Psychologische Determinanten der Kundenzufriedenheit : der Einfluss von Emotionen und Persönlichkeit
 9783835095069, 3835095064 [PDF]

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Zitiervorschau

Rita Faullant Psychologische Determinanten der Kundenzufriedenheit

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Rita Faullant

Psychologische Determinanten der Kundenzufriedenheit Der Einfluss von Emotionen und Persönlichkeit

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Kurt Matzler

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Klagenfurt, 2006 Veröffentlicht mit Unterstützung des Forschungsrates der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt aus den Förderungsmitteln des Landes Kärnten

1. Auflage März 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Anita Wilke Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0668-3

Geleitwort

Kundenzufriedenheit nimmt in marktorientierten Unternehmen eine zentrale Stellung ein. Zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg untersuchten, bestätigen die positiven Auswirkungen der Kundenzufriedenheit. Obwohl sich für das Konstrukt Kundenzufriedenheit keine einheitliche Definition durchsetzen konnte, dominiert in der Literatur das theoretisch plausible und durch zahlreiche empirische Studien vielfach bestätigte KonfirmationsDiskonfirmations-Paradigma (C/D-Paradigma). Durch die rein kognitive Ausrichtung des Modells, nach welchem Kundenzufriedenheit durch einen bewussten Vergleichsprozess der wahrgenommenen Leistung mit den prekonsumptiven Erwartungen entsteht, werden in der theoretischen Konzeptionalisierung und der praktischen Messung der Kundenzufriedenheit Emotionen in Konsumsituationen außer Acht gelassen. Die vorliegende Arbeit untersucht zunächst Möglichkeiten, wie das C/D-Paradigma als integrativer Bezugsrahmen genutzt werden kann und wo Anknüpfungs- und Integrationspunkte für Emotionen als Antezedenzen der Kundenzufriedenheit möglich sind. Des Weiteren schließt die Autorin mit dieser Arbeit die Lücke zwischen Kundenzufriedenheitsforschung und Persönlichkeitspsychologie, indem sie aufzeigt, wie die Ausprägung auf den fundamentalen Persönlichkeitsdimensionen das emotionale Empfinden und damit auch das erreichbare Niveau an Kundenzufriedenheit determinieren. Damit gibt sie Antwort auf ein Phänomen von höchster praktischer Relevanz, dass nämlich manche Kunden scheinbar mit keinem Angebot zufrieden zu stellen sind. In der Arbeit werden zunächst die wichtigsten Emotionstheorien und deren Vertreter dargestellt, um den Leser in die Diskussion von Emotionen als Determinanten der Kundenzufriedenheit aus einer emotionswissenschaftlichen Perspektive hinzuführen. Dabei wird im Speziellen auch auf die Problematik der Messung von Emotionen eingegangen. Des Weiteren erfolgt eine Diskussion über die Struktur von Emotionen und die Möglichkeit der Anordnung dieser in Form einer hierarchischen Systematisierung. Vor diesem emotionstheoretischen Hintergrund erfolgt eine profunde Analyse der wichtigsten Studien zum Zusammenhang zwischen Emotionen und Kundenzufriedenheit, wobei die Autorin die Studien nach Modellierungszugängen in valenz-basierte Studien und Studien mit Integration spezifischer Emotionen unterscheidet. Die resümierende Kritik richtet sich vor allem auf die häufig wahllose und theoretisch wenig reflektierte Zusammenstellung von Emotionsmessinventaren sowie die in den meisten Fällen vernachlässigte Diskussion über die Emotionsgenese im Kontext der Kundenzufriedenheit. Die Analyse zeigt Punkte auf, die nach Ansicht der Autorin in zukünftigen Studien zu Emotionen und Kundenzufriedenheit berücksichtigt werden sollten.

VI

Geleitwort

Ein bedeutender Abschnitt der Dissertation wird dem Thema „Persönlichkeit“ gewidmet. Es wird ein ausführlicher Überblick über den in der Persönlichkeitspsychologie dominierenden Traits-Ansatz zur Erklärung interindividueller Verhaltensunterschiede gegeben. Dabei werden die lexikalischen Grundlagen dieses Ansatzes ebenso aufgezeigt, wie der aktuelle Stand der Diskussion über die genetische Verankerung und alternative Faktorenmodelle. Die fünf großen Dimensionen der Persönlichkeit, auch die Big Five genannt, werden im Detail erläutert und die am weitesten verbreiteten Messinstrumente, der NEO-PIR und der NEO-FFI, vorgestellt. Anschließend wird der enge Zusammenhang zwischen überdauernden Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen, welche von vorübergehender Dauer sind, erklärt. Auf Basis der theoretischen Ausführungen wird das Hypothesenmodell vorgestellt. Im zweiten Teil der Arbeit wird die dazu durchgeführte empirische Studie dargestellt und deren Ergebnisse im Detail präsentiert. Für die statistischen Analysen werden die exploratorische und die konfirmatorische Faktorenanalyse herangezogen, wobei der Schwerpunkt der Ausarbeitungen auf der konfirmatorischen Faktorenanalyse liegt. Diese Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Entstehens und der Folgen von Kundenzufriedenheit. Es bleibt zu hoffen, dass sie auf breites Interesse unter der Leserschaft stößt und als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen die ihr gebührende Anerkennung erfährt.

Kurt Matzler

Vorwort

Die vorliegende Dissertationsschrift habe ich während meiner Tätigkeit als Universitätsassistentin an der Abteilung für Marketing und Internationales Management der Universität Klagenfurt verfasst. Als ich dort im Januar 2004 meine Tätigkeit aufnahm, hatte ich das Glück, in Herrn Prof. Kurt Matzler einen außergewöhnlichen akademischen Lehrer und Mentor zu finden, dessen Engagement für akademisches Publizieren und universitäre Lehre mir stets Vorbild war. Seinen Anregungen verdanke ich auch die spannende Themenstellung meiner Dissertation, bei deren Ausarbeitung er mich in vielen Belangen fachlich wie persönlich unterstützte, motivierte und förderte. Ihm möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen. Ebenfalls darf ich Herrn Prof. Erich Schwarz danken, der sich bereit erklärte, die Zweitbegutachtung meiner Dissertation zu übernehmen, und der mich vor allem auch in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des Instituts für Wirtschaftswissenschaften unterstützte. Durch die finanzielle Unterstützung des Vereins wurde mir die Teilnahme an Weiterbildungsseminaren und die Durchführung empirischer Studien ermöglicht. Herrn Prof. Todd Mooradian von der School of Business William and Mary, in Williamsburg/Virginia, danke ich für die fruchtbare Zusammenarbeit in gemeinsamen Forschungsprojekten und für die zahlreichen anregenden Diskussionen. Sie trugen wesentlich zur Weiterentwicklung meiner Arbeit bei. Meinen Kolleginnen und Kollegen der Abteilung für Marketing und Internationales Management möchte ich für die herzliche Aufnahme und das angenehme Arbeitsklima danken, und hier insbesondere Frau Dr. Marliese Fladnitzer, deren Humor in arbeitsintensiven Zeiten für Auflockerung sorgte. Bei der im zweiten Teil der Arbeit analysierten empirischen Studie haben mich zwei Interviewerinnen unterstützt, denen ich an dieser Stelle für ihre Verlässlichkeit und ihren Einsatz danken möchte, ebenso wie den zahlreichen anonymen Probanden und Probandinnen, die sich bereit erklärten, an der Studie teilzunehmen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinen lieben Eltern, die mir stets Rückhalt boten und bei denen ich in meiner Heimat Heiligenblut immer wieder aufs Neue Kraft und Ruhe für die weitere Arbeit schöpfen konnte. Meine wichtigste Stütze aber war mein Mann Peter, in dem ich stets einen verständnisvollen Gesprächspartner fand und dem ich für die Liebe und Geborgenheit, aber auch für die motivierenden Gespräche während dieser Zeit und speziell im vergange-

VIII

Vorwort

nen Jahr während meiner Schwangerschaft danke. Im Januar 2006 ist unser Sohn Pius Maximilian zur Welt gekommen. Er war beim Verfassen dieser Dissertation mein ständiger Begleiter. Ihnen beiden, meiner eigenen kleinen Familie, widme ich diese Schrift.

Rita Faullant

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ XV Tabellenverzeichnis......................................................................................................... XVII Abkürzungsverzeichnis..................................................................................................... XIX

TEIL I 1

2

Einführung in die Themenstellung ................................................................................ 1 1.1

Problemstellung und Forschungsfragen ............................................................................ 1

1.2

Aufbau der Arbeit................................................................................................................ 3

Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg........................... 7 2.1

Kundenzufriedenheit und Unternehmenskennzahlen ...................................................... 7

2.2

Auswirkungen der Kundenzufriedenheit .......................................................................... 8

2.2.1

3

Kundenzufriedenheit führt zu Wiederkauf ..................................................................... 10

2.2.2

Kundenzufriedenheit führt zu Cross-Selling .................................................................. 11

2.2.3

Kundenzufriedenheit führt zu niedrigerer Preissensibilität ............................................ 11

2.2.4

Kundenzufriedenheit führt zu positiver Mundwerbung.................................................. 12

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit ............................................. 15 3.1

Begriffsbestimmung Kundenzufriedenheit...................................................................... 15

3.2

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit ............................................ 18

3.2.1

Das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma ............................................................... 18

3.2.2

Das C/D-Modell als integrativer Bezugsrahmen ............................................................ 20

3.3

3.2.2.1

Die Soll-Komponente ............................................................................................. 21

3.2.2.2

Die Ist-Komponente................................................................................................ 23

3.2.2.3

Die Diskonfirmation ............................................................................................... 26

3.2.2.4

Kundenzufriedenheit als Ergebnis des Diskonfirmationsprozesses........................ 27

Platz für Emotionen im C/D-Paradigma.......................................................................... 29

3.3.1

Emotionen bei der Erwartungskomponente.................................................................... 30

3.3.2

Emotionen bei der Ist-Komponente................................................................................ 31

Inhaltsverzeichnis

X 3.3.3

4

Emotionen bei der Diskonfirmation ............................................................................... 31

Emotionen ...................................................................................................................... 37 4.1

Definition des Emotionsbegriffes ...................................................................................... 37

4.2

Abgrenzung von verwandten Begriffen ........................................................................... 40

4.2.1

Emotion versus Affekt.................................................................................................... 40

4.2.2

Emotion versus Stimmung.............................................................................................. 40

4.2.3

Emotion versus Gefühl ................................................................................................... 41

4.3

Emotionstheorien ............................................................................................................... 41

4.3.1

Lernpsychologische Theorien......................................................................................... 43

4.3.2

Evolutionspsychologische Emotionstheorien................................................................. 45

4.3.2.1

Darwins Theorie...................................................................................................... 46

4.3.2.2

Die Theorie von William McDougall (1908) und neuere evolutionspsychologische Theorien ........................................................................ 48

4.3.2.3 4.3.3

Kognitiv-physiologische Emotionstheorien ................................................................... 52

4.3.4

Kognitive Emotionstheorien........................................................................................... 54

4.4

4.3.4.1

Grundlagen der kognitiven Emotionstheorien ........................................................ 55

4.3.4.2

Kritik an kognitiv orientierten Emotionstheorien ................................................... 59

Die Struktur von Emotionen............................................................................................. 61

4.4.1

Emotionskategorien ........................................................................................................ 61

4.4.2

Dimensionen................................................................................................................... 62

4.4.3

Annäherung an eine konsensuale Struktur von Emotionen ............................................ 66

4.5

5

Kritik an den Basisemotionen ................................................................................. 50

Die Messung von Emotionen ............................................................................................. 68

4.5.1

Subjektive Erlebnismessung........................................................................................... 69

4.5.2

Messung des Ausdruckverhaltens .................................................................................. 71

4.5.3

Messung der physiologischen Reaktion (psychobiologische Messungen)..................... 73

4.5.4

Der Zeitpunkt der Emotionsmessung – Grundproblematik............................................ 75

Emotionen und Kundenzufriedenheit ......................................................................... 77 5.1

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes............................................................. 83

5.1.1

Die Studie von Westbrook (1987) .................................................................................. 83

5.1.2

Die Studie von Westbrook und Oliver (1991) ................................................................ 86

Inhaltsverzeichnis

6

XI

5.1.3

Die Studie von Oliver (1993) ......................................................................................... 86

5.1.4

Die Studie von Mano und Oliver (1993) ........................................................................ 88

5.1.5

Die Studie von Evrard und Aurier (1994) ...................................................................... 89

5.1.6

Die Studie von Price, Arnould und Tierney (1995)........................................................ 91

5.1.7

Die Studie von Strandvik und Liljander (1997) ............................................................. 91

5.1.8

Zusammenfassende Kritik am valenz-basierten Ansatz ................................................. 92

5.2

Konkrete Emotionen in Kundenzufriedenheitsstudien .................................................. 97

5.3

Abschließende Kritik zum Erklärungsgehalt der beiden Modellierungszugänge ....... 97

Persönlichkeit .............................................................................................................. 101 6.1

Einführung........................................................................................................................ 101

6.2

Grundlagen ....................................................................................................................... 102

6.2.1

Psychoanalytische Ansätze........................................................................................... 103

6.2.2

Lern-theoretische Ansätze ............................................................................................ 103

6.2.3

Eigenschaftszentrierte Ansätze oder Traits-Ansätze .................................................... 104

6.3

Der Traits-Ansatz............................................................................................................. 106

6.3.1

Historische Entwicklung des Fünf-Faktoren-Modells.................................................. 106

6.3.1.1

Grundlagen des lexikalischen Zugangs................................................................. 106

6.3.1.2

Geschichtliche Entwicklung des lexikalischen Ansatzes...................................... 107

6.3.1.3

Fünf breite Faktoren manifestieren sich................................................................ 109

6.3.2

Beschreibung der Big Five ........................................................................................... 111

6.3.2.1

Extraversion .......................................................................................................... 112

6.3.2.2

Verträglichkeit ...................................................................................................... 113

6.3.2.3

Gewissenhaftigkeit................................................................................................ 113

6.3.2.4

Neurotizismus ....................................................................................................... 114

6.3.2.5

Offenheit für Erfahrungen..................................................................................... 114

6.3.3

Unterstützende Argumente für die Big Five................................................................. 116

6.3.3.1

Universalität und Interkulturalität der Big Five .................................................... 116

6.3.3.2

Genetische Verankerung der Big Five .................................................................. 120

6.3.4

Kritik am Fünf-Faktoren-Modell.................................................................................. 124

6.3.4.1

Anzahl der Faktoren.............................................................................................. 125

6.3.4.2

Der lexikalische Ansatz als Basis ......................................................................... 126

6.3.4.3

Art der Befragung ................................................................................................. 128

Inhaltsverzeichnis

XII 6.4

Messung der Persönlichkeit ............................................................................................ 129

6.4.1

7

Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI)............................................................. 131

6.4.2

Die deutsche Version des NEO-FFI ............................................................................. 135

6.4.3

Andere Persönlichkeitsinventare im deutschen Sprachraum........................................ 136

Persönlichkeit und Emotionen ................................................................................... 139 7.1

Extraversion und Neurotizismus als Prädiktoren für positive und negative Emotionen .................................................................................................. 139

7.2

Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen als Prädiktoren für Emotionen ....................................................................................... 142

8

Forschungshypothesen für die empirische Studie.................................................... 145

TEIL II 9

Empirische Studie ....................................................................................................... 149 9.1

Studiendesign.................................................................................................................... 149

9.1.1

Das Messinstrument – Fragebogen............................................................................... 151

9.1.2

Die Stichprobe .............................................................................................................. 153

9.1.3

Wetter und Gipfelsieg................................................................................................... 154

9.2

Statistische Analysen........................................................................................................ 155

9.2.1

Exploratorische Faktorenanalyse.................................................................................. 155

9.2.2

Strukturgleichungsmodelle ........................................................................................... 158

9.2.2.1

Einführung in die Strukturmodellierung ............................................................... 158

9.2.2.2

Spezifikation des Strukturgleichungsmodells ....................................................... 160

9.2.2.3

Stichprobe und Datenerhebung............................................................................. 164

9.2.2.4

Modellschätzung ................................................................................................... 168

9.2.2.5

Bewertung des Modell-Fits und Modifikationen .................................................. 170

9.2.2.6

Evaluierung des Modell-Fits................................................................................. 172

9.2.2.7

Bewertung und Interpretation des Modells der vorliegenden Studie.................... 177

9.2.2.8

Erweiterung des Modells ...................................................................................... 184

9.2.2.9

Limitationen der Studie......................................................................................... 189

Inhaltsverzeichnis

XIII

10 Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................... 191 10.1

Zusammenfassung............................................................................................................ 191

10.2

Ausblick ............................................................................................................................ 193

10.2.1 Persönlichkeitsforschung.............................................................................................. 193 10.2.2 Emotionen..................................................................................................................... 196

Literaturverzeichnis............................................................................................................ 197 Anhang ................................................................................................................................. 217

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Aufbau der Arbeit ..................................................................................................... 5

Abbildung 2:

Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert........................................................... 9

Abbildung 3:

Wert eines Kunden im Zeitverlauf.......................................................................... 14

Abbildung 4:

Das C/D-Paradigma ................................................................................................ 19

Abbildung 5:

Konzept der Indifferenzzone................................................................................... 22

Abbildung 6:

Importance-Performance Analyse........................................................................... 24

Abbildung 7:

Kano-Modell der Kundenzufriedenheit .................................................................. 25

Abbildung 8:

peD als Determinanten von Emotionen im C/D-Modell......................................... 30

Abbildung 9:

Klassifikation der Ursachen nach Weiner............................................................... 33

Abbildung 10:

Mögliche Integration attributionsabhängiger Emotionen im C/D-Modell.............. 34

Abbildung 11:

Forschungsparadigmen ........................................................................................... 42

Abbildung 12:

Emotionsausdruck bei Tieren.................................................................................. 47

Abbildung 13:

Vorgeschlagene Primäremotionen verschiedener Emotionstheoretiker ................. 50

Abbildung 14:

Emotionsentstehung nach James............................................................................. 52

Abbildung 15:

Emotionsentstehung nach Schachter und Singer .................................................... 53

Abbildung 16:

Struktur der Emotionen nach Ortony, Clore und Collins ....................................... 58

Abbildung 17:

Anteil erklärter Varianz der aus der Faktorenanalyse extrahierten Faktoren.......... 63

Abbildung 18:

Struktur der Emotionen im Circumplex nach Watson u. Tellegen ......................... 64

Abbildung 19:

Beispiel einer hierarchischen Struktur der Emotionen............................................ 67

Abbildung 20:

Methodenüberblick Emotionsmessung ................................................................... 68

Abbildung 21:

Auszug aus dem PANAS ........................................................................................ 70

Abbildung 22:

Beurteilung des Gesichtsausdruckes ....................................................................... 72

Abbildung 23:

Schematische Darstellung von zwei der getesteten Modelle in der Westbrook-Studie ......................................................................................... 84

Abbildung 24:

Geschichte der lexikalischen Forschung nach Eigenschaftstaxonomien .............. 108

Abbildung 25:

Aufbau von Zwillingsstudien................................................................................ 122

Abbildung 26:

Zusammenhang Persönlichkeit und subjektives Wohlbefinden............................ 140

Abbildung 27:

Hypothesenmodell ................................................................................................ 145

Abbildung 28:

Aufstiegsroute Großglockner von der Erzherzog-Johann-Hütte........................... 150

Abbildung 29:

Idealtypischer Prozess der Strukturmodellierung ................................................. 160

Abbildung 30:

Darstellung von Mess- und Strukturmodellen ...................................................... 161

Abbildung 31:

Spezifiziertes Eingabemodell in AMOS 5.0 ......................................................... 163

Abbildung 32:

Übersicht Modellgütekriterien .............................................................................. 172

Abbildung 33:

AMOS-Ausgabe – Konvergierte Lösung des Strukturgleichungsmodells ........... 178

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 34:

Ergebnisse Strukturmodell.................................................................................... 183

Abbildung 35:

Erweitertes Hypothesenmodell ............................................................................. 186

Abbildung 36:

Tour als Mediatorvariable..................................................................................... 187

Abbildung 37:

Ergebnisse des Strukturmodells für das erweiterte Modell................................... 188

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Typen von Kundenerwartungen .................................................................................... 21

Tabelle 2:

Reiz-Reaktionsmuster angeborener Emotionen nach Watson....................................... 44

Tabelle 3:

Studien zu Emotionen und Kundenzufriedenheit .......................................................... 82

Tabelle 4:

Regressionspfade auf die Kundenzufriedenheit, Westbrook 1987................................ 85

Tabelle 5:

Regressionspfade emotionaler und kognitiver Faktoren auf die Kundenzufriedenheit, Oliver 1993 .................................................................... 87

Tabelle 6:

Erklärte Varianz der Zufriedenheit durch kognitive und emotionale Faktoren, Oliver 1993 .......................................................................... 88

Tabelle 7:

Durch Emotionen aufgeklärte Varianz der Kundenzufriedenheit ................................. 96

Tabelle 8:

Dimensionen der Big Five und ihre Bezeichnung in lexikalischen Studien................ 112

Tabelle 9:

Typische Charaktereigenschaften der Big Five........................................................... 115

Tabelle 10:

Persönlichkeitsrelevante Begriffe in verschiedenen Sprachen .................................... 117

Tabelle 11:

Kongruenzkoeffizienten nach der Zielrotation für die amerikanische Lösung der Big Five................................................................. 118

Tabelle 12:

Facetten von Extraversion und Neurotizismus im NEO-PI-R..................................... 133

Tabelle 13:

Facetten der Dimensionen Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit im NEO-PI-R............................................... 134

Tabelle 14:

Altersverteilung der Stichprobe................................................................................... 153

Tabelle 15:

U-Test nach Man-Whitney .......................................................................................... 154

Tabelle 16:

KMO-Test der EFA für die Persönlichkeitsvariablen ................................................. 155

Tabelle 17:

Rotierte Faktorenlösung der Persönlichkeitsvariablen ................................................ 156

Tabelle 18:

KMO-Test der EFA für die Emotionsvariablen .......................................................... 157

Tabelle 19:

Rotierte Faktorenlösung der Emotionsvariablen ......................................................... 157

Tabelle 20:

AMOS-Ausgabe: Überprüfung auf Normalverteilung ................................................ 168

Tabelle 21:

Gütekriterien und ihre Grenzwerte zur Modellbeurteilung ......................................... 177

Tabelle 22:

AMOS-Ausgabe – Chi-Quadrat-Teststatistik.............................................................. 179

Tabelle 23:

AMOS-Ausgabe – RMSEA Teststatistik .................................................................... 179

Tabelle 24:

AMOS-Ausgabe – Deskriptive Gütemaße .................................................................. 180

Tabelle 25:

AMOS-Ausgabe – Inkrementelle Gütemaße............................................................... 180

Tabelle 26:

Lokale Gütemaße der Messmodelle (1)....................................................................... 181

Tabelle 27:

Lokale Gütemaße der Messmodelle (2)....................................................................... 181

Abkürzungsverzeichnis

16PF

16 Personality Factor Questionnaire

Abb.

Abbildung

ACSI

American Customer Satisfaction Index

ADF

Asymptotically Distribution Free

AGFI

Adjusted Goodness-of-Fit-Index

Į

Crombachsches Alpha zur Bewertung der Skalenreliabilität

AMOS

Analysis of Moment Structures

ȕ

Regressionskoeffizient

BFI

Big Five Inventory

C/D

Confirmation/Disconfirmation (Konfirmation/Diskonfirmation)

CES

Consumption Emotion Set

CFI

Comparative Fit Index

DBW

Die Betriebswirtschaft

DES

Differential Emotion Scale

DEV

Durchschnittlich erfasste Varianz

E

Extraversion

EEG

Elektroenzephalogramm

EFA

Exploratorische Faktorenanalyse

EKG

Elektrokardiogramm

EMG

Elektro-Myographie

EPI

Eysenck Personality Inventory

EPPS

Edwards Personal Preference Schedule

EPQ

Eysenck Personality Questionnaire

FACS

Facial Action Coding System

FR

Faktorreliabilität

G

Gewissenhaftigkeit

GFI

Goodness-of-Fit-Index

GLS

Generalized Least Square

IR

Indikatorreliabilität

k. A.

keine Angabe

KMO-Test

Kaiser-Meyer-Olkin-Test

KZF

Kundenzufriedenheit

LISREL

Linear Structural Relation

Abkürzungsverzeichnis

XX

MAR

Missing at Random

Marketing ZfP

Marketing Zeitschrift für Forschung und Praxis

MBTI

Meyers-Briggs Type Indicator

MCAR

Missing Completely at Random

ML

Maximum-Liklihood

MMPI

Minnesota Multiphasic Personality Inventory

MPT

Münchner Persönlichkeits-Test

N

Neurotizismus

n

Stichprobengröße

NEO

Akronym für Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen

NEO-FFI

NEO-Fife Factor Inventory

NEO-PI-R

NEO-Personality Inventory Revised

NFI

Normed Fit Index

O

Offenheit

p

Wahrscheinlichkeitsniveau

PAD

Pleasure Arousal Dominance

PANAS

Positive Affect Negative Affect Schedule

peD

Persönlichkeitsbedingte Disposition

PIMS

Profit Impact of Market Strategies

PRF

Personality Research Form

r

Korrelationskoeffizient



Erklärte Varianz

RMSEA

Root Mean Square Error of Approximation

ROA

Return on Assets

ROI

Return on Investment

ROQ

Return on Quality

SCSB

Swedish Customer Satisfaction Barometer

SERVQUAL

Service Quality

SPSS

Superior Performance Software System

SSCI

Social Science Citation Index

TARP

Technical Assistance Research Program

TLI

Tucker-Lewis-Index

V

Verträglichkeit

WOM

Word of mouth

ZfB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

Teil I 1 Einführung in die Themenstellung 1.1 Problemstellung und Forschungsfragen Kundenzufriedenheit nimmt in marktorientierten Unternehmen eine zentrale Stelle ein. Sie gilt als notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Bedingung für positives Nachkaufverhalten, welches sich in positiver Mund-zu-Mund-Werbung, Loyalität, erhöhtem Cross-Selling-Potenzial und geringerer Preissensibilität niederschlägt.1 Da viele Unternehmen auf Käufermärkten agieren, ist Kundenzufriedenheit zum strategischen Erfolgsfaktor geworden, der es ermöglicht, Kunden an das Unternehmen zu binden und damit in mehrfacher Weise den Unternehmenswert zu steigern.2 Aber nicht nur auf Seiten der Praktiker besitzt das Thema Relevanz: die Beiträge in wissenschaftlichen Fachjournalen zum Thema Kundenzufriedenheit haben längst ein überschaubares Ausmaß überschritten und noch immer ergänzen zahlreiche Neuzugänge die nun bald drei Dekaden umfassende Forschungstradition in diesem Bereich.3 Der Grund, warum das Thema Kundenzufriedenheit im Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung weiterhin höchst aktuell bleibt, liegt möglicherweise auch in dem Umstand, dass trotz vieler Beiträge über viele grundlegende Forschungsfragen der Kundenzufriedenheit Unklarheit und Uneinigkeit herrscht. So zum Beispiel hat sich bis heute noch keine Definition über Kundenzufriedenheit durchgesetzt. Trotz dieses Umstandes, hat sich in der Literatur ein Modell zu Konzeptionalisierung des Konstruktes etabliert, das weithin anerkannt ist und durch eine Vielzahl an empirischen Untersuchungen4 gestützt wird: das Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma (C/D-Paradigma). Es geht in seinen Wurzeln bis auf frühe Studien zur Arbeitszufriedenheit von Lyman Porter5 zurück und postuliert, vereinfacht gesagt, dass Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines kognitiven Vergleichsprozesses der prekonsumptiven Erwartungen und der wahrgenommenen Produktleistung ist. Dabei werfen sich hier einige Fragen von zentraler Bedeutung auf, die im Rahmen dieser Dissertation behandelt werden sollen. Zum ersten unterstellt das C/D-Modell, dass Menschen mit expliziten Erwartungen in eine Konsumsituation gehen. Über die Art von Erwartungen stehen zahlreiche Untersuchungen und Studien zu Verfügung, die sich mit dieser Komponente eingehend beschäftigten.6 Die zentrale Grundannahme des C/D-Modells besteht dar1 2 3

4 5 6

Vgl. Hinterhuber/Matzler (2004). Vgl. Matzler, et al. (2004), Srivastava, et al. (1998), Srivastava, et al. (1999). Bis zum Jahr 1992 erschienen in den USA bereits über 15.000 Studien zu Kundenzufriedenheit, vgl. Peterson/Wilson (1992), S. 61 zitiert nach Homburg/Stock (2003). Vgl. für einen Überblick die Meta-Studie von Szymanski/Henard (2001). Vgl. Porter (1961). Vgl. für einen Überblick Bruhn (2000).

2

Einführung in die Themenstellung

in, dass es zu einem kognitiven, also bewussten, Vergleichsprozess dieser Erwartungen mit der tatsächlich wahrgenommenen Leistung des Produktes oder der Dienstleistung kommt.7 Zentral ist diese Grundannahme deshalb, weil damit andere Entstehungsmechanismen implizit ausgeschlossen werden. Emotionale Komponenten werden in diesem Modell der Kundenzufriedenheit nicht berücksichtigt, und obwohl die Rolle von Emotionen im Konsumentenverhalten in mannigfaltiger Weise untersucht und bestätigt wurde, ist ihr Einfluss bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit nicht geklärt. Abgesehen von einigen Beiträgen8, die Emotionen als Antezedenzen der Kundenzufriedenheit bestätigen, scheint dieses Thema sowohl in der sozialwissenschaftlichen als auch in der psychologischen Literatur wenig Eingang gefunden zu haben. Aus diesem Forschungsdefizit resultiert die erste Forschungsfrage der vorliegenden Dissertation: Forschungsfrage 1: Welche Möglichkeiten zur Integration von Emotionen bietet das Konfirmations-Diskonfirmationsmodell? Studien, die sich bisher mit dem Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit beschäftigten, lassen keine eindeutigen Aussagen über den Erklärungsgehalt von Emotionen zu. Es ist unklar, ob dieser Einfluss direkter Art ist oder ob Emotionen indirekt, in Form von moderierenden Variablen, auf die Kundenzufriedenheit einwirken. Forschungsfrage 2: Welcher Art ist der Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit? In diesem Zusammenhang muss auch nach dem Einfluss des Objektes, auf welches sich die Kundenzufriedenheit bezieht, gefragt werden. Merkmale, welche in der Literatur häufig vorgeschlagen wurden, um Dienstleistungen von physischen Produkten zu differenzieren (Intangibilität, Qualitätsschwankungen, Mitwirkung des externen Faktors, Nicht-Lagerfähigkeit),9 werfen die Frage auf, wie Dienstleistungen in Hinblick auf die Kundenzufriedenheit evaluiert werden, und ob, im Vergleich zu materiellen Produkten, Dienstleistungen ein erhöhtes Maß an emotionaler Produktevaluation bedingen. Forschungsfrage 3: Unterscheidet sich die Art und Stärke des Einflusses von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit hinsichtlich des Objektes, auf welches sich die Kundenzufriedenheit bezieht? Und im Besonderen, dient die Unterscheidung Dienstleistung versus materielles Produkt einer sinnvollen Differenzierung?

7 8 9

Vgl. z. B. Oliver (1980). Vgl. u. a. Westbrook (1987), Oliver (1993), Price, et al. (1995). Vgl. z. B. Bruhn (1995), S. 21 in Bruhn/Stauss (1995); Meffert/Bruhn (1997).

Aufbau der Arbeit

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In der Emotionspsychologie hat sich eine Vielzahl an divergierenden Theorien zur Erklärung der Entstehung von Emotionen herausgebildet.10 Vor allem jene Emotionstheorien konnten sich sehr stark etablieren, welche eine kognitive Einschätzung (cognitive appraisal) von relevanten Sachverhalten als Bedingung für eine Emotion ansehen.11 In Zufriedenheitsmodellen, die Emotionen als Einflussfaktor berücksichtigen, finden sich jedoch kaum Hinweise darauf, wie Emotionen in Konsumkontexten entstehen. Forschungsfrage 4: Welche Emotionstheorien bieten sich zur Erklärung der Emotionsgenese in Konsumsituationen? Wie können diese sinnvoll in Modellen der Kundenzufriedenheit integriert werden? Gleichzeitig ist bekannt, dass Emotionen über die Zeit Persönlichkeitscharakter annehmen können.12 Im Rahmen dieser Dissertation soll nun auch der Einfluss von Persönlichkeit auf Emotionen und die Kundenzufriedenheit untersucht werden. Diese Frage ist von besonderer Relevanz, da es Kunden zu geben scheint, die von Natur aus zu Unzufriedenheit neigen und mit keinem Angebot zufrieden zu stellen sind.13 Forschungsfrage 5: Welchen Einfluss üben Persönlichkeitseigenschaften auf die Emotionsentstehung aus? Und, lässt sich eine kausale Beziehung zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Kundenzufriedenheit nachweisen? 1.2 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen erarbeitet und die Forschungshypothesen entwickelt. Nachdem die zentralen Forschungsfragen im vorhergehenden Abschnitt bereits erläutert wurden, soll das nächste Kapitel in die Thematik der Kundenzufriedenheit und ihre Bedeutung für den Unternehmenserfolg einführen. In Kapitel 3 wird das theoretische Basiskonzept der Kundenzufriedenheit, das Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma, mit seinen Komponenten und Annahmen vorgestellt, wobei auf eine detaillierte Diskussion verschiedener Theorien in Zusammenhang mit den einzelnen Modellkomponenten verzichtet wird. Überlegungen, wo im C/D-Modell die Integration von Emotionen möglich wäre, runden dieses Kapitel ab und leiten thematisch zum nächsten Kapitel 4 über, das der Darstellung und Diskussion verschiedener Emotionstheorien gewidmet ist. Hier sollen die wichtigsten Emoti-

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11 12 13

Vgl. für eine Übersicht Meyer, et al. (2001), Reisenzein, et al. (2003), Meyer, et al. (2003), Otto, et al. (2000b). Vgl. z. B. Fridja (1993a), Ortony, et al. (1988). Vgl. Watson/Clark (1984), McCrae/Costa (1990). Vgl. Mooradian/Olver (1997).

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Einführung in die Themenstellung

onstheorien und verschiedene Messansätze kritisch gewürdigt werden, sowie Einblick in die Diskussion über die Struktur von Emotionen gegeben werden. Kapitel 5 bildet ein Kernstück der Arbeit, in welchem eine Aufarbeitung bisheriger Studien erfolgt, welche den Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit untersuchten. Dabei wird im Speziellen auch darauf eingegangen, welche methodischen und emotionstheoretischen Annahmen diesen Studien zugrunde liegen. Die Ergebnisse der Literaturanalyse sollen mögliche Antworten auf die Forschungsfragen 2, 3 und 4 geben. Einen Überblick über verschiedene Persönlichkeitstheorien gibt Kapitel 6. Im Detail wird der eigenschaftszentrierte Ansatz (oder Traits-Ansatz) mit seiner historischen Entwicklung, seiner lexikalischen Basis und den vielfältigen bestätigenden Argumenten und Studien dargestellt. Das Konzept der „Big Five“, wonach interindividuelle Verhaltensunterschiede auf fünf breite Faktoren höherer Ordnung zurückzuführen sind, wird ausführlich diskutiert. Schließlich wird in diesem Abschnitt auch auf die Messung von Persönlichkeit eingegangen, verschiedene Möglichkeiten dazu aufgezeigt und das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar, das am häufigsten eingesetzte Instrument zur Erfassung der „Big Five“, vorgestellt. Der enge Zusammenhang zwischen Emotionen und Persönlichkeit wird in Kapitel 7 diskutiert. Im Anschluss daran, stellt Kapitel 8 auf den Brückenschlag von Persönlichkeit über Emotionen zur Kundenzufriedenheit ab und gibt die Überlegungen zur Entwicklung der Forschungshypothesen wider. Im zweiten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Überprüfung der Forschungshypothesen dargestellt. Die Untersuchung wurde im September 2005 im Rahmen einer Bergtour durchgeführt. 234 BergsteigerInnen komplettierten einen Fragebogen, der Fragen zur Persönlichkeit, den empfundenen Emotionen und zur Zufriedenheit mit dem Bergerlebnis enthielt. Die Daten wurden mit einem Programm zur Analyse von Strukturgleichungsmodellen ausgewertet, weshalb in diesem Abschnitt auch ausführlich auf Annahmen, Voraussetzungen und Vorgehensweise der Strukturmodellierung eingegangen wird.

Aufbau der Arbeit

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

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2 Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg 2.1 Kundenzufriedenheit und Unternehmenskennzahlen Kundenzufriedenheit nimmt in marktorientierten Unternehmungen eine zentrale Stellung ein und findet sich vielerorts als oberstes Ziel von Unternehmensstrategien und Leitbildern. Der Grund dafür ist die intuitive Annahme, dass es zwischen zufriedenen Kunden eines Unternehmens und dessen Erfolg einen positiven Zusammenhang gibt:14 Zufriedene Kunden bleiben loyal, sie beziehen nicht nur das selbe Produkt weiterhin beim Stammunternehmen, sondern tätigen auch andere Käufe beim selben Unternehmen (Cross-Selling), sprechen positiv darüber zu anderen Kunden und sind weniger preissensitiv. Dies alles führt zur Absicherung der zukünftigen Erträge und verringert die notwendigen Ausgaben für die Neukundengewinnung. Dass dieser Zusammenhang seit ca. zehn Jahren empirisch vielfach nachgewiesen werden konnte, verhalf dem Thema Kundenzufriedenheit zu Toppriorität und ließ es zum Schlüsselthema für Topmanagementetagen werden. In den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurden aus diesem Grunde auch zahlreiche nationale Kundenzufriedenheitsbarometer ins Leben gerufen, durch welche die Zufriedenheit von Kunden mit Produkten und Dienstleistungen aus verschiedenen Branchen regelmäßig durch eine unabhängige zentrale Institution erhoben wird.15 Der erste solcher Indices war 1989 das Swedish Customer Satisfaction Barometer (SCSB)16, das deutsche Pendant, das Deutsche Kundenbarometer17, wurde erstmals 1992 eingeführt und in den Vereinigten Staaten wird seit 1994 mit dem American Customer Satisfaction Index (ACSI)18 regelmäßig in 40 Branchen die Kundenzufriedenheit erhoben. Anders als bei den PIMS-Studien werden bei solchen nationalen Zufriedenheitsindices nicht die Meinungen der Manager von Unternehmen abgefragt, sondern direkt die Zufriedenheit wie sie Kunden erleben.19 Etwa im gleichen Zeitraum wurden erste Studien publiziert, die Kundenzufriedenheitswerte mit Kennzahlen des betrieblichen Rechnungswesens in Beziehung setzten und positive Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und dem operativen Geschäftsergebnis, dem Return on Quality (ROQ) oder dem Return on Investment (ROI) belegen konnten.20 Aus der schwedischen Untersuchung von Anderson, Fornell und 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Matzler, et al. (2004). Vgl. für eine zusammenfassende Darstellung nationaler Kundenzufriedenheitsbarometer Bruhn (2003). Vgl. Fornell (1992). Vgl. Meyer (1994). Vgl. Center (1995). Vgl. für eine genaue Beschreibung der Methode und Inhalte des ASCI Fornell, et al. (1996). Vgl. Rust, et al. (1995).

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Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg

Lehmann21 geht beispielsweise hervor, dass eine Verbesserung der Kundenzufriedenheitswerte um einen Prozentpunkt für die durchschnittliche schwedische Firma22 in fünf Jahren einen kumulierten Gesamtanstieg des Nettoergebnisses um 11,5 % wert ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Ittner und Larcker23, die eine positive Korrelation zwischen Kundenzufriedenheit und Return on Assets (ROA) und dem Market-toBook-Ratio feststellen konnten. Betriebliche Kennzahlen wie der ROI und der ROA beinhalten jedoch Werte des Rechnungswesens, welche erstens durch Steuergesetze und Rechnungslegungsvorschriften beeinflussbar, und zweitens retrospektiv sind und daher keine Aussage über die zukünftigen Erträge des Unternehmens ermöglichen. In jüngerer Zeit erschienen daher zahlreiche Beiträge, welche Kundenzufriedenheit mit dem Unternehmenswert in Beziehung setzten. Anderson, Fornell und Mazvancheryl24 belegten anhand des ACSI und Tobin’s q einen derartigen positiven Zusammenhang, bei welchem eine 1%ige Steigerung der Kundenzufriedenheit eine Verbesserung des Tobin’s q-Wertes um 0,027 bedeutet. Dies entspricht bei einem durchschnittlichen Unternehmen der 1000 Firmen der Business Week (durchschnittlich 10 Mrd. $ Aktiva) einer Steigerung des Firmenwertes von 275 Millionen Dollar. Gruca und Rego25 belegen, dass Kundenzufriedenheit durch größeres zukünftiges Wachstum des Cashflows und durch Verringerung seiner Volatilität den Unternehmenswert steigert. Die Stärke des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg hängt dabei wesentlich von der Branche, dem Zeitraum und der finanzmathematischen Operationalisierung der Variable Unternehmenserfolg ab. Hinterhuber26 zeigt in seiner Studie beispielsweise, dass Kundenzufriedenheit und Umsatzwachstum negativ korrelieren und operative Profitabilität und Kundenzufriedenheit nicht miteinander korrelieren. Während eine Steigerung der Kundenzufriedenheit mit einem Anstieg der Aktienkurse verbunden zu sein scheint, gibt es keine Anzeichen dafür, dass dies auch auf für die Steigerung der Profitabilität gilt. Ein Kausalzusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg ist daher konzeptionell oft leichter beweisbar als empirisch und wird noch einige Forschungsbemühungen erfordern.27 2.2 Auswirkungen der Kundenzufriedenheit Der fundamentale Grundgedanke des Zusammenhanges zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg ist die Annahme, dass zufriedene Kunden auch loyal bleiben und dadurch eine positive Wirkungskette initiieren, die sich letztendlich in 21

22 23 24 25 26 27

Vgl. Anderson, et al. (1994), S. 63. Die Autoren untersuchten 77 Firmen, welche im SCSB enthalten sind und in ihren Branchen ca. 70 % des Marktanteils kumulieren. Die durchschnittliche schwedische Firma im SCSB weist ein Nettoergebnis von 65 Millionen $ pro Jahr auf. Vgl. Ittner/Larcker (1996). Vgl. Anderson, et al. (2004), S. 181. Vgl. Gruca/Rego (2005). Vgl. Hinterhuber (2003), S. 456ff in Matzler, et al. (2003). Vgl. Hinterhuber (2003), S. 459.

Auswirkungen der Kundenzufriedenheit

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höherem Profit für das Unternehmen niederschlägt.28 Abbildung 2 verdeutlicht diesen Zusammenhang, in dem die positiven Auswirkungen der Kundenzufriedenheit auf erster und zweiter Ebene dargestellt werden und ihre Einflussgrößen auf die Treiber des Unternehmenswertes visualisiert sind.29 Der Unternehmenswert selbst wird nach Matzler et al.30 durch die erwarteten diskontierten Zahlungsmittelüberschüsse einer Investition bestimmt. Maßnahmen zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit werden demnach als Investitionen zur Unternehmenswertsteigerung betrachtet, welche den Cashflow in seiner Höhe, dem Zeitpunkt, der Volatilität und den Residualwert positiv beeinflussen.

Abbildung 2: Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert31

28 29

30 31

Vgl. Zeithaml, et al. (1996). Vgl. Srivastava, et al. (1999), Srivastava, et al. (1998) für eine ausführliche Diskussion der Treiber des Unternehmenswertes und dem Zusammenhang von „market-based assets“ und Shareholder Value. Vgl. Matzler, et al. (2004), S. 9f in Hinterhuber/Matzler (2004). Quelle: Matzler/Stahl (2000), S. 631.

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Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg

2.2.1 Kundenzufriedenheit führt zu Wiederkauf Zahlreiche Studien untersuchten den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität bzw. Wiederkaufsrate. Reichheld verweist in seinen Ausführungen als Beispiel auf die amerikanische Kreditkartenfirma MBNA, die bei einer Erhöhung der Wiederkaufsrate um 5 % eine Steigerung der Unternehmenserträge um 60 % nach fünf Jahren verzeichnete.32 Eine erhöhte Wiederkaufsrate führt zu einer stabilen Kundenbasis, was die Volatilität und das Risiko des Cashflows senkt. Da durch bestehende Kunden einerseits die Beziehungskosten reduziert werden und andererseits Akquisitionskosten der Neukundengewinnung entfallen, beschleunigt und erhöht sich dadurch der Cashflow. Rust und Zahornik33 verweisen in ihrer Studie darauf, dass neue Kunden anzuwerben bis zu fünf Mal teuerer sein kann, als bestehende Kunden zu halten. Insgesamt werden durch eine erhöhte Wiederkaufsrate alle vier Treiber des Unternehmenswertes positiv beeinflusst.34 Trotz vieler Studien besteht über die Art des Zusammenhanges zwischen Kundenzufriedenheit und Wiederkauf noch große Uneinigkeit. Allgemein anerkannt ist die Annahme, dass der Zusammenhang nicht linear sein dürfte, sondern einem S-förmigen Verlauf folgt. Demnach muss ein gewisses Maß an Kundenzufriedenheit überschritten werden, um verhaltensbezogene Veränderungen beim Kunden hervorzurufen und die Wiederkaufsrate zu erhöhen.35 Das Problem der meisten akademischen Studien zu diesem Zusammenhang besteht allerdings darin, dass die Wiederkaufsabsicht und nicht die tatsächliche Wiederkaufsrate gemessen wird. Mittal und Kamakura36 kamen in ihrer empirischen Untersuchung, in der die tatsächliche Wiederkaufsrate erhoben wurde, zu dem Schluss, dass die Beziehung Kundenzufriedenheit-Wiederkaufsabsicht nicht-linear mit sinkenden Erträgen ist, während sich die Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und tatsächlicher Wiederkaufsrate nicht-linear mit steigenden Erträgen gestaltete. Des Weiteren dürften die persönlichen Charakteristika der Kunden einen entscheidenden Einfluss auf die Wiederkaufsrate ausüben: so weisen Frauen, die über 60 Jahre alt und kinderlos sind, bei gleichen Zufriedenheitswerten höhere Wiederkaufsraten auf. Nachdenklich stimmt auch der Beleg der Studienautoren, dass ein erheblicher Antwortbias viele Zufriedenheit-Wiederkauf-Studien verfälschen dürfte: im Extremfall erwiesen sich nach Mittal und Kamakura die Kundenzufriedenheitswerte als gänzlich unkorreliert mit der Wiederkaufswahrscheinlichkeit.37 Homburg und Giering38 konnten zudem nachweisen, dass neben dem Variety-seeking-Motiv, Alter 32 33 34 35

36 37 38

Vgl. Reichheld (1993), S. 65. Vgl. Rust/Zahornik (1993), S. 196. Vgl. Matzler, et al. (2004), S. 9f. Vgl. Homburg, et al. (1999a), S. 185; für einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung vgl. Homburg, et al. (2003), S. 103–106 in Bruhn/Homburg (2003). Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Homburg/Giering (2001).

Auswirkungen der Kundenzufriedenheit

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und Einkommen der Kunden als stark moderierende Variablen der Kundenzufriedenheit-Loyalitäts-Beziehung eine große Rolle spielen. Allerdings muss hier auch hinterfragt werden, ob Alter und Einkommen nicht an sich determinierend für das Ausmaß des Variety-Seeking sind. So könnte das Abwechslungsmotiv bei jüngeren Konsumenten und solchen mit hohem Einkommen stärker ausgeprägt sein. 2.2.2 Kundenzufriedenheit führt zu Cross-Selling Zufriedene Kunden fragen auch andere Leistungen desselben Anbieters nach und erhöhen daher das Potenzial des „Cross-Selling“. Darunter versteht man den Verkauf zusätzlicher Leistungen, die auf denselben Kernkompetenzen des Herstellers beruhen, wodurch vor allem Add-on-Dienstleistungen und Produktlinienerweiterungen leichteren Absatz finden.39 Nach Srivastava, Shervani und Fahey40 ist Cross-Selling vor allem darin begründbar, dass zufriedene Kunden Vertrauen in die Fähigkeiten des Anbieters gewinnen und eine höhere Akzeptanz desselben aufweisen. Durch Cross-Selling werden höhere Verkaufszahlen generiert und Märkte durch die schnellere Akzeptanz zügiger penetriert. Insgesamt bewirkt dies eine Erhöhung und Beschleunigung des CashFlows, sowie eine geringere Volatilität desselben, da durch die Diversifikation zyklusbedingte Absatzschwankungen im Sockelgeschäft ausgeglichen werden können.41 2.2.3 Kundenzufriedenheit führt zu niedrigerer Preissensibilität Diese Annahme stützt sich hauptsächlich auf Ergebnisse der PIMS-Studien, aus denen hervorgeht, dass Unternehmen mit höherer Produktqualität auch höhere Preise verrechnen konnten. Ist die Preissensibilität geringer, erhöht sich dadurch auch der CashFlow. Matzler et al.42 sehen in Kundenzufriedenheit eine Möglichkeit das „akquisitorische Potenzial“ zu erhöhen, wodurch die eigene Kundenbasis gegen Preissenkungen der Konkurrenz abgeschirmt wird. Homburg et al.43 verwenden als möglichen theoretischen Bezugsrahmen für dieses Phänomen die Equity-Theorie, nach der Personen bestrebt sind, eine Gerechtigkeitsbalance herzustellen, indem sie unter ihrem Einfluss stehende Variablen entsprechend verändern. Umgemünzt auf eine Geschäftsbeziehung stellt die Zahlungsbereitschaft (Willingness to pay) eine vom Kunden beeinflussbare Variable dar, die erhöht wird, wenn als Gegenleistung hohe Zufriedenheit „geliefert“ wird. Nach Homburg et al. verläuft der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Zahlungsbereitschaft in Form einer inversen S-Kurve mit sattelförmigem Ver39 40 41 42 43

Vgl. Anderson, et al. (2004), S. 173. Vgl Srivastava, et al. (1998). Vgl. Matzler, et al. (2004), S. 11. Vgl.Matzler, et al. (2004), S. 12. Vgl. Homburg, et al. (2005), S. 85. Die Studie wurde als Experiment mit zwei verschiedenen Szenarien an einem Studentensample durchgeführt.

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Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg

lauf in der Mitte und dem stärksten Einfluss der Kundenzufriedenheit am unteren und oberen Ende. Offen bleibt jedoch, ob dieser Verlauf in allen Branchen ähnlich aussieht, bzw. wo das Plateau der zusätzlichen Zahlungsbereitschaft in den einzelnen Branchen liegt und wie die Kurve für das einzelne Unternehmen aussieht. Denkbar wären zudem, dass intervenierende Variablen für erhöhte Zahlungsbereitschaft in Frage kommen, deren Effekt nicht kalkuliert werden kann.44 2.2.4 Kundenzufriedenheit führt zu positiver Mundwerbung Zahlreiche Studien bestätigen den empirischen Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und positiver Mundwerbung.45 Mund-zu-Mund-Propaganda ist vom Unternehmen selbst nicht direkt beeinflussbar, bedeutet für Unternehmen aber vielfach einen hohen Stellenwert, da sie im positiven Fall durch Empfehlungen zur Neukundengewinnung beiträgt und die Akquisitionskosten zu senken vermag, im negativen Fall jedoch zu Warnungen führt und die Neukundengewinnung erheblich erschweren kann.46 Reichheld und Sasser47 führen als Beispiel ein amerikanisches Bauunternehmen in der Eigenheimbranche an, welches über 60 % der Umsätze durch Empfehlungen verzeichnete. Die Gründe für die Bedeutung positiver Mundwerbung für ein Unternehmen liegen zum einen darin, dass Empfehlungen aus dem Freundeskreis konkrete Erlebnisse und Erfahrungen beinhalten. Die Information wird durch die persönliche Botschaft vom Rezipienten besser auf- und wahrgenommen als unpersönliche Massenkommunikation. Da die Quelle der Empfehlung meist Freunde oder Bekannte sind, wirkt die Information dadurch auch authentischer und glaubhafter, als vom Unternehmen ausgesendete Massenkommunikation.48 Umgekehrt ziehen unzufriedene Kunden die Konsequenzen, indem sie negative Mundwerbung betreiben oder Beschwerden gegenüber dem Hersteller äußern. In TARP-Studien49 stellte sich heraus, dass Konsumenten bei Service-Problemen ihre negativen Erfahrungen bis zu 16 Personen mitteilten, während zufriedene Kunden nur mit durchschnittlich 3 weiteren Personen darüber sprachen.50 Wird die Beschwerde zur Zufriedenheit gelöst, können Beschwerdeführer sogar zu loyaleren Kunden werden, als Kunden, bei denen keine Serviceprobleme auftreten. Diese Ergebnisse konnten Zeithaml et al.51 jedoch nicht bestätigen. In ihrer 44

45 46 47 48 49

50 51

Vgl. Hinterhuber (2004), S. 469. Der Autor verweist z. B. auf Studien, die belegen, dass 50 % der Kunden den Preis des im Einkaufswagen befindlichen Produktes nicht annähernd nennen konnten, und mehr als die Hälfte der Kunden sich nicht bewusst war, dass sie ein preisreduziertes Produkt ausgewählt hatte. Vgl. für einen guten Überblick Zeithaml (2000), S. 68–70. Vgl. Swan/Oliver (1989), S. 527f. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 107. Vgl. Yi (1990), S. 103. TARP (Technical Assistance Research Program), Studien im Auftrag der US-amerikanischen Regierung zur Erforschung des Beschwerdeverhaltens von Konsumenten. Vgl. TARP-Studien zitiert in Stauss (2003), S. 327. Vgl. Zeithaml, et al. (1996), S. 42. Maxham/Netemeyer (2002) bestätigen zwar, dass es ein „Wiedergutmachungsparadox“ geben kann, dieses tritt nur bei einmaligem Fehlverhalten des Herstellers auf, nicht aber bei wiederholtem Fehler.

Auswirkungen der Kundenzufriedenheit

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Studie wiesen jene Kunden die höchsten Loyalitätswerte auf, die keinen Grund zur Beschwerde hatten. Das Referenzpotenzial an sich dürfte einen stufenförmigen Verlauf aufweisen, wonach nur jene Kunden, die höchste Zufriedenheitswerte aufweisen, auch hohe Weiterempfehlungsabsichten hegen. Ein geringer Abfall der Zufriedenheitswerte von 100 % auf 90 % kann dagegen bereits in einer Reduzierung von 25 % der weiterempfehlungswilligen Kunden münden.52 Bei all den positiven Hinweisen zwischen Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlung ist jedoch einschränkend hinzuzufügen, dass es sich hierbei stets um konkrete singuläre Beispiele handelt. Generalisierende Aussagen darüber, welches Niveau an Kundenzufriedenheit welches Ausmaß an Weiterempfehlung evoziert, sind nach derzeitigem Wissenstand nicht möglich. Speziell im Dienstleistungsbereich dürfte die Weiterempfehlungskette aber eine besonders wichtige Rolle einnehmen.53 In diesem Zusammenhang sind auch Forschungsbemühungen zu nennen, die die unterschiedlichen Auswirkungen der Dimensionen von Dienstleistungsqualität auf Weiterempfehlungsverhalten in verschiedenen Branchen untersuchen. So zum Beispiel wird Weiterempfehlung in der Unterhaltungsindustrie hauptsächlich durch den Erfüllungsgrad des tangiblen Umfeldes und der Reagibilität bestimmt, während in der Fast-Food-Industrie die Hauptdeterminanten für positive Mundwerbung Sicherheit und Einfühlungsvermögen sind.54 Je nach Stärke des Zusammenhanges führt positive Mundwerbung zu rascherer Marktpenetration, senkt die Akquisitionskosten der Neukundengewinnung und erhöht die Reputation des Unternehmens. In Folge werden alle vier Treiber des Unternehmenswertes positiv beeinflusst, indem der Cash-Flow beschleunigt und erhöht, seine Volatilität reduziert und ein höherer Residualwert erzielt wird.55 Abschließend kann anhand von Abbildung 3 zusammenfassend festgestellt werden, dass Kundenzufriedenheit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes leistet. Sie gilt als notwendige, wenn auch oft nicht hinreichende, Bedingung für Kundenbindung und positives Nachkaufverhalten des Kunden.

52 53 54 55

Vgl. Matzler/Pechlaner (2001) in Hinterhuber, et al. (2003), S. 20. Vgl. Zeithaml (2000), S. 77. Vgl. Bloemer, et al. (1999), S. 1099. Vgl. Matzler/Stahl (2000), S. 635.

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Bedeutung der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg

Abbildung 3: Wert eines Kunden im Zeitverlauf56

Kundenbindung erweist sich auf Käufermärkten vielfach als Schlüssel zu erhöhtem Unternehmensgewinn, der durch höhere Kauffrequenz und Cross-Selling, geringere Transaktionskosten, Weiterempfehlung und Preisprämien erzielt wird. Der Wert des Kunden steigt dabei mit zunehmender Beziehungsdauer, indem die Potenziale sukzessive besser ausgeschöpft werden können. Reichheld und Sasser57 konnten den steigenden Kundenwert mit zunehmender Beziehungsdauer (vgl. Abbildung 3) in vier verschiedenen Branchen nachweisen. Hinsichtlich der genauen Verläufe der Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit, Loyalität, Preissensibilität und Weiterempfehlung besteht allerdings nach wie vor großer Klärungs- und Forschungsbedarf.

56 57

Quelle: Hinterhuber, et al. (2003), S. 7 in Anlehnung an Reichheld/Sasser (2003), S. 153. Vgl. Reichheld/Sasser (2003), S. 151.

3 Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit 3.1 Begriffsbestimmung Kundenzufriedenheit Obwohl das Thema Kundenzufriedenheit seit nun bereits drei Dekaden wissenschaftlicher Forschungsgegenstand ist, hat sich bis dato keine einheitliche Definition des Be griffes durchgesetzt. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, stimmen die meisten Autoren jedoch darüber überein, dass es sich bei Kundenzufriedenheit um ein Nachkaufphänomen handelt, in dem sich widerspiegelt, wie der Kunde Produkte oder Dienstleistungen beurteilt, mit denen er Erfahrungen gesammelt hat. In diesem Sinne ist Zufriedenheit eine ex-post Beurteilung, die ein konkretes selbst erfahrenes Konsumerlebnis voraussetzt.58 Begriffsdefinitionen wie, „satisfaction is a postchoice evaluative judgement concerning a specific purchase selection”59 spiegeln diese Ansicht wider. Am Beispiel dieser Definition äußert sich auch die in den Anfängen der Zufriedenheitsforschung im Konsumentenbereich allgemein vertretene Ansicht, dass stets eine konkrete Erfahrung bzw. Transaktion den Gegenstand der Zufriedenheitsermittlung darstellt.60 Diese Sichtweise wird von Olsen und Johnson als „transaktionsspezifische“61 Kundenzufriedenheit bezeichnet. In weiterer Folge kristallisierte sich in der Literatur eine verstärkte Zuwendung zu globalen Zufriedenheitsurteilen mit einem Anbieter heraus. Letztere finden sich in der wissenschaftlichen Diskussion häufig unter dem Begriff „kumulierte Zufriedenheit“, worunter die „[…] Evaluierung der gesamten Erfahrungen mit einem Anbieter und dessen Produkten“62 verstanden werden kann. Insbesondere in Hinblick auf Forschungsbemühungen über den positiven Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität wurde evident, dass das Heranziehen von Zufriedenheitswerten einzelner Transaktionen oder Episoden nur ungenügenden Aufschluss über das Nachkaufverhalten der Kunden liefern konnte. Für Unternehmen, die Investitionen in die Verbesserung ihrer Kundenzufriedenheitswerte erwägen, ist die kumulierte Zufriedenheit der entscheidende Indikator, weil sie Prognosen für die zukünftige Performance eines Unternehmens erlauben.63 Eng mit diesem Argument verknüpft scheint die Forderung zu sein, eine Unterscheidung in der Begriffsbestimmung von Kundenzufriedenheit hinsichtlich von Konsumund Investitionsgütern zu treffen. Da im Investitonsgüterbereich Kundenbeziehungen unter anderem durch derivative Nachfrage und längere Beziehungsdauer charakteri58 59 60 61 62 63

Vgl. Stauss/Seidel (2003), S. 156. Westbrook/Oliver (1991), S. 84. Vgl. dazu auch Churchill/Suprenant (1982), Bearden/Teel (1983), Oliver (1980). Olsen/Johnson (2003), S. 185; im Original „transaction-specific”. Vgl. Homburg, et al. (1999a), S. 177. Vgl. Anderson, et al. (1994), S. 54, Fornell (1992). Näheres zum Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg wurde bereits im vorhergehenden Kapitel dieser Arbeit ausgeführt.

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Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

siert sind sowie Kaufentscheidungen von höherer Komplexität und oft von mehreren Personen einer Organisation (Buying Center) getroffen werden,64 erscheint es nachvollziehbar, dass Kundenzufriedenheit im Investitionsgüterbereich anders konzeptionalisiert und operationalisiert werden müsste, als im Konsumgüterbereich. Bidmon begreift Kundenzufriedenheit im Industriegütermarketing als „einstellungsähnliches psychologisches Konstrukt“65, das sich in Individuen einer Organisation gegenüber einem Anbieter herausbildet und, wie Einstellungen, kognitive, affektive und konative Aspekte trägt. Im Konsumgütermarketing wurde, bedingt durch die transaktionsspezifische Sichtweise, stets versucht, Kundenzufriedenheit vom Konstrukt der Einstellungen abzugrenzen.66 Einstellungen werden allgemein als „a disposition to respond favorably or unfavorably to an object, person, institution, or event“67 verstanden. Die Response kann dabei kognitiver, affektiver und handlungsorientierter Natur sein. Am Beispiel der Einstellung von Konsumenten gegenüber einer Automarke X, könnten kognitive Merkmale einer positiven Einstellung bedeuten, dass jemand glaubt, die Marke X ist ein zuverlässiges und qualitativ hochwertiges Fahrzeug. Affektiv könnte sich dies darin äußern, dass Konsumenten Fahrzeuge der Marke X bewundern, und in konativer Hinsicht würde dies dazu führen, dass sich jemand (bei entsprechender Bonität) so ein Fahrzeug kaufen würde. Parallelen zum Konstrukt Kundenzufriedenheit sind auf allen drei Response-Ebenen nachvollziehbar und werden von den meisten Autoren in der Kundenzufriedenheitsforschung anerkannt. Unterschiede zwischen den beiden Konstrukten sieht Schütze darin, dass Kundenzufriedenheit eher konstatierend, an konkrete Erfahrungen gebunden und situationsgebunden ist.68 Oliver sieht Kundenzufriedenheit als immanenten Bestandteil in einem Prozess der rekursiven Einstellungsveränderung, in welchem die Kundenzufriedenheit zum Zeitpunkt (t1) die Einstellung zum Zeitpunkt (t2) beeinflusst.69 Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint es nicht mehr notwenig eine strenge Differenzierung der beiden Begriffe zu treffen, da sie sich gegenseitig bedingen. In diesem Sinne dürfte es auch weniger entscheidend sein, ob es sich bei dem evaluierten Produkt um ein Konsumgut oder ein Investitionsgut handelt, sondern welcher Zeithorizont der Evaluierung zugrunde gelegt wird. Speziell im Dienstleistungsbereich wurde mehrfach auf die Besonderheit der Kundenzufriedenheitsermittlung hingewiesen, wobei der Dynamik im Erstellungsprozess von Dienstleistungen Rechnung getragen werden sollte.70 Die Evaluierung kann auch hier 64

65 66 67 68 69 70

Auf eine ausführliche Diskussion der Abgrenzungsmerkmale zwischen Konsum- und Industriegütern wird hier verzichtet. Für eine Darstellung der Besonderheiten im Industriegütermarketing vgl. z. B. Backhaus (1999). Bidmon (2004), S. 21. Vgl. für eine ausführliche Diskussion dazu Matzler (1997), S. 108–111. Ajzen (1988), S. 4. Vgl. Schütze (1992), S. 153. Vgl. Oliver (1980), S. 461f. Vgl. Grönroos (1993).

Begriffsbestimmung Kundenzufriedenheit

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unterschiedliche Tranksaktionshorizonte erfassen. Bei Stauss und Seidl71 resultiert dies in der Unterscheidung von einzelnen Dienstleistungsepisoden, die jeweils mehrere Kontaktpunkte aufweisen und zusammengefasst werden zu einer Dienstleistungstransaktion, die aus Kundensicht mit fixierbarem Beginn und Ende definiert wird (z. B. ein Hotelaufenthalt). Werden mehrere Dienstleistungstransaktionen evaluiert, so wird von Beziehungsqualität gesprochen, die, ähnlich wie Einstellungen, eine gewisse Stabilität aufweist und einzelne Konsumerlebnisse unbeschadet überdauern kann. Die Stabilität als Abgrenzungsmerkmal von Zufriedenheit und Einstellungen verliert daher, je nach Betrachtungshorizont, an Bedeutung.72 Dies betrifft aber nicht nur Industriegüter oder transaktionsübergreifende Dienstleistungen, sondern besitzt auch für den Bereich der klassischen Konsumgüter Gültigkeit. Wie insbesondere Fournier und Mick73 mit ihren qualitativen Zufriedenheitsstudien demonstrieren, kann sich auch hier die Zufriedenheit über den Gebrauchszeitraum des Produktes hinweg verändern. Weitestgehende Übereinstimmung hinsichtlich konstitutiver Elemente einer Begriffsbestimmung herrscht auch darüber, dass Kundenzufriedenheit durch einen komplexen Vergleichsprozess zustande kommt, bei dem die wahrgenommene Leistung mit einem erwarteten Leistungsniveau verglichen wird.74 Dieser Vergleichsprozess wird im Rahmen des C/D-Paradigmas zur Konzeptionalisierung der Kundenzufriedenheit noch im Detail dargestellt. Möchte man über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus eine Definition für das Konstrukt Kundenzufriedenheit heranziehen, so bietet sich jene von Oliver an, die auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt wird: „Satisfaction ist the consumer’s fulfillment response. It is a judgement that a product or service feature, or the product or service itself, provided (or is providing) a pleasurable level of consumption-related fulfillment, including levels of under- or overfulfillment.”75 Die vorliegende Definition erscheint ausreichend weit gefasst, um sowohl Produkte als auch Dienstleistungen, einzelne Komponenten dieser oder aber ihr Ganzes, von bereits abgeschlossenen und noch im Gange befindlichen Konsumerlebnissen zu erfassen. Das Wort Erfüllung impliziert dabei, dass ein Standard, ein Ziel oder eine Erwartung existieren müssen, welche erfüllt werden können, was mit dem Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma in Einklang steht. Dass die Beurteilung in dieser Definition als „pleasurable“ (angenehm/ erfreulich) charakterisiert wird, ist für die vorliegende Arbeit nach Meinung der Autorin besonders wichtig und zutreffend, da dadurch explizit eine emotionale Färbung des Konstruktes Kundenzufriedenheit attestiert wird und somit die, von vielen Autoren

71 72 73 74 75

Vgl. Stauss/Seidel (2003), S. 160. Vgl. Stauss (1999), S. 12. Vgl. Fournier/Mick (1999). Vgl. Churchill/Suprenant (1982), Oliver/DeSarbo (1988), Oliver (1997). Oliver (1997), S. 13.

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Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

zwar anerkannte, aber häufig nicht näher bestimmte, affektive Komponente der Kundenzufriedenheit konkret festgemacht wird.76 3.2 Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit 3.2.1 Das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma Das in der Literatur am häufigsten verwendete Modell zur Erklärung von Kundenzufriedenheit ist das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma. In englischsprachigen Fachpublikationen wird darauf als Confirmation/Disconfirmation-Paradigm Bezug genommen und wird im Folgenden kurz als C/D-Paradigma bezeichnet. Obwohl es noch nicht gelungen ist, eine allgemein anerkannte Basistheorie für die Konzeptionalisierung von Kundenzufriedenheit zu entwickeln, ist doch eine eindeutige Tendenz in Hinblick auf den Erklärungsansatz des C/D-Paradigmas festzustellen.77 Den meisten Kundenzufriedenheitsstudien liegt dieses Konzept als theoretischer Bezugsrahmen zugrunde, in welchem Kundenzufriedenheit als das Ergebnis eines Vergleichsprozesses zwischen erwarteter und wahrgenommener Leistung dargestellt wird. Abbildung 4 stellt das C/D-Paradigma im Überblick dar.

76

77

Viele Autoren verweisen nämlich zwar darauf, dass Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines kognitiven und affektiven Evaluierungsprozesses ist (z. B. Homburg/Koschate (2004), S. 317), geben aber nicht an, was an dem Prozess affektiv ist oder wo Emotionen vorkommen. Vgl. Homburg, et al. (1999a), S. 175.

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit

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- Konsumerfahrungen - WOM - Marketing Kommunikation - Präsentation des Produktes - psychische Informationsverarbeitungsmechanismen

Abbildung 4: Das C/D-Paradigma78

Das C/D-Paradigma wird als prozessorientiertes Modell begriffen, das aus den Komponenten Soll-Leistung, Ist-Leistung, Diskonfirmation und Zufriedenheit besteht. Der Entstehungsprozess von Kundenzufriedenheit umfasst dabei mehrere Phasen: 1) Kunden bilden sich vor Konsumsituationen implizit oder explizit Erwartungen darüber, wie ihre Produktwahl Bedürfnisse oder Wünsche gegenüber anderen Alternativen befriedigt wird. Diese Erwartungen werden in Abhängigkeit von bisherigen Konsumerfahrungen, der vom Unternehmen ausgesandten Kommunikation, Kommunikation durch Referenzpersonen und Produktattributen sowie internen Qualitäten der Informationsverarbeitung einer Person beeinflusst.79 2) Während des Ge- bzw. Verbrauchs eines Produktes oder einer Dienstleistung nimmt der Kunde Leistung und Qualität wahr. Die Wahrnehmung wird dabei von zahlreichen psychologischen Prozessen und Kognitionen geprägt. In der Li78

79

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hill (1986), S. 311 und Ausführungen nach Oliver (1997), S. 80–83. Vgl. Oliver (1997), S. 80–83.

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Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

teratur fand zum Wahrnehmungsprozess eine intensive Diskussion über den Erklärungsgehalt verschiedener Theorien aus der Sozialpsychologie, wie der Assimilations- und Kontrasttheorie, statt. Auf eine ausführliche Darstellung dieser wird in der vorliegenden Arbeit verzichtet und auf Matzler80 und die dort eingearbeitete Originalliteratur und Studien im Bereich der Kundenzufriedenheit verwiesen. 3) Zwischen den prekonsumptiven Erwartungen und der wahrgenommenen Leistung findet nun ein Vergleichsprozess statt, in welchem es zur Konfirmation bzw. Diskonfirmation der Erwartungen kommt. Wird die wahrgenommene Leistung den Erwartungen nicht gerecht, entsteht Unzufriedenheit, übertrifft sie hingegen die Erwartungen resultiert dies in Zufriedenheit. Stimmen Erwartungen und wahrgenommene Leistung genau überein, so gehen viele Autoren davon aus, dass ein Gefühl der Indifferenz entsteht („simple confirmation“).81 Dieses Modell zur Beschreibung der Kundenzufriedenheit wird von den meisten Autoren als Basismodell akzeptiert. Kundenzufriedenheit stellt dabei das Ergebnis eines kognitiven Vergleichsprozesses der prekonsumptiven Erwartungen mit der wahrgenommen Leistung dar. Für die praktische und theoretische Dominanz dieses Modells sprechen mehrere Gründe:82 x Das C/D-Paradigma ist theoretisch plausibel begründbar, einfach in der Darstellung und gut verständlich. x In einer Vielzahl empirischer Untersuchungen konnte dieses Modell bestätigt werden.83 x Das C/D-Paradigma bietet eine hohe Integrationsfähigkeit für alternative Erklärungsmodelle, um spezifische Fragestellungen zu behandeln. Auf die angesprochene Integrationsfähigkeit des C/D-Paradigmas wird im Folgenden noch näher eingegangen, wobei diverse, komplementär heranziehbare Theorien nicht ausführlich dargestellt werden, sondern lediglich deren Integrationsmöglichkeit im Bezugsrahmen des C/D-Modells und seinen Komponenten aufgezeigt wird. 3.2.2 Das C/D-Modell als integrativer Bezugsrahmen Während andere Erklärungsansätze wie die Attributionstheorie oder die EquityTheorie in der Vergangenheit häufig als mit dem C/D-Paradigma konkurrierend angesehen wurden, hat sich mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass diese Ansätze 80 81 82 83

Vgl. Matzler (1997). Vgl. Oliver/DeSarbo (1988), S. 495ff; Woodruff, et al. (1983), S. 296ff. Vgl. Homburg, et al. (1999b), S. 84 zitiert nach Griese (2002), S. 42. Vgl. für eine Meta-Analyse verschiedener Zufriedenheitsstudien Szymanski/Henard (2001).

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit

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nicht als substitutiv, sondern viel mehr als komplementär und zum tieferen Verständnis der einzelnen Modellkomponenten führend zu interpretieren sind.84 3.2.2.1 Die Soll-Komponente Unter der Soll-Komponente verstehen die meisten Forscher explizit die Erwartungen, welche ein Kunde vor Konsumption eines Produktes oder einer Dienstleistung bildet. Der Begriff Erwartungen umfasst dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte, die als Standards zum Vergleich angelegt werden können. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen diskutieren Erwartungstypen, die als Vergleichsstandard für die Ist-Leistung herangezogen werden können. Autoren

Erwartungstyp

(Miller 1977); (Tse/Wilton 1988)

Idealniveau

(Parasuraman, Zeithaml et al. 1988); (Boulding, Kalra et al. 1993)

Erwünschtes Niveau

(Zeithaml, Berry et al. 1993)

Angemessenes Niveau

(Miller 1977)

Minimal tolerierbares Niveau

(Cadotte, Woodruff et al. 1987)

Best-Brand-Niveau

(Cadotte, Woodruff et al. 1987)

Typisches Produktniveau

(Miller 1977); (Boulding, Kalra et al. 1993)

Verdientes Niveau

(Olson/Dover 1979); (Oliver 1980); (Cadotte, Woodruff et al. 1987); (Boulding, Kalra et al. 1993)

Vorhergesehenes Niveau

Wahrscheinliches Niveau Tabelle 1: Typen von Kundenerwartungen85 (Miller 1977)

Definition Vorstellung von einer nicht zu übertreffenden Leistung Leistungsniveau, das der Kunde sich wünscht bzw. das der Anbieter liefern sollte Leistungsniveau, das vom Kunden realistischer Weise gerade noch akzeptiert wird Leistungsniveau, das vom Kunden gerade noch akzeptiert wird Vorstellung von der Qualität der Leistungen des aus Kundensicht besten Anbieters einer Kategorie Vorstellung von der typischen oder durchschnittlichen Qualität aller dem Kunden bekannten Leistungen Vorstellung von dem Niveau, das der Kunde unter Berücksichtigung seines eigenen Aufwands und den gegebenen Möglichkeiten verlangt Vorstellung von der Qualität der Leistungen eines bestimmten Anbieters Wahrscheinlich eintretende Qualität einer Leistung

Die Standards reichen dabei vom idealen bis hin zum gerade noch tolerierbaren Niveau einer Leistung. Der Bereich dazwischen wird als Toleranzzone bezeichnet und kennzeichnet jene Niveaus, die ein Kunde als Leistung akzeptieren und als zufriedenstellend betrachten würde.86 Bewegt sich die wahrgenommene Produktqualität in etwa 84 85 86

Vgl. Homburg/Stock (2003), S. 20f, in Homburg (2003). Quelle: Vgl. Bruhn (2000), S. 1034. Vgl. Zeithaml, et al. (1993), S. 1ff.

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

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im Bereich der Erwartungen, entsteht eine Zone der Indifferenz, in der der Kunde weder zufrieden noch unzufrieden ist (vgl. Abbildung 5).87

Abbildung 5: Konzept der Indifferenzzone88

Kleinere Abweichungen der erlebten von der erwarteten Leistung werden demnach weder in positiver noch in negativer Richtung wahrgenommen, sondern assimiliert. Diesem Assimilationsprozess liegt die theoretische Annahme Festingers89 Theorie der kognitiven Dissonanz zugrunde. Ihr zu Folge haben Personen ein Bestreben nach kognitiver Balance. Werden Stimuli wahrgenommen, die den gespeicherten Annahmen und Erwartungen nicht entsprechen, entstehen kognitive Dissonanzen, die psychisches Unbehagen verursachen. Um den Balancezustand wieder herzustellen, kommt es zu einer Verzerrung der sich widersprechenden Reize, wobei im Falle der Assimilation die Wahrnehmungen den Erwartungen gemäß angepasst werden. Es wird angenommen, dass diese Assimilationseffekte jedoch nur innerhalb der Indifferenzzone auftreten.90 Wird die wahrgenommene Diskrepanz zu stark, so treten unter bestimmten situativen Bedingungen Kontrasteffekte auf, d. h. der Stimulus wird als weiter vom Ankerreiz entfernt wahrgenommen, als er tatsächlich ist.91 87 88 89 90 91

Vgl. Miller (1977), S. 72ff in Hunt (1977). Quelle: Hinterhuber, et al. (2003), S. 15. Vgl. Festinger (1957). Vgl. Hovland, et al. (1957), S. 244. Vgl. für eine ausführliche Diskussion der situativen Bedingungen und speziell der Rolle des Involvements Matzler (1997).

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit

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Mit der theoretischen Diskussion darüber, welcher Standard von Kunden nun im Vergleichsprozess zur Ist-Leistung herangezogen wird, geht auch ein Problem hinsichtlich der Messung von Erwartungen einher.92 Von einer ex-post Befragung wird allgemein abgeraten: „It cannot be emphazised too strongly that the measurement of expectations must be performed before the shopping experience […]“93 da es, wie vorhergehend beschrieben, eine Wechselwirkung zwischen Erwartungen und wahrgenommener Leistung gibt, bei der es zu Kontrast- und Assimilationseffekten kommen kann. Aber auch bei der Erfassung von Erwartungen vor der Konsumsituation ergeben sich Schwierigkeiten: in vielen Situationen können Menschen keine expliziten Erwartungen äußeren, sondern nehmen lediglich eine tendenziös positive oder negative Haltung ein.94 Auch der Fall, dass gar keine Erwartungen vorhanden sind, wäre denkbar, wenn jemand etwa ein Produkt geschenkt bekommt. Ein weiteres Dilemma bei der direkten ex-ante Erfassung, ergibt sich daraus, dass der Forscher nicht wissen kann, welchen Standard Kunden als Referenzwert für den Vergleichsprozess heranziehen. Selbst wenn Kunden angeben können, was ihrer Vorstellung nach das ideale oder gewünschte Niveau einer Leistung sein sollte, so kann beim tatsächlichen Vergleichsprozess immer noch ein anderer Standard angelegt werden. Bei einer quantitativen Untersuchung muss man zudem davon ausgehen, dass unterschiedliche Vergleichs- und Erwartungsstandards in der Population vorhanden sind, die nicht mehr erfassbar sind. Aus diesem Grunde hat sich die Meinung durchgesetzt, dass es wenig Sinn macht, Erwartungen überhaupt direkt zu erfassen. Es wird hingegen davon ausgegangen, dass die Bewertung einer Produktleistung bereits verarbeitete Erwartungen enthält.95

3.2.2.2 Die Ist-Komponente Unter der Ist-Komponente wird die Leistung eines Produktes oder einer Dienstleistung verstanden. Sie findet in der relevanten Literatur meist nur wenig Aufmerksamkeit bzw. ist sie in Zusammenhang mit der Soll-Leistung und damit verbundenen Wahrnehmungseffekten zu sehen.96 Grundsätzlich wird zwischen objektiver und subjektiver Leistung unterschieden, wobei für die Zufriedenheitsmessung stets die subjektive Leistungswahrnehmung herangezogen wird. Eine Begründung dafür findet sich in der Adaptionstheorie nach Helson97 wonach Reize in Relation zu einem bestehenden „Ankerreiz“ bewertet und geordnet werden. Für den Prozess der Kundenzufriedenheit bedeutet dies, dass Kunden nicht nach objektiven Kriterien die Leistungsqualität beurteilen, sondern in Beziehung zu ihrem individuell bestehenden Ankerreiz einem Produkt 92

93 94 95 96 97

Vgl. für einen ausführlichen Überblick über Formen und Möglichkeiten der Erwartungserfassung Bruhn (2000). Oliver (1981), S. 39. Vgl. Oliver (1997), S. 84. Vgl. Stauss/Seidel (2003), S. 171. Vgl. Homburg/Stock (2003), S. 21. Vgl. Helson (1948).

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

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oder Dienstleistung gegenüber. Wie sich dieser Ankerreiz während des Wahrnehmungsprozesses verändern kann, wurde bereits in den Ausführungen zur Soll-Leistung erläutert (Assimilations- und Assimilations-Kontrast-Theorie). Die Messung betreffend werden in der Praxis meist merkmalsorientierte Ansätze zur Messung der Ist-Leistung herangezogen. Kunden beurteilen dabei eine Liste von Leistungsattributen des Produktes oder der Dienstleistung und geben ihre Zufriedenheit auf Ratingskalen an.98 Daraus resultierend entwickelte sich als häufig verwendetes Instrument zur Prioritätenbildung von Produktattributen die Importance-PerformanceAnalyse99. Durch diese Methode werden die einzelnen Attribute anhand der Dimensionen Wichtigkeit und Zufriedenheit miteinander in Beziehung gesetzt (vgl. Abbildung 6). Je nach Position in einem der vier Quadranten, kann entschieden werden, ob weitere Investitionen in ein Produktattribut gerechtfertigt sind oder nicht. hoch

Quadrant I Vorteil halten/ausbauen

Quadrant III Akzeptable Nachteile

Quadrant II Nachteile mit Priorität verbessern

Zufriedenheit

Quadrant IV Irrelevante Vorteile

niedrig niedrig

hoch Wichtigkeit des Attributes

Abbildung 6: Importance-Performance-Analyse100

Jedoch erlaubt diese Analyse keine Aussage darüber, warum Menschen eine Produktauswahl treffen. Folgt man den Empfehlungen der Importance-Performance-Analyse können gravierende Fehlentscheidungen getroffen werden. Matzler et al.101 konnten in zahlreichen Untersuchungen nachweisen, dass asymmetrische Zusammenhänge zwischen Attributwichtigkeit, Performance und Gesamtzufriedenheit vorliegen. Entsprechend dem Kano-Modell der Kundenzufriedenheit102 (vgl. Abbildung 7) üben nicht alle Leistungsattribute einen linearen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit aus. 98 99 100 101 102

Vgl. z. B. Kaiser (2002), S. 106; Beutin (2003), S. 115f. Vgl. Martilla/James (1977) zitiert nach Matzler, et al. (2005), S. 301. Quelle: Matzler, et al. (2005), S. 302. Vgl. Matzler, et al. (2005), Matzler, et al. (2004). Vgl. Kano (1984), Bailom, et al. (1996).

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit

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Kunde sehr zufrieden, begeistert

Erwartungen nicht erfüllt

Erwartungen übertroffen

Kunde sehr unzufrieden, enttäuscht

Abbildung 7: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit (in Anlehnung an Kano 1984)103

Es wird differenziert zwischen solchen Attributen, die nur zu Kundenzufriedenheit führen (Begeisterungseigenschaften), solchen, die sowohl Zufriedenheit als auch Unzufriedenheit auslösen können (Leistungseigenschaften), und jenen Eigenschaften, die nur Einfluss auf mögliche Unzufriedenheit ausüben (Basiseigenschaften). Leistungsattribute, die in der Importance-Performance-Analyse einen irrelevanten Vorteil darstellen, könnten sich als Basiseigenschaften erweisen, die, sobald sie nicht mehr erfüllt werden, an Wichtigkeit gewinnen und Unzufriedenheit auslösen. In diesem Zusammenhang sind über die Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit zahlreiche Diskussionsbeiträge erschienen.104 Aufgrund einer Vielzahl empirischer Belege gilt die Annahme einer drei-faktoriellen Struktur der Kundenzufriedenheit dem Kano-Modell entsprechend weitestgehend als zutreffend.105 103 104

105

Quelle: Matzler, et al. (2004), S. 20. Vgl. für eine Übersicht empirischer Untersuchungen zur Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit im Konsumgütermarkteing Matzler/Sauerwein (2002), S. 313ff. Alternativ wurde auch eine zwei-faktorielle Struktur vorgeschlagen, vgl. Maddox (1981).

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

26

3.2.2.3 Die Diskonfirmation Der Diskonfirmationsprozess ist die zentrale intervenierende Variable zwischen der Soll- und Ist-Komponente einerseits und der resultierenden Zufriedenheit andererseits.106 Diskonfirmation ist dabei als bipolares Konstrukt zu sehen, das sowohl positiv als auch negativ ausgeprägt sein kann. Positive Diskonfirmation liegt vor, wenn die Diskrepanz zwischen wahrgenommener und erwarteter Leistung positiv ist. Bleibt die wahrgenommene Leistung hinter den Erwartungen zurück, entsteht negative Diskonfirmation, und wenn die wahrgenommene Leistung genau dem Niveau der erwarteten Leistung entspricht, so wird von Konfirmation oder „zero confirmation“ gesprochen (vgl. Abbildung 4).107 Dieser Prozess verläuft dem Modell entsprechend rein kognitiv in einem sachlich-mathematischen Abgleich, weshalb Pieters, Koelmeijer und Roest von einem „customer-as-a-bookkeeper model“108 sprechen. Es ist jedoch fraglich, ob Kunden wirklich in jedem Fall eine derartige Buchführung von Erwartungen und wahrgenommener Leistung durchführen.109 Viele Produkte bzw. Produkteigenschaften entziehen sich einer numerisch quantifizierbaren Evaluation, wie z. B. der Komfort eines Autos. In anderen Fällen, wie zum Beispiel einem Kabarettbesuch, wäre zwar prinzipiell eine quantitative Erfassung der Leistung möglich (indem mitgezählt wird, wie oft man lachen musste), wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach vom Kunden nicht durchgeführt. Dennoch sind die meisten Personen nach Konsumption einer Leistung in der Lage, zumindest tendenziös anzugeben, ob diese den Erwartungen entsprochen hat oder nicht. In der Literatur dazu hat sich deshalb die Unterscheidung zwischen wahrgenommener und resultierender Diskonfirmation etabliert.110 Die wahrgenommene Diskonfirmation entspricht dabei der subjektiv wahrgenommenen Diskonfirmation des Kunden. Sie steht im Gegensatz zur resultierenden Diskonfirmation, bei der eine rechnerische Subtraktion von Punktwerten der Erwartungen und der wahrgenommenen Leistung stattfindet, so wie beispielsweise beim SERVQUAL-Ansatz111 zur Ermittlung der Dienstleistungsqualität vorgegangen wird. Die wahrgenommene (subjektive) Diskonfirmation wird hingegen typischerweise durch Fragen wie „Produkt X war besser als/ schlechter als/ genau wie erwartet“ auf einer Rating-Skala erhoben. Es erscheint sinnvoll, als Konzept von der wahrgenommenen Diskonfirmation auszugehen, da sie individuell vorgenommene Assimilations- und Kontrasteffekte bereits berücksichtigt. An106 107 108 109

110

111

Vgl. Homburg/Stock (2003), S. 22. Vgl. Oliver (1997), S. 104. Pieters, et al. (1995), S. 30 zitiert nach Stauss (1999), S. 7. Bloemer/Kasper (1995) und Bloemer/de Ruyter (1998) unterscheiden deshalb in manifeste und latente Zufriedenheit, wobei im ersten Fall explizit ein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt wird während ein derartiger bewusster Vergleichsprozess bei latenter Zufriedenheit nicht stattfindet. Vgl. Nader (1995), zitiert nach Griese (2002), S. 60. Bei Oliver entsprechen wahrgenommene und resultierende Diskonfirmation „subjektiver“ und „objektiver“ Diskonfirmation, vgl. Oliver (1997), S. 106ff. Vgl. Parasuraman, et al. (1988).

Modelltheoretische Konzeption der Kundenzufriedenheit

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zunehmen ist auch, dass das Produktartinvolvement einen entscheidenden Einfluss darauf ausübt, wie explizit und kognitiv der Vergleichsprozess durchgeführt wird.112 Außerdem ist nach derzeitigem Wissenstand über den innerpsychischen Ablauf des Vergleichsprozesses relativ wenig bekannt. Erfolgt der Vergleichsprozess beispielsweise aggregiert in Form eines Gesamturteils oder erfolgt dieser auf Ebene aller Leistungseigenschaften? Werden diese dann simultan oder sequentiell bewertet, und kommt es dabei zu Halo-Effekten? Wie werden unterschiedliche Leistungseigenschaften gewichtet und bewertet? Welchen Einfluss üben externe situative Faktoren aus, und welche Rolle spielt der Zeitpunkt einer Bewertung? Da es auf diese Fragen keine generellen Antworten zu geben scheint, sondern der Vergleichsprozess wahrscheinlich durch einen Mix an situativen und innerpsychischen Faktoren höchst individuell determiniert werden dürfte, erscheint die wahrgenommene Diskonfirmation das am besten geeignete Konzept dafür zu sein.

3.2.2.4 Kundenzufriedenheit als Ergebnis des Diskonfirmationsprozesses Als letzte Variable des C/D-Paradigmas entsteht Kundenzufriedenheit, die das Ergebnis des Diskonfirmationsprozesses darstellt. Dominierte in früheren Arbeiten noch die Ansicht, dass es sich dabei um ein rein kognitives Phänomen handle,113 so liegt neueren Arbeiten mittlerweile ein breiteres Verständnis von Kundenzufriedenheit zugrunde, das auch eine affektive Komponente des Begriffes impliziert. Zahlreiche empirische Studien, von denen die wichtigsten in Kapitel 5 erläutert werden, belegen, dass Emotionen im Entstehungsprozess der Kundenzufriedenheit in unterschiedlichem Ausmaß involviert sind. In diesem Zusammenhang gehen einige Forscher davon aus, dass unterschiedliche Qualitäten der Zufriedenheit existieren. So schlagen Stauss und Neuhaus114 fünf verschiedene Zufriedenheitstypen vor, die sich hinsichtlich ihrer Emotionen gegenüber dem Dienstleister und den Erwartungen an diesen über die zukünftige Leistungsfähigkeit unterscheiden. Implikationen hat die Typologisierung von Kunden in stabil Zufriedene, fordernd Zufriedene, resigniert Zufriedene, stabil Unzufriedene und fordernd Unzufriedene vor allem für die handlungsbezogenen Konsequenzen der Kundenzufriedenheit. Je nach Qualität der Zufriedenheit und Zuordnung zu einem der fünf Typen sind unterschiedliche Handlungsbereitschaften zu erwarten, den Dienstleister für Folgekäufe wieder in Erwägung zu ziehen. Die emotionale Komponente der Kundenzufriedenheit, wie sie Stauss und Neuhaus hier definieren, entspricht allerdings weniger einer Emotion im klassischen Sinne, sondern eher der affektiven Komponente des Einstellungskonstruktes. Emotional gefärbte Zustände, wie Vertrauen, Optimismus 112 113 114

Vgl. Matzler (1997), S. 222. Vgl. Westbrook/Oliver (1991), S. 84. Vgl. Stauss/Neuhaus (1997), Stauss/Neuhaus (2004).

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Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

oder Enttäuschung115, wie sie die beiden Autoren zur Charakterisierung ihrer fünf Zufriedenheitstypen verwenden, werden nämlich von den meisten Emotionstheoretikern nicht unter den Begriff „Emotion“ subsumiert.116 Betrachtet man diese aber als die affektive Komponente einer Einstellung, so wäre dies wiederum kongruent mit dem Verständnis von Kundenzufriedenheit als Beziehungsqualität117 oder kumulativer Zufriedenheit118. Auch Oliver119 unterscheidet zwischen fünf verschiedenen Qualitäten der Kundenzufriedenheit: Contentment, Pleasure, Relief, Novelty und Surprise. Im Gegensatz zu Stauss/Neuhaus weist Oliver bereits mit der Bezeichnung der fünf Zufriedenheitstypen auf eine emotionale Färbung und eine damit verbundene unterschiedliche inhaltliche Bedeutung des Konstruktes Kundenzufriedenheit hin. „[…] the same satisfaction ‚score’ could have different implications for different consumers and different purchase contexts by virtue of the emotions generated by the product experience.”120 Kundenzufriedenheit ist dabei eine Funktion der durch die Stärke der Diskonfirmation ausgelösten Aktivierung, der darauf folgenden Attributionsprozesse und aus diesen generierten Emotionen.121 „Contentment“ stellt eine schlichte Form der Zufriedenheit dar, bei der keine expliziten Erwartungen mehr gebildet werden, die Leistungswahrnehmung eher passiv abläuft und keine Diskonfirmation erwartet wird. Akzeptanz und Toleranz kennzeichnen diesen Zufriedenheitstyp, der etwa bei Gebrauchsgütern oder Gewohnheitskäufen auftritt.122 „Pleasure/Displeasure“ stellen Verstärkungszustände der herkömmlichen Zufriedenheit in entweder die positive oder negative Richtung dar. Bei diesem Zufriedenheitstyp liegen aktive Erwartungen und Leistungswahrnehmung vor, und Gefühlszustände wie Glück oder Traurigkeit prägen den Endzustand. Ist der Endzustand der Kundenzufriedenheit durch „Relief“ (Erleichterung) bzw. „Regret“ (Bedauern) geprägt, so ist dies das Ergebnis eines erfolgreichen bzw. erfolglosen Beseitigens eines unangenehmen Zustandes, wie beispielsweise einer Krankheit, eine Verteidigung vor Gericht o. Ä. Bei diesem Zufriedenheitstyp wird nach Oliver aktiv nach den Ursachen für ein Ereignis gesucht. Liegen dem Diskonfirmationsprozess keine Erwartungen oder nur sehr vage definierte Erwartungen zugrunde, so entsteht nach Oliver ein Zufriedenheitszustand der Neuheit („novelty“), der je nach Ergebnis von positiven oder negativen Gefühlen begleitet werden kann (z. B. bei einem Geschenk). Liegt eine außergewöhnlich starke Diskonfirmation vor, die außerhalb der für möglich gehaltenen Erwartungen fällt, so entsteht „satisfaction as surprise“123. Aufgrund des 115 116 117 118 119 120 121 122 123

Vgl. Stauss/Neuhaus (2004), S. 91. Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen in der vorliegenden Arbeit unter Kapitel 1. Vgl. Stauss/Seidel (2003). Vgl. Olsen/Johnson (2003). Vgl. Oliver (1989). Oliver (1989), S. 2. Vgl. ausführliche Darstellung zu Attributionsprozessen unter Exkurs: Attributionstheorie in dieser Arbeit. Vgl. Oliver (1989), S. 7f. Vgl. Oliver (1989), s. 10.

Platz für Emotionen im C/D-Paradigma

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unerwarteten Auftretens, stellt der Kunde hier Überlegungen zur Ursachenzuschreibung an, woraus wiederum positive oder negative Emotionen entstehen, die den Endzufriedenheitszustand prägen. Oliver ist damit einer der ersten und bislang auch wenigen Autoren, die im Prozess der Zufriedenheitsgenese den Einfluss von Emotionen nicht nur postulieren, sondern auch nach der Entstehung dieser und ihrer Position im C/D-Paradigma fragen. Problematisch bleibt in dieser konzeptionellen Ausarbeitung allerdings die Zuordnung verschiedener Emotionen, die aus einem Attributionsprozess erfolgen können. So sieht Oliver die Emotion „Dankbarkeit“ beispielsweise als möglichen Bestandteil des Zufriedenheitstyps „Novelty“, unverständlicherweise aber nicht des Typs „Relief“. Dabei dürfte gerade bei Erleichterung, wenn sie unter Mitwirkung fremder Hilfe herbeigeführt wurde, die Emotion Dankbarkeit entstehen. Auch dürften die Grenzen zwischen Zufriedenheit als „Novelty“ und Zufriedenheit als „Surprise“ etwas verschwimmen, da Oliver „surprise“ auch als Emotion von „Novelty“ inkludiert. Die Diskussion insgesamt zeigt, dass bei genauerer Betrachtung das Konstrukt Kundenzufriedenheit keineswegs ein rein kognitives Phänomen darstellt, wie dies im C/DParadigma postuliert wird. Dass Kundenzufriedenheit als Endergebnis des Diskonfirmationsprozesses eine emotionale Färbung annehmen kann, wurde in vorangehenden Ausführungen deutlich. Wo im C/D-Paradigma auch bei anderen Komponenten Emotionen eine Rolle spielen könnten, sollen die folgenden Überlegungen zeigen. 3.3 Platz für Emotionen im C/D-Paradigma Die Integration von Emotionen im C/D-Modell wäre prinzipiell bei allen Komponenten denkbar, bzw. wurde dies auch in verschiedenen Studien in unterschiedlicher Form aufgezeigt. Griese124 geht beispielsweise davon aus, dass personenbedingte emotionale Dispositionen (peD) die Bereitschaft determinieren, bestimmte emotionale Zustände, Funktionen und Reaktionen zu zeigen, und damit auf alle vier Komponenten des C/DModells einwirken (vgl. Abbildung 8). Prinzipiell stimmt die Autorin diesen Annahmen zu, allerdings gibt das Modell von Griese keinerlei Aufschluss darüber, in welcher Form Emotionen integrierbar sind bzw. welche Wechselwirkungen zwischen Emotion und Wahrnehmung denkbar sind. Die Kernaussage des Modells besagt, dass das Ausmaß an alltagsbezogenen Emotionen mit dem Niveau von bankbezogenen Emotionen kovariiert. Damit sind laut Griese nicht situative Umstände für das Auftreten von Emotionen im Bankenkontext verantwortlich, sondern diese sind personenbedingt.125 Griese analysiert sein Modell aber nicht anhand eines Strukturgleichungsmodells. Die Funktion der Emotionen, wo im C/D-Paradigma Emotionen entstehen, und 124 125

Vgl. Griese (2002). Vgl. Griese (2002), S. 217f.

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Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

auf welche Komponenten sie in welcher Stärke bei simultaner Analyse Einfluss nehmen, kann daher nicht beurteilt werden.

Abbildung 8: peD als Determinanten von Emotionen im C/D-Modell nach Griese126

Das Modell von Griese besitzt aber insofern interessante Anknüpfungspunkte für die vorliegende Arbeit, als dass hier bereits angedacht wird, dass Emotionen in Konsumsituationen nicht ausschließlich durch die Situation determiniert werden, sondern durch in der Person des Kunden liegende Faktoren beeinflusst werden. In Kapitel 0 dieser Arbeit wird der Zusammenhang zwischen überdauernden Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen noch näher dargestellt.

3.3.1 Emotionen bei der Erwartungskomponente Hinsichtlich der Erwartungskomponente im C/D-Modell wären unterschiedliche Emotionen denkbar: man freut sich z. B. auf eine Wanderung, befürchtet schlechtes Wetter, hat Angst vor der Schlüsselstelle, etc. Hier wird deutlich, dass gerade in der Erwartungskomponente bereits ein breites Emotionsspektrum vorhanden sein kann.127 Hinsichtlich der Operationalisierung dieser stellt sich allerdings das gleiche Problem, wie bei Erwartungen allgemein unter Punkt 3.2.2.1 beschrieben, sodass eine explizite direkte Messung wenig sinnvoll erscheint.

126 127

Quelle: Griese (2002), S. 114 (leicht modifiziert). Vgl. Phillips/Baumgartner (2002), die Autoren zeigen, dass emotionale Erwartungen die Wahrnehmung der Leistungsattribute beeinflusst.

Platz für Emotionen im C/D-Paradigma

31

3.3.2 Emotionen bei der Ist-Komponente Bei der Ist-Komponente ist dagegen eher davon auszugehen, dass Emotionen als Reaktion auf wahrgenommene Leistungsattribute entstehen. Im Rahmen einer Bergtour könnte beispielsweise Freude über die landschaftliche Schönheit entstehen, oder Stolz auf die konditionelle Leistung, aber auch z. B. Scham aufgrund einer Bloßstellung durch ein anderes Gruppenmitglied. Dabei ist wahrscheinlich, dass zuerst eine kognitive Einschätzung und Bewertung des Reizes vorgenommen wird und darauf eine entsprechende Emotion entsteht.128 Detailliert wird die emotionstheoretische Debatte über die Kognitions-Emotions-Sequenz in Kapitel 4.3.4 diskutiert. Modelltheoretisch könnten Emotionen dabei als unabhängige Variable mit Einfluss auf die Kundenzufriedenheit modelliert werden, oder aber als vermittelnde Variable zwischen Leistungsattribut und Kundenzufriedenheit.129

3.3.3 Emotionen bei der Diskonfirmation Geht man davon aus, dass Emotionen in den meisten Fällen durch kognitive Einschätzung entstehen (vgl. Kapitel 4.3.4), so wären Emotionen auch als Folge von Diskonfirmation sehr plausibel in das C/D-Paradigma integrierbar. Hier bietet auch die im Rahmen der Kundenzufriedenheitsgenese oft als substitutiv herangezogene Attributionstheorie einen interessanten Anknüpfungspunkt.130 Die im Wesentlichen von Bernard Weiner131 weiterentwickelte Attributionstheorie geht davon aus, dass bei unerwarteten, negativen und für die Person sehr wichtigen Ereignissen ein Prozess der Ursachenzuschreibung im Individuum ausgelöst wird (siehe Exkurs: Attributionstheorie).

128 129 130

131

Vgl. McCrae/John (1992). Vgl. dazu Forberger (2000), S. 63; Oliver (1993); Evrard/Aurier (1994). Mittlerweile hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass die Attributionstheorie eher komplementär als substitutiv zum C/D-Paradigma zu sehen ist. Vgl. Matzler (1997), Oliver (1997), Homburg/Stock (2003). Vgl. Weiner (1986).

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

32

Exkurs zur Attributionstheorie Die im Zusammenhang mit der Kundenzufriedenheitsforschung oft untersuchte Attributionstheorie geht auf die Emotionstheorie des amerikanischen Psychologen Bernard Weiner zurück.132 Die Attributionsforschung beschäftigt sich mit den Prozessen, aufgrund derer Personen die Ursachen von eigenem und fremdem Verhalten schlussfolgern. Attribution lässt sich dabei „[...] als jener Interpretationsprozess der Erfahrungswelt definieren, durch den der Einzelne sozialen Ereignissen und Handlungen Gründe bzw. Ursachen zuschreibt.“133 Damit beschäftigt sich die Attributionstheorie mit „naiver Psychologie“134, oder Alltagspsychologie135. Sie versucht Antworten auf Fragen zu geben wie: Warum ist ein Lehrer der Meinung, ein Schüler sei zu wenig begabt, und nicht zu wenig fleißig? Wie komme ich zur Überzeugung eine Einladung aus Sympathie, und nicht aus bloßer Höflichkeit, erhalten zu haben? Weiners Emotionstheorie baut wesentlich auf dem 1958 erschienen Werk von Heider „The psychology of interpersonal relations“ auf, welches auch den Anstoß für die Attributionsforschung gab. In seinem Werk geht Heider davon aus, dass das Verständnis und das Erklären von Ereignissen und Handlungen von Individuen ausschlaggebend seien für die Kontrolle und die Vorhersage von deren Verhalten. In einer „naiven Handlungsanalyse“ nehmen Individuen Interpretationen von Ereignissen vor und suchen nach deren Ursachen. Wesentlich für die aufbauenden Arbeiten von Weiner war die von Heider postulierte Klassifikation von Ursachen, laut der zur Erklärung von Handlungsergebnissen (Erfolg oder Misserfolg) vier Ursachen herangezogen werden können:136 Fähigkeit und Anstrengung bilden die effektive Kraft der Person und sind multiplikativ verknüpft, das bedeutet wenn einer der beiden Faktoren den Wert Null hat, ist auch die effektive Kraft der Person Null; Schwierigkeit und Zufall setzen sich zur effektiven Kraft der Umgebung zusammen und sind additiv mit einander verbunden.137 Weiner greift die Dimensionen von Heider auf. Seiner Ansicht nach lassen sich Kausalattributionen nach bestimmten Merkmalen von Ursachen in einige wenige, funktional gleichwertige Gruppen klassifizieren:138 Personenabhängigkeit, Stabilität über die Zeit und Kontrollierbarkeit. Die grundlegendste Unterscheidung von Ursachen, welche von Heider gemacht und von Weiner modifiziert übernommen wurde, besteht in der Beurteilung darüber, ob der Grund für ein Ergebnis in der Person selbst oder außerhalb von ihr liegt. Was

132 133 134 135 136 137 138

Vgl. Reisenzein, et al. (2003), S. 93. Six B. 1994, S. 122. Vgl. Heider (1958). Meyer/Schmalt (1984). Heider (1958), Heider (1977). Vgl. Meyer/Försterling (1993). Vgl. Weiner (1986), S. 44.

Platz für Emotionen im C/D-Paradigma

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Heider als „namely the factors within the person and factors within the environment“139 nennt, legt Weiner auf einem bipolaren Kontinuum mit den Polen internal/external fest und wird als Ort (Lokus) der Ursache bezeichnet.140 Ob eine Ursache als stabil oder instabil eingestuft wird, erfolgt auf der zweiten bipolaren Dimension von Weiner, der Stabilität.141 Die dritte von Weiner ausgearbeitete Dimension zur Klassifikation von Ursachen wurde ursprünglich von Rosenbaum (1972)142 erstmals vorgeschlagen. Die Dimension der Kontrollierbarkeit betrifft den Grad, zu dem eine Ursache der willentlichen Kontrolle der Person unterliegt und von ihr durch physische oder mentale Aktivitäten beeinflusst werden kann.143 Während beispielsweise Begabung nicht kontrollierbar ist, erscheint das Maß der Anstrengung sehr wohl durch die Person kontrollierbar. Zusammenfassend ergeben sich dadurch acht verschiedene Kombinationsmöglichkeiten zur Beschreibung von Ursachen, die in nachstehender Abbildung veranschaulicht werden.

Abbildung 9: Klassifikation der Ursachen nach Weiner144

Würde es in einer Konsumsituation zu einer unerwartet starken Diskonfirmation kommen, so könnten auch hier, wie dies auch Oliver145 andeutet, entsprechende Attributionsüberlegungen stattfinden. Bitner146 modelliert hier den Attributionsprozess zwischen Diskonfirmation und Zufriedenheit, was im Übrigen auch Homburg et al.147 in ihrer Darstellung des C/D-Paradigmas als integrativen Rahmen tun. Problematisch erscheint diese Positionierung des Attributionsprozesses deshalb, weil sie voraussetzt, dass das Ereignis und der Ursachenhinweis zeitgleich vorliegen, was, wie Gross-

139 140 141 142 143 144 145 146 147

Heider (1958), S. 82. Vgl. Weiner (1986), S. 44. Vgl. Weiner (1986), S. 46. Vgl. Rosenbaum 1972. Vgl. Weiner (1986), S. 50; vgl. Reisenzein, Meyer et al. 2003, S. 100. Quelle: Eigene Darstellung nach Weiner (1986). Vgl. Oliver (1989). Vgl. Bitner (1990), S. 71 zitiert nach Groß-Engelmann (1999), S. 149. Vgl. Homburg/Stock (2003), S. 21.

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

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Engelmann zu Recht anmerkt, nicht zwangsläufig der Fall sein muss.148 In Hinblick auf die Entstehung von Emotionen aber erscheint es plausibler, dass bei Eintreten eines unerwarteten Ereignisses unmittelbar eine Emotion auftritt (vgl. Abbildung 10). Wer beispielsweise auf einem Transatlantikflug einen Sitzplatz in der Nähe des Notausganges bucht, um mehr Beinfreiheit zur Verfügung zu haben, und sich stattdessen auf einem Sitzplatz vor der Bordwand wieder findet, wird zunächst nicht lange Ursachenzuschreibungen betreiben, sondern höchstwahrscheinlich unmittelbar Ärger empfinden. Kommt dann der kognitive Attributionsprozess auf den Dimensionen Ort (Lokus), Stabilität und Kontrollierbarkeit in Gang, so wäre es denkbar, dass sich die Emotion noch einmal ändert. Würde die Flugbegleiterin beispielsweise erklären, dass der Sitz einer Person mit einem Gipsfuß zur Verfügung gestellt werden musste, so könnte dies sogar in Mitleid gegenüber dieser Person münden und den negativen Einfluss der Emotion auf die Flugzufriedenheit schmälern. Die Einschätzung auf den drei Dimensionen dürfte dabei in unterschiedlichem Ausmaß Bedeutung für die Komponenten des C/D-Modells besitzen. Die Einschätzung des Ereignisses auf der Stabilitätsdimension dürfte sich auf die Erwartungen über das zukünftige Leistungsniveau des Anbieters, und eventuell auch auf die Erwartungen gegenüber der Produktkategorie insgesamt – in Form einer Einstellungsveränderung – auswirken. Im Fall des genannten Beispiels wäre der Vorfall einer variablen Ursache zuzuschreiben, was die Erwartungen, dass eine Sitzplatzreservierung von der Fluglinie grundsätzlich zuverlässig durchgeführt wird, nicht herabsetzen dürfte.

Abbildung 10: Mögliche Integration attributionsabhängiger Emotionen im C/D-Modell149

148 149

Vgl. Groß-Engelmann (1999), S. 149. Quelle: Eigene Darstellung.

Platz für Emotionen im C/D-Paradigma

35

Die Dimension der Kontrollierbarkeit hat vor allem Auswirkungen auf das Nachkaufverhalten, wobei sich die reine Kontrollierbarkeit von der Verantwortlichkeit durch den Normbezug unterscheidet. Während bei Beurteilung über die Kontrollierbarkeit danach gefragt wird, ob der/die Betreffende anders hätte „handeln können“, bezieht sich die Feststellung der Verantwortlichkeit darauf, ob jemand den gesellschaftlichen Normen entsprechend hätte anders handeln sollen oder müssen.150 Laut Müller sind Verantwortlichkeitszuschreibungen eine Funktion „der Wahrnehmung relativer Anteile von Umwelt- und Personenkräften am Verhaltensresultat“151. Wer für ein negatives Ereignis verantwortlich ist, hat eine vom Beurteiler akzeptierte soziale Norm verletzt, die sanktioniert wird. In Zusammenhang mit Weiners Emotionstheorie und Kundenzufriedenheit würden sich solche Sanktionen in Form von Abwanderung oder negativer Mundwerbung von Seiten des Kunden manifestieren. Die Unterscheidung zwischen Kontrollierbarkeit und Verantwortlichkeit ist besonders wesentlich, da bei vorliegender Kontrollierbarkeit unter Umständen von einer Verantwortungszuschreibung152 Abstand genommen werden kann, wenn nämlich, wie im vorliegenden Beispiel, mildernde Umstände vorliegen. Diese können insbesondere bei Normkonflikten in Betracht gezogen werden, wenn sich die handelnde Person in einer Situation befindet, in der mehrere einander widersprechende Normen Verbindlichkeitscharakter haben. In solchen Situationen gestalten sich die Sanktionen gänzlich anders, als bei zugeschriebener Verantwortlichkeit. In Bezug auf den Ort der Ursachenzuschreibung, haben Studien gezeigt, dass Individuen bei erfolgreichen oder positiven Ereignissen eher sich selbst die Ursache zuschreiben, und umgekehrt bei Misserfolg oder negativem Ausgang die Ursachen auf Faktoren außerhalb der eigenen Person attribuiert werden.153 Diese Art von Fehlattributionen wird als „self-serving bias“154 bezeichnet. Eindrucksvoll kommt dieser Effekt auch in der Studie von Folkes und Kotsos155 zum Ausdruck, in der Konsumenten und Verkäufer nach den Gründen für aufgeplatzte Nähte bei Jeans gefragt wurden. Wäh150 151 152

153 154 155

Vgl. Reisenzein, et al. (2003), S. 115f. Müller (1981), S. 89. Shaver (1975) unterscheidet fünf verschiedene Stufen der Interaktion zwischen Person und Umwelt, die das Ausmaß der Verantwortlichkeitszuschreibung determinieren: Assoziation: Eine Person steht mit einem Ereignis in zufälliger, aber nicht kausaler Verbindung Kausalität: Ein Handlungseffekt wurde von einer Person initiiert, war jedoch von ihr weder intendiert noch absehbar Absehbarkeit: Eine Person konnte die Folgen des Handelns absehen, hat diese aber nicht intendiert. Absicht: Eine Person intendierte einen Handlungseffekt und wird als die persönliche Ursache dieses Effektes wahrgenommen Entschuldbarkeit: Eine Handlung wurde mit absehbarem Effekt intendiert und initiiert, die Person hatte aber keine freie Wahl oder wurde gezwungen. Das volle Ausmaß der Sanktionen wird bei einer Verantwortlichkeitszuschreibung immer dann erfolgen, wenn eine Person ohne äußeren Zwang eine Handlung verursacht und intendiert hat und deren Folgen für sie absehbar waren, zitiert nach Schettgen (1991) S. 274f. Vgl. Bendapudi/Leone (2003), S. 274. Vgl. Wolosin, et al. (1973). Vgl. Folkes/Kotsos (1986).

Theoretische Ausführungen zur Kundenzufriedenheit

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rend die Konsumenten mangelnde Qualität und schlechte Verarbeitung als Ursachen angaben, hielten die Verkäufer den Konsumenten dafür verantwortlich, der die falsche Größe kaufte oder einfach „too fat“156 war. Die vorliegenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Entstehung von Kundenzufriedenheit keineswegs ein rein kognitiver Prozess sein muss. Auch wenn das C/DParadigma ursprünglich von einer rein kognitiven Verarbeitung von Konsumerlebnissen ausgeht, so lassen sich doch bei allen Komponenten des Modells emotionale Einflussfaktoren oder Konsequenzen integrieren.

156

Folkes/Kotsos (1986), S. 76.

4 Emotionen Die Alltagserfahrung weist darauf hin, dass Emotionen ein zentrales Phänomen in unserem Leben sind, denn es vergeht beinahe kaum ein Tag, an dem wir nicht emotionale Zustände wie Freude, Angst oder Ärger empfinden. Diese Zustände sind meist mit Ereignissen verbunden, die für uns von persönlicher Relevanz sind, wenn wir zum Beispiel Freude über ein Geschenk oder Ärger über einen rücksichtslosen Autofahrer empfinden. Und, Emotionen gehen meist mit Handlungsimpulsen einher, das heißt wir verspüren den Drang jemanden zurechtzuweisen, über den wir uns ärgern, usw. Der Bedeutung von Emotionen für das alltägliche Leben entsprechend hat die Emotionsforschung an sich eine sehr lange Tradition und findet ihre Wurzeln in der Philosophie, die bis auf den antiken griechischen Philosophen Aristoteles zurückgehen.157 Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich die institutionalisierte Psychologie für etwa 50 Jahre mit Emotionen und brachte die Theorien von Watson, James und Wund hervor158, von denen einige nachstehend vorgestellt werden sollen. Zwischen 1920 und 1960 dominierte der Behaviorismus das wissenschaftliche Weltbild, wodurch das Interesse an Emotionen praktisch erlosch, da die Behavioristen ausschließlich beobachtbare Reaktionen und die sie verursachenden beobachtbaren Reize als Untersuchungsgegenstand anerkannten. Psychische Zustände für die Erklärung von Verhalten wurden als nicht notwendig angesehen. Eine Änderung brachte Mitte der Sechzigerjahre die „kognitive“ Wende, die auch das Interesse an Emotionen als innere psychische Zustände erneut entfachte. Heute ist die Emotionspsychologie eine der lebendigsten Disziplinen der Psychologie, die eine unüberschaubare Anzahl an Beiträgen in eigenen Fachzeitschriften (Motivation and Cognition, Cognition and Emotion, Emotions) hervorbrachte. In diesem Kapitel sollen zunächst eine Arbeitsdefinition von Emotionen sowie die wichtigsten Emotionstheorien und ihre Vertreter vorgestellt werden. Weitere Schwerpunkte bilden die Struktur von Emotionen und die Messung von Emotionen, um für die Fülle an Messinventaren eine systematische Klassifizierung zu treffen, die auch für die Messung von Emotionen im Marketingkontext relevant ist. 4.1 Definition des Emotionsbegriffes In Kontrast zur Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit von Emotionen steht die Schwierigkeit der Wissenschaft, ein gemeinsames Verständnis des Emotionsbegriffes 157

158

Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 15. Aristoteles kann dabei als frühester Vorläufer von kognitiven Emotionstheoretikern gesehen werden, der bereits Vorformen von Einschätzungsmustern formulierte. Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 12ff.

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Emotionen

und damit eine allgemein akzeptierte Definition zu entwickeln.159 Wenger, Jones und Jones haben bereits 1962 viel zitiert festgestellt: „Emotion ist ein eigentümliches Wort. Fast jeder glaubt seine Bedeutung zu verstehen, bis er es zu definieren versucht. Dann behauptet praktisch niemand mehr, es zu verstehen.“160 Und auch Perkun konstatiert, „Der Begriff ‚Emotion’ gehört zu denjenigen psychologischen Begriffen, bei denen ein Kern gemeinsamer Begriffsverwendungen nur unter Schwierigkeiten auszumachen ist.“161 Der Grund für dieses Dilemma ist zum einen darin zu finden, dass es sich bei Emotionen um innerpsychische Zustände handelt, die auftreten können, ohne Verweise auf die Außenweltsachverhalte zu hinterlassen, d. h. intersubjektiv nicht nachvollziehbar sind.162 Zum zweiten ergibt sich die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Definitionen aus den unterschiedlichen theoretischen Zugängen, die von Autoren gewählt werden.163 Entsprechend der großen Anzahl von Emotionstheorien konnten Kleinginna und Kleinginna bereits 1981 über 90 verschiedene Definitionen in der Literatur feststellen, die sich zu 11 Kategorien mit unterschiedlichen Foki verdichten ließen.164 Trotz der Begriffsdifferenzen erkennen die meisten Emotionstheoretiker zumindest drei Aspekte von Emotionen als für sie charakteristisch an, wodurch sich ein kleinster gemeinsamer Nenner definieren lässt:165 x Der Erlebensaspekt oder das subjektive Empfinden des Gefühls. x Die physiologische Reaktion: darunter werden körperliche Veränderungen wie z. B. Schwitzen, Erröten aber auch Erhöhung der Herzrate und vermehrte biochemische Aktivität im Körper verstanden. Diese werden vom Nervensystem aus gesteuert und sind vom Betroffenen selbst kaum beeinflussbar. x Der Verhaltensaspekt: dieser kann einerseits in dem für eine Emotion spezifischen Gesichtsausdruck und der einhergehenden Gestik gesehen werden, z. B. einem Lachen beim Empfinden von Freude, andererseits aber auch in konkreten Handlungsimpulsen, z. B. Flucht als Verhalten bei Angst, oder Vermeidung bei Ekel. Die Akzeptanz dieser drei Komponenten als Charakteristika von Emotionen impliziert, dass die Beziehungen zwischen ihnen empirisch auch beobachtbar sein müssten, was praktisch aber nicht nachweisbar ist. Die einzelnen Komponenten korrelieren oft nur

159 160 161 162 163 164 165

Vgl. Bottenberg/Dassler (2002), S. 11. Wenger, Jones und Jones (1962) zitiert nach Bottenberg/Dassler (2002), S. 11. Perkun (1988), S. 96. Vgl. Perkun (1988), S. 97. Vgl. Bottenberg/Dassler (2002), S. 12. Vgl. Kleinginna/Kleinginna (1981), S. 345. Vgl. Izard (1999), S. 20; vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 26; vgl. Bottenberg/Dassler (2002), S. 15.

Definition des Emotionsbegriffes

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geringfügig miteinander und teilweise liegen auch Belege für inverse Beziehungen vor.166 Deshalb soll für die vorliegende Arbeit über diese drei Aspekte hinaus der Ansatz von Meyer, Reisenzein und Schützwohl167 als Arbeitsdefinition herangezogen werden. Folgende Merkmale sind demnach für Emotionen typisch: a) Sie sind aktuelle psychische Zustände von Personen und zeitlich datierte, unwiederholbare Ereignisse: Emotionen treten demnach in einem zeitlich begrenzten Bereich auf und jede Emotion ist ein unwiederholbares Vorkommnis. Wenn wir zum Beispiel Ärger über einen rücksichtslosen Autofahrer empfinden, so tritt dieser Ärger unmittelbar in dieser Situation auf, hält eine Weile an und verflüchtigt sich schließlich wieder. Die zeitliche Begrenztheit von Emotionen ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, um diese von dem verwandten Konstrukt der emotionalen Disposition zu differenzieren. Diese beschreibt eine erhöhte Bereitschaft zum Auftreten von gewissen emotionalen Zuständen. In dem dargestellten Beispiel läge eine emotionale Disposition dann vor, wenn man auch noch Stunden nach dem Vorfall Ärger empfindet, der zum Beispiel dann auftritt, wenn man sich an die Situation wieder erinnert und jemandem davon erzählt. Sind solche Dispositionen recht globaler Natur und stabil, nehmen sie eine spezifische Art von Persönlichkeitseigenschaften an, die auch Traits genannt werden. b) Emotionen haben eine Qualität, Intensität und Dauer Emotionen lassen sich anhand von drei Merkmalen klassifizieren bzw. gruppieren. Das wichtigste Merkmal stellt dabei die Qualität der Emotion dar, womit die spezifische Färbung einer Emotion benannt wird, wie zum Beispiel „Freude“, „Angst“ und „Ärger“ (im herkömmlichen Sprachgebrauch wird die Qualität von Emotionen mit dem Begriff Emotionen meist gleichgesetzt). Die Intensität einer Emotion bildet das zweite wichtige Gruppierungsmerkmal für Emotionen. Demnach werden Emotionen, die bereits nach ihrer Qualität gekennzeichnet sind, auch noch durch ihre Stärke bewertet. Man spricht hier etwa von großer Freude, extremem Ärger oder ein wenig Angst. Für die einzelnen Intensitätsstufen werden oft auch unterschiedliche semantische Bezeichnungen verwendet, wodurch die Unterscheidung zwischen Qualität und Intensität schwierig wird (z. B. Zorn als stärkere Version der Emotion Ärger).168 166 167 168

Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 26 und dort zitiert Izard (1977). Vgl. hierzu und im Folgenden Meyer, et al. (2001), S. 24ff. Vgl. Winder (2004), S. 25ff.

Emotionen

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Die Dauer wurde bereits unter Punkt a) behandelt: Emotionen erstrecken sich demnach über einen relativ kurzfristigen Zeitraum und sind von der emotionalen Disposition abzugrenzen. c) Emotionen sind in der Regel objektgerichtet Damit ist gemeint, dass sich Emotionen auf „Etwas“ beziehen (man freut sich über ein Geschenk; man hat Angst vor einem Ereignis, etc.). Ein wichtiges Merkmal dabei ist, dass diese Objekte nicht unbedingt real zu existieren brauchen, sondern die Überzeugungen und Interpretationen der Person für die Emotionsentstehung ausschlaggebend sind (eine Person ärgert sich z. B. über einen vermeintlich verspäteten Zug, obwohl in Wirklichkeit die eigene Uhr falsch geht). 4.2 Abgrenzung von verwandten Begriffen 4.2.1 Emotion versus Affekt Der Begriff „Affekt“ wird im deutschen Sprachgebrauch anders gehandhabt als im Englischen. Während im Deutschen unter Affekt oftmals kurzfristig auftretende Gefühle verstanden werden, die kognitiv wenig kontrolliert und inhaltlich kaum differenziert sind,169 wird der englische Begriff „affect“ häufig als Synonym für Emotionen verwendet oder dient als Oberbegriff für Emotionen und Stimmungen.170 Ebenfalls wird in der einschlägigen Literatur mit „affect“ oftmals die Valenz (negativ oder positiv) oder der Erlebensaspekt einer Emotion bezeichnet („[…] affect figures as an aspect of the felt appraisal of events“171).172

4.2.2 Emotion versus Stimmung Stimmungen werden von Emotionen meist durch die folgenden drei Kriterien unterschieden: 1) durch ihre längere Dauer, 2) ihre geringere Intensität und 3) eine gewisse Unbestimmtheit bzw. Globalität.173 Stimmungen werden demnach in ihrer Intensität weniger stark, dafür aber länger empfunden als Emotionen.174 „In einer ängstlichen Stimmung sein“ bedeutet daher, sich über eine längere Zeitspanne hinweg ängstlich zu fühlen, ohne jedoch konkret Angst vor etwas (hier das dritte Kriterium der Unbestimmtheit) zu haben. 169 170 171 172 173 174

Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 100. Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 39. Fridja (1993b), S. 383. Vgl. Otto, et al. (2000a), S. 13 in Otto, et al. (2000b). Vgl. Fridja (1993b), S. 381. Cohen und Areni sprechen beim Begriff „mood“ von „milder instances of emotions“, vgl. Cohen/Areni (1991), S. 191 in Robertson/Kassarjian (1991).

Emotionstheorien

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4.2.3 Emotion versus Gefühl Schließlich sind Emotionen noch von anderen Gefühlen wie Schmerz, Hunger und Durst abzugrenzen. Die häufig synonyme Verwendung der Begriffe hat sowohl in der Vergangenheit (bei James, 1894) als auch in der Gegenwart heftige Kontroversen hervorgerufen.175 Perkun sieht als mögliches Unterscheidungskriterium den Umstand, dass affektive Anteile von Emotionen keine Sachverhalte repräsentieren, die außerhalb des zentralen Nervensystems lokalisiert sind. Andere Gefühle dagegen schon: denn sowohl bedürfnisorientierte Gefühle (Hunger, Durst) als auch körperlicher Schmerz sind physiologisch definierbare Zustände des Körpers.176 4.3 Emotionstheorien Zur Klassifikation von Emotionstheorien sei hier in einem ersten Schritt auf die historische Entwicklung der psychologischen Forschungsparadigmen verwiesen, welche die Art und Weise wie an den Forschungsgegenstand Emotion herangegangen wurde, wesentlich beeinflussten und unterschiedliche Theorien hervorbrachten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte der Behaviorismus das wissenschaftliche Weltbild, was zur Folge hatte, dass nicht beobachtbare Prozesse im Bewusstsein nicht als Forschungsgegenstand anerkannt wurden.177 Alle innerpsychischen Vorgänge zwischen der Verhaltensreaktion und dem sensorischen Input stellten eine Black Box dar; die Introspektion als Zugang zum unmittelbar Erlebten wurde als Forschungsmethode dabei strikt abgelehnt. Mit dem Aufkommen der Kognitionswissenschaften Mitte des 20. Jahrhunderts entfachte auch wieder das Interesse an der Erklärung der Vorgänge innerhalb der Black Box. Beschäftigten sich ihre Vertreter zunächst noch eher mit unbewussten Prozessen so wenden sich in jüngerer Zeit viele wieder den bewussten Inhalten als Forschungsgegenstand zu. Abbildung 11 zeigt modellhaft die Forschungsparadigmen, welche die Emotionswissenschaften beeinflussten.

175 176 177

Vgl. Otto, et al. (2000a), S. 14. Vgl. Perkun (1988), S. 100. Vgl. hierzu und im Folgenden LeDoux (2001), S. 30f.

Emotionen

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Introspektive Psychologie Bewusster Inhalt

Sensorischer Input

Verhaltenspsychologie Verhaltensreaktion

Sensorischer Input

Kognitionswissenschaft Speicherung

Sensorischer Input

Verarbeitung

Mehr Verarbeitung

Noch mehr Verarbeitung

Bewusster Inhalt

Abbildung 11: Forschungsparadigmen178

Für die Einordnung der unterschiedlichen Emotionstheorien sei im Folgenden der Systematik von Ulich und Mayring179 und Meyer et al.180 gefolgt, die eine Klassifizierung anhand der zentralen Fragestellung favorisieren. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich x lernpsychologische Emotionstheorien, x evolutionspsychologische Emotionstheorien, x kognitiv-physiologische Emotionstheorien, x kognitive Emotionstheorien und x neuro- und psychophysiologische Emotionstheorien unterscheiden. Dabei muss beachtet werden, dass es zwischen den einzelnen Gruppen von Emotionstheorien keine exakten Abgrenzungen gibt, und daher eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Theorien nicht immer möglich ist. Die vorliegende Systematik soll daher als Orientierungs- und Einordnungshilfe für eine Fülle von Emotionstheorien dienen. Ebenso wenig kann in der nachfolgenden Darstellung der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, es sollen exemplarisch die wichtigsten Grundannahmen und die Vertreter der ersten drei aufgelisteten Emotionstheorien vorgestellt wer178 179 180

Quelle: Vgl. LeDoux (2001), S. 30. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 62ff. Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 44ff.

Emotionstheorien

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den. Auf eine genauere Darstellung der neuro- und psychophysiologischen Emotionstheorien wird hier aus Platz- und inhaltlichen Gründen verzichtet. Für einen Überblick möglicher Beiträge aus der Gehirnforschung und der Neurowissenschaft sei hier auf den Beitrag von Scherer181 sowie die einschlägige Literatur verwiesen. Die wichtigsten Forschungserkenntnisse dazu und ihre Implikationen vor allem für die Emotionsmessung wurden jedoch unter Punkt 4.5.3, Messung der physiologischen Reaktion, in diese Arbeit integriert. Anschließend an die jeweiligen Darstellungen der lernpsychologischen, evolutionspsychologischen und kognitiven Emotionstheorien soll ihr Erklärungsgehalt hinsichtlich der Emotionsentstehung der im Rahmen dieser Arbeit erfolgten empirischen Studie ergründet werden. Gegenstand der empirischen Untersuchung war die Zufriedenheit mit Dienstleistungen mit hohem persönlichem Erlebnischarakter, konkret eine hochalpine Bergtour, die mit oder ohne Bergführer unternommen wurde. In diesem Abschnitt sollen die verschiedenen emotionstheoretischen Ansätze dahingehend überprüft werden, ob sie sich dazu eignen, die Entstehung von Emotionen während einer Bergtour zu erklären.

4.3.1 Lernpsychologische Theorien Die lernpsychologischen Emotionstheorien gehen von der Annahme aus, dass Emotionen zu einem überwiegenden Teil erlernt sind und beschäftigen sich daher mit der Frage, durch welche Lernerfahrungen bestimmte Objekte oder Ereignisse, die zunächst keine Emotionen auslösten, die Fähigkeit erlangen, Emotionen hervorzurufen.182 Die klassischen Vertreter der lernpsychologischen Theorien waren behavioristisch orientiert und verstanden Emotionen dementsprechend als Reaktionen auf bestimmte Reize. Der wichtigste Vertreter lernpsychologischer Emotionstheorien war John B. Watson183, der seine emotionstheoretischen Überlegungen im Rahmen seiner allgemeinen behavioristischen Theorie des Verhaltens veröffentlichte. Watson verstand unter Emotion „[…] an hereditary pattern-reaction involving profound changes of the bodily mechanism as a whole, but particularly of the visceral184 and glandular systems. By pattern-reaction we mean that the separate details of response appear with some constancy, […] in […] the same sequential order each time the exciting stimulus is presented.“185 Aus dieser Definition wird deutlich, dass Watson zwei Arten von Emotionen unterscheidet: ungelernte (also angeborene) und ge181 182 183 184

185

Vgl. Scherer (1993). Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 45. Vgl. Watson (1994). Viszera: im Inneren der Schädel-, Brust-, Bauch – und Beckenhöhle gelegene Organe (Eingeweide), vgl. Duden Fremdwörterbuch 1990. Watson (1919), S. 165.

Emotionen

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lernte Emotionen. Aufgrund seiner Versuche bei Neugeborenen identifiziert Watson für den Bereich der ungelernten Emotionen drei Basisreaktionsmuster, die von Geburt an bei jedem Menschen vorhanden sind: UNKONDITIONIERTER REIZ Laute Geräusche, Verlust von Halt

EMOTION Furcht

Behinderung von Körperbewegung

Wut

Streicheln der Haut, Schaukeln

Liebe

BEOBACHTBARE, UNKONDITIONIERTE REAKTION Anhalten des Atems, Schreien, Urinieren, etc. Rötung des Gesichts, Aussetzen des Atems, Steifwerden des ganzen Körpers Schreien hört auf, Glucksen, Erektion, …

Tabelle 2: Reiz-Reaktionsmuster angeborener Emotionen nach Watson186

Eine zentrale Frage Watsons bestand einerseits darin zu erklären, wie es bei Erwachsenen zu eben den gleichen (Basis-)Emotionen Furcht, Wut und Liebe, aber durch andere als die angeborenen auslösenden Reize kommen kann. Andererseits konnten die angeborenen Emotionsmuster keine Erklärung für das breite Emotionsspektrum bieten, das bei Erwachsenen zu beobachten ist, wie zum Beispiel Trauer, Ekel, Stolz oder Schuld. Watson fand für diese Fragestellungen die Antwort in Lernprozessen, wonach, entsprechend der Theorie der klassischen Konditionierung, ein Individuum durch gleichzeitige Darbietung von zwei Reizen (eines emotionalen und eines neutralen Reizes) lernt, auch auf den ursprünglich neutralen Reiz mit der entsprechenden Emotion zu reagieren.187 Um seine Hypothese, dass emotionale Reaktionen durch Lernen erworben werden können, zu überprüfen, führte Watson eine Reihe von Untersuchungen durch, bei denen die Basisreaktionen (Furcht, Wut und Liebe) mit neuen, neutralen Auslösern hervorgerufen werden sollten. In dem ethisch heute kaum mehr vertretbaren Experiment am kleinen Albert konnte dies nachgewiesen werden.188 Der Basisreiz „lautes Geräusch“, der die Basisemotion Furcht auslöst, wurde gemeinsam mit dem neutralen Reiz einer weißen Ratte dargeboten. Als das Kleinkind Albert die Ratte streicheln möchte, wird mit einem Hammer auf eine Eisenstange hinter Alberts Kopf geschlagen, wodurch das Kind sehr erschrickt und die Atmung stockt. „[…] Gerade als die rechte Hand die Ratte berührte, wurde wieder auf die Stange geschlagen. Wieder fuhr das Kind heftig hoch, fiel nach vorne und begann zu wimmern.“189 In der nächsten Phase 186 187

188 189

Quelle: Vgl. Watson (1968), S. 167–168 in Meyer, et al. (2001), S. 71. Vgl. zur klassischen Konditionierung Pawlow (1927), sowie Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 130ff u. 328f. Vgl. Watson/Rayner (2000), orig. (1920). Watson/Rayner (2000) zitiert nach Meyer, et al. (2001), S. 81.

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wurde der ursprünglich neutrale Reiz, also die weiße Ratte, alleine dargeboten. Das Baby zeigte daraufhin folgende Reaktion: „The instant the rat was shown the baby began to cry. Almost instantly he turned sharply to the left, fell over on left side, raised himself on all fours and began to crawl away so rapidly that he was caught with difficulty before reaching the edge of the table.”190 In weiteren Untersuchungen mit dem kleinen Albert wurde festgestellt, dass es zu einer Generalisierung der gelernten Fluchtreaktion bei ähnlichen Stimuli kommt. So zeigte das Baby dieselben Reaktionen bei weißen Kaninchen, einem Hund und einem Pelzmantel. Die Erkenntnisse aus Watsons Studien wurden von späteren Autoren vielfach aufgrund des methodischen Designs kritisiert und konnten teilweise nicht repliziert werden. Die Hauptkritik richtet sich darauf, dass es nur eine Versuchsperson gab, und dass diese ein Kleinkind war. Dadurch sind spezifische Aussagen auf das Erwachsenenverhalten nicht möglich.191 Andere Studien bestätigten zwar grundsätzlich, dass Furchtreaktionen lernbar sind, zeigten aber auch, dass diese bei potenziell phobischen Reizen leichter konditioniert werden können.192 Ungelöst, und der damit für Emotionspsychologen unbefriedigendste Punkt, bleibt von Watson auch die Frage, wie komplexere Emotionen bei Erwachsenen (Stolz, Schuld, etc.) zustande kommen und wie diese konditioniert werden können. Die Begrenztheit dieses Ansatzes, Emotionen auf ein konditioniertes Reizmuster zu reduzieren, wird auch deutlich, wenn man Watsons Theorie auf den Kontext der für diese Arbeit durchgeführten Studie anwenden wollte. So sind konditionierte Angstresponses bei einer Bergtour zwar bei Menschen denkbar, die an Höhenangst leiden oder wiederholt traumatische Erlebnisse am Berg hatten (sich z. B. eine Sicherung mehrmals löst und einen Absturz verursacht); gleichzeitig verringert sich aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Personen überhaupt weiteren derartigen Situationen aussetzen. Weiters kann das typischerweise empfundene Gefühl des Stolzes oder der Freude über einen Gipfelsieg durch diesen theoretischen Ansatz nicht erklärt werden.

4.3.2 Evolutionspsychologische Emotionstheorien Evolutionstheoretische Ansätze unterscheiden sich von anderen Ansätzen im Wesentlichen darin, dass sie eine zusätzliche Erklärungsebene einbeziehen, indem sie nach der stammesgeschichtlichen Entwicklung von Emotionen fragen.193 Damit ist aufs Engste die Frage verknüpft, welche biologische Funktion Emotionen erfüllen. Dementsprechend bildet den Ausgangspunkt für evolutionstheoretische Ansätze die Prob190 191 192 193

Watson/Rayner (2000), S. 314. Vgl. Groß-Engelmann (1999), S. 109. Vgl. Öhman (1987). Vgl. Euler (2000), S. 45.

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lemstellung, zu welchem Zweck sich eine Emotion über den Evolutionsprozess hinweg entwickeln konnte und welchen Vorteil hinsichtlich Überleben, Fortpflanzung und Weitergabe der Gene die ererbten emotionalen Mechanismen den damit ausgestatteten Lebewesen brachten.194 Die Darstellung evolutionspsychologischer Emotionstheorien ist für die vorliegende Arbeit insofern von Bedeutung, da die von neueren Vertretern der Basisemotionen entwickelten Messinstrumente auch in der Konsumentenverhaltensforschung und der Kundenzufriedenheitsforschung häufig eingesetzt werden. Der Autorin erscheint es als bedeutsam, die theoretischen Annahmen, auf welchen solche Messinstrumente fußen, zu beleuchten, um damit das Verständnis des Lesers für eine differenzierte Kritik zu gewinnen.

4.3.2.1 Darwins Theorie Grundlage, auch für die neueren Vertreter evolutionstheoretischer Modelle, bildet die Theorie von Charles Darwin, der in seinem 1872 veröffentlichten Werk The Expression of the Emotions in Man and Animals195 die Auffassung vertrat, dass bestimmte Formen von Ausdrucksverhalten (z. B. Sträuben der Haare bei Wut, Flucht bei Furcht etc.) rudimentäre Spuren eines in der menschlichen Stammesgeschichte einstmals überlebenswichtigen Verhaltensrepertoires seien.196 Vor allem konzentriert sich Darwin in seinen Forschungen auf den mimischen Ausdruck von Emotionen und postuliert dessen Universalität und seine Gemeinsamkeiten mit dem tierischen Emotionsausdruck. Um die stammesgeschichtliche Entwicklung von Emotionen zu belegen führte Darwin zahlreiche empirische Studien mit unterschiedlichen Methoden durch:197 1) so wurden Probanden Fotos mit spontanen oder durch elektrische Reizung bestimmter Gesichtsmuskeln herbeigeführten Gesichtsausdrücken vorgelegt und dann gebeten zu beschreiben, welches Gefühl die betreffende Person auf dem Foto empfindet. 2) Das Studium des Gesichtsausdruckes in verschiedenen (nicht westlichen) Kulturen hielt Darwin für besonders wichtig und er versandte dazu Fragebögen an Missionare und Lehrer, die in verschiedenen Erdteilen tätig waren, unter anderem in China, Indien, Borneo und Neuseeland. Er formulierte dabei konkrete Fragen198, die die Beobachter ausfüllen sollten, z. B. „Erregt die Scham ein Erröten, wenn die Farbe der Haut ein Sichtbarwerden derselben erlaubt?“, „Wird Verachtung ausgedrückt durch leichtes Vorstrecken der Lippen und Emporheben der Nase, verbunden mit leichter Ausatmung?“199 In der interkulturellen Universalität (besonders auch bei Kulturen, die kaum Kontakt mit Weißen gemacht hatten) sah Darwin ein wichtiges Indiz für die 194 195 196 197 198

199

Vgl. Meyer, et al. (2001) S. 45. Vgl. Darwin (1872). Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 63f. Vgl. hierzu und im Folgenden Meyer, et al. (2003), S. 43ff. Die Formulierung der Fragen erscheint sehr suggestiv, wodurch eine hohe Übereinstimmungsquote in den Ergebnissen nicht überrascht. Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 22.

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evolutionsbedingte Entwicklung von Emotionen. 4) Weitere Versuche führte Darwin bei Kleinkindern, Blindgeborenen und Geisteskranken durch, bei denen seiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit, dass die gezeigten Gesichtsausdrücke nicht ererbt, sondern durch Nachahmung erlernt wurden, sehr gering war. Und schließlich sah Darwin in 5) dem Vergleich des Emotionsausdruckes bei Menschen und Tieren die sicherste Grundlage für eine Verallgemeinerung des stammesgeschichtlichen Ursprungs des Ausdrucksverhaltens. Die Ergebnisse dieser umfangreichen Untersuchungen fasst Darwin so zusammen: „Erlernen oder Nachahmen [der emotionalen Ausdrucksbewegungen] hat mit vielen von ihnen derart wenig zu tun, dass sie von den frühesten Tagen der Kindheit an durch das ganze Leben hindurch vollständig außerhalb unserer Kontrolle liegen. […] Bereits Zwei- oder Dreijährige, selbst Bindgeborene kann man vor Scham erröten sehen […] Kinder schreien vor Schmerz unmittelbar nach der Geburt, wobei ihre Gesichtszüge dieselbe Form annehmen wie in späteren Jahren. Schon diese Tatsachen allein genügen für den Nachweis, dass viele unserer wichtigsten Ausdrucksformen nicht erlernt worden sind.“200

Abbildung 12: Emotionsausdruck bei Tieren: links eine Katze, die vor einem Hund erschrickt, rechts ein enttäuschter und mürrischer Schimpanse201

Darwin nahm an, dass Emotionen und die damit verbunden mimischen Emotionsausdrücke zwei Funktionen besitzen: zum einen eine organismische Funktion, in dem sie zum Beispiel bei Überraschung durch das Öffnen der Augen und des Mundes die Informationsaufnahme und die Atmung erleichtern. Zum anderen besitzt der Emotionsausdruck aber auch eine kommunikative Funktion, durch die den Artgenossen Wünsche, Gedanken und Absichten mitgeteilt werden sollen.202 So soll ein trauriges Gesicht z. B. den Wunsch nach Zuneigung mitteilen.

200 201 202

Darwin (1872/1965), S. 351 zitiert nach Meyer, et al. (2003), S. 50. Quelle: Schmidt-Atzert (1996), S. 16. Vgl. Euler (2000), S. 47.

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Darwins Methoden erfüllen heutige Standards nicht mehr, und auch wiederholte Untersuchungen von neueren Emotionstheoretikern, wie Ekman203, konnten die Hauptkritikpunkte nicht entkräften. Russel, der die umfassendste Kritik an evolutionstheoretischen Methoden äußerte, sah vor allem folgende Punkte als entscheidend an, die eine Universalität des Emotionsausdrucks bezweifeln lassen:204 1) die Versuchspersonen könnten aufgrund früheren Kontakts mit westlichen Kulturen Emotionsausdrücke erlernt haben 2) die zur Beurteilung vorgelegten Bilder zeigen keine spontanen, sondern gestellte oder idealisierte Emotionsausdrücke, 3) die gezeigten Bilder wurden einer strengen Vorauswahl unterzogen und 4) die Beurteiler mussten aus einer kleinen Menge vorgegebner Emotionswörter auswählen. Während Russel nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Universalität von Emotionsausdrücken, sondern nur die bisherigen Belege dafür aufgrund methodischer Mängel in Abrede stellt, meinen verhaltensökologische Emotionstheoretiker wie Fridlund205 dagegen, dass der Emotionsausdruck, wäre er stammesgeschichtlich bedingt, schon früh zugunsten von Täuschung, Ökonomie und Geheimhaltung eliminiert worden wäre, da Informationen (und damit auch die, die durch den Gesichtsausdruck mitgeteilt werden) nur gesendet werden dürften, wenn diese dem Sender nützlich sind.

4.3.2.2 Die Theorie von William McDougall (1908) und neuere evolutionspsychologische Theorien Auf dem Höhepunkt der evolutionstheoretischen Welle nach Darwin veröffentlichte William McDougall 1908 seine Social Psychology206, in der er eine evolutionäre Grundlage der Sozialwissenschaften forderte. Seine evolutionäre Emotionstheorie soll hier kurz vorgestellt werden, da er in seiner Theorie nahezu alle charakteristischen Annahmen neuerer evolutionspsychologischer Emotionstheoretiker vorwegnahm, auch wenn sich letztere nicht explizit auf seine Theorie beziehen.207 Die zentrale Annahme McDougalls besteht darin, dass der Mensch keineswegs ein instinktarmes Wesen ist, sondern die Instinktlandschaft des Menschen durch seine besonderen kognitiven Fähigkeiten sehr vielgestaltig ist. Instinkte sind dabei als mentale Strukturen zu verstehen, die sich auf unterschiedliche Lebensbereiche beziehen und Handlungstendenzen hervorrufen (z. B. Flucht vor Gefahr). Dabei vertritt McDougall die Ansicht, dass diese Instinkte nicht nur eine Handlungsebene besitzen, sondern beim Menschen auch eine kognitive und eine affektive Komponente umfassen. Die Affektkomponente des Instinktes nennt McDougall „primäre Emotion“, welche dann 203 204

205 206 207

Vgl. Ekman, et al. (1987). Vgl. hierzu und für ausführliche Darstellung der Hauptkritikpunkte Meyer, et al. (2003), S. 74f. sowie die Orginalkritiken von Russell (1994) und Russell (1995). Vgl. Fridlund (1994). Vgl. McDougall (1908/1960). Vgl. Euler (2000), S. 49.

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vorliegt, wenn dieses Gefühl eine an den Instinkt gekoppelte, ausgeprägte Erlebnisqualität besitzt und introspektiv nicht weiter zerlegbar ist.208 Insgesamt listet er sieben Hauptinstinkte, ihre angeborenen Auslöser und die ihnen zuordenbaren Emotionen und Handlungsimpulse auf: 1) der Fluchtinstinkt mit der Emotion Furcht, 2) der Abstoßungsinstinkt, der Ekel hervorruft, 3) der Neugierinstinkt geht mit Staunen einher, 4) der Kampfinstinkt ist mit Ärger verbunden, 5) der Dominanzinstinkt führt zum Hochgefühl, 6) der Unterordnungsinstinkt zur Unterwürfigkeit und 7) der Elterninstinkt ist mit der Emotion Zärtlichkeit gekoppelt. Es ist evident, dass diese sieben Emotionen nicht das ganze Spektrum des menschlichen Gefühlslebens abbilden. Die Herkunft, Natur und Aktualgenese der übrigen im Alltag unterschiedenen Emotionen stellte daher für McDougall, wie auch für alle nachfolgenden Emotionstheoretiker, die eine begrenzte Zahl von primären Emotionen (auch Basisemotionen genannt) postulieren, eine wichtige Problemstellung dar. Eine gemeinsame Grundannahme für die Vertreter der Basisemotionen ist, dass komplexe Gefühle wie Neid, Stolz, Dankbarkeit und Bewunderung durch die Mischung von primären Emotionen oder dem Zusammenwirken von Primäremotionen und mentalen Prozessen entstehen.209 Daher werden diese komplexen Emotionen abgeleitete oder sekundäre Emotionen genannt. Bewunderung beispielsweise entsteht aus der Mischung von Unterwürfigkeit und Staunen, Neid dagegen aus Unterwürfigkeit und Ärger.210 Neuere evolutionspsychologische Emotionstheorien Die Basis für viele moderne evolutionsorientierte Emotionstheoretiker war Darwins zentrale These, dass emotionsspezifischer Ausdruck und das Ausdrucksverstehen universell sind und daher die Koppelung zwischen der Emotion und ihrem Ausdruck vererbt sind. Plutchik211 , Tomkins212, Izard213 und Ekman214 gehören zu den wichtigsten modernen Evolutionstheoretikern. Wie McDougall sind sie der Annahme, dass es eine bestimme Anzahl grundlegender Emotionen des Menschen gibt, die klar voneinander unterscheidbar sind (in der Literatur wird daher oft auf „discrete emotions“ Bezug genommen).215 Die Beiträge der einzelnen Autoren können hier nicht im einzelnen gewürdigt werden, die Arbeiten von Darwin und McDougall dürften aber als hinreichend für das Verständnis und die Grundannahmen dieser Forschungstradition angesehen werden. 208 209 210 211 212 213 214 215

Vgl. hierzu und im Folgenden Meyer, et al. (2003), S. 107. Vgl. z. B. Izard (1999), S. 55. Vgl. Meyer, et al. (2003), S. 129. Vgl. Plutchik (1980). Vgl. Tomkins (1962). Vgl. Izard (1977). Vgl. Ekman (1982). Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 63.

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4.3.2.3 Kritik an den Basisemotionen Abschließend zu diesem Kapitel soll noch ein Blick auf die am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an der Theorie von Basisemotionen geworfen werden.216 Vor allem in zwei Argumenten sehen Kritiker die Schwäche eines evolutionszentrierten Emotionsansatzes: erstens besteht zwischen seinen Vertretern keine Übereinstimmung hinsichtlich der Anzahl und Identität von Basisemotionen sowie deren Kriterien zur Abgrenzung von Nicht-Basisemotionen. Wie aus Abbildung 13 ersichtlich wird, besteht zwischen den verschiedenen Theoretikern erhebliche Uneinigkeit darüber, wie viele und welche Emotionen als primär angesehen werden können.217 McDougall

Plutchik

Tomkins

Izard

Ekman

Furcht

;

;

;

;

;

Ärger

;

;

;

;

;

Ekel

;

;

;

;

;

Kummer

;

;

;

;

;

Freude

;

;

;

;

Überraschung

;

;

;

;

Verachtung

;

;

;

Interesse

;

;

;

Scham

;

;

;

;

;

Schuld Unterwürfigkeit, Zusätzlich Erwartung, Staunen, vorgeschlagene Akzeptieren Hochgefühl, Emotionen Zärtlichkeit

Schüchternheit

Abbildung 13: Vorgeschlagene Primäremotionen verschiedener Emotionstheoretiker218

Zweitens mangelt es an empirischen Belegen für die Existenz von Basisemotionen und deren angeborenen Mechanismen. Die Kritiken richten sich hier sowohl an die biologische (Emotionen sind genetisch vererbt) als auch an die psychologische (Primäremotionen lassen sich nicht weiter zerlegen) Argumentation von Primäremotionen. Zum Punkt der evolutionären Entwicklung von Primäremotionen sei hier auf die bereits oben skizzierte Kritik an den Forschungsmethoden Darwins und seiner Nachfolger 216

217

218

Für einen ausführlichen Überblick zur Debatte über Basisemotionen vgl. Reisenzein (2000b), S. 205ff in Försterling, et al. (2000). Ekman hebt in seiner Replik hervor, dass hinsichtlich von sechs Emotionen unter den neueren Basistheoretikern Einigkeit herrscht (Furcht, Ärger, Ekel, Kummer, Freude, Überraschung), vgl. Ekman (1992), S. 550. Vgl. Meyer, et al. (2003), S. 159.

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zum mimischen Ausdruck verwiesen, in dessen Universalität bei Menschen und höheren Tieren die meisten Vertreter von Basisemotionen einen der wichtigsten Beweise für die Existenz biologisch primärer Emotionen sehen.219 Wie bereits erwähnt, fehlen stichhaltige Nachweise dafür bislang. Nicht weniger kontrovers wird die Frage diskutiert, ob primäre Emotionen psychologisch primär sind, das heißt nicht weiter zerlegbar sind und die Basis für andere komplexere Emotionen bilden.220 Hier haben Kritiker darauf hingewiesen, dass die von den unterschiedlichen Vertretern postulierten Emotionen gemeinsame Elemente der Lust oder Unlust (angenehm vs. unangenehm) enthalten, und daher sehr wohl weiter eingeteilt werden können.221 Auch wie die Mischung von primären Emotionen vonstatten gehen soll, die gegensätzliche physiologische Ausdrucksformen beinhalten ist nicht erklärbar. Während sich die eine Primäremotion durch weit geöffneten Mund und Augen äußert, könnte die zweite Primäremotion durch zusammengepresste Lippen und gerunzelte Stirn gekennzeichnet sein. Ortony und Turner fragen deshalb etwas verwundert: „Is the intention to claim that emotion combinations result from an averaging of reactions?222”, also, ob die neue resultierende Emotion durch eine Durchschnittsbildung der beiden Ausdrucksformen passieren soll. Wollte man anhand der Theorie der Basisemotionen nun beispielsweise die Emotion Furcht (oder Angst) erklären, die bei Bergtouren auftreten kann, so wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine instinkthafte Reaktion handelt. Dass also Furcht genetisch im Emotionsrepertoire jedes Menschen verankert ist, bei Bedrohung aktiviert wird und entsprechendes (Flucht-)Verhalten auslöst. Dieser erste Erklärungsschritt erscheint für den vorliegenden Kontext plausibel anwendbar, wenn z. B. Donnergrollen als Bedrohung wahrgenommen wird und die Seilschaft als Reaktion umkehrt. Nicht erklären kann dieser Ansatz allerdings, warum und wie das Bedrohtheitsgefühl individuell zustande kommt, warum die eine Seilschaft beim ersten Donnergrollen aus Angst umkehrt, während die andere darin keine Bedrohung sieht. Weiters könnte es sein, dass die Mitglieder beider Seilschaften Angst empfinden, aber in unterschiedlichem Ausmaß, sodass die Reaktionen unterschiedlich ausfallen, oder die Intensität der Furcht gleich empfunden wird, aber trotzdem unterschiedlich reagiert wird (eine Seilschaft kehrt um, die andere nicht). In der Koppelung zwischen genetischem Vorhandensein von Emotionen und der Reaktion wird die Problematik dieses Ansatzes auch am vorliegenden Beispiel sehr deutlich: es kann nicht erklärt werden, wie Emotionen und ihre Reaktionen beim einzelnen Individuum zustande kommen und wie dieses darauf reagiert. Die grundsätzliche Möglichkeit, dass Angst als instinkthafte Reak219

220 221 222

Vgl. zu den Basisannahmen der neueren Evolutionstheoretiker auch Plutchik (1989), S. 5 in Plutchik/Kellerman (1989). Vgl. Meyer, et al. (2003), S. 168ff. Vgl. Ortony/Turner (1990), S. 325f. Ortony/Turner (1990), S. 326.

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tion auf Bedrohung auftritt, wird von der Autorin jedoch akzeptiert und scheint auch auf den Kontext der empirischen Studie, begrenzt, anwendbar.

4.3.3 Kognitiv-physiologische Emotionstheorien Kognitiv-physiologischen Emotionstheorien liegt die Annahme zugrunde, dass für das Emotionserleben eine körperliche Veränderung und die darauf folgende Deutung der Stimulussituation ursächlich sind. Dabei bilden zwei Faktoren, nämlich Kognition und die physiologische Erregung, die Grundlage des emotionalen Erlebens, weshalb die Ausarbeitungen von Schachter und Singer223 unter der Zwei-Faktoren-Theorie bekannt wurden.224 Der Grundstein für die zentralen Annahmen wurde durch die beiden Psychologen William James (1884) und Carl Lange (1885) gelegt, die in ihren Werken die contra-intuitive Ansicht vertraten, dass körperliche Veränderungen die konstituierende Basis für bewusstes emotionales Empfinden seien.225 James’ These besagte, dass „die körperlichen Veränderungen unmittelbar der Wahrnehmung der erregenden Tatsache folgen und dass unser Empfinden dieser Veränderungen, während sie auftreten, die Emotion IST.“226 Damit setzte James Emotionen mit Gefühlen gleich, Unterschiede in der Qualität und Intensität von Emotionen sind für ihn in der Unterschiedlichkeit eben dieser körperlichen Veränderungen begründet.227 James ging von der Tatsache aus, dass Emotionen oft mit körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen, Muskelanspannung, Magenkrämpfen etc. einhergehen und dass diese Empfindungen als Rückmeldung im Gehirn die konkrete Qualität der Emotion bestimmen. Jedes Gefühl sei daher durch ein spezifisches Muster an physiologischen, viszeralen Veränderungen228 charakterisiert. Während wir rein intuitiv bestätigen würden, dass wir weinen, weil wir traurig sind, postuliert James die Wirkungskette genau umgekehrt, nämlich dass wir traurig sind, weil wir weinen. Reizwahrnehmung (Bär)

Körperliche Reaktion (Laufen)

Gefühl (Furcht)

Abbildung 14: Emotionsentstehung nach James229

Diese Ansichten stießen auf heftige Kritik und wurden, durch zahlreiche Experimente bestätigt, bald als widerlegt verworfen. Als Hauptproblem der Thesen von James erwies sich dabei die Erkenntnis, dass die viszeralen Veränderungen nicht so differen223 224 225 226 227 228 229

Vgl. Schachter/Singer (1962). Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 170. Vgl. Lang (1994), S. 212. James, 1890 zitiert nach LeDoux (2001), S. 48. Vgl. Damasio (2004), S. 4 in Evans/Cruse (2004). Vgl. für ausführliche Information dazu die revidierte Fassung von James (1994). Quelle: LeDoux (2001), S. 45.

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ziert ausgeprägt zu sein schienen wie James annahm, dass dieselben Veränderungen von unterschiedlichen emotionalen und nicht-emotionalen Zuständen hervorgerufen werden können und dass diese Veränderungen zu langsam sind, um die Ursache der Gefühle darstellen zu können.230 Obwohl die Kritiker James’ der damaligen Zeit aus heutiger Sicht einigen Missverständnissen erlagen, wurde erst in neuerer Zeit durch Schachter und Singer231 in der Zwei-Faktoren-Theorie eine Weiterentwicklung der James-Lange-Theorie vorgestellt, welche sodann den modernen kognitiven Emotionstheorien den Weg ebnete.232 Wie James hielten Schachter und Singer die körperliche Erregung und deren Rückmeldung für eine entscheidende Bedingung des emotionalen Erlebnisses, die das Gehirn darüber informieren, dass ein Zustand gesteigerter Erregung vorliegt. Im Unterschied zu James nahmen die Autoren an, dass physiologische Erregung emotionsunspezifisch, d. h. weitgehend gleichartig bei verschiedenen Emotionen ist.233 Die Stärke der erlebten physiologischen Erregung bestimmt dementsprechend nur die Intensität der Emotion, nicht aber deren Qualität. Die spezifische Qualität der Emotion hängt nach Schachter und Singer von der kognitiven Bewertung der Informationen über die physische und soziale Umwelt ab. Emotionale Gefühle entstehen also dadurch, dass emotional mehrdeutige körperliche Zustände mit Hilfe kognitiver Interpretationen erklärt werden.234 Reizwahrnehmung

Körperliche Erregung

Kognition

Gefühl

Abbildung 15: Emotionsentstehung nach Schachter und Singer235

Die zentrale Hypothese von Schachter und Singer, dass körperliche Erregung notwendig für emotionale Gefühle ist, sollte in einem viel beachteten Experiment nachgewiesen werden (Beschreibung des Experiments, siehe Fußnote236), konnte aber in zahlrei230 231 232 233 234 235 236

Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 154. Vgl. Schachter/Singer (1962). Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 20. Vgl. Meyer (2000), S. 107. Vgl. Pauli/Birbaumer (2000), S. 75. Quelle: LeDoux (2001), S. 53. Schachter und Singer führten zum Beweis ein Experiment durch, bei dem sie Probanden Adrenalin injizierten, ohne sie über die Wirkung der Injektion zu informieren. Der für die Probanden unerklärliche Erregungszustand sollte ein Erklärungsbedürfnis hervorrufen, was die Ursache für die Erregung sein könnte. Laut der Theorie von Schachter und Singer müsste die konkrete Qualität der Emotion abhängig von der Einschätzung der Umweltbedingungen sein. Im Experiment wurde die emotionale Kognition der Versuchsteilnehmer unterschiedlich manipuliert: ein ärgerlicher, unzumutbarer Experimentleiter, der beleidigende Aussagen tätigte, sollte zur Interpretation negativer Emotionen führen, während in einer anderen Versuchsgruppe durch einen freundlichen, gutgelaunten Laborleiter positive Emotionen manipuliert werden sollten. Schließlich gab es auch eine Versuchsgruppe, die korrekt über die Wirkung des Adrenalins informiert wurde und bei der kein Erklärungsbedürfnis vorliegen sollte. Insgesamt wurden die Hypothesen von Schachter und Singer in diesem Experiment nur partiell bestätigt, da die vorhergesagten Unterschiede nur teilweise signifikant waren. Vgl. Schachter/Singer (1962).

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chen Replikationsversuchen nicht überzeugend bestätigt, sondern teilweise sogar widerlegt werden. Insgesamt lassen es neuere Untersuchungen als zweifelhaft erscheinen, dass physiologische Erregung oder auch nur der Glaube, physiologisch erregt zu sein, wie dies von Valins237 in einem Experiment gezeigt wurde, für das Erleben von Gefühlen notwendig sind.238 Es sei hier noch der Querverweis auf einige Vertreter der Basisemotionen angebracht (z. B. Izard und Tomkins), für die, in Übereinstimmung mit James, körperliche Veränderungen einen wichtigen Aspekt des Gefühlslebens darstellen, der jedoch nicht in viszeralen Veränderung besteht, sondern vielmehr in Rückmeldungen des Ausdrucksverhaltens, also der Mimik und Gestik. Folgt man nun dem Emotionsmodell von Schachter und Singer, so beginnt der emotionsauslösende Prozess mit einem Reiz, der z. B. als Gefahr wahrgenommen wird. Dies könnte bei einer Bergtour der Anblick eines Abgrundes sein. Gleichzeitig muss eine körperliche Erregung vorliegen, z. B. schwitzende Hände und schneller werdender Puls. Damit die Person in diesem Beispiel Angst empfindet, ist nun notwendig, dass sie den Abgrund erstens als Gefahr wahrnimmt und zweitens die schwitzenden Hände und den schneller werdenden Puls als Reaktion auf diese Gefahr interpretiert. Sollte die Person zu der Ansicht gelangen, dass die physische Reaktion aufgrund des steilen Anstieges und des warmen Wetters zustande kam, sollte sie keine Angst empfinden. Umgekehrt dürfte sie ohne eine physische Reaktion (schneller werdender Puls) auch nach Wahrnehmung eines Angst einflößenden Reizes keine Emotion empfinden. Insbesondere die von Schachter und Singer postulierte Notwendigkeit der körperlichen Veränderung stellt sich hier als problematisch heraus, da schwächere Emotionen und auch positive Emotionen dadurch nicht mehr erklärt werden können.

4.3.4 Kognitive Emotionstheorien Wie bereits angedeutet ebneten Schachter und Singer mit ihrer Theorie den Weg für die heute dominanten kognitiven Emotionstheorien. Mit ihrem Modell versuchten sie zu erklären, was Menschen mit emotionalen Reaktionen machen, nachdem sie einmal aufgetreten sind (z. B. Herzrasen vor einer Prüfung, wird als Angst etikettiert). Es erklärt allerdings nicht, wodurch die Reaktionen überhaupt zustande gekommen sind, mit anderen Worten: es gab eine Lücke zwischen dem Reiz und der Reaktion.239 Die kognitiven Emotionstheorien bzw. Bewertungstheorien schließen diese Lücke, indem sie die Bewertung eines Stimulus als Basis für die Entstehung von Emotionen auffassen. Bahnbrechend für die weitere Entwicklung war Magda Arnolds240 Werk, in dem sie die körperliche Reaktion und physische Erregung für Emotionen zwar als wichtig 237 238 239 240

Vgl. Valins (1966). Vgl. Meyer, et al. (2001), S. 215f. Vgl. LeDoux (2001), S. 55. Vgl. Arnold (1960).

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anerkannte, aber klar hervorstrich, dass diese die emotionale Sequenz nur begleiten, nicht aber initiieren. Kognitive Faktoren, und hier konkret die Bewertung und Interpretation (appraisal) eines Reizes, seien vielmehr die Auslöser der Reaktion.241 Bedeutende Weiterentwicklungen erfuhr das von Arnold vorgestellte Bewertungskonzept durch Richard Lazarus242, der einen Erklärungsansatz für Stress und Stressbewältigung vorstellte, in welchem es zwei Einschätzungsvorgänge gibt: in einer ersten Bewertung (primary appraisal) wird bewertet, ob ein Ereignis positiv, negativ oder irrelevant ist, und in einem zweiten Bewertungsvorgang werden – für den negativen Fall – die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten (secondary appraisal) beurteilt.243 Nach diesen beiden Pionieren hat eine Reihe weiterer Autoren eigene, von einander relativ unabhängige, Emotionstheorien vorgestellt, die auf dem Bewertungs- oder Einschätzungskonzept244 aufbauen, wie zum Beispiel Fridja (1986), Roseman (1984), Scherer (1982), Ortony, Clore und Collins (1988), u. a., deren Emotionstheorien hier nicht im Detail behandelt werden können. In diesem Abschnitt sollen vielmehr die wichtigsten Grundannahmen der kognitiven Bewertungstheorien vorgestellt und danach das wohl umfassendste Strukturkonzept von Ortony et al.245 zur Veranschaulichung skizziert werden.

4.3.4.1 Grundlagen der kognitiven Emotionstheorien In der drei Jahrzehnte langen Geschichte der kognitiven Emotionstheorien haben sich unterschiedliche Forschungszugänge zu den Bewertungskonzepten gebildet, die in ihren theoretischen Annahmen durchaus divergieren, im Prinzip aber auf folgenden Grundannahmen fußen, welche auch als die stärksten Argumente für einen einschätzungstheoretischen Zugang gewertet werden können:246 1) Emotionen unterscheiden sich durch die ihnen zugrunde liegenden Bewertungsmuster. Einschätzungstheorien gehen davon aus, dass sich die beobachtbaren Verhaltensmuster und das emotionale Ausdrucksverhalten am besten verstehen lassen, indem man die subjektive Einschätzung einer Person hinsichtlich eines Ereignisses analysiert. Jede einzelne Emotion wird dabei von einem eigenen Einschätzungsmuster hervorgerufen.

241 242 243 244

245 246

Vgl. Schorr (2001a), S. 21f. Vgl. Lazarus (1966), Lazarus (1991). Vgl. dazu auch Sokolowski (2002), S. 345. Bewertung und Einschätzung dienen als Übersetzung des im Englischen gebräuchlichen Begriffes „appraisal“. Nach Ansicht einiger Autoren bedürfen Bewertungen komplexerer kognitiver Prozesse als Einschätzungen und differenzieren diese Begriffe deshalb. Da die meisten Appraisal-Theoretiker jedoch auch nichtevaluative Kognitionen unter den Begriff „appraisal“ subsumieren, werden die Begriffe Einschätzung und Bewertung in dieser Arbeit synonym verwendet. Vgl. dazu auch Reisenzein (2000a), S. 118f. Vgl. Ortony, et al. (1988). Vgl. hierzu und im Folgenden Roseman/Smith (2001), S. 6ff.

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2) Unterschiedliche Einschätzungen führen zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen von Individuen auf das gleiche objektive Ereignis. Nicht das Ereignis an sich ist also für die Emotion entscheidend, sondern die subjektive Interpretation dieses durch das Individuum (ob beispielsweise eine dunkle Wolke als Gefahr wahrgenommen wird oder nicht). Dies erklärt auch warum Menschen, die mit der gleichen Situation/Ereignis konfrontiert sind, unterschiedliche Emotionen empfinden. Ebenso ist es möglich, dass dieselbe Person in derselben Situation zwei Mal unterschiedliche Emotionen erlebt, wenn sie diese Situation jeweils unterschiedlich einschätzt. Einschätzungsprozesse sind für Fridja der Schlüssel „[…] to understanding that a particular event evokes an emotion in one individual and not in another, or evokes an emotion at one moment, and no emotion, or a weaker or stronger one, at another moment.”247 3) Dementsprechend rufen alle Ereignisse, die mit dem gleichen Muster eingeschätzt werden, die gleiche emotionale Reaktion hervor. Während identische Situations-Emotions-Beziehungen eher unwahrscheinlich auftreten, liegt kognitiven Emotionstheorien die Annahme einer stabilen Einschätzungs-EmotionsBeziehung zugrunde. Dadurch wird erklärbar, wie gänzlich unterschiedliche Ereignisse, wie der positive Abschluss eines Diploms und die Beendigung einer Beziehung, die gleiche Emotion (z. B. Erleichterung) hervorrufen können. Immer wenn auf eine Situation ein bestimmtes Einschätzungsmuster angewandt wird, tritt die entsprechende Emotion auf.248 4) Einschätzungen sind Antezedenzen von Emotionen. Einschätzungen gehen Emotionen voraus und rufen diese hervor. Nicht alleine die Präsentation eines Reizes (oder einer Situation) ist verantwortlich für die Emotionsentstehung, sondern ihr vorgeschaltet ist eine Bewertung der jeweiligen Situation. Dabei kann es sich um reale oder imaginierte Ereignisse handeln. Dadurch wird auch erklärbar, warum die Erinnerung an eine Situation andere als die ursprünglich empfundenen Emotionen hervorruft – wenn es nämlich zu einer Neubewertung des Ereignisses gekommen ist.249 „Reappraisal is an effective way to cope with a stressful situation. […] for example […] to manage the frequently destructive emotion of anger.”250 Wichtig dabei ist, dass Bewertung von den meisten kognitiven Emotionstheoretikern nicht als notwendigerweise bewusster und kontrollierbarer kognitiver Prozess verstanden wird, sondern durchaus auch unbewusste Einschätzungsabläufe, die z. B. nach Schemata funktionieren, akzeptiert werden.251 „Appraisal implies nothing about rationality, deliberateness, or consciousness. A central 247 248 249

250 251

Fridja (1993a), S. 225. Vgl. Roseman/Smith (2001). Vgl. dazu auch die Studie von Levine, die das emotionale Erinnerungsvermögen von Anhängern eines zunächst zurückgetretenen und dann doch wieder ins Rennen eingestiegenen Präsidentschaftskandidaten untersuchte und dabei signifikante Neubewertungseffekte feststellte. Vgl. Levine (1997). Lazarus (2001), S. 48. Vgl. Scherer (1999), S. 646 in Dalgleish/Power (1999).

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postulate for dealing with this issue is to say that there is more than one way of knowing, and in the generation of an emotion […] [there may be] two kinds of appraisal processes – one that operates automatically without awareness […], and another that is conscious.”252 Die meisten Forschungsarbeiten kognitiver Emotionstheoretiker konzentrierten sich auf Strukturmodelle, d. h. sie versuchen Emotionen und ihre auslösenden Einschätzungsmuster zu spezifizieren (entsprechend dem vorhergehenden Punkt a wonach jede Emotion durch ein eigenes Einschätzungsmuster charakterisiert ist). Damit sollte es möglich sein, Emotionen vorherzusagen. Entscheidend dabei ist die Anzahl der Dimensionen, welche die unterschiedlichen Autoren annehmen und auf denen die Einschätzung eines Ereignisses stattfindet, z. B. Valenz, Wahrscheinlichkeit, Ursächlichkeit, Kontrollierbarkeit, etc.253 Diese divergieren von Autor zu Autor sowohl in Anzahl als auch Inhalt: Weiner254 zum Beispiel schlägt drei Dimensionen (Lokus, Stabilität und Kontrollierbarkeit) vor, bei Lazarus255 dagegen findet die Einschätzung in zwei Stufen auf jeweils drei Dimensionen statt (primary appraisal: Zielrelevanz, Zielkongruenz und Betroffenheit der eigenen Person; secondary appraisal: Verschulden, eigenes Bewältigungspotenzial, zukünftige Erwartungen) und Roseman256 postuliert z. B. sieben Dimensionen auf denen diese Einschätzung erfolgen kann. Das wohl umfangreichste und systematischste Strukturkonzept wurde von Ortony, Clore und Collins (1988) erstellt, die mit ihrem Modell 22 Emotionen konkret erklären können und zu welchen sich andere Emotionen als Subkategorie zuordnen lassen.257 Exemplarisch soll der Einschätzungsprozess für die beiden Emotionen Mitleid und Schuld anhand ihres in Abbildung 16 dargestellten Modells nachvollzogen werden. Als Beispiel sei hier konkret eine Seilschaft von befreundeten Bergsteigern, Hans und Reinhold, angenommen, die eine hochalpine Bergtour gemeinsam unternehmen.

252 253 254 255 256 257

Lazarus (1991), S. 169. Vgl. Reisenzein (2000a), S. 120. Vgl. Weiner (1986). Vgl. Lazarus (2001)S. 55f. Vgl. Roseman (2001), S. 68f. Vgl. Ben-Ze'ev (1990), S. 305ff.

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Abbildung 16: Struktur der Emotionen nach Ortony, Clore und Collins (1988)258

Abbildung 16: Struktur der Emotionen nach Ortony, Clore und Collins (1988)258

258

Quelle: Reisenzein, et al. (2003), S. 144.

Emotionstheorien

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Für Ortony et al.259 lässt sich die Welt kognitiv in drei Aspekte „segmentieren“, die emotionsrelevante Einschätzungen hervorrufen können: Ereignisse, Akteure und ihre Handlungen, sowie Objekte (gemeint sind Dinge, Personen und Tiere). Diese drei Arten werden zur Bewertung jeweils unterschiedlichen Vergleichsstandards unterzogen. Ereignisse werden nach ihrer Erwünschtheit und Unerwünschtheit beurteilt, Handlungen von Akteuren werden als lobens- oder tadelnswert eingestuft und Objekte schließlich als attraktiv oder unattraktiv (anziehend/abstoßend) bewertet. Emotionen, die durch ein Ereignis hervorgerufen werden (ereignisfundierte Emotionen) können ihren Fokus nun entweder in der eigenen oder einer fremden Person haben. In unserem Beispiel sei nun angenommen, dass sich Hans bei einem kleinen Ausrutscher die Schulter leicht verletzt. Bei Reinhold sollte nach Ortony et al. nun eine ereignisfundierte Empathieemotion auftreten. Da Reinhold ein Freund von Hans ist und das Ereignis als unerwünscht für ihn betrachtet, empfindet er Mitleid mit Hans. Weiters sei angenommen, dass die beiden aufgrund der Verletzung umkehren müssen. Hans kommt zu der Einschätzung, dass der Ausrutscher aufgrund seiner eigenen Unaufmerksamkeit passiert ist. Unaufmerksamkeit am Berg stellt eine tadelnswerte Handlung dar, und er empfindet Schuld, weil er nun auch Reinhold den Gipfelsieg vermasselt hat. Zahlreiche Untersuchungen haben die prinzipiellen Annahmen der Einschätzungstheoretiker bestätigt und für einzelne Emotionen konnten die für sie charakteristischen Einschätzungsmuster empirisch bestätigt werden.260 Ebenso deuten neuere Untersuchungen daraufhin, dass der prinzipielle Einschätzungsprozess auch interkulturell Gültigkeit haben dürfte, und nur die konkrete Einschätzung von Situationen oder Handlungen als gut oder schlecht, wünschenswert oder unerwünscht nach sozialen Standards und Normen kulturell bedingt unterschiedlich sein dürfte. Durch das Beispiel wird aber auch deutlich, dass sich kognitiv orientierte Emotionstheorien durchaus zur Erklärung von Emotionen in Dienstleistungssituationen mit hohem Erlebnisgrad eignen, weil auch die Aktualgenese von Emotionen beim einzelnen Individuum und komplexere Emotionen erklärt werden können.

4.3.4.2 Kritik an kognitiv orientierten Emotionstheorien Unter Emotionsforschern anderer Zugänge hat vor allem der unter Punkt d) der Grundlagen kognitiver Emotionstheorien angeführte Aspekt, dass zur Emotionsentstehung eine vorausgehende kognitive Bewertung eines Sachverhaltes notwendig sei, am meisten Kritik hervorgerufen. Nach Ansicht der Kritiker wird hier die kognitive Rolle in der Emotionsentstehung überbewertet.261 Zajonc262 legte in seinem viel zitierten Arti259 260 261

Vgl. Ortony, et al. (1988). Vgl. zur empirischen Überprüfung von Einschätzungstheorien Reisenzein, et al. (2003), S. 154. Vgl. z. B. Izard (1992), S. 561ff. Izard unterscheidet u. a. vier verschiedene Systeme der Informationsverarbeitung, die für die Entstehung von Emotionen verantwortlich sein könnten. Von diesen beinhalten jedoch nur zwei kognitive Prozesse. Vgl. Izard (1993) in Mandl/Reiserer (2000), S. 103.

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Emotionen

kel „Preferences need no inferences“ eine Reihe von Ergebnissen raffinierter Experimente vor, mit denen er bewies, dass Präferenzen (das sind einfache emotionale Reaktionen) keine bewusste Registrierung des Reizes benötigen.263 Folglich habe die Emotion den Primat über die Kognition, wodurch Emotion und Kognition voneinander unabhängig ausgelöst werden könnten.264 Tatsächlich postulieren heute die wenigsten kognitiven Emotionstheoretiker, dass Emotionen nicht auch auf anderem als auf kognitiven Wege entstehen können. „Appraisal theories neither claim to be able to explain all types of affective phenomena (e.g. reflexive reactions, preferences, or moods) nor pretend that the occurrence of these altered states cannot be explained by mechanisms other than appraisal (e.g. induction by drugs, memories, proprioceptive feedback).”265 Während sich die „cognition-affect”-Debatte auf semantische und terminologische Differenzen reduzieren lässt, ist ein schwerwiegenderer Kritikpunkt an kognitiv orientierten Emotionstheorien in den Methoden zu sehen, welcher sich ihre Vertreter bedienen. Vorwiegend wurde hier die Introspektion gewählt und damit das subjektive Erleben von Emotionen gemessen.266 Erfasst werden Emotionen meist verbal, wodurch ein Explizieren und damit ein „Sich-Bewusstmachen“ der Emotion durch den Probanden notwendig ist. Die Gefahr eines tautologischen Zirkelschlusses besteht, bei dem nicht mehr als die semantische Struktur unseres Emotionsvokabulars verdeutlicht wird. „[…] emotional experience in particular can be inarticulate for the very reason that it is emotional experience.“267 In der starken Abhängigkeit der Operationalisierung von Emotionen durch verbale Methoden liegt eine der Grundproblematiken der Emotionsmessung (siehe Punkt 4.5.4, Zeitpunkt der Messung), weshalb hier auch aus den eigenen Reihen der kognitiven Emotionstheoretiker die Forderung nach falsifizierbaren Voraussagen für Einschätzungsprozesse und alternativen Messmethoden gestellt wird.268 Abschließend kann hinzugefügt werden, dass es zur Zeit keine Alternative zu den kognitiven Emotionstheorien gibt, die Emotionen umfassender und systematischer erklären können (siehe dazu die wesentlichen Vorteile der Bewertungstheorien in den 262 263

264 265 266 267

268

Vgl. Zajonc (1980). Zajonc bediente sich dabei des „Effektes der bloßen Darstellung“ (effect of mere exposure), bei dem Probanden bedeutungslose Objekte für einige Millisekunden gezeigt wurden. Obwohl diese unterhalb der Wahrnehmungsschwelle waren und damit nicht bewusst registriert werden konnten, gaben die Probanden bei erneuter Präsentation mit anderen neuen Objekten den vorher präsentierten den Vorzug (Präferenz). Vgl. dazu Zajonc (1980). Vgl. Zajonc (1984), S. 119f. Scherer (1999), S. 654. Vgl. Scherer (1999), S. 655. Fridja (1993c), S. 361. Fridja stellt dabei nicht grundsätzlich in Frage, dass verbale Selbsteinschätzungsmethoden für die Erfassung von Emotionen zweckmäßig sind, sondern dass diese weniger für die Bestimmung des der Emotion vorhergehenden Einschätzungsprozesses geeignet sind. Einschätzungsprozesse, so Fridja, können auf einem kognitiv sehr geringem Niveau stattfinden, sodass die Einschätzung erst post-sensitiv, also nach der Emotion und als Resultat der Emotion, erfolgen kann. Vgl. Reisenzein, et al. (2003), S. 158.

Die Struktur von Emotionen

61

Grundlagen dieses Kapitels). Schließlich erkennen auch die meisten Vertreter anderer Denkschulen die Notwendigkeit von kognitiven Einschätzungsprozessen zur Erklärung von komplexen Emotionen wie Stolz und Mitleid an (z. B. auch Zajonc, 1989).269 4.4 Die Struktur von Emotionen Ein Ordnungssystem für Emotionen zu erstellen, durch welches die unterschiedlichen Emotionsqualitäten erfasst und ihre Unterschiede logisch erklärt werden können, stellt Emotionstheoretiker vor eine herausfordernde Aufgabe. Anders als in der Chemie oder der Biologie erscheint ein Klassifizierungssystem für die Arten von Emotionen schwer argumentierbar und oft nicht eindeutig. Sind zum Beispiel Hass und Liebe unterschiedliche Emotionen? Wenn ja, wodurch unterscheiden sie sich, und wie kann ihr gemeinsames Auftreten im Alltag (Hass-Liebe) erklärt werden? Bei der Identifikation einer möglichen Struktur der Emotionen lassen sich drei Ansätze unterscheiden:270 Ansatz der Basisemotionen, Aufstellen von grundlegenden Dimensionen, und Aufstellen von einzelnen Kategorien. Der erste Ansatz ist im Wesentlichen mit den zentralen Annahmen der Vertreter der Basisemotionen identisch (vgl. 4.3.2), welche eine begrenzte Anzahl an Primäremotionen postulieren, auf denen die so genannten Sekundäremotionen aufbauen. Das Problem dieses Ansatzes besteht, wie bereits dargestellt, darin, dass die Vertreter der Basisemotionen eine höchst divergierende Anzahl an Basiskategorien vorschlagen, und sogar bei ähnlichem theoretischem Zugang zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.271 Orthony und Turner haben beispielsweise in ihrer Auflistung 14 Ansätze an Basisemotionen identifiziert, wobei die vorgeschlagene Anzahl der Kategorien dabei von 2 bis 18 reicht. Hier wird deutlich, dass es keine Übereinstimmung gibt „about how many emotions are basic, which emotions are basic, and why they are basic.”272 Dadurch erscheint dieser Ansatz als wenig konsensfähig für eine Strukturbildung der Emotionen. Die beiden verbleibenden Ansätze, nämlich die Kategoriebildung und die Unterscheidung nach grundlegenden Dimensionen, sollen im Folgenden näher betrachtet werden.

4.4.1 Emotionskategorien Der zweite von Forschern häufig gewählte Zugang zur Strukturfindung der Emotionen erschließt sich über empirische Datenanalysen, die aufbauend auf Ähnlichkeitsmessungen und Datenreduktion zu einer begrenzten Anzahl an Kategorien oder Dimensionen führen. Eine Möglichkeit dabei stellen Paarvergleiche dar, bei denen Probanden 269 270 271 272

Vgl. Mandl/Reiserer (2000), S. 104. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 145. Vgl. Schmidt-Atzert (2000), S. 31. Vgl. Ortony/Turner (1990), S. 315.

Emotionen

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gebeten werden, Ähnlichkeitsbewertungen von Emotionswörtern durchzuführen, z. B. wie ähnlich sich Ärger und Angst, Angst und Zorn, Zorn und Ärger, etc. sind. Das Maß der Übereinstimmung über den Grad der Ähnlichkeit unter den Probanden wird dann als Indikator für die Kategoriebildung herangezogen.273 Neben dieser recht aufwändigen semantischen Methode, die die Probanden mit jedem zusätzlich aufgenommenen und zu vergleichenden Emotionswort leicht überfordert, kann die Ähnlichkeit aber auch über die empirische Kovariation festgestellt werden. Hier wird analysiert, welche Emotionen über alle Probanden hinweg (oder bei einem einzelnen Probanden zu mehreren Zeitpunkten) oft gemeinsam auftreten oder in der Intensität eine ähnliche Stärke aufweisen. Grundsätzlich wäre es dann möglich, dass zwei Emotionen (wie Liebe und Hass) zwar semantisch unterschiedlich beurteilt werden, im Erleben aber häufig kovariieren. Tatsächlich besteht allerdings ein enger Zusammenhang zwischen semantisch ähnlich bewerteten Emotionen und der empirischen Kovariation.274 Durch cluster- oder faktorenanalytische Auswertungen werden dann die Interkorrelationen bzw. Ähnlichkeiten statistisch festgestellt. Dabei ergeben Clusteranalysen häufig sechs bis zehn Emotionscluster, die jeweils eine Kategorie darstellen sollen. Inhaltlich entsprechen die so heraus kristallisierten Emotionskategorien den von den Basistheoretikern postulierten „primären Emotionen“ oder Basisemotionen und umfassen Qualitäten wie Ekel, Ärger, Neid, Traurigkeit, Angst, Scham etc.275 Für dieses Ordnungssystem der Emotionen gilt allerdings die gleiche Kritik wie für die Basisemotionen, dass nämlich der Umfang der vorgeschlagenen „Ordnungsschubladen“ mit jedem Autor dieser Schule variiert und daher von einem einheitlichen System nicht die Rede sein kann.276

4.4.2 Dimensionen Bei den meisten der faktoranalytischen Auswertungen zeigte die graphische Auswertung am Scree-Plot einen starken Abfall der erklärten Varianz nach zwei, und seltener nach drei, Faktoren. In ihrer meta-analytischen Auswertung von mehreren Studien zur Faktorstruktur der Emotionen kamen Watson und Tellegen zu dem Schluss: „the first two factors account for approximately one half to three quarters of the common variance.“277

273 274 275

276

277

Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 38. Vgl. Schmidt-Atzert (2000), S. 35. Vgl. Fridja (1993b), S. 390; die Kategoriebildung von Emotionen findet in der Literatur auch Eingang unter dem Begriff „discrete emotions“. Auch wenn hier einige Autoren auf die lediglich semantisch unterschiedliche Bezeichnung der Kategorien hinweisen (wie z. B. Schmidt-Atzert), so kann dies nicht über die Uneinigkeit innerhalb ihrer Vertreter hinwegtäuschen. Watson/Tellegen (1985), S. 224.

Die Struktur von Emotionen

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Abbildung 17: Anteil erklärter Varianz der aus der Faktorenanalyse extrahierten Faktoren278

Inhaltlich entsprechen die beiden Faktoren einem negativen und einem positiven Emotionscluster, wenn ein dritter Faktor interpretiert wird, so ist dieser meist mit Dominanz oder Aggression zu bezeichnen. Sowohl in der orthogonalen Faktorenlösung als auch in Clusterauswertungen zeigt sich, dass die beiden Dimensionen nahezu unkorreliert sind bzw. nur einen sehr schwachen negativen Zusammenhang aufweisen, und damit als unabhängig von einander zu betrachten sind.279 Die Einordnung von Emotionen in einem zweidimensionalen Raum wurde oft repliziert und bestätigt.280 Bei graphischen Darstellungen der einzelnen Emotionen fällt auf, dass sich diese in einem zweidimensionalen Raum annähernd kreisförmig anordnen (vgl. Abbildung 18).281 Dabei werden Emotionen, die sich ähnlich sind, in dem kreisförmigen Raum nahe aneinander platziert, meist im selben Oktant. Dagegen liegen sich Emotionen, die als sehr unterschiedlich empfunden werden, meistens gegenüber (z. B. Freude und Traurigkeit).282 Die präzise Spezifizierung der beiden Hauptachsen, um welche die diskreten Emotionen angeordnet werden, stellt ein in der Literatur breit diskutiertes Thema dar. Die, hauptsächlich von theoretischer Relevanz, häufig gestellte Frage ist, 278 279 280 281 282

Quelle: Watson/Tellegen (1985), S. 225. Vgl. Fridja (1993b), S. 391. Vgl. z. B. Diener/Emmons (1985), S. 1114f; Russell (1980), S. 1170ff. Vgl. Schmidt-Atzert (2000), S. 39. Vgl. Plutchik (1997), S. 24.

Emotionen

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ob die beiden Hauptachsen mit „positiver Affekt“ und „negativer Affekt“ (in Englischen nach Watson und Tellegen positive, negative affect)283 zu bezeichnen sind, oder die nach Russel bipolaren Dimensionen Lust-Unlust284 (pleansantness-unpleasantness) und Erregung-Ruhe (arousal-sleepiness) darstellen.

Abbildung 18: Struktur der Emotionen im Circumplex nach Watson und Tellegen285

Die Idee, dass die beiden Dimensionen voneinander unabhängig und mit „positiver und negativer Affekt“ zu benennen sind, geht auf Untersuchungen von Bradburn286 zurück, der in einer Reihe von Studien ihre Unabhängigkeit feststellen konnte. Dies impliziert, dass es möglich ist, positive und negative Emotionen unabhängig von einander, und eventuell auch gleichzeitig, zu erleben. Bradburn ging von der Grundannahme aus, dass das Wohlbefinden insgesamt die Summe aus allen positiven abzüglich aller negativen erlebten Emotionen sei: „An individual will be high in well-being in

283 284 285 286

Vgl. Watson/Tellegen (1985), S. 221. Vgl. Russell (1997), S. 210 in Plutchik/Conte (1997). Quelle: Watson/Tellegen (1985), S. 221. Vgl. Bradburn (1969).

Die Struktur von Emotionen

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the degree to which he has an excess of positive over negative affect […].“287 Watson und seine Kollegen griffen dieses Thema wieder auf und verfeinerten die Struktur in ihrer Circumplex-Darstellung weiter, indem sie unlängst die beiden Dimensionen in positive und negative Affektivität („positive and negative affectivity“288) umbenannten, da die Termini positiver und negativer Affekt inhaltlich nicht mit der Bedeutung vieler anderer Autoren korrespondierten.289 Die Unabhängigkeit der beiden Dimensionen konnte in zahlreichen Untersuchungen von unterschiedlichen Autoren, in unterschiedlichen Kulturen und über Alters- und Geschlechtsunterschiede hinweg repliziert werden290 und gilt speziell bei Studien, die Emotionsverläufe über einen längeren Zeitraum hinweg berichten, als gut abgesichert.291 Die zweite Variante der Hauptachsenbezeichnungen von Russel, nämlich Lust-Unlust und Erregung-Ruhe, widerspricht in keiner Weise der von Watson und Tellegen vorgeschlagenen. Sie ergibt sich vielmehr durch eine Rotation des Circumplex-Modells um 45 Grad. Da bei faktoranalytischen Auswertungen von Circumplex-Modellen keine der Rotationslösungen mehr Varianz erklärt als die anderen, kann auch nicht von den Hauptachsen gesprochen werden.292 Dies anerkennen auch die Autoren selbst, indem zum Beispiel Watson feststellt, dass diese Ergebnisse „[…] do not rule out alternative conceptions of this 2-space, such as Russel’s (1980) circumplex or Diener, Larsen, Levine, and Emmons’s (1985) frequency/intensity model.“293 Dass die Achsenbezeichnung positive und negative Affektivität von Watson und Tellegen weitestgehend Anerkennung gefunden hat, lässt sich unter anderem damit begründen, dass eine Faktoranalyse mit Varimax-Rotation sehr häufig in dieser Dimensionslösung resultiert, zudem die Items vieler Fragebögen mit dieser Struktur besser übereinstimmen und außerdem ein klarer Zusammenhang zu anderen, außerhalb der Emotionspsychologie liegenden Konstrukten, wie z. B. den Persönlichkeitseigenschaften hergestellt werden konnte.294 Vor allem in diesem letzten Aspekt, der Tragfähigkeit für Verbindungen zu anderen Konstrukten, sieht die Autorin den wesentlichsten Grund, durch welchen eine Emotionsstruktur auf den zwei Dimensionen positive und negative Affektivität basierend für die vorliegende Arbeit anzunehmen als gerechtfertigt erscheint. Gleichzeitig ermöglicht die Darstellung der Emotionsstruktur in dieser Art eine spar287 288 289

290 291

292 293 294

Bradburn (1969), S. 9. Vgl. Watson, et al. (1999), S. 820ff. Die positive Affektdimension ist zum Beispiel mit Adjektiven wie euphorisch, freudig erregt und schwungvoll verankert und bezeichnet damit eher positive Zustände mit hohem Aktivierungsgrad, dagegen würden die meisten anderen Emotionstheoretiker unter positiven Emotionen Glück, Freude und Zufriedenheit verstehen. Vgl. Diener/Emmons (1985), DePaoli/Sweeney (2000), Egloff (1998). Diener und Lucas weisen jedoch auch darauf hin, dass die Achsenbezeichnung sowie deren Orthogonalität auch davon abhängt, mit welchen Emotionswörtern und Skalen die jeweiligen Dimensionen gemessen werden, vgl. Diener/Lucas (2000), S. 328. Vgl. Larsen/Diener (1992), S. 35f; vgl. Russell/Barrett Feldman (1999), S. 811. Watson (1988), S. 139. Vgl. Fridja (1993b), S. 392.

Emotionen

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same, aber dennoch ein breites Spektrum der emotionalen Erlebnisqualität begreifende Erfassung von Emotionen.295 Ein weiterer Vorteil dieses Zuganges ist die Integrationsfähigkeit unterschiedlicher theoretischer Zugänge über Art und Entstehung von Emotionen, wie sie unter Punkt 4.3 dargestellt wurden. Durch das hier vorgestellte Circumplex-Modell ist es möglich, sowohl komplexe Emotionen, die einer kognitiven Verarbeitung bedürfen (wie z. B. Stolz, Dankbarkeit etc.), zu betrachten als auch solche, die nach Auffassung der evolutionspsychologischen Emotionstheoretiker phylogenetischer Natur sind, wie die Basisemotionen Angst, Freude, etc. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass solche Circumplex-Modelle nur für auf Selbsteinschätzung der Probanden basierende Fragebögen und das mimische Ausdrucksverhalten als abgesichert gelten.296 Andere Messverfahren, wie z. B. neurophysiologische Messungen, könnten eine andere Struktur abbilden. Dem Vorteil der Sparsamkeit des Modells steht der Nachteil gegenüber, dass eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Emotionen in ihrer Qualität und Intensität nicht erfolgen kann. Es mag deshalb unbefriedigend erscheinen, nur zu wissen, dass Angst und Ärger im selben Oktanten platziert sind, obwohl sie sich sowohl in ihrer Entstehung als auch den Handlungsdispositionen (Flucht versus Angriff) stark unterscheiden. Die Anwendung von Circumplex-Modellen kann und soll daher einen fundierten theoretischen Zugang in dieser Arbeit nicht ersetzen, sondern bietet vielmehr einen passenden strukturellen Rahmen für die Operationalisierung des emotionalen Empfindens in der empirischen Studie.

4.4.3 Annäherung an eine konsensuale Struktur von Emotionen Die eingehend geschilderten Ansätze zur Systematisierung der Emotionen schienen bislang als sich gegenseitig ausschließend und stellten konkurrierende Denkschulen dar. Es zeichnet sich allerdings in der neueren Literatur eine Konsensbildung dahingehend ab, dass fundamentale Dimensionen der Emotionen und ihre Kategoriebildung mit einander vereinbar sind. Dabei könnten die Grunddimensionen der Emotionsstruktur durch positive und negative Affektivität (oder bei 45-Grad-Rotation auch LustUnlust und Ruhe-Erregung) bezeichnet werden, unter die sich die diskreten Basisemotionen, wie sie von Evolutionstheoretikern vorgeschlagen werden, subsumieren lassen. Watson und Tellegen dazu: „This indicates that Positive and Negative Affect are not only the two dominant primary factors, but can also be interpreted hierarchically as general dimensions that are superordinate to the more circumscribed discrete emotion factors (anger, fear, joy, and so on).”297 Shaver et al.298 stellen durch semantische Ana295 296 297 298

Vgl. hierzu und im Folgenden Larsen/Diener (1992), S. 42ff. Vgl. Larsen/Diener (1992), S. 42. Watson/Tellegen (1985), S. 230. Vgl. Shaver, et al. (1987), S. 1062ff.

Die Struktur von Emotionen

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lysen eine ähnliche hierarchische Struktur der Emotionen fest, und schlagen eine Unterscheidung von Emotionen auf superordinatem (positiv vs. negativ), Basis- (Freude, Liebe, Überraschung, Angst, Ärger und Traurigkeit) und subordinatem (weitere 25 Subemotionen der Basiskategorien) Niveau vor. Laros und Steenkamp299 konnten in einer empirischen Untersuchung diese hierarchische Emotionsstruktur auch für den Konsumentenverhaltensbereich nachvollziehen, indem sich die von Richins vorgeschlagenen konkreten Emotionen der CES-Skala300 zu Basiskategorien verdichten ließen, die wiederum unter die Faktoren höherer Ordnung, positiver und negativer Affekt, subsumiert werden konnten (vgl. Abbildung 19).

Abbildung 19: Beispiel einer hierarchischen Struktur der Emotionen301

Obwohl diese Struktur relativ konsensfähig zu sein scheint, ist sie nicht frei von Widersprüchen und ermöglicht in vielen Fällen nicht eine eindeutige Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie. Russel plädiert daher, die starren Ordnungsversuche zugunsten einer offenen Logik aufzugeben: „Membership in a category is not either-or but rather a matter of degree. […] Fuzzy logic supplements traditional two valued (true-false) logic.”302 Folgendes Beispiel verdeutlicht das Paradox der menschlichen Sprache, die sich strikten Ordnungsversuchen oft entzieht: „a car seat is a chair, and a chair is a piece of furniture, but a car seat is not a piece of furniture.”303 Ob eine offene Hierarchie bessere und zufriedenstellendere Aussagen über Antezedenzen und Konsequenzen von Emotionen erlaubt, sei hier dahingestellt und wird nicht 299 300 301 302 303

Vgl. Laros/Steenkamp (2004), S. 8. Vgl. Richins (1997). Quelle: Eigene Darstellung der Untersuchungen von Laros/Steenkamp (2004), S. 7. Russell (1997), S. 209. Russell (1997), S. 215.

Emotionen

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mehr näher erläutert. Für die vorliegende Arbeit soll aber der Blick für eine hierarchische Struktur, die sowohl Faktoren höherer Ordnung als auch konkrete Emotionen in die Betrachtung einzuschließen vermag, geöffnet bleiben. 4.5 Die Messung von Emotionen In Kapitel 4.1 wurden drei Aspekte aufgelistet, die die meisten Emotionstheoretiker als Bestandteil von Emotionen anerkennen und die deshalb als der kleinste gemeinsame Nenner der Emotionen gesehen werden können. Es sind dies das subjektive Erleben des Gefühls, eine körperliche Veränderung in Form einer physiologischen Reaktion (z. B. Schwitzen oder Erhöhung der Herzrate) und der Verhaltensaspekt von Emotionen, womit das Ausdrucksverhalten in Mimik und Gestik gemeint ist. Erkennt man nun an, dass Emotionen auf diesen drei Reaktionsebenen ablaufen, so kann man daraus schließen, dass Emotionen auch auf diesen drei Ebenen messbar sind. Dementsprechend lassen sich folgende Messebenen erörtern:304 x Subjektive Erlebnismessung x Messung des Ausdrucksverhaltens x Psychobiologische Messung.

Abbildung 20: Methodenüberblick Emotionsmessung305 304 305

Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 106. Quelle: Eigene, zusammenfassende Darstellung der nachfolgenden Ausführungen.

Die Messung von Emotionen

69

4.5.1 Subjektive Erlebnismessung Unter der subjektiven Erlebnismessung werden solche Zustände erfasst, die vom Individuum selbst als Emotionen bezeichnet und durch Sprache mitgeteilt werden.306 Problematisch an diesem Messansatz ist, dass alles was nicht mitgeteilt wird, auch nicht als Emotion erfasst wird, d. h. die Zuverlässigkeit hängt wesentlich von der Mitteilungsbereitschaft des Probanden ab. Dadurch kommt der optimalen Gestaltung der Kommunikationswege (durch z. B. Vertraulichkeit, Anonymität der Angaben etc.) eine zentrale Bedeutung zu. Bei der subjektiven Erlebnismessung wird auch bewusst der häufig angeführte Einwand außer Acht gelassen, dass die Wahrnehmung eines Individuums über die eigenen Emotionen nicht sensibel genug sein könnte und daher Emotionen unbewusst erlebt werden. Da die Probandin nichts über diese unbewusste Emotion sagen kann, ist diese auch nicht von weiterem Interesse. Methodisch können für die subjektive Erlebnismessung verbale wie auch nonverbale Techniken herangezogen werden. Am häufigsten werden standardisierte Skalen mit einem Papier-BleistiftVerfahren eingesetzt,307 bei denen den Probanden eine Reihe von mehrfach gestuften Emotionsindikatoren zum Ankreuzen vorgelegt werden. Die Abstufung kann dabei nach der Intensität (sehr stark – eher stark – eher schwach – sehr schwach) oder der Häufigkeit (fast nie – manchmal – oft – fast immer) der erlebten Emotion erfolgen. Die Items können entweder Aussagen in Form von ganzen Sätzen, oder aber einzelne Emotionswörter in Form von Eigenschaftslisten darstellen (vgl. z. B. Abbildung 21).308

306 307 308

Vgl. Schmidt-Atzert (1981), S. 28. Vgl. Debus (2000), S. 409. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 32f.

Emotionen

70

ein bis schen

Interessiert

1

2

3

4

5

Bekümmert

1

2

3

4

5

erheb lich

gar nic ht

Die folgende Liste enthält Wörter die Gefühlszustände und Emotionen beschreibt. Bitte geben Sie an, in welchem Ausmaß Sie persönlich diese Gefühle während …… erfahren haben.

Freudig erregt

1

2

3

4

5

Verärgert

1

2

3

4

5

Stark

1

2

3

4

5

Schuldig

1

2

3

4

5

Erschrocken

1

2

3

4

5

Feindselig

1

2

3

4

5

Begeistert

1

2

3

4

5

Stolz

1

2

3

4

5

Abbildung 21: Auszug aus dem PANAS nach Krohne et al. (1996), als Beispiel für eine verbale Erfassung des subjektiven Erlebens309

Der Vorteil von standardisierten verbalen Emotionsinventaren besteht in der relativ sparsamen Abfrage und Erfassung von Emotionen sowie der geringen Ablehnungsquote im Vergleich zu anderen Befragungstechniken. Allerdings besteht über die theoretische Absicherung der Indikatoren oft Unsicherheit und die Instrumente weisen eine mangelnde Sensibilität für komplexes emotionales Erleben auf, da, am Beispiel von Eigenschaftslisten, nichts vom Entstehungshintergrund und den Handlungsbereitschaften in Erfahrung gebracht wird.310 Dieser Nachteil kann nach Ansicht einiger Autoren jedoch beseitigt werden, indem die Fragebögen weniger standardisiert und mit mehr freien Antwortmöglichkeiten versehen werden, welche einen Rückschluss auf die Entstehungssituation der Emotionen zulassen.311 Ein anderer Zugang zum subjektiven Erleben wäre das Tiefeninterview, das jedoch sehr zeit- und daher kostenaufwändig ist und bei dem die Gefahr besteht, dass der Proband in der persönlichen Interviewsituation nicht ehrlich antwortet.

309

310 311

Der PANAS besteht aus 10 negativ und 10 positiv gepolten Eigenschaftswörtern. Die vorliegende Version entstammt aus der von Krohne, et al. (1996) übersetzten Fassung des englischen Originals von Watson, et al. (1988), Krohne, et al. (1996). Vgl. Ulich/Mayring (2003). Vgl. Wallbott/Scherer (1989), S. 65ff.

Die Messung von Emotionen

71

4.5.2 Messung des Ausdruckverhaltens Das emotionale Ausdrucksverhalten des Menschen umfasst dessen gesamte Körpersprache und daher bieten sich einer möglichen Messung des Ausdruckverhaltens grundsätzlich vier Ebenen an:312 die Mimik, die Gestik, die Stimme313 und die Haltung. Vor allem zum mimischen Ausdrucksverhalten sind in den letzten Jahren vermehrt Untersuchungen entstanden, die den vermuteten Zusammenhang zwischen Emotion und Gesichtsausdruck systematisch untersucht haben. Nach Ansicht einiger Emotionstheoretiker314 ist das mimische Ausdrucksverhalten biologisch vorprogrammiert und „[…] tritt reflexartig […] als Teil des Emotionsprozesses auf.“315 Spontane Gesichtsausdrücke sollten daher universell ähnlich festgelegt und von anderen Menschen decodierbar sein. Methodisch werden dabei direkte Beobachtungen des spontanen Ausdrucks, Einzelaufnahmen (Fotografien) und Videoaufzeichnungen zur Analyse verwendet.316 Die Beurteiler stufen dann ein, in welchem emotionalen Zustand sich die darstellende Person befindet. Viele dieser Untersuchungen, von denen Ekman und seine Kollegen317 die umfangreichsten unternommen haben, wurden aus methodischen Gründen kritisiert, da wenigen Gesichtsausdrücken auf Fotos nur eine sehr beschränkte Anzahl und einander nahezu ausschließende Emotionswörter zur Zuordnung vorgelegt wurden.318

312 313

314 315 316 317 318

Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 40. Ausführungen zur Stimme als Messvariable des Ausdruckverhaltens siehe bei Johnstone, et al. (2001) in Scherer, et al. (2001) sowie bei Scherer (1989). Vgl. Kapitel 4.3.2 Evolutionspsychologische Theorien. Izard (1994) zitiert nach Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 111. Vgl. Izard (1999), S. 143. Vgl. Ekman, et al. (1987). Vgl. Russell (1989), S. 97f. Die Probanden mussten einem Gesichtsausdruck die richtige Emotion nur aus dieser Liste zuordnen können: Freude, Überraschung, Traurigkeit, Furcht, Ekel und Ärger; vgl. auch Meyer, et al. (2003), S. 73.

Emotionen

72

Japan

Glück

Furcht

Überraschung

Zorn

Ekel

Traurigkeit

87

71

87

63

82

74

Brasilien

97

77

82

82

86

82

Chile

90

78

88

76

85

90

USA

97

88

91

69

82

73

Die Werte geben an, wie viel Prozent der Versuchspersonen in der Studie von Ekman dem Gesichtsausdruck das richtige Emotionswort zuordneten. Abbildung 22: Beurteilung des Gesichtsausdruckes319

Obwohl also intuitiv emotionales Erleben häufig von einem bestimmten Gesichtsausdruck begleitet wird, so scheint es doch viele emotionale Zustände zu geben, die über kein typisch expressives Verhaltensmuster verfügen und daher visuell nicht wahrgenommen werden können. Cacioppo et al. ergänzen diese Kritik: „Finally, individuals can […] mask or hide the emotion they are feeling, and observers can confuse the meaning of expressions. For these reasons, the coding of overt facial expressions can be a less than perfect measure of affective state.”320 Weitere Methoden zur Erfassung des expressiven, mimischen Verhaltens321 wären das von Ekman und Friesen322 entwickelte Facial Action Coding System, bei dem in recht aufwändiger Weise, jede Veränderung im Gesicht nach einem vorher erstellten Codierplan registriert und anschließend interpretiert wird, sowie das GesichtsmuskelEMG, das die Kontraktionen der Muskel, die mit einem Wechsel im Gesichtsausdruck verbunden sind, elektronisch aufzeichnet. Dafür müssen im Gesicht des Probanden jedoch Elektroden angebracht werden, die zum einen auch auf andere Bewegungen sehr empfindlich reagieren und daher zu Artefakten führen können, und zum anderen die Versuchsperson durch die Verkabelung sehr ablenken können, wodurch die Authentizität des Gesichtsausdruckes nur schwer zu gewährleisten sein dürfte.323

319 320 321

322 323

Quelle: Ekman (1976), S. 32. Cacioppo, et al. (2000), S. 178. Für eine ausführliche und umfassende Darstellung der Methoden zur Erfassung des mimischen Ausdrucks vgl. Kaiser/Wehrle (2000), S. 419ff. Vgl. Ekman/Friesen (1978). Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 114ff.

Die Messung von Emotionen

73

4.5.3 Messung der physiologischen Reaktion (psychobiologische Messungen) Psychobiologische Messungen werden in erster Linie dazu eingesetzt, die Intensität einer Emotion festzustellen. Emotionale Erregungen können als spezifische Aktivierungsvorgänge gesehen werden, die über das vegetative Nervensystem vermittelt werden324 und den Organismus in eine schnelle Handlungsbereitschaft versetzen sollen. Diese Aktivierungsvorgänge lassen sich messmethodisch in peripheren und zentralnervösen Prozessen erfassen. Periphere Prozesse finden in der Änderung der Herzfrequenz, des Blutdrucks, der Durchblutung und der Hautleitfähigkeit ihren Niederschlag. Es handelt sich dabei jedoch um körperliche Reaktionen, die auch bei anderen Zuständen wie körperlicher Anstrengung, Stress etc. auftreten und daher nicht emotionsspezifisch sind (wenn also Emotion dann Aktivierung, der Umkehrschluss ist jedoch nicht zulässig).325 Eine Erhöhung der Hautleitfähigkeit wird beispielsweise am besten durch Aufblasen eines Luftballons oder durch ein plötzliches Geräusch erreicht. Alleine der Nachweis der Aktivierung stellt daher kein Indiz für das Vorliegen einer Emotion dar bzw. lässt sich auch nicht feststellen, ob die Aktivierung aufgrund eines positiv oder negativ wahrgenommenen Reizes ausgelöst wurde.326 Die Methoden zur Erfassung dieser Veränderungen wurden großteils aus der medizinischen Diagnostik übernommen, wie zum Beispiel das Elektroenzephalogramm (EEG), das Elektrokardiogramm (EKG), Blutdruckmessungen und Messungen der elektrodermalen Aktivität.327 Die Untersuchungen, die anhand des Nachweises von peripher-physiologischen Veränderungen durchgeführt wurden, sind widersprüchlich und wenig konsistent. Peripherphysiologische Veränderungen können daher nicht als ausreichend angesehen werden, um die Entstehung, Aufrechterhaltung und das Verschwinden von Emotionen zu erklären.328 Die Annahme, dass verschiedene Emotionen durch unterschiedliche physiologische Veränderungen charakterisiert sind, wie es erstmals von James angenommen wurde, muss daher als empirisch wenig begründet abgelehnt werden. Viel versprechender können dagegen Untersuchungen eingestuft werden, die an Veränderungen im Zentralnervensystem interessiert sind. Da die meisten peripheren körperlichen Änderungen ihren Ursprung in zentralnervösen Prozessen haben, setzt die neuere Forschung auf die Lokalisierung der emotionsspezifischen Aktivierungszentren in verschiedenen Teilen des Gehirns.329 LeDoux330 konnte z. B. nachweisen, dass einfach konditionierte Angstresponses, in der Amygdala induziert werden, während kom324 325 326

327 328 329 330

Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 107. Vgl. Sokolowski (2002), S. 363f in Müssler/Prinz (2002). Groeppel-Klein stellt dies ebenfalls in ihren Studien fest, indem sie psychobiologische EDA-Messungen kombiniert mit verbalen, standardisierten Skalen um nachträglich die Valenz der Erregung und eventuelle Zusammenhänge mit Emotionen festzustellen, vgl. Groeppel-Klein (2004), S. 6. Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 103. Vgl. Vossel/Zimmer (2000), S. 447. Vgl. Pecchinenda (2001), S. 307. Vgl. LeDoux (1996).

Emotionen

74

plexere Angstreaktionen auch den Hippocampus involvieren. Eine generelle Zuordenbarkeit in rechte und linke Gehirnhälfte nach Gefühlsvalenz, wie sie von einigen Autoren postuliert wurde, kann dagegen nicht als haltbar angesehen werden, da die Reizorte für negative und positive Gefühle zum Teil sehr eng beieinander liegen.331 Für die empirische Studie der vorliegenden Arbeit wurde aus mehreren Gründen das subjektive Erleben zur Messung herangezogen und hier im speziellen eine standardisierte Skala zur anonymen Papier-Bleistift-Befragung verwendet. Die Erfassung sowohl des mimischen Ausdruckes als auch auf psychobiologischer Ebene erscheint für eine quantitative Erhebung aufgrund der hohen notwendigen Fallzahl für Strukturgleichungsmodelle als nicht durchführbar. Die meisten der vorgestellten Methoden sind nur im Labor umsetzbar und erfordern einen enormen organisatorischen und technischen Aufwand. Abgesehen von dem recht aufwändigen Prozedere zur Durchführung solcher Analysen sprechen gegen eine Messung des mimischen Ausdrucks aber vor allem auch die widersprüchlichen Forschungsergebnisse und die großen Unsicherheiten über die Universalität von emotionsspezifischen Gesichtsausdrücken. Periphere psychobiologische Messverfahren haben sich ebenfalls als wenig aufschlussreich für spezifisches Emotionserleben erwiesen, wohin gegen zentralnervöse Untersuchungen noch zu wenig fortgeschritten und technisch zu aufwändig sind. Die subjektive Erlebnisebene wird deshalb von den meisten Emotionstheoretikern als Messebene akzeptiert, auch von jenen, die Emotionen als evolutionär bedingte Entwicklung sehen, die sich vor allem im Gesichtsausdruck nachweisen lässt. Methodisch wird für die vorliegende Studie ein anonymer Fragebogen in Form einer Papier-Bleistift-Befragung verwendet, wobei die Emotionen durch standardisierte verbale Skalen erhoben werden. Obwohl die Fragebogenmethode zur Erhebung der Emotionen lange Zeit kritisiert wurde, hat sie sich in den letzten Jahren gut etabliert. Vor allem zwei Argumente sprechen für die Verwendung von Fragebögen: erstens die Anonymität, wodurch die grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an einer Befragung der Probanden erhöht wird und Interviewereinflüsse, die zu sozialer Erwünschtheit führen, vermieden werden können.332 Zweitens können durch diese Methode aber auch umfangreiche Daten gesammelt werden, die mit Hilfe der klassischen Testtheorie ausgewertet werden.333 Der Zeitpunkt der Erhebung wurde so gewählt, dass nach Ansicht der Autorin ein bestmöglicher Kompromiss aus Erhebungsaufwand und Umgehen methodologischer Grundprobleme der Emotionsmessung angestrebt wurde.

331 332 333

Vgl. Sokolowski (2002), S. 367. Vgl. Schorr (2001b), S. 335. Vgl. Wallbott/Scherer (1989), S. 61.

Die Messung von Emotionen

75

4.5.4 Der Zeitpunkt der Emotionsmessung – Grundproblematik Grundsätzlich stellt sich bei der Messung von Emotionen die Frage, ob diese retrospektiv überhaupt erfassbar sind, d. h. ob Probanden in der Lage sind, sich nachträglich an Emotionen zu erinnern und diese in adäquater Weise wiedergeben können. Lange Zeit stellte deshalb die Induktion, also die experimentelle Erzeugung von Emotionen, die beliebteste Art der Emotionsmessung dar, da sie die größte Kontrollmöglichkeit bietet.334 Vor allem aber bei der Erzeugung von negativen Emotionen kommt es dabei oft zu ethischen Bedenken335, die schwer vertretbar sind. Nicht zu vergessen ist auch, dass diese Emotionen künstlich herbeigeführt werden und sich deshalb mit dem alltäglichen Gefühlsempfinden nicht unbedingt decken müssen.336 Bei der retrospektiven Erhebung werden die Probanden aufgefordert, sich an ein Ereignis zu erinnern, bei dem sie die fragliche Emotion erlebten. Solche Quellen sind der selektiven Erinnerung unterworfen, und aus Studien ist bekannt, dass Ereignisse im Nachhinein neu interpretiert und bewertet werden.337 Ereignisse oder Überlegungen, die zwischen der ursprünglich erlebten Emotion und der Befragung eingetreten sind, können eine andere Bewertung der erlebten Emotion bewirken, welche sich dann auch in der Wiedergabe im Fragebogen niederschlägt. Außerdem konnten Dubé und Morgan338 Trendeffekte in ausgedehnten Dienstleistungskonsumsituationen nachweisen, die für Männer und Frauen unterschiedlich ausfielen. Während Männer eher auf die positiven Emotionen achteten und in der Summe positivere Emotionen retrospektiv berichteten, war für Frauen genau der gegenteilige Trend für negative Emotionen belegbar. Trendeffekte bei Dienstleistungen können durch die hohe Interaktion und reziproke Anpassungsmöglichkeit zwischen Dienstleister und Kunde entstehen. Wenn sich Kunden z. B. nach einigen Minuten des „Eingewöhnens“ in einer fremden Situation sicherer und wohler fühlen, nehmen die negativen Gefühlszustände ab und positive Emotionen werden zunehmend wahrgenommen.339 Damit kommt dem Zeitpunkt der Emotionsmessung eine entscheidende Rolle zu. Werden Emotionen retrospektiv, also nach dem Konsumerlebnis erhoben, so geht man davon aus, dass der Proband die Summe seiner Empfindungen angibt, während es im Konsumprozess selbst sehr wohl zu Schwankungen kommen kann.

334 335

336 337 338

339

Vgl. Meyer, et al. (2001). Vgl. z. B. das Experiment von Watson/Rayner (2000) zur Konditionierung von Angst am Kleinkind, oder Injizierung von Adrenalin bei den klassischen Experimenten von Schachter/Singer (1962). Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 30f. Vgl. Levine (1997), S. 165f. Vgl. Dubé/Morgan (1996), S. 116, sowie generelle Trendeffektmodelle im Dienstleistungskontext Dubé/Morgan (1998). Vgl. dazu die Studien von Price und Arnould, die zeigte, dass jene Dienstleister am erfolgreichsten waren, die sich auf die Kunden persönlich am besten einstellen konnten, Arnould/Price (1993).

Emotionen

76

Solche Trendeffekte lassen auch die als häufig beste und authentischste Emotionsmessung angepriesene Alltagsbeobachtung in einem differenzierten Licht erscheinen. Eine Erhebung von Emotionen im Alltag der Probanden bedeutet, dass diese direkt befragt werden, wenn eine Emotion natürlich auftritt. Dies bedeutet einerseits einen fast unzumutbaren Eingriff in den Alltagsablauf der Probanden (da diese ständig begleitet werden müssten), andererseits aber auch einen kaum zu bewältigenden organisatorischen und finanziellen Aufwand für den Forscher.340 Für ausgedehnte Dienstleistungskontexte wie im Fall der vorliegenden empirischen Studie, wäre eine Alltagsbeobachtung aufgrund der oben beschriebenen Trendeffekte nicht optimal, da die Intensität und Qualität der erlebten Emotionen über den Lauf des Konsumerlebnisses hinweg variieren können. Es bleibt hier also nur die Methode der retrospektiven Erhebung. Um aber Verzerrungen von nachträglich vorgenommenen Interpretationen zu vermeiden, werden die Emotionen unmittelbar nach dem Konsumerlebnis bzw. noch während der Konsumsituation, aber zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt, vorgenommen. Konkret wurde die Erhebung auf einer Schutzhütte unterhalb des Gipfels durchgeführt, wo die Probanden nachdem sie den Gipfel erreicht (oder es versucht) hatten, aber noch vor dem letzten Abstieg ins Tal, den Fragebogen komplettierten.

340

Vgl. Schorr (2001b), S. 339.

5 Emotionen und Kundenzufriedenheit Emotionen nehmen in Erklärungsmodellen für Konsumentenverhalten eine bedeutende Stellung ein. In vielen Teilbereichen der Konsumentenverhaltensforschung wird in Emotionen das zentrale Bindeglied zwischen Lernen, Motivation und Handlung von Konsumenten gesehen.341 Seit sich Kundenzufriedenheit als Forschungsdisziplin etablierte, dominierten von den Anfängen an kognitiv orientierte Erklärungsmodelle. Das in Kapitel 3 bereits im Detail vorgestellte Konfirmations-Diskonfirmationsmodell zur Erklärung der Kundenzufriedenheit legt einen bewussten Vergleichsprozess der Konsumenten zwischen prekonsumptiven Erwartungen und tatsächlich wahrgenommener Leistung zugrunde und impliziert damit einen bewussten Verarbeitungsprozess dieser Standards.342 Obwohl sich dieses Erklärungsmodell sowohl theoretisch am stärksten durchsetzte als auch durch eine Vielzahl an empirischen Untersuchungen bestätigt wurde,343 kann über Defizite des Modells nicht hinweggesehen werden. Insbesondere wird die Kognitionslastigkeit des Modells kritisiert.344 Im Rahmen der Kundenzufriedenheitsforschung stellt das damit verbundene Nachkaufverhalten von Konsumenten eine zentrale Fragestellung dar. Der positive Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Loyalität steht, durch zahlreiche Studien empirisch bestätigt, außer Streit. Die Art dieses Zusammenhangs, der Einfluss von moderierenden Variablen und Emotionen sowie mögliche asymmetrische Effekte dieser Beziehung sind jedoch noch Gegenstand heftiger Diskussionen und intensiver Forschungen. Yu und Dean stellen aufgrund der jahrelangen Ignoranz der emotionalen Komponente der Kundenzufriedenheit auch die Ergebnisse über den postulierten Zusammenhang mit dem Loyalitätsverhalten in Frage: „It is inappropriate to ignore the emotional component of satisfaction, and hence the reliablity findings of the previous studies are questioned.“345 Tatsächlich weisen einige Studien darauf hin, dass emotionale Komponenten der Kundenzufriedenheit bessere und zuverlässigere Indikatoren für das Nachkaufverhalten darstellen, als eine rein kognitive Bewertung und Evaluation.346 Im Folgenden soll versucht werden, die wichtigsten und für die weitere Forschungsentwicklung bedeutendsten Studien durch eine geeignete Klassifizierung darzustellen und Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Widersprüchlichkeiten in Methode, Untersuchungsobjekt und Ergebnissen darzustellen. Als geeignete Kategorisierung dieser Studien bieten sich aus Sicht der Autorin zunächst die den empirischen Untersuchungen 341 342 343 344 345 346

Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999). Vgl. Homburg/Rudolph (1997), S. 35. Vgl. Oliver (1997). Vgl. z. B. Richins (1997), Fournier/Mick (1999). Vgl. Yu/Dean (2001), S. 234. Vgl. dazu z. B. Ergebnisse aus der Studie von Bloemer/de Ruyter (1999), 322 ff. über den Einfluss von positiven Emotionen auf Loyalität bei Serviceleistungen mit hohem Involvement.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

78

zugrunde liegenden theoretischen Annahmen über die Art und Entstehung von Emotionen an. Bei der Analyse zeigt sich, dass viele Autoren hier recht pragmatische Zugänge wählen und die Studien daher oft explorativen Charakter aufweisen. Eng mit dem theoretischen Zugang über das Wesen von Emotionen ist die Operationalisierung dieser in Konsumsituationen verbunden. Die, wie in der Analyse deutlich wird, unterschiedlichen Befunde aus den Studien lassen sich zu einem großen Teil auch auf den divergierenden Einsatz von Erhebungsmethoden und Messinventaren zurückführen, was einen direkten Vergleich der Studien erschwert. Eine weitere Möglichkeit, eine Systematik für die vorliegenden Studien zu erstellen, besteht schließlich in der Einordnung nach dem untersuchten Objekt. Dabei wird deutlich, dass unterschiedliche Ergebnisse auf die Auswahl des untersuchten Objektes zurückzuführen sein könnten; Einfluss und Stärke des Zusammenhanges zwischen latenten Variablen unterscheiden sich möglicherweise danach, ob ein materielles Produkt oder eine Dienstleistung Gegenstand der Untersuchung war. Die theoretischen Zugänge, welche von Autoren der Studien gewählt werden, sind meist nicht eindeutig einer Forschungstradition zuzuordnen. Vielmehr erschließt sich der Einfluss von Emotionen wie er auf die Kundenzufriedenheit modelliert wird oft aus Erkenntnissen der Konsumentenverhaltensforschung aus anderen Bereichen.347 Hinsichtlich der Operationalisierung von Emotionen im Bereich der Kundenzufriedenheit lassen sich die Studien in zwei grundlegende Modellierungszugänge unterteilen. Inhaltlich lehnen sich diese an die in Kapitel 4.4 vorgestellten Zugänge zur Struktur von Emotionen an und lassen sich in einen valenz-basierten Ansatz (dieser fußt auf der Idee von grundlegenden Emotionsdimensionen, siehe 4.4.2) und einen Ansatz spezifischer Emotionen (dieser beinhaltet die Bildung von Emotionskategorien, siehe 4.4.1) unterscheiden.348 Der valenz-basierte Ansatz Dieser erste Ansatz zur Modellierung des Einflusses von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit beruht auf einer Summierung der einzelnen positiven und negativen Emotionen, welche Kunden in der Konsumsituation erleben. Durch faktoranalytische Auswertungen wird meist eine zweifaktorielle Lösung erzielt, die einen positiven und einen negativen Emotionsfaktor abbilden.349 Positive und negative Emotionen können damit als den Emotionen zugrunde liegende Basisdimensionen betrachtet werden, was auch den Ergebnissen einer Vielzahl an Untersuchungen aus der Emotionspsychologie entspricht und welche Watson und Clark so zusammenfassen: „In more recent years, however, accumulating evidence has led to a general consensus that two broad factors 347

348 349

Vgl. dazu vor allem Studien zu Emotionen in der Werbung, z. B. bei Edell/Burke Chapman (1987), Mooradian (1996). Vgl. und im folgenden Zeelenberg/Pieters (2004), S. 445. Vgl. Bagozzi, et al. (1999), S. 190.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

79

constitute the major dimensions of affective structure.“350 Für die Darstellung von Emotionen in ihren Basisdimensionen wurden in der Literatur häufig die bereits im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Circumplex-Modelle herangezogen, welche die Anordnung von Emotionen in einem zweidimensionalen Kreis beschreibt. Der große Vorteil des valenz-basierten Ansatzes, den Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit durch die Berücksichtigung von Grunddimensionen zu modellieren, besteht in der Sparsamkeit und rationalen Operationalisierung von Emotionen. Die gängigsten Skalen, welche im Marketingbereich dazu herangezogen wurden, bestehen aus ca. 20 bis 40 Variablen351, welche in wenigen Minuten von den Probanden beantwortet werden können. Der entscheidende Nachteil des valenz-basierten Ansatzes ist jedoch darin zu sehen, dass die Kategorisierung in positiv und negativ an sich keine Aussage über die spezifische Färbung und das Zustandekommen der Emotion aussagt.352 Izard sieht ein weiteres Problem in der sprachlichen Ungenauigkeit durch die Verwendung der Wörter „positiv“ und „negativ“, da Emotionen, welche unter die negative Kategorie fallen nicht immer als negativ oder schlecht angesehen werden können. So korreliert Zorn manchmal positiv mit Überleben und sehr oft mit dem Ausgleich von sozialer Ungerechtigkeit.353 Besser wäre laut Izard die Einteilung in Emotionen, welche die psychologische Entropie fördern und solche, die sie umkehren. Der Ansatz spezifischer Emotionen Der zweite von Forschern speziell in jüngerer Zeit gewählte Ansatz, besteht in der Integration spezifischer Emotionen wie Freude, Ärger oder Schuld in Kundenzufriedenheitsmodelle. Dieser Ansatz ist als Antwort auf die Kritik am valenz-basierten Ansatz zu sehen, dass das bloße Wissen über Vorliegen von negativen und positiven Emotionen (als Grunddimension) wenig Information über das konkrete Nachkaufverhalten bietet: „[…] the valence-based approach is likely to produce insufficient information when one is interested in the specific behaviors customers are likely to engage in following this aversive experience.“354 Speziell negative Emotionen können in ihrer konkreten Ausprägung unterschiedliche Wirkungen auf das Nachkaufverhalten entfalten. So sind bei Kunden, welche Zorn oder Wut in einer Konsumsituation erleben, andere Reaktionen zu erwarten als bei jenen, die eine schlichte Unzufriedenheit oder Traurigkeit empfinden.355

350 351

352 353 354 355

Watson/Clark (1992a), S. 489. Der DES II von Izard (1977) umfasst 30 Adjektive; die PAD-Skala von Mehrabian/Russell (1974) legt 18 gegenpolige Eigenschaftspaare zur Beantwortung vor; die CES-Skala von Richins (1997) umfasst 45 Adjektive. Vgl. Bagozzi, et al. (1999), S. 189. Vgl. Izard (1999), S. 25. Zeelenberg/Pieters (2004), S. 446. Vgl. Bougie, et al. (2003), S. 388. Mattsson, et al. (2004), S. 953.

80

Emotionen und Kundenzufriedenheit

Dieser Ansatz lehnt sich sehr stark an kognitive Emotionstheorien an, wie sie in Kapitel 4.3.4 beschrieben sind. Eine der Grundannahmen dieses Zuganges ist, dass die kognitive Einschätzung von Situationen durch das Individuum der ausschlaggebende Mechanismus in der Entstehung und Ausprägung von spezifischen Emotionen ist.356 Spezifische Emotionen sind als Antwort auf spezifische Situationen zu verstehen, welche wiederum spezifische Verhaltensweisen auslösen. Dieses Verhalten kann von Flucht als Reaktion auf Angst bis hin zu Gleichgültigkeit im Falle von Traurigkeit reichen. Obwohl Angst und Traurigkeit von derselben Valenz, nämlich negativ, sind, ziehen beide Emotionen sehr unterschiedliche Reaktionsmuster nach sich. Deshalb macht es Sinn, nach der spezifischen Färbung einer Emotion zu fragen. Umgemünzt auf das Konsumentenverhalten können sich die Emotionen in ihrer Auswirkung auf das Nachkaufverhalten bei der Mund-zu-Mund-Werbung, dem Wechsel- und Beschwerdeverhalten unterscheiden. Es sind diese mit den spezifischen Emotionen einhergehenden Reaktionen, welche die Aufmerksamkeit von Forschern in jüngerer Zeit erregten und damit die Betrachtung und Inkorporation von spezifischen Emotionen in die Kundenzufriedenheitsforschung brachten. Dem Vorteil der Voraussagekraft über spezifische Verhaltensmuster in der Nachkaufphase treten allerdings einige gewichtige Nachteile in der Operationalisierung und Messung von spezifischen Emotionen entgegen. Spezifische Emotionen müssen durch die entsprechenden Situationen induziert werden. Um solche Situationen in einem Forschungsdesign zu integrieren, kommt als Untersuchungsmethode oft nur das Experiment in Frage, wo durch Szenariotechniken die entsprechende Situation simuliert wird. Studien, welche auf realen, nicht-manipulierten Konsumsituationen basierten, ergaben häufig eine zweifaktorielle Struktur von Emotionen, in welcher die Items auf einem positiven und einem negativen Faktor luden und damit eine Identifikation von konkreten Emotionen nicht mehr zulässig war.357 Ein weiteres Problem stellt dabei die Konstruktvalidität der konkreten Emotionen dar: in nicht-experimentellen Studien wurde die Diskriminanzvalidität unterschiedlicher positiver oder negativer Emotionen nicht erreicht.358 Lazarus führt dies darauf zurück, dass eine spezifische Emotion selten alleine auftritt sondern meistens mehrere Emotionen gleichzeitig empfunden werden: „when we experience loss, we rarely feel a single emotion such as sadness. We grieve, are angry, anxious, guilty, envious, even hopeful, and defensive.”359 Die Operationalisierung und Messung in experimentellen Studien wirft außerdem die Frage auf, ob konkrete Emotionen in einer Laborumgebung überhaupt valide „erzeugt“ und gemessen werden können.360

356 357 358 359 360

Vgl. Reisenzein, et al. (2003), S. 11. Vgl. dazu beispielsweise die Ergebnisse aus den Studien von Westbrook (1987), Oliver (1993). Vgl. Bagozzi (1993), S. 849. Lazarus (1991), S. 250. Vgl. Izard (1999), S. 138ff.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

81

Nachdem diese zwei unterschiedlichen Ansätze zur Modellierung von Emotionen in der Kundenzufriedenheit kurz dargestellt wurden, sollen nun die wichtigsten Studien und ihre Erkenntnisse zu jedem Ansatz erläutert werden. Als Selektionskriterium der Studien soll hier einerseits die Anzahl der Zitationen im Social Science Citation Index (SSCI) dienen. Es werden aber auch Studien erläutert, die im SSCI nicht gelistet, aber dort zitiert sind und die der Autorin als wichtig erscheinen, auch wenn der Impactfaktor, z. B. aufgrund des jungen Erscheinungsdatums, noch gering oder gar nicht vorhanden war.361 In deutschsprachigen Fachzeitschriften362 wurden in den letzten zehn Jahren keine Studien zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Emotionen publiziert, weshalb die nachstehende Liste ausschließlich englische Publikationen umfasst.

361 362

Der Stand der SSCI-Zitationen wurde im Mai 2005 erhoben. Überprüft wurden ZfB, Marketing ZfP und DBW.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

82

Autoren

Jahr

Publikation

Westbrook

1987

Product/consumption-based affective responses and post-purchase processes

141

Westbrook/ Oliver

1991

The dimensionality of consumption emotion patterns and consumer satisfaction

130

Oliver

1993

Cognitive, affective, and attribute bases of the satisfaction response

135

Mano/ Oliver

1993

Assessing the dimensionality and structure of the consumption experience: evaluation, feeling, and satisfaction

101

Evrard/ Aurier

1994

The influence of emotions on satisfaction with movie consumption

0

Oliver

1994

Conceptual issues in the structural analysis of consumption emotion, satisfaction and quality: evidence in a service setting

18

Price/ Arnould/ Tierney

1995

Going to extremes: managing service encounters and assessing provider performance

57

Liljander/ Strandvik

1996

Emotions in service satisfaction

13

Dubé/ Menon

2000

Multiple roles of consumption emotions in post-purchase satisfaction with extended service transactions

6

Van Dolen/ Lemmink/ Mattson/ Rhoen

2001

Affective consumer responses in service encounters: the emotional content in narratives of critical incidents

5

Phillips/ Baumgartner

2002

The role of consumption emotions in the satisfaction response

0

2004

Beyond valence in customer dissatisfaction: A review and new findings on behavioural responses to regret and disappointment in failed services

0

Zeelenberg/ Pieters

SSCI

Tabelle 3: Studien zu Emotionen und Kundenzufriedenheit, gereiht nach Erscheinungsjahr und Impactfaktor im SSCI

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

83

5.1 Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes 5.1.1 Die Studie von Westbrook (1987) Westbrook gilt als einer der ersten, der emotionale Responses auf Konsumerlebnisse in die Kundenzufriedenheit und das Nachkaufverhalten integrierte.363 In seiner Studie, die Pioniercharakter aufweist, postuliert Westbrook bereits viele Thesen und Zusammenhänge, die nach Veröffentlichung dieser eine Welle von weiteren Studien auf diesem Gebiet auslöste. Die formulierten Hypothesen lassen sich in drei Bereiche gliedern:364 zunächst stellt Westbrook die Hypothese auf, dass emotionale Responses auf Konsumerlebnisse durch zwei separate, unipolare Dimensionen beschrieben werden können, nämlich positiver und negativer Affekt.365 In einem weiteren Schritt wird der direkte Einfluss dieser beiden Dimensionen auf die Kundenzufriedenheit und das Nachkaufverhalten postuliert, wobei Westbrook bereits differenziert zwischen der Wirkung von nur negativen Emotionen auf das Beschwerdeverhalten und dem Einfluss von sowohl positiven als auch negativen Emotionen auf die Mund-zu-Mund-Werbung. Die dritte Kernaussage besteht darin, dass rein kognitiv operationalisierte Konstrukte wie Erwartungen, Diskonfirmation und Zufriedenheit den Einfluss von positiven und negativen Emotionen auf die Kundenzufriedenheit und das Nachkaufverhalten nicht völlig überdecken können, und damit emotionale Variablen einen eigenständigen und additiven Erklärungsbeitrag liefern können. Zur Überprüfung der insgesamt acht Hypothesen führte Westbrook eine repräsentative empirische Erhebung bei Autobesitzern und Pay-TV-Nutzern durch. Zur Messung von Emotionen zieht Westbrook eine der wenigen zu diesem Zeitpunkt anerkannten Skalen heran, die Differential Emotions Scale (DES II)366 von Izard. Izard ist jenen Emotionstheoretikern zuzuordnen, die von einer phylogenetischen Funktion der Emotionen ausgehen und deren Theorien häufig unter dem Sammelbegriff der evolutionspsychologischen Emotionstheorien subsumiert werden.367 Von den zehn Basisemotionen, die Izard vorschlägt, sind acht negativer Valenz (Zorn, Abscheu, Verachtung, Scham, Schuld, Kummer und Angst)368, zwei positiver Valenz (Interesse und Freude) und eine neutral (Überraschung). Westbrook wählte für seine Studie die zwei positiven Emotionen Freude und Interesse aus sowie jene Emotionen, die in Übereinstimmung mit Vertretern der kognitiven Emotionstheorien durch Einschätzung eines negativen Sachver363 364 365

366 367 368

Vgl. Oliver (1994), S. 16. Westbrook (1987), S. 260f. Das im Original verwendete wort „affect“ wird hier von der Autorin ebenfalls mit Affekt übernommen, entspricht aber hier und in den weiteren Ausführungen dem Wort „Emotionen“. Im Englischen werden die Wörter affect und emotion synonym gebraucht, während im Deutschen sehr wohl eine Unterscheidung zwischen Affekt und Emotionen getroffen wird. Siehe zur Abgrenzung auch die Ausführungen in Kapitel 4. Izard (1977), o. Sa. Meyer, et al. (2003), S. 11. Anger, disgust, contempt, guilt, shame, fear, sadness; Die deutschen Begriffe wurden dem engl. Original nach einer deutschen Übersetzung von Izard 1999 übernommen.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

84

haltes mit Fremdverschulden hervorgerufen werden, nämlich Zorn, Abscheu und Verachtung. Dies begründet Westbrook damit, dass „only those affects involving attribution of causal agency to the product or its seller might be expected to have a systematic influence on postpurchase behaviour relative to the product.”369 Die Ergebnisse bestätigten im Wesentlichen die aufgestellten Hypothesen: das zweifaktorielle Modell zur Darstellung der Faktorstruktur von Emotionen erhielt in der konfirmatorischen Faktorenanalyse klar bessere Werte als eine einfaktorielle Lösung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der explorativen Faktorenanalyse eine Zwei-Faktoren-Struktur erzielt wurde, obwohl die Emotionen als konkrete Emotionen operationalisiert wurden und die Items eigentlich auf 5 Faktoren, den Emotionen Freude, Interesse, Zorn, Abscheu und Verachtung entsprechend, laden hätten sollen. Dies bestätigt die bereits oben erwähnten Probleme der Diskriminanzvalidität von konkreten Emotionen.370 Auch die Hypothese, dass positive und negative Emotionen signifikant und additiv zur Erklärung der Varianz von Kundenzufriedenheit und Nachkaufverhalten beitragen, wurde bestätigt. Um die Ergebnisse zu verdeutlichen, werden zwei der getesteten Modelle in Abbildung 23 dargestellt, die darunter stehende Tabelle 4 fasst die Ergebnisse der Regressionskoeffizienten zusammen.

Postive Emotion

Postive Emotion Zufriedenheit

Kognition

Zufriedenheit

Negative Emotion Negative Emotion

Abbildung 23: Schematische Darstellung von zwei der getesteten Modelle in der Westbrook-Studie371

369 370 371

Westbrook (1987), S. 259. Westbrook (1987), S. 267. Quelle: Eigene Darstellung nach Ausführungen in der Westbrook-Studie.

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

Positive Emotion Zufriedenheit Autos (Modell a) Zufriedenheit Pay-TV (Modell a) Zufriedenheit Autos (Modell nur Kognition) Zufriedenheit Pay-TV (Modell nur Kognition) Zufriedenheit Autos (Gesamtmodell b: Emotion + Kognition) Zufriedenheit Pay-TV (Gesamtmodell b: Emotion + Kognition)

85

Negative Emotion

Kognition

R² Kundenzufriedenheit

----

,435***

-,296***

,365***

-,323***

----

----

-,321*** (Nutz.) ,169*** (Prob.) ,511*** (Disk.)

,718

----

----

,147** (Erw.) ,565*** (Disk.)

,550

,172***

-,209***

,387*** (Disk.) -,146*** (Prob.) ,252*** (Nutz.)

,767

,193***

-,214***

,102 n.s. (Erw.) ,428*** (Disk.)

,605

----

,609 ,483

Tabelle 4: Regressionspfade auf die Kundenzufriedenheit, Studie Westbrook 1987372

Im ersten Schritt wurde das Modell a) gerechnet, in welchem nur der Einfluss von positiven und negativen Emotionen auf die Kundenzufriedenheit getestet wird. Die Ergebnisse zeigen, dass positive Emotionen in der Zufriedenheitsbildung bei Autos wie auch bei Pay-TV-Leistungen stärker einwirken als negative. Interessant an dieser Untersuchung ist auch, dass Emotionen offenbar fast ebensoviel Varianz der Zufriedenheit aufzuklären vermögen wie kognitive Modelle (siehe rechte Spalte R²). Die kognitiven Faktoren wurden hier allerdings nicht durch Bewertung von konkreten Produktattributen gemessen, sondern durch erwarteten Nutzen (Nutz.), erwartete Probleme (Prob.), Gesamterwartungen (Erw.) und Diskonfirmation (Disk.) operationalisiert. Betrachtet man die beiden Gesamtmodelle, in denen sowohl kognitive als auch emotionale Einflussfaktoren auf die Kundenzufriedenheit getestet werden, so ist zu erkennen, dass die Stärke der Emotionspfade zwar sinkt, diese aber immer noch hoch signifikant sind und der Anteil erklärter Varianz an der Kundenzufriedenheit weiter steigt. Dies bedeutet, dass kognitive Faktoren, den Einfluss von Emotionen nicht bzw. nur zum Teil überdecken und daher keine vollständige Mediatorfunktion373 haben. Emotionen leisten daher einen zusätzlichen und eigenständigen Erklärungsanteil. Im Gegensatz zum rein emotionalen Modell ist im Gesamtmodell allerdings der Einfluss von negativen Emotionen auf die Kundenzufriedenheit stärker als der von positiven Emotionen, was bedeutet, dass bei positiven Emotionen die Mediatorwirkung von Kognitionen stärker ist als bei negativen. Im Gesamtmodell ist außerdem zu beachten, dass Emotio372 373

Quelle: Eigene zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Westbrook-Studie. Vgl. zur Unterscheidung von Mediator- und Moderatorvariablen Baron/Kenny (1986).

Emotionen und Kundenzufriedenheit

86

nen bei den untersuchten Dienstleistungen (Kabel-TV) geringfügig stärkere Wirkungspfade aufzeigen als bei Produkten.

5.1.2 Die Studie von Westbrook und Oliver (1991) In dieser Studie gingen Westbrook und Oliver davon aus, „[…] that satisfaction appears to be more complex in nature than a simple affective summary of the relative frequencies of positive and negative emotion during consumption experiences, […].“374 Studienobjekt war die Zufriedenheit mit kürzlich gekauften Autos, zur Messung der Emotionen wurde wiederum Izards DES angewandt, obwohl die Autoren diese Skala einleitend kritisieren und einräumen, dass die Skala für komplexe Konsumsituationen oft nicht ausreichend ist. Die Daten wurden durch eine Clusteranalyse ausgewertet und ergab drei signifikante Emotionsdimensionen für die Kundenzufriedenheit: ein negativer Faktor, der frühere Studienergebnisse bestätigt, und zwei positive Emotionsfaktoren, von denen der eine Freude mit Überraschung (joy und surprise) vereint und damit auf „erfolgreiche Konsumerlebnisse“ hindeutet, und der andere Freude und Interesse zusammenschließt, was nach Meinung der Autoren auf andauerndes Involvement schließen lässt und damit die Zufriedenheit mit dem Gebrauch oder der Nutzung des Autos ausdrückt. Der Schluss, dass sich das emotionale Konsumerleben auf diese drei Dimensionen reduzieren lässt, erscheint aus Sicht der Autorin als wenig zutreffend, da die Dimensionalität stets durch das verwendete Messinstrumentarium mitbestimmt wird. Aufgrund der verwendeten, stark negativ besetzten Skala von Izards DES stellt dies für die Studienautoren selbst eine Limitierung der Ergebnisse dar. Für die weitere Forschung interessant und fruchtbar jedoch erscheint der Ansatz, den Einfluss von Emotionen auf Kundenzufriedenheit nach Erlebnisclustern zu segmentieren, d. h. Kunden nach ihren emotionalen Erlebnisevaluationen zu differenzieren und hier Einfluss und Stärke der jeweiligen Emotionen zu untersuchen.

5.1.3 Die Studie von Oliver (1993) Diese Studie von Richard Oliver375 kann als Aufbau- und Erweiterungsarbeit von Westbrook (1987) gesehen werden. Untersuchte Westbrook in seiner Studie vor allem die Auswirkungen von Konsumemotionen auf die Kundenzufriedenheit und das Nachkaufverhalten, so konzentriert sich die Arbeit von Oliver vor allem auf die Entstehung von Emotionen und die Auswirkungen von kognitiven und emotionalen Komponenten auf die Kundenzufriedenheit. Zentrale Fragestellung ist, welchen Anteil der Kundenzufriedenheitsvarianz kognitive und emotionale Prädiktoren aufzuklären vermögen. 374 375

Westbrook/Oliver (1991), S. 90. Vgl. Oliver (1993).

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

87

Die Erweiterung zu Westbrooks Studie liegt vor allem in zwei Aspekten: zum einen integriert Oliver auch jene negativen Emotionen, welche laut Weiners Emotionstheorie den Dimensionen der intern- und situationsattribuierten Emotionen zuzuordnen sind376 (Westbrook argumentierte, dass nur jene negativen Emotionen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben, deren Ursache auf den Hersteller attribuiert wird). Daher verwendet Oliver die gesamte Skala aus Izards DES377 und integriert die negativen Emotionen Zorn, Abscheu, Verachtung, Scham, Schuld, Kummer und Angst, sowie die positiven Emotionen Interesse und Freude; die von Izard vorgeschlagene Emotion Überraschung wird nicht mit einbezogen, da diese in ihrer Valenz sowohl positiv als auch negativ ausgeprägt sein kann.378 Die zweite wesentliche Amplifikation durch Oliver besteht darin, dass erstmals der parallele Einfluss von kognitiven Einschätzungen auf die Kundenzufriedenheit (durch Leistungsattribute) und auf die Entstehung von Emotionen modelliert wird. Damit integriert Oliver das vor allem in der Literatur zu Einstellungsformation häufig debattierte Thema der Kognition – Affekt – Sequenz. Grundannahme dabei ist, dass Emotionen zu ihrer Entstehung eine kognitive Einschätzung brauchen, die die konkrete Färbung der Emotion erst bestimmt.379 Oliver postuliert den Einfluss von Leistungsattributen direkt auf die Kundenzufriedenheit und auf die Entstehung von positiven und negativen Emotionen. Bei der Auswahl der Untersuchungsobjekte lehnt sich Oliver ebenfalls an Westbrook an, indem das Modell bei Autos und bei Collegekursen einer Universität getestet wurde. Aus den Tabellen mit den Werten der gerechneten Modelle geht klar hervor, dass der Einfluss und die Stärke von Emotionen auf die Kundenzufriedenheitsbildung nach dem Untersuchungsobjekt variieren. Sowohl positive als auch negative Emotionen stellen bei intangiblen Produkten, in diesem Falle College Kurse, eine bedeutendere Einflusskomponente dar als bei materiellen Produkten (Tabelle 5). Positive Emotionen

Negative Emotionen

Zufriedenheit Autos

,142***

-,110***

Zufriedenheit CollegeKurse

,385***

-,219***

Kognitive Faktoren ,135 ZLA -,175 ULA ,130 ZLA -,065 ns ULA

ZLA = Zufriedenheit mit Leistungsattributen, ULA = Unzufriedenheit mit Leistungsattributen Tabelle 5: Regressionspfade emotionaler und kognitiver Faktoren auf die Kundenzufriedenheit aus der Studie von Oliver 1993380

376

377 378 379 380

Vgl. Wong/Weiner (1981), S. 665: „concerned with the source of causality; that is, either the cause resides in you, in some other people, or in the situation”. Vgl. Izard (1977), S. 851. Vgl. Charlesworth 1969 in Oliver (1993), S. 423. Vgl. Roseman/Smith (2001), S. 3f. Quelle: Eigene zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

88

Noch deutlicher tritt der Unterschied bei Betrachtung der aufgeklärten Varianz der Kundenzufriedenheit zu Tage (vgl. Tabelle 6): während ein rein kognitives Modell bei Autos über 60 % der Varianz aufklärt, liegt dieser Anteil bei College Kursen mit knapp 45 % bedeutend darunter. Spiegelbildlich verlaufen dagegen die Ergebnisse bei dem Modell, welches ausschließlich Emotionen als Prädiktor für Kundenzufriedenheit integriert. Hier vermögen Emotionen bei den College Kursen rund 70 % der Varianz aufklären, bei Autos dagegen nur 42%. Diese Ergebnisse stehen zum Teil in Widerspruch zu jenen aus der Studie von Westbrook (1987), siehe oben.

Zufriedenheit mit Leistungsattributen (kognitives Modell) Positive und negative Emotionen (emotionales Modell) Emotionen und Zufriedenheit mit Leistungsattributen (Gesamt)

Erklärte Varianz Autos

Erklärte Varianz College Kurse

,609

,449

,418

,705

,651

,738

Tabelle 6: Erklärte Varianz der Zufriedenheit durch kognitive und emotionale Faktoren in der Studie von Oliver 1993381

5.1.4 Die Studie von Mano und Oliver (1993) Mano und Oliver untersuchten in ihrer Studie zum ersten Mal den Einfluss des Charakters eines Produktes auf Produktevaluationen und Kundenzufriedenheitsurteile, indem sie die funktionale und hedonische Dimension eines Produktes mit positiven und negativen Emotionen und dem Aktivierungsgrad (Arousal) verbanden. Mit der funktionalen Dimension eines Produktes ist die (rationale) Funktion und Nützlichkeit des Produktes an sich gemeint, während die hedonische Dimension den ästhetischen und fühlend zu erfassenden Charakter eines Produktes abbildet.382 Die Kernidee dabei war, dass hedonische Produktevaluationen stärker mit dem Aktivierungsgrad (und emotionaler Evaluation) verbunden sein müssten als funktionale. Diese Annahme wurde ebenso bestätigt wie die, dass Konsumsituationen mit hohem Aktivierungsgrad generell zu größerer emotionaler Produktevaluation führen.383 Die Autoren führten die Studie anhand eines Experiments mit Studenten in einer high-involvement und in einer low-involvement-Situation durch. Die Probanden konnten sich den Instruktionen entsprechend das zu bewertende Produkt selbst aussuchen, wodurch keine Rückschlüsse auf den Einfluss des Produktes (ob Dienstleistung oder physisches Produkt) auf die im Modell postulierten Zusammenhänge möglich sind. Zur Erfassung der Produktdimen-

381 382 383

Quelle: Eigene zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse. Vgl. Holbrook/Batra (1987). Vgl. Mano/Oliver (1993), S. 463.

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

89

sionen und des Involvements wurden Zaichkowskys384 Involvementskala sowie die Skala von Batra und Ahtola385 verwendet. Emotionen wurden durch eine Kombination aus Watson, Clark und Tellegens PANAS386 und Manos Circumplexskala387 erfasst. Die Analysen bestätigen auch hier die zweifaktorielle Grundstruktur von Emotionen, da die Items auf zwei Faktoren mit positiver und negativer Valenz luden. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1) der Einfluss von negativen Emotionen auf die Kundenzufriedenheit (-,489) war stärker als der von positiven Emotionen (,345);388 2) die funktionalen Produktdimensionen sind schwächer mit positiven und negativen Emotionen korreliert als die hedonischen Produktdimensionen.389 Dies lässt darauf schließen, dass funktionale Evaluationen vorwiegende kognitiv geprägt sind, während hedonische Evaluationen stark emotional beeinflusst sind; 3) das Involvement an sich hat keinen direkten Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, was bedeutet, dass Kundenzufriedenheitsurteile involvement-neutral, und wie vielfach angenommen, zum Teil kognitiver Natur sind. Kunden können daher sowohl mit High-Involvement-Produkten (un)zufrieden sein als auch mit LowInvolvement-Produkten. Matzler weist jedoch darauf hin, dass Involvement in mehreren Komponenten und Antezedenzen der Kundenzufriedenheit sehr wohl eine Rolle spielt.390 Dies steht in Einklang mit den berichteten Ergebnissen der Studie von Mano und Oliver, wonach Involvement mit sämtlichen Prädiktoren des Modells signifikant korreliert – außer mit der Kundenzufriedenheit direkt nicht.

5.1.5 Die Studie von Evrard und Aurier (1994) Die Ergebnisse aus Studien wie den vorhergehend beschriebenen von Westbrook391 und Oliver392 bestätigten die Annahme, dass sich Emotionen in den Grunddimensionen positiver und negativer Valenz einordnen lassen. Weniger eindeutig sind dagegen die Hinweise auf die Stärke des Einflusses von Emotionen in verschiedenen Kontexten. Obwohl von vielen Autoren auf die Bedeutung und Spezifität der Kundenzufriedenheit in Service-Kontexten hingewiesen wurde,393 besteht hinsichtlich der Ergebnisse von Studien kein konsistent stärkerer Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit mit Dienstleistungen im Vergleich zu Produkten.

384 385 386 387 388 389 390 391 392 393

Vgl. Zaichkowsky (1985). Vgl. Batra/Ahtola (1990). Vgl. Watson, et al. (1988). Vgl. Mano (1991). Vgl. Mano/Oliver (1993), S. 455. Vgl. Mano/Oliver (1993), S. 464. Vgl. Matzler (1997), S. 219ff. Vgl. Westbrook (1987). Vgl. Oliver (1993). Vgl. Swan/Oliver (1989), Bolton/Drew (1991), Oliver/DeSarbo (1988).

90

Emotionen und Kundenzufriedenheit

Evrard und Aurier legten ihrer Untersuchung daher die Annahme zugrunde, dass emotionale Produktevaluierungen vor allem bei ästhetischen Produkten zu tragen kämen, bzw. bei solchen Produkten, welche einen hohen Anteil an Erlebnisqualitäten besitzen, die während des Konsumprozesses emotionale Reaktionen hervorrufen.394 Zur Überprüfung dieser Annahmen untersuchten Evrard und Aurier die Zufriedenheit von Kinobesuchern mit drei verschiedenen Filmen: 1) „Der Terminator 2“, ein ScienceFiction-Thriller mit Arnold Schwarzenegger, 2) „Mein Vater, der Held“, eine französische Komödie mit Gerard Depardieu und 3) „Van Gogh“, ein Film über das Leben des gleichnamigen Malers mit Jacques Dutronc in der Hauptrolle. Zur Operationalisierung des emotionalen Einflusses verwendeten die Autoren eine Mischung aus drei im Konsumentenverhalten häufig verwendeten Skalen: der Taxonomie von Plutchik (Emotion Profile Index)395, dem Pleasure-Arousal-DominanceInventar von Mehrabian und Russel396, und schließlich Teile aus Izards DES. Die Analysen zeigten dabei eine 4-Faktoren-Struktur von Emotionen, wobei jedoch nur der positive und der negative Emotionsfaktor eine hinreichende Skalenreliabilität erreichten, und die beiden anderen Faktoren, welche inhaltlich einem Überraschungsfaktor und einem für niedrige Erregung entsprachen, nicht in die weitere Analyse einbezogen wurden. Die Mischung der verwendeten Skalen in dieser Studie erscheint willkürlich und ist ein Beispiel dafür, dass bei der Operationalisierung von Emotionen im Kundenzufriedenheitskontext häufig ohne theoretische Fundierung auf unterschiedlichste Inventare zurückgegriffen wird. Erwartungsgemäß rief der erste Film (Terminator 2) die meisten negativen Emotionen hervor,397 was von den Zusehern jedoch durchaus gewünscht sein kann und nicht unbedingt einen negativen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit ausüben muss.398 Allgemein scheint der Einfluss von positiven Emotionen in dieser Studie stärker auf die Kundenzufriedenheit einzuwirken, als der von negativen Emotionen. Bei allen drei Filmen war die Stärke des Beta-Koeffizienten bei positiven Emotionen beinahe doppelt so stark wie der von negativen Emotionen (Terminator: -,405 vs. ,818; Mein Vater der Held: -,470 vs. ,776; Van Gogh: -,337 vs. ,806).399 Die Autoren selbst führen diese Tatsache auf eine geringe Streuung der negativen Emotionen zurück. Es könnte aber auch durchaus sein, dass ein Kinobesuch an sich mit Vergnügen verbunden wird und daher der Einfluss von positiven Emotionen stärker zu tragen kommt. 394 395 396 397 398

399

Vgl. Evrard/Aurier (1994), S. 119. Vgl. Plutchik (1989), S. 18ff. Vgl. Mehrabian/Russell (1974). Vgl. Evrard/Aurier (1994), S. 121. Vgl. Krishnan/Olshavsky (1995), S. 459. Diese Autoren weisen explizit auf die Wichtigkeit hin, dass Emotionen, welche in der Evaluationsphase zur Kundenzufriedenheit entstehen, getrennt von jenen gemessen werden sollten, die unmittelbar in der Konsumsituation hervorgerufen werden. Da negative Emotionen in der Konsumsituation durchaus gewünscht und erwartet werden können (z. B. bei einer Achterbahnfahrt oder einem Horrorfilm), führen diese nicht zwangsläufig zu Unzufriedenheit, wie Westbrook vermutete. Vgl. Evrard/Aurier (1994), S. 123.

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

91

Evrard und Aurier untersuchten parallel in dieser Studie auch den Einfluss von Involvement auf Emotionen und Kundenzufriedenheit. Dabei stellte sich heraus, dass jenes Modell die besten Fit-Werte aufweisen konnte, in welchem Involvement (in diesem Fall als generelle Einstellung zu Kinobesuchen operationalisiert) keinen direkten Einfluss auf die Kundenzufriedenheit ausübt, sondern ein indirekter Einfluss über die vollkommen moderierende Wirkung von Emotionen besteht.400 Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit den Resultaten aus der Studie von Oliver und Mano (1993).

5.1.6 Die Studie von Price, Arnould und Tierney (1995) Der Annahme von Evrard und Aurier, dass der Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit in emotionsgeladenen Konsumsituationen stärker sein müsse als in emotional neutralen Studien, schließen sich auch Price et. al an. In dieser viel beachteten Studie401 untersuchten die Autoren den Einfluss von Emotionen und wahrgenommener Leistung auf die Kundenzufriedenheit mit mehrtägigen Wildwasser Raftingcamps. Diese Art von Erlebnis wird von den Autoren anhand von drei Charakteristika als besonders hervorgehoben: die zeitlich ausgedehnte Leistungserbringung über mehrere Tage hinweg, der hochemotionale Gehalt der Leistung, und die räumliche Nähe zwischen Dienstleister und Kunde. Zur Bestimmung dieser drei Dimensionen bedienten sich die Autoren verschiedener qualitativer und quantitativer Untersuchungsmethoden, die sich über zwei Jahre erstreckten. Die emotionalen Einflüsse auf die Kundenzufriedenheit wurden durch 8 Items aus Edell und Burke402 und Holbrook und Batra403 gemessen. Dabei zeigt sich, dass positive Emotionen (ȕ = ,703) einen bedeutend stärkeren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit aufweisen als negative (ȕ=,16).404 Aus der Betrachtung des Gesamtmodells schließen Price et al, dass der Einfluss der wahrgenommenen Leistung auf die Kundenzufriedenheit durch Emotionen moderiert wird.405 Diese Erkenntnis steht einerseits in Einklang mit Ergebnissen von einigen Autoren (Mano/Oliver 1993), andererseits aber auch in Kontrast zu einigen anderen (Oliver 1993). Als mögliche Erklärung dafür könnte der hoch emotionale Kontext des Konsumerlebnisses gesehen werden.

5.1.7 Die Studie von Strandvik und Liljander (1997) Die Studie von Strandvik und Liljander406 stellt eine Erweiterung der Studien zum Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit im Dienstleistungskontext dar. Die 400 401 402 403 404 405 406

Vgl. Evrard/Aurier (1994), S. 124. Vgl. Price, et al. (1995). Vgl. Burke/Edell (1989), S. 73. Vgl. Holbrook/Batra (1987). Vgl. Price, et al. (1995), S. 93. Vgl. Price, et al. (1995), S. 94. Vgl. Liljander/Strandvik (1997).

Emotionen und Kundenzufriedenheit

92

Autoren untersuchten den additiven Erklärungswert von Emotionen bei öffentlichen Dienstleistungen, nämlich der Zufriedenheit mit Arbeitsämtern. Das Forschungsmodell wurde einerseits kognitiv konzipiert, indem der Servqual-Ansatz von Zeithaml et. al407 als Basis diente, andererseits wurde ein möglicher emotionaler Einfluss durch die Integration von sieben Einzel-Emotionswörtern modelliert (erniedrigt, zornig, hoffnungsvoll, deprimiert, positiv überrascht, schuldig und glücklich), deren Zusammenstellung auf vorhergehenden Studien der Autoren selbst aufbaute. Wie in den meisten bis zu diesem Zeitpunkt publizierten Studien, ergab die Faktorenanalyse auch hier eine Zwei-Faktorenlösung mit je einem Faktor von positiver und negativer Valenz. Im Gegensatz zu den Befunden aus den oben dargestellten Studien, lag bei Strandvik und Liljander jedoch ein stärkerer Einfluss der negativen als der positiven Emotionen auf die Kundenzufriedenheit vor. Dieser Einfluss war auch nur dann gegeben, wenn es sich um starke negative Emotionen handelte. Dieses Ergebnis überrascht insofern nicht, da sich Menschen, die arbeitslos sind, in einer persönlich und sozial kritischen Situation befinden und daher an sich stärkere negative Emotionen zu erwarten sind. Diese können in einer allgemein negativen Stimmung des Arbeitssuchenden ihren Niederschlag finden, wodurch entstehende Transfereffekte einer negativen Grundstimmung auf die Wahrnehmung der Umwelt nicht isoliert werden können. Die Autoren selbst räumen deshalb auch ein: „It is, however, very difficult, if not impossible, to avoid all mood effects in this type of study.“408 Insgesamt erklärt das Gesamtmodell mit emotionalen und kognitiven Variablen mehr Anteil der Kundenzufriedenheitsvarianz als jeweils ein Konstrukt alleine (R² = 0,64 bei Diskonfirmation des als adäquat erachteten Standards und Emotionen gemeinsam; dagegen R² = 0,36 im Modell nur Emotionen und R² = 0,59 im Modell nur Diskonfirmation des als adäquat erachteten Standards).

5.1.8 Zusammenfassende Kritik am valenz-basierten Ansatz Neben den oben im Detail dargestellten Studien, welche Emotionen aufgrund ihrer positiven oder negativen Valenz in Kundenzufriedenheitsmodelle integrierten, und welche zu den wichtigsten bzw. ersten Studien in diesem Bereich zählen, wurden in der Folge noch viele weitere Studien von anderen Autoren durchgeführt, die hier im Detail aber nicht mehr dargestellt werden sollen. Die Problematik wird durch diesen kurzen Abriss allerdings deutlich: die Studien sind nicht direkt vergleichbar, ein standardisiert zu empfehlendes Forschungsdesign nicht erkennbar und die Ergebnisse sind daher wenig aussagekräftig für eine allgemeine Theoriebildung. Insbesondere lassen sich folgende Punkte zusammenfassend kritisieren:

407 408

Vgl. Zeithaml et al. (1991) in Liljander/Strandvik (1997), S. 155. Vgl. Liljander/Strandvik (1997), S. 156.

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

93

x Die Operationalisierung von Emotionen erfolgt oft wenig Theorie geleitet. Dies wird insbesondere deutlich in der, meist nicht dokumentierten und daher willkürlich erscheinenden, Verwendung und Mischung unterschiedlicher Skalen. Der häufig angewandten, von Izard vorgeschlagenen, Differential Emotion Scale (DES) liegt zum Beispiel die emotionstheoretische Annahme zugrunde, dass es eine gewisse, beschränkte Anzahl von Basisemotionen gibt, die jedem Menschen von Geburt an innewohnen, also evolutionär bedingt sind. Bei der Anwendung dieser Skala müsste man sich zumindest fragen, ob und welche Konsumsituationen solche Basisemotionen hervorrufen können. Insbesondere erscheint die Adäquatheit dieses Messinventars fraglich, wenn man in Betracht zieht, dass die DES-Skala nur zwei positive Emotionen (Freude und Interesse) gegenüber sieben negativen Emotionen (Kummer, Zorn, Ekel, Geringschätzung, Furcht, Scham, Schuld) erfasst. Dagegen stellen Konsumsituationen für Menschen oft erfreuliche Erlebnisse dar, in denen positive Emotionen weit differenzierter ausgeprägt sind.409 So zum Beispiel geben Personen an „[I] love to shop for toys because of the little kid in me“ und „[feel] delighted over becoming immersed in a store“.410 Richins mahnte bereits die Verwendung von Skalen ein, die besser auf Emotionen in einer Konsumsituation eingehen können.411 x Westbrook (1987) und Oliver (1993) verwenden jene negativen Emotionen der DES-Skala, die Emotionen widerspiegeln, welche als Reaktion auf negative Konsumerlebnisse entstehen, die auf Dritte oder die Situation attribuiert werden. Die Attributionstheorie wird aber unter die kognitiven Emotionstheorien subsumiert412 und tatsächlich bedürfen Emotionen wie Schuld und Ärger laut Ansicht der meisten Emotionstheoretiker einiger kognitiver Verarbeitung413. Der kognitive Bewertungsprozess (appraisal) wird aber als Antezedenz der Emotionen bei Westbrook im Modell nicht berücksichtigt.414 x Die stark divergierende Art und Anzahl der erfassten Emotionen dürfte wohl auch der ausschlaggebende Grund für die geringe Vergleichbarkeit der Studien sein und zieht sich in der faktoranalytischen Aggregation der einzelnen Emotionen zu zwei Faktoren positiver und negativer Valenz fort. Dadurch sind die Regressionspfade von negativen und positiven Emotionsfaktoren auf die Kundenzufriedenheit meist sehr unterschiedlich hoch.

409 410 411 412 413 414

Vgl. Hirschmann/Holbrook (1982), S. 94ff. Babin, et al. (1994), S. 646. Vgl. Richins (1997). Vgl. Reisenzein, et al. (2003), S. 93ff. Vgl. Lazarus (1991), Ortony, et al. (1988), Roseman (1984), u. a. Allerdings bezieht Oliver in einigen Studien sehr wohl die Leistungsattribute als Antezedenz der Emotion mit ein. Vgl. Mano/Oliver (1993), Oliver (1993).

94

Emotionen und Kundenzufriedenheit

x Die einzige Erkenntnis und Synthese, die für die weitere theoretische Ausarbeitung wirklich interessant erscheint, ist jene, dass der positive Emotionsfaktor tendenziell einen stärken Einfluss auf die Kundenzufriedenheit aufweist als der negative Faktor. Außerdem führt das Auftreten von negativen Emotionen nicht notwendigerweise zu Unzufriedenheit. Als Erklärung für diese Hinweise bieten sich einige Alternativen an: einerseits kann dies damit begründet werden, dass negative Emotionen gewünscht oder als Teil der Konsumsituation hingenommen werden können,415 andererseits könnten hier auch Kompensationseffekte eine Rolle spielen, wonach starke positive Emotionen ihren negativen Counterpart überdecken. Ein weiterer Erklärungsgrund könnte die geringe Streuung negativer Emotionen in den einzelnen Studien sein,416 und schließlich könnte im Sinne der Attributionstheorie auch eine stärkere kognitive Verarbeitung von negativen Emotionen vermutet werden,417 wodurch die kognitiven Prädiktoren an Einflussstärke gewinnen. Dies würde bedeuten, dass der Einfluss der Emotionen auf die Kundenzufriedenheit bei paralleler Integration kognitiver Leistungsbeurteilung nicht linear verläuft, sondern einen asymmetrischen Verlauf aufweist, bei dem positive Emotionen starke Pfadkoeffizienten zeigen, während negative Emotionen keinen oder nur einen schwach signifikanten Einfluss ausüben. x Weiters lassen einige Studien darauf schließen, dass die Intensität der empfundenen Emotionen entscheidend auf die Einflussstärke der Emotionen auf die Kundenzufriedenheit einwirken dürfte. Je stärker eine Konsumsituation mit Emotionen verbunden ist, desto höher der Anteil erklärter Zufriedenheitsvarianz durch die Emotionen (siehe dazu nachstehend noch Erläuterungen zu einigen Studien). x Über den Varianz aufklärenden Beitrag von Emotionen kann wenig Generalisierendes gesagt werden. Der Anteil aufgeklärter Varianz der Kundenzufriedenheit kann je nach Untersuchung eher bescheiden (16 % bei Van Dolen et al.418) oder sehr hoch (61 % bei Phillips und Baumgartner419) ausfallen.

415

416 417 418 419

Vgl. dazu Westbrook/Oliver (1991), S. 89; Dubé/Menon (2000); Evrard/Aurier (1994), S. 121 und Liljander/Strandvik (1997), S. 152. Vgl. Evrard/Aurier (1994), S. 121. Vgl. Weiner (1986). Vgl. van Dolen, et al. (2001), S. 371. Vgl. Phillips/Baumgartner (2002), S. 250.

Studien auf Basis des valenz-basierten Ansatzes

95

Autoren Objekt der KZF

Pos. Emotionen Æ Kundenzufriedenheit

Neg. Emotionen Æ Kundenzufriedenheit

Messinstrument, Variablenanzahl

R² KZF

Westbrook 1987 Autos420

,435***

-,296***

DES II 6x3=18

,609

Westbrook 1987 Pay TV421

,365***

-,323***

DES II 6x3=18

,483

Westbrook/Oliver 1991, Autos422

,403** bzw. ,271**

-,476**

DESII 10x3 = 30

,450 Likert

Oliver 1993 Autos423

,142***

-,110***

DES II 10x3 = 30

,418

Oliver 1993 College Kurse424

,385***

-,219***

DES II 10x3 = 30

,705

Mano/Oliver 1993 Erinnerung an ein gekauftes Produkt425

,345***

-,489***

PANAS426, Mano

,478

Evrard/Aurier 1994 Kinofilme427

,818*** ,776*** ,806***

-,405*** -,470*** -,337***

PAD428, DES II, Plutchik429 22 Items

k. A.

Oliver (1994) Krankenhausbehand-lung von Kindern (Mütter) 430

,206*

-,200*

Diener/Larsen431 14 aus 48 2 je Oktant

Price et al. (1995) River rafting432

,703***

-,16***

Edell/Burke433 u. Holbrook/Batra434 8 Items

Tabelle 7: Anteil durch Emotionen aufgeklärter Varianz der Kundenzufriedenheit (fortgesetzt)435

420 421 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432 433 434 435

Vgl. Westbrook (1987), S. 265. Vgl. Westbrook (1987), S. 265. Vgl. Westbrook/Oliver (1991). Vgl. Oliver (1993), S. 427. Vgl. Oliver (1993), S. 427. Vgl. Mano/Oliver (1993), S. 463. Vgl. Watson/Clark (1994). Vgl. Evrard/Aurier (1994). Vgl. Mehrabian/Russel /1974). Vgl. Plutchik (1989). Vgl. Oliver (1994), S. 20. Vgl. Larsen/Diener (1992). Vgl. Price et al. (1995). Vgl. Edell/Burke (1989). Vgl. Holbrook/Batra (1987). Quelle: Eigene zusammenfassende Darstellung der Studien.

gesamt

,564 gesamt

k. A.

Emotionen und Kundenzufriedenheit

96

Autoren Objekt der KZF Liljander/Strandvik (1997)436 Arbeitsmarkservice Phillips/Baumgartner (2002) 437 Orangensaft

Pos. Emotionen Æ Kundenzufriedenheit

Neg. Emotionen Æ Kundenzufriedenheit

Messinstrument, Variablenanzahl

R² KZF

,37***

-,38***

7 Items, Eigenkomposition

,36

,58***

-,40***

Edell/Burke438 23 Items

,79 gesamt

Beachte: Bei drei Studien konnte der durch die Emotionen aufgeklärte Anteil der KundenzufriedenheitsVarianz nicht isoliert ermittelt werden (gesamt), bei zwei Studien finden sich keine Angabe zur aufgeklärten Varianz der Kundenzufriedenheit (k. A.). Aus der Studie von Westbrook/Oliver 1991 wurde die aufgeklärte Varianz der Zufriedenheit auf der Likert-Skala angegeben.

Tabelle 7: Anteil durch Emotionen aufgeklärter Varianz der Kundenzufriedenheit (Fortsetzung).

x Auch hinsichtlich des Objektes der Kundenzufriedenheit lassen sich aus der Analyse keine eindeutigen Schlüsse ziehen, dass Emotionen bei Dienstleistungen stärkeren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit ausüben als bei materiellen Produkten.439 Eine Dichotomisierung dahingehend erscheint wenig sinnvoll, was das folgende Beispiel vergegenwärtigen soll: es überzeugt nicht zu argumentieren, dass ein Kunde, der mit seinem Auto in eine Waschanlage fährt (Dienstleistung), eine stärkere emotionale Produktevaluierung durchführt, als jemand, der sich seinen Jugendtraum erfüllt und einen Porsche 911 (materielles Produkt) kauft. Dagegen könnte eine Unterscheidung in hedonische versus funktionale Qualitäten des Untersuchungsobjektes sinnvoller sein.440 Demnach sollte bei Produkten oder Dienstleistungen, die durch hohe hedonische Qualitäten (auch Genusspotenzial) gekennzeichnet sind, eine stärkere emotionale Leistungsbewertung stattfinden, während bei solchen Produkten oder Dienstleistungen, bei denen funktionale Qualitäten im Vordergrund stehen, die kognitive Leistungsevaluierung dominieren sollte.441

436 437 438 439

440

441

Vgl. Liljander/Strandvik (1997), S. 164. Vgl. Phillips/Baumgartner (2002). Vgl. Burke/Edell (1989). Mudie, et al. (2003) stellten fest, dass sich auch Dienstleistungen an sich nicht durch unterschiedliche Emotionscharaktere klassifizieren lassen. Allerdings handelte es sich dabei um eine explorative Studie. Vgl. zur Unterscheidung zwischen hedonischem und funktionalem Produktnutzen die Studien von Hirschmann/Holbrook (1982), Ahtola (1985). Vgl. Voss, et al. (2003), verbinden kognitives Involvement mit der funktionalen Dimension eines Produktes und affektives Involvement mit der hedonischen Dimension. Die von diesen Autoren vorgeschlagene Skala zur Bestimmung der hedonischen vs. funktionalen Produktqualität verbessert die lange Zeit dominierende Skala von Batra/Ahtola (1990).

Konkrete Emotionen in Kundenzufriedenheitsstudien

97

5.2 Konkrete Emotionen in Kundenzufriedenheitsstudien Die Studie von Zeelenberg und Pieters Als eines der wichtigsten Argumente für die Integration von konkreten, einzelnen Emotionen in die Kundenzufriedenheitsforschung wird angeführt, dass nur dadurch die Vorhersage von konkretem Nachkaufverhalten möglich ist. Da dieser Forschungszweig jedoch relativ jung ist, wird hier nur die Studie von Zeelenberg und Pieters442 vorgestellt, welche die konkreten Emotionen Enttäuschung (disappointment) und Bedauern (regret) inkludieren. Zeelenberg und Pieters argumentieren, dass zwar beide Emotionen von negativer Valenz sind und Antezedenzen der Unzufriedenheit bilden, aber unterschiedliche und über die Unzufriedenheit hinausgehende, direkte Effekte auf das Nachkaufverhalten ausüben.443 Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Enttäuschung als auch Bedauern zu Unzufriedenheit führen und 87,7 % der Varianz erklären. Damit wird zunächst deutlich, dass konkrete Emotionen auch bei der Formierung von Unzufriedenheit bedeutende Erklärungskraft besitzen. Bei den Effekten auf das Nachkaufverhalten stellte sich heraus, dass Unzufriedenheit nur für den Faktor Mund-zu-MundWerbung der stärkste Prädiktor war, während die Wechselabsicht, die Beschwerdewahrscheinlichkeit und Beharrung (also nichts zu tun) direkt von den konkreten Emotionen Enttäuschung und Bedauern stärker beeinflusst wurden als von der Unzufriedenheit.444 5.3 Abschließende Kritik zum Erklärungsgehalt der Modellierungszugänge Auf die Vor- und Nachteile der beiden Ansätze zur Integration von Emotionen in Kundenzufriedenheitsmodellen wurde einleitend zu diesem Kapitel bereits ausführlich eingegangen. Welcher Ansatz nun der „bessere“ ist, lässt sich aus der Vielzahl der Studien jedoch nicht eindeutig beantworten, da diese aufgrund unterschiedlicher Untersuchungsmethoden und -objekte nicht direkt vergleichbar sind. Van Dolen et al.445 führten zu diesem Zweck eine Vergleichsstudie durch, bei der die Zufriedenheit mit dem Kundendienst in der Nachkaufphase untersucht wurde. Dabei codierten die Autoren die mittels der Critical Incident Technique erfassten kritischen positiven und negativen Ereignisse aus über 833 Antwortbriefen nach dem Schema von Shaver, Schwartz, Kirson und O’Connor.446 Dabei werden Emotionen zunächst nach ihrer positiven und negativen Valenz eingeordnet, dann auf dem nächsten Niveau einer von fünf Basiskategorien konkreter Emotionen klassifiziert (hier Freude, Zufrie442 443 444 445 446

Vgl. Zeelenberg/Pieters (2004). Vgl. Zeelenberg/Pieters (2004), S. 448. Vgl. Zeelenberg/Pieters (2004), S. 451. Vgl. van Dolen, et al. (2001), S. 359. Vgl. Shaver, et al. (1987).

Emotionen und Kundenzufriedenheit

98

denheit, positive Überraschung, Irritation und Enttäuschung). In einem dritten Schritt wurde schließlich die Intensität der Emotion von stark bis schwach bestimmt. Das Ergebnis dieser Studie zeigt, dass konkrete Emotionen alleine nicht mehr Erklärungsgehalt für die Kundenzufriedenheit aufweisen, als die beiden Basisdimensionen positive und negative Emotionen alleine. Dies könnte als Argument für die Verwendung von valenz-basierten Integrationsmodellen von Emotionen in Kundenzufriedenheitsstudien interpretiert werden. Die Studie zeigt jedoch auch, dass der Anteil erklärter Varianz der Kundenzufriedenheit steigt, wenn der Einfluss von Basisdimensionen und konkreten Emotionen gemeinsam auf die Kundenzufriedenheit modelliert wird (R² = ,19 versus R² = ,16).447 Ein interessanter Aspekt, der für die weitere Forschung von großer Bedeutung erscheint, ist der Bericht, dass die Intensität der empfundenen Emotionen eine entscheidende Rolle spielen dürfte. In dieser Studie waren nur jene Emotionspfade signifikant, welche in ihrer Intensität als stark eingestuft waren. Zu ähnlichen Erkenntnissen kamen auch Dubé und Menon.448 Bei Restaurantbesuchern, die ein neutrales Konsumerlebnis hatten, d. h. angaben mit der erbrachten Leistung weder zufrieden noch unzufrieden gewesen zu sein, erwiesen sich kognitive Evaluierungskriterien als aussagekräftiger und stärker Einfluss nehmend auf die Kundenzufriedenheit als bei Besuchern, die ein stark emotionales Restauranterlebnis hatten und stark zufrieden oder unzufrieden waren. Hier stellten sich ausschließlich emotionale Evaluierungskriterien als Varianz aufklärend für die Kundenzufriedenheit heraus, während kognitive Faktoren nicht signifikant waren.449 Diese Erkenntnisse lassen wiederum auf einen sattelförmigen Verlauf im Einfluss der Emotionen auf die Kundenzufriedenheit schließen. Abschließend zu der Kontroverse valenz-basierter Ansatz versus konkrete Emotionen lässt sich auf Lazarus verweisen, der in beiden Zugängen eine Berechtigung sieht:450 für den valenz-basierten Ansatz spricht die Sparsamkeit in der Durchführung und die ausreichende Vorhersagekraft für Konsumentenverhalten in vielen Situationen; des weiteren sind Emotionen und Gefühlszustände oft nicht so ausreichend stark ausgeprägt, dass Konsumenten konkrete Emotionen angeben können, sondern diese nur anhand einer globalen negativen oder positiven Dimension klassifizieren können. Ist man jedoch an ganz konkreten Einsichten über spezifische Emotionen in spezifischen Situationen und dem daraus resultierenden Konsumentenverhalten interessiert, so empfiehlt es sich, konkrete Emotionen in das Forschungsdesign zu übernehmen. Dies wird auch in der Studie von Zeelenberg und Pieters deutlich, die in ihrer Untersuchung die Probanden aufforderten, sich an eine Konsumsituation zu erinnern, in der sie speziell unzufrieden waren. Die Autoren räumen daher auch ein: „[…], if a situation evokes a 447 448 449 450

Vgl. van Dolen, et al. (2001), S. 371. Vgl. Dubé/Menon (2000), S. 571. Vgl. Dubé/Menon (2000), S. 574. Vgl. Lazarus (1991), S. 59ff.

Abschließende Kritik zum Erklärungsgehalt der Modellierungszugänge

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mix of emotions […] or if the behavioural reactions tied to different emotions are similar […] a dimensional approach could be sufficient.”451

451

Zeelenberg/Pieters (2004), S. 454.

6 Persönlichkeit Im Folgenden sollen die wichtigsten Elemente der Persönlichkeitspsychologie in groben Zügen dargestellt werden, um dann den für diese Arbeit und die empirische Untersuchung gewählten eigenschaftszentrierten Ansatz, seine Prämissen und Implikationen für die Entstehung von Emotionen und zur Erklärung der Kundenzufriedenheit im Detail zu erläutern. 6.1 Einführung Kein Mensch gleicht dem anderen; jeder ist einzigartig. Und doch teilen sich Menschen physische und psychische Qualitäten, die sie als Menschen unterscheiden. Das Wort Persönlichkeit geht auf den griechischen Ausdruck „persona“ zurück. Es bedeutet so viel wie Maske und bezeichnet die Rolle, die ein Mensch oder ein Schauspieler einnimmt.452 Wie Persönlichkeit vom wissenschaftlichen Standpunkt aus definiert wird, hängt wesentlich vom zugrunde liegenden theoretischen Zugang des Forschers ab. So legen einige Definitionen den Schwerpunkt auf das offensichtlich beobachtbare Verhalten von Menschen, andere dagegen fokussieren gerade den inneren Kern eines Menschen mit seinen Einstellungen, Motiven und Interessen, während philosophische Ansätze wiederum metaphysische Elemente in der Persönlichkeit dingbar machen. Für die folgende Arbeit wird auf eine bewusst breite Definition zurückgegriffen, die auf eine Theorie des Individuums abstellt und alle Elemente einschließt, die dazu geeignet sind, eine Person zu beschreiben: „Unter der Persönlichkeit eines Menschen wird […] die Gesamtheit aller seiner Eigenschaften (Dispositionen und Gestalteigenschaften) verstanden, in denen er sich von anderen Menschen unterscheidet.“453 Ebenso wie das Gefühlsleben beschäftigten die Art und das Wesen von Menschenoder Charaktertypen die Menschheit seit den philosophischen Anfängen in der griechischen Antike.454 Für die Persönlichkeitspsychologie aus heutiger Sicht war der Beginn des 20. Jahrhunderts die Geburtsstunde, in welchem sich die Allgemeine Psychologie als eigene Wissenschaftsdisziplin etablierte. Dabei prägten verschiedene Ansätze die wissenschaftliche Herangehensweise zur menschlichen Persönlichkeit. Die in allgemeinen Lehrbüchern am häufigsten getroffene Unterscheidung differenziert zwischen 452 453 454

Vgl. Aiken (1999), S. 3. Asendorpf (1999), S. 5. Hippokrates (450 v.Chr.) unterschied beispielsweise Krankheiten nach den ihnen zuordenbaren körperlichen Säften Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Galen von Pergamum (130 v. Chr.) entwickelte darauf aufbauend eine Theorie der 4 Temperamentstypen, welche im Sprachgebrauch bis heute überdauerten: der sanguinische, der melancholische, der phlegmatische und der cholerische Typ. Diese vier Temperamentstypen wurden in der Neuzeit von Immanuel Kant und Willhelm Wundt wieder aufgegriffen. Vgl. dazu Matthews/Deary (1998), S. 9f.

Persönlichkeit

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psychoanalytischen, behavioristischen, dynamisch-interaktionistischen, phänomenologischen, informationsverarbeitenden und eigenschaftszentrierten Ansätzen.455 Da im Rahmen dieser Arbeit nicht sämtliche Ansätze erläutert werden können, wird im Folgenden auf drei Zugänge eingegangen, welche auch einen Blick auf die in der Persönlichkeitsforschung angewandten Methoden erlauben: es sind dies der psychoanalytische Ansatz mit dem Fokus auf klinischer Forschung, der behavioristische Ansatz mit dem Experiment als wichtigste Methode, und schließlich der heute den größten Einfluss ausübende eigenschaftszentrierte Ansatz, welcher durch die Befragung einer großen Anzahl an Personen und anschließender statistischer Auswertung jene Einheiten feststellt, auf denen Individuen unterschiedliches Verhalten aufweisen. Dieser letzte Ansatz, auch Traits-Ansatz genannt, bildet den theoretischen Rahmen für die vorliegende Untersuchung und soll daher anschließend im Detail betrachtet werden. 6.2 Grundlagen Bevor die drei Ansätze dargestellt werden, erscheint es zweckmäßig kurz auf eine wichtige Unterscheidung hinsichtlich des methodischen Zugangs zur Persönlichkeitsforschung hinzuweisen. Je nach Generalisierungsgrad der analysierten individuellen Unterschiede wird hier zwischen idiographischen und nomothetischen Zugängen differenziert. Diese Unterscheidung geht auf Windelband (1894) zurück, der die nomothetischen Gesetzeswissenschaften von den idiographischen Ereigniswissenschaften abgrenzte.456 Idiographische Persönlichkeitsmodelle konzentrieren sich daher auf den biographischen Verlauf und die persönliche Entwicklung der Persönlichkeit eines Individuums. „[…] the idiographic approach [is] primarily concerned with understanding the developmental history of each person as well as the unique ways he or she interprets and responds to reality.”457 Gesetzmäßige Ableitungen für allgemeines menschliches Verhalten sind daher bei diesem Forschungszugang nicht möglich. Nomothetische Zugänge zur Persönlichkeitsforschung zielen dagegen auf die Entdeckung von generalisierbaren Gesetzmäßigkeiten ab und beschäftigen sich hauptsächlich mit der Beobachtung und Aggregation von Phänomenen, die über große Populationen hinweg untersucht werden. Die häufig als konträr diskutierten Zugänge schließen einander allerdings nicht notwendigerweise aus bzw. hatten die Proponenten solcher Unterscheidung eher die komplementäre als die einander ausschließende Anwendung der beiden Konzepte im Sinn.458 „The psychologist […] may be conducting an idiographic study; but if the description is to have any thread of meaning running through it, he must relate his selection of relevant facts to principles of human behaviour.”459

455 456 457 458 459

Vgl. z. B. Pervin (1996), Asendorpf (1999). Vgl. Asendorpf (1999), S. 103f. Grice (2004), S. 203f. Für weitere Ausführungen zur idiographisch-nomothetischen Diskussion siehe z. B. Stern (1911). Kelly (1955), S. 42.

Grundlagen

103

6.2.1 Psychoanalytische Ansätze Die psychoanalytischen Ansätze zur Erforschung der Persönlichkeit gehen auf die Arbeiten von Siegmund Freud (1856–1939)460 zurück, der eine möglichst umfassende Theorie des menschlichen Seelenlebens zu entwickeln versuchte. Zentral für das Menschenbild Freuds war, dass der Körper ein geschlossenes Energiesystem bilde, in welchem Triebe die entscheidende Determinante für alles menschliche Verhalten seien.461 In seinen Forschungsbemühungen konzentrierte sich Freud vor allem auf pathologische Störungen und weniger auf Normvarianten der Persönlichkeit, weshalb sein Forschungsinteresse stets klinischen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen galt. In der Methodik war die von Freud entwickelte Psychoanalyse ein originär idiographisches Modell, das sich ausschließlich am Individuum orientierte. Durch freie Assoziation sollten die Patienten zur Offenlegung eines unbewussten Triebimpulses angeregt werden, welcher ein problematisches Thema oder eine Kindheitserinnerung zu Tage brachte. Das Problem dieser Methodik liegt vor allem darin, dass die Daten, welche Freud beim Zuhören seiner Patienten aufzeichnete, intersubjektiv nicht nachvollziehbar und nicht generalisierbar sind. Für die empirische Persönlichkeitsforschung haben psychoanalytische Ansätze, wie sie neben Freud auch von Adler (1870–1937) und Jung (1875–1961) vertreten wurden, aus diesem Grunde keine Bedeutung mehr.462

6.2.2 Lern-theoretische Ansätze Wie schon im Kapitel zu Emotionen ausreichend erläutert wurde, prägte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Behaviorismus entscheidend das wissenschaftliche Weltbild. In der Persönlichkeitspsychologie entstanden diesem Paradigma entsprechend Theorien, die Unterschiede im menschlichen Verhalten durch lerntheoretische Ansätze zu erklären versuchten. Dabei wurde Verhalten als von den in einer Situation vorherrschenden Stimuli determiniert angesehen, was inhaltlich dem ReizReaktionsschema entspricht.463 Um das Verhalten einer Person in verschiedenen Situationen vorhersagen und erklären zu können, ist es demnach entscheidend zu wissen, welche früheren Lernerfahrungen bereits erlebt wurden. Die Ansätze, welche von den unterschiedlichen Vertretern gewählt wurden, unterscheiden sich in ihren Annahmen durchaus, indem zum Beispiel Skinner (1953)464 auf die Bedeutung von Verstärkungsmechanismen (Belohnung, Bestrafung) für menschliches Verhalten hinweist, während Bandura (1963)465 und Rotter (1954)466 stärker kognitive Variablen für das 460 461 462 463 464 465 466

Vgl. Arbeiten von Freud (1936), Freud (1953). Vgl. dazu und im Folgenden Pervin (1996), S. 4f. Vgl. Pervin (1996). Vgl. Funder (2001), S. 201f. Vgl. Skinner (1953). Vgl. Bandura (1963). Vgl. Rotter (1954).

Persönlichkeit

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Erlernen von Verhalten betonen.467 Methodisch orientieren sich lern-psychologische Persönlichkeitstheorien an experimentellen Studien, welche im Labor durchgeführt werden. Nicht das einzelne Individuum mit seinen Eigenheiten steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern vielmehr die Entdeckung allgemein menschlicher Gesetzmäßigkeiten, wie Persönlichkeit „funktioniert“.468 Da durch die experimentelle Kontrolle nur ein sehr limitiertes Spektrum an Situationen, losgelöst von der natürlichen und vielschichtig komplex interagierenden Umwelt des Menschen, untersucht werden kann, stellte sich, wie in anderen Bereichen der Psychologie auch, das behavioristische Weltbild bald als unbefriedigend heraus und spielt in der heutigen Persönlichkeitstheorie keine wesentliche Rolle mehr.

6.2.3 Eigenschaftszentrierte Ansätze oder Traits-Ansätze Der Traits-Ansatz ist heute das dominierende Modell zur Beschreibung der Persönlichkeit. Traits, oder zu Deutsch Eigenschaften oder Wesenszüge, bezeichnen individuelle, relativ stabile Verhaltensdispositionen, wie sich Personen in einer Reihe ähnlicher Situationen verhalten und durch welche sie sich von anderen Individuen unterscheiden.469 McCrae und Costa definieren Traits: „[…] as dimensions of individual differences in tendencies to show consistent patterns of thoughts, feelings, and actions.“470 Sie weisen aber auch darauf hin, dass diese Dispositionen nicht als absolute Determinanten für menschliches Verhalten interpretiert werden dürfen, sondern dass situative Faktoren wie Umfeld, Stimmung, soziale Rollenanfordernisse etc. das konkrete Verhalten wesentlich mitbestimmen. Menschen verwenden Eigenschaftsbegriffe, um individuelle Unterschiede im Verhalten zu bezeichnen und zu beschreiben. Eigenschaftstheoretiker sehen in Traits die zentralen Einheiten der Persönlichkeit, durch welche sich Unterschiede im zwischenmenschlichen Verhalten erklären lassen. Allport (1937)471, der als Begründer des eigenschaftszentrierten Ansatzes gilt, sieht die Relevanz von Traits ebenfalls durch die Alltagspsychologie bestätigt: „In everyday life, no one, not even a psychologist, doubts that underlying the conduct of a mature person there are characteristic dispostions or traits.“472 Allport nimmt dabei einen kausalen Zusammenhang zwischen den Eigenschaften einer Person und ihrem Verhalten an. Eine zentrale Frage für Eigenschaftspsychologen ist daher, auf welchen und wie vielen solcher Traits sich menschliches Verhalten differenziert, und wie solche Traits gemessen werden können. Immanent verbirgt sich darin auch die Frage, ob Traits tatsächlich existieren oder nur als 467 468 469 470 471 472

Vgl. Angleitner (1980), S. 154ff. Vgl. Pervin (1996), S. 18. Vgl. McCrae/Costa (2001), S. 140. McCrae/Costa (1990), S. 23. Vgl. Allport (1937). Allport (1937) in Matthews/Deary (1998), S. 13.

Grundlagen

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nützliche Beschreibung für individuelles Verhalten dienen. Allport war der Meinung, dass Eigenschaften im neurophysischen System verankert und damit biologisch bedingt sind, gleichzeitig aber auch im Verhalten des Menschen beobachtbar sind.473 Allport erstellte deshalb eine Liste von Begriffen, welche ihm dazu geeignet erschienen, menschliches Verhalten zu beschreiben: der Grundstein für die lexikalische Erforschung der Persönlichkeit war gelegt (im Detail zur lexikalischen Basis des TraitsAnsatzes später). Obwohl Allport selbst einen rein nomothetischen Zugang zur Beschreibung und Erklärung der Persönlichkeit ablehnte, und anerkannte, dass durch die Bildung von Persönlichkeitsprofilen wichtige Information über das Individuum verloren gehe, galt sein Interesse primär der Identifikation von Traits, die zur Beschreibung von allen Personen geeignet waren.474 Dieser Fokus, die Struktur, Anzahl und Hierarchie der fundamentalen Eigenschaftsdimensionen zu entschlüsseln, anhand derer Unterschiede im individuellen Verhalten zwischen Menschen beschrieben werden können, ist der eigentliche Kern der eigenschaftszentrierten Persönlichkeitspsychologie. Fundamentale Eigenschaftsdimensionen zu bestimmen, impliziert, dass diese eine gewisse Generalität aufweisen, welche durch statistische Methoden quantifizierbar sind und sich in logisch separaten aber empirisch zusammen auftretenden Verhaltensweisen des täglichen Lebens feststellen lassen.475 Daher wird beim eigenschaftszentrierten Ansatz der Schwerpunkt auf quantitative Messung und Feststellung von Korrelationen zwischen Situationen und Reaktionen gelegt. Diese Sichtweise steht in klarem Kontrast zu den psychoanalytischen Ansätzen, die quantitative Methoden ablehnen und deren Erkenntnisse aus der Beobachtung des Individuums und seiner Lebensgeschichte resultierten. Sir Francis Galton, auf den die frühesten faktoranalytischen Klassifizierungs- und Gruppierungsversuche von Eigenschaftswörtern zurückgehen, war überzeugt, „the character which shapes our conduct is a definite and durable ‚something’ and therefore […] it is reasonable to attempt to measure it.“476 Wie der Behaviorismus, sucht also auch der eigenschaftszentrierte Ansatz nach funktionalen Abhängigkeiten zwischen Situationen und Reaktionen. Diese funktionalen Abhängigkeiten werden aber nicht in der Lerngeschichte der Person, sondern in ihren Eigenschaften gesucht. Aufgrund ihrer Eigenschaften oder Verhaltensdispositionen, sind bestimmte Situationen für Menschen ähnlich und veranlassen sie in ähnlichen Situationen in ähnlicher Weise zu reagieren. Die Black-Box des Behaviorismus wird also durch Situations-Reaktions-Konstrukte gefüllt. Durch das statistische Verfahren der Korrelation können solche Situations-Reaktions-Muster festgestellt werden, die zur 473 474 475 476

Vgl. Winter/Barenbaum (2001) S. 10 in Pervin/John (2001). Vgl. Pervin (1996), S. 34. Vgl. Eysenck (2004a), S. 2 in Boyle/Saklofske (2004). Galton (1884), S. 179.

Persönlichkeit

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Unterscheidung von individuellem Verhalten über große Stichproben hinweg dienen.477 Als Beispiel sei hier die Eigenschaft Prüfungsangst angeführt: Eine Person, die eine hohe Ausprägung auf dieser Eigenschaft hat, wird in allen prüfungsähnlichen Situationen Angstzustände bekommen (z. B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, etc.). Eine andere Person, bei der diese Eigenschaft nicht stark ausgeprägt ist, wird dagegen die beschriebenen Symptome nicht aufweisen. Die Eigenschaft „Prüfungsangst“ dient also dazu, Unterschiede im individuellen Verhalten der beiden Personen zu erklären. Welche und wie viele solcher Eigenschaften dafür notwendig sind, ist die zentrale Fragestellung des eigenschaftszentrierten Ansatzes. An obiger Stelle wurde bereits kurz darauf hingewiesen, dass der lexikalische Ansatz und die darauf basierenden faktoranalytischen Auswertungen den „Königsweg“478 zur Identifikation der Struktur im Eigenschaftsparadigma darstellen. Der nächste Abschnitt wird daher einem kurzen historischen Überblick über die Forschungsentwicklung im lexikalischen Persönlichkeitszugang und der seit den 1980er Jahren entstehenden Dominanz des Fünf-FaktorenModells in der Persönlichkeitspsychologie gewidmet. 6.3 Der Traits-Ansatz 6.3.1 Historische Entwicklung des Fünf-Faktoren-Modells Was seit den Beginnen der modernen Persönlichkeitspsychologie unerreichbar galt, nämlich eine allgemein akzeptierte Taxonomie und Struktur der Persönlichkeit zu definieren, scheint sich seit Mitte der 1980er Jahre doch zu manifestieren. Es zeichnet sich unter Persönlichkeitsforschern verstärkter Konsens ab, dass sich Unterschiede im individuellen Verhalten von Menschen durch fünf breite Faktoren höherer Ordnung erklären lassen.479 Dieses Modell der Big Five hat in den letzten zwei Dekaden zunehmend Bestätigung durch Studien von unterschiedlichen Autoren und in verschiedenen Ländern gefunden.480 Der Zugang, der dieser Taxonomie immanent ist, ist ein lexikalischer und erschließt seine Basiskategorien durch eine systematische Analyse der Alltagssprache.

6.3.1.1 Grundlagen des lexikalischen Zugangs Die zentrale Annahme des lexikalischen Ansatzes ist, dass sich jene individuellen Unterschiede im menschlichen Verhalten, welche von Bedeutung sind, im Laufe der Zeit auch in der Sprache manifestieren; dass Menschen für jene Verhaltensweisen, die ihnen wichtig erscheinen, Wörter finden, um dieses Verhalten beschreiben zu können.481 477 478 479 480 481

Vgl. Asendorpf (1999), S. 36ff. Vgl. Becker (1996), S. 210. Vgl. McCrae/John (1992). Vgl. dazu Hofstee, et al. (1997), Körner, et al. (2002), De Raad (1998). Vgl. De Raad (2000), S. 15.

Der Traits-Ansatz

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Diese Annahme wurde zunächst von Klages (1926)482 artikuliert und von Allport (1937)483, Cattell (1943)484, Norman (1963)485 und Goldberg (1981) weiter verfolgt und kann folgendermaßen umschrieben werden: „Those individual differences that are of the most significance in the daily transactions of persons with each other will eventually become encoded into their language. The more important is such a difference, the more people will notice it and wish to talk of it, with the result that eventually they will invent a word for it.”486

6.3.1.2 Geschichtliche Entwicklung des lexikalischen Ansatzes Die ersten Klassifizierungsversuche der englischen Sprache zum Zwecke der Beschreibung der Persönlichkeit wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Sir Francis Galton unternommen, der, relativ unsystematisch, ca. 1.000 Begriffe sammelte, die seiner Meinung nach ausreichten, um Charaktere zu beschreiben. Als Klages (1926) den lexikalischen Ansatz theoretisch erstmals formulierte, begann wenige Jahre später Franziska Baumgarten (1933)487 mit einer systematischen Sammlung von persönlichkeitsbeschreibenden Wörtern der deutschen Sprache und erstellte eine Liste von ca. 1.500 Adjektiven und Nomen, die ihr zu diesem Zweck geeignet erschienen. Im deutschen Sprachraum verhallte Baumgartens Werk ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, in den USA dagegen griffen Allport und Odbert488 die Idee auf und erstellten in umfangreichen Arbeiten eine Taxonomie an Begriffen, die für die meisten der nachfolgenden Forschungsarbeiten als empirische Grundlage diente.489

482 483 484 485 486 487 488 489

Vgl. Klages (1932), Original (1926). Vgl. Allport (1937). Vgl. Cattell (1943). Vgl. Norman (1967). Goldberg (1981), S. 141-142. Vgl. Baumgarten (1933). Vgl. Allport/Odbert (1936). Vgl. John, et al. (2004), S. 28f.

Persönlichkeit

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Abbildung 24: Geschichte der lexikalischen Forschung nach Eigenschaftstaxonomien490

Als Basis für ihre Recherche verwendeten Allport und Odbert das Webster’s New International Dictionary, das ca. 550.000 Begriffe enthielt. Als Voraussetzung für die Aufnahme eines Begriffes in die entstehende Liste musste dieser geeignet erscheinen, „to distinguish the behavior of one human being from that of another“.491 Das Resultat bestand in einer Liste, die Allport angesichts der Fülle von 18.000 Begriffen als „semantischen Alptraum“492 bezeichnete. Allport und Odbert ordneten diese dann vier großen Kategorien zu:493 die erste Kategorie umfasste 4.504 neutrale Persönlichkeitseigenschaften, wie beispielsweise ängstlich, aggressiv, etc; unter die zweite Kategorie wurden 4.541 vorübergehende Gemütszustände, Stimmungen und Aktivitäten subsumiert, wie euphorisch (elated), wütend (frantic), geschwätzig (gibbering), freudig (rejoicing); die dritte Kategorie umfasste 5.226 wertende Begriffe wie unnütz oder exzellent, die zwar zur Beschreibung von Verhalten dienen, aber nicht in der neuropsychi490 491 492 493

Quelle: John (1990), S. 68. Allport/Odbert (1936), S. 36 in John (1990), S. 67. John/Srivastava (2001), S. 103 in Pervin/John (2001). Vgl. John, et al. (2004), S. 29–30.

Der Traits-Ansatz

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schen Disposition des Individuums, sondern dem wertenden Urteil des Beurteilenden begründet sind; die vierte Kategorie schließlich stellte eine Mischung aus 3.682 Wörtern dar, die „metaphorisch oder zweifelhaft“ erschienen und unter anderem physische Qualitäten oder Talente beschrieben. Um jedoch zu einer überschaubaren und verwertbaren Anzahl von Persönlichkeitseigenschaften zu kommen, war eine weitere Verdichtung dieser Kategorien notwendig. Mit Raymond Cattell widmete eine weitere wichtige Persönlichkeit ihr gesamtes Forschungsinteresse der Ergründung der Persönlichkeitsstruktur, indem er systematisch die statistischen Methoden der Korrelation und Kovariation einsetzte.494 Cattell war davon überzeugt, dass „the most potent method of attacking the tangle is to work out correlation coefficients between the inconveniently multitudinous variables abounding in the subject and to seek some smaller number of ‘behind the scenes’ or underlying variables, known as factors.”495 In einem mehrstufigen Clusterverfahren reduzierte er den Itempool von Allport und Odbert.496 Ausgehend von den 4.500 neutralen Eigenschaften der ersten Kategorie eliminierte Cattell mehr als 99 % dieser Begriffe und identifizierte schließlich 35 Traits, die sich in einem letzten Clusterschritt noch einmal zu zwölf Faktoren verdichten ließen. Diese zwölf Faktoren wurden in dem international bekannt gewordenen Persönlichkeitsinventar 16PF (16 Personality Factors Questionnaire) abgebildet.497 Obwohl Cattells Reduktionsprozess durch die Clusteranalysen laut eigenen Angaben auf „strikt mathematischen Kriterien“ beruhte, war das Prozedere für nachfolgende Forscher nicht replizierbar und wurde bald als nicht repräsentativ und willkürlich kritisiert.498

6.3.1.3 Fünf breite Faktoren manifestieren sich Cattells Arbeit inspirierte andere Persönlichkeitsforscher zu weiteren Untersuchungen (siehe Abbildung 24) und interessanterweise kamen mehrere Forscher unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass sich bei empirischen Studien mit Cattells 35 Variablen wiederholt fünf Faktoren heraus kristallisierten (Fiske 1949, Tupes & Christal 1961, Norman 1963).499 In den 1960er Jahren konnten Tupes & Christal500 erstmals fünf robuste Faktoren anhand von acht höchst unterschiedlichen Versuchsgruppen identifizieren, die sie mit Surgency/Extraversion, Verträglichkeit (Agreeableness), Verlässlichkeit (Dependability), emotionale Stabilität (emotional stability) und Kultur 494 495 496

497 498 499 500

Vgl. John (1990), S. 69. Cattell (1946), S. 272 in Winter/Barenbaum (2001), S. 12. Es muss hier angemerkt werden, dass die statistischen Methoden der damaligen Zeit noch keine komplexen Faktorenlösungen erlaubten, wodurch Cattel gezwungen war, diese Analysen in einem kaum nachvollziehbaren Aufwand händisch durchzuführen. Vgl. John (1990), S. 69. Vgl. John (1990), S. 69f. Vgl. De Raad (2000), S. 11. Vgl. De Raad (1998), S. 116 und dort angegebene Originalquellen. Vgl. Tupes/Christal (1992).

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Persönlichkeit

(Culture) benannten.501 Für Tupes und Christal selbst schien dieses Ergebnis einigermaßen überraschend zu sein, da sich ein Konsens über die Struktur der Persönlichkeit zu ihrer Zeit noch nicht abzeichnete: „In many ways it seems remarkable that such stability should be found in an area which to date has granted anything but consistent results. Undoubtedly the consistency has always been there, but it has been hidden by inconsistency of factorial techniques and philosophies, […].”502 Wie aus der Graphik in Abbildung 24 ersichtlich ist, wurde die Fünf-Faktoren-Struktur in den folgenden Jahrzehnten noch des Öfteren nachgewiesen, allerdings mit dem Makel, dass sie aus der von vielen Autoren kritisierten Liste der 35 Variablen Cattells hervorging, die nicht repräsentativ erschienen. Waller und Ben-Porath formulierten ihre Kritik so: „[…], we feel that many of these studies are better thought of as a series of quasi-literal replications, rather than conceptual validations of the five-factor model.”503 Warren Norman504, der aus diesem Variablensatz 1963 selbst die FünfFaktoren-Struktur replizierte, führte indes seine eigenen lexikalischen Studien weiter und ging noch einmal auf die ursprüngliche 18.000-Wörter-Liste von Allport und Odbert zurück. Er musste die Liste lediglich um 171 Wörter aus dem Webster’s Third New International Dictionary 1961 ergänzen und klassifizierte 1.431 Wörter als stabile Traits, führte die anschließende Faktorenanalyse aber nicht mehr durch.505 Lewis Goldberg sprang auf den Zug wieder auf, den Norman verlassen hatte und führte umfangreiche Studien an verschiedenen Versuchsgruppen durch. In seinem einflussreichen Artikel An Alternative „description of personality“: The Big-Five Factor Structure506 erbrachte er entscheidende Nachweise, dass sich die Struktur der menschlichen Persönlichkeit in fünf breite Faktoren (daher die Bezeichnung Big Five) gliedern lässt und unabhängig von der Stichprobe, der Rotationsart, der angestrebten zu extrahierenden Faktorenanzahl und der Erhebungsmethode (Self- versus Peer-Rating) bestätigt wird.507 Goldbergs Arbeiten werden heute als entscheidender Beitrag gewertet, dass sich das Fünf-Faktorenmodell allgemein durchsetzen konnte und anerkannt wird. Im Gegensatz zu Cattell zogen Norman und Goldberg für ihre Selektion nämlich explizite und objektive Ausschlusskriterien heran, um die Repräsentativität zu sichern.508 Weiters evaluierte Goldberg die semantische Konsistenz der Cluster empirisch, rotierte eine größere Anzahl an Variablensets und verwendete dabei Clustersynonyme (im Gegensatz zu Cattell, der einzelne Variablen rotierte). Schließlich konnte Goldberg überzeugend nachweisen, dass die fünf Faktoren unabhängig vom methodischen Prozedere 501

502 503 504 505 506 507 508

Vgl. Wiggins/Trapnell (1997), S. 741. Diese Studien wurden im Rahmen eines militärischen Forschungsprojekts der Air Force Base Lackland durchgeführt, wodurch diese Ergebnisse erst relativ spät durch Norman an die Öffentlichkeit drangen. Tupes/Christal (1992), S. 246. Waller/Ben-Porath (1987), S. 887. Vgl. Norman (1967). Vgl. John, et al. (2004), S. 37f. Vgl. Goldberg (1990). Vgl. Goldberg (1990). Vgl. John (1990), S. 75.

Der Traits-Ansatz

111

extrahiert werden, nämlich mit unterschiedlichen Stichproben, Ratingskalen, Extraktions- und Rotationsvarianten und unabhängig von der Anzahl der vorgegebenen rotierten Faktoren.509

6.3.2 Beschreibung der Big Five Mit der Bezeichnung „Big Five“ soll das zentrale Postulat verkörpert werden, dass sich individuelle Unterschiede im Verhalten von Menschen auf fünf breite Persönlichkeitsfaktoren zurückführen lassen. Jede dieser Dimensionen ist sehr breit konzipiert und umfasst eine Reihe von unterschiedlichen und spezifischeren, die jeweilige Dimension näher beschreibende, Charakteristika.510 Nach dem geschichtlichen Abriss über die Entstehung des Fünf-Faktoren-Modells folgt nun eine inhaltliche Beschreibung der fünf Faktoren, deren semantische Bezeichnung und Interpretation von weit weniger Konsistenz geprägt ist, als die Anzahl der extrahierten Faktoren. Um dies zu verdeutlichen soll zunächst ein Blick auf nachstehende Tabelle 8 geworfen werden, in der die Studien, welche fünf Faktoren identifizierten, mit den von ihren Autoren gewählten Faktorbezeichnungen abgebildet sind. Es scheint, dass jedes Forschungsteam eigene Namen zur Bezeichnung gefunden hat, sodass in der Literatur des Öfteren die Frage auftauchte „Welche Big Five?“ oder „Wessen Big Five“.511 Trotz unterschiedlicher Benennungen erweisen sich die Faktoren jedoch bei der inhaltlichen Interpretation als relativ stabil und eine Überlappung der Faktoren unterschiedlicher Autoren ist eindeutig erkennbar.

509 510 511

Vgl. Wiggins/Trapnell (1997), S. 757. Vgl. John (1990), S. 71. Vgl. De Raad (2000), S. 43.

Persönlichkeit

112

Autor(en)

Faktor I

Faktor II

Faktor III

Faktor IV

Faktor V

Fiske (1949)

Confident SelfExpression

Social Adaptability

Conformity

Emotional Control

Inquiring Intellect

Surgency

Agreeableness

Dependability

Emotional Stability

Culture

Surgency

Agreeableness

Conscientiousness

Emotional Stability

Culture

Extraversion

Friendly Compliance

Will to Achieve

Ego Strength (Anxiety)

Intellect

Surgency

Agreeableness

Conscientiousness

Emotional Stability

Intellect

Extraversion

Agreeableness

Conscientiousness

Neuroticism

Openness to Experience

Extraversion

Agreeableness vs. ColdHeartedness

Conscientiousness

Emotional Instability

Culture

Tupes & Christal (1961) Norman (1963) Digman & TakemotoChock (1981) Goldberg (1981, 1989) McCrae & Costa (1985) De Raad et al. (1988)

Tabelle 8: Dimensionen der Big Five und ihre Bezeichnung in lexikalischen Studien512

John McCrae und Paul Costa trugen in den 1980er Jahren entscheidend zum sich verbreitenden Konsens der Fünf-Faktoren-Struktur bei, indem sie umfangreiche Studien durchführten und Messinventare zur Erfassung der Big Five entwickelten. Die von ihnen gewählten Bezeichnungen für die fünf Faktoren sind die heute in der Literatur am häufigsten verbreiteten Begriffe und werden auch in dieser Arbeit adoptiert, zumal das deutsche Inventar zur Messung der Big Five von Borkenau und Ostendorf auf dem amerikanischen Modell aufbaut. Die Beschreibung der fünf Faktoren lehnt sich daher an der Handanweisung von Borkenau und Ostendorf an.513

6.3.2.1 Extraversion Extraversion (E) ist die Dimension der Geselligkeit. Personen mit hohen Punktwerten auf dieser Skala sind aber nicht nur gesellig, sie beschreiben sich selbst auch als selbstsicher, aktiv, gesprächig, energisch und optimistisch. Sie haben ein heiteres Naturell, sie mögen Menschen und fühlen sich in Gruppen und gesellschaftlichen Versammlungen besonders wohl.514 Personen mit niedrigen Punktwerten auf dieser Skala könnte man mit dem Wort introvertiert beschreiben, was zutreffender als ein Fehlen, denn einen Gegensatz zur Extraversion angesehen werden muss.515 Introvertierte sind 512 513 514 515

Quelle: Vgl. John (1990), S. 72. Vgl. hierzu und im Folgenden Borkenau/Ostendorf (1993). Vgl. auch Saklofske/Eysenck (2004), S. 207. Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993), S. 28.

Der Traits-Ansatz

113

zurückhaltend, unabhängig und ausgeglichen. Sie leiden nicht notwendigerweise unter sozialer Ängstlichkeit, sondern dominant ist vielmehr der Wunsch alleine zu sein, ohne deshalb jedoch unglücklich oder pessimistisch sein zu müssen.

6.3.2.2 Verträglichkeit Der zweite große Faktor Verträglichkeit (V) bildet ebenso wie die Extraversion interpersonelles Verhalten ab. Digman beschreibt Verträglichkeit als die „menschliche Facette der Humanität“ mit Eigenschaften wie „altruism, nurturance, caring, and emotional support at the one end of the dimension, and hostility, indifference to others, self-centeredness, spitefulness, and jealousy at the other.“516 Als zentrales Merkmal der Dimension Verträglichkeit kann bei hohen Punktwerten auf dieser Skala eine starke Ausprägung von Altruismus beobachtet werden. Solche Menschen begegnen anderen mit Verständnis, Wohlwollen und Mitgefühl, sie sind bemüht, anderen zu helfen und neigen zu Vertrauen, Kooperativität und Nachgiebigkeit, und sie haben ein starkes Harmoniebedürfnis. Da verträgliche Menschen beliebter sein dürften als unkooperative, weist diese Dimension eine gewisse Anfälligkeit für soziale Erwünschtheit in einer Befragungssituation auf.517

6.3.2.3 Gewissenhaftigkeit Die dritte Dimension Gewissenhaftigkeit (G) bezieht sich auf die Höhe selbst gesetzter Standards und auf die Planung und Organisation von Aufgaben sowie auf das Engagement bei deren Durchführung. Personen mit hohen Ladungen auf diesem Faktor beschreiben sich selbst als zielstrebig, ehrgeizig, fleißig, ausdauernd, willensstark, zuverlässig, pünktlich, ordentlich und genau.518 Auch dieser Dimension wohnt eine soziale Erwünschtheit inne, da die Eigenschaften mit hoher Ausprägung auf dieser Dimension häufig mit akademischen Leistungen und beruflichem Werdegang assoziiert werden. McCrae und John vermuten, dass es möglicherweise dieser „moralische Unterton“ war, warum der Faktor Gewissenhaftigkeit (zusammen mit Verträglichkeit) von Forschern oft ignoriert wurde. „[…], but in fact, both represent objectively observable dimensions of individual differences. Some people are thorough, neat, well-organized, diligent, and achievement-oriented, whereas others are not, […].”519

516 517 518 519

Digman (2004), S. 75. Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004). Vgl. Borkenau/Ostendorf (2002), S. 259 in Brähler, et al. (2002). McCrae/John (1992), S. 197.

Persönlichkeit

114

6.3.2.4 Neurotizismus Der Faktor Neurotizismus (N) erfasst die interindividuellen Unterschiede der emotionalen Stabilität von Personen und darf nicht im Sinne des Krankheitsbildes einer psychischen Störung missverstanden werden.520 Vielmehr bildet der Faktor die Art und Weise ab, wie Menschen vor allem negative Emotionen erleben und damit umgehen. Personen mit hohen Werten auf dieser Skala sind leicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen, sie berichten von häufig erlebten negativen Gefühlszuständen, die sie manchmal geradezu überwältigen und neigen dazu, erschüttert, betroffen, beschämt, unsicher, nervös oder ängstlich zu reagieren. Diese Probleme berichten Menschen mit niedrigen Werten auf diesem Faktor kaum, sie sind gelassen, ruhig, ausgeglichen und geraten auch in Stresssituationen nicht so leicht aus der Fassung. Der Faktor Neurotizismus gilt neben dem der Extraversion als einer der am besten abgesicherten Dimensionen und wird unter eigenschaftstheoretischen Persönlichkeitsforschern weithin akzeptiert.521

6.3.2.5 Offenheit für Erfahrungen Die Skala Offenheit für Erfahrungen (O) erfasst das Interesse an und das Ausmaß der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken. Personen, die hohe Werte auf diesem Faktor ausweisen, berichten über ein reges Phantasieleben, sind an vielen persönlichen und öffentlichen Vorgängen interessiert und erleben sowohl positive als auch negative Emotionen akzentuiert.522 Sie beschreiben sich als phantasievoll, kreativ, wissbegierig und experimentierfreudig, und sind bereit, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen. Personen mit geringer Ausprägung auf diesem Faktor neigen dagegen eher zu konventionellem Verhalten und bevorzugen Bewährtes vor Neuem. Über diesen letzten Faktor herrscht in der Literatur wohl am meisten Uneinigkeit.523 Er wurde von Forschern unterschiedlich bezeichnet und anfangs eher eng als Intellekt oder Intelligenz ausgelegt.524 Costa und McCrae zeigten dagegen in Studien, dass Menschen mit hohen Werten auf diesem Faktor nicht korrespondierend hohe Intelligenzwerte aufwiesen und interpretierten diesen Faktor deshalb in Form eines breiteren Konzepts, das sie Offenheit für Erfahrungen nennen: „Ideas, of course, form an 520 521

522 523

524

Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993), S. 27. Vgl. McCrae/John (1992), S. 195. Die beiden Faktoren Extraversion und Neurotiszismus werden auch in Modellen abgebildet, die von einer dreifaktoriellen Lösung ausgehen. Eysenck gilt hier als führender Proponent eines Drei-Faktoren-Modells der Persönlichkeit, vlg. dazu Eysenck (2004b), Eysenck (1947). Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993), S. 28. Vgl. De Raad (1998), S. 118. Die Uneinigkeit rührt aus der Diskussion her, ob dieser Faktor „Offenheit für Erfahrungen“ in lexikalischen Studien ausreichend adäquat abgebildet werden kann, da es für gewisse Ausdrücke, wie z. B. „sensitive to art“ (kunstsinnig) kein englisches Adjektiv gibt. In Fragebogenstudien, welche Verhaltensweisen und Einstellungen beinhalten, wird daher häufig eine breitere Dimension konzipiert, die über Intellekt hinausgeht. Vgl. Digman (2004), S. 77.

Der Traits-Ansatz

115

important aspect of consciousness, but fantasies, feelings, sensations, and values are also experiences to which individuals can be more or less open.“525 In Tabelle 9 findet sich eine Übersicht mit charakterisierenden Eigenschaftswörtern, die die beiden Pole der fünf Faktoren mit jeweils niedrigen und hohen Ausprägungen in typischer Weise abbilden. Faktor

Hohe Merkmalsausprägung

Geringe Merkmalsausprägung

Extraversion

Abenteuerlustig, aktiv, aufgeweckt, gesellig, feurig, begeisterungsfähig, dominant, dynamisch, gesprächig, heiter, herzlich, kontaktfähig und – freudig, lebenslustig, redselig, spontan, temperamentvoll, personenorientiert;

Distanziert, eigenbrötlerisch, einsilbig, kontaktscheu, nach innen gekehrt, reserviert, scheu, schweigsam, still, ungesellig, unspontan, verschlossen, zurückhaltend, zugeknöpft;

Verträglichkeit

Altruistisch, arglos, aufrichtig, bedürfnislos, sanft, bescheiden, direkt, versöhnlich, ehrlich, entgegenkommend, freimütig gefällig, geradlinig, großherzig gütig, großzügig, gutgläubig, gutwillig, naiv, hilfsbereit, nachgiebig, uneigennützig, warmherzig, vertrauensvoll;

Arrogant, berechnend, rüde, dickköpfig, eigennützig, eingebildet, eitel, gerissen, grob, hartherzig, hinterlistig, kalt, zynisch, misstrauisch, kalkulierend, rechthaberisch, selbstgefällig, streitsüchtig, unaufrichtig, unkooperativ, unversöhnlich, verschlagen,

Gewissenhaftigkeit

Arbeitsam, ausdauernd, beharrlich, ehrgeizig, eifrig, fleißig, genau, gewissenhaft, kompetent, motiviert, ordentlich, perfektionistisch, pflichtbewusst, planvoll, pünktlich, prinzipientreu, selbst-diszipliniert, strebsam, zuverlässig, willensstark, verlässlich;

Bequem, arbeitsscheu, chaotisch, ehrgeizlos, faul, hedonistisch, lässig, leichtfertig, leichtsinnig, planlos, schlampig, sprunghaft, träge, unachtsam, unbeständig, undiszipliniert, unsorgfältig, unverlässlich, ziellos, willensschwach;

Neurotizismus

Angespannt, anerkennungsbedürftig, ängstlich, empfindlich, emotional, beunruhigt, nervös, reizbar, sensibel, unsicher, wehleidig, unzufrieden, unausgeglichen, selbstzweiflerisch;

Ausgeglichen, entspannt, gefestigt, gefühlsstabil, gelassen, locker, robust, ruhig, selbstsicher, selbstvertrauend, sicher, sorglos, zufrieden, unempfindlich, selbstzufrieden;

Einfallsreich, offen, liberal, empfindungsfähig, erfinderisch, fantasiereich, feinfühlig, geistreich, hat viele Interessen, kreativ, musisch, neugierig, nonkonformistisch, originell, unkonventionell;

Dogmatisch, eingefahren, eingeschränkte Interessen, erdverbunden, fantasielos, konservativ, konventionell, nüchtern, pragmatisch, praktisch, realistisch, sachlich, unflexibel, unkritisch, unkünstlerisch;

Offenheit für Erfahrungen

Tabelle 9: Typische Charaktereigenschaften der Big Five526

525

McCrae/John (1992), S. 198.

Persönlichkeit

116

6.3.3 Unterstützende Argumente für die Big Five 6.3.3.1 Universalität und Interkulturalität der Big Five Wie einleitend dargestellt, wurden die lexikalischen Studien, abgesehen von den Anfängen von Franziska Baumgarten527 in Deutschland, ausschließlich im angloamerikanischen Sprachraum durchgeführt und entwickelt. Ebenso wurde der zweite Zugang zu den Big Five, nämlich über die Fragebogenkonstruktion, welche allen voran durch Paul Costa und Robert McCrae528 seit Beginn der 1980er Jahre intensiv betrieben wurde, zunächst ausschließlich im Amerikanischen verfolgt. Es wäre also prinzipiell denkbar, dass sich die fünf robusten Faktoren der Persönlichkeit vornehmlich nur in der amerikanischen Sprache manifestiert hatten und damit keine generell akzeptierbare Basis für eine Persönlichkeitspsychologie bildeten. Um die fünf Faktoren wirklich als Basisdimensionen der Persönlichkeit rechtfertigen zu können, müssten sich diese aber in beiden Geschlechtern, in verschiedenen sozialen Gruppen, Altersklassen und Rassen ebenso widerspiegeln wie in unterschiedlichen Kulturkreisen.529 Bereits 1991 lagen für den englischen Sprachraum zahlreiche Hinweise und Studien vor, die die Fünf-Faktoren-Struktur bei unterschiedlichen Alters- und Berufsgruppen belegten und Kongruenzkoeffizienten von 0,91 bis 0,99 aufwiesen.530 Die ersten interkulturellen Studien zur Persönlichkeitsstruktur wurden 1975 von Bond et al.531 im Japanischen durchgeführt, indem die Skalen von Norman532 übersetzt wurden und welche die Fünf-Faktoren-Struktur klar bestätigten, ebenso wie eine nachfolgende Untersuchung im Philippinischen.533 Es muss jedoch in Betracht gezogen werden, dass diese ersten Replikationsversuche in anderen Sprachen auf einer wörtlichen Übersetzung der Adjektive basierten, welche sich bei der Identifikation der fünf Faktoren nach der lexikalischen Tradition im Englischen herausgebildet hatten. Das heißt es wurden zunächst nicht in jeder Sprache eigene lexikalische Studien mit entsprechenden Reduktionsschritten unternommen, sondern bestehende Adjektivcluster vom Englischen in die jeweilige Sprache übersetzt. Dies ist problematisch, da das relevante Sprachset zur Beschreibung der Persönlichkeit nicht aus der eigenen Sprache gewonnen wird, wodurch die Kritik, dass es sich nur um „Replikationsversuche“ und nicht um echte Validierungen in anderen Sprachen handle, gerechtfertigt erscheint.534 526 527 528 529 530

531 532 533 534

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ostendorf/Angleitner (2004), S. 33–45. Vgl. Baumgarten (1933). Vgl. Costa/McCrae (1980), Costa/McCrae (1985), McCrae/Costa (1985), u. andere Arbeiten. Vgl. McCrae/Costa (1991), S. 657. Costa und McCrae führten ihre Studien bei Erwachsenen, Kindern, Lehrern, die ihre Schüler bewerteten und bei schwarzen und weißen Teilnehmern durch. Der Kongruenzkoeffizient gibt in diesem Fall Aufschluss darüber, wie stark die aus einer Studie hervorgehenden Faktoren mit den ursprünglichen Big Five übereinstimmen, wobei 1 der maximale Wert ist und vollkommene Übereinstimmung bedeutet. Vgl. Bond, et al. (1975). Vgl. Norman (1967). Vgl. Digman (2004), S. 83. Vgl. auch Kritik von Waller/Ben-Porath (1987), S. 887.

Der Traits-Ansatz

117

In der Folge bemühten sich Persönlichkeitsforscher international die Faktorenstruktur auch in anderen nicht-englischsprachigen Ländern und Kulturkreisen durch „endemischen“ Zugang (i. e. durch lexikalische Analyse der jeweiligen Sprache) zu identifizieren. Tabelle 10 gibt eine Übersicht über unterschiedliche Masterpools, die als Ausgangsbasis für die interkulturellen Studien dienten.

Sprache Amerikanisches Englisch (Norman) Holländisch Deutsch Italienisch (römisch) Italienisch (triestinisch) Ungarisch Tschechisch Polnisch Spanisch Filipino

Anzahl der eingetragenen Wörter des analysierten Wörterbuches

Persönlichkeitsrelevante Wörter

500 000

18 125535

200 000 96 664

8 690 4 827

Adjektive und Nomen Adjektive Adjektive

40 000

1 337

Adjektive

127 000

4 437

Adjektive

70 000 118 529 35 000 85 500 68 000

3 644 4 513 2 027 8 860 6 900

Adjektive Adjektive Adjektive Adjektive Adjektive

Wortart

Tabelle 10: Persönlichkeitsrelevante Begriffe in verschiedenen Sprachen536

Erklärend sei hier hinzugefügt, dass teilweise abgekürzte und unabgekürzte Wörterbücher zur Analyse herangezogen wurden, wodurch sich die sehr unterschiedlich hohe Anzahl der Ausgangswörteranzahl erklären lässt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass sich in unabgekürzten Wörterbüchern hauptsächlich die Anzahl der Nomen vervielfacht, nicht jedoch die der Adjektive, wodurch in allen analysierten Sprachen (mit Ausnahme der römisch-italienischen Taxonomie) ca. fünf bis sechs Prozent der Wörter als eigenschaftsrelevant klassifiziert wurden.537Zusammenfassend könnte man die Ergebnisse so charakterisieren, dass sich zwar in fast allen Sprachen eine Fünf-Faktoren-Struktur identifizieren lässt und in vielen Fällen eine Übereinstimmung mit den angloamerikanischen Big Five interpretierbar ist, dass diese Übereinstimmung jedoch alles andere als perfekt ist.538 Die nachstehende Tabelle 11 der Kongruenzkoeffizienten der fünf Faktoren aus den einzelnen Sprachanalysen zeigt, dass das üblicherweise als Standard geforderte Minimum von 0,85 nur bei wenigen

535

536 537 538

In der Folge wurden diese 18.125 Wörter von Norman selbst auf 2.797 Wörter reduziert. Goldberg, der den selben Pool an Wörtern für seine Studien verwendete, verkürzte die Liste relevanter Adjektive noch weiter auf 1.710. Vgl. dazu Goldberg (1990). Quelle: Vgl. De Raad (2000), S. 37. Vgl. De Raad (2000), S. 37f. Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 58f.

Persönlichkeit

118

Faktoren in wenigen Sprachen erfüllt wird, wobei für den Faktor V, Offenheit für Erfahrung oder Intellekt, am wenigsten Übereinstimmung erzielt wird.539

Holländisch Deutsch Ungarisch Italienisch 1 Italienisch 2 Tschechisch Polnisch

I (E) 81 80 80 84 83 78 78

Durchschnitt

81

Sprache

Fünf Faktoren im Angloamerikanischen II III IV (V) (G) (N) 82 82 74 81 79 75 77 84 73 86 87 78 87 85 81 66 75 72 74 85 76 79

82

76

V (O) 56 80 41 61 54 64 73 61

Tabelle 11: Kongruenzkoeffizienten nach der Zielrotation für die amerikanische Lösung der Big Five540

Am besten konnte die angloamerikanische Fünf-Faktoren-Struktur in einer sekundären Analyse vorhandener Daten von Hofstee et al.541 für den deutschen und den holländischen Sprachraum nachvollzogen werden, was möglicherweise durch die gemeinsamen indogermanischen Sprachwurzeln erklärt werden kann. Aber auch hier ließ sich aufgrund der zu geringen Kongruenzkoeffizienten keine strikte Übereinstimmung mit den Big Five nachweisen.542 Aufgrund der Befunde aus den interkulturellen lexikalischen Studien könnte man hier den Schluss ziehen, dass der lexikalische Ansatz seine Grenzen und die Big Five keine Universalität besitzen. Allerdings muss hier beachtet werden, dass die lexikalischen Analysen hauptsächlich auf Itempools bestehend aus Adjektiven aufbauten und die Verteilung bzw. der Stellenwert von Eigenschaftswörtern von Sprache zu Sprache unterschiedlich ist bzw. in einigen Sprachen gar keine Adjektive existieren.543 Weiters ist eine wörtliche Übersetzung singulärer Wörter von einer Sprache in die andere oft nicht möglich bzw. trifft nur unzureichend die ursprüngliche Bedeutung.544 McCrae und Costa weisen deshalb darauf hin, dass „lexical studies [thus] confound differences in personality structure with differences in personality language“.545 Hofstee et al. weisen 539

540 541 542 543 544

545

Vgl. Für eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse vgl. De Raad (2000), S. 36–61, sowie Saucier/Goldberg (2001), S. 856–870. Quelle: De Raad (1998), S. 121 (Orig. Englisch, Übersetzung durch die Autorin). Vgl. Hofstee, et al. (1997). Vgl. Hofstee, et al. (1997), S. 29f. Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 59. In wörtlichen Übersetzungen vom Holländischen ins Englische und umgekehrt stellten Hofstee et al. ebenfalls fest, dass etwa für 20 % der holländischen Adjektive keine direkte Übersetzung ins Englische möglich war, und umgekehrt für etwa 30 % der englischen Eigenschaftswörter kein direktes holländisches Äquivalent gefunden wurde, vgl. Hofstee, et al. (1997). McCrae/Costa (1997), S. 510.

Der Traits-Ansatz

119

auf ein weiteres Problem der lexikalischen Studien hin, dass nämlich einzelne Wörter selten sinnvoll ohne den entsprechenden Kontext interpretiert werden können: „In everyday use, the meaning of trait adjectives is coloured by the context […] No single trait term can function as a prototype providing an Archimedic point upon which meaning can be pinned, as each adjective has a large error component resulting from divergent idiosyncratic uses, […].”546 Alternativ zur lexikalischen Analyse jeder Sprache schlagen McCrae und Costa deshalb eine sinngemäße Übersetzung der Fragen aus dem von ihnen erstellten Messinventar vor. Dadurch seien genauere Aussagen über die Universalität der Big Five zulässig, weil diese Fragen in Form von Phrasen oder kurzen Sätzen formuliert sind, welche adäquater in andere Sprachen übersetzt werden können als einzelne Eigenschaftswörter.547 Tatsächlich konnte mit dem weltweit wohl am meisten eingesetzten Persönlichkeitsinventar, dem NEO-PI-R von Costa und McCrae548, das in viele Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien übersetzt wurde, eine sehr hohe Übereinstimmung mit der englischen Fünf-Faktoren-Struktur nachgewiesen werden. Die Kongruenzkoeffizienten lagen selbst bei Sprachen mit gänzlich unterschiedlichem Ursprung wie dem Hebräischen, Koreanischen, Japanischen, Deutschen und Portugiesischen über 0,90.549 Ähnlich überzeugende Ergebnisse konnten in einer groß angelegten interkulturellen Validierungsstudie eines anderen Messinventars zur Erfassung der Big Five generiert werden: Das Five Factor Personality Inventory (FFPI)550 wurde in 13 Sprachen, die drei unterschiedlichen Sprachfamilien angehören, übersetzt und wies bei allen fünf Faktoren durchschnittliche Kongruenzen von über 90 % auf.551 Einschränkend zu diesen imponierenden Ergebnissen müssen hier die Defizite einer Fragebogenübersetzung angeführt werden: Im Gegensatz zu lexikalischen Analysen wurde das relevante Sprachset aus dem Englischen in alle anderen Sprachen transferiert und somit keine genuine Wortschatzanalyse durchgeführt. Außerdem lässt die bloße Replizierung der Fünf-Faktoren-Struktur keinen Schluss über die soziale Bedeutung der einzelnen Faktoren in unterschiedlichen Kulturräumen zu bzw. wird nicht erfasst, ob es noch andere relevante Dimension der Persönlichkeit geben könnte. Insgesamt lassen die Ergebnisse der Fragebogenstudien jedoch die Universalität der Fünf Faktoren wieder als wahrscheinlicher erscheinen als dies nach Befund der lexikalischen Analysen zulässig gewesen wäre. Zusammenfassend kann festgehalten werden, 546 547 548 549

550 551

Hofstee, et al. (1997), S. 30. Vgl. McCrae/Costa (1997), S. 510. Vgl. Costa McCrae 1992 Costa/McCrae (1992b). Vgl. McCrae/Costa (1997), S. 514. Paunonen, et al. (1992) konnten die Fünf-Faktorenstruktur auch im Finnischen bestätigen, während Pulver, et al. (1995) diese auch für das Estonische feststellen konnten, welches der uralischen Sprachgruppe zuzuordnen ist und damit auch die Existenz der Big Five in nicht-indoeuropäischen Sprachen nachweislich vorhanden ist. Vgl. Hendriks, nicht publizierte Dissertation zitiert in Hendriks, et al. (2003), S. 348. Vgl. Hendriks, et al. (2003), S. 361.

Persönlichkeit

120

dass eine Fünf-Faktoren-Struktur in beinahe allen bisher untersuchten Sprachen identifizierbar ist: während jedoch bei lexikalischen Analysen eine inhaltlich identische Faktorstruktur der angloamerikanischen Big Five nicht haltbar ist, erweist sich diese mit über neunzigprozentiger Übereinstimmung bei übersetzten Fragebögen als eindrucksvoll überzeugend. Beide Ansätze weisen Stärken und Schwächen auf, die ausführlich dargestellt wurden; gemeinsam deuten sie jedoch eindeutig auf eine gewisse Transzendenz einer Fünf-Faktoren-Struktur der Persönlichkeit über sprachliche und kulturelle Barrieren hinweg.

6.3.3.2 Genetische Verankerung der Big Five Mit dem Nachweis der genetischen Verankerung von Persönlichkeitseigenschaften wurde einer der wichtigsten Kritikpunkte gegen den eigenschaftszentrierten Ansatz entkräftet: dass nämlich die Existenz von fünf breiten Faktoren eine reine semantische Fiktion sei und nur die sprachliche Verankerung eines wichtigen Unterscheidungsmerkmales im menschlichen Verhalten widerspiegle, oder wie es Block et al. ausdrückten: „the existence of a trait name in a natural language does not guarantee that the name refers to something real.“552 Für lange Zeit herrschte in der Persönlichkeitspsychologie die Ansicht, dass vor allem Umweltfaktoren und im Besonderen das familiäre Umfeld eines Menschen die entscheidenden, wenn nicht gar einzigen, Determinanten für das Persönlichkeitsbild eines Individuums darstellen.553 Diese Auffassung wurde durch zahlreiche neue Studien und Neuanalysierungen von bestehenden Untersuchungen an eineiigen und zweieiigen Zwillingen in den letzten zwanzig Jahren gründlich widerlegt. Die Ergebnisse deuten einheitlich darauf hin, dass interindividuelle Verhaltensunterschiede in Form von Persönlichkeitseigenschaften bis zu 50 % auf genetische Vererbung zurückzuführen sind, während die restliche Varianz hauptsächlich durch individuell erlebte Umweltfaktoren erklärt wird.554 Der bisher als bedeutendste angesehene Einflussfaktor des familiären Umfeldes erklärt verschwindend geringe Anteile von 0 bis 11 % der Varianz.555 Bereits seit Allport vermuteten Persönlichkeitspsychologen, dass Verhaltensregelmäßigkeiten, die in Form von Persönlichkeitseigenschaften beobachtet werden, ihren Ursprung in einer biologisch begründeten Natur finden. Eysenck im Speziellen baute seine Drei-Faktoren-Theorie auf der Annahme einer biologischen Basis der Faktoren Neurotizismus und Extraversion in der Gehirnstruktur des Menschen auf.556 Auch 552 553 554 555 556

Block et al. 1979 in John, et al. (2004), S. 51. Vgl. Saklofske/Eysenck (2004), S. 213. Vgl. Buss (2001), S. 46. Vgl. Digman (2004), S. 84; Loehlin, et al. (1998), S. 432. Vgl. Saklofske/Eysenck (2004), S. 110. In Untersuchungen zeigte er, dass Extravertierte ein niedriges Niveau an habtiuellem Aktivierungsniveau im Gehirn aufweisen, Introvertierte dagegen ein signifikant höhe-

Der Traits-Ansatz

121

neuere neurophysiologische Studien deuten auf eine regionale Bestimmbarkeit von zumindest Neurotizismus im Gehirn hin.557 Eine genetische Verankerung im Sinne der Evolutionstheorie würde zudem die interkulturellen Befunde der Fünf-FaktorenStruktur stärken und die Ansicht vieler Kritiker, dass die fünf Faktoren kognitive Fiktion seien, vernichten: denn durch den natürlichen Selektionsmechanismus würden illusorische Wahrnehmungen sicherlich eliminiert werden.558 Aufbau von Zwillingsstudien Um die Ergebnisse der Zwillingsstudien besser zu verdeutlichen, soll Abbildung 25 den typischen Aufbau dieser Studien anschaulich illustrieren.559 Zwillingsstudien vergleichen im Wesentlichen das Verhalten von eineiigen und mehreiigen Zwillingen, das in Form von Fragebögen durch Eigen- oder Fremdeinschätzung erhoben wird. Als verhaltensdeterminierende Variablen werden das gemeinsame Erbgut (G), das gemeinsame Umfeld (GU) und das individuelle Umfeld (IU) angenommen, wobei das gemeinsame Umfeld von Zwillingen im Wesentlichen durch das gemeinsame Aufwachsen und das familiäre Umfeld bedingt ist, während das individuelle Umfeld all jene Faktoren und Erfahrungen umfasst, die jeder Zwilling individuell und getrennt vom anderen erlebt. Die Fehlervarianz der Messung wird üblicherweise ebenfalls dem individuellen Umfeld zugerechnet.

557

558 559

res. Demnach suchen Extravierte zum Ausgleich ihres niedrigen Aktivierungsniveaus stimulierende Aktivitäten und bevorzugen daher Parties, Menschenansammlungen, laute Musik etc. Für genauere Ausführungen der Ergebnisse auf Basis von EEG-Messungen siehe bei Saklofske/Eysenck (2004), S. 215ff. Vgl. Schmidtke/Heller (2004), S. 717f. Demnach ist die Neurotizismusdimension des NEO-PI-R mit einer stärkeren Gehirnaktivität im rechten hinteren Bereich verbunden. Vgl. McCrae/John (1992), S. 203. Vgl. hierzu und im Folgenden Matthews/Deary (1998), S. 107ff.

Persönlichkeit

122

Abbildung 25: Aufbau von Zwillingsstudien560

Eineiige Zwillinge haben zu 100 % identisches Erbgut, da sie aus derselben Eizelle und demselben Spermium entstanden sind, zweieiige Zwillinge teilen sich, wie andere Geschwister auch, 50 % des Erbgutes.561 Die Stärke der Pfade erlaubt zunächst eine Einschätzung der Bedeutung der drei Faktoren für jeweils eineiige und mehreiige Zwillinge. Im direkten Korrelationsvergleich der Werte von eineiigen und mehreiigen Zwillingen kann somit die relative Wichtigkeit geschätzt werden. Eine genetische Basis schien zunächst nur für die Faktoren Extraversion und Neurotizismus empirisch evaluierbar, für die die Korrelationen von Extraversion bei eineiigen 560 561

Quelle: Matthews/Deary (1998), S. 107, übersetzt und leicht modifiziert. Die Studien gehen davon aus, dass die gemeinsam geteilten Persönlichkeitseigenschaften linear mit dem geteilten Erbgut ansteigen und damit nicht einem Gen-Dominanz-Effekt unterliegen, wonach zweieiige Zwillinge nur 25 % (und nicht 50 %) solcher dominanter Geneffekte teilen. Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 109.

Der Traits-Ansatz

123

Zwillingen bei 0,51 und bei mehreiigen bei 0,18 lagen. Für den Faktor Neurotizismus konnten in der gleichen Studie mit 24.000 Zwillingspaaren Werte mit 0,46 bzw. 0,20 festgestellt werden.562 In den 1990er Jahren mehrten sich dann Hinweise aus Studien, die die Vererblichkeit auch für die restlichen drei Faktoren Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrung bestätigten. Diese drei Faktoren waren bisher von vielen als stark vom sozialen Umfeld und der individuellen Lernerfahrung abhängig eingestuft worden.563 Jang et al.564 verwendeten in einer Zwillingsstudie mit 123 eineiigen und 127 mehreiigen Zwillingen den NEO-PI-R und berichten von einer genetisch bedingten Varianzaufklärung der fünf Faktoren von 41 % (Neurotizismus), 53 % (Extraversion), 61 % (Offenheit für Erfahrung), 41 % (Verträglichkeit) und 44 % (Gewissenhaftigkeit) – die restliche Varianz wurde durch individuelle Umfeldfaktoren und Fehlervarianz erklärt. Loehlin et al.565 führten eine Untersuchung mit verschiedenen Messinventaren und Messmethoden aus der National Merit Twin Study durch und schätzen die Vererblichkeit der Fünf-Faktoren-Struktur zwischen 51 % und 58 % auf allen fünf Faktoren ein, während 42–49 % individuellen Umfeldfaktoren zugeschrieben wird und keine Varianz durch das geteilte Umfeld von Zwillingen erklärt wird. Dieses Berichtsmuster zieht sich durch die meisten der durchgeführten Zwillingsstudien fort.566 Auch Untersuchungen mit anderem Forschungsdesign, welche getrennt voneinander aufgewachsene Zwillinge und adoptierte Kinder als Untersuchungsobjekte heranzogen, untermauern die oben dargestellten Ergebnisse: so zum Beispiel korrelieren die Extraversionswerte von Eltern und ihren Adoptivkindern nur mit 0,01.567 Neueste Untersuchungen zeigen auch, dass nicht nur die breiten fünf Faktoren der Persönlichkeit auf einer genetischen Basis fußen, sondern dass auch spezifischere Facetten der fünf Faktoren in signifikanter Weise vererbbar sind: „It appears that the genetic blueprint for personality includes detailed specifications of dozens, perhaps hundreds, of traits.“568

562 563 564

565

566

567 568

Vgl. Plomin/Caspi (2001), S. 252. Vgl. McCrae, et al. (2001), S. 513. Vgl. Jang, et al. (1996), S. 577f. Für eine weitere Übersicht von Zwillingsstudien und deren Ergebnisse vgl. Loehlin, et al. (1998). Vgl. Loehlin, et al. (1998), S. 447. Dass das familiäre Umfeld keinen bzw. fast keinen Einfluss auf die Persönlichkeit ausübt, bedeutet jedoch keinesfalls, dass die familiäre Umgebung unbedeutend ist. Frühe Kindheitserfahrungen können sich auf spätere Lebensumstände sehr wohl auswirken. Auch weist Funder darauf hin, dass die Familien in den Zwillingsstudien nicht in dem Ausmaß unterschiedlich von einander waren, wie dies in der Gesamtbevölkerung der Fall ist. Vgl. Funder (2001), S. 207. Vgl. McCrae, et al. (2001), S. 528f. McCrae et al. wiesen in dieser Studie auch nach, dass die Fehlervarianz nicht wie oft angenommen eine ähnliche Fünf-Faktoren-Struktur aufweist wie die Big Five. Darin sehen die Autoren eine Bestätigung, dass der Neo-PI-R die genetische Struktur exakt abbildet und der systematische Messfehler getrennt davon evaluierbar ist. Vgl. Plomin/Caspi (2001), S. 254. McCrae/Costa (2001), S. 145.

Persönlichkeit

124

Obwohl die durch Zwillingsstudien dargelegten Befunde eindeutig für eine genetische Verankerung der fünf Faktoren sprechen, sei der Vollständigkeit halber auch auf die diesen Studien anhaftende Kritik hingewiesen. Insbesondere Endler569 wies auf mögliche Kritikpunkte hin, die hier aus Platzgründen aber nicht im Detail wiedergegeben werden, sondern nur exemplarisch aufgezählt werden: a) Korrelation impliziert nicht gleich Ursache; b) so lange es noch keine soliden Messmethoden zur Erfassung des Umwelteinflusses auf die Persönlichkeit gibt, kann dessen reale Größe nicht ermittelt werden; c) der genetische Beweis wird mit Persönlichkeitsinventaren geführt, die auf Fragebögen basieren und nicht auf biologischen oder genetischen Indikatoren. Allerdings zeichnen sich dahingehend bereits viel versprechende Entwicklungen auf dem Gebiet der Neuropsychologie sowie der Molekularbiologie ab.570 Die genetische Verankerung der Fünf Faktoren scheint aufgrund bisheriger Studienergebnisse ausreichend abgesichert zu sein, worin McCrae die etablierte Stellung des Fünf-FaktorenModells in der Persönlichkeitspsychologie als gerechtfertigt sieht: „That traits show any heritability at all establishes their biological reality and so decisively refutes the view that tratis are merely cognitive or semantic fictions.“571

6.3.4 Kritik am Fünf-Faktoren-Modell Costa und McCrae fassten die umfangreichen Belege, die für die Validität ihres FünfFaktoren-Modells sprechen, in vier Punkten zusammen:572 a) sowohl in Langzeitstudien also auch in Studien in unterschiedlichen Lebensbereichen lassen sich fünf robuste Faktoren von überdauernden Verhaltensdispositionen identifizieren; b) die fünf Faktoren kristallisieren sich sowohl in lexikalischen Analysen als auch in Fragebogenstudien mit unterschiedlichen Messinventaren heraus; c) die fünf Faktoren sind in unterschiedlichen Alters-, Geschlechts-, Volks- und Sprachgruppen nachweisbar, und d) neueste genetische Studien lassen auf eine relativ hohe Vererblichkeit aller fünf Faktoren schließen. In diesem Abschnitt soll nun ein Überblick über mögliche ungelöste Probleme und über die am häufigsten geäußerten Kritikpunkte am Fünf-Faktoren-Modell von Costa und McCrae gegeben werden, welche vor allem in zwei Artikeln von Jack Block573 und Dan McAdams574 formuliert wurden.

569 570 571 572 573 574

Vgl. Endler (1989) zitiert nach Matthews/Deary (1998). Vgl. z. B. Gray (1971). McCrae (1994), S. 149. Vgl. Costa/McCrae (1992a), S. 653ff. Vgl. 1995 Block (2004), Orig. 1995. Vgl. McAdams (2004), Orig. 1992.

Der Traits-Ansatz

125

6.3.4.1 Anzahl der Faktoren Goldberg und Rosolack stellten Mitte der Neunzigerjahre fest: „[…] across a wide variety of trait-descriptive terms, five orthogonal dimensions have consistently been found to be both necessary and sufficient.”575 Trotz der augenscheinlich beeindruckenden Vielfalt unterschiedlicher Studien, die die Annahme einer Fünf-Faktoren-Struktur untermauern, sind verschiedene Autoren der Ansicht, dass fünf Faktoren entweder zu wenig oder zu viel sind, um eine umfassende Struktur der Persönlichkeit zu beschreiben. Zu jenen, die weniger Faktoren für wahrscheinlicher halten, ist in erster Linie Eysenck zu zählen, der eine Drei-Faktoren-Struktur postuliert.576 Auch andere Autoren (z. B. Tellegen577, Gough578, und Cloninger579) schlagen eine, von Eysenck jedoch divergierende, Drei-Faktoren-Struktur vor. Diese Modelle konnten allerdings in weiteren Studien nicht repliziert werden bzw. erwiesen sich die vorgeschlagenen Faktoren als in den Big Five abgebildet.580 Blackburn et al.581 berichten in ihren Studien, dass sich die Big Five von Costa und McCrae auf zwei noch breitere Superfaktoren „Zurückgezogenheit“ und „Impulsivität“ reduzieren lassen, und stellen damit in Frage, ob die Big Five wirklich das höchste hierarchische Level der Persönlichkeitsstruktur darstellen. Andererseits finden sich auch jene Autoren, denen fünf Faktoren als zu gering erscheinen und die deshalb zusätzliche Dimension vorschlagen: zunächst sei hier Cattell erwähnt, der in seinen Pionieranalysen von 12 bzw. 16 Faktoren ausging, die sich später aber auf fünf reduzieren ließen (siehe ausführliche Beschreibung oben in 6.3.1.2 Geschichte des lexikalischen Ansatzes). Becker propagiert sechs Faktoren, wobei er den sechsten Faktor einmal als „Hedonismus/Spontaneität”582 identifiziert und ein weiteres Mal mit „Gefühls- vs. Verstandsbetontheit“583 benennt. Goldberg und Saucier584 analysierten den lexikalischen Itempool nach möglichen Ausreißern, die durch die Big Five nicht abgebildet werden, und identifizierten sechs mögliche Adjektivcluster, die außerhalb der fünf Faktoren (und nicht in der Hierarchie) liegen könnten: klein – groß, jung – jugendlich, dünn – schmächtig, beschäftigt – überarbeitet, angestellt – arbeitslos, und religiös – nicht religiös. Dabei wird deutlich, dass es sich bei diesen Ausreißern um Phänomene handelt, die üblicherweise nicht unter den Begriff „Trait“ oder „Persönlichkeitseigenschaft“ fallen und normalerweise von solchen Studien ausgeschlossen werden, weil sie wertende, physische oder vorübergehende Zustände bezeichnen. Goldberg und Saucier verweisen daher darauf, dass diese Ausreißer zwar 575 576 577 578 579 580 581 582 583 584

Goldberg/Rosolack (1994), S. 7 in Becker (1999), S. 513. Vgl. Eysenck (2004c) sowie Eysenck (2004b). Vgl. Tellegen (1982). Vgl. Gough (1987). Vgl. Cloninger (1988). Vgl. McCrae/John (1992), S. 191. Vgl. Blackburn, et al. (2004), S. 965ff. Vgl. Becker (1999), S. 511f. Vgl. Becker (1996), S. 209ff. Vgl. Saucier/Goldberg (1998), S. 515. Übersetzung der Adjektivcluster durch die Autorin.

Persönlichkeit

126

vorhanden sind, dass aber innerhalb der Persönlichkeitspsychologie erst ein Konsens gefunden werden muss, ob diese überhaupt Gegenstand der Fachdisziplin sein sollen.585 Paunonen und Jackson586 identifizierten darüber hinaus noch 4 weitere Adjektivcluster, die sie aufgrund geringerer Kommunalitäten als außerhalb der Big Five orten. Zusammenfassend muss man zu diesem ersten Kritikpunkt feststellen, dass die Uneinigkeit über eine geringere oder größere Anzahl der fünf Basisfaktoren beinahe gleich groß zu sein scheint wie der Konsens, der über ihre Existenz bereits erzielt wurde. McCrae und Costa kommen daher zu dem Schluss: „Five factors, it seems, are ‚just right’.“587

6.3.4.2 Der lexikalische Ansatz als Basis Lexikalische Analysen sind einer Reihe von Kritikpunkten ausgesetzt, von denen an dieser Stelle nur die zwei am häufigsten ins Treffen geführten dargestellt werden sollen:588 a) zunächst zweifeln einige Autoren an, dass eine Sprache die soziale und psychologisch relevante Realität adäquat abbilden kann. McCrae und Costa zweifelten dies zu Beginn ihrer Fragebogenkonstruktionen selbst an: „No one would imagine that an analysis of common English terms for parts of the body would provide an adequate basis for the science of anatomy; why should personality be different?”589 Hier spiegelt sich zum einen die Kritik wider, dass die Alltagssprache, wie sie von Laien gesprochen wird, für wissenschaftliche und psychologisch relevante Sachverhalte keine adäquate Basis bildet und die Persönlichkeitspsychologie dadurch „entwissenschaftlicht“ wird. Saucier und Goldberg590 halten hier entgegen, dass es sich beim Studium der Persönlichkeitspsychologie nicht um „stumme oder unanimierte“ Dinge handle mit denen sich andere Naturwissenschaften beschäftigen, wie Organe des Körpers, Sterne oder chemische Elemente, sondern dass man sich mit dem Verhalten von sozialen Wesen befasse, die als wichtigstes soziales Verständigungsmedium über eine gemeinsame, lebendige Sprache kommunizieren. Die Analyse des Laienvokabulars zur Entdeckung der Struktur von interindividuellen Verhaltensunterschieden sei dadurch gerechtfertigt. Direkt anschließend an das Argument gegen eine Laienpsychologie wird häufig bemängelt, dass das Fünf-Faktoren-Modell jeglicher theoretischen Basis entbehrt und 585 586 587 588

589 590

Vgl. Saucier/Goldberg (1998), S. 520. Vgl. Paunonen/Jackson (2004), S. 400f. McCrae/John (1992), S. 192. Für eine umfassende Darstellung der Kritik und ihrer Gegenargumente speziell zum lexikalischen Ansatz vgl. De Raad (1998), Saucier/Goldberg (2001), Ashton/Lee (2005). McCrae/Costa (1985), S. 711. Saucier/Goldberg (2001), S. 850–851.

Der Traits-Ansatz

127

reiner Empirismus sei. In Folge wäre es möglich, dass die Big Five lediglich die Sprachstruktur widerspiegeln, oder Resultat eines kognitiven Reduktionsmechanismus sind.591 Als wichtigste Replik wird hier meist angeführt, dass das von Costa und McCrae entworfene Messinventar NEO-PI-R selbst zwar nicht Theorie geleitet und auf Basis der Laiensprache entwickelt wurde, dass es aber sämtliche Dimensionen von etablierten Messinstrumenten abzubilden vermag, die sehr wohl eine theoretische Basis aufweisen. So zum Beispiel Jacksons Personality Research Form (PRF)592, welches Murrays593 Bedürfnisse misst, oder der California Adult Q-Set594 von Block selbst,595 weiters zeigt der NEO-PI-R auch überraschende Übereinstimmung mit dem Minnesota Multiphasic Personality Inventory596 und dem Revised California Personality Inventorty597.598 McCrae und John halten eine theoretische Erklärung zunächst auch nicht für besonders notwendig, da sie in der Fünf-Faktoren-Struktur ein Faktum sehen: „We believe it is simply an empirical fact, like the fact that there are seven continents on earth or eight American presidents from Virginia.“599 Spätestens seit jedoch die genetische Verankerung aller fünf Faktoren mehrfach nachgewiesen wurde, dürfte dieses Argument ohnehin stark entkräftet worden sein (siehe 6.3.3.2 Genetische Verankerung der Big Five). Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt bemängelt die fast ausschließliche Fixierung der lexikalischen Analysen auf Adjektive, und weist damit auf die notwendigerweise beschränkte Aussagekraft einzelner Wörter hin. Block stellt die Frage in den Raum „Wie soll man eine Person mit einem Wort beschreiben, die so gefangen genommen ist von einer verlockenden sozialen Umgebung, dass sie ihre Pflichten vernachlässigt, danach aber von Schuldgefühlen geplagt ist?“600 Hier sei zum einen angemerkt, dass die Fünf-Faktoren-Struktur sowohl in lexikalischen Adjektivanalysen zum Vorschein kam, als auch in Fragebogenstudien, welche kurze Sätze verwenden. Ashton und Lee601 weisen weiters darauf hin, dass eine Sprache kein Wort (auch nicht Adjektive) enthält, welches in isomorpher Weise per se einem ganzen Persönlichkeitskonstrukt oder -typ entspricht. Vielmehr wird diese Variation in der Persönlichkeit durch eine Reihe von miteinander korrelierenden Adjektiven und durch den hierarchischen Aufbau der Sprachstruktur reflektiert.

591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 601

Vgl. McAdams (2004), S. 135. Vgl. Jackson (1989). Vgl. Murray (1938). Vgl. Block (1961). Vgl. Costa/McCrae (1995), S. 217. Vgl. Butcher, et al. (1992). O.A. Quelle in Matthews/Deary (1998). Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 31. McCrae/John (1992), S. 194. Block (2004), S. 242. Übersetzung durch die Autorin. Vgl. Ashton/Lee (2005), S. 10.

Persönlichkeit

128

6.3.4.3 Art der Befragung Alle Studien, in denen die Fünf-Faktoren-Struktur identifiziert wurde, bedienten sich der Methode der Selbsteinschätzung oder Fremdeinschätzung durch eine dem Untersuchungsobjekt vertraute Person, wie etwa Lebenspartner, Eltern oder Freunde. Dabei wird den Probanden ein Fragebogen in Form von kurzen Statements oder eine Liste von Adjektiven vorgelegt, welche auf einer Skala von stimme völlig bis stimme gar nicht zu beantwortet werden können. McAdams602 sieht darin vor allem die Problematik, dass Persönlichkeitsvariablen, die möglicherweise außerhalb des Bewusstseins der befragten Person liegen, nicht abgebildet werden können. So zum Beispiel gibt die Fünf-Faktoren-Struktur wenig Aufschluss über Denkschemata, kognitive Werte, dynamische Motive oder Bedürfnisse. Hier wären fundamental andere Erhebungsmethoden (wie die Erfassung der Lebensgeschichte), die die individuelle Geschichte einer Person-Situations-Interaktion erfassen können, vonnöten. Weiters kritisiert McAdams, dass das Ergebnis von Fragebogenstudien immer nur ein Psychograph sein könne, der für eine konkrete Situation wenig Vorhersagekraft hat.603 Die Kontextgebundenheit menschlichen Verhaltens würde durch standardisierte Messinventare und das Generieren von breiten Persönlichkeitsfaktoren völlig vernachlässigt. Typischerweise werden nämlich Durchschnittswerte auf den einzelnen Faktoren berechnet, die aber für das konkrete Verhalten einer Person wenig Aussagekraft besitzen.604 McCrae und Costa vertreten dagegen den Standpunkt, dass sich Lebensbedingungen verändern, Verhaltensdispositionen hingegen zeitlich stabil sind und daher die Wechselwirkungen von Verhaltensdispositionen und Kontext zu studieren seien.605 Sie gestehen aber zu, dass die fünf Faktoren lediglich das höchste Abstraktionsniveau zur Beschreibung der Persönlichkeit sind und für eine konkrete Verhaltensvorhersage zu grob sind. Deshalb wurden im NEO-PI-R auch Facetten zu jeder der fünf Dimensionen konstruiert, die eine engmaschigere Einstufung ermöglichen sollen. So zum Beispiel besteht der Faktor Extraversion aus den Facetten Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnissuche und positive Emotionen.606 Abschließend zu diesem Kapitel soll festgehalten werden, dass sich die meisten TraitPsychologen bewusst sind, dass nicht alle Aspekte der Persönlichkeit durch diesen Ansatz erfasst werden können. Auch dass eine Verhaltensvorhersage für eine konkrete Situation aufgrund der Faktorwerte möglich ist, behauptet keiner der Proponenten des 602 603 604

605 606

Vgl. McAdams (2004), S. 138. Vgl. McAdams (2004), S. 144. Lamiell kritisiert insbesondere, dass durch die Bildung von Durchschnittswerten keine Vorhersage für individuelles Verhalten zulässig ist, sondern die Werte stets als Unterschiede zwischen Gruppen interpretiert werden müssen. Für eine ausführliche Kritik an der Durchschnittswertbildung von Persönlichkeitsfaktoren vgl. Lamiell (2000). Vgl. McCrae/Costa (1990), S. 153 ff. Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004), S. 32.

Messung der Persönlichkeit

129

Fünf-Faktoren-Modells.607 Vielmehr dienen diese fünf Dimensionen (Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrung) als gut abgesicherte Struktur, um Verhaltensunterschiede zwischen Personen sinnvoll in einem strukturellen Rahmen ordnen zu können. Die Fünf-Faktoren-Theorie erhebt aber nicht den Anspruch, die Gründe für diese Verhaltensunterschiede zu identifizieren. „[…] the aim of the lexical approach to personality structure is not to explain the processes [that] underlie personality variation, but rather to identify the major dimensions of personality variation. After these dimensions have been discovered, researchers can then turn to the problems of finding the causes, development, evolution, and consequences of each dimension […].”608 6.4 Messung der Persönlichkeit Entsprechend den unterschiedlichen theoretischen Zugängen zur Konzeption der menschlichen Persönlichkeit, variieren auch die Ansätze zu ihrer Erfassung. Einleitend zu diesem Kapitel wurde bereits die am häufigsten getroffene Unterscheidung von Persönlichkeitstheorien mit ihren messmethodischen Zugängen vorgestellt (Kapitel 6.2, Grundlagen). Der für diese Arbeit gewählte eigenschaftszentrierte oder Traits-Ansatz ist in der korrelationalen Forschungstradition verankert, indem nach dem empirisch gemeinsamen Auftreten von logisch separaten Verhaltensweisen gesucht wird, welche sich dann zu einem dahinter liegenden Faktor zusammenfassen lassen.609 Zur Erfassung wird dabei auf die quantitative Befragung durch Fragebögen zurückgegriffen, während auf das Experiment und die Beobachtung als Methode verzichtet wird. Zur Erfassung der Persönlichkeit steht dem Forscher heute eine beinahe unüberschaubare Anzahl an Messinstrumenten und Fragebögen zur Verfügung, bei deren Entwicklung im Wesentlichen drei unterschiedliche Zugänge verfolgt wurden:610 rationaltheoretische Messinstrumente werden auf Basis einer explizit formulierten Persönlichkeitstheorie und aufgrund logischer Überlegungen erstellt. Beispiele für solche Inventare wären Edwards Personal Preference Schedule (EPPS)611 oder das Personality Research Form (PRF)612, welche beide die von Murray vorgeschlagenen „needs“ erfassen.613 Ebenso ist der vor allem im industriellen Kontext häufig eingesetzte Meyers-

607 608 609 610 611 612 613

Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 40. Ashton/Lee (2005), S. 19. Vgl. Pervin (2000), S. 232. Vgl. hierzu und im Folgenden Aiken (1999), S. 195, 209–221. Vgl. Edwards (1959). Vgl. Jackson (1989). Murray (1938) ging davon aus, dass dem Mensch unterschiedliche Triebe (needs) innewohnen, welche mit Handlungsintentionen, Gefühlen und Persönlichkeitseigenschaften verbunden sind. Er klassifizierte dabei 20 Haupttriebe und 8 latente Triebe. Vgl. dazu Pervin (1996), S. 103.

130

Persönlichkeit

Briggs Type Indicator (MBTI)614 ein rational-theoretisch konstruiertes Inventar, das auf der Theorie von Carl Jung aufbaut. Im Gegensatz dazu fokussieren faktoranalytische Messinventare die Konstruktion von Skalen mit hoher interner Konsistenz, d. h. untereinander hoch korrelierende Items werden zu einer Skala gebündelt, während die Items unterschiedlicher Skalen keine bis sehr geringe Korrelation aufweisen. Statistisch wird dabei als wichtigste Methode auf die Faktorenanalyse zurückgegriffen. Persönlichkeitsinventare, die über diesen Weg entwickelt wurden, sind der 16 Personality Factor Questionnaire von Cattell615, das Eysenck Personality Inventory616 oder das Guilford-Zimmerman Temperament Survey617, von denen die ersten beiden im Laufe dieser Arbeit bereits kurz erläutert wurden.618 Auch die in jüngerer Zeit wohl am meisten angewandten Persönlichkeitsinventare von Costa und McCrae, der NEO-PI-R und der NEO-FFI, wurden in der faktorenanalytischen Tradition entwickelt und werden im folgenden Kapitel noch detaillierter behandelt. Wichtig bei der faktoranalytischen Konstruktion von Messinventaren erscheint insbesondere, dass die Ausgangsdaten dazu überhaupt geeignet sind und untereinander ausreichend korrelieren bzw. keine nicht-linearen Validitätsbeziehungen aufweisen. Da die Faktorenanalyse durch die Rotation mehrere mathematisch äquivalente Lösungen ermöglicht, wurde von Kritikern oft die Bedeutung der Resultate als willkürlich und wenig bedeutsam angezweifelt.619 Insgesamt gilt für die faktoranalytische Fragebogenkonstruktion, was Meehl sehr treffend formulierte: „No statistical procedure should be treated as a mechanical truth generator“620, und so müssen sich auch faktoranalytisch generierte Skalen an externen Validitätskriterien messen lassen und anhand einer falsizierbaren Theorie getestet werden können. Schließlich bestehen auch Messinventare, die auf empirischer Analyse von Unterschieden zwischen Gruppen erstellt wurden: die Kriteriengruppen- oder auch kontrastierende Gruppenstrategie akzeptiert solche Indikatoren zur Messung, welche sich in empirischen Analysen als geeignet erweisen, zwei Gruppen nach einem vorher festgelegten Kriterium zu unterscheiden.621 Nach diesem Prinzip wurde beispielsweise das Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI)622 entwickelt, dass zur Identifikation von Menschen mit psychologischen Störungen eingesetzt wird. Als Nachteil dieses Ansatzes wird oft bemängelt, dass die durch diese Methode identifizierten Ska614

615 616 617 618 619

620 621 622

Der Meyers-Briggs-Test unterscheidet vier bipolare Dimensionen: Extraversion-Introversion, Sinn-Intuition, Denken-Fühlen und Urteilen-Wahrnehmen. Vgl. Myers/McCaulley (1985). Vgl. Cattell (1946). Vgl. Eysenck/Eysenck (1964). Vgl. Guilford/Zimmermann (1949). Vgl. Aiken (1997), S. 66. Vgl. dazu insbesondere Block (2004), S. 258–263, der die Rotationslösungen bei der Konstruktion des NEO-PI-R und des NEO-FFI als inkonsistent bezeichnet. Meehl (1992), S. 152. Vgl. Aiken (1999), S. 228. Vgl. Butcher, et al. (1992).

Messung der Persönlichkeit

131

len faktoranalytisch nicht nachzuvollziehen sind und durch das Fehlen von systematischen experimentellen Studien die Konstruktvalidität schwer zu gewährleisten ist.623 Es wurde an obiger Stelle bereits darauf hingewiesen, dass ein wesentlicher Grund für die weit verbreitete Akzeptanz des Fünf-Faktoren-Modells darin liegt, dass die Fünf Faktoren mit den unterschiedlichsten Messinstrumenten nachgewiesen werden konnten. Sämtliche in diesem Abschnitt beispielhaft angeführten Inventare gehören der langen Liste jener Persönlichkeitsinventare an, die auf Kompatibilität mit den Big Five erfolgreich getestet wurden. Da nun dem Leser ein kleiner Einblick in die unterschiedlichen Traditionen der Fragebogenkonstruktion zu Teil wurde, lässt sich die Dominanz des Fünf-Faktoren-Modells auch besser nachvollziehen: es spiegelt sich selbst in Messinventaren von gänzlich unterschiedlicher theoretischer und konstruktionstechnischer Konzeption wider – ein Umstand, der zu überzeugend erscheint, um als zufällig abgeurteilt werden zu können.

6.4.1 Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI)624 ist ein Persönlichkeitsinventar mit dem die fünf breiten Dimensionen Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen in relativ sparsamer Art und Weise erfasst werden können. Seine Entwicklungsgeschichte hängt eng mit der des umfassenderen Inventars von Costa und McCrae, dem NEO-Personality-Inventory-Revised (NEO-PI-R), zusammen,625 weshalb im Folgenden zunächst die Entwicklung des NEO-PI-R beschrieben wird. In den 1980er Jahren begannen Costa und McCrae mit clusteranalytischen Arbeiten zur Konstruktion eines neuen Persönlichkeitsinventars anhand des 16PF (16-Personality-Factors) von Cattell626. Dabei konnten sie drei Dimensionen identifizieren, die den drei Faktoren der lexikalischen Big Five entsprachen, nämlich Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für Erfahrung (daher das Akronym NEO).627 Sukzessive entwickelten die beiden Autoren Skalen, die auch die beiden verbleibenden Dimensionen Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit abbildeten.628 In zahlreichen Studien konnten die Autoren belegen, dass sich diese fünf Dimensionen mit jenen aus den lexikalischen Analysen deckten und auch in anderen Messinventaren (wie oben beschrieben) identifizierbar waren.629

623 624 625 626 627 628

629

Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 23. Vgl. Costa/McCrae (1992b). Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993), S. 10. Vgl. Cattell (1946). Vgl. John/Srivastava (2001), S. 109f. Das so erweiterte Inventar wurde 1985 unter dem Namen NEO-Personality-Inventory (NEO-PI) veröffentlicht. Vgl. Costa/McCrae (1985). Vgl. McCrae/Costa (1990), S. 47.

132

Persönlichkeit

Von den Skalen zur Erfassung der fünf breiten Persönlichkeitsdimensionen enthielten anfangs nur die drei ursprünglichen NEO-Skalen auch Skalen zur Erfassung von je sechs Facetten. 1992 veröffentlichten Costa und McCrae deshalb eine revidierte und um die je sechs Facetten von Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit supplementierte Version dieses Inventars, nämlich das NEO-Personality-Inventory-Revised (NEO-PIR)630. Dieses Persönlichkeitsinventar besteht aus 240 Items, die die fünf breiten Persönlichkeitsdimensionen abbilden und sich zusätzlich in je sechs Facetten pro Dimension aufsplitten lassen. Dadurch wird eine differenzierte Erfassung der Merkmalsausprägungen auf den fünf Dimensionen möglich. Für die im empirischen Teil dieser Arbeit relevanten Dimensionen Extraversion und Neurotizismus sind die Facetten mit entsprechenden Eigenschaften bei hoher Merkmalsausprägung in nachstehender Tabelle 12 angeführt.631 Für die restlichen drei Dimensionen Verträglichkeit, Offenheit für Erfahrungen und Gewissenhaftigkeit sollte eine Auflistung der Facetten in Tabelle 13 genügen, ohne jedoch beispielhafte Merkmalsausprägungen anzuführen.

630 631

Vgl. Costa/McCrae (1992b). Die Auflistung der Facetten für die Dimensionen Neurotizismus und Extraversion erfolgt interessenhalber. Für die empirische Arbeit wurde der NEO-FFI verwendet, der nur 12 Indikatoren je Dimension beinhaltet und die Facetten nicht vollständig abbildet.

Messung der Persönlichkeit

Big Five Dimension

133

Facette Herzlichkeit Geselligkeit Durchsetzungsfähigkeit

Extraversion Aktivität Erlebnissuche Positive Emotionen

Ängstlichkeit Reizbarkeit

Depression Neurotizismus Soziale Befangenheit Impulsivität Verletzlichkeit

Eigenschaften bei hoher Merkmalsausprägung Freundlich, gastlich, herzlich, leutselig, umgänglich, wohlgesonnen; Gesellig, gesprächig, kontaktfähig, unterhaltsam, redselig; Bestimmend, dominant, energisch, entschlossen, führend, selbstbewusst, überzeugt, nachdrücklich, überlegen; Aktiv, lebhaft, hastig, hektisch, vital, tatkräftig, energievoll, voll Tatendrang; Abenteuerlustig, draufgängerisch, risikofreudig, wagemutig, unternehmenslustig; Ausgelassen, begeisterungsfähig, froh, fröhlich, gutgelaunt, heiter, vergnügt, leicht zum Lachen zu bringen; Ängstlich, angespannt, unruhig, nervös, schreckhaft, furchtsam; Empfindlich, explosiv, frustriert, gereizt, hitzig, leicht verärgert, verbittert, ungehalten, jähzornig; Bedrückt, bekümmert, entmutigt, pessimistisch, schwermütig, sorgenvoll, selbstzweiflerisch, schuldbewusst; Beschämt, gehemmt, befangen, schüchtern, fühlt sich unterlegen; Genussüchtig, triebhaft, unkontrolliert, leicht verführbar, dranghaft; Gestresst, hilflos, leicht aus der Fassung und in Panik zu bringen, sensibel, stressanfällig, verletzlich;

Tabelle 12: Facetten von Extraversion und Neurotizismus im NEO-PI-R632

632

Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004), S. 34–38. Die Übersetzung der Facetten und Eigenschaften wurde aus der deutschen Fassung des Manuals entnommen, die Auswahl der Eigenschaften jedoch exemplarisch durch die Autorin vorgenommen.

Persönlichkeit

134

Big Five Dimension

Facetten Offenheit für Fantasie Offenheit für Ästhetik Offenheit für Gefühle

Offenheit für Erfahrungen

Offenheit für Handlungen Offenheit für Ideen Offenheit für Werte- und Normensysteme Vertrauen Freimütigkeit Altruismus

Verträglichkeit

Entgegenkommen Bescheidenheit Gutherzigkeit Kompetenz Ordnungsliebe Pflichtbewusstsein

Gewissenhaftigkeit

Leistungsstreben Selbstdisziplin Besonnenheit

Tabelle 13: Facetten der Dimensionen Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit im NEO-PI-R633

Da die Bearbeitung des NEO-PI-R Fragebogens für viele Anwendungen zu lange dauert,634 publizierten Costa und McCrae 1992 auch eine Kurzfassung des NEO-PI-R: das Neo-Five-Factor-Inventory (NEO-FFI)635 besteht aus 60 Variablen (12 für jede Dimension), welche der langen Version des NEO-PI-R entnommen wurden und welche die höchsten Faktorladungen auf der entsprechenden Dimension aufwiesen.636 Allerdings sind die Facetten der fünf Faktoren in der gekürzten Fassung nicht mehr gleichrangig repräsentiert, wodurch nur mehr die Erfassung der fünf Dimensionen, nicht a633

634

635 636

Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004), Übersetzung der Facetten aus der deutschen Fassung des Manuals übernommen. Ostendorf und Angleitner geben die Bearbeitungszeit der deutschen Fassung des NEO-PI-R mit durchschnittlich 34 Minuten an, vgl. Ostendorf/Angleitner (2004), S. 92. Vgl. Costa/McCrae (1992b). Vgl. John/Srivastava (2001), S. 111.

Messung der Persönlichkeit

135

ber der spezifischen Facetten jedes Faktors, möglich ist.637 Am Beispiel der Skalen für Neurotizismus und Extraversion lässt sich dies sehr gut nachvollziehen. Während in der langen Version des NEO-PI-R alle sechs Facetten jeder Dimension mit je 8 Indikatoren gemessen werden, repräsentieren die Variablen, welche zur Konstruktion des NEO-FFI herangezogen wurden, in unterschiedlichem Ausmaß die Facetten: der Faktor Neurotizismus wird durch 3 Items der Facette Ängstlichkeit, je 2 Items der Facetten Befangenheit und Verletzlichkeit, 4 Items der Depressionsfacette und durch 1 Item der Facette Reizbarkeit erfasst. Die Facette Impulsivität wird im NEO-FFI nicht repräsentiert. Ähnlich verhält es sich mit der Zusammenstellung der Variablen für den Faktor Extraversion: hier wurden 2 Geselligkeits-, 4 Frohsinn-, 3 Aktivitätsitems und je 1 Item der Facetten Herzlichkeit, Erlebnishunger und Durchsetzungsfähigkeit aus dem NEO-PI-R integriert. Somit wird im NEO-FFI jede der Big-Five-Dimensionen durch 12 Variablen gemessen, was die Durchführungszeit im Vergleich zur langen Version erheblich verkürzt: im Durchschnitt komplettieren Probanden den 60 Items umfassenden NEO-FFI in 10 Minuten, wodurch der Anwendungsbereich auch außerhalb der klinischen Forschung erheblich erweitert wurde.638

6.4.2 Die deutsche Version des NEO-FFI Für die empirische Untersuchung dieser Arbeit wurde die deutsche Version des NEOFFI639 eingesetzt, welche 1993 von Borkenau und Ostendorf publiziert wurde. Es handelt sich dabei um eine sinngemäße Übersetzung der angloamerikanischen Version von Costa und McCrae, welche in mehreren Kontrollschritten zur Übersetzung und Rückübersetzung in die amerikanische Originalversion erstellt und anhand von 2.112 Probanden validiert wurde. Die deutsche Version des NEO-FFI erfüllt die für Messinventare geforderten Reliabilitäts- und Validitätskriterien:640 Die interne Konsistenz wurde mittels Crombachs Alpha überprüft und erreichte für die fünf Skalen Werte zwischen Į = ,71 und Į = ,85, während der Stabilitäskoeffizient nach zweijährigem Re-Test zwischen r = ,65 und r = ,81 lag. Zur Feststellung der Validität wurden Hauptkomponentenanalysen mit der deutschen Form des PRF (Personality Research Form), dem Freiburger Persönlichkeitsinventar und dem Eysenck-PersönlichkeitsInventar (EPI) durchgeführt, wobei alle Indikatoren, bis auf einen, auf dem korrespondierenden Faktor luden. Auch die Übereinstimmung von Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzungsstudien fiel zufriedenstellend aus. Die konvergente641 und diskri-

637 638 639 640 641

Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993), S. 11. Vgl. McCrae/Costa (2004), S. 588. Vgl. Borkenau/Ostendorf (1993). Vgl. zu den Reliabilitäts- und Validitätsangaben Borkenau/Ostendorf (2002), S. 259. Konvergente Validität wird dann erzielt, wenn unterschiedliche Messverfahren (z. B. Self- und PeerRatings) ähnliche oder gleiche Resultate hervorbringen. Vgl. dazu Brewer (2000), S. 9.

Persönlichkeit

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minante642 Validität des NEO-FFI ist damit sicher gestellt. Auf eine Normierung des NEO-FFI anhand einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung wurde von Borkenau und Ostendorf mit dem Argument verzichtet, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an Testverfahren mit gewissen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Offenheit für Erfahrungen) korreliert. Eine für den deutschsprachigen Raum repräsentative Validierung des NEO-FFI wurde jedoch kürzlich durch Körner et al. vorgelegt.643 Abschließend sei noch das grundsätzliche Problem von Persönlichkeitsinventaren betreffend der sozialen Erwünschtheit und Verfälschbarkeit thematisiert. Die Dimensionen Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit werden häufig positiv assoziiert, während Neurotizismus als sozial unerwünscht gilt (siehe Ausführungen unter 6.3.2). Costa und McCrae644 unterstreichen dabei, dass die fünf Dimensionen unabhängig voneinander sind, wodurch Individuen, die z. B. hohe Neurotizismuswerte aufweisen, mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit extravertiert oder introvertiert sind, wie Personen mit niedrigen Werten am Neurotizismusfaktor. Zudem, so die Autoren, sei für das Funktionieren einer Gesellschaft immer die Vielfalt der Ausprägungen entscheidend: es bedarf Menschen, die gut mit anderen zusammenarbeiten können, aber auch solcher, die imstande sind, Aufgaben alleine durchzuführen. In vielen Studien erwiesen sich die fünf Faktoren jedoch immer wieder als korreliert,645 sodass das Argument der Verfälschbarkeit der Skalen durch die Probanden nicht ganz unzutreffend erscheint. Trotzdem sind weder in der englischen noch in der deutschen Version des NEO-FFI (und auch nicht des NEO-PI-R) so genannte Lügenoder Soziale Erwünschtheitsskalen integriert, da die Validität solcher Skalen nicht erwiesen ist. Außerdem besteht ein höherer Antwortbias eher in Situationen, in denen den Probanden explizit erwünschte Standards bekannt sind,646 was hier nicht der Fall sein dürfte.

6.4.3 Andere Persönlichkeitsinventare im deutschen Sprachraum Wie im angloamerikanischen Bereich ist der NEO-FFI auch im deutschen Sprachraum das bei weitem am häufigsten eingesetzte Messinventar zur Erfassung der fünf breiten 642

643 644 645 646

Diskriminante Validität bezieht sich auf die Vorhersagekraft für das theoretisch dahinter liegende Konstrukt eines Messinventars. Campbell/Fiske (1959) integrierten die diskriminante und konvergente Validität im Gesamtkonzept der Konstruktvalidität, indem sie das Multi-Trait-Multi-Method-Verfahren (MTMM) einführten: die Logik dahinter besagt, dass mehr als ein theoretisches Konstrukt mit jeweils mehr als einer Methode pro Konstrukt gemessen werden soll. Wenn ein Verfahren Konstruktvalidität besitzt, so müssen zwei Methoden, die das gleiche Konstrukt messen höhere Übereinstimmung haben, als zwei Konstrukte, die mit derselben Methode gemessen werden. Vgl. dazu John/Benet-Martínez (2000), S. 355. Vgl. Körner, et al. (2002). Vgl. McCrae/Costa (1990), S. 45. Vgl. für einen Überblick Block (2004). Vgl. Ozer (2001), S. 681–682.

Messung der Persönlichkeit

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Persönlichkeitsdimensionen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sich das Verfahren als sehr robust erwiesen hat, zum anderen erfassen andere Verfahren wie der Eysenck Personality Questionnaire (EPQ)647 oder das Freiburger Persönlichkeitsinventar648 die fünf Dimensionen nicht entsprechend umfassend bzw. legen den Schwerpunkt auf bestimmte Ausschnitte der Persönlichkeit.649 Auch andere genuin deutschsprachige Persönlichkeitstests wie der Gießen-Test650, der Trierer Persönlichkeitsfragebogen651 oder der Münchner Persönlichkeits-Test652 stellen beliebte Messinventare dar, in welchen sich die fünf breiten Faktoren widerspiegeln.653 Da sich diese Persönlichkeitsinventare jedoch nicht explizit auf die Erfassung der Big Five konzentrieren, wird auf eine genaue Darstellung dieser verzichtet. Der NEO-FFI ist aber nicht das einzige deutschsprachige Instrument zur Abbildung der Big Five. So existiert eine deutsche Version des Big Five Inventory (BFI)654, die von John und Rammstedt655 entwickelt und von Lang et al.656 auf Testgüte geprüft wurde. Sie besteht aus 48 Items und weist hohe Konvergenz mit dem NEO-FFI auf. Allerdings korrelieren die fünf Faktor-Skalen relativ stark untereinander (bis zu r = .39), weshalb Lang et al. die statistisch unabhängige Erhebung der fünf Konstrukte durch dieses Instrument in Frage stellen. Rammstedt et al.657 entwickelten auch eine BFI-Kurzskala mit 21 Items und veröffentlichten außerdem eine noch kürzere Skala mit Single-Item-Messung der fünf Dimensionen, welche analog zu den demographischen Skalen routinemäßig in Fragebögen integriert werden kann, um zusätzliche Differenzierungsmöglichkeiten für die Auswertungen einer Untersuchung zu erhalten.658

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Vgl. Eggert (1983). Vgl. Fahrenberg, et al. (2001). In diesem Persönlichkeitstest stellen Extraversion und Neurotizismus Faktoren zweiter Ordnung dar, die über 12 erfassten Persönlichkeitsmerkmalen stehen. Vgl. Körner, et al. (2002), S. 19. Vgl. Beckmann, et al. (1991), der Gießen-Test wird hauptsächlich in der Psychotherapie und der klinischen Psychologie angewendet. Vgl. Becker (1989), der TPF basiert auf systematischen Aufarbeitungen von Theorien zur seelischen Gesundheit und auf faktoranalytischen Studien zu den unabhängigen Faktoren der Persönlichkeit. Er konzipiert die beiden Superfaktoren seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle, vgl. Brähler, et al. (2002), S. 370. Vgl. Zerssen, et al. (1988). Dieser Test enthält ebenfalls Skalen zur Erfassung der Dimensionen Extraversion und Neurotizismus, der im MPT betitelte Faktor Rigidität spiegelt die Dimension Gewissenhaftigkeit des NEO-FFI wieder, vgl. die deutsche Version des MPT Zerssen (1994). Vgl. dazu insbesondere die Validierungsstudien von Ostendorf/Angleitner (2004) im Manual für die deutsche Fassung des NEO-PI-R, S. 143–152. Vgl. Goldberg (1992). Vgl. Rammstedt (1997). Vgl. Lang, et al. (2001), S. 111f. Vgl. Rammstedt, et al. (2004), S. 5ff. Im englischen wurde eine solche Skala zur extrem sparsamen Erfassung der Big Five von Gosling, et al. (2003) vorgelegt.

7 Persönlichkeit und Emotionen Erste Untersuchungen auf eine mögliche Verbindung zwischen Persönlichkeit und Emotionen wurden in den 1960er Jahren im Rahmen der kindlichen Entwicklungsforschung durchgeführt, da man annahm, dass das kindliche Temperament angeboren ist und die Basis für die weitere Entwicklung zu einer erwachsenen Persönlichkeit darstellt.659 Dementsprechend konzentrierten sich diese Studien auf die neurobiologische Basis des Temperaments, die mit verschiedenen Theorien über individuelle Unterschiede im Zentralnervensystem begründet wurde.660 Mit Beginn der 1980er Jahre kumulierte sich eine Reihe von Hinweisen aus Studien, dass die beiden großen Persönlichkeitsdimensionen, Extraversion und Neurotizismus, stark mit dem emotionalen Erleben von Personen korrelierten.661 Letztendlich wurde auch damit ein wichtiger Kritikpunkt des eigenschaftszentrierten Persönlichkeitsmodells wesentlich entkräftet: dass nämlich das Fünf-Faktoren-Modell keine Erklärungen liefere, sondern lediglich Beschreibungen. Durch die von zahlreichen Studien untermauerten Belege für eine Verbindung zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen konnte das Eigenschaftsparadigma mit einer kausalen Wirkungskette für Verhalten aufwarten.662 7.1 Extraversion und Neurotizismus als Prädiktoren für positive und negative Emotionen Costa und McCrae663 untersuchten erstmals, ob die beiden außer Diskussion stehenden Persönlichkeitsdimensionen Extraversion und Neurotizismus als Antezedenzen für subjektives Wohlbefinden gelten konnten. Als Basis zur strukturellen Beschreibung des subjektiven Wohlbefindens diente das Bradburn-Modell, das in Abschnitt 4.4.2 erläutert wurde und zwei von einander unabhängige Dimensionen positiver und negativer Affekt664 vorsieht, welche getrennt und unabhängig voneinander zur Summe des Wohlbefindens beitragen.665 Während jedoch Bradburn von verschiedenen objektiven Gründen für die beiden unabhängigen Affektdimensionen ausging, wie zum Beispiel Gesundheitszustand oder Zufriedenheit mit der partnerschaftlichen Beziehung, wiesen Costa und McCrae in ihren Studien nach, dass diese Annahmen trotz aller Plausibilität 659 660 661 662

663 664

665

Vgl. Bradburn (1969). Vgl. Watson/Clark (2001), S. 400. Vgl. u. a. Watson/Clark (1984), Watson, et al. (1999), Watson/Clark (1992b). Jüngere Forschungszweige konzentrieren sich nun auf den Einfluss von Persönlichkeitsfaktoren auf die Emotionsregulation, also wie und in wie weit Individuen selbst bestimmen können, welche Emotionen sie wann und wie oft erleben. Vgl. dazu z. B. De Raad/Kokkonen (2000), S. 479ff. Vgl. Costa/McCrae (1980). Obwohl in Abschnitt 4.2.1 darauf hingewiesen wurde, dass im Deutschen eine Unterscheidung zwischen Affekt und Emotionen getroffen wird, wird hier die direkte Übersetzung von „affect“ als Affekt, und damit synonym für Emotionen, verwendet. Vgl. Bradburn (1969).

Persönlichkeit und Emotionen

140

nicht den Fakten entsprachen: unabhängig von der befragten Lebenssituation gaben die Testpersonen an, entweder in allen Lebensbereichen zufrieden oder aber in allen Bereichen unzufrieden zu sein.666 Die Gründe für die Variationen im subjektiven Wohlbefinden mussten also innerhalb der jeweiligen Person liegen, und Extraversion und Neurotizismus, so Costa und McCrae, schienen eine optimale Erklärung dafür zu bieten. Während Extraversion mit einer Prädisposition für das Erleben von positiven Emotionen einhergeht, bestimmt die Neurotizismusdimension das Ausmaß an erlebten negativen Emotionen. Abbildung 26 veranschaulicht diesen Zusammenhang.

Geselligkeit - Vitalität - Schwung - soziales Involvement Moralisch Lebenszufriedenheit Hoffnungsfreudigkeit Emotionale Balance - Ängstlichkeit - Feindseligkeit - Impulsivität - psychosomatische Probleme

Abbildung 26: Zusammenhang Persönlichkeit und subjektives Wohlbefinden667

In ihren umfangreichen Studien am National Institute of Aging in Baltimore konnten die beiden Autoren zeigen, dass sich Personen auf äußere Umstände wie soziale Stellung, Geld, Macht oder Gesundheit relativ schnell einstellen und diese Faktoren nur geringen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und das emotionale Wohlbefinden haben.668 Dagegen erlaubten die Werte auf den überdauernden Dispositionen von Extraversion und Neurotizismus Vorhersagen über das Zufriedenheitsniveau über Jahre hinweg: „Knowing an individual’s standing on these two personality dimensions allows a prediciton of how happy the person will be 10 years later.“669 Die Erklärung dafür ist im Temperament der Person zu sehen: Extravertierte sind prädestiniert dazu, mehr positive Emotionen zu erleben, weil sie in ihrem Wesen freudiger, Energie geladener und geselliger sind. Dagegen erleben Personen mit hohen Werten am Neurotizismusfaktor vermehrt negative Emotionen, weil sie besonders die negativen Aspekte an sich selbst und anderen wahrnehmen und häufig negative Gefühlszustände der Angst, Schuld oder Unzufriedenheit erleben.670

666 667

668 669 670

Vgl. Costa/McCrae (1980), S. 675ff. Quelle: Vgl. Costa/McCrae (1980), S. 675, Übersetzung durch die Autorin. „Affect“ wird hier direkt mit „Affekt“ übersetzt, und steht hier und im Folgenden synonym für Emotionen. Vgl. McCrae/Costa (1991), S. 228. Vgl. Costa/McCrae (1980), S. 675. Vgl. Watson/Clark (1984), S. 483.

Extraversion und Neurotizismus als Prädiktoren für positive und negative Emotionen

141

Zu betonen ist in diesem Zusammenhang noch einmal, dass sowohl Extraversion und Neurotizismus als auch positiver und negativer Affekt als jeweils zwei von einander unabhängige, in der Faktorenlösung also orthogonale, Faktoren zu interpretieren sind, und nicht etwa als Gegensatzpaare. Dies bedeutet, dass positive und negative Emotionen getrennt von einander erlebt werden können. Ebenso wenig erlaubt ein hoher Wert am Persönlichkeitsfaktor Extraversion eine Interpretation der Dimension Neurotizismus: „people who are cheerful, enthusiastic, optimistic, and energetic [Eigenschaften, die auf Menschen mit hohen Extraversionswerten zutreffen] are not necessarily low in anxiety or depression – that depends on their level of N.“671 Wie bereits einleitend beschrieben, wurde der Zusammenhang zwischen Extraversion und positiven Emotionen einerseits und Neurotizismus und negativen Emotionen andererseits in Folge vielfach repliziert.672 Von besonderer theoretischer Bedeutung für diese Zusammenhänge ist aber, ob die Tendenz positive oder negative Emotionen zu erleben, tatsächlich in einer endogenen Prädisposition der Persönlichkeit begründet liegt. Alternativ wäre auch plausibel argumentierbar, dass gewisse Persönlichkeitseigenschaften bestimmte Lebensumstände fördern und die Unterschiede im emotionalen Empfinden weniger auf überdauernde Persönlichkeitseigenschaften, sondern vielmehr auf unterschiedliche Lebensstile zurückzuführen sind.673 So könnten zum Beispiel Extravertierte vor allem Situationen bevorzugen, die hohe gesellschaftliche Aktivität beinhalten, und deshalb mehr positive Emotionen erleben. Umgekehrt wäre es denkbar, dass sich Personen mit hohen Neurotizismuswerten relativ häufiger in unangenehme Situationen begeben oder diese selbst kreieren und deshalb ein höheres Niveau an negativen Emotionen aufweisen. Diese alternative Sichtweise wird in der Literatur als „Instrumentalthese“ bezeichnet,674 und verweist auf die Möglichkeit, dass überdauernde Persönlichkeitseigenschaften bzw. die fünf Dimensionen keinen direkten Einfluss auf Emotionen per se ausüben, sondern jene Lebensumstände fördern, die es wahrscheinlicher machen, verstärkt entweder positive oder negative Emotionen zu erleben. Verschiedene Studien geben jedoch Aufschluss darüber, dass diese Erklärungsvariante wenig haltbar ist. Larsen und Ketelaar675 wiesen zum Beispiel nach, dass sich Personen mit hohen und niedrigen Werten am Extraversionsfaktor zwar im Erleben von positiven Emotionen, nicht aber hinsichtlich negativer Emotionen unterschieden. Umgekehrt berichteten Probanden mit hohen Werten am Neurotizismusfaktor signifikant mehr negative Emotionen zu erleben als jene mit niedrigen Neurotizismuswerten. Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit der neurophysiologisch begründeten Aktivierungsthese von Gray676, wonach Extravertierte verstärkt auf Belohnungs671 672 673 674 675 676

McCrae/John (1992), S. 196, Text in der Klammer durch die Autorin hinzugefügt. Vgl. Watson/Clark (1984), Watson, et al. (1999), Watson/Clark (1992b), Rusting/Larsen (1997). Vgl. Gross (2001), S. 533. Vgl. Larsen/Ketelaar (1991), S. 133. Vgl. Larsen/Ketelaar (1991), S. 138. Vgl. Gray (1971), Pickering/Gray (2001), S. 282ff.

Persönlichkeit und Emotionen

142

faktoren reagieren, während Neurotizismus mit einer erhöhten Reaktionssensitivität für Bestrafungssignale verbunden ist. Neue Impulse für eine biologische Begründung des Zusammenhanges zwischen Persönlichkeit und emotionalem Empfinden wurden durch das stark entfachte Forschungsinteresse an der genetischen Verwurzelung der Big Five gesetzt. Eid et al.677 konnten in Zwillingsstudien eine hohe genetisch bedingte Korrelation (r = 0,57) zwischen der Extraversionsfacette Geselligkeit und positiven Emotionen nachweisen, wodurch evident wird, warum Extravertierte mehr positive Emotionen sowohl in hoch als auch in wenig sozialen Kontexten erleben. Weitere Belege, welche gegen die Instrumentalthese sprechen, werden von Côté und Moskowitz678 berichtet: In ihren Studien engagierten sich Personen mit hohen Werten am Extraversionsfaktor tatsächlich signifikant stärker in sozialen Situationen oder Verhalten, welches gemeinhin mit positiven Emotionen verbunden wird. Menschen mit einer starken Ausprägung am Neurotizismusfaktor wählten dagegen häufig unangenehme Situationen, die generell mit negativen Emotionen verbunden werden. In beiden Fällen jedoch berichteten die Probanden von relativ stärkeren Emotionen in die ihrer Disposition entsprechende Richtung: d. h. Extravertierte erlebten in allen positiven Situationen mehr positive Emotionen als Personen mit niedrigen Extraversionswerten. Umgekehrt berichten Personen mit hohen Neurotizismuswerten auch in positiven Situationen weniger positive Emotionen. „Thus, individuals with high scores on Neuroticism engaged in fewer of the behaviours that are normatively associated with pleasant affect for most people, and when they did engage in these behaviours, they experienced relatively little pleasant affect.”679 7.2

Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit als Prädiktoren für Emotionen

Anders als die mannigfaltigen Belege für den Zusammenhang zwischen Extraversion und Neurotizismus und Emotionen fallen die Anhaltspunkte für eine kausale Beziehung zwischen Emotionen und den restlichen drei Persönlichkeitsdimensionen weit weniger eindeutig aus. Studien, welche den additiven Einfluss von Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen untersuchten, stellten meist eine geringe Erklärungskraft dieser für emotionales Erleben fest. McCrae und Costa680 berichten, dass sowohl Verträglichkeit als auch Gewissenhaftigkeit positives Emotionserleben fördern und negatives verringern, Offenheit für Erfahrungen dagegen sowohl mit positivem als auch negativem Affekt schwach korreliert (r = 0,10 bis 0,25). Penley 677 678 679 680

Vgl. Eid, et al. (2003), S. 336–338. Vgl. Côté/Moskowitz (1998). Côté/Moskowitz (1998), S. 1043. Vgl. McCrae/Costa (1991), S. 231.

Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit als Prädiktoren für Emotionen

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und Tomaka681 bestätigen die Zusammenhänge für Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit in die von McCrae und Costa postulierte Richtung, berichten dagegen über eine negative Korrelation zwischen Offenheit für Erfahrungen und negativen Emotionen. Als mögliche intervenierende Variablen, welche sich auf Richtung und Stärke des Zusammenhangs zwischen den drei restlichen Persönlichkeitsdimensionen und emotionalem Erleben auswirken könnten, kommen vor allem demographische Größen in Frage.682 So ist generell ein leichtes Absinken der Offenheitswerte mit zunehmendem Alter zu beobachten, während Extraversion beispielsweise nur bei Frauen mit dem Alter abnimmt. Solche demographischen Einflussgrößen könnten die oben geschilderten inkonsistenten Ergebnisse in einem anderen Licht erscheinen lassen. Es wurden auch Studien durchgeführt, die das Ausmaß an Emotionssuche (need for affect) und ihre Disposition durch die Big Five untersuchten. Der Varianz aufklärende Anteil der fünf Faktoren betrug jedoch nur 18 %.683 Generell dürften die Dimensionen Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen nach aktuellem Erkenntnisstand aber relativ wenig zur Aufklärung der emotionalen Wohlbefindens-Varianz beitragen. So bescheinigen Yik und Russell684 in ihren Studien den beiden Faktoren Extraversion und Neurotizismus mit durchschnittlich 28 % Varianzaufklärung die größte Erklärungskraft für positive und negative Emotionen. Die restlichen drei Dimensionen dagegen konnten gemeinsam nur durchschnittlich 3,9 % zur Varianz beitragen. Ähnliche Ergebnisse berichten auch Watson und Clark685, die für negative Emotionen eine Varianzaufklärung alleine durch den Neurotizismusfaktor von 27 % bis 41,8 % feststellten, während die anderen vier Persönlichkeitsdimensionen nur geringfügig zusätzliche Varianz erklären konnten. Umgekehrt ist der stärkste Prädiktor für positive Emotionen Extraversion mit einer erfassten Varianz zwischen 23 % und 40,4 %. Während aber hier der Faktor Gewissenhaftigkeit noch zwischen 5 % und 22 % additive Erklärungskraft besitzt, können die verbleibenden drei Dimensionen keine zusätzliche Varianz für positiven Affekt erklären. Für die empirische Studie der vorliegenden Arbeit wurden aus diesem Grunde nur die beiden hauptdeterminierenden Dimensionen Extraversion und Neurotizismus für emotionales Erleben mit einbezogen.

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Vgl. Penley/Tomaka (2002), S. 1223f. Vgl. González Gutiérrez, et al. (2005), S. 1565–1567. Vgl. Maio/Esses (2001), S. 595–597. Den stärksten Einfluss, emotionsinduzierende Situationen zu suchen, übten hier die Faktoren Extraversion und Offenheit für Erfahrungen vor Neurotiszismus aus. Vgl. Yik/Russell (2001), S. 257ff. Vgl. Watson/Clark (1992b), S. 454–456.

8 Forschungshypothesen für die empirische Studie In den Kapiteln 2 bis 7 wurden die theoretischen Grundlagen dieser Dissertation ausführlich dargestellt. In diesem Abschnitt wird nun das zusammenhängende Forschungsmodell vorgestellt und die entsprechenden Hypothesen formuliert, welche die zugrunde liegenden Forschungsschwerpunkte Kundenzufriedenheit, Emotionen und Persönlichkeit miteinander in Beziehung setzen. In Abbildung 27 werden die Forschungsidee und die Hypothesen visualisiert.

Abbildung 27: Hypothesenmodell

Hypothese I Hypothese I: Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Emotionen Durch die erste Hypothese wird der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Emotionen formuliert. Wie durch die Literaturanalyse (Kapitel 5) deutlich wurde, existieren bereits zahlreiche Studien686, die diesen positiven Zusammenhang belegen: positive Emotionen üben positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit aus, negative Emotionen reduzieren Kundenzufriedenheit. Die überwiegende Anzahl dieser Studien bediente sich dabei des valenz-basierten Ansatzes zur Integration von Emotionen, d. h. dass Emotionen in Form der zwei Basisdimensionen, positive und negative Emotionen, im Messmodell berücksichtigt wurden. Erst in jüngerer Zeit wurden vereinzelt Studien publiziert, die auch den Einfluss konkreter Emotionen auf die Kundenzufrie686

Vgl. z. B. Westbrook (1987), Westbrook/Oliver (1991), Mano/Oliver (1993), Oliver (1993), Evrard/Aurier (1994), Oliver (1994), Price, et al. (1995), Liljander/Strandvik (1996), Dubé/Menon (2000), u. a.

146

Forschungshypothesen für die empirische Studie

denheit und das Nachkaufverhalten untersuchten.687 Diese Studien konzentrierten sich jedoch sehr stark auf die unterschiedlichen Auswirkungen von negativen Emotionen auf das Nachkaufverhalten, wie etwa die Studie von Zeelenberg und Pieters.688 Generell besteht daher ein Mangel an Erkenntnissen in Hinblick auf den Einfluss spezifischer Emotionen, sowohl positiver als auch negativer, auf die Kundenzufriedenheit. Auch Richins erkennt darin eine Forschungslücke und fordert: „[to] examine in depth, the character of individual consumption-related emotions and [to] identify their antecedent states.”689 Unter den Emotionen, welche Richins für weitere Untersuchungen für viel versprechend hält, nennt sie auch Freude und Angst. Während die Emotion Angst in anderen marketingrelevanten Kontexten, wie zum Beispiel in der Werbung, bereits vielfach untersucht wurde,690 liegen im Bereich der Kundenzufriedenheit noch keine Studien dahingehend vor. Auch die Emotion Freude wurde in keiner der in die Literaturrecherche eingeflossenen Studien als separates Konstrukt untersucht. Um dieser Forschungslücke beizukommen, werden in der vorliegenden Arbeit diese beiden Emotionen in das Kundenzufriedenheitsmodell als spezifische Emotionen Angst und Freude integriert. Der Kontext einer hochalpinen Bergtour, in dem die empirische Studie angesiedelt wurde, dürfte sich besonders gut dafür eignen, da das emotionale Erlebnisspektrum in beide Richtungen potenziell sehr hoch ist und sowohl Freude als auch Angst mit hoher Wahrscheinlichkeit und großer Intensität erlebt werden dürften. Da bei einer Bergtour eine reale oder vorstellbare Gefahr für Körper oder Geist besteht, bietet diese insbesondere optimale Rahmenbedingungen, um die Emotion Angst in einer natürlichen Situation zu testen, und nicht auf experimentelle Untersuchungsdesigns zurückgreifen zu müssen.691 Die erste Hypothese über den Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit lässt sich daher in zwei Subhypothesen formulieren: H1a: Die Emotion Freude steht in positivem Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit. Die Emotion Freude wirkt sich positiv auf die Kundenzufriedenheit aus. H1b: Die Emotion Angst steht in negativem Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit. Die Emotion Angst wirkt sich negativ auf die Kundenzufriedenheit aus.

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691

Vgl. Bougie, et al. (2003), van Dolen, et al. (2004), Zeelenberg/Pieters (2004). Vgl. Zeelenberg/Pieters (2004), die den unterschiedlichen Einfluss von Bedauern und Enttäuschung auf negative Mund-zu-Mund-Werbung, Wechselverhalten und Beschwerdeverhalten untersuchten. Richins (1997), S. 144. Vgl. z. B. La Tour, et al. (1993) über den Einsatz von Angst einflößenden Bildern in der Printwerbung, oder Laroche, et al. (2001) über die Wirkung von Angstbotschaften bei Zigarettenkampagnen. Vgl. Wallbott/Scherer (1989).

Forschungshypothesen für die empirische Studie

147

Hypothese II: Über den Einfluss von Persönlichkeit auf die Kundenzufriedenheit Die Persönlichkeit als Einflussvariable für Konsumverhalten war und ist Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Eine direkte Beziehung zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Konsumentenverhalten konnte dabei jedoch nicht konsistent bestätigt werden,692 weshalb man die Rolle der Persönlichkeitseigenschaften für marketingrelevante Entscheidungen als minimal einschätzte. Kassarjian und Sheffet693 beurteilten Anfang der 90er Jahre die Forschungsergebnisse dahingehend als „equivocal at best“. Tatsächlich wurde in den meisten Studien lediglich eine Varianzaufklärung von durchschnittlich 10 % berichtet.694 Hypothese II Obwohl Persönlichkeitseigenschaften augenscheinlich keinen direkten Einfluss auf das Konsumverhalten, und damit auch nicht auf die Kundenzufriedenheit, ausüben, scheint es plausibel, dass die Persönlichkeit als dahinter liegender Faktor indirekt für viele Lebensentscheidungen von Menschen verantwortlich ist, indem sie andere psychologische oder mentale Systeme moderiert, welche wiederum konkretes Verhalten determinieren.695 So zum Beispiel bestimmt die Ausprägung am Faktor Neurotizismus das Ausmaß an prädispositioneller Ängstlichkeit, welche wiederum die kognitive Einschätzung von Situationen beeinflusst und damit die konkreten Verteidigungs- bzw. Bewältigungsstrategien in der konkreten Situation bestimmt.696 Wie in Kapitel 6.3 ausgeführt wurde, handelt es sich bei Persönlichkeitseigenschaften und den Big Five um relativ breite Konstrukte, sodass die Vorhersagekraft für das individuelle Verhalten in einer spezifischen Situation notwendigerweise beschränkt bleibt. Proponenten des Fünf-Faktoren-Modells betonten daher stets den generellen Charakter der fünf Faktoren, die ebenso generelle Verhaltensdispositionen determinieren, nicht aber beispielsweise den Kauf einer bestimmten Zigarettenmarke vorhersagen können.697 Dieser Idee gingen auch Mooradian und Olver698 nach, indem sie den Einfluss von Persönlichkeit auf Kundenzufriedenheit über die moderierende Wirkung von Emotionen modellierten. Analog zu dem von Costa und McCrae vorgeschlagenen Modell des subjektiven Wohlbefindens (vgl. Abbildung 26) konnten die Autoren eine kausale Wirkungskette von Persönlichkeit (Extraversion und Neurotizismus) über Emotionen (positive und negative Emotionen) auf Kundenzufriedenheit nachweisen. Ein direkter Einfluss der Persönlichkeitsfaktoren auf die Kundenzufriedenheit blieb den oben dar692 693 694 695 696

697 698

Vgl. Mayer/Illmann (2000). Kassarjian/Sheffet (1991), S. 281. Arnould, et al. (2004), S. 391. Vgl. Matthews/Deary (1998), S. 70. Auch Lazarus (1991) vertritt die Ansicht, dass die Persönlichkeitseigenschaft Angst, die Prädisposition einer Person ausdrückt, eine Situation auf ihre potenzielle Gefahr hin als mehr oder weniger gefährlich einzustufen. Vgl. Ashton/Lee (2005), S. 17. Vgl. Mooradian/Olver (1997).

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Forschungshypothesen für die empirische Studie

gestellten Ausführungen entsprechend auch in dieser Studie, welche im Bereich der US-Automobilindustrie durchgeführt wurde, unbestätigt.699 Die Fit-Werte für das Gesamtmodell bestätigen jedoch die postulierten Ursache-Wirkungsbeziehungen und damit den Einfluss der Persönlichkeit auf die Kundenzufriedenheit als dahinter liegende Variable. In der zweiten Hypothese wird daher der Einfluss von Extraversion auf positive Emotionen und von Neurotizismus auf negative Emotionen formuliert. Da dieser Zusammenhang als hinlänglich abgesichert gilt,700 soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden, ob der Einfluss der Persönlichkeitsfaktoren Extraversion und Neurotizismus nicht nur auf Ebene der Basisdimensionen, positive und negative Emotionen, nachweisbar ist, sondern auch auf der nächst konkreteren Emotionsebene, den Emotionsfacetten701, Gültigkeit besitzt. Die zweite Forschungshypothese lässt sich daher wiederum in zwei Subhypothesen gliedern: H2a: Der Persönlichkeitsfaktor Extraversion steht in positivem Zusammenhang mit der Emotion Freude. Personen mit hohen Extraversionswerten erleben ein höheres Maß an Freude. H2b: Der Persönlichkeitsfaktor Neurotizismus steht in positivem Zusammenhang mit der Emotion Angst: Personen mit hohen Neurotizismuswerten erleben ein höheres Maß an Angst.

699 700 701

Vgl. Mooradian/Olver (1997), S. 385f. Vgl. insbesondere Watson/Clark (1984), und die Ausführungen im Kapitel 7.1. Vgl. Egloff, et al. (2003), die die Basisdimension der positiven Emotionen in Emotionsfacetten („Facets of Emotions“) untergliedern konnten.

TEIL II 9 Empirische Studie 9.1 Studiendesign Zur Überprüfung des oben dargestellten Hypothesenmodells wurde eine empirische Studie durchgeführt, welche in einem emotional potenziell höher einzustufenden Kontext stattfinden sollte. Wie aus den Ergebnissen der Literaturanalyse deutlich wurde, ist ein stärkerer Einfluss von Emotionen auf die Kundenzufriedenheit vor allem in Situationen mit hohem Erlebnisgrad sowie in Konsumsituationen mit besonders negativem oder positivem Ausgang zu erwarten. Aus diesem Grunde wurde für die Studie der vorliegenden Arbeit ein Bergerlebnis als Erhebungskontext gewählt. Studienobjekte waren Bergsteiger und Bergsteigerinnen, die den Großglockner bestiegen bzw. den Versuch unternahmen, diesen zu erklimmen. Der Großglockner ist mit 3.798 m der höchste Berg Österreichs und der Ostalpen und liegt an der Landesgrenze zwischen Osttirol und Kärnten. Die Befragung wurde auf der letzten Schutzhütte unterhalb des Gipfels durchgeführt, der Erzherzog-Johann-Hütte, welche auf 3.451 m Seehöhe liegt und den meisten BergsteigerInnen als letztes Basislager dient. Alle ProbandInnen wurden nach der Gipfelbesteigung auf dieser Hütte befragt. Dies erscheint besonders wichtig, da somit alle teilnehmenden Personen das letzte, physisch wie psychisch, fordernde Teilstück und die Schlüsselstelle zum Gipfel des Großglockners bewältigen mussten. Abbildung 28 zeigt den Verlauf der letzten 350 Höhenmeter des Normalanstieges ab der Erzherzog-Johann-Hütte. Laut der Einstufung des Rother Bergverlages entspricht die Route über den Normalanstieg auf den Großglockner dem Schwierigkeitsgrad II und ist im Eis bis zu 40° steil.702

702

Vgl. Mair (2004) Rother Bergverlag, S. 56.

Empirische Studie

150

Abbildung 28: Aufstiegsroute Großglockner von der Erzherzog-Johann-Hütte (3.451 m)703

Üblicherweise wird von den BergsteigerInnen sowohl vor dem letzten Teilstück als auch nach der Gipfelbesteigung auf der Erzherzog-Johann-Hütte noch eine Rast eingelegt, bevor der Abstieg ins Tal wieder beginnt. Der Zeitpunkt der Befragung nach der Gipfelbesteigung und vor dem endgültigen Abstieg ins Tal wurde vor allem deshalb so gewählt, um ein möglichst authentisches Bild des emotionalen Erlebens zu erlangen. Einerseits hatten die ProbandInnen zu diesem Zeitpunkt bereits alle schwierigen Etappen hinter sich und mit der Gipfelbesteigung wahrscheinlich das emotionale Spektrum in beide Richtungen voll ausgeschöpft. Andererseits sollte dadurch sichergestellt werden, dass es zu keiner nachträglichen kognitiven Re-Evaluierung kommt. Eine derartige Neubewertung eines Konsumerlebnisses wäre speziell in diesem Kontext denkbar, wenn nach erfolgter Regeneration beispielsweise nur noch die positiven Erinnerungen zurückbleiben und die Intensität der empfunden Angst vor der Schlüsselstelle nicht mehr nachvollzogen werden kann. Bei einer Befragung erst unmittelbar nach Rückkehr ins Tal hätte zudem die potenzielle Gefahr bestanden, ein verzerrtes Bild aufgrund des langen und von den meisten BergsteigerInnen als mühsam empfundenen Abstieges zu erhalten. Die Befragung wurde in Form eines anonymen, schriftlichen Fragbogens mit der Papier-Bleistift-Methode während zwei Wochen im September 2005 durchgeführt. Für eventuelle Rückfragen der ProbandInnen standen zwei geschulte Interviewerinnen zur Verfügung, von denen eine Psychologiestudentin war und die beide Ortskenntnis besaßen. Als Anreiz erhielten die TeilnehmerInnen nach Abgabe des vollständig ausgefüllten Fragebogens einen Gutschein über 3 Euro zur Konsumation auf der ErzherzogJohann-Hütte ausgehändigt.

703

Bildquelle: Bergführerverein Heiligenblut.

Studiendesign

151

9.1.1 Das Messinstrument – Fragebogen Der eingesetzte Fragebogen lässt sich in vier Abschnitte gliedern: a) Fragen zur Beschreibung der Persönlichkeit, b) Fragen zu den erlebten Emotionen, c) Fragen zur Gesamtzufriedenheit mit dem Bergerlebnis und seinen Teilaspekten, d) Kontrollfragen und Kontrollvariablen. Insgesamt umfasste der Fragebogen 3 Seiten und wurde von den ProbandInnen in durchschnittlich 15 Minuten704 bewältigt. a) Fragen zur Persönlichkeit Im ersten Teil des Fragebogens widmeten sich die ProbandInnen der Beantwortung der Persönlichkeitsfragen, welche aus dem unter Punkt 6.4.2 ausführlich dargestellten Persönlichkeitsinventar NEO-FFI entnommen wurden. Da für das vorliegende Forschungsdesign nur die Persönlichkeitsfaktoren Extraversion und Neurotizismus von Interesse sind, wurden nur die entsprechenden Fragen dieser beiden Skalen aus der deutschen Version von Borkenau und Ostendorf705 in den Fragebogen integriert. Es handelt sich dabei um jeweils 12 Fragen, die in abwechselnder Reihenfolge gestellt wurden und von den Probanden auf einer fünfstufigen Skala von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft voll zu“ beantwortet wurden. Dieses an sich standardisierte Messinventar wurde bei insgesamt 4 Items in der Formulierung leicht abgeändert, da die Autorin bei früheren Untersuchungen mit dem NEO-FFI bereits mangelnde Reliabilität, wahrscheinlich aufgrund zu komplexer Formulierung der Fragen, feststellte.706 Auch der Einleitungstext und der Wortlaut der Skalierung wurden leicht abgeändert.707 b) Fragen zu den erlebten Emotionen Im Anschluss an die Persönlichkeitsfragen wurde eine Batterie zur Erfassung der erlebten Emotionen abgefragt. Es handelt sich dabei um die Positive and Negative Affect Schedule (PANAS) von Watson et al.708, die in der deutschen, validierten Fassung von Krohne et al.709 unverändert eingesetzt wurde. Bestehend aus 20 einzelnen Emotionswörtern konnten die ProbandInnen die Frage „in wie weit Sie selbst diese Gefühle während Ihrer Großglocknerbesteigung erfahren haben“ auf einer fünfstufigen Skala mit „gar nicht“ bis „äußerst“ beantworten. Abschließend zu diesem Frageblock wurde noch eine Frage zum aktuellen Gefühlsempfinden integriert, die jedoch nicht in die Auswertung mit einfloss.

704 705 706 707

708 709

Laut Angabe der Interviewerinnen. Borkenau/Ostendorf (1993). Vgl. Mooradian, et al. (2005). In der Version von Borkenau und Ostendorf wird die fünfteilige Skala mit „starke Zustimmung“ bis „starke Ablehnung“ beschriftet. Bei mehreren Pre-Tests wurde jedoch festgestellt, dass dies eine zusätzliche Verwirrung für die ProbandInnen darstellen könnte, weshalb die Skalen mit der gängigen Version „trifft gar nicht zu“ bis „trifft voll zu“ beschriftet wurden. Vgl. Watson, et al. (1988). Vgl. Krohne, et al. (1996).

152

Empirische Studie

Der PANAS ist eine standardisierte Skala und wurde zur Erfassung der zwei großen Emotionsdimensionen positiver und negativer Affekt entwickelt. Egloff et al.710 konnten in einer Untersuchung jedoch nachweisen, dass sich die positive Emotionsdimension in drei Facetten mit unterschiedlichem Verlauf untergliedern lässt. In ihrer Studie ließen sich Freude, Interesse und Aktivität klar als separate Konstrukte mit ausreichend konvergenter und diskriminanter Validität ausweisen.711 Die Emotion Freude wird auf der PANAS-Skala durch die Emotionswörter „freudig erregt“, „stolz“ und „begeistert“ repräsentiert. Eine ähnliche hierarchische Struktur konnte Bagozzi712 für die Basisdimension negativer Affekt der PANAS-X-Skala713 nachweisen. Dabei handelt es sich um eine erweiterte Form der PANAS-Skala, wobei die Emotion Angst darin durch „ängstlich“, „erschrocken“, „nervös“, „durcheinander“, „eingeschüchtert“ und „zittrig“ repräsentiert wird.714 In der für diese Studie verwendeten PANAS-Skala sind ebenfalls die ersten vier Emotionswörter für Angst enthalten und es soll überprüft werden, ob diese dazu geeignet sind, die Emotion Angst adäquat als eigenständiges Konstrukt abzubilden. c) Fragen zur Gesamtzufriedenheit mit dem Bergerlebnis In diesem Abschnitt des Fragebogens gaben die ProbandInnen ihre Zufriedenheit mit dem Bergerlebnis insgesamt, mit der eigenen Leistung, sowie mit Teilaspekten der Gipfelbesteigung, wie etwa Zufriedenheit mit der Organisation, der Vorbereitung, dem Aufstieg, dem Hüttenaufenthalt u. Ä. an. Diese Fragen wurden ebenfalls auf einer fünfstufigen Skala von „sehr zufrieden“ bis „sehr unzufrieden“ beantwortet. Des weiteren befanden sich in diesem Beantwortungsteil auch Aussagen zum Bergerlebnis, zu denen die ProbandInnen auf einer fünfstufigen Skala ihre Zustimmung bzw. Ablehnung ausdrücken konnten. Dieser Teilabschnitt wurde für mögliche Selektionsschritte und deskriptive Auswertungen integriert und fließt nicht in die Datenanalyse dieser Arbeit ein. d) Kontrollfragen und Kontrollvariablen Den Abschluss des Fragebogens bildete ein Block mit Kontrollvariablen, in dem die ProbandInnen gebeten wurden, ihre eigene Bergerfahrung einzuschätzen, das Trainingspensum pro Woche sowie demographische Daten über Alter, Geschlecht und Beruf anzugeben. In diesem Abschnitt wurde auch erhoben, ob die Bergtour alleine, mit einem Bergführer oder in einer ungeführten Gruppe unternommen wurde.

710 711 712 713 714

Vgl. Egloff, et al. (2003). Vgl. Egloff, et al. (2003), S. 534. Vgl. Bagozzi (1993), S. 849. Vgl. Watson/Clark (1994). Die Emotionswörter eingeschüchtert und zittrig wurden von der Autorin aus dem Englischen übersetzt. Die restlichen 4 Emotionswörter für die Emotion Angst im PANAS-X wurden aus der verkürzten Form der deutschen Übersetzung des PANAS durch Krohne, et al. (1996) übernommen.

Studiendesign

153

9.1.2 Die Stichprobe Insgesamt wurden 240 Personen kontaktiert, wobei sechs eine Teilnahme an der Studie ablehnten715 und somit 234 ProbandInnen einen ausgefüllten Fragebogen abgaben. Circa zwei Drittel der Befragten, nämlich 68 %, waren männlich, die restlichen 32 % weiblich. In der Altersverteilung zeigt sich ein recht ausgewogenes Bild der Stichprobe:716 mit 34 % stellen die 35- bis 44-Jährigen die größte Gruppe der befragten BergsteigerInnen dar, 28 % gehörten der Gruppe 25- bis 34-Jähriger und 20 % jener der 45bis 54-Jährigen an. In geringerem Ausmaß waren mit 6 % TeilnehmerInnen zwischen 18 und 24 Jahren vertreten, sowie mit 11 % die 55- bis 64-Jährigen. 1 % der Befragten war über 65 Jahre alt.

Frequency Valid

18–24 Jahre 25–34 Jahre 35–44 Jahre 45–55 Jahre 55–64 Jahre 65+ Jahre Total

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

14

6,0

6,0

6,0

66

28,2

28,2

34,2

80

34,2

34,2

68,4

46

19,7

19,7

88,0

25

10,7

10,7

98,7

3

1,3

1,3

100,0

234

100,0

100,0

Tabelle 14: Altersverteilung der Stichprobe

Hinsichtlich der Aufstiegsbegleitung halten sich jene, die alleine oder mit einer ungeführten Gruppe den Gipfel bestiegen (45 %) und jene, die mit einem Bergführer den Aufstieg in Angriff nahmen (55 %), die Balance. Die eigene Bergerfahrung bewertete erwartungsgemäß der Großteil relativ hoch:717 Rund 67 % gaben an, zumindest regelmäßig in den Bergen unterwegs oder Hobbybergsteiger zu sein, immerhin 23 % der Befragten stuften sich selbst aber als Anfänger ein oder gaben geringe Bergerfahrung an. 9 % der TeilnehmerInnen reihten sich selbst in die Kategorie der Extrembergsteiger ein. Weitere Ausführungen zu den demographischen Daten und anderen Kontrollvariablen werden hier im Detail nicht wiedergegeben, sondern im Anhang dargestellt.

715 716 717

Angabe der Interviewerinnen. Die Prozentwerte sind kaufmännisch auf Ganze auf- bzw. abgerundet. Die Angaben sind gerundet und zwei Antwortkategorien jeweils zu einer zusammengefasst. Für eine detaillierte Aufsplittung vgl. im Anhang, deskriptive Auswertungen.

Empirische Studie

154

9.1.3 Wetter und Gipfelsieg Dem Großteil der Befragten dürfte der Wettergott hold gewesen sein: 86 % gaben an, bei Sonnenschein oder leichter Bewölkung aufgestiegen zu sein, während lediglich 10 % auf stärkere Bewölkung trafen und 4 % der TeilnehmerInnen mit schlechtem Wetter und Niederschlägen konfrontiert waren. Entsprechend hoch ist auch die Quote der GipfelsiegerInnen: mit 95 % erreichte der Großteil aller Befragten den Gipfel. Aus diesen ersten Auswertungen ist ersichtlich, dass die Stichprobe hinsichtlich der äußeren Bedingungen recht homogen ist, sodass an dieser Stelle bereits stark verzerrende Momente durch Wetter oder Gipfelsieg für die weiteren Analysen ausgeschlossen werden können. Für das Hypothesenmodell erscheint es noch interessant zu testen, ob es hinsichtlich der Zufriedenheit (die ja als abhängige Variable im Strukturgleichungsmodell integriert ist) signifikante Mittelwertsunterschiede zwischen jenen TeilnehmerInnen gibt, die mit einem Bergführer die Großglocknerbesteigung durchführten und jenen, die alleine oder mit einer ungeführten Gruppe unterwegs waren. Dazu wird zunächst der Test auf Normalverteilung der beiden Variablen „Gesamtzufriedenheit“ und „Persönliche Zufriedenheit“ mit dem Kolmogorov-Smirnov-Test durchgeführt. Dieser ist mit einem Signifikanzniveau von ,000 höchst signifikant, d. h., es liegt keine Normalverteilung dieser beiden Variablen vor. Die Durchschnittswerte der beiden Variablen zeigen eine deutliche linksgipflige Verteilung (Gesamtzufriedenheit µ = 1,53; Persönliche Zufriedenheit µ = 1,85). Daher wird zum Vergleich der Mittelwerte nicht der T-Test herangezogen, sondern der U-Test nach Mann/Whitney.

Mann-Whitney U Wilcoxon W Z Asymp. Sig. (2-tailed)

Gesamtzufrieden 5205,000 13206,000 -2,886 ,004

Perszufrieden 5884,500 13885,500 -1,172 ,241

Tabelle 15: U-Test nach Man-Whitney

Die Auswertung zeigt, dass es bei der Variable „Persönliche Zufriedenheit“ keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gibt (p = ,241), hingegen ist der Wert bei der Variable „Gesamtzufriedenheit“ bei einem Signifikanzniveau von p = ,01 signifikant. Es liegt daher ein signifikanter Mittelwertsunterschied bei der Gesamtzufriedenheit vor: jene BergsteigerInnen, die mit einem Bergführer den Aufstieg bewältigten, gaben im Durchschnitt bessere Zufriedenheitswerte an als jene, die diesen im Alleingang oder mit einer ungeführten Gruppe unternahmen.

Statistische Analysen

155

9.2 Statistische Analysen 9.2.1 Exploratorische Faktorenanalyse Das Hypothesenmodell an sich hat konfirmatorischen Charakter, d. h., ein theoretisch herleitbarer und plausibler Zusammenhang von mehreren latenten Faktoren wird auf seine Testgüte anhand eines empirischen Datensatzes hin überprüft. Da die einzelnen latenten Faktoren (Extraversion, Neurotizismus, Freude und Angst) an sich bereits als theoretisches Konstrukt vordefiniert sind und ihre Messung durch standardisierte Messinventare erfolgt, wäre eine explorative Faktorenanalyse nicht notwendig. Trotzdem wird hier der klassische Testverlauf eingehalten und zuerst eine exploratorische Faktorenanalyse der latenten Variablen durchgeführt. In einem ersten Schritt werden die relevanten Variablen, welche die Faktoren Extraversion und Neurotizismus abbilden, analysiert. Bei der Extraktion der Faktoren wird die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren auf zwei beschränkt, da dies durch die theoretische Konstruktion des Messinventars begründbar ist. Die Anzahl der Faktoren durch das Eigenwertkriterium718 bestimmen zu lassen, wäre hier deshalb nicht zielführend. Außerdem wird die Anzahl der relevanten Faktoren durch das Eigenwertkriterium tendenziell überschätzt.719 Die Faktoren werden anhand der Varimax-Methode rotiert, d. h., es wird nach einer orthogonalen Einfachstruktur gesucht, bei der die Items auf einem Faktor maximal laden bei gleichzeitig minimaler Ladung auf anderen Faktoren. Die Wahl, eine Varimax-Rotation anzuwenden, ist ebenfalls theoretisch begründbar: die Big Five stellen voneinander unabhängige Dimensionen der Persönlichkeit dar und daher sollten Extraversion und Neurotizismus nicht miteinander korrelieren.720 In der rotierten Hauptkomponentenlösung werden nur jene Items abgebildet, die eine Ladung von mindestens 0,45 auf einem Faktor aufweisen. Kaiser-Meyer-Olkin Measure of Sampling Adequacy. Bartlett's Test of Sphericity

Approx. Chi-Square df Sig.

,868 1519,387 153 ,000

Tabelle 16: KMO-Test der EFA für die Persönlichkeitsvariablen

718

719 720

Der Eigenwert ist die Summe der quadrierten Ladungen über alle Items auf einen Faktor und drückt die Wichtigkeit eines Faktors aus. Ist der Eigenwert größer als Eins, klärt ein Faktor mehr Varianz auf als eine standardisierte Variable. Vgl. Bühner (2004), S. 161. Vgl. Zwick/Velcer (1986), S. 439. Vgl. Costa/McCrae (1992b).

Empirische Studie

156

Der Kaiser-Meyer-Olkin-Test wird im SPSS gemeinsam mit der Komponentenanalyse angeführt und gibt an, ob die Variablenauswahl für die Faktorenanalyse geeignet ist. Mit einem Wert von 0,868 ist die Auswahl als gut einzustufen (sehr gut > 0,9).721 Der Bartlett-Test ist hoch signifikant, wodurch die Null-Hypothese, dass alle Korrelationen gleich Null sind, verworfen werden müsste. Dieser Test ist jedoch zu relativieren, da die Nullhypothese umso leichter verworfen wird, je größer die Stichprobe ist.

n9 n11 n10 n2 n8 n6 n5 n3 n4 n12 ex8 ex3 ex4 ex2 ex9 ex1 ex11

Component 1 2 ,747 ,737 ,715 ,698 ,658 ,652 ,649 ,615 ,600 ,596 ,777 ,775 ,750 ,629 ,563 ,497 ,455

Tabelle 17: Rotierte Faktorenlösung der Persönlichkeitsvariablen

Aus der rotierten Komponentenlösung ist ersichtlich, dass alle Indikatoren auf dem ihnen zugewiesenen Faktor richtig laden. Allerdings wurden 7 Variablen ausgeschlossen und fließen in die weiteren Analysen nicht mehr mit ein, da sie zu geringe Ladungen auf beiden Faktoren aufweisen. Die Höhe der Ladung gibt die Korrelation des Indikators mit dem ihm zugeordneten Faktor an. Laut Fürntratt722 sollte die Ladung eines Indikators mindestens 0,5 auf einem Faktor betragen. Inhaltlich entspricht der erste Faktor der Dimension Neurotizismus (n-Items), der zweite Faktor spiegelt die Dimension Extraversion (ex-Items) wider. Gemeinsam erklären diese beiden Faktoren 47,1 % der im Datensatz enthaltenen Varianz. Das Crombach’sche Alpha beträgt für die Neurotizismusskala Į = 0,872 und für die Extraversionsskala Į = 0,782. Damit weisen beide Skalen genügende Reliabilitätswerte auf, die nach Nunnally723 mindestens 0,7 erreichen sollten. Dasselbe Prozedere wurde für jene Variablen angewendet, die die E721 722 723

Vgl. Bühner (2004), S. 170. Vgl. Fürntratt (1969). Vgl. Nunnally (1978).

Statistische Analysen

157

motionen abbilden. Anders als bei den Persönlichkeitseigenschaften wurde die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren nicht festgelegt. Die rotierte Faktorenlösung deutet klar darauf hin, dass eine Aufsplittung der Emotionen in unterschiedliche Facetten möglich und sinnvoll ist. Kaiser-Meyer-Olkin Measure of Sampling Adequacy. Bartlett's Test of Sphericity

Approx. Chi-Square df Sig.

,850 1636,346 153 ,000

Tabelle 18: KMO-Test der EFA für die Emotionsvariablen

Der KMO-Test weist wiederum auf ein gutes Eignungsmaß der Variablen für eine Faktorenanalyse hin.

Na10aengstlich Na4erschrocken Na8nervoes Na9durcheinander Na3schuldig Pa9aufmerksam Pa8entschlossen Pa6wach Pa10aktiv Pa7angeregt Pa2freudig Pa5stolz Pa1interessiert Pa4begeistert Na5feindselig Na6gereizt Na7beschaemt Na2veraergert

1 ,812 ,784 ,747 ,595 ,577

Component 2 3

4

,774 ,742 ,701 ,679 ,579 ,759 ,701 ,691 ,688 ,795 ,719 ,668 ,541

Tabelle 19: Rotierte Faktorenlösung der Emotionsvariablen

Tabelle 19 zeigt das Ergebnis der rotierten Komponentenanalyse der 18 eingefügten Variablen.724 Die Basisdimensionen positiver und negativer Affekt, wie sie im PANAS vorgesehen sind, lassen sich je Dimension in zwei konkretere Emotionen aufgliedern:

724

Die Items „stark“ und „bekümmert“ wurden aufgrund von exzessiven Mehrfachladungen von der Analyse ausgeschlossen.

Empirische Studie

158

für die negative Emotionsdimension lassen sich die Emotionen „Angst“725 (Faktor 1) und „Ärger“726 (Faktor 4) identifizieren. Faktor 2 kann als „Aktiviertheit“727 interpretiert werden und Faktor 3 entspricht inhaltlich der Emotion „Freude“ wie sie Egloff et al. in ihrer Studie unterschieden.728 Die Rotationslösung zeigt damit eine schöne vier-faktorielle Struktur der PANAS-Emotionsvariablen. Die einzelnen Faktoren sind inhaltlich gut interpretierbar, zeigen jedoch auch geringfügige Abweichungen von Faktoren, wie sie in anderen vorher erwähnten Studien identifiziert wurden (siehe die Anmerkungen in den Fußnoten dazu). Die Skalenreliabilitäten der vier Faktoren sind als ausreichend einzustufen: das Crombach’sche Alpha beträgt für den ersten Faktor 0,791, für den zweiten Faktor 0,816, für den dritten Faktor 0,783 und schließlich für den vierten Faktor 0,745. Insgesamt erklären die vier Faktoren 59,9 % der Varianz.

9.2.2 Strukturgleichungsmodelle 9.2.2.1 Einführung in die Strukturmodellierung Das Hypothesenmodell der vorliegenden Arbeit weist konfirmatorischen Charakter auf, d. h. eine Reihe von a priori postulierten Beziehungen zwischen Variablen soll anhand eines Datensatzes auf seine Tauglichkeit hin überprüft werden. Um diese Beziehungen als Gesamtmodell zu testen, werden die Daten in einem zweiten Schritt mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen und dem entsprechenden Computerprogramm AMOS 5.0 analysiert. Ein Grundproblem in der Marketingforschung besteht darin, dass häufig mit sehr komplexen Konstrukten gearbeitet wird, die nicht direkt messbar sind. Bagozzi und Fornell verstehen unter einem theoretischen Konstrukt „[…] an abstract entity which represents the ,true’, non observable state or nature of a phenomen.“729 Im vorliegenden Fall beinhaltet das Hypothesenmodell fünf theoretische Konstrukte, die nicht direkt messbar sind, nämlich Neurotizismus, Extraversion, Freude, Angst und Kundenzufriedenheit. Weil diese Konstrukte nicht direkt beobachtbar sind, werden sie auch als latente Variablen bezeichnet.730 Um solche Konstrukte adäquat abzubilden, bedarf es manifester Variablen, die direkt messbar sind und geeignet erscheinen, die latente Variable zu repräsentieren; sie werden auch als Indikatoren bezeichnet. Der Einsatz von Struktur725

726

727

728

729 730

Dies entspricht mit Ausnahme der Variable „schuldig“ dem „Angst“-Faktor in Bagozzis Studie, vgl. Bagozzi (1993), S. 849. Interpretation des Faktors in Anlehnung an Oliver (1993), der Ärger als eine gegen andere gerichtete Emotion einstuft, S. 421. Eigeninterpretation der Autorin. Dieser Faktor entspricht somit nicht der Facette „Aktivierung“ nach Egloff et al. Egloff, et al. (2003), S. 534, wobei die Variable „interessiert“ in der Studie auf einem eigenen Faktor Interesse lädt. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24 in Fornell (1982). Vgl. Kline (1998), S. 7, wobei auch Faktoren höherer Ordnung oder Methodeneffekte als latente Variablen in Strukturgleichungsmodellen integriert werden können.

Statistische Analysen

159

gleichungsmodellen erlaubt es, Beziehungen zwischen latenten Variablen in einem Gesamtmodell zu analysieren, was bei herkömmlichen statistischen Methoden nicht möglich ist. Strukturgleichungsmodelle vereinen dabei einerseits die Technik der Faktorenanalyse, welche in der psychologischen Tradition entwickelt wurde und zur Identifikation von Faktoren führt, die hinter mehreren Variablen liegen, und der Pfadanalyse andererseits, welche vorwiegend ökonometrische Ursprünge aufweist und Beziehungen zwischen Variablen durch Regressionen erklärt.731 Die heute in den Sozialwissenschaften verwendete Analysemethode der Strukturgleichungsmodelle geht auf Arbeiten von Jöreskog732 zurück und erlaubt die simultane Analyse zwischen latenten Variablen, die durch strukturelle Gleichungen verbunden sind. Gegenüber der älteren Generation der multivariaten Methoden zeichnen sich Strukturgleichungsmodelle dadurch in mehrfacher Hinsicht aus: Im Gegensatz zur traditionellen Regressionsanalyse können durch Strukturgleichungsmodelle sämtliche Gleichungen gleichzeitig betrachtet werden. Eine latente Variable kann daher in einem Modell gleichzeitig als Prädiktor (Regressor) und als Kriterium (Regressant) fungieren, wobei direkte und indirekte Effekte kalkuliert werden können.733 Im vorliegenden Hypothesenmodell nehmen beispielsweise Freude und Angst eine derartige duale Rolle ein, indem sie einerseits Kriterium der Persönlichkeitsfaktoren Neurotizismus und Extraversion darstellen, andererseits aber auch als Prädiktoren für die Kundenzufriedenheit dienen. Des weiteren ist Strukturgleichungsmodellen ein konfirmatorischer Charakter immanent, d. h. sie ermöglichen es, Hypothesen zu testen und zu falsifizieren. Im Gegensatz dazu weisen multivariate Techniken hauptsächlich explorativen Charakter auf, sodass das Testen von Hypothesen schwer oder unmöglich ist.734 Ein weiterer essentieller Fortschritt, der durch Strukturgleichungsmodelle erzielt wurde, besteht in der expliziten Berücksichtigung von Messfehlern der beobachteten Parameter. Eine derartige Restvarianz von Variablen kann aus zufälligen Fehlern (d. h. mangelnde Reliabilität) oder systematischen Fehlern (z. B. Messfehler aufgrund einer bestimmten Messmethode) resultieren und wird in herkömmlichen Analysemethoden nicht berücksichtigt.735 Speziell wenn diese Messfehler groß sind, kann ihre Nicht-Berücksichtigung zu starken Verzerrungen der Ergebnisse führen. Abbildung 29 zeigt den idealtypischen Prozess der Strukturmodellierung nach Kaplan736. Demnach ist die Modellspezifikation ein rekursiver Prozess, bei dem das Modell vorab der Theorie und bereits bestehenden Kenntnissen entsprechend spezifiziert 731 732 733 734 735 736

Vgl. Kaplan (2000), S. 1. Vgl. Jöreskog (1973) in Goldberger/Duncan (1973). Vgl. Nachtigall, et al. (2003), S. 4. Vgl. Byrne (2001), S. 3. Vgl. Kline (1998), S. 58. Vgl. Kaplan (2000).

Empirische Studie

160

und modifiziert wird. Die weiteren Ausführungen der vorliegenden Arbeit folgen diesem Schema, wobei zu jedem Schritt zuerst theoretische Grundlagen erläutert und diese anschließend auf den vorliegenden Datensatz übertragen werden.

Abbildung 29: Idealtypischer Prozess der Strukturmodellierung737

9.2.2.2 Spezifikation des Strukturgleichungsmodells Der erste Schritt zur Datenanalyse mit Strukturgleichungsmodellen besteht darin, ein Modell vorab zu spezifizieren. Es reflektiert die Annahmen und Hypothesen, die der Forscher vorab aufgrund theoretischer Überlegungen oder bereits vorliegender Forschungsergebnisse getroffen hat, d. h. es werden a priori Beziehungen (und NichtBeziehungen) zwischen den latenten Variablen festgelegt.738 Das Gesamtmodell be737 738

Quelle: Kaplan (2000), S. 8. Vgl. Bollen/Long (1993a), S. 2 in Bollen/Long (1993b).

Statistische Analysen

161

steht dabei aus einem oder mehreren Messmodellen und einem Strukturmodell. Das Messmodell ist jene Komponente des Gesamtmodells, in welchem die latenten Variablen durch die Kovarianzen ihrer Indikatoren beschrieben werden. Da in dem Messmodell die Indikatoren der latenten Variable vorab identifiziert werden, handelt es sich in diesem Teil des Modells um eine konfirmatorische Faktorenanalyse.739 Anders als bei der exploratorischen Faktorenanalyse wird der Faktor, auf dem ein Indikator laden soll, hier vorher festgelegt. Das Strukturmodell dagegen ist jene Komponente eines Strukturgleichungsmodells, das die Beziehungen zwischen den latenten Variablen beschreibt.

Abbildung 30: Darstellung von Mess- und Strukturmodellen740

739 740

Vgl. Hoyle (1995a), S. 3 in Hoyle (1995b). Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bühner (2004), S. 211 sowie Skrondal/Rabe-Hesketh (2004), S. 8 u. 77.

162

Empirische Studie

Abbildung 30 zeigt ein Strukturgleichungsmodell mit zwei Messmodellen und einem Strukturmodell. Die Messmodelle auf der linken und rechten Seite bilden den Zusammenhang zwischen den gemessenen Variablen und ihren dahinter liegenden Konstrukten ab. Die latenten Variablen werden durch die Indikatoren X1 bis X3 und Y1 bis Y3 gemessen. Die Pfeilrichtung von der latenten Variable zum manifesten Indikator spiegelt die Annahme wieder, dass das theoretische Konstrukt der latenten Variable durch die Indikatoren reflektiert wird, d. h. sich in diesen beobachtbaren Variablen äußert.741 Die am Ende jedes Indikators angebrachten Kreise į1 bis į3 sowie İ1 İ3 bezeichnen die entsprechenden Messfehler, wodurch die Restvarianz der beobachteten Variablen abgebildet ist, die nicht durch die latente Variable erklärt wird. Das Strukturmodell in Abbildung 30 verbindet die beiden latenten Variablen ȟ1 und Ș1 durch einen Regressionspfad, wobei postuliert wird, das die Variable Ș1 von ȟ1 beeinflusst wird. Variablen, die durch eine andere Variable des Modells direkt beeinflusst werden, bezeichnet man als endogene Variablen. Als exogene Größen werden dagegen solche Variablen bezeichnet, die keinem direkten Einfluss einer anderen Variable des Systems unterliegen.742 Bei dem Fehlerterm, der an der latenten endogenen Variable Ș1 angebracht ist (bezeichnet mit ȗ 1), handelt es sich um deren Restvarianz, welche nicht durch den linearen Einfluss der Variable ȟ1 erklärt werden kann. Diese Residuen beinhalten damit den Fehler in der Vorhersage einer endogenen Variable durch eine exogene Variable. Das Hypothesenmodell, welches im Rahmen dieser Arbeit entwickelt wurde und getestet werden soll, wurde bereits in Kapitel 8 präsentiert. Abbildung 31 zeigt, wie die Modellspezifikation zur Testung der Hypothesen konkret aussieht, bevor die Datenanalyse anhand des Programms Amos 5.0 vorgenommen wird. Wie daraus ersichtlich ist, werden die latenten Variablen Extraversion und Neurotizismus nicht gänzlich dem theoretischen Konstrukt entsprechend durch die je 12 vorgesehenen Indikatoren des NEO-FFI gemessen, sondern durch jene verbleibenden Variablen, welche in der exploratorischen Faktorenanalyse eine ausreichende Faktorladung aufwiesen.

741

742

Das vorliegende Modell weist daher reflektiven Charakter auf. Im Gegensatz dazu werden in den Sozialwissenschaften auch formative Konstrukte modelliert, wobei die beobachteten Variablen das theoretische Konstrukt nicht reflektieren sondern dieses formieren. Die Pfeilrichtung in solchen Modellen weist daher von den Indikatoren zu den latenten Variablen. Vgl. MacCallum (1995), S. 17.

Statistische Analysen

e7 e6 e5 e4 e3 e2 e1

1 1 1 1 1 1 1

163

e18 1

e19 1

e20 1

stolz

begeistert

ex1 freudig

ex2

1

ex3 ex4 ex8

Freude

Extraversion 1 1

e21

ex9 ex11

e29 1 1

e14 e13 e12 e11 e10 e9 e8 e15 e16 e17

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Zufriedenheit

n2

gesamt persönl

1 1

e27 e28

n3 n4

e25 1

n5 n6 n8

Neurotizismus

Angst

1 1

n9 n10 n11 n12

nervös 1

durcheinander 1

ängstlich 1

erschrocken 1

e24

e23

e22

e26

Abbildung 31: Spezifiziertes Eingabemodell in AMOS 5.0

Hoyle und Panter heben hervor, dass bei der Modellspezifikation jede postulierte Beziehung zwischen latenten Variablen theoretisch begründbar sein sollte. Desgleichen sind aber auch alle Nicht-Beziehungen zu erklären: „Each diagram should be accompanied by written explanation and justification in text for each proposed relation or path, as well as each lack of relation or path.”743 Die Nicht-Beziehungen im vorliegenden Spezifikationsmodell bestehen a) in den respektiven Pfaden von Neurotizismus zu Freude und Extraversion zu Angst, b) der Beziehung zwischen Angst und Freude, sowie c) den direkten Einflüssen der Persönlichkeitsvariablen auf die Kundenzufriedenheit. Zu a): wie in Kapitel 7.1 ausführlich dargelegt, wurde in bisherigen Studien ein enger Zusammenhang zwischen Neurotizismus und negativen Emotionen einerseits und Extraversion und positiven Emotionen andererseits festgestellt.744 Höhere Extraversionswerte führen zu vermehrten positiven, nicht aber zu weniger negativen, Emotionen. Umgekehrt gehen hohe Neurotizismuswerte verstärkt mit negativen Emotionen einher, niedrige Neurotizismuswerte dagegen nicht mit höheren positiven Emotionen. „Intro743 744

Hoyle/Panter (1995), S. 159. Vgl. Costa/McCrae (1980), Watson/Clark (1984), McCrae/Costa (1991).

Empirische Studie

164

verts and extraverts were found to differ significantly from each other in their affective reactivity to the positive- but not the negative-mood induction. Neurotic and stable individuals differed from each other significantly only in their affective reactivity to the negative- but not the positive-mood induction.”745 Aufbauend auf diesen Erkenntnissen erscheint es plausibel, dass auch auf der nächstkonkreteren Emotionsebene lediglich der Einfluss des entsprechenden Persönlichkeitsfaktors der Basisdimension durchschlägt und deshalb kein Pfad von Neurotizismus zu Freude und Extraversion zu Angst postuliert wird. Zu b): Positive und negative Emotionen werden als Faktoren höherer Ordnung in der Emotionsstruktur angesehen.746 Sie bilden dabei zwei, von einander unabhängige Basisdimensionen, unter welche sich weitere konkrete Emotionen subsumieren lassen.747 Deshalb wird auch im vorliegenden Modell angenommen, dass die Emotionskategorien Angst und Freude unabhängig sind, d. h. Angst und Freude unabhängig von einander empfunden werden können. Dadurch lässt sich das Weglassen einer Korrelation zwischen diesen beiden latenten Variablen rechtfertigen. Zu c): Wie bereits in der Beschreibung des Hypothesenmodells ausgeführt wurde, konnten vergangene Studien keine konsistenten Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses von Persönlichkeit auf die Kundenzufriedenheit liefern.748 Da auch in einer ähnlichen Studie von Mooradian und Olver749 kein direkter Einfluss von Persönlichkeitsvariablen auf die Kundenzufriedenheit nachgewiesen werden konnte, werden diese Beziehung auch im vorliegend spezifizierten Modell nicht postuliert.

9.2.2.3 Stichprobe und Datenerhebung Der dritte Schritt im Ablauf nach Kaplan (Abbildung 29), die Stichprobendefinition und die Datenerhebung, wurden bereits im vorangegangenen Kapitel 9.1.2 beschrieben, weshalb an dieser Stelle auf eine wiederholte Beschreibung derselben verzichtet wird. Bevor jedoch der vierte Schritt, die Schätzung der Parameter (estimation), in Angriff genommen wird, ist eine sorgfältige Aufbereitung der Daten und die Überprüfung dieser auf Eignung für die Analyse mit Strukturgleichungsmodellen notwendig. a) Fehlende Werte Die Analyse von Kovarianzstrukturen erfordert vollständige Matrizen. Durch das Vorhandensein von fehlenden Werten können die entsprechenden Parameter nicht ge745 746 747 748 749

Larsen/Ketelaar (1991), S. 138. Vgl. Watson/Tellegen (1985). Vgl. Laros/Steenkamp (2004). Vgl. Kassarjian/Sheffet (1991). Vgl. Mooradian/Olver (1997).

Statistische Analysen

165

schätzt werden, weshalb der erste Schritt in der Aufbereitung der Daten für die Analyse darin besteht, den Datensatz von diesen zu bereinigen.750 Fehlende Werte sind ein unausweichlicher Begleiter bei der Erhebung von Daten für sozialwissenschaftliche Fragestellungen und können aus verschiedensten Gründen zustande kommen. Für die weitere Verwendung der Daten ist jedoch die Annahme entscheidend, dass die fehlenden Werte eine zufällige und nicht eine systematische Ursache haben. Little und Rubin751 unterscheiden dabei zwischen zwei Arten von fehlenden Werten: Missing completely at random (MCAR) sind komplett unabhängig, sowohl von den beobachteten als auch von den nicht beobachteten Werten der anderen im Datensatz enthaltenen Variablen, zustande gekommen; Missing at random (MAR) sind solche fehlenden Werte, deren Fehlen unabhängig von fehlenden Werten anderer im Datensatz enthaltenen Variablen ist, nicht aber unabhängig von den beobachteten Werten im Datensatz. Die Verfahren, welche der Forscherin zur Ersetzung fehlender Werte zur Verfügung stehen, beziehen sich dabei explizit auf diese beiden Arten fehlender Werte, also solche, die nicht systematisch zustande gekommen sind. Liegt eine systematische Ursache für fehlende Werte zugrunde, ist die Generalisierbarkeit der Analyseergebnisse schwer beeinträchtigt und ein Ersetzen der fehlenden Werte nicht möglich.752 Für den Umgang mit fehlenden Werten gibt es keine einheitlichen Empfehlungen, Kline753 gibt jedoch als Grenze für das Ersetzen von fehlenden Werten 10 % an, wodurch ein Bias der Ergebnisse ausgeschlossen werden könne. Grundsätzlich bestehen mehrere Möglichkeiten, mit fehlenden Werten umzugehen: einerseits können jene Fälle mit fehlenden Werten systematisch von der Analyse ausgeschlossen werden durch fallweisen Ausschluss (listwise deletion) oder paarweisen Ausschluss (pairwise deletion), was allerdings den großen Nachteil einer erheblichen Verringerung des Datensatzes zur Folge hat. Andererseits können fehlende Werte auch durch den über die beobachteten Werte ermittelten Durchschnitt ersetzt werden, was statistisch leicht durchführbar, aber mit einer Verringerung der Varianz verbunden ist.754 Neuere statistische Verfahren dagegen umgehen diese Nachteile und beruhen auf einer datenbasierten Ersetzung der fehlenden Werte durch multiple Imputation. Dabei werden die fehlenden Werte durch erwartete Werte ersetzt, welche durch die Schätzung der beobachteten Parameter kalkuliert werden.755 Eine entsprechende Software für diese moderne Technik der Datenersetzung ist das von Schafer entwickelte Programm NORM, das online frei verfügbar ist und auch zur Datenimputation der fehlenden

750 751 752 753 754 755

Vgl. Skrondal/Rabe-Hesketh (2004), S. 14. Vgl. Little/Rubin (2002). Vgl. Byrne (2001), S. 288. Vgl. Kline (1998), S. 75. Vgl. Reinecke (2005), S. 287–288. Dieser Prozess ist zweistufig und wird im Expectation-Maximization-Algorithmus durchgeführt; Vgl. Darmawan (2002), S. 55.

Empirische Studie

166

Werte im vorliegenden Datensatz angewendet wurde.756 Der entscheidende Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass kein Varianzverlust durch die ersetzten Werte auftritt und die Fallzahl trotzdem nicht verringert werden muss. Insbesondere letzterer Faktor ist bei der Analyse von Strukturgleichungsmodellen ein entscheidendes Argument, da für deren Anwendung eine Stichprobengröße von mindestens 100 Fällen vorliegen muss. Eine Fallzahl zwischen 100 und 200 wird als mittelgroß angesehen, während Datensätze mit über 200 Fällen als groß bezeichnet werden können.757 Der dieser Arbeit zugrunde liegende Datensatz umfasst 234 Fälle, wobei die zu ersetzenden fehlenden Werte bei allen Variablen unter der oben beschriebenen, für multiple Datenimputation jedoch als sehr konservativ auszulegenden, 10%-Grenze liegen. b) Multikollinearität Von Kollinearität wird gesprochen, wenn zwei oder mehrere Items sehr hoch miteinander korrelieren und deren Koeffizient Werte von über ,85 erreicht.758 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn zwei unterschiedliche Variablen eigentlich das gleiche messen. Bei der Schätzung von Strukturgleichungsmodellen kann Kollinearität dazu führen, dass ein Modell nicht identifiziert werden kann, weil einige mathematische Operationen nicht durchführbar sind oder Werte nahe Null erreichen. Der vorliegende Datensatz wurde auf bivariate Kollinearität getestet, wobei kein Variablenpaar die Koeffizientengrenze von r = 0,85 überschritt. Auf mulitvariate Kollinearität wurden die Daten nicht überprüft, da ein entsprechendes statistisches Testprogramm nicht zur Verfügung steht. c) Ausreißer Eine weitere Prämisse für die Anwendung von Strukturgleichungsmodellen ist die Linearität, d. h. es wird angenommen, dass zwischen betrachteten Variablen lineare Zusammenhänge bestehen. Ein Faktor, wodurch diese Annahme verletzt werden kann, wird durch das Vorliegen von Ausreißerwerten bestimmt, die einen linearen Zusammenhang erhöhen oder vermindern können.759 Alle in die Analyse aufgenommen Variablen wurden auf univariate Ausreißer untersucht, wobei nur eine Variable („NA9Durch“) 4 Ausreißerwerte aufwies. Da die Behandlung von Ausreißern unterschiedlich gehandhabt werden kann, wird im vorliegenden Fall der Empfehlung von Kline gefolgt,760 wonach der Ausschluss von solchen Fällen nur dann sinnvoll ist, wenn nachvollzogen werden kann, wie der Ausreißer zustande kam. Da dies nicht zutrifft, werden die weiteren Analysen ohne Rücksicht darauf durchgeführt.

756 757 758 759 760

Vgl. Schafer (1999): NORM steht zum freien Download zur Verfügung unter http://www.stat.psu.edu/~jls. Vgl. Kline (1998), S. 12. Vgl. Bühner (2004), S. 208. Vgl. Bühner (2004), S. 156. Vgl. Kline (1998), S. 80.

Statistische Analysen

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e) Multivariate Normalverteilung Eine weitere Voraussetzung für die Durchführung von Strukturgleichungsmodellen ist neben der Linearität auch die Annahme der multivariaten Normalverteilung für die Schätzungsmodi Maximum-Liklihood (ML) und Generalized Least Squares (GLS). In den Sozialwissenschaften hat sich hier eine eher schlechte Praxis eingebürgert, da die wenigsten Forscher in ihren Publikationen explizit auf das Erfüllen bzw. die Verletzung der Normalverteilungsannahme eingehen.761 Bei groben Verletzungen der Normalverteilung berichten West, Finch und Curran762 von vier möglicherweise auftretenden Problemen: a) der Ȥ²-Test weist zu hohe Werte auf, was dazu führt, dass zu viele passende Modelle abgelehnt werden und Forscher deshalb motiviert sein könnten, zu viele Modifikationen am Modell durchzuführen. b) Speziell bei kleinen Stichprobengrößen stellte sich in Simulationsstudien heraus, dass eine zunehmende Anzahl an Analysen nicht konvergiert und zu unrichtigen Lösungen führt.763 c) Bei der Evaluierung der Fit-Indices führen grobe Verletzungen der Normalverteilung zu einer leichten Unterschätzung bei Comparative Fit Index (CFI) und Tucker-Lewis-Index (TLI), hingegen zu starker Unterbewertung des Normed Fit Index (NFI), speziell wiederum bei kleineren Stichprobengrößen764 d) Schließlich können nicht normal verteilte Daten zu einer Unterschätzung der Standardfehler führen, wodurch Beziehungen und Pfade als signifikant erscheinen, die in der Population gar nicht vorhanden sind. Ob die Daten normal verteilt sind, kann zunächst auf univariater Basis festgestellt werden, indem das Histogramm jeder einzelnen Variable betrachtet wird. Des weiteren stehen im SPSS auch Tests wie der Shapiro-Wilks-Test zur Verfügung, mit welchen dies überprüft werden kann. Graphisch kann auch mit Hilfe des Normalverteilungsdiagramms (Q-Q-Diagramm) entschieden werden, ob die gegebene Verteilung als ausreichend normal angesehen werden kann.765 Das Programm AMOS 5.0 bietet die Ausgabe der Werte von Schiefe und Exzess für jede einzelne Variable und auch multivariat an. West et al.766 geben in ihrem Artikel an, dass Werte für die Schiefe (skewness) >2 und für Exzess (kurtosis) >7 als grobe Verletzungen gegen die Normalverteilungsannahme angesehen werden müssen. Tabelle 20 zeigt nachstehend die Ausgabe der Schiefe- und Exesswerte für die im Endmodell verwendeten Variablen.

761 762 763 764 765 766

Vgl. Byrne (2001), S. 267. Vgl. hierzu und im Folgenden West, et al. (1995), S. 62–63. Vgl. Anderson/Gerbing (1984). Vgl. dazu auch Marsh/Balla (1988). Vgl. dazu Bühl/Zöfel (2002), S. 222f. Vgl. West, et al. (1995), S. 68 u. 74.

Empirische Studie

168

Variable PERSZUFR GESAMTZU NA4ERSCH NA8NERVO NA9DURCH NA10AENG PA5STOLZ PA4BEGEI PA2FREUD N4 N5 N6 N8 N9 N11 EX2 EX3 EX4 EX8 Multivariate

min 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 ,000 ,000 ,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000

max 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000 5,000

skew 1,097 1,807 1,721 1,213 2,341 1,741 -,926 -1,373 -,781 1,023 ,793 1,418 ,492 ,942 1,045 -,579 -,180 -,578 -,534

c.r. 6,849 11,284 10,746 7,576 14,621 10,870 -5,783 -8,571 -4,877 6,387 4,953 8,858 3,074 5,882 6,523 -3,618 -1,125 -3,607 -3,332

kurtosis 1,058 3,459 2,747 ,977 5,242 3,087 -,003 1,587 -,030 ,437 ,046 1,681 -,439 ,299 ,135 -,249 -,087 -,142 ,002 101,590

c.r. 3,303 10,802 8,578 3,050 16,370 9,639 -,009 4,956 -,093 1,365 ,144 5,250 -1,370 ,932 ,422 -,778 -,273 -,445 ,006 27,506

Tabelle 20: AMOS-Ausgabe: Überprüfung auf Normalverteilung

Die in der letzten Zeile angegebenen Werte für die mulitvariate Normalverteilung weisen darauf hin, dass die Daten dieser Voraussetzung nicht entsprechen. Bei Betrachtung der einzelnen Variablen hingegen wird deutlich, dass alle Variablen innerhalb der von West, Finch und Curran postulierten Grenzen für Schiefe (skewness) und Exzess (kurtosis) liegen. Lediglich die Variable NA9durch weist mit 2,34 einen etwas zu hohen Wert bei der Schiefe (skewness) auf, wobei Kline auch darauf verweist, dass erst Werte ab >3 als extrem schief bezeichnet werden können.767 Deshalb werden die Daten als ausreichend normal verteilt beurteilt. Aufgrund der Verletzung der Verteilungsannahme auf multivariater Ebene ist jedoch mit einem erhöhten Ȥ²-Wert zu rechnen. 9.2.2.4 Modellschätzung Der vierte Schritt im idealtypischen Prozess der Strukturmodellierung nach Kaplan besteht nun darin, das spezifizierte Modell zu schätzen. Dabei wird in einem iterativen Prozess versucht, Werte für die unbekannten (freien) Parameter im Modell einzusetzen. Bekannt sind aus dem Datensatz die Werte der beobachteten Variablen, aus denen 767

Vgl. Kline (1998), S. 82; Kline nennt auch für die Kurtosis (Exzess) höhere tolerierbare Grenzen zwischen 8 und 20.

Statistische Analysen

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sich die Varianzen und Kovarianzen errechnen lassen.768 Ziel des Schätzungsprozesses ist es, die Diskrepanz zwischen der Kovarianzmatrix des Modells und der Kovarianzmatrix der beobachteten Population zu minimieren. Der iterative Prozess beginnt mit dem Einsetzen von vorläufigen Startwerten für die freien Parameter, wobei diese Startwerte von einem Computerprogramm generiert, oder auch selbst vorgegeben werden können.769 Mit Hilfe der beobachteten Korrelations- oder Kovarianzmatrix wird für die Startwerte eine neue Matrix (implizierte Matrix) berechnet, die in jeder weiteren Berechnungsrunde mit der vorhergehenden implizierten Matrix verglichen wird. Der iterative Prozess wird dann gestoppt, wenn entweder eine gewisse Anzahl an Iterationen durchgeführt wurde oder die Residualmatrix nicht weiter minimiert werden kann, d. h. eine Verringerung der Diskrepanz zwischen der beobachteten und der implizierten Matrix nicht mehr möglich ist und die Schätzung damit konvergiert hat.770 Zur Parameterschätzung stehen mehrere Methoden zur Verfügung, wobei die bekanntesten die Maximum-Likelihood-Methode (ML) und Generalized Least Squares (GLS) sind, welche die Abweichungen zwischen beobachteter und durch das Modell festgelegter Korrelations- oder Kovarianzmatrix minimieren. Die ADF-Methode basiert nach West, Finch und Curran auf einer speziellen Varianz-, Kovarianzmatrix und einer GLS-Schätzung.771 Die bei weitem am häufigsten angewendete Schätzungsmethode ist jedoch die Maximum-Likelihood-Methode. Durch Strukturgleichungsmodelle wird die Nullhypothese Ȉ = Ȉ(ș) getestet, wobei Ȉ die Kovarianzmatrix der empirisch beobachteten Variablen ist und Ȉ(ș) die implizierte Kovarianzmatrix des Modells ist; ș stellt einen Vektor der freien zu schätzenden Parameter des Modells dar.772 Die Maximum-Likelihood-Methode führt dabei zur Schätzung solcher Parameter ș, welche die Wahrscheinlichkeit maximieren, dass die empirische Kovarianzmatrix von einer Population stammt, für welche die durch das Modell implizierte Kovarianzmatrix gültig ist.773 Wenn die Stichprobengröße ausreichend groß ist, besteht ein bedeutender Vorteil der ML-Methode in ihrer Sparsamkeit, statistischen Effizienz und konsistenten Resultate. Des Weiteren ist die Schätzung der ML-Methode unabhängig von der Skalierung der Variablen, sodass sowohl Original- als auch transformierte Daten zur Analyse herangezogen werden können.774

768 769 770 771 772 773 774

Vgl. Bühner (2004), S. 20. Vgl. Byrne (2001), S. 78f. Vgl. Chou/Bentler (1995), S. 42. Vgl. West, et al. (1995), S. 64. Vgl. Bollen/Long (1993a), S. 2. Vgl. Schermelleh-Engel, et al. (2003), S. 25. Vgl. Bollen (1989), S. 109.

Empirische Studie

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Allerdings verlangt diese Methode explizit eine multivariate Normalverteilung der beobachteten Variablen. Da dies in der Praxis sehr selten der Fall ist, wurden extensive Studien darüber ausgeführt, welche Auswirkungen eine Verletzung der Normalverteilungsannahme auf die Resultate des Schätzungsmodus der ML-Methode hat.775 Chou und Bentler776 führten dazu zahlreiche Simulationsstudien durch und kommen zu dem Schluss, dass auch bei nicht normalverteilten Daten die Maximum-LikelihoodMethode bevorzugt angewendet werden sollte. Die häufig empfohlene, speziell für nicht normalverteilte Daten entwickelte ADF-Methode hingegen blieb hinter den Erwartungen und liefert laut Untersuchungen anderer Autoren erst ab sehr großen Stichprobengrößen (>1000) robuste Resultate.777 Eine Möglichkeit starke Verletzungen der Normalverteilung zu korrigieren, stellt die Bootstrapping-Methode dar, bei der aus dem Originaldatensatz vielfache Subsamples gezogen werden, die am Ende einer Normalverteilung entsprechen.778 Bollen und Stine779 warnen jedoch vor einer zu leichtfertigen Anwendung des Bootstrapping und möglichen Verfälschungen der FitWerte. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Maximum-Likelihood-Methode als empfohlene Standardmethode angesehen werden kann, solange die von West et al.780 vorgeschlagenen Grenzen für Schiefe und Exzess, sowie die Mindestsamplegrößen eingehalten werden. Hier schlagen West et al. eine Stichprobengröße von mindestens 200 für moderat nicht-normalverteilte Daten vor und n = 500 für stark nichtnormalverteilte Daten. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die notwendige Probandenanzahl mit der Komplexität des Modells erhöht: Kline gibt hier als Richtwert ein Verhältnis von 10:1 zwischen Probandenanzahl und zu schätzenden Parametern an, wobei ab einem Verhältnis von 5:1 die statistische Stabilität in Zweifel gezogen werden muss.781 Für das spezifizierte Modell in der vorliegenden Arbeit wird deshalb den allgemeinen Empfehlungen gefolgt, und standardmäßig die Maximum-LikelihoodMethode als Schätzalgorithmus verwendet.

9.2.2.5 Bewertung des Modell-Fits und Modifikationen Nach konvergierter Schätzung des Modells wird der Fit des Modells und der implizierten Matrix evaluiert. Der Modell-Fit bestimmt den Grad zu welchem das spezifizierte Strukturgleichungsmodell mit den beobachteten Daten übereinstimmt.782 Zur Evaluierung des Modell-Fits wurden zahlreiche Fit-Indices entwickelt, welche in den verschiedenen statistischen Programmen gleichzeitig mit der Schätzung kalkuliert wer775 776 777 778 779 780 781 782

Vgl. Byrne (2001), S. 267ff. Vgl. Chou/Bentler (1995), S. 95, vgl. auch Hu/Bentler (1995), S. 78–80. Vgl. Boomsma/Hoogland in Schermelleh-Engel, et al. (2003), S. 49. Siehe ausführliche Erläuterungen dazu bei Byrne (2001), S. 269ff. Vgl. Bollen/Stine (1993), S. 111–135. Vgl. West, et al. (1995), S. 68. Vgl. Kline (1998), S. 112. Vgl. Schermelleh-Engel, et al. (2003), S. 24.

Statistische Analysen

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den. Da die Evaluierung des Modell-Fits und Modellmodifikationen ein rekursiver Prozess sind, wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das a priori Modell, wie es als Eingabemodell in AMOS spezifiziert wurde (Abbildung 31), einer Modifikation unterzogen wurde. Dabei wurden nicht die a priori postulierten Beziehungen zwischen den latenten Variablen, also das Strukturmodell selbst, modifiziert, sondern die Messmodelle für die Konstrukte Neurotizismus und Extraversion. Diese Vorgangsweise lehnt sich an den von Anderson und Gerbing783 vorgeschlagenen „two-step-approach“ zur Modellspezifikation an. Diesen Empfehlungen folgend, werden in einem ersten Schritt die Messmodelle der latenten Konstrukte optimiert. Erst wenn die konvergente und diskriminante Validität dieser sichergestellt ist, wird in einem zweiten Schritt das Strukturmodell gerechnet.784 Jöreskog führt dazu aus: „The testing of the structural model […] may be meaningless unless it is first established that the measurement model holds. […] Therefore, the measurement model should be tested first.”785 Diesen Empfehlungen entsprechend wurden zuerst die beiden Konstrukte Neurotizismus und Extraversion optimiert. Dabei wurden Indikatoren, die die erforderlichen Mindestladungen auf dem ihnen zugewiesenen Faktor nicht erreichten ausgeschieden.786 Neben der Beurteilung des Gesamtmodells durch verschiedene Fit-Indices, besteht eine wichtige Aufgabe zur Evaluierung eines Modells darin, auch die lokalen Fit-Werte der Parameter zu überprüfen. Marsh und Grayson787 verweisen diesbezüglich auf die Notwendigkeit, dass alle Parameter innerhalb der erlaubten Werte liegen und die Fehlerterme vernünftige Größen nicht überschreiten sollten. Eine weitere Modifikation des Modells anhand der im AMOS ausgegebenen Modification Indices war nicht notwendig. Die Modifikationsindices geben an, um wie viel sich der Chi-Quadrat-Wert verbessert, wenn ein bisher auf Null fixierter Parameter frei gesetzt und die entsprechende Korrelation spezifiziert wird.788 Obwohl ein sukzessives Verbessern des Modells anhand der Modifikationsindices, speziell bei der Modellgenerierung789, weit verbreitet ist, wird hiervon allgemein abgeraten. Das nachträgliche Einsetzen von Korrelationen der Fehlerterme, sollte demnach nur dann vollzogen werden, wenn dafür eine theoretisch plausible Begründung vorliegt.790

783 784 785 786

787 788 789

790

Vgl. Anderson/Gerbing (1988). Vgl. Schumacker/Lomax (2004), S. 209. Vgl. Jöreskog (1993), S. 297. Laut Homburg und Baumgartner sollten die Indikatoren auf den ihnen zugewiesenen Faktoren eine Mindestladung von >0,6 aufweisen, vgl. Homburg/Baumgartner (1995a). Vgl. Marsh/Grayson (1995), S. 192–196. Vgl. Bühner (2004), S. 217. Jöreskog unterscheidet drei mögliche Vorgehensweisen bei der Testung von Strukturgleichungsmodellen: a) strikt konfirmatorisches Vorgehen, wobei ein vorab spezifiziertes Modell daraufhin getestet wird, ob es den empirischen Daten entspricht und dann akzeptiert oder abgelehnt wird; b) Alternative Modelle, wobei vorab mehrere alternative Modelle spezifiziert werden, und das am besten passende Modell ausgewählt wird. c) Modellgenerierung: ein vorab spezifiziertes Versuchsmodell wird getestet und schrittweise modifiziert und verbessert. Vgl. Jöreskog (1993), S. 295. Vgl. MacCallum (1995), S. 32f; Anderson/Gerbing (1988).

Empirische Studie

172

9.2.2.6 Evaluierung des Modell-Fits Zur Beurteilung wie gut ein Modell der Realität entspricht, steht eine Vielzahl an Gütekriterien zur Verfügung. Abbildung 32 veranschaulicht, wie die wichtigsten Gütekriterien in einer Systematik einzuordnen sind. Zunächst wird eine Unterscheidung in globale Gütekriterien, die den Gesamt-Fit des Modells bewerten, und in lokale Gütekriterien, welche einzelne Teile des Modells evaluieren, getroffen. In jeder dieser Klassen, lassen sich weitere Subkategorien an Indices bilden. Zur Beurteilung des globalen Modell-Fits wurden in den letzten zwei Dekaden zahlreiche Fit-Indices entwickelt, welche sich wiederum in zwei große Gruppen einteilen lassen: Stand-Alone-Gütekriterien sind dabei eine Funktion der Diskrepanz zwischen der beobachteten und der implizierten Datenmatrix.791 Inkrementelle Fit-Indices dagegen berechnen die Verbesserung des Modell-Fits, indem das spezifizierte Modell mit einem Basismodell verglichen wird. Meistens besteht das Basismodell aus einem Null-Modell, in welchem alle beobachteten Variablen unkorreliert sind.792 Die Stand-Alone-Gütekriterien gliedern sich wiederum in inferenzstatistische Tests und deskriptive Fit-Indices, die standardisiert sind.

Abbildung 32: Übersicht Modellgütekriterien793 791 792 793

Vgl. McDonald/Ho (2002), S. 72. Vgl. Hu/Bentler (1995), S. 82. Quelle: Homburg/Baumgartner (1995a), S. 165, stark modifiziert.

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Globale Gütekriterien a) Inferenzstatistische Tests Zur Beurteilung, wie gut ein Modell der im Datensatz beobachteten Realität entspricht, kann zunächst die Ȥ²-Statistik herangezogen werden, die in jedem Statistikprogramm für Strukturgleichungsmodelle ausgegeben wird. Mit der Ȥ²-Statistik verbunden wird ein Signifikanztest ausgegeben, welcher die Null-Hypothese Ȉ = Ȉ(ș) testet, also überprüft ob die implizierte Kovarianzmatrix signifikant von der in der Population beobachteten Matrix abweicht.794 Ein hoher Ȥ²-Wert mit vielen Freiheitsgraden deutet dabei darauf hin, dass es signifikante Unterschiede zwischen der empirisch beobachteten und der implizierten Matrix gibt. Für einen guten Modell-Fit sind daher ein niedriger Ȥ²-Wert und ein nicht-signifikanter P-Wert erstrebenswert. Liegt die Wahrscheinlichkeit über dem 5%-Niveau bedeutet dies, dass die Nullhypothese akzeptiert wird und das spezifizierte Modell nicht signifikant von der Realität abweicht.795 Probleme, die mit der Chi-Quadrat-Statistik behaftet sind, wurden jedoch schon früh erkannt:796 Zum einen beruht die Ȥ²-Statistik auf der Annahme der multivariaten Normalverteilung, welche in der Praxis sehr häufig nicht vorliegt und daher zu erhöhter Ablehnungsquote von Modellen führt797 (siehe auch vorhergehenden Abschnitt zur Multivariaten Normalverteilung); zum anderen verringert sich der Ȥ²-Wert, wenn zusätzliche Parameter in das Modell integriert werden, d. h. die Modellkomplexität erhöht wird. Browne und Cudeck798 sprechen hier von einem Trade-off zwischen Modellgüte und Interpretierbarkeit des Modells. Ein weiterer großer Nachteil der Ȥ²-Statistik besteht in der starken Abhängigkeit von der Stichprobengröße: mit zunehmender Fallzahl erhöht sich die statistische Wirkungskraft und bereits triviale Unterschiede zwischen der implizierten und der beobachteten Matrix werden signifikant.799 Jöreskog800 appelliert daher, den Ȥ²-Test eher als Fit-Index, und nicht als Signifikanztest, zu interpretieren. Um diesen Einschränkungen des Ȥ²-Tests beizukommen, besteht eine Möglichkeit darin, das Verhältnis zwischen Ȥ²-Wert und Freiheitsgraden (Ȥ²/df) zu beurteilen. Für einen guten Modell-Fit sollte der Wert dieses Verhältnisses möglichst klein sein, wobei Werte zwischen 2 und 3 als Indikatoren für ein gutes Modell sprechen.801 Allerdings kann diese Verhältniszahl das Problem der Stichprobenabhängigkeit nicht beseitigen. Da der Ȥ²-Test überprüft, ob ein Modell der Realität entspricht oder nicht, kann anhand dieser Statistik ein Modell nur angenommen oder abgelehnt werden. Da ein Modell jedoch praktisch nie die Realität gänzlich abzubilden vermag, stellt sich die Frage der 794 795 796 797 798 799 800 801

Vgl. Schermelleh-Engel, et al. (2003), S. 31f. Vgl. Kline (1998), S. 128. Vgl. Bentler/Bonnet (1980). Vgl. West, et al. (1995). Vgl. Browne/Cudeck (1993), S. 136. Vgl. Hu/Bentler (1995), S. 78. Vgl. Jöreskog (1993), S. 308. Vgl. Bollen (1989), S. 278.

Empirische Studie

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Sinnhaftigkeit eines solchen Tests.802 Viele Autoren empfehlen daher nicht den absoluten, sondern den relativen Fit eines Modells zu bewerten. Der RMSEA803 (Root Mean Square Error of Approximation) gibt an, wie annähernd gut das spezifizierte Modell der Realität entspricht. Wie der Ȥ²-Test handelt es sich beim RMSEA um einen inferenzstatistischen Test. Während der Ȥ²-Test jedoch überprüft, ob ein Modell absolut passt oder nicht und daher nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, gibt der RMSEA an, wie gut sich das Modell der Realität annähert bzw. wie groß der Fehler in der implizierten Matrix im Vergleich zur beobachteten Matrix ist.804 Je kleiner der Wert, desto geringer ist der Fehler, wobei Werte ,1 als inakzeptabel zu interpretieren sind.805 Zusammen mit dem RMSEA wird auch ein Konfidenzintervall mit einem unteren und einem oberen Grenzwert und dem entsprechenden Wahrscheinlichkeitsniveau ausgegeben, wodurch angegeben wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit der wahre RMSEA-Wert innerhalb der ausgewiesenen Unter- und Obergrenzen liegt. b) Deskriptive Fit-Indices Zu den wichtigsten globalen deskriptiven Fit-Kriterien gehören der Goodness-of-FitIndex (GFI) und der Adjusted Goodness-of-Fit-Index (AGFI), welche beide ursprünglich mit dem vom Jöreskog und Sörbom806 entwickelten Strukturgleichungsprogramm LISREL assoziiert wurden, nun aber auch von allen anderen Computerprogrammen standardmäßig berechnet werden. Beide Fit-Indices erreichen Werte zwischen 0 und 1, wobei 1 einen perfekten Fit bedeuten würde. Der GFI kann analog zum R² einer linearen Regression interpretiert werden, indem er angibt wie viel Anteil der beobachteten Varianz durch die im Modell spezifizierte Kovarianz aufgeklärt werden kann.807 Der AGFI unterscheidet sich vom GFI indem er die Anzahl der Freiheitsgrade des spezifizierten Modells mit berücksichtigt. Der AGFI „bestraft“ dadurch weniger sparsame Modelle, welche zusätzliche Parameter inkorporiert haben. Für beide Indices werden Werte >0,9 angestrebt, wodurch ein guter Modell-Fit attestiert wird. Beide Indices sind jedoch relativ stark durch die Stichprobengröße beeinflussbar und tendieren bei größeren Fallzahlen (n > 250) zu höheren Werten, Modelle mit geringeren Fallzahlen werden dagegen zu häufig abgelehnt.808 c) Inkrementelle Fit-Indices Inkrementelle Fit-Indices geben an, welche Verbesserung durch das spezifizierte Modell gegenüber einem Null-Modell erzielt wurde. Einer der ersten Indices dieser Klasse

802 803 804 805 806 807 808

Vgl. Homburg/Baumgartner (1995b), S. 167. Vgl. Steiger (1990). Vgl. Kaplan (2000), S. 111f. Vgl. Browne/Cudeck (1993), S. 144. Vgl. Jöreskog/Sörbom (1996). Vgl. Kline (1998), S. 128. Vgl. Fan, et al. (1999), S. 73.

Statistische Analysen

175

war der Normed Fit Index (NFI) von Bentler und Bonnet809. Allerdings ist der NFI sehr sensitiv gegenüber der Stichprobengröße und weist hohe Fehlerquoten bei Datensätzen mit weniger als 400 Fällen auf.810 Deshalb kann er für sozialwissenschaftliche Studien, die selten über so große Stichproben verfügen, kaum empfohlen werden. Demgegenüber verhält sich der Tucker-Lewis-Index (TLI)811 sehr robust bei allen Stichprobengrößen.812 Als zuverlässiger Fit-Index bei allen Samplegrößen erweist sich auch der Comparative Fit Index (CFI)813, der speziell auch bei kleinen Stichproben geeignet ist.814 Der TLI und der CFI berücksichtigen zudem auch die Freiheitsgrade eines Modells, wodurch sparsame Modelle überparametrisierten Modellen gegenüber besser beurteilt werden. Alle beschriebenen Indices können Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei Werte nahe 1 als erstrebenswert gelten. Für den TLI und den CFI wird als Cut-Off-Kriterium häufig 0,9 vorgeschlagen, strengere Empfehlungen verlangen dagegen Mindestwerte von >0,95.815 Obwohl zur Bestimmung der Modellgüte wie beschrieben eine Reihe von Indices entwickelt wurde, gibt es über die genannten Daumenregeln hinaus keine eindeutigen Kriterien, wodurch sich ein perfektes Modell auszeichnet. Dies liegt vor allem daran, dass kein Fit-Index alle Anforderung erfüllen kann und jeder für sich Schwachstellen hinsichtlich der Stichprobengröße, dem Schätzungsmodus, der Verteilungsform oder der Modellkomplexität aufweist.816 Deshalb sollten stets mehrere Fit-Indices aus verschiedenen Gruppen angegeben werden. Kline817 ruft schließlich noch in Erinnerung, dass selbst Modelle mit perfektem Fit Restriktionen aufweisen können: trotz guter globaler Fit-Werte kann das Modell lokale Schwachstellen beinhalten, und gute FitWerte bedeuten nicht, dass die Resultate auch theoretisch sinnvoll sind (wenn z. B. Pfade mit falschem Vorzeichen signifikant sind). Deshalb müssen in einem nächsten Schritt die lokalen Parameter analysiert und die Pfade im Strukturmodell interpretiert werden.818 Lokale Gütekriterien Zur Evaluierung der einzelnen Konstrukte in einem Gesamtmodell stehen lokale Anpassungsmaße zur Verfügung. Die einzelnen Messmodelle werden dabei anhand von vier entscheidenden Gütekriterien überprüft: die Indikatorreliabilität (IR) gibt an, wel809 810 811 812 813 814 815 816 817 818

Vgl. Bentler/Bonnet (1980). Vgl. Marsh/Balla (1988). Vgl. Tucker/Lewis (1973). Vgl. Gerbing/Anderson (1993), S. 50. Vgl. Bentler (1990). Vgl. Finch/West (1997), S. 453. Vgl. Hu/Bentler (1999), S. 27. Vgl. zum Beispiel Fan, et al. (1999). Vgl. Kline (1998), S. 130. Vgl. Shook, et al. (2004), die in ihrer Meta-Studie 92 Artikel auf Angaben zum Prozess der Strukturmodellierung untersuchten und dabei feststellten, dass nur ein geringer Anteil der Forscher lokale Gütekriterien ihrer Modelle berichtete.

176

Empirische Studie

cher Anteil der Varianz eines Indikators durch den zugrunde liegenden Faktor erklärt wird und entspricht der quadrierten Korrelation zwischen dem Indikator und dem zugeordneten Konstrukt. Häufig wird eine Indikatorreliabilität von mindestens 0,4 gefordert.819 Zwei Gütemaße, welche die latenten Konstrukte selbst betreffen, sind die Faktorreliabilität (FR) und die durchschnittlich erfasste Varianz (DEV) eines Faktors. Sie geben an, wie gut der Faktor durch die Gesamtheit seiner Indikatoren gemessen wird.820 Beide Anpassungsmaße können Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei die Grenzwerte für die Faktorreliabilität häufig mit 0,6 und für die durchschnittlich erfasste Varianz mit 0,5 angegeben werden.821 Zur Beurteilung der diskriminanten Validität von Konstrukten schließlich, kann das Fornell-Larcker-Kriterium herangezogen werden, bei dem die größte Korrelation jedes Faktors mit einem andern quadriert wird und dieser Wert kleiner als 1 sein sollte.822 Zur Beurteilung der Güte des Strukturmodells werden die Höhe der Regressionskoeffizienten sowie die dadurch erklärte Varianz (R²) eines Faktors angegeben. Cohens823 Empfehlungen beinhalten dabei, dass standardisierte Pfadkoeffizienten < 0,10 als kleiner Effekt interpretiert werden können; Werte um 0,30 deuten auf einen mittleren und Werte ab 0,50 auf einen großen Effekt hin. Homburg und Giering824 fordern zudem die Überprüfung sämtlicher Indikatorladungen auf dem zugehörigen Faktor, ob diese auch signifikant laden und einen t-Wert von mindestens 1,645 aufweisen. Dies sollte jedoch eher eine Selbstverständlichkeit denn der Überprüfung notwendig sein. Wenn man zudem den von Anderson und Gerbing geforderten Zwei-Schritte-Ansatz825 in der Strukturmodellierung verfolgt, werden nicht-signifikante Indikatoren von Beginn an ausgeschieden, da hier jedes Messmodell vorab für sich getestet und respezifiziert wird. Tabelle 21 fasst die oben dargestellten Gütekriterien noch einmal auf einen Blick zusammen. Bei der Evaluierung des Modell-Fits für das vorliegende Modell werden diese Gütekriterien angegeben und interpretiert.

819 820 821 822

823 824 825

Vgl. Homburg/Baumgartner (1995a). S. 170. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10. Vgl. Bagozzi/Yi (1988). Vgl. Fornell/Larcker (1981). Dazu werden in der standardisierten Lösung des Strukturmodells in einem ersten Schritt keine Regressionspfade gesetzt, sondern die latenten Konstrukte durch Korrelationen mit einander verbunden, um die höchste Korrelation für die Berechnung des Fornell-Larcker-Kriteriums heranzuziehen. Vgl. Cohen (1988) in Kline (1998), S. 149. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 11. Vgl. Anderson/Gerbing (1988), Anderson/Gerbing (1992).

Statistische Analysen

177

Gütekriterium

Grenzwert

Globale Gütekriterien Ȥ²-Wert Ȥ²/df RMSEA Konfidenzintervall RMSEA AGFI TLI CFI

p > 0,05 0,5 > 0,9 > 0,95 > 0,95

Lokale Gütekriterien Indikatorreliabilität Durchschnittlich erfasste Varianz (DEV) Faktorreliabilität (FR) Fornell-Larcker-Kriterium

> 0,4 > 0,5 > 0,6 0,4 und Faktorladungen >0,6 auf. Dies wirkt sich auch positiv auf die Faktorreliabilität der Konstrukte aus, die bei allen fünf

182

Empirische Studie

latenten Variablen über 0,6 liegt. Auch die durchschnittlich erfasste Varianz der Faktoren ist durchwegs zufriedenstellend, wobei das Konstrukt Neurotizismus mit 0,42 eine etwas geringere durchschnittlich erfasste Varianz aufweist. Hier müsste für zukünftige Studien eine Verbesserung der Skala angestrebt werden. Betrachtet man die Werte für das Fornell-Larcker-Kriterium ist leicht feststellbar, dass alle Konstrukte den Schwellwert von 1 unterschreiten und daher für alle Konstrukte diskriminante Validität angenommen werden kann.830 Strukturmodell Abbildung 34 zeigt die standardisierten Ergebnisse für das Strukturmodell. Die Emotion Freude wirkt sich positiv auf die Kundenzufriedenheit aus, wodurch die Hypothese H1a bestätigt wird. Der Hypothese H1b entsprechend wirkt sich die Emotion Angst negativ auf die Kundenzufriedenheit aus und verringert diese. Die Regressionskoeffizienten weisen mit 0,39 für Freude und -0,21 für Angst einen mittelstarken Effekt auf. Gemeinsam können die Emotionen Freude und Angst im vorliegenden Fall 22 % der Varianz der Kundenzufriedenheit erklären. Vergleicht man diese Werte mit denen aus anderen Kundenzufriedenheitsstudien, so ist festzustellen, dass die Effektstärke der Emotionen als eher hoch eingestuft werden kann, der Anteil erklärter Varianz dagegen eher im unteren Bereich liegt. Dies könnte daran liegen, dass die meisten in Kapitel 5 untersuchten Studien Emotion in Form der Basisdimensionen positiver und negativer Emotionen in das jeweilige Modell integrierten, die mit entsprechend vielen Variablen gemessen wurden. Das vorliegende Modell bestätigt erstmals den Einfluss konkreter Emotionen mit Diskriminanzvalidität auf die Kundenzufriedenheit.

830

Die Berechnung des Fornell-Larcker-Kriteriums erfolgt laut Anderson und Gerbing nach Optimierung der Messmodelle, indem alle latenten Faktoren miteinander korreliert werden und die höchste standardisierte Korrelation jedes Faktors quadriert wird. Dabei ist bereits eine erste Beurteilung des globalen Fits möglich. Für das vorliegende Modell unterscheiden sich die globalen Fit-Indices dieses ersten Schrittes nur geringfügig von jenen des Kausalmodelles: CMIN 193,321; DF 142; p=0,003; GFI ,922; AGFI ,896; IFI ,962; TLI ,953; CFI ,961; RMSEA ,039 (LO90 – HI90 ,024 - ,053).

Statistische Analysen

183

Abbildung 34: Ergebnisse Strukturmodell831

Betrachtet man nun die postulierten Beziehungen zwischen den Persönlichkeitsvariablen und den konkreten Emotionen, so kann in erster Linie festgestellt werden, dass sowohl die Hypothese H2a als auch die Hypothese H2b bestätigt wurden: Der Persönlichkeitsfaktor Extraversion übt einen relativ starken Einfluss auf die Emotion Freude aus und erklärt 19 % ihrer Varianz. Die Wirkung des Persönlichkeitsfaktors Neurotizismus auf die Emotion Angst ist mit einer Stärke von 0,61 als sehr hoch einzustufen. Dementsprechend hoch ist auch der Anteil erklärter Varianz der Emotion Angst, wonach 38 % der von den Versuchspersonen berichteten Angstgefühle durch den Persönlichkeitsfaktor Neurotizismus erklärt werden können und damit dispositional in der jeweiligen Person bedingt sind. Durch das vorliegende Modell wurde bestätigt, dass die grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus und Extraversion nicht nur die ebenfalls grundlegenden Emotionsdimensionen positiver und negativer Affekt beeinflussen, sondern dass diese Beziehung auch für die nächstkonkrete Emotionskategorie Gültigkeit besitzt. Personen mit hohen Werten am Extraversionsfaktor erleben demnach häufiger die Emotion Freude, als Menschen mit niedrigen Werten auf dieser Dimension. Umgekehrt verspüren Menschen, die hohe Neurotizismuswerte aufweisen, häufiger die Emotion Angst, als jene mit niedrigen Werten auf dieser Skala. Der erklärte Varianzanteil liegt im Bereich der von Yik und Russel832 berichteten Werte für die Basisdimensionen, wonach Neurotizismus zwischen 27 % und 40 % der Varianz negativer Emotionen aufzuklären vermag und Extraversion für 23 % bis 40 % der Varianz bei positiven Emotionen verantwortlich ist. 831 832

Die Abbildung zeigt die standardisierten Pfadkoeffizienten. Vgl. entsprechenden Abschnitt in dieser Arbeit bzw. Watson/Clark (1992b).

Empirische Studie

184

Nicht unerwähnt sollte die Korrelation zwischen den Persönlichkeitsfaktoren Extraversion und Neurotizismus bleiben. Wie im vorderen Teil der Arbeit eingehend beschrieben, besteht weitestgehender Konsens darüber, dass sich die interindividuellen Verhaltensunterschiede zwischen Menschen durch fünf große, von einander unabhängige, Faktoren erklären lassen. Die Big 5 sollten daher unkorreliert sein. Im vorliegenden Modell sind Extraversion und Neurotizismus jedoch nicht unabhängig von einander, sondern weisen eine Korrelation von -0,44 auf. Es bestätigt sich daher auch im präsenten Fall, dass sich die Faktoren nicht immer orthogonal zu einander verhalten.833 Eine mögliche Erklärung besteht in dem Argument, dass die Skalen zur Erfassung der Persönlichkeitsdimensionen eine gewisse soziale Erwünschtheit aufweisen können.834 So wird Extraversion tendenziell mit Eigenschaften verbunden, die als erwünscht gelten wie beispielsweise gesellig, dynamisch oder aktiv. Währenddessen beinhaltet die Neurotizismusskala Eigenschaften, mit denen sich Menschen weniger gerne konfrontiert sehen, wie z. B. angespannt, ängstlich oder unausgeglichen.835 Das Strukturmodell in Abbildung 34 zeigt, dass ein Einfluss von Persönlichkeit auf die Kundenzufriedenheit vorliegt. Damit wird belegt, dass Menschen aufgrund ihrer persönlichkeitsbedingten Struktur eine Disposition aufweisen, zufrieden oder unzufrieden zu sein. Allerdings besteht dieser Einfluss nicht in direkter Form, sondern über das Konstrukt der Emotionen Angst und Freude. Dies entspricht der allgemeinen Position von Vertretern des Traits-Ansatzes, wonach die fünf Persönlichkeitsdimensionen keine Vorhersage für spezifische Situationen erlauben.836 Eine signifikante Beziehung zwischen der Prädiktorvariable Persönlichkeit und der Ergebnisvariable Kundenzufriedenheit entsteht erst durch Einfügen der Emotionsvariablen. Mooradian und Olver837 konnten diesen Zusammenhang für die Basisdimensionen, positive und negative Emotionen, bereits im Bereich der US-Automobilindustrie nachweisen. Die vorliegende Studie erweitert diese Erkenntnisse in Hinblick auf einen Konsumkontext im Dienstleistungsbereich mit hohem persönlichem Erlebnisgrad, in welcher auch konkrete Emotionen auf ihre Einflussstärke hin überprüft werden.

9.2.2.8 Erweiterung des Modells Die vorliegende Studie zeigt, dass Emotionen auch in Konsumsituationen wesentlich durch persönlichkeitsimmanente Faktoren determiniert werden. Unter der Beschreibung der Komponenten des C/D-Paradigmas (Kapitel 3) und der Analyse empirischer 833 834 835 836

837

Vgl. auch die Ausführungen im Teil: Messung der Persönlichkeit, der vorliegenden Arbeit. Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004). Vgl. dazu Tabelle 9 in Kapitel 6.3.2.5: Typische Charaktereigenschaften der Big Five. In einem zusätzlichen Analyseschritt wurden auch die restlichen, nicht spezifizierten Beziehungen zwischen den latenten Konstrukten getestet. Entsprechend den Annahmen und theoretischen Begründungen in Kapitel 9.2.2.2 sind diese alle nicht signifikant. Vgl. Mooradian/Olver (1997).

Statistische Analysen

185

Studien (Kapitel 5) wurde kritisiert, dass viele Autoren zwar einen Einfluss der Emotionen auf die Kundenzufriedenheit postulieren, jedoch keine Überlegungen bzw. Studien dahingehend stattfinden, wie Emotionen im Konsumkontext überhaupt evoziert werden. Das vorliegende Modell stellt als primäre Bestimmungsvariable für Emotionen die Persönlichkeitsfaktoren Neurotizismus und Extraversion in den Mittelpunkt. Darüber hinausgehend wäre es noch interessant zu testen, welche Rolle Einschätzungen von Produktattributen bei der Evaluierung der Bergtour einnehmen. Im Sinne der kognitiven Emotionstheorien, wie in Kapitel 4.3.4 ausführlich dargelegt wurde, könnte die kognitive Einschätzung des Leistungsattributes „Tour“ eine weitere Bestimmungsvariable für die Emotionen Freude und Angst darstellen. Freude stellt im emotionalen Koordinatensystem von Ortony et al.838 eine ereignisfundierte Emotion dar, welche als Reaktion auf ein, sich auf das eigene Wohl, positiv auswirkendes Ereignis entsteht. Im vorliegenden Fall könnten die Freude auslösenden Ereignisse beispielsweise die landschaftliche Schönheit der Route, gute Bedingungen oder die eigene konditionelle Verfassung sein. Die Emotion Angst (bzw. Furcht) wäre nach Ortony et al. dagegen die Reaktion auf ein für das eigene Wohlergehen abträgliches erwartetes (setzt kognitive Verarbeitung voraus) Ereignis. Die Cognition-AffectDebatte839 zeigte allerdings, dass Emotionen auch ohne kognitive Einschätzung entstehen können. Joseph LeDoux840 konzentrierte seine neuropsychologischen Forschungsarbeiten auf die Entstehung von Angst-Responses und konnte nachweisen, dass einfach konditionierte Angstresponses in der Amygdala841 induziert werden, während komplexere emotionale Reaktionen auch den Hippocampus involvieren. LeDoux nennt solche einfachen emotionalen Reaktionen, „low road responses“, da bestimmte Reize bereits eine Angstreaktion auslösen können, noch bevor diese Reize einer tieferen Verarbeitung unterzogen wurden. Komplexere emotionale Reaktionen werden dagegen als „high road responses“ bezeichnet und bringen ein hohes Ausmaß an kognitiven Prozessen mit sich. Auch Konsumsituationen sind häufig stark durch kognitive Prozesse bestimmt (z. B. die Bildung von Präferenzen, Auswahlentscheidungen, Beurteilung von Leistungsmerkmalen, etc.), sodass „[…] [to] all probability, the more basic ‘cognition first, emotion second’ sequence encompasses a large number of consumption situations”842, und damit auch für den Konsumkontext in den meisten Fällen eine kognitive Struktur der Emotionen angenommen werden kann. Die Emotion Angst könnte allerdings auch in Konsumsituationen eine beachtliche Ausnahme in der Emotionsgenese darstellen: 838 839 840 841

842

Vgl. Ortony, et al. (1988). Vgl. die Ausführungen unter Punkt 4.3.4.2 und im Speziellen Zajonc (1980), Zajonc (1984). Vgl. LeDoux (1996), 161. Die Amygdala (Mandelkern) ist eine stammesgeschichtlich alte Region im Gehirn. Sie fungiert nach LeDoux als eine Art von rudimentärem Bewertungssystem von Reizen. Oliver (1997), S. 310.

186

Empirische Studie

Mooradian, Matzler und Faullant843 konnten im Rahmen einer Studie mit Skiläufern feststellen, dass bei Angstreaktionen nicht die Kognition den Vorrang vor dem Affekt hat, sondern die emotionale Reaktion unmittelbar und ohne kognitive Einschätzung der Situation erfolgte (primacy of affect). Eine kognitive Verarbeitung des Angstzustandes wurde post-affekt festgestellt, die in weiterer Folge die Zufriedenheit der Skiläufer mit dem Skigebiet beeinflusste. Analog dazu lässt sich auch für die vorliegende Studie vermuten, dass Angst als konditionierte Reaktion auf einen externen Stimulus (z. B. der Anblick des Abgrundes, oder ein Wegrutschen auf dem Gletscher, wodurch man ins Seil fällt) auftritt. Es erscheint plausibel, dass in einer derartigen Situation lediglich eine Verarbeitung des Reizes über den niederen Weg844 („low road response“) stattfindet, die erst nachträglich einer tieferen kognitiven Verarbeitung unterzogen wird. Im nachstehenden Modell (Abbildung 35) wird deshalb für die Emotion Freude die hinlänglich akzeptierte Kognitions-Affekt-Beziehung postuliert, während für die Emotion Angst die AffektKognitions-Sequenz modelliert wird.

Abbildung 35: Erweitertes Hypothesenmodell

Ob der Einfluss von Angst und Freude auf die Kundenzufriedenheit nach Einfügen der kognitiven Variable „Tour“ noch signifikant bleibt oder durch die kognitive Einschätzung einer Mediation unterliegen, soll die Mediatoranalyse zeigen. Eine Variable fungiert dann als Mediator, wenn die drei folgenden Bedingungen, anhand von Abbildung 36 beschrieben, zutreffen:845 1) die unabhängige Variable übt einen signifikanten Ein843

Vgl. Mooradian, et al. (2005). Deutsche Bezeichnung für „low road response“ in der deutschen Ausgabe LeDoux (2001), S. 173. 845 Vgl. Baron/Kenny (1986), S. 1176. 844

Statistische Analysen

187

fluss auf die Mediatorvariable aus (Pfad a), 2) die Mediatorvariable beeinflusst signifikant die Ergebnisvariable (Pfad b), 3) wenn die Pfade a und b kontrolliert werden, wird eine vorher signifikante Beziehung zwischen der unabhängigen Variable und der Ergebnisvariable (Pfad c) nicht signifikant. Abbildung 36 skizziert diese Beziehungen für die zugrunde liegenden Daten mit „Kundenzufriedenheit“ als Ergebnisvariable, „Angst“ als unabhängiger Variable und „Tour“ als kognitiver Mediatorvariable.

Mediator

Ergebnisvariable b

a

c

Unabhängige Variable

Abbildung 36: Tour als Mediatorvariable

In Abbildung 37 sind die standardisierten Pfadkoeffizienten der konvergierten Lösung für das erweiterte Modell visualisiert. Zunächst ist von Bedeutung, dass die angenommene Beziehung zwischen der kognitiven Einschätzung des Leistungsattributfaktors „Tour“ und den Emotionen „Freude“ und „Angst“ mit hoch signifikanten Pfaden bestätigt wurden: eine positive Einschätzung der Tour führt zu verstärkt positiven Emotionen und Freude (ȕ = ,27) (Hypothese 3a); Angst stellt eine emotionale Reaktion dar, die der kognitiven Einschätzung vorausgeht und die Evaluation der Tour beeinflusst (ȕ = -,20) (Hypothese 3b). Wer also während des Aufstieges viele Angstgefühle empfindet, bewertet die Tour schlechter als jemand, der keine oder geringe Angstgefühle verspürt. Die Introduktion der kognitiven Variable „Tour“ verändert aber auch die Pfadkoeffizienten der Emotionen Angst und Freude auf die Kundenzufriedenheit. Der Einfluss von Freude auf die Kundenzufriedenheit wird durch den Faktor Tour wesentlich abgeschwächt (ȕ = ,20 versus ȕ = ,39 im Ausgangsmodell). Auch die Beziehung zwischen Angst und Kundenzufriedenheit verändert sich grundlegend: der höchst signifikante Einfluss von Angst auf Kundenzufriedenheit im Ausgangsmodell (ȕ = -,21) verschwindet im erweiterten Modell zur Gänze und unterliegt einer vollständigen Mediation durch die Variable Tour. Während die Pfadkoeffizienten von Angst auf Tour (Pfad a in Abbildung 36, ȕ = -,20) und jener von Tour auf Kundenzufriedenheit (Pfad

Empirische Studie

188

b in Abbildung 36, ȕ = ,57) hohe Signifikanz und Stärke aufweisen, ist der ursprüngliche Regressionskoeffizient von Angst auf Kundenzufriedenheit (Pfad c des Mediatormodells) nicht mehr signifikant (ȕ = -,13 n.s.). Angst übt im erweiterten Modell somit keinen direkten Einfluss mehr auf die Kundenzufriedenheit aus, sondern unterliegt der vollständigen Mediation durch die kognitive Einschätzung der Tour. Die Variable Tour ihrerseits beeinflusst signifikant und in starkem Ausmaß die Kundenzufriedenheit (ȕ = ,57) und erhöht auch die erklärte Varianz der Kundenzufriedenheit (R² = ,48) gegenüber dem Ausgangsmodell, das nur die beiden Emotionen Angst und Freude als Prädiktoren für die Kundenzufriedenheit vorsah (R² = ,22). Die Beziehungen zwischen den Persönlichkeitsfaktoren und den Emotionen ändern sich durch die Hereinnahme weiterer Parameter in der Magnitude zwar geringfügig, die Werte stimmen aber im wesentlichen mit jenen des Ausgangsmodells überein.

Abbildung 37: Ergebnisse des Strukturmodells für das erweiterte Modell846

Die Güte des Modells entspricht auch in der erweiterten Fassung bei nahezu allen Gütekriterien den gängigen Grenzwerten. Mit Ausnahme des AGFI (,883) weist das Modell einen ausgezeichneten Fit auf. Zieht man, wie in jüngerer Zeit empfohlen,847 für den globalen Fit den RMSEA als entscheidendes Gütemaß für die Beurteilung heran, so liegt dieser mit ,039 deutlich unter dem strengeren Schwellenwert von ,05, was auch durch das Wahrscheinlichkeitsintervall bestätigt wird. 846 847

Die Werte in der Ausgabe sind standardisiert. Vgl. Byrne (2001).

Statistische Analysen

189

Die lokalen Gütekriterien der Konstrukte des Ausgangsmodells verändern sich durch die Schätzung der zusätzlichen Parameter für den Tourfaktor nicht, sodass lediglich die Werte des neuen Faktors Tour überprüft werden müssen. Die Faktorreliabilität beträgt 0,73, die durchschnittlich erfasste Varianz 0,48 und das Fornell-LarckerKriterium liegt bei 0,90, sodass das Konstrukt Tour zufrieden stellende Gütemaße erreicht.

9.2.2.9 Limitationen der Studie Repräsentativität Die Ergebnisse dieser Studie unterliegen einigen Einschränkungen. Die wichtigste und wesentlichste Einschränkung ist in der nicht gegebenen Repräsentativität zu sehen, d. h. von den Ergebnissen dieser Studie kann nicht auf die Gesamtbevölkerung geschlossen werden. Obwohl die Befragung zu einem typischen Zeitpunkt der Tourensaison und über einen Zeitraum von 2 Wochen durchgeführt wurde, lässt sich nicht ausschließen, dass die befragten Probanden Spezifika aufweisen, die in der Grundpopulation nicht vorhanden sind. Die vorliegenden Ergebnisse können daher weder auf „Bergsteiger insgesamt“ noch auf die Normalbevölkerung übertragen werden. Für die Persönlichkeitsdimensionen Extraversion und Neurotizismus lägen zwar normierte Werte der deutschen Gesamtbevölkerung vor.848 Die Werte der vorliegenden Studie mit diesen Normwerten zu vergleichen erscheint allerdings als wenig sinnvoll, da das Bergsteigersample kein typisches Abbild der Gesamtbevölkerung darstellt und gewisse Altersgruppen (60 Jahre +) unterrepräsentiert sind. Es wäre daher möglich, dass bereits die Entscheidung, den Großglockner zu besteigen, ein verzerrendes Moment darstellt und die Probanden der Stichprobe in ihrer Basis z. B. bereits höhere/niedrigere Extraversions- und Neurotizismuswerte aufweisen. Befragungs-Bias Die Befragung stellt eine Momentaufnahme der ProbandInnen dar. Obwohl evidente Einflussvariablen wie das Wetter und der Gipfelerfolg kontrolliert wurden,849 kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere, nicht erfasste Faktoren, die Ergebnisse beeinflussen. Weiters wurden die gemessenen Konstrukte jeweils mit nur einer Methode und zum gleichen Zeitpunkt gemessen (Single-Method-Bias). Es kann daher nicht dezidiert ausgeschlossen werden, dass kein Methodenartifakt vorliegt. Um dies zu vermeiden, müsste mit einer Multitrait-Multimethod-Technik850 gearbeitet werden, bei der jedes 848 849 850

Vgl. Ostendorf/Angleitner (2004). Wie in Kapitel 9.1.3 ausgeführt, handelt es sich um eine sehr homogene Stichprobe. Vgl. Campbell/Fiske (1959).

190

Empirische Studie

Konstrukt durch mehrere, von einander unabhängige Methoden, erhoben wird. Da dies jedoch aus Kosten-, Zeit- und Praktikabilitätsgründen nicht realisierbar war, wurde das Studiendesign so angelegt, dass der Befragungsbias im vorgegebnen Rahmen so gering wie möglich bleiben sollte (Befragung unmittelbar nach dem Gipfelerfolg und nicht erst nach der Rückkehr ins Tal). Der Autorin ist bewusst, dass der Zeitpunkt der Befragung die Antworten der ProbandInnen beeinflussen kann; es wäre daher möglich, dass speziell die Fragen zur Persönlichkeit zu einem neutralen Zeitpunkt möglicherweise anders ausgefallen wären. Anderseits war man für die Erfassung der Emotionen gerade auf diesen Zeitpunkt angewiesen, um ein möglichst authentisches Bild der Emotionen zu erlangen und um eine nachträgliche kognitive Korrektur (re-appraisal) auszuschließen. Skalenreliabilität Die Angabe der lokalen Gütekriterien zeigte, dass die durchschnittlich erfasste Varianz speziell beim Konstrukt Neurotizismus etwas niedrig ausfällt. Obwohl für die Erhebung das standardisierte Inventar NEO-FFI verwendet wurde, muss im vorliegenden Fall eine eingeschränkte Aussagekraft angenommen werden.

10 Zusammenfassung und Ausblick 10.1 Zusammenfassung Kundenzufriedenheit nimmt in marktorientierten Unternehmen eine zentrale Stellung ein. Zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg untersuchten, bestätigen die positiven Auswirkungen der Kundenzufriedenheit (Kapitel 2). Obwohl sich für das Konstrukt Kundenzufriedenheit keine einheitliche Definition durchsetzen konnte, dominiert in der Literatur das theoretisch plausible und durch zahlreiche empirische Studien vielfach bestätigte Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma (C/D-Paradigma). An sich ein rein kognitives Modell, nach dem Kundenzufriedenheit durch einen bewussten Vergleichsprozess der wahrgenommenen Leistung mit den prekonsumptiven Erwartungen entsteht, kann das C/D-Paradigma doch als integrativer Bezugsrahmen gesehen werden, das vielfältige Anknüpfungs- und Integrationspunkte für verschiedene Theorien der Sozialpsychologie bietet und auch die Berücksichtigung von Emotionen als Antezedenzen der Kundenzufriedenheit erlaubt (Kapitel 3). In Kapitel 4 wurden die wichtigsten Emotionstheorien und deren Vertreter dargestellt, um den Leser in die Diskussion von Emotionen als Determinanten der Kundenzufriedenheit aus einer emotionswissenschaftlichen Perspektive hinzuführen. Dabei wurde im Speziellen auch auf die Problematik der Messung von Emotionen eingegangen, die in den allermeisten Fällen durch retrospektive Wiedergabe des subjektiven Erlebens erfolgt und eine verbale Kodierung gefühlter innerpsychischer Prozesse bedingt. Die Diskussion über die Struktur von Emotionen und die Anordnung dieser in so genannten Circumplexmodellen bzw. die hierarchische Systematisierung von Emotionen schafft die Basis für die Verbindung von Emotionen und Persönlichkeit, die anhand der empirischen Studie untersucht wurde. Vor diesem emotionstheoretischen Hintergrund wurde in Kapitel 5 eine Analyse der wichtigsten Studien zum Zusammenhang zwischen Emotionen und Kundenzufriedenheit durchgeführt. Vom ursprünglichen Ziel, ein Klassifikationssystem für derartige Studien nach mehreren Kriterien (Objekt, Messinventar, theoretischer Zugang) zu schaffen, musste allerdings aufgrund der geringen Vergleichbarkeit der Studien abgewichen werden. Stattdessen erwies es sich als sinnvoll, die Studien nach Modellierungszugängen in valenz-basierte Studien und Studien mit Integration spezifischer Emotionen zu unterscheiden. Die resümierende Kritik richtet sich vor allem auf die wahllose und theoretisch wenig reflektierte Zusammenstellung von Emotionsmessinventaren sowie die in den meisten Fällen vernachlässigte Diskussion über die Emotionsgenese im Kontext der Kundenzufriedenheit. Die Analyse zeigt auch Punkte auf,

192

Zusammenfassung und Ausblick

die nach Ansicht der Autorin in zukünftigen Studien zu Emotionen und Kundenzufriedenheit berücksichtigt werden sollten. Kapitel 6 der Arbeit gibt einen ausführlichen Überblick über den in der Persönlichkeitspsychologie dominierenden Traits-Ansatz zur Erklärung interindividueller Verhaltensunterschiede. Dabei wurden die lexikalischen Grundlagen dieses Ansatzes ebenso aufgezeigt, wie der aktuelle Stand der Diskussion über die genetische Verankerung und alternative Faktorenmodelle. Die fünf großen Dimensionen der Persönlichkeit, auch die Big Five genannt, wurden im Detail erläutert und die am weitesten verbreiteten Messinstrumente, der NEO-PIR und der NEO-FFI, vorgestellt. Direkt anschließend in Kapitel 7 wurde der enge Zusammenhang zwischen überdauernden Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen, welche von vorübergehender Dauer sind, erklärt. Dabei stellte sich heraus, dass sich Unterschiede im emotionalen Erleben hauptsächlich durch divergierende Werte auf den Persönlichkeitsdimensionen Extraversion und Neurotizismus erklären lassen, während die restlichen drei Dimensionen (Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen) dahingehend wenig Erklärungsgehalt aufweisen. Kapitel 8 diente schließlich der Verbindung der theoretischen Ausarbeitungen aus den vorangehenden Abschnitten, indem die entsprechenden Forschungshypothesen für die empirische Studie formuliert wurden. Im zweiten Teil der Arbeit und dem großen Kapitel 9 wurden die empirische Studie und deren Ergebnisse im Detail präsentiert. Für die statistischen Analysen wurden die exploratorische und die konfirmatorische Faktorenanalyse herangezogen, wobei der Schwerpunkt der Ausarbeitungen auf die konfirmatorische Faktorenanalyse gerichtet wurde. Im Ablauf wurde dabei dem idealtypischen Prozess der Strukturmodellierung nach Kaplan gefolgt und zuerst jeweils theoretisch-methodische Aspekte des jeweiligen Analyseschrittes beleuchtet und diese im Anschluss daran anhand des vorliegenden Datensatzes angewandt. Das in den Forschungshypothesen aufgestellte Ausgangsmodell konnte durch die beobachteten Daten im Wesentlichen bestätigt werden. Folgende Kernaussagen lassen sich daraus ableiten: 1) Eine hierarchische Gliederung der Emotionen erscheint sinnvoll und der Realität angepasst. 2) In Konsumsituationen, die ein entsprechendes Potenzial besitzen, unterschiedliche Emotionen zu evozieren, lassen sich auch konkrete Emotionen identifizieren, sodass Probleme mit der Diskriminanzvalidität nicht zwangsläufig eintreten. 3) Bisher wurde in Studien zur Kundenzufriedenheit nur der Einfluss der grundlegenden Emotionsdimensionen positiver und negativer Affekt nachgewiesen. Die Studie zeigt, dass auch konkrete Emotionen, wie Angst und Freude, auf die Kundenzufriedenheit einwirken und ähnlich viel Varianz erklären können.

Ausblick

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4) Der Einfluss der Persönlichkeitsdimensionen Extraversion und Neurotizismus lässt sich nicht nur für die grundlegenden Emotionsdimensionen belegen, sondern gilt auch für die Ebene konkreter Emotionen. 5) Die intuitive Annahme, dass es Personen zu geben scheint, die ständig unzufrieden sind und mit keinem Angebot eines Unternehmens zufrieden zu stellen sind, lässt sich durch dieses Modell empirisch bestätigen. Allerdings ist ein direkter Einfluss der Persönlichkeit auf die Kundenzufriedenheit nicht nachweisbar (die entsprechenden Pfade sind auch im vorliegenden Modell nicht signifikant), sondern wird über die Emotionen, die Menschen empfinden, wirksam. Das Ausgangsmodell wurde schließlich noch erweitert, um neben der Persönlichkeit eine kognitive Determinante der Emotionen zu überprüfen. Dazu wurde als kognitive Evaluierung der Faktor „Tour“ in das Modell eingeführt. Entsprechend lassen sich die Kernaussagen erweitern: 6) Die Integration eines kognitiven Faktors in das Modell erhöht den Anteil erklärter Varianz der Kundenzufriedenheit, sodass diese im vorliegenden Fall tatsächlich „das Ergebnis eines kognitiven und affektiven Vergleichsprozesses“851 ist. 7) Für den Kontext der vorliegenden Studie besitzen zwei unterschiedliche Zugänge der Emotionsgenese Gültigkeit: Für die Emotion Freude kann die für die meisten Konsumsituationen geltende Kognition-Emotion-Sequenz als zutreffend bezeichnet werden, wonach die kognitive Einschätzung eines Sachverhaltes (im vorliegenden Fall die Tour) eine entsprechende Emotion (Freude) auslöst. Der umgekehrte Weg, nämlich die Emotion-Kognition-Sequenz, konnte jedoch für die Emotion Angst belegt werden. Dies wird letztendlich auch durch die völlige Mediation der Emotion Angst durch den kognitiven Faktor Tour evident. Demnach löst ein Reiz zuerst eine einfache (eventuell konditionierte) Angstreaktion aus, die bei genauerer kognitiver Beurteilung des Angst auslösenden Reizes keinen signifikanten direkten Einfluss mehr auf die Kundenzufriedenheit ausübt. 10.2 Ausblick 10.2.1 Persönlichkeitsforschung Die vorliegende Arbeit bietet eine Reihe von Anknüpfungspunkten für zukünftige Forschung. Die Ergebnisse sind als Bestätigung eines Basismodells der Kundenzufriedenheit zu sehen, das die persönliche Disposition von Kunden, aufgrund ihrer Persönlich851

Diese Auffassung teilt eine Vielzahl der Kundenzufriedenheitsforscher, vgl. z. B. Homburg/Koschate (2004), S. 317.

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keitsstruktur vermehrt positive bzw. negative Gefühlszustände auch in Konsumsituationen zu empfinden, berücksichtigt. Zukünftige Forschung könnte sich mit der speziellen Beziehung zwischen Persönlichkeitsdimensionen und einzelnen Komponenten des C/D-Paradigmas beschäftigen. So zum Beispiel wäre eine interessante Fragestellung, wie die Persönlichkeitsdimensionen Extraversion und Neurotizismus mit der Bewertung von Leistungsattributen als Basis-, Leistungs- und Begeisterungseigenschaften, dem Kano-Modell der Kundenzufriedenheit entsprechend, interagieren. Folgt man der Hypothese von Gray852, wonach Extravertierte eher Belohnungsfaktoren wahrnehmen und Neurotizisten stärker auf Bestrafungsfaktoren reagieren, so könnten Extravertierte vor allem auf Begeisterungseigenschaften ansprechen und Personen mit hohen Neurotizismuswerten stark auf Basiseigenschaften fixiert sein. Auch für attributionale Ansätze der Kundenzufriedenheit wäre eine Integration von Persönlichkeitseigenschaften denkbar, indem die Ursachenzuschreibung von Erfolg bzw. Misserfolg in Abhängigkeit von Extraversions- und Neurotizismuswerten untersucht wird. Diese Forschungsfrage wäre speziell für Dienstleistungen und andere Produkte mit hohem Beteiligungsgrad des Kunden interessant. Aber auch außerhalb der Kundenzufriedenheitsforschung bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Marketingforschung. Die Ergebnisse sollten daher auch dazu anregen, Persönlichkeit als grundlegende Determinante im Konsumentenverhalten wieder in Forschungsdesigns einzubeziehen, denn sie widerlegen eindrücklich das abwertende Urteil von Kassarjian und Sheffert, wonach die Forschungsbemühungen und -ergebnisse zum Erklärungsgehalt von Persönlichkeit als Einflussvariable für Konsumverhalten als „equivocal at best“853 zu bezeichnen sind. Die vorliegende Studie könnte als „Türöffner“ fungieren, um Persönlichkeit als determinierende Variable in viele marketingrelevante Forschungsfragen mit einzubeziehen. Dabei können Erkenntnisse aus anderen Forschungstraditionen, und hier vor allem der Psychologie, integrativ genutzt werden. Die Identifizierung der Struktur der Persönlichkeit, nach der sich interindividuelle Verhaltensunterschiede klassifizieren lassen, ist ein erster wichtiger Schritt für ein ganzheitliches Verständnis der Interaktion von Person und Situation. Im Bereich der Persönlichkeitsforschung sind die Erkenntnisse schon relativ weit fortgeschritten und in einer Konsolidierungsphase begriffen. Ein ungelöstes Problem bleibt allerdings die geringe spezifische Aussagekraft der globalen Persönlichkeitsdimensionen der Big Five für konkrete Handlungssituationen. Hier bieten sich Integrationsmöglichkeiten zu anderen Ansätzen der Persönlichkeitsforschung an. Sozial-kognitive Theorien854 beispielsweise gehen davon aus, dass die konkrete Situation wesentlich das Verhalten 852 853 854

Vgl. Gray (1971). Kassarjian/Sheffet (1991). Vgl. z. B. Bandura (2001).

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einer Person determiniert. Michel855 schlägt deshalb if … then (wenn … dann) Profile vor, die das Verhalten einer Person in einer bestimmten Situation vorhersagbar machen (z. B. wenn die Person X in Bedrängnis gerät, wird sie aggressiv). Da dies schnell in einer unüberschaubaren Anzahl komplexer Wenn-dann-Profile münden würde, wäre eine Integration mit den Big Five denkbar. Für weitere Forschungen wäre es daher interessant, solche Profile in Hinblick auf die Big Five zu erstellen (beispielsweise wenn eine hoch extravertierte Person in ein neues Team kommt, wird sie bald eine Führungsrolle übernehmen). Solche Profile wären auch für das Konsumentenverhalten von entscheidendem Nutzen, weil dadurch verhaltenswirksame Marketingstimuli zielgenauer gestaltet und eingesetzt werden könnten. Auch Kundenbindungsstrategien könnten durch solche Profile verbessert und effizienter gestaltet werden. Die vorliegende Arbeit weist dahingehend den Charakter von Grundlagenforschungen auf, die für das einzelne Unternehmen relativ wenige konkrete Handlungsempfehlungen geben kann. Allerdings konnte dadurch gezeigt werden, dass die Persönlichkeit eines Menschen auch marketingrelevante Themengebiete wesentlich beeinflusst. Praktisch wie theoretisch weist dieses Forschungsgebiet enormes Potenzial auf. Könnten die Big Five beispielsweise mit Wertmustern verknüpft werden, könnte darauf aufbauend ein Segmentierungsansatz entwickelt werden. Dadurch wären Unternehmen in der Lage, speziell solche Kundengruppen zielgenau anzusprechen, die sie mit ihrem Angebot auch zufrieden stellen können. In der psychologischen Forschung wurden die großen fünf Persönlichkeitsdimensionen bereits mit dem Wertesystem von Schwartz856 kombiniert. Während Persönlichkeitseigenschaften zeitlich stabil und angeboren sind, sind Werte „learned beliefs about preferred ways of acting or being which serve as guiding principles in the life of a person or other social entity.”857 Das Wertesystem von Schwartz sieht zehn Werte vor, die in einem Circumplex mit 4 Dimensionen organisiert sind. Mehrere Studien belegen Zusammenhänge zwischen den stabilen Persönlichkeitsfaktoren und Werten: so korreliert Neurotizismus mit dem Wert Sicherheit („security“), Extraversion mit Anreiz („stimulation“) und Offenheit für Erfahrungen mit den Werten der Selbstbestimmung („self-direction). Gewissenhaftigkeit wurde dagegen häufig mit geringem Hedonismus („hedonism“) und Verträglichkeit mit geringerem Machtstreben („power“) assoziiert.858 Um eine Anwendung dieser Ergebnisse für das Marketing zu ermöglichen, wäre es nötig, segmentierungsfähige und entscheidungsrelevante Persönlichkeit-Werte-Kombinationen zu ergründen. Ebenso ließen sich mit der von Murray vorgeschlagenen Taxonomie der Triebe („needs“)859 enge Verbindungen zu den fünf großen Persönlichkeitsdimensionen herstellten. Schließlich 855 856 857 858 859

Vgl. Mischel (1999), Mischel/Shoda (2004). Vgl. Schwartz (1992). Schwartz (1994), S. 21. Vgl. McCrae (1994), S. 150, Olver/Mooradian (2003). Vgl. Murray (1938), Jackson (1989).

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wurden auch in der Kreativitätsforschung entsprechende Bezüge gefunden, wonach „Adaptoren“ höhere Werte auf der Dimension Gewissenhaftigkeit aufweisen, während „Innovatoren“ höhere Extraversions- und Offenheitswerte zeigten.860 Diese Erkenntnisse könnten ebenfalls für das Marketing von Nutzen sein, indem zum Beispiel bei Produktentwicklungen mit Kundenbeteiligung im Entwicklungsprozess solche Kunden involviert werden, die eine mit dem Projektziel kongruierende Persönlichkeitsstruktur aufweisen.

10.2.2 Emotionen Aus der Literaturanalyse über Studien zu Emotionen und Kundenzufriedenheit geht hervor, dass die Integration von Emotionen in der Kundenzufriedenheitsforschung noch nicht Standard und zum Teil wenig fundiert ist. Unterschiedliche Messmethoden aus verschiedenen emotionstheoretischen Zugängen erweisen sich häufig als unzureichend und wenig reflektiert eingesetzt. Zukünftige Forschungsbemühungen sollten daher die Messung von Emotionen auf das Forschungsdesign abstimmen: nicht jede Emotion tritt bei allen Produkten oder Dienstleistungen mit der gleich hohen Wahrscheinlichkeit auf. Es sollte daher vorab spezifiziert werden, welches Emotionsspektrum eine Konsumsituation möglicherweise evoziert und ein entsprechendes Messinventar in das Forschungsdesign integriert werden. Die pauschale Erfassung durch standardisierte Skalen (wie z. B. Izards DES) wird sonst wenig Neues über bereits bestehende Erkenntnisse hinaus bringen. Dabei ist nicht grundsätzlich der Einsatz standardisierter Skalen in Abrede zu stellen, sondern der pauschalierte Einsatz dieser ohne Reflektion darüber, welche Emotionen in einer bestimmten Konsumsituation auftreten können und wie diese entstehen. In der vorliegenden Studie wurden deshalb die Emotionen Angst und Freude integriert, weil das Setting (eine Bergtour) großes Potenzial für diese beiden Emotionen birgt. Zukünftige Forschung sollte dabei auch die Wirkung von konkreten Emotionen auf das Nachkaufverhalten untersuchen. Dahingehend wurden bereits einige Anstrengungen unternommen, die vor allem negative Emotionen und ihre spezifischen Auswirkungen auf das Kommunikations- und Abwanderungsverhalten integrierten.861 Wenig ist jedoch darüber bekannt, ob und welche positiven Emotionen die Bindung eines Kunden, und hier vor allem die affektive Verbundenheit, an ein Unternehmen stärken können. Die hier dargestellten Ausführungen stellen nur einige Überlegungen dar, wie Emotionen und Persönlichkeit weiterführend in die Kundenzufriedenheits- und Konsumentenverhaltensforschung integriert werden könnten. Sie zeigen vorliegenden Forschungsbedarf auf und sollen Anregungen für zukünftige Forschungsprojekte geben.

860 861

Vgl. Kwang/Rodrigues (2002). Vgl. z. B. Bougie, et al. (2003), Mattsson, et al. (2004).

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Zeithaml, V. A., Berry, L. L. and Parasuraman, A. (1993). „The nature and determinants of customer expectations of service“, Journal of the Academy of Marketing Science 21 (Winter): 1–12. Zeithaml, V. A., Berry, L. L. and Parasuraman, A. (1996). „The behavioral consequences of service quality“, Journal of Marketing 60 (April): 31–46. Zerssen, D. v. (1994). „Persönlichkeitszüge als Vulnerabilitätsindikatoren – Probleme ihrer Erfassung“, Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 62: 1–13. Zerssen, D. v., Pfister, H. and Koeller, D.-M. (1988). „The Munich Personality Test (MPT) – a short questionnaire for self-rating and relatives' rating of personality traits: formal properties and clinical potential“, European Archives of Psychiatry and Neurological Sciences 238: 73–93. Zwick, W. R. and Velcer, W. F. (1986). „Comparison of five rules for determining the number of components to retain“, Psychological Bulletin 99 (3): 432–442.

Anhang

Fragebogen........................................................................................................................... 219 Zusätzliche statistische Auswertungen.............................................................................. 222 Deskriptive Statistik..................................................................................................................... 222 Auswertungen Strukturgleichungsmodelle: AMOS-Ausgabe ................................................. 225 Ausgangsmodell ........................................................................................................................ 225 Erweitertes Modell .................................................................................................................... 228

Fragebogen

219

Fragebogen* Die Abteilung für Marketing und Internationales Management führt zu Persönlichkeitsmerkmalen und Erlebnisorientierung in den Bergen eine Studie durch. Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung, indem Sie folgenden Fragebogen so ehrlich wie möglich beantworten. Ihre Aussagen werden streng vertraulich behandelt und fließen absolut anonym in die Studie ein! Bitte beantworten Sie alle Fragen und gehen Sie in der vorgegebenen Reihenfolge vor. Die folgenden Aussagen könnten sich zur Betrifft trifft schreibung Ihrer Person eignen. Lesen Sie jede Neutral gar eher dieser Aussagen und überlegen Sie sich, ob diese nicht zu nicht zu Aussage auf Sie persönlich zutrifft oder nicht. (2) (3) (1) Allgemein bin ich leicht beunruhigt. 1 2 3 Ich habe gerne viele Leute um mich herum. 1 2 3 Ich fühle mich anderen oft unterlegen. 1 2 3 Ich bin leicht zum Lachen zu bringen. 1 2 3 Wenn ich unter starkem Stress stehe, fühle ich mich 1 2 3 manchmal, als ob ich zusammenbräche. Ich halte mich für besonders fröhlich. 1 2 3 Ich fühle mich oft einsam oder traurig. 1 2 3 Ich unterhalte mich wirklich gerne mit anderen Men1 2 3 schen. Ich fühle mich oft angespannt und nervös. 1 2 3 Ich bin gerne im Zentrum des Geschehens. 1 2 3 Manchmal fühle ich mich völlig wertlos. 1 2 3 Ich ziehe es gewöhnlich vor, Dinge allein zu tun. 1 2 3 Ich empfinde selten Furcht oder Angst. 1 2 3 Ich habe oft das Gefühl, vor Energie überzuschäu1 2 3 men. Ich ärgere mich oft darüber, wie andere Leute mich 1 2 3 behandeln. Ich bin ein fröhlicher, gut gelaunter Mensch. 1 2 3 Wenn etwas schief geht, bin ich häufig entmutigt und 1 2 3 will aufgeben. Ich bin ein gut gelaunter Optimist. 1 2 3 Ich bin oft traurig oder deprimiert. 1 2 3 Ich führe ein hektisches Leben. 1 2 3 Ich fühle mich oft wertlos und wünsche mir eine Per1 2 3 son, die meine Probleme löst. Ich bin ein sehr aktiver Mensch. 1 2 3 Manchmal ist mir etwas so peinlich, dass ich mich am 1 2 3 liebsten verstecken könnte. Lieber würde ich meine eigenen Wege gehen, als eine 1 2 3 Gruppe anzuführen.

trifft trifft eher zu voll zu (4) (5)

4 4 4 4

5 5 5 5

4

5

4 4

5 5

4

5

4 4 4 4 4

5 5 5 5 5

4

5

4

5

4

5

4

5

4 4 4

5 5 5

4

5

4

5

4

5

4

5

*) Der hier abgebildete Fragebogen entspricht nicht der Originalformatierung, da für die Offenlegung des Fragebogens in der vorliegenden Dissertation ein anderes Format verwendet werden musste.

Fragebogen

220

ein bis s

gar nic ht

ein bis s

erheb lich

chen

gar nic ht

erheb lich

chen

II. Die folgenden Wörter beschreiben Emotionen. Bitte kreuzen Sie jeweils an, inwieweit Sie selbst diese Gefühle während Ihrer Großglocknerbesteigung erfahren haben.

Interessiert

1

2

3

4

5

Gereizt

1

2

3

4

5

Bekümmert

1

2

3

4

5

Wach

1

2

3

4

5

Freudig erregt

1

2

3

4

5

Beschämt

1

2

3

4

5

Verärgert

1

2

3

4

5

Angeregt

1

2

3

4

5

Stark

1

2

3

4

5

Nervös

1

2

3

4

5

Schuldig

1

2

3

4

5

Entschlossen

1

2

3

4

5

Erschrocken

1

2

3

4

5

Aufmerksam

1

2

3

4

5

Feindselig

1

2

3

4

5

Durcheinander

1

2

3

4

5

Begeistert

1

2

3

4

5

Aktiv

1

2

3

4

5

Stolz

1

2

3

4

5

Ängstlich

1

2

3

4

5

Wie zufrieden waren Sie mit folgenden Teilaspekten Ihres Bergerlebnisses? Aufstiegsbedingungen (z. B. Wege, Schneelage) Wetter Sicherheit am Berg Wie zufrieden waren Sie insgesamt mit Ihrem Bergerlebnis? Wie zufrieden waren Sie mit Ihrer persönlichen Leistung? Haben Sie den Gipfel des Großglockners erreicht? … Ja

Neutral (3)

Eher unzufrieden (4)

Sehr unzufrieden (5)

…

…

…

…

… …

… …

… …

… …

…

…

…

…

…

…

…

…

…

…

Sehr zufrieden (1)

Eher zufrieden (2)

… … …

Wie war das Wetter?

… Nein

…

…

…

…

…

Fragebogen

221

Mit wem haben Sie diese Bergtour unternommen? … Alleine

… Mit einer Gruppe (ungeführt)

… Mit einem Bergführer

Wenn Sie mit einem Bergführer unterwegs waren, wie zufrieden waren Sie mit der Betreuung? (sonst Frage bitte auslassen) Sehr unzufrieSehr zufrieden Eher zufrieden Neutral Eher unzufrieden den … … … … … Würden Sie Ihre nächste Großglocknerbesteigung mit einem Bergführer unternehmen? … Sicher … Ganz sicher … Eher schon … Eher nicht nicht

Wie oft pro Woche betreiben Sie Sport? … weniger als 1 x pro Woche … 1x pro Woche … 2–3 x pro Woche …öfter als 3 x pro Woche

Wie schätzen Sie Ihre persönliche Bergerfahrung ein? Anfänger …

Geringe Bergerfahrung …

Regelmäßig in den Bergen …

HobbyBergsteiger …

ExtremBergsteiger …

Zum Abschluss bitten wir Sie um die Beantwortung einiger allgemeiner Fragen. Ihr Geschlecht: männlich …

weiblich …

Ihr Alter: 18–24 …

25–34 …

35–44 …

45–54 …

55–64 …

65 + …

Welchen Beruf üben Sie derzeit aus? Leitende/r Angestellte

Angestellte/r

ArbeiterIn

Beamte/r

Selbstständige/r

Hausfrau/mann/ Karenz

…

…

…

…

…

…

SchülerIn StudentIn Präsenzdiener

Pensionist/in

………

…

…

…

Sonstig

Welcher Nationalität gehören Sie an? ________________________________________

Vielen Dank für Ihre Mithilfe! Bitte geben Sie den ausgefüllten Fragebogen ab! Als DANKESCHÖN erhalten Sie vom Interviewer einen Gutschein über € 3,-- für die Hütte.

Zusätzliche statistische Auswertung

222

Zusätzliche statistische Auswertungen Deskriptive Statistik Nationalität

Valid

Missing Total

Österreich Deutschland Italien Sonstig Total System

Frequency 159 51 5 17 232 2 234

Percent 67,9 21,8 2,1 7,3 99,1 ,9 100,0

Valid Percent 68,5 22,0 2,2 7,3 100,0

Cumulative Percent 68,5 90,5 92,7 100,0

Gipfel

Valid

Gipfel erreicht Gipfel nicht erreicht Total

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

223

95,3

95,3

95,3

11

4,7

4,7

100,0

234

100,0

100,0

Wetter

Valid

sehr schönes Wetter (Sonne) schönes Wetter (sonnig, leicht bewölkt) Bewölkung schlechtes Wetter (Bewölkung und Niederschläge) Total

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

117

50,0

50,0

50,0

84

35,9

35,9

85,9

24

10,3

10,3

96,2

9

3,8

3,8

100,0

234

100,0

100,0

Deskriptive Statistik

223

Bergführer

Valid

Missing Total

alleine mit einer Gruppe (ungeführt) mit einem Bergführer Total System

Frequency 18

Percent 7,7

Valid Percent 7,9

Cumulative Percent 7,9

84

35,9

36,8

44,7

126

53,8

55,3

100,0

228 6 234

97,4 2,6 100,0

100,0

Zufriedenheit Bergführer

Valid

Missing Total

sehr zufrieden eher zufrieden neutral eher unzufrieden Total System

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

117

50,0

80,7

80,7

11

4,7

7,6

88,3

12

5,1

8,3

96,6

5

2,1

3,4

100,0

145 89 234

62,0 38,0 100,0

100,0

Erfahrung

Valid

Missing Total

Anfänger Geringe Bergerfahrung Regelmäßig in den Bergen Hobbybergsteiger Extrembergsteiger Total System

Frequency 13

Percent 5,6

Valid Percent 5,7

Cumulative Percent 5,7

40

17,1

17,4

23,0

82

35,0

35,7

58,7

73 22 230 4 234

31,2 9,4 98,3 1,7 100,0

31,7 9,6 100,0

90,4 100,0

Zusätzliche statistische Auswertungen

224 Sport

Valid

Missing Total

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

27

11,5

12,2

12,2

56

23,9

25,3

37,6

75

32,1

33,9

71,5

63

26,9

28,5

100,0

221 13 234

94,4 5,6 100,0

100,0

Frequency 159 73 232 2 234

Percent 67,9 31,2 99,1 ,9 100,0

Valid Percent 68,5 31,5 100,0

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

14

6,0

6,0

6,0

66

28,2

28,2

34,2

80

34,2

34,2

68,4

46

19,7

19,7

88,0

25

10,7

10,7

98,7

3 234

1,3 100,0

1,3 100,0

100,0

weniger als 1 x pro Woche 1 x pro Woche 2–3 x pro Woche öfter als 3 x pro Woche Total System

Geschlecht

Valid

Missing Total

männlich weiblich Total System

Cumulative Percent 68,5 100,0

Alter

Valid

18–24 Jahre 25–34 Jahre 35–44 Jahre 45–55 Jahre 55–64 Jahre 65+ Jahre Total

Auswertungen Strukturgleichungsmodelle: AMOS-Ausgabe

225

Beruf

Valid

Leitende Angestellte Angestellte/r Arbeiter/in Beamte/r Selbständige/r Hausfrau/mann, Karenz SchülerIn, StudentIn, Präsenzdiener PensionistIn Sonstig Total

Frequency

Percent

Valid Percent

Cumulative Percent

31

13,2

13,2

13,2

55 27 27 47

23,5 11,5 11,5 20,1

23,5 11,5 11,5 20,1

36,8 48,3 59,8 79,9

9

3,8

3,8

83,8

18

7,7

7,7

91,5

16 4 234

6,8 1,7 100,0

6,8 1,7 100,0

98,3 100,0

Auswertungen Strukturgleichungsmodelle: AMOS-Ausgabe Ausgangsmodell Parameter summary (Group number 1) Weights Covariances Fixed 27 0 Labeled 0 0 Unlabeled 18 1 Total 45 1

Variances 0 0 24 24

Means 0 0 0 0

Computation of degrees of freedom (Default model) Number of distinct sample moments: 190 Number of distinct parameters to be estimated: 43 Degrees of freedom (190 - 43): 147 Result (Default model) Minimum was achieved Chi-square = 196,359 Degrees of freedom = 147 Probability level = ,004

Intercepts 0 0 0 0

Total 27 0 43 70

Zusätzliche statistische Auswertungen

226 Minimization History (Default model) Iteration

Negative Eigenvalues

Condition #

Smallest Eigenvalue

Diameter

F

NTries

0

e

10

-,503

9999,000

1544,571

0

1 2 3 4 5 6 7 8

e e e e e e e e

4 1 1 0 0 0 0 0

-,092 -,006 -,033

2,778 1,217 ,829 ,528 ,184 ,037 ,002 ,000

640,977 303,511 218,002 198,651 196,416 196,359 196,359 196,359

20 4 5 7 1 1 1 1

71,151 71,873 71,480 72,957 72,905

Regression Weights: (Group number 1 - Default model) Estimate Angst