigkeiten wie z. B. Leinenweben fürs Überleben immer wichtiger wurden, erreichten die Eltern es oft, daß der zwar fromme, aber sonst unfähige Küster durch jemand ersetzt wurde, der auch Schreiben unterrichten konnte (s. Strauss 1978; Maas 1989 mit weiterer Literatur).

Auch hier ist es wieder schwierig, die Alphabetisierungsquote der Zeit zu schätzen. Infolge der sich ausbreitenden Marktverhältnisse, der raschen Ablösung des Systems des Warentauschs durch den Geldverkehr waren immer mehr Menschen auf eine solche Art schriftlicher Geschäftsführung angewiesen. Seit dem Ende des 17. Jhs. finden wir eine Buchführung auch bei armen Tagelöhnern, die die für andere getane Arbeit in einem Heft notieren (oft dasselbe, in dem sich auch ihre Schreibübungen aus dem Elementarunterricht finden). Das spricht für eine kontinuierlich wachsende Partizipation an der Schriftkultur, sicherlich nicht in einer homogenen Entwicklung, sondern abhängig von regionalen Bedingungen, zu denen im 17. Jh. die in vielen Gegenden katastrophalen Auswirkungen des 30jährigen Kriegs gehörten, die manchmal erst nach 100 Jahren wieder aufgeholt wurden (im allgemeinen kamen die Städte besser davon). Aber die Entwicklung hielt trotzdem an: Im 18. Jh. dürfte schließ-

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

lich fast die Hälfte der Bevölkerung an der Schriftkultur partizipiert haben. Der Widerspruch dieser Einschätzung zu den zeitgenössischen Klagen über den Bildungszustand der Bevölkerung läßt sich erklären, wenn man deren Urheber betrachtet: Schriftsteller der Aufklärungszeit, die für das Volk schrieben ⫺ und vom geringen Absatz ihrer Schriften frustriert waren. Daß sie die Gründe dafür nicht bei sich und ihren Schriften, sondern beim „ungebildeten Landmann“ und ähnlichen stereotypen Figuren suchten, ist verständlich ⫺ disqualifiziert sie aber als verläßliche Quelle (s. dazu Böning/Siegert 1990 mit weiterer Literatur). Eine systematische Aufarbeitung der schon erwähnten überlieferten Materialien ländlicher Schriftkultur steht noch aus. Zumindest in vielen der großen ländlichen Höfe, in denen die Aufbewahrung solcher Materialien kein Problem bereitet hat, finden sich „Hausarchive“, die bis ins 16. Jh. zurückreichen, mit der kompletten Buchführung, Briefen, Tagebüchern, Notizen u. a. mehr (s. z. B. die Bibliographien und Inventare Hopf-Droste [1989], LorenzenSchmidt/Poulsen [1992]). Ihre Analyse sollte es erlauben, diesen Aspekt des „Mythos der Schriftkultur“ (H. Graff) zu bearbeiten, wobei allerdings noch offen ist, ob sich ein ähnlicher Befund auch für Gegenden ergibt, für die die Forschung in der herkömmlichen Blickrichtung das Gegenteil konstatiert hat (s. auch Wartburg-Ambühl 1981). Es ist offensichtlich, daß der ökonomische Zwang diese Menschen zur Schriftlichkeit gebracht hat, jedenfalls zu dem Versuch, sie sich zugänglich zu machen. Wo das geschah, war damit aber die Tür zur Schriftkultur im vollen Sinne offen: Wo die Menschen über Einnahmen und Ausgaben Buch führten, weiteten sie diese Praxis auf ihre gesamte Lebensweise aus, insbesondere da, wo ein rigides protestantisches Gewissen sie trieb, die Vorstellung, daß ein Erfolg auf der Erde einen Erfolg im Leben danach vorzeichnete. Diese Grenzüberschreitung des Buchhaltens findet sich von Anfang an in der säkularisierten Schriftlichkeit, z. B. auch in den Büchern mittelalterlicher Kaufleute, ob sie nun auf dt. oder lat. geschrieben waren: Auch bei ihnen ist das merkantile Bilanzieren von Bemerkungen über die allgemeinen Lebensbedingungen durchzogen, die allerdings durchaus auch einen ökonomischen Faktor darstellten, wenn es darum ging, die Risiken eines Geschäftsunternehmens zu kalkulieren. Mit dem Wechsel vom Warentausch zum

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Geldsystem, bei dem die Preise sich auf dem Markt hinter dem Rücken der Subjekte ausbilden, wurde das Verhältnis von Arbeit und Einkommen zunehmend undurchsichtiger. Über alle Faktoren des Lebens Buch zu führen wurde so zu einem Versuch, wieder zum Subjekt der Verhältnisse zu werden. Bei Bauern wurde es am Ende des 17. Jhs./Anfang des 18. Jhs. üblich, einen Jahresrückblick zu verfassen; am Ende ihres Lebens, wenn sie den Hof an den Erben übergaben, schrieben sie ein „geistiges Testament“, das ihre Erfahrungen an die künftigen Generationen weitergeben sollte. Bereits aus dem 16. Jh. haben wir bäuerliche Tagebücher, in denen sie ihre Beobachtungen niederlegten ⫺ insbesondere auch solche, die sie sich nicht erklären konnten; dadurch konnten sie das später wieder nachlesen und vielleicht doch noch eine Erklärung finden (und in das Buch eintragen, s. meine Studie zum Denkelbuch eines dithmarscher Bauern aus dem 17. Jh., Maas 1995 b). Die Schriftpraxis wurde so zu einem Mittel der kulturellen Reproduktion, das die Mühe seines Erlernens lohnte: Es ist keineswegs selten, daß die Menschen alle ihre Übungshefte aufbewahrten, die eine genaue Untersuchung der Art, wie sie diese Praxis erlernten, erlauben: Sie praktizierten das Schreiben nicht selten um seiner selbst willen, wenn sie alles mögliche einfach nur abschrieben; sie betrieben eine ausgedehnte, mehr oder weniger ritualisierte Korrespondenz ⫺ auch mit Nachbarn, die eine halbe Stunde entfernt wohnten. Die Bestätigung, sich auf dem schriftkulturellen Terrain bewegen zu können, war ein Wert in sich. Die ungeheure Menge des so überlieferten Materials, das außerhalb der Agrarhistoriker und Volkskundler noch kaum zur Kenntnis genommen worden ist, widerlegt die tradierte Handbuchauffassung über den Stand der Alphabetisierung in dieser Zeit nur zu deutlich. Es zeigt, daß überall da, wo die Menschen das Bedürfnis empfanden, sich die Schrift anzueignen, sie es auch taten ⫺ und zwar im vollen Sinne von Lesen und Schreiben, ohne sich auf die religiöse Praxis der Reproduktion sakraler Texte beschränken zu lassen, bei der Lesen einen auswendig gelernten Text zu reproduzieren bedeutete. Dabei ist davon auszugehen, daß große regionale und soziale Unterschiede bestanden haben. Da wo in ländlichen Gegenden die Leibeigenschaft weiter bestand, wie in Preußen bis zum Ende des 18. Jhs., war die Schriftkultur für die unteren Bevölkerungs-

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XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schichten in der Regel gegenstandslos. Wo sich aber die Marktverhältnisse bei der Produktion und im Warenverkehr durchsetzten, wie es im westlichen Teil Deutschlands seit dem 17. Jh. der Fall war, wurde die Schriftkultur prinzipiell für alle erreichbar ⫺ u. U. auch bei einem Fortbestehen feudaler Rechtverhältnisse; so wenn z. B. in der Folge der Monetarisierung „leibeigene“ Bauern in Westfalen ihren Betrieb selbständig führten und u. U. ökonomisch besser gestellt sein konnten als ihr Grundherr. Vor diesem Hintergrund ist die obige Schätzung des Ansteigens der Alphabetisierungsrate dieser Zeit auf 50% der Bevölkerung zu sehen. Wenn die Bildungsgeschichte zu niedrigeren Schätzungen kommt, so liegt das an der in ihr dominanten Ausrichtung auf die (Volks-)Schule. Diese hatte ihre Anfänge auf der Basis einer eingeführten Schulpflicht tatsächlich im 17. Jh. nur in den ökonomisch und politisch fortschrittlichsten Regionen Deutschlands (z. B. in Sachsen-Anhalt) und konnte erst im Verlaufe des 19. Jhs. allgemein durchgesetzt werden. Die forcierte staatlichökonomische Modernisierung („Kameralistik“) im Verbund mit einer religiösen Erneuerungsbewegung („Pietismus“) war im 17./18. Jh. zweifellos ein treibendes Element in der Entwicklung der Schriftkultur; aber die offizielle Schule kann nicht mit deren Etablierung gleichgesetzt werden, wie ja schon die in der vorausgehenden Zeit endemischen Konflikte zwischen den offiziellen (kirchlichen) Schulen und den Bedürfnissen der Bevölkerung zeigen, die eine qualifizierte Ausbildung der Kinder verlangte (wozu die Schriftlichkeit im vollen Sinne gehört). Die erwähnten reichen Quellen einer ländlichen Schriftkultur aus der Zeit vor dem 19. Jh. machen deutlich, daß die Menschen, die das Bedürfnis danach empfunden haben, auch unabhängig von der Schule den Weg zur Schriftlichkeit gefunden haben; ein hilfreicher Nachbar konnte die Kinder unterrichten, ein geschickter Leinenweber oder auch Tagelöhner (oder seine Frau) konnten sich ein Zubrot verdienen, indem sie Kinder unterrichteten u. a. mehr. Vor allem aber muß der Selbstunterricht, unterstützt durch ältere Menschen im Haushalt, die nicht mehr den Belastungen der landwirtschaftlichen Arbeit ausgesetzt waren, ein wichtiger Weg zur Schriftkultur gewesen sein. Länder wie Schweden brachten ihre Alphabetisierung ohnehin bis weit ins 19. Jh. ohne eine Volksschule zuwege (s. Johansson 1987). Die gleiche Einbindung der schriftkulturel-

len Aneignungspraxis in außerinstitutionelle Kontexte zeigt sich im übrigen auch heute bei traditionalen Gesellschaften (s. Scribner/ Cole 1991). Die frühmodernen Zugänge zur Schriftkultur kollabierten mit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise im 19. Jh., die eine neue Form der Urbanisierung zur Folge hatte, bei der die rasch expandierenden neuen Städte eine Schlüsselrolle spielten. Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Einwohnerzahl der Städte im Durchschnitt weit unter 1000 ⫺ von den etwa 3000 Städten, die es bis zur Mitte des 18. Jhs. in Deutschland gab, hatten nur 20 mehr als 10 000 Einwohner. Diese alten Städte waren Handels- und Verwaltungszentren; die größeren von ihnen waren zugleich Residenzstädte für die kirchliche und politische Oberschicht. Zugleich waren sie aber immer auch noch ackerbäuerlich geprägt: sie produzierten die benötigten Lebensmittel selbst. Die neuen Städte waren von einem ganz anderen Zuschnitt ⫺ und überwiegend (vor allem die wichtigsten unter ihnen) auch keine Weiterentwicklung traditioneller Städte. Sie wurden auf einer industriellen Basis neu gegründet und absorbierten die Massen der wachsenden ländlichen Bevölkerung, die sie in ein neues System der Regulierung der Lebensverhältnisse preßten, das bestimmt war vom Rhythmus der Maschinen, die keine Jahreszeiten und nicht einmal den Unterschied zwischen Tag und Nacht kennen. Der häufig beschriebene elende Zustand der städtischen Unterschichten setzt keineswegs die früherenVerhältnisse fort (er ist erst recht kein Fortschritt gegenüber einem anzusetzenden noch schlimmeren Zustand vorher), sondern war etwas radikal Neues, das zugleich das kulturelle Kapital der Menschen zerstörte, die massenhaft in diese Städte gezogen wurden (da es sich um den flexibelsten Teil der ländlichen Bevölkerung handelte, repräsentierten sie gerade auch in kultureller Hinsicht deren Elite, s. z. B. Franc¸ois 1977). Die kulturelle Zerstörung betraf insbesondere auch die Kinder. Auf dem Land partizipierten die Kinder in der Regel an der anfallenden Arbeit in dem Maße, wie sie dazu körperlich in der Lage waren; Kinderarbeit war daher die Regel im Sommer (z. B. Viehhüten) und im Herbst (Erntehilfe), während es im Winter für die Kinder nicht viel zu tun gab. Daher war der Winter die reguläre Zeit für formale Bildungsaufgaben auf dem Land, insbesondere auch für die im 18. Jh. wohl überall zu findende „Winterschule“.

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

Dieser natürlich regulierte Rhythmus von Produktion und Reproduktion (eben auch kultureller Reproduktion) hatte in den neuen Städten keine Grundlage mehr. Die neuen Maschinen konnten von Kindern genauso betätigt werden wie von Erwachsenen, im Winter genauso wie im Sommer, nachts genauso wie tags. So blieb keine Zeit für förmliche Bildungsaufgaben übrig. Die elende Situation der Kinder, die die Untersuchungsberichte des engl. Parlaments im frühen 19. Jh. so deutlich darstellen (in den „Blue Books“, die die Grundlage für die Analysen von Karl Marx waren), ist eine Begleiterscheinung des frühen Kapitalismus in allen „modernen“ Staaten, auch in Deutschland. Das verbietet eine Extrapolation aus diesen Verhältnissen auf frühere Zeiten; vielmehr ist das moderne Schulsystem, mit der Schulpflicht für Kinder als seinem Kern, eine Reaktion auf diese Entwicklungen, denen es im weiteren Verlauf des 19. Jhs. auch gegensteuert. Damit etablierte sich ein Bildungssystem, zu dem aber auch die heute, nach über 100 Jahren Schulpflicht, immer noch zu registrierende Analphabetenquote (s. o. 2.) gehört. Es ist zwar müßige Spekulation zu fragen, welche Entwicklung die traditionellen Bildungsverhältnisse ohne diese Zäsur von Industrialisierung und moderner Urbanisierung genommen hätten. Immerhin ist es interessant, daß dominant landwirtschaftlich geprägte Gesellschaften in Europa an der Spitze der Alphabetisierungsprofile liegen: Bei dem erwähnten OECD-Bericht von 1995 gilt das für Schweden, mit dem geringsten Anteil (7,5%) von Menschen mit den größten Schwierigkeiten; Island, das erst in jüngster Zeit Anfänge von Industrialisierung und Urbanisierung erfahren hat, dürfte das einzige Land in der Welt sein, das eine universelle Schriftkultur erreicht hat.

5.

Alphabetisierung und Orthographie, am Beispiel Deutschlands

Eine Schriftkultur setzt ein Schriftsystem voraus. Daß die spezifische Verfassung des Schriftsystems Konsequenzen für die Schriftkultur hat, wird vor allem seit den Studien von Havelock zum griech. Altertum diskutiert, der insbesondere die Herausbildung einer wissenschaftlichen Prosa mit dem späteren griech. Schriftsystem (nach dem Linear B) in Verbindung gebracht hat (Havelock 1976). Die gleiche Frage stellt sich auch bei

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den modernen Schriftsystemen wie z. B. der dt. Orthographie. Diese wird in sprachgeschichtlichen Darstellungen nur zu oft nicht als Voraussetzung für die Alphabetisierung, sondern vielmehr als ihre Behinderung hingestellt, die eine Reform erforderlich mache. Demgegenüber gilt es, die Entwicklung der dt. Orthographie (mutatis mutandis gilt Gleiches für die vergleichbaren Gesellschaften) im engen Zusammenhang mit der der Alphabetisierung/Schriftkultur zu sehen. Ihre Grundlagen wurden in den ersten Jahrhunderten geschaffen, als das Schriftsystem zwangsläufig das des Lat. war, das als einziges in der Schule gelehrt wurde. Mit ihm konnten eventuell auch nicht-lateinische Texte verschriftet werden, was aber bei dt. Texten vor allem im Laut-Schrift-Bereich erhebliche Schwierigkeiten mit sich brachte. Eine wichtige Voraussetzung für eine solche Umnutzung bot die „germanisierte“ Aussprache des Lat. in den dt. Schulen: Mit einem Druckakzent (den das klassische Lat. nicht kannte), später dem Abbau der Quantitätenverhältnisse (im hohen Mittelalter zuerst der Verlust konsonantischer Länge) zugunsten einer Silbenschnittkorrelation u. a. mehr. Wo das lat. Schriftsystem hypertroph war, konnten seine Besonderheiten sogar genutzt werden, um z. B. im Dt. semantische und/ oder grammatische Disambiguierungen vorzunehmen; problematisch waren dagegen fehlende Unterscheidungen: Kühne Erfindungen in der Frühzeit, z. B. im Rückgriff auf Runenformen, scheiterten an der Zensurinstanz des lat. Schriftbildes, dessen Ästhetik auch für dt. Texte maßgeblich blieb. Anstelle von neuen Schriftzeichen ließen sich nur Zeichenkomplexe aus vertrauten Zeichen durchsetzen (Digraphe wie *th+, *ng+, Trigraphe wie *sch+ u. dgl.). Eines der größten Probleme stellte sich bei der Notation vokalischer Quantitäten. Hier war die lat. Orthographie defektiv, bei der sich eine Korrektur anders als im Griech. nie hat durchsetzen können ⫺ obwohl die antiken Grammatiker immer wieder Vorschläge dazu machten: z. B. die Verdoppelung des Vokalzeichens *aa+, eine Apexnotation *a´+ u. dgl. Immerhin waren diese Vorschläge, wie sie z. B. von Quintilian diskutiert werden, den europäischen Intellektuellen bekannt, die überall in Europa in der frühen experimentellen Phase der „volkssprachlichen“ Orthographien auch darauf zurückgriffen. Nach einer langen Phase solcher experimenteller Schreibweisen, bei denen sich regional unter-

2412

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

schiedliche Präferenzen stabilisierten, setzte sich auf dem Markt der Druckerzeugnisse des 16./frühen 17. Jhs. eine neue Graphie durch: ein Digraph aus Vokalzeichen und „Dehnungs-h“, die von Anfang an auf den Widerstand der Traditionalisten stieß, da sie kein Modell im Lat. hatte und so bis heute im Visier der Rechtschreibreformer ist, die mit der Standardisierung im 19. Jh. hier einen radikalen Einschnitt vornahmen, indem sie alle postkonsonantischen Varianten dieser Schreibung (etwa *th+ wie in *Thal+, *roth+ u. ä.) abschafften, und sie auch postvokalisch auf Vorkommen vor folgenden *m, n, r, l+ einschränkten. Die komplementäre „Schärfungsnotierung“ beruhte auf der Umfunktionierung der lat. Geminatennotation, war also ästhetisch unauffällig und stieß so auf keinen Widerstand. Der Vergleich zur nl. Orthographieentwicklung ist aufschlußreich. Die dort genutzte Markierung: die Verdoppelung von Zeichen (die ja z. B. Quintilian auch bei den Vokalen als Möglichkeit diskutiert), verletzte die lat. Ästhetik nicht; also gab es hier keine vergleichbaren Widerstände und konnte in der Orthographie ein konsistentes System der Quantitätennotation (in Abhängigkeit von der Silbenstruktur) etabliert werden. Das Beispiel zeigt das Spannungsfeld, in dem sich das Schriftsystem (die Orthographie) entwickelt hat: Auf der einen Seite ein kontinuierlicher Adaptierungsprozeß an die Anforderungen der Schriftkultur (hier des lat. Systems an die Schriftkultur in Deutschland), auf der anderen Seite die Widerstände der Tradition und der sie wahrenden ständischen Repräsentanten. Für professionelle Schreiber ist auch ein extrem kompliziertes Schriftsystem, u. U. auch das Schreiben in einer fremden Sprache mit ihrem Schriftsystem meisterbar, wie es eben beim Lat. der Fall war; soll ein solches Schriftsystem aber nicht professionell beschränkt bleiben (soll es demotisiert werden), muß es durch die Anpassung an die spontane Sprache bzw. das mit dieser erworbene sprachliche Wissen in seiner Lernbarkeit optimiert werden und so traditionelle Zensurmechanismen überwinden. Tatsächlich ist die moderne dt. Orthographie weitgehend das Werk der Drucker, die im 16. Jh. auf dem Markt bei einem stetig wachsenden Publikum mit ihren Innovationen konkurrierten und die, wenn sie damit Erfolg hatten, von den Konkurrenten bald kopiert wurden. Und da die noch auf lange Zeit relativ teuren Drucke weiterhin oft von Hand kopiert wurden, bildeten sie zwangs-

läufig auch Modelle für die Schreibpraxis (nicht nur, aber insbesondere bei den darüber vermittelten autodidaktischen Lernprozessen). Allerdings sind diese Adaptierungen an die Strukturen des (gesprochenen) Dt. nur eine Dimension der Herausbildung einer Schriftsprache. Orthographie hat den Zweck, Texte lesbar zu machen, insbesondere komplexe Texte, die ohne direktes Modell in der gesprochenen Sprache sind. Aus diesem Grund wurde die lat. Schriftsprache für komplexe Zielsetzungen bis lange ins Mittelalter beibehalten ⫺ u. U. auch als begleitende Zweitausfertigung, wenn z. B. die beteiligten Parteien einer rechtlich bindenden Urkunde deren Ausfertigung in einem für diese „verständlichen“ Dt. verlangten, für Juristen aber ein in der Sache eindeutiger Text verfertigt werden mußte, was nur in dem auf lange Zeit allein ausreichend flexiblen Lat. möglich war (s. Schulze 1975). So ist die Ausbreitung der Schriftkultur kongruent mit dem Ausbau des Dt. zu einer Sprache, die flexibel genug war, um allen Anforderungen an schriftliche Praktiken zu genügen. Zu diesem Ausbau gehörte aber auch die Entwicklung graphischer Mittel zu ihrer Darstellung ⫺ zwangsläufig nicht zu beschränken auf die Darstellung von Strukturen der gesprochenen Sprache. Die Entwicklung der satzinternen Kleinund Großschreibung ist ein Beispiel dafür: Die Markierung der Kerne der nominalen Gruppen strukturiert vor allem komplexe Sätze und verhilft den Lesern zu einer Orientierung. Von ersten experimentellen Versuchen zu einer so grammatisch geregelten Majuskelsetzung im frühen 16. Jh. stabilisierte sich dieses System relativ rasch bis zur Mitte des Jahrhunderts ⫺ und breitete sich mit dem Buchdruck in allen westeuropäischen Ländern aus. Heute findet es sich nur noch in Deutschland ⫺ überall anderswo haben die Widerstände der Tradition (das lat. Schriftbild kannte eine solche Differenzierung der Graphien nicht) letztlich gesiegt. Für die Sonderrolle des Dt., sowohl am Anfang dieser Entwicklung wie auch heute, gibt es auch strukturelle Gründe: Von allen Sprachen, in denen diese grammatisch geregelte Majuskelschreibung praktiziert wurde, zeigt das Dt. die komplexesten Satzstrukturen, die mit wachsendem Satzumfang immer opaker werden können, bedingt durch die relativ freie Wortstellung, die Ausbildung der Satzklammer (mit den Möglichkeiten der Ausrahmung) u. dgl. mehr. Auch in Deutschland be-

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

stehen die Widerstände weiter ⫺ jetzt allerdings mit reformerischem Vorzeichen und nicht mehr länger mit der Berufung auf das Lat., sondern auf eine internationale Praxis wie im Engl. (die aber am Lat. ausgerichtet wurde). Auch hier zeigt sich also wieder die kulturelle Heteronomie als Entwicklungsfaktor: Was die Rechtschreibdiskussionen seit der Frühen Neuzeit dominiert, ist eine abstrakte Diskussion, die um prestigehaltige Modelle kreist, statt sich auf die Analyse der Praxis und der Schwierigkeiten der Lerner zu stützen. Die Diskrepanz wird sinnfällig, wenn z. B. heute Migrantenkinder aus einem anderen (schrift-)sprachlichen Kulturkreis gezwungen sind, sich mit der dt. Sprache und ihrem Schriftsystem zu arrangieren; sie erfassen in der Regel relativ schnell die Grundstruktur der satzinternen Klein- und Großschreibung, im Gegensatz zu den für sie oft unüberwindlichen Schranken im LautSchrift-Bezug. In Hinblick auf die eingangs erwähnte Barriere der Schriftkultur für viele Schulabsolventen läßt sich nur vermuten, daß die verbreitete pädagogische Kritik an der dt. Orthographie (insbes. der grammatischen Klein- und Großschreibung) ihren Teil dazu beigetragen hat, hier eine unzureichende Förderpraxis zu etablieren. Die heteronomen Orientierungen überschreiben gewissermaßen alle Bereiche der Etablierung der dt. Orthographie. Das gilt so z. B. für die phonographischen Unterscheidungen, die dem Dt. eigen sind (etwa die Repräsentation von [s] durch *ß+ gegenüber [z] durch *s+), für die Interpunktion nach syntaktischen Regularitäten (gegenüber mehr prosodisch regulierten Schreibungen in den Nachbarorthographien) nicht anders als für die schon angesprochene satzinterne Kleinund Großschreibung. Der Fall des *ß+ ist ein besonders instruktives Beispiel. Sein Aufkommen geht zurück auf das Bemühen, die in der lat. Graphie nicht vorgesehene Unterscheidung von [s] und [z] zu markieren. Die Einzelheiten der Etablierung der Graphie sind komplex und brauchen hier nicht nachgezeichnet zu werden, da auch nicht strukturelle Gründe Anlaß für den Kampf gegen das *ß+ bis in die jüngste Reformrunde sind (ein entscheidendes Moment bei der Herausbildung einer Opposition *ß+ vs. *s+ war die ebenfalls sprachidiosynkratische Festlegung von *z+ für [ts]). Die ersten, die das *ß+ abgeschafft haben, waren die Schweizer Behörden in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts,

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nachdem sie frz. Büroschreibmaschinen eingeführt hatten, die dieses Zeichen nicht aufwiesen. In den 70er Jahren dieses Jhs. gab es eine neue Welle zur Abschaffung des *ß+, als die prestigeträchtigen IBM-Schreibmaschinen in die Büros Einzug hielten. Heute verfügen zwar die Computer-Fonts über ein *ß+, aber der Kampf dagegen hält an: Sein Anwendungsbereich ist in der letzten Reformrunde wiederum beschränkt worden. So erweist eine nähere Betrachtung die Entwicklung der dt. Orthographie als einen gesellschaftlichen Prozeß: Sie ist ein Produkt des Marktes, dessen Kräfte hinter dem Rükken der Subjekte operieren, nicht aber der Intellektuellen, die einen Beruf aus der Beschäftigung mit Sprache gemacht haben. Die Rationale der Entwicklung ist die Optimierung des tradierten Schriftsystems, die am Ende des 18. Jhs. mit den entsprechenden Kodifizierungen einen gewissen Abschluß gefunden hat ⫺ als Ausdruck einer Autozentrierung in der kulturellen Entwicklung, mit der sich das Dt. von der heterozentrierten Orientierung an fremden Modellen emanzipierte ⫺ von der übermächtigen lat. Tradition, aber auch von zwischenzeitlich in Mode gekommenen anderen Fremdzentrierungen wie etwa der auf das Frz. Die Schwierigkeiten der Intellektuellen mit diesem gesellschaftlichen Prozeß sind ein eigenes Thema: Die Fixierung auf prinzipielle Fragen erspart ihnen zumeist die Mühe von dessen Analyse und läßt sie eher Störungen im Entwicklungsprozeß produzieren, wie bei gegenwärtigen Reformbemühungen; statt an der Überwindung der schriftkulturellen Barrieren zu arbeiten, bestätigen sie damit ihren privilegierten Status in der gesellschaftlichen Reproduktion.

6.

Die schriftkulturelle Entwicklung in Deutschland im Überblick

Die im vorausgehenden entwickelte Argumentation soll noch einmal in tabellarischer Form zusammengestellt werden (vgl. Abb. 167.1).

7.

Zu den Bedingungen der Schriftkultur: Schriftkultur in Deutschland heute

Vor dem Hintergrund dieser historischen Zusammenhänge sollen in diesem letzten Abschnitt nochmals die gegenwärtigen schriftkulturellen Verhältnisse in Deutschland in den Blick genommen werden: Mit dem Resul-

2414

XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte

Zeit

Schriftsprache a) nichtgermanisch

Schriftsprache b) germanisch

Gesprochene Sprache

Schriftkultur

9.⫺ 11. Jh.

Latein

⫺ einige dt. Texte, ⫺ Schreiben nach dem lat. Modell

⫺ Varietäten des Deutschen (insbes. Hd. und Nd.) ⫺ andere germ. Sprachen ⫺ nicht-germ. Sprachen ⫺ pidginisiertes Latein

nur dünne Schicht von Klerikern

12.⫺ 15. Jh.

Latein

⫺ überregionale Varietäten von Hd. und Nd. ⫺ Regularisierung der Orthographien, Lösung von dem lat. Modell

⫺ Varietäten des Deutschen (insbes. Hd. und Nd. ⫺ andere germ. Sprachen ⫺ nicht-germ. Sprachen ⫺ pidginisiertes Latein

⫺ zunehmende Schriftkultur in den Städten: Kaufleute, Handwerker ⫺ Partizipation der Frauen an der Schriftkultur ⫺ im 15. Jh. etwa 20⫺25% der Bevölkerung alphabetisiert

16.⫺ 18. Jh.

Latein tritt zurück

⫺ Hd. erhält Monopol, bes. in den Schulen ⫺ experimentelle Orthographien in den Drucken, z. T. unabhängig vom Lat. ⫺ am Ende d. 18. Jhs. ist die dt. Orthographie etabliert

⫺ Varietäten des Deutschen jetzt nur noch als Dialekte (hd. und nd.) ⫺ andere germ. Sprachen ⫺ nicht-germ. Sprachen

⫺ zunehmende Schriftlichkeit in den Städten; ⫺ Schriftlichkeit auf dem Land in der Folge der Monetarisierung ⫺ etwa 40⫺50% der Bevölkerung im 18. Jh. alphabetisiert

19. Jh.

Latein tritt zurück

⫺ ausschließlich Hd. ⫺ offizielle Kodifizierung der Orthographie (in den einzelnen Bundesstaaten, seit 1871 zentralisiert)

⫺ eine städtische überregionale Varietät des Hd. etabliert; ⫺ die Dialekte (hd. und nd.) werden noch verbreitet gesprochen ⫺ andere germ. Sprachen ⫺ nicht-germ. Sprachen

erste Hälfte: ⫺ Rückgang der Schriftkultur in den Industriestädten; ⫺ schwieriger werdende Verhältnisse auf dem Land; ⫺ etwa 30⫺40% der Bevölkerung alphabetisiert zweite Hälfte: ⫺ Schulpflicht, dadurch Ansteigen der Alphabetisierung auf 90%

20. Jh.



Standardisiertes Hd.

⫺ Verbreitung des Hd. durch die Massenmedien (Rundfunk, später Fernsehen); ⫺ Rückgang der Dialekte wie auch der nicht-dt. Varietäten; ⫺ regionale Varietäten des Hd. bilden sich aus ⫺ seit den 60er Jahren: Immigrantensprachen

Alphabetisierung stabilisiert bei 90 bis 95% der Bevölkerung

Abb. 167.1: Die schriftkulturelle Entwicklung in Deutschland im Überblick

167. Alphabetisierung. Zur Entwicklung der schriftkulturellen Verhältnisse

tat einer nahezu universellen Alphabetisierung, aber auch mit der Schwelle der je nach angelegter Meßlatte 1⫺10% verbleibenden Analphabeten. Ausgangspunkt müssen die Differenzierungen sein, die oben in Abschnitt (3.) entwickelt wurden: Schriftkultur ist auf den sozialen Kontext zu beziehen, in dem sie eine Funktion erfüllt. Die Kinder finden ihren Zugang zur Schriftkultur ausgehend von den mündlich erworbenen Registern. Bevor sie im engeren Sinne alphabetisiert werden, wachsen sie in einer Umgebung auf, die schriftkulturell geprägt ist, deren Strukturen sie sich zu erschließen suchen, wobei sie früh dazu gebracht werden, schriftliche Strukturen auf die förmlichen Sprachregister zu beziehen, in denen Äußerungen (bzw. Äußerungsfragmente) formidentisch reproduzierbar sind, weitgehend unabhängig von dem situativen Zusammenhang, in dem sie produziert wurden. Die genauen Zusammenhänge sind noch weitgehend unklar ⫺ die Forschung hat diesen Bereich noch weitgehend vernachlässigt, nicht zuletzt, weil die Schule derartige Kenntnisse inzwischen bei den Schulanfängern voraussetzen kann, die sie außerschulisch erworben haben müssen. Bei dem überwiegenden Teil der Anfänger ist das auch der Fall; aber bei einigen eben nicht, aus denen sich denn auch ein großer Teil derer rekrutiert, die aus dem Erfolgsbild der Schriftkultur herausfallen. Ein diagnostisch probates Mittel, diese schriftkulturellen Vorkenntnisse zu eruieren, besteht darin, Grundschülern „Transkriptionsaufgaben“ zu geben, wozu sie selbst produzierte freie Texte vom Tonband abhören und dabei die Geräte selbst bedienen und so die zu verschriftende Äußerungsspanne selbst bestimmen. Das Ergebnis läßt sich dann mit einer Transkription ihres mündlichen Textes vergleichen (s. schon Maas 1986). Dabei wird deutlich, wie wenig akzeptabel für diese Kinder die pädagogische Maxime „Schreib wie du sprichst!“ ist: durchweg unternehmen sie große Anstrengungen, ihren Text literat zu edieren, soweit sie nicht die Aufgabe ohnehin verweigern und statt einer Bearbeitung des mündlichen Textes einen unabhängigen schriftlichen (literaten) Text herstellen (in Hinblick auf die geforderten technischen Fertigkeiten des Schreibens läßt sich ein solcher Test allerdings erst ab dem zweiten Schuljahr durchführen). Da Untersuchungen in diesem Feld bisher noch nicht üblich sind, sollen zwei Beispiele einen Eindruck von dem so zu gewinnenden

2415

Befund zeigen (in eckigen Klammern [ ] die Transkription der mündlichen Äußerung, in spitzen Klammern * + die schriftliche Bearbeitung): Beispiel A: Aus einem Text (einer Bildbeschreibung) eines neunjährigen Jungen aus Freiburg i. Br. ([ ] bezeichnet die Stimmlosigkeit eines (Le⬚ nis-)Konsonanten): [⬘?alzo ⬘zj o:n: ⬘man ba:det ⬘ta wn dj B ⬘hwn dj i ⬘slift] *son man Badet und der Hund schleft+

Beispiel B: Text eines zehnjährigen türkischen Mädchens aus Osnabrück, das den Verlauf eines Familienfestes erzählt: [Un dj a maıne ⬘mutB unt maıne ⬘svistB di: va:n ⬘glawb ıc¸ bis um tsvœlf unt maıne fa:tB di: va: bis tsvaı] *und dann ist Meine Mutter und meine Schwester bis 12.00 geblieben und main Vater war bis 2.00 Uhr+

Die editorischen Maßnahmen dieser Schreiber liegen auf der Hand: Elliptische Passagen des Mündlichen werden ergänzt (waren … geblieben, 2.00 Uhr, B), Elemente der oraten Sprachproduktion, sowohl solche, die die Phasen des Nachdenkens bzw. der Äußerungsplanung überdecken sollen, wie solche, die der Hörerorientierung dienen oder auch die Haltung des Sprechers zum Gesagten kommentieren, werden getilgt ([⬘?alzo] x) im 15. Jahrhundert nachgewiesen werden durch hyperkorrekte Schreibungen wie milk, kilke (Kirche), stork (Storch), Lerke (Lerche) in Gegenden, wo heute keine k-Verschiebung im Anlaut oder nach Konsonant mehr gilt (Besch 1965 a; HSS Karten 182⫺187 und Dokumentation HSS, Bd. 1, 275).

Mit Hilfe der Hyperkorrekturen kann man daher historische Dialektgeographie (Lautgeographie) betreiben, auch wenn hierzu direkte lautschriftliche Informationen nicht vorliegen (können).

3.

Die indirekte Verweiskraft der Hyperkorrekturen

Zusammenfassend kann man die aus den hyperkorrekten Schreibungen abzuleitenden Schlüsse auf historische Sprachzustände folgendermassen auflisten. (1) Hyperkorrekturen können Hinweise sein auf einen bereits bestehenden Lautzustand (-wandel) unterhalb der Ebene der Schrift zu einem historischen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort oder in einer Gegend. (2) Sie ermöglichen je nach Qualität der Quelle Lokalisierungen und Datierungen historischer Lautzustände, die man sonst nur aus rezenten Dialektdarstellungen kennt. (3) Sie dienen zur Rekonstruktion der arealen Verbreitung (Lautgeographie) eines Lautzustandes (Zusammenfall von -ei, -uon, -or und aˆ zu [cB] oder maximale Ausbreitung der k > x-Verschiebung im 15. Jahrhundert).

168. Hyperkorrekturen als Hilfe bei der Rekonstruktion von Sprachzuständen (4) Sie dienen zur Erklärung und etymologischen Deutung unklarer (hyperkorrekt geschriebener) Namen, falls die Lautentwicklung am Ort bekannt ist. Gelterkinden, Känerkinden (Ortsnamen im Kanton Baselland) sind amtlich gewordene hyperkorrekte Formen, die den vormaligen Lautwandel -nd > n, (hinder > hinnr) unterdrücken sollten. Die historisch korrekten Formen lauten Gelterchingen, Chänerchingen. Es sind also alte -ingen-Namen (Bruckner 1945, 11, 98). Die hyperkorrekten Formen sind Indiz für die vormalige Ausbreitung des Lautwandels in dieser Gegend.

Der letzte Fall zeigt im Übrigen, dass Hyperkorrekturen, gerade bei Namen mit verdunkelter Etymologie, häufig zur Normalform werden konnten (vgl. die ON Celle < Kellu oder Grimma < grimaha, Reiffenstein 1995, 302). Weitere zwei für Namen typische Formen der Hyperkorrektur sind noch zu nennen: die Agglutination und die Deglutination. Man spricht von Agglutionation, wenn ein Teil der Präposition zem, im, zen dem Namen zugeschlagen wird: Nadelberg in Basel < ze’n Adelberg; Sank’t Alban > Talpe in Basel; Meckatz ON/ bei Lindau < ze’m Eckartz; mittelalterlich Nagelts für Aquileia; von Deglutination spricht man, wenn der Anlaut des Namens fälschlich als Teil der Präposition angesehen wird: Erlach (ON in der Schweiz) < Zerlach < Caereliacu (frz. Cerlier; Pfister 1996, 1414); Este < Ateste (ital. ON; Pellegrini 1996, 1377).

Agglutination und Deglutination bei Namen sind nichts anderes als Hyperkorrekturen, die zur Normalform geworden sind.

4.

Anforderungen an die Textzeugnisse

Voraussetzung der sprachgeschichtlichen Nutzung von hybriden Formen ist eine gute Quellenlage. Hierzu gehören folgende (ideale) Bedingungen: (1) Die Textsorte der Quelle muss möglichst niedrig angesetzt sein (z. B. Urbare und Zinsrödel), da dort die „ungeübten“ Schreiber häufiger sind und Normschreibungen für Namen wegen ihres geringen Bekanntheitsgrades meistens nicht vorliegen. (2) Die Lokalisierung der Quelle sollte möglichst punktgenau sein. Neben den Urkunden sind es auch wieder die Urbare und Zinsverzeichnisse, die diese Bedingung erfüllen. (3) Die Datierung der Quelle sollte ebenfalls auf das Jahr genau möglich sein. Dies ist bei Urkunden mit der Datumsangabe der Fall. Urbare und Zinsverzeichnisse enthalten in der Regel ebenfalls originale Jahresangaben.

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(4) Es sollten möglichst viele gleichartige Quellen und Zeugnisse aus verschiedenen Orten einer Region vorliegen, damit die Ortsnetzdichte klare Deutungen und Rekonstruktionen historischer Lautareale ermöglicht. Parallel dazu ist es unabdingbar, dass die neueren Dialektverhältnisse an diesen Orten und in der Region erhoben sind.

5.

Ausblick

Das Phänomen der Hyperkorrekturen ist schon lange hinreichend bekannt. Sie werden in der historischen Sprachforschung und Grammatikographie auch punktuell berücksichtigt (z. B. Reichmann/Wegera 1993). Systematisch ausgewertet und in einen grösseren Zusammenhang der Lautrekonstruktion und der historischen Sprachgeographie gestellt wurden sie eigentlich erst von der Freiburger Schule (Besch 1961, 1965, 1965 a; Maurer 1972; einzelne HSS-Karten). Das mag an der idealen Quellenlage im deutschen Südwesten liegen, aber auch daran, dass dort in mühsamer Kleinarbeit an die tausend Quellentexte nach den oben genannten Erfordernissen aufbereitet wurden. In anderen Regionen muss es bei Hinweisen auf Einzelfälle bleiben. Eine systematische Auswertung kann immer nur innerhalb einer Schreib- und Sprachlandschaft erfolgen (Besch 1961, 301). Selbst das im HSS und in den Vor- und Begleitarbeiten ausgebreitete Material ist noch nicht vollständig ausgewertet. Neben der Quellenfrage gehört zu den Voraussetzungen auch eine flächendeckende Kenntnis der rezenten Mundartformen, auf deren Hintergrund die falschen Schreibungen ihre indirekte Beweiskraft erst entfalten können. Mit einer großflächigen Zusammenfassung aller bekannten Hyperkorrekturen liesse sich für vergangene Zeiten eine Dialektgeographie auf der Ebene der nicht schriftfähigen Basismundarten rekonstruieren. Die modernen Sprachatlanten bekämen damit eine historische Unterlegung auf derselben Textebene. Eine weitere Aussicht sei noch angemerkt: In der Regel werden die hyperkorrekten Formen im hohen Mittelalter angesiedelt. Bereits in ahd. Zeit dürften jedoch hybride Formen vorgekommen sein, allerdings überdeckt durch den lateinischen Kontext und dadurch unbeachtet, dass ahd. Schreibungen gewöhnlich als direkte Lautanzeigen gewertet werden. Bei den mit lateinischen Buchstaben geschriebenen vollen Endungen denkt niemand an Hyperkorrekturen oder Latinisierungen. Es ist aber durchaus denkbar, dass schon in

2424

XVI. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung II: Sprachsystematische Aspekte

ahd. Zeit neben Direktanzeigen auch Hyperkorrekturen zur Unterdrückung von bäuerlich-ländlichen Mundartformen verwendet wurden. Man denke nur an die „lingua agrestis“, wie Otfrid den Dialekt des Volkes bezeichnet hat (Otfrid 865, 5). So könnte man punktuell nachweisen, dass manche hochmittelalterlichen Lautentwicklungen (Rundungen, Entrundungen, Endsilbenschwächung) vielleicht viel älter sind als bisher angenommen. Dies würde jedoch eine historisch-graphematische Neubaufbereitung des gesamten ahd. Textmaterials voraussetzen.

6.

Literatur (in Auswahl)

Besch, Werner, Schriftzeichen und Laut. Möglichkeiten der Lautwertbestimmung an deutschen Handschriften des späten Mittelalters. In: ZdPh. 80, 1961, 287⫺302. Ders., Das Villinger Spitalurbar von 1379 f. als sprachliches Zeugnis. In: Maurer 1965, 260⫺288. Ders., „Milk“, eine alte Rückzugsetappe der k-Verschiebung. In: Vorarbeiten und Studien zur Vertiefung der Südwestdeutschen Sprachgeschichte. Stuttgart 1965 a, 244⫺259. Ders., Zur Erschließung früheren Sprachstandes aus schriftlichen Quellen. In: Maurer 1965 b, 104⫺130. Ders./Heinrich Löffler/Hans H. Reich (Hrsg.), Dialekt/Hochsprac