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Thomas Möbius · Sibylle Friedrich (Hrsg.) Ressourcenorientiert Arbeiten
Thomas Möbius Sibylle Friedrich (Hrsg.)
Ressourcenorientiert Arbeiten Anleitung zu einem gelingenden Praxistransfer im Sozialbereich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Stefanie Laux VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16831-9
Inhalt
Vorwort Mit dem ganzen Menschen und seinen Ressourcen arbeiten Alexander Redlich ................................................................................................................... 7 Über die Entstehung dieses Bandes Sibylle Friedrich und Thomas Möbius ....................................................................................... 9
Teil A Grundlagen der Ressourcenorientierten Arbeit 1 Ressourcenorientierung in der Sozialen Arbeit Thomas Möbius ..................................................................................................................... 13 2 Transparenz und Strukturiertheit als Wesensmerkmale ressourcenorientierten Arbeitens Sibylle Friedrich ..................................................................................................................... 31 3 Entwicklung einer ressourcenorientierten Haltung Sibylle Friedrich ..................................................................................................................... 39 4 Systemisches Arbeiten Karin Jeschke ......................................................................................................................... 51 5 Arbeit mit Netzwerken Sibylle Friedrich ..................................................................................................................... 63 6 Arbeit mit individuellen Ressourcen Thomas Möbius ................................................................................................................... 107
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Inhalt
Teil B Ressourcenorientierung in der Praxis 7 Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis? Erfolgsfaktoren für die Verbreitung, Einführung und Verstetigung von Innovationen Thomas Kliche...................................................................................................................... 127 8 Das Multiplikatorenkonzept Thomas Möbius ................................................................................................................... 141 9 Die Familienfibel – ein Instrument der Ressourcenarbeit in Familien Sibylle Friedrich, Martina Feistritzer .................................................................................... 149 10 Projekte der Ressourcenorientierung – Praxisbeispiele Katrin Oberpiller .................................................................................................................. 155
Teil C Ressourcenorientierung in der Organisation 11 Ressourcenorientierte Arbeit in der Praxis – Ergebnisse einer Evaluation in der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses Hans-Josef Lembeck ............................................................................................................. 167 12 Das Konzept der Ressourcenorientierten Fallarbeit – ein Implementierungsprozess aus Sicht der Personalentwicklung des Rauhen Hauses Katrin Haider-Lorentz .........................................................................................................181 13 Ressourcenorientierung in einer diakonischen Einrichtung – eine Reflexion des Theorie-Praxis-Transfers aus der Leitungsperspektive Michael Tüllmann ................................................................................................................ 185 Die Autorinnen und Autoren ......................................................................... 193
Vorwort Mit dem ganzen Menschen und seinen Ressourcen arbeiten In diesem Buch geht es um die Nutzung von Kraftquellen in der Sozialen Arbeit. Man spricht von Ressourcenorientierung. Das bedeutet, dass man mit den Ressourcen der Klient(inn)en arbeitet statt einseitig mit ihren Störungen und Problemen. Dabei geht es nicht nur darum, Soziale Arbeit effizienter zu machen, sondern auch um die Umsetzung humaner Wertvorstellungen, um die richtige Sicht vom Menschen, der als vollständige Person in seiner Bezugsgruppe betrachtet und betreut werden soll und nicht auf seine Probleme als „Alkoholiker“, „Sozialhilfe-/Hartz IVEmpfänger“, „Multiproblemfamilie“ usw. reduziert werden darf. Unter Ressourcen verstehen wir daher nicht nur materielle Dinge wie Geld und Wohnraum sowie individuelle Stärken der Klient(inn)en, sondern viel mehr: gelingende Alltagsroutinen, motivierende Zielvorstellungen, tragende Selbstkonzepte und soziale Beziehungen, die als soziale Netzwerke bezeichnet werden. Die sechs Leitfragen des ressourcenorientierten Interviews mit Klient(inn)en illustrieren diese Inhalte anschaulich: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Alltagsroutinen: Wie läuft Ihr Alltag ab? Zielvorstellungen: Was wünschen Sie für sich und ihre Angehörigen, auch auf lange Sicht? Stärken: Welche besonderen (und normalen) Fähigkeiten besitzen Sie? Was gelingt Ihnen? Identität: Was unterscheidet Sie von anderen? Soziales Netz: Welche Personen sind oder waren für Sie wichtig? Materielles: Worüber verfügen Sie?
Somit geht es um mehrere Dimensionen: Die ethische Dimension zeichnet ein Bild vom ganzen Menschen und seiner Bezugsgruppe, versucht ihn vom Grundsatz her gesellschaftlich einzubeziehen statt als andersartig auszugrenzen. Die methodische Dimension der Ressourcenorientierung stärkt sein Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ermutigt dazu, als einflussfähiger Akteur und Autor der eigenen Lebensgeschichte zu denken und zu handeln und sich nicht wie eine einflusslose Figur im Spiel der anderen zu erleben. In der praktischen Dimension bieten ihm seine Ressourcen festen Boden unter den Füßen, um die vielen Probleme im Alltag zu lösen oder wenigstens zu bewältigen – wie ein Jongleur, der mit festem Stand alle Bälle zugleich in der Luft hält –, vorausgesetzt, er erkennt sie und wird darin von anderen unterstützt, die sie auch sehen und benennen können.
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Vorwort
So sympathisch und hilfreich Ressourcenorientierung ist, auch sie enthält die Schwächen und Nachteile des Zuviels und Zuwenigs. Zuviel Ressourcenorientierung neigt wie jeder abstrakte Grundsatz dazu, fundamentalistisch (durchaus auch gelegentlich gemischt mit Bequemlichkeit) ihre Stärke zu übertreiben und damit zu weltfremder Blauäugigkeit zu verkommen, die das Unwahre, Schlechte und Unschöne ignoriert oder harmonisiert. Dadurch werden auch problematische Aspekte des Status Quo des/r Klienten/in zementiert. Eine radikale, „reine“ Ressourcenorientierung verliert ihre Funktion, die Klient(inn)en bei der Sicherung ihrer Integration sowie in ihrem Lern- und Veränderungsprozess zu unterstützen. Die bloße Bestätigung des Vorhandenen reicht nicht. Auf ihrer Grundlage müssen daher die heftigen, teilweise ja existenziellen Probleme der Klient(inn)en über kurz oder lang benannt und gezielt angegangen werden. Erst in Verbindung mit ihrer Schwesterntugend, der Problemlösungsbereitschaft, wirkt sich Ressourcenorientierung fruchtbar aus. Zu wenig Ressourcenorientierung kann die qualifizierte Einbeziehung von Ressourcen der Klient(inn)en in die Soziale Arbeit durch die allzu rasche und oberflächliche Verbreitung der Idee und des Schlagwortes von der Ressourcenorientierung verwässern. Der gelegentlich vorgebrachte Satz „Ich habe schon immer ressourcenorientiert gearbeitet“, zeigt sich bei genauerer Betrachtung oft als bloßes Lippenbekenntnis, das schon nach 30 Minuten ressourcenbezogener Arbeit versagt, weil man es schwer aushalten kann, so lange ohne Bezug zum „eigentlichen“ Problem des/r Klienten/in zu arbeiten. Diese beiden Gefährdungen erfordern eine präzise Bestimmung der Kernelemente ressourcenorientierter Sozialer Arbeit. Man kann ihnen durch die praxisnahe und konkrete Darstellung ihrer Konzepte, Methoden und Techniken begegnen. Dieses Buch ist ein Beispiel dafür. Hier findet man diese konkreten Darstellungen; ob bei methodischen Aspekten oder praktischen Fällen, sogar in Fragen der Haltung und in theoretischen Bezügen – die Beiträge sind sehr konkret, verständlich verfasst und praxisnah aufbereitet. Dabei ist es zugleich breit angelegt. Es handelt von individuellen und sozialen, strukturellen und materiellen Ressourcen. Es geht um die Anwendung von Konzepten in unterschiedlichsten Anwendungsfeldern – so zum Beispiel in der Familienhilfe, in Kindertagesstätten, im Rahmen der interkulturellen Arbeit, um nur einige zu nennen – sowie um das Zusammenführen verschiedener Perspektiven: die der Diakonie, die der Konzept- und Personalentwicklung und die der Praktiker(innen). Der Transfer ressourcenorientierter Konzepte in die Praxis ist ebenso Thema wie ihre Evaluation und ihre Verbreitung über Multiplikator(inn)en. Wer sich also mit Theorie und Praxis ressourcenorientierter Sozialer Arbeit befassen will, ist hier an der richtigen Stelle. Hamburg, im November 2009
Alexander Redlich
Über die Entstehung dieses Bandes Die Herausgeber dieses Bandes haben sich in den letzten Jahren unabhängig voneinander in verschiedenen beruflichen Kontexten in Theorie und Praxis mit dem Thema „Ressourcenorientierte Soziale Arbeit“ befasst. Wir sind in mehreren Forschungsprojekten tätig gewesen, die sich mit der Einführung von Konzepten der Ressourcenorientierung in die Soziale Arbeit – und hier im Besonderen in die Kinder- und Jugendhilfe – beschäftigt haben. Wir haben dabei insbesondere die Förderung der Netzwerke zur Stabilisierung individueller Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen als auch ihren Familien zu unserem Thema gemacht. Darüber hinaus haben wir verschiedene kommunale und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe beraten und deren Konzeptentwicklung hin zu einer ressourcenorientierten Sozialen Arbeit fachlich begleitet. Im Besonderen seien hier der Stiftungsbereich der Kinderund Jugendhilfe des Rauhen Hauses und die Alida Schmidt Stiftung genannt, deren Leitung als auch Mitarbeitende sich engagiert mit dem Thema befasst haben und uns dadurch die Möglichkeit gegeben haben, gemeinsam mit der Praxis Konzepte zu entwickeln und zu erproben und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. An der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis haben wir uns von den großen Potenzialen des Ansatzes sowohl für die Adressat/innen der Angebote als auch für die Fachkräfte überzeugen lassen. Diese Erfahrungen flossen in das gemeinsam entwickelte Fortbildungsangebot zum Thema ‚Ressourcenorientiert Arbeiten‘ – dem RessourcenCoach – ein und führten letztendlich zu der Idee, die getrennt gesammelten Erfahrungen zusammenzutragen und mit Unterstützung von CoAutor/innen aus Praxis und Forschung in einem Band zu veröffentlichen. Im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht dabei, neben der Vermittlung des Basiswissens über das Ressourcenkonzept, der Transfer der Theorien und Methoden des Ansatzes in die Praxis. Hintergrund hierfür ist unsere Erfahrung, sowohl in unserer Rolle als Forscher/in als auch als Fortbilder/in immer wieder damit konfrontiert zu werden, dass sich der Transfer von „guten Konzepten“ in die Praxis trotz unserer eigenen Begeisterung und der hohen Motivation der Praktiker/innen häufig schwierig gestaltet. Vieles von dem, was von engagierten Fachkräften an persönlichen und materiellen Ressourcen in Fortbildungszeiten investiert wird, verpufft im Arbeitsalltag wieder. Aus diesem Grund bemühen wir uns in unseren eigenen Fortbildungsangeboten darum, die Teilnehmer/innen bei ihrem Praxistransfer zu begleiten und zumindest die ersten Schritte hin zu einer veränderten Praxis zu sichern. Dieses Ziel verfolgt auch der vorliegende Band. Er spricht vor allem interessierte Praktiker/innen an, die sich konkretes Handwerkszeug für ein ressourcenorientiertes Arbeiten und Anregungen für die Veränderung der eigenen Praxis wünschen. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und gutes Gelingen! Hamburg, im November 2009
Dr. Sibylle Friedrich und Dr. Thomas Möbius
Teil A Grundlagen der Ressourcenorientierten Arbeit
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Ressourcenorientierung in der Sozialen Arbeit
Thomas Möbius Das Ressourcenkonzept Die Soziale Arbeit – und hier insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe – beschäftigt das Vorhaben, die Ressourcen ihrer Adressat/innen1 in die Hilfeplanung und -gestaltung systematisch einzubeziehen und dadurch die Qualität der Hilfe zu verbessern, schon seit langem, beginnend spätestens mit der Verankerung des Lebensweltkonzeptes (vgl. Thiersch 1992) in das Kinder- und Jugendhilfegesetz (heute: SGB VIII) in den Jahren 1990/91. Die Umsetzung dieses Konzeptes in die Praxis der Sozialen Arbeit hat zur Konsequenz, dass die biographischen, subjektiven und objektiven Anforderungen und Möglichkeiten der individuellen Lebenssituation des Menschen zum Ausgangspunkt des professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit werden und nicht mehr die Einschätzungen der Professionellen über den „Fall“. Die Einzelnen sollen in ihren spezifischen Lebenslagen und ihren sozialen Umfeldern gesehen werden, aus denen heraus sie ihren Unterstützungsbedarf formulieren. Parallel dazu soll erkannt werden, welche Normen, Werte und Handlungsmotivationen sich aus diesen subjektiven Sichtweisen ergeben, die wiederum die Grundlage und Orientierungsgröße gleichermaßen für die Hilfeplanung und -gestaltung in der Sozialen Arbeit bilden. Mit der Lebensweltorientierung wird dabei nicht nur eine sozialwissenschaftliche Theorie beschrieben, sondern auch eine professionelle Haltung. Sie ist somit weit mehr als ein Konzept unter anderen, eine Technik oder Didaktik (vgl. Tüllmann 2007), Lebensweltorientierung heißt auch, auf die „eigensinnigen“ Erfahrungen der Adressat/innen und biographisch bedingte Phänomene einzugehen sowie Persönlichkeitsausprägungen zu akzeptieren und zu respektieren. Daher hat der direkte Dialog zwischen der Fachkraft und den Kindern, Jugendlichen, Familie wie auch behinderten, alten und pflegebedürftigen Menschen als Voraussetzung für eine aktive Beteiligung an allen Hilfeplanungs- und Gestaltungsprozessen einen zentralen Stellenwert. Das Entdecken von Potenzialen und die Vermittlung von Unterstützungsangeboten und Kompetenzen zur Bewältigung konkreter Gegenwartsprobleme tragen entscheidend zu einem gelingenden Alltag verbunden mit einer 1
Mit Adressat/innen (der Hilfe) sind in diesem Text alle die Kinder, Jugendlichen, Familien, Menschen mit Behinderungen wie auch alte (pflegebedürftige) Menschen beiderlei Geschlechts gemeint, die im Kontext Sozialer Arbeit, Rehabilitation und Beratung professionell betreut, begleitet und beraten werden.
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selbst bestimmten Teilhabe der Adressat/innen bei. Diese Prozesse des Entdeckens, Aktivierens und Vermittelns von individuellen (internen) wie auch sozialen und materiellen (externen) Ressourcen müssen im Zuge der Veränderung der professionellen Haltung der Fachkräfte eingeübt und von ihnen verinnerlicht werden. Mit der Umsetzung des Konzeptes der Lebensweltorientierung und der sich daraus ergebenden Einführung einer ressourcenorientierten Praxis ist das Ziel verbunden, die Soziale Arbeit durch eine konsequente Einbeziehung von sozialen Ressourcen und individuellen Kompetenzen in die Planung und Gestaltung zu qualifizieren und damit ihre Wirkung kurz- und langfristig zu stärken (vgl. Möbius 2005). Durch die Aktivierung dieser Ressourcen sollen Angebote passgerechter als bisher an die Kompetenzen und Fähigkeiten der Adressat/innen anknüpfen und einen entscheidenden Beitrag für eine langfristige Stabilisierung unter Einbeziehung ihres jeweiligen sozialen Umfeldes leisten. Ressourcen und Ressourcenorientierung Als Ressourcen werden allgemein „Kraftquellen“ (Vogt et al. 2000) bezeichnet, die den Adressat/innen sowie deren sozialem Umfeld zur Verfügung stehen bzw. die mit und von ihnen aktiviert werden können. Ressourcen können dabei von ganz unterschiedlicher Qualität sein und miteinander zu einem Komplex von Kraftquellen kombiniert werden, die genau dort „sprudeln“, wo sie unterstützend wirken sollen und damit einen Beitrag zu einer gelingenden Alltagsbewältigung leisten können. Spricht man von Ressourcen, so werden dabei drei Kategorien unterschieden, für deren Entdeckung und Aktivierung jeweils unterschiedliche Methoden und Verfahren eine Rolle spielen: individuelle Ressourcen (persönliche Kompetenzen, Talente etc., vgl. Kap. 6), soziale Ressourcen (soziale Netzwerke und professionelle Unterstützungssysteme etc., vgl. Kap. 4) und materielle Ressourcen (Finanzielle Unterstützung, Gehalt, Wohnraum etc.). Die häufig im Kontext von Ressourcenarbeit thematisierte „Ressourcenorientierung in der Sozialen Arbeit“ beschreibt über einen auf die Adressat/innen ausgerichteten Blick hinaus eine professionelle Haltung und Praxis, die die Identifizierung von Ressourcen und deren systematischen Einsatz zu einem unabdingbaren Bestandteil der Hilfeleistung machen und die nicht erst abgefragt, sondern automatisch in die Planung und Gestaltung der Unterstützung einfließt (vgl. Vogt et al. 2000: 6). Ressourcenorientierung beschreibt damit eine komplexe professionelle Perspektiveneinnahme und methodisch strukturierende Vorgehensweise, die nicht mit einer Sichtweise verwechselt werden sollte, in der es darum geht, den Blick auf die Ressourcen als eine Art Zusatzleistung mehr oder weniger beliebig in die Soziale Arbeit zu integrieren. Ressourcenorientierung meint eine Eindeutigkeit in der Perspekti-
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venwahl und eine Systematik in dem Einsatz von Methoden und Verfahren. Eine Qualifizierung der Sozialen Arbeit durch ressourcenorientiertes Planen und Handeln führt dabei in beiden Bereichen zu tief greifenden Veränderungen: Die Perspektive, unter der die Adressat/innen gesehen werden, verändert sich. Orientierungsgröße ist nicht mehr in erster Linie das individuelle (oder auch familiäre) Defizit. Kompetenzen und Potenziale der Adressat/innen und ihres Umfeldes, die zur Bewältigung der anstehenden Probleme aktiviert werden können, werden zur Bezugsgröße für die Problembearbeitung. Die Rolle der Adressat/innen bei der Hilfeplanung verändert sich von einem eher passiven Hilfeempfängerstatus hin zu einem aktiven Koproduzenten der Hilfe. Es sind die Adressat/innen der Angebote der Sozialen Arbeit, die am besten wissen, was sie brauchen, welche Ziele sie verfolgen und welche individuellen Schritte dazu gegangen werden müssen. Die Bedeutung der emotionalen Beziehung zwischen der Fachkraft und den Adressat/innen als zentrales Instrument vor allem der sozialpädagogischen Hilfen reduziert sich, da gerade tragfähige Beziehungen jenseits des professionellen Hilfesystems gestärkt werden sollen. Hiermit ist nicht gemeint, dass eine tragfähige Beziehung zwischen „Profi“ und Adressat/innen kein wirkungsvoller Bestandteil der Hilfe ist! Aber langfristig soll es in der Hilfe immer darum gehen, belastbare und positive Bindungen in einem sozialen Umfeld aufzubauen, das jenseits institutioneller Hilfeplanung besteht und damit nicht von zeitlich befristeten Leistungen geprägt wird. Das Aufgabenspektrum verschiebt sich durch die Neugewichtung der Beziehung zwischen Fachkraft und Adressat/innen. Die Aktivierung von sozialen Netzwerken jenseits institutioneller Hilfen und die gezielte Analyse und Förderung von Kompetenzen erfordern Methoden und Instrumente, die bisher in der Gestaltung der Sozialen Arbeit eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben bzw. häufig unsystematisch eingesetzt worden sind. Netzwerkanalysen und -entwicklungen brauchen Zeit, die wiederum im Rahmen des zur Verfügung stehenden Betreuungskontingentes gefunden werden muss. Dies hat zwangsläufig eine Umorganisation der jeweiligen Hilfe zur Folge Das Lebensumfeld der Adressat/innen – deren Stadtteil, Region bzw. deren Sozialraum gewinnt an Bedeutung. Die Einbeziehung der dort zur Verfügung stehenden Ressourcen wie auch ein Engagement Sozialer Arbeit für ein förderliches, sich für eine gerechte Teilhabe einsetzendes und bedarfsgerechtes Umfeld wird zum integrativen Bestandteil der Betreuungsleistung und muss auf einer guten Vernetzung basieren.
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Ressourcenarbeit In der Praxis werden durch den mit dem Lebensweltkonzept vollzogenen Paradigmenwechsel andere Erwartungen als bisher an die Soziale Arbeit und deren Ziele gestellt. Um dies zu verdeutlichen, soll der Begriff der Ressourcenarbeit eingeführt werden, der sich von den bisherigen Betreuungsarrangements durch seine konsequente Ressourcen- und Netzwerkorientierung und den damit notwendigerweise verbundenen inhaltlichen und strukturellen Veränderungen abhebt. Die Einführung des Begriffs soll darüber hinaus verdeutlichen, dass es sich hierbei um einen komplexen Prozess handelt, in dem verschiedene Akteure miteinander kooperieren und in den unterschiedliche Handlungsfelder einbezogen werden – und den es gilt, professionell zu steuern. Unter Ressourcenarbeit wird eine Planungs- und Unterstützungsleistung bezeichnet, die sich konsequent an dem Vorhaben orientiert, individuelle und soziale Ressourcen der Adressat/innen vor allem jenseits institutioneller Hilfen zur Problembewältigung zu aktivieren, und die hierfür notwendigen Schritte und Prozesse in Absprache mit ihnen zu planen, zu koordinieren und professionell zu begleiten. Ressourcenarbeit grenzt sich von dem häufig im Kontext von ressourcenorientierter Sozialarbeit genutzten Begriff des Case Managements ab. Sie unterscheidet sich von diesem vor allem durch ihre organisatorische Anbindung sowie den Beginn und Umfang der Leistung. Das Case Management findet in der Regel durch den Kostenträger statt und beginnt mit dem ersten Kontakt zwischen Fachkraft und Adressat/innen bzw. der Familie und soll durch eine „durchgängige (kursiv hervorgehoben durch den Verf.) fallverantwortliche Beziehungs- und Koordinierungsarbeit Klärungshilfe, Beratung und den Zugang zu notwendigen Ressourcen“ (Neuffer 2002: 19) gewährleisten. Die Ressourcenarbeit hingegen liegt im Verantwortungsbereich des Trägers der Betreuung und beginnt mit der Planung der Hilfe, nachdem ein sog. Clearing über Art und Umfang des Angebotes im Vorwege stattgefunden hat. Die letztendliche Fallverantwortung verbleibt damit beim Kostenträger. Gemeinsam ist dem Case Management und der Ressourcenarbeit, dass es sich bei beiden Verfahren um Empowerment-Strategien handelt, die das Ziel verfolgen, Menschen „zu befähigen, Unterstützungsleistungen selbstständig zu nutzen und so wenig wie möglich in (ihre) Lebenswelt (...) einzugreifen“ (ebenda). Die Klärungsphase als Einstieg in die Ressourcenarbeit Die Ressourcenarbeit beginnt nach einer Entscheidung über die spezifische Unterstützungsform mit einer so genannten Klärungsphase. In dieser Einstiegssituation konkretisieren die „Ressourcenarbeiter“ zusammen mit den Adressat/innen die Ziele und die dafür notwendigen Schritte. Darüber hinaus werden die vorhandenen Ressourcen – und hier vor allem der Netzwerke (vgl. auch Kap. 5) – erfasst und Strategien zur Aktivierung weiterer notwendiger Ressourcen entwickelt. Die Klärungsphase dient auch zum Aufbau eines vertrauensvollen Kontaktes zwischen Professionellen und Adressat/innen, wie auch zur Bewältigung aktueller Probleme
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und Krisen, die häufig Auslöser der Hilfe waren und für die es gilt, umgehend Lösungen zu finden. Die Dauer der Klärungsphase sollte erfahrungsgemäß kurz und intensiv sein (vgl. Möbius/Klawe 2003) und nicht über einen Zeitraum von einem bis zwei Monaten hinausgehen und in die jeweilige Betreuungsstruktur eingepasst werden. Im Unterschied zu den bisherigen Betreuungsabläufen wird bei der Ressourcenarbeit die Einstiegssituation deutlich als eine zeitlich befristete Phase definiert, um dadurch die immer wieder auftretenden strukturellen Schwächen beim Einstieg in die Hilfe zu beheben und dabei im Besonderen eine fundierte, differenzierte und zielorientierte Hilfeplanung zu gewährleisten, den Prozess der Betreuung/Begleitung stärker zu systematisieren und strukturieren, die Bedeutung individueller und sozialer Ressourcen von Anfang an hervorzuheben, die Unterstützung der Adressat/innen von Anfang an auf „mehrere Säulen“ zu stellen und dabei institutionelle wie auch individuelle Netzwerke zu einem gemeinsamen Problemlösenetzwerk zusammen zu binden. Die Klärungsphase beginnt mit Aufnahme des Kontaktes zwischen Fachkraft und Adressat/innen. Ziel der Klärungsphase ist die Erstellung eines differenzierten und für alle Akteure transparenten Hilfeplans, in dem realistische Ziele zwischen allen Beteiligten ausgehandelt, die notwendigen Ressourcen identifiziert und bestehende wie auch zu aktivierende Netzwerke entsprechend der Problemlagen benannt werden. Ein weiterer wichtiger Inhalt der Klärungsphase – und hier vor allen Dingen der ersten Kontakte zwischen den beteiligten Akteuren – ist der Austausch der gegenseitigen Erwartungen an den gemeinsamen Prozess. Hierfür müssen zum einen die Erwartungen der Adressat/innen an die Fachkräfte, aber auch der Profis an die Adressat/innen, so weit dies im Einzelfall möglich ist, miteinander „verhandelt“ und damit eine Basis für eine Kooperation geschaffen werden. Die systematische Erhebung von individuellen Ressourcen und die Orientierung der Hilfe auch an Unterstützungspotenzialen jenseits der professionellen Hilfe u.a. durch die Einbeziehung des sozialen Umfeldes in die Hilfe ist für viele Adressat/innen häufig noch ungewohnt und wird von ihnen oft nicht als ein Bestandteil der institutionellen Hilfe wahrgenommen, sondern als Einbruch in ihre Privatsphäre, zu der die Vertreter/innen der Sozialen Arbeit keinen Zutritt haben sollen. Daher erfordert ein solches Vorgehen ihre grundsätzliche Bereitschaft der Adressat/innen, professionellen Helfer/innen Einblick in ihr soziales Umfeld – die Verwandten, Bekannten, Freunde und Kolleg/innen etc. – zu gewähren und sich damit eventuell mehr als bisher den Fachkräften gegenüber zu öffnen, was wiederum Unbehagen und Scham erzeugen kann. Gelingt der Aufbau einer solchen Kooperation jedoch nicht in der Klärungsphase, ist die erfolgreiche Realisierung der dort formulierten Ziele gefähr-
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det, da die für eine langfristige Stabilisierung notwendigen Netzwerkpartnern nicht in die Hilfe einbezogen werden können. Systematisches Planen und Handeln Ressourcenorientierte Verfahren zeichnen sich durch ein systematisches Vorgehen in der Analyse bzw. Bearbeitung der anstehenden Probleme aus. Neben der Erhebung individueller Kompetenzen und Fähigkeiten müssen soziale Umfelder und Unterstützungssysteme analysiert und kontaktiert werden. Im Allgemeinen werden in der Ressourcenarbeit mehrere Ziele, verbunden mit dem Einsatz unterschiedlicher Ressourcen, parallel verfolgt. Die Schritte zur Zielerreichung müssen dokumentiert, Vereinbarungen zwischen Netzwerkpartnern erfasst und Ergebnisse dargestellt werden. Der Einsatz von Arbeitsblättern und Dokumentationsbögen, die zu verschiedenen Anlässen im Verlauf der Ressourcenarbeit genutzt werden sollen, vereinfacht ein strukturiertes Vorgehen und führt darüber hinaus zu einer Transparenz in der Fallarbeit, die bisher häufig von „Außen“ vermisst wurde. Im Rahmen dieses Buches werden Arbeitsblätter und Dokumentationshilfen, die für eine Strukturierung der Ressourcenarbeit hilfreich sein können, in den jeweiligen Kapiteln aufgeführt. Der Einsatz der Arbeitshilfen dient dabei nicht nur der Dokumentation der Arbeit, sondern auch der (Selbst-) Evaluation der Fachkräfte, die wiederum in der aktuellen Diskussion um die Wirkung von Hilfen eine zunehmend bedeutsame Rolle spielt. Ressourcenarbeit im Alltag und in der Krise Ein gelegentlich in Fortbildungen zur Ressourcenorientierung von Praktikern angeführtes Argument gegen die Erprobung des Ansatzes in ihrer Einrichtung ist das Auftreten von Krisen, in denen es keine Zeit für Experimente gibt und nach dem alten Muster gehandelt werden muss – und in Folge die Ressourcenarbeit nicht weiter verfolgt werden kann. Ressourcenorientierung ist jedoch nicht eine Haltung und Methodik, die auf Alltagssituationen beschränkt ist, in denen alles „glatt“ läuft, sondern gerade auch in Krisen ein Instrument, um diese Situationen, die meist ein schnelles und strukturiertes Handeln erfordern, wieder in den Griff zu bekommen. Individuelle Krisen einzelner Adressat/innen der Hilfe wie auch sich aufschaukelnde Konflikte zwischen mehreren Adressat/innen – oder auch Betreuer/in und Betreuten – sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die im Alltag wirksamen Ressourcen nicht mehr ausreichen und andere Kraftquellen aktiviert werden müssen. So füllen nicht alle Netzwerkpartner, die im Alltag hilfreich sind und Menschen Stabilität geben, in Krisen die gleiche stabilisierende Funktion aus. Im Gegenteil hat sich herausgestellt, dass in Krisensituationen häufig andere Menschen als Unterstützer angesprochen werden als im Alltag. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Einsatz von individuellen Ressourcen. Auch hier greifen wir in schwierigen Lebenslagen häufig auf andere Kraftquellen zurück, die wir im Alltag so nicht nutzen und die
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uns über die Krise hinweghelfen sollen, wie für Menschen, die im Alltag eher emotional reagieren und gerade nicht lässig auftreten, die Fähigkeit, in Krisen „cool“ zu bleiben. Die Unterscheidung zwischen Alltags- und Krisenressourcen hat für den Ressourcenansatz die Konsequenz, dass auch Krisen als Situationen wahrgenommen werden, die durch den gezielten Einsatz von Ressourcen besser bewältigt werden können. Häufig wird in Einrichtungen der Sozialen Arbeit auch so gehandelt und Krisenpläne für bestimmte Szenarien aufgestellt, die nichts anderes sind als eine Sammlung der Ressourcen, die im Alltag nicht aktiviert werden, aber dann, wenn es „brennt“, zum Einsatz kommen. Aus dieser Perspektive bergen Krisen sogar gerade die Chance, den Ressourcenansatz bewusst in die Arbeit einzuführen und sind kein Hinderungsgrund für ein systematisches und auf Stabilisierung ausgerichtetes Handeln. Entscheidend ist jedoch, das professionelle Planen und Handeln zu reflektieren und mit der Ressourcenbrille zu betrachten und die Instrumente und Verfahren, die im Alltag zur Ressourcenexploration und -aktivierung nützlich sein können, an die Krise anzupassen.
Ressourcenarbeit – Beispiele aus der Praxis Die Einführung ressourcenorientierter Verfahren hat zur Folge, dass Soziale Arbeit noch stärker – oder auch wieder mehr – als ein Empowerment-Prozess2 definiert wird, der die Adressat/innen wie auch ihr soziales Umfeld verstärkt in die kurz- und langfristige Hilfegestaltung einbezieht. Institutionelle Hilfe soll da geleistet werden, wo vorhandene soziale Netzwerke nicht mehr ausreichend „greifen“, dysfunktional wirken oder von den Adressat/innen nicht mehr akzeptiert werden. Tendenzen in personenbezogenen sozialen Dienstleistungen, wie der Kinder- und Jugendhilfe, sich selbst zu einem (institutionellen und dauerhaften) Ersatz für defizitäre „Multiproblemfamilien“ zu machen, sollen dadurch vermieden werden. Im Kontext einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit gewinnt darüber hinaus die Beteiligung der Adressat/innen an der Gestaltung der individuellen Hilfen in zweierlei Hinsicht an Bedeutung: Partizipation soll nicht nur eine der zentralen Handlungsmaxime des 8. Jugendberichtes (Thiersch 1992), des SGB IX und des Gleichstellungsgesetzes sein, sondern integraler Bestandteil der Ressourcenarbeit und damit konkret erfahrbar für die Adressat/innen werden.
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Empowerment beschreibt ein Vorgehen der Sozialen Arbeit in dessen Mittelpunkt die Selbstbefähigung der Adressat/innen steht und wird auch mit dem Slogan der „Hilfe zur Selbsthilfe“ gleichgesetzt.
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Thomas Möbius Der Einsatz für Kinder- und Bürgerrechte soll als regulärer Auftrag wahrgenommen werden. Vor allem das Engagement für eine (frühzeitige) Förderung, für Teilhabe bzw. Inklusion und Bildung, Gesundheit und Arbeit wird zum integralen Bestandteil der Ressourcenarbeit.
Die Qualifizierung der Betreuungen durch die Einführung ressourcenorientierter Verfahren wird von einem Perspektivenwechsel begleitet, der nicht nur die Fallarbeit betrifft, sondern auf alle Aufgabenfelder der Kinder- und Jugendhilfe sowie Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie/Altenhilfe Einfluss hat. Im Mittelpunkt des Perspektivenwechsels stehen die Loslösung von einem defizitär geprägten Bild der Adressat/innen und das grundsätzliche Verständnis der Sozialen Arbeit als Hilfeinstanz, die die Alltagsbewältigung der Adressat/innen unterstützt, nicht aber zum Ersatz ihrer Lebenswelt werden soll. Am Beispiel der Sozialen Arbeit in den Stiftungsbereichen des Rauhen Hauses in Hamburg soll im Folgenden exemplarisch ein Einblick in eine zunehmend ressourcenorientierte Praxis gegeben werden, wie sie in den letzten Jahren in den einzelnen Arbeitsfeldern vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels eingeführt worden ist.3 Ressourcenorientierte Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe Die Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses hat u.a. zur Verdeutlichung des oben beschriebenen Perspektivenwechsels ihre Aufgabenfelder neu beschrieben (vgl. Jugendhilfeabteilung des Rauhen Hauses 2006) und nach drei Bereichen unterteilt: Kinder- und Jugendhilfe unterstützt und entlastet Familien in ihren Erziehungsprozessen. Weiterhin ergänzt sie Schulen und Kindertagesstätten in ihren Erziehungsund Bildungsaufträgen und bei individuellen Integrationsprozessen. In der Praxis sind hierfür Hilfen „unter einem Dach“ in Form von regionalen Hilfezentren bzw. einem KiFaZ (Kinder- und Familienzentrum) geschaffen worden, die im Besonderen die Aktivierung regionaler Ressourcen stützen und bündeln sollen. Von dort aus werden verschiedene auf die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien zugeschnittene Angebote in Form ambulanter wie auch vernetzter Hilfen und Unterstützungs- und Beratungsleistungen umgesetzt. Die frühzeitige Förderung und schulische Bildung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Unterstützungsbedarf in der Region wird durch Schul- bzw. Kita-interne Unterstützungs- und Kooperationsleistungen ergänzt. Darüber hinaus 3
Die folgenden Beispiele aus der Praxis wurden von den Stiftungsbereichsleitungen Hermann Gerdes (Sozialpsychiatrie), Michael Tüllmann (Kinder- und Jugendhilfe) und Klaus Volke (Behindertenhilfe) sowie dem Leiter der Ev. Berufsschule für Altenpflege Carsten Mai im Rahmen der Formulierung eines gemeinsamen Konzeptes im Jahr 2007 (Möbius o.J.) vorgestellt und sind hier in überarbeiteter Form übernommen worden.
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werden für Jugendliche, die nicht mehr in einen Schulbetrieb integriert werden können bzw. sich dort nicht mehr integrieren, Bildungsangebote in Projektform gemacht und damit neue Zugänge zur Bildung geschaffen.
Kinder- und Jugendhilfe übernimmt die Stellvertretung bei dem Ausfall der (Ursprungs-) Familie. Nicht immer reichen Hilfestellungen für Familien in schwierigen Lebenslagen im Sinne einer professionellen Unterstützung und Entlastung des Systems aus. In diesen Fällen interveniert Kinder- und Jugendhilfe in einer besonderen Form. Es gilt einen (zeitweiligen) Ersatz für deutlich dysfunktionale Familiensysteme zu schaffen, da ein weiterer Verbleib der Kinder und Jugendlichen in den Familien ein Aufwachsen in einem geschützten und fördernden Umfeld nicht mehr sichern könnte. Im Mittelpunkt dieses Aufgabenfeldes steht daher die Vermeidung eskalierender Entwicklungen. Vorrangig geht es um die Suche nach und die Bereitstellung von Lebensorten in Form von Pflege- oder Gastfamilien, die sich an Familienstrukturen orientieren, aber auch um die Unterbringung in institutionell getragenen Wohngruppen und kleinen Wohneinheiten, in denen ein Aufwachsen unter geschützten und förderlichen Bedingungen möglich ist. Sind solche Bedingungen geschaffen und ist eine Integration in die neue Lebenssituation gelungen, kann die Hilfeplanung und –gestaltung im Sinne einer ressourcenorientierten Arbeit weiter geführt werden. Insbesondere lassen sich hier die Potenziale, die Wohngruppen als Raum zur Entwicklung und Erprobung von Ressourcen bieten (können), nutzen. Kinder- und Jugendhilfe sucht nach individuellen Lösungen für junge Menschen. Die Kinder- und Jugendhilfe entwickelt hierfür individuell angepasste Hilfen für Jugendliche in besonders konflikthaften und/oder krisenhaften Lebenssituationen, für die die oben genannten Unterstützungsangebote nicht (mehr) ausreichen und bei denen die Gefahr besteht, dass sie ganz aus den institutionellen als auch individuellen Unterstützungssystemen herausfallen. Ressourcenorientiert zu arbeiten bedeutet hier, neben den Ressourcen für die Bewältigung des Alltags ein Krisenmanagement zu entwickeln, das zusätzliche individuelle und soziale Potenziale aktiviert. Ressourcenorientierte Ansätze in der Behindertenhilfe und der Sozialpsychiatrie Auch in den Aufgabenfeldern der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie finden seit einigen Jahren zunehmend Prozesse statt, in deren Mittelpunkt ein Perspektivenwechsel im Sinne der stärkeren Einbeziehung von Ressourcen steht. Im Folgenden sollen die aktuellen zentralen Prozesse und Entwicklungen in den beiden Stiftungsbereichen des Rauhen Hauses kurz skizziert werden.
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Behindertenhilfe: Das Konzept der sozialraumorientierten Wohngemeinschaften Die Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen knüpft in der Regel an andere Phasen der Lebensführung und -planung an als in der Kinder- und Jugendhilfe. Trifft der Leistungsauftrag auf erwachsene Menschen, die (noch) in ihren Familien leben, steht bei Menschen mit Behinderungen oft die Ablösung aus dem Elternhaus, die Emanzipation und der Entwurf einer eigenen Lebensplanung im Vordergrund. Dies geschieht unter Berücksichtigung und unter Einbezug der gewachsenen Netzwerke von Angehörigen, Freunden und des näheren und weiteren sozialen Umfeldes. Geht es hingegen um Menschen, die schon länger in stationären Systemen sozialisiert worden sind, sind bei diesen oft die unterstützenden persönlichen Netzwerke verkümmert oder gar nicht vorhanden. Hier gilt es Vorhandenes zu stärken, Neues zu schaffen und die Adressat/innen so weit wie möglich von professionellen Unterstützungssystemen unabhängig zu machen. Diese beiden Entwicklungsschwerpunkte und -ziele sind bei Menschen mit höherem Hilfebedarf selten in Betreuungsformen des eigenen Wohnraumes zu verwirklichen. Mit der Schaffung des Leistungsangebotes von ambulant betreuten Wohn- und Hausgemeinschaften wird jedoch auch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit gegeben, außerhalb der stationären Systeme in einer selbst gewählten Gemeinschaft, z. B. als Mieter/in mit Assistenzleistungen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ziel ist es, neben einer professionellen Unterstützung des Wohnens und der lernzielorientierten, individuellen Begleitung Stärkung auch aus dem Sozialraum als Ressource zu schöpfen. Die Nutzung der „Ressource Sozialraum“ setzt jedoch die Inklusionsfähigkeit der Gesellschaft voraus. Der Annäherungsprozess beider „Parteien“ – der Menschen mit Behinderung und z.B. der Bewohner/innen in der Nachbarschaft – im gemeinsamen Sozialraum bedarf einer professionellen, qualifizierten Prozessbegleitung. Diese schafft keinen neuen Sozialraum, sondern stärkt die Menschen mit Behinderung, sich diesen zu „erobern“ und auf Ressourcen der dortigen Netzwerke zurückzugreifen. Sozialpsychiatrie: Die Regionalzentren Psychiatrie (RZS) Die Angebote der Sozialpsychiatrie des Rauhen Hauses richten sich in der Regel an erwachsene psychisch kranke/seelisch behinderte Menschen und wurden bisher in den Segmenten des ambulant „Betreuten Wohnens“ und des „Stationären Wohnens“ gestaltet. Beide Systeme bildeten bisher in sich „geschlossene Regelkreise“ und hielten jeweils eigene, nicht ohne weiteres übertragbare Leistungsmerkmale vor. Daraus ergab sich, dass eine wesentliche Veränderung im individuellen Unterstützungsbedarf häufig einen „Maßnahmewechsel“, d. h. Systemwechsel, nach sich zog. Eine konsequente Lebenswelt- und Ressourcenorientierung zwingt geradezu zu einer Durchbrechung dieser geschlossenen Regelkreise. Diesem Gedanken nachgehend, hat sich der Stiftungsbereich zu einer Neuausrichtung ihrer sozialpsychiatrischen Hilfen entschlossen. Zurzeit werden in drei Hamburger Bezirken vier „Re-
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gionalzentren Psychiatrie“ (RZS) aufgebaut, für die jeweils die beiden Segmente „Betreutes Wohnen“ und „Stationäres Wohnen“ das Grundgerüst bilden und die um weitere Segmente erweitert werden. Mit der Einrichtung dieser so genannten RZS wird die Systemlogik in der Leistungserbringung durchbrochen. Zukünftig sollen den Adressat/innen unabhängig von ihrer jeweiligen Wohnsituation bzw. ihrer „Wohnvorstellung“ alle Leistungsbestandteile aus beiden Systemen individuell zur Verfügung stehen. Die Betreuungskontinuität, falls vom Nutzer nicht anders gewünscht, bleibt auch bei einem Wechsel im Bereich des Wohnens erhalten. In den RZS wird nach dem ressourcenorientierten Ansatz gearbeitet: Die Adressat/innen mit ihren Fähigkeiten, ihrem sozialen Umfeld und ihrem individuellem Hilfebedarf stehen dabei immer im Mittelpunkt. Die Einbeziehung des unmittelbaren sozialen Umfeldes hat nicht zuletzt in der laufenden Betreuung einen hohen Stellenwert. Es gilt der Grundsatz, dass bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen nichtpsychiatrische Unterstützungsmöglichkeiten und Angebote vorrangig zu prüfen sind. Ressourcenorientierte Ansätze in der Pflege (alter Menschen) Während der Begriff der Lebenswelt explizit im Bereich der Pflege alter Menschen erst seit einigen Jahren Eingang gefunden hat, wird eine ressourcenorientierte Sicht schon seit Einführung der Beschreibung des Pflegeprozesses in den 1960er Jahren praktiziert – ohne dies damals als „Ressourcenorientiertes Handeln“ zu bezeichnen. In einer Informationssammlung werden neben den Problemen auch die Ressourcen eines pflegebedürftigen Menschen zusammengetragen und anschließend Ziele formuliert, um dann bei der Planung und Durchführung der Maßnahmen all das zu berücksichtigen und zu fördern, was dem pflegebedürftigen Menschen als „Kraftquellen“ zur Verfügung steht. Damit soll erreicht werden, dass die Pflege unter größtmöglicher Beteiligung und Aktivierung des Pflegebedürftigen stattfindet. Letztendlich soll er/sie befähigt werden, die Probleme oder Defizite unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen weitgehend selbständig zu überwinden. Die Pflege soll unter der Maxime „Nur soviel Unterstützung, wie unbedingt notwendig“ erfolgen. Leider findet sich dieser Ansatz in der Praxis (noch) nicht überall wieder. Die strukturellen Rahmenbedingungen, die strenge Abgrenzung der ambulanten und stationären Hilfesysteme und die immer noch vorherrschende Sichtweise von Pflege als einer körperorientierten, lediglich versorgenden Disziplin lassen weiterhin die Probleme der alten Menschen im Vordergrund stehen. Dazu kommt, dass in aller Regel die Pflegebedürftigen erst dann professionelle Pflege in Anspruch nehmen, wenn der Pflege- und Hilfebedarf schon weit fortgeschritten ist. Der Bereich Altenhilfe der Stiftung Das Rauhe Haus stellt sich diesen Fragen. Die Ev. Berufsschule für Altenpflege hat in den letzten Jahren begonnen, Mitarbeiter/innen der Bereiche Sozialpsychiatrie und Behindertenhilfe pflegefachliche Grundkenntnisse zu vermitteln. Dies soll dazu führen, den auftretenden Pflegebedarf richtig einzuschätzen und im Rehabilitationsprozess angemessen zu berücksichtigen, um eine
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zunehmende Abhängigkeit der Adressat/innen zu vermeiden. Schon heute werden den pflegebedürftigen Menschen in Einrichtungen des Rauhen Hauses ihren Ressourcen entsprechende Angebote gemacht. Unter Berücksichtigung milieu- und biografieorientierter Verfahren werden Pflegesettings geschaffen bzw. Begegnungen ermöglicht. So verbringen demenzkranke alte Menschen, deren Äußerungen oder Verhalten nur schwer nachvollziehbar ist, den Tag in der Tagesgestaltung und somit in einem Rahmen, der ihnen ihr „So-Sein“ gestattet und ihnen damit das Gefühl eines gelingenden Alltags gibt. Zukünftig wird es im Kontext der stationären Versorgung in einem der Wohnhäuser der Stiftung einen Wohnbereich geben, der in Ausstattung und Arbeitsweise den besonderen Bedürfnissen dieser Menschen entspricht, damit sie sich dort entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen können. Im Mittelpunkt der Tagesgestaltung sollen all diejenigen stehen, die sich in der letzten Phase der Erkrankung befinden. Sie sind oft immobil und ihre Lebensäußerungen sind nur schwer zu deuten. Hier sollen z.B. mit Methoden der basalen Stimulation verbliebene Ressourcen entdeckt und gefördert werden. Darüber hinaus wird geplant, weitere Angebote zu entwickeln. Gedacht wird an eine Tagespflege, an Wohngemeinschaften für ältere pflegebedürftige Menschen, an Angebote für pflegende Angehörige und an eine engere Zusammenarbeit mit Wohnungsbaugenossenschaften. Es soll ein so genanntes Betreuungskontinuum aufgebaut werden, das den Menschen die Möglichkeit gibt, ein auf sie zugeschnittenes Angebot zu wählen. Dabei wird besonders darauf geachtet, eine Über- oder Unterversorgung zu vermeiden. Im Vordergrund steht stets das, was die Adressat/innen, ihre Angehörigen und das Umfeld an Ressourcen einbringen können, um, mit entsprechender Unterstützung, selbstbestimmt und möglichst unabhängig leben zu können.
Bausteine zur Qualifizierung der Ressourcenarbeit Die Einführung ressourcenorientierter Verfahren hat Veränderungen in der Praxis der Sozialen Arbeit sowohl auf der Haltungs- als auch der Handlungsebene zur Folge. Im Folgenden werden die hierfür notwendigen Bausteine benannt, die zusammen den methodischen Grundstock für ein ressourcenorientiertes Arbeiten bilden und die in den folgenden Kapiteln ausführlich vorgestellt werden. Zwei Ebenen haben bei der Umsetzung des Ressourcenansatzes gleichermaßen eine Bedeutung und müssen in der Praxis zusammen geführt werden. Die Ebene der professionellen Haltung, mit der die Hilfen geplant und umgesetzt werden sollen und die von der Fachkraft Schritt für Schritt in einem Prozess der Aneignung, Erprobung und Reflexion eingenommen werden soll. Die Handlungsebene mit den für den Ansatz charakteristischen Verfahrensweisen und Methoden, die kennen gelernt, erprobt und auf die Zielgruppen
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und ihre spezifischen Kommunikations- und Perzeptionsmöglichkeiten und -grenzen angepasst werden müssen. Die Haltungsebene In der Fachliteratur zur Ressourcenorientierung finden sich vereinzelt auch Hinweise darauf, dass eine Qualifizierung des professionellen Handelns nicht nur eine Frage der Technik und des Wissens um die hierfür notwendigen Methoden und Instrumente ist (vgl. Vogt et al. 2000). Ressourcenorientierung geht einher mit einer Haltung im Sinne einer grundsätzlichen (fachlichen) Positionierung, die erworben werden kann und die bewirkt, dass sich der Blick auf die Adressat/innen und ihr Umfeld (dauerhaft) verändert. Es findet ein über die professionelle Sicht hinausgehender Perspektivenwechsel mit entsprechenden Konsequenzen für die Wahrnehmung und Deutung des „Gegenübers“ statt. Wie auch in anderen Handlungsfeldern (Politik, Ethik, Sport etc.), in denen Haltungen eine Rolle spielen, scheint der hierfür notwendige „Bildungsprozess“ bis hin zu der Übernahme einer Haltung in mehreren Schritten zu erfolgen. Er ist das Ergebnis eines Reflexions- wie auch eines Erprobungsprozesses (vgl. auch Kap. 3). Eine ressourcenorientierte Haltung einzunehmen heißt dabei im Besonderen, sich mit den ihr zugrunde liegenden theoretischen Positionen auseinander zu setzten und sich diese zu eigen zu machen, diese in eine professionelle Hilfeplanung und -gestaltung zu integrieren, einen Transfer dieser Positionen in die Praxis zu vollziehen und die Wirkung der Ressourcenarbeit für sich aus der konkreten Erfahrung heraus positiv einzuschätzen zu können. Für den Erwerb einer ressourcenorientierten Haltung in der Sozialen Arbeit bedeutet dies Konzepte der Netzwerk- und Ressourcenarbeit und deren theoretischer Fundierung zu kennen (Empowerment, Systemisches bzw. lösungsorientiertes Arbeiten (vgl. hierzu auch Kap. 4), Lebenswelt- und Sozialraumorientierung, Resilienzkonzept etc.), Fachkompetenzen/Expertise im Einsatz solcher Netzwerk- und Ressourcenkonzepte zu erwerben, einen Rollenwechsel als Fachkraft im Rahmen der Ressourcenarbeit zu vollziehen sowie den Transfer der erworbenen Kenntnisse in die Praxis über den Einsatz der entsprechenden Methoden und Instrumente;
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Thomas Möbius eine kontinuierliche Reflexion der ressourcenorientierten Haltung mit Hilfe von Praxisberatung/Fallsupervision und (interner) Evaluation.
Die Dauer des Prozesses dieser Haltungsentwicklung ist dabei stark von den Möglichkeiten der Fachkraft, praktische Erfahrungen mit ressourcenorientierten Verfahren machen zu können, abhängig und ihrem Engagement, die Hilfen umzustrukturieren und Platz für ressourcenorientierte Elemente zu schaffen. Erfahrungsgemäß ist von einem längeren Zeitraum bis zu drei Jahren auszugehen, in dem das Erlernte erprobt, bewertet und verinnerlicht wird. Die Handlungsebene Ressourcenorientiert zu handeln hat zur Folge, dass sich die Rolle der Fachkraft verändert. Die Übernahme der veränderten Perspektive wie auch der konsequente Einsatz der entsprechenden Instrumente und Methoden in der Ressourcenarbeit erfordert auch eine Rollenerweiterung von der Beziehungs-/Betreuungsperson hin zu einem Vermittler zwischen den Mitgliedern des sozialen Umfeldes, einem Förderer der Netzwerkbeziehungen zwischen den Akteuren, einem „Forscher“ im Hinblick auf zu entdeckende Ressourcen. Alle benannten Handlungsebenen basieren dabei auf einer vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung der Fachkraft zu den Adressat/innen und zu ihren Familien und Bekannten- und Freundeskreisen. Diese Beziehung ist aber nicht mehr in dem Umfang wie bisher das zentrale Instrument der Fachkraft, mit deren Hilfe individuelle Entwicklungs- und Veränderungsprozesse initiiert werden. Der Schwerpunkt der Ressourcenarbeit verlagert sich von der professionell angelegten Beziehung hin zu der Aktivierung und Unterstützung von nicht professionellen Beziehungen im sozialen Umfeld der Akteure. Die Praxis der Netzwerkarbeit verdeutlicht diesen Rollenwechsel am ehesten, da „automatisch“ der Fokus der Aktivitäten auf die Einbeziehung anderer Personen gelenkt wird, was wiederum eine Reduktion professionellen Engagements nach sich zieht. Umsetzung des Netzwerk-/Ressourcenansatzes Auch wenn den Fachkräften der Sozialen Arbeit die Begrifflichkeit der Netzwerkund Ressourcenorientierung zumeist hinlänglich bekannt ist, mangelt es häufig an einem konsequenten Einsatz entsprechender Methoden und Instrumente und damit an einer Integration des Ansatzes in deren Berufsfelder. Mit Ressourcen zu arbeiten, erfordert neben der zu erlernenden Haltung eine systematische Nutzung z.B. von hierfür entwickelten Arbeitsblättern sowie von Dokumentationsbögen, um die
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erhobenen Informationen systematisch zusammen zu führen, im Hinblick auf ihre Bedeutung für anstehende Problemlöseprozesse auszuwerten und gegebenenfalls im Hilfeverlauf wieder einsetzen zu können. Im Folgenden sollen einige Instrumente genannt werden, die den Verlauf der ressourcenorientierten Verfahren prägen und die in den Folgekapiteln (hier vor allem Kap. 5 und Kap. 6) ausführlich vorgestellt werden. Netzwerkarbeit Unter dem Begriff Netzwerkinstrument werden alle Arbeitsinstrumente zusammengefasst, mit deren Hilfe Beziehungen zwischen Akteuren in irgendeiner Form strukturiert und/oder visualisiert werden können. Häufig in diesem Zusammenhang eingesetzte Instrumente sind Netzwerkkarten in unterschiedlichen Ausführungen (vgl. Kap 5) Familienbrett4 oder Netzwerkbrett, Genogramm- oder Stammbaum-Arbeit5. Ressourcenerhebung (materielle und individuelle Ressourcen) Die Erfassung von materiellen und individuellen Ressourcen, z.B. von kognitiven und sozialen Kompetenzen, aber auch der Finanzierungsmöglichkeiten ist neben der Klärung der sozialen Unterstützungspotenziale das material- und zeitaufwendigste Vorhaben in der Ressourcenarbeit (vgl. Vogt et al. 2000). Ressourcen können dabei grundsätzlich auf verschiedene Arten erhoben werden mithilfe vorgegebener Arbeitsbögen und Checklisten, die zielgruppenspezifisch und thematisch eingrenzt entwickelt bzw. modifiziert werden müssen, mithilfe Beobachtungen und Einschätzungen durch Fachkräfte, aber auch anderen Personen aus dem sozialen Umfeld, über biographische Datenerhebung durch Interviews/Gespräche, aber auch mithilfe von speziellen Instrumenten wie „Zeitleisten“ oder „Lebenskurven“6. Darüber hinaus sollte die Identifizierung von Ressourcen in zwei Phasen erfolgen: 1. In der Einstiegsituation: Im Mittelpunkt steht die Zusammenstellung der individuellen Ressourcen zu Beginn des Kontaktes im Hinblick auf bestimmte Lebensbereiche, den dort identifizierten Problemen und erste Zielformulierungen. Hierdurch wird eine möglichst klare Auftragslage geschaffen, gekoppelt
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Eine Darstellung des Familienbrettes findet sich in: Ludewig, K. u. Wilken, U. (Hg.), 2000: Das Familienbrett. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle 5 Eine Anleitung zur Arbeit mit dem Genogramm findet man in: Ruhe, H. G., 2003: Methoden der Biographiearbeit. Lebensspuren entdecken und verstehen. Weinheim, Basel, Berlin 6 Eine Anleitung zur Arbeit mit der Zeitleiste findet man ebenfalls in: Ruhe, H. G., 2003
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3.
Thomas Möbius mit einer differenzierten Ausgangslage mit dem Fokus auf vorhandene und zu aktivierende Ressourcen der Adressat/innen und ihres Umfeldes. Prozessbegleitend: Eine Ressourcenerhebung ist ein andauernder Prozess zur Umsetzung der Ziele, die für die Hilfe zu Beginn erarbeitet worden sind. Im Verlauf des Kontaktes treten die einzelnen Ziele und die zu ihrer Erreichung notwendigen Kompetenzen konturierter zu Tage als zu Beginn und können dadurch auch klarer benannt werden. Jeder Schritt und jede hierfür notwendige Aktivität ist daher darauf hin zu hinterfragen, inwieweit die hierfür notwendigen individuellen Ressourcen schon vorliegen, an welchen Punkten Unterstützung bzw. zusätzliche Kompetenzen notwendig werden und in welcher Form die im Rahmen der Problemanalyse identifizierten Defizite kompensiert werden können. Ressourcen zu erheben, ist ein komplexes Vorhaben in enger Koproduktion zusammen mit den Adressat/innen und kann dann am ehesten zu Erfolgen führen, wenn die Ziele, die verfolgt werden sollen, klar benannt worden sind. Auch hierfür gibt es Instrumente wie das S.M.A.R.T. – Verfahren (vgl. Hekele 2005), das zunehmend in verschiedenen Bereichen der Sozialen Arbeit wie auch der Administration zur Planung und Überprüfung der Arbeitsschritte eingesetzt wird. Kurzfristig wird die Beschäftigung mit den neuen Anforderungen an Rolle und Haltung, wie auch mit den Methoden, zu einem erhöhten Einsatz persönlicher (Zeit-)Kapazitäten aller Beteiligten führen, langfristig soll der Ansatz jedoch gerade zur Entlastung der Fachkräfte und Adressat/innen dienen, da Herausforderungen der Alltagsbewältigung (wieder) gemeinsam getragen werden und die einzelnen Entwicklungsschritte klar benannt werden und mit den hierfür aktivierten Ressourcen dann auch umsetzbar sein sollten.
Standards der ressourcenorientierten Sozialen Arbeit Wie in diesem Kapitel dargestellt, wird die Umsetzung des Ressourcenansatzes von einer spezifischen Haltung, dem Einsatz entsprechender Methoden und Instrumente und einer ressourcenorientierten Hilfeplanung und -gestaltung begleitet. Konzeptionelle Grundlagen wie auch methodisches Vorgehen sollen abschließend noch einmal gebündelt in der Formulierung spezifischer Leistungsstandards für eine Ressourcen-Praxis zusammenführt werden, die als verbindliche Orientierungsgrößen für jede Maßnahme Gültigkeit haben sollen: x Förderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Sinne des Empowerment-Ansatzes (Hilfe zur Selbsthilfe) Ziel der ressourcenorientierten Sozialen Arbeit ist es, benachteiligte und ausgegrenzte Menschen darin zu unterstützen bzw. wieder in die Lage zu versetzen, selbstständig am gesellschaftlichen Leben (u.a. Bildung, Arbeit, Integrati-
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on, Wohnen, Freizeit) teilzunehmen und diese Teilhabe in jeglicher Hinsicht zu optimieren. Mobilisierung und Stabilisierung der individuellen Ressourcen und der Netzwerke Der professionelle Blick richtet sich auf die vorhandenen bzw. zu aktivierenden Ressourcen der Akteure, ihres sozialen Umfeldes und des Sozialraums und bindet diese für die Hilfeprozesse ein, ohne dabei die Problemlagen außer Acht zu lassen. Partizipation aller Beteiligten an der Zielformulierung, Hilfeplanung und -gestaltung im Rahmen eines gemeinsamen Kontaktes „auf Augenhöhe“ Lebensweltorientiert zu handeln bedeutet sich an den Adressat/innen zu orientieren und sie als Partner bei der Hilfeplanung und -gestaltung ernst zu nehmen. Hierzu sind zielgruppengerechte Beteiligungsformen zu entwickeln und immer wieder anzubieten, die es den Adressat/innen aus ihrer spezifischen Situation heraus ermöglichen, ihre Zukunft zu planen und selbst bestimmt zu gestalten. Transparenz der Planung und des Verlaufs der Hilfen Eine der zentralen Kritikpunkte an der „traditionellen“ Sozialen Arbeit ist deren Intransparenz im Hinblick auf die dort stattfindenden Prozesse und angestrebten Ergebnisse. Durch die Einführung einer verbindlichen Klärungsphase und eine sich an der Entwicklung von fassbaren individuellen und sozialen Ressourcen orientierenden Hilfegestaltung wird das Handeln auch für alle Beteiligten nachvollziehbar. Nach „Außen“ häufig diffus wirkende Hilfeverläufe werden durch gemeinsam geplantes und reflektiertes Handeln abgelöst (vgl. auch Kap. 2). Einsatz von Instrumenten und Methoden der Ressourcenerhebung und eine kontinuierliche Dokumentation und Reflexion der Prozesse Vorhandene und potenzielle Ressourcen lassen sich nicht ohne den Einsatz von eigens hierfür entwickelten Methoden und Instrumenten erheben, die zielgerichtet eingesetzt und durch den Einsatz eines Dokumentationssystems begleitet werden müssen. Darüber hinaus macht die Suche nach Ressourcen ein reflektiertes Handeln umso notwendiger, um sich darüber im Klaren zu werden, in welchen Kontexten die jeweiligen Ressourcen erhoben werden sollen.
Literatur Hekele, K., 2005: Sich am Jugendlichen orientieren. Weinheim, München Jugendhilfeabteilung des Rauhen Hauses, 2006: Die Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses auf einen Blick. Unveröff. Manuskript. Hamburg
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Ludewig, K. und Wilken, U. (Hg.), 2000: Das Familienbrett. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle Möbius, T., 0.J.: Ressourcenorientierte Verfahren in der Sozialen Arbeit und Rehabilitation der Ev. Stiftung „Das Rauhe Haus“. Bausteine zur Qualifizierung der Betreuung in den Stiftungsbereichen des Rauhen Hauses. Unveröff. Manuskript unter Mitwirkung von Gerdes, H., Mai, C., Tüllmann, M., Volke, K.. Das Rauhe Haus. Hamburg Möbius, T., 2005: Handlungskonzepte der Sozialarbeit mit Jugendlichen in besonderen Problemlagen – Ambulante Intensive Begleitung (AIB): Die Implementierung eines innovativen Handlungskonzeptes in die deutsche Jugendhilfe. Berlin Möbius, T. und Klawe, W., 2003: AIB – Ambulante Intensive Begleitung. Handbuch für eine innovative Praxis in der Jugendhilfe. Weinheim, München Neuffer, M., 2002: Case Management. Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien. Weinheim, München Vogt, K., Venezia, B., Torres Mendes, C., Redlich, A. (2000): Die Erkundung von Kraftquellen im Leben der Menschen, Materialien aus der Arbeitsgruppe Beratung und Training, Uni Hamburg, FB Psychologie, Bd. 26. Hamburg Ruhe, H.G., 2003: Methoden der Biographiearbeit. Lebensspuren entdecken und verstehen. Weinheim, Basel, Berlin Thiersch, H., 1992: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. München, Weinheim Tüllmann, M., 2006: Spurensuche in der Praxis des Rauhen Hauses für die Entwicklung von Alternativen zur geschlossenen Unterbringung. Unveröff. Manuskript. Hamburg
2 Transparenz und Strukturiertheit als Wesensmerkmale ressourcenorientierten Arbeitens Sibylle Friedrich Ressourcenorientierung, wie sie in diesem Buch verstanden wird, erschöpft sich nicht in einer wertschätzenden Haltung den Betroffenen und ihrer Lebenswelt gegenüber. Sie bedient sich vielmehr verschiedener methodischer Elemente, die ihre Nachhaltigkeit befördern und somit als Wesensmerkmale ressourcenorientierten Arbeitens gelten können. Ein bedeutsames methodisches Element ist die Transparenz im Vorgehen: Die Betreuten sollen wissen, auf welche Weise mit ihnen gearbeitet wird und warum. Ein transparentes Vorgehen ist dabei nicht in erster Linie der politischen Forderung nach gesellschaftlicher Demokratisierung geschuldet – wenn auch der Empowerment-Gedanke durchaus damit einhergeht – sondern dem Wissen um menschliche Lern- und Entwicklungsprozesse. Transparenz ermöglicht den Betroffenen ein Verstehen psychischer Gesetzmäßigkeiten und eigener Besonderheiten; das wiederum ist die Grundlage für das Erreichen selbstgesteckter Ziele und einer damit einhergehenden bewussten Persönlichkeitsentwicklung. Ein zweiter Gelingensfaktor ist die Strukturiertheit der Methoden, die einem transparenten Vorgehen bereits zu einem gewissen Grad innewohnt. Sie fördert die Entstehung einer tragfähigen und produktiven Arbeitsbeziehung. Beide Wesensmerkmale ressourcenorientierten Arbeitens sollen im Folgenden genauer betrachtet werden. Transparenz im Vorgehen Die in diesem Buch beschriebenen Methoden der Ressourcenorientierung können erst ihre volle Kraft entfalten, wenn sie transparent angewendet werden. Dadurch wird der Empowerment-Gedanke befördert. Nicht nur, dass die wohltuende Wirkung einer gelebten und erlebten Ressourcenorientierung für beide Seiten – Betreute und Betreuer(innen) – durch den Einsatz damit verbundener Methoden unmittelbar spürbar wird, vielmehr wird den Betreuten durch ein transparentes Vorgehen vermittelt, dass es sich bei der Abfolge der Schritte nicht um Experten- bzw. sogar Herrschaftswissen handelt, sondern vielmehr um eine Möglichkeit des reflektierten Selbstcoachings. Der Transfer des Gelernten in den Alltag außerhalb des Betreuungssettings wird erleichtert, eine nachhaltige Wirkung über die aktuelle Situation hinaus wahrscheinlicher. Die Klient(inn)en erleben sich als selbstwirksam und kompetent, ihre bisherige Fokussierung auf die eigenen Defizite wird zunehmend durch ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ersetzt. Ein Gefühl, das eigene Le-
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ben positiv beeinflussen zu können, den Alltag zu beherrschen, stellt sich allmählich, wenn auch manchmal durch Rückschläge begleitet, ein. Transparenz bedeutet demzufolge, die ressourcenorientierten Methoden nicht ausschließlich als Beratungshandwerkzeug zu verstehen, das mir als Professionellem/r zur Verfügung steht, um eine spürbare persönliche Veränderung bzw. Weiterentwicklung anzuregen. Vielmehr bemühe ich mich in ihrer Anwendung explizit, ihren Grundgedanken sowie ihren konkreten Ablauf den Betreuten und Ratsuchenden verständlich zu machen. Welche Logik steckt hinter der jeweiligen Methode, wozu nützt sie? Welche Haltung transportiert sie? Wo macht ihre Anwendung einen Unterschied? Wie kann sie von den Betroffenen selbstständig im Rahmen eines systematischen Selbstcoachings weiterverwendet werden? Die Evaluation des netzwerkaktivierenden AIB-Projektes zeigt, wie wichtig dieser Aspekt ist. Obwohl dem Projekt neben einer hohen Relevanz eine ebensolche Effektivität bescheinigt werden konnte, zeigen die Ergebnisse auch einen Mangel an Nachhaltigkeit: Nach einigen Monaten hatte sich das informelle Netzwerk, insbesondere bei männlichen Jugendlichen, bereits wieder stark zurückgezogen. Eine Fähigkeit, das eigene Unterstützungsnetzwerk zu pflegen, also eine Art Netzwerkkompetenz, konnte in dem Projekt durch das stark an der Aktivität der sozialpädagogischen Betreuer(innen) orientierte Vorgehen kaum erworben werden (Hoops & Permien, 2004). Dazu muss ich als Klient(in) nämlich verstehen, was mich selber daran hindert, andere um einen Gefallen zu bitten, oder was andere daran hindern kann, mir diesen Gefallen zu tun. Ich muss lernen, wie Unterstützungsbeziehungen funktionieren, wissen, dass ich beispielsweise auf eine Balance zwischen Nehmen und Geben achten muss. Und noch wichtiger: Ich muss ein Gefühl dafür gekommen, welcher Umgang mit dem eigenen sozialen Netzwerk zu mir und meinen Beziehungsvorstellungen passt. All das stellt sich nicht einfach ein, sondern verlangt eine systematische Reflexion. Aus diesem Grunde haben die in diesem Buch vorgestellten ressourcenorientierten und netzwerkaktivierenden Methoden allesamt einen Transparenz-Anspruch. Ein transparentes Vorgehen wird als Wesensmerkmal ressourcenorientierten Arbeitens verstanden. Dieser Gedanke soll im Folgenden mithilfe eines konkreten Beispiels erläutert werden. Als Methode wurde hierfür die Ressourcenorientierte Beratung gewählt; sie wird ausführlich in Kapitel 5 vorgestellt. Zur Verdeutlichung sehen Sie hier eine Übersicht über die vier Beratungsstufen.
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Abbildung 1:
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Arbeitsblatt zur Ressourcenorientierten Beratung
Das Fallbeispiel entstammt der Praxis, wurde aber selbstverständlich anonymisiert. Im Rahmen eines ressourcenorientierten Projektes zur Unterstützung jugendlicher Schulverweigerer wurden mit den in einem stationären Wohnprojekt betreuten Jugendlichen individuelle Pläne aufgestellt, die eine Reintegration in das System ‚Schule’ befördern sollten. Die Jugendlichen wurden angeleitet, ihr Ziel konkret zu benennen, einen detaillierten Plan zu seiner Erreichung aufzustellen, der die eigenen Fähigkeiten sowie die Unterstützung durch Menschen aus ihrem sozialen Netzwerk einschloss, einen Risikocheck durchzuführen und den allerersten Umsetzungsschritt festzulegen. In der dritten Phase dieses Beratungsmodells – dem sorgfältigen Risikocheck des zuvor entwickelten Handlungsplanes – kommt der Transparenzgedanke besonders zum Tragen, und so war es auch in diesem Fall. Der Jugendliche – wir nennen ihn hier Marco – hatte als Ziel angegeben, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen, um den durch die angehäuften Fehltage bereits gefährdeten Hauptschulabschluss doch noch zu erreichen. Sein Handlungsplan sah mehrere konkrete Schritte vor, u. a. abends Hausaufgaben zu machen, nicht später als um Mitternacht ins Bett zu gehen, den Wecker zu stellen etc.. Netzwerkmitglieder, wie beispielsweise der Onkel, der sich bereit erklärt hatte, einmal in der Woche mit Marco Mathe zu üben,
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waren bereits zur Unterstützung eingeplant. Dennoch schien Marco seinem soeben aufgestellten Plan nicht zu trauen. Auf die Frage, für wie wahrscheinlich er einen regelmäßigen Schulbesuch nun halte, zuckte er mit den Schultern. Auch, auf den ersten Blick, noch so ausgefeilte Pläne sind selten „wasserdicht“; deshalb ist die Phase des Risikochecks von solch zentraler Bedeutung für das Gelingen. Marco wurde daher gebeten, den Moment zu identifizieren, an dem sich entscheidet, ob er in der Schule wie geplant auftauchen wird oder nicht. Merkt er es daran, dass er zu lange wach bleibt und/oder am Abend vorher noch Alkohol trinkt, dass er am nächsten Morgen nicht zur Schule gehen wird? Merkt er es daran, dass er den Wecker am Abend gar nicht stellt oder daran, dass er ihn am Morgen ausschaltet und sich wieder umdreht, um weiterzuschlafen, anstelle wie geplant aufzustehen? Oder merkt er es daran, dass er zwar wie geplant losgeht, dann aber auf dem Schulweg „Kollegen“ trifft? Gemeinsam nimmt man vielleicht eine Abzweigung zum Bahnhof, um „abzuhängen“. Auch Angst vor Bullying auf dem Schulweg mag eine Rolle dabei spielen, dass Jugendliche trotz guter Planung und rechzeitigen Aufstehens und Losgehens den Schulweg zugunsten angenehmerer Nebenwege verlassen. Dieser kritische Moment, quasi der „Point of No Return“, ist etwas sehr Individuelles; er sieht i. d. R. bei zehn jugendlichen Schulverweigerern mit scheinbar gleicher Grundproblematik komplett unterschiedlich aus. Marco fand heraus, dass es der Moment ist, an dem er am Abend seine Schultasche für den nächsten Tag packt oder eben auch nicht packt. Er hatte in der Vergangenheit wiederholt die Erfahrung gemacht, wichtige Unterlagen nicht dabei gehabt zu haben, dafür gerügt worden zu sein, nicht richtig mitarbeiten zu können und den Anschluss verloren zu haben. Abends vergisst er das Schultaschepacken oft, am Morgen scheint die Zeit dafür nicht zu reichen. Er ist dann morgens gereizt, seine Motivation sinkt, ein Gefühl von „ist eh egal“ stellt sich ein. Wenn er schon auf ist, setzt er sich vor den PC, oft bleibt er aber auch im Bett oder stellt abends nicht einmal den Wecker. Daraufhin wurde vereinbart, dass der Wohngruppenbetreuer Marco unterstützt, indem er ihn abends an das Packen der Schultasche erinnert. Damit waren schon einmal gute Voraussetzungen für ein Gelingen des Vorhabens, wieder regelmäßig die Schule zu besuchen, geschaffen. Die restlichen, bereits entwickelten, Handlungsschritte blieben selbstverständlich bestehen. Als weiterer Gelingensfaktor wurde ein Element der Selbstbelohnung in den Handlungsplan eingebaut. Marco wurde gebeten, für sich selber angemessen festzulegen, was er innerhalb dieses Prozesses als belohnend empfinden würde. Er entschied sich für den zusätzlichen „Caféteria-Euro“, den er jeweils freitags bekommen würde, wenn ihm in der Woche zuvor ein regelmäßiger Schulbesuch gelungen war. Freitags war es für die Gruppe von Schulkameraden, innerhalb derer sich Marco bewegte, zur lieben Gewohnheit geworden, noch gemeinsam der Caféteria einen Besuch abzustatten. Marco, dem einzigen fremd untergebrachten Schüler der Clique, fehlte dazu bisher zumeist das nötige Kleingeld. Als Belohnung für jede „gute Woche“ wünschte er sich darum
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drei Euro extra. Sein Wohngruppenbetreuer stimmte zu. Bedeutsam dabei ist der vorangegangene Reflexionsprozess: Es ist davon auszugehen, dass Marcos Motivation, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen, nicht von seiner Erwartung herrührte, am Ende der Woche drei Euro mehr in der Tasche zu haben. Er wusste nur zu gut, was (k)ein Schulabschluss für seine weitere Lebensplanung bedeutete. Das Erreichen des Hauptschulabschlusses, die eigentliche Selbstbelohnung, lag aber noch in so weiter Ferne, dass es schwierig war, den Kontakt dazu zu halten, um es als Motivationsquelle für das alltägliche Überwinden des „inneren Schweinehundes“ zu nutzen. Dieses Dilemma ist bekannt: Komplexe Ziele, wie beispielsweise eine maßgebliche Gewichtsreduzierung, die einen langen Belohnungsaufschub erfordern, wobei der Weg dorthin aber eher als mühsam und wenig belohnend erlebt wird, sind schwer zu erreichen – und das trotz hohem Veränderungsdruck und vorhandener Veränderungsbereitschaft. Der systematische Einbau zeitnaher Belohnungselemente fördert hingegen das Durchhaltevermögen. Das zu erkennen, es einzuplanen und konsequent umzusetzen, ist erfolgreiches Selbstcoaching. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Belohnung, wie in diesem Fall, letztendlich von außen kommt; wichtig ist die Selbstreflexion. Marco ist sich selbst „auf die Schliche gekommen“, er hat Hindernisse und Motivationselemente identifiziert und in seinen Plan einbezogen. Damit hat er nicht nur die Chancen zum Erreichen dieses einen, für ihn so wichtigen, Lebensziels erhöht, sondern darüber hinaus Erkenntnisse über sich selbst gewonnen, die ihm als Strategien für erfolgreiches Handeln in der Zukunft zur Verfügung stehen werden. Ein transparentes Vorgehen macht also neugierig, in einem ersten Schritt grundsätzliche psychische Gesetzmäßigkeiten zu verstehen und für sich für persönliche Entwicklungsprozesse erfolgreich zu nutzen. In einem zweiten Schritt regt es darüber hinaus zu einer Selbstreflexion an, die die Besonderheiten der eigenen Person ins Blickfeld rückt und im besten Fall zu einer dauerhaften Selbstcoachingkompetenz führt. Die Transparenz im Vorgehen ist folglich ein entscheidender Gelingensfaktor ressourcenorientierten Arbeitens. Strukturiertheit der Methoden Transparenz setzt bereits ein gewisses Maß an Strukturiertheit voraus. Ein methodisches Vorgehen wird ja gerade dann transparent, wenn es auf nachvollziehbaren Grundsätzen beruht und sich in seinem Ablauf nicht vorrangig intuitiv, sondern strukturiert gestaltet. Darüber hinaus sendet die den Methoden innewohnende Strukturiertheit eine Botschaft der Wertschätzung. Die Beziehungsbotschaft dabei lautet: „Ich nehme dich und dein Vermögen, konzentriert mit mir an deinen Belangen zu arbeiten, ernst. Du und unser gemeinsamer Erfolg sind mir so wichtig, dass ich mich mithilfe der Auswahl geeigneter, unseren Prozess optimal unterstützender Methoden darum bemühe, möglichst viel aus der kurzen Zeit, die wir zusammen arbeiten, herauszuholen.“ Auf diese Weise wird die Klient-Sozialarbeiter-Beziehung
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als konstruktive Arbeitsbeziehung definiert. Strukturiertheit, gerade im Verbund mit Transparenz, steht damit eben gerade nicht im Gegensatz zur so genannten Beziehungsarbeit, sondern hebt diese auf eine andere, ergebnisorientiertere, Ebene. Strukturiertheit unterstützt ein transparentes Vorgehen durch die Erfahrung von Folgerichtigkeit und erzeugt zudem ein Gefühl von Sicherheit. Dennoch scheint vielen in der Sozialen Arbeit Tätigen ein strukturiertes Arbeiten nicht ganz geheuer zu sein. Das mag mit der eigenen Berufsidentität zusammenhängen. Die berufliche Identität des/r Sozialarbeiters/in wurde von Johannes Herwig-Lempp mit der eines Zehnkämpfers verglichen: „So lassen sich Sozialarbeiterinnen (…) als die Zehnkämpfer des psychosozialen Feldes bezeichnen: der Zehnkampf ist die Königsdisziplin der Leichtathletik, Zehnkämpfer müssen alle Disziplinen beherrschen. Natürlich erbringen sie in den einzelnen Disziplinen nicht immer Höchstleistung, aber sie sind doch in allen Bereichen kundig und erfahren, sie beherrschen sie und sind in jeder von ihnen souverän – im Gegensatz zu den anderen Spezialisten, die sich in der Regel nur auf ihr eigenes Gebiet verstehen“ (Herwig-Lempp 2002, S. 208).
Diese Metapher verweist auf den Wert, aber auch gleichsam auf die Problematik, die mit einer solchen Verortung zwischen den Disziplinen einhergeht. Peter Lüssi vertritt die These, dass es „schon fast zur beruflichen Identität des Sozialarbeiters“ gehöre, „ein Identitätsproblem zu haben“ (Lüssi 1991, S. 23). Dieses Identitätsproblem ergebe sich „aus verwirrenden Widersprüchen, denen der Sozialarbeiter ausgesetzt ist“ (S. 23). Und das „zwiespältige Berufsbild, welches Außenstehende von der Sozialarbeit haben“, sei „die logische Folge der berufsinternen Paradoxien“ (S. 26). Diese Paradoxien betreffen vor allem das geringe gesellschaftliche Prestige des Berufsstandes bei gleichzeitigen kaum erfüllbaren Anforderungen, die von verschiedenen Seiten an die Soziale Arbeit gestellt werden. Beruflicher Erfolg wird in Ermangelung externer (z.B. materieller) Kriterien darum nicht selten als vertrauensvolle Beziehung zu den Betreuten definiert. Und an den Grundsätzen dieser „Beziehungsarbeit“ wird festgehalten. Bei dem Versuch, methodisch-strukturiertes Arbeiten in der Sozialen Praxis zu implementieren, bekommen wir es daher unweigerlich mit dem Identitätswahrer im Inneren Team (Schulz von Thun 1998) der Sozialpädagog(inn)en zu tun. Dieser innere Anteil sorgt sich um den Charakter der beruflich ausgeübten Tätigkeit und befürchtet einen Verlust an menschlicher Nähe und damit einhergehender heilsamer Empathie, bewirkt durch den Einsatz von Dokumentationsmethoden, Arbeitsblättern und sichtbar ergebnisorientiertem Vorgehen. Diese Befürchtung ist zwar menschlich nachvollziehbar und angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse bedenkenswert – zeigt doch zum Beispiel die Psychotherapieforschung, welch hohe Relevanz dem Faktor Therapeut-Klienten-Beziehung für den Therapieerfolg zugeschrieben werden muss (Grawe, 1995) – sie trifft nach unseren Erfahrungen jedoch äußerst
Transparenz und Strukturierung als Wesensmerkmale
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selten ein. Vielmehr wird ein konsequent transparentes und strukturiertes Vorgehen von den allermeisten Klient(inn)en wie bereits beschrieben als Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und auch als Aufwertung der gemeinsam verbrachten Zeit erlebt und steht folglich gänzlich unbegründet in dem Verdacht, die Beziehung zu den Betreuten zu gefährden. Fachkräfte, die anfangen, professionell mit den Methoden im Betreuungskontext zu arbeiten, lösen sich darum recht schnell von diesbezüglichen Bedenken. Dieses Kapitel hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein wenig hinter die Kulissen ressourcenorientierten Arbeitens zu schauen. Damit einher ging die Frage, was ein solches Vorgehen eigentlich erfolgreich macht in seinem Bemühen, Menschen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial auszuschöpfen und ihre (selbst gesteckten) Ziele zu erreichen. Zwei Aspekte fielen uns dabei besonders ins Auge und wurden in ihrer Bedeutsamkeit als Gelingensfaktoren diskutiert: Transparenz und Strukturiertheit. Sie müssen aus unserer Sicht neben dem bereits vorgestellten spezifischen Menschenbild, das sich in einer ressourcenorientierten Grundhaltung zeigt (siehe Kapitel 1 und 3), als Wesensmerkmale ressourcenorientierten Arbeitens gelten.
Literatur Grawe, K. (1995). Grundriss einer allgemeinen Psychotherapie. Psychotherapeut, 40 (3), 130145 Herwig-Lempp, J. (2002). Maschinen, Menschen, Möglichkeiten – Eine kleine Ideengeschichte menschlichen Arbeitens. In KONTEXT, 33, (3), 190-212. Hoops, S. & Permien, H. (2004). Die Programmevaluation des Bundesmodells „Ambulante Intensive Begleitung“ (AIB) – Chancen und Herausforderungen einer qualitativen Follow-up Studie. Recht der Jugend und des Bildungswesens, 52, (3), 389-400 Lüssi, P., (1991). Systemische Sozialarbeit: praktisches Lehrbuch der Sozialberatung. Bern/Stuttgart: Paul Haupt. Schulz von Thun, F. (1998) Miteinander Reden 3. Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.
3 Entwicklung einer ressourcenorientierten Haltung Sibylle Friedrich Wenn ich Teilnehmer(innen) meiner Veranstaltungen, seien es Praktiker(innen) aus der Sozialen Arbeit oder Studierende der Pädagogik und Psychologie, mit der ressourcenorientierten Grundhaltung vertraut mache, ernte ich meist spontan Zustimmung. Dass und warum eine solche Haltung für die zu Betreuenden entwicklungsfördernd ist, erscheint den Allermeisten auf Anhieb einleuchtend. Eine Praktikerin drückte es so aus: „Ressourcen sind die Basis jeder Veränderung!“ Das bestätigt die Wissenschaft: Wenn wir uns vor Augen führen, wie Menschen lernen, sprechen alle lernpsychologischen Erkenntnisse dafür, dass auf der Grundlage vorhandener Ressourcen (bereits bestehender Fähigkeiten etc.) sehr viel leichter Neues entsteht als auf der Grundlage von Defiziten: Wir lernen darum neue Verhaltensweisen durch positive Verstärkung (Ermutigung und Belohnung) auch einfacher und nachhaltiger als durch negative Verstärkung (etwas Angenehmes wegnehmen) oder Bestrafung (etwas Unangenehmes hinzufügen) (vgl. Zimbardo, 1992, S. 244). Unsere Lernmotivation wird maßgeblich durch unsere Erfolgserwartung beeinflusst (vgl. Eccles, 1983, nach Weidemann et al., 1993, S. 228), die wiederum umso höher ist, je mehr wir an unsere Stärken glauben. Die Stressforschung konnte zeigen, dass Menschen psychisch und physisch erheblich weniger Schaden nehmen, wenn sie eine Belastung als Herausforderung betrachten können, weil sie sich zutrauen, sie mithilfe ihrer personalen und sozialen Ressourcen zu bewältigen (siehe u. a. Gottlieb, 1981/1983, nach Nestmann, 1988, 30ff.). Ressourcen schützen somit auch die Gesundheit. Aus dem Coaching wissen wir: Ein erreichbares Ziel ist eines, das positiv formuliert ist. Was nützt es, dass ich weiß, was ich nicht mehr will, wenn ich nicht weiß, was ich stattdessen will? Ein hilfreiches Feedback ist darum immer auch ressourcenorientiert. Teile ich meinem Gegenüber lediglich mit, was mir an ihm oder seinen Leistungen missfällt, stellt sich die Frage, auf welcher Basis er – sofern er denn selber möchte – eine Veränderung anstreben soll. Wo die Kraft, den Mut und die Fähigkeiten dafür hernehmen, wenn nicht aus dem großen Pool dessen, was schon da ist an Lebenserfahrung, Copingstrategien, positiver Selbstzuschreibung, Fähigkeit zur Selbstreflexion etc.. Die Positive Psychologie fordert, „die Rolle des Praktikers (…) sei es nicht nur, Distress zu mildern, Krankheit zu behandeln und Schwäche zu reparieren, sondern auch Wohlbefinden zu unterstützen, Gesundheit zu fördern und Stärken auszubauen“ (Linley & Joseph, 2006, nach Reddemann, 2008, S. 213). Sie weist „die Vorstellung, dass es wichtiger sei, das Schlimmste und das Schwächste von uns zu verstehen,
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statt das Beste und Mutigste“ vehement zurück (Maddux et al., 2004, nach Linley & Joseph, 2006, nach Reddemann, 2008, S. 217). Auch wenn diese Forderung für das Setting der klinischen Psychologie erhoben wurde, sollte sie nach meiner Überzeugung genauso für die Soziale Arbeit gelten. Und dort fällt sie zurzeit in der Tat vielerorts auf fruchtbaren Boden. Wo noch vor einigen Jahren – bildlich gesprochen – Stolpersteine von mittlerer Größe den Weg pflasterten, was sich in der Einstellung vieler Praktiker(innen): „Ressourcenorientierung – das ist doch Augenwischerei!“ ausdrückte, überwiegt jetzt die Einstellung, dass es sich hierbei um ein lohnenswertes Konzept handelt. Der Gedanke der Ressourcenorientierung hat somit erneut Eingang in die Praxis Sozialer Arbeit gefunden. Auch die anfängliche Angst, damit großangelegten Einsparungen im Sozialbereich Vorschub zu leisten, sich also vor den falschen Karren spannen zu lassen, hat sich zugunsten einer, oft verfrühten, Erkenntnis: „Ressourcenorientiert denken und handeln – das tue ich doch bereits!“ gelegt. Diese Selbstwahrnehmung kann jedoch ebenfalls zu einem Hindernis werden, erlaubt sie doch, in eingefahrenen Strukturen zu verharren und somit Lernprozesse zu unterbinden. Denn oftmals merken wir nicht mehr, wie tiefgreifend wir dahingehend geprägt wurden, Probleme zu erkennen und zu lösen, so dass wir diese Haltung nicht hinterfragen. Probleme scheinen überhaupt erst unterstützende Interventionen, seien sie psychotherapeutischer oder sozialpädagogischer Art, zu rechtfertigen. Anders ist es nicht zu erklären, dass zuhauf und für jegliche Gelegenheit, standardisiert und nichtstandardisiert, Instrumente zur Problemanamnese vorhanden sind – man denke beispielsweise an die gängigen Inventare zur Identifizierung und Klassifizierung psychischer Störungen oder an die problem- und belastungsorientierten Gespräche zur Fallaufnahme im Jugendamt – hingegen so gut wie keine Instrumente zur Ressourcenanamnese, also zur systematischen Erkundung der vorhandenen Stärken und Kraftquellen. Diese auf Probleme fixierte Einstellung zu uns, unseren Mitmenschen und der Welt erscheint uns so selbstverständlich, dass wir sie nicht infrage stellen, ja nicht einmal mehr bemerken. Um aber eine Haltungsänderung zu erwirken, muss die gesellschaftlich verankerte und akzeptierte Defizitorientierung zuallererst im eigenen Denken und Handeln erkannt werden. In meinen Veranstaltungen merke ich darum paradoxerweise eine ernsthafte Hinwendung zur Ressourcenorientierung gerade nicht an der Beteuerung „Ressourcenorientiert denken und handeln – das tue ich doch bereits!“, sondern im Gegenteil an der Selbsterkenntnis „Ich bin noch viel zu oft fokussiert auf die Belastungen und Probleme meiner Klient(inn)en“. Wer zu dieser Selbsterkenntnis gelangt, hat bereits ein gutes Stück auf dem Weg persönlicher Entwicklung beschritten. Das soll nun wiederum nicht heißen, dass mir nicht auch schon Menschen begegnet sind, die mit Fug und Recht für sich beanspruchen konnten, bereits ressourcenorientiert zu denken und zu handeln.
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Dass es nicht darum gehen kann, in der Betreuung und Beratung hoch belasteter Menschen die „rosarote Brille“ aufzusetzen, versteht sich von selbst. Zum einen wäre es auch nicht ressourcenorientiert gedacht, gut entwickelte professionelle Fähigkeiten, wie die, ein Problem zu erkennen und zu lösen, ungenutzt zu lassen. Zum anderen gehen wir auf diese Weise das Risiko ein, dass sich unsere Klient(inn)en von uns nicht ernst genommen in ihrem Erleben fühlen. Wir sprechen darum besser von einer ausbalancierten Ressourcenorientierung, also einer Grundhaltung gegenüber den Klient(inn)en, Kolleg(inn)en, Mitarbeiter(inn)en etc., die die vorhandenen Fähigkeiten und Kraftquellen erkennt und nutzt, ohne die Betrachtung und Lösung der ebenfalls existierenden Probleme zu vernachlässigen, sie oftmals sogar gerade nutzt, um Ziele zu erreichen und Probleme zu lösen. Dabei führt der Umweg über die Ressourcen zu anderen Lösungen, wie die weiter unten beschriebene Übung zeigen wird. Es geht also darum, sich an einen neuen Blickwinkel zu gewöhnen, wobei der Einsatz der „rosaroten Brille“ als Interventionsinstrument in der Supervision durchaus helfen kann. Auf den Punkt komme ich weiter unten noch einmal zurück. Eine ressourcenorientierte Grundhaltung wirklich einzunehmen und in Handeln zu übersetzen, ist ein Entwicklungsprozess, der sowohl individuell als auch in Gruppen nach meiner Erfahrung mindestens ein Jahr in Anspruch nimmt und sich „spiralförmig“ entwickelt: Immer wieder müssen „Schleifen gedreht“ und Verwirrungen ausgehalten werden. Die auftauchenden Fragen und eigenen Barrieren bewegen sich jedoch nach und nach auf ein höheres Niveau, womit gemeint ist, dass Sinn und Praktikabilität der Ressourcenorientierung nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt werden. Wie überall gilt auch hier: Neue Betrachtungsweisen haben es gegenüber alten Mustern ungleich schwerer, sich durchzusetzen. Und eigentlich kennt es ja auch jeder von sich selbst: Seine Haltung wirft man nicht einfach über Bord. Sie ist liebgewonnen und trägt einen durchs Leben, und sie hilft, Dinge einzuordnen. Sich selbst und seinen bisherigen Umgang mit Dingen und Menschen, also die eigenen Bewertungsmuster in Frage zu stellen, ist eine große Herausforderung und geht in der Regel nur schrittweise. Die konservativen Anteile in uns selbst mögen keine Veränderung und werden sich dagegen zur Wehr setzen. Neues, das gilt für innere wie für äußere Prozesse, darf deshalb nicht zu verstörend sein, soll es erfolgreich ins System integriert werden. Gleiches gilt übrigens für Implementierungsprozesse in Unternehmen und Einrichtungen, wie die Transferforschung zeigen konnte. Eine Neuerung findet am ehesten Eingang in Strukturen und Prozesse, wenn eine gute Balance zwischen Altbekanntem und Neuem gegeben ist (siehe Kapitel 7). Wie also kann der Prozess der Teilnehmer(innen), sich eine ressourcenorientierte Grundhaltung anzueignen, befördert werden? Sicherlich unterstützen Methoden, die diese Haltung transportieren – so zum Beispiel die Netzwerk- und die Unterstützungskarte (siehe Kapitel 5) – diesen Prozess; sie allein ermöglichen aber noch
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kein verändertes Sehen. Ich flechte daher Übungen in meine Lehrgänge ein, die dieses veränderte Sehen zum Ziel haben. Eine Übung, die besonders eindrucksvoll die Diskrepanz zwischen Defizit- und Ressourcenorientierung in ihren Auswirkungen auf unser Handeln offenbart, möchte ich hier vorstellen. Eine Übung zur Entwicklung einer ressourcenorientierten Haltung Die Teilnehmer(innen) werden auf zwei Gruppen verteilt. Beide Gruppen erhalten dieselbe Fallbeschreibung, aber unterschiedliche Aufgaben. Die Fallbeschreibung habe ich dem Handbuch für Sozialpädagogische Familienhilfe entnommen. Machen Sie gerne einmal den Selbsttest und listen Sie alles auf, was Ihnen nach dem Lesen im Gedächtnis geblieben ist. Anschließend vergleichen Sie diese Liste mit den Arbeitsergebnissen der beiden Gruppen, die ich Ihnen gleich zeigen werde. Welche befinden sich näher an Ihrer eigenen Wahrnehmung?
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Quelle: Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe (1998), S. 98 f.
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Die erste Gruppe erhält die folgenden beiden Aufgaben, die nacheinander zu bearbeiten sind: 1. Identifiziert alle Belastungen und Problematiken, von denen die Familie Rust betroffen ist. 2. Entwickelt Interventionen, die sich aus den vorhandenen Belastungen und Problematiken ableiten. Was ist in der Familie angezeigt? Die zweite Gruppe erhält die Aufgaben: 1. Identifiziert alle Ressourcen der Familie Rust. 2. Entwickelt Interventionen, die sich aus den vorhandenen Ressourcen ableiten. Was ist in der Familie angezeigt? Wie Sie sich bereits denken können, unterscheiden sich die Ergebnisse der beiden Gruppen stark voneinander. Zur Verdeutlichung lesen Sie im Folgenden, was die letzte Lehrgangsgruppe (Studierende der Psychologie und Pädagogik) erarbeitet hat. Die Ergebnisse dieser Übung fallen übrigens in allen Gruppen recht ähnlich aus, unabhängig von der Fachrichtung und davon, ob es sich um Studierende oder Praktiker(innen) handelt. Belastungen und Problematiken der Familie Rust: Vater hat Tochter sexuell missbraucht sitzt nun dafür im Gefängnis Heimunterbringung der Tochter Frau Rust hat in der eigenen Familie viel Gewalt erleben müssen eigene Heimkarriere der Mutter wurde Mutter, als sie selbst noch ein Kind war Frau Rust hat während der Kindheit der Kinder immer gearbeitet, war wenig für sie da Arbeitsplatzverlust Trennung vom Ehemann (jetzt alleinerziehend mit 7 Kindern) Depression und Schlafstörungen der Mutter Mutter hat schwere OP hinter sich kein Geld Wohnung war eine „Bruchbude“ große Umstellung, nun alle Gelder beantragen zu müssen, die vorher automatisch gezahlt wurden mit Vorurteilen konfrontiert, da kinderreiche Familien nach der Wiedervereinigung in Deutschland eher negativ wahrgenommen werden Frau Rust hat sich mit der vorherigen Familienhelferin nicht gut verstanden
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Ein jüngerer Sohn ist auffällig und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie; er leidet darunter sehr.
Interventionen, die sich daraus ergeben: Tochter aus dem Heim holen und Therapie der sexuell missbrauchten Tochter Therapie für Frau Rust gegen Depression und Aufarbeitung der negativen Erinnerung an gewaltreiche Kindheit Arbeitsplatzvermittlung oder ABM-Maßnahme für Frau Rust (damit Geld und Selbstvertrauen und Weiterentwicklung) Hilfe bei der Erziehung der Kinder (sieben Kinder sind eine Überforderung für eine Alleinerziehende) (finanzielle) Hilfe bei der Einrichtung der Wohnung Hilfe bei den Antragstellungen (Kindergeld, Mietzuschuss) Coaching für mehr Selbstbewusstsein (um negative Wahrnehmung von kinderreichen Familien zu verkraften) Hilfe für Mutter und Sohn, um Trennung durch die Kinderpsychiatrie zu verkraften, bzw. Hilfe, um den Sohn aus der Psychiatrie zurückzuholen Wünsche der Kinder erfragen > Kinder- und Jugendwerk (z.B. AWO) Kur für die Mutter Fahrtkostenübernahme Begleitung zu den Ärzten neue Wohnung Ressourcen der Familie Rust: Frau Rust ist alleinerziehend und hat damit bisher eine immense Aufgabe bewältigt. Organisation des Alltags Freizeitaktivitäten mit Familie Sie ist eine liebende Mutter, die ihr ganzes Leben bisher allein für die Kinder hergegeben hat. Kinder lieben Mutter, was man u. a. daran merkt, dass der Sohn darunter leidet, von seiner Mutter getrennt zu sein Sie hatte den „Mumm“, ihren Mann nach dem Missbrauch der Tochter anzuzeigen. Sie ist eine tatkräftige Arbeiterin, hat früher im Schichtsystem gearbeitet. Sie hat eine Ausbildung zur Mechanikerin, was für eine Frau außergewöhnlich ist, und hat Berufserfahrung. Sie hat schon viel durchgemacht und „überlebt“, also Coping-Strategien entwickelt. Ziel „Allen soll´s gut gehen“ kann Kraft geben
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Sibylle Friedrich Bereitschaft, Hilfe anzunehmen und Fähigkeit, Hilfe zu holen (z.B. für Anträge) Frau Rust hat Werte. Hilfreiche Eigenschaften: Entschlossenheit, Selbstachtung, Anpassungsfähigkeit, Fähigkeit, Freude zu empfinden, Vertrauen in eigene Fähigkeiten, Achten auf eigene Gesundheit Die Familienhelferin ist eine große Unterstützung: Mit ihr kann sie über alles reden, sie macht Unternehmungen mit den Kindern, entlastete Mutter nach der Operation. Auch mit der Psychologin der Kinderpsychiatrie finden Gespräche statt, vielleicht ist auch sie eine Hilfe. Sprachheilschule des Sohnes guter Arzt finanzielle Unterstützung (Amt) Kooperation zwischen Institutionen neue Wohnung gefunden
Interventionen, die sich daraus ergeben: persönliche Ziele erheben und Frau Rust dabei unterstützen, diese zu verfolgen, dabei anknüpfen an vorhandene Ressourcen o z. B. Frau Rust den Wert ihrer Ausbildung und die damit verbundenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt verdeutlichen > Arbeit suchen? o ihr vor Augen halten, dass sie damals im Schichtsystem Biss und Durchhaltevermögen bewiesen hat und dass auch dies sie für die Aufnahme einer neuen Tätigkeit qualifiziert vorhandene Ressourcen (z.B. Zusammenhalt in der Familie) spiegeln, so dass sie von der Mutter wahrgenommen werden können Empowerment: o Frau Rust aufzeigen, was sie geleistet hat, indem sie 7 Kinder erzogen hat…und was für ein „Klacks“ es verglichen damit ist, ein paar Anträge für staatliche Unterstützung zu stellen o Schon so viel „überlebt“ zu haben und den eigenen Mann angezeigt zu haben, zeigt, dass man stark genug sein kann, sich gegen „eine negative Wahrnehmung von kinderreichen Familien“ und gegen schlechtes Gerede der Nachbarn zur Wehr zu setzen Freizeitaktivitäten ausbauen und etablieren informelles Unterstützungssystem (Einsatz von Netzwerkkarte und Unterstützungskarte) erheben und aktivieren
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formelles Netzwerk erweitern: Vielleicht gibt es weitere Personen, mit denen Frau Rust ebenso gut zurechtkommen würde wie mit ihrer aktuellen Familienhelferin? Kur beantragen das Ziel „Unabhängigkeit von formeller Hilfe“ immer im Auge behalten
Was fällt Ihnen bei der Betrachtung der Ergebnisse der beiden Gruppen auf? Diese Frage stelle ich anschließend auch immer der Gesamtgruppe. Sie leitet eine Reflexion über die Unterschiede zwischen den vorgeschlagenen Interventionen und damit über die handlungsleitende Wirkung der jeweils eingenommenen Grundhaltung ein. Problem- und defizitorientiertes Denken führt in aller Regel zu kategorisierten Interventionen. Wir meinen, die Lösung für das identifizierte Problem bereits zu kennen bzw. kennen zu müssen, und bemühen uns, fertige Antworten zu liefern. Diese können nur aus Altbekanntem schöpfen und sind darum in aller Regel kategorisiert, professionalisiert, fremdgesteuert und nicht selten teuer. Da sie nicht in der Eigenverantwortung der Betroffenen liegen, wird eine zunehmende Abhängigkeit vom Helfersystem befördert. Diese ist, wenngleich häufig beklagt, demnach hausgemacht. Eine Studentin formulierte es so: „Die Interventionen aus der Belastungsperspektive sind mehr auf die Schwächen der Klientin konzentriert. Sie sind Hilfen für jemanden, der sich scheinbar nicht selbst helfen kann.“ Ressourcenorientiertes Denken führt hingegen vor allem zu mehr Fragen, entstanden aus einer Neugier auf die betroffenen Menschen und ihre Kraftquellen. In einem zweiten Schritt können dadurch innovative und unkonventionelle Lösungen entstehen, die oftmals viel effektiver und nachhaltiger als die vorgefertigten Programme sind, da sie individueller und damit passgenauer sind. Vor allem aber sind sie selbstwertstärkend und damit entwicklungsfördernd. Dieselbe Studentin fasste ihre durch die Übung gewonnenen Erkenntnisse folgendermaßen zusammen: „Bei den Interventionen aus der Ressourcenperspektive geht es mehr darum, zu erkennen, was die Klientin bereits kann oder bereits erreicht hat. Hier werden der Klientin ihre Stärken und Ressourcen vor Augen geführt, so kann sie sie vielleicht erstmals als solche wahrnehmen. Im Folgenden kann sie sich bewusst entscheiden, diese Ressourcen anzuwenden, um sich selbst zu helfen. Daran ist positiv, dass zum einen das Selbstwertgefühl der Klientin gesteigert wird („Ich kann mein eigenes Leben selbst meistern“). Zum anderen wird dadurch sichergestellt, dass die Klientin nach einer anfänglichen Phase des „Unter-die-Arme-Greifens“ auch allein klarkommen wird.“ Die Auswirkungen der jeweils eingenommenen Grundhaltung auf unser Handeln so schwarz auf weiß vor Augen geführt zu bekommen und die frappierende Erkenntnis, wie viel vertrauter uns die Defizitperspektive ist, hinterlässt bei den Teilnehmer(inne)n einen starken Eindruck. Am Ende eines Jahreslehrgangs erlebe
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ich oft, dass diese Übung noch einmal erinnert und rückblickend als Schlüsselerlebnis im eigenen Lernprozess bewertet wird. Um den Lernenden ein solches AhaErlebnis zu ermöglichen, ist es wichtig, die Übung nicht zu früh durchzuführen. Sie sollte nicht ganz am Anfang eines Lehrgangs stehen, damit die Offenheit vorhanden ist, ihre Ergebnisse anzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Vielmehr sollte eine Beschäftigung mit den eigenen problem- und defizitorientierten Denkmustern bereits stattgefunden haben, damit die neuen Einsichten nicht abgewehrt werden müssen, sondern ins System integriert werden können. Außerdem sollte das Ressourcenkonzept, das deutlich macht, dass Ressourcen die unterschiedlichsten Kraftquellen und damit weit mehr als individuelle Fähigkeiten sind (siehe Kapitel 1, 5 und 6), bereits bekannt sein, verstanden und geübt worden sein. Eine schöne Übung, die der soeben vorgestellten vorangestellt werden kann, ist der Einsatz der „rosaroten Brille“ bei der Fallbeschreibung. Ich empfehle zur Verdeutlichung des Perspektivwechsels eine echte Sonnenbrille mit rosaroten Gläsern zu verwenden, die für ein paar Minuten aufgesetzt wird, um die Stärken und Kraftquellen einer/s Klientin/en aus der eigenen Berufspraxis herauszuarbeiten. Dabei ist auch Umdeuten bisher als problematisch bewerteter Eigenschaften erlaubt und sogar erwünscht: „Aha, Hannes dealt, offensichtlich hat er Verkaufstalent“. Nach anfänglicher Abwehr – „so darf man das nun wirklich nicht betrachten“ – erlebe ich, dass sich die Gruppen mit zunehmender Neugier und auch Spaß auf den Perspektivwechsel einlassen. Nach Abnahme der rosaroten Brille – der echten wie der imaginären – wird ausgewertet, welche der gesammelten Ressourcen tatsächlich nutzbar gemacht werden können. Hierbei sind die vorhandenen Problematiken von selbst wieder mit im Raum, die Gefahr eines dauerhaften Verbleibens im Fantasialand besteht also nicht. Für die Entwicklung einer ressourcenorientierten Grundhaltung ist darüber hinaus jede Übung hilfreich, die den Wert eigener Ressourcen erfahrbar macht. Dazu zählen Gruppenübungen genauso wie Einzelübungen. Eine sehr schöne Gruppenübung ist die gemeinsame Erstellung einer Ressourcencollage (aus Zeitschriften o. ä.), die sich an den von Birgit Venezia (2000) identifizierten fünf Ressourcenbereichen „Was machen wir, was können wir, was wollen wir, was haben wir, was sind wir?“ orientiert. Sie eignet sich auch besonders gut für Arbeitsteams und befördert dort die Entstehung eines Zusammengehörigkeitsgefühls und einer positiven Teamidentität. Überhaupt mache ich immer wieder die Erfahrung, dass eine ressourcenorientierte Grundhaltung nicht allein den Klient(inn)en zugute kommt. Sie verbleibt nicht in dem Rahmen, für den sie sich angeeignet wurde; viel zu verlockend ist ihr Versprechen von mehr Wohlbefinden auch in anderen Lebens- und Arbeitszusammenhängen. Die Vielfalt und die Kraft eigener Ressourcen zu erfahren, ist ausgesprochen wohltuend. Das erlaubt auch die folgende Einzelübung, die ich ebenfalls gerne in Fortbildungen einsetze: Auf dem Boden wird von jedem/r Teilnehmenden eine etwa zwei Meter lange Linie gezogen, deren Anfangspunkt „heute“ und deren
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Endpunkt „heute in einem Jahr“ symbolisiert. Auf der linken Seite werden mit Symbolen (hier bietet es sich an, einen Fundus an Gegenständen, Postkarten etc. mitzubringen) Aufgaben visualisiert, die innerhalb des kommenden Jahres anstehen, auf der rechten Seite werden diesen Aufgaben, ebenfalls mit Symbolen, die verfügbaren Ressourcen zugeordnet, die helfen können, sie optimal zu bewältigen. Anschließend werden die entlang des Zeitstrahls auf dem Boden entstandenen Werke einander vorgestellt. Verstärkt werden kann der Effekt noch dadurch, dass die Teilnehmenden erst einmal nur die linke Seite aufbauen und auf sich wirken lassen. Kommen dann in einem nächsten Schritt die Ressourcen dazu, wird der Unterschied unmittelbar spürbar. Praktiker(inne)n, die sich bereits in ressourcenorientiertem Arbeiten fortgebildet haben, empfehle ich abschließend zur Selbstreflexion die folgenden Fragen: Was hat sich durch die Beschäftigung mit einem ressourcen- und netzwerkorientierten Ansatz konkret in meiner Arbeitsweise oder in meinem Blick auf die Klient(inn)en und ihre Lebenswelt verändert? Welche Relevanz hat die Ressourcenorientierung für mich und inwieweit habe ich mir diese Haltung inzwischen zu Eigen gemacht? Wie sicher fühle ich mich inzwischen im Umgang mit den Methoden und welche haben Eingang in meine Arbeit gefunden?
Literatur Helming, E., Schattner, H. & Blüml, H. (1998). Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe. Deutsches Jugendinstitut (DJI) – im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stuttgart: Kohlhammer Reddemann, L. (2008). Psychodynamisch Imaginative Traumtherapie. PITT – Das Manual. Klett-Cotta Venezia, B. (2000). Erkundung von Familienressourcen. In Vogt, K., Venezia, B., Torres Mendes, C. & Redlich, A. (Hrsg.). Die Erkundung von Kraftquellen im Leben der Menschen, Mat. 26 (S. 36-52). Universität Hamburg. Materialien aus der Arbeitsgruppe Beratung & Training Weidemann, B., Krapp, A. et al. (Hrsg.) (1993). Pädagogische Psychologie. 3. Aufl., BeltzPVU, Weinheim Zimbardo, P. (1992). Psychologie. 5. Aufl. Springer, Berlin
4 Systemisches Arbeiten Karin Jeschke Einführung Ressourcenorientiertes Arbeiten gehört inzwischen zum Standard in allen Feldern Sozialer Arbeit. Fast jedes Leitbild, jedes Konzept, jede Leistungsbeschreibung eines Trägers verpflichtet sich der Ressourcenorientierung als Handlungsgrundlage. Ressourcenorientierung stellt daher zunehmend einen „Containerbegriff“ dar, das heißt in die Definition „passt viel rein“ und jede/r stellt sich etwas Anderes darunter vor. Die unklare Definition ermöglicht unterschiedliche Interpretationen, wie die genaue Umsetzung denn nun aussieht. Zynisch betrachtet lässt sich natürlich Geld sparen, indem man die „Ressourcen“ der Klient/innen effektiv nutzt nach dem Motto: „Der kann auch zu Fuß zur Arbeit gehen, der war früher Sportler, da müssen wir kein Fahrgeld zahlen!“ In meiner Praxis als Supervisorin, Qualitätsentwicklerin und Organisationsberaterin in den Einrichtungen erlebe ich sehr häufig, dass die Umsetzung zwar nicht so zynisch erfolgt aber auch nicht viel mehr heißt, als „wir schauen auch auf das, was unsere Klient/innen (Kinder, Menschen mit Behinderungen, Jugendliche etc.) gut können, wir sehen auch das Positive in ihnen.“ Manchmal gibt es fast nichts Positives, das ist dann traurig. Eine solche Sicht ist sicher besser als die reine Defizitorientierung der vergangenen Jahrzehnte, aber auch viel zu wenig, um Ressourcenorientierung als Handlungskonzept umzusetzen. Diese Form der Ressourcenorientierung basiert auf dem Prinzip des „guten Willens“, dem Bemühen und ernsthaften Engagement der Pädagog/innen, sich von der Defizitorientierung, der Problemsicht zu entfernen. Dies geschieht nicht nur aus einem humanistischen Weltbild heraus, sondern auch vor dem Hintergrund des Wissens und der Erfahrung, dass eine Defizitorientierung und die einseitige Sicht auf die Probleme in der Praxis wenig Erfolge zeigen und für beide Seiten letztendlich mehr Frustration als Motivation bedeuten. Hinzu kommt, dass der „gute Wille“ im Laufe der Berufsjahre und in stark belasteten Arbeitsfeldern überstrapaziert wird und damit zum Burn-Out-Risiko dieser Berufsgruppen beiträgt. Glücklicherweise werden in der Ausbildung von Erzieher/innen und Sozialpädagog/innen zunehmend theoretische und praktische Inhalte vermittelt, die eine fundierte, konzeptionell verankerte Ressourcenorientierung überhaupt erst ermöglichen. Erschwert wird dies allerdings nach meiner Erfahrung durch zwei grundlegende Aspekte: 1. Unser allgemeines Weltbild ist eher kausal geprägt, dem „Wenn-dann-Prinzip“. Wir lernen, dass die Wirkung der Ursache folgt. Daraus resultiert für unser Denken: Probleme haben eine Ursache. Es gilt, diese Ursache zu finden, um
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die Wirkung „Problem ist gelöst“ zu erzielen. Im Leben funktioniert dies nicht immer. Die Ursachen vieler Probleme – der eigenen wie der unserer Klient/innen – kennen wir häufig. Aber das sagt uns häufig noch nichts darüber, wie die Lösung genau aussehen soll. In unserer kausalen Denkstruktur verwenden wir dann unendliche Energie, um Ursachen aufzuspüren und zu beschreiben und geraten manchmal in Zuge ehrlicher Anteilnahme am Schicksal der Klient/innen in eine Art „Problemhypnose“. Dies führt zur – nun gemeinsam getragenen – Überzeugung, dass die Lage doch einigermaßen aussichtslos ist. Diese Anteilnahme wird von den Klient/innen durchaus als hilfreich erlebt, sie setzt damit nur leider noch keinen starken Veränderungsimpuls. Hier setzt dann der zweite Aspekt an: Unsere starke Motivation, die Probleme zu lösen! Wir werden Pädagog/innen, um zu entwickeln, zu helfen und zu unterstützen. Wie ein Automechaniker wollen wir anfallende Probleme beseitigen, gleichsam reparieren. Aufgrund der oben beschriebenen kausalen Denkstruktur schenken wir nun der Erforschung der Probleme und ihrer Ursachen viel Aufmerksamkeit und konstruieren entsprechende Lösungswege. Diese funktionieren zwar bei Autos (auch nicht immer, habe ich mir sagen lassen), aber häufig nicht bei Klient/innen. Der Grund liegt einerseits in der Komplexität menschlichen Verhaltens, andererseits in der mangelnden Akzeptanz der Klient/innen für unsere Lösungen, die dann mit vielerlei Begründungen als nicht realisierbar von ihnen abgelehnt werden. Alle, die jahrelang solche Arbeit leisten, können davon ein Lied singen.
Ressourcenorientierung auf der Grundlage systemisch-lösungsorientierter Theorie versucht aus dieser verfahrenen Situation einen Ausweg zu finden. Das hat folgende Konsequenzen für den Umgang mit Problemen und der Suche nach Lösungen: 1. Bei der Suche nach Lösungen verschiebt sich unser Aufmerksamkeitsfokus von der Erforschung der Ursachen hin zu den Ausnahmen vom Problem, den Unterschieden zwischen Problem und Lösung und der Entwicklung der Ziele der Klient/innen, der Frage nach dem „Was stattdessen“. 2. Wir akzeptieren auf der Grundlage systemischen Denkens die Komplexität menschlichen Verhaltens, die sich jeder einfachen Erklärung im kausalen Sinn („Wenn-dann-Kausalität“) verschließt und stattdessen eine unendliche Vielfalt der Betrachtung, der Bewertung, der möglichen Wege und der anzustrebenden Ziele eröffnet. 3. Der Ausflug zu den Konstruktivisten („Welche Wirklichkeit sehen wir und welche ist die wirkliche Wirklichkeit?“) lässt uns demütig unsere begrenzten Wahrnehmungsfähigkeiten anerkennen und damit unsere gerade noch ausreichenden Fähigkeiten, die materielle Welt in etwa gleich zu sehen („Das ist ein Tisch. Okay. Das ist ein teurer Tisch. Teuer für wen?“). Bei der Beschreibung
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menschlichen Verhaltens unterscheiden wir uns bereits so signifikant in Wahrnehmung, Verarbeitung und Bewertung, dass wir unsere Subjektivität als einzige Handlungsgrundlage anerkennen müssen. Wir handeln auf der Grundlage unserer subjektiven Wahrnehmung und verabschieden uns von der Suche nach der „objektiven“ Welt dahinter, von der wir hofften, dass die uns sagen könnte, wie der/die Klient/in wirklich ist, was genau seine Probleme sind und was er daher zu tun hat. Stattdessen begeben wir uns offen und neugierig in die „Welt des Klienten/der Klientin“, seine Sicht der Dinge, seine Bewertungen, seine Ziele, seine Lösungen. Im Weiteren möchte ich nun darlegen, wie wir diese Haltung, die einen grundlegenden Paradigmenwechsel bedeutet, in pädagogisches Handeln umsetzten können und die Ressourcen der Klient/innen und unsere eigenen sinnvoll einfließen lassen können. Die systemisch-lösungsorientierte Haltung Zu Beginn von Fortbildungen zur Ressourcenorientierung erfrage ich gerne die Bilder, die Assoziationen und Vorstellungen meiner Teilnehmerinnen zur Systemtheorie. Eine Teilnehmerin sagte dazu: „Ich weiß nicht viel darüber, irgendwie heißt es sowas wie: Das Kind ist nicht schuld.“ Dieser Satz war für mich sehr einprägsam, knüpft er doch an die Anfänge der Systemtheorie an, die vor allem in der Familientherapie liegen und sich dort hervortaten durch eine veränderte Sicht auf problematisches Verhalten bei Kindern. Das „schwierige“ Kind wurde als „Symptomträger“ innerhalb des Familiensystems betrachtet und folgerichtig wurde die ganze Familie (System) in den Behandlungsfokus genommen. Diese Sichtweise spiegelt noch heute den grundlegenden Gedanken der Systemtheorie wieder; systemisches Denken erklärt alles menschliche Verhalten (und damit auch problematisches Verhalten) nicht ausschließlich oder überwiegend aus innerpsychischen Vorgängen, sondern aus den Interaktionen im System des Klienten/der Klientin. Das System definiert sich dabei anhand von drei Faktoren: 1. Die Systembestandteile (wer gehört dazu), 2. Die Beziehungen zueinander, 3. Das Umfeld (das System ist nur sichtbar, wenn es ein Außen, eine Grenze gibt). In der Praxis brauchen wir dann wieder die Konstruktivisten, da wir feststellen, dass es ja höchst subjektiv ist, wer als zum System zugehörig definiert wird. So gehören z. B. zum System Familie: Alle Lebenden? Oder auch die Toten? Alle Blutsverwandten? Oder die bis zum zweiten Grad? Alle, die in einem Haushalt leben? Oder auch die, die gelegentlich dort sind?
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Wir sind also schon hier aufgefordert, nicht vorschnell Zuordnungen vorzunehmen. Stattdessen können wir im Sinne einer Ressourcenorientierung gemeinsam mit dem Klienten/der Klientin herausfinden: Was ist das relevante System für seine Ziele und deren Umsetzung? Probleme aus systemischer Sicht Bei der Problembetrachtung wird uns durch die Einbeziehung des Kontextes, d.h. der Systembestandteile, der Beziehungen und des Umfeldes, deutlich, dass ein Problem nicht nur innerpsychische Muster und Kausalitäten abbildet, sondern auch sinnvoll, notwendig, attraktiv, erstrebenswert innerhalb des relevanten Systems sein kann – und dennoch schädlich im Ergebnis. So ist das „Machogehabe“ des Jugendlichen im Unterricht schädlich, in der Clique unter Umständen aber für sein Prestige förderlich. Bei einer konsequenten Umsetzung dieser Betrachtung stellen wir fest, dass fast alles Verhalten nicht „per se“ ein Problem darstellt, sondern in der Regel einer persönlichen Sinnhaftigkeit folgt, die erst innerhalb des eigenen Systems erkennbar wird. Es geht dabei nicht um die Aufhebung unserer ethischen und rechtlichen Grundlagen, im Sinne von „auch Mord macht Sinn – für den Mörder“, sondern um einen Perspektivwechsel bei der Betrachtung menschlichen Verhaltens und deren Bewertung als Problem. Die ernsthafte Suche nach dieser Sinnhaftigkeit im Handeln des Anderen, die Einbeziehung des jeweiligen Kontextes, ermöglichen uns als Pädagog/innen in den Kontakt zu den Klient/innen zu gehen und zu bleiben, was wiederum die wichtigste Ressource in unserer Arbeit darstellt: Die authentische, von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung zu unseren Klient/innen. Perspektivwechsel als Prinzip Somit ist der Perspektivwechsel, das heißt die Betrachtung einer Situation aus verschiedenen Perspektiven eine Grundlage systemisch-lösungsorientierten Handelns. Dazu bin ich nicht nur als Betrachter aufgefordert, gerade die Handelnden selbst werden eingeladen und darin unterstützt, die vielfältigen möglichen Perspektiven einzunehmen. Hierin besteht auch das Grundprinzip des so genannten zirkulären Fragens als eins der zentralen Instrumente des lösungsorientierten und damit gleichzeitig ressourcenorientierten Arbeitens: „Was glaubst du, was bedeutet es für deine Mutter, wenn du das tust? Und wenn ich sie jetzt fragen könnte, was denkst du, würde sie sagen?“ Und hiermit wird es wirklich kompliziert mit dem Perspektivenwechsel. In der Regel reicht es, die eigene Perspektive durch einen Wechsel in die zweite Position („Ich von außen“) und die Perspektiven der Personen aus dem relevanten System oder in die Perspektive der „guten Absicht“ zu erweitern: Was an dem Verhalten ist sinnvoll? Diese Haltung unterscheidet sich grundlegend vom eingangs beschriebenen guten Willen, der nur außerhalb der Handlung „etwas Gutes“ sucht, hier wird innerhalb der Handlung die gute Absicht gesehen und gewür-
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digt. Dieser Prozess ermöglicht den nächsten grundlegenden Paradigmenwechsel in der systemisch-lösungsorientierten Arbeit, den (weitgehenden) Verzicht auf Diagnosen, die uns ja den Glauben vermitteln, dass es sich hier um „objektive“ Fakten handelt, jenseits aller Perspektivwechsel und guten Absichten. Hypothesenbildung versus Diagnostik Da wir die „Objektivität“ bereits vorher als Chimäre verabschiedet haben, müssen wir jetzt damit leben, dass zumindest die Schwierigkeit besteht, zu überlegen, wer hat welche Diagnose in welchem Kontext getroffen. Kulturelle, biografische, gesellschaftliche Bedingungen spielen wohl doch eine größere Rolle, als wir wahrhaben wollen (nicht zuletzt der Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ hat uns dies eindrucksvoll demonstriert). Jenseits von durchaus hilfreichen Diagnosen im psychosozialen Arbeitsfeld helfen Annahmen, die uns daran erinnern, dass wir eine subjektive Einschätzung vornehmen, die nur ein Ziel haben sollte: Uns (Klient/innen und Helfer/innen) handlungsfähig(er) im Sinne der angestrebten Lösungen zu machen. Nicht die Klient/innen zu determinieren, nicht uns und ihm die Verantwortung für unser Handeln abzunehmen im Sinne von: „Der kann nicht anders, der ist depressiv!“ Für die Ressourcenorientierung bedeutet das, uns auf die Suche nach hilfreichen Hypothesen über die Situation zu machen – hilfreich für die Lösung, hilfreich für die Beziehung zu den Klient/innen, hilfreich für neue, konstruktive Wege! In der Teamarbeit bietet sich hier eine besondere Chance, ressourcenorientierte Haltungen in die Hypothesen einfließen zu lassen. Autonomie und Selbstbestimmung Die Idee von Autonomie und Selbstbestimmung aller Menschen gründet auf einer umfassenden Ethik aller humanistisch geprägten Theorien und Konzepte. Wenn wir uns mit Entwicklungsprozessen beschäftigen, und Beratung und Betreuung in der Sozialen Arbeit müssen dies permanent tun, so brauchen wir ein Menschenbild, das sich der Autonomie und Selbstbestimmung jedes Menschen verpflichtet fühlt. Alles andere birgt die Gefahr der Manipulation, durchaus in bester Absicht und dennoch in der Wirkung fatal. Der Mensch ist nicht instruierbar, er bleibt autonom in seiner Wahrnehmung, Bewertung und Entscheidung für sein Leben. Es gilt nicht eine Formel zu finden, die wie auch immer geartete Menschen ohne Probleme schafft, sondern zu respektieren, dass die Autonomie unser Grundrecht ist, uns als Mensch, als handelndes Wesen definiert. Für die Soziale Arbeit heißt das: 1. Die persönliche Handlungsfähigkeit meiner Klient/innen in ihrem Leben stellt die oberste Prämisse für mein Handeln dar. 2. Da ich niemanden programmieren kann, das „gewünschte“ Verhalten zu zeigen, liegt meine Entwicklungsleistung darin, die Menschen selbst ihr „Gewünschtes“ entwickeln zu lassen, unter Einbeziehung des Umfeldes (durch zirkuläres Fragen und unter Berücksichtigung der ethischen und rechtlichen
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Karin Jeschke Grundsätze unserer Gesellschaft). Dies tue ich, indem ich die Konsequenzen aufzeige, die das Handeln und für die Klient/innen ihr Umfeld hat – und damit wieder für sie selbst.
Radikaler Respekt und die Haltung des „Nicht-Wissens“ Steve de Shazer (1991) und das vom ihm mitbegründete Brief Therapie Family Center in Milwaukee (BTFC), USA haben sich für die so genannte lösungsfokussierte Kommunikation1 einige Grundannahmen und Haltungen erarbeitet, die sich in der Praxis als hilfreich erwiesen haben. Eine Annahme ist der radikale Respekt: Respekt für den Menschen, seine Wahrnehmung, sein Erleben der Dinge, seine Sicht auf die Probleme und seine Ziele; das etwas nicht mehr sein soll und wie es stattdessen sein soll. Oder anders ausgedrückt: Ich akzeptiere, dass die Sicht des Anderen nicht meiner eigenen entsprechen muss, dass seine Lösungen nicht meine wären, und glaube, dass jedes Individuum die Verantwortung für sein Leben tragen kann und muss. Dabei habe ich zu jedem Zeitpunkt die Aufgabe, die Konsequenzen des Handelns für die Klient/innen aufzuzeigen. Konsequenzen können juristischer, moralischer, finanzieller, gesundheitlicher oder gesellschaftlicher Natur sein. Die Entscheidung darüber, was getan wird, trifft jedoch der Klient/die Klientin. Da ich, trotz all meiner Lebens- und Berufserfahrung nicht wissen kann, wie es im Leben der Klient/innen aussieht und gerade das innere Erleben sich mir stärker als ich wahrhaben will, verschließt, gehe ich mit viel Neugierde, Interesse und Offenheit in die Begegnung. Diese Haltung des Nicht-Wissens ermöglicht mir, all die Fragen zu stellen, die den Klient/innen Zugang zu seinem Erleben ermöglichen. Wertschätzung statt Bewertung Die Haltung des Nicht-Wissens und der radikale Respekt eröffnen mir als Pädagogin eine neue Welt: Eine authentische Wertschätzung für das Leben, die Schwierigkeiten, die Lösungen, die Hindernisse und die Fähigkeiten meines Gegenübers. Die Wertschätzung muss ich mir dabei nicht mühsam abringen, weil ja klar ist, dass ich als Pädagogin/Pädagoge meine Klient/innen wertschätzen soll, sondern weil ich meine eigenen Wertmaßstäbe für ein erfülltes, gelungenes Leben nicht übertragen muss und damit als „Messlatte“ anlege. Stattdessen erfahre ich unterschiedliche Lebenskonzepte, die mir ohne Mühe eine respektvolle und wertschätzende Haltung ermöglichen. Methodenauswahl Die bisherigen Inhalte zielen vor allem auf die Grundhaltung der Pädagog/innen und bieten in ihrer Zusammensetzung aus erkenntnistheoretischen Modellen, wie der Systemtheorie, familientherapeutischen Ansätzen, dem Konstruktivismus und 1
siehe De Shazer, S.,1991: Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart
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der lösungsfokussierten Kommunikation ein Menschenbild, das uns einen ressourcenorientierten Blick auf die Klientel ermöglicht. Diese Grundhaltung stellt die absolut unverzichtbare Voraussetzung für diese Methoden und Handlungsweisen dar. Die Methoden sind nicht aus sich selbst heraus ressourcenorientiert, sie ermöglichen ein solches Handeln. Aber eben nur in Kombination mit einer humanistischkonstruktivistischen Sichtweise. Das wichtigste Ziel der Entwicklung eines Ressourcenansatzes zielt auf diesen Haltungswechsel, auf einen Paradigmenwechsel, der nicht nur, wie eingangs beschrieben auf „gutem Willen“ beruht, sondern durch theoretische und empirische Grundlagen gestützt ist. Jede Pädagogin/jedem Pädagogen, die/der sich diesem Gedanken öffnet, sei eine weitere Vertiefung empfohlen, aber auch der Besuch von Fortbildungen, die die Möglichkeit zum Anwenden und Reflektieren dieser Modelle und Methoden bieten. Die systemisch-lösungsorientierte Beratung verfügt über eine Vielzahl an ressourcenorientierten Methoden für die Arbeit mit Klient/innen, aber auch zur Reflektion des beruflichen Handelns im Team. Die Methoden sollen daher sowohl als Methoden für die Arbeit mit Klient/innen dienen, als auch für kollegiale Beratung in der Funktion des Multiplikators des Ansatzes in der eigenen Einrichtung. Je nach Zielgruppe, nach Alter, Entwicklungsstand und natürlich nach Beratungs- und Betreuungskontext (freiwillig, gezwungen, regelmäßig oder gelegentlich) eignen sich die Methoden in den Arbeitsfeldern der Pädagog/innen. Für einige liegt der Fokus in der Arbeit mit Klient/innen, für andere steht die kollegiale Reflektion im Vordergrund. Die Anwendungen der Methoden in den Übungen ermöglichen den Pädagog/innen, „am eigenen Leib“ zu erfahren, wie Ressourcen und Kompetenzen zur Lösung aktiviert werden. Daher ist es wichtig, die Methoden auch einmal an eigenen Fragestellungen anzuwenden. Wir spüren gerade bei unseren eigenen Themen am besten, dass wir in der Regel keinen „klugen Rat“ brauchen, nicht jemanden, der uns sagt, was wir tun sollen im Sinne von: „Warum machst du nicht einfach das und das?“ Stattdessen erfahren wir in der Anwendung der Methoden, dass die Lösung in uns wohnt, dass wir begleitet und unterstützt werden, unsere Lösungen, unsere eigenen Wege zu erforschen. Die Berater/innen sind dabei eher Hebammen denn Erzeuger der Lösung. Die Frage nach den Ausnahmen Im Rahmen des systemisch-lösungsorientierten Vorgehens werden im Wesentlichen solche Fragestellungen eingesetzt, die nur im Kontext mit Grundannahmen und Haltung (s.o.) ihre Wirkung entfalten. Hierbei geht es darum, klare Ziele zu entwickeln und zwar die Ziele der Klient/innen, auch wenn die sich innerhalb eines Zielrahmens bewegen müssen, den bereits andere gesetzt haben – das Jugendamt, das Gericht, die Eltern oder wer auch immer. Dennoch hat die Entwicklung eigener Ziele oberste Priorität. Ressourcenorientierte Zielentwicklungsprozesse fragen zum Beispiel nach Ausnahmen vom Problem: Kein Problem tritt 24 Stunden am Tag auf
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oder beherrscht den gesamten Alltag der Klient/innen. Fragen nach Ausnahmen können auch auf vergangene Lösungen abzielen: „Wie wurden ähnliche oder vergleichbare Probleme in der Vergangenheit gelöst?“ Die Erforschung der Ausnahmen eröffnet uns vielfältige Ressourcen, die den Klient/innen vielleicht nur nicht bewusst waren, entweder nicht in dem Kontext oder überlagert von der Problemwahrnehmung. Hinzu kommt, dass das Gespräch über Ausnahmen die Zuversicht, die derzeitigen Probleme lösen zu können, steigert. Die Wunderfrage Der zweite wichtige Zielkonstruktionsprozess ist die Wunderfrage, entwickelt vom BTFC im Rahmen der lösungsfokussierten Kommunikation, insbesondere von Steve de Shazer2. Die Wunderfrage3 ist mit allen ihren Variationen ein Herzstück der lösungsorientierten Beratung, ermöglicht sie den Klient/innen doch ein detailliertes, buntes, lebendiges Bild des „Stattdessen“ zu entwerfen. Sie zielt in eine Zukunft „ohne das Problem“ und lässt in den Klient/innen ein starkes Bild entstehen, für das es sich lohnt, sich anzustrengen, Hindernisse zu überwinden und „Ressourcen“ zu aktivieren. Gleichwohl zeigt sich im Wunderbild fast immer, dass „ein bisschen Wunder“ schon jetzt geht, dass der Klient/die Klientin Teile des Wunderbildes schon jetzt tun kann oder bereits realisiert hat, dass sich reale Handlungsmöglichkeiten in Richtung Wunder eröffnen. Weiterhin weckt die Energie des Wunderbildes die Zuversicht – die Hoffnung auf Veränderung steigt – und damit die Bereitschaft, aktiv daran mitzuwirken. Hypothesen und die gute Absicht Durch die systemische Sichtweise akzeptieren wir, dass es nicht nur eine mögliche Ursache oder Erklärung für Verhalten gibt, sondern eine Vielzahl von Faktoren und Erklärungszusammenhängen zusammenwirken, die auch noch von unserer selektiven Wahrnehmungsfähigkeit abhängig sind. Wir suchen also nicht die einzig wahre Erklärung, sondern bilden Hypothesen über das Geschehen. Ein einfacher, aber enorm wirkungsvoller methodischer Input ist es, diese Hypothesenbildung von der Grundannahme der guten Absicht leiten zu lassen. Die gute Absicht als Grundannahme setzt folgende Prämisse für menschliches Verhalten: Jeder Mensch stellt sein eigenes Handeln in einen Sinn, d.h. in einen Kontext, der das Handeln als folgerichtig und notwendig erklärt. Jedes Individuum möchte mit seinem Verhalten einen eigenen Sinn erzeugen. Dieser Sinn, diese gute Absicht, ist nicht automatisch gut in ihrer Wirkung, wie wir alle aus eigenem Erleben wissen. Aber die Erforschung der 2
Ebenda. Eine Wunderfrage kann z. B. lautet: „Angenommen, Sie wachen morgen früh auf und über Nacht ist ein Wunder geschehen und Ihr Problem ist gelöst. Woran werden Sie es merken?“
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guten Absicht ermöglicht mir, dem inneren Erleben des Anderen auf die Spur zu kommen, voller Neugierde und Interesse gerade bei problematischem, bei schädigendem Verhalten den Bezug zu finden. Hierdurch wird es mir nicht nur möglich, bei der Suche nach Lösungen diesen eigenen Sinn, diese gute Absicht zu integrieren, sondern häufig zunächst einfach nur, die Beziehung zu halten, den Kontakt zu jemandem herzustellen, der mit extremen Wirkungen seines Verhaltens konfrontiert. Die Methode ist demnach einfach in der Technik, schwierig und ungewohnt in der Denkstruktur. Im Rahmen einer fachlichen Reflexion – sei es in der kollegialen Beratung, sei es im Zwiegespräch, sei es allein – werden in einer Phase bewusst Hypothesen gebildet unter der Prämisse: „Was könnte die gute Absicht des Klienten in diesem oder jenem Handeln sein?“ Ungewohnt ist es dabei, nicht auf die Wirkung zu fokussieren („Was soll gut daran sein, mich so pampig zu behandeln?“), sondern ausschließlich auf die vermuteten Ziele und Absichten der Klient/innen. Diese zeigen nur sehr selten eine bewusst schädigende Absicht, noch seltener bin ich persönlich gemeint. Die verborgenen, guten Absichten hervorzuholen, ohne die Wirkung zu leugnen oder zu rechtfertigen ist anspruchsvoll aber sehr wirksam beim ehrlichen Bemühen, die Ressourcen „auszubuddeln“. Skalierung Die Methode der Skalierung stellt ein einfaches Mittel zur Erarbeitung von Lösungen dar. Sobald sich mein/e Klient/in im Zahlenraum von „1“ bis „10“ bewegen kann, also eine Vorstellung davon entwickelt (etwa ab sechs bis acht Jahren), kann ich mit dem Instrument arbeiten. Mit Skalierungen zu arbeiten, heißt, zu unterschiedlichen Fragen und Aspekten eines lösungsorientierten Gesprächs meine Klient/innen aufzufordern, seine Situation auf einer Skala von 1 bis 10 einzuschätzen. Dabei beachte ich folgende Aspekte: 1. Sobald ich mehr als „1“ habe, sind positive Ansätze, Ressourcen, Lösungsmöglichkeiten vorhanden. 2. Falls die eigene Einschätzung tatsächlich bei „1“ oder sogar weniger liegt (der Klient sagt, eigentlich bin ich bei „-2“), ändere ich meine Fragen in Richtung Coping, also Bewältigungsstrategien: „Wie schaffen Sie es, dennoch zu mir zu kommen, Ihre Arbeit zu tun ... etc. Wie bewältigen Sie diese schwere Lage?“ 3. Wir explorieren ausschließlich die Wahrnehmung der Klient/innen, die Skala ist keine Bewertung durch andere, sondern ein Ausdruck des eigenen Erlebens. Das heißt, ich erfrage die Bedeutung der jeweiligen Einschätzung. Dabei erlebe ich vielleicht, dass ein/e Klient/in mir mitteilt, dass die „2“ für ihn ein Riesenschritt ist, da er sich monatelang bei „1“ wahrgenommen hat, während ein anderer für sich eine „7“ als „immer noch viel zu wenig“ beschreibt. Daher enthalten wir uns als Berater/innen jedes bewertenden Kommentars und tun das, was unser Job ist: Wir verstärken Lösungsansätze, explorieren ausführlich
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Karin Jeschke die Unterschiede zwischen „1“ und der genannten Zahl als Ansatzpunkt für die Ressourcen des Klienten/der Klientin. Die „10“ als angestrebter Zustand (z.B. das Wunderbild), das zu erreichende Ziel, die Abwesenheit der Probleme, wird durch die Skalierung in einzelne Schritte zerlegt, indem ich ausgehend vom Ist-Zustand, beispielsweise eine „4“, erarbeite, was den Unterschied zur „5“ ausmacht. „Mal angenommen, Sie wären bei ,5’, was wäre dann anders?“ Ich kann nicht nur konkrete Ziele skalieren, sondern auch die Zuversicht, oder die Bereitschaft, die angestrebten Ziele zu erreichen. Um die erlebten Schritte auch visuell und körperlich erfahrbar zu machen, kann ich auch eine Skala im Raum auslegen und meinen Klienten/meine Klientin die Möglichkeit eröffnen, sich darin zu bewegen, mal auf den „IstZustand“ zu gehen und zurückschauen auf das Erreichte, oder sich auf den nächsten Punkt zu stellen, der markiert, dass „man schon mal einen Schritt weiter ist“.
Die Möglichkeiten, mit Skalierungen zu arbeiten, sind außerordentlich vielfältig, erfordern aber eine gründliche Ausbildung in lösungsorientierter Beratung. Das Instrument ist einfach, die Anwendung stellt an die Berater/innen dennoch hohe Anforderungen zur Umsetzung in einem lösungsorientierten Kontext, so dass tatsächlich Ressourcen erarbeitet werden und nicht eine weitere professionelle Bestätigung über die Aussichtslosigkeit der Lage ermittelt wird. Fazit Die Auseinandersetzung mit den Grundannahmen und Haltungen des systemischlösungsorientierten Ansatzes und die Anwendung dieser und einer Vielzahl von Variationen und weiteren Methoden ist ein längerer Prozess für die Berater/innen. In diesem Prozess findet ein Wechselspiel zwischen Theorieverständnis, Vernetzung mit notwendigem Fachwissen (z.B. über Erkenntnisse der Hirnforschung) und dem eigenen Erleben der Wirksamkeit im Ausprobieren statt. Alle Erfahrungen, meine eigenen und die Feedbacks der Lernenden dieser Verfahren, betonen drei wesentliche Aspekte: 1. Der Ansatz ermöglicht in einem sehr großen Ausmaß einen stetigen, respektvollen und wertschätzenden Umgang mit Klient/innen. 2. Die eigene Verantwortung der Klient/innen für ihr Leben wird gestärkt. 3. Die Berater/innen fühlen sich „befreit“ von der häufig übergroßen Last, die Probleme der Klient/innen zu lösen und übernehmen stattdessen die Verantwortung für den Prozess.
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Diese Aspekte stellen für sehr viele eine große Motivation dar, sich diese Kompetenzen anzueignen, gerade in einer Zeit, in der die Probleme unserer Klient/innen immer komplexer werden und die materiellen Ressourcen zur Unterstützung eher schwinden.
5 Arbeit mit Netzwerken Sibylle Friedrich
Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit bedeutet mehr als die Vernetzung von Hilfeeinrichtungen untereinander. Ergänzend sollte es darum gehen, die individuellen Netzwerke der Betreuten unter die Lupe zu nehmen. Professionelle Helfer(innen) bemühen sich zwar verstärkt um die soziale Integration ihrer Klient(inn)en im Stadtteil, vernachlässigen jedoch zumeist deren persönliche Bindungen (Nachbarschaft, Verwandtschaft, Freundschaften) und das daraus resultierende Unterstützungspotential. Ziel jeder Hilfe muss es folglich sein, die Klient(inn)en von Beginn an dabei zu unterstützen, Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten, sowie zu üben, sich Unterstützung im Alltag und in Krisenzeiten aus dem privaten Netzwerk zu holen und zu sichern. Dadurch kann eine größere Unabhängigkeit der Betroffenen vom Helfersystem erreicht werden. Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit beinhaltet daher die beiden aufeinander folgenden Schritte: 1. Netzwerk- und Unterstützungsanalyse: Bei der Netzwerkanalyse geht es um die Identifizierung und Einordnung der Kontakte und Beziehungen eines Menschen, seien sie verwandtschaftlich, freundschaftlich, kollegial, professionell oder nachbarschaftlich. Hierbei helfen methodische Ansätze wie die Netzwerkkarte, das Netzwerkbild, der Stadtteilspaziergang u. ä. Die darauf folgende Unterstützungsanalyse geht noch darüber hinaus: Jetzt werden das Unterstützungspotential dieser Kontakte und Beziehungen sowie die eigenen Möglichkeiten der Betroffenen, Unterstützung zu geben, herausgearbeitet. Dazu bietet sich die Unterstützungskarte an, ergänzt um weitere Methoden. 2. Netzwerkaktivierung: Ist die Ausgangslage erst einmal klar, geht es darum, wie das Netzwerk erweitert bzw. sein Unterstützungspotenzial vergrößert werden kann oder aber wie das bereits vorhandene Potential von dem/r Betreffenden besser genutzt werden kann. Methodisch bieten sich hier die Ressourcenorientierte Beratung – eine Art Netzwerkcoaching im Einzelkontakt – und die Ressourcenorientierte Netzwerkmoderation, bei der relevante Teile des Klientennetzwerkes zusammenkommen, als unterstützende Verfahren an.
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Die Netzwerk- und Unterstützungsanalyse Netzwerkkarte In einem ersten Schritt ist es hilfreich, sich einen Überblick über die vorhandenen Kontakte zu verschaffen. Im Vordergrund steht dabei weniger die Qualität als vielmehr die Quantität der Beziehungen. Sie ist der Fundus, aus dem später geschöpft werden kann, wenn es darum geht, Unterstützungsbeziehungen aufzubauen und zu etablieren. Als besonders praktikabel in den allermeisten Fällen hat sich die Verwendung einer Netzwerkkarte herausgestellt. Sie visualisiert auf anschauliche Weise das individuelle soziale Netzwerk und bleibt damit stärker im Gedächtnis der Klient(inn)en als beispielsweise ein Interview. Zudem steht sie den Betroffenen weiterhin zur Verfügung, kann aufbewahrt und erneut betrachtet, korrigiert oder ergänzt werden. Die Netzwerkkarte ist ein ideales Einstiegsinstrument: Ihre Erstellung dauert i. d. R. nicht länger als 20-30 Minuten, sie ist einfach zu verstehen und erzeugt wenig Berührungsängste. Praktiker(innen) sehen in der Netzwerkkarte ein leicht zu handhabendes Instrument, das ihnen wichtige Informationen liefert, Klient(inn)en begreifen unmittelbar – unabhängig von Alter oder Bildungsniveau – den Sinn des Vorgehens. „Die Praxis zeigt, dass die Netzwerkkarte für die Mehrzahl der KlientInnen einen hohen Aufforderungscharakter enthält. Selbst zurückhaltende, gehemmte Kinder oder Erwachsene, mit denen man in den Beratungsgesprächen nur schwer oder überhaupt nicht mit ihren Gefühlen und Empfindungen in Kontakt kommt, werden dadurch zu Erzählungen ermutigt. Sie beginnen, angeregt durch die Netzwerkkarte, Aspekte ihrer Lebensgeschichte wieder in Besitz zu nehmen.“ (Lenz 2000, 107, in Straus 2002, 279)
Wohl auch deshalb ist sie in einigen sozialen Einrichtungen bereits als Standardinstrument fest in der Berufspraxis verankert. Netzwerkkarten existieren in unterschiedlichen Versionen (Straus, 2002). Für Klient(inn)en Betreuungs- und Beratungssituationen bevorzuge ich die folgende, von mir zu diesem Zweck weiterentwickelte, Karte:
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Sonstige z.B. Dienstleister im Stadtteil
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Freunde/ Bekannte Familie
professionelle Helfer Arbeit/ Schule
Nachbarn
Konflikte/ starke Unzufriedenheit mit der Beziehung Kontaktabbruch
Abbildung 1:
Netzwerkkarte
Es handelt sich dabei um eine egozentrierte Netzwerkkarte, d. h. die Netzwerkmitglieder einer/s Befragten werden von dieser/m nach bestimmten Kriterien um ein die/den Befragte(n) selber symbolisierendes Zentrum gruppiert. Die Karte ist in lebensweltliche Felder unterteilt, um die unterschiedlichen sozialen Bezüge sichtbar zu machen. Die Einteilungen beugen auch dem Vergessen einer ganzen relevanten Gruppe von Netzwerkmitgliedern vor. Im inneren Kreis stehen die engeren Bezugspersonen. Wichtig So einfach das Instrument auf den ersten Blick erscheinen mag, so haben sich doch einige Punkte herauskristallisiert, auf die es zu achten gilt, will man die ihm innewohnenden Möglichkeiten voll ausschöpfen. 1. Zwar geht es bei der Verwendung der Netzwerkkarte, wie bereits beschrieben, vorrangig um die Quantität der Kontakte, das bedeutet aber nicht, dass die Größe des Netzwerkes per se ein bzw. das einzige Beurteilungskriterium darstellt! Kleine, dafür multiplexe, Netzwerke können genauso gut Unterstützungsbedürfnisse erfüllen. Das führt gleich zum nächsten Punkt.
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Sibylle Friedrich
2.
Keine Angst vor dem leeren Blatt! Die Angst, dass die Netzwerkkarte leer bleibt, ist zumeist unbegründet, insbesondere da sie mehrere Segmente enthält. Sollte das Ergebnis nicht zur Zufriedenheit der Betroffenen ausfallen, ist die Reflexion darüber bereits ein erster wichtiger Schritt hin zur gewünschten Veränderung (Friedrich, 2008). Es sollte bereits deutlich geworden sein, dass es nicht Ihre Aufgabe ist, das Ergebnis zu bewerten, schon gar nicht mit der „Mittelschichtsbrille“, sondern vielmehr, die Betroffenen zu ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen. Eigene Wahrnehmungen dürfen Sie anbieten, wenn Sie sie explizit als solche kennzeichnen, um zu verhindern, dass sie von den Betroffenen zur Wahrheit erhoben werden. Die Autonomie beginnt selbstverständlich nicht erst bei der Deutung. Wichtig ist, die Betroffenen selber bestimmen zu lassen, wo welcher Name genau steht und wer überhaupt auf der Karte auftaucht. Dabei ist es kein Kriterium, ob das Ergebnis die „Wahrheit“ widerspiegelt oder eine Wunschvorstellung – die eigene und zu dem Moment mögliche Sichtweise zeigt es in jedem Fall. Der Realitätscheck ist in anderen Methoden enthalten, kommt dann aber nicht von außen, sondern wird von den Klient(inn)en selber durchgeführt. Aus dem bereits Gesagten folgt, dass die fertig erstellte Netzwerkkarte Eigentum des/r Klienten/in ist. Sie können und sollten sich aber mit seiner/ihrer Erlaubnis eine Kopie machen. Ein paar Regeln haben sich beim Ausfüllen der Karte als hilfreich erwiesen: Als Eingangsfrage eignet sich: „Wer spielt alles eine Rolle in Ihrem Leben?“ Durch die Betonung der Worte lässt sich ihre Ausrichtung variieren. Wird schnell deutlich, dass der/die Betroffene Probleme hat, zwischen relevanten und irrelevanten Kontakten zu unterscheiden, und sich dadurch überfordert fühlt, hilft die Betonung: „Wer spielt wirklich eine Rolle in Ihrem Leben?“ dabei, sich zu begrenzen. Auf der anderen Seite ermutigt die Betonung „irgendeine Rolle, das muss keine enge Beziehung sein, wen grüßen Sie denn so im Stadtteil?“ dazu, die Karte zu füllen, wenn zunächst wenig kommt. Um am Ende nicht einem falschen Eindruck zu erliegen, sollten keine Namen doppelt erscheinen. Bitten Sie den/die Klienten/in, sich jeweils für ein Segment zu entscheiden! Die Anordnung der Namen auf der Karte von innen nach außen geschieht intuitiv. Es ist unklar, was sie genau erfasst, dennoch hat jede(r) eine Vorstellung davon und kann sie umsetzen. Die Nähe zur Mitte ist nur pro Segment zu bestimmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nachbarin, die zur Freundin wird. Steht sie im Segment „Nachbarn“ noch ganz zentral, rückt sie im Feld „Freunde/Bekannte“ nun vermutlich ein Stück nach hinten, obwohl die Beziehung ja sogar enger geworden ist.
3.
4.
5. 6. a.
b. c.
Arbeit mit Netzwerken d.
e.
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8.
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In das Segment „Sonstige“ können all die Namen eingetragen werden, die in den restlichen Kategorien keinen Platz finden: Haustiere, Popstars, der getrennt lebende Kindsvater etc.. Gesondert erfragt werden Dienstleister im Stadtteil, da sie oft eine besondere Rolle als Ansprechpartner(innen) für sozial benachteiligte und mehrfach belastete Menschen spielen. Sie grenzen sich von verbindlichen bzw. stigmatisierenden Helfer-Kontakten ab, die Betroffenen müssen sich demnach vor ihnen nicht für die eigene Lebensführung rechtfertigen, es entstehen aber auch keine „Reziprozitätsschulden“ (s. u.), weil die Balance zwischen Geben und Nehmen über die Bezahlung der Dienstleistung gewährleistet ist. Auch wenn die Betroffenen letztendlich entscheiden, wessen Name auf der Karte Platz findet, ist es schon im Sinne der Methode, dafür zu werben, auch weniger enge und sogar konflikthafte Beziehungen aufzunehmen, um einen möglichst guten Überblick über das vorhandene Potenzial zu erhalten. Aus diesem Grund wurden die beiden Sonderzeichen eingeführt, die neben die betreffenden Namen geschrieben werden können. In der Regel werden die Spannungen auf diese Weise leichter ausgehalten. Nicht vergessen werden darf, dass die Netzwerkkarte selber bereits ein Interventionsinstrument ist. Sie erhebt nicht nur den Status Quo, sondern ermuntert auch zu einer Reflexion über die eigene Kontakt- und Beziehungsgestaltung, die bereits zu Veränderungsprozessen führen kann. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, zu betonen, dass es sich bei dem erhaltenen Ergebnis um eine Momentaufnahme handelt. Das kann die Scheu davor nehmen, sich festzulegen.
Netzwerkbilder Netzwerkkarten bedeuten eine Vorstrukturierung der entstehenden Visualisierung. Das ist meistens hilfreich, beschränkt aber natürlich auch die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Besonders für Kinder und Jugendliche bietet sich darum vielleicht eher das Angebot an, ein Netzwerkbild zu malen. Netzwerkbilder verzichten bewusst auf jegliche Reglementierung und setzen damit auf den Aufforderungscharakter des weißen Blattes. Dabei können sehr individuelle Bilder entstehen, wie eine Studie von Kolip (1993, 108) zum Freundschaftsnetzwerk von Jugendlichen zeigt.
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Abbildung 2:
Sibylle Friedrich
Netzwerkbild
Gerade Jugendliche könnten sich aber auch unangenehm an den Kunstunterricht in der Schule erinnert fühlen und sich mit Bewertungsangst konfrontiert sehen. Netzwerkbilder sind im Gegensatz zu Netzwerkkarten erst einmal nicht lesbar; sie sind erklärungsbedürftig. Zudem wird beim Malen Implizites explizit, wir schöpfen dabei auch aus dem zuvor Unbewussten. Aha-Effekte beim Betrachten des entstandenen Bildes auch auf Seiten der Malenden sind daher nicht ungewöhnlich. Sie sollten sich darum nicht verleiten lassen, die Bilder Ihrer Klient(inn)en zu deuten. Weder ist das möglich noch förderlich. Lassen Sie sie sich lieber erklären, fragen Sie gerne neugierig nach, aber bewerten Sie nicht! Anschließend kann es hilfreich sein, die Erkenntnisse für die weitere Arbeit gemeinsam in eine Netzwerkkarte zu übertragen. Stadtteilspaziergang Ein Stadtteilspaziergang stellt eine weitere Alternative oder auch Ergänzung zur Verwendung der Netzwerkkarte dar. Er bietet sich insbesondere für Klient(inn)en an, denen Arbeitsblätter suspekt sind oder deren Netzwerkkarte relativ leer geblieben ist. Mir wurde öfters von Praktiker(inne)n berichtet, dass sie positiv überrascht waren von der Integration ihrer bis dahin als sozial isoliert wahrgenommenen Klient(inn)en im Stadtteil. Allein zu bemerken, wer alles die Klient(inn)en grüßt oder von ihnen gegrüßt wird, ist für viele Betreuer(innen) ein Aha-Erlebnis. Die anschließende Reflexion ermöglicht dann oft das (erneute) Ausfüllen der Netzwerkkarte. Die Betreuten wiederum erleben sich in dieser Konstellation als Expert(inn)en, sie führen die Sozialpädagog(inn)en durch „ihren“ Stadtteil, was in der
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Regel von einem Gefühl des Stolzes begleitet wird – besonders bei Kindern und Jugendlichen. Der Stadtteilspaziergang ist eine sehr niedrigschwellige und Wertschätzung transportierende Methode und hilft darum auch, Vertrauen in der KlientSozialarbeiter-Beziehung aufzubauen. Inhaltlich ist er als Erhebungsinstrument verständlicherweise begrenzt: Anders als die Netzwerkkarte erfasst er nur die örtlich verfügbare soziale Unterstützung, also sowohl professionelle Anlaufstellen als auch persönliche Kontakte im Stadtteil. Menschen, die weiter entfernt leben, geraten bei einem solchen Rundgang selbstverständlich nicht ins Blickfeld. Der Stadtteilspaziergang ermöglicht hingegen in besonderer Weise, die Dienstleister (Kioskbesitzer, Tankstellenbesitzer, Wirt etc.) als relevante Unterstützergruppe für Menschen in sozialen Benachteiligungslagen in den Blick zu nehmen (s. o.). Ein Manko ist sicherlich, dass nicht automatisch eine systematische Dokumentation erfolgt; eine solche würde aber die weitere Netzwerkarbeit befördern. Dokumentationsmöglichkeiten sind beispielsweise Videoaufnahmen, Fotos oder das Eintragen relevanter Anlaufstellen und Namen von Kontaktpersonen auf einem Stadtplan. Sie sollten vorab eingeplant werden. Unterstützungsanalyse Nach der Erhebung des sozialen Netzwerkes mithilfe der vorgestellten Methoden folgt die Analyse seines Unterstützungspotenzials. Soziale Unterstützung ist ein mehrdimensionales Konstrukt; es lohnt sich, sich genauer damit zu beschäftigen, was der Begriff eigentlich meint. Die folgende Auflistung ist, leicht gekürzt, meiner Dissertation entnommen (Friedrich, 2008, S. 104f.). Unterschieden werden kann zwischen: Alltags- versus Krisenunterstützung: Zu wissen, dass man in Krisen, in schweren Zeiten und bei unvorhersehbarem Unglück nicht alleine dasteht, sondern sich auf die tatkräftige oder auch auf die emotionale Hilfe anderer Menschen verlassen kann, macht einen Großteil des guten Gefühls aus, sozial unterstützt zu sein. Nicht geringer zu schätzen ist aber die alltägliche Erfahrung, sich mit kleinen Bitten oder dem Wunsch nach einem/r verständnisvollem/r Zuhörer(in) mit gutem Gewissen an Menschen aus der persönlichen Umgebung wenden zu können. Während jede/r von uns zahlreiche Erfahrungen mit erhaltener oder verweigerter Alltagsunterstützung hat, beruht die Gewissheit, in Krisen sozial unterstützt zu werden, zumeist auf als vertrauensvoll erlebten Beziehungen zu engen Bezugspersonen. Potenzielle versus tatsächlich erlebte Unterstützung: Dieser Punkt überschneidet sich mit dem vorangegangenen insofern, als tatsächlich erlebte Unterstützung oftmals Alltagsunterstützung ist, während potenzielle Unterstützung sich auf das sichere Gefühl bezieht, im Notfall nicht allein zu sein. Wurden bereits schwere Krisen durchgestanden, kann es allerdings auch hier die Erfahrung tatsächlich erlebter Unterstützung geben.
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Sibylle Friedrich Instrumentelle (praktische) versus psychologische (emotionale) Unterstützung: Unter instrumenteller Unterstützung versteht man sowohl tatkräftige oder materielle Hilfe als auch das Geben von Informationen oder Rat. Psychologische Unterstützung meint den emotionalen Halt, den Menschen sich gegenseitig zu geben in der Lage sind, wenn sie nicht imstande sind, die Situation selber für den/die andere(n) zu beeinflussen. Während Menschen aus bildungsnahen Schichten nicht selten der psychologischen Unterstützung große Bedeutung zumessen, erscheint Menschen aus sozialen Benachteiligungslagen die Gewissheit, instrumentell unterstützt zu werden, aus erlebtem Mangel heraus oft wichtiger. Erreichbarkeit und Passung von sozialer Unterstützung: Soziale Unterstützung zu erhalten bzw. sie in Anspruch nehmen zu können – was ihre räumliche Erreichbarkeit voraussetzt – und sich damit wohl zu fühlen, sind zwei unterschiedliche Dinge. Sicherlich spielt die generelle persönliche Neigung des/der Klienten/in, Hilfe von anderen Menschen annehmen zu wollen bzw. diese um Unterstützung zu bitten, eine wichtige Rolle (Netzwerkorientierung, s. u.), darüber hinaus kommt es aber auch sehr auf die Art und Weise an, in der Unterstützung gegeben oder angeboten wird. Es gibt auch Hilfeangebote, die in als unangenehm erlebte Abhängigkeiten führen oder zum Preis der eigenen Selbstachtung „erkauft“ werden müssen. Bindung versus soziale Integration: Mit Bindung sind enge Vertrauensbeziehungen gemeint, in erster Linie familiäre und Paarbeziehungen. Weiterhin gehören sehr gute Freundschaften dazu. In solchen Beziehungen haben wir die Möglichkeit, uns gegenseitig relativ unverstellt, also auch mit unseren Schwächen, zu erleben, ohne gleich riskieren zu müssen, dass der/die andere sich deshalb von uns abwendet. Aus diesem Grunde stellen sie wertvolle soziale Ressourcen dar, beinhalten aber gleichzeitig aufgrund emotionaler Verstrickungen die Gefahr eines größeren Konfliktpotentials. Demgegenüber bedeutet soziale Integration ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe von Menschen, das nicht an einzelne Beziehungspartner(innen) gebunden ist. Es geht um die Sicherheit, eingebunden zu sein, einen Platz zu haben, eine soziale Identität. Das kann sich auf Sportvereine, Nachbarschaften, Dorfgemeinschaften, Jugendgruppen, Arbeitsplätze o. ä. beziehen. Auch dieses Gefühl kann für einen Menschen eine wichtige Ressource darstellen, vor allem aber wird es meist deutlich als Defizit erlebt, wenn so eine Eingebundenheit fehlt. Bindung und soziale Integration beeinflussen sich gegenseitig und überschneiden sich teilweise. Kontaktfrequenz: Die Häufigkeit der Kontakte, die zwischen einer Person und ihren Netzwerkpartner(inne)n stattfinden, lässt zwar keinen direkten Rückschluss auf das Ausmaß an sozialer Unterstützung zu, welches das Netzwerk zu bieten hat, positive Zusammenhänge gibt es dabei aber schon. Multiplexität sozialer Beziehungen: Soziale Beziehungen zwischen einer Person und ihren Netzwerkpartner(inn)en sind dann multiplex, wenn sie nicht aus ei-
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ner Unterstützungs- oder Beziehungsart, sondern aus mehreren bestehen. Ist die Nachbarin also gleichzeitig Freundin oder bietet die Mutter gleichzeitig finanzielle und emotionale Unterstützung, sprechen wir von Multiplexität. Es müssen also nicht unbedingt neue Netzwerkpartner(innen) hinzu gewonnen werden, um mehr soziale Unterstützung aus dem eigenen Netzwerk zu ziehen, bereits vorhandene Beziehungen können auch multiplex werden. Reziprozität: Dieser Punkt ist von solch hoher Relevanz, dass ihm ein eigener Abschnitt gewidmet werden soll.
Reziprozität Reziprozität meint die Balance zwischen Geben und Nehmen. Sie ist damit eine der wichtigsten Bedingungen für das Funktionieren von Unterstützungsbeziehungen (vgl. Diewald, 1991, 117). Selbstverständlich können in zwischenmenschlichen Beziehungen noch ganz andere Gesetzmäßigkeiten zum Tragen kommen, die über den Erhalt oder die Auflösung einer Bindung entscheiden; das Reziprozitätsprinzip darf daher nicht als ein ausschließliches verstanden werden. Grundsätzlich kann zwischen drei Arten von Reziprozität unterschieden werden: Unmittelbare Reziprozität ist ein Charakteristikum eher lockerer Beziehungen, seien sie unverbindlicher oder kurzfristiger Art, beispielsweise unter Kolleg(inn)en oder in der Nachbarschaft bzw. im Bekanntenkreis. Unmittelbar bedeutet dabei, eine empfangene Unterstützungsleistung zügig und in einem vergleichbaren Umfang, also von vergleichbarem „Wert” an die Unterstützungsperson zurückzugeben. Ein Alltagsbeispiel hierfür ist die Versorgung Ihrer Pflanzen im Urlaub durch eine Nachbarin. Sie werden anschließend das Gefühl haben, sich revanchieren zu müssen – sei es durch einen Blumenstrauß oder dadurch, dass Sie sich nun ihrerseits um die Pflanzenpflege im nächsten Urlaub der Nachbarin kümmern. Aufgeschobene Reziprozität hingegen ist ein Zeichen einer vertrauensvollen Beziehung, etwa unter engen Freund(inn)en. Durchaus längere Phasen des schwerpunktmäßigen Gebens und des schwerpunktmäßigen Nehmens wechseln sich ab, ohne dass die Beziehung insgesamt als unausgeglichen erlebt wird. Befindet sich eine gute Freundin in einer Krise, werden Sie sie bestmöglich unterstützen, ohne eine unmittelbare Kompensation zu erwarten. Die Art der Beziehung rechtfertigt vielmehr ein Vertrauen in ihren längerfristigen Bestand und damit in einen Ausgleich über die Zeit. Selbstverständlich stellen Sie i. d. R. nicht bewusst derlei Kosten-NutzenÜberlegungen an, das Reziprozitätsprinzip ist zumeist ein unbewusstes. Würde man Sie fragen, wären Sie sich aber vermutlich sicher, dass Ihre Freundin umgekehrt genauso handeln würde.
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Generalisierte Reziprozität kennzeichnet im Wesentlichen familiäre Beziehungen und existiert entweder als Kreislauf zwischen den einzelnen Familienmitgliedern – die Eltern unterstützen die ältere Tochter vor allem materiell durch einen Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten; diese wiederum ist Ansprechpartnerin für die Probleme des jüngeren Bruders und unterstützt ihn bei Arbeitsplatzsuche und Bewerbung; der jüngere Bruder seinerseits hilft den Eltern beim Ausbau des Dachbodens – oder sogar über Generationengrenzen hinweg. Die Balance zwischen Geben und Nehmen wird also nicht mehr innerhalb einer einzelnen Beziehung, sondern in einem Beziehungssystem realisiert. So ist es innerhalb einer Familie durchaus üblich, dass die Eltern ihre Kinder über lange Zeit weitaus mehr unterstützen, als sie von ihnen zurückbekommen. Die Reziprozitätserwartung der Eltern mag sich dabei zum einen im Sinne einer sehr langfristig aufgeschobenen Reziprozität an eine spätere Gegenleistung der Kinder (Pflege im Alter) knüpfen, zum anderen aber vielleicht auch an die Hoffnung, die dann erwachsenen Kinder würden die erfahrene Unterstützung an ihre eigenen Kinder weitergeben. Nun unterscheiden sich die drei genannten Arten der Reziprozität zwar stark in ihrer Toleranz gegenüber einem zeitweisen Ungleichgewicht – und sind sicherlich auch in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich verankert, also in ihrer Ausprägung von kulturellen Werten und Normen abhängig – dennoch kann das Reziprozitätsprinzip als eine übergreifende psychosoziale Gesetzmäßigkeit verstanden werden: Befinden sich Beziehungen dauerhaft im Ungleichgewicht, fühlen sich i. d. R. weder Unterstützungsnehmer(innen) noch Unterstützungsgeber(innen) damit wohl – die Beziehung droht zu zerbrechen. Eine einprägsame Metapher ist dabei das Bankkonto: Genauso, wie es die meisten Menschen belastet, unkontrolliert finanzielle Schulden zu machen, versuchen wir auch unser „Reziprozitätskonto” im „Haben” zu halten (vgl. Diewald, 1991, 121). Das kann zu einem Dilemma führen, dergestalt, dass die Menschen, die am dringendsten Unterstützung bräuchten – beispielsweise Alleinerziehende – keine Hilfe annehmen, aus Sorge, es nicht „wieder gutmachen” zu können. Hier hilft es zu erkennen, auf wie vielfältige Weise wir anderen etwas (zurück)geben können – auch ohne Geld bzw. mit wenig Zeit. Damit wächst die Bereitschaft, im privaten Netzwerk Unterstützung zu suchen und anzunehmen. Noch ein ganz wichtiger Punkt: Es ist durchaus nicht selten, dass zwischen den Beziehungspartner(inne)n unterschiedliche Einschätzungen zur Ausgeglichenheit einer Beziehung vorliegen. Ebenso ist Einmütigkeit über die vorhandene Balance in Beziehungen möglich, wo die Fremdwahrnehmung eindeutig Unausgeglichenheit vermutet. „Obwohl die beobachteten Aktivitäten z. T. weit davon entfernt sind, als ausgewogen dargestellt werden zu können, berichten die von uns befragten Familien-
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mitglieder in erstaunlich hohem Maße, dass sie die stattfindenden Tauschprozesse als ausbalanciert ansehen. D.h., obwohl man „objektiv“ zeigen kann, dass Leistungen oder Unterstützungen oftmals einseitig erbracht werden, wird die Beziehung zwischen den daran beteiligten Individuen oder zwischen den Generationen als im hohen Maße wechselseitig ausgewogen angesehen (Alt, 1994, 221)“.
Insofern bleibt auch hier die Deutungshoheit bei dem/r Klienten/in, wobei Sie mit Ihrer eigenen Einschätzung sichtbar werden dürfen, solange Sie sie als eine von mehreren möglichen Sichtweisen begreifen und ins Gespräch bringen. Ein Werkzeug zur Unterstützungsanalyse ist die nun folgende Unterstützungskarte. Die Unterstützungskarte Mit dem Wissen um die unterschiedlichen Unterstützungsdimensionen verbunden ist die Erkenntnis, dass alle gleichermaßen wichtig für das Funktionieren des eigenen Unterstützungsnetzwerkes sind. Wir brauchen also sowohl Alltags- als auch Krisenunterstützung, sowohl praktische als auch emotionale Unterstützung, sowohl enge Bindungen als auch die Zugehörigkeit zu Gruppen. Unsere Unterstützung soll erreichbar sein, wir wollen sie als adäquat erleben und vor allem als reziprok. Eine Unterstützungsanalyse sollte darum möglichst viele dieser Dimensionen gezielt erfassen, ohne für die Betroffenen zu abstrakt zu wirken. Das folgende Instrument geht daher von Alltagssituationen aus und erfragt, inwieweit die Betroffenen in dem jeweiligen Bereich Unterstützung erhalten bzw. geben. Die ausgewählten Situationen orientieren sich an einem Einsatz in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) und repräsentieren die vier Unterstützungsbereiche „emotionale Alltagsunterstützung“ (Zuhören), praktische Alltagsunterstützung (Umzug, Kinderbetreuung, Rat geben), „emotionale Krisenunterstützung“ (Trost/Aufmunterung) sowie „praktische Krisenunterstützung“ (Geld leihen). Weitere Felder sind noch leer, um individuell relevante Situationen bzw. Unterstützungsbereiche zu ergänzen. In anderen Einsatzfeldern als der SPFH können die Überschriften unter Berücksichtigung der Vollständigkeit der vier genannten Unterstützungsbereiche ausgetauscht werden. Die Eingangsfrage lautet: „Wer unterstützt mich (Pfeil rein) und wen unterstütze ich (Pfeil raus)?“ Damit wird die (nicht) vorhandene Reziprozität in den sozialen Beziehungen sichtbar. Der Blick auf die zuvor erhobene Netzwerkkarte erleichtert das Ausfüllen der Unterstützungskarte.
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Umzug Geld leihen
Kinderbetreuung
Trost/ Aufmunterung
Zuhören Rat geben
Abbildung 3:
Unterstützungskarte
Wichtig Um sein volles Potenzial auszuschöpfen, sind auch bei der Verwendung dieses Instrumentes ein paar Punkte zu beachten. 1. Die Klient(inn)en sollten dazu angeregt werden, mit sich selber ehrlich zu sein, also nicht eine Wunschvorstellung aufzuschreiben, sondern das tatsächliche momentane Empfinden. Die ausgefüllte Karte soll ja den Status Quo abbilden und damit neben den bereits vorhandenen Ressourcen auch einen möglichen Veränderungsbedarf aufzeigen, insbesondere was den Grad an Reziprozität in den Klientenbeziehungen angeht. Besonders wichtig ist das bei der Beantwortung der Frage „Wen unterstütze ich?“. Hier zählt in erster Linie die tatsächlich erlebte Unterstützung. 2. Bei der Überlegung, wer mich unterstützt, ist diese Unterscheidung nicht ganz so relevant. Schließlich ist auch potenzielle Unterstützung ein Gewinn, wie ich versucht habe, zu verdeutlichen (s. o). Dennoch lohnt es sich beim Ausfüllen der Karte – es geht ja ohnehin darum, ins Gespräch zu kommen – nachzufragen: „Wer hat Ihnen denn letzte Woche einen Gefallen getan?“ 3. Bleiben einzelne Felder leer, ist im Gespräch abzuklären, ob das daran liegt, dass ganze Unterstützungsbedarfe (z.B. emotionale Krisenunterstützung) nicht abgedeckt sind, oder einfach daran, dass die Situation für die betreffende Person schlecht gewählt war. In diesem Fall suchen Sie einfach mit Ihrem/r
Arbeit mit Netzwerken
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Klienten/in nach individuell passenderen Überschriften für die jeweiligen Felder, die die entsprechende Unterstützungsart repräsentieren. Überhaupt bieten die leeren Felder die Möglichkeit, weitere Kategorien hinzuzufügen. Wichtig ist lediglich, dass sowohl die emotionale, als auch die praktische Alltags- und Krisenunterstützung erhoben wird. Im Sinne eines transparenten Vorgehens (siehe Kapitel 2), sollte dieser Gedanke den Klient(inn)en bei der Verwendung des Instrumentes nahe gebracht werden. Die Balance zwischen Nehmen und Geben in den Klientenbeziehungen ergibt sich erst aus dem Gesamtbild. Es ist für den/die Betroffene(n) nicht erforderlich, in jedem Fall die gleiche Unterstützungsart an die Person zurückzugeben, von der er/sie sie bekommt. Wichtig ist aber, alle vier Unterstützungsarten zu erhalten und möglichst auch anderen zu gewähren. Was tun bei Auffälligkeiten? Nicht nur bei Auffälligkeiten, aber besonders dann, bieten sich in einem ersten Schritt zur Besprechung des erhaltenen Ergebnisses die Fragen an: „Wenn Sie sich Ihre Karte anschauen, wie wirkt diese auf Sie? Wie erleben Sie das? Wie zufrieden sind Sie damit?“ Im nächsten Schritt sollten Sie, unabhängig von einem in der Antwort bereits enthaltenen Veränderungswunsch, würdigen, was vorhanden ist: „Nehmerqualitäten“ bedeuten auch, dass es dem/der Klienten/in bisher gelungen ist, Menschen in hohem Maße als Unterstützer(innen) zu gewinnen. Eine Schlagseite zum Geben zeigt, dass er/sie ein hilfsbereiter Mensch ist, eine eher leere Karte, dass der/die Betroffene über hohe personale Kompetenzen verfügen muss, die den augenscheinlichen Mangel an sozialen Ressourcen in der Lage sind auszugleichen. Ist eine Veränderungsmotivation spürbar, können Ziele entwickelt werden, die zu einer größeren Zufriedenheit des/r Betroffenen führen. Fehlt diese – Sie als Fachkraft sehen aber hohe Risiken bei einem „weiter so“ in der Zukunft –, stellen Sie Ihre Sichtweise dar und konfrontieren Sie Ihr Gegenüber in einer wertschätzenden Weise mit Ihren Bedenken.
Ressourcenkarte Da soziale und personale Ressourcen in einer Wechselbeziehung zueinander stehen, lassen sie sich gar nicht getrennt voneinander denken. Aus diesem Grund ist es selbstverständlich ergänzend zur Netzwerkaktivierung sinnvoll, die personalen Ressourcen eines/r Klienten/in zu erheben und zu fördern. Auf welche Weise das geschehen kann, ist Inhalt eines Beitrags von Thomas Möbius (Kapitel 6). An dieser Stelle soll jedoch exemplarisch eine Möglichkeit der Ressourcenerhebung vorgestellt werden, da die folgenden Methoden der Netzwerkaktivierung auf ihre Ergebnisse zurückgreifen. Birgit Venezia (2000) hat mit der Ressourcenkarte ein praktikables Instrument entwickelt, mit dem sich anhand der Fragen „Was mache ich, was kann ich, was will ich, was bin ich, was habe ich?“ die klienteneigenen Ressourcen in den fünf Bereichen ‚Interessen’, ‚Kompetenzen’, ‚(Lebens)Ziele’, ‚Identität’ und ‚Mate-
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rielles & Ideelles’ aufspüren lassen. Die Karte kann sowohl von Einzelnen als auch von Gruppen, insbesondere von Familien, ausgefüllt werden. Das habe ich: Das mache ich:
Das bin ich:
Das will ich:
Abbildung 4:
Das kann ich:
Ressourcenkarte (Venezia, 2000)
Wichtig 1. Eine gute Ergänzung zu den fünf Leitfragen bietet die von Birgit Venezia entwickelte Liste vertiefender Fragen (Venezia, 2000). 2. Einen „sanften“ Einstieg ermöglicht die Frage nach den Interessen („Was mache ich?“), da sie – anders als die Frage nach den eigenen Fähigkeiten – frei von dem Verdacht des Eigenlobes ist. 3. Bei der Frage nach den individuellen Kompetenzen („Was kann ich?“) sollten die Bewältigungsstrategien nicht vergessen werden. Ihnen kommt man am besten mit der Frage auf die Schliche: „Wie haben Sie es trotz der schweren Krisen in Ihrem Leben geschafft, bis heute zu überleben?“ Entscheidend ist, dass der Ton dabei ernsthaft und wertschätzend, nicht zynisch klingt. 4. Die Frage „Was bin ich?“ ist eine Einladung, der eigenen Identität nachzuspüren. Gezielt nachfragen können Sie hier nach familiären, beruflichen und sonstigen Rollen (z. B. „große Schwester“). Unsere soziale Identität bildet sich ja aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen (s. o.). Zur eigenen Identität gehören aber auch Selbst- und Fremdzuschreibungen, also unsere Persönlichkeitseigenschaften. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass in der Res-
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sourcenkarte nur als positiv erlebte Eigenschaften aufgenommen werden. Klarheit bei Unsicherheiten diesbezüglich gibt die Antwort auf die Frage: „Gibt Ihnen das Kraft?“ Auch die Beantwortung der Frage „Was habe ich?“ deckt einen ganzen Fundus an möglichen Kraftquellen auf: Netzwerk, Wissen, Zeit, Wohnraum, Glaube, Familienkultur, um nur einige zu nennen. Unter „Familienkultur“ verstehen wir Traditionen, Werte und Rituale, die sich in einer Familie ausgebildet haben und die ihre Besonderheit ausmachen. Diese können wertvolle Kraftquellen darstellen und sollten darum nicht immer nur unter einem problematisierenden Blickwinkel – „diese Familie hängt den ganzen Tag vor dem Fernseher“ – wahrgenommen werden. Ziele können Menschen viel Kraft geben, besonders, wenn es sich um Lebensziele handelt, die ihre Sehnsüchte verkörpern. Die Kehrseite der Medaille: Sind die Ziele zu hochgesteckt und bleiben somit dauerhaft bloße, unerreichbare Wunschträume, können sie auch deprimieren. Auch hier bietet es sich an zu fragen: „Gibt Ihnen dieses Ziel Kraft?“, um zwischen Ressourcen und Kräfte zehrenden Zielen zu unterscheiden. Besonders gute Erfahrungen haben wir sowohl in der Arbeit mit Jugendlichen als auch mit jüngeren Kindern mit der Ausgestaltung der Ressourcenkarte als Collage gemacht. Das Medium ‚Schrift’ kann somit ergänzt oder vollständig ersetzt werden.
Netzwerkaktivierung Nach der sorgsamen Erhebung aller vorhandenen Kraftquellen, insbesondere der sozialen, geht es in dem nun folgenden Schritt um die Aktivierung der klienteneigenen Netzwerke. Dabei können zwei zentrale Barrieren auftauchen: Negative Netzwerkorientierung und geringe Veröffentlichungsbereitschaft Menschen mit einer positiven Netzwerkorientierung gehen von den folgenden Grundsätzen aus: „Andere haben das Vermögen und die Bereitschaft, mich zu unterstützen, und ich habe das Vermögen und die Bereitschaft, andere um Unterstützung zu bitten.“ Die mit einer solchen Einschätzung verbundene Einstellung ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie hängt mit den eigenen biografischen Beziehungs- und Unterstützungserfahrungen genauso zusammen wie mit einer generellen persönlichen Veranlagung, der Frage, wie introvertiert bzw. extravertiert jemand ist. Tolsdorf, der auch den Begriff der Netzwerkorientierung prägte, fand heraus, dass insbesondere Menschen in sozialen Benachteiligungslagen tendenziell eine eher negative Netzwerkorientierung haben und dass damit, auch wenn informelle soziale Netzwerke existieren, diese nicht automatisch genutzt werden (vgl.
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Tolsdorf, 1978, nach Vaux et al. 1986, 160). Diese Erkenntnis Tolsdorfs hat eine hohe Relevanz für die Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit und fand darum Eingang in den folgenden Handlungsleitfaden für die Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit (HaNSA). Die Beschreibung des HaNSA ist meiner Dissertation entnommen (Friedrich, 2008, S. 116ff.). Handlungsleitfaden für die Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit (HaNSA) Die Voraussetzung jeglicher Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit ist die Bereitschaft des/r Klienten/in, Unterstützung aus dem privaten Netzwerk anzunehmen bzw. um Unterstützung zu bitten. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben (was gleichbedeutend mit einer negativen Netzwerkorientierung ist) oder fehlt das Verständnis dafür, wofür ein soziales Netzwerk gut ist, bedeutet Netzwerkarbeit zuallererst, den Sinn eines privaten Unterstützungsnetzwerkes zu vermitteln, also eine positive Netzwerkorientierung und eine angemessene Veröffentlichungsbereitschaft zu befördern. Jegliches Hilfesuchverhalten außerhalb der Kernfamilie, gerade im informellen Netzwerk, setzt nämlich die Bereitschaft voraus, die eigenen Probleme nach außen zu tragen (Straus et al., 1987), also zu veröffentlichen. Ist diese Bereitschaft nicht gegeben, liegt es oft auch daran, dass die entsprechende Haltung von Generation zu Generation weiter gegeben wird: „Gerade für Familien aus den unteren Schichten gilt, dass Familie für sie der Leistungsbereich ist. In ihm fühlen sie sich so autonom wie in keinem anderen Lebensbereich und damit aber gleichermaßen auch gefordert. Aus dem Familienbereich Probleme nach außen zu geben, zu veröffentlichen, ist für sie gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, gescheitert zu sein, versagt zu haben“ (Straus et al., 1987, 191).
Ein Wandel in der Einstellung hin zu einer positiven Netzwerkorientierung, verbunden mit einer angemessenen Veröffentlichungsbereitschaft, ist bereits ein erster wichtiger Schritt im Rahmen eines netzwerkorientierten Vorgehens. So eine Entwicklung ist oftmals langwierig. Sie kann unterstützt werden durch Biografiearbeit und dem Erleben einer vertrauensvollen Beziehung zum/r Sozialarbeiter(in). Bei der Übertragung des Erfahrenen in den privaten Alltag ist jedoch Vorsicht geboten: Private Beziehungen folgen anderen Gesetzen als professionelle. Das Reziprozitätsprinzip beispielsweise ist in Klient-Sozialarbeiter-Beziehungen außer Kraft gesetzt – die Fachkraft erhält ihren Ausgleich in der Form ihres Gehalts – die richtige Balance zwischen Nehmen und Geben in privaten Beziehungen muss darum neu austariert werden. Eine sehr negative Netzwerkorientierung ist wie ein Fundament, in dem zu viele Steine fehlen, um das Haus zu tragen: Netzwerkarbeit braucht dieses Fundament, um gelingen zu können. Allerdings wird der Anteil an Klient(inn)en, die das betrifft, von den Professionellen i. d. R. überschätzt. Viel zu häufig wird davon
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ausgegangen, dass Netzwerkarbeit mit den Betroffenen aufgrund ihrer Einstellung nicht stattfinden kann. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass bereits wenige „Steine im Fundament“ ausreichen, um anzufangen, und dass sich die allermeisten Klient(inn)en auf das Vorgehen einlassen können und davon profitieren. Dabei besteht eine gute Chance, dass sich durch die neuen Netzwerkerfahrungen auch ihre Netzwerkorientierung nachhaltig verändert. Ist eine positive Netzwerkorientierung zumindest in Ansätzen gegeben, bestimmen vier Pole die praktische Netzwerkarbeit: Ist wenig oder kein soziales Netzwerk vorhanden, muss es aufgebaut werden. Besteht ein grundsätzlich funktionsfähiges Netzwerk, geht es darum, dass der/die Klient(in) lernt, es zu nutzen. Jedes funktionierende Netzwerk sollte eine soziale Integration, also das Gefühl, irgendwo dazu zu gehören, einen Platz zu haben, ermöglichen. Ebenso sind aber auch persönliche Bindungen zu einzelnen Bezugspersonen unerlässlich. Aus diesen Polen ergibt sich ein Vier-Felder-Schema, das als Handlungsleitfaden genutzt werden kann:
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Förderung einer Netzwerkkompetenz
Förderung von Kompetenzen des
zur Nutzung des Netzwerkes als
Umgangs mit Organisationen zur
Unterstützungsquelle und zur
selbstständigen Sicherung von
langfristigen Aufrechterhaltung von
Unterstützung aus dem Stadtteil
Beziehungen
IV
III
Persönliche Bindung Soziale Integration
Beziehungsklärung
I
II
Förderung sozialer Kompetenzen mit
Förderung sozialer Kompetenzen mit
dem Ziel der Anbindung im Stadtteil
dem Ziel des Aufbaus persönlicher Bindungen
Netzwerk aufbauen Förderung einer positiven Netzwerkorientierung sowie einer angemessenen Veröffentlichungsbereitschaft
Abbildung 5:
HaNSA (vgl. Friedrich, 2008, S. 117)
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Feld I und Feld II gehen von der Situation aus, dass wenig oder kein soziales Netzwerk vorhanden ist, es also erst aufgebaut werden muss. Das bedeutet für das Ziel, eine soziale Integration der Klient(inn)en zu erreichen (Feld I), vorrangig die Anbindung im Stadtteil, z.B. an Sportvereine, Jugendzentren, Mutter-und-KindGruppen, (Drogen-)Beratungsstellen, Abenteuerspielplätze etc.. Selbstverständlich gehört in dieses Feld auch die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wichtig ist, dass sich nicht ausschließlich um Anbindung an professionelle Helfer(innen), wie z.B. in einer Beratungsstelle, bemüht wird, sondern vor allem auch um den Kontakt zu Gleichgesinnten bzw. anderen Betroffenen. Aus den zuerst losen Kontakten in den Gruppen können feste Bekanntschaften, Freundschaften oder Beziehungen zu Bezugspersonen (z.B. der Handballtrainer, dem Schulängste gebeichtet werden) entstehen, also persönliche Bindungen. Dieser Umstand wird durch den Pfeil von Feld I zu Feld II verdeutlicht. In Feld II geht es darum, die Klient(inn)en dabei zu unterstützen, persönliche Bindungen aufzubauen. Diese entwickeln sich entweder – wie bereits oben beschrieben – durch die Intensivierung des Kontaktes zu einzelnen Gruppenmitgliedern aus Feld I oder aber auch durch eine direkte Kontaktaufnahme, indem die Klient(inn)en beispielsweise dabei unterstützt werden, Kontakte in der Nachbarschaft zu knüpfen oder zu anderen Müttern und Vätern vom Kindergarten. In beiden Feldern geht es von professioneller Seite also vorrangig darum, mit den Klient(inn)en zu üben, ihre sozialen Kompetenzen zum Aufbau neuer Kontakte zu nutzen bzw. zu erweitern. Ob das soziale Lernen dabei in einem CoachingGespräch stattfindet oder beispielsweise durch Lernen am Modell des/der Sozialarbeiters/in, liegt vor allem an dem Kompetenzstand der Betroffenen. Feld III und Feld IV gehen davon aus, dass der/die Klient(in) bereits über ein grundsätzlich funktionsfähiges Netzwerk verfügt, noch nicht aber über die Kompetenz, es auch zu nutzen. In Feld III geht es folglich darum zu lernen, adäquat um Unterstützung zu bitten, und ebenso, welche zu geben, hier als Netzwerkkompetenz bezeichnet. Dazu muss er/sie sich darüber klar werden, welche ihrer Netzwerkmitglieder welche Art von Unterstützung leisten können und es auch wollen und welche „Gegenleistung“ er/sie dafür bereit ist zu geben. Eine Vermittlung des Reziprozitätsgedankens von Beziehungen ist hier ebenso relevant wie das Erlernen eines geeigneten Hilfesuchverhaltens. Netzwerkarbeit in diesem Feld bedeutet also, mit dem/r Klienten/in zu üben, sich Unterstützung in Alltag und Krise aus ihrem privaten Netzwerk zu holen und zu sichern. Es kann auch bedeuten, einen Notfallplan (wer aus dem privaten Netzwerk macht was) für vorhersehbare Krisen mit dem/r Klienten/in zusammen aufzustellen. Auf der Linie zwischen Feld II und Feld III sind Kontakte des/r Klienten/in angesiedelt, die zwar bereits persönliche Bindungen darstellen, also nicht neu aufgebaut werden müssen, zur Zeit aber nicht nutzbar sind, da die Beziehungen durch schwe-
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re Konflikte belastet sind. Netzwerkarbeit bedeutet hier vor allem Beziehungsklärung. In Feld IV bedeutet Netzwerkarbeit, den/die Klienten/in dazu zu befähigen, sich selbstständig Hilfe im Stadtteil zu holen, sei es in Institutionen (ÖRA, Erziehungsberatungsstelle, Schuldenberatungsstelle), in Vereinen (Mieter helfen Mietern) oder in anderen Stadtteileinrichtungen. Der Anteil des staatlichen bzw. kirchlichen Hilfesystems ist hier größer als in den anderen drei Feldern, was deutlich macht, dass der Schwerpunkt der Bemühungen zur Netzwerkaktivierung zwar auf der Nutzung der privaten Kontakte liegen sollte, professionelle Helfer(inn)en aber durchaus weiterhin eine Rolle im gesamten Netzwerk des/r Klienten/in spielen dürfen. An dieser Stelle ist es sinnvoll, neben allgemeinen sozialen Kompetenzen auch spezielle Kompetenzen des Umgangs mit Organisationen zu trainieren. Grundsätzlich ist es in den allermeisten Fällen sinnvoll, in mehreren Feldern zu arbeiten, also den/die Klienten/in einerseits dabei zu unterstützen, neue Kontakte aufzubauen, als auch, das bestehende Netzwerk – es sind eigentlich immer auch schon persönliche Bindungen vorhanden – zu nutzen. In meiner Dissertation habe ich einen Fragebogen entwickelt, der die verschiedenen Handlungsfelder aufgreift und es so ermöglicht, konkrete Netzwerkziele zu entwickeln (Friedrich, 2008). Sind solche Ziele erst einmal formuliert, ist es wichtig, sie kontinuierlich im Auge zu behalten. Das gilt unabhängig von netzwerkorientiertem Arbeiten genauso für jedes Hilfeplanziel. Den Grad der Zielerreichung bestimmt man am besten, indem man dem/r Klienten/in, aber auch sich selbst, die Frage stellt: „Inwieweit ist das betreffende Ziel jetzt schon erreicht?“ (siehe Abb.6). Das ist sogar unmittelbar nach der Zielformulierung sinnvoll. Ziele haben ja zumeist eine Vorgeschichte, selten starten wir tatsächlich bei Null. Sind beide Sichtweisen erhoben – die des/r Klienten/in wie die des/r Betreuers/in – werden sie gegeneinander gestellt. Im Sinne eines systemischen Denkens ist die eine Sichtweise dabei nicht „wahrer“ als die andere. Über mögliche Diskrepanzen in der Wahrnehmung sollte also gesprochen werden. ERREICHUNGSGRAD
ZIEL gar nicht erreicht
halb erreicht
voll erreicht
über das Ziel hinaus
Ziel
Abbildung 6:
Zielerreichungsgrad
Die Ressourcenorientierte Beratung Raum für ein netzwerkorientiertes Arbeiten zu schaffen, ist nicht immer leicht. Vom Hilfeplan unabhängige oder diesen sinnvoll ergänzende Ziele im Rahmen der
Arbeit mit Netzwerken
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Netzwerkarbeit zu formulieren und zu verfolgen, bleibt in den meisten Fällen wohl ein hehres Ziel, da es oft an zeitlichen Ressourcen fehlt. In meinen Fortbildungen und Praxisbegleitungen bin ich daher dazu übergegangen, weitestgehend auf eine solche „Empfehlung“ zu verzichten, so wünschenswert ihre Umsetzung auch wäre. Als weitaus praktikabler hat sich demgegenüber ein Vorgehen herausgestellt, welches die Methoden der Netzwerkaktivierung systematisch in die Verfolgung der im jeweiligen Fall ohnehin vorhandenen Hilfeplanziele einbindet. Dafür bietet sich das Stufenschema der Ressourcenorientierten Beratung an. Es geht von vier Phasen aus, die in einem effektiven Beratungsprozess zum Tragen kommen. Die Methode der Ressourcenorientierten Beratung wurde von mir unter Bezug auf bereits vorhandene Beratungsmodelle entwickelt. Leitend war zum einen die Frage: „Wie lösen Menschen Probleme, wenn sie dabei erfolgreich sind?“, zum anderen die Überlegung: „Welche Unterstützung brauchen insbesondere Menschen in prekären Lebenslagen, wenn sie beraten werden?“ Die Fragen, die im Beratungsgespräch gestellt werden, sind explizit ressourcenorientiert. Sie haben ihren Ursprung in der Ericksonschen Hypnotherapie und der Lösungsfokussierten Kurztherapie (SFT). In ressourcenorientierten Ansätzen wie der Erickson-Hypnotherapie wird davon ausgegangen, dass die Ressourcen, die benötigt werden, um ein „Problem zweiter Ordnung“ zu lösen, dem betreffenden Individuum oder sozialen System zur Verfügung stehen (Gerl, 2001, S. 76). Die Suche nach Ressourcen ist bereits Bestandteil der Suche nach Lösungsideen. Wenn man fragt: „Welche Ihrer Stärken könnte Sie bei der Lösung unterstützen?“ denkt der Klient automatisch über Lösungen nach und produziert Lösungsideen (Fischer-Epe, 2002, 204).
Die vier Phasen der Ressourcenorientierten Beratung sind: I. Konkretisierung des Zieles II. Aufstellen eines Handlungsplanes III. Risikocheck des Handlungsplanes IV. Konkrete Umsetzung Diese vier Phasen sollen nun genauer beschrieben werden. Phase I: Konkretisierung des Zieles Leitend in dieser Phase ist die Frage „Was will ich genau erreichen?“. Ihre sorgfältige Beantwortung ermöglicht eine Konkretisierung des eingangs formulierten Zieles. Das ist deshalb so wichtig, weil unkonkrete Ziele selten erreicht werden. Das können Sie leicht an den so genannten guten Vorsätzen für das Neue Jahr nachvollziehen. „Ich will mehr Sport machen“ ist beispielsweise so „wolkig“ formuliert, dass Erfolgskriterien völlig fehlen. Was gilt als Sport? Und was heißt „mehr“? Mit sol-
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chen unkonkreten Zielen lässt sich unser „innerer Schweinehund“ kaum überwinden. Und das ist oftmals unbewusst genau das Ziel zumindest mancher innerer Anteile in uns (s. u. Exkurs): Solange wir vermeiden, konkret zu werden, laufen wir nicht Gefahr, die guten Vorsätze wirklich umsetzen zu müssen – was ja auch, mitunter anstrengende, Veränderungen mit sich brächte. Die Zielkonkretisierung ist damit auch eine Überprüfung, wie ernst es uns mit unserem Ziel ist, ob wir bereit sind, eventuelle Nebenwirkungen, die mit der Zielerreichung einhergehen, zu tragen. Sind wir dabei uneins mit uns selbst, ist es vielleicht – zu diesem Zeitpunkt – nicht das richtige Ziel und sollte überdacht werden. Ein Ziel wird am ehesten ernsthaft verfolgt, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt. Es sollte darum positiv statt negativ, attraktiv-motivierend statt anstrengend, konkret-messbar statt abstrakt, (selbst)erreichbar statt außerhalb des eigenen Handlungsspielraumes, risikoarm statt risikoreich, verhaltensnah statt in Eigenschaften formuliert sein. Ob ein Ziel diese Kriterien, die eine Zielerreichung wahrscheinlicher machen, erfüllt, können wir durch eine Reihe von Fragen überprüfen. Ein Beispiel Ein nicht selten gehörtes Klientenziel lautet: „Ich möchte nie wieder in eine Krise geraten!“
Ist das Ziel positiv formuliert? o Nein, hier herrscht eine „Weg-von-Motivation“ vor, es geht darum, etwas Unangenehmes zu vermeiden. Kraftvoller und besser überprüfbar ist grundsätzlich eine „Hin-zu-Motivation“. Bei ihrer Entwicklung hilft die Frage: Was möchten Sie stattdessen? Wie erkenne ich, wie attraktiv das Ziel für meine(n) Klientin/en ist? o Indem ich z. B. frage: Was würden Sie dadurch (für sich und Ihr Leben) gewinnen? oder auch: Was macht dieses Ziel reizvoll für Sie? Wie wird das Ziel konkret und messbar? o Indem ich z. B. frage: Eine Krise – was ist das für Sie? Woran merken Sie, dass Sie in einer Krise sind? Was heißt „nie wieder“? Ist das wirklich so absolut gemeint oder welches Ausmaß an „Krise“ wäre für Sie gerade noch hinnehmbar? Oder noch besser: das bereits entwickelte „Statt dessen“ konkretisieren! Dabei helfen Fragen wie: Was wollen Sie genau? Wann/wo/mit wem/wie oft/wie lange? Woran würden Sie merken, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? Was verstehen Sie unter „gute
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Beziehung“? Wo haben Sie das schon einmal erlebt und wie genau haben Sie sich da gefühlt/verhalten? Wie erkenne ich, ob das Ziel für meine(n) Klientin/en mit eigenen Anstrengungen bzw. unter Nutzung eigener, auch sozialer, Kraftquellen erreichbar ist? o Indem ich z. B. frage: Liegt das in Ihrer Macht/in Ihrem Einflussbereich? Das ist bei Zielen, die ich für andere entwickle (z.B. „Ich möchte, dass meine Eltern aufhören, sich zu streiten.“) nicht der Fall. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen realisierbaren Zielen und unerreichbaren Wunschträumen – dabei hilft die Frage: Ist das Ziel realistisch erreichbar? – wobei die Grenze weit weniger starr ist, als sie zunächst wirkt. So erscheint das Ziel einer Hauptschülerin „Ich möchte Tierärztin werden“ zunächst unerreichbar, theoretisch möglich ist seine Realisierung aber schon. Im Beratungsprozess ist es wichtig, ein Gespür für die vielen Zwischenziele und den langen „Belohnungsaufschub“ zu vermitteln. Das wird dann sinnvollerweise zu einem Überdenken und einer Neuformulierung des Ursprungszieles führen, die Sie unterstützen können, indem Sie fragen: Was ist das eigentliche Ziel dahinter? Was macht diesen Beruf so attraktiv (s. o.) und lässt sich das, was du dir von seiner Ausübung versprichst, auch anders erreichen? Wie werden die (inneren) Bremser deutlich, die meine(n) Klientin/en von ihrem/seinem Vorhaben abbringen können? o Indem ich z.B. frage: Was ändert sich dadurch, dass Sie nie wieder in eine Krise geraten? Die Antworten können einen möglichen „Krankheitsgewinn“ aufdecken, also das, was gewonnen wird, wenn am ursprünglichen Zustand festgehalten wird: „Ich müsste wieder arbeiten, stünde in der Verantwortung…“ o Durch alternative Fragen, die ein Bewusstsein für das schaffen, was mit einer Zielerreichung einhergeht: Was verlieren Sie dadurch? Was geben Sie damit auf? Auf was müssen Sie verzichten, wenn Sie … machen? Was ist der Preis für diese Veränderung? Wie würden andere darauf reagieren? Wer könnte Einwände haben? Diese Hürden und eventuellen Nebenwirkungen begründen die bereits erwähnten Ambivalenzen dem eigenen Ziel gegenüber. Sind sie mit bedacht und minimiert, wird das Ziel risikoarm. Ist das Ziel verhaltensnah formuliert? Hinter diesem Kriterium steckt die Erfahrung: Je mehr eigene Verhaltensweisen der/die Klient/in nennt, desto mehr ist er/sie bereit, selber etwas für die Erreichung des Zieles zu tun. o Zur verhaltensnahen Konkretisierung helfen Fragen wie: Was heißt das im Tun? Angenommen, das Ziel ist erreicht und Sie sind disziplinierter, was werden Sie dann anders machen als bisher? Was werden Sie stattdessen tun?
Nach der Zielkonkretisierung erfolgt der Rückgriff auf die bereits erhobenen personalen Ressourcen. Mit der Frage: Welche Ihrer Stärken nützen Ihnen dabei, Ihr Ziel zu
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erreichen? werfen Sie gemeinsam einen Blick auf die ausgefüllte Ressourcenkarte. Alle Fähigkeiten, positiven Eigenschaften und zur Verfügung stehenden Kraftquellen, denen in diesem Zusammenhang ein Wert beigemessen wird, werden auf dem weiter unten vorgestellten Arbeitsblatt festgehalten. Zu diesem Zeitpunkt im Beratungsprozess ist es noch nicht wichtig, genau zu wissen, auf welche Weise sie zur Zielerreichung beitragen können; das ist Aufgabe der Phase II. Diese erste Phase im Beratungsgespräch ist entscheidend für die Chancen, das gefasste Ziel wirklich zu erreichen. Man sollte sich also Zeit dafür nehmen, sie gründlich zu bearbeiten. Sie brauchen jedoch nur zu den Punkten der Zielkonkretisierung Fragen zu stellen, die Ihnen nicht eindeutig erfüllt scheinen und können Ihre Klient(inn)en bei der Konkretisierung ihrer Ziele auch gerne mit Formulierungsvorschlägen unterstützen. Die oben genannten Fragen sind lediglich Beispielfragen, die zur Auswahl stehen und durch eigene Fragen ersetzt werden können. Das gilt auch für die folgenden Phasen, zu deren Beschreibung jeweils mehrere Formulierungsvorschläge für hilfreiche Fragen gemacht werden. Es ist dabei selbstverständlich nicht so gedacht, dass alle Fragen nacheinander abgearbeitet werden sollen. Viel wichtiger ist es, eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre herzustellen und zu versuchen, den/die Klienten/in so genau wie möglich zu verstehen. Die Fragen und die Beschreibung der Phasen können helfen, das Gespräch zu strukturieren und den roten Faden nicht zu verlieren. Wichtig 1. Die Zielkonkretisierung ist manchmal mühsam, sie kann eine halbe Stunde oder sogar länger dauern. Der Aufwand lohnt sich aber: Ist ein Ziel erst einmal konkretisiert, ist man eigentlich schon „über den Berg“. Der Rest passiert dann manchmal fast wie von selbst. Das ist nicht immer der Fall, viele Klient(inn)en brauchen auch in den folgenden Phasen eine systematische Anleitung. Ich habe aber bisweilen die Erfahrung gemacht, dass, wenn nach mühevoller Zielkonkretisierung keine Zeit mehr blieb und die Bearbeitung der restlichen Phasen auf den nächsten Termin verschoben wurde, diese dann gar nicht mehr nötig war. Falls Sie also aus Zeitgründen ein Beratungsgespräch unterbrechen müssen, dann sinnvollerweise nach Abschluss der ersten Phase. 2. Starken inneren Ambivalenzen bei der Zielformulierung lässt sich mit der Methode des Inneren Teams (Schulz von Thun, 2005) begegnen. Sie stellt eine Visualisierungsmöglichkeit (gegensätzlicher) innerer Strebungen dar und hilft bei der Selbstklärung: „Was will ich wirklich?“ Sind erst einmal alle Stimmen in uns gehört, durften also mit ihren Wünschen und Befürchtungen zu Wort kommen, lässt sich dann oftmals ein innerer Kompromiss aushandeln. Dieser steht für eine integrierte Entscheidung des/r Betroffenen hinsichtlich der Formulierung des nun zu verfolgenden Zieles. Lesen Sie dazu auch den folgenden Exkurs.
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ExkursDasInnereTeamzurKlärungvonAmbivalenzenbeiderZielformulierung HäufigtretenbeiderFormulierungvonZielenambivalenteGefühleauf,dieschwerin WortezufassensindundeineZielverfolgungbehindernkönnen.AndieserStellekann dasModelldesInnerenTeams(vgl.SchulzvonThun,1998)helfen,dieverschiedenen innerenAnteile,diedieseAmbivalenzauslösen,zuvisualisierenunddurchdieVeran schaulichungbewusstzumachen,wiederBeratungsprozesstrotzdemzueinerkon kreten Zielformulierung und Zielverfolgung führen kann. Ein aus unserer Praxis stammendesBeispielsolldasverdeutlichen. Das Ziel eines alleinerziehenden Vaters „Ich möchte mehr Zeit mit meinen Kin dern verbringen“ ließ sich erstaunlicherweise nicht konkretisieren. Aufgefordert zu präzisieren, was „mehr“ bedeute, in welcher Weise die gemeinsame Zeit genutzt werdensolleetc.,wurdederKlientunruhigundaufbrausend,alsobersichindieEcke gedrängt fühlte. Die Konkretisierung zuvor eher nebulöser Ziele ist ein machtvolles InstrumentaufdemWegderZielerreichungundwirddahervondenBetroffeneni.d. R. als sehr unterstützend erlebt. Besteht jedoch eine innere Zerrissenheit dahinge hend,obüberhauptderWunschbesteht,daszuvorgeäußerteZielzuerreichen,be kommtsieausdemselbenGrundeinenbedrohlichenCharakter.Unbewusstwirdder Betroffenedannallesdafürtun,einesolcheKonkretisierungnichtzuzulassen.Wenn ichalsBeraterineinesolcheAmbivalenzspüre,frageich:„WennSieanIhrZiel,mehr ZeitmitIhrenKindernzuverbringen,denken,weroderwasinIhnenmeldetsichda alleszuWort?“ImModelldesInnerenTeamswerdenalleAntwortenalsTeiledesIchs, als so genannte innere Teammitglieder, unter Zuweisung einer Botschaft und eines charakteristischenNamensvisualisiert. In unserem Beispiel kamen vier sehr unterschiedliche innere Teammitglieder zumVorschein.RechtlautwarbeispielsweisedieStimme,diesagte:„Vätersollenja mitihrenKindernspielen,wennsieguteVäterseinwollen“.DiesesMitgliedkannals VertreterderMoralbezeichnetwerdenundwarhauptsächlichverantwortlichfürdie ursprüngliche Zielformulierung. An seiner Botschaft wird der zwiespältige Charakter derZielformulierungdeutlich.SiewirdgespeistdurchdiegesellschaftlichenAnforde rungen an die Rolle eines Vaters, wobei die soziale Erwünschtheit eine große Rolle spielt: Wie muss ich mich nach außen (und auch vor mir selbst) geben, um in ange messenerWeiseaufdieseerlebtenAnforderungenzureagierenundihnengerechtzu werden? An dem Wunsch selber ist nichts falsch. Würde das innere Team unseres VatersausschließlichausdemVertreterderMoralbestehen,ergäbesichkeininnerer Konflikt. Eine Zielerreichung wäre wahrscheinlich. Unsere inneren Moralapostel ste hen aber selten alleine da, sondern deuten vielmehr bereits auf versteckte andere Bedürfnisse hin, im Modell des Inneren Teams auf die Existenz weiterer – zum Teil gegensätzlicher – innerer Anteile. In diesem Fall benannte der Klient nach einigem ZögerneinzweitesTeammitglied.SeineBotschaftlautete„DieKindersindaberschon
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auchechteNervensägen;ichbinfroh,wennichmalmeineRuhehabeundmichnicht immer kümmern muss!“. Er wurde als das kleine Ich bezeichnet. Es handelte sich demnach um einen stark an den eigenen Bedürfnissen orientierten, eher kindlichen inneren Anteil. Bei der Benennung der Teammitglieder ist es wichtig zu beachten, dassdieNamenfürdieBetroffenenstimmigsind.Bestenfallsvergebensiesieselber. Ein weiteres Teammitglied schob die Schuld auf den Staat, der mit seiner unmögli chenBehandlungvonHartzIVEmpfängerndafürsorge,dassmanmehrZeitaufden ÄmternverbringenmüssealsmitseinenKindern.EswurdedeshalbalsderHaushalts vorstandbezeichnet.DiesesTeammitgliederhieltseineEnergiedurchdieAllianzmit dem kleinen Ich, wurde von dem betreffenden Vater aber als „gesellschaftstaugli cher“ erlebt und daher weniger tabuisiert. Im Modell des Inneren Teams sagen wir, dass der Haushaltsvorstand an die „Kontaktlinie“ geschickt wurde, also in der Kom munikation nach außen sichtbar auftrat. Ein viertes Teammitglied versteckte sich hingegen hinter dem Vorhangder inneren Bühne, um eine weitere Metapher zu be mühen.Dahinterhervorlukendäußertees:„Aberichwillesdoch!Ichbingernemit meinen Kindern zusammen!“. Dieses Teammitglied erhielt den Namen Der liebevolle Papa.VonihmauskönnteeineintrinsischeMotivationerwachsen,dasZiel,mehrZeit mitdeneigenenKindernzuverbringen,zuerreichen.DieVerbindungzwischendem liebevollenPapaunddemVertreterderMoralzustärken,würdederAllianzzwischen kleinemIchundHaushaltsvorstandetwasentgegensetzenundzueinerinnerenBalan ceführen. DiefolgendeAbbildungveranschaulichtdasskizzierteFallbeispiel.
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Abbildung7:
InneresTeamzudemZiel„IchmöchtemehrZeitmitmeinenKindern verbringen.“
EinesolchePattsituationführtabernochnichtzueinererfolgreichenZielkonkretisie rungunddamiterreichung.Dafüristeszunächstwichtig,aufzuzeigen,dassinjedem MenschenverschiedeneinnereAnteileexistieren,diejenachSituationundFragestel lung mal mehr und mal weniger Beachtung finden, dabei aber jede Stimme wichtig undnichtzuignorierenist.Undsiebeeinflussensichgegenseitig.JedesTeammitglied macht wichtige Aussagen, und nur wenn alle angehört werden, kann eine stimmige undintegrierteLösunggefundenwerden.IndiesemFalllautetdieFrage:„Wiekann dasZiel,mehrZeitmitdeneigenenKindernzuverbringen,soformuliertwerden,dass auch die ‚inneren Bedenkenträger’ sich damit wohlfühlen?“ Noch konkreter: „Was braucht das kleine Ich, damit seine Bedürfnisse nach Ruhe und Zeit für sich gewähr leistet bleiben trotz eines größeren zeitlichen Engagements für die Kinder und wie kann dieses Bedürfnis bereits in die Zielkonkretisierung einfließen?“ Ein auf diese WeisekonkretisiertesZielhatdiemitihmverbundenenAmbivalenzengeklärt,insich aufgenommen und zu einem stimmigen Ganzen verwoben. Der Zielerreichung steht damit nichts mehr im Wege. Die Teambildung und auch die Teamentwicklung sind alsodasZielbeiderArbeitmitdemInnerenTeam,dennzuAnfangbildendieMitglie der nicht gleich ein funktionstüchtiges Team, sondern stehen häufig in Konkurrenz zueinander, erzeugen Chaos und hören nicht aufeinander. Durch die Visualisierung
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kannveranschaulichtundnachvollzogenwerden,wieinnereKonflikteentstehenund zubehebensind,umsoeineklareZielformulierungzuermöglichen.
Phase II: Aufstellen eines Handlungsplanes Leitend in dieser Phase des Beratungsprozesses ist zum einen die Frage „Was will ich genau erreichen?“, zum anderen „Wer kann mir dabei helfen, und wie?“. Letztere ermöglicht einen expliziten Rückgriff auf das bereits erhobene Unterstützungsnetzwerk. Der erste Schritt gleicht einem Brainstorming, er dient der Generierung von Ideen: Was für Ideen haben Sie, wie Sie Ihr Ziel erreichen können? Dazu kann auch auf frühere Erfahrungen zurückgegriffen werden: Was haben Sie früher schon mal gemacht, wenn Sie wieder mit bestimmten Leuten in Kontakt kommen wollten? oder auch auf die Erfahrungen anderer Leute: Was hat denn Ihre Freundin gemacht, um Kontakte zu knüpfen? Was würde sie Ihnen denn raten, was Sie tun sollten? Oder allgemeiner: Was würden andere sagen, was Sie tun sollten und welche Ihrer Stärken Sie zur Lösung nutzen können? Ist der/die Betroffene von der scheinbaren Ausweglosigkeit der Situation wie gelähmt und unfähig, Lösungsideen zu entwickeln, hilft manchmal die Frage: Was müssten Sie tun, um die Lage noch zu verschlechtern? Wie würden Sie das genau tun? Hierin zeigt sich die Kompetenz des/der Klienten/in, die Situation zu beeinflussen. Wird dieser Umstand anschließend dem/der Betroffenen vor Augen geführt, „platzt“ manchmal „der Knoten“ und es wird möglich, Lösungsideen auch in der gewünschten Richtung zu entwickeln. Bei der Ideensammlung dürfen Sie sich gerne einbringen, der Schwerpunkt sollte aber auf dem Suchprozess des/r Klienten/in liegen, da er/sie den Handlungsplan als seinen/ihren eigenen Plan anerkennen muss, um ihn durchzuführen. Anschließend ist es dann ganz entscheidend, dass mindestens eine Lösungsidee in so kleinen Schritten geplant wird, dass der/die Klient(in) und auch Sie das Gefühl haben, der Plan ist realistisch genug, um „durchgezogen“ zu werden. Es ist wichtig, Zwischenziele zu setzen, konkrete Termine zu vereinbaren, nach Vorausetzungen zu fragen, die der/die Betroffene braucht, um den Plan durchzuführen. Hilfreiche Fragen zur Detailplanung sind: Was werden Sie genau tun? Wann? Wie? Mit wem? In welcher Reihenfolge? Hierbei ist es wichtig, konkrete Termine festzulegen! Welche Zwischenziele können Sie sich setzen? Was müssen Sie machen, um Ihr Ziel schrittweise zu erreichen? Welche Schritte sind besonders wichtig, um zum Ziel zu kommen? Was ist ein sinnvoller erster Schritt? Ganz wichtig ist auch, den/die Klienten/in zu fragen, wer aus dem privaten Netzwerk auf welche Weise dabei helfen kann, das Ziel zu erreichen. So wird bei der Verfolgung jedes Zieles gleichzeitig geübt, das eigene Netzwerk zu aktivieren und zu nutzen. Diese Nutzung der sozialen Ressourcen wird in den Handlungsplan
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eingearbeitet und damit auch schriftlich festgehalten: Was brauchen Sie (welche Unterstützung), um Ihr Ziel zu erreichen? Wer kann Sie bei der Zielerreichung unterstützen? Welche Unterstützung können Sie sich holen? Bei wem? Wie genau? Ziel dieser Phase ist es also, einen Plan zur Zielerreichung zu entwickeln, der so konkret ist, das seine Umsetzung wahrscheinlich ist. Phase III: Risikocheck des Handlungsplanes Leitend in der dritten Beratungsphase sind die Fragen „Was könnte schief gehen?“ und „Was tue ich dann?“ Es geht also darum, den Handlungsplan einem Risikocheck zu unterziehen, um unerwünschte Nebenwirkungen und verborgene Hindernisse, die bei der Durchführung auftreten könnten, rechtzeitig zu erkennen und zu verringern. Dadurch erhöht sich noch einmal die Chance, dass der Plan auch wirklich umgesetzt wird und dass damit auch das Ziel mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Detailplanung und Risikoabwägung gehen Hand in Hand und beeinflussen sich gegenseitig. Birgt ein Plan zu viele Risiken, droht er zu scheitern. In diesem Fall sollte ein neuer Plan für die gleiche oder für eine andere Lösungsidee erarbeitet werden. Sind mehrere Lösungsideen vorhanden oder auch schon detailliert geplant, erleichtert die Risikoabwägung auch die Entscheidung, welchen Weg man zur Zielerreichung gehen will. Die folgenden Fragen geben Anregungen für diese Phase des Beratungsprozesses. Risiken benennen: Woran könnte es scheitern? Wie wahrscheinlich ist das? Und wie schlimm? Was sind unerwünschte Nebenwirkungen? Wie können Sie damit umgehen? Früherkennung: Was sind erste Anzeichen dafür, dass es schief läuft? Woran merken Sie genau, dass bereits entschieden ist, dass Sie Ihr Ziel nicht erreichen werden? Gegenmaßnahmen treffen: Was können Sie vorbeugend tun, damit es nicht schief läuft? Was können Sie tun, wenn etwas nicht optimal gelaufen ist oder Sie Ihren Plan nicht durchgeführt haben? Wichtig 1. Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, Selbstbelohnungen in den Plan einzubauen, gerade wenn die Zielerreichung ein langwieriger Prozess ist. Sie zeigen dem/der Klienten/in, dass er/sie schon ein gutes Stück des Weges erfolgreich
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gegangen ist, und helfen, die Motivation zu erhalten. Ein konkretes Beispiel finden Sie dafür in Kapitel 2. Ebenso entscheidend ist die Identifizierung des „Point of No Return“, an dem es sich entscheidet, ob ein Ziel erreicht werden kann. Auch hierzu finden Sie in Kapitel 2 eine anschauliche Darstellung.
Phase IV: Konkrete Umsetzung Leitend in der abschließenden Beratungsphase ist die Frage „Womit fange ich konkret an?“. Ihre Aufgabe ist es nun, den/die Klienten/in bei der Umsetzung des Lösungsplanes bis zur Zielerreichung unterstützend zu begleiten. Dabei helfen konkrete Verabredungen zum Gesprächsabschluss: Was ist Ihr allererster Schritt? Bis wann haben Sie den gemacht? sowie die regelmäßige Wiederaufnahme des Themas, um den Stand der Dinge zu erkunden: Haben Sie den vereinbarten Schritt schon gemacht? Was haben Sie schon erledigt? Und was ist dabei heraus gekommen? Ebenfalls hilfreich ist die gezielte Frage nach ersten Erfolgen und aufgetretenen Schwierigkeiten: Was hat gut geklappt, wo war es schwierig? Wie sind Sie damit umgegangen? An diese Analyse schließt sich das Erinnern an die nächsten Schritte bzw. die Anpassung dieser Schritte an die gemachten Erfahrungen an: Welches sind Ihre nächsten Schritte? Gibt es evtl. noch einen kleineren allerersten Schritt? Wie kann ein neuer Plan aussehen? Ebenfalls sinnvoll ist es, nach der Zielerreichung zu fragen: Haben Sie Ihr Ziel erreicht? sowie nach der damit verbundenen Zufriedenheit: Wie zufrieden sind Sie mit dem jetzigen Zustand? Ist der/die Betroffene zufrieden mit dem, was er/sie erreicht hat (und haben Sie selber auch keine Bedenken aus Ihrer Fachlichkeit heraus, s. u.), stellt sich die Frage: Welches Ziel wollen wir als nächstes angehen? Der Beratungsprozess beginnt dann neu für das nächste Ziel. Ist das Ziel zwar erreicht, der/die Betroffene aber dennoch unzufrieden, spricht einiges dafür, dass das Ziel im Bemühen um seine Konkretisierung soweit „heruntergebrochen“ wurde, dass sein eigentlicher Charakter verloren ging. Das verweist auf ein Dilemma: Auf der einen Seite müssen „wolkige“ Zielformulierungen wie „Ich möchte ein besseres Verhältnis zu meiner Mutter haben“ konkretisiert werden, um ihre Erreichung überprüfbar zu machen, auf der anderen Seite enthält die ursprüngliche Formulierung oftmals eine vage, gefühlsmäßige Komponente, die schwer zu fassen ist und darum in der Neuformulierung verloren gehen kann. In dem von mir verwendeten Arbeitsblatt ist darum am linken oberen Bildrand eine Wolke abgebildet, in die die Ursprungsformulierung hinein geschrieben wird. So ist sichergestellt, dass der Bezug zu ihr im Beratungsprozess nicht verloren geht. Der erreichte Zielzustand muss sich auch daran messen lassen, ob er dem ursprünglichen Wunsch bedeutend näher gekommen ist. Das gilt selbstverständlich nicht im Fall von Neuformulierungen aufgrund von starken inneren Ambivalenzen (s. o.), aber nach einer solchen Selbstklärung entsteht ja i. d. R. auch keine Unzufriedenheit mit dem erreichten Zustand. Der Beratungsprozess ist bei Unzufriedenheit auf
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Seiten des/der Klienten/in jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Von Bedeutung ist jetzt, das bereits Erreichte zu würdigen und dann zu schauen, wie die Diskrepanz mit einer neuen Zielformulierung und einem dazu passenden Handlungsplan verringert werden kann. Wichtig 1. Da die Ressourcenorientierte Beratung der Zielentwicklung und Zielerreichung dient, befindet sie sich im Spannungsfeld zwischen Klientenzielen und dem professionellen Fachblick, der seinen Ausdruck in den vereinbarten Hilfezielen, aber auch in der Sorge um das Kindeswohl und der damit verbundenen Verantwortung findet. Selbstverständlich dürfen und sollen Sie selbst sichtbar sein mit allen Ihren Erfahrungen und in Ihrer Sorge. Das gilt sowohl für die Entwicklung von Zielen als auch für die Bewertung ihres Erreichungsgrades, die Ihnen ja auch keine Bauchschmerzen bereiten darf. Da wir Menschen aber nun einmal so gestrickt sind, dass wir Ziele, die nicht die unsrigen sind, nicht engagiert genug verfolgen werden, um sie auch zu erreichen, haben Sie gar keine andere Wahl, als Ihren Klient(inn)en die Chance zu geben, sich die Ziele zueigen zu machen. Fremdgesteckte Ziele werden bewusst oder unbewusst verweigert. Die Motivation zur Zielerreichung spielt also eine große Rolle, wie bereits in der Beschreibung der Phase I deutlich geworden sein sollte. Am aussichtsreichsten ist die Zielerreichung, wenn eine „Hin-zu-Motivation“ vorliegt, wenn sich der/die Klient(in) also etwas Positives von dem Zielzustand erhofft. Aber auch eine „Weg-von-Motivation“, bei der es den Betroffenen darum geht, etwas Schlimmes zu verhindern – wie beispielsweise die Herausnahme eines Kindes aus der Familie – kann genug Energie erzeugen, um ein Ziel ernsthaft und konsequent anzugehen. Wichtig ist daher im Falle von ursprünglich von außen an sie heran getragenen Zielen, dass die Betroffenen aktiv an der Zielformulierung beteiligt sind, um sie in Besitz zu nehmen (siehe dazu auch Exkurs Inneres Team). 2. Ziele der Beziehungs- und Konfliktklärung eignen sich nur bedingt für die Bearbeitung mithilfe der Ressourcenorientierten Beratung. Ein Konfliktklärungsgespräch auf diese Weise zu planen, ist schwierig; es lässt sich ja nur schwer kognitiv vorwegnehmen, was später im Eifer des Gefechtes passiert. Um die beteiligten Konfliktpartner zu entlasten, sollte man darum in einem solchen Fall besser anbieten, eine moderierte Konflikt- und Beziehungsklärung durchzuführen. Am Ende des Abschnitts folgt darum ein Exkurs zur Konflikt- und Beziehungsklärung. Es folgt das Arbeitsblatt, das ich verwende.
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Abbildung 8:
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Arbeitsblatt zur Ressourcenorientierten Beratung
Wichtig 1. Das Arbeitsblatt zur Ressourcenorientierten Beratung ist ein Ergebnisprotokoll, es protokolliert nicht den gesamten Beratungsprozess! Sie halten darauf das Ergebnis jeder einzelnen abgeschlossenen Phase fest, also das jetzt konkretisierte Ziel, die Auswahl an zur Verfügung stehenden Ressourcen, die konkreten Handlungsschritte etc.. Sollte der Bedarf bestehen, auch den Prozess zu visualisieren, ist es sinnvoller, dafür ein getrenntes Blatt Papier zu verwenden, da sonst die Gefahr besteht, dass die Klarheit und Prägnanz des Erarbeiteten verloren geht. 2. Die Ressourcenorientierte Beratung ist mehr als ein Arbeitsblatt! Sie ist vielmehr als Prozess zu verstehen, der die beschriebenen Phasen durchläuft. Die auf dem Arbeitsblatt als Überschriften verwendeten Leitfragen werden darum im Beratungsprozess je nach Bedarf um weitere Fragen ergänzt. Beispiele dafür haben Sie in der Beschreibung der einzelnen Phasen bereits kennengelernt. 3. Wie alle vorherigen Arbeitsblätter auch, verbleibt dieses Ergebnisprotokoll im Besitz des/der Klienten/in und wird als solches gar nicht so selten an den Kühlschrank o. ä. gehängt. Auch hier gilt natürlich: Sie können und sollten sich nach erteilter Erlaubnis eine Kopie machen.
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ExkursKonfliktundBeziehungsklärung Mein Verständnis von Klärungshilfe beruht auf den Modellen von Alexander Redlich (Redlich,1997)undChristophThomann(Thomann,1998). Menschen, die sich in einem Konflikt befinden, kommunizieren gestört. Sie hören einandernichtzu,fühlensichangegriffenundgreifenan,fühlensichfalschverstan den und können den anderen nicht verstehen, fühlen sich verletzt und verletzen. Klärungshilfe hingegen ist ein entzerrter, verlangsamter Dialog zwischen zwei Kon fliktpartnern, der ermöglicht, dass beide Seiten einander wirklich einmal zuhören. Dabei geht es darum, die subjektiven Sichtweisen der Konfliktpartner zu verstehen. Dazu führe ich als Klärungshelfer(in) mit jedem/r Einzelnen ein Gespräch, was er/sie über die ganze Sache denkt – wie der Konflikt entstanden ist, wie er sich auswirkt etc.. Indem ich solange zuhöre und nachfrage, bis ich eine Sichtweise wirklich ver standenhabe,ermöglicheichauchdemjeweiligenKonfliktpartnereinerstesVerste hendesKontrahenten. Anschließend findet eine Art verlangsamter und dadurch vertiefter Streitdialog statt.Dabeigehtesdarum,diebeidenKonfliktpartnervonihrenPositionenzuihren Hintergrundbedürfnissenzuleiten.Positionensindmeiststarrundunverrückbarund oft in Anschuldigungen oder Abwertungen formuliert (=DuBotschaften); Hinter grundbedürfnissehingegenzeigen,warumjemandsostarkreagiert–beispielsweise weilseinBedürfnisnachSchutznichterfülltist.SiesindinIchBotschaftenformuliert. Hilfreich zum Verständnis der Dynamik von Konflikten und gelingender Konfliktklä rung ist, wie ich von Christoph Thomann lernen durfte, das KernSchaleModell von SamuelWidmer. Abbildung9: KernSchaleModellnachSamuelWidmer(1989,inThomann1998,S. 167)
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KonfliktemacheneinangepasstesVerhaltenunmöglich.Manbekommtesfolglichmit starkenAbwehrgefühlenundauchAbwehrverhaltenzutun.DadurchsollendieWeh Gefühle geschützt werden. Erst auf der Ebene der WehGefühle ist aber Begegnen undVerstehenimKonfliktmöglich,dabeideSeitenerkennen,dassnichtnursieallein Leidtragende des Konfliktes sind. Die WehGefühle zeigen, wie verletzt jemand ist, undsinddasGegenstückzudenHintergrundbedürfnissen,diejetztformuliertwerden können.KonfliktklärungmussalsodenUmwegüberdieWehGefühlegehen,umden Kontrahenten zu helfen, in die Anpassungsschicht, in der sich unser tägliches Mitei nander abspielt, zurückkehren zu können. Durch aktives Zuhören und Nachfragen leiteichalsKlärungshelfer(in) darumdiebeidenKonfliktpartnervondenAbwehrge fühlen zu den WehGefühlen und damit von den Positionen zu den Hintergrundbe dürfnissen. ImverlangsamtenundvertieftenStreitdialoggibtesmindestenszweiTypenhilf reicher Fragen, die zur Anwendung kommen können: Fragen, die helfen, sich in den/dieKonfliktpartner(in)einzufühlen:WashabenSievondemverstanden,wasIhre Tochtergesagthat?(sichgegenseitigaktivzuhören)undFragen,diehelfen,Zugangzu deneigenenGefühlenzubekommen:UndwiereagierenSieaufdas,wasSienungehört haben? Nachdem beide Konfliktpartner einander durch die Anwesenheit eines/r Klä rungshelfers/ineinmalwirklichzugehörtundbegriffenhaben,wieesdem/randeren jeweils im Konflikt geht, ist es oft möglich, Lösungen auszuhandeln: Und wie wollen SiejetztinderZukunftdamitumgehen?DabeikönnendieKontrahentenwiederdirekt miteinander kommunizieren, ohne den Umweg über den/die Klärungshelfer(in) zu nehmen.Kann keineLösunggefundenwerden,hateseineentlastendeWirkungfür dieKonfliktpartner,ihnenihrenKonfliktzuerklären.HilfreicheKonflikterklärungsmo delle sind dabei systemisch, verzichten also bewusst auf Schuldzuweisungen bzw. TäterundOpferrolle.
Netzwerkmoderation Die Ressourcenorientierte Netzwerkmoderation stellt eine direkte Form der Netzwerkaktivierung dar. Anders als bei der Ressourcenorientierten Beratung, bei der der/die Klient(in) im Einzelkontakt darin angeleitet bzw. dabei unterstützt wird, sich für anstehende Aufgaben, zu bewältigende Probleme und anvisierte Ziele gezielt Unterstützung im eigenen sozialen Netzwerk zu suchen, wird nun das Unterstützungsnetzwerk zu einem moderierten Treffen eingeladen. Während dieses Treffens werden dann konkrete Unterstützungsmöglichkeiten erarbeitet und vereinbart. Dieses Vorgehen ist einerseits zwar aufwändiger als eine Einzelberatung, es mobilisiert andererseits aber viele zusätzliche Ressourcen. Aufwand und Nutzen müssen daher sorgsam abgewogen werden; eine Netzwerkmoderation bietet sich vor allem dann
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an, wenn die Ziele, die erreicht werden sollen, nur erreicht werden können, wenn alle an einem Strang ziehen. Von den Netzwerkmitgliedern wird erwartet, dass sie Zeit und Energie bereitstellen, um den/die Klienten/in bzw. die Kernfamilie zu unterstützen; die Relevanz der Zielerreichung muss ihnen daher einleuchten. Ziele, die sich ebenso gut mithilfe der Ressourcenorientierten Beratung erreichen lassen, bedürfen keiner Netzwerkmoderation. Die Ressourcenorientierte Netzwerkmoderation steht daher nicht am Beginn eines Prozesses, vorab müssen einige Vorbereitungen getroffen werden. Was im Vorfeld bereits gelaufen sein sollte Es hat bereits eine Festlegung von (Hilfe)zielen – zumeist in der Hilfekonferenz – stattgefunden. Für die Netzwerkmoderation wurde ein Ziel konkretisiert (dabei helfen die Fragen aus der ersten Phase der Ressourcenorientierten Beratung) und es wurden zusätzlich Unterziele formuliert. Dabei ist darauf zu achten, dass diese nicht bereits Lösungswege darstellen; das verengt unnötig den Blick und mindert die Effektivität des ressourcenorientierten Vorgehens! Ein Beispiel: Ist es das Ziel, künftig ein drogenfreies Leben zu führen, dann könnte ein mögliches Unterziel sein, sich nicht mehr von der Clique zum Konsum verführen zu lassen. Im Gegensatz zu dem Unterziel „Kontaktabbruch zur Clique“ ist hier der Weg dorthin noch offen. Auch hat bereits eine Netzwerk- und Unterstützungsanalyse mit dem/r Klienten/in bzw. mit der Kernfamilie stattgefunden. Diese mündet in die wohlüberlegte Auswahl derjenigen Netzwerkmitglieder, die zu dem Treffen eingeladen werden. Die Auswahl geschieht durch den/die Klienten/in. Bei der Einladung der Ausgewählten wird der Grund des Zusammenkommens, also der Unterstützungsbedarf zur Erreichung des konkreten Zieles, explizit benannt. Einladen kann der/die Betroffene selber oder der/die Moderator(in) bzw. Betreuer(in). Selbstverständlich findet kein Treffen ohne die/den Betroffene(n) selber statt. Kinder nehmen so weit wie möglich teil, besonders die jüngeren sollten aber nicht überfordert werden. Sollten sie zu klein zur Teilnahme sein, werden sie in der Runde zumindest durch einen leeren Stuhl mit Foto, Spielzeug oder Kuscheltier repräsentiert. Die Anzahl der Eingeladenen muss sorgsam abgewogen werden: Mehr Personen im Raum bedeuten mehr Ressourcen, aber möglicherweise auch mehr Energieverlust durch Konflikte. Auf eventuelles Konfliktpotenzial sollte also bei der Zusammenstellung der Gruppe geachtet werden. Dabei kann es sich auch anbieten, im Vorfeld eine Konflikt- und Beziehungsklärung im kleineren Kreis durchzuführen (s. o.). Außerdem sollten weniger als die Hälfte professionelle Helfer(innen) sein, um den Charakter der informellen Netzwerkaktivierung nicht zu gefährden! Wichtig ist auch die Festlegung des Ortes, an dem die Netzwerkmoderation stattfinden soll. Auch hier hat der/die Klient(in) grundsätzlich ein Wunsch- und Wahlrecht. Zu bedenken ist aber der hohe Bedarf an Material (Flipchartbögen, Karten etc.) und Visualisierungsmöglichkeiten für das im Prozess Erarbeitete.
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Ebenfalls vorab stattgefunden hat bereits eine Erhebung der Ressourcen des/r Klienten/in bzw. der Kernfamilie sowie die Klärung, was davon in der Gruppe vorgestellt werden darf und wer die Vorstellung übernimmt. Die Moderatorenrolle Die klassische und auch in diesem Fall zur Anwendung kommende Moderationshaltung ist die der Allparteilichkeit. Der Begriff grenzt sich von einer Neutralität insofern ab, als hier nicht die emotionale Distanz zu den Teilnehmenden im Vordergrund steht, sondern vielmehr das Bemühen, jedes Netzwerkmitglied möglichst genau zu verstehen – aktives Zuhören ist also eine Basiskompetenz –, in der Gruppe zu Wort kommen zu lassen und wenn nötig, vor Angriffen und Anfeindungen sowie Infragestellung seiner Sichtweise seitens der anderen zu schützen. Der zweite Wesenszug ist die Prozessverantwortung. Als Moderator(in) übernehme ich keine Verantwortung für das inhaltliche Ergebnis, wohl aber für den Prozess, den ich mich bemühe, so zu gestalten, dass eine effektive und nachhaltige Lösungsfindung möglich wird. Um Allparteilichkeit und Prozessverantwortung nicht zu gefährden, übernimmt, wenn möglich, nicht der/die fallzuständige Betreuer(in) die Moderation, sondern ein(e) methodisch geschulte Kollege/in. Der/die Betreuer(in) kann als gleichberechtigtes Netzwerkmitglied mit in der Runde sitzen. Dadurch ist gesichert, dass die sozialpädagogische Fachlichkeit weiterhin repräsentiert ist. Andererseits gibt es Fälle, in denen die Akzeptanz für eine weitere fremde Fachkraft nicht vorhanden ist oder keine sinnvollen Übergabe-Regelungen (welche Informationen zum Fall braucht der/die Moderator(in)?) getroffen werden können. Dann kann es durchaus sinnvoll sein, wenn der/die Betreuer(in) die Moderation übernimmt. Die Moderatorenaufgabe Im Prozess ist es die Aufgabe der Moderation, die Beteiligten darin anzuleiten, gemeinsam einen konkreten Plan zu entwickeln, wie das soziale Netzwerk – also die eingeladenen Netzwerkmitglieder – den/die Klienten/in bzw. die Kernfamilie dabei unterstützen kann, seine/ihre Ziele zu erreichen. Dabei vermittelt sie den Anwesenden das Prinzip des Lösungsaufschubes. Für die Gruppe wird es vielleicht zunächst ungewohnt sein, dass nicht sofort mit der Suche nach Lösungen und der Erstellung eines Handlungsplanes begonnen wird. Vielmehr wird sich zu Beginn Zeit genommen, die Ressourcen aller Anwesenden zu explorieren. In der Gruppe könnte Unverständnis und Unmut entstehen; es ist daher wichtig, in einfachen Worten den Sinn des Vorgehens zu erklären: Katja hat das Ziel, von den Drogen wegzukommen. Das ist nicht leicht zu erreichen. Sie wird dafür alles brauchen, was ihr zur Verfügung steht. Deshalb haben wir bereits im Vorfeld erarbeitet, was Katja selber sieht, was sie dafür alles mitbringt. Das stellen wir Ihnen gleich vor. Dann ergänzen Sie, was Sie denken, was Katja an Stärken mitbringt bzw. ihr an Kraftquellen
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zur Verfügung stehen. Anschließend sammeln wir, was Sie alles mitbringen, was vielleicht eine Unterstützung für Katja sein könnte, ihr Ziel zu erreichen. Und in einem letzten Schritt erstellen wir dann – aufbauend auf all dem, was wir zusammen getragen haben – einen konkreten Plan.
Es kann notwendig sein, diese Erklärung im Laufe des Moderationsprozesses zu wiederholen. Wichtig ist, dass die Gruppe Ihnen als Moderator(in) in dem Punkt vertraut, dass Sie die Lösungsfindung nicht aus den Augen verlieren. Dabei helfen auch Sätze wie: Das, was wir jetzt an Zeit zusätzlich brauchen, holen wir nachher wieder rein. Wir ersparen uns damit Extrarunden und Frustration. Wir tragen jetzt alles zusammen, was Ihnen an Kraftquellen zur Verfügung steht, um dann aus dem Vollen schöpfen zu können. Damit wird die Lösung passgenauer, individueller, effektiver und nachhaltiger. Wir vermeiden damit, altbekannte, ausgetretene Pfade zu betreten und gegen die Wand zu rennen. Um das Versprechen einlösen zu können, ist es äußerst wichtig, die verfügbare Zeit für das Treffen im Auge zu behalten. Insbesondere die Vorstellung und Ergänzung der klienteneigenen Ressourcen sollte darum von vornherein zeitlich begrenzt werden. Moderatorenaufgabe ist es weiterhin, die Arbeitsfähigkeit der Gruppe zu sichern. Es ist für den Prozess und vor allem für das Ergebnis wichtig, das keiner der Anwesenden innerlich aussteigt. Auch deshalb ist die Allparteilichkeit so wichtig, sie reduziert die Gefahr, dass jemand sich nicht mehr beteiligt, weil er sich nicht gesehen oder schlecht behandelt fühlt. Trotzdem kann es notwendig sein, Einzelne direkt anzusprechen, um sich ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit zu versichern. Diese kann, auch wenn sie ursprünglich vorhanden war – sonst wäre der- oder diejenige heute nicht da – zum Beispiel aufgrund von schwelenden bzw. altbekannten oder auch neu auftauchenden Konflikten abhanden gekommen sein. Wenn die professionelle Kompetenz dazu vorhanden ist, können von Seiten der Moderation bei Bedarf Grundelemente der Konflikt- und Beziehungsklärung (s. o.) als „MiniIntervention“ eingesetzt werden, um die Arbeitsfähigkeit der Gruppe wiederherzustellen. Alles, was nicht zügig geklärt werden kann, sollte aber ausgelagert werden. Dazu kann den Betroffenen angeboten werden, sich unmittelbar im Anschluss an das Treffen oder zu einem späteren Zeitpunkt in kleinerem Kreis moderiert zusammenzusetzen. Wichtig 1. Während der Ressourcenergänzung keine negativen Vergleiche, z.B. mit Geschwistern, zulassen: Wir sammeln, was Katja alles hat – und das ist ja eine ganze Menge – und vergleichen es nicht damit, was andere haben. 2. Für Jugendliche ist es besonders wichtig, von ihren Eltern positive Zuschreibungen zu hören, das kann eine große Wirkung haben, gerade, wenn die Eltern-Kind-Beziehung sich in der letzten Zeit so entwickelt hat, dass das nicht mehr möglich war. Ich habe beobachten dürfen, welchen Unterschied es ausmacht, wenn Positives ausgesprochen wird, wie sich die Gesichtszüge beider
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3.
Sibylle Friedrich Seiten dabei veränderten. Von daher ist es wünschenswert, wenn es bei der Ergänzung der klienteneigenen Ressourcen im Falle von Jugendlichen dazu kommt, dass die Eltern, sofern eingeladen, etwas beisteuern. Der/Die Moderator(in) darf sie dazu gerne mit genau dieser Erklärung auffordern, falls zunächst nichts kommt. Steht beispielsweise die Drogenproblematik o. ä. bei dem Treffen im Vordergrund, sind Eltern verständlicherweise in großer Sorge um ihr Kind und sie haben schon viel durchgemacht. Daher kommt es bei der Aufforderung, jetzt die Stärken ihres Kindes zu benennen, wo es doch offensichtlich ist, was alles gerade dramatisch schief läuft, leicht zu destruktiven Aussagen wie: „Früher war sie so hilfsbereit, gut in der Schule etc., aber heute!“ Solche Aussagen können dennoch genutzt werden, indem ein Reframing stattfindet. Den Beteiligten wird verdeutlicht, dass verschüttete, also durch das zu lösende Problem (z.B. Drogenkonsum) verdeckte, Fähigkeiten und positive Eigenschaften als Ressourcen mit aufgenommen werden können, da nicht davon auszugehen ist, dass sie ganz verschwunden sind.
Aufgabe der Teilnehmenden Es ist wichtig, dass allen Beteiligten bewusst ist, dass sie sich zusammengefunden haben, um den/die Klienten/in dabei zu unterstützen, sein/ihr Ziel zu erreichen, wozu er/sie alleine nicht in der Lage ist. Die offensichtlich hohe Relevanz und die Nachvollziehbarkeit des Zieles für die Netzwerkmitglieder rechtfertigen diesen Aufwand. Die Teilnehmenden haben dabei die Aufgabe, zu entscheiden, welche eigenen Ressourcen sie dafür bereit sind einzubringen und zu welchen Bedingungen. Dieser Prozess wird moderativ unterstützt. Die Phasen der Ressourcenorientierten Netzwerkmoderation Es folgt eine Übersicht über die Phasen der Ressourcenorientierten Netzwerkmoderation. Die Abfolge erinnert an die Ressourcenorientierte Beratung. Die dort beschriebenen Grundgedanken zu den einzelnen Phasen gelten auch hier, die vorgestellten hilfreichen Fragen können auch in der Ressourcenorientierten Netzwerkmoderation zur Anwendung kommen. Der Zeitbedarf eines moderierten Treffens liegt bei 90-120 Minuten, wobei in der folgenden Übersicht von 2 Stunden ausgegangen wurde. Bei weniger zur Verfügung stehender Zeit können Phase II und III verkürzt werden.
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I II
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Einführung – Wer ist hier? 10 min. Begrüßung der Teilnehmenden, für das Kommen danken (kann auch Klient(in) übernehmen) Grund des Zusammentreffens explizit benennen und in Form des Hilfezieles sowie seiner Unterziele visualisieren (bleibt die ganze Zeit über sichtbar im Raum hängen). Dazu eignet sich der untenstehende Handlungsplan. Kurze Vorstellungsrunde, ergänzt durch die Frage: Als Sie sich heute hierher auf den Weg gemacht haben, was ging Ihnen da durch den Kopf? o. ä. Hoffnungen, Befürchtungen, Bedingungen, Klarstellungen etc. können so benannt werden, ohne dass es eine Sichtweisenrunde (Wie sehe ich das Problem und seine Entstehung?) wird. Vorstellung des Ablaufs (Zeiten, evtl. Pausen, Moderatorenrolle, Vorgehen) Ressourcensammlung – Was bringen wir mit? 40 min. Vorstellung der Ressourcen des/r Klienten/in bzw. der Kernfamilie anhand der Vorarbeit (Ressourcenkarte o. ä.) Diese wird als Sichtweise des/r Betroffenen nicht diskutiert! Das Vorstellen der klienteneigenen Ressourcen stärkt die/den Betroffene(n) und dient dem Kontakt auf Augenhöhe, umso mehr, wenn diese noch durch die Anwesenden ergänzt werden. Sie zeigt dem Netzwerk aber auch, dass der/die Klient(in) selber bereit ist, alles einzubringen, was ihm/ihr zur Verfügung steht, um das Ziel zu erreichen. Ergänzung der Ressourcen des/r Klienten/in durch die Netzwerkmitglieder auf einem separaten Blatt (oder zumindest in einer anderen Stiftfarbe): Das ist ja bereits eine ganze Menge. Vielleicht fallen Ihnen trotzdem noch weitere Stärken und Fähigkeiten ein, die Katja mitbringt, die hier noch gar nicht stehen. o Jede Nennung ist erwünscht und muss nicht von allen Anwesenden geteilt werden! o Verschüttete, also durch das zu lösende Problem (z.B. Drogenkonsum) verdeckte Fähigkeiten und positiven Eigenschaften können mit aufgenommen werden, wenn sie genannt werden. Klienten/in fragen, wie es ihm/ihr mit den positiven Zuschreibungen geht. Die Teilnehmenden auffordern, ihre eigenen Ressourcen zu benennen: Welche Fähigkeiten oder andere Ressourcen bringen Sie mit (die vielleicht eine Unterstützung für den/die Klienten/in sein könnten, sein/ihr Ziel zu erreichen)? o Brainstormingcharakter und Unverbindlichkeit betonen: Alles, was einem durch den Kopf geht, darf genannt werden und wird erst einmal nicht diskutiert! Die Netzwerkmitglieder müssen noch nicht wissen, auf welche Weise ihre Ressourcen sinnvoll zur Zielerreichung eingesetzt werden können und sie treffen an dieser Stelle auch noch keine Ent-
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Sibylle Friedrich scheidung, zu welchen Bedingungen bzw. ob sie überhaupt das Genannte zur Verfügung stellen wollen. Es geht also noch nicht um Lösungswege. Sammlung auf Karten oder direkt am Flipchart; anschließende Vorstellung in der Gruppe Wenn die Gruppe sich untereinander gut kennt, kann die Möglichkeit gegeben werden, die eingebrachten Ressourcen gegenseitig noch zu ergänzen, hierbei sollte aber die Zeit im Auge behalten und darauf geachtet werden, dass einhergehend mit der Zuschreibung von Ressourcen nicht Unterstützungsforderungen an einzelne Netzwerkmitglieder gerichtet werden. Anders als bei der Ergänzung der klienteneigenen Ressourcen steht hier nicht die Selbstwertstärkung der Beteiligten im Vordergrund, sondern die Identifizierung möglichst vieler nutzbarer Unterstützungsmöglichkeiten.
III Handlungsplan – Worauf einigen wir uns? 40 min. Aktualitätscheck: Sind die Unterziele für den/die Klientin und das eingeladene Netzwerk weiterhin aktuell oder haben sie sich aufgrund der Ressourcensammlung verändert? o Das Erleben der Vielfalt an Ressourcen ermöglicht manchmal einen ganz neuen Blick auf ein Problem, so dass vorab formulierte Unterziele als verfrühter Lösungsweg entlarvt werden. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, sie noch zu korrigieren oder zu ergänzen. o Über die Aktualität entscheidet in erster Linie der/die Klient(in). Es kann aber wichtig sein, Bedenken von Netzwerkmitgliedern, die die Ziele als Unterstützer(innen) ja mittragen müssen, anzuhören und einzubeziehen, insbesondere um Gefährdungen (z. B. des Kindeswohls) auszuschließen. Eine langwierige Diskussion sollte vermieden werden. Grundsätzlich gilt: Solange sich die Netzwerkmitglieder darauf einlassen können, erfolgen Korrekturen oder Ergänzungen nur durch den/die Klienten/in. Zuordnung der klienteneigenen und Netzwerk-Ressourcen zu den Unterzielen (in den Handlungsplan übertragen) nach Passung o Achtung: Auch diese Zuordnung ist komplett unverbindlich! Es geht darum, einen Eindruck von der Vielzahl und Vielfalt an möglichen Ressourcen zu gewinnen, die im nächsten Schritt zur konkreten Planung zur Verfügung stehen. Brainstorming zu Lösungswegen, die in der Lage sind, zu dem Hauptziel sowie zu den Unterzielen zu führen und von dem/der Klienten/in akzeptiert werden. o Wenn alle Lösungsvorschläge in dieselbe Richtung gehen, öffnen: Was gibt es noch für ganz andere Lösungswege? Unter Einbezug der vorhandenen Ressourcen konkrete Vereinbarungen treffen
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o
Jetzt beginnt die Verhandlungsphase: Jedes Netzwerkmitglied, einschließlich des/r Klienten/in, ist aufgefordert, im Austausch mit den anderen zu überlegen, was er/sie bereit ist zur Zielerreichung einzubringen und zu welchen Bedingungen. o Die Ressourcen werden also systematisch in die Vereinbarung „Wer macht was bis wann?“ (Handlungsplan, s. u.) eingepflegt. Moderatorenaufgabe ist hier zum einen, zur Ressourceneinbringung zu ermutigen, zum anderen aber auch darauf zu achten, dass sich niemand unter dem Druck der anderen übernimmt. IV
Krisenplan – Was kann schief gehen und was tun wir dann?
20 min.
V
Risikocheck: Überprüfung des Handlungsplanes auf versteckte Risiken und mögliche Nebenwirkungen o Handlungsleitend ist hierbei die Frage: Wie wahrscheinlich ist, dass ein Risiko eintrifft und wie hoch ist die Tragweite (wie schlimm ist es, wenn es eintrifft)? Der Krisenplan sollte vor allem auf hochwahrscheinliche Risiken, die zudem eine hohe Tragweite haben, abzielen. Entwicklung eines Krisenplanes: Der Krisenplan enthält Risiko mindernde Alternativen bzw. Gegenmaßnahmen für den Notfall. Damit versucht er besonders, Gefährdungen entgegen zu wirken, und gibt den Beteiligten auf diese Weise mehr Sicherheit. o Geklärt werden sollte für den Notfall: Wer muss informiert werden, wer muss reagieren, und auf welche Weise? o Dem/r Klient(in) kann die Frage gestellt werden: Wie viel Kontrolle brauchen Sie und wobei brauchen Sie Kontrolle? Abschluss – Wie geht es weiter? 10 min. Würdigung des Geleisteten Treffen konkreter Verabredungen zum weiteren Vorgehen: o Soll es weitere Treffen geben (moderiert oder unmoderiert) und wer übernimmt die Planung? Abschlussrunde: Wie gehen Sie jetzt hier raus?
Die folgende Tabelle stellt das Schema eines Handlungsplanes vor. Sie kann zur Prozess- und Ergebnisdokumentation im Rahmen der Ressourcenorientierten Netzwerkmoderation genutzt werden. Sie sollte großformatig – beispielsweise auf eine Moderationswand – übertragen werden und die gesamte Zeit über sichtbar sein.
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Hauptziel (Grund des Treffens)
Unterziele
Abbildung 10:
Ressourcen
Vereinbarung
Krisenplan
Wer macht was bis wann?
Was kann schief gehen und was tun wir dann?
Handlungsplan
Jetzt kennen Sie den vollständigen Ablauf eines ressourcenorientierten Vorgehens der Netzwerkanalyse und Netzwerkaktivierung. Das Vorgehen wurde für die ambulante Kinder- und Jugendhilfe konzipiert, in diesem Rahmen erprobt und weiterentwickelt. Das schließt aber keinesfalls eine Übertragung auf andere Handlungsfelder der (psycho)sozialen Arbeit aus, im Gegenteil: Wir haben inzwischen Erfahrungen mit der Anwendung der vorgestellten Methoden u. a. im Bereich der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, der Pflegeelternberatung, der psychiatrischen Nachsorge, in stationären Wohngruppen und in Kindertagesstätten sammeln können. Die Praktiker(innen), die sich das Handwerkszeug und die ihm zugrunde liegende Haltung zueigen gemacht haben, waren dabei vor die Herausforderung gestellt, eine Passung zwischen dem Gelernten und ihrem Arbeitsfeld herzustellen. Das ist ihnen ein ums andere Mal auf beeindruckende Weise gelungen mit dem Erfolg, dass sich der Grundgedanke der Relevanz informeller Klientennetzwerke langsam aber sicher
Arbeit mit Netzwerken
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ausbreitet und das methodische Vorgehen beständig weiterentwickelt wird. Ich ziehe immer wieder Inspiration aus der Kreativität engagierter Praktiker(innen) und daher möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Euch und Ihnen bedanken!
Literatur Alt, C. (1994). Reziprozität von Eltern-Kind-Beziehungen in Mehrgenerationennetzwerken. In Bien, W. (Hrsg.), Eigeninteresse oder Solidarität : Beziehungen in modernen Mehrgenerationenfamilien (S. 198-221). Opladen: Leske+Budrich Diewald, M. (1991). Soziale Beziehungen: Verlust oder Liberalisierung? : Soziale Unterstützung in informellen Netzwerken. Berlin: rainer bohn Verlag. Fischer-Epe, M. (2002). Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Reinbek: Rowohlt. Friedrich, S. (2008). Die Aktivierung sozialer Netzwerke in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Dissertation, Uni Hamburg. Friedrich, S. (2008). Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit – was es zu bedenken gilt, damit die Implementierung gelingt. Unsere Jugend, Jg. 60, 2, S. 72-78 Kolip, P. (1993). Freundschaften im Jugendalter: Der Beitrag sozialer Netzwerke zur Problembewältigung. Weinheim, München: Juventa. Redlich, A. (1997). Konfliktmoderation. Windmühle-Verlag Gerl, W. (2001). Ressourcen- und Zielorientierung, Kap. 1.4 in: Revenstorf, D. & Peter, B. (Hrsg.). Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin, S. 75-83. Berlin: Springer Straus, F. (2002). Netzwerkanalysen : Gemeindepsychologische Perspektiven für Forschung und Praxis. Wiesbaden: Dt. Universitätsverlag. Schulz von Thun, F. (2005). Miteinander Reden 3 – Das innere Team und Situationsgerechte Kommunikation. 14. Aufl., Rowohlt Straus, F., Höfer, R., Buchholz, W. & Gmür, W. (1987). Die Bewältigung familiärer Probleme im sozialen Netzwerk : Überlegungen zur Praxisrelevanz der Netzwerkperspektive in der Familienarbeit. In Keupp, H. & Röhrle, B. (Hrsg.), Soziale Netzwerke (S. 178-198). Frankfurt: Campus. Thomann, C. (1998). Klärungshilfe: Konflikte im Beruf. rororo Vaux, A., Burda, P.& Stewart, D. (1986). Orientation Toward Utilization of Support Resources. Journal of Community Psychology, 14, 159-170. Venezia, B. (2000). Erkundung von Familienressourcen. In Vogt, K., Venezia, B., Torres Mendes, C. & Redlich, A. (Hrsg.). Die Erkundung von Kraftquellen im Leben der Menschen, Mat. 26 (S. 36-52). Universität Hamburg. Materialien aus der Arbeitsgruppe Beratung & Training
6 Arbeit mit individuellen Ressourcen Thomas Möbius Ressourcenerkundung in der Sozialen Arbeit Aktivitäten im Rahmen der Sozialen Arbeit bewegen sich im Allgemeinen auf drei Arbeitsebenen, wenn es darum geht, die Adressat/innen bei ihren Problemlösungen zu unterstützen bzw. sie in der Bewältigung ihres Alltags zu stärken: Ebene der materiellen Ressourcensicherung (Sicherung von Wohnraum, Einkommen, Grundversorgung etc.) Ebene der Netzwerkaktivierung (Zusammenstellung von Netzwerken und Unterstützungssystemen für die Alltags- oder Krisenbewältigung) Ebene der Identifizierung und Förderung individueller Ressourcen (Fertigkeiten, Kompetenzen etc., die zur Zielerreichung benötigt werden) So müssen häufig zu Beginn einer Hilfe erst einmal die materiellen Unterstützungssysteme aufgebaut bzw. gesichert werden, um das Überleben zu sichern und akute Krisen wie drohende Obdachlosigkeit zu bewältigen. Auf die Bedeutung der materiellen Ressourcen kann in diesem Band nur immer wieder hingewiesen werden, ohne im Detail z.B. auf Strategien der Sicherung einzugehen. Es wird hier davon ausgegangen, dass die Fachkräfte in den unterschiedlichen Bereichen der Sozialen Arbeit über die spezifischen Kenntnisse und Strategien verfügen, um diese materiellen Ressourcen zusammen mit den jeweiligen Klient/innen im Rahmen ihres Auftrages einzufordern. Das Engagement für so genannte soziale Ressourcen, die in ihrem Zusammenwirken auch als Unterstützungssysteme oder Netzwerke bezeichnet werden und in deren Mittelpunkt der hilfreiche Kontakt zwischen Menschen steht, sind in dem Kapitel zur Netzwerkarbeit ausführlich beschrieben worden. Auf der dritten Aktivitätsebene geht es in der Sozialen Arbeit immer wieder auch darum, die persönlichen Potenziale der Adressaten zu erkennen und ihre Kompetenzen zur Bewältigung ihres Lebens kurz- und langfristig zu fördern. Dieser Prozess kann vielfältige Formen annehmen und dabei Bezug auf die unterschiedlichsten Kompetenzen eines Menschen nehmen, je nachdem, welche Ziele mit Hilfe des Einsatzes dieser so genannten individuellen Ressourcen verfolgt werden sollen. Unter individuellen Ressourcen versteht man in Abgrenzung zu den sozialen Ressourcen all die Kompetenzen und Fähigkeiten, aber auch Eigenarten und Emotionen, über die ein Mensch verfügt oder die er sich aneignen kann, um ein Vorhaben erfolgreich zu realisieren. Die individuellen Ressourcen liegen dabei häufig nicht direkt „auf der Hand“, wie die Kompetenz zu lesen oder zu schreiben, um mithilfe dieser Fertigkei-
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Thomas Möbius
ten einer Vielzahl von Herausforderungen im Alltag erfolgreich begegnen zu können, sondern müssen (wieder) bewusst gemacht werden oder als eine Ressource erst erworben werden. Zu den individuellen Ressourcen gehören die zahllosen Fähigkeiten oder Eigenschaften, die auf den ersten Blick als ein selbstverständlicher Bestandteil des Repertoires des Einzelnen gelten und die von daher als nutzbringende Kraftquelle schnell übersehen werden oder auch Fertigkeiten, die sich hinter defizitären Verhaltensweisen verbergen können. Ein Beispiel hierfür ist die Gabe einer Familie, die seit Jahrzehnten auf Hilfe angewiesen ist, sich immer wieder aufs Neue Unterstützungsleistungen zu organisieren und dabei andere Menschen – professionelle wie auch nicht-professionelle Unterstützer – dazu zu bringen, sich für sie aktiv einzusetzen und dadurch drohende familiäre Katastrophen wie Wohnungsverlust oder Überschuldung abzuwenden. Ausgangspunkt für die Erhebung individueller Ressourcen ist, genau wie bei der Netzwerkarbeit, daher eine ressourcenorientierte Haltung gegenüber den Adressaten, die davon ausgeht, dass sie nicht nur Defizite mitbringen, sondern gleichermaßen auch Potenziale vorweisen können, die maßgeblich zur Lösung ihrer Probleme beitragen können. Der Prozess von der Identifizierung der passenden individuellen Ressourcen, die zur Erreichung eines im Vorweg vereinbarten Zieles verhelfen können, bis zu ihrem erfolgreichen Einsatz erweist sich häufig als komplexes Unternehmen, gilt es doch aus dem, bei genauerem Hinsehen, großen Pool individueller Ressourcen genau die für die Bewältigung des Problems passenden zu identifizieren und nutzbar zu machen. Allein aus diesem Grund ist es notwendig, individuelle Ressourcen – vergleichbar dem Vorgehen bei der Erhebung sozialer Ressourcen – systematisch und strukturiert zu erheben. Die Erhebung individueller Ressourcen – der Einstieg Konnte man bei den Netzwerken und Unterstützungssystemen davon ausgehen, dass diese aus einer zumeist überschaubaren Gruppe von Freunden, Bekannten und Helfern aus dem Umfeld der Adressaten zusammengeführt werden konnten, so steht man bei der Zusammensetzung eines individuellen, auf eine bestimmte Fragestellung hin ausgerichteten Ressourcenprofils vor der Aufgabe, aus einer schier unüberschaubaren Menge von Fertigkeiten und Fähigkeiten auswählen zu müssen, die eine einzelne Person mitbringt. So beschreiben Vogt et al. (2000) in einem Praxisbericht die Erfahrungen bei der Ressourcenerhebung in einer Multiproblemfamilie wie folgt: „Das heißt zum Beispiel zwei Stunden lang ausschließlich die Stärken der Mutter ... zu erkunden, an der mir aus den Fallakten nur Probleme, Defizite und Störungen ersichtlich waren: Nach diesen zwei Stunden hatte die betreuende ,Res-
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sourcenkoordinatorin’ mit der Mutter und ihrer 14jährigen, ziemlich ,pampigen’ Tochter über 60 Ressourcen und Stärken … dieser Mutter … festgehalten und damit die Wände des Wohnzimmers gepflastert.“ (ebenda: 7)
Nicht alle 60 Ressourcen in diesem Beispiel sind nun für eine Problembewältigung gleichermaßen erforderlich und lassen sich auch nicht gleichzeitig aktivieren. Es gilt daher, eine Auswahl zu treffen und sich im Vorweg darüber zu verständigen, welche konkrete Konfliktsituation oder Problemstellung angegangen werden soll. Die Exploration von Ressourcen ohne eine damit verbundene Abklärung, was sich konkret verändern soll, kann als eine Bestandsaufnahme eindrückliche Ergebnisse liefern, zur Lösung eines konkreten Problems wird sie hingegen nur wenig beitragen. Vor der Exploration von individuellen Ressourcen müssen daher Gespräche geführt werden, aus denen hervorgeht, welche Ziele der Adressat der Hilfe ansteuert und welche konkreten Schritte hierfür notwendig sind. Das von Kurt Hekele (2005) entwickelte S.M.A.R.T.-Verfahren zur Formulierung von Zielen (die einzelnen Großbuchstaben stehen für Indikatoren, die ein Ziel fassbar machen: Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realisierbar, Terminiert) ist hierfür ein hilfreiches Instrument, macht es doch deutlich, aus wie vielen Teilzielen (Schritten) ein eingangs formuliertes Vorhaben häufig besteht und wie vage es um die Realisierbarkeit von vielen Zielen steht, die häufig benannt, sich aber schon bei dem ersten genaueren Hinsehen als unrealistisch erweisen. Die Formulierung „Den Hauptschulabschluss machen“, die in der Jugendhilfe in vielen Hilfeplänen auftaucht, ist ein Beispiel für eines der Ziele, die immer wieder angegangen werden (müssen), aber schon in frühen Phasen der Umsetzung scheitern, weil der Jugendliche z.B. nicht oder nur unregelmäßig zur Schule geht und allein schon deswegen die notwendigen Leistungen nicht erbringen kann. Hier gilt es, Teilziele zu formulieren und herauszufinden, welche (individuellen) Ressourcen für diese Zielannäherungen zur Verfügung stehen bzw. aktiviert werden müssen, um die Wahrscheinlichkeit einer letztendlichen Zielerreichung zumindest zu erhöhen. Neben der Entwicklung einer klaren Fragestellung für eine Exploration von individuellen Ressourcen spielt die Perspektive, unter der die Ressourcen erhoben werden, eine entscheidende Rolle. Der „professionelle Blick“, mit dem die individuellen Potenziale identifiziert werden, ist über alle Bereiche der Sozialen Arbeit und angrenzenden Disziplinen nicht identisch, sondern unterscheidet sich nach den jeweiligen professionellen Kontexten und beeinflusst maßgeblich das „Erhebungsraster“ für individuelle Ressourcen. So können in der Behindertenhilfe psychomotorische Fertigkeiten eine entscheidendere Rolle als in der Jugendhilfe spielen, wenn es darum geht, die individuellen Ressourcen für die Alltagsbewältigung im eigenen Wohnraum oder in der Wohngruppe zu erkunden. In der psychologischen Beratung kann der Fokus stärker auf affektive Kompetenzen gelegt werden, wenn es um die Bewältigung innerpsychischer Konflikte geht und im Kita-Bereich auf die kogniti-
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ven Fertigkeiten, die wiederum im Rahmen der Bildungsförderung aktuell auf ein hohes Interesse stoßen. Sind die Fragestellung und die professionelle Perspektive, unter der die individuellen Ressourcen erhoben werden sollen, erst einmal geklärt, gilt es ein Instrument für die Exploration auszuwählen. Bei diesem Instrument kann es sich z.B. um einen Fragenkatalog handeln, mit dem ein bestimmter Kompetenzbereich mit all seinen dazugehörenden Teilkompetenzen erfasst wird, wie das Konstrukt „Soziale Kompetenz“, zu dem die Fähigkeit des Perspektivenwechsels wie auch die Bereitschaft zu teilen oder mitzufühlen zählt. In einigen Fällen kann es sein, dass dem Profi schon eine Checkliste vorliegt, die zentrale individuelle Ressourcen erfragt, wie die diesem Kapitel angehängte Checkliste zum Thema „Selbstständiges Wohnen“. Es kann aber auch darum gehen, sich gemeinsam mit dem Adressaten erst einmal einen Überblick über individuelle Stärken zu verschaffen und hierfür ein Instrument wie die Arbeitshilfen zur Sozialpädagogischen Diagnose1 einzusetzen, mit dessen Hilfe individuelle Ressourcen – unterteilt nach verschiedenen Kategorien – erfragt werden können. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, zu Beginn der Exploration drei Einstiegsfragen zu stellen, mit deren Hilfe das Anliegen der Ressourcenexploration und das Vorgehen geklärt werden sollen: Drei hilfreiche Einstiegsfragen zu Beginn einer Ressourcenexploration 1. Wie lautet die konkrete Fragestellung als Ausgangspunkt für die Identifizierung der individuellen Ressourcen? Welches Ziel verfolge ich mit der Erhebung? 2. Aus welcher professionellen Perspektive erhebe ich die individuellen Ressourcen? Welche Ressourcenbereiche interessieren mich im Besonderen? 3. Welche Methode der Ressourcenerhebung bzw. welches Instrument passt am besten zu meinem Vorhaben? Was muss ich im Vorfeld an Fragen formulieren, um die Exploration erfolgreich werden zu lassen? Abbildung 1:
1
Einstiegsfragen
Die Sozialpädagogische Diagnose – Arbeitshilfe zur Feststellung des erzieherischen Bedarfs ist ein umfassendes Erhebungsinstrument, das vom Bayerischen Landesjugendamt im Jahr 2001 veröffentlicht worden ist und auch in Teilen für die Erhebung individueller Ressourcen genutzt werden kann.
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Das Ressourcenquadrat zur Identifizierung individueller Ressourcen Im Folgenden soll ein Modell für die Exploration individueller Ressourcen vorgestellt werden, das auf zwei Verfahren Bezug nimmt, die in der Sozialen Arbeit mit Familien bzw. mit Kindern und Jugendlichen entwickelt und erprobt worden sind (vgl. Vogt et al. 2000 und Daniel/Wassell 2002). Diese Verfahren werden zur Identifikation verschiedener Kompetenzen, aber auch Interessen und Ziele sowie individueller bzw. familiärer Problemlösestrategien genutzt und versuchen, Strukturierungshilfen zu geben. Hierzu haben Redlich wie auch Daniel und Wassell Kategoriensysteme für Ressourcen entwickelt, die auf verschiedene Zielgruppen von kleinen Kindern bis hin zu Familien angewandt werden können, aber auch auf andere Zielgruppen wie Menschen mit Behinderungen übertragbar sind. Das von Vogt et al. erarbeitete Kategoriensystem ist als Instrument auch unter dem Begriff „Familienressourcenhand“2 veröffentlicht (Vogt et al. 2000) und in die Praxis vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe eingeführt worden. 3
2
Familienressourcenhand oder Ressourcenhand, da sie auch in anderen Systemen als der Familie eingesetzt werden kann. 3 Die praktische Anwendung der Familienressourcenhand hat jedoch m.E. auch einige Schwachstellen deutlich werden lassen. So ist die Trennschärfe zwischen den Bereichen, die jeweils einem der fünf Ressourcen-Finger zugeordnet sind, teilweise ungenau und kann bei der Zuordnung zu Unsicherheit bei den Anwender/innen führen. Die Betonung der Bedeutung der Bewältigungsstrategien als eine zentrale individuelle Ressource ist hingegen in mehrfacher Hinsicht eine gute Entscheidung, veranlasst sie doch die Befragten, sich mit ihrem Können und Erfolgen und nicht mit ihren Defiziten und Misserfolgen auseinanderzusetzen und gibt darüber hinaus Hinweise auf persönliche Stärken, wie auch strategische Fertigkeiten, die in anderen Problemkonstellationen wieder erfolgreich eingesetzt werden können.
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Abbildung 2:
Thomas Möbius
Familien-Ressourcen-Hand (vgl. Vogt et al. 2000 : 44)
Ein weiteres Kategorisierungssystem ist das Schema von Daniel und Wassell mit insgesamt sechs Kategorien. Es wurde von ihnen auf der Basis des Resilienzkonzeptes (vgl. u.a. Wustmann 2004) entwickelt und fokussiert insgesamt stärker als die Ressourcenhand auf der Erhebung von Kompetenzen, die für eine gelingende Teilhabe in der Gesellschaft förderlich sind. Unter Resilienz versteht man dabei eine psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken (vgl. Wustmann 2004). Das Resilienzkonzept geht dabei davon von der Beobachtung aus, dass Menschen im Leben unterschiedlich gut mit Krisen und Konflikten zurechtkommen. Während einige daran zerbrechen, gehen andere gestärkt aus diesen Situationen hervor. Dies kann nach dem Resilienzkonzept – verkürzt dargestellt – darauf zurückgeführt werden, dass einige Menschen über Kompetenzen verfügen bzw. ihnen so genannte schützende Faktoren zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe sie schwierige Lebenslagen besser meistern können als andere Menschen, die den Risiken eher schutzlos ausgeliefert sind. Resilienz ist damit kein unveränderbares Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine aktivierbare persönliche Verfassung, die gefördert bzw. für die ein Rahmen geschaffen werden kann, der sie schützt und stärkt. Die Idee, Menschen für eine erfolgreichere Bewältigung von Problemen und Krisen stark zu machen, ist in den letzten Jahren vor allem im Kita-Bereich aufgenommen worden und hat zu
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einer Vielzahl von Programmen und Projekten geführt, in deren Mittelpunkt immer die frühe und gezielte Förderung von Kompetenzen steht (vgl. Wustmann 2004). Daniel und Wassell haben mit ihrem Kategorisierungssystem diesen Gedanken, Resilienz systematisch zu fördern, aufgenommen und sechs zentrale Indikatoren aufgestellt, deren Umsetzung Resilienz bei Kindern und Jugendlichen stärken sollen. Für jeden dieser Indikatoren schlagen sie zum einen Explorationsmöglichkeiten vor, zum anderen nennen sie Methoden und Verfahren, diese zu fördern.4 Im Folgenden wird unter Einbeziehung einiger Kategorien der Familienressourcenhand von Vogt et al. (2000) wie auch der Indikatoren von Daniel und Wassell das Ressourcenquadrat vorgestellt. Hierbei handelt es sich um ein Vier-FelderSchema zur Erhebung individueller Ressourcen, das den Kompetenzbegriff stärker als bei der Ressourcenhand in den Vordergrund stellt und die Kategorien mehr auf Fragestellungen der Sozialen Arbeit als bei den Indikatoren von Daniel und Wassell ausgerichtet sind. Bei letztgenannten Autoren werden neben sozialen Indikatoren wie Freundschaft auch psychologische Indikatoren, wie Bindungssicherheit oder Werthaltung einbezogen, die wiederum im Kontext Sozialer Arbeit nur schwer erfasst werden können. Im Mittelpunkt des Ressourcenquadrates steht die Erhebung von Kompetenzen, d.h. von gelernten und erlernbaren Fertigkeiten, deren Präsenz bzw. Abwesenheit Ausgangspunkte für eine zielorientierte Hilfeplanung bzw. Beratung und Rehabilitation sein können. Grundsätzlich soll auch dieses Schema der Ressourcensystematisierung in der Sozialen Arbeit dazu dienen, die große Informationsmenge, die im Zuge einer Exploration entsteht, zu kanalisieren und zu gewährleisten, dass das aufwendige Erhebungsverfahren auch möglichst effizient und effektiv angewandt wird. Das Quadrat unterscheidet vier Bereiche individueller Ressourcen, die für die Alltags- und Krisenbewältigung eine Rolle spielen (können) und die darüber hinaus Hinweise auf weitere, auf den ersten Blick verborgene Potenziale geben. Die sozialen Ressourcen, die sich über den Kontakt zu anderen Menschen ergeben – die Netzwerke und Unterstützungssysteme – werden in diesem Kontext, wie schon eingangs erwähnt, nicht erhoben, da sie einen eigenen Ressourcenbereich mit spezifisch hierfür entwickelten Instrumenten (vgl. auch Kap. 5 zum Thema Netzwerkarbeit) darstellen und gesondert erhoben werden sollten. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen, dass das Vorhandensein oder der Erwerb einiger individueller Ressourcen wie soziale Kompetenz wiederum ausschlaggebend für die Nutzung der Netzwerke sind und diese Ressourcen somit auch als ein Bindeglied zwischen individuellen und sozialen Ressourcen verstanden werden können. So haben Forschungsergebnisse im Rahmen der Erprobung eines Ansatzes der Netzwerkarbeit zur Stabilisierung der Lebensla4
Die Veröffentlichungen von Daniel und Wassell liegen zur Zeit nur in englischer Sprache vor. Sie sind nach Altersgruppen (The Early Years, The School Years und Adolescence) unterteilt und können über Jessica Kingsley Publishers bezogen werden.
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gen von Jugendlichen gezeigt, dass Netzwerke auffälliges Verhalten reduzieren und somit einen Beitrag zur individuellen Stabilität leisten können, aber diese soziale Unterstützung erst dann richtig genutzt werden kann, wenn die Person über entsprechende individuelle Kompetenzen hierfür verfügt, die wiederum erlernt werden können (vgl. Möbius/Klawe 2003, Hoops/Permien 2003).
I. Interessen, Wünsche, Ziele
III. Problemlösekompetenzen und -strategien
Abbildung 3:
II. Lebenskompetenzen (Life Skills)
IV. Bildungskompetenzen
Das Ressourcenquadrat
Zu I. Interessen, Wünsche und Ziele In diesem ersten Feld soll all das zusammengetragen werden, das die befragte Person interessiert, sie gerne macht bzw. sich im Leben wünscht und gerne erreichen oder erleben möchte. Interessen wie auch Ziele und Wünsche können dabei in einem thematischen Zusammenhang stehen und auf schon vorhandene und erfolg-
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reich eingesetzte Kompetenzen hinweisen, gehen aber möglicherweise auch darüber hinaus und geben Tipps für zukünftige (Teil-)Ziele. Für diese könnte eine Motivation bei den Befragten vorliegen, da der thematische Impuls von ihnen ausgeht. So kann das Interesse an Fußball bei einem Kind eng mit psychomotorischen Kompetenzen korrespondieren, der darüber hinausgehende Wunsch, einmal als Profi in der 1. Liga zu spielen jedoch trotzdem nicht realisierbar sein, da andere hierfür notwendige kognitive oder auch affektive Kompetenzen nicht erlernt werden (können). Im Rahmen der Exploration kann es daher von Interesse sein, herauszuarbeiten, welche (Teil-)Ziele anvisiert werden können, die den Wunsch als Fußballprofi eine Karriere zu machen, nicht negiert, sich aber an der aktuellen Lebenssituation ankoppelt und eventuelle schon mit einer Mitgliedschaft in einem Fußballverein und der regelmäßigen Teilnahme an einem Training erreicht ist. Neben der Exploration der Interessen und damit auch der Kompetenzen, über die die Befragten schon verfügen, ist gerade für die Entwicklung von Hilfeplänen, die Thematisierung von Vorstellungen und Ideen, die sich auf die Zukunft beziehen, von Bedeutung. Hierüber soll herausgefunden werden, in welche Richtung sich die Befragten entwickeln möchten – und wie realistisch aus Sicht der Professionellen wie auch der Befragten selbst ihre Chancen hierfür sind. In Abgrenzung zu den Interessen geht es hier um all das, was die Befragten (noch) nicht können, was sie aber gerne noch erreichen möchten. Wünsche umfassen dabei im Gegensatz zu den mehr oder weniger konkret gefassten Zielen, Träume und Phantasien über zukünftige Lebensweisen und Ereignisse, die auch jenseits aller Realisierbarkeit liegen können, in ihrem Kern jedoch Potenziale bergen, die in der Tat umsetzbar sind und daher im Zuge der Exploration identifiziert werden sollten. Mögliche Lebensbereiche, die in diesem Feld angesprochen werden sollten, sind Freizeitaktivitäten und spezifische Vorlieben/“Expertenstatus“ (Was macht Dir besonders viel Spaß? Worin bist Du besonders gut? Was würdest Du gerne noch ausprobieren? Wovon träumst Du? Was willst Du, bezogen auf die angesprochene Aktivität noch erreichen?), Schule/Ausbildung (Was fällt Dir dort leicht? Worin bist Du gut, was sind dort Deine Stärken? Was willst Du dort noch erreichen?), Alltagsroutinen (Was machst Du zuhause gerne? Was fällt Dir im Alltag leicht? Was möchtest Du alles (im Alltag) noch können?). Wichtig bei der Exploration ist dabei eine wertschätzende und aufgeschlossene Haltung der Befragenden, die auch Phantasien und irreal erscheinende Wünsche zulässt, den Fokus der Exploration aber auf Interessen und Ziele legt, die aus Sicht der Fachkräfte eine Realisierungschance haben. Als Einstieg für eine Exploration individueller Ressourcen wird gerade dieser Bereich von vielen Praktiker/innen als günstig eingeschätzt, da die Fragen wenig „verfänglich“ sind. Die Befragten werden hier erst einmal nicht mit ihren Problemen konfrontiert, sondern der Fokus wird
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auf das gerichtet, was ihnen Freude macht und sie haben damit die Möglichkeit, sich von einer positiven Seite zu zeigen. Zu II. Lebenskompetenzen (Life Skills) Der zweite Quadrant individueller Ressourcen ist komplex und sollte daher nach einzelnen Kompetenzbereichen untergliedert werden, je nachdem, welche Kompetenzen im Mittelpunkt des Interesses der Exploration stehen. Unter Lebenskompetenzen – oder auch Life Skills – sollen in diesem Kontext Fertigkeiten und Fähigkeiten zusammengefasst werden, die sich ein Mensch im Laufe seines Lebens aneignet oder „mitbringt“, um die Herausforderungen im Alltag mit all seinen Problemen und Krisen mit „Verstand, Herz und Hand“ zu meistern. Bei den aufgeführten Kompetenzbereichen handelt es sich um drei Bereiche, die aus Sicht des Autors im Rahmen der Sozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien, aber auch alten und behinderten Menschen eine Bedeutung spielen können. Eindeutige Definitionen der jeweiligen Kompetenzen sind dabei nur schwer zu formulieren, da je nach fachlicher Perspektive unterschiedliche Fertigkeiten im Vordergrund der Kompetenzdefinition stehen. Die im Folgenden verfasste Auflistung von Kompetenzbereichen versteht sich daher als Schwerpunktsetzung, nach denen die Life Skills unterschieden werden können: Soziale Kompetenzen: Hierunter sollen all die Fertigkeiten verstanden werden, über die ein Mensch verfügen sollte, um sich in einer Gemeinschaft bewegen und sich zu den dort geltenden Regeln verhalten zu können. Zu den sozialen Kompetenzen gehört damit die Bereitschaft, zu teilen, zuzuhören, andere Standpunkte zu akzeptieren und sich in andere Personen hineinzuversetzen. Fragen, die auf soziale Kompetenzen zielen sind z.B.: Wenn es in der Schule zu Konflikten kommst, wie trägst Du zur Lösung bei? Was gelingt Dir im Zusammenleben mit Deinen Mitbewohner/innen besonders gut? Wie löst Du Konflikte auf der Arbeit? Affektive Kompetenzen: Diese Kompetenzen basieren auf emotionalen Prozessen, die nicht über den Verstand gesteuert werden, sondern aus dem Gefühl heraus entstehen. Fragen, die auf diese Kompetenzen zielen sind z.B.: Worauf bist Du stolz? Was sind Deine Stärken in Freundschaften? Was machst Du, wenn Du Dich über dich selbst ärgerst? Was macht Dich traurig? Motorische Kompetenzen: Hier werden Fertigkeiten erfragt, die eher auf körperlichem Geschick und handwerklichen Fähigkeiten beruhen. Beispiele für motorische Kompetenzen sind körperliche Geschicklichkeiten, technische Fertigkeiten etc. Folgende Fragen können die Aufmerksamkeit auf diese Kompetenzen lenken: Welche Sportart macht Dir Spaß? Was ist Deine Lieblingsbeschäftigung? Wo stellst Du Dich besonders geschickt an?
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Zu III. Problemlösekompetenzen und -strategien Im Mittelpunkt dieser Kategorie steht die Frage nach erfolgreich bewältigten Konflikten und Problemen. Jeder Mensch hat in seinem Leben die Erfahrung gemacht, Probleme gelöst zu haben und hierfür – mehr oder weniger geplant – individuelle Ressourcen eingesetzt zu haben. Diese Ressourcen sind von ihnen häufig nicht direkt benennbar, sondern müssen rekonstruiert werden. Das Wissen darum, über solche Potenziale zu verfügen, und sich diese zu vergegenwärtigen, kann wiederum hilfreich sein, zukünftigen Konflikten und Krisen zu begegnen.5 Vogt et al. (2000) spricht in diesem Zusammenhang auch von Coping-Strategien – Schritte oder auch Haltungen, die zur Bewältigung eines Problems erfolgreich eingesetzt wurden und auf die in anderen Problemlagen wieder zurückgegriffen werden kann. CopingStrategien sind damit ein Fundus über den alle Menschen verfügen, dessen Wert und Bedeutung im Alltag häufig jedoch nicht als solcher den Befragten bewusst ist. Zu IV. Bildungskompetenzen Der zweite Quadrant thematisiert die Kompetenzen, die in einem Zusammenhang mit Wissenserwerb, dem Verstehen und dem Begreifen von Zusammenhängen stehen. Es werden damit vor allem die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen erfragt, wobei der Bildungsbegriff ein sehr umfassender ist und auf die unterschiedlichsten Lebenslagen und -phasen bezogen werden kann. Bildungsförderung für Menschen mit Behinderungen kann z.B. darin bestehen, sie zu einem regelmäßigen Besuch eines Treffpunktes zu motivieren oder aber junge Menschen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit dabei zu unterstützen, zusammen mit anderen Jugendlichen ein Freizeitprojekt zu realisieren. Aber auch die Rahmenbedingungen, die Bildung ermöglichen oder auch erschweren, sollen nicht außer Acht gelassen werden. Spätestens seit den ersten Veröffentlichungen der PISA-Studien im Jahr 2000 zur Erfassung der Schulleistungen im internationalen Vergleich im Auftrag der OECD identifizieren sich Kitas wie auch Jugendhilfeträger mit dem Thema Bildung und überlassen das Feld nicht mehr der traditionellen Bildungsinstitution Schule und Ausbildungsstätten. Auch gewinnt durch die zunehmende Verbreitung der Wahrnehmung des Lernens als einem lebenslangen Prozess der Einsatz für adäquate Zugänge und Teilhabemöglichkeiten an Lernprozessen an Bedeutung – und dies in allen Feldern der Sozialen Arbeit und für alle Altersgruppen. Beispiele für kognitive Kompetenzen sind vielfältig und stehen in engem Zusammenhang mit den Zielgruppen, deren Bildungskompetenzen erhoben werden sollen. So sind für Kinder im Kita-Bereich u.a. Sprache, Rechnen, Physikalische Kenntnisse etc. von herausragender Bedeutung. Fragestellungen hierzu sind z.B.: Womit beschäftigst Du
5
Der Lösungsorientierte Ansatz, der von De Shazer im Kontext kurzzeittherapeutischer Verfahren (De Shazer 1985) entwickelt worden ist, nimmt hierauf auch Bezug.
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Dich gerne in der Gruppe? Was möchtest Du als nächstes lernen? Was kannst du alles schon? Instrumente und Verfahren zur Exploration von individuellen Ressourcen Neben den schon oben aufgelisteten Fragen zur Erhebung der Kompetenzen aus den vier Bereichen des Ressourcenquadrates können für jedes Feld Instrumente entwickelt werden, durch deren Einsatz ein systematisches und umfassendes Vorgehen bei der Exploration bestimmter Kompetenzen gesichert werden kann. Im Folgenden sollen – exemplarisch für die einzelnen Bereiche – Instrumente vorgestellt werden. Grundsätzlich sollten sich Profi und Adressat der Hilfe – sofern dies möglich ist – zusammen vor Beginn einer Befragung mit Hilfe eines Instrumentes die zu Beginn des Kapitels vorgestellten drei Eingangsfragen stellen und auf der Basis der Antworten auf ein Instrument zurückzugreifen oder es so zu modifizieren, dass es sowohl für den Kompetenzbereich passt als auch für die Spezifika der Zielgruppe stimmig ist. So müssen bei der Befragung von Kindern oder auch Menschen mit Behinderungen die kognitiven und kommunikativen Möglichkeiten sowie die jeweilige Lebenssituation mit ihren spezifischen Anforderungen und auch Grenzen inhaltlich und sprachlich berücksichtigt werden. Der Einsatz von Instrumenten sollte im Vorfeld gut vorbereitet werden. Er gelingt dann am ehesten, wenn die Befragenden mit dem Vorgehen vertraut sind und davon überzeugt sind, dass das Instrument hilfreich für die Hilfegestaltung oder planung sein kann. Gerade in der Einstiegsphase in die Ressourcenarbeit wirkt der Einsatz von Instrumenten oft künstlich und aufgesetzt und wird daher nur ungern in Angriff genommen. Beide Seiten – Profi und Adressat – müssen sich häufig erst einmal mit der ungewohnten Situation vertraut machen. Von daher sollten die Ressourcenfachkräfte nach Möglichkeiten suchen, vor dem Einsatz in der Praxis diese Verfahren z.B. mit Kolleg/innen im Team auszuprobieren, um darüber ein Gefühl für die Fragen und Sicherheit in der Anwendung zu bekommen. Der Einsatz von Instrumenten, so „harmlos“ er auch auf den ersten Blick erscheinen mag, kann von den Befragten auch als Übergriff in ihre Intimsphäre interpretiert werden und Unbehagen oder Misstrauen hervorrufen. Aus diesem Grund sollte die Ressourcenfachkraft für die häufig ungewohnte Befragungsform im Vorweg werben und den Sinn und Zweck der Instrumente gut erklären. Darüber hinaus sollte ein Gesprächssetting sichergestellt werden, in dem die Instrumente etc. in Ruhe und möglichst entspannt eingesetzt werden können.
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I. Instrumente: Interessen, Wünsche, Ziele Für diesen Bereich, und hier im Besonderen für die Identifikation von Zielen, empfiehlt sich die Arbeit mit dem S.M.A.R.T.-Bogen zur Erhebung von Zielen, der von Hekele (2005) entwickelt worden ist und hier übernommen wurde. Name: Datum: Anlass:
S
Praxisziel:
A
M
R T S – spezifisch Die Ziele müssen konkret und spezifisch sein M – messbar Wie und durch was ist zu erkennen, dass das Ziel erreicht wird A – akzeptabel Das Ziel muss einen Zusammenhang zu den übergeordneten, gemeinsam vereinbarten Zielen/Grundwerten aufweisen R – realistisch Das Ziel muss unter den gegebenen finanziellen personellen, politischen Bedingungen erreichbar sein T – terminiert Ein Zeitpunkt für die voraussichtliche Zielerreichung ist anzugeben Abbildung 4:
S.M.A.R.T.-Liste
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In der Kopfzeile soll unter „Praxisziel“ das konkrete Ziel eingetragen werden, wie es nach dem S.M.A.R.T.-Check formuliert werden kann. In der rechten Spalte soll jeweils vermerkt werden, inwieweit das Ziel konkret dem jeweiligen Kriterium genügt. II. Lebenskompetenzen Life Skills lassen sich gut durch Checklisten erkunden. Diese ermöglichen es nicht nur kompetenzbezogen und zielgruppennah Fertigkeiten insgesamt zu erfassen, sondern darüber hinaus auch individuelle (Selbst-)Einschätzungen über den Stand der Umsetzung und den Grad der Zufriedenheit zu erhalten. Beispielhaft wird hier eine leicht überarbeitete Checkliste aus dem Stiftungsbereich Behindertenhilfe des Rauhen Hauses abgebildet, die Auskunft darüber geben soll, inwieweit eine befragte Person kompetent ist, selbstständig zu wohnen und wie zufrieden sie mit den einzelnen Teilkompetenzen wie „Wäsche“ oder „Zimmer“ ist, die insgesamt aus Perspektive der Professionellen die Kompetenz erfassen sollen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Kommentare und Ideen zu den einzelnen Teilkompetenzen und deren Umsetzungsstand zu vermerken (vgl. Abb. 5, S. 121). III. Problemlösekompetenzen und -strategien Dieser Bereich lässt sich am besten mithilfe einer Reihe von Fragen erfassen, die Hinweise auf – aus der Sicht der Befragten – erfolgreiche Bewältigungsstrategien im Umgang mit Problemen geben können. Das Problem oder der Konflikt sollte dabei im ersten Schritt möglichst konkret benannt werden, im zweiten Schritt sollte es darum gehen, dieses Verhalten auf andere Situationen zu übertragen und dadurch zu Kompetenzen und/oder Strategien zu kommen, die dann gemeinsam formuliert werden und auf ihre Übertragbarkeit überprüft werden können. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Strategien aus den Erzählungen der Adressaten „nachzuzeichnen“. Aus den Gesprächen über den Umgang mit schwierigen Situationen oder Krisen lassen sich Verhaltensweisen oder auch Haltungen heraushören, wie der Satz: „Ich weiß genau, ich muss nur abwarten, dann werden meine Wünsche irgendwann erfüllt“ oder „Wenn ich Stress mit meinen Eltern habe, leg ich mich aufs Bett und höre laut Musik bis ich wieder ruhiger bin“, die die Qualität einer Problemlösestrategie haben, auch wenn sie so nicht von den Adressaten wahrgenommen werden.
Arbeit mit individuellen Ressourcen Name: Datum:
Wie selbstständig bin ich?
121 Wie zufrieden bin ich damit?
Kom mentare und Ideen
Einteilen, einkaufen, waschen, 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 abhängen, pflegen Sauber halten, Zimmer einrichten und 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 gestalten Regelmäßig, gesund, einkaufen, Essen 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 kochen, benehmen Umgang mit Freunden, Kontakte Freund/Freundin, 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 fair, durchsetzungsfähig Bank, Ämter, Formulare, Briefe, Alltagsfit 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 Stadtplan, Bahn, Bus Umgang mit Geld, Organisa1 2 3 4 5 Termine, Zuver1 2 3 4 5 tion lässigkeit, Planung Ideen, Verein, Jobs, Hobby, Freizeit Sport, Veranstal1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 tungen, Reisen, Urlaub Eltern, GeschwisMeine 1 2 3 4 5 ter, Verwandte, 1 2 3 4 5 Familie Kontakt halten Lehrer, Ausbilder, Schule/ Leistung, Hausauf1 2 3 4 5 Ausbil1 2 3 4 5 gaben, Perspektive dung entwickeln Arztbesuche, Umgang mit Gesund1 2 3 4 5 Krankheit, Medi1 2 3 4 5 heit kamente, Suchtmittel 1: sehr selbstständig, sehr zufrieden 2: ziemlich selbstständig, zufrieden 3: geht so 4: wenig selbstständig, ziemlich unzufrieden 5: gar nicht selbstständig, total unzufrieden Wäsche
Abbildung 5:
Checkliste „Wie selbstständig bin ich?“
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Exploration von individuellen Problemlösekompetenzen und -strategien in sozialen Konfliktsituationen 1. Schritt: Beschreibung des Konfliktes und der Lösung x Wenn Du mal Ärger mit Freunden hast, was machst Du dann? x Gelingt es Dir meistens damit, den Ärger aus der Welt zu schaffen? Stichworte: 2. Schritt: Transfer der Lösung und Identifikation von Strategien x Kannst Du Dich noch an andere Probleme und Konflikte in Deinem Leben erinnern, in denen Du ähnlich reagiert hast und damit Erfolg hattest? x Wenn Du Dir Deine Reaktion noch einmal genauer angucken würdest, was sind dabei Deine Stärken gewesen, was hat Dir an Deinem Vorgehen gut gefallen? Stichworte:
Abbildung 6:
Fragenkatalog: Exploration von Problemlösestrategien
IV. Bildungskompetenzen Ähnlich wie bei den Life Skills lassen sich Bildungskompetenzen z.B. über Checklisten erfassen. Neben diesen vielfältigen Kompetenzen selbst ist die Exploration der Rahmenbedingungen für Bildungsprozesse wie auch der möglichen Zugänge und Teilhabechancen an Bildungsprozessen gerade für die Soziale Arbeit bedeutsam und kann wichtige Hinweise darauf geben, wie auf professioneller Ebene bildungsrelevante Kompetenzen durch entsprechende Rahmenbedingungen und Förderangebote gestärkt werden können. Exemplarisch sei hier ein Instrument vorgestellt, dass sich allgemein oder auch spezifisch auf einen Adressaten bezogen beschäftigt.
Arbeit mit individuellen Ressourcen Name: Datum:
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++
+
-
--
Verbesserungsideen
Lernort (Schreibtisch, Material, Hilfsmittel/PC können genutzt werden) Arbeitsatmosphäre (Ungestörtes, freundliches und motivierendes Umfeld ist gesichert) Zeit (Zeitstrukturen und -ressourcen sind in der Wohngruppe geregelt) Unterstützung durch Gleichaltrige (Rücksichtnahme, Hilfe, Aufmerksamkeit etc.) Unterstützung durch Helfer (Motivation, Hilfestellungen, Begleitung, Vermittlung in Konflikten etc.) Anreize (Lernerfolge werden „honoriert“) Projektarbeit (Projekte werden in der WG angeboten) Bildung als Thema der Hilfe (Hilfeplanung enthält konkrete Bildungsziele) Bewertung der aktuellen Bedingungen: ++ gut /+ eher gut/– eher schlecht/– – schlecht
Abbildung 7:
Einschätzungsbogen: Bildungschancen in der stationären Wohngruppe
Literatur Baumert, J. et al. (Hg.), 2001: PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen Bayerisches Landesjugendamt, 2001: Sozialpädagogische Diagnose – Arbeitshilfe zur Feststellung des erzieherischen Bedarfs. München Daniel, B. und Wassell, S., 2002: Adolescence. Assessing and Promoting Resilience in Vulnerable Children, vol 3. London, Philadelphia De Shazer, S., 1985: Wege der erfolgreichen Kurzzeittherapie. Stuttgart Hekele, K., 2005: Sich am Jugendlichen orientieren. München, Weinheim Hoops, S. und Permien, H., 2003: Evaluation des Pilotprojektes Ambulante Intensive Begleitung (AIB). München Möbius, T. und Klawe, W., 2003: AIB – Ambulante Intensive Begleitung. Handbuch für eine innovative Praxis in der Jugendhilfe. Weinheim, Berlin, Basel
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Thomas Möbius
Vogt, K., Venezia, B., Torres Mendes, C., Redlich, A., 2000: Die Erkundung von Kraftquellen im Leben der Menschen, Materialien aus der Arbeitsgruppe Beratung und Training, Uni Hamburg, FB Psychologie, Bd. 26. Hamburg Wustmann, C., 2004: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim, Basel
Teil B Ressourcenorientierung in der Praxis
7 Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis? Erfolgsfaktoren für die Verbreitung, Einführung und Verstetigung von Innovationen Thomas Kliche
Praxis professionell gestalten! Aufgabenstellung und Vorgehen Viele wissenschaftliche Innovationen der letzten Jahre, etwa aus der Bildungs-, der Psychotherapie- oder der Präventionsforschung, haben den Weg in die Praxis bislang nur mühsam gefunden. Unstreitig gibt es viele Hürden in den Professionen und Praxisfeldern – und nicht zuletzt Mittelknappheit –, die Neuerungen erschweren. Doch zudem hat die Wissenschaft auch häufig Einsichten der Transferforschung vernachlässigt, die eine gezielte Umsetzung von neuen Erkenntnissen und Ansätzen unterstützen. Ärgerlich für Einrichtungen mit hohem professionellen Standard und sogar schädigend für die Patient/innen sind solche Umsetzungshürden z. B. im Gesundheitswesen. Dort treten u. a. Schwierigkeiten bei der Einführung neuer Behandlungsleitlinien auf. Solche Leitlinien entstehen in mehrjährigen Diskussionen zwischen Fachgesellschaften, Forschern und Praktikern. Sie sagen dem Arzt, wie er nach aktuellem Forschungsstand bestimmte Krankheiten erkennen und optimal behandeln kann. Da das Wissen aus dem Studium – gerade in der Medizin – rasch veraltet, könnten solche Leitlinien die Heilungsaussichten und die Lebensqualität vieler Patient/innen verbessern; der Anteil angemessen behandelter Patient/innen wird nämlich international auf nur höchstens 60% geschätzt (Wensing, Wollersheim & Grol 2006). Trotzdem stoßen Leitlinien auf erhebliche Hürden (Kunz 2005). Auch Innovationen für eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Versorgungsformen (ambulante und stationäre Prävention, Diagnostik, Behandlung, Rehabilitation) kommen im Gesundheitswesen zäh voran – ein Grund für kostentreibende Fehlversorgung (Fischer et al. 2007). Das hat in den letzten Jahren eine Fülle von Studien bestätigt; diese beschäftigten sich daneben auch mit aussichtsreichen Ansätzen und Techniken, Neuerungen in die Praxis zu bekommen (Härter et al. 2006). Welchen Nutzen kann die Arbeit mit sozial und gesundheitlich benachteiligten Menschen aus diesen Forschungen über Transfermethoden im Gesundheitswesen ziehen? Dazu werden hier die wichtigsten Ergebnisse aus Überblicksarbeiten berichtet. Solche Reviews fassen zahlreiche Einzeluntersuchungen über Erfahrungen mit dem Praxistransfer von Innovationen zusammen. Neben der internationalen Forschung über Prävention und Gesundheitsförderung sind Arbeiten über das
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Thomas Kliche
deutsche Bildungs- und Sozialwesen einbezogen, weil diese ressourcenorientierte Vorgehensweisen für gesundheitlich und sozial besonders bedürftige Teilgruppen umfassen (s. Tabelle 1). Die Ergebnisse aus internationalen Studien über Gesundheitswesen und Kommunalverwaltungen sehen dabei ganz ähnlich aus wie die deutschen. Die Forschung gibt uns deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit Auskunft über wichtige Hürden, Förderfaktoren und Handlungsansätze für Neuerungen. Innovationen wo?
Ausgewertete Studien
Quelle
Alle Organisationen (international)
377
(Fixsen, Naoom, Blase, Friedman & Wallace, 2005)
Dienstleistung, insbesondere Gesundheitswesen (international)
495
(Greenhalgh, Robert, Bate, Macfarlane & Kyriakidou, 2005; Greenhalgh, Robert, Macfarlane, Bate & Kyriakidou, 2004)
Gesundheitswesen (international)
57
(Fleuren, Wiefferink & Paulussen, 2004)
36 (Reviews)
(Wensing et al., 2006)
483
(Durlak & DuPre, 2008)
Prävention und Gesundheitsförderung (international)
Bildungs- und Sozialwesen 15 (Nickolaus & Gräsel, 2006) (Deutschland) Tabelle 1: Wichtigste Veröffentlichungen über Praxistransfer
Teilschritte von Neuerungen, ihre Schwierigkeiten und Bedeutung Erfolgreiche Innovationen durchlaufen drei Stufen (Durlak & DuPre 2008; Fixsen et al. 2005; Fleuren et al. 2004; Greenhalgh et al. 2004): 1. Verbreitung: Zunächst müssen die zuständigen Fachleute und Einrichtungen von der möglichen Neuerung erfahren. Zur Bekanntmachung dienen zwei Wege: Diffusion bedeutet die von selbst ablaufende Weitergabe von neuem Wissen über Fachmedien (Zeitschriften, Tagungen, z. B. zur Suchttherapie) oder persönliche Kontakte, z. B. mit anderen Praktiker/innen, die selbst in der Familienberatung tätig sind. Dissemination bedeutet hingegen die gezielte Verbreitung von Informationen, z. B. bei Hebammen, die Familien mit Neugebo-
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis?
2.
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renen aufsuchen. Einig ist sich die Transferforschung darüber, dass Diffusion lange dauert und oft wenig bewirkt; erforderlich ist vielmehr die systematische Ansprache der Zielgruppen mit Handreichungen und Argumenten. Implementation: Ist die Neuerung bekannt, so wird sie von Gruppen, Berufen, Organisationen, Führungsebenen oder anderen Einheiten eingeführt. Das geschieht am besten in mehreren Teilschritten: Erkundung des Bedarfs und der Neuerungsbereitschaft, Entscheidung über die Einführung, Einrichtung der erforderlichen Infrastruktur, Erstdurchführung und voller Einsatz. Ein Beispiel: Wollen wir ein neues Programm zur Ressourcenförderung bei Suchtgefährdeten einführen, so prüfen wir zunächst regional und innerhalb der Träger-Organisation, ob es schon solche Programme gibt und wo die Zielgruppen dafür zu finden sein könnten (Bedarf). Wir sprechen mit den Fachkräften vor Ort, unter welchen Bedingungen sie Interesse für neue Vorgehensweisen haben, oder ob ihr Arbeitsalltag umgestellt werden muss, um die erforderlichen Spielräume zu schaffen, und wir erkunden bei den Leitungsebenen, welche Anforderungen ein Programm erfüllen sollte (Neuerungsbereitschaft). Wir stellen die Argumente für die Einführung zusammen, und ist diese beschlossen, so begleiten wir die Durchführung von Gruppenleiter- oder Beratungstrainings, die Einrichtung von Supervisionskreisen, die Verbreitung der erforderlichen EDV-Hilfen, Unterlagen usw. (Infrastruktur). Bei den ersten Durchgängen zeigen sich vielleicht Verbesserungsmöglichkeiten, die wir z. B. durch Fokusgruppen oder Qualitätszirkel der durchführenden Fachkräfte erhellen können (Erstdurchführung). Schließlich liegen so genug Erfahrungen vor, damit eine auf die Einsatzbedingungen zugeschnittene, praktikable und den durchführenden Fachkräften schon vertraute Fassung des Programms eingeführt werden kann (voller Einsatz). In dieser Phase der Implementation tauchen bei diesen Teilschritten wichtige Fragen auf: o Welche Richtung nimmt die Innovation? Sie kann von der Führung autoritär zu den Mitarbeiter/innen (top-down) oder von der Basis partizipativ in die höheren Ebenen (bottom-up) kommen (Carey & Braunack-Mayer 2009). Top-down-Innovationen erfolgen schnell und einheitlich (insofern gerecht), und sie können kostengünstig den neuesten Sachstand verbreiten. Das ist zum Beispiel erforderlich bei Änderungen von Arbeitsabläufen im Gefolge von Änderungen der Sozialgesetzgebung. Top-downInnovationen scheitern aber oft an der Wirklichkeitsferne der Spitzen und Widerständen der Basis. Bottom-up-Innovationen stützen sich hingegen auf die Mitwirkung möglichst vieler Praktiker/innen; sie motivieren damit die Beteiligten. Sie scheitern aber oft an Zeitmangel, Sonderinteressen von Teilgruppen und Streitigkeiten über ein gemeinsames, fachlich hochwertiges Vorgehen. So können z. B. Fachkräfte, die auf einer Fort-
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3.
Thomas Kliche bildung neue Möglichkeiten kennengelernt haben, in eine schwierige Lage geraten, wenn sie erfahrenen Kolleg/innen diese Neuerungen für den Arbeitsalltag nahebringen wollen („Vorschläge sind auch Schläge!“). o Wie ernsthaft erfolgt die Einführung? Viele Neuerungen versanden, weil das Personal fehlt oder abwandert oder die Mittel nicht ausreichen, und das kann sogar bei aufwendig evaluierten Bundesmodellprojekten der Suchthilfe geschehen („Einführung auf dem Papier“). Wichtig ist deshalb, die Innovation in Routinen und Arbeitsabläufe einzubinden („Prozessimplementation“). Die heute bekannten Erfolgsfaktoren dafür erläutern die folgenden Abschnitte (s. u. 3–7). o Welches Vorgehen ist mit Sicherheit zielführend? Das kann man laut Forschungslage nicht verallgemeinern. Denn das Zusammenwirken unterschiedlicher Hürden und Erfolgsfaktoren unterscheidet sich von Feld zu Feld und hängt zudem vom Träger der Innovation ab; so haben z. B. Personen als Neuerer einen schwereren Stand als Organisationen, und Professionen stehen andere Mittel zur Verfügung als Netzwerken, Unternehmen andere als Schulen oder Wohlfahrtsverbänden. Verstetigung: Zielsetzung dieser letzten Phase ist die nachhaltige Verankerung der eingeführten Neuerungen in Strukturen, Abläufen, Vorschriften und Alltagsgewohnheiten. Über diesen Schritt ist wenig übertragbares Wissen gesichert. Das hat einen einfachen Grund: Mit dem Übergang aus der Modellphase in die dauerhafte Routine werden Sach- und Personalmittel erforderlich, die meist äußeren Beschränkungen unterliegen. Modellprojekte werden oft besonders gut ausgestattet, intensiv beforscht und von ihren hoch motivierten „Erfindern“ vorangetrieben. Sie arbeiten also unter außergewöhnlichen Bedingungen und scheitern zwangsläufig, sobald sie in der kargen Realität das Gleiche leisten sollen („Modellprojekt-Falle“). So sind etwa Erziehungshilfen gut wirksam; 60-75 % der Fälle nehmen positive Verläufe, und die Wirkungen (Schulnoten, geringere Straffälligkeit) bleiben stabil, so dass Jugendhilfe mit einem Return on Investments von 1:3 ein günstiges positives Kosten-NutzenVerhältnis aufweist (Macsenaere 2007). Voraussetzung ist allerdings, dass hohe Fachlichkeit im Umgang mit dem Einzelfall herrscht (z. B. gut dokumentierte, qualifizierte Hilfepläne) und kontinuierliche Betreuung gewährleistet ist, um eine hohe Beziehungsqualität zwischen Ansprechpartnern und Kindern zu halten (Macsenaere, 2007; Macsenaere & Knab 2004).
Die gesamte Übertragung von Innovationen in die Praxis wird mitunter als „Transfer“ (Übertragung) oder als „Translation“ (Übersetzung) bezeichnet. „Transfer“ ist eher in den Wirtschafts-, Sozial- und Technikwissenschaften geläufig, „Translation“ eher in der Medizin. Denn der Ausdruck „Translation“ betont, dass das neue Wissen auf den Einzelfall angewendet und dafür das Wissen der klinischen Forschung
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis?
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vom behandelnden Arzt auf den besonderen Patienten „übersetzt“ werden muss (Davis et al. 2003). Woran erkennen wir leicht gängige Neuerungen? Die Forschung zeigt eine Reihe von Merkmalen für Innovationen, die mit vergleichsweise geringer Anstrengung eingeführt werden können: Sie bringen rasch greifbare Gewinne (Kosten, Qualität, Effektivität, Leistungen). Sie nehmen begrenzte technische Verbesserungen vor. Dann drohen keine Konflikte und Folgelasten, die Innovationen passen gut zu den eingeführten Arbeitsmustern und Lösungsstrategien, sie bergen geringe Risiken und sind einfach handhabbar. Sie bauen auf Wissen und Kompetenzen, über die die Nutzer/innen bereits verfügen. Sie sind gut vereinbar mit Werten, Normen und Bedürfnissen der Betroffenen. Sie bieten Möglichkeiten zum Ausprobieren. Menschen, die in Probeläufen mit neuen Möglichkeiten „spielen“ können, lernen und akzeptieren diese bereitwilliger. Sie lassen sich anpassen. Modifizierbarkeit ist ein wichtiges Merkmal erfolgreicher Innovationen. Ihre Neuerfindung („re-invention“) bietet Menschen die Möglichkeit, die Vorgaben auf das eigene Handlungsfeld zuzuschneiden und als Kompetenzgewinn zu erleben. Dafür muss der „Kern“ der Innovation klar benannt sein, während ihre veränderbare „Peripherie“ verschiedene Möglichkeiten zur Einbettung in den Alltag offen lassen darf. Sie sind mit Unterstützung verbunden. Wer sich unsicher fühlt, neue Kompetenzen benötigt oder Fragen hat, kann z. B. externe Beratung, Fortbildungen, Coaching, Hotline, kollegiale Intervision oder Qualitätszirkel in Anspruch nehmen. „Ressourcenorientierung“ ist also auch ein empirisch gestütztes Leitprinzip für den Transfer von Neuerungen. Ob eine Innovation diese Merkmale erfüllt, können die späteren Träger/innen nicht immer sofort erkennen. Wer also Veränderungen anstrebt, sollte den Zielgruppen systematisch verdeutlichen, inwiefern die Neuerungen solchen Chancen und Erwartungen entsprechen. Erfolgreiche Innovation ist also mit ständiger, wiederholungsreicher, geduldiger, vielfältiger Kommunikation sowohl der Ziele und Vorteile als auch des aktuellen Standes und schon erzielter Erfolge verbunden. Viele der angeführten Merkmale klingen partizipativ und demokratisch, werfen aber eine grundlegende Frage auf: Die Forschung zeigt, dass Innovationen leichter durchsetzbar sind, welche die bestehenden Machtgefälle und Vorurteile in Organi-
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sationen spiegeln. Genau die sind jedoch oft das Problem, welches die Neuerung beseitigen soll, z. B. Führungsstile oder eingeübte Verantwortungslosigkeit; Beispiele für dieses Dilemma finden sich in der Betrieblichen Gesundheitsförderung, aber auch in der Börsen- und Bankenaufsicht. Wie können wir die Verbreitung einer Neuerung unterstützen? Um die Zielgruppen zu erreichen, sollten wir laut Forschungslage folgende Aspekte beachten: Kanäle: Verschiedene Teilgruppen (Professionen oder soziale Kreise in Organisationen oder Lebenswelten) haben jeweils eigene Netzwerke. Man sollte alle einzubinden versuchen. Horizontale, gleichrangige Ansprache (z. B. zwischen Mitgliedern einer Profession) ist günstiger für die fachliche Motivation, vertikale Kommunikation (z. B. zwischen Leitung und Kollegium) ist effizienter zur raschen Information und Einweisung bei einfachen, konfliktfreien Verbesserungen. Medien: Das erforderliche Wissen sollte zielgruppengerecht aufbereitet sein (z. B. durch Website, Schulung, Handreichungen usw.). Zeit: Die individuelle und die organisatorische Aneignung von Veränderungen kostet (oft viel) Zeit; die muss man einplanen. Champions oder „Hüter“: Wichtig ist, Verfechter der Innovation in der Führung von Organisation, im Arbeitsfeld oder Setting zu gewinnen. Champions verschaffen dem Entwicklungsprozess Freiräume, Unterstützung, Ressourcen und Ausstrahlung. So fördert die Unterstützung durch Meinungsführer, z. B. in einem Kollegium oder einer Profession, fachlich begründete Neuerungen. Meinungsführer sind oft zugleich Brückenpersonen („boundary-spanner“), die Kontakte innerhalb und außerhalb der Organisation haben. Lernen am Modell: Innovationen werden leichter von ‚ähnlichen‘ Personen übernommen, von Menschen also, die der Zielgruppe in Aufgabe, Status, Beruf, Ethnie, Alter, Gender usw. entsprechen. Welche Merkmale dabei ins Gewicht fallen, entscheidet sich nach dem Arbeitsfeld und der jeweiligen Neuerung. Meist sind berufliche Rollen entscheidend. Kurz, man kann die Verbreitung von Innovationen erfolgreich vorantreiben, wenn man über ihre Träger gut Bescheid weiß, deren Bedürfnisse, Werte und Normen anspricht und ihnen an Beispielen nahebringen kann, welchen Nutzen sie aus den Veränderungen ziehen.
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis?
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Müssen wir Programme streng nach Handbuch einführen? Die Einführung ist der wichtigste Schritt bei Neuerungen, denn sie schafft – anders als bloße Information – Verbindlichkeit durch Verhaltensänderungen. Wichtig ist dabei, die ursprüngliche Gesamtidee der Neuerung möglichst unverwässert umzusetzen, auch wenn das oft schwierig ist. Eine hohe Qualität der Umsetzung („Implementationsgüte“) bewirkt nämlich etwa zwei- bis dreimal so hohe Verbesserungen in den angestrebten Zielsetzungen, z. B. Leistungssteigerung bei Schüler/innen, Gesundheitsgewinne für Lehrkräfte, Heilungszeiten der Patient/innen, Organisationsklima in Sozialeinrichtungen usw. (Durlak & DuPre 2008; Wensing et al. 2006). Selbst gut konzipierte Maßnahmen können dank freizügiger Basteleien in der Praxis am Ende derart erbärmliche Programmtreue aufweisen, dass sie auf Zeitverschwendung hinauslaufen; so erfolgen in den USA etwa 50% der Anstrengungen zur Prävention von Gewalt und Ausgrenzung unter Schüler/innen dermaßen zerstückelt, dass Wirkungen kaum zu erwarten sind (Melde, Esbensen & Tusinski 2006). Die Programmtreue, also die sorgfältige und vollständige Einführung eines Vorhabens oder einer Intervention (z. B. eines Trainings- oder Beratungskonzepts), weist in der Praxis meist extreme Streuung auf. Selten werden je 80% der Programminhalte umgesetzt (ebd.). Das ist aber aus zwei Gründen trotzdem ein guter Anfang (Durlak & DuPre 2008): 1. Viele Programme erreichen schon mit einem Umsetzungsgrad von etwa 60% ihres „eigentlichen“ Inhalts gute Ergebnisse. Schwellenwerte, unterhalb derer keine Wirkungen eintreten, sind nicht bekannt und hängen wahrscheinlich vom jeweiligen Programm ab. 2. Wer in die Mühen langwieriger Entwicklungsprozesse und die üblichen Widerstände verstrickt ist, übersieht leicht die eigenen Erfolge. Die Begleitforschung, die Innovationen „von außen“ beobachtet, belegt oft stärkere Effekte, als die Praktiker/innen selbst subjektiv in ihrem Alltag beobachten. Es lohnt also, möglichst viel von einem guten Konzept umzusetzen. Dafür steuert die Forschung folgende Ratschläge bei: Hartnäckig bleiben, da man ja schon mit 60% Umsetzung gute Effekte erzielen kann und außerdem die eigenen Erfolge häufig unterschätzt (s. o.)! Das Handlungsfeld gut erkunden und das eigene Vorgehen gut auf Zielgruppen, Ziele und Rahmenbedingungen ausrichten (Shaw et al. 2005)! Geeignete Verbündete und Ansatzpunkte in Organisation und Organisationskultur suchen! Wo die zu finden sind, zeigen die nächsten Abschnitte.
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Welche Organisationsmerkmale helfen uns bei Neuerungen? Bekanntlich hat es selten Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Man sollte ihn vielmehr benutzen, um sie zu durchbohren, zu umgehen, zu überklettern oder zu untergraben. Dafür muss man sie gut kennen. Die Forschung hilft dabei, indem sie Förderfaktoren für Neuerungen aufzeigt (Quellen s. Tabelle 1): (1) Die Gestaltungs- und Problemlösungsfähigkeiten einer Organisation („capacity“) sind für etwa 15% der Unterschiede (Varianz) der erzielten Innovationen verantwortlich. Größere Organisationen, die viele arbeitsteilige Untereinheiten haben, in denen verschiedene Professionen ihre Kenntnisse einbringen und auf eingeübten Kanälen ständig miteinander kommunizieren, können die Kompetenzen, Investitionsmittel und technischen Ressourcen für Veränderungen i. d. R. eher bereitstellen. Es ist also ein Vorurteil, dass kleine Einrichtungen flexibler sind; vielmehr ist zu Beginn von Innovationsprozessen eine Bestandsaufnahme der Stärken und Entwicklungsbedarfe beteiligter Einrichtungen und Abteilungen für das jeweils geplante Vorhaben sinnvoll. (2) Organisationen sind für neues Wissen besonders aufnahmefähig, wenn dieses auf vorhandenen Wissensbeständen, Qualifikationen und Technologien aufbaut. Solche „Anschlüsse“ kann man gezielt herausarbeiten und verdeutlichen. (3) Neuerungen werden bereitwilliger aufgegriffen, wenn eine Organisation bereits gute Erfahrungen mit früheren Innovationen gemacht hat. Deshalb ist es günstig, den Beteiligten möglichst schon zu Beginn von Veränderungsprozessen gezielt spürbare Erfolgserlebnisse zu vermitteln; hierfür ist die Mitwirkung der Organisationsleitung offenkundig hilfreich. (4) Innovationen verlaufen reibungsloser, wenn sie nicht urwüchsig vor sich hin wuchern, sondern durchdacht gesteuert und von Qualitätssicherung und Evaluation begleitet werden. Damit ist es möglich, einerseits Irrwege, Zeitverschwendung und Vertrauensverluste zu vermeiden, andererseits Erfolge rasch zu erkennen und zur Bestärkung zurückzumelden. (5) Hilfreich ist eine Organisationskultur der Offenheit, der Akzeptanz von Spannungen und von Unsicherheiten (Ambiguitätstoleranz) und des professionellen Selbstvertrauens (Selbstwirksamkeitserwartung). Eine solche Kultur findet man nicht überall; anfangs kann man Neuerungen aber oft bei Untergruppen beginnen, die diesen Idealen nahe kommen (z. B. engagierte Lehrkräfte in einem Kollegium, Betriebsrat usw.). Einige dieser Bedingungen können wir direkt zu optimieren versuchen. Andere lassen sich nur indirekt berücksichtigen, indem wir für Innovationen besser geeignete Ansatzpunkte und Einsatzfelder ausfindig machen, statt gegen die Wand zu rennen.
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis?
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Wie können wir Innovationsprozesse unterstützen? Alle Menschen, die eine Neuerung mittragen sollen, müssen deren Bezug zu ihrem beruflichen Handeln, zu wichtigen Werten und Zielen verstehen. Um das zu erreichen, gibt die Forschungslage einige Empfehlungen (Quellen s. Tabelle 1): Veränderungsbedarf verdeutlichen! Wo noch kein spürbarer Problemdruck gegenwärtig ist, sollte man kommunizieren, welchen Nutzen die Angesprochenen aus einer Neuerung ziehen können, welche Probleme und Aufgaben sie ihnen leichter und besser zu lösen hilft. Politischer Druck hingegen erhöht zwar kurzfristig den Zwang zur Veränderung, nicht aber die Handlungsfähigkeit der Menschen und die Gestaltungskapazität der Organisationen; er erzeugt daher meist Reaktanz, also offene und verdeckte Widerstände, Motivationseinbußen und Bestrebungen, Freiräume zu verteidigen. In langfristige Entwicklungspläne einbinden! Die Organisationsführung sollte mit klaren strategischen Zielen hinter den Innovationen stehen. Das bedeutet auch: Sie muss Zeit und Geld für Struktur- und Prozessveränderungen und für die Beobachtung ihrer Wirksamkeit bereitstellen und sie sollte dieses Engagement auch deutlich kommunizieren. ‚Technikfolgen’ abschätzen! Die einzelnen Schritte der Veränderungen und das Gesamtbild der geplanten Auswirkungen sollten für die Betroffenen transparent und nachvollziehbar sein. Bedenken klären! Die drei Innovationsphasen Bekanntmachung, Einführung und Verstetigung (s. o. Punkt 2) bringen jeweils unterschiedlichen Klärungsbedarf: Vor der Einführung bestehen unklare Erwartungen und Befürchtungen, die mit gezielter Dissemination ausgeräumt werden können. Während der Implementation herrscht hoher Bedarf an technischen Tipps und Tricks sowie an gut erreichbaren Ansprechpartnern für unerwartete Schwierigkeiten. Für die Phase der Verstetigung wünschen sich die Betroffenen, dass ihre Erfahrungen berücksichtigt und gelungene Anpassungen an örtliche Bedingungen als gute Beispiele weitergegeben werden. Freiräume erhalten! Wichtig ist den Betroffenen, dass für Neuerungen nicht die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Aufgabenbewältigung geopfert werden. Dafür gibt es zwei wichtige Ansätze: (a) Spielräume der Selbstverantwortung können u. a. durch partizipative Verfahren mitbedacht werden, z. B. durch Qualitätszirkel oder Steuerkreise, in denen alle Gruppen einer Einrichtung vertreten sind. Sie sorgen dafür, dass alle Teilschritte möglichst gut auf die Bedürfnisse der Gruppen abgestimmt sind, die mit den Veränderungen letztlich arbeiten sollen. (b) Gute Programme tragen diesem Umstand von vornherein Rechnung, indem sie Möglichkeiten zu ihrer lokalen Anpassung („re-invention“) vorsehen.
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Thomas Kliche Rückschläge einplanen! Praktisch keine Innovation verläuft ohne Schwierigkeiten. Wichtig ist daher ein flexibler Umgang mit Umsetzungsproblemen. Bewährt haben sich dezentrale Vorgehensweisen, die die einzelnen Hürden vor Ort ins Auge fassen und gesondert „kleinarbeiten“, um die Erfahrungen damit dann später zentral auszuwerten. Verschiedenartige Lernformen ermöglichen! Wichtig sind – je nach Art der Innovation – informelle Lernorte (z. B. Kaffeeküchen!), Informationsaustausch innerhalb der Organisation und auf übergreifenden Fachforen, das Lernen vom Vorbild ähnlicher Organisationen sowie die Vernetzung mit anderen Betroffenen.
Kein sicheres Fahrwasser, trotzdem gute Karten Unbeschwert sichere Fahrt im Gewirr möglicher Untiefen kann niemand versprechen. Denn keiner der vorgestellten Einzelfaktoren ist allein für sich vollkommen zuverlässig. Selbst wo fast alle beachtet wurden, blieb die Innovation mitunter erfolglos (Durlak & DuPre 2008). Jedes Arbeitsfeld bringt ja besondere Anforderungen und Unübersichtlichkeiten mit sich. Einige Erfolgsfaktoren können sich sogar widersprechen: viel Partizipation, aber auch starker Rückenwind seitens der Führung; Möglichkeiten zur lokalen Anpassung von Neuerungen, aber auch Festlegung von Kerninterventionen; überschaubare Teilschritte, aber auch Integration in einen umfassenden Prozess; Spielräume erhalten, aber auch die Einführung und ihre Erfolge beobachten, also evaluieren. Wegen solcher Spannungsfelder braucht man bekanntlich für Veränderungsprozesse einen langen Atem. Viele Förderfaktoren finden sich gerade dort, wo am wenigsten Neuerungsbedarf besteht, also in ohnehin gut ausgestatteten Arbeitsfeldern. Überall müssen also die Förderfaktoren und das bestmögliche Vorgehen im Einzelfall abgewogen werden. Deshalb ist für Innovationen unser professionelles Urteilsvermögen von unschätzbarem Wert: Es hilft uns, alle lokalen Bedingungen auf Innovationshürden abzuklopfen und Schlüsselprobleme gezielt zu bearbeiten. Beim Entwurf solcher „Landkarten“ kann uns ein Kompass behilflich sein: Es gibt verschiedene geeignete Verfahren zur Planung und Konzeptprüfung von Innovationen. Für den Schwerpunkt Soziale Arbeit hat das Bundesfamilienministerium zahlreiche praktikable Handreichungen zur Planung und Selbstevaluation von Konzepten erstellen lassen (www.bmfsfj.de/bmfsfj, Suchstichwort „Selbstevaluation“). Für Prävention und Gesundheitsförderung hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung QIP entwickelt, „Qualität in der Prävention“ (www.uke.de/qip). Dessen evidenzbasierte, d. h. nachweislich auf Wirksamkeit ausgerichtete Gestaltungskriterien führt Tabelle 2 an. Von der Website kann ein Fragebogen zur Pro-
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis?
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Mitwir- Planungsqualität wirkende
Konzeptqualität
jektbeschreibung heruntergeladen werden, der die meisten Förderfaktoren abfragt und dadurch zur Optimierung von neuen Vorhaben anleitet. Die gute Nachricht: Die Chancen stehen nicht schlecht. Oft reichen schon zwei Drittel der Zielsetzung, um gute Effekte zu erzielen (s. o.), und die sind mit solchen Planungshilfen einigermaßen sicher zu erreichen. Die schlechte Nachricht: Fachlich sinnvolle Neuerungen werden trotz allem meist ein mühseliges Unterfangen bleiben. Gerade deshalb kommt Pionieren großes Verdienst zu. Ihre Arbeit sollte von Forschung und Praxis nur mit dem höchsten Respekt behandelt werden. Bedarfsbezug
Ist das Projekt auf gesellschaftlich vorrangige Versorgungs- und Gesundheitsziele ausgerichtet?
Zielgruppenbestimmung
Sind klare, begründete Kriterien für Auswahl und Eingrenzung der Zielgruppe(n) festgelegt?
Zielgruppenverständnis
Hat das Projekt ein gutes Verständnis der Besonderheiten und des soziokulturellen Feldes ihrer Zielgruppen?
Zielsetzung
Sind die Ziele konsistent, konkret und realisierbar gesteckt?
Präventiver Ansatz
Ist die Aktivität umfassend und durchdacht auf Wirksamkeit angelegt?
Einbettung im Arbeitsfeld/Abstimmung mit anderen Akteuren
Sind die Aktivitäten und Angebote anderer Akteure berücksichtigt, um die Aktivität sachlich und hinsichtlich der Mittelverwendung gut mit anderen bestehenden Angeboten zu verzahnen?
Anpassung und Aktualisierung des Ansatzes für das Arbeitsfeld
Ist der Arbeitsansatz für die besonderen Bedingungen des Arbeitsfeldes ausgewählt, dafür angepasst und auf den aktuellen fachlichen Stand gebracht worden?
Personal und Qualifikationen
Reichen die personelle Besetzung und die verfügbaren Qualifikationen zur Erfüllung der Aufgaben in der Aktivität?
Verbreitung und Vermittlung
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Thomas Kliche Kooperation: Interdisziplinäre Zusammenarbeit, laufende Abstimmung
Sind der fachliche Austausch und die Zusammenarbeit mit allen für das Vorgehen erforderlichen Kooperationspartnern gut strukturiert und vorbereitet?
Streuung des Angebots bei den Zielgruppen
Sind die Streuwege geeignet, die Aktivität bei den Zielgruppen bekannt zu machen, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen?
Arbeitsmethoden
Ist die Didaktik professionell und auf mehreren Ebenen aufgebaut und für Lernziele und Zielgruppen geeignet?
Vermittlung des Angebots (Medien und Materialien)
Sind geeignete Medien und Materialien für die Vermittlungsschritte und Zielgruppen vorbereitet?
Weiterführende Schritte (Empowerment, Bewältigungskompetenzen)
Gibt die Aktivität den Teilnehmern Impulse zum längerfristigen Gesundheitslernen, unterstützt sie die Entwicklung von Problemlösungsfähigkeiten?
Erfolgsbeobachtung
Steuerung
Lenkung der Aktivität Wird der Stand der Aktivität in Teilschritten erfasst und ggf. zur Verbesserung und Steuerung des Aktivitätsverlaufs genutzt? Erfolgreicher Verlauf Werden Probleme aktiv bearbeitet und dank aktiver Bearbei- Lösungen entwickelt? tung von Schwierigkeiten Prüfung externer Leistungen
Werden Leistungen Dritter auf ihre Qualität geprüft?
Gesamtbild der Effekte
Hat die Einrichtung eine handlungsleitende Einschätzung der Wirkungen ihrer Aktivität?
Erfassung von BeWie verlässlich und gültig werden Verbreikanntheit/Akzeptanz tung und Nutzung des Angebots erfasst und ausgewertet? Erfassung von Wirkungen
Wie fundiert sind die Wirkungen der Aktivität geprüft?
Wie bekomme ich neue Ansätze in die Praxis? Vorliegen eines Wirkungsnachweises
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Geht aus dem gesicherten Kenntnisstand hervor, dass die Aktivität gesundheitsförderlich wirkt?
Nachhaltigkeit
Erfassung der Nutzer Sind Größe und Zusammensetzung der der Aktivität erreichten Gruppen bekannt?
Tabelle 2:
Kontinuierliche Verbesserungen
Werden die Erfahrungen durchdacht, weitergegeben und in längerfristige Verbesserungen von Angebot oder Programm umgesetzt?
Qualitätsdimensionen wirkungsvoller Projekteinführung nach QIP
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Thomas Kliche
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8 Das Multiplikatorenkonzept Thomas Möbius Ressourcenorientierung jenseits der Fallarbeit Wird über ressourcenorientiertes Arbeiten geschrieben oder diskutiert, so wird damit in der Sozialen Arbeit zuerst einmal eine spezifische Haltung und ein methodisches Vorgehen in der Betreuung und Beratung von Kindern, Jugendlichen, Familien, alten Menschen und Menschen mit Behinderungen verbunden. Das ressourcenorientierte Arbeiten zeichnet sich dabei dadurch aus, dass es den Blick weg von den Defiziten auf die Potenziale der Menschen lenkt und diese systematisch in den Unterstützungsprozess einbezieht. Probleme und ihre Analysen spielen nur noch eine untergeordnete Rolle, im Mittelpunkt steht die Suche nach den passenden Lösungen, für die wiederum die notwendigen Ressourcen aktiviert werden müssen. Für die Ressourcen-Fachkraft ist es von daher von entscheidender Bedeutung, ein gutes Gespür für „Kraftquellen“ aller Art zu haben, über konzeptionelle Grundkenntnisse und Methodenkompetenz zu verfügen, aber auch in einem professionellen Umfeld zu arbeiten, in dem die Idee des Ressourcenansatzes bekannt ist und unterstützt wird. In diesem Kapitel soll der Blick auf die Aktivitäten der Fachkraft jenseits der konkreten Betreuungsarbeit gelenkt werden und in diesem Zusammenhang ein Konzept vorgestellt werden, das dazu beiträgt, den Ressourcenansatz im Kollegenkreis und der Fachöffentlichkeit bekannt zu machen und für konkrete Unterstützung bei dem Engagement für ein ressourcenorientiertes Denken und Handeln zu werben. Die diesem Engagement zugrunde liegende Idee geht von der Beobachtung aus, dass ressourcenorientiertes Arbeiten um so besser gelingt, wenn es in eine umfassende Handlungsstrategie eingebunden ist, die eine systematische und schnelle Identifizierung vor allem von Unterstützungspotenzialen ermöglicht. Die Entwicklung eines solchen Handlungskonzeptes ist das Ergebnis eines häufig jahrelangen und kontinuierlichen Werbe- und Überzeugungsprozesses potenziellen Unterstützungspersonen und -organisationen gegenüber. Denn nur die Kolleg/innen und Institutionsvertreter/innen, die über die Idee des Ressourcenansatzes informiert und von ihm überzeugt sind bzw. ihm zumindest nicht negativ gegenüberstehen, engagieren sich für die Suche nach Unterstützungspotenzialen bzw. stellen diese bereitwillig zur Verfügung. Ressourcenarbeit bedeutet daher auch ein Engagement der Profis nicht nur in der Fallarbeit und die Suche nach den dort zu vermittelnden und aktivierenden Ressourcen, sondern auch einen Einsatz unabhängig von der Einzelfallhilfe in der Institution, den Gremien, der Region bzw. dem Sozialraum
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Thomas Möbius
oder Stadtteil, um über diesen Weg Kraftquellen aller Art zu erkunden bzw. ihre Nutzung kurz- und langfristig zu sichern. Ein möglichst optimaler Einsatz des Ressourcenansatzes in der Sozialen Arbeit basiert dabei zum einen auf der Kenntnis der konzeptionellen Grundlagen und der routinierten und passgenauen Arbeit mit ressourcenorientierten Verfahren und Instrumenten, zum anderen auf einem funktionierenden Netzwerk von Unterstützer/innen und „Türöffnern“, die den Zugang zu Ressourcen vielfach erst ermöglichen und sich selbst auf die Suche nach Kraftquellen in ihren spezifischen Kontexten begeben. Für die Ressourcenfachkraft hat dies zur Folge, dass sie gleichzeitig als Praktiker/in, Vermittler/in und Multiplikator/in den Ressourcenansatz auf verschiedenen Handlungsebenen umsetzen und sich für dessen Verbreitung immer wieder stark machen muss. Hierzu sollte sie nicht nur über eine entsprechende ressourcenorientierte Haltung verfügen und sich für eine Transparenz bei der Betreuungsarbeit einsetzen, sondern auch fundierte Fachkenntnisse der konzeptionellen Grundlagen haben, wenn nicht sogar über Expertenwissen in zumindest ein oder zwei der im Kontext des Themas „Ressourcenorientierung“ auftretenden Konzepte und deren Methoden verfügen. Multiplikatoren- und Coachingkompetenzen Für die wirkungsvolle Umsetzung der Konzepte in die jeweiligen Praxisfelder sind neben guten Transferbedingungen fachliche Kompetenzen erforderlich, die über die „Betreuungskompetenzen“ hinausgehen und dafür Sorge tragen, dass der Ressourcenansatz die notwendige Unterstützung findet. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kompetenzen, die dazu befähigen, den Ansatz gegenüber den Adressaten und deren sozialem Umfeld, wie auch Kolleg/innen gegenüber vertreten zu können und sie für die Idee zu gewinnen. Zu diesem Kompetenzprofil zählen auch Berateroder auch Moderatorenqualitäten, wie z.B. andere Menschen bei der Suche nach „ihren“ Ressourcen zu begleiten, als kompetenter Vermittler von Unterstützungskonzepten aufzutreten und gemeinsam mit allen beteiligten Strategien einer effektiven Ressourcennutzung zu entwickeln. Praxiserfahrungen Ressourcenorientiertes Arbeiten kann nur dann als Modell für weitere Betreuungsund Beratungstätigkeiten vertreten werden, wenn es von der Fachkraft konkret erprobt und als hilfreich bewertet worden ist. Eine erfolgreiche Realisierung von Projekten der Ressourcenarbeit – im Sinne der Umsetzung zeitlich befristeter Vorhaben in deren Mittelpunkt die Erprobung eines Instrumentes oder der Einsatz eines Verfahrens steht – vereinfacht den Transfer in die alltägliche Praxis und verschafft Sicherheit im Umgang mit ressourcenorientierten Verfahren. Diese fachliche
Das Multiplikatorenkonzept
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Sicherheit ist die Voraussetzung für die Weitergabe des Ressourcenkonzeptes an andere institutionelle Partner und Schlüsselpersonen im Arbeitsumfeld.
Kompetenzen für eine systematische Qualifizierung von Schlüsselpersonen (Multiplikatorenkonzept) Fachkräfte der Ressourcenarbeit sollen in der Lage sein, andere Menschen von Handlungskonzepten und -strategien zu überzeugen und für ihre Ideen zu gewinnen. Hierzu ist eine systematische Qualifizierung und Einbindung von so genannten Schlüsselpersonen im Rahmen eines Multiplikatorenkonzeptes hilfreich. Bei diesen Schlüsselpersonen kann es sich um Einrichtungsvertreter/innen in Gremien oder um Personen im Stadtteil handeln, die auf das Geschehen Einfluss nehmen können oder auch um direkte Kolleg/innen in der Institution, die sich für die Umsetzung des Ressourcenansatzes in ihrem Team und der Leitung gegenüber stark machen. Gemeinsam ist allen diesen Schlüsselpersonen, dass sie einen „Schlüssel“ zu Kontakten in der Hand halten, über den die Fachkraft selbst nicht verfügt, und ihr Engagement damit einen (schnelleren) Zugang zu potenziellen Ressourcen verspricht. Eine systematische Qualifizierung im Sinne eines Multiplikatorenkonzeptes wird im Allgemeinen von den Schlüsselpersonen selbst nicht angefragt, sondern muss in mehr oder weniger ausgefeilter Form von der Fachkraft den potenziellen Unterstützer/innen angeboten werden. Sie sollte dabei kontextabhängig unterschiedliche Verfahren und Vorgehensweisen anwenden. Dies kann die direkte Ansprache eines Lehrers aus dem Umfeld einer betreuten Familien, der sich für das Kind in besonderem Maße einsetzt, oder auch die Fortbildung von Teams in der Handhabung von Netzwerkkarten zur systematischen Identifizierung von Stärken und Schwächen z. B. bei der Organisation von Sommerfesten bedeuten. Wichtig ist es, dass die Qualifizierung der Schlüsselpersonen im Vorweg geplant wird, wie auch die Ziele festgesetzt und im Nachhinein überprüft werden können. Die folgenden Kompetenzen und Handlungskonzepte können dabei das Qualifizierungskonzept entscheidend beeinflussen1: 1.
Die Fachkraft soll die Qualifizierung der Schlüsselpersonen dazu nutzen, diese nicht nur über den Arbeitsansatz zu informieren, sondern auch dazu zu motivieren, sich für die Idee der Ressourcenarbeit einzusetzen und deren praktische Relevanz überzeugend und nachhaltig zu verdeutlichen. Das Ressourcenkonzept basiert weitestgehend darauf, andere Menschen dazu zu bewegen, sich stärker als bisher für eine Sache zu engagieren. Die Bereitschaft, sich intensiv um einen Schüler, der gefährdet ist, die Schule abzubrechen, zu kümmern, wie auch im Team neue Instrumente in den Arbeitsalltag zu integrieren, setzt immer 1
vgl. Nickel, S., 2007: Multiplikatorenkonzept als ein Kriterium für Good Practice in der Gesundheitsförderung. Unveröff. Tagungspräsentation. Hannover
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einen Überzeugungsprozess voraus, in dem den Unterstützer/innen deutlich geworden ist, dass ihre Hilfe wertvoll und wichtig ist. Menschen müssen davon überzeugt werden, dass ihr Einsatz sinnvoll ist und bei anderen auf fruchtbaren Boden fällt. Hierzu sind die Überzeugungskraft des Multiplikators und kommunikative Kompetenzen notwendig, wie auch die Fähigkeit, sich in andere Lebenswelten hinein zu versetzen und die Idee der Ressourcenarbeit auf die jeweiligen Lebenskontexte zu übertragen. 2.
Bei der Auswahl der Schlüsselpersonen soll darauf geachtet werden, dass es sich um kooperative und sozial anerkannte Personen handelt, die in dem Bereich, in dem sie als Schlüsselpersonen wirken sollen, ein gutes „Standing“ haben und in ihrem Umfeld die Idee überzeugend vertreten können. Ein gut funktionierendes Netzwerk zur Aktivierung von Ressourcen lebt zum einen von dem Engagement der einzelnen Mitglieder und deren Bereitschaft, sich für ein Vorhaben stark zu machen, zum anderen von deren Akzeptanz bei den Kooperationspartnern bzw. den Adressaten der Unterstützung. Beide Aspekte müssen gleichermaßen gewährleistet sein, andernfalls droht das Vorhaben, Ressourcen zu aktivieren, zu scheitern. 3.
Die Ansprache und Qualifizierung einzelner Schlüsselpersonen soll in eine Gesamtstrategie gebunden werden, die auf eine Vernetzung der Personen untereinander und eine Weiterentwicklung der Kooperationen ausgerichtet ist. Je vielfältiger und umfassender das Netz von Schlüsselpersonen ist, umso größer ist der Ressourcenpool, auf den im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann und umso schneller kann die Unterstützung im Einzelfall organisiert werden. Ein Ressourcenpool ist dabei im Allgemeinen kein Ergebnis der Bemühungen einer einzelnen Fachkraft, sondern sollte, sofern möglich, im Team zusammengestellt und gepflegt werden. 4.
Die Prozesse der Vernetzungs- und Kooperationsentwicklung müssen kontinuierlich begleitet und immer wieder durch „Inputs“ seitens der Fachkraft lebendig erhalten werden. Netzwerke als ein Verbund von Schlüsselpersonen, die zur Lösung eines Problems einen Beitrag leisten können, sind per se instabil und müssen daher „gepflegt“ werden bzw. immer wieder erneuert werden, wenn Schlüsselpersonen z. B. neue Aufgaben übernehmen und sich damit ihr Zugang zu Ressourcen verändert. Bestehende Vernetzungsstrukturen wie Stadtteiltreffen oder Gremienarbeit bieten Möglichkeiten, Kontakte zu Schlüsselpersonen zu halten, können aber auch ergänzt werden durch zusätzliche Veranstaltungen, auf denen die Schlüsselpersonen über die Entwicklung der Ressourcenarbeit oder über aktuelle Probleme, die im Kontext der Arbeit aufgetaucht sind, informiert werden.
Das Multiplikatorenkonzept
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Coachingkompetenzen Neben der fallbezogenen Betreuungs- und Beratungsfunktion übernimmt die Ressourcen-Fachkraft auch die Rolle eines Coaches für andere in unterschiedlichen professionellen Kontexten, wie der Teambesprechung, der Gremienarbeit oder bei Stadtteilrunden, wenn es darum geht, deren Handeln ressourcenorientiert auszurichten. Diese Rolle als Experte aus der Praxis und Berater für die Praxis nehmen alle diejenigen ein, die eine ressourcenorientierte Herangehensweise im Kollegenkreis implementieren bzw. fördern wollen, unabhängig von ihrer jeweiligen Position im Arbeitsfeld. „Coaching“, verstanden als lösungs- und prozessorientierte Beratung von einem/einer Kollegen/Kollegin oder auch Teams soll hier dazu verhelfen, den ressourcenorientierten Ansatz in der Praxis zu befördern und kollegiale Reflexion und Hilfestellung in der konkreten (Fall-)Arbeit zu leisten. Deshalb muss die Fachkraft im Rahmen ihrer Arbeit Positionen zu den folgenden Fragestellungen beziehen: o Wie vermittle ich mein „Know-how“? (Bestandsaufnahme der Multiplikatoren- und Beratungskompetenzen) o Wie und in welchen Kontexten verstehe ich mich in der Rolle des Ressourcenexperten? Wie sehen mich die anderen? (Auftragsklärung) o Wie sorge ich für eine Nachhaltigkeit des Ressourcenansatzes? (Entwicklung von Unterstützungsinstrumenten und -strategien) Für die Entwicklung des Multiplikatoren- und Coachingkonzeptes sind neben fachlichen Qualifikationen der Einzelnen förderliche strukturelle Rahmenbedingungen innerhalb der Institutionen oder in der Region bzw. dem Stadtteil notwendig. So sollten der Fachkraft vor allem in der Einstiegsphase Zeitressourcen zur Verfügung stehen, um z. B. die Qualifizierung von Schlüsselpersonen auf den Weg zu bringen und sie in ihrer Funktion zu begleiten und zu beraten. Gerade an diesem Punkt hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, wie schwierig es ist, aus der Routine des Arbeitsalltags heraus Zeit für Neues zu finden. Immer wieder kommt es daher in dieser Einstiegsphase der Ressourcenarbeit dazu, dass das Vorhaben verzögert wird, andere Themen innerhalb der Organisation auftauchen und dringend angegangen werden müssen, Krisen bei Klienten auftreten, die es gilt zu bearbeiten etc. Vor diesem Hintergrund ist es um so wichtiger, als Fachkraft nicht allein vor der Aufgabe zu stehen, Ressourcenorientierung zu fördern und zu implementieren, sondern für Mitstreiter/innen zu sorgen, die sich über alle zu bewältigende Krisen und Organisationsprobleme hinweg für die Idee stark machen.
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Der Ressourcen-Coach – Ein Beispiel aus der Praxis Zur Illustration des oben aufgezeigten Komptenzprofils des Ressourcen-Profis soll abschließend an Hand eines Beispiels gezeigt werden, wie und wo in der Praxis Multiplikatoren- und Coachingkompetenzen eingesetzt werden können: Die Sozialpädagogin Frau Bergmann ist Mitarbeiterin eines Trägers, der ambulante Hilfen für Kinder, Jugendliche und deren Familien in einer Hamburger Region anbietet. Frau Bergmann ist eine langjährige Mitarbeiterin des Trägers und erfahren in verschiedenen Angeboten der Hilfen zur Erziehung. In den letzten Jahren hat sie sich zunehmend von der intensiven Beziehungsarbeit frustriert und ausgebrannt gefühlt und nach Möglichkeiten gesucht, ihre Praxis zu verändern. Frau Bergmann ist bei ihrer Suche nach anderen Herangehensweisen auf das Konzept der Systemischen Sozialen Arbeit gestoßen und hat sich in den letzten Jahren auf externen Veranstaltungen intensiv mit dem Thema der Ressourcenorientierung beschäftigt und versteht sich inzwischen selbst als eine Sozialpädagogin, die in ihrer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und deren Familien konsequent auf die Potenziale der Adressat/innen schaut und vom ersten Kontakt an neben der Problemerfassung systematisch auch deren Ressourcen erfragt. Aktuell bildet sich Frau Bergmann an einem Institut für systemische Beratung in lösungsorientierten Verfahren weiter mit dem Ziel, zukünftig stärker in die Beratungsarbeit „einzusteigen“. Frau Bergmann arbeitet in einem regionalen Team mit acht Kolleg/innen, die zum Teil schon viele Jahre bei dem Träger angestellt sind, zum Teil aber im letzten Jahr neu hinzugekommen sind. Sie hat das Thema der ressourcenorientierten Sozialen Arbeit engagiert mit in das Team gebracht und viel über den Ansatz mit ihren Kolleg/innen diskutiert. Ihr Träger hat sich inzwischen ebenfalls dazu entschieden, das Konzept der Ressourcenarbeit in den Teams zu fördern und hierfür Fortbildungsmittel zur Verfügung zu stellen und teamübergreifend „Inhouse“- Fortbildungen anzubieten, durch die die Fallarbeit stärker und systematischer in Richtung Ressourcenansatz qualifiziert werden soll. Das gesamt Team hat diese Basisfortbildung in ressourcenorientierten Verfahren durchlaufen und als Konsequenz aus dieser Veranstaltungsreihe Frau Bergmann gebeten, die Rolle eines Ressourcen-Coaches im Team einzunehmen und dabei die folgenden Aufgaben zu übernehmen: Sie soll die Fallarbeit aller Kolleg/innen im Team immer wieder in den Fallbesprechungen/Dienstbesprechungen auf ihre Ressourcenorientierung hinterfragen und Impulse für eine systematische Nutzung von Instrumenten zur Ressourcenerhebung geben. Sie soll beratend in der Fallarbeit den Kolleg/innen zur Seite stehen und mit ihnen zusammen das methodische Vorgehen reflektieren. Sie soll das Team vor dem Hintergrund ihrer Fortbildung über lösungsorientierte Methoden informieren und sich darüber hinaus über aktuelle Fortbildungsveranstaltungen und Veröffentlichungen zu dem Thema Ressourcenarbeit auf dem Laufenden halten. Sie soll die Kolleg/innen bei der Suche und Auswahl der Schlüsselpersonen beraten und „nach außen“ den Ressourcenansatz z. B. auf Gremien und Stadtteiltreffen vertreten.
Das Multiplikatorenkonzept
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Sie soll „im Hintergrund“ Netzwerkveranstaltungen vorbereiten und darauf achten, dass die Ressourcenidee methodisch gut vorbereitet und für die jeweilige Zielgruppe nachvollziehbar präsentiert wird.
Im Gegenzug ist der Träger bereit, Frau Bergmann für die Fortbildung zum Thema Lösungsorientierung freizustellen und sie im Rahmen der Personalentwicklung in ihrem Vorhaben, sich als Beraterin weiterzuentwickeln, zu unterstützen. Darüber hinaus wird sie im Team von anderen Aufgaben entlastet und hat somit zumindest eine kleine Zeitressource für ihre Coachingtätigkeiten zur Verfügung. Über das Beispiel soll deutlich gemacht werden, dass zum einen die Übernahme einer Multiplikatoren und Coachingfunktion vielfältige Aufgaben mit sich bringt und vor allem die Übernahme einer Art „Leuchtturmfunktion“ bedeutet. Ressourcenarbeit ist gerade in der Einführungsphase stark gefährdet, im Alltag „wegzubrechen“, da Routinen nur mühsam zu unterbrechen sind und gerade in Stresssituationen Mitarbeiter/innen auf bewährte Methoden zurückgreifen. In dieser Situation hilft eine Kolleg/in, die beharrlich auf das gemeinsame Vorhaben hinweist und Unterstützung anbietet, wieder auf den eingeschlagenen Weg zu kommen.
9 Die Familienfibel – ein Instrument der Ressourcenarbeit in Familien Sibylle Friedrich, Martina Feistritzer Die Familienfibel hat eine Entstehungsgeschichte. Als ich vor drei Jahren in Tampa, Florida ein explizit ressourcen- und netzwerkorientiertes Praxisprojekt besuchte, fiel mir ein zauberhaftes Büchlein ins Auge. Es richtete sich direkt an die Familien, die die Hilfe in Anspruch nahmen, und erklärte ihnen transparent den Prozess. Die Seiten waren liebevoll und auch für Kinder ansprechend gestaltet und es waren viele Arbeitsblätter enthalten, die die Familie sowohl selbstständig als auch mit ihrem/r Betreuer(in) bearbeiten konnte. Die ganze Aufmachung hatte Aufforderungscharakter. Ich nahm ein paar Exemplare mit nach Hause mit dem Ziel, hier mit einer Einrichtung ein ähnliches Projekt zu verwirklichen. Den Gedanken, Transparenz und methodische Strukturiertheit in die Soziale Arbeit zu tragen, hielt ich und halte ich weiterhin für sehr relevant (siehe dazu auch Kapitel 2). Die Chance dazu ergab sich dann vor einem Jahr nach bereits langjähriger intensiver Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ressourcen- und Netzwerkarbeit mit der Alida Schmidt Stiftung und ich finde, wir haben sie genutzt. Unsere Familienfibel ist sicherlich inspiriert vom amerikanischen Vorbild und dennoch ganz anders und eigenständig. Sie entstand in mehreren Treffen innerhalb eines kleinen Teams, dem auch die Leitung des Kinder- und Jugendhilfebereichs Martina Feistritzer angehörte. Die Familienfibel begleitet Familien, die Sozialpädagogische Familienhilfe in Anspruch nehmen, durch den Betreuungsprozess. Sie folgt einem logischen Aufbau und enthält Arbeitsblätter zur Netzwerk-, Unterstützungs- und Ressourcenanalyse, zur Netzwerkaktivierung und zur Krisenprävention (vieles davon finden Sie in Kapitel 5.). Dazwischen ist immer wieder Platz zum Einkleben von Familienfotos oder zum Ausmalen von Figuren. Vor kurzem ist die Familienfibel in den Druck gegangen; ihre erste Auflage liegt bei 300 Stück. Sie steht nun allen sozialpädagogischen Betreuer(inne)n des Kinder- und Jugendbereiches der Alida Schmidt Stiftung und damit hoffentlich recht bald allen dort betreuten Familien zur Verfügung. Eine modifizierte Version für Jugendliche, die in stationären Wohnprojekten betreut werden, ist geplant. Zur Verdeutlichung sollen an dieser Stelle zwei exemplarische Seiten der Familienfibel abgebildet werden.
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Sibylle Friedrich, Martina Feistritzer
Die Erstellung der Familienfibel war Teil eines Implementierungsprozesses ressourcen- und netzwerkorientierter Methoden in die Soziale Praxis, der mit ihrem Einsatz in den laufenden Hilfen noch nicht abgeschlossen ist. Wer könnte besser ihre Bedeutung für den Implementierungsprozess innerhalb der Einrichtung erklären als die Leitung, die das Projekt in Auftrag gegeben und konzeptionell begleitet hat? Ich habe darum mit Martina Feistritzer ein Interview geführt. Frage: Martina, was ist für dich das Charakteristische an der Familienfibel? Das Charakteristische ist für mich, dass sie Prozesse auf anschauliche und fröhliche Art bildhaft macht. Die Familienfibel soll den Familien ja Spaß machen und beim späteren Betrachten schöne Erinnerungen für Einzelne und für die Familie als System an ihre Zeit mit Alida hervorrufen. Lernen muss Spaß machen, denke ich, dieses Erleben ist dann viel nachhaltiger als Theorie. Die Figuren sind Träger einer Geschichte, das gefällt auch Kindern. Überhaupt soll die Familienfibel die ganze
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Familie ansprechen und damit die Wahrnehmung und Entwicklung einer positiven Familienkultur unterstützen. Dafür muss natürlich auch ein methodischer roter Faden vorhanden sein, der den ressourcenorientierten Ansatz konsequent verfolgt und in Übungen umsetzt. Besonders ist aber auch, dass wir viel Liebe hineingesteckt haben als Beweis unserer Wertschätzung für den gemeinsamen Prozess mit den Familien. Die Familienfibel soll einen Lernprozess fürs Leben befördern. Ich hatte mich darum ein Stück weit in die Idee, ein solches Büchlein für Familien, mit denen wir zusammenarbeiten, zu gestalten, verliebt. Frage: Was versprichst du dir von ihrem Einsatz? Ich verspreche mir Entwicklung auf mindestens drei Ebenen: Zum einen erhoffe ich mir ganz stark ihre systematische Anwendung und damit eine Systematik, die von den Mitarbeiter(inne)n für ihre eigenen Arbeitsprozesse übernommen wird und diese befördert. Zum anderen erwarte ich natürlich eine Veranschaulichung und einen Leitfaden für die Familien, so dass sie wissen, was wir mit ihnen tun. Und nicht zuletzt verspreche ich mir Nachhaltigkeit und Verstetigung. Ich hoffe, dass die Familien später noch einmal in die Familienfibel schauen und sich fragen: „Was kann ich davon noch brauchen? Wer ist noch da aus meinem Netzwerk?“ Ich wünsche mir auch, dass die Familienfibel unsere Familien an den gemeinsamen Prozess erinnert und hoffentlich schöne Erinnerungen produziert. Und natürlich, dass sie dann stolz sind auf das Erreichte. Frage: Wer ist die Zielgruppe? Zielgruppe sind die Familien, die wir ambulant innerhalb der Familienhilfe betreuen sowie die Mütter und Väter aus unseren stationären Mütter-Väter-Kind-Betreuungen. Zunächst einmal erhalten aber die Betreuer(innen) die Familienfibel als Instrument. Sie müssen dann selbstständig einschätzen, wann – abhängig von der Hilfeplanung – der richtige Zeitpunkt für den Einsatz gekommen ist. So kann beispielsweise erst einmal die Bearbeitung von Notfällen nötig sein, bevor mit der Familienfibel gearbeitet werden kann. Ich wünsche mir, dass sie in allen Hilfen eingesetzt wird, es gibt aber eine Tradition der Betreuungsautonomie bei Alida. Die Implementierung der Familienfibel als Standardwerkzeug muss daher ein gemeinsamer Prozess sein, auch die Fachkräfte müssen es als hilfreich empfinden. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ihr Einsatz auch den Betreuer(inne)n Spaß macht und hoffe sehr, dass die Fibel den Einsatz der bisher erlernten Netzwerk- und Ressourcenmethoden befördert. Und auch die bereits vorhandene Identifikation der Pädagog(inn)en mit der Einrichtung weiter befördert.
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Frage: Warum Ressourcenorientierung? Was bedeutet Ressourcenorientierung für dich, was für Alida? Für mich persönlich bedeutet Ressourcenorientierung, dass ich mich und die Arbeit in Balance halte. Für die Arbeit mit den Familien meint es ebenfalls eine Balance, die Probleme ernst zu nehmen und die Ressourcen zu beachten, insbesondere da es eine Binsenweisheit ist, dass die Problemorientierung zumeist überwiegt. Im Vordergrund steht, die Menschen im Umfeld der Betreuten mit einzubeziehen und ernst zu nehmen und so nicht eine Abhängigkeit von Helfern zu schaffen – das wäre mir auch selber zu belastend! Beziehungsarbeit müsste eigentlich für die Betreuer(innen) belastend sein, da steckt ja auch das Wort „Arbeit“ drin, weil ihnen damit die ganze Verantwortung für die Beziehung und den Prozess aufgebürdet wird. Frage: Beschreibst du mir mal euren Prozess hin zur Ressourcenorientierung? Die Ressourcenorientierung bei Alida fing auf zwei Ebenen an. Auf der Ebene der psychischen Erkrankungen mit der Frage: Wie bist du früher mit Krisen umgegangen? Was kannst du daraus lernen? Das betraf besonders den Resilienz-Gedanken. Die zweite Ebene war die der personalen Ressourcen: Was machst du gerne, worin glaubst du, dass du gut bist? Dann kam der Vortrag zu einem aus den USA stammenden ressourcen- und netzwerkorientierten Konzept von Alexander Redlich vor 10 Jahren, gefolgt von ersten kleinen Workshops. Die waren zwar überzeugend, letztendlich aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es stand die Frage im Raum: Wie bleibt es haften – langfristig? Wie wird es nutzbar als Werkzeug? Daraufhin begannen zwei parallele Prozesse mit dem Ziel der Verstetigung: Der eine betraf die Frühen Hilfen; hier haben wir eine ressourcenorientierte Form des Videotrainings implementiert. Der andere war der Prozess mit dir zur Netzwerkarbeit in der Familienhilfe. Das war der Anfang einer präziseren Arbeit durch Dokumentation. Insgesamt haben Strukturiertheit und Verschriftlichung jetzt eine größere Akzeptanz bei den Mitarbeiter(inn)en. Diese Form der Ressourcenorientierung hat auf Klientenebene einen neuen Ansatz von Elternarbeit, Familienarbeit und Systemischer Arbeit ermöglicht. Der konnte auch in die Einzelbegleitung und in den betreuten Umgang transportiert werden; da hätten wir es gar nicht erwartet. Ressourcenorientiertes Arbeiten beinhaltet aber auch eine Haltungsänderung. Workshops alleine reichen dazu nicht aus, die Praxis muss reflektiert werden und dies muss auch begleitet werden! Der Prozess braucht auf mehreren Ebenen diesen langen Atem und Reflexionsschleifen, um bewusst damit umzugehen. Sonst hat die Verstetigung neuer Methoden und insbesondere des Ressourcenblicks keine Chance, da man im Arbeitsalltag stark in aktuelle und immer wiederkehrende Probleme involviert ist. Einige Kollegen sehe ich da relativ weit in ihrer Entwicklung, andere wachsen nach. Ausbaufähig bei uns ist nach wie vor der eben angesprochene Punkt: Wir brauchen Reflexionsschleifen bezogen auf eine bewusst ressourcenorientierte
Die Familienfibel
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Hilfegestaltung: warum und wann die Anwendung von bestimmten Methoden, wie beispielsweise die der Netzwerkkarte, hilfreich war, was hätte ergänzt werden können. Es bräuchte eine Praxisbegleitung insgesamt bezogen auf die Hilfeverläufe, nicht nur Nachschulungen in den relevanten Methoden für neue Kolleg(inn)en. Zukünftig halte ich es zudem für wichtig, mehr den Blick darauf zu werfen, konstruktiv mit Konflikten umzugehen, hier besteht – genauso wie in der Netzwerkmoderation – weiterhin Fortbildungsbedarf. Unser Prozess hin zur Ressourcenorientierung bei Alida ist also noch nicht abgeschlossen. Was aber schön zu beobachten ist: Ressourcenorientierung findet jetzt auch im Team statt, Methoden werden beispielsweise als Teamressourcen betrachtet. Frage: Welche Rolle spielt für dich (aus der Leitungsperspektive) die Verstetigung? Es ist kein einfacher Prozess, dass Implementierungen Bestand haben. Es sind immer nur Teile des Teams, die die Methoden kennen und anwenden, was auch daran liegt, dass die Teams wechseln. Da ist eine Verstetigung neuer Methoden und Arbeitsprozesse im Sinne ihrer Übernahme ins Standardrepertoire eine Herausforderung. Ich finde Verstetigung aber insbesondere für die Identifikation der Mitarbeiter(innen) mit der Einrichtung sehr wichtig, auch für das Nach-außenRepräsentieren, also zum Beispiel gegenüber dem Jugendamt sagen zu können: „Das machen wir so, wir als Einrichtung“. Das ist ja ein wechselseitiger Prozess. Je mehr ich mich als Fachkraft mit meinem Träger identifiziere, desto eher trage ich das auch nach außen, und je mehr wir als Einrichtung kommunizieren, wie wir arbeiten, desto stärker identifizieren sich die Mitarbeiter(innen) damit. Insofern hilft die Verstetigung von Implementierungen, wie sie jetzt mit Hilfe der Familienfibel passiert, bei beiden Zielen. Ich finde es auch gut und wichtig, dass es Mitarbeiter(innen) gibt, die die dahinter liegende Haltung, einhergehend mit einer selbstverständlichen Anwendung der Methoden, transportieren, so dass das nicht nur Leitungsaufgabe ist. Die Verstetigung von bestimmten Methoden und Arbeitsprozessen als Standardwerkzeuge – wie jetzt die der Methoden der Ressourcenorientierung und Netzwerkarbeit – muss aber ergänzt werden durch eine Wertschätzung und systematische Erhebung und Nutzung der Stärken jedes/r Einzelnen. Was kann jede(r) Einzelne noch mal besonders? Ich finde, damit sind wir auf einem guten Weg. Wir haben beispielsweise einen Ordner angelegt als Methodenpool: Wer wendet welche Methode an und kann als Multiplikator(in) dienen? Die Medienpräsenz dramatischer Fälle zu Tode vernachlässigter Kinder macht Druck, ist aber auch eine Chance, Kompetenzen sichtbar zu machen. Wir haben eine Kultur der kollegialen Fortbildung eingeführt, indem Mitarbeiter(innen) für ihre Teamkolleg(inn)en Workshops anbieten. Das stärkt das fachliche Selbstbewusstsein und den Wunsch, dieses
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Sibylle Friedrich, Martina Feistritzer
Wissen weiterzuentwickeln, ist also gelebte Ressourcenorientierung in Teams. Ich habe viel Engagement von Seiten der Fachkräfte erlebt. Methodenpool und Familienfibel – beides sind interne Instrumente der Weiterentwicklung und der Weitergabe des Wissens. Ich freue mich daher natürlich sehr über die Auszeichnung als Good-Practice-Projekt! Ich habe das noch gar nicht richtig realisiert und die Mitarbeiter(innen) wissen das noch gar nicht, muss ich ihnen schnellstmöglich sagen. Die Auszeichnung kann uns sehr nützen in der Präsentation unserer Arbeit nach außen. Die Mitarbeiter(innen) wollen ja mehr das nach außen tragen, was wir können, und auf diese Anerkennung können wir doch mit Recht stolz sein! Zum guten Ende: Liebe Martina, danke für das Gespräch! Das Engagement der Einrichtung auf dem Gebiet der Ressourcen- und Netzwerkarbeit, das sich besonders auch in der Erstellung der Familienfibel zeigt, hat dazu geführt, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die Alida Schmidt Stiftung als Good-Practice-Projekt ausgezeichnet hat. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter der Rubrik „Good Practice“ auf der Homepage www.gesundheitliche-chancengleichheit.de der BZgA oder in Gesundheitsförderung Konkret Band 5 der BZgA in der 4. erweiterten Auflage unter dem Titel: „Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“.
10 Projekte der Ressourcenorientierung – Praxisbeispiele Katrin Oberpriller In diesem Kapitel sollen exemplarisch einige „Miniprojekte“ vorgestellt werden, die im Rahmen von Abschlussarbeiten der Fortbildungsreihe „Ressourcencoach“ innerhalb einer zweimonatigen Projektphase durchgeführt wurden. Durch die Präsentation dieser Projekte soll der/die Leser(in) dafür sensibilisiert werden, wie (vielfältig) ressourcen- und netzwerkorientierte Arbeit praktisch aussehen kann und wie die Kenntnisse der Methoden zur Planung und Durchführung eigener Projekte genutzt werden können. Vor allem aber soll die Hürde, sich selbst einfach mal zu versuchen und an kleinen Projekten auszuprobieren, gesenkt und somit die Lücke zwischen theoretischem Wissen um Methoden und Haltung und praktischer Anwendung verkleinert werden. Im Gegensatz zu den in anderen Kapiteln vorgestellten (größeren) Projekten (siehe Kapitel 9 sowie Teil C) wird hier der Fokus weniger auf – zweifelsohne wichtige – Aspekte wie die langfristige Implementierung der neuen Haltung und der damit verbundenen Methoden gelegt. Stattdessen sollen Anregungen und Beispiele gegeben werden, wie ein erster kleiner Schritt aussehen kann. Darüber hinaus wird auf relevante erleichternde bzw. erschwerende Faktoren bei der Planung und Durchführung eingegangen, um dem/der Leser(in) die Möglichkeit zu geben, diese Erfahrungen zu berücksichtigen und zu nutzen. Zielgruppen der ausgewählten „Mini-Projekte“ waren einerseits direkt die Klient(inn)en, andererseits die eigenen Kolleg(inn)en. Bei der Arbeit mit Kolleg(inn)en kann unterschieden werden zwischen dem Ziel, durch Workshops und Schulungen die ressourcenorientierte Haltung und die Methoden weiter zu tragen, sie als Fernziel langfristig in Vorgänge, Abläufe und das praktische Arbeiten mit den Klient(inn)en zu integrieren, und der Nutzung der Methodik, um innerhalb des Teams die Arbeitsweise zu verändern. Bestenfalls geht beides langfristig gesehen Hand in Hand und führt zu einem ressourcenorientierter Umgang im Team und in der Arbeit mit den Klient(inn)en. Eine Differenzierung der Projekte nach Art der genutzten Ressourcen (personale oder soziale Ressourcen) hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, da überwiegend auf beide Arten von Ressourcen zurückgegriffen bzw. mit ihnen gearbeitet wurde.
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Katrin Oberpriller
Projekte mit Klient(inn)en als Zielgruppe Projekt: Ressourcenbuch mit Kindern Ein Beispiel für ein ressourcenorientiertes „Mini-Projekt“ ist das Entwickeln eines Ressourcenbuches mit Kindergartenkindern. In einer festen Gruppe einer Kindertagesstätte wurden nach und nach Bücher gestaltet, in denen die Kinder ihre Interessen, Wünsche, Eigenschaften, Familienkonstellation und Maße (z. B. Fußgröße, Haarlänge) kreativ und altersgerecht darstellen konnten. Laut Aussage der Projektleiterin hatten die Kinder viel Spaß dabei und es kam schnell ein Gruppengefühl auf, obwohl sich die Kinder miteinander verglichen. Ziel war, den Entwicklungsstand der Kinder mit individuellen Stärken zu erfassen. Die folgende Abbildung zeigt eine Seite eines der in diesem Projekt entstandenen Ressourcenbücher.
Projekte der Ressourcenorientierung
Abbildung 1:
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Ausschnitt aus einem der entstandenen Ressourcenbücher
Die Veränderung der eigenen Haltung hin zu mehr Ressourcenorientierung zeigt sich bereits in der Projektidee. So schreibt die Projektleiterin: „Viele Kinder nehme ich nur dann bewusst wahr, wenn sie meiner besonderen Hilfe bedürfen“. Ein Phänomen, das vielen Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, bekannt sein dürfte. Bewusst abgrenzend von einer solchen defizitorientierten Sicht, war es das Ziel dieses Projektes, herauszuarbeiten, wo die Kinder ihre Stärken und Kompetenzen haben, um sie so gezielt fördern zu können. Langfristig kann sich so ein
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Katrin Oberpriller
Klima etablieren, in dem sich die Stärken der Kinder addieren und diese einander helfen, was einen wichtigen ersten Schritt in Richtung eines ressourcenorientierteren Umgangs darstellt. Was in diesem Projekt deutlich wird, ist die Möglichkeit, die in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellten Methoden flexibel und kreativ einzusetzen. Zum einen wurde die Art und Weise der Ressourcenerhebung an das Alter der Kinder angepasst; sie erhielt etwas Spielerisches und Gestaltendes. Zum anderen wurde das eigene Wissen um ressourcen- und netzwerkorientierte Methoden für die Planung und Durchführung des Projektes genutzt. So wurden für die Planung die Schritte zur Zielerreichung der Ressourcenorientierten Beratung (siehe Kapitel 5) als hilfreich empfunden und die Erhebung der eigenen Ressourcen bzgl. des Projektes (z.B. Unterstützung durch Kolleg(inn)en, Möglichkeit zur flexiblen Zeiteinteilung, vorhandene Materialien im Kindergarten etc.) als ermutigend und hilfreich für die Detailplanung angesehen. Als kritischer Faktor wurde die Zeitplanung identifiziert. Ein fester Zeitplan gibt den Kolleg(inn)en die Möglichkeit, sich auf das Projekt einzustellen und so bei der Durchführung zu unterstützen. Eine flexible Zeitplanung erlaubt hingegen, bei nichtplanbaren Ereignissen dynamisch auf Verschiebungen und Ausfälle zu reagieren. Es besteht dann allerdings die Gefahr, dass das Projekt „unter den Tisch fällt“, wenn ihm keine festen Zeiten eingeräumt werden, insbesondere bei innovativen Vorgehensweisen, die aus dem Alltagstrott heraustreten. Eine gute Balance ist also vonnöten. Projekt: Durchführung eines gemeinsamen Abendessens Wie niedrigschwellig ein erstes kleines Projekt als Schritt in Richtung der Verankerung einer ressourcenorientierten Haltung und Arbeitsweise sein kann, wird am folgenden „Mini-Projekt“ deutlich: Für die Bewohner(innen) und Mitarbeiter(innen) eines ländlich gelegenen Hofes bestand wenig Möglichkeit, Programmangebote zu nutzen oder am Abend auszugehen. Das war der Ausgangspunkt für die Idee, ein gemeinsames Abendessen zu organisieren, welches vorerst einmal monatlich, als Fernziel einmal wöchentlich, stattfinden sollte. Aus dem Empowerment-Gedanken heraus und auch, weil die zeitlichen Ressourcen der Mitarbeiter(innen) knapp bemessen waren, wurden bewusst die Bewohner(innen) mit ihren individuellen Vorlieben und Kompetenzen als zusätzliche Ressourcen gesehen und genutzt. Nach der Erfassung des professionellen zeitlichen und finanziellen Rahmens, der für das Projekt zur Verfügung stand, wurde ein finanzieller Eigenanteil der Bewohner(innen) festgelegt. Sie wurden direkt angesprochen, ob sie Interesse an einem gemeinsamen Abendessen hätten, was auf breite Zustimmung stieß. Anschließend wurde erfragt, inwieweit sie sich vorstellen könnten, sich dabei aktiv einzubringen (Aufbau, Abbau, Tisch decken, Salat machen, auf die anderen achten
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etc.), und was sie nach dem Abendessen gerne noch tun würden bzw. ob und auf welche Weise sie sich vorstellen könnten, am Abendprogramm mitzuwirken. Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel für niedrigschwelliges ressourcenorientiertes Arbeiten und mag darum die Hürde senken, „einfach mal anzufangen“. Durch das Nutzen der Kompetenzen des Einzelnen konnte der große Aufwand leicht bewältigt werden. Auch hier war eine ressourcenorientierte Haltung essenziell: Durch das Erkennen und Einbinden der Bewohner(innen) als Ressource wurde das Projekt realisierbar, was rein zeitlich allein durch die Mitarbeiter(innen) gar nicht möglich gewesen wäre. Das Eingehen auf die individuellen Vorlieben der Bewohner(innen) führte zu breiter Zustimmung und Interesse bei den Adressat(inn)en. Außerdem konnten deren Kompetenzen und Fähigkeiten für die weitere Gestaltung des Abends gewonnen werden, was von allen Seiten als bereichernd empfunden wurde. Projekt: Entwicklung von Perspektiven zur Lebensgestaltung eines 17-jährigen Mädchens aus einer Jugendwohnung Die 17-jährige Klientin lebte in einer von der Projektleiterin betreuten Jugendwohnung und besuchte zu dem Zeitpunkt des Projektes ein Berufsvorbereitungsjahr. Sie erhielt positive Rückmeldungen von Seiten ihrer Lehrer und Betreuer, fiel jedoch durch hohe Fehlzeiten auf. Im Gespräch wurde deutlich, dass es ihr an konkreten Zielen und Perspektiven und somit an Antrieb mangelte. Daraus entstand die Idee, gezielt Ressourcen, vor allem Kompetenzen, Wünsche und Interessen, herauszuarbeiten und daraus konkrete Ziele zu entwickeln. In einem ersten Treffen wurde die Ressourcenkarte (siehe Kapitel 5) in Form einer Collage gestaltet. Unterstützend wurden dabei systemische Fragen eingesetzt, da es der Klientin schwer fiel, ihre Stärken, Wünsche, Fähigkeiten etc. selber frei zu benennen.
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Abbildung 2:
Katrin Oberpriller
Ressourcenkarte als Collage
In einem zweiten Treffen wurden darauf aufbauend konkrete Ziele formuliert. Hierbei wurde u. a. auf die Methode der Ressourcenorientierten Beratung mit ihren Kriterien zur Zielformulierung sowie auf die Skalierung, inwieweit ein Ziel bereits erreicht ist, zurückgegriffen (siehe Kapitel 5). Auch in diesem Projekt fand die ressourcen- und netzwerkorientierte Arbeit auf zwei verschiedenen Ebenen statt: Zum einen wurde der Mangel an Zielen und Perspektiven der Klientin ressourcenorientiert bearbeitet: Indem gezielt Wünsche, Kompetenzen und Interessen erhoben wurden, konnten individuell zugeschnittene Ziele und Perspektiven entwickelt werden. Das „Schwarz-Auf-Weiß-Haben“ der
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eigenen Stärken und Kompetenzen wirkte ermutigend und Selbstwert steigernd. Außerdem wurde die Form der Collage als sehr positiv und unterstützend beurteilt, da die Zeitungen und Zeitschriften weitere Anregungen boten und so neue Ideen entstanden, auf die die Klientin laut eigener Aussage sonst nicht gekommen wäre. Vor dem Hintergrund des speziellen Ausgangspunktes dieses Projektes war der Aspekt des Anregungen-Gebens daher wichtig und gut gewählt. Die verwendeten Kriterien zur Zielformulierung – welche Fortschritte überprüfbar und somit die Zielerreichung wahrscheinlicher machen – sowie die mehrmalige Kennzeichnung des Zielerreichungsgrades, wirkten unterstützend. Entgegen der anfänglichen Bedenken der Projektleiterin, wie sich ein so methodisch-strukturiertes Vorgehen wohl auf den Kontakt zur Klientin auswirken möge, wurden hier die ressourcenorientierten Methoden von beiden Seiten als gesprächs- und arbeitserleichternd empfunden. Die zweite Ebene, auf der ressourcenorientiert gearbeitet wurde, ist auch hier die eigene Planung des Projektes, wobei die Projektleiterin vor allem auf ihre eigenen, ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen, sowie die Schritte der Zielplanung und -konkretisierung zurückgegriffen hat. Es wurde überlegt, wie ein Erfolg des Projektes sich konkret zeigen könnte und welche Ressourcen bei der Durchführung zur Verfügung stünden (Materialien, eigenes Wissen und Fähigkeiten, Räumlichkeiten, Motivation der Klientin, zeitliche Ressourcen etc.). Die Detailplanung wurde dann anhand der Methode der Ressourcenorientierten Beratung durchgeführt. Die Ressourcenorientierte Beratung kam also auch hier als Projektplanungsinstrument zum Einsatz. Was sich an diesem Projekt – neben der Verwendbarkeit der Methoden für die Projektplanung und der altersgemäßen Erhebungsweise der Ressourcenkarte als Collage – zeigt, ist der besondere Wert einer ressourcenorientierten Haltung in einer Situation, in der ein scheinbarer Mangel an Zielen und Perspektiven vorherrscht. Mit einer ressourcenorientierten Haltung können dann individuelle Ziele und Perspektiven, die auf realistischen Kompetenzen und Ressourcen aufbauen, entwickelt werden. Dies ermöglicht eine realistischere Zukunftsplanung und hilft dabei, die eigenen formulierten Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Projekte mit den Kolleg(inn)en als Zielgruppe Projekt: Ressourcen und Bedarf von Mitarbeiter(inne)n aus der ambulanten und stationären pädagogischen Betreuung der Behindertenhilfe Ein Beispiel für ein „Mini-Projekt“, das die eigenen Kolleg(inn)en als Zielgruppe im Fokus hatte, ist dieser Workshop mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der pädagogischen Behindertenhilfe. Laut Aussage der Projektleiterin war es das Ziel, Interesse unter den Mitarbeiter(inne)n für den ressourcenorientierten Ansatz in der pädagogischen Arbeit zu wecken.
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Die Gruppe setzte sich zusammen aus interessierten Mitarbeiter(inne)n, die von der Leitung für diesen Tag freigestellt worden waren. Nach kurzer Vorstellung der Teilnehmenden untereinander und des Projektes wurden anhand eines theoretischen Inputs Grundlagen erläutert: Was sind Ressourcen? Welche Konzepte zur Ressourcenorientierung gibt es? Welche Einstellungen und Sichtweisen zählen zur ressourcenorientierten Haltung? Inwiefern stellen diese eine Chance in der Sozialen Arbeit dar? Um sowohl Haltung als auch Methoden zu verdeutlichen und erfahrbar zu machen, wurden die vorhandenen Ressourcen der Mitarbeiter(innen) anhand von Fragestellungen wie: „Was gehört zu meinem beruflichen Netzwerk?“ und „Welches sind meine beruflichen Tätigkeiten?“ erhoben und in Paarinterviews reflektiert. Eine anschließende Sammlung und Auswertung der Ergebnisse im Plenum hatte zum Ziel, den individuellen Bedarf und die individuellen Kompetenzen der Teilnehmenden zu erkennen. Es folgte ein Gespräch über die Ergebnisse anhand von Leitfragen, wie: „Wo liegen meine Kompetenzen?“, „Wo liegen die Kompetenzen der Anderen?“, „Ist eine Vernetzung möglich?“ und „Welche weiteren Ziele sind erkennbar?“. Schließlich wurde nach dieser persönlichen Erfahrung diskutiert, ob und auf welche Weise die ressourcen- und netzwerkorientierte Haltung und Methoden in die Praxis der pädagogischen Behindertenhilfe transferiert werden könnten. Vor allem die „Checkliste zur Erhebung individueller Ressourcen: Wie selbständig bin ich?“ wurde für brauchbar befunden und an alle teilnehmenden Mitarbeiter(innen) für den künftigen Einsatz in der Arbeit mit den Klient(inn)en ausgeteilt. Die Fortbildung fand bei den Teilnehmenden großen Anklang. Dabei wurde die persönliche Erfahrung mit den Methoden als wichtiger Faktor betont. In diesem Fall waren ursprünglich die Kolleg(inn)en die eigentliche Zielgruppe des Projektes. Ein Ergebnis dieses Projektes war daher auch, dass das Vorhandensein (und eventuell künftig auch das Nutzen) von Ressourcen innerhalb des Teams stärker in den Vordergrund rückte. Was sich daraus jedoch entwickelte, war ein großes Interesse für den Ansatz und die Aufnahme eines Ressourcenerhebungsinstrumentes in die praktische Arbeitsweise, wodurch die ressourcen- und netzwerkorientierte Haltung bereits auf die Klient(inn)en übertragen wurde – ein erster Schritt in Richtung einer Parallelität von Ressourcenorientierung im Team und im Klientenkontakt. Auch so genannte „Mini-Projekte“ können also durchaus weite Kreise ziehen. Projekt: Interkulturalität in der Kita Die Projektleiterin arbeitete in einer offenen, integrativen Kindertagesstätte, wobei der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund 72% betrug. Ihr Ziel war es, ihre Kolleg(inn)en für das Thema „Chancen von Interkulturalität“ zu sensibilisieren und zu gewinnen und so das Thema im Jahresplan des Folgejahres als Projekt zu verankern. Während einer Mitarbeiterbesprechung wurde das Thema vorgestellt und gemeinsam überlegt, inwieweit kulturelle Unterschiede im Kita-Alltag schon jetzt
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auf eine ressourcenorientierte Weise berücksichtigt wurden. Es fanden sich drei Kolleg(inn)en, die Interesse hatten, an diesem Thema weiter zu arbeiten, und es wurde als Hausprojekt in den kommenden Jahresplan aufgenommen. In der gegründeten Arbeitsgruppe wurden Feste verschiedener Kulturen gesammelt und geplant, jedes Jahr ein traditionelles nicht-deutsches Fest zu feiern. Den Anfang sollte „Bayram“, das islamische Zuckerfest, machen. Fasching und das Sommerfest sollten im selben Jahr interkulturell mit landestypischen Speisen, Musik und Spielen gefeiert werden. Im Flurbereich wurden Weltkarten aufgehängt, auf denen die Kinder ihre Herkunft markieren konnten. Als wichtiger und potenziell bereichernder Punkt wurde auch das Einbeziehen der Eltern angesehen; allerdings lagen zur Zeit des Projektberichtes noch keine konkreten Erfahrungswerte dazu vor. Was sich in diesem Projekt besonders zeigt, sind die Chancen, die allein in einer ressourcenorientierten Haltung liegen. Da Glaube und Familie wichtige Ressourcen eines Kindes darstellen, wurde der interkulturelle Dialog zwischen den Kindern gefördert, um so das Wissen um die eigene und fremde Herkunft und Identität zu erweitern. In diesem Projekt wurde auf den Einsatz von ressourcenund netzwerkorientierten Methoden verzichtet. Aus einer ressourcenorientierten Haltung heraus konnte jedoch Interkulturalität als Ressource für die Identitätsbildung und die kommunikativen Fähigkeiten der Kinder erkannt werden und somit als eigenes Thema stärker in den Vordergrund rücken. Projekt: Eine Hilfe für den Hilfeplan Das letzte der hier vorgestellten „Mini-Projekte“ hatte die Neukonzeption des Instrumentes „Hilfeplan“ und damit verbunden gleichermaßen eine Neuausrichtung der Hilfeplanung zum Ziel. In einer Einrichtung der Sozialen Arbeit wurde von Seiten der Leitung die Konzeption eines verbindlich einzusetzenden Hilfeplanformulars für die Klient(inn)en durch die Mitarbeiter(innen) gefordert. Eine der Schwierigkeiten war bisher, dass es kein einheitliches Vorgehen bei der Hilfeplangestaltung gab, sondern dieser eher individuell erstellt wurde. Die Projektidee war daher, die ressourcenund netzwerkorientierten Methoden zu nutzen, um ein einheitliches HilfeplanFormular zu entwickeln, in welchem folglich der Aspekt der Ressourcenorientierung explizit vertreten war. Hierzu sollten interessierte Kolleg(inn)en gewonnen und geschult werden. In einer Mitarbeitersitzung wurde die Idee vorgestellt und die Zustimmung der Heimleitung eingeholt sowie eine projektbezogene Freistellung von der Arbeit erreicht. Zwischen der Projektleitung und einer ersten interessierten Kollegin wurde ein Termin vereinbart und vorbereitend das vorhandene Material zur Ressourcenorientierung und Netzwerkarbeit auf Methoden, die sich zur Unterstützung der Hilfeplanerstellung eignen, gesichtet. Folgende Ansätze und Methoden wurden –
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neben allgemeinen Informationen zum Hilfeplan (Bedeutung, gesetzliche Grundlage etc.) und bereits existierenden Beispielen und Vorlagen von Hilfeplänen – für hilfreich befunden: Aspekte der Zielformulierung und der Ressourcenorientierten Beratung Systemisch orientierte Fragen (z.B. die Wunderfrage, siehe Kapitel 4) Methoden zur Erhebung der personalen und sozialen Ressourcen (z.B. Netzwerk-, Unterstützungs- und Ressourcenkarte) Im Gespräch mit der Kollegin wurde mit der Erhebung ihrer Erwartung begonnen, ein Ziel für dieses Coaching formuliert und mit den Zielen der Projektleiterin abgeglichen. Wesentliche Inhalte, die von der Projektleiterin an die Kollegin weiter gegeben wurden, waren u. a. die Bedeutung von Zielen (Spezifizierung, Überprüfbarkeit, Kleinschrittigkeit). In einem zweiten Treffen wurde die Lösungsaufstellung (siehe Kap. 4) praktisch geübt, um der Kollegin die Möglichkeit zu geben, sie in ihr Handlungsrepertoire aufzunehmen. Außerdem wurden Chancen und Schwierigkeiten dieser Methode diskutiert. Weiterhin wurde die Netzwerk- und die Unterstützungskarte (siehe Kap. 5) eingeführt, sowie deren Bedeutung in der ressourcen- und netzwerkorientierten Arbeit herausgestellt. Der Bezug zum aktuellen Thema ‚Erstellung eines Hilfeplan-Formulars’ wurde verdeutlicht: Die Wahrscheinlichkeit einer gelungenen Hilfeplanung hängt auch davon ab, wie der/die Adressat(in) seine/ihre eigenen Ressourcen einsetzt. In zwei weiteren Treffen wurden weitere Methoden (s. o.) eingeführt und praktisch erprobt. Die Durchführung des Coachings mit drei weiteren Kolleg(inn)en war zum Stand der Erstellung des Projektberichtes in Planung. Von der Leitung wurde das erarbeitete Hilfeplan-Formular, welches den ressourcenund netzwerkorientierten Fokus beinhaltete, für einen Probedurchlauf akzeptiert. An diesem Projekt zeigt sich, wie der ressourcenorientierte Ansatz schon in einem relativ kleinen Projekt – geschult wurde zunächst eine einzige Kollegin – Eingang in den Arbeitsalltag finden kann, methodisch flexibel am eigenen Bedarf orientiert. Sollte das erstellte Formular sich tatsächlich auf Dauer durchsetzen, wäre sogar schon ein großer Schritt in Richtung langfristige Implementierung getan.
Teil C Ressourcenorientierung in der Organisation
11 Ressourcenorientierte Arbeit in der Praxis – Ergebnisse einer Evaluation in der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses Hans-Josef Lembeck Einleitung In den Jahren 2007 und 2008 haben mehr als 100 Mitarbeiter/innen des Rauhen Hauses aus dem Stiftungsbereich Kinder- und Jugendhilfe an einer Fortbildungsreihe des Institutes des Rauhen Hauses für Soziale Praxis (isp) zur Ressourcenorientierten Arbeit teilgenommen, die jeweils aus einem mehrtägigen Fortbildungsblock und sich daran anschließenden Praxisberatungsterminen bestand. Ziel der Fortbildung war es, den Mitarbeiter/innen das Konzept der Ressourcenorientierten Fallarbeit und die dafür notwendige professionelle Haltung zu vermitteln, in der Hilfeplanung und -gestaltung die Fallarbeit der Mitarbeiter/innen systematisch ressourcenorientiert auszurichten und den Mitarbeiter/innen hierfür ein Instrumentarium für die Praxis an die Hand zu geben: Methoden der Ressourcenorientierten Fallarbeit Darüber hinaus wurden die Mitarbeiter/innen zu den Wirkungen befragt und gebeten, Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Ressourcenorientierten Fallarbeit zu formulieren. Mit Hilfe leitfadengestützter Interviews, deren Fragestellungen entlang der Dimensionen Konzept-, Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität entwickelt wurden, wurden drei Gruppeninterviews durchgeführt, an denen insgesamt 17 Mitarbeiter/innen aus unterschiedlichen Hilfeformen (ambulant und stationär) beteiligt waren. Deutlich wird, dass die Fortbildung zur Ressourcenorientierten Fallarbeit von der Mehrheit der interviewten Mitarbeiter/innen zum Ausgangspunkt für Veränderungen der eigenen Praxis geworden ist. Sowohl auf der grundsätzlichen Ebene der pädagogischen Haltung als auch in der Planung der Hilfen und ihrer Gestaltung werden Entwicklungen identifiziert. Die Mitarbeiter/innen erläutern die Wirkungen und Effekte, die der ressourcenorientierte Ansatz sowohl für die Adressat/innen als auch für sie und das Hilfesystem mit sich gebracht hat und weiterhin mit sich bringen kann. Hier verweisen die Praktiker/innen auf den Prozesscharakter der Umsetzung. Die Mitarbeiter/innen setzen sich mit großer Offenheit und Bereitschaft mit Fragen der Weiterentwicklung des Ansatzes und seiner vertiefenden Implementie-
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rung in der eigenen Einrichtung und darüber hinaus auseinander. Die konstruktivkritischen Anmerkungen verweisen zudem auf mögliche Entwicklungspotenziale neben und jenseits des eigentlichen Prozesses der Ressourcenorientierten Fallarbeit. Auch hier werden wichtige und zu bedenkende Anregungen formuliert. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Evaluation entlang der genannten Themenbereiche vorgestellt. Professionelle Haltung „Wenn es gut läuft, wenn es optimal läuft, dann ist es ja so, dass die Klienten ein Gefühl dafür entwickeln können, selbstwirksam zu sein, also sich selbst zu steuern und eine Selbstwirksamkeit zu haben. Nicht Opfer zu sein der Umstände und der gesellschaftlichen Probleme und Gewalt und so weiter und so weiter, sondern (…) ihr eigenes Leben zunehmend mehr wieder aktiv zu gestalten.“1
„Selbstwirksamkeit“ der Adressat/innen Die Mitarbeiter/innen weisen einerseits darauf hin, dass sich ihre Grundhaltung, ihre „soziale Haltung“, ihr „Menschenbild“ und ihr professioneller Zugang zu den Adressat/innen, der sich unter dem Oberbegriff der ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ subsumieren lässt, nicht substanziell verändert haben. Andererseits machen die Mitarbeiter/innen auf die „radikale Rollenänderung“ und „neue Rollendefinition“ auf Seiten der Professionellen als auch auf Seiten der Adressat/innen aufmerksam. In der Ressourcenorientierten Fallarbeit bezeichnen sich die Mitarbeiter/innen als „CoAutoren“. Die Adressat/innen werden nach dieser Auffassung zu den Hauptakteuren, die „das Gefühl bekommen, auf einem Regiestuhl zu sitzen“. Betont wird hier, dass mit der Fortbildung und der praktischen Anwendung der Ressourcenorientierten Fallarbeit eine neue Auseinandersetzung mit der eigenen professionellen Haltung stattfindet. Eine Haltung, für die der „Blick auf die Ressourcen“ konstitutiv, elementar und zentral ist und auf deren Grundlage geeignete, auf Ressourcen konzentrierte Methoden angewendet werden. Der Fokus richtet sich in dieser Haltung und in den auf dieser Haltung fußenden Handlungsorientierungen auf die zu weckende, ernst zu nehmende und zu unterstützende Motivation der Adressat/innen „selber mit an ihrer Entwicklung zu arbeiten“ und „konkrete Ziele miteinander“ auszuhandeln. Die Adressat/innen werden somit konsequent als handlungsfähige Subjekte auch in problematischen und krisenhaften Situationen betrachtet. Diese Haltung berücksichtigt den Eigensinn der Adressat/innen, der sich in der Kreation von Problemlösungen ausdrücken kann, die nicht zwangsläufig die Lösungen der Mitarbeiter/innen sein müssen. Sie nimmt die Adressat/innen deutlich und erkennbar in die Verantwortung für die 1
Bei den mit Zitierzeichen („…“) markierten Textpassagen handelt es sich um O-Töne aus den Interviews.
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Veränderung ihrer Lebenssituation und schafft Gelegenheiten, pädagogische Orte und Situationen, in denen die Nutzer/innen Erfahrungen der „Selbstwirksamkeit“ machen können, ohne den eigenen professionellen Anteil, die professionelle Verantwortlichkeit im Prozess negieren zu wollen. Zukunftsorientierung Deutlich wird, dass unter der Ressourcenorientierten Fallarbeit ein Konzept und eine Methode verstanden werden, mit der die Praktiker/innen ihre alltägliche Praxis dahingehend überprüfen können, ob diese Praxis tatsächlich mit einer Haltung in Übereinstimmung gebracht werden kann, die (unter anderem) von der Frage geleitet ist, was Adressat/innen erreichen wollen und wie sie es mit ihren Ressourcen und denen ihres Netzwerkes erreichen können. Dabei birgt insbesondere die konsequente Zukunftsorientierung in der Ressourcenorientierten Fallarbeit nach Auffassung der Mitarbeiter/innen Aufforderungscharakter sowohl an die Professionellen als auch an die Adressat/innen und richtet den Blick auf Fragen, die sich mit den Möglichkeiten der erfolgreichen Bewältigung zukünftiger Herausforderungen beschäftigen und sich weniger mit der Verarbeitung vergangener und möglicherweise misslungener Bewältigungsversuche befassen. Hier wird den Adressat/innen deutlich, dass sie „auf eine andere Art und Weise (…) ins Boot genommen“ und für den Hilfeprozess in die Verantwortung genommen werden. Es geht darum, „immer wieder möglichst strukturorientiert zu bleiben und sich zurückzubesinnen auf den Pfad“, der in seinem Weg nach vorne, in die Zukunft gerichtet ist. Gleichzeitig stellen die Mitarbeiter/innen eine anschlussfähige Verbindung zwischen der Lebensweltorientierung als Rahmenkonzept Sozialer Arbeit und der Ressourcenorientierten Fallarbeit als eine methodische Konsequenz her. Gerade die Methoden und Instrumente der Ressourcenorientierten Fallarbeit (auf deren Anwendung noch näher eingegangen wird) dienen hier nach mehrheitlicher Auffassung der Mitarbeiter/innen der Orientierung an der Lebenswelt der Adressat/innen, in der es darum geht, gemeinsam mit den Adressat/innen Lösungen für Probleme zu entwickeln, die so nah wie möglich in der Lebenswelt der Adressat/innen verortet sind und die ihre Anknüpfung an den von den Adressat/innen formulierten Möglichkeiten finden. Hilfeplanung und -gestaltung „Ein konkretes Ziel ist ja, den Blick zu öffnen für die Stärken der Leute, der Familien, der Kinder (…) wegzukommen von diesem defizitorientierten Blick und Ressourcen zu erschließen. (…), dass man wegkommt von dem Blickfeld, was sie alles nicht können, sondern dass man sie da abholt, was schon gut läuft“ „Der Fokus verschiebt sich einfach auch von Anfang an schon, dass man (…) einfach einen Blick dafür hat und andere Dinge mit einbaut, die man vorher halt nicht eingebaut hat. Ja, ein-
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Hans-Josef Lembeck fach schaut, dass man (…) viele Leute damit an Land bringt und nicht erst mal sagt, der wohnt jetzt erst mal bei uns und wir gucken erst mal, sondern gleich von Anfang an schon sagt: ‚Okay, wo liegen die Stärken, wo liegen die Schwächen, wie können wir die nutzen’ und sich da einen Plan macht und guckt, wie man dann schneller (…) durchkommt und das alles bearbeitet.“
Entwicklung einer gemeinsamen Zentralorientierung In den Schilderungen der Mitarbeiter/innen zur Hilfeplanung und -gestaltung wird deutlich, dass mit dieser Haltung eine konsequente und insbesondere von Beginn der Hilfe an einsetzende Handlungsorientierung an den Stärken der Adressat/innen in Verbindung mit der Frage nach unterstützenden institutionellen und persönlichen Netzwerken verbunden ist. Organisatorisch und inhaltlich arbeiten Mitarbeiter/innen z.B. über die eigene Institution hinaus gehend in einem „Trägerverbund“, in dem die Orientierung an den Ressourcen und Netzwerken eine gemeinsam definierte Aufgabe und Herausforderung darstellt. Hier ist das auf den Weg gebracht, was von den Mitarbeiter/innen als eine der wichtigen Voraussetzungen formuliert wird: Der ressourcenorientierte Zugang wird die handlungsleitende Orientierung über unterschiedliche an der Hilfeplanung und -gestaltung beteiligte Institutionen hinweg. Auf der Grundlage dieses ‚gemeinsamen Dritten’ kann – jenseits von unterschiedlichen Schwerpunkten angesichts spezifischer Aufgabenprofile – eine Hilfe entwickelt werden, die den Anforderungen an eine Hilfe mit nachvollziehbarer, transparenter und gemeinsam verfolgbarer Zentralorientierung entspricht. Die Fortbildungen, Entwicklungen und Veränderungen in der eigenen Institution korrespondieren z.B. mit Anforderungen des Auftraggebers (hier: das Jugendamt), der in bestimmten Regionen die Anwendung bestimmter Methoden (wie z.B. SMART2) fordert. Der an den Ressourcen orientierte Zugang ist nach mehrheitlicher Auffassung der Mitarbeiter/innen insbesondere im System der Jugendhilfe mehr und mehr kompatibel mit den Zugängen von Kooperationspartnern und Auftraggebern, obwohl hier noch einiges Entwicklungspotenzial ausgemacht wird. So beziehen sich die deutlichen Hinweise der Mitarbeiter/innen auf notwendige Entwicklungen und Veränderungen über die eigene Institution hinaus: Wenn alle beteiligten Akteure gemeinsam an diesem ressourcenorientierten Strang arbeiten, erhöhen sich die Chancen auf einen Erfolg versprechenden Hilfeverlauf. Es geht den Mitarbeiter/innen mehrheitlich darum, eine gemeinsame Sprache (Grundhaltung und Handlungsorientierung) sowohl innerhalb der eigenen Institution als auch mit den Kooperationspartnern zu entwickeln, auf deren Grundlage konsistente und insbesondere für die Adressat/innen nachvollziehbar begründete Hilfen geplant und gestaltet werden.
2 Eine Methode zur Zielkonkretisierung (vgl. Hekele 2005) SMART: Spezifisch – Messbar – Akzeptabel – Realistisch – Terminiert
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Perspektivwechsel Der geöffnete Blick „für die Stärken“ wirkt sich nach der Erfahrung der Mitarbeiter/innen direkt auf die mit anderen Akteuren gemeinsam zu gestaltende Hilfeplanung aus. Der Fokus und die Perspektive verändern sich vom „was kann ich (als Mitarbeiter/in – Anmerkung des Verfassers) tun?“ zum „wie haben die Klienten bisher das Netzwerk, in dem sie sich befinden, genutzt und welche Ressourcen haben sie selber darin gefunden?“. Professionelle machen sich im Prozess der Hilfe „abkömmlich“, sie verdeutlichen den Adressat/innen, „dass sie in ihrem Netzwerk Ressourcen haben“, die aktiviert werden können. Betont wird hier von den Mitarbeiter/innen, dass insbesondere das „private Netzwerk“ mit seinen Potenzialen einer besonderen Berücksichtigung bedarf. Darüber hinaus geht es den Mitarbeiter/innen in der Etablierung und (Re-)Strukturierung institutioneller wie privater Netzwerke darum, Synergieeffekte zu erzielen, die mit der Bildung solcher Netzwerke verbunden werden. Dies nicht zuletzt auch, um den sich immer weiter verdichtenden Arbeitsprozessen angemessen, konstruktiv und effektiv begegnen zu können. Methoden der Ressourcenorientierten Fallarbeit „Ich erinnere mich, dass wir während der Fortbildung schon gesagt haben, dass wir das als Methodenkoffer sehen, dass wir nicht sagen, ich muss ja erst mit einem Genogramm da rein laufen und dann erst später kann ich dann vielleicht mal das und das anwenden, sondern wir haben die Instrumente an der Hand und gucken uns individuell die Familie, die die Problemlagen oder die Ressourcenlage haben an und nutzen dafür die Instrumente, die uns da hilfreich erscheinen und dass das nicht ein einmaliger Prozess ist.“
Situationsangemessenheit Die Methoden der Ressourcenorientierten Fallarbeit werden nicht standardisiert, sondern entlang der Einschätzung der Professionellen eingesetzt, wann, wo und wie der Einsatz welcher Methode, welchen Instrumentes sinnvoll erscheint. Die im Rahmen der Fortbildungen zur Verfügung gestellten und geübten Arbeitsmethoden und -instrumente, die auf diesen ressourcenorientierten Zugang zugeschnitten bzw. nach ihrem Gebrauchswert für eine solche Fallarbeit ausgewählt worden sind, werden auch vor dem Hintergrund der formulierten gemeinsamen Zentralorientierung sehr viel stringenter, strukturierter und regelhafter in die Alltagspraxis integriert und in ihr angewendet. So wird von den Mitarbeiter/innen mehrheitlich formuliert, dass sie nun die notwendigen Methoden für die Umsetzung ihrer ressourcenorientierten Haltung kennen gelernt haben und in der Anwendung geschult worden sind. Das, was vor der Auseinandersetzung mit geeigneten Methoden der Umsetzung mitunter eher im Allgemeinen verblieb und in mehr oder weniger überprüfbare Prozesse
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mündete, erfährt nun eine Fundierung und notwendige Erweiterung um anwendbare Instrumente. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten Ob die Methoden eingesetzt werden oder nicht, ob sie sich bewähren oder nicht, hat nach Auffassung der Mitarbeiter/innen nicht zuletzt mit dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu tun, diese Instrumente auch fach- und sachgerecht anwenden zu können und verweist auf die von einigen Mitarbeiter/innen formulierte Anforderung, über die durchgeführte Fortbildung mit den angeschlossenen Praxistagen hinaus Verfahren zu entwickeln, die zur nachhaltigen Implementierung des Ansatzes in die Praxis beitragen können. Struktur im Chaos – Neue Übersichtlichkeit Nach mehrheitlicher Auffassung der Mitarbeiter/innen hilft der Einsatz ressourcenorientierter Methoden dabei, unübersichtliche, schwer einschätzbare und schwierige Handlungssituationen (wieder) zu strukturieren. Einige Mitarbeiter/innen halten es für wichtig, die Instrumente schon zu Beginn der Hilfe einzusetzen, um der Kommunikation zwischen ihnen und den Adressat/innen von Beginn an einen Schwerpunkt zu geben, in dem an den gemeinsam zu identifizierenden Veränderungspotenzialen in schwierigen Lebenssituationen angesetzt wird. Motivierung zur Motivation Der Einsatz der Methoden und Instrumente ist nach Auffassung von Mitarbeiter/innen darüber hinaus von der Motivation der Adressat/innen zur Mitarbeit abhängig. Wichtig ist hier, verständlich und nachvollziehbar zu vermitteln, was mit dem Einsatz welcher Methoden beabsichtigt wird, um den Adressat/innen einen Zugang zu ermöglichen, der die angesprochene notwendige Motivation befördert. Mitarbeiter/innen machen die Erfahrung, dass die Adressat/innen dem Angebot, sich anders und strukturiert mit ihrer Situation zu beschäftigen, etwas abgewinnen können, denn „die Jugendlichen finden es interessant, mal aufzuschreiben, wer überhaupt in ihrem Leben eine Rolle spielt, also bei der Netzwerkkarte: ‚Welche Leute spielen in meinem Leben überhaupt eine Rolle?’ oder diese Selbsteinschätzungssache: ‚Was kann ich gut, was kann ich nicht gut?’, wo man wirklich auch einmal ehrlich sein muss und im Gespräch dann guckt (…). Ja, das finden sie dann doch (…) ganz spannend“. Bewährt hat sich die Anwendung der Methoden dort, „wo die Adressaten auch mit Spaß an der Sache gearbeitet haben“. Nach Auffassung von Mitarbeiter/innen ist es wichtig, „dass die Jugendlichen selbst was mitnehmen“ und „über das Quellenmaterial“ verfügen können.
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Systematischer Einsatz: Bedingungen und Friktionen Im Zusammenhang mit der Frage nach dem systematischen Einsatz der Instrumente differenzieren einige Mitarbeiter/innen nach Arbeitsbereichen. So können die Instrumente nach einer Auffassung „in der ambulanten Betreuung (…) systematisch eingesetzt“ werden, was mit der weitgehend selbst bestimmten Arbeitsweise in dieser Angebotsform begründet wird. In der Wohngruppenarbeit hingegen ist der systematische Einsatz der Instrumente nach Auffassung einiger Mitarbeiter/innen abhängig von den Besonderheiten des Wohngruppenalltags mit seinen spezifischen Herausforderungen. So kommt es nach selbstkritischer Einschätzung einiger Mitarbeiter/innen vor, dass der Einsatz der Methoden im „Alltag“ verloren geht. Diese Entwicklung wird z.B. als ein Prozess des Verebbens nach einer Phase der Euphorie beschrieben. Darüber hinaus wird mit dem Einsatz der Methoden ein befürchteter Mehraufwand verbunden, der die ohnehin schon angespannten und belasteten Kapazitäten zusätzlich (über-)fordert. Der Faktor Zeit spielt für alle Mitarbeiter/innen eine besondere Rolle. Nicht selten fehlt nach Auffassung der Mitarbeiter/innen diese notwendige Zeit für den systematischen Einsatz ressourcenorientierter Methoden. Die Mitarbeiter/innen legen Wert auf die Feststellung, dass die hinreichende räumliche Ausstattung und zeitliche Ressourcen den systematischen Einsatz der Methoden begünstigen. Die Ressourcenorientierte Fallarbeit erfordert – insbesondere in der Anfangsphase – Aufwand und Engagement über die zur Verfügung stehende Arbeitszeit hinaus. In zwei Äußerungen wird in diesem Zusammenhang zwischen neuen und langjährigen Mitarbeiter/innen differenziert. Festgestellt wird, „dass die jungen Mitarbeiter, die ganz neuen, auch die mit Zeitverträgen, auf jede Art von Fortbildung drauf springen und begeistert sind, während die Älteren nicht wissen, wie sie es in den Arbeitsablauf integrieren sollen“. Insbesondere studentische Mitarbeiter/innen werden als „sehr offen (…) für neue Methoden“ erlebt. Methodeneinsatz und Krise3 Abgehoben wird darüber hinaus auf Betreuungsverhältnisse, in denen die Situation der Adressat/innen als Dauerkrise und nicht als vorübergehende Episode zu beschreiben ist. Als das „eigentliche Geschäft“ wird hier die Notwendigkeit beschrieben, Kinder und ihre Familien in teilweise äußerst prekären Situationen zu unterstützen, für die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse zu sorgen und in Krisen zu intervenieren. Die Möglichkeit des ressourcenorientierten Arbeitens ist nach dieser Auffassung auch – und nicht zuletzt – abhängig vom „Ressourcenpotenzial des Einzelfalles“. „Der Großteil der Arbeit“ wird hier als stellvertretendes „Handeln für die Klientel“ beschrieben, in dem „der Prozessanteil mit den Betreuten ein geringerer“ ist. Im Extrem, so wird in einer Aussage festgestellt, tritt „der Begriff Ressource (…) in der Form, dass nach den Ressourcen gesucht wird, recht wenig“ auf, weil 3
Zur Auseinandersetzung mit dem Thema sieh auch Kap. 1 Ressourcenorientiertes Arbeiten
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auf den ersten Blick keine identifizierbaren Potenziale aktiviert werden können. Die Instrumente werden hier zwar nicht im direkten Kontakt mit den Adressat/innen angewendet, sie werden dann jedoch z.B. im Rahmen der Dienstbesprechungen „als Veranschaulichungsmethode (…), als Mittel der Präsentation des Falles“ genutzt, auch um Situationen zu reflektieren oder um die Potenziale des Teams zu nutzen, mögliche unentdeckte Stärken der Adressat/innen mit Hilfe der Ressourcenhand oder einer Netzwerkkarte zu identifizieren. Methodeneinsatz konkret Die Mitarbeiter/innen wurden dezidiert befragt, welche der Methoden wie und wann eingesetzt werden. Ausgehend von dem von einigen Mitarbeiter/innen gegebenen Hinweis, dass alle Instrumente (wie z.B. das Familienbrett4) in allen Teams zur Verfügung stehen sollten, wird beispielhaft erläutert, dass der Einstieg in die Hilfe über den Einsatz der Netzwerkkarte (siehe Kap. 5 zur Netzwerkarbeit) erfolgen kann. Setzen sich die Adressat/innen selbst fast ausschließlich mit ihren Defiziten auseinander und/oder handelt es sich um komplexe Familiensituationen, setzen Mitarbeiter/innen z.B. die Familie-Ressourcenhand (siehe Kap. 6) und das Genogramm5 ein, um sich einen Überblick zu verschaffen und um mögliche Ressourcen in der Familie identifizieren zu können. Einige Mitarbeiter/innen bezeichnen die Vorgehensweise nach SMART als „Dreh- und Angelpunkt“. Zeitleisten6 werden u.a. eingesetzt, wenn es um die Auseinandersetzung mit Herausforderungen, Anforderungen und dem Umgang mit Handlungsdruck geht. Darüber hinaus werden sie eingesetzt, um gemeinsam mit den Adressat/innen einen Überblick über den bisherigen Lebenslauf zu bekommen. Wirkungen Die Mitarbeiter/innen wurden im Rahmen der Interviews nach den Wirkungen der Ressourcenorientierten Fallarbeit befragt. Eingedenk der Fachdiskussion um den Wirkungsbegriff und des sozialarbeiterischen Dilemmas im Grunde keine Kausalverbindungen zwischen der Intervention und etwaigen Wirkungen herstellen zu können, werden die Auffassungen der Mitarbeiter/innen zu den Wirkungen hier dargestellt, da sie verdeutlichen, welche Veränderungen und Entwicklungen die Praktiker/innen vor Ort auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und im Unterschied
4 vgl. Ludewig, K. u. Wilken, U. (Hg.), 2000: Das Familienbrett. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle 5 vgl. Ruhe, H. G., 2003: Methoden der Biographiearbeit. Lebensspuren entdecken und verstehen. Weinheim, Basel, Berlin 6 Eine Anleitung zur Arbeit mit der Zeitleiste findet man ebenfalls bei H. G. Ruhe.
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zu vorherigen Zugängen mit der Implementierung der Ressourcenorientierten Fallarbeit verbinden. Die Mitarbeiter/innen wurden gebeten, die ihrer Auffassung nach wichtigsten Effekte in einem Satz darzustellen. Die Rückmeldungen zu dieser Frage werden hier zusammenfassend und indirekt zitierend dargestellt: Die Adressat/innen werden aktiviert, erleben die Fähigkeit zu eigener Aktivität, machen die Erfahrung, ihr Leben in der eigenen Hand zu haben, erlangen ihre Handlungsfähigkeit zurück, blicken positiv in ihre eigene Zukunft, finden Zutrauen in die eigene Kraft, entwickeln eigene Vorstellungen über eigenes Können und Wollen, erleben Partizipation an allen möglichen Prozessen, werden mit der Methode in ihren Selbsthilfekräften angeregt – dies hat positive Auswirkungen auf ihre Entwicklung, gewinnen Selbstvertrauen. Die Mitarbeiter/innen nehmen die Adressat/innen ernst, nutzen den sozialen Raum, seine Ressourcen, sein Netzwerk, werden überflüssig, erleben die Anwendung der Methode als Unterstützung in der Suche nach dem roten Faden, der Struktur in dynamischen Familiensituationen, da sie Klärung und Klarheit ermögliche, bezeichnen die Ressourcenorientierte Fallarbeit als den möglichen gemeinsamen und transparenten Ansatz über alle institutionellen Differenzen hinweg, vermehren ihre Handlungsoptionen nach allen Seiten. Die Mitarbeiter/innen differenzieren hier zwischen Wirkungen auf Seiten der Adressat/innen und auf Seiten der Professionellen. In der Ausformulierung beobachteter und erfahrener Wirkungen heben die Interviewpartner/innen auf weitere Aspekte ab, die im Folgenden dargestellt werden. Wirkungen auf Seiten der Adressat/innen „Dieser Blickwinkel von ‚Du bist mein Betreuer, du hilfst mir jetzt und mach mal’, (…), sondern: ‚Was kann ich vielleicht machen oder wo sind auch noch Leute, die mir bei meinen Problemen helfen können’ und nicht diese Fixierung auf die Wohngruppe und auf den einzelnen Betreuer, ‚der ist mein Bezugsbetreuer oder (…) Ansprechpartner und der muss das jetzt machen’,
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Nach Auffassung von Mitarbeiter/innen ist das Konzept bei den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien wirksam, weil „gemeinsame Projekte“ im Zuge der ressourcenorientierten Arbeit initiiert werden können, weil Adressat/innen die Ergebnisse des Einsatzes der Methoden mit den Betreuer/innen besprechen wollen und weil sie sich von der Haltung trennen, ein „armes kleines Opfer“ zu sein. Die betreuten Jugendlichen verändern ihre Perspektive, ihren „Blickwinkel“. Mitarbeiter/innen stellen fest, dass Adressat/innen „an bestimmte Dinge, die anstehen, zielorientierter (…) auch motivierter herangehen“. Die Jugendlichen „erkennen für sich, da brauche ich Unterstützung und das läuft gut. Sie gehen in die Ressourcenorientierung“, erleben, „dass sie mit ihrer eigenen Kraft etwas verändern können“, lernen ihre eigenen Leistungen (z.B. in der Schule) realistisch einzuschätzen und legen eine größere Bereitschaft an den Tag, Gespräche zu führen und sich „über ihr Leben oder über ihre Lebensbezüge auseinander zu setzen“. Mitarbeiter/innen in Wohngruppen berichten, dass die Adressat/innen deutlicher Verantwortung für sich und für ihre Mitbewohner/innen übernehmen und damit gleichzeitig die Mitarbeiter/innen entlasten. Wirkung erzielt das Konzept nach Auffassung der Mitarbeiter/innen, wenn Familien die Einrichtungen nicht mehr als „Reparaturwerkstatt“ betrachten, bei der sie ihre Kinder abgeben können, sondern sich als Eltern und Familien – auch wenn ihre Kinder zeitweise oder dauerhaft im Rahmen (teil-)stationärer Hilfen untergebracht sind – weiterhin in der (Mit-)Verantwortung für die Entwicklung ihrer Kinder verstehen. Als Zeichen einer Veränderung entwickeln Familien „Eigeninitiative“. Jugendliche und deren Familien, die quasi mit dem ressourcenorientierten Ansatz der Mitarbeiter/innen in der Einrichtung aufwachsen, nutzen die produktiven Potenziale im Hinblick auf die selbstständige Auseinandersetzung mit sich und ihrer Lebenssituation. Die Mitarbeiter/innen machen die Erfahrung, dass die Adressat/innen ihren Aktionsradius und ihre Kontakte jenseits der Hilfesysteme erweitern und ausbauen. Entgegen vorheriger Befürchtungen beobachten die Mitarbeiter/innen, dass die Adressat/innen in der Regel positiv und konstruktiv auf die Vorschläge zum Einsetzen der Instrumente eingehen und den Zugang zu den Ergebnissen zu schätzen wissen. Wirkungen auf Seiten der Professionellen „Unser Nutzen liegt darin, nicht immer das Gleiche zu tun, sondern in kollegialer Beratung zu erfahren, dass andere Kollegen oder andere Professionelle aus Sozialinstitutionen Handlungsoptionen anbieten, die ich in legitimer Weise ausprobieren darf. Das ist mein konkreter Nutzen, auf Kooperationspartner zuzugehen, die mich in meiner Sache oder uns in unserer Sache in der
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Gruppe unterstützen. Super. Nicht alles aus dem Haus heraus, (…) sondern das gemeinsam schultern.“
Die Mitarbeiter/innen geben an, bewusster, zielgerichteter und absichtsvoller mit den unterschiedlichen Netzwerken umzugehen. Die Zusammenarbeit mit den (potenziellen) Netzwerkpartnern wird enger, wird intensiviert und zielgerichtet. Die Mitarbeiter/innen fragen nach den Ressourcen dieser Netzwerke. Es wird an definierten Zielen gearbeitet und die Arbeit gestaltet sich erfolgreicher, weil diese Ziele „in wesentlich kürzerer Zeit“ erreicht werden können. Sie gehen strukturierter in die entsprechenden Gesprächssituationen hinein und überlegen sich „vorher wirklich genau“, wie sie die Gespräche führen wollen, wie sie was dokumentieren wollen und wie sie auf das Dokumentierte wieder zurückgreifen können, um zu einem späteren Zeitpunkt Vergleiche herstellen zu können. Allgemein formulierte Vereinbarungen werden von „Zielvereinbarungen“ abgelöst bzw. um diese ergänzt. Die angesprochenen ins Leben gerufenen Projekte haben durch die Fortbildung „einen anderen Touch gekriegt (…) weil auch die dann natürlich ressourcenorientiert ausgerichtet worden sind“. So wird z.B. mit „thematischen Gruppensitzungen“ gearbeitet, die als „ein Schwerpunkt“ der Arbeit bezeichnet werden. Darüber hinaus werden Kunst-, Koch- und Kreativprojekte durchgeführt und externe Angebote (Berufsberatung, Lernstandsberatung, Drogenberatung etc.) in die Arbeit der Einrichtungen integriert. Diese Angebote sind nicht grundsätzlich und immer neu, aber, so ein(e) Mitarbeiter/in: „Ich mache das jetzt mit einem anderen Blick, mit einer anderen Haltung“. Ein besonderes Angebot besteht z.B. darin, „Nachhilfekurse von ehemaligen Betroffenen“ durchführen zu lassen. Unter der Überschrift „Jugendliche coachen Jugendliche“ partizipieren die derzeitigen Adressat/innen von den Erfahrungen Ehemaliger. Diese Ehemaligen berichten von ihren „Heimgeschichten“ und „die Jugendlichen im Haus, (bekommen) eine Perspektive aufgezeigt, dass das nicht der Endbahnhof ist, sondern dass es wie im Tunnel ist, am Ende zum Licht“. Die Mitarbeiter/innen berichten von Weiterentwicklungen auf unterschiedlichen Reflexionsebenen. So hat die Fortbildung zur Ressourcenorientierten Fallarbeit z.B. dazu beigetragen, dass die „Kollegiale Beratung“ als systematisierte und strukturierte Methode der Auseinandersetzung mit der Fallarbeit eingeführt worden ist. Teams führen „Ressourcentage“ durch, in denen „von morgens bis in den frühen Nachmittag hinein, ohne Fortbilder“ ressourcenorientiert gearbeitet wird. Auch in der Art und Weise der Supervision hat es beispielhafte Veränderungen und Entwicklungen gegeben. Die neue Form der Supervision setzt sich von therapeutischen Kategorien ab bzw. ergänzt diese Zugänge um die Thematisierung ressourcenorientierter Fragestellungen. Das Erfahrungswissen der Mitarbeiter/innen wird um ein „theoretisches Fundament“ bereichert. Dieses Fundament bildet die begründete und Handlungssi-
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cherheit schaffende Grundlage für die Praxis einer veränderten Fallarbeit, in der die Grundlage für „gute Arbeit“ verdeutlicht werden kann. Mitunter schwer abrufbares implizites Wissen wird zu explizitem Begründungswissen, dass z.B. in den Situationen, in denen nachvollziehbare Begründungen für den einzuschlagenden Weg (z.B. im Rahmen der Hilfeplanung) erforderlich sind. Insgesamt hat sich die Arbeit nach mehrheitlicher Auffassung der Mitarbeiter/innen „entscheidend“ verändert, denn „der Blick liegt in der Regel als erstes auf Ressourcen“. Die Orientierung an den Ressourcen der Adressat/innen ist – so eine Aussage – „mehr in unseren Köpfen drin auf jeden Fall a) das wir das wollen und b) das das auch gefordert wird“. Die Anwendung der Methoden aus dem „Methodenkoffer“ bringt „Entlastung und Erleichterung“. Die gemeinsame Orientierung an den Ressourcen bietet den Teams die Möglichkeit, insofern die schon angesprochene gemeinsame Sprache zu sprechen, als „zunächst einmal die Kollegen eben jetzt alle wissen, worüber wir sprechen, weil wir alle, die Festangestellten, an dieser Fortbildung teilnehmen (…) über die Inhalte der einzelnen Begriffe. Wenn eine Ebene erst einmal so erreicht ist über die Begrifflichkeiten, wird alles klarer“. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Ressourcenorientierten Fallarbeit „Ich würde mich freuen, wenn dieser Prozess jetzt noch nicht abgeschlossen wird. Also sozusagen damit sind wir durch, das haben wir abgeschlossen, sondern dass noch weiterentwickelt wird. Wenn man eine lernende Organisation ist und davon würde ich jetzt erst einmal ausgehen, dass das ein Prozess ist, dass mit diesem Lerninstrument auch umgegangen wird.“
Lernende Organisation Grundsätzlich geht es um die weiter zu entwickelnde Kultur einer „lernenden Organisation“. Förderlich für eine Umsetzung sind insbesondere „unterschiedliche Qualifikationen im Team“. Die unterschiedlichen Wissensbestände befördern eine multiperspektivische Auseinandersetzung im Prozess der Hilfegestaltung. Diese Multiperspektivität wird u.a. in der Bildung von „Tandemteams“ genutzt, indem z.B. eine „Bezugsbetreuerin plus eine Person aus dem Nachtdienst gemeinsam mit einem Adressaten (…) regelmäßig Gespräche führt und Ziele verhandelt, Ziele entwickelt“. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit von permanenter Weiterbildung betont, die auch eigeninitiativ in den Einrichtungen organisiert werden kann. Neue Mitarbeiter/innen werden in den Teams in so genannten „Crashkursen“ in den Ansatz eingearbeitet. Hier wird im Schneeballsystem vorgegangen: Fortgebildete werden zu Fortbildner/innen. Eine beabsichtigte Entwicklung der Einrichtungskultur im Sinne der Ressourcenorientierung ist „entscheidend auch personalabhängig“. Hier wird darauf verwiesen, dass die Teilnahme an „Zusatzausbildung(en)“
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über die hier zur Evaluation anstehende Fortbildung hinaus (z.B. zum RessourcenCoach – ein weiteres Fortbildungsangebot des isp)7 die Chance erhöht, dass der Ansatz nachhaltige Wirkung entfaltet. Gerade die Kolleg/innen mit den Zusatzausbildungen zum RessourcenCoach spielen nach Auffassung der Mitarbeiter/innen eine wichtige Rolle in der nachhaltigen Umsetzung des Ansatzes. Mehrheitlich wird betont, wie notwendig es ist, darauf zu achten, dass ganze Teams und nicht nur einzelne Mitarbeiter/innen von Teams oder Teilteams an den Fortbildungen zur Ressourcenorientierung teilnehmen, denn nur so sei zu gewährleisten, dass eine in der Breite und Tiefe nachhaltig und gemeinsam getragene Änderung der Haltung stattfände, die im Gesamtteam zu substanziell veränderten und an den Ressourcen orientierten Zugängen in der Praxis führe. Vor dem Hintergrund häufigen Personalwechsels und an der Fortbildung nicht immer beteiligter Kolleg/innen (Honorarkräfte, studentische Mitarbeiter/innen) halten Mitarbeiter/innen „Auffrischungskurse“ für erforderlich, um zu gewährleisten, dass der ressourcenorientierte Zugang „nicht so schnell versandet“. Sie verweisen auf die Potenziale von Selbstevaluation. Hier wird vorgeschlagen, dass die Mitarbeiter/innen der einzelnen Bereiche, die die Fortbildung genossen haben, sich in größeren zeitlichen Abständen regelmäßig treffen, um auszuwerten, wie die ressourcenorientierte Fallarbeit in den unterschiedlichen Bereichen verankert ist. Um eine (noch) bessere Verankerung des Konzeptes in der Praxis zu gewährleisten, schlagen Mitarbeiter/innen über die stattgefundenen Praxistage hinausgehendes „Coaching vor Ort“ vor. Sie stellen fest, dass die grundsätzlichen bestehenden Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Institution genutzt und deren Entwicklungspotenziale identifiziert werden müssen. Initiierung und Pflege institutioneller Netzwerke Die Befragten verweisen darauf, dass die Initiierung institutioneller Netzwerkbeziehungen entwicklungsfähig ist. Die bisherige Arbeitssituation, in der mitunter ausschließlich die persönlichen Beziehungen der Mitarbeiter/innen dazu führen, „punktuelle Netzwerkpartner zu finden“, sollte in eine Form der institutionellen Vernetzung münden, die die Kooperation auf regionaler und überregionaler Ebene forciert und fördert. Hier wird die entwicklungsfähige Kooperation mit Institutionen wie z.B. der ARGE, mit Schul- und Arbeitsprojekten angeführt. Dabei geht es den Mitarbeiter/innen auch um die Verbreitung des Einsatzes von Methoden und Instrumenten über die eigene Einrichtung hinaus, um auch die schnell zu aktivierenden Netzwerkpartner wie z.B. Schulen und Kindergärten mit der Ressourcenorientierten Fallarbeit und ihren Methoden vertraut zu machen und die zugrunde liegende Haltung zu etablieren. 7
siehe Fortbildungsreihe des isp mit dem Titel „RessourcenCoach“. Näheres unter www.soziale-praxis.de
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Verankerung des Ansatzes auf der Leitungsebene Den Mitarbeiter/innen ist wichtig, dass der Ressourcenansatz „eine Verankerung, eine Verinnerlichung (…) auf der nächst höheren Leitungsebene“ erfährt. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass auch die Leitungskräfte an den Fortbildungen zur Ressourcenorientierten Fallarbeit beteiligt sein sollten. Leitungskräfte sollen klar und eindeutig ihre Erwartungen formulieren, darauf achten und drängen, dass diese Erwartungen erfüllt werden können, indem z.B. zusätzliche Zeit in den Dienstbesprechungen zur Anwendung des Instrumentariums der Ressourcenorientierten Fallarbeit zur Verfügung gestellt wird. Mehrheitlich sind die Mitarbeiter/innen der Auffassung, dass die Rolle der Leitungsebenen in der Ressourcenorientierten Fallarbeit insgesamt entwicklungsfähig ist. Einige Mitarbeiter/innen wünschen sich einen stärker ressourcenorientierten Umgang der Leitungskräfte mit sich und den Kolleg/innen und darüber hinaus eine stärkere Unterstützung in der Team- und Organisationsentwicklung. Ein Hintergrund für die Auffassung, dass die Umsetzung innovativer Ideen mitunter lange Zeit in Anspruch nimmt, wird auch in der Arbeitsüberlastung dieser Leitungskräfte identifiziert. Diskutiert wird, ob die Installierung eines/einer „Ressourcenbeauftragten“ (auf Team- oder Leitungsebene) zur nachhaltigen Etablierung des Ansatzes beitragen kann.
12 Das Konzept der Ressourcenorientierten Fallarbeit – ein Implementierungsprozess aus Sicht der Personalentwicklung des Rauhen Hauses Katrin Haider-Lorentz Die Ausgangssituation Die Neustrukturierung und Neukonzeptionierung der stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses war 2007 Anlass für eine umfangreiche Qualifizierungsinitiative für Mitarbeiter/innen des Stiftungsbereichs. Die bisher rein stationären Gruppen wurden umgebaut zu so genannten Hilfen unter einem Dach (HueD), in denen durch ein Team sowohl ambulante als auch stationäre Hilfen durchgeführt werden. Die Fachkräfte dieser Einrichtungen hatten jahrelang stationäre Arbeit in engem Bezug auf ihr Haus und die dort lebenden Jugendlichen geleistet. Sozialräumliche Bezüge wurden, zumindest in ihrer konsequenten Einbeziehung, überwiegend ausgeblendet. Die Einbindung ambulanter Hilfen, aber auch die auf Einbeziehung der Herkunftsfamilien und dauerhafte Stabilisierung ausgelegte stationären Hilfen machten es erforderlich, die Teams mit umfangreichem fachlichem Know-How auszustatten, um sowohl Ressourcen des einzelnen Jugendlichen als auch die seines Umfelds besser zu erkennen und zu nutzen und konsequent zu stärken. Die Fortbildung „Ressourcenorientierte Fallarbeit“ Der in den Hilfen zur Erziehung notwendigerweise vom Auftrag her bestimmte Blick auf die Schwierigkeiten und Probleme von Kindern, Jugendlichen und Familien muss gleichzeitig die Möglichkeit offen halten, die Stärken und Kompetenzen der Akteure zu identifizieren und zu fördern. Nur so können Potenziale aktiviert und für eine dauerhafte Stabilisierung genutzt werden. Mit dem Institut des Rauhen Hauses für Soziale Praxis (isp) wurde eine Fortbildung für die Kinder- und Jugendhilfe konzipiert, die Methoden und Arbeitsinstrumente der Ressourcenorientierten Fallarbeit vermitteln sollte. Gleichzeitig war die diesem Konzept zu Grunde liegende Haltung, konsequent an den Stärken von Menschen anzusetzen und mehr mit den Klienten als für sie zu arbeiten, wichtiger Bestandteil dieses Programms. Die Fortbildung war so angelegt, dass sie Erkenntnissen folgte, wie Lern- und Veränderungsprozesse zu gestalten sind. Nicht Einzelpersonen, sondern ganze Teams wurden geschult, so dass eine gemeinsame Wissensbasis entstehen konnte. Einer 1,5-tägigen Phase der Wissensvermittlung als „Off-the-job-Phase“ folgten Arbeitsaufträge an die teilnehmenden Teams, die in der Praxis, also „on-thejob“ erledigt werden mussten. Hier wurde die Praxis als Lernort genutzt, was in
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einer erneuten eintägigen Seminarzeit ausgewertet und reflektiert wurde. Für aufgetretene Schwierigkeiten konnten gemeinsam Lösungen entwickelt werden und Stolpersteine bei der Umsetzung des Konzepts der Ressourcenorientierung identifiziert werden. Nach diesen in dichter zeitlicher Abfolge stattfindenden Terminen, die ausreichten, wichtige Grundkenntnisse und Instrumente zu vermitteln, schloss sich eine längere Praxisphase an. In dieser Phase legten die einzelnen Teams für sich bestimmte Arbeitsaufgaben und Vorhaben fest, mit denen sie das Gelernte in der Praxis anwenden wollten. Diese Vorhaben wurden dann in halbtägigen Praxistagen reflektiert. Diese Praxistage boten die Möglichkeit, Schwierigkeiten und Hemmnisse zu analysieren und sie erhöhten die Verbindlichkeit der Vorhaben. Die Mitarbeiter/innen standen trotz vereinzelter Skepsis dem gesamten Veränderungsprozess überwiegend offen gegenüber. In einer Zeit größerer Veränderung, z. B. der Arbeitszeitgestaltung der Fachkräfte, bot die Fortbildung mit dem zugrunde liegenden Konzept fachliche Orientierung und vermittelte Methodensicherheit. Die Rolle als Pädagoge/Pädagogin konnte in diesem Rahmen neu überdacht werden und in Teilen neu definiert werden. Wurden bisher Rollenbilder eher über die Beziehung definiert (Elternersatz), ging mit der Auseinandersetzung mit der Ressourcenorientierten Fallarbeit eine stärkere Betonung der Professionalität einher. Hindernisse im Transferprozess waren Tagesroutinen, Personalengpässe – etwa durch Krankheit – oder krisenhafte Entwicklungen bei einzelnen Jugendlichen. Die Ausstattung mit entsprechenden Arbeitsmaterialien, Räumlichkeiten etc. musste nachgeholt werden. Um der „Sogwirkung des Alltags“ und damit der Rückkehr in die alte Haltung und Methodik etwas entgegenzusetzen, war es wichtig, auch nach Beendigung der Praxisbegleitung durch das isp Support-Systeme zu installieren, die helfen zu verhindern, dass Lerneffekte wieder in Alltagsroutinen untergehen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Teamleitungen der einzelnen Teams bietet daher ein Forum für Austausch und Beratung. Zusätzlich besuchten sich die beteiligten Teams untereinander, um Arbeitsbedingungen, Umsetzungspraxis und Erfolge zu vergleichen. Einzelne Fachkräfte nahmen an der über ein Jahr dauernden Weiterbildung des isp zum RessourcenCoach teil, die ihnen ermöglichte, vertiefte Kenntnisse über diesen Arbeitsansatz zu erwerben und im Team die Rolle des „Wächters“ dieser Verfahren einzunehmen. Neu hinzukommende Mitarbeiter/innen können durch diesen Coach in die Methode und die Arbeitsinstrumente eingeführt werden. So berichtet eine Mitarbeiterin in einem Gruppeninterview zur Auswertung der Fortbildungsreihe (vgl. Kap. 11: Ressourcenorientierte Arbeit in der Praxis – Ergebnisse einer Evaluation in der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses): „ (…) ich halte einen wiederkehrenden Erfahrungsaustausch mittelfristig für notwendig. Schon allein, um zu gewährleisten, dass ein gemeinsamer Wissensstand auch bei den Kollegen bleibt,
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die neu dazukommen, neu eingestellt werden oder die andere Erfahrungen in anderen Teams oder Regionen gemacht haben, um das Wissen wieder aufzufrischen.“ Lembeck (2009)
Einbindung der Leitung Die Einbindung der übergeordneten Leitungskräfte ist für die Implementierung wichtig. Nur wenn diese Ebenen der Organisation den Prozess unterstützend begleiten, können Umsetzungsschwierigkeiten im Alltag entsprechend abgebaut werden. Der Einsatz der Arbeitsinstrumente und der Verfahren kann nicht der alleinigen Entscheidung einzelner Fachkräfte unterliegen, sondern muss auch von der Führungsebene eingefordert werden. Dies wurde zunächst zögerlich wahrgenommen, dann aber zunehmend von den Führungskräften umgesetzt. Jetzt – nach der abgeschlossenen Implementierung des Konzepts – verbleibt den Leitungen die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Verflachung und Abnutzung der Verfahren aufgrund von Zeitknappheit und arbeitsalltäglicher Geschäftigkeit kommt. Im zweiten Jahr der Fortbildungsinitiative wurden zusätzlich alle rein ambulant arbeitenden Teams fortgebildet. Im Gegensatz zu den Teams der „Hilfen unter einem Dach“ fehlte hier die Aufbruchstimmung im Zusammenhang mit der Neukonzeptionierung der Arbeit. Es herrschte eher eine skeptische Haltung vor, was dieser Ansatz denn Neues zu bieten habe. Aussagen wie „wir arbeiten doch schon immer ressourcenorientiert“, waren zu hören. Hier zeigte sich, wie wichtig der Vermittlungsprozess über das Vorhaben, seine Ziele und Abläufe seitens der Leitungsebene ist. Die der Fortbildung zugrunde liegende Absicht und Strategie der Organisation war für diese Teams nicht ausreichend kommuniziert worden. Personalentwicklungsmaßnahmen entfalten jedoch nur ihre volle Wirksamkeit, wenn sie in einen organisationsbezogenen Gesamtkontext eingebunden sind, der für die Mitarbeitenden transparent und nachvollziehbar ist. So schreiben R. Beck und G. Schwarz: „Zahlreiche Vorhaben und Strategien scheitern, weil offensichtlich die innerbetriebliche Kommunikation zu wenig Beachtung findet“ (2004: 100).
Dieser nicht ausreichend bedachte Prozess der Vermittlung und Motivierung ließ sich jedoch in der Praxis nachsteuern und schnell wich die anfängliche Skepsis der Mitarbeiter/innen der Erkenntnis, durch die Fortbildung praxistaugliches Wissen zu erwerben. Die systematische Methodenorientierung des Konzeptes, das strukturierte Abläufe in der Analyse und Problembearbeitung erfordert (vgl. Möbius o.J.), begann, in die Praxis einzufließen. Alle Teams entwickelten Ideen, die Arbeitsinstrumente in die Hilfeerbringung einzubeziehen und tauschten diese Ideen miteinander aus.
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Fazit Insgesamt konnten wir etwa 100 Mitarbeiter/innen in den vergangenen zwei Jahren nach dem Konzept der Ressourcenorientierten Fallarbeit schulen. Eine Befragung von 17 von ihnen mittels Gruppeninterviews im Dezember 2008 zeigte, dass neben einem Lernerfolg für die Teilnehmer/innen der Fortbildungsmaßnahmen ein Transfererfolg durchaus zu verzeichnen ist. „Also die Klienten haben natürlich einen enormen Nutzen dadurch. Da schließt sich dann der Kreis mit dem … Gefühl selbstständig zu sein und zu handeln, was zu können und nicht eben immer nur: ,Ich kann nichts, ich bin nichts.’“ zit. nach Lembeck (2009).
Ein Anfang der Implementierung des Konzepts der Ressourcenorientierten Fallarbeit in die Praxis ist von daher geschafft. Dennoch bleibt es weiterhin die Aufgabe der Personalentwicklung, einen Dialog mit den Praktikerinnen und Praktikern zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Konzepts aufrecht zu erhalten. Es gilt sozusagen, der Praxis auf den Fersen zu bleiben, d.h. durch Foren den Austausch und die wechselseitige Anregung zu befördern. In der kritischen Rückschau auf den Prozess wird deutlich, dass insbesondere in der Startphase zu wenig Vermittlungsarbeit in Bezug auf das Vorhaben geleistet wurde, auf eine „Kick Off“-Veranstaltung wurde beispielsweise verzichtet. Lebendiges Lernen, das Veränderungen möglich machen soll, gelingt jedoch leichter, wenn die Beteiligten die dahinter stehenden Überlegungen kennen und nachvollziehen und z. B. in Form einer solchen Veranstaltung darüber informiert werden. Literatur Beck, R. und Schwarz, G., 2004: Personalentwicklung. Augsburg Möbius, T., o.J.: Ressourcenorientierte Fallarbeit. Handreichung. Unveröffentl. Manuskript. Das Rauhe Haus. Hamburg Lembeck, H.-J., 2009: Evaluation der Fortbildungsreihe Ressourcenorientierte Fallarbeit. Unveröffentl. Studie. Das Rauhe Haus. Hamburg
13 Ressourcenorientierung in einer diakonischen Einrichtung – eine Reflexion des Theorie-PraxisTransfers aus der Leitungsperspektive Michael Tüllmann In diesem Beitrag möchte ich mich aus der Perspektive der Leitung mit der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Rauhen Haus, einer traditionellen diakonischen Einrichtung in Hamburg, durch die umfassende und konsequente Einführung eines ressourcenorientierten Konzeptes1 in die Praxis auseinandersetzen, wie sie in den Jahren 2007 bis 2009 in diesem Stiftungsbereich erfolgte und aktuell noch weitergeführt wird. Aus meiner Erfahrung verliert jedes Konzept spätestens bei diesem Transfer in die Praxis seine sozialwissenschaftliche „Reinheit“ und muss sich den Widersprüchen und Unwegsamkeiten der Praxis stellen. Mir geht es in diesem Beitrag daher nicht um die Frage des konzeptionsgerechten Transfers in die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, sondern in erster Linie um den Blick auf die Konsequenzen für die Praxis, durch die mit der Entscheidung für ein neues Konzept gleichermaßen auch bewährte Traditionen und Haltungen überprüft, gestärkt und/oder weiter entwickelt bzw. verändert werden müssen. Vom Umgang mit neuen Konzepten in der Kinder- und Jugendhilfe Was macht die Einführung von Konzepten in die Praxis eigentlich häufig so schwierig und unattraktiv für viele Mitarbeiter/innen? Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass m. E. viel zu oft in der Kinder- und Jugendhilfe – wie auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit – ein neues Konzept eingeführt wird, bevor das vorletzte auch nur in Ansätzen umgesetzt worden und in der Praxis wirklich angekommen ist. Dies kann dazu führen, dass die Mitarbeiter/innen innovative Konzepte entweder nicht mehr ernst nehmen oder nicht verinnerlichen, denn die nächste Innovation wartet ja schon auf sie. Darüber hinaus hört man von Praktiker/innen auch immer wieder die Einschätzung, dass es wirklich Neues in der Sozialen Arbeit kaum noch gibt und es sich bei den neuen Konzepten nur um zu vernachlässigende Varianten bekannter schon praktizierter Ideen handelt. Sie misstrauen der Wirkung neuer Konzepte und ziehen es vor, auf bewährte Ansätze vor allem im Kontext der so genannten Beziehungsarbeit Bezug zu nehmen, denn auf dieser Ebene sind sie authentisch und routiniert und von deren Wirkung überzeugt. Diese in familiener1
vgl. Möbius, T., o.J.: Ressourcenorientierte Fallarbeit. Handreichung. Unveröffentl. Manuskript. Das Rauhe Hauses, Stiftungsbereich Kinder- und Jugendhilfe. Hamburg
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setzenden Systemen zu Recht gewonnenen positiven Erfahrungen mit dem Ansatz der Beziehungsarbeit stoßen bei zeitlich reduzierten und begrenzten sowie deutlicher als bisher zielorientiert formulierten Hilfen jedoch zunehmend auf Grenzen und führen hier zu einem chronischen Beklagen der mangelhaften Betreuungsintensität und Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation. Dieser Wahrnehmung der Praxis kann man am besten durch eine konsequente Förderung der konzeptionellen Umsetzung durch Leitung und Personalentwicklung begegnen, so wie es auch in der Kinder- und Jugendhilfe im Rauhen Haus erfolgt ist. Die Förderung basiert auf der Idee, dass neue Entwicklungen in der Praxis durch Fachdiskussionen, fachliche Vorgaben sowie Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten entstehen und gesichert werden müssen, sollen sie denn nachhaltig sein. Die folgenden Elemente sollten aus unserer Erfahrung die Implementierung des ressourcenorientierten Ansatzes auf jeden Fall vorbereiten bzw. über einen längeren Zeitraum begleiten: ein Konzept, das den Nutzen und den Wert des neuen Ansatzes für die Mitarbeiter/innen transparent macht, eine Vorbereitung der Mitarbeiter/innen auf die anstehende Konzepteinführung, in der für den Ansatz geworben wird und dessen Relevanz für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe transparent gemacht wird, eine Fortbildungsreihe, o die praxisnah angelegt ist und die Mitarbeiter/innen motiviert, den Praxistransfer zu wagen, o die von den Leitungskräften fachlich mitgetragen wird, o die anschaulich Orientierung bietet, wie konkret die Hilfe ressourcenorientiert gestaltet werden soll, o die Raum für Diskussionen und kritischen Fragen bietet, o die auf die Veränderung einer Haltung abzielt und nicht nur auf die Aneignung von Wissen, die Einführung verbindlicher Standards der ressourcenorientierten Fallarbeit, in denen formuliert wird, welche Instrumente und Methoden in der Hilfe eingesetzt werden sollen,2 praxisbegleitende Maßnahmen, die eine kontinuierliche Auseinandersetzung der Mitarbeiter/innen mit dem Konzept und dessen Umsetzungsschritte in der Praxis ermöglichen,3 2 Der Stiftungsbereich Kinder- und Jugendhilfe hat hierfür eine hausinterne Handreichung herausgegeben. Vgl. Möbius, T., o.J.: Ressourcenorientierte Fallarbeit. Handreichung. Unveröffentl. Manuskript. Das Rauhe Hauses, Stiftungsbereich Kinder- und Jugendhilfe. Hamburg 3 Zu diesem Zweck wird seit 2008 in jedem Team der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses ein Mitarbeiter / eine Mitarbeiterin durch das Institut des Rauhen Hauses zum „RessourcenCoach“ ausgebildet. Die Ausbildung vermittelt neben vertiefenden Kenntnissen und Kompetenzen zum Thema Ressourcenarbeit auch Qualifikationen der Vermittlung des An-
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Dokumentations- und Planungsverfahren, die verbindlich angewandt werden und deutlich auf Ressourcenerhebung ausgerichtet sind, die Koppelung der ressourcenorientierten Fachkompetenz an die Personalentwicklung. Eine Entfristung der Arbeitsverträge wird in der Kinder- und Jugendhilfe an eine Teilnahme an den Fortbildungsmaßnahmen gekoppelt, um darüber die erwünschten Fachkompetenz der Mitarbeiter/innen zu sichern, einen langen Atem bei allen Beteiligten. Prozesse dieses Umfangs brauchen Zeit. Einen Zeitraum von drei bis vier Jahren halten wir für realistisch, um das Konzept ressourcenorientierter Arbeit in dem Bereich nachhaltig verankert zu haben.
Bevor eine Einrichtung diesen organisatorischen und fachlichen wie auch finanziellen Aufwand betreibt, sollte sie sich über das vorhandene Human- und Erfahrungspotenzial bewusst sein und wissen, wie man an bestehende Traditionen anknüpfen will und welche Einflüsse neue Konzepte dabei haben sollen. In der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses haben wir uns aus dem von allen Stiftungsbereichen gemeinsam angenommenen Lebensweltkonzept4 heraus für die Implementierung des ressourcenorientierten Ansatz entschieden, der konkrete Ziele unter Nutzung und Weiterentwicklung vorhandener Ressourcen der jungen Menschen und ihrer Familien sowie deren Netzwerke verfolgt (vgl. Möbius 2008). Ressourcenorientiertes Handeln soll dabei auch vor dem Hintergrund reduzierter Betreuungszeiten und erhöhter Anforderungen an zielorientiertes Arbeiten eine fachlich fundierte Möglichkeit bieten, die eigene Praxis zu qualifizieren und diese stärker als bisher sozialräumlich wie auch lebensweltlich auszurichten. Die Entscheidung für das Ressourcenkonzept ermöglicht es uns, an unseren lebensweltorientierten Ansatz, mit dem wir in den achtziger Jahren unsere Hilfen dezentralisierten, flexibilisierten und professionalisierten, nahtlos anzuschließen und damit diese Tradition weiterzuführen. Vor allem die Nähe des Ressourcenansatzes zum Alltag der Menschen motiviert zur Mitwirkung und lässt Empowerment an die Stelle von Ohnmacht und Fremdbestimmung treten. Aktuelle fallspezifische und allgemein fachpolitische Entwicklunsatzes und der Beratung von Klient/innen wie auch Kolleg/innen bei der Fallarbeit. Siehe auch www.soziale-praxis.de/Fortbildung und Training/Ressourcen- und netzwerkorientierte Soziale Arbeit. 4 Im Rauhen Haus haben wir 2004 die Lebensweltorientierung in Verbindung mit dem Paradigma der Teilhabe (wieder) neu für unsere Praxis entdeckt. Es entstand das die Handlungen leitende Konzept „Lebensweltorientierte Teilhabe“. Das Ergebnis einer gelingenden Pädagogik ist fortan in erweiterten Teilhabechancen zu messen. Die Entwicklung von Methoden, die Familien sowie Kinder und Jugendliche stärken und ihre Netzwerke erweitern, ist die logische Folge dieses Konzeptes. Der Ansatz der Ressourcenorientierung liefert für diesen Prozess Theorie und Praxis.
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gen im gesellschaftlichen Umfeld können mit diesem Ansatz beurteilt und bearbeitet werden, da er durch seine, das soziale Umfeld einbeziehende, Ausrichtung auf Veränderungen in Systemen sensibel reagiert. Ressourcenarbeit fördert dabei auch immer neben dem Ausbau individueller Netzwerke neue Kooperationen zwischen allen Akteuren in Jugendhilfe, Schule, Berufsbildung und Gesundheitswesen, die für die Erreichung von Hilfeplanzielen und die Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe von großer Bedeutung sind. Ressourcenorientierung in der Tradition der Pädagogik von Johann Heinrich Wichern Bevor ich auf aktuelle Herausforderungen eingehen werde, möchte ich auf die eingangs angedeutete Einbindung von Konzeptarbeit in die Traditionen der Einrichtung zurückkommen und auf die Traditionen im Rauhen Haus hinweisen, die im Zusammenhang mit dem ressourcenorientierten Konzept auch aus heutiger Sicht von Bedeutung sind. Die Stiftung Das Rauhe Haus, die von Johann Heinrich Wichern ins Leben gerufen wurde, feierte im Jahr 2008 ihr 175-jähriges Jubiläum5. In diesem Zusammenhang wurde die Gründungsidee Wicherns allen Interessierten nochmals vor Augen geführt. Wichern hat im Gegensatz zu anderen Gründern ähnlicher „Rettungsanstalten“ schon damals die Herkunftsfamilie als den Ort erkannt, an dem die Kinder eigentlich leben sollten. Eine Anstalt zur „Rettung der Seelen der Kinder“ hatte nach Wichern die Aufgabe, die Kinder der durch unbeschreibliches Elend gekennzeichneten Familien vor Armut und Verwahrlosung zu bewahren. Nur mit einer so gestalteten Hilfe konnten die Kinder und Jugendlichen sich nach Wicherns Konzept aus freiem Entschluss den Bedrohungen einer positiven Entwicklung ihrer Identität zur Wehr setzen. Die Kraftquelle, oder auch Ressource, einen solchen Entschluss zu fassen und nachhaltig umzusetzen, speist sich nach Wicherns Ansicht aus dem Glauben an das Evangelium, das den Menschen die Liebe unter den Menschen, die Vergebung untereinander und die Ermutigung zum immer möglichen Neubeginn vor Augen führt. Dieser Glaube kann damals wie auch heute durch die Vorbildfunktion der Fachkräfte sowie durch erzieherisches Handeln und Bildung gefördert werden. Der Entschluss zur Veränderung konnte nach Wicherns fester Überzeugung von den Kindern und Jugendlichen nur in Freiheit selbst herbeigeführt werden. Auf keinen Fall sollten damals die am Familienprinzip orientierten Gruppen im Rauhen Haus dabei die Herkunftsfamilie auf Dauer ersetzen – eine Position, die in den Hilfen zur Erziehung auch heute Bestand hat. Wichern formulierte ein „heiliges Band“, das Kinder und Eltern verbindet. Daher war es ihm ein großes Anliegen, die Kinder durch das Leben im Rauhen Haus nicht von ihrem Herkunftsmilieu zu entfremden. Aus heutiger Sicht erkennen wir in dieser Gründungsidee zwei zentrale Ressourcenquellen. Zum einen geht es um die Veränderungen ermöglichende Kraft des 5
vgl. auch Schmuhl, H.-W. ,2008: Senfkorn und Sauerteig. Hamburg
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Glaubens und zum anderen um die stabilisierende und fördernde Wirkung einer positiven Bindung von Kindern zu ihren Eltern. Im Verlauf der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe wurden diese beiden grundlegenden Kraftquellen, die sich gegenseitig bedingen, m. E. nicht immer ausreichend berücksichtigt. Konkurrenzen zu der Herkunftsfamilie und so genannte Kolonialisierungstendenzen der Kinderund Jugendhilfe in großen Heimen, aber auch sehr kleinen institutionellen Formen der Erziehung standen im Widerspruch zu der Orientierung an den Ursprungsfamilien. Darüber hinaus trat die Auseinandersetzung mit dem Thema „Glauben“ auch in den diakonischen Einrichtungen in den Hintergrund. Sie wurde in einer Zeit fortschreitender Säkularisierung mit konfessioneller Bindung an eine Kirche gleichgesetzt und eher als Einschränkung von Freiheit denn als Ressource gewertet. Erst in jüngster Zeit wird Glauben als Kraftquelle zur Existenzbewältigung wieder neu in der Sozialen Arbeit entdeckt.6 In der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses setzen wir uns daher mit Konzepten einer religionssensiblen pädagogischen Praxis auseinander und haben ein Konzept entwickelt, mit dem wir auch die Wirkung von Phänomenen nicht konfessionell gebundenen Glaubens auf die Existenzbewältigung von Jugendlichen erkennen und zum Thema machen können. Voraussetzung, mit diesem Ansatz zu arbeiten, ist die Selbstreflexion der Glaubensinhalte der Pädagog/innen im Kontext ihrer eigenen Biografie. Aktuelle Anforderungen an eine ressourcenorientierte Arbeit mit Familien Nicht erst die aktuelle Diskussion um die Verbesserung des Kinderschutzes sollte zu der Einsicht führen, dass Pädagogik auch einen Eingriff in Menschen gefährdende Verhältnisse – bei gleichzeitig Erhebung vorhandener Ressourcen und Risiken – bedeuten kann. Spätestens seit Entwicklung der Bedürfnispyramide durch Maslow (1985)7 wissen wir, dass erst da, wo ohnmächtig machende existenzielle Not erfolgreich behoben wurde, Menschen im vollen Umfang ihre eigenen Ressourcen zur Gestaltung ihrer Lebenswelt einsetzen können. Bei der Bewältigung von Not und Abwendung von Gefahr tritt die Aufmerksamkeit auf die Risiken in den Vordergrund. Sie müssen durch eigene und fremde Ressourcen zeitnah minimiert werden. Ist in so einem Kontext eine stationäre Betreuung unausweichlich, betrachten wir diese erst einmal als Chance, „aus dem Ruder gelaufene Prozesse“ zu beruhigen und Neuanfänge zu planen. Wir schließen daher mit jeder Familie, deren Kind in stationärer Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses ist, eine Vereinbarung über ihre Zusammenarbeit mit dem Team der Wohneinrichtung, das für die Betreuung des Kindes zuständig ist. Ein Rahmenkonzept für ressourcenorientierte 6 Z. B. haben Forschungen im Rahmen des Resilienzkonzeptes die Bedeutung des Glaubens als eine Ressource für die Bewältigung von Krisen identifiziert (vgl. Wustmann 2004). 7 vgl. Maslow, A.,1985: Psychologie des Seins. Frankfurt
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Kooperationen mit Familien zeigt Wege zur Beteiligung der Familie bis hin zu einer möglichen Rückführung des Kindes in die Familie auf. Zur Anwendung kommen neben den typischen Methoden der ressourcenorientierten Arbeit u.a. videogestützte Methoden sowie die Eltern-Kind-Beziehung fördernde Programme. Gerade bei jüngeren Kindern ist die Erhebung von sozialen und individuellen Ressourcen in der ambulanten Betreuung von Familien besonders wichtig und trotz der in einigen Familien desolat wirkender Verhältnisse immer auffindbar. Weil sie zur Herausbildung eigener Ressourcen der Kinder, Krisen zu bestehen, von zentraler Bedeutung sind, müssen sie erhoben und gestärkt werden. Für die Beurteilung dieser Faktoren haben wir ein Instrument entwickelt, das wir in der Betreuung von Familien mit Kindern unter sechs Jahren regelhaft anwenden. Natürlich zeigt dieses Instrument auch die Grenzen der Bemühungen der Aufrechterhaltung des Zusammenlebens von Familien auf. In solchen Fällen tritt dann die Förderung des Kindes im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe an einem anderen Ort in den Mittelpunkt. Handelt es sich in solchen Fällen um Familien mit psychisch kranken Müttern, betreuen Pädagog/innen aus der Sozialpsychiatrie die Mutter, indem sie deren Stabilisierung in den Mittelpunkt stellen und sie nicht gleich mit Mutterpflichten überfordern. Der Kontakt zwischen Mutter und Kind wird in diesen Fällen nach individuellen Maß gestaltet. In den beschriebenen Zugängen zu einer ressourcenorientierten Pädagogik in einer diakonischen Einrichtung verbindet sich die Ermutigung jedes Einzelnen, sein einmaliges Leben selbst in die Hand zu nehmen und nach dessen Sinn zu suchen mit dem Wissen um seine Angewiesenheit auf die ihn dabei unterstützende Gemeinschaft. Ressourcenorientierung ist zu allererst eine Frage der Haltung gegenüber auf Hilfe angewiesener Menschen, denen man mit Respekt vor ihrer Biografie, Besonderheit und Fähigkeiten, in problembeladenen Lebenssituationen zurechtzukommen, begegnet. Vor dem Hintergrund dieser Haltung können Hilfeempfänger/innen notwendige Kritik konstruktiv annehmen und weiterhin an Veränderungen mitwirken. Die Orientierung an den individuellen Ressourcen kann nicht als Methode, die nur einzelne Mitarbeiter/innen anwenden, Wirkung zeigen. Vielmehr muss sie ein Teil der Kultur einer pädagogischen Einrichtung sein, die von der Leitung gewollt, gefordert und unterstützt wird. Fazit In der Kinder- und Jugendhilfe des Rauhen Hauses haben wir in der Personal- und Qualitätsentwicklung Schulungs- und Weiterbildungsangebote mit dem Institut für Soziale Praxis des Rauhen Hauses (isp) entwickelt und zur Pflichtveranstaltung für alle Mitarbeiter/innen gemacht. Mitarbeiter/innen müssen während und vor allem nach ihren Weiterbildungen auf Rahmenbedingungen in ihrem Team, ihrer Institution und ihren Kooperationsbezügen treffen, die das Gelernte auch abfordern und
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sie damit fordern, ihr Wissen einzusetzen und ihre Praxis zu verändern. Die Bereitstellung, Weiterentwicklung und Überprüfung dieser Rahmenbedingungen unter Beteiligung der geschulten Mitarbeiter/innen ist wiederum eine zentrale Aufgabe der Leitung und Qualitätsentwicklung, ohne deren Engagement Veränderungsprozesse nicht durchgehalten werden. In der bereits begonnenen Zukunft wird sich der Partizipationsgedanke im Kontext europäisch geprägter Sozialarbeit weiter durchsetzen. Diese Entwicklung wird auch die ressourcenorientierte Kinder- und Jugendhilfe, deren Grundidee inzwischen den meisten jungen Sozialpädagoge/innen aus dem Studium bekannt sein sollte, vorantreiben. Wir werden dann in einer noch anderen Qualität als zurzeit mit den Menschen, die einen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung haben, sprechen als über sie reden und vielmehr mit ihnen als für sie planen. Diese Entwicklung wirkt sich ökonomisch positiv aus, stärkt die Nutzung der individuellen sowie institutioneller Ressourcen und macht eine ressourcenorientierte Sozialarbeit unverzichtbar.
Die Autorinnen und Autoren
Martina Feistritzer Dipl.-Päd., nach einer Ausbildung zur und Tätigkeit als Schiffsmaklerin 1972-75 Studium der Sozialpädagogik – Schwerpunkt Gemeinwesenarbeit – an der Fachhochschule Hamburg. Mit Beginn des Studiums beteiligt am Aufbau eines Projektes stadtteilbezogener Sozialarbeit in Hamburg. In den 1980er Jahren Studium der Diplom-Pädagogik und Tätigkeit in der Erwachsenenbildung. Seit 1990 Leitung des Bereiches ‚Frauen, Kinder und Familien’ der Alida Schmidt Stiftung. Sibylle Friedrich Dr. phil., Dipl.-Psychologin. Dr. Sibylle Friedrich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg. Sie lehrt und forscht an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Sozialer Arbeit (www.praxisforschung.unihamburg.de) und arbeitet als Expertin für Netzwerkarbeit und Ressourcenorientierung mit verschiedenen sozialen Einrichtungen sowie der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg zusammen. Zudem ist sie Ausbilderin und Mitbegründerin der Fortbildungsreihe RessourcenCoach des Institutes des Rauhen Hauses für Soziale Praxis. Katrin Haider-Lorentz 1982 Abschluss als Pädagogin (M.A.) in Göttingen, danach Tätigkeiten in den Bereichen KITA und Kinder- und Jugendpsychiatrie, seit 1987 im Rauhen Haus, hier zunächst in der Einzelbetreuung von Jugendlichen, dann beauftragt mit dem Aufbau ambulanter Hilfen zur Erziehung, seit 1994 Leitung eines Regionalbereichs für ambulante und stationäre Hilfen zur Erziehung. Aktuell zuständig für Personal- und Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Zusatzausbildungen in Familienberatung und Kreativtraining. Karin Jeschke Erzieherin, Diplom-Sozialpädagogin, Ausbildungen im Sozialmanagement, Psychodrama, Supervision (DGSv). Arbeit in freier Praxis. Trainerin in der Fortbildungsreihe RessourcenCoach mit dem Schwerpunkt Systemische Soziale Arbeit und Beratung. Thomas Kliche Dipl.-Politologe Dipl.-Psychologe, Studium an den Universitäten München, London, Freiburg, St. Petersburg und Hamburg, Leiter der Forschungsgruppe Versorgung und Qualität in der Prävention am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Autorinnen und Autoren
(UKE). Veröffentlichungen über Versorgungsanalysen, Qualitätsentwicklung, Wirksamkeit und Erfolgsfaktoren von Prävention und Gesundheitsförderung in Schulen, Kitas, Betrieben, Gesundheits- und Erwachsenenbildung. Hans-Josef Lembeck Diplom-Psychologe, praktische Erfahrungen in der Kinder- und Jugendhilfe (Hilfen zur Erziehung) in Betreuung und Leitung, seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut des Rauhen Hauses für Soziale Praxis (isp). Arbeitsschwerpunkte: Forschung, Evaluation, Entwicklung und Fortbildung in der Praxis Sozialer Arbeit. Durchführung von Praxisforschungen in Bundesprojekten zur Mediation an Schulen, Konflikten in interkulturellen Kontexten und kommunalen Bildungslandschaften. Dozent an der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie in Hamburg. Thomas Möbius Dr. phil., Diplom-Psychologe, Sonderpädagoge M.A., Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen der Sozialen Arbeit und Beratung. Seit 1996 im Institut des Rauhen Hauses für Soziale Praxis, Geschäftsführer seit 2001, Arbeitsschwerpunkte: Praxisforschung, Evaluation und wissenschaftliche Begleitung von Projekten und Programmen, Fortbildungen mit dem Schwerpunkt „Innovative Handlungskonzepte und -methoden in der Sozialen Arbeit“, Ressourcen- und Netzwerkorientierung in der Sozialen Arbeit, Supervision, Moderation und Beratung. Katrin Oberpriller studiert Psychologie an der Universität Hamburg im Schwerpunkt „Beratung und Training“. Sie war Teilnehmerin und Tutorin im Lehrgang „Ressourcenorientierung und Netzwerkarbeit in der (psycho)sozialen Arbeit“ der Universität Hamburg bei Sibylle Friedrich. Alexander Redlich Professor für Pädagogische Psychologie am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Psychologische Beratung, Erwachsenenbildung, Kommunikationspsychologie, Konfliktmediation, Teamentwicklung. Michael Tüllmann Dipl.-Sozialpädagoge und Diakon. Weiterbildung in themenzentrierter Interaktion und Transaktionsanalyse. Arbeitsschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit in neu entstandenen Satellitenstadteilen im Rahmen kirchlicher Arbeit. Seit 1981 Leitung in unterschiedlichen Bereichen der Stiftung „Das Rauhe Haus“ mit den Schwerpunkten Reorganisation und Sanierung. Seit 2005 Leiter des Stiftungsbereiches Kinder- und Jugendhilfe.