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German Pages 299 Year 2005
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Fall 1 61−jahriger Patient mit erhohtem Blutdruck
Fall
1 2
Ein 61 Jahre alter Patient stellt sich bei Ihnen in der Hausarztpraxis zu einem Gesundheits− check vor; er sei seit über 5 Jahren nicht beim Arzt gewesen. Er ist Hausmeister und berich− tet nun von einer eingeschränkten Leistungs− fähigkeit, die in den letzten Monaten zuge− nommen habe. Sie erfahren, dass der Vater 60−jährig an einem Schlaganfall verstorben ist. Der Patient wiegt 81 kg, ist 175 cm groß und raucht täglich 10–20 Zigaretten, er gibt einen gelegentlichen Alkoholkonsum an. Bei der kli− nischen Untersuchung stellen sie einen Herz− spitzenstoß etwa einen Querfinger links der Medioklavikularlinie fest. Herz, Kreislauf, Lun− ge und Abdomen sind ansonsten unauffällig. Der Blutdruck beträgt, an verschiedenen Tagen
mehrmals gemessen, durchschnittlich 170/ 110 mmHg im Sitzen und 165/105 mmHg im Liegen. Das EKG zeigt geringe Anzeichen einer linksventrikulären Hypertrophie, der Puls ist regelmäßig mit 78 Schlägen/min. Die Serum− konzentrationen für Natrium, Kalium, Harn− stoff, Harnsäure und Kreatinin sind normal, die Blutglukose liegt nüchtern bei 96 mg/dl, das Cholesterin bei 160 mg/dl. Da weitere Un− tersuchungen keinen Anhalt für eine sekundä− re arterielle Hypertonie erbringen, gehen sie von einem essenziellen Bluthochdruck aus. Sie empfehlen dem Patienten zunächst das Rau− chen einzustellen, eine salzarme Kost sowie leichte sportliche Betätigung.
Nach einigen Wochen ist der Patient noch immer hyperton. Sie entscheiden sich auf Grund des Alters und der geringen Therapiekosten für eine medikamentöse Therapie mit einem Thiazid− diuretikum.
1.1 . . Charakterisieren Sie Angriffspunkt, Wirkungsmechanismus und Wirkstärke der unterschiedlichen Diuretika!
1.2 . . Wie wird Hydrochlorothiazid dosiert? Welche Dosierung schlagen Sie bei Ihrem Patienten vor?
Beim nächsten Besuch berichtet der Patient, dass er jetzt immer häufiger Wadenkrämpfe habe und fragt Sie, ob das etwas mit dem neuen Medikament zu tun habe.
1.3 . . Welche unerwünschten Wirkungen können bei der Therapie mit Thiaziddiuretika auftreten?
1.4 . . Warum werden Thiaziddiuretika teilweise mit kaliumsparenden Diuretika kombiniert? Welche Vorteile hat dies?
Antworten und Kommentar Seite 106
Aus G. Luippold: Fallbuch Pharmakologie (ISBN 3-13-140731-x) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2006 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
Fall 2 Patient nach Nierentransplantation mit Anstieg des Serumkreatinins
!!! 2.1 . .
tient über mehrere Monate dialysiert. 2 Jahre zuvor wurde eine weitere geeignete Niere für den Patienten gefunden und in einem Trans− plantationszentrum regelgerecht extraperito− neal in die Fossa iliaca transplantiert. Zur Ver− hinderung der Transplantatabstoßung wurde der Patient erneut auf eine immunsuppressive Therapie mit Glukokortikoiden, Mycophenolat Mofetil und Ciclosporin A eingestellt. Die transplantierte Niere hatte bislang gut funk− tioniert, nun liegt jedoch der Verdacht auf eine Transplantatabstoßung nahe.
Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus von Ciclosporin A!
Fall
Ein 34−jähriger Transplantationspatient kommt wegen eines Harnweginfektes zu Ih− nen in die Transplantationsambulanz. Die Blutuntersuchung zeigt einen Anstieg des Se− rumkreatinins. 3 Jahre zuvor wurde bei dem Patienten wegen einer chronischen terminalen Niereninsuffizienz und eines langjährig be− stehenden Diabetes mellitus Typ I eine Nie− ren−Pankreas−Transplantation vorgenommen. Trotz immunsuppressiver Therapie musste nach 6 Monaten eine Nierenexplantation auf Grund einer Transplantatabstoßung vorge− nommen werden. Nachfolgend wurde der Pa−
2 3
2.2 . . Nennen Sie eine Substanz mit ähnlichem Wirkungsmechanismus wie Ciclosporin A!
Unter der immunsuppressiven Therapie entwickelte der Patient nach kurzer Zeit eine arterielle Hypertonie.
2.3 . . Welche Medikamente können im vorliegenden Fall eine Hypertonie hervorrufen?
2.4 . . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus von Mycophenolat Mofetil! Welchen Vorteil bietet der Wirkstoff?
Antworten und Kommentar Seite 108
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Fall 3 24−jahrige schwangere Patientin mit standiger Mudigkeit
Fall
3 4
Eine 24 Jahre alte Frau, im 7. Monat schwan− ger, kommt in Ihre Praxis für Gynäkologie. Sie berichtet von Erschöpfungszuständen und ei− nem großen Schlafbedürfnis auch am Tage. Gegen Ende des 5. Monats habe sie einen fie− berhaften Infekt durchgemacht, von dem sie sich bisher nicht richtig erholt habe. Die tägli− che Arbeit falle ihr schwerer als bei den vor− angegangenen Schwangerschaften. Anamnes− tisch sind bei der Patientin 2 vorangegangene Schwangerschaften mit problemlosem Verlauf und unkomplizierter Geburt bekannt. Die Pa− tientin ist blass, ansonsten in gutem Allge− meinzustand, 169 cm groß und 74 kg schwer. Der Blutdruck beträgt im Sitzen gemessen an
beiden Armen 130/70 mmHg, der Puls liegt bei 88 Schlägen/min und ist regelmäßig. Es liegen keine prätibialen Ödeme vor, das Urin− sediment ist unauffällig, es besteht keine Pro− teinurie. Bei der Sonographie sprechen alle Pa− rameter für eine normale Schwangerschaft. Folgende Laborwerte sind auffällig: Hämoglo− bin 9,2 g/dl, Erythrozyten 4,2 Mio/ml, Hämato− krit 31 %, MCH 23 pg, Serumeisen 28 mg/dl, Eisenbindungskapazität 400 mg/dl, Serumfer− ritin 1,2 mg/dl. Auf Grund der Klinik und der Laborbefunde stellen Sie die Diagnose einer Eisenmangelanämie und leiten eine Eisensub− stitutionstherapie ein.
3.1 . . Welche Möglichkeiten der Eisenzufuhr sind Ihnen bekannt?
3.2 . . Mit welchen unerwünschten Wirkungen ist bei der oralen Eisentherapie zu rechnen? Wie sind sie zu vermeiden?
3.3 . . Mit welchen Symptomen müssen Sie bei einer Eisenintoxikation rechnen? Was müssen Sie dann veranlassen?
3.4 . . Welche Kontrolluntersuchung sollten Sie bei einer Eisensubstitution durchführen?
Antworten und Kommentar Seite 110
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Fall 4 63−jahriger Patient mit akuter Dyspnoe bei nichtallergischem Asthma
Fall
Ein 63−jähriger ehemaliger Bauarbeiter ent− wickelt eine akut auftretende Atemnot, nach− dem er eine alte Kommode frisch lackiert hatte. Bekannt ist bei dem Patienten ein lang− jähriges nichtallergisches Asthma. Der Patient ist 155 cm groß und wiegt 45 kg. Er ist in ei− nem schlechten Allgemein− und Ernährungs− zustand (s. Abb.). Der Blutdruck beträgt 135/ 90 mmHg, die Herzfrequenz ist rhythmisch und liegt bei 75 Schlägen/min. Sie wollen die akute Verschlechterung der Asthmasympto− matik des Patienten bessern und beschließen, den Patienten mit Theophyllin intravenös zu behandeln. Er soll auf eine Serumkonzentrati− on von 10 mg/l eingestellt werden. Er hat zu− vor kein Theophyllin erhalten. Der Literatur entnehmen Sie folgende Daten zu Theophyl− lin: Verteilungsvolumen VD = 0,50 l/kg, Clea− rance CL = 0,65 ml/min/kg KG.
4 5
Asthmapatient mit Ruhedyspnoe
4.1 . . Definieren Sie die Begriffe Verteilungsvolumen und Clearance!
4.2 . . Berechnen Sie Sättigungs− und Erhaltungsdosis für den Patienten!
Der Patient soll auf eine orale Therapie (absolute Bioverfügbarkeit, Fabs: 90 %) umgestellt werden.
4.3 . . Wie gehen Sie vor?
4.4 . . Wie würden Sie die Therapie überwachen?
4.5 . . Wie äußert sich eine Überdosierung/Intoxikation von Theophyllin?
Antworten und Kommentar Seite 111
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Fall 5 19−jahrige Patientin mit Verhutungswunsch
Fall
5
Eine 19−jährige Frau kommt in Ihre gynäkolo− gische Sprechstunde und bittet Sie, ihr die Antibaby−Pille“ aufzuschreiben. Die Patientin hat seit 2 Jahren einen festen Freund, mit dem sie schon öfter geschlafen habe. Bisher haben die beiden mit Kondomen verhütet. Sie ist die Methode jetzt leid und sucht nach Alternati− ven. Die Patientin studiert im 2. Semester Ju− ra, und derzeit besteht über Jahre hinaus kein Kinderwunsch. Die Patientin war bisher nie
ernsthaft krank gewesen, sie nimmt keine Me− dikamente ein. Der Blutdruck beträgt 120/ 80 mmHg, die Herzfrequenz ist rhythmisch und liegt bei 84 Schlägen/min. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig. Die gynäkologi− sche Untersuchung ergibt keine pathologi− schen Befunde. Sie klären die Patientin über die hormonale Kontrazeption auf und ver− schreiben ein Einphasenpräparat.
5.1 . . Nennen Sie die wichtigsten Präparattypen der hormonellen Kontrazeptiva!
6
Ihre Frage ob sie rauche, verneint die Patientin.
5.2 . . Welche Kontraindikationen für Kontrazeptiva kennen Sie?
5.3 . . Welche Kontrazeptiva eignen sich für Patientinnen mit Akne?
Sie erklären der Patientin, dass sie, sollte sie einmal ein Antibiotikum einnehmen müssen, zu− sätzlich bis zum Ende dieser Therapie mit Kondomen verhüten sollte.
5.4 . . Welche Wechselwirkungen gilt es, bei den Kontrazeptiva zu beachten?
Antworten und Kommentar Seite 113
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Fall 6 61−jahriger Patient mit progredienter Dyspnoe und Beinodemen
Fall
Ein 61 Jahre alter Landwirt wird wegen pro− gredienter Dyspnoe und Beinödemen beidseits von Ihnen stationär aufgenommen. Eine Rönt− gen−Thoraxaufnahme zeigt eine massive Ver− größerung der Herzhöhlen (s. Abb.), die Echo− kardiographie bestätigt dies und dokumentiert eine schwere globale kardiale Dysfunktion. Da Sie auch nach weiteren Untersuchungen keine Ursache für die Herzinsuffizienz finden, stel− len Sie die Diagnose einer idiopathischen dila− tativen Kardiomyopathie. Sie leiten eine medi− kamentöse Therapie mit einem Schleifendiu− retikum, einem ACE−Hemmer und Digoxin ein. Der Patient fühlt sich deutlich besser, seine Atemnot tritt nur noch selten unter stärkerer Belastung auf. Nach wenigen Wochen verschlechtert sich der kardiale Zustand des Patienten, so dass der Patient erneut stationär aufgenommen wer− den muss. Die Auskultation der Lungen weist auf ein beginnendes Lungenödem hin. Das EKG zeigt einen regelmäßigen Sinusrhythmus von 65 Schlägen/min und einen vollständigen
6 Herzvergroßerung bei dilatativer Kardiomyopathie
7
Linksschenkelblock. Die bisherige medikamen− töse Therapie wird beibehalten, mit Intensi− vierung der diuretischen Therapie und ergän− zender Gabe von Spironolacton.
Nach Kompensation beginnen Sie die Therapie mit einem selektiven b−Rezeptorantagonisten, zunächst in niedriger Dosierung. Unter dieser Therapie tritt eine weitere deutliche Zustandsbes− serung ein.
6.1 . . Welche Indikationen für b−Rezeptorantagonisten bei Herz−Kreislauferkrankungen kennen Sie?
6.2 . . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der b−Rezeptorantagonisten!
6.3 . . Welche Eigenschaften besitzt der b−Rezeptorantagonist Sotalol?
!!! 6.4 . .
Welche Vorteile bieten b−Rezeptorantagonisten mit intrinsischer sympathomimetischer Aktivität (ISA)?
Antworten und Kommentar Seite 115
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Fall 7 8−jahriger Patient mit starken Halsschmerzen Sie werden im Rahmen eines Hausbesuchs zu einem 8−jährigen Jungen gerufen. Sie fin− den den Jungen (25 kg, guter Ernährungszu− stand) mit hohem Fieber im Bett vor. Er wirkt sehr krank, die soeben gemessene rektale Temperatur beträgt 39,8 8C. Die Rachenhinter− wand ist stark gerötet, die Tonsillen sind ver− größert, hochrot und mit kleinen weißen
Fall
7
Stippchen belegt. Die Halslymphknoten sind geschwollen, der Patient hat deutliche Schluckbeschwerden. Beide Trommelfelle sind reizlos, die Nase ist frei. Herz und Lunge sind auskultatorisch bis auf ein leicht verschärftes Atemgeräusch unauffällig. Der Streptokokken− Schnelltest ist positiv. Sie stellen die Diagnose einer Streptokokken−Angina.
Da die meisten Streptokokkenstämme nach wie vor penicillinsensibel sind, ist Penicillin V die Therapie der Wahl.
7.1 . . Welche weiteren Penicilline kennen Sie? Erläutern Sie die Einteilung!
8
7.2 . . Beschreiben Sie den Wirkungsmechanismus der Penicilline (b−Laktamantibiotika)!
7.3 . . Was sind b−Laktamaseinhibitoren?
Nach 3 Wochen werden Sie wieder zu dem Patienten gerufen. Er hat erneut hohes Fieber, eine Tonsillitis und geschwollene Kniegelenke beidseits. Sie finden kleine Knötchen im Bereich des Ellenbogens. Auskultatorisch vernehmen Sie ein leises Systolikum über der Herzspitze. Entspre− chend der Diagnose−Kriterien nach Jones (akute Polyarthritis, Herzgeräusche, subkutane Rheu− maknötchen) weisen die Befunde auf ein akutes rheumatisches Fieber hin.
!!! 7.4 . .
Welche Therapie leiten Sie ein?
7.5 . . Führen Sie eine Rezidivprophylaxe durch? Wenn ja, warum und mit welchen Medikamenten?
Antworten und Kommentar Seite 117
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Fall 8 16−jahriger Patient mit Absencen und Krampfanfallen me mit der Compliance auf, der Patient hatte die Medikation nur unregelmäßig eingenom− men. Die Bestimmung des Carbamazepinspie− gels ergab Werte im subtherapeutischen Bereich. Mit der Erklärung, dass die ursprüng− liche Therapie gut wirksam war und die er− neuten Krampfanfälle auf das Absetzen der Antiepileptikatherapie zurückzuführen sind, raten Sie zu einer Wiederaufnahme der ur− sprünglichen Therapie. Zusätzlich empfehlen Sie dem Patienten seine Lebensführung an die Erkrankung anzupassen, genügend zu schla− fen, auf Computerspiele zu verzichten und das Fernsehen möglichst einzuschränken.
8.1 . . Welche unterschiedlichen Wirkmechanismen bei den Antiepileptika
Fall
Ein 16−jähriger Mann kommt in Begleitung seiner Mutter in Ihre Praxis für Neurologie. Die Mutter berichtet von einzelnen Krampfan− fällen, die seit 4–5 Monaten insbesondere beim Fernsehen und Computerspielen aufge− treten seien, besonders gehäuft nach Schlaf− entzug sowie in Zusammenhang mit Aufre− gung. Anamnestisch hatte der Patient als 12− Jähriger bereits typische Absencen, 2 Jahre später myoklonische Krämpfe und unregelmä− ßige generalisierte tonisch−klonische Anfälle erlitten. Die Anfallsfrequenz konnte durch die Behandlung mit Carbamazepin deutlich ge− bessert werden. Im letzten Jahr traten Proble−
8 9
kennen Sie? Nennen Sie jeweils typische Antiepileptika!
8.2 . . Welche unerwünschten Wirkungen hat Carbamazepin?
8.3 . . Nennen Sie Wirkstoffe und Anwendungen der neuen Antiepileptika“!
8.4 . . Welche Medikamente dürfen bei Epileptikern nicht eingesetzt werden?
Antworten und Kommentar Seite 120
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Fall 9 67−jahrige Patientin mit segmentaler Blaschenbildung
Fall
9 10
Eine 67−jährige Patientin kommt in Ihre Praxis und berichtet von einzelnen Bläschen und Schmerzen unter dem linken Arm. Die Bläs− chen seien wenige Tagen zuvor aufgetreten, zunächst bestand nur eine Rötung. Davor hatte sie sich abgeschlagen und müde gefühlt. Die Inspektion der Veränderungen zeigt seg− mental angeordnete, stecknadelkopf− bis reis− korngroße, prall gespannte, perlartige Bläs− chen in der linken Achselhöhle und im linken Thoraxbereich. Der Inhalt der Bläschen ist gelblich trüb. Die regionalen Lymphknoten sind geschwollen. Der klinische Aspekt und die streng halbseitige Lokalisierung lässt kei− nen Zweifel an einer Gürtelrose (Herpes zos− ter). Die Patientin gibt an, dass sie in der letz− ten Zeit sehr viele Belastungen hatte. Zusätzlich ist bei der Patientin ein Diabetes mellitus Typ II seit 12 Jahren bekannt. Auf−
grund des Alters und der Vorerkrankung ent− schließen Sie sich zu einer medikamentösen Behandlung der Gürtelrose mit dem Virustati− kum Aciclovir. Gleichzeitig empfehlen Sie der Patientin, die Bläschen lokal mit einer aus− trocknenden Lotio alba zu behandeln.
Herpes zoster mit typischer Anordnung
9.1 . . Erläutern Sie den Wirkmechanismus von Aciclovir!
9.2 . . Worauf ist bei der Behandlung mit Aciclovir zu achten, und welche Maßnahmen sind bei unerwünschten Wirkungen zu ergreifen?
9.3 . . Nennen Sie weitere Angriffspunkte antiviraler Wirkstoffe!
!!! 9.4 . .
Charakterisieren Sie den antiviralen Wirkstoff Foscarnet!
Antworten und Kommentar Seite 122
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Fall 10 22−jahriger Patient mit operativ versorgter Oberschenkelfraktur Der Patient erhält Metamizol und Ibuprofen zur Schmerzreduktion. Als Thromboseprophy− laxe wird bei dem Patienten täglich ein nie− dermolekulares Heparin subkutan injiziert. Zusätzlich verordnen Sie ab dem 2. postopera− tiven Tag eine physiotherapeutische Behand− lung, da Sie wissen, dass die frühzeitige Mobi− lisierung des Patienten mit einem geringeren Thromboserisiko und einer verminderten Muskelatrophie einhergeht.
10.1 . Welche Substanzen eignen sich grundsätzlich zur Thromboseprophylaxe?
Fall
Ein 22−jähriger Mann hat sich beim Snow− boardfahren einen komplizierten offenen Bruch des rechten Oberschenkels zugezogen. Auf Grund der großen Weichteilschäden ha− ben die behandelnden Unfallchirurgen den Pa− tienten zunächst mit einem Fixateur externe versorgt. Nach Besserung des Allgemeinzu− standes wird jetzt eine Marknagelung durch− geführt. Nach dem Eingriff liegt der Patient auf der chirurgischen Station, das Bein ist in einer flachen Schaumstoffschiene gelagert.
10 11
10.2 . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der niedermolekularen Heparine und des unfraktionierten Heparins!
10.3 . Welche Vorteile bieten niedermolekulare Heparine gegenüber unfraktioniertem Heparin?
10.4 . Ist Acetylsalicylsäure zur Verhinderung venöser Thromboembolien geeignet?
Antworten und Kommentar Seite 123
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Fall 11 24−jahriger Patient mit Juckreiz und Rhagaden zwischen den Zehen
Fall
11 12
Ein 24−jähriger Mann, von Beruf Bademeister, kommt in Ihre Praxis und klagt über starken Juckreiz in den Zehenzwischenräumen. Die Beschwerden seien 2 Wochen zuvor aufgetre− ten, als er wegen einer Nagelbettverletzung eine Art Gummischuh im Schwimmbad tragen musste. Die Haut zwischen den Zehen hatte sich dann weißlich verfärbt und konnte teil− weise abgezogen werden. Dann traten offene Stellen zutage, die nässten und schmerzhaft waren. Sie sehen sich beide Füße an und fin− den rechts in allen Zehenzwischenräumen weiße aufgequollene Haut mit einzelnen Rha− gaden. Die Zehennägel sind nicht verändert. Sie erklären dem Patienten, dass es sich um eine Pilzinfektion handelt, worauf der Patient antwortet, dass er sich das auch gedacht habe. Da Lokalantimykotika nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen,
stellen Sie dem Patienten ein Grünes Rezept“ mit dem Hinweis aus, dass er die verordnete Clotrimazol−Creme selbst bezahlen muss. Da− raufhin verlässt der Patient erbost die Praxis mit dem Hinweis, dass er sich unter den Um− ständen den Weg hätte sparen können.
Zehenzwischenraum−Mykose
11.1 . Was ist ein Grünes Rezept“? Welche Funktion hat es?
11.2 . Nennen Sie Antimykotika und ihre systematische Einteilung! Wie werden sie eingesetzt?
11.3 . Was ist bei der Anwendung von Ketoconazol zu beachten?
11.4 . Erläutern Sie die Eigenschaften von Amphotericin B!
Antworten und Kommentar Seite 125
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Fall 12 57−jahriger Patient mit Schmerzen im rechten Kniegelenk können Sie Reibegeräusche und Knacken fest− stellen. Die Kniegelenke sind druckschmerz− haft, leicht geschwollen und überwärmt, ein Erguss ist nicht vorhanden. Im Röntgenbild sehen Sie eine Verschmälerung des Gelenk− spalts und einzelne Osteophyten in beiden Kniegelenken. Das Labor ist bis auf eine Hy− percholesterinämie von 270 mg/dl unauffällig. Mit der Arbeitsdiagnose Kniegelenksarthrose klären Sie den Patienten über die Erkrankung auf und empfehlen ihm eine physikalische und eine funktionelle Therapie bei einem Phy− siotherapeuten. Zur Behandlung der akuten Schmerzen verschreiben Sie ihm ein Analgeti− kum.
Fall
Ein 57−jähriger Mann kommt zu Ihnen und klagt über seit mehreren Monaten zuneh− mende Schmerzen im rechten Knie. Der ehe− mals im Bergbau beschäftigte Patient berich− tet über morgendliche Schmerzen im Kniegelenk, die nach dem Aufstehen etwa eine halbe Stunde andauern und sich im Laufe des Tages bessern, jedoch gegen Abend wieder zu− nehmen würden. Langes Stehen verursache er− hebliche Schmerzen, es bestehen keine Nacht− oder Ruheschmerzen. Bei der körperlichen Un− tersuchung finden Sie einen Patient in gutem Allgemeinzustand, die Haut ist blass, warm und trocken, Herz und Lunge sind ohne pa− thologischen Befund. In beiden Kniegelenken
12 13
12.1 . Welche Analgetika stehen Ihnen zur Behandlung des Patienten zur Verfügung?
Als Sie das Rezept ausstellen, erklärt Ihnen der Patient, dass er schon früher Magenprobleme bei der Einnahme von Schmerzmitteln hatte.
12.2 . Welche Wirkstoffe eignen sich als Magenschutz“ während einer NSAID−Therapie?
Aus der Anamnese wissen Sie, dass der Patient eine Hausstauballergie hat und fragen ihn, ob er bei vormaliger Schmerzmitteleinnahme Symptome eines Analgetika−Asthmas“ hatte.
12.3 . Was versteht man unter Analgetika−Asthma“?
12.4 . Nennen Sie die Isoformen der Cyclooxygenase und deren Charakteristika! Durch welche Wirkstoffe werden sie gehemmt?
12.5 . Dürfen NSAID in der Schwangerschaft angewendet werden?
Antworten und Kommentar Seite 127
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Fall 13 50−jahriger Patient mit Durst und Heißhunger
Fall
13
Ein 50 Jahre alter Patient sucht Sie in Ihrer Allgemeinarztpraxis auf. Seit einigen Monaten fühlt er sich seinem Beruf als Geschäftsreisen− der und den damit verbundenen Belastungen nicht mehr gewachsen. Er müsse sich oft aus− ruhen, schlafe viel und fühle sich trotzdem meist schwach und nur eingeschränkt leis− tungsfähig. Außerdem habe er in den letzten Monaten 4 kg abgenommen, ohne dass er dies beabsichtigt habe. Er schwitze viel und habe demzufolge ständig Durst. Mehrmals sei ihm aufgefallen, dass er manchmal regelrechte Schwächezustände“ habe, in denen er sehr unruhig sei und Heißhunger verspüre. Wenn
er den Heißhunger gestillt habe, seien Schwä− che und Unruhe wieder vorbei. Bei der Unter− suchung sehen Sie einen adipösen Mann (BMI 27 kg/m2) in leicht reduziertem Allgemeinzu− stand. Der Patient hat bisher keine Medika− mente eingenommen. Der Blutdruck beträgt 140/90 mmHg, die Herzfrequenz liegt bei 84 Schlägen/min. Die wiederholte Messung der Nüchternblutzuckerspiegel ergibt Werte zwischen 150 und 160 mg/dl, weitere Laborpa− rameter sind nicht pathologisch verändert. Sie stellen die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ II.
14 Trotz verordneter Diätvorschriften und körperlicher Bewegung bleiben die Blutzuckerwerte pa− thologisch erhöht. Da der Patient nur gering adipös ist (Grad I, BMI: 25–30 kg/m2), beginnen Sie die Therapie mit einem Sulfonylharnstoffderivat.
13.1 . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der Sulfonylharnstoffe!
13.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen!
13.3 . Welche weiteren Antidiabetika kennen Sie, und wie wirken diese auf das Körpergewicht?
13.4 . Welche Maßnahmen eignen sich zur Behandlung einer Hypoglykämie?
Antworten und Kommentar Seite 129
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Fall 14 24−jahriger Patient mit Heuschnupfen Ein 24−jähriger Mann sucht Sie mit den typi− schen Symptomen eines Heuschnupfens“ auf, die seit 2 Jahren zu Beginn des Sommers auf− treten. Die Rhinitis allergica äußert sich bei dem Patienten zunächst in einem starken Juckreiz von Augen und Nase und einem serö− sen, nichteitrigen Ausfluss aus der Nase. Die Augen sind durch Reiben stark gerötet und sehr lichtempfindlich. Der Patient klagt insge−
samt über ein anhaltendes Krankheitsgefühl. Die körperliche Untersuchung ist mit Ausnah− me einer stark geröteten Nase und verquolle− ner Augen unauffällig. Der Blutdruck beträgt 125/75 mmHg, die Herzfrequenz ist rhyth− misch und liegt bei 75 Schlägen/min. Der durchgeführte Allergietest ergab eine positive Reaktion auf Gräserpollen und Hausstaubmil− ben.
Rhinokonjunktivitis haben Sie? Was müssen Sie dabei beachten?
Fall
14.1 . Welche Optionen für die Behandlung einer allergischen
14 15
Sie verschreiben dem Patienten ein H1−Antihistaminikum.
14.2 . Nennen Sie Indikationen für die H1−Antihistaminika!
14.3 . Wodurch kann eine Histaminfreisetzung auch ausgelöst werden?
14.4 . Erläutern Sie den Signaltransduktionsweg nach Aktivierung von H1−Rezeptoren!
!!! 14.5 .
Durch welche teilweise tödlich verlaufende Wechselwirkung ist das H1−Antihistaminikum Terfenadin aufgefallen?
Antworten und Kommentar Seite 131
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Fall 15 Schwangere Patientin mit Sectio caesarea in Inhalationsnarkose
Fall
15 16
Sie sind als PJ−Student in der anästhesiologi− schen Abteilung eines kleineren Kreiskranken− hauses beschäftigt. Gleich am ersten Tag dür− fen Sie an einer Sectio caesarea bei einer 23− jährigen, 68 kg schweren Erstgebärenden mit Beckenendlage des Fetusses teilnehmen. Die Patientin hat keine Begleiterkrankungen und Voroperationen. Der Kaiserschnitt soll in All− gemeinanästhesie durchgeführt werden. Nach Präkurarisierung mit 1,5 mg Vecuronium wird die Narkose mit Thiopental (5 mg/kg KG i. v.) eingeleitet. Um die Intubation zu erleichtern, wird anschließend ohne überbrückende Mas− kenbeatmung Succinylcholin i. v. verabreicht. Nach Intubation wird die Patientin bis zur
Entbindung mit 100 % Sauerstoff beatmet. Anschließend wird die Beatmung auf ein Sau− erstoff−Lachgas−Gemisch umgestellt. Die puls− oxymetrisch bestimmten Werte der Sauer− stoffsättigung sind über den gesamten Verlauf unauffällig. Zur Aufrechterhaltung der Narkose wird während des Bauchdeckenverschlusses Isofluran in niedriger Konzentration über das Atemgas zugeführt. Die Ausleitung der Narko− se mit einem erhöhten Sauerstoff−Anteil wird gegen Ende des Bauchdeckenverschlusses be− gonnen. Schnell setzt die Spontanatmung wie− der ein und die Patientin kann extubiert wer− den. Der beteiligte Anästhesist stellt Ihnen nach der Sectio caesarea einige Fragen.
15.1 . Was ist das Ziel einer Narkose, und durch welche Substanzen wird dies erreicht?
15.2 . Welche 2 Gruppen von Narkotika werden unterschieden?
15.3 . Nennen Sie Eigenschaften und unerwünschte Wirkungen von Lachgas!
15.4 . Was versteht man unter Neuroleptanalgesie?
15.5 . Nennen Sie die Eigenschaften von Succinylcholin? Wofür wird es verwendet?
Antworten und Kommentar Seite 133
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Fall 16 56−jahrige Patientin mit Logorrho und Ideenfluchtigkeit tiv gelockert und distanzgemindert mit sorg− los−heiterer bis erregter Stimmung. Es gibt keinen Anhalt für ein psychotisches Erleben oder akute Suizidalität. Die Befunde sprechen für eine langsam progrediente manische Symptomatik mit zunehmendem Schlafdefizit, Affektlabilität und deutlicher Antriebssteige− rung aus. Da die Symptomatik der Patientin nicht so ausgeprägt ist, dass Sie eine stationä− re Behandlung für indiziert halten, beginnen Sie mit einer ambulanten Akutbehandlung der Manie mit Carbamazepin. Nachdem sich die Symptomatik nach einigen Tagen gebessert hat, entschließen Sie sich aufgrund der rezidi− vierenden manisch−depressiven Episoden für eine Rezidivprophylaxe mit Lithium.
Fall
Eine 56−jährige Patientin stellt sich auf Drän− gen ihrer Angehörigen bei Ihnen in der Praxis vor. Sie berichtet von einem zunehmenden Schlafdefizit mit Gereiztheit seit 10 Tagen. Gestern Nacht hätte sie gar nicht geschlafen und habe stattdessen versucht eine Internet− firma zu gründen. Die Patientin ist bewusst− seinsklar, voll orientiert und erzählt weit− schweifig über die Idee verschiedene Firmen zu gründen. Telefonisch erfahren Sie von den Angehörigen, dass die Patientin, eine gelernte Verkäuferin und jetzt Hausfrau, schon früher viel eigenes und geliehenes Geld in dubiose Geschäfte und Scheinfirmen investiert und wiederholt unter Depressionen gelitten habe. Die Patientin zeigt eine Logorrhö, ist assozia−
16 17
16.1 . Nennen Sie Indikationen für Lithium!
16.2 . Welche unerwünschten Wirkungen kann Lithium verursachen?
16.3 . Darf Lithium in der Schwangerschaft angewendet werden?
Sie erklären der Patientin, dass sie in der nächsten Zeit regelmäßig in Ihre Praxis zur Spiegel− kontrolle kommen soll.
16.4 . Warum und wie wird bei der Behandlung mit Lithium ein sog. therapeutisches Drugmonitoring durchgeführt?
16.5 . Wie äußern sich toxische Nebenwirkungen und wodurch werden sie begünstigt? Welche Maßnahmen sind bei einer Lithiumintoxikation zu ergreifen?
Antworten und Kommentar Seite 135
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Fall 17 17−jahriges Madchen zur Abszessspaltung in Lokalanasthesie Ein 17−jähriges Mädchen kommt in die Ambu− lanz der chirurgischen Poliklinik. Sie berichtet Ihnen von einer schmerzhaften geröteten Stel− le im Bereich eines Bauchnabel−Piercings. Das Piercing habe sie sich auf einer Ostasienreise auf Wunsch ihres Freundes vor kurzem anfer− tigen lassen. Bei der Untersuchung sehen sie eine stark gerötete, überwärmte Schwellung im Bereich der Perforationsstelle. Die Schwel−
Fall
17
lung fluktuiert und ist äußert schmerzhaft. Sie entfernen das Piercing und entschließen sich den Abszess zu spalten. Wegen der Schmerz− haftigkeit infiltrieren Sie das Gewebe mit 1 %igem Lidocain zur Lokalanästhesie. Sie las− sen das Lidocain einwirken und setzen das Skalpell an. Während des ersten Schnittes schreit die Patientin vor Schmerz auf.
17.1 . Was ist passiert? Warum hat das Lidocain nicht gewirkt?
18
17.2 . Beschreiben Sie den Wirkungsmechanismus von Lidocain!
17.3 . Welche Anforderungen sind an ein klinisch brauchbares Lokalanästhetikum zu stellen?
!!! 17.4 .
Mit welcher Substanz wurde erstmals eine Lokalanästhesie durchgeführt?
17.5 . Warum werden den Lokalanästhetika vasokonstriktorische Zusätze beigemischt?
Antworten und Kommentar Seite 136
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Fall 18 27−Jahriger mit Volumenmangelschock durch offene Oberschenkelfraktur Seine Haut ist blass, marmoriert, kühl und kaltschweißig. Der Puls ist fadenförmig mit ei− ner Frequenz zwischen 114 und 120/min, der Blutdruck liegt unter 100 mmHg; die Atmung ist flach, die Frequenz liegt bei 32 Schlägen/ min. Sie bringen die Blutung des frakturierten Oberschenkels zum Stillstand und führen un− ter der Vorstellung eines akuten Volumen− mangelschocks nach komplizierter Oberschen− kelfraktur eine Volumensubstitution zur Kreislaufstabilisierung durch.
Fall
Sie werden als Notarzt zu einem 27−jährigen Holzarbeiter gerufen, der sich beim Fällen ei− ner Eiche schwer verletzt hatte. Ein hinzuge− eilter Förster hat die Erstversorgung einer klaffenden Fleischwunde und eines offenen Oberschenkelbruchs mit einem Verband durchgeführt und Sie gerufen. Sie treffen 25 Minuten nach dem Unfall in dem schlecht zu erreichenden Waldstück ein, der Patient hat bisher einiges Blut verloren. Er ist bei Be− wusstsein, hat starke Schmerzen, fühlt sich schwindlig, empfindet Übelkeit und Durst.
18
18.1 . Welche Volumenersatzstoffe kennen Sie?
19
18.2 . Was ist bei der Anwendung einer Dextranlösung zu beachten?
18.3 . Was enthält eine Vollelektrolytlösung (Ringerlösung)?
18.4 . Wie viel Natriumionen (mmol/l) enthält eine isotone Kochsalzlösung?
Antworten und Kommentar Seite 138
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Fall 19 24−jahrige Patientin mit Morbus Crohn
Fall
19 20
Eine 24−jährige Patientin berichtet Ihnen in Ihrer Allgemeinarztpraxis von Durchfall seit etwa 3 Wochen. Sie müsse im Durchschnitt 5− bis 10−mal täglich auf die Toilette und habe vor dem Stuhlgang immer leichte Bauch− schmerzen. In den letzten Wochen habe sie teilweise geringe hellrote Blutbeimengungen im Stuhl festgestellt. Aktuell habe sie etwa 6 kg an Gewicht verloren. Es liegt kein Niko− tin− oder Alkoholkonsum vor. Einige Jahre zu− vor habe sie eine nässende Stelle am After ge− habt. Der Untersuchungsbefund der Patientin ergibt einen stark reduzierten Allgemein− und Ernährungszustand mit einem Körpergewicht von 47 kg bei einer Körpergröße von 175 cm. Die körperliche Untersuchung ergibt keine pa− thologischen Befunde für das Herz−Kreislauf− und respiratorische System. Mit Ausnahme ei− ner lebhaften Peristaltik ist der Abdominalbe−
fund unauffällig. Im Labor finden sich folgen− de Werte: Hb 9,7 g/dl; Leukozyten 6900/ml; BSG 30/70 mm; CRP 8,4 mg/dl. Eine Röntgen− aufnahme des Abdomens nach Kontrastmittel− gabe zeigt das typische Bild eines Morbus Crohn mit pflastersteinartigen Kontrastmittel− aussparungen und atonischen und eng gestell− ten Darmschlingen im Bereich des Zökalpols und des terminalen Ileums.
Rontgen−Abdomen mit Kontrastmittel: Pflastersteinrelief des Dunndarms (Pfeile)
Für eine initiale Therapie soll die Patientin im akuten Schub mit Glukokortikoiden systemisch behandelt werden.
19.1 . Erläutern Sie den Mechanismus der entzündungshemmenden Wirkung der Glukokortikoide!
Die Patientin fragt Sie, ob sie denn mit Nebenwirkungen bei einer länger dauernden Therapie mit Glukokortikoiden rechnen muss.
19.2 . Welche unerwünschten Wirkungen sind bei einer Langzeittherapie mit Glukokortikoiden zu beachten?
Sie erklären der Patientin, dass für den Fall einer Langzeittherapie eine Prophylaxe gegen Osteo− porose durchgeführt wird.
19.3 . Wie wird eine Osteoporoseprophylaxe bei längerfristiger Glukokortikoidtherapie durchgeführt?
Einige Medikamente werden in ihrer Wirkung durch Glukokortikoide beeinflusst.
19.4 . Welche Medikamenteneinnahme müssen Sie bei der Patientin abklären?
Antworten und Kommentar Seite 140
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Fall 20 22−jahriger ehrgeiziger Sportler mit erhohtem Hamatokritwert dem weiter vor und entgegen aller Erwartun− gen startete er bei den Spielen, gewann eine Goldmedaille im 10 000−Meter−Lauf und eine Silbermedaille im 5000−Meter−Lauf. Er wurde von den Medien wegen seines eisernen Wil− lens“ gefeiert, 2 Tage später des Dopings be− zichtigt und mit einen Hämatokritwert von 60,1 % überführt. Die Medaillen wurden ihm aberkannt. In seiner Wohnung wurden Sprit− zen mit Anabolika und Erythropoetin gefun− den, er wurde daraufhin vom Leichtathletik− verband gesperrt.
20.1 . Welche verbotenen Wirkstoffe im Doping kennen Sie?
Fall
Sie lesen in einer Zeitung über einen Doping− skandal: Ein 22−jähriger Sportler betreibt seit seinem 8. Lebensjahr Leichtathletik. Seine Ent− wicklung ging stetig aufwärts, er trainierte mittlerweile für die Olympischen Sommer− spiele. Während des Wintertrainings 11 Mo− nate vor den Olympischen Spielen verletzte er sich durch einen Sturz am Wassergraben beim Hindernislauf. Die Ärzte verordneten eine 3−monatige Trainingspause, die Spiele sowie eine sicher geglaubte Medaille rückten in weite Ferne. Der Sportler bereitete sich trotz−
20 21
20.2 . Warum wird Erythropoetin als Dopingmittel verwendet? Wie kann es nachgewiesen werden?
20.3 . Erläutern Sie das Missbrauchspotenzial der Diuretika!
20.4 . Warum werden Steroidanabolika als Dopingmittel bei Kraftsportlern eingesetzt? Welche unerwünschten Wirkungen können auftreten?
Antworten und Kommentar Seite 142
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Fall 21 62−Jahriger mit Kolonkarzinom und regionalen Lymphknotenmetastasen
Fall
21 22
Ein 62−jähriger Mann berichtet Ihnen bei der Aufnahmeuntersuchung im Krankenhaus von Stuhlunregelmäßigkeiten, die seit 4 Monaten bestünden. Dabei wechselten sich Phasen aus− geprägter Obstipation mit Phasen hoher Stuhl− frequenz von 4− bis 6−mal pro Tag ab. Gleichzeitig bemerkte der Patient eine Ge− wichtsabnahme von 3 kg. Die Prüfung auf ok− kultes Blut im Stuhl sei beim Hausarzt einmal positiv ausgefallen. Bei der Aufnahmeuntersu− chung finden Sie einen adipösen Mann (178 cm, 92 kg) vor; Inspektion, Palpation und Auskultation ergeben keine pathologischen Befunde für Haut, Schleimhäute, Herz, Lunge sowie Abdomen. Die Darmgeräusche sind un− charakteristisch und spärlich. Bei der rektal− digitalen Untersuchung ist kein frisches Blut am Fingerling zu sehen. In der Koloskopie
wird linksseitig im Kolon eine Neoplasie ge− funden (s. Abb.), die histologisch als Karzinom gesichert werden kann. Fernmetastasen in der Leber sind sonografisch nicht nachzuweisen.
Koloskopie: Kolonkarzinom
Bei dem Patienten wird eine linksseitige Hemikolektomie mit En−bloc−Resektion und Entfernung des regionalen Lymphabflussgebietes vorgenommen. Da die regionalen Lymphknoten teilweise befallen waren, wird zusätzlich eine Behandlung mit 5−Fluorouracil und Levamisol durchge− führt.
21.1 . Warum wird beim kolorektalen Karzinom 5−Fluorouracil/Levamisol angewendet?
21.2 . Durch welche Reaktion wird 5−Fluorouracil aktiviert?
21.3 . Welche Indikationen für 5−Fluorouracil kennen Sie?
!!! 21.4 .
Gibt es von 5−Fluorouracil eine peroral wirksame Vorstufe?
Antworten und Kommentar Seite 144
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Fall 22 17−jahrige Patientin mit Schmerzen beim Wasserlassen Eine 17−jährige Frau kommt zu Ihnen in die Sprechstunde und klagt über häufigen Harn− drang und brennende Schmerzen beim Was− serlassen, die seit mehreren Tagen bestehen würden. Ein Bärentraubenblättertee, den ihr der hiesige Apotheker empfohlen hätte, habe nicht geholfen. Die Temperatur der Patientin ist axillär gemessen mit 38,5 8C leicht erhöht. Die Patientin sei bisher nie ernsthaft krank
gewesen. Die körperliche Untersuchung ist ohne pathologischen Befund, die Patientin in gutem Allgemein− und Ernährungszustand. Die Urinprobe ist deutlich trüb, es liegen mas− senhaft Leukozyten, aber keine Zylinder vor. Sie gehen von einer unkomplizierten akuten Zystitis aus. Wegen einer bekannten Penicil− linallergie verordnen Sie der Patientin Co−Tri− moxazol für 3 Tage.
Erläutern Sie, warum diese Kombination sinnvoll ist!
Fall
22.1 . Aus welchen Wirkstoffen ist Co−Trimoxazol zusammengesetzt?
22 23
22.2 . Beschreiben Sie den Wirkungsmechanismus von Trimethoprim!
Neben besonderer Sorgfalt bei der Intimpflege (Reinigung der Genitoanalregion ausschließlich von vorn nach hinten, ggf. Blasenentleerung nach dem Geschlechtsverkehr) empfehlen Sie der Patientin mindestens 2,5 Liter zu trinken, um nicht nur die Erreger, sondern auch das Antibio− tikum möglichst rasch auszuschwemmen und damit unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.
22.3 . Welche unerwünschten Wirkungen können bei der Einnahme von antibiotisch wirksamen Sulfonamiden auftreten?
22.4 . Welche weiteren Arzneistoffe beeinflussen den Folsäurestoffwechsel, und wie werden sie eingesetzt?
!!! 22.5 .
Bei welchen internistischen Erkrankungen werden Sulfonamidverbindungen ebenfalls eingesetzt?
Antworten und Kommentar Seite 145
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Fall 23 43−jahriger Patient mit starken chronischen Ruckenschmerzen
Fall
23 24
Ein 43−jähriger Angestellter wird wegen star− ker chronischer Rückenschmerzen (Lumbois− chialgie) an Sie als Schmerztherapeut über− wiesen. Der Mann klagt über einen seit 2 Jahren bestehenden gürtelförmigen Dauer− schmerz in der Lendenwirbelsäule mit Aus− strahlung in beide Oberschenkelrückseiten. Keine der bisherigen analgetischen Maßnah− men konnte ausreichend Linderung verschaf− fen. Auf der visuellen Analogskala (VAS) be− trägt die Schmerzstärke im Mittel 5 (10 = Maximalschmerz), bei Belastung nehmen die Schmerzen deutlich bis auf VAS 7 zu und strahlen dann bis in die Fersen aus. Die kör−
perliche Untersuchung zeigt bei sonst gutem Allgemeinzustand eine rechtskonvexe Lum− balskoliose mit Rotation nach rechts sowie Druckschmerzen im unteren Lendenwirbelbe− reich (L4–S1). Der Patient zeigt zudem Rekli− nations− und Flexionsschmerzen. Paravertebral liegt beidseits eine ausgeprägte Muskelver− spannung vor. Den Vorschlag mehrerer Ortho− päden zu einer operativen Behebung der Fehl− stellung will der Patient überdenken. Bis zu einer Entscheidung leiten Sie eine Behandlung mit dem Opioidanalgetikum Buprenorphin in Kombination mit einem nichtsteroidalen Anti− phlogistikum ein.
23.1 . Welche Möglichkeiten zur Applikation von Buprenorphin kennen Sie?
23.2 . Welche Opioidrezeptoren sind Ihnen bekannt? Welche Wirkungen treten auf?
23.3 . Welche Kontraindikationen bestehen für Morphin?
23.4 . Warum wird das Opioidanalgetikum Tilidin mit Naloxon als Fixkombination angeboten?
23.5 . Welche Angaben sind beim Ausfüllen eines Betäubungsmittelrezeptes erforderlich?
Antworten und Kommentar Seite 147
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Fall 24 16−jahrige Patientin mit Meningokokkenmeningitis das Liquoreiweiß ist mit 3,21 g/l stark erhöht, mikroskopisch sind gramnegative Diplokokken nachzuweisen. Unter der Verdachtsdiagnose einer Meningokokkenmeningitis leiten Sie so− fort eine kausale Therapie mit Cefotaxim 3 3 2 g/d i. v. über 4 Tage ein.
Fall
Eine Mutter bringt ihre 16−jährige Tochter spät− abends in die Notaufnahme einer Universitäts− klinik. Sie sind der aufnehmende Arzt und er− fahren, dass die 16−Jährige morgens mit unspezifischem Unwohlsein aufgewacht sei. Gegen Mittag klagte sie über Kopf− und Ohren− schmerzen, kurz darauf traten Schüttelfrost und Fieber bis 39,2 8C sowie einmaliges Erbre− chen auf. Die junge Frau habe dann eine Kopf− schmerztablette genommen und bis zum frü− hen Abend geschlafen. Dann sei sie sehr unruhig und desorientiert aufgewacht und ha− be einen Hautausschlag an beiden Armen ent− wickelt. Bei Aufnahme ist die Patientin schwer krank, somnolent bis soporös, verwirrt, unru− hig und zeigt einen deutlichen Meningismus und petechiale Hautblutungen an den oberen Extremitäten (s. Abb.). Die Temperatur beträgt 39,08C; im Liquor finden sich 20 200 Zellen/ml,
24 25
Multiple subkutane Hamorrhagien
24.1 . Nennen Sie Wirkspektrum und Indikationen der parenteral anwendbaren Cephalosporine!
24.2 . In welche Gruppen lassen sich die Oralcephalosporine einteilen?
24.3 . Mit welchen unerwünschten Wirkungen der Cephalosporine müssen Sie rechnen?
In der Blutkultur der Patienten konnten Meningokokken nachgewiesen werden.
!!! 24.4 .
Welche Maßnahmen sind jetzt bei Kontaktpersonen zu veranlassen?
Antworten und Kommentar Seite 150
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Fall 25 33−jahrige Patientin mit Angstzustanden
Fall
25 26
Eine 33−jährige Verkäuferin berichtet Ihnen in Ihrer Praxis für Psychiatrie von einer plötzlich aufgetretenen Luftnot, die sie aus heiterem Himmel in der stark belebten Innenstadt bei einem Einkaufsbummel verspürt habe. Ihre Kehle habe sich zugeschnürt, und sie habe ganz schnell geatmet, wegen Schwindel habe sie sich dann hingesetzt. Eine sie begleitende Freundin habe daraufhin den Notarzt verstän− digt, der sie mit Blaulicht ins Krankenhaus ge− fahren habe. Als sie die Klinik erreichte, ging es ihr schon deutlich besser; nach stundenlan− gen Untersuchungen wurde ihr mitgeteilt, dass man nichts gefunden habe. Auf Ihre Fra− ge, ob der Luftnot ein besonderes Ereignis vor− ausgegangen sei, berichtet die Patientin, dass sie darüber nachgedacht habe, was passieren
würde, wenn auf der belebten Fußgängerzone eine Bombe explodieren würde. Weiterhin be− richtet die Patientin, dass solche Angstzustän− de schon öfter aufgetreten seien, v. a. wenn sie mit großen Menschenansammlungen konfron− tiert wurde. Die Symptome würden sich jedes Mal in Hitzewallungen, Schwitzen, Herzrasen, unregelmäßigem Herzschlag und einer Enge in der Brust äußern. Die Patientin berichtet weiterhin, dass sie seit dem erstmaligen Auf− treten dieser Attacken“ Menschenansamm− lungen, Fahrstühle und öffentliche Verkehrs− mittel meide und nicht mehr allein einkaufen gehe. Sie diagnostizieren eine Angststörung im Sinne einer Agoraphobie und beginnen eine Verhaltenstherapie.
Unterstützend beginnen Sie eine Behandlung mit einem Antidepressivum.
25.1 . Welche Antidepressiva−Gruppen sind Ihnen bekannt?
Vor Beginn der Therapie mit dem trizyklischen Antidepressivum Imipramin führen Sie einige körperliche und Laboruntersuchungen durch.
25.2 . Warum und welche Routineuntersuchungen sollten vor der Therapie mit trizyklischen Antidepressiva durchgeführt werden?
25.3 . Nennen Sie den Wirkungsmechanismus der trizyklischen Antidepressiva!
Nach 2 Monaten berichtet Ihnen die Patientin im Rahmen der Verhaltenstherapiesitzung über Schwindelanfälle und Schlafstörungen. Sie beschließen, die medikamentöse Therapie mit einem selektiven Serotonin−Reuptake−Inhibitor fortzusetzen.
25.4 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der trizyklischen Antidepressiva!
Antworten und Kommentar Seite 152
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Fall 26 51−jahrige Patientin mit multiplen Knochenmetastasen Sie betreuen eine 51−jährige Patientin, die 4 Jahre zuvor an einem Mammakarzinom brusterhaltend operiert und mit einer adju− vanten Chemo− und Radiotherapie behandelt wurde. Auf Grund eines ausgedehnten inope− rablen Lokalrezidivs wurde ein Restaging durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt klagte die Patientin über eine Verschlechterung ihrer
körperlichen Leistungsfähigkeit, diffuse Ske− lettschmerzen und eine Einschränkung ihrer Mobilität. Es wurden ossäre Metastasen in Wirbelsäule und mehreren Rippen gefunden. Die Patientin erhielt daraufhin eine palliative systemische Chemotherapie und begleitend dazu eine Therapie mit Bisphosphonaten.
Fall
26.1 . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der Bisphosphonate!
26 27
26.2 . Welche Einnahmehinweise für Bisphosphonate geben Sie der Patientin und warum?
26.3 . Wie wirkt das Calcitonin? Wie wird es zugeführt?
!!! 26.4 .
Beschreiben Sie die Wirkungen von Parathormon auf den Knochen!
Antworten und Kommentar Seite 154
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Fall 27 58−jahriger Patient mit nachtlicher Atemnot und beginnendem Lungenodem
Fall
27 28
Ein 58−jähriger Patient sucht Sie in Ihrer All− gemeinarztpraxis auf. Er berichtet über zu− nehmende Abgeschlagenheit in den letzten 4 Monaten. Zudem verspüre er, zunächst bei stärkeren körperlichen Anstrengungen, nun auch bei relativ geringer körperlicher Betäti− gung Luftnot. Seit einer Woche treten nächtli− che Anfälle von Atemnot auf, die sich nach Aufsetzen oder Umhergehen bessern. Der Pa− tient ist 167 cm groß und wiegt 72 kg. Die kli− nische Untersuchung ergibt einen nach links unten verlagerten, verbreiterten Herzspitzen− stoß. Eine Tachyarrhythmia absoluta (Fre−
quenz 144 Schläge/min) und ein Pulsdefizit werden durch ein EKG mit Vorhofflimmern und einer Herzfrequenz von etwa 150/min be− stätigt. Über beiden Lungen sind basal betonte feinblasige Rasselgeräusche als Zeichen einer beginnenden Lungenstauung zu hören. Ein Röntgen−Thorax zeigt eine leichte linksventri− kuläre Dilatation mit Zeichen einer Lungen− stauung, echokardiografisch ist eine deutlich reduzierte linksventrikuläre Funktion zu er− kennen. Das Serumkreatinin ist auf 1,6 mg/dl erhöht.
Sie stellen die Diagnose Chronische Herzinsuffizienz“ und entscheiden sich für eine Behand− lung mit Diuretika und einem Herzglykosid.
27.1 . Welches Herzglykosid würden Sie im vorliegenden Fall einsetzen?
27.2 . Welche Möglichkeiten der Aufdigitalisierung haben Sie? Wie hoch liegt die Erhaltungsdosis?
27.3 . Was tun Sie bei einer Digitalisintoxikation?
27.4 . Welche Arzneimittel können den Kaliumhaushalt stören?
Antworten und Kommentar Seite 155
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Fall 28 54−jahriger Patient mit nachtlichem Husten suchung finden Sie einen diffus geröteten Ra− chen ohne Beläge auf den Tonsillen. Die Lun− genauskultation ergibt einzelne giemende Geräusche ohne Anhalt für eine Pneumonie. Auf Grund der epidemiologischen Situation und der kalten Jahreszeit gehen Sie von einer akuten Tracheobronchitis aus und verschrei− ben dem Patienten ein codeinhaltiges Antitus− sivum.
28.1 . Welche Wirkstoffe können als Antitussiva eingesetzt werden?
Fall
Ein 54−jähriger Mann sucht Sie wegen eines bellenden, unproduktiven Hustens im Winter in Ihrer Hausarztpraxis auf. Er berichtet Ihnen, dass eine Woche zuvor die Erkältung mit leichtem Fieber und Fließschnupfen begonnen hätte. 4 Tage später hätte der Husten begon− nen, v. a. nachts quäle er ihn. Der Husten gehe mit Heiserkeit und brennenden Schmerzen hinter dem Brustbein einher. Das Sputum ist spärlich und farblos. Bei der klinischen Unter−
28 29
28.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen des Codeins!
28.3 . Wie wirken Expektoranzien?
28.4 . Sollte der Patient ein Antibiotikum erhalten?
Antworten und Kommentar Seite 158
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Fall 29 56−jahriger Patient mit Potenzstorungen Ein 56−jähriger Mann, den Sie wegen einer ar− teriellen Hypertonie mit einem b−Rezeptoran− tagonisten behandeln, konsultiert Sie in Ihrer Allgemeinarztpraxis wegen Probleme beim Wasserlassen. Sie denken an eine Prostatahy− perplasie, aber weder Anamnese noch rektaler Palpationsbefund weisen auf eine Prostata− problematik hin. Auf Grund der unauffälligen
Fall
29
Befunde befragen Sie den Patienten noch ein− mal genauer nach seinen Beschwerden. Er be− richtet jetzt von Potenzstörungen, die seit ei− nem halben Jahr bestehen und ihn und seine Ehe belasten würden. Sie untersuchen den Pa− tienten daraufhin weiter, können aber keinen Anhalt für organische Ursachen der Potenzstö− rungen finden.
Differenzialdiagnostisch denken Sie auch an unerwünschte Wirkungen von Medikamenten für die Potenzstörungen.
29.1 . Welche Medikamente können Potenzstörungen hervorrufen?
30
Sie ändern die Therapie der arteriellen Hypertonie und wechseln auf einen ACE−Hemmer, den der Patient gut verträgt, und schleichen den b−Rezeptorantagonisten aus. Der Blutdruck beträgt nach Umstellung im Mittel 130/85 mmHg. Trotz der Medikamentenumstellung berichtet der Pa− tient weiterhin von Potenzstörungen. Der konsultierte Urologe bestätigt die erektile Dysfunktion ohne Organpathologie. Der Leidensdruck des Patienten ist nach weiteren 3 Monaten so groß, dass er den Vorschlag einer medikamentösen Unterstützung seiner Potenzprobleme befürwor− tet. Sie klären ihn über die Therapie mit dem Phosphodiesterase−Hemmstoff Sildenafil auf und stellen ein Rezept aus.
29.2 . Nennen Sie Kontraindikationen für Sildenafil!
29.3 . Welche wichtigen Wechselwirkungen können unter Sildenafil auftreten?
!!! 29.4 .
Nennen Sie weitere medikamentöse Therapieoptionen bei erektiler Dysfunktion!
Antworten und Kommentar Seite 159
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Fall 30 58−jahrige Patientin mit Mitralklappenersatz der Lunge sind feinblasige Rasselgeräusche zu hören. Im EKG ist ein Linkstyp, eine absolute Arrhythmie, Vorhofflimmern und ein Links− schenkelblock mit Zeichen einer Linksherzhy− pertrophie erkennbar. Das Labor ergibt mit Ausnahme einer geringgradigen Erhöhung der Leukozytenzahl (10 500/ml), des Cholesterins (266 mg/dl) und der Harnsäure (8,3 mg/dl) keine pathologischen Befunde. Nach kardiolo− gisch−internistischer Konsultation ergibt sich das Bild einer schweren Mitralinsuffizienz un− klarer Genese. Die Patientin wird operiert und eine zweiflügelige Kunststoffklappe implan− tiert.
Fall
Eine 58−jährige Hausfrau konsultiert Sie in Ih− rer Allgemeinarztpraxis wegen Leistungsmin− derung und einer belastungsabhängigen Atemnot, die seit einiger Zeit bestehen wür− den. Sie wiegt 57 kg bei einer Körpergröße von 155 cm. Sie raucht nicht und trinkt keinen Alkohol. Die Ernährung ist ausgewogen, die körperliche Aktivität gering. In der Familie sind weder arterielle Hypertonie noch andere Herz−Kreislauferkrankungen bekannt. Der Blutdruck beträgt 140/85 mmHg, die Herzfre− quenz 100 Schläge/min. Auskultatorisch fin− den Sie über dem Herzen ein mittelfrequentes holosystolisches bandförmiges Geräusch mit Punctum maximum über der Herzspitze. Über
30 31
Die Patientin muss lebenslang antikoaguliert werden.
30.1 . Nennen Sie Wirkstoffe, die zur oralen Antikoagulation geeignet sind, und deren Eigenschaften!
30.2 . Was ist bei einer Überdosierung mit Kumarinen zu tun?
Bei der Patientin muss wegen der Kumarineinnahme der INR−Wert regelmäßig kontrolliert wer− den.
30.3 . Erläutern Sie den Begriff INR−Wert!
30.4 . Wie führen Sie eine initiale Aufsättigung mit Phenprocoumon durch?
Antworten und Kommentar Seite 160
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!!!
Fall 31
26−jahriger Patient mit Milzvergroßerung und Leukozytose
Fall
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Ein 26−jähriger sportlicher Patient berichtet Ihnen in Ihrer Allgemeinarztpraxis, dass er gestern während eines Fußballspieles das Knie seines Gegenspielers in den Bauch bekommen habe. Seither habe er starke Schmerzen im rechten Oberbauch. Der Patient ist 188 cm groß und 78 kg schwer. Der Blutdruck beträgt 120/75 mmHg, die Herzfrequenz ist rhyth− misch und liegt bei 58 Schlägen/min. Die Ab− domensonografie ergibt eine Splenomegalie (16 3 19 cm) bei einer ansonsten unauffälligen körperlichen Untersuchung. Vorsorglich neh− men Sie dem Patienten Blut ab. Der Labor− befund zeigt: Hämoglobin 13,9 g/dl, Thrombo− zyten 722 000/ml, Leukozyten 205 000/ml. Im Differenzialblutbild finden sie Myeloblasten 2 %, Promyelozyten 5 %, Myelozyten 6 %, Meta− myelozyten 16 %, Stabkernige 6 %, Segmentker− nige 54 %, Basophile 6 %, Eosinophile 4 %, Mo− nozyten 1 %, Lymphozyten 1 %. Auf Grund dieses Befundes lassen Sie eine Sternalmark− aspiration durchführen. Es findet sich eine pa− thologisch nach links verschobene Granulo−
poese mit einigen Megakaryozyten. Die weiteren Untersuchungen erbringen die Dia− gnose einer Philadelphia−Chromosom−positi− ven chronisch myeloischen Leukämie (CML). Nach Versagen einer Interferon−a−Therapie wird der Patient mit Imatinib in der akzele− rierten Phase der Erkrankung behandelt.
Buntes Blutbild bei der chronisch myeloischen Leuka− mie (Fließende Ubergange zwischen Promyelozyten [P], Myelozyten [M] und segmentkernigen Granulozyten [S]; basophiler Granulozyt [B])
31.1 . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus von Imatinib!
31.2 . Nennen Sie häufige unerwünschte Wirkungen von Imatinib!
31.3 . Welche weiteren Wirkstoffe werden zur Behandlung der CML eingesetzt?
31.4 . Was versteht man unter einer allogenen Knochenmarktransplantation?
Antworten und Kommentar Seite 162
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Fall 32 Kleinkind mit Innenohrschwerhorigkeit 2 Wochen verabreicht. Eine Woche nach der Operation entwickelte die Patientin Fieber und ihr Allgemeinzustand verschlechterte sich. Mit den Zeichen einer Kreislaufzentrali− sation (u. a. Tachykardie, Hypotonie, blasse Haut) gingen die Ärzte der Station von einem septischen Schub aus und behandelten die Pa− tientin mit dem Aminoglykosid−Antibiotikum Tobramycin und dem Cephalosporin Cefuro− xim. Der Allgemeinzustand der Patientin ver− besserte sich langsam, das Mädchen wurde 4 Wochen nach der Operation nach Hause entlassen.
Sie führen eine orientierende audiometrische Untersuchung mit einer Stimmgabel durch, wo− nach Sie zur Diagnose einer Innenohrschwerhörigkeit kommen.
Fall
Eine Mutter kommt mit ihrer 3−jährigen Toch− ter in Ihre Kinderarztpraxis. Sie habe die Ver− mutung, dass ihr Kind Schwierigkeiten beim Hören habe. Aus der Anamnese erfahren Sie, dass das Mädchen 2 Tage postpartal eine Zya− nose entwickelt hatte. Ursache war eine ange− borene Zwerchfellhernie links mit Verlagerung von Dünndarmabschnitten in den Thorax. Die Reposition und Naht des Zwerchfelldefektes in Vollnarkose verlief komplikationslos, postope− rativ wurde zur Aufrechterhaltung von Flüs− sigkeitsbilanz und Nierenfunktion das Schlei− fendiuretikum Furosemid intravenös über
32 33
31.1 . Welche Ursachen für die Innenohrschwerhörigkeit kommen in Frage?
!!! 32.2 .
Wie entwickelt sich die renale Exkretion im Verlauf des Kindesalters?
32.3 . Warum dürfen Tetrazykline bei Kindern nicht verwendet werden?
32.4 . Welche Prinzipien sind bei der Medikamentenverordnung für Kinder zu beachten?
Antworten und Kommentar Seite 164
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Fall 33 27−jahrige bewusstlose Patientin
Fall
33
Sie werden als Notarzt von der Rettungsleit− stelle alarmiert. Die Meldung lautet: bewusst− lose, wahrscheinlich vergiftete Patientin im Keller eines Mietshauses. Sie treffen nach we− nigen Minuten am Einsatzort ein, wo Ihnen der Ehemann von einem Streit mit seiner Frau berichtet, die danach die Wohnung verlassen habe. Kurze Zeit später habe er seine Frau im Keller gefunden, als er 2 Flaschen Bier holen wollte. Die Frau liegt in Erbrochenem be− wusstlos am Boden. Im Keller riecht es nach
Knoblauch. Die Untersuchung zeigt eine Bra− dyarrhythmie, über der Lunge sind grobblasi− ge Rasselgeräusche, Giemen und Brummen auskultierbar. Die Atemfrequenz ist erhöht, die Pupillen sind eng, es besteht ein deutli− cher Speichelfluss. Sie bemerken weiter, dass die Reflexe gesteigert sind und die Muskulatur faszikuliert. Während der orientierenden Un− tersuchung tritt ein Krampfanfall auf. Sie stel− len die Verdachtsdiagnose E605−Vergiftung.
33.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie? Welches Medikament setzen Sie als Antidot (Gegenmittel) ein?
34
Nach Gabe des Antidots steigt die Pulsfrequenz, und Sie finden einen Sinusrhythmus. Gleichzei− tig werden die Pupillen etwas weiter, und der Speichelfluss lässt nach. Der zuvor nicht mess− bare Blutdruck steigt auf 100/75 mmHg an. Die Patientin wird mit dem Rettungswagen in das nächstgelegene Krankenhaus transportiert.
33.2 . Nennen Sie Maßnahmen zur primären Giftentfernung!
33.3 . Welche weiteren Antidote kennen Sie? Wann werden sie eingesetzt?
33.4 . Was bedeutet die Fünf−Finger−Regel in der Toxikologie?
Antworten und Kommentar Seite 165
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Fall 34 56−Jahrige mit Bradykardie nach Verapamilintoxikation Eine 56−jährige Frau wird notfallmäßig in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Patienten ist schläfrig, weist hypotensive Blutdruckwerte um 90/60 mmHg und einen langsamen Puls von 28/min auf. Das Ruhe−EKG zeigt einen Linksschenkelblock und einen AV−Block III. Grades. Bekannt ist bei der Patientin ein lang− jähriger arterieller Hypertonus. Dieser ist ak− tuell mit den Kalziumkanalblockern Amlodi−
pin (2 3 5 mg/d) und Verapamil (2 3 240 mg/ d), dem ACE−Hemmer Enalapril (2 3 10 mg/d) und dem Thiaziddiuretikum Hydrochlorothia− zid (1 3 25 mg/d) eingestellt. 5 Tage vor der Aufnahme hatte der Hausarzt aus Unkenntnis der Warenzeichen ein weiteres Medikament, das ebenfalls Verapamil (3 3 80 mg/d) enthielt, verschrieben.
Fall
34.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
34 35
Die Patientin erholte sich innerhalb von 3 Tagen. Die EKG−Veränderungen bilden sich zurück und zeigen einen normofrequenten Sinusrhythmus. Blutdruck und Nierenfunktion der Patientin normalisieren sich ebenfalls. Die Blutspiegelbestimmung von Verapamil ergab einen Wert von 1,13 mg/l. Der therapeutische Bereich für Verapamil liegt bei 0,02–0,1 mg/l.
34.2 . Erläutern Sie die Wirkungen der verschiedenen Typen von Kalziumkanalblockern!
34.3 . Welche unerwünschten Wirkungen können unter Nifedipin auftreten?
!!! 34.4 .
Warum dürfen Dihydropyridine nicht bei Angina pectoris eingesetzt werden?
Antworten und Kommentar Seite 167
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Fall 35 72−jahrige Patientin mit Verstopfung
Fall
35
Sie vertreten einen Kollegen in dessen Allge− meinarztpraxis. Eine 72−jährige Patientin sucht die Sprechstunde auf und klagt über Verstopfung. Die bestehe schon seit langem, bisher sei sie mit der regelmäßigen Einnahme von Früchtewürfeln gut zurechtgekommen. In letzter Zeit habe sie immer seltener und dann sehr harten Stuhlgang. Der Appetit sei gut, Al− kohol trinke sie nicht, sie habe überhaupt nur wenig Durst. Sie finden in der Krankenkartei−
karte, dass seit 10 Monaten eine Herzinsuffi− zienz bekannt ist. Die Patientin nimmt Digito− xin (1 3 0,1 mg/d) und Hydrochlorothiazid (1 3 25 mg/d) ein. Die Patientin wiegt 77 kg bei einer Körpergröße von 163 cm. Sie hat ei− nen Blutdruck von 150/90 mmHg, die Herzfre− quenz ist rhythmisch bei 64 Schlägen/min. Bei der körperlichen Untersuchung erheben Sie keine weiteren pathologischen Befunde.
35.1 . Wie gehen Sie diagnostisch weiter vor?
38
Die weitere diagnostische Abklärung der Obstipation erbrachte – bis auf einen erniedrigten Ka− liumwert von 3,2 mmol/l – keine pathologischen Befunde.
35.2 . Welche therapeutischen Möglichkeiten haben Sie nun?
35.3 . Nennen Sie Indikationen für Laxanzien! Nennen Sie jeweils Laxanzien, die bei diesen Indikationen gegeben werden sollten!
!!! 35.4 .
Erläutern Sie die pharmakokinetischen Besonderheiten von Bisacodyl!
Antworten und Kommentar Seite 170
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Fall 36 45−jahriger Patient mit erhohtem Blutdruck Veränderungen von Herz und Lunge diagnosti− zieren, auch die neurologische Untersuchung ist unauffällig. Der Blutzucker ist mit einem HbA1 c von 6,0 % gut eingestellt. Die Urinunter− suchung über mehrere Wochen ergibt eine persistierende Mikroalbuminurie. Bei der von Ihnen empfohlenen augenärztlichen Untersu− chung werden vereinzelte Mikroaneurysmen des Augenhintergrundes gefunden. Weitere diagnostische Maßnahmen ergeben keinen Anhalt für eine sekundäre Form der Hyperto− nie.
36.1 . Welche antihypertensive Therapie schlagen Sie Ihrem Patienten vor?
Fall
Ein 45−jähriger Patient ist seit 20 Jahren we− gen eines Diabetes mellitus Typ I, der mit in− tensivierter Insulintherapie eingestellt ist, in Ihrer Behandlung. Bei einer Routineuntersu− chung stellen Sie einen erhöhten Blutdruck fest, der bei 3 wiederholten Messungen inner− halb der nächsten 14 Tage bestätigt wird. Der Patient ist adipös (88 kg, 166 cm), raucht täg− lich 15 Zigaretten und trinkt 1–2 Flaschen Bier. Der Blutdruck liegt aktuell bei 145/ 95 mmHg, die Herzfrequenz ist rhythmisch mit 72 Schlägen/min. Bei der körperlichen Un− tersuchung können Sie keine pathologischen
36 39
Um die Compliance des Patienten zu fördern, führen Sie ein ausführliches Beratungsgespräch über Therapieziele, Prävention, Einnahmehinweise und Therapiekontrolle bei arterieller Hyper− tonie.
36.2 . Benennen Sie die Inhalte dieses Patientengesprächs!
36.3 . Welche Diuretika eignen sich zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie?
!!! 36.4 .
Was sind Vasopeptidasen? Erläutern Sie das Prinzip der Vasopeptidase−Inhibition!
Antworten und Kommentar Seite 172
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Fall 37 45−jahriger Patient mit Schmerzen in der Großzehe bei Hyperurikamie Bei einem 45−jährigen Geschäftsmann war im Rahmen eines Gesundheitschecks eine Hyper− urikämie (8,3 mg/dl) aufgefallen. Bei einem Körpergewicht von 92 kg und einer Körpergrö− ße von 180 cm, klinischer Symptomfreiheit, fehlenden weiteren Risikofaktoren (z. B. Blut−
fette im Normbereich) und leerer Familien− anamnese verzichten Sie nach einem aufklä− renden Gespräch mit diätetischen Empfehlun− gen zunächst auf eine medikamentöse Therapie.
37.1 . Welche Diätmaßnahmen empfehlen Sie dem Patienten?
Fall
37 40
6 Monate später sucht Sie der Patient in Ihrer Praxis erneut auf, da akut stärkste Schmerzen in der Großzehe aufgetreten seien. Sie erhe− ben folgende pathologische Untersuchungsbe− funde: Die linke Großzehe ist im Bereich des Grundgelenks stark gerötet, überwärmt und druckschmerzhaft (s. Abb.). Sie veranlassen eine Laboruntersuchung, folgende Werte fallen auf: Harnsäure 10,5 mg/dl, Leukozyten 11000/ ml. Sie stellen die Verdachtsdiagnose eines akuten Gichtanfalls.
Akuter Gichtanfall des Großzehengrundgelenkes (Poda− gra)
37.2 . Erläutern Sie allgemeine und medikamentöse Therapiemöglichkeiten des akuten Gichtanfalls!
37.3 . Welche Therapie schlagen Sie für das anfallsfreie Intervall vor?
37.4 . Welche Medikamente können einen Anstieg der Serumharnsäure verursachen? Warum?
Antworten und Kommentar Seite 175
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Fall 38 Famulus soll Arzneimittelinformationen in der Roter Liste suchen Sie famulieren in einer Inneren Abteilung ei− nes größeren Kreiskrankenhauses. Es ist Mitt− wochnachmittag und der Stationsarzt hat et− was Zeit für Sie. Er möchte Ihnen verdeutli− chen, wie wertvoll die Rote Liste bei der täglichen Stationsarbeit sein kann. Dazu stellt
er Ihnen einige Fragen, die Sie mit Hilfe der Roten Liste beantworten sollen. Er gibt Ihnen noch den Tipp, dass Studenten – nach vorheri− ger Registrierung – die Möglichkeit der kos− tenlosen online−Nutzung im Internet haben (http://www.rote−liste.de).
38.1 . Welche Fertigarzneimittelbezeichnung notieren Sie auf dem Rezept?
Fall
Ein Patient hat Asthma bronchiale. Sie entscheiden sich auf Grund zunehmender Beschwerden für eine antiinflammatorische Therapie mit einem inhalativen Glukokortikoid. Als Wirkstoff wollen Sie Budesonid einsetzen.
38 41
Ein Patient wird mit dem Verdacht auf einen akuten Herzinfarkt ins Krankenhaus eingewiesen. Nach Bestätigung der Diagnose leiten Sie eine Lysetherapie mit Metalyse ein.
38.2 . Wie viele Einheiten des Wirkstoffs Tenecteplase sind in den Präparationen enthalten?
Eine Tumorpatientin hat starke Schmerzen.
38.3 . Welche Höchstdosis von Buprenorphin dürfen Sie im Normalfall auf einem Betäubungsmittelrezept zur Schmerztherapie verordnen?
Sie wollen zu dem jodhaltigen Röntgenkontrastmittel Biliscopin (Iotroxinsäure) Informationen vom Hersteller zur Häufigkeit von Zwischenfällen haben.
38.4 . Wer stellt in Deutschland das Biliscopin her? Mit welcher Telefonnummer erreichen Sie den Hersteller?
Eine Patientin hat bisher den b−Rezeptorantagonisten Concor in Tablettenform zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie eingenommen. Auf Grund von Schluckbeschwerden wollen Sie Con− cor in einer flüssigen Galenik verschreiben.
38.5 . Gibt es von Concor eine Flüssigzubereitung?
Antworten und Kommentar Seite 177
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Fall 39 58−jahriger Patient mit erhohtem Nuchternglukosewert Ein 58−jähriger Patient konsultiert Sie in Ihrer Hausarztpraxis, da er sich schlapp und müde fühlt. Der Patient ist bisher nie ernsthaft krank gewesen. Er raucht nicht und trinkt mä− ßig Alkohol. Sein Vater starb mit 69 Jahren an einem Schlaganfall, seine ältere Schwester lei− det an einen Diabetes mellitus Typ II. Die kör− perliche Untersuchung erbringt folgende Be−
Fall
39
funde: Körpergewicht 91 kg, Körpergröße 178 cm, guter Allgemeinzustand, Blutdruck 135/85 mmHg, Puls rhythmisch mit 70 Schlä− gen/min. Labordiagnostisch finden Sie folgen− de pathologische Werte im Blut: Nüchternglu− kose 190 mg/dl, Gesamtcholesterin 302 mg/dl; im Urin: Glukose +++.
Sie diagnostizieren einen Diabetes mellitus Typ II bei dem Patienten und besprechen mit ihm mögliche nichtmedikamentöse Maßnahmen.
39.1 . Was raten Sie dem Patienten zur Senkung des Blutzuckers?
42
3 Monate später kommt der Patient zur Kontrolluntersuchung. Der Patient hat 3 kg an Gewicht verloren. Sie wiederholen die Laboruntersuchung und erhalten folgende pathologische Werte: Nüchternglukose 170 mg/dl, HbA1 c 10,2 %, Gesamtcholesterin 289 mg/dl.
39.2 . Welche medikamentöse Therapie schlagen Sie vor?
39.3 . Erläutern Sie die Vorteile der Glinide!
39.4 . Nennen Sie Kontraindikationen für die Biguanide!
Antworten und Kommentar Seite 178
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Fall 40 Medizinstudent informiert sich uber Evidenzbasierte Medizin der Osteoporose an dem exakten wissen− schaftlichen Nachweis der Wirksamkeit einer Substanz orientiert, was mit dem Begriff Evi− denzbasierte Medizin (EBM) beschrieben wird. Da Sie sich bisher wenig darunter vorstellen können, wollen Sie sich weiter über dieses Thema informieren. Sie lesen den Artikel zu Ende und recherchieren danach im Internet und klären für sich folgende Fragen:
Fall
Sie sind im 9. Semester des Medizinstudiums und machen gerade ein Wochenpraktikum auf einer Inneren Station. Sie sollen bei der mor− gigen Chefarztvisite eine Patientin vorstellen, die wegen starker Rückenschmerzen und be− kannter Osteoporose aufgenommen wurde. Bei der Vorbereitung auf den Fall finden Sie im Arztzimmer einen Artikel über die phar− makologische Behandlung der Osteoporose. Sie finden, dass sich die Therapiegrundlage
40.1 . Was versteht man unter EBM?
40 43
40.2 . Welche Schritte werden bei der Anwendung von EBM unterschieden?
40.3 . Welche Stufen der Evidenzbewertung gibt es?
40.4 . Was verbirgt sich hinter der Cochrane Collaboration?
40.5 . Welche Kritikpunkte werden im Zusammenhang mit EBM geäußert?
Antworten und Kommentar Seite 180
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Fall 41 36−jahrige Patientin mit Seh− und Gangstorungen
Fall
41 44
Eine 36−jährige Frau wird von einem Allge− meinmediziner in eine Klinik für Neurologie überwiesen. Sie sind der aufnehmende Arzt und erfahren, dass die Patientin seit fast 2 Wochen unter einem wackeligen und unsiche− ren Gang leidet. Gleichzeitig habe Sie Gefühls− störungen in der linken Hand und eine zuneh− mende Steifigkeit des linken Beines bemerkt. Sie erfahren von der Patientin, dass sie bis auf eine vorübergehende Sehstörung ein paar Jah− re zuvor, die nicht weiter verfolgt wurde, im− mer gesund gewesen sei. Sprech− oder Mikti− onsstörungen habe sie keine. Sie führen eine ausführliche Untersuchung durch und erheben folgende Befunde: dissoziierter Nystagmus bei Blick nach rechts, temporal beidseits abge− blasste Sehnervenpapillen, keine Bauchhautre− flexe, gesteigerte Eigenreflexe der unteren Ex− tremitäten mit unerschöpflichen Patellar− und Fußkloni. Bei der Lumbalpunktion finden Sie
im Liquor 22/3 Zellen, überwiegend Lympho− zyten und oligoklonales IgG bei der isoelektri− schen Fokussierung. Das EEG ist unauffällig, eine Latenzverzögerung der visuell evozierten Potenziale können Sie nicht beobachten. Im angefertigten Kernspintomogramm der Patien− tin stellen sich multilokuläre kontrastmittel− anreichernde Läsionen in der weißen Substanz dar (s. Abb.).
MRT des Schadels: aus− gepragte periventrikulare fleckformige hyperintense Lasionen
Entsprechend der Dauer der Symptome und Ihrer Untersuchungsbefunde gehen Sie von einem akuten Schub einer multiplen Sklerose (MS) aus.
41.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie bei einem akuten MS−Schub?
41.2 . Nennen Sie Optionen zur Langzeitbehandlung der MS!
41.3 . Welche Interferone kennen Sie? Nennen Sie Indikationen!
!!! 41.4 .
Wie wirkt das neue, noch nicht zugelassene MS−Medikament Natalizumab?
Antworten und Kommentar Seite 181
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Fall 42 68−jahrige Patientin mit Atemnot und Nykturie der Lunge sind nicht bekannt. Die Patientin ist normalgewichtig (51 kg bei 161 cm Größe), es liegen leichte Knöchelödeme vor. Sie messen einen Blutdruck von 150/90 mmHg und eine rhythmische Herzfrequenz von 90 Schlägen/ min. Über der Lunge können Sie vereinzelt beidseits basal inspiratorische feinblasige Ras− selgeräusche auskultieren, die Herztöne sind rein. Das Ruhe−EKG ergibt Hinweise für eine Linksherzhypertrophie. Labordiagnostisch er− heben Sie keine pathologischen Befunde.
Fall
Eine 68 Jahre alte Patientin ist seit 15 Jahren wegen einer essenziellen arteriellen Hyperto− nie in Ihrer Behandlung. Aktuell sucht Sie die Patientin auf, da sie seit wenigen Wochen auch bei geringer körperlicher Belastung Atemnot verspürt. Sie könne nur noch mit 2 großen Kopfkissen schlafen und müsse nachts öfter Wasserlassen. Ihr Blutdruck konnte bis− her nur befriedigend eingestellt werden (Hy− drochlorothiazid 25 mg/Triamteren 50 mg als Fixkombination morgens). Ihre Fragen nach Schmerzen, Brennen und Engegefühl in der Brust verneint die Patientin. Vorerkrankungen
42
Sie teilen der Patientin Ihre Verdachtsdiagnose chronische Herzinsuffizienz bei bestehender ar− terieller Hypertonie“ mit.
45
42.1 . Welcher Schweregrad der Herzinsuffizienz liegt bei der Patientin vor?
42.2 . Welche pharmakotherapeutischen Möglichkeiten haben Sie generell?
42.3 . Was müssen Sie bei der Anwendung von b−Rezeptorantagonisten beachten?
42.4 . Was ist eine Diuretikaresistenz? Welche Behandlungsoption haben Sie?
Antworten und Kommentar Seite 183
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Fall 43 52−Jahrige mit anfallsweisem Herzrasen und warmer, feuchter Haut
Fall
43 46
Eine 52−jährige Patientin sucht Sie in Ihrer Hausarztpraxis auf. Die Patientin wirkt unru− hig und agitiert. Sie klagt über immer wieder auftretenden beschleunigten Pulsschlag und starkes Herzklopfen sowie eine zunehmende Nervosität und Schlaflosigkeit. Sie messen ei− nen regelmäßigen Puls mit leicht erhöhter Frequenz (105 Schläge/min) und einen Blut− druck von 125/85 mmHg. Die Haut fühlt sich warm und feucht an. Bei der Inspektion und Palpation fällt Ihnen ein knapp pflaumengro− ßer Knoten im kaudalen Bereich des linken Schilddrüsenlappens auf. Sonografisch zeigt sich die Schilddrüse beidseits normal groß
mit normalem Echomuster. Der tastbare Kno− ten stellt sich als diffus echoarmer Bezirk (1,5 3 2,5 3 2,0 cm) dar, der vom umgeben− den Gewebe durch einen fast echofreien Randsaum abgegrenzt ist. Die weiterführende Schilddrüsendiagnostik ergibt erhöhte Werte für freies Trijodthyronin (fT3) und Thyroxin (fT4), eine normale Konzentration von thyro− xinbindendem Globulin (TBG) und eine er− niedrigte basale Thyreotropin (TSH)−Konzen− tration. Sie stellen die Diagnose einer manifesten Hyperthyreose bei autonomem Schilddrüsenadenom.
43.1 . Welche Therapie leiten Sie ein? Was ist zu beachten?
Nach einigen Wochen liegt bei der Patientin eine euthyreote Stoffwechsellage vor. Sie klären sie über weitere Therapieschritte auf.
43.2 . Nennen Sie definitive Therapiemöglichkeiten des Schilddrüsenadenoms und ihre Indikationen!
43.3 . Erläutern Sie Wirkungsmechanismus und Indikation der Perchlorate!
!!! 43.4 .
Was versteht man unter Plummerung“!
Antworten und Kommentar Seite 186
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Fall 44 72−jahriger Patient mit Steifigkeit der Muskulatur und Tremor Merkleistung, Durchschlafstörungen und Ob− stipation. Er spricht langsam, aber verständ− lich mit geringer Variation der Mimik. Sie fin− den einen niederfrequenten Tremor mit geringer Amplitude an beiden Händen sowie einen erhöhten Muskeltonus von Beugern und Streckern der Arme und Beine. Der Patient hat keine nennenswerte verstärkte Seborrhö oder Salivation. Der Blutdruck beträgt 160/ 85 mmHg, der Puls liegt bei 76/min, das EKG ist unauffällig, und Sie finden keine orthosta− tische Dysregulation. Weitere körperliche und labordiagnostische Untersuchungsbefunde sind unauffällig. Auf Grund von Anamnese und Klinik gehen Sie von einem Morbus Par− kinson aus.
Fall
Ein 72 Jahre alter Patient kommt mit seiner Frau in Ihre Praxis für Neurologie. Ihnen fällt beim Betreten des Untersuchungszimmers so− fort das Gangbild mit kleinen Schritten und nach vorne gebeugtem Rumpf sowie angewin− kelten Armen auf. Zum Hinsetzen und Aufste− hen benötigt der Patient viel Zeit. Der Patient berichtet, dass er nun schon seit Jahren Schwierigkeiten beim Schreiben, Knöpfen und Rasieren habe, weil er die Arme nicht mehr so gut bewegen könne, wie er möchte. Er sei nie ernsthaft krank gewesen, Medikamente nehme er keine ein. Die Ehefrau ergänzt, dass ihr Mann oft einen sehr erschöpften Eindruck mache, sich zurückziehe, immer weniger lese und sich bewege. Auf Ihre Nachfragen klagt der Patient zusätzlich über Störungen der
44 47
44.1 . Welche Therapieoptionen haben Sie generell? Welche Behandlung schlagen Sie im vorliegenden Fall vor?
44.2 . Warum werden Decarboxylasehemmer bei der Behandlung mit L−Dopa eingesetzt?
Nach einigen Jahren der erfolgreichen Therapie mit L−Dopa entwickelt der Patient zunehmend Phasen, in denen er sich trotz korrekter Medikamenteneinnahme nicht bewegen kann. Sie ver− schreiben ihm zusätzlich Selegilin.
44.3 . Charakterisieren Sie den Wirkstoff Selegilin!
!!! 44.4 .
Mit welchen Komplikationen müssen Sie bei einer länger dauernden Therapie mit L−Dopa rechnen? Welche Maßnahmen gibt es?
Antworten und Kommentar Seite 187
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Fall 45 45−jahrige Patientin mit retrosternalem Brennen
Fall
45
Eine 45−jährige Patientin ist schon seit Jahren wegen starker retrosternaler brennender Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme in Ih− rer Behandlung. Obwohl die Behandlung mit Metoclopramid und verschiedenen Antazida früher eine befriedigende Linderung der Be− schwerden erbrachte, treten die Schmerzen in letzter Zeit immer häufiger und heftiger v. a. nachts auf, so dass sie deshalb kaum schlafen kann. Die Patientin trinkt mäßig Alkohol (1 Glas Wein zum Abendessen) und raucht ge− legentlich Zigaretten. Die von Ihnen durchge−
führte körperliche Untersuchung und eine Routinelabordiagnostik ergeben keine patho− logischen Befunde. Der Befund der durchge− führten Gastroskopie lautet: glatte Ösopha− guspassage bis 30 cm. Hier findet sich eine deutlich gerötete Ösophagusschleimhaut; kon− fluierende Erosionen, die nicht die gesamte Zirkumferenz einnehmen; keine Ulzerationen; Magen unauffällig; Bulbus und postbulbäres Duodenum regelrecht. Beurteilung: Refluxöso− phagitis Stadium 2 nach Savary und Miller.
Sie besprechen mit der Patientin das weitere Vorgehen.
48
45.1 . Benennen Sie die Therapieziele!
Durch eine Umstellung der Lebensführung soll die medikamentöse Behandlung unterstützt wer− den.
45.2 . Welche nichtmedikamentösen Maßnahmen schlagen Sie der Patientin vor?
45.3 . Erläutern Sie die Pharmakotherapie der Refluxösophagitis!
Sie befragen die Patientin, ob Sie in letzter Zeit andere Medikamente eingenommen hat.
45.4 . Welche Medikamente können eine Refluxösophagitis induzieren?
Antworten und Kommentar Seite 190
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!!!
Fall 46
28−jahriger HIV−Patient mit trockenem Husten und leichtem Fieber die Diagnose einer Pneumocystis−carinii−Pneu− monie bei vorliegender HIV−Infektion.
Fall
Ein 28−Jähriger, der seit 5 Jahren HIV−positiv ist, kommt zu Ihnen in Ihre internistische Pra− xis. Der Patient ist sehr schlank und leidet ak− tuell unter einem zunehmend trockenen Hus− ten und Luftnot bei geringster körperlicher Belastung. Er hat seit mehreren Wochen leich− tes Fieber, der Blutdruck liegt bei 120/ 85 mmHg, die Herzfrequenz ist rhythmisch bei 72/min. Die Auskultation ergibt einen un− auffälligen Befund. Die von Ihnen angeordnete Röntgen−Thoraxaufnahme zeigt eine deutliche bihilär betonte interstitielle Zeichnungsver− mehrung (s. Abb.), bronchoskopisch wird der Nachweis von Pneumocystis carinii in der Biopsie und Lavage erbracht. Weitere Laborun− tersuchungen zeigen: Hb 12,0 g/dl, BSG 12/ 38 mm, Leukozyten 2300/ml, Laktatdehydro− genase 659 U/l. Die CD4+−Zellzahl ist auf 48/ml (Norm 1000–1500/ml) abgesunken. Sie stellen
46 49 Rontgen−Thoraxbild a.p.: Pneumocystis−carinii−Pneumo− nie
46.1 . Welche Therapie schlagen Sie für die Behandlung der Pneumocystis− carinii−Pneumonie vor?
46.2 . Was versteht man unter HAART?
46.3 . Was müssen Sie bei der Primärtherapie eines AIDS−Patienten beachten?
!!! 46.4 .
Was bedeutet im Zusammenhang mit Proteaseninhibitoren der Begriff Boosterung?
Antworten und Kommentar Seite 191
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Fall 47 60−jahrige Patientin mit starken Tumorschmerzen
Fall
47 50
In Ihrer Behandlung ist eine 60−jährige Lehre− rin. Sie klagt über starke diffuse Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit ventra− ler Ausstrahlung und leichte Obstipation, die seit ca. 2 Monaten bestünde. Die Patientin ist in gutem Allgemein− und mäßigem Ernäh− rungszustand (48 kg bei 165 cm Körpergröße), sie habe 5 kg in den letzen 4 Monaten verlo− ren und wenig Appetit. Die Familienanamnese ist unauffällig. Nachtschweiß oder ein Leis− tungsknick liegen nicht vor. Die kardiopulmo− nale Untersuchung ist ohne pathologischen
Befund. Sie finden ein gespanntes Abdomen mit Druckschmerzhaftigkeit, die sich auf das Epigastrium projiziert, aber keine tastbare pa− thologische Resistenz. Die Leber ist nicht ver− größert palpabel. Labordiagnostisch erheben Sie leicht erhöhte Werte der Transaminasen (GOT, GPT) und der alkalischen Phosphatase. In der Abdomensonografie finden Sie eine so− lide Raumforderung im Pankreaskopf, die in einer ambulant durchgeführten Feinnadel− punktion als Adenokarzinom identifiziert wird.
Da die Patientin eine Operation ablehnt, klären Sie sie über mögliche palliative Maßnahmen auf. Zunächst soll die Patientin eine suffiziente Schmerztherapie erhalten.
47.1 . Welche Therapieoptionen haben Sie? Wie gehen Sie vor?
47.2 . Was sollten Sie bei der Behandlung chronischer Schmerzen beachten?
47.3 . Was sind Adjuvanzien? Welche Arzneistoffe kommen in Frage?
47.4 . Welche Koanalgetika kennen Sie? Wozu werden Sie eingesetzt?
Antworten und Kommentar Seite 194
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Fall 48 34−jahriger Patient mit schuppenden Hautveranderungen anamnese erfahren Sie, dass der Vater des Pa− tienten seit vielen Jahren an Psoriasis vulgaris leidet. Bei der Untersuchung finden Sie in den betroffenen Regionen multiple scharf be− grenzte tropfenförmige bis münzgroße kon− fluierende erythematös−squamöse Plaques mit weißlich−silbriger groblamellärer Schuppung. Nach Abkratzen der einzelnen Hautschichten tritt das Blutstropfenphänomen auf. Auf Grund der Klinik und der Vorgeschichte stel− len Sie die Diagnose Psoriasis vulgaris“.
Fall
Ein 34−jähriger Patient sucht Sie in Ihrer Pra− xis für Dermatologie auf. Er klagt über schup− pende, nicht juckende Hautveränderungen an beiden Ellbogen und im Steißbereich. In den Sommermonaten bessern sich die Beschwer− den. Dagegen würden psychischer und physi− scher Stress und übermäßiger Alkoholkonsum die Symptome auslösen. Gelenkschmerzen treten dabei nicht auf. Zum ersten Mal seien die Beschwerden 4 Jahre zuvor nach einem Krankenhausaufenthalt wegen einer Unter− schenkelfraktur aufgetreten. Aus der Familien−
48
Sie schlagen dem Patienten zunächst eine topische Therapie vor.
51
48.1 . Welche Externa zur Therapie der Psoriasis kennen Sie?
48.2 . Was versteht man unter einer Photo− bzw. Photochemotherapie?
48.3 . Was sind Okklusiv−Verbände? Welche Funktion habe sie?
!!! 48.4 .
Nennen Sie neue Therapiestrategien der Psoriasisbehandlung!
Antworten und Kommentar Seite 196
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Fall 49 52−jahriger Patient mit Palpitationen und Atembeschwerden
Fall
49 52
Ein 52−jähriger Patient sucht Sie in Ihrer inter− nistischen Praxis auf. Er fühle sich seit einigen Monaten wenig leistungsfähig und habe belastungsabhängige Atemnot. Manchmal ver− spüre er Herzrasen, Pulsunregelmäßigkeiten und immer häufiger ein Druckgefühl in der Brust. Jetzt wären die Pulsunregelmäßigkeiten seit mehreren Tagen anhaltend. Vorerkrankun− gen liegen keine vor, der Patient berichtet weiterhin dass er zweimal pro Nacht Wasser− lassen müsse. Sie untersuchen den Patienten, dieser befindet sich in einem guten Allge− mein− und Ernährungszustand. Sie messen ei− nen Blutdruck von 135/90 mmHg beidseits, die Herzfrequenz liegt bei 120/min und ist ar− rhythmisch. Bei der Auskultation können Sie reine Herztöne ohne Geräusche feststellen. Im Ruhe−EKG ist eine Tachyarrhythmia absoluta mit einer Herzfrequenz um 150/min zu erken−
nen (s. Abb.). Labordiagnostisch können Sie keine pathologischen Befunde erheben.
Tachyarrhythmia absoluta
Die weitere Abklärung der Ursache der Rhythmusstörungen bei einem Kardiologen mit Links− herzkatheter und Echokardiografie erbringen keinen richtungsweisenden Befund.
49.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
Eine anhaltende Konversion in den Sinusrhythmus ist bei dem Patienten nicht möglich, so dass Sie von einem permanenten Vorhofflimmern ausgehen.
49.2 . Welche Pharmaka zur medikamentösen Kardioversion können Sie einsetzen?
49.3 . Wie gehen Sie bei einem permanenten Vorhofflimmern vor?
49.4 . Wie führen Sie eine elektrische Kardioversion durch?
Antworten und Kommentar Seite 198
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Fall 50 19−jahriger Mukoviszidose−Patient mit eitrigem Auswurf und Husten das Herz ist ohne pathologischen Befund. Der Blutdruck wird mit 135/85 mmHg gemessen, die Herzfrequenz liegt bei 85/min, auffällig ist eine erhöhte Atemfrequenz um 28/min und bei der kapillaren Blutgasanalyse eine Hypoxie mit einem pO2 von 68 mmHg. Die Gesamtleu− kozytenzahl ist auf 14 500/ml erhöht. Weiter− hin ist das CRP auf 35 mg/l erhöht, die BSG beträgt in der ersten Stunde 45 mm. Sie lassen eine bakteriologische Analyse des Sputums mit quantitativer Erregerbestimmung durch− führen, die den Nachweis von Pseudomonas aeruginosa erbringt.
50.1 . Welche Optionen haben Sie für die antibiotische Therapie?
Fall
Ein 19 Jahre alter Patient klagt über eine deut− liche Zunahme seines purulenten Auswurfs mit verstärktem Husten, Fieber bis 39 8C, Mü− digkeit, Appetitlosigkeit sowie vermehrter Atemnot. Der Patient ist in Ihrer Allgemein− arztpraxis seit vielen Jahren als Mukoviszido− se−Patient bekannt und immer wieder ambu− lant und stationär wegen schwerwiegender rezidivierender Infektionen seines Bronchial− systems behandelt worden. Die körperliche Untersuchung des sehr schlanken, unterge− wichtigen Patienten ergibt eine deutliche Zya− nose, über der Lunge exspiratorisches Giemen,
50 53
50.2 . Welche Substanzen können Sie zur Inhalationstherapie einsetzen?
50.3 . Wie gestaltet sich die Therapie der exokrinen Pankreasinsuffizienz?
!!! 50.4 .
Nennen Sie experimentelle Konzepte zur Behandlung der Mukoviszidose!
Antworten und Kommentar Seite 200
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Fall 51 65−jahriger Patient mit zunehmender Vergesslichkeit
Fall
51 54
Eine 63−jährige Frau kommt in Ihre Praxis zum jährlichen Gesundheitscheck. Dabei be− richtet sie von ihrem 65−jährigen Mann, der seit wenigen Monaten in Pension ist. Sie be− merke bei ihm seit einiger Zeit eine zuneh− mende Vergesslichkeit und Nachlassen der Auffassungsgabe. Auf einer gemeinsamen Rei− se sei er wie verwirrt gewesen, man habe ihm alles mehrfach erzählen müssen, nachts habe er oft wach gelegen. An einem Nachmittag ha− be er sich auf dem Weg allein zurück zum Ho− tel so verlaufen, dass die Polizei ihn suchen musste. Die Ehefrau macht sich Sorgen, dass ihr Mann an Alzheimer leiden könnte wie sein
10 Jahre älterer Bruder. Beim nächsten Besuch nach 6 Monaten wird die Patientin von ihrem Mann begleitet. Sie finden ihn völlig verän− dert, stark abgemagert und ungepflegt vor, sein Gesicht wirkt leer und ausdruckslos. Die Ehefrau schildert die jetzige Situation als un− erträglich, seit wenigen Nächten beschmutze er sogar das Bett. Er rede fast nicht mehr und wenn nur von seiner Kindheit. Die körperliche Untersuchung und die Laborwerte des Patien− ten sind ohne pathologischen Befund. Die konsiliarische neurologisch−psychiatrische Un− tersuchung ergibt den dringenden Verdacht auf eine Demenz vom Alzheimer−Typ.
51.1 . Welche klassischen pharmakologischen Möglichkeiten zur Behandlung der Alzheimer−Demenz kennen Sie?
!!! 51.2 .
Nennen Sie neue Ansatzpunkte für eine mögliche Therapie der Alzheimer−Demenz!
51.3 . Was müssen Sie allgemein bei der Pharmakotherapie bei älteren Patienten beachten?
Antworten und Kommentar Seite 202
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Fall 52 35−Jahriger mit Oberbauchbeschwerden und positivem Urease−Schnelltest Stuhlgang abgesetzt. Bei der körperlichen Un− tersuchung erheben Sie, mit Ausnahme einer blassen Hautfarbe und eines mäßigen Schmer− zes im rechten Oberbauch, keine pathologi− schen Befunde. Bei der Laboruntersuchung fal− len auf: Hb 12,3 g/dl, Hkt 38 %. Sie überweisen den Patienten zur Ösophagogastroduodeno− skopie. Der Befund lautet: Duodenalulkus 2 cm distal des Pylorus, eine abgelaufene Blu− tung ist nicht sicher auszuschließen. Es gibt keinen Hinweis für eine frische Blutungsquel− le.
Der Urease−Schnelltest auf Helicobacter pylori ist positiv. Sie entscheiden sich für eine Eradika− tionstherapie.
Fall
Ein 35−jähriger Mann sucht Sie in Ihrer inter− nistischen Praxis auf. Er klagt über v. a. nachts auftretende Schmerzen in der Magengegend, die seit 2 Wochen bestünden. Die Schmerzen hätten einen brennenden, bohrenden Charak− ter, manchmal würden sie sich durch Essen bessern. Auch fühle er sich seit wenigen Tagen etwas matt und kraftlos. Auf Ihre Nachfrage gibt der Patient an, dass er viel Kaffee trinke, 2 Päckchen Zigaretten pro Tag rauche und ei− nen stressigen Job habe. In der letzten Woche habe er zweimal schwarzen, glänzenden
52 55
52.1 . Welche Möglichkeiten zur Eradikationstherapie haben Sie?
52.2 . Was versteht man unter einer Quadrupel−Therapie?
Nach 14 Tagen sehen Sie den Patienten erneut in Ihrer Praxis, er klagt über anhaltende Symp− tome.
52.3 . Nennen Sie Ursachen für ein Therapieversagen!
Nachfragen erbringt eine mangelnde Compliance Ihres Patienten. Erneut klären Sie ihn über Therapieziele, vernünftige Lebensweise, Einnahmehinweise, unerwünschte Arzneimittelwirkun− gen, Therapiekontrolle auf.
52.4 . Worauf weisen Sie den Patienten in einem Beratungsgespräch hin?
Antworten und Kommentar Seite 204
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Fall 53 66−jahriger Patient mit Aszites und erhohten Leberwerten Ein 66−jähriger Patient wird wegen ausgepräg− ten Aszites aus einer chirurgischen Abteilung auf eine internistische Station verlegt, auf der Sie als Assistenzarzt tätig sind. Die mitgelie− ferte Labordiagnostik zeigt Ihnen eine erhöhte Konzentrationen der GOT mit 64 U/l und der
g−GT mit 72 U/l sowie einen grenzwertigen Quick−Wert mit 70 %. Auf Ihre Nachfragen gibt der Patient einen täglichen Alkoholkonsum von einer Flasche Wein an. Der Patient ist adi− pös und raucht nicht.
53.1 . Welche Maßnahmen zur Aszitesbehandlung ergreifen Sie?
Fall
53 56 Trotz der Behandlung entwickelt der Patient einen Ikterus, die Leberwerte verschlechtern sich weiter: GOT 165 U/l, GPT 62 U/l, g−GT 73 U/l. Sie führen eine Leberpunktion durch, die eine geringgradig aktive alkoholtoxische Leberzirrhose ergibt. Der Patient wirkt apathisch und wird zusehends schläfriger. Sie vermuten eine beginnende Enzephalopathie.
53.2 . Erläutern Sie die Therapie der hepatischen Enzephalopathie!
53.3 . Wie wirkt Lactulose bei der hepatischen Enzephalopathie?
Ihr Oberarzt ist über die starke Zunahme des Aszites besorgt und bittet Sie, die konservative Therapie zu intensivieren.
53.4 . Welche Maßnahmen bei therapierefraktärem Aszites kennen Sie?
Antworten und Kommentar Seite 205
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Fall 54 68−jahrige Patientin mit Kopfschmerzen und Sehverschlechterung im rechten Auge eine Stauung der Bindehaut− gefäße, die Hornhaut ist ödematös verdickt und lässt eine Untersuchung der Papille nicht zu. Weitere Befunde sind: abgeflachte Vorder− kammer, hyperämische Iris, positives Tyndall− Phänomen (hervorgerufen durch Eiweiß im Kammerwinkel). Die Pupille ist übermittel− weit, leicht entrundet und lichtstarr. Das linke Auge ist ophthalmologisch unauffällig. Sie stellen die Verdachtsdiagnose akuter Glau− komanfall“.
Fall
Sie werden konsiliarisch als Augenarzt in die Notaufnahme zu einer 68−jährigen Frau mit Verdacht auf Hirndrucksteigerung gerufen. Die Patientin hat starke Kopfschmerzen, berichtet von Schwindel, mehrmaligem Erbrechen und Sehverschlechterung. Ihnen fällt auf, dass das rechte Auge stark gerötet ist. Bei der verglei− chenden Palpation der beiden Bulbi, fühlt sich der rechte Augapfel sehr hart an. Sie messen einen intraokularen Druck von 21 mmHg links und 68 mmHg rechts. Weiterhin erkennen Sie
54
54.1 . Welche Akuttherapie schlagen Sie vor?
57
54.2 . Nennen Sie medikamentöse Möglichkeiten zur Dauerbehandlung des Glaukoms!
54.3 . Was müssen Sie bei einer Pharmakotherapie am Auge generell beachten?
2 Wochen später sehen Sie die Patientin zur Nachkontrolle in der Ambulanz. Die Patientin konnte sich erinnern, dass Sie vor dem Glaukomanfall ein neues Glukokortikoidpräparat zur Be− handlung ihrer Arthritis eingenommen hatte.
54.4 . Welche Arzneimittel können unerwünschte Wirkungen am Auge verursachen?
Antworten und Kommentar Seite 207
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Fall 55 18−jahrige Patientin mit Zunahme des Halsumfangs
Fall
55 58
Sie haben wenige Jahre zuvor eine Hausarzt− praxis in Oberbayern übernommen. Eine 18− jährige Patientin berichtet Ihnen, dass sie seit einiger Zeit eine Zunahme ihres Halsumfangs bemerke. Eine Halskette, die sie seit 3 Jahren trage, würde nun zu eng werden. Auf Nachfra− ge fällt der Patientin ein, dass sie bei ihrer Einstellungsuntersuchung 2 Jahre zuvor auf eine Schilddrüsenvergrößerung aufmerksam gemacht wurde und man ihr geraten habe, sich behandeln zu lassen. Bei der Inspektion sehen Sie verstrichene Halsweichteile im Sinne einer Struma diffusa II. Bei der Palpa−
tion lässt sich ebenfalls eine diffus vergrö− ßerte Schilddrüse feststellen. Das Sonogramm zeigt eine beidseits gleichmäßig vergrößerte Schilddrüse mit einem Gesamtvolumen von 36 ml. Das Echomuster ist normal und zeigt keine Inhomogenitäten. Die Labordiagnostik ergibt Normalwerte für freies Thyroxin (fT4), freies Trijodthyronin (fT3) und das basale Thy− reotropin (TSH). Der TSH−Anstieg beim Thy− reotropin−Releasing−Hormon (TRH)−Test fällt ebenfalls normal aus. Sie stellen die Diagnose einer euthyreoten Struma und verzichten auf ein Schilddrüsenszintigramm.
55.1 . Welche Behandlung schlagen Sie der Patientin vor?
55.2 . Welche Alternativen gibt es? Wie wenden Sie diese an?
55.3 . Wann sind Schilddrüsenhormone nicht indiziert?
55.4 . Welche Therapieoptionen haben Sie bei der subakuten Thyreoiditis (de Quervain)?
Antworten und Kommentar Seite 208
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Fall 56 72−jahriger Patient mit Hemiparese und Sprachstorungen Bei der Auskultation der Karotiden können Sie Stenosegeräusche beidseits feststellen. Der Blutdruck beträgt 170/95 mmHg, die Herzfre− quenz ist rhythmisch mit 82 Schlägen/min. Labordiagnostisch liegt ein erhöhter Choleste− rinwert von 310 mg/dl vor. Sie ordnen umge− hend eine kraniale Computertomografie an, in der eine intrazerebrale Blutung ausgeschlos− sen wird. Mit Verdacht auf Hirninfarkt weisen Sie den Patienten auf die Schlaganfallstation ein.
56.1 . Welche Allgemeinmaßnahmen sind durchzuführen?
Fall
Sie nehmen in der Notaufnahme einen 72−jäh− rigen Patienten auf, der vom Notarzt eingelie− fert wird. Der Patient findet nur mühevoll Worte, um von einer Armschwäche rechts zu berichten. Sie erfahren weiter, dass der Patient eine arterielle Hypertonie und eine Hypercho− lesterinämie hat. Bei der klinischen Untersu− chung stellen Sie eine brachiofazial−betonte Hemiparese rechts mit Absinken des Armes im Halteversuch fest. Der Patient kann nicht Gehen und auf Grund seiner Aphasie nur un− ter größter Mühe Ihre Fragen beantworten.
56 59
Am Folgetag schauen Sie nach dem Patienten. Mittels Kernspintomografie konnte ein 4 3 4 cm großer Territorialinfarkt links frontoparietal mit sich entwickelndem Ödem diagnostiziert wer− den.
56.2 . Was unternehmen Sie bei Vorliegen eines Hirnödems?
Ihr Untersuchungsbefund wurde duplexsonografisch bestätigt: deutliche atherosklerotische Pla− ques am Karotisbulbus beidseits, Stenose im Abgang der linken A. carotis interna.
56.3 . Erläutern Sie die Prophylaxe eines Rezidivhirninfarkts!
56.4 . Nennen Sie rehabilitative und pflegerische Maßnahmen!
Antworten und Kommentar Seite 210
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Fall 57 59−Jahrige langjahrige starke Raucherin
Fall
57
Eine 59 Jahre alte Patientin sucht Sie in Ihrer Allgemeinarztpraxis auf. Sie klagt über zuneh− mende Luftnot und vermehrten, v. a. morgens auftretenden, gelblich gefärbten Auswurf. Die Patientin berichtet, dass die Symptomatik 5 Tage zuvor angefangen habe. Sie vermute, dass sie sich auf einer Familienfeier mit einem fieberhaften viralen Atemwegsinfekt ange− steckt habe. Sie wissen, dass die Patientin seit über 20 Jahren starke Raucherin ist (ca. 2
Schachteln/Tag). Die Patientin wirkt deutlich zyanotisch. Bei der körperlichen Untersuchung hören Sie über der Lunge trockene Rasselge− räusche mit verlängertem Exspirium. Das Zwerchfell steht tief und ist bei der Atemex− kursion wenig beweglich, der Klopfschall über der Lunge ist hypersonor. Sie diagnostizieren eine bakterielle Exazerbation einer chronisch− obstruktiven Bronchitis und leiten eine anti− biotische Therapie ein.
57.1 . Welche antibiotische Therapie schlagen Sie vor?
60
Sie empfehlen der Patientin das Rauchen während der Antibiotikatherapie einzustellen. Die Pa− tientin möchte nun diese erzwungene Rauchpause nutzen, um das Rauchen endlich aufzugeben. Sie unterstützen die Patientin in ihrem Vorhaben.
57.2 . Nennen Sie Wirkstoffe, die sich zur Raucherentwöhnung eignen!
Sie beraten die Patientin über zusätzliche Verhaltensänderungen, die ihr bei der Entwöhnung helfen können.
57.3 . Welche Punkte gehören zu einer erfolgreichen Raucherentwöhnung?
57.4 . Welche nikotinhaltigen galenischen Zubereitungen kennen Sie?
Antworten und Kommentar Seite 211
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Fall 58 48−jahriger Patient mit Schmerzen und Engegefuhl im Thorax eine ST−Streckenveränderung zeigt (s. Abb.). Medikamentös und nach Abbruch der Belas− tung normalisieren sich die Befunde rasch. Sie stellen die Diagnose stabile Angina pectoris“.
Fall
Ein 48 Jahre alter Patient sucht Sie in ihrer Allgemeinarztpraxis auf. Er klagt über rezidi− vierend auftretende Schmerzen und Engege− fühl im Brustbereich, die seit etwa 2 Monaten bestehen würden. Die krampfartigen, in den linken Arm ausstrahlenden Schmerzen wür− den unter körperlicher Belastung auftreten und nach der Belastung innerhalb weniger Mi− nuten wieder verschwinden. Atemnot habe er keine. Der Patient ist adipös, starker Raucher (1–2 Schachteln/Tag) und hat eine chronische Bronchitis. Zur Behandlung einer primären Hyperurikämie nimmt der Patient Allopurinol 1 3 300 mg/d ein. Sie messen einen Blutdruck von 140/80 mmHg, die Herzfrequenz ist rhyth− misch mit 80 Schlägen/min. Sie können über der Lunge vereinzelt exspiratorisches Giemen hören. Herzauskultation und Ruhe−EKG sind ohne pathologische Befunde. Die Fußpulse rechts sind nicht tastbar. Sie führen ein Belas− tungs−EKG durch, wobei die geschilderten Schmerzen im Brustbereich auftreten und sich
58 61
Belastungs−EKG mit ischamischbedingten ST−Strecken− senkungen (1 min 75 Watt)
58.1 . Nennen Sie die therapeutischen Probleme des vorliegenden Falls!
58.2 . Wie behandeln Sie einen akuten Angina−pectoris−Anfall?
58.3 . Welche medikamentöse Prophylaxe von Angina−pectoris−Anfällen kennen Sie?
58.4 . Welche Maßnahmen sind zur Prävention einer koronaren Herzkrankheit (KHK) geeignet?
Antworten und Kommentar Seite 213
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Fall 59 58−Jahrige mit hohem Fieber, Husten und Thoraxschmerzen
Fall
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Sie haben gerade Wochenenddienst in einem Kreiskrankenhaus als eine 58−jährige Frau we− gen anhaltend hohen Fiebers bis 408C, Husten und atemabhängigen Thoraxschmerzen statio− när eingewiesen wird. Anamnestisch erfahren Sie, dass die Patientin bislang nie ernsthaft krank gewesen sei. Bei Untersuchungen erge− ben sich folgende pathologische Befunde: akut reduzierter Allgemeinzustand mit Orthopnoe und Zyanose; warme, feuchte Haut; mäßig durchblutete Schleimhäute; feuchte, belegte Zunge; geröteter Rachenring; Klopfschall− dämpfung über dem linken Lungenunterfeld mit Bronchialatmen und feinblasigen Rassel− geräuschen; Herzfrequenz 110/min; Labor: BSG 100/125 mm, Leukozyten 13 200/ml. Eine Röntgen−Thoraxaufnahme zeigt eine lobäre Verschattung des linken Unterlappens mit Zwerchfellhochstand (s. Abb.). Sie führen eine
Bronchiallavage durch, in der sich massenhaft Pneumokokken finden. Sie stellen die Diag− nose einer ambulant erworbenen Pneumokok− kenpneumonie.
Infiltration des linken Lungenunterlappens mit Zwerch− fellhochstand
Auf Ihre Frage nach Medikamentenallergien gibt die Patientin eine Penicillin− und Cephalospo− rinallergie an.
59.1 . Welche Antibiotika können Sie bei der Patientin einsetzen?
59.2 . Welche Möglichkeiten haben Sie zur Fiebersenkung?
Im Verlauf der ambulanten Behandlung entwickelt die Patientin massive Durchfälle. Im Stuhl wird wiederholt Clostridiumtoxin nachgewiesen. Eine Koloskopie ergibt das typische Bild einer pseudomembranösen Enterokolitis.
59.3 . Welche therapeutischen Maßnahmen ergreifen Sie?
!!! 59.4 .
Welches Antibiotikum wird bei einer Aspirationspneumonie eingesetzt?
Antworten und Kommentar Seite 215
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Fall 60 Stationsarzt als Prufarzt bei einer Arzneimittelstudie Sie arbeiten als junger Stationsarzt in einer Abteilung für Gastroenterologie eines Kreis− krankenhauses. Ihr Chef steht kurz vor der Habilitation und entschließt sich an einer, durch einen renommierten Pharmakonzern geförderten, klinischen Studie teilzunehmen. Es handelt sich um eine multizentrische, pros− pektive, randomisierte, kontrollierte Studie
zur Wirksamkeit eines neuen Protonenpum− penhemmers beim Ulcus duodeni. Ihr Chef möchte Sie als Prüfarzt für die Organisation und Durchführung der Studie einsetzen. Er bittet Sie vor der endgültigen Zusage zur Teil− nahme, das Prüfprotokoll nochmals auf die wichtigsten Punkte einer gut durchgeführten klinischen Studie zu überprüfen.
Fall
60.1 . Erläutern Sie die Phasen einer klinischen Prüfung und ihre Ziele!
60 63
60.2 . Welche Punkte sollte ein Prüfprotokoll aufweisen?
60.3 . Was versteht man unter einem Cross−over“−Design?
60.4 . Was bedeutet der Begriff Number needed to treat“?
60.5 . Was ist eine offene Prüfung? Was sind Blindversuche?
Antworten und Kommentar Seite 217
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Fall 61 24−jahriger Student mit Wahnvorstellungen
Fall
61
Ein 24−jähriger Mann wird von der Polizei in die Ambulanz einer psychiatrischen Klinik eingeliefert, in der Sie gerade Dienst haben. Er wurde auf den Bahngleisen aufgegriffen, wo er sich in suizidaler Absicht befand. Bei der körperlichen Untersuchung erheben Sie keine pathologischen Befunde, ein Drogen−Screening im Urin ist negativ. Bei der Exploration erzählt Ihnen der junge Mann, dass er Student sei und vor Kurzem im Ausland war. Seitdem hö− re er immer wieder Stimmen, die ihm Befehle verschiedener Art geben oder sich über ihn
unterhalten. Auch sei er kürzlich von mehre− ren ihm verdächtig aussehenden Autos in ei− ner regelrechten Jagd verfolgt worden. Sein Kopf sei voll von drängenden“ Gedanken, manchmal habe er dass Gefühl, dass diese ihm von einer fernen Kraft eingegeben wer− den. Auf Grund der Wahnvorstellungen und der schweren formalen Denkstörungen diag− nostizieren Sie eine paranoid−halluzinatori− sche schizophrene Erkrankung mit akuter Sui− zidalität und veranlassen die Aufnahme des Patienten in eine geschlossene Abteilung.
61.1 . Welche medikamentöse Behandlung schlagen Sie vor?
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61.2 . Erläutern Sie Angriffspunkte und Wirkungen der Neuroleptika!
61.3 . Mit welchen extrapyramidal−motorischen Störungen bei einer hochpotenten Neuroleptikatherapie müssen Sie rechnen? Welche Therapieoptionen haben Sie?
61.4 . Wann sind Depotneuroleptika indiziert? Welche Vor− und Nachteile bieten Depotneuroleptika?
Unter der Behandlung mit Haloperidol distanziert sich der Patient von den Wahnvorstellungen und nimmt an der Psychotherapie teil. 6 Monate nach Einlieferung klagt der Patient über An− triebsverarmung und Einschränkung seiner emotionalen Schwingungsfähigkeit im Sinne einer Negativsymptomatik.
61.5 . Welche Neuroleptika können Sie einsetzen?
Antworten und Kommentar Seite 219
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Fall 62 15−Jahriger mit zunehmenden Atembeschwerden bei Asthma bronchiale Cromoglycinsäure und einem b2−Sympathomi− metikum in Sprayform bei akuter Symptoma− tik behandelt werden. Nun seien die Be− schwerden seit dem Frühjahr nicht mehr richtig verschwunden, nur während der ver− gangenen Sommerferien an der Nordsee ha− ben sich seine Beschwerden gebessert. In der Schule sei er nun auf Grund des Schlafdefizits wenig leistungsfähig. Auf Nachfrage erfahren Sie, dass der Junge seit einigen Wochen einen erhöhten Bedarf an b2−Sympathomimetika ha− be.
62.1 . Erläutern Sie die Vorgänge beim akuten Asthmaanfall!
Fall
Ein 15−jähriger Junge kommt mit starken Atembeschwerden in die internistische Praxis, in der Sie gerade famulieren. Dort ist er be− reits seit Kleinkindesalter wegen Neurodermi− tis bekannt. Aktuell klagt er über zunehmende nächtliche Atemnot (1–2−mal im Monat) und Hustenanfälle, auch könne er nur noch schlecht schlafen. Anamnestisch erfahren Sie, dass schon seit Jahren ein allergisches Asthma bronchiale mit Reaktion auf Birken− und Er− lenpollen im Frühjahr besteht. Eine Hyposen− sibilisierung war erfolglos. Die Erkrankung konnte bislang gut mit einer Dauermedikation
62 65
62.2 . Benennen Sie die Ziele der Asthmatherapie!
62.3 . Erläutern Sie die Stufentherapie (Dauertherapie) des Asthma bronchiale! Welche Dauertherapie würden Sie bei dem Jungen durchführen?
Sie lassen sich die Handhabung des Dosieraerosols vom Patienten zeigen und stellen eine insuf− fiziente Sprühtechnik fest.
62.4 . Wie wird ein Dosieraerosol richtig angewendet? Welche Vorteil bietet die Anwendung von Dosieraerosolen?
Antworten und Kommentar Seite 217
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Fall 63 29−jahrige schwangere Patientin mit erhohtem Blutdruck Eine 29−jährige Erstgebärende ist Patientin in Ihrer Praxis für Gynäkologie. Der Schwanger− schaftsverlauf war bisher unauffällig. Nun be− richtet sie Ihnen bei der Vorsorgeuntersu− chung in der 32. Schwangerschaftswoche (SSW), dass sie manchmal ein geschwollenes Gesicht habe und öfter Übelkeit, Kopfschmer− zen und Ohrensausen verspüre. Sie untersu−
Fall
63 66
chen die Patientin und bemerken Ödeme, v. a. im Gesicht und an den Beinen. Sie messen ei− nen Blutdruck von 180/110 mmHg und eine rhythmische Herzfrequenz mit 102 Schlägen/ min; ein EKG ist mit Ausnahme einer Tachy− kardie unauffällig. Sonografisch erkennen Sie einen regelrechten Schwangerschaftsbefund, ca. in der 31. SSW.
Sie stellen die Diagnose einer Schwangerschaftshypertonie (Präeklampsie) und besprechen mit Ihrer Patientin das weitere Vorgehen.
63.1 . Mit welchen Wirkstoffen können Sie eine Schwangerschaftshypertonie behandeln?
63.2 . Erklären Sie den Wirkungsmechanismus von a−Methyldopa!
63.3 . Nennen Sie unerwünschten Wirkungen von a−Methyldopa!
Antworten und Kommentar Seite 223
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Fall 64 52−jahriger Patient mit Gangran der 2. Zehe rechts bei pAVK der angeordneten Arteriografie finden Sie langstreckige Verschlüsse der A. femoralis su− perficialis und A. tibialis anterior beidseits so− wie Verschlüsse der A. fibularis und A. tibialis posterior rechts. Sie stellen die Diagnose einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) vom Oberschenkeltyp beidseits.
Fall
Sie absolvieren Ihr praktisches Jahr auf einer Station der Inneren Medizin, als ein 52−jähri− ger Patient mit einer Zehengangrän rechts zur stationären Aufnahme kommt. Der Patient be− richtet Ihnen über Schmerzen in den Waden bei Belastung, die seit mehreren Jahren be− stehen würden. Zunächst lag die beschwerde− freie Gehstrecke stabil bei 300 m, habe sich jedoch 2 Monate zuvor auf 100 m verkürzt. Seit 3 Wochen verspüre er v. a. nachts auftre− tende Ruheschmerzen im rechten Fuß. Der Pa− tient ist 179 cm groß, wiegt 86 kg und raucht seit seinem 17. Lebensjahr (2 Schachteln/Tag). Bei der körperlichen Untersuchung finden Sie eine Gangrän (s. Abb.) der zweiten Zehe am rechten Fuß. Der rechte Unterschenkel ist deutlich kälter als der linke. Die Pulse der A. femoralis sind beidseits tastbar, die Pulse der A. poplitea, dorsalis pedis und tibialis poste− rior sind beidseits nicht mehr palpabel. Auf
64 67
Gangran am zweiten Zeh
64.1 . Erläutern Sie die klinische Stadieneinteilung der pAVK nach Fontaine! Wie würden Sie den Patienten einordnen?
64.2 . Therapieren Sie den Patienten medikamentös? Begründen Sie!
64.3 . Welche Wirkstoffe können Sie zur Behandlung der pAVK einsetzen?
64.4 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Alprostadil!
64.5 . Erläutern Sie die Maßnahmen beim akuten Arterienverschluss!
Antworten und Kommentar Seite 225
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Fall 65 30−jahriger Patient mit akutem Durchfall
Fall
65
Ein 30−jähriger Patient kommt im Sommer in Ihre Allgemeinarztpraxis und berichtet von nichtschmerzhaften Durchfällen. Der Stuhl sei dünnflüssig−wässrig, Blutbeimengungen habe er nicht bemerkt. Die Durchfälle hätten ges− tern begonnen und die ganze Nacht über an− gehalten. Zweimal hätte er sich auch überge− ben. Jetzt fühle er sich sehr schlecht und schlapp. Ihre Frage nach weiteren von Durch− fall betroffenen Personen in der Familie ver−
neint der Patient, auch ist die Ernährungsana− mnese nicht richtungsweisend. Bei der körperlichen Untersuchung erheben Sie subfe− brile Temperaturen und eine Exsikkose. Der Blutdruck beträgt 105/70 mmHg, die Herzfre− quenz liegt bei 85/min. Da sich in den vergan− genen Tagen schon mehrere Patienten mit akuter Diarrhö vorgestellt hatten, gehen Sie von einer unkomplizierten Sommerdiarrhö aus.
65.1 . Wie gehen Sie weiter vor?
68
65.2 . Welche pharmakologischen Optionen zur Therapie der Diarrhö haben Sie?
65.3 . Bei welchen Symptomen ist eine weitere Abklärung angebracht?
65.4 . In welchen Fällen sind Antibiotika bei Durchfall indiziert?
Antworten und Kommentar Seite 227
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Fall 66 56−Jahrige mit Wirbelkorperfrakturen unter normaler Belastung der Lendenwirbelkörper (LWK) 3 und 4 sowie keilförmige Verformungen von LWK 1 zeigen (s. Abb.). Ausgedehnte Laboruntersuchungen sind ohne pathologische Befunde.
Fall
Eine 56−jährige Frau konsultiert Sie in Ihrer orthopädischen Praxis. Sie berichtet, dass sie einige Monate zuvor beim Heben einer Ge− tränkekiste einen akut lähmenden Schmerz im Rücken verspürte, der nach einigen Tagen Bettruhe verschwand. Derartige Attacken wie− derholten sich mehrfach bei vergleichbaren Bewegungen. Fangopackungen, Massage und lokale Schmerzspritzen des Hausarztes führ− ten zu einer kurzfristigen Beschwerdelinde− rung. Sie erfahren, dass die Menopause im 48. Lebensjahr eintrat, eine Hormonbehandlung wurde seitdem nicht durchgeführt. Die Patien− tin habe lange geraucht, keinen Sport getrie− ben und ernährungsbedingt eher wenig Kal− zium zu sich genommen. Sie stellen bei der Messung der Körpergröße eine Verminderung um 7 cm fest im Vergleich zur Körpergröße 6 Jahre zuvor. Sie lassen Röntgenbilder der Wir− belsäule anfertigen, die Deckplatteneinbrüche
66 69 Seitliche Rontgenaufnahme der Lendenwirbelsaule
Sie gehen von einer postmenopausalen Osteoporose aus.
66.1 . Welche Therapie leiten Sie ein?
Sie klären die Patientin über zusätzliche Änderungen der Lebensweise auf.
66.2 . Nennen Sie prophylaktische und unterstützende Maßnahmen in der Therapie der Osteoporose!
66.3 . Wie führen Sie eine Osteoporosetherapie beim Mann durch?
66.4 . Welche Maßnahmen können das Sturzrisiko bei älteren Patienten vermindern?
Antworten und Kommentar Seite 227
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Fall 67 61−jahrige Patientin mit Schwache in den Beinen
Fall
67
Sie behandeln eine 61−jährige insulinpflichtige Diabetikerin seit 4 Jahren wegen einer arteri− ellen Hypertonie ohne Proteinurie. Trotz einer Dreifachkombination aus Enalapril, Nifedipin und Triamteren/Hydrochlorothiazid ist die Blutdruckeinstellung unbefriedigend. Nun klagt die Patientin seit 4 Monaten über eine zunehmende Schwäche der Beine beim Trep− pensteigen oder Spazieren gehen. Die Patien− tin ist 1,68 m groß und 72 kg schwer. Sie mes− sen einen Blutdruck von 155/95 mmHg im Stehen und 190/100 mmHg im Liegen. Labor−
diagnostisch erhalten Sie folgende Werte: Hä− moglobin 11,8 g/dl, Thrombozyten 187 000/ml, Kreatinin 1,5 mg/dl, Kalium 7,0 mmol/l, Natri− um 144 mmol/l, Standard−Bikarbonat 14 mmol/l, Chlorid 112 mmol/l, Blutzucker (nüchtern) 122 mg/dl, Urin−Kaliumausschei− dung 60 mmol/d, Urin−Natriumausscheidung 48 mmol/d und eine Reninaktivität im Plasma unter 1 ng/ml/h. Sie stellen die Nieren in einer Abdomenübersicht und sonografisch dar, fin− den aber keine Hinweise auf morphologische Veränderungen.
67.1 . Was unternehmen Sie im vorliegenden Fall?
70
67.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von kaliumsparenden Diuretika und Aldosteronrezeptorantagonisten!
67.3 . Welche Arzneimittel können eine Hyperkaliämie verursachen?
67.4 . Was bewirken Kationenaustauschharze? Nennen Sie Unterschiede zwischen den Harzen!
Antworten und Kommentar Seite 229
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Fall 68 27−Jahrige mit plotzlichem Fieber, Glieder− und Halsschmerzen sche Therapie. Sie empfehlen ihr die Einnah− me von Paracetamol zur Fiebersenkung und stellen ihr eine Krankschreibung für 3 Tage aus. Am nächsten Tag werden Sie von der Pa− tientin zu einem Hausbesuch gerufen. Sie fin− den die Patientin im Bett vor, sie berichtet von Kopfschmerzen, Schweißausbrüchen, Schnupfen, trockenem Reizhusten und retro− sternalem Brennen sowie zunehmender Atem− not. Über der Lunge hören Sie feuchte Rassel− geräusche und ein Pleurareiben. Unter der Verdachtsdiagnose einer Influenza beginnen Sie eine medikamentöse Behandlung.
68.1 . Nennen Sie Arzneimittel, die zur Behandlung der Influenza eingesetzt
Fall
Eine 27−jährige Krankenschwester kommt in Ihre Allgemeinarztpraxis mit schlagartig auf− getretenem Fieber (38,5 8C) und Schüttelfrost. Außerdem verspüre sie Glieder− und Hals− schmerzen sowie eine allgemeine Mattigkeit. 3 Stunden zuvor habe sie noch ohne Probleme an einer Fitnessstunde teilgenommen. Da sie in 3 Tagen in den Urlaub fliegen möchte, wünscht die Patientin die Verschreibung eines Antibiotikums. Sie untersuchen die Patientin, bis auf einen leicht geröteten Rachen sehen Sie in Anbetracht des bisherigen Krankheits− verlaufes keine Indikation für eine antibioti−
68 71
werden!
68.2 . Gegen welchen Influenzatypus ist Amantadin wirksam?
Wenige Wochen später kommt die Patientin genesen in Ihre Praxis. Ihren Urlaub musste Sie absagen. Sie ist nun überzeugt, dass Sie sich jedes Jahr im Herbst gegen Grippe impfen lassen wird.
68.3 . Für welche Personengruppen würden Sie eine Influenzaimpfung empfehlen? Würden Sie der Patientin zu einer Impfung raten?
Antworten und Kommentar Seite 231
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Fall 69 19−jahriger komatoser Patient mit Polyurie
Fall
69
Ein 19−jähriger Motorradfahrer wird nach ei− nem schweren Unfall vom Notarzt mit Ver− dacht auf ein schweres Schädel−Hirn−Trauma in komatösem Zustand in eine Unfallklinik eingeliefert. Nach der chirurgischen Versor− gung mehrerer Knochenbrüche wird der Pa− tient auf die Intensivstation verlegt, auf der Sie Dienst haben. Ungefähr 15 Stunden nach der Aufnahme stellen Sie bei dem beatmeten Patienten eine stark erhöhte Urinausscheidung von 6,5 l fest. Sie schließen eine Glukosurie
aus. Die Osmolalität des Urins beträgt 245 mosmol/kg H2O. Nach ein paar Stunden setzt die Spontanatmung wieder ein und der Pa− tient wacht auf. Die Urinausscheidung bleibt jedoch erhöht, und der Patient klagt über ein starkes Durstgefühl. Sie ordnen einen Durst− versuch an, bei dem die Serumosmolalität weiter über den Normalwert von 289 mos− mol/kg H2O ansteigt, bei einer Urinosmolalität von ca. 250 mosmol/kg H2O.
69.1 . Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Welches Arzneimittel sollten Sie zur Behebung der Symptome einsetzen?
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Die Ursache dieser Erkrankung kann auch in der Niere liegen.
69.2 . Wie gehen Sie dann therapeutisch vor?
69.3 . Nennen Sie Wirkungen und daraus resultierende Indikationen für Vasopressin und Vasopressinanaloga!
!!! 69.4 .
Über welche Rezeptoren wird die Wirkung von Vasopressin vermittelt?
Antworten und Kommentar Seite 232
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Fall 70 51−jahriger Patient mit erhohten Cholesterinwerten Sie haben 6 Monate zuvor eine internistische Praxis in Berlin übernommen. Zu Ihnen kommt ein Patient zum Gesundheitscheck, den Sie bislang noch nicht kennen. Der Patient ist adipös (Körpergröße 182 cm, Körperge− wicht 92 kg), weitere pathologische Befunde
können Sie bei der körperlichen Untersuchung nicht erheben. Risikofaktoren wie Nikotin− oder Alkoholabusus liegen nicht vor. Das durch− geführte Labor erbringt folgende pathologische Befunde: Gesamtcholesterin 324 mg/dl, HDL− Cholesterin 29 mg/dl, Triglyzeride 165 mg/dl.
70.1 . Welche Medikamente kommen in Frage? Welche Laborwerte müssen Sie kontrollieren?
Fall
Sie empfehlen dem Patienten eine kalorien− und fettreduzierte Ernährung und bestellen den Patienten 3 Monate später wieder ein. Der Gesamtcholesterinspiegel liegt jetzt bei 295 mg/dl, so dass Sie eine medikamentöse Therapie der Hypercholesterinämie in Erwägung ziehen.
70 73
70.2 . Formulieren Sie Ziele bei der Therapie der Hypercholesterinämie!
70.3 . Wann und wie wird eine Hypertriglyzeridämie behandelt?
!!! 70.4 .
Warum wurde der HMG−CoA−Reduktasehemmer Cerivastatin vom Markt genommen?
Antworten und Kommentar Seite 234
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Fall 71 56−jahriger Raucher mit Atemnot und Auswurf
Fall
71 74
Ein 56−jähriger Patient stellt sich mit Atemnot und Müdigkeit in Ihrer Allgemeinarztpraxis vor. Die Beschwerden bestehen seit ca. 4 Wo− chen. Er berichtet von einem gräulich−zähen morgendlichen Auswurf, den er schon seit 6 Jahren, meist im Winter, habe. Der Patient ist Raucher (1 Schachtel/Tag seit 41 Jahren), nimmt seit Jahren Theophyllin ein und inha− liert Salbutamol und Tiotropium. Sie untersu− chen den Patienten und erhalten folgende auf−
fällige Befunde: adipöser Patient in mäßigem Allgemeinzustand; Körpertemperatur 37,1 8C; Lippenzyanose; Ruhedyspnoe; Halsvenenstau− ung beidseits; über beiden Lungen hypersono− rer Klopfschall ohne Dämpfung und diffuses, überwiegend exspiratorisches Giemen; rhyth− mische Herzfrequenz mit 106 Schlägen/min; Blutdruck 150/85 mmHg beidseits. Labordiag− nostisch erheben Sie keine pathologischen Be− funde.
Sie gehen von einer akuten Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mittleren Schweregrades aus.
71.1 . Welche Therapieoptionen haben Sie in Abhängigkeit vom Schweregrad der COPD?
71.2 . Erläutern Sie den Stellenwert der Glukokortikoide bei der COPD−Behandlung!
Sie beraten den Patienten über Therapieziele und −kontrolle, präventive Maßnahmen und medi− kamentöse Therapie.
71.3 . Nennen Sie Inhalte des Beratungsgesprächs!
Nach wenigen Tagen kommt der Patient mit Fieber, zunehmendem Husten und gelblich−grünem Auswurf wieder in Ihre Praxis. Sie verordnen unter der Annahme einer Infektexazerbation das Makrolidantibiotikum Erythromycin.
71.4 . Erläutern Sie die Wechselwirkung von Erythromycin mit der schon bestehenden Medikation! Wie gehen Sie vor?
Antworten und Kommentar Seite 236
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Fall 72 65−jahrige Patientin mit Kopfschmerzen und stark erhohtem Blutdruck Tagen die Tabletten ausgegangen und ihr Hausarzt sei im Urlaub, so dass sie seit 4 Ta− gen keine Tablette eingenommen habe. Sie messen einen Blutdruck von 250/140 mmHg, die Herzfrequenz ist rhythmisch und liegt bei 104 Schlägen/min. Über der Lunge hören Sie vereinzelt basal feinblasige Rasselgeräusche. Das Herz weist auskultatorisch ein leises Sys− tolikum über der Herzspitze und einen 4. Herzton auf. Unter der Annahme eines hyper− tensiven Notfalls beginnen Sie eine ambulante Therapie und weisen die Patientin zur statio− nären Aufnahme ein.
72.1 . Welche Maßnahmen zur Behandlung des hypertensiven Notfalls
Fall
Sie werden im ärztlichen Wochenenddienst zu einer 65−jährigen alleinstehenden Frau geru− fen. Sie klagt über Kopfschmerzen, die seit ca. 2 Stunden bestehen würden und etwas Übel− keit. Das Atmen falle ihr zunehmend schwe− rer. Seit einer halben Stunde habe sie das Ge− fühl, als ob Ameisen über ihre linke Hand und Unterarm liefen. Aus der Anamnese ist eine langjährige arterielle Hypertonie bekannt, die jedoch nach Angaben der Patientin mit einer Fixkombination aus Hydrochlorothiazid 12,5 mg und Metoprolol 100 mg morgens gut eingestellt sei. Jedoch seien ihr in den letzten
72 75
ergreifen Sie?
72.2 . Welche weiteren Medikamente sind zur Therapie des hypertensiven Notfalls geeignet? Nennen Sie deren Indikationen!
72.3 . Was wissen Sie über die Verwendung von Nifedipin beim hypertensiven Notfall?
72.4 . Welche potenziell toxische Wirkung ist für Nitroprussid−Natrium beschrieben?
Antworten und Kommentar Seite 238
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Fall 73 42−jahriger ubergewichtiger Patient
Fall
73
Ein 42−jähriger Patient sucht Sie in Ihrer All− gemeinarztpraxis zum Gesundheitscheck auf. Er wirkt nervös und angespannt. Sie bemer− ken eine deutliche bauchbetonte Adipositas (Größe 172 cm, Gewicht 96 kg). Der Blutdruck liegt beidseitig bei 160/95 mmHg, die Herzfre− quenz ist rhythmisch mit 88/min. Als Grund für den Besuch nennt der Patient den plötzli− chen Tod eines langjährigen Freundes an ei− nem Herzinfarkt. Er verstarb mit 45 Jahren
vor seinen Augen zur Mittagszeit im Kasino. Da der Verstorbene ebenfalls übergewichtig gewesen sei und keinen Sport getrieben habe, sei der Patient jetzt alarmiert und wolle sei− nen Lebensstil ändern und in den nächsten Monaten deutlich Gewicht verlieren. Sie be− grüßen die Entscheidung des Patienten und beraten ihn über eine nichtpharmakologische Gewichtsreduktion.
73.1 . Nennen Sie allgemeine Maßnahmen zur Gewichtsreduktion!
76
Der Patient fragt Sie, ob es Medikamente gibt, die die Gewichtsreduktion unterstützen.
73.2 . Ist bei Ihrem Patienten eine pharmakologische Gewichtsreduktion angebracht?
73.3 . Nennen Sie adipositasassoziierte Krankheiten!
73.4 . Wie wirkt das Antiadipositum Orlistat?
Antworten und Kommentar Seite 240
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Fall 74 Zwei Patienten mit Schlafstorungen quenz rhythmisch mit 68 Schlägen/min, Un− terschenkelödeme beidseits. Das EKG zeigt Zeichen einer mäßigen Rechtsherzbelastung. Der zweite Patient ist ebenfalls 75 Jahre alt, rüstig und seit vielen Jahren in der Praxis be− kannt. Er sucht Rat, weil er seit dem Tod sei− ner Frau 4 Wochen zuvor nicht mehr richtig schlafen könne. Das Einschlafen falle ihm be− sonders schwer, häufig liege er aber auch frühmorgens lange wach, ist traurig und grü− bele. Er lebe nun alleine und versorge sich selbst. Ein pflanzliches Schlafmittel aus der Apotheke hätte keine Wirkung gezeigt. Sie un− tersuchen den Patienten körperlich, können aber keinen pathologischen Befund erheben.
Fall
Sie famulieren in einer Allgemeinarztpraxis. An Ihrem ersten Tag sehen Sie 2 Patienten, die wegen Schlafstörungen in die Praxis kommen: Die erste Patientin ist 75 Jahre alt und klagt darüber, dass sie, wenn sie gegen 22 Uhr zu Bett gehe, zwar gut einschlafen könne, dann aber aufwache und nach 5 Uhr nicht mehr schlafen könne. Nachmittags sei sie so müde, dass sie oft eine Stunde Mittagsschlaf machen müsse. Wenn sie mit 2 Kopfkissen schlafe, könne sie besser schlafen. Sie wird seit 3 Jah− ren wegen arterieller Hypertonie und Ödemen mit Thiaziddiuretika behandelt. Sie untersu− chen die Patientin und erheben folgende Be− funde: Körpergröße 161 cm, Gewicht 69 kg, Blutdruck 140/85 mmHg beidseits, Herzfre−
74 77
74.1 . Wie würden Sie bei den beiden Patienten vorgehen?
74.2 . Welche Wirkstoffe können als Schlafmittel eingesetzt werden?
74.3 . Welche Anforderungen werden an ein ideales Schlafmittel gestellt?
74.4 . Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der Benzodiazepine!
74.5 . Welche Arzneistoffe können zu Schlafstörungen führen?
Antworten und Kommentar Seite 241
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Fall 75 69−Jahrige mit schwerer Atemnot und feinblasigen Rasselgerauschen
Fall
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Im hausärztlichen Bereitschaftsdienst werden Sie frühmorgens zu einer 69−jährigen Patien− tin gerufen. Sie finden sie am Bett sitzend und schwer atmend, mit seitlich am Körper aufge− stützten Armen, vor. Die Patientin wirkt ängstlich und erschöpft, die Stirn ist schweiß− bedeckt, die Lippen sind zyanotisch. Deutlich sichtbar sind gestaute, pulsierende Halsvenen. Die Patientin berichtet Ihnen, dass sie seit ei− nigen Wochen bei körperlicher Belastung im− mer schlechter Luft bekomme, nachts nur mit erhöhtem Oberkörper schlafen könne und mehrmals Wasserlassen müsse. Diese Nacht sei sie nach ca. 2 Stunden aufgewacht und ha− be keine Luft mehr bekommen. Sie messen ei−
nen Blutdruck von 135/100 mmHg, die Herz− frequenz ist rhythmisch und liegt bei 100 Schlägen/min. Auskultatorisch finden Sie rechts basal ein abgeschwächtes Atemge− räusch, über beiden Lungen sind inspiratori− sche feuchte, feinblasige Rasselgeräusche und vereinzelt exspiratorisches Giemen zu hören. Bei der Herzauskultation erkennen Sie ein dis− kretes Systolikum mit Punctum maximum über der Herzspitze. Der Blutzucker (nicht nüchtern) liegt bei 150 mg/dl. Sie erheben die Verdachtsdiagnose einer akut dekompensier− ten Linksherzinsuffizienz mit beginnendem Lungenödem.
75.1 . Welche Formen des Lungenödems können Sie ätiologisch unterscheiden?
Sie erklären der Patientin, dass eine stationäre Behandlung nötig ist und rufen den Krankenwa− gen.
75.2 . Welche Maßnahme können Sie akut ergreifen? Welche sind erst stationär durchführbar?
75.3 . Nennen Sie Vor− und Nachteile einer Katecholaminbehandlung beim kardial bedingten Lungenödem!
75.4 . Welchen Stellenwert haben Phosphodiesterasehemmer zur Behandlung beim Lungenödem? Nennen Sie Indikationen!
Antworten und Kommentar Seite 243
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Fall 76 24−jahrige Patientin mit Gewichtsverlust und Nachtschweiß
Fall
Eine 24−jährige Medizinstudentin kommt in Ihre internistische Praxis und klagt über Ge− wichtsverlust und nächtliches Schwitzen. Bei der Anamnese erfahren Sie, dass die Patientin ein halbes Jahr zuvor Kontakt zu Tuberkulose− patienten hatte. Seitdem sei sie eingeschränkt leistungsfähig, habe ein gesteigertes Schlafbe− dürfnis und gelegentlich eitrig produktiven Reizhusten. Die Patientin ist 165 cm groß und 53 kg schwer. Sie messen einen Blutdruck von 125/80 mmHg beidseits und eine Herzfre− quenz von 80 Schlägen/min. Sie veranlassen eine Röntgenthoraxaufnahme (s. Abb.). Im Sputumdirektpräparat erkennen Sie säurefeste Stäbchen, der Intrakutantest nach Mendel− Mantoux ist positiv. Mit der Verdachtsdiag− nose Lungentuberkulose weisen Sie die Pa− tientin sofort auf eine Infektionsstation ein.
76 Primartuberkulose: Lungenbefall mit Ausbreitung ent− lang der Lymphbahnen in die regionalen Lymphknoten
79
76.1 . Welche Therapie würden Sie bei der Patientin durchführen?
76.2 . Was ist bei einer Tuberkuloseerkrankung in Schwangerschaft oder Stillzeit zu beachten?
76.3 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Rifampicin!
Sie machen eine Meldung an das Gesundheitsamt, das daraufhin eine Umgebungsuntersuchung veranlasst. Drei Kontaktpersonen werden positiv getestet und prophylaktisch behandelt.
76.4 . Nennen Sie Empfehlungen für die präventive Chemotherapie!
Antworten und Kommentar Seite 245
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Fall 77 19−jahrige Patientin mit Acne vulgaris Sie werden von einer 19−jährigen Patientin in der dermatologischen Ambulanz eines städti− schen Krankenhauses aufgesucht. Sie klagt über Hautveränderungen in Form von ent− zündlichen Effloreszenzen mit Papeln, Pusteln und Knoten im ganzen Gesicht, Brustbereich und am Rücken. In der Pubertät wären zu−
Fall
77
nächst Pickel aufgetreten, die erst nur Nase und Wangen betroffen, sich später aber ver− schlimmert und ausgebreitet hätten. Die Pa− tientin fühlt sich nun durch die Effloreszenzen in ihrer Lebensqualität und Psyche stark be− einträchtigt und wünscht eine medikamentöse Behandlung.
Sie erklären der Patientin, dass es sich um eine Acne vulgaris handelt und beraten sie über das weitere Vorgehen.
77.1 . Entwerfen Sie einen Therapieplan für die Patientin!
80
Um eine mögliche Ursache zu erkennen, klären Sie ab, welche Medikamente die Patientin gele− gentlich oder regelmäßig einnimmt.
77.2 . Welche Arzneimittel können eine Akne hervorrufen?
77.3 . Was müssen Sie bei der Anwendung von Vitamin−A−Säure−Derivaten beachten?
77.4 . Charakterisieren Sie die in der Dermatologie verwendeten halbfesten Zubereitungen!
Antworten und Kommentar Seite 247
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Fall 78 72−Jahrige mit Herzinsuffizienz und Schilddrusenveranderung mit Durchfällen eine ausgedehnte gastroente− rologische Untersuchung erfolgte, bei der u. a. auch Röntgenkontrastmittel verabreicht wor− den seien. Bei der Inspektion und Palpation fällt Ihnen ein Knoten im kaudalen Bereich des rechten Schilddrüsenlappens auf. Das So− nogramm zeigt Ihnen eine leicht vergrößerte Schilddrüse mit normalem Echomuster, wobei sich der Knoten als diffus echoarmer Bezirk darstellt. Auf Grund der Anamnese und des klinischen Bildes gehen Sie von einer thyreo− toxischen Krise aus.
78.1 . Welche Basismaßnahmen leiten Sie ein?
Fall
Sie haben gerade Nachtdienst in der Rettungs− stelle eines städtischen Krankenhauses als eine 72−jährige Patientin als kardiologischer Notfall eingeliefert wird. Eine bestehende Herzinsuffizienz sei plötzlich schlimmer ge− worden. Die Patientin ist nervös und agitiert, hat Fieber um 39,5 8C und weist Zeichen einer Dehydratation auf. Die Haut fühlt sich warm und feucht an. Das EKG zeigt eine Tachyar− rhythmia absoluta mit einer Pulsfrequenz um 155/min. Sie erfahren, dass etwa 6 Wochen zuvor wegen ungeklärter Gewichtsabnahme
78 81
78.2 . Wie führen Sie die medikamentöse Therapie der thyreotoxischen Krise durch? Gibt es eine operative Therapie oder Eliminationsverfahren?
78.3 . Welche Vorteile bietet Propranolol gegenüber anderen b−Rezeptorantagonisten?
78.4 . Erläutern Sie die Wirkungsweise von Lithiumionen!
Antworten und Kommentar Seite 248
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Fall 79 32−Jahriger mit Kopfschmerzen und Schuttelfrost nach Keniaaufenthalt
Fall
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Ein 32−jähriger Patient sucht Sie in Ihrer All− gemeinarztpraxis auf. Er hat Kopfschmerzen und Fieber bis 39,2 8C. Diese Symptome habe er in den vergangenen Tagen schon einmal ge− habt, unter starkem Schwitzen seien sie zu− rückgegangen. Diese Nacht hätten die Symp− tome wieder mit Schüttelfrost begonnen. Auf Ihr gezieltes Fragen berichtet der Patient, dass er 2 Wochen zuvor von einer 3−wöchigen Fo− tosafari aus Kenia zurückgekehrt sei. Dabei habe er eine Malariaprophylaxe mit Chloro− quin durchgeführt. Der Patient ist in gutem Allgemein− und Ernährungszustand, die Haut ist feucht und überwärmt. Lunge und Herz sind auskultatorisch unauffällig. Sie messen einen Blutdruck von 130/80 mmHg, die Herz− frequenz beträgt 105 Schläge/min. Die Palpa− tion des Abdomens ergibt eine weiche Bauch− decke mit randständig tastbarer Leber und Milz, was Sie durch Oberbauchsonografie be− stätigen können; beide Organe zeigen ein re− gelrechtes Parenchymreflexmuster. Labordiag− nostisch auffällig sind: Hämoglobin 12,1 g/dl, Leukozyten 9500/ml, LDH 320 U/l. Sie finden
bereits im ersten dicken Tropfen“ ringförmige Trophozoiten in den Erythrozyten (s. Abb.) und weisen den Patienten mit Verdacht auf eine chloroquinresistente Malaria tropica in ein tropenmedizinisches Zentrum ein.
Blutausstrich bei Malaria tropica: Trophozoiten von Plasmodium falciparum in befallenen Erythrozyten
79.1 . Welche Pharmakotherapie würden Sie im vorliegenden Fall durchführen?
79.2 . Nennen Sie Malariamittel und deren Wirkort!
79.3 . Nennen Sie nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Malariaprophylaxe!
79.4 . Erklären Sie den Begriff Stand−by“−Therapie!
Antworten und Kommentar Seite 250
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!!!
Fall 80
70−jahriger Patient mit Immunozytom befund zeigt: Leukozyten 6490/ml, Hämoglo− bin 12,1 g/dl, Gesamteiweiß 8,7 g/l, Thrombo− zyten 106 000/ml; das IgM ist auf 3610 mg/dl angestiegen. Bei der Immunphänotypisierung finden Sie eine Zunahme der malignitätssus− pekten Zellen im peripheren Blut auf 39 % (Voruntersuchung: 14 %). Insgesamt gehen Sie von einer Progression des Immunozytoms aus und stellen die Indikation zur Therapie nach dem KNOSPE−Schema.
Fall
Ein 70−jähriger Patient mit bekanntem Immu− nozytom stellt sich in Ihrer onkologischen Praxis zur Verlaufskontrolle vor. Er berichtet von zunehmender Müdigkeit und leichtem Nachtschweiß ohne Gewichtsverlust und sonst gutem Befinden. Sie finden den Patient in gu− tem Allgemeinzustand. Zervikal und inguinal können Sie beidseits Lymphknoten mit einem Durchmesser von etwa 1 cm tasten. Sie finden keine auffälligen kardiopulmonalen Befunden und keine Organomegalie. Der aktuelle Labor−
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80.1 . Erläutern Sie das KNOSPE−Schema!
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80.2 . Welche Kontrollen sollten Sie durchführen?
80.3 . Erläutern Sie das CHOP−Schema!
80.4 . Nennen Sie den Wirkungsmechanismus von Chlorambucil!
Antworten und Kommentar Seite 252
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Fall 81 32−Jahrige mit Magen−Darmbeschwerden ohne weitere organische Befunde
Fall
81 84
Eine 32−jährige Erzieherin konsultiert Sie in Ihrer Allgemeinarztpraxis. Sie betreuen die ge− samte Familie und wissen, dass die Patientin auf Stress mit Verdauungsbeschwerden rea− giert. 3 Monate zuvor wurde eine umfangrei− che medizinische Diagnostik mit Ösophago− gastroduodenoskopie, Koloskopie sowie Blut− und Stuhluntersuchungen durchgeführt. Auf− fällige Befunde konnten dabei nicht erhoben werden. Jetzt klagt die Patientin wieder über Bauchschmerzen mit Übelkeit, einhergehend mit einem Wechsel zwischen Verstopfung und Durchfall, Ekel vor dem Essen und einer Ge−
wichtsabnahme von 3 kg. Als schmerzlindern− de Faktoren gibt sie Wärme an, durch Stress am Arbeitsplatz kommt es zu einer Schmerz− verstärkung. Nach einem längeren Gespräch erfahren Sie, dass die Patientin mit den ihr anvertrauten Kindern nicht mehr klar kommt. Ebenfalls habe sie große Probleme in der Ehe, jedoch glaube Sie nicht, dass ihre Beschwer− den nur psychisch“ bedingt seien. Sie stellen die Verdachtsdiagnose Reizdarmsyndrom“ und nehmen sich Zeit für die Patientin und führen ein ausführliches Therapiegespräch.
81.1 . Nennen Sie allgemeine Maßnahmen und Strategien für Patienten mit Reizdarmsyndrom!
81.2 . Nennen Sie die Ziele bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms!
81.3 . Welche medikamentösen Therapieoptionen haben Sie?
81.4 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Loperamid!
Antworten und Kommentar Seite 253
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Fall 82 4−jahriger Junge mit Fieber und Ohrenschmerzen Ein 4−jähriger Junge wird von seinen Eltern in Ihre Kinderarztpraxis gebracht. Der Junge ist weinerlich und fasst sich ständig an das rechte Ohr. Ihre Arzthelferin misst eine Körpertempe− ratur von 39,2 8C. Die Eltern berichten, dass das Fieber seit 2 Tagen bestehe und ein Infekt der oberen Atemwege mit Fließschnupfen und gerötetem Rachen vorausgegangen sei. Bei der Inspektion finden Sie rechts ein gefäßinjizier−
tes, deutlich gerötetes Trommelfell mit Ein− schränkung der Beweglichkeit und einer er− heblichen purulenten Sekretion. Der Inspek− tionsbefund links ist unauffällig. Da Sie keine Fazialisparese, keinen Druckschmerz am Mas− toid oder Zeichen eines Meningismus erken− nen können, gehen Sie von einer bisher kom− plikationslos verlaufenden akuten Otitis me− dia aus.
Fall
82.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
82 85
82.2 . Nennen Sie einige Regeln für den Einsatz von Antibiotika!
82.3 . Welche Antibiotika dürfen im Kindesalter nicht angewendet werden und warum?
Sie erklären den Eltern, dass es neben den Antibiotika auch Schmerzmittel gibt, die sie ihrem Kind zur Schmerzlinderung geben können.
82.4 . Erläutern Sie die akute Schmerztherapie beim Kind!
Antworten und Kommentar Seite 254
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Fall 83 35−jahrige Patientin mit einseitigem Kopfschmerz
Fall
83 86
Eine 35−jährige Patientin sucht Sie erstmalig in Ihrer Praxis für Neurologie auf. Sie leidet seit ca. 10 Jahren unter schweren Migränean− fällen, die meist von Übelkeit, Erbrechen und Reizüberempfindlichkeit begleitet sind. Die Attacken treten häufig vor oder während der Regelblutung und an den Wochenenden auf. Sie berichtet Ihnen, dass sie mittlerweile in ständiger Angst vor dem nächsten Anfall lebe. Die Schmerzen beginnen meist nachts, sind halbseitig und spätestens gegen Mittag nur noch schwer zu ertragen. Sie könne dann nicht mehr klar denken, kein Licht, keinen
Lärm und keine Gerüche mehr ertragen und müsse sich ins Bett legen. Immer häufiger dauern die Attacken nun über 2 Tage mit Übelkeit und Erbrechen an. Sie fragen die Pa− tientin nach Auslösern. Sie habe selbst ver− schiedene Nahrungsmittel wie Schokolade, Ba− nanen und Alkohol sowie psychische Anspannung identifiziert. Der Grund für Ihre Ratsuche ist nun, dass die Häufigkeit der An− fälle (3−mal pro Monat) und auch die Intensi− tät in den letzten Monaten deutlich zugenom− men haben und sie in ihrer Lebensqualität deutlich einschränken.
83.1 . Entwickeln Sie ein Therapiekonzept für die Patientin!
83.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der sog. Triptane!
Die Patientin wünscht auch ein Medikament gegen Übelkeit und Erbrechen während der An− fälle.
83.3 . Welche antiemetisch wirksamen Substanzen kennen Sie? Wann werden sie eingesetzt?
Antworten und Kommentar Seite 256
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Fall 84 77−jahriger Patient mit massivem Thoraxschmerz rielle Hypertonie. Das EKG zeigt Ihnen einen Sinusrhythmus mit einer Herzfrequenz von 87 Schlägen/min und eine ST−Streckensenkung in V4–V6. Troponin T ist mit 0,91 ng/ml erhöht. Da der Patient trotz i. v.−Nitratgabe nicht be− schwerdefrei ist, lassen Sie sofort eine Koro− narangiografie durchführen. Diese zeigt eine Zweigefäßerkrankung mit einer Stenose des Ramus circumflexus (RCX) und einer 80–90 %− ige Stenose des Ramus interventricularis ante− rior (RIVA). Es wird eine interventionelle The− rapie (PTCA) mit Stent−Implantation in beide Gefäße durchgeführt.
84.1 . Welche Pharmakotherapie leiten Sie zusätzlich zur primären PTCA ein?
Fall
Beim Wochenenddienst auf einer kardiologi− schen Intensivstation bekommen Sie einen 77−jährigen Patienten aus der Notaufnahme. Er wurde mit massiven retrosternalen Schmer− zen mit Ausstrahlung in den linken Arm vom Notarzt eingeliefert. Der Patient ist nach Gabe von Glyceroltrinitrat, Acetylsalicylsäure und unfraktioniertem Heparin kreislaufstabil. Er berichtet Ihnen, dass die Schmerzen seit ca. 3 Wochen bestehen würden, anfangs nur bei stärkeren Anstrengungen, zuletzt aber mehr− fach täglich auch in Ruhe aufgetreten seien. Grunderkrankungen sind ein Diabetes mellitus Typ II und eine ausreichend eingestellte arte−
84 87
84.2 . Wie lässt sich die Restenoserate nach Stent−Implantation verringern?
84.3 . Welche Herzrhythmusstörungen können in der Frühphase eines akuten Myokardinfarktes auftreten? Wie gehen Sie jeweils vor?
84.4 . Nennen Sie Indikationen zur aortokoronaren Bypassoperation!
Antworten und Kommentar Seite 258
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Fall 85 44−Jahrige mit akuter schwerster Atemnot und exspiratorischem Giemen
Fall
85 88
Sie werden als Notarzt am späten Abend zu einer 44−jährigen Frau gerufen. Sie finden sie schwer atmend, beide Arme auf die Sesselleh− nen aufgestützt, am geöffneten Fenster sit− zend vor. Sie wirkt blass und erschöpft. Be− reits bei Betreten des Zimmers können Sie exspiratorische Atemgeräusche hören. Die Frau klagt über plötzlich aufgetretene Luftnot, wobei ihr das Sprechen sichtlich schwer fällt. Mit knappen Worten deutet sie an, dass sie seit etwa einer Woche an einem grippalen In− fekt der Atemwege mit Husten und Auswurf leide. Husten habe sie auch vorher immer wiedergehabt, sie nehme dann Tabletten zum
Schleimlösen“, auch habe sie früher ein Kor− tisonspray“ verwendet. Eine halbe Stunde zu− vor bekam sie nun einen Hustenanfall der im− mer stärker wurde, so dass sich eine Atemnot entwickelte. Aktuell nimmt die Patientin 600 mg Acetylcystein ein. Bei der körperlichen Untersuchung erheben Sie folgende Befunde: Blutdruck 150/90 mmHg, Herzfrequenz 120 Schläge/min, abgeschwächtes Atemgeräusch, exspiratorisches Giemen und Brummen beid− seits, die Herztöne sind rein, keine Herzgeräu− sche. Sie behandeln die Patientin unter der Verdachtsdiagnose Asthmaanfall“.
85.1 . Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
85.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Theophyllin!
85.2 . Welche Symptome weisen auf eine Zustandsverschlechterung der Patientin hin?
85.4 . Was verstehen Sie unter dem Begriff Therapeutisches Drug Monitoring“? Nennen Sie Beispiele für die Anwendung!
Antworten und Kommentar Seite 260
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Fall 86 40−jahrige Patientin mit Gelenkbeschwerden nach Zeckenbiss treten sei. Da die Hautveränderung 2 Tage später wieder verschwand, habe die Patientin ihr keine weitere Beachtung geschenkt. Sie untersuchen die Patientin, können aber mit Ausnahme einer zervikalen und axillären Lymphknotenschwellung keine auffälligen Be− funde erheben. Labordiagnostisch finden Sie: BSG 50/75 mm, Leukozytenzahl 7600/ml, ne− gative Rheumaserologie, hoch positiver IgM− und IgG−Titer gegen Borrelia burgdorferi. Sie stellen die Verdachtsdiagnose Lyme−Borre− liose im Spätstadium“.
86.1 . Erläutern Sie die Stadien der Lyme−Borreliose!
Fall
Eine 40−jährige Patientin berichtet in Ihrer Sprechstunde von rezidivierenden Schmerzen und Schwellungen, die seit 2 Monaten ab− wechselnd beide Kniegelenke betreffen wür− den. Zunächst habe sie an eine Arthrose ge− dacht, jetzt seien die Beschwerden jedoch sehr stark und sie benötige ärztlichen Rat. Auf Ihr Fragen berichtet die Patientin, dass sie un− gefähr 6 Monate zuvor bei einer Wanderung von einer Zecke gebissen wurde. Sie könne sich erinnern, dass damals ein sich stetig ver− größerndes Erythem nach ca. 1 Woche aufge−
86 89
86.2 . Wie gehen Sie in den einzelnen Stadien therapeutisch vor?
Die Patientin fragt Sie, ob sie sich nach dem Zeckenbiss sofort mit Antibiotika hätte behandeln lassen sollen.
86.3 . Wie wird eine prophylaktische Antibiotikabehandlung nach Zeckenbiss beurteilt?
86.4 . Bei welchen Erkrankungen können Sie Tetrazykline einsetzen?
Antworten und Kommentar Seite 261
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Fall 87 24−jahrige Patientin mit Schwindel und niedrigem Blutdruck
Fall
87 90
Eine 24−jährige Studentin ist Patientin in Ihrer internistischen Praxis. Aktuell klagt sie über Schwindel fast jeden Morgen nach dem Auf− stehen. Sie habe dabei ein flaues Gefühl in der Magengegend“ und fühle sich benommen. Sie habe dann auch schon mehrmals den Blut− druck mit einem geliehenen Gerät gemessen, die Werte lagen um 100/65 mmHg. 2 Tage zu− vor sei sie frühmorgens im Bad ohnmächtig geworden. Nach Angaben ihrer Mitbewohne− rin, die sich sofort um sie gekümmert habe, sei sie nach etwa einer halben Minute wieder zu sich gekommen. Davor habe sie derartiges
noch nicht erlebt. Die Patientin ist 168 cm groß, wiegt 53 kg und nimmt keine Medika− mente ein. Sie messen einen Blutdruck von 100/60 mmHg und eine Herzfrequenz von 76 Schlägen/min. Eine eingehende körperliche und neurologische Untersuchung erbringt keine auffälligen Befunde. Sie veranlassen eine 24−Stunden−Blutdruckmessung, die hypotone Werte, v. a. in den frühen Morgenstunden, lie− fert. Sie stellen die Diagnose einer essenziel− len Hypotonie mit erstmalig aufgetretener Synkope.
Sie klären die Patientin zunächst über die Gutartigkeit der Erkrankung auf und beraten Sie über die therapeutischen Möglichkeiten.
87.1 . Was empfehlen Sie der Patientin?
87.2 . Welche physiologischen Vorgänge dienen der Blutdrucksteigerung?
87.3 . Welche Medikamente können eine Hypotonie verursachen?
87.4 . Was tun Sie bei einer schwangeren Patientin mit symptomatischer arterieller Hypotonie?
Antworten und Kommentar Seite 263
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Fall 88 70−Jahrige mit eingeschrankter Leistungsfahigkeit und trockener Haut finden sich Antikörper gegen Thyreoperoxi− dase im Blut. Sie stellen die Diagnose einer hypothyreoten Schilddrüsenfunktionslage, wahrscheinlich als Folge einer früheren, symptomlosen Hashimoto−Thyreoiditis.
Fall
Eine 70−jährige Patientin kommt zu Ihnen in die Allgemeinarztpraxis. Sie ist 165 cm groß und wiegt 73 kg. Die Patientin klagt, dass ihre allgemeine Leistungsfähigkeit und Merkfähig− keit immer mehr nachlasse und sie in letzter Zeit sehr bequem geworden sei. Sie habe Schwierigkeiten mit einem trägen Stuhlgang, friere ständig, ermüde leicht und hätte ein stark erhöhtes Schlafbedürfnis. Sie messen den Blutdruck, der beidseits bei 110/75 mmHg liegt, die Herzfrequenz beträgt 58 Schläge/ min. Bei der weiteren körperlichen Untersu− chung finden Sie eine kalte, trockene, leicht schuppende Haut, die blass und von teigiger Konsistenz ist, es besteht ein angedeutetes Lidödem. Labordiagnostisch zeigt sich eine erniedrigte fT4− und eine im unteren Normbe− reich liegende fT3−Konzentration bei gleichzei− tig stark erhöhter TSH−Konzentration. Auch
88 91
Patientin mit Hypothyreose
88.1 . Welche Behandlung schlagen Sie der Patientin vor?
88.2 . Nennen Sie Arzneimittel, die zu einer Hypothyreose führen können!
88.3 . Was ist bei Schwangeren oder Stillenden mit hypothyreoter Stoffwechsellage zu beachten?
!!! 88.4 .
Wie behandeln Sie ein Myxödemkoma?
Antworten und Kommentar Seite 264
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Fall 89 25−jahrige Patientin mit generalisierten Krampfanfallen
Fall
89 92
Eine 25−jährige Patientin kommt zum ersten Mal in Begleitung ihrer Mutter in Ihre Praxis für Neurologie. Sie berichtet, dass sie im letz− ten halben Jahr dreimal einen Anfall“ hatte. Sie erklärt Ihnen, dass die Anfälle mit Schwin− delgefühl und Sprachlosigkeit begonnen hät− ten, dann sei sie bewusstlos geworden und habe sich nach den Anfällen müde und traurig gefühlt. Nach dem letzten Anfall habe sie Schaum vor dem Mund, Muskelkater sowie Zungen− und Wangenbisse gehabt. Sie befra− gen die Mutter, die folgende Anfallsbeschrei− bung liefert: Kurz vor dem Anfall sei die Toch− ter geistesabwesend und zeige keine Reaktion auf Ansprache. Dann beginne der Anfall, bei dem sie hinstürze und am ganzen Körper krampfe. Es seien auch schon mehrfach hin−
tereinander Anfälle vorgekommen. Anschlie− ßend reagiere die Tochter nicht auf Ansprache und sei aggressiv. Anamnestisch erfahren Sie von der Mutter, dass Schwangerschaft, Geburt und frühkindliche Entwicklung der Patientin unauffällig gewesen seien, auch habe sie als Kind keine Fieberkrämpfe oder entzündliche Erkrankung des ZNS gehabt. Sie führen ein EEG durch und finden eine überwiegende Grundaktivität von 12–15/s, Amplituden bis 40 mV, geringe visuelle Blockade, kurze gene− ralisierte dysrhythmische Gruppen und ein− malig generalisierte Spikes. Hyperventilation löste keine Veränderungen aus, einen Herdbe− fund konnten Sie nicht feststellen. Sie stellen die Diagnose einer primär generalisierten Grand−mal−Epilepsie.
Sie klären die Patientin über ihre Erkrankung auf und besprechen mit ihr das weitere therapeu− tische Vorgehen.
89.1 . Welche Therapieoptionen haben Sie?
89.2 . Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der Valproinsäure!
89.3 . Erläutern Sie das Vorgehen bei einem generalisierten Status epilepticus!
89.4 . Wie werden Fieberkrämpfe im Kleinkindesalter behandelt?
Antworten und Kommentar Seite 266
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Fall 90 35−Jahrige mit akutem Schub einer rheumatoiden Arthritis system sind ohne pathologischen Befund. La− bordiagnostisch erheben Sie folgende patholo− gische Befunde: BSG 85/115 mm, Leukozyten 9300/ml, CRP 65 mg/l, Rheumafaktor positiv.
Fall
Bei einer 35−jährigen Patientin haben Sie 2 Monate zuvor die Verdachtsdiagnose einer rheumatoiden Arthritis gestellt. Der Krank− heitsverlauf war bisher mild, eine Therapie mit physikalischen Anwendungen und nicht− steroidalen Antiphlogistika bislang ausrei− chend. Nun sucht Sie die Patientin in Ihrer Praxis auf, nachdem tags zuvor ein Schub mit Morgensteifigkeit und deutlichen Bewegungs− und Druckschmerzen in den Fingergelenken und dem rechten Kniegelenk aufgetreten sind. Derzeit nimmt sie retardiertes Diclofenac (100 mg/d) zum Abendessen ein. Die körperli− che Untersuchung ergibt eine symmetrische Schwellung der proximalen Interphalangeal− und der Metakarpophalangealgelenke (s. Abb.) und einen Kniegelenkserguss rechts. Die Ge− lenke sind druckschmerzhaft, nicht gerötet oder überwärmt. Lunge und Herz−Kreislauf−
90 93 Fruhstadium der rheumatoiden Arthritis (spindelformi− ge Auftreibung der Metakarpophalangeal− und der pro− ximalen Interphalangealgelenke)
Sie erklären der Patientin, dass nun ein akuter Schub der Erkrankung aufgetreten sei und be− sprechen mit Ihr das weitere Vorgehen.
90.1 . Wie behandeln Sie einen akuten Schub einer rheumatoiden Arthritis?
Zur Schubprophylaxe empfehlen Sie der Patientin, die Basistherapie zu verändern.
90.2 . Welche Optionen bestehen für die Basistherapie bei der Patientin?
90.3 . Worauf ist bei der Anwendung von Methotrexat zu achten?
!!! 90.4 .
Was sind Biologicals“? Welche Wirkstoffe gehören zu dieser Gruppe?
Antworten und Kommentar Seite 268
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Fall 91 64−jahrige Patientin mit depressiver Verstimmung
Fall
91 94
Eine 64−Jährige ist seit vielen Jahren wegen ei− nes insulinpflichtigen Typ−II−Diabetes und ar− teriellen Hypertonus als Patientin in Ihrer internistischen Praxis bekannt. Seit etwa ei− nem Jahr klagt sie zunehmend über schwere depressive Verstimmungen, Antriebsstörungen und Lebensunmut. Bei ihrem jetzigen Besuch scheint sich der depressive Zustand weiter verschlechtert zu haben, die Patientin weist eine zunehmende Vernachlässigung auf. Sie erfahren, dass die Patientin in den letzten 6 Wochen schon zweimal mit entgleistem Blut− zucker stationär behandelt werden musste. Sie haben den Verdacht auf eine endogene De− pression und nehmen sich Zeit für ein aus− führliches Gespräch und eine körperliche Un− tersuchung. Sie erfahren, dass nach der
Entbindung ihrer jüngsten Tochter erstmals eine depressive Episode aufgetreten sei, da− mals sei eine Wochenbettdepression diagno− stiziert worden. Im Klimakterium traten dann rezidivierende depressive Verstimmungen auf, die mit Johanniskrautpräparaten und Entspan− nungsübungen erfolgreich behandelt wurden. Aktuell spritzt sich die Patientin Intermediär− insulin (20–0–14 IE) und nimmt Hydrochloro− thiazid 12,5 mg/d und Metoprolol 100 mg/d p.o. ein. Die Patientin ist 167 cm groß, wiegt 70 kg, hat einen Blutdruck von 165/105 mmHg und eine Herzfrequenz von 95 Schlägen/min. Labordiagnostisch fällt Ihnen auf: Serumkrea− tinin 1,4 mg/dl, Albumin im 24−Stunden−Urin 180 mg, Nüchternblutzucker 174 mg/dl, HbA1C 9,6 %.
Sie bringen der Patientin einfühlsam die Notwendigkeit eines stationären Aufenthalts bei.
91.1 . Welches weitere Vorgehen ist indiziert?
91.2 . Wie werden Monoaminoxidasehemmer eingesetzt?
91.3 . Was müssen Sie beim Einsatz von Psychopharmaka beachten?
91.4 . Wie ist die antidepressive Wirkung von Johanniskraut zu beurteilen? Was ist zu beachten?
Antworten und Kommentar Seite 271
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Fall 92 32−jahrige Patientin mit rezidivierenden, z. T. blutigen Durchfallen 12100/ml, BSG 62 mm. Sie haben den Verdacht auf eine Colitis ulcerosa und führen zur Diag− nosesicherung eine Koloskopie durch. Hierbei zeigt sich die Schleimhaut hyperämisch, leicht verletzlich, teilweise sind Schleimhautulzera− tionen und pseudopolypöse Umwandlungen zu sehen. Eine Biopsie lassen Sie histologisch untersuchen. Der Befund lautet: entzündliche Schleimhautinfiltrationen mit Kryptenabszes− sen, Rarefizierung der Schleimdrüsen. Damit bestätigt sich Ihre Verdachtsdiagnose akute, erstmalig aufgetretene Colitis ulcerosa“.
Sie beraten die Patientin über das weitere Vorgehen.
Fall
Eine 32−jährige Patientin wird vom Hausarzt in Ihre internistische Praxis mit Schwerpunkt Gastroenterologie überwiesen. Sie berichtet, dass sie seit etwa 7 Wochen Durchfall und dif− fuse, z. T. krampfartige Bauchschmerzen habe. Sie habe durchschnittlich 6–8−mal pro Tag Stuhlgang, der manchmal blutig sei, manch− mal ginge auch nur Schleim ab. Fieber habe sie keines. Die Patientin wiegt 55 kg und ist 171 cm groß. Die körperliche Untersuchung ist bis auf eine diffuse Druckschmerzhaftigkeit über dem gesamten Abdomen unauffällig. La− bordiagnostisch auffällig sind: Leukozyten
92 95
92.1 . Welche Therapieoptionen haben Sie?
92.2 . Welche Therapie kommt beim chronisch−aktiven Verlauf einer Colitis ulcerosa in Frage?
!!! 92.3 .
Was ist bei der Behandlung mit Azathioprin zu beachten? Warum spielt die Pharmakogenetik hier eine Rolle?
Die Patientin ist besorgt, dass sie die Medikamente immer nehmen müsse.
92.4 . Erläutern Sie das Vorgehen bei der Remissionserhaltung!
Antworten und Kommentar Seite 272
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Fall 93 20−jahriger Patient mit Gewichtsverlust, Polydipsie und Nykturie
Fall
93 96
Ein 20−jähriger Mann sucht Sie in der internistischen Ambulanz eines Kreiskranken− hauses auf. Er klagt über nächtliches Wasser− lassen und ein seit Wochen zunehmendes Durstgefühl. Er trinke mehrere Liter Flüssig− keit am Tag. Trotz unveränderter Essgewohn− heiten habe er in den letzten 3 Wochen 3 kg Gewicht abgenommen. Sie untersuchen den Patienten, der sich in einem reduzierten Er− nährungs− und Allgemeinzustand (Körpergrö−
ße 177 cm, Gewicht 69 kg) befindet. Der Haut− turgor ist schlaff, die Zunge trocken, und der Atem riecht nach frischem Obst. Die Bestim− mung des Nüchternblutzuckers erbringt einen Wert von 312 mg/dl. Die weitere laborchemi− sche Untersuchung zeigt einen HbA1 c von 12,0 %, Harnstoff, Kreatinin und Elektrolyte lie− gen im Normbereich. Sie diagnostizieren die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus Typ I.
Sie veranlassen eine stationäre Aufnahme für wenige Tage, während der der Patienten durch Schulungen zur Selbstkontrolle und Spritztechnik und einer ersten Ernährungsberatung lernen soll, mit der neuen Situation umzugehen.
93.1 . Geben Sie eine Übersicht über die therapeutisch verwendeten Insuline und ihre Wirkdauer!
93.2 . Nennen Sie die Therapieziele beim Diabetes mellitus Typ I!
93.3 . Wie unterscheiden sich die Konzepte der konventionellen und der intensivierten Insulintherapie?
!!! 93.4 .
Was müssen Sie bei schwangeren Typ−I−Diabetikerinnen beachten?
Antworten und Kommentar Seite 275
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Fall 94 50−jahrige Patientin mit Hitzewallungen und Libidoverlust mit depressiver Verstimmung, Hitzewallungen und Libidoverlust auf, die zunächst mit einem pflanzlichen Arzneimittel gebessert werden konnten. Bei der körperlichen Untersuchung wirkt die 167 cm große und 62 kg schwere Pa− tientin unruhig und nervös, das Gesicht ist ge− rötet, die Haut trocken. Die Mammae sind in− spektorisch und palpatorisch unauffällig. Mammografie und Mammasonografie sind ohne pathologischen Befund. Die vaginale Un− tersuchung ist inspektorisch, palpatorisch und sonografisch unauffällig. Eine Hormonbestim− mung ergibt erniedrigte Werte für Estradiol und Progesteron.
Fall
Eine 50−jährige Frau ist schon seit über 20 Jahren Patientin in Ihrer Praxis für Gynäkolo− gie. Aktuell berichtet sie Ihnen über starke Be− einträchtigung des Allgemeinbefindens mit Schlafstörungen, Herzklopfen, Schweißausbrü− chen und Libidoverlust. Die Patientin fühlt sich beruflich und in der Ehe überlastet und psychisch labil. Anamnestisch wissen Sie, dass die Patientin bis auf eine depressive Verstim− mung nach der Geburt des zweiten Kindes immer gesund war. Die Patientin hat bis zur letzten Regelblutung 2 Jahre zuvor mit Intra− uterinpessaren verhütet. Nach Ausbleiben der Regel traten erste klimakterische Beschwerden
94 97
Sie beraten die Patientin über eine mögliche Hormonsubstitutionstherapie.
94.1 . Geben Sie eine Übersicht der medikamentösen Therapie postmenopausaler Beschwerden an!
Die Patientin möchte wissen, ob pflanzliche Präparate ebenso gut wirksam sind.
94.2 . Nennen Sie pflanzliche Präparate zur Behandlung postmenopausaler Beschwerden? Wie sind sie zu bewerten?
94.3 . Wie gehen Sie bei der Patientin vor?
!!! 94.4 .
Was ist die WHI−Studie? Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?
Antworten und Kommentar Seite 277
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Fall 95 12−Jahriger nach Bienenstich mit Exanthem, Schwindel und Kopfschmerzen Sie sind im Schwimmbad, um sich etwas von den Examensvorbereitungen zu erholen. Eine aufgeregte Mutter läuft über die Liegewiese und sucht nach einem Arzt. Sie fragen nach was passiert ist, und sie berichtet, dass ihr 12− jähriger Junge ca. 45 Minuten zuvor von einer Biene in den Hinterkopf gestochen wurde. Nun klage er über starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Atemnot. Sie gehen sofort mit zu
Fall
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dem Jungen und erkennen als erstes Hautrö− tungen an beiden Armen und Beinen, die nach Angabe des Jungen jucken. Dem Jungen ist schwindelig. Sie fühlen seinen Puls und zäh− len 115 Schläge/min. Sie vermuten eine ana− phylaktische Reaktion auf den Bienenstich und rufen mit Ihrem Handy sofort den Not− arzt.
95.1 . Welche Primärversorgung können Sie ergreifen, bis der Notarzt eintrifft?
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Trotz Ihrer Sofortmaßnahmen verschlechtert sich der Zustand des Jungen rasch, zum Glück trifft der Notarzt innerhalb weniger Minuten ein. Der Junge muss erbrechen, reagiert aber auf An− sprache adäquat und ist voll orientiert. Mittlerweile zeigt der Junge eine zentrale und periphere Zyanose, aber keinen Stridor. Unter stabilisierenden Maßnahmen wird der Junge zur nächstgele− genen Kinderintensivstation transportiert.
95.2 . Nennen Sie wichtige klinische Zeichen eines anaphylaktischen Schocks!
95.3 . Welche Maßnahmen werden vom Notarzt durchgeführt?
95.4 . Welche weiteren Maßnahmen können, wenn erforderlich, in der Klinik getroffen werden?
Antworten und Kommentar Seite 279
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Fall 96 16−jahrige Patientin mit Beinodemen und Gesichtserythem kennen Sie eine beginnende Lungenstauung, sonografisch sind beide Nieren deutlich ver− größert. Labordiagnostisch zeigt sich zusätz− lich: BSG 52/108 mm, Serumkreatinin 2,5 mg/ dl; Urin: Eiweiß +, Erythrozyten +, 2–3 granu− lierte Zylinder. Die immunologische Diagno− stik weist einen hohen Titer von antinukleären Antikörpern, Antikörpern gegen Doppelstrang− DNA und zirkulierenden Immunkomplexen nach. Schließlich ergibt die Nierenbiopsie den Befund einer mesangial/endokapillär−prolifera− tiven Glomerulonephritis. Zusammen mit dem Stationsarzt stellen Sie die Diagnose eines sys− temischen Lupus erythematodes (SLE) mit Nierenbeteiligung.
Fall
Sie famulieren gerade auf einer internistischen Station als eine 16−jährige Patientin aufge− nommen wird. Sie fühle sich seit einiger Zeit abgeschlagen und krank. Aktuell haben zu− nehmende Beinödeme, ein seit Wochen be− stehendes schmetterlingsförmiges Erythem im Gesicht und erhöhte Blutkreatininwerte den Hausarzt zu einer Überweisung ins Kranken− haus veranlasst. Die Patientin ist in gutem Allgemein− und Ernährungszustand. Die kör− perliche Untersuchung ergibt folgende patho− logische Befunde: deutliche Unterschenkel− ödeme an beiden Beinen, Blutdruck 160/ 90 mmHg, beidseits klopfschmerzhafte Nie− renlager. In der Röntgen−Thoraxaufnahme er−
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96.1 . Wie behandeln Sie den akuten Schub eines SLE?
96.2 . Nennen Sie Möglichkeiten der Langzeittherapie!
96.3 . Welche Medikamente können einen SLE induzieren?
Antworten und Kommentar Seite 280
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Fall 97 52−jahriger Patient mit starken retrosternalen Schmerzen in Ruhe
Fall
97 100
Sie werden am späten Samstagnachmittag im hausärztlichen Bereitschaftsdienst zu einem unbekannten 52−jährigen Mann gerufen. Sie finden einen adipösen Mann im Sessel sitzend vor, er wirkt ängstlich, ist blass, Schweißtrop− fen bedecken seine Stirn. Er klagt über quä− lende Luftnot und stärkste Schmerzen hinter dem Brustbein, die in den Unterkiefer aus− strahlen. Die Schmerzen seien etwa eine Stun− de zuvor während der Gartenarbeit plötzlich aufgetreten und seitdem unvermindert anhal− tend. Sie erfahren weiterhin, dass er seit ca. 4 Monaten gelegentlich, v. a. bei Belastung, ein Engegefühl verspüre. Die Schmerzen sind nicht atemabhängig. Der Patient hat eine Hy− percholesterinämie, die mit Bezafibrat (200 mg/d) behandelt wird. Der Vater ist an einem Myokardinfarkt gestorben. Bei der Un− tersuchung messen Sie einen Blutdruck von 140/80 mmHg und eine Herzfrequenz von 85 Schlägen/min. Das Ruhe−EKG zeigt einen Si−
nusrhythmus mit ST−Streckenhebungen (s. Abb.) und vereinzelt ventrikulären Extrasysto− len. Der Lungenbefund ist unauffällig, es lie− gen keine peripheren Ödeme vor.
EKG: akuter Vorderwandinfarkt
Sie haben den Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt und rufen den Rettungswagen.
97.1 . Was unternehmen Sie akut bis zur Klinikeinweisung?
97.2 . Welche Maßnahmen können in der Klinik durchgeführt werden?
97.3 . Welche Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie kennen Sie?
97.4 . Benennen Sie die medikamentöse Langzeittherapie nach Myokardinfarkt!
Antworten und Kommentar Seite 282
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Fall 98 79−jahriger Patient mit chronischen therapieresistenten Schmerzen 3 40 Tropfen (= 1 g/d) Metamizol. Nach 2 Ta− gen ist keine ausreichende Linderung einge− treten; Sie verordnen zusätzlich Tilidin/Nal− oxon 6 3 100/8 mg/d p.o. Auch unter dieser Therapie ist der Patient nicht schmerzfrei. Sie entscheiden sich aufgrund des fortgeschritte− nen Stadiums der Erkrankung für eine Schmerztherapie mit einem stark wirkenden Opioidanalgetikum entsprechend dem WHO− Stufenplan.
98.1 . Wann und wie stellen Sie den Patient schnellstmöglich auf Morphin ein?
Fall
Sie sind Schmerztherapeut und werden auf eine onkologische Station zu einem 79−jähri− gen Patienten gerufen, der seit 6 Monaten starke Schmerzen im Bereich der linken Schul− ter hat. Bei den bereits durchgeführten Unter− suchungen wurde ein weit fortgeschrittenes inoperables Prostatakarzinom mit Fernme− tastasen im linken Humeruskopf diagnosti− ziert. Palliativ sollen eine lokale Bestrahlung durchgeführt und eine adäquate Schmerzthe− rapie eingeleitet werden. Sie beginnen mit 6
98 101
98.2 . Wie werden Schmerzspitzen behandelt?
98.3 . Welche Alternativen zur oralen Schmerztherapie kennen Sie?
Nach einigen Wochen erreicht der Patient die Finalphase seiner Erkrankung, und Sie behandeln ihn mit einer Kombination aus Fentanyl (25 mg/h transdermal) und Morphin (20 mg/24 h, s.c.− Infusion).
98.4 . Wie berechnen Sie die Opioid−Gesamtdosis (ausgedrückt als orales Morphin/24 Stunden)?
Antworten und Kommentar Seite 284
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Fall 99 35−jahrige Patientin mit plotzlichem Herzrasen
Fall
99 102
Sie haben gerade hausärztlichen Bereitschafts− dienst, als Sie am Wochenende zu einer 35− jährigen Patientin nach Hause gerufen wer− den, die von einem plötzlich aufgetretenen Herzrasen stark beunruhigt wurde. Die Patien− tin ist bisher gesund gewesen, trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. Sie messen bei der verängstigten Patientin einen Puls von 210 Schlägen/min, der Blutdruck beträgt 110/ 75 mmHg. Sie leiten ein EKG ab und stellen die Diagnose AV−Knoten−Reentrytachykardie (s. Abb.). Trotz mehrfacher Valsalva−Manöver und Karotissinusdruckversuche gelingt es Ih− nen nicht, die Tachykardie zu beenden.
EKG bei AV−Knoten−Reentrytachykardie (Herzfrequenz 210/min, schmale QRS−Komplexe, regelmaßige RR−In− tervalle, keine P−Wellen)
99.1 . Welche Pharmaka sind zur Akutbehandlung der AV−Knoten− Reentrytachykardie geeignet?
99.2 . Nennen Sie die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Adenosin! Welches Antidot kommt in Frage?
99.3 . Erläutern Sie die Einteilung der Antiarrhythmika nach Vaughan−Williams!
!!! 99.4 .
Welche Erkenntnisse erbrachte die sog. CAST−Studie?
Antworten und Kommentar Seite 286
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Fall 100 43−jahrige Patientin mit plotzlicher Atemnot nach Operation raucht nicht, nimmt seit vielen Jahren orale Kontrazeptiva ein. Bei der körperlichen Unter− suchung erheben Sie mit Ausnahme einer Ta− chykardie von 110 Schlägen/min und einem leicht erniedrigten Blutdruck von 110/ 85 mmHg keine pathologischen Befunde. Die Blutgasanalyse zeigt einen pO2 von 78 mmHg und einen pCO2 von 38 mmHg. Unter der Verdachtsdiagnose einer abgelaufenen Lun− genembolie veranlassen Sie eine Computerto− mogramm−Angiografie, die einen Segmentar− terienverschluss im rechten Mittel− und Ober− lappen zeigt. Phlebografisch wird eine tiefe Beinvenenthrombose im rechten Bein gefun− den.
Fall
Sie absolvieren gerade Ihr praktisches Jahr und sind heute in der Notfallambulanz einge− teilt, als frühmorgens eine 43−jährige Frau mit subjektiver Atemnot und Beklemmungsgefühl in der Brust und Blutspuren im Sputum zur Aufnahme kommt. Sie berichtet Ihnen von rechtsthorakalen, atemabhängigen Schmerz, die in ähnlicher Form schon 2–3 Tage zuvor aufgetreten seien und nun die ganze Nacht anhielten. Sie erfahren, dass der Unterschen− kelgehgips, den die Patientin trägt, nach einer Operation 3 Wochen zuvor angelegt wurde; 3 Tage zuvor sei das Bein bis zum Oberschenkel dick und rot gewesen. Sonstige Vorerkrankun− gen liegen nicht vor. Die Patientin ist 165 cm groß und wiegt 75 kg, trinkt keinen Alkohol,
100 103
Die Patientin wird mit der Arbeitsdiagnose einer submassiven Lungenembolie (Stadium II) ver− sorgt.
100.1 Welche Maßnahmen leiten Sie sofort ein?
100.2 Wie führen Sie eine Thrombolysetherapie bei einer Lungenembolie im Stadium III und IV durch?
100.3 Was versteht man unter einer heparininduzierten Thrombozytopenie?
100.4 Wie können Sie unfraktioniertes Heparin medikamentös neutralisieren?
Antworten und Kommentar Seite 288
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Fall 1
106
Fall
1
Thiaziddiuretika
Antworten und Kommentar
1.1 Charakterisieren Sie Angriffspunkt, Wir− kungsmechanismus und Wirkstärke der un− terschiedlichen Diuretika! K Carboanhydrasehemmer (z. B. Acetazolamid): Hemmung der Carboanhydrase im proxima− len Tubulus R weniger H+ zum Austausch ge− gen Na+ R Zunahme der Na+−Ausscheidung: 2–4 % des filtrierten Natriums K Schleifendiuretika (z. B. Furosemid): Blockade des Na+−K+−2Cl−−Kotransporters im aufstei− genden Ast der Henle−Schleife R Zunahme der Na+−Ausscheidung: 20–25 % des filtrierten Natriums K Thiaziddiuretika (z. B. Hydrochlorothiazid): Blockade des Na+−Cl−−Kotransporters im dis− talen Tubulus R Zunahme der Na+−Ausschei− dung: 5–10 % des filtrierten Natriums K Kaliumsparende Diuretika (z. B. Amilorid): Blockade eines Na+−Kanalproteins im spätdis− talen Tubulus und im kortikalen Sammelrohr R Abnahme der Na+−Reabsorption; Natriure− se: 2–4 % des filtrierten Natriums K Aldosteron−Antagonisten (z. B. Spironolac− ton): Blockade des intrazellulären Mineralo− kortikoidrezeptors in den Zellen des spätdis− talen Tubulus R Hemmung der aldosteronin− duzierten Synthese von Transport−Proteinen R verminderte K+−Sekretion und Na+−Reab− sorption; Natriurese: 2–4 % des filtrierten Natriums K Osmotische Diuretika (z. B. Mannitol): keine tubuläre Reabsorption von Mannitol R osmo− tisch−bedingte Rückhaltung von Wasser im Tubuluslumen; Natriurese: 10–25 % des fil− trierten Natriums 1.2 Wie wird Hydrochlorothiazid dosiert? Welche Dosierung schlagen Sie bei Ihrem Pa− tienten vor? K Dosierung bei arterieller Hypertonie: 12,5– 25 mg/d
K Dosierung bei Ödemen: 25–75 mg/d K Im vorliegenden Fall Blutdrucksenkung ohne Vorliegen von Ödemen: 12,5 mg/d; bei fehlen− der Wirksamkeit ggf. Verdoppelung der Dosis
1.3 Welche unerwünschten Wirkungen können bei der Therapie mit Thiaziddiuretika auftreten? K Hypovolämie: Orthostaseprobleme, prärenales Nierenversagen, Thromboseneigung K Elektrolytstörungen: Hypokaliämie (Herz− rhythmusstörungen, erhöhte Digitalisempfind− lichkeit und −toxizität), Hypomagnesiämie (Muskelkrämpfe), Hyponatriämie, Hyperkalz− ämie (cave: verstärkt durch Vitamin−D−Präpa− rate) K Hyperurikämie: Gichtanfall bei Prädisposition K Hyperglykämie: diabetogene Wirkung bei Prädisposition K Lipidstoffwechsel: Hypercholesterinämie, Hy− pertriglyzeridämie K Potenzstörungen K Allergische Reaktionen: Exanthem bis hin zur nekrotisierenden Vaskulitis K Blutbildveränderungen: Thrombozytopenie, Agranulozytose, hämolytische Anämie 1.4 Warum werden Thiaziddiuretika teilweise mit kaliumsparenden Diuretika kombiniert? Welche Vorteile hat dies? K Dosisabhängig vermehrte renale Kaliumaus− scheidung durch Thiaziddiuretika K Reduktion der Kaliumausscheidung durch ka− liumsparende Diuretika K Vorteile einer Kombinationstherapie: Zunah− me der Wirksamkeit durch unterschiedliche Angriffspunkte R höhere Responderrate; Ab− nahme unerwünschter Wirkungen; bessere Compliance
KOMMENTAR Definition: Diuretika sind Substanzen, die zu ei− ner vermehrten Harnausscheidung führen. Die meisten Diuretika sind sog. Saluretika, die primär eine Diurese von Elektrolyten und sekundär die Wasserdiurese bewirken.
Typische Wirkstoffe: Thiaziddiuretika (Syn. Ben− zothiadiazine) sind eine Fortentwicklung der Car− boanhydrasehemmstoffe vom Acetazolamid−Typ mit der typischen Sulfonamidstruktur. Benzo− thiadiazine (z. B. Hydrochlorothiazid, Butizid,
Fall 1 Seite 2
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Bendroflumethiazid) enthalten eine zweite Sulfo− namidgruppe als Bestandteil eines bizyklischen Systems. Sog. Thiazidanaloga (z. B. Chlortalidon, Xipamid, Indapamid) besitzen eine abweichende Grundstruktur. Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 1.1. Die verschiedenen Wirkstoffe werden im proxima− len Tubulus durch glomeruläre Filtration und akti− ve Sekretion mittels eines Anionentransportme− chanismus in das Tubuluslumen ausgeschieden und liegen dort in hoher Konzentration vor. Thia− ziddiuretika hemmen im frühdistalen Tubulus den luminalen Na+−Cl−−Kotransporter und damit die elektroneutrale Na+− und Cl−−Reabsorption. Thia− ziddiuretika steigern die Na+−, Cl−− und Wasseraus− scheidung. Nachfolgend werden im spätdistalen Tubulus, auf Grund der dort verstärkten Na+−Reab− sorption, im Austausch vermehrt Mg2+, H+ und K+ eliminiert. Bei längerfristiger Anwendung der Thia− ziddiuretika nimmt die Kalzium− und Phosphat− reabsorption zu. Thiaziddiuretika können die Aus− scheidung des glomerulär filtrierten Natriums um 5–10 % steigern.
Kontraindikationen: Thiaziddiuretika sind bei schweren Elektrolytstörungen (z. B. Hyponatri− ämie, Hypokaliämie, Hyperkalzämie), Hypovolä− mie, Leberfunktionsstörungen, Überempfind− lichkeit gegenüber Sulfonamiden und in der Schwangerschaft kontraindiziert. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (GFR , 30 ml/min) sind Thiaziddiuretika wenig wirksam. Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit liegt zwischen 60 und 100 % (s. Tab.). Die diureti− sche Wirkung setzt nach 1–2 Stunden ein, der blutdrucksenkende Effekt nach 3–4 Tagen. Diese langsame und protrahierte Wirkung der Thiazid− diuretika macht sie für die Dauertherapie geeignet.
Dosierung und Pharmakokinetik einiger Thiaziddiuretika
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
Orale Bioverfügbarkeit (%)
EHWZ (Stunden)
Hydrochlorothiazid
6,25–25
60–75
6–8
Butizid
2,5–10
85
4
Bendroflumethiazid
2,5–5
100
9
Chlortalidon
25–50
64
44
Clopamid
10–20
90
6–7
Xipamid
20–40
73
7
Indapamid
2,5–5
80
15–18
Metolazon
1,5–2,5
65
4–5
107
1 Antworten und Kommentar
Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 1.3. Bei sachgerechter Anwendung werden Thiazid− diuretika gut vertragen. Durch möglichst geringe Dosierungen lassen sich die ungünstigen Einflüsse auf den Lipidstoffwechsel und Blutzuckerspiegel vermeiden.
Indikationen: Die bevorzugte Indikation der Thiaziddiuretika ist die Behandlung der arteriel− len Hypertonie, allein oder in Kombination mit anderen antihypertensiven Arzneimitteln (s. Fälle 6 und 36). Thiaziddiuretika werden weiter zur Be− handlung von kardialen, renalen und hepatoge− nen Ödemen eingesetzt, wenn sie auch für letztere Indikation durch die Gefahr starker Kaliumverluste weniger geeignet sind. Da Thiaziddiuretika die re− nale Kalziumausscheidung reduzieren, werden sie gelegentlich zur Behandlung von kalziumhaltigen Nierensteinen oder zur Behandlung der Osteopo− rose eingesetzt (s. Fall 66). Beim renalen Diabetes insipidus können Thiaziddiuretika ebenfalls hilf− reich sein (s. Fall 69).
Fall
Wirkung: Die antihypertensive Wirkung wird initial durch die vermehrte Ausscheidung von Na+ aus dem Extrazellulärraum und damit einer Volumenabnahme erklärt. Nach längerer Anwen− dung nehmen auch intrazellulär Volumen und Natriumkonzentration ab. Letzteres bewirkt wahr− scheinlich eine verminderte Sensibilität der Gefäß− muskulatur für Vasokonstriktoren (z. B. Katechol− amine, Angiotensin II) und wirkt somit antihyper− tensiv.
Wechselwirkungen: Die gleichzeitige Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika kann zu einer verminderten natriuretischen Wirkung der Thia− ziddiuretika führen. Diuretikabedingte Kaliumver− luste können durch die gleichzeitige Gabe von La− xanzien verstärkt werden. Die blutzuckersenken− de Wirkung von Sulfonylharnstoffen und Insulin kann durch Thiaziddiuretika vermindert werden. Die Kombination Thiaziddiuretikum und −Rezep− torantagonist kann zu einer erhöhten Blutgluko− sekonzentration beim Diabetes mellitus Typ II füh− ren.
Fall 1 Seite 2
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Chlortalidon kann aufgrund der langen EHWZ von 44 Stunden kumulieren.
Applikationsform: Thiaziddiuretika werden in Tablettenform verabreicht.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Stufenschema der medikamentosen Hypertoniebehandlung Kaliumsparende Diuretika Therapie der Osteoporose
Fall 2
Ciclosporin A
!!! 2.1
108
Fall
2 Antworten und Kommentar
Erlautern Sie den Wirkungsmechanismus von Ciclosporin A! K Ciclosporin A lagert sich im Zytoplasma von T−Helferzellen an das Protein Cyclophilin an K Der Ciclosporin−A−Cyclophilin−Komplex hemmt die kalziumabhängige Phosphataseak− tivität des Calcineurin/Calmodulin−Komple− xes K Keine Abspaltung zweier Phosphatgruppen vom nukleären Faktor aktivierter T−Zellen (NFAT) R keine Aktivierung K Hemmung der Interleukin (IL)−2−Synthese durch fehlende Translokation des Transkripti− onsfaktors NFAT in den Zellkern K Verminderte Proliferation von zytotoxischen T−Lymphozyten R verminderte T−Zell− Immunantwort gegen körperfremde Zellen
2.2 Nennen Sie eine Substanz mit ähnlichem Wirkungsmechanismus wie Ciclosporin A! Tacrolimus (FK 506): höhere Wirksamkeit als Ciclosporin A, Einsatz v. a. als Immunsuppressi− vum bei Lebertransplantationen
2.3 Welche Medikamente können im vorlie− genden Fall eine Hypertonie hervorrufen? K Ciclosporin A: Vasokonstriktion (evtl. durch Endothelin vermittelt) K Glukokortikoide: mineralokortikoide Wirkung mit vermehrter Rückresorption von Na+ und Wasser im Sammelrohr 2.4 Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus von Mycophenolat Mofetil? Welchen Vorteil bietet der Wirkstoff? K Wirkungsmechanismus: Hemmung der Ino− sin−Monophosphat−Dehydrogenase (Enzym der De−novo−Guanosinsynthese) R Purin− Neusynthese Q (relativ selektive Wirkung auf T− und B−Lymphozyten, die keinen Wiederver− wertungsstoffwechsel für die Purinsynthese besitzen) K Vorteil: keine Nephrotoxizität
KOMMENTAR Definition: Immunsuppressiva sind Substanzen verschiedener pharmakologischer Stoffklassen, die zur immunsuppressiven Therapie eingesetzt werden. Typische Wirkstoffe: Ciclosporin A ist ein hyd− rophobes zyklisches Polypeptid aus 11 Aminosäu− ren, das von dem Pilz Tolypocladium inflatum ge− bildet wird. Tacrolimus ist ein Makrolid, das aus Streptomyces tsukubaensis isoliert wurde. Myco− phenolat Mofetil ist eine Vorstufe der Mycophe− nolsäure, die wiederum ein Gärungsprodukt ver− schiedener Penicillium−Arten darstellt. Die Klasse der Glukokortikoide umfasst die synthetischen Derivate des Kortisols (s. Fall 19). Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 2.1. Ciclosporin A hat gegenüber den Glukokortikoiden den Vorteil, dass die immunsuppressive Wirkung nicht an andere physiologische Stoffwechseleffek− te gekoppelt ist.
Wirkung: Die immunsuppressive Wirkung der Immunsuppressiva beruht auf einer Hemmung der Lymphozytenproliferation, v. a. der für die zel− luläre Immunantwort verantwortlichen T−Lym− phozyten (s. Abb.). Unerwünschte Wirkungen: Ciclosporin A ist po− tenziell nephrotoxisch. Hier kommt es dosisab− hängig initial zu einer renalen Vasokonstriktion und nachfolgend zu einer Schädigung von Tubuli und kleinen Gefäßen sowie zu einem Anstieg der Retentionsparameter. Diese Reaktion muss von einer Abstoßungsreaktion nach Nierentransplan− tation unterschieden werden. Weiter können Le− berfunktionsstörungen, Tremor, Kopfschmerzen, Hirsutismus und Gingivahyperplasie auftreten. Bei der Behandlung mit Ciclosporin A nach einer Nierentransplantation kann sich die Inzidenz von Malignomen erhöhen. Ciclosporin A beeinflusst ei− ne arterielle Hypertonie sowie Glukose− und Lipid− stoffwechsel ungünstig. Diese unerwünschten
Fall 2 Seite 3
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Schematische Übersicht der Immunsuppressiva
Indikationen: Immunsuppressiva werden zur Be− handlung von Autoimmunerkrankungen oder in der Prophylaxe von Abstoßungsreaktionen ein− gesetzt. Ciclosporin A hat die immunsuppressive Therapie nach Organtransplantation revolutioniert und die Erfolgsquote besonders bei Nierentrans− plantationen, aber auch bei Herz− und Lebertrans− plantationen, deutlich steigen lassen. Mycopheno− lat Mofetil findet durch sein günstiges Nebenwir− kungsprofil zunehmenden Einsatz in Kombination
Kontraindikationen: Kontraindikationen für Ciclosporin A bestehen bei Nierenfunktionsstörun− gen, nicht kontrollierbaren Infektionen, malignen Tumoren und in der Stillzeit; für die Schwanger− schaft sollte die Indikation streng gestellt werden. Pharmakokinetik: Bei peroraler Applikation schwankt die Bioverfügbarkeit zwischen 20–50 %. Ciclosporin A wird in der Leber fast vollständig abgebaut, und die Metabolite werden vorwiegend biliär ausgeschieden. Die EHWZ von Ciclosporin A beträgt 6–16 Stunden, die volle Wirkung wird erst nach mehrwöchiger Einnahme erreicht. Auf Grund des engen therapeutischen Bereichs, der zwi− schen dem Auftreten von Nebenwirkungen und dem Abstoßungsrisiko liegt, sollte fortlaufend eine Blutspiegelbestimmung im Sinne eines TDM vor− genommen werden, vorzugsweise in Spezialam− bulanzen. Applikationsform: Ciclosporin A kann neben der parenteralen Anwendung auch oral gegeben wer− den, da die körpereigenen Peptidasen das Polypep− tid auf Grund seiner Zusammensetzung aus abnor− men Aminosäuren nicht abbauen können.
109
2 Antworten und Kommentar
Wechselwirkungen: Induktoren der CYP3A4− Monooxygenasen (z. B. Rifampicin, Johanniskraut) können die Elimination von Ciclosporin A be− schleunigen. Hemmstoffe von CYP3A4 (z. B. Ery− thromycin, Ketoconazol, Grapefruitsaft) verzögern dagegen die Biotransformation von Ciclosporin A und verstärken damit dessen nephrotoxische Wir− kung. Die Nephrotoxizität wird ebenfalls verstärkt durch Substanzen mit nephrotoxischer Wirkung wie Aminoglykosidantibiotika oder Schleifen− diuretika.
mit Ciclosporin A, möglicherweise zukünftig auch als Monotherapie.
Fall
Wirkungen müssen konsequent therapiert wer− den; zusätzlich wird eine Dosisreduktion und eine zusätzliche Gabe von Mycophenolat Mofetil emp− fohlen. Wie alle Immunsuppressiva erhöht Ciclo− sporin A die Infektanfälligkeit.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Tacrolimus Medikamentose Gingivahyperplasie Lymphozyten−Antikorper
Fall 2 Seite 3
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Fall 3
Eisensubstitution
3.1 Welche Möglichkeiten der Eisenzufuhr sind Ihnen bekannt? K Oral: durch eine große Anzahl verschiedener Eisen(II)−Salze, z. B. Eisen(II)−aspartat K Parenteral: Eisenzufuhr durch Eisen(III)−Sal− ze, z. B. Eisen(III)−glukonat 3.2 Mit welchen unerwünschten Wirkungen ist bei der oralen Eisentherapie zu rechnen? Wie sind sie zu vermeiden? K Unerwünschte Wirkungen: häufig gas− trointestinale Störungen (z. B. Übelkeit, Er− brechen, Diarrhö, Obstipation, Bauchkrämpfe) K Vermeidung: – Verwendung von Brausetabletten (cave: Karies durch niedrigen pH) oder dünn− darmlöslichen Kapseln – Gabe zu oder kurz nach der Mahlzeit
110
Fall
3
3.3 Mit welchen Symptomen müssen Sie bei einer Eisenintoxikation rechnen? Was müssen Sie dann veranlassen?
K Intoxikation mit Eisen führt zu einer hämor− rhagischen Gastroenteritis mit Erbrechen, Magenschmerzen und Diarrhö, in schweren Fällen auch zu Schock K Evtl. Magenspülung mit 1 %iger Natriumhy− drogenkarbonat−Lösung K Einnahme von Milch zur Bildung von Eisen− proteinkomplexen K Gabe von Deferoxamin, das Eisen komplex bindet: – Oral: weitere Eisenresorption wird verhin− dert – Parenteral: resorbiertes Eisen wird gebun− den und über die Nieren ausgeschieden
3.4 Welche Kontrolluntersuchung sollten Sie bei einer Eisensubstitution durchführen? K Regelmäßige Kontrollen von Blutbild und Se− rumferritin K Ziel ist die Normalisierung von Hämoglobin, Retikulozytenzahl und Serumferritin
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Krankheitsbild Eisenmangelanämie: Eine Ei− senmangelanämie ist eine chronisch verlaufende mikrozytäre hypochrome Anämie. 80 % aller Anä− mien sind Eisenmangelanämien. Ursache ist ein vermindertes Ganzkörpereisen bei negativer Ei− senbilanz. Dies führt sukzessive zu einem Spei− chereisenmangel (Ferritin, Hämosiderin in Leber, Knochenmark, Milz), Transporteisenmangel (Transferrin) und schließlich einem Funktionsei− senmangel (Hämoglobin, Myoglobin). Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 3.1. Die Behandlung des Eisenmangels erfolgt durch orale oder intravenöse Eisensubstitution mit zwei− oder dreiwertigem Eisen (Fe(II), Fe(III)). Wirkungsmechanismus: Der Gesamtbestand an Eisen beträgt beim gesunden Erwachsenen in Ab− hängigkeit vom Geschlecht und Körpergewicht et− wa 2 bis 5 g. Eisen liegt v. a. in proteingebundener Form vor: zu 70 % an Hämoglobin, zu 25 % an Fer− ritin und Hämosiderin hauptsächlich in Leber, Knochenmark und Milz, zu 5 % an Myoglobin und zu 0,1 % an Transferrin (s. Abb.). Unerwünschte Wirkungen: Bei 15–20 % der Pati− enten treten unter oraler Therapie gastrointesti− nale Beschwerden auf (s. Antwort zur Frage 3.2). Obwohl Fe(II) nüchtern besser resorbiert wird, sind die meisten Patienten so magenempfindlich, dass sie ihre Eisentabletten nur zum oder kurz nach dem Essen vertragen. Zu beachten ist eine Schwarzfärbung des Stuhles unter oraler Thera− pie. Fe(III)−Verbindungen wirken adstringierend und in höheren Konzentrationen ätzend, so dass
Eisenstoffwechsel
sie nur zur intravenösen Eisensubstitution einge− setzt werden sollten und dies nur in Ausnahmen, wenn die orale Gabe nicht möglich ist (z. B. bei Schluckstörungen mit Aspirationsgefahr, bei Re− sorptionsstörungen des Darmes). Wichtige uner− wünschte Wirkungen der parenteralen Therapie sind Schmerzen und Schwellungen an der Injek− tionsstelle, Gefäßwandschäden, allergische Reak− tionen und Überdosierungen. Zeichen einer Eisen− intoxikation sind Schmerzen, Fieber, Blutdruckab− fall, Erbrechen und Hitzegefühl (s. Antwort zur Frage 3.3). Bei schweren Eisenintoxikationen kann es zu einer Schocksymptomatik bis hin zu Organversagen, Krämpfen, Bewusstseinsstörungen und Koma kommen.
Fall 3 Seite 4
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Wechselwirkungen: Eisenionen, v. a. Fe(III), bil− den mit anderen Substanzen leicht unlösliche Komplexe. Insbesondere durch Antazida, Tetra− zykline und Colestyramin kann die Resorption von Eisen vermindert sein. Antazida reduzieren zusätzlich die Bioverfügbarkeit der Eisensalze durch Neutralisation der Magensäure und Bildung von schwer resorbierbarem dreiwertigem Eisen. Nahrungsbestandteile können die Resorption von Eisen durch Bildung unlöslicher Verbindungen (z. B. Phosphate, Karbonate) vermindern. Deshalb sollte Eisen mindestens 2 Stunden nach eine Milchmahlzeit eingenommen werden. Indikationen: Eisenpräparate werden zur Be− handlung von Eisenmangelanämien eingesetzt. Kontraindikationen: Eine Therapie mit Eisen ist bei Hämochromatose, Eisenverwertungsstörungen (z. B. sideroachrestische Anämie), chronischer Hä− molyse, Thalassämie sowie Tumor− und Infektanä− mie kontraindiziert. Pharmakokinetik: Fe(II) wird physiologischer− weise im Duodenum und oberem Jejunum resor− biert und ist daher in dieser Form auch für die orale
Therapie geeignet. Die Resorptionsrate beträgt je− doch nur 20 %. Da Fe(II) oxidationsempfindlich ist und als Fe(III) nicht in die Mukosazellen des Duo− denums aufgenommen werden kann, soll ein Zu− satz von Ascorbinsäure die frühzeitige Oxidation vor der Resorption vermeiden. Eine Retardierung ist nicht sinnvoll, da Fe(II) nur im oberen Abschnitt des Magen−Darmtraktes resorbiert wird. Die Ge− samtdosis des oral zuzuführenden Eisens berech− net sich wie folgt: Erforderliche Gesamtdosis (Ei− sen in mg) = Hämoglobindefizit (g/dl) * 250. Die tägliche Dosis bei oraler Applikation beträgt 100–300 mg Eisen. Um die Eisenspeicher wieder aufzufüllen, sollte die Behandlungsdauer 3–6 Mo− nate betragen. Fe(III) wird im Magen−Darmtrakt kaum resorbiert, besitzt damit eine geringe Bio− verfügbarkeit und wird daher ausschließlich zur parenteralen Eisensubstitution eingesetzt. Applikationsform: s. Antwort zur Frage 3.1. Die intramuskuläre Eisenapplikation wird kaum noch durchgeführt, weil sie schmerzhaft ist und im Tierexperiment maligne Tumoren aufgetreten sind.
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Fall
4
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall 4
Theophyllin
4.1 Definieren Sie die Begriffe Verteilungsvo− lumen und Clearance! K Verteilungsvolumen VD: Volumen, in dem sich ein applizierter Arzneistoff verteilt; rech− nerische Größe zur Umrechnung der im Orga− nismus vorhandenen Menge eines Pharma− kons und seiner Serumkonzentration; rein fik− tive Größe (scheinbares“ Verteilungsvolu− men), der oft kein realer anatomischer Raum entspricht K Clearance CL: Maß für die Fähigkeit des Kör− pers, ein Pharmakon zu eliminieren; ent− spricht dem Plasmavolumen, das pro Zeitein− heit von einem Pharmakon formal befreit (geklärt“) wird; Gesamtkörperclearance ist die Summe der renalen und der extrarenalen Clearance (z. B. Leber, Lunge) 4.2
Berechnen Sie Sättigungs− und Erhal− tungsdosis für den Patienten! K Sättigungsdosis DS: die Sättigungsdosis ist proportional zum Verteilungsvolumen; mit er− wünschter Serumkonzentration (C) = 10 mg/l
und KG = 45 kg ergibt sich: DS = C * VD * KG = 10 mg/l * 0,50 l/kg * 45 kg = 225 mg als Kurz− infusion über 20–30 min K Erhaltungsdosis DE: die Erhaltungsdosis ist proportional zur Clearance (CL); mit er− wünschter Serumkonzentration (C) = 10 mg/l und KG = 45 kg ergibt sich: DE = C * CL * KG = 10 mg/l * 0,65 ml/min/kg * 45 kg = 0,293 mg/ min = 17,55 mg/h = ca. 421 mg/d als Dauerin− fusion
Antworten und Kommentar
Behandlung der megaloblastaren Anamie Aderlasstherapie Erythropoetin
4.3 Wie gehen Sie vor? Orale Theophyllintherapie: Tagesdosis = DE/Fabs = 421 mg/d/0,9 = 468 mg/d; z. B. Theophyllinprä− parat (250 mg) mit Einnahme morgens und abends 4.4 Wie würden Sie die Therapie überwa− chen? Theophyllin hat eine geringe therapeutische Breite! Sichere und optimale Dosierung nur mit klinischer Beurteilung und Überwachung der Serumkonzentration (TDM) (s. Fall 85) möglich:
Fall 4 Seite 5
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K Initialdosis: 1. Blutprobe 15–30 min nach Erstinjektion K Dauerinfusion: 2. Blutprobe 4–8 h nach The− rapiebeginn K Orale Theophyllintherapie: Blutentnahme morgens nach 2− bis 3−tägiger Einnahme einer konstanten Dosis
4.5 Wie äußert sich eine Überdosierung/In− toxikation von Theophyllin? K Gastrointestinale Störungen (. 1–20 mg/ml Serumspiegel): Übelkeit, Erbrechen, Anstieg
der Magensaftsekretion, Relaxation der Sphinkteren mit Refluxösophagitis K Kardiovaskuläre Störungen (. 15–20 mg/ml Serumspiegel): positiv inotrope, dromotrope und chronotrope Wirkung (Tachykardie, Ta− chyarrhythmie), periphere Gefäßdilatation, Hypotonie (bei zu schneller i. v.−Injektion), Kontraktion der Hirngefäße K ZNS−Störungen (. 40mg/ml Serumspiegel): stimulierende Wirkung mit Unruhe, Schlaflo− sigkeit, Kopfschmerzen, Tremor; Krampfanfälle (bei zu schneller i. v.−Injektion)
KOMMENTAR
112
Fall
4 Antworten und Kommentar
Pharmakokinetische Parameter: s. Antwort zur Frage 4.1. Die Bioverfügbarkeit beschreibt den An− teil einer applizierten Menge eines Arzneistoffes, der systemisch und letztendlich am Wirkort ver− fügbar ist. Die Bioverfügbarkeit bezieht sich immer auf eine bestimmte Zubereitung eines Arzneistof− fes. Man unterscheidet die absolute Bioverfügbar− keit (100 % bei i. v.− Gabe) und die relative Biover− fügbarkeit (Referenz ist das erstzugelassene Präpa− rat, z. B. Decortin H für Prednisolon). Die (Plasma−) Eliminationshalbwertszeit (EHWZ = t1/2) ist die Zeit, in der die Konzentration des Arzneistoffes im Plasma auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes abgesunken ist. Die EWHZ hängt von der Elimina− tionsleistung des Organismus (Clearance) und vom Verteilungsvolumen des Pharmakons ab (t1/2 = 0,7 * VD/CL). In der Regel wird als EHWZ die sog. ter− minale Halbwertszeit angegeben, die der Halb− wertszeit des langsamsten Prozesses entspricht. Definition: Theophyllin gehört zu den (Methyl−) Xanthinen, also Derivaten der Purinbase Xanthin. Typische Wirkstoffe: Zu den Methylxanthinen zählen neben Theophyllin Koffein und Theobro− min, die u. a. in Tee, Kaffee oder Kakao natürlich vorkommen. Theophyllin wirkt bronchodilatato− risch und ist somit Mittel der Wahl für die Behand− lung obstruktiver Atemwegserkrankungen, Asth− ma bronchiale und Status asthmaticus. Wirkungsmechanismus: Der Wirkungsmecha− nismus von Theophyllin ist nicht eindeutig geklärt. In hohen Konzentrationen ist es ein nichtselektiver Phosphodiesterase−Hemmstoff. Die Hemmung führt über erhöhte intrazelluläre cAMP−Konzent− rationen in den glatten Muskelzellen zu einer Er− schlaffung der Bronchialmuskulatur und damit zur Bronchodilatation. Zusätzlich wirkt Theophyllin als kompetitiver Antagonist an Adenosin−A1−Re− zeptoren, d. h. es verhindert die adenosininduzier− te Bronchokonstriktion und Histaminfreisetzung und bewirkt somit ebenfalls eine Bronchodilata− tion. Weiterhin wird über eine mögliche direkte antiinflammatorische Wirkung in der Bronchial− schleimhaut diskutiert.
Atemzentrum. Am Herz wirkt es positiv chrono− trop und inotrop, im Kreislauf peripher vasodila− tierend und diuresesteigernd (GFR q), in Hirnge− fäßen führt es zur Vasokonstriktion. Unerwünschte Wirkungen: Der therapeutische Bereich für die bronchodilatatorische Wirkung liegt bei 8–20 mg/l und ist damit sehr eng. Daher treten unerwünschte Wirkungen relativ häufig auf (in 5–10 % der Fälle). Diese korrelieren mit der Theophyllin−Serumkonzentration (s. Antwort zur Frage 4.5). Wechselwirkungen: Die Clearance von Theophyl− lin wird durch Hemmung von Cytochrom P 450 vermindert, umgekehrt erhöhen Induktoren des Cytochrom−Systems die Clearance (s. Tab.). Uner− wünschte Wirkungen von Sympathomimetika werden durch Theophyllin verstärkt (z. B. Tachy− kardie, Tachyarrhythmie). Die Wirksamkeit von Li− thium wird durch gleichzeitige Gabe von Theo− phyllin vermindert. Medikamente, die die Theophyllin− Serumkonzentration erhöhen oder reduzieren
Erhöhung
Reduktion
Makrolid−Antibiotika Cimetidin Allopurinol in hohen Dosen Furosemid Bestimmte Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Enoxacin) Orale Kontrazeptiva Methotrexat, Azathioprin
Barbiturate Rifampicin Isoniazid Phenytoin Carbamazepin
Indikationen: Theophyllin ist bei mittelschwe− rem Asthma bronchiale (s. Fall 62), zur Behand− lung eines akuten schweren Asthmaanfalls (s. Fall 85) und in der Pharmakotherapie der chro− nisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) (s. Fall 71) indiziert.
Wirkung: Theophyllin wirkt bronchodilatatorisch und im ZNS stimulierend auf Antrieb, Aktivität und
Fall 4 Seite 5
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Kontraindikationen: Die Gabe von Theophyllin ist bei frischem Myokardinfarkt, hypertropher ob− struktiver Kardiomyopathie, schwerer arterieller Hypertonie, Magen−Darm−Ulzera, Hyperthyreose und Epilepsie kontraindiziert. In Schwangerschaft, v. a. im 1. Trimenon, und Stillzeit ist die Indikation streng zu stellen. Pharmakokinetik: 5–15 Minuten nach oraler Ga− be setzt die Wirkung ein, ein maximaler Plasma− spiegel wird nach 1–2 Stunden erreicht (EHWZ: 8 Stunden) und hält bei Retardierung für 6–8 Stun− den an. Die aktuelle Theophyllin−Serumkonzentra− tion wird durch Compliance und Dosierung, aber auch durch unterschiedliche Resorption in Abhän− gigkeit von der Galenik beeinflusst. Theophyllin wird nahezu vollständig hepatisch metabolisiert und unterliegt einer hohen Variabilität der Bio− transformation. Zu einer verminderten Elimina−
tion von Theophyllin (Kumulation und toxischer Effekte) kommt es bei Rechtsherzinsuffizienz (ver− minderte Leberdurchblutung), bei akuten Virusin− fekten, bei älteren Patienten und bei der Einnahme von Medikamenten, die die Leberenzyme hem− men. Eine erhöhte Elimination von Theophyllin tritt bei Kindern, Rauchern (Enzyminduktion) und bei der Einnahme von Medikamenten, die die Le− berenzyme induzieren, auf. Applikationsform: Die Anwendung erfolgt in der Langzeittherapie als orale Retardform, bei akuter Atemnot als orale Lösung oder Kurzinfusion. Die Resorption von Theophyllin wird durch Essen ge− ring verzögert und ist abends langsamer als mor− gens.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
113
Fall
Enzyminduktoren Pharmakotherapie von Kindern Pharmakokinetische Modelle
5 Hormonelle Kontrazeptiva
5.1 Nennen Sie die wichtigsten Präparattypen der hormonellen Kontrazeptiva! K Östrogen−Gestagen−Kombinationspräparate: – Einphasenpräparate: gleichbleibende Do− sierungen über den gesamten Zyklus mit niedrigem Östrogenanteil (20–50 mg) und Gestagenanteil (z. B. Norethisteron 0,5 mg). – Zweiphasenpräparate: Östrogenbetonung, d. h. höherer Östrogen− und niedrigerer Gestagenanteil als bei den Einphasenpräpa− raten, höherer Gestagenanteil in der 2. Pha− se – Dreiphasenpräparate: dem natürlichen Zyklus weitgehend angenäherte Dosierung der Hormone R 1. Phase Östrogen niedrig, Gestagen niedrig; 2. Phase Östrogen erhöht, Gestagen erhöht; 3. Phase Östrogen niedrig, Gestagen nochmals erhöht; dadurch niedri− gere Steroidmengen pro Zyklus als bei Ein− phasenpräparaten K Gestagen−Monopräparate: – Depotgestagene: alle 3 Monate i.m.−Injek− tion eines Gestagens; zur Schwanger− schaftsverhütung bei unzuverlässiger Ein− nahme oraler Kontrazeptiva – Niedrig dosierte Gestagene (Minipille): Dauergabe eines Gestagens, wenn andere hormonelle Verfahren nicht in Frage kom− men, z. B. während der Stillperiode
Antworten und Kommentar
Fall 5
Aufbau verschiedener oraler Kontrazeptiva
5.2 Welche Kontraindikationen für Kontra− zeptiva kennen Sie? K Herz−Kreislauf−System: ungeklärte arterielle Hypertonie; Myokardinfarkt; Apoplex, Throm− bose oder Thromboembolie (akut oder anam− nestisch); arterielle Durchblutungsstörungen, Arteriosklerose, Angiopathie bei Diabetes mel− litus
Fall 5 Seite 6
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K Hepatobiliäres System: schwere Lebererkran− kung, Lebertumor, gestörte Gallesekretion, in− trahepatische Cholestase; Schwangerschaftsik− terus K Ungeklärte Hyperlipidämien K Systemischer Lupus erythematodes K Migräne K Gynäkologische Befunde: steroidabhängiges Malignom (z. B. Mamma− oder Endometrium− karzinom); ungeklärte Blutungen, Schwanger− schaft
5.3 Welche Kontrazeptiva eignen sich für Patientinnen mit Akne? Kombinationspräparate, die ein Gestagen mit an− tiandrogener Komponente enthalten (z. B. Die− nogest, Chlormadinonacetat, Cyproteronacetat)
5.4 Welche Wechselwirkungen gilt es, bei den Kontrazeptiva zu beachten? K Wirkungsabnahme der oralen Kontrazeptiva durch Medikamente, die eine Induktion der CYP−P450−Monooxygenasen in der Leber aus− lösen: Barbiturate, Hydantoine, Rifampicin K Unzuverlässiger Konzeptionsschutz durch Breitbandantibiotika: Unterbrechung des en− terohepatischen Kreislaufes R fehlende De− konjugierung der Phase−II−Metabolite durch Darmbakterien führt zu mangelnder Resorp− tion wirksamer Metabolite
KOMMENTAR
114
Fall
5
Definition: Die hormonelle Kontrazeption ist eine wichtige und bei sachgemäßer Durchführung si− chere Verhütungsmaßnahme. In Mitteleuropa ver− hüten etwa 35 % der Frauen mit hormonellen Kontrazeptiva.
Antworten und Kommentar
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 5.1. Die natürlichen Östrogene des Menschen sind Estradi− ol, Estron und Estriol. Estradiol wird v. a. in der Leber schnell inaktiviert und ist deshalb zur hor− monellen Kontrazeption ungeeignet. Die hormo− nellen Kontrazeptiva enthalten im Wesentlichen das synthetische Östrogen Ethinylestradiol (20– 50 mg/d) in Kombination mit einem synthetischen Gestagen, z. B. einem Norethisteron−Derivat (z. B. Norethisteron, Dienogest) oder Norgestrel−Deri− vat (z. B. Norgestrel, Gestoden). Einige Präparate enthalten antiandrogene Gestagene (s. Antwort zur Frage 5.3). Wirkungsmechanismus: Östrogene unterdrü− cken über negative Rückkopplung die GnRH− und Gonadotropinausschüttung (LH, FSH) aus Hypo− thalamus und Hypophyse, so dass eine Ovulation verhindert wird. Gestagene verändern zusätzlich die Zusammensetzung des Zervixschleims und er− schweren dadurch die Penetration von Spermien Wirkung: Das Eintreten einer unerwünschten Schwangerschaft wird durch eine Hemmung der Ovulation verhindert. Daneben können eine vor− liegende Dysmenorrhö und Akne günstig beein− flusst werden. Das Risiko für Endometrium− und Ovarialkarzinome wird durch orale Kontrazeptiva vermindert. Unerwünschte Wirkungen: Unerwünschte Symptome sind Schwindel, Kopfschmerz, Ödeme, Brustspannungen, Depression, Hautreaktionen, Pruritus, Gewichtzunahme und Libidoverände− rung. Ein großer Teil der früher nachgewiesenen unerwünschten Wirkungen ist abhängig von der Östrogendosis, was zur Entwicklung niedrig− dosierter Präparate geführt hat. Hormonelle Kont−
razeptiva können zu einer Resistenz gegen die ge− rinnungshemmende Wirkung von aktiviertem Protein C führen, was das Risiko für tiefe Venen− thrombosen und Embolien erhöht. Gallenblasen− erkrankungen sind häufiger, was auf die erhöhte Neigung zur Bildung von Cholesterinsteinen zu− rückzuführen ist. Eine erhöhte Inzidenz von Zer− vix− und Mammakarzinomen unter hormonellen Kontrazeptiva kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. Wechselwirkungen: s. Antwort zur Frage 5.4. Bei Diarrhöen ist mit einem Versagen der Kontrazep− tion in Folge von Resorptionsstörungen zu rech− nen. Bei gleichzeitiger Einnahme oraler Antidiabe− tika kann es zu einer Änderung der Glukosetole− ranz kommen. Indikationen: Die oralen Kontrazeptiva werden zur Konzeptionsverhütung verwendet. Die theo− retische Zuverlässigkeit liegt bei 99,9 %, die An− wenderzuverlässigkeit bei 97–98 %. Nach Absetzen des Kontrazeptivums kommt es zu einem Gesta− genabfall und die uneingeschränkte Fertilität kehrt meist schon im nächsten anwendungsfreien Zyklus zurück. Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 5.2. Rauchen als kardiovaskulärer Risikofaktor stellt eine relative Kontraindikation dar. Daher sollten Frauen ab dem 30. Lebensjahr möglichst nicht rauchen, wenn sie orale Kontrazeptiva anwenden möchten. In der Stillzeit ist die Indikation für Kom− binationspräparate streng zu stellen, besser geeig− net ist die Minipille (s. Antwort zur Frage 5.1). Die Kontrazeptivabehandlung sollte sofort abgebro− chen werden, wenn Symptome auftreten, die auf eine mögliche unerwünschte Wirkung hindeuten oder sogar eine Kontraindikation darstellen (s. Antwort zur Frage 5.2.). Pharmakokinetik: Ethinylestradiol weist eine hohe metabolische Stabilität auf und wird im Ma− gen−Darmtrakt und in der Leber verzögert inakti−
Fall 5 Seite 6
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viert. Die Elimination der Östrogene und Gestage− ne erfolgt nach Glukuronidierung und Sulfatierung über Galle und Niere. Applikationsform: Kombinationspräparate und Minipille liegen in Tablettenform vor. Bei Kombi− nationspräparaten wird an 21 aufeinanderfolgen− den Tagen die entsprechende Hormonkombination eingenommen, es folgen 7 hormonfreie Tage in
denen eine sog. Hormonentzugsblutung eintritt. Depotgestagene werden parenteral verabreicht (s. Antwort zur Frage 5.1). Mit EVRA steht ein trans− dermales therapeutisches System zur hormonellen Kontrazeption zur Verfügung. Nacheinander wer− den 3 Matrixpflaster für jeweils 7 Tage aufgeklebt, anschließend erfolgt eine Pflasterpause von 7 Ta− gen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Hormonelle Verhutung beim Mann Postkoitale Kontrazeption, Antigestagene zum Schwangerschaftsabbruch Selektive Estrogenrezeptor−Modulatoren (SERM) Menstruationszyklus
Fall 6
b−Rezeptorantagonisten (b−Blocker) – Rebound−Effekt bei plötzlichem Absetzen reaktive Tachykardie, Palpitationen, Blut− druckanstieg
6.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der b−Rezeptorantagonisten! K b1−Rezeptorantagonismus: – Negativ chronotrop: Bradykardie – Negativ inotrop: Abnahme der Kontraktili− tät R Blutdruckabfall – Negativ dromotrop: sinuatriale/atrioventri− kuläre Leitungsblockade R Herzrhythmus− störungen !!! 6.4 Welche Vorteile bieten b−Rezeptoranta− gonisten mit intrinsischer sympathomime− – Hemmung der Lipolyse: Erhöhung der Li− tischer Aktivitat (ISA)? poproteine und Triglyzeride K b2−Rezeptorantagonismus: ISA: gleichzeitig hemmende und stimulierende Eigenschaften abhängig von der Aktivierung der – Bronchokonstriktion b−Rezeptoren (partieller Agonist): – Vasokonstriktion kleiner Gefäße: Verstär− K Hoher Sympathikotonus: v. a. antagonistische kung peripherer Durchblutungsstörungen, Effekte kalte Hände/Füße K Niedriger Sympathikotonus: v. a. agonistische – Hemmung der Glykogenolyse: Effekte Hypoglykämieneigung bei Diabetes melli− K Folge: weniger kardiale und extrakardiale tus unerwünschte Wirkungen. b−Rezeptorantago− K Weitere: nisten mit ISA konnten sich therapeutisch – Sexuelle Funktionsstörungen nicht durchsetzen, da keine bzw. geringere – ZNS−Störungen: Sedation, Kopfschmerz, Mortalitätssenkung bei Myokardinfarkt im Schwindel Vergleich zu b−Rezeptorantagonisten ohne ISA
6 Antworten und Kommentar
6.3 Welche Eigenschaften besitzt der b−Re− zeptorantagonist Sotalol? K Klasse−III−Antiarrhythmikum K Liegt als Racemat vor: – L−Enantiomer: b−rezeptorantagonistisch – D−Enantiomer: antiarrhythmisch K Indikation: supraventrikuläre und ventriku− läre Herzrhythmusstörungen K Proarrhythmogen: Verzögerung der Repolari− sation R selten lebensbedrohliche ventrikulä− re Tachykardie (Torsades−de−pointes−Tachy− kardien)
115
Fall
6.1 Welche Indikationen für b−Rezeptoranta− gonisten bei Herz−Kreislauferkrankungen ken− nen Sie? Koronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, akuter Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörungen (supraventrikulär . ventrikulär), kompensierte chronische Herzinsuffizienz (bei strenger Indika− tion), hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
KOMMENTAR Definition: Sympatholytika wie a− und b−Rezep− torantagonisten hemmen die Sympathikuswir− kung.
Typische Wirkstoffe: Entsprechend ihrer Selekti− vität an den b−Rezeptoren unterscheidet man b1− selektive Rezeptorantagonisten (z. B. Metoprolol, Atenolol, Bisoprolol) und unselektive b−Rezeptor−
Fall 6 Seite 7
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Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 6.2. Zu Beginn einer Therapie kann bei kompensa− torisch erhöhtem Sympathikotonus (z. B. bei Herz− insuffizienz) eine Herzinsuffizienz ausgelöst oder verstärkt werden. Wechselwirkungen: b−Rezeptorantagonisten verzögern den Wiederanstieg des Blutglukosespie− gels nach Gabe von Insulin oder oralen Antidia− betika (cave: Hypoglykämie!). Die Wirkung zahl− reicher Antiarrhythmika wird verstärkt, insbe− sondere ist die Kombination von Verapamil mit b−Rezeptorantagonisten kontraindiziert. Narkose− mittel verstärken den bradykarden Effekt von b− Rezeptorantagonisten. In Folge einer Enzymhem− mung führt die gleichzeitige Gabe von Propranolol und Cimetidin zu einer Verdoppelung der Propra− nolol−Plasmaspiegel.
116
Fall
6
antagonisten (z. B. Propranolol, Carvedilol). Au− ßerdem können entsprechend der physikalisch− chemischen Eigenschaften lipophile (z. B. Propra− nolol, Oxprenolol, Carvedilol) und hydrophile (z. B. Acebutolol, Atenolol) Antagonisten unter− schieden werden.
Antworten und Kommentar
Wirkungsmechanismus: Physiologischerweise sind alle b−Adrenorezeptoren an ein Gs−Protein gekoppelt, das über die Aktivierung der Adenylat− cyclase cAMP bildet. Dadurch wird die Proteinki− nase A aktiviert, die in der Folge Zielproteine phos− phoryliert. Eine b1−Rezeptor−Aktivierung erhöht am Herzen die intrazelluläre Ca2+−Konzentration durch Öffnung von L−Typ−Ca2+−Kanälen. Dies führt zu einer positiv chronotropen, inotropen und dro− motropen Wirkung am Herzen. b2−Rezeptoren sind vorwiegend auf glatten Muskelzellen lokali− siert, bei Aktivierung bedingen sie eine Verminde− rung der intrazellulären Ca2+−Konzentration und damit Dilatation. Auch die Insulinfreisetzung und die Glykogenolyse in Leber und Muskel wird durch b2−Rezeptor−Aktivierung gesteigert. Wirkung: b−Rezeptorantagonisten hemmen kompetitiv die Wirkung endogener oder exogener adrenerger Substanzen an b−Adrenorezeptoren (s. Antwort zur Frage 6.2). Die Effekte sind umso aus− geprägter, je stärker der Sympathikotonus erhöht ist. Einige b−Rezeptorantagonisten werden bei hö− herer Affinität zu b1− als zu b2−Rezeptoren als kar− dioselektiv bezeichnet. Diese Selektivität ist dosis− abhängig und lässt bei steigender Dosis nach. Ei− nige b−Rezeptorantagonisten (z. B. Pindolol, Penbutolol) besitzen zusätzlich eine stimulieren− de Wirkung an b−Rezeptoren, die sog. intrinsische sympathomimetische Aktivität (ISA) (s. Antwort zur Frage 6.4).
Indikationen: s. Antwort zur Frage 6.1. Der Ein− satz bei der koronaren Herzerkrankung und nach Herzinfarkt vermindert den Sauerstoffverbrauch des Herzens und verbessert die Prognose der be− troffenen Patienten (s. Fälle 58 und 97). Ebenfalls günstig auf die Lebenserwartung ist die vorsichtige Anwendung bei Linksherzinsuffizienz (s. Fall 42). Weitere Indikationen sind hyperkinetisches Herz− syndrom, Tachykardie in Folge einer Hyperthy− reose (s. Fall 43), arterielle Hypertonie (s. Fall 36), Migräneprophylaxe (s. Fall 83), Angstsyndrome und Tremor. Die lokale Anwendung eines b−Rezep− torantagonisten ist Bestandteil der Glaukomthe− rapie (s. Fall 54). Kontraindikationen: Absolut kontraindiziert sind b−Rezeptorantagonisten bei: obstruktiven Atemwegserkrankungen, bradykarden Herzrhyth− musstörungen (, 50 Schläge/min), AV−Block . I. Grad, vasospastischer Angina pectoris, Schock, metabolischer Azidose und ausgeprägter periphe− rer arterieller Verschlusskrankheit. Relativ kon− traindiziert sind b−Rezeptorantagonisten bei Hypo− thyreose und Diabetes mellitus mit Neigung zu Spontanhypoglykämien, da die glukosemobilisie− rende Wirkung des Adrenalins durch die Antagoni− sten aufgehoben wird und die typischen Warn− symptome“, die auf einer Adrenalinausschüttung beruhen (z. B. Tachykardie), unterdrückt werden. Die Kontraindikationen gelten auch für die lokale Anwendung am Auge. Eine Gabe von b−Rezeptoran− tagonisten bei gesunden Personen im Rahmen von Stresssituationen ist nicht indiziert. Pharmakokinetik: Lipophile b−Rezeptorantago− nisten werden fast vollständig resorbiert, zeigen eine gute Gewebeverteilung (ZNS−gängig), sind aber auf Grund eines hohen First−pass−Effektes nur bis 70 % bioverfügbar (s. Tab.). Die Elimination erfolgt überwiegend hepatisch, die EHWZ ist hier− bei deutlich kürzer. Hydrophile Substanzen dage− gen werden weniger gut resorbiert und besitzen einen geringeren First−pass−Effekt. Bei Leberfunk− tionsstörungen verlängert sich die EHWZ durch
Fall 6 Seite 7
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Dosierung und Pharmakokinetik von verschiedenen b−Rezeptorantagonisten
Wirkstoff
Orale Ein− zeldosis (mg)
Oxprenolol
b1−Selekti− vität
Lipophilie
Bioverfüg− EHWZ barkeit (%) (Stunden)
Elimination
40–80
+
20–70
1–2
hepatisch
Propranolol
40–80
+
30
2–3
hepatisch
Timolol
lokale Anwendung
+
50
4–5
hepatisch, renal
Carvedilol
12,5–25
+
25
6–10
hepatisch, renal
Acebutolol
200–400
(+)
+
60
2–4
renal
Metoprolol
100–200
+
50
3–4
hepatisch
Atenolol
50–100
+
50
6–9
renal
Celiprolol
200–400
+
50
5–6
renal
Bisoprolol
5–10
++
90
10–12
hepatisch, renal
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN b−Rezeptorantagonisten mit vasodilatierenden Eigenschaften Intoxikation mit b−Rezeptorantagonisten und Therapie a−Adrenorezeptorantagonisten
Fall 7 7.1 Welche weiteren Penicilline kennen Sie? Erläutern Sie die Einteilung! K Schmalspektrumpenicilline: – Benzylpenicillin (Penicillin G): wirksam gegen grampositive Stäbchen und Kokken, gramnegative Kokken und Spirochäten; kei− ne orale Anwendung möglich, da nicht säu− restabil – Oralpenicilline (Penicillin V), z. B. Pheno− xymethylpenicillin, Propicillin: Wirkspekt− rum wie Benzylpenicilline; oral applizier− bar, da säurestabil – Isoxazolylpenicilline (z. B. Oxacillin, Fluclo− xacillin): wirksam gegen penicillinasebil− dende Staphylokokken, unwirksam bei
Penicilline gramnegativen Erregern; penicillinasestabil, oral applizierbar, da säurestabil K Breitspektrumpenicilline: – Aminopenicilline (z. B. Ampicillin, Amoxi− cillin): wirksam gegen gramnegative Bakte− rien; oral applizierbar, da säurestabil – Acylaminopenicilline (z. B. Mezlocillin, Piperacillin): wirksam gegen gramnegative Problemkeime wie Pseudomonas− und Pro− teus−Arten, nur i. v.−Anwendung möglich, da nicht säurestabil
7 Antworten und Kommentar
Applikationsform: Zur systemischen Anwendung liegen die verschiedenen b−Rezeptorantagonisten zur oralen und parenteralen Applikation vor. Die
Dosierung der b−Rezeptorantagonisten erfolgt in− dividuell nach Klinik. Zur Anwendung bei kom− pensierter Herzinsuffizienz ist ein sehr langsames Einschleichen erforderlich. Betaxolol und Timolol sind zur topischen Therapie bei Glaukom als Au− gentropfen verfügbar (s. Fall 54).
Fall
verminderte Extraktion, daher sollte auf eine initi− al niedrige Dosis geachtet werden und nach klini− scher Wirkung dosiert werden.
117
7.2 Beschreiben Sie den Wirkungsmechanis− mus der Penicilline (b−Laktamantibiotika)! K b−Laktamring bindet reversibel an aktives Zentrum einer bakterieneigenen Carboxypep−
Fall 7 Seite 8
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tidase; Blockade verhindert Quervernetzung des Zellwandmureins der Bakterien mit der Folge einer osmotischen Instabilität und Lyse der Bakterien K Bakterizide Wirkung auf proliferierende Kei− me
7.3 Was sind b−Laktamaseinhibitoren? K b−Laktamasen: bakterieneigene Enzyme, die durch Öffnung des b−Laktamringes Antibiotika inaktivieren K b−Laktamaseinhibitoren: binden und blockie− ren irreversibel die b−Laktamase K Kombinationen mit b−Laktamantibiotika er− weitern das Wirkspektrum der b−Laktamanti− biotika: – Clavulansäure (z. B. Amoxicillin + Clavulan− säure; Ticarcillin + Clavulansäure) – Sulbactam (z. B. Ampicillin + Sulbactam) – Tazobactam (z. B. Piperacillin + Tazobac− tam)
118
Fall
7
!!! 7.4
Welche Therapie leiten Sie ein? K Streptokokkeneradikation: Penicillin V 3 3 100 000 IE/kg KG/d über 10 Tage; bei Penicillinallergie alternativ Cephalosporine oder Erythromycin K Antiinflammatorische Behandlung und Schmerztherapie: Acetylsalicylsäure 90– 120 mg/kg KG/d 6 Wochen K Schwere Karditisfälle: Prednisolon 2 mg/kg KG/d über 4–6 Wochen
7.5 Führen Sie eine Rezidivprophylaxe durch? Wenn ja, warum und mit welchen Medikamen− ten? Ja, eine Rezidivprophylaxe bei Kindern bis zum Erwachsenenalter ist erforderlich, um einer Herz− schädigung vorzubeugen; die Therapie erfolgt mit: K Benzathin−Penicillin (Depotpräparat) 1,2 Mio. IE i.m., alle 3–4 Wochen K oder Penicillin V 2 3 250 000 IE/d, p.o.
KOMMENTAR Definition: Antibakterielle Wirkstoffe (Antibioti− ka) sind primär von Mikroorganismen gebildete Substanzen, die andere Mikroorganismen abtöten oder deren Wachstum hemmen. Davon abgeleitet sind die synthetisch hergestellten Chemothera− peutika.
Antworten und Kommentar
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 7.1. Die Penicilline gehören mit den Cephalosporinen, Car− bapenemen und Monobaktamen zu den b−Lak− tamantibiotika. Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 7.2. Alle b−Laktamantibiotika hemmen mit variab−
ler Affinität irreversibel die (Muramoylpentapep− tid−)Carboxpeptidase/Transpeptidase (Syn. Mu− reinsynthetasen, penicillinbindende Proteine, PBP) und damit den letzten Schritt der Peptido− glykan−Synthese der Zellwand (Quervernetzung der polymeren N−Acetylglucosamin− und N−Ace− tylmuraminsäure−Ketten). Eine mangelnde Pepti− doglykan−Quervernetzung bewirkt instabile Zell− wände und führt im Rahmen der Zellteilung zur Bakteriolyse. Die Penetrationsfähigkeit der b−Lak− tamantibiotika wird durch deren unterschiedliche physikochemische Eigenschaften bestimmt; damit ergeben sich voneinander abweichende Wir−
Angriffsorte verschiedener Antibiotika
Fall 7 Seite 8
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kungsspektren. Zudem enthalten die Zellwände gramnegativer Bakterien nur sehr geringe Mengen Murein, dafür aber zusätzlich eine Phospholipid− membran, die die hohe Resistenz gegenüber den b−Laktamantibiotika bewirkt. Wirkung: b−Laktamantibiotika besitzen aufgrund der Hemmung der Zellwandsynthese eine bakteri− zide Wirkung auf proliferierende Keime mit einer großen therapeutischen Breite. Die b−Laktamanti− biotika weisen eine selektive Wirkung und damit geringe Organtoxizität auf, da eukaryote Organis− men keine Zellwandbiosynthese aufweisen.
Indikationen: Penicilline werden auf Grund ge− ringer Toxizität und großer therapeutischer Brei− te bei allen bakteriellen Infektionen mit penicil− linsensiblen Erregern als Mittel der ersten Wahl eingesetzt (s. Antwort zur Frage 7.1). Da Penicilline nicht in die Zellen des menschlichen Körpers ein− dringen, sind sie nicht zur Behandlung von Infek− tionen durch intrazellulär lokalisierter Erreger (z. B. Legionellen) geeignet.
Pharmakokinetik: Penicillin G hat eine EHWZ von 30–60 Minuten und muss deshalb im Abstand von 3–4 Stunden injiziert werden. Die Ausschei− dung erfolgt rasch renal durch tubuläre Sekretion (90 %). Die Aminopenicilline Ampicillin und Amo− xicillin haben eine Resorptionsrate von 40 % bzw. 70–80 %, ihre EHWZ beträgt 1–2 Stunden. Applikationsform: s. Antwort zur Frage 7.1. Peni− cillin G liegt als wasserlösliches Salz (z. B. Procain) zur i.v− oder i.m.−Injektion oder als ölige Lösung (Depotform) zur i.m.−Injektion vor, wodurch eine längere Wirkdauer erreicht wird.
119
7 Antworten und Kommentar
Kontraindikationen: Penicilline sind bei Penicil− linallergie kontraindiziert. Zwischen Penicillinen und Cephalosporinen kommt eine Kreuzallergie nur in ca. 5 % der Fälle vor, so dass eine Behandlung mit Cephalosporinen möglich ist. Eine strenge Kontraindikation ist für Aminopenicilline bei in− fektiöser Mononukleose und chronischer lympha− tischer Leukämie zu stellen.
Fall
Unerwünschte Wirkungen: Die häufigste uner− wünschte Wirkung der Penicilline ist die allergi− sche Reaktion, die ungefähr bei 3 % der Patienten auftritt. Sie kann bereits bei Erstkontakt auftreten, ist dosisunabhängig und kann alle Schweregrade der allergischen Reaktion von leichten Hautirrita− tionen bis hin zum anaphylaktischen Schock umfassen. Allergen wirksam ist das intakte Peni− cillinmolekül und die Umwandlungsprodukte des gemeinsamen Grundgerüsts, der 6−Aminopenicil− lansäure, was das Auftreten von Parallelallergien (Kreuzallergie) erklärt. Eine Sensibilisierung ist am häufigsten bei lokaler und Aerosoltherapie (ca. 20 %), seltener bei parenteraler und noch seltener bei oraler Gabe anzutreffen. Aminopenicilline verursachen häufiger Hautreaktionen (10–15 %), meist in Form eines makulopapulösen Exan− thems. Häufige Nebenwirkungen sind dosisabhän− gige gastrointestinale Beschwerden wie Appetitlo− sigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Meteorismus, Diarrhö und Malabsorption. Eine schwere Komplikation ist die antibiotikaassoziierte pseudomembranöse Ko− litis, die durch eine unphysiologische Überwuche− rung des Darmes mit Clostridium difficile ausge− löst wird. Alle b−Laktamantibiotika haben in hohen Dosierungen ein neurotoxisches Potenzial (z. B. Krampfanfälle). Bei Verabreichung von Penicillinen als Natrium− oder Kaliumsalze in sehr hohen Do− sierungen können Störungen des Elektrolytstoff− wechsels auftreten. Die Gabe von Penicillinen kann zu einer interstitiellen Nephritis führen.
Wechselwirkungen: Werden Penicilline mit an− deren Antibiotika verabreicht, können teilweise antagonistische Wirkungen auftreten. Die Resorp− tion von niedrig dosierten oralen Kontrazeptiva kann z. B. durch Ampicillin, Oxacillin, Cloxacillin und Azlocillin aufgehoben werden, da die bakteri− elle Spaltung der Hormonester im Darm fehlt. Bei oraler Gabe vermindern Antazida die Penicillinre− sorption. Die Häufigkeit von Hautreaktionen nach Aminopenicillinen wird durch Allopurinol bis auf 20 % erhöht. Penicillinlösungen sind inkompatibel mit diversen Injektionslösungen (z. B. Aminosäu− ren, Ascorbinsäure, Heparin).
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Penicillinresistenz Wirkungsmechanismen verschiedener Antibiotika Allergietypen (I–IV) und ihre Behandlung
Fall 7 Seite 8
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Fall 8
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Fall
8
Antiepileptika
Antworten und Kommentar
8.1 Welche unterschiedlichen Wirkmechanis− men bei den Antiepileptika kennen Sie? Nennen Sie jeweils typische Antiepileptika! K Blockade von spannungsabhängigen Na+−Ka− nälen: – Carbamazepin – Valproinsäure – Phenytoin – Lamotrigin – Topiramat K Förderung der GABAergen Hemmung: – Benzodiazepine und Phenobarbital: alloste− rischer Synergismus mit GABA, erhöhen die Öffnungsfrequenz der Cl−−Kanäle – Valproinsäure: Hemmung GABA−abbauen− der Enzyme – Tiagabin: Hemmung der GABA−Wiederauf− nahme – Vigabatrin: Hemmung des GABA−Abbaus – Gabapentin: Förderung der GABA−Synthese und −Freisetzung – Topiramat: Verstärkung der GABAergen Neurotransmission K Hemmung des Einwärtsstromes durch T−Typ− Ca2+−Kanäle in thalamischen Neuronen: – Ethosuximid K Hemmung der glutamatergen Neurotrans− mission: – Valproinsäure und Felbamat: Antagonisten am N−Methyl−D−Aspartat(NMDA)−Rezeptor an der Glycinbindungsstelle – Phenytoin, Lamotrigin, Phenobarbital: Hemmung der Glutamat−Freisetzung 8.2 Welche unerwünschten Wirkungen hat Carbamazepin? K Dosisabhängig: – Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen – Müdigkeit, Schwindel, Ataxie – Nystagmus und Doppelbilder bei hohen Dosen
– Hyponatriämie (20–40 % der Fälle) und Ge− wichtszunahme – Herzrhythmusstörungen – Pharmakotoxische Psychose bei älteren Pa− tienten K Dosisunabhängig: – Leukopenie (bis 10 %), aplastische Anämie – Thrombozytopenie – Überempfindlichkeitssyndrom mit Exan− them (selten Stevens−Johnson−Syndrom) – Missbildungen bei Einnahme in der Früh− schwangerschaft (Inzidenz 1 %)
8.3 Nennen Sie Wirkstoffe und Anwendungen der neuen Antiepileptika“! Die sog. neuen Antiepileptika zeichnen sich all− gemein durch eine große therapeutische Breite aus. K Gabapentin: Therapie von einfachen und komplexen fokalen Anfällen und zur Therapie neuropathischer Schmerzen K Lamotrigin: Therapie von fokalen und sekun− där generalisierten tonisch−klonischen Anfäl− len K Oxcarbazepin: Therapieeinsatz entspricht weitgehend dem des Carbamazepins K Tiagabin: Zusatzbehandlung bei Patienten mit fokalen und sekundär generalisierten tonisch− klonischen Anfällen K Topiramat: Zusatzmedikament (add on“) bei fokalen Anfällen 8.4 Welche Medikamente dürfen bei Epilep− tikern nicht eingesetzt werden? Antidepressiva (z. B. Amitriptylin), Neuroleptika/ Reserpin, Analeptika (z. B. Doxapram), hoch do− siertes Penicillin, Gyrasehemmer (z. B. Ofloxacin), Opioidanalgetikum Pethidin, Pyrazolderivate (z. B. Metamizol), Lokalanästhetika, Theophyllin, Isoniazid, Enfluran
KOMMENTAR Definition: Antiepileptika (Syn. Antikonvulsiva) hemmen die Erregbarkeit von Neuronen, die Erre− gungsausbreitung oder beides. Hierdurch wird ei− ner überstarken, synchronisierten Aktivität von Neuronengruppen, die einem epileptischen Anfall zu Grunde liegt, vorgebeugt (s. Fall 89). Die anti− epileptische Therapie ist eine primär prophylakti− sche Therapie und erfolgt meist als Dauerbehand− lung. Typische Wirkstoffe: Das Dibenzazepin−Derivat Carbamazepin gehört zu den wichtigsten und meist verwendeten Antiepileptika. Das Oxcarba− zepin ist das 10−Keto−Analogon zum Carbamaze− pin und weist ähnliche Wirkeigenschaften wie das
Carbamazepin auf, jedoch mit verminderten Ne− benwirkungen und geringerer Enzyminduktion. Wirkungsmechanismus: Carbamazepin wirkt durch eine Blockade der neuronalen potenzialge− steuerten Na+−Kanäle. Das Ausmaß der Blockade der Na+−Kanäle ist vom Funktionszustand des Neu− rons abhängig: Je höher die Depolarisationsfre− quenz ist, umso mehr Wirkstoffmoleküle werden an die Kanalproteine gebunden und umso stärker ist dann die Hemmung. Daraus folgt eine gewisse Selektivität für überaktive Nervenzellen gegen− über normal aktiven Zellen. Oxcarbazepin scheint zusätzlich modulierende Wirkung an den T−Typ− Ca2+−Kanälen zu besitzen.
Fall 8 Seite 9
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Übersicht zur Indikation von Antiepileptika
Wechselwirkungen: s. Antwort zur Frage 8.4. Die enzyminduzierende Wirkung von Carbamazepin fördert den Abbau von oxidativ biotransformierten Wirkstoffen, wie oralen Kontrazeptiva, Steroiden, Phenytoin, Valproinsäure, Barbituraten, Theophyl− lin, Ciclosporin, Antikoagulanzien und Digitoxin. Durch die Enzyminduktoren Primidon und Phe− nobarbital wird die Plasmakonzentration von Car− bamazepin vermindert. Umgekehrt wird durch die Enzyminhibitoren Erythromycin, Cimetidin und Kumarine die Plasmakonzentration von Carbama− zepin erhöht. Indikationen: Carbamazepin wird bei einfachen und komplexen fokalen Anfällen und generali− sierten tonisch−klonischen Anfällen eingesetzt. Dabei ist die Wirksamkeit bei sekundär generali− sierten Anfällen größer als bei primär generalisier− ten Anfällen. Carbamazepin kann weiterhin bei
Kontraindikationen: Carbamazepin ist kontrain− diziert bei Herzrhythmusstörungen, insbesondere AV−Blockierungen, akuter intermittierender Porphyrie, schwerer Leberinsuffizienz und Kno− chenmarkinsuffizienz. Eine strenge Indikation besteht in Schwangerschaft und Stillzeit, da Carba− mazepin plazenta− und muttermilchgängig ist. Pharmakokinetik: Carbamazepin wird gut resor− biert und besitzt eine Bioverfügbarkeit von 70– 80 %. Die EHWZ beträgt im steady−state 12–24 Stunden, das Verteilungsvolumen liegt bei 0,8–1,9 l/kg, die Plasmaeiweißbindung bei 75 %. Carbama− zepin wird auf Grund einer Eigeninduktion des CYP 3A4−Stoffwechsels nach mehrfacher Gabe deutlich schneller metabolisiert. Die Elimination erfolgt zu 70 % renal und zu 30 % biliär.
8 Antworten und Kommentar
Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 8.2. Besonders zu Beginn einer Therapie treten do− sisabhängige unerwünschte Nebenwirkungen auf. Um diese zu vermeiden, sollte eine langsame Auf− dosierung erfolgen.
neuralgischen Schmerzzuständen, als Phasen− prophylaxe bei Psychosen (s. Fall 16) und beim Alkoholentzugssyndrom angewendet werden. Die sog. neuen Antiepileptika werden v. a. bei the− rapierefraktären primären fokalen Anfällen ange− wendet (s. Antwort zur Frage 6.3.).
Fall
Wirkung: Die Blockade der Na+− und Ca2+−Kanäle hat einen stabilisierenden Effekt auf die Zellmem− branen und vermindert die Ausbreitung postsyn− aptischer Impulse; dies reduziert hochfrequente repetitive Neuronenentladungen.
121
Applikationsform: Carbamazepin und Oxcarba− zepin werden oral verabreicht. Der therapeutische Spiegel“ liegt bei 4–12 mg/l, der durch langsames Steigern der Erhaltungsdosis unter Kontrolle der Serumspiegel (TDM) erreicht wird.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Barbiturate Antiepileptika und Schwangerschaft Therapie des Status epilepticus
Fall 8 Seite 9
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Fall 9
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Fall
9
Aciclovir
Antworten und Kommentar
9.1 Erläutern Sie den Wirkmechanismus von 9.3 Nennen Sie weitere Angriffspunkte anti− Aciclovir! viraler Wirkstoffe! Aciclovir ist ein Antimetabolit (Guanosin−Ana− K Adsorption an spezifische Rezeptoren der logon): Wirtszelle (z. B. CD4, Chemokinrezeptoren) K Phosphorylierung durch virale Thymidinkina− K Penetration der Wirtszellmembran und Frei− se mit hoher Selektivität (in nichtinfizierten setzung der viralen Nukleinsäuren (uncoating) K Virusgenomeinlagerung Zellen keine Wirkung) K Aciclovir−Monophosphat wird durch zelluläre K Reifung und Zusammenbau neuer viraler Pro− Kinasen zu aktivem Triphosphat phoshory− teine K Ausschleusung neuer Viren liert: – Kettenabbruch durch fehlende Hydroxyl− gruppe in Position 3 des Zuckers !!! 9.4 Charakterisieren Sie den antiviralen Wirkstoff Foscarnet! – Kompetitive Hemmung der viruskodierten DNA−Polymerase K Wirksamkeit: Herpesviren (Varicella−Zoster−Vi− rus, Zytomegalie−Virus [CMV]) und HI−Virus 9.2 Worauf ist bei der Behandlung mit Aciclo− K Hemmung der Virusreplikation: Blockade von vir zu achten, und welche Maßnahmen sind bei Pyrophosphat−Bindungsstellen der viralen Polymerasen und der reversen Transkriptase unerwünschten Wirkungen zu ergreifen? K Nephotoxizität durch Ausfällung von Aciclo− K Indikation: bei schwerer CMV−Infektion bei vir−Kristallen in den Tubuli: bei Niereninsuffi− AIDS−Patienten zienz und bei zu schneller i. v.−Injektion K Applikation: parenteral K Maßnahmen sind: – Dosisanpassung abhängig von Kreatinin− werten – Verabreichung einer ausreichend verdünn− ten Lösung mit reichlicher Flüssigkeitszu− fuhr bzw. durch langsame Infusion – Alternativ bei Niereninsuffizienz Brivudin (keine Dosisreduktion nötig)
KOMMENTAR Definition: Virustatika sind antivirale Substan− zen, die die Virusreplikation, vom Punkt des Ein− tritts in die Zelle bis hin zur Freisetzung der Virus− partikel, selektiv hemmen. Typische Wirkstoffe: Systemische Virustatika zur Behandlung von Infektionen mit Herpesviren sind Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir und Bri− vudin. Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 9.1. Wirkung: Aciclovir lindert die Schmerzen in der Akutphase, reduziert Ausdehnung und Dauer der herpesassoziierten Hautveränderungen und kann postherpetische Neuralgien verhindern. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 9.2. Durch die hohe Selektivität für mit Herpesvi− ren infizierte Zellen weist Aciclovir eine geringe Toxizität auf. Die nephrotoxische Wirkung muss beachtet werden, kann jedoch durch hohe Harn− flussraten reduziert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion wird für Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir eine kreatininabhängige Dosisan− passung empfohlen. Weitere unerwünschte Wir− kungen können sein: neurologische Störungen, al− lergische Reaktionen, gastrointestinale Störungen, Transaminasenanstieg.
Wechselwirkungen: Die renale Eliminierung von Aciclovir wird durch Cimetidin und Probenecid um bis zu 30 % verringert. Aciclovir und Ciclospo− rin A sollte wegen potenzieller Nierenschädigung nicht gleichzeitig gegeben werden. Brivudin darf nicht zusammen mit 5−Fluorouracil angewendet werden, da es dessen Abbau hemmt (zeitlicher Abstand: mindestens 4 Wochen). Brivudin ver− drängt andere Stoffe (z. B. Phenprocoumon, Sulfo− nylharnstoffe) aus der Plasmaeiweißbindung. Indikationen: Aciclovir wird bei Infektionen mit Herpesviren wie Herpes simplex encephalitis, (re− zidivierender oder primärer) Herpes labialis, Herpes genitalis und Herpes neonatorum sowie Infektionen mit Varizella−Zoster−Virus – bei im− mungeschwächten Patienten insbesondere als In− fusionstherapie – eingesetzt. Der Therapieerfolg der oralen Herpes−zoster−Behandlung mit Aciclovir oder Valaciclovir bei immunkompetenten Patien− ten ist vom frühzeitigen Therapiebeginn abhängig. Kontraindikationen: Bei Schwangeren und in der Stillzeit ist für Aciclovir die Indikation streng zu stellen. Zur Behandlung von Kindern und Ju− gendlichen unter 18 Jahren ist bislang einzig Aciclovir bei Herpes−virus−Infektionen zugelassen.
Fall 9 Seite 10
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Pharmakokinetik und Dosierung antiviraler Wirkstoffe
Wirkstoff
Dosierung (mg)
Orale Bioverfüg− EHWZ (Stunden) barkeit (%)
Aciclovir oral
5 3 200–400 über 5–10 Tage
20
2,5
Famciclovir
3 3 250 über 7 Tage
80
2–3
Valaciclovir
3 3 1000 über 7 Tage
55
0,5
Brivudin
1 3 125 über 7 Tage
30
12
Pharmakokinetik: Valaciclovir und Famciclovir sind dem oral verabreichten Aciclovir aufgrund ih− rer höheren Bioverfügbarkeit überlegen (s. Tab.). Valaciclovir (prodrug“) wird zu Aciclovir umge− wandelt. Aciclovir wird zu 70 % unverändert über die Nieren ausgeschieden.
plizierbar. Aciclovir kann zusätzlich auch parente− ral oder lokal (Augen−, Lippensalbe) angewendet werden. Aciclovir hat einen hohen pH−Wert (11), eine Gewebeschädigung durch paravenöse Gabe ist daher möglich. Eventuell ist die Gabe über ei− nen zentralen Venenkatheter vorzuziehen.
Applikationsform: Aciclovir, Valaciclovir, Fam− ciclovir und Brivudin sind alle in oraler Form ap−
123
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie der Influenza Ganciclovir Protease−Inhibitoren
10 Antworten und Kommentar
Fall 10
Heparine
10.1 Welche Substanzen eignen sich grund− sätzlich zur Thromboseprophylaxe? K Unfraktioniertes hochmolekulares Heparin (UFH) K Fraktionierte niedermolekulare Heparine (NMH): z. B. Dalteparin, Enoxaparin K Rekombinantes Hirudin: z. B. Lepirudin K Kumarine (Vitamin−K−Antagonisten): z. B. Phenprocoumon, Warfarin K Heparinoid (Mischung aus niedermolekularen sulfatierten Glycosaminglykanen): Danaparo− id−Natrium K Thrombozytenaggregationshemmer: z. B. Acetylsalicylsäure 10.2 Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der niedermolekularen Heparine und des un− fraktionierten Heparins! K NMH hemmen über eine Aktivierung von An− tithrombin III (AT III) vorwiegend den Faktor Xa; keine direkte Hemmung des Thrombins, da durch die kurzen Ketten (, 18 Monomere) der NMH kein Komplex mit AT III und Throm− bin gebildet wird K UFH (Kettenlänge .18 Monomere) hemmt über die Aktivierung von AT III den Faktor Xa und Thrombin
Hemmung der Gerinnungskaskade in vivo
10.3 Welche Vorteile bieten niedermolekulare Heparine gegenüber unfraktioniertem Heparin? K Längere Wirkdauer K Höhere Bioverfügbarkeit: bessere Voraussag− barkeit des antikoagulatorischen Effektes K Keine Überprüfung der Wirksamkeit der an− tikoagulatorischen Aktivität nötig
Fall 10 Seite 11
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K Vermindertes Risiko von heparininduzierten Thrombozytopenien K Verringertes Osteoporoserisiko bei Langzeit− anwendung K Weniger klinisch relevante Blutungen
K venöse Thromben werden durch Störungen des plasmatischen Gerinnungssystems aus− gelöst, die Thrombozytenaggregation spielt nur eine sekundäre Rolle K aber: Acetylsalicylsäure verhindert zuverlässig arterielle Thrombenbildung
10.4 Ist Acetylsalicylsäure zur Verhinderung venöser Thromboembolien geeignet? Zur Verhinderung venöser Thromboembolien ist Acetylsalicylsäure, im Vergleich zu Heparinen, nur eingeschränkt geeignet:
KOMMENTAR Definition: Antikoagulanzien sind Inhibitoren der Blutgerinnung, die z. T. physiologische Bestandtei− le des Blutgerinnungssystems sind, als auch exo− gen im Rahmen einer medikamentösen Therapie zugeführt werden können.
124
Fall
10
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 10.1. Die fraktionierten niedermolekularen Heparine (NMH), mit einem Molekulargewicht von 4000– 6000 Dalton, werden durch begrenzten Abbau aus unfraktioniertem hochmolekularem Heparin (UFH) (Molekulargewicht: 3000–50 000 Dalton) gewonnen. Typische Wirkstoffe sind z. B. Certopa− rin, Enoxaparin und Dalteparin. Das UFH wird aus Schweinedarm und Rinderlungen gewonnen.
Antworten und Kommentar
Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 10.2. Wirkung: Heparine hemmen Bildung und Wachs− tum von Thromben durch spezifische Hemmung der plasmatischen Gerinnung. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 10.3. Das Auftreten schwerer Blutungen kommt nach intravenöser Infusion von UFH recht häufig vor (4–6 %), bei der Therapie mit NMH ist das Ri− siko geringer. Ungefähr 3 % der Patienten, die mit UFH behandelt werden, entwickeln eine sog. he− parininduzierte Thrombozytopenie (HIT) vom Typ II, eine durch IgG−Antikörper vermittelte Thrombozytenaktivierung. Dagegen führt eine Be−
handlung mit NMH nur sehr selten zu einer kli− nisch symptomatischen HIT II (0,3 %). Wechselwirkungen: Die Blutungsneigung wird durch gleichzeitige Gabe von weiteren Antithrom− botika (z. B. Acetylsalicylsäure, Kumarine) ver− stärkt. Antihistaminika, Digitalispräparate, Tetra− zykline und Ascorbinsäure schwächen die Wir− kung des UFH und der NMH. Phenytoin, Chinidin, Benzodiazepine und Bilirubin werden von einigen NMH (z. B. Enoxaparin) aus der Plasmaeiweißbin− dung verdrängt. Indikationen: s. Tab. NMH sind Mittel der ersten Wahl in der perioperativen Thromboembolie− prophylaxe. NMH können wie UFH zur Therapie frischer Beinvenenthrombosen und Lungenem− bolien und bei instabiler Angina pectoris einge− setzt werden. Zu beachten ist, dass die verschiede− nen NMH nicht ohne weiteres austauschbar sind. Jedes Präparat erfordert eine individuelle klinische Beurteilung bezüglich Wirksamkeit und Dosie− rung. Da UFH nicht plazenta− und muttermilch− gängig ist, kann es in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden. Kontraindikationen: Kontraindikationen für den Einsatz von NMH sind: Operationen am ZNS, Auge oder Ohr, die nicht länger als 6 Wochen zurück− liegen; klinisch relevante Blutungen oder Gerin− nungsstörungen in der Anamnese; Magen− und
Zugelassene Indikationen für NMH
Wirkstoff
Thrombo− seprophy− laxe (chi− rurgisch)
Thrombo− Phlebo− seprophy− thrombose laxe (inter− nistisch)
Lungenem− Instabile bolie (Sta− Angina dium I und pectoris II)
Hämo− dialyse
Certoparin
+
−
−
−
+
−
Dalteparin
+
−
−
−
−
+
Enoxaparin
+
+
+
−
+
+
Nadroparin
+
−
+
−
−
+
Reviparin
+
−
−
−
−
−
Tinzaparin
+
−
+
+
−
+
Fall 10 Seite 11
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Darmulzera; Leber− und Pankreaserkrankungen; schwere Einschränkungen der Nierenfunktion. Diese Kontraindikationen gelten auch für UFH, das bei akuter oder bekannter HIT II absolut kont− raindiziert ist. Pharmakokinetik: Nach subkutaner Gabe liegt die Bioverfügbarkeit für UFH und NMH bei fast 100 %. Die EHWZ ist für die NMH trotz geringerer Plasmaproteinbindung mit 3–4 Stunden deutlich länger als die der UFH mit 60–90 Minuten. Die Elimination der UFH erfolgt durch renale Exkre− tion, NMH werden im retikuloendothelialen Sys− tem metabolisiert und renal eliminiert.
Applikationsform: Heparine werden wegen des hohen Molekulargewichts und der negativen La− dung bei oraler Gabe nicht resorbiert und müssen subkutan oder intravenös verabreicht werden. Die therapeutische Dosierung des UFH muss über die Kontrolle der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) erfolgen, die Kontrollen sollten abhängig von der PTT ein− bis mehrmals täglich erfolgen. Die therapeutische Dosierung der NMH erfordert nicht zwingend eine Laborkontrolle, ggf. wird die antikoagulatorische Aktivität der NMH als Anti− Xa−Aktivität (IE) oder in mg angegeben.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN HIT I und II Heparinzubereitungen zur lokalen Anwendung Behandlung der chronisch−venosen Insuzienz
125 Antimykotika
11.2 Nennen Sie Antimykotika und ihre sys− tematische Einteilung! Wie werden sie einge− setzt? K Azolantimykotika: – Imidazole: z. B. Clotrimazol (lokal), Ketoco− nazol (lokal, systemisch) – Triazole: z. B. Itraconazol (systemisch), Flu− conazol (systemisch) K Polyenantimykotika: z. B. Nystatin (lokal) Amphotericin B (systemisch) K Flucytosin: systemisch, meist in Kombination mit Amphotericin B K Caspofungin: systemisch K Griseofulvin: systemisch
11.3 Was ist bei der Anwendung von Ketoco− nazol zu beachten? K Unerwünschte Wirkungen (daher meist nur lokale Anwendung): – Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit – Transaminasenanstieg, Leberfunktionsstö− rungen, Hepatitis, Leberzellnekrosen – Gastrointestinale Beschwerden – Gynäkomastie, Libidoverlust, Potenzverlust, Oligospermie – Hämolytische Anämie (selten) K Wechselwirkungen: – Hemmung der CYP3A4−abhängigen Bio− transformation verzögert die Elimination von Ciclosporin A (Nephrotoxizität), Terfe− nadin (Herzrhythmusstörungen), Warfarin und einiger Benzodiazepine – Enzyminduktoren beschleunigen die Me− tabolisierung von Ketoconazol
11 Antworten und Kommentar
11.1 Was ist ein Grünes Rezept“? Welche Funktion hat es? K Die meisten nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel werden infolge der Gesundheits− reform nicht mehr von den gesetzlichen Kran− kenkassen erstattet (z. B. Clotrimazol−Creme zur Fußpilzbehandlung). K Einführung des Grünen Rezeptes“, damit der Patient das richtige nichtverschreibungs− pflichtige Arzneimittel erhält: – Aussehen wie bekannter Rezeptvordruck, mit dem Unterschied, dass es grün ist – Merkhilfe für den Patienten; Hinweis, dass das so verordnete Medikament medizi− nisch geboten ist – Verwendung bei der Einkommenssteuerer− klärung vom Patienten als Nachweis einer außergewöhnlichen Belastung
Fall
Fall 11
11.4 Erläutern Sie die Eigenschaften von Am− photericin B? K Amphiphiles Molekül, kann systemisch gege− ben werden K Komplexbildung mit Sterinen (Ergosterin) der Zellmembran des Pilzes, aber auch mit Cholesterin der humanen Plasmamembran K Wichtiges Notfallmedikament bei lebensbe− drohlichen systemischen Pilzinfektionen, da kaum Resistenzen K Starke Nephrotoxizität kann durch Gabe als Fettemulsion oder in liposomaler Zuberei− tung vermindert werden; kontraindiziert bei drohendem Nierenversagen
Fall 11 Seite 12
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KOMMENTAR Definition: Die antimykotische Therapie umfasst die Behandlung von Hautmykosen (z. B. Candidia− sis, Dermatophytose) und schwerwiegenden Sys− temmykosen, die durch Candida− und Aspergillus− Arten hervorgerufen werden. Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 11.2. Azolantimykotika und Polyenantimykotika sind bei verschiedenen Pilzerkrankungen wirksam und können als Breitspektrumantimykotika bezeichnet werden.
126
Fall
11
Wirkungsmechanismus: Azolantimykotika hem− men die Ergosterolsynthese durch Hemmung der Cytochrom−P450−abhängigen Lanosterol 14 a−De− methylase. Dies stört den normalen Aufbau des Plasmalemms der Pilze und beeinträchtigt die Funktion membrangebundener Enzyme. Polyenantimykotika lagern sich in Zellmembra− nen (Pilze, Mensch) an Ergosterin oder Cholesterin an und führen dadurch zu einer Porenbildung in den Membranen. Die Folge ist ein Austritt von Zellbestandteilen und Elektrolyten. Flucytosin hemmt den DNA− und RNA−Stoffwech− sel und Griseofulvin die Mitose durch Anlagerung an die Mitosespindel. Beide können daher auch den menschlichen Organismus schädigen.
Antworten und Kommentar
Wirkung: Die Hemmung der Membransynthese vermindert das Pilzwachstum (fungistatisch), kann aber auch durch die Porenbildung einen fun− giziden Effekt haben. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 11.3. Ketoconazol war der erste Vertreter der sys− temisch anwendbaren Azole. Neuere Wirkstoffe (Itraconazol, Fluconazol) weisen ein geringeres Ri− siko für eine schwere Leberzellschädigung auf und sind dem Ketoconazol überlegen. Amphotericin B löst in 80 % reversible Nierenfunk− tionsstörungen (Tubulustoxizität) aus, die ab einer Kumulationsdosis von 4–5 g irreversibel werden können. Weitere schwere Nebenwirkungen sind: Fieber, Übelkeit, gastrointestinale Symptome, Blut− bildveränderungen und Neurotoxizität bei intra− thekaler Applikation. Wechselwirkungen: s. Antwort zur Frage 11.3. Die neueren Azolantimykotika beeinflussen die Cytochrom−P450−abhängigen Enzyme weniger stark. Trotzdem muss bei Itraconazol und Fluco− nazol die Ciclosporin−A−Dosis bei gleichzeitiger Gabe verringert werden. Antazida vermindern die Resorption der Azolantimykotika.
Amphotericin B verursacht eine Hypokaliämie und kann dadurch die Wirkung von Herzglykosi− den und Antiarrhythmika verstärken. Indikationen: Die Lokalantimykotika weisen ei− ne gute Verträglichkeit auf und können nahezu bei jedem Pilzerreger eingesetzt werden. Ketoconazol wurde durch die neueren Wirkstoffe Itraconazol und Fluconazol abgelöst. Diese werden bei schwe− ren Pilzinfektionen (Candidose, Cryptokokkose, Histoplasmose, Aspergillose) eingesetzt. Amphote− ricin B ist die wirksamste Substanz bei schwersten Systemmykosen. Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 11.3. Da Azolantimykotika teratogen sind, ist ihre An− wendung in der Schwangerschaft kontraindiziert. Amphotericin B ist bei schweren Leber− und Nie− renfunktionsstörungen sowie in Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. Pharmakokinetik: Die neueren Azolantimykoti− ka werden langsamer eliminiert als Ketoconazol (s. Tab.). Ketoconazol und Itraconazol werden fast vollständig durch CYP 3A4 hepatisch metabolisiert und hauptsächlich biliär eliminiert, Fluconazol da− gegen wird zu über 80 % unverändert renal ausge− schieden. Amphotericin B verfügt über eine schlechte Gewe− begängigkeit und liegt zu ca. 95 % proteingebunden vor. Die EHWZ beträgt initial 24 Stunden, nach langer Behandlung jedoch bis zu 15 Tage durch langsame Freisetzung aus den Geweben. Applikationsform: Man unterscheidet Azolanti− mykotika zur lokalen Behandlung, wie Clotrima− zol, Bifonazol, Isoconazol, und oral applizierbare Azolantimykotika, wie Ketoconazol, Itraconazol, Fluconazol. Amphotericin B wird oral nicht resorbiert und liegt deshalb zur intravenösen, intrathekalen, intralum− balen oder topischen Behandlung vor. Pharmakokinetik systemisch anwendbarer Azolderivate
Wirkstoff
Protein− EHWZ bin− (Stun− dung den) (%)
Renale Ausschei− dung (%)
Ketoconazol
99
7–10
2
Itraconazol
99,9
17
,1
Fluconazol
11
30
. 80
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Charakteristika der Antimykotika Flucytosin, Caspofungin und Griseofulvin Liposomale Zubereitungen von Wirkstoffen Nephrotoxische Medikamente
Fall 11 Seite 12
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Fall 12
Nichtsteroidale Antiphlogistika
12.1 Welche Analgetika stehen Ihnen zur Be− handlung des Patienten zur Verfügung? K Nichtopioidanalgetika: hemmen zumeist die Entstehung der Schmerzmediatoren, interagie− ren nicht mit Opioidrezeptoren – Saure antipyretisch−antiphlogistische Analgetika: z. B. Acetylsalicylsäure, Ibu− profen, Diclofenac – Nichtsaure antipyretische Analgetika: z. B. Paracetamol, Metamizol – Ohne chemische Klassifizierung (selekti− ve COX−2−Inhibitoren): z. B. Celecoxib – Analgetika ohne antipyretische−antiphlo− gistische Wirkung: Flupirtin, Nefopam K Opioidanalgetika: hemmen die zentrale Schmerzleitung und −verarbeitung (s. Fall 23)
12.3 Was versteht man unter Analgetika−
12.5 Dürfen NSAID in der Schwangerschaft angewendet werden? K Strenge Indikation im 1. und 2. Trimenon nach Nutzen−Risiko−Abwägung K Kontraindikation im 3. Trimenon: – Prostaglandine wirken physiologisch vaso− dilatierend auf den Ductus arteriosus Bo− talli R Hemmung der Prostaglandinsynthe− se birgt die Gefahr des vorzeitigen Ver− schlusses in der Spätschwangerschaft – Gefahr vermehrter Nachblutung post par− tum durch Hemmung der Thrombozytenag− gregation (z. B. bei Einnahme von Acetylsa− licylsäure)
12 Antworten und Kommentar
Asthma“? K Definition: Überempfindlichkeitsreaktion auf Acetylsalicylsäure und die meisten anderen NSAID K Epidemiologie: Auftreten bei bis zu 10 % der mit NSAID Behandelten K Pathogenese: Hemmung der Cyclooxygenase (COX) führt zur Verminderung der bronchodi− latatorisch wirkenden Prostaglandine und Ver− mehrung der bronchokonstriktorisch wirken− den Leukotriene durch vermehrte Lipoxygena− seaktivität K Klinik: oft schwerer therapierefraktärer Ver− lauf eines Asthma bronchiale
127
Fall
12.2 Welche Wirkstoffe eignen sich als Ma− genschutz“ während einer NSAID−Therapie? K Protonenpumpeninhibitoren: z. B. Omeprazol 1 3 20 mg/d K Histamin−H2−Rezeptorantagonisten: z. B. Ra− nitidin 1 3 150 mg/d K Prostaglandin−E1−Analoga: Misoprostol 3 3 200 mg/d
12.4 Nennen Sie die Isoformen der Cyclooxy− genase und deren Charakteristika! Durch welche Wirkstoffe werden sie gehemmt? K Cyclooxygenase 1 (COX−1): – Konstitutiv exprimiertes Enzym – Katalysiert die physiologische Synthese von Prostaglandinen (z. B. in Magen, Thrombo− zyten, Niere) – Nichtselektive COX−Inhibitoren (z. B. Ace− tylsalicylsäure, Indometacin, Diclofenac) hemmen in therapeutischer Dosierung die COX−1− und COX−2−Isoformen – Diese Hemmung verursacht unerwünschte Wirkungen in COX−1−exprimierenden Orga− nen (z. B. gastrointestinale Störungen) K Cyclooxygenase 2 (COX−2): – Konstitutiv exprimiert in Niere, Uterus, En− dothel und ZNS – Wird durch verschiedene Faktoren schnell induziert (z. B. Zytokine) und bei Entzün− dungen, Schmerzreaktionen und Gewebe− schädigungen verstärkt exprimiert – Selektive COX−2−Inhibitoren (z. B. Celeco− xib) hemmen mit einer 100−fach höheren Affinität die COX−2 – Hemmung der physiologischen COX−2−Akti− vität bei Wundheilung, Ulkusheilung, Ovu− lation, Nidation hat z. T. unerwünschte Wirkungen K Cyclooxygenase 3 (COX−3): – Konstitutiv exprimiert im Gehirn – Evtl. Zusammenhang mit der analgetischen und antipyretischen Wirkung von Parace− tamol (zentrale Wirkung)
KOMMENTAR Nichtsteroidale Antiphlogistika Definition: (NSAID; Syn. nichtsteroidale Antirheumatika, NSAR) sind antiphlogistisch−antirheumatisch wirksame Derivate organischer Säuren. Sie werden in die Klasse der Nichtopioidanalgetika (Syn. pe− riphere Analgetika) eingeteilt.
Typische Wirkstoffe: s. Antworten zu Fragen 12.1 und 12.4. Die gebräuchlichsten Wirkstoffe in der Gruppe der nichtselektiven NSAID umfassen Deri− vate der Arylpropionsäure (z. B. Ibuprofen), der Arylessigsäure (z. B. Diclofenac, Indometacin) oder Oxicamderivate (z. B. Piroxicam, Meloxicam).
Fall 12 Seite 13
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Zu den selektiven COX−2−NSAID (Coxibe“) gehö− ren z. B. Celecoxib oder Parecoxib.
128
Fall
12
Wirkungsmechanismus: NSAID greifen in die Prostaglandinbiosynthese durch Hemmung der Cyclooxygenase (COX) ein. Die physiologische Wirkung der COX besteht in der Zyklisierung der Arachidonsäure in zyklische Endoperoxide, die Vorstufen von Prostaglandinen, Thromboxan A2 und Prostacyclin sind. Prostaglandine sind an der Entstehung von Schmerz und Fieber sowie an Ent− zündungsreaktionen beteiligt. Prostaglandin E2 wirkt über eine vermehrte Schleim− und Bikarbo− natbildung im Magen protektiv. Das von den Blut− plättchen gebildete Thromboxan A2 fördert die Thrombozytenaggregation, während das vom En− dothel synthetisierte Prostacyclin diese hemmt und vasodilatativ wirkt. Die Unterscheidung der Isoenzyme COX−1 und COX−2 hat geholfen zwischen den physiologischen und den pathophysiologisch induzierten Funktio− nen der COX zu unterscheiden (s. Antwort zur Fra− ge 12.4). Ziel der Entwicklung selektiver COX−2− NSAID war, die Bildung der entzündungsvermit− telnden Prostaglandine zu reduzieren, ohne dabei die Bildung der zellprotektiven (COX−1−spezifisch) Prostaglandine zu beeinflussen. Auch die COX−2 ist an physiologischen Adaptationsvorgängen betei− ligt.
Antworten und Kommentar
Wirkung: Die NSAID besitzen dosisabhängig v. a. analgetische und antiphlogistische, in geringerem Maße auch antipyretische Wirkungen. Unerwünschte Wirkungen: Die Verminderung des Prostaglandin E2 durch nichtselektive NSAID kann zu gastrointestinalen Störungen (z. B. Übel− keit, Sodbrennen, Dyspepsie), Erosionen im Gas− trointestinaltrakt bis hin zu Ulzerationen, Blutun−
gen und Perforationen führen. Dies ist durch die Synthesehemmung des zytoprotektiven Prosta− glandin E2 bedingt. Beschrieben sind Nierenfunktionsstörungen mit Na+− und Wasserretention. Durch Synthesehem− mung von Thromboxan A2 in den Thrombozyten wird die Thrombozytenaggregation gehemmt. Zentralnervöse Symptome (z. B. Schwindel, Mü− digkeit, Kopfschmerzen) und eine Abnahme der Uterusmotilität können auftreten. Überempfind− lichkeitsreaktionen, wie Hautreaktionen und Analgetika−Asthma“, können bei Prädisponierten durch alle NSAID hervorgerufen werden (s. Ant− wort zur Frage 12.3). Die selektiven COX−2−NSAID weisen geringere gas− trointestinale Nebenwirkungen auf; bei längerfri− stiger oder bei kombinierter Einnahme mit nied− rigdosierter Acetylsalicylsäure treten diese Neben− wirkungen aber ebenso häufig auf. Eine nachgewiesene Erhöhung der Herzinfarktrate durch Rofecoxib hat zu einer Marktrücknahme die− ses Wirkstoffes geführt. Wechselwirkungen: Die gleichzeitige Gabe nichtselektiver NSAID mit Glukokortikoiden er− höht die Gefahr gastrointestinaler Komplikatio− nen deutlich. Durch Verdrängung aus der Plasma− proteinbindung wird die blutzuckersenkende Wirkung von oralen Antidiabetika (Sulfonylharn− stoffe) und die gerinnungshemmende Wirkung von Kumarinderivaten gesteigert. Die Elimination des Zytostatikums Methotrexat wird verlangsamt und damit seine Toxizität erhöht. Nichtselektive NSAID verringern die urikosurische Wirkung von Probenecid und verzögern gleichzeitig ihre eigene Ausscheidung; die kombinierte Gabe mit Diuretika schwächt deren Wirkung. Ferner verzögern nicht− selektive NSAID die Ausscheidung von Lithiumio−
Prostaglandinbiosynthese und ihre Hemmung
Fall 12 Seite 13
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Dosierung und Pharmakokinetik einiger NSAID
Acetylsalicylsäure
Einzeldosis (mg)
Orale Bioverfügbarkeit (%)
EHWZ (Stunden)
500–1000
50
0,25
Indometacin
25–50
ca. 100
2
Diclofenac
50
ca. 50
1,5
Ibuprofen
200–400
100
2
Piroxicam
20
ca. 100
40 (variabel)
Lornoxicam
4–12
90–100
4–10
Celecoxib
100–200
60–80
11
Indikationen: NSAID sind bei unterschiedlichen Schmerzzuständen, wie Kopf− und Zahnschmer− zen, Migräne, Fieber, Skelett− und Muskelschmer− zen, akuten Gichtanfällen, Schmerzen bei Gelenk− entzündung und −degeneration und Trauma− schmerzen wirksam. NSAID können nach dem WHO−Stufenplan zur Behandlung leichter bis star− ker Dauerschmerzen eingesetzt werden (s. Fall 47). Indometacin wird zum medikamentösen Ver− schluss eines nach der Geburt persistierenden Ductus arteriosus Botalli eingesetzt (s Antwort zur Frage 12.5).
Pharmakokinetik: Die meisten NSAID werden rasch und gut resorbiert. Zu beachten sind die unterschiedlichen EHWZ (s. Tab.). Applikationsform: Alle NSAID sind für die sys− temische Anwendung in oraler und z. T. in rektaler sowie parenteraler Zubereitung verfügbar, teilwei− se auch in retardierter Form (z. B. Diclofenac). Zur lokalen Anwendung stehen Cremes, Gele oder Pflaster zur Verfügung.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Opioidanalgetika Therapie von Duodenal− und Magenulzera Nichtsaure antipyretische Analgetika
Fall 13
129
13 Antworten und Kommentar
Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 12.5. Aufgrund der unerwünschten Wirkungen sind nichtselektive NSAID bei Patienten mit Magen− Darm−Ulzera, Asthma bronchiale und hämor− rhagischer Diathese kontraindiziert. Bei schweren Leber− und Nierenschäden ist eine ausführliche Nutzen−Risiko−Abwägung vorzunehmen. Aufgrund der begrenzten Langzeiterfahrung gelten für die selektiven COX−2−NSAID dieselben Kontra− indikationen wie für die nichtselektiven NSAID.
Fall
nen und vermindern den antihypertensiven Effekt von ACE−Hemmern. Das Wechselwirkungsspektrum der selektiven COX−2−NSAID umfasst eine verlängerte Blutungs− zeit bei den oralen Antikoagulanzien, eine Wir− kungsminderung der Diuretika und ACE−Hemmer sowie eine Beeinflussung der Plasmaspiegel ver− schiedener über CYP−Isoenzyme metabolisierter Wirkstoffe (z. B. Dextromethorphan, trizyklische Antidepressiva).
Orale Antidiabetika/Sulfonylharnstoffe
13.1 Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der Sulfonylharnstoffe! K Pankreatisch: Förderung der Insulin−Inkre− tion aus den B−Zellen des Pankreas durch Blockade eines ATP−abhängigen Kaliumkanals R K+−Ausstrom Q R Depolarisation R Ein− strom von Kalzium durch spannungsabhängi−
ge Kalziumkanäle R Exozytose der Insulin− speichervesikel K Extrapankreatisch (bisher nicht bewiesen): hepatische Glukoseproduktion Q; Insulinre− zeptor−Downregulation Q; Sensibilität der In− sulinrezeptoren q
Fall 13 Seite 14
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K Toxische Leberschädigung mit Hepatitis und Cholestase K Blutbildveränderungen (z. B. Thrombozytope− nie, Leukopenie, Agranulozytose) K Hyponatriämie durch Wasserretention K Alkoholunverträglichkeit (Antabus−Syndrom) K Strumigene Wirkung durch Hemmung der Schilddrüsenhormonsynthese
Zelluläre Wirkung der Sulfonylharnstoffe
130
13.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen! K Hypoglykämie K Gewichtszunahme K Gastrointestinale Störungen K Allergische und toxische Hautreaktionen
13.3 Welche weiteren Antidiabetika kennen Sie, und wie wirken diese auf das Körperge− wicht? K Keine Zunahme des Körpergewichts: Bigua− nide, Acarbose K Zunahme des Körpergewichts: Glitazone, In− sulin 13.4 Welche Maßnahmen eignen sich zur Be− handlung einer Hypoglykämie? K Leichte Hypoglykämie: Fruchtsaftgetränk, 4 Plättchen Dextrose K Schwere Hypoglykämie: 40 ml Glukose 40 % i. v.; Glukagon 1 mg s.c. oder i.m.
KOMMENTAR
Fall
13
Definition: Orale Antidiabetika sind Substanzen mit einer antidiabetischen Wirkung. Hierzu zählen Sulfonylharnstoffe, Biguanide, a−Glukosidasehem− mer, Glinide und Glitazone.
Antworten und Kommentar
Typische Wirkstoffe: Sulfonylharnstoffe wur− den aus den Sulfonamiden entwickelt. Die am häu− figsten eingesetzte Substanz ist Glibenclamid. Weitere Vertreter sind Tolbutamid, Glibornurid, Gliquidon und Glimepirid. Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 13.1. Die Sulfonylharnstoffe bewirken eine Sensi− bilisierung der B−Zellen gegenüber physiologi− schen Inkretionsreizen. Wirkung: Sulfonylharnstoffe senken erhöhte Blutglukosekonzentrationen unter der Vorausset− zung, dass Glukose im Blut vorhanden ist und dass Insulin produziert wird, d. h. sie sind bei fehlender Insulinproduktion (Diabetes mellitus Typ I) un− wirksam. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 13.2. Glibenclamid verfügt über eine starke blut− zuckersenkende Wirkung, ist aber schlecht steuer− bar. Dies birgt die Gefahr einer Hypoglykämie v. a. dann, wenn entweder ein vermehrter Glukosever− brauch (z. B. ungewohnte körperliche Arbeit) oder eine verminderte Kohlenhydrataufnahme vorlie− gen (z. B. Nahrungskarenz bei Infektionen). Die kürzer wirkenden Sulfonylharnstoffe Glibornurid und Glisoxepid lösen seltener Hypoglykämien aus. Wechselwirkungen: Kumarine, Sulfonamide und nichtsteroidale Antiphlogistika, die stark an Eiwei− ße gebunden werden, können die Sulfonylharn− stoffe aus der Plasmaproteinbindung verdrängen
und somit zu einer Wirkungsverstärkung führen. Die gleichzeitige Anwendung von b−Rezeptoran− tagonisten, die die glukosemobilisierende Wir− kung des Adrenalins unterbinden, birgt die Gefahr protrahierter Hypoglykämien mit evtl. tödlichem Ausgang. Glukokortikoide, Diuretika, Schilddrü− senhormone, Kontrazeptiva und Sympathomime− tika vermindern die Wirksamkeit der Sulfonyl− harnstoffe. Indikationen: Orale Antidiabetika sind bei nor− malgewichtigen Typ−II−Diabetikern indiziert, können aber auch bei leicht Übergewichtigen ein− gesetzt werden, wenn eine Änderung der Lebens− führung nicht erfolgreich ist oder nicht durchge− setzt werden kann. Eine Kombination mit ande− ren Antidiabetika oder Insulin ist prinzipiell möglich. Kontraindikationen: Kontraindiziert sind Sulfo− nylharnstoffe bei Diabetes mellitus Typ I, Azidose, diabetischem Präkoma oder Koma, Infektionen, Le− ber− oder Niereninsuffizienz, Schilddrüsenerkran− kungen, Narkosen, Operationen, Sulfonamidaller− gien und während Schwangerschaft und Stillzeit. Bei verstärkter Adipositas (Typ II = BMI: 30–40 kg/ m2) besteht eine relative Kontraindikation. Pharmakokinetik: Die pharmakokinetischen Charakteristika (s. Tab.) sind bei der Auswahl eines Sulfonylharnstoffs für die Therapie zu berücksich− tigen. Die Sulfonylharnstoffe werden nach oraler Gabe gut resorbiert. Im Plasma liegen sie meist an Eiweiß gebunden vor (z. B. Glibenclamid 99 %). Tol− butamid, ein Sulfonylharnstoffderivat der ersten Generation, ist schwach wirksam, daher müssen vergleichsweise hohe Dosen gegeben werden. Gli−
Fall 13 Seite 14
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Dosierung und Pharmakokinetik einiger Sulfonylharnstoffe
Wirkstoffe
Tagesdosis (mg)
EHWZ (Stunden)
Renale/biläre Ausscheidung (%)
Tolbutamid
500–1000
5
90/10
Glibenclamid
3,5–10,5
2–5
50/50
Glibornurid
12,5–75
8
65/35
Glimepirid
1–6
5–6
62/38
Glisoxepid
2–16
2
75/25
Gliquidon
12–120
1,5
5/95
benclamid ist am stärksten wirksam und besitzt eine therapeutische Breite, die geringer ist als die von Tolbutamid. Applikationsform: Sulfonylharnstoffe werden in Tablettenform verabreicht, die Tagesdosis ist ab−
hängig von der jeweiligen Wirksamkeit. Insbeson− dere Glibenclamid bedarf einer vorsichtigen Do− sierung, oft ist eine Dosisreduktion nach Eintreten der optimalen Wirkung nach wenigen Tagen nötig.
131
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Charakteristika der Glinide Wirkungsmechanismus der Acarbose Wirkungen der Glitazone
H1−Antihistaminika
14.1 Welche Optionen für die Behandlung einer allergischen Rhinokonjunktivitis haben Sie? Was müssen Sie dabei beachten? K Akut: – H1−Antihistaminika: systemisch (oral) – a−Rezeptoragonisten: topische Anwendung (Nasenspray) von Imidazolin−Derivaten (z. B. Naphazolin, Oxymetazolin, Xylometa− zolin); cave: Gefahr der Arzneimittel−Rhini− tis (Privinismus“) K Prophylaktisch: – Cromoglycinsäure: inhalativ oder topisch (Nasenspray, Augentropfen) – Glukokortikoide: topisch oder oral (cave: unerwünschte Wirkungen) K Längerfristig: – Hyposensibilisierung: schrittweise Herab− setzung der Empfindlichkeit durch Gabe stark verdünnter Allergenextrakte 14.2 Nennen Sie Indikationen für die H1−Anti− histaminika! Indikationen aufgrund ihrer Rezeptorspezifität: K Verminderung der Histaminwirkung bei: Konjunktivitis, Rhinitis allergica, Urtikaria, Pruritus
K Durch zentralnervöse antihistaminerge Wir− kung Einsatz als: Sedativum, Hypnotikum K Durch zentralnervös wirksame anticholinerge und antiserotoninerge Eigenschaften Einsatz als: Antiemetikum (Reisekinetosen)
14.3 Wodurch kann eine Histaminfreisetzung auch ausgelöst werden? Freisetzung von Histamin aus Mastzellen durch basische Histaminliberatoren: K Bienen− und Wespengifte K Analgetika (Morphin, Pethidin) K Muskelrelaxanzien ((+)−Tubocurarin, Alcuroni− um, Suxamethonium) K Narkotika (Thiopental) K Chemotherapeutika (Chloroquin) K Jodhaltige Röntgenkontrastmittel
Antworten und Kommentar
Fall 14
14
14.4 Erläutern Sie den Signaltransduktionsweg nach Aktivierung von H1−Rezeptoren! H1−Histaminrezeptoren sind Gq−Protein−gekop− pelte Rezeptoren, deren Aktivierung zur Stimula− tion der Phospholipase C führt. Diese setzt Ino− sit−l,4,5−trisphosphat (IP3) und Diacylglycerin (DAG) aus Membranphospholipiden frei. DAG be− wirkt eine Aktivierung der Proteinkinase C, IP3
Fall 14 Seite 15
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führt zur Bildung von Ca2+−Calmodulin und Phos− phorylierung des Myosins, was zusammen eine Kontraktion glatter Muskelzellen in Bronchien und Darm bewirkt. Durch die Ca2+−abhängige Bil− dung von Stickstoffmonoxid (NO) in Endothelzel− len wird eine Relaxation von glatten Muskelzel− len und nachfolgende Gefäßdilatation ausgelöst.
K Ursache: – Terfenadin besitzt potenziell arrhythmoge− ne Wirkungen durch K+−Kanal−Blockade – Anreicherung durch verzögerten hepatobi− liären Abbau durch CYP 3A4 bei Leberfunk− tionsstörungen, Elektrolytverschiebung oder Komedikation von z. B. Azolantimyko− tika oder Makrolidantibiotika
!!! 14.5 Durch welche teilweise todlich verlau− fende Wechselwirkung ist das H1−Antihistami− nikum Terfenadin aufgefallen? K Torsade−de−pointes−Tachykardien: polymor− phe Kammertachykardien mit charakteristi− schem EKG−Bild (s. Abb.) Torsade−de−pointes−Tachykardie
KOMMENTAR
132
14
Definition: H1−Antihistaminika sind kompetitive Hemmstoffe der Histamin−Wirkung an Histamin− H1−Rezeptoren.
Antworten und Kommentar
Fall
Krankheitsbild allergische Rhinokonjunktivi− tis: Die Symptome der allergischen Rhinokon− junktivitis sind Ausdruck einer allergischen Reak− tion vom Typ I (Soforttyp). Sie wird durch eine Immunglobulin−E−abhängige Freisetzung von His− tamin und anderen Mediatoren aus Gewebemast− zellen und basophilen Leukozyten vermittelt.
Typische Wirkstoffe: Zu den H1−Antihistaminika der 1. Generation gehören Diphenhydramin, Keto− tifen, Dimetinden und Doxylamin, zu den H1−Anti− histaminika 2. Generation werden Terfenadin, Fe− xofenadin, Loratadin, Cetirizin und Azelastin ge− rechnet. Wirkungsmechanismus: 14.2.
s. Antwort zur Frage
Wirkung: H1−Antihistaminika antagonisieren die Wirkung von Histamin, die über H1−Rezeptoren vermittelt werden: Blutdruckabfall durch Vasodi− latation der Arteriolen und Erhöhung der Kapil− larpermeabilität mit Übertritt von Plasmaprotei− nen, Plasmawasser und zellulären Blutbestandtei− len in das Gewebe (Ödembildung), Leukozytenmi− gration durch Bildung von Adhäsionsproteinen (Selektinen) an der Oberfläche der Endothelzellen (Entzündungsreaktion), Kontraktion der glatten Muskulatur von Bronchien und Darm, Juckreiz durch Stimulation afferenter sensorischer Neuro− ne. Die Antihistaminika der 1. Generation sind lipo− phil, daher ZNS−gängig und besitzen eine zusätz− liche anticholinerge und antiserotoninerge Wir− kung; so wirken z. B. Meclozin oder Diphenhydra− min antiemetisch oder Promethazin neuroleptisch. Über die Hemmung zentraler H1−Rezeptoren wir− ken diese Antihistaminika sedierend. Antihistami− nika der 2. Generation sind nicht ZNS−gängig; bei einigen (z. B. Azelastin, Cetirizin, Ketotifen) konnte
aber ein mastzellstabilisierender Effekt nachge− wiesen werden. Unerwünschte Wirkungen: H1−Antihistaminika der 1. Generation haben einen zentral dämpfenden Effekt, der das Reaktionsvermögen einschränkt und die Fahrtüchtigkeit, v. a. im Zusammenhang mit Alkohol, verringert. Weiterhin können gas− trointestinale Störungen, Mundtrockenheit, Mikti− onsstörungen, Glaukomauslösung sowie Arrhyth− mien, durch die anticholinergen Eigenschaften der klassischen H1−Antihistaminika auftreten. Die topische Applikation kann vorübergehend zu lo− kalen Reizungen (z. B. Brennen) führen. Wechselwirkungen: s. Antwort zur Frage 14.4. Die Wirkung von Analgetika, Hypnotika, Narko− tika, zentraldämpfenden Psychopharmaka und Alkohol kann durch sedierende H1−Antihistamini− ka verstärkt werden. Die anticholinerge Wirkung von Parasympatholytika und einiger Antidepres− siva wird durch H1−Antihistaminika intensiviert. Indikationen: s Antwort zur Frage 14.2. H1−Anti− histaminika sind indiziert beim Quincke−Ödem, Serumkrankheit, Arzneimittel−, Kontrastmittel− und Nahrungsmittelallergien sowie Insektensti− chen. Kontraindikationen: Kontraindikationen beste− hen bei Patienten mit manifesten Herzerkrankun− gen oder Leberfunktionsstörungen sowie mit gleichzeitiger systemischer Behandlung mit Mak− rolidantibiotika oder Azolantimykotika (s. Antwort zur Frage 14.5). H1−Antihistaminika mit anticholi− nergen Wirkungen sind bei Engwinkelglaukom und Prostatahypertrophie kontraindiziert. Bei Pa− tienten mit Niereninsuffizienz ist mit erhöhten Se− rumspiegeln zu rechnen. Pharmakokinetik: H1−Antihistaminika werden bei oraler Gabe rasch und gut resorbiert. Die meisten Verbindungen unterliegen in der Leber einer ausgeprägten Biotransformation und werden
Fall 14 Seite 15
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v. a. in Form von hydrophilen Metaboliten renal eliminiert. Die Exkretion von Cetirizin und Fexofe− nadin verläuft dagegen ohne vorangehende Meta− bolisierung. Die lipophilen H1−Antihistaminika der 1. Generation penetrieren die Blut−Hirn−Schranke. Bei einem Teil der neueren Substanzen begrenzt die rasche und weitgehende Biotransformation zu hydrophilen, aber noch immer H1−wirksamen Me− taboliten die Möglichkeit zur Überwindung der Blut−Hirn−Schranke.
Applikationsform: Bei schweren allergischen Re− aktionen, insbesondere bei allergisch bedingtem Schock, besteht die Möglichkeit der intramuskulä− ren oder intravenösen Injektion der H1−Antihista− minika der 1. Generation. Daneben können die Substanzen oral und topisch appliziert werden (z. B. Dimentiden bei Hautjucken). H1−Antihistami− nika der 2. Generation liegen hauptsächlich in oral einsetzbarer Galenik vor.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN H2−Rezeptorantagonisten Mastzellstabilisatoren Cytochrom P450−System
Fall 15
Inhalationsnarkotika
15.1 Was ist das Ziel einer Narkose, und durch
15.3 Nennen Sie Eigenschaften und un− erwünschte Wirkungen von Lachgas! K Eigenschaften: gut analgetisch, schlecht hyp− notisch, nicht muskelrelaxierend K Unerwünschte Wirkungen: – Diffusion in gasgefüllte Räume und Kör− perhöhlen mit daraus resultierender, kli− nisch relevanter Volumenzunahme (z. B. im Mittelohr, Pneumoenzephalus nach Pneu− moenzephalografie, Spannungspneumotho− rax bei nichtdrainiertem Pneumothorax, Pneumoperitoneum) – Vasokonstriktion vermittelt über periphe− re a−Rezeptoren
15.5 Nennen Sie die Eigenschaften von Succi− nylcholin? Wofür wird es verwendet? K Succinylcholin (Syn. Suxamethonium) ist das einzige depolarisierende Muskelrelaxans: – Bindet an nikotinische Acetylcholinrezep− toren – Da Succinylcholin im Gegensatz zu Acetyl− cholin nur durch die Pseudocholinesterase gespalten wird, verlängert sich die Depola− risation der postsynaptischen Membran – Lähmung der quergestreiften Muskulatur, die nach einer Dosis von 1 mg/kg KG i. v. in− nerhalb von 30–60 Sekunden eintritt und nur 3–5 Minuten anhält K Verwendung: Muskelrelaxierung bei der In− tubation
15 Antworten und Kommentar
15.2 Welche 2 Gruppen von Narkotika werden unterschieden? K Inhalationsnarkotika: pulmonale Anwen− dung, z. B. Isofluran, Lachgas K Injektionsnarkotika: intravenöse Anwendung, z. B. Thiopental, Propofol
15.4 Was versteht man unter Neuroleptanal− gesie? K Kombinierte Anwendung eines stark wirken− den Analgetikums (z. B. Fentanyl) mit einem geeigneten Neuroleptikum (z. B. Droperidol) K Wirkung: Zustand der Analgesie, der vegetati− ven Dämpfung und psychischen Indifferenz
133
Fall
welche Substanzen wird dies erreicht? K Bewusstseinsverlust: Kombinationsnarkose mit Inhalations− und Injektionsnarkotika K Analgesie: Lachgas, Opioidanalgetika K Muskelrelaxation: Pancuronium, Succinylcho− lin K Vegetative Stabilisierung: Atropin, Esmolol
– Reduzierte Reflexaktivität in Pharynx und Larynx – Vitamin−B12−Mangel bei längerer Expositi− on mit perniziöser Anämie (Oxidierung des Co2+−Atoms)
KOMMENTAR Definition: Narkose ist ein medikamentenindu− zierter reversibler Zustand, in dem operative Ein− griffe bei Bewusstlosigkeit ohne Schmerzempfin− dung, vegetative oder muskuläre Abwehrreaktio− nen durchgeführt werden können.
Typische Wirkstoffe: Inhalationsnarkotika, die sich im klinischen Gebrauch befinden, sind das Gasnarkotikum Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O), die flüssigen halogenierten Ether Enfluran, Isofluran, Sevofluran und Desfluran sowie der halogenierte Kohlenwasserstoff Halothan. Di−
Fall 15 Seite 16
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ethylether (Äther) wird wegen seiner ExpIosivität, Brennbarkeit und Lebertoxizität nicht mehr be− nutzt.
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Fall
15
Wirkungsmechanismus: Inhalationsanästhetika wirken über eine reversible Hemmung der neuro− nalen Aktivität in verschiedenen Regionen des ZNS. Die Narkosetheorie geht von mehreren Me− chanismen aus: K 1. Aufgrund der Lipophilie der Inhalations− anästhetika kommt es zellulär zu einer Anreicherung und somit Veränderung der physikalisch−chemischen Eigenschaften der neuronalen phospholipidhaltigen Plasma− membran; K 2. Inhalationsanästhetika lagern sich in die hydrophoben Bereiche von Ionenkanalpro− teinen der Nervenzellen ein und behindern somit die synaptische Übertragung. Man geht davon aus, dass ligandenaktivierte Ionenkanä− le (z. B. nikotinische Acetylcholin−, Glutamat−, Serotoninrezeptoren) Zielstruktur der Inhalati− onsnarkotika sind. Wirkung: s. Antwort zur Frage 15.1. Inhalations− narkotika reduzieren die Nozizeption und führen somit zur Analgesie; sie bewirken eine Bewusst− losigkeit, vermindern die Abwehrreflexe und füh− ren zur Muskelrelaxation.
Antworten und Kommentar
Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 15.3. Alle angeführten Inhalationsnarkotika wirken atemdepressiv und machen somit eine assistier− te/kontrollierte Beatmung erforderlich; die post− operative Atemdepression ist jedoch gering. Halothan hat eine kreislaufdepressive Wirkung, Herzrhythmusstörungen können durch eine Empfindlichkeitssteigerung gegenüber Katechol− aminen auftreten. Die Abbauprodukte können in− folge toxischer oder allergischer Reaktionen eine Leberschädigung hervorrufen. Enfluran ist we− sentlich stoffwechselstabiler; Herz und Kreislauf werden weniger beeinflusst, jedoch erhöht es die Krampfneigung bei prädisponierten Patienten. Isofluran wirkt weniger stark reduzierend auf das Herzzeitvolumen, senkt aber durch Vasodilatation den Blutdruck und kann die Koronarperfusion bis hin zur Ischämie reduzieren. Desfluran und Sevo− fluran sind neuentwickelte Inhalationsnarkotika, die ähnliche kardiovaskuläre Wirkungen besitzen wie Isofluran und kaum biotransformiert werden. Wechselwirkungen: Halothan verlängert die Wir− kung von stabilisierenden Muskelrelaxanzien. Lachgas kann einen additiven Narkoseeffekt zu− sammen mit dem Injektionsnarkotikum Ketamin bewirken, der auf die gleichzeitige Hemmung des N−Methyl−D−Aspartat−Typs der Glutatamatrezep− toren durch beide Substanzen zurückzuführen ist. Indikationen: Inhalationsnarkotika können zur Narkoseeinleitung und zur Aufrechterhaltung der Narkose eingesetzt werden. Insbesondere bei
Säuglingen und Kleinkindern kann eine Narkose− einleitung mit Inhalationsnarkotika von Vorteil sein, wenn die Kanülierung einer peripheren Vene am wachen Patienten nicht durchführbar ist oder nicht zumutbar erscheint. Kontraindikationen: Enfluran darf nicht bei Epi− leptikern oder Patientinnen mit Präeklampsie eingesetzt werden. Halothan ist bei Patienten mit Leberschädigung kontraindiziert. Von einer Wie− derholungsnarkose in kurzen Zeiträumen bei Er− wachsenen wird abgeraten, insbesondere nach un− geklärtem Fieber oder Ikterus nach Halothannar− kose. Allgemein ist in Schwangerschaft und Stillzeit die Indikation streng zu stellen, im 1. Tri− menon besteht für die angeführten Substanzen ei− ne Kontraindikation. Pharmakokinetik: Die Inhalationsnarkotika sind durch ihr schnelles An− und Abfluten gut steuer− bar. Die Geschwindigkeit des An− und Abflutens ist abhängig von der Löslichkeit des Narkosemittels im Blut. Die Narkose tritt umso schneller ein und klingt umso schneller ab, je kleiner der Blut/Gas− Verteilungskoeffizient ist (s. Tab.). Die Lipidlös− lichkeit korreliert am besten mit der Wirksamkeit; diese wird mit dem Öl/Gas−Koeffizienten be− schrieben (s. Tab.). Je höher die Lipidlöslichkeit ist, umso geringer ist der MAC−Wert (minimale alveoläre Konzentration eines Narkotikums), bei dem ein Reiz (Hautschnitt) bei 50 % der Patienten ohne Reaktion toleriert wird. Physikalische Eigenschaften von Inhalations− narkotika (MAC, minimale alveoläre Konzen− tration bei 1 Atm)
Inhala− Blut/Gas− Öl/Gas− tionsnar− Koeffi− Koeffi− kotikum zient zient
MAC (Vol.−%)
Halothan
2,4
224
0,8
Enfluran
1,8
97
1,7
Isofluran
1,4
91
1,2
Servoflu− ran
0,7
47
1,7
Desfluran 0,4
19
6,0
Lachgas
1,4
105
0,5
Applikation: Inhalationsnarkotika werden mit Hilfe spezieller Rückatmungs−Narkosesysteme ap− pliziert. Der Frischgasfluss kann in Hochfluss (, 2 l/min) oder Niedrigfluss (, 0,5–1 l/min) eingestellt werden. Je niedriger die Flussrate ist, desto länger dauern Ein− und Auswaschprozesse und desto we− niger Narkotikum muss zugeführt werden.
Fall 15 Seite 16
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Muskelrelaxanzien (depolarisierend, nichtdepolarisierend) Injektionsnarkotika Pramedikation
Fall 16 16.1 Nennen Sie Indikationen für Lithium! K Akuttherapie von Manien K Phasenprophylaxe bei rezidivierenden bipola− ren und unipolaren affektiven Störungen K Wirkungsverstärkung von Antidepressiva bei therapieresistenten Depressionen K Langzeitprophylaxe affektiver Störungen mit Suizidgefahr
16.4 Warum und wie wird bei der Behandlung mit Lithium ein sog. therapeutisches Drugmo− nitoring durchgeführt?
16.5 Wie äußern sich toxische Nebenwirkun− gen und wodurch werden sie begünstigt? Welche Maßnahmen sind bei einer Lithiumin− toxikation zu ergreifen? K Toxische Nebenwirkungen werden begünstigt durch Natrium− und Kaliummangel durch: Dehydratation, Diäten, fieberhafte Infekte, Nierenerkrankungen, Salu− oder Diuretika K Symptome einer Lithiumintoxikation (. 1,2 mmol/l): Erbrechen, anhaltende Durch− fälle, Schwindel, Apathie, Ataxie, grobschlägi− ger Tremor, Hypotonie, Atemregulationsstö− rungen; in schweren Fällen Krampfanfälle und Koma K Therapie der Intoxikation: Magenspülung, Flüssigkeits− und Elektrolytsubstitution (NaCl), Hämodialyse bei Lithiumserumspiegel . 2 mmol/l oder schwerem klinischem Ver− lauf, forcierte neutrale Diurese
KOMMENTAR Definition: Lithium wird zur Gruppe der sog. Stimmungsstabilisatoren (Syn. Thymoleptika) gerechnet, zu denen auch Carbamazepin mit seiner rezidiv−prophylaktischen Wirkung bei affektiven und schizoaffektiven Psychosen zählt. Typische Wirkstoffe: Zum Einsatz kommen Salze des Lithiumions (Li+), z. B. Lithiumacetat, Lithium− karbonat, Lithium−D,L−hydrogenaspartat. Wirkungsmechanismus: Die genaue Wirkungs− weise von Lithium ist nicht bekannt. Lithium dif− fundiert gut durch Na+−Kanäle in die Zellen, hat aber eine geringe Affinität zu den Na+−Pumpen und wird damit nur in geringem Maße wieder nach extrazellulär transportiert. Dadurch reichert
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16 Antworten und Kommentar
16.3 Darf Lithium in der Schwangerschaft an− gewendet werden? Absolute Kontraindikation: 1. Trimenon (Risiko schwerer Herzmissbildungen), Stillzeit
K Geringe therapeutische Breite von Lithium mit therapeutischem Spiegel von 0,3–1,3 mmol/l K Kontrolle der Lithium−Serumspiegel: initial einmal pro Woche, nach einem Monat alle 4–8 Wochen, möglichst genau 12 Stunden nach der letzten Tabletteneinnahme, ggf. An− passung der Dosis K Zusätzliche Blutspiegelkontrollen: bei kör− perlichen Erkrankungen, nach Elektrolyt− und Flüssigkeitsverlusten (starkes Schwitzen), bei Diäten, nach Beginn einer Behandlung mit Di− uretika
Fall
16.2 Welche unerwünschten Wirkungen kann Lithium verursachen? K Initiale Behandlung – Nervensystem: feinschlägiger Tremor (20 %), Müdigkeit, Muskelschwäche – EKG−Veränderungen (50–75 %) – Gastrointestinaltrakt: Übelkeit, Diarrhö (35 %) – Niere: Durst, Polyurie (12–20 %) durch Hemmung der ADH−Wirkung K Langzeittherapie – Gewichtszunahme (bis 64 % der Fälle) – Entwicklung einer euthyreoten Struma (20 %) – Leukozytose
Lithium
sich Lithium intrazellulär an. Wahrscheinlich be− einflusst Lithium durch eine Verminderung der in− trazellulären K+−Konzentration den Metabolismus von Neurotransmittern in verschiedenen Ab− schnitten des ZNS. Zusätzlich hemmt Lithium die Phosphoinositol−Signaltransduktion und damit die Aktivität der entsprechenden Neuronen. Wirkung: Lithium wirkt antimanisch und besitzt antisuizidale“ Eigenschaften. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 16.2. Auch bei genauer Einstellung des Lithium− spiegels kann es v. a. bei Behandlungsbeginn zu verschiedenen unerwünschten Wirkungen kom− men.
Fall 16 Seite 17
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Wechselwirkungen: Die renale Lithium−Clearan− ce wird durch Saluretika, nichtsteroidale Anti− phlogistika (z. B. Diclofenac, Ibuprofen, Indometa− cin, Ausnahme Acetylsalicylsäure) und ACE−Hem− mer reduziert. Carboanhydrasehemmer (z. B. Acetazolamid) steigern dagegen die renale Exkre− tion von Lithium und vermindern dadurch die Wir− kung. Eine Kombination mit Neuroleptika führt vermutlich zu einer verstärkten Neuro− und Neph− rotoxizität. Lithium sollte ca. 48 Stunden vor Beginn einer Narkose oder Operation wegen der Interaktion mit Muskelrelaxanzien bzw. operationsbedingter Elektrolytverschiebungen mit der Gefahr einer nachfolgenden Lithiumintoxikation abgesetzt wer− den. Indikationen: s. Antwort zur Frage 16.1. Mit dem Wirkungseintritt bei manischen Phasen ist nach etwa 1–2 Wochen zu rechnen, die rezidivprophy− laktische Wirkung tritt erst nach 6–12 Monaten der spiegelkontrollierten Anwendung ein.
Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 16.3. Eine absolute Kontraindikation für Lithium ist das Vorliegen einer Herz− oder Niereninsuffizienz oder Störungen des Natriumhaushalts (z. B. Mor− bus Addison). Pharmakokinetik: Bei oraler Applikation wird Li− thium vollständig resorbiert. Maximale Plasma− konzentrationen von Lithium werden nach 1–3 Stunden erreicht. Die Ausscheidung erfolgt weit− gehend renal. Die Reabsorptionsrate im Tubulus− apparat der Niere hängt vom Na+−Gehalt des Har− nes ab: hohe Lithiumausscheidung bei hoher Na+− Konzentration, niedrige bei niedriger Na+−Kon− zentration. Die EHWZ beträgt etwa 24 Stunden und ist abhängig von Na+−Zufuhr, Nierenfunktion und Lebensalter. Applikationsform: Lithium wird in Tablettenform verabreicht. Retardformen sind verfügbar und ha− ben den Vorteil eines konstanteren Plasmaspie− gels.
136
Fall
17
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Thymoleptika Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite Charakterisierung von Carbamazepin
Antworten und Kommentar
Fall 17
Lokalanästhetika
17.1 Was ist passiert? Warum hat das Lidocain nicht gewirkt? K Lokalanästhetika sind schwache Basen K In wässriger Lösung besteht ein Gleichgewicht zwischen dem dissoziierten wasserlöslichen Kation und der ungeladenen lipophilen Base K Nur die lipophile Base ist in der Lage in die Membranen der Nervenfaser einzudringen, dort entsteht das Kation, das analgetisch wirk− sam ist K Im entzündeten Gewebe liegt aufgrund des niedrigen pH−Wertes schon vor Penetration in die Nerven das Gleichgewicht auf Seiten der Kationen (zunehmende Protonierung der schwachen Base), die aufgrund ihrer positiven Ladung nicht in die Nerven penetrieren kön− nen, wodurch die analgetische Wirkung aus− bleibt 17.2 Beschreiben Sie den Wirkungsmechanis− mus von Lidocain! K Lidocain blockiert intrazellulär spannungsab− hängige Na+−Kanäle von Nervenfasern K Die Na+−Permeabilität kann nicht erhöht wer− den, es erfolgt keine Depolarisation mehr, und das ankommende Aktionspotenzial wird nicht weitergeleitet
otonen on ent ation
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Dissoziation der Lokalanästhetika im Gewebe K Die Schmerzweiterleitung im peripheren Ner− ven wird aufgehoben
Fall 17 Seite 18
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17.3 Welche Anforderungen sind an ein kli− nisch brauchbares Lokalanasthetikum zu stel− len? K Wasserlöslich, sterilisierbar, gewebefreundlich K Rasch einsetzende Schmerzausschaltung K Ausreichend lange Wirkdauer und reversible Wirkung K Rasche Inaktivierung nach Resorption, um sys− temische Toxizität zu vermeiden !!! 17.4 Mit welcher Substanz wurde erstmals eine Lokalanasthesie durchgefuhrt? K Cocain, ein Alkaloid aus Erythroxylum coca
K Erste Lokalanästhesie bei ophthalmologi− schen Operationen
17.5 Warum werden den Lokalanästhetika va− sokonstriktorische Zusätze beigemischt? K Vasokonstriktorische Zusätze sollen den schnellen Abtransport des Lokalanästheti− kums vom Wirkort vermeiden K Synthetische Lokalanästhetika besitzen eher vasodilatative Wirkung (Cocain im Gegensatz wirkt konstriktorisch), d. h. der Zusatz von Va− sokonstriktoren (Adrenalin, Noradrenalin) soll die Anästhesiedauer verlängern
KOMMENTAR Definition: Lokalanästhetika blockieren örtlich begrenzt und reversibel die Schmerzauslösung und −weiterleitung ohne Ausschaltung des Be− wusstseins.
Wirkung: Lokalanästhetika hemmen reversibel die Entstehung und Fortleitung von Aktionspoten− zialen in Nervenfasern. Unerwünschte Wirkungen: Lokalanästhetika blockieren unspezifisch alle spannungsabhängigen Na+−Kanäle. Daher können bei entsprechend ho− hen Lokalanästhetikakonzentrationen Wirkungen auch im ZNS und am Herzen auftreten. ZNS−Stö− rungen äußern sich in Form einer Übererregung durch Hemmung inhibitorischer Neurone z. B. mit Übelkeit, Erbrechen, Rededrang, Unruhe und Angst. Der Effekt hängt vorwiegend von der resor− bierten Gesamtmenge des Lokalanästhetikums ab. Bei einer schweren Vergiftung treten klonische Krämpfe auf, denen Koma und zentrale Atemläh−
Indikationen: Lokalanästhetika können einge− setzt werden bei diagnostischen Eingriffen (z. B. Bonchoskopie), Augenoperationen, kleinen ober− flächlichen chirurgischen Eingriffen, abdominalen Eingriffen unter Th10, in der Extremitätenchirur− gie, Geburtshilfe und als postoperative oder post− traumatische (Dauer−)Analgesie.
17 Antworten und Kommentar
Wirkungsmechanismus: s. Antworten zu Fragen 17.1 und 17.2. Nur die lipidlösliche Substanz ver− mag vom Applikationsort durch die Perineural− scheide und die Zellmembranen der Nervenfasern zu diffundieren.
Wechselwirkungen: Bei Einsatz von Adrenalin oder Noradrenalin als Vasokonstriktoren ist eine Wirkungsverstärkung durch trizyklische Antide− pressiva zu berücksichtigen. Durch die Lokalanäs− thetika ist mit einer Wirkungsverstärkung nicht− depolarisierender Muskelrelaxanzien zu rechnen. Für Propranolol, Diltiazem und Verapamil besteht in Kombination mit Lidocain Kumulationsgefahr.
137
Fall
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 17.4. Ausgehend vom Cocain wurden synthetische Lo− kalanästhetika entwickelt, die zu den sekundären bzw. tertiären Arylaminen zählen. Es sind amphi− phile Substanzen, die einen aromatischen hydro− phoben Anteil besitzen, der über eine kurze Zwi− schenkette mit einer sekundären oder tertiären Aminogruppe verbunden ist. Die Zwischenkette enthält einen Carboxysauerstoff, der einem Ester (z. B. Cocain, Procain, Tetracain) oder einem Säu− reamid (z. B. Lidocain, Prilocain, Mepivacain, Bu− pivacain) angehört.
mung folgen. Am Herzen kann die Blockade der Na+−Kanäle in Membranen des Erregungsleitungs− systems und des Myokards zur Frequenzabnahme, Verlängerung der Überleitungszeit bis hin zum to− talen atrioventrikulären Block mit Kammerstill− stand, zur verminderten Erregbarkeit und vermin− derten Kontraktionskraft führen. Allergische Reaktionen sind nach Gabe von Lokal− anästhetika mit paraständiger Aminogruppe (z. B. Procain) beschrieben. Die Symptome können von leichten Hauterscheinungen bis hin zum anaphy− laktischen Schock reichen. Allergien können auch durch zugesetzte Konservierungsmittel ausgelöst werden. Unerwünschte Wirkungen des Vasokonstriktors Adrenalin sind Tachykardien, Blutdruckanstieg, Ar− rythmien und ischämische Nervenläsionen.
Kontraindikationen: Lokalanästhetika sind bei Überempfindlichkeit, bei Bradykardie und schweren Überleitungsstörungen, Hypovolämie und Schock kontraindiziert. Außerdem sollten Lo− kalanästhetika nicht bei lokalen Entzündungen oder Infektionen am Punktionsort angewendet werden. Pharmakokinetik: Der Wirkungseintritt bei den gebräuchlichsten Lokalanästhetika zur Leitungs− oder Infiltrationsanästhesie beträgt bis zu 10 Mi− nuten. Die Wirkungsdauer ist bei Procain am kür−
Fall 17 Seite 18
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zesten und liegt bei den anderen Substanzen bei 2–4 Stunden. Die Ester−Lokalanästhetika werden im Plasma durch hydrolytische Spaltung, Amin− Lokalanästhetika werden in der Leber durch enzy− matischen Abbau metabolisiert. Die Elimination erfolgt renal. Applikationsform: Bei der Lokalanästhesie wer− den vier verschiedene Formen der Applikation un− terschieden: K Oberflächenanästhesie: von Schleimhäuten (und Wundflächen), das Pharmakon wird auf die Oberfläche aufgebracht und diffundiert zu den sensiblen Rezeptoren und Nerven.
K Infiltrationsanästhesie: das Lokalanästheti− kum wird in das Gewebe injiziert, verteilt sich dort und gelangt an die sensiblen Endorgane und Äste der sensiblen Nerven. K Leitungsanästhesie: das Anästhetikum wird an den Nervenstamm injiziert, so wird die Schmerzleitung im Verlauf des Nervs blockiert (z. B. Plexus brachialis). K Spinal− und Periduralanästhesie (Epidural− anästhesie): zählen zu den rückenmarknahen zentralen Nervenblockaden, bei denen das Lo− kalanästhetikum in den Subarachnoidal− oder Periduralraum eingebracht wird.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
berdosierungen von Lokalanasthetika U Konservierungsmittel Procain als ,,orales Geriatrikum"
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Fall 18
Fall
18
Volumenersatz
Antworten und Kommentar
18.1 Welche Volumenersatzstoffe kennen Sie? K Kristalline Lösungen: – Vollelektrolytlösungen: Ringerlösung, auch mit Laktat oder Glukose – Zweidrittel−, Halb−, Eindrittel−Elektrolytlö− sungen – Isotone Kochsalzlösung 0,9 % – Glukoselösung 5 % K Künstliche kolloidale Lösungen: – Hydroxyethylstärke (HAES) – Dextrane – Gelatine K Natürliche kolloidale Lösungen: – Albuminlösungen 5 % – Pasteurisierte Plasmaproteinlösungen – fresh frozen plasma“ (FFP) K Blutpräparate 18.2 Was ist bei der Anwendung einer Dex− tranlösung zu beachten? K Unerwünschte Wirkung: Auftreten von ana− phylaktischen Reaktionen durch präformierte Antikörper gegen bakterielle oder Nahrungs− mittelpolysaccharide (Häufigkeit ,1 %) K Prophylaxe: routinemäßige Gabe von Dex− tran−1−Lösung (Molekulargewicht , 1000) als
kleinmolekulares Hapten R Dextran−Antikör− per werden gebunden und somit die anaphy− laktische Reaktion weitgehend verhindert
18.3 Was enthält eine Vollelektrolytlösung (Ringerlösung)? Na+ (137–147 mmol/l), K+ (4 mmol/l), Ca2+ (1,65– 2,5 mmol/l), Cl− (106–156 mmol/l) K mit verstoffwechselbaren Anionen: Mg2+ (1–1,25 mmol/l), Azetat (36,8 mmol/l) oder Laktat (45 mmol/l) K mit Kohlenhydraten: Glukose (50 g/l) 18.4 Wie viel Natriumionen (mmol/l) enthält eine isotone Kochsalzlösung? K 1 Liter einer isotonen Kochsalzlösung (0,9 %) enthalten 9 g NaCl K Molekulargewicht von Natrium = 23 g/mol, Chlor = 36 g/mol R NaCl 59 g/mol K Konzentration von NaCl/Molekulargewicht = 9/59 mol/l = 0,153 mol/l = 153 mmol/l, d. h. in 1 Liter einer isotonen Kochsalzlösung sind 153 mmol Na+ enthalten (entspricht der Na+− Konzentration im Serum)
KOMMENTAR Definition: Volumenersatzstoffe dienen zur vor− übergehenden Auffüllung des zirkulierenden Blut− volumens bei relativem oder absolutem Volumen− mangel Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 18.1. Häufig werden kolloidale Lösungen, die Hydroxy−
ethylstärke (HAES) oder Gelatine enthalten, ver− wendet. HAES ist ein Amylopektin, bei dem an den Glukosegruppen Hydroxyethylreste einge− führt wurden. Gelatine wird aus tierischem Kolla− gen gewonnen. Man unterscheidet in Abhängigkeit vom Polymerisierungsvorgang Harnstoff−Gelati− ne−Polymerisate, succinylierte Gelatine und
Fall 18 Seite 19
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Oxypolygelatine. Dextranlösungen werden in Deutschland selten verwendet. Dextrane werden durch Hydrolysierung von Glukopolysacchariden gewonnen; es wird Dextran 40 (mittleres Moleku− largewicht 40 000) von Dextran 60 (mittleres Mo− lekulargewicht 60 000) unterschieden. Kolloidale Lösungen werden oft mit kristallinen Lösungen, wie isotoner Kochsalz− oder Ringerlösung, kombi− niert.
Indikationen: Volumenersatzstoffe werden bei absolutem oder relativem Volumenmangel, z. B. beim anaphylaktischen oder hypovolämischen Schock, eingesetzt (cave: Ausnahme kardiogener Schock!). Dextran 40 wird zur Verbesserung der Mikrozirkulation auch bei Durchblutungsstörun− gen und zur Behandlung des Hörsturzes verwen− det. Kristalline Lösungen sind bei geringem Volu− menverlust oder zur Therapie von Störungen des Elektrolyt− oder Säure−Basen−Haushalts indiziert. Kontraindikationen: Volumenersatzstoffe dür− fen nicht bei Hyperhydratation, Hypervolämie, schwerer Herzinsuffizienz oder bekannter aller−
139
18 Antworten und Kommentar
Wirkung: Durch die Plasmaexpansion wird der venöse Rückstrom erhöht, das Herzminutenvolu− men steigt an, und der Blutdruck normalisiert sich, wodurch die Organperfusion wieder garantiert wird. Daneben verbessern kolloidale Lösungen die Fließeigenschaften des Blutes durch Hämodi− lution und Verhindern der Zellaggregation durch Umhüllung der Blutzellen (coating“).
Wechselwirkungen: Das Mischen von Volumen− ersatzstoffen mit anderen Arzneimitteln kann zu Inkompatibilitäten führen. Laborchemische Un− tersuchungsergebnisse können durch Plasmaer− satzstoffe beeinflusst werden, so beeinträchtigen z. B. Dextrane die Kreuzprobe, und Gelatine stei− gert die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit. Gelatinelösungen enthalten große Mengen an Kal− zium, so dass es zur Wirkungsverstärkung von Di− gitalisglykosiden kommen kann.
Fall
Wirkungsmechanismus: Der Volumenmangel− schock entsteht durch Verlust von Blut, Plasma oder Wasser und Elektrolyten. Die Abnahme des zirkulierenden Blutvolumens verringert den venö− sen Rückstrom und damit das Herzminutenvolu− men, was letztlich zu einer kritisch verminderten Organperfusion führt (s. Abb.). Daher spielt für die Primärtherapie die intravasale Auffüllung eine zentrale Rolle. Der alleinige Einsatz von kristalli− nen Elektrolytlösungen zur Behandlung der Hypo− volämie ist wegen ihrer geringen Verweildauer im Gefäßsystem nur kurzfristig sinnvoll. Dagegen verbleiben kolloidale Lösungen auf Grund ihrer Größe bei intaktem Endothel längere Zeit im Ge− fäßsystem. Der onkotische Druck dieser Lösungen ist größer als der des Plasmas, so dass extravasale Flüssigkeit in das Gefäßsystem übertritt und somit der erzielte Volumeneffekt die infundierte Volu− menmenge übertrifft. Daher spricht man auch von Plasmaexpandern.
Unerwünschte Wirkungen: Alle kolloidalen Vo− lumenersatzstoffe können mit unterschiedlicher Häufigkeit zu anaphylaktischen oder anaphylak− toiden Reaktionen führen. Insbesondere Dextrane bergen ein erhöhtes Risiko (s. Antwort zur Frage 18.2). Bei höheren Dextrandosen entsteht durch coating“ die Gefahr von Gerinnungsstörungen, so dass die Dosierungsrichtlinien genau eingehal− ten werden müssen. Bei Gelatinelösungen besteht daneben auf Grund ihrer bovinen Herkunft ein theoretisches BSE−Risiko. HAES kann durch Einla− gerung in die Haut ein über Monate anhaltendes Hautjucken verursachen.
Hämodynamische Mechanismen in der Pathogenese des Schocks
Fall 18 Seite 19
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Eigenschaften verschiedener kolloidaler Volumenersatzstoffe
Substanz
Mittleres Mole− kulargewicht
Konzentration (%)
Verweildauer (Stunden)
HAES
450 000
6
10–14
8
Dextran 40
40 000
10
29,2
3
Dextran 60
60 000
6
25,6
6
Gelatine
30 000–50 000
3,0–5,5
14,3–39,0
3
gischer Reaktion auf einzelne Inhaltsstoffe ein− gesetzt werden. Eine strenge Indikation besteht bei Patienten mit Gerinnungs− oder Nierenfunktions− störungen. Pharmakokinetik: Die Volumenwirksamkeit der kolloidalen Lösungen hängt vom Wasserbin−
140
Wasserbindung (ml/g)
dungsvermögen und der intravenösen Verweil− dauer der Kolloide ab (s. Tab.). Applikationsform: Volumenersatzstoffe liegen als vorgefertigte Lösungen zur intravenösen Infu− sion vor.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall
Wirkung der Katecholamine beim hypovolamischen Schock Behandlung einer Azidose Indikationen fur Vasopressin
19 Antworten und Kommentar
Fall 19
Glukokortikoide
19.1 Erläutern Sie den Mechanismus der ent− zündungshemmenden Wirkung der Glukokorti− koide! K Glukokortikoide binden an intrazelluläre Glu− kokortikoidrezeptoren K Effekte auf die Proteinbiosynthese durch Inter− aktion mit der DNA: – Hemmung der Prostaglandinsynthese: Hemmung der Cyclooxygenase−2−Indukti− on; Aktivierung der Transkription, z. B. von Lipocortin−1 (Macrocortin) – Hemmung der Zytokinsynthese: vermin− derte Synthese von Interleukin(IL)−1 und IL−2 (reduzierte Markrophagen− und T−Lym− phozytenaktivität), Interferon, Tumornekro− sefaktor(TNF)−a und Adhäsionsmolekülen
K Endokrines System: Cushing−Syndrom (29 %), Nebennierenrindeninsuffizienz K Immunsystem: Infektionen, Reaktivierung la− tenter Infekte (17 %), verzögerte Wundheilung K Gastrointestinales System: Magenulkus (1 %) (v. a. bei gleichzeitiger Anwendung von nicht− steroidalen Antiphlogistika) K ZNS: Euphorisierung, Schlafstörungen, psychi− sche Veränderungen (9 %) K Herz−Kreislaufsystem: arterielle Hypertonie durch Na+− und Wasserretention (bei Wirk− stoffen mit mineralokortikoider Restwirkung) K Blut: Thrombozytose mit erhöhter Thrombo− seneigung K Auge: Katarakt, Glaukom K Haut: Striae rubrae, Atrophie, Akne
19.2 Welche unerwünschten Wirkungen sind bei einer Langzeittherapie mit Glukokortikoiden zu beachten? K Stoffwechsel: Gewichtszunahme (26 %), Mani− festierung eines latenten Diabetes mellitus (9 %), Umverteilung des Fettgewebes K Bewegungsapparat: Osteoporose (10 %), Wachstumshemmung bei Kindern, Muskel− atrophie
19.3 Wie wird eine Osteoporoseprophylaxe bei längerfristiger Glukokortikoidtherapie durch− geführt? Eine Osteoporoseprophylaxe ist indiziert bei ei− ner Glukokortikoidtherapie über voraussichtlich 6 Monate mit wenigstens 7,5 mg Prednisolon− Äquivalent/d mit: K Kalzium (1000–1500 mg/d, p.o.) K Vitamin D3 (400–800 IE/d, p.o.) K Ggf. Einsatz von Bisphosphonaten
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19.4 Welche Medikamenteneinnahme mussen Sie bei der Patientin abklaren? K Antikoagulanzien, orale Antidiabetika: ver− minderte Wirkung
K Nichtsteroidale Antiphlogistika, Salicylsäu− rederivate: erhöhtes Auftreten von Magen− und Duodenalulzera K Herzglykoside: verstärkte Wirkung durch Ka− liumverluste
KOMMENTAR Krankheitsbild Morbus Crohn: Morbus Crohn (Syn. Enteritis regionalis, Ileitis terminalis) ist eine segmental auftretende chronische Darmentzün− dung, die alle Wandschichten betrifft und meist im Bereich der terminalen Ileumsegmente lokali− siert ist. Die Ätiologie ist bislang ungeklärt, die klinische Symptomatik mit Abdominalschmerzen, Diarrhöen, Übelkeit, Gewichtsverlust und Fieber verläuft meist schubweise. Definition: Pharmakologisch eingesetzte Gluko− kortikoide sind Abkömmlinge des Nebennieren− rinden(NNR)hormons Kortisol, das in der Zona fas− ciculata der NNR gebildet wird.
Wirkung: Die entzündungshemmende Wirkung der Glukokortikoide ist zum einen auf eine ver− minderte Aktivität der B− und T−Lymphozyten, der Makrophagen sowie auf eine Abnahme des lymphatischen Gewebes zurückzuführen; zum an− deren werden Entzündungsreaktionen direkt durch Hemmung der Mediatoren unterdrückt. Glukokortikoide wirken als Stresshormon fördernd auf Herz, Kreislauf und ZNS. Eine mineralokortikoi− de Restwirkung bei Prednison und Prednisolon ist zu beachten.
Indikationen: Glukokortikoide werden zur Sub− stitutionstherapie bei Nebennierenrindeninsuffi− zienz eingesetzt. Die pharmakodynamische The− rapie macht sich die antiphlogistischen, antialler− gischen und immunsuppressiven Eigenschaften der Glukokortikoide für eine symptomatische Be− handlung akut oder in der Langzeittherapie zu− nutze. Diese umfasst Hauterkrankungen (z. B. Psoriasis, Ekzem, Lupus erythematodes), allergi− sche Reaktionen (z. B. Quincke−Ödem, allergische Rhinokonjunktivitis, Insektenstiche, Urtikaria, anaphylaktischer Schock), Lungenerkrankungen (z. B. chronisch obstruktive Atemwegserkrankun− gen, toxisches Lungenödem), rheumatoide Arthri− tis, Polymyalgia rheumatica und Kollagenosen, nephrotisches Syndrom, hämolytische Anämien, gastrointestinale Erkrankungen (z. B. Morbus Crohn), Hirnödem und schwere Schockzustände. Zur Vermeidung einer Transplantatabstoßung werden auch Glukokortikoide eingesetzt.
Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 19.2. Die unerwünschten Wirkungen sind abhän−
Kontraindikationen: Relative Kontraindikatio− nen, bei denen eine Nutzen−Risiko−Abwägung
19 Antworten und Kommentar
Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 19.1. Glukokortikoide gelangen durch Diffusion in die Zelle und binden an den zytosolischen Gluko− kortikoidrezeptor. Der Ligand−Rezeptor−Komplex wird in den Zellkern aufgenommen und bindet das sog. glucocorticoid responsive element (GRE) im transkriptionsregulierenden Bereich von Zielge− nen. Zielgene, die gehemmt werden, kodieren u. a. für Zytokine (z. B. Interleukin−1/−2; TNF−a, Granulozyten/Makrophagen−Kolonie−stimulieren− der Faktor), Phospholipase A2 und Cyclooxygena− se 2, die die Synthese von Entzündungsmediatoren wie Prostaglandinen, Leukotrienen und plättchen− aktivierender Faktor vermitteln. Daneben stimu− lieren Glukokortikoide die Synthese von Lipocor− tin−1 (Syn. Macrocortin), das durch verminderte Freisetzung von Arachidonsäure ebenfalls die Pros− taglandin− und Leukotriensynthese hemmt.
Wechselwirkungen: s. Antwort zur Frage 19.4. Barbiturate, Phenytoin und Colestyramin reduzie− ren deutlich die Wirkung der Glukokortikoide. Rif− ampicin vermindert die Wirkung der Glukokorti− koide durch Induktion des Kortikoidabbaus in der Leber, so dass bei Simultanbehandlung eine Ver− dopplung der Glukokortikoiddosis vorgenommen werden muss. Orale Kontrazeptiva verstärken so− wohl die Glukokortikoidwirkung als auch die un− erwünschten Wirkungen, Saluretika, Laxanzien und Amphotericin B verstärken die Hypokaliämie.
141
Fall
Typische Wirkstoffe: Im Vergleich zu den physio− logischen Glukokortikoiden Kortisol und Kortison weisen die synthetischen Glukokortikoide Me− thylprednisolon, Prednison, Prednisolon, Hydro− kortison, Betamethason, Dexamethason, Triamci− nolon, Deflazacort und Budesonid deutliche Unter− schiede bezüglich der Wirkstärke auf (s. Tab.).
gig von: täglicher Gesamtdosis, Therapiedauer, Applikationsmodus und Pharmakokinetik. Das medikamentöse Cushing−Syndrom mit Vollmond− gesicht, Osteoporose, Stammfettsucht und Hyper− glykämie tritt auf, wenn die sog. Cushing−Schwel− lendosis überschritten ist. Eine klinisch bedeuten− de unerwünschte Wirkung der hochdosierten Langzeittherapie mit Glukokortikoiden ist die se− kundäre Nebenniereninsuffizienz, die durch die Suppressionswirkung exogen zugeführter Gluko− kortikoide bedingt ist. Folglich muss bei Behand− lungsende oder Dosisreduktion die Glukokorti− koiddosis ausgeschlichen werden (z. B. Reduktion um 2,5 mg etwa alle 2–3 Tage). Die kurzzeitige Anwendung von Glukokortikoiden über 2 Wochen kann abrupt beendet werden. Bei der lokalen An− wendung von Glukokortikoiden ist neben den lo− kalen unerwünschten Wirkungen auch immer mit systemischen Nebenwirkungen zu rechnen.
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durchgeführt werden muss, sind: Magen−Darm− Ulzera, schwere Osteoporose, psychiatrische Er− krankungen, verschiedene Viruserkrankungen (z. B. Varizella−Zoster−Virus), Systemmykosen, Amöbeninfektion und Glaukom.
142
Fall
20
Pharmakokinetik: Ungefähr 90 % des körpereige− nen Kortisols ist im Blut an Transcortin (Syn. cor− ticosteroidbindendes Globulin, CBG) gebunden. Die synthetischen Glukokortikoide werden mit Ausnahme von Prednisolon kaum an Transcortin gebunden. Die EHWZ von Kortisol beträgt beim Menschen etwa 90 Minuten, die synthetischen Glukokortikoide werden langsamer metabolisiert, so dass über einen längeren Zeitraum effektive Glukokortikoidmengen im Körper verbleiben (s. Tab.). Für die Inaktivierung der Glukokortikoide gibt es keinen einheitlichen Weg: Sie können in der Leber glukuronidiert, sulfatiert (z. B. Predniso− lon) oder hydroxyliert (Dexamethason) werden, bevor sie renal eliminiert werden. Glukokortikoide mit einem hohen First−pass−Effekt nach oraler Ga− be (z. B. Budesonid: präsystemische Elimination . 80 % bei Aufnahme aus Magen−Darmtrakt) zei− gen kaum systemische Nebenwirkungen, was für eine Hochdosis−Lokaltherapie (z. B. Asthma bron− chiale, Morbus Crohn) genutzt wird.
Antworten und Kommentar
Applikationsform: Die Anwendung kann paren− teral (intravenös, subkutan, inhalativ, transkutan, intraartikulär) oder oral erfolgen. Grundsätzlich ist eine Lokaltherapie anzustreben, z. B. steht Bude− sonid sowohl zur lokalen inhalativen Anwendung
Pharmakologische Eigenschaften einiger Glu− kokortikoide
Kortisol
EHWZ (min)
Relative gluko− kortikoi− de Po− tenz
Relative mineralo− kortikoi− de Po− tenz
78–96
1
1
Methyl− 141–168 predniso− lon
5
0
Predniso− lon
162–240
4
0,6
Dexame− thason
201–255
30
0
Betame− thason
300–400
30
0
als auch zur topischen Anwendung als Schaum oder Einlauf (rektale Gabe) zur Verfügung. Emp− fohlen wird die frühmorgendliche Einnahme des Glukokortikoids zur Zeit des höchsten endogenen Glukokortikoidspiegels, um den physiologischen Regelkreis möglichst wenig zu beeinflussen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Mineralokortikoide Substitutionstherapie mit Glukokortikoiden Immunsuppressive Therapie
Fall 20 20.1 Welche verbotenen Wirkstoffe im Doping kennen Sie? K Stimulanzien: z. B. Kokain, Amphetamin, Ephedrin K Anabolika: z. B. Testosteron, Nandrolon, b2− Adrenorezeptoragonisten (z. B. Clenbuterol, Terbutalin) K Peptid− und Glykoproteinhormone: z. B. adrenokortikotropes Hormon (ACTH), Erythro− poetin, Somatotropin (STH; human growth hormon, HGH), Choriogonadotropin (human chorionic gonadotropin, HCG), K Diuretika: z. B. Furosemid, Hydrochlorothiazid 20.2 Warum wird Erythropoetin als Doping− mittel verwendet? Wie kann es nachgewiesen werden?
Doping K Wirkung: beschleunigte Erythropoese erhöht den Hämatokrit und die Sauerstofftransport− kapazität des Blutes K Nachweis: Nachweis von rekombinantem hu− manem Erythropoetin im Urin mittels Elektro− phorese; Hämatokritwerte von über 50 % sind ein Hinweis auf einen Erythropoetin−Miss− brauch; bei drohenden Kontrollen wird ver− sucht, durch Plasmaexpander akut den Häma− tokritwert zu senken
20.3 Erläutern Sie das Missbrauchspotenzial der Diuretika! K Einsatz als Gewichtmacher“ in den Sportdis− ziplinen, in denen eine Klassifizierung ent− sprechend dem Körpergewicht erfolgt (z. B. Ringen, Boxen, Gewichtheben)
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K Einsatz als Harnverdünner“; dadurch sinkt die Konzentration von verbotenen Wirkstoffen im Harn und die Analytik wird erschwert
20.4 Warum werden Steroidanabolika als Do− pingmittel bei Kraftsportlern eingesetzt? Welche unerwünschten Wirkungen können auftreten? K Die Eigenschaften der wichtigsten Trainings− dopingmittel wie Testosteron und Nandrolon sind: – Positive Stickstoffbilanz – Beschleunigtes Muskelwachstum – Proteinaufbau – Stimulierung der Erythropoese
K Je nach Substanz, Einnahmedauer und Dosis kann es zu irreversiblen Schäden kommen: – Feminisierung bei Männern durch Aroma− tisierung zu Östrogenen – Virilisierung bei Frauen – Wachstumshemmung bei Jugendlichen durch vorzeitigen Epiphysenschluss – Anstieg des Atheromatose−Risikos: Erhö− hung von Gesamtcholesterin, LDL, VLDL, Triglyzeriden; Abfall von HDL – Cholestatische Hepatitis, Leberzellkar− zinome – Häufig sind Steroidakne, gesteigerte Ag− gressivität, Schlafapnoe
KOMMENTAR
Erythropoetin: s. Antwort zur Frage 20.2. Eryth− ropoetin wird von den peritubulären Zellen der Niere gebildet. Der Freisetzungsstimulus ist ein Abfall des Sauerstoffpartialdruckes im Gewebe. Erythropoetin ist ein Glykoprotein aus 165 Ami− nosäuren und hat ein Molekulargewicht von ca. 30 000. Im Knochenmark wirkt Erythropoetin wahrscheinlich, in dem es das Absterben der erythroiden Vorläuferzellen verhindert und somit der Gehalt an Erythrozyten im Blut ansteigt. Dieser Effekt tritt bei Gesunden wie Kranken ein. Bei Hä− modialysepatienten mit einer renal bedingten Anämie kann durch intravenöse oder subkutane
Stimulanzien: Zu den beim Doping meist ver− wendeten Substanzen gehören die zentralnervös wirkenden Stimulanzien, von denen die Liste der verbotenen Stoffe u. a. enthält: Kokain, ZNS−gängi− ge indirekt wirkende Sympathomimetika (z. B. Ephedrin, Amphetamin, Methylphenidat) und Ap− petitzügler“. Für viele Sportarten wurde eine leis− tungssteigernde Wirkung bei der Einnahme von Amphetaminen und verwandten Stoffen nachge− wiesen. Amphetamine bewirken wahrscheinlich eine Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin im ZNS, was zu Euphorie, Kritiklosigkeit, erhöhter Risikobereitschaft und Aggressivität führt. Am− phetamine können die Schwelle der Ermüdbar− keit steigern: Während ein Sportler unter norma− len Bedingungen durch eine natürliche Hemmung vor völliger Erschöpfung geschützt ist, entfällt die− ser Regelkreis durch den Einfluss der Amphetami− ne, und die zuvor durch Ermüdung verbliebenen Reserven werden angegriffen. Gleichzeitig können Amphetamine zu Erregung, Blutdruckanstieg und Extrasystolen führen.
143
20 Antworten und Kommentar
Anabolika: s. Antwort zur Frage 20.4. Oft wird eine Kombination aus Steroidanabolika, Somato− tropin und Choriogonadotropin eingenommen. Der Nachweis der Steroidanabolika kann durch ei− ne langfristige Veränderung des Steroidprofils im Blut erfolgen.
Zufuhr von Erythropoetin die Befindlichkeit gebes− sert und die Zahl von Bluttransfusionen gesenkt werden; Erythropoetin wird u. a. für diese Indika− tion gentechnisch hergestellt. Darbepoetin alfa ist ein Analogon des rekombinanten Erythropoetins (Epoetin beta) mit 5, anstatt 3 Kohlenhydratseiten− ketten. Es ist im Organismus länger wirksam, d. h. das Applikationsintervall kann vergrößert werden. Missbräuchlich wird Erythropoetin bei Sportlern verwendet, die eine längerdauernde Leistung er− bringen müssen (z. B. Radrennfahrer). Der Effekt auf die Leistungsfähigkeit entspricht einem konse− quent durchgeführten Höhentraining. Die langfris− tige Anwendung von Erythropoetin steigert die Blutviskosität, den peripheren vaskulären Wider− stand und den Blutdruck. Die Gefahr für das Auf− treten von Thrombosen und zerebralen Durchblu− tungsstörungen steigt an. Durch die Bildung von Antikörpern kann es zu einem Wirksamkeitsver− lust von Erythropoetin kommen.
Fall
Allgemeines: Der Deutsche Sportbund definiert Doping als den Versuch der Leistungssteigerung durch die Anwendung von Substanzen der verbo− tenen Wirkstoffgruppen oder durch die Anwen− dung verbotener Methoden“. Die Dopingliste im Anhang zum Europäischen Übereinkommen gegen Doping unterscheidet Gruppen verbotener Wirk− stoffe (Stimulanzien, Narkotika, anabole Wirkstof− fe, Diuretika, Peptid− und Glykoproteinhormone), verbotene Methoden (Blutdoping; pharmakologi− sche, chemische oder physikalische Manipulation von Harnproben) sowie Gruppen verbotener Wirkstoffe, die bestimmten Einschränkungen unterliegen (Alkohol, Marihuana, Lokalanästheti− ka, Kortikosteroide, b−Rezeptorantagonisten). Das Inverkehrbringen, Verschreiben und Anwenden“ von Stoffen aus dieser Liste zu Dopingzwecken ist seit der Aufnahme eines Doping−Paragraphen in das Arzneimittelgesetz 1998 eine Straftat. Doping− kontrollen werden sowohl bei Wettkämpfen als auch als Trainingskontrollen außerhalb von Wett− kämpfen durchgeführt.
Fall 20 Seite 21
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Blutdoping und Dopingmaskierer Asthma und Doping Cannabinoide
Fall 21
144
Fall
21
Zytostatika/5−Fluorouracil
21.1 Warum wird beim kolorektalen Karzinom 5−Fluorouracil/Levamisol angewendet? Therapieempfehlung für kolorektales Karzinom im Stadium Dukes C (UICC III: Vorliegen regio− naler Lymphknotenmetastasen) mit einer 5−Jah− res−Überlebensrate von 30–60 %: K Chirurgische Therapie K Adjuvante Chemotherapie zur Verbesserung der Prognose: 5−Fluorouracil mit Levamisol (Enantiomer des Anthelminthikums Tetrami− sol) als Immunstimulans
Wirksamkeit als 5−Fluorodesoxyuridinmono− phosphat (5−F−dUMP).
21.3 Welche Indikationen für 5−Fluorouracil kennen Sie? K Fortgeschrittenes kolorektales Karzinom K Magen− oder Pankreaskarzinom K Fortgeschrittenes oder metastasiertes Mam− makarzinom K Aktinische Keratosen K Inoperable oberflächliche Basaliome
21.2 Durch welche Reaktion wird 5−Fluoro− !!! 21.4 Gibt es von 5−Fluorouracil eine peroral uracil aktiviert? wirksame Vorstufe? Das Pyrimidinanalogon 5−Fluorouracil erlangt Capecitabin, das aus einem abgewandelten Cyto− über die Koppelung an Ribose oder Desoxyribose sin und einem abnormen Zucker besteht, ist eine und anschließender Phosphorylierung seine oral wirksame Vorstufe von 5−Fluorouracil.
Antworten und Kommentar
KOMMENTAR Definition: Zytostatika (Syn. antineoplastische Substanzen) hemmen das Wachstum von Gewe− ben mit einer hohen Teilungsrate, wodurch sie auf Tumorzellen relativ selektiv wirken. Typische Wirkstoffe: Der Antimetabolit 5−Fluo− rouracil (5−FU) ist ein Pyrimidinanalogon. Auch Cytarabin und Gemcitabin sowie die beiden 5−FU Vorstufen Tegafur und Capecitabin zählen zu den Pyrimidinanaloga.
nur langsam inaktiviert wird. Die Hemmung der Thymidylat−Synthase verhindert die Methylierung von Desoxyuridinmonophosphat (dUMP) zu Des− oxythymidinmonophosphat (dTMP) und damit die Bildung von Thymidinnukleotiden (dTTP) (s. Abb.). 5−F−dUMP wird auch als falsches Nukleotid in die DNA und RNA eingebaut. Die zusätzliche Gabe von Levamisol soll zu einer Verbesserung der zellulären Immunabwehr beitragen, so dass Tumorzellen langsamer oder gar nicht wachsen. Wirkung: Antimetabolite wirken als phasenspe− zifische Tumorchemotherapeutika bevorzugt in der Synthese (S)−Phase des Zellzyklus.
Wirkungsmechanismus: Nach Umwandlung von 5−FU in 5−Fluorodesoxyuridinmonophosphat (5−F−dUMP; s. Antwort zur Frage 21.2) wird die Thymidylat−Synthase gehemmt. Dabei bildet 5−F−dUMP zusammen mit dem Kofaktor N5,N10− Methylentetrahydrofolat und der Thymidylat−Syn− thetase einen stabilen reversiblen Komplex, der
Unerwünschte Wirkungen: Da die Wirkung von 5−FU weitgehend unspezifisch ist, wird der Stoff− wechsel aller sich schnell teilenden Zellen beein− flusst. Daraus folgen als unerwünschte Wirkungen Knochenmarkdepression, die dosislimitierend sein kann, und Schleimhautschädigungen im ge− samten Verdauungstrakt (z. B. Stomatitis, Muko− sitis, Diarrhö). Initial ist mit Übelkeit und Erbre− chen zu rechnen. Weiterhin können Dermatitis, Alopezie und neurotoxische Wirkungen auftreten. Bei längerer Anwendung kann es zum sog. Hand− Fuß−Syndrom kommen, das durch eine schmerz− hafte Hautablösung an Händen und Füßen charak− terisiert ist. Selten treten Koronarspasmen oder Hyperpigmentierungen der Haut auf.
Fall 21 Seite 22
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Wirkungsmechanismus von 5−Fluorouracil
Kontraindikationen: 5−FU darf nicht bei akuten Infektionen, schweren Blutbildveränderungen oder Leberfunktionsstörungen angewendet wer− den. Die Teratogenität verbietet den Einsatz in Schwangerschaft und Stillzeit. Eine Dosisredukti−
Pharmakokinetik: Die Metabolisierung erfolgt in der Leber durch Reduktion des Pyrimidinringes. Die Elimination erfolgt zu 30 % renal. Die EHWZ nach parenteraler Gabe liegt bei 8–20 Minuten. 5−FU ist gut liquorgängig. Applikationsform: Da die Resorption von 5−FU nach oraler Gabe unzuverlässig ist, wird es paren− teral verabreicht. Für die Behandlung der aktini− schen Keratose oder des inoperablen oberfläch− lichen Basalioms stehen topische Zubereitungen zur Verfügung.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des zytostatikainduzierten Erbrechens Hemmstoffe der Topoisomerase Allgemeine Resistenzmechanismen gegen Zytostatika
Fall 22
145
22 Antworten und Kommentar
Indikationen: s. Antwort zur Frage 21.3.
on muss bei Leber− und Niereninsuffizienz vor− genommen werden.
Fall
Wechselwirkungen: Eine kombinierte Gabe mit Kalziumfolinat steigert die Wirkung von 5−FU. Dies wird therapeutisch zur Behandlung kolorektaler Tumoren ausgenützt. Allopurinol vermindert die Wirkung und Toxizität von 5−FU. Andere Antime− tabolite wie Methotrexat verstärken die toxische Wirkung von 5−FU.
Sulfonamide/Co−Trimoxazol
22.1 Aus welchen Wirkstoffen ist Co−Trimoxa− zol zusammengesetzt? Erläutern Sie, warum diese Kombination sinnvoll ist! Co−Trimoxazol ist eine fixe Kombination aus: K Trimethoprim: 160 mg/Tabl. K Sulfamethoxazol: 800 mg/Tabl. Aufgrund zunehmender Resistenzentwicklungen ist eine Monotherapie mit Sulfonamiden (Sulfa− methoxazol) nicht mehr empfehlenswert. Sowohl Trimethoprim als auch Sulfamethoxazol hemmen die Folsäuresynthese, jedoch an 2 unterschiedli−
chen Stellen. Es tritt ein synergistischer Effekt auf, so dass die Kombination als sinnvoll angese− hen werden kann.
22.2 Beschreiben Sie den Wirkungsmechanis− mus von Trimethoprim! K Trimethoprim hemmt die Dihydrofolsäure− Reduktase, die für die Reduktion der Dihydro− folsäure zur Tetrahydrofolsäure verantwortlich ist, spezifisch in Bakterien.
Fall 22 Seite 23
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K Tetrahydrofolsäure wird für die Übertragung von C1−Fragmenten bei der Synthese von Thymidin und Purinbasen benötigt; d. h. die Nukleotid− und Nukleinsäuresynthese wird ge− hemmt.
146
Fall
22
– Einsatz als Zytostatikum sowie in niedriger Dosierung zur Immunsuppression bei Transplantationen und zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis K Pyrimethamin: – Hemmung der Dihydrofolsäure−Reduktase v. a. in Parasiten – Einsatz als Antiprotozoenmittel bei der Therapie der Malaria tropica und der Toxo− plasmose
22.3 Welche unerwünschten Wirkungen können bei der Einnahme von antibiotisch wirksamen Sulfonamiden auftreten? K Allergische Reaktionen (ca. 4 %): Kopfschmer− zen; Arthralgien; Serumkrankheit; Fieber; Hautreaktionen wie Pruritus, Arzneimittelex− !!! 22.5 Bei welchen internistischen Erkrankun− antheme (2 %) bis hin zur lebensbedrohlichen gen werden Sulfonamidverbindungen ebenfalls Dermatitis exfoliativa eingesetzt? K Prophylaxe der Malaria: z. B. Langzeitsulfona− K Hämatologische Störungen (ca. 10 %): Leuko− mid Sulfalen in Kombination mit Pyrimetha− penie, Thrombozytopenie, Hämolyse, Blutbil− min dungsstörungen K Gastrointestinale Beschwerden (2 %): Appe− K Arterielle Hypertonie: z. B. Hydrochlorothia− titlosigkeit, Übelkeit, Brechreiz, Diarrhö zid als Diuretikum K Dosisabhängig Nierenschäden (0,5 %): Hypo− K Ödeme kardialer, hepatischer oder renaler Ge− kaliämie, Retention harnpflichtiger Substanzen nese: z. B. Furosemid als Diuretikum K Diabetes mellitus Typ II: z. B. Glibenclamid K Cholestase als Sulfonylharnstoffderivat K Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: 22.4 Welche weiteren Arzneistoffe beeinflus− sen den Folsäurestoffwechsel, und wie werden z. B. Sulfasalazin als Trägermolekül für die sie eingesetzt? 5−Aminosalicylsäure K Methotrexat: K Rheumatoide Arthritis: z. B. Sulfasalazin als – Hemmung der Dihydrofolsäure−Reduktase Basistherapeutikum in menschlichen und Bakterienzellen
Antworten und Kommentar
KOMMENTAR Definition: Co−Trimoxazol ist eine fixe Kombina− tion des mittellang wirkenden Sulfonamids Sulfa− methoxazol mit dem Folsäureantagonisten Trime− thoprim. Typische Wirkstoffe: Die Gruppe der Sulfonami− de umfasst kurz wirkende (Sulfacarbamid), mittel− lang wirkende (Sulfdiazin, Sulfamethoxazol) und lang wirkende (Sulfadoxin) Sulfonamide. Zu den schwer resorbierbaren Sulfonamiden zählt das Sa− lazosulfapyridin (= Sulfasalazin). Der Folsäurean− tagonist Trimethoprim ist ein Diaminopyrimidin. Wirkungsmechanismus: Sulfonamide sind che− misch verwandt mit der p−Aminobenzoesäure, die von vielen Bakterien zum Wachstum benötigt und in die Dihydrofolsäure eingebaut wird. Sul− fonamide wirken als Antimetabolite und verdrän− gen die p−Aminobenzoesäure kompetitiv aus dem Syntheseweg, die Bakterien bilden nun vermin− dert Dihydrofolsäure bzw. Tetrahydrofolsäure und damit Koenzyme der Nukleotidsysnthese (s. Ant− wort zur Frage 22.2). Um die p−Aminobenzoesäu− re komplett zu verdrängen, muss eine hohe Sul− fonamidkonzentration vorliegen. Zum Wirkungs− mechanismus von Trimethoprim s. Antwort zur Frage 22.2. Der Mensch nimmt Folsäure, die durch Redukta− sen zu Dihydrofolsäure umgewandelt wird, mit der Nahrung oder durch symbiotische Darmbak− terien aus dem Magen−Darmtrakt auf. Die bak−
terielle Dihydrofolsäure−Reduktase besitzt eine erheblich größere Empfindlichkeit gegen Hemm− stoffe im Vergleich zum menschlichen Enzym. Wirkung: Sulfonamide und Folsäureantagonisten wirken jedes für sich bakteriostatisch auf gram− positive und gramnegative Bakterien, die Kombi− nation besitzt möglicherweise bakterizide Eigen− schaften. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 22.3. Nach Gabe von Sulfonamiden kommt es re− lativ häufig zu unerwünschten Wirkungen (10– 20 %). Trimethoprim erzeugt ebenfalls Übelkeit und vereinzelt Exantheme. Zusätzlich treten häu− fig Hämatopoesestörungen (bis zu 10 %), meist leichte Thrombozytopenien und Leukopenien auf. Wechselwirkungen: Aufgrund der Konkurrenz von Sulfonamiden um Plasmaeiweißbindungsstel− len kann es zu einer gegenseitigen Wirkungsver− stärkung von oralen Antidiabetika vom Sulfonyl− harnstoff−Typ, Kumarinderivaten und Phenylbuta− zon kommen. Probenecid hemmt die renale Elimination und führt zu einer Kumulation der Sulfonamide. Die Toxizität von Methotrexat als Folsäureantagonist ist bei Kombinationsgabe mit Sulfonamiden verstärkt. Indikationen: Zu Indikationen der Sulfonamide s. Antwort zur Frage 22.5. Sulfonamide werden eben− falls in Kombination zur Behandlung von Proto−
Fall 22 Seite 23
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zoeninfektionen (z. B. Plasmodien, Toxoplasmen) eingesetzt. Co−Trimoxazol kann bei zahlreichen bakteriellen Infektionen, z. B. der Nieren und ablei− tenden Harnwege, der Atemwege, des Verdauungs− traktes, der Haut und der Weichteile eingesetzt werden. Aufgrund von Resistenzentwicklungen ist die Bedeutung dieser Antibiotikakombination zu− gunsten der Gyrasehemmer deutlich gesunken. Ei− ne gezielte Therapie und Prophylaxe der Pneumo− cystis−carinii−Pneumonie wird ebenfalls mit Co− Trimoxazol durchgeführt. Trimethoprim steht auch als Monotherapeutikum zur Behandlung unkom− plizierter Harnwegsinfekte und zur Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfekten zur Verfü− gung. Die alleinige Anwendung von Trimethoprim ohne Sulfonamidzusatz wird kritisch beurteilt, da sich häufig Resistenzen entwickeln. Kontraindikationen: Co−Trimoxazol darf nicht angewendet werden in Schwangerschaft und
Stillzeit sowie bei schwerer Niereninsuffizienz und Sulfonamidallergie. Bei eingeschränkter Nie− renfunktion muss die Dosierung an die Kreatinin− Clearance angepasst werden. Pharmakokinetik: Co−Trimoxazol wird mit einer Bioverfügbarkeit von über 90 % nach oraler Gabe resorbiert. Die EHWZ liegt bei Trimethoprim bei 11, bei Sulfamethaxazol bei 9 Stunden. Die Aus− scheidung erfolgt überwiegend renal. Beide Sub− stanzen sind dialysierbar. Applikationsform: Sulfonamide werden meist in fixer Kombination mit Trimethoprim (Mischungs− verhältnis 1:5) peroral angewandt. Zweck einer solchen Kombination ist eine hintereinanderge− schaltete Hemmung der Tetrahydrofolsäure−Syn− these. Diese sequenzielle Hemmung ist wirksamer als die isolierte Hemmung eines einzelnen Schrit− tes.
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall
Antimalariamittel Methotrexat Sulfonamidderivat−Diuretika
23 Opioidanalgetika
23.1 Welche Möglichkeiten zur Applikation von Buprenorphin kennen Sie? K Oral: Sublingualtablette, zur Anwendung Tablette unter der Zunge zergehen lassen K Parenteral: – Injektionslösung in Ampullenform zur i. v.− oder i.m.−Applikation – Matrixpflaster (transdermales therapeuti− sches System, TTS) zur Anwendung auf der Haut über 72 h 23.2 Welche Opioidrezeptoren sind Ihnen be− kannt? Welche Wirkungen treten auf? K m−Rezeptoren: supraspinale Analgesie, Atem− depression, Miosis, Euphorie, Toleranz, Abhän− gigkeit K k−Rezeptoren: spinale Analgesie, Sedierung, Miosis, (Dysphorie) K d−Rezeptoren: Kreislaufstimulation, Mydria− sis, Toleranz, Dysphorie/Halluzinationen 23.3 Welche Kontraindikationen bestehen für Morphin? K Kinder ,1 Jahr K Respiratorische Insuffizienz/Störung: gestör− ter Atemantrieb; Asthma bronchiale (Tonus glatter Muskulatur q, Gefahr: Bronchospas− mus)
K Erhöhter intrakranieller Druck bei Schädel− hirntrauma, Hirnödem K Hypotension K Opioidabhängigkeit K Gallen− und Harnwegserkrankungen K Pankreatitis (Sphinktertonus q, Gefahr: Sekretstau) K Obstruktive und entzündliche Darmerkran− kungen (Tonus glatter Muskulatur q, Gefahr: Spasmen, Perforation) K Ileus (Gefahr: Perforation)
23.4 Warum wird das Opioidanalgetikum Tili− din mit Naloxon als Fixkombination angeboten? K Tilidin, ein Opioidanalgetikum, wird mit dem Opioidantagonisten Naloxon kombiniert (fixe Mischung aus Agonist und Antagonist) K Naloxon p.o. wird schnell in der Leber abge− baut (EHWZ: ca. 1 h) und Tilidin zum aktiven Metaboliten Nortilidin (EHWZ: 3–5 h) ver− stoffwechselt K Kein Missbrauch bei i. v.−Gabe möglich, da die hepatische Inaktivierung von Naloxon verzö− gert ist (Wirkungsverlust von Nortilidin) K Fixkombination Tilidin/Naloxon fällt nicht un− ter das Betäubungsmittelgesetz
Antworten und Kommentar
Fall 23
Fall 23 Seite 24
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23.5 Welche Angaben sind beim Ausfullen eines Betaubungsmittelrezeptes erforderlich? K Name, Berufsbezeichnung, Anschrift, Telefon− nummer des Verschreibenden K Bezeichnung des Arzneimittels, Menge des Arzneimittels in Gramm, Milliliter, Stückzahl K Gebrauchsanweisung oder Vermerk Gemäß schriftlicher Anweisung“
K K K K
Name und Anschrift des Patienten Ausstellungsdatum Eigenhändige Unterschrift des Arztes 3−teiliges amtliches Verschreibungsformular wird im Durchschreibeverfahren beschriftet (Dokumentation für Arzt, Apotheker, Kranken− kasse)
148
Fall
23 Antworten und Kommentar
KOMMENTAR Definition: Die Klasse der Opioidanalgetika um− fasst eine Gruppe von natürlichen und syntheti− schen Substanzen mit morphinartigen Eigenschaf− ten (Syn. Opioide). Morphin ist als Referenzsub− stanz der Opioide definiert. Typische Wirkstoffe: Aufgrund ihrer Spezifität und Affinität zu den unterschiedlichen Opioidre− zeptoren (s. Antwort zur Frage 23.2) werden unter− schieden: K Reine Agonisten (z. B. Morphin, Fentanyl, Pe− thidin) besitzen eine hohe Affinität und intrinsische Aktivität am m−Rezeptor und ge− ringe Affinität zum k−Rezeptor; K Gemischte Agonisten−Antagonisten (z. B. Pentazocin) sind Antagonisten am m−Rezeptor mit hoher Affinität und sehr geringer intrinsi− scher Aktivität und gleichzeitig Agonisten am k−Rezeptor mit hoher intrinsischer Aktivität; K Partialagonisten (z. B. Buprenorphin) haben eine sehr hohe Affinität zum m−Rezeptor bei geringerer intrinsischer Aktivität als Morphin (Ceiling−Effekt) K Reine Antagonisten (z. B. Naloxon, Naltrexon) sind kompetitive Antagonisten an allen Opioidrezeptoren.
Betäubungsmittelrezept Die Rezeptorbindungseigenschaften sind für die unterschiedlichen, z. T. auch gegenläufigen Effek− te verantwortlich. So sind z. B. bei gemischten Agonisten−Antagonisten die Wirkungen bzgl. spi− naler Analgesie, Sedierung und Dysphorie stärker ausgeprägt als die Wirkungen bzgl. supraspinaler Analgesie und Euphorie. Wirkungsmechanismus: Opioidanalgetika wir− ken über zentrale und periphere Rezeptoren, die an inhibitorische G−Proteine gekoppelt sind. Über Hemmung der Adenylatcyclase wird der Ca2+−Ein− strom vermindert, die Folge ist eine Hyperpolarisa− tion. Wirkung: Zu den zentralen Wirkungen zählt die Herabsetzung der Schmerzempfindung (analge− tisch) durch Stimulation von Opioidrezeptoren. Das absteigende schmerzhemmende System wird aktiviert, spinal werden nozizeptive Impulse sup− primiert, im limbischen System wird das Schmerz− erlebnis verändert. Weiter wirken Opioide sedie− rend auf die geistige Aktivität (hypnotisch), angst− lösend und verändern die Stimmungslage (meist euphorisch, aber auch dysphorisch). Sie inhibie− ren das Atem− und Hustenzentrum (atemdepres− siv, antitussiv), induzieren zunächst durch Stimu−
Fall 23 Seite 24
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lation des Brechzentrums häufig Übelkeit und Er− brechen (emetisch). Später wirken Opioide durch Hemmung des Brechzentrums antiemetisch und lösen eine Miosis aus. Wiederholte Anwendung kann zu Toleranzentwicklung führen, eine Ab− hängigkeit im Sinne von Sucht tritt jedoch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch meist nicht auf. Die periphere Wirkung umfasst Analgesie, verzö− gerte Magenentleerung (Pyloruskontraktion), re− duzierte Motilität und Tonuserhöhung der glatten Muskulatur des Gastrointestinaltraktes, Kontrakti− on der Sphinkteren der Gallenwege, Tonussteige− rung der Harnblasen− und Blasenschließmuskula− tur, Tonusminderung der Blutgefäße (orthostati− sche Reaktionen) und Histaminfreisetzung.
Pharmakokinetik: Morphin wird nach oraler Ga− be rasch aus dem Magen−Darmtrakt resorbiert. Die Verstoffwechslung in Darmmukosa und Leber be− trägt 30–50 % (hoher First−pass−Effekt). In der Le− ber erfolgt die Konjugation mit Glukuronsäure, es entsteht 3−Glukuronid (keine analgetische Wir− kung) und 6−Glukuronid (hohe analgetische Wir− kung). Die Elimination erfolgt renal, mit einer EHWZ von 2–3 Stunden. Die anderen Opioidanal− getika unterscheiden sich pharmakokinetisch z. T. deutlich von Morphin (s. Tab.), was z. B. spezielle Indikationen begründet (z. B. Einsatz von Fentanyl in der Anästhesie und Intensivmedizin). Bupre− norphin ist lipophil und wird daher gut resorbiert, es wirkt ungefähr 40−mal stärker als Morphin. Die Bioverfügbarkeit ist bei oraler Gabe aufgrund eines hohen First−pass−Effektes nur gering. Die Wirkdau− er beträgt 6–8 Stunden. Buprenorphin besitzt eine sehr hohe Affinität zu Opioidrezeptoren, daher ist bei Ateminsuffizienz eine Antagonisierung mit Naloxon kaum möglich. Pharmakokinetische Daten von stark wirken− den Opioiden
Orale Bio− verfüg− barkeit (%)
Wirk− dauer (Stun− den)
EHZW (Stun− den)
Morphin
20–30
4–5
2–3
Wechselwirkungen: ZNS−dämpfende Substan− zen (Alkohol, Hypnotika, Phenothiazine, Tranquili− zer) verstärken die Opioidsedierung. Cimetidin verzögert den Morphinabbau. Alle motilitätshem− menden Substanzen verstärken die obstipierende Wirkung der Opioide.
Fentanyl
30–60
1–2
3–4
Pethidin
50
3–5
3–4
Pentazocin
20
3–6
4–5
Buprenorphin 50
4–5
5
Indikationen: Opioidanalgetika werden zur Be− handlung schwerer und schwerster Schmerzzu− stände eingesetzt. Durch die psychosedierende Wirkung sind Opioidanalgetika für die Schmerzbe− handlung des akuten Myokardinfarktes (s. Fall 97) und des akuten Lungenödems (s. Fall 75) geeignet. Bei Kontraindikationen gegen nichtsteroidale Anti− phlogistika werden Opioidanalgetika bei Schmer− zen des Bewegungsapparats verwendet. Opioide werden auch als Antitussiva (s. Fall 28) eingesetzt.
Naloxon
2
0,5
1–1,5
Nalbuphin
10–40
3–6
4–5
23 Antworten und Kommentar
Wirkstoff
149
Fall
Unerwünschte Wirkungen: (s. a. Wirkung). Die atemdepressive Wirkung ist bei Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungen sowie mit Em− physem zu beachten. Säuglinge und Kinder sind besonders empfindlich gegenüber Opioidanalgeti− ka. Bei Hypovolämie oder gleichzeitiger Gabe blutdrucksenkender Substanzen ist der hypotensi− ve Effekt zu beachten. Spastische Obstipationen bei länger dauernder Anwendung von Opioiden werden meist mit Laxanzien behandelt. Spastische Kontraktion des Harnblasensphinkters führt zum Harnverhalt, eine Blasenüberfüllung kann evtl. vom Patienten nicht bemerkt werden und eine mögliche Blasenruptur bedingen. Buprenorphin kann starkes Schwitzen und Schweißausbrüche (10 %) auslösen. Eine akute Intoxikation mit Opioidanalgetika ruft eine Symptom−Trias hervor – Atemdepression (Frequenz: 2–4/min), Koma und Miosis – und bedarf einer raschen Behandlung in Form von Beatmung sowie einer Titrationsanta− gonisierung mit Naloxon.
Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 23.3. Bei Urämie ist die Empfindlichkeit für Opioide er− höht. In Schwangerschaft und Stillzeit ist die Indi− kation streng zu stellen.
Applikationsform: s. Antwort zur Frage 23.1. Ne− ben den erwähnten parenteralen Applikationsfor− men sind Opioide auch zur rektalen (z. B. Pentazo− cin) oder zur rückenmarknahen (intrathekaI, epi− dural) Anwendungen verfügbar.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Schwach wirkende Opioidanalgetika Cannabinoide Antitussiva
Fall 23 Seite 24
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Fall 24
Cephalosporine
24.1 Nennen Sie Wirkspektrum und Indikatio− nen der parenteral anwendbaren Cephalo− sporine!
Gruppe
Beispiele
Cefazolin−Gruppe Cefazolin (Basiscephalo− sporine)
150
Fall
24
Wirkspektrum
Indikationen
Schmales Wirkspektrum; gegen Staphylokokken, Pneumokokken, Enterobak− terien (nicht: Enterokok− ken, Pseudomonaden)
Leichte Infektionen (z. B. ambulant erworbene Pneu− monien, Wundinfektionen), perioperative Prophylaxe
Cefuroxim−Grup− pe (Intermediär− cephalosporine)
Cefuroxim, Cefo− Breites Wirkspektrum; ge− tiam, Cefamandol gen Staphylokokken (inkl. H. influenzae), Pneumo− kokken, Enterobakterien
Cefotaxim−Grup− pe (Breitspekt− rumcephalo− sporine)
Cefotaxim, Cefmenoxim, Ceftriaxon
Mittelschwere, nicht le− bensbedrohliche Infektio− nen
Sehr breites Wirkspektrum Lebensbedrohliche Infek− gegen Streptokokken, tionen Pneumokokken, Enterobak− terien, Pseudomonas, Me− ningokokken, Gonokokken; b−Lactamasestabilität
Antworten und Kommentar
Ceftazidim−Grup− Ceftazidim pe (Pseudomo− nascephalospori− ne)
Sehr breites Wirkspektrum Schwere bis lebensbedroh− mit hoher Aktivität gegen liche Infektionen; Sonder− Pseudomonas aeruginosa indikation: Mukoviszidose
Cefoxitin−Gruppe (Anaerobierce− phalosporine)
Wirksam bei Mischinfek− tionen mit Anaerobiern; hochgradige b−Lactamase− stabilität
Cefoxitin
Infektionen der Harnwege, Atemwege, Haut, Weich− teile, Knochen
K Reversible Leuko− und Thrombozytopenien 24.2 In welche Gruppen lassen sich die Oral− sowie Gerinnungsstörungen cephalosporine einteilen? K Passagere Erhöhung der Transaminasen K Cefalexin−Gruppe (1. Generation), z. B. Cefale− xin, Cefadroxil !!! 24.4 Welche Maßnahmen sind jetzt bei Kon− K Cefuroxim−Axetil−Gruppe (2. Generation), taktpersonen zu veranlassen? z. B. Cefuroxim−Axetil, Cefachlor, Loracarbef K Chemoprophylaxe bei Kontaktpersonen zur K Cefixim−Gruppe (3. Generation), z. B. Cefixim, Prävention weiterer Krankheitsfälle durch Cefpodoxim, Ceftibuten Tröpfchen− oder Schmierinfektion: K Bei Kindern: Rifampicin 2 3 10 mg/kg KG/d 24.3 Mit welchen unerwünschten Wirkungen p.o. über 2 Tage der Cephalosporine müssen Sie rechnen? K Bei Erwachsenen: Rifampicin 2 3 600 mg/d K Allergische Reaktionen (1–4 %), Kreuzaller− p.o. über 2 Tage; alternativ Ciprofloxacin 1 3 gien mit Penicillinen in 5–10 % der Fälle 500–750 mg p.o. K Nephrotoxizität, v. a. in Kombination mit K Bei Schwangeren: Ceftriaxon 1 3 250 mg i.m. Aminoglykosiden oder Furosemid K Schlechte lokale Verträglichkeit: gastroin− testinale Störungen, Thrombophlebitis nach i. v.−Gabe, Schmerzen und Gewebeschädigung nach i.m.−Gabe
Fall 24 Seite 25
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KOMMENTAR Krankheitsbild Meningokokkenmeningitis: Die Meningokokkenmeningitis ist eine Entzündung der Hirnhäute verursacht durch das gramnegative Bakterium Neisseria meningitides (Syn. Meningo− kokken). Es besteht immer eine schwere Allge− meininfektion (Bakteriämie) mit Mikrozirkulati− onsstörungen, auch eine schwere Sepsis kann die Folge sein. Die Meningokokkenmeningitis ist mel− depflichtig. Definition: Cephalosporine zählen wie die Peni− cilline zu den b−Lactamantibiotika. Typische Wirkstoffe: s. Antworten zu Frage 24.1 und 24.2. Natürlich vorkommende Cephalosporine werden aus dem Pilz Cephalosporium acremoni− um gewonnen. Das Grundgerüst der 7−Aminoce− phalosporansäure dient als Ausgangssubstanz für halbsynthetische Cephalosporine, die eine höhe− re Wirkstärke und ein breiteres Wirkspektrum be− sitzen.
Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 24.3. In der Labordiagnostik können Cephalospo− rine durch Schädigung der Erythrozytenoberfläche einen falsch−positiven direkten Coombs−Test ver− ursachen. Wechselwirkungen: Die Nephrotoxizität kann durch Aminoglykoside und Schleifendiuretika ver− stärkt werden. Medikamente mit Säurecharakter (z. B. Probenecid) können die renale Sekretion mancher Cephalosporine reduzieren und damit den Blutspiegel erhöhen. Die gerinnungshemmen−
Kontraindikationen: Kontraindikationen erge− ben sich bei einer Überempfindlichkeit gegen− über Cephalosporinen. Eine gelegentliche Kreuz− reaktion mit Penicillinen ist zu beachten, aber keine Kontraindikation. Bei Vorliegen einer einge− schränkten Nierenfunktion ist eine Dosisanpas− sung vorzunehmen. In Schwangerschaft und Still− zeit ist die Indikation streng zu stellen. Pharmakokinetik: Die meisten Cephalosporine werden unverändert renal oder biliär ausgeschie− den. Eine eingeschränkte Nierenfunktion bedeutet daher, dass die Clearance vermindert ist und hohe Dosen der Cephalosporine akkumulieren können. Eine Metabolisierung findet bei Substanzen statt, die eine leicht abspaltbare Estergruppe besitzen (z. B. Cefotaxim). Die durchschnittliche EHWZ der parenteralen Cephalosporine liegt bei 1–2 Stunden (Ausnahme Ceftriaxon: 8–12 Stunden), die Plas− maeiweißbindung liegt zwischen 30–90 %. Die Bio− verfügbarkeit der Oralcephalosporine beträgt 50– 90 % bei einer EHWZ von 1–4 Stunden. Applikationsform: Cephalosporine können oral und parenteral (i. v., i.m.) verabreicht werden.
151
24 Antworten und Kommentar
Wirkung: Cephalosporine wirken durch Destabi− lisierung der Zellwand bakterizid auf proliferie− rende Bakterien.
Indikationen: s. Antwort zu Fragen 24.1 und 24.2. Cephalosporine sollten nicht als Routineantibio− tika“ bei Bagatellinfektionen eingesetzt werden. Der Einsatz der cephalosporinaseempfindlichen Cephalosporine ist bei Versagen von penicillinase− resistenten Penicillinen im grampositiven Bereich, von Breitspektrumpenicillinen (z. B. Amoxicillin) im gramnegativen Bereich sowie bei bestehender Penicillinallergie nach Testung angezeigt. Cepha− losporinasefeste Cephalosporine werden im gramnegativen Bereich bei amoxicillinresistenten und cephalosporinempfindlichen Erregern einge− setzt.
Fall
Wirkungsmechanismus: Cephalosporine hem− men wie die Penicilline (s. Fall 7) die Transpepti− dase−Aktivität bei der Synthese der Bakterien− wand. Der b−Lactamring der Cephalosporine kann durch Cephalosporinase, die überwiegend von gramnegativen Bakterien gebildet wird, gespalten werden; durch chemische Modifikation ist es ge− lungen cephalosporinasestabile Wirkstoffe herzu− stellen
de Wirkung von oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern kann bei gleichzeitiger Gabe von Cephalosporinen erhöht sein. Die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva kann durch Cephalosporine reduziert werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Carbapeneme MRSA und Cephalosporine Monobactame
Fall 24 Seite 25
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Fall 25
Trizyklische Antidepressiva
25.1 Welche Antidepressiva−Gruppen sind Ih− nen bekannt? K Nichtselektive Monoaminwiederaufnahme− hemmer (NSMRI): – Trizyklische Antidepressiva, z. B. Imipramin, Amitriptylin – Tetrazyklische Antidepressiva, z. B. Mianse− rin K Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Fluoxetin K Selektiver Noradrenalinwiederaufnahme− hemmer (SNRI), Reboxetin K Selektiver Serotonin−Noradrenalin−Wieder− aufnahmehemmer (SSNRI), Venlafaxin K Monoaminoxidase−Hemmer (MAO−Hemmer), z. B. Moclobemid K Lithiumverbindungen (s. Fall 6)
152
Fall
25 Antworten und Kommentar
25.2 Warum und welche Routineuntersuchun− gen sollten vor der Therapie mit trizyklischen Antidepressiva durchgeführt werden? Zur Abklärung ggf. vorliegender Kontraindikatio− nen (z. B. Leber− und Nierenfunktionsstörungen) sollten durchgeführt werden: K Klinische Untersuchungen: Blutdruck, Puls, EKG, evtl. EEG K Laboruntersuchungen: Harnstoff/Kreatinin, GOT, GPT, g−GT, Blutbild 25.3 Nennen Sie den Wirkungsmechanismus der trizyklischen Antidepressiva! Der Wirkmechanismus ist bisher nicht endgültig geklärt, vermutet werden mehrere einander be− einflussende Mechanismen:
K Kurzfristig: Hemmung der neuronalen Wie− deraufnahme der Monoamine Noradrenalin und Serotonin durch Blockade der entspre− chenden Transporter R Verstärkung der nor− adrenergen und serotonergen synaptischen Übertragung K Langfristig: Aktivierung zentralnervöser a−Adrenorezeptoren und verminderte Expressi− on von b−Adrenorezeptoren R adaptative Nor− malisierung der noradrenergen und serotoner− gen Neurotransmission wirkt antidepressiv
25.4 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der trizyklischen Antidepressiva! K Periphere anticholinerge Wirkung: Mund− trockenheit (20–30 %), Akkommodationsstö− rungen (10 %), Obstipation, Miktionsstörungen (5 %), sexuelle Funktionsstörungen K Zentralnervöse Störungen: dosisabhängig to− nisch−klonische Krampfanfälle (selten), fein− schlägiger Tremor, Sedation, Müdigkeit, Schlafstörungen, Unruhe K Kardiale Störungen: Schenkelblock, komplet− ter AV−Block (verstärkt bei vorbestehenden kardialen Reizleitungsstörungen), Arrhyth− mien, Tachykardie K Kreislaufstörungen: orthostatische Hypotonie (10–20 %) K Allergische Reaktionen: Exantheme K Toxische Reaktionen (sehr selten): hepatoto− xische Reaktionen (z. B. nekrotisierende Hepa− titis, intrahepatische Cholestase), hämatotoxi− sche (z. B. Leukopenie, Agranulozytose, Thrombozytopenie) K Appetitsteigerung, Gewichtszunahme
KOMMENTAR Definition: Antidepressiva sind Substanzen, die eine pathologisch gesenkte Stimmung anheben können (Thymoleptika, Stimmungsaufheller). Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 25.1. Die Klasse der Antidepressiva umfasst chemisch unterschiedliche Arzneistoffe, vorwiegend handelt es sich um Substanzen mit 3 konjugierten Ringen und einer Propylaminseitenkette. Leitsubstanzen der trizyklischen Antidepressiva sind Imipramin (z. B. Imipramin, Clomipramin) und Amitriptylin (z. B. Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin); zusätz− lich unterscheidet man Abkömmlinge des Desi− pramins (z. B. Desipramin, Nortriptylin)
Imipramin
Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 25.3. Neben der Blockade der Wiederaufnahme− transporter für Monoamine sind die trizyklischen Antidepressiva in unterschiedlicher Ausprägung Antagonisten an Muscarin−Rezeptoren und a1− Adrenorezeptoren sowie Histamin−H1− und His− tamin−H2−Rezeptoren, was für das Auftreten von unerwünschten Wirkungen eine Rolle spielt. Nach einem bisher ungeklärten Mechanismus verän− dern die trizyklischen Antidepressiva die neuro− nale Rezeptoraffinität oder die Rezeptordichte, möglicherweise als adaptative Vorgänge der Trans−
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porthemmung; dies bietet eine mögliche Erklä− rung, dass die antidepressive Wirkung erst nach 2–3 Wochen einsetzt. Wirkung: Die Grundwirkung der trizyklischen Antidepressiva ist die depressionslösende Stim− mungsaufhellung (thymoleptisch). Dazu kommen, je nach Substanz, antriebssteigernde (thyme− retisch) oder sedierende Wirkungen. Eine psycho− motorische Aktivierung geht von Wirkstoffen des Desipramin−Typs aus, eine psychomotorische Dämpfung von den Amitryptilin−Typen, der Imi− pramin−Typ hat nur einen geringen psychomotori− schen Einfluss. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 25.4. Wegen Einschränkungen der psychomotori− schen Reaktionsfähigkeit und sedierender Wir− kung sollte auf das Führen eines Kraftfahrzeugs zu Beginn der Therapie verzichtet werden.
Pharmakokinetik: Trizyklische Antidepressiva werden nach oraler Gabe rasch und gut resorbiert, maximale Plasmakonzentrationen werden nach 2–8 Stunden erreicht. Das Verteilungsvolumen ist aufgrund der ausgeprägten Lipophilie hoch, so dass auch die EHWZ lang ist und die Wirkstoffe einmal pro Tag gegeben werden können (s. Tab.). Die Biotranformation geschieht durch N−Deme− thylierungen, Ring− und Seitenkettenhydroxylie− rungen sowie Konjugation mit Glukuronsäure in der Leber. Die Elimination erfolgt überwiegend re− nal. Applikationsform: Trizyklische Antidepressiva können oral, intravenös oder intramuskulär verab− reicht werden. Aufgrund der anticholinergen Ne− benwirkungen sollte eine Therapie mit einschlei− chenden Dosierungen begonnen werden, bis die gewünschte Maximaldosis (s. Tab.) innerhalb von 2–14 Tagen erreicht ist.
Indikationen: Die trizyklischen Antidepressiva vom Imipramin−Typ sind außer bei endogenen Depressionen (s. Fall 91) bei generalisierten Angst−, Panik− und Essstörungen sowie Phobien indiziert. Die Wirkstoffe werden außerdem auf− grund ihrer natriumkanalblockierenden Wirkung zur Behandlung neuropathischer Schmerzen ein− gesetzt. Zusätzlich führen Antidepressiva zu einer affektiven Schmerzdistanzierung.
Wirkstoff
Orale Tages− dosis (mg)
EHWZ (Stunden)
Amitriptylin
50–150
9–36
Doxepin
50–150
11–19
Clomipramin
50–150
17–28
Imipramin
50–150
5–20
Desipramin
50–150
13–25
Nortriptylin
30–150
11–24
Kontraindikationen: Die Therapie mit trizykli− schen Antidepressiva verbietet sich bei akuter Al−
25 Antworten und Kommentar
Dosierung und Halbwertszeit von nichtselekti− ven Monoaminwiederaufnahmehemmern
153
Fall
Wechselwirkungen: Trizyklische Antidepressiva verstärken die zentraldämpfende Wirkung von Al− kohol, Sedativa und Hypnotika. Die anticholiner− gen Wirkungen von Antihistaminika und Anticho− linergika und die blutdrucksteigernde Wirkung der Sympathomimetika werden verstärkt. Dage− gen wird die blutdrucksenkende Wirkung der An− tihypertonika abgeschwächt. Die unerwünschten Wirkungen von Antiarrhythmika vom Chinidin− Typ werden verstärkt (Kontraindikation). Die adre− nerge Wirkung der MAO−Hemmer kann bis hin zur hypertensiven Krise verstärkt werden. Da der Abbau über das Cytochrom−P450−System erfolgt, können Enzyminduktoren (z. B. Barbiturate) zu ei− ner Senkung des Plasmaspiegels der trizyklischen Antidepressiva führen.
kohol− und Medikamentenvergiftung und Deli− rien. Außerdem sind trizyklische Antidepressiva bei unbehandeltem Engwinkelglaukom, Pylorus− stenose, Prostatahypertrophie mit Restharnbil− dung, paralytischem Ileus, höhergradigen AV−Blo− ckierungen und Zustand nach akutem Herzinfarkt und Epilepsien kontraindiziert. Die Indikation in der Schwangerschaft ist streng zu stellen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Vergiftung mit trizyklischen Antidepressiva MAO−Hemmer Johanniskraut als Antidepressivum
Fall 25 Seite 26
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Fall 26
154
Fall
26
Bisphosphonate
K Applikationsform: nasal (Nasenspray), paren− 26.1 Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus der Bisphosphonate! teral (subkutan) Hemmung des Knochenabbaus: Osteoklasten nehmen durch Phagozytose von Knochensub− !!! 26.4 Beschreiben Sie die Wirkungen von stanz das daran haftende Bisphosphonat auf, die− Parathormon auf den Knochen! ses akkumuliert und führt zur Hemmung der Parathormon wirkt sowohl osteokatabol als auch Osteoklasten osteoanabol: K Katabol: wichtigster physiologischer Effekt ist 26.2 Welche Einnahmehinweise für Bisphos− die Erhöhung der Blutkalziumkonzentration phonate geben Sie der Patientin und warum? durch Knochenresorption (Osteoklastenakti− K Unerwünschte Wirkungen: Schädigung der vierung) R eine dauerhafte Erhöhung des Pa− Schleimhäute des oberen Gastrointestinaltrak− rathormons im Blut (Hyperparathyreoidismus) tes bei peroral angewandten Bisphosphonaten führt zur sekundären Osteoporose K Anabol: die intermittierende Stimulation mit (v. a. Alendronat, Risedronat) K Prophylaxe: zur Förderung einer raschen Pas− Parathormon oder dem Fragment PTH1–34 sage durch Speiseröhre und Magen gilt ein führt zur Knochenneubildung durch Aktivie− spezielles Einnahmeschema: rung der Osteoblasten – Einnahme 30 min vor dem Frühstück in aufrechter Körperhaltung (bis 30 min nach Einnahme); Einnahme im Liegen ist kontraindiziert! – Trinken von mindestens 200 ml Leitungs− wasser – Keine Einnahme zusammen mit Milch o.a. kalziumreichen Flüssigkeiten (z. B. Mineral− wasser)
Antworten und Kommentar
26.3 Wie wirkt das Calcitonin? Wie wird es zugeführt? K Wirkungen: – Hemmung der Osteoklastentätigkeit durch Hemmung der Freisetzung von Kalzium und Phosphat – Förderung des Kalziumeinbaus in Knochen – Zentral analgetische Wirkung bei Knochen− schmerzen
Bisphosphonate
Steuerung des Kalziumhaushalts
KOMMENTAR Definition: Antiresorptiva, wie Bisphosphonate und Calcitonin, sind Substanzen, die den Knochen− abbau hemmen. Typische Wirkstoffe: Bisphosphonate, wie Alen− dronat, Etidronat, Pamidronat und Risedronat, sind stabile kohlenstoffsubstituierte Pyrophos− phatanaloga. Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 26.1. Bisphosphonate unterscheiden sich im Ver− hältnis ihrer Wirkstärken bezüglich Hemmung der Mineralisation bzw. des Knochenabbaus voneinander. Etidronat und Analogsubstanzen verfügen im therapeutischen Konzentrationsbe− reich über beide Effekte. Die später eingeführten stickstoffhaltigen Bisphosphonate wie Alendronat wirken verstärkt hemmend auf die Knochenre− sorption. Der molekulare Wirkungsmechanismus ist bisher wenig erforscht. Bisphosphonate wirken wahrscheinlich zytotoxisch auf Osteoklasten und
Fall 26 Seite 27
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hemmen deren Signaltransduktion; zusätzlich scheint eine Interaktion der Bisphosphonate mit dem Zytoskelett der Osteoklasten deren Migration und Anheftung an Knochenstrukturen zu beein− flussen. Da Bisphosphonate analog zu Pyrophos− phat aufgebaut sind, können sie sich wie dieses auf der Oberfläche der Mineralsubstanz des Knochens an lagern. Dies hat möglicherweise durch Kom− plexbildung einen stabilisierenden Effekt. Wirkung: s. Antwort zur Frage 26.1. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 26.2. Bei Nichtbeachtung der Einnahmevorschrif− ten, v. a. für Alendronat, können gastrointestinale Störungen (z. B. Übelkeit, Dyspepsie, Obstipation, Diarrhö) und Ösophagusulzerationen auftreten. Mineralisationsstörungen von neugebildetem Knochengewebe (Osteomalazie) durch Komplex− bildung mit Kalzium sind für Etidronat beschrie− ben. Selten ist mit allergischen Hautreaktionen, Muskel−, Knochen− und Gelenkschmerzen sowie einer Verminderung der Serumkalzium− und Se− rumphosphatkonzentration zu rechnen.
Pharmakokinetik: Bisphosphonate werden nach oraler Applikation nur schlecht resorbiert. Die Bio− verfügbarkeit wird durch gleichzeitige Nahrungs− aufnahme durch Komplexierung mit Kalzium ge− hemmt. Die EHWZ der Bisphosphonate sind kurz, durch die starke Bindung an das Skelett liegen aber die Halbwertszeiten im Knochen im Bereich von Monaten bis Jahren. Die Elimination erfolgt unver− ändert renal. Applikationsform: Bisphosphonate können pero− ral und intravenös verabreicht werden. Bei Patien− ten mit hohem Risiko für gastrointestinale Schädi− gungen (s. o.) ist eine i. v.−Gabe vorzuziehen. Bei Dosierung und Applikation werden kontinuierli− che und intermittierende Therapieschemata er− probt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Vitamin D und Kalzium Fluorid in der Osteoporosetherapie Behandlung von Knochenmetastasen
Fall 27
Herzglykoside
27.1 Welches Herzglykosid würden Sie im vorliegenden Fall einsetzen? K Glomeruläre Filtrationsrate des Patienten: 50 ml/min (GFR = [140 – Lebensalter] 3 Körper− gewicht/Serumkreatinin 3 72) (nach Cock− croft und Gault) K Bei eingeschränkter Nierenfunktion (, 80 ml/ min): Verwendung von Digitoxin R keine Ge− fahr der Kumulation, aber schlechte Steuerbar− keit K Digoxin R bessere Steuerbarkeit, aber Dosis− reduktion entsprechend der Nierenfunktion
155
27 Antworten und Kommentar
Indikationen: Bisphosphonate sind potente An− tiresorptiva am Knochen und deshalb Mittel der Wahl zur Behandlung hyperresorptiver Knochen− erkrankungen, wie Osteoporose (s. Fall 66) oder
Kontraindikationen: Alendronat und Risedronat dürfen bei Entleerungsverzögerung der Speise− röhre (z. B. Strikturen, Achalasie) und bei Unfähig− keit für 30 Minuten aufrecht zu stehen oder zu sitzen nicht oral gegeben werden. Etidronat darf bei Osteomalazie nicht verwendet werden. Bei Niereninsuffizienz, Schwangerschaft (fehlende ausreichende Erfahrung) und in der Stillzeit (keine Daten zum Übergang in die Muttermilch) sind alle Bisphosphonate kontraindiziert.
Fall
Wechselwirkungen: Antazida oder Kalzium ver− mindern die Resorption von Bisphosphonaten, da− her wird die Einnahme im zeitlichen Abstand von 2 Stunden empfohlen. Nichtsteroidale Antiphlo− gistika können die gastrointestinalen Beschwerden verstärken.
Morbus Paget des Skeletts, zur palliativen Behand− lung der tumorinduzierten Hyperkalziämie/Osteo− lysen und bei Schmerzen in Folge von Knochen− metastasen. In Deutschland sind bislang nur Eti− dronat, Alendronat und Risedronat zur Therapie der Osteoporose zugelassen.
27.2 Welche Möglichkeiten der Aufdigitalisie− rung haben Sie? Wie hoch liegt die Erhaltungs− dosis? K Schnelle Aufsättigung (nur indiziert bei schwerer Tachyarrhythmie): Digoxin 3 3 0,4 mg i. v. bzw. Digitoxin 3 3 0,25 mg i. v. in 24 Stunden; dann Erhaltungsdosis K Mittelschnelle Aufsättigung: Digoxin und Derivate mit 0,4 mg/d i. v. oder doppelte orale Erhaltungsdosis/d über 3 Tage; Digitoxin 0,3 mg/d i. v. oder p.o. über 3 Tage; dann Er− haltungsdosis
Fall 27 Seite 28
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K Langsame Aufsättigung: Beginn mit Erhal− tungsdosis R Vollwirkdosis bei Digoxin nach 8 Tagen, bei Digitoxin nach etwa 1 Monat er− reicht K Erhaltungsdosis (therapeutische Serumspie− gel von Digoxin: 0,8–2 ng/ml, von Digitoxin: 15–25 ng/ml); Digoxin 0,25–0,375 mg/d, Digi− toxin: 0,07–0,1 mg/d
27.3 Was tun Sie bei einer Digitalisintoxika−
156
tion? K Absetzen der Herzglykoside K Anheben des Kaliumspiegels: Infusion einer K+−Lösung (z. B. 0,3 % KCl in Glukose 5 %) auf hochnormale Werte (4,5–5,5 mmol/l) K Symptomatische Behandlung der Rhythmus− störungen: – Bradykardie: Atropin (0,5–1 mg i. v.) oder temporäre Schrittmachertherapie – Ventrikuläre Extrasystolen: Lidocain (100 mg i. v.), Phenytoin wenn erfolglos – Kammerflimmern: kardiopulmonale Re− animation
K Digitaliselimination: – Magenspülung, Aktivkohle, bei Digitoxin zusätzlich Colestyramin – Antidottherapie mit Digitalisantikörper− Fragmenten R Bindung von Digoxin/Digito− xin und renale Ausscheidung; Hämoperfu− sion (bei sehr schwerer Intoxikation)
27.4 Welche Arzneimittel können den Kalium− haushalt stören? K Renaler K+−Verlust: Amphotericin B, Thiazide, Schleifendiuretika, Aldosteronantagonisten, Glukokortikoide K Gastrointestinaler K+−Verlust: Laxanzien K Hypokaliämie (zelluläre Verschiebung): Alka− lose, Glukose i. v., Insulin, b2−Sympathomime− tika
KOMMENTAR
Fall
27
Definition: Herzglykoside (Syn. Kardiosteroide) sind herzwirksame Pflanzeninhaltsstoffe aus ei− nem Steroidring (Genin oder Aglycon), mehreren Zuckermolekülen und einem Lactonring.
Antworten und Kommentar
Typische Wirkstoffe: Herzglykoside kommen in verschiedenen Pflanzen, z. B. dem roten und wol− ligen Fingerhut (Digitalis purpura und lanata), der Meerzwiebel und dem Maiglöckchen vor. Auch bei Tieren sind herzwirksame Glykoside, z. B. im Haut− sekret von Kröten, nachweisbar. Die therapeutisch wichtigsten Herzglykoside sind Digitoxin und Di−
goxin und die Derivate b−Acetyl− und b−Methyldi− goxin. Wirkungsmechanismus: Herzglykoside hem− men die Na+/K+−ATPase von Herzmuskelzellen. Die Folge ist eine Zunahme der intrazellulären Na+−Konzentration und eine Abnahme der intra− zellulären K+−Konzentration. Durch den so ent− standenen verminderten Na+−Gradienten wird die Triebkraft für den Ca2+−Ausstrom (membranstän− diger Na+/Ca2+−Austauschmechanismus) redu− ziert; eine erhöhte intrazelluläre Ca2+−Konzen− tration führt schließlich zu einer Zunahme der Kontraktilität. Wirkung: Herzglykoside wirken positiv inotrop, negativ chronotrop und negativ dromotrop auf ein insuffizientes Herz. Die positive Inotropie be− wirkt eine vollständigere Kammerentleerung, das enddiastolische Restvolumen und die Herzgröße nehmen ab, das Herzzeitvolumen jedoch zu. Durch den verbesserten venösen Rückstrom sinkt der Ve− nendruck, die Stauungserscheinungen gehen zu− rück. Durch den negativ chronotropen Effekt kommt es zu einer Erhöhung des Vagotonus und reflektorischer Senkung des Sympathotonus und somit einer Entlastung des Herzens. Herzglykoside senken die Erregungsleitungsgeschwindigkeit und erhöhen die Refraktärzeit im AV−Knoten. Eine zu− sätzliche Wirkung ist die Senkung der Reizschwel− le in Vorhof− und Kammermuskulatur, was zu ei− ner Abnahme der Refraktärzeit und dadurch zu vermehrter heterotoper Erregungsbildung führen kann (positiv bathmotrope Wirkung). Unerwünschte Wirkungen: Herzglykoside ha− ben eine geringe therapeutische Breite, die Gly−
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kosidempfindlichkeit kann von Patient zu Patient, aber auch beim gleichen Patienten stark schwan− ken. Unerwünschte Wirkungen sind häufig (5– 10 %) und meist Folge einer absoluten oder relati− ven Überdosierung. Kardiale unerwünschte Wir− kungen manifestieren sich als Herzrhythmusstö− rungen; möglich ist jede Form von Leitungsstörun− gen (z. B. Sinus−, AV−Blockierungen) oder ektopen Automatien (z. B. atriale/ventrikuläre Tachykar− dien, Kammerflimmern) (Therapie s. Antwort zur Frage 27.3). Extrakardiale unerwünschte Wirkun− gen treten häufig in Form von gastrointestinalen Beschwerden (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Anorexie) oder seltener in Form von Sehstörungen (z. B. Farbwahrnehmungsveränderungen) auf. Bei älte− ren Patienten können Verwirrtheitszustände und Halluzinationen beobachtet werden. Dosis− unabhängige allergische Wirkungen in Form von Hauterscheinungen oder hämatologische Mani− festationen (Eosinophilie, Thrombozytopenie) sind sehr selten.
Pharmakokinetik: Die Herzglykoside unterschei− den sich in ihren pharmakokinetischen Eigen− schaften. Diese sind für die Auswahl eines Glyko− sids zur Therapie entscheidend. Digoxin ist auf Grund einer kürzeren EHWZ besser steuerbar, wird aber schlechter und variabler resorbiert (s. Tab.). Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann Di− goxin akkumulieren, daher ist eine Dosisanpas− sung angezeigt. Digitoxin wird zu 40 % hepatisch metabolisiert und mit der Galle ausgeschieden (enterohepatischer Kreislauf). Applikationsform: s. Antwort zur Frage 27.2. Di− gitoxin− und Digoxinpräparate sind zur peroralen und intravenösen Applikation verfügbar.
Pharmakokinetik von Digoxin und Digitoxin
Wirkstoffe
Orale Bio− verfügbar− keit (%)
Wirkungs− eintritt (Minuten)
Wirkungs− maximum (Stunden)
Wirkdauer (Tage)
EHWZ (Ta− ge)
Überwie− gende Aus− scheidung
Digoxin oral
60–90
120–180
3–6
6–8
1,5–2
renal
3–30
1−6
6–8
1,5–2
renal
180–300
8–12
20
5–8
hepatisch
25–120
4–12
20
5–8
hepatisch
Digoxin i. v. Digitoxin oral Digitoxin i. v.
90–100
157
27 Antworten und Kommentar
Indikationen: Herzglykoside werden heute bei mittelschwerer (NYHA III) bis schwerer (NYHA IV) Herzinsuffizienz nur in Kombination mit
Kontraindikationen: Kontraindikationen für Herzglykoside sind: hypertrophe obstruktive Kardiomyopathien (z. B. subvalvuläre Aortenste− nose), Herzrhythmusstörungen (z. B. Sinusbrady− kardie, Überleitungsblock, Wolff−Parkinson−White− Syndrom) und schwere Elektrolytstörungen.
Fall
Wechselwirkungen: Eine Wirkungsverstärkung und Verminderung der Glykosidtoleranz besteht bei Substanzen, die eine Hypokaliämie bewirken (s. Antwort zur Frage 27.4), und bei Hyperkalziä− mie (z. B. durch Gabe von Kalziumsalzen). Die Glykosid−Clearance kann durch Chinidin, Tetra− zykline oder Amiodaron vermindert werden, was erhöhte Plasmaspiegel zur Folge hat. Die Herz− glykosidwirkung wird durch Hemmer der Glyko− sidabsorption (z. B. Colestyramin, Kaolin) und durch kaliumsparende Diuretika vermindert.
ACE−Hemmern und Diuretika eingesetzt (s. Fall 42). Bei Herzinsuffizienz mit Vorhofflimmern werden Digitalispräparate schon ab NYHA−Stadi− um II verwendet. Da Herzglykoside die Prognose nicht verbessern, wird eine Monotherapie der chronischen Herzinsuffizienz mit Digitalis heute nicht mehr empfohlen. Die prophylaktische Gabe von Herzglykosiden bei älteren Patienten (sog. Al− tersherz) oder der Einsatz bei peripherem oder zentral bedingtem Kreislaufkollaps ist nicht ge− rechtfertigt. Weitere Indikationen sind die Be− handlung von supraventrikulären Tachykardien (s. Fall 99), Tachyarrhythmien sowie Vorhofflat− tern und −flimmern.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN P−Glykoprotein und Arzneistonterferenzen Behandlung der Hypokaliamie Antiarrhythmika
Fall 27 Seite 28
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Fall 28 28.1 Welche Wirkstoffe können als Antitussiva eingesetzt werden? K Codein: gute analgetische und antitussive Wirkung K Dihydrocodein: Wirkung wie Codein, erhöh− tes Abhängigkeitspotenzial K Dextromethorpan: gute antitussive Wirkung, kein analgetischer Effekt K Noscapin: gute antitussive Wirkung, keine weiteren zentralen Effekte K Pentoxyverin, Clobutinol: zentraler antitussi− ver Effekt 28.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen des Codeins! Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Hemmung des Atemzentrums (bei Kindern stär− ker als bei Erwachsenen)
158
Antitussiva 28.3 Wie wirken Expektoranzien? K Sekretolytisch (z. B. Ambroxol): vermehrte Sekretion eines weniger zähen Schleims K Mukolytisch (z. B. N−Acetylcystein): vermin− derte Viskosität durch reduktive Spaltung der Disulfidbrücken im Proteinanteil des Schleims 28.4 Sollte der Patient ein Antibiotikum erhal− ten? Eine akute Tracheobronchitis heilt meist ohne Therapie innerhalb weniger Tage ab. Da kein An− halt für eine bakterielle Infektion (eitriges Spu− tum, Fieber) besteht, ist ein Antibiotikum nicht indiziert. Antibiotika sind nur unter folgenden Bedingungen erforderlich: K Vorbestehende chronische Bronchitis K Höheres Lebensalter K Schwere Grundkrankheiten K Immundefekte, immunsuppressive Therapie
KOMMENTAR
Fall
28
Definition: Antitussiva sind hustenstillende Sub− stanzen.
Antworten und Kommentar
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 28.1. Codein, Dihydrocodein und Hydrocodon sind methylierte Morphinderivate, sie gehören zur Gruppe der Opioide. Noscapin ist ein Opiumalka− loid vom Benzylisochinolon−Typ, gehört struktu− rell aber nicht zu den Opiaten. Pentoxyverin und Clobutinol sind Nichtopioide mit unterschiedli− cher chemischer Konstitution.
Wirkungsmechanismus: Antitussiva können das Hustenzentrum im Stammhirn oder peripher die sensiblen Hustenrezeptoren im Bronchialtrakt blockieren. Opioide hemmen im Hustenzentrum die Umschaltung des Hustenreflexes durch Inter− aktion mit Opioidrezeptoren. Wirkung: Hustenstöße werden durch inadäquate Aktivierung des Hustenreflexes, z. B. durch tro− ckene Schleimhäute, entzündliche oder neoplasti− sche Prozesse, verursacht. Antitussiva verringern Häufigkeit und Intensität von Hustenstößen. Auf Grund der partiellen metabolischen Demethy− lierung zu Morphin weist Codein analgetische Wirkungen auf, die aber im Vergleich zu Morphin gering ausfallen. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 28.2. Auf Grund der Sedierung sind die Patienten auf eine eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit hinzuweisen. Dihydrocodein wird im Organismus zum Teil zu Dihydromorphin umgewandelt. Di− hydromorphin hat ein gewisses Suchtpotenzial, was bei einer Langzeitanwendung in höheren Do− sen beachtet werden sollte. Wechselwirkungen: Sedierende und atemde− pressive Eigenschaften von zentraldämpfenden Pharmaka (z. B. Benzodiazepine) werden ver− stärkt. Auf eine Alkoholaufnahme während der Therapie mit Codein sollte wegen einer zusätzli− chen verminderten psychomotorischen Leistungs− fähigkeit verzichtet werden. Indikationen: Codein wird bei unproduktivem Reizhusten, v. a. mit Störungen des Nachtschlafes, eingesetzt. Außerdem kann es bei schwerkranken Patienten, bei denen der Husten durch eine intra− thorakale Drucksteigerung zur Kreislaufbelas−
Fall 28 Seite 29
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tung führt, eingesetzt werden. Bei Husten mit reichlich zähem Auswurf ist die Anwendung von Expektoranzien bei gleichzeitiger großzügiger Flüssigkeitszufuhr angezeigt (s. Antwort zu Frage 28.3). Kontraindikationen: Eine relative Kontraindika− tion für Codein ergibt sich bei produktivem Hus− ten, da der gehemmte Hustenreflex zu einem Se− kretstau führen kann. Codein sollte bei Patienten mit obstruktiven Ventilationsstörungen nicht anstelle einer antiobstruktiven Therapie eingesetzt werden. Im ersten Trimenon der Schwangerschaft und in der Stillzeit ist die Indikation streng zu stellen.
Pharmakokinetik: Die maximale Plasmakon− zentration von peroral verabreichtem unretardier− tem Codein wird nach einer Stunde erreicht. Die Wirkdauer beträgt ungefähr 4–6 Stunden. Etwa 10 % wird durch CYP2D6 teilweise zu Morphin de− methyliert. Die Elimination des unveränderten Co− deins und der Metabolite erfolgt nach Glukuroni− dierung renal. Applikationsform: Codein und seine Derivate sind als Tabletten, auch in retardierter Form, und Saft verfügbar. Hydrocodein kann auch subkutan verabreicht werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Einsatz von analgetischen/antipyretischen Mischpraparaten Indikationen fur N−Acetylcystein Generika
159 Sildenafil
29 Antworten und Kommentar
29.1 Welche Medikamente können Potenz− 29.3 Welche wichtigen Wechselwirkungen störungen hervorrufen? können unter Sildenafil auftreten? K Antihypertensiva: z. B. b−Rezeptorantagonis− K Hemmung des Sildenafil−Abbaus: CYP3A4− ten, Diuretika, Kalziumkanalblocker Hemmstoffe (z. B. Erythromycin, Cimetidin, K Psychopharmaka: Antidepressiva (z. B. Sero− Ketoconazol, Grapefruitsaft) toninwiederaufnahmehemmer), Neuroleptika K Potenzierung der blutdrucksenkenden Ef− fekte: Nitrate, NO−Donatoren K Arzneimittel gegen Gicht: Urikosurika, Uri− K Symptomatische Hypotonie: a−Rezeptoranta− kostatika gonisten K Lipidsenker: Statine (HMG−CoA−Reduktase− hemmer) K Zytostatika: z. B. Methotrexat, Estramustin !!! 29.4 Nennen Sie weitere medikamentose Therapieoptionen bei erektiler Dysfunktion! K Antiandrogene: z. B. Cyproteronacetat, Finas− K Lokale Anwendung: terid – Intraurethrale Applikation (MUSE) von Prostaglandin E1 29.2 Nennen Sie Kontraindikationen für Silde− nafil! – Schwellkörperinjektionstherapie (SKAT) von K Gleichzeitige Gabe von Nitraten oder Stick− Prostaglandin E1 oder Papaverin/Phentola− stoffmonoxid (NO)−Donatoren (z. B. Molsido− min min) K Orale Anwendung: – Zentrale Wirkung durch a2−Rezeptoranta− K Hypotonie , 90/50 mmHg gonisten (Yohimbin) oder Dopaminrezep− K Schwere Herz−Kreislauferkrankungen (z. B. An− toragonisten (Apomorphin) gina pectoris, schwere Herzinsuffizienz) K Patienten mit erlittenem Schlaganfall oder – Periphere Wirkung durch nichtselektive Myokardinfarkt a−Rezeptorantagonisten (Phentolamin) K Schwere Leberinsuffizienz K Erblich bedingte degenerative Retinaerkran− kungen K Weibliches Geschlecht
Fall
Fall 29
KOMMENTAR Definition: Organspezifische Phosphodiesterase− Hemmstoffe wirken vasodilatativ auf die glatte Ge− fäßmuskulatur.
Typische Wirkstoffe: Sildenafil, Tadalafil und Var− denafil sind Hemmstoffe der Phosphodiesterase− Isoform V (PDE 5).
Fall 29 Seite 30
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Wirkungsmechanismus: Bei sexueller Stimulati− on kommt es zur lokalen Freisetzung von Stick− stoffmonoxid (NO) im Corpus cavernosum des Penis aus zentralen nitrergen (nichtadrenerg, nichtcholinerg) Nerven. NO steigert über eine Ak− tivierung der Guanylatzyklase die Spiegel an zyk− lischem Guanosinmonophosphat (cGMP). Der second messenger cGMP löst eine Relaxation der glatten Muskulatur im Corpus cavernosum aus, der Blutstrom in den Penis wird erhöht und damit eine Erektion bewirkt. Der Abbau von cGMP wird durch PDE 5 induziert, welche spezifisch in den Arteriolen der Schwellkörper von Penis und Klito− ris vorkommt. Durch die Hemmung der PDE 5 wird die muskelrelaxierende Wirkung von NO verstärkt und somit die Erektionsfähigkeit verbessert. Wirkung: Hemmstoffe der PDE 5 führen bei se− xueller Stimulation zur Erektion.
160
Fall
30 Antworten und Kommentar
Unerwünschte Wirkungen: Durch dosisabhängi− ge unspezifische Beeinflussung anderer PDE−Iso− formen kommt es unter Sildenafil häufig zu Kopf− schmerzen, Hautrötungen und Dyspepsie. Weite− re unerwünschte Wirkungen sind verstopfte Nase, Harnwegsinfektionen, Diarrhö, Benommenheit und Hautausschlag. Priapismen werden unter Sil− denafil sehr selten beobachtet. Die Monotherapie mit Sildenafil bewirkt eine Blutdrucksenkung von etwa 10 mmHg und einen reflektorischen Herzfrequenzanstieg. Durch Hemmung der Phos− phodiesterase−Isoform VI, die am Sehvorgang be− teiligt ist, können vorübergehende Farbsehstö− rungen ausgelöst werden. Wechselwirkungen: s. Antwort zu Frage 29.3. Po− tenziell gefährlich ist die gleichzeitige Gabe von Sildenafil und organischen Nitraten, da beide Substanzen die Konzentration von intrazellulärem cGMP erhöhen. Die Folge können starke Blut− druckabfälle sein. Indikationen: Sildenafil wurde ursprünglich zur Behandlung der Angina pectoris entwickelt und zeigte als Nebenwirkung eine verbesserte Erekti− onsfähigkeit, so dass die Hemmer der PDE 5 heute
zur Behandlung der erektilen Dysfunktion einge− setzt werden. Kontraindikationen: s. Antwort zur Frage 29.2. Die Anwendung von Sildenafil ist mit einem Herz− infarktrisiko, v. a. bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, verbunden. Pharmakokinetik: Die drei verfügbaren PDE−5− Hemmstoffe unterscheiden sich pharmakokine− tisch (s. Tab.). Nach Vardenafil− und Sildenafilein− nahme tritt die Wirkung am schnellsten, meist nach 30–40 Minuten ein. Dagegen kommt es bei Tadalafileinnahme bei vielen Patienten oft erst nach 2–3 Stunden zur maximalen Erektion. Ent− sprechend der EHWZ kann bei Tadalafil auch noch 1–2 Tage nach Einnahme eine Wirkung nachge− wiesen werden. Wirksamkeit und Wirkungsein− tritt von Vardenafil und Sildenafil, nicht jedoch von Tadalafil, können durch Nahrungsaufnahme verzögert werden. Metabolisiert werden die Sub− stanzen in der Leber durch den Cytochrom−P450− Komplex (v. a. die 3A4−Isoform), die Ausscheidung erfolgt zum größten Teil über die Fäzes. Dosierung und Pharmakokinetik von Phospho− diesterase−Hemmstoffen (tmax = Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration)
Wirkstoff Standard− dosis (mg) Sildenafil
tmax (Minu− ten)
50 (25–100) 70
EHWZ (Stun− den) 4
Vardenafil 20 (5–20)
40
4
Tadalafil
120
17,5
10 (bis 20)
Applikationsform: Die Anwendung erfolgt pero− ral abhängig vom Präparat 0,5–12 Stunden vor dem Geschlechtsverkehr in bedarfsgerechter Do− sierung.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Lifestyle drugs Pharmakologische Beeinflussung von Phosphodiesterasen Aphrodisiaka
Fall 30
Orale Antikoagulanzien (Kumarine)
30.1 Nennen Sie Wirkstoffe, die zur oralen Antikoagulation geeignet sind, und deren Ei− genschaften!
K Phenprocoumon (wird in Deutschland fast ausschließlich verwendet): langwirkend, Nor− malisierung der INR nach Absetzen innerhalb von 7–10 Tagen
Fall 30 Seite 31
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K Warfarin (in angloamerikanischen Ländern häufig verwendet): mittellang wirkend, Nor− malisierung der INR nach Absetzen innerhalb von 3,5–4,5 Tagen K Ethylbiscoumacetat (in Deutschland nicht zu− gelassen): kurzwirkend, Normalisierung der INR nach Absetzen innerhalb von 1–1,5 Tagen
30.2 Was ist bei einer Überdosierung mit Kumarinen zu tun? K Leichte Blutung (z. B. Zahnfleischblutung, Pe− techien): Absetzen der Kumarine K Mittelschwere Blutung (z. B. Muskelblutung, gastrointestinale Blutung): Vitamin−K1−Gabe (Phytomenadion), 1–10 mg langsam i. v. oder 5–20 mg p.o.; zusätzliche Gabe von Colestyra− min kann die Elimination der Kumarine be− schleunigen K Lebensbedrohliche Blutung (z. B. intrakra− nielle Blutung): Vitamin−K1−Gabe 10 mg lang− sam i. v.; Substitution der Vitamin−K−abhängi− gen Gerinnungsfaktoren mit Prothrombinkom− plexkonzentrat (PPSB) oder Frischplasma (FFP)
K Die Bestimmungen der Thromboplastinzeit (TPZ) nach Quick können nicht von einem La− bor auf das andere übertragen werden, da die Thromboplastinreagenzien und Messmetho− den nicht standardisiert sind K Zur Standardisierung der TPZ wurde die INR eingeführt, die in der Therapiekontrolle der oralen Antikoagulation zunehmend den Quick−Wert ablöst K INR = international normalized ratio – INR = Thromboplastinzeit (Patient)ISI/ Thromboplastinzeit (Kontrolle) – ISI = internationaler Sensitivitätsindex, der vom Reagenzien−Hersteller angegeben wird K Es gilt: Quick−Wert von 30–40 % = INR von 2,5– 1,5 ; (25–35 % = 3,0–2,0; 15–25 % = 4,5–3,0)
30.4 Wie führen Sie eine initiale Aufsättigung mit Phenprocoumon durch? K 1. Tag: 12 mg/d p.o.; 2. Tag: 6 mg/d p.o.; 3. Tag: nach INR/Quick K Während der Initialphase (bis 3 Tage): simul− tane Heparingabe möglich
161
30.3 Erläutern Sie den Begriff INR−Wert!
Fall
KOMMENTAR
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 30.1. Wirkungsmechanismus: Kumarine hemmen in der Leber die Wirkung von Vitamin K bei der Syn− these der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X (Prothrombinkomplex) durch kompetitive Hem− mung der Vitamin−K1−Epoxidreduktase, so dass funktionsuntüchtige Gerinnungsproteine entste− hen. Neben den prokoagulatorischen Gerinnungs− faktoren werden auch die antikoagulatorischen Gerinnungsfaktoren Protein C und Protein S Vita− min−K−abhängig synthetisiert; bei Gabe von Vita− min−K−Antagonisten wird daher auch ihre Bildung gehemmt. Wirkung: Die gerinnungshemmende Wirkung tritt innerhalb von 1–3 Tagen ein, da die im Blut vorhandenen Gerinnungsfaktoren erst durch Alte− rung eliminiert werden müssen. Die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Kumarinen ist abhän− gig von der Vitamin−K−Menge, die in der Leber ge− speichert ist oder mit der Nahrung zugeführt wird. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 30.2. Die Gefahr von Blutungskomplikationen ist dosisabhängig und steigt mit zunehmender INR. Es können Blutungen in alle Hohlorgane auftreten, intrakranielle Blutungen kommen v. a. bei älteren Patienten mit arterieller Hypertonie und Arterio− sklerose vor. Nach Absetzen der Kumarine setzt die Neusynthese der Gerinnungsfaktoren mit einer
Latenz von 6–12 Stunden ein. Selten werden nach Therapiebeginn am 3. und 5. Tag hämorrhagische Hautnekrosen (Kumarinnekrosen) auf Grund von Kapillarthrombosen beobachtet. Dies erklärt sich durch die gleichzeitige Synthesehemmung von Protein C und S, wodurch ein prokoagulato− rischer Zustand mit einem erhöhten Gefäßver− schlussrisiko hervorgerufen wird. Kumarine kön− nen zu einer verlangsamten Heilung von Knochen− brüchen durch verzögerte Kallusbildung führen. Allergische Reaktionen wie Diarrhöen und Urti− karia sind außerordentlich selten. Reversibler Haarausfall kann auftreten. Wechselwirkungen: Die Wirkung der Kumarine wird durch eine Vielzahl anderer Medikamente beeinflusst (s. Tab.). Die verantwortlichen Mecha− nismen können sein: Resorptionshemmung aus dem Darm (z. B. Antazida, Carbo medicinalis), Ver− drängung der Kumarine aus ihrer Plasmaeiweiß− bindung (z. B. Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe), beschleunigte Elimination aus dem Organismus, beschleunigte (z. B. Rifampicin, Carbamazepin) oder gehemmte (z. B. Allopurinol, Paracetamol) metabolische Inaktivierung. Die Kombination von Kumarinen mit dem Thrombozytenaggrega− tionshemmer Acetylsalicylsäure verstärkt die Blu− tungsgefahr.
30 Antworten und Kommentar
Definition: Orale Antikoagulanzien (Syn. Kumari− ne, Vitamin−K−Antagonisten) sind Inhibitoren der Blutgerinnung, die exogen im Rahmen einer medi− kamentösen Therapie zugeführt werden.
Indikationen: Kumarinderivate werden wie He− parin zur Verhütung von Thrombosen und Em− bolien nach Operationen, bei Vorhofflimmern, nach mechanischem Herzklappenersatz und zur Behandlung thrombotischer und thrombophle− bitischer Zustände eingesetzt. Muss eine orale
Fall 30 Seite 31
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Medikamente, die die Wirkung von Kumarin− derivaten beeinflussen
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Fall
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Verstärkung der Kumarinwirkung
Verminderung der Kumarinwirkung
Allopurinol
Antazida
Amiodaron
Barbiturate
Androgene und Anabolika
Carbamazepin
Chinidin
Cholestyramin
Cimetidin
Glukokortikoide
Clofibrat
Griseofulvin
Isoniazid
Haloperidol
Lovastatin
Ovulationhemmer
Langzeitsulfonamide
Rifampicin
Ketoconazol
Methotrexat
Tamoxifen
Thyroxin
Nichtsteroidale Antiphlogistika
Valproinsäure
Antworten und Kommentar
Antikoagulation eingeleitet werden, ist zusätzlich eine überbrückende Heparinisierung angezeigt (s. Fall 10). Kontraindikationen: Kumarine wirken terato− gen, ihre Gabe ist daher während der gesamten
Schwangerschaft kontraindiziert. Im ersten Trime− non verursachen Kumarine mit einer Inzidenz von ca. 5 % ein sog. fetales Warfarin−Syndrom (z. B. Kalzifikationen der Epiphysen, Nasenhypoplasie, Skelettdeformationen, ZNS−Anomalien). Zu fetalen Anomalien des ZNS und der Augen kann es wäh− rend der gesamten Schwangerschaft kommen. Ku− marine sind muttermilchgängig und sollten nicht in der Stillzeit angewendet werden. Weitere Kont− raindikationen sind erhöhte Blutungsbereit− schaft (z. B. schwere Leberinsuffizienz, Nierenin− suffizienz) und der Verdacht auf eine Läsion des Gefäßsystems (z. B. schwere Hypertonie, diabeti− sche Retinopathie). Pharmakokinetik: Kumarine werden nach oraler Zufuhr gut resorbiert. Bemerkenswert ist die hohe Plasmaeiweißbindung von Phenprocoumon (.99 %) und Warfarin (90 %). Die EHWZ von Phen− procoumon beträgt 150 Stunden, die von Warfarin 37–50 Stunden. Die Metabolisierung (Glukuroni− dierung, Sulfatierung) erfolgt hepatisch, die Elimi− nation der Metabolite überwiegend renal. Applikationsform: Kumarine werden peroral ver− abreicht. Die Therapie sollte nach initialer mittle− rer Aufsättigung (s. Antwort zur Frage 30.4) indi− viduell unter INR−Kontrolle erfolgen (s. Antwort zur Frage 30.3). Die INR−Einstellung ist abhängig von der Erkrankung, der angestrebte INR liegt meist zwischen 2 und 4. Soll die Therapie beendet werden, so muss dies ausschleichend erfolgen, um der Gefahr einer überschießenden Gerinnungsfä− higkeit vorzubeugen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Endokarditisprophylaxe Plasmaproteinbindung Heparintherapie
!!!
Fall 31
Zytostatika/Imatinib
31.1 Erläutern Sie den Wirkungsmechanismus von Imatinib! Die Tyrosinkinase Bcr−Abl entsteht bei Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) durch Fusion des abl−Protoonkogens (Chromo− som 9) mit dem bcr−Gen (Chromosom 22) (Phila− delphia−Chromosom). Die Tyrosinkinase Bcr−Abl stimuliert die unkontrollierte Proliferation wei− ßer Blutkörperchen. K Imitanib hemmt die Aktivität der Bcr−Abl−Ty− rosinkinase durch Bindung an die ATP−Bin− dungsstelle der Tyrosinkinase R die Übertra− gung eines Phosphatrestes auf andere Protei− ne wird verhindert
K Gehemmte Phosphorylierung von Substraten der Tyrosinkinase Bcr−Abl führt zur Proliferati− onsinhibierung und Apoptoseinduktion
31.2 Nennen Sie häufige unerwünschte Wir− kungen von Imatinib! K Übelkeit (56 %), Erbrechen (33 %), Durchfall (24 %) K Muskelkrämpfe (33 %), Myalgie (11 %) K Hautrötung (25 %) K Flüssigkeitsretention mit Ödemen periorbital (30 %) und der unteren Extremitäten (17 %) K Störungen des Blutbildes mit Neutro− und Thrombozytopenie, Anämie
Fall 31 Seite 32
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31.3 Welche weiteren Wirkstoffe werden zur Behandlung der CML eingesetzt? K Interferon−a, Hydroxyurea, Arabinosylcytosin, Busulfan (wird kaum noch eingesetzt) 31.4 Was versteht man unter einer allogenen Knochenmarktransplantation? K Übertragung von hämato− und lymphopoeti− schen Stammzellen aus dem Knochenmark ei− nes genetisch fremden Spenders; Ziel: Häma− topoese und Immunsystem des Patienten wer− den durch Zellen des Transplantates ersetzt
K Durchführung: Konditionierung des Patienten mit maximaler Chemo−/Radiotherapie zur Im− munsuppression und Zerstörung maligner oder defekter Zellen im Knochenmark K Geeignete Spender für die allogene Knochen− marktransplantation sind: – HLA−identische Geschwisterspender, einei− ige Zwillingsspender – HLA−identische oder partiell HLA−identi− sche sonstige Familienspender – HLA−identische oder partiell HLA−identi− sche nicht verwandte Spender (Fremdspen− der)
KOMMENTAR Krankheitsbild chronisch myeloische Leukä− mie: Die chronisch myeloische Leukämie (CML) ist eine myeloproliferative Erkrankung, die durch eine autonome klonale Proliferation der Myelo− poese, vorwiegend der Granulozyten, gekenn− zeichnet ist.
163
Definition: Imitanib ist ein antineoplastisch wirk− sames Zytostatikum.
Wirkung: s. Antwort zur Frage 31.1. Unerwünschte Wirkungen: s. Antwort zur Frage 31.2. Wechselwirkungen: Die Plasmaspiegel von Imi− tanib werden durch Substanzen, die die Aktivität von CYP3A4 hemmen (z. B. Ketoconazol, Erythro− mycin) erhöht. Umgekehrt beschleunigen CYP3A4− Induktoren (z. B. Rifampicin) den Metabolismus von Imatinib, was zu niedrigeren Imatinib−Plasma− spiegeln führt. Imatinib kann CYP3A4 hemmen und die Plasmakonzentration von CYP3A4−Sub− straten beeinflussen (z. B. Ciclosporin A, Paraceta− mol, HMG−CoA−Reduktaseinhibitoren). Indikationen: Imatinib wird zur Therapie der CML in der Blastenkrise, der akzelerierten sowie der chronischen Phase nach Versagen einer Inter−
31 Struktur und Wirkmechanismus von Imatinib feron−a−Therapie eingesetzt. Auch zur Behandlung bestimmter maligner gastrointestinaler Stromatu− moren wird Imatinib verwendet. Kontraindikationen: Imatinib ist bei Überemp− findlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder son− stiger Bestandteile kontraindiziert. Eine Anwen− dungsbeschränkung liegt bei Patienten mit Leber− und kardialen Funktionsstörungen sowie gleich− zeitiger Einnahme von Paracetamol vor. Pharmakokinetik: Die Bioverfügbarkeit beträgt 98 %. Der Wirkstoff wird hauptsächlich hepatisch metabolisiert und über den Stuhl ausgeschieden. Die renale Clearance ist vernachlässigbar. Nach oraler Anwendung liegt die EHWZ bei etwa 18 Stunden.
Antworten und Kommentar
Wirkungsmechanismus: s. Antwort zur Frage 31.1.
Fall
Typische Wirkstoffe: Zelluläre Tyrosinkinasen wurden in den vergangenen Jahren als Zielstruktur (Target) für die Entwicklung von Arzneistoffen ent− deckt. Der Tyrosinkinase−Inhibitor Imatinib wur− de ursprünglich zur Hemmung eines Wachstums− faktor−Rezeptors entwickelt, zeigte dann aber hemmende Wirkung auf die Abl−Tyrosinkinase− Aktivität.
Applikationsform: Imatinib wird oral zu den Mahlzeiten mit viel Wasser eingenommen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Trastuzumab Interferone Erlotinib
Fall 31 Seite 32
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Fall 32
Pharmakotherapie im Kindesalter
32.1 Welche Ursachen für die Innenohr− schwerhörigkeit kommen in Frage? K Iatrogen durch Pharmakotherapie: – Tobramycin: nephro− und ototoxisch in Ab− hängigkeit von Behandlungsdauer und Kon− zentration – Furosemid: Induktion reversibler Hörstö− rungen R kombinierte Gabe von Tobramycin und Furosemid ist besonders problematisch K Erblich bedingt (z. B. Usher−Syndrom) K Pränatale Infektionen (z. B. Lues, Röteln) K Perinatale Asphyxie K Bilirubinenzephalopathie !!! 32.2 Wie entwickelt sich die renale Exkretion
164
Fall
32
im Verlauf des Kindesalters? K Neugeborene: verzögerte Exkretion R Plas− mahalbwertszeit renal eliminierter Arzneimit− tel stark verlängert; im Verlauf rasche Steige− rung der Exkretion K Ende 1. Lebensmonat: Erwachsenen−Halb− wertszeiten K 1. Lebensmonat bis zum 8.–10. Lebensjahr: renale Clearance von Arzneistoffen im Ver− gleich zu Erwachsenen erhöht
32.3 Warum dürfen Tetrazykline bei Kindern nicht verwendet werden? K Bildung von Kalziumkomplexen R Wachs− tumsverlangsamung beim Fetus und Kind K Dentinverfärbung und erhöhte Kariesanfäl− ligkeit der Zähne, die während der Tetrazyk− lintherapie angelegt wurden K Tetrazykline sind daher vor dem 8. Lebens− jahr und während der gesamten Schwanger− schaft kontraindiziert 32.4 Welche Prinzipien sind bei der Medika− mentenverordnung für Kinder zu beachten? K Aufklärung von Eltern und älteren Kindern über Risiken der Erkrankung, Nutzen bzw. Ri− siken der Arzneimitteltherapie K Kurze schriftliche Informationen, evtl. in verschiedenen Sprachen K Überprüfung des Behandlungserfolges K Wahl oraler Applikationsformen, wenn mög− lich bis zum 5. Lebensjahr Säfte oder Tropfen K Inhalationstherapien sollten keine aktive Mitarbeit erfordern K Einnahme zu den Mahlzeiten (Ausnahme: Penicilline, Isoniazid, Rifampicin) K Reduktion der Tagesdosenanzahl (z. B. durch Retardpräparate)
Antworten und Kommentar
KOMMENTAR Allgemeines: Der Satz Kinder sind keine klei− nen Erwachsenen“ gilt auch in der Pharmakothe− rapie. Dies bedeutet, dass eine einfache Über− tragung der Verhältnisse beim Erwachsenen auf Kinder, z. B. durch körpergewichtsbezogenes He− runterrechnen“ von Erwachsenendosierungen, problematisch ist. Unterschiede können sowohl pharmakokinetischer als auch pharmakodyna− mischer Natur sein. Pharmakokinetik: Die Pharmakokinetik von Arz− neistoffen ist beim Kind oft nur unzureichend un− tersucht. Die Resorption kann in den ersten 6 Monaten durch die verzögerte Entleerung des Magens ver− stärkt sein (z. B. Penicilline). Die rektale Resorp− tion ist wie beim Erwachsenen zwar gering und unzuverlässig, bietet sich aber wegen der Praktika− bilität bei Säuglingen und Kleinkindern an. Das Verteilungsvolumen ist beim Kleinkind größer als beim Erwachsenen; so beträgt der Extrazellu− lärraum im Verhältnis zum Gesamtkörpervolumen bei Neugeborenen 40 % und nimmt dann mit zu− nehmendem Alter auf 20–25 % ab. Durch das große Verteilungsvolumen müssen wasserlösliche Arz− neistoffe beim Kleinkind höher dosiert werden. Fett− und Muskelmasse sind beim Kind gering. Die Elimination unterliegt einer altersabhängigen Entwicklung (s. Abb.). Hyxdroxylierungs− und
Glukuronidierungsfunktion der Leber sind beim Früh− und Neugeborenen nur gering ausgebildet. Nach einem Monat ist die hepatische Biotransfor− mation gegenüber dem Erwachsenen aber gestei− gert. Dies bedeutet, dass Kleinkinder höhere Dosen benötigen als Erwachsene. Die Entwicklung der renalen Exkretion entspricht dem Muster des he− patischen Arzneimittelmetabolismus (s. Antwort zur Frage 32.2). Bei Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite (z. B. Digoxin, Theophyllin, Aminoglykoside) müssen die pharmakokineti− schen Besonderheiten im Kindesalter besonders berücksichtigt werden. Durch Bestimmung der Arzneimittelkonzentration im Serum kann eine
Entwicklung der Eliminationsmechanismen beim Säug− ling
Fall 32 Seite 33
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individuelle Dosisanpassung i. S. eines TDM erfol− gen. Bei Frühgeborenen ist der Reifezustand zu beachten. Pharmakodynamik: Auch pharmakodynamische Besonderheiten beim Kind sind im Allgemeinen wenig erforscht. Bekannt ist z. B. die geringe bron− chodilatative Wirkung der b2−Rezeptoragonisten bei Säuglingen auf Grund einer unzureichende Ex− pression der entsprechenden Rezeptoren. Ebenso weisen die Rezeptorsysteme für Vasopressin, Prostaglandine und Katecholamine eine ent− wicklungsbedingte relative Unempfindlichkeit auf. Unerwünschte Wirkungen einiger Pharmaka im Kindesalter: s. Antworten zu Fragen 32.1 und 32.3. Da die Bindungskapazität von Albumin für Biliru− bin bei Neugeborenen und insbesondere bei Früh− geborenen verringert ist, können Arzneistoffe mit hoher Plasmaproteinbindung (z. B. Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe) Bilirubin aus der Bindung ver− drängen. Nicht mehr an Albumin gebundenes Bili− rubin passiert die Blut−Hirnschranke und kann zum Kernikterus mit ZNS−Schädigungen führen.
Dabei lagert sich Bilirubin in den Ganglienzellen des Stammhirns ab. Das Reserveantibiotikum Chloramphenicol ruft durch relative Überdosierungen bei Früh− und Neugeborenen das sog. Grey−Syndrom hervor. Ur− sächlich ist eine Glukuronidierungsschwäche für Chloramphenicol. Gyrasehemmer dürfen bei Kindern in der Wachs− tumsphase wegen schwerer Knorpelschäden, die sich im Tierversuch gezeigt haben, nicht angewen− det werden. Phenobarbital besitzt bei Neugeborenen auf Grund der Unreife der Leber eine deutlich verlän− gerte Halbwertszeit und führt unter Umständen zur Atemdepression und Bradykardie. Eine langandauernde systemische Therapie mit Glukokortikoiden führt in der Wachstumsperiode zu einer Verzögerung des Knochenwachstums und Minderwuchs. Trotz korrekter Dosierung verschiedener Neuro− leptika können bei Kindern häufiger unerwünsch− te Wirkungen (z. B. Dyskinesien, Torticollis) auftre− ten.
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
33
Parasympatholytika/Atropin
33.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie? Welches Medikament setzen Sie als Antidot (Gegenmittel) ein? K Selbstschutz (kein Haut−/Schleimhautkon− takt!) K Anlegen eines peripher−venösen Zugangs K Intubation der Patientin K Verabreichung von 20 mg Diazepam i.v K Endotracheales Absaugen K Antidote: – Parasympatholytikum: 2–10 mg Atropin (Spezialampulle) i. v., in Ausnahmefällen bis 50 mg – Cholinesterase−Reaktivatoren (nach Atro− pin!): z. B. 250 mg Obidoxim langsam i. v. 33.2 Nennen Sie Maßnahmen zur primären Giftentfernung! K Verdünnung der aufgenommenen Substanzen durch Trinken von Wasser, v. a. bei Vergiftung mit Säure (bei Lauge Perforationsgefahr) K Verhinderung der Resorption der im Gastrointestinaltrakt vorhandenen toxischen
Substanzen durch Adsorbenzien, z. B. Aktiv− kohle 0,5–1 g/kg KG K Elimination des Gifts durch: – Erbrechen (zugunsten der Aktivkohle im− mer weniger eingesetzt) induziert durch Emetika (Ipecacuanha−Sirup, Apomorphin); cave: nicht bei Ingestion von Säuren, Lau− gen, ätzenden Chemikalien – Magenspülung kontraindiziert im Schock, bei Krämpfen und fortgeschrittenen Säu− ren− und Laugenvergiftungen – Darmentleerung: z. B. orthograde Darm− spülung, hohe Dickdarmeinläufe K Einsatz von Antidoten führt zu: – Bildung schwerlöslicher Salze, z. B. Natri− umsulfat bei Vergiftung mit Barium− oder Bleisalzen – Überführen in unwirksame Verbindungen, z. B. Natriumthiosulfat bei Jodvergiftung
Antworten und Kommentar
Arzneimittelstudien mit Kindern ,,Off−Label−use" Arzneimitteltherapie im Alter
Fall 33
165
Fall 33 Seite 34
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33.3 Welche weiteren Antidote kennen Sie? Wann werden sie eingesetzt?
Intoxikation mit
Antidot
Intoxikation mit
Antidot
Schwermetalle (z. B. Quecksilber, Blei)
Dimercaptopropan− sulfonsäure
Alkylphosphat
Atropin
Radioaktives Jod
Kaliumjodid
Cyanid
Hydroxycobalmin
Knollenblätterpilze
Silibinin
Methanol
Ethanol
Methämoglobin− bildner
Toloniumchlorid
Opioide
Morphinantagonisten (z. B. Naloxon)
Paracetamol
Acetylcystein
Benzodiazepine
Flumazenil
33.4 Was bedeutet die Funf−Finger−Regel in der Toxikologie? K Elementarhilfe (ABC−Regel: Atemwege freima− chen, Beatmung, Thoraxkompression) K Giftentfernung (s. Antwort zur Frage 33.2) K Antidottherapie (s. Antwort zur Frage 33.3) K Transport in geeignete Klinik K Asservierung
KOMMENTAR 166
Fall
33 Antworten und Kommentar
Intoxikationssyndrom mit E 605: Das Alkyl− phosphat (Syn. Phosphorsäureester) E 605 (Syn. Nitrostigmin, Parathion) ist ein Insektizid und als Pflanzenschutzmittel weit verbreitet. Die Intoxika− tion kann peroral, transkutan oder inhalativ erfol− gen und führt zu einer irreversiblen Hemmung der Cholinesterase. Dadurch wird der Abbau von Ace− tylcholin verhindert. Die Anreicherung von Acetyl− cholin bedingt als typische Vergiftungserscheinun− gen muskarinerge und nikotinerge Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch, Miosis, Hypersalivation, Bronchokonstriktion, Bradykar− die, Muskelfaszikulationen, Krämpfe und Atemläh− mung. Definition: Parasympatholytika sind spezifische Antagonisten am muskarinischen Acetylcholin− rezeptor. Typische Wirkstoffe: Atropin ist ein natürlich vorkommendes Alkaloid der Solanaceen−Arten Atropa belladonna (Tollkirsche), Hyoscyamus ni− ger (Bilsenkraut) und Datura stramonium (Stech− apfel). Weitere parasympatholytisch wirkende Substanzen sind Scopolamin, Ipratropium und Pirenzepin. Wirkungsmechanismus: Atropin wirkt als spezi− fischer kompetitiver Antagonist am Acetylcholin− rezeptor vom Muskarintyp und hemmt somit die Wirkung von Acetylcholin, das am parasympathi− schen Nervenende freigesetzt wird, auf das Er− folgsorgan. Die cholinerge Übertragung in Gan− glien und an der motorischen Endplatte wird durch Atropin in den üblichen Dosen nicht ge− hemmt. Wirkung: Atropin bewirkt eine generelle Para− sympathikolyse. Therapeutisch werden bei Alkyl− phosphatvergiftungen die peripheren und zentra− len Muskarinrezeptoren durch Atropin blockiert. Die benötigten Dosen sind hoch, weil Atropin die
Blut−Hirnschranke nur langsam penetriert (s. Ant− wort zur Frage 33.1). Reaktivatoren der Cholines− terase (z. B. Pralidoxim, Obidoxim) können die An− tidotwirkung von Atropin verstärken, wenn der Komplex aus Alkylphosphat und Cholinesterase noch nicht durch Abspaltung von Estergruppen stabilisiert ist (gealterter“ Komplex). Unerwünschte Wirkungen: Bei der systemischen Anwendung der Parasympatholytika können do− sisabhängig vegetative und zentrale Wirkungen auftreten: verminderte Speichel− und Schweiß− sekretion, Tachykardie, Mydriasis, zentrale Erre− gung, Blasen− und Darmatonie, Hyperthermie, Hal− luzinationen und Koma. Abhängig von der Indika− tion sind dabei Haupt− und Nebenwirkungen parallel zu beobachten. Insbesondere bei älteren Patienten können Verwirrtheitszustände ausgelöst werden. Scopolamin wirkt bereits in niedriger Do− sierung (hohe Liquorgängigkeit) zentral dämpfend. Wechselwirkungen: Wirkstoffe mit parasympa− tholytischen Eigenschaften wie Neuroleptika und trizyklische Antidepressiva verstärken die Wir− kung von Atropin und verwandten Substanzen. Indikationen: Atropin wird hochdosiert als Anti− dot bei Vergiftungen mit Alkylphosphaten einge− setzt. In niedrigen Dosierungen können Parasym− patholytika zur Hemmung der Drüsensekretion verwendet werden (z. B. Verhinderung einer Bron− chialsekretionssteigerung durch Narkotika). Bei bradykarden Herzrhythmusstörungen auf Grund eines erhöhten Vagotonus kann Atropin in niedri− gen Dosen gegeben werden. Hierbei ist jedoch das nicht ZNS−gängige Ipratropium, v. a. bei älteren Menschen, günstiger, da keine zentralnervösen Störungen auftreten. Auch als Bronchodilatator bei obstruktiven Lungenerkrankungen wird Ipra− tropium angewendet. Die am Auge erzeugte My− driasis wird für die ophthalmologische Diagnostik
Fall 33 Seite 34
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genutzt. Scopolamin wird bei Kinetosen einge− setzt. Weiterhin sind Parasympatholytika bei Spasmen der glatten Muskulatur des Magen− Darmtrakts sowie der Gallen− und Harnblase indi− ziert. Kontraindikationen: Parasympatholytika dürfen nicht bei Engwinkelglaukom, Glaukomverdacht, Prostatahypertrophie, Hyperthyreose, paralyti− schem Ileus, mechanischem Subileus, Tachykar− dien/−arrhythmien und hypertrophischen obstruk− tiven Kardiomyopathien eingesetzt werden.
Stunden. Nach parenteraler Gabe tritt die Wirkung innerhalb weniger Sekunden bis Minuten ein. Atropin wird renal eliminiert, davon 50–70 % nach hepatischer Metabolisierung. Applikationsform: Atropin liegt zur peroralen, intravenösen und intramuskulären Applikation vor. Je nach Indikation können Parasympatholytika transdermal (Scopolamin), topisch am Auge (cave: systemische Wirkungen durch Resorption über die Nasenschleimhaut möglich) oder als Aerosol (Ipra− tropium) verabreicht werden.
Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit von Atropin liegt bei 75 % mit einer EHWZ von 2,5
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Atropinvergiftung Parasympathomimetika Sekundare Giftelimination
167
Kalziumkanalblocker/Verapamilintoxikation
34.2 Erläutern Sie die Wirkungen der verschiedenen Typen von Kalziumkanalblo− ckern! K Nifedipin−Typ (1,4−Dihydropyridin): gefäßse− lektive vasodilatierende Wirkung K Verapamil−Typ (Phenylakylamine): negativ chronotrope, dromotrope und inotrope Wir− kung durch Hemmung der langsamen Kalzi− umdepolarisation, vasodilatierende Wirkung K Diltiazem−Typ (Benzothiazepine): negativ chronotrope, dromotrope und inotrope Wir− kung (weniger ausgeprägt als Verapamil), va− sodilatierende Wirkung 34.3 Welche unerwünschten Wirkungen können unter Nifedipin auftreten? K Starke Blutdrucksenkung R reflektorische Ta− chykardie
K K K K
34
Kopfschmerzen Periphere Ödeme Angina−pectoris−Anfälle Gingivahypertropie (selten)
!!! 34.4 Warum durfen Dihydropyridine nicht bei Angina pectoris eingesetzt werden? Monotherapie mit Dihydropyridinen kann bei ko− ronarer Herzkrankheit (KHK) sowie Myokardin− farkt eine Zunahme der pektanginösen Be− schwerden auslösen durch: K Raschen Blutdruckabfall (verminderte O2−Zu− fuhr) und reflektorischen Frequenzanstieg (erhöhter O2−Verbrauch) K Schnell anflutende Präparate, z. B. unretar− diertes Nifedipin: es gibt Hinweise auf eine er− höhte kardiale Sterblichkeit bei prädisponier− ten Patienten (KHK) R Therapie der KHK mit Kalziumkanalblockern vom Dihydropyridin−Typ in Kombination mit b−Rezeptorantagonisten; der mögliche Einsatz neuer Dihydropyridine mit langer Halbwertszeit (z. B. Amlodipin), die wenig ausgeprägte neuro− endokrine Gegenregulation (Herzfrequenzan− stieg) verursachen, wird z.Zt. geprüft.
Antworten und Kommentar
34.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie? K Sofortiges Absetzen von Verapamil K Blutentnahme zur Spiegelbestimmung von Verapamil K Bei Blutdruckabfall: Katecholamine K Bei Bradykardie: Atropin, ggf. Implantation eines passageren Schrittmachers
Fall
Fall 34
KOMMENTAR Definition: Antiarrhythmika wie kardial wirken− de Kalziumkanalblocker (Syn. Kalziumantago− nisten) sind Wirkstoffe zur Behandlung von Herz− arrhythmien.
Typische Wirkstoffe: s. Antwort zur Frage 34.2. Die Kalziumkanalblocker bilden aus chemischer und pharmakologischer Sicht keine einheitliche Substanzgruppe. Leitsubstanzen sind das Dihy− dropyridin Nifedipin, das Phenylalkylamin Ver−
Fall 34 Seite 35
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apamil und das Benzothiazepin Diltiazem. Diese Substanzen besitzen am Kalziumkanal−Protein un− terschiedliche Bindungsareale. Wirkungsmechanismus: Es werden hinsichtlich der elektrophysiologischen und pharmakologi− schen Eigenschaften sowie des zellulären Vorkom− mens verschiedene Arten von Kalziumkanälen un− terschieden. In der glatten Muskulatur und in der Herzmuskulatur dominiert der sog. L−Typ−Kalzi− umkanal (long lasting, high voltage activated). Dieser Ionenkanal ist in Ruhe geschlossen, eine Änderung des Membranpotenzials löst die Öffnung des Kanals durch Konformationsänderung der Pro− teinuntereinheiten aus. Der folgende Einstrom von Kalzium kann durch L−Typ−selektive Kalziumka− nalblocker verhindert werden.
168
Fall
34
Wirkung: s. Antwort zur Frage 34.2. Die Blockade der L−Typ−Kalziumkanäle führt zu einem vermin− derten Kalziumeinstrom und damit verminderter elektromechanischer Kopplung in glatten (Gefäß−) Muskelzellen und Herzmuskelzellen. Dies hat eine Vasodilatation bzw. eine negative Inotropie und da− durch einen verminderten Sauerstoffverbrauch zur Folge. Außerdem hemmt es die – durch Kalziumein− strom getragene – Depolarisationsphase im Sinus− und AV−Knoten und wirkt dadurch negativ chrono− trop und dromotrop.
Antworten und Kommentar
Unerwünschte Wirkungen: Nifedipin s. Antwort zur Frage 34.3. Die unerwünschten Wirkungen von Verapamil und Diltiazem sind: Bradykardie und AV−Blockierungen bis hin zur Asystolie. Eine be− stehende Herzinsuffizienz wird als Folge der ne− gativ inotropen Wirkung weiter verschlechtert. Die Blutdrucksenkung bedingt Orthostaseprobleme, Kopfschmerzen, Unterschenkelödeme, häufig tritt durch Hemmung der glatten Muskulatur des Darmes eine Obstipation auf. Wechselwirkungen: Cimetidin und Grapefruit− saft verstärken die Wirkung von Verapamil durch Inhibition von CYP3A4. Verapamil erhöht den Plas− maspiegel von Digoxin bei gleichzeitiger Verabrei− chung signifikant. In Kombination mit anderen Antihypertensiva wird die blutdrucksenkende Wirkung verstärkt. Die gemeinsame Anwendung von Verapamil und Theophyllin bewirkt durch ei−
ne Konkurrenz um das abbauende Enzym CYP1A2 einen deutlichen Anstieg der Theophyllin−Plasma− konzentration. Ähnliche Wechselwirkungen sind auch für Nifedipin und Diltiazem zu beachten. Indikationen: Verapamil wird als Antiarrhythmi− kum bei tachykarden supraventrikulären Herz− rhythmusstörungen (s. Fall 99), zur Prophylaxe von Angina−pectoris−Beschwerden, v. a. zur Be− handlung einer vasospastischen Angina pectoris (Prinzmetal−Angina) (s. Fall 58), und bei hypertro− pher obstruktiver Kardiomyopathie (subvalvuläre Aortenstenose) eingesetzt. Auf Grund ihrer vasodi− lativen Eigenschaften werden Kalziumkanalblo− cker zur Therapie der arteriellen Hypertonie ver− wendet (s. Fall 36). Kontraindikationen: Verapamil darf nicht zu− sammen mit b−Rezeptorantagonisten wegen der Gefahr von Überleitungsstörungen oder einer Bra− dykardie gegeben werden. Kontraindikationen gegen Verapamil bestehen bei Überleitungsstö− rungen (AV−Block . I. Grades), dekompensierter Herzinsuffizienz, kardiogenem Schock und Le− bererkrankungen. Nifedipin darf nicht bei Herz− insuffizienz, instabiler Angina pectoris (s. Antwort zur Frage 34.4), stenosierenden Herzvitien, schwe− rer Hypotension und in der Schwangerschaft ver− abreicht werden. Pharmakokinetik: Kalziumkanalblocker werden nach oraler Gabe gut resorbiert, die Bioverfügbar− keit von Nifedipin liegt bei 60–70 %, die von Diltia− zem bei 40 % und die von Verapamil beträgt auf Grund eines stereoselektiven First−pass−Effektes durch CYP3A4 und CYP1A2 nur 20–30 %. Die Plas− maeiweißbindung der Kalziumkanalblocker liegt bei 80–90 %. Das Verteilungsvolumen von Verapa− mil beträgt 4,0 l/kg, was eine starke Anreicherung im Gewebe anzeigt. Kalziumkanalblocker werden hepatisch metabolisiert und überwiegend renal eliminiert (Ausnahme: Diltiazem zu 60 % fäkal). Applikationsform: Kalziumkanalblocker stehen zur peroralen und intravenösen Therapie zur Ver− fügung. Für Verapamil gelten therapeutische Se− rumspiegel von 0,04–0,2 mg/l, die durch ein TDM mit Blutentnahme vor der nächsten Dosis kontrol− liert werden können.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Vasodilatatoren Einteilung der Antiarrhythmika Therapie der Angina pectoris
Fall 34 Seite 35
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Fall 35 35.1 Wie gehen Sie diagnostisch weiter vor? K Anamnese: Dauer, Frequenz, Charakteristika der Beschwerden, Blutbeimengungen, Ge− wichtsverlust, Laxanzienabusus K ggf. Rektoskopie/Koloskopie bei Blutbeimen− gungen; Röntgen des Abdomens bei Verdacht auf Subileus; anorektale Manometrie bei Ver− dacht auf erhöhten Sphinktertonus (Analfissu− ren) K Im vorliegenden Fall außer genauer Anamne− se, digitaler Untersuchung und Bestimmung des Serumkaliumwertes zunächst keine wei− tere Diagnostik
170
Fall
35
Obstipation 35.3 Nennen Sie Indikationen für Laxanzien! Nennen Sie jeweils Laxanzien, die bei diesen Indikationen gegeben werden sollten! K Diagnostische Eingriffe: – Rektoskopie: 1–2 salinische Klysmen – Koloskopie: ab Vortag flüssige Kost, Antra− chinone p.o., 3–4 l trinken, salinische Ab− führlösung p.o. (z. B. Golytely) K Chronische Opiattherapie: z. B. Lactulose (1–3 3 7,5–15 ml/d p.o., Dosisanpassung bis regelmäßiger Stuhlgang auftritt) K Atonische Obstipation nach chirurgischem Eingriff: direkte bzw. indirekte Parasympatho− mimetika, z. B. Carbachol bzw. Neostigmin K Hämorrhoiden, Analfissuren, Hernien, Hy− pertonie, Bauchaortenaneurysmen: z. B. Ma− crogol 4000 (1–2 3 bis 10 g/d p.o.) K Hepatische Enzephalopathie: Lactulose (3–4 3 30–40 ml/d p.o.) zur Senkung des Stuhl−pH und Reduktion der Resorptionsrate von Am− moniak
Antworten und Kommentar
35.2 Welche therapeutischen Möglichkeiten haben Sie nun? K Ersetzen der bisherigen Herzinsuffizienz− Therapie (Hypokaliämie durch Thiaziddiureti− kum): ACE−Hemmer, z. B. Enalapril 1 3 10 mg/ d p.o. K Nichtmedikamentöse Maßnahmen, z. B. ka− liumreiche Kost (s. Kommentar) K Kurzfristiger Einsatz von Laxanzien über ma− !!! 35.4 Erläutern Sie die pharmakokinetischen ximal 14 Tage (cave: erhöhte Flüssigkeitszu− Besonderheiten von Bisacodyl! fuhr bei chronischer Herzinsuffizienz im vor− Bisacodyl ist ein Diphenylmethanderivat, bei liegenden Fall): dem beide Phenolgruppen mit Essigsäure ver− – Füll− und Quellstoffe: z. B. Leinsamen, estert sind; wirksam als freies Diphenol (hydro− Weizenkleie, Flohsamen (Plantago ovata) lytische/enzymatische Spaltung) nach Resorption – Salinische Abführmittel: Glaubersalz im Dünndarm. K Metabolisierung: hepatisch, Konjugation mit (Natriumsulfat), Bittersalz (Magnesiumsul− Glukuronsäure und/oder Schwefelsäure fat) K Elimination: enterohepatischer Kreislauf – Nichtresorbierbares Polyethylenglykol: Macrogol 3350 bzw. 4000 K Resorption hydrophiler Konjugate im Dick− – Lactulose darm: mikrobielle Dekonjugierung in freie – Antiabsorptive sekretagoge Laxanzien: wirksame Diphenole z. B. Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Anthra− R Umweg über die Leber bedingt verzögerte la− chinone (Senna−Glykoside) xierende Wirkung von Bisacodyl (8–12 Stunden)
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Chronische Obstipation ist gekennzeichnet durch ein verzö− gertes und erschwertes Absetzen meist geringer Stuhlmengen mit einer Frequenz von weniger als dreimal pro Woche. Die Beschwerden bestehen meist über viele Jahre. Ursachen können sein: Er− nährungsfaktoren (ballaststoffarme Nahrung, zu geringe Trinkmenge), Darmwandveränderungen (z. B. Tumor), endokrine Störungen (z. B. Hypo− thyreose), Störungen des Nervensystems (z. B. Morbus Parkinson), gestörter Defäkationsmecha− nismus (z. B. bei Hämorrhoiden, willkürlicher Stuhlverhalt bei schmerzhaften Analfissuren). Ob− stipierend wirkende Medikamente sind: Opiate, Anticholinergika, aluminiumhaltige Antazida, Di− uretika, Verapamil, Clonidin, Colestyramin. Liegt eine chronische Verwendung von Laxanzien vor, kann durch den verstärkten renalen (über Aldoste− ron) und intestinalen Kaliumverlust eine Darm−
trägheit hervorgerufen werden, die die Obstipation unterhält (Circulus vitiosus). Die resultierende Hy− pokaliämie kann Ursache der verminderten Darm− motilität sein. Therapieziele: Ziel der Therapie ist es, eine nor− male Stuhlkonsistenz und −frequenz zu erreichen. Der Patient sollte seine Lebens− und Essgewohn− heiten ändern. Eine längerfristige Anwendung von Laxanzien ist zu vermeiden. Sollten Anzeichen für eine organische Ursache der Obstipation auftre− ten (z. B. Blutbeimengungen), ist eine weiterfüh− rende Diagnostik vordringlich. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: An erster Stelle stehen diätetische Maßnahmen, wie bal− laststoffreiche Kost (Obst, Gemüse, Getreidepro− dukte mit hohem Faseranteil) und ausreichende Flüssigkeitszufuhr (mindestens 2 l/d). Obstipie− rend wirkende Nahrungsmittel (z. B. Schokolade,
Fall 35 Seite 38
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Verschiedene Laxanzien mit Dosierung und Latenzzeit
Dosierung
Latenz bis zum Wir− kungseintritt (Stunden)
mehrere Teelöffel
24–48
Na2SO4, MgSO4
10–20 g
,6
Lactulose
10–20 g
8–10
Macrogol 3350
10–20 g
24–48
Anthrachinonglykoside
Abhängig von Darreichungsform
8–10
Bisacodyl
10 mg
Dragee: 8–12 Supp.: 0,5–1
Natriumpicosulfat
5–10 mg
wenige Stunden
Füll− und Quellstoffe Leinsamen, Weizenkleie, Flohsamen
Osmotisch wirkende Mittel
Antiresorptiv sekretagog
Füll− und Quellstoffe: Diese milden Laxanzien führen durch Quellung zu einer reflektorischen Zu− nahme der Peristaltik, der Wirkeintritt ist jedoch verzögert. Auf eine hohe Flüssigkeitszufuhr ist zu achten, um einen Subileus bei der sonst nebenwir− kungsarmen Therapie zu vermeiden. Bei ausge− prägter Herzinsuffizienz sind Füll− und Quellstoffe kontraindiziert. Osmotisch wirkende Laxanzien: Osmotisch wir− kende Laxanzien verringern die Resorption von Wasser aus dem Darm. Bei längerer Anwendung von Natriumsulfat (Na2SO4) ist mit einer Flüssig− keitsretention im Körper und dadurch mit einer arteriellen Hypertonie zu rechnen. Gefährlich ist die Verwendung von magnesiumhaltigen Präpara− ten (MgSO4) bei eingeschränkter Nierenfunktion.
Antiresorptive sekretagoge Laxanzien: Diese stark abführend (hydragog) wirkenden Laxanzien hemmen die Natriumionen− und Wasserabsorpti− on durch Blockade der Na+/K+−ATPase in der Darm− mukosa. Ebenfalls fördern sie den Einstrom von Elektrolyten und Wasser in das Darmlumen, indem sie die Durchlässigkeit des Epithels erhöhen. Anthrachinonglykoside sind Naturstoffe, die in Aloe, Faulbaumrinde, Rhabarber oder Sennesblät− tern enthalten sind. Sie entfalten ihre Wirkung nach bakterieller Spaltung der Glykosidbindung und Reduktion im Darm. Bei chronischem Abusus kann es zur reversiblen Pigmenteinlagerung in die Darmmukosa kommen (Pseudomelanosis coli). Bisacodyl und sein Analogon Natriumpicosulfat sind synthetische Arzneistoffe (s. Antwort zur Fra− ge 35.4). Natriumpicosulfat wird kaum aus dem Dünndarm resorbiert und ist schnell am Mukosa− epithel wirksam. Sie können durch Kaliumverluste eine erhöhte Digitaliswirkung bzw. −toxizität be− wirken.
35 Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 35.2. Die kausale Therapie (z. B. Sanierung einer Divertikulitis, Substitutions− therapie bei Hyperthyreose) steht – wenn möglich – im Vordergrund. Kurzfristig können verschiede− ne Naturstoffe und Arzneimittel angewendet wer− den (s. Tab.).
Neuere Laxanzien wie das Polyethylenglykol Ma− crogol 3350 bzw. 4000 werden weder resorbiert noch metabolisiert, das Potenzial für unerwünsch− te Wirkungen ist gering.
Fall
Tee) sollten vermieden werden. Getrocknete Pflau− men und Feigen können sinnvoll sein. Gesteigerte körperliche Aktivität führt häufig schon zur Bes− serung. Daneben gibt es einige nützliche Verhal− tensregeln: Aufsuchen der Toilette nach einer Hauptmahlzeit (Ausnutzung des gastrokolischen Reflexes), Defäkation einleiten mittels milden Pressens (auch ohne akuten Stuhldrang), keine Ab− lenkung (z. B. Zeitung lesen), Defäkationsreize während des Tages beachten, Trinken von einem Glas kaltem Wasser am Morgen bahnt den gastro− kolischen Reflex.
171
Weitere Laxanzien: Lactulose wird im Kolon zu osmotisch wirksamem Laktat und Acetat gespal− ten. Die entstandenen Säuren stimulieren die Pe− ristaltik. Lactulose ist auch zur Behandlung einer hepatischen Enzephalopathie geeignet. Meteoris− mus ist eine häufige unerwünschte Wirkung, die die Behandlung limitiert. Paraffinöl (Paraffinum subliquidum) gilt heute als obsolet. Es wird wenig resorbiert, die geringe auf− genommene Menge kann aber Fremdkörpergranu−
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lome im Bauchraum verursachen. Außerdem be− steht durch die verminderte Resorption von fett−
löslichen Vitaminen die Gefahr einer Hypovit− aminose.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Obstipation bei Kindern Therapie der Diarrho Pharmakotherapie des Reizdarmsyndroms Therapie der hepatischen Enzephalopathie
Fall 36
172
Fall
36
Arterielle Hypertonie
Antworten und Kommentar
36.1 Welche antihypertensive Therapie schla− K Wechselwirkungen: kaliumsparende Diureti− gen Sie Ihrem Patienten vor? ka (starker Plasmakaliumanstieg), NSAID (ver− K Therapieziel: zuverlässige Senkung des Blut− minderte blutdrucksenkende Wirkung) druckes unter 130/80 mmHg K Therapiekontrolle: zu Beginn engmaschige Kontrolle von Blutdruck, Kreatinin, Serumkali− K Begleiterkrankung: Diabetes mellitus Typ I um; Anleitung zur Blutdruckselbstmessung; mit beginnender diabetischer Nephropathie bei guter Blutdruckeinstellung Kontrolle alle (Mikroalbuminurie) und nichtproliferativer 3–6 Monate (angepasst an Risikoprofil) Retinopathie (vereinzelte Mikroaneurysmen) K Medikament der Wahl: ACE−Hemmer mit 36.3 Welche Diuretika eignen sich zur Be− nephroprotektiver Wirkung (z. B. Enalapril 1 3 2,5–20 mg/d); bei Auftreten unerwünschter handlung einer arteriellen Hypertonie? Wirkungen (z. B. Reizhusten, Angiödem) AT1− K Wirkstoffe mit längerer Wirkdauer: z. B. Rezeptorantagonisten (z. B. Candesartan, Thiaziddiuretika; Schleifendiuretika nur bei Losartan) stark eingeschränkter Nierenfunktion K Bei erforderlicher Kombinationstherapie: K Kaliumsparende Diuretika: z. B. Triamteren, Thiaziddiuretika (z. B. Chlortalidon, Hydro− Amilorid R Vorbeugen von Kalium− und chlorothiazid) in niedriger Dosierung R stei− Magnesiumverlusten gern die antihypertensive Wirkung der ACE− Hemmer !!! 36.4 Was sind Vasopeptidasen? Erläutern Sie das Prinzip der Vasopeptidase−Inhibition! 36.2 Benennen Sie die Inhalte dieses Patien− K Vasopeptidasen spalten vasoaktive Peptide: tengesprächs! – Neutrale Endopeptidase (NEP): im proxi− K Therapieziele: Senkung der zerebrovaskulä− malen Tubulus lokalisiert, Abbau von na− ren, kardiovaskulären und renalen Morbidität triuretischem Hormon R Natriumretention durch Blutdrucksenkung (, 130/80 mmHg) im Sammelrohr q R Wasserretention q R und gute Blutzuckereinstellung (HbA1c Blutdruckanstieg , 7,5 %) – Angiotensin−Converting−Enzym (ACE): in der Lunge lokalisiert, spaltet Angiotensin K Prävention: Nikotinverzicht, Gewichtsredukti− (AT) I in AT II; AT II ist ein potenter Vaso− on (Reduktion von 10 kg KG senkt systolischen konstriktor Blutdruck um ca. 10 mmHg), Beschränkung K Vasopeptidase−Inhibitor: Inhibition der Vaso− des Alkoholkonsums (F: , 30 g/d; C: , 20 g/ peptidasen, z. B. Omapatrilat d), Einschränkung des Kochsalzkonsums (, – Wirkung des natriuretischen Hormons q 6 g/d), Nahrungsumstellung auf kalium− und R verminderte Natriumretention R ver− faserreiche Kost (Obst, Gemüse, Ballaststoffe), mindertes Blutvolumen R Blutdrucksen− angemessenes Ausdauertraining (5 3 30 min/ kung Woche, Zielpuls: 170/min minus Lebensalter) – AT−II−Bildung Q R verminderte Vasokon− K Einnahmehinweise: Beginn einer Monothera− striktion R peripherer Widerstand Q R pie mit ACE−Hemmer, Absetzen der Medika− Blutdrucksenkung mente nur nach Rücksprache, Einnahme der Medikamente mit einem Glas Wasser, ein− schleichende Dosierung des ACE−Hemmers
Fall 36 Seite 39
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KOMMENTAR
Pharmakotherapie Bei der Indikationsstellung zu einer antihyperten− siven Pharmakotherapie sollten stets die indivi− duellen kardiovaskulären Risikofaktoren be− rücksichtigt werden. Der Patient aus dem Fallbei− spiel hat zwar eine milde Hypertonie, aber mit Diabetes mellitus und Übergewicht zwei kardio− vaskuläre Risikofaktoren und zusätzlich bereits Or− ganschäden (beginnende Nephro− und Retinopa− thie), so dass er als Hochrisikopatient in Hinblick auf ein kardiovaskuläres Ereignis anzusehen ist. In diesem Fall ist eine sofortige Pharmakotherapie indiziert. Hierfür stehen mehrere Wirkstoffgrup− pen zur Verfügung. Die Wirkstoffauswahl richtet sich nach der Wirksamkeit, der individuellen Wirkung und Verträglichkeit und den Begleiter− krankungen bzw. Risikofaktoren (s. Tab.1). Eine Kombination von 2 oder 3 Medikamenten empfiehlt sich bei Patienten, die auf eine Mono− therapie nicht ansprechen oder initial hohe Blut− druckwerte aufweisen (s. Abb. im Anhang). Bei Be− handlungsbeginn sind die Intervalle für Blut− druckkontrollen individuell festzulegen (2–4 Wochen); nach guter Blutdruckeinstellung sind je nach Risikoprofil die Kontrollen alle 2–6 Monate durchzuführen.
Tab.1 Antihypertensive Therapie bei Begleiterkrankungen
Herzinsuffizienz
Diuretika
b−Rezep− toranta− gonist
ACE−Hem− mer
AT1−Rezep− Kalziuman− torantago− tagonist nist (lang wirk− sam)
+
+
+
+
Z.n. Myokardinfarkt
+
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Hohes Risiko für kardiales + Ereignis (KHK)
+
+
Diabetes mellitus
+
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+
+
+
+
+
+
Chronische Nierenerkran− kung (GFR , 60 ml/min, Serumkreatinin . 1,5 mg/dl) Alter . 65 Jahre
+
+
173
36 Antworten und Kommentar
Therapieziele: s. Antwort zur Frage 36.2. Zielwer− te liegen unter 140/90 mmHg. Bei Patienten mit Diabetes mellitus und diabetischer Nephropa− thie sollte der Zielblutdruck sogar unter 130/ 80 mmHg liegen. Für Kinder, Jugendliche und Schwangere gelten andere Werte (s. Fall 63).
Nichtmedikamentöse Therapie: s. Antwort zur Frage 36.2. Eine Änderung der Lebensführung ist bei gering erhöhtem Blutdruck zunächst als al− leinige Therapie und bei schwerer Hypertonie zu− sammen mit der Pharmakotherapie indiziert. Zur geänderten Lebensführung zählen auch Abbau und bessere Bewältigung von Stress, ausreichen− der Schlaf und Entspannung.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Eine arteri− elle Hypertonie (Prävalenz bei Erwachsenen in Deutschland: 15–20 %) liegt vor, wenn wiederhol− te Blutdruckmessungen Werte über 140/90 mmHg ergeben. Die essenzielle (primäre) Hypertonie (90 % der Fälle) wird vererbt und manifestiert sich durch Risikofaktoren wie Übergewicht, zu hohem Kochsalz− und Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Stress. Pathophysiologisch bewirken diese Faktoren eine Zunahme des intravasalen Blutvo− lumens, das über verschiedene Gegenregulatio− nen zur einer Vasokonstriktion der Widerstands− gefäße und folglich Erhöhung des Blutdrucks führt. Einer sekundären (potenziell kurativ therapierba− ren) Hypertonie (5–10 % der Fälle) liegt z. B. eine Nierenarterienstenose oder ein endokriner Tumor (z. B. Phäochromozytom) zugrunde. Die meisten Patienten sind beschwerdefrei oder haben uncha− rakteristische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Nasenbluten. Die arteri− elle Hypertonie ist eine der wichtigsten primären Ursachen der Arteriosklerose, deren Folge Schlaganfall, koronare Herzkrankheit (KHK) – v. a. im Synergismus mit Diabetes mellitus – Linksherz− hypertrophie, Herz− und Niereninsuffizienz sein können. In der Diagnostik müssen Blutdruckmes− sungen durchgeführt sowie rechtzeitig Risikofak− toren und Organschäden erkannt werden.
(+) +
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Fall 36 Seite 39
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Diuretika: s. Antwort zur Frage 36.3. Diuretika sind Antihypertensiva der ersten Wahl, v. a. bei Herzinsuffizienz. Unerwünschte Wirkungen, wie Hypokaliämie, Hyperglykämie, Hyperurikämie und Hyperlipidämie, treten bei den in der Hoch− drucktherapie zu bevorzugenden niedrigen Dosie− rungen selten auf (s. Fall 1).
174
Fall
36
b−Rezeptorantagonisten: Alle b−Rezeptorantago− nisten (Syn. Betablocker; z. B. Propanolol, Oxpre− nolol) reduzieren die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität (s. Fall 6). b1−selektive Rezeptoran− tagonisten (z. B. Bisoprolol, Metoprolol) sollten v. a. bei Diabetikern bevorzugt eingesetzt werden, da sie keinen Einfluss auf den Blutzucker haben. Bei begleitenden Herzerkrankungen reduzieren b1− Rezeptorantagonisten die Herzarbeit und den Sau− erstoffverbrauch und verbessern dadurch die Prog− nose. Unerwünschte Wirkungen sind: Bradykar− die, Bronchokonstriktion, Verminderung der hypo− glykämischen Warnsymptome, Libido− und Potenzstörungen. Bei Absetzen müssen b−Rezep− torantagonisten wegen des Reboundphänomens durch Rezeptorhochregulation ausgeschlichen werden.
Antworten und Kommentar
ACE−Hemmer: Die Wirksamkeit der ACE−Hem− mer gleicht der der Diuretika und b−Rezeptoranta− gonisten. Die Wirkung beruht auf einer Hemmung des Angiotensin−Converting−Enzyms (ACE) (s. Antwort zur Frage 36.4). Indikationen für ACE− Hemmer sind v. a. Herzinsuffizienz mit aus− geprägter linksventrikulärer Funktionseinschrän− kung und diabetische Nephropathie. Kontraindi− kationen bestehen bei beidseitiger Nierenarterien− stenose, Hyperkaliämie, Z. n. Nierentransplantati− on sowie in Schwangerschaft und Stillzeit. Bei Patienten mit aktiviertem Renin−Angiotensin−Al− dosteron−System (z. B. Herzinsuffizienz, Diureti− ka−Vorbehandlung, starker Elektrolyt− und Wasser− verlust) muss wegen der Gefahr einer starken Blut− drucksenkung die Therapie einschleichend begon− nen werden. Unerwünschte Wirkungen sind chronischer Reizhusten, Angiödem, Hyperkaliämie und Kreatininanstieg. Die pharmakokinetischen Eigenschaften sind in Tab. 2 zusammengefasst.
AT1−Rezeptorantagonisten: Die AT1−Rezeptoran− tagonisten (Syn. Angiotensin−II−Antagonisten) wie Losartan, Candesartan, Irbesartan hemmen selek− tiv die AT1−Rezeptoren. Sie sind bei essenzieller Hypertonie indiziert und eignen sich besonders für Fälle, bei denen ACE−Hemmer keine ausrei− chende Wirkung erzielen oder eine Unverträglich− keit (z. B. Hustenreiz) bedingen. AT1−Rezeptoranta− gonisten sind nephroprotektiv und gut verträglich. Unerwünschte Wirkungen können Hyperkaliämie und überschießende Blutdrucksenkung sein. Kalziumkanalblocker: s. Fall 34. Für die antihy− pertensive Therapie sollten nur langwirksame Kal− ziumkanalblocker (Syn. Kalziumantagonisten; z. B. Diltiazem, Nifedipin, Verapamil) eingesetzt wer− den. Bei den Kalziumantagonisten vom Verapa− mil−/Diltiazemtyp können als unerwünschte Wir− kungen Bradykardie, Obstipation oder Flush auf− treten. Die gefäßselektiven Kalziumantagonisten vom Nifedipin−Typ können zu Reflextachykardie, Angina−pectoris−Beschwerden, Flush, Kopfschmer− zen und Beinödemen führen. Eine Kombination von Verapamil/Diltiazem mit Betablockern ist kontraindiziert (AV−Blockierungen, Bradykardie). a1−Rezeptorantagonisten: Sie führen durch Hemmung von a1−Rezeptoren zu einer Vasodilata− tion und damit Blutdrucksenkung. Unerwünschte Wirkungen können sein: ausgeprägte orthostati− sche Dysregulation bei erstmaliger Einnahme und Reflextachykardie. Auf Grund vermehrt aufgetrete− ner kardiovaskulärer Ereignisse (z. B. Myokardin− farkt) und Herzinsuffizienz werden die a1−Rezep− torantagonisten nicht mehr zur Monotherapie empfohlen. Antisympathotonika und direkte Vasodilatato− ren: Auf Grund von Nebenwirkungen (z. B. Brady− kardie, Sedierung) sind Antisympathotonika (z. B. Clonidin, a−Methyldopa, Moxonidin) und direkte Vasodilatatoren (z. B. Dihydralazin, Minoxidil) Mit− tel der ferneren Wahl. Sie sollten nur in Kombina− tion mit b−Rezeptorantagonisten und Diuretika eingesetzt werden (s. Fall 63).
Tab. 2 Dosierung und Pharmakokinetik einiger ACE−Hemmer
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
Bioverfügbar− keit (%)
EHWZ (Stunden)
Wirkdauer (Stunden)
Captopril
2–3 3 12,5–50
60
1,7
8–12
Enalapril
1–2 3 5–10
40
11
12–24
Fosinopril
1 3 10–20
25
, 12
24
Lisinopril
1 3 5–10
25
13
24
Quinapril
1–2 3 10
, 38
2
12–24
Ramipril
1 3 2,5–5
44
13–17
24–48
Fall 36 Seite 39
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Charakterisierung der AT1−Rezeptorantagonisten Vorteile von Kombinationspraparaten Risikostratifizierung bei arterieller Hypertonie
Fall 37 37.1 Welche Diätmaßnahmen empfehlen Sie dem Patienten? K Körpergewichtsnormalisierung K Purinarme Kost: Meiden zellreicher“ Kost (z. B. Innereien, Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte, Pilze, Spinat), max. Fleischkonsum 100–150 g/d K Alkoholkarenz: reduziert die Ansäuerung des Harns durch Laktat; ein erhöhter pH−Wert des Harns verbessert die Harnsäureausscheidung (cave: Bier ist zudem sehr purinreich) K Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
3. Tag 20 mg, 4. Tag 10 mg; in besonders schweren Fällen initiale Dosis über 3–5 Tage
37.3 Welche Therapie schlagen Sie für das anfallsfreie Intervall vor? K Urikostatikum: Allopurinol einschleichend, initial 100 mg/d, wöchentliche Steigerung um 100 mg/d, Langzeiterhaltungsdosis 100– 300 mg/d K Urikosurikum: Benzbromaron einschleichend, initial 25 mg/d, nach einigen Tagen 50– 150 mg/d K Neutralisierung des Harns (pH 6,5–7): Hexa− kaliumhexanatriumpentazitrat R Verbesse− rung der Wasserlöslichkeit der Harnsäure, v. a. bei Urikosurikagabe K ggf. Anfallsprophylaxe: niedrigdosiertes Kol− chizin 0,5 mg/d über 2 Monate
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Als Hyper− urikämie bezeichnet man eine Erhöhung der Harn− säurekonzentration . 7 mg/dl (. 0,42 mmol/l) im Blut, als Gicht die klinisch manifeste Hyperurikä− mie. Die Hyperurikämie ist eine häufig vorkomme− ne Wohlstandskrankheit, die v. a. durch übermäßi− ge exogene Purinzufuhr (Fleisch) und/oder Alko− holabusus bei verminderter renaler Ausschei− dung bedingt wird. Männer sind weitaus häufiger als Frauen betroffen. Die Harnsäurekon− zentration ist nicht nur im Blut, sondern auch in der Synovialflüssigkeit und im Urin erhöht. Bei Überschreiten des Löslichkeitsprodukts fallen Harnsäurekristalle aus. In den Gelenken führt dies zu einem akutem Gichtanfall, einer schmerzhaf− ten Monarthritis meist des Großzehengrundge−
lenks (= Podagra). Der Entzündungsprozess wird durch Invasion von Leukozyten ausgelöst, die die Uratkristalle phagozytieren, aber nicht abbauen können und beim Absterben Entzündungsmedia− toren freisetzen. Die chronische Gicht entwickelt sich über Jahre und führt zu Gelenkdeformitäten und Harnsäureablagerungen (= Tophi) in Ohrknor− pel, Synovia, Sehnen und gelenknahen Knochen. In der Niere kann eine chronische Hyperurikämie zu harnsäurereichen Nierensteinen mit entspre− chenden Symptomen (z. B. Nierenkolik bei Stein− abgang) und sehr selten zur Gichtnephropathie mit Niereninsuffizienz und arterieller Hypertonie führen.
37 Antworten und Kommentar
37.4 Welche Medikamente können einen Anstieg der Serumharnsäure verursachen? Warum? K Zytostatika R Zelluntergang bedingt erhöhten Anfall von Purinen und damit vermehrte Harnsäurebildung K Saluretika R Hämokonzentration und Hem− mung der Harnsäuresekretion K Niedrig dosierte Salizylate R Hemmung der Harnsäuresekretion K Pyrazinamid, Ethambutol, Nikotinsäure R Hemmung der Harnsäuresekretion
175
Fall
37.2 Erläutern Sie allgemeine und medika− mentöse Therapiemöglichkeiten des akuten Gichtanfalls! K Lokaltherapie: Ruhigstellung des betroffenen Gelenks (evtl. Bettruhe); kühlende Umschläge (z. B. mit Alkohol) K Kolchizin: initiale Dosierung 0,5–1 mg p.o., dann 0,5 mg/h bis Schmerzen nachlassen bzw. unerwünschte Wirkungen (z. B. Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen, Diarrhö) auftreten; Ma− ximaldosis: 6–8 mg/d; Therapiedauer: 3–5 Ta− ge K NSAID: Indometacin 50–100 mg p.o. oder als Supp., dann alle 6–8 Stunden 25–50 mg bis zum Abklingen der Beschwerden K Glukokortikoide (adjuvant): 1. Tag 40 mg Prednisolon−Äquivalent p.o., 2. Tag 30 mg,
Gicht
Fall 37 Seite 40
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Therapieziele: Ziel ist eine dauerhafte Senkung des Harnsäurespiegels auf unter 6 mg/dl, um be− stehende Uratdepots zu beseitigen und Komplika− tionen vorzubeugen. Hierbei kommen langfristig diätetische und medikamentöse Maßnahmen zum Einsatz. Beim akuten Gichtanfall steht die Unterdrückung der Entzündungsreaktion und Schmerzhemmung im Vordergrund. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 37.1. Diese Maßnahmen sind zunächst bei asymptomatischer Hyperurikämie mit Harn− säurewerten bis 9–10 mg/dl indiziert. Pharmakotherapie
176
Fall
37 Antworten und Kommentar
Urikostatika: s. Antwort zur Frage 37.3. Das uri− kostatisch wirkende Allopurinol wird in der Lang− zeittherapie als Mittel der Wahl eingesetzt, falls mit Basismaßnahmen keine dauerhafte Senkung des Harnsäurespiegels , 9 mg/dl zu erreichen ist. Allopurinol (EHWZ: 4–5 Stunden) wird in den langwirkenden aktiven Metaboliten Oxipurinol (EHWZ: ca. 30 Stunden) umgewandelt. Oxipurinol hemmt die Synthese der Harnsäure durch Inhibi− tion der Xanthinoxidase, es wird vermehrt gut wasserlösliches Hypoxanthin und Xanthin ausge− schieden. Zusätzlich wird die de−novo−Purinsyn− these vermindert. Häufige unerwünschte Wirkun− gen (10 %) sind Juckreiz und Dermatitis, gelegent− lich werden gastrointestinale Störungen oder Leukopenien beobachtet. Selten treten Überemp− findlichkeitsreaktionen mit Vaskulitis (, 0,4 %) und anaphylaktischen Reaktionen bis hin zu töd− lichen Ausgängen auf. Wechselwirkungen beste− hen mit 6−Mercaptopurin und Azathioprin (Do− sisreduktion 60–75 %), die Wirkung der Kumarine wird verstärkt. Da der Metabolit Oxipurinol renal eliminiert wird, muss bei Niereninsuffizienz eine Dosisreduktion vorgenommen werden. Eine ein− schleichende Dosierung soll einen initialen akuten Gichtanfall vermeiden. Zu Beginn der Therapie ist in 14−tägigen Abständen die Serumharnsäure zu kontrollieren. Ist durch eine Monotherapie die Harnsäurekonzentration nicht , 6 mg/dl zu sen− ken, ist eine Kombinationstherapie von Allopu− rinol mit einem Urikosurikum indiziert. Urikosurika: s. Antwort zu Frage 37.3. Urikosurika wie Benzbromaron und Probenecid werden fast nur noch bei Unverträglichkeit gegen Allopurinol
oder bei erforderlicher Kombinationstherapie ein− gesetzt. Sie steigern die Harnsäureexkretion durch Hemmung der tubulären Reabsorption. Durch die vermehrte Harnsäureausscheidung in den er− sten Wochen nach Therapiebeginn besteht die Ge− fahr der Uratsteinbildung, falls nicht einschlei− chend dosiert, für eine reichliche Flüssigkeitszu− fuhr und eine Neutralisierung (Alkalisierung induziert Phosphatsteine) des Harns gesorgt wird. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist ein urikosurischer Effekt nicht zu erwarten. Als unerwünschte Wirkungen werden häufig gas− trointestinale Störungen (z. B. Völlegefühl, Übel− keit, Diarrhö), seltener allergische Reaktionen be− obachtet. Die Wirkung der Urikosurika kann durch Salicylate, Thiazid− und Schleifendiuretika abge− schwächt werden. Urikosurika hemmen die kon− kurrierende renale Exkretion von tubulär sezer− nierten Arzneistoffen (z. B. Penicilline, Cephalo− sporine, Sulfonamide, Indometacin). Kolchizin: s. Antwort zur Frage 37.2. Kolchizin ist Mittel der 1. Wahl zur Behandlung des akuten Gichtanfalls bei diagnostisch nicht gesicherten Fällen. Kolchizin ist ein Alkaloid der Herbstzeitlo− sen und hemmt die Phagozytose von Urat durch Beeinflussung des Spindelapparates der Leukozy− ten. Kolchizin verändert die Harnsäurekonzentra− tion nicht. Auf Grund der geringen therapeutischen Breite sollte eine Tageshöchstdosis von 6–8 mg nicht überschritten werden. Die Halbwertszeit be− trägt 4–5 Stunden. Akute unerwünschte Wirkun− gen sind Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen; bei länge− rer Anwendung treten Haarausfall, Blutbildverän− derungen und neurologische Symptome auf. Auf Grund dessen wird Kolchizin kaum noch einge− setzt. NSAID: Bei gesichertem Gichtanfall und normaler Nierenfunktion stellen die NSAID die wichtigste Medikamentengruppe dar. Indometacin ist am wirksamsten, aber auch Diclofenac, Ibuprofen und Piroxicam wirken gut. Die wichtigsten uner− wünschten Wirkungen der NSAID sind Ulzeratio− nen im Gastrointestinaltrakt, Nephrotoxizität und Ödeme durch renale Wasser− und Elektrolytreten− tion (s. Fall 12). Eine kurzzeitige Gabe von Gluko− kortikoiden kann die NSAID−Therapie unterstüt− zen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Arthrose Behandlung maligner Tumoren mit Zytostatika Pseudogicht
Fall 37 Seite 40
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Fall 38 38.1 Welche Fertigarzneimittelbezeichnung notieren Sie auf dem Rezept? Benosid, Budecort, Budes, Budesonid−ratiopharm, Budiair, Pulmicort usw. im Verzeichnis der che− mischen Kurzbezeichnungen von Wirkstoffen 38.2 Wie viele Einheiten des Wirkstoff Tenec− teplase sind in den Präparationen enthalten? Basisinformationen der Fertigarzneimittel und bestimmter Medizinprodukte (42 002): 8000 und 10 000 Units 38.3 Welche Höchstdosis von Buprenorphin dürfen Sie im Normalfall auf einem Betäu− bungsmittelrezept zur Schmerztherapie verord− nen?
Rote Liste 150 mg Buprenorphin; im Anhang: Verschreiben von Betäubungsmitteln
38.4 Wer stellt in Deutschland das Biliscopin her? Mit welcher Telefonnummer erreichen Sie den Hersteller? Schering (Verzeichnis der pharmazeutischen Unternehmer und der Vertreiber bestimmter Medizinprodukte): 030−349 890 oder medizi− nisch−wissenschaftliche Anfragen 0800−1347600 38.5 Gibt es von Concor eine Flüssigzuberei− tung? Nein, es gibt keine Flüssigzubereitung. Im alpha− betischen Verzeichnis der Fertigarzneimittel und bestimmter Medizinprodukte: Concor Filmtabletten
KOMMENTAR
177
38 Antworten und Kommentar
Einteilung der Roten Liste: In der Roten Liste sind ca. 3000 verschiedene Wirkstoffe in Form von verschiedenen Fertigarzneimitteln aufgelistet. Im alphabetischen Verzeichnis der Fertigarznei− mittel und bestimmter Medizinprodukte werden Präparatnamen von Fertigarzneimitteln/Medizin− produkten mit den dazugehörigen Darreichungs− formen und ggf. Stärken in alphabetischer Reihen− folge aufgeführt. Diesen ist jeweils eine fünfstellige Kennziffer (z. B. 01001) als Suchhilfe nachgestellt. Hiermit sind die kurz gefassten Basisinformatio− nen über ein Fertigarzneimittel/Medizinprodukt im Verzeichnis der Basisinformationen schnell auf− findbar. Die ersten beiden Stellen bezeichnen die jeweilige Hauptgruppenordnung des Präparates, die folgenden drei Ziffern entsprechen der fortlau− fenden Nummerierung. Im Verzeichnis der chemischen Kurzbezeich− nungen von Wirkstoffen sind gebräuchliche Kurz− bezeichnungen definierter chemischer Substanzen mit ihrer wissenschaftlichen Bezeichnung aufge− führt. Unterhalb der Kurzbezeichnung wird die ge− naue chemische Bezeichnung des Wirkstoffs ange− geben (z. B. Acetylcystein, (R)−Acetylamino−3−mer− captopropionsäure). Zusätzlich erfolgt die Angabe
der pharmakologischen Stoffgruppe des Wirk− stoffs, die Signaturnummer sowie die Angabe von Informationen zur EHWZ beim Menschen, zur Hä− modialyse und Hämoperfusion. Das Verzeichnis der Basisinformationen der Fer− tigarzneimittel und bestimmter Medizinprodukte ist in Hauptgruppen (z. B. 23 Antiphlogistika, 67 Ophthalmika) und Untergruppen gegliedert und macht den Hauptteil aus. Die Indikations− und Wirkstoffgruppen, die hinsichtlich der Zusammen− setzung unterschiedlicher Fertigarzneimittel zu− sammengefasst sind, werden, soweit möglich und erforderlich, in Untergruppen eingeteilt. Die Ein− teilung der Untergruppen erfolgt abhängig davon, wodurch die angegebene Wirkung des Fertigarz− neimittels ausschließlich oder überwiegend be− stimmt wird in: Pflanzen, Pflanzenbestandteile oder deren Zubereitungen (A), chemisch definierte Stoffe (B), Zubereitungen aus Enzymen, Organen und/oder Mikroorganismen (C) oder homöopathi− sche Zubereitungen (D). Die Basisinformation über die einzelnen Präparateinträge ist gegliedert in Kennziffer, Hersteller/Vertreiber, Bezeichnung (Handelsname) mit Darreichungsform, Abgabesta− tus, Fachinfo−Service, Zusammensetzung, verdau− liche Kohlenhydrate, Packungsgrößen, Packungs− größenklassifizierung entsprechend Zuzahlungs− verordnung (N1, N2, N3), Festbeträge und Preise, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Anwen− dungsbeschränkungen, Schwangerschaft, Stillzeit, Neben−, Wechselwirkungen, Überdosierungen und Intoxikationen, Warnhinweise, Hinweise, Dosie− rung, Lagerungshinweis/Kühlkette. Im Signaturverzeichnis sind die Gegenanzeigen, Anwendungsbeschränkungen, Schwangerschaft, Stillzeit, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Intoxikationen zu den einzelnen Präparaten aufgeführt.
Fall
Allgemeines: Das Arzneimittelverzeichnis Rote Liste enthält umfangreiche und übersichtlich ge− staltete Informationen über deutsche/europä− ische Arzneimittel sowie bestimmte Medizinpro− dukte. Das Arzneimittelangebot ist in 88 Indika− tions− und/oder Wirkstoffgruppen aufgeführt und bietet neben einem Gesamtüberblick auch ei− nen pharmakologischen Vergleich der Präparate inkl. Preisvergleich. Neben der jährlich aktualisier− ten Druckausgabe ist die Rote Liste auch online (http://www.rote−liste.de) Ärzten, Apothekern und Medizinstudenten nach vorheriger Registrie− rung kostenlos zugänglich.
Fall 38 Seite 41
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Im Verzeichnis der pharmazeutischen Unter− nehmer und Vertreiber bestimmter Medizinpro− dukte sind die Adressen der herstellenden phar− mazeutischen Unternehmer oder Vertreiber be− stimmter Medizinprodukte und die Aufzählung der Handelsnamen von Fertigarzneimitteln aufge− listet. Der Anhang enthält ein Antidotarium mit Hin− weisen zu Stoffen, die zur Aufhebung oder Milde− rung von Giftwirkungen dienen. Ebenso sind In− formationszentren für Vergiftungsfälle in
Deutschland und Europa sowie Notfalldepots für Sera/Plasmaderivate aufgeführt. Anschließend werden Informationen für das Verschreiben von Betäubungsmitteln, Informationen zum Thema Doping und Arzneimittel“, Impfempfehlungen inkl. Empfehlungen zu Reiseimpfungen und zur Malariaprophylaxe, Informationen zur Medika− mentenwirkung bei Patienten mit akuten hepati− schen Porphyrien, Stufenplanbeteiligte und Infor− mationen zu Zuzahlungen für Arznei−, Verband− mittel und bestimmte Medizinprodukte genannt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Arzneimittel und Verkehr Betaubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) Impfempfehlungen
Fall 39 178
Fall
39
Diabetes mellitus Typ II
Antworten und Kommentar
39.1 Was raten Sie dem Patienten zur Senkung des Blutzuckers? Ziel: Gewichtsreduktion, Senkung des erhöhten Blutzuckerspiegels und der erhöhten Blutfett− werte K Besuch einer Schulung für Diabetiker K Körperliche Bewegung: z. B. 3−mal die Woche 30 min Radfahren oder schnelles Gehen K Ernährungsumstellung: empfohlene Kalo− rienbegrenzung auf 1400–1600 kcal/d, Schu− lung in Lehrküche (ballaststoffreiche Ernäh− rung, 50 % Kohlenhydrate, 20 % Proteine, 30 % Fettsäuren, möglichst reich an cis−ungesättig− ten Fettsäuren) K Selbstkontrolle: kritische Überprüfung von Blutzucker (Diabetiker−Tagebuch), Körperge− wicht, ggf. Blutdruck; Haut, v. a. der Füße (Fußpflege) 39.2 Welche medikamentöse Therapie schla− gen Sie vor? K Biguanide (bei vorliegender Adipositas): z. B. Metformin inital 500 mg/d p.o. nach dem Frühstück (bessere Verträglichkeit), nach 2 Wochen 2 3 500 mg/d K HMG−CoA−Reduktasehemmer (Ziel: Choleste− rin , 200 mg/dl): z. B. Atorvastatin 10–80 mg/d
39.3 Erläutern Sie die Vorteile der Glinide! K Rasches An− und Abfluten nach peroraler Zu− fuhr (kurze EHWZ) K Einnahme unmittelbar vor den Hauptmahl− zeiten K Keine Beeinflussung der basalen Insulin− sekretion 39.4 Nennen Sie Kontraindikationen für die Biguanide! K Zustände und Erkrankungen, die zu azidoti− scher Stoffwechsellage prädisponieren: – Leber− und Nierenfunktionsstörungen – Kardiorespiratorische Insuffizienz – Hypokalorische Ernährung (, 1000 kcal/d) und andere katabole Zustände (z. B. peri− operativ, Neoplasie, Hyperthyreose) – Akute oder chronische Infektionen – Hypoxie (z. B. bei gelegentlicher schwerer körperlicher Belastung) – Ketoazidose bei Diabetes mellitus in der Anamnese K Schwangerschaft und Stillzeit K Alkoholismus
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkran− kung mit dem Leitsymptom Hyperglykämie (Prä− valenz bei Erwachsenen: 5 %, davon 90 % Typ II). Der Diabetes mellitus Typ II manifestiert sich vor dem 60. Lebensjahr und ist durch eine Insulinre− sistenz und zunehmende Störung der Insulin− sekretion gekennzeichnet. Bei Krankheitsbeginn ist die Insulinsekretion postprandial verspätet
und unzureichend, in der Spätphase der Verdau− ung ist der Blutinsulinspiegel basal normal oder erhöht (Hyperinsulinämie). Im weiteren Krank− heitsverlauf kommt die Insulinsekretion vollstän− dig zum Erliegen. Ätiologisch liegt dem Diabetes mellitus Typ II eine genetische Disposition zu− grunde. Manifestationsfaktoren, i. S. eines meta− bolischen Syndroms sind Adipositas (v. a. viszerale Fettverteilung), Bewegungsarmut, Dyslipo−
Fall 39 Seite 42
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Therapieziele: Zielwerte für die Blutglukose sind 90–120 mg/dl im Nüchternzustand, ein HbA1c−An− teil unterhalb von 6,5 % ist anzustreben. Es gilt die Lebensqualität zu erhalten bzw. zu verbessern, die Stoffwechseleinstellung zu optimieren, akuten und chronischen Komplikationen vorzubeugen sowie ggf. Begleiterkrankungen zu behandeln.
Glitazone: Die Thiazolidindione (Syn. Glitazone, Insulinsensitizer) binden an einen Rezeptor im Zellkern der Fett− und Muskelzellen (Peroxiso− men−Proliferator−Activated−Receptor−g, PPAR−g), der als Transkriptionsfaktor u. a. die Expression des insulinabhängigen Glukosetransporters GLUT−4 steigert. So wird unter Einfluss von Insulin mehr Glukose in die metabolisch aktiven Gewebe aufgenommen. Die beiden Vertreter Pioglitazon und Rosiglitazon werden gut resorbiert, fast voll− ständig an Plasmaproteine gebunden und in der Leber metabolisiert. Unerwünschte Wirkungen sind Flüssigkeitsretention mit Gewichtszunahme, Kopfschmerzen und Zunahme von Infekten der oberen Atemwege. Kontraindiziert sind Glitazone bei Lebererkrankungen, Herzinsuffizienz und In− sulintherapie. Glitazone können in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Metformin ange− wendet werden. Eine endgültige Bewertung dieser Wirkstoffgruppe steht noch aus.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 39.1. Eine Änderung der Lebensführung beinhaltet neben der Ernährungsumstellung und regelmäßiger körperlicher Aktivität auch den Ver− zicht auf Nikotin und die Einschränkung des Alko− holkonsums. Pharmakotherapie Bei insuffizienter Stoffwechseleinstellung durch nichtmedikamentöse Maßnahmen werden bei adipösen Patienten ohne weitere Kontraindika− tionen Biguanide empfohlen (s. Antworten zu Fra− gen 39.2). Normalgewichtige Typ−II−Diabetiker werden mit Sulfonylharnstoffen behandelt. Eine Kombinationstherapie mit a−Glukosidasehem− mern, Gliniden oder Glitazonen ist indiziert, wenn nach 3 Monaten das HbA1c nicht unter 7 % liegt. Alternativ bzw. bei Versagen der Kombinationsthe− rapie kann jederzeit eine Therapie mit Insulin be− gonnen werden (s. Fall 93 und Abb. zu den Leit− linien im Anhang). Biguanide: Das Biguanid Metformin hemmt die intestinale Kohlenhydratresorption, reduziert die hepatische Glukoneogenese und erhöht die Verwertung der Blutglukose in Muskel− und Fettgewebe. Dies reduziert den Insulinbedarf und verlangsamt die Entwicklung einer Insulinre− sistenz. Metformin reduziert das Risiko für kardio− vaskuläre Erkrankungen. Die häufigsten uner− wünschten Wirkungen sind gastrointestinale Stö− rungen (z. B. Appetitlosigkeit, Übelkeit, Diarrhö), es besteht kein Hypoglykämierisiko. Eine schwer− wiegende, vital bedrohliche Nebenwirkung ist die Laktatazidose, v. a. bei Nichtbeachten der Kontra− indikationen (s. Antwort zur Frage 39.4). Metfor− min wird gut resorbiert und unverändert renal eli− miniert. Die EHWZ beträgt 2–5 Stunden. a−Glukosidasehemmer: Acarbose hemmt im Dünndarm die a−Glukosidasen und verzögert damit die Verdauung und Resorption von kom−
Insulinsekretagoga: Sulfonylharnstoffe und Analoga (Glinide) wirken über die Blockade ATP− empfindlicher Kaliumkanäle (s. Fall 13). Eingesetzt werden sollten Sulfonylharnstoffe bei normalge− wichtigen Typ−II−Diabetikern oder bei Kontraindi− kationen für Metformin. Glinide weisen pharma− kokinetische Vorteile gegenüber den ursprüngli− chen Sulfonylharnstoffen auf (s. Antwort zu Frage 39.3). Während Repaglinid für die Monotherapie zugelassen ist, darf Nateglinid nur in Kombination mit Metformin verwendet werden. Die wichtigste unerwünschte Wirkung der Sulfonylharnstoffe und Analoga ist die Hypoglykämie, die sich durch strikte Einhaltung der Diät reduzieren lässt. Wei− tere unerwünschte Wirkungen und Kontraindika− tionen sind in Fall 13 dargestellt.
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39 Antworten und Kommentar
plexen Kohlenhydraten und Saccharose. Der post− prandiale Glukoseanstieg wird vermindert, der mittlere Blutglukosewert gesenkt. Unerwünschte Wirkungen sind Meteorismus, Flatulenz und Diar− rhö. Kontraindikationen sind Malassimilationen und Schwangerschaft. Acarbose ist als Monothera− pie oder in Kombination mit Sulfonylharnstoffen bei Diabetes mellitus Typ II indiziert, eine Hypo− glykämiegefährdung besteht bei Monotherapie nicht. Die Behandlung soll zur besseren Adaptie− rung einschleichend begonnen und kann bis auf 3 x 100 mg/d p.o. gesteigert werden.
Fall
proteinämie und arterielle Hypertonie. Außer dem Glukosestoffwechsel sind beim Diabetes mel− litus Typ II auch Protein−, Lipid− und Elektrolyt− stoffwechsel betroffen. Diagnostisch ist ein erhöh− ter Nüchternglukosewert über 126 mg/dl bewei− send. Bei Werten zwischen 110 und 126 mg/dl sollte ein oraler Glukosetoleranztest durchge− führt werden. Als Akutkomplikation des Diabetes mellitus Typ II kann ein hyperosmolares Koma auftreten. Spätkomplikationen wie Makroangio− pathie, diabetische Neuropathie und Mikroan− giopathie, v. a. an Nieren und Augen, sind häufig.
Insulin: Die Insulintherapie beim Typ−II−Diabeti− ker ist meist einfacher zu handhaben als bei Typ−I− Diabetikern, da noch eine Restsekretion von Insu− lin vorhanden ist. Verwendet werden meist Misch− insuline mit Überwiegen des Verzögerungsinsu− linanteils. Indiziert ist eine Insulintherapie bei Nichterreichen der erwünschten Blutglukosewerte unter oralen Antidiabetika. Eine Insulintherapie ist auf jeder Stufe des Behandlungsplanes möglich. Liegt der HbA1c−Wert 3 Monate nach Behandlung mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen über 7,0 %,
Fall 39 Seite 42
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können zur Nacht Insulin und am Morgen Metfor− min oder Sulfonylharnstoffe verabreicht werden. Präprandial kann auch ein kurzwirkendes Insulin und abends Metformin sinnvoll sein. Ist keine aus−
reichende Blutzuckereinstellung möglich, erfolgt der Übergang auf eine möglichst intensivierte kon− ventionelle Insulintherapie (s. Fall 93).
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des hyperosmolaren Komas Therapie der diabetischen Nephropathie Therapie einer Laktatazidose
Fall 40
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Fall
40
Evidenzbasierte Medizin (EBM)
Antworten und Kommentar
40.1 Was versteht man unter EBM? EBM (evidence based medicine, nach Sackett): Verwendung der gegenwärtig besten wissen− schaftlichen Erkenntnis (Evidenz) für Entschei− dungen in der medizinischen Versorgung von Pa− tienten; dazu werden individuelle klinische Er− fahrungen (Expertise) mit besten externen Er− kenntnissen aus der systematischen Forschung kombiniert: K Individuelle klinische Erfahrung: Können und Urteilskraft, die Ärzte durch ihre Erfah− rung und klinische Praxis erwerben K Beste externe Erkenntnis: medizinische Grundlagenforschung; v. a. patientenorientier− te Forschung zur Genauigkeit diagnostischer Verfahren, Wirksamkeit und Sicherheit thera− peutischer, rehabilitativer und präventiver Maßnahmen 40.2 Welche Schritte werden bei der Anwen− dung von EBM unterschieden? K Problemdefinition: Formulierung relevanter, beantwortbarer klinischer Fragen K Literaturrecherche: Suche nach der besten Evidenz K Bewertung: kritische Evaluation der gefun− denen Evidenz K Integration: Beurteilung der Anwendbarkeit der validen Evidenz auf die jeweilige klinische Situation
40.3 Welche Stufen der Evidenzbewertung gibt es?
Evidenz− grad Ia
Metaanalyse oder mehrere rando− misierte kontrollierte Studien mit konsistenten Ergebnissen
Ib
Mindestens eine genügend große randomisierte kontrollierte Studie
IIa
Mindestens eine gut angelegte kontrollierte Studie ohne Rando− misierung
IIb
Mindestens eine gut angelegte, quasi experimentelle Studie
III
Gut angelegte nicht experimen− telle deskriptive Studien, z. B. Ver− gleichs−, Korrelations−, Fallkontrollstudien
IV
Berichte oder Meinungen von Ex− pertenkreisen, klinische Erfahrun− gen anerkannter Autoritäten
40.4 Was verbirgt sich hinter der Cochrane Collaboration? K Die Cochrane Collaboration entstand 1993 aus dem Zusammenschluss von Medizinern; Ziel: Metaanalyse randomisierter und kontrol− lierter klinischer Studien K Veröffentlichung: systematische Übersichtsar− beiten in elektronischer Datenbank Cochrane Library (www.cochrane.org) unter EBM−Ge− sichtspunkten 40.5 Welche Kritikpunkte werden im Zusam− menhang mit EBM geäußert? K Zweifel an Übertragbarkeit des Wirksamkeits− nachweises unter kontrollierten Bedingungen auf Alltagsbedingungen K In der Anwendung von EBM treten nicht im− mer widerspruchsfreie Lösungen auf
Fall 40 Seite 43
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K Entscheidungen in der Notfallmedizin nicht durch EBM−Prozess zu lösen K Mangelnde Ressourcen (v. a. Zeit) für klinisch tätigen Ärzte, um EBM umzusetzen
K EBM wird als Kochbuchmedizin“ empfun− den K EBM schafft im eigentlichen Sinne keine neue Erkenntnis
KOMMENTAR nisse von Konsensuskonferenzen können zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, wo− bei hier aber schnell die Grenzen der Informati− onsgewinnung erreicht werden, v. a. bei indivi− duellen patientenspezifischen Fragen.
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41 Antworten und Kommentar
Beispiel: Ein 43−jähriger Patient erleidet seinen zweiten Grand−mal−Anfall. Er wird stationär auf− genommen und erhält Phenytoin. Angiologische, neurologische und bildgebende Untersuchungen erbringen keine pathologischen Befunde. Sie stel− len die Frage, ob eine Anfallsprophylaxe notwen− dig ist. Ihr Oberarzt schätzt das Wiederholungsri− siko aus Erfahrung – ohne wissenschaftlich fun− dierte Evidenz (non−evidence−based medicine) – als hoch ein. Der Patient wird mit einer dauerhaf− ten Phenytoinprophylaxe nach Hause entlassen. Sie können nicht glauben, dass der Patient lebens− lang Phenytoin einnehmen soll und formulieren im vorliegenden Fall unter Anwendung von EBM folgende recherchierbare Frage: Wie hoch ist die Rezidivgefahr nach zweimaligem Grand−mal−An− fall ohne organpathologischen Befund? Die Coch− rane Library liefert Ihnen eine relevante und vali− de Studie, die Sie auf den konkreten Fall anwenden können. Die Studie besagt, dass das Anfallsrisiko nach einem Jahr bei 43–51 % liegt. Bei Anfallsfrei− heit in den ersten 18 Monaten liegt das Risiko bei weniger als 20 %. Die Studie zeigt deutlich, dass die Anfallsprophylaxe mit Phenytoin obsolet ist und falls nötig durch Carbamazepin oder Valproinsäure ersetzt werden sollte. Nach EBM−Kriterien sollte der Patient für 1–2 Jahre eine Anfallsprophylaxe mit Carbamazepin oder Valproinsäure vornehmen und danach die Prophylaxe bei Anfallsfreiheit be− endet werden.
Fall
Grundlagen: Die Entwicklung der Ziele und Me− thoden der Evidenzbasierten Medizin (EBM) be− gann Anfang der 1970 er Jahre in Zentren der klini− schen Epidemiologien in den USA und in Kanada. EBM soll die ärztliche Vorgehensweise und Ent− scheidung im Alltag unterstützen: Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der wachsenden Infor− mationsflut im klinischen Bereich (2 Millionen Publikationen/Jahr) und dem Informationsdefizit der Ärzte bei konkreten Problemen. Medizinische Interventionen in Kliniken begründen sich nur zu 20–40 % auf wissenschaftlich begründeten Verfah− ren. Deshalb bedarf es einer Integration der indi− viduellen klinischen Erfahrung des einzelnen Arz− tes mit den klinisch relevanten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen (s. Antwort zur Frage 40.1). Ziel dieses Vorgehens soll eine wissenschaftliche Absicherung von Therapieentscheidungen beim Patienten sein. Ob damit auch eine Senkung der Therapiekosten zu erreichen ist, bleibt abzuwar− ten. Die Cochrane Library (s. Antwort zur Frage 40.4) ermöglicht es dem praktisch tätigen Arzt, der nicht bei jeder therapeutischen Entscheidung eine ausgedehnte Literatursuche durchführen kann, sich die gewünschte Information aus systemati− schen Übersichtsarbeiten (Review) anzueignen. Hier sind die Daten aus randomisierten und kon− trollierten klinischen Studien nach definierten Kri− terien zusammengetragen. Es lassen sich abhängig von der Studienqualität verschiedene Evidenzgra− de bestimmen (s. Antwort zur Frage 40.3). Die Cochrane Collaboration (deutsches Cochrane Zentrum in Freiburg) hat das Arbeitsziel, systema− tische Übersichtsarbeiten in der Medizin zu ver− fassen, zu aktualisieren und zu verbreiten. Auch Leitlinien mit Empfehlungsgraden oder Ergeb−
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Phasen der klinischen Prufung Publication bias Vor− und Nachteile von Metaanalysen
Fall 41
Multiple Sklerose (MS)
41.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie bei einem akuten MS−Schub? K Glukokortikoid−Pulstherapie: Methylpredni− solon 500–1000 mg/d als Kurzinfusion für 5 Tage, Ausschleichen über 10 Tage p.o.
K ggf. H2−Rezeptorantagonisten (Magenschutz), niedrigdosiertes Heparin (bei bettlägerigen Pa− tienten) sowie Kalium− (40 mmol/d p.o.) und Kalziumsubstitution (1000 mg/d p.o.)
Fall 41 Seite 44
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Fall
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phome, Karzinoid, Kaposi−Sarkom bei AIDS, 41.2 Nennen Sie Optionen zur Langzeitbehan− malignes Melanom dlung der MS! K Interferon−b: Virusenzephalitis, Herpes zoster K Interferon−b: generalisatus und Varizellen bei Immunsup− – Interferon−b−1 a: Avonex 1 3 30 mg/Woche pression, virale Innenohrdefekte mit Gehörver− i.m.; Rebif 3 3 22 mg/Woche s.c. lust – Interferon−b−1 b: Betaferon 250 mg s.c. je− K Interferon−b−1 a und Interferon−b−1 b: mul− den 2. Tag tiple Sklerose K Azathioprin: initial 2,5 mg/kg KG/d p.o., Do− K Interferon−g−1 b: septische Infektionen bei sisanpassung nach Leukozytenzahl Granulomatose K Weitere Medikamente: Glatirameracetat 20 mg/d s.c.; Mitoxantron 10–12 mg/m2 KOF !!! 41.4 Wie wirkt das neue, noch nicht zugelas− i. v. alle 3 Monate sene MS−Medikament Natalizumab? Natalizumab ist ein Antikörper, der das Adhäsi− 41.3 Welche Interferone kennen Sie? Nennen onsmolekül VLA (very late antigen)−4 auf der Sie Indikationen! Oberfläche von T−Lymphozyten bindet. K Interferon−a−2 a: chronische Hepatitis B oder K Bindung von T−Lymphozyten an Endothelzel− C, Haarzellleukämie, chronisch myeloische len wird gehemmt R Einwanderung von Ent− Leukämie, kutanes T−Zell−Lymphom, follikulä− zündungszellen aus dem Blut in ZNS wird ver− res Non−Hodgkin−Lymphom, Kaposi−Sarkom mindert bei AIDS, malignes Melanom, Nierenzellkarzi− K Reduziert die Häufigkeit klinischer Schübe nom Zulassung in den USA zur Behandlung schubför− K Interferon−a−2 b: Haarzellleukämie, chroni− miger Formen der MS (4−wöchentliche i. v.−Gabe) sche Hepatitis B oder C, chronisch myeloische Leukämie, multiples Myelom, follikuläre Lym−
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche de− generative Erkrankung des ZNS unbekannter Ur− sache mit Demyelinisierung und axonaler Schä− digung. Die Prävalenz liegt bei 50–100/100 000 Einwohner (Frauen . Männer), die Erstmanifesta− tion liegt häufig zwischen dem 20. und 40. Lebens− jahr. MS ist eine Autoimmunkrankheit, bei der zy− totoxische T−Lymphozyten, Makrophagen aber auch Antikörper und Komplementfaktoren ent− markende Prozesse auslösen. Eine wichtige anti− gene Struktur ist hierbei das basische Myelin−Pro− tein (MBP). Auch werden primäre Störungen des Oligodendrozytenstoffwechsels gefunden, die in einem Untergang der markscheidenbildenden Zel− len resultiert. Es entstehen disseminierte Entmar− kungsherde, v. a. periventrikulär, im Hirnstamm, Kleinhirn, Rückenmark und eine diffuse sekundäre Hirnatrophie. Klinisch manifestiert sich die MS meist sehr früh in Sehstörungen, Paresen, Sensibi− litäts− und Koordinationsstörungen und im Verlauf in Blasen− und Sexualfunktionsstörungen. Bei 85 % der Patienten verläuft die MS schubförmig−remit− tierend, bei 15 % chronisch−progredient. Neben Anamnese und Untersuchungsbefund ist die Kern− spintomografie des ZNS (Nachweis eines dissemi− nierten Prozesses“ im ZNS) diagnosebeweisend. Therapieziele: Ziel ist eine Reduktion der Krank− heitsaktivität und eine Stabilisierung möglichst geringgradiger funktioneller Einschränkungen. Darüber hinaus gilt es Begleitsymptome (z. B. Spastik, Blasenstörungen, Schmerzen) stadienge− recht zu behandeln und mögliche Medikamenten−
nebenwirkungen durch Laborkontrollen rechtzei− tig zu erkennen. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Auf Grund der ungewissen Prognose der Erkrankung ist eine ausführliche Aufklärung, psychotherapeutische Unterstützung (z. B. Selbsthilfegruppen, Psycho− therapie) und ggf. Kriseninterventionen notwen− dig. Zur Basisversorgung gehören auch physiothe− rapeutisches und logopädisches Training und eine bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung (z. B. Geh− hilfen, Bewegungsschienen). Pharmakotherapie Es gibt bisher keine kausale Therapie. Die Glukokortikoid−Pulstherapie (s. Antwort zur Frage 41.1) ist indiziert bei Vorliegen eines akuten Schubes (neurologische Ausfälle . 24 Stunden, keine assoziierten Infektionen). Die Dauertherapie (s. Antwort zur Frage 41.2) ist eine verlaufsmodifizierende Therapie mit Inter− feron−b−1 a und −1 b, Glatirameracetat und Aza− thioprin. Immunglobuline senken bei schubförmi− gen Verlaufsformen die Schubrate und die Anzahl aktiver zerebraler Läsionen. Indikationen für eine Dauertherapie sind 2 relevante Schübe innerhalb von 2 Jahren oder ein schwerer Krankheitsschub mit geringer Rückbildungstendenz. Bei chronisch−progredientem Verlauf sollte mög− lichst frühzeitig mit einer immunmodulatori− schen Therapie (rekombinante Interferone, Glati− rameracetat) begonnen werden. Azathioprin ist Mittel der 2. Wahl bei Interferon−Unverträglich− keit. Das Anthrachinonderivat Mitoxantron ist ein Zytostatikum, das nur bei schwer therapier−
Fall 41 Seite 44
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baren Einzelfällen eingesetzt werden sollte. Mi− toxantron lagert sich in die DNA ein, verhindert Replikation und Transkription und kann so zu Kno− chenmarkdepression und kardialen Schäden füh− ren. Die Dauer der Therapie orientiert sich an dem im Verlauf nachweisbaren Therapieeffekt und an der Rate von schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen, die die Lebensqualität des Patienten einschränken. Muskelrelaxanzien (z. B. Baclofen) werden zur Be− handlung der Spastik eingesetzt. Baclofen stimu− liert zentralnervöse GABAB−Rezeptoren und senkt den Skelettmuskeltonus. Unerwünschte Wirkun− gen sind u. a. Schwindel, Hypotonie und Mund− trockenheit. Lokale Botulinumtoxin−Injektionen werden zur Behandlung von Adduktorenspasmen eingesetzt. Interferone: s. Antwort zur Frage 41.2. Interferone sind Glykoproteine, die in großen Mengen rekom− binant hergestellt werden. Interferone wirken im− munmodulierend, proliferationshemmend und antiviral (s. Antwort zur Frage 41.3). Interferone werden subkutan oder intravenös appliziert, ihre
EHWZ ist mit 0,5–4 Stunden kurz. Interferone kön− nen in der Dauerbehandlung der MS die Schubrate um 30 % reduzieren. Unerwünschte Wirkungen sind Müdigkeit, Schwäche, grippeartige Sympto− me, Leukopenie, Konzentrations− und Bewusst− seinsstörungen, Reizbarkeit, Lethargie und Depres− sionen bis hin zur Suizidgefährdung. An der Ein− stichstelle können Schmerzen und Hautrötungen vorkommen. Glatirameracetat: Glatirameracetat (GA, Syn. Ko− polymer−1) ist ein Polypeptidgemisch mit einem Molekulargewicht von 5–13 kD. GA ist dem basi− schen Myelin−Protein ähnlich und inhibiert MBP− Antigenrezeptoren u. a. auf T−Lymphozyten, die für die Entmarkung verantwortlich sind. GA wird subkutan injiziert. Unerwünschte Wirkungen sind Atembeschwerden, Herzklopfen, Reaktionen an der Injektionsstelle, Hautrötung mit Hitzegefühl und schwere Überempfindlichkeitsreaktionen. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind bisher nicht bekannt.
183
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
42
Fall 42
Chronische Herzinsuffizienz
42.1 Welcher Schweregrad der Herzinsuffi− zienz liegt bei der Patientin vor?
Stadium
Nach der Einteilung der NYHA−Klassifikation liegt eine Herzinsuffizienz vom Grad III vor.
Klinik
Belastbarkeit
I
Keine Beschwerden
$ 150 Watt
II
Beschwerden bei stärke− bis 100 Watt rer körperlicher Belastung
Unter Belastung normal
III
Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung
bis 50 Watt
Unter Belastung einge− schränkt
IV
Beschwerden in Ruhe
Belastungsuntersuchung nicht möglich
In Ruhe eingeschränkt
42.2 Welche pharmakotherapeutischen Möglichkeiten haben Sie generell? Die NYHA empfiehlt abhängig vom Schweregrad der Herzinsuffizienz (ggf. in Kombination): K In allen Stadien: ACE−Hemmer, z. B. Enalapril 1 3 2,5–10 mg/d p.o.
Herzminutenvolumen Unter Belastung normal
Antworten und Kommentar
Behandlung der Hepatitis B und C Zytostatika Indikationen fur Immunglobuline
K Ab Stadium II: – b−Rezeptorantagonisten, z. B. Bisoprolol 1 3 10 mg/d p.o. – Diuretika, z. B. Hydrochlorothiazid 1 3 25 mg/d p.o.
Fall 42 Seite 45
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K Ab Stadium III: – Aldosteronantagonisten, z. B. Spironolac− ton 1 3 25 mg/d p.o. – Herzglykoside, z. B. Digoxin 1 3 0,375 mg/d p.o.
42.3 Was müssen Sie bei der Anwendung von b−Rezeptorantagonisten beachten? K Einsatz nur bei stabiler Herzinsuffizienz K Einschleichende Dosierung (Beginn mit ca. 1/10 der Zieldosis), Dosissteigerung unter engmaschiger klinischer Kontrolle (cave: in− itiale Abnahme von Auswurffraktion und Blut− druck) K Dosisreduktion bei: Bradykardie, symptoma− tischer arterieller Hypotonie, Bronchialob− struktion
K Kein Einsatz von partiell agonistisch wirken− den b−Rezeptorantagonisten (z. B. Xamoterol): erhöhte Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz
42.4 Was ist eine Diuretikaresistenz? Welche Behandlungsoption haben Sie? Diuretikaresistenz ist das nicht adäquate Anspre− chen auf die Gabe von Thiazid− oder Schleifen− diuretika K Ursache: verstärkte (kompensatorische) re− nale Natriumrückresorption, z. B. bei Herz− oder Niereninsuffizienz K Therapie: Kombination aus 2 oder mehreren Diuretika mit unterschiedlichem Angriffsort (= sequenzielle Nephronblockade): – Schleifendiuretikum + Thiaziddiuretikum – Niedrige Dosierungen sind wirksamer und nebenwirkungsärmer
KOMMENTAR 184
Fall
42 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Bei der Herz− insuffizienz (Prävalenz ca. 1 %) kann das Herz das benötigte Herzzeitvolumen bei normalem end− diastolischen Ventrikeldruck nicht mehr ausrei− chend fördern. Dadurch ist die Sauerstoffversor− gung der Gewebe in Ruhe und bei Belastung nicht mehr ausreichend gewährleistet. Ursachen sind z. B. koronare Herzkrankheit, dilatative Kardio− myopathie, arterielle Hypertonie, Klappeninsuffi− zienzen/−stenosen. Pathophysiologisch bedeutsam sind die kompensatorische Aktivierung des Sym− pathikus und Renin−Angiotensin−Aldosteron− Systems (RAAS) mit folgender Herzfrequenzzu− nahme, Vasokonstriktion, Vor− und Nachlasterhö− hung sowie vermehrter Salz− und Wasserretention (s. Abb.).
Leitsymptome sind Dyspnoe, Müdigkeit, Nykturie und Flüssigkeitsretention mit Ausbildung von Ödemen. Die Schweregrade werden durch die re− vidierte New−York−Heart−Association (NYHA)− Klassifikation definiert (s. Antwort zur Frage 42.1). Diagnostisch können neben den Leitsympto− men Tachykardie, Jugularvenenstauung, pulmona− le Rasselgeräusche, Pleuraergüsse, Kardiomegalie und ggf. ein 3. Herzton beobachtet werden. Echo− kardiografisch finden sich vergrößerte Herzhöh− len und ein verdicktes Myokard. Therapieziele: Therapieziele sind: Senken der Le− talität, Vermeiden/Verlangsamen der Progression der Funktionsstörung bereits im asymptomati− schen Stadium, Verbessern der Lebensqualität, Vermindern der Hospitalisationsrate. Bei Patien− ten mit erhöhtem Herzinsuffizienzrisiko (z. B. ko− ronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, Klap− penfehler) sollte v. a. einer initialen oder weiteren Myokardschädigung durch eine vorrangig kau− sale Therapie vorgebeugt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Basismaß− nahmen umfassen: Erreichen des Normalgewichts, Beschränken der Salzzufuhr (, 3 g/d), Behandeln/ Vermeiden einer Hypercholesterinämie, Nikotin− karenz, Beschränkung des Alkoholkonsums, ggf. bei schwerer Herzinsuffizienz Reduzieren der Trinkmenge (ca. 1–1,5 l/Tag). Bei dekompensierter Herzinsuffizienz (Ödembildung, Ruhedyspnoe) führt Bettruhe zu einer schnelleren Besserung. Bei stabiler Herzinsuffizienz führt eine regelmä− ßige körperliche Belastung (z. B. Gymnastik, Spa− zierengehen) zu einer Zunahme der Belastbarkeit und der Sauerstoffaufnahme.
Neuroendokrine Aktivierung als Folge einer Herzinsuffi− zienz
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 42.2. Diuretika vermindern das intravasale Volumen, durch Verminderung der Natrium− und Wasserretention. ACE−Hemmer, AT1−Rezeptorantagonisten, Aldosteronrezeptor−
Fall 42 Seite 45
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Stufentherapie der chronischen Herzinsuffizienz in Abhängigkeit von Begleiterkrankungen
Wirkstoffgruppe
NYHA I
NYHA II
NYHA III
NYHA IV
ACE−Hemmer
+
+
+
+
b−Rezeptorantago− nisten
+ nach Myokard− + infarkt, bei Hypertonie
+
+
Thiaziddiuretika
+ bei Hypertonie + bei Flüssig− keitsretention
+ und zur sequenziellen Nephron− blockade
Schleifendiuretika
+ bei Flüssig− keitsretention
+
+
Aldosteronantago− nisten
+ bei persistie− render Hypoka− liämie
+
+
+ bei Vorhofflimmern oder −flattern +
+
Herzglykoside
AT1−Rezeptorantago− + bei unerwünschten Wirkungen der ACE−Hemmer nisten
185
+ = indiziert
Aldosteronrezeptorantagonisten: Die kontinu− ierliche Hemmung der Aldosteronwirkung hat po− sitive Effekte auf die zunehmende myokardiale Fibrose im Verlauf der Erkrankung. Spironolacton ist ein Antagonist am Aldosteronrezeptor. Nach oraler Gabe beträgt die Bioverfügbarkeit 90 %. Die EHWZ der aktiven Metabolite beträgt etwa 15 Stunden. Unerwünschte Wirkungen sind: Hyper− kaliämie (regelmäßige Kontrolle), Gynäkomastie, Amenorrhö und passagere Exantheme. Ein neue− rer selektiver Aldosteronrezeptorantagonist ist Eplerenon. b−Rezeptorantagonisten: b−Rezeptorantagonis− ten (Syn. Betablocker; z. B. Carvedilol, Bisoprolol, Metoprolol) führen zu einer Verbesserung der linksventrikulären Funktion in Ruhe und unter Be− lastung und wirken damit lebensverlängernd. An− tiarrhythmische und frequenzsenkende und da− mit energiesparende Effekte sowie ein verbesser− tes Ansprechen auf endogene Katecholamine spielen hierbei eine Rolle (s. auch Fall 6).
42 Antworten und Kommentar
ACE−Hemmer: ACE−Hemmer wirken lebensver− längernd und sind in allen Stadien indiziert. Sie wirken vasodilatierend, in dem sie die Umwand− lung von Angiotensin (AT) I in den Vasokonstrik− tor AT II verhindern, die Prostazyklinsynthese sti− mulieren und den Bradykininabbau hemmen. Folge ist die Abnahme des systemischen Gefäßwi− derstandes und damit der ventrikulären Nach− last. Zudem haben sie einen antagonistischen Ef− fekt auf die reflektorische Sympathikusaktivie− rung. Die Erstdosis eines ACE−Hemmers sollte niedrig gewählt werden und der Patient für 2–6
Stunden nach der Erstgabe überwacht werden; die Dosissteigerung sollte langsam erfolgen. Kontrain− dikationen und unerwünschte Wirkungen s. Fall 36.
Fall
antagonisten und b−Rezeptorantagonisten redu− zieren die Aktivität des RAAS und bewirken eine Abnahme des peripheren Widerstandes. Herzgly− koside wirken positiv inotrop, wodurch die Herz− arbeit verbessert und das Risiko einer Dekompen− sation verringert wird. Die Anwendung der ge− nannten Wirkstoffe erfolgt meist in Kombination abhängig vom Schweregrad der chronischen Herz− insuffizienz und von weiteren Begleiterkrankun− gen (s. Tab.). Eine engmaschige Kontrolle der Symptome, des Flüssigkeits− und Salzkonsums sowie der Com− pliance sind nötig. Abhängig von der eingesetzten Medikation sind die Serumelektrolyte und Reten− tionswerte zu überprüfen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der akuten Herzinsuzienz Vorbereitung zur Herztransplantation Studien zur Behandlung der chronischen Herzinsuzienz
Fall 42 Seite 45
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Fall 43
Hyperthyreose
43.1 Welche Therapie leiten Sie ein? Was ist zu
186
K Radiojodtherapie (131Jod): kleine Adenome, diffuse Schilddrüsenautonomie, hohes Opera− tionsrisiko
beachten? K Thyreostatika: z. B. Carbimazol initial 15– 60 mg/d p.o.; Dosisanpassung abhängig von 43.3 Erläutern Sie Wirkungsmechanismus und fT3/fT4 nach 2 Wochen K Definitive Therapie bei euthyreoter Stoff− Indikation der Perchlorate! wechsellage (s. Antwort zur Frage 43.2) K Wirkungsmechanismus: Hemmen die Auf− nahme von Jodid in die Schilddrüse K Keine Langzeittherapie mit Thyreostatika (de− K Indikation: Prophylaxe bei Schilddrüsenauto− finitive Therapiemöglichkeiten anstreben) nomie vor jodhaltiger Kontrastmittelgabe K Unerwünschte Wirkung der Thyreostatika: Leukopenie (Aufklärung) K Bei Tachykardie: b−Rezeptorantagonisten, z. B. !!! 43.4 Was versteht man unter Plummerung“! Präoperative Anwendung von Kaliumjodid Propranolol 4 3 10–40 mg/d (Lugol−Lösung, DAB) zur Herstellung einer euthy− reoten Stoffwechsellage bei Hyperthyreose: 43.2 Nennen Sie definitive Therapiemöglich− keiten des Schilddrüsenadenoms und ihre In− K Durch hohe Jodgabe akute kurzfristige Hem− dikationen! mung von Jodaufnahme und −einbau K Operation: junge Patienten, sehr großes auto− K Dosierung: 2 3 2 Tropfen/d für 2 Tage, dann täglich steigernd 2 3 3 Tropfen/d, 2 3 4 Trop− nomes Adenom, abklärungsbedürftige Befunde (z. B. Verdacht auf Malignom) fen/d usw. für insgesamt 7–10 Tage
KOMMENTAR
Fall
43 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die Hyper− thyreose (Schilddrüsenüberfunktion) führt zu ei− ner gesteigerten Produktion und Sekretion von Schilddrüsenhormonen. Die beiden wichtigsten Ursachen für eine Hyperthyreose sind autonomes Schilddrüsenadenom (Schilddrüsenautonomie) und Morbus Basedow. Das autonome Schilddrü− senadenom ist Folge einer Jodmangelstruma. Die Schilddrüsenautonomie entsteht durch fehlende hemmende Rückkopplung der Schilddrüsenhor− mone auf das TSH. Bei geringen autonom produ− zierten Hormonmengen hat dies keine biologi− schen Folgen, eine manifeste Hyperthyreose ent− wickelt sich jedoch, wenn die Hormonmenge weiter zunimmt. Auslösend für die akute Über− funktion können sein: stärkere alimentäre Jodzu− fuhr, jodhaltige Medikamente bzw. Kontrastmittel. Der Morbus Basedow ist eine Autoimmunkrank− heit, bei der Autoantikörper mit TSH−artiger Wir− kung die Hormonproduktion der Schilddrüse pathologisch stimulieren. Klinische Symptome beider Formen sind: Unruhe, Nervosität, Tachykar− die, Herzrhythmusstörungen, Schlaflosigkeit, Ge− wichtsabnahme, gesteigerte Stuhlfrequenz. Die Diagnose wird gesichert durch erniedrigte TSH− Konzentration und Erhöhung der peripheren Schilddrüsenhormone (fT3/fT4). Bei Verdacht auf Schilddrüsenautonomie ist eine szintigrafische Untersuchung der Schilddrüse, ggf. unter Sup− pressionsbedingungen, unverzichtbar zur Diffe− renzierung zwischen kaltem (z. B. Karzinom) oder heißem (Adenom) Knoten. Therapieziele: Zuerst muss eine medikamentöse Therapie erfolgen, um die z. T. als sehr unange− nehm empfundenen Symptome zu beeinflussen
und eine euthyreote Stoffwechsellage wieder− herzustellen. Dann sollte sich eine definitive The− rapie anschließen. Bis dahin sollte eine Kontrolle der Schilddrüsenfunktionswerte und der Leukozy− tenzahlen (Agranulozytoserisiko) erfolgen. Nach definitiver Therapie ist zur Strumarezidivprophy− laxe eine ausreichende tägliche Jodzufuhr zu ge− währleisten, ggf. ist eine Substitution mit L−Thyro− xin (s. Fall 55) in Betracht zu ziehen. Eine Lang− zeitüberwachung in jährlichen Abständen ist anzuraten. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 43.2. Die nichtmedikamentösen Maß− nahmen beinhalten auch symptombedingte Ver− haltensänderungen des Patienten (z. B. Meiden von warmen Räumen). Präventiv ist der Patienten auf die Gefahr einer Jodkontamination durch jod− haltige Medikamente oder Kontrastmittel hinzu− weisen (thyreotoxische Krise) (s. Fall 78). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 43.1. Indiziert ist eine Therapie der Hyperthyreose mit Thyreostatika bei klini− scher Symptomatik. Wirkstoffe mit thyreostati− scher Wirkung sind Thionamide (z. B. Carbimazol, Thiamazol, Propylthiouracil) und Perchlorate. Auch Jodidionen wirken in höherer Dosierung kurzfristig thyreostatisch (s. Antwort zur Frage 43.4), indem sie u. a. das proteolytische Enzym, das die Schilddrüsenhormone aus Thyreoglobulin freisetzt, hemmen. Wenig gebräuchlich sind Lithiumionen, die wie Jodid die Freisetzung von T3 und T4 aus der Schilddrüse vermindern. Thionamide: Thionamide blockieren in den Schilddrüsenepithelzellen die Schilddrüsenperoxi−
Fall 43 Seite 46
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Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit mit einer möglichst niedrigen Dosierung anzustreben. Kontraindiziert sind Thionamide bei retrosterna− len Strumen (Gefahr der Tracheakompression durch Zunahme des Drüsenvolumens). Jodid kann mit Thionamiden interagieren und dessen Wir− kung schwächen. Thionamide werden bei perora− ler Applikation gut resorbiert und sowohl biliär als auch renal ausgeschieden (s. Tab.). Dosierung und Pharmakokinetik der Thiona− mide
Initial− dosis (mg/d)
Erhal− tungs− dosis (mg/d)
EHWZ (Stunden)
Thiama− zol/Me− thimazol
10–30
2,5–10
6–8
Carbi− mazol
15–45
5–15
6–8 (Metabolit Thiamazol)
50–200
1,5–2
Propyl− 150–450 thiouracil
44
Behandlung der thyreotoxischen Krise Therapie der Schilddrusenmalignome Radiojodtherapie
Antworten und Kommentar
Perchlorate: s. Antwort zur Frage 43.3. Uner− wünschte Wirkungen der Perchlorate sind: stru− migene Wirkung (Mechanismus wie Thionamide), allergische Reaktionen, gastrointestinale Be− schwerden; seltener sind Blutbildveränderungen und nephrotisches Syndrom.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall 44
187
Fall
dase, die die Oxidation des aufgenommenen Jo− dids zu Jod katalysiert. Ebenfalls wird der Einbau von Jod in die Tyrosinreste des Thyreoglobulins und die periphere Konversion von T4 zu T3, dem physiologisch wirksamen Hormon, verhindert. Die klinische Wirkung der Thyreostatika zeigt sich nach einer Latenz von 1–2 Wochen, da zunächst zirkulierende Hormone abgebaut werden müssen. Die Thionamide sind zur Therapie von Hyperthy− reosen, v. a. des Morbus Basedow, indiziert. Uner− wünschte Wirkungen sind: strumigene Wirkung (verminderte T3−/T4−Spiegel erhöhen die TSH− Sekretion), allergische Reaktionen (5–10 %), gele− gentlich Gelenkschmerzen, lebensbedrohliche Agranulozytosen (0,1–0,5 %). Der Patient muss über hinweisende Symptome der Agranulozytose (Halsschmerzen, Fieber) informiert sein und ggf. sofort einen Arzt aufsuchen. Thionamide sind pla− zenta− und muttermilchgängig, deshalb ist eine
Wirk− stoff
Morbus Parkinson
44.1 Welche Therapieoptionen haben Sie generell? Welche Behandlung schlagen Sie im vorliegenden Fall vor? K L−Dopa + Decarboxylasehemmer (z. B. Bense− razid oder Carbidopa): L−Dopa 100 mg/d + Benserazid 25 mg/d K Dopaminrezeptoragonisten: z. B. Bromocrip− tin 3 3 2,5 mg/d K Catecholamin−O−Methyl−Transferase (COMT)− Hemmer: z. B. Entacapon 200 mg/L−Dopa−Ga− be
K Monoaminoxidase−B (MAO−B)−Hemmer: z. B. Selegilin 5–10 mg/d K N−Methyl−D−Aspartat (NMDA)−Rezeptoranta− gonisten: z. B. Amantadin 100–400 mg/d K Anticholinergika: z. B. Biperiden 3 3 1–5 mg/d K Patient .70 Jahre mit Kardinalsymptomen des Morbus Parkinson: Therapie mit L−Dopa + De− carboxylasehemmer
Fall 44 Seite 47
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Fall
44
schmerz, Schlaflosigkeit, Ödeme, verstärkte 44.2 Warum werden Decarboxylasehemmer Dyskinesien bei der Behandlung mit L−Dopa eingesetzt? K Nur die Vorstufe L−Dopa und nicht Dopamin !!! 44.4 Mit welchen Komplikationen müssen Sie penetriert die Blut−Hirnschranke R L−Dopa bei einer länger dauernden Therapie mit L−Dopa wird in Nervenzellen zu Dopamin decarboxy− rechnen? Welche Maßnahmen gibt es? liert K Nachlassen der Wirkung ungefähr 4–6 Stun− K Bei peroraler Gabe wandeln Decarboxylasen den nach Einnahme (sog. wearing−off/end−of− des Darmes mehr als 90 % des L−Dopa in dose−Effekt R Akinesie): Medikamentenein− Dopamin um R gastrointestinale und kardiale nahme 30–60 min vor dem Essen; zusätzliche Nebenwirkungen Gabe eines Dopaminrezeptoragonisten oder Die Kombination von L−Dopa mit Decarboxyla− Erhöhung der Zahl der L−Dopa−Tagesdosen bei sehemmern vermeidet eine periphere Decarboxy− gleichzeitiger Reduktion der Einzeldosis, Re− lierung R Reduktion der L−Dopa−Dosis um Fak− tardpräparate tor 5–10 K Unvorhersehbares Auftreten der Parkinson− symptomatik trotz ausreichender Medika− 44.3 Charakterisieren Sie den Wirkstoff Selegi− mentenspiegel (sog. on−off−Phänomen): lin! Kombination von L−Dopa mit Dopaminagonis− K Irreversibler Hemmstoff der MAO−B (hoch− ten, alternativ auch der COMT− oder MAO−B− dosiert auch der MAO−A) Hemmer K Zusatzmedikation (add−on“−Therapie) zu K Plötzliche Blockade des Gehens (sog. free− L−Dopa R Dosisreduktion zing−Phänomen) oder Unfähigkeit der Gan− K Deutliche Besserung der unerwünschten Wir− ginitiierung: Therapie wie bei wearing−off−/ kungen von L−Dopa v. a. der sog. on−off−Phä− end−of−dose−Akinesien nomene K Unerwünschte Wirkungen: Agitation, Ver− wirrtheit, psychotische Reaktionen, Kopf−
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Der Morbus Parkinson (Syn. Parkinson−Syndrom) (Prävalenz . 65 Jahre: 1800/100 000) ist eine neurodegenerati− ve Erkrankung des extrapyramidal−motorischen Systems mit der Symptomtrias: Akinese bzw. Bra− dykinese, niederfrequenter Ruhetremor und Muskelrigor. Daneben werden vegetative Symp− tome wie Hypersalivation, Hyperhidrosis, Blut− druckabfall und Schlafstörungen beobachtet. Im fortgeschrittenen Stadium treten auch psychische Störungen wie Apathie, Depression und Demenz auf. Ursächlich findet sich ein massiver Untergang von dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra, die zum Corpus striatum projizieren, und zu einem Neurotransmitterungleichgewicht füh− ren. Ein Mangel an Dopamin im Striatum ist haupt− verantwortlich für die Minussymptomatik (Aki− nese). Das Überwiegen des erregenden choliner− gen Systems verursacht die Plussymptome (Rigor, Tremor); auch eine relative Überaktivität des Glutamat−Systems scheint die Symptome mit− zubedingen. Therapieziele: Wichtigste Ziele sind: Besserung der motorischen, autonomen, kognitiven, kom− munikativen und psychiatrischen Symptome, Erhalt der Selbstständigkeit, Wiedergewinn von Lebensqualität, Vermeiden von sekundären or− thopädischen und internistischen Begleiterkran− kungen, Erhalt der Berufsfähigkeit bei jüngeren Patienten.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Basis− therapie umfasst Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, um die gestörte (Sprech−)Motorik zu verbessern. Bei therapierefraktären Verläufen bzw. in Spätstadien stehen als Ultima ratio neuro− chirurgische Verfahren (z. B. Tiefenhirnstimulati− on, Koagulationsläsion, Implantation fetaler dopa− minerger Zellen) zur Verfügung. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 44.1. Die medikamentöse The− rapie richtet sich nach dem Alter des Patienten, dem dominierenden Leitsymptom (Akinesie oder Tremor) und der individuellen Wirksamkeit der Medikation. Als Faustregel gilt: K Patienten , 55 Jahre erhalten eine Monothe− rapie mit einem Dopaminrezeptoragonisten K Patienten . 70 Jahre erhalten eine Monothe− rapie mit L−Dopa K Patienten zwischen 55 und 70 Jahren erhal− ten eine Kombinationstherapie aus einem Do− paminagonisten und L−Dopa. In fortgeschrittenen Stadien werden abhängig von der Wirksamkeit Mehrfachkombinationen angewendet. Die Kontrolle der Therapie erfolgt primär klinisch. L−Dopa: s. Antwort zur Frage 44.2. Nach oraler Gabe wird L−Dopa im Dünndarm resorbiert, die EHWZ liegt bei 1,5–2,5 Stunden. Periphere uner− wünschte Wirkungen sind Übelkeit und Appetitlo− sigkeit (50 %) sowie orthostatische Dysregulatio− nen (20 %). Zentrale unerwünschte Wirkungen
Fall 44 Seite 47
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Pharmakokinetik der Dopaminrezeptoragonisten
Wirkstoffe
Resorptionsrate (%)
EHWZ (Stunden)
Plasmaproteinbindung (%)
Bromocriptin
30–40
6
95
Cabergolin
70
65
40
Lisurid
100
2–3
70
Pergolid
unvollständig
7–16
90
Pramipexol
100
8–12
, 20
Ropirinol
keine Angaben
6
keine Angaben
sind hyperkinetische Bewegungsstörungen, Hallu− zinationen, paranoide und delirante Zustände. L−Dopa ist bei dekompensierten endokrinen, rena− len, hepatischen und kardialen Störungen und bei Schizophrenien kontraindiziert. In der Langzeit− behandlung mit L−Dopa kommt es zu typischen Komplikationen (s. Antwort zur Frage 44.4).
Anticholinergika: Anticholinergika wirken vor− wiegend zentral und beeinflussen v. a. Tremor, Hy− perhidrosis und Hypersalivation positiv. Die An− wendbarkeit wird durch zentrale und periphere anticholinerge Nebenwirkungen eingeschränkt (s. Fall 33). Anticholinergika sollten nicht bei Pati− enten eingesetzt werden, die unter kognitiven Stö− rungen oder psychotischen Symptomen leiden. NMDA−Rezeptorantagonisten: Amantadin, ein Virustatikum (s. Fall 68), ist Mittel der Wahl bei akinetischer Krise. Der Wirkmechanismus beruht wahrscheinlich auf einer Blockade der Ionenporen des Glutamatrezeptors vom NMDA−Typ. Uner− wünschte Wirkungen wie Ödeme, Hypotonien und psychotische Zustände treten selten auf. Bu− dipin, das u. a. am NMDA−Rezeptor antagonistisch wirkt, hat sich v. a. bei der Tremorbehandlung be− währt. Unerwünschte Wirkung ist eine QT−Zeit− Verlängerung (cave: lebensgefährliche Herzrhyth− musstörungen). Dies erfordert engmaschige EKG− Kontrollen.
189
44 Antworten und Kommentar
COMT−Hemmer: Der COMT−Hemmer Entacapon wird in Kombination mit L−Dopa eingesetzt. Ent− acapon wirkt in der Peripherie und führt zu einem höheren Angebot von L−Dopa an der Blut−Hirn− schranke. Unerwünschte Wirkungen sind Dyskine− sien, Übelkeit und Abdominalschmerzen. Kontra− indiziert ist Entacapon bei Leberinsuffizienz und Phäochromozytom. Entacapon wird bei oraler Ga−
MAO−B−Hemmer: Selegilin (= Deprenyl) ist in Deutschland als einziger MAO−B−Hemmer im Han− del (s. Antwort zur Frage 44.3). Es wird rasch re− sorbiert, auf Grund der irreversiblen Blockade der MAO−B beträgt die Halbwertszeit 1–3 Tage. Sele− gilin ist bei Leber− und Niereninsuffizienz kontra− indiziert.
Fall
Dopaminrezeptoragonisten: Eingesetzt werden Dopamin−D2−Rezeptoragonisten wie die Ergota− mine Bromocripin, Lisurid, Pergolid und Cabergolin. Neuere Dopamin−D2/3−Agonisten sind die Nicht−Ergotamine Ropirinol und Pramipexol. Ropirinol kann als Monotherapeutikum bei jünge− ren Patienten oder als Zusatztherapeutikum mit L−Dopa/Decarboxylasehemmer bei älteren Patien− ten eingesetzt werden. Unerwünschte Wirkungen sind orthostatische Hypotonie, Arrhythmien, Angi− na−pectoris−Anfälle, Übelkeit, Erbrechen, Dyskine− sien, Halluzinationen, selten retroperitoneale oder pleurale Fibrosen. Bei Ropirinol erfolgt der Abbau über CYP1A2, so dass Interferenzen mit Fluoxamin oder Ciprofloxacin möglich sind.
be rasch resorbiert mit einer Bioverfügbarkeit von 35 %.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Indikationen von Anticholinergika Dopamin und Niereninsuzienz Neuroprotektiv wirkende Medikamente
Fall 44 Seite 47
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Fall 45
Refluxösophagitis
45.1 Benennen Sie die Therapieziele! K Schnelle Linderung der Beschwerden K Verhinderung von Rezidiven K Verhütung von Komplikationen (z. B. Ulzera, Strikturen, Blutungen, Barrett−Ösophagus) 45.2 Welche nichtmedikamentösen Maßnah− men schlagen Sie der Patientin vor? K Meiden von krankheitsfördernden Faktoren: Nikotin, Alkohol (v. a. Wein), kohlensäurehalti− ge Getränke, opulente fett− und kohlenhydrat− reiche Mahlzeiten, auslösende Speisen (z. B. süße Speisen, Schokolade, Tomatenprodukte), Medikamente (s. Antwort zur Frage 45.4) K Unterstützende krankheitslindernde Fakto− ren: Gewichtsnormalisierung, Antirefluxlage− rung (Oberkörper um 308 erhöht), Obstipati−
190
Fall
45
onstherapie bzw. −prophylaxe, Kaugummi− kauen bis 1 Stunde nach Essen
45.3 Erläutern Sie die Pharmakotherapie der Refluxösophagitis! K Protonenpumpenhemmer (Mittel der 1. Wahl), z. B. Omeprazol 1 3 20 mg/d p.o. K Histamin−H2−Rezeptorantagonisten (Mittel der 2. Wahl), z. B. Ranitidin 2 3 150 mg/d p.o. K Prokinetika: 15–30 min vor Mahlzeit, z. B. Metoclopramid 3 3 15–30 Tropfen oder Dom− peridon 3 3 30–60 Tropfen K Antazida, z. B. Hydrotalcid 4–6 3 1 Beutel/d 45.4 Welche Medikamente können eine Re− fluxösophagitis induzieren? Anticholinergika, Kalziumkanalblocker, Nitrate, Benzodiazepine, Theophyllin
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Als Reflux− krankheit bezeichnet man den symptomatischen Rückfluss von saurem Mageninhalt in den Ösopha− gus. Von einer Refluxösophagitis spricht man, wenn sich erosive Veränderungen an der Ösopha− gusschleimhaut nachweisen lassen. Typisch sind Sodbrennen, saures Aufstoßen und Säureregurgi− tation. Ursächlich sind Störungen der anatomi− schen und/oder funktionellen Antirefluxmecha− nismen (z. B. Insuffizienz des unteren Ösopha− gussphinkters) oder der Schutzmechanismen (z. B. ösophageale Clearance, Bikarbonat im Spei− chel und Magensaft). Magensäure und säureakti− viertes Pepsin sind bei der Induktion von Läsionen in der Speiseröhre von Bedeutung. Die Rolle des Helicobacter pylori wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Mittels Ösophagogastroduodenoskopie lassen sich die Läsionen nachweisen. Therapieziele: s. Antwort zur Frage 45.1. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 45.2. Bei Versagen der medikamentösen Therapie ist eine chirurgische Therapie indiziert (Fundoplicatio nach Nissen). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 45.3. Da eine kausale Behand− lung nicht möglich ist, ist die Säuresekretions− hemmung mittels Protonenpumpenhemmer die Basis der Therapie. Man beginnt mit der Stan− darddosis, erreicht dadurch schnellstmögliche Heilungsraten und titriert auf eine individuelle Er− haltungsdosis. Eine Langzeitbehandlung ist bei einem großen Teil der Patienten (70–80 %) erfor− derlich. Die Behandlung von leichteren Fällen kann anhand von 2 Strategien erfolgen: K Die intermittierende Therapie wird während symptomfreier Intervalle unterbrochen und
bei einem Rezidiv mit einem Behandlungs− zyklus erneut begonnen K Die Therapie im Bedarfsfall ist individuell so angepasst, dass ein Patient nur bei Beschwer− den mit einem Minimum an Tabletten behan− delt wird. Der Therapieerfolg ist abhängig von der Schwere der Erkrankung und anhand der klinischen Symptomatik oder endoskopisch nach 4− bis 8− wöchiger Therapie zu kontrollieren. Protonenpumpenhemmer: Die Protonenpum− penhemmer binden irreversibel an die ATP−ab− hängige Protonenpumpe und blockieren dadurch die Säureproduktion. Der Effekt hängt von der Ak− tivität der Protonenpumpe zum Zeitpunkt der In− hibition ab. Die beste Applikationszeit ist 30 Mi− nuten vor der ersten Mahlzeit am Tag, da die Parietalzellen dann sehr aktiv sind und somit der größte Anteil an aktiven Protonenpumpen inhi− biert werden kann. Alle Protonenpumpenhemmer sind Prodrugs und müssen protoniert werden. Die verschiedenen Protonenpumpenhemmer haben ähnliche pharmakologische Eigenschaften (s. Tab.1). Unerwünschte Wirkungen sind selten; es werden gastrointestinale Störungen (Diarrhö, Bauchschmerzen, Übelkeit), Schwindel, Kopf− schmerzen, Müdigkeit, passagerer Anstieg der Le− berenzyme sowie Hautveränderungen beobachtet. Das Wechselwirkungspotenzial ist abhängig von der Inhibition der CYP2C19 oder CYP3A4. Ome− prazol reduziert die Vitamin−B12−Resorption um 90 %. Bei Refluxbeschwerden ohne Erosion er− folgt die Therapie mit halber Standarddosis über 2–4 Wochen. Bei Refluxösophagitis muss die volle Standarddosis für 4–8 Wochen gegeben werden. Bei Therapieversagen kann die Dosis verdoppelt werden.
Fall 45 Seite 48
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Tab.1 Standarddosierungen von Protonenpum− penhemmern
Tab. 2 Dosierung und Pharmakokinetik von Histamin−H2−Rezeptorantagonisten
Arzneistoff
Orale Stan− darddo− sis (mg)
Bio− verfüg− barkeit (%)
EHWZ (Minu− ten)
Arznei− stoff
Omeprazol
20
35
40
Cimetidin 400
Pantoprazol
40
77
60
Ranitidin
150
50
2−3
Lansoprazol
30
80
60
Roxatidin
75
. 90
6
Rabeprazol
20
52
70–90
Nizatidin
150
. 90
1–2
Esomeprazol
40
65
90
Famotidin 20
40–45
3–4
Histamin−H2−Rezeptorantagonisten:
60–70
EHWZ (Stun− den) 1,5–2,0
Antazida: Antazida neutralisieren die Magensäu− re. Sie sorgen bei gelegentlichen Refluxbeschwer− den für eine schnelle, aber nicht anhaltende Symptomfreiheit. Je nach Präparat führen magne− siumhaltige Substanzen zu Diarrhö und alumini− umhaltige Substanzen zu Obstipation. Kombina− tionspräparate sind daher zu empfehlen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN sophagus Behandlung des Barrett−O sophagitis Pharmakotherapie der Candida−O Marktrucknahme von Cisaprid
!!!
Fall 46
46.1 Welche Therapie schlagen Sie für die Behandlung der Pneumocystis−carinii−Pneumo− nie vor? Pneumocystis−carinii−Infektionen sind die häu− figsten opportunistischen Infektionen bei AIDS K Antibiotikatherapie: Co−Trimoxazol (Sulfa− methoxazol/Trimethoprim) 4 3 100/20 mg/kg KG i. v. über 3 Wochen oder Pentamidin 4 mg/kg KG/d i. v. über 3 Wochen K Glukokortikoide bei respiratorischer Insuffi− zienz: z. B. Prednison p.o.: 1.–5. Tag: 2 3
46 Antworten und Kommentar
Prokinetika: Diese motilitätsbeeinflussenden Medikamente sind Dopamin−Rezeptorantagonis− ten (Metoclopramid, Domperidon), die nur bei leichter Refluxösophagitis einen mäßigen Effekt zeigen. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Metoclopramid sind Müdigkeit, Unruhe, extra− pyramidale Bewegungsstörungen und Dyskine− sien. Domperidon passiert die Blut−Hirnschranke nur wenig und verursacht keine ZNS−Störungen.
191
Fall
Histamin−H2−Rezeptorantagonisten blockieren die Histaminproduktion der Parietalzellen. Sie re− duzieren dadurch die basale (nächtliche) Säure− produktion und deutlich weniger effektiv die post− prandiale Säureproduktion. Unerwünschte Wir− kungen können sein: Kopfschmerzen (bei Famotidin, Nizatidin), Müdigkeit, Schwindel, Durchfälle, Verstopfung, Impotenz und Libidover− lust (bei Cimetidin), Gynäkomastie (bei Cimetidin), Gelenk− und Muskelschmerzen. Cimetidin hemmt Cytochrom−P450−abhängige Reaktionen, was sich klinisch relevant in einer Wirkungsverstärkung von oxidativ biotransformierten Benzodiazepinen, Phenytoin und Theophyllin äußert. Die EHWZ be− tragen 1–6 Stunden (s. Tab. 2), die Metabolisierung erfolgt hepatisch, die Elimination überwiegend re− nal.
Orale Ta− Bio− gesdosis verfüg− (mg) barkeit (%)
AIDS 40 mg /d; 6.–10. Tag: 40 mg/d; 11.–21. Tag 20 mg/d K Präventive Aerosoltherapie bzw. Rezidivpro− phylaxe mit Pentamidin
46.2 Was versteht man unter HAART? HAART = highly active antiretroviral therapy; Kombinationstherapie aus 2 nukleosidanalogen Reverse−Transkriptase−Inhibitoren (NRTI, Nukleo− sid− und Nukleotidanaloga) und 1–2 Präparaten mit anderem Wirkungsmechanismus (nicht− nukleosidische Reverse−Transkriptase−Inhibitoren Fall 46 Seite 49
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[NNRTI] oder HIV−Protease−Inhibitoren [PI]) R Vermeidung schneller Resistenzentwicklung; Prognoseverbesserung: K NRTI: z. B. Zidovudin, Lamivudin K NNRTI: z. B. Delaviridin K PI: z. B. Saquinavir, Ritonavir
K Nebenwirkungen: Toxizitätsprofile sollten sich möglichst nicht überschneiden; allergene Substanzen nicht gleichzeitig einsetzen K Aufklärung: Vor− und Nachteile verschiedener Kombinationen mit dem Patienten besprechen K Rechtzeitig prüfen, ob der Patient für eine kli− nische Studie in Frage kommt
46.3 Was müssen Sie bei der Primärtherapie eines AIDS−Patienten beachten? !!! 46.4 Was bedeutet im Zusammenhang mit K Therapieziel: Abfall der Viruslast unter die Proteaseninhibitoren der Begriff Boosterung? Nachweisgrenze nach spätestens 3–6 Monaten K Anhebung der Plasmaspiegel von Proteasein− hibitoren (PI) durch subtherapeutische Dosen K Applikation: Einnahme möglichst 2 3/d; bei von PI Ritonavir R hemmt CYP3A4−abhängige Compliance−Problemen 13/d K Wirkstoffkombination: nicht Wirkstoffe aus Metabolisierung zahlreicher anderer PI R allen 3 Klassen, um evtl. Reservesubstanzen Dosisreduktion, verminderte Rate uner− zu haben wünschter Wirkungen K Sinnvolle Kombination: Ritonavir + Saquinavir; kein Boostereffekt bei Nelfinavir!
KOMMENTAR 192
Fall
46 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: AIDS (Acqui− red Immunodeficiency Syndrome) ist ein erwor− benes Immundefektsyndrom. Es bezeichnet das Endstadium einer Infektion mit dem human im− muno−deficiency virus 1 (HIV−1) oder HIV−2, ei− nem Retrovirus aus der Familie der Lentiviren. Die Übertragung erfolgt parenteral durch Blut, Seminal− und Vaginalflüssigkeit, Infektionen in utero und peripartal. Das Virus infiziert CD (clus− ter of differentiation)−4−tragende Zellen, v. a. T− Helferzellen, und integriert sein Genom in das der Wirtszelle. Im Stadium der Latenz entgeht das Virus den Eliminationsmechanismen der Im− munabwehr. Bei der täglichen Synthese und Frei− setzung von ca. 109 Viruspartikeln werden ebenso viele T−Helferzellen zerstört, bis schließlich das Stadium der Immundefizienz erreicht ist. Der kli− nisch symptomatische Verlauf beginnt mit der akuten symptomatischen HIV−Infektion 5 Tage bis 3 Monate nach der Infektion mit untypischen, mononukleoseähnlichen Symptomen. Im folgen− den, oft jahrelang symptomfreien Intervall ist der Patient positiv für HIV−spezifische Antikörper. Es folgen die Phasen des Lymphadenopathie−Syn− droms (CDC Kategorie A), des AIDS−related−com− plex (CDC Kategorie B) und endet schließlich mit dem manifestierten AIDS−Syndrom (CDC Katego− rie C), welches durch opportunistische Infektionen und Malignome gekennzeichnet ist. Der Nachweis einer HIV−Infektion erfolgt mittels ELISA−Suchtest nach HIV−spezifischen Antikörpern, als Bestäti− gungstest wird eine Western−blot− oder Immun− fluoreszenz−Untersuchung von HIV−Antigenen durchgeführt. Für den klinischen Verlauf besitzt die Viruslast (Zahl der zirkulierenden HIV−RNA), die mit der Polymerasekettenreaktion bestimmt wird, die größte prognostische Aussagekraft. Sie verläuft spiegelbildlich zur Zahl der T−Helferzellen im peripheren Blut. Die Zahl der Infizierten in Deutschland wurde Ende 2003 auf ca. 40 000–
45 000 geschätzt, mit einer konstant gebliebenen Anzahl von ca. 2000 Neuinfektionen. Therapieziele: Das Ziel der antiretroviralen Be− handlung während der akuten HIV−1−Infektion ist die Anzahl infizierter Zellen zu verringern. Es gilt die Gesundheit und Lebensqualität möglichst lange zu erhalten, opportunistische Infektionen, Malignome und unerwünschte Wirkungen der an− tiretroviralen Therapie zu vermeiden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Eine pro− phylaktische Vakzine steht bislang nicht zur Ver− fügung. Den besten Schutz bietet die Expositions− prophylaxe: Vermeiden von Schnitt− oder Stich− verletzungen (z. B. mit Kanülen, Skalpellen), direktem Kontakt mit geschädigter Haut (z. B. Wunden) oder Schleimhäuten, Infektionsschutz beim Geschlechtsverkehr durch Kondome. Dro− genabhängige sollten Injektionsbestecke nur ein− mal verwenden. Blut− und Blutprodukte müssen auf HIV−Kontamination getestet werden. Bei HIV− infizierten Schwangeren kann durch eine gezielte antiretrovirale Behandlung und eine Kaiserschnitt− entbindung das Infektionsrisiko für das Neugebo− rene minimiert werden. Pharmakotherapie Auf Grund der Spezifität bietet sich HIV−Reverse− Transkriptase und HIV−Protease als Zielstruktur für eine antiretrovirale Therapie an. Die Indikation für die antiretrovirale Therapie ist abhängig vom Krankheitsstadium, CD4−Zellzahl (350–500 CD4− Zellen/ml) und der Viruslast (50 000–100 000 Ko− pien HIV−RNA/ml). Die Viruslast sollte zur Thera− pieüberwachung alle 2–3 Monate bestimmt wer− den. Vorraussetzung für den Therapieerfolg ist eine hohe Compliance. Es stehen derzeit 3 Wirkstoff− klassen zur Verfügung, die in Kombination bei der HAART verabreicht werden (s. Antwort zur Frage 46.2). Daneben verhindert der Fusionshemmer Enfuvirtid die Verschmelzung der Virushülle mit
Fall 46 Seite 49
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der Zellmembran. Eine Monotherapie gilt als ob− solet. Eine Eradikation des Virus ist noch immer nicht möglich. NRTI: Nukleosidanaloga, wie Zidovudin, Abaca− vir, Zalcitabin, bzw. das Nukleotidanalogon Teno− fovir hemmen nach intrazellulärer Phosphorylie− rung die HIV−Reverse−Transkriptase, eine RNA−ab− hängige DNA−Polymerase, kompetitiv. Nach Einbau der Nukleosidanaloga kommt es zum Abbruch der DNA−Kette. Die meisten NRTI haben eine hohe Bio− verfügbarkeit (s. Tab) und sind gut ZNS−gängig. Unerwünschte Wirkungen sind: Kopfschmerzen, Knochenmarkdepression, mitochondriale Toxizi− tät, Neuropathie, Pankreatitis. Lamivudin und Sta− vudin gelten als besonders nebenwirkungsarm. Die NRTI dürfen nicht im ersten Trimenon der Schwangerschaft oder in der Stillperiode ange− wendet werden. NNRTI: Die NNRTI Delavirdin, Efavirenz und Ne− virapin binden direkt und nichtkompetitiv die reverse Transkriptase und bilden mit ihr einen Komplex, durch den eine katalytisch aktive Bin− dungsstelle des Enzyms blockiert wird. Die Poly− merisation wird deutlich verlangsamt. Häufige un−
erwünschte Wirkungen sind Hauterscheinungen bis hin zum Stevens−Johnson Syndrom. Die Bio− verfügbarkeit der NNRTI ist gut (s. Tab.), die Bio− transformation verläuft überwiegend über CYP 3A4. Delaviridin verzögert die Metabolisierung z. B. von HIV−Protease−Inhibitoren, Terfenadin und Benzodiazepinen. Durch Enzyminduktoren wird der Abbau von Delaviridin beschleunigt. Efavirenz und Nevirapin induzieren das CYP3A4−Isoenzym. PI: Die PI hemmen die HIV−Protease, die ein vira− les Makromolekül in seine Untereinheiten spaltet. Dadurch unterbleibt die proteolytische Aufspal− tung bzw. Reifung, und es entstehen Viruspartikel, die nicht infektiös sind. Die PI (s. Tab.) werden im Rahmen von HAART bei vorbehandelten Patienten eingesetzt. Unerwünschte Wirkungen sind zent− ralnervöse, gastrointestinale und metabolische Störungen (z. B. metabolisches Syndrom). Mit Ausnahme von Saquinavir sind die PI gut biover− fügbar. Neben Saquinavir wird auch Lopinavir mit einer geringen Menge Ritonavir kombiniert (s. Antwort zur Frage 46.4). PI werden CYP3A4−ab− hängig biotransformiert.
193
Fall
Dosierung und Pharmakokinetik der antiretroviralen Substanzen
Orale Tagesdosis (mg)
Bioverfügbarkeit (%)
EHWZ (Stunden)
500–600
50–75
1
NRTI Zidovudin Abacavir
600
85
1–2
Didanosin
250–400
30–40
1–1,5
Lamivudin
300
82–87
3–7
Stavudin
60–80
80–86
0,9–1,6
Zalcitabin
2,25
80–88
1–3
Tenofovir
245
25
12–18
Delaviridin
1200
85
5–8
Efavirenz
600
42
40–55
Nevirapin
200–400
93
25–30
Indinavir
2400
30
1,5–2
Nelfinavir
2250
hoch
3,5–5
Ritonavir
1200
hoch
3–3,5
Saquinavir
1800–3600
gering
13
Amprenavir
2400
Keine Angaben vorhanden
7–10
Lopinavir
800
k.A.
12
NNRTI
46 Antworten und Kommentar
Wirkstoff
PI
Fall 46 Seite 49
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN AIDS−Therapie bei Kindern Impfungen bei HIV−Patienten Therapieempfehlungen opportunistischer Infektionen
Fall 47
194
Fall
47
Schmerztherapie
47.1 Welche Therapieoptionen haben Sie? Wie gehen Sie vor? Das Vorgehen erfolgt nach dem WHO−Stufen− schema zur Schmerztherapie K Stufe I (leichte bis mäßige Schmerzen): Nicht− opioidanalgetikum, z. B. Metamizol 500– 1000 mg p.o. alle 4–6 Stunden K Stufe II (mäßig starke Schmerzen): Nicht− opioidanalgetikum + schwach wirkendes Opioidanalgetikum, z. B. Tramadol (Retard− Präparat) 100–300 mg p.o. alle 8–12 Stunden K Stufe III (starke Schmerzen): Nichtopioidan− algetikum + starkes Opioidanalgetikum, z. B. Morphin (Retard−Präparat) 10–500 mg p.o. alle 8–12 Stunden K Ggf. Einsatz von Koanalgetika oder Adjuvan− zien
Antworten und Kommentar 47.2 Was sollten Sie bei der Behandlung chronischer Schmerzen beachten? K Beachten der Schmerzintensität bei Auswahl der Analgetika K Dosierung und Einnahme nach festem Sche− ma, nicht nach Bedarf
K Keine Orientierung an Standarddosierungen und kein Einhalten von Höchstdosen K Berücksichtigung von EHWZ und Wirkdauer K Berücksichtigung von unerwünschten Wir− kungen K Verwendung von Adjuvanzien, Koanalgetika, Betäubungsmitteln
47.3 Was sind Adjuvanzien? Welche Arznei− stoffe kommen in Frage? K Adjuvanzien reduzieren unerwünschte Wir− kungen einer analgetischen Therapie K Laxanzien: bei opioidbedingter Obstipation, z. B. Lactulose 1–3 3 20 ml/d p.o. K Antiemetika: bei opioidbedingter/m Übelkeit und Erbrechen, z. B. Metoclopramid 3–4 3 10 mg/d p.o. K H2−Antihistaminika: bei therapiebedingter Säuresekretionssteigerung des Magens, z. B. Famotidin 1 3 40 mg/d p.o. 47.4 Welche Koanalgetika kennen Sie? Wozu werden Sie eingesetzt? K Neuroleptika: z. B. Levomepromazin 5–15 mg p.o. zur Nacht; antiemetisch, sedierend, affek− tive Schmerzdistanzierung K Antidepressiva: z. B. Amitriptylin 10–75 mg/d p.o.; bei neuropathischen Schmerzen mit brennendem Charakter K Glukokortikoide: z. B. Dexamethason 1–4 3 4 mg/d p.o.; antiödematös, antiphlogistisch K Antikonvulsiva: z. B. Carbamazepin 100– 800 mg/d p.o.; meist bei tic−artigen neuropa− thischen Schmerzen K Bisphosphonate: z. B. Clodronat 2 3 800 mg/d p.o.; bei Knochenschmerzen K Evt. Benzodiazepine oder Clonidin; bei neu− ropathischen Schmerzen
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Schmerz ist das häufigste Symptom, das einen Menschen zum Arzt führt. Während akuter Schmerz biologisch sinnvoll ist (Schadensbegrenzung, Förderung der Heilung durch Aktivitätsminderung), ist der chro− nisch anhaltende Schmerz ohne physiologischen Nutzen. Der physiologische Nozizeptorschmerz
(Schmerzrezeptorschmerz) entsteht bei akuter Einwirkung mechanischer, chemischer oder ther− mischer Reize auf gesundes Gewebe. Der patho− physiologische Nozizeptorschmerz entsteht da− gegen im Rahmen von längerfristigen Gewebe− schädigungen (z. B. bei Malignomen, chronischen Entzündungen) und kann sich als Ruheschmerz,
Fall 47 Seite 50
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Hyperalgesie (gesteigerte Schmerzempfindlich− keit) oder Allodynie (nichtnoxische Reize lösen Schmerzempfindung aus) äußern. Der Nozizeptor− schmerz wird durch die Freisetzung von Prosta− glandinen und Neuropeptiden (Substanz P) ausge− löst. Bei einer Chronifizierung werden die Nozi− zeptoren sensibler, und die Verarbeitung in Rückenmark und Gehirn wird gefördert, der Schmerz wird intensiver wahrgenommen. Therapieziele: Das Ziel der palliativen Schmerz− therapie bei Tumorpatienten ist die Schmerzaus− schaltung bzw. −reduktion auf ein erträgliches Maß. Durch eine kontinuierliche Schmerzthera− pie kann Lebensqualität länger erhalten bleiben. Eine adäquate, auch zentral wirksame Schmerzbe− handlung, d. h. mit Opioiden, ist dem Patienten in keinem Fall vorzuenthalten. Eine gute Aufklärung zur Beseitigung etwaiger Vorbehalte ist essenziell.
Nichtopioidanalgetika: Analgetika der Stufe I sind die Basis des WHO−Stufenschemas. Paraceta− mol kann alternativ zu NSAID eingesetzt werden, ist aber bei Knochen− und Weichteilschmerzen aufgrund der fehlenden antiphlogistischen Wir− kung kaum wirksam. Zu beachten ist die Leberto− xizität von Paracetamol bei Dosierungen ab 8– 10 g/d. Metamizol besitzt neben der analgetischen
Pharmakokinetik der schwach wirkenden Opioide
Wirkstoff
Orale Bio− verfüg− barkeit (%)
Wirk− dauer (h)
EHWZ (Stun− den)
Codein ret.
50
4–6
2–4
Dihydroco− dein
20
4–5
4
Tramadol ret.
70
3–5
6
Tilidin (kom− biniert mit Naloxon)
6
3–5
3–8
195
47 Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie Im Vordergrund steht die symptomatische Schmerztherapie, die sich an den Empfehlungen der WHO orientiert. Grundprinzipien sind: orale oder transdermale Therapie, damit der Patient durch nichtinvasive Darreichungsformen seine Unabhängigkeit bewahrt; die Applikation sollte konsequent nach der Uhr erfolgen; der Applika− tionsrhythmus wird durch die Wirkungsdauer des verwendeten Präparates (bevorzugt Retardpräpa− rate) bestimmt. Ziel ist ein gleichmäßig wirksamer Dosisspiegel, der bei stabilem Schmerzniveau die erneute Schmerzentstehung verhindert. Der Stu− fenplan der WHO (s. Antwort zur Frage 47.1 und Tab. Analgetika nach Stufenplan der WHO im An− hang) sieht eine individuelle Anpassung an die Be− dürfnisse und Begleiterkrankungen des Patienten vor, v. a. durch die Gabe von Koanalgetika (s. Ant− wort zur Frage 47.4.) oder Adjuvanzien (s. Antwort zur Frage 47.3). Eine engmaschige Therapiekontrol− le durch eine gezielte Schmerzanamnese ist zur individuellen Dosisfindung nötig. Dabei sollten v. a. unerwünschte Wirkungen berücksichtigt wer− den.
Schwach wirkende Opioidanalgetika: s. Antwort zur Frage 47.1. Die schwach wirkenden Opioidanal− getika unterliegen nicht der Betäubungsmittelver− schreibungsverordnung (BtMVV). Eine zusätzliche Analgesie wird durch unterschiedliche Angriffs− punkte erreicht. So wird z. B. die analgetische Wir− kung von Tramadol u. a. über Serotonin− und zen− trale a2−Rezeptoren vermittelt. Tramadol ist weni− ger stark analgetisch wirksam als Morphin, jedoch sind auch seine atemdepressiven, kardiovaskulä− ren und suchterzeugenden Wirkungen geringer. Bei gleichzeitiger Einnahme von trizyklischen An− tidepressiva, selektiven Serotonin−Wiederaufnah− mehemmern, MAO−Hemmern oder Neuroleptika besteht eine erhöhte Krampfbereitschaft. Die Fix− kombination aus Tilidin und Naloxon (s. Fall 23) ist deutlich schwächer analgetisch wirksam als Morphin. Codein und Dihydrocodein wirken pri− mär antitussiv, werden aber im Körper zu ca. 10 % in Morphin umgewandelt und wirken somit in hö− herer Dosierung analgetisch mit einem geringeren Abhängigkeitspotenzial. Dihydrocodein hat einen hohen First−pass−Effekt (s. Tab.), kann also bei Le− berinsuffizienz kumulieren. 5–10 % der Bevölke− rung weisen einen Cytochrom−2D6−Polymorphis− mus (poor metabolizer) auf, der bedingt, dass De− methylierung und damit ein analgetischer Effekt ausbleiben. Auf Grund der renalen Elimination von Codein, Dihydrocodein und Tramadol muss eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz durchge− führt werden. Unerwünschte Wirkungen und In− teraktionen der schwachen Opioidanalgetika ent− sprechen weitestgehend dem Morphin (s. Fall 23) in schwächerer Ausprägung.
Fall
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Tumorpa− tienten bedürfen, möglichst über den gesamten Krankheitsverlauf, supportiver, empathischer Be− gleitung und sozialer Hilfe. Immer häufiger wer− den psychoonkologische Verfahren (z. B. patien− tenzentrierte Gesprächstherapie, Partner− bzw. Fa− miliengespräche) und verhaltenstherapeutische Verfahren (z. B. Techniken zur Schmerzbewälti− gung) eingesetzt.
eine gute spasmolytische Wirkung, es besteht je− doch ein Agranulozytoserisiko. NSAID sind bei Knochenmetastasen gut wirksam, besitzen aber ein erhebliches Nebenwirkungs− und Interaktions− potenzial bei der Langzeittherapie (s. Fall 12).
Fall 47 Seite 50
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Stark wirkende Opioidanalgetika: Substanzen dieser Gruppe sind die Hauptstütze der Therapie bei starken Tumorschmerzen (s. Fall 98). Reine m−Rezeptoragonisten wie Morphin, Oxycodon oder Fentanyl haben den Vorteil, dass ihre Wir− kung bei Dosissteigerung im Gegensatz zum Par− tialagonisten Buprenorphin nicht begrenzt (Cei− ling−Effekt) ist . In der Therapie sollten nur reine Opioidagonisten in retardierter Form kombiniert werden. Lediglich bei kurzfristigen stärksten Schmerzen oder während der initialen Titrations−
phase sind unretardierte kurzwirksame Opioide indiziert. Das Spektrum der unerwünschten Wir− kungen der starken Opioide entspricht weitestge− hend dem des Morphins (s. Fall 23). Neben den oralen Darreichungsformen stehen Pflaster (trans− dermales therapeutisches System, TTS) mit Fenta− nyl bzw. Buprenorphin zur Verfügung. Obstipatio− nen werden mit dem TTS weniger häufig beobach− tet. Auch subkutane Analgetikainfusionen, z. B. mit Morphin, können eingesetzt werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Laxanzien Arzneistoffe mit Agranulozytoserisiko Betaubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV)
Fall 48
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Fall
48
Psoriasis vulgaris
Antworten und Kommentar
48.1 Welche Externa zur Therapie der Psoriasis entstehende körperwarme und feuchte Milieu in− kennen Sie? duziert eine Verquellung der Hornschicht R er− K Dithranol: harnstoffhaltig (bessere Penetra− höhte Penetration von Wirkstoffen durch die tion) oder salicylsäurehaltig (Schutz vor oxida− Haut R 30− bis 50−fache Steigerung der Wirk− tivem Abbau) samkeit K Vitamin−D3−Derivate: Calcipotriol, Tacalcitol K Retinoide: Tazaroten !!! 48.4 Nennen Sie neue Therapiestrategien der Psoriasisbehandlung! K Glukokortikoide (eingeschränkte Anwendung wegen Rezidivgefahr nach Absetzen): Betame− K Inhibition oder Verminderung von aktivierten thason, Triamcinolon T−Lymphozyten K Salicylsäure – Alefazept: fördert Apoptose bestimmter T− Zell−Populationen, blockiert die Aktivierung von Effektor−T−Zellen 48.2 Was versteht man unter einer Photo− bzw. Photochemotherapie? – Tacrolimus, Pimecrolimus, Sirolimus: Anwendung von Ultraviolett (UV)−Strahlung zur hemmen die T−Zellausreifung K Hemmen der Adhäsion von Entzündungszel− Behandlung der Psoriasis len K UVB (290–320 nm): auch in Kombination mit – Efalizumab: monoklonaler Antikörper ver− Vitamin−D3−Derivaten und Solebädern K PUVA (Psoralen + UVA, 320–400 nm): z. B. hindert die Anheftung von T−Zellen an die 8−Methoxypsoralen p.o. oder lokal als Photo− Blutgefäßwand sensibilisierer für die nachfolgende UVA−Be− K Hemmen der Wirkung proinflammatorischer strahlung Mediatoren (z. B. TNF−a) von aktivierten Im− munzellen: – Etanercept: löslicher TNF−a−Rezeptor – Infliximab: TNF−a−Antikörper 48.3 Was sind Okklusiv−Verbände? Welche K Antiinflammatorische Zytokine Funktion habe sie? – Interleukine vom TH2−Typ (IL−10, IL−4, IL− Behandelte Hautstellen werden mit Okklusiv−Fo− 11) lie abgedeckt (über Nacht bis max. 24 h), das
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die Psoriasis vulgaris (Syn. Schuppenflechte) ist eine chroni− sche, meist in Schüben verlaufende Hauterkran− kung. Es handelt sich um eine erbliche Disposi− tionskrankheit, Männer und Frauen sind gleicher− maßen betroffen (Prävalenz in Mitteleuropa: 2– 3 %). Medikamente, wie ACE−Hemmer, b−Rezeptor−
antagonisten, Chloroquin und Lithium, können ei− nen Schub auslösen. Pathogenetisch liegt eine Sti− mulation von TH1−Lymphozyten durch Antigene zu Grunde. TH1−Lymphozyten adhärieren an Endo− thelzellen und migrieren in die Haut. Dort setzen antigenpräsentierende Zellen, TH1−Lymphozyten und Endothelzellen proinflammatorische Media−
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toren und Typ−1−Zytokine (z. B. TNF−a, IL−2, IFN−g, IL−12) in großen Mengen frei, die eine Entzün− dungsreaktion mit Zellinfiltration (neutrophile Granulozyten, Makrophagen) in der Dermis indu− zieren. In Folge treten Hyperproliferation und ab− norme Differenzierung der Epidermis sowie vas− kuläre Veränderungen auf. Die Keratinozyten ha− ben eine verkürzte Generationszeit, und es findet sich eine erhöhte Zahl von epidermalen Stamm− zellen und mitotisch aktiven Zellen in der Epider− mis. Klinisch treten scharf begrenzte, unregelmä− ßige, streckseitenbetonte, entzündliche Papeln mit parakeratotischer silberglänzender Schuppung auf. Im Verlauf der Erkrankung können psoriati− sche Nagelveränderungen (z. B. Tüpfelnägel, Ony− cholyse) auftreten. Bei der Psoriasis arthropathi− ca sind Finger− und Zehengelenke i. S. einer ent− zündlichen Gelenkerkrankung betroffen. Zur Diagnosesicherung dienen verschiedene Kratz− phänomene (Kerzentropfen−, Blutstropfen−, Köb− ner−Phänomen).
Pharmakotherapie Topische Medikamente werden bei kleinen Herden (, 10 % der Körperoberfläche) angewendet (s. Ant− wort zu Frage 48.1). Bei schweren Formen der Pso− riasis muss eine systemische Behandlung durch− geführt werden. PUVA: s. Antwort zur Frage 48.2. Auf Grund der geringen Eindringtiefe der UVA−Strahlung werden nur die in der Haut befindlichen Wirkstoffmolekü− le aktiviert. Der zytostatische Effekt entsteht durch Einlagerung des Wirkstoffs 8−Methoxypsoralen in die DNA. 8−Methoxypsoralen ist gut verträglich, die richtige Wahl der Lichtdosis ist schwierig, aber entscheidend für die Wirkung. Bei Überdosierung tritt eine blasige Dermatitis auf. Topische Therapie: s. Antworten zu Fragen 48.1. Salicylsäure ist Mittel der Wahl zur Ablösung der Schuppen (Keratolyse). Dithranol senkt die er−
197
48 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Schubaus− lösende Medikamente sollten vermieden werden (s. o.). Die Anwendung von pflegenden Basissal− ben und Ölbädern führt zu einer hygroskopischen Schwellung der Plaqueoberfläche und reduziert so die Entzündungsherde. Im Sommer kommt es bei vielen Psoriatikern zur Besserung der Symptome.
Systemische Therapie: Retinoide (Vitamin−A− Derivate) wie Acitretin hemmen die Verhornung des Epithels, wirken jedoch nicht ursächlich. Der wirksame Metabolit ist Etretinat, der auf Grund seiner hohen Lipophilie im Fettgewebe gespei− chert und nur langsam eliminiert wird. Häufige unerwünschte Wirkungen der Retinoide sind Aus− trocknen der Schleimhäute, Cheilitis und reversib− ler Haarausfall. Eine relative Kontraindikation ist die Anwendung bei Frauen im gebärfähigen Alter (Teratogenität, Kontrazeption für mindestens 2 Jahre indiziert) sowie bei Leberschädigungen. Der Einsatz von Fumaraten ist bei lokaltherapieresis− tenten Psoriasisformen indiziert. Die immunmo− dulierende Wirkung reduziert die T−Zellzahl und vermindert die IL−2 Synthese. Die Wirkung tritt nach 4–6 Wochen ein. An unerwünschten Wirkun− gen sind gastrointestinale Beschwerden, Leuko− und Lymphopenie, Niereninsuffizienz und Flush− Symptomatik zu beobachten. Systemische Gluko− kortikoide können bei der Therapie der Psoriasis von Nutzen sein, es ist aber ein Rebound−Phäno− men zu beachten (s. Fall 19). In schweren Fällen oder bei Vorliegen einer Psoriasis−Arthritis können der Folsäureantagonist Methotrexat, der Pyrimi− dinsynthesehemmer Leflunomid (s. Fall 90) oder das Immunsuppressivum Ciclosporin A (max. 5 mg/kg KG/d; s. Fall 2) eingesetzt werden. Neue Therapiestrategien s. Antwort zur Frage 48.4.
Fall
Therapieziele: Ziel ist die Verminderung der Schubfrequenz mit Abheilung bzw. Besserung der Hautveränderungen. Gleichzeitig soll die Rate an unerwünschten Wirkungen der Pharmakothe− rapie minimiert werden.
höhte Mitoserate der Keratinozyten. Es penetriert gut durch die Haut und wird an der Luft unter Lichteinwirkung zum Cignolin−Braun oxidiert. Di− thranol wird in Salbenzubereitung ganztätig in steigender Konzentration oder in 1–3 %−iger Va− selinezubereitung zur Kurzzeittherapie (20–40 Minuten) angewendet. Im Gesicht, in Hautfalten und unter Okklusiv−Verbänden (s. Antwort zu Fra− ge 48.3) ist Dithranol kontraindiziert. Die Vitamin− D3−Derivate Calcipotriol und Tacalcitol sind zur Lokaltherapie von umschriebenen Psoriasisherden indiziert. Sie hemmen die Zelldifferenzierung und −proliferation. Nach kutaner Resorption werden die Vitamin−D3−Derivate sehr schnell biotransfor− miert. Tazaroten ist ein topisch anwendbares Re− tinoid−Analogon. Der eigentliche Wirkstoff Taza− rotensäure bindet an intrazelluläre Retinoidrezep− toren und hemmt den Krankheitsprozess erst nach mehrwöchiger Anwendung. Immunmodulatoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus zur Anwen− dung in der Lokaltherapie der Psoriasis werden zur Zeit geprüft.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Neurodermitis atopica Pharmaka mit dermatologisch unerwunschten Wirkungen Therapie von Hautmykosen
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Fall 49
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Fall
49
Vorhofflimmern
49.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie? Ausgehend von einem persistierenden Vorhof− flimmern (Dauer . 48 Stunden) ist folgendes Vorgehen indiziert: K Thromboembolieprophylaxe über mind. 3 Wochen mit Phenprocoumon (INR 2,0–3,0) K Gleichzeitige Frequenznormalisierung mit: – Kalziumkanalblockern, z. B. Verapamil 4–10 mg i. v., Fortführung p.o. – b−Rezeptorantagonisten, z. B. Metoprolol 5–10 mg i. v., Fortführung p.o. – Digitalis, z. B. Digoxin 0,4–0,6 mg i. v., Fort− führung p.o. K Anschließende Rhythmisierung durch Kar− dioversion und weitere Antikoagulation (INR 2,0–3,0) für ca. 4–6 Wochen: – Elektrisch in Kurznarkose (s. Antwort zur Frage 49.4.) – Medikamentös (s. Antwort zur Frage 49.2.) Alternatives Vorgehen: Vollheparinisierung und sofortige medikamentöse/elektrische Rhythmisie− rung nach Ausschluss intrakardialer Thromben mit Transösophagusechokardiografie; anschlie− ßend 4 Wochen Antikoagulation (INR 2,0–3,0)
Antworten und Kommentar
49.2 Welche Pharmaka zur medikamentösen Kardioversion können Sie einsetzen? K Ohne strukturelle Herzerkrankung: – Klasse−Ia−Antiarrhythmika, z. B. Chinidin, Disopyramid – Klasse−Ic−Antiarrhythmika, z. B. Propafenon, Flecainid K Bei Vorliegen einer strukturellen Herzer− krankung: – Klasse−III−Antiarrhythmika, z. B. Amiodaron, Sotalol Insgesamt zurückhaltende Indikationsstellung (proarrhythmogene Wirkung) zur medikamen−
tösen Kardioversion; bevorzugt Klasse−III−Antiar− rhythmika einsetzen
49.3 Wie gehen Sie bei einem permanenten Vorhofflimmern vor? Bei permanentem Vorhofflimmern Weiterführen der Frequenzkontrolle mit: K Kalziumkanalblockern, z. B. Verapamil 120– 240 mg/d p.o. K b−Rezeptorantagonisten, z. B. Metoprolol 50– 200 mg/d p.o K Digitalis (v. a. bei Herzinsuffizienz), z. B. Digo− xin 0,125–0,5 mg/d p.o K ggf. Kombination der 3 verschiedenen Sub− stanzen verbessert Frequenzkontrolle v. a. un− ter Belastung (cave: Kombination von Verapa− mil mit b−Rezeptorantagonisten) K Indikation für Antikoagulation mit: – Phenprocoumon (INR 2,0–3,0) bei Risiko− faktoren (z. B. früherer Schlaganfall, Alter . 60 Jahre, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, rheumatische Klappenerkrankung, linksventrikuläre Dys− funktion) – Acetylsalicylsäure bei Herzgesunden , 60 Jahre ohne Risikofaktoren 49.4 Wie führen Sie eine elektrische Kardio− version durch? EKG−getriggerte Elektrokardioversion: K Kurznarkose (Etomidate 10–20 mg i. v.) unter Beatmungsbereitschaft K Elektrodenplazierung: rechts unterhalb Ster− noklavikulargelenk, links seitlich über Herz− spitze K Externe Energiedosis: initial 100 Joule, wenn erfolglos Wiederholung mit 200 Joule
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Das Vorhof− flimmern ist im EKG durch schnelle, irreguläre Flimmerwellen gekennzeichnet, die meist unre− gelmäßig auf die Herzkammern übergeleitet wer− den. Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhyth− musstörung im Erwachsenenalter, die Inzidenz nimmt mit dem Alter zu (3–5 % bei über 65−Jähri− gen). Vorhofflimmern entsteht auf der Basis ver− schiedener kardialer Erkrankungen, z. B. Kardio− myopathie, hypertensive Herzkrankungen, Herzvi− tien, koronare Herzkrankheit. Pathophysiologisch lösen Triggerarrhythmien (z. B. supraventrikuläre Extrasystolen von den Lungenvenen) multiple kreisende Erregungen (Mikro−Reentry) im lin− ken Vorhof aus, die dann zum Vorhofflimmern füh− ren. Bei Herzgesunden kann Vorhofflimmern durch verstärkten Nikotin−, Alkohol−, Kaffee− und Teegenuss oder bei plötzlicher emotionaler Erre−
gung ausgelöst werden. Vorhofflimmern kann spontan terminieren (paroxysmal), durch Kardio− version beendet werden (persistierend) oder nicht kardiovertierbar (permanent) sein. Symptome sind u. a. Herzstolpern (Palpitationen), Schwindel, ggf. Synkopen und Dyspnoe. Mögliche Komplika− tionen sind die Bildung von Vorhoftromben mit der Gefahr der arteriellen Embolisierung (Hirnin− farkt) sowie die akute Linksherzinsuffizienz. Therapieziele: Sofern möglich ist eine kausale Therapie anzustreben. Die kardiale Leistungsfähig− keit, v. a. unter körperlicher Belastung, ist durch antiarrhythmische Maßnahmen zu verbessern. Dies kann durch Wiederherstellung des normalen Sinusrhythmus oder durch Bremsen der AV−Über− leitung und Senken der abnorm hohen Kammer− frequenz geschehen. Thromboembolien sollen
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durch die Gabe von oralen Antikoagulanzien ver− mieden werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Bei neu auf− getretenem Vorhofflimmern wird initial Bettruhe mit Monitorkontrolle angeraten. Eine elektrische Kardioversion kann als Alternative zur medika− mentösen Kardioversion, v. a. bei hämodynamisch relevantem Vorhofflimmern, durchgeführt wer− den (s. Antwort zur Frage 49.4). Pharmakotherapie Die symptomatische Therapie besteht in der Rhythmuskontrolle (Regularisierung) durch elektrische oder medikamentöse Konversion des Flimmerrhythmus in einen Sinusrhythmus. Bei der Frequenzkontrolle durch Antiarrhythmika kann die Kammerfrequenz durch Hemmung der AV−Überleitung kontrolliert werden. Eine Throm− boembolieprophylaxe ist bei Vorhofflimmern fast immer indiziert, z. B. mit Kumarinen (s. Fall 30).
Differenzialtherapie: Beim paroxysmalen Vor− hofflimmern von , 24 Stunden Dauer ist in 60 % der Fälle eine spontane Konversion zu erwarten. Hierbei ist der dauerhafte Erhalt des Sinusrhyth− mus wichtig, um elektrischen und mechanischen Veränderungen der Vorhöfe vorzubeugen. Wenn keine spontane Kardioversion eintritt oder symptomatisches Vorhofflimmern vorliegt, kann elektrisch oder medikamentös kardiovertiert werden. Bestand das Vorhofflimmern kürzer als 48 Stunden, muss davor keine Antikoagulation eingeleitet werden, im Anschluss ist individuell über eine Thromboembolieprophylaxe zu ent− scheiden. Abhängig von Dauer und Häufigkeit der Episoden ist eine medikamentöse Rezidivpro− phylaxe indiziert. Geeignete Medikamente sind b−Rezeptorantagonisten, Klasse−Ic−Antiarrhyth− mika und bei Patienten mit struktureller Herz− krankheit Klasse−III−Antiarrhythmika (s. Fall 99). Beim persistierenden Vorhofflimmern, das län− ger als 7 Tage andauert, ist eine elektrische Kar− dioversion der medikamentösen Kardioversion vorzuziehen. Eine medikamentöse Rezidivpro− phylaxe wird empfohlen. Alternativ kann bei asymptomatischen älteren Patienten anstelle der Kardioversion mit Rezidivprophylaxe eine reine Frequenzkontrolle (s. Antwort zur Frage 49.3) vorgenommen werden. Das Ziel beim permanenten Vorhofflimmern be− steht – unabhängig vom Alter – immer in einer medikamentösen Kontrolle der Kammerfrequenz mit Kalziumkanalblockern (z. B. Verapamil, Diltia− zem), b−Rezeptorantagonisten oder Digitalis. Eine orale Antikoagulation zur Thromboemboliepro− phylaxe ist indiziert (s. Antwort zur Frage 49.3).
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49 Antworten und Kommentar
Frequenzkontrolle: Durch medikamentöse Hem− mung der AV−Überleitung kann eine zuverlässige Abnahme der Kammerfrequenz erreicht werden. Geeignete Substanzen sind Kalziumkanalblocker vom Verapamil− oder Diltiazem−Typ, b−Rezep− torantagonisten und Herzglykoside (s. Antwor− ten zu Fragen 49.1 und 49.3). Herzglykoside kön− nen zwar die Kammerfrequenz unter Ruhebedin− gungen, nicht jedoch unter körperlicher Belastung ausreichend senken, so dass Herzglykoside bei kör− perlich aktiven Patienten mit einem b−Rezeptoran−
Thromboembolieprophylaxe: Die Antikoagulati− on ist wichtiger Bestandteil der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern, da die Mortalität und Morbidität bei Vorhofflimmern entscheidend durch thromboembolische Ereignisse (Schlagan− fall) bestimmt wird. Zur Risikostratifizierung s. Antworten zu Fragen 49.1 und 49.3.
Fall
Medikamentöse Rhythmuskontrolle: Zum Er− reichen und Stabilisieren (Rezidivprophylaxe) ei− nes Sinusrhythmus werden – abhängig von der kardialen Grundkrankheit – verschiedene Antiar− rhythmika eingesetzt (s. Antwort zu Frage 49.2). Amiodaron ist bei koronarer Herzkrankheit und dilatativer Kardiomyopathie effektiver und siche− rer als Sotalol, Propafenon oder Flecainid. Unter der Therapie mit Amiodaron ist die Schilddrüsen− und Lungenfunktion regelmäßig zu kontrollieren. Klasse−I−Antiarrhythmika (z. B. Propafenon, Flecai− nid) sollten nur bei geringer oder fehlender Grund− erkrankung verwendet werden. Bei dringender In− dikation und schwerer kardialer Grunderkrankung kann alternativ auch eine elektrische Kardioversi− on durchgeführt werden.
tagonisten kombiniert werden sollten. Klinisch wird eine mittlere Kammerfrequenz von unter 90 Schlägen/min angestrebt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des Vorhoatterns Klasse−I−Antiarrhythmika Therapie ventrikularer Rhythmusstorungen
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Fall 50
Mukoviszidose
50.1 Welche Optionen haben Sie für die anti− biotische Therapie? K Ambulant: – Gyrasehemmer (z. B. hoch dosiert Ciproflo− xacin 2 3 750 mg/d) – Tobramycin (Inhalationen 3–4 3 180 mg/d) K Stationär: bei Therapieversagen Kombinations− behandlung mit Pseudomonas−wirksamem b−Laktamantibiotikum + Aminoglykosid (z. B. Piperacillin + Tobramycin i.v)
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Fall
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50.3 Wie gestaltet sich die Therapie der exo− krinen Pankreasinsuffizienz? K Substitutionsbehandlung mit Pankreatin (Pul− ver aus Säugetierpankreas), enthält Lipasen, Amylasen und Proteasen in säurefester Gale− nik (z. B. Lipase 40 000–60 000 IE/Mahlzeit p.o.): – Sehr selten unerwünschte Wirkungen wie allergische Reaktionen oder Strikturen im Ileozökalbereich und Colon ascendens – Disponierte Personen weisen eine vermehr− te Harnsäureausscheidung und Kristallbil− dung im Nierenhohlsystem auf K Substitution von fettlöslichen Vitaminen (Vi− tamine A, D, E, K), abhängig vom Serumspie− gel
Antworten und Kommentar
50.2 Welche Substanzen können Sie zur Inha− lationstherapie einsetzen? K Antibiotika: z. B. Tobramycin bei Pseudomo− nas−aeruginosa−Infektion K Rekombinante humane (rh)DNAse: Hydroly− se von DNA, die aus Entzündungszellen im !!! 50.4 Nennen Sie experimentelle Konzepte zur Bronchialsekret stammt K Amilorid: Blockade luminaler Natriumkanäle Behandlung der Mukoviszidose? K ATP oder UTP (mit Amilorid): Aktivierung von und damit verminderte Na+−Reabsorption; Wasserretention im Bronchialsekret R Visko− nicht−CFTR−abhängigen Chloridkanälen über sität Q (Herstellung in der Apotheke; off− Nukleotidrezeptoren mit Verringerung der label−Gebrauch, d. h. Verwendung ohne dyskrinen Sekretion behördliche Zulassung) K a1−Antitrypsin (a1−Protease−Inhibitor)−Aero− K Glukokortikoide: Wirksamkeit kontrovers sol: Hemmung der gewebezersetzenden pro− diskutiert teolytischen Enzyme aus Entzündungszellen K Gentherapie: kausale Therapie, Einschleusung des intakten Gens über virale Vektoren oder Liposomen
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Bei der Mu− koviszidose (Syn. zystische Fibrose) handelt es sich um eine Funktionsstörung exokriner Drüsen mit rezidivierenden bakteriellen bronchopulmo− nalen Infekten und Pankreasinsuffizienz. Die töd− lich verlaufende monogene Krankheit wird auto− somal rezessiv vererbt (Prävalenz bei weißen Lebendgeborenen 1 : 2000). Die Mutationen be− treffen das CFTR−Gen (cystic fibrosis transmem− brane conductance regulator gene), das für einen Chlorid−Ionenkanal in der apikalen Epithelzell− membran exokriner Drüsen kodiert. Die Mutation führt zu fehlender Synthese bzw. Funktion oder veränderter Prozessierung bzw. Funktion des Chlo− ridkanals. Es wird ein hochvisköses eiweißreiches Sekret sezerniert, das zu Sekretstau in den Ausfüh− rungsgängen, zystischen Erweiterungen und fibro− tischem Umbau exokriner Drüsen führt. In der Lunge führt dies zu sekundären bakteriellen In− fektionen, bronchialer Hypersekretion, Destrukti− on der Bronchialwand, Entwicklung von Bron− chiektasen und respiratorischer Insuffizienz mit einem Cor pulmonale (s. Abb.). Die Infekte bedin− gen auf Grund weiterer zellschädigender Faktoren (z. B. Bakterientoxine, Sauerstoffradikale aus Gra− nulozyten, Zilienschädigung) eine Rezidivneigung. Prognostisch ungünstig ist die Infektion mit Pseu−
domonas aeruginosa. Weitere Komplikationen betreffen das exokrine Pankreas (sekundäre Mal− digestion) und die Darmschleimhaut (Mekonium−
Röntgen−Thorax bei Mukoviszidose (überblähter Tho− rax, prominente Hili weisen auf ein Cor pulmonale hin, retikuläre Verschattungen)
Fall 50 Seite 53
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ileus beim Neugeborenen). Klinisch entwickeln sich bereits in der frühen Kindheit ein chronischer produktiver Husten, Belastungsdyspnoe, Atem− wegsobstruktion, Zyanose und Wachstumsstörun− gen. Der Schweißtest (Natrium−Konzentration . 60 mmol/l) ist die wichtigste diagnostische Metho− de. Therapieziele: Ziel ist es, Normalgewicht und Lungenfunktion zu erhalten, in dem bronchopul− monale Infekte vermieden werden. Hierfür ist eine engmaschige Kontrolle der klinischen Sympto− matik (z. B. Lungenfunktion, Sputumbakteriologie, Röntgen−Thorax, Gewicht, körperliche Entwick− lung) notwendig. Nichtmedikamentöse Therapie: Grundlage ist die Physiotherapie zur Elimination des Bronchial− sekrets und die Patientenschulung (z. B. Techni− ken der Bronchialtoilette, Atemschulung, Erkennen von Symptomen einer Superinfektion). Auch Imp− fungen (Pertussis, Masern, Grippe) zählen zu den präventiven Maßnahmen. In weit fortgeschritte− nen Stadien werden immer häufiger Lungentrans− plantationen durchgeführt.
Arzneistoff
Bio− verfüg− barkeit (%)
Norfloxacin
40
10–15
3–5
Ciprofloxacin 70
20–40
3–5
Plasma− protein− bindung (%)
EHWZ (Stun− den)
Ofloxacin
. 95
25
5–7
Levofloxacin
. 95
25
6,5
40
10–15
Moxifloxacin 90
50 Antworten und Kommentar
Sekretolytika: In der sekretolytischen Therapie wird am häufigsten Acetylcystein (ACC) eingesetzt (1–2 3 300 mg/d), das durch Spaltung von Disul− fidbrücken im Proteinanteil der Muzine wirkt. ACC wird rasch resorbiert, besitzt einen hohen First− pass−Effekt und hat eine Wirkdauer von 4–6 Stun− den. Unerwünschte Wirkungen sind allergische Reaktionen oder gastrointestinale Störungen (z. B. Magenschmerzen, Verdauungsbeschwerden). ACC kann bei gleichzeitiger oraler Gabe Penicilline, Ce− phalosporine und Tetrazykline inaktivieren, daher ist eine zeitverschobene Einnahme um 2 Stunden erforderlich. Der therapeutische Wert ist umstrit− ten. Die Anwendung von rhDNAse (Dornase alpha) vermindert ebenfalls die Viskosität des Bronchial− sekrets. Der Wirkstoff kann bei Patienten über 5 Jahren angewendet werden. Unerwünschte Wir− kungen sind Pharyngitis, Laryngitis, Heiserkeit, Hautausschläge und Antikörperbildung gegen DNA. Die Therapie sollte bei fehlender subjektiver oder objektiver (FEV1−Anstieg) Besserung abgebro− chen werden.
Pharmakokinetik von Gyrasehemmern
201
Fall
Pharmakotherapie Die wichtigsten pharmakotherapeutischen Maß− nahmen sind: Gabe von Sekretolytika und Anti− biotika, Beeinflussung des transmembranären Elektrolyttransports, Bekämpfung der lokalen Entzündung durch Antiphlogistika und Substitu− tion von Pankreasenzymen (s. Antwort zur Frage 50.3). b2−Sympathomimetika sind bei Atemwegs− obstruktion und bronchialer Hyperreaktivität indi− ziert (s. Fälle 62 und 71). Die tägliche Inhalations− therapie (s. Antwort zur Frage 50.2) spielt eine wichtige Rolle.
Antibiotika: Die Antibiotikatherapie kann pro− phylaktisch, kontinuierlich oder auch intermittie− rend erfolgen. Akute Infektexazerbationen sind nach bakteriologischer Sputumuntersuchung ge− zielt zu behandeln, auf Grund von Resistenzent− wicklungen ist oft eine Kombination verschiedener Antibiotika erforderlich. Neben Gyrasehemmern und Aminoglykosiden kommen v. a. Pseudomo− nas−wirksame Penicilline (z. B. Piperacillin), Car− bapeneme (z. B. Imipenem, Meropenem), Mono− bactame (z. B. Aztreonam) oder bestimmte Cepha− losporine (z. B. Ceftazidim, Cefepim) in Frage. Zur hoch dosierten oralen Antibiotikatherapie eignet sich der Gyrasehemmer (Fluorchinolone) Cipro− floxacin. Die bakterizide Wirkung beruht auf der spezifischen Hemmung der bakterieneigenen Gy− rase (Topoisomerase II), wodurch die bakterielle DNA−Replikation verhindert wird. Die modernen Gyrasehemmer sind alle fluoriert und besitzen un− terschiedliche pharmakokinetische Eigenschaften (s. Tab.). Unerwünschte Wirkungen sind: gastroin− testinale Störungen, ZNS−Störungen (Unruhe, Ver− wirrtheit, Halluzinationen, Krämpfe), Leberschädi− gung, Verlängerung der QT−Zeit, Tendinitis, Seh− nenruptur und Knorpelzellschädigung in den Epiphysenfugen. Kontraindikationen bestehen bei Epilepsie, in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern und Jugendlichen vor Abschluss des Längenwachstums.
Das Aminoglykosid Tobramycin wird in Kombi− nation mit Gyrasehemmern eingesetzt. Die bak− terizide Wirkung auf ruhende und proliferieren− de Bakterien beruht auf einer Hemmung der Pro− teinbiosynthese und einer gestörten Zellwand− synthese. Das breite Wirkspektrum richtet sich v. a. gegen gramnegative Bakterien (Hauptindika− tion: Pseudomonas−aeruginosa−Infektion). Uner− wünschte Wirkungen sind Nephro− und Ototoxi− zität, die durch Schleifendiuretika verstärkt wer− den. Die Nephrotoxizität wird durch die einmal tägliche Gabe als Kurzinfusion reduziert, jedoch durch andere nephrotoxische Substanzen, wie Cephalosporine, verstärkt. Die Ototoxizität kann mit den Symptomen Schwindel, Ohrensausen,
Fall 50 Seite 53
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Nystagmus, Mnire−Syndrom und Hörschädi− gungen auch verzögert nach Absetzen der Ami− noglykoside auftreten, da die Elimination aus dem Innenohr nur langsam erfolgt. Kontraindi− ziert sind Aminoglykoside bei schwerer Nierenin− suffizienz, Schwangerschaft, Innenohrschädigung und Myasthenia gravis. Da Aminoglykoside oral
nur schlecht resorbiert werden, sind sie intrave− nös oder inhalativ zu applizieren. Die Metaboli− sierung erfolgt hepatisch, die Elimination v. a. re− nal (EHWZ ca. 2 Stunden). Eine Blutspiegelkon− trolle im Sinne eines TDM ist unerlässlich zur Überwachung des therapeutischen Bereichs (4– 6 mg/l).
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Gentherapeutische Maßnahmen Nephrotoxizitat der Aminoglykoside Pharmakotherapie der chronischen Pankreatitis
Fall 51 202
Fall
51
51.1 Welche klassischen pharmakologischen Möglichkeiten zur Behandlung der Alzheimer− Demenz kennen Sie? K Ältere Antidementiva (Syn. Nootropika): sehr unterschiedliche Substanzklasse, z. B. Pirace− tam, Dihydrergotoxin, Nisoldipin K Acetylcholinesterasehemmer: z. B. Tacrin, Do− nepezil, Galantamin, Rivastigmin K NMDA−Rezeptorantagonisten: Memantin
Antworten und Kommentar
!!! 51.2 Nennen Sie neue Ansatzpunkte für eine mögliche Therapie der Alzheimer−Demenz! K Grundlage der Alzheimer−Demenz ist eine progressive Degeneration von Nervenzellen, die eng mit der Ablagerung von Amyloid und Tau−Protein assoziiert ist; hier bieten sich An− satzpunkte: K Aktivatoren der a−Sekretase: Amyloid−Prä− kursor−Protein (APP) wird durch a−Sekreta− sen gespalten, ihre Spaltprodukte besitzen tro− phische und neuroprotektive Funktionen K Hemmer der b−/g−Sekretase: b−Sekretasen (und g−Sekretasen) spalten APP proteolytisch in b−Amyloid−Protein, das neurotoxisch wirkt K Inhibitoren der Tau−Proteinkinase−I−Glyko− gensynthasekinase−3 b: die Tau−Proteinkinase induziert eine Hyperphosphorylierung von Tau−Proteinen, das so wahrscheinlich eben− falls neurotoxisch wirkt K Radikalfänger (z. B. Vitamin E) und NSAID: Hemmung entzündlicher Prozesse, die wahr−
Demenz scheinlich an der Entstehung der Alzheimer− Demenz beteiligt sind
51.3 Was müssen Sie allgemein bei der Phar− makotherapie bei älteren Patienten beachten? K Nutzen−Risiko−Analyse auf individueller Ba− sis: zu Therapiebeginn und im −verlauf K Therapieindikation: genau stellen, vorsichti− ger Einsatz von neuentwickelten Medika− menten, regelmäßige kritische Kontrolle des Therapieplans K Medikamenteneinnahme: – Vollständige Medikamentenanamnese – Selbstmedikation erfragen – Kontrolle der Medikamenteneinnahme nach Entlassung aus Krankenhaus K Medikamente mit erhöhtem Risikopotenzial für unerwünschte Wirkungen im Alter meiden K Medikamente nach Beschwerdebesserung rechtzeitig wieder absetzen K Monitoring der medikamentösen Therapie (funktioneller Status) K Dosierung: niedrige Startdosis, verlängertes Dosiseskalationsintervall, adäquate Dosis, Halbierung von Tabletten vermeiden (manuel− le Probleme) K Nebenwirkungen: gezielt erfragen K Zur Compliance ermutigen und klare Ziele kommunizieren
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Demenz ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die durch ei− ne sekundäre Verschlechterung der intellektuel− len Fähigkeiten gekennzeichnet sind. Die Präva− lenz in Deutschland liegt bei den 65− bis 70−Jähri− gen bei 2–6 %. Im Alter über 85 bei über 40 %. In mehr als 50 % der Fälle handelt es sich um eine
Demenz vom Alzheimer−Typ (Syn. Morbus Alz− heimer). Sie ist eine primär degenerative zerebrale Erkrankung mit einer chronisch progredienten ge− neralisierten temporoparietal und frontal betonten Hirnatrophie, deren Ursache bis heute unbekannt ist. Risikofaktoren sind u. a. Alter, positive Fami− lienanamnese oder metabolisch−toxische Störun−
Fall 51 Seite 54
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gen (z. B. Alkoholabusus, fettreiche Ernährung). Das neuropathologische Bild kennzeichnen intra− zelluläre Alzheimer−Fibrillen (Neurofibrillenbün− del) v. a. in den Pyramidenzellen des Neokortex, die hyperphosphorylierte Neurofilamentproteine (Tau−Proteine) enthalten. Extrazellulär werden Plaques und Fibrillen aus dem aggregierten b− Amyloid–Protein gefunden. Es sind praktisch alle Neurotransmittersysteme betroffen, das choliner− ge System scheint jedoch in den Anfangsstadien am stärksten kompromittiert zu sein. Daraus leitet sich die Acetylcholinmangel−Hypothese als Basis für die derzeit wichtigsten Therapieansätze ab. Er− stes Symptom ist eine zunehmende Vergesslich− keit. Auch prägen depressive Verstimmungen die frühe Symptomatik, was die Diagnose erschwert. Das Endstadium ist gekennzeichnet durch Persön− lichkeitsverlust, Einschränkung der Motorik und Koordination sowie Inkontinenz; eine selbständi− ge Lebensführung ist nicht mehr möglich. Neben neurologisch−psychiatrischen Verfahren ist eine gezielte Anamneseerhebung einschließlich der Be− fragung von Angehörigen wesentlich. Der Morbus Alzheimer ist bis heute eine Ausschlussdiagnose, da er nur post mortem zu sichern ist.
Pharmakotherapie Die medikamentöse Therapie muss individuell und stadiengerecht unter Berücksichtigung des Alters des Patienten durchgeführt werden. Im frü− hem und mittlerem Stadium sind Antidementiva inklusive cholinerg wirksamer Substanzen sinn− voll. In späteren Stadien steht die Behandlung von unspezifischen Verhaltensänderungen, v. a. durch Psychopharmaka (s. Fälle 61 und 91), im Vordergrund. Eine Beurteilung des Therapieerfolgs sollte frühestens 6 Monate nach Therapiebeginn erfolgen. Die Beurteilung umfasst den klinischen Gesamteindruck, Aktivitäten des täglichen Lebens,
Dosierung und EHWZ der Acetylcholinesterase− hemmer
Wirkstoff
Orale Tagesdosis EHWZ (mg) (Stunden)
Tacrin
4 3 10; max. 40
2–4
Donepezil
1 3 5; auf max. 1 310 steigern
70
Galantamin 2 3 4; auf max. 2 3 12 steigern
6
Rivastigmin 2 3 1,5; auf max. 2 3 6 steigern
1
Weitere Antidementiva: Weitere Antidementiva, wie Nootropika, NMDA (N−Methyl−D−Aspartat)− Rezeptorantagonisten und pflanzliche Präpara− te, werden zur Verbesserung der kognitiven Leis− tung eingesetzt. Nootropika (z. B. Piracetam, Dihydrergotoxin, Ni− modipin) werden seit Jahren eingesetzt, die Wirk− samkeit gegenüber den anderen Antidementiva ist jedoch weniger gut belegt. Sie beeinflussen den Gehirnstoffwechsel positiv. Gingko biloba und der nichtkompetitive NMDA− Rezeptorantagonist Memantin, haben auch in neueren Studien Belege für ihre Wirksamkeit er− bracht. Die Trockenextrakte aus Blättern des Ging− ko−biloba−Baumes gehören zu den am häufigsten verwendeten Pharmaka zur Behandlung einer De−
203
51 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Eine früh− zeitige Aufklärung des Patienten und der Angehö− rigen über die Erkrankung (Symptome, Verlauf) und deren Behandlungsmöglichkeiten sind äu− ßerst wichtig. Neben psychosozialen Maßnahmen wie Pflegedienste und Selbsthilfegruppen gilt es die häusliche, rechtliche und finanzielle Situation zu klären. Ein mnestisches Training zur Verbesse− rung der kognitiven Funktion sowie Bewegungs− therapie, körperliche Aktivität, aktivierende Pfle− ge, Musik−, Tanz− und Kunsttherapie sind wichtige Bestandteile der allgemeinen Therapie.
Acetylcholinesterasehemmer: Acetylcholineste− rasehemmer gelten als Therapie der Wahl bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer−Demenz. Sie hemmen das Enzym Acetylcholinesterase und bewirken eine Konzentrationssteigerung des ver− fügbaren Acetylcholins im synaptischen Spalt. Die Wiederherstellung der cholinergen Neurotrans− mission soll eine Verbesserung der gestörten Hirn− leistung bewirken. Tacrin soll auf Grund seiner Lebertoxizität nicht mehr angewendet werden. Die anderen Cholinesterasehemmer (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin; s. Tab.) sind deutlich besser verträglich bei vergleichbarer Wirksamkeit. Unerwünschte Wirkungen aller Wirkstoffe sind Schwindel, Schlaflosigkeit, Muskelkrämpfe und gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Er− brechen und Durchfall. Sie verstärken die choliner− gen Wirkkomponente von Parasympathomimetika und schwächen die Wirkung der Anticholinergika. Die Donepezil−Konzentration wird durch CYP3A4−Substrate (Ketoconazol, Itraconazol, Erythromycin) erhöht, durch Enzyminduktoren wie Rifampicin, Phenytoin und Carbamazepin ver− mindert.
Fall
Therapieziele: An erster Stelle steht die Verbesse− rung der kognitiven Funktionen, um die Selbst− bestimmung und Selbständigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Außerdem wird eine Verlang− samung oder ein Stillstand der Symptomprogres− sion und der zugrundeliegenden Neurodegenera− tion angestrebt. Derzeit ist eine Beseitigung der Ursache oder eine Prophylaxe nicht möglich.
psychometrische Testverfahren, strukturierte In− terviews, und die Befragung der Angehörigen.
Fall 51 Seite 54
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menz. Memantin wirkt am NMDA−Rezeptor als nichtkompetitiver Antagonist und vermindert eine Überladung der Nervenzellen mit Kalzium. Es gilt nach evidenzbasierten Kriterien als Therapieprin− zip der Wahl bei mittelschweren bis schweren Sta− dien. Der Wirkstoff wird nach oraler Anwendung rasch und vollständig resorbiert, die Ausscheidung
erfolgt vorwiegend renal in unveränderter Form. Unerwünschte Wirkungen sind Schwindel, Kopf− schmerz, Übelkeit und Unruhe. Bei der Einnahme mit Memantin wird die Wirkung von Neuroleptika, Anticholinergika, dopaminergen Agonisten und Amantadin verstärkt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der vaskularen Demenz NMDA−Rezeptorantagonisten Radikalfanger
Fall 52 204
Fall
52
Ulcus duodeni
52.1 Welche Möglichkeiten zur Eradika− tionstherapie haben Sie? Derzeitige Empfehlung ist die modifizierte Tri− pel−Therapie über 7 Tage: K Protonenpumpenhemmer: z. B. Omeprazol 2 3 Standarddosis/d (s. auch Fall 45) K Clarithromycin 2 3 250 mg/d p.o. K Metronidazol 2 3 400 mg/d p.o. oder Amoxi− cillin 2 3 1000 mg/d p.o.
Antworten und Kommentar
52.2 Was versteht man unter einer Quadrupel− Therapie? Reserveschema über 10 Tage bei fehlendem An− sprechen auf die Tripel−Therapie; es ist mit einer erhöhten Rate an unerwünschten Arzneimittel− wirkungen zu rechnen: K Protonenpumpenhemmer 2 3 Standarddo− sis/d p.o. (Tag 1–10) K Bismutssalicylat 4 3 300 mg/d p.o. (Tag 4–10) K Tetrazyklin 4 3 500 mg/d p.o. (Tag 4–10) K Metronidazol 3 3 400 mg/d p.o. (Tag 4–10)
52.3 Nennen Sie Ursachen für ein Therapie− versagen! K Mangelnde Compliance K Vorbestehende Resistenz gegen die verwende− ten Antibiotika (Metronidazol . Clarithromy− cin oder Amoxicillin)
K Unzureichende Säuresuppression durch Pro− tonenpumpenhemmer: – Pharmakogenetisch: schnelle Metabolisie− rung (extensive metabolizer“) – Wechselwirkung: Induktoren der arznei− mittelabbauenden Cytochrom−P450−Enzy− me – Magenentleerungsstörungen
52.4 Worauf weisen Sie den Patienten in einem Beratungsgespräch hin? K Therapieziele: Linderung der Beschwerden, Abheilungsbeschleunigung, Senkung der Rezi− divrate, Vermeidung von Komplikationen (z. B. Blutung, Perforation) K Änderung der Lebensweise: Vermeiden von Stress, Nikotinkarenz, Einschränken von Kaf− fee− und Alkoholkonsum, regelmäßige Essens− aufnahme; Vorsicht bei der Einnahme von Glukokortikoiden und/oder NSAID K Einnahmehinweise: Medikamenteneinnahme über die gesamten 7 Tagen, Absetzen nur nach Rücksprache, Einnahme vor den Mahlzeiten K Unerwünschte Arzneimittelwirkungen: evt. Diarrhöen/Flatulenz, Allergien (z. B. Penicillin− allergie) K Therapiekontrolle: Wiedervorstellung zur Verlaufskontrolle mittels Ösophagogastroduo− denoskopie, 13C−Atemtest wegen möglicher Blutung nicht ausreichend
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Ein Ulkus ist eine Läsion der Schleimhaut bis in die Tela submucosa. Im Gegensatz dazu überschreitet die Erosion die Muscularis mucosae der Tunica mu− cosa nicht. Das Ulcus duodeni ist zu 95 % im Bul− bus duodeni lokalisiert, es ist 3− bis 4−mal häufiger als das Ulcus ventriculi. Pathogenetisch liegt ein Missverhältnis zwischen protektiven (Bikarbo−
nat, Durchblutung, Mukosabarriere, Magen− schleim) und aggressiven Faktoren (Säure, Pep− sin, Gallereflux, Rauchen, NSAID, Stress) vor. In über 90 % der Fälle besteht zusätzlich eine Helico− bacter−pylori−Infektion, die heute als Hauptbe− dingung für die Entstehung von Duodenalulzera angesehen wird. Typische Symptome sind Schmerzen im Epigastrium, v. a. nüchtern am frü−
Fall 52 Seite 55
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hen Morgen. Etwa 30 % aller Ulcera duodeni ver− laufen klinisch stumm und werden erst durch Komplikationen wie Blutung oder Perforation auffällig. Die Diagnosesicherung erfolgt heute durch Ösophagogastroduodenoskopie mit biop− tischem Nachweis von Helicobacter pylori im Urease−Schnelltest. Bei zwei Drittel aller beobach− teten Geschwüre handelt es sich um ein Rezidivul− kus (Ulkuskrankheit). Therapieziele: s. Antwort zur Frage 52.4. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 52.4. Empfohlen wird eine leichte Kost mit häufigen kleinen Mahlzeiten und Verzicht auf eine Spätmahlzeit. Individuelle Nahrungsmittel− unverträglichkeiten sollten berücksichtigt wer− den. Der Verzicht auf Nikotin kann die Heilung eines Ulcus duodeni nachhaltig unterstützen.
Histamin−H2−Rezeptorantagonisten: Seit der Einführung der Protonenpumpenhemmer ist die Bedeutung der Histamin−H2−Rezeptorantagonis− ten (z. B. Cimetidin, Ranitidin, Famotidin) deutlich zurückgegangen (s. Fall 45). Protektiv wirkende Arzneimittel: Orale Prosta− glandine, wie Misoprostol, spielen in erster Linie als Schleimhautschutz bei NSAID−Gabe eine Rolle. Auf Grund der unerwünschten Wirkungen (Diar− rhö, Uteruskrämpfe) sowie der Gefahr eines Abor− tes haben sich die Prostaglandine bei der Behand− lung der säurebedingten Krankheiten nicht durch− gesetzt. Sucralfat, ein Aluminiumsalz des Saccharosesul− fats, beschleunigt die Abheilung der Ulzerationen durch Bildung eines Gelfilms am Nekroseschorf des Ulkusgrundes. Sucralfat sollte vor den Mahl− zeiten (4 3 1 g/d) verabreicht werden. Bismut bewirkt wie Sucralfat einen Schleimhaut− schutz und bindet Gallensäuren. Es wirkt darüber hinaus bakterizid auf Helicobacter pylori und wird bei der Quadrupeltherapie eingesetzt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des Ulcus ventriculi Behandlung der Refluxosophagitis Helicobacter pylori und Magenkarzinom
Fall 53
205
53 Antworten und Kommentar
Protonenpumpenhemmer: s. auch Fall 45. Proto− nenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol, Pantopra− zol, Lansoprazol) hemmen 90 % der Säureproduk− tion im Magen und heben den pH auf über 3 an. Diese Wirkung beruht auf der irreversiblen Hem−
Antazida: Antazida werden 1–2 Stunden post− prandial eingenommen. Zumeist werden heute Gemische aus Aluminiumhydroxid bzw. Magne− siumhydroxid verwendet, mit obstipierenden bzw. laxierenden Nebenwirkungen.
Fall
Pharmakotherapie Therapieprinzip ist die Hemmung der aggressiven oder die Unterstützung der protektiven Faktoren. Neben der Hemmung der Säuresekretion durch Protonenpumpenhemmer kann die Säure durch Antazida für einige Stunden neutralisiert werden. Selektive Anticholinergika der Muskarinrezepto− ren (Pirenzepin) werden nur noch selten einge− setzt. Bei Helicobacter−pylori−Infektion ist die Eradikation der Bakterien die Standardtherapie (s. Antwort zur Frage 52.1), mit der die hohe Ul− kusrezidivrate von 70–80 % fast vollständig redu− ziert werden kann. Reinfektionen mit Helicobacter pylori sind selten (1 %).
mung der Protonenpumpen der Belegzellen. Nach enteraler Resorption erreichen die Protonenpum− penhemmer die Belegzellen über den Blutweg. Die Wirkungsdauer beträgt etwa 18 Stunden, entspre− chend der Halbwertszeit zur Neusynthese der Pro− tonenpumpen. Hauptindikationen sind therapie− resistentes Ulkus, Ulkus bei Gastrinomen und Re− fluxösophagitis.
Aszites und hepatische Enzephalopathie
53.1 Welche Maßnahmen zur Aszitesbehand− lung ergreifen Sie? K Bettruhe K Reduktion von Kochsalz (, 3 g/d) und Flüs− sigkeit (, 1 l/d) K Diuretika: z. B. Spironolacton 100 mg/d, Furo− semid 20 mg/d
53.2 Erläutern Sie die Therapie der hepatischen Enzephalopathie! K Akut: parenterale Ernährung mit hochpro− zentiger Glukose (ca. 7 g/kg KG/24 h) und ho− hem Anteil verzweigtkettiger Aminosäuren; Einläufe mit Lactulose senken die Blutammo− niakkonzentration K Langzeittherapie: reduzierte Proteinzufuhr, Lactulose (3 3 10–40 mg/d), schwer resorbier−
Fall 53 Seite 56
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bare Aminoglykosidantibiotika (z. B. Neomy− cin 2–4 g/d) hemmen ammoniakbildende Darmflora
53.3 Wie wirkt Laktulose bei der hepatischen Enzephalopathie? Lactulose wird durch Kolonbakterien zu Milch− und Essigsäure metabolisiert: K Osmotische Wirkung fördert Ammoniakaus− scheidung K Bakteriostatische Wirkung reduziert ammo− niakbildende Darmflora K Saures Kolonmilieu vermindert Diffusion von Ammoniakionen in das Blut
K Unerwünschte Wirkungen: Meteorismus, Übelkeit, Diarrhöen
53.4 Welche Maßnahmen bei therapierefrak− tärem Aszites kennen Sie? K Überprüfen von: Compliance, Begleitmedikati− on (z. B. NSAID), Kochsalzzufuhr (Messung im 24−h−Sammelurin) K Diuretikadosis anpassen: bis zur maximalen Einmaldosis erhöhen (Spironolacton 400 mg/ d; Furosemid 160 mg/d), ggf. stationäre i. v.− Gabe (v. a. bei Verdacht auf Nicht−Compliance) K Diuretikakombination (sequenzielle Neph− ronblockade): z. B. Schleifendiuretikum + Thia− ziddiuretikum (s. Fall 42)
KOMMENTAR
206
Fall
53 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Aszites ist eine Ansammlung freier Flüssigkeit in der Bauch− höhle. Am häufigsten ist der portale Aszites in Folge einer chronischen Lebererkrankung (meist Leberzirrhose). Bei eingeschränkter Leberfunktion werden Vasopressin und Aldosteron nicht mehr ausreichend abgebaut, so dass sie zu einer Volu− men− und Natriumretention führen. Das erhöhte Volumen wird bei vorliegender portaler Hyperten− sion in den Peritonelaraum verschoben. Die daraus resultierende intravasale Volumenabnahme be− wirkt eine verstärkte Synthese und Freisetzung von Aldosteron (sekundärer Hyperaldosteronis− mus) und Vasopressin, das den Circulus vitiosus weiter unterhält. Typische Zeichen eines Aszites sind ein vorgewölbtes Abdomen mit ausladenden Flanken im Liegen, ein verstrichener Nabel, ggf. eine Nabelhernie; die Patienten haben abgemager− te Extremitäten und ein geblähtes Abdomen. Kli− nisch erfolgt der Nachweis ab ca. 500 ml Aszites durch Palpation (Fluktuationswelle), Perkussion (Flankendämpfung, Dämpfungswechsel bei Lage− änderung) und am sensitivsten durch die Sonogra− fie (bereits ab 50–100 ml). Therapieziele: Ziel ist es, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern und Komplikationen (z. B. bakterielle Peritonitis) zu vermeiden; die Ge− samtprognose ist durch die Grundkrankheit ins− gesamt eher ungünstig. Wichtig sind die Kontrolle von Serumelektrolyten, Magnesium, Zink und Re− tentionsparametern (Kreatinin, Harnstoff) sowie die tägliche Kontrolle von Gewicht und Bauchum− fang. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 53.1. Bettruhe führt durch Verbesserung der subphrenischen lymphatischen Reabsorption zur gesteigerten Flüssigkeitsausschwemmung. Therapieoptionen bei therapierefraktärem Aszites sind die intermittierende Parazentese (therapeu− tische Punktion) oder die Anlage eines transjugu− lären intrahepatischer portosystemischen Stent−Shunts (TIPSS). Als Ultima ratio gilt die Le− bertransplantation.
Pharmakotherapie Das therapeutische Prinzip beim portalen Aszites ist die Mobilisierung der intraabdominellen Flüs− sigkeit durch eine negative Natriumbilanz. Die Therapie des Aszites ist vorsichtig durchzuführen (max. Gewichtsabnahme 500 g/d), da bei aggressi− ver diuretischer Behandlung die Komplikationsra− te (z. B. Verschlechterung der Nierenfunktion, he− patische Enzephalopathie) deutlich ansteigt. Spironolacton: Spironolacton ist Mittel der Wahl bei der Aszitesbehandlung, es weist die höchste Ansprechrate auf. Spironolacton ist ein kompetiti− ver Antagonist am zytosolischen Aldosteronre− zeptor im spätdistalen Tubulus und im Sammel− rohr. Dadurch wird die Translokation des Hormon− rezeptorkomplexes in den Zellkern verhindert und die Expression und Aktivierung des apikalen epi− thelialen Natriumkanals und der basolateralen Na+−K+−ATPase inhibiert. Die Folge ist eine ver− minderte Natrium− und Wasserreabsorption. Spi− ronolacton wird hauptsächlich zur Behandlung von Ödemen und Aszites bei Erkrankungen einge− setzt, die mit einem sekundären Hyperaldostero− nismus einhergehen. Als Zusatztherapeutikum wird Spironolacton auch bei der chronischen Herzinsuffizienz eingesetzt (s. Fall 42). Die Phar− makokinetik und −dynamik von Spironolacton ist bei Leberzirrhose kaum verändert. Nach oraler Ga− be wird Spironolacton rasch und gut resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 1–2 Stun− den erreicht. Die pharmakologische Wirkung setzt nach 2–5 Stunden ein. Das Wirkmaximum tritt nach 1–2 Tagen ein, die Wirkdauer hält 2–3 Tage an. Die EHWZ von Spironolacton beträgt 2–3 Stun− den, während der Metabolit Canrenon eine we− sentlich längere EHWZ (40–43 Stunden) hat. Un− erwünschte Wirkungen sind: Gynäkomastie, Po− tenzstörungen, verminderte Libido, Hirsutismus, tiefere Stimme, Menstruationsbeschwerden, gas− trointestinale Störungen, Hyperkaliämie, Hypona− trämie und hyperchlorämische Azidose. Spirono− lacton ist bei akutem Nierenversagen und bei fort− geschrittener Niereninsuffizienz mit Anurie
Fall 53 Seite 56
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kontraindiziert. Die Hyperkaliämie kann bei gleichzeitiger Gabe von ACE−Hemmern, kalium− sparenden Diuretika oder NSAID lebensbedroh−
lich werden. Spironolacton kann die Clearance von Digitalisglykosiden beeinflussen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Kaliumsparende Diuretika Parenterale Ernahrung Aquaretika
Fall 54
54.4 Welche Arzneimittel können un− erwünschte Wirkungen am Auge verursachen? K Medikamente mit Herz−Kreislaufwirkung: Amiodaron, Diuretika, Parasympatholytika K Antirheumatika: Glukokortikoide, Chloroquin, D−Penicillamin K Antituberkulotika: Ethambutol, Isoniazid K Psychopharmaka: trizyklische Antidepressiva K Vitamine: Vitamin A, Vitamin D
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Das Glau− kom ist durch einen pathologisch erhöhten Augen− innendruck gekennzeichnet. Unterschieden wird das primäre Glaukom (Prävalenz bei . 40−Jähri− gen: 2 %) von einem sekundären Glaukom in Fol− ge einer anderen Augenerkrankung, Verletzung oder unerwünschten Medikamentenwirkung (s. Antwort zur Frage 54.4). Pathophysiologisch liegt meist ein erhöhter Abflusswiderstand zugrunde, so dass das Kammerwasser nicht in den venösen Kreislauf gelangen kann. Seltener ist eine ver− mehrte Kammerwasserproduktion Ursache. Die häufigste Form ist das Offenwinkelglaukom mit Abflussbehinderung im Trabekelwerk, beim selte− neren Engwinkelglaukom ist der Eingang zum Schlemm−Kanal durch Irisgewebe verlegt (Winkel− block, z. B. durch Pupillenweitstellung). Risikofak−
toren sind neben Kammerwinkelverlegungen eine flache Vorderkammer oder Hypermetropie. Die Symptome sind zu Beginn unspezifisch, können jedoch im fortgeschrittenen Stadium mit einer Sehverschlechterung einhergehen. Klinisch ist der akute Glaukomanfall durch starke Kopf− schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und das Wahrneh− men von Newton−Ringen (regenbogenfarbige Lichtringe um Lichtquellen) charakterisiert. Ein er− höhter intraokularer Druck von 25–40 mmHg weist auf ein mögliches Glaukom hin.
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54 Antworten und Kommentar
54.2 Nennen Sie medikamentöse Möglichkei− ten zur Dauerbehandlung des Glaukoms! K Senkung der Kammerwassersekretion: b−Re− zeptorantagonisten, Sympathomimetika, a2− Rezeptoragonisten, Karboanhydrasehemmer K Verbesserung des trabekulären und uveo− skleralen Abflusses: Parasympathomimetika, Prostaglandinanaloga K Osmotische Entwässerung: z. B. Mannit
54.3 Was müssen Sie bei einer Pharmakothe− rapie am Auge generell beachten? Lokale Applikation der Arzneistoffe (wässrige, ölige Lösungen; Gel oder Salbe zur nächtlichen Anwendung); systemische Anwendung selten nötig K Augentropfen tränenisoton mit physiologi− schem pH−Wert K Begrenztes Eindringvermögen hydrophiler Arzneistoffe K Intraokulare Wirkung amphiphiler Arznei− stoffe K Gefahr systemischer Nebenwirkungen durch systemische Resorption über perfundierte Bindehaut und Mukosa
Fall
54.1 Welche Akuttherapie schlagen Sie vor? K Schmerzlinderung und Sedierung: Pethidin (50–100 mg i. v.) und Promethazin (25 mg i. v., nach 2 h wiederholen) K Minderung der Kammerwasserproduktion: Acetazolamid 1 3 500 mg i. v. K Pupillenverengung: Pilocarpin 2 % lokal , beid− seits 1–2 Tr. im Abstand von 10 min 2−mal wiederholen K ggf. Osmotherapie des Auges: z. B. Mannitol 20 % 500 ml i. v. über 30–60 min
Glaukom
Therapieziele: Im akuten Anfall ist das Ziel eine schnelle Senkung des Augeninnendrucks, um eine bleibende Schädigung des Sehnervs zu vermeiden. Beim chronischen Glaukom ist eine langfristige Normalisierung des intraokularen Drucks erfor− derlich. Eine Aufklärung des Patienten über mög−
Fall 54 Seite 57
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liche Komplikationen (z. B. Sehverschlechterung bis zum vollständigen Sehverlust) ist erforderlich. Es sollte auf eine zuverlässige Tropfenapplikation und auf regelmäßige Kontrollen des intraokularen Drucks geachtet werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Der Patient sollte auf Alkohol und Nikotin verzichten. Bei feh− lender Wirkung der medikamentösen Therapie kann der Kammerabfluss mittels Laserbehand− lung oder mikrochirurgisch verbessert werden. Pharmakotherapie Der Glaukomanfall ist ein Notfall, der einer sofor− tigen Behandlung bedarf (s. Antwort zur Frage 54.1). Die Langzeitbehandlung eines Glaukoms be− inhaltet zwei Vorgehensweisen: zum einen die Hemmung der Kammerwassersekretion zum an− deren die Förderung des Kammerwasserabflusses.
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Fall
55 Antworten und Kommentar
Hemmung der Kammerwassersekretion: Mittel der Wahl zur Verringerung der Kammerwasserpro− duktion bei offenem Kammerwinkel sind b−Rezep− torantagonisten (z. B. Timolol, Betaxolol). b−Re− zeptorantagonisten beeinflussen die Pupillenreak− tion und den Ziliarmuskel nicht. Bei lokaler Anwendung besteht die Gefahr unerwünschter systemischer Wirkungen wie Bronchokonstriktion, Erregungsüberleitungsstörungen und Bradykardie. Sympathomimetika (z. B. Dipivefrin) hemmen die Kammerwassersekretion, sind aber bei engem Kammerwinkel kontraindiziert. a2−Rezeptoragonisten Clonidin, Apraclonidin und Brimonidin werden allein oder in Kombination mit einem b−Rezeptorantagonisten eingesetzt. Brimo− nidin verstärkt zusätzlich den uveoskleralen Ab− fluss. Kontraindiziert sind a2−Rezeptoragonisten bei schweren Herz−Kreislauferkrankungen und gleichzeitiger Therapie mit Sympathomimetika.
Eine deutliche Verringerung der Kammerwasser− produktion kann durch systemisch (Acetazolamid) oder lokal (z. B. Dorzolamid) verabreichte Kar− boanhydrasehemmer erreicht werden, da die Kar− boanhydrase ein essenzielles Enzym für die Bil− dung des Kammerwassers ist. Unerwünschte Wir− kungen, v. a. bei oraler Gabe, sind eine verstärkte Diurese mit Kaliumausscheidung und Parästhesien in Fingern und Zehen. Förderung des Kammerwasserabflusses: Die wichtigsten Substanzen zur Förderung des Kam− merwasserabflusses sind die direkten Parasym− pathomimetika (z. B. Pilocarpin, Carbachol). Sie bewirken bei lokaler Applikation eine Kontraktion des M. sphincter pupillae und des Ziliarmuskels. Dies erweitert den Kammerwinkel, spreizt das Tra− bekelwerk und setzt den Abflusswiderstand des Kammerwassers herab. Unerwünschte Wirkungen sind vorübergehende Myopie durch Nahakkom− modation der Linse und schmerzhafte Akkommo− dationskrämpfe mit Kopfschmerzen. Die chronische Anwendung von indirekt wirken− den Parasympathomimetika (z. B. Physostigmin) ist mit der Gefahr einer Linsentrübung verbunden und kommt daher nur bei Patienten ohne Linse (Aphakie) in Frage. Prostaglandinanaloga (z. B. Latanoprost, Travo− prost) fördern den uveoskleralen Kammerabfluss. Diese Wirkstoffe sollten nur bei Patienten mit Un− verträglichkeit der anderen Substanzen eingesetzt werden. Unerwünschte Wirkungen sind vermehr− te Melaninbildung (bräunliche Pigmentierung der Iris), Fremdkörpergefühl im Auge und Wimpern− veränderungen. Während der Behandlung mit Prostaglandinanaloga sollten keine Kontaktlinsen getragen werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Einsatz von Mydriatika Behandlung der Konjunktivitis beim Neugeborenen Therapie der Keratitis photoelectrica
Fall 55
Euthyreote Struma
55.1 Welche Behandlung schlagen Sie der Pa− tientin vor? Jodid 200 mg/d ist Mittel der Wahl bei euthyreo− ter Struma, v. a. bei Patienten , 40 Jahren 55.2 Welche Alternativen gibt es? Wie wenden Sie diese an? L−Thyroxin bei erfolgloser Jodidtherapie, knoti− gen Veränderungen oder Patienten . 40 Jahren:
K Einschleichende Dosierung über 2–4 Wochen K Optimale Dosierung: bei normalen Hormon− spiegeln sollte TSH bei 0,3–1,0 mU/l liegen K Behandlungsdauer: 1–2 Jahre K Rezidivprophylaxe im Anschluss: Jodid 100 mg/d
Fall 55 Seite 58
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55.3 Wann sind Schilddrusenhormone nicht indiziert? K Euthyreote Stoffwechsellage mit: – chronischer Müdigkeit und Erschöpfungs− symptomen – Übergewicht – Hypercholesterinämie – Alopezie K Schwere Allgemeinerkrankung (z. B. chroni− sche Herzinsuffizienz) K Prämenstruelles Syndrom K TSH−Suppression bei älteren euthyreoten Pati− enten mit einfacher oder knotiger Struma
55.4 Welche Therapieoptionen haben Sie bei der subakuten Thyreoiditis (de Quervain)? Nur symptomatisch, da keine kausale Therapie möglich: K NSAID: z. B. Diclofenac 2–3 3 50–100 mg/d p.o. K Glukokortikoide: z. B. Prednisolon 50 mg/d p.o. Thyreostatika sind nicht indiziert, da keine ver− mehrte Bildung von Schilddrüsenhormonen vor− liegt; ggf. bei Hypothyreose Schilddrüsenhor− mone
KOMMENTAR
Schilddrüsenhormone: Die Schilddrüse produ− ziert L−Thyroxin (T4) und in deutlich geringerer Menge Trijodthyronin (T3). Die eigentliche Wirk− form ist das T3, das an intrazelluläre Rezeptoren bindet. Die Hormonrezeptorkomplexe gelangen in den Zellkern der Körperzellen und ändern die Transkription von Genen und damit die Protein− synthese. Schilddrüsenhormone sind indiziert zur Substitution bei allen Arten einer Hypothyreose (s. Fall 88), zur Behandlung der euthyreoten Stru− ma (s. Antwort zur Frage 55.2), bei angeborener Athyreose und in Kombination mit Thyrostatika bei Hyperthyreosen zur Vermeidung einer iatro− genen Hypothyreose. Bei der Gabe von T3 treten nach Einnahme vorübergehend unphysiologisch hohe Plasmakonzentrationen auf (s. Tab.), aus die− sem Grund ist T4 Mittel der Wahl. Unerwünschte Wirkungen werden bei korrekter Dosierung kaum
209
55 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel ist es, in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium den Jodmangel auszugleichen bzw. die Entwicklung von knotigen Veränderun− gen zu verhindern. Nach Hormonsubstitutionsthe− rapie (s. Antwort zur Frage 55.2) sollte einmal im Jahr eine sonografische Kontrolle des Schilddrü− senvolumens erfolgen, um Rezidive frühzeitig zu erkennen.
struma und in der Rezidivprophylaxe verwendet. Sehr hohe Dosen Jodid werden zur Beseitigung thyreotoxischer Symptome vor einer Thyreoidek− tomie (s. Fall 43) eingesetzt. Jodide können Haut und Schleimhautreizungen (z. B. Exantheme, Schnupfen, Konjunktivitis, Bronchitis) verursa− chen. Bei Strumen mit autonomem Schilddrüsen− gewebe kann eine jodinduzierte Hyperthyreose ausgelöst werden.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Die euthy− reote Struma (Syn. endemische Struma, blande Struma, Jodmangelstruma) ist eine benigne Schilddrüsenvergrößerung mit normaler Funkti− onslage. Die Entwicklung (Prävalenz in Mitteleu− ropa: 30 %) steht in Zusammenhang mit einem ali− mentär bedingten chronischen Jodmangel bei ei− ner täglichen Jodidzufuhr von unter 200 mg. Der intrathyreoidale Jodmangel induziert über Wachs− tumsfaktoren eine Hyperplasie der Thyreozyten, der durch TSH weiter gefördert wird. Es entsteht eine Struma, die sich im Laufe von Jahrzehnten knotig verändern kann. Komplikationen sind soli− täre autonome Adenome (s. Fall 43), die keiner Rückkopplungskontrolle mehr durch TSH unterlie− gen. Klinisch ist die euthyreote Struma oft über viele Jahre stumm. Bei zunehmendem Wachstum entstehen zunächst Schluckbeschwerden, Druck− und Engegefühl. Bei einer mechanischen Beein− trächtigung von Trachea und Ösophagus treten Atemnot und Stridor auf. Diagnostisch wegwei− send sind genaue Anamnese, körperliche Untersu− chung, Laboruntersuchungen (TSH, fT3, fT4) und Schilddrüsensonografie.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Allgemein sollte eine ausreichende tägliche Jodaufnahme durch Verwendung von Jodsalz (z. B. in Fertignah− rungsmitteln, Backwaren) erfolgen. Große Stru− men, Rezidive oder maligne Knoten müssen ggf. durch Strumaresektion oder Radiojodtherapie be− handelt werden. Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 55.1. und 55.2. Jodidpräparate: Jodid wird prophylaktisch, zur Volumenreduktion bei bestehender Jodmangel−
Fall 55 Seite 58
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Pharmakokinetik von L−Thyroxin und Trijodthyronin
L−Thyroxin (T4)
Trijodthyronin (T3)
Dosisäquivalenz bei täglicher Anwendung
4
1
Klinischer Wirkungseintritt nach (Tage)
3–5
0,5–1
Wirkungsmaximum (Tage)
9
2
EHWZ (Tage)
7
1–2
Biologische Halbwertszeit (Tage)
11–15
8
ris, Myokardinfarkt und tachykarden Herzrhyth− musstörungen. Eine verminderte Resorption der Schilddrüsenhormone besteht bei simultaner Ap− plikation von Anionenaustauschern. Schilddrüsen− hormone steigern die Wirkung von Kumarinen.
beobachtet. Überdosierungen führen zu Sympto− men einer Hyperthyreose wie Gewichtsverlust, Ta− chykardie, Muskelschwäche, Nervosität, Überakti− vität, Tremor, Kopfschmerzen, Durchfälle und Schwitzen. Kontraindiziert ist T4 bei Angina pecto−
210
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall
Strumigene Wirkung von Medikamenten Behandlung kalter Knoten Struma diffusa und Schwangerschaft
56
Fall 56
Antworten und Kommentar
56.1 Welche Allgemeinmaßnahmen sind durchzuführen? K Überwachung von Puls, Blutdruck, Tempera− tur K Sauerstoffgabe unter Blutgaskontrolle, ggf. In− tubation und Beatmung K Thromboseprophylaxe: z. B. unfraktioniertes Heparin 2 3 7500 IE/d s.c. oder niedermole− kulares Heparin 1 3 2500–5000 IE/d s.c. K Flüssigkeitsbilanzierung, ausreichende Substi− tution von Flüssigkeit, Elektrolyten und Kalori− en parenteral, ggf. über Magensonde K Antipyretika (. 37,5 8C): z. B. Paracetamol 500–1000 mg/d p.o. oder Supp., ggf. Kühl− decke 56.2 Was unternehmen Sie bei Vorliegen eines Hirnödems? K Oberkörperhochlagerung (308) K Osmodiuretika: z. B. Mannitol 1–4 3 100 ml/d mit 1,5 ml/kg KG/h K Vorübergehende Intubation mit Hyperventila− tion
Hirninfarkt 56.3 Erläutern Sie die Prophylaxe eines Rezi− divhirninfarkts! K Thrombozytenaggregationshemmer: – Acetylsalicylsäure 1 3 50–300 mg/d p.o. – Dipyridamol 2 3 200 mg/d p.o. + Acetylsali− cylsäure 2 3 25 mg/d p.o. – Bei Hirninfarkt unter Acetylsalicylsäure oder bei Acetylsalicylsäureunverträglich− keit: Clopidogrel 1 3 75 mg/d p.o. K Orale Antikoagulation: z. B. Phenprocoumon K Gefäßchirurgische Eingriffe: z. B. Karotisend− arteriektomie 56.4 Nennen Sie rehabilitative und pflegerische Maßnahmen! K Dekubitus− und Kontrakturprophylaxe K Physiotherapie und aktivierende Pflege be− reits im Akutstadium, Ergotherapie, Logopädie K Bei Hemiparese: keine venösen Zugänge auf gelähmter Seite; Kontaktaufnahme, Nachttisch und sonstige äußere Reize von der gelähmten Seite aus K Frühzeitige Anmeldung in Rehabilitationskli− nik, weitere häusliche Versorgung klären, Kontaktaufnahme zu den Angehörigen, ggf. Sozialdienst einschalten
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Der Schlag− anfall ist die dritthäufigste Todesursache in den
Industrienationen und die häufigste Ursache für erworbene Behinderung im Erwachsenenalter. Un−
Fall 56 Seite 59
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Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwor− ten zu Fragen 56.1 und 56.4. Pharmakotherapie Der Hirninfarkt ist ein medizinischer Notfall und bedarf der umgehenden stationären Behandlung
Reperfusionstherapie: Durch die Reperfusions− therapie soll eine möglichst schnelle Wiedereröff− nung des verschlossenen Hirngefäßes erreicht werden, um die anfangs noch reversibel geschä− digte Penumbraregion vor dem Untergang zu be− wahren. Hierzu ist eine systemische Thrombolyse mit Alteplase (rt−PA) innerhalb der ersten 3 Stun− den indiziert (s. Fall 97). Absolute Kontraindikation für eine Thrombolyse ist eine intrazerebrale Blu− tung; zusätzliche Kontraindikationen (z. B. ga− strointestinale Blutung) müssen beachtet werden. Die intraarterielle lokale Thrombolyse von Ver− schlüssen der A. cerebri media ist innerhalb der ersten 6 Stunden nach dem Infarktereignis wirk− sam.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der intrazerebralen Blutung Nootropika Hamodilutionsbehandlung
Fall 57
211
57 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel der Akuttherapie ist, den kli− nischen Zustand zu stabilisieren, neurologische Defizite zu bessern sowie Komplikationen und weitere vaskuläre Ereignisse zu vermeiden. Früh− zeitige rehabilitative Maßnahmen können den Grad der bleibenden Behinderung minimieren.
möglichst auf spezialisierten Stationen (stroke units), ggf. auch intensivmedizinisch (s. Antwort zur Frage 56.1). Bei Vorliegen einer arteriellen Hy− pertonie wird eine aggressive blutdrucksenkende Therapie nicht empfohlen, da auf Grund gestörter Autoregulation des Gehirns die Durchblutung im ischämisch geschädigten Hirnareal direkt vom sy− stemischen Blutdruck abhängt, d. h. niedrige Blut− druckwerte verschlechtern die Prognose. Eine langsame Drucksenkung ist nur bei Werten . 220 mmHg systolisch und . 120 mmHg diastolisch indiziert. Die Blutzuckerwerte sollten nicht unter 100 mg/dl absinken und 150–200 mg/dl nicht überschreiten. In der frühen Sekundärprophyla− xe wird die Gabe von Acetylsalicylsäure bzw. ver− gleichbaren Thrombozytenaggregationshemmern empfohlen (s. Antwort zur Frage 56.3). In Einzel− fällen, bei z. B. kausal nicht therapierbaren kardia− len Emboliequellen mit erhöhtem Rezidivrisiko, kann eine orale Antikoagulation indiziert sein (s. Fall 30).
Fall
ter dem Begriff Schlaganfall werden subsumiert: Hirninfarkt (85 %), intrazerebrale Blutung (10 %) und Subarachnoidalblutung (5 %). Ca. 60 % der Hirninfarkte werden durch Emboli oder Thromben, ca. 30 % durch Stenosen hirnversorgender Arterien verursacht. Pathophysiologisch entstehen durch den Gefäßverschluss ein irreversibel geschädigter Infarktkern und eine umgebende, potenziell re− versibel geschädigte Infarktzone (Penumbra). In der Penumbra werden die Neurone durch Gefäß− kollateralen noch gering mit Sauerstoff versorgt, so dass sie nach spontaner oder therapeutischer Re− perfusion eine potenzielle Chance haben zu über− leben. Risikofaktoren für einen Hirninfarkt sind u. a. arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Arte− riosklerose, Herzvitien, Rauchen, mangelnde kör− perliche Aktivität, Übergewicht und übermäßiger Alkoholkonsum. Klinische Symptome eines Hirn− infarktes sind plötzliche Bewusstseinsstörungen, sensomotorische Ausfälle, Krampfanfälle und Aph− asien. Die sensitivste bildgebende Methode zum Nachweis eines Hirninfarktes ist die Kernspinto− mografie, der Ausschluss einer intrazerebralen Blutung sollte computertomografisch erfolgen, da dies von erheblicher therapeutischer Konsequenz ist.
Nikotinabhängigkeit
57.1 Welche antibiotische Therapie schlagen Sie vor? Kalkulierte antibiotische Therapie mit: K Aminobenzylpenicillin + Betalaktamase−In− hibitor: z. B. Ampicillin + Sulbactam, Amoxi− cillin + Clavulansäure K Alternativ: – Orale Cephalosporinderivate, z. B. Cefuro− xim, Loracarbef
– Fluorochinolone, z. B. Levofloxacin, Moxi− floxacin; bei Pseudomonas aeruginosa auch Ciprofloxacin Zusätzlich antiobstruktive und sekretolytische Therapie, z. B. Ambroxol, N−Acetylcystein
57.2 Nennen Sie Wirkstoffe, die sich zur Rau− cherentwöhnung eignen! K Mittel der 1. Wahl: Nikotin, Bupropion K Mittel der 2. Wahl: Nortriptylin, Clonidin
Fall 57 Seite 60
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57.3 Welche Punkte gehoren zu einer erfolg− reichen Raucherentwohnung? K Aufklären über Notwendigkeit des Nikotin− verzichtes (z. B. Vermeidung von Erkrankun− gen, die mit Rauchen assoziiert sind, wie COPD, koronare Herzkrankheit, Ulcus ventri− culi) und Bewältigung von Entwöhnungs− problemen (z. B. Teilnahme an Selbsthilfe− gruppen, Verhaltenstherapie) K Systematische Analyse der Rauchgewohnhei− ten, z. B. Rauchtagebuch über Situationen, in denen geraucht wird
K Festlegen eines Entwöhnungsdatums mit Kontrolluntersuchungen im Verlauf K Ermutigen zum erneuten Entwöhnungsver− such auch bei Rückfall K Einsatz von Nikotinpräparaten und Bupro− pion zur Behandlung von Entzugssymptomen
57.4 Welche nikotinhaltigen galenischen Zu− bereitungen kennen Sie? Kaugummi, Pflaster, Nasenspray, Inhalator, Sub− lingualtablette
KOMMENTAR
212
Fall
57 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Aktives und passives Tabakrauchen sind wichtige Risikofakto− ren für die Manifestation und Mortalität von Krebs− und Herz−Kreislauferkrankungen. In Deutschland sterben täglich 300 Personen an den Folgen des Zigarettenrauchs. Nikotin stimu− liert die Freisetzung von Noradrenalin, Acetylcho− lin, 5−Hydroxytryptamin, g−Aminobuttersäure und Endorphinen im Gehirn. Nikotin führt auch zur Freisetzung von Dopamin im Belohnungssystem, das Euphorie und Wohlbehagen auslöst und somit zu einer positiven Verstärkung des Suchtverhal− tens führt. Neurobiologisch wird Sucht heutzutage als Lernprozess angesehen, bei dem das Suchtver− halten in einem Suchtgedächtnis gespeichert wird und unter bestimmten auslösenden Situationen jederzeit abgerufen werden kann. Dies erschwert die Entwöhnung erheblich. Ca. 17 % der Raucher sind stark abhängig im Sinne von: zwanghafter Wunsch zum Tabakkonsum, Kontrollverlust über Beginn, Beendigung und Menge des Tabakkon− sums, Toleranzentwicklung gegenüber vegetativen Nikotinwirkungen, Entzugserscheinungen, Ver− nachlässigung anderer Interessen, Rauchen trotz Wissens über die möglichen Gesundheitsschäden. Therapieziele: Eine Raucherentwöhnung ist im− mer sinnvoll, v. a. auch zum Schutz des Nichtrau− chers. Ziel ist es, das Auftreten der assoziierten Krankheiten und die damit verbundene Sterblich− keit zu verhüten und bereits aufgetretene Krank− heiten zu bessern. Die Entwöhnung sollte voll− ständig sein, wobei der plötzliche Rauchstopp die besten Ergebnisse erbringt. Der Arzt sollte den Patienten in seinem Vorhaben immer wieder bestärken. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 57.3. Den verhaltenstherapeutischen Verfahren zur Raucherentwöhnung liegt die An− nahme zugrunde, dass die mit Rauchen assoziier− ten Verhaltensweisen erlernt, durch Konditionie− rungsprozesse verstärkt und erhalten werden. Die− se müssen im Rahmen verhaltenstherapeutischer
Intervention verlernt bzw. überlernt, d. h. mit neuen, positiven Inhalten gefüllt werden. Grup− pentherapien, geleitet von einer medizinischen Fachkraft, sind hier sehr sinnvoll und erwiesener− maßen wirksam. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 57.2. Die Pharmakotherapie ist eine unterstützende Maßnahme zur Raucherent− wöhnung, die Effektivität der Entwöhnung wird durch Nikotinpräparate etwa verdoppelt. Bei star− ker und sehr starker Abhängigkeit ist eine Kombi− nationsbehandlung mit verschiedenen Nikotin− darreichungsformen zu erwägen (s. Antwort zur Frage 57.4). Unerwünschte Wirkungen von Niko− tinpräparaten sind eher selten. Lokale Reaktionen (Reizungen der Haut oder Schleimhäute) können durch kutan, bukkal oder nasal verabreichtes Ni− kotin hervorgerufen werden, meist durch direkte Wirkung des Alkaloids. Sehr selten wird im Rah− men einer Entwöhnungsbehandlung mit Nikotin− präparaten (zumeist Kaugummi oder Nasenspray) dieses als Ersatzdroge weiter missbraucht. Kontra− indikationen für Nikotinpräparate sind: frischer Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzrhythmusstö− rungen, instabile Angina pectoris, chronisch−gene− ralisierte Hauterkrankungen (z. B. Psoriasis, chro− nische Dermatitiden, Urtikaria). Bupropion, ursprünglich als Antidepressivum entwickelt, wird auch zur Raucherentwöhnung eingesetzt. Der Wirkmechanismus ist ungeklärt, vermutlich führt es zu einer verminderten syn− aptischen Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin, was die belohnende Wirkung redu− ziert. Unerwünschte Wirkungen von Bupropion sind v. a. Mundtrockenheit, Schlaflosigkeit und Schwindel, allergische Reaktionen sowie selten Krampfanfälle. Bupropion ist bei Patienten mit Epilepsie, Bulimia nervosa, Anorexia nervosa, manisch−depressiven Erkrankungen und schwe− ren Leberfunktionsstörungen kontraindiziert. Der Wirkstoff darf nicht gleichzeitig mit Monoamino− xidasehemmern eingesetzt werden.
Fall 57 Seite 60
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Alkoholabhangigkeit Akute Nikotinvergiftung Therapie der COPD
Fall 58
Koronare Herzkrankheit/Stabile Angina pectoris
58.1 Nennen Sie die therapeutischen Probleme des vorliegenden Falls! Viele Begleiterkrankungen: Nikotinabusus, Adi− positas, primäre Hyperurikämie, chronische Bronchitis (Verdacht auf chronisch obstruktive Lungenerkrankung = COPD), Verdacht auf peri− phere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) 58.2 Wie behandeln Sie einen akuten Angina− pectoris−Anfall? Symptomatische Behandlung mit Nitraten: K Glyceroltrinitrat 0,4–1,2 mg sublingual als Spray oder Kapsel (Wirkung nach 1 Minute) K Isosorbiddinitrat 5–10 mg sublingual (Wir− kung nach 5 Minuten)
58.4 Welche Maßnahmen sind zur Prävention einer koronaren Herzkrankheit (KHK) geeignet? K Nikotinkarenz K Fettarme und ballaststoffreiche Ernährung (mediterrane Kost) K Reduktion des Alkoholkonsums (Männer , 30 g/d, Frauen , 20 g/d) K Körperliche Aktivität: regelmäßig aerobes Aus− dauertraining, mind. 1 Stunde/Woche K Gewichtsnormalisierung K Vermeidung/Abbau von Stress K Therapie von arterieller Hypertonie, Hyperli− pidämie, Diabetes mellitus
Grundlagen und Pathophysiologie: Bei der koro− naren Herzkrankheit (KHK) handelt es sich um die Manifestation der Arteriosklerose in den Herz− kranzgefäßen. Es kommt zu einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffver− brauch (Koronarinsuffizienz) im Herzmuskel. Die KHK ist die häufigste Todesursache in Industrielän− dern (Lebenszeitprävalenz: Männer 30 %, Frauen 15 %). Risikofaktoren für eine KHK sind arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Übergewicht, Fett− stoffwechselstörungen, Nikotinabusus, östrogen− haltige Ovulationshemmer, familiäre Disposition und psychosoziale Faktoren (z. B. körperliche Inak− tivität, Stress). Symptomatische Formen der KHK sind stabile Angina pectoris, durch Vasospasmen hervorgerufene Prinzmetal−Angina und akutes Koronarsyndrom (s. Fall 84). Pathophysiologisch liegt dem belastungsabhängigen Angina−pectoris− Anfall eine eingeschränkte Koronarreserve zu Grunde (. 75 % des Gefäßlumens stenosiert) mit resultierender Myokardischämie. Leitsymptome sind retrosternaler Schmerz oder Druckgefühl, oft mit Ausstrahlung in den linken Arm. Die stabile Angina pectoris ist durch belastungsabhängige Schmerzen, die unter Nitratgabe und in Ruhe ver− schwinden, gekennzeichnet. Neben der Anamnese sind Belastungs−EKG, Linksherzkatheteruntersu− chung und ggf. Thallium−Myokardszintigrafie wichtige diagnostische Mittel.
Therapieziele: Wichtigste Therapieziele sind die Prävention von Komplikationen (akuter Myo− kardinfarkt, Herzrhythmusstörungen, plötzli− cher Herztod). Durch Verminderung der Angina− pectoris−Häufigkeit und −Beschwerden können Le− bensqualität und Belastungsfähigkeit verbessert werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Grundlage jeder KHK−Therapie ist die Änderung der Lebens− weise (s. Antwort zur Frage 58.4), kontinuierliche Aufklärung, Beratung und Schulung des Patienten durch alle behandelnden Ärzte. Als alternative in− terventionelle Therapie ist immer eine koronare Revaskularisation durch perkutane Koronaran− gioplastie oder koronare Bypass−Operation in Betracht zu ziehen.
58 Antworten und Kommentar
KOMMENTAR
213
Fall
58.3 Welche medikamentöse Prophylaxe von Angina−pectoris−Anfällen kennen Sie? K Thrombozytenaggregationshemmer, z. B. Acetylsalicylsäure 100 mg/d
K b−Rezeptorantagonisten, z. B. Atenolol 50–100 mg/d K Kalziumkanalblocker, z. B. Amlodipin 5–10 mg/d K Langwirkende Nitrate, z. B. Isosorbiddinitrat 40–80 mg/d
Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 58.2 und 58.3. Basis der medikamentösen Therapie der stabilen Angina pectoris ist die antiischämische Behandlung. b−Re− zeptorantagonisten (s. Fälle 6 und 36) sind Mittel der 1. Wahl (Verbesserung der Symptome, Belas− tungstoleranz und Prognose, präventive Wirksam− keit). Bevorzugt werden b1−Rezeptorantagoni− sten ohne intrinsische Aktivität (z. B. Atenolol, Me− toprolol). Kalziumkanalblocker (z. B. Amlodipin) (s. Fall 34) können zur chronischen Anfallsprophy− laxe ebenfalls eingesetzt werden, senken aber we−
Fall 58 Seite 61
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Dosierung und Pharmakokinetik von organischen Nitraten
Wirkstoff
214
Fall
58
Dosierung (mg)
Wirkungsbeginn Wirkungsdauer (min) (Stunden)
Glyceroltrinitrat (Spray)
0,5
1
0,5
Glyceroltrinitrat (Zerbeißkapsel)
1–2 3 0,6
1
0,5
Glyceroltrinitrat (Retardkapsel)
9
10–20
2–4
Isosorbiddinitrat (Sublingualtablette) 5
1−2
1
Isosorbiddinitrat (Spray)
1,25
1–2
0,5
Isosorbiddinitrat (Retardtablette)
1–2 3 20–120
10–30
8–10
5−Isosorbidmononitrat (Tablette)
2 3 20–40
30–60
8–10
der Mortalität noch Infarkthäufigkeit. Kurzwirksa− me Kalziumkanalblocker (z. B. Verapamil) sind v. a. bei einer vasospastischen Komponente (Prinz− metal−Angina) indiziert (cave: nicht in Kombina− tion mit b−Rezeptorantagonisten, die initial die Koronargefäße verengen). Zur Kupierung eines akuten Angina−pectoris−Anfalls werden schnell− wirkende Nitrate eingesetzt.
Antworten und Kommentar
Nitrate: Alle organischen Nitrate induzieren eine Vasodilatation der glatten Gefäßmuskelzellen durch intermediär gebildetes Stickstoffmonoxid (NO), v.a. der Koronararterien, der myokardialen Kollateralgefäße und der venösen Kapazitätsgefä− ße. Dies verbessert die koronare Blutversorgung; Herzarbeit und myokardialer Sauerstoffbedarf werden vermindert. Die verschiedenen Nitrate werden bei oraler und sublingualer Gabe rasch resorbiert, in der Leber reduktiv gespalten und die inaktiven Metabolite über die Nieren ausge− schieden (s. Tab.). Unerwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Schwächege− fühl und Hautrötung (Flush). Bei Einnahme über längere Zeit kann es zu einer Abnahme der klini− schen Wirkung kommen (Nitrattoleranz). Deshalb sollte die Nitrattherapie intermittierend erfolgen (8− bis 12−stündige Nitratpause). Kontraindiziert sind Nitrate bei hypertropher obstruktiver Kardio− myopathie oder schweren hypotonen Zuständen. Glyceroltrinitrat ist Mittel der 1. Wahl (schneller Wirkungseintritt als Spray oder Zerbeißkapsel) bei Angina−pectoris−Anfällen. Isosorbiddinitrat kann im akuten Anfall und als Langzeitnitrat zur Pro− phylaxe von Angina−pectoris−Anfällen eingesetzt werden. In der Leber wird es rasch zu 5−Isosorbid− mononitrat abgebaut. 5−lsosorbidmononitrat ist als eigener Wirkstoff im Handel und besitzt eine lange EHWZ und eine hohe Bioverfügbarkeit.
Molsidomin wirkt ähnlich wie die Nitrate, hat aber zusätzlich einen ausgeprägten vorlastsen− kenden Effekt. Da es auch bei langfristigem Ein− satz von Molsidomin kaum zu einer Toleranzent− wicklung kommt, ist Molsidomin bei abendlicher Gabe zur Überbrückung der nächtlichen Nitrat− pause geeignet. Unerwünschte Wirkungen und Kontraindikationen entsprechen denen der Nitra− te. Thrombozytenaggregationshemmer: Acetylsa− licylsäure (ASS) reduziert die Infarkthäufigkeit bei KHK. Durch irreversible Hemmung der Cyclo− oxygenase 1 (s. Fall 12) in Thrombozyten bleibt die Thromboxan−Synthese – und damit die Grund− lage der aggregatorischen Wirkung – bis zu deren Lebensende (nach 8–11 Tagen) aus. Neben der In− farktprophylaxe wird ASS zur Sekundärprophylaxe nach Myokardinfarkt, Bypass−Operation und zur Prophylaxe von zerebralen ischämischen Durch− blutungsstörungen eingesetzt. Unerwünschte Wir− kungen s. Fall 12. Adenosindiphosphat (ADP)−Hemmstoffe (z. B. Clopidogrel) können bei ASS−Unverträglichkeit eingesetzt werden. Durch die selektiv Bindung an den ADP−Rezeptor wird die Wirkung von ADP auf Thrombozyten inhibiert und somit die Vernetzung der Thrombozyten verhindert. Clopidogrel wird durch Oxidation und nachfolgende Hydrolyse aus seinem Prodrug bioaktiviert. Die EHWZ beträgt 8 Stunden. Eine normale Thrombozytenfunktion tritt 5–7 Tage nach Absetzen wieder ein. Uner− wünschte Wirkungen sind Blutungsneigung; Leu− kopenien sind selten. Nur unter strenger Indika− tionsstellung (z. B. Vorbeugung von Restenosen nach Stent−Implantation) sollten andere Anti− thrombotika (z. B. ASS) gleichzeitig verabreicht werden, da die Blutungsgefahr ansteigt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Moglichkeiten der Primar− und Sekundarpravention Nitrattoleranz Indikationen zur Koronarangioplastie
Fall 58 Seite 61
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Fall 59
Ambulant erworbene Pneumonie
59.1 Welche Antibiotika können Sie bei der 59.3 Welche therapeutischen Maßnahmen er− Patientin einsetzen? greifen Sie? Zur Behandlung einer leichten ambulant erwor− K Metronidazol 4 3 250 mg/d p.o. über 10 Tage benen Pneumonie (zu den Diagnosekriterien s. K Bei Therapieversagen: Vancomycin 4 3 125– Kommentar): 250 mg/d p.o. über 10 Tage K 1. Wahl: Makrolidantibiotikum, z. B. Azithro− !!! 59.4 Welches Antibiotikum wird bei einer mycin 2 3 250 mg/d p.o. Aspirationspneumonie eingesetzt? K 2. Wahl: Tetrazykline, z. B. Doxycyclin 1 3 Eine Aspirationspneumonie ist meist durch anae− 200 mg/d p.o. am 1. Tag, dann Reduktion auf 1 robe Erreger und Staphylokokken bedingt, da− 3 100 mg/d her ist Folgendes indiziert: K Kalkulierte Antibiotikatherapie: Clindamy− 59.2 Welche Möglichkeiten haben Sie zur Fie− bersenkung? cin 3–4 3 300–600 mg/d i. v.; ggf. in Kombi− K Allgemeinmaßnahmen: Zudecken mit dün− nation mit Aminoglykosid−Antibiotikum, z. B. nem Laken, lockere Kleidung, Wadenwickel, Gentamicin 1 3 200 mg/d i. v. K Alternativ: Aminopenicillin mit b−Laktama− Raumtemperatur bei 208C seinhibitor, z. B. Amoxycillin/Clavulansäure K Medikamentöse Maßnahmen: antipyretisch 3 3 500/125 mg/d wirkende Analgetika, z. B. Acetylsalicylsäure 3–4 3 500 mg p.o., Paracetamol 3–4 3 500 mg p.o.
215
KOMMENTAR
Pharmakotherapie Die entscheidende Behandlungsmaßnahme bei bakterieller Pneumonie ist die an Alter und Schwe− regrad der Erkrankung angepasste Antibiotika− therapie. Die sofortige kalkulierte Initialtherapie orientiert sich an den zu erwartenden Erregern (s. Tab.1). Eine gezielte Antibiotikatherapie wird dann anhand des mikrobiologischen Befundes und eines Antibiogramms durchgeführt. Die Ver− laufskontrolle erfolgt klinisch bzw. durch rönt− genologische, mikrobiologische und laborchemi− sche Untersuchungen.
59 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziele sind Rückbildung der Symp− tome und Vermeidung von Komplikationen (z. B. Lungenabszess, Pleuraempyem, Sepsis).
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Präventiv stehen die Einstellung des Rauchens und die Durchführung von Impfungen (z. B. Pneumokok− ken−, Influenza−Impfung) bei Risikopatienten im Vordergrund. Die symptomatische Behandlung umfasst Bettruhe, ausreichende Flüssigkeitszu− fuhr und Fiebersenkung (s. Antwort zur Frage 59.2). Maßnahmen wie Sauerstoffinsufflation, Maskenbeatmung oder bronchoskopische Absau− gung stehen stationär zu Verfügung. Bei starker Hypoxämie oder Hyperkapnie ergibt sich die Indi− kation zur Respiratorbeatmung.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Unter einer Pneumonie versteht man eine akute oder chroni− sche Entzündung des alveolären Lungenparen− chyms und/oder des Lungeninterstitiums. Mögli− che Ursachen können Bakterien, Viren, Pilze, Para− siten sowie chemische und physikalische Noxen sein. Begünstigende Faktoren sind z. B. Zigaretten− rauch, vermehrte Schleimproduktion, gestörter Hu− stenmechanismus, endotracheale Beatmung. Am− bulant erworbene Pneumonien werden meist durch Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Mykoplasmen und Influenzaviren hervorgerufen. Nosokomiale Pneumonien werden im Kranken− haus erworben, typische Erreger sind gramnegati− ve Bakterien (Pseudomonas aeruginosa, Klebsiella pneumoniae, Enterobacteriaceae) und Staphylo− coccus aureus. Die Erreger treten nach Überwinden der physiologischen Schutzmechanismen (mukozi− liäre Clearance, Zilienfunktion des Flimmerepi− thels) in das Epithel ein. Die Folge ist eine Entzün− dungsreaktion mit Ödembildung, Exsudation und zellulärer Infiltration von Leukozyten und Makro− phagen. Nach Klinik und Verlauf werden akute und chronische sowie nach Erregerart typische (Pneu− mokokken) und atypische (Mykoplasmen, Chla− mydien, Viren, Legionellen) Pneumonien unter− schieden. Typische Pneumonien beginnen plötzlich mit starkem Krankheitsgefühl, hohem Fieber, Schüttelfrost, Husten, Auswurf, Tachypnoe und Ta− chykardie. Diagnostisch sind Röntgen−Thoraxun− tersuchung, bakteriologische Sputumuntersu− chung und ggf. Blutkultur indiziert.
Makrolidantibiotika: Makrolidantibiotika (Leit− substanz Erythromycin) wirken bakteriostatisch durch Hemmung der Proteinsynthese, in dem sie die Anlagerung des tRNA−Aminosäure−Komple− xes an die mRNA verhindern. Das Wirkspektrum umfasst grampositive und intrazelluläre Erreger (Legionella pneumoniae, Chlamydia psittaci, My− coplasma pneumoniae). Eine Resistenzentwick− lung erfolgt meist rasch. Makrolidantibiotika sind bei leichten ambulant erworbenen Pneumonien indiziert und ersetzen Penicillin bei Allergie. In
Fall 59 Seite 62
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Tab.1 Kalkulierte initiale Antibiotikatherapie bei Pneumonien
Pneumonieform/ Kriterien
Häufige Erreger
1. Wahl
2. Wahl
Leicht: Alter , 65 Jah− re, fehlende Begleiter− krankungen, fehlende Vitalfunktionsstörun− gen
Streptococcus pneu− moniae, Mycoplasma pneumoniae, Chlamy− dia pneumoniae, Hae− mophilus influenzae
Makrolide p.o. (Ery− thromycin Azithromy− cin, Clarithromycin, Roxithromycin)
Tetrazyklin p.o (Doxy− cyclin); bei gesicher− ter Infektion durch Streptococcus pneu− moniae: Penicillin, Amoxicillin
Mit erhöhtem Risiko: Alter . 65 Jahre, chronische Grunder− krankungen, Störun− gen der Abwehrfunktion, deutlich reduzierter Allgemeinzustand, Be− wusstseinstrübung
Streptococcus pneu− moniae, Haemophilus influenzae, Staphylo− coccus aureus; gram− negative Enterobacte− riaceae, Legionella spp.
Cephalosporine 2. Ge− Aminopenicillin/b− neration (Cefuroxim Laktamase−Inhibitor Cefotiam) (Amoxicillin/Clavulan− säure, Ampicillin/Sul− bactam), ggf. Makrolid
Schwer: Atemfrequenz . 30/min, schwere respiratorische Insuffi− zienz, beidseitige Lun− geninfiltrationen, (. 2 Lappen), Kreislaufin− suffizienz
Streptococcus pneu− moniae, Legionella spp., Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, gramne− gative Enterobacteria− ceae, Pseudomonas aeruginosa
Cephalosporine 3. Ge− neration i. v. (Cefota− xim, Cetriaxon) oder ggf. pseudomonas− wirksames Cephalo− sporin i. v. (Ceftazidim, Cefepim); + Erythromycin i. v.
Staphylococcus au− reus, gramnegative Enterobacteriaceae, Pseudomonas aerugi− nosa
Cephalosporine 3. Ge− Acylureidopenicillin neration i. v.; bei Ver− i. v. dacht auf Pseudomonas aerugi− nosa Kombination mit Aminoglykosiden (Gentamicin, Tobra− mycin) oder pseudo− monaswirksames Ce− phalosporin 3. Generation
Ambulant erworben
216
Fall
59 Antworten und Kommentar
Acylureidopenicillin i. v. (Azlocillin, Pipera− cillin) oder Chinolon oder Carbapenem (Imipenem, Cilastin); jeweils + Erythromy− cin i. v.
Nosokomial
Kombination mit Cephalosporinen (s. Fall 24) kommen sie auch bei schweren Pneumonien zu Einsatz (s. Tab.1). Die Verträglichkeit ist gut, uner− wünschte Wirkungen sind: gastrointestinale Stö− rungen (z. B. Übelkeit, Diarrhö), cholestatische He− patose oder Leberschädigung nach längerdauern− der Therapie sowie reversibler Hörverlust nach hoher Dosierung. Durch Interaktion mit den Cy− tochrom−P450−Monooxygenasen hemmt Erythro− mycin u. a. den Abbau von Carbamazepin, Ciclo−
sporin A, Digoxin und Theophyllin. Erythromycin wird mit einer EHWZ von 1,5–2,5 Stunden vorwie− gend biliär eliminiert. Für die orale Anwendung liegt die säureempfindliche Base in magensaftre− sistenten Darreichungsformen vor, jedoch ist die Resorption variabel. Erythromycin−Lactobionat kann i. v. verabreicht werden. Die synthetisch her− gestellten Makrolide (Clarithromycin, Roxithromy− cin, Azithromycin) ähneln pharmakologisch dem Erythromycin, jedoch werden sie langsamer elimi−
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Tab. 2 Pharmakokinetik von Makrolidantibiotika
Arzneistoff
Bioverfügbarkeit (%)
Verteilungsvolumen (l/kg)
EHWZ (Stunden)
Erythromycin
25
0,78
1,6–2
Clarithromycin
55
3,5–4
5
Roxithromycin
50
0,6
12
Azithromycin
40
31
40
niert (s. Tab. 2). Dadurch sind Dosisreduktion und längere Dosierungsintervalle möglich. Azithromy− cin wird sehr langsam aus dem Gewebe ausge− schieden (großes scheinbares Verteilungsvolu−
men). Eine kurze orale Gabe (3 Tage) ist ausrei− chend, um langanhaltende antibakterielle Wirkkonzentrationen (14 Tage) zu erzielen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der nosokomialen Pneumonie Therapie des Keuchhustens Behandlung atypischer Pneumonien
Fall
Fall 60
217
Arzneimittelprüfung
60.2 Welche Punkte sollte ein Prüfprotokoll aufweisen? K Charakterisierung der zu prüfenden Substan− zen K Begründung und Zielsetzung der Prüfung K Beschreibung des Prüfdesigns K Definition der Zielpopulation, Ein− und Aus− schlusskriterien, Patientenauswahl K Begründete Angabe zur Zahl der Patienten/ Probanden inkl. Ausfallrate K Behandlung (Dauer, Dosis, Applikation) in den einzelnen Gruppen K Zulässige und unzulässige Begleittherapien K Definition des Randomisierungsverfahrens inkl. Dekodierung bei Doppelblindstudien K Primäre (z. B. Ulkusabheilung) und sekundä− re (z. B. unerwünschte Wirkungen) Zielgrö− ßen K Eingesetzte Messverfahren und deren Stan− dardisierung K Anweisungen zur Ermittlung und Dokumenta− tion unerwünschter Begleiterscheinungen
K Ausführliche Beschreibung des Prüfungsab− laufs inkl. Zeitplan für Untersuchungstermine K Angaben zur Überprüfung der Compliance K Geplante Gesamtdauer der Prüfung K Auswertungsverfahren, Zeitpunkt und Um− fang von Zwischenauswertungen K Abbruchkriterien für den Einzelfall und die gesamte Prüfung
60.3 Was versteht man unter einem Cross− over“−Design? Cross−over“ ermöglicht den intraindividuellen Vergleich innerhalb einer klinischen Untersu− chung mit geringeren Fallzahlen als beim Paral− leldesign
60 Antworten und Kommentar
60.1 Erläutern Sie die Phasen einer klinischen Prüfung und ihre Ziele! K Phase I: Dosisfindung, Pharmakokinetik, Toxi− zität, Pharmakodynamik, Galenik K Phase II: Pharmakodynamik, Dosis−Wirkungs− beziehung, Pharmakokinetik, Toxizität, Galenik K Phase III: Wirksamkeitsnachweis, Nutzen/Risi− koprofil K Phase IV (nach der Zulassung): Arzneimittel− sicherheit, Anwendungsoptimierung
Cross−over−Design
Fall 60 Seite 63
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Parallelgruppendesign K Randomisierte Einteilung der Probanden/Pati− enten in 2 vergleichbare Gruppen K Alle Patienten erhalten nacheinander sowohl Verum und Kontrolltherapie oder umgekehrt K Zwischen den verschiedenen Therapien liegt eine Auswaschphase
60.4 Was bedeutet der Begriff Number needed to treat“? Patientenzahl, die über einen bestimmten Zeit− raum behandelt werden muss, damit ein be−
218
Fall
60
stimmtes unerwünschtes Ereignis (z. B. R Ulcus duodeni, Myokardinfarkt) verhindert wird: K Anwendung auf jeden Patienten, der dasselbe Risikoprofil aufweist wie die untersuchten Studienpatienten K Entspricht rechnerisch dem Kehrwert der ab− soluten Risikoreduktion (absolute Differenz der Rate an unerwünschten Ereignissen in der Verumgruppe und der Kontrollgruppe)
60.5 Was ist eine offene Prüfung? Was sind Blindversuche? K Offene Prüfung: Patient und Prüfer wissen, ob die Untersuchung mit der Prüf− oder Ver− gleichssubstanz bzw. Placebo durchgeführt wird K Einfachblindversuch: nur der Prüfer kennt die eingesetzte Substanz K Doppelblindversuch: weder Prüfer noch Pati− ent kennen die Art der verwendeten Substanz
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Arzneimittelentwicklung: Zweck der Arzneimit− telentwicklung ist das Auffinden neuer Wirkstoffe zur Optimierung der therapeutischen Möglich− keiten. Bei Neuentwicklungen von Substanzen werden u. a. die Identifizierung neuer Angriffs− punkte (Targets) durch die Genomforschung, das Hochleistungs (high−throughput)−Screening (schnelle In−vitro−Testung von neuen Wirkstoffen), große Wirkstoffbibliotheken und Methoden der kombinatorischen Chemie (vielfältige Kombina− tion von chemischen Bausteinen) genutzt. Erfolg− versprechende Substanzen werden in der präkli− nischen Prüfung durch toxikologische, pharma− kokinetische und pharmakodynamische Tests in vitro und im Versuchstier charakterisiert. Prüfsub− stanzen, die anhand der präklinischen Versuche zur Anwendung am Menschen geeignet erschei− nen, dürfen in die klinische Prüfung eingeführt werden. Phasen der klinischen Prüfung: s. Antwort zur Frage 60.1. In Phase I wird die erste Anwendung einer Substanz am Menschen durchgeführt, meist an 10–30 jungen gesunden Erwachsenen (Pro− banden). In Phase II werden erste kurze Prüfungen zur Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Dosis− Wirkungsbeziehung an einer Zahl von 100–500 Patienten mit der entsprechenden zu behandeln− den Krankheit, aber möglichst ohne weiteren Be− gleiterkrankungen, durchgeführt. In Phase III wird der biometrisch abgesicherte Nachweis über Wirk− samkeit und Unbedenklichkeit der neuen Sub− stanz geführt. Phase−III−Studien werden bevor− zugt multizentrisch nach gleichem Prüfplan an einem unselektierten Kollektiv von oft mehr als 1000 Patienten mit derselben Erkrankung durch− geführt. Im Anschluss an die Studien der Phase III
werden die Ergebnisse der präklinischen und kli− nischen Prüfungen den Gesundheitsbehörden vor− gelegt. Sichere Kenntnisse über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind häufig erst nach breiter und langer Anwendung möglich. Dafür werden nach der Zulassung gezielte Anwendungsbeobachtun− gen mit klarer Befunddokumentation durchge− führt. Von den Anwendungsbeobachtungen sind definierte klinische Prüfungen zu unterscheiden (Phase−IV−Studien). Anforderungen an eine klinische Studie: Die wesentlichen ethischen Anforderungen an eine klinische Prüfung sind in der revidierten Deklara− tion von Helsinki des Weltärztebundes niederge− legt (1964). Formale Anforderungen zur Qualitäts− verbesserung finden sich in den 1992 in Kraft ge− tretenen Richtlinien zu Good Clinical Practice for Trials on Medical Products in the European Com− munity (GCP−Richtlinien) und Nachfolgedoku− menten. Dort wird u. a. die Stellungnahme einer unabhängigen Ethikkommission vor Versuchs− beginn, die Einwilligung des umfassend aufge− klärten Probanden, die schriftliche Erstellung ei− nes Prüfplans, die ausführliche Dokumentation der Befunde und ein Qualitätsmanagement von den Prüfärzten gefordert. Arten von klinischen Studien: Prospektive Stu− dien definieren die Zielvariablen, die bis Studien− ende untersucht werden, vor Beginn der Studie. Durch entsprechende Patientenauswahl kann die Vergleichbarkeit optimiert werden (z. B. Einteilung nach Altersgruppen, Geschlecht). In retrospekti− ven Studien werden nachträglich aus Behand− lungsunterlagen bzw. durch Nachuntersuchungen Rückschlüsse auf erwünschte oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen gezogen. In Längsschnitt−
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studien werden Patienten über einen längeren Zeitraum beobachtet, wobei von jedem Patienten mehrere Messpunkte erhoben werden. In Quer− schnittsstudien wird der Ist−Zustand einer be− stimmten Patientengruppe durch einmalige Mes− sung erhoben. In der Fallkontrollstudie wird nachträglich geprüft, ob z. B. bestimmte Erkran− kungen, die bei behandelten Patienten auftreten, die Folge einer Arzneimitteltherapie sein können. Das Ergebnis wird mit der Erkrankungshäufigkeit einer geeigneten Kontrollgruppe ohne Exposition verglichen. In einer Kohortenstudie werden Pati− enten mit einer bestimmten Erkrankung unter ei− ner bestimmten Therapie prospektiv über eine lan− ge Zeit nach einem vorher festgelegten Zielkriteri−
um (z. B. Ulkusblutung) beobachtet. Dies wird verglichen mit Patienten, die an derselben Erkran− kung leiden, jedoch eine andere Therapie erhiel− ten. In kontrollierten Studien sollen im Rahmen einer Arzneimittelprüfung pharmakodynamische Wirkungen von arzneistoffunabhängigen Effekten unterschieden werden. Hierbei werden unter iden− tischen Bedingungen die Wirkungen des neuen Arzneimittels mit denen eines Placebos und/oder eines bekannten Standardpräparates an einem Pa− tientenkollektiv verglichen. Die klinischen Prüfun− gen der Phase II sind explorative Studien, sie die− nen der Hypothesengewinnung. Phase−III−Studien sind konfirmatorische Studien und werden zur Hypothesensicherung durchgeführt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Zulassungsverfahren Gesetzliche Grundlagen klinischer Prufungen Aufgaben der Ethikkommission
Fall
Fall 61
219
Schizophrenie
61.2 Erläutern Sie Angriffspunkte und Wir− kungen der Neuroleptika! Blockade zentraler Dopamin−D2−Rezeptoren in verschiedenen Hirnregionen, atypische Neurolep− tika auch D4−Rezeptoren: K Mesokortikale und mesolimbische Regionen: Behandlung der produktiven Symptome (z. B. Halluzination, Wahn) K Nigrostriatales System: extrapyramidal−moto− rische Störungen K Tuberoinfundibuläres System: Galaktorrhö durch Prolaktinerhöhung K Area postrema: antiemetische Wirkung K Medullär−periventrikuläres System: Beein− flussung des Essverhaltens K Zusätzliche Wirkungen an a1−Adrenorezepto− ren, Serotonin−Typ−2A−(5−HT2A) Rezeptoren, Histamin−H1−Rezeptoren, Muskarinrezepto− ren: spezifisches Nebenwirkungsprofil (anti− cholinerg, antihistaminerg, antiserotonerg und a−sympatholytisch)
61.3 Mit welchen extrapyramidal−motorischen Störungen bei einer hochpotenten Neuroleptika müssen Sie rechnen? Welche Therapieoptionen haben Sie? K Frühdyskinesien (v. a. bei Medikationsbeginn oder Dosiserhöhung): betreffen v. a. Zunge, Schlund, Gesicht, Hals, obere Extremitäten; anticholinerge Therapie, z. B. Biperiden 2,5– 5 mg i. v. oder i.m akut, dann 1–16 mg/d p.o. K Parkinsonoid: Rigor, Hypokinese, Tremor, Sal− bengesicht, meist nach 1−2 Wochen; anticho− linerge Therapie, z. B. Biperiden 3–16 mg/d p.o. K Akathisie: quälende Sitzunruhe; Dosisredukti− on oder atypische Neuroleptika, z. B. Olanza− pin 7,5–20 mg, ggf. Komedikation mit Benzo− diazepinen, z. B. Diazepam 10–20 mg/d p.o. K Spätdyskinesien (tardive Dyskinesien): un− willkürliche z. T. irreversible stereotype Bewe− gungen der Zungen−, Mund− und Gesichts− muskulatur; langsame Dosisreduktion, atypi− sche Neuroleptika
61 Antworten und Kommentar
61.1 Welche medikamentöse Behandlung schlagen Sie vor? K Antipsychotische Therapie: Mittel− bis hoch− potente Neuroleptika, z. B. Haloperidol 5–10 mg/d p.o. oder 2,5–5 mg/d i. v. K Sedierung: Benzodiazepine, z. B. Lorazepam 2,5 mg/d p.o.; niedrigpotente Neuroleptika, z. B. Levomepromazin 50 mg/d i.m.
61.4 Wann sind Depotneuroleptika indiziert? Welche Vor− und Nachteile bieten Depotneuro− leptika? K Indikation: eingeschränkt kooperative Patien− ten und Compliance−Probleme in akuter Krankheitsphase, Langzeitbehandlung K Vorteile: gleichmäßige Plasmaspiegel, com− plianceunabhängig K Nachteile: schlechte kurzfristige Steuerbarkeit, langsamer Abfall der Wirkspiegel (v. a. bei un−
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erwünschten Wirkungen), steady state“ erst nach mehreren Tagen K Überdosierung durch Akkumulation
61.5 Welche Neuroleptika können Sie einset− zen? Atypische Neuroleptika: weniger extrapyrami− dal−motorische Störungen, günstiger Einfluss auf Minussymtomatik; z. B. Olanzapin 5–20 mg/d p.o., alternativ Risperidon 4–6 mg/d p.o.
KOMMENTAR
220
Fall
61
Grundlagen und Pathophysiologie: Schizophre− ne Psychosen (Prävalenz: 1 %) sind endogene Psy− chosen mit einem Prädilektionsalter für den Er− krankungsbeginn zwischen dem 21.–26. Lebens− jahr. Die Genese ist wahrscheinlich multifaktoriell, man geht derzeit von einer genetischen Mitbetei− ligung aus. Auslöser kann psychischer Stress sein. Ein pathophysiologisches Korrelat findet sich in der absoluten oder relativen Überaktivität zent− ralnervöser dopaminerger Strukturen u. a. im mesolimbischen System. Diese empirische Dopa− minhypothese wird dadurch gestützt, dass Dopa− min−D2−Antagonisten als Neuroleptika klinisch wirksam sind. Typische Symptome sind Wahn, Halluzinationen, formale Denkstörungen, Ich−Stö− rungen, Affektstörungen und psychomotorische Störungen. Die Einteilung erfolgt in Positivsymp− tomatik (z. B. Wahn, Halluzinationen) und Mi− nussymptomatik (z. B. Affektverflachung, An− triebsarmut). Die Suizidrate bei Schizophrenen ist mit 10 % hoch.
Antworten und Kommentar
Therapieziele: Das Ziel während der akuten Er− krankungsphase ist die Distanzierung des Pati− enten von Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Suizidgedanken. Die Langzeittherapie soll Rezidive vermeiden, dem Patienten einen nor− malen Alltag und die Rückkehr in den Beruf er− möglichen. Patient und Angehörige sollten über die Erkrankung, Therapiemöglichkeiten und un− erwünschte Wirkungen der Medikation aufge− klärt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Während der Akutphase muss auf eine ausreichende Nah− rungs− und Flüssigkeitszufuhr sowie Ausscheidung geachtet werden, ist dies z. B. bei wahnhaften Pa− tienten nicht gewährleistet, ist eine parenterale Er− nährung indiziert. Langfristig stehen sozio− und psychotherapeutische Verfahren ergänzend zur Pharmakotherapie zur Verfügung. Pharmakotherapie Verschiedene Substanzklassen haben neurolepti− sche Wirkungen: Butyrophenone (z. B. Haloperi− dol), Thioxanthene (z. B. Chlorprothixen), Pheno− thiazine (z. B. Levomepromazin), Dibenzodiazepi− ne (z. B. Clozapin) und Benzamidderivate (Sulpirid). Indikationen für Neuroleptika sind akute schizophrene Psychosen und deren Rezi− divprophylaxe, manische Psychosen und psycho− motorische Erregungszustände. Nichtpsychiatri− sche Indikationen für Neuroleptika sind chroni− sche Schmerzzustände, Prämedikation in der
Anästhesie, Neuroleptanalgesie und antiemetische Therapie bei Zytostatikatherapie. Patienten mit hochakuten psychotischen Zustän− den werden normalerweise stationär mit hochpo− tenten Neuroleptika behandelt (s. Antwort zur Fra− ge 61.1). Nach einer Stabilisierungsphase wird die Dosis in kleinen Schritten reduziert, anschließend sollte eine Erhaltungstherapie über wenigstens 6 Monate mit einem atypischen Neuroleptikum er− folgen. Depotneuroleptika (z. B. Flupentixoldeka− noat, Fluspirilen, Hapoleridoldekanoat) haben sich bei der rezidivprophylaktischen Langzeittherapie bewährt, da sie unabhängig von der Compliance der Patienten wirken (s. Antwort zur Frage 61.4). Die Umstellung von oraler Gabe auf ein Depotneu− roleptikum sollte überlappend erfolgen. Neurolep− tika dürfen nicht ohne regelmäßige ärztliche Kontrolle eingenommen werden. Bei Compliance− problemen mit Therapieversagen können regelmä− ßige Plasmaspiegelkontrollen notwendig sein. Typische Neuroleptika: Man unterscheidet nied− rigpotente Neuroleptika, die vorwiegend sedie− rend wirken, und hochpotente Neuroleptika (z. B. Fluphenazin, Haloperidol), die vor allem anti− psychotisch wirken (s. Tab.). Mit steigender neuro− leptischer Potenz nehmen die extrapyramidal−mo− torischen Nebenwirkungen zu (s. Antwort zur Fra− ge 61.3), die sedierenden und vegetativen Wirkungen dagegen ab. Neben der Gewichtszu− nahme sind die wichtigsten unerwünschten ve− getativen Wirkungen: orthostatische Dysregula− tion, Benommenheit, verstopfte Nase (Blockade von Adrenorezeptoren), Mundtrockenheit, Akko− modationsstörungen, vermindertes Schwitzen, Obstipation, Miktionsstörungen (Blockade von Muskarinrezeptoren), Hyperprolaktinämie, Ame− norrhö, Gynäkomastie, Libidoverlust (Blockade von Dopaminrezeptoren). Kontraindiziert sind Neuroleptika bei akuten Intoxikationen mit zentral dämpfenden Pharmaka und Alkohol. Anticholinerg wirkende Neuroleptika sind bei Pylorusstenose und Prostatahypertrophie kontraindiziert. Zu Wir− kungsverstärkungen kommt es bei zusätzlicher Einnahme von zentral dämpfenden Pharmaka (z. B. Narkotika, Hypnotika) und Alkohol. Atypische Neuroleptika: Prototyp der atypi− schen Neuroleptika (z. B. Olanzapin, Risperidon) ist das Clozapin (s. Tab.). Es hemmt stärker D4− als D2−Rezeptoren und blockiert weitere Rezeptoren, wie 5−HT2− und Histamin−H1−Rezeptoren. Clozapin darf nur unter kontrollierten Bedingungen verord−
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Einteilung der Neuroleptika
Wirkstoff
EHWZ (Stunden)
Orale Tages− Sedative dosis (mg) Wirkung
Vegetative Wirkung
Extra− pyramidal− motorische Wirkung
17–78
75–200
+++
+
Niederpotent Levomepromazin
+++
Perazin
35
75–300
+++
+++
+
Chlorprothixen
8–12
150–300
+++
+++
+
8–12
8–20
+
+
++
Hochpotent Perphenazin Fluphenazin
10–18
0,75–6
+
+
+++
Haloperidol
10–35
2–10
+
+
+++
Atypisch Clozapin
16
100–300
+++
+++
(+)
Olanzapin
35
5–20
+++
+++
(+)
Risperidon
3
4–6
0
+
+
Eine Kontraindikation v. a. gegen Clozapin besteht bei Leukopenie.
Behandlung des Alkoholdelirs Amphetamine und Psychosen Behandlung des malignen neuroleptischen Syndroms
Fall 62
Asthma bronchiale
62.1 Erläutern Sie die Vorgänge beim akuten Asthmaanfall! Anfallsweise reversible Atemwegsobstruktion, die auf chronischer Entzündungsreaktion der Bron− chialschleimhaut und bronchialer Hyperreagibi− lität beruht. K Auslösung des akuten Anfalls durch: – Unspezifische Stimuli (= Trigger): Stäube, Kälte, Feuchtigkeit, physischer Stress (z. B. Sport), psychischer Stress (z. B. Aufregung), Medikamente (z. B. Analgetika) – Spezifische Stimuli: Allergene (z. B. Pollen, Tierepithelien, Hausstaubmilben) K Akutreaktion: Inhalation von Allergenen führt zur Bronchokonstriktion (allergische Reaktion vom Soforttyp = Typ I) K Spätreaktion: 2. Phase der Bronchokonstrikti− on nach ca. 4–24 Stunden
62.2 Benennen Sie die Ziele der Asthmathera− pie! K Vermeiden von: akuten/chronischen Sympto− men, Anfällen, Exazerbation, unerwünschten Medikamentenwirkungen K Erhalt der Lungenfunktion K Reduktion der asthmabedingten Letalität K Ermöglichen normaler Aktivitäten (inkl. Sport) K Zufriedenstellendes Asthmamanagement für Patient/Angehörige
62 Antworten und Kommentar
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall
net und eingenommen werden, da nach Einnahme von Clozapin als lebensbedrohliche Komplikation eine Agranulozytose auftreten kann (1 % der Fälle).
221
62.3 Erläutern Sie die Stufentherapie (Dauertherapie) des Asthma bronchiale! Welche Dauertherapie würden Sie bei dem Jungen durchführen? Bei dem Jungen sollte entsprechend dem Stufen− schema die Therapie eines leichten persistieren− den Asthmas (Stufe 2) erfolgen.
Fall 62 Seite 64
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Symptome
Bedarfsmedikation
Dauermedikation
1 (intermittierend)
Tags: 2 3/Woche; Nachts: 2 3/Monat
Kurzwirkendes b2− Sympathomimetikum (ggf. in Kombination mit Anticholinergi− kum)
keine
2 (persistierend, leicht)
Tags: , 1 3/d; Nachts: . 2 3 Monat
Kurzwirkendes b2− Sympathomimetikum (ggf. in Kombination mit Anticholinergi− kum)
Glukokortikoide (in− halativ, niedrig do− siert); alternativ: Cromoglicinsäure, Ne− docromil
3 (persistierend, mit− telschwer)
Tags: täglich; Nachts: . 1 3/Woche
Kurzwirkendes b2− Sympathomimetikum (ggf. in Kombination mit Anticholinergi− kum)
Glukokortikoide (in− halativ, mittelhoch dosiert); langwirken− des b2−Sympathomi− metikum; optional Theophyllin (retard)
4 (persistierend, schwer)
Tags: ständig; Nachts: häufig
Kurzwirkendes b2− Sympathomimetikum (ggf. in Kombination mit Anticholinergi− kum)
Glukokortikoide (in− halativ, hoch dosiert); langwirkendes b2− Sympathomimetikum; Theophyllin (retard); orale Glukokortikoide
Fall
Stufe
62 Antworten und Kommentar
62.4 Wie wird ein Dosieraerosol richtig ange− wendet? Welche Vorteile bietet die Anwendung von Dosieraerosolen? K Anwendung: Schütteln des Behälters; lang− sam und entspannt ausatmen; Mundstück mit den Lippen umschließen; langsam und tief einatmen, während der Sprühstoß ausgelöst wird; Atem für etwa 5–10 Sekunden anhalten; langsam ausatmen, bevorzugt über die Nase
oder mit Lippenbremse“; weitere Inhalatio− nen frühestens nach einer Minute durchfüh− ren; nach dem Inhalieren von Glukokortikoi− den Mund ausspülen (Vermeidung von lokalen unerwünschten Wirkungen) K Vorteile: schneller Wirkungseintritt, prakti− sche Handhabung, geringe systemische Re− sorption, weniger systemische Nebenwirkun− gen
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Asthma bronchiale ist eine chronisch−entzündliche Er− krankung der Atemwege, die mit einer bronchia− len Hyperreagibilität auf vielfältige Reize einher− geht (s. Antwort zur Frage 62.1). Asthma bronchia− le (Prävalenz: Kinder 10 %, Erwachsene 5 %) gehört zum Formenkreis der Atopien. Ätiologisch werden das allergische (extrinsische) Asthma mit Nach− weis IgE−vermittelter Sensibilisierung und das nicht−allergische (intrinsische) Asthma ohne Al− lergienachweis unterschieden. Mischformen wer− den häufig angetroffen. Wichtige Allergene sind Hausstaubmilben, Pollen, Getreidemehl Insekten− gifte (v. a. Biene, Wespe), Haustiere (Katze, Hund, Pferd) und Berufsallergene“ (Latex, Pilzenzyme, Isozyanate). Pathophysiologisch spielt eine über− schießende IgE−vermittelte Typ−I−Reaktion (al− lergische Sofortreaktion) eine maßgebliche Rolle,
die zur Aktivierung von Entzündungszellen wie Mastzellen, basophilen und eosinophilen Granulo− zyten und Freisetzung von präformierten Entzün− dungsmediatoren (Histamin, Serotonin, Bradyki− nin) führt. Die Spätreaktion geht mit einer kom− plexen Interaktion von Entzündungszellen (Synthese von Prostaglandinen, Leukotrienen) ein− her. Im Bronchialsystem bewirken diese Reaktio− nen eine reversible Bronchokonstriktion, Schleim− hautödeme und vermehrte Schleimproduktion. Klinisch treten anfallsartig Atemnot, v. a. nachts und am frühen Morgen, Husten und ein glasig− zähes Sputum auf. Diagnoseweisend sind Anam− nese (z. B. saisonales Auftreten der Beschwerden, Familienanamnese) und Symptomatik (z. B. ver− längertes Exspirium, Giemen, Pfeifen, Brummen). Durch die Lungenfunktionsprüfung kann ein er− höhter Atemwegswiderstand, die Reversibilität der
Fall 62 Seite 64
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Obstruktion nach Broncholyse und der Schwere− grad der Erkrankung objektiviert werden. Haut− tests dienen zur Klärung einer extrinsischen Ätio− logie des Asthmas, allergenspezifische IgE−Anti− körper können im Radio−Allergo−Sorbent (RAST)−Test nachgewiesen werden. Differenzial− diagnostisch ist das Asthma bronchiale wegen un− terschiedlicher Therapieprinzipien gegenüber der chronisch obstruktiven Bronchitis (s. Fall 71) abzu− grenzen. Therapieziele: s. Antwort zur Frage 62.2. Zur Op− timierung der Therapie sollte der Patient zum Ein− satz eines Peak−flow−Gerätes und dem Führen ei− nes Asthmatagebuches angehalten werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Langfristiges Asthmamanagement Inhalationshilfen fur Sauglinge und Kleinkinder Therapie der COPD
Fall 63
Schwangerschaftshypertonie
63.1 Mit welchen Wirkstoffen können Sie eine Schwangerschaftshypertonie behandeln? K a−Methyldopa (Mittel der 1. Wahl): einschlei− chend dosieren 2–3 3 125 mg/d p.o., steigern auf 2–3 3 250 mg/d p.o. K Mittel der 2. Wahl: – Dihydralazin, 2–3 3 12,5 mg/d p.o., Steige− rung bis auf 150 mg/d p.o. – Selektive b1−Rezeptorantagonisten, z. B. Metoprolol (50–100 mg/d p.o.), Atenolol (50–100 mg/d p.o.)
63 Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 62.3. Basis der medikamentö− sen Therapie ist die antiinflammatorische Thera− pie (sog. Controller), v. a. mit inhalativen Gluko− kortikoiden (z. B. Budesonid, Fluticason, Beclome− thason) als Dauermedikation. Orale Glukokorti−
223
Fall
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Wichtigste Maßnahmen beim allergischen Asthma sind Mei− dung des Allergens, exogener Noxen (z. B. Rau− chen, reizende Gase, Dämpfe, Stäube) sowie poten− ziell bronchokonstriktorischer Medikamente (b− Rezeptorantagonisten, NSAID). Die rechtzeitige Be− handlung von Infekten der oberen Atemwege und eines gastroösophagealer Reflux helfen, eine Exa− zerbation des Asthma bronchiale zu verhindern. Die Schulung des Patienten und der Familie ist ein bedeutender Punkt des Asthmamanagements.
koide werden beim schweren Asthma eingesetzt. Die systemische Glukokortikoidtherapie ist mit ei− nem erhöhten Risiko für das Auftreten uner− wünschter Wirkungen, wie arterieller Hypertonie, Osteoporose und Diabetes mellitus, verbunden (s. Fall 19). Der orale Leukotrienrezeptorantagonist Montelukast wirkt antiinflammatorisch und wird v. a. beim nicht ausreichend eingestellten leichten bis mittelschweren Asthma bronchiale sowie beim Analgetika−Asthma eingesetzt. Die symptomatische Bronchodilatation (sog. Re− liever) wird durch die bedarfsorientierte Anwen− dung von inhalativen kurzwirkenden b2−Sympa− thomimetika (z. B. Salbutamol, Fenoterol) erzielt. Anticholinergika (z. B. Ipratropiumbromid, Tio− tropiumbromid) sind ausschließlich inhalativ an− zuwenden und können mit b2−Sympathomimetika kombiniert werden. Langwirkende b2−Sympatho− mimetika (z. B. Formoterol, Salmeterol) sind v. a. bei nächtlichen Asthma−Beschwerden zur Dauer− therapie geeignet. Mastzellstabilisatoren (z. B. Cromoglicinsäure, Nedocromil) werden überwie− gend im Kindesalter eingesetzt. Nachteilig ist die verzögert einsetzende Wirkung und die häufige Medikamenteneinnahme (in der Regel 4−mal täg− lich). Retardiertes Theophyllin wirkt bronchodila− tatorisch, hemmt die Atemmuskelermüdung so− wie Mediatorfreisetzung aus den Mastzellen und steigert den Atemantrieb (s. Fälle 4 und 85). Prob− lematisch sind die geringe therapeutische Breite und die häufigen abdominellen Nebenwirkungen (Oberbauchbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen).
63.2 Erklären Sie den Wirkungsmechanismus von a−Methyldopa! K a−Methyldopa wird durch die Dopa−Decarb− oxylase zu a−Methyldopamin und weiter über die Dopamin−b−Hydroxylase in a−Methylnor− adrenalin umgewandelt R Speicherung als falscher Transmitter“ in noradrenergen Neu− ronen K Wirkung: zentraler a2−Rezeptoragonist in der Medulla oblongata R senkt Aktionspo− tenzialfrequenz im Sympathikus R vermin− derte Gefäßkonstriktion (peripherer Wider− stand Q)
Fall 63 Seite 66
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63.3 Nennen Sie unerwunschten Wirkungen von a−Methyldopa! Unerwünschte Wirkungen gleichen auf Grund des Wirkungsmechanismus den unerwünschten Wirkungen anderer a2−selektiver Rezeptorago− nisten (z. B. Clonidin): initiale Sedierung, Hem− mung der Speichel− und Schleimsekretion
(Mundtrockenheit), orthostatische Dysregulation, Natrium− und Wasserretention mit Ödemen, Re− bound−Phänomen bei plötzlichem Absetzen (z. B. Unruhe, Schlaflosigkeit, Blutdruckerhöhungen), depressive Verstimmung, Hautreaktionen (z. B. allergischer Art mit Exanthemen)
KOMMENTAR
224
Fall
63 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Eine Blut− drucksteigerung in der Schwangerschaft (bei 5– 7 % der Schwangeren) mit Krankheitswert liegt bei Werten über 170/100 mmHg vor. Es gilt, eine schwangerschaftsunabhängige chronische Hy− pertonie (Eintritt vor Schwangerschaft oder vor 20. SSW) von den schwangerschaftsbedingten Hypertonieformen (Eintritt: nach 20. SSW) wie der Präeklampsie (Bluthochdruck, Proteinurie) und der Gestationshypertonie (isolierter Hyper− tonus im 3. Trimenon) zu unterscheiden. Die Prä− eklampsie ist durch einen allgemeinen Vasospas− mus, Hämokonzentration und intravasaler Gerin− nungsaktivierung gekennzeichnet. Pathogeneti− sche Grundlage ist dabei eine vaskuläre Endotheldysfunktion (Gefäßkontraktion durch Verschiebung des Prostazyklin−Thromboxan− Gleichgewichts). Schwerste Formen können zur ir− reversiblen Beeinträchtigung der uteroplazentaren Durchblutung mit intrauteriner Wachstumsre− tardierung bis hin zum Absterben des Kindes füh− ren. Komplikationen sind Eklampsie (Hyperrefle− xie, Krämpfe) und HELLP−Syndrom (Hämolyse, er− höhte Leberenzyme, Thrombozytopenie). Therapieziele: Der Zielblutdruck in der Schwan− gerschaft liegt zwischen 140 und 160 systolisch sowie 90 und 100 mmHg diastolisch, da sonst maternale und fetale Schäden nicht ausgeschlos− sen werden können. Ggf. sind engmaschige Kon− trollen der Mutter (z. B. Blutdruck, Proteinurie) und des Fetusses (z. B. Sonografie, Kardiotokogra− fie) indiziert. Eine Präeklampsie muss wegen mög− licher fulminanter Verläufe frühzeitig erkannt wer− den, eine stationäre Einweisung ist bei Verdacht indiziert. Die einzige kausale Therapie der schwangerschaftsbedingten Hypertonie ist die frühzeitige Entbindung. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Scho− nung der Patientin mit zeitweiliger Bettruhe in Linksseitenlage (Vermeidung eines Vena−cava− Kompressionssyndroms) ist eine wichtige Maß− nahme, oft ist eine häusliche Bettruhe ausrei− chend. Eine Reduktion der Kochsalzzufuhr wird nicht empfohlen, da diese zu einer Abnahme des Plasmavolumens und der uteroplazentaren Perfu− sion führen kann. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 63.1. Die Indikation für eine medikamentöse Blutdrucksenkung ist bei anhal− tenden Blutdruckwerten . 170/100 mmHg gege−
ben. Die Arzneimittel sollten zunächst niedrig do− siert werden, da eine abrupte Blutdrucksenkung die uteroplazentare Durchblutung verschlech− tern kann. a−Methyldopa: s. Antworten zu Frage 63.2 bis 63.3. a−Methyldopa ist ein vorwiegend zentral wirkendes Antisympathotonikum. Die orale Bio− verfügbarkeit ist variabel und beträgt ungefähr 25 %, die EHWZ liegt bei 2 Stunden, die Wirkungs− dauer bei 12 Stunden. a−Methyldopa wird über− wiegend renal eliminiert und ist plazenta− und muttermilchgängig. Kontraindiziert ist a−Methyl− dopa bei akuten Lebererkrankungen und Depres− sion. a−Methyldopa kann einen verminderten Kopfumfang bei Neugeborenen verursachen, die Intelligenz des Kindes wird dadurch nicht beein− trächtigt. a−Methyldopa kann mit Dihydralazin kombiniert eingesetzt werden. Dihydralazin: s. Antwort zur Frage 63.1. Dihydra− lazin gewährleistet auch bei Blutdrucksenkung ei− ne ausreichend plazentare Durchblutung. Die Blut− drucksenkung erfolgt durch direkte Vasodilatati− on mit unbekanntem Mechanismus. Nach oraler Applikation wird Dihydralazin schnell resorbiert, die Bioverfügbarkeit liegt bei 50 %. Trotz der kur− zen EHWZ von ca. 2–2,5 Stunden beträgt die Wirk− dauer 6–8 Stunden. Unerwünschte Wirkungen sind: Reflextachykardie, Erhöhung des Schlagvolu− mens, Schwindel, Schwächegefühl, Übelkeit und Diarrhö. Die Aktivierung des RAAS kann über eine gesteigerte Natrium− und Wasserretention zur Bil− dung lokaler Ödeme und Kopfschmerzen führen. Die Reflextachykardie kann durch Kombination mit b−Rezeptorantagonisten vermindert werden. Sonstige Antihypertonika: Sonst gängige Antihy− pertonika sind weniger geeignet, meist weil nicht genügend Langzeiterfahrung bei Einsatz während der Schwangerschaft vorliegen. Der Kalziumkanal− blocker Nifedipin besitzt im Tierversuch embryo− toxische und teratogene Effekte. Verapamil wird seit langem bei Schwangeren mit tachykarden supraventrikulären Herzrhythmusstörungen und als Begleitmedikation für die Tokolysebehandlung ohne Auftreten von fetalen Schädigungen einge− setzt. Diuretika sind wegen einer potenziellen Be− einträchtigung der uteroplazentaren Perfusion durch zusätzliche Reduktion des Plasmavolumens kontraindiziert. Ausnahme sind Frauen mit einer mitteIschweren oder schweren Hypertonie, die be− reits eine ausreichende Zeit vor der Schwanger−
Fall 63 Seite 66
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schaft (. 3 Monate) effektiv mit einem Thiaziddiu− retikum eingestellt wurden. ACE−Hemmer und AT1−Rezeptorantagonisten sind in der Schwan−
gerschaft kontraindiziert, da sie die Fruchtwasser− bildung hemmen und beim Neugeborenen ein akutes Nierenversagen hervorrufen können.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit Magnesium und Krampfanfalle Embryotoxische Arzneimittel
Fall 64
Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
64.1 Erläutern Sie die klinische Stadieneintei− lung der pAVK nach Fontaine! Wie würden Sie den Patienten einordnen?
Stadium Klinische Beschwerden
IIa
Claudicatio intermittens: schmerzfreie Gehstrecke . 200 m
IIb
Claudicatio intermittens: schmerzfreie Gehstrecke , 200 m
III
Ruheschmerzen im Liegen
IV
Nekrotische Veränderungen
Nach Fontaine wird der Patient eingeordnet: rechts Stadium IV, links Stadium III.
64.2 Therapieren Sie den Patienten medika− mentös? Begründen Sie! Der Patient sollte medikamentös behandelt wer− den; Begründung: K Verminderte Gehleistung mit eingeschränkter Lebensqualität (z. B. Verlust der sozialen Kon− takte) K Ruheschmerzen K Ulkus oder Gangrän K Drohende Amputation 64.3 Welche Wirkstoffe können Sie zur Be− handlung der pAVK einsetzen? K Thrombozytenaggregationshemmer, z. B. Acetylsalicylsäure 100–300 mg/d p.o. K Prostaglandine, z. B. Alprostadil 1 3 60 mg i. v. oder 10–20 mg i.a. über 3–4 Wochen K Vasoaktive Substanzen, z. B. Naftidrofuryl 600 mg/d p.o.
64.5 Erläutern Sie die Maßnahmen beim aku− ten Arterienverschluss! K Tieflagerung der befallenen Extremität und Watteverband gegen Auskühlung K Antikoagulation mit Heparin 5000 IE i. v. K Schmerzbehandlung mit Morphin 5–10 mg langsam i. v. K Keine Vasodilatatoren intraarteriell oder sys− temisch (Blutungsgefahr bei späterer Fibrino− lyse) K Möglichst schnelle Diagnostik (z. B. Pulsdiag− nostik, Doppleruntersuchung, dann Revasku− larisation: – Lokale Thrombolyse: Streptokinase 1000– 2000 IE alle 3–5 min (max. Gesamtdosis 120 000 IE) oder Urokinase 4000 IE/min bis zur Wiedereröffnung, danach 1000 IE bis zur vollständigen Lyse des Thrombus – Perkutane transluminale Angioplastie/ Stent−Einlage – Thrombendarteriektomie: perkutane Aspi− ration oder Ausschälung inkl. Gefäßintima – Gefäß−Bypass: autolog oder synthetisch – Ultima ratio: Amputation K Rethromboseprophylaxe mit Acetylsalicylsäu− re 100 mg/d p.o.
225
64 Antworten und Kommentar
Keine
Fall
I
64.4 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Alprostadil! K Schmerzhafte Rötung im Gefäßverlauf K Schweißausbrüche K Durchfall, Übelkeit, Erbrechen K Blutdruckabfall, Stenokardien, Herzrhythmus− störungen K Gelenkbeschwerden K Kopfschmerzen, zerebrale Krampfanfälle, Ver− wirrtheitszustände K Leukopenien bzw. Leukozytose
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die periphe− re arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist eine langsam fortschreitende stenosierende Verände− rung der Aorta und peripheren Extremitätenarte−
rien, die zu 95 % arteriosklerotisch bedingt ist. Sie wird durch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus und Nikotinabusus begünstigt. Einem lan−
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gen symptomlosen oder −armen Intervall folgt bei einer Stenosierung . 75 % eine Reduktion der poststenotischen arteriellen Ruhedurchblutung mit ischämischen Symptomen. Die Einteilung er− folgt nach dem Schweregrad (Stadieneinteilung nach Fontaine, s. Antwort zur Frage 64.1) und der Lokalisation (Becken−, Oberschenkel−, peripherer Typ). Leitsymptom ist der belastungsabhängige ziehende krampfartige Schmerz in der belasteten Muskulatur (Claudicatio intermittens); dazu kommen Ruheschmerzen und ischämische Gewe− bedefekte (z. B. Gangrän). Die Diagnose kann durch gezielte Anamnese, körperliche Untersuchung (z. B. blasse, kühle Extremität; trophische Störun− gen), Pulspalpation und Auskultation gestellt wer− den. Invasive diagnostische Maßnahmen (z. B. Ar− teriografie) dienen der Vorbereitung einer Revas− kularisation.
226
Fall
64
Therapieziele: Kausale Therapiegrundlage ist die Verminderung der Risikofaktoren zur Reduktion der kardio− und zerebrovaskulären Morbidität und Mortalität sowie die Verhütung von Gefäßste− nosen, −verschlüssen und Amputationen durch progrediente Arteriosklerose. Die symptomatische Therapie hilft stadienabhängig z. B. die Gehstrecke zu verlängern, den Ruheschmerz und die Extremi− tät durch Abheilung von Nekrosen zu erhalten. Eine Kontrolle des klinischen Verlaufs ist in regel− mäßigen Abständen durchzuführen.
Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Basis− therapie umfasst: Nikotinkarenz, Behandlung von Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie oder Fett− stoffwechselstörung. Das Gehtraining ist im Sta− dium II indiziert (jeweils 1–1,5 h/d). Enges Schuh− werk ist zu vermeiden (Gefahr der Drucknekro− sen), Fußpflege sollte vorsichtig durchgeführt und jegliche Verletzung vermieden werden. Allge− meine lokale Wärmeanwendungen oder hyper− ämisierende Salben sind zu vermeiden, da diese Maßnahmen die Blutzirkulation in der Haut auf Kosten der Muskulatur steigern. Die Indikation zur perkutanen transluminalen Angioplastie (PTA) oder zur Gefäßoperation (z. B. Thrombenar− teriektomie, Venen−Bypass) wird klinisch gestellt.
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 64.3. Eine Pharmakotherapie bei pAVK wird abhängig vom Erkrankungsstadi− um, der Lokalisation der Gefäßläsion und dem Zu− stand des Patienten durchgeführt. Grundsätzlich ist ein Thrombozytenaggregationshemmer (s. Fall 58) (z. B. ASS, Clopidogrel bei ASS−Unverträg− lichkeit) bei allen pAVK−Patienten indiziert. Eine Therapie mit Antikoagulanzien (z. B. Marcumar, Heparin) ist nur indiziert bei der Rezidivprophyla− xe kardialer Embolien, als Begleitmedikation wäh− rend Lysebehandlungen sowie bei arteriellen Ver− schlüssen mit überwiegend thrombotischer Kom− ponente. Vasodilatatoren (z. B. Naftidrofuryl, Pentoxifyllin, Buflomedil) sollten nur bei ausge− prägter Claudicatio intermittens (Wegstrecke , 200 m) oder bei Kontraindikationen gegen Geh− training (z. B. bei orthopädischen oder neurologi− sche Erkrankungen) oder Katheterdilatation bzw. Operation eingesetzt werden. Ziel einer Hämodi− lutionsbehandlung mit kolloidalen Lösungen (z. B. Dextran 40, Hydroxyethylstärke) ist die Ver− besserung der Gewebeperfusion und Mikrozirku− lation über eine Verringerung der Vollblutviskosi− tät (s. Fall 18). Das Schlangengift Ancrod überführt Fibrinogen in labile Fibrinderivate, die phagozy− tiert werden, und zeigt günstige Effekte bei einer defibrinogenisierenden Therapie. Prostaglandine: Zur Behandlung der pAVK hat sich das vasodilatierende und thrombozytenaggre− gationshemmende Alprostadil (PGE1) bewährt. Alprostadil kann intraarteriell (i.a.) oder i. v. ange− wendet werden. Zur Therapie der pAVK kann auch das stabile Prostacyclinderivat Iloprost einge− setzt werden, es wirkt vasodilatierend und hemmt die Thrombozytenaggregation. Die Therapie mit diesen Substanzen ist indiziert, wenn revaskulari− sierende Maßnahmen nicht möglich sind. Uner− wünschte Wirkungen sind zahlreich (s. Antwort zur Frage 64.4). Bei gleichzeitiger Gabe kann die blutdrucksenkende Wirkung von Antihypertensiva verstärkt und das Blutungsrisiko unter Therapie mit Antikoagulanzien erhöht werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Erektile Dysfunktion Therapie transitorischer ischamischer Attacken/Hirninfarkt Tinnitusbehandlung
Fall 64 Seite 67
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Fall 65 65.1 Wie gehen Sie weiter vor? K Aufklärung über Ungefährlichkeit der Be− schwerden, selbstlimitierende Erkrankung bedarf keiner spezifischen Therapie K Orale Substitution von Flüssigkeit und Elekt− rolyten: orale Rehydratationslösung nach WHO, Fertigpräparate (z. B. Elotrans), selbst herzustellende Lösung (20 g Glukose [4 Esslöf− fel Rohrzucker]; 3,5 g NaCl [3/4 Teelöffel Tafel− salz]; 1,5 g KCl [1 Tasse Orangensaft/2 Bana− nen]; 2,5 g NaCO3 [1 Teelöffel Backpulver] auf 1 l Wasser oder Tee) K Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 65.2 65.2 Welche pharmakologischen Optionen zur
62.3 Bei welchen Symptomen ist eine weitere Abklärung angebracht? K Krankheitsspezifisch: profuse wässrige Diar− rhö mit Dehydratation; Dysenterie (Durchfall mit blutig−schleimigen Stühlen); Fieber . 38,5 8C; Passage von . 6 ungeformten Stüh− len/d und/oder Krankheitsdauer . 48 Stunden K Patientenspezifisch: Diarrhö mit schweren Bauchschmerzen (Patient . 50 Jahre); Diarrhö bei Patient . 70 Jahre; Diarrhö beim Immun− kompromittierten; spezielle epidemiologische Situation (Gastgewerbe, Lebensmittelhändler)
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Eine Diarrhö liegt vor, wenn mehr als 3 flüssige Stühle pro Tag auftreten oder das Stuhlgewicht über 250 g/d liegt. Sie ist keine Erkrankung im eigentlichen Sinne sondern Symptom einer gestörten Wasser− und Elektrolytabsorption im Darm. Dies kann osmo− tisch (intestinaler Wassereinstrom), sekretorisch (Sekretion von Elektrolyten und Wasser), motili− tätsbedingt oder exsudativ (gesteigerte Permea− bilität der Mukosa) bedingt sein. Ursächlich kom− men in Frage: Infektionen, funktionelle Störungen, Neoplasien, Toxine, Maldigestions− und Malab− sorptionssyndrome, Nahrungsmittelallergien, Stoffwechsel− und endokrine Störungen und be− stimmte Medikamente (z. B. Laxanzien, Antibioti− ka, Zytostatika). Therapieziele: Ziel ist die Normalisierung der Stuhlfrequenz und die Rehydratation des Patien− ten, die klinisch kontrolliert werden sollte. Bei in− fektiöser Genese ist eine Ausbreitung der Erkran− kung zu vermeiden. Einige infektiöse Diarrhöen sind meldepflichtig, ggf. können Stuhlkontrollen erforderlich werden (z. B. bei Salmonellenaus− scheidern).
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zu Frage 65.1. Sollte die orale Substitution nicht möglich oder erfolgreich sein, ist eine Infusions− therapie, z. B. mit Ringerlösung indiziert. Eine in− itiale Nahrungskarenz kann hilfreich sein, im Ver− lauf kann mit einem vorsichtigen Kostaufbau nach Verträglichkeit begonnen werden. Bei Reisediarrhö ist die strikte Einhaltung hygienischer Maßnah− men die wichtigste Prophylaxe. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 65.2. Die Behandlung des Grundleidens steht nach Möglichkeit im Vorder− grund. Trotz der erheblichen medizinischen Be− deutung der akuten Durchfallerkrankungen liegen wenig evidenzbasierte Empfehlungen vor. Adsor− benzien, Adstringenzien und Hefelyophilisaten wirken antidiarrhoisch durch Hemmung der Toxinadhäsion an die Darmmukosa. Diese Mittel können auch bei Kleinkindern angewendet wer− den. Der Einsatz von Antibiotika ist auf schwere infektiöse Diarrhöen beschränkt (s. Antwort zur Frage 65.4). Neuerdings werden Erkrankungen mit Salmonellen nicht mehr routinemäßig mit An− tibiotika behandelt, weil dies die Dauerausschei−
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65 Antworten und Kommentar
62.4 In welchen Fällen sind Antibiotika bei Durchfall indiziert? K Protozoeninfektionen: – Giardia lamblia: Metronidazol 3 3 400 mg/ d für 5–7 Tage – Entamoeba histolytica: Metronidazol 3 3 800 mg/d für 10 Tage K Bakterielle Infektionen: – Salmonella enterica: z. B. Ciprofloxacin 2 3 500 mg/d p.o. für 7 Tage – Shigella spp.: z. B. Ampicillin 4 3 500 mg/d p.o. – Clostridium difficile: Antibiotika absetzen, Vancomycin 4 3 125–250 mg/d p.o. für 7– 14 Tage – Camphylobacter spp.: z. B. Erythromycin 2 3 500 mg/d für 5 Tage
Fall
Therapie der Diarrhö haben Sie? K Adsorbenzien: – Carbo medicinalis: Neutralisierung von To− xinen – Gallensäurebindende Harze (z. B. Colesty− ramin): bei chologener Diarrhö K Antidiarrhoika hemmen die Peristaltik (durch Hemmung enteraler Opiatrezeptoren): – Loperamid 2 3 2 mg/d – Tinctura opii 2−3 3 5−15 Tr./d K Adstringenzien, Lyophilisate von Saccharo− myces boulardii (Perenterol) K Antibiotika s. Antwort zur Frage 62.4
Diarrhö
Fall 65 Seite 68
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dung und Übertragung von Resistenzfaktoren be− günstigt. Antidiarrhoika: Loperamid weist keine zentral− nervösen Wirkungen auf, während bei Diphenoxylat hochdosiert zentrale morphinähnli−
che Wirkungen auftreten können. Loperamid darf nicht bei Durchfällen durch enteroinvasive Bakte− rien angewendet werden, da durch die Darmatonie die Gefahr einer vermehrten Toxinproduktion und einer verzögerten Toxinausscheidung besteht.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Chologene Diarrho Sanierung von Salmonellendauerausscheidern Diarrho im Kindesalter
Fall 66
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Fall
66
Osteoporose
66.1 Welche Therapie leiten Sie ein? K Medikamentöse Basistherapie: Kalzium 1000 mg/d p.o., Vitamin D3 500–1000 IE/d p.o. K Bisphosphonate: z. B. Alendronat 1 3 10 mg/d oder 1 3 70 mg/Woche p.o. über mindestens 3 Jahre K ggf. Kalzitonin s.c., initial 100 IE/d über 6 Wochen, anschließend 50–100 IE/Woche für 1 Jahr K ggf. SERM: z. B. Raloxifen 1 3 60 mg/d
Antworten und Kommentar
66.2 Nennen Sie prophylaktische und un− terstützende Maßnahmen in der Therapie der Osteoporose! K Regelmäßige körperliche Aktivität (z. B. 3− mal/Woche Radfahren, Schwimmen) und täg− licher Aufenthalt im Freien (mind. 30 min) K Grundversorgung mit Kalzium (Richtwert: 1000 mg/d; in Schwangerschaft, im Alter bis 1500 mg/d): kalziumreiche Nahrungsmittel (Milch, Milchprodukte, grünes Gemüse, kalzi− umreiches Mineralwasser) K Ausreichende Kalorienzufuhr v. a. im Alter K Meiden von Genussgiften (Zigaretten, Kaffee, Alkoholkonsum ,30 g/d)
66.3 Wie führen Sie eine Osteoporosetherapie beim Mann durch? K Kausale Therapie bei sekundärer Osteoporose (Hypogonadismus, Hyperthyreose) K Basistherapie: Ernährung, Bewegung, Abbau von Risikofaktoren, Kalzium−/Vitamin−D3−Sup− plementation K Schmerztherapie: physikalische Maßnahmen, periphere/zentrale Analgetika K Mono−/Kombinationstherapie aus: – Knochenanabolika: Fluoride + Kalzium/ Vitamin D3, Parathormon – Antiresorptiva: Bisphosphonate, Kalzitonin 66.4 Welche Maßnahmen können das Sturzri− siko bei älteren Patienten vermindern? K Entfernen von Stolperfallen in der Wohnung K Trainieren von Koordination und Verbessern des Gangbildes K Beheben von Sehstörungen (Kataraktoperati− on, Sehhilfen) K Vorsichtiges Anwenden von Psychopharmaka und Sedativa K Vermeiden orthostatischer Hypotonien bei Behandlung eines arteriellen Hypertonus K Gehhilfen, Hüftprotektoren
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Osteoporose ist eine oft mit Frakturen einhergehende Erkran− kung mit Verminderung der Knochenmasse, −struktur und −funktion. Unterschieden wird eine idiopathische (. 90 %) von einer sekundären Osteoporose (z. B. unter Glukokortikoid−, Heparin− therapie). Eine Osteoporose tritt häufig bei Frauen nach der Menopause auf (sog. postmenopausale Osteoporose). Pathophysiologisch liegt ein Netto− knochenabbau durch eine verminderte Aktivität der Osteoblasten zugrunde. Zusätzlich beschleu− nigt ein Mangel an Sexualhormonen (z. B. Östro− gen) den Knochenstoffwechsel. Symptome einer manifesten Osteoporose sind Wirbelkörperfrak−
turen mit Körpergrößenverlust und akutem Schmerzsyndrom im Rücken. Zur Diagnosesiche− rung und Stadieneinteilung werden u. a. Osteo− densitometrie und Röntgenabsorptiometrie ein− gesetzt. Therapieziele: Ziel ist die Steigerung der Kno− chenfestigkeit und die Reduzierung des Fraktur− risikos. Dies führt konsekutiv zu einer Verbesse− rung der Symptome und Lebensqualität. Therapie− kontrollen erhöhen die Compliance und erfassen unerwünschte Wirkungen. Die Wirksamkeit der Therapie wird durch Osteodensitometrie und bio−
Fall 66 Seite
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chemische Umbaumarker (z. B. Osteokalzin) kon− trolliert. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 66.2. Bei der Reaktivierung von Men− schen mit Osteoporose hat die Physiotherapie große Bedeutung bei der Förderung von Aktivität und Lebensqualität. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 66.1. Die Pharmakotherapie spielt bei der Prävention eine zunehmende Rolle. Hierbei sind eine Substitution von Kalzium/Vi− tamin D3 und eine antiresorptive Therapie bereits bei Risikopatienten, die noch keine Frakturen auf− weisen, angezeigt. Bei der Therapie der manife− sten Osteoporose wird dies durch osteoanabole Wirkstoffe ergänzt.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Glukokortikoidinduzierte Osteoporose Therapie des multiplen Myeloms Intoxikation mit Vitamin−D−Hormon
Fall 67
67 Antworten und Kommentar
Osteoanabole Substanzen: Parathormon stimu− liert die Osteoblasten und fördert die Knochenneu− bildung auf allen Knochenoberflächen bei einmal täglicher subkutaner Injektion. Entscheidend für den osteoanabolen Effekt scheint die tageszeitli− che Konzentrationsschwankung zu sein (s. Fall 26). Die Wirkung der Fluoride auf die Knochendichte und mechanische Belastbarkeit wurde nie ausrei− chend belegt, gezeigt ist eine Zunahme der Kno− chenmasse durch Stimulierung der Osteoblasten.
229
Fall
Antiresorptive Wirkstoffe: Die wichtigsten Sub− stanzen zur Behandlung der Osteoporose sind die Bisphosphonate (z. B. Alendronat, Zolendronat) (s. Fall 26). Alendronat verhindert wirksam Fraktu− ren bei allen relevanten Frakturtypen in unter− schiedlichen Patientengruppen. Alendronat steht in einer langwirkenden Zubereitung zur Verfü− gung, die eine Gabe einmal wöchentlich erlaubt. Das neuere Zoledronat scheint bis zu einem Jahr nach Infusion, die Prävention und Therapie der Osteoporose positiv zu beeinflussen, und kann möglicherweise als Jahresspritze“ verwendet werden. Raloxifen ist der erste Vertreter der neuen Sub− stanzklasse der selektiven Östrogenrezeptor− modulatoren“ (SERM), die für die Prävention und Therapie der postmenopausalen Osteoporose zugelassen sind. Sie stellen möglicherweise eine Alternative zur Hormonersatztherapie dar. Raloxi− fen ist ein nichtsteroidales Benzothiophenderivat.
Es wirkt hauptsächlich durch direkte Interaktion mit dem Östrogenrezeptor und hat damit eine östrogene Wirkung (= katabole Wirkung) auf den Knochenstoffwechsel. Unerwünschte Wirkungen sind: Thrombosen, Hitzewallungen und Waden− krämpfe. Kontraindiziert ist Raloxifen bei Endome− triumkarzinom, Männern, Frauen im gebärfähigen Alter, schwerer Leber− und Niereninsuffizienz. Kalzitonin hemmt die Osteoklasten durch Bin− dung an spezifische Oberflächenrezeptoren, ist je− doch den Bisphosphonaten hinsichtlich Wirksam− keit und Anwendbarkeit unterlegen. Zusätzlich hat Kalzitonin eine zentral analgetische Wirkung bei osteoporotischen/−lytischen Knochenschmerzen. Vitamin−D3−Hormone (Cholecalciferol, Calcitriol) fördern physiologisch die Kalziumresorption in Darm und Niere sowie die Knochenmineralisation. Neueste Studien zur Hormonsubstitutionsthera− pie in der Postmenopause belegen aber ein un− günstiges Nutzen−Risiko−Verhältnis (s. Fall 94), so dass diese Therapie nur bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegenüber anderen bei die− ser Indikation zugelassenen Arzneimitteln ange− wendet werden sollte.
Hyperkaliämie
67.1 Was unternehmen Sie im vorliegenden Fall? Es besteht eine Hyperkaliämie mit klinischen Symptomen (Extremitätenschwäche) K Umstellen der Antihypertensiva: kaliumreti− nierende Wirkstoffe (Enalapril, Triamteren) er− setzen durch kaliumeliminierende Wirkstoffe, z. B. Therapie mit Clonidin, Nifedipin und Fu− rosemid K Gleichzeitig wird eine kaliumarme Kost ver− ordnet und die früher empfohlene Salzrestrik− tion aufgehoben
67.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von kaliumsparenden Diuretika und Aldosteronre− zeptorantagonisten! K Kaliumsparende Diuretika (z. B. Triamteren, Amilorid): – Hyperkaliämie – Gastrointestinale Beschwerden (z. B. Mund− trockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö) – Wadenkrämpfe, Kopfschmerzen – Megaloblastäre Anämie (Triamteren) – Transitorische Sehstörungen (Amilorid)
Fall 67 Seite 70
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K Aldosteronrezeptorantagonisten (z. B. Spiro− nolacton, Kaliumcanrenoat): – Hyperkaliämie – Bei Männern Gynäkomastie (z. T. schmerz− haft), Impotenz – Bei Frauen Laktation, Menstruationsstörun− gen – Exantheme – Benommenheit, Schläfrigkeit – Kaliumcanrenoat (i. v.−Form) im Tierversuch karzinogen
67.3 Welche Arzneimittel können eine Hyper− kaliämie verursachen? K Kaliumsparende Diuretika (s. Antwort zur Fra− ge 67.2) K ACE−Hemmer, z. B. Captopril
K Biguanide, z. B. Metformin K HMG−CoA−Reduktasehemmer, z. B. Lovastatin K Kaliumhaltige Lösungen, z. B. Antibiotika, Rehydratationslösungen K Erythropoetin K Suxamethonium K b2−Sympathomimetika
67.4 Was bewirken Kationenaustauschharze? Nennen Sie Unterschiede zwischen den Harzen! K Reduktion der intestinalen Resorption von Kalium im Austausch gegen Kalzium bzw. Natrium; Förderung der Kaliumausscheidung über Darm K Polystyrol−Sulfonat−Harze – Sorbisterit enthält Kalzium−Salz – Resonium A enthält Natrium−Salz
KOMMENTAR
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Fall
67 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Eine Hyper− kaliämie liegt bei einem Serumkalium . 5,5 mmol/l vor. Häufigste Ursachen sind Nieren− insuffizienz oder Medikamente, die die renale Kaliumausscheidung hemmen (s. Antwort zur Fra− ge 67.3). Pathophysiologisch liegt meist eine ver− minderte renale Elimination oder gestörte zellu− läre Aufnahme zugrunde, selten ist die Kalium− aufnahme übermäßig gesteigert. Mit Anstieg der Kaliumkonzentration im Serum nimmt das Ruhe− membranpotenzial erregbarer Zellen ab und führt zu einer neuromuskulären Übererregbarkeit, während später keine Repolarisation mehr eintritt und die zelluläre Erregung zu Erliegen kommt. Die Folgen sind kardiale Überleitungsstörungen bis hin zu Kammerflimmern, Asystolie und Herzstill− stand, Parästhesien oder Muskelschwäche. Cha− rakteristische EKG−Veränderungen sind hohe zeltförmige T−Wellen, PQ−Verlängerungen und Ver− breiterung des QRS−Komplexes (s. Abb.).
Kalium und Protonen (H+) unterliegen einem ex− tra− und intrazellulären Austausch. Steigt die Ka− liumkonzentration extrazellulär an, ist ein ver− mehrter Austausch mit intrazellulären H+ mög− lich, so dass sich auch mehr H+ extrazellulär fin− den. Das heißt, es entsteht eine metabolische Azidose. Serumkaliumwerte .7,0 mmol/l sind wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhyth− musstörungen ein internistischen Notfall. Diag− nostisch sollte eine Pseudohyperkaliämie durch fehlerhafte Blutabnahme und Hämolyse ausge− schlossen werden. Therapieziele: Ziel ist eine Senkung der Kalium− konzentration im Serum auf physiologische Wer− te. Dabei ist die Wahl der Therapie abhängig vom Schweregrad und dem zeitlichen Verlauf der Hy− perkaliämie. Eine engmaschige Kontrolle der Elektrolyte und des Säure−Basen−Haushaltes so− wie eine kardiale Überwachung sind entspre− chend der Schwere der Hyperkaliämie und der be− gleitenden Symptomatik notwendig. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Bei Vorlie− gen einer leichten Hyperkaliämie kann die Ein− schränkung der oralen oder parenteralen Kaliumzu− fuhr ausreichend sein. Medikamente, die eine Hy− perkaliämie hervorrufen können, sind abzusetzen.
EKG bei Hyperkaliämie
Pharmakotherapie Bei nicht lebensbedrohlichem Kaliumüberschuss kann die Gabe eines Schleifendiuretikums (z. B. Furosemid) ausreichend sein. Furosemid bewirkt ein vermehrtes Natriumangebot im distalen Tubu− lus und Sammelrohr und damit eine im Austausch gesteigerte Kaliumausscheidung. Die Wirkung setzt innerhalb von 20–30 Minuten ein. Uner− wünschte Wirkungen sind: Dehydratation, rever− sible Hörschäden, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und allergische Reaktionen. Kontraindikationen bestehen bei Überempfindlichkeit gegen Sulfona− mide, Nierenversagen, Leberfunktionsstörungen, Hypovolämie, Hyponatriämie.
Fall 67 Seite 70
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Kationenaustauschharze (Sorbisterit, Resonium A) können in diesen Fällen ebenfalls hilfreich sein (s. Antwort zu Frage 67.4). Anstelle der peroralen Gabe (schlechter Geschmack, Obstipation) wird oftmals ein Klysma, das 30–60 Minuten gehalten werden muss, bevorzugt. Der Wirkungseintritt er− folgt nach 6–8 Stunden. Kontraindikationen sind chronische Obstipation und Ileus; Resonium A kann durch seinen Natriumgehalt eine arterielle Hypertonie oder Herzinsuffizienz verschlechtern. Bei akuter lebensbedrohlicher Hyperkaliämie ist die Gabe von Kalziumglukonat unter Monitor− kontolle als Sofortmaßnahme erforderlich. Kalzi− um hemmt die depolarisierenden Kaliumeffekte am Myokard (funktioneller Antagonismus), be−
einflusst die Kaliumspiegel aber nicht. Die Wir− kung tritt nach 1–3 Minuten ein und hält ca. 1 Stunde an. Kontraindiziert ist Kalziumglukonat bei digitalisierten Patienten. In schweren Fällen kann die Infusion von Glukose (500 ml Glukose 10 %) und Insulin (0,5–1 IE/g Glu− kose) eine Umverteilung von Kalium aus dem Extrazellular− in den Intrazellularraum bewirken. Die Wirkung setzt innerhalb von 30 Minuten ein und hält 4–6 Stunden an. Alternativ kann die In− fusion von Natriumbikarbonat erfolgen, mit ei− nem Wirkeintritt innerhalb von 5–10 Minuten und einer Wirkdauer von ca. 2 Stunden. Bei Nie− renversagen und als Ultima ratio kann die Hämo− dialyse eingesetzt werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung einer Hypokaliamie Dialyseverfahren Charakterisierung von Aldosteron
Fall
Fall 68
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Influenza
68
68.3 Für welche Personengruppen würden Sie
lung der Influenza eingesetzt werden! K Neuraminidasehemmer: – Zanamivir 2 3 10 mg/d per inhalationem – Oseltamivir 2 3 75 mg/d p.o. K Nukleinsäurefreisetzungshemmer: – Amantadin 2 3 100 mg/d p.o.
eine Influenzaimpfung empfehlen? Würden Sie der Patientin zu einer Impfung raten? K Risikopatienten mit: Herz−Kreislauferkran− kungen (Mitralstenose, koronare Herzkrank− heit, arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz), chronischen Atemwegserkrankungen, chroni− schen Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, Immunschwäche (z. B. HIV−Infizierte), Tumor− erkrankungen, Organtransplantation K Personen . 60 Jahre K Berufsgruppen mit erhöhter Infektionsge− fahr: medizinisches Personal, Personen mit umfangreichem Publikumsverkehr Patientin: ist Krankenschwester und gehört da− mit zu einer Berufsgruppe mit erhöhter Infekti− onsgefahr; eine Impfung wäre ihr zu empfehlen.
68.2 Gegen welchen Influenzatypus ist Aman− tadin wirksam? Influenzaviren Typ A
Antworten und Kommentar
68.1 Nennen Sie Arzneimittel, die zur Behand−
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die echte Grippe (Influenza) ist ein fieberhafter viraler Infekt mit meist epidemischem Vorkommen. Das In− fluenzavirus gehört zu den Orthomyxoviren (RNA−Virus), serologisch werden drei Typen (A, B, C) unterschieden. Für das Krankheitsbild der In− fluenza ist hauptsächlich Typ A, selten Typ B, prak− tisch nie Typ C verantwortlich. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch. Die Virulenz wird durch die viralen Ober− flächenproteine Neuraminidase (Virusfreisetzung aus infizierten Zellen) und Hämagglutinin (Ad−
sorption an Zielzellen des Respirationstraktes) be− stimmt. Die Krankheit beginnt plötzlich nach kur− zer Inkubationszeit von 1–3 Tagen mit Fieber, Schüttelfrost, starkem Krankheitsgefühl, Rhinitis, Konjunktivitis, trockenem Husten, retrosternalem Brennen. Bei schwerem Verlauf entwickelt sich ei− ne Tracheobronchitis. Gefürchtete Komplikationen sind Influenzapneumonie oder sekundäre bakte− rielle Pneumonien. Die Diagnose wird meist auf Grund des klinischen Bildes gestellt. Labordiagnos− tisch stehen ein Schnelltest, der direkte Virusnach− weis (meldepflichtig wenn positiv) im Rachenspül−
Fall 68 Seite 71
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wasser oder ein Antigen− bzw. Nukleinsäurenach− weis zur Verfügung. Die Mortalitätsrate bei über 60−Jährigen liegt bei 50 %. Regelmäßige Influenza− A−Pandemien werden alle 10–20 Jahre beobach− tet, diese werden durch die Neukombination der Neuraminidase− und Hämagglutinin−Antigene (Antigen−Shift) verursacht. Therapieziele: Ziel ist die Elimination der Krank− heitserreger und das Vermeiden von Komplikatio− nen (z. B. Pneumonie). Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Wichtigste prophylaktische Maßnahme ist die jährliche Grip− peschutzimpfung bei Risikogruppen (s. Antwort zur Frage 68.3). Die symptomatische Therapie um− fasst körperliche Schonung, ausreichende Flüssig− keitszufuhr und physikalische Methoden zur Fie− bersenkung (z. B. Wadenwickel).
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Fall
69
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 68.1. Im späteren Verlauf der Erkrankung wird wegen Wirkungslosigkeit auf ei− ne spezifische Behandlung verzichtet und eine symptomatische Therapie mit Antipyretika, Anti− tussiva und Analgetika durchgeführt.
Antworten und Kommentar
Amantadin: Amantadin verhindert die Freiset− zung der Virusnukleinsäure (uncoating) in die Wirtszelle. Therapeutisch wirkt Amantadin nur prophylaktisch oder im Frühstadium der Influen− za−A−Erkrankung (1–2 Tage nach Beginn der er− sten Krankheitserscheinungen). Es bewirkt einen milderen und kürzeren Krankheitsverlauf. Aman−
tadin wird gut aus dem Gastrointestinaltrakt re− sorbiert, die EHWZ beträgt ca. 15 Stunden. Aman− tadin wird unverändert renal ausgeschieden. Un− erwünschte Wirkungen sind gastrointestinale Störungen, zentralnervöse Störungen (z. B. Reiz− barkeit, Erregung, Halluzinationen, Krämpfe), Mundtrockenheit, Herzrhythmusstörungen, Blut− druckabfall und Ödeme. Die Wirkung von Anticho− linergika (z. B. Atropin) wird verstärkt. Amantadin wird ebenfalls in der Parkinsontherapie eingesetzt (s. Fall 44). Neuraminidasehemmer: Alternativ können die Neuraminidasehemmer Zanamivir oder Oselta− mivir in der Frühtherapie der Influenza A oder B eingesetzt werden. Ein günstiger Heilungsverlauf ist aber nur bei Anwendung innerhalb von 2 Tagen nach Krankheitsbeginn zu erwarten. Die Wirkstof− fe hemmen die virale Neuraminidase, so dass die Freisetzung der neugebildeten Viren gestört wird. Zanamivir wird inhaliert. Unerwünschte Wirkung von Zanamivir kann bei prädisponierten Patienten (z. B. Asthmatiker) ein akuter Bronchospasmus sein. Oseltamivir wird als Prodrug nach oraler Ga− be gut aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, der entstehende Metabolit ist gut gewebegängig und erreicht in der Lunge ausreichend hohe Wirk− stoffspiegel. Oseltamivir kann häufig Übelkeit, Er− brechen und Magenbeschwerden verursachen, die sich durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme ver− ringern lassen.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Beispiele fur inhalativ anwendbare Arzneimittel Therapie der HIV−Infektion Behandlung der CMV−Retinitis
Fall 69
Diabetes insipidus
69.1 Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Welches Arzneimittel sollten Sie zur Behebung der Symptome einsetzen? K Verdachtsdiagnose: erworbener zentraler Diabetes insipidus bei Schädel−Hirn−Trauma; Begründung: traumatische Schädigung der Schädelbasis mit Störung der Sekretion von antidiuretischem Hormon (ADH); infolge des ADH−Mangels ist die Urinkonzentrierung durch Wasserreabsorption im Sammelrohr vermindert, große Urinmengen werden ausge− schieden K Therapie: Vasopressinanaloga, z. B. Desmo− pressin (Gabe bis zur klinischen Besserung) 2– 3 3 0,2–1,2 mg/d p.o. oder 1–3 3 10–40 mg/d intranasal oder 1–4 mg/d i. v. oder s.c.
69.2 Wie gehen Sie dann therapeutisch vor? Beim nephrogenen Diabetes insipidus (kein An− sprechen der Niere auf ADH) wird ein hypotoner Harn auf Grund fehlender Konzentrierungsfähig− keit der Nieren ausgeschieden, das Plasma wird hyperton: K Kausale Therapie (z. B. Behandlung einer chro− nischen Niereninsuffizienz, Vermeiden von Li− thium) K Symptomatische Therapie (Thiaziddiuretika): z. B. Hydrochlorothiazid 50–100 mg/d p.o. – Plasma wird weniger stark hyperton, da die Na+−Reabsorption im proximalen Teil des distalen Tubulus durch Thiazide ge− hemmt wird
Fall 69 Seite 72
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– Abnahme der Trinkmenge und glomeru− !!! 69.4 U ber welche Rezeptoren wird die Wir− lären Filtrationsrate, bessere Reabsorption kung von Vasopressin vermittelt? von Flüssigkeit im Nephron, vermindertes K Vasokonstriktion: Vasopressin−1−(V1)−Rezep− Harnvolumen toren R Konstriktion der glatten Gefäßmusku− latur 69.3 Nennen Sie Wirkungen und daraus resul− K Antidiurese: V2−Rezeptoren R verstärkter Ein− tierende Indikationen für Vasopressin und Va− bau von Wasserkanälen (Aquaporin−2, AQP 2) sopressinanaloga! in die luminale Membran des Sammelrohrepi− K Antidiuretischer Effekt: zentraler Diabetes thels R Wassereinstrom in die Tubuluszelle insipidus entlang des osmotischen Gradienten, Durch− K Vasokonstriktorischer Effekt: Ösophagusvari− tritt von Wasser in das Interstitium durch zenblutung, Lokalanästhetikazusatz, noradre− Aquaporine vom Typ AQP 3 und AQP 4 nalinresistenter septischer Schock K Synthesesteigerung des Blutgerinnungsfak− tors VIII: präoperative Prophylaxe bei Hämo− philie A
KOMMENTAR Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Bis zur end− gültigen Diagnosesicherung und Pharmakothera− pie ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten.
Therapieziele: Ziel ist die Normalisierung des Urinvolumens (1,5–2 l/d) nach Möglichkeit durch eine kausale Behandlung. Eine medikamentöse Therapie ist ab einer Trinkmenge von 4 l/d indi− ziert. Eine Flüssigkeitsbilanzierung oder Körper− gewichtsbestimmung sollten während der Thera− pie durchgeführt werden.
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69 Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie Die Wirkungen von Vasopressin werden über 2 Rezeptorsubtypen vermittelt (s. Antwort zur Fra− ge 69.4). Vasopressin ist ein Peptid aus 9 Amino− säuren, durch Austausch einzelner Aminosäuren wurden spezifisch wirkende Derivate hergestellt (s. Abb.): Lypressin, Desmopressin, Felypressin, Ornipressin. Ornipressin und Felypressin wirken stärker vasokonstriktiv. Beim zentralen Diabetes insipidus ist Desmopressin Wirkstoff der Wahl (s. Antwort zur Frage 69.1). Die Wirkung von Desmo− pressin wird durch Clofibrate, Indometacin und Carbamazepin verstärkt. GlibencIamid kann die Wirkung abschwächen.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Der zentrale Diabetes insipidus ist durch einen vermehrten re− nalen Wasserverlust in Folge einer verminderten Sekretion von Vasopressin (Syn. Adiuretin, ADH) aus dem Hypophysenhinterlappen charakterisiert. Dadurch wird die Urinkonzentrierung durch feh− lende Wasserreabsorption in den distalen Nieren− tubuli vermindert oder nicht mehr möglich. Folge ist die Ausscheidung eines stark verdünnten Urins. Ursachen können sein: Tumor, Bestrahlung, neu− rochirurgische Eingriffe, granulomatöse Erkran− kungen, Infektionen im Bereich des Hypothalamus oder oberen Hypophysenstiels sowie Schädel− Hirn−Traumen. Beim nephrogenen Diabetes insipidus ist das An− sprechen auf Vasopressin beeinträchtigt. Hervor− gerufen wird er z. B. durch eine tubulointerstitielle Nierenerkrankung oder Medikamente (z. B. Lithi− um), selten liegt eine vererbte Form vor. Das Kardinalsymptom des Diabetes insipidus ist die Ausscheidung großer hypotoner Urinmengen (. 3 l/24 h) mit konsekutivem Durstgefühl und Anstieg der Serumosmolalität. Der Urin ist nahezu farblos, zucker− und eiweißfrei. Bei Verdacht auf Diabetes insipidus wird ein standardisierter Durstversuch durchgeführt.
Vasopressin und seine Derivate
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des septischen Schocks Intranasal anwendbare Arzneimittel Verwendung von Oxytocin
Fall 69 Seite 72
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Fall 70
Hypercholesterinämie
70.1 Welche Medikamente kommen in Frage? Welche Laborwerte müssen Sie kontrollieren? K Anionenaustauscherharze: z. B. Colestyramin 4 3 32 g/d K HMG−CoA−Reduktasehemmer: z. B. Lovastatin 10–80 mg/d (wegen unerwünschter Wirkun− gen – s. Kommentar – Kontrolle von GOT, GPT, Kalium, Blutbild)
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Fall
70
nicht eindeutig; eine Triglyzeridsenkung ist indi− ziert bei Pankreatitis und hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Ziel: ,200 mg/ dl) K Nichtmedikamentös: Gewichtsnormalisie− rung, Alkoholkarenz, körperliche Aktivität K Medikamentös: Fibrate (z. B. Bezafibrat 1 3 400 mg/d) oder Nikotinsäurederivate (z. B. Aci− pimox 2–3 3 250 mg/d)
70.2 Formulieren Sie Ziele bei der Therapie der !!! 70.4 Warum wurde der HMG−CoA−Reduktase− Hypercholesterinämie! hemmer Cerivastatin vom Markt genommen? K Risikoabhängige Senkung des Gesamtcholeste− Weltweit mehr als 50 Todesfälle in Zusammen− rins (175–195 mg/dl) und LDL−Cholesterins hang mit der Cerivastatin−Einnahme durch aku− (100–130 mg/dl) K Senkung von Gesamtmortalität, v. a. kardiovas− tes Nierenversagen nach Rhabdomyolyse. Ursa− kulärer Mortalität chen waren: K Prävention kardiovaskulärer Ereignisse K Kombinationstherapie mit Gemfibrozil (Fibrat) K Hohe verwendete Anfangsdosen von Ceriva− 70.3 Wann und wie wird eine Hypertrigly− statin zeridämie behandelt? K Hohe Bioverfügbarkeit von Cerivastatin gegen− Der Zusammenhang zwischen Hypertriglyzerid− über anderen Statinen (verstärktes Auftreten ämie und kardiovaskulären Erkrankungen ist systemischer Nebenwirkungen)
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Unter Fett− stoffwechselstörungen werden Hyperlipidämie und Hyperlipoproteinämie subsummiert. Als Hy− perlipidämie bezeichnet man eine Hypercholes− terinämie (Serum−Gesamtcholesterin .200 mg/ dl) und/oder eine Hypertriglyzeridämie (Serum− Triglyzeride .200 mg/dl). Unter einer Hyperlipo− proteinämie versteht man eine erhöhte Serum− konzentration der die Lipide transportierenden Li− poproteine (Chylomikronen, VLDL, LDL, HDL); hier− bei ist auch die Lipidkonzentration erhöht. VLDL (very low density lipoproteins) befördern endogen in der Leber gebildete Triglyzeride in die übrigen Gewebe, LDL (Iow density lipoproteins) transpor− tieren Cholesterin zu den peripheren Zellen, HDL (high density lipoproteins) transportieren das Cho− lesterin aus den Geweben zurück zur Leber. Fett− stoffwechselstörungen begünstigen die Entste− hung einer Arteriosklerose, d. h. Lipoproteine und Lipide lagern sich in arteriellen Gefäßen ab und können so zu Durchblutungsstörungen führen (z. B. koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, arterielle Verschlusskrank− heit der hirnversorgenden Arterien). Vor allem LDL wirkt proartherogen, HDL dagegen antiathe− rogen. Meist sind Fettstoffwechselstörungen asymptomatisch und werden im Rahmen präven− tiver Blutuntersuchungen entdeckt. Diagnostisch ist die Bestimmung von Cholesterin, Triglyzeriden, HDL− und LDL−Cholesterin aus dem Nüchternse− rum wichtig. Therapieziele: s. Antwort zur Frage 70.2. Bei nied− rigem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen
wird eine Senkung des LDL−Cholesterins auf Wer− te von 160–180 mg/dl empfohlen. Bei hohem Risi− ko mit weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren (z. B. arterielle Hypertonie, Adipositas, Bewe− gungsmangel, Zigarettenkonsum, Diabetes melli− tus, lipiderhöhende Medikamente [z. B. b−Blocker, hormonelle Kontrazeptiva, Steroide], Alter, Stress) sollte das LDL−Cholesterin auf 100–130 mg/dl ge− senkt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: An erster Stelle stehen die Reduktion weiterer kardiovasku− lärer Risikofaktoren und Ernährungsumstellung. Diätetische Maßnahmen können den Cholesterin− spiegel um 10–25 % senken. Maßnahmen sind eine kalorienangepasste, fettreduzierte, cholesterinar− me und ballaststoffreiche Kost. Tierische Fette (z. B. Butter, Eier) sollten gemieden werden und – wenn möglich – durch linolsäurereiche Fette er− setzt werden. Bei therapieresistenten vererbten Hypercholesterinämien wird ggf. eine extrakor− porale LDL−Elimination eingesetzt (z. B. Plasma− austausch, LDL−Apherese). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 70.1. Medikamentöse Maß− nahmen sind dann einzuleiten, wenn die Ände− rung der Lebensführung erfolglos bleibt. Die The− rapiekontrolle beinhaltet neben der Blutfettbe− stimmung auch die Kontrolle der Verträglichkeit. Anionenaustauscherharze: Cholestyramin und Colestipol sind Anionenaustauscherharze, die en− teral nicht resorbiert werden und Gallensäuren binden. Durch den enteralen Verlust an Gallensäu−
Fall 70 Seite 73
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Dosierung und Pharmakokinetik der Cholesterinsynthesehemmer
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
Bioverfügbarkeit (%)
EHWZ (Stunden)
Plasmaprotein− bindung (%)
Atorvastatin
10–80
12
14
. 95
Fluvastatin
20–40
20–30
,3
. 95
Lovastatin
20
,5
2
. 95
Pravastatin
10–20
17
3
50
Simvastatin
10–40
,5
1,5
. 95
HMG−CoA−Reduktasehemmer (Syn. Statine): Diese Substanzen hemmen kompetitiv die Hydro− xymethylglutaryl−CoA−Reduktase (HMG−CoA− Reduktase), ein Schlüsselenzym der endogenen Cholesterinsynthese in der Leber. Durch die ver− minderte Cholesterinsynthese wird mehr LDL− Cholesterin aus dem Blut über LDL−Rezeptoren aufgenommen. Die Anwendung von Statinen führt zu einer ausgeprägten Senkung des Serum−Choles−
Ezetimib: Ezetimib ist ein Lipidsenker mit neuem Wirkprinzip, der die intestinale Cholesterinab− sorption selektiv hemmt. Ezetimib wird oral ein− genommen und unterliegt einem enterohepati− schen Kreislauf. In Kombination mit Statinen wirkt Ezetimib additiv. Unerwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Diarrhö, in Kombinationstherapie Myalgien und Erhöhung der GOT und GPT im Serum.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Surrogatparameter in klinischen Studien Sitosterin Appetitzugler
235
70 Antworten und Kommentar
terins. Die damit korrelierende Verminderung kar− diovaskulärer Ereignisse scheint nicht nur auf die Lipidsenkung zurückzuführen zu sein, sondern auch auf einer Plaquestabilisierung zu beruhen. Unerwünschte Wirkungen sind gastrointestinale und hepatische Störungen (Anstieg von GOT, GPT im Serum) und Hautausschläge. Schwerste Neben− und Wechselwirkungen wurden bei Cerivastatin beobachtet (s. Antwort zur Frage 70.4). Kontrain− dikationen für Statine liegen vor bei Muskel− oder Lebererkrankungen sowie in Schwangerschaft und Stillzeit. Die Statine unterscheiden sich in ihrer Pharmakokinetik (s. Tab.). Substanzen, die das CYP−3A4−System hemmen, z. B. Makrolidantibioti− ka oder Azolantimykotika, erhöhen Plasmakon− zentrationen von Lovastatin und Simvastatin.
Fall
ren wird in der Leber vermehrt Cholesterin zur Neusynthese von Gallensäuren verbraucht oder durch eine Aktivierung der HMG−CoA−Reduktase verstärkt synthetisiert. Mit den Anionenaustau− scherharzen kann eine Abnahme der LDL−Choles− terinkonzentration um etwa 20 % erreicht werden. Unerwünschte Wirkungen sind Störung der Ab− sorption fettlöslicher Vitamine (prophylaktische Gabe), gastrointestinale Störungen (z. B. Obstipa− tion, Steatorrhö). Die enterale Resorption z. B. von Thiaziddiuretika, Digitalisglykosiden oder oralen Antikoagulanzien wird durch Cholestyramin und Colestipol beeinträchtigt. Folglich sollten andere Arzneimittel 1 Stunde vor oder 4 Stunden nach der Gabe der Anionenaustauscherharze verab− reicht werden.
Fall 70 Seite 73
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Fall 71
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
71.1 Welche Therapieoptionen haben Sie in Abhängigkeit vom Schwergrad der COPD?
Schweregrad
Kennzeichen
Leicht
Leichte Verschlechterung der subjek− Inhalativ: b2−Sympathomimetikum, Anticholinergikum; tiven Klinik und Lungenfunktion
Mittel
Zunehmende/r Atemnot und Husten, Theophyllin (retard, p.o.); Verschlechterung der Lungenfunkti− Prednisolon 40–80 mg /d p.o. oder on i. v. über 10–14 d; ggf. Intensivierung bei Verschlechterung Bewusstseinstrübung, Tachykardie/ Nichtinvasive Beatmung, kontrol− −pnoe, Zyanose (neu/progredient), lierte Sauerstofftherapie, systemisch Ödeme Glukokortikoide und Theophyllin
Schwer
236
Fall
71
Die Behandlung der akuten Exazerbation erfolgt nach einem Stufenplan:
Alle Schweregrade
Therapie
Nikotinverzicht, Therapie der Komorbidität; Infektexazerbation: kalkulierte Antibiotikatherapie, z. B. Aminopenicilline (ggf. mit Betalaktamase−Inhibitor), Oralcephalosporine, Makrolide
Antworten und Kommentar
71.2 Erläutern Sie den Stellenwert der Gluko− kortikoide bei der COPD−Behandlung! K Geringer als bei der Asthmatherapie K Nicht geeignet für Dauerbehandlung bei sta− biler COPD (ungünstiges Nutzen−Risiko−Ver− hältnis) K Kurzfristiger Einsatz inhalierbarer Glukokor− tikoide bei akuter Exazerbation empfohlen K Kontinuierlicher Einsatz von inhalierbaren Glukokortikoiden sinnvoll nach positivem Re− versibilitätstest (3−monatige Therapie mit in− halierbarem Glukokortikoid führt zu einer Ver− besserung von Lungenfunktion und Klinik) 71.3 Nennen Sie Inhalte des Beratungs− gesprächs! K Therapieziele: Exazerbation vermeiden; Hus− ten, Dyspnoe, Auswurf reduzieren; Belastbar− keit steigern; Sekundärkomplikationen ver− meiden (z. B. Lungenemphysem, Cor pulmona− le); Mortalität senken K Prävention: Nikotinverzicht; Gewicht norma− lisieren; ggf. Arbeitsplatzwechsel; Auslöser (z. B. Stäube, Infekte) meiden; Schutzimpfun− gen (z. B. Influenza, Pneumokokken); Patien−
tenschulung (z. B. Inhalationstechnik, Selbst− kontrolle der Erkrankung); körperliches Trai− ning (tägliches Gehen oder Trainingspro− gramm mit hoher Intensität an anaerober Schwelle) K Pharmakotherapie: Absetzen der Medika− mente nur nach Rücksprache, Einnahme mit viel Wasser K Therapiekontrolle: Arztkonsultationen wäh− rend Exazerbation; Lungenfunktionsprüfung mind. 1 3/Jahr durch Pneumologen
71.4 Erläutern Sie die Wechselwirkung von Erythromycin mit der schon bestehenden Medi− kation! Wie gehen Sie vor? K Wechselwirkung: Theophyllinabbau durch Cytochrom 3A4; Erythromycin hemmt Cyto− chrom 3A4 R verminderter Theophyllinabbau R Theophyllin im Serum q R verstärkte Wir− kung/unerwünschte Wirkungen K Maßnahme: Dosisreduktion von Theophyllin v. a. bei unerwünschten Wirkungen (z. B. Übel− keit, Schlafstörungen, Muskelkrämpfe, Tachy− kardie), Serumpiegelbestimmung (TDM)
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die COPD (chronic obstructive pulmonary disease) ist eine chronisch progrediente Atemwegsobstruktion auf dem Boden einer chronischen Bronchitis und/oder eines Lungenemphysems. Die Obstruktion ist nicht vollständig durch die Gabe von Bronchodilatato− ren/Glukokortikoiden reversibel. In den Industrie−
ländern steht die COPD auf Platz 4 der Todesursa− chenstatistik mit steigender Tendenz. Wichtigster exogener Risikofaktor ist das Rauchen, aber auch die Zunahme der allgemeinen Luftverschmutzung (Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, Ozon, Staub) und berufliche Noxen (z. B. starke Staubbelastung) be− günstigen die Entwicklung. Eine chronische Ent−
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Stufenplan für die Langzeittherapie der COPD
Schweregrad (Klinik)
Medikamentöse Therapie
Nichtmedikamentöse Therapie
Leicht (Dyspnoe bei starker körperlicher Belastung)
Bei Bedarf b2−Sympathomime− Risikofaktoren meiden, tika und/oder Anticholinergika Patientenschulung, Schutz− impfungen
Mittel (zunehmende Dyspnoe) Therapieversuch mit inhalati− Zusätzlich Rehabilitation: kör− ven Glukokortikoiden über 3 perliches Training, Physiothe− Monate, Weiterverordnung rapie, adäquate Ernährung bei nachgewiesenem Thera− pieeffekt; bei fehlender Besse− rung zusätzlich Theophyllin Schwer (respiratorische Insuf− fizienz, Cor pulmonale)
Indikation zur Sauerstofflang− zeittherapie prüfen
tion (s. Antwort zur Frage 71.1.) abgegrenzt wer− den. Die Therapie wird in beiden Fällen anhand des klinischen Schweregrades vorgenommen.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 71.3. Durch die sog. Lippenbremse kann bei obstruktivem Emphysem ein Bronchialkollaps vermieden und die Dyspnoe verbessert werden. Klopf− und Vibrationsmassagen sowie Lage− rungsdrainage fördern die bronchiale Sekreteli− mination. Physiotherapiegeräte (VRP1−Flutter“), die den exspiratorischen Atemstrom rhythmisch unterbrechen, können die bronchiale Reinigung verbessern. In schweren Fällen ist eine Sauerstoff− langzeitbehandlung indiziert.
Anticholinergika: Inhalative Anticholinergika (z. B. Ipratropiumbromid, Oxitropiumbromid, Tio− tropiumbromid) können bei Patienten mit chro− nisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphy− sem eingesetzt werden, oft in Kombination mit einem b2−Sympathomimetikum. Tiotropium hat eine lange Wirkdauer (. 24 Stunden) und muss nur einmal täglich angewendet werden, während die anderen Anticholinergika 2− bis 3−mal täglich inhaliert werden müssen. Anticholinergika erwei− tern die Bronchien, hemmen die Schleimsekretion und bessern die körperliche Leistungsfähigkeit. Systemische unerwünschte Wirkungen sind bei inhalativer Gabe nicht zu beobachten, da die Re− sorption schlecht ist.
Pharmakotherapie Bei der Pharmakotherapie muss die Langzeitbe− handlung der stabilen chronischen Erkrankung (s. Tab.) von der Therapie einer akuten Exazerba−
Theophyllin: Die orale Behandlung mit retardier− tem Theophyllin kommt zusätzlich bei höhergra− diger Atemwegsobstruktion in Betracht. Limitie− rend für die Anwendung sind die häufigen uner−
Therapieziele: s. Antwort zur Frage 71.3.
71 Antworten und Kommentar
Kurzwirksame b2−Sympathomimetika: Kurz− wirksame b2−Sympathomimetika (z. B. Fenoterol, Salbutamol, Terbutalin) werden zur inhalativen Bronchodilatation eingesetzt (1–2 Hübe bei Be− darf, max. 5 3 2 Hübe/d). Die Wirkdauer der neu− eren b2−Sympathomimetika (Formoterol, Salmete− rol) ist länger, so dass sie v. a. bei Beschwerden in der Nacht eingesetzt werden können. Uner− wünschte Wirkungen sind: Herzrhythmusstörun− gen, Angina pectoris, Palpitationen, feinschlägiger Tremor, Übelkeit und Hypokaliämie. V.a. bei Pati− enten mit Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrank− heit, Herzrhythmusstörungen und Hyperthyreose sollte die Anwendung der b2−Sympathomimetika nach sorgfältiger Nutzen−Risiko−Abwägung erfol− gen.
237
Fall
zündungsreaktion durch Makrophagen, T−Lym− phozyten und neutrophile Granulozyten führt zur Destruktion des Lungenparenchyms und reakti− ven fixierten Atemwegsobstruktion. Zusätzlich kommt es durch Schädigung des Flimmerepithels zu einer mukoziliären Dysfunktion und gestörten mukoziliären Clearance, so dass ein abnorm zä− hes Sekret vermehrt vom Epithel freigesetzt wird. Diese Faktoren begünstigen das Auftreten bakte− rieller Bronchitiden und Pneumonien. Ein Lun− genemphysem entsteht durch eine vermehrte Proteaseaktivität der Granulozyten, die nicht aus− reichend durch den Proteinaseinhibitor a1−Anti− trypsin neutralisiert werden können. Diese Man− gelfunktion kann genetisch fixiert oder durch Zi− garettenrauch bedingt sein. Symptome der COPD sind: chronischer Husten, gesteigerte Sputumpro− duktion, Atemnot, Atemwegsobstruktion und ein− geschränkter Gasaustausch. Differenzialdiagnos− tisch ist das Asthma bronchiale auf Grund von Anamnese, Lungenfunktion und Broncholysever− such abzugrenzen.
Heimbeatmung, Emphysem− chirurgie, Lungentransplanta− tion
Fall 71 Seite 74
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wünschten Effekte, die geringe therapeutische Breite und die Abhängigkeit der Theophyllinclea− rance von zahlreichen Einflussgrößen (s. Antwort zur Frage 71.4 und Fälle 4 und 85). Jedoch profitiert etwa die Hälfte der Patienten mit COPD von einer Theophyllintherapie. Dies kann mittels Auslassver− such über 3 Tage nach vorheriger Theophyllinbe− handlung bestimmt werden. Glukokortikoide: Bei hochgradiger Atemwegsob− struktion, v. a. im Rahmen infektbedingter Exazer− bationen, ist eine orale Glukokortikoidtherapie angezeigt, die mit 40–80 mg Prednisolon pro Tag begonnen und nach ein wenigen Tagen, abhängig von der Symptombesserung, ausgeschlichen wird (s. Fall 19). Bei gleichzeitiger Gabe von oralen Glu− kokortikoiden und NSAID sollte das Risiko eines
Ulcus ventriculi et duodeni bedacht werden. Die inhalative Behandlung mit Glukokortikoiden ist v. a. bei stärkerer Instabilität der Atemwegsob− struktion (Asthmaanfälle, starke Schwankungen der Peak−flow−Werte) und Hinweisen auf eine bronchiale Hyperreaktivität indiziert (s. Antwort zu Frage 71.2). Sekretolytische Therapie: Bei ausgeprägter bron− chialer Hypersekretion, zähem Bronchialsekret (bronchiale Dyskrinie) und Sekretretention kann eine sekretolytische Therapie (z. B. Acetylcystein, Ambroxol) indiziert sein. Die Anwendung sollte sich am subjektiven Therapieerfolg orientieren und bei mangelnder Reduktion der Exazerbations− häufigkeit nach 1 Jahr abgesetzt werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN 238
Sauerstoangzeittherapie bei COPD Medikamentose Behandlung von Pneumonien Pharmakotherapie in der Raucherentwohnung
Fall
72
Fall 72
Hypertensiver Notfall
Antworten und Kommentar
72.1 Welche Maßnahmen zur Behandlung des hypertensiven Notfalls ergreifen Sie? Ein hypertensiver Notfall ist wegen der Gefahr einer Schädigung von Herz, Hirn und Nieren po− tenziell lebensbedrohlich und muss sofort adä− quat behandelt werden: K Ziel: diastolische Werte von ca. 100 mmHg durch langsame Blutdrucksenkung (cave: Min− derperfusion des Gehirns bei zu schneller Sen− kung) (s. Kommentar) K Mittel der 1. Wahl: Glyceroltrinitrat 0,8– 1,2 mg als Spray oder Kapsel K Zusätzlich Schleifendiuretika (bei beginnen− dem Lungenödem): z. B. Furosemid 20–40 mg i. v. K Schnellstmögliche stationäre Einweisung 72.2 Welche weiteren Medikamente sind zur Therapie des hypertensiven Notfalls geeignet? Nennen Sie deren Indikationen! K Bei zusätzlich bestehender Tachykardie: Clo− nidin 0,075–0,15 mg langsam i. v. K Bei Schwangeren: Dihydralazin 6,25 mg lang− sam i. v. K Bei Aortendissektion: Metoprolol 5–10 mg langsam i. v. K Bei therapieresistenter Hypertonie: Urapidil 12,5–25 mg i. v.
K Nur unter intensivmedizinischer Überwa− chung: Nitroprussidnatrium 0,3–6 mg/kg KG/ min i. v. im Perfusor
72.3 Was wissen Sie über die Verwendung von Nifedipin beim hypertensiven Notfall? Nifedipin war lange Zeit Therapie der 1. Wahl, z. B. 10–20 mg sublingual; zunehmende Ein− schränkungen wegen: K schlechter Steuerbarkeit K Gefahr der Reflextachykardie K überschießenden Blutdruckabfalls mit Gefahr kardialer/zerebraler Ischämien 72.4 Welche potenziell toxische Wirkung ist für Nitroprussidnatrium beschrieben? K Abbau zu Zyanid, hepatische Metabolisierung in das weniger toxische Thiozyanat (Rhoda− nid) R Thiozyanat wird renal eliminiert (cave: Niereninsuffizienz) K Zyanidintoxikation bei zu rascher Infusion: Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe, Areflexie K Die zusätzliche Gabe von Natriumthiosulfat i. v. (Natriumthiosulfat zu Nitroprussidnatrium Gewichtsverhältnis 10:1) bei länger andauern− der, hochdosierter Gabe beugt Zyanidintoxika− tion vor R Zyanid wird durch Natriumthiosul− fat schnell zu Rhodanid entgiftet
Fall 72 Seite 75
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KOMMENTAR Grundlagen und Pathohysiologie: Eine hyper− tensive Krise ist definiert als kritischer Blut− druckanstieg (. 230/130 mmHg) ohne Symptome eines akuten Organversagens. Beim hypertensiven Notfall (bei ca. 1 % der Hypertoniker) manifestiert sich der Blutdruckanstieg in lebensbedrohlichen Endorganschäden (v. a. Gehirn, Herz, Lunge, Nie− re, Retina). Pathophysiologisch steht meist eine starke periphere Vasokonstriktion der Arteriolen im Vordergrund. Als Folge kommt es durch reflek− torische Vasodilatation (v. a. in Organen mit Auto− regulation) zu einer Hyperperfusion bei anhal− tend hohen Blutdruckwerten. Diese führt durch eine mechanische Endothelschädigung (erhöhte Permeabilität, Gerinnungsaktivierung) zu Mikro− thromben, v. a. in Gehirn und Niere. Nicht selten wird eine hypertensive Krise durch abruptes Ab− setzen von Antihypertonika ausgelöst. Die Symp− tome sind unspezifisch: Kopfschmerzen, Sehstö− rungen, Nasenbluten, Schwindel, Erbrechen, Be− wusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle (z. B. Aphasie, Paresen), Krampfanfälle, pektangi− nöse Beschwerden, Dyspnoe.
Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 72.1 und 72.2. Bei einem hypertensiven Notfall muss die Pharmakotherapie bereits außerhalb der Klinik begonnen werden, wenn nicht anders möglich durch orale Applika− tion von Glyceroltrinitrat. In der Klinik wird wegen der besseren Steuerbarkeit und des schnelleren Wirkungseintritts die parenterale Gabe bevor− zugt. Für Dihydralazin besteht eine besondere In− dikation bei der hypertensiven Krise in der Schwangerschaft (s. Fall 63).
Clonidin: Clonidin stimuliert zentrale Imidazolre− zeptoren sowie zentrale und periphere a2−Rezep− toren. Nach i. v.−lnjektion tritt die Wirkung nach ca. 10 Minuten ein, die Wirkdauer beträgt 6–8 Stun− den. Clonidin ist auf Grund schlechter Steuerbar− keit und weil der neurologische Status schlecht beurteilt werden kann (sedierende Wirkung) Mit− tel der Reserve. Unerwünschte Wirkungen sind Mundtrockenheit, Potenzstörungen, Schlafstörun− gen, Depression und Obstipation. Bei Bradykardie und AV−Block Grad ll und Ill ist Clonidin kontra− indiziert. Urapidil: Urapidil wirkt über Blockade peripherer postsynaptischer a1−Rezeptoren und Stimulation zentraler Serotoninrezeptoren. Der periphere Wi− derstand nimmt ohne folgende Reflextachykardie ab. Bei der Therapie des hypertensiven Notfalls ist Urapidil ein effektives Medikament. Die Wirkung setzt innerhalb von 5 Minuten ein und hält 4–6 Stunden an. Dadurch ist es weniger gut steuerbar. Der intrakranielle Druck wird durch Urapidil nicht beeinflusst. Unerwünschte Wirkungen können Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbre− chen sein, die überwiegend auf eine zu rasche Blutdrucksenkung zurückzuführen sind.
239
72 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Patien− ten sollten beruhigt werden.
Nitroprussidnatrium: Nitroprussidnatrium ist ebenfalls ein sehr effektiver Dilatator (NO−Freiset− zung) der arteriellen Widerstandsgefäße und ve− nösen Kapazitätsgefäße. Die Wirkung setzt 30 Se− kunden nach Beginn der Infusion ein und erreicht ein Maximum nach 2 Minuten. Trotz sehr guter Steuerbarkeit ist die Handhabung aufwändig (in− tensivmedizinische Überwachung, kontinuierli− ches intraarterielles Blutdruckmonitoring, lichtge− schütztes Infusionssystem). Als Komplikation der Anwendung von Nitroprussidnatrium kann eine Zyanidintoxikation auftreten (s. Antwort zur Frage 72.4).
Fall
Therapieziele: Der hypertensive Notfall macht eine sofortige Blutdrucksenkung notwendig, um Endorganschäden zu minimieren. Therapieziel ist die Senkung des mittleren arteriellen Blut− drucks um etwa 25 % oder die Senkung des diasto− lische Wertes auf 100–110 mmHg in einem Zeit− raum zwischen 30 Minuten und wenigen Stunden (cave: eine zu schnelle oder zu starke Blutdruck− senkung kann den Patienten gefährden). Bei Pati− enten mit Hirninfarkt oder intrazerebraler Blutung wird die Indikation zur Blutdrucksenkung zurück− haltend gestellt. Bei der hypertensiven Krise gilt es, den Blutdruck nach 30 Minuten in Ruhe zu kontrollieren und eine langsame Senkung inner− halb von 24 Stunden durch orale Antihypertonika zu erzielen.
Glyceroltrinitrat: s. auch Fall 58. Glyceroltrinitrat wirkt über eine Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) gefäßerweiternd. Niedrig dosiert wirkt es v. a. im venösen Gefäßsystem, höher dosiert auch im arteriellen Gefäßsystem. Sublingual oder als Spray setzt die Wirkung nach 1–3 Minuten ein und hält über 30–60 Minuten an. Bei i. v.−Gabe über einen Perfusor wirkt Glyceroltrinitrat innerhalb von 1–2 Minuten für wenige Minuten. Unerwünschte Wir− kungen sind Kopfschmerzen und intrakranielle Drucksteigerung, so dass Glyceroltrinitrat bei Er− krankungen mit erhöhtem Hirndruck kontraindi− ziert sind.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der malignen Hypertonie Pharmakotherapie der akuten Aortendissektion Behandlung des Phaochromozytoms
Fall 72 Seite 75
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Fall 73
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Fall
73
73.1 Nennen Sie allgemeine Maßnahmen zur Gewichtsreduktion! K Verhaltensveränderungen: – Schriftliches Ernährungs− und Gewichts− protokoll – Essen nur an festgelegtem Essplatz am ge− deckten Tisch – Art und Umfang der Mahlzeit vor Beginn festlegen und nicht mehr verändern – Zeit lassen, gut kauen, Pausen machen – Körperliche Bewegung auch im Alltag (z. B. Treppensteigen, zu Fuß gehen, Radfah− ren) K Änderung der Ernährungsgewohnheiten: – Verringern der Energiezufuhr auf 1000– 1500 kcal/d mit mind. 50 g hochwertigem Protein (z. B. Vollei, Fleisch) – Energieärmere, ballaststoffreiche Lebens− mittel (z. B. Vollkornprodukte, Gemüse, Obst, fettreduzierte Milchprodukte) – Ballaststoffreiche Nahrungsmittel (z. B. Salat) bei den Mahlzeiten zuerst essen, dann eine Pause einlegen – Schonende, fettarme Zubereitung (Mikro− welle, Teflonpfanne, Römertopf) – Energiefreie Getränke (z. B. Wasser, Kräu− tertee)
Adipositas 73.2 Ist bei Ihrem Patienten eine pharmakolo− gische Gewichtsreduktion angebracht? Eine pharmakologische Gewichtsreduktion ist in− diziert bei: K BMI . 30 kg/m2 K BMI .27 kg/m2 + adipositasassoziierte Krank− heiten (s. Antwort zur Frage 73.3) oder abdo− minale Adipositas (Tailleumfang: Frauen . 88 cm, Männern .102 cm) Bodymass−Index (BMI) des Patienten = 96 kg/ (1,72)2 m2 = 32,8 kg/m2 R pharmakologische Ge− wichtsreduktion ist indiziert 73.3 Nennen Sie adipositasassoziierte Krank− heiten! Diabetes mellitus Typ II, koronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz, degenera− tive Gelenkerkrankungen, Gallensteine 73.4 Wie wirkt das Antiadipositum Orlistat? K Hemmt selektiv gastrointestinale Lipasen durch kovalente Bindung K Vermindert die Hydrolyse von Triglyzeriden R Bei einer Dosis von 3 3 120 mg zu den Mahl− zeiten werden ca. 30 % der aufgenommenen Mo− noglyzeride und freien Fettsäuren im Dünndarm nicht resorbiert
Antworten und Kommentar
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Adipositas (Fettsucht) ist ein Zustand, der durch die übermä− ßige Ansammlung von Fettgewebe im Körper ge− kennzeichnet ist. In Deutschland leiden 40 % der Erwachsenen an Übergewicht. Die Adipositas ist Folge einer positiven Energiebilanz, d. h. die Ener− giezufuhr (z. B. durch Überangebot kalorienreicher Nahrung) ist größer als der Energieverbrauch (z. B. durch körperliche Arbeit). Ätiologisch scheinen ge− netisch determinierte Faktoren, gestörte Appetit− regulation bzw. Hunger−Sättigungsregulation und Störungen der Insulinsekretion beteiligt zu sein. Das Fettgewebehormon Leptin spielt eine Rolle bei der Regulation des Körpergewichts und ist bei Adipösen stark erhöht. Möglich ist eine hypotha− lamische Leptinresistenz, so dass das Signal viel Fett gespeichert“ nicht aufgenommen wird. Mit Adipositas sind zahlreiche Krankheiten verbunden (s. Antwort zur Frage 73.3). Klinisch ist das Be− schwerdebild durch rasche Ermüdbarkeit, Dys− pnoe (kardiovaskuläre/respiratorische Überlas− tung) und Gelenkbeschwerden (Gewichtsbelas− tung des Skelettsystems) geprägt. Außerdem können durch die kosmetischen Auswirkungen der Adipositas psychosoziale Probleme auftreten bzw. verstärkt werden. Diagnostisch lassen sich der sog. Bodymass−Index (Körpergewicht/Körper− länge2; kg/m2) oder die Hautfaltendicke (mittels
Messzirkel) bestimmen. Ein normaler BMI liegt für Frauen bei 19–24, für Männer bei 20–25. Therapieziele: Das Ziel ist die Verminderung von Gesamtkörperfett und viszeralem Fett (0,5 kg pro Woche). Gleichzeitig ist eine Senkung der adiposi− tasassoziierten Morbidität und Mortalität anzu− streben. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 73.1. Die nichtmedikamentösen Behand− lungsstrategien stehen eindeutig im Vordergrund. Neben der Gewichtsabnahme ist eine langfristige Änderung des Ernährungsverhaltens entscheidend für eine aussichtsreiche Rezidivprophylaxe. Bei ausgeprägter Adipositas (BMI . 35 kg/m2) kann eine chirurgische Therapie erwogen werden, bei der der Magen verkleinert wird, so dass nur noch kleine, gut gekaute Portionen gegessen werden können. Pharmakotherapie Die pharmakologische Therapie der Adipositas hat bisher keine hohe Priorität. Sollte eine Pharma− kotherapie notwendig werden, sind Medikamente mit geringer Nebenwirkungsrate zu bevorzugen. Die Indikation zur Pharmakotherapie besteht nur nach Nutzen−Risiko−Abwägung wenn eine Le− bensstiländerung über 3 Monate keine Körperge− wichtsabnahme von mindestens 5 % erbringt.
Fall 73 Seite 76
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Schilddrüsenhormone erhöhen zwar den Grund− umsatz, werden aber in der Therapie der Adiposi− tas wegen möglicher unerwünschter Wirkungen nicht mehr eingesetzt. Sibutramin: Sibutramin ist ein Serotonin− und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer. Sibutra− min hat keinen Effekt auf den Dopaminstoffwech− sel und weist kein Sucht− oder Missbrauchspo− tenzial – wie Amphetamine – auf. Unerwünschte Wirkungen sind Mundtrockenheit, Obstipation, Schwindel und Schlaflosigkeit. Durch die sympa− thomimetische Wirkung kann die Herzfrequenz im Mittel um 4–6/min ansteigen. Um das Auftreten einer arteriellen Hypertonie (ca. 3 % der Patienten) rechtzeitig zu erkennen, sollte der Blutdruck in den ersten Wochen kontrolliert werden. Sibutramin ist bei koronarer Herzkrankheit, Blutdruck . 145/ 90 mmHg, zerebrovaskulären Erkrankungen, Phäo− chromozytom und schweren Leber− und Nieren− funktionsstörungen kontraindiziert. Sibutramin darf nicht gleichzeitig mit MAO−Hemmern sowie anderen Noradrenalin− und Serotoninwiederauf− nahmehemmern eingesetzt werden. Der Wirkstoff
wird enteral gut resorbiert und an Eiweiß gebun− den im Plasma transportiert. Der Metabolismus erfolgt hepatisch, die Ausscheidung renal. Bei Ein− nahme über 2 Jahre lag in einer Studie der Ge− wichtsverlust gegenüber Plazebo bei ungefähr 4 kg. Orlistat: s. Antwort zur Frage 73.4. Im Vorder− grund der unerwünschten Wirkungen stehen fettige/ölige, weiche/flüssige Stühle, hohe Stuhl− frequenz und Flatulenz als Ausdruck der orlistatin− duzierten Steatorrhö. Mit zunehmender Behand− lungsdauer nehmen diese Wirkungen ab. Orlistat kann durch verminderte Resorption zu niedrigen Serumspiegeln fettlöslicher Vitamine führen. Wechselwirkungen bestehen mit Ciclosporin A und oralen Antikoagulanzien. Kontraindikationen sind Pankreasinsuffizienz, Maldigestion, Malab− sorption und chronisch entzündliche Darmerkran− kungen. Nach oraler Gabe wird Orlistat so gut wie nicht resorbiert. Auch unter Orlistat tritt ein Mehr− verlust von etwa 4 kg Körpergewicht gegenüber der Plazebogruppe auf (Zeitraum bis zu 2 Jahre).
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
74
Schlafstörungen
74.1 Wie würden Sie bei den beiden Patienten vorgehen? 1. Patientin mit wahrscheinlich organisch beding− ter Schlafstörung: K Herzinsuffizienztherapie optimieren: z. B. ACE−Hemmer + Diuretikum (nicht abends we− gen gestörter Nachtruhe durch Toilettengang) K Aufklärung über Schlafhygiene (z. B. kein Mit− tagsschlaf) K Ggf. kurzfristig leichtes Hypnotikum, z. B. H1− Antihistaminika 2. Patient mit wahrscheinlich reaktiver Schlaf− störung nach psychischer Belastung: K Gespräche über die neue Situation anbieten K Aufklärung über Schlafhygiene K Zeitlich begrenzter Einsatz eines Hypnoti− kums, z. B. Lormetazepam 1 mg p.o. zur Nacht 74.2 Welche Wirkstoffe können als Schlafmit− tel eingesetzt werden? K Benzodiazepine, z. B. Temazepam (Schlafmit− tel der 1. Wahl) K Benzodiazepinähnliche Substanzen, z. B. Zol− pidem, Zopiclon
K H1−Antihistaminika, z. B. Diphenhydramin K Niedrigpotente Neuroleptika, z. B. Levome− promazin (antipsychotische Wirkung, kein Ab− hängigkeitspotenzial) K Alkohole, z. B. Chloralhydrat K Barbiturate, z. B. Pentobarbital (obsolet) K Bromharnstoffderivate, z. B. Bromisoval (oh− ne therapeutische Bedeutung) K Phytopharmaka, z. B. Baldrian−, Hopfenex− trakt
Antworten und Kommentar
Behandlung des Alkoholabusus Amphetamine Leptin als Appetithemmer
Fall 74
241
74.3 Welche Anforderungen werden an ein ideales Schlafmittel gestellt? K Unterstützen/Herbeiführen des physiologi− schen Schlafs K Keine Organtoxizität oder ZNS−Funktionsstö− rungen bei Überdosierung K Keine Kumulation K Keine Nachwirkungen (sog. Hang−over) am folgenden Morgen K Kein Wirksamkeitsverlust bei längerer An− wendung
Fall 74 Seite 77
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74.4 Erlautern Sie den Wirkungsmechanismus der Benzodiazepine! Benzodiazepine reagieren mit spezifischer Bin− dungsstelle am zentralnervösen GABAA−Rezeptor R allosterische Veränderung des Rezeptors R effektivere Wirkung von GABA am Rezeptor R Offenwahrscheinlichkeit des Chloridkanals nimmt zu R Hyperpolarisierung = verminderte Erregbarkeit der Nervenzelle
74.5 Welche Arzneistoffe konnen zu Schlaf− storungen fuhren? b−Rezeptorenblocker, Clonidin, a−Methyldopa, Glukokortikoide, L−Thyroxin, Terbutalin, Salmete− rol, Theophyllin, Appetitzügler, Koffein, Pirace− tam, Dihydroergotamin, antriebssteigernde Anti− depressiva
KOMMENTAR
242
Fall
74 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die klassi− schen Schlafstörungen sind Insomnien und Hypo− somnien, bei denen ein subjektives Missverhält− nis zwischen Schlafbedürfnis und Schlafvermö− gen (mangelhafter bzw. ungenügend erholsamer Schlaf) vorliegt. Unterschieden werden Einschlaf− störungen, Durchschlafstörungen oder morgendli− ches Früherwachen. Die Beeinträchtigung des Schlafes hat Krankheitswert, wenn die Beschwer− den mindestens dreimal pro Woche innerhalb ei− nes Monats auftreten und Wohlbefinden und Leis− tungsfähigkeit am Tag gestört sind. Zu über 80 % ist eine, von der Hirnrinde ausgehende, intensive und anhaltende Stimulierung des Wachsystems“ Ursa− che für Schlafstörungen. Auslöser können sein: organisch bedingte Erkrankungen (z. B. Hyperthy− reose), psychisch bedingte Erkrankungen (z. B. af− fektive Störungen, Angst− und Zwangserkrankun− gen), seelische Konflikte, Umweltfaktoren (Lärm, hohe Temperaturen) Genussmittel und Medika− mente (s. Antwort zur Frage 74.5). Therapieziele: Ziel ist die Beseitigung der Schlaf− störungen und das Vermeiden von therapiebeding− ten unerwünschten Wirkungen (z. B. Abhängig− keit, Toleranzentwicklung). Hierzu sollten die In− dikationsstellung regelmäßig überprüft, kleine Packungsgrößen verschrieben und ein Schlaftage− buch geführt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Nach Aus− schluss organischer und psychiatrischer Erkran− kungen sollte eine Aufklärung über Schlafphysio− logie und Schlafhygiene (z. B. Einhalten von regel− mäßigen Nachtschlafzeiten, ruhige Schlafumge− bung, Zubettgehritual, kein Tagesschlaf, kein Kaffee vor dem Schlafen) erfolgen. Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 74.2 und 74.3. H1−Antihistaminika: H1−Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin) sind rezeptfrei erhältlich. Uner− wünschte Wirkungen sind Mundtrockenheit, Ob− stipation und Miktionsstörungen. Vergiftungen äußern sich durch Herz−Kreislaufstörungen und zentrale anticholinerge Symptome (z. B. Halluzina− tionen, Bewusstseinsstörungen). In Kombination mit Alkohol werden die zentralnervösen Wirkun− gen deutlich verstärkt.
Chloralhydrat: Chloralhydrat gilt als mildes Schlafmittel, das Schlafprofil wird kaum beein− flusst, paradoxe Wirkungen (z. B. Erregungszustän− de) werden nicht ausgelöst. Es verliert schnell sei− ne Wirkung, hat nur eine mäßige therapeutische Breite und besitzt heutzutage klinisch kaum noch Bedeutung. Kontraindikationen gegen Chloral− hydrat sind Lebererkrankungen und Störungen der kardialen Erregungsleitung. Phythopharmaka: Baldrian−, Melissen−, Hopfen−, Passionsblume− oder Haferextrakt werden in Deutschland häufig als schlaffördernde Substan− zen eingesetzt, sie sind weitgehend frei von Toxizi− tät oder unerwünschten Wirkungen. Eine hypno− tische Wirkung konnte für Baldrian gezeigt wer− den. Benzodiazepine: Benzodiazepine (z. B. Temaze− pam, Diazepam) haben in den 1960 er Jahren die heute obsoleten Barbiturate abgelöst. Sie sind die derzeit wichtigsten und am häufigsten verwende− ten Schlafmittel. Als GABA−Rezeptoragonisten wir− ken sie hypnotisch, anxiolytisch, antikonvulsiv und muskelrelaxierend (s. Antwort zur Frage 74.4). Nach oraler Applikation werden die Benzodiazepi− ne schnell und gut resorbiert. Benzodiazepine wer− den entsprechend ihrer EHWZ in kurz−, mittellang− und langwirkende Benzodiazepine eingeteilt (s. Tab.). Eine unerwünschte Wirkung ist der sog. Hang−over−Effekt bedingt durch die länger aktiven Metabolite: Die Patienten sind morgens sediert, verschlafen und psychomotorisch beeinträchtigt. Benzodiazepine vermindern die alveoläre Ventila− tion, verursachen eine anterograde Amnesie und beeinträchtigen das Reaktionsvermögen. In selte− nen Fällen treten paradoxe Wirkungen mit Angst, Schlaflosigkeit und Halluzinationen auf. Kontrain− diziert sind Benzodiazepine bei bekannter Über− empfindlichkeit, Medikamenten−, Drogen− und Al− koholabhängigkeit sowie in Stillzeit, im Kindes− und Jugendalter. Auf Grund des Abhängigkeitspo− tenzials sollten Benzodiazepine nicht länger als 3 Wochen eingesetzt werden. Bei abruptem Abset− zen nach längerer Anwendung kann es zu einem Rebound−Effekt u. a. mit Schlaflosigkeit, Angstzu− ständen, Schwindel, Übelkeit und Verwirrung kommen.
Fall 74 Seite 77
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Dosierungen und Pharmakokinetik der Benzodiazepine
Wirkstoff
Dosis (mg)
Bioverfügbarkeit (%)
EHWZ (Stunden)
Kurzwirkende Benzodiazepine Brotizolam
0,125–0,25
70
7–8
Triazolam
0,25
First−pass−Effekt
2–3,5
Mittellangwirkende Benzodiazepine Lormetazepam
1
80
10–13
Temazepam
10–20
80–90
10–14
Langwirkende Benzodiazepine Flunitrazepam
0,5–2,0
80–90
10–30
Nitrazepam
2,5–10
54–98
25–30
Zolpidem, 3,5–6 Stunden bei Zopiclon und 1 Stun− de bei Zaleplon. Zolpidem und Zaleplon sind als Einschlafmittel geeignet. Die Elimination von Za− leplon und Zolpidem erfolgt renal und hepatisch, Zopiclon wird vorwiegend renal ausgeschieden. Unerwünschte Wirkungen und Kontraindikatio− nen entsprechen weitgehend denen der Benzodia− zepine. Zopiclon kann zu Übererregbarkeit führen und sollte bei Vorliegen einer psychischen Erkran− kung nicht angewendet werden.
Behandlung der Schlafapnoe Therapie von Angststorungen Melatonin und Schlafstorungen
Fall 75
Lungenödem
75.1 Welche Formen des Lungenödems können Sie ätiologisch unterscheiden? K Kardial: Linksherzversagen, Mitralvitien K Toxisch: Reizgasinhalation, Magensaftaspira− tion K Renal: urämische Niereninsuffizienz, Über− wässerung K Akutes Lungenversagen: Sepsis, Schock, aku− te Pankreatitis K Neurogen: Hirntrauma, gesteigerter Hirndruck K Nach Beinahe−Ertrinken K Höhenlungenödem 75.2 Welche Maßnahme können Sie akut er− greifen? Welche sind erst stationär durchführ− bar? K Akuttherapie: – Oberkörper hoch, Beine tief lagern – Wenn möglich Sauerstoffzufuhr (4–8 l/min)
– Intravenösen Zugang legen – Schleifendiuretika (z. B. Furosemid 40 mg i. v.) – Nitrate sublingual (0,8 mg s.l. oder 0,4 mg als Spray) – Vorsichtige Sedierung (z. B. Diazepam 5 mg i. v.), bei Bedarf Analgesie (z. B. Morphin 5– 10 mg i. v.) K Weiterführende Therapie in der Klinik ab− hängig von Grunderkrankung und Zustand: – Behandlung der Grunderkrankung – Intubation und maschinelle Überdruckbeat− mung – Hämodialyse oder Hämofiltration – Positiv inotrope Substanzen: Katecholami− ne, Phosphodiesterase−III−Hemmer – Intraaortale Ballongegenpulsation
75 Antworten und Kommentar
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
243
Fall
Benzodiazepinähnliche Substanzen: Die neue− ren Wirkstoffe Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon haben den gleichen Wirkungsmechanismus wie Benzodiazepine, wirken jedoch geringer muskelre− laxierend und antikonvulsiv. Trotzdem ist mit Gangunsicherheit und Stürzen, v. a. bei älteren Pa− tienten, zu rechnen. Rebound− und Hang−over−Ef− fekt sind weniger stark ausgeprägt, das Abhängig− keitspotenzial kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Die orale Bioverfügbarkeit liegt bei 70– 80 %, die EHWZ ist kurz, mit 1,5–2,5 Stunden bei
Fall 75 Seite 78
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75.3 Nennen Sie Vor− und Nachteile einer Katecholaminbehandlung beim kardial beding− ten Lungenodem! K Vorteile: positive Inotropie R Herzauswurf− leistung q; verbesserte Koronar− und Organ− durchblutung K Nachteile: gesteigerter myokardialer Sauer− stoffverbrauch; Tachykardien und Rhythmus− störungen; verminderte Splanchnikusdurch− blutung
75.4 Welchen Stellenwert haben Phosphodies− terasehemmer zur Behandlung beim Lungen− odem? Nennen Sie Indikationen! Phosphodiesterase−III−Hemmer (z. B. Amrinon, Milrinon, Enoximon) sind als Reservesubstanzen zur kurzfristigen Behandlung indiziert bei: K schwerer chronischer Herzinsuffizienz (NYHA IV) K kardialem Schock K akuter Herzinsuffizienz Bei längerer Therapie Prognoseverschlechterung, vermehrte Todesfälle sind belegt.
KOMMENTAR
244
Fall
75 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Bei einem Lungenödem tritt Flüssigkeit aus den Lungenkapil− laren in die Lunge aus. Unterschieden wird das interstitielle Lungenödem vom alveolären Ödem. Ursachen für den Flüssigkeitsübertritt kön− nen sein: Anstieg des hydrostatischen Drucks (z. B. Linksherzinsuffizienz), Zunahme der Per− meabilität (z. B. Gefäßwandschädigung), vermin− derter onkotischer Druck oder eine Kombination dieser Mechanismen (z. B. urämisches Lungen− ödem). Ätiologisch liegen diesen Mechanismen unterschiedliche extrapulmonale Grundkrank− heiten oder direkte toxische Einwirkungen zu− grunde (s. Antwort zur Frage 75.1). Leitsymptome sind Dyspnoe, Tachypnoe und Zyanose. Die Diag− nose ergibt sich aus Anamnese, typischen klini− schen Befunden (Dyspnoe, Rasselgeräusche, Öde− me) und zusätzlich echokardiografischen (z. B. Herzverbreiterung bei Herzinsuffizienz) und rönt− genologischen (verstärkte interstitielle und peri− bronchiale Zeichnung, unscharfe Gefäßkonturie− rung) Befunden. Therapieziele: Primäres Ziel ist die hämodyna− mische und respiratorische Stabilisierung und die kausale Behandlung der auslösenden Faktoren. Engmaschige Kontrollen des klinischen Zustandes, der Kreislaufparameter und eine Flüssigkeitsbilan− zierung sollten durchgeführt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 75.2. Beim kardial bedingten Lungen− ödem sind weitere mögliche Maßnahmen zur Sen−
kung des venösen Rückstroms der unblutige (An− legen von Blutdruckmanschetten an den Extremi− täten) oder blutige Aderlass (400–500 ml Blut). Ein renal bedingtes Lungenödem muss ggf. durch Hämofiltration oder Dialyse behandelt werden. Pharmakotherapie Hochdosierte Glukokortikoid−Dosieraerosole werden beim toxischen Lungenödem oder beim Lungenödem nach Reizgasinhalation eingesetzt. Nitrate (s. Fall 58) sind bei kardial bedingtem Lun− genödem indiziert, um eine Senkung der Vorlast (venöses Pooling) zu erzielen. Auch können zur Steigerung der Kontraktionskraft des Herzens kurzfristig Katecholamine (Dobutamin, Dopamin) oder Phoshodiesterasehemmstoffe eingesetzt werden (s. Antworten zu Fragen 75.3 und 75.4). Schleifendiuretika: Schleifendiuretika sind Mit− tel der Wahl zur Volumenreduktion beim kardio− genen Lungenödem. Leitsubstanz ist Furosemid. Die Schleifendiuretika hemmen den Na+−K+−2Cl– Kotransporter im dicken aufsteigenden Schenkel der Henle−Schleife, wodurch die fraktionelle Natri− umausscheidung von 2 % unter normalen Bedin− gungen auf bis zu 25 % ansteigen kann und damit die Wasserexkretion ansteigt. Schleifendiuretika führen somit bei Vorliegen von Ödemen zur Mobi− lisierung interstitieller Flüssigkeit und zu deren Ausscheidung. Im Gegensatz zu Thiaziden wirken Schleifendiuretika auch bei eingeschränkter Nie− renfunktion. Die Bioverfügbarkeit von Furosemid nach oraler Gabe beträgt 50–70 % (s. Tab.), die Se−
Dosierung und Pharmakokinetik einiger Schleifendiuretika
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
Orale Bioverfüg− barkeit (%)
EHWZ (Stunden)
Wirkdauer (Stunden)
Furosemid
40–80
50–70
0,6–1,0
4–6
Torasemid
5–10
80–90
2,2–3,8
6–12
Bumetanid
0,5–1
80–95
1,0–1,5
4–6
Piretanid
3–6
80–90
0,8–1,5
4–6
Azosemid
80
18
2,2–2,7
6–9
Fall 75 Seite 78
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kretion in das Tubulussystem erfolgt über ein Anionentransportsystem. Der diuretische Effekt setzt nach peroraler Gabe innerhalb von 30–60 Minuten ein und erreicht sein Maximum nach 1– 2 Stunden. Nach intravenöser Zufuhr tritt die Wir− kung sofort ein. Neuere Schleifendiuretika wie To− rasemid und Azosemid haben eine längere Wirk− dauer als Furosemid. Darüber hinaus bewirken sie ebenfalls eine Dilatation der Kapazitäts− und Nie− rengefäße (venöses Pooling). Unerwünschte Wir− kungen sind: Thromboseneigung (erhöhte Blut− viskosität, erhöhter Strömungswiderstand), Hypo− kaliämie, Hypokalzämie, Hörstörungen (Elektro− lytveränderungen der Endolymphe), Magen− Darm−Beschwerden (z. B. Diarrhö) und Anstieg des Harnsäurespiegels. Eine Kontraindikation zur
Dauertherapie besteht bei osteoporosegefährdeten Patienten, da die renale Kalziumausscheidung ge− fördert wird. Katecholamine: Bei akuter schwerer Dekompen− sation einer chronischen Herzinsuffizienz und aus− geprägter Blutdruckerniedrigung sind Katechol− amine von Bedeutung. Dobutamin hat durch seine hohe Affinität zu b1−Rezeptoren stark positiv in− otrope Eigenschaften bei nur geringer Zunahme des Sauerstoffverbrauchs. Dopamin steigert das Herzzeitvolumen und verbessert die Nierendurch− blutung. Bei Noradrenalin und Adrenalin über− wiegen die Nachteile (s. Antwort zur Frage 75.3), sie sind daher nicht Mittel der ersten Wahl.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des toxischen Lungenodems Therapie der Hohenkrankheit Intraaortale Ballongegenpulsation
Fall
Fall 76
245
Tuberkulose
76
76.3 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von
Patientin durchführen? Initialphase: Vierfachbehandlung unter statio− nären Bedingungen für 2 Monate K Isoniazid: 5 mg/kg KG/d, max. 400 mg/d K Rifampicin: 10 mg/kg KG/d, max. 600 mg/d K Pyrazinamid: 30 mg/kg KG/d, max. 2 g/d K Ethambutol: 25 mg/kg KG/d, max. 2,5 g/d Stabilisierungsphase und Ausheilung ambulant für weitere 4–7 Monate mit Isoniazid und Rifampicin (Dosierungen wie initial)
Rifampicin! K Häufig: Transaminasenerhöhung (GPT q, GOT q), Cholestase, Rotfärbung von Körperflüssig− keiten (Vorsicht bei Kontaktlinsenträgern) K Selten: Hepatitis, kutane Manifestationen (z. B. Exanthem, Pruritus, Urtikaria), Übelkeit, Thrombopenie, Fieber mit grippeähnlichen Be− schwerden K Sehr selten: Anaphylaxie, hämolytische Anä− mie, akutes Nierenversagen, neurotoxische Re− aktionen (z. B. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Ataxie, Verwirrtheit, Sehstörungen)
76.2 Was ist bei einer Tuberkuloseerkrankung in Schwangerschaft oder Stillzeit zu beachten? Schwangerschaft/Stillzeit sind keine Kontraindi− kationen für Beginn einer Tuberkulosetherapie mit Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol; der Ein− satz von Pyrazinamid wird nicht generell emp− fohlen. K Therapiedauer bei Vierfachkombination 6 Mo− nate, bei Therapie ohne Pyrazinamid 9 Mo− nate K Kontraindiziert sind Aminoglykoside (inkl. Streptomycin) und Gyrasehemmer K Stillen trotz Antituberkulotika möglich, Wirkstoffkonzentrationen in Muttermilch oh− ne toxische Effekte K Vitamin−B6−Substitution bei Mutter und Kind während Isoniazidtherapie
76.4 Nennen Sie Empfehlungen für die präventive Chemotherapie! K Durchzuführen bei Personen: mit positiver Tu− berkulinreaktion, die Kontakt zu Patienten mit offener Tuberkulose haben, mit schwerer kon− sumierender Erkrankung, mit immunsuppres− siver Therapie K Präventive Therapie mit (optional): z. B. Iso− niazid über 9 Monate Dosierung (300 mg/d); Rifampicin über 4 Monate (600 mg/d); Rifampicin (600 mg/d) und Pyrazinamid (1400 mg/d) über 2 Monate
Antworten und Kommentar
76.1 Welche Therapie würden Sie bei der
Fall 76 Seite 79
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KOMMENTAR
246
Fall
76 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die Tuberku− lose ist eine chronisch verlaufende, generalisierte oder organbeschränkte Infektionskrankheit. Welt− weit sind 1,7 Mrd. Menschen infiziert, v. a. Men− schen in Entwicklungsländern sind betroffen. Die Tuberkulose wird durch Infektion mit säurefesten Stäbchenbakterien, v. a. Mycobacterium tuber− culosis, seltener M. bovis oder M. africanum, ver− ursacht. Die Erreger dringen fast immer über den Respirationstrakt ein. Dort werden sie durch Al− veolarmakrophagen phagozytiert, die dann eine T−Zell−vermittelte Immunantwort auslösen. Es bil− den sich sog. Granulome. Als Primärkomplex wird der Primärherd und der regionale, im Hilus liegen− de, Lymphknotenherd bezeichnet. Der Primärkom− plex kann zu einer Primärkaverne mit lebensfähi− gen Erregern einschmelzen, die lymphogen und hämatogen in praktisch alle Organsysteme streuen oder aerogen weiterverbreitet werden können. Der Primärinfekt kann ausheilen, sich lokal oder als generalisierte Miliartuberkulose oder, v. a. bei Im− munsupprimierten, als Landouzy−Sepsis mit hoher Letalität manifestieren. Klinisch stehen Husten, Auswurf und Nachtschweiß im Vordergrund, häu− fig sind die Symptome aber unspezifisch. Diagno− seweisend sind Anamnese (z. B. Auslandsreise, Tu− berkulosekontakt) sowie bildgebende Verfahren. Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch direkten (Ziehl−Neelsen−Färbung, PCR) oder kulturellen (Löwenstein−Jensen−Nährmedium) Nachweis von Mykobakterien aus Sputum oder anderen Proben. Therapieziele: Ziel ist die vollständige Heilung und Elimination der Mykobakterien aus dem Or− ganismus. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Bei im− mungeschwächten Patienten ist eine Verbesse− rung des Immunstatus erforderlich. Grundleiden müssen erkannt und therapiert werden, bestehen− de sozialmedizinische Probleme (z. B. Alkohol− krankheit, Obdachlosigkeit, Lagerleben) sind zu beheben. Durch konsequente Erkennung und Isolierung von Patienten mit offener Tuberkulose und deren Kontaktpersonen wird eine Ausbreitung der Erkrankung verhindert (s. Antwort zur Frage 76.4). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 76.1. Um eine Resistenzent− wicklung der Mykobakterien zu vermeiden, wird eine Kombinationstherapie durchgeführt. Bei fehlenden Resistenzen (Resistenztestung!) kann die Ethambutol−Medikation frühzeitig beendet werden. Die Therapiedauer ist bei dokumentierter röntgenologischer Rückbildung und negativen Kul− turergebnissen auf 6 Monate begrenzt. Bei Unver− träglichkeit oder Resistenz gegenüber Einzelsub− stanzen ist eine verlängerte Therapie (9–12 Mona− te) erforderlich. In der Stabilisierungsphase kann bei Compliance−Problemen auf eine 2− bis 3−mal
wöchentliche Einnahme übergegangen werden. Reservemedikamente sind Streptomycin, Pro− tionamid, Capreomycin und Ciprofloxacin. Eine kontrollierte Einnahme der Medikamente ist er− forderlich, die Compliance des Patienten sollte regelmäßig geprüft werden, ggf. sollte die Medika− menteneinnahme kontrolliert erfolgen. Isoniazid: Isoniazid ist das wichtigste Antituber− kulotikum. Es hemmt den bakteriellen Lipidstoff− wechsel und die Nukleinsäuresynthese und wirkt bakterizid auf proliferierende Erreger. Isoniazid wird peroral schnell resorbiert und über eine Ace− tylierungsreaktion (cave: Schnell− und Langsam− acetylierer) metabolisiert. Unerwünschte Wirkun− gen sind Schwindel, Kopfschmerzen, Benommen− heit, Hyperreflexie, Parästhesien, Senkung der Krampfschwelle, Transaminasenerhöhung, allergi− sche Hautreaktionen und Blutbildveränderungen. Zur Prävention der relativ häufigen Polyneuropa− thie sollte prophylaktisch Vitamin B6 eingenom− men werden. Kontraindikationen für Isoniazid sind akute Lebererkrankungen, periphere Neuropa− thien, Psychosen und Krampfleiden. Isoniazid hemmt den Metabolismus von Phenytoin und um− gekehrt, so dass (unerwünschte) Wirkungen bei− der Substanzen verstärkt werden. Bei gleichzeiti− ger Behandlung mit p−Aminosalicylsäure wird die Eliminationsgeschwindigkeit von Isoniazid we− sentlich verlangsamt. Rifampicin: Rifampicin hemmt die bakterielle RNA−Synthese durch Hemmung der DNA−abhängi− gen RNA−Polymerase. Bei gleichzeitiger Isoniazid− Gabe sind Hepatopathien häufig (s. Antwort zur Frage 76.3.), eine vierwöchentliche Kontrolle des Blutbildes, der Leberenzyme und der harnpflichti− gen Substanzen ist deshalb für die Zeit der Behand− lung erforderlich. Durch rifampicinbedingte Enzyminduktion wird der Abbau z. B. von Östro− genen, Prednisolon, Trimethoprim, Digitoxin und Kumarinen beschleunigt. Pyrazinamid: Pyrazinamid wirkt bakterizid auf Mykobakterien. Der Einsatz von Pyrazinamid ist durch seine Lebertoxizität begrenzt. Da es die Harnsäureausscheidung reduziert, ist eine monat− liche Kontrolle der Serumharnsäure indiziert. Ethambutol: Ethambutol inhibiert die Zellwand− synthese und wirkt bakteriostatisch. Es eignet sich nur zur Kombinationstherapie und wird mit Erfolg bei Resistenzen gegen andere Antituberkulotika eingesetzt. Unerwünschte Wirkungen sind selten: allergische Reaktionen, periphere Neuritis, Neph− rotoxizität und vorübergehende Leberfunktions− störungen. Eine mögliche Abnahme der Sehschärfe und Gesichtsfeldeinschränkungen erfordern oph− thalmologische Untersuchungen vor Therapiebe− ginn und alle 4 Wochen während der Therapie.
Fall 76 Seite 79
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Lepra Tuberkulose und HIV Streptomycin
Fall 77
Acne vulgaris
77.1 Entwerfen Sie einen Therapieplan für die Patientin! K Keine mechanische Manipulation K Gründliche Reinigung der Haut: synthetische Tenside oder milde alkoholische Lösung (z. B. Clerasil) K Kurzfristige systemische Antibiotikatherapie: z. B. Minocyclin 1–2 3 50 mg/d p.o. über 1–2 Wochen K Langfristige Lokaltherapie mit erythromycin− haltigen Externa
77.3 Was müssen Sie bei der Anwendung von
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Acne vulga− ris ist eine multifaktorielle Erkrankung der talg− drüsenreichen Hautregionen mit Komedonen (Mitesser“ = erweiterte, mit Talg und Keratin ge− füllte Haarfollikel) und daraus entstehenden Pa− peln, Pusteln und Knoten. Die Acne vulgaris zählt zu den häufigsten Hauterkrankungen. Sie beginnt meist in der Pubertät mit zunehmender androgen− abhängiger Talgproduktion der Haarfollikel und klingt im Laufe des 3. Lebensjahrzehnts ab. Ursa− che sind Seborrhö und Hyperkeratose. Hierdurch entstehen zunächst follikuläre Mikrokomedonen, später geschlossene oder offene Komedonen. Die Komedonen können sich zurückbilden, meist ge− hen sie aber in entzündliche Effloreszenzen über. Die Entzündung wird durch Bakterien (z. B. Pro− pionibacterium acnes, Staphylokokken, Pityro− sporium spp.), die die Follikel besiedeln, und von
ihnen gebildeten Faktoren und extrazellulären Pro− dukten ausgelöst. Papeln sind Entzündungen, die auf den Follikel beschränkt sind. Pusteln entste− hen nach Ruptur der Follikelwand, wenn Lipide und Korneozyten eine Fremdkörperreaktion aus− lösen. Tritt im weiteren Verlauf eine tiefere Ent− zündung der Dermis auf, bilden sich einzelne Knoten. Medikamente können eine Acne medica− mentosa verursachen (s. Antwort zur Frage 77.2).
247
77 Antworten und Kommentar
Vitamin−A−Säure−Derivaten beachten? K Topische Anwendung (z. B. Tretinoin, Isotreti− noin): – Zunächst unter der Behandlung Aufblü− hen der Akne durch entzündliche Um− wandlung der Komedonen – Vermeiden von zusätzlichen Hautirrita− tionen (z. B. Licht, andere Externa) K Systemische Anwendung (z. B. Isotretinoin): – Unerwünschte Wirkungen: Cheilitis, Rei− zung und Austrocknen von Haut− und
77.4 Charakterisieren Sie die in der Dermato− logie verwendeten halbfesten Zubereitungen! K Fettsalben (z. B. Vaseline, Wollfette): wasser− frei, verhindern Feuchtigkeitsabgabe der Haut (ähnlich Okklusiv−Verbänden), Quellung der Haut verbessert Penetration von Wirkstoffen K Cremes mit unterschiedlicher Grundlage (Trä− ger): – Öl−in−Wasser−Emulsionen (Ö/W): wenig fettend, gut verträglich bei seborrhoischen Patienten – Wasser−in−Öl−Emulsionen (W/Ö): fettend und abdeckend, Einsatz bei Sebostatikern K Pasten: hoher Anteil an pulverförmigen Be− standteilen (z. B. Zinkpaste), haften an der Hautoberfläche, wasserabstoßend K Gele: hoher Flüssigkeitsanteil, kühlender Ef− fekt durch Verdunstung
Fall
77.2 Welche Arzneimittel können eine Akne hervorrufen? Glukokortikoide, Kaliumjodidlösung, Isoniazid, ACTH
Schleimhäuten, Juckreiz, reversibler Haar− ausfall, teratogen – Wechselwirkung: erhöhtes Risiko für Pseudotumor cerebri in Kombination mit Tetrazyklinen – Relative Kontraindikation: Frauen im ge− bärfähigen Alter wegen der teratogenen Wirkung (strikte Kontrazeption bis 4 Wo− chen nach letztmaliger Einnahme)
Therapieziele: Ziel ist es, den Krankheitsverlauf zu mildern oder zu verkürzen. Dabei orientiert sich die Therapiewahl am Schweregrad der Akne. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 77.1. Bei der Reinigung sollte eine Rei− zung der Haut vermieden werden. Spezielle Diäten haben, ausgenommen individuelle Unverträglich− keiten, keinen Einfluss auf den Verlauf der Akne.
Fall 77 Seite 80
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Fall
78
Eine fachgerechte Entfernung der Komedonen kann unterstützend wirken.
oder Clindamycin dient der Behandlung von ent− zündlichen Akne−Effloreszenzen.
Pharmakotherapie Die Auswahl der Therapeutika richtet sich nach dem klinischen Bild, der Krankheitsverlauf ist re− gelmäßig zu kontrollieren.
Systemische Therapie: s. Antwort zur Frage 77.3. Die systemische Therapie sollte schweren Verläu− fen vorbehalten sein. Die orale Behandlung mit Vitamin−A−Säure−Derivaten induziert eine lang anhaltende Remission, die Seborrhö wird redu− ziert, Talgdrüsen verkleinert und die Entzündung gestoppt (s. Fall 48). Zur Behandlung der papulopustulösen Akne wer− den Tetrazykline und Minocyclin systemisch ein− gesetzt, die gut gegen Propionibacterium acnes wirksam sind. Unerwünschte Wirkungen sind sel− ten, bei länger dauernder Therapie sollten aber regelmäßig Blutbild sowie Leber− und Nierenfunk− tion überprüft werden. Bei Frauen können Antiandrogene zur Blockade der körpereigenen Androgenwirkung auf die Talg− drüsen eingesetzt werden. Es bieten sich Kombi− nationen mit Östrogenen in Form von z. B. cypro− teronacetathaltigen Kontrazeptiva an.
Topische Therapie: Vitamin−A−Säure oder Iso− tretinoin sind bei der Schälbehandlung der Acne comedonica, mit geschlossenen und offenen Ko− medonen angezeigt (s. Antwort zur Frage 77.3). Die schwächer wirkenden Substanzen Benzolyper− oxid und Azelainsäure können ebenfalls einge− setzt werden. Sie wirken zusätzlich antibakteriell und antiinflammatorisch. Benzoylperoxid wirkt durch Freisetzung von Sauerstoff desinfizierend (cave: Verfärbungen der Kleidung). Benzoylperoxid darf nicht in die Augen oder auf Schleimhäute ge− langen. Unerwünschte Wirkungen sind Juckreiz und Brennen der Haut. Azelainsäure hemmt die follikuläre Hyperkeratose. Lokale Reizerscheinun− gen können ebenfalls auftreten. Eine lokale anti− biotische Therapie mit Erythromycin, Tetrazyklin
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Antworten und Kommentar
Therapie parasitarer Hauterkrankungen Sonnenschutzmittel Behandlung der Rosacea
Fall 78
Thyreotoxische Krise
78.1 Welche Basismaßnahmen leiten Sie ein? K Intensivüberwachung: Monitoring, Bilanzie− rung K Rehydratation: Flüssigkeit 3–5 l/d, Elektrolyt− verluste ausgleichen K Hochkalorische Ernährung: 3000 kcal/d K Physikalische Maßnahmen zur Fiebersenkung (z. B. Wadenwickel, Eisbeutel) K ggf. Sauerstoffgabe 78.2 Wie führen Sie die medikamentöse The− rapie der thyreotoxischen Krise durch? Gibt es eine operative Therapie oder Eliminationsver− fahren? K Thiamazol: initial 80 mg i. v., dann 4 3 40– 80 mg/d i. v. K b−Rezeptorantagonisten bei Tachykardie: z. B. Propranolol 2–4 3 1 mg/d i. v. K Thromboseprophylaxe: Heparin 2 3 7500 IE/d s.c. K ggf. Glukokortikoide: z. B. Prednisolon 50 mg alle 6–8 Stunden K ggf. Sedierung: z. B. Diazepam 5–10 mg/d i. v. K Bei Herzinsuffizienz: Digitalisierung im obe− ren therapeutischen Bereich
K Bei Hinweisen auf Infektion: Antibiotika K Bei lebensbedrohlicher therapieresistenter jodinduzierter Hyperthyreose: – Frühoperation (subtotale bilaterale Thy− reoidektomie) – Plasmapherese oder Hämoperfusion (bei OP−Kontraindikation, z. B. kardialer Insuffi− zienz)
78.3 Welche Vorteile bietet Propranolol ge− genüber anderen b−Rezeptorantagonisten? K Propranolol hemmt die periphere Konversion von T4 in T3 K Dosierung: 1–5 mg/d i. v. oder 100–200 mg/d p.o über eine Ernährungssonde abhängig von Kreislaufparametern 78.4 Erläutern Sie die Wirkungsweise von Lithiumionen! K Hemmung der Freisetzung der Schilddrüsen− hormone aus Thyreoglobulin K Hemmung der peripheren Konversion von T4 zu T3
Fall 78 Seite 81
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KOMMENTAR
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 78.1. Heutzutage wird frühzeitig eine operative Therapie (subtotale bilaterale Thyreoid− ektomie) angestrebt, falls keine Kontraindikatio− nen vorliegen. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 78.2. Eine intensivmedizini− sche Therapie muss unverzüglich und ohne we−
Thionamide: Thionamide (z. B. Thiamazol, Pro− pylthiouracil) hemmen die Schilddrüsenperoxida− se und vermindern damit die Synthese der Schild− drüsenhormone (s. Fall 43). Bei vorausgegangener Jodbelastung (hohe Jodkonzentration in der Schilddrüse) ist die Wirksamkeit der Thionamide herabgesetzt, so dass die Dosis der Präparate er− höht werden muss. Eine intravenöse Behandlung ist einer oralen Therapie vorzuziehen, da man von einer gestörten Magen−Darmpassage ausgehen muss. Unerwünschte Wirkungen sind v. a. Blutbil− dungsstörungen und Lebertoxizität. Perchlorat: Bei nichtjodinduzierten Krisen kann die gleichzeitige Gabe von Kaliumperchloraten (1200–2000 mg/d) die Jodaufnahme in die Schild− drüse hemmen und in Kombination mit Thionami− den die Schilddrüsenhormonsynthese reduzieren. Lithiumsalze: Lithiumsalze (z. B. Lithiumkarbo− nat 3 3 500 mg/d) werden bei jodinduzierter Krise angewendet (s. Antwort zur Frage 78.4). Überdo− sierungen müssen durch Spiegelkontrollen (Ziel− bereich , 1 mmol/l) vermieden werden. Wegen unerwünschter Wirkungen (z. B. Erbrechen, Diar− rhö, strumigene Wirkung) sollten Lithiumsalze nur kurzzeitig in Kombination mit Thionamiden an− gewendet werden. Sonstige: Hochdosierte Jodgabe (z. B. Lugol−Lö− sung, DAB) kann bei nichtjodinduzierter Krise die Hormonsynthese und −ausschüttung vorüberge− hend blockieren. Weitere Optionen sind die Hem− mung der peripheren Hormonwirkungen bzw. Konversion durch Propylthiouracil, b−Rezeptoran− tagonisten (s. Antwort zu Frage 78.4) oder Gluko− kortikoide. Die Therapie mit Ionenaustauscher− harzen (z. B. Colestyramin) führt zu einer Elimina− tion der Schilddrüsenhormone aus dem entero− hepatischen Kreislauf.
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78 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel ist eine rasche Verminderung der Schilddrüsenhormonsynthese sowie eine Hemmung der Freisetzung präformierter Schild− drüsenhormone und ihrer peripheren Wirkung. Ei− ne engmaschige Kontrolle des klinischen Zustan− des und der Schilddrüsenhormone ist notwendig.
sentliche Verzögerung durch diagnostische Maß− nahmen eingeleitet werden. Die Schwere der Er− krankung und eine mögliche Jodexposition bestimmen die Auswahl und Dosierung der Medi− kamente.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Die thyreo− toxische Krise ist eine lebensbedrohliche Erkran− kung mit einer hohen Letalität (13–50 %). Thyreo− toxische Krisen entwickeln sich bei etwa 1 % aller Patienten mit einer Hyperthyreose. Ursachen kön− nen sein: Jodkontamination, Operationen, Trau− mata, fieberhafte Infekte, schwere Allgemeiner− krankungen, Amiodaron−Therapie. Meist entwi− ckelt sich die Krise aus einer länger bestehenden, bislang nicht diagnostizierten Hyperthyreose. Pa− thophysiologisch führt wahrscheinlich ein plötzli− cher Anstieg der freien Schilddrüsenhormone durch Abnahme von thyroxinbindendem Protein (TBG) zu einem plötzlich einsetzenden Hyperme− tabolismus. Der Übergang zwischen einer schwe− ren Hyperthyreose und einer thyreotoxischen Kri− se ist fließend. Klinische Symptome der Krise sind: warme, gut durchblutete Haut, Körpertemperatur . 38,5 8C, Schwitzen, Tachykardie, Übelkeit, Erbre− chen, Diarrhö. Obligat vorhandene kardiovaskuläre Symptome sind Sinustachykardie, tachykardes Vorhofflimmern oder Zeichen einer globalen Herz− insuffizienz (z. B. Dyspnoe, Zyanose). Bei der thy− reotoxischen Krise tritt eine zentralnervöse Sym− ptomatik mit hochgradiger motorischer Unruhe und Agitiertheit auf, später kann sich ein Koma entwickeln. Diagnoseweisend sind die Symptome, erniedrigtes TSH und erhöhte periphere Schilddrü− senhormone.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Plasmapherese Behandlung des hypothyreoten Komas Indikationen fur Lithium
Fall 78 Seite 81
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Fall 79 79.1 Welche Pharmakotherapie würden Sie im vorliegenden Fall durchführen? K Mefloquin: initial 750 mg p.o., nach 6 Stunden 500 mg, nach weiteren 6 Stunden 250 mg K Alternativ: Atovaquon 1 g/d p.o. + Proguanil 0,4 g/d p.o. für 3 Tage
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79.2 Nennen Sie Malariamittel und deren Wirkort! K Gewebeschizontozide: z. B. Primaquin, Pro− guanil R hemmen die Entwicklung der prä− erythrozytären Gewebeschizonten K Hypnozoitozide: z. B. Primaquin R töten die Ruheformen von P. vivax und P. ovale in der Leber K Blutschizontozide: z. B. Chloroquin, Meflo− quin, Chinin, Artemether, Lumefantrin R hem− men die Vermehrung der Parasiten in den Erythrozyten K Gametozide: z. B. Primaquin R blockieren die Geschlechtsformen von P. falciparum
Malaria 79.3 Nennen Sie nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Malariaprophylaxe! Expositionsprophylaxe um Mückenstiche zu ver− meiden: K Lange Hosen und Ärmel bei Einbruch der Dämmerung K Mückensicherer Schlafraum (Moskitonetze, geschlossene Fenster und Türen) K Repellenzien (z. B. Diethyltoluamid) 79.4 Erklären Sie den Begriff Stand−by“−The− rapie! Ständiges Mitführen von Malariamedikamen− ten in Malariaendemiegebieten (Chloroquin, Me− floquin, Atovaquon/Proguanil, Artemether/Lume− fantrin) zur Selbsttherapie bei ungeklärtem Fie− ber und damit Malariaverdacht.
Fall
79 Antworten und Kommentar Entwicklungszyklus der Plasmodien, Malariamittel und ihre Wirkorte
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die Malaria ist eine fieberhafte Infektionskrankheit, die durch Plasmodium malariae, vivax, ovale oder fal− ciparum verursacht wird. Durch den Stich einer infizierten weiblichen Anophelesmücke gelangen die Plasmodien über die Leber ins Blut und werden
dort durch Endozytose in die Erythrozyten aufge− nommen (Blutschizonten). Durch Ruptur der Erythozyten, Freisetzung der Merozoiten und Neu− befall von Erythrozyten kommt es zu rezidivieren− den Fieberschüben. Die Symptome beginnen nach einer Inkubationszeit von 1–3 Wochen mit Fieber,
Fall 79 Seite 82
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Schüttelfrost, Kopf− und Muskelschmerzen. Die Fieberanfälle können jeden 3. Tag (Malaria tertia− na, Erreger: Pl. vivax und Pl. ovale), jeden 4. Tag (Malaria quartana, Erreger: Pl. malariae) oder bei der Malaria tropica (Erreger: Pl. falciparum) in un− regelmäßigem Rhythmus auftreten. Diagnosewei− send ist eine gezielte Reiseanamnese. Die Malaria tropica ist meist leicht im Blutausstrich oder dickem Tropfen“ zu diagnostizieren, wiederholte Untersuchungen sind bei Malaria tertiana und quartana erforderlich. Therapieziele: Ziel der Therapie ist die Eliminie− rung der Plasmodien und das Vermeiden eines Spätrezidivs (v. a. bei P. vivax und P. ovale). Im Ver− lauf der Behandlung sind regelmäßige Blutkontrol− len durchzuführen. Auf Grund der möglichen kom− plizierten Verlaufsformen der Malaria tropica (Le− talität 1–2 %) ist ggf. eine intensivmedizinische Therapie, wenn möglich in einem speziellen The− rapiezentrum, erforderlich.
Chemoprophylaxe: Abhängig von der Resistenz− lage wird eine Chemoprophylaxe mit Chloroquin, Chloroquin/Proguanil, Atovaquon/Proguanil oder Mefloquin angegeben (unter Beachtung der aktu− ellen Empfehlungen der Tropeninstitute bzw. WHO). Eine Malariaprophylaxe ist eine Woche vor Einreise bis 4–6 Wochen nach Ausreise erfor−
Chinin: Chinin ist ein Alkaloid der Chinarinde und wird auf Grund geringer Resistenzen bei der chloroquinresistenten und komplizierten Malaria tropica mit Bewusstseinstrübung, Niereninsuffizi− enz, Schock, zerebralen Krampfanfällen angewen− det. Unerwünschte Wirkungen sind häufig gas− trointestinale Beschwerden, Allergien und Neuro− toxizität mit Kopfschmerz, Schwindel, Seh− und Hörstörungen (Chinchonismus). Außerdem treten intravasale Hämolysen, Thrombopenien und Agra− nulozytose auf. Chinin ist in der Schwangerschaft kontraindiziert. Chloroquin: Chloroquin besitzt gute therapeuti− sche Eigenschaften. Ist keine oder nur eine niedri− ge Chloroquinresistenz bekannt, kann unter klini− scher Überwachung eine Therapie mit Chloroquin versucht werden. Chloroquin ist auch zur Behand− lung der rheumatoiden Arthritis (s. Fall 90) und des Lupus erythematodes (s. Fall 96) indiziert.
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79 Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie Die Therapie der Malaria richtet sich nach dem Krankheitserreger. Chloroquin ist bei M. tertiana und quartana noch immer Mittel der Wahl. Erfolg− te die Infektion in Südostasien oder in der Pazifik− region, sollte die Malaria tertiana auf Grund mög− licher Chloroquinresistenzen mit Mefloquin be− handelt werden. P. falciparum ist gegen viele Antimalariamittel resistent, die Resistenzlage vari− iert geografisch stark (www.dtg.mwm.de/malaria/ karte.htm). In Gebieten mit hohem Resistenzvor− kommen (z. B. tropisches Afrika, Südostasien, Süd− amerika) sind alternative Medikamente (Meflo− quin, Atovaquon/Proguanil) zur Behandlung der Malaria tropica angezeigt. In den seltenen Fällen einer Mefloquinresistenz wird Atovaquon/Progua− nil empfohlen. Komplikationen (z. B. zerebrale Ma− laria) erfordern eine schnelle intravenöse Aufsätti− gung mit Chinin−Hydrochlorid. Nach klinischer Besserung kann auf eine orale Medikation überge− gangen werden.
Stand−by−Therapie: s. Antwort zur Frage 79.4. Vor allem Proguanil ist in Kombination mit Atova− quon in Gebieten mit chloroquinresistenten P. fal− ciparum geeignet. Proguanil ist ein Prodrug, der Metabolit Cyclo− guanil hemmt die Dihydrofolsäurereduktase, wo− bei die Affinität zum Enzym der Säugetierzellen gering ist. Proguanil hat eine EHWZ von 16 Stun− den und ist gut verträglich. Proguanil wird häufig mit Chloroquin oder Atovaquon kombiniert. Ato− vaquon ist eine lipophile Substanz und sollte auf Grund geringer Bioverfügbarkeit mit fettreicher Nahrung eingenommen werden. Der Wirkungsme− chanismus ist nicht genau geklärt. Atovaquon wird zu fast 100 % an Plasmaproteine gebunden und be− sitzt eine EHWZ von 2–4 Tagen.
Fall
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Neben der Expositionsprophylaxe (s. Antwort zur Frage 79.3) sollten sich Reisende in Malariaregionen über die aktuelle Chemoprophylaxe, die ersten Krankheitssymptome und die Notfall−Selbstbe− handlung (Stand−by−Medikation) bei reisemedizi− nischen Zentren informieren. Beim komplizierten Verlauf der Malaria tropica sind Maßnahmen wie Fiebersenkung, Glukosedauerinfusion, Elektrolyt− ausgleich und ggf. maschinelle Beatmung notwen− dig.
derlich. Liegen keine Resistenzen vor (z. B. Südtür− kei, Golfstaaten, Ägypten), wird die einmal wö− chentliche Einnahme von Chloroquin empfohlen. Bei partieller Chloroquinresistenz (z. B. Pakistan, Jemen, Indien) ist die Behandlung mit Chloro− quin/Proguanil angezeigt. Hierbei ist die unter− schiedliche Einnahmehäufigkeit (Chloroquin ein− mal wöchentlich, Proguanil täglich) zu beachten. Bei hoher Chloroquinresistenz wird Mefloquin zur Malariaprophylaxe verwendet. Atovaquon/Progua− nil eignet sich bei Unverträglichkeit oder Kontra− indikationen gegen die anderen Antimalariamedi− kamente oder in Gebieten mit hochgradiger Me− floquinresistenz.
Mefloquin: Mefloquin ist wirksam gegen Plasmo− dien, die gegen Chinin und Chloroquin resistent sind. Es wird stark im Gewebe angereichert (Ver− teilungsvolumen ca. 20 l/kg), daher ist die Elimina− tion mit einer EHWZ von ca. 21 Tagen sehr lang− sam. Unerwünschte Wirkungen sind: gastrointes− tinale Störungen, Kopfschmerzen, Hautreaktionen, Krampfanfälle und Psychosen.
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Artemether/Lumefantrin: Dies sind zwei Wirk− stoffe, die mit dem im Parasiten vorhandenen Häm−Eisen reagieren, reaktive Radikale in der Nah− rungsvakuole bilden und die Proteine der Parasiten schädigen. Die Substanzen werden schlecht resor− biert und sollten mit fetthaltiger Nahrung einge− nommen werden. Als Prophylaxe ist die Kombina−
tion nicht geeignet. Unerwünschte Wirkungen sind: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbre− chen. Bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen ist Artemether/Lumefantrin auf Grund einer mög− lichen Verlängerung des QT−Intervalls kontraindi− ziert.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie der Toxoplasmose Anthelminthika Therapie der Trypanosomenkrankheiten
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Fall
80
Fall 80
Immunozytom (Morbus Waldenström)
80.1 Erläutern Sie das KNOSPE−Schema! K Chlorambucil: 5 mg/m2 p.o. (Tag 1–3) K Prednison: 75 mg p.o. (Tag 1), 50 mg (Tag 2), 25 mg (Tag 3) K Wiederholung am Tag 15 (abhängig vom Ver− lauf mehrere Zyklen möglich) 80.2 Welche Kontrollen sollten Sie durchfüh−
Antworten und Kommentar
ren? Differenzialblutbild, Blutzucker, Gesamteiweiß, Elektrolyte, Retentionsparameter (Kreatinin, Harnstoff)
80.3 Erläutern Sie das CHOP−Schema! Standardbehandlungsschema, z. B. beim hochma− lignen Non−Hodgkin−Lymphom, 6–8 Zyklen mit: K Cyclophosphamid: 750 mg/m2 i. v. (Tag 1)
K Adriamycin (Doxorubicin): 50 mg/m2 i. v. (Tag 1) K Vincristin: 1,4 mg/m2 i. v. (Tag 1) K Prednison: 100 mg p.o. (Tag 1–5) K Wiederholung ab Tag 22
80.4 Nennen Sie den Wirkungsmechanismus von Chlorambucil! Chlorambucil ist ein Stickstoff−Lost−Derivat (Kampfgas) und wirkt als Alkylans, d. h. es alky− liert Nukleinsäuren und führt zu: K Vernetzung von DNA− bzw. RNA−Strängen (cross−linking) K Spaltung von DNA−Strängen (Einzel− und Dop− pelstrangbrüche) K Abnormer Basenpaarung
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Non−Hodg− kin−Lymphome (jährliche Inzidenz: 9/100 000) gehören einer heterogenen Gruppe maligner klo− naler Neoplasien an, die vom lymphatischen Ge− webe ausgehen. Die meisten Non−Hodgkin−Lym− phome zeigen histologische, immunologische und zytogenetische Charakteristika, die auf eine Ver− wandtschaft mit Vorläuferzellen der normalen T− und B−Lymphozyten hindeuten. Die Pathogenese der Non−Hodgkin−Lymphome ist in vielen Fällen ungeklärt. Ein erhöhtes Risiko besteht bei lang dauernder immunsuppressiver Therapie (z. B. nach Organtransplantation) und Autoimmunerkran− kungen, was auf eine unkontrollierte Proliferation des lymphatischen Systems hindeutet. 80–85 % der Non−Hodgkin−Lymphome im Erwachsenenalter leiten sich von B−Lymphozyten ab. Klinisch wer− den niedrigmaligne, intermediärmaligne und hochmaligne Non−Hodgkin−Lymphome unter− schieden. Die Immunozytome (Syn. Morbus Wal− denström, Makroglobulinämie) sind niedrigmali−
gne B−Lymphome, die monoklonale IgM−Globuline synthetisieren. Anamnestisch werden unspezifi− sche Beschwerden wie Abgeschlagenheit, Müdig− keit, erhöhte Infektanfälligkeit und B−Symptoma− tik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme) be− obachtet. Lymphomzellen können frei im Blut zirkulieren und je nach Stadium Lymphknoten, Leber, Milz, Niere und Knochenmark (Anämie, Gra− nulozytopenie, Thrombozytopenie) befallen. Beim Immunozytom ist ein sog. M−Gradient in der Se− rumelektrophorese zu finden. Therapieziele: Ziel ist es, Lebensqualität und Prognose der Patienten zu verbessern. Die Be− handlung muss individuell geplant durchgeführt werden. Niedrigmaligne Non−Hodgkin−Lymphome sind bei Diagnosestellung meist metastasiert und nur palliativ zu behandeln. Hochmaligne Lympho− me sind meist strahlen− und chemosensitiv und können mit aggressiver Therapie in bis zu ca. 50 % der Fälle geheilt werden.
Fall 80 Seite 83
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Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Da die meisten niedrigmalignen Non−Hodgkin−Lympho− me nicht geheilt werden können, gilt es, in der durchschnittlichen Überlebenszeit von 2–10 Jah− ren, septische Komplikationen und thrombopeni− sche Blutungen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Bei lokalen niedrigmalignen Non− Hodgkin−Lymphomen kann eine Strahlentherapie kurativ sein. Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 80.1 und 80.3. Die Behand− lungsstrategien beim Non−Hodgkin−Lymphom ori− entieren sich an der Malignität und Ausbreitungs− tendenz des Lymphoms. Hochmaligne Non−Hodg− kin−Lymphome werden mit kurativem Ziel mit relativ aggressiven Chemotherapieprotokollen behandelt. Eine kombinierte Strahlen−/Chemothe− rapie eignet sich nur bei streng lokalem Auftreten der Erkrankung und zur Prophylaxe z. B. von ZNS− Rezidiven. Eine Chemotherapie mit Zytostatika ist bei disseminierten Non−Hodgkin−Lymphomen in− diziert bei Vorliegen einer B−Symptomatik, Leis− tungsabfall, hämatopoetischer Insuffizienz und großen Lymphome.
Chlorambucil: s. Antwort zur Frage 80.4. Chlorambucil wirkt als Proliferationsgift in allen Geweben mit hoher Zellteilungsrate. Es ist auf Grund seiner protrahierten Wirkung und ver− gleichsweise geringen Toxizität Bestandteil ver− schiedener Schemata zur Behandlung des niedrig− malignen Non−Hodgkin−Lymphoms. Die Behand− lung mit Chlorambucil sollte nach Möglichkeit bis zum maximalen Ansprechen durchgeführt werden. Dies dauert üblicherweise etwa 8–12 Mo− nate. Chlorambucil wird nach oraler Gabe gut re− sorbiert, die EWHZ liegt bei ca. 8 Stunden. Uner− wünschte Wirkungen sind Knochenmarksuppres− sion, Mukositis, Stomatitis, Haarausfall, Fieber, Diarrhö sowie in Einzelfällen Lungenfibrose. Es wurden reversible zentralnervöse Störungen wie epileptiforme Krämpfe, Koma und Ataxien be− schrieben. Kontraindiziert ist Chlorambucil bei schwerer Leber− und Niereninsuffizienz sowie in der Schwangerschaft. Mit Chlorambucil behandel− te Frauen und Männer sollten einen Konzeptions− schutz bis 6 Monate nach Therapieende einhalten.
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Fall
81
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Fall 81
Reizdarmsyndrom
81.1 Nennen Sie allgemeine Maßnahmen und Strategien für Patienten Reizdarmsyndrom! K Therapiegespräche: – Aufklärung über Wesen und Ursachen der Beschwerden anhand von einfach verständ− lichen Krankheitsmodellen (z. B. nervale Verbindung von Psyche und Darm) – Klare Diagnosevermittlung – Schaffung eines stabilen Vertrauensverhält− nisses – Konfliktklärung im psychosozialen Bereich – Förderung der Eigenverantwortung – Aufzeigen von unterstützenden medika− mentösen Behandlungsmöglichkeiten – Therapeutisches Bündnis für die Langzeit− betreuung K Veränderung der Lebensführung: Ernäh− rungsberatung (keine spezifische Diät), kör− perliche Bewegung, Stressabbau, Entspan− nungsübungen (z. B. autogenes Training) 81.2 Nennen Sie die Ziele bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms! K Linderung der Symptome
K Ausschluss potenziell heilbarer oder lebens− bedrohlicher struktureller Läsionen K Minimierung des Risikos diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen K Effektive und ressourcenschonende Diag− nostik und Therapie
81.3 Welche medikamentösen Therapieoptio− nen haben Sie? K Antidiarrhoika: z. B. Loperamid 2–6 3 2 mg/d p.o. (s. Fall 65) K Laxanzien: z. B. Lactulose 1–2 3 5–10 g/d p.o. (s. Fall 35) K Spasmolytika: z. B. Mebeverin 3 3 135 mg/d p.o. K Entblähende Mittel: z. B. Dimethylpolysiolo− xan, 4–6 3 80–160 mg/d p.o.; Pfefferminzöl
Antworten und Kommentar
Behandlung des kleinzelligen Bronchialkarzinoms Mechanismen der Tumorresistenz Behandlung der lymphatischen und myeloischen Leukamie
81.4 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Loperamid! Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bauch− schmerzen, Obstipation, Schwindel, Benommen− heit, Mundtrockenheit, Ileus
Fall 81 Seite 84
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KOMMENTAR
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Fall
82 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Das Reiz− darmsyndrom (früher: Colon irritabile) ist durch wiederkehrende abdominelle Symptome mit Stö− rungen der Defäkation und vegetativen Be− schwerden ohne objektivierbaren organischen Be− fund charakterisiert. Fast ein Drittel der Bevölke− rung leidet unter den verschiedenen Formen des Syndroms. Die Patienten zeigen eine herabgesetz− te Schmerzschwelle für Dehnungsreize und eine gesteigerte motorische Aktivität im Sigma. Pa− thogenetisch scheint eine Störung der Gehirn− Darmachse“ möglich, so dass psychische Belastun− gen und Konflikte die Symptome auslösen können. Eine weitere mögliche Ursache ist eine vorange− gangene Darminfektion. Ernährungsfaktoren (z. B. Nahrungsmittel, Ernährungsweise, Essverhal− ten) können die Symptome beeinflussen. Entspre− chend der Beschwerdeausprägung und Stuhlab− normität werden 4 verschiedene Typen unter− schieden: Typ I diarrhödominant; Typ II obstipationsdominant; Typ III meteorismus−/ schmerzdominant; Typ IV meteorismusdominant ohne Diarrhö. Typische Symptome sind krampfar− tige oder stechende Bauchschmerzen, Meteoris− mus, Flatulenz, Stuhlunregelmäßigkeiten, Be− schwerdelinderung nach dem Stuhlgang, Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung. Wichtige Un− tersuchungen zum Ausschluss somatischer Er− krankungen sind orientierende Laboruntersuchun− gen, Abdomensonografie und Koloskopie. Alarm−
symptome (z. B. Gewichtsabnahme, Hämatemesis, Anämie) und Risikofaktoren (z. B. familiäre Poly− posis coli) müssen unverzüglich einer differenzier− ten Diagnostik zugeführt werden. Therapieziele: s. Antwort zu Frage 81.2. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zu Frage 81.1. Für das erste Therapiegespräch sollte genügend Zeit zur Verfügung stehen, es sollte vom behandelnden Arzt durchgeführt und in regelmä− ßigen Abständen wiederholt werden. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 81.3. Der Leidensdruck des Patienten macht ggf. eine therapeutische Interven− tion schon bei der ersten Vorstellung nötig (Thera− pia ex juvantibus). Dies ist nur bei Fällen mit flüch− tigen Beschwerden und kurzer Erkrankungsdauer zulässig. Eine Pharmakotherapie länger als 8 Wo− chen ist nur in seltenen Fällen sinnvoll. Für die meisten Medikamente liegen keine hinreichenden Belege für die Wirksamkeit beim Reizdarmsyn− drom vor, die Plazeborate liegt bei 40–70 %. Me− beverin ist ein neurotrop−muskulotropes Spas− molytikum und relaxiert die glatte Muskulatur des Dickdarms. Mebeverin kann Hautreaktionen, Schwindel und Müdigkeit verursachen. Die Wir− kung wird durch die gleichzeitige Gabe von Anta− zida vermindert.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Funktionelle Dyspepsie Behandlung von chronisch entzundlichen Darmerkrankungen Psychosomatische Erkrankungen
Fall 82
Otitis media
82.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie? K Abschwellen der Nasenschleimhaut: a−sympa− thomimetisch wirkende Nasentropfen (z. B. Oxymetazolin, Naphtazolin) R hält Tuba audi− tiva offen K Schmerzlinderung und Fiebersenkung: z. B. Paracetamol (Supp. 250 mg, max. 4 3 250 mg/d) K Behandlung der Infektion: bevorzugt Amoxi− cillin (50 mg/kg KG/d in 3–4 Einzeldosen); bei nachgewiesenen (Antibiogramm) amoxicillin− resistenten Staphylococcus−aureus−, Haemo− philus−influenzae− und Moraxella−catarrhalis− Stämmen bevorzugt Penicillin mit b−Laktamaseinhibitor, z. B. Amoxicillin + Clavulansäure (Amoxicillin 36 mg/kg KG/d + Clavulansäure 9 mg/kg in 3 Einzeldosen)
82.1 Nennen Sie einige Regeln für den Einsatz von Antibiotika! K Einsatz nur bei vermuteten oder nachgewiese− nen bakteriellen Infektionen (z. B. purulentes Sputum) K Bei unbekanntem Erreger kalkulierte Anti− biotikatherapie K Bei bekanntem Erreger gezielte Therapie nach Antibiogramm K Berücksichtigt werden muss immer: Resis− tenzlage, Schwere der Erkrankung, Begleiter− krankungen, Alter des Patienten, bekannte Überempfindlichkeiten gegen Antibiotika, ak− tuelle Nieren− und Leberfunktion, Wechselwir− kungen mit anderen Medikamenten
Fall 82 Seite 85
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82.3 Welche Antibiotika durfen im Kindesalter nicht angewendet werden und warum? Chloramphenicol (Grey−Syndrom), Sulfonamide (Kernikterus bei Früh− und Neugeborenen), Fluo− rochinolone (mögliche Knorpelschädigung), Tet− razykline (Wachstumsretardierung, Gelbfärbung und Kariesanfälligkeit der Zähne) 82.4 Erläutern Sie die akute Schmerztherapie beim Kind! K Säuglinge: Paracetamol in Zäpfchenform, Kombination mit Opioiden und NSAID mög−
lich, Höchstdosen beachten (Kinder unter 12 Jahre: max. 50 mg/kg KG/d) K Ab 3. Lebensmonat: Ibuprofen (cave: rever− sible Thrombozytenaggregationshemmung) K Ab 6. Lebensjahr: – Diclofenac bei Verletzungen oder Erkran− kungen des Bewegungsapparates, schlech− tere Verträglichkeit als Ibuprofen – Acetylsalicylsäure (cave: löst in seltenen Fällen lebensgefährliches Reye−Syndrom aus)
KOMMENTAR
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Generell sollte bei der meist fieberhaften Erkrankung auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Bei ungenügender Rückbildung der Symp− tome trotz adäquater medikamentöser Therapie und bei beginnenden Komplikationen ist eine Pa− razentese (Inzision des Trommelfells) zur Entlas− tung und zum Erregernachweis indiziert und ein HNO−Konsilium erforderlich.
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82 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel ist es, die Symptome zu mil− dern und zu beseitigen sowie Komplikationen (z. B. Mastitis, Meningitis, Hörstörungen) zu vermeiden. Nach abgelaufener Otitis media sollte eine Kon− trolle des Mittelohres auf eine persistierende Flüssigkeitsbildung erfolgen.
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 82.1. Eine Otitis media sollte nicht sofort standardmäßig antibiotisch behandelt werden. Da die akute Otitis media eine relativ hohe Selbstheilungsrate aufweist, können Patien− ten mit mildem Krankheitsverlauf und gering aus− geprägtem Trommelfellbefund bei engmaschigen ärztlichen Kontrollen (nach 1–2 Tagen) rein symp− tomatisch behandelt werden. Die Indikation zur antibiotischen Therapie sollte bei schwerem Krankheitsbild (z. B. Fieber, Schmerzen, ausge− prägtes Krankheitsgefühl) und otoskopischem Befund (z. B. vorgewölbtes Trommelfell mit puru− lenter Flüssigkeit) gestellt werden. Generell ist ei− ne Therapie mit Antibiotika bei allen Kinder unter 4 Jahren mit einer bakteriell bedingten akuten Otitis media indiziert, um mögliche Komplikatio− nen zu vermeiden. Bei fehlendem Erregernachweis ist eine kalkulierte Antibiotikatherapie entspre− chend dem zu erwartenden Erregerspektrum mit Aminopenicillinen (Amoxillin; s. Fall 7) oder ora− len Cephalosporinen (s. Fall 24) vorzunehmen. Die Therapiedauer beträgt meist ca. 7–10 Tage. Bei Verdacht auf eine Infektion mit Staphylococcus aureus oder Moraxella catarrhalis sind Aminope− nicilline kombiniert mit b−Laktamaseinhibito− ren (z. B. Amoxicillin + Clavulansäure, Ampicillin + Sulbactam, Piperacillin + Tazobactam) indiziert. Bei Penicillinallergie können Makrolidantibioti− ka eingesetzt werden. Der Erfolg der antibioti− schen Therapie ist kurzfristig zu kontrollieren.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Die akute Otitis media ist eine seröse bis eitrige Entzündung des Mittelohrraumes mit raschem Beginn und kurzer Dauer (, 3 Wochen). Sie ist eine der häu− figsten Infektionserkrankungen im Kleinkindalter und tritt häufig während oder kurz nach einem viralen Infekt des oberen Respirationstraktes auf. Die bakterielle Superinfektion, die über die Tuba auditiva in das Mittelohr aufsteigen kann, wird meist von Pneumokokken, Haemophilus influen− zae oder Moraxella catarrhalis hervorgerufen. Mischinfektionen durch virale und bakterielle Er− reger sind häufig. Die wichtigsten Symptome sind Ohrenschmerzen, Fieber, Hörstörungen und Krankheitsgefühl, bei Kleinkindern gelegentlich auch Erbrechen und Durchfall. Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese, klinischen und v. a. oto− skopischen Befund.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Sinusitis Impfungen im Kindesalter Makrolidantibiotika
Fall 82 Seite 85
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Fall 83
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Fall
83
83.1 Entwickeln Sie ein Therapiekonzept für die Patientin! K Nichtmedikamentöse Maßnahmen: ausführ− liche Beratung über Erkrankung und Therapie, Ausdauersport, Verhaltenstherapie K Medikamentöse Prophylaxe: b−Rezeptorblo− cker, z. B. Metoprolol 1–3 3 50 mg/d p.o.; alternativ Kalziumantagonisten, z. B. Flunarizin 5 mg p.o. zur Nacht K Anfallsbehandlung: – Dopaminrezeptorantagonist, z. B. Metoclo− pramid 20 mg p.o. oder Supp., vor Einnah− me der anderen Medikamenten – NSAID, z. B. Acetylsalicylsäure 500–1000 mg p.o. – Alternativ bei schweren Attacken: Seroto− ninrezeptoragonist, z. B. Sumatriptan 50– 100 mg p.o.; Ergotamintartrat 1–2 mg p.o. oder Supp. 83.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der sog. Triptane! Lokalreaktion an der Injektionsstelle bei s.c.−Ga− be von Sumatriptan, thorakales Engegefühl, kurz− zeitiger Blutdruckanstieg, Parästhesien der Extre−
Migräne mitäten, Kältegefühl, Müdigkeit, Schwindel, Be− nommenheit, Gefahr von Koronarspasmen bei Prädisposition
83.3 Welche antiemetisch wirksamen Sub− stanzen kennen Sie? Wann werden sie einge− setzt? K Histamin−H1−Rezeptorantagonisten (z. B. Di− menhydrinat): Kinetosen K Serotonin−5−HT3−Rezeptorantagonisten (z. B. Ondansetron, Granisetron): zytostatika− oder strahleninduziertes Erbrechen K Dopamin−D2−Rezeptorantagonisten (z. B. Domperidon, Metoclopramid): gastrointesti− nalbedingte Übelkeit, Migräne K Neuroleptika (z. B. Triflupromazin, Haloperid− ol): metabolisch−endokrine Krankheiten, hirn− organische Ursachen K Glukokortikoide (z. B. Dexamethason): post− operativ, zytostatika− oder strahleninduziertes Erbrechen K Neurokinin (NK1)−Rezeptorantagonist (Apre− pitant): zytostatikainduziertes Erbrechen (in Kombination mit Ondansetron und Dexame− thason)
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Migräne (Prävalenz: 6–15 %, Frauen . Männer) ist eine pri− märe Kopfschmerzerkrankung, die wahrscheinlich genetisch determiniert ist. Man unterscheidet: Migräne ohne Aura und Migräne mit Aura (z. B. Flimmerskotom, halbseitige Sensibilitätsstörun− gen, Sprech− oder Sprachstörungen). Pathophysio− logisch liegt dem Migräneschmerz wahrscheinlich eine Vasodilatation kranialer Blutgefäße durch ver− mehrte Freisetzung von vasoaktiven Neuropepti− den, Histamin und Serotonin aus efferenten Ästen der Nn. trigeminus und facialis zugrunde. Daneben lösen die vasoaktiven Substanzen auch eine asep− tische perivaskuläre Duraentzündung aus, wo− durch über weitere Entzündungsmediatoren affe− rente C−Fasern in der Dura mater stimuliert wer− den und Schmerz ausgelöst wird. Triggerfaktoren für einen Migräneanfall sind Menstruation, Alko− holgenuss, Änderung des Schlaf−Wach−Rhythmus, Stress, Koffeinentzug und Nahrungsmittel (s. Fall− beispiel). Der Migränekopfschmerz ist meist ein− seitig, pochend und von starker Intensität. Begleit− symptome sind Übelkeit und Erbrechen sowie Licht− und Lärmempfindlichkeit. Die Diagnose wird anhand von Anamnese und körperlicher Un− tersuchung gestellt. Therapieziele: Die Akuttherapie soll die Schmerzattacke und vegetativen Begleitsymptome lindern. Ziel der Migräneprophylaxe, ist die Häu− figkeit, Schwere und Dauer der Anfälle um mindes−
tens 50 % zu reduzieren. Maximaldosierungen und maximale Einnahmeperioden der eingesetzten Medikamente sollten kontrolliert werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 83.1. Während des Anfalls kann Reizab− schirmung (z. B. dunkler, ruhiger Raum), ausrei− chend Schlaf und ggf. Eisbeutel hilfreich sein. Prophylaktisch wirksam ist v. a. die Kombination medikamentöser und nichtmedikamentöser Maß− nahmen wie Ausdauersportarten oder die progres− sive Muskelentspannung nach Jacobsen. Pharmakotherapie Akuttherapie: s. Antworten zu Fragen 83.1 und 83.3. Analgetika der 1. Wahl bei leichten und mit− telgradigen Migränekopfschmerzen sind NSAID (z. B. Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol). Bei schweren Anfällen sind die selektiven Seroto− nin (5−HT1B/1D)−Rezeptoragonisten wirksamer als Mutterkornalkaloide (Ergotamin, Dihydroergota− min). Gastrointestinale Symptome während der Migräneattacke können durch Antiemetika (z. B. Domperidon, Metoclopramid) behandelt werden, die auch die Resorption und damit Wirkung der Analgetika fördern. Anfallsprophylaxe: Bei mehr als 3 Migräneatta− cken pro Monat oder Versagen einer adäquaten Anfallsbehandlung sollte eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden. Migräneprophy− laktika der 1. Wahl sind b−Rezeptorantagonisten
Fall 83 Seite 86
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Verschiedene selektive Serotonin−5−HT1B/1D−Rezeptoragonisten
Wirkstoff
Einzeldosis
Orale Bioverfüg− Wirkdauer barkeit (%) (Stunden)
EHWZ (Stunden)
Sumatriptan
50–100 mg p.o., 25 mg Supp., 6 mg s.c.
14
1,5–2,5
2
Zolmitriptan
2,5 mg p.o.
40
ca.3
ca. 3
Naratriptan
2,5 mg p.o.
60–70
6
6
Rizatriptan
5–10 mg p.o.
40–45
2–3
2−3
Eletriptan
40–80 mg p.o.
ca. 50
4–5
4–5
Almotriptan
12,5 mg p.o.
ca. 70
3–4
3–4
Mutterkornalkaloide: Mutterkornalkaloide sind nichtselektive 5−HT−Rezeptoragonisten und verur− sachen mehr unerwünschte Wirkungen als die Triptane. Die Behandlung mit Ergotamin sollte sehr langen bzw. wiederkehrenden (sog. headache recurrence) Migräneattacken vorbehalten sein. Unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Erbre− chen, Schwäche mit Muskelschmerzen, Kribbeln in Fingern und Zehen, Kältegefühl in den Extremi− täten, Diarrhöen und Angina pectoris. Bei langfris− tiger Anwendung höherer Dosen muss mit irrever− siblen Gefäßschäden gerechnet werden. Wegen der Gefahr der Kumulation sollte Ergotamin nicht höher als 4 mg (p.o.) pro Attacke und 6 mg pro Woche dosiert werden.
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83 Antworten und Kommentar
Serotonin−5−HT1B/1D−Rezeptoragonisten: Selek− tive Serotonin−5−HT1B/1D−Rezeptoragonisten (sog. Triptane; z. B. Almotriptan, Sumatriptan, Zolmi− triptan; s. Tab.) wirken vasokonstriktorisch und hemmen die Transmitterfreisetzung aus aktivier− ten Trigeminusnervenendigungen. Sie können je−
derzeit während des Anfalls eingenommen werden und sind auch gegen vegetative Begleiterscheinun− gen wirksam. Sumatriptan steht in verschiedenen Applikationsformen (Tabletten, Zäpfchen, Nasen− spray, s.c.−Injektionslösungen) zur Verfügung. Rizatriptan und Zolmitriptan sind für die per− orale Applikation verfügbar. Unerwünschte Wir− kungen s. Antwort zur Frage 83.2. Kontraindikatio− nen sind: Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Angina pectoris, Myokardinfarkt, Raynaud−Syn− drom, periphere arterielle Verschlusskrankheit, transitorische ischämische Attacken, Schlaganfall, Schwangerschaft, Stillzeit, schwere Leber− oder Niereninsuffizienz. Triptane dürfen nicht mit Sub− stanzen, die den Serotoninstoffwechsel beeinflus− sen verabreicht werden (z. B. Mutterkornalkaloide, Monoaminoxidasehemmer, Serotoninwiederauf− nahmehemmer).
Fall
(Propranolol, Metoprolol), der Kalziumantagonist Flunarizin und Valproinsäure. Unerwünschte Wirkungen von Flunarizin sind Müdigkeit, Ge− wichtszunahme, Depression, Schwindel sowie sehr selten extrapyramidale Störungen (z. B. Par− kinsonoid, Dyskinesien). Valproinsäure, ein Anti− epileptikum, reduziert die Attackenfrequenz, ist in Deutschland aber nicht zur Migräneprophylaxe zugelassen. Valproinsäure verursacht gelegentlich Thrombozytopenie, Alopezie, Gewichtszunahme, Tremor, Sedierung oder Leberfunktionsstörungen. Mittel der 2. Wahl sind NSAID, Amitriptylin, Dihydroergotamin, Pizotifen, Lisurid und Magnesi− um. Eine wirksame Migräneprophylaxe sollte min− destens 6 Monate durchgeführt und die Indikation spätestens nach 12 Monaten durch Absetzen des Medikaments überprüft werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie des Spannungs− und Clusterkopfschmerzes Neurogene Entzundung Therapie der Arteriitis temporalis
Fall 83 Seite 86
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Fall 84
Akutes Koronarsyndrom: instabile Angina pectoris und NSTEMI
84.1 Welche Pharmakotherapie leiten Sie zusätzlich zur primären PTCA ein? K Standardtherapie mit Acetylsalicylsäure (500 mg i. v.) und Heparin (unfraktioniert 5000 IE im Bolus i. v., danach 20 000–25 000 IE/d) K Zusätzlich Glykoprotein−IIb/IIIa−Rezeptoran− tagonisten: z. B. Tirofiban 0,4 mg/kg KG/min für 30 min, dann Erhaltungsdosis 0,1 mg/kg KG/min für 24 StundenR Absenken des Risi− kos für ischämische Komplikationen
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Fall
84
84.2 Wie lässt sich die Restenoserate nach Stent−Implantation verringern? K Thrombozytenaggregationshemmer, z. B. Clopidogrel als mehrtägige Vorbehandlung (3 g/d) oder Aufsättigungsdosis (300 mg/d) nach Stent−Einlage für 2–3 Monate K Einsatz bestimmter Stents: – Inerte Stents: Carbon− oder Goldbeschich− tung – Medikamentös beschichtete Stents: Siroli− mus (Immunsuppressivum, antiproliferative Eigenschaften), Paclitaxel (Zytostatikum, Hemmung der Mikrotubuli)
84.3 Welche Herzrhythmusstörungen können in der Frühphase eines akuten Myokardinfarktes auftreten? Wie gehen Sie jeweils vor? K Ventrikuläre Extrasystolen: Therapie bei Sal− ven mit Amiodaron, Ajmalin, Lidocain K Kammertachykardie: Therapie bei Kreislauf− stabilität mit Amiodaron, Ajmalin, Lidocain; bei Kreislaufinstabilität elektrische Kardiover− sion K Kammerflimmern: kardiopulmonale Reani− mation mit Defibrillation K Vorhofflimmern: Frequenzkontrolle mit Verapamil oder b−Rezeptorantagonisten K Bradykardie, AV−Blockierungen: Atropin K Asystolie: kardiopulmonale Reanimation 84.4 Nennen Sie Indikationen zur aortokoro− naren Bypass−Operation! K Interventionell inkomplette Revaskularisation K Hochgradige Hauptstammstenose K Dreigefäßerkrankung und Diabetes mellitus oder eingeschränkte linksventrikuläre Funk− tion
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Das akute Koronarsyndrom (ACS) als Folge der koronaren Herzkrankheit umfasst die Krankheitsbilder: K Instabile Angina pectoris K Myokardinfarkt ohne ST−Streckenhebung (NSTEMl = non−ST−elevation myocardial infarc− tion) K Myokardinfarkt mit ST−Streckenhebung (STEMl = ST−elevation myocardial infarction; s. Fall 97). Es ist im Gegensatz zur chronischen Verlaufsform (stabile Angina pectoris; s. Fall 58) ein akut le− bensbedrohlicher Zustand. Die Beschwerden tre− ten plötzlich auf oder nehmen rasch zu. Ursache ist eine Ruptur oder Erosion einer vulnerablen ar− teriosklerotischen Plaque in den Koronargefäßen mit Thrombusbildung. Der Thrombus kann zum kompletten Gefäßverschluss führen und einen STEMI verursachen oder in den peripheren Koro− narien zur instabilen Angina pectoris oder zu ei− nem NSTEMI führen. Leitsymptom des ACS ist der akute thorakale Schmerz in Ruhe oder bei geringster Belastung. Diagnoseweisend ist eine fehlende ST−Streckenhebung im Ruhe−EKG (Aus− schluss STEMI). Liegt keine ST−Streckenhebung vor, ist bei fehlender Erhöhung der Herzenzyme eine instabile Angina pectoris gegeben, ansonsten ein NSTEMI. Die Übergänge sind aber fließend. Therapieziele: Hauptziele sind Schmerzlinderung und die Verhütung des vorzeitigen Todes. Das Ri− siko eines Myokardinfarktes bzw. die Infarktaus−
dehnung oder ischämische (Herzrhythmusstörungen, Schock) sind zu reduzieren.
Komplikationen Herzinsuffizienz,
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Allgemein− maßnahmen beim ACS umfassen: Lagerung mit angehobenem Oberkörper, allgemeine notfall− medizinische Maßnahmen (periphere Verweilka− nüle, Sauerstoffgabe, Ableitung eines 12−Kanal− EKG mit Rhythmuskontrolle), schneller Transport und intensivmedizinische Versorgung, wenn mög− lich in ein Zentrum mit Katheterabteilung. Eine interventionelle Revaskularisierung wird mit einer perkutanen transluminalen koronaren Angio− plastie (PTCA) oder ggf. einer aortokoronaren By− pass−Operation durchgeführt (s. Antwort zur Fra− ge 84.4). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 84.1. Die Akutbehandlung des ACS besteht aus antiischämischen, gerinnungs− hemmenden und revaskularisierenden Maßnah− men. Antiischämisch wirken b−Rezeptorantago− nisten, für die beim ACS eine Prognoseverbesse− rung belegt ist, Nitrate und Kalziumkanalblocker. Eine Gerinnungshemmung wird mit Acetylsalicyl− säure, Clopidogrel und Heparin erreicht. Eine Thrombolyse wird mit Streptokinase oder Gewe− beplasminogenaktivator (tPA) durchgeführt. Bei Katheterintervention (PTCA) wird eine Begleit− therapie mit Glykoprotein−IIb/IIIa−Rezeptoranta− gonisten vorgenommen.
Fall 84 Seite 87
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und Eptifibatide werden ebenfalls parenteral an− gewendet und führen zu einer reversiblen Throm− bozytenaggregationshemmung. Die EHWZ beider Substanzen beträgt ca. 2 Stunden, die Wirkdauer ca. 4 Stunden. GP−IIb/llla−Rezeptorantagonisten als Begleittherapie zur Katheterintervention konnten bei Patienten mit Troponin−Anstieg oder ST−Stre− ckenänderung im EKG eine deutliche Risikoreduk− tion (Tod, Myokardinfarkt) bewirken. Die Therapie sollte möglichst vor einer Katheterintervention be− gonnen werden und über 12 Stunden (Abciximab) bzw. mindestens 24 Stunden (Tirofiban, Eptifibati− de) fortgesetzt werden. Unerwünschte Wirkungen sind Blutungskomplikationen, Thrombozytope− nien (Abciximab, Tirofiban) sowie allergische Re− aktionen gegen Antikörperfragment. Weitere Indi− kationen für GP−IIb/IIIa−Rezeptorantagonisten sind instabile Angina pectoris oder nichttransmurale Infarkte (Non−Q−wave Infarkte). Kontraindiziert sind GP−IIb/llla−Rezeptorantagonisten bei akuten inneren Blutungen oder erhöhtem Blutungsrisiko.
84 Antworten und Kommentar
Glykoprotein−IIb/IIIa−Rezeptorantagonisten: Glykoprotein−(GP)−IIb/IIla−Rezeptoren sind auf der Oberfläche von Thrombozyten lokalisiert und binden nach Aktivierung z. B. durch Thrombin, ADP oder Noradrenalin ihren Liganden Fibrinogen. So− mit hemmen GP−IIb/IIla−Rezeptorantagonisten die fibrinogenvermittelte Aggregation aktivierter Thrombozyten und wirken so effektiv der Throm− benentstehung entgegen. Zur Zeit werden drei Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften eingesetzt. Abciximab ist ein hochmolekularer monoklonaler Antikörper mit hoher Affinität zum GP−IIb/llla−Rezeptor. Die Substanz wird parenteral appliziert und führt zu einer irreversiblen Throm− bozytenaggregationshemmung. Die EHWZ liegt bei 10 Minuten. Auf Grund der irreversiblen Thrombozytenaggregationshemmung liegt die Wirkdauer jedoch bei 12 Stunden. Tirofiban ist ein nichtpeptidischer und Eptifibatide ein pepti− discher niedermolekularer Antagonist mit gerin− ger Affinität zum GP−IIb/llla−Rezeptor. Tirofiban
Fall
Wirkungsweise antithrombozytärer Substanzen
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Dipyridamol Rehabilitation von Herzinfarktpatienten Rheologika
Fall 84 Seite 87
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Fall 85
260
Fall
85
Asthmaanfall
85.1 Welche Maßnahmen ergreifen Sie? K Basismaßnahmen – Sauerstoffgabe über Nasensonde 2–4 l/min – Anlegen eines venösen Zugangs – Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (3–4 l/d) p.o. oder i. v. (kristalline Lösungen) zur För− derung der Sekretolyse – Krankenhauseinweisung K Pharmakotherapie – Broncholytika: kurzwirkende b2−Sympa− thomimetika, z. B. Salbutamol oder Fenote− rol inhalativ (4 Hübe/10–20 min), ggf. par− enterale Gabe, z. B. Terbutalin (0,5 mg s.c), bei unzureichender Wirkung Theophyllin (6 mg/kg KG ohne vorbestehende Theophyl− lintherapie) unter Monitorkontrolle lang− sam i. v. oder p.o., Erhaltungsdosis 0,6 mg/ kg KG/h – Glukokortikoide: Prednisolon−Äquivalent 50–100 mg i. v. – Sedierung nur bei extremer Unruhe und in Intubationsbereitschaft (cave: lebensbe− drohliche Hypoventilation), z. B. Prometha− zin 25 mg i. v. K Intubation und Beatmung bei Bewusstseins− trübung, Kreislaufinsuffizienz, muskulärer Er− schöpfung
Antworten und Kommentar
85.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen von Theophyllin! Unruhe, Erregungszustände, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, gastrointes− tinale Störungen, Muskeltremor, Tachykardie; bei
zu rascher i. v.−Gabe gefährlicher Blutdruckabfall oder Tachyarrhythmien möglich
85.3 Welche Symptome weisen auf eine Zu− standsverschlechterung der Patientin hin? K Fehlende Atemgeräusche bei Auskultation (silent lung“), unregelmäßige oder auffällig flache Atmung, Bradykardie, tachykarde Rhythmusstörungen, Hypotonie, Zyanose, sichtbare Erschöpfung, Bewusstseinstrübung. 85.4 Was verstehen Sie unter dem Begriff Therapeutisches Drug Monitoring“? Nennen Sie Beispiele für die Anwendung! Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) = Plas− maspiegelbestimmung von Pharmaka zur Thera− pieüberwachung, der Einsatz ist sinnvoll bei: K Verdacht auf Nicht−Compliance, Arzneimittel− interaktion K Geringer therapeutischer Breite K Starken Schwankungen der Plasmaspiegel bei identischen Dosen K Fehlen von klinischen Parametern für die Wirksamkeit der Therapie (z. B. Antiepilepti− ka) K Auftreten von Symptomen einer Überdosie− rung, die schwer von Krankheitssymptomen zu unterscheiden sind (z. B. Rhythmusstörun− gen) K Gesicherter Nutzen bei: Antiepileptika (v. a. Phenytoin), Lithiumsalzen, Theophyllin, Anti− biotika (z. B. Aminoglykoside), Ciclosporin A, Antiarrhythmika, eingeschränkt bei Herzglyko− siden
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Der schwere Asthmaanfall beim Asthma bronchiale (s. Fall 62) ist klinisch charakterisiert durch plötzlich auftre− tende Atemnot bis hin zu Erstickungsgefühl bei anhaltender Atemwegsobstruktion. Pathophysio− logisch ist das Atemzugvolumen erniedrigt und somit der Gasaustausch behindert (pO2 , 60 mmHg). Bei beginnender respiratorischer Glo− balinsuffizienz durch Atemmuskelerschöpfung sinkt der pO2 weiter, der pCO2 steigt über 45 mmHg, die Folge ist eine respiratorische Azido− se. Ausgelöst wird die krisenhafte Verschlechte− rungen durch Infekte, massive Allergenexposition, inhalative Noxen, Arzneimittel oder abruptes Ab− setzen der bisherigen Therapie. Die Symptomatik ist gekennzeichnet durch Tachypnoe und schwere Tachykardie (Pulsfrequenz . 120/min). Therapieziele: Es besteht akute Lebensgefahr! Trotzdem sollte versucht werden, den Patienten zu beruhigen. Im Verlauf soll das Wiederauftreten
eines Asthmaanfalls verhindert werden. Langzeit− therapie s. Fall 62. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 85.1. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 85.1. Inhalative b2−Sympathomimetika: Die wichtigs− ten Medikamente beim Asthmaanfall sind hoch− dosierte, schnell wirkende inhalative b2−Sympa− thomimetika (s. Tab.). Sie wirken bronchodilatativ durch eine Erhöhung der intrazellullären cAMP− Konzentration mit folgender Abnahme der intra− zellulären Kalziumkonzentration und Relaxation der glatten Bronchialmuskulatur. Bei schweren Exazerbationen kann die Applikation mittels Do− sieraerosol mit Inhalierhilfe erfolgen. Mögliche un− erwünschte Wirkungen sind Hypokaliämie, Herz− rhythmusstörungen und Steigerung der Herzfre− quenz. In schweren Fällen ist eine i. v.−Gabe der b2−Sympathomimetika möglich. Diese Maßnahme
Fall 85 Seite 88
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sollte spät ergriffen werden, da die Nebenwir− kungsrate hierdurch deutlich ansteigt. Kurzwirkende b2−Sympathomimetika
Appli− kation
Orale Bio− verfüg− barkeit (%)
Wirk− dauer (Stun− den)
Fenoterol
inhalativ
3–5
Reproterol
i. v.
4–6
Salbutamol inhalativ, 25 p.o., i. v.
3–6
Terbutalin
3–6
inhalativ, 10–15 p.o.
Theophyllin: Ist die Therapie mit inhalativen b2− Sympathomimetika unzureichend, können Me− thylxanthine wie Theophyllin im Akutfall einge− setzt werden. Theophyllin hat einen engen thera− peutischen Bereich (s. Fälle 4 und 62), daher muss der Plasmaspiegel mittels TDM (s. Antwort zur Frage 85.4) engmaschig überwacht werden. Vor Beginn der Akuttherapie sollte möglichst der aktu− elle Theophyllinspiegel (per Schnelltest) bestimmt werden. Gelegentlich haben sich lebensbedrohli− che Zwischenfälle bei einer zu hohen Dosierung ereignet (s. Antwort zu Frage 85.2). Glukokortikoide: Systemisch verabreichte Glu− kokortikoide tragen zu einer raschen Beherrschung der Exazerbationen durch ihre antiödematös−anti− inflammatorische Wirkung wesentlich bei. Die Wirkung der oralen und intravenösen Darreichung ist gleich. Bei gastrointestinalen Begleitsympto− men ist die i. v.−Gabe vorzuziehen. Der volle Wir− kungseintritt setzt nach mindestens 4 Stunden ein. Inhalative Glukokortikoide eignen sich nur zur Dauertherapie des Asthma bronchiale.
Fall
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der Lungenembolie Kombinationspraparate in der Asthmatherapie Beispiele fur inhalative Applikationsformen
86
Lyme−Borreliose
86.1 Erläutern Sie die Stadien der Lyme−Borre− liose!
Stadium Zeitraum nach Zeckenstich
Leitsymptome
Weitere Symptome
I
ca. 1–3 Wochen
Erythema (chronicum) mi− grans
Kopf−, Gliederschmerzen, all− gemeine Schwäche
II
ab 4 Wochen
Meningopolyneuritis, Myokar− Lymphadenosis cutis benigna ditis (v. a. an Ohrläppchen, Mamil− len, Skrotum)
III
Monate bis Jahre
Mono− oder Oligoarthritis der großen Gelenke
86.2 Wie gehen Sie in den einzelnen Stadien therapeutisch vor? K Stadium I: Doxycyclin 2 3 100 mg/d p.o. über 14–21 Tage; alternativ Amoxicillin 3 3 1 g/d p.o. oder Erythromycin 3 3 0,5 g/d p.o. K Stadium II und III: Ceftriaxon 1 3 2 g/d i. v. über 14–21 Tage; alternativ Penicillin G 4 3 5 Mio IE/d i.v
Antworten und Kommentar
Fall 86
261
Hautatrophie (Acrodermatitis chronica atrophicans)
K Bei Karditis oder Arthritis: Glukokortikoide (z. B. Prednisolon 50 mg/d p.o. bis zur klini− schen Besserung)
86.3 Wie wird eine prophylaktische Antibioti− kabehandlung nach Zeckenbiss beurteilt? Wegen des geringen Übertragungsrisikos (2 % kli− nisch relevante Infektionen) wird eine prophylakti− sche Antibiotikabehandlung nicht befürwortet.
Fall 86 Seite 89
Aus G. Luippold: Fallbuch Pharmakologie (ISBN 3-13-140731-x) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2006 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
86.4 Bei welchen Erkrankungen konnen Sie Tetrazykline einsetzen? K Mittel der 1. Wahl bei Infektionen mit: Myco− plasma pneumoniae (Mykoplasmen−Pneumo− nien), Chlamydien (Einschlusskörper−Konjunk− tivitis, Trachom, Lymphogranuloma inguinale,
Ornithose), Brucellen (Brucellose), Rickettsien (Fleckfieber−Arten), Yersinien (Yersinia−Arthri− tis), Borrelien (Borreliosen) K Behandlung von Propionibacterium acnes bei Acne vulgaris: z. B. Minocyclin (s. Fall 77)
KOMMENTAR
262
Fall
86 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die Lyme− Borreliose ist eine durch Borrelia burgdorferi ver− ursachte bakterielle Infektion. Überträger ist die Schildzecke (Ixodes ricinus). In Endemiegebieten (z. B. Südbayern, Schwäbische Alb) sind ca. 10 % der Zecken infektiös. Die Bakterien sind beweglich und breiten sich nach dem Biss in Blut, Haut, ZNS, Gelenkflüssigkeit und im Herzen aus. Die Oberflä− chenproteine der Bakterien wirken proinflamma− torisch, so dass eine starke Iympho−, histio− und plasmazelluläre Entzündungsreaktion hervorge− rufen wird. Durch ständige Veränderung der Ober− flächenproteine unterlaufen die Erreger die Im− munantwort. Die Erkrankung verläuft in 3 Stadien (s. Antwort zur Frage 86.1). Die Diagnostik stützt sich im Stadium I v. a. auf die Hautveränderungen. Serologische Hinweise (Anti−IgG− und Anti−IgM− Borrelien−Antikörper) sind im Stadium I bei bis zu 50 % der Infizierten zu finden, später finden sich bei fast allen Patienten IgG−Antikörper mit hohem Titer. Bei neurologischer Symptomatik finden sich IgM−Antikörper im Liquor cerebrospinalis. Therapieziele: Ziel der Therapie ist in allen Sta− dien die kurative antibiotische Behandlung. Wich− tig ist die Beseitigung der Symptome und die Ver− meidung von Spätkomplikationen. Eine serologi− sche Verlaufskontrolle ist wenig aussagefähig, da auch nach erfolgreicher Behandlung Antikörper länger persistieren können. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Das Über− tragungsrisiko beim Biss der Zecke steigt mit der Dauer der Blutmahlzeit an. Daher empfiehlt sich eine mechanische (kein Öl, Klebstoff oder Sprüh− pflaster) Entfernung der Zecken mit einer Haut− stanze oder Pinzette, sobald sie bemerkt wird. Ne− ben der Expositionsprophylaxe durch geeignete Kleidung sollten v. a. Kinder, die im Freien gespielt haben, sorgfältig nach Zecken abgesucht werden. Eine Impfprophylaxe gegen Borreliose existiert nicht, die FSME−Impfung schützt ausschließlich
gegen die durch Zecken übertragene virale Früh− sommermeningoenzephalitis (FSME). Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 86.2. Eine kurative antibio− tische Therapie ist in allen Stadien der Lyme−Bor− reliose möglich. Wichtig ist ein möglichst frühzei− tiger Behandlungsbeginn. Grundsätzlich ist das klinische Ansprechen auf eine Therapie langsam. Tetrazykline: s. Antwort zur Frage 86.4. Tetra− zykline (Tetracyclin, Doxycyclin, Minocyclin) sind Breitspektrumantibiotika, die aus Streptomyces− Arten gewonnen werden. Tertrazykline verhindern die Bindung der tRNA an den mRNA−Ribosomen− Komplex bei der Proteinbiosynthese und wirken daher bakteriostatisch. Durch eine höhere Affini− tät der Tetrazykline zu den Bakterienribosomen bleibt die eukaryotische Proteinbiosynthese unge− stört. Insgesamt verlieren Tetrazykline auf Grund von Resistenzen bei einer Vielzahl von Bakterien an Bedeutung. Pharmakologisch und klinisch rele− vant ist die Wirkung gegen intrazelluläre Erreger (z. B. Mykoplasmen, Rickettsien). Die verschiede− nen Tetrazykline haben eine unterschiedliche Pharmakokinetik (s. Tab.). Die Substanzen gelan− gen auch in bakteriostatisch wirksamen Konzent− rationen in Galle, Stuhl und Harn. Die Elimination erfolgt hepatisch und renal. Tetrazykline bilden Komplexe mit zweiwertigen Kationen (Ca2+, Fe2+), wodurch die Resorption im Magen−Darmtrakt re− duziert sein kann. Auch führt diese Eigenschaft zur Anreicherung in kalziumhaltigen Geweben wie Knochen und Zähnen. Weitere unerwünschte Wir− kungen sind Photosensibilisierungen der Haut (Pigmentierung) und Schäden der Nägel (Onycho− lysen). Die Patienten sollten sich vor Sonnenstrah− lung schützen. Kontraindiziert sind Tetrazykline bei Schwangeren und Kindern unter 10 Jahren (s. Fall 32) sowie Patienten mit Leber− oder Nieren− funktionsstörungen auf Grund der verzögerten Eli− mination.
Dosierung und Pharmakokinetik von Tetrazyklinen
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
EHWZ (Stunden)
Plasmaeiweiß− bindung (%)
Neigung zur Komplexbildung
Tetracyclin
1000–2000
9
35
++
Doxycyclin
100–200
20
90
+
Minocyclin
50–100
16
75
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Fall 86 Seite 89
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN FSME−Imfung Behandlung der Syphilis Photosensibilisierende Wirkstoffe
Fall 87
Arterielle Hypotonie
87.1 Was empfehlen Sie der Patientin?
87.4 Was tun Sie bei einer schwangeren Pa− tientin mit symptomatischer arterieller Hypoto− nie? 5–10 % der Schwangeren im 3. Trimenon haben systolische Blutdruckwerte ,100 mmHg; Risiken sind: Plazentainsuffizienz, vorzeitige Plazentalö− sung, fetale Mangelentwicklung; Therapie: K Physikalische Maßnahmen (s. Antwort zur Frage 87.1) K Dihydroergotamin in der Spätschwanger− schaft
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Eine arteri− elle Hypotonie (Prävalenz: 2–4 %) liegt bei systoli− schen Blutdruckwerten , 100 mmHg (systolische Hypotonie) und diastolischen Blutdruckwerten , 60 mmHg (diastolische Hypotonie) vor. Die essenzielle (primäre) Hypotonie ohne Krankheits− wert ist abzugrenzen von der sekundären Hypo− tonie, die als Folge von verschiedenen Erkrankun− gen (z. B. Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Hypothy− reose, Nebennierenrindeninsuffizienz) oder Medikamenteneinnahme (s. Antwort zur Frage 87.3) auftreten kann. Pathogenetisch werden un− terschieden: K sympathikotone Form: bei Lagewechsel man− gelnde Kontraktion der venösen Kapazitätsge− fäße auf Sympathikusaktivierung K asympathikotone Form: mangelhafte Akti− vierbarkeit des Sympathikus unter Orthostase− bedingungen. Die Patienten klagen über Schwindel, rasche Er− müdbarkeit, vermindertes körperliches Leistungs− vermögen, Konzentrationsschwäche oder Kopf− schmerzen. Objektive Symptome sind Tachykar− die, Schweißausbrüche und Kollapsneigung. Die Blutdruckregulation wird im Orthostaseversuch (Schellong−Test, Kipptisch−Untersuchung), in der
Ergometrie sowie in der 24−Stunden−Blutdruck− messung überprüft. Unterscheidung der Hypotonieformen im Schellong−Test
Sympa− thikoton
Asympa− thikoton
Abfall . 20
Abfall . 20
RR diastolisch Abfall oder (mmHg) Anstieg
Abfall . 10
Herzfrequenz Anstieg . 16 (Schläge/min)
gleichblei− bend oder Abfall
RR systolisch (mmHg)
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87 Antworten und Kommentar
87.2 Welche physiologischen Vorgänge dienen der Blutdrucksteigerung? K Erhöhung des peripheren Widerstandes K Steigerung der Herzkontraktilität K Erhöhung des Venentonus (Steigerung des ve− nösen Rückstroms)
87.3 Welche Medikamente können eine Hypo− tonie verursachen? Antihypertensiva, Sympatholytika, Neuroleptika, Tranquilizer, Sedativa
Fall
K Erkennen der Prodromi (z. B. Herzklopfen, Schwarzwerden vor den Augen) und ergreifen von Maßnahmen (z. B. Beine hochlagern) K Vermeiden von langem Stehen, Wärme, Alko− hol K Sport zum Kreislauftraining und zur Stärkung der Muskelpumpe K Physikalische und diätetische Maßnahmen: Wechselduschen, Trockenbürsten, Flüssigkeits− zufuhr 2–3 l/d, Erhöhen des Salzkonsums (9– 10 g/d), ggf. Kompressionsstrümpfe K Medikamente nur bei fehlender Effektivität der allgemeinen Maßnahmen
K Verminderung der Ausscheidung von Na+ (Erhöhung des zirkulierenden Plasmavolu− mens)
Therapieziele: Die Patienten sollten möglichst beschwerdefrei werden. Bei konsequenter Durch− führung der nichtmedikamentösen Maßnahmen kann meist eine Medikamenteneinnahme vermie− den werden. Sekundäre Formen der chronischen Hypotonie werden kausal behandelt.
Fall 87 Seite 90
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Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 87.1. Die Basistherapie besteht v. a. in einer Reduktion des orthostasebedingten Versa− ckens des venösen Blutes in den Beinen. Auch zwei Tassen starken Kaffees (entspricht ca. 250 mg Kof− fein) und häufigere kleine Mahlzeiten am Tag kön− nen die Orthostasereaktion verbessern. Pharmakotherapie Eine Pharmakotherapie der essenziellen Hypoto− nie erfolgt nur bei ausgeprägter Symptomatik in Abhängigkeit von der Form. Zur Senkung der Herz− frequenz können bei der sympathikotonen Form b−Rezeptorantagonisten eingesetzt werden.
264
Fall
88
Dihydroergotamin: Dihydroergotamin ist indi− ziert bei der sympathikotonen Form der Hypo− tonie. Es steigert als partieller Agonist an a−Adre− norezeptoren den venösen Tonus und führt zu einer Erhöhung des Herzminutenvolumens. Dihydroergotamin unterliegt einem hohen First− pass−Effekt, so dass die Bioverfügbarkeit gering ist und die Wirkdauer kurz. Dihydroergotamin wird auch in der Migräneprophylaxe verwendet (s. Fall 83). Unerwünschte Wirkungen können sein: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Stenokardien und bei längerer Anwendung periphere Durchblu− tungsstörungen (Ergotismus). Kontraindiziert ist Dihydroergotamin bei koronarer Herzkrankheit, peripherer arterieller Verschlusskrankheit und im 1. Trimenon der Schwangerschaft.
Antworten und Kommentar
Sympathomimetika: Sympathomimetika sind in− diziert bei der asympathikotonen Form der Hy− potonie. Sie aktivieren die a−Adrenorezeptoren der Blutgefäße und erhöhen somit den Gefäßtonus der
arteriellen Widerstandsgefäße und venösen Ge− fäße. Einzelne Wirksubstanzen stimulieren zu− sätzlich b1−Rezeptoren am Herzen und steigern das Herzminutenvolumen. Norfenefrin besitzt überwiegend a−rezeptoragonistische Eigenschaf− ten, die Wirkung ist aber auf Grund geringer oraler Bioverfügbarkeit und kurzer EHWZ fraglich. Etilef− rin und Oxilofrin wirken als Agonisten sowohl am a− als auch am b−Adrenorezeptor. Die Bioverfüg− barkeit von Etilefrin beträgt 30–50 %, die EHWZ erreicht in retardierter Form bis zu 6 Stunden. Oxi− lofrin besitzt eine orale Bioverfügbarkeit von ungefähr 50 % und eine EHWZ von 4 Stunden. Kontraindiziert sind Sympathomimetika bei Herz− rhythmusstörungen, koronarer Herzkrankheit, Engwinkelglaukom und Prostataadenom. Mineralokortikoide: Mineralokortikoide führen über eine vermehrte Natrium− und Wasserreten− tion zur Erhöhung des zirkulierenden Plasmavolu− mens. Außerdem wird die Schwelle für das An− sprechen der glatten Gefäßmuskulatur auf vasokonstriktorische Substanzen erniedrigt. Zur Behandlung der chronischen Hypotonie wird Flu− drocortison in einer Dosierung von 1–3 3 0,1 mg/ d p.o. eingesetzt. Unerwünschte Wirkungen kön− nen Ödeme, myokardiale Insuffizienz und Hypo− kaliämie sein. Kontraindiziert sind Mineralokorti− koide bei Patienten mit Leberzirrhose oder Herzinsuffizienz. Wegen der erheblichen Neben− wirkungen kommt eine solche Behandlung jedoch nur bei sonst therapieresistenter Hypotonie in Betracht.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Hypovolamischer Schock Therapie des Morbus Addison Therapie der vasovagalen Synkope
Fall 88
Hypothyreose
88.1 Welche Behandlung schlagen Sie der Pa− tientin vor? Lebenslange Substitution von Schilddrüsenhor− monen (Therapieziel: TSH−Wert im Serum 0,5– 2,0 mU/l): K Levothyroxin: einschleichend mit 12,5–25 mg/ d p.o. K Wöchentliche Dosissteigerung um 25–50 mg/ d; bei Patienten . 60 Jahre oder mit koronar− er Herzkrankheit Dosissteigerung um 12,5–25 mg alle 4 Wochen K Erhaltungsdosis meist 2 mg/kg KG/d p.o.
88.2 Nennen Sie Arzneimittel, die zu einer Hypothyreose führen können! Thyreostatika (z. B. Thionamide, Perchlorate, Jo− didionen); Zytokine (a−, g−Interferone), Amioda− ron, Lithium 88.3 Was ist bei Schwangeren oder Stillenden mit hypothyreoter Stoffwechsellage zu beach− ten? Wesentliche Voraussetzung für komplikationslo− sen Schwangerschaftsverlauf ist eine normale Schilddrüsenfunktion der Mutter, da bereits ei− ne subklinische Hypothyreose in der Früh−
Fall 88 Seite 91
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schwangerschaft die Gehirnentwicklung des Fe− tusses beeinträchtigt: K Überprüfung der Schilddrüsenfunktion prä− konzeptionell und während gesamter Schwan− gerschaft K Schilddrüsenhormonsubstitution (Therapie− ziel: TSH−Wert im Serum 0,5–2,0 mU/l): – Bei Neubefund während Gravidität und bei bekannter Hypothyreose – Dosiserhöhung des Levothyroxin im Schwangerschaftsverlauf um 25–50 % bei 70 % der Patientinnen nötig
!!! 88.4 Wie behandelt Sie ein Myxödemkoma? K Intensivüberwachung (Monitor, Bilanzierung) K Bei Hypoventilation, Hypoxie oder Hyperkap− nie Intubation und Beatmung unter Blutgas− analyse
K Langsame Wiedererwärmung durch externe Wärmezufuhr (Wärmflaschen) ( 1 8C/h) K Glukokortikoide: z. B. Hydrocortison 200 mg/d i. v. K Infusionstherapie und Elektrolytsubstitution (bei Hyponatriämie vorsichtige Gabe von NaCl 5,85 %) K Schilddrüsenhormonsubstitution unter EKG− Kontrolle: z. B. Trijodthyronin initial 100 mg i. v., später 25 mg/12 h i. v.; Levothyroxin inital 300–500 mg i. v., später 50–200 mg/8–24 h i. v. K Bei Bradykardie: Atropin oder temporärer Schrittmacher K Bei Herzinsuffizienz: Digitalisierung K Infektprophylaxe (ggf. Antibiotika) K Nachbehandlung mit Levothyroxin p.o. (TSH− Kontrollen)
KOMMENTAR
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die klini− schen Symptome lassen sich durch einfache Maß−
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 88.1. Reine Levothyroxinprä− parate sind bei der Substitutionstherapie zu be− vorzugen. Mit einer einmaligen täglichen Gabe von Levothyroxin (Syn. L−Thyroxin, T4) sind ausrei− chend konstante Schilddrüsenhormonspiegel im Serum zu erzielen, da die biologische Halbwerts− zeit ungefähr 8 Tage beträgt. Das biologisch aktive Trijodthyronin (T3) entsteht physiologisch durch periphere Konversion aus T4. Liegt eine Konversi− onsstörung vor, ist eine kombinierte Gabe von T4 und T3 indiziert. Die Erhaltungsdosis von 100–200 mg T4 pro Tag sollte einschleichend durch schritt− weise Steigerung der Dosen erreicht werden. Bei Patienten . 60 Jahre oder mit koronarer Herz− krankheit sollte die Substitutionsdosis noch lang− samer erhöht werden, um den T4−bedingten An− stieg des myokardialen Sauerstoffverbrauchs nur langsam zu steigern. Initial ist alle 3–6 Wochen, später alle 6–12 Monate, der Serum−TSH−Wert zu messen.
265
88 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel ist die Normalisierung der Schilddrüsenfunktion und die Besserung der Symptomatik.
nahmen wie warme Kleidung, Kaffeetrinken oder bewusste Ernährung positiv beeinflussen. Die Ob− stipationsneigung kann unterstützend durch Er− nährungsumstellung und leichte Laxanzien ver− mindert werden.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Die mani− feste Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion mit Prävalenz von 0,1–1,5 %) ist durch eine stark erhöhte TSH−Konzentration bei gleichzeitig er− niedrigten peripheren Schilddrüsenhormonen (T3/T4) charakterisiert. Die häufigste Form beim Erwachsenen ist der primäre Ausfall der Schild− drüse, meist nach einer Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto−Thyreoiditis). Weitere Ursachen kön− nen sein: Medikamente (s. Antwort zur Frage 88.2), Schilddrüsenoperation, Radiojodtherapie, Neoplasie. Daneben können hypophysär−hypotha− lamische Prozesse einen Mangel an TSH oder Thy− reotropin−Releasing−Hormon (TRH) verursachen. Klinisch stehen eine vermehrte Müdigkeit, An− triebslosigkeit, die Neigung zum Frieren, Ge− wichtszunahme, Obstipation und trockene Haut im Vordergrund. Bei Kindern ist die Entwicklung und Reifung von Gehirn und Knochengerüst ver− langsamt. Die Bestimmung der Serumwerte von TSH (q) und fT4 (Q) sichert die Diagnose.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der angeborenen Schilddrusenunterfunktion Therapie der subklinischen Hypothyreose Behandlung einer akuten Thyreoiditis
Fall 88 Seite 91
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Fall 89 89.1 Welche Therapieoptionen haben Sie? Antiepileptika zur Behandlung von primär gene− ralisierten Grand−mal−Anfällen: K 1. Wahl: Valproinsäure, Carbamazepin, Pheny− toin K 2. Wahl: Lamotrigin, Phenobarbital 89.2 Nennen Sie unerwünschte Wirkungen der Valproinsäure! K Dosisabhängig: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (v. a. in der Initialphase), Tremor, Sedation, Verwirrtheit K Dosisunabhängig: Thrombozytopenie, rever− sibler Haarausfall, Missbildungsrisiko, akutes Leberversagen (v. a. bei Kleinkindern), Enze− phalopathie
266
Fall
89
89.3 Erläutern Sie das Vorgehen bei einem generalisierten Status epilepticus! Ein Grand−mal−Status ist eine lebensbedrohliche Notfallsituation, zwischen den Anfällen wird das Bewusstsein nicht wiedererlangt. K Allgemeinmaßnahmen: Atemwege freihalten, Maskenbeatmung bei Atemdepression (Sauer−
Epilepsie stoff 6 l/min), venöser Zugang, Krankenhaus− einweisung K Pharmakotherapie: – Initial: Diazepam 10–20 mg i. v. oder rektal – Anschließend: Phenytoin 250–500 mg i. v. oder wenn möglich p.o. – Falls wirkungslos: Phenobarbital 200– 400 mg langsam i. v. – Ultima ratio: Narkose, Intubation und as− sistierte Beatmung
89.4 Wie werden Fieberkrämpfe im Kleinkin− desalter behandelt? K Fieberkrämpfe im Rahmen fieberhafter Er− krankungen treten meist als generalisierte tonisch−klonische Anfälle auf K Akuttherapie: Diazepam 5–10 mg rektal; An− tipyretika, z. B. Paracetamol (30−50 mg/kg KG verteilt auf 3–4 Einzelgaben), Ibuprofen (20– 30 mg/kg KG verteilt auf 3–4 Einzelgaben) K Intermittierende Prophylaxe: Diazepam rek− tal bei Temperaturanstieg (. 37,5 8C) K Chronische Prophylaxe (umstritten): Pheno− barbital oder Valproinsäure
KOMMENTAR
Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu abnormen und exzessiven Entladungen von Neuronenverbänden im Gehirn. Eine Epilepsie (Prävalenz: 0,5–1 %) liegt dann vor, wenn 2 oder mehr epileptische Anfälle aufgetreten sind. Verschiedene Ursachen können eine Epilepsie bedingen, z. B. perinatale Schädi− gung, Hirntumor, Hirnblutung, Meningitis, Enze− phalitis, Hirnödem, Hypoglykämie, Hyponatri− ämie, Hypoxie, Medikamente (s. Fall 8). Findet sich keine Ursache, spricht man von einer idiopathi− schen Epilepsie. Pathophysiologisch liegt einem epileptischen Anfall eine spontane simultane De− polarisation von Neuronengruppen (Fokus) zu− grunde. Epileptische Anfälle können lokal begrenzt bleiben (sog. fokale bzw. Partialanfälle) oder sich über beide Gehirnhälften (sog. generalisierte An− fälle) ausbreiten. Eine Vielzahl von Symptomen ist möglich, z. B. motorische Störungen (Zuckungen einzelner Muskelgruppen bis hin zum gesamten Körper), sensible Störungen (z. B. Missempfindun− gen), vegetative Reaktionen und Bewusstseinsstö− rungen. Die Diagnose wird v. a. auf Grund der An− fallsanamnese gestellt, die durch spezifische EEG− Veränderungen gestützt wird. Therapieziele: Primäres Therapieziel ist die An− fallsfreiheit. Ist dies nicht möglich, ist eine nied− rige Anfallsfrequenz anzustreben und die uner− wünschten Wirkungen der Medikamente mög− lichst gering zu halten.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Eine aus− führliche Aufklärung und Beratung der Patienten und ihrer Angehörigen über die Krankheit, Thera− piemöglichkeiten und die zu erwartenden Medi− kamentennebenwirkungen sind vordringlich. Die Patienten sollten einen Anfallskalender führen. Wichtigste Prophylaxe ist die Abstinenz von Alko− hol, Rauschmitteln und Sedativa sowie das Einhal− ten eines geregelten Schlaf−Wach−Rhythmus. Die Indikation für eine Epilepsiechirurgie ist erst dann zu prüfen, wenn 2 adäquat eingesetzte Antiepilep− tika nicht wirksam waren. Pharmakotherapie Ausschlaggebend für eine wirksame Pharmakothe− rapie ist eine regelmäßige Medikamenteneinnah− me. Hierbei sind schriftliche Anweisungen oder eine Dosette (Medikamentenbox mit Tagesdosen) hilfreich. Ein TDM sollte bei Verdacht auf mangeln− de Compliance, ausbleibenden Therapieerfolg, un− klarer Resorption und in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Der Patient sollte bei einer Neuvorstellung bei einem Arzt diesen auf eine be− stehende Dauertherapie mit Antiepileptika hin− weisen. Die Auswahl des Arzneimittels zur Be− handlung einer Epilepsie erfolgt anhand des An− fallstyps (s. Tab. und Abb. in Fall 8).
Fall 89 Seite 92
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Anwendung und Pharmakokinetik einzelner Antiepileptika
Wirkstoff
Anfallsform
Tagesdosis (mg)
EHWZ (Stunden)
Plasmaei− weißbin− dung (%)
Carbamazepin
Einfach und komplex fokal, sekundär generalisiert
800–1200
14–27
80
Oxcarbazepin
Einfach und komplex fokal, sekundär generalisiert
600–2400
10–13
40
Valproinsäure
Generalisiert
1200–1800
6–15
95
Phenytoin
Einfach und komplex fokal
200–300
12–36
95
Lamotrigin
Therapieresistent fokal und sekundär generalisiert
200–400
30–60
55
Phenobarbital
Alle Formen außer Absencen
50–200
40–140
60
Clonazepam
Status epilepticus
1–20
20–30
98
Vigabatrin
Einfach und komplex fokal
1000–3000
4–5
0
Tiagabin
Einfach und komplex fokal, sekundär generalisiert
15–20
4–7
96
GABA−wirksame Antiepileptika: Zu den GABA− wirksamen Antiepileptika zählen die Barbiturate (Phenobarbital), Benzodiazepine (Clonazepam), Vigabatrin und Tiagabin. Phenobarbital wird beim therapieresistenten Status epilepticus eingesetzt. Unerwünschte Wirkungen sind Sedation, zerebelläre Ataxien und Stevens−Johnson−Syndrom (Haut−/Schleim− hautveränderungen mit Erythemen und Blasen). Phenobarbital reduziert die Wirkung einer Viel− zahl von Arzneistoffen (z. B. andere Antiepileptika, Antikoagulanzien). Clonazepam ist langwirkend und wird zur Thera− pie des Status epilepticus eingesetzt. Bei Kleinkin− dern führt Clonazepam zu einer Hypersekretion des Bronchialsystems. Vigabatrin verursacht Müdigkeit, Schwindel, Agi− tiertheit, aggressives Verhalten und gastrointesti− nale Beschwerden. Bei eingeschränkter Nieren− funktion und bekannter Psychose sollte die Indika− tion streng erfolgen. Tiagabin kann zu Schwindel, Somnolenz, emotio− naler Labilität, Tremor und Diarrhö sowie klein− flächigen Hautblutungen führen. Es ist bei Leber− funktionsstörungen kontraindiziert.
89 Antworten und Kommentar
Natriumkanalbblockierende Antiepileptika: Antiepileptika, die potenzialgesteuerte Natrium− kanäle blockieren, sind Carbamazepin und Oxcar− bazepin (s. Fall 8), Phenytoin und Lamotrigin. Valproinsäure wirkt zusätzlich GABAerg und kann bei verschiedenen Epilepsieformen einge− setzt werden. Kontraindikationen bestehen bei Le− bererkrankungen und Porphyrien (s. Antwort zur Frage 89.2). Phenytoin besitzt eine starke antikonvulsive und gering sedierende Wirkung. Die Metabolisierung von Phenytoin erfolgt dosisabhängig. Uner− wünschte Wirkungen sind Gingivahyperplasie, Hypertrichose, Hirsutismus, allergische Hautreak− tionen und Osteoporose. Durch CYP−P450−Enzym− hemmer (z. B. Cimetidin, Kumarine) wird der Ab− bau von Phenytoin verzögert. Lamotrigin ist bei Kindern unter 12 Jahren und bei Patienten mit Leber− und Niereninsuffizienz
kontraindiziert. Unerwünschte Wirkungen sind Schwindel, Sedation, Kopfschmerzen und gastroin− testinale Beschwerden.
Fall
Ein optimales Antiepileptikum muss die Krampf− schwelle erhöhen, ohne dabei die normale mo− torische Erregbarkeit zu beeinflussen und uner− wünschte Wirkungen (u. a. Sedation) auszulösen. Die Indikation zur Pharmakotherapie wird bei mehr als einem Anfall pro Jahr gestellt. Antiepi− leptika mit neuen, teilweise unbekanntem Wir− kungsmechanismus sind Gabapentin, Topiramat und Felbamat sowie die Succinimide, die z. T. über eine Hemmung der spannungsabhängigen T−Typ−Kalziumkanäle wirken.
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Fall 89 Seite 92
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie von Absencen Kombinationstherapie von Patienten mit Epilepsie Epilepsiebehandlung in der Schwangerschaft
Fall 90
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Fall
90
Rheumatoide Arthritis
Antworten und Kommentar
K Folsäureergänzung (24 Stunden nach Metho− 90.1 Wie behandeln Sie einen akuten Schub trexatdosis): Reduktion der Stomatitisgefahr einer rheumatoiden Arthritis? K Nichtsteroidale Antiphlogistika zur Redukti− K Wirkungseintritt: 4–8 Wochen, Maximum on der Gelenkschmerzen: z. B. Diclofenac nach 3–4 Monaten K Seltene unerwünschte Wirkungen: Pneumo− 2–3 3 50–100 mg/d p.o.; Dosierung sympto− nitis, Leberfibrose morientiert, retardiertes Präparat am Abend K NSAID verdrängen Methotrexat aus der Plas− zur Behandlung der nächtlichen Ruheschmer− maeiweißbindung R Verstärkung der Toxizität zen K Glukokortikoide: z. B. Prednisolon−Äquivalent p.o. 20–30 mg/d für 5–10 Tage, dann Aus− !!! 90.4 Was sind Biologicals“? Welche Wirkstoffe schleichen durch wöchentliche Reduktion (30; gehören zu dieser Gruppe? 25; 20; 15; 10; 7,5; 5; 2,5 mg/d) Medikamente (rekombinant hergestellt), deren Wirkstoffe natürlich vorkommenden biologisch 90.2 Welche Optionen bestehen für die Ba− aktiven Substanzen entsprechen (z. B. Zytokinin− hibitoren): sistherapie bei der Patientin? K Methotrexat (Standard) K Infliximab: teilhumanisierter Tumornekrose− faktor−a (TNF−a)−Antikörper zur i. v.−Gabe K Alternativ bei leichtem Verlauf: Hydroxy−/ Chloroquin oder Sulfasalazin (= Salazosulfa− K Etanercept: dimeres Fusionsprotein zur Neu− pyridin) tralisierung von TNF−a K Adalimumab: vollständig humanisierter TNF− a−Antikörper 90.3 Worauf ist bei der Anwendung von K Anakinra: Interleukin−1−Rezeptorantagonist, Methotrexat zu achten? nahezu identisch mit dem physiologischen Re− K Dosis: 7,5–25 mg/Woche (deutlich niedriger zeptorantagonisten als in der Onkologie, gute Verträglichkeit)
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die rheu− matoide Arthritis (RA; Syn. chronische Polyarthri− tis, CP) ist durch eine fortschreitende destruieren−
de Entzündung an zahlreichen Gelenken charakterisiert, die selten durch Remissionen un− terbrochenen wird. Die RA ist die häufigste ent−
Pathogenese der rheumatoiden Arthritis
Fall 90 Seite 93
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zündliche Gelenkerkrankung der westlichen Welt (Prävalenz: 2–3 %), Frauen sind 3−mal häufiger be− troffen als Männer. Die Ätiologie ist unbekannt, pathophysiologisch kommt es zu einer Invasion phagozytierender Zellen in die Synovialmembra− nen und Gelenkknorpel. Die lokale Entzündungs− reaktion wird durch proinflammatorisches Zyto− kine (z. B. TNF−a, Interleukin 1) unterhalten. Freigesetzte Matrixmetalloproteinasen und Ka− thepsine zerstören den Gelenkknorpel. Die klei− nen Gelenke der Hände und Füße sind symmet− risch betroffen. Die Patienten klagen über Gelenkschmerzen, v. a. Morgensteifigkeit und An− laufschmerz. Im weiteren Verlauf der Erkrankung treten Fehlstellungen mit Beuge− und Streckfunk− tionsdefizit auf: Das Vollbild ist durch multiple Gelenkdestruktionen und Invalidität gekennzeich− net. Klinisch relevante extraartikuläre Manifes− tationen (z. B. Auge, Lunge, Niere, Herz) werden bei 10 % der Patienten beobachtet.
Pharmakotherapie NSAID: s. Antwort zur Frage 90.1. NSAID wirken symptomatisch, beeinflussen den Krankheitspro− zess aber nicht. Sie sind im akuten Schub und zur Basistherapie geeignet. Unerwünschte Wirkungen der NSAID, wie gastrointestinale Störungen und NSAID−Asthma, sollten beachtet werden (s. Fall 12). Selektive Cyclooxygenase−2−Inhibitoren besit− zen ein günstigeres Nebenwirkungsprofil. Bei Un− verträglichkeit können schwach wirkende Opioide gemäß WHO−Stufenschema eingesetzt werden (s. Fall 47).
Biologicals: s. Antwort zur Frage 90.4. Biologicals sollten bei der Therapie der RA erst nach Versagen von 2 DMARD, davon eines Methotrexat, zum Ein− satz kommen. Etanercept ist ein lösliches rekom− binantes Fusionsmolekül (aus 2 extrazellulären Bindungsdomänen des P75−Anteils des TNF−Re− zeptors, gekoppelt an den Fc−Anteil eines mensch− lichen IgG−Moleküls), das mit hoher Affinität an TNF−a bindet. Etanercept wird 2−mal wöchentlich subkutan verabreicht. Infliximab ist nur in Kom− bination mit Methotrexat für die Behandlung der RA zugelassen ist. Kontraindikationen für Biologi− cals sind schwere Infektionen, Sepsis, Tumorer− krankungen; bei Tuberkulose ist die Indikation streng zu stellen, bei Gabe muss die Therapie sorg− fältig überwacht werden. Typische unerwünschte Wirkungen sind allergische Reaktionen, erhöhtes Infektionsrisiko und Hautreaktionen an der Ein− stichstelle (bis zu 40 %).
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90 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Physikali− sche Anwendungen wie Kälte im akuten Schub und Wärme bei Muskelverspannungen lindern kurzfristig die Beschwerden. Physiotherapie mit passiven und aktiven Bewegungsübungen hilft Ge− lenkversteifungen und Muskelschwund vorzubeu− gen. Die Ergotherapie dient der Anpassung alltäg− licher Bewegung in Haushalt und Beruf (z. B. ge− lenkschonendes Öffnen von Wasserhähnen). Diätetische Maßnahmen wie Fasten können zu− mindest eine vorübergehende Besserung erbrin− gen. Die erhöhte Aufnahme von ungesättigten Omega−3−Fettsäuren (z. B. ölreicher Fisch) scheint einen positiven Effekt zu haben. Synovektomien, Arthrodesen oder Gelenkersatz kommen bei Be− fall einzelner Gelenke sowie bei fortgeschrittener Gelenkzerstörung in Betracht.
Basistherapie: Basistherapeutika (s. Tab.) sind sog. disease modifying antirheumatic drugs (DMARD), die den Verlauf der RA durch Hemmung der Entzündung und Gelenkzerstörung günstig be− einflussen. Die Basistherapie sollte gleich nach Diagnosestellung begonnen werden, da sich irre− versible Schäden der RA im ersten Erkrankungs− jahr am schnellsten entwickeln. Die Wahl des Prä− parates richtet sich nach der aktuellen Aktivität der Erkrankung und der wahrscheinlichen Progno− se. Als Standardtherapie hat sich niedrigdosiertes Methotrexat durchgesetzt (s. Antwort zur Frage 90.3), bei leichtem bis mittelschwerem Verlauf al− ternativ (Hydroxy−) Chloroquin oder Sulfasalazin (= Salazosulfapyridin). Bei höherer Krankheitsakti− vität ist eine Kombination dieser 3 Wirkstoffe indi− ziert. Bei schweren Verläufen wird Azathioprin eingesetzt, bei sehr aggressiven Verläufen mit extraartikulärer Beteiligung Cyclophosphamid. Die Basistherapie mit Gold hat deutlich an Wich− tigkeit verloren.
Fall
Therapieziele: Ziel ist die Linderung der Schmer− zen und die frühzeitige Unterdrückung der Ent− zündungsreaktion. Letzteres soll die Zerstörung des Bindegewebes verzögern sowie die Funktiona− lität der Gelenke erhalten und damit Lebensquali− tät erhalten und Invalidität vorbeugen.
Behandlung des akuten Schubes: s. Antwort zur Frage 90.1. Bei schwersten Schüben wird eine par− enterale Stoßtherapie mit Prednisolon über 3 Tage durchgeführt. Immer indiziert sind Glukokortikoi− de bei klinisch manifesten extraartikulären Mani− festationen. Unerwünschte Wirkungen unter Langzeiteinnahme sind: Osteoporose, arterielle Hypertonie, Cushing−Syndrom, diabetische Stoff− wechsellage, gastrointestinale Ulzerationen (in Kombination mit NSAID). Die intraartikuläre In− jektion von Glukokortikoiden kann bei Befall ein− zelner Gelenke angezeigt sein, gehört aber in die Hände von erfahrenen Ärzten.
Fall 90 Seite 93
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Basistherapeutika zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis
Therapeutika Wirkmecha− nismus
Dosierung
Wirkungsein− Unerwünschte Wir− tritt kungen
1. Wahl Methotrexat
Folsäureanta− gonist
4–6 Wochen 7,5 mg/Woche p.o. steigern um 5 mg/Mo− nat auf 10–25 mg/Wo− che p.o.
Übelkeit, Mukositis, Ulzera, hepatotoxisch, knochenmarktoxisch, Lungenfibrose
(Hydroxy−) Chloroquin
Unbekannt
200 mg/d p.o.
Exantheme, Sehstö− rungen
Sulfasalazin
Unbekannt
500 mg/d p.o. steigern 2–3 Monate um 500 mg auf 2–3 g/d p.o.
Leflunomid
Pyrimidinsyn− Initial für 3 Tage: 1 3 thesehemmer 100 mg/d p.o., dann 1 3 10–20 mg/d p.o.
Gastrointestinale Stö− rungen, Exanthem, Ur− tikaria, Photosensibili− sierung
4–6 Wochen
Gastrointestinale Stö− rungen, Exanthem, Blutbildveränderun− gen, Hypertonie, he− patotoxisch
Gold
Hemmung der 1. Woche: 2 3 10 mg/ 4–6 Monate lysosomalen i.m., 2. Woche: 2 3 Hydrolasen 20 mg/ i.m., dann auf 50 mg 13/Woche–13/ Monat i.m.
Metallgeschmack, Ex− anthem, Pruritus, Sto− matitis, Neuropathie
D−Penicilla− min
Beeinflussung der Kollagen− synthese
1. Monat: 150– 2 Monate 300 mg/d p.o., steigern auf 600–900 mg/d p.o.
Gastrointestinale Stö− rungen, Exanthem, Übelkeit, Geschmacks− störungen, Proteinurie
Azathioprin
Purinsynthe− sehemmer
Initial 1 mg/kg KG/d 4–6 Wochen p.o., wöchentlich stei− gern auf 70–200 mg/d p.o.
Haarausfall, Myalgien, Arthralgien, knochen− marktoxisch
Ciclosporin A
Inhibition der IL−2 Synthese
8–12 Wochen 2–3 mg/kg KG/d p.o. jeden 2. Monat stei− gern um 1 mg/kg KG/d auf max. 5 mg/kg KG/d p.o.
Nierenfunktionsstö− rung, Hypertonie, Gin− givahyperplasie, Hy− pertrichose
270
Fall
90
3–4 Monate
2. Wahl
Antworten und Kommentar
Cyclophospha− Alkylierung der DNA/RNA mid
Initial: 50–100 mg/d p.o. steigern bis auf 50–200 mg/d
4–6 Wochen
hämorrhagische Zysti− tis, sekundäre Malig− nome
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung reaktiver Arthritiden Arthrosebehandlung Psoriasis−Arthritis
Fall 90 Seite 93
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Fall 91
Endogene Depression
91.1 Welches weitere Vorgehen ist indiziert? K Internistische Therapie: Blutzuckereinstel− lung mit Insulin, Blutdruckeinstellung mit ACE−Hemmern bei vorliegender diabetischer Nephropathie K Psychiatrische Behandlung: – Antidepressive Akuttherapie mit Serotonin− wiederaufnahmehemmer und Suizidprä− vention bei gegebenem Suizidrisiko durch Sedation und psychomotorische Dämpfung – Spezifische Psychotherapie, z. B. kognitive Verhaltenstherapie
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Die Depres− sion ist ein häufiges psychiatrisches Syndrom mit hoher Rezidivrate. Die Ätiologie ist multifaktoriell (z. B. genetische Disposition; Medikamente wie Clonidin, b−Rezeptorantagonisten, Glukokortikoi− de). Pathophysiologisch geht man von einer Neu− rotransmitterdysbalance aus, bei der Veränderun− gen von Dichte und Empfindlichkeit einzelner Neurotransmitterrezeptoren eine Rolle spielen. Leitsymptome sind depressive Verstimmung, Hemmung von Antrieb und Denken sowie Schlaf− störungen. Aufgrund des klinischen Erscheinungs− bildes lassen sich unterscheiden: gehemmte De− pression (ängstlich, antriebslos), agitierte De− pression (ängstliche Getriebenheit) und larvierte Depression (diffuse körperliche Beschwerden und Missempfindungen). Klinisch bedeutsam ist die Suizidgefahr. Die Diagnose wird primär klinisch unter Ausschluss organischer Ursachen gestellt. Therapieziele: Ziel bei Risikopatienten ist die Sui− zidprävention, ferner die Linderung von Angst, Agitation und Schlafstörungen. Mittel− bis langfris− tig sollte eine Besserung von Stimmung und An− trieb erreicht und ein Rezidiv verhindert werden.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Auf ein ver− trauensvolles Arzt−Patienten−Verhältnis ist auch im Hinblick auf eine Suizidprävention zu achten. Schlafentzug und Schlafphasenvorverlagerung sind kurzfristig wirksame Maßnahmen. Kognitive Verhaltenstherapie und Psychotherapie sind als psychotherapeutische Interventionen etabliert. In schweren Fällen kommen Licht− und Elektro− krampftherapie zur Anwendung. Pharmakotherapie Unterschieden werden Akuttherapie (3–4 Wo− chen), Erhaltungstherapie (6–12 Monate) und ggf. die dauerhafte Rezidivprophylaxe. Antide− pressiva haben eine Wirklatenz von 1–4 Wochen. Sollte ein Antidepressivum trotz ausreichender Dosierung nach 3− bis 4−wöchiger Therapie nicht wirksam sein, sollte das Präparat oder der Wirk− stoff gewechselt werden. Für die Rezidivprophy− laxe ist wichtig zu unterscheiden, ob eine unipo− lare (nur depressive Phasen) oder bipolare (mani− sche und depressive Phasen) Störung vorliegt. Die Wahl des Antidepressivums richtet sich nach dem klinischen Erscheinungsbild und Nebenwirkungs− spektrum des Präparates: sedierende Antidepres−
271
91 Antworten und Kommentar
91.3 Was müssen Sie beim Einsatz von Psy− chopharmaka beachten? K Arzt−Patient−Beziehung: stabil und vertrau− ensvoll, der Patient sollte sich zu jeder Zeit in der Behandlung einbezogen und informiert fühlen
91.4 Wie ist die antidepressive Wirkung von Johanniskraut zu beurteilen? Was ist zu beach− ten? K Johanniskraut kann bei leichten bis mittel− schweren Depressionen eingesetzt werden, der stimmungsaufhellende Wirkstoff ist bisher nicht bekannt (evtl. Hyperforin) K Unerwünschte Wirkung/Wechselwirkung: Photosensibilisierung, Induktion von CYP− 3A4 und P−Glykoprotein (Wirkungsabschwä− chung u. a. von Ciclosporin A, oralen Kontra− zeptiva, Antidepressiva, Theophyllin)
Fall
91.2 Wie werden Monoaminoxidasehemmer eingesetzt? K Als Antidepressiva: – Moclobemid: selektiver reversibler Mono− aminoxidase−A−Hemmer – Tranylcypromin: unselektiver irreversibler Monoaminoxidase−A− und Monoaminoxida− se−B−Hemmer K Als Antiparkinsonmittel: – Selegilin: selektiver irreversibler Monoam− inoxidase−B−Hemmer
K Anamnese (psychischer Zustand, sozialer Sta− tus, Ess−, Trink− und Lebensgewohnheiten) K Wenn möglich keine Kombination von Psy− chopharmaka K Aufklärung über neu verabreichte Medika− mente (Wirkungsweise, Nebenwirkungen, Do− sis) K Medikamente einschleichend dosieren, vor− sichtige Dosisreduktion K Ständige Kontrolle von Indikation, bisheriger Wirkung, körperlichem Zustand, Laborparame− tern (z. B. Leberenzyme, Blutbild) K Kontinuierliche Überprüfung der Compliance K Psychische Fehlfunktionen (z. B. depressive Verstimmung, Psychosen) können Folge phar− makogener Wechselwirkungen sein
Fall 91 Seite 94
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siva bei ängstlich−agitierter Depression, nicht− sedierende Antidepressiva bei gehemmter Depres− sionen. Zur Verfügung stehen tri− und tetrazykli− sche Antidepressiva (s. Fall 25), selektive Seroto− ninwiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (SNRI), selektive Serotonin−Noradrenalin−Wiederauf− nahmehemmer (SSNRI) und Monoaminoxidase− hemmer (MAO−Hemmer). Lithium wird als Pro− phylaktikum in der Langzeittherapie eingesetzt (s. Fall 16). Die trizyklischen Antidepressiva sind we− gen anticholinerger Nebenwirkungen wie Blut− druckabfälle oder Herzrhythmusstörungen bei Ri− sikopatienten (z. B. koronare Herzkrankheit) und älteren Menschen kontraindiziert.
272
Fall
92 Antworten und Kommentar
Serotoninwiederaufnahmehemmer: Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) (s. Tab.) hemmen die Serotoninwiederaufnahme in die prä− synaptischen Nervenendigungen. SSRI wirken psy− chomotorisch aktivierend. Sie werden schnell re− sorbiert und größtenteils biotransformiert. Die EHWZ sind unterschiedlich lang. SSRI verursachen häufig Diarrhö, Kopfschmerzen, Nervosität, Schlaf− losigkeit, Übelkeit und Sexualfunktionsstörungen. Bei schweren Depressionen sind SSRI den trizykli− schen Antidepressiva in der Regel unterlegen. SSRI können zu erhöhten Plasmaspiegeln z. B. von tri− zyklischen Antidepressiva, Haloperidol, Diazepam und Lithiumsalzen führen. SSRI dürfen nicht mit anderen serotonergen Wirkstoffen, v. a. MAO− Hemmern, kombiniert werden (Serotonin−Syn− drom mit Tremor, Myoklonus, Exzitation). Der selektive Serotonin−Noradrenalin−Wieder− aufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin und der selektive Noradrenalinwiederaufnahmehem− mer (SNRI) Reboxetin haben wie die SSRI psy−
chomotorisch aktivierende Wirkung und werden überwiegend bei gehemmt−depressiven Patienten eingesetzt. Dosierung und EHWZ von selektiven Serotoninwiederaufnahmeinhibitoren
Wirkstoff
Orale Tagesdosis (mg)
EHWZ (Stunden)
Citalopram
20–60
33
Fluoxetin
20–60
72, Metabolit 170
Fluvoxamin
10–200
15
Paroxetin
20–50
24
Sertralin
20–60
26
Monoaminoxidase (MAO)−Hemmer: s. Antwort zur Frage 91.3. Moclobemid hat eine relativ kurze Wirkdauer. Unerwünschte Wirkungen sind Unru− he und Schlafstörungen, so dass der Einsatz von Moclobemid bei agitierten Depressionen kontra− indiziert ist. Tranylcypromin ist ein Reservemittel bei therapieresistenter Depression. Es hat eine Wirkdauer von 7–10 Tagen. Bei gleichzeitiger Ein− nahme von tyraminhaltigen Nahrungsmitteln (z. B. Käse, Bier, Wein, Fisch) kann es infolge der Mono− aminoxidasehemmung zum verzögerten Abbau von Tyramin und somit zu lebensbedrohlichen Blutdruckkrisen kommen (sympathomimetische Wirkung). Tranylcypromin darf nicht zusammen mit Alkohol, Reserpin oder Tryptophan eingenom− men werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Rezidivprophylaxe der Depression Serotoninsyndrom Behandlungsoptionen bei der Manie
Fall 92
Colitis ulcerosa
92.1 Welche Therapieoptionen haben Sie? K Leichter Schub: 5−Aminosalizylsäure (5−ASA) 3–4 g/d p.o.; bei distaler Kolitis Klysmen mit 5−ASA bzw. Glukokortikoiden K Mittelschwerer Schub: Prednisolon 40– 60 mg/d p.o., ggf. kombiniert mit 5−ASA− oder Steroidklysmen K Schwerer Schub: – Komplette parenterale Ernährung, parente− rale Substitution von Flüssigkeit, Elektroly− ten, Humanalbumin, Blut – Prednisolon 60–100 mg/d i. v. – Bei septischen Komplikationen: Antibiotika
92.2 Welche Therapie kommt beim chronisch− aktiven Verlauf einer Colitis ulcerosa in Frage? Wenn keine vollständige und dauerhafte Remissi− on des akuten Schubes erreicht wird, ist eine Im− munsuppression indiziert mit: K Azathioprin 2–2,5 mg/kg KG/d p.o. K 6−Mercaptopurin 1–1,5 mg/kg KG/d p.o. Durch eine Proktokolektomie ist definitive Hei− lung möglich
Fall 92 Seite 95
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!!! 92.3 Was ist bei der Behandlung mit Azathio− prin zu beachten? Warum spielt die Pharmako− genetik hier eine Rolle? K Unerwünschte Wirkungen bei 10–15 % aller Patienten: hämatologische, gastrointestinale, allergische Störungen (s. Kommentar) K Metabolismus erfolgt durch Thiopurin−S−Me− thyltransferase (TPMT): – TPMT−Polymorphismus: 90 % der Bevölke− rung mit hoher Aktivität, ca. 10 % mit inter− mediärer Aktivität, 1 von 200 Individuen mit sehr niedriger Aktivität
– Verstärkte hämatologische Nebenwirkun− gen bei niedriger TPMT−Aktivität unter Aza− thioprinstandarddosis R Dosisreduktion – TPMT−Aktivität oder TPMT−Genotyp vor Therapiebeginn bestimmen
92.4 Erläutern Sie das Vorgehen bei der Re− missionserhaltung! Empfohlen wird eine remissionserhaltende medi− kamentöse Therapie auch bei unkompliziertem Verlauf über mindestens 2 Jahre: K Mesalazin mind. 2 g/d p.o. oder als Klysma K Alternativ: probiotische Therapie mit Escheri− chia coli Nissle 200 mg/d
KOMMENTAR
Pharmakotherapie Ziel der medikamentösen Behandlung ist die Ent− zündung der Mukosa zu hemmen. Zur Akutthera− pie s. Antwort zur Frage 92.1. Bei distalem Befalls− muster (Proktitis und Linksseitenkolitis) kann eine Lokaltherapie mit Klysmen, Schaumpräparaten oder Suppositorien durchgeführt werden. Eine sys− temische Anwendung ist bei ausgedehnter Kolitis und extraintestinalen Manifestationen indiziert. Diese wird als Schubtherapie bei intermittieren− dem Krankheitsverlauf durchgeführt, der chro− nisch−aktive Krankheitsverlauf erfordert eine dau− erhafte Immunsuppression mit Azathioprin (s. Antwort zur Frage 92.2). Bei steroidrefraktärem bzw. −abhängigem (dosisabhängige Verbesserung aber keine Remission) Verlauf kommen Ciclosporin A bzw. Tacrolimus zum Einsatz (s. Abb.).
273
92 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Vordringliches Ziel ist die Norma− lisierung von Stuhlfrequenz und −beschaffen− heit, die Besserung der Begleitbeschwerden und die Minimierung der unerwünschten Wirkungen der Pharmakotherapie. Eine Remission sollte möglichst schnell erreicht und erhalten werden.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Vitamin− oder Spurenelementmangel (z. B. Eisen) sind ggf. zu beheben. Die Ernährungstherapie orientiert sich an einer ausreichenden Kalorienzufuhr mit ausgewogener Kost, eine spezifische Diät gibt es nicht. Individuelle Ernährungsgewohnheiten sind zu akzeptieren. Im schweren Schub wird eine par− enterale Ernährung zur Ruhigstellung des Darm− es und Erhaltung des Ernährungszustandes emp− fohlen. Eine sorgfältige Aufklärung und psycho− therapeutische Betreuung des Patienten sowie dessen Engagement in Selbsthilfeorganisationen können hilfreich sein.
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Die Colitis ulcerosa (Prävalenz: 40–80/100 000 Einwohner) ist eine chronische diffus ulzerierende Entzündung der Kolonschleimhaut unbekannter Ätiologie. Als Ursache werden genetische oder ernährungsbe− dingte Faktoren, eine infektiöse Genese oder pa− thologische Immunreaktion vermutet. Durch ein Ungleichgewicht von pro− und antiinflammatori− schen Mediatoren und Effektorzellen geht der Schutz der normalen Mukosa gegenüber potenziell pathogenen Erregern/Toxinen und die Toleranz ge− genüber der physiologischen Darmflora verloren. Die folgende Entzündungsreaktion in Mukosa und Submukosa ist charakterisiert durch Krypten− abszesse, Becherzellschwund und entzündliche Pseudopolypen. Die Erkrankung beginnt im Rek− tum und breitet sich kontinuierlich nach proximal aus. Leitsymptome sind schubweise auftretende blutig−schleimige Durchfälle. Es werden 3 Schwe− regrade differenziert: K Leichte Form (Proktitis) (65 %) mit kleinen Stuhlmengen K Mittelschwere Form (25 %) mit 6–8 flüssigen Stühlen/d K Schwere Form (10 %) mit 10–20 wässrig−bluti− gen Stühlen/d. Bei allen Formen finden sich Systemmanifestatio− nen wie Arthritis, Erythema nodosum und Uvei− tis. Der Krankheitsverkauf kann chronisch−rezi− divierend (85 %), chronisch−aktiv (10 %) oder akut−fulminant (5 %) sein. Diagnostisch wegwei− send ist die Anamnese, entscheidend ist die In− spektion der Dickdarmschleimhaut durch Prok− torektosigmoidoskopie und Biopsie. Wegen des 3−fach erhöhten Karzinomrisikos nach 15−jähri− ger Erkrankungsdauer wird eine regelmäßige Koloskopie angeraten.
Aminosalizylate: Zu den Aminosalizylaten zäh− len die eigentliche Wirksubstanz 5−Aminosalizyl− säure (5−ASA, Mesalazin) sowie Sulfasalazin und Olsalazin. Sulfasalazin und Olsalazin sind schwer resorbierbar und setzen 5−ASA erst nach bakteri− eller Spaltung im Kolon frei. Aminosalizylate sind intraluminal wirkende Antiphlogistika, die die 5−Lipoxygenase hemmen. Unerwünschte Wirkun− gen bei Mesalazin und Olsalazin sind selten (Kopf− schmerzen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Müdigkeit). Nebenwirkungen des Sulfasalazins sind auf Grund der Sulfonamidkomponente häufiger, es treten Kopfschmerzen (30 %), reversible Infertilität beim Mann (67 %), Übelkeit, Diarrhö, Agranulozytose,
Fall 92 Seite 95
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274
Fall
92
Verlaufsadaptiertes Vorgehen bei der Behandlung der Colitis ulcerosa
Antworten und Kommentar
Leukopenie, Hämolyse, Exantheme, Juckreiz und allergische Alveolitis auf. Bei kurz vor der Entbin− dung stehenden Patientinnen besteht eine strenge Indikationsstellung, da Aminosalizylate plazenta− gängig sind und Bilirubin aus der Albuminbindung verdrängen können (Gefahr des Kernikterus beim Neugeborenen). Bei Salicylatunverträglichkeit, schweren Leber− und Nierenfunktionsstörungen, Ulcus duodeni/ventriculi sind Aminosalizylate kontraindiziert. Sie können die Wirkung von Anti− koagulanzien, Sulfonylharnstoffen und Glukokorti− koiden verstärken. Bei gleichzeitiger Gabe kann die Toxizität von Methotrexat verstärkt werden. Me− salazin wird gut resorbiert, die verfügbaren oralen Zubereitungen garantieren eine Wirkstofffreiset− zung im Kolon. Glukokortikoide: Zur oralen systemischen Thera− pie werden Prednisolon, Prednison und Methyl− prednisolon eingesetzt (s. Fall 19). Budesonid oder Beclometasondipropionat können topisch appliziert werden. Budesonid weist einen hohen First−pass−Effekt auf und besitzt trotz enteraler Re−
sorption weniger unerwünschte Wirkungen als systemisch verabreichte Glukokortikoide. Azathioprin: 6−Mercaptopurin, der aktive Meta− bolit des Azathioprins, hemmt als Antimetabolit die Biosynthese der Purinnukleotide und stört als falsche Base die Funktion der DNA und RNA. An− griffspunkt sind schnell proliferierende Zellen der gastrointestinalen Mukosa, bis zum Wirkungsein− tritt kann es jedoch mehrere Monate dauern. Un− erwünschte Wirkungen sind: Störungen der Hä− matopoese (Thrombozytopenie, Leukopenie), Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Diarrhö, Fie− ber, allgemeines Unwohlsein, Muskelschmerzen, Cholestase und Pankreatitis (s. Antwort zur Frage 92.3). Die Pankreatitis heilt in der Regel nach Ab− setzen der Therapie folgenlos ab, jedoch ist Aza− thioprin anschließend kontraindiziert. Die gleich− zeitige Anwendung von Allopurinol erhöht die Blutspiegel von 6−Mercaptopurin, da der Metabo− lismus durch die Xanthinoxidase gehemmt wird. Die Dosis von Azathioprin sollte deswegen auf ein Viertel gesenkt werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung der pseudomembranosen Kolitis Pharmakotherapie des Morbus Crohn Pharmakogenomik
Fall 92 Seite 95
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Fall 93
Diabetes mellitus Typ I
93.1 Geben Sie eine Übersicht über die ther− apeutisch verwendeten Insuline und ihre Wirk− dauer!
Insulinart
Wirkungs− beginn
Wirkungs− maximum (nach Stunden)
Wirkungsdauer (Stunden)
Schnellwirkende Insulinanaloga: Insulin lispro, Insulin aspart
15 Minuten
1
2–3
Normalinsuline (Altinsuline): unver− 30 Minuten zögert wirkende Humaninsuline
2
4–6
Intermediärinsuline: Neutral−Prota− min−Hagedorn−Insulin
2 Stunden
4–6
8–12
Verzögerungsinsuline: kristalline Zink−Insuline
variable Resorption
Langwirkendes Insulinanalogon: Insulin Glargin
3–4 Stunden
18–36 8–14
30
275
Fall
93.3 Wie unterscheiden sich die Konzepte der konventionellen und der intensivierten Insu− lintherapie? K Konventionelle Insulintherapie: starres Sche− ma, erfordert feste Essenszeiten und −mengen – Intermediärinsulin oder Intermediärinsulin: Normalinsulin (2 : 1) – 1. Dosis (2/3 der Tagesdosis) vor dem Früh− stück, 2. Dosis (1/3 der Tagesdosis) vor dem Abendessen
93 Antworten und Kommentar
93.2 Nennen Sie die Therapieziele beim Dia− betes mellitus Typ I! Prävention von: K Einschränkungen der Lebensqualität K Schwerer Stoffwechselentgleisung (Hypogly− kämie, Hyperglykämie mit Ketoazidose) K Mikroangiopathie (z. B. Retinopathie, Nephro− pathie) K Neuropathie K Beschleunigter Makroangiopathie
Formen der Insulinsubstitution
Fall 93 Seite 96
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K Intensivierte konventionelle Insulintherapie (Basis−Bolus−Prinzip) – Langzeitinsulin als Basisinsulin (ca. 40 % des Gesamtbedarfs) vor dem Schlafenge− hen; alternativ lntermediärinsulin 2 3/d (morgens und abends) – Normalinsulin vor den Hauptmahlzeiten abhängig vom Blutzuckerspiegel
K Bei guter Stoffwechseleinstellung bestehen kaum erhöhte Risiken für Mutter und Kind K Metabolische Einstellung von Typ−I−Diabetike− rinnen mit Kinderwunsch oder der Möglich− keit einer spontanen Konzeption präkonzep− tionell wie Schwangere K Generell: intensivierte Therapie mittels Mehrfachinjektionen oder programmierbarer Insulinpumpe
!!! 93.4 Was müssen Sie bei schwangeren Typ−I− Diabetikerinnen beachten? K Betreuung durch einen Arzt mit ausreichen− der Erfahrung in der Insulintherapie von schwangeren Diabetikerinnen
KOMMENTAR
276
Fall
93 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Der Diabe− tes mellitus Typ I ist durch einen absoluten In− sulinmangel charakterisiert. 5 % aller Diabetiker leiden an einem Typ−I−Diabetes, der sich meist vor dem 35. Lebensjahr manifestiert. Infolge von Autoimmunprozessen kommt es zu einer chroni− schen Insulitis mit vollständiger Zerstörung der B− Zellen des Pankreas. Der absolute Insulinmangel führt zu einer mangelhaften Verwertung von Glukose in den Zellen. Pathobiochemische Folgen sind: vermehrte Lipolyse, Ketonkörpersynthese, gesteigerter Eiweißabbau in der Muskulatur. Klini− sche Kardinalsymptome sind Polyurie (mit Glu− kosurie bei Überschreiten der Nierenschwelle), Polydipsie, Gewichtsabnahme, hochgradige Mü− digkeit und Ketoazidose. Wichtigste diagnostische Maßnahme ist die Messung der Blutglukose. Liegt der Nüchternblutzucker wiederholt über 126 mg/ dl ist die Diagnose gesichert. Als Akutkomplikation kann das ketoazidotische Koma auftreten, das mit Azidose infolge von Lipolyse, Ketonkörperproduk− tion, Hyperglykämie und Exsikkose einhergeht. Spätkomplikationen des Diabetes mellitus Typ I entsprechen denen des Typ II (s. Fall 39). Therapieziele: s. Antwort zur Frage 93.2. Thera− peutische Zielgrößen sind Blutglukosewerte von 91–120 mg/dl präprandial und 110–135 mg/dl vor dem Schlafengehen. Ein HbA1 c unter 6,5 % wird angestrebt. Das Diabetesmanagement beinhaltet tägliche Glukoseselbstmessungen in Blut oder Urin (Diabetiker−Tagebuch) und Kontrollen des Körpergewichts, des HbA1 c und eine Fußinspek− tion alle 3 Monate. In 6−monatigen Abständen wird auf Mikroalbuminurie geprüft und ein Lipo− proteinprofil erstellt. Jährlich sollte zum Aus− schluss von diabetischen Komplikationen eine au− genärztliche und neurologische Untersuchung so− wie eine Kontrolle der Fußpulse vorgenommen werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Essenziel− ler Bestandteil des Diabetesmanagements ist die Schulung (Ursachen des Diabetes, Ernährung, Hypoglykämie, Selbstkontrolle, Sport, Krankheit, Verkehr, Reisen, Spätschäden, Fußpflege). Bei
insulinabhängigen Diabetikern müssen Insulin− injektionstechniken, Wirkprofile der Insuline, Do− sisanpassungen und Blutzuckerselbstkontrollen zur Anpassung der prandialen Insulindosis aus− führlich besprochen werden. Pharmakotherapie Die Behandlung von Patienten mit Diabetes melli− tus Typ I besteht in der lebenslangen Ersatzthe− rapie mit Insulin. Es stehen heute v. a. Humanin− suline sowie rekombinante Insuline zur Verfü− gung, die in der Stärke der Initialwirkung, der Zeit bis zum Wirkmaximum und der Wirkdauer variieren (s. Antwort zur Frage 93.1). Bei den schnellwirkenden Insulinanaloga müssen auf Grund der raschen Resorption aus dem subkuta− nen Gewebe keine Spritz−Ess−Abstände eingehal− ten werden, Hypoglykämien treten seltener auf. Bei den Kombinationsinsulinen werden interme− diäre Neutral−Protamin−Hagedorn−Insuline mit Normalinsulin in individueller Zusammensetzung gemischt. Es werden 3 Therapieformen unter− schieden: konventionelle, intensivierte konven− tionelle Insulintherapie (s. Antwort zur Frage 93.3) und Insulinpumpentherapie. Bei der Insu− linpumpentherapie wird eine tragbare Insulin− pumpe, die über einen Katheter kontinuierlich den basalen Insulinbedarf in das Subkutangewebe abgibt, verwendet. Das Insulin zur Abdeckung des Mahlzeitenbedarfs wird durch Knopfdruck als Bo− lus appliziert. Die häufigste Nebenwirkung der Insulintherapie ist die HypogIykämie. Häufige Ursachen sind Diät− fehler, übermäßiger Alkoholkonsum, Insulinüber− dosierung, Infektionen oder stärkere körperliche Aktivität. Eine intensivierte Insulintherapie führt langfristig zur Gewichtszunahme. Eine heute sel− tene Komplikation ist die sog. Insulinlipodystro− phie, bei der es sich um einen Schwund oder eine Wucherung des Fettgewebes im Bereich der Insu− lininjektionsstellen handelt, wenn diese selten ge− wechselt werden. Eine Insulinallergie ist eine lo− kale oder selten generalisierte auftretende allergi− sche Reaktion auf Insulin, Verzögerungsstoffe oder Lösungsmittel. Zirkulierende Antikörper ge−
Fall 93 Seite 96
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gen Insulin können das injizierte Insulin binden und eine Insulinresistenz verursachen (gesteiger− ter Insulinbedarf . 200 IE/d). Die Dosierung (Erwachsene: 30–70 IE/d) der In− suline erfolgt individuell und ist an die Zeit der Nahrungszufuhr sowie die Nahrungsmenge gekop− pelt. Das Insulin wird subkutan appliziert (z. B.
Bauch, Oberschenkel), wobei der Injektionsort ge− wechselt werden sollte. Insulinpens erleichtern die Insulininjektion und erlauben die gleiche Ein− stellungsqualität wie die Verwendung von Insu− linspritzen bei höherer Flexibilität und Zufrieden− heit. Inhalierbares Insulin ist in der Entwicklung.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des ketoazidotischen Komas Insulintherapie beim Diabetes mellitus Typ II Therapie von diabetischen Spatschaden
Fall 94
Postmenopausale Beschwerden
94.1 Geben Sie eine Übersicht der medika− mentösen Therapie postmenopausaler Beschwerden an!
Darreichungsform
Applikations− schema
Estradiolvalerat/Norethisteron− Oral acetat
1 mg/1 mg
Sequenziell
Estradiol/Norethisteronacetat
Oral
1 mg/0,5 mg
Kontinuierlich
Estradiol/Norethisteronacetat
Transdermal
50
Sequenziell
Estradiol/Norethisteronacetat
Transdermal
mg/250 mg 25 mg/125 mg
konjugierte equine Östrogene/ Oral Medrogeston
0,3 mg/5 mg
Sequenziell
Estradiol/Dydrogesteron
Oral
1 mg/10 mg
Sequenziell
Estradiolvalerat/Estriol/Levo− norgestrel
Oral
1 mg/2 mg/0,25 mg
Sequenziell
Estradiolvalerat/Medroxypro− gesteronacetat
Oral
1 mg/5 mg
Sequenziell
Estradiol/Dydrogesteron
Oral
1 mg/5 mg
Kontinuierlich
Östrogen/Gestagenkombination
Kontinuierlich
94 Antworten und Kommentar
Geringste verfüg− bare Tagesdosis
Fall
Wirkstoffe
277
Östrogene Estradiolvalerat
Oral
2 mg
Kontinuierlich
konjugierte Östrogene
Oral
1,25 mg
Kontinuierlich
Estriol
Oral
2 mg
Estradiol
Transdermal
50−100
Kontinuierlich
mg
Kontinuierlich
Sequenziell bedeutet Östrogen über 21 Tage, zusätzlich Gestagen über die letzten 10–14 Tage, an− schließend 7 Tage Hormonpause; kontinuierlich bedeutet dauerhaft Östrogene ggf. in Kombination mit Gestagen.
Fall 94 Seite 97
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– Individuell empfundener Schwere der 94.2 Nennen Sie pflanzliche Praparate zur Symptome Behandlung postmenopausaler Beschwerden? – Lebensumstände Wie sind sie zu bewerten? – Möglicher Risiken (v. a. kardiovaskulär und K Phytoöstrogene (isoflavonhaltige Extrakte): karzinogen) Rotklee, Traubensilberkerze (Cimicifuga race− mosa), Soja K Diverse Pflanzen: Ginseng, Angelica sinensis, !!! 94.4 Was ist die WHI−Studie? Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie? Nachtkerzenöl Die WHI (Womens Health Initiative, 2002)−Studie Überzeugende Belege zur Wirksamkeit und Da− prüfte u. a. den Einfluss von Östrogen oder ten zur Langzeitsicherheit fehlen, so dass Östrogen−/Gestagenkombinationen bei Frauen pflanzliche Präparate nicht empfohlen werden im Alter von 50–79 Jahren auf kardiovaskuläre können. Erkrankungen, Brustkrebs, kolorektale Karzinome und Osteoporose mit folgenden Ergebnissen: 94.3 Wie gehen Sie bei der Patientin vor? K Absolutes Risiko/10 000 Frauen/Berichtsjahr: K Indikation zur Hormonersatztherapie nur – Zunahme: Brustkrebs (+8), nichttödliche nach Nutzen−Risiko−Abwägung abhängig von und tödliche Myokardinfarkte (+7), Schlag− Studienlage (z. B. HERS, WHI) anfall (+8), Thromboembolien (+18) K Ausführliche Aufklärung über Nutzen−Risiko− – Abnahme: kolorektales Karzinom (−6), Verhältnis Oberschenkelhalsfrakturen (−5) K Berücksichtigung von: – Wirksamkeit des eingesetzten Medika− mentes für die betreffende Symptomatik
KOMMENTAR
Fall
94 Antworten und Kommentar
Grundlagen und Pathophysiologie: Die Meno− pause tritt bei einem Großteil der Frauen im 5. Lebensjahrzehnt ein, sie ist der Zeitpunkt der letz− ten Regelblutung. Endokrinologisch bedeutet der Übergang in die postmenopausale Phase ein Erlö− schen der zyklischen Hormonfunktionen, die Estradiolkonzentrationen sinken auf einen Basal− wert ab. Die zahlenmäßige Abnahme der Ovarfol− likel durch Verbrauch und Atresie bedingt eine progrediente Verminderung des hormonprodu− zierenden Gewebes, die Östrogen−Progesteron− Biosynthese und −Sekretion kommen zum Erlie− gen. Dies bewirkt eine Enthemmung der hypophy− sären Gonadotropinausschüttung (v. a. Follikel− stimulierendes Hormon). Auch thyreotropes und kortikotropes Hormon werden vermehrt gebildet und führen zu einer Überfunktionen von Schild− drüse und Nebennierenrinde. Der zunehmende Östrogenmangel äußert sich in Zyklusunregelmä− ßigkeiten, vasomotorischen Symptomen, urogeni− taler Atrophie, Osteoporose, Alterung des kardiovaskulären Systems, Hautalterung und An− drogenisierungserscheinungen. Vasomotorische Beschwerden (z. B. Hitzewallungen, Schweißaus− brüche), Schlafstörungen, Reizbarkeit, Unruhe, Ängstlichkeit und Neigung zu Depressionen be− stimmen das klinische Bild. Gelegentlich werden Symptome wie relative Harninkontinenz, trockene Haut, Müdigkeit sowie Dyspareunie geschildert. Ein Drittel aller Frauen im Klimakterium haben keine oder nur diskrete Beschwerden. Therapieziele: Das Behandlungsziel besteht in der Beseitigung bzw. Reduktion der vasomotori− schen Symptome und urogenitaler Atrophisie− rung auf ein individuell tolerierbares Maß.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Werden die klimakterischen Beschwerden als wenig beein− trächtigend empfunden, können z. B. Verhaltens− und Entspannungstherapien oder gymnastische Übungen ausreichend sein. Pharmakotherapie Die Pharmakotherapie der postmenopausalen Be− schwerden erfuhr durch die Veröffentlichung meh− rerer Studien (z. B. HERS, WHI) eine Neubewer− tung (s. Antwort zur Frage 94.4). Nachgewiesene Risiken (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Brustkrebs) sollten zu einer Nutzen−Risiko−Abwägung zu− sammen mit der Patientin und einer jährlichen Überprüfung der Indikation veranlassen. Grund− sätzlich sollte eine Hormonersatztherapie nur bei ausgeprägten klimakterischen Beschwerden und so kurz und so niedrig dosiert wie möglich durchgeführt werden. Vor Therapiebeginn ist eine gynäkologische Untersuchung zum Ausschluss eines Endometriumkarzinoms und eine Mammo− grafie angezeigt, die im Abstand von 18–24 Mona− ten wiederholt werden sollte. Zusätzlich ist eine kardiovaskuläre Basisuntersuchung vorzuneh− men. In Deutschland sind verschiedene Östrogene und Östrogen/Gestagenkombinationen in unter− schiedlichen Darreichungsformen (oral, transder− mal, intramuskulär) und mit unterschiedlichen Applikationsschemata (sequenziell, kontinuier− lich) im Handel (s. Antwort zur Frage 94.1). Bei nichthysterektomierten Frauen ist die Kombina− tion der systemischen Östrogentherapie mit einer ausreichend langen Gabe von Gestagenen (mind. 10 Tage/Monat) in suffizienter Dosierung indiziert. Bei hysterektomierten Frauen besteht keine Ge− fahr einer Endometriumhyperplasie, so dass bei
Fall 94 Seite 97
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diesen Patientinnen die Nebenwirkungen der Ge− stagene durch eine Monotherapie mit Östroge− nen vermieden werden können. Unerwünschte Wirkungen entsprechen denen der zur Kontrazep− tion eingesetzten Hormone (s. Fall 5). Zur Präven−
tion der Osteoporose ist die Hormonersatzthera− pie zwar geeignet, weist allerdings auf Grund der erforderlichen Langzeitanwendung ebenfalls po− tenzielle Risiken auf (s. Fall 66).
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Hormonsubstitution bei Hypophyseninsuzienz Behandlung mit Androgenen Verwendung topischer Sexualhormone
Fall 95
Anaphylaktischer Schock
95.1 Welche Primärversorgung können Sie er− greifen, bis der Notarzt eintrifft? K Allergenzufuhr stoppen! (hier: Stachel aus der Kopfhaut entfernen) K Schocklagerung (Lagerung flach mit erhöhten Beinen) K Überwachung der Kreislauffunktionen
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Beim ana− phylaktischen Schock versagt die periphere Kreis− laufregulation auf Grund einer erhöhten Permea− bilität der Gefäße und intravasalem Volumenver− lust. Es handelt sich um eine fulminante allergische Sofortreaktion (Typ I) auf Allergene wie Insektengifte, Medikamente, Kontrastmittel. Bei der Typ−I−Reaktion hat eine vorausgegangene Sensibilisierung (Primärkontakt) mit dem auslö− senden Allergen zur Bildung von spezifischen IgE−Antikörpern geführt, die lange im Organismus persistieren können. Bei erneutem Antigenkontakt kommt es zur IgE−vermittelten Mastzelldegranu− lation und Freisetzung von Entzündungsmediato− ren (z. B. Histamin, plättchenaktivierender Faktor, Leukotriene, Prostaglandine), die die Gefäßper− meabilität erhöhen und zu einer Konstriktion der glatten Muskulatur im Respirationstrakt führen.
Die klinischen Symptome (s. Antwort zur Frage 95.3) treten meist rasch, innerhalb von Minuten, ein. Die Diagnose wird anhand der Symptome in Verbindung mit einer möglichen Allergenexposi− tion (z. B. Insektenstich, Medikamenteneinnahme) gestellt.
95 Antworten und Kommentar
95.3 Welche Maßnahmen werden vom Notarzt durchgeführt? K Großlumiger venöser Zugang K Sauerstoffgabe: 4–8 l/min über Nasensonde K Volumenersatz: z. B. Ringerlösung und Hydroxyethylstärke (500–2000 ml in 30 min)
95.4 Welche weiteren Maßnahmen können, wenn erforderlich, in der Klinik getroffen wer− den? K Sedierung: z. B. Midazolam 2–3 mg i. v. K Kontrollierte Beatmung mit positivem end− exspiratorischen Druck (PEEP) K Flüssigkeitsbilanz und Substitution bei Volu− men− oder Eiweißmangel K Bei Lungenödem: Furosemid 20–40 mg i. v. K Überwachung und ggf. Behandlung von: Elekt− rolyt− und Säure−Basen−Haushalt, Gerinnung, Nierenfunktion, Blutdruck, Kreislauffunktion
279
Fall
95.2 Nennen Sie wichtige klinische Zeichen eines anaphylaktischen Schocks! Juckreiz, plötzliches vermehrtes Niesen, starke Kopfschmerzen, pelziges“ Gefühl auf Zunge und Lippen, Hitzegefühl, Flush, Ödeme, Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Atemnot, Erstickungsgefühl, Bewusstseinseintrü− bung, Herz−Kreislaufstillstand
K Glukokortikoide: z. B. Prednisolon 500– 1000 mg i. v. als Bolus K H1− und H2−Antihistaminika: z. B. Clemastin 2–4 mg und Cimetidin 200–400 mg i. v. als Bo− lus K Adrenalin 0,1–1 mg i. v., ggf. fraktioniert mit Wiederholung nach 1–2 Minuten (Verdün− nung 1:10 000 R 1 ml Suprarenin = 1 mg Adrenalin in 9 ml 0,9 % NaCl)
Therapieziele: Primäres Ziel ist, den Schockzu− stand zu beheben und die Progredienz in ein Mul− tiorganversagen zu verhindern. Auch bei rascher Symptombesserung muss der Patient über min− destens 24 Stunden intensivmedizinisch über− wacht werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 95.1. Im Falle eines anaphylaktischen Schocks ist eine Schocklagerung indiziert. Bei La− rynxödem kann eine Intubation nötig werden, nur in sehr seltenen Fällen ist eine Koniotomie not−
Fall 95 Seite 98
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wendig. Lokalisierte Schwellungen (z. B. Zunge, Ra− chen) können durch Kälteanwendung (z. B. Eislut− schen, kalte Umschläge) reduziert werden. Die Vo− lumensubstitution sollte durch kolloidale und kristalline Lösungen erfolgen (s. Fall 18). Im An− schluss an das akute Ereignis sollte eine Allergie− testung durchgeführt werden (z. B. Prick−Test), um ggf. eine Hyposensibilisierung durchzuführen. Der Patient sollte ein Notfallset (Adrenalin−Auto− injektor oder inhalatives Adrenalin + flüssiges An− tihistaminikum + flüssiges Glukokortikoid) und ei− nen Allergiepass mit sich führen.
280
Fall
96
Pharmakotherapie Der anaphylaktische Schock ist eine medizinische Notfallsituation, die sofortiges Handeln erfordert. Die gezielte medikamentöse Therapie ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. H1−Antihista− minika (z. B. Clemastin, Dimetinden) (s. Fall 14) können bei leichter allergischer Sofortreaktion int− ravenös verabreicht werden. Glukokortikoide (z. B. Prednisolon 250–1000 mg) (s. Fall 19) werden bei der schweren anaphylaktischen Reaktion ange− wendet. Generell hemmen Glukokortikoide die Histamin− und Zytokinfreisetzung und die Arachi− donsäuresynthese; die Effekte wirken sich frühes− tens 1–2 Stunden nach Applikation klinisch aus. Hohe Glukokortikoidkonzentrationen können be− reits 10–30 Minuten nach Applikation durch un−
spezifische membranstabilisierende Wirkung kli− nisch wirksam werden. Bei einer ausgeprägten pulmonalen Reaktion mit Bronchospastik unter Adrenalintherapie ist die lokale Anwendung von b2−Sympathomimetika in Form eines Aerosols (s. Fall 71) oder die Gabe von Theophyllin (s. Fall 4) angezeigt. Adrenalin: Das wirksamste Medikament und gleichzeitig Mittel der ersten Wahl beim anaphy− laktischen Schock ist Adrenalin. Adrenalin stimu− liert b−Adrenorezeptoren auf glatten Muskelzel− len und Herzmuskelzellen, die durch eine Erhö− hung von cAMP bronchodilatative und positiv inotrope Effekte vermitteln. Über a−Adrenorezep− toren erhöht Adrenalin den systemischen vasku− lären Widerstand und wirkt antiödematös. Zu− sätzlich wird die Degranulation von Mastzellen und basophilen Granulozyten gehemmt. Bei Azi− dose nimmt die Ansprechbarkeit auf Adrenalin deutlich ab (ggf. Azidoseausgleich). Die positiv chronotropen, dromotropen und bathmotropen Wirkungen von Adrenalin sind bei anaphylaxiebe− dingter Tachykardie unerwünscht und steigern das Risiko für das Auftreten von Rhythmusstörungen. Kontraindiziert ist Adrenalin bei Patienten mit Hy− perthyreose, Koronar− und Zerebralsklerose, schwerer arterieller Hypertonie sowie nach Digi− talisierung.
Antworten und Kommentar
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie des kardiogenen und des septischen Schocks Hyposensibilisierung Direkte Sympathomimetika
Fall 96
Systemischer Lupus erythematodes (SLE)
96.1 Wie behandeln Sie den akuten Schub eines SLE? Bei schwerem akuten Schub mit Organbeteili− gung oder rezidivierendem Schub ohne wesentli− che Organbeteiligung: K Glukokortikoide: z. B. Prednison . 1 mg/kg KG/d p.o. oder Methylprednisolon 250– 1000 mg/d i. v. K Rasche Dosisreduktion (Zeitraum 2–3 Wo− chen ) und Übergang zur Langzeittherapie (möglichst , 7,5 mg/d) 96.2 Nennen Sie Möglichkeiten der Langzeit− therapie! K Antimalariamedikamente: z. B. Hydroxychlo− roquin 200–400 mg/d p.o. oder Chloroquin 250 mg/d p.o. K Niedrigdosierte Glukokortikoide: z. B. Pred− nison , 7,5 mg/d p.o.
K Immunsuppressiva: – Azathioprin: 1–4 mg/kg KG/d p.o. – Cyclophosphamid, z. B. als Pulstherapie 0,5–1,0 g/m2 KOF/Monat i. v. (entspricht ca. 500–1000 mg/Bolus), alternativ 1–3 mg/kg KG/d p.o. K NSAID bei Arthralgien und Myalgien: z. B. Di− clofenac retard 100 mg/d p.o.
96.3 Welche Medikamente können einen SLE induzieren? Sichere Auslöser sind: Chlorpromazin, Methyl− dopa, Hydralazin, Procainamid, Isoniazid
Fall 96 Seite 99
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KOMMENTAR Therapieziele: Ziel der Behandlung ist es eine sta− bile Remission sowie eine Reduktion der Morbi− dität und Mortalität. Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Patien− ten müssen über Verlauf, Prognose sowie Alarm− symptome (z. B. Atemnot, rasche Gewichtszunah− me, neurologische Störungen) aufgeklärt werden. Die Krankheitsaktivität lässt sich durch Meiden von Sonnenlicht (Kleidung, Sonnenschutzmittel im UV−A−/UV−B Bereich) und Stress sowie Einnah− meverzicht von Östrogenen und Sulfonamiden po− sitiv beeinflussen. Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 96.1 und 96.2. Die Indika− tion zur medikamentösen Therapie sollte abhängig von der Aktivität der Erkrankung und den Organ− manifestationen gestellt werden. Ebenso ist der Verlauf engmaschig zu kontrollieren. Unerwünsch− te Wirkungen der eingesetzten Substanzen sollten streng überwacht werden (z. B. Leukozytenzahl, jährliche Funduskopie). Glukokortikoide: Zu Wirkmechanismus, Phar− makokinetik, Wechsel− und unerwünschten Wir− kungen sowie Kontraindikationen s. Fall 19.
Antimalariamedikamente: Die Indikation für (Hydroxy−)Chloroquin ist für die Langzeitbasis− therapie bei milden Verlaufsformen ohne bedroh− liche Organbeteiligung (ggf. in Kombination mit NSAID) gegeben. Die Substanzen wirken wahr− scheinlich stabilisierend auf die Lysosomenmem− bran und hemmen die lysosomalen Enzyme der Entzündungszellen. Das Nebenwirkungsprofil ist vielfältig (s. Fall 79); wichtigste unerwünschte Wirkung ist eine Retinopathie durch meist rever− sible Einlagerungen in die Kornea. Das Risiko einer irreversiblen Retina−Toxizität wird minimiert, wenn kumulative Dosen (z. B. 100 g Chloroquin) nicht überschritten werden. Hydroxychloroquin ist besser verträglich.
Pathogenese der immunkomplexinduzierten Gefäßläsio− nen bei SLE
96 Antworten und Kommentar
Immunsuppressiva: Antimetabolite wie Aza− thioprin (s. Fall 92). werden nach Rückgang der Krankheitsaktivität in niedriger Dosierung, meist in Kombination mit Glukokortikoiden, eingesetzt. Weitere Immunsuppressiva (z. B. Mycofenolat Mo− fetil, Methotrexat) dienen als Reservetherapeutika.
281
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Der systemi− sche Lupus erythematodes (SLE) ist eine entzünd− liche chronisch verlaufende Autoimmunerkran− kung, die sich an nahezu jedem Organsystem ma− nifestieren kann. Die Prävalenz in Mitteleuropa liegt bei ca. 25/100 000 Einwohner, besonders be− troffen sind junge Frauen. Pathophysiologisch ent− scheidend ist die Bildung von Antikörpern gegen Bestandteile des Zellkerns (antinukleäre Antikör− per). Es bilden sich Immunkomplexe, die an Endo− theloberflächen haften und den Zustrom von Ent− zündungszellen fördern. Die perivaskuläre Ent− zündungsreaktion betrifft meist kleine Gefäße, die innerhalb der Organe meist als Vaskulitis im− poniert (z. B. Glomerulonephritis). Auch seröse Häute sind von der Entzündung betroffen (z. B. Pleuritis). Ätiologisch liegen dem SLE vermutlich, neben einer genetischen Disposition, hormonelle Faktoren, Umwelteinflüsse, Medikamente (s. Ant− wort zur Frage 96.3) oder virale Infektionen zu− grunde. Klinische Symptome sind Leistungsabfall, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Infektanfäl− ligkeit, polyarthritische Beschwerden und das charakteristische Schmetterlingserythem im Ge− sicht. Prognostisch entscheidend ist die ZNS− und Nierenbeteiligung. Haut− und Gelenkveränderun− gen, Lichtempfindlichkeit und der Nachweis von antinukleären Antikörpern (v. a. gegen doppel− strängige DNA) sind diagnoseweisend für einen SLE.
Cyclophosphamid: Die parenterale Pulstherapie mit Cyclophosphamid hat sich in den letzten Jah− ren gegenüber der oralen Dauertherapie in der Therapie des schweren SLE (mit ZNS− und Nieren− beteiligung) durchgesetzt. Vorteil ist die geringere Knochenmarksuppression und somit eine zeitli− che Begrenzung der Leukopenie (= Reduktion des Infektionsrisikos). Cyclophosphamid ist ein nukle− insäurealkylierendes Zytostatikum, das durch hepatische Metabolisierung aktiviert wird. Es be− einträchtigt den Zellzyklus in allen Phasen, zyto−
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toxisch wirksam ist Cyclophosphamid bei der DNA−Replikation vor der Zellteilung. Unerwünsch− te Wirkungen sind Folgen der zytotoxischen Effek− te: Infektanfälligkeit, gastrointestinale Beschwer− den, reversible Alopezie und Gonadeninsuffizienz. Bei Langzeittherapie ist eine erhöhte Malignom− rate zu beachten (Nutzen−Risiko−Abwägung). Die
zusätzliche Gabe von Mesna kann das Risiko für eine hämorrhagische Zystitis und kanzerogene Wirkungen auf das Blasenepithel reduzieren. Kontraindikationen für Cyclophosphamid sind Schwangerschaft und akute virale oder bakterielle Infekte.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Behandlung des Antiphospholipid−Syndroms Therapie der Sarkoidose Zytostatika
Fall 97 282
Fall
97
Myokardinfarkt
Antworten und Kommentar
97.1 Was unternehmen Sie akut bis zur Klinikeinweisung? K Beruhigung des Patienten, Oberkörperhochla− gerung K Notfallmaßnahmen: peripher−venöser Zu− gang, möglichst kontinuierliches Rhythmus− monitoring, Sauerstoffgabe über Nasensonde (6–8 l/min) K Schmerzbehandlung: Morphin 3–10 mg i. v. K Gerinnungshemmung: Acetylsalicylsäure (250–500 mg i. v.) K Antiischämische Therapie: Glyceroltrinitrat 2 Hübe sublingual bei systolischem Blutdruck .100 mmHg K Sedierung: Diazepam 5–10 mg i. v. K Betablockade: b−Rezeptorantagonist, z. B. Me− toprolol 5 mg langsam i. v. K Überwachung und Therapie von Komplika− tionen: – Bradykardie/Asystolie (Adrenalin 1 mg i. v., Herzdruckmassage) – Kammertachykardie/−flimmern (z. B. Amio− daron 150–300 mg i. v., Lidocain 1,5 mg/kg KG i. v., Defibrillation) – Kardiopulmonale Reanimation K Schnellstmöglichen Transport in eine Klinik veranlassen: Rettungswagen mit Arztbeglei− tung, kontinuierliche Rhythmuskontrolle, rechtzeitige Anmeldung, richtige Wahl des Zielkrankenhauses (möglichst Klinik mit Herz− katheterlabor und 24−Stunden−Bereitschaft)
K Alternativ: Thrombolysetherapie (s. Kom− mentar) (cave: Kontraindikationen, s. Antwort zur Frage 97.3), auch als Frühthrombolyse vor Krankenhausaufnahme
97.3 Welche Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie kennen Sie? K Absolute Kontraindikationen: akute Blutun− gen, Trauma, Operationen innerhalb der letz− ten 3–6 Wochen, Schlaganfall in den vergan− genen 6 Monaten, bekannter intrakranieller Tumor K Relative Kontraindikationen: arterielle Hy− pertonie (systolisch . 200 mmHg, diastolisch . 120 mmHg), arterielle Punktionen oder Zahnextraktionen innerhalb der letzten 14 Ta− ge, Schwangerschaft, akute Pankreatitis, fort− geschrittene Lebererkrankung 97.4 Benennen Sie die medikamentöse Lang− zeittherapie nach Myokardinfarkt! K Thrombozytenaggregationshemmer: z. B. Acetylsalicylsäure 100 mg/d; bei Unverträg− lichkeit Clopidogrel 75 mg/d p.o. K b−Rezeptorantagonisten (ohne intrinsische Aktivität): z. B. Atenolol 25–100 mg/d p.o. K ACE−Hemmer: z. B. Lisinopil 5–20 mg/d p.o. K HMG−CoA−Reduktasehemmer: z. B. Atorvasta− tin 10–80 mg/d p.o. (Zielwert LDL−Cholesterin ,100 mg/dl)
97.2 Welche Maßnahmen können in der Klinik durchgeführt werden? K Akute perkutane transluminale koronare An− gioplastie (PTCA) abhängig von Lokalisation und Ausdehnung des Gefäßverschlusses, ggf. mit Stent−Implantation; begleitend: Vollhepa− rinisierung und Glykoprotein−IIb/IIIa−Rezeptor− antagonisten (z. B. Abciximab)
Fall 97 Seite 100
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KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Ein Myo− kardinfarkt ist ein akuter Verschluss einer Koronar− arterie mit Untergang von Herzmuskelgewebe. Die Mortalität beim akuten Herzinfarkt liegt bei 30 % innerhalb der ersten Stunde. Pathogenetisch kommt es zu einer Ruptur einer arterioskleroti− schen intrakoronaren Plaque, die zu einer Bildung eines gefäßverschließenden Thrombus führt. Das infarzierte Herzmuskelgewebe stirbt in den fol− genden 2–4 Stunden ab. Komplikationen können z. B. Herzrhythmusstörungen (Kammerflim− mern), Linksherzinsuffizienz und kardiogener Schock sein. Leitsymptome eines akuten Myokard− infarktes sind anhaltende Brustschmerzen in Ru− he, Dyspnoe, Schwächegefühl, Angst, Erbrechen, Schwitzen und Blässe. Für die Sofortdiagnostik sind das Ruhe−EKG (ST−Streckenhebung) und die Bestimmung von CK, CK−MB, Myoglobin, Troponin I und T ausschlaggebend.
Pharmakotherapie s. Antworten zu Fragen 97.1 und 97.4. Beim akuten Myokardinfarkt muss sofort Acetylsalicylsäure und Heparin verabreicht werden. Glyceroltrini− trat, als Spray oder Zerbeißkapsel sublingual ap−
Eigenschaften und Pharmakokinetik von Thrombolytika
Wirkstoff
Dosierung
Allergische Lyse wie− Reaktion derholbar
Syste− mische Wirkung
EHWZ (Minuten)
Streptokinase
1,5 Mio IE/60 min i. v.
+
nein
+++
20
Urokinase
1,5 Mio IE als Bolus, 1,5 Mio IE/60–90 min i. v.
+
ja
++
15
Alteplase
15 mg i. v.−Bolus, 50 mg – über 30 min, 35 mg über 60 min
ja
+
6
Reteplase
2 3 10 IE i. v.−Bolus mit 30 min Abstand
–
ja
+
12
Tenecteplase
max. 50 mg i. v.−Bolus (KG−abhängig)
–
ja
+
15
283
97 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 97.1. Als Mittel der Wahl in der Reperfu− sionstherapie hat sich die perkutane translumi− nale Koronarangioplastie (PTCA) durchgesetzt.
Thrombolytika: Beim Myokardinfarkt wird durch eine frühzeitige i. v.−Thrombolyse eine Reduktion der Infarktgröße durch Reperfusion des ischämi− schen Areals erreicht. Das Zeitintervall zwischen Gefäßverschluss und Beginn der Thrombolyse ist für den Erfolg entscheidend: Eine Lyse innerhalb von 6 Stunden nach Schmerzbeginn reduziert die Letalität um bis zu 50 %. Streptokinase, ein Plasminogenaktivator (PA), ist ein Syntheseprodukt von b−hämolysierenden Streptokokken (cave: allergenes Potenzial). Strep− tokinase bildet mit Plasminogen den Aktivator− komplex, der die Aktivierung von freiem Plasmi− nogen zu Plasmin bewirkt. Urokinase ist ein aus menschlichem Urin gewon− nener direkter Plasminogenaktivator ohne allerge− ne Eigenschaften, weshalb sich Urokinase zur Langzeitlyse und Wiederholungslyse anbietet. Die neuen Plasminogenaktivatoren mit der Leit− substanz Alteplase (rt−PA) werden rekombinant hergestellt. Diese Substanzen besitzen eine höhe− re Fibrinaffinität als Strepto− und Urokinase und greifen direkt am Thrombus an. Dadurch wird die systemische Wirkung sowie die Rate an uner− wünschten Wirkungen reduziert. Reteplase (r− PA) hat eine längere EHWZ und kann zweimal ap− pliziert werden (s. Tab.). Für Tenecteplase (TNK− tPA) wird eine einmalige Bolusgabe empfohlen.
Fall
Therapieziele: Ziel ist eine schnelle, effektive und langanhaltende Wiedereröffnung der Infarktarte− rie, die Verhinderung eines größeren Myokardver− lustes und von ventrikulären Umbauvorgängen sowie die Beherrschung von Herzrhythmusstö− rungen. Bei komplikationslosem Verlauf wird eine intensivmedizinische Überwachung für 2 Tage angeraten, eine stufenweise Mobilisierung ist frühzeitig vorzunehmen.
pliziert, hilft den starken Infarktschmerz und so− mit den myokardialen Sauerstoffverbrauch in der Akutsituation zu reduzieren. Bei komplettem Ver− schluss ist der Schmerz nitrorefraktär und erfor− dert die Gabe von Opiaten, bevorzugt von Mor− phin. Alternativ zur PTCA hat sich als einfach durchzuführende Reperfusionsmaßnahme die Thrombolysetherapie etabliert.
Fall 97 Seite 100
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Die häufigste Komplikation der Lysetherapie ist die Blutung (Häufigkeit intrazerebraler Blutun− gen: 0,5–1 %). Die Gefahr kann durch konsequen− te Beachtung der Kontraindikationen (s. Antwort zur Frage 97.3) minimiert werden. Bei schwer− wiegenden Blutungen muss die Thrombolyse so− fort abgebrochen werden; ggf. müssen Erythrozy− tenkonzentrate oder Frischplasma substituiert werden. Als Antidote können Aprotinin oder Tranexamsäure eingesetzt werden.
284
Fall
98
Übersicht über Angriffsorte der Fibrinolytika
Antworten und Kommentar
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Therapie der Fettstoffwechselstorungen Aprotinin und Tranexamsaure Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
Fall 98
Chronische Schmerzen
98.1 Wann und wie stellen Sie den Patient schnellstmöglich auf Morphin ein? K Indikation für stark wirkende Opioide: nach WHO−Stufenplan (s. Fall 47), wenn schwach wirkende Opioide nicht ausreichend wirksam und/oder eine hohe Einnahmefrequenz alle 4 Stunden auf Dauer nicht praktikabel ist K Vorgehen: – Einstellen der optimalen Tagesdosis mit nichtretardiertem Morphin: Einzeldosis 5–10 mg p.o., alle 4 Stunden, auch nachts – Dosistitration mit Steigerung um Faktor 1,3–1,5 bis zur weitgehenden Schmerzfrei− heit – Bei feststehender Tagesdosis Umstellung auf orales Retardpräparat 1:1 98.2 Wie werden Schmerzspitzen behandelt? Bedarfsmedikation (Extradosis) in rasch wirken− der Zubereitung zur Kupierung von Schmerzspit− zen (Durchbruchschmerzen):
K Bei oraler Therapie 1/6 der Tagesdosis des Opioids K Bei parenteraler Therapie 1/10 der Tagesdosis des Opioids
98.3 Welche Alternativen zur oralen Schmerztherapie kennen Sie? K Alternative Gabe von Analgetika: rektal, über enterale Sonden, transdermal, kontinuierliche subkutane Infusion, intravenös, intrathekal, epidural K Radiologisch−interventionelle Schmerzthera− pie K Nuklearmedizinische Schmerztherapie K Lokale Strahlentherapie 98.4 Wie berechnen Sie die Opioidgesamtdosis (ausgedrückt als orales Morphin/24 Stunden)? K Fentanyl−Pflaster: Fentanyl 25 mg/Stunde = 600 mg/24 Stunden = 60 mg/24 Stunden Mor− phin p.o. (Umrechnungsverhältnis 1 : 100)
Fall 98 Seite 101
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K Morphin−Infusion subkutan: Morphin 20 mg/ 24 Stunden s.c. = 40 mg/24 Stunden Morphin p.o. (Umrechnungsverhältnis 1 : 2)
K Opioidgesamtdosis: 60 mg/24 Stunden + 40 mg/24 Stunden = 100 mg/24 Stunden Mor− phin p.o.
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie der Tumor− schmerzen, allgemeine Therapieziele sowie spe− zielle nichtmedikamentöse und medikamentöse Schmerztherapiemaßnahmen nach WHO sind ausführlich in Fall 47 dargestellt. Hier wird er− gänzend auf spezielle Aspekte der Schmerzthera− pie eingegangen.
Behandlung von Schmerzspitzen: s. Antwort zur Frage 98.2. Trotz suffizienter Schmerztherapie können jederzeit Schmerzspitzen auftreten (z. B. bei Bewegung und Belastung). Dies erfordert die Bedarfsmedikation eines Analgetikums in rasch wirkender Form (nie in Retardform). Jeder Patient benötigt hierfür eine klare Handlungsanweisung. Eine Extradosis eines stark wirkenden Opioidago− nisten (z. B. Morphin) führt zu rascher Schmerz− kontrolle ohne Ceiling−Effekt (Dosissteigerung oh− ne entsprechende Wirkungszunahme). Umstellung der Opioide: Die Umstellung von Morphin auf ein anderes Opioid oder eine andere Darreichungsform wird unter Berücksichtigung der analgetischen Potenz durchgeführt (s. Tab). Bei Verabreichung mehrerer Opioidanalgetika wird die Gesamtdosis ausgedrückt als Dosis von oralem Morphin (s. Antwort zu Frage 98.4).
Analgetische Potenz (Morphin p.o. = 1)
Codein
1/10
Dihydrocodein
1/10
Tramadol
1/10
Tilidin/Naloxon
1/10
Morphin (rektal)
1
Morphin (i. v., s.c.)
2
Morphin (epidural)
15
Morphin (intrathekal) 150 Buprenorphin (sublingual)
60
Levomethadon
6–8
Fentanyl (transder− mal)
100
Oxycodon
2
Hydromorphon
7,5
285
98
Alternative Applikationsformen: Die rektale Applikation von Analgetika ist zur kurzfristigen Schmerzbehandlung indiziert, wenn orale Analge− tika nicht mehr geschluckt werden können. Die rektale Schmerztherapie ist bei längerer Dauer un− befriedigend, weil sie wegen der umständlichen Verabreichung und der kurzen Wirkdauer der Sup− positorien schwerkranken Patienten nicht zumut− bar ist und z. B. bei häufigem Stuhlgang keine ver− lässliche Resorption gewährleisten. Eine enterale Sonde (z. B. nasogastrale oder duo− denale Sonde, PEG) kann für die Schmerztherapie mitgenutzt werden. Hierbei können Retard−Granu− late als wässrige Suspension durch enge Sonden gegeben werden. Die transdermale Applikation von Schmerzmit− teln ist eine weitere Alternative zur oralen Schmerztherapie. Dabei wird ein Membranpflas− ter (Fentanyl TTS = transdermales therapeutisches System) oder ein Matrixpflaster (Buprenorphin) aufgeklebt. Diese Applikationsform ist v. a. bei Pa− tienten mit gastrointestinalen Problemen oder Ab− neigung gegen eine orale Medikation geeignet. Die kontinuierliche subkutane Infusion von Schmerzmitteln kann bei anhaltender oder rezidi− vierender Übelkeit und Erbrechen, Dysphagie und
Antworten und Kommentar
Pharmakotherapie
Wirkstoff
Fall
Nichtmedikamentöse Maßnahme: s. Antwort zur Frage 98.3. Das Ziel der radiologisch−inter− ventionellen Schmerztherapie ist die Schmerz− linderung und Einsparung systemisch wirkender Analgetika durch gezielte Ausschaltung von affe− renten Nerven aus der Tumorregion. Hierbei wird der betroffene Nervenplexus mit einem chemi− schen Neurolytikum unter CT−Kontrolle infiltriert. Die nuklearmedizinische Schmerztherapie wird zur Behandlung von multifokalen Schmerzen, die durch osteoblastische Skelettmetastasen verur− sacht werden, eingesetzt. Sie ergänzt im Allgemei− nen die medikamentöse Schmerztherapie und kann wiederholt angewendet werden. Das Prinzip der nuklearmedizinischen Schmerztherapie ist die Anreicherung systemisch applizierter knochenbin− dender radioaktiver Substanzen (z. B. [89Sr]Stron− tiumchlorid) in der Randzone osteoblastischer Me− tastasen, so dass es hier zu einer lokalen Bestrah− lung kommt. Die lokale Strahlentherapie ist die effektivste Schmerzbehandlung bei Knochenmetastasen und Methode der Wahl bei Patienten mit lokalisiertem Skelettschmerz bei röntgenologisch gesichertem Befall.
Analgetische Potenz verschiedener Opioidanal− getika
Fall 98 Seite 101
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Schluckstörungen, großer allgemeiner Schwäche und schlechter Resorption im Magen−Darmtrakt indiziert sein. Die kontinuierliche subkutane Infu− sion bietet bei Schwerkranken den Vorteil, dass kein intravenöser Zugang erforderlich ist (häusli− che Versorgung). Hat ein Patient einen sicheren (zentral−)venösen Zugang, z. B. einen i. v.−Port, so kann eine parente− rale Schmerztherapie kontinuierlich mit Schmerz− pumpe erfolgen.
Die Spinalanalgesie mit epiduraler oder intrathe− kaler Gabe von Opioiden ist z. B. indiziert bei rü− ckenmarknahem Tumorwachstum, wenn keine Strahlentherapie mehr möglich ist. Diese Methode und ihre Indikationsstellung erfordern eine inter− disziplinäre Zusammenarbeit mit speziell erfahre− nen Anästhesisten. Die Wirkung erfolgt direkt an den absteigenden Schmerzbahnen im Rücken− mark, wo v. a. in der Substantia gelatinosa die Dichte der Opioidrezeptoren sehr hoch ist und durch deren Aktivierung physiologischerweise die Nozizeption gehemmt wird.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Beispiele fur transdermale therapeutische Systeme Beurteilung alternativer Schmerztherapien (z. B. Akupunktur) Opioidabhangigkeit
286
Fall 99
Fall
99
AV−Knoten−Reentrytachykardie
Antworten und Kommentar
99.1 Welche Pharmaka sind zur Akutbehand− lung der AV−Knoten−Reentrytachykardie geeignet? K Mittel der Wahl (supraventrikuläre Tachykar− dien): Adenosin, initial rasch applizierter (, 3 s) Bolus von 6 mg; wenn erfolglos Wieder− holung nach je 3 min mit 12 mg und 18 mg K Verapamil (wenn keine linksventrikuläre Ein− schränkung vorliegt): initial 5 mg über 3 min K b−Rezeptorantagonist (wenn keine linksvent− rikuläre Einschränkung vorliegt): z. B. Propra− nolol 0,25–0,5 mg über 5 min K Amiodaron (bei linksventrikulärer Einschrän− kung): 300 mg in Glukose 5 % über 20 min
Klasse
Substanzen
99.2 Nennen Sie die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Adenosin! Welches Antidot kommt in Frage? K Unerwünschte Wirkungen: kurzzeitiges Hitze− gefühl, Flush, thorakales Druckgefühl, Dys− pnoe, Bronchospasmus, Palpitationen, selten lebensbedrohliche Asystolien oder ventrikulä− re Arrhythmien K Antidot: Methylxanthine (z. B. Aminophyllin, Theophyllin) 99.3 Erläutern Sie die Einteilung der Antiar− rhythmika nach Vaughan−Williams! Gängigste Einteilung, beruht auf Einzelableitun− gen an isolierten Herzmuskelfasern
Wirkung auf Vorhof
AV−Knoten Ventrikel
akzessori− sche Bahnen
I: Natriumkanalblocker Ia
Ajmalin, Chinidin
+++
+/−
+++
++
Ib
Lidocain, Phenytoin
−
−
+++
(?)
Ic
Flecainid, Propafenon
++
++
+++
+++
+
++
+
+
+
++
+
+
+
++++
−
−
II: b−Rezeptorantagonisten Metoprolol, Propranolol III: Kaliumkanalblocker Amiodaron, Sotalol IV: Kalziumkanalblocker Verapamil
Fall 99 Seite 102
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!!! 99.4 Welche Erkenntnisse erbrachte die sog. CAST−Studie? CAST (Cardiac Arrhythmia Suppression Trial) prüfte den Einfluss der Klasse−Ic−Antiarrhythmi− ka Encainid oder Flecainid auf die Mortalität bei nicht oder geringfügig symptomatischen ventrikulären Herzrhythmusstörungen nach Myokardinfarkt: K Flecainid/Encainid unterdrücken die Herz− rhythmusstörungen nach 10 Monaten
K Mortalität unter Flecainid/Encainid erhöht (4,5 % versus 1,2 % unter Plazebo) R vorzeiti− ger Studienabbruch K Seitdem strengere Indikationsstellung für Antiarrhythmika und Indikationseinschrän− kung für Flecainid Insgesamt wird v. a. den Klasse−Ia/Ic−Antiarrhyth− mika ein erhöhtes proarrhythmogenes Poten− zial zugesprochen.
KOMMENTAR
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: Erstmaß− nahmen zur Terminierung von AV−Knoten−Reen− trytachykardien bei kreislaufstabilen Patienten sind Vagusreizungen (z. B. Valsalva−Manöver, beidseits wechselweise Karotissinusmassage , 5 Sekunden). Die selektive Hochfrequenzstrom− Ablation der langsamen AV−Knotenleitungsbahn gilt als kurative Therapie der Wahl bei ungenü− gendem medikamentösen Therapieerfolg oder Me− dikamentenunverträglichkeit. Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 99.1. Eine Langzeittherapie mit Verapamil (240–360 mg/d) (s. Fall 34) oder b− Rezeptorantagonisten (s. Fall 6) ist bei häufigen und stark symptomatischen Episoden indiziert; auch in Kombination mit Herzglykosiden (s. Fall
Adenosin: Adenosin ist Mittel der ersten Wahl in der Akuttherapie. Es stimuliert Adenosin−A1−Re− zeptoren im AV−Knoten, die über eine cAMP−Sen− kung Kaliumkanäle aktivieren und somit die Ak− tionspotenzialdauer verkürzen; die gleichzeitige Blockade von Kalziumkanälen im AV−Knoten ver− längert die AV−Refraktärzeit. Insgesamt reduziert Adenosin die Geschwindigkeit der Erregungsaus− breitung (negativ dromotroper Effekt) selektiv im AV−Knoten. Adenosin wird schnell desaminiert. Da die EHWZ bei 0,6–1,5 Sekunden liegt, muss die Applikation rasch als i. v.−Bolus erfolgen. Adenosin ist bei obstruktiven Lungenerkrankungen, AV− Blockierung Grad II und III, Vorhofflattern und Vor− hofflimmern kontraindiziert. Eine Abschwächung der Adenosinwirkung kann durch Xanthinderiva− te verursacht werden, daher sollte z. B. Kaffee oder Tee, wenn möglich, 12 Stunden vor Adenosingabe nicht konsumiert werden. Dipyridamol vervier− facht die Wirkung von Adenosin. Amiodaron: Das Klasse−III−Antiarrhythmikum Amiodaron ist zur Dauertherapie der therapiere− fraktären supraventrikulären und ventrikulären Rhythmusstörungen bei eingeschränkter Ventri− kelfunktion indiziert. Amiodaron verlängert die Repolarisationsphase und damit das Aktionspo− tenzial im Vorhof und Ventrikel durch eine Hem− mung des Kaliumausstromes. Zusätzlich verlang− samt Amiodaron die diastolische Depolarisation von Schrittmacherzellen und wirkt negativ dro− motrop am AV−Knoten. Amiodaron ist zu 96 % an Plasmaeiweiß gebunden und wird stark in sauren Kompartimenten der Zellen angereichert (z. B. Lysosomen), wodurch es schlecht steuerbar ist. Die EHWZ beträgt 30–50 Tage. Unerwünschte Wir− kungen, v. a. nach längerer Anwendung, sind: gelb− braune Ablagerung auf der Vorderfläche der Horn− haut, Speicherung in Lunge und Leber mit Fibro−
287
99 Antworten und Kommentar
Therapieziele: Ziel ist die Terminierung der Herzrhythmusstörung bzw. die Demaskierung (z. B. versteckte P−Welle) des zu Grunde liegenden Tachykardiemechanismus. Bei häufigen und symp− tomatischen Episoden ist eine Langzeittherapie zur Reduktion der Tachykardiehäufigkeit ange− zeigt.
27). V.a. bei der Langzeittherapie ist eine engma− schige Überwachung und Indikationsprüfung not− wendig. Dazu zählen: Erfragen arrhythmiespezi− fischer Symptome (z. B. Synkopen, Tachykardie) und unerwünschter Wirkungen, Überprüfen des klinischen Status (z. B. Herzinsuffizienz, Blut− hochdruck), des Labors (z. B. Elektrolyte, harn− pflichtige Substanzen, Leberfunktionsparameter) und der Herzfunktion (Ruhe−/Langzeit−EKG).
Fall
Grundlagen und Pathophysiologie: Ursprung der atrioventrikulären (AV−Knoten)−Reentryta− chykardie (Syn. paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie) ist der AV−Knoten, in dem eine krei− sende Erregung entsteht. Physiologische Grundla− ge hierfür sind zwei verschiedene Leitungsstruk− turen im AV−Knoten mit unterschiedlicher Refrak− tärzeit und Leitungsgeschwindigkeit. AV−Knoten− Reentrytachykardien treten schnell auf und termi− nieren oft genauso schnell. Die Herzfrequenz liegt zwischen 160 und 250 Schlägen/Minute. Als Sym− ptome werden Palpitationen, Nervosität, Angstge− fühl, seltener Synkopen beobachtet. Die paroxys− male AV−Knoten−Reentrytachykardie mit guter Prognose tritt meist bei jungen Patienten ohne or− ganische Herzerkrankung auf. Es gilt die paroxys− male Form von der AV−Knoten−Reentrytachykardie mit Präexzitationen (z. B. Wolff−Parkinson−White− Syndrom) abzugrenzen, die auf dem Boden einer akzessorischen atrioventrikulären Leitungs− bahn entsteht. Hier besteht die Gefahr des plötz− lichen Herztodes. Diagnostisch zum Einsatz kom− men 12−Kanal−EKG, Langzeit−EKG oder intrakar− diale Ableitungen.
Fall 99 Seite 102
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sierung, Photosensibilisierung der Haut (blau− graue Pigmentierung), Störung der Schilddrüsen− funktion (hyperthyreote und hypothyreote Zu− stände) durch Jodfreisetzung aus Amiodaron. Kontraindikationen sind Schilddrüsenerkrankun− gen, Jodallergien, schwere Lungenerkrankungen,
Sinusbradykardie und partieller AV−Block. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist wegen der un− zureichenden Erfahrung Vorsicht geboten. Amio− daron erhöht bei gleichzeitiger Gabe die Plasma− konzentration von Digoxin und verstärkt die Wir− kung von Phenprocoumon.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Klasse−I−Antiarrhythmika Behandlung von ventrikularen Rhythmusstorungen Bradykarde Rhythmusstorungen
Fall 100
288
Fall
100
Lungenembolie
100.1 Welche Maßnahmen leiten Sie sofort ein? K Intensivmedizinische Überwachung, Bettru− he (10 Tage) K Sauerstoff über Nasensonde (4–6 l/min) K Heparinisierung: initial Bolus von 5000– 10 000 IE i. v., dann z. B. 1000 IE/h i. v.−Perfusor (PTT−Kontrolle: 1,5− bis 2−fache der Norm)
Antworten und Kommentar
100.2 Wie führen Sie eine Thrombolysethera− pie bei einer Lungenembolie im Stadium III und IV durch? K Streptokinase: z. B. 1,5–3 Mio. IE i. v. über 2–3 Stunden, anschließend Heparinisierung (s. Antwort zur Frage 100.1 ) K Urokinase: z. B. 2 Mio. IE i. v. über 10 min, da− nach 2 Mio. IE über 2 Stunden, begleitend He− parinisierung (s. Antwort zur Frage 100.1) K Alteplase (rt−PA): z. B. 10 mg i. v.−Bolus, dann 90 mg i. v. über 2 Stunden, anschließend He− parinisierung (s. Antwort zur Frage 100.1) 100.3 Was versteht man unter einer hepar− ininduzierten Thrombozytopenie? Heparininduzierte Thrombozytopenien (HIT) sind die häufigsten medikamentös induzierten Thrombozytopenien:
K HIT Typ I (Häufigkeit 10–25 %): – Zu Beginn der Heparingabe (Tag 1–5) – Thrombozytenzahl selten unter 100 000/ml, Ausschlussdiagnostik – Weiterführung der Heparintherapie, kli− nisch ohne Konsequenz K HIT Typ II (Häufigkeit 0,5–3 %): – 5–20 Tage nach Beginn der Heparinthera− pie – Thrombozytenzahl meist 40 000–60 000/ml, Nachweis von Antikörpern (gegen Heparin− Plättchenfaktor−4−Komplex) – Sofortiges Absetzen von Heparin, Antikoa− gulation mit Lepirudin oder Danaparoid− Natrium weiterführen
100.4 Wie können Sie unfraktioniertes Heparin medikamentös neutralisieren? Protamin, ein basisches Protein aus Fischsperma, neutralisiert Heparin durch Bildung eines Poly− kation−Polyanion−Komplexes: K 1 mg Protamin antagonisiert 80–100 IE Hepa− rin K Einsatz bei schweren Blutungen (z. B. intraze− rebral) nach Heparingabe oder Inaktivierung von Heparin nach extrakorporaler Zirkulation (z. B. Hämodialyse)
KOMMENTAR Grundlagen und Pathophysiologie: Eine Lun− genembolie ist ein Verschluss eines Pulmonalar− terienasts oder mehrerer Pulmonalarterienäste durch einen abgelösten Thrombus (= Embolus). Die Emboli entstammen in mehr als 90 % der Fälle aus Thromben der tiefen Beinvenen (TVT), selten aus dem Einflussgebiet der V. cava superior. Risi− kofaktoren sind u. a. Immobilisierung (Bettruhe, längere Flugreisen), Rechtsherzinsuffizienz, Trau− ma (v. a. Becken, Beine), Operation, tiefe Phlebo− thrombosen und orale Kontrazeptiva. Pathogene− tisch entstehen lokale Thromben durch venöse Stase, Gefäßwandschädigung und Aktivierung der Blutgerinnung. Abhängig von der Größe des Em−
bolus wird die Lungenstrombahn verlegt, dies führt zu: Zunahme des Lungengefäßwiderstands, pulmonaler Vasokonstriktion, Anstieg des pul− monalarteriellen Mitteldrucks über 30–40 mmHg mit Rechtsherzbelastung bis zum akutem Rechts− herzversagen, Hyperventilation, Hypoxämie und Hyperkapnie. Die Symptomatik umfasst atemab− hängige Dyspnoe unter Belastung und ggf. in Ruhe, Thoraxschmerzen, Hämoptysen, mäßiges Fieber und Schweißausbrüche. Wichtigste diagnostische Verfahren sind Blutgasanalyse, CT−Angiografie und Echokardiografie. Zusammen mit den Symptomen erfolgt die Einteilung in 4 Schweregrade (s. Tab.)
Fall 100 Seite 103
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Stadieneinteilung nach Grosser und stadienabhängige Therapie
Befunde
Stadium I
Stadium II
Stadium III
Stadium IV
Klinik
Unauffällig oder kurzfristige Symptome
Akute Symp− tome
Akute starke Symptome
Akute Symp− tome + Schock
Blutdruck
Normal
Normal bis leicht erniedrigt
Erniedrigt
Stark erniedrigt
pO2 (mmHg)
Normal
, 80
, 65
, 50
, 30
pCO2 (mmHg)
Normal
, 40
Gefäßverschluss
Peripher
Segmentarterien Ein Pulmonalar− terienast oder mehrere Lappen− arterien
Ein Pulmonalar− terienast und mehrere Lappen− arterien
Pharmakotherapie
Heparin
Heparin (Throm− Heparin + bolyse) Thrombolyse
Heparin + Thrombolyse
Interventionelle Therapie
Pharmakotherapie s. Antwort zur Frage 100.1. Wichtig ist es, die He− parindosierung in Abhängigkeit von der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) zu steuern. Nach 5–7 Tagen ist überlappend eine orale Antikoagulanzi− entherapie zur Langzeitantikoagulation, z. B. mit Phenprocoumon, einzuleiten (s. Fall 30), die Hepa− rintherapie wird nach weiteren 3–5 Tagen been− det. Ab Stadium III ist eine Thrombolyse mit Fibri− nolytika indiziert (s. Antwort zur Frage 100.2 und Fall 97). Bei der hämodynamisch stabilen Lungen− embolie zeigen auch niedermolekulare Heparine (s. Fall 10) gute Wirksamkeit. Unfraktioniertes Heparin (UFH): Heparin ist ein sulfatiertes Glykosaminoglykan mit einer mitt− leren Molekularmasse von 15 000 Dalton, gewon− nen aus Schweinedarmmukosa oder Rinderlunge. UFH aktiviert das körpereigene Glykoprotein Anti− thrombin, das sich irreversibel an aktivierte Ge−
rinnungsfaktoren (z. B. Faktor Xa, Thrombin) bin− det und sie inaktiviert. Da UFH aus dem Darm nur sehr schlecht resorbiert und hydrolytisch abgebaut wird, muss es mehrfach im Abstand von einigen Stunden parenteral (i. v., s.c.) verabreicht werden. Hochdosiert wird UFH zur Therapie von venösen Thrombosen, Lungenembolien, Angina pectoris, akutem Myokardinfarkt, Verbrauchskoagulopa− thien, zur Rezidivprophylaxe nach Thrombolyse sowie zur Thromboseprophylaxe bei Hämofiltrati− on, −dialyse und Herz−Lungen−Maschinen−Zirkula− tion eingesetzt. Niedrigdosiert ist UFH zur prä− und postoperativen Thromboseprophylaxe indi− ziert (5000 IE s.c. 2 Stunden präoperativ, anschlie− ßend 2− bis 3−mal täglich 5000 IE über mindestens 5 Tage). Mögliche unerwünschte Wirkungen sind Blutungen (10 %), reversibler Haarausfall, allergi− sche Reaktionen, reversibler Anstieg von GOT, GPT, LDH und Lipasen im Serum sowie Osteoporose un− ter Langzeittherapie. Bei der klinisch relevanten HIT II (s. Antwort zur Frage 100.3) führen die ge− bildeten Antikörper gegen den Heparin−Plättchen− faktor−4−Komplex zur Thrombozytenaktivierung und zur Thrombinbildung (weißer Thrombus). Die Anwendung von UFH ist bei offenen Wunden, Uterusblutungen, Magen− und Darmulzera, schwe− rer arterieller Hypertonie, Operationen am Zent− ralnervensystem, Leber− und Nierenerkrankungen und im hohen Alter kontraindiziert. Die antikoa− gulatorische Wirkung von UFH wird durch Anti− histaminika, Digitalisglykoside und Tetrazykline vermindert.
289
100 Antworten und Kommentar
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: s. Antwort zur Frage 100.1. Rezidivierende Lungenembolien können mit sog. Vena−cava−Filtern (z. B. Green− field−Schirm) behandelt werden. Bei der Katheter− fragmentation wird der Embolus mechanisch zer− kleinert, eine Notfallembolektomie ist bei Versa− gen der konservativen Therapie und Lebensgefahr indiziert.
Katheterfrag− mentation/Em− bolektomie
Fall
Therapieziele: Ziel ist es, die Mortalitätsrate zu senken und eine Rezidivierung zu verhindern. Die therapeutischen Maßnahmen leiten sich aus der Stadieneinteilung ab (s. Tab.)
Katheterfrag− mentation
, 30
Fall 100 Seite 103
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ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Langzeitantikoagulation Hirudin und Hirudinderivate Niedermolekulare Heparine
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Fall
100 Antworten und Kommentar Fall 100 Seite 103
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