Nachhaltige Intergation von Marketing und Innovieren : eine Theorie entwickelnde Longitudinalstudie zum Management des Wandels 9783835093560, 3835093568 [PDF]


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Nachhaltige Intergation von Marketing und Innovieren : eine Theorie entwickelnde Longitudinalstudie zum Management des Wandels
 9783835093560, 3835093568 [PDF]

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Zitiervorschau

Christian $challer Nachhaltige Integration von Marketing und Innovieren

6ABLER EDITION WlSSENSCHAFT

Christian Schaller

Nachhaltige Integration von Marketing und Innovieren Eine Theorie entwickelnde Longitudinalstudie zum Management des Wandels

Mit einem Geleitwort von PD Dr. Frank Piller

Deutscher Universit~its-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Uber abrufbar.

Dissertation Techn. Universit~it M(Jnchen,2005

1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten 9 Deutscher Universit~ts-Verlag I GWV Fachverlage GmbH,Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel/Stefanie Loyal Der Deutsche Universit~ts-Verlagist ein Unternehmenyon Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschliel~lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschUtzt. Jede VenNertungaul~,erhalbder engen Grenzendes Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla.gs unzul~ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielffiltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebungals frei zu betrachten wiiren und daher von jedermann benutzt werden dUrften. Umschlaggestaltung: RegineZimmer, Dipl.-Designerin,Frankfurt/Main Gedruckt auf siiurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN978-3-8350-0518-1

Geleitwort

V

Geleitwort Die Arbeit yon Christian Schaller, die ich als Tutor am Lehrstuhl f0x Betriebswirtschaftslehre: Information, Organisation und Management an der Technischen Universit~it M~nchen betreuen durfte, diskutiert eine an sich klassische Thematik: Wie kann eine effektive Integration von Marketing und Innovationsmanagement erfolgen, eine Schnittstelle, die unisono als kritischer Erfolgsfaktor fttr den Untemehrnenserfolg gilt. Gleichermagen hat die bisherige Forschung oft ausgepr~tgte Disharmonien zwischen beiden Bereichen festgestellt. Mit zunehmend komplexer werdenden M~kten und Technologien wird die Spezialisierung dieser Funktionen weiter ztmehmen - und damit die Bedeuttmg der Schnittstellenproblematik. Die Managementforschung besch~iftigt sich seit den 1970er Jahren intensiv mit diesem Thema. Dabei hat sich das Forschungsinteresse von einem urspNnglich engen, funktional, instrumentell und innenorientierten Fokus heute zu einer eher ressourcen- und netzwerkorientierten Perspektive gewandelt. An dieser Perspektive knfipft auch die Arbeit von Dr. Schaller an, die den Diskurs zur Schnittstellenthematik unter einer institutionellen, netzwerk- und beziehungsorientierten Perspektiv fortschreibt. These der Arbeit ist, dass sich die Schwerpunkte im Marketing und Innovationsmanagement heute verlagert haben, so dass sich auch der Schwerpunkt der Integration beider Funktionen verlagert. Empirische Grundlage der Diskussion bildet eine longitudinale Einzelfallstudie auf Basis des ,,Grounded Theory"-Ansatzes. In einem Forschungsprozess von fiber vier Jahren hat Christian Schaller in st~indiger Interaktion und Exploration mit dem Fallstudienuntemehmen eine Theorie des Erwartungsmanagements zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren entwickelt. Ergebnis dieses Forschungsprozesses sind wesentliche Beitrgge zur Forschung fiber die Schnittstellenthematik: Die Arbeit entwickelt zur Untersuchung der Schnittstellenthematik ein neues, aktivit~itsorientiertes, netzwerk- und beziehungsorientiertes Verstgndnis von Marketing und Innovieren, das in koh~irenter Form auf ein institutionelles und prozessual~ dynamisches Verst~indnis yon Organisation, Ffihrung und Wandel fibertragen wird. Die bestehende Diskussion im Bereich Beziehungsmarketing bezieht sich vor allem auf die effiziente und effektive Gestaltung operativer Austauschbeziehungen zwischen Anbieter und Abnehmer. Im Innovationsmanagement dagegen betrachten aktuelle Ans~itze, die den Einbezug von Nutzern und Kunden in den Innovationsprozess fordem, diese Aktionen rein funktional, ohne dabei in der Regel auf die Art der Interaktion zwischen Kunde und Hersteller einzugehen. Christian Schaller integriert mit seiner Arbeit beide Perspektiven und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Theorieentwicklung. 9

Daraber hinaus leistet die Arbeit aber in der Betrachtung und Gestaltung des organisationalen Wandels in einem mittelst~indischen Untemehmen (vom Produkt-

vI

Geleitwort lieferanten zum integrierten Serviceanbieter) auch einen hoch praxisbezogenen Beitrag, der durch die innovative Forschungsmethodik untersttitzt wird. Die Arbeit liefert aber auch aus methodischer Sicht ein willkommenes Beispiel methodischen Pluralismus. Der Autor verwendet "Grounded Theory Building" nicht nur als Deckmantel einer oberflachlichen explorativen Forschung, sondem demonstriert, dass auch qualitativ methodische Forschung hoch anspruchsvoll und methodisch fordemd sein kann. Anlage, Diskussion und Reflektion der empirischen Studie stellen eine eigenst~ndige Leistung der Arbeit dar.

Insgesamt ist so die vorliegende Arbeit von Christian Schaller sowohl durch ein hohes theoretisches Niveau als auch durch eine hohe Relevanz mr die Praxis gekennzeichnet, was ihre Lektiire gleichermal3en fla" Wissenschafder wie Praktiker interessant und gewinnbringend macht. In diesem Sinne wi.insche ich der Arbeit weite Verbreitung und Anerkermtmg in Wissenschaft und Praxis.

PD Dr. Frank Piller MIT Sloan School of Management Cambridge, MA (USA)

Vorwort

VII

Vorwort Die vorliegende Dissertation entstand w~ihrend meiner Tatigkeit als wissenschafllicher Mitarbeiter am Lehrstuhl far Betriebswirtschaftslehre - Information, Organisation & Management (IOM) an der Technischen Universitgt Mtinchen (06/2000-01/2005). Beim Riickblick auf den mit dieser Forschtmgsarbeit verknttpften Lemprozess m6chte ich zwei Aspekte besonders hervorheben. Der eine markiert den Anspruch, mit dem diese Forschungsreise gestartet war, dezidiert nach ,,rigor AND relevance" streben zu wollen. Von Neugierde und Streben nach wissenschaftlich h6chsten Standards gepr~igt, aber anch einer Verantworttmg nach ,,managerial relevance" und darh'ber hinaus gewahr. Der zweite Aspekt muss daher unweigerlich den partizipativ und pluralistischen Charakter dieses Forschungsprozesses betonen. Wie sollte obigem Anspruch besser begegnet werden k6nnen, als einerseits in ein Netzwerk an kompetenten Wissenschaftlerlnnen eingebunden und andererseits - auf Basis des gew~ihlten Forschungsansatzes der ,,in-depth research" - mit einer von Vertrauen und Offenheit geprggten Beziehung zum gew~ihlten Forschungspartner? Ersteres ist insbesondere gepr~igt dutch den Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Ralf Reichwald, den Ko-Referenten Prof. Dr. Joachim Henkel, das Feedback von PD Dr. Frank Piller, die Methoden-Diskussionen mit Dipl.-Sozw. Oliver Brakel und Dipl.-Sozw. Andreas Tasch und ganz wesentlich durch die immer gespr~tchs- und hilfsbereiten Diskussionspartner in der Relationship Marketing-,,community" wie Prof. Dr. Evert Gummesson, Prof. Dr. Richard Varey, Prof. Dr. Andreas Eggert, Prof. Dr. Florian Siems und Dr. Dominik Georgi. Jedoch auch far die Innovationsforschung Prof. Dr. Jiirgen Hauschildt und for die Organisations- und Wandelforschung Prof. Dr. Georg Schrey6gg und Dr. Judith M0hlbach gilt es hier zu erwahnen. Letzteres ist gepr~igt durch Michael Huber M~inchen (MHM) als Partnerorganisation far das Forschungsprojekt und den Gesch~iftsftthrer und TeiMnhaber der Huber Gruppe Dipl.Kfm. Heiner Ringer. Ohne ihn, sein Interesse an der Fragestellung, sein Vertrauen und seine vorbehaltlose Untersttitzung, die einen uneingeschrgnkten Zutritt zu MHM trod seinen Kunden und Partnem erm6glichte, h~itte es dieses Projekt nicht gegeben. Frau Dipl.-Chem. Ursula Borgmarm als ,,gatekeeper" far das Projekt und das gleichermagen offene wie freundliche Entgegenkommen aller MitarbeiterInnen von MHM schufen darm die Basis, am Alltagsgeschehen yon MHM in aller erforderlichen N~he teilhaben zu k6nnen. lhnen allen wie auch den Personen aus dem Kreis von Familie und Freunden gilt mein Dank, mit gr613tmfglichem Nachdruck.

Christian Schaller

Inhaltsverzeichnis

IX

lnhaltsverzeichnis G e l e i t w o r t ................................................................................................................................. V o r w o r t .................................................................................................................................

V VII

I n h a i t s v e r z e i c h n i s ................................................................................................................... Abbildungsverzeichnis

........................................................................................................ X I I I

T a b e l l e n v e r z e i c h n i s ........................................................................................................... Abkiirznngsverzeichnis 1.

XVII

....................................................................................................... X I X

E i n l e i t u n g ...........................................................................................................................

1.1 1.2

IX

1

Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungslticken .................................... 2 Theoretische Fundierung, Forschungsansatz und Foschungsfrage des Dissertationsproj ektes ................................................................................................ 6

1.3 2.

Vorgehensweise und Struktur der Arbeit ................................................................ 10

D e k o n s t r u k t i o n - , , r o o t d i s t i n c t i o n s " ............................................................................ 15 2.1

F o r s c h u n g i m Kontext des T h e m a s ......................................................................... 15 2.1.1

Kritische Subjektivitat und Empirische Pilotsmdien ................................... 16

2.1.2

Paradigmenwechsel im Marketing ............................................................... 23

2.1.3

Innovationsforschung im U m b r u c h ............................................................. 37

2.1.4

Forschungsintereresse und -antworten im Wandel ...................................... 50

2.1.5 2.2

2.3

2.4

2.1.4.1

Forschungsantworten der Marketingforschung ........................... 52

2.1.4.2

Forschungsantworten der Innovationsforschung ......................... 66

2.1.4.3

Stand der Forschung im lSPoerblick .............................................. 74

Forschungsliicken ........................................................................................ 80

Wissenschaflstheoretische u n d methodologische Fundierung ................................ 85 2.2.1

Epistemologische V e r a n k e n m g im interpretativen Paradigma .................... 85

2.2.2

Methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung .............. 90

2.2.3

Giitekriterien aus interpretativ-relationaler Perspektive .............................. 96

Theoretische Verortung u n d konzeptioneller B e z u g s r a h m e n ................................ 102 2.3.1

,,Relational network"-Theorie des Relationship Marketing ...................... 103

2.3.2

,,Enactment theory" des Organisierens ...................................................... 109

2.3.3

,,Open innovating"-Konzept des I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t s ...................... 118

2.3.4

Theoretischer B e z u g s r a h m e n ..................................................................... 123

Z u s a m m e n f a s s u n g der ,,root distinctions". ............................................................ 125

X

3.

Inhaltsverzeichnis

R e k o n s t r u k t i o n - , , e m p i r i c a l j o u r n e y " ....................................................................... 127

3.1

Methodische Rekonstmktion .................................................................................

128

3.1.1

Theorieentwickelnde Forschungsstrategie der Empirie .............................

129

3.1.2

Forschungsansatz zwischen Prozess-, Aktions- und Fallstudien forschung ....................................................................................................

Longitudinale Prozessforschung als Forschungsansatz ............ 135

3.1.2.2

Abgrenzung und Anreicherung in Bezug zu Fallstudienund Aktions forschung ...............................................................

3.1.3

3.1.4 3.2

3.3

140

Forschungsdesign und -prozess .................................................................

143

3.1.3.1

Wahl der Forschungspartner .....................................................

144

3.1.3.2

Methoden der Empirie ...............................................................

151

3.1.3.3

Dokumentation und Datenanalyse .............................................

158

Forschungsfragen .......................................................................................

165

Kontextuelle Rekonstruktion .................................................................................

168

3.2.1

Mittelst~ndische Industrie in Deutschland .................................................

168

3.2.2

Druck(farben)industrie im Wandel ............................................................

175

3.2.2.1

Drucldndustrie im Wandel ........................................................

176

3.2.2.2

Druckfarbenindustrie im Wandel ..............................................

181

Prozessuale Rekonstruktion ...................................................................................

192

3.3.1

Huber Gruppe und Michael Huber Mttnchen im Wandel ..........................

194

3.3.1.1

Chronologie der Firmenentwicklung .........................................

194

3.3.1.2

Profil(e) und Strategie(n) in horizontaler Kontextualit~it .......... 197

3.3.2

Explorationsphase - ,,breakpoint" Vision 2000 als Wandelinitiative ........ 202 3.3.2.1

Vision 2000 - Initiative zum nachhaltigen strategischen Wandel .......................................................................................

3.3.3

3.4

135

3.1.2.1

204

3.3.2.2

Kultureller und struktureller Wandel mit der Vision 2000 ....... 209

3.3.2.3

Wandel zur Dienstleistungsfohrerschaft - (Teil-)Projekt ,,Service Excellence". ................................................................

215

3.3.2.4

Relevante Themen im Fokus .....................................................

225

Vertiefungsphase - Integration von Marketing und Irmovieren ................ 230 3.3.3.1

Vertiefungsphase in ihrer Kontextualit~it ..................................

3.3.3.2

Marketingfunktion - Organisation und Beziehungen ............... 242

3.3.3.3

Innovierenfunktion - Organisation und Beziehungen ............... 257

3.3.3.4

Zentrale In-/Effektivitaten in Marketing- und Innovieren szenarien ....................................................................................

278

3.3.3.5

Resfimee zur Vertiefungsphase .................................................

303

Zusammenfassung der ,,empirical j o u r n e y " . .........................................................

232

306

Inhaltsverzeichnis

4.

XI

K o n s t r u k t i o n - , , d i s c i p l i n e d i n t e g r a t i o n " ...................................................................

4.1

309

In-/Effektivit~iten in Marketing, Innovieren, deren Zusammenspiel und ihre urs~ichlichen Bedingungen ..................................................................................... 311 4.1.1 4.1.2

Interpretative Wende - In-/Effektivit~iten in Marketing- und Innovierenszenarien ,,revisited". ................................................................ 312 ,,Interpretations o f interpretations" - ursgchliche Bedingungen im Fokus ..................................................................................................... 320

4.1.3

Zusammenfassung des Zwischenstandes im Theorieentwicklungs prozess ........................................................................................................ 329

4.2

Wandel zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren ................... 330 4.2.1

Gegenstandsbezogene Theorie im Kontext von Michael Huber Miinchen .................................................................................................... 331 4.2.1.1

In-/Effektivit~iten der Integration von Marketing und Innovieren bei M H M ................................................................. 332

4.2.1.2

Kemkategorie ,,Erwartungsmanagement bei M H M im Beziehungsnetzwerk von Marketing und Innovieren". ............. 345

4.2.1.3

Gegenstandsbezogene Theorie des Erwartungsmanagements zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei M H M ................................................................................... 353

4.2.2

Theorie des Erwartungsmanagements des Wandels zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren im industriellen Mittelstand... 386

4.3

Schlussfolgerungen for Theorie und Praxis ........................................................... 401 4.3.1

Theoretische und praxisbezogene Implikationen in Bezug zum Status quo der Diskurse ............................................................................. 401

4.3.2 4.4 5.

Beitrag zur Entwicklung einer (neuen) Marketingtheorie ......................... 409

Zusammenfassung der ,,disciplined integration". .................................................. 414

R e s i i m e e u n d A u s b l i c k ..................................................................................................

Anhang A: Literaturrecherche

...........................................................................................

A n h a n g B: E m p i r i e ..............................................................................................................

417 419 430

B.1

Forschungsaktivit~tten der Pilotstudien .................................................................. 430

B.2

Forschungsaktivit~iten der Empirie bei Michael Huber M0nchen ......................... 430

B.3

Verzeichnis der intemen Dokumente aus der Sekundgrdatenanalyse bei Michael Huber Mtinchen ....................................................................................... 433

B.4

Leitfaden der ExpertInneninterviews in Marketing und Innovieren bei Michael Huber Mitnchen ....................................................................................... 436

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .............................................................................................................

439

Abbildungsverzeichnis

XIII

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Vorgehensweise des Dissertationsprojekts und seiner empirischen Teilproj ekte ........................................................................................................

10

Abbildung 2: Modell zum Forschungsdesign ..........................................................................

12

Abbildung 3: Struktur der Arbeit im I3berblick ......................................................................

13

Abbildung 4: Zentrale Forschungsfelder und Diskurse im Fokus des Dissertationsproj ekts.. 16 Abbildung 5: Ganzheitliches Modell zum Irmovationsmanagement yon Dienstleistungen.... 22 Abbildung 6: Paradigmenwandel im Marketing ......................................................................

29

Abbildung 7: ,,The market domain hierarchy". .......................................................................

33

Abbildung 8: Ergebnisse einer Meta-Analyse von 19 empirischen Untersuchungen ............. 40 Abbildung 9: Ergebnisse einer Meta-Analyse von 44 empirischen Untersuchungen ............. 40 Abbildung 10: Ergebnisse einer Meta-Analyse von 60 empirischen Untersuchtmgen ........... 41 Abbildung 11: Struktur der Darlegungen zum Stand der Forschung ......................................

51

Abbildung 12: Problemdimensionen der Koordination zwischen Markt- und Betriebskurs eines Unternehmens .........................................................................................

53

Abbildung 13: Forschungsinteresse im Wandel ......................................................................

82

Abbildung 14: Forschungslticken im Fokus ............................................................................

84

Abbildung 15: Giitekriterien zur Qualit~it der Forschung dieser Arbeit ..................................

97

Abbildung 16: ,,Synthesis of specific theories and experiences into a more general marketing theory". .........................................................................................

105

Abbildung 17: Marketingtheoretisches Fundament im Kontext der theorieentwickelnden Forschungsstrategie ....................................................................................... 105 Abbildung 18: ,,Relational network"-Theorie - marketingtheoretisches Verst~indnis dieser Arbeit ..................................................................................................

106

Abbildung 19: ,,Complete marketing equilibrium". ..............................................................

108

Abbildung 20: Das Dualproblem aus Differenzierung und Integration ................................

110

Abbildung 21 : ,,Enactment theory'' - organisationstheoretisches Verst~indnis dieser Arbeit .............................................................................................................

115

Abbildung 22: Quellen des irmovationstheoretischen Verst~ndnisses ..................................

119

Abbildung 23: ,,Open innovating"-Konzept - innovationstheoretisches Verst~ndnis dieser Arbeit ..................................................................................................

120

Abbildung 24: Theoretischer Bezugsrahmen im l~lberblick ..................................................

123

Abbildung 25: Ansatz der theorieentwickelnden Konstnaktionsstrategie l'ttr diese Arbeit ... 134 Abbildung 26: Kernelemente der longitudinalen Prozessforschung .....................................

136

Abbildung 27: Methoden und Validitat des Forschungsdesigns im Fokus ...........................

144

Abbildung 28: ,,Sampling" der Explorationsphase bei MHM ...............................................

146

Abbildung 29: Initialer ,,sampling"-Rahmen der Vertiefungsphase bei MHM ..................... 147 Abbildung 30: Zeit-,,sampling" der longitudinalen Prozessforschung bei MHM ................. 149

XIV

Abbildungsverzeiclmis

Abbildung 31: Methoden der Empirie in Explorations-, Vertiefungs- und Abschlussphase ..............................................................................................

155

Abbildung 32: Struktur des Leitfadens ffir die ExpertInneninterviews der Vertiefungsphase ...........................................................................................

156

Abbildung 33: Prozessschritte und Methoden bei Datenanalyse und Theorieentwicklung .. 161 Abbildung 34: Forschungsfragen im Detail ..........................................................................

167

Abbildung 35: Wirtschaftliche Entwicklung der Druckindustrie in Deutschland ................. 177 Abbildung 36: Entwicklung der Absatzmengen und -werte von Druckfarben in Deutschland ...................................................................................................

182

Abbildung 37: Absatzvolumina von Produkten der Druckfarbenindustrie in 2002 .............. 183 Abbildung 38: Bestandteile der Gesamtkosten eines Druckproduktes ..................................

184

Abbildung 39: Die f0hrenden Druckfarbenhersteller in Europa ...........................................

186

Abbildung 40: Prozessschritte der Datenanalyse und Theorieentwicklung in Abschnitt 3.3 ..................................................................................................

192

Abbildung 4 1 : I n Abschnitt 3.3 adressierte Forschungsfragen ..............................................

193

Abbildung 42: Zentrale Wandelphasen in der Entwicklung der Huber Gruppe ................... 198 Abbildung 43: Forschungsstrategie der Explorationsphase ..................................................

202

Abbildung 44: Aktionsstr~nge der Empirie der Explorationsphase ......................................

203

Abbildung 45: Fahrungsgrundsgtze in der Diskussion bei MHM .........................................

210

Abbildung 46: Angestrebter kultureller Wandel im Zuge der Vision 2000 .......................... 211 Abbildung 47: ,,Organisation 2001" als initiale strukturelle Umsetzung der Vision 2000 ... 212 Abbildung 48: Phasen eines vom LAT gesteuerten E-Projektes ...........................................

214

Abbildung 49: Phasen eines vom LAM gesteuerten (M-)Proj ektes ......................................

215

Abbildung 50: Ansatz des Teilprojektes ,,Service Excellence". ............................................

217

Abbildung 51: Forschungsinteresses als relevantes Thema aus Sicht der Organisation ....... 228 Abbildung 52: Forschungsstrategie der Vertiefungsphase ....................................................

231

Abbildung 53: Design des deskriptiven Teils der Vertiefungsphase .....................................

232

Abbildung 54: Zusammenspiel zentraler Marketing-Teilfunktionsbereiche (I/II) ................ 250 Abbildung 55: Zusammenspiel zentraler Marketing-Teilfunktionsbereiche (II/II) ............... 251 Abbildung 56: Status quo der Organisation des Funktionsbereichs Innovieren auf Holding-Ebene ...............................................................................................

260

Abbildung 57: Zusammenspiel zentraler Innovieren-Parteien (VII) .....................................

265

Abbildung 58: Zusammenspiel zentraler Innovieren-Parteien (II/II) ....................................

269

Abbildung 59: Zusammenspiel zentraler Parteien im Marketing- und InnovierenSzenario .........................................................................................................

304

Abbildung 60: In-/Effektivit~iten im Marketing- und Innovieren-Szenario und deren Zusammenspiel ..............................................................................................

305

Abbildung 61: Prozessschritte der Datenanalyse und Theorieentwicklung in Kapitel 4 ...... 309 Abbildung 62: In Kapitel 4 adressierte Forschungsfragen ....................................................

310

Abbildungsverzeichnis

XV

Abbildung 63: Recodierte und konzeptualisierte zentrale In-/Effektivit/~ten in Marketing und Irmovieren und deren Zusammenspiel aus Sicht des Forschers ............. 312 Abbildung 64: Codierparadigma zum axialen Codieren .......................................................

321

Abbildung 65: Kategorie ,,Kein funktionerendes Marketing" im Beziehungsnetzwerk ....... 322 Abbildung 66: Kategorie ,,Zu viel Kundenparadies" im Beziehungsnetzwerk ..................... 323 Abbildung 67: Kategorie ,,Reaktives Probleml6sen als Innovieren" im Beziehungsnetzwerk ......................................................................................

324

Abbildung 68: Kategorie ,,Proj ektmatrix ohne Ftitmang und Dualorientierung" im Beziehungsnetzwerk ......................................................................................

325

Abbildung 69: Kategorie ,,Halblebige Umsetzung technischer Realisierungen" im Beziehungsnetzwerk ......................................................................................

327

Abbildung 70: Kategorie ,,Widerst~inde gegen das F~ihren von Wandel" im Beziehungsnetzwerk ......................................................................................

328

Abbildung 71: Zwischenstand im Theorieentwicklungsprozess aufBasis des eingesetzten Codierparadigrnas .....................................................................

330

Abbildung 72: Das erweiterte Codierparadigma mit Fokus auf zentrale In-/Effektivit~tten der Integration von Marketing und Innovieren sowie die Kernkategorie der urs~tchlichen Bedingungen und ihre Kemprozesse .................................. 331 Abbildung 73: Codierparadigrna der In-/Effektivit~iten im Prozess der zunehmenden Fokussierung ..................................................................................................

332

Abbildung 74: Marketing und Innovieren bei MHM in Bezug zur Entwicklung der Disziplinen .....................................................................................................

333

Abbildung 75: Status quo von Marketing und Irmovieren bei MHM ...................................

336

Abbildung 76: Ebene der funktionalen Integration bei MHM ..............................................

337

Abbildung 77: Ebene der prozessualen Integration bei MHM ..............................................

338

Abbildung 78: Ebene der aktivit~itsbasierten Integration bei MHM .....................................

338

Abbildung 79: Ebene der Integration aus einer netzwerkartigen Beziehungssicht von Erwartungskontexten bei MHM ....................................................................

339

Abbildung 80: Kern- und Kontext-In-/Effektivit~iten der Integration von Marketing und Innovieren bei MHM .....................................................................................

341

Abbildung 81 : Kem-In-/Effektivit~tten der Integration von Marketing und Innovieren bei MHM im Beziehungsnetz des Codierparadigrnas ...................................

343

Abbildung 82: Selektives Codieren zur Entwicklung von Kernkategorie und konstituierender Prozesse ..............................................................................

345

Abbildung 83: Einbettung der Kemkategorie in das Beziehungsnetz des Codierparadigmas ..........................................................................................

348

Abbildtmg 84: Sinngebungs- und Institutionalisierungsprozesse der Kernkategorie des Erwartungsmanagements bei MHM ..............................................................

352

Abbildung 85: Ansatz zum Wandelprozess des Integrierens von Marketing und Innovieren bei MHM .....................................................................................

358

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 86: Zielparteien und Wandelorte des strategischen Wandels zum Integrieren von Marketing und Innovieren bei MHM ...................................

359

Abbildung 87: Status quo der Integration von Marketing und Irmovieren bei MHM ........... 360 Abbildung 88: Zentrale H emmnisse zum Wandel zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM ............................................................

363

Abbildung 89: Wandelkonzept zum Management der nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM ............................................................

365

Abbildung 90: Prozessuale Stablisierung (iber Rekalibriertmg und ,,sensemaking" beim Wandel zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM .....................................................................................

375

Abbildung 91 : Gegenstandsbezogene Theorie des Erwartungsmanagements zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM ............. 380 Abbildung 92: Ebenen und Dimensionen der gegenstandsbezogenen Theorie des Erwartungsmanagements ...............................................................................

381

Abbildung 93: Zentrale Wandelorte der gegenstandsbezogenen Theorie des Erwartungsmanagements ...............................................................................

382

Abbildung 94: Mehrdeutigskeitsreduktion im Zentrum der Theorie zum Erwartungsmanagement ................................................................................

394

Abbildung 95: ,,Middle-range substantive theory" des Erwartungsmanagements zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren im industriellen Mittelstand ................................................................................

397

Abbildung 96: Theoretischer und praxisbezogener Erkenntnisbeitrag in Bezug zum Status quo in Forschung und Praxis ..............................................................

403

Abbildung 97: Forschungsbedarfe im hermeneutischen Wandelprozess der Diskurse zum Forschungsinteresse ...............................................................................

407

Abbildung 98: Beitrag der Erkenntnisse dieser Arbeit zum Prozess der Entwicklung der ,,general theory'' des Relationship Marketing .........................................

411

Tabellenverzeichnis

XVII

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Beispielhafte Kommentare der Marketing- und Innovationsforschung zu Relevanz und Status quo der Schnittstelle zwischen Marketing und Irmovieren .................... 4 Tabelle 2: Entwicklung der Forschungsaktivit~iten im Bereich NSD ..................................... 42 Tabelle 3: Wandel im Irmovationsmanagement ...................................................................... 49 Tabelle 4: Paradigmatische Basis der Arbeit im Kontrast ...................................................... 87 Tabelle 5: Methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung im Kontrast .... 91 Tabelle 6: Charakterisierung der Untemehmensf'tihrung von Klein- und Mittelbetrieben ... 172 Tabelle 7: Charakterisierung der Forschung trod Entwicklung in Klein- und Mittelbetrieben .....................................................................................................173 Tabelle 8: Ums~itze der deutschen Druckindustrie nach Erzeugnissen/Leistungen .............. 179 Tabelle 9: Die ftihrenden Druckfarbenhersteller weltweit 2003 ........................................... 187 Tabelle 10: Firmenchronologie von M H M und der Huber Gruppe ...................................... 196 Tabelle 11: Bisherige Untersuchungen der Marketingforschung zum Forschungsinteresse im !2Iberblick .......................................................................................................426 Tabelle 12: Bisherige Untersuchungen der Innovafionsforschung zum Forschungsinteresse im 121berblick .......................................................................................................429 Tabelle 13: Forschungsaktivit~iten der Explorationsphase .................................................... 431 Tabelle 14: Forschungsaktivit~iten der Vertiefimgsphase ..................................................... 433 Tabelle 15: Forschungsaktivit~tten der Abschlussphase ........................................................ 433

Abkfirzungsverzeichnis

XIX

Abkiirzungsverzeichnis AMA AWT Anm. d. Verf. B2B B2C BIP BVDM CEPE DFG Drupa EU EuPIA FN F&E GF Herv. i. Orig. Hrsg. Huber IA IfM IMP IOM KA KAD KAM KfW KMU LAM LAT MHM n.a.

NPD NSD QFD R&D RM SME

American Marketing Association Anwendungstechnik Anmerkung des Verfassers Business to business Business to customer Bruttoinlandsprodukt Bundesverband Druck und Medien European Council of the Paint, Printing Ink and Artists' Colours Industry Deutsche Forschungsgemeinschaft Weltgrrl3te Messe im Bereich ,,print media, publishing & converting" Europgische Union European Printing Ink Association Fugnote Forschung & Entwicklung Gesch~iftsftihrung Hervorhebung im Original HerausgeberIn Michael Huber Mtinchen GmbH / huber group Ink Academy Institut f'tirMittelstandsforschung, Bonn Industrial Marketing and Purchasing (Group) Institut far Information, 0rganisation & Management Key Account Kaufm~innischerAugendienst Key Account Management Kreditanstalt ~tr Wiederaufbau kleine nnd mittlere Unternehmen Lenknngsausschuss Marketing Lenkungsausschuss Technik Michael Huber MiJnchen GmbH not assigned New Product Development New Service Development Quality Function Deployment Research & Development Relationship Marketing Small and medium enterprises

XX TAD

Abkiirzungsverzeichnis Technischer AuBendienst

TIM

Technologie- und Innovationsmanagement

USD

US-Dollar

VdMi

Verband der Druckfarbenindustrie

1. Einleitung

I.

1

Einleitung

,,A scientist should be curious and courageous. (...) We need more in-depth research. ''l Das k6nnte ein zentrales Motto ft~r diese Arbeit darstellen: Von Neugierde und Mut gepr/~gt und dem Ziel, fokussiert und mit Tiefgang Verstehen zu suchen und neues Wissen zu schaffen und mit dem Bestreben, den Reisebericht dieses Weges nicht nur wissenschaftlich akkurat, sondem auch kurzweilig und verst~indlich zu gestalten. Das Forschungsinteresse dieser Arbeit fokussiert eine klassische Thematik: Wie kann eine effektive Integration zwischen Marketing und Innovieren erfolgen? Uber bestehende Forschungsli~cken hinaus gewinnt diese Fragestellung f b e r die j f n g e r e n Entwicklungen in Marketing- und Innovationsforschtmg und -praxis an Relevanz. Gewandelte RoUen yon Marketing und lnnovieren, ihr zunehmend netzwerk- und beziehungsorientierter, holistischer Charakter,

fordern

gewandelte

Formen

effektiver Integration -

und

entsprechende

Perspektiven einer wissenschaftlich fundierten Betrachtung. 2 Demgemaf5 im interpretativrelationalen Paradigma bildet die empirische Grundlage dieser Arbeit eine longitudinale Einzelfallstudie, 3 in praxisbezogener Relevanz mit Fokus auf den Mittelstand. 4 A u f der Basis zweier Forschungsprojekte hat der Autor das mittelst~indische Industrieunternehmen Michael Huber M f n c h e n fiber 4 V2Jahre in einer Phase forcierten strategischen Wandels in Marketing und Innovieren begleitet. 5 Ubergeordnete wissenschaftliche Zielsetzung dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer induktiven, theoriegenerierenden Forschung einen Beitrag zu leisten beim Aufbau einer integrierten (neuen) Marketingtheorie im ,,relational paradigm ~ .6 Im Folgenden sollen als Einstieg und Oberblick Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungslfcken (Abschnitt 1.1), theoretische Fundiertmg, Forschungsansatz und -frage

1 Pers6nliche Kommunikation mit Evert Gummesson auf dem ,,International Colloquium of Relationship Marketing" (ICRM), 01.10.2002, Kaiserslautem, Deutschland. 2 Diese Kemthese der Arbeit bildete das Thema eines erfolgreich aufgenommenen Konferenzbeitrages des Autors zusammen mit drei Koautoren des Lehrstuhls, siehe Schaller et al., 2003a. 3 Zum Forschungsansatz tier (longitudinalen) Einzelfallstudie siehe z. B. Easton, 1995, S. 476, Eisenhardt, 1991, S. 622, Gummesson, 2000b, S. 84ff., Pettigrew, 1990, S. 276, Weick, 1999, S. 801, und Yin, 2003, S. 42f. 4 ,,Ober 99% der deutschen Untemehmen k6nnen der Gruppe der KMU zugeordnet werden" (Meyer, 2001, S. vii), dennoch besch~ffigt sich die betriebswirtschaftliche Forschung im Kern (und interessanterweise meist implizit) mit GroBnntemehmen. s Die Projekte ,,Service Excellence" (FKZ: 01HR0020, siehe z. B. Luczak et al., 2004) und ,,REMIX" (Relational Marketing and Innovating in Interaxion), von 06/2000 his 04/2005, wurden als Basis der Explorations- und Vertiefungsphase der Empirie dieser Arbeit am Lehrstuhl ~r Betriebswirtschaftslehre Information, Orgainsation & Management (IOM) der TUM Business School an der Technisehen Universtit/it Mt~nchenunter Projektleitung yon Prof. Dr. Dr. h. c. Ralf Reichwald durchge~hrt. 6 Mit Bezug insbesondere zur ,,Nordic School" des Relationship Marketing nnd deren expliziter Zielsetzung und Vision der Entwicklung einer ,,general theory of marketing" mit Beziehungen als ,,unit of analysis" (siehe z. B. Gummesson, 2002b, S. 300ff., oder Gr6nroos, 2000a, S. 95ff.). Siehe/thnlich auch im ,,AngloAustralian approach to relationship marketing" z. B. bei Christopher et al., 2002, S. 5ft.

2

1. Einleitung

(Abschnitt 1.2) sowie Vorgehen und Struktur (Abschnitt 1.3) Ftir diese Arbeit dargestellt werden.

1.1

Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsliicken

Der Positionierung dieser Arbeit in der Marketingforschung gem~tf3 wird dieser Abschnitt die j0ngeren Entwicklungen im Marketing aufgreifen und die ztmehmende Relevanz funktionsiibergreifender Integration verdeutlichen. Im Fokus auf das Zusammenspiel von Marketing und Innovieren ftihren die neuen Rollen nicht nur des Marketings, sondern auch des Innovierens, zu gewandelten Formen effektiver Integration und den Forschungslficken, die diese Arbeit adressiert. Marketing als Denkhaltung, Fiahrtmgsphilosphie, Funktion und Aktivitat durchzieht und betrifft alle Bereiche, Abteilungen, Akteure und Prozesse von U n t e m e h m e n und Organisationen. 7 Dementsprechend hoch ist auch traditionell sein Stellenwert in Forschung und Praxis. W~ihrend die einen jedoch bereits voller Stolz fiber das Erreichte zur~ckblicken 8, sehen andere das Marketing einem epochalen Wandel unterworfen: ,,An abundancy o f scholarly research and practitioner proclamations have suggested that marketing is undergoing a fundamental, epoch breaking change. ''9 Die Zeit scheint reif fiir diesen Wandel, diesen ,,rebirth o f marketing"1~ Neue komplexe und dynamische ,,macro-environmental forces", wie verstarkter Wettbewerbsdruck, technologischer Fortschritt, Fragmentierung der Mfirkte, Wachstum des Dienstleistungssektors sowie ver~indertes Kfiuferverhalten, haben den Kontext des Wirtschaftens seit der Geburt des Marketings radikal ver~ndert. 11 Mit umfassendem Erneuerungsanspruch treten dabei insbesondere die Vertreter des Relationship Marketing auf. Zahlreiche Autoren der ftihrenden Denkschulen des Relationship Marketing 12 haben es sich zum Ziel gesetzt, eine (neue) Marketingtheorie zu etablieren, eine mit Fokus auf Beziehungen als ,,unit o f analysis". 13 Damit einher geht ein deutlicher Wandel in den zugrunde liegenden Axiomen, von den transaktionalen Elementen des ,,exchange paradigm" hin zu solchen eines ,,relational paradigm". 14 Der relationale Fokus betont dabei die

7 s 9 10 tl ~2 ~3 ~4

Siehe z. B. Meffert und Bongartz, 2000, S. 12, oder Meffert, 2000, S. 6ff. Vgl. Shethet al., 1988, S. v, Morgan, 1996, S. 22. Palmer und Ponsonby, 2002, S. 173. In Betonung des ,,(...) rebirth of marketing practices of the pre-industrial age" (Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 399). Siehe auch Gr6nroos, 1999, S. 333, oder friiher bereits Webster Jr., 1988, S. 36. Siehe z. B. Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 403ff., Palmer, 2002, S. 83ff., Day und Montgomery, 1999, S. 6ff., Zinldaan und Pereira, 1994, S. 187ff. Oder jeweils einleitend z. B. bei Meffert, 2000, S. 4ff., Becker, 2002, S. lff., Hooley et al., 1998, S. 14ff., Bruhn, 2002, S. 15ft. Vgl. Coote, 1994, oder ~ihnlichWehrli und Wirtz, 1996, S. 26ff. Siehe z. B. Christopher et al., 1991, oder Gummesson, 1987b, und Gr6nroos, 1989. Vgl. Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 399f., oder auch Heide und John, 1990, S. 241".Seine Wurzeln hat das Relationship Marketing in den Feldern des ,,service marketing" und ,,industrial marketing", stark gepr~igt insbesondere yon der Forschung im skandinavischen Raum und dem ,,anglo-australian approach" (siehe z. B. Gummesson et al., 1997, S. 10ft., M611er und Halinen, 2000, S. 31ff., Christopher et al., 2002, S. xff., Brookes und Palmer, 2004, S. 54ff., Wehrli und Wirtz, 1996, oder auch Coote, 1994).

1.1 Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsliicken

3

interaktive und prozessuale Generierung von Wert auf der Basis von Kooperationen in Netzwerken von Beziehungen sowie die Einbettung in den organisationalen Kontext der Interaktions- und Netzwerkpartner.15 Zahlreiche ,,taken for granted"-Aspekte des traditionellen Marketing-Paradigmas gilt es dabei zu hinterfragen, insbesondere solche der organisationalen Gestaltung der Marketingfunktion. Vielfach wird die Marketingabteilung im klassischen Verst~indnis als dysfunktional geziehen, betont wird die funktionsiJbergreifende Philosophie des Relationship Marketing, als ,,(...) marketing based on interaction within networks o f relationships. ''16 Das Management von Beziehungen mit intemen und externen Netzwerkpartnern gerat also in den Fokus, Fragen der (organisationsiibergreifenden) Koordination und Integration erlangen zentrale Relevanz: ,,(...) marketing has moved from being the sole responsibility o f the marketing department to become ,pan-company' and cross-functional. "17 In der Frage, was die organisationalen Auswirkungen eines Relationship-Marketing-Ansatzes sind, wie ein Zusammenspiel relevanter Parteien effektiv gestaltet werden karm, wird noch massiv Forschungsbedarf gesehen - fiber alle Schulen des Relationship Marketing hinweg. 18 So betonen auch Wehrli und

Wirtz

den

Forschtmgsbedarf in

Bezug

auf

eine

,,(...)

Analyse

inter-

trod

intraorganisatorischer Kooperation im Rahmen der zunehmenden Verschiebung bzw. Aufl6sung yon ,organizational boundaries'; insbesondere unter dem Aspekt der Interaktion von internen und externen Netzwerken. "19 In diesem Zusammenhang verdeutlichen sie auch die Notwendigkeit einer ,,(...) vertiefle[n] Analyse der Bedeutung von ,learning relationships' (...) unter dem Primat des ,organizational learning' (Relationship Marketing als fortdauernder Lernprozess). ''2~ - und schlagen damit die Brticke t'ttr die in dieser Arbeit betrachtete Schnittstelle: die zwischen Marketing und Innovieren. Auch erstmals in den Fokus war die Integration von Marketing und Innovieren auf der Basis von Entwicklungen im Marketing geraten. Mitte der 50er Jahre, in einer Phase des Wandels

16 17 18

19 z0

Damit wird eine deutliche Abkehr vonder mikro6konomisch gepfiigten Tradition des ,,marketing management" eingel~iutet (vgl. M6Iler, 1992, S. 200f.). Es wird versucht, ihre Armahmen von passiven, unabh~ingigen Akteuren in atomistischen M~irkten und singul~iren und unabNingigen Transaktionen bei implizitem Fokus auf Groguntemehrnen in Konsumg~terrnassenm~kten unter nahezu vollstandiger Ausblendung organisationaler Aspekte zu iiberkommen (vgl. Gummesson, 2002a, S. 332, Piercy, 1986, S. 269; Gummesson, 1987a, S. 17ff., Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 406, Brownlie und Saren, 1992, S. 37, Meyer, 1998b, S. 1906, oder Backhaus, 2003, S. xiv). Gummesson, 2002b, S. 3; zur Marketingabteilung siehe Gr6nroos, 1982, Gr6nroos, 1990a, oder Piercy, 1985. Christopher et al., 2002, S. 5. Siehe auch Gummesson, 1987b, S. 16, Gummesson, 1991, S. 60f, Gr6rtroos, 1999, S. 330. Siehe z. B. Gummesson, 1996, S. 41f., Berry, 1995, S. 244, Bruhn, 2000, S. 1049, oder auch schon Piercy, 1985, S. 15. Wobei Diller verdeutlicht hat, dass bereits im traditionellen Marketingmanagement der Bereich der Marketingorganisation ,,(...) ohne Zweifel zu den wenig geliebten Stiefkindem der Marketingforschung" geh6rt (vgl. Diller, 1991, S. 156). Wehrli und Wirtz, 1996, S. 30. Diese Forschungsl[icke wird spgter dann von Wirtz auf der Basis einer MetaAnalyse ,,der empirischen Beziehungsmarketingforschung im Business-To-Business-Bereich" noch einmal unterstrichen (vgl. Wirtz, 1999, S. 384ff.). Wehrli und Wirtz, 1996, S. 30.

4

1. Einleitung

von Verk~iufer- zu K/iuferm/irkten und mit der z u n e h m e n d e n Etabliertmg des Marketings in Wissenschaft wie Praxis, hatte Drucker - vielfach zitiert seitdem - pr~ignant die Philosphie und den A n s p r u c h des Marketings als ,,general m a n a g e m e n t responsibility'' formuliert: ,,There is only one valid definition o f business purpose: to create a satisfied customer. It is the customer w h o determines what the business is. Because it is its purpose to create a customer, any business enterprise has two - and only these two - basic functions: marketing and innovation. ''21 Hatten sich U n t e m e h m e n in der Nachkriegszeit, der ,,golden R & D (Research & Development, A n m . d. Verf.) era", noch von den M ~ k t e n weitestgehend unbehelligte, meist groflztigig ausgestattete Forschungs- & Entwicklungs(F&E)-Einrichtungen geleistet, anderte sich dies mit A u f k o m m e n und z u n e h m e n d e r Popularit/it der MarketingmanagementPhilosphie. Das Ende dieser Phase ,,(...) ushered in a major change in thought about m a n a g i n g R & D (...) [and] was characterized b y an emphasis on integrating R & D into the business. ''22

Marketingforschung

Innovationsforschung

,,R&D/marketing integration is essential for ,,It is widely recognized that the marketing-R&D successful new product development efforts. ''23 interface is a critical factor for success of new products. ''25 .,Despite its importance, a high degree of R&D/ marketing integration is a rare phenomenon in many organizations that depend on successful development of new products and services. ''24

,,Und es besteht leider kein Zweifel, dass es um diese Interaktion nicht zum Besten bestellt ist. Immer wieder mussten empirische Untersuchungen eine ausgepr~igte Disharmonie zwischen diesen Bereichen feststellen. ''26

Tabelle 1: Beispielhafte Kommentare der Marketing- und Innovationsforschung zu Relevanz und Status quo der Schnittstelle zwischen Marketing und Innovieren In den Fokus geriet mit hoher Relevanz gleichermaBen fiir Praxis wie Wissenschaft ,,(...) the appropriate combination o f integration and autonomy between R & D and marketing". 27 Die folgenden Jahre waren darm v o n groBer Aktivit~it im Themenbereich der R&D/Marketing-

21 Dmcker, 1954, S. 37 (nach Webster Jr., 1988, S. 31), ~ihnlichsiehe z. B. auch Levitt, 1960, S. 47. 22 Souder und Sherman, 1993, S. 193. 23 Gupta trod Rogers, 1991, S. 66; siehe ~ihnlichz. B. auch Benkenstein, 1987a, S. I FuBnote (FN) 1, Olson et al., 2001, S. 266, Gupta et al., 1986a, S. 13ft. 24 Gupta trod Rogers, 1991, S. 55; siehe ~hnlich z. B. auch Gupta und Wilemon, i996, S. 500, Saghafi et al., 1990, S. 89ff., Gupta und Wilemon, 1988b, S. 37f., Gupta land Wilemon, 1987, S. 39, Gupta et al., 1985b, S. 16f. 25 Leenders trod Wierenga, 2002, S. 305; siehe ~hnlich z. B. auch Griffin und Hauser, 1996, S. 193ff. (zusammenfassend), Souder, 1988, S. 12f., Souder, 1981, S. 70f., Lynn et al., 1997, S. 37, Song und Parry, 1992, S. 99ff., Olson et al., 2001, S. 258, Hise et al., 1990, S. 148ff. 26 Hauschildt, 2004, S. 131f.; siehe ~ihnlichz. B. auch Domsch et al., 1991, S. 1056ff., Brockhoff, 1989, S. 15ff., Souder, 1988, S. 8ff., Souder, 1981, S. 68f., Song und Parry, 1992, S. 96ff. 27 Souder und Sherman, 1993, S. 193; siehe ahnlich z. B. Gupta und Wilemon, 1990, S. 280f., oder Gupta trod Wilemon, 1991, S. 32f.

1.1 Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsliicken

5

Integration gepriigt. 28 Unisono wurden und werden sowohl in der Marketing- wie in der Irmovationsforschung Bedeutung und positive Auswirkungen einer gelungenen Integration zwischen Marketing und F&E auf den Untemehmens- und Innovationserfolg betont. GleichermaBen eintriichtig wird aber auch der Status quo suboptimaler Integration und ausgepriigter Disharmonien verdeutlicht, wie beispielhaft in Tabelle 1 dargestellt. Im Kontext der gewandelten Rolle des Marketings ist nun eine massive Versch/irfung dieser Integrationsproblematik zu beftirchten. Insbesondere als auch in der Innovationsforschung eine iihnliche Entwicklung wie im Marketing zu konstatieren ist. Auch dort werden, wenn auch (noch) nicht derart forsch, ,,new rules ''29 und ,,changing patterns ''3~ unterstrichen. ,,Innovationen werden immer mehr zu ubiquitiiren Ph~nomenen, die sich im Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure trod Organisationen herausbilden, fliel3ende Aufgabenzuteilungen aufweisen und sich einer systemischen - werm nicht inter-systemischen - Vemetzung verdanken. ''3x Ein neues Leitbild, eine neue ,~ra des Innovierens wird propagiert, Innovieren auf der Basis komplexer, vielschichtiger, multiorganisationaler und dynamischer Beziehungsnetzwerke 32 oder gar Innovieren als generelles Entwicklungspotenzial, als Lem- und Wandelkompetenz von Organisationen. 33 Die bestehenden Diskurse zum Forschungsinteresse jedoch bewegen sich bis dato im Kern unreflektiert im Mainstream ihrer Mutterdisziplinen, sind nicht nur von Theorielosigkeit, Methodenhegemonie und Praxisfeme gepr~tgt, sondem gleichermal3en von gering ausgepriigter Offenheit fiir die beschriebenen jiingeren Entwicklungen in Marketing und Ilmovieren. 34 Gehen die gewandelten Rollen von Marketing und Innovieren und ihr netzwerk- und beziehungsorientierter, holistischer Charakter mit gewandelten Formen effektiver Integration einher, werden gleichermagen gewandelte Perspektiven einer wissenschaftlich fundierten Betrachtung notwendig werden. 35 Dies gilt umso mehr, als diese Arbeit auch die Forschungslticke des Umsetzungsfokus adressieren

28 Siehe die ersten Arbeiten bereits in den 70er Jahren z. B. von Young, 1973, Biller, 1975, Dunn und Boyd, 1975, Montelcone, 1976, Souder, 1977, oder Souder und Chakrabarti, 1978. Spiiter wurden gar eigene Forschungsprogramme zur Frage der R&D/Marketing-Integration aufgestellt, siehe z. B. ,,Innovation Management Program" yon Gupta et al. an der Syracuse- und der Ohio-Universit~itoder ,,INTERPROD" von Souder et al. an der Universit~t Alabama. z9 Vgl. Chesbrough, 2003b, Chesbrough, 2003a. 30 Vgl. Gupta und Wilemon, 1996. 31 Noss, 2002, S. 45; siehe 51mlich z. B. auch Reichwald, 2004, S. 5, Brocldloff et al., 1991, S. 219f., Gemiinden und Walter, 1995, S. 971f., Ritter, 1998, S. lff. 32 Siehe z. B. Gupta und Wilemon, 1996, Turpin et al., 1996, Freiling und WeiBenfels, 2003, Howells, 2003, Reichwald, 2004, Bossink, 2002, Chang, 2003, Gemiinden et al., 1996. 33 Siehe z. B. Noss, 2002, S. 45, Awuah, 2001, S. 574ff., oder auch Chesbrough, 2003a, Marsh und Stock, 2003, oder bereits Cohen und Levinthal, 1990. 34 Siehe zur breit angelegten systematischen Literaturecherche in Anhang A. In den Diskursen beider Disziplinen sind jedoch Entwickhmgen hin zu einer thematischen Ausweitung des traditionellen Forschungsinteresses in Richtung der gewandelten Rollen yon Marketing und Innovieren zu konstatieren, in der Marketingforschung bspw. in Ardehnung an die Netzwerkperspektive des ,,industrial marketing" der IMP-Gruppe (vgl. Perks, 2000), in der Innovationsforschung bspw. in Anlehnnng an Diskurse zum organisationalen Lemen (vgl. Lyrm et al., 1997). 35 Vgl. Schaller et al., 2003a.

6

1. Einleitung

m6chte, 36 Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft verstehend 37 - so dass sich in S u m m e ein Bttndel an ForschungsRicken a u f mehreren Ebenen ergibt. Partiell u n d ansatzweise

adressieren

einzelne

Arbeiten

in

den

Diskursen

der

Marketing-

oder

Innovationsforschung diese Lticken bereits, d e m Autor ist z u m gegebenen Zeitpunkt jedoch keine Arbeit bekarmt, die in konsistenter u n d integrierter Form, empirisch fundiert und mit U m s e t z u n g s f o k u s die aufgeftihrten Forschungsliacken in tiberzeugender Art und Weise bearbeitet. 1.2

Theoretische Fundierung, Forschungsansatz und Foschungsfrage des Dissertationsproj ektes

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit ist die Schnittstellenproblematik zwischen Marketing u n d Innovieren, das tibergeordnete Forschungsziel orientiert sich an der Entwicklung des Relationship Marketing. Dieser Abschnitt sucht im Kontext v o n Forschungsinteresse und -liicken

die

zentrale

Forschungsfrage der

Beschreibung der ,,root Forschungsansatzes39. Ausgangs-

und

distinctions"

Orientierungspunkt

von

Arbeit

der

herzuleiten -

theoretischen

paradigmatischer

eingebettet

Fundierung 38

wie

in

eine

und

des

substanztheoretischer

Verortung in dieser Arbeit bilden die Forschungsliacken und deren B e z u g zu gewandelten Rollen

von

Marketing

und

Innovieren,

deren

netzwerk-

u n d beziehungsorientierten,

prozesshafl d y n a m i s c h e n und holistischen Charakter es valide zu erfassen gilt. N e b e n einer soliden theoretischen Fundierung stehen eine hinreichende B e t o n u n g v o n Praxisn~ihe und Aspekten der Implementierung im Fokus. 40 Als wissenschaftstheoretische und methodologische Basis im Anforderungskontext der gewandelten Rollen von Marketing u n d Innovieren wie auch der gewiinschten Praxisnghe wurden ein interpretativ-relationales Paradigma und

37

38 39

40

Siehe z. B. Gupta und Rogers, 1991, S. 66: ,,Most of the studies in the literature are focused upon understanding the nature of the problems with the R&D/marketing interface (...). These studies show how the final destination should look, but they do not tell us how to get there." Die Autoren propagieren auf dieser Basis Fallstudien, die diesen ,,change process" untersuchen: ,,Currently, to the best of our knowledge, such case studies do not exist." (S. 66) Das Forschungsvorhaben soil also empirisch angelegt werden und strebt (im Sparmungsfeld zwischen Brewsters Konfliktmodell und Barnards Toleranzprinzip) eine komplementare Beziehung zwischen Theorie und Praxis an (vgl. Walter-Busch, 1996, S. 40 (mit Verweisen auf Larson, 1941, S. 44, zu Brewsters Kontliktmodell und Barnard, 1939/40, S. 304f., zu Bamards Toleranzprinzip)). Unter den ,,root distinctions" seien die paradigmatische wie theoretische Verortung dieser Arbeit subsummiert (vgl. Von Krogh et al., 1994, S. 53). Der Begriff des Forschungsansatzes sei gew~ihlt in Anlehnung an das Verst~indnis von Hartfiel als eine ,,Bezeichnung fiir eine vielschichtige methodische Vorgehensweise" (Hartfiel, 1982, S. 160; siehe auch Lanmek, 1995b, S. 5). Damit soil in Summe dann auch den zentralen Kritikpunkten an dem Paradigma des traditionellen Marketingmanagements begegnet werden, n~imlich seine ausgepr~igt geringe Validit~it sowie die Theorielosigkeit des Ansatzes. Siehe z. B. Gtmunesson, 1993, S. 248, Gummesson, 2002a, S. 327, oder M/511er, 1992, S. 203ff., aber auch bereits schon Cox et al, 1964, S. 8f.: ,,Marketing has no theory that is defensible on the grounds of its logical consistency, philosophic adequacy, or experimental foundation."

1.2 Theoretische Fundierung, Forschungsansatz und Foschungsfrage des Dissertationsprojektes

7

einhergehend die methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung gewahlt. 41 Entwickelte Gtitekriterien (der Koh~irenz, der Transparenz, der Plausibilitat und der Reflexion) 42 dienen als Referenzpunkt far die Qualit~it dieser Arbeit. Die substanztheoretische Verortung als ,,theoretical sensitivity''43 des induktiv-empirischen Konstruktionsprozesses wurde im konzeptionellen Bezugsrahmen der Arbeit integriert. Der ,,Nordic approach" des Relationship Marketing nach Gummesson formuliert die Basis des marketingtheoretischen Verstandnisses,

ein

relationales

Organisations-

und

Managementverst~indnis

sozial-

wissenschaftlicher Pragung fagt sich in diese Ausrichtung. 44 Ein ,,open irmovating"-Konzept als innovationstheoretisches Verst~indnis erggnzt den Bezugsrahmen. 45 Auf Basis des prozessualen und dynamischen Organisationsverst~ndnisses soll durch einen Fokus auf organisationalen Wandel die Pfadabhangigkeit der Umsetzung und ihrer Gestaltung betont, der angestrebte Praxisbezug mit Nachdruck adressiert werden, g6 Nachhaltigkeit in Form einer ,,dauerhaften Verankerung" formuliert das Ziel des Wandels und das zentrale Kriterium der Effektivit~it. Wie kann der Wandel zur nachhaltigen Integration von Marketing und lnnovieren erfolgen, lautet also der Zwischenstand zur Forschungsfrage. Was fehlt, ist noch die Einarbeitung des empirischen Fokus in die Forschungsfrage. 47 Der Forschungsansatz der Empirie ful3t - sich in den Anfordemngskontext von Forschungsinteresse, -lticken und ,,root distinctions" fagend - auf der longitudinalen Prozessforschung, in der Explorationsphase als Einstieg in den Forschungsprozess angereichert um Elemente der Aktionsforschung. 48 f2~ber den in der Prozessforschung zentralen Einbezug yon ,,(...) contexts, content, and process o f change together with their interconnections through time ''49 wird eine breite, vertikale wie horizontale kontextuelle Einbettung adressiert, als Grundlage far

42

43 44 45 46 47 48 49

Zur qualitativen Forschung siehe z. B. Lamnek, 1995a, Maxwell, 1996b, oder auch Denzin und Lincoln, 2000a. Zum interpretativen Paradigma siehe z. B. Lamnek, 1995a, S. 42ff., Guba und Lincoln, 2000, S. 107ff. Mit Bezug auf die Marketingforschung siehe insbesondere Gummesson, z. B. Gummesson, 1994b, S. 18f., Gummesson, 1997c, S. 59, Gummesson, 1998, S. 247, Gummesson et al., 1997, S. 15; aber auch z. B. Kent, 1986, S. 150, oder Pels und Saren, 2003. Dem Qualit~tsanspruch dieser Arbeit gerrgg gilt es, Fragen der Gtitekriterien (siehe z. B. Lamnek, 1995a, S. 152ff., oder Mayring, 1996, S. 104ft.) bzw. der Validitat (siehe z. B. Maxwell, 1996b, S. 86ff., oder Lincoln und Guba, 2000, S. 178ff.) von Anbeginn und fiber den gesamten Forschungsprozess hinweg explizit und mit Nachdruck zu adressieren - nicht zuletzt auch zur nachhaltigen Wahnmg von Anschlussflihigkeit, Glaubwordigkeit und Akzeptanz, in Theorie wie Praxis. Vgl. Strauss und Corbin, 1996, S. 25ff., S. 56f., Strauss, 1984, S. 6. Organisationsstrukturen werden als sozial und nicht technisch konstnliert betont (vgl. Kieser, 1998, S. 53; Weick, 1998), Ffilmang als partizipativ-pluralistischer, dynamischer Einflussprozess im Sinne eines ,,sensegiving" verstanden (vgl. Gioia und Chittipeddi, 1991, S. 442, Kieser, 1999b, S. 306; Hosking, 1988). Vgl. Noss, 2002, Chesbrough, 2004, Piller, 2004, Schaller et al., 2004a. Als theoretische Basis werden Theorien des organisationalen Lernens herangezogen (der kognitiven Perspektive mit Bezug auf Weick und insbesondere der systemtheoretisch gepr~igtenPerspektive mit Bezug auf SchreyiSgg). Vgl. Maxwell, 1996b, S. 54f. Der gew~tflte Ansatz der longitudinalen Prozessforschung basiert auf Pettigrew, vgl. Pettigrew, 1997, oder Pettigrew, 1990. FOr die Aktionsforschungselemente siehe insbesondere den ,,actors approach" nach Arbnor und Bjerke, 1997, und das ,,management action science paradigm" nach Gummesson, 2000b. Pettigrew, 1990, S. 268.

8

1. Einleitung

Wandel(forschung) auf der Basis holistischer, nicht-linearer und dynamischer Erkl~imngen ftir Prozesse. 5~ Der Fokus der Empirie soll - aus Grtinden der Validit~it und in Anlehnung an einen etablierten Forschungsansatz auf eine Einzelfallstudie erfolgen. 5~ Im Sinne eines ,,purposeful sampling ''52 wird ein mittelstandisches Unternehmen im industriellen Kontext fokussiert. Unter Nutzung des Projektes ,,Service Excellence" als explorierende Vorstudie und des (wie sich herausstellte) in den letzten Jahren tiber zwei strategische Initiativen massiv forcierten Wandels in den praktizierten Rollen von Marketing und Innovieren 53 wurde die Michael Huber Mtinchen GmbH als Partneruntemehmen ftir das Projekt gew~ihlt, ein mittelst~tndisches Industrieuntemehmen deutscher Pragung und Produzent von Druckfarben mit langer Tradition. Zielsetzung der Explorationsphase war es auf dieser Wahl aufsetzend, dann auf der Basis fortgeschrittener ,,theoretical [and empirical] sensitivity",54 ein informierteres Niveau des Verstehens zu erreichen, das zur Formulierung relevanter Themen, darauf aufbauend

Forsehungsfragen,

und

eines

geeigneten

Forschungsdesigns

far

die

Vertiefungsphase befahigt. Die Vertiefungsphase adressiert als Kemphase der Empirie in ihrem netzwerk- und beziehungsorientierten Ansatz dann Kontext, Organisation und Zusammenspiel der Funktionen Marketing und Innovieren. A u f der Basis ausnehmend vertrauensvoller Beziehungen konnte der Forscher sich hier vollkommen frei innerhalb der Organisation bewegen wie auch interne Unterlagen einsehen. Das

Forschungsdesign ist neben einer Lgngs- und Querschnittsanalyse multiadisch-

komparativen Szenarien relevanter intemer und extemer Parteien s5 und prozessualem ,,sampling" relevanter ,,breakpoints ''56 gepr~igt von ,,methodological triangulation", also Offenheit zur Nutztmg verschiedenster Methoden und Techniken in der eigentlichen Datenerhebung und -auswertung. 57 Aus dem Methodenspektrum der qualitativen Organisationsforschung zum Einsatz kommen leitfadengesttitzte Expertlnneninterviews (untersttitzt durch Formen der Visualisierung) sowie teilnehmende Beobachtungen und Beobachtungsinterviews, erggnzt durch Dokumenten- und Aktenanalysen und abgerundet

so ,,In holistic explanations causation is neither linear nor singular. (...) Changes have multiple causes and are to be explained more by loops than lines." (Pettigrew, 1997, S. 341, und Pettigrew, 1990, S. 270). 51 Vgl. Witzel, 1982, S. 78 (nach Lamnek, 1995b, S. 6), Easton, 1995, S. 476, Gummesson, 2000b, S. 84ff., Yin, 2003, S. 42f., Eisenhardt, 1991, S. 622, und Rtiegg-Sttirm, 2000, S. 204. Anwendungsbeispiele - auf Basis der longitudinalen Prozessforschung und im interpretativen Paradigma - siehe z. B. Rtiegg-Sttirm, 2002b, Rtiegg-Stttrm, 2001, Fischer, 2002, Mti_hlbach,2003, SchiJtz,2004. 5z Vgl. Patton, 1990, S. 169ff., LeCompte und Preissle, 1993, S. 69. 53 Diese beiden strategischen Wandelinitiativen, die komplette Reorganisation der Entwicklung und die Formulierung der ,,Vision 2000" mit dem explizierten Anspruch u. a. an eine Marketing~hrerschaft in der Branche, erfuhren darm als ,,breakpoints" im weiteren Forschungsprozess besondere Beachtung. s4 In interpretativer Auslegung des ,,grounded theory"-Ansatzes ging es, Raum lassend ftir ,,theory construction as sensemaking" (Weick, 1989, S. 519), tiber ,,(...) ein Bewusstsein fiir die Feinheiten in der Bedeutung von [overten] Daten" (Strauss und Corbin, 1996, S. 25) hinaus auch um ein Bewusstsein fiir die Feinheiten des empirischen Feldes (vgl. Charmaz, 2000). 55 Dies erfolgt entsprechend der Forderung von Pethgrew nach Forschungsorten gegens~itzlicherTypen als Basis einer komparativen Prozessforschung (vgl. Pettigrew, 1990, S. 271ff.). 56 Vgl. Pettigrew, 1990, S. 272. 57 Vgl. Janesick, 2000, S. 391 (mit Verweis aufDenzin, 1978), oder Lamnek, 1995a, S. 248ff.

1.2 Theoretische Fundierung, Forschungsansatz und Foschungsfrage des Dissertationsprojektes

9

dutch (Feedback-)Workshops. 58 Empirische Grundlage bilden derart in Summe 109 Forschungskontakte tiber 4 89 Jahre, 59 die als Dokumentation in Feldnotizen, Memos und Volltexttranskripte in schliel31ich etwa 900 Seiten an P r i m ~ d a t e n milnden. 6~ Basierend auf dieser Grtmdlage des prozessualen Verstehens im Kontext geht die theorieentwickelnde Konstruktionsleistung dieser Arbeit dann als ,,disciplined integration" vonstatten, 61 auf Basis eines neunstufigen Datenanalyse- trod Theorieentwicklungsprozesses in ,,discussional form ''62 und

im

Sinne

einer

interpretativen

Auslegung

des

,,grounded

theory"-Ansatzes. 63

Ausgangspunkt bildet die deskriptive und dichte prozessuale Rekonstruktion der Empiric aus Sicht der Beforschten (,,first-order conceptions"). 64 In interpretativer Wende erfolgen offenes Recodieren und Konzeptionalisieren (,,second-order conceptions") aus Sicht des Forschers und schliefllich tiber axiales und selektives Codieren auf der Basis lokaler Kausalitaten im Beziehungsnetz eines Codierparadigmas die Entwicklung einer Kernkategorie. 65 l)-ber deren prozessuale Verankerung und im Wandelverstandnis dieser Arbeit kann in der Folge die Formulierung

einer

gegenstandsbezogenen

und

unter

partieller,

hypothetisierender

Verallgemeinerung auf Basis komparativer Analyse letztendlich ,,middle-range substantive theory" mit Bezug auf den Mittelstand 66 vonstatten gehen. Fokus jener Theorie ist die Beantwortung der zentralen Forschungsfrage dieser Arbeit:

Wie kann der Wandel eines mittels~'ndischen Industrieunternehmens zur nactdaaltigenIntegration von Marketing und Innovieren gestaltet werden?

Grundlage der zu entwickelnden Theorien wird sein, zu verstehen, welche zentralen In-/ Effektivit~iten Marketing, Innovieren und deren Zusammenspiel pr/igen, welche urs~ichlichen Bedingungen in-/effektiven Integrationsformen zugrunde liegen - und tiber welche Prozesse diese (in Form der Kernkategorie integriert) gezielt beeinflusst werden k6nnen, um den Wandel zur nachhaltigen Integration beider Funktionen gestalten zu k6nnen. Zentraler

58 Vgl. Kilhl und Strodtholz, 2002, Denzin und Lincoln, 2000a, S. 632ff., Larunek, 1995b, S. 35ff. 59 Die Forschungskontakte innerhalb MHM waren dabei verteilt auf acht Teilfurdaionsbereiche, drei Projekte und vier Hierarchiebenen, in der Explorationsphase auch unter Einbezug von 13 Kunden. 60 Dokumentation, Auswertung und Theorieentwicklung erfolgte unter Einsatz der dediziert fftirdiese Arbeit ausgew~ihltenQDA-Software ,,MAXqda2" (siehe Kuckartz, 1999). 6J Vgl. Weick, 1989, S. 516. 62 Diese Darstellungsform, explizit von Glaser und Strauss empfohlen, soil Reichturn, Komplexitat und Dichte, wie auch Prozessualit/it und Offenheit einer (sich entwickelnden) Theorie unterstreichen (vgl. Glaser und Strauss, 1998, S. 41, S. 120f., Charmaz, 2000, S. 526ff., oder auch Mintzberg, 1989, S. 88). 63 Vgl. Charmaz, 2000; zum ,,grounded theory"-Ansatz siehe z. B. Glaser und Strauss, 1967, Strauss und Corbin, 1996, oder auch B6hm et al., 1992, Lamnek, 1995a, S. 11 lff. 64 Zum in dieser Arbeit, zusammen mit Weicks Konzept des ,,disciplined imagination" (vgl. Weick, 1989), genutzten Stufenkonzept der Theoriekonstruktion von Van Maanen siehe Van Maanen, 1983. 6s Zum axialen und selektiven Codieren im ,,grounded theory"-Ansatz siehe z. B. Strauss und Corbin, 1996, S. 75ff. und S. 94ff., oder auch Glaser und Strauss, 1998, S. 107ff. 66 In unterstellter Homogenit/it erfolgt dabei die Einschr~inkung auf mittelst/indische Untemehmen des verarbeitenden Gewerbes (entsprechend den NACE-Nummem 15-36, vgl. Beise et al., 1999, S. 73ff., und n. a., 2005).

10

t. Emleitung

Anspruch der Arbeit wird sein, dieses auf MHM (gegenstands)bezogene Verstehen in die partiell verallgemeinerte Form einer Theorie gr613erer Reichweite zu integrieren und dabei sowohl zu den Diskursen der Marketing- und Innovationsforschtmg zum Forschungsinteresse beizutragen als auch zum tibergeordneten wissenschaftlichen Ziel der Entwicklung einer (neuen) Marketingtheorie im ,,relational paradigm". 1.3

V o r g e h e n s w e i s e und Struktur der Arbeit

Dieser Abschnitt sucht, autbauend auf Problemstellung sowie Forschungsfrage, -ansatz und -design, die Vorgehensweise des Forschungsprojekts wie auch die Struktur der Arbeit vorzustellen.

Wie bereits erwahnt, fugt diese Dissertation auf zwei Projekten: dem Projekt ,,Service Excellence" als Explorationsphase sowie dem Projekt ,,REMIX", das die Vertiefungs- und Abschlussphase umfasst. Abbildung 1 visualisiert diesen Zusammenhang und detailliert zentrale Schritte sowie die jeweilige Dauer dieser Projekte. Best~ndteile

47 Monate

Dissertationsor oiekt 9 Diskurse in der ,,scien~mc community" 9 ForschungsIOcken und Validie~ung 9 Forschungsdesign und theoretische Vermtung 9 Deskdption und Theodeentwick~un 9 9 Fedigstellung Disse~ation

t8 Menate (SEt'4)

9 Uter~turreche~chen(Schnittstellenthematik,Wandel, )

43 Monate (5/39/4)

9 DurchfOhrung und Auswer~ung Empirie

~p(s)

) Monal/J~hr 06/2000

06/2001

10/2003 01/2004

J,

03/04/2005

Abbildung 1: Vorgehensweise des Dissertationsprojektsund seiner empirischenTeilprojekte

Das Dissertationsprojekt selbst entwickelte sich im Sinne eines ftir die qualitative empirische Forschung klassischen V-Modells. 67 Den Startpunkt bildeten die Themen des Innovations-

managements von Dienstleistungen (in den Projekten ,,Service Excellence" und ,,Service

67 Vgl. Lamnek, 1995a, S. 232ff., Maxwell, 1996b, S. 49s Pettigrew, 1990, S. 274ff., Gummesson, 2000b, S. 57ff., Charmaz, 2000, S. 513f.

1.3 Vorgehensweise und Struktur der Arbeit

11

Engineering ''68) und des Beziehungsmarketings (im Forschungsprojekt ,,KUBIK ''69) sowie das pers6nliches Interesse des Autors an organisationswissenschafilichen Fragestellungen und ganzheitlichem Verstehen. Die weitere Entwicklung war geprggt von Anschluss an die Diskurse in beiden Disziplinen und auf Basis der Projektergebnisse einhergehend in beiden Themenfeldern Ver6ffentlichungen des Autors zusammen mit dem Lehrstuhlinhaber und Koautoren des Lehrstuhls bzw. von MHM. 7~ lSroer Konferenzteilnahmen im Relationship Marketing erfolgte der Anschluss an die entsprechende ,,scientific community" und die diskursive Verfertigung der Forschungslticken, die diese Arbeit adressiert. 71 Die in diesen Konferenzen rnaggeblich vertretenen Parteien des ,,Nordic approach" und des ,,AngloAustralian approach" des Relationship Marketing sind es nun auch, die auf Basis einer relationalen Perspektive einen ,,rebirth o f marketing ''72, eine ,,general theory o f marketing" zu entwickeln anstreben 73 - und damit den Bezugspunkt ftir die Entwicklung der iibergeordneten wissenschaftlichen

Zielsetzung

dieser

Arbeit

bildeten.

Und

auch

hinsichtlich

Forschungsansatz und -design blieb der Bezug zur ,,Nordic School" des Relationship Marketing nicht olme Folgen, ihrer Fundienmg in induktiver empirischer Forschung irn ,,grounded

theory"-Ansatz

und

qualitativer

Methodologie

geschuldet. 74 Beztige

zur

Wandelforschung der Forschungsgruppe ,,Leaming Dynamics" und deren elaborierten Forschungsansatz

der

Einzelfallstudie

im

interpretativen

Paradigma

auf Basis

der

longitudinalen Prozessforschung vermochten sich in dieses Bild geeignet einzuftigen. 75 Vor einer Vorstellung der Struktur dieser Arbeit soll noch Bezug auf die zentralen Komponenten ihres Forschungsdesigns genommen werden. Zentral ist aus Sicht der qualitativen Forschung und den Giitekriterien dieser Arbeit, das dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungdesign zu explizieren, v6 Die Bausteine werden also auch in der Struktur der Arbeit widergespiegelt werden. Abbildung 2, in dem ftir diese Arbeit gew~thlten Modell zum

68 Das Projekt ,,Service Excellence" bezeichnet das Praxisprojekt mit MHM zusarnmen, das Projekt ,,Service Engineering" bezeichnet das Forschungsprogramm zur Thematik der systematischen Entwicklung von Dienstleistungen, in dem der Autor ein Projekt zum Irmovationsmanagementleitete (von 01/2001-01/2004). 69 Das Projekt ,,KUBIK", das tier Autor yon 04/2001-09/2002 leitete, beschattigte sich mit tier Thematik des Beziehungsmarketings und der Rolle der neuen Medien im Zusammenhang. 70 Siehe z. B. im Innovationsmanagement Reichwald et al., 2003a, Reichwald und Schaller, 2003, Schaner et al., 2003b, Schaller et al., 2004b, Schaller et al., 2004a, und Ringer et al., 2004; im Relationship Marketing siehe z. B. Reichwald et al., 2002, Piller et al., 2002, Schaner et al., 2003a, Schaller et al., 2004c, Piner und Schaller, 2004. 7~ Siehe die beiden Beitr~igezusammen mit Koautoren des Lehrstuhls zur ICRM 2002 und ICRM 2003, Piller et al., 2002, Schaller et al., 2003a, letzterer zu den Forschungslticken. 72 Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 399; siehe ~ihnlichz. B. auch Gr6nroos, 1999, S. 333, Gummesson et al., 1997, S. 11, oder friiher bereits Webster Jr., 1988, S. 36 73 Siehe ~ir den ,,Nordic approch" bspw. bei Gummesson, 2002b, S. 300ff., Ftir den ,,Anglo-Australian approach" bspw. bei Christopher et al., 2002, S. 5ft. 74 Siehe z. B. Gummesson, 2002a, S. 345, Gummesson, 1998, S. 247, Gummesson, 1997c, S. 59, Gummesson et al., 1997, S. 15, Gurnmesson, 1994b, S. 18f., und MSller, 1992, S. 210. 75 Siehe FN 51. 76 ,,Research design is like a philosophy of life; no one is without one, but some people are more aware of theirs, and thus able to make more informed and consistent decisions." (Maxwell, 1996b, S. 3)

12

1. Einleitung

Forschungsdesign, verdeutlicht die zentralen Elemente des Forschungsdesigns (wie auch seine interdependente und flexible Struktur). Den Ausgangspunkt bilden die Ziele dieser Arbeit, im Zentrum das wissenschaftliche Ziel, wie es einleitend formuliert war. Ftir die Verkntipfung yon Zielen mit Forschungsfragen zentral ist der konzeptionelle Kontext. Er umfasst Theorien, Forschung und eigene Erfahrtmgen im Kontext des interessierenden Ph~nomens. lhm widmet sich das 2. Kapitek Die Forschungsfragen selbst bilden dann den Dreh- und Angelpunkt des Designs. Die induktive Logik des Forschungsprozesses im qualitativen Paradigma reflektierend werden sie nach der Entwicklung der methodischen Basis in Abschnitt 3.1.4 im Detail vorgestellt. 77 Und Fragen zu den Methoden wie zur Validit~it schlieBlich suchen einen (den formulierten Gtitekriterien entsprechenden) Weg zum Verstehen und zur Beantwortung der Forschungsfragen zu formulieren. Sie werden in den Abschnitten 3.1 und 2.2.3 adressiert.

Abbildung 2: Modell zum Forschungsdesign78 Zentrales Ziel der Struktur dieser Arbeit (siehe Abbildung 3) ist es, in ,,discussion form" und explizierter Transparenz den fortlaufenden sich entwickelnden Forschungs- und Theorieentwicklungsprozess in seinem induktiven Charakter wiederzugeben. 79 Der hochgradig iterative trod vemetzte Charakter dieses Prozesses muss sich dabei in der Darstellung der Arbeit nat~rlich einer linearen Form beugen. Die Triade der obersten Gliederungsebene, Dekonstruktion - Rekonstruktion - Konstruktion, spiegelt das zentrale wissenschaflliche Ziel

77 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 48: ,,Models of design that place the formulation of research questions at the beginning of the design process, and see these questions as determining the other aspects of the design, don't do justice to the interactive and inductive nature of qualitative research." 78 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 5, Figure 1.1. 79 Siehe - im Einklang mit den Giitekriterien dieser Arbeit - gleichlautende Empfehlungen z. B. bei Weick, 1999, S. 801, und bei Glaser trod Strauss, 1998, S. 41: ,,Grounded Theory kann sowohl in Form eines codifizierten Aussagengeffiges als auch als fortlaufende theoretische Diskussion prgsentiert werden. Aus verschiedenen Griinden haben wir uns fiir die letztere Fassung, d. h. die diskursive Form entschieden." Siehe auch FN 62.

1.3 Vorgehensweise und Struktur der Arbeit

13

u n d die theorieentwickelnde Konstruktionsstrategie s~ dieser Arbeit in Kontext und Begriffen der paradigmatischen Verortung wider.

2, Dekonstruktion - ,,root distinctions"

v

..... ill

II v

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey''

4. Konstruktion - ,,disciplined integration"

v

5. Resiimee und Ausblick

Anh~inge und Literaturverzeichnis

Abbildung 3: Struktur der Arbeit im f.)berblick In Kapitel 2, ,,Dekonstruktion - ,root distinctions'", erfolgen B e z u g z u m Stand der F o r s c h u n g u n d A u t b a u des paradigmatischen u n d substanztheoretischen B e z u g s r a h m e n s dieser Arbeit. Die kritische Auseinandersetzung mit den Diskursen z u m Forschungsinteresse und ihren sich d y n a m i s c h entwickelnden Mutterdisziplinen mtindet in die

so Die Unterscheidung von deskriptiv orientierter Rekonstruktion der Empirie aus Sicht der Beforschten in deren Alltagsbegriffen 1. Ordnung und auf Basis deren Interpretationsschemata und Alltagstheorien (,,firstorder conceptions") yon interpretierend orientierter Konstruktion aufBasis der ,,conceptions of what is going on" des Forschers in dessen Wissenschaftsbegriffen 2. Ordnung und auf Basis des theoretischen Bezugsrahmens erfolgt in Anlelmung an das (in FN 64 bereits bezeichnete) Smfenkonzept der Theoriekonsmaktion von Van Maanen (siehe Van Maanen, 1983).

14

1. Einleitung Forrnulierung relevanter Forschungsliicken. ,,Root distinctions" und theoretischer Bezugsrahmen formulieren in diesem Kontext dann die Prarnissen paradigmatischer und substanztheoretischer Art ftir Forschungs- und Theorieentwicklungsprozess dieser Arbeit. In Kapitel 3, ,,Rekonstruktion - ,empirical journey'", erfolgt die methodische und empirische Fundienmg der theorieentwickelnden Konstruktionsleistung dieser Arbeit. In der methodischen Rekonstruktion wird die dedizierte handlungsleitende Entwicklung und Ausgestaltung von Forschungsstrategie, -ansatz und -design ft~r die empirische Forschung dieser Arbeit geleistet. An die kontextuelle Rekonstruktion von Mittelstands- und Branchenkontext von MHM schliel3t sich die prozessuale, also deskriptive, Rekonstruktion von Explorations- und Vertiefungsphase der Longitudinalstudie von MHM. In Kapitel 4, ,,Konstruktion - ,disciplined integration'", erfolgen interpretative Wende und Kemschritte wie Abschluss der theorieentwickelnden Konstruktionsleistung dieser Arbeit. Der Entwicklung gegenstandsbezogener Theorie zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM folgt fiber komparative Analyse mit Bezug zu Mittelstandsforsehung und Pilotstudien dann deren partielle und hypothetisierende Verallgemeinertmg for den industriellen Mittelstand. In Bezug auf die Diskurse der Zielarenen werden Anschluss der Erkenntnisbeitrage wie Forschungsbedarfe expliziert. Kapitel 5 schlieBt in tiblicher Form mit ,,Restirnee und Ausblick", gefolgt von den Anh~ngen und dem Literaturverzeichnis. Die Anhange umfassen dabei zum einen Details zur systematischen Literaturrecherche und der Untersuchungen aus den Diskursen in Marketing- und Innovationsforschung im l]berblick und zum anderen Details zur Empirie, also die Auflistung der Forschungsaktivit~iten und der internen Dokumente aus der Sekund~datenanalyse sowie der genutzte Leitfaden der Expertlnneninterviews bei MHM.

2.1 Forschungim Kontextdes Themas

2.

Dekonstruktion

15

- ,,root distinctions"

Dekonstruktion? ,,Root distinctions"Sl? Unschwer ist die Anlehnung an die Theorien der Postmoderne in der franz6sischen Philosophie zu erkennen und Derridas Dekonstruktivismus. s2 Durch den Verweis auf Derrida und die Postmoderne soll der semiotische Blickwinkel dieses Abschnittes betont werden. Zentrale Konzepte des Dekonstruktivismus wie Differhnce und Supplementarit/it, Abwesenheit des Zentrums und Reflexivit/its3 sollen Leitgedanken f'tir eine zielf'tihrende Auseinandersetzung mit den Grundlagen dieser Arbeit sein, f'tir Autor wie Leser gleichermal3en. So gilt es ffir dieses Kapitel der grundlegenden Verortung dieser Arbeit, bestehende Diskurse und Theorien kritisch zu hinterfragen, auch und gerade in Bezug auf ,,hidden assumptions", d. h. implizite und unreflektierte Grundannahmen. Die interpretative und narrative Dimension betonend ist auch die Betriebswirtschaftslehre schlieBlich Sprachspiel. s4 Dieses Kapitel verfolgt dabei im Kern das Ziel, die ,,root distinctions" der paradigmatischen und substanztheoretischen Basis der Arbeit zu entwickeln, also ,,(...) the system of concepts, assumptions, expectations, beliefs and theories that supports and informs your research ''85, die Grundlage des Forschungsdesigns. Grundsiitzlich flieBen mehrere Quellen hier ein, ,,(...) own experiential knowledge, existing theory and research, pilot and exploratory research, and thought experiments. ''86 Abschnitt 2.1 adressiert die Forschung im Kontext des Themas. Hier werden empirische Pilotstudien vorgestellt sowie die relevanten Diskurse in Marketing- und Innovationsforschung skizziert. Der Bezug zu den Diskursen zur Forschungsfrage wird von der Darlegung der Forschungslticken abgeschlossen. Abschnitt 2.2 sucht die wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung und diskutiert geeignete Gtitekriterien ffir die Arbeit. Abschnitt 2.3 baut hierauf auf und expliziert die theoretische Verortung in Marketing-, Innovations- und Organisationsforschung, integfiert in einem konzeptionellen Bezugsrahmen. Abschnitt 2.4 widmet sich der Zusammenfassung dieser ,,root distinctions".

2.1

Forschung im Kontext des Themas

Dieser erste Abschnitt der Dekonstruktion und der ,,root distinctions" sucht die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit in ihren Forschungskontext einzubetten. Die zentrale Frage lautete (siehe Abschnitt 1.2), wie der Wandel eines mittelst~ndischen Industrieuntemehmens zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren gestaltet werden kann. Die eingangs bereits angedeuteten Forschungslilcken weisen auf neue Rollen von Marketing wie

s~ Vgl.Von Krogh et al., 1994, S. 53. 82 Vgl. Weik und Lang, 2003, S. 105ff., Schrey6ggund Koch, 1999, S. 7ff. (mit Verweis auf Derrida, 1974, und Derrida, 1988). 83 Vgl.Weik, 1996, S. 386f. 84 Vgl.Ortmann, 1999, S. 164, Kieser, 1996, S. 23, oder Kieser, 1997, S. 235ff. s5 Maxwell, 1996b, S. 25; siehe iihnlichz. B. Milesund Huberman, 1994, S. 18. 86 Maxwell, 1996b, S. 27.

16

2. Dekonstruktion- .root distinctions"

Innovieren hin (siehe Abschnitt 1.1). Und nicht zuletzt ist der Kontext des Themas auch durch den Werdegang des Autors und Pilotprojekte im Themenbereich gepragt. All diese Bausteine des Kontexts zum Thema gilt es also im Folgenden darzulegen (Abschnitte 2.1.1 bis 2.1.3).

! Abbildung4: Zentrale Forschungsfelderund Diskurse im Fokus des Dissertationsprojekts87 Das Zentrum und auch den Kern der Schnittmenge (siehe Abbildung 4) bitdet dann Abschnitt 2.1.4, der die bestehenden Antworten und Diskurse zu Forschungsinteresse und -frage selbst beleuchtet, den Stand der Forschung zur Schnittstelle zwischen Marketing und F&E vorstellt. Forschungslticken vielf~iltiger Art lassen sich auf dieser Basis darm ableiten. Die Forschungslticken dieser Arbeit werden in Abschnitt 2.1.5 abschtieBend dargelegt.

2.1.1

Kritische Subjektivit~t und Empirische Pilotstudien

Es besteht Konsens dartiber, dass das Ziel der Sozialforschung die m6glichst unverfzilschte Erfassung der sozialen Wirklichkeit ist. 88 Qualitativ forschende Sozialforscher streben dabei nach einer Art ,,zarter Empirie" (ein Wort Goethes, nach Walter-Busch89), die den Besonderheiten des Untersuchungsobjektes in hohem Mal3e gerecht wird. Ziel ist, auf der Basis ausgepragter N~he zum Untersuchungsgegenstand, letztendlich kontextbezogenes und reiches Verstehen. 9~ Es gilt also, den Forschungskontext als zentrales Element yon Erhebung, Analyse und Interpretation zu berticksichtigen. Ohne der Diskussion der Gtitekriterien in Abschnitt 2.2.3 zu weit vorzugreifen, werden Explikation und Reflexion hier zentrale Elemente spielen. Es gilt also zum einen ,,(...) sich selbst in mehrfacher Hinsicht kritisch zu

Siehe bei Huff, 1999, S. 20, zu dieser Art der fokussierendenBetrachmng eines Forschungsgegenstandes und seine Einbetmngin relevante Diskurse. 88 Vgl. Lamnek, 1995a, S. 96. 89 Vgl.Walter-Busch, 1996, S. 53. 90 Siehez. B. Mayring, 1996, S. 104, oder Maxwell, 1996b, S. 17ff.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

17

reflektieren ''9~ und den Forschungsprozess so weit wie m r g l i c h often zu legen. 92 Die Selbstreflexion soil - in Anlehnung an Reason - mit dem Terminus kritische Subjektivit~it bezeichnet werden. 93 Weiterhin m f c h t e dieser Abschnitt aber auch in aller Kiirze - die kontextuelle Einbettung in empirische Pilotstudien skizzieren, die zentral fiir dieses Projekt waren.

Kritische Subjektivit~it In dieser Arbeit soil im Gegensatz zur szientistischen Forschung der Forscher nicht als ,,bias" behandelt werden, also etwas, dessen Einfluss es zu eliminieren gilt, sondern ,,(...) the researcher's technical knowledge, research background, and personal experience ''94 als wertvolle Ressource gesehen werden: ,,My subjectivity is the basis for the story that I am able to tell. ''95 Dies 6ffnet nun nicht Ttir und Tor, unkritisch eigene A n n a h m e n und Werte in die Forschung einflieBen zu lassen, daher der Terminus kritische, d. h. reflektierte Subjektivit~t: ,,(...) critical subjectivity [refers to] a quality of awareness in which we do not suppress our primary experience; nor do we allow ourselves to be swept away and overhelmed by it; rather we raise it to consciousness and use it as part of the inquiry process. ''96 Wie lieBe sich nun geeignet und in gebotener K0a'ze der ,,experiental context" des Autors darlegen? Der Versuch erfolgt basierend auf Peshkin 97 fiber die Beschreibung von vier verschiedenen subjektiven Ichs, jeweils in Sparmungsfelder eingebettet, die diese Arbeit beeinflussen: Technik - Mensch Ich: Dem Technik-Mensch Ich und seinem Spannungsfeld liegt die disziplintibergreifende Ausbildung in Informatik und Wirtschaftswissenschaflen zugrunde. Der anf~nglichen Begeisterung for die idealsierten Welten der Technik wich zunehmende Emiichterung und folgte nachhaltiges Interesse f'tir sozialwissenschaftliche Fragestellungen der Organisationswissenschaften wie auch soziale Aspekte der Lebenswelt. Praxis - Wissenschafl Ich: Das Praxis-Wissenschafl Ich und sein Spannungsfeld fuBt in den Praxisjahren als Unternehmensberater, erst mit Fokus auf IT und Prozesse, sp~iter dann im Feld der Strategie. D e m Staunen, wie Organisationen tiberhaupt funktionieren (k6nnen), folgte zunehmende EmiJchterung tiber weit verbreitete mechanistische und

91 92 93 94 95

Miiller, 1979, S. 10. Vgl. Lanmek, 1995a, S. 26. Siehe z. B. Reason, 1988, S. 12ft. Maxwell, 1996b, 28; siehe ~ihnlichz. B. Strauss, 1987, S. 11. Glesne und Peshkin, 1992, S. 104 (Herv. i. Org.); siehe ~ihnlichz. B. auch Gummesson, 2000b, S. xi: ,,A true scientific approach is intimately personal." 96 Reason, 1988, S. 12; siehe ahnlich auch Reason, 1994. 97 Vgl. Glesne und Peshkin, 1992, S. 93ff., und Peshkin, 1991, S. 285ff.

18

2. Dekonstruktion-,,root distinctions" trivialisierende (Organisations-)Modelle des Denkens und Handelns, mit - fiir die Praxis h~iufig - erschreckenden Ergebnissen.

9

Mainstream - Erkenntnis Ich: Das Mainstream-Erkenntnis Ich markiert nun die Periode als wissenschaftlicher Mitarbeiter - im Spannungsfeld zwischen popul~er Organisationspraxis- und Managementliteratur und elaboriertem Gelehrtenwissen. Theoretische Verfeinerung ringt mit (vordergrtindiger) Praxisn~ihe, risikoreduzierter Mainstream mit Streben nach Verstehen und Sorge um das Bew~iltigen der (hinzu)gewonnenen Komplexit/it.

9

Ziele - Erwartungen Ich: Das Ziele-Erwartungen Ich bezeichnet das Spannungsfeld zwischen pers6nlichen Zielen, wie eine wissenschaftliche Laufbahn oder auch ,nur" Erkenntnisfortschritt und eine solide Forschungsarbeit, und den Erwartungen der restlichen Partner und Knnden. Doktorvater sowie Sponsor und Gatekeeper des Empiriepartners bringen Vorstellungen ein, die berticksichtigt werden wollen und den Lauf der Dinge beeinflussen.

Empirische Pilotstudien Pilotstudien k6nnen vielerlei Einfltisse ausiiben, ,,providing you with existing theory", ,,develop a justification for your study", ,,inform your decision about methods", ,,can be a source of data (...) to test or modify your theories" oder ,,to help you generate theory". 98 Die beiden hier kurz skizzierten Pilotstudien ,,KUB1K" und ,,SE-Innovationsmanagement", beides Forschungsprojekte, die ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl f'tir Betriebswirtschaftslehre - Information, Organisation & Management, der TU Mianchen leiten durfte, zeigten eine ausgesprochene Breite an den oben genarmten m6glichen Einfliassen. Mit Bezug hierauf sollen sie im Folgenden kurz vorgestellt werden.

KUBIK Das Projekt KUBIK (Kundenbindung im Mittelstand durch innovative Intemet-Kommunikation) formulierte als Ziel ,,(...) die St~kung der Wettbewerbsfl~higkeit deutscher mittelstandischer Untemehmen durch zielfiihrende Magnahmen des Kundenbindungsmanagements (Customer Relationship Management, CRM) im Intemet. ''99 Der Forschungsansatz des von der Stifiung Industrieforschung gef'orderten Projekts sah neben dem Transferteil (mit der Website als zentralem Bestandteil) einen intensiven Forschungsteil vor. Hier wurden neben einer Analyse der Sekundarliteratur zahlreiche Fallstudien und Expertlnneninterviews zum Thema durchgefiihrt. Ziel war aus der Theorie ein Wirkungsmodell zum Verst~ndnis der zentralen Zusammenhgnge und Beeinflussungsm6glichkeiten der Kundenbindung abzuleiten. Und es sollten aus der Empirie Erkennmisse insbesondere hinsichtlich einer erfolgreichen Umsetzung eines Kundenbindungsmanagements gewonnen werden.

9s Vgl.Maxwell, 1996b, S. 43. 99 SieheReichwaldet al., 2002, den wissenschaftlichenAbschlussberichtzum Projekt.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

19

Die far diese Arbeit relevanten Auswirkungen sind methodischer wie inhaltlicher Art. Bewusst wurde fiir dieses innovative Themenfeld ein qualitativer Forschungsansatz gew/ihlt, basierend auf in Summe 25 leitfadengestiitzten Expertlnneninterviews, die jeweils digital aufgenommen, in Volltext transkribiert und mit Hilfe der Software WinMax ausgewertet wurden. Ein ~iugerst geeignetes Feld, um Erfahrungen zu sammeln far das Dissertationsprojekt, far das damals schon, begrttndet auf pers6nlichen Prgferenzen, ein qualitativer Ansatz angedacht war.l~176 Auf methodischer Seite gait es Selbstinszenienmgen mit kathartischen Effekten I~ mehrfach zu begegnen und aufnahmetechnische Probleme zu 16sen. Die anfgnglich wenig methodische Auswemmg mit Hilfe von WinMax wurde mehrmals variiert und rief nach einem fundierteren Ansatz, wenngleich die Software sich bew~ihrte und flexibel zeigte. Der Ansatz der ,,data triangulation", also die bewusste Varianz in den Perspektiven und Datenquellen, bewahrte sich auch, deutete aber durchaus den Nutzen einer Erweiterung hinsichtlich der organisatorischen Zielgruppen an.102 Und der Nachteil der ausschliel]lichen Fokussierung auf Expertlnneninterviews als empirischer Methode forderte far dieses Dissertationsprojekt einen breiteren Ansatz in der ,,methodological triangulation", d. h. der Offenheit zur Nutzung verschiedenster Methoden nnd Techniken in der eigentlichen Datenerhebung (wie -auswertung). 1~ Auf inhaltlicher Seite stachen im Kern drei Aspekte hervor, mit Auswirkungen auf dieses Dissertationsprojekt. Der erste Aspekt bezieht sich darauf, dass sich das Thema CRM oder Kundenbeziehungsmanagement ausgepr/igt technisch belegt zeigte, das Thema in den Untemehmen vielfach ,,(...) rein aus der IT gesteuert ':~ wurde. Zugrunde lag ein ausgesprochen mechanistisches Bild der M6glichkeiten. 1~ Dem entgegen standen zwei als/iuBerst erfolgreich wahrgenommene CRM-Projekte in FallstudienUntemehmen, die beide im Kontrast hierzu ganzheitliche Vorgehensweisen beim Kundenbeziehungsmanagement verfolgt hatten) ~ Insbesondere organisationale Aspekte schienen zentral, ein prozessuales Verstandnis f'6rderlich.1~ Als zweiten inhaltlichen Aspekt des Projektes gilt es, eine Analyse zum Relationship Marketing hervorzuheben. Bei unbestrittener Popularitat konnte eine detaillierte Analyse des Konzeptes zahlreiche offenen Flanken verdeutlichen, von der zweifelhaften Abgrenzung zu einem hypothetischen Transaktionsmarketing und dem propagierten Paradigmenwechsel bis hin zu geringer theoretischen

100 In bewusster Abgrenzung vom positivistischen Ideal, ,,(...) that the choice of research approaches and methods should be determinedby the research questions that you want to answer." (Maxwell, 1996b, S. 15) iol Vgl. Trinczek, 2002, S. 216f., oder Kern und Kern, 1988, S. 93ff. io2 Wir hatten uns als Zielgruppen auf verantwortliche Fiihnmgskr~iftedes Marketings bzw. Berater auf Managementebenemit entsprechendemfachlichenFokus konzentriert. ~o3 Vgl Janesick, 2000, S. 391 (mit Verweis aufDenzin, 1978), oder auch Lamnek, 1995a, S. 248ff. 10g [Exp Acc], w aus einem ExpertInneninterviewim Projekt KUBIK; siehe auch Reichwald et al., 2002, S. 93. Diesen starken IT-Fokus reflektiert auch das Gros der praxisorientiertenVer6ffentlichnngenzum Thema CRM, siehe z. B. Hippner und Wilde, 2001, Sexauer, 2004, oder Meta-Group, 1999. ~o5 Siehewamend hierzu z. B. Diller, 1995, S. 50. io6 Bei Consors Discount Broker AG und bei One, Connect Austria GmbH, vgl. Reichwald et al., 2002, S. 118ff. io7 Vgl. Reichwaldet al., 2002, S. 94ff.

20

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Fundierung oder Praxisn~he. 1~ Dies gilt es unzweifelhaft fiir diese Arbeit in geeignetem Mage zu beriicksichtigen. Der letzte relevante Apekt aus K U B I K war der dort erfolgte Fokus auf die mittelst~indische Industrie - bei den Fallstudien mit bewusst gew~ihltem Kontrast zu Grol3untemehmen. Die formulierten Ziele und Ansprfiche ergaben sich als dieselben wie mr die Groguntemehmen. Die Fallstudienuntemehmen liegen jedoch deutliche Vorteile in der (ganzheitlichen) Umsetzung erkennen, die ExpertInnenkommentare allerdings strukturelle Nachteile insbesondere bei etablierte(re)n mittelst~indischen U n t e m e h m e n vermuten, denen gewisse Rtickst~indigkeiten in Organisation, Strategie trod IT unterstellt wurden. Es bleiben also Fragen in Bezug auf die Spezifika in der Umsetzung fftir mittelst~indische Untemehmen, die es in dieser Arbeit zu adressieren gilt.

SE-Innovationsmanagement Das Projekt ,,SE-Innovationsmanagement" bezeichnet ein Teilprojekt im Verbundvorhaben ,,Service Engineering", das sich mit dem Innovationsmanagement yon Dienstleistungen auseinandersetzte. Der Projektantrag flir das Verbundvorhaben merkte bereits kritisch die Forschungslticke in der Innovationsforschung an, sich bis dato ,,(...) fast ausschliel31ich mit dem Bereich der Produktinnovationen und dem Technologiemanagement ''1~ besch~iftigt zu haben. Das Projekt wurde vom Bundesministerium fiir Bildung und Forschung im Rahmen des Programmes ,,Innovative Arbeitsgestaltung" gef'rrdert trod lief von 01/2001-01/2004. H~ Das Teilprojekt ,,SE-Innovationsmanagement" hatte dabei das Ziel, ein Modell zum Innovationsmanagement

von

Dienstleistungen

zu

erarbeiten,

das

gleichermaBen die

Besonderheiten wie Erfolgsfaktoren des Innovierens von Dienstleistungen berticksichtigen sollte. Der Forsehungsansatz sah eine sehr intensive Literaturrecherche vor und - ~mlich zu K U B I K - eine Erg~lzung durch eigene Empirie in Form von Fallstudien und Expertlnneninterviews. Die Literaturrecherche konnte - in Fortschreibung einer bereits existierenden, fundierten Meta-Analyse H1 - ca. 200 Beitrgge der letzten z w r l f Jahre zum Status quo der Forschung zum Themenfeld des Innovationsmanagements von Dienstleistungen erfassen. Die Auswahl von Fallstudienunternehmen wie zu interviewende ExpertInnen erfolgte tiber eine ,,criterion based selection''H2, alle Interviews wurden in Volltext transkfibiert und tiber eine kodierende ,,categorizing strategy ''113 mit UntersttRzung yon M a x Q D A H4 ausgewertet. Erg~nzt und partiell vertiefl wurde dieser Ansatz durch eine in Deutschland, Japan trod U S A

to8 Vgl. Lovric und Schaller, 2003. 109 Siehe den (allerdings unverrffentlichten) Projektanlrag ,,00-10-19 Antrag_SE-FIR.doc" vom 11.01.2001, S. 11, mit den Literaturverweisen auf Benkenstein, 1998, und Meyer und Bliimelhuber, 1998. 11o Frrderkennzeichen (FKZ): 01HR0019, siehe auch http://www.service-engineering.de. 111 Vgl. K~pper, 2001. H2 Vgl. LeCompte und Preissle, 1993, S. 69. Erstere, auf Basis von Daten aus dem Mamaheimer Innovationspanel von 1998 (vgl. Janz und Licht, 1999), mit Fokus auf hochinnovative technische Prim~oder Sekundardienstleister (> 200 MA) (Bereiche 29 und 74.3 im WZ93) Ietztere auf der Basis der LiterattLrrecherchean der Schinttstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. n3 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 78ff. 114 MaxQDA bezeichnet dabei das Nachfolger-Programm des in KUBIK eingesetzten WinMax, siehe z. B. auch Kuckartz, 1999.

2.1 Forschungim Kontext des Themas durchgefiihrte quantitative Studie zur Kundeninteraktionskompetenz im management von Dienstleistungen.115

21 Innovations-

Was waren die zentralen und ffir diese Arbeit relevanten Ergebnisse? Auch sie waren methodischer wie inhaltlicher Art. Die methodischen Aspekte stiitzten im K e m - aufgrund des ~mlichen Forschungsdesigns nicht weiter verwunderlich - die bei KUBIK bereits skizzierten ,,lessons learned" ~ r dieses Dissertationsprojekt. Auf inhaltlicher Seite gilt es insbesondere einen Punkt hervorzuheben. ()her alle Fallstudien wie Expertlnneninterviews hinweg zeigt sich zwar, dass die Innovation ,,(...) heute als betriebswirtschaflliche Funktion in den Unternehmen erkannt und (...) zunehmend auch in Form gebracht [wird] ''116, in allen Untemehmen also ein zentrales Thema formuliert. Es zeigt sich jedoch auch, dass Innovationen schwer greifbar sind, sich einer Planung in den gewohnten Bahnen von F&E (insbesondere filr Sekundardienstleister) entziehen) 17 Und fiir Innovationen mittlerer bis grol3er Innovationsh6he fanden sich demnach auch unisono bei allen Fallstudienunternehmen Ans/itze, die diesem Umstand zu begegnen suchen, also (implizit) von einem ManagementVerstandnis der direkten Plan- und Steuerbarkeit abgeriickt waren. Insbesondere Ans~itze der bereichsiibergreifenden, h~iufig informalen Vernetzung wurden betont. Mangelnde Marktkenntnis und zu stark aus einem Innen- oder Technikfokus getriebene Innovationsvorhaben manifestierten die zentralen Faktoren gescheiterter Innovationsvorhaben. Eine Analyse von Besonderheiten wie Erfolgsfaktoren erg~nzte dann die Basis flir das Modell zum ganzheitlichen Innovationsmanagement. Das absolute Gros der theoretischen wie empirischen Forschung im Themenfeld ,,service innovation" besch~tftigte sich im Kern mit Aspekten der (organisatorischen) Gestaltung von Innovationsprozessen. Dieser - nicht nur vom zugrunde liegenden Organisationsverstandnis - sehr deterministisch und instrumentell gepr/igte Fokus vemachl/issigte nun leider zum Grol3teil wesentliche Erfolgsfaktoren des Innovierens von Dienstleistungen, wie z. B. solche des ,,service-/company fit''118. Prominente Ans~itze aus der Literatur zum Innovationsmanagementll9 schliel3en sich weitgehend dieser instrumentellen Pr~igung an. Angestrebt war eine Einbettung in einen gr613eren Kontext, Innovationsmanagement demnach als bewusste Gestaltung des Innovationssystems, also nicht nur einzelner Prozesse, sondem auch der Institutionen, innerhalb derer die Prozesse ablaufen. Management dabei nicht verstanden als rein instrumentelles Planungsproblem, sondem eher

H5 Vgl. Reichwaldet al., 2003a. 116 [Exp 030227], w 117 Vgl. [Exp_030227], w [FSt030806], w Zur (wissenschaftlichen) Abgrenzung von F&E- zum Innovations-Managementsiehe z. B. Hauschildt, 1997, S. 27f., oder auch Gerpott, 2001, S. 241f. Hs Dieser Aspekt wird h~iufig auch mit ,,synergy" bezeichnet und bezieht sich im Kern auf Faktoren der Mitarbeiter- nnd Ressoureenorientiernngin Ubereinstimmungmit der Innovation, siehe z. B. Cooper und de Brentani, 1991, de Brentani, 2001, Easingwoodund Storey, 1991, oder Storey und Easingwood, 1996. i19 Siehe z. B. Hauschildt, 1997, Vahs und Burmester, 2002, oder Leifer et al., 2000, meist jedoch mit Fokus auf Sachgiiterinnovationen.

22

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

im

Sinne

von

Aufgabenbereichen

KontextsteuerungJ 2~ Das bzw.

schlieBlich

Gestaltungsfetdern

des

erarbeitete

Modell

zu

Innovationsmanagements

den (von

Dienstleistungen) suchte in einer integrierten, ganzheittichen Sichtweise dabei den industrie6konomisch marktorientieren Ansatz der ,,market-based view ''121 mit dem ressourcenorientierten Ansatz der ,,ressource-based view ''12z (in erweiterter Form) erg/inzend zusammen zu ftihren, also sowohl das Umfeld des Untemehmens wie auch die intemen F/ihigkeiten und Ressourcen in die Betrachtung mit einzubeziehen (siehe Abbildung 5). 123 Eine Offntmg ftir exteme (Netzwerk-)Partner, in Anlehnung an die Ideen zum Ansatz der ,,open innovation" war ebenso von B edeutung. 124

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Abbildung 5: Ganzheitliches Modell zum Innovationsmanagement von Dienstleistungen Was blieb, war natiarlich das ausgesprochen hohe Abstraktionsniveau des Modells. Und in dem MaBe, wo zunehmend ,,(...) die klassischen Planungstechniken der Betriebswirtschaftslehre [zu] versagen ''125 scheinen, stellte sich die Frage, wie sich ein Innovationssystem basierend auf alternativen Theorien und Verst~aadnissen betrachten und erarbeiten lieBe. Ftir Folgeuntersuchungen (wie dieser) galt es also, geeignete(re) Organisations- und Managementtheorien zugrunde zu legen. A u f methodologischer Seite zeigte sich Forschungsbedarf an kontextreichen, qualitativen Untersuchungen als Erg~nzung der

bestehenden,

primer

quantifizierenden

(Weitwinkel-)Empirie

auf

Makro-

oder

120 Vgt. Willke, 1999b, S. 50f., oder S. 68f.; siehe ~ihnlich,im Kontext des Wissensmanagements Von Krogh et al., 2000, S. 7, oder aus Sicht tier Management- und Organisationslehre Schrey6gg, 2002, S. 483. ~zl Siehe z. B. Porter, 1998. ~2z Siehe z. B. Andrews, 1987, oder Barney, 1997. ~23 Vgl. Corsten, 1998, S. 16ff. 124 Vgl. Chesbrough, 2001, oder z. B. Chesbrough, 2003c. 125 [Exp_030227], w

2.1 Forschung imKontext des Themas

23

M e s o e b e n e ) 26 Und nicht zuletzt ,,(...) ein ausgeprggter(er) Schulterschluss der Forschung zu Dienstleistungsinnovationen mit der bestehenden Forschung zmn Innovationsmanagement, die bisher noch iJberwiegend technik- und produktorientiert ist 127'', schien FOr ktinftige Forsehungsprojekte wie dieses wtinschenswert. Denn letztendlich miassen auch Dienstleistungsinnovationen immer im Zusammenhang mit materiellen Innovationen gesehen werden - und urngekehrt.12a

2.1.2

Paradigmenweehsel im Marketing

,,It is reasonable to claim that marketing has achieved the position of, ,(...) a legitimate scholarly discipline '129 and is respected by academics and practitioners in the fields of management, economics, psychology, sociology and other social science professions. ''13~ Das Marketing kann in Wissenschaft und Praxis ftirwahr auf eine eindrucksvolle Entwicklung zuriackblicken. Waren die Anflinge des Marketings zu Beginn des 20 Jahrhunderts noch im Wesentlichen deskriptiver Natur, zeigt sich die Diszplin im neuen Jahrtausend ausgeprggt diversifiziert oder auch fragmentiert in seinen Theorien. 131 Zahlreicher als seine Definitionen seien nur noch seine Kritiker, wird vielfach gespottet. Mit zunehmender Vehemenz wird insbesondere gegen~ber dem dominierenden Marketingmanagement-Konzept - die Notwendigkeit eines radikalen Umdenkens, ein Umbruch gefordert: ,,An abundancy of scholarly research and practitioner proclamations have suggested that marketing is undergoing a fundamental, epoch breaking change. ''13z Dieser Abschnitt m6chte - in aller gebotenen Ktirze wie Tiefe - die Entwicklung des Marketings skizzieren, die Grundlagen und -annahmen des vorherrschenden Marketingrnanagement-Konzepts diskutieren und das Relationship Marketing als p o p u l ~ e n Gegenentwurf vorstellen. Zudem soil ein Ausblick gewagt werden. Ziel ist es, eine fundierte Grundlage zu schaffen sowohl D r die sp~itere Diskussion des Status quo von Forschung und Praxis zur Schnittstellenproblematik zwischen Marketing und F & E (siehe Abschnitt 2.1.4133) wie auch D r die sp~itere theoretische Verortung in der ,,relational network"-Theorie des Relationship Marketing (in Abschnitt 2.3.1).

126 127 ,2s 129 ~30 131

Vgl. Walter-Busch, 1996, S. 53. Schaller et al., 2004a, S. 154f. (mit Verweis auf Gerpott, 2001, S. 241 f.). Vgl. [Exp_030227], w Sheth et al., 1988, S. 183. Morgan, 1996, S. 23. Siehe z. B. Mtller, 1992, S. 197: ,,From a fairly monolithic theoretical position in the 1960's we have traveled to a world of highly differentiated and specialized research scene (...)." 132 Palmer und Ponsonby, 2002, S. 173. m Wobei als Grtmdlage Ffir die Diskussion des Status quo zur Schnittstellenproblematik zwischen Marketing und F&E natfirlich neben diesem Abschnitt, der sich dem Marketing widmet, noch der Abschnitt 2.1.3 zu sehen ist, der sich als erg~inzendesGegenstiick in ~ihnlicherForm dem Innovieren widmet.

24

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Marketingphiiosophische Grundlagen Als Basis einer fruehtbaren Diskussion des Marketings gilt es zu differenzieren zwischen dem Marketing als Philosophic, als Konzept oder als Funktion) 34 A m wenigsten strittig scheint die philosophische Grundlage des Marketings, wobei es auch hier die Kontextualit~it zu beachten gilt) 35 Mitte der 50er Jahre, in einer Phase des Wandels von Verkaufer- zu Kauferm~kten und mit der zunehmenden Etablierung des Marketings in Wissenschafl wie Praxis, formulierte Drucker - vielfach zitiert seitdem - pr~ignant die Philosphie und den Anspruch des Marketings als ,,general management responsibility": ,,There is only one valid definition o f business purpose: to create a satisfied customer. It is the customer who determines what the business is. Because it is its purpose to create a customer, any business enterprise has two and only these two - basic functions: marketing and innovation. (...) Actually marketing is so basic that it is not just enough to have strong sales force and to entrust marketing to it. Marketing is not only broader than selling, it is not a specialized activity at all. It is the whole business seen from the point o f view o f its final result, that is, from the customer's point o f view. ':36 Die Folgejahre waxen gepr~igt v o n d e r Entwieklung des MarketingmanagementKonzepts in den 60er Jahren (h~iufig als die Geburtsstunde des ,,modernen Marketing" bezeictmet), dem Fokus auf vertikalem und strategischem Marketing in den 70er trod 80er Jahren bis hin zum zunehmenden Ansprueh einer integrierten, ganzheitlichen marktorientierten F0hnmg in den 90er Jahren) 37 In diesem Kontext formuliert Bruhn den Grundgedanken des Marketings als die konsequente Ausriehtung des gesamten Unternehmens auf die Bediirfnisse des Marktes) 38 Als zentrale Elemente auf dieser Basis fokussiert die Marketingphilosophie also Kunden- und Marktorientierung und Aspekte tier integrierten, ganzheitliehen Umsetzung. Die wissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre zeigt dabei einen zunehmenden Wandel im Verst~indnis des Marketings, weg von einem instrumentellen Verst~indnis

des

Marketings

als

operative

Beeinflussungstechnik

hin

zu

einer

funktionstibergreifenden, integrierten Interpretation als marktorientierte Fiihrungsphilosophie und Leitbild des Managements) 39 Dieser Wandel manifestiert sich nicht zuletzt auch in zahlreichen Versuchen, das existierende und dominierende Konzept des Marketing-Mixes diesen gewandelten Ansprtichen anzupassen.14~

134 ggl. Morgan, 1996, S. 19; siehe ~ihnlichz. B. bei Meffert, 2000, S. 6s 13s Hier und im Folgenden bezieht sich das Dargelegte mit regional/kulturellem Fokus auf die westlichen Industriel~nder und Deutschland sowie auf Unternehmungen als Wirtschaftssubjekte. 136 Drucker, 1954, S. 37 (nach Webster Jr., 1988, S. 31), ~ihnlichsiehe z. B. auch Levitt, 1960, S. 47. 137 FOr einen I]berhlick zu den Entwicklungsstufen des Marketings siehe z. B. Bruhn, 2002, S. 15ft., Meffert, 2000, S. 4ft., oder Meffert, 1999, S. 411s Mit Fokus auf die Theorien des Marketings siehe z. B. Shethet al., 1988. 138 Vgl. Bruhn, 2002, S. 13. t39 Siehe z. B. die 1999 durchgefiihrte Studie des Instituts ftir Marketing hierzu (Meffert und Bongartz, 2000). 140 Die Titel verraten meist schon die Absicht und deuten den Weg an: ,,broadening", ,,deepening", ,,extending" oder ,,repositioning", siehe z. B. Kotler und Levy, 1969, Kotler, 1972, Enis, 1973, Foxall, 1989, oder Dixon und Diehn, 1992.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

25

Geburtsstunde des ,,modernen Marketing"

Das Marketing-Mix-Konzept (i. d. R. gleichbedeutend mit Marketingmanagement-Konzept) wurde von Borden 1953 auf der AMA eingefahrt, basierend auf einer Studie tiber Marketingkosten von Culliton. :41 McCarthy stellte den ursprfinglich vorgeschlagenen zw61f Elementen eines Marketing-Mixes ein eigenes Schema entgegen - neben zahlreichen anderen Autoren, die ebenfalls Klassifikationen yon Marketingaktivit~ten entwickelt hatten. :42 Sein Schema, auf vier zentrale ,,marketing decision variables" ,,price, place, product and promotion" reduziert und mit pgdagogischem Fokus als die sogenannten 4 P's bezeichnet, sollte sich behaupten - und das dominante, ,,undisputable paradigm" werden, ,,(...) the validity of which is taken for granted. ''143 Die aktuelle Definition der American Marketing Association (AMA) zum Marketingkonzept spiegelt diese urspriingliche Orientierung immer noch zentral wieder: ,,Marketing is the process of planning and exacting the conception, pricing, promotion and distribution of ideas, goods and services to create exchange and satisfy organizational objectives. '':44 Dies mag erstaunen, ist das Marketingmanagement-Konzept doch nicht unwesentlich gepr~gt durch den historischen wie kulturellen Kontext seiner Entstehung. :45 Sheth und Parvatiyar verdeutlichen dies, indem sic fiber eine historische Analyse das Marketing(management-Konzept) der Nachkriegszeit einbetten in die damalige Phase der Massenproduktion und des Wandels zu K/iuferm~rkten: ,,During the height of the industrial period, marketing practices were aimed at promoting mass consumption. Developed out of the need to support the mass production machinery, the emphasis was directed at increasing the sale of products. Both personal and impersonal manifestations of the selling 'force' were found increasingly in business, supported by other activities, such as advertising and promotion. Marketing was considered successful only when it resulted in sale. Measures of marketing performance were linked, as still is the practice today in many companies, to sales and market share. '':46 ,,Beyond the surface "147 - Dekonstruktion der Annahmen

Interessant ist es, sich das Profil der zugrunde liegenden Annahmen in Bezug auf ,,nature of exchange, unit of analysis, and context of managerial actions" ngher zu betrachten. Geprggt ist die Marketingmanagement-Tradition durch seine Annahmen in Bezug auf StimulusReaktions(SR)-artige, unabh~ngige Transaktionen zwischen der Firma und ihren Kunden in

141 Vgl. Borden, 1965, Culliton, 1948 (nach Gr6nroos, 1989, S. 2, und Van Waterschoot und Van den Bulte, 1992, S. 84). ~42 Vgl. McCarthy, 1960. Siehe z. B. die Verweise auf Klassifikationenvon Frey, Howard, Lazer und Kelly oder auch Oxenfeldt bei Van Waterschoot und Van den Bulte, 1992, S. 84, oder auch Kent, 1986, S. 146.; oder auch die Parameter-Theorieder KopenhagenerSchule (vgl. Gr6nroos, 1997a, S. 5). 143 Gr6nroos, 1989, S. 2 (mit Verweis auf Gr6nroos, 1990b,und Kent, 1986). 144 AL1sMorgan, 1996, S. 20, entnommen. ~4s Vgl. Gummesson, 1987a, S. 4, oder Palmer und Ponsonby,2002, S. 179ff. 146 Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 406. 147 M611er,1992, S. 198.

26

2. Dekonstruktion ,,root distinctions"

kompetitiven M~kten. Der mikro6konomische Hintergrund schlggt Annahme atomistischer Konsumentenm~irkte aus unabhangigen passiven Akteuren] 48 Die dominante Sicht ist dabei statischer Natur, funktionalistischen Paradigma verankert 149 und mit ausgesprochener

sich auch nieder in der und im Wesentlichen im positivistischen oder Dominanz quantitativer

Forschungsmethodologie. Ziel ist ,,(...) to develop explanatory and predictive models for optimal marketing segmentation and positioning solutions, and for the subsequent optimal marketing mix. ':5~ Die empirische Fundierung und auf dieser Basis der implizite Anwendungskontext liegen in Konsumgtitermassenmgrkten.~51 Die innewohnende funktionale Orientiertmg sieht die Organisation der Marketingaufgaben in spezialisierten, separaten Abteilungen vor: ,,The marketing organization is structured around clearly delineated functions such as sales, marketing planning and advertising", m Das Urteil von M611er in seiner Meta-Analyse von ,,major research traditions in marketing" f~illt auf dieser Basis eindeutig aus: ,,Though remarkably popular, the marketing management tradition is silent of many aspects of marketing-related phenomena. ''153 Seiner Meinung nach kfnne die Entwicklung, d. h. Diversifikation, der Disziplin zum Teil interpretiert werden als Reaktionen auf den engen Fokus und die zugrunde liegenden Annahmen der MarketingmanagementSchule. Die 4 P's - ,,taken for g r a n t e d " o d e r ,,prescriptive, p o l e m i c a l , p e r m a n e n t and problematical,,? ls4

Ausgangspunkt aller Kritik ist die dominierende Position des Marketing-Mix-Konzepts, als ,,(...) holy quadruplet (...) of the marketing faith (...) that is written in stone. ':55 Dabei scheint sich schon lgnger eine Wende abzuzeichnen, allzu deutlich t6nt die Kritik. Ausmafl und Umfang des Wandels sind derzeit aber noch nicht abzusehen. Die geforderten Konsequenzen der ,,scientific community" auf ,,the weakening of the marketing paradigm ':56 reichen von Nachbessenmgen bis hin zum radikalen Bruch und Paradigrnenwechsel. Es mangelt nicht an Versuchen, tiber ,,patches ''157 den Ansatz der 4 P's zu flicken, neue P's hinzuzut'tigen158. Und eine Inflation an unterschiedlichen - oder zumindest unterschiedlich bezeichneten -

~4s Vgl. Gummesson, 1987a, S. 12. 149 Siehezum positivistischenParadigma z. B. Guba trod Lincoln, 2000, S. 109f.; vgl. zum funktionalistischen Paradigma Burrell trod Morgan, 1979, S. 22. 150 M611er,1992, S. 211. 151 Siehez. B. Gummesson, 1987a, S. 17ff. 152 Gtmunesson,1987a, S. 12. 153 M611er,1992 154 Brownlie und Saren, 1992, S. 34. 155 Kent, 1986, S. 146. 156 Piercy, 1998, S. 222. ts7 Vgl. Gummesson, 1993, S. 253. 158 Siehez. B. ,,people" als fitnftes P bei Judd, 1987, Kotler, 1986, fiigt ,,public relations" und ,,politics" hinzu zu ingesamt 6 P's, Booms und Bitner, 1982, landen wie Magrath, 1986, sogar bei 7 P's, Baumgartner, 1991, gar bei 15 P's. Weitere Versuche siehe z. B. Christopheret al., 1983.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

27

(Marketing-) Konzepten buhlt um Aufmerksamkeit: Da ist die Rede von ,,new marketing", ,,postmodem marketing", ,,mega marketing", ,,optimal marketing", ,,one-to-one marketing" oder ,,relationship marketing". 159 Mit umfassendem Emeuerungsanspruch treten dabei insbesondere zahlreiche Vertreter des Relationship Marketing auf, die z. T. gar einen Paradigmenwechsel fordern.16~ Bevor dieser Ansatz des Relationship Marketing vorgestellt und diskutiert werden soil, stellt sich aber natiMich noch die Frage nach den zentralen Kritikpunkten am traditionellen Marketingmanagement-Konzept. Diese haben schlussendlich ja nicht nur zur Entwicklung des Relationship Marketing beigetragen, sondem auch die Wahl des flir diese Arbeit zentralen marketingtheoretischen Ansatzes der ,,relational network"-Theorie aus dem Relationship Marketing

gepr~igt.

Und

nicht

zuletzt

sind

auch

Entscheidungen

in

Bezug

auf

Forschungsmethodologie und -methoden dadurch beeinflusst worden. Als Kritikpunkt gilt es ganz zentral und zuoberst den der ausgesprochen geringen Validit~it zu nennen, d. h. im Kern seiner Praxisferne. 161 Dieser Umstand findet sich nicht zuletzt in der vielfach beklagten und nachgewiesenen Implementiemngslficke: ,,Studies o f the marketing practice (...) have consistently shown a sizeable and persistent gap between what the marketing concept says that they should be doing and what they are doing. They have also shown a large number o f finns still struggling with the most basic o f marketing approaches. Problems o f implementation abound. ''162 Der ausgepr/igten und impliziten Verankerung des Marketingkonzepts und seiner empirischen Forschung im Kontext von GroBunternehmen gem/il3, wird dies dartiber hinaus zus/itzliche Herausfordertmgen ffar kleine und mittlere Untemehmen (KMU) aufwerfen. 163 Will man den Ursachen der geringen Validitiit auf den Grund gehen, so bieten sich zum einen die im heutigen Kontext des Wirtschaftens nicht mehr geeigneten Annahrnen an und die - wie oben auch schon erwahnt - zahlreiehen blinden Flecken, insbesondere in Bezug auf die Kontexte des Marketings von Dienstleistungen oder des interorganisationalen Marketings. 164 V e r s c h ~ f t wird das Problem der geringen Validitgt aber auch durch den ausgesprochen

ls9 Siehe z. B. Grant, 1999, Firat et al., 1995, Kotler, 1986, Corstjens und Merrihue, 2003, Peppers et al., 1999, oder Sheth und Parvatiyar, 2002. x60 So zweifelhaft auch der Bezug auf den in diesem Zusammenhang durchaus kritisch zu beurteilenden Begriff des Paradigmas ist und so vage vielfach die Begriindungen flit den angemeldeten Anspruch bleiben (vgl. Eggert, 1998, S. If.). 161 Siehe z. B. Morgan, 1996, S. 20, Gummesson, 1993, S. 248, Gr6nroos, 1997a, S. 6, Meffert, 1999, S. 413 (mit Verweis aufHansen und Bode, 1998). t6z Brownlie und Saren, 1992, S. 36 (mit Verweis auf Hooley und Lynch, 1985, oder Wong et al., 1989); siehe ~ihnlich zur ImplementierungsliJcke in der deutschen Industrie z. B. den ,,Mtinsteraner Marketing Index" (MMI) (vgl. Backhaus, 1996, S. 18f.), oder auch Backhaus, 2003, S. xi (mit Verweis aufHilker, 1993). 163 Siehe z. B. Gurnmesson, 2002a, S. 332, Piercy, 1986, S. 269. 164 Vgl. Gummesson, 2002a, S. 332: ,,Marketing as the science of missing the obvious". ,~hnlich siehe z. B. auch bei Meyer, 1998b, S. 1906, oder Backhaus, 2003, S. xiv: ,,Ira Investitionsg/iter-Bereich steckt das Marketing noch weitgehend in den Kinderschuhen."

28

2. Dekonstntktion- ,,root distinctions"

operativ-instrnmentellen und nach auBen gerichteten Fokus des MarketingmanagementKonzepts - unter nahezu vollstandiger Ausblendung organisationaler Aspekte: 16s ,,(...) this ideology seems to have polemically downgraded internal managerial and organizational issues in order to sustain the legitimacy of its external fOCUS.~'166 Neue komplexe und dynamische ,,macro-environmental forces", wie verst/irkter Wettbewerbsdruck, technologischer Fortschritt, Fragmentierung der M~irkte sowie verandertes K~iuferverhalten, haben zudem den Kontext des Wirtschaflens seit der Geburt des Marketings radikal ver'm'adert) 67 Der Wettbewerbsdrnck forciert Aspekte der Kundenbindung und -loyalit/it, der technologisehe Fortschritt erm6glicht neue Formen der Interaktion, Integration und Kooperation in Wertschrpfungspartnerschaflen. Und auch das soziale Umfeld hat sich massiv ver~ndert und Kunden hervorgebracht, ,,(...) who want greater control, are less willing to be passive participants in the marketing process, and have been given more means to take control. ''168 Und man krnnte auch das andauernde Wachstum des Dienstleistungssektors hier dazu z/~hlen. Der Bedeutungszuwachs von Dienstleistungen betont nachhaltig relationale Aspekte der prozesshaften, dynamischen und funktionsiabergreifenden Interaktion mit Kunden und Integration von Kunden in Wertschrpfungsprozesse.169 Die letztendliche Konsequenz ist, dass nach Meinung nicht weniger Marketingforscher das ,,exchange paradigm", mit seinem Fokus auf ,,value distribution" und ,,outcome" sich aberlebt hat.17~ Er wird als unzureichend angesehen in Szenarien kooperativer Wertschrpfung mit zunehmend offenen und flexiblen Rollenverteilungen und flieBenden organisatorischen Grenzen) 71 Und sogar der Begriff des ,,relational exchange", wie er von manchen Autoren Verwendung findet 17z, scheint in diesem Zusammenhang unangebracht. ,,The marketing actors cooperate to share resources and engage in joint value creation, such as coproduction, research and development partnering, and comarketing. In these arrangements, exchange, if any, is incidental. The primary activity relates to value creation through joint action by participants in a relational engagement. The outcome in this engagement is not necessarily an exchange of values; it is instead a process of value creation through cooperative and collaborative effort. ''173 Beziehungen werden als die grtmdlegendere ,,unit of analysis" angesehen als die Austauschakte, die in ihnen von statten gehen: ,,Focusing on exchange is

165 Siehez. B. Piercy, 1985, S. 15, oder auch Mrller, 1992, S. 211. 166 Brownlie und Saren, 1992, S. 37. 167 Siehe z. B. Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 403ff., Palmer, 2002, S. 83ff., Day und Montgomery, 1999, S. 6ff., Zinkhan und Pereira, 1994, S. 187ff., Aijo, 1996, S. 12f. Oderjeweils einleitendz. B. bei Meffert, 2000, S. 4ff., Becker, 2002, S. lff., Hooley et al., 1998, S. 14ff., Bruhn, 2002, S. 15ff. 168 Day und Montgomery, 1999, S. 8 (mit Verweis auf Weiner und Brown, 1995). ~69 Siehez. B. Meyer, 1998b, S. 1909f., Meffert, 1994, S. 532f., Meffert und Bruhn, 2003, S. 737ff., Zeithaml und Bitner, 1996, S. 30ff., oder Grrrtroos, 2000b, S. 299ff. 170 Sheth und Parvatiyar, 2000, S. 138. 171 Vgl. Gumrnesson, 1996, S. 39. 172 Siehez. B. Dwyer et al., 1987, Morgan und Hunt, 1994, oder auch Gundlachund Murphy, 1993. 173 Shethund Parvatiyar, 2000, S. 139f. (mit Verweis aufHeide und John, 1990).

2.1 Forschung irn Kontext des Thernas

29

considered too narrow a view. ''174 Als Alternative, mit dem Potenzial zum Erklgren prozesshafter trod kooperativer Szenarien von Interaktionen in Netzwerken von Beziehungen, wie sie sowohl zwischen Untemehmen und Endkunden wie anch unter Untemehmen an Bedeutung gewinnen, wird das ,,relational paradigm" propagiert. Abbildung 6 sucht diesen Wandel zu visualisieren. Process

Value

Outcome

Abbildung 6: Paradigmenwandel im Marketing 175 Jedoch auch auf methodologischer Ebene wird Kritik am positivistisch-quantitativem ,,mainstream" des Markefingmanagement-Konzepts 176 getibt. Insbesondere die Vertreter der sogenarmten ,,Nordic School ''177 treten hier hervor und empfehlen alternative Ans/itze, um Komplexit~it, Dynamik, Kontextualit/it und Zeit von Interaktionen in Netzwerken yon Beziehungen empirisch erfassen und verstehen zu k6nnen) 78 Und auch die dualistische Natur und soziale Dimension von Beziehungen und Netzwerken ,,(...) call for differentiated use o f methodology. 'a79 Gummesson empfiehlt nachdrticklich und explizit qualitative Methodologie und induktives Vorgehen fiber ,,(...) case-study research, recognising wholeness, complexity, chaos, ambiguity and the need for in-depth understanding; grounded theory, generating theory by letting reality emerge and become gently conceptualised without forcing; (...) [and] action research, where the researcher is both involved in making things happen and doing detached reflecting". 18~

174 175 176 177

Gr6rtroos, 1996b, S. 8. Ahnlich siehe z. B. Gr6nroos, 1999, S. 329. In Anlehnung an Sheth und Parvafiyar, 2000, S. 137. Siehe z. B. Hunt, 1994, S. 17ff. Zur ,,Nordic School" of Relationship- oder vielfach auch Service-Marketing, siehe z. B. Gummesson et al., 1997, Gr6nroos und Gumrnesson, 1985 oder auch das Sonderheft des European Journal of Marketing, Vol. 30, No. 2, 1996 zu ,,Nordic Perspective on relationship marketing". J7s Jedoch finden sich natiirlich durchaus auch Stimmen aus anderen Richtungen, siehe z. B. Kent, 1986, S. 150ff. 179 M611er,1992, S. 210 180 Gummesson, 2002a, S. 345; siehe ~hnlich Gummesson, 1994b, S. 18f,, Gummesson, 1997c, S. 57, Gummesson, 1998, S. 247, oder Gummesson et al., 1997, S. 15.

30

2. Dekonstrnktion - ,,root distinctions"

,,Relationship M a r k e t i n g - a marketing p a r a d i g m for the 1990s and b e y o n d "18~

Ein ,,rebirth o f marketing"182: wird also angestrebt, auf der Basis einer relationalen Perspektive. Der Ansatz des Relationship Marketing hat dabei welt fiber einen kurzfristigen Trend hinaus nachhaltig grofSe Resonanz gefunden, wie zahlreiche Sonderhefte, KonfererLzen und sogar erste Forschungszentren betonen) 83 Und selbst fiihrende Vertreter des ,,exchange paradigm" wie Bagozzi, Kotler und Hunt 184 haben sich mittlerweile den relationalen Aspekten des Marketings zugewandt) 85 Nicht wenige gestehen dem Relationship Marketing dabei sogar das Potenzial ftir eine ,,general theory o f marketing" zu, ,,(...) as its fundamental axioms better explain marketing practice. ''186 Und dennoch, ,,[r]elationship marketing is still in its infancy as a mainstream marketing concept") 87 Es umfasst ein reichlich fragmentiertes Feld an Ideen und theoretischen Modellen - so scheint es also unerl~isslich, vor einer Beschreibung der zentralen Charakteristika, einen Blick auf seine Ursptinge zu werfen. Der terminologische Ursprung wird t~blicherweise auf zwei unabh~ingig voneinander agierende Autoren zurtickgefi;dart, die den Begriff erstmals verwendet haben, Barbara Bund Jackson in einem Projekt im Kontext des ,,industrial marketing" in den sp~iten 70er Jahren und publiziert 1985, sowie Berry im Kontext des ,,service marketing" in einem Konferenzbeitrag 1983.188 Damit sind mit dem ,,industrial marketing" und dem ,,service marketing" auch schon die zwei zentralen ,,disciplinary roots o f relationship marketing ''189 genannt. 19~ 9

Im ,,industrial marketing" ist insbesondere der Einfluss des ,,interaction and network approach" zu betonen, der Austauschprozesse und Beziehungen unter dyadischer Perspekte und in einem Netzwerkkontext betrachtet. Die UrspfiJaage gehen auf die sp~iten 70er Jahre z u ~ c k , die Entwicklung ist stark gepr~tgt v o n d e r Forschung der Mitglieder der

is1 Gr6nroos, 1999, S. 327. t82 In Betonung des ,,rebirth of marketing practices of the pre-industrial age" (Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 399). Siehe auch Gr6nroos, 1999, S. 333, Gummesson et al., 1997, S. 11, oder bereits Webster Jr., 1988, S. 36. is3 Siehe Sonderhefle wie z. B. International Business Review 4/4 1995, European Journal of Marketing 30/2 1996, Asia-Australian Marketing Journal 2/1 1994 und 4/1 1996, Journal of the Academy of Marketing Science 23/4 1995 oder Industrial Marketing Management 26/2 1997, 28/5 1999, 33/3 2004. Und siehe dedizierte Journals, wie z. B. das ,,Journal of Relationship Marketing", oder Konferenzen, wie z. B. das ,,International Colloquium of Relationship Marketing", j~hrlich seit 1993, oder Forschungszentren, wie z. B. das ,,Center for Relationship Marketing" an der Emory University, Atlanta, USA. ~s4 Siehe z. B. Bagozzi, 1975, Kotler, 1972, und Hunt, 1983. ~s5 Siehe z. B. Bagozzi, 1994, Kotler und Bliemel, 1999, und Morgan und Hunt, 1994. 186 Sheth und Parvatiyar, 1995, S. 414, ~ihnlich siehe z. B. auch Gummesson, 2002a, S. 326, oder Grrrtroos, 1997a, S. 13. 187 Grrnroos, 1997a, S. 9. tss Vgl. Jackson, 1985, und Berry, 1983 bzw. Berry, 2002. ~s9 Mrller und Halinen, 2000, S. 32. ~9o Auf andere mrgliche Wurzeln, z. B. in der Forschung zu ,,channel relationships" oder zu ,,database and direct marketing" soil hier nicht n~ihereingegangen werden (vgl. Mrller nnd Halinen, 2000, S. 36f., Brodie et al., 1997, S. 383f.)

2.1 Forschung im Kontext des Themas

31

,,Industrial Marketing and Purchasing Group" (IMP Group). 191 Der ,,interaction and network"-Ansatz unterscheidet dabei nicht zwischen Dienstleistungen und Produkten, sondern betrachtet ,,(...) all kinds of resources that are exchanged through interactive relationships. ''192 Parteien in einem Netz aus Beziehungen k6nnen dabei alle aktiv sein u n d e s wird von starken Interdependenzen aufgrund heterogener Ressourcen am Markt ausgegangen. Die methodologische Orientierung der europgischen Forschung liegt dabei im Kontrast zur Nordamerikanischen auf ,,(...) understanding through historical case analysis. ''193 In den sp/iten 70er Jahren finden sich auch die ersten Ursp15inge zum ,,service marketing": ~94 ,,(...) those involved soon realized that there was something different about marketing services and managing services. There were issues and problems they hadn't faced in manufacturing and packaged-goods companies. ''195 Die konstitutiven Eigenschaften von Dienstleistungen (gerade im Kontrast zu Produkten) betonten insbesondere die prozessuale und interaktive Natur yon Kundenbeziehungen, aber auch die organisationalen Aspekte des Dienstleistungsmarketings. Die Forschung zum ,,service marketing" fokussierte primar Fragen zum Management von Dienstleisttmgsqualittit und ,,service encounters/service experience". 196 Aber auch der Diskurs zum intemen Marketing fand hier seinen Ursprung. Der Stand der Forschung zum Dienstleistungsmarketing ist jedoeh auch geprtigt von gering ausgepragtem theoretischen Entwicklungsgrad bei den breiten, normativ orientierten Modellen wie auch ein Mangel an theoretischer Fundierung der zu groBen Teilen qualitativ und induktiv orientierten empirischen Forschung. Diese beiden Str6mungen sind durchaus yon Unterschieden geprtigt insbesondere in Bezug auf Annahmen hinsichtlich der relationalen Komplexit/it von Konsumenten- vs. interorganisationalen Beziehungen. So differenziert z. B. M611er diesbez~iglieh zwischen einem ,,market-based" und einem ,,network-based" Relationship Marketing) 97 Nichtsdestotrotz gibt es Kem-Charakteristika, die der Philosphie des Relationship Marketing zugrunde liegen. Sie sollen im Folgenden kurz skizziert werden, jeweils far die zentralen Schulen des Relationship Marketing 19s aus der Sicht prominenter Vertreter.

191 IMP bezeichnet dabei einen Markennamenund eine Forschungsidentittit.Die Gruppe hat ihren Ursprung an der Universit~t von Upsala in Schweden und umfasst namhafte Wissenschaftler wie z. B. Hakansson, Halinen, Ford, Johansson, Mattsson, Snehota, Wootz, Axelsson, M611eroder T6mroos, vorwiegendaus dem skandinavischenRaum. 192 M611erund Halinen, 2000, S.39. 193 MSller und Halinen, 2000, S.37, siehe ahnlich Brookes und Palmer, 2004, S. 214 (mit Verweis auf Wensley, 1995). 194 Siehez. B. Gr6uroos, 1978 x95 ZeithamlundBimer, 1996, S. 12. 196 Vgl. Meffert und Brulm, 2003, S. 24 (mit Verweis aufFassnacht und Homburg, 2001, S. 285). 197 Vgl. M611erund Halinen, 2000, S. 40ff. 19s Vgl. Coote, 1994 (nach Christopher et al., 2002, S. xii). ,~hnlich siehe auch bei Brookes und Palmer, 2004, S. 54ff., wobei dort die US-Schule weggelassen wurde und die ,,Nordic School" um die ,,IMP Group"

32

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions" Sheth und Parvatiyar, Vertreter des ,,North American approach to relationship marketing" betonen drei ,,(...) aspects unique to relationship marketing. First, it is a one-to-one relationship between the marketer and the customer. (...) it is to be at an individual-entity level. Second, it is an interactive process and not a transaction exchange. (...) it is coproduction and co-consumption (...). [T]hird (...) it is a value-added activity through mutual interdepence and collaboration between suppliers and customers. ''199 Christopher, Payner und Ballantyne als Vertreter des ,,Anglo-Australian approach to relationship marketing" betonen als ,,fundamental principles": ,,The first is an emphasis on extending the 'lifetime value' of customers through strategies that focus on retaining targeted customers. The second is the recognition that companies need to forge relationships with a number of market domains or 'stakeholders' if they are to achieve long-term success in the final marketplace. And the third is that marketing has moved from being the sole responsibility of the marketing department to become 'pan-company' and crossfunctional. 'a~176 Und schlieglieh Gummesson, als Vertreter des ,,Nordic approach to relationship marketing", formuliert als ,,core concepts that constitute RM (Relationship Marketing, Anm. d. Verf.): relationships, networks and interaction" mit den ,,(...) most fundamental values (...): 1. Marketing management should be broadened into marketing-oriented company management (...). 2. (...) emphasis on collaboration and the creation of mutual value (...) 3. All parties should be active and take responsibility (...) 4. Relationship and service values instead of bureaucratic-legal values. ''2~

Der augenf~illigste Unterschied ist der im Umfang der betrachteten Beziehungen, von einer Beschrankung auf die Dyade ,,supplier-customer" bei Sheth und Parvatiyar zu offeneren, holistischeren und netzwerkartigeren Ans~itzen der beiden anderen Schulen. 2~ Sowohl Christopher et al. wie auch Gummesson zeigen dabei explizit den Anspruch, die von MOiler unterschiedenen Szenarien des ,,market based" und des ,,network based" Relationship Marketing in einem integrierten Ansatz zu vereinen. Nicht zuletzt folgen sic damit auch der Idee oder Vision der ,,general theory of marketing".

Kritikpunkte am Relationship Marketing Ein erster Kritikpunkt am Relationship Marketing bezieht sich auf seinen zwar differenzierten, aber eben auch fragrnentierten theoretischen Status quo. Die vorhandenen,

erweitert wurde. Einige deutschst/immige Arbeiten (jedoch meist aus den fr0hen Jahren des Investitionsgtitermarketings)finden sich bei Wehrli und Wirtz, 1996, S. 26ff., angeflihrt. 199 Sheth und Parvatiyar,2002, S. 10f. 200 Christopheret al., 2002, S.5. 2ol Gummesson,2002b, S. 3 und S. 14ff. 202 Vgl. Brookes und Palmer, 2004, S. 57. Siehe zu den verschiedenen,,levels" der Breite der Betrachtungz. B. Brodie et al., 1997, S. 384f.

2.1 Forsehung im Kontext des Themas

33

p r i m ~ aus dem ,,industrial marketing" und ,,service marketing" tibernommenen ,,middlerange theories", weisen (noch) einen geringen Grad an Integration auf. Ein weiterer Kritikpunkt baut hierauf auf, ist jedoch durchaus differenziert zu betrachten. Er fuBt auf der zunehmenden Vereinnahmung des Relationship Marketing als Management Trend - mit allen dabei einhergehenden, bewusst verbreiteten U n s c h ~ f e n entspreehender Interessensgruppen. Ein in den 80er/90er Jahren hinzugekommenes Feld, das des ,,database and direct marketing", mit klar operativ-instrumentellem Fokus z~ wird allzu oft und gerne tiber den Begriff des Customer Relationship Management (CRM) mit dem Relationship Marketing in toto gleich gesetzt. Die tibliche Integration als ,,patch" in das traditionelle MarketingrnanagementKonzept gelingt dann ohne Schwierigkeiten. Und in gewohnter Form werden massive Schwierigkeiten und Misserfolge bei der Implementierung oder mangelnde Erfolge in der Nutzung beklagt 2~ - und z. T. dem Konzept und der Philosphie des Relationship Marketing als Kritik vorgehalten.

task:

Abbildung 7: ,,The market domain hierarchy"2~ Ein eigener (und eigenwilliger) Diskurs ist mittlerweile entbrannt tiber den Anspruch des Relationship Marketing als neues Marketing-Paradigma bzw. universelle Marketingtheorie im Kontrast zum Status quo des Marketings in der Praxis. Die ,,Contemporary Marketing Practices" (CMP) Forschergruppe hat sich zum Ziel gesetzt zu untersuchen, wie die Marketingpraxis sich enwickelt (hat) und dies in Bezug zu verschiedensten Unternehrnens-, Markt- oder Landerkontexten zu setzen. 2~ Das zentrale Ergebnis ist, dass die aktuelle

203 M611erverweist zus[itzlich darauf, dieses Feld habe ,,(...) no clear displinary background, no clearly definded methodologies, nor a premised theory of markets." (M611erund Halinen, 2000, S. 38) 204 Siehe z. B. Hippner und Wilde: ,,Unterschiedlichen Studien zufolge scheitem ca. 60-80 Prozent aUer CRMProjekte. Nur 14 Prozent der Projekte entsprechen den ursprfinglichen Vorgaben." (Hippner und Wilde, 2001, S. 44) Siehe auch z. B. SchaUer et al., 2004c, S. 70f., Fournier et al., 1998, S. 43ff., oder auch Gummesson, 2002b, S. 13: ,,There is invariably a gap between ideas and action, between RM philosophy and CRM application." 20s Brookes und Palmer, 2004, S. 217; Ftireine Beschreibung siehe z. B. Brodie et aL, 1997, S.387f., Covielto et al., 2003, S. 861, oder Coviello et al., 1997. 206 Vgl. Brookes und Palmer, 2004, S. 215.

34

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

Marketingpraxis sich hochgradig kontextuell und pluralistisch darstellt: ,,(...) firms are fundamentally changing their marketing practices to integrate the various strands of marketing practice into a more complex coherent whole that is appropriate to their competitive situation and value delivery requirements. "2~ Interessant an dieser Stelle ist, dass die v o n d e r CMP zugrunde gelegten ,,marketing practices" (siehe Abbildung 7) - basierend auf vorl~iufigen Ergebnissen - sich einer tiblichen Zuordnung nach ,,business sector" nur partiell t'tigen. ,,It can be seen that the belief that consumer-oriented businesses are transactionally oriented and business-to-business companies are relational is supported to some extent. However, over half the firms in the sample did not conform to this neat categorization. ''2~ Auf dieser Basis wird insbesondere die vielfach propagierte Dichotonomie transaktionaler und relationaler Marketingans~tze, sei es auf einem Kontinunm oder grunds/itzlicher Art, abgelehnt. 2~ Vermisst wird an dieser Stelle die notwendige gedankliche und begriffiiche (Trenn-)Sch~fe, zwischen Praxis, Perspektive, Theorie, Philosophie oder gar Paradigma des Relationship Marketing. So kann auf der Ebene der Marketingpraxis ohne gr6gere Probleme der Position von Brookes et al. und anderen AutorInnen gefolgt werden, die nahe legen, dass ,,(...) various types of marketing can coexist'@ ~ Einschr~nkungen m6gen jedoch schon gelten in Bezug auf "eine holistischere Sicht des Marketings als Reflexion von Kultur, Werten und Einstellungen einer Organisation in Interaktion mit den Kunden. 211 Und aus wissenschaftlicher Sicht, den ,,Dschungel" akademischer Marketingtheorie-Rudimenten betrachtend, 212 hgngt ein m6glieher Pluralismus im Sinne einer multitheoretischen Perspektive nicht zuletzt von deren paradigmatisehen, letztendlich also ontologisehen und epistemologischen Grundlagen ab und inwieweit diese kommensurabel sind oder sein sollen. Aufgrund der diesbeztiglich doch massiven Unterschiede und Differenzen in den zugrunde liegenden Annahmen sei angezweifelt, inwieweit ein Blick durch ,,relationship eye-glasses ''213 gleichzeitig erfolgen kann mit einem durch eine traditionelle Brille. 214 Ausblick Der Ausblick zur weiteren Entwicklung des Marketings in Forschung und Praxis stfitzt sich anf zahllose Beitr~ige zur ,,future of marketing", die sich des Themas in den letzten Jahren

z07 208 209 2t0

Brookes und Palmer, 2004, S. 12. Brookes und Palmer, 2004, S. 229. Siehez. B. Gr6moos, 1995. Brookes und Palmer, 2004, S. 60. Nieht zuletzt stfitzen deren empirische Ergebnisseja spater diese These, siehe S. 218ff. Ztl Vgl. Palmer, 1996, S. 18ff., oder Brookes und Palmer, 2004, S. 60f. 212 InAnlehnunganden,,Organisationstheorien-Dschungel"vonKoontz, beiWalter-Busch, 1996, S. 78. 213 Gummesson,2002b, S.20. ~14 Vgl. M611erund Halinen, 2000, S. 44, oder M611er, 1992, S. 21 lf.

2.1 Forscbungim Kontextdes Themas

35

bereits angenommen haben - und sucht ihre Kembotschaft verdichtet zu skizzieren.215 Vomeweg und durchaus fiberraschend in seiner Deutlichkeit werden Beziehungen und ihr Management bzw. ein auf ihnen fugendes Marketing in das Zentrum gerfickt, wie oben bereits erwghnt sogar von bedeutenden Vertretern der traditionellen Marketingmanagement-Schule. So formuliert z. B. der deutsche Marketingwissenschaftler Meffert in seiner kritischen Analyse yon Marketingparadigmen und -ans~itzen: ,,Welche Ans~itze sich letztlich im Wettstreit der wissenschaftlichen Diskussion auch immer durchsetzen m6gen, Wissenschaft trod Praxis werden das Marketing zunehmend als individualisiertes, vernetztes trod multioptionales Beziehungsmanagement verstehen mfissen.''216 In seinen abschlieBenden Thesen zum

gewachsenen Anspruchsspektrum der Marketingwissenschaft betont er

insbesondere die Entbttndelung und das Erodieren von traditionellen Wertsch6pfungsketten und ihre Abl6sung durch neue Wertsch6pfungsnetze. Damit ist aus Sicht des Autors - und in sehr deutlicher Obereinstimmung fiber alle betrachteten Beitr/~ge hinweg - auch eines der beiden zentralen Themen far die Zukunfl des Marketings genannt: Die ,, network economy".217 Doyle formuliert das sehr deutlich: ,,During the 1990s, it became clear that network competition was an essential characteristic of successful businesses in dynamic environments.''218 Wesentliche Chancen in Bezug auf Wettbewerbsvorteile sieht er in dem geweiteten Blick auf das ,,whole value system", in den M6glichkeiten zur Erweiterung der ,,skill base" und damit der Kapazit~tt far Innovationen sowie die Chance, dutch Outsoureing bei h6herer Qualitat Kosten reduzieren zu k6nnen. Day nennt das ,,the connected knowledge economy'' und verweist auch auf adaptive und flexible Organisationsformen, die m6glich wie notwenig werden. 219 Mit Nachdruck stellt sich dann aber die Frage nach der Rolle des Marketings in derart beschaffenen Unternehmen und Wertsch6pfungsnetzwerken. Fragen der Organisation der Marketingfunktion wie auch der Implementation dieser neuen Marketingorganisationen erlangen Aufmerksamkeit. War das Marketing traditionell funktional, mit geringer Integration und taktisch, operativem Fokus organisiert, gilt es fox die Zukunfl neue Wege zu finden - nnd geeignete Ans~itze, Konzepte und Theorien flir die erfolgreiche Umsetzung zu entwickeln. Dies formuliert aus Sicht des Autors das zweite zentrale Thema far die Zukunft des Marketings - die Auseinandersetzung mit Fragen der

Implementierung der

organisationalen Gestaltung und

der

Marketingfunktion. Diller hat vor gar nicht so langer Zeit - an der

Schnittstelle zwischen den betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen der Marketing- wie der Organisationswissenschaft - den Problembereich der Marketingorganisation noch zu den

215 Siehe z. B. Baker, i998, Deighton, 1996, Doyle, 1995, Firat et al., 1995, Greyser, 1997, Hulbert, 1998, Lehmann, 1997, Meffert, 1999, WebsterJr., 1997, oder auch Brookesund Palmer, 2004, S. 237ff. 2~6 Meffert,1999, S. 429. 217 Siehe z. B. Achrol und Kotler, 1999, S. 146, Doyle, 1995, S. 31ff., Webster Jr., 1992, S. lff., Day und Montgomery, 1999, S. 6ff., Christopheret al., 2002, S. 226f. z18 Doyle, 1995, S. 31 (mitVerweisauf Hakansson, 1992, Morganund Hunt, 1994, und WebsterJr., 1992). 219 Day und Montgomery,1999, S. 8f.

36

2. Dekonstmktion - ,,root distinctions"

wenig beliebten Stiefkindem gez/~hlt. 22~ In Abhandlungen fiber ,,the future o f marketing" oder ,,marketing in the new millenium" werden derartige Fragen mittlerweile in das Zentrum gestellt - oder zum Tell sogar schon als Titel fiir Bficher gew/ihlt: ,,Market-led strategic c h a n g e " Y 1 Betont werden dabei - in Abgrenzung zu den am instrumentellen Organisationsverstandnis 222 orientierten Abhandlungen des traditionellen MarketingrnanagementKonzepts 223 - Marketing als ,,(...) simultaneously culture, strategy, and tactics ''224 sowie die dynamischen und prozessualen Aspekte der Umsetzung. 225 Hervorgehoben werden hierbei vielfach auch Aspekte der schnittstellen- und funktionstibergreifenden Integration, wie z. B. bei Webster: ,,In the fourth phase, which will characterize successful companies in the future, marketing competence is integrated with other business functions in team-centered organizational processes that are focused on the customer. ''2z6 In diesen Bereich f~illt auch der Diskurs zum sogenannten intemen Marketing - explizit auf den sogenannten ,,implementation gap" ausgerichtet. Internes Marketing ist dabei ,,(...) a strategy for developing relationships between staff across internal organisational boundaries. This is done so that staff autonomy and know-how can combine in opening up knowledge generating processes that challenge any internal activities that need to be changed. The purpose o f this activity is to enhance the quality o f external marketing relationships. ''227 Es bleibt der Ausblick in Bezug auf die Frage nach einer integrierten neuen Marketingtheorie -

auf der Basis des ,,relational paradigm". 228 M611er und Halinen sehen sie nicht kommen, ,,(...) [t]he underlying views or bases o f the different R M theories are so discrepant, that we do not expect to see any unification into a ,general theory o f relationship marketing ''229. Zur Beurteilung dieser Meinung sei ein Blick in eine Nachbarwissenschaft gewagt. Auch in den Organisationwissenschaften wird diskutiert (schon mit entsprechender Tradition), ob es Makel oder Zeichen von Prosperit/it sei, derart vielf~iltige und zum Tell widerspriJchliche Theorien entwickelt zu haben. 23~ Und die Antwort von Scherer hierzu scheint tiberzeugend, dass zum einen Organisationen hochkomplexe soziale Gebilde seien, in denen viele Probleme auftreten krnnen, und zum anderen, dass jeder dieser Teilaspekte auf Basis der vorhanden

22o 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230

Vgl. Diller, 1991, S. 156. Vgl. Piercy, 2002a, Webster Jr., 1997, Doyle, 1995. Vgl. Walter-Busch, 1996, S. 1. Siehe z. B. Meffert, 2000, S. 1064ff., Bruhn, 2002, S. 277ff., Kotler, 1994, S. 684ff., oder Kotler trod Bliemel, 1999, S. l145ff. Webster Jr., 1997, S. 39. Siehe ~hlich z. B. Turner und Spencer, 1997, S. 110ft. Siehe z. B. Piercy, 2002b, S. 631ff., Piercy, 2003, S. 531ff., Cespedes und Piercy, 1996, S. 135ff. Webster Jr., 1997, S. 61, hier allerdings mit engem Fokus auf die Dyade Unternehmen-Kunde formuliert im Kontrast zu einem Netzwerkszenario. Zur Integration siehe z. B. auch Doyle, 1995, S. 33. Ballantyne, 2000, S. 43. Siehe zum internen Marketing auch z. B. Varey und Lewis, 2000, oder Bruhn, 1999. Vgl. Gummesson, 1987a, S. 24. Mrller und Halinen, 2000, S. 44. Vgl. Scherer, 1999, S. 2, oder Walter-Busch, 1996, S. 79.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

37

Vielfalt unter verschiedensten theoretischen Perspektiven beleuchtet werden kann. 231 Eine ,,Supertheorie" wttrde diesen Reichtum an Komplexitgt und Perspektivenvielfalt nur fiber tiberm~iBige Abstraktion abzubilden verm6gen. 232 Dies sei ungeachtet der durchaus relevanten Fragen in B e z u g a u f die (In-)Kommensurabilit~tt vielf~ltigster Ans~ttze. A u f der Ebene der ,,marketing practices" werden - in A n l e h n u n g an die F o r s c h u n g der C M P - unbestreitbar auch weiterhin Vielfalt und Pluralismus vorherrschen, z33 A u f der Ebene der Theorien folgt der Autor - nicht zuletzt aufgrund der eigenen Zielsetzung dieser Arbeit hieran mitzuwirken Autoren der ,,Nordic

School" oder der ,,Anglo-Australian School"

des Relationship

Marketing, die es sich (explizit) z u m Ziel gesetzt haben, eine (neue) Marketingtheorie zu etablieren, mit Fokus a n f B e z i e h u n g e n als ,,unit o f analysis". W e n n g l e i c h davon auszugehen ist, dass eine zukiinftige ,,general theory o f relational marketing ''234 a n f weiteres sicherlich eine Koexistenz N h r e n wird mit anderen Marketingkonzepten oder -theorien, die sich anderer Perspektiven, Philosphien und Brillen bedienen. 235 D e n oben beschriebenen Trends - m a n m a g sie auch Herausforderungen n e n n e n - g e m ~ , werden fruchtbare Brfickenschl~ige in Nachbardisziplinen auch weiterhin zu erwarten sein z36, will m a n den gestiegenen Ansprtichen durch das gewachsene A n s p r u c h s s p e k t r u m gerecht werden. 237 Insbesondere

die

Organisationswissenschaften werden

hier

vielfach

als

bedeutsamer Partner gesehen: ,,(...) the lack o f interface between the majority o f marketing theorizing and research, and organizational theory is striking. (...) integrating more developed organizational aspects into marketing theory has a high priority in order to m a k e marketing theory more relevant. ''238

2.1.3

Innovationsforsehung im Umbrueh

Innovationen gelten seit jeher als Schltissel zu W a c h s t u m und Unternehmenserfolg. 239 Die z u n e h m e n d sich verscharfende Konkurrenzsituation, ver~ndertes Kundenverhalten wie auch technologischer Fortschritt m a c h e n fiir viele Anbieter die Beschreitung neuer W e g e zur

231 Vgl. Scherer, 1999, S. 2; siehe ~hnlichargumentierendz. B. Walter-Busch, 1996, S. 74ff. z 3 z Vgl. M611erund Halinen, 2000, S. 44s 2aa Vgl. Brookes und Palmer, 2004, S. 237ff. 234 An dieser Stelle sei bewusst der von Gr6nroos prgferierte Begriff des ,,relational marketing" gewghlt, auch wenn sich der - aus seiner Sicht etwas ungliicklich gew~ihlte - Begriff des Relationship Marketing mittlerweile bereits etabliert hat (vgl. Gr6nroos, 1997b, S. 407 FN 2). 235 Wortspiele in Bezug auf einen ,Paradigmenwechsel" oder eine ,,Dichotomie" der verschiedenen Ans~tze und Theorien sind auf perspektivisch/philosophischer Ebene zu interpretieren und nicht zuletzt dem Ringen urn kommunikative Resonanz geschuldet (vgl. Brookes und Palmer, 2004, S. 11, oder auch Eggert, 1998, S. 10). 236 Zu diszipliniibergreifenden Adaptionen im Marketing siehe z. B. Diskurse zur Kompetenzkrise im Marketing (vgl. Meffert, 1999, S. 413f. (mit Verweis auf Hansen und Bode, 1998)). 237 Siehemit~ihnlichenForderungenz. B. WehrliundWirtz, 1996, S. 30. z38 M611er,1992, S. 213f.; siehe ~ihnlichz. B. bei Wehrli und Wirtz, 1996, S. 30. 239 Zur volkwirtschaftlichen Bedeutung von Innovationen, siehe z. B. von Schumpeter, 1912, bis Vahs und Burmester, 2002, S. 5ff., oder im historischen Kontext z. B. Buchheim, 1997, S. 133f. Zur unternetunerischen Bedeutung siehe z. B. Ernst, 2002, S. 1.

38

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Erringung v o n Wettbewerbsvorteilen notwendig - oder anders formuliert: ,,Innovations are going to be the principal m e a n s for competing. ''24~ Effektives u n d effizientes M a n a g e m e n t von

lnnovationen 241

wird

dabei

als

mal3geblich

verantwortlich

ftir

langfristigen

U n t e m e h m e n s e r f o l g gesehen - und formuliert ein zentrales Interesse v o n Wissenschaft und Praxis. 24z Kein Anbieter y o n Produkten und Dienstleistungen wird sich d e m T h e m a des I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t s also unzweifelhaft

auch

nachhaltig

untemehmerische

entziehen

k6nnen.

Herausforderungen

Innovationen

ersten

Ranges.

sind

aber

Innovative

Entscheidungsprozesse n n d Handlungsabl~iufe werden vielfach als hoch komplex, schlecht definiert und dutch Unsicherheit gepr~igt beschrieben. 243 D e n Chancen a u f W a c h s t u m und U n t e m e h m e n s e r f o l g durch Innovationen stehen daher in nicht geringem A u s m a g e Risiken des Misserfolges gegentiber. Zahlreiche empirische Studien betonen, dass sich in Abhangigkeit v o n d e r Branche 30-50 % aller am Markt neu eingefahrten Leistungen als ,,Flops" erweisen, also nicht die Erwartungen des Anbieters erfallen und wieder v o m Markt g e n o m m e n werden. 244 Dieser Absctmitt m6chte die innovationsseitige Basis formulieren Far die sp~itere Diskussion des Status quo y o n Forschung u n d Praxis zur Schnittstellenproblematik zwischen Marketing u n d F & E (siehe Abschnitt 2.1.4245) sowie natiJrlich far die explizite Verortung in den Theorien und Ansgtzen der lnnovationsforschung (siehe Abschnitt 2.3.2). D a m i t soil der disziplinare Brtickenschlag zwischen Marketing- und Innovationsforschung in gebotener Breite beracksichtigt werden.

Der

grundlegenden Verankerung dieser Arbeit in der

Marketingforschung gem/il3, wird sich dieser Abschnitt jedoch u m eine/~uBerst kompakte u n d bereits a u f die sp~itere Verortung ausgerichtete Darstellung bemtthen. Einer kurzen Skizze zur Entwicklung der (insbesondere deutschen) Irmovationsforschung folgt eine Darstellung des Stands der Forschung. Implizite G r u n d a n n a h m e n bestehender Ans~itze werden hinterfragt u n d der Trend zu netzwerkorientierte Ans~itzen vorgestellt.

24o Booms et al., 1983, S. 23. 24i Siehe z. B. Drucker: ,,(...) innovation is real work, and it can and should be managed like any other corporate function." (Drucker, 1998, S. 95) Siehe/ihrdich z. B. auch bei Hauschildt, 2002, S. 5. 242 Und formuliert im Rahmen der (direkten wie indirekten) F6rderung von Innovation natfirlich auch in zentrales Interesse der Politik (vgl. Kohlbecher, 1997). So hat der amtierende Bundeskanzler Schr6der z. B. das Jahr 2004 zum ,,Jahr der Innovation" gekfirt und eine ,,Innovationsoffensive" angekiindigt. Und auch bereits 1997 hat der damalige Bundespr~isident Herzog in seiner sog. ,,Aufbruch-Rede" betont, dass die F~higkeit zur Innovation fiber Deutschlands Schicksal entscheide (Herzog, 1997). 243 Siehe z. B. n. a., 1978, S. 220, Dosi, 1988, S. 1125f., Hauschildt, 1988, S. 57, oder auch Witte, 1988, S. 200. 244 Siehe z. B. Crawford, 1977, S. 51, Crawford, 1987, S. 20ft., Davidson, 1976, S. 117, oder Brockhoff, 1993, S. 2f. Siehe auch n. a., 1978, S. 219 und die dort angegebenen Quellen. 245 Wobei als Grundlage ~ r die Diskussion des Status quo zur Schnittstellenproblematik zwischen Marketing und F&E natiirlich neben diesem Abschnitt, der sich dem Innovieren widmet, noch der Abschnitt 2.1.2 zu sehen ist, der sich als erg~inzendesGegenstiick in iihnlicher Form dem Marketing widmet.

2.1 Forschungim Kontext des Themas

39

Innovationsmanagement in der Entwieklung Das Innovationsmanagement stellt sich bis heute als einer der vielen Spezialbereiche der Betriebswirtschaftslehre dar - als ein Sondergebiet. Es wurde erst seit Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und damit vergleichsweise spgt systematisch aufgegfiffen und ansgebaut. Diese sprite Beachtung mag tiberraschen, ist doch sp~itestens seit den Arbeiten Schumpeters bekannt, dass die Durchsetzung neuer Kombinationen als Tr~iger far Wachstum und wirtschafdiche Entwicklung im Zentrum des Forschritts stehen. 146 Innovationen sind f'ttr die westlichen Industrienationen yon heransragender Bedeutung: ,,The commitment of modern industrial or industrialising societies to change and growth is almost total. Growth and the search for it is a characteristic of the process of industrialisation. ''247 Nur durch Innovation schliel31ich werden neue Produkte und Dienstleistungen mit einem hohen Wertsch6pfungsanteil mOglich, die die Grundvoraussetzung far die Erlangung und Sicherung von wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Frieden darstellen. 248 Auch der deutsche Volkswirt Amdt sah im dynamischen Wettbewerb der st~hndigen Konkurrenz innovativbahnbrechender Pionierunternehmen und imitierenden Nachfolgern die einzig silmvolle Form des 6konomischen Wetthewerbs z49 Vahs und Burmester bezeichnen auf dieser Basis die Werke von Schumpeter und Amdt als Ausgangspunkte und erste Meilensteine der modernen InnovationsforschungY ~ Im Kern der betriebswirtschaftlichen Sichtweise liegt der Erfolgsbezug auf mikro6konomischer Ebene, Innovationen in Unternehmen sollen nachhaltig den Gewinn der Unternehmung steigern. ,,Dieser Absicht entspricht es zu fragen, durch welche Instrumente des Innovationsmanagements der Innovationserfolg erm6glicht wird. ''251 Die betriebswirtschaftliche Sichtweise ist also v o n d e r Frage nach den Ursachen far den Innovationserfolg von Unternehmen gepr~igt. Zugrtmde liegende (und meist implizite) Kernthese ist, dass Innovationsmanagement etwas substantiell anderes ist als das Management von Routine. 252 Auf dieser Basis ist die Innovationsforschung insbesondere und mit ansgeprggter Tradition stark ausgerichtet an der Forschung zu Erfolgsfaktoren. Friahe Meilensteine waren bier im Besonderen zwei groB angelegte Studien, die ,,SAPPHO"-Studie unter Rothwell in England und darauf aufbauend die ,,NewProd-Studie" von Cooper und Kleinschmidt in Canada. 253 Mittlerweile ist das Feld der Erfolgsfaktorenstudien bereits so untibersichtlich geworden, dass erste Meta-Analysen

246 247 z4s 249 z50 251 2s2 253

Vgl. Schumpeter, 1912, S. 170ff. n.a., 1978, S. 217 (mit Verweis aufClub-of-Rome, 1973). Vgl.Noss, 2002, S. 36. Vgl. Arndt, 1952, S. 33ff. Vgl. Vahs und Burmester,2002, S. 4. Hauschildt,2004, S. 32. Vgl. Hauschildt,2004, S. 27, kritisch hierzujedoch auch bei Noss, 2002, S. 45. Vgl. Hauschildtund Walther, 2003, S. 3, und Ernst, 2002, S. 3ft., zu ,,SAPPHO" und ,,NewProd".

40

2. Dekonstruktion ,,root distinctions"

O b e r b l i c k z u v e r s c h a f f e n suchen. 2s4 D i e E r g e b n i s s e v o n drei d i e s e r M e t a - A n a l y s e n s e i e n i m F o l g e n d e n v i s u a l i s i e r t . 2s5 Bedeutsame Erfolgsfaktoren der Innovation 0~etaanalyse)

Marktbezogene F~Cctoren

Technologlebezogene Faktoren 9Wahrscheinlichkeit des technologischen Erfolgs (70) 9 Fit zwischen technoIogischer Strategic und Gesch~iffsskategie (56)

9 Betonung des Marketing (35) 9 F~ihigkeit, M~kte zu schaffen (31)

..)

~y

Organlsations. bezogene Faktoren * Mitarbeiterexpertise (59) 9 Timing (58) 9 Planung des Projektes (52) 9 Top-ManagementUnterstijtzung (37) 9 Engagement des Projekt-Teams (28)

9 St~irken in TeehnoIogie und Marketing (42) m K/ammem: absolute, kumul~erte Nennungen

Abbildung 8: Ergebnisse einer Meta-Analyse van 19 empirischen Untersuchungen2s6 Bedeutsame Erfolgsfaktoren aer innovation 0Vtetaanalyse)

~a ateglsche F~ktoren 9 Produktvorteile aus Kundensicht (,,Product Advantage", 0,36) 9 Strategischer Impetus (,,Strategy', 0,32) 9Vermarldungspotenzial (.Marketing", 0,30) 9 Kapazititen und Ressourcen (.Company Ressources, 0,3O)

Entwlcklungsprozess Marktumgebung 9 Marktverst~ndnis des 9 Risiko und RegulieInnovators (.Pmtocol =, rung (,,Environment', 0,34) 0,29) 9 Marlderkundungsexpettise C,Pmficency of Marketing Activities =, 0,34)

Organls~ton 9 Kooperations- and Koordinationsfiihigkeiten (,,Intemal/External Relations =, 0,31) 9 Strukturbildung und Projektmanagement (,,Organizational factors", 0,30)

in Klammern ge~chtele Korrelalionskoeffizienten zvaschen Erfolgsfaktoren und Erfolgsmal3

Abbildung 9: Ergebnisse einer Meta-Analyse van 44 empirischen Untersuchungen257

254 Siehe z. B. Balachandra und Friar, 1997, Montoya-Weiss und Calantone, 1994, Henard und Szymanski, 2001, oder Ernst, 2002. 255 Vgl. Hauschildt, 2004, S. 33ff. 256 Vgl. Balachandra und Friar, 1997. 257 Vgl. Montoya-Weiss und Calantone, 1994.

2.1 Forschungim Kontextdes Thernas

41

Bedeutsarne Errolgsfaktoren der Innovation (Metaanalyse)

Produktelgenschalten 9 Produktflberlegenheit gg. Konkurrenzprodulden (.Product Advantage", 0,44) 9 Innovationsgrad (.Pmduct Innovativeness", 0,30) 9 KapazitSten und Ressourcen (.Company Ressources", 0,30)

8trategische Faktoren 9 Technologisches

Potential (.Technological Synergy", 0,42) 9 Vermarktungspotential (,,Marketing Synergy",

Prozesseigenschaft~n und Kunderv orientierung (.Market Orientation =, 0,27)

Markteigenschaften

9 Markt-

0,26)

in Kfammern: BetakoelfJzienlen oiner rnulliplen RegressJonsanalyse

Abbildung 10: Ergebnisseeiner Meta-Analysevon 60 etrrpirischenUntersuchungen25s Die empirische Forschung in Deutschland fand ihren friJhen Meilenstein insbesondere im ,,Columbus"-Projekt.259 In bester Tradition zu Schumpeters ,,dynamischem Untemehmer" erlangte insbesondere die Auseinandersetzung mit Innovationsbarrieren und das hierauf ausgerichtete Promotorenmodell Aufmerksamkeit.26~Auf der Basis des ,,Columbus"-Projekts entwickelten sich schlussendlich Forschungsstelle, Schwerpunktprogramm, Institut und Graduiertenkolleg Arbeiten.261

Der

zum

Innovationsmanagement

konzeptionelle

mit

Bezugsrahmen

zahlreichen

der

Forschung

wissenschaftlichen dieses

Kieler

Graduiertenkollegs ,,Betriebswirtschaftslehre fttr Technologie und Innovation" ist dabei von drei Komponenten gepr/igt: Dem Fokus auf Erfolgsfaktoren und vorzugsweise einzelne Innovationsprozesse auf der Basis, dass Innovationen Gegenstand des Managements sind, im Sinne eines gestaltenden, ordnenden trod planerischen Eingriffs. Aus der Prozessperspektive leitet sich die inhere Unterteilung des Gesamtkomplexes Innovationsmanagement in einzelne Teilprozesse ab, sie blendet dabei mehr oder weniger von der Systemperspektive ab. Betrachtet werden demnach dann Erfolgsfaktoren der Prozesse und nicht der Systeme, in denen diese Prozesse ablaufen. 262 Insbesondere seit Anfang der 90er Jahre dabei sich zu entwickeln und zu etablieren, ist das Feld der Forschung zur Thematik der Dienstleistungsinnovation. Die Entwicklung verl~iuft dabei derzeit noch weitestgehend getrennt von der klassischen und i. d. R. produktfokussierten Innovationsforschung, in eigenen Diskursen zum ,,New Service Development" (NSD) oder auch sehr ausgepr~tgt im Bereich des (Dienstleistungs-)Marketings. Eine im

258 Vgl. Henardund Szymanski,2001. 259 Siehez. B. Witte et al., 1988, oder frfihernochWitte, 1973a. 260 Siehe urpsriinglichWitte, 1973b. Im Laufe der Jahre wurde das Promotorenmodelldann kontinuierlich weiter entwickelt und ausgebaut, siehe aktuell z. B. Hauschildt und Kirchmann, 2001, Hauschildt uncl Gem~inden,1998, Walter, 1999, oder Gemtindenund Walter, 1995. 26t Vgl.Hauschildt,2002, S. 4f., oder Alberset aI., 2001. 262 VgI.Hauschildt,2002, S. 5s

42

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

R a h m e n des Pilotprojektes ,,SE-innovationsmanagement" durchgeftihrte 263 u n d im Anschluss fortgeffihrte systematische Literaturrecherche z u m T h e m a Irmovieren von Dienstleistungen tiber die letzten 14 Jahre kormte Forschungsaktivitgten mit z u n e h m e n d e r Intensit~t ermitteln (siehe Tabelle 2). 264 l,,luml~,e[ of SIudies 90 9 80 70, 60

O Small Sample

I

50

9 Large Sample mTheoretical

40 30 20 10 O 1977-80 1981-85 1986-90 1991-95 t996-99 2000-03

Tabelle 2: Entwicklung der Forschungsaktivit~itenim Bereich NSD Betont wird unisono, basierend a u f den Besonderheiten y o n Dienstleistungen 265, eine eigenst~ndige Herangehensweise. 266 Die Herausforderungen werden in einer a n g e m e s s e n e n Berticksichtigung

der

konstitutiven

Merkmale

von

Dienstleistungen

gesehen: 267 der

lntangibilit~it des Absatzobjekts Dienstleistungsflihigkeit und -bereitschafl, der Integration eines e x t e m e n Faktors in den Leistungserstellungsprozess unter (zeitlicher) Synchronitat von Dienstleistungserstellung und Inanspruchnahme u n d - mit Einschr~inkung - die ,,tiberwiegend irnmaterielte Natur der Leistamg". 268 Der thematische Fokus der empirischen Forschung zur Dienstleistungsinnovation liegt sehr ausgepr~gt bei Fragen der organisationalen Gestaltung y o n Entwicklungsprozessen 269, gefolgt y o n Erfolgsfaktorenstudien 27~ und solchen mit Vergleichen zwischen Produkt- u n d Dienstleistungsinnovationenz71. Auspdigung, Anlage und

263 Autbauend auf der Meta-Analyse des ,,Institute of Innovation Research and Technology Management" und in Fortschreibung des dort gew~ihltenAnsatzes (vgl. Ktipper, 2001). 264 Dennoch betdigt der Anteil yon Beitragen zum Innovieren yon Dienstleistungen am Gesamtumfang der Innovationsliteratur far die Zeit bis 2001 nach Ktipper nur weniger als 2% (basierend auf einer Stichwortsuche in WISO I, II und ABI-INFORM, vgl. Kiipper, 200l, S, 1). z65 Siehe die Beitr~igezur Kategorie ,,particularities of services" wie z. B. Borchert, 2003, Drejer, 2002, Gallouj, 2002, Howells, 2000, Meister und Meister, 2001, Miles, 2000. 266 VgL Schaller et aL, 2004b, S. 53ff. 267 Vgl. Corsten, 1985, S. 173, Kleinaltenkamp, 1998, S. 34f., oder Meyer, 1998a, S. 6s z6s Vgl. Meyer, 1983, S. t5, Berekovan, 1974, S. 29, Maleri, 1973, S. 5f, und Kleinaltenkamp, 1998, S. 36. 269 Siehe die beinahe schon unz/ihligen Rahmen- oder Ablautkorlzepte zum Service-Design, z. B. bei Ramaswamy, 1996, S. 14, DIN, 1992, S. 10ff., Edvardsson und Olsson, 1996, S. 142ff., Bullinger trod Schreiner, 2003, S. 70ft., Scheuing und Johnson, 1989, S. 27ff., Jaschinski, 1998, S. 77ff., Reichwald et al., 2000, S. 24ff., Luczak et al., 2000, S. 24ff., oder Schneider, 1998, S. 53ff. zT0 Siehe z. B. Cooper and de Brentani, 1991, Cooper et al., 1994, de Brentani, 1993, oder Storey und Easingwood, 1998. 27t Siehe z. B. Brouwer und Kleinknecht, 1995, oder auch Cowell, 1988.

2.1 Forschung im Kontext des Thernas

43

Charakter der Arbeiten ~.neln in weiten Teilen denen der Forschung im Feld der Produktinnovationen.

,,Hidden assumptions" der Forsehung zum Innovationsmanagement Beim oben dargelegten Stand der klassischen Innovationsforschung wurde bewusst prim~ir auf die (intemationale) Erfolgsfaktorenforschung abgehoben, ihrem prominenten Status in der Forschung zum Innovtionsmanagement g e m ~ .

Ein Blick in g~ingige Lehrbiicher zum

Innovationsmanagement kann - in natiirlich etwas anderer Ausrichtung - j edoch durchaus die konzeptionellen Grundlagen und Schwerpunktthemen, wie sie sich in der Erfolgsfaktorenforschung zeigen, im Kern bestgtigen. Es folgt eine Diskussion einiger als besonders wichtig erachteter ,,hidden assumptions" der Innovationsforschung wie auch zentraler methodischer Aspekte. Implizite Grundannahme der Innovationsforschung ist i. d. R. die Kernthese, dass

lnnovationsmanagement etwas substantiell anderes ist, als das Management von Routineentscheidungen. 272 Dies steht dabei durchaus im Kontrast (oder in Erg~inzung) zur ,,(...) tiberm~ichtigen Konzentration der Betriebswirtschaftslehre auf das Routinehandeln. ''273 Die Funktion des Innovationsmanagements stellt den Entscheidungs- und Durchsetzungsaspekt in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, versteht sich meist im Kern als dispositive Gestaltung von Irmovationsprozessen. z74 Nieht nur in der Erfolgsfaktorenforschung herrscht h~iufig zudem der (pragmatische) Fokus auf Innovationsprojekte als Untersuchungsgegenstand vor. 275 Weit vorherrschend - wenn auch z. B. v o n d e r Kieler Forschung ansatzweise relativiert

ist eine

ausgepr~igt entscheidungs- und steuerungstheoretisehe Ausrichtung 276, naeh der (einzig) eine m6glichst allumfassende und detaillierte Planung den Erfolg von Innovationsprojekten verbargt. 277 In diesem Verst~indnis betont die Innovationsforschung zudem - in bester Tradition zu Schumpeter - die besondere Rolle herausragender Personen, die Innovationen bef'6rdem oder hervorbringen. 278 Diese Grtmdannahmen sind nun in mehrerlei Hinsicht kritisch zu beurteilen. Innovationen, die als im Normalfall fest umschriebene Projekte angenommen und untersucht werden, erscheinen als notwendig und bewusst induziert, als in Form von Projekten linearisier- und

272 Siehe bei Hauschildt, 2004, S. 27, ausnahmsweise expliziert. 273 Hauschildt, 2002, S. 3; siehe/ihnlich bei Noss, 2002, S. 36. 274 H~iufigwird hier dann auch noch ein enges Verst~ndnis des NPD-Prozesses zugrunde gelegt, der die Phase der Diffusion in dem Prozess vonder Ideengenerierung bis zur MarkteinFtihrungausnimmt (vgl. Brockhoff, 1999). Dem Diffusionteil des Irmovierens widrnen sich darm wieder eigene Ver6ffentlichungen in aller Breite wie Tiefe (zur Entwicklung der Diffusionsforschung siehe z. B. Rogers, 1995, S. 38ff.). z75 Vgl. Ernst, 2002, S. 14f. 276 Dies steht damit in der Tradition der klassischen Betriebswirtschaftslehre und ihrem favorisierten Verstfindnis als Steuerungs- und Optimierungswissenschaft (vgl. Noss, 2002, S. 36). 277 Siehez. B. schondie friiheMeta-AnalysevonGouldingindiesemTenor(vgl.Goulding, 1983, S. 12ff.). 278 Siehe Ftir eine Ubersicht ~iberm6gliche prominente Rollen im Innovationsprozess z. B. Hauschildt, 1997, S. 158, oder Vahs und Burmester, 2002, S. 335.

44

2. Dekonstruktion ,,rootdistinctions"

verstetigbar und unterstellen damit relativ problemlose Steuerbarkeit. Der zugrunde gelegte Fokus auf einzelne Irmovationsprozesse blendet zudem - mehr oder weniger bewusst, wie Hauschildt selbstkritisch anmerkt - v o n der Systemperspektive ab: ,,Zwar betrachten wir in der Regel Innovationsprozesse im Untemehmen. Wir wissen auch, dass die Innovation aus den Ressourcen dieser Gesamtuntemehmung getragen wird. Uns ist schlieBlich bewusst, dass die Innovation ja irgendwann in die Routine entlassen wird, um dalm auch zum Gesamterfolg der Untemehmung beizutragen. Aber wenn wir die Managementaktivit~iten betrachtet haben, dann eher aus der Perspektive des Prozessmanagements. ''279 Noss betont, dass gegen eine derart reduktive und enge Konzeptionierung der Umstand spricht, dass ,,(...) eben auch ganz andere Konstellationen und Verl~iufe von Innovationen denk- und (empirisch) vorfindbar sind. ''2s~ Bestgtigt wird dieser zentrale Kritikpunkt durch die eigene Empirie im Rahmen des Pilotprojektes ,,SE-Innovationsmanagement" (siehe Abschnitt 2.1.1), wie der folgende Ausschnitt aus der Abschlussver6ffentlichung zum Projekt verdeutlichen kann:

,, Ober alle Fallstudien wie Experteninterviews hinweg zeigt sich, dass die Innovation , (...) heute als betriebswirtsehafiliche Funktion in den Unternehmen erkannt und (...) zunehmend auch in Form gebracht [wird]" ([Exp 030227], S. 7), in allen Unternehmen also ein zentrales Thema formuliert. Es zeigt sieh jedoeh auch, dass Innovationen schwer greifbar sind, sich einer Planung in den gewohnten Bahnen yon Forschung & Entwicklung (insbesondere J~r Sekundiirdienstleister) entziehen (vgl. [Exp_030227], S. 8, [FSt_030806], S. 12).2al Und J~r Innovationen mittlerer bis grofler Innovationsh6he (die im Fokus waren) finden sich demnach auch unisono bei allen Fallstudienunternehmen Ansgitze, die diesem Umstand zu begegnen suehen, im Kern also OmpliziO von einem Management-Verstiindnis der direkten Plan- und Steuerbarkeit abgeriickt sind. ,,282 Es werden also nicht nur Schwachstellen einer entscheidungslogischen Betrachtungsweise und Methodik offensichtlich, sondem es wird auch deutlich, dass betriebliches Innovieren eine eigenst~indige Problemstellung formuliert, die einen besonderen und breit(er)en Zugang erfordert. Dies gilt auch mr die Annahme der individualistischen Rationalit~itskonzeption einer exakten Zurechenbarkeit personeller Beitrgge exponierter Mitarbeiter beim Innovieren. Auch dieser Umstand, wenn man Innovation ganzlich zur Sache von Spezialisten erklgrt, ftihrt dazu, dass die Organisation aus dem Blickfeld ger~it, ihr genau genommen gar die Fghigkeit zur Innovation abgesprochen wird. 283

z79 Hauschildt, 2002, S. 6. zs0 Noss, 2002, S. 45. 281 Z!J~r(wissenschaftlichen)Abgrenzung yon F&E- zum Irmovations-Managmentsiehe z. B. Hauschildt, 1997, S. 27f., oder auch Gerpott, 2001, S. 241f. 282 Schaller et al., 2004a, S. 138f. 2s3 Vgl.Noss, 2002, S. 44.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

45

In diesem Kontext ist wohl auch die tiberdeutlich ausgeprligte Vemachllissigung (oder beinahe schon Ignoranz) von Innovationsformen neben der klassischen Produktinnovation zu sehen. Im Betrachtungsfokus stehen in der klassischen Innovationsforschung nahezu ausschliel31ich Produktinnovationen in gr6geren U n t e m e h m e n . A u c h kleinere u n d mittlere U n t e m e h m e n werden n u r in Ausnahmef~illen untersucht. So blieb die Thematik z. B. der Dienstleisttmgsinnovation einem

separaten

Forschungszweig vorbehalten, 284 integrierte

Innovationsszenarien fox Leistungsbtindel werden k a u m thematisiert. 2s5 A u f dieser Basis muss

es

dann

auch

nicht

mehr

tiberraschen,

dass

ein

groger

Teil

der

sog.

Innovationsforschung sich in diesem Sirme eigentlich m i t F o r s c h u n g u n d Entwicklung oder Produktentwicklung im engeren Sinne auseinandersetzt. 286 Sie fokussiert also im Kern nur eine Teilmenge der Innovationsaktivitiit eines U n t e r n e h m e n s , niimlich die, die sich a u f naturwissenschaftlich-technische Prozesse bezieht, die in vielen U n t e m e h m e n systematisch durchgeflihrt werden, in Grenzen planbar u n d leichter institutionalisiert u n d besser organisiert werden k6nnen. 287 W/~hrend es beim I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t ja gerade - dartiber hinaus gehend - u m den auBergew6hnlichen Fall, das Nicht-Bestiindige und u m die nur bedingt planbare Entstehung v o n N e u e m geht. Zu kritisieren ist in diesem Z u s a m m e n h a n g auch die implizit an die Theorien der Organisationsentwicklung angelehnte 2s8 -

konzeptionelle

Trermung von ,,Normalkontext" u n d ,,Innovationskontext", m a g sie zur A b g r e n z u n g und zur B e t o n u n g des Besonderen u n d der Nicht-Routine durchaus geeignet sein. 2s9 Dadurch werden nach N o s s im Prinzip zwei m e h r oder weniger i n k o m m e n s u r a b l e Welten gegentibergestellt, die es in der Logik des I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t s dann erst tinter !~lberwindung von Widerstiinden durch Spezialisten in Form von Proj ekten dann z u s a m m e n z u f t i h r e n gilt. 29~ Die methodische Seite ist gepr~igt v o n d e r

,,(...) schriftliche[n] Befragung [als] de[m]

K 6 n i g s w e g zur G e w i l m u n g der empirischen Einsichten. 'agl In Deutschland ful3te das Projekt ,,Columbus" unter Witte a u f d e m Insmmaentarium der Dokumentenanalyse, wandte sich die Innovationsforschung dann aber - analog zu den angels~ichsischen Lgndern - im weiteren Verlauf mit Naehdruck der Befragung als Methode zu, ,,(...) durch die m a n am effizientesten

285 286

287 2ss 289 ~90 29~

Siehe z. B. den Appell for einen ,,(...) ausgepr~igter(e[n]) Schulterschluss der Forschung zu Dienstleistungsinnovationen mit der bestehenden Forschung zum Innovationsmanagement" bei Schaller et al., 2004a, S. 154f. Siehe z. B. aus Sicht der Dienstleistungsforschung bei Bnlhn und Stauss, 2004, S. 20. Siehe z. B. Hauschildt, 2004, S. 449: ,Innovationsmanagement wird in der angelsiichsischen Literatur praktisch gleichgesetzt mit F&E-Management". Zur Abgrenzung des Innovationsmanagements yon F&E sowie Technologiemanagement siehe z. B. Gerpott, 2001, S. 242, oder Hauschildt, 2004, S. 29ff. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 30f., Gerpott, 2001, S. 241f., Brockhoff, 1999, S. 50f., oder Gerpott, 1999, S. 55ff. Zum Ansatz der Organisationsentwicklung siehe z. B. Schrey6gg und Noss, 1995, S. 169ff., oder Schrey6gg, 2002, S. 494ff., zur kritischen Diskussion siehe z. B. Schrey6gg, 2002, S. 521ff. Siehe z. B. Hauschildt, 1997, S. 42ff., oder Galbraith, 1982, S. 6f. Vgl. Noss, 2002, S. 45. Hauschildt, 2002, S. 28. Siehe fOr den Bereich der Produktinnovationen z. B. die oben aufgeftihrten MetaAnalysen bei Balachandra und Friar, 1997, Montoya-Weiss und Calantone, 1994, Henard und Szymansld, 2001, oder Ernst, 2002; ffir den Bereich der Dienstleistungsilmovation gestaltet sich dies sehr iihnlich, siehe z. B. Kiipper, 2001.

46

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

zu grol3zahligen Ergebnissen gelangen konnte. ''292 Diese methodische Einseitigkeit korrelierte natfirlich mit dem oben dargelegten Verstgndnis der Innovation als ein technisches oder technologisches Ph~aomen. In einer der jfingsten Meta-Analysen nimmt Ernst aber selbst in Bezug auf die methodischen Aspekte der quantitativ-empirischen New Product Development (NPD)-Forschtmg eine ausgepr~igt kritische Haltung ein: ,,The NPD works cited here, with a few exceptions o f the more recent works, are methodologically well below the level o f empirical work which characterizes other disciplines in the social sciences. (...) the validity o f [the] empirical results is highly questionable." Er kritisiert u. a. den Fokus auf,,project level data", der unternehmensspezifische Faktoren systematisch vernachl~tssige, wie auch die fibliche Beschr~lkung auf einzelne Antwortgeber je Unternehmen, was zu einem ,,serious informant bias" f'tthre, da die Antworten mal3geblich von der organisatorischen Position abhingen, z93 Hauschildt betont in seinem Rfickblick, dass mit der Zeit das Unbehagen fiber diese methodische Monokultur gewachsen sei. Mittlerweile zeige sich aber eine schrittweise und sachte methodische Offnung 294, yon der Kombination yon Erhebungsmethoden fiber eine gezieltere Auswahl der Befragten, Doppelerhebungen bis hin zu den jfingsten Arbeiten qualitativ-explorativen

Charakters,

die

den

,,(...)

Case

Study

Research-Studien

amerikanische[r] Vorbilde[r] ''29s folgen. Diese methodische Offnung lgsst sich durchaus und treffiich in Bezug setzen zu den jfingeren Entwicklungen einer inhaltlich breiteren Konzeptionierung des Innovierens, wie sic im n~ichsten Tell skizziert werden soll. 296 Innovationsmanagement

- quo vadis?

Wie stellt sich der Status quo in der Innovationsforschung dar? Was sind die zentralen Trends? Inwieweit adressieren und fiberkommen sic die oben ge~iul3erten Kritikpunkte? Diesen Leitfragen widmet sich der folgende Exkurs. Einen ersten - zugegebenermaf3en groben Anhaltspunkt mag ein Blick in das eben erst erschienene deutschsprachige Standardwerk zum Innovationsmanagement von Hauschildt bieten - und sein Vergleich mit der letzten, sieben Jahre alten Auflage. Der in der ursprfinglichen Auflage noch vertretene, ausgepr~igt prozessorientierte Ansatz erfuhr eine deutliche Ausweitung und Einbettung in die Institutionen, innerhalb derer die fokussierten Prozesse

292 Hauschildt, 2002, S. 28. 293 Vgl. Emst, 2002, S. 32s Er fiihrt an, dass bis zu 30% der gesamten Varianz und fiir einige Konstrukte sogar noch dartiber - auf den ,,informant bias" zurfickzufiihren sei (mit Verweis auf Ernst, 2001). 294 Hauschildt skizziert diese Offmmg im Riickblick fib" die empirische Forschung des Kieler Graduiertenkollegs, sic findet sich jedoch auch in anderen Schulen und Bereichen der Innovationsforschung ansatzweise wieder, siehe z. B. fiir die Dienstleistungsforschtmg bei Kfipper, 2001 (S. 8) zur Case Study Research (wenngleich ohne eindeutigen Trend). 295 Hauschildt, 2002, S. 29. 296 Diese hier mit Fokus auf den Mainstream der Innovationsforschung und damit auch auf Produkte fokussierten Aussagen lassen sich aufgmnd der ausgepragten methodologischen und methodischen Nahe weitestgehend auch auf die empirische Forschung zu Dienstleistungsirmovationeniibertragen (siehe z. B. die Meta-Analyse bei Kfipper, 2001, oder Ausztige zur eigenen Fortschreibung z. B. in Schaller et al., 2004b, S. 55ff., oder in Schaller et al., 2004a, S. 123ff.).

2.1 Forschung im Kontext des Themas

47

ablaufen, in Form eines eigenen Kapitels zum Innovationssystem der Unternehmung. 297 Dies wird zus~itzlich gesttitzt durch einen separaten Abschnitt zum Thema Wissensmanagement im Abschnitt zur Generierung irmovativer Alternativen, der damit ausgeweitet wurde. 298 Bleibt der zweite auffallende Trend, das ausgesprochen deutlich vergr6Berte Kapitel zum Thema der Innovationskooperationen, der von Hauschildt im Vorwort ge~iuBerten gestiegenen Bedeutung gem~iB.299 Auch eine Grobanalyse von ,,Conference reports" jtingerer ,,R&D Management"Konferenzen kann diesen Trend best~itigen. 3~176 So betont z. B. Coombs neben ,,new tools" und ,,speed up", ,,external sourcing" und ,,globalization" als zentrale Trends im R&D. 3~ Diese Offnung nach auBen unterstreicht auch Brockhoff, verdeutlicht aber

analog zu

Hauschildt - auch die breit(er)e interne Einbettung des Innovierens in die Organisation: ,,(...) more recent research has identified a number o f functions that need to be performed by and integrated into R&D activities as a necessary condition for possible R&D success. These functions include the identification o f external new knowledge and its absorption into the organisation as well as the transfer o f new knowledge to its users. ''3~ Die funktionale Ausweitung geht also einher mit gestiegenen Anforderungen an Kooperation und Integration - intern wie extem. Zugleich stellt Brockhoff (ansatzweise) die N~ahe her zu modernen Ansatzen des endogenen organisationalen Wandels mit seinem Verweis auf Wissenserwerb und Lernprozesse tiber die permanente Auseinandersetzung der Organisation mit ihrer Umwelt. Noss formuliert das ahnlich und unterstreicht, dass jtingere Beitrage zur Innovationsforschung auf den Umstand aufrnerksam machen, ,,(...) dass Innovationen immer weniger mit Mitteln individualistischer Rationalitat erkl~irt werden k6nnen und dass sie immer seltener Resultat organisatorischer Bemtthungen darstellen. Irmovationen werden immer mehr zu ubiquit~iren Phanomenen, die sich im Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure und Organisationen herausbilden, flieBende Aufgabenzuteilungen aufweisen und sich einer systernischen - werm nicht inter-systemischen - Vernetzung verdanken. ''3~ Und auch er propagiert ein neues Leitbild des Innovationsmanagements, Innovieren als generelles Entwicklungspotenzial, als Wandelkompetenz von Organisation zu begreifen. Ein wichtiger Schwerpunkt lgge dann in ,,(...) der Erforschung des Autbaus generalisierter Lern- im Sinne von Innovationskompetenz in Organisationen". 3~ Die Herausforderung sieht er in immer

297 29s 299 30o 3Ol

Vgl. Hauschildt, 1997, S. 26, und Hauschildt, 2004, S. v and S. 93ff. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 400ft. Vgl. Hauschildt, 1997, S. 189ff., Hauschildt, 2004, S. v und S. 293ff. Siehe z. B. Ball, 1996, Coombs, i998, oder Fehse, 1998. ,,R&D managers confirm that there is a continued increase in ,external' technology sourcing and partnering."; und in Bezug auf ,,globalization": ,,(...) the virual team becomes the norm." (beide Coombs, 1998, S. 213) 302 Brockhoff, 2003, S. 31 (mit Verweis u. a. auf Brockhoff, 1997, Cohen and Levinthal, 1990, Eggers, 1997). 303 Noss, 2002, S. 41. Insbesondere letzterer Aspekt der inter-systemischen Vernetzung wird auch yon zahlreichen anderen Autoren (der deutschen Irmovationsforschang) als zanehmend relevant ftir Forschung und Praxis betont, siehe z. B. Reichwald, 2004, S. 5, Brockhoff et al., 1991, S. 219f., Gemiinden and Walter, 1995, S. 97If., Ritter, 1998, S. lff. 304 Noss, 2002, S. 45.

48

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

deutlicherem Mal3e darin, mit diesen Kompetenzen eine ,,Normalisierung" der Produktion von Neuem zu erm6glichen -

also die Dichotomie zwischen ,,Normalkontext" und

,,Innovationskontext" nachhaltig zu tiberwinden. U n d schlieglich auch die intemationale Innovationsforschung formuliert ~ihnliche Trends, sei es im skandinavischen Raum oder z. B. in den USA. Beispielhaft FOx die skandinavische Forschung sei hier Bezug genommen auf die Arbeiten von Autoren im Kontext der IMPGruppe, wie z. B. Hakanson, Snehota, Mrller oder Ford. 3~ Deren Modelle und Theorien, insbesondere der jiingere Netzwerkansatz, 3~ werden in zahlreichen aktuellen Arbeiten der Innovationsforschung aufgegriffen. 3~ Sie sind zwar nicht explizit auf einen (separaten) ,,Innovationskontext" fokussiert, betonen aber - auf Basis einer ,,resource interdependence view" - mit Nachdruck Kontextualit~it und Einbettung von Unternehmen in komplexe, vielschichtige, multiorganisationale und dynamische Beziehungsnetzwerke 3~ - auch znm Zwecke

partnerschaftlichen

Lernens

oder

Innovierens. 3~

Die

interfunktionale

wie

interorganisationale Ausrichtung betont zudem ,,(...) an integrative view for managing both the internal resources and the external relationships. ''31~ Weiterhin wird auch anf Leistungsebene eine integrierte Sicht propagiert: ,,It is not only goods, but all kinds o f resources that are exchanged through interactive relationships". 311 Fiir die US-amerikanische Innovationsforschung sei Bezug genommen auf eine jtingere Umfrage von Gupta trod Wilemon unter R&D-Managem, zu den zentralen Trends im ,,industrial R&D management". Die Ergebnisse betonen mit Nachdruck den Wandel, in dem sich das Innovationsmanagement befindet (siehe Tabelle 3). Von den Autoren, im Rtick- wie Ausblick, als ,,major changes in R&D management" betont werden insbesondere ,,(...) issues as cross-functional teamwork, R & D ' s contribution to both short- and long-term business results, R & D ' s capability to quickly bring to market new products that customer value, efficient use o f R&D resources, and R&D alliances. ''312 Als bedeutendste Ursache t0x den Wandel wurden ,,changes in the business environment" genannt, wie z. B. verst~irkter Wettbewerbsdruck, rasche technologischer Entwicklung oder zunehmende Fragmentierung der M~kte. 313 Chesbrough betont noch einen weiteren Faktor,

305 Siehe z. B. Hakansson und Snehota, 1995, Mrller und Halinen, 1999, oder Ford, 1990; mit explizitem Bezug auf technologisches Innovieren siehe z. B. Hakansson, 1987, oder Hakansson, 1989. 306 Siehe z. B. Axelsson und Easton, 1992, Hakansson und Snehota, 1995, oder Mrller und Wilson, 1995a. 307 Siehe z. B. Ritter, 1998, Bossink, 2002, Chang, 2003, Cravens mad Piercy, 1996, Gem~indenet al., 1996, oder Campbell und Cooper, 1999; mehr mit allgemeinen Fokus auf Lemen siehe z. B. Awuah, 2001, Chaston et al., 2000, oder Hakansson et al., 1999. 308 Vgl. Mrller, 1992, S. 210. 309 Vgl. Mrller, 1992, S. 210, Hakansson und Snehota, 1995, S. 33 und S. 332ff., Awuah, 2001, S. 574ff., oder Hakansson et al., 1999, S. 443ff. 3~o M611er,1992, S. 212. 311 Mrller und Halinen, 2000, S.39. 3~2 GuptaundWilemon, 1996, S. 497. 3~3 Vgl. Gupta und Wilemon, 1996, S. 505.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

49

n~nlich die massiv sich in der Unternehmenswelt verteilenden F&E-Aufkommen, von einer ehemals deutlich ausgepr~igten Konzentration auf grofAe Unternehmen hin zu einer immer gr~513eren Verteilung auf kleinere und mittlere Unternehmen: ,,In short, there seem to be fewer economies o f scale in R&D these days. ''314 In seinem p o p u l ~ e n Ansatz der ,,open innovation ''315 sucht er dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, der sowohl eine Integration externer Ressoureen in das Innovieren beinhaltet als auch ,,(...) ways that other firms can use your technology in their business. ''316 R&D Is Generally Moving From:

R&D Is Generally Moving Toward:

Emphasis

Individual researcher as hero

Cross-functional teamwork

Performance measure

Contribution to science

Contribution to profits

Priority

Improving professional standing

Improving business performance

Driver

Science/technology

Market/customers Continuous, incremental, ,,D"

Innovativeness focus

Breakthrough, radical, ,,R"

Aspiration

Technological excellence

Customer value

Time horizon

Long-term

Shnrt-term

Sources of ideas

Own efforts, NIH

Alliances/everywhere

Scope

Local, isolated

Global, integrated

Type of innovation

Product

Product and process

Resources

Abundant

Scarce

Tabelle 3: Wandel im Innovationsmanagement317 Abgerundet und unterstrichen werden diese Aussagen von angrenzenden und zunehmend popul~iren Diskursen, wie z. B. dem organisationalen Lernen mit Bezug auf das Innovieren oder der ,,dynamic capability school ''318, auf die hier der Ktirze geschuldet nicht weiter eingegangen werden soll. 319 Interessant sind auch die Trends, wie sie die Forschung im Dienstleistungsbereich skizziert. Betont wird

der anhaltende Bedeutungszuwachs

an

Dienstleistungen for die Industrienationen und deren Unternehmen sowie die zunehmende Vernetzung yon Sach- mit Dienstleistungen als ganzheitliche Absatzleistungen 32~ - mit entsprechenden Anforderungen an die Entwicklung dieser (u. U. unternehmensiibergreifend vemetzten)

integrierten

Leistungen:

,,In der Zukunft

wird jedes

Unternehmen

ein

314 Chesbrough, 2003b, S. 3. 315 Siehe z. B. Cheshrough und Teece, 1996, Chesbrough, 2001, Chesbrough und Teece, 2002, Chesbrough, 2003c, Chesbrough, 2003a, oder Chesbrough, 2004. at6 Chesbrough, 2003b, S. 3. 317 Vgl. Gupta und Wilemon, 1996, S. 508. 3is Vgl. Zahn, 2000, S. 161ff.,odergrundlegendbeiEisenhardt undMartin, 2000. 319 Siehe z. B. Buckler und Zien, 1996, Calantone et al., 2002, Cohen und Levinthal, 1990, Chesbrough, 2003a, Duarte und Snyder, 1997, Hurley und Hult, 1998, Ingham und Mothe, 1998, Marsh und Stock, 2003, Mikkola, 2003, Moenaert und Caeldries, 1996, oder Verganti, 1997. 32o Siehe z. B. Engelhardt et al., 1993, Kleinaltenkamp, 1998, oder Meffert und Bruhn, 2003, S. 32ff.

50

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Dienstleistungsuntemehmen sein. Die richtige Vemetzung der angebotenen Leistungen stellt einen Schliisselfaktor f'ttr den Unternehmenserfolg dar. (...) Dienstleistungen werden zunehmend von virtuellen Unternehmen und strategischen Allianzen erbracht. ''321 Aufgrund der

steigenden Komplexit~it der

integrierten Absatzleistungen werden

also -

nach

Einsch~itzung aller Autoren - netzwerkartige Kooperationen zwischen unterschiedlichsten Anbietem in ihrer Bedeutung stark zurlehmen. 322 Zusammenfassend kann man also konstatieren, dass die Trends in Innovations-Forschung wie -Praxis sowohl in Richtung einer ganzheitlicheren, integrierten Perspektive auf das Untemehmen selbst abzielen als auch in Richtung komplexer extemer Beziehungs-Netzwerke zur Innovation. Und es mehren sich Ans~itze, die eine Integration auch auf Leistungsebene fttr die Betrachtung fordem,

2.1.4

Forschungsintereresse und -antworten im Wandel

Aufbauend auf den vorherigen Abschnitten zum Paradigmenwechsel im Marketing (siehe 2.1.2) trod dem Wandel in der Innovationsforschung (siehe 2.1.3) gilt es nun, den Stand der Forschung zu Forschungsinteresse und -frage dieser Arbeit zu untersuchen. Das Forschungsinteresse bezieht sich auf die Frage, wie eine effektive Integration von Marketing und Innovieren erfolgen kann. Die hierauf aufbauende Forschungsfrage dieser Arbeit fokussiert dabei zwei spezifische Aspekte dieses Interesses, nNnlich den des nachhaltigen Wandels und den der mittelst~indischen Industrie. Die zentrale Forschungsfrage lautet - noch einmal rekapituliert 323 -

wie der Wandel eines mittelstandischen Industrieuntemehmens zur

nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren gestaltet werden kann. Den Stand der Forschung gilt es auf dieser Basis demnach differenziert zu betrachten. Ausgangspunkt bildet Forschung zur Schnittstellenthematik zwischen Marketing und Innovieren 324 allgemein, also zum Forschungsinteresse. Hier lassen sich in den Disziplinen des Marketings wie des Innovationsmanagements zum einen grundlegende Antworten finden, wie auch speziell auf diese Schnittstellenthematik fokussierte und auf den allgemeinen Antworten aufbauende Untersuchungen. Der Spezifit~it der Forschungsfrage folgend soil dann auch betrachtet werden, inwieweit sich in diesen - allgemeinen wie fokussierten - Antworten auch Aspekte finden lassen, die Fragen der Implementierung bzw. des Wandels zum

321 Meffert, 1998, S. 977 und S. 979; siehe ahnlich z. B. Meffert und Bruhn, 2003, S. 737ff., Zeithaml und Bitner, 1996, S. 31ff., Meyer, 1998b, S. 1903ff., Stauss und Bruhn, 2004, S. 19f., oder Meffert, 1994, S. 522ff. 322 Siehe z. B. Meyer, 1998b, S. 1906f., Meffert und Bnkhn, 2003, S. 740, ocler Meffert, 1994, S. 532ff., Engelhardt und Schnittka, 1998, S. 930, Klein, 1998, S. 946, oder auch Stauss trod Brutm, 2003, S. 5. bzw. den gesamten Sammelband zu Dienstleistungsnetzwerken, mit Fokus auf Innovation hier z. B. Freiling und Weigeiffels, 2003, S. 478ff. 323 SiehedieAbschnitte 1.2einleitendoder3.1.4vertiefendzudenForschungsfragen. 324 In der Regel wird die Schnittstellenthematik jedoch nicht auf Funktionen bezogen, sondem auf formal institutionalisierte organisatorische Einheiten - und daher anstelle von ,Innovieren" ,,F&E" fokussiert.

2.1 Forschungim Kontext des Themas

51

Zielzustand adressieren oder Spezifika des Mittelstandes beriicksichtigen. Zur Struktur dieses Abschnittes siehe Abbildung 11.

Abbildung 11: Strttktur der Darlegungenzum Stand der Forschung Der erste Teil dieses Absctmittes (2.1.4.1) wird die Antworten der Marketingforschung zu Forschungsinteresse wie -frage diskutieren. Er startet mit allgemeinen Antworten des traditionellen Marketingmanagement-Konzepts und modemer Ans~itze einer relationalen Perspektive und schliel3t dann mit den Ergebnissen dediziert auf Forschungsinteresse oder -frage und ihrer Aspekte ausgerichteter Untersuchungen. Der zweite Teil (2.1.4.2) ist analog aufgebaut und den Antworten der Innovationsforschung gewidmet, der prim~iren Verankerung der Arbeit in der Marketingforschung gemN3 allerdings etwas kompakter. Die Diskussion der Forschungslticken, also die Interpretation des Stands der Forschung in Bezug auf den Ansatz und Fokus dieser Arbeit, erfolgt dann im n~ichsten Abschnitt (2.1.5). Erw~ihnt sei hier noch, dass dieser - zur Leserf'tihrung - der Empirie vorgelagerte Abschnitt hinsichtlich eines sensiblen Umgangs mit bestehender Forschung und die Auswirkung ihrer Kenntnis auf Forscher und Forschungsprozess nur bedingt den zeitlichen Ablauf der Forschung wieder spiegelt. Der dieser Arbeit zugrunde liegende induktiv-qualitative Forschungsansatz empfiehlt ngrnlich fttr die Empirie unvoreingenommene Offenheit: ,,To be genuinely qualitative research, a study must take account of theories and perspectives of those studied, rather than relying entirely on established views or the researcher's own perspective. ''325 So wurden im Forschungsprozess die Recherchen zum Stand der fokussierten Forschung in Bezug auf Forschungsinteresse und -frage bewusst der Durchffihrung der Empirie nachgelagert. 326 Die (Wissen-)Grtmdlage der Empirie bildete also lediglich der allgemeine Stand der Antworten aus Marketing- wie Irmovationsforschung.

325 Maxwell,1996b, S. 36. 3z6 Vgk Glaserund Strauss, t998, S. 47ff. Van Maanen, 1983, S, 37, Weick, 1999, S. 803,

52

2.1.4.1

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

Forsehungsantworten der Marketingforschung

Im Folgenden seien die Antworten der Marketingforschung auf Forschungsinteresse und frage dargelegt. Den Antworten des traditionellen Marketingmanagement-Konzepts folgen jene des Relationship Marketing, gefolgt von fokussierten Untersuchungen aus der Marketingforschung. Inhaltlich werden Antworten in Bezug auf das Forschungsinteresse der Schnittstellenthematik zwischen Marketing und Innovieren fokussiert. ErgLrtzt wird dies dann um Antworten zu den in der Forschungsfrage adressierten Aspekten der Implementierung sowie der mittelst~indischen Industrie. Selbstredend wird dabei - insbesondere in den ersten beiden Teilen - Bezug zu den Grundlagen des Marketings und seiner Entwicklung genommen (siehe Abschnitt 2.1.2).

Antworten des traditionellen Marketingmanagements 327 Zu den grunds~itzlichen Aufgabenbereichen des traditionellen Marketingmanagements werden auch produktbezogene Aufgaben gez~hlt. Es ist also eine permanente Aufgabe des Marketings, sich um die Anpassung des Leistungsprogrammes an die Ktmdenwtinsche zu bemtihen, fiber Produktverbesserungen, -differenzierungen oder auch -irmovationen. Dies wird auch in den Marketinginstrumenten tiber das ,,product"-P und die damit verbundenen Instrumente der Produktpolitik wieder gespiegelt. Die Produktpolitik besch~iftigt sich dabei ,,(...) mit s~xntlichen Entscheidungen des Untemehmens zur Gestaltung des Leistungsprogrammes. ''328 Die Aktivit~iten der Produkt- und Programmpolitik sollen sich dabei unmittelbar aus der strategischen Unternehmens- und Marketingplanung ableiten. In diesem Zusammenhang betont Meffert bereits, dass die Produktpolitik in besonderer Weise der Sicherung des langfristigen Erfolgspotenzials einer Untemehmung dient und vor diesem Hintergrund ,,(...) der Koordination zwischen der Produktpolitik, der Forschung und Entwicklung und der Produktion eine zentrale Bedeutung zu[kommt]. ''329 Er bezeichnet diesbeztiglich auch in Bezug anf den Marketing-Mix die Produkt- und Programmpolitik als das ,,Herz des Marketing". Zwei Aspekte erfahren Betonung, zum einen, dass Entscheidungen tiber Produkte als technisches wie marktbezogenes Problem gesehen werden mtissen, und zum anderen, dass Produkte einer Untemehmung als Probleml6sung zu sehen sind, ,,(..) die aus einem Bfindel von materiellen und immateriellen Leistungen bestehen. ''33~ Die irthaltliche Bestimmung des Produktbegriffes differenziert Brockhoff dabei - ~anlich zu Kotler - vom substantiellen Produktbegriff des physische Kaufobjekts, fiber ein erweitertes Produktkonzept bis hin zum generischen Produktbegriff, der den gesamten dem Konsumenten vom

327 Als Basis fiir diesen Absclmitt dient im Kern die folgende Gruppe an Standard-Lehrbiichem zum traditionellen Marketingmanagement-Konzept,partiell erg~inzt um dort aufgeflihrte vertiefende Quellen: Becker, 2002, Bruhn, 2002, Kotler, 1994, Kotler und Bliemel, 1999, Meyer und Davidson, 2001, und Meffert, 2000. Siehe einen ~ihnlichenAnsatz der Analyse z. B. bei Gummesson, 1993. 328 Brutm, 2002, S. 29. a29 Meffert, 2000, S. 327. 330 Brockhoff, 1999, S. 19.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

53

U n t e m e h m e n angebotenen Nutzen unter dem Produktbegriff subsumiert. 331 Dennoch bezieht sich in den Standardwerken - wider dem eigenen Anspruch nach einer Leistungspolitik - die Produktpotitik im Kern auf physische Produkte.

Problem sachlicher

Autonomien Markt-Kurs

Betriebs-Kurs

Absatz

Produktion

1

Marketing

I Problem zeitlicher

Vertrieb

strate ,cheBe

Forschung & Entwick ung

Fertigung

I

l

...................

Autonomien :

taktische Bereiche

Abbildung 12: Problemdimensionen der Koordination zwischen Markt- und Betriebskurs eines Unternehmens332 Den zugrunde liegenden Annahmen und ,,(...) der Tradition des analytisch-linearen Denkens gem~ig''333 wird betont, dass das Innovationsmanagement Gegenstand eines dezidierten Planungsprozesses sein muss. Demzufolge werden Entscheidungsabl/~ufe geme als Phasenoder Prozessmodelle dargestellt und empfohlen. Instrmnentelle Untersttitzung bietet das Marketingmanagement-Konzept dabei in vielf~iltiger Form: Von Produktlebenszyklusanalysen fiber Programm- und Positionierungsanalysen bis hin zu Analysen von operativen Kennzahlen oder yon Kundenzufriedenheiten. Die Innovationsstrategie der Kooperation mit externen Partnern wird als zunelmaend bedeutsam hervorgehoben. 334 Und mit Nachdruck wird in den meisten Standardwerken betont, ,,(...) that a balanced R&D-marketing coordination is strongly correlated with innovation success ''335, wie wichtig also das Informationsmanagement an den Schnittstellen zwischen F&E und Marketing, aber auch Produktion ist, sei es im Bereich der Geschaftsfeldwahl far ein Neuprodukt oder z. B. zur Ideengenerierung. 336 Zur Problemanalyse verweist Becker auf die Problemdimensionen zeitlicher wie sachlicher Autonomien zwischen den strategisch orientierten Bereichen Marketing und F&E sowie den taktisch orientierten Bereichen Vertrieb und Fertigung (siehe Abbildung 12).

331 Vgl. Brockhoff, 1999, S. 13, Kotler, 1994, S. 429. 33z Becker, 2002, S. 847. 333 Schrey6gg, 2002, S. 483. Schrey6gg veweist auch auf die hiermit verbundene Trennung von Entscheidung und Handlung und das Verst/indnis, VerSndenmg (einer Organisation) lediglich als planerisches Problem zu begreifen - wie auch die damit verbundenen Probleme (vgl. S. 483ff.). 334 Siehe z. B. Meffert, 2000, S. 388, Kirchmann, 1996, S. 442s 335 Kotler, 1994, S. 700 (mit Verweis aufGupta et al., 1986a). 336 Siehe z. B. Becker, 2002, S. 846f., Meffert, 2000, S. 431ff.

54

2. Dekonstruktion ,,rootdistinctions"

Die Diskussion von (organisatorischen) L6sungsans~itzen betont dann die Notwendigkeit einer ,,(...) flexible[n] Organisationsstruktur''337, einer Integration yon ,,(...) Mitarbeitem aller Untemehmensbereiche''33s in Entwicklungsteams oder eines ,,(...) geeignete[n] SchnittstellenManagement[s] ''339. Mit Bezug zur formalen Organisationsstruktur werden mechanistische, btirokratische Organisationen mit vielen Hierarchieebenen, starker Zentralisierung, vielen Arbeitsrichtlinien und rigider Arbeits- und Kompetenzabgrenzung einer geringen InnovationsflLhigkeit bezichtigt. 34~ Meffert betont das (aufbau)organisatorische Dilemma zwischen Routine und Irmovieren - und empfiehlt mit Verweis auf Hauschildt eine organisatorische Trennung. 341 Dariiber hinaus betont Meffert aber auch, dass strukturelle MaBnahmen alleine nicht ausreichen werden zur Vermeidung von Konflikten. Er verweist auf Johne und Pavildis und merkt an, dass vielmehr der Koordination fiber ein gemeinsarnes Wertesystem aller Organisationsmitglieder im Sinne einer innovativen Untemehmenskultur eine hohe Bedeutung zukommt. 342 Es gelte hierzu Ftihrungs- und Anreizsysteme als wichtigste Aktionsvariablen zu gestalten, bspw. fiber ein Rotationsprinzip oder Einsatz autonomer Teamstrukturen als flexible Organisationsformen. Becker z. B. sieht als wesentliche Schritte zu einem Schnittstellen-Management ein Schnittstellen-Audit und die Schafftmg notwendiger Managementinstrumente gefolgt von einer ,,(...) Durchsetzung der konstruktiven Zusammenarbeit an den Schnittstellen (u. a. via Fahrungs- und Arbeitsstil, JobRotationen, Jour-fix-Sitzungen). ''343 Neben diesen recht allgemein gehaltenen Aussagen, meist nur auf wenigen Seiten, finden sich gerade auch in Bezug auf spezielle(re) Aspekte der Implementierung oder gar eine Differenzierung hinsichtlieh Untemehmensgr613e keine weiteren Details. Wobei Aspekte des Mittelstandes generell, d. h. unabh~ngig vom betrachteten Thema, in keinem der betrachteten Standardwerke Beaehtung finden. Es wird stets - wie in Abschnitt 2.1.2 bereits dekonstruiert implizit der Kontext eines Grol3untemehmens (in Konsumgfitermassenm~irkten) unterstellt. Fragen der Implementierung finden im Allgemeinen eine gewisse Beachtung, fiber Kapitel zur Marketingorganisation. Dort werden dann auf der Basis eines instrumentalen Organisationsverst~ndnisses Standardformen m6glieher aufbauorganisatoriseher Umsetzungen des Marketingmanagement-Konzepts skizziert. Das Thema der Vergnderung oder des Wandels selbst wird nicht thematisiert. 344 -

337 33s 339 340 341 342 343 344

Meyerund Davidson, 2001, S. 153. Meyer und Davidson, 2001, S. 153. Becker, 2002, S. 846. Vgl. Meffert, 2000, S. 434. Vgl.Meffert, 2000, S. 435, und Hauschildt, 1997, S. 27f. Vgl. Johne und Pavildis, 1995, S. 804f. Becker, 2002, S. 846; siehe/ihnlich z. B. auch bei Kotler, 1994, S. 700. Siehe z. B. Becker, 2002, S. 836ff., Bruhn, 2002, S. 277ff., Kotler, 1994, S. 684ff., Meffert, 2000, S. 1064ff., Meyer und Davidson, 2001, S. 186.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

55

Antworten des Relationship Marketing 34s l]ber alle Standardwerke zum Relationship Marketing hinweg werden die Ursprfinge im ,,service marketing" und ,,business marketing" deutlich. So zeigt sich der - im traditionellen Marketingrnangement-Konzept noeh so ausgepr~igte Produktfokus ausgeweitet, im Zentrum steht ,,value" bzw. ,,value exchange", als die Basis aller Kundenbeziehungen: ,,(...) relationships are built on the creation and delivery o f superior value on a sustained basis. ''346 Der vom Kunde wahrgenommene Wert ergibt sich dabei naeh Christopher et al. aus der Differenz aus ,,perceived benefits" von Produkt- wie Serviceattibuten und ,,perceived sacrifice" aus Transaktions-, Lebenszykluskosten und wahrgenommenem Risiko. Betont wird hierbei grunds~itzlieh auch die kollaborative Basis des ,,value", fiber aktive und koproduzierende Netzwerk-Parteien - mit ,,win-win" im Fokus. 347 Manehe Autoren weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung von ,,promises" und darauf basierende ,,expectations" hin, die nieht zuletzt seit der SERVQUAL-Forsehung 348 als Riickgrat der Kundenbeurteilung von Leistungen Beriicksiehtigung erfahren. 349 Grundlage bildet also die Dreieeksbeziehung aus Unternehmen(snetzwerk), Mitarbeiter und Kunde, verknfipft fiber das ,,setting the promise" des externen Marketings, das ,,enabling the promise" des internen Marketings und das ,,delivering the promise" von Interaktionsprozessen zwischen Kunde und U n t e r n e h m e n Y ~ Damit sind also alle Formen der Interaktion und Kommunikation mit den Kunden Bestandteil des ,,value process", in erweiterter Form nieht nur ,,interactive part" der Kundenschnittstelle, sondern sogar alle internen Interaktionen innerhalb des ,,support part" hinter der ,,line o f visibility"Y 1 Diese holistische Betrachtung von Leistung wie auch seiner Wahrnehmung durch den Kunden schl~igt sich dann entspreehend auch in Bezug auf Antworten zu Forschungsinteresse und frage dieser Arbeit nieder. Zentral und fiber alle Standardwerke hinweg wird die Notwendigkeit nicht nut zur Kooperation mit externen Netzwerkparteien, sondem insbesondere auch zwischen internen Funktionen betont: ,,(...) marketing has moved from being the sole responsibility o f the

marketing

department

to

become

,pan-company'

and

cross-

345 Auch fiir diesen Abschnitt sei auf eine Gruppe an Standard-Lehrbiichem zum Relationship Marketing zuriickgegriffen, partiell erg/inzt um dort aufgeftihrte vertiefende Quellen: Buttle, 1996b, Christopher et al., 2002, Gordon, 1998, Gummesson, 2002b, Hakansson und Snehota, 1995, und Hennig-Thurau und Hansen, 2000a. Siehe einen ~ihnlichenAnsatz der Analyse z. B. bei Gummesson, 1993. 346 Christopher et al., 2002, S. 21..A.hnlichsiehe z. B. Gummesson, 2002b, S. 15, Buttle, 1996a, S. 2ft., Meyer und Bliimelhuber, 2000, S. 107ft. 347 Siehe z. B. Gummesson, 2002b, S. 310, Hennig-Thurau und Hansen, 2000b, S. 5. 348 Siehe z. B. Zeithaml et al., 1990, S. 23ff., Zeithaml nnd Bitner, 1996; S. 150ft., oder auch Buttle, 1994, Parasuraman et al., 1994, Teas, 1994. 349 Siehe z. B. Gummesson, 2002b, S. 43f., Buttle, 1996a, S. 12. 35o Vgl. Zeithaml und Bitner, 1996; S. 23, Figure 1-5 (mit Verweis aufKotler, 1994, S. 470); siehe/ihnlich z. B. auch bei Liljander, 2000, S. 163 (mit Verweis auf Gr6uroos, 1998, S. 325), oder Gr6uroos, 2000b, S. 54s (mit Verweis auf Gr6nroos, 1996a, S. 10). 35~ Siehe hierzu z. B. Gr6nroos, 2000b, S. 280 oder S. 319 (mit Verweis auf Gr6uroos, 1990b, S. 208).

56

2. Dekonstruktion ,,root distinctions"

functional. ''352 Betont wird die Prozessorientierung, Prozesse seien die Art und Weise, wie Unternehmen Weft D r ihre Kunden schaffen. Als einen dieser zentralen Prozesse heben Christopher et al. den Innovationsprozess hervor und skizzieren ihn: ,,(...) inter-disciplinary teams that bring together a multitude o f skills and knowledge bases. These teams are selfmanaged and autonomous, able to take decisions and short-circuit the conventional and timeconsuming procedures for taking new products to market. ''353 Wobei sie auch betonen, dass gerade Innovation zentral von externen - horizontalen oder vertikalen - Partnerschaften profitieren kanll. 354 Erstaunlich genug wird hiertiber hinaus, bis auf eine Ausnahme, in keinem der betrachteten Biicher auf das Thema Innovation eingegangen, selbst im Zusammenhang mit der Diskussion der erweiterten technischen Mrglichkeiten zur Sammlung und Verarbeitung von Kundeninformationen. 355 Die einzige Ausnahme ist das auf den Kontext des ,,industrial marketing" abzielende Buch von Hakansson und Snehota. 356 Der ,,conceptual framework" zur Analyse von ,,business relationships" betont die Einfltisse von Beziehungsstrukturen auf kooperative Lernprozesse: ,,Business relationships have (...) important effects on the development o f the technical competence and capacity o f the

-

company. On the whole they seem to affect the productivity, innovativeness and competence that is, all the components o f a company's capability and thus its performance potential. ''357

D e m Fokus des Buches g e m S , ,,(...) to explore intercompany relationships in industrial markets ''358, wird eine Scimittstellenthematik zwischen - wie auch immer gefasstem und verstandenem - Marketing nnd Innovieren jedoch nicht explizit thematisiert. Zum Forschungsinteresse der Schnittstellenthematik zwischen Marketing und Innovieren finden sich also - bis auf ansatzweise Christopher et al. Ausftihrungen.

in keinem der untersuchten Standardwerke

Die beiden vertiefenden Aspekte der Forschungsfrage, namlich der Implementierung und des Mittelstandes, erfahren im Kern wenig Aufmerksamkeit. Der Aspekt der Unternehmensgrrl3e wird sogar nirgendwo explizit behandelt. Die ganzheitlichere Betrachtung sowie der in guten Teilen - ~ihnlich zur Dienstleistungsforschung359 - metatheoretische, also sehr abstrakte Charakter der AusfiJhrungen schlieBt diesen Aspekt jedoch nicht per se aus. Und auch der Aspekt der Implementiertmg ist ein wenig beachteter: ,,Implementation issues are another largely-neglected aspect o f relationship marketing with massive practical relevance. ''36~ Dies steht dabei im Widerspruch zum Anspruch des Relationship Marketing als holistisches

352 353 354 35s 356 357 358 359 360

Christopher et al., 2002, S. 5. ~hnlich siehe z. B. Liljander, 2000, S. I62f. Christopher et al., 2002, S. 15. Vgl. Christopher et al., 2002, S. 133. Lediglich Aspekte der Individualisiemng von Produkten und Dienstleistungen (z. B. fiber Ans~itzeder ,,mass customization") auf dieser reicheren Informationsbasis werden z. T. erw/ihnt. Vgl. Hakansson und Snehota, 1995. HakanssonundSnehota, 1995, S. 47f.;siehe ahnlichz. B. auchS. 33 oderdieFallstudieaufS. 332ff. Hakanssonund Snehota, 1995, S. 3. Vgl. M611er, 1992, S. 204. Hennig-ThurauundHansen, 2000b, S. 16.

2.1 Forschungim Kontext des Themas

57

Konzept und zur harschen Kritik seiner Vertreter an eben dieser Schw~iche des traditionellen Marketingrnanagement-Konzepts. 361 Z. T. jedoch wird er in allgemeiner Form explizit adressiert tiber separate Abschnitte zu ,,implementation" und ,,organizational change". Am wohl deutlichsten gehen Christopher et al. darauf ein, wie ein Wandel hin zu einer relationalen Orientierung und des kollaborativen Managements (auch in Bezug auf den Innovationsprozess) erfolgen kann. 362 Sie legen ein prozessuales Wandelverst~ndnis zugrtmde, skizzieren ein Phasenmodell und gehen auf zu erwartende Widerst~inde wie Paradoxien des ,,change management" ein. Auch betonen sie die Rolle, die internes Marketing - tiber seine Kommunikationsfunktion - ftir erfolgreichen organisationalen Wandel spielen kann. 363 Eine wissenschaftlich-theoretische Diskussion tiber ein ,,framework for factors affecting employee behavior" findet sich bei Liljander, allerdings ohne konkreten Implementierungsfokus. 364 DariJber hinaus jedoch sparen die untersuchten Standardwerke wie oben von Hennig-Thurau und Hansen bereits angemerkt - diesen Aspekt in G~inze aus 365, adressieren ihn (lediglich) tiber Fallstudien366 oder als kurzen Imperativ im traditionellen Sinne des Planungsmanagements367: ,,In Phase 7, you should be planning the implementation of the entire initiative. ''368

Antworten fokussierter Untersuchungen Dieser Teil stellt nun Beitrgge der Marketingforschung vor, die sich dediziert Forschungsinteresse oder -frage dieser Arbeit widmen. Die Zuordnung der Beitrage nach Marketing(bier) oder Innovationsforschung (siehe Abschnitt 2.1.4.2) erfolgt dabei tiber die disziplin~ire Verankerung der Autoren. Diese - selbstredend nicht eineindeutige - Trennung soll es erm6glichen, u. U. vorhandene disziplinbezogene Sichten auf das Thema herausarbeiten zu k6nnen. Grundlage der dargelegten Beitr~ige ist eine systematische Literaturrecherche in ausgew~hlten Journals der Bereiche Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Innovationsmanagement, mit initialem Fokus auf Ver6ffentlichungen der letzten zehn Jahre (siehe Anhang A). Erg~inzt wurde diese Recherche um freie Stichwortsuchen in f'tthrenden Literaturdatenbanken sowie Tiefenrecherchen auf der Basis von Literaturverzeichnissen sowie dedizierten Namensrecherchen besonders aktiver Autoren. Trotz der sehr breiten und fundiert angelegten Recherche kann (und soll) natOrlich nicht der Anspruch auf

361 Siehehierzu Abschnitt 2.1.2. 362 Vgl. Christopheret al., 2002, S. 21 lff. 363 Vgl. Christopheret al., 2002, S. 224s siehe ~ihnlichz. B. auch Reynoso und Moores, 1996, S. 56f., HennigThurau und Hansen, 2000b, S 1lf., Liljander, 2000, S. 161, Jeschke et al., 2000, S. 193ff. 364 Vgl. Liljander, 2000, S. 173ff. 365 Siehez. B. Gummesson,2002b. 366 Siehez. B. Hermig-Thurauund Hansen, 2000a. 367 Vgl. Schrey6gg, 2002, S. 483. 368 Gordon, 1998, S. 160.

58

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

Vollstandigkeit erhoben werden - der Fokus liegt mit Nachdruck auf jtingeren Arbeiten. 369 Ziel ist es also vielmehr, einen fundierten 15berblick fiber eine als repr~isentativ erachtete Tiefe wie Breite an Beitr/igen zum Thema zu verschaffen - sowie insbesondere die jiingere Entwicklung zu verdeutlichen. Die recherchierten Beitrgge wurden dabei jeweils nach ihrem Untersuchungsfokus (Erkenntnisziel und Reichweite), Forschungsansatz (forschungsparadigmatische Ausrichtung trod Methodik), nach theoretischer Fundierung und Implementiertmgsfokus untersucht. Die Gliederung erfolgt in Unterscheidung deutscher von intemationalen Beitr/igen and auf Basis der perspektivisch-theoretischen Verortung. Die perspektivisch-theoretische Verortung l~isst dabei eine Unterscheidung zu in Beitr~tge mit engem Fokus auf die Innenperspektive der Schnittstellenthematik und solche mit weitem Fokus fiber eine Netzwerkperspektive (sowohl des Marketings als auch des Innovierens). Diese Unterscheidung spiegelt im Wesentlichen zugleich die historische Entwicklung nicht nur in der Marketing- wie Innovationsforschung, sondem gleichlaufend aueh in der Untersuchung der Schnittstelle zwischen Marketing und Innovieren wieder. Vorbehaltlich der eingehenden Interpretation des Forschungsstandes und seiner Entwicklung in Abschnitt 2.1.5 l~isst sich also bereits im 15berblick konstatieren, dass die Marketingforschung zum Thema in weiten Teilen von einem zunehmend breiten Fokus auf die Schnittstellenthematik gepr~igt ist, von einer ursprtinglich engen, funktional und innenorientierten Perspektive hin zu einer weiten, eher ressourcen- und netzwerkorientierten Perspektive. Gleichlaufend zeigen sich (soweit tiberhaupt vorhanden) Entwicklungen in den theoretischen Verortungen, empirischen Ans~itzen und nattiflich Ergebnissen. Eine umfassende Darstellung der Ergebnisse der Literaturrecherche in tabellarischer Form, sowie weitere Details zur Recherche finden sieh in Anhang A. Im Folgenden seien die Beitrgge der Marketingforschung in Erg~rtzung zur Tabelle noch auszugsweise vorgestellt, partiell auch in Bezug auf Ergebnisse:

Deutsche Marketingforschung: 9

Benkenstein (1987a, analog 1987b) setzt sich in seiner theoretisch/konzeptionellen Arbeit zum Ziel, normative Empfehlungen ftir eine effiziente Koordination im Innovationssystem aufzuzeigen. Einer eingehenden Analyse der Determinanten des Koordinationsbedarfs und der Einfltisse von Kontextfaktoren folgen Koordinationskonzeptionen zur Deckung und Reduktion des Koordinationsbedarfs hinsichtlich Koordinationsinstrumenten und zeitpunkten. Auf dieser Basis wird dann ein Ansatz zur Gestaltung eines effizienten Koordinationsmixes erarbeitet. Betonte Ansatzpunkte sind bei komplexen Innovationsproblemen Entscheidungsgremien und Neuproduktteams als effiziente Koordinationsinstrumente sowie Prognose- und Entscheidungstechniken, wie z. B. Szenarien oder Portfoliomethoden, als flankierende Mal3nahmen. Auch sollte die Koordination sich nach

369 Gerade aufgrund der iiberaus langen Tradition der Forschung zur Schnittstellenzwischen Marketing und F&E wird diese Beschr:inkrungunumg~inglich.Siehe z. B. bereits in den 70er Jahren Dunn und Boyd, 1975, Souder und Chakrabarti, 1978, Biller, 1975, Montelcone, 1976, Young, 1973.

2.1 Forschungim Kontext des Themas

59

Benkenstein nicht nur auf die Phase der Magnahmenplanung und -durchftihnmg beschr~lken, sondern auch vorgelagerte Phasen (zumindestens extensiv) mit einbeziehen. 9

Mit Roscher et al. (1987), Schneider und Mtiler (1993) und Schmidt (1996) zeigen sich drei eher konzeptionell orientierte Arbeiten deutschen Ursprungs. Roscher et al. haben auf Basis eines konkreten Projektes ein systematisches Vorgehen mit ausgepr~igt normativem Charakter entwickelt, das sie anhand eines Beispieles vorstellen. Schneider und Mtiller diskutieren anf der Basis von Sekund~irliteratur sehr differenziert Ursachen von Spannungen sowie m6gliche Magnahmen zur Schnittstellengestaltung. Schmidts Studie hat eher deskriptiven Charakter aufgrund der Vorstellung der Ergebnisse aus dem entwickelten ,,Interface-Check" zur strukturierten Analyse der Schnittstelle zwischen F&E und Marketing. Die Ergebnisse zeugen nach Schmidt davon, ,,(...) dab eine innovationsund erfolgsf'6rdemde Gestaltung der Schnittstelle ,F&E und Marketing' noch nicht in umfangreichem Mage realisiert ist. ''37~ Disharmonien der Schnittstellenkultur werden begleitet durch Defizite in der Entscheidungsabstimmung. Es tiberwiegt der Einsatz personenorientierter Koordinationsinstrumente.

9

Neuere BeitrS.ge der deutschen Marketingforschung, insbesondere solche, die sich auf Basis einer Netzwerkperspektive explizit mit dem Thema auseinandersetzen, sind dem Autor nicht bekannt.

Internationale Marketingforschung: 9

Der relativ frfihe Beitrag europgischen Ursprungs von Millman (1982) widmet sich in konzeptioneller Form der Untersuchung von Barrieren an der Schnittstelle zwischen R&D und Marketing. Millmann stellt traditionelle Organisationsformen der beiden Funktionen vor und disktuiert die ,,(...) twin barriers of culture and professionalism". MSglichkeiten, diese Barrieren zu tiberkommen werden diskutiert, explizite Integratorrollen und - v o n Millmann als besonders geeignet betont - der Ansatz der multi-(und inter-)disziplin~en Gruppe.

9

Die wohl aktivsten internationalen Marketingforscher im Themenfeld sind Gupta und KollegInnen, die sich seit Mitte der 80er Jahre - im Rahmen eines Forschungsprogrammes an der Ohio trod der Syracuse Universitgt - in zahlreichen konzeptionellen wie empirischen Beitr~igen mit dem ,,R&D-marketing interface" auseinandersetzen. 371 Ein noch deskriptives ,,Vortasten" in das Feld stellt wohl der frtihe Beitrag zusammen mit Raj und Wilemon dar (Gupta et al., 1985a). Basierend auf einer Liste von 19 ,,areas requiring R&D/Marketing integration" untersuchen sie deren relative

370 Schmidt 1996, S. 18. 371 Siehe z. B. Gupta et al., 1985a, Gupta et al., 1985b, Gupta et al., 1986a, Gupta et al., 1986b, Gupta et al., 1987, Gupta und Wilemon, 1988a, Gupta und Wilemon, 1988b, Gupta und Wilemon, 1991, oder Gupta und Rogers, 1991. Die Beitr~ige sind nur auszugsweise in der Tabelle im Anhang wiedergegeben und hier detailliert.

60

2. Dekonstruktion- ,,rootdistinctions" Bedeutung, sowie die Zusammenhgnge mit Untemehmensgr6Be und Innovationserfolg. Der Zusammenhang zwischen Innovationserfolg und Integrationsgrad konnte signifikant best~itigt werden, wobei Unternehmensgr0Be sich - entgegen der Erwartung - nicht auf den erforderlichen und erreichten Grad an Integration auswirkt. ErgLnzend hierzu - und auf den gleichen Daten aufbauend - werden in dem Beitrag aus dem gleichen Jahr (Gupta et al., 1985b) Unzufriedenheiten und Integrationsbarrieren er0rtert. Der sp~ttere Beitrag der gleichen Autoren (1987) baut noch einmal auf dem selben Datensatz auf und untersucht, inwieweit sich ,,management practices" von Unternehrnen mit hoher Integration zwischen Marketing und R&D von solchen niedriger Integration unterscheiden. Sowohl in der Qualit~it der Beziehungen, der Organisationsstruktur, der Haltung des Senior Managements als auch der NPD-Organisation konnten signifikante Unterschiede gefunden werden. In einem weiteren friJhen, richtungsweisenden Beitrag zusammen mit Raj und Wilemon (1986a) entwickeln die Autoren einen konzeptionellen Rahmen zur Analyse der Integration zwischen Marketing und F&E im Innovationsprozess. Er sieht organisationale Strategic und Umweltunsicherheit als Determinanten des Umfangs an Integrationsbedarf. Organisationale Faktoren (wie Organisationsstruktur, Senior Management und operative Charakteristika) und individuelle Faktoren soziokultureller Differenzen werden als Determinanten des erreichten Grades an Integration aufgeftiturt. Je gr6Ber die Liicke zwischen ben0tigter und erreichter Integration, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit fdr den Erfolg der Innovation. In der hierauf aufbauenden Studie, wieder zusammen mit Raj und Wilemon (1986b), wiederlegt er die in seinem Rahmen noch postulierte Behauptung, dass ausgepr~igte soziokulturelle Unterschiede zwischen Marketing und F&E-Managern existieren und die Integrationsqualitat beeintlussen warden. Die einzigen Unterschiede wurden in der zeitlichen Orientierung nachgewiesen. Er schlieBt hieraus, dass das ,,R&D-marketing integration problem" weniger ein ,,people"-Problem als eines organisationaler Variablen sei. 37z In einem Dreigespann an Studien (Gupta und Wilemon, 1990, Gupta und Wilemon, 1991 und Saghafi et al., 1990), basierend alle auf dem Erhebungsinstrument einer fiqiheren Arbeit (Gupta et al., 1985a) werden in deskriptiver Form Status quo, Entwicklung, Erwartungen, Barrieren und M6glichkeiten zur verbesserten Integration, aus Sicht der jeweiligen Parteien vorgestellt und diskutiert. In Summe zeigen sich ausgeprggte Unzufriedenheiten mit der Qualit~it der Beziehtmg und zunehmender Bedarf an Integration. Deutlich werden auch ansgesprochen unterschiedliche Sichtweisen beider Gruppen auf die Thematik. Auf konzeptioneller Art und Weise und in einem seiner letzten Beitr~ige explizit zum Thema widmet sich Gupta zusammen mit Rogers (1991) der Frage

372 Wenngleich er selbst seine Ergebnisse dahingehend hinterfragt, dass die nicht signifikant ausgepr~igten Unterschiede den speziellen Umst~inden des Samples geschuldet sein k6nnten, da 64% der involvierten Marketingmanager eine technische Ausbildung hatten (vgl. Gupta et al., 1986b, S. 29). Bush und Lucas k6nnen kontr/ir hierzu z. B. durchaus signifikante Unterschiede soziokulturellerArt in der Pers6nlichkeit zwischen Marketing- und R&D-Manager nachweisen, wie z. B. in Bezug auf ,,Aggressiveness" oder ,,Venturesomeness"(vgl. Bush und Lucas, 1988, S. 24ff., oder auch Lucas und Bush, 1988).

2.1 Forschung im Kontext des Themas

61

der Implementierung, die sie als bedeutende Forschungslticke ausweisen: 373 ,,Most of the studies in the literature are focused upon understanding the nature of the problems with the R&D/marketing interface (...). These studies show how the final destination should look, but they do not tell us how to get there. ''374 Als Basis ihrer Diskussion dient der ,,diffusion-of-innovation"-Ansatz von Rogers und seine Elemente, die die Adaption(sgeschwindigkeit) beeinflussen. Zahlreiche praxisorientierte Vorschl/ige auf Basis dieser Perspektive suchen den m6glichen Weg einer erfolgreichen Umsetzung zu untersttitzen. /nnovativ und ungewOhnlich in Bezug auf den Forschungsansatz - und deshalb hier hervorgehoben - ist der Beitrag von Workman (1993). Auf der Basis teilnehmender Beobachtung einer groBen Computerfirma fiber neun Monate untersuchte er, welche Rolle das Marketing bei der Entwicklung neuer Produkte spielte. Eine Vorstudie konnte bereits verdeutlichen, dass in Hightech-Untemehmen dem Marketing h/~ufig lediglich die Vertriebs- und Servicerolle fiir Produktinnovationen zukommt. 375 Und auch die untersuchte Firma zeigte sich als eine ausgepr/igt ,,engineering-driven company", mit einer entsprechenden formalen Rolle des Marketings. Marketingmanager fibten daher Einfluss auf Produktentscheidungen prim~ir tiber indirekte und nicht-traditionelle Wege aus, wie z. B. tiber informale Netzwerke oder strategische Koalitionen. l~-blicherweise in der Marketingforschung zur Neuproduktentwicklung angewandte Modelle implizit ,,(...) portray firms as rationally studying and analyzing their environments''376, seien daher t~fir die Forschung nur bedingt aussagef~hig. Workman empfiehlt Ansgtze des organisationalen Lemens oder eine sozialkonstruktivistische Perspektive. 377 Forschung zur funktionsiibergreifenden Kommunikation mtisse Sensibilit~it dafiir autbringen, wie Aufgaben und Prozesse des Marketings und Innovierens in einer Firma - durchaus im Widerspruch zu formalen Bezeichnungen - organisiert sind. Die Entwicklung hin zu Arbeiten mit einer breiteren und eher netzwerkorientierten Perspektive zeigt sich bereits bei Ruekert et al. (1987b), einem tiberaus hgufig zitierten Beitrag. Die Autoren formulieren den Anspruch, einen verallgemeinerbaren Rahmen ftir Interaktionen des Marketings mit anderen funktionalen Bereichen zu entwickeln. Und die Autoren betonen - flir die zuktinftige Forschung - die Notwendigkeit einer Netzwerkperspektive: ,,Conceptually, a network approach seems most appropriate because the relations between the members of two departments may well be influenced by each of

373 Wie auch schon Ruekert et al. in ihrem Beitrag: ,,The marketing literature on interfunctionalinteraction (...) largely ignores (...) the implementation of the decisions and programs formulated." (Ruekert und Walker, 1987b, S. 1) 374 Guptaund Rogers, 199I, S. 66. Die Autoren propagieren auf dieser Basis Fallstudien, die diesen ,,change process" untersuchen:,,Currently, to the best of our knowledge, such case studies do not exist." (S. 66) 375 Vgl. Workman, 1993, S. 406. 376 Workman, 1993, S. 419. 377 Vgl. Workman, 1993, S. 417.

62

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions" their relations with representatives of a third department. ''37s Beispiel t'tir eine diesem Credo gefolgte Arbeit ist die von Perks (2000). Sic fasst eingangs den Status quo der Forsehung zur interfunktionalen Integration zwisehen R&D und Marketing zusammen und betont deren prim~ir kontingenztheoretische Sicht wie auch den engen Fokus ,,(...) on the single firm operating independently in a market context. ''379 Aus einer Netzwerkperspektive 3s~jedoeh zeigten sich Marketingprozesse und ihre Strukturen erst in ihrer reichen Komplexit~it. Zus~itzlich betont sic, dass Kollaboration in NPD-Prozessen Chancen gegentiber ,,intrafirm NPD" er6ffnet, sei es fiber Zugriff auf erweiterte Ressourcen, verteilte Kosten und Risiken oder verringere Entwieklungszeiten. Perks untersucht dann auf der Basis yon Fallstudien-Paaren europ~iiseher und japanischer Grol3untemehmen Meehanismen zur Integration yon Marketinginformation innerhalb Prozessen kollaborativer Entwicklung neuer Produkte aus einer dyadischen Sicht. Die (implizite) theoretische Verankerung erfolgt im ,,industrial network approach" und der ,,ressource based theory". 3sl Und anch bei Gupta und Wilemon (Gupta et al., 2000, Gupta und Wilemon, 1996) zeigt sich diese erweiterte Perspektive, gegentiber Perks sogar auch mit einer breiteren Innensicht, also einer Berticksichtigung der internen Interaktionen von R&D mit Nicht-R&D-Gruppen wie auch die Etablierung extemer Allianzen. Letztere Ausweitung ist jedoch empirisch auf Beziehungen zu Kunden fokussiert. Die Autoren sprechen in ihrer prim~ir deskriptiven Studie darm aueh von einem ,,involvement gap" ,,(...) to create synergy between their R&D group and the other business functions, both internal and external to their organizations. ''3sz Untemehrnen mit hoher R&D-Effektivit~it zeigen hier eine deutlieh ansgepr~igtere Vernetzung, zum Nutzen von erh6hter Entwicklungsgeschwindigkeit, minimierten Doppelarbeiten und reduzierten Anreizen zum Horten von Informationen. Der jtingste betrachtete Beitrag hier ist einer, der nicht dieser Netzwerksicht folgt, aber eine interessante Differenzierung zum Thema in anderer Hinsicht leistet. Olson, Walker und Ruekert (2001, 1995) untersuchen auf Projektebene das Zusammenspiel von Marketing, R&D und Produktion. Im Fokus stehen die Intensit~it an Kooperation, die Unterschiede in den Kooperationsmustem und ihre Beztige zum Innovationserfolg. Neu ist hierbei, dass sic dies differenziert in Bezug auf Projektphasen betrachten und auch den Innovativitgtsgrad als moderierende Variable hinzuziehen. Sic hinterfragen als ein tumbes ,,mehr ist besser" in Bezug auf Koordination. Die Kooperationsintensit~it stieg - wie erwartet - im Projektverlauf an, wobei (unabh~ngig v o n d e r Innovationsh6he) die Kooperationsintensitgt zwischen Marketing und R&D in den frtihen Phasen tiberwiegt und dort sich auch signifikant positiv auf den Projekterfolg auswirkt. Die Kooperations-

378 379 3so 3st 3s2

Ruekert und Walker, 1987b, S. 4. Perks, 2000, S. 182. In Anlehnung an Piercy und Cravens, 1995. Vgl. Easton mad Araujo, 1992 mad Blodgett, 1991. Guptaund Wilemon, 1996, S. 500.

2.1 Forschungim Kontextdes Themas

63

intensit/it zwischen Marketing und R&D in sp/iten Projektphasen sei nach den Autoren ohne Bezug zum Projekterfolg, in sp~iteren Phasen steige die Bedeutung der Kooperation mit der Produktion. Eine verfeinerte Betrachttmg der Schnittstellenthematik, auf Projektebene, und nicht wie sonst tiblich aggregiert auf Unternehmensebene, sowie unter Beachtung des zeitlichen Ablaufs und differenziertere Sicht zu erm6glichen.

der

Innovationsh6he scheint also

eine

Antworten verwandter Diskurse In der Breite der Recherche zeigen sich zus/itzlich auch verwandte Diskurse mit Far Forschungsinteresse wie -frage relevanten Ergebnissen, wie z. B. zu Schnittstellen zwischen Marketing und anderen Untemehmensfunktionen (insbesondere Produktion, aber auch z. B. Verkauf). Und auch der Diskurs zur Marketingorganisation dr~ingt sich hier auf. Auf diese beiden Diskurse soil im Folgenen noch in Kttrze eingegangen und zentrale Arbeiten kurz vorgestellt werden. Der erste Diskurs widmet sich, h~iufig in expliziter Anlehnung an die Arbeiten zur Schnittstelle zwischen Marketing und F&E, weiteren - i m Kern internen - Schnittstellen des Marketings. Insbesondere die Schnittstelle zur Produktion geniel3t hier Aufrnerksamkeit.383 Crittenden et al. (1993) untersuchen bspw. die Schnittstelle zur Produktion, sehen das Produkt als Kern der !21berlappung beider funktionalen Bereiche mit zahlreichen Konfliktfeldern kontrgrer Ziele. Sie erweitern dann die bestehenden ,,conflict reduction mechanisms", wie z. B. ,,organizational design" oder ,,communication" um ,,group decision support systems".384 Einige Arbeiten aber untersuchen auch weitere im Rahmen der Wertsch6pfungskette m6gliche Schnittstellen, so z. B. zwischen Marketing und Logistik oder zwischen Marketing und Verkauf. 385 Eine Ausweitung auf das Dreigespann aus Marketing, Produktion und Design findet sich bei Mukhopadhyay und Gupta (1998), sozusagen schon als Vorstufe zu den netzwerkorientierten und noch breiter angelegten Arbeiten. Sie listen zahlreiche ,,problem areas" auf FOX die Schnittstellen zwischen Marketing und Produktion, wie zwischen diesen beiden und dem ,,design engineering", wie z. B. in den Feldern ,,cost control", ,,quality assurance" oder ,,adjunct services".386 Als Ergebnis entwickeln und testen sie einen komplexen Rahmen zur Analyse und schliel31ich Verbesserung der Koordination zwischen diesen Bereichen. Eine 13-bertragung -

gerade f0x den industriellen Kontext der

Leistungsbiandel sehr interessant - in die Welt der Dienstleistungen finder sich bei Mahajan et al. (1994). 387 Eine andere Perspektive wghlen Arbeiten, die sich mit dem Zusammenspiel

383 Siehe z. B. Crittenden et al., 1993, Mukhopadhyay und Gupta, 1998, Mahajan et al., 1994. Ffir eine LlbersichtfiberForschungsarbeitensiehez. B. Mukhopadhyayund Gupta, 1998, S. 106f. 384 Vgl. Crittendenet al., 1993, S. 306. 385 Siehez. B. Ellinger,2000, Cespedes,1993, Dewsnapund Jobber,2002, oder Spechtet al., 1989, S. 87ff. 386 Vgl. Mukhopadhyayund Gupta, 1998, S. 104f. 387 Wobei in dieser Arbeit der Begriff des Marketings zu den Arbeiten mit Produktfokus anders verwendet wird. Mahajan et al. bezeictmenmit Marketing den mit den Kunden interagierenden Teil des ,,service offering",im Kontrastzu den ,,operatingfunctions"als ,,backoffice"(vgl. Mahajan et al., 1994, S. 2).

64

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

zwischen ,,engineers and marketers" besch~iftigen, wobei die ,,engineers" meist in verschiedensten Bereichen angesiedelt sein k6nnen, F&E also eingeschlossen. 388 So verdeutlichen z. B. Fisher et al. (1997), dass die zwei Standardans~ttze zum Management yon interfunktionaler Kommunikation, n~mlich ,,development o f information-sharing norms" und ,,construction o f integrated goals" um die moderierende Variable der relativen funktionalen Identifikation zu erweitem sei. Wenn bspw.

die funktionale Identifikation, wie in

,,engineering-based functions" oder auch far junge Marketingrnanager angenommen, st~irker ist als die organisationale, dann seien integrierte Ziele effektiver als Normen zur Forcierung interfunktionaler Kommunikation. 389 Oder Forschungsarbeiten nehmen gleich die generelle Aufgabe des Marketings zu Management und Verbreitung von Marktwissen in den (breiten) Fokus. 39~ Mit letzterem Fokus betonen Bondra und Davis (1996) bspw. die Fiahrungsrolle des Marketings bei der Sammlung externer Informationen wie auch seine Verantwortung bei der intemen, funktionstibergreifenen Kommunikation. A u f der Grundlage eines Projektes zur Softwareeinfahrung im Verkauf konnten sie hier deutliche Verbesserungen feststellen. 391 Und noch einmal einen breiteren Fokus nehmen die Arbeiten zum Diskurs tiber ,,knowledge use" oder ,,market intelligence use" ein, die Prozesse der Verbreitung und Nutzung von (Marketing-)Wissen im Untemehmen untersuchen. 392 So konnten Maltz und Kohli (1996) bspw. einen ,,mere formality effect" nachweisen, der in Erganzung der sonstigen Betonung primgr informaler Kommunikation unterstreicht, dass die Nutzung von Information vom Grad der Formalitgt der Kommunikation positiv beeinflusst wird. 393 Der zweite hier kurz vorgestellte Diskurs nun widmet sich der Frage der

organisation, unzweifelhaft

Marketing-

ein Feld mit zentraler Auswirkung oder wesentlichen Antworten

auf Forschungsinteresse und -frage dieser Arbeit. In gewisser Weise kann man die Frage nach funktionsiibergreifender Integration von Marketing und Innovieren als ein Teilaspekt der Marketingorganisation sehen. 394 Traditionell geh6rte ,,[d]er Problembereich der Marketing-

organisation (...) zu den weniger geliebten Stiefkindern der Marketingforschung". 395 Dies ist nicht zuletzt nattirlich durch die mikro6konomische Pragung mit beeinflusst. Vorherrschend sind kontingenztheoretisch geprggte Arbeiten instrumenteller Pr~igung mit Betonung der ,,(...) bureaucratic

dimensions

such

as

formalization,

centralization,

specialization

and

standardization ''396 von Grogunternehmen. Eine fundierte Ubersicht tiber den Stand der

388 Siehe z. B. Fisher et al., 1997, oder Shaw and Shaw, 1998. Diese Gruppe an Arbeiten wird insofem nicht in obiger Tabelle des Kerndiskurses aufgeffihrt, als die Beitr~ige i. d. R. nicht dediziert das Zusammenspiel zwischen Marketing and F&E als separaten Teilaspekt fokussieren lassen. 389 Vgl. Fisher et al., 1997, S. 54 und S. 66f. (mit Verweis anfHouston, 1994). 390 Siehe z. B. Bondra und Davis, 1996, oder Ruekert und Walker, 1987b. 391 Vgl. Bondra and Davis, 1996, S. 193. 392 Siehe z. B. Maltz und Kohli, 1996. 393 Vgl. Maltz und Kohli, 1996, S. 57f. 394 Siehe so z. B. bei Elsik, 1996, S. 25, oder bei Workman et al., 1998b, S. 28, Workman et al., 1998a, S. 15. 395 Diller, 1991, S. 156. 396 Workman et al., 1998a, S. 10; S. 13.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

65

Forschung findet sich bei Workman et al. (1998a, 1998b), es sei daher der Fokus auf die jiJngere Entwicklung und ihre Verankertmg gelegt. Hier sind insbesondere zwei Aspekte hervorzuheben. Der erste Aspekt zielt auf eine aktivit~itsbasierte Sicht auf das Marketing ab im Kontrast zum tiblichen Fokus auf Marketing als formal institutionalisierte Einheit einer Organisation. 397 Diese Sicht verdeutlicht, dass das Gros der Forschung zur Marketingorganisation wie zu Schnittstellenfragen implizit Marketing als funktional organisierte autonome Gesch/iftseinheit unterstellt hat - und nicht berticksichtigt hat, wie Marketing in einer gegebenen Firma definiert ist. So haben z. B. Piercy (1986) und Tull et al. (1991) in ihren empirischen Arbeiten die ,,cross-functional dispersion o f marketing activities" verdeutlicht, 398 ein Aspekt der bei Unternehmen mit industriellen Kunden oder bei kleineren Unternehmen als noch ausgepr/igter eingesch~ttzt wird. 399 Der zweite hervorzuhebende A s p e n ist nun der der transorganisationalen Ausrichtung des Marketings, in Anlehnung an das gestiegene

Bewusstsein

an

die

Potenziale

firmentibergreifender Allianzen

und

der

Rationalisienmg von Aktivit~tten fiber die gesamte Wertsch6pfungskette hinweg: 4~176 ,,It has become increasingly apparent that the question o f marketing organization extends far beyond the mainly administrative issues o f departmentation and internal deparment structure. (...) Marketing organization has become a fundamental strategic issue concerned with intraorganizational relationships and inter-organizational alliances, and the management o f critical boundary-spanning environmental interfaces. ''4~ Achrol (1991), in seinem viel zitierten Beitrag, entwirft in diesem Zusammenhang (mit externem Fokus) zwei innovative, prototypische Formen einer Marketingorganisation, der ,,marketing exchange company" und der ,,marketing coalition company". Beide Formen sieht er als ,,(...) organizing hubs o f complex networks o f functionally specialized firms. ''4~ Einen zentralen Einfluss auf diesen Diskurs tiben die Autoren der IMP-Gruppe, die im Kontext de~ industriellen Marketings Theorien und Ans~itze zur Untersuchung von Interaktionen in Netzwerken entwickelt haben. 4~ Eine explizite Anwendung dieser Perspektive in Bezug auf die Frage der Marketingorganisation findet sich z. B. bei M611er und Rajala (1999). In ihrer Untersuchung zur Organisation der Marketingaktivit~iten in Grogunternehmen der High-tech Industrie verdeutlichen sie - unter einer aktivit/itsorientierten Sicht -

die Aufl6sung klassisch

funktionaler Marketingabteilungen hin zu verteilten und hoch-spezialisierten Marketing-

397 Vgl. Workman et al., 1998a, S. 1: ,,(...) marketing can be thought of as either a functional group within the firm or as a set of activities (e.g. advertising, product management, market research, sales, customer service) whose placement wilI vary across organizations". 398 Piercy nennt das auch die ,,(...) ,post-marketing concept firm' manifesting not the integration of marketing functions but the disintegration of marketing." (Piercy, 1986, S. 266; Herv. i. Orig.) 399 So hat Piercy bei seiner Studie, ,,(...) heavily biased towards medium-sized companies" (Piercy, 1986, S. 268) bei 55% der Unternelunen keine formal organisierte Marketingfunktion vorgefunden (/ihnlich siehe z. B. auch Workman et al., 1998a, S. 29f.). 400 Einige Autoren betonen in diesem Zusammenhang auch den Aspekt der Integration und des ganzheitlichen Denkens (vgl. Diller, 1991, S. 162; ~hnlich siehe z. B. George et al., 1994). 4o~ Piercy und Cravens, 1995, S. 7; siehe/ihlich z. B. auch bei Workman et al., 1998a, S. 3. 402 Achrol, 1991, S. 77. 4o3 Siehe z. B. Hakansson und Snehota, 1995, Ford, 1990, oder M611erund Wilson, 1995a.

66

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

aktivit~iten in

Matrixstrukturen

und

mit

hohem

Koordinationsaufwand.

Gerade

im

industriellen Kontext seien aufgrund der Komplexitiit der Produkte (im Vergleich zu Konsumgiitern) eine grot3e Anzahl yon Personen verschiedenster Spezialisierungen in Marketing- wie auch Entwicklungsaktivitiiten involviert. Sie betonen mit Blick in die Zukunft, dass ,,(...) the coordination o f the interfaces between these units, between them and R&D and production, and between them and the corresponding organizational units o f customers, constitutes the key challenge for marketing management ''4~ und ,,(...) is a key prerequisite for the successful management o f their customer relationships." 405 Sie betonen die Notwendigkeit t'lir ein zentralisiertes Koordinationssystem als ,,internal boundaryspanner ''4~

mit Vertretern aus allen relevanten Bereichen und der Verantwortung zur

interftmktionalen Koordination - womit nicht zuletzt die Niihe zum Forschungsinteresse dieser Arbeit betont wird. 4~

2.1.4.2 Forschungsantworten der Innovationsforsehung Im Folgenden, wie eingangs bereits beschrieben, die Antworten der Innovationsforschung auf Forschungsinteresse und -frage dieser Arbeit. Der prim~iren Verankerung dieser Arbeit in der Marketingforschung gem/il3 wird dieser Abschnitt sich um eine kompakte Darstellung bemt~hen. Der Fokus erfolgt eingehend kurz auf Antworten des traditionellen Innovationsmanagements - analog zum Marketingteil auf der Basis einer (hier kleineren) Gruppe von Standard-Lehrbfichern - gefolgt von einem Kommentar, der die zentralen Forschergruppen, ihre Arbeiten zum Forschungsinteresse und insbesondere die Entwicklung dieser Arbeiten aberblicksartig zu beschreiben sucht. Selbstredend wird hierbei Bezug zu den Grundlagen des lnnovationsmanagements und seiner Entwicklung genommen (siehe Abschnitt 2.1.3).

Allgemeine Antworten des Innovationsmanagements4~ 15ber die hier zugrunde gelegten Standardwerke hinweg wird der mehr oder weniger explizite Bezug zum technologieorientierten Innovationsmanagement deutlich, trotz aller Unterschiede in den Definitionen trod Abgrenzungen zwischen Innovationsmanagement und F&EManagement. 4~ Was bleibt ist also der

auch entgegen anderslautender Zusagen

primare

404 MSller und Rajala, 1999, S. 524. 405 MSller und Rajala, 1999, S. 521. 406 Zur Betonung der ,,boundary sparmer"-Rolle des Marketings siehe z. B. auch bei Cespedes, 1990, S. 28f.: ,,Thus, the essence of the marketing job is to help manage a series of external and internal boundaries. Marketing helps to interpret for the organization the usually ambiguous mosaic of information that is the external environment (or 'market') of a firm and it seeks to keep the ftrm in tune with changing market realities by acting as 'the voice of the customer' within the firm." (S. 29) 407 Vgl. M611erund Rajala, 1999, S. 534. 4o8 Als Basis fftr diesen Abschnitt dient eine klein(er)e Gruppe an Standard-Lehrbtichern zum (traditionellen) Innovationsmanagement, partiell erggnzt um dolt aufgefiihrte vertiefende Quellen: Gerpott, 1999, Hauschildt, 2004, und Vahs und Burmester, 2002, stellvertretend ffir die deutsche Forschung. Siehe einen ~ihnlichenAnsatz der Analyse z. B. bei Gummesson, 1993. 409 Siehe z. B. Vahs und Burmester, 2002, S. 48ff., im Vergleich zu Gerpott, 1999, S. 501".und S. 55ff., oder auch Gerpott, 2001, S. 242.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

67

Fokus auf Produkte und deren technologisch fundierte ,,invention + exploitation ''41~ Doch unabhangig davon ob, wie bei Hauschildt, Innovationsmanagement in seinem Ursprung weiter oder hinsichtlich eines technologieorientierten Innovationsmanagements (wie bei den anderen Autoren) enger gefasst verstanden wird, betont wird tmisono sein Querschnittscharakter. 41~ So verweist z. B. auch Gerpott in allgemeiner Form auf diesen Umstand: ,,(...) TIM-Aktivitaten [haben] in einem U n t e m e h m e n ,Querschnittscharakter', [werden] also mehr oder minder in allen Gesch/iftsfeldem fiber verschiedene funktionale Teilorganisationseinheiten hinweg abgewickelt". 412 Und er stellt auch einen L6sungsansatz vor, namlich die ,,(...) Einrichtung eines explizit ausgewiesenen Querschnittsressorts Technologie & Innovation ''413, das insbesondere bei umfangreichen und qualitativ anspruchsvollen lnnovationsaktivitaten ,,(...) mit einem stabsartigen Unterstiitzungsauftrag" prim~ir Koordinationsaufgaben w a h m e h m e n und integrierender Faktor werden soil. 414 Ein wenig ausftihrlicher auf das Forschungsinteresse gehen da die anderen Autoren ein. Beide schneiden erstmals die Thematik anhand des klassischen ,,technology push" vs. ,,market pull" an - und betonen Innovation als Ergebnis eines effektiven Zusammenspiels beider Aspekte: ,,Technologie offeriert neue Mittel, Nachfrage wtinscht neue Zwecke. Nur bei einer neuartigen Zweck-Mittel-Kombination liegt Innovation vor. ''415 Vahs und Burmester weisen an dieser Stelle zudem auf die Notwendigkeit eines Innovationsmarketings hin, das sie spater im

klassischen

Marketingmanagement-Konzept

aber

(traditionell)

mit

deutlicher

Aul3enorientierung darlegen. ()ber die zahlreichen Verweise auf Marketingaktivit/iten oder methoden und deren Nutzung im Rahmen des Innovationsprozesses hinaus 416 gehen Vahs und Burmester

explizit

auf

die

Marketing/Innovieren-Schnittstelle

nur

einmal

ein

-

ironischerweise bei der Diskussion yon wesentlichen Grtinden ftir den Misserfolg von Innovationen. Dort f'tihren sie ,,(...) mangelnde Koordination und Kooperation zwischen F+E, und Produktion" als ,,'Umsetzungsfalle' im Innovationsprozess" an. 417

Marketing

Insbesondere bei Vahs/Burmester und bei Hauschildt finden sich jedoch ausf'tihrliche Abschnitte zur Organisation des Innovierens 4~8, in Bezug auf die aufbau- und ablauforganisatorische Gestaltung der Innovationsfunktion von Vahs und Burmester gar als

410 In Anlehnung an die Definition von lnnovation von Roberts, 1987 unddeneinheitlichunterstellten weiteren prozessualen Fokus auf die Phasen von der Ideefindung bis zur Vermarktung (siehe z. B. Gerpott, 1999, S. 50 Abb. 2-6, oder Vahs und Burmester, 2002, S. 50 Abb. 14). 411 Vgl. Gerpott, 1999, S. 63, Hauschildt, 2004, oder Vahs und Burmester, 2002, S. 53. Vahs und Burmester bezeichnen in diesem Zusammenhang auch sehr pragnant das Innovationsmanagement als ,,Akzeptanzmanagement neuer Ideen" (S. 50). 4~2 Gerpott, 1999, S. 63. 413 Gerpott, 1999, S. 64. 414 Vgl. Gerpott, 1999, S. 65. 4is Hauschildt, 2004, S. 11 (mit Verweis aufBaker et al., 1967); siehe ahnlich bei Vahs und Burmester, 2002, S. l12f. 4t6 So z. B. bei den Instrumenten zur Formulierung yon Innovationsstrategien (S. 117ff.), bei den Methoden zur Ideengewinnung aus extemen Quellen (S. 145ff.) oder ausFtihrlich auch in tier Phase der Markteinfiihrung (S. 254ff.). 417 Wgl. Vahs und Burmester, 2002, S. 387. 418 Vgl. Hauschildt, 2004, S. 60ff., Vahs und Burmester, 2002, S. 293ff.

68

2. Dekonstruktion ,,root distinctions"

die Kemaufgabe des Innovationsmanagements bezeichnet. 419 Durch die breite Aufgabenanalyse des Innovationsmanagements beztiglich all seiner einzelnen Teilaufgaben 42~ (innerwie zwischenbetrieblicher Art) sowie dann hierauf autbauend die Synthese dieser Aufgaben in eine integrierende Perspektive, erfolgen so z. B. bei Hauschildt ausftihrliche Er6rterungen spezialisierter wie tempor~irer organisationaler Formen der Gestaltung dieser Aufgaben. 421 Diese Ausgangsbasis stellt nattirlich die Grundlage dar f'tir jegliche Diskussion zur Koordination der Innovationst~itigkeiten, sei es hierarchischer oder nicht-hierarchischer Form - oder auf Basis einer ausgepr~igten Innovationskultur. Hauschildt ist dann auch der einzige Vertreter, der das Thema des Schnittstellenproblems explizit adressiert und eingehend behandelt42z: ,,Die far das Innovationsmanagement bedeutsamste Beziehung ist traditionell die zwischen den Forschungs- und Entwicklungseinheiten und den Marketing-Abteilungen. In dieser Interaktion ist das fitr uns so wichtige, neuartige VerhNtnis von Zwecken zu Mitteln herzustellen. Und es besteht leider kein Zweifel, dass es um diese Interaktion nicht zum Besten bestellt ist. ''423 Er stellt Verbindungspersonen und Kommissionen als Instrumente des Schnittstellenmanagements vor 424, erweitert um eine breite Diskussion funktionsfibergreifender Teams und dem Stand der (Innovations-)Forschung hierzu. Wobei er die fibergroge Betonung hierarchie-erg~inzender nicht-hierarchischer Koordinationsforschung und hier wiederum yon ,,cross-functional teams" durchaus als Mangel krifisiert. 425 In Bezug auf die vertiefenden Aspekte der Implementierung und des Mittelstandes finden sich in keinem der Standardwerke detailliertere Ausfiihrungen. Differenzierungen hinsichtlich Untemehmensgr6f3e fehlen in Ggnze, es wird implizit der Kontext von Grogunternehmen unterstellt. 4z6 Vahs und Burmester verweisen zwar auf die interne Vorbereitung tiber ein internes Innovationsmarketing, bleiben aber konkretere Ausfithnmgen

als ein Verweis auf

Promotoren - schuldig. Und auch die in den meisten Arbeiten zu findenden Abschnitte tiber eine Innovationskultur kann den Eindruck nicht ~indem. Deutlich wird hier also die (explizite) Ausrichtung

auf

Produktinnovationen

(im

Vergleich

zu

Prozessirmovationen)

als

Betrachtungsgegenstand - wenn auch Hauschildt selbst (anf~Jaglich) diese Sichtweise als zunehmend fragwtirdig bezeichnet. 427

419 420 421 422 423 424 425 426

427

Vgl. Vahs und Burmester, 2002, S. 302. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 64ff. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 110ff. Wobei er ein instrumentell und institutionen-6konomisch gepr/igtes Organisationsverstandnis zugrunde legt (siehe auch S. 127). Hauschildt, 2004, S. 131. Wieauchschoninder letztenAusgabe, vgl. Hauschildt, 1997, S. 111ff. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 133 und S. 142. Sogar noch, wenn man weiter gehen m6chte, i. d. R. aus Hightech-Industrien (vgl. Gerpott, 1999, S. 20), wie sich nicht zuletzt an zahlreichen Beispielen (z. B. aus den Bereichen Chemie, Fahrzeugbau, Elektrotechnik oder Maschinenbau) erschliegen l~isst. Vgl. Hauschildt, 2004, S. 12.

2.1 Forschungim Kontextdes Themas

69

Antworten fokussierter Untersuchungen Dieser Teil stellt nun Beitr/ige der Innovationsforschung vor, die sich dediziert Forschungsinteresse oder -frage dieser Arbeit widmen. Die Zuordmmg der Beitr/ige nach Innovations(hier) oder Marketingforschung (siehe Abschnitt 2.1.4.1) erfolgt dabei tiber die disziplinare Verankerung der Autoren - was weitestgehend auch der disziplin~iren Zuordnung der Journals entspricht, die Durchmischung zeigt sich als nicht sehr ausgepr~igt. Zur Grundlage der Recherche siehe Abschnitt 2.1.4.1. Analog zur Vorstellung der fokussierten Untersuchungen der Marketingforschung liegt der Anspruch weniger auf (historischer) Vollst~ndigkeit als darauf, die Entwicklung zu skizzieren und insbesondere jtingere Arbeiten vorzustellen. Die zugrunde gelegten Kategorien basieren im Wesentlichen auf dem Entstehungsfeld der Untersuchungen, hier als Forschergruppen bezeichnet. Sie zeigen sich erstaunlich konzentriert: Im Kern steht wohl die Forschergruppe um Souder, einem der Pioniere im Themenfeld, mit Verkntipfung zu Moenaert, v o n d e r Universit~it Brtissel, mit dem er einige vom Charakter eigenstandige Verrffentlichungen vorgenommen hat, die deshalb als separate Gruppe aufgefiihrt sind. Weiterhin sehr aktiv sind Song et al., auch separat aufgefiihrt sind Griffin und Hauser vonder Universit/it Chicago. Und nicht zuletzt als separate Forschungsrichtung ausgewiesen die deutsche Forschung zum Thema, um Brockhoff und Hauschildt, aber auch z. B. Domsch und Gerpott als weitere Akteure. Eine umfassende Darstellung der Ergebnisse der Literaturrecherche in tabellarischer Form, sowie weitere Details zur Recherche finden sich in Anhang A. Im Folgenden seien die Beitrage der Innovationsforschung in Erg~inzung zur tabellarischen Darstellungsweise im Anhang noch auszugsweise vorgestellt, partiell auch in Bezug auf Ergebnisse:

Deutsche lnnovationsforschung: 9

Domsch et al. (1991, 1992) bauen in ihren Beitr~igen auf ein v o n d e r Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefrrdertes Forschungsprojekt tiber technologische Gatekeeper. Sie suchen die bestehende (insbesondere deutsche) Forschung tiber eine Untersuchung des Zusammenhangs aus Schnittstellenqualit~it und Erfolgsindikatoren auf Individual- wie Projektebene zu erganzen. Die Studie bezieht in ihr Sample F&EMitarbeiter unterer und mittlerer Ebenen in deutschen GroBunternehmen ein. Eine Gegentiberstellung des wahrgenommenen von einem idealen Grades an Zusammenarbeit und Informationsaustausches zeigte ausgepr/igte Differenzen. Besonders schlecht ist die Qualitat der Schnittstelle in den Feldern Wettbewerbsinformationen, Analyse von Kundenbedtirfnissenund Ideengewirmung/-sammlung. Auch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass hrhere Schnittstellenqualit/it (in der Innovationsplanung wie im Innovationsprozess) auf Individual- und Gruppen-/Projektebene auch hfhere Leistungen nach sich zieht.

70

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions" Kern der Beitr~ige von Brockhoff bzw. Brockhoff und Hauschildt ist die 1989 durchgeftihrte empirische Studie zu Ursachen von Harmoniest6rungen bei der Abstimmung von Funktionsbereichsstrategien (1989). Interessant und erw~ihnenswert scheint schon der Wandel im Untersuchungskonzept, herbeigef'uhrt durch das ffir den Autor tiberraschende Ergebnis ausgepragter Harmoniest6mngen, die es zu erklgren galt (anstelle optimal abgestimmte Muster zu identifizieren). Insbesondere die Kombination aus offensiver Marketing- mit defensiver Technologie-Strategie fand sich haufig. Als Ursachen flir diese Harmoniest6rungen zeigten sich in Folge ausgepr~igt geringe Ubereinstimmungen in den Umweltwahrnehmungen, wenig institutionalisierte Konkurrenzbeobachtung und z. B. gerade ftir den pr~tferierten Strategiemix ein besonders hohes MaB an wahrgenommenen Spannungen zwischen den Funktionsbereichen. In Bezug auf Kulturunterschiede konnten die Ergebnisse z. B. von Gupta et al. 428 best~itigt werden, dass signifikante Unterschiede in den Planungshorizonten bestehen. Die beiden sp~iteren Beitr~ige (1993, 1994a) diskutieren dann prim~ir Instrumente zur Einwirkung auf diese Schnittstellenprobleme.

Internationale Innovationsforschung: 9

Griffin und Hauser untersuchen in ihrer Studie von 1992 Kommunikationsmuster zweier Produktentwicklungsteams innerhalb einer Firma, die sich unterschiedlieher Projektansatze bedienen. Das Team, das ,,Quality Function Deployment" (QFD) nntzte, zeigte deutlieh ausgepr~tgtere interne und horizontale Kommunikation innerhalb des Kemteams gegenttber dem ,,phase review" Team. Allerdings kommunizierte das QFDTeam weniger tiber Planungsinformationen und weniger mit teamextemen Firmenangeh6rigen, was u. U. eine erfolgsgefghrdende Selbstorientierung zum Ausdruck bringen kann. Der zweite Beitrag von ihnen (1996) fasst als Meta-Analyse den Stand der (Innovations- wie Marketing-)Forschung zur R&D/Marketing-Schnittstellenthematik in ein Kausalmodell zusammen und formuliert die zugeh6rigen Hypothesen. Die historisch erste betrachtete Studie von Song et al. (1992) nutzt Instrument und Ansatz der vielbeachteten Arbeit von Gupta (1985b) und wendet sie aufjapanische Firmen an. Die Kernaussage zentrale Diskrepanzen von Gupta wurden best~itigt, z. T. mit kulturellen Spezifika, wie z. B. die stgrkere Gewichtung einer Integration in der Planungsphase. Und auch die n~tchsten beiden Studie der selben Autoren (1993, 1993) nutzen ein konzeptionelles Modell von Gupta (1986a) und testen auf Basis der Daten aus der ersten Studie die auf den japanischen Kontext angepassten Hypothesen, einmal aus Sicht von R&D- und einmal aus Sicht von Marketing-Managern. Auch hier konnten die Ergebnisse von Gupta bis auf wenige kulturelle Spezifika, wie z. B. den Einfluss von partizipativer Entscheidungsfindung, best~itigt werden. 429 Und noch eine weitere Arbeit wiederholt eine Untersuchung von Gupta et al. (1986b) bzw. setzt darauf auf (1986a). Song und Parry (1997) untersuchen die soziokulturellen Differenzen zwischen Marketing- und R&D-

428 Vgl. Gupta et al., 1986b, S. 28. 429 Vgl. Gupta und Wilemon, 1990, und Gupta und Wilemon, 1991.

2.1 Forschungim Kontextdes Themas

71

Managern und deren Zusammenhang mit dem Grad der Integration - aufbauend auf den Daten ihrer frtiheren Erhebung (1992). W~hrend Gupta et al. im Kern einen signifikanten Unterschied nur in der zeitlichen Orientierung feststellen konnten, finden Song und Parry hiertiber hinaus noch - entgegen ihrer Erwartung - weitere signifikante Unterschiede, wie z. B. in Bezug auf die professionelle Orientierung oder das Interesse japanischer R&DManager an ,,high-risk, high-return"-Projekten. 43~ Die Auswirkungen organisationaler Charakteristika auf Qualit/it und Quantit/it von funktionsfibergreifendem Informationsaustausch und Involvement auf Basis einer neuen empirischen Untersuchung sind Erkenntnisobjekt einer jtingeren Untersuchung yon Song et al. (1996). Signifikante Auswirkungen zeigen sich positiv fiber den Faktor der Qualit/it der funktionstibergreifenden Beziehung und negativ tiber den Faktor der Glaubwtirdigkeit - ftir die Planungs- wie die Implementationsphase eines Innovationsprojektes. Die beiden jfingsten Arbeiten yon Song et al. (wie auch von Xie, Song und Stringfellow) erweitern nun das Blickfeld und betrachten die Triade aus R&D, Marketing und Produktion. Signifikant far interfunktionale Kooperation und hierfiber wie auch direkt auf Innovationserfolg zeigen sich, fiber alle drei Bereiche einheitlich eingeschatzt, nicht externe Faktoren, sondern ausschlieBlich interne Faktoren: Evaluationskritierien, Entlohnungsstrukturen oder Erwartungen des Managements (1997). Und auch eine Differenzierung hinsichtlich Entwicklungsphasen scheint angeraten, verdeutlicht man sich die Ergebnisse der zweiten Arbeit hinsichtlich Effektivit~it und Effizienz von funktionstibergreifender Integration in der Triade (1998). Integration zwischen R&D und Marketing zeigt sich mit signifikantem Einfluss auf die Effektivitat insbesondere in den Phasen ,,opportunity analysis" und ,,pretesting", in Bezug auf die Effizienz in den Phasen ,,development" und ,,pre-testing". Die relative Bedeutung der Funktionen variiert tiber die Phasen. Song et al. fdhren hier dann den Begriff des ,,communication ,hub'" ein, wenn in einer Phase eine Funktion eine herausgehobene ,,focal function" ffir die interfunktionale Integration einnimmt. Die jiingste Arbeit schliefSlich (Xie et al., 2003) betrachtet Zielinkongruenz in kulturtibergreifendem Kontext und ihre negativen Auswirkungen auf Variable der funktionsfibergreifenden Integration. Zielkongruenz hingegen wird (kulturfibergreifend) untersttitzt insbesondere durch ,,joint reward systems", physische N~he oder ,,job rotation". Interessant ist auch die sich gegenseitig verst/irkende Wirkung von von ,,joint rewards" und ,,job rotation". Souder gilt als einer der Pioniere des Forschungsfeldes zur R&D/Marketing-Integration. Dementsprechend zahlreich sind auch seine Verrffentlichungen, von denen nur einige hier auszugsweise vorgestellt werden krrmen. Einen - auch methodisch - interessanten frtihen Startpunkt bildet die Arbeit von Souder zu Gruppenentscheidungsprozessen zur R&D/Marketing-lntegration (1977). Er untersuchte in Anlehnung an Van de V e n 431 in

430 Als Grund fiir diesen unerwarteten Aspekt f'tihren sie methodische Aspekte bzw. Schw~ichen in der statistischen Auswertung in der Arbeitvon Gupta et al. an (vgl. Songund Parry, 1997, S. 365). 431 Vgl.Van de Ven und Delbecq, 1971.

72

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions" einem Experiment verschiedene Arten von ,,inter-party conflict management processes" und konnte in Bezug auf Konsens und Aufgabenintegration die vermutet hrhere relative Effektivit~it eines kombinierten ,,nominal-interacting"-Prozesses unterstreichen. W~ihrend interaktive Perioden Austausch und sozio-emotionale Konflikte stimulieren, sorgen nominale Perioden Far notwendige Ruhepunkte, in denen die Teilnehmer sich zurfickziehen krnnen, um fiber hieraus entstandene Wertekonflikte zu reflektieren und sic internalisieren zu krnnen. Er betont dabei die zentrale Rolle des ,,Ffihrers" als effektiven Integrator. Ein sehr h~tufig zitierter Beitrag von Souder (1981) leitet Harmoniekategorien im Zusammenspiel ab. Er findet bei fiber der H~ilfte der untersuchten Projekte mehr oder weniger ausgepr~igte Disharmonien - und konnte zudem deren negative Auswirkungen auf den Projekterfolg nachweisen. Anhand verschiedener Syndrome charakterisiert trod verfeinert er die Stati, also z. B. das ,,lack of appreciation syndrom" oder das ,,distrust syndrome" im Falle ausgeprggter Disharmonie. Fallbeispiele verdeutlichen M6glichkeiten Disharmonien zu fiberkommen. Hierauf aufbauend - und diese Ergebnisse noch einmal best~itigend - geht er in einem sp~iteren Beitrag (1988) dann intensiver auf Mrglichkeiten, diese Disharmonien zu tiberkommen, ein. 432 Zugleich erggnzt er die Kategorie der milden Disharmonie um das ,,too-good friends"-Syndrom. Grundlage Far alle diese Arbeiten ist eine Datenbank mit Daten von knapp 300 NPD-Projekten, die tiber einen breiten Mix an qualitativen wie quantitativen Methoden erhoben wurden. 433 In einem jttngeren, rein zusammenfassenden Beitrag (1993) findet sich eine sehr sch6ne Einbettung des Forschungsinteresses in die verschiedenen historische Phasen, von der ausgepr~igten Technologieorientierung (1845 - 1960), fiber Versuche, R&D zu managen ( 1960-1975) bis hin zur letzten Phase (seit 1975), ,,(...) ushering in the dilemma of how to achieve the appropriate combination of integration and autonomy between R&D and marketing. ''434 In einer Betonung von Flexibilit~it und Reziprozit~it in Rollen(erwartungen) fasst er den Stand der Forschung hinsichtlich Methoden zur Integration schliel31ich in ein ,,role revision model of R&D/marketing integration" zusammen. Eine der j fingsten empirischen Arbeiten zum Thema, yon Souder in Koautorenschaft mit Maltz und Kumar (Maltz et al., 2001), greift sein insbesondere im Zusammenspiel mit Moenaert ausgebildetes Forschungsinteresse wieder auf, die Untersuchung des ,,information processing behaviour", diesmal Far R&D-Manager. Eingebettet ist das zu testende Modell in den Kontext mehrerer popul~rer Methoden zur Verbesserung der Integration, wie funktionsfibergreifende Teams, ,,co-location" oder gemeinsame (zwischen R&D und Marketing) Kundenbesuche. Und auch ,,structural flux" wird auf seine Einflfisse auf Rivalit/it und Informationsnutzung untersucht. Aul3erordentlich positive trod signifikante Effekte zeigen funktionsfibergreifende Teams oder gemeinsame Kundenbesuche, sowohl

432 Moenaert kann diese Ergebnisse jedoch ftir den Kontext belgischer Unternehmen in seinen Studien nicht mehr in dem Ausmal3e stiitzen, der Grad an Disharmonie ist in seinen Arbeiten also deutlich geringer ausgepr~igt(siehe z. B. Moenaert et al., 1994, S. 39f. und S. 41 Fig. 4). 433 Siehez. B. Souder, 1988, S. 7 Exhibit 1. 434 Souderund Sherman, 1993, S. 193.

2.1 Forschungim Kontext des Themas

73

auf eine reduzierte Rivalit~it zwischen den Funktionen als auch fiber die konzeptuelle oder instrumentelle Nutzung von Informationen. Eine Offnung hinsichtlich breiterer Ansgtze kann in Bezug auf zwei Beitr~ige vermutet werden, die den Effekt organisationalen Lemens auf der Basis von Projekterfahrungen der Vergangenheit far den Projekterfolg bzw. die Entwicklungszeit hervorheben (Lynn et al., 1997, Sherman et al., 2000). Zusammen mit Sherman und Jenssen erweitern sie das Modell der funktionsfibergreifenden Integration zwischen R&D, Marketing und Produktion zudem um Kunden, Lieferanten und strategische Partnerschaften. Mit Fokus auf Entwicklungszeiten zeigte jedoch insbesondere die Nutzung fr~herer Projekterfahrungen signifikanten Einfluss, gefolgt von R&D/Kunden- und R&D/Marketing-Integration. Die Forschungskooperation zwischen Moenaert et al. und Souder ist von einer systemtheoretischen Sichtweise gepr~igt. Sie betrachten Organisationen als ,,information processing social structures" und modellieren technologische Innovation als Prozess der Reduktion von Unsicherheit - tiber den Austausch von Information. Die ersten beiden Beitrage (1990b, 1992) sind theoretisch-konzeptioneller Natur und bauen auf diesem Vorverstiindnis ein integratives Modell auf, unterlegt mit Hypothesen zu Determinanten und Wirkungen zentraler Faktoren. 435 Das Modell erf~ihrt schrittweise Verfeinerung, auch unterstfitzt durch eine frfihe Pilotstudie (1990a), die sich der Frage widmet, was die Determinanten wahrgenommener N~tzlichkeit von extra-funktionaler Information flir Marketing und R&D sind. Der Einsatz des Instruments l~isst nicht lange auf sich warten (1992) - und wird weiter verfeinert sp~iter noch einmal genutzt (1996). Die Forschungsfrage lautet, welche Elemente die wahrgenommene Natzlichkeit von extra-funktionalen Informationen beeinflussen. Das komplexe Modell beschreibt Informationsdimensionen (wie z. B. Relevanz oder Glaubwardigkeit), Nachrichtenattribute (wie z. B. Validit~it, Kontextualit~it), Charakteristika von Sender und Empfgnger (wie z. B. deren Beziehung zueinander) sowie moderierende Effekte (wie z. B. Funktion oder Projektphase). Besonders hervor sticht die Bedeutung der Beziehung zwischen Sender und Empf~inger. Sie beeinflusst maggeblich die Glaubwfirdigkeit der Information, die wiederum die grN3te Signifikanz in Bezug auf die wahrgenommene Natzlichkeit einer Information zeigt. Mit Fokus auf die Entwicklungsphase, in einer weiteren empirischen Studie in Belgien, werden die Einflfisse von Projektcharakteristika auf die interfunktionale Kommunikation wie auf den Projekterfolg untersucht (1994). Projektzentralisation zeigt ausgesprochen negative Effekte, w~hrend interfunktionale Atmosphare sich positiv auswirkt - auf Kommunikation wie Projekterfolg. Und auch Projektformalisierung zeigt einen signifikant positiven Effekt, Projektzentralisierung einen wenig ausgepr~igt negativen, hier gilt es also den trade-off zwischen Autonomie und Kontrolle geeignet zu berficksichtigen. Moenaert weist hierbei auf das Konzept der ,,subtle control" hin. 436 )i~mlich zu Souder et

435 Auch Souder bezieht sich in einigen seiner Beitr~igeauf Entwicklungsstadien dieser Modelle, siehe z. B. Souder und Sherman, 1993, S. 196 oder S. 210. 436 Mit VeweisaufTakeuchi und Nonaka, 1986, S. 143.

74

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

al. sucht auch Moenaert in einer seiner jfingsten Arbeiten

(1996) Bezfige z u m

organisationalen Lernen u n d modelliert das U n t e m e h m e n als ,,(...) an interdependent c o m m u n i c a t i o n network o f individuals ''437 - wenngleich der K e m f o k u s dieser Arbeit (noch) eng gefasst a u f interne K o m m u n i k a t i o n zwischen R & D - T e a m s , erweitert u m ein Ftthrungsgremium lag.

2.1.4.3 Stand der Forschung im Uberbliek U n s c h w e r war den vorherigen Abschnitten fiber den Stand der Marketing- wie Innovationsforschung zu Forschungsinteresse und -frage zu entnehmen, d a s s e s sich u m ein prominentes T h e m a handelt, also groBe A u f m e r k s a m k e i t in Forschung wie Praxis genieBt. A u s g a n g s p u n k t zahlreicher Arbeiten

sind Verweise

a u f die

,,macro-environmental forces" und

den

historischen Wandel der Rollen y o n Forschung u n d Entwicklung wie des Marketings fiber die letzten Jahre und Jahrzehnte. Der Status quo suboptimaler Integration und ausgepr~igter Disharmonien wird verdeutlicht 438 sowie nachdrticklich die positiven A u s w i r k u n g e n einer gelungenen Integration zwischen Marketing u n d F & E a u f den Innovationserfolg betont. 439 Das unterstreicht die praktische Relevanz. Die theoretische Relevanz wurde in offenen Fragen insbesondere zu den Ursachen mangelhafler Integration gesehen 44~ sowie in der U n t e r s u c h u n g v o n M e t h o d e n zur Kontextfaktoren. 441

effektiven

Integration

unter

Einbeziehung

yon

dedizierten

Der H 6 h e p u n k t des Forschungsinteresses zur Frage nach der R&D/Marketing-Integration, nach Anzahl der Ver6ffentliehungen bemessen, liegt zwisehen Mitre der 80er bis Mitte der 90er Jahre. Gestfitzt wurde die primgr grol3zahlig quantitativ und priifend ausgerichtete Empirie dabei durch gef6rderte F o r s c h u n g s p r o g r a m m e im In- u n d A u s l a n d u n d insbesondere

437 Moenaert und Caeldries, 1996, S. 296. 438 Siehe in der Marketmgforschung z. B. Gupta und Wilemon, 1996, S. 500, Saghafi et al., 1990, S. 89ff., Gupta und Wilemon, 1988b, S. 37f., Gupta und Wilemon, 1987, S. 39, Gupta et al., 1985b, S. 1612;in der Innovationsforschung z. B. Domsch et al., 1991, S. 1056ff., Brockhoff, 1989, S. 15ff., Souder, 1988, S. 8ff., Souder, 1981, S. 68f., Song und Parry, 1992, S. 96ff. 439 Siehe in der Marketingforschung z. B. Benkenstein, 1987a, S. 1 FN 1, Olson et al., 2001, S. 266, Gupta et al., 1986a, S. 13ft.; in der Innovationsforschung z. B. Griffin und Hauser, 1996, S. 193ff. (zusammenfassend), Souder, 1988, S. 12f., Souder, 1981, S. 70f., Lynn et al., 1997, S. 37, Song und Parry, 1992, S. 99ff., Leenders und Wierenga, 2002, S. 31 lf., Hise et al., 1990, S. 148ff. 440 Siehe in der Marketingforschung z. B. Schmidt, 1996, S. 9ft., Saghafi et al., 1990, S. 91f., Rosenberg, 1988, S. 205ff., Gupta und Wilemon, 1988b, S. 38f., Millman, 1982, S. 22ff., Gupta et al., i985b, S. 18f.; in der Irmovationsforschung z. B. Brockhoff, 1989, S. 43ff., Griffin und Hauser, 1996, S. 195ff. (zusammenfassend), Song und Parry, 1997, S. 358ff., Xie et al., 2003, S. 240ff. 441 Siehe in der Marketingforschung z. B. Benkenstein, 1987a, S. 129ff., Roscher et al., 1987, S. 92f., Workman, 1993, S. 413ff., Saghafi et al., 1990, S. 91ff., Gupta und Wilemon, 1990, S. 282ff., Gupta und Wilemon, 1987, S. 88ff., in der Innovationsforschung z. B. Brockhoff und Hauschildt, 1993, S. 400ff., Griffin und Hauser, 1996, S. 202ff. (zusammenfassend), Griffin und Hauser, 1992, S. 363ff., Souder, 1988, S. 13f., Souder und Sherman, 1993, S. 198ff., Parry und Song, 1993, S. 12ft., Song et al., 1996, S. 549ff., Song et al., 1998, S. 295ff., Leenders und Wierenga, 2002, S. 310ff., Atuahene-Gima und Li, 2000, S. 455ff., Jassawalla und Sashittal, 1998, S. 243ff.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

75

einige wenige Wissenschaffler, die den Mainstream der Diskurse nachdrficklich pragten. 442 Auffallend aus Sicht des Autors ist die deutlich h6here Gewichtung des T h e m a s in der Innovationsforschung. 443 Die Ver6ffentlichungen der jfingeren Vergangenheit zeigen in beiden Disziplinen eine thematische A u s w e i t u n g des Forschungsinteresses. Seit den 90er Jahren

finden

sich

in

der

Innovationsforschung

vermehrt

Arbeiten

zur

Triade

R&D/Marketing/Produktion, im neuen Jahrtausend z u n e h m e n d auch Arbeiten mit Versuchen einer A n k o p p l u n g an Diskurse z u m organisationalen Lemen. 444 In der Marketingforschung versuchen sich erste Arbeiten an einer Betrachtung der Thematik unter einer Netzwerkperspektive, 445 stark beeinflusst v o n d e r

Forschung zur Marketingorganisation und d e m

Dienstleistungs- wie Industrial-Marketing. A u f methodischer u n d theoretischer Seite zeigt sich Eintracht.

Methodologisch und

methodisch dominieren, der anglo-amerikanischen P r a g u n g der Diskurse g e m ~ , deduktivprfifende Arbeiten quantitativer Empirie, in beiden Disziplinen. Die theoretische Verortung erfolgt in den meisten Arbeiten nicht explizit. Bei expliziter Verortung werden system- oder entscheidungstheoretisch gef~irbte Ansatze bevorzugt. 446 Das implizite Verstgndnis ist i. d. R. v o n kontingenz- und entscheidungstheoretischem Verstandnis und der Tradition planerisch, analytisch-linearem Denken in B e z u g a u f Organisation und M a n a g e m e n t gepragt. Innovation wie Marketing erfolgen - mit Fokus a u f Produkte - in spezialisierten Abteilungen, strukturiert dutch in Phasen gegliederte F&E-Projekte und die Standardstrukturen des Marketingmanagementkonzepts. Der empirische Kontext zeugt v o n einer ausgepragten Vorliebe ~ r G r o g u n t e r n e h m e n der Hightech-Industrien und der M a n a g e m e n t e b e n e als prim/ire (und meist alleinige) Zielgruppe der schrifllichen Befragung. 447 Aspekte der Implementierung werden selten adressiert. !2Policherweise erfolgt dies fiber instrumentell gepragte ,,managerial implications" - in w e n i g e n Fallen auch umfassender, z. B. fiber den B e z u g zu Lemtheorien in der Innovationsforschung oder z u m intemen Marketing in der Marketingforschung. 448

442 Siehe z. B. die Forschungsprogramme des ,,Innovation Management Program" von Gupta et al. an der Syracuse trod der Ohio Universit/it, oder ,,1NTERPROD" yon Souder et al. an der Universit~it Alabama; zentrale Autoren in der Marketingforschung zum Thema waren und sind Gupta, Ruekert, Walker und Wilemon, in der Innovationsforschung zum Thema insbesondere Parry, Song, Souder und Moenaert. 443 Was aber wiederum in Einklang stehi zur (h~iufig kritisierten) ausgepr~igten Augenorientierung des traditionellen Marketingmanagement-Konzepts (siehe auch Abschnitt 2.1.2). 444 Zur Triade siehe z. B. Grift-m nnd Hauser, 1992, Song et al., 1997, oder Olson et al., 2001; in Anlehnnng zum organisationalen Lemen siehe z. B. Lyrm et al., 1997, oder ansatzweise Moenaert und Souder, 1990b. 445 Siehe z. B. Perks, 2000, Gupta et aI., 2000, oder Gupta und Wilemon, 1996. 446 Siehe entscheidungstheoretisch z. B. Benkenstein, 1987a, systemtheoretisch z. B. Ruekert und Walker, 1987b, Moenaert und Souder, 1990a, oder Souder nnd Moenaert, 1992. 447 Ausnahmen hierzu siehe in der Marketingforschnng z. B. Olson et al., 2001, S. 264, Perks, 2000, S. 184, Workman, 1993, S. 406f., trod Ruekert und Walker, 1987b, S. 8f.; in der Innovationsforschung z. B. Domsch et al., 1991, S. 1055f., Souder, 1977, S. 596f., Souder, 1981, S. 67f., trod Moenaert et al., 1992, S. 27t". 448 Siehe in der Marketiengforschung z. B. Gupta und Rogers, 1991, S. 58ff.; in der Innovationsforschung z. B. Lynn et al., 1997, S. 33ff.

76

2. Dekonstmktion - ,,root distinctions"

Zentrale Kritikpunkte In dieser desktiptiv orientierten Z u s a m m e n f a s s u n g z u m Stand der Forschung wurde bewusst mit Kritik zurackgehalten. D e n n o c h wird deutlich geworden sein, wo ein kritischer Diskurs ansetzen wird, der zentrale inh~irente G r u n d a n n a h m e n diskutieren m6chte. Es soll im Folgenden weniger das Ziel sein, Ergebnisse zu diskutieren, s o n d e m wesentliche Grundlagen zu dekonstruieren. Im Kern geht es u m folgende drei Punkte: 449 9

Theorielosigkeit,

9

M e t h o d e n h e g e m o n i e und

9

Praxisferne.

Selbstredend stehen diese Punkte in einem Beziehungsgeflecht zueinander, auch w e n n sie hier getrennt diskutiert werden sollen.

Theorielosigkeit U n s c h w e r war in obigen Z u s a r n m e n f a s s u n g e n zu erkennen, dass k a u m ein Autor seine Arbeiten theoretisch explizit verortete. Dies wiegt aus Sicht des Autors dieser Arbeit doppelt schwer. Z u m einen wird die Basis wissenschaftlichen Arbeitens u n d Argumentierens grundlegend in Frage gestellt, tiber den unreflektierten U m g a n g mit Vorverstandnissen und zugrunde gelegten Annahrnen. 45~ U n d z u m Zweiten werden damit die implizit nattirlich vorhandenen

und

genutzten

Theorien 451, d e m jeweiligen

Zeitgeist

und

Mainstream

entsprechend, in dominanter Art und Weise d e m Gros der Forschungarbeiten zugrtmde gelegt. Die explizierte Theorielosigkeit fiahrt also schlieBlich zu einer impliziten Theoriehegemonie, sei es in Bezug a u f die organisations- und managementtheoretischen Vorverst~indnisse oder hinsichtlich dessen, was unter Marketing und Innovieren zu verstehen ist. 452 So vermeidet die explizite

Verortung

auch

die

explizite

und

kritische

Auseinandersetzung mit

dem

vorherrschenden kontingenz- und entseheidungstheoretischen Organisations- und Managementverst~ndnis. 453

Und

auch

das

meist

implizit

eng

gefasst

und

traditionelle

449 ES werden trotz der Unterschiede die Diskurse beider Disziplinen hier subsummiert, an gegebenen Stellen dann aber durchaus differenziert. 450 D. h. die obige Uberschrift der Theorielosigkeit meint im eigentlichen Sinne eine Reflexionslosigkeit in Bezug auf inh~irent zugmnde gelegte Theorien (als zentrale Elemente des Forschungsdesigns): ,,Research design is like philosophy of life; no one is without one, but some people are more aware of theirs, and thus able to make more informed and consistent decisions." (Maxwell, 1996b, S. 3) 451 Siehe z. B. Weick, 1999, S. 803, Lanmek, 1995a, S. 74f., oder Riiegg-Stiirrn, 2002b, S. 15. 452 Siehe auch den in diesem Kontext eingefiihrten Begriff der ,,ideological hegemony" von Becker (Becker, 1986, S. 1471".) 453 Die einzige dem Autor bekannte Arbeit, die sich explizit mit dieser Fundierung z. T. kritisch auseinandersetzt ist die von Benkenstein (vgl. Benkenstein, i987a). Ein sch6nes Beispiel fiir die Praxisfeme idealisierter entscheidungstheoretischer Forschungsdesigns findet sich bei Brockhoff. Er war in seiner Studie ursprtinglich von einheitlich an Funktionsbereichsstrategien ausgerichteten GescNiftsbereichen ausgegangen

2.1 Forschung im Kontext des Themas

77

Selbstverstandnis von Marketing und Innovieren, l~isst m6gliche Ankopplungen an neuere Entwicklungen und kritische Diskurse in diesen sich dynamisch entwickelnden Disziplinen missen. Dergestalt finden sich in den Schnittstellendiskuren nur bedingt Arbeiten, die alternative und neuere

Ans~itze einRihren und

fruchtbar zu

nutzen

suchen.

Seien

es hinsichtlich

Organisations- und Managementverst~ndnis bspw. symbolisch-interpretative oder postmoderne Perspektiven 454, systemtheoretische Ans/~tze455 oder (modeme) Ans/itze des ,,strategic management ''456. Oder seien es in Bezug auf das Verstgndnis von Marketing und Innovieren, wie in den Abschnitten 2.1.2 und 2.1.3 im historischen Kontext und den Ausblicken dargelegt, holistischere, interaktions- und beziehungsorientierte Sichten auf die offenen Netzwerke in denen Aktivit/~ten dieser zentralen Funktionen verteilt erfolgen k6nnen. 457 In Summe scheint der bisherige Diskurs zum Forschungsinteresse sich zu sehr von den Entwieklungen der ihm zugrunde liegenden Disziplinen abgekoppelt und isoliert zu haben - eine (3ffnung scheint fruchtbar und w~inschenswert.

Methodenhegemonie Nicht verwundem muss auf methodologischer wie methodischer Seite, dass sich die/iul]erst ansgepr~igte Dominanz szientistisch-quantitativ gepr/igter Empiric in den Mutterdisziplinen der Marketing- und Innovationsforschung auch in den Diskursen zur Thematik der Schnittstelle wieder findet. 458 Eingebettet in ein Geflecht aus Vorverst~indnissen, sei es in Bezug auf die Entsubjektivierung von Forschungsobjekten oder z. B. dem ahistorischen, statischen, partikularistischen und distanzierten Charakter 459, zieht die Forschungsmethodologie (insbesondere in ihrer pragrnatischen Anwendung) natiirlich auch Nebeneffekte mit sich. Sch6n l~isst sich dies z. B. bei Bush und Lucas nachlesen: ,,(...) the study was comprised o f the largest companies in America. This group was selected due to the likelihood o f the presence o f formal marketing and R&D departments and managers in such firms, and the availability o f contact names and addresses for such companies. ''46~ Und auch bei Ruekert et al. findet sich ~ihnliches: ,,Conceptually, a network approach seems most appropriate (...). However,

und musste dann erkennen, dass ,,[d]ie Wirklichkeit heute viel komplizierter aus[sieht]." (Brockhoff, 1989, S. v) Siehe z. B. Hatch, 1997, S. 49ff., oder Weik und Lang, 2003, S. 153ff. Siehe z. B. Luhmann, 1984, oder Willke, 1999a. Siehe z. B. Sydow und Ortmann, 2001, oder auch bereits Ansoffet al., 1976. Siehe f'~ die Marketingforschung ansatzweise z. B. bei Perks, 2000, Gupta et al., 2000, oder Gupta und Wilemon, 1996; fiir die Innovationsforschung ansatzweise z. B. bei Lynn et al., 1997, Sherman et al., 2000, oder Moenaert und Caeldries, 1996. Siehe z. B. fiir das Marketing Hunt, 1994, ocler Wensley, 1995; fiir die Irmovationsforschung siehe z. B. Hauschildt, 2002, S. 28f. Vgl. Lamnek, 1995a, S. 218ff. Bush und Lucas, 1988, S. 28. -

454 455 456 457

458 459 460

78

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

(...) practical limitations to the network approach caused us to reject it. ''461 Die Offenheit sei gelobt - u m es in ironische Worte zu fassen. Dennoch zeigt sich, dass die methodische Dominanz schriftlicher Befragungen quantitativer Empirie Sichten - als im pragmatisch forsehungstechnischen Sinne ntitzlich - manifestiert, die sieh hinsichtlich anzustrebender Breite und Tiefe im Erkenntnisfortschritt als kontraproduktiv darstellen. Diese bevorzugten Sichten finden sich demnach auch in den tabellarischen Obersichten im Anhang wieder, z. B. im funktionalen Fokus auf Marketing als Abteilung und auf eine F&EAbteilung far das Innovieren, auf in Phasen strukturierte Projekte als alleinige Organisationsform des Innovierens, auf Produkte als alleiniges Innovationsobjekt, im dominanten Fokus auf das mittlere bis obere Management als Zielgruppe, in der reduzierten Offenheit far weitere relevante interne oder externe Parteien und nicht zuletzt in der/iugerst eingeschr~inkten Berticksichtigung des jeweiligen Kontexts, sei es z. B. hinsichtlich Historie, Industrie oder Untemehmensgr6fSe. Wenn man also sich an Lamnek anlehnt und seiner Aussage dahingehend, dass Konsens daraber bestehe, dass das Ziel der Sozialforschung die m6glichst unverfzilschte Erfassung der sozialen Wirklichkeit sei, 462 mOehte man eine methodologische und methodische 13ffnung propagieren.

Praxisferne Bereits bei der kritischen Diskussion des Marketingmanagement-Konzepts (siehe Abschnitt 2.1.2) wurde der zentrale Kritikpunkt der geringen Validit/it, also der Praxisfeme angesprochen. Rahmenbedingungen sind dabei z. B. die implizite Verankerung im Kontext von Konsumgtiter-Grol3untemehmen oder der ausgesprochen operativ-instrumentelle und nach aul3en gerichteten Fokus, unter nahezu vollst~ndiger Ausblendung organisationaler Aspekte. Und far das Feld der Innovationsforschung fand sich ahnliche Kritik (siehe Abschnitt 2.1.3). 0 b e r die ausgesprochen entscheidungs- und steuerungstheoretische Ausrichtung, den zugrunde gelegten Fokus auf einzelne Innovationsprozesse sowie die herausgehobene Rolle personeller Beitr/ige exponierter Mitarbeiter beim Innovieren, geriet die Organisation aus dem Blickfeld, wurde ihr genau genommen implizit gar die F~ihigkeit zur Innovation abgesprochen. Dergestalt muss es nicht verwundern, dass die sich unreflektiert in eben diesen traditionellen Konzepten verankernden Diskurse zum Forschungsinteresse ebenfalls mit ausgesprochener Praxisferne glgnzen. So bleiben zum einen auch bier z. B. Dienstleistungsinnovationen ganzlich auf3en vor und es werden in iJberwiegendem Mal3e Grol3untemehmen aus HightechIndustrien fokussiert, meist in einem nicht-transparenten und differenzierten Mix aus Untemehmen in Konsumgiiter- oder Industriegtiterm~irkten.463 Und zum anderen findet sich (implizit) auch hier die Tradition des entscheidungstheoretisch gepr/~gten, analytisch-linearen

461 Ruekert trod Walker, 1987b, S. 4. 462 Vgl. Lamnek, 1995a, S. 96. 463 Obwohl z. B. Hise et al., 1990, in ihrer Studie, diese beiden Gruppen von Untemehmen differenzierend(der einzigen, dem Autor bekannten Studie), signifikanteUnterschiedeherausarbeitenkonnten.

2.1 Forschungim Kontextdes Themas

79

Denkens mit ihrer Trennung von Entscheidung und Handlung. Der Schwerpunkt des Forschungsinteresses liegt also, vielfach auch explizit so formuliert, im Finden der optimalen organisatorischen L6sung. Die Umsetzung der auf dieser Basis formulierten Empfehlungen wird im instrumentellen Sinne lediglich als eine Frage der korrekten Anweisung gesehen. Die Realisiertmg der gefundenen Optimall6sung wird als problemlos unterstellt.464 Dieses inh/~rente Vorverst~kndnis, das Vergnderung und den Prozess des Wandels, sowohl das Finden der L6sung als auch ihre Realisierung, als reines Planungsproblem definiert, betont Schrey6gg, erweise sich jedoch in der Praxis allzu off als pure Illusion. Es gelte den organisatorischen Wandel als eigenst~ndiges Problem zu erkennen.465 Nur in wenigen Arbeiten der Diskurse finden sich eher institutionell und prozessual gepr~igte Ans~itze zur Umsetzung.466 Einhergehend mit der Forderung, die Breite der in der Praxis vertretenen Kontexte auch in der Breite an empirischen Arbeiten angemessen zu reflektieren, scheint eine Anlehnung an institutionelle und prozessuale Formen in der Forschung zur Umsetzung wtinschenswert. Dies stellt selbstredend entsprechende Anforderungen an die Theorien und Methoden des Forschungsdesigns. Ausblick

Will man einen Ausblick beztiglich der Forschung zum Zusammenspiel zwischen Marketing und Innovieren wagen, lohnt es sieh neben den Kemdiskursen der Disziplinen auch die skizzierten Antworten verwandter Diskurse wie die Entwickltmgen der Mutterdisziplinen heranzuziehen. Wenn sich auch in der Innovationsforschung zum Forschungsinteresse bereits einige Arbeiten mit ganzheitlicheren (systemischen) Ans~itzen finden, eine Anlehnung an Ans~itze des organisationalen Lemens partiell stattfindet, es bleiben Lticken und die Offnung far exteme Diskurse scheint im Kern gering ansgeprggt. So fliegt die intensiv geftihrte Diskussion zu Innovationsnetzwerken nicht wirklich erkennbar ein, wie auch der (allerdings auch noch wenig etablierte) Diskurs zur Dienstleistungsinnovation. Eine entschlossene Offnung in methodologischer oder methodischer Hinsicht ist aus Sicht des Autors nicht zu erkelmen weder

in

den

oben

genannten

externen Diskursen,

noch

im

Kemdiskurs

zum

Forschungsinteresse. Dies stellt sich in der Marketingforschung durchaus anders dar. Die Anzahl der Arbeiten zum Forschungsinteresse ist zwar deutlich geringer ausgeprggt, aber die Voraussetzungen, die

464 Siehez. B. die entsprechendeKritikbei Gupta und Rogers, 1991, S. 66: ,,Mostof the studiesin the literature are focusedupon understandingthe nature of the problems with the R&D/marketing interface (...). These studies showhow the final destinationshouldlook, but they do not tell us how to get there." Studiendie den ,,changeprocess"untersuchten,(...) to the best of our knowledge(...) do not exist." 465 Vgl. Schrey6gg,2002, S. 484, oder Schrey6ggund Noss, 1995, S. 169ff. 466 Siehe ffir die Marketingforschung ansatzweise z. B. bei Gupta trod Rogers, 1991, flit die Innovationsforschungansatzweisez. B. bei Souder, 1977, Moenaertund Souder, 1990b, oder Moenaertund Caeldries, 1996.

80

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

oben genannten Kritikpunkte zu ~berkommen, scheinen fruchtbarer. Dies liegt im Kern an den ausgepr~igt dynarnischen Teildisziplinen des Dienstleistungsmarketings, des ,,industrial marketing" und des Relationship Marketing - und ihres Einflusses inhaltlicher wie methodologisch und methodischer Art auf die Mutterdisziplin wie auch bereits erste Arbeiten zum Forschtmgsinteresse. Zentral ist hier mit Sicherheit das Profil der in diesen Teildisziplinen einflussreichen skandinavischen Forschung einzuschatzen, der ,,Nordic School" des Dienstleistungsmarketing und der IMP-Gruppe im ,,industrial marketing".

2.1.5

Forschungsliicken

,,During the past 20 years, numerous studies have explored the R&D-marketing interface and its role in the new product development process. (...) Does this mean we have all answers when it comes to ensuring the necessary level of cooperation and interaction between R&D and marketing? Of course not. ''467 Da l~isst sich Griffin und Hauser nur zustimmen. Und man krnnte sogar wagen zu behaupten, das Thema gibt sich bedeutender und aktueller derm je. Die Entwicklungen in der Wirtschaftspraxis zeugen von immer noch zunehmender Relevanz von Innovationen einerseits 468, abet auch von zunehmender Komplexit~it, Dynamik und Wettbewerbsintensit~it andererseits. 469 Leisteten sich Unternehmen in der Nachkriegszeit, der ,,golden R&D era", noch von den Mgrkten weitestgehend unbehelligte, meist grogztigig ausgestattete F&E-Einrichtungen, gnderte sich dies mit Aufkommen und zunehmender Popularit~it der MarketingmanagementPhilosphie. Das Ende dieser von Verk~tufermarkten gepr~igten Zeit ,,(...) ushered in a major change in thought about managing R&D (...) [and] was characterized by an emphasis on integrating R&D into the business. ''47~ Zunehmend stand dann in Folge insbesondere ,,(...) the appropriate combination of integration and autonomy between R&D and marketing ''471 im Fokus. Die folgenden Entwicklungen in Forschung wie Praxis waren von grol3er Aktivit~it im Themenbereich der R&D/Marketing-Integration gepr~igt (siehe auch Abschnitt 2.1.4). Parallel dazu waxen die letzten Jahre jedoch auch (weiterhin) von einer ausgesprochen dynamischen Entwicklung in den beiden Mutterdisziplinen des Marketings und des Innovationsmanagements gepr~igt:

467 Griffm und Hauser, 1996, S. 191. 468 Siehez. B. auch die Studie der Meta-Group, in der Irmovativitatnach Kundenorientiemngdas zweithrchste Gewicht in Bezug aufAttribute erfolgreichsterUntemehmenbekam (Meta-Group, 1999, S. 28). 469 Siehe beispielhafl aus den Diskursen der Marketing- und InnovationsforschungPalmer, 2002, und Gupta und Wilemon, 1996. 470 Souder und Sherman, 1993, S. 193. 471 Souder und Sherman, 1993, S. 193; siehe ~ihnlichz. B. Gupta und Wilemon, 1990, S. 280f., oder Gupta und Wilemon, 1991, S. 32f.

2.1 Forschung im Kontext des Themas

81

FOr das Marketing wird ein Paradigmenwechsel gefordert, ein neues Marketing auf der Basis von Interaktionen in Netzwerken von Beziehungen propagiert. 472 Damit einher geht eine Ausweitung des Anwendungskontextes, im Sinne des Marketings als duales Ftihrungskonzept, ein Wandel von einem eng gefassten Marketingverst~ndnis instrumenteller Prggung hin zu einem Verst~indnis des Marketings als Ftihrungsphilosophie. 473 Selbstredend zieht dies auch eine Ausdehnung des engen und ausschlieBlichen Produktfokus anf integrativere Leistungsformen 474 wie auch eine Erweitertmg des dominierenden Fokus auf Konsumgtitermassenm~irkte auf andere industrielle oder endkundenorientierte Kontexte nach sich. 475 Und ebenso far das Innovationsmanagement, wenn auch (noch) nicht derart forsch, werden ,,new rules ''476 und ,,changing patterns ''477 unterstrichen. Ein neues Leitbild, eine neue ,~ra des Innovierens wird propagiert, Innovieren auf der Basis komplexer, vielschichtiger, multiorganisationaler und dynamischer Beziehungsnetzwerke 478 oder gar Innovieren als generelles Entwicklungspotenzial, als Lern- und Wandelkompetenz von OrganisationenY 9 Auch hier wird demnach der Anwendungskontext ausgeweitet, v o n d e r ganzheitlicheren, integrierten Perspektive auf das Unternehmen, iiber externe BeziehungsNetzwerke bis hin auch zu einer Integration auf Leistungsebene. Zugrunde liegen beiden Unternehmensfunktionen natiirlich dieselben ,,macro environmental forces" der technologischen, sozialen, 6konomischen oder politisch/gesetzlichen Umwelt, wie sie Palmer schon bei seiner ,,environmental explanation o f relationship marketing" herangezogen hat. 48~ So m~issen auf dieser Basis die )~mlichkeiten in der Entwicklung zwischen beiden Disziplinen nicht sehr tiberraschen. Abbildung 13, aus einem erfolgreich aufgenommenen

Konferenzbeitrag

des

Autors

zusammen

mit

drei

Koautoren

des

472 In l)berbrtickung des Konsumgiiter- und Industrial Marketing sei bier die weit(er)e Definition von Gummesson zum Relationship Marketing gewahlt (vgl. Gummesson, 2002b, S. 3) 473 Vgl. Meffert, 2000, S. 6f., und Meffert und Bongartz, 2000, S. 12. Oder im Sinne einer aktivitatsbasierten Sicht formuliert, in Anlehmmg an Gummesson, die Ausweimng der Zuordnung von Marketingaktivit~ten nicht nur auf Voll-Marketer (der Marketingabteilung), sondern auch auf ,,part-time marketer" (aus beliebigen anderen Unternehmensbereichen) (vgl. Gunnnesson, 1987b, S. 16, oder Gummesson, 1991, S. 60). 474 !21ber die Orientiertmg am ,,total service offering" (Gr6nroos, 1999, S. 330) und am vom Kunden wahrgenommenen Wert als integrierender Richtgr6Be, siehe z. B. Christopher et al., 2002, S. ix., Gr6nroos, 1997b, und Gr6nroos, 2000b, S. 3, oder Gummesson, 2002b, S. 189. 475 Siehe z. B. das ,,marketing strategy continuum" bei Gr6nroos (Gr6nroos, 1994, S. 11, oder Gr6nroos, 1989, S. 8), Christopher et al., 2002, S. 27ff. 476 Vgl. Chesbrough, 2003b; in Chesbrough, 2003a auch sogar ein ,,paradigm shift" angedeutet. 477 Vgl. Gupta und Wilemon, 1996. 478 Siehe z. B. Gupta und Wilemon, 1996, Turpin et al., 1996, Freiling und WeiBenfels, 2003, Howells, 2003, Reichwald, 2004, oder VDI, 2004. 479 Siehe z. B. Noss, 2002, S. 45, Chesbrough, 2003a, Marsh und Stock, 2003, oder bereits Cohen und Levinthal, 1990. 480 Vgl. Palmer, 2002.

82

2. Dekonsta'uktion - ,,root distinctions"

Lehrstuhls, 481 sucht diese gemeinsame Entwicklung darzustellen. Es werden nicht nur die gewachsenen Anwendungskontexte (fiber die Gr613en der Kreise) deutlich, sondem auch die breitere l)-berlappmag beider Funktionen, was mfgliche Synergien anbelangt, aber eben auch die Thematik der Integration und effektiven Zusammenspiels beschreibt. Die parallele Entwicklung beider Disziplinen kann - nattirlich vereinfachend - tiber zwei Dimensionen skizziert werden: Die Dimension ,,organisational social structure orientation" verdeutlicht die organisationale Perspektive des Wandels. Die Achse skizziert die Entwicklung von mechanistischen, hoch formalisierten, zentralisierten mad funktionat ausgerichteten Organisationsformen - sei es des Marketings oder von F&E - mit ausgepr~igt engem Fokus auf operative Effizienz hin zu eher organisch-flexiblen Formen von (internen wie externen) Beziehungsnetzwerken tinter Betonung der Effektivit~it prozessualer Aspekte der Kooperation und Integration. wlue delivery system orient~ion

Competencies Orientation

Product Orientation

Emphasis on Local Optimization 9

.

Emphasis on Cooperation and Integration

Abbildung 13: Forschungsmteresse zm Wandel

organisational social structure orientation

482

Die Dimension ,,value delivery system orientation" verdeutlicht die Leistungs- und Wert(sch6pfungs-)perspektive des Wandels. Die Achse skizziert die Entwicklung von einer engen auf Produkte (und ihre technischen Eigenschaften) ausgerichteten Orientierung des Wertesystems der Innovationen in F&E wie deren transaktionalen Abverkauf durch das Marketing hin zu breiteren Verstgndnissen des (in interaktiven Szenarien) kooperativ zu innovierenden mad zu leistenden Wertes an (interne wie externe) Partner - auf der Basis einer Prozess- und Kompetenzorientierung.

481 Vgl. Schaller et al., 2003a. 482 Vgl. Schaller et al., 2003a, S. 10 (auf der Basis von Christopher et al., 2002, S. 5, Gr6nroos, 1999, S. 333, Sheth und Parvatiyar, 1995, S, 400 und S. 412, Walter-Busch, 1996, S. 58, und Hatch, 1997, S. 161ff.).

2.1 Forschtmgim Kontext des Themas

83

Kemthese dieser Arbeit ist nun, dass der hier dargelegte Wandel in den Rollen yon Marketing wie Innovieren mit einem Wandel effektiver Formen zur Integration einhergeht. Die Begrttndung kann sieh an den beiden im Modell bezeichneten Dimensionen orientieren im Kern werden sowohl an den Umfang wie aueh an den Inhalt neue Anfordertmgen an eine Integration gestellt. Der Umfang der Integrationsbeziehungen wird, die Entwicklung l~ngs der Abszisse deutet es bereits an, mit zunehmender Anzahl an den beiden Funktionen beteiligter und fiber netzwerkartige Beziehungen interdependenter Parteien exponentiell zunehmen. Aufgrund der Ausweitung der Rollen von Marketing und F&E auf kompetenz- und aktivit/~tsbasierte Funktionen des Marketierens und Innovierens nimmt aueh die Anzahl der beteiligten und interdependenten, intemen wie extemen Parteien in verschiedensten Rollen zu. Die inhaltliche Seite dieser Integrationsbeziehungen wird zudem auch die breitere und holistische Orientierung hinsichtlich des Leistungssystems und seines wahrgenommenen Wertes dureh die Interaktionspartner reflektieren. Aufgrund der Ausweitung der Komponenten des zu innovierenden wie zu marketierenden Leistungssystems werden also andere, zus/~tzliche und neue Aspekte zu integrieren sein, als dies im bisherigen Falle der engen Produktorientierung notwendig war. Often bleibt, inwieweit und in welchem Umfang die Erkennmisse der prim/ir auf die traditionellen Rollenverst~ndnissen ausgerichteten Diskurse der Marketing- und Innovationsforschung in den neuen Kontext transferiert werden k6nnen. 483 Auf der obigen Kemthese aulbauend kann zudem als weitere These konstatiert werden, dass eine wissenschaftlich fundierte Betrachtung dieser gewandelten Formen der Integration zwischen den neuen Rollen von Marketieren und Innovieren auch neue Perspektiven erfordert. Deren netzwerk- und beziehungsorientierter, prozesshaft dynamischer und holistischer Charakter wird im inh~ent vorherrschenden kontingenzund entscheidungstheoretischen Organisations- und Managementverst~indnis sowie fiber die Charakteristika quantitativer Empirie auf der Basis schriffiicher Befragungen aus Sicht des Autors nicht valide zu erfassen sein. Und zusgtzlich gilt es die den neuen Rollen zugrunde liegenden Annahmen und Verstgndnisse entsprechend, d. h. auch methodologisch, methodisch und theoretisch, zu reflektieren und zu berficksichtigen. Gefordert sein werden also kontexterhaltende, offene, reiche, dynamisch-prozessuale, holistische und verstehende empirische Methodologien und Methoden sowie zugrunde zu legende Theorien, die diese Aspekte abzubilden und in Bezfige zu setzen zu leisten im Stande sind. Und will man schlieglich die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft verstehen484 und der oben gegugerten zentralen Kritik der Praxisfeme bezfiglich des Status quo der Forschung begegnen (siehe Abschnitt 2.1.4.3), gilt es die neuen Rollen, die gewandelten Formen der Integration und die erforderlichen neuen Perspektiven auch in ein schlassiges und valides Konzept mit Praxis- und Umsetzungsfokus mfinden zu lassen. Dabei

483 In der obigen Abbildung ist der Einfachheit halber ein m6glicher Transfer in den neuen Kontext unterstellt fiber die !2Voertragungdes dick gepunktetenBereichs in die neue Sctmittmenge. 4s4 Vgl. Walter-Busch, 1996, S. 40.

84

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

gilt es die blinden Flecken der vorherrschend inherent zugrunde gelegten Verst~ndnisse deterministischer Implementierung fiber geeignete Theorien und Verst~ndnisse in Bezug auf ein Management der Umsetzung und des Wandels zum angestrebten Zielzustand zu adressieren.

Forschungslacken

]

GewandelbeRollen yon Marketing& Innovierenj ~1~ GewandetteForrnen der Integration

Gewandelte Perspektiven

Umsetzungsfokus

Abbildung 14: Forschungsl~ckenim Fokns Zusammenfassend lassen sich also - siehe auch Abbildung 14 - fotgende von dieser Arbeit adressierten Forschungslticken auffahren: 1. Gewandelte Rollen von Marketing und Innovieren 2. Gewandelte Formen der Integration 3. Gewandelte Perspektiven 4. Umsetzungsfokus Partiell und ansatzweise adressieren einzelne Arbeiten in den Diskursen der Marketing- oder Innovationsforschung diese Lficken bereits 4~5, dem Autor ist zum gegebenen Zeitpunkt jedoch keine Arbeit bekannt, die in konsistenter und integrierter Form, empifisch fundiert und mit Umsetzungsfokus die aufgeflihrten Forschungslticken in fiberzeugender Art und Weise bearbeitet.

485 Siehe in Abschnitt 2,1.4.3 die dort au~e~hrten Arbeiten die z. T. einzelne Aspekte der dort ge~uBerten Kritik bereits berficksichtigen.

2.2 Wissenschaftstheoretischeund methodologischeFundiertmg

2.2

85

Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung

Jede wissenschafiliche Arbeit bedarf der Klgrung von zugrunde liegenden Verst~indnissen und Basisannahmen des gewahlten Paradigmas. 486 Diesem Anspruch sei dieser Absclmitt gewidmet, sich reflexiv und explizit mit dem erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen sowie dem methodologischen Fundament dieser Arbeit auseinander zu setzen. Aus zwei Griinden nimmt dieser Teil dabei raumgreifend einen eigenen Abschnitt ein. Erstens beruht diese Arbeit dem Anforderungskontext g e m s auf einer alternativen interpretativen Perspektive, basierend auf einer konstruktivistischen Epistemologie. Ihre Unterschiede zum herk6mmlichen Verstandnis seien demnach deutlich gemacht (Abschnitt 2.2.1). Und zweitens gilt es die methodologische Einbettung dieser Fundierung zu erfrtem, so dass die Implikationen der erkenntnistheoretischen Grundlagen angemessen berttcksichtigt sind (Abschnitt 2.2.2). Hier werden dann auch die Griinde far die Wahl dieser paradigmatischen Ausrichtung erl~iutert. Und nicht zuletzt heil3t es dem Anspruch des Dissertationsprojektes g e m S , Fragen der GOtekriterien explizit zu adressieren. Dies wird bezogen auf die gew~hlte paradigmatische Verortung abschliel3end in Abschnitt 2.2.3 erfolgen.

2.2.1

Epistemologische Verankerung im interpretativen Paradigma

Historisch gesehen hatten lange Zeit Mystik und Religion den Anspruch auf Wahrheit gepachtet. 487 Mit der Aufklgrtmg Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Konstellation yon Glaube, Philosophie und Wissenschaft jedoch grundlegend ver'~indert: Die Verantwortung, tiber die Realit~it zu richten, wurde auf das rational handelnde und objektiv beobachtende Individuum tibertragen. Die Wissenschaft, gest~tzt auf die grundlegenden Konzepte der Rationalit~it und Kausalit~t, 16ste die Theologie in ihrem Anspruch auf alleinige Erkenntnisgabe ab. 488 Mit dem Aufkommen des Positivismus des 19. Jahrhtmderts489 begarm die Angleichung der Methoden und Erkenntnisziele der Geisteswissenschaften an nomologisch-naturwissenschaftlich gepr~igtes Gesetzesdenken. Eine (antipositivistische) Wende hin zu alternativen wissenschaftstheoretischen Ansgtzen wurde tiber den kritischen Rationalismus (als Weiterentwicklung des Neopositivismus des Wiener Kreises) ausgel6st. 49~Der Status quo nun entspricht nach Auffassung nicht weniger Autoren Kuhns Beschreibung einer paradigmatischen Krise. 491 Dennoch ist es noch nicht gelungen, eine vollwertige Alternative zur

486 Vgl. Denzin und Lincoln, 2000b, S. 162, Maxwell, 1996b, S. 3, Huff, 1999, S. 34, oder auch Lamnek, 1995a, S. 56f. Unter einem Paradimga sei hier - in Anlehnung an Guba trod Lincoln - verstanden, ,, (...) basic belief systems based on ontological, epistemoIogical, and methodological assumptions." (Guba und Lincoln, 2000, S. 116) Etwas weiter gefasst, siehe z. B. Ulrich, 1986, S. 17 (nach R~egg-Starm, 2001, S. 17). 487 Vgl. Eberhard, 1999, S. 59ff. 488 Vgl.M/ihlbach,2003, S. 8f. 489 Der Begriff des Positivismus wurde dabei vom franz6sischen Soziologen trod Philosphen Auguste Comte (1798-1857) gepr~igt(vgl. Arni, 2001, S. 4). 490 Vgl. Ami, 2001, S. 4f. 491 Siehez. B. Vaassen, 1994, S. 4, Seiffert, 1996, S. 17, 6f. und S. 218.

86

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

szientistischen Wirklichkeits- und Wissenskonzeption zu entwickeln, das Feld ist gepragt v o n einer ausgesprochener Vielfalt an altemativen Paradigmen. Wobei noch i m m e r positivistisch oder neo-positivitisch gepragte erkenntnistheoretische G r u n d a n n a h m e n - aller Kritik z u m Trotz und z u d e m meist implizit u n d unreflektiert - dominieren. In der (klassischen) naturwissenschaftlichen Forschung - als Idealszenario des Positivismus ist zwischen Forscher u n d Forschungsgegenstand keinerlei (soziale) Interaktion notwendig. Es lasst sich klar zwischen aktivem Forscher (Subjekt) und p a s s i v e m Forschungsgegenstand (Objekt) unterscheiden, 492 und W i s s e n entsteht durch B e o b a c h t u n g e n und durch Versuche. Ihre zentralen Merkmale sind Wiederholbarkeit, Widerlegbarkeit und Reduktionismus, zentrales

Ziel

ist,

weitestgehend

objektivierbares

Wissen

zu

erheben. 493

Die

sozialwissenschaftliche Forschung widmet sich d e m gegeniiber der U n t e r s u c h u n g v o n Ph~nomenen, ,,(...) die von M e n s c h e n im R a h m e n ihres sozialen Z u s a m m e n l e b e n s inszeniert werden. ''494 Es gilt also nicht, unabh~ingige Entit~iten und Objekte zu untersuchen, s o n d e m Wirklichkeiten,

die

in

sozialen

Prozessen

inszeniert

werden.

Der

Prozess

der

Erkenntnisgewinnung sucht d e m n a c h nicht wahres W i s s e n fiber ,,die" Wirklichkeit, s o n d e m besch~iftigt sich vielmehr mit den Prozessen von Wirklichkeitskonstruktion. A n h a n d dieser kurzen Gegentiberstellung wurde deutlich, dass Wirklichkeit, Erkennen u n d W i s s e n (tiber die Wirklichkeit) die zentralen Begrifflichkeiten der epistemologischen (und ontologischen) Basis formulieren. Fttr diese Arbeit gilt es also zu explizieren, wie das VerNiltnis zwischen Wirklichkeit, Erkermen u n d W i s s e n verstanden wird. Zur Darlegung dieser paradigmatischen Basis dieser Arbeit sei eine Gegentiberstellung der kontrgren Positionen des traditionell szientistisch-realistischen Paradigmas mit d e m t'tir diese Arbeit relevanten interpretativ-konstruktivistischen Paradigma gew~ihlt (siehe Tabelle 4). Die Zeilen der Tabelle reflektieren die jeweiligen Positionen in B e z u g a u f Ontologie 495 trod Epistemologie 496, sowie dartiber hinaus sprachtheoretische Hintergrtmdannahmen und eine Detaillierung hinsichtlich Forschungskontext, Methodologie 497 und Methoden 498 .

492 493 494 495

Zu diesem sog. Subjekt-Objekt-Modell und seiner kritischen Er6rtenmg, siehe z. B. Scherer, 1999, S. 5ft. VgI. Rtiegg-Stfirm, 200i, S. 20f., Dachler und Hosking, 1995, S. 2ft., Lamnek, 1995a, S. 218ff. Riiegg-Stiirm, 2001, S. 21. Ontologie bezeichnet die philosophische Lehre vom Sein, d. h. von den Ordnungs-, Begriffs- und Wesensbestimmungen des Seienden. Das Seiende bezeichnet dabei nach Seiffert ,,(...) ein im 17. Jahrhundert neu geschaffenes Wort, da nunmehr die Gegeniiberstellung des ,an sich' Seienden und des Erkarmten als Problem erkannt wurde". (Seiffert, 1997, S. 136) 496 Epistemologie bezeichnet die philosophische Lehre yon der Erkenntnis, die sich mit der Thematik besch~iftigt, wie sich menschliche Erkenntnis und der Prozess, dutch den Menschen Erkermtnis und Wissen erlangen, begreifen lassen. Das Wort wurde erst im 19. Jahrhundert geschaffen, nachdem Antike und Mittelalter sich im Wesentlichen mit dem Sein der Dinge besch~iftigthatten (vgl. Seiffert, 1997, S. 57). 497 Methodologie als Anwendungsfall der Wissenschaftstheorie beschgftigt sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen wissenschaftliche Erkenntnis auf einem bestimmten Erkermtnis- und Objektbereich bezogen m6glich ist (vgl. Lamnek, 1995a, S. 57). 498 Methoden beziehen sich auf denkbare Wege zur Datengewinnung und -auswertung und leiten sich aus iibergeordneten metatheoretischen Entscheidtmgen ab (vgl. Lamnek, 1995a, S. 57). ,,The choice of a

2.2 Wissenschaftstheoretische tmd methodologische Fundierung

87

Szientistisch-realistisches Paradigma q99

Interpretativ-relationales Paradigma s~176

Ontologie

,,Transzendentale Ontologie" / ,,Ontologie des Seins": Es besteht eine vom beobachieten Subjekt unabhangige Welt (Realit~it)

,,Konstitutive Ontologie" / ,,Ontologie des Werdens": Es gibt keine vom beobachteten Subjekt unabhangige Welt

Epistemologie

Erkennen (Wissensakkumulation) heiBt Abbilden der Wirklichkeit in Begriffssystemen auf der Grundlage formaler oder natOrlicher Sprachen

Erkennen (Wissensakkumulation) heigt (verk6rpertes) Inszenieren von Wirklichkeit durch sprachliche Interaktion in sozialen Kontexten

Sprachverst/indnis

Begriffe und Satze repr/isentieren die Welt (,,Logozentrismus")

Sprache ist ein kontext-abhangiger und zugleich kontext-trans formAerender Prozess, der Wirklichkeiten inszeniert

Komplexit~t im Forschungskontext

,,triviale" Phiinomene: Eilffache Probleme und Probleme unorganisierter Komplexitat

,,non-triviale" Phiinomene: KontextabhLngige Probleme von organisierter Komplexit~it

Methodologie

Objektivistischer Szientismus

Interpretative Ko-Ontogenese durch Ko-

Positivismus (logischer Empirismus), kritischer Rationalismus

Produktion von Wissen Hermeneutik, Ethnomethodologie

Methoden

Quantitative, objektivierende Methoden

Qualitative, interpretierende Methoden

G~itekriterien

Ex-post Validititat (inteme, exteme), Reliabilit~it

Prozessual und kontextabh~ingig, z. B. ,,credibility, transferabilitiy, dependability, confirmability ''5~

Tabelle 4: Paradigmatische Basis der Arbeit im Kontrast5~ I m szientistisch-realistischen P a r a d i g m a (siehe erste SpaRe in Tabelle 4) w i r d davon ausgegangen, dass Wirklichkeit den Status einer unabh~ingigen Entit~it hat. Sie ist gekennzeichnet durch b e s t i m m t e G e s e t z m ~ i g k e i t e n als ,,objektive" Tatsachen. Die A n n a h m e n b e t o n e n die Unabh~ngigkeit y o n F o r s c h t m g s g e g e n s t a n d u n d forschender Person.

,,Der Prozess des

E r k e n n e n s u m f a s s t d e m n a c h einen quasi-bildliehen A b b i l d u n g s p r o z e s s der v o r g e g e b e n e n Wirklichkeit dutch das rational erkennende Subjekt. ''5~ D a s Produkt dieses Prozesses ist

499

500

501

5o2 503

particular epistemological base leads to a preference for a particular method on the grounds of its greater appropriateness given the preceeding philosophical deliberations." (Bryman, 1984, S. 76) Riiegg-Stiirm nennt dies das ,,abbildtheoretische Paradigma". Hier sei in Anlehnung an Vaassen, 1994 (S. 20ft.), Gergen, 1994, und Dachler und Hosking, 1995, jedoch eine andere aus Sicht des Autors pragnantere - Bezeichnung gew~ihlt. Sie subsummlert die Position des Positivismns sowie die des nahe positionierten Postpositivismus bzw. kritischen Rationalismus (vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 109). Riiegg-Sttirm nennt dies das ,,konstmktivistische Paradigma". In Betonung der Anlehnung dieser Arbeit an eine eher interpretative Ausrichtung sei hier eine andere Bezeichnung gew~ihlt (vgl. Abels, 2001, Hatch, 1997, S. 5, Osterloh, 1993b, S. 76ff., oder n. a., 2002). Vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 114; andere Ans~itze siehe z. B. allgemein bei Lincoln und Guba, 2000, S. 178ff., und Lamnek, 1995a, S. 152ff., oder in konkreter, kontextbezogener Ausgestaltung bei Miihlbach, 2003, S. 22ff. InAnletmung an Riiegg-Stiirm, 2001, S. 23. Rfiegg-Stiinn, 2001, S. 24.

88

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

eindeutiges Wissen. Der sprachtheoretische Hintergrund ist gepr~igt v o n d e r Korrespondenztheorie der Wahrheit. Sprache wird verstanden als Symbolsystem, mit aus Symbolen zusammen gesetzten Mustern, die far die Dinge in dieser Welt stehen. 5~ Die sprachtheoretische Vorstellung der Objektivit~it des Begriffs begr0ndet die Pr/imisse der Objektivit/it der Wirklichkeit und bildet die Grundlage f'tir den methodologischen Objektivismus: ~ Nicht zuletzt beschr/inken die Grenzen dieses entitativ-objektivistischen Verstandnisses von Sprache

hinsichtlich

Hintergrundbezug

(Kontext)

und

Interpretation

die

m6gliche

Komplexit~it im Forschungskontext. Als methodologische Positionen bauen Positivismus (logischer Empirismus) und kritischer Rationalismus auf der dargelegten Sichtweise des szientistisch-realistischen Paradigrnas auf. Methoden schlieBlich haben sich am Anspruch auszurichten, auf objektive, sprich subjektunabh~ingige, Art und Weise, ,,(...) m6glichst genau die Tatsachen

der vorgegebenen Wirklichkeit

zu beschreiben und

deren inh~ente

Wirkungszusammenh/inge in Form von universal gtiltigen Gesetzen zu erkl~iren. ''5~ Zentral ist zudem die Erwartung, Wissen grunds/itzlich problemlos von einem bestimmten Kontext in einen anderen Kontext tibertragen zu k6nnen. Objektivierende Methoden der quantitativen empirischen Forschung adressieren diesen Anspruch. 5~ Gtitekriterien sind interne und exteme Validit/~t und Reliabilit/it. Was waren nun die zentralen Kritikpunkte, die nicht zuletzt zu einer Entwicklung altemativer Paradigmen geftihrt hatten? Intraparadigmatisch kritisiert wird die unreflektierte lSJbertragbarkeit der Erkennmisse auf individuelle F/ille und damit die eingeschr/inkte Relevanz der Ergebnisse. s~ Die extraparadigmatischen Kritikpunkte sind massiver, 5~ wobei insbesondere die Objektivit~it der ,,Fakten" angegriffen wird: ,,Thus putative ,facts' are viewed not only through a theory window but through a value window as well. ''51~ V e r s c h ~ f t wird dieser Punkt durch die dualistisch-objektivistische Betrachtung der ,,inquirer-inquired dyad", insbesondere ftir interaktive Szenarien in den Sozialwissenschaften. 51~ Unterstrichen und abgerundet wird die Kritik diesbeziiglich auch durch die eingeschr~inkte Berticksichtigung von Kontext und Interpretation im Sprachverstandnis. 512 Nun sind Paradigmen als ,,sets o f basic belief'' nicht often fOx Beweise im konventionellen Sinne. 513 lhre Angemessenheit und

5o4 so5 5o6 5o7 508 509 51o sll

512 513

Vgl. Winograd und Flores, 1989, S. 40f. Vgl. Vaassen, 1994, S. 119ff. Riiegg-St~m, 2001, S. 25. Vgl. Bortz und D6ring, 1995, S. 180ff., oder auch Lamnek, 1995a, S. 218ff. Vgl. hierzu u. a. die Kritikpunkte des ,,context stripping", das ,,etic/emic dilemma" oder die ,,nomoethic/idiographic distinction" (Guba und Lincoln, 2000, S. 106f., Ami, 2001, S. 1lff.) Diese sind jedoch je nach Position bzgl. der Inkommensurabilit~iteinzuschr~inken(siehe auch FN 514). Ftir die Kritikpunkte hier sei eine pragmatische Position in Bezug auf Angemessenheit zugrunde gelegt. Guba und Lincoln, 2000, S. 107. ,,Indeed, the notion that findings are created through the interaction of inquirer and phenomenon (which, in social sciences, is usually people) is often a more plausible description of the inquiry process than is the notion that findings are discovered through objective observation 'as they really are, and as they really work.'" (Guba und Lincoln, 2000, S. 107; Herv. i. Orig.) Vgl. z. B. Winograd und Flores, 1989, S. 98f. Vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 108.

2.2 Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung

89

E i g n u n g steht im Vordergrund - so auch nattirlich t'tir die W a h l eines Paradigmas f'tir diese Arbeit. Im Folgenden sei, als alternatives Paradigrna far diese Dissertation 5~4, das interpretativkonstruktivistische Paradigma vorgestellt (siehe zweite Spalte in Tabelle 4). 515 Grundlegend ist der ,,(...) m o v e from ontological realism to ontological relativism. "516 Es wird die Existenz einer v o m Individuum unabhgngigen, objektiven Wirklichkeit als externe Realitat negiert. Dieser Gedanke geht bis in die Antike zur[ick 517 und hat insbesondere durch neurobiologische U n t e r s u c h u n g e n von Maturana und Varela Ende des 20. Jahrhunderts Auftrieb erfahren. Sie haben aus biologischer Sicht gezeigt, dass das, was im Gehirn abl/iufl, in keiner Weise irgendeinem Abbildungsprozess ,,der" Wirklichkeit

entspricht,

sondern

einen aktiven

Konstruktionsprozess des kognitiven Systems darstellt. 518 Wirklichkeit wird also gemacht, verfertigt bzw. erfunden. Sie manifestiert keine v o m M e n s c h e n unabhgngige Entitgt, sondern ein kontingentes Geschehen, dass fortlaufend in einem aktiven, sozialen Prozess konstituiert und reproduziert wird. 519 Konstruktionen sind dabei nicht m e h r oder weniger ,,wahr", in einem absoluten Sinne, s o n d e m m e h r oder weniger brauchbar bzw. relevant. 52~ Die far diese Arbeit z u g n m d e gelegten relationalen Spielarten betonen dabei insbesondere die Einbettung in das soziale G e s c h e h e n von Beziehungsnetzwerken und Kommunikationsprozessen. K o m m u n i k a t i o n versetzt Individuen in eine ,,Beziehungsdomgne" u n d ,,[m]it der relationalen Vorstellung v o n Erkenntnisprozessen soil die M6glichkeit geschaffen werden, menschliche Verhaltensweisen aus Beziehungen heraus zu verstehen. ''521 Zugleich bildet K o m m u n i k a t i o n jedoch - aus phgnomenologischer Perspektive

die Basis fiir den dialektischen Prozess aus

Externalisierung, Objektivation (und der daraus notwendig werdenden Legitimation) sowie Internalisierung. Zur Gewohnheit gewordenes Verhalten wird also typisiert, institutionalisiert und legitimiert, bis i h m schlieBlich objekthafler Charakter z u k o m m t Y e Die Grenze zwischen

514 Diese Arbeit strebt in Anerkermung der Inkommensurabilit~tsthese also eine uni-paradigmatische Position an. Der Autor folgt dem Argument, dass einer multi-paradigmatischen Position nicht ein Mehr an Erkenntnis folgen muss. Nicht zuletzt scheint auch eine Vergleichbarkeit und paradigmeniibergreifende Bewertung, Diskussion oder gar Integration der Ergebnisse nicht oder nur bedingt m6glich. Siehe hierzu z. B. Scherer, 1999, S. 19ff., Hatch, 1997, S. 7f., Burrell und Morgan, 1979, S. 22, oder ftir eine kontrare Position z. B. Gioia und Pitre, 1990. 515 Auf die verschiedenen Spielarten des konstruktivistischen Paradigmas soll hier nicht n~iher eingegangen werden (f'tir Vergleiche siehe z. B. Rtiegg-Stfirm, 2001, S. 27ff., Mtihlbach, 2003, S. 10ft., Kieser, 1999b, S. 296ff., oder Weik und Lang, 2001, S. 40ft.). Der Fokus dieser Arbeit stiitzt sich insbesondere auf solche Ans~itze, die interpretativ-relationale Aspekte betonen. Zugrunde liegen also im Kern phgnomenologischer und relationaler Sozialkonstruktivismus. Zentrale Vertreterlnnen dieser Richttmgen sind Peter L. Berger, Thomas Luckmann und Alfred Schfitz sowie Hans-P. Dachler, Kenneth J. Gergen und Dian-Marie I-Iosking. 516 Guba und Lincoln, 2000, S. 109. 517 Vgl. Weik und Lang, 2001, S. 36, mit einem Verweis auf ahnliche Positionen bereits bei den Vorsokratikem der Antike. 5~s Siehe z. B. Maturana und Varela, 1987. 519 Vgl. Bardmann, 1994, S. 45. 520 Vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 111, oder Weik und Lang, 2001, S. 34f. 5zl Weik und Lang, 2001, S. 52, mit Bezug zum relationalen Konstruktivismus. 522 Vgl. Berger und Luckmann, 1999, S. 58ff., oder kommentiert bei Abels, 2001, S. 90ff., mit Bezug zum ph~inomenologischen Konstrnktivismus.

90

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

Ontologie und Epistemologie verschwimmt hierbei (wie in der Tabelle durch die gestrichelte Trennlinie angedeutet). Deutlich wird dies insbesondere dort, wo ,,findings" diskursiv im Erkenntnisprozess konstruiert werden. 523 Eine zentrale Rolle spielt dabei Sprache: Sprache schafft Wirklichkeit, schliel31ich werden Wirklichkeitskonstruktionen stetig im sprachlichen Diskurs hergestellt, exististieren nicht in den K6pfen einzelner Individuen. Das sprachtheoretische Verst~Jadnis betont, dass erst fiber das dynamische, wechselseitig aufeinanderbezogene Zusammenspiel von Text und Kontext, Bedeutung und Silm erw/ichst. Relevant ist das ,,In-der-Sprache-Sein". s24 Die m6gliche Komplexit~it im Forschungskontext ist entsprechend hoch einzusch/itzen. Auf die methodologische Einbettung bzw. die methodologischen Implikationen dieser epistemologischen Verortung geht der n/ichste Abschnitt n~iher ein. Der letzte Abschnitt dieses Kapitel adressiert darm analog die Aspekte der Giitekriterien far diese Arbeit.

2.2.2

Methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung

Aus methodologischer Sicht ergeben sich aus der Verortung in dem dargelegten interpretativrelationalen Paradigma eine Reihe von Konsequenzen: 25 Zentral und zuvorderst in den Fokus rtickt die Anwendung feldnaher, kontextsensitiver Forschungsmethoden, die in der Lage sind, der Komplexit/it und der Kontextbezogenheit sozialer Prozesse durch die Erarbeitung reichhaltiger (,,dichter") Beschreibtmgen m6glichst gut gerecht zu werden. Insbesondere werm detailgenaue Analysen von Lebenswelten und des Verhaltens von Organisationsmitgliedern gefragt sind, bieten sich interpretativ-qualitative Methoden an. 526 Angesichts des Kontextreichtums derartiger Methoden bei beschrgnkten Ressourcen gilt es, die ,,unit of analysis" auf Einzelfall- bzw. Vergleichstudien zu beschr~aken. 527 Die kontextabhangige Evidenz und Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen gewinnt nach Riiegg-Stiirm an Bedeutung gegeniiber der gewghlten Form an Datenerhebung und -auswertung. Er zielt hiermit auf eine ausgepragtere Ko-Produktion von Wissen durch Forschende und Akteure aus der Praxis im Zusammenspiel ab, betont aber auch, dass derart nicht-dekontextualisiertes Wissen nur sehr begrenzt von Kontext zu Kontext transferiert werden kann. 528 Unschwer ist auf dieser Grundlage die N/ihe zur qualitativen Sozialforschung als methodologische und methodische Basis ftir das interpretativ-relationale Paradigma zu erkennen. Hermeneutik und Ethnomethodologie werden in Tabelle 4 als (Teile der) 529 substanz- wie

523 Vgl. Burr, 1995. 524 Vgl. Maturanaund Varela, 1987, S. 226. 525 Vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 108; Guba und Lincoln betonen die Interdependenzen zwischen den verschiedenen paradigmatischen Ebenen (Ontologie, Epistemologie und Methodologie) und den jeweils getroffenenWahlentscheidungen.Siehe ~ihnlichz. B. Froschauerund Lueger, 2002, S. 223. 526 Vgl. Walter-Busch, 1996, S. 53f. 527 Vgl. Riiegg-Stiirm,2001, S. 68. 528 Vgl. Rtiegg-Stiirm,2001, S. 69. 529 Zu erg~inzenwfiren auf substanztheoretischerBasis nach Lanmek noch der symbolische Interaktionismus, auf metatheoretischerBasis die Ph~inomenologie(vgl. Lanmek, 1995a, S. 42ff.).

2.2 Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung

91

metatheoretischen Basis des qualitativen Paradigmas aufgeffihrt. Beide schliegen unmittelbar an die G n m d a n n a h m e n des interpretativ-relationalen Pardigmas an bzw. ftthren zu diesem hin. So betont die Hermeneutik bspw., dass ,,(...) Soziales nur fiber ,Sinn' konstituiert sei und so auch nur Sinn-Rekonstnaktionen das ad~iquate sozialwissenschaftliche Verfahren sei ''53~ Es m u s s also nicht w u n d e m , dass L a m n e k qualitative Sozialforschung als Paradigrna tituliert u n d mit d e m interpretativen Paradigma (als theoretischen Hintergnmd) gleichsetzt. 531 Dieser Position sei in dieser Arbeit gefolgt. Die Detaillierung in der folgenden Tabelle kann - in Kontrastierung zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung

zusammenfassend

die Synergien und 13bereinstimmungen zwischen der interpretativ-relationalen Epistemologie und einem qualitativen Forschungsansatz verdeutlichen.

Quantitative Sozialforschung

Qualitative Sozialforschung

Parfikularistische Sicht: ,,Lieber weniges genau als vieles ungenau erkennen"

Ganzheitliche Sicht: ,,Lieber vieles ungenau als allzuweniges pseudogenau erkennen"

Natur- und sozialwissenschaflliches Fachwissen soll exakt sein

Humanwissenschaflliches Fachwissen in Geistesund Sozialwissenschafien ist ,,unexakt-weich"

,,Miss, was messbar ist, und mache messbar, was es noch nicht ist"

,,Zarte Empirie" soil auch ,,Impoderabilien" (,,Unw~igbares")erfassen

,,Erklare mittels allgemeiner Theorien, was erklarbar ist, und mache (,nomothetisch') erkl~irbar, was es noch nicht ist"

Umfassendes ,,ideographisches" Verstehen des Einzelfalles in seiner Besonderheit und ,,Totalit~it"

Monologisches Erkennen: die Beforschten als Untersuchungsobjekte

Dialogisches Verstehen: die Beforschten als Dialogpartner

Distanziert-beobachtende, streng kontrollierte (idealerweise experimentelle) Untersuchungsverfahren

Teilnehmend engagiertes Forscherverhalten: der ganze Forscher als Untersuchungsinstrument

Hypothesentestendes Vorgehen

Exploratives Vorgehen

Eine Methode - ex ante festgelegtes Untersuchungsverfahren

Kombination mehrerer Methoden - offen-flexibles Untersuchungsverfahren

Tabelle 5: Methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung im Kontrast 532 Wesentlich ist dabei jedoch, zu verstehen, dass fiber ihre jeweilige paradigmatische N~ihe beide hier dargestellten Formen der Sozialforschung nicht einfach verschiedene Arten sind, das Gleiche zu tun. Sie haben unterschiedliche St~rken wie Schw~ichen und zeigen d e m n a e h

530 Esser et al., 1977, S. 84 (nach Larrmek, 1995a, S. 71). 531 Vgl. Lamnek, 1995a, S. 2 und S. 44. Wermgleich ansonsten Niufig der Zusammenhangzwischen qualitativer Forschung und paradigmatischer Ausrichtung unscharf bleibt - und es durchaus anch Vertreterlnnen gibt, die eine eher positivistisch gepragte Ausrichtung der qualitativen Forschung propagieren (siehe z. B. Mayring, 1996). 532 In Anlehnung an Walter-Busch, 1996, S. 53, und Weik tmd Lang, 2001, S. 55.

92

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

flir verschiedene Ziele und Forschungsfragen Prgferenz. 533 Maxwell formuliert ftinf Forschungsziele, flir die qualitative Forschung besonders geeignet sei: 534 ,,Understanding the meaning, for participants of the study, of the events, situations, and actions they are involved with (...) but also in how the participants in your study make sense of this and how their understandings influence their behaviour." ,,Understanding the particular context within which the participants act, and the influence that this context has on their actions, (...) [i.e.] how events, actions, and meanings are shaped by the unique circumstances in which these occur." 9

,,Identifying unanticipated phenomena and influences, and generating new grounded theories about the latter."

9

,,Understanding theprocess by which events and actions take place."

9

,,Developing causal explanations." ,,(...) [i.e.] explanations of what we call local causality - the actual events and processes that led to specific outcomes. ''535

Griinde fiir die W a h l der interpretativ-relationalen paradigmatischen Ausrichtung

In Abschnitt 2.2.1 wurde einleitend bereits vorweggenommen, dass diese Arbeit das interpretativ-relationale Paradigma als epistemologische Basis wahlen wird. Die hiermit in Einklang stehende und nahe liegende Einbettung in einen qualitativen Forschungsansatz wurde gerade verdeutlicht. Was bleibt, ist die berechtigte Frage nach den Griinden ftir die Wahl dieser paradigmatischen Ausrichtung flir diese Arbeit. Zu diesem Zwecke sei Bezug genommen zu Forschungsinteresse und -frage sowie zu den diskutierten Forschungslficken. 536 Als Forschungsinteresse war dort die Frage formuliert, wie eine effektive Integration von Marketing und Innovieren erfolgen kann. In der Forschungsfrage wurde dies detailliert in Bezug auf den nachhaltigen Wandel als Form der Implementierung und ein mittelst~indisches Industrieuntemehmen als fokussierten Untersuchungsgegenstand. Die zentrale Forschungsfrage lautet demnach, wie der Wandel eines mittelstgndischen Industrieunternehmens zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren gestaltet werden kann. Die Diskussion der Forschungslficken bezog sich primar auf die gewandelten Rollen von Marketing und Innovieren. Deren netzwerk- und beziehungsorientieren, prozesshafl dynamischen und holistischen Charakter gelte es valide zu erfassen. Gefordert sei ein Paradigma, das kontexterhaltendes, offenes, reiches, dynamisch-prozessuales trod holistisches Verstehen stfitzt. Unterstrichen wird der Fokus auf prozessuales Verstehen bereits fiber die

533 534 535 536

Vgl. Maxwell, 1996a; siehe ~ihnlichz. B. Patton, 1990, S. 92ff., oder Robson, 1993, S. 38ff. Alle Maxwell, 1996a, S. 17-20 (Herv. i. Orig.); siehe/ihnlich z. B. auch Miles und Huberman, 1994, S. 10. Milesund Huberman, 1984, S. 132; siehe ~ihnlichauch sp~iterbei Miles und Huberman, 1994, S. 146. Siehedie Abschnitte 1.2 einleitend,3.1.4 zu den Forschtmgsfragenund 2.1.5 zu den Forschungsliicken.

2.2 Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung

93

Formulierungsart der Forschungsfrage, n/imlich als ,,process question (...) [with] focus on how things happen". 537 A u f der Basis obiger Ausfiihnmgen zielt dies iiberdeutlich bereits auf einen qualitativen Forschtmgsansatz ab und in Folge - einhergehend mit der Anlehnung an die Position Lamneks 538 - auf ein interpretatives Paradigma. Die eigene epistemologische Verortung in Abschnitt 2.2.1 ful3te auf einen Mix aus phanomenologischer und relationaler konstruktivistischer Spielarten. Die ph~nomenologische Ausrichtung betont

was gerade in Bezug auf

den Fokus auf Wandel in der Forschungsfrage an Bedeutung gewinnt die Historizitat und Prozessualitat der Verfertigung wie Ent-fertigung 539 als norrnierte verstetigte Verhaltensvorschriften. Jedoch

auch

der

Status

quo

des mittelst~ndischen Untemehmens,

seine

Rollen(verstandnisse) von Marketing und Innovieren sowie seine integrativen Prozesse zwischen Marketing und Innovieren werden nur in der prozessualen Historizit~it der beteiligten Institutionen valide zu verstehen sein. 54~ Die Erweiterung um die relationale Ausrichtung zeigt sich weitestgehend kompatibel mit der ersten Ausrichtung, jedoch mit dediziert meso- bis mikroanalytischem Fokus. 541 Der relationale Sozialkonstruktivismus betont als epistemologische Fundierung dabei Subjekt-Subjekt-Beziehungen in sozialen Netzwerken. 54z 13ber die zentralen Konzepte von Text, Kontext und Narration erfolgt eine kommunikative Modellierung von Beziehungs- und Kommunikationsprozessen zwischen Netzwerken aus Individuen und Entitgten als Resonanz- und Bezugspunkte. 543 Nicht nur die gewandelten Rollen yon Marketing und Innovieren, deren beziehungs- und netzwerkbasierte Orientierung, sondem auch zentral der Aspekt der Integration werden hierbei in ausnehmend geeigneter Weise adressiert. Jedoch auch - in Vorgriff auf Abschnitt 2.3 - die paradigmatischen Grundlagen der fttr diese Arbeit geeigneten Substanztheorien tar die Bereiche Organisation, Wandel und Management ftigen sich in die gewghlte interpretativ-relationale Perspektive. Der Fokus kann damit anch dort darauf gelegt werden, wie koordiniertes Handeln in Organisationen auf der Basis von Verst~indigungsprozessen zustande kommt, im Kontrast zu einem naiven Glauben an

537 Maxwell, 1996b, S. 58f. (Herv. i. Orig.). 53s Vgl. Lamnek, 1995a, S. 2 und S. 44. 539 Berger und Luckmann nennen dies - in Anlehnung an Gehlen Entinstitutionalisierung (vgl. Berger und Luckmann, 1999, S. 86). 540 Vgl. Berger und Luckmann: ,,Es ist tmm6glich, eine Institution ohne den historischen Prozess, der sie hervorgebracht hat, zu begreifen." (Berger und Luckmarm, 1999, S. 58) 541 Der phanomenologische Sozialkonstmkfivismus nach Berger und Luckmann hatte ursprtinglich die gesellschaftliche Ordnung als makroanalytischen Untersuchungsgegenstand irn Fokus. Jedoch steht aus Sicht des Autors - in Anlehnung der Weiterentwicklungen insbesondere im Neo-Institutionalismus - einer Anwendung oder 12Jbertragung der zentralen Konzepte in einen eher meso- oder mikroanalytischen (Unternehmens- und Organisations-)Kontext nichts entgegen (siehe ansatzweise bereits bei Berger und Luckmann, 1999, z. B. S. 85f., oder aktueUz. B. bei Scott, 2001, oder Walgenbach, 2002). 542 Vgl. Weik und Lang, 2001, S. 50. 543 Vgl. Rtiegg-Stitrm, 2000, S. 204.

94

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Koordination durch formale Regeln. 544 Und schlieBlich kann auch das Wandel- und Managementverstandnis sich von trivialisierenden Ans/itzen der instrumentellen Planung absetzen und in mit der paradigmatischen Verortung konsistenter Form an Theorien des endogenen, systemischen Wandels andocken. 545 Sp/itestens an dieser Stelle sollte nun deutlich geworden sein, dass die epistemologische Verortung nicht einem intellektuellen Selbstzweck dienen m6chte, sondem sich in Bezug auf Forschungsziel, -frage und den identifizierten Liacken konkrete Vorteile aus dieser alternativen Perspektive erhofft. Epistemologische Debatten, wie auch die oben konstrastierende Tabelle, operieren gerne an den polarisierenden Extremen. Der mr diese Arbeit gew~ihlte Ansatz hat nicht den Anspruch sich im extremen Ende fundamentalkonstruktivistischer Ans~itze zu positionieren, sondem tiber einen ad~iquaten Mix aus fundierten Theorien eine solide und konsistente Basis ftir eine fruchtbare und alternative empirische Untersuchung der Forschungsfrage zu erm6glichen - nicht mehr und nicht weniger.

Folgen fiir den wissenschafllichen Erkenntnisprozess Wie kann jedoch eine Beriicksichtigung dieser epistemologischen Verortung in der empirischen Forschung konkret erfolgen? Was sind die Folgen einer derartigen Perspektive for die empirische Beobachtungsarbeit? Vorbehaltlich der detaillierten methodischen Ausgestaltung (siehe Abschnitt 3.1) lassen sich folgende Aspekte hierzu vorab anftthren. Ausgangspunkt der Betrachtung sei das (Forscher-)Ziel, soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen urs/ichlich erklaren zu wollen. 546 Soziales Handeln bezieht sich dabei zus~itzlich auf das Verhalten anderer und orientiert sich daran in seinem Ablauf. Startpunkt der weiteren Argumentation sei nun die begrttndete Annahme, dass Menschen, wann immer sie in sozialen Kontexten, wie z. B. in Untemehmen, handeln, dies aufgrund einer bestimmten Sichtweise der Dinge und aufgrund der Bedeutung tun, die diese Dinge ftir sie haben bzw. die sie als Menschen diesen Dingen zuordnen. 547 Gnmdlage des sozialen Handelns stellt ein vorstrukturierter Bezugsrahmen von Vorstellungen, Annahmen und Einstellungen dar, durch den bestimmte Ausschnitte der Welt betrachtet werden. Dieser wird

544 Siehe sogar bereits bei Kieser mad Kubicek, 1992, S. 449ff., eigentlich ja kontingenztheoretisch gepragt. Oder siehe die Untersuchung zum Forschungsinteresse, die mit ihrem urspriinglichen Konzept an eben jener Annahme scheiterte und erkennen musste, dass ,,(...) die Wirklichkeit heute sehr viel komplizierter aus[sieht]." (Brockhoff, 1989, S. i) 545 Siehe z. B. zur Kritik an traditionellen Wandelans/itzenbei Schrey6gg, 2002, S. 483 ff. 546 Vgl. Weber, 1976, S. 1; siehe ~ilmlichz. B. Miles mad Huberman, 1994, S. 90ft. trod S. 143ff. 547 Diese Annahme ffmdetsich als zentrales Element in den interpretativen Theorien der Soziologie wieder, so z. B. in Meads Sozialbehaviorismus (vgl. Mead, 1973) mad insbesondere im symobolischen Interaktionismus Blumers: ,,Die erste Pr~imissebesagt, dass Menschen ,Dingen' gegentiber auf der Grundlage der Bedeutmag handeln, die diese Dinge f'tirsie besitzen." (Blumer, 1973, S. 80) Mit Dingen ist Blumer gemgBalles gefasst, was der Mensch wahrnehmen kann, also z. B. physische Objekte, andere Personen, Einstellungen oder abstrakte Ideen.

2.2 Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung

auch

als

Alltagstheorie

bezeichnet. 548 Die

mit

95

Alltagstheorien

als

,,interpretative

repertoires ''549 verbundene selektive Wirkung bildet eine wichtige Voraussetzung flir die organisationale H a n d l u n g s f ~ h i g k e i t : 5~ Die diskursiv verfertigten Alltagstheorien vermitteln Erwartungssicherheit, Handlungsorientierung u n d damit auch Sinn. 551 ,,Sie erm6glichen und verk6rpem gleichermassen personale und kollektive Identit~itsbildung. ''552 Das geschichtete Geffige der aktiven Alltagstheorien formuliert in seiner Gesamtheit eine bestimmte Wirklichkeitsordnung, eine Lebenswelt. 553 Diese Wirklichkeitsordnung formuliert dabei ein d y n a m i s c h e s wie historisches, aus sozialen Interaktionen erwachsendes strukturierendes Moment. Sie verk6rpert dabei weit m e h r als nur kognitiv-rationale Gesichtspunkte, wie z. B. B e z i e h u n g s w i s s e n mit spezifischen Verbindlichkeiten, Verpflichtungen u n d Interessen oder auch allgemeine handlungsleitende moralische W e r t e Y 4 Dabei stellt die Wirklichkeitsordnung zugleich B e d i n g u n g wie K o n s e q u e n z sozialen Handelns dar. 555 Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess bezieht sich n u n a u f die Rekonstruktion dieser Wirklichkeitsordnung. Es gilt also die g e w a c h s e n e n Alltagstheorien und Wirklichkeitsordnungen, und insbesondere die Beziehungs- u n d Kommunikationsprozesse, in denen jene verfertigt, reproduziert u n d bisweilen auch transformiert werden, mit Hilfe von Sprache zu rekonstruieren u n d zu

explizieren.

Implizite A n n a h m e n , Voraussetzungen und deren

W i r k u n g e n gilt es often zu legen - und damit die Kontingenz der entsprechenden Wirklichkeit(en) sichtbar zu machen. ,,Die Entwicklung sozialwissenschaftlicher Theorien dient somit maBgeblich

dazu,

kontextabh/~ngige

Wirklichkeitsordnungen

und

deren

Wandel

zu

rekonstruieren, deren Kontingenz sichtbar zu m a c h e n u n d damit neue Handlungsoptionen zu erschlieBen. ''556 Rfiegg-Starm betont in diesem Z u s a m m e n h a n g auch, dass es hierbei

548 Vgl. Dewe et al., 1984. 549 Vgl. Potter und Wetherell, 1987, S. 149. ss0 Vgl. R~egg-Stfirm, 2002b, S. 12, Froschauer und Lueger, 2002: ,,Handelnde stehen in sozialen Systemen grunds~itzlichvor der widersprfichlichen Aufgabe, Komplexit~t gleichermaBen aufzubauen, um Wissen fiber die Umwelt und damit die Voraussetzung von Handlungsflihigkeit herzustellen, und zu reduzieren, um eine sinnhafte Ordnung zu erzeugen. Diese Ordnung beruht auf der Herstellung von Erwartungssicherheit (etwa in Folge der Generalisierbarkeit von Verhaltenserwartungen) und auf Regeln der Interpretation yon Beobachtungen innerhalb eines Sinnhorizonts." (S. 225) 551 Vgl. Luhmann, 1982, S. 31. 55z Rfiegg-Stiirm, 2002b, S. 13. Weick spricht in diesem Zusammenhang vom Prozess der Sinngenerierung (,,sensemaking") in Organisationen, der die Menschen handlungsf~ihig macht, indem er die Welt mit Koharenz unterlegt und dadurch Ordnung bzw. Erwartbarkeit schafft (vgl. Weick, 1995). 553 Siehe z. B. bei Habermas: ,,Die Lebenswelt ist im Modus von Selbstverstiindlichkeiten gegenw~irtig, mit denen die kommunikativ handelnden intuitiv so vertraut sind, dass sie nicht einmal mit der M6glichkeit ihrer Problematisierung rechnen. (...) Die Lebenswelt hat aber nicht nur eine kontextbildende Funktion. Sie bietet zugleich ein Reservoir von lJberzeugungen, aus dem die Kommunikationsteilnehmer sch6pfen, um den in einer Situation entstandenen Verstandigungsbedarf mit konsensfahigen Interpretationen zu decken. (...) Wir k6nnen uns die Lebenswelt, soweit sie als Interpretationsressource in Betracht kommt, als sprachlich organisierten Vorrat an Hintergrundannahmen vorstellen, der sich in Form kultureller Uberliefertmgen reproduziert." (Habermas, 1984, S. 291). 554 Vgl. Riiegg-St0rm, 2001, S. 53. 555 Vgl. Froschauer und Lueger, 2002, S. 224. 556 Riiegg-Stiirm, 2002b, S. 15.

96

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

selbstverstandlich nicht um eine Entdeckung von allgemeinen GesetzmN3igkeiten gehe, die es ja aufgrund der Kontingenz menschlicher Wirklichkeitsordnungen in sozialen Zusammenh~tngen nicht gebe. Es ginge vielmehr darum, das Bewusstsein Ctir die Vielfalt und das systemische Zusarnmenwirken von kontextabh~tngigen Annahmen, Erwartungen und Voraussetzungen ftir die laufenden Beziehungs- und Kommunikationsprozesse in einem bestimmten Kontext zu sch~fen. Der Generalisierbarkeit der hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden dabei enge Grenzen gesetzt sein - und auch die Gfitekriterien des Forschungsprozesses gilt es neu zu definieren. Die Frage nach den Gtitekriterien der paradigrnatischen Ausrichtung t'tir diese Arbeit wird im ngchsten Abschnitt beantwortet werden.

2.2.3

Giitekriterien aus interpretativ-relationaler Perspektive

Dem Anspruch dieser Arbeit gemgB gilt es, Fragen der Gtitekriterien 557 bzw. der Validit~it558 von Anbeginn, also bereits beim initialen Entwurf des Forschungsdesigns, und tiber den gesamten Forschungsprozess hinweg explizit und mit Nachdruck zu adressieren - nicht zuletzt auch zur nachhaltigen W a h n m g von Anschlussf~ihigkeit, Glaubwtirdigkeit und Akzeptanz, in Theorie wie Praxis. Als Anspruch far diese Dissertation gelte dies umso mehr, als qualitative Forschung sich hier hgufig geme bedeckt hiilt. 559 Dies mag nicht zuletzt an der - gerade im Vergleich zur quantiativ-szientistischen empirischen Forschung - h6heren Komplexit~tt und dem Anspruch liegen, ontologisch und epistemologische Relativitat wie Kontextualitiit des Erkenntnisprozesses in individuellen Arrangements von Kriterien zu reflektieren. Qualit~it und damit Gtitekfiterien der Forschung haben sich also an der paradigmatischen Verortung wie auch an Forschungsziel auszurichten. 56~ Ausgangspunkt der meisten Giite-Diskussionen sind die in der quantitativ-szientistischen Forschtmg etablierten Kriterien der Objektivit~it, Reliabilitat und intemen wie extemen Validitat. Einigkeit herrscht noch dartiber, dass diese traditionellen Kriterien fiir interpretativqualitative Forschung nicht oder nut modifiziert verwendbar sind. 561 Ein auch nur halbwegs ahnlich etablierter Entwurf ftir die qualitative Forschung hat sich bis dato jedoch noch nicht etablieren k6nnen, unz~ihlige Vorschl~ige konkurrieren miteinander: 62 Als Referenzpunkt for die Qualit~it dieser Forschungsarbeit fungiert selbstredend ihre paradigrnatischen Verortung und ihre formulierten Forschungsziele und -fragen. Den Ausgangspunkt (siehe auch Abbildung 15), jedoch ohne direkte Gegentiberstellung einzelner Kriterien, formulieren die ,,(...) conventional benchmarks o f ,rigor'":

557 558 559 560 561

interne Validit~it als Isomorphismus der

Siehe z. B. Lamnek, 1995a, S. 152ff., oder Mayring, 1996, S. 104ff. Siehe z. B. Maxwell, 1996b, S. 86ff., oder Lincoln und Guba, 2000, S. 178ff. Vgl. Miles und Huberman, 1994, S. 2 trod S. 262, Lamnek, 1995a, S. 155. Vgl. Lamnek, 1995a, S. 152f., Dachler, 1997, S. 71 If., Guba und Lincoln, 2000, S. 108f. Siehe z. B. Kiichler et al., 1981, S. v, oder Smith und Deemer, 2000, S. 877f. Meist wird zus~itzlichauch noch betont, class diese Kriterien selbst fiir das quantitative Paradigma wenig tragf~ihig sind (vgI. Mayring, 1996, S. I00) 56z Siehe z. B. Mayring, 1996, S. 104ff., Lamnek, 1995a, S. 158ff., Miles und Huberman, 1994, S. 277ff., Lincoln und Guba, 2000, S. 178ff., oder Lincoln und Guba, 2000, S. 877ff.

2.2 Wissenschaftstheoretische trod methodotogische Fundierung

97

Erkematnisse mit der Realit/it, exteme Validit/it als Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, Retiabilit~it im Sinne von Stabilit~it und Genauigkeit, mit der die interessierenden Merkmale gemessen werden, und Objektivit~it, die Unabhangigkeit der Ergebnisse vom distanzierten und neutralen Beobachter unterstreichend. 563

Von:

Validit~t Zu--

)

Obje~ivita't

Reliabilit~,t

Abbildung 15: Giitekriterien zur Qualit~itder Forschung dieser Arbeit

Objektivitdt

bezeiehnet die Basiskategorie der wissenschaftlichen Forschung im quantitativen

Paradigma. ,,Von ihr wird dann gesprochen, wenn eine inter-individuelle Zuverl/issigkeit bzw. Nachprtifbarkeit derart gegeben ist, dass unter ceteris-paribus-Bedingungen verschiedene Forscher zu demselben empirisch gewonnen Resultat getangen. ''564 Die quantitativszientistische empirische Forsehung sucht hierbei fiber Standardisierung alle Einflussm6glichkeiten auf den zu untersuchenden Gegenstand zu kontrollieren. 565 Vielfach jedoch ist diese Denktradition als ,,(...) eine gigantische Einredung entlarvt. ''566 ,,No method is a neutral tool o f inquiry, and hence the notion o f procedural objectivity cannot be sustained. The days o f naYve realism and naive positivism are over. (...) The criteria for evaluating research are now relative. ''567 In argumentativer Konsequenz wird betont, dass es generell keine objektive Letztbegrfindung von Paradigmen gibt. 568 Wobei diese ,,(...) Position der Bescheidenheit''569 nicht mit der qualititativen Beliebigkeit eines ,,anything goes ''57~ einher gehen darfY 1

563 Vgl. Guba trod Lincoln, 2000, S. 1t4, Bortz und D6ring, 1995, S. 181f., Lamnek, 1995a, S. 265 564 Lamnek, 1995a, S. 178. 565 0her die reine Durchf'tihrungs-und Auswertungsobjektivitat hinaus scheint die Interpretation(sobjektivit/it) der jeweiligen Untersuchungsresultate dann aber weitestgehend beliebig (vgl. Holzkamp, 1985, S. 24s 566 Bardmann, 1994, S. 154. 567 Denzin und Lincoln, 2000a, S. 872; siehe ghnlich z. B. Dachler, 1992, S. 182, Daft, 1983, S. 540ff., oder bereits bei Mintzberg, 1979, S. 584. 568 Vgl. Lenk, 1979, S. 19. 569 Rtiegg-Stfirm,2001, S. 62 (mit Verweis aufProbst, 1985, S. 201). 570 Dieser Terminus wird tiblicherweise Feyerabend zugeschrieben (vgk Feyerabend, 1980, Feyerabend, 1975). Zur einer Diskussion hierzu siehe z. B. Scherer, 1999, S. 21. 571 Smith und Deemer betonen diesen Aspekt mit Nachdruck: ,,(...) the very important point that relativism need not and must not be seen in terms of ,anything goes'." (Smith und Deemer, 2000, S. 878)

98

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Hingegen gilt es eine neue Perspektive einzunehmen: ,,(...) relativism is coupled with a concern that we must change our imageries and metaphors from those o f discovery and finding to those o f constructing and making. ''572 A u f der Basis des far diese Arbeit gew~ihlten Forschungsansatzes 573 wird das handlungsleitende Forschungsinteresse also nicht mehr an der Frage orientiert sein, wie die Wirklichkeit im Forschungsfeld objektiv aussieht, sondern am Bestreben, ,,(...) die Kontingenz der fraglos gfiltigen Wirklichkeitsordnung sichtbar zu machen und dabei mit den Betroffenen Optionen far alternative Konstruktionen zu erfinden. ''574 Bereits geeignete alternative Kriterien in diesem Zusammenhang schl~igt Dachler vor: ,,The criterion o f good research is no longer one o f correspondence with some objective reality that is known independently o f our process o f inquiry. Instead, such criteria refer to the extent to which certain conceptual frameworks and the kind o f results that are generated in that context are

understandable, meaningful and heuristically useful within the context o f

socially constructed problem situations that organizations within their complex interdependencies have created for themselves. ''575 Andere in direkter Gegenfiberstellung vorgeschlagene Kriterien sind ,,confirmability''576 oder Koharenz, im Sinne einer inneren oder ~iugeren Stimmigkeit. 577 Nicht nur Objektivit~it als interindividuelle Zuverl~issigkeit gilt es auf dieser Basis also neu zu definieren, sondem auch

interne Validitiit, traditionell verstanden als Isomorphismus der

Erkenntnisse mit der Realit~it des Untersuchungsobjektes. Hier wird deutlich, dass fiber die rein auf Forschungsmethoden fokussierten traditionellen Gtitekriterien far den gewNalten Forschungsansatz der gesamte und verschrgnkte Prozess des Explorierens, Interpretierens, Verifizierens und schlieBlich Verstehens mit zu beriicksichtigen ist. 578 Verschiedene Formen des Verstehens werden unterschieden: ,,(...) description, interpretation, theory, generalization, and evaluation. ''579 Dithley definiert Verstehen als ,,(...) den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von augen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen". 58~ Verstehen sucht dabei fiber das (theoretisierende) Erkl~iren hinaus Bedeutungen zu erfassen. Lind es wird deutlich, dass trotz der Betommg von Subjektivitat in der paradigmatischen Verortung dieser Arbeit,

insbesondere

Sirm-Verstehen

eine

Einbettung

in

einen

fibergeordneten,

572 Smith und Deemer, 2000, S. 878. 573 Unter dem Begriff des Forschungsansatzes soll hier weit gefasst das komplexe und vielschichte Geflecht aus Forschungsparadigma, theoretischer Funderierung sowie die methodische Vorgehensweise verstanden werden (vgl. Hartfiel, 1982, S. 160; Lamnek, 1995b, S. 5). 574 Rtiegg-Stiirrrl,2001, S. 63. 575 Dachler, i992, S. 172 (Herv. i. Orig.). 576 Sie wird verstanden als ,,(...) relative neutrality and reasonable freedom from unacknolodged researcher biases at the minimum, explicitness about the inevitable biases that exist." (Miles und Huberman, 1994, S. 278) 577 Vgl. M6hlhach, 2003, S. 23, oder Wilson, 1982, S. 501f. 578 Vgl. Lincoln und Guba, 2000, S. I78, Miles und Huberman, 1994, S. 277. 579 Maxwell, 1996b, S. 59. 58o DiIthey, 1957, S. 318, nach Lamnek, 1995a, S. 79.

2.2 Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundiertmg

99

intersubjektiven Zusammenhang von Sirra wie Verstehen erfordert. 581 Gtiltigkeit des Verstehens forrnuliert als Ziel also, diese Einbettungen in Lebenswelten und Alltagstheorien berficksichtigend, eine prozessuale und kommunikative Ann~ihemng an den subjektiv gemeinten Sinn der beforschten Akteure - eine Reduzierung der hermeneutischen Differenz. 582 In diesem Sinne formulieren auch Guba und Lincoln als Ziel ,,(...) to distill a consensus construction that is more informed and sophisticated than any o f the predecessor constructions (including, o f course, the ethic construction o f the investigator). ''583 Als alternative Gtitekriterien genannt werden in diesem Zusammenhang bspw. ,,credibility/authenticity''584 oder ,,authenticity", ,,plausibility'' und ,,adequacy ''585. Betont wird interne Validitat als ,,(...) a process o f checking, questioning, and theorizing, (...) [v]alidity becomes the issue o f choosing among competing and falsifiable explanations. ''586 Maxwell hatte nun als eine Form des Verstehens bereits die Generalisierbarkeit angesprochen, nicht ohne daraufhinzuweisen, dass ,,[q]ualitative researchers (...) rarely make explicit claims about the generalizability o f their accounts. ''587 Externe Validitiit, traditionell verstanden als Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, gilt es im Kontext dieser Arbeit jedoch differenzierter zu betrachten. Grundlage der Generalisierung im quantitativen Paradigma sind reprasentative Stichprobenwahl und Objektivit~it. Qualitative Forschung, wie oben bereits dargelegt, bemtiht sich dahingegen um ganzheitliches Verstehen. Interne Generalisierbarkeit ist von zentraler Bedeutung. 588 (Exteme) Repr~isentativit~it erscheint auf dieser Basis aber nicht so bedeutsam, richtet sich das Interesse doch weniger auf die z a h l e n m ~ i g e Verteilung bestimmter Merkmale als auf die Erkenntnis wesentlicher und typischer Zusammenh~inge, die sich an einigen wenigen FNlen aufzeigen lassen. 589 Auch Faltermaier empfiehlt t'tir die qualitative Forschung, ein bescheidenes Niveau der Generalisierung anzustreben, dass er ,,(...) provisorisch als lebensweltlich spezifisch" charakterisiert. 59~ Und auch Lamnek vertritt eine ghnliche Position. Er betont, dass es qualitativer Forschung tiber theoretisch-systematische Fallauswahl um das typische gehe. Generalisiemng solle dann auf der Basis typischer Falle und durch Abstraktion auf das Wesentliche m6glich werden. 591 Diesen Aspekt hebt auch Maxwell hervor: ,,(...) the generalizability o f qualitative studies usually is based, not on

s81 582 583 584 585 586 587 588 589 59o 591

Vgl. Lanmek, 1995a, S. 80. Vgl. Lamnek, 1995a, S. 76 (mit Verweis aufDarmer, 1979, S. 55). Guba trod Lincoln, 2000, S. 111, siehe auch S. 113. Vgl. Miles und Huberman, 1994, S. 278f. Vgl. Van Maanen, 1988, nach Miles und Huberman, 1994, S. 279. Miles und Huberman, 1994, S. 279 (mit Verweis aufKvale, 1989). Maxwell, 1996b, S. 96. Auch Faltermaier betont, dass sich in qualitativen Studien nicht selten l)bergeneralisierungen finden lassen (vgl. Faltermaier, 1989, S. 19). Interne Generalisierbarkeit bezeichnet die ,,(...) generalizability of a conclusion within the setting or group studied, whereas external generalizability refers to its generalizability beyond that setting of group." (Maxwell, 1996b, S. 97) Vgl. Lamnek, 1995a, S. 189, oder Maxwell, 1996b, S. 97. Faltermaier, 1990, S. 213. Vgl. Lamnek, 1995a, S. 192f.

100

2. Dekonstruktion- ,,rootdistinctions"

explicit sampling of some defined population to which the results can be extended, but on the development of a theory that can be extended to other cases. ''592 Qualitative Studien h~itten oft eine ,,face generalizability", d. h. es g~tbe keinen offensichtlichen Grund nicht an eine allgemeinere Gfiltigkeit der Ergebnisse zu glauben. Das interpretative Paradigma dieser Arbeit wird zudem die 13bertragung von Ergebnissen in andere Kontexte und Bezugsrahmen auch in die Verantwortung des aktiv sich mit ihnen auseinandersetzenden Lesenden legen: 93 Mghlbach betont in diesem Zusammenhang das alternative Kriterium der Reflexion (des Forschenden wie des Lesenden).594 Andere Autoren fiihren Kriterien wie ,,transferability/fittingness" auf. 595 Was bleibt ist das Kriterium der Reliabilitfit. Im quantitativen Paradigma bedeutet sie den Grad der Genauigkeit, mit dem eine bestimmte Methode bzw. ein bestimmtes Instrument einen Sachverhalt erfasst. Dieses technizistische Kriterium kann jedoch nach Filstead nieht im Einklang mit demjenigen eines Forschers stehen, ,,(...) der seine Untersuchungsmethode als qualitative, sequentielle Analyse konzipiert, bei der wichtige Analysebestandteile noch entwickelt werden, wahrend die Datenerhebung schon erfolgt und erstere sogar von letzterer abhangig macht, - der also die Interdependenz zwischen Analysemethode und Datenerhebung bewusst in sein Forschungskonzept mit einbezieht.''596 Schritte zur Gew~arleistung von Zuverlassigkeit, wie z. B. die Standardisierung des Kontexts oder die Isolierung zu untersuehender Variablen, wiirden in der qualitativen Forschung die interne Validitat massiv gef~ihrden. Ganz im Gegenteil gilt es doch diese Spezifika der situativen Kontextgebundenheit zu betonen und fruchtbar zu nutzen. Diese schr~akt die Wiederholbarkeit unter gleichen Bedingungen stark ein. Dieser Aspekt wird im interpretativen Paradigma dieser Arbeit noch deutlieher betont - in dem Mal3e wo Erkenntnisse nicht erhoben, sondern im Sinne von partizipativer Forsehung ko-produziert werden. 597 So erscheint vielfach gar dieses Kriterium in der qualitativen Forschung weder als geeignetes noeh als anzustrebendes Gtitekriterium: 9s Dennoch finden sich Autoren, die alternative Kfiterien empfehlen. Miles und Hubermarm ftihren die Kriterien ,,dependability/auditability" an, die sie in den Fragen hinsichtlich Kongruenz, Konsistenz und Explizierung der gewNalten Ans~ttze detaillieren.599 Auch Mtihlbach betont den Aspekt der Explizierung anhand des Kritierums der ,,transparency".6~176 Bogumi und Immerfall sprechen sich schlieBlich fiir die Stimmigkeit als alternatives

59z Maxwell,1996b, S. 97. 593 Vgl. R(iegg-Stiirrn,2001, S. 66f. Dies geschiehtnicht zuletzt auf Basis einer Betonung der Ko-Produktion von Wissenim Forschungsprozessund der damit eingeschranktenM6glichkeit, solchesWissenvon Kontext zu Kontextzu transferieren(S. 69). 594 Vgl. Miihlbach,2003, S. 25. 595 Vgl.Milesund Huberman, 1994, S. 279. 596 Vgl. Filstead, 1970, S. 189ff.,nach Lamnek, 1995a, S. 173. 597 Vgl. Riiegg-S~rm,2001, S. 68f. s98 Vgl. Lanmek, 1995a, S. 176. 599 Vgl. Milesund Huberman, 1994, S. 278. 600 Vgl. Miihlbach,2003, S. 23s

2.2 Wissenschaflstheorefische trod methodologische Fundierung

101

Kriterium aus, ,,(...) die Vereinbarkeit von Zielen und M e t h o d e n der Forschungsarbeit statt Aufstttlpen methodologischer Modelle". 6~ Es sollte z u s a m m e n f a s s e n d deutlich geworden sein, dass sich die Qualit~it dieser Arbeit an altemativen Kriterien orientieren m u s s , als j e n e n des szientistisch-quantiativen Paradigmas. A u f Basis der obigen Er6rterungen seien als Referenzpunkt far den Forschungsprozess schliel31ich folgende Kriterien gewahlt (siehe auch Abbildung 15): 602 Transparenz: Das Kriterium der Transparenz beziehe sich a u f die vollst~tndige und vorbehaltlose Explizierung aller wesentlichen Bestandteile des Forschungsdesigns, des Forschungsprozesses wie v o n Kontext und Kontingenz des Erkenntnisprozesses. 6~ Authentizit~it: Das Kriterium der Authentizit~it beziehe sich a u f die N~he z u m Unters u c h u n g s g e g e n s t a n d und seiner Einbettungen in Lebenswelten und Alltagstheorien, den Prozess des ,,going native" und die partizipativ erfolgte Rekonstruktion v o n subjektiv gemeinten Sinn der beforschten Akteure. 6~ Reflexivitgt: Das Kriterium der Reflexivit~it beziehe sich a u f aktive, kritische und explizite Auseinandersetzung des Forschers mit sich selbst als ,,Erhebungsinstrument''6~

seiner

Lebenswelt wie seinen Alltagstheorien, und seiner Rolle, seinem Entscheiden und Handeln im Forschungs- und Erkenntnisprozess. 6~ Plausibilit~it: Das Kriterium der Plausibilit~it beziehe sich a u f die Schltissigkeit und einhergehend Glaubwtirdigkeit nicht nur zentraler Entscheidungen im Forschungsprozess, sondern

insbesondere

der

Explorations-

und

darauf

aufbauend

argumentativen

601 Bogumil und Immerfall, 1985, S. 71. 6o2 Die prozessuale Ansrichtung sowie Interdependenz der gew~ihltenKriterien soll in Abbildung 15 durch die rotierenden und verschr~inktenKreise visualisiert werden. 603 Siehe analog oder ~ihnlich z. B. das Kriterium der ,,Verfahrensdokumentation" bei Mayring, 1996 (S. 104ft.), das der ,,confirmability" bei Miles und Huberman, 1994 (S. 278), das der ,,objectivity" bei Mithlbach, 2003 (S. 23), das der ,,reichhaltigen Beschreibung des Kontexts" oder der ,,Nachvollziehbarkeit" bei Rfiegg-Stiirm, 2001 (S. 70), oder das der ,,trustworthiness" bei Guba und Lincoln, 2000 (S. 112). 604 Siehe analog oder fihnlich z. B. das Kriterium der ,,authenticity" bei Guba und Lincoln, 2000 (S. 112), bei Miles trod Huberman, 1994 (S. 278), oder das der ,,N~ihe zum Gegenstand" und der ,,kommunikativen Validierung" bei Mayring, 1996 (S. 104ft.). 605 Vgl. Lamnek, 1995a, S. 40, Walter-Busch, 1996, S. 53. 606 Siehe analog oder ahnlich z. B. das Kriterium der ,,reflection" bei Mahlbach, 2003 (S. 25), das der ,,researcher reflexivity" bei Cassell, 2004, S. 2, oder ausffihrlich und zentral auch bei Alvesson, 2003 zum ,,(...) increasing popular concept of reflexivity": ,,Reflexivity for me stands for conscious and consistent efforts to view the subject matter from different angles and avoid or strongly a priori privilege a single, favorered angle and vocabulary." (S. 25) Siehe auch z. B. Lamnek, 1995a, S. 25f.

102

2. Dekonstruktion ,,root distinctions" Interpretationsleistung im Prozess des Verstehens bis schlieBlich hin zur theorieentwickelnden Verdichtung und Abstraktion. 6~

9

Koh~irenz: Das Kriterium der Koh/irenz beziehe sich auf die interne Stimmigkeit, Logik und die Regelgeleitetheit von Entscheiden und Handeln im Forschungsprozess selbst, aber auch im Prozess der Exploration und Interpretation bis hin zum Theorieaufbau. 6~

2.3

Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahmen

Diese Arbeit verschreibt sich einem explorierend-induktivem Anspruch, also dem Ziel empirisch ftmdiert theorieentwickelnd vorzugehen. Die Forschungsstrategie in Anlehnung an die ,,grounded theory" soll diesem Anspruch gerecht werden. 6~ In den radikalen Anfangen des ,,grounded theory"-Ansatzes wurden noch alle vorgefassten Theorien (sog. ,,preconceived theories") als wahrnehmungshemmend geziehen, unterdrficken sie doch die Entdecktmg von Neuigkeiten und altemativen Perspektiven. 61~ Neuere Entwicklungen zeigen sich hier oftener und den interpretativen Charakter der qualitativen Forschung stgrker betonend. Nicht zuletzt ist Forschung ohne ein gewisses Vorverst/indnis nicht m6glich, ist die Annahme der v611igen Voraussetzungslosigkeit nicht einzu16sen:611,,(...) jede Beobachtung und damit auch jeder Versuch

einer

Rekonstruktion

der

Alltagstheorien

einer

Partnerorganisation

im

Forschungsfeld wird unausweichlich vorstrukturiert sein durch tmsere eigenen Alltagstheorien, trod zwar unabh/ingig davon, ob diese durch eigene praktische Erfahrung oder durch die Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs zu ihrer Form gelangt sind. ''6~2 So wird also eine ,,unvoreingenommene" empirische Herangehensweise an die Forschungsfrage dieser Arbeit, selbst unter vorl/iufiger Nicht-Beachtung der Literatur der zugeh6rigen Diskurse, unzweifelhafl vom Vorverstgndnis des Autors hinsichtlich dessen was Marketing ist, was Innovieren ausmacht und was unter einer Organisation zu verstehen ist, gepr~igt sein. Entgegen radikal-induktivistischer Verlautbarungen scheint es also angeraten, gerade in

607 Siehe analog oder ~hnlich z. B. das Kriterium der ,,argumentativen Interpretationsabsichemng" bei Mayring, 1996 (S. 104ff.), das der ,,Plausibilit~it"bei Rfiegg-Stiirm,2001 (S. 70), das der ,,plausibility" bei Mi~hlbach, 2003 (S. 24f.), oder zentral in zahlreichen Kriterien in der Kategorie ,,data analysis" bei Cassell, 2004, S. lf. 60s Siehe analog oder ~ihnlichz. B. das Kriterium der ,,Regelgeleitetheit" bei Mayring, 1996 (S. 104ff.), das der ,,dependability" und das der ,,auditability" bei Miles und Huberman, 1994 (S. 278), das der ,,coherence" bei Miihlbach, 2003 (S. 23), das der ,,consistency", der ,epistemological integrity", der ,,theoretical considerations" oder auch der ,,description of analytic framework" bei Cassell, 2004, S. 1f. 609 Der Begriff der ,,grounded theory" wird dabei im Deutschen tiblicherweise mit ,gegenstandsbezogener Theorie" oder ,,empirisch fundierter Theorie" bezeichnet. 610 Vgl. Van Maanen, 1983, S. 37, oder Glaser und Strauss, 1998, S. 49s So betonen Glaser und Strauss z. B., dass es eine wirksame und sinnvolle Strategie sei, ,,(...) die Literatur fiber Theorie und Tatbest~inde des untersuchten Feldes zun~ichst buchst~iblich zu ignorieren, um sicherzustellen, dass das Hervortreten yon Kategorien nicht dutch eher anderen Fragen angemessene Konzepte kontaminiert wird." (S. 47) 6H Siehez. B. Weick, 1999, S. 803: ,,(...) perception without conception is blind; conception without perception is empty." 612 Riiegg-Stiinn, 2002b, S. 15. Nicht zuletzt betont auch die Hermeneutik, in ihrem ersten Zirkel aus Vorverst~ndnis land Textverst~indnis(vgl. Danner, 1979, S. 53.), als metatheoretische Basis des qualitativen Paradigmas bereits diesen Aspekt, siehe z. B. bei Lamnek, 1995a, S. 74f.

2.3 TheoretischeVerortung und konzeptionellerBezugsrahmen

103

Hinblick auf die angestrebten Gfitekriterien, sich explizit und reflektierend mit diesem Vorverstandnis auseinanderzusetzen. Dem explorierend-induktiven Charakter dieser Arbeit gemag soll theoretisches Vorverst~ndnis als ,,theoretical sensitivity" verstanden werden. 613 Es soll also ein fruchtbarer Kern an notwendigen Theorien expliziert und in einen konzeptionellen Bezugsrahmen integriert werden, ohne jedoch den Prozess der Theorieentwicklung dadurch fiber die Magen einzuschr~inken, gem~ig dem Pl~idoyer von Van Maanen: ,,(...) less theory, better facts; more facts, better theory. ''614 In Konsistenz mit der paradigmatischen Fundierung gilt es im Folgenden den Kern der theoretischen Verortung ftir diese Arbeit zu explizieren, ffir die Felder Marketing (Abschnitt 2.3.1), Organisation (Abschnitt 2.3.2) und Innovation (Abschnitt 2.3.3). Diesen Kern-Feldem nachgelagerte theoretische Grundlagen, wie z. B. zum Wandel, werden hierauf autbauend dann sp~iter im Prozess der interpretierenden Theorieentwicklung eingeffihrt.

2.3.1

,,Relational network"-Theorie des Relationship Marketing

Dieser Abschnitt sucht in aller Kfirze aber auch erforderlichen Pr~ignanz die theoretische Verankerung in dem dieser Arbeit zugmnde gelegten marketingtheoretischen Verst~ndnis zu leisten. Bezug genommen sei dabei neben der Forschungsfrage (Abschnitt 1.2) auf die Darlegungen zum Paradigmenwechsel im Marketing (Abschnitt 2.1.2) sowie die identifizierten Forschungslficken (Abschnitt 2.1.6) und - im Vorgriff auf das empirische Forschungsdesign (Abschnitt 3.1.3). Der Abschnitt zum Paradigmenwechsel im Marketing konnte verdeutlichen, dass aufbauend auf neue komplexe und dynamische ,,macro-environmental forces" wie auch auf ausgepr~igter Kritik am vorherrschenden Marketing-Mix-Konzept mit Nachdruck ein ,,rebirth of marketing" auf der Basis einer relationalen Perspektive propagiert wird. Diese gewandelte Rolle des Marketings - begleitet von einem Wandel der Rolle des Innovierens - manifestierte schlieBlich die zentrale Forschungslficke, die diese Arbeit adressieren m6chte. Damit ist das marketingtheoretische Verstandnis im Kern schon skizziert. Was bleibt, ist seine Ausgestaltung, auch im Hinblick auf das empirische Forschungsdesign. 13ber die fokussierende Forschungsfrage wurde bereits der empirische Kontext eines mittelstandischen Industrieuntemehmens angedeutet. Wie in Abschnitt 2.1.2 erw~ihnt, wurde dieser Kontext des interorganisationalen Marketings als blinder Fleck historisch gesehen lange Zeit ignoriert, seiner Bedeutung zum Trotz. Oder es wurden empirisch wenig fundierte Anwendungen und Obertragtmgen des klassischen Marketingmanagement-Knnzepts unternommen. Seit den 70er Jahren hat sich nun sowohl zunehmend ein eigener Teilbereich des ,,industrial marketing" entwickelt, 615 als auch zentrale Fragestellungen dieses Kontextes in die

613 Wobei das theoretische Vorverst~indnisder Empirie dieser Arbeit dabei auch durch die in Abschnitt 2.1.1 beschriebenenempirischenPilotstudiengepr/igtist. 614 VanMaanen, 1983, S. 37. 615 Siehe z. B. Backhaus, 2003, S. vii, im Vorwort zur 7. Auflage: ,,IndustriegiJtermarketinghat mittlerweile einen anerkannten Stammplatz in der Marketingdisziplin gefunden." Siehe ~ihnlichz. B. TumbulI et al.,

104

2. Dekonstruktion ,,root distinctions"

Entwicklungen anderer sich etablierender Teildisziplinen des Marketings eingeflossen sind, wie z. B. des ,,service marketing" oder des Relationship Marketing. Augenf~illig und Ftir diese Arbeit von Bedeutung sind nun die Entwicklungen des Relationship Marketing, insbesondere im ,,Anglo-Australian approach to relationship marketing" und im ,,Nordic approach to relationship marketing". In diesen beiden Schulen zeigt sich n~imlich der Anspruch, auf der Basis von Beziehungen als ,,unit of analysis", eine (neue) Marketingtheorie mit tibergreifendem Anspruch zu entwickeln. 616 Zentrale Vertreter haben schon vor knapp 20 Jahren die Komplexitlit von Marketingsituationen betont und Trennungen in Teil-Marketings f'tir industrielle Gtiter, konsumentenbezogene Gi~ter und Dienstleistungen hinterfragt sowie den Anspruch des Relationship Marketing als ,,new general marketing theory" formuliert. 617 Dies steht im Einklang auch mit neuesten empirischen Ergebnissen, die mit Nachdruck den ,,pluralism in marketing practice" unterstreichen, durchaus entgegen manch etablierter Vorstellungen in Bezug auf Marketingpraktiken im industriellen Kontext. 61s Aufgrund des Zieles dieser Arbeit, zu dieser Entwicklung einer (neuen) Marketingtheorie einen Beitrag zu leisten, gilt es also, auf eine dieser beiden Schulen Bezug zu nehmen. Die paradigmatische N~ihe wie auch eine st~rkere Akzentuierung des industriellen Kontextes empfiehlt schlief31ich den ,,Nordic approach" des Relationship Marketing nach Gummesson als theoretische Grundlage. 619 Und zudem bezieht sich auch Gummesson explizit - und mit zahlreichen eindringlichen Appellen - auf die Theorieentwicklung nach dem ,,grounded theory"-Ansatz, im Einklang mit dieser Arbeit. Das Fragment der ,,general theory" des Relationship Marketing nach Gummesson verankert sich hierbei zentral in mehreren ,,specific theories", von denen beispielhaft einige wesentliche in Abbildung 16 aufgeftihrt sind. Eine primlire theoretische Verortung in einer vordergrtindig geeigneten ,,specific theory" wie z. B. der ,,interaction and network theory ''62~ empfiehlt sich nicht. In ausgepnigter AuBenorientierung liegt das zentrale Forschungsinteresse dieser Theorie n~nlich im Verstehen von industriellem Marketing in komplexen Netzwerken interorganisationaler Beziehungen. 621 Diese ftir eine holistische Erfassung von Beziehungsnetzwerken eines aktivitatsbasierten Marketingverst~ndnisses sehr fruchtbare Perspektive l~isst demnach Fragen der (intemen) Marketingorganisation weitestgehend unberiicksichtigt. Erst tiber das ,,service marketing" und

616 617 618 619

62o 621

1996, S. 44f. Zur begriffiichen Abgrenzung des ,,industrial marketing" zum ,,business marketing" sowie deren deutschsprachigeAquivalentesiehe z. B. Backhaus, 2003, S. ixf. Siehe FOrden ,,Anglo-Australianapproach" bspw. bei Christopheret al., 2002, S. 5ff., oder fiir den ,,Nordic approach" bspw. bei Gummesson,2002b, S. 300ff. Vgl. Gummesson, 1987a, S. 17ft. Vgl. Brookes und Palmer, 2004, S. 228ff., Coviello et al., 2002. Siehe als Kemliteratur hierzu Gummesson, 2002b, jedoch auch z. B. Gummesson, 2002a, Gummesson, 1999, Gummesson, 1998, Gummesson, 1997c, Gummesson, 1994b, Gummesson, 1994a, Gummesson, 1987a, oder die f~heren Arbeiten zum ,,service marketing", die sich schrittweise in Richtung des RelationshipMarketing entwickelthaben. Sic soil hier der Einfachheit halber nicht differenziert werden in ihre Subtheorien der ,,interactionschool" und des ,,network approach" (vgl. M6ner, 1992, S. 204ff.), sondem integriert verstanden werden (vgl. M611erund Wilson, 1995a, oder Hakanssonund Snehota, 1995). Vgl. M6ner und Wilson, 1995b, S. 600ft., oder M611er,1992, S. 209ff.

2.3 Theoretische Verorttmg und konzeptioneller Bezugsrahmen

105

dem hierauf aufsetzenden ,,internal marketing" finden mit Nachdruck auch Aspekte der intemen Organisation der Marketingfunktion, wie sic ftir die Forschungsfrage dieser Arbeit von Bedeutung sind, Beachtung. 622

Specific

theory

Management/Mix P's

4

Services Marketing

petwork

Appmact~.....

Organisations

Practical experience and common sense

[_ _

General theory

Relationship Marketing

Appli- [ cation

[

E

Specific adjustments to divelse types of marketing situations

Abbildung 16: ,,Synthesis of specific theories and experiences into a more general marketing theory''623 Auch die Theorie des Relationship Marketing wird sich hierbei entwickeln in einem kontinuierlichen zirkular-iterativen Prozess 624 aus den gegenstandsbezogenen ,,specific theories" und der Empiric, aus Induktion und Deduktion, bis sic ausreichend konzeptuelle Dichte und schliel31ich theoretische S/ittigung625 erreicht hat. In diesen Prozess integfiere sich nun die theorieentwickelnde Forschungsstrategie dieser Arbeit und erfolge demnach auch die theoretische Verortung hinsichtlich des Marketing- und Organisationsverst/indnisses (siehe Abbildtmg 17). Induction

o"e'~176 [

Services Marketing

Specific theory

/ --i7

-

-

Practical experience and common sense General

theory

" j

Relationship Marketing

Deduction

Abbildung 17: Marketingtheoretisches Fundament im Kontext der theorieentwickelnden Forschungsslrategie Neben Gummessons Theoriefragment zum Relationship Marketing seien also insbesondere Teile des ,,interaction and network approach" der IMP-Gruppe ftir das als ,,relational

622 Siehe bspw. die Entwicklung des ,,service marketing" und ,,internal marketing" anhand zentraler Arbeiten yon Grrnroos: Grrnroos, 1978, Grrnroos, 1982, Gr6nroos, t990b und schierlich Gr6m'oos, 2000b, mit schliel31icheigenen Kapiteln sowohl zur Marketingorganisation (S. 299ff.) als auch zum intemen Marketing (S. 330ff.). 623 Gummesson, 2002b, S. 305, Abbildung in Anlehntmg an die dortige. 624 VgL Weick, 1989, S. 518 (mit Verweis aufBourgeois 1979, S. 445). 625 Vgl. Strauss und Corbin, 1996, S. 116, Strauss, 1984, S. 32ff., oder auch Glaser und Strauss, 1998, S. 98s

106

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

network"-Theorie bezeichnete marketingtheoretische F u n d a m e n t dieser Arbeit hinzugezogen, partiell erganzt u m Teile des ,,service marketing" der ,,Nordic School". 626 Das ebenfalls hier einfliel3ende (netzwerkorientierte) Organisationsverstgndnis wird in Abschnitt 2.3.2 weiter detailliert u n d angereichert als organisationstheoretische Basis far diese Arbeit. Die Darstellung des marketingtheoretischen Fundaments dieser Arbeit a u f dieser Basis soll der Pr~ignanz halber in Gegentiberstetlung z u m traditionellen M a r k e t i n g m a n a g e m e n t - K o n z e p t erfolgen (siehe Abbildung 18). 627 Fl'oln

,.,

Abbildung 18: ,,Relational network"-Theorie - marketingtheoretisches Verstiindnis dieser Arbeit D e n Startpunkt der Darlegtmg der marketingtheoretischen Verortung m 6 g e die Defintion des Relationship Marketing nach G u m m e s s o n bilden: ,,Relationship marketing is marketing based on interaction within networks o f relationships. ''628 Das rekursive Element des Rtickbezugs a u f ,,das" Marketing sei aufgel6st tiber ein Verst/indnis des Marketings als unternehmerische Denkhaltung

im

Sinne

eines

,,market-oriented

management",

auch

unter

Einbezug

entsprechender moralischer und ethischer Werte. 629 Mit dieser Definition sind n u n auch schon drei der zentralen Grundkonzepte genannt: Interaktion, B e z i e h u n g e n und Netzwerke. 63~ Der Wandel

von

,, a c t i o n "

z u ,, i n t e r a c t i o n "

unterstreicht die A n n a h m e v o n aktiven Akteuren, also

w e g v o m Marketing ,,(...) as the manipulation o f the marketing m i x variables in order to achieve a response from a generalized, and by implication passive market", hin zu ,,(...) parties [that] enter into active contact to each other. ''631

626 In Anlehnung an die von Gummessonats zentral bezeichneten theoretischen Basiseinfliisse des Relationship Marketing, siehe z. B. Gummesson, 1997c, S. 54, Gummesson, 1997b, S. 267, oder Gummesson, 1991, S. 62. 627 Natiirlich werden die als zentral erachteten Konzepte dabei nicht fiberlappungsfrei tmd trennscharf sein k6nnen. Grundidee ist vielmehr die Philosphie der gewahlten theoretischen Grtmdlage zu verdeutlichen. FOr Details sei auf die zugrunde liegenden, zentralen Quellen verwiesen, for das Relationship Marketing siehe oben (FN 619), for das ,,service marketing" siehe Gr6nroos, 2000b, Gr6nroos und Gummesson, 1985, fiJr den ,,interaction and network approach" siehe Hakansson und Snehota, 1995, M611erund Wilson, 1995a. 628 Gummesson, 2002b, S. 3. FOr eine Diskussion von alternativen Relationship Marketing-Definitionen siehe z. B. Gummesson, 1994b, S. 7. FOr eine Historie yon Marketingdefinitionen siehe z. B. Meffert, 2000, S. 10. 629 VgL Gummesson, 2002b, S. 15, Gummesson, 1994b, S. 17, oder Gummesson, 1997b, S. 268s 630 Diese Grundkonzepte finden sich auch ganz zentral in der ,,interaction and network theory" wieder (siehe z. B. M611er und Wilson, 1995c, S. 5f., Turnbull et al., 1996, S. 44ff., oder Hakansson und Ford, 2002, S. 133f.). 63~ Gummesson, 2002b, S. 4; siehe ~ihntichz. B. Sheth und Parvatiyar, 2000, S. 412f.

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahmen

Dies zu erganzen v e r m a g der

Wandel

yon ,,exchange"

107

hin zu ,,relationship"

als ,,unit o f

analysis", v o n ,,competition and conflict" zu ,,mutual cooperation". 632 Einbezogen werden also fiber die rein gesch/ifiliche Transaktion hinausgehende Aspekte, wie ,,(...) mutual orientation, commitment, adaptions, trust-building and social exchange over time." 633 Der W a n d e l v o n ,, i n d e p e n d e n c e

"' z u ,, i n t e r d e p e n d e n c e

,,634 b z w . z u ,, n e t w o r k s '"

geht damit einher:

,,(...) no one interaction (...) can be understood without reference to the relationship o f which it is part. Similarly, no one relationship can be understood without reference to the wider network. ''635 G u m m e s s o n s Netzwerkverstgndnis nutzt zwar die ,,interaction and network theory" der IMPGruppe, 636 geht jedoch darfiber hinaus. Sein A u s g a n g s p u n k t ist die soziale Einbettung: ,,(...) society is a network o f relationships. If society is a network o f relationships and if business and marketing are subsets or properties o f society, then these m u s t also be networks o f relationships. ''637 In diesem Kontext, in seinem ,,30R" genannten ,,multi-level approach to relationship marketing", bezieht er dann, tiber reine Marktbeziehungen hinaus, zwei Arten v o n ,,non-market relationships", n/imlich ,,mega relationships" und -

fiir diese Arbeit

insbesondere relevant - intraorganisationale ,,nano relationships" mit ein. 638 G u m m e s s o n integriert also die Organisation selbst in das Relationship Marketing 639 und weitet entsprechend den A n s p r u c h a u f ein Marketingrnanagement aus: ,,It is particularly obvious in the relationship approach that marketing is embedded in the whole m a n a g e m e n t process. ''64~ Dieser

W a n d e l v o n ,, c o n c e p t '" z u ,, m a n a g e m e n t " ,

v o n d e r instrumentellen Aul3enorientierung

des traditionellen M a r k e t i n g m a n a g e m e n t - K o n z e p t s hin zur holistischen Integration des U n t e r n e h m e n s und seiner U m w e l t 641 in einem d y n a m i s c h e n Gleichgewicht aus ,,competition",

632 Vgl. Sheth und Parvatiyar, 2000, S. 399ff., oder ahnlich bei Gummesson, 2002b, S. 15 und S. 20ff. 633 Hakansson und Snehota, 1995, S. 20. 634 Siehe z. B. bei Ballantyne, 1994, S. 6: ,,(...) Relationship Marketing is concerned with the interdependencies that are created as a result of interaction." 635 Hakansson und Ford, 2002, S. 134; siehe ~ihnlichz. B. Sheth und Parvatiyar, 2000, S. 399f., trod die Ansatze z. B. bei Christopher et al., 2002, S. 76ff., Hunt und Morgan 1994, oder Kofler, 1992, S. 4. 636 Siehe f'tir einen Oberblick fiber die Forschung zum ,,network approach" der IMP-Gmppe z. B. bei Axelsson und Easton, 1992, Tumbull et al., 1996, Hakansson und Ford, 2002, Axelsson, 1995, oder Mattsson, 1997. Der ,,network approach" betont die Netzwerkposition und das Netzwerkmanagement eines Portfolios an tmternehmensfibergreifenden Beziehungen auf der Basis einer ,,need complementarity" in Bezug auf Ressourcen (vgl. Wilson und Mummalaneni, 1986, S. 44ff., oder auch Gummesson, 2002b, S. 22 (mit Verweis aufBerry und Parasuraman, 1991, S. 136ff.)). 637 Gummesson, 2002a, S. 336; siehe ahnlich auch Gummesson, 2002b, S. 9f., oder Gummesson, 1997b, S. 272. 63s Zum 30R-Ansatz siehe z. B. Gummesson, 1994b, S. 11ff., Gummesson, 1997b, S. 267ff., oder zentral und ausf'tihrlich natiirlich Gummesson, 2002b. 639 Siehe z. B. Gummesson, 1996, oder Gummesson, 1994b, S. 10f. •r eine Diskussion von ,,RM and Imaginary Organization", abet bspw. auch zahlreiche Beitr~ige zum Konzept des ,,part-time marketer", wie z. B. Gummesson, 1991, Gummesson, 1987a, oder direkt zum ,,internal marketing" wie z. B. Gummesson, 2000a. 64o Gummesson, 1994b, S. 6. 641 Gummessonbetont vielfach den holistischen Anspruch des Relationship Marketing, siehe z. B. Gummesson, 2002a, S. 336, Gummesson, 1991, S. 74, oder Gummesson, 1994b, S. 17: ,,RM (...) represents a holistic attitude to marketing." Wobei dieser Anspruch sich auch bereits in den zugrunde liegenden oben

108 ,,collaboration"

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions" und ,,regulations and institutions" fftihrt schlieBlich z u m Modell

des

,,[c]omplete marketing equlibrium o f a network o f relations, both inside a firm and in the market ''642 (siehe Abbildung 19).

Abbildung 19: ,,Complete marketing equilibrium "643 Ober das M a n a g e m e n t v o n Beziehungs-Portfolios und der Netzwerkposition des ,,interaction and network approach" geht G u m m e s s o n also in B e z u g a u f das Forschungsinteresse dieser Arbeit hinaus und 6ffnet die Perspektive auch t?tir inteme Beziehungen, interhierarchisch wie funktionat, sowie deren kollaborative, kompetitive und institutionelle Grundlagen: 644 ,,The distinction between internal and external marketing b e c o m e s fluid. ''645 Deutlich wird hierbei das aktivit/itsbasierte Marketingmanagement-Verstandnis v o n G u m m e s s o n . 646 Zu betonen ist z u d e m die - gerade im interorganisationalen Kontext relevante - Abkehr v o m engen Produktfokus des traditionellen M a r k e t i n g m a n a g e m e n t - K o n z e p t s u n d der breitere

Fokus a u f

(Produkt-/Dienst-)Leistungsbtindel bzw. ,,resource elements". 647 W a s f'tir diesen Absctmitt verbleibt ist eine geeignete Definition des Beziehungsbegriffes, die sich teider bei

642 643 644

645 646

647

aufgefiihrten ,,specific theories" findet, die Gummesson bereits charakterisiert ats ,,(...) primarily holistic, ecological and systemic in their perspective". (Gummesson, 1991, S. 65) Gummesson, 1996, S. 41. Gummesson, 1996, S. 41. Siehe z. B. Gummesson, 2002b, R[elationship No.]24 (der 30R seines Ansatzes) ,,market mechanisms are brought inside the company", R25 ,,internal customer relationships", oder R27 ,,internal marketing", S. 181ft. und S. 197ff. Gummesson, 2002b, S. 197. Damit einher geht dann auch die Aufl6sung des ,,marketing department" lain zur Funktion des Marketings, siehe z. B. Gummesson, 1993, S. 257, Gummesson, 1987b, S. 17, und auch schon Gummesson, 1979, S. 309t". Die Grundlage karm wolff das aktivit~itsbasierte Marketingverstgndnis der IMP-Gruppe formulieren, die Marketing definiert als ,,(...) all activities by the firm to build, maintain and develop customer relations." (Hammarkvist et al., 1982, S. 10; zitiert bei Gummesson, 1987a, S. 15; Herv. i. Orig.) Vgl. Tumbull und Wilson, 1989, S. lff., Tumbull et al., 1996, S. 47f., Hakansson und Snehota, 1995, S. 26, und Gummesson, 2002b, S. 20f. Wobei anch Beziehungen selbst als Ressource gesehen werden (vgl. Hakansson und Snehota, 1995, S. 26).

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahmen

109

G u m m e s s o n nicht findet. 648 Anders in der ,,interaction and network theory" der IMP-Gruppe, dort wird

nieht nur

ein komplexer konzeptioneller

R a h m e n zur Modellierung v o n

Beziehungen entworfen, sondern auch ein Definitionsversuch gewagt, allerdings mit rein externem Fokus a u f interorganisationale Beziehungen. 649 Vielfach betont wird der Charakter von

Beziehungen

als

,,quasi-organization". 65~ G u m m e s s o n

unterstreicht

in

diesem

Z u s a m m e n h a n g noch, in A n l e h n u n g an das Konzept der ,,imaginary organization ''651, ,,(...) organizations are not tangible objects but rather social constructs. ''652 In diesem Sinne und in der Tradition des symbolischen Interaktionismus u n d der Wissenssoziologie 653 seien Beziehungen f'tir diese Arbeit definiert als institutionelle Kopplung v o n Systemen. 654 Dies unterstreicht den W a n d e l v o n ,, a t o m i c i t y " h i n z u ,, c o n t i n g e n c y ", von a n o n y m e n Akteuren u n d atomistisehen Transaktionen hin zu einer ausgepragten Kontextualit~it und Historizit~it: ,,The relationship consists o f learned rules and n o r m s o f behavior. It provides the atmosphere within w h i c h individual episodes take place." 655

2.3.2

,,Enactment theory" des Organisierens

,,Writers on organization have typically been reluctant to offer formal definitions. (...) It has been c o m m o n practice to m o v e directly to the discussion o f 'organization characteristics', rather than first say what 'organization' is. ''656 Die kritische Er6rterung z u m Stand der Forschung (siehe Abschnitt 2.1.4.3) konnte diesen U m s t a n d n u n leider auch fftir das absolute Gros der Arbeiten im Kontext des Forschungsinteresses verdeutlichen. Dieser Abschnitt sucht demzufolge die organisationstheoretische Verankerung l'Or diese Arbeit zu explizieren.

648 Gummesson (vgl. Gummesson, 2002bS. 20ff.) beschreibt lediglich partiell den konzeptionellen Rahmen zur Modellierung von induslriellen Beziehungen auf Basis der IMP-Forschung (nach Hakansson mad Snehota, 1995). 649 Vgl. Hakansson mad Snehota, 1995, S. 25ff. Die Modellierung von Beziehungen erfolgt fiber zwei Dimensionen, ,,substance of a business relationship" mit ,,activity links", ,,resource ties" mad ,,actor bonds", sowie ,,'functions' of a business relationship" mit ,,function for the dyad", ,,single actor function" und ,,network function". 650 Vgl. Hakansson und Snehota, 1995, S. 10, S. 19 mad S. 25, Hakansson, 1982, S. 17, oder auch Tumbull et al., 1996, S. 59, mit Bezug zu Ans~itzendes symbolischenInteraktionismus.. 6sl Vgl. Gummesson, 1996, S. 35ff. (mit Verweis aufHedberg et a1., 1994). 652 Gummesson, 1994b, S. 10. 653 Vgl. Blumer, 1973 mad Berger mad Luckmann, 1999. 654 Vgl. Berger und Luckmann, 1999. Systeme als sich beziehende Entit~iten k6nnen dabei beliebiger Granularitiit sein. Der Bezug auf den Prozess der Institutionalisierung yon Erwartungen und seine Kopplung erm6glicbt zudem den Brfickenschlag zwischen internen mad extemen Beziehungen, analog Gummessons Betonung der flieBenden organisatorischen Grenzen (vgl. Gummesson, 2002b, S. 261). Okonomische Transaktionen k6nnen als in diese Beziehung(satmosph';ire) als Episoden eingebunden verstanden werden, obige Definition betont also den sozialen Charakter einer (Geschafts-)Beziehung. Zudem unterstrichen werden Aspekte der Historizit~it, durch den Prozess der Typisiertmg habitualisierter Handlungen (S. 58) oder durch die Tendenz von Institutionen ,,zusammenzuh/ingen" (S. 68) mad ihre ,,Neigung zur Dauerhafigkeit" (S. 86), ihr reziproker Charakter sowie auch die M6glichkeit zur ,,Entinsfitutionalisiertmg" (S. 86). Alternative Definitionsversuche oder Diskussionen hierzu sind ~iuBerst rar, 16bliche Ausnahmen stellen Eggert mad Stief, 1999, oder Hermig-Thurau, 2001, S. 128 FN1, dar. 655 Turnbull et al., 1996, S. 45. 656 Hosking, 1988, S. 148.

110

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Zentrale Bezugspunkte sind neben der Forschungsfrage (in Abschnitt 1.2) zuvorderst die paradigrnatische Basis dieser Arbeit, aber nattirlich auch das der marketingtheoretischen Verortung zugrunde liegende (Organisations-)Verstandnis (siehe Abschnitt 2.3.1). Letzteres gilt es konsistent zu detaillieren und in einen gr613eren Bezugsrahmen einzubetten.

Forschungsinteresse in der traditionellen Organisationsforschung 657 Das Forschungsinteresse dieser Arbeit fokussiert die - auf dieser Ebene - klassische Fragestellung, wie eine effektive Integration von Marketing tmd Innovieren erfolgen kann. Mit Fokus auf die ,,organizational social structure ''658 bezieht sich diese Fragestellung auf ein in der Organisationsforschung traditionelles Problem, das sog. ,,Dualproblem der Organisationsgestaltung" (siehe Abbildung 20).

Organisatorische Difrerenzierung

1,

=

Organisatorische ntegration

I

Abbildung 20: Das Dualprobtem aus Differenzierung und Integration659 ,,Durch die Ausbildung organisatorischer (...) Teilsysteme (Differenzierung) wird einerseits Gebrauch yon den Vorteiten der Selektion gemacht, andererseits wird dadurch aber das Gesamtsystem komplexer. (...) Die Integration der Teile wird so zu einem immer gr6geren Problem.

Die organisatorische Gestaltung muss

sich deshalb gleichermaBen diesem

,Folgeproblem' widmen, indem sie daflir Sorge trifR, dass die ausdifferenzierten Teile wieder effektiv zusammengefiihrt werden (Integration). ''66~ In industrieller und ,,ingenieurhafter'" Tradition 661 steht die organisationstechnisch enge, instrumentelle Perspektive (,,ein Unternehmen hat eine Organisation"): Organisation als zur Struktur geronnene Regelung und als ein Instrument der Ft~hnmg, das den Leistungsprozess steuem hilft, a62 Eine fgr die Gesamtanfgabe optimale Ordnungsform im Sinne einer organisatorischen Differenzierung

657 Der Begriff der ,,traditionellen Organisationsforschung" sei hier bezogen auf eine instrumentell gepr~igte Organisafionsforschung, wie sie historisch lange Zeit (insbesondere auch in Deutschland, vgl. Kieser, 1999a, S. 108, Kieser, 1998, S. 47, Schrey6gg, 2002, S. 5) vorherrschend war - und es z. T. wohl auch noch immer ist. 658 Vgl. Hatch, 1997, S. 161ff. 659 In Anlehnung an Schrey6gg, 2002, S. 112. 660 Schrey6gg, 2002, S. tllf.; siehe ahnlich z. B. auch Scherer, 1999, S. 1, Hatch, 1997, S. 162. In institutionen6konomischer Interpretation z. B. bei Picot et al., 1999, S. lff., in kontingenztheoretischer Pr~igung z. B. bei Kieser und Kubicek, 1992: ,,Die Gesamtheit atler formalen Regelungen zur Arbeitsteilung und zur Koordination bezeichnen wit als die formale Organisationsstruktur. (...) Spezialisierung und Koordmation bilden somit die Grundprinzipien, auf denen Organisationsstrukturen beruhen (S. 18, S. 74) 661 ZurhistorischenEntwicklungder Organisationswissenschaft siehe z. B. Kieser, 1999a, Walter-Busch, 1996, Weik und Lang, 2001 trod Weik und Lang, 2003; oder auch bei Schrey6gg, 2002, S. 27ff., Hatch, 1997, S. 21 ff., oder Kieser und Walgenbach, 2003, S. 32ff. 662 Vgl. Schrey6gg, 2002, S. 5ff., Walter-Busch, 1996, S. lf., Kieser, 1998, S. 46ff.

2.3 Theoretische Verorttmg und konzeptioneller Bezugsrahmen

111

und Arbeitsteilung, z. B. auf Basis der Kosiolschen Gestaltungslehre, 663 bildet in dieser Perspektive die gestalterische Grundlage. 664 Arbeitsteilung erzeugt jedoch, aufgnmd der zwischen den auf Teilaktivit/iten spezialisierten Organisationsmitgliedern (oder -einheiten) resultierenden arbeitsbezogenen Interdependenzen665, einen Koordinationsbedarf: ,,Die Leistungen der einzelnen Organisationsmitglieder mtissen auf die Organisationsziele ausgerichtet werden - sie sind zu koordinieren. ''666 Als formale Koordinationsinstrumente werden Hierarchie, Programme oder Plane genannt. Organisieren wird, wie z. B. bei Kosiol, abet auch sp/iter bei Frese, 667 derart betrachtet als rein technische Konstruktionsaufgabe gesehen, 668 als origin/ire Planungsaufgabe der Bestimmung der optimalen organisatorischen Lfsung. Das hiermit verkntipfte Rationalmodell des Strategieprozesses ,,(...) is built on a linear process in which ideas flow unidirectionally from the top o f the organization to the bottom. ,,669 A u f der Basis eines derartigen Rationalmodells, eines souveranen, autonomen ,,homo oeconomicus" und einer Zielrationalit/it von Organisationen 67~ in dem Sinne, dass davon ausgegangen

wird,

dass

in

Organisationen

einheitliche Vorstellungen tiber die

zu

verfolgenden Organisationsziele bestehen, muss die Frage zum Forschungsinteresse jedoch sinnentleert

erscheinen.

Sie

verkommt

zu

einem

fest

umrissenen,

strukturellen

Optimierungsproblem (far das Management oder die Forscher). ,,Die Frage, auf welche Weise organisatorische Regelungen das Verhalten der Organisationsmitglieder beeinflussen, wird (...) als aul]erhalb der eigentlichen Problemstellung liegend betrachtet. ''671 Vordergrtindig leichte Antworten gewinnen an Komplexit/it, aber auch an Reife, sucht man ein geeignet(er)es Organisationsverstandnis, mit ausgepr/igterem Praxisbezug und ganzheitlichem, prozessualem und dynamischem Charakter zugrunde zu legen - wie es die Forschungsfrage und die bezeichneten Forschungslticken als Grundlage benftigen. Dies soil, nicht zuletzt mit Bezug zu dem Organisationsverst~ndnis der marketingtheoretischen Verortung, und auf Basis des paradigmatischen Verst~indnisses dieser Arbeit im Folgenden geschehen.

663 Vgl. Kosiol, 1976, S. 32ff., oder Kosiol, 1978, S. 69ff. 664 Siehe z. B. bei Picot et al., 1999, S. 5f.: ,,Das Organisationsproblem l~isstsich nun als Problem der M~ingelbeseitigung definieren. Es geht darurn, Strukturen der Arbeitsteilung, der Spezialisierung, des Tausches und der Abstimmung zu realisieren, die einen m6glichst grol3en Beitrag zur Knappheitsbew/iltigung leisten, indem sie die Differenz zwischen den ausgesch6pften Produktivit/itspotenzialen und den Rir Tausch und Abstimmtmg wieder verbrauchten Produktivit/itsgewinnen maximieren." 665 Siehe zu Interdependenztypen z. B. bei Kieser und Kubicek, 1992, S. 93f., oder auch zur Interdependenzanalyse bei Schrey6gg, 2002, S. 122f. 666 Kieser und Kubicek, 1992, S. 95; siehe ~ihnlichz. B. Schrey6gg, 2002, S. 154ff. 667 Vgl. Kosiol, 1976, S. 22, und Frese, 1995, S. 27. 668 Vgl. Kieser, 1998, S. 47ff. 669 Hatch, 1997, S. 111. 670 Vgl. Rfiegg-Stiirm,2001, S. 110, Pettigrew, 1990, S. 268. 671 Kieser, 1998, S. 48.

112

2. Dekonstruktion

,,root distinctions"

Marketingtheoretisches Organisationsverstiindnis Die marketingtheoretische Verortung in der ,,relational network"-Theorie des Relationship Marketing mit B e z u g a u f G u m m e s s o n verwies bereits in Abschnitt 2.3.1 ansatzweise a u f ihre organisationstheoretischen Beztige.

Im

Zentrum

des

G u m m e s s o n s c h e n Organisations-

verst~indnisses steht die Netzwerkorientierung: ,,RM (Relationship Marketing, A n m . d. Verf.) is a marketing perspective on the network organization and the network soeiety. ''672 Seinem Credo gem~il3, dies im Kern als bestimmte Charakteristika betonende Perspektive zu sehen, entwirfl er fiber zahlreiche Vergleiche und Bez~ige ein skizzenhaftes Verstgndnis hiervon. 673 Kern einer Organisation, ihre wiehtigsten Ressourcen, formulieren ,,its intellectual capital and core competency", die sieh im Beziehungsnetzwerk zeigen. 674 A u f Weick verweisend unterstreicht er den werdenden, nieht-entitativen Charakter v o n Netzwerk(organisation)en: ,,Most ,things' in organizations are actually relationships (...). The word organization is a noun, and it is also a myth. If you look for an organization you w o n ' t find it. W h a t you will find is that there are events, linked together, that transpire within concrete walls and these sequences, their pathways, and their timing are the forms we erroneously m a k e a substance w h e n we talk about an organization. ''67s Dieser Aspekt des prozessualen u n d d y n a m i s c h e n Charakters von B e z i e h u n g e n u n d damit a u f ihnen autbauenden Netzwerk(organisation)en findet sieh auch in der ,,interaction and network theory" der IMP-Gruppe unterstrichen: ,,The relationships are not determined a priori but result from enactment, therefore they change and evolve over time. ''676 Mit B e z u g a u f ,,imaginary organizations", als ,,(...) a system where crucial resources, processes and actors exist and are m a n a g e d also outside o f the legal boundaries, the official accounting reports, and the organizational descriptions ''677, betont G u m m e s s o n zudem, ,,(...) that organizations are not tangible objects but rather social

672 Gummesson, 2002b, S. 257. 673 Vgl. Gummesson, 2002b, 259ff. Zentrale Einfltisse seines Verstgndnisses sind hierbei neben den Arbeiten der IMP-Gruppe (zu deren organisationstheoretischer Ausrichtung siehe z. B. M611erund Wilson, 1995b, S. 600ft., oder Easton, 1992, S. 4ft.) zahlreiche Autoren und Arbeiten zu ,,virtual" oder ,,imaginary organization", ,,federative organization" oder ,,'Triple I' organization", ,,spider web organization", ,,starburst organization", ,,cluster organization" oder ,,team-based organization" (siehe auch Gummesson, 2002b, S. 257L) Aber es finden sich auch Beztige auf Badaracco, 1991, oder Weicks prozesstheoretische Wende (vgl. Weick, 1979). 674 Gummesson, 2002b, S. 258 und S. 277. In Bezug auf das ,,intellectual capital" spricht Gummesson dabei dann aueh von einer ,,knowledge-based organization" (S. 269). Und auch die ,,core competence" kann detailliert werden: ,,In order to exist in the long term, an imaginary organization must have a ,heart' - a core of competence (...). This core is usually a unique product or service, an ability to innovate, a unique marketing method or a financial strength. From that core, a texture of alliances and contacts can be woven, outsourcing is used to keep down the size but still have access to resources, and the boundaries of the organization fade away and merge with other organizations." (Gummesson, 1994b, S. 10s 67s Weick, 1979, S. 88; siehe ahnlich z. B. bei Gummesson, 1994b, S. 10s ,,Organizing requires continuous creation, transforming and maintenance of networks and amoeba-like, dynamic processes and organizational structures. (...) The concept of RM is related to the ongoing change in organizations." 676 Hakansson und Snehota, 1995, S. 19; siehe detaillierter auch S. 40; siehe ahnlich bei Gummesson, 2002b, S. 260, S. 271 s und S. 278: ,,The organization becomes a series of dynamic and coherent processes rather than a stable, compartmentalized hierarchy." 677 Hedberg et al., 1994, S. 16, nach Gummesson, 1996, S. 35.

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahrnen

113

constructs. ''678 Den Kern einer derart verstandenen Organisation bilden Charakteristika der ,,leader

company ''679, die

Grundlage

des

Ganzen

manifestiert

sich

in

,,collective

consciousness". 68~ f]ber das Spannungsfeld aus ,,adhocracy" und ,,bureaucracy" unterstreicht Gummesson, dass eine wissensbasierte Organisation beides in einer Art von ,,dynamic stability'' vereinen k6nnen muss. Die Dynamik sieht er extem wie auch intem ,,(...) governed by the same three mechanisms: competition, collaboration and regulations/institutions. ''681 Er spricht dabei dann vom ,,complete marketing equilibrium". 682 In einer weiteren metaphorischen Ann~iherung weitet er diese Vielfalt aus

tiber die Koexistenz einer

Organisation als Hierarchie, Matrix, multidimensionales Netzwerk, grenzenlose und amorphe A m r b e und Prozessorganisation. 683 Die Grenzen einer Organisation trod Untemehmung betrachtet er als unscharf, zum einen tiber die Einbettung einer Organisation in ihre Umwelt und zum anderen, da neben Mitarbeitern Zulieferer wie Teilzeit-Besch~iftigte oder Kunden (teil)integriert gedacht werden k6nnen. 684 In diesem Zusammenhang unterstreicht er den Wandel von der ausschlieBenden Organisation zum Netzwerk mit ,,(...) inclusive structure one that includes and unites. ''685 Netzwerke sind dabei nicht als ,,(...) average between market and hierarchy" zu sehen, sondern als ,,(...) unique type in itself. ''686 Eine ,,network governance structure" stiitzt sich dabei auf die jeweiligen Interessen der Akteure und nicht auf einer ,,(...) all-embracing economic rationality" 687

Organisationstheoretisehe Verortung dieser Arbeit Die Darstellung des organisationstheoretischen Fundaments dieser Arbeit erfolgt auf der Basis von paradigmatischem Fundament, Forschungsfrage und dem oben dargestellten Organisationsverst~Jadnis der marketingtheoretischen Verortung. Der Pr~ignanz halber soll es - wie schon in den vorherigen Abschnitten - in Gegeniiberstellung zum traditionellen, heil3t instrumentell gepr~igten Organisationsverstgndnis erfolgen. Und was charakterisiert nun das Organisationsverstandnis dieser Arbeit? Die folgenden AusRihrungen streben, eine anwendungsorientierte, d. h. betriebswirtschaftlich ausgerichtete Ann~herung an das Ph~tnomen Organisation und Organisieren an. Dabei sei natiJrlieh der

678 679 680 681 682 683

684 6s5 686 687

Gurrmaesson,1994b, S. 10. Vgl. Gummesson, 1996, S. 35. Vgl. Gummesson, 2002b, S. 271. Gummesson, 2002b, S. 279. Vgl. Gummesson, 2002b, Gtmunesson, 1997a, S. 422ff., Gummesson, 1996, S. 34ff. Wobei dies einhergeht mit einem ,,(...) shift from a mechanistic and linear paradigm to a paradigm characterised by complexity, chaos and non-linear, systemic interdependencies" (Gummesson, 2002a, S. 336). Vgl. Gummesson, 2002b, S. 261 und 267, Gummesson, 1996, S. 39, aber auch schon Gummesson, 1987a, S. 30ft. Gummesson, 2002b, S. 265. Axelsson, 1995, S. 121 und S. 124. Axelsson, 1995, S. 123s siehe auch Hakansson und Snehota, 1995, S. 40, Hakansson und Ford, 2002, S. 133f., MSller und Wilson, 1995b, S. 9f., Gummesson, 1991, S. 63 (mit Verweis auf Ford et al., 1986).

114

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

interpretativ-prozessorientierten Sichtweise der paradigmatischen Basis gefolgt. Die ,,interpretative Wende ''688, nicht zuletzt reflektiert durch eine deutlichen Ztmahme der Bedeutung einer interpretativen Sichtweise in der Organisationsforschung, insbesondere seit Beginn der 90er Jahre, 689 macht also auch vor dieser Arbeit nicht halt. Das traditionelle Paradigma 69~ folgte noch eher einer deterministischen, rationalistischen und entitativen Vorstellung. Dieser Mythos einer ,,(...) technokratisch-rationalistischen Plan- und Gestaltbarkeit von Organisationen sowie sozialen Prozessen mit Hilfe von Ftihrungsinstrumenten, Organisationshilfsmitteln, Struktureingriffen oder strategischen Programmen ''691 ist jedoch mittlerweile zunehmend entzaubert worden. 692 Nach Cyert und March sind Akteure in Organisationen weniger mit rationalem Entscheiden beschgftigt, als vielmehr mit dem Problem, mehrdeutige Ereignisse und Ereignisstr6me sinnhaft zu verstehen. 693 Neben kognitivistischen wird hierbei auch auf interpretative Konzepte zuriickgegriffen 694, werden tiber ein institutionelles Verst~ndnis (,,ein Untemehmen ist eine Organisation") 695 Organisationen als soziale Konstruktionen gesehen. Betont wird, dass Organisationsstrukturen sozial und nicht technisch konstruiert sind: ,,Organisationen konstituieren sich durch Kommunikation und Handeln (Interaktionen). Sie werden stiindig durch Kommunikation intersubjektiv interpretiert, auch neu interpretiert, und damit stabilisiert bzw. ver'andert. ''696 Es wird also davon ausgegangen, dass organisatorische Regeln interpretiert werden mtissen, um Handlungen an diesen ausrichten zu k6nnen. U m nun die Unterschiede in den Interpretationen der Regeln zu vermeiclen und ,, (...) eine !2Ibereinstimmung in den Interpretationen zu erreichen, wie sie f'ttr gemeinsames Handeln erforderlich ist, mtissen Organisationsmitglieder anhaltend miteinander kommunizieren. ''697 Damit wird deutlich, dass auch das Verstgndnis von Management und Wandel einer Reformulierung bedarf. In Summe versucht das organisationstheoretische VerstLndnis dieser Arbeit die Entstehung komplexer Organisationen von einer interpretativ, prozessorientierten und kontextsensitiven Sichtweise her zu begreifen. 698

688 Vgl. Reckwitz, 1997. 689 Siehe z. B. Walsh, 1995, S. 287f., oder auch Weik und Lang, 2001, S. vii. 690 Dem traditionellen Paradigma liegen - in Anlehnung an die Systematik von Dyllick (vgl. Dyllick, 1981) im Kern aufgabenorientierte, motivationsorientierte, entscheidungsorientierte und frtihe systemorientierte Ans~itzezugrunde. 691 Riiegg-Stiirm, 2001, S. 114. 692 Als zentral fiir diesen Wandel werden vielfach die Arbeiten von Simon und March bezeichnet (siehe z. B. Wetzel, 2001, S. 157, oder Rtiegg-Stiirm, 2001, S. 110) und deren, dem wissenschafllichen Leitbild des Behavorismus entgegengestellte, verhaltenswissenschaftliche Theorie von Entscheidung und Verhalten in Organisationen. Wurde in einem ersten Schritt das Rationalmodell des souver~inen, autonomen homo oeconomicus in Frage gestellt (vgl. March und Simon, 1976, S. 129ff.), folgte in einem zweiten Schritt auch die Zielrationalit~itvon Organisationen (vgl. Cyert und March, 1995), was schlieBlich zum sog. MiilleimerModell der Organisation fiihrte (vgl. Cohen et al., 1972). Siehe auch z. B. Pettigrew, 1990, S. 268s 693 Vgl. Cyert und March, 1995, S. 234f. 694 Vgl. Kieser, 1999b, S. 303. 695 Vgl. Walter-Busch, 1996, S. 1, oder Schrey6gg, 2002, S. 9ff. 696 Kieser, 1999b, S. 305; siehe auch Kieser, I998, S. 53. 697 Kieser, 1998, S. 50. 698 Vgl. Rtiegg-Stiirm, 2001, S. 117.

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahmen

From

115

.,.

9 9 . Abbildung 21: ,,Enactment theory,,699- orgamsatlonstheoretlsches Verst~indnisdieser Arbeit A u s g a n g s p u n k t der Darstellung des organisationstheoretischen F u n d a m e n t s dieser Arbeit (siehe Abbildung 21) 7oo sei der Wandel von ,,organisation" zu ,organising". Er bezeichnet die Abkehr davon, ,,(...) to treat ,the organization' as an identifiable entity, or unit o f analysis, w h i c h exists independently o f participants' activities and sediments (...) a s s u m e d to be held together b y 'organizational structures' - again - treated as independent o f participants ''7~ hin zu einer prozessualen Betrachtungsweise. Die prozessual-interpretative Perspektive der ,,enactment theory" beschreibt den Prozess des Organisierens in einem Modell der Organisation in ihrer B e w e g u n g u n d Vergndemng. Organisieren erfolgt fiber einen zirkul/iren mehrstufigen Prozess aus 6kologischem Wandel, ,,enactment ''7~

Selektion und Retention. 7~

Die Produktion stabiler Interpretationsmuster ffar mehrdeutige Vorlagen ist das, was st~ndig in Organisationen abl/iufl u n d was letztlich ihr ,,Ziel" ist. 7~ Nach Weick sind es dann regelm/igige Muster von zirkul~r ineinandergreifenden Verhaltensweisen, die die Struktur einer

699 Der Begriff der ,,enactment theory" soll den Bezug zur ,,Prozesstheorie des Organisierens" von Weick betonen, jedoch unter Anreichemng und Unterfatterung dutch Beztige aus Basistheorien (siehe Abschnitt 2.2.1, insbesondere FN 515), markefingtheoretischem Organisationsverst~indnis und der Theorie des organisationalen Lemens. 700 Analog zur marketingtheoretischen Verortung werden die als zentral erachteten Konzepte dabei nicht iiberlappungsfrei und trennschaft sein k61men. FOr Details sei auf die zugnmde liegenden, zentralen Quellen verwiesen. F~r die ,,enactment theory" siehe insbesondere Weick, z. B. Weick, 1979, bzw. Weick, 1998, und Weick, 1995, bzw. deren zusammenfassende Kommentierungen in Walter-Busch, t996, S. 243ff., Wetzel, 2001, S. 155ff., oder bei Hatch, 1997; far Aspekte des relational-prozessorientierten Zugangs siehe insbesondere Hosking, 1988, und Hosking und Morley, 1991, Dachler, 1992, und Dachler und Hosking, 1995, flit"Aspekte des organisationalen Lemens siehe Weick sowie insbesondere Schrey6gg, 2002, S. 483ff., und Schrey6gg mad Noss, 1995. 701 Hosking, 1988, S. 149. 7o2 Es sei in Hinblick auf Probleme einer angemessenen Obersetzung der Begriff des ,,enactment" wo m6glich beibehalten, ansonsten in Anlehnung an Rtiegg-Stfirm, 2001, S. 139, yon ,,Verfertigung" gesprochen. Die deutsche Ausgabe von Weick, 1979, tibersetzt ,,enactment" wenig treffend mit ,,Gestalten". 7o3 Vgl. Weick, 1998, S. 193ff. Unschwer ist zu Erkennen, dass Weick hier neben Ideen der Ph~inomenologie auch sozialwissenschaftlich angewandte Gedanken der Evolutionstheorie sowie der Systemtheorie verwertet (vgL Walter-Busch, 1996, S. 246). 7o4 In bewusster Provokation (vgl. Walter-Busch, 1996, S. 244) 16st sich Weick dabei yon der im Rationalmodell unterstellten Zielorientierung und kehrt den Gedanken an die Reihenfolge von Handeln und Denken urn: Handeln erfolgt 16sgel6st vom Denken, ist also nicht mehr dem Primat des Denkens unterworfen. In Weicks Worten: ,,Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich sehe, was ich sage?" (Weick, 1998, S. 196)

116

2. Dekonstrnktion - ,,root distinctions"

Organisation

bilden

und

festlegen,

wie

eine

Organisation

handelt

trod

aussieht. 7~

Koordiniertes Handeln modelliert er a u f der Grundlage des doppelten Interakts, fiber die Konzepte der kollektiven Struktur u n d der wechsclseitigen Aquivalenzstruktur. Der W a n d e l y o n ,, l e a d e r " z u ,, l e a d e r s h i p "

kntipfl an dieses prozessual-dynamische Verst~ind-

nis an. Traditionell wird organisationale Ftihrung entitativ und individualistisch verstanden: ,,Here the ,entity' is the leader; leadership being treated as a leader characteristic

whether

identifiable in what leaders do, or in their underlying characteristics. ''7~ Mit Hosking hingegen soll fdr das organisationstheoretische F u n d a m e n t dieser Arbeit F i i h n m g prozessual, partizipativ u n d pluralistisch gesehen werden, als ,,(...) processes in w h i c h influential 'acts o f organizing' contribute to the structuring o f interactions and relationships, activities and sediments; processes in which definitions o f social order are negotiated, found acceptable, implemented and renegotiated; processes in w h i c h interdependencies are organized in w a y s w h i c h (...) promote the values and interests o f social order. ''7~ Ftthrung entfaltet sich demnach

im

Prozess

des

Organisierens

und

kann

als

systemischer Ausdruck v o n

,,sensemaking", Legitimierung und Beziehungsgestaltung betrachtet werden. 7~ Im O r g a n i s a t i o n s - U m w e l t - Z u s a m m e n h a n g wandelt sich das Verstgndnis y o n ,, a n a l y s e s " ,,enacting",

yon

der

Annahme

einer

analysierbaren

Umwelt, 7~

vom

zu

praformierten

Entsprechungsverh~iltnis und der reinen Abhangigkeitsbeziehung einer ,,Fit-Idee ''71~ hin zur (inter-)aktiven Verfertigung der U m w e l t durch die Organisation(smitglieder): 7tt ,,(...) the environment is put there by the actors within the organization and b y no one else. ''712 Die U m w e l t einer Organisation wird dabei also nicht einfach als fraglos gegebene Entit~it begriffen, sondern sie wird aktiv von einer Organisation inszeniert, verfertigt im Sinne einer

70s Vgl. Weick, 1998, S. 131. Erst die dauerhafte gegenseitige Bedingtheit der Handlungen von prinzipiell austauschbaren Individuen unterscheidet die Organisation dabei von anderen kollekfiven PbAnomenen. Eine Organisation kann als Netz an verkn~pften Handlmagen gefasst werden (vgl. Wetzel, 2001, S. 165ff.). 706 Hosking, 1988, S. 152. 707 Hosking, 1988, S. 147, siehe ahnlich auch Hosking mad Morley, 1991, S. 240f. ,,Leaders" werden entsprechend definiert als ,,(...) those who ,consistently make effective contributions to social order, and who are expected and perceived to do so'." (S. 153 (mit Verweis auf Hosking und Morley, 1985)) 70s Dies steht in l)bereinstimmung mit Weicks Verstandnis einer prinzipiell handlungs- und gestaltungsf~ihigen, ,,selbstbewussten" Organisation, in der Organisationsmitglieder ein erhebliches Aktions- und Gestalttmgspotenzial besitzen. 709 Vgl. Daft und Weick, 1984, S. 287ff. 71o Vgl. Schreyrgg, 1985, S. 55f., Hatch, 1997, S. 76ff. 711 Vgl. Weick, 1998, S. 192, sehr ~ihnlichzu den Ausfiihrmagen von Gummesson (siehe oben): ,,Der Prozess der Verfertigung selbst sondert m6gliche Umwelten aus, welche die Organisation kl~iren mad ernst nehmen kann; aber ob sie es tats~ichlich tut, entscheidet sich im Prozess der Selektion. Die Grenzen zwischen Organisation und Umwelt sind niemals so eindeutig mad stabil, wie viele Organisationstheoretiker meinen. Die Grenzen verlagern sich, verschwinden mad werden in willkfirlicher Weise gezogen." 712 Weick, 1979, S. 28; siehe ~ihnlich auch bei Hatch, 1997, S. 89 und S. 93: ,,Today organization theorists recognize that uncertainty lies not in the environment (...) conditions in the environment cannot be separated from perceptions of those conditions."

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahmen

117

,,enacted environment". Sic forrnuliert aus einer solchen Perspektive also eher Output als Input Ftir Organisationen. 713 Die

gezielte

Ver~inderung

einer

Organisation,

das

Problem

der

Bewaltigung

des

organisatorischen Wandelprozesses steht bei den letzten beiden Punkten, der Forschungsfrage gem~iB, verst~irkt im Fokus. Den Ausgangspunkt formuliert der W a n d e l y o n ,, c h a n g e s "" z u ,,learning".

Traditionell wurden Aspekte von Verandemng und Wandel als planerisches

Problem begriffen, im Zentrum stand die Auswahl einer optimalen organisatorischen L6sung. Die Umsetzung wurde lediglich als eine Frage der korrekten Anweisung gesehen. 714 Aufsetzend auf Lewins organisatorischem )~-ademngsgesetz715 und dem hierbei zum Ausdruck kommendem Gleichgewichtsdenken modellierte der Organisationsentwicklungsansatz dann Wandel als den Sonderfall einer fest umschriebenen, stfrenden Episode an ,,changes", die rasch auf Beendigung des entstandenen Ungleichgewichts dr~.ngt. 716 Die fox das theoretische Fundament dieser Arbeit herangezogene Theorie des organisationalen Lemens 7~7 hingegen betrachtet Wandel als Normalfall, als endogen und Teil der die Organisation konstituierenden Prozesse. 71s Systemstabilisierung und koh~irente Weiterentwicklung setzen Ambivalenz gegentiber gemachten Erfahrungen voraus, die zentrale Herausforderung besteht dabei in der geeigneten Verbindung von Stabilit~it (Vertrauen) und Wandel (Misstrauen). 719 Der W a n d e l y o n , , p l a n s "" z u , , p o t e n t i a l s "

bezieht sich auf die Frage der Steuerung dieser

Wandelprozesse. Innerhalb des traditionellen wie des Organisationsentwicklungswandelkonzepts wurde davon ausgegangen, dass der gesamte Wandelprozess von auSen plan- und steuerbar ist. Der Bezug auf das Konzept des organisationalen Lernens hingegen ftJr diese Arbeit - im Einklang mit der interpretativen Perspektive des organisationstheoretischen

713 Vgl. Weick, 1998, S. 192 oder S. 197; siehe z. B. auch Rtiegg-St~rm, 2001, S. 140s Wobei Weick sp~iterin seinem Beitrag mit Daft den Fall der ,,enacted environment" auf eine von vier m6glichen Strategien der Umweltinterpretation einschranken, den Fall der als nicht-analysierbar angenommenen Umwelt und aktiver ,,organizational intrusiveness" (vgl. Daft und Weick, 1984, S. 288ff.; siehe auch den Kommentar hierzu bei Walter-Busch, 1996, S. 251). 714 Vgl. Schrey6gg, 2002, S. 483, Schrey6gg und Noss, 1995, S. 170s oder Pettigrew, 1990, S. 268f. 715 Vgl. Lewin, 1958, S. 210s trod das dort geschilderte Hom6ostasemodell der triadischen Episode (,,unfreeze change - refreeze") erfolgreichen Wandels. In gleichem Denken siehe das ,,punctuated equilibrium model of change", in dem organisatorischer Wandel zwischen langen stabilen Perioden und kurzen Ausbrtichen radikaler Ver~inderungen oszilliert (vgl. Abemathy und Utterback, 1978, oder Tushman und Anderson, 1986). 716 Vgl. Schrey6gg und Noss, 1995, S. 175, Rtiegg-Stiirm, 2001, S. 2611". 717 Als zentrale Perpektiven dienen dabei neben der kognitiven Perspektive (mit Bezug auf Weick) insbesondere die systemtheoretisch gepr~igte Perspektive mit Fokus auf Selbstorgainsationsprozesse (mit Bezug auf Schrey6gg). Fill" eine Diskussion dieser Ansatze trod ihrer zentralen VertreterInnen sowie den Entwicklungslinien des organisationalen Lemens siehe sehr sch6n bei Pawlowsky und Neubauer, 2001, S. 260ff. 718 Vgl. Schrey6gg und Noss, 1995, S. 178ff.; aber auch schon im Organisationsansatz von Weick findet sich der Verweis auf Wandel als eine Art, Wissen zu organisieren (Weick, 1998, S. 174). 719 Vgl. Weick, 1998, S. 194s und S. 293ff., Schrey6gg und Noss, 1995, S. I79f. -

118

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

Verst~indnisses - betont die begrenzte Steuerbarkeit von Systemen. 72~ Der gestalterische Schwerpunkt dieser als ubiquit~ir verstandenen Aktivit~it und Kompetenz verlagert sich auf die Potenzialebene, die Schaffung der Bedingungen der M6glichkeit, ,,[e]s handelt sich also eher um eine indirekte Prozesssteuerung". 721

2.3.3

,,Open innovating"-Konzept des Innovationsmanagements

Dieser Abschnitt sucht, in aller Ktirze und Prggnanz die theoretische Verankerung in dem dieser Arbeit zugrunde gelegten innovationstheoretischen Verstgndnis zu leisten. Bezug genommen sei dabei insbesondere anf die Darlegungen zur Innovationsforschung im Umbruch

(in

Abschnitt

2.1.3).

Der

prim~iren Verankerung

dieser

Arbeit

in

der

Marketingforschung g e m ~ ist dieser Abschnitt den beiden vorherigen nachgelagert. Aber auch, weil die innovationstheoretische Verortung sich nicht - wie im Relationship Marketing - auf einen etablierten und geeigneten theoretischen Ansatz beziehen kann, sondem auf Basis der vorhergehenden Grundlagen sowie aktueller Beztige zur Innovationsforschung agieren muss. Der Abschnitt zum Umbruch in der Innovationsforschung konnte verdeutlichen, dass die Entwicklung in Forschung und Praxis - mit zunehmender Vehemenz

in Richtung einer

ganzheitlicheren, integrierten Perspektive auf das Untemehmen wie sein Umfeld strebt, pr~ignant von Noss formuliert: ,,Innovationen werden immer mehr zu ubiquitaren Ph~knomenen, die sich im Zusarnmenspiel unterschiedlichster Akteure und Organisationen herausbilden, flieBende Aufgabenzuteilungen aufweisen und sich einer systemischen - wenn nicht inter-systemischen - Vemetzung verdanken. ''722 Diese gewandelte Rolle des Innovierens - begleitet von einem Wandel der Rolle des Marketings

manifestierte

schliel31ich die zentrale Forschungslticke, die diese Arbeit adressieren mtichte. War im Marketing hiermit jedoch im Kern schon das theoretische Verstandnis angedeutet und seine Detaillierung in Anlehnung an den ,,Nordic approach" des Relationship Marketing nur noch Formsache, gestaltet sich dies ftir das Innovationsmanagement schwieriger. Der Grund liegt darin, dass es in der lnnovationsforschung ans Sicht des Autors (noch) keine dem Relationship Marketing vergleichbare ,,general theory" gibt. 723 So gilt es also f'tir das

720 Vgl. Schrey6gg und Noss, 1995, S. 180f. 721 Schrey6gg und Noss, 1995, S. 181. Miihlbach, 2003, S. 34f., unterscheidet hier (mit einem vergleichbaren Organisationsverst/indnis) zwischen organisationalem und strategischem Wandel, um fOxletzteren (der anch bier gemeint ist) die Intentionalitat des gezielt angestoBenen Wandels zu betonen - im Kontrast zur Organisation in einem fortlaufenden Prozess des Werdens (und damit Wandels): ,,Gemeint ist, dass die privilegierte Wirklichkeitsordnung - sprich, das Selbstverstandnis einer Organisation - hinterfragt, reflektiert und verandert wird, um das langfristige 0berleben der Organisation zu sichern." (S. 35) Siehe auch z. B. Rtiegg-Stiirm, 2001, S. 262ff., oder Rtiegg-Stiinn, 2002a, S. 86f. 722 Noss, 2002, S. 45; siehe almlich z. B. auch Hauschildt, 2004, S. 13f., zur ,,postindustriellen Systemumovation", wo er darauf verweist, dass Irmovationen nicht mehr nur als irmerbetriebliches Entscheidungs- und Durchsetztmgsproblem industrieller Untemehmen gesehen werden, sondem in einem Netzwerk vielfliltiger Kooperationsbeziehungen erfolgen. 723 Genaugenommen gibt es noch nicht einmal einen wahrnehmbaren Versuch zur Entwickhmg einer derartigen integrierenden Theorie. Als Beispiel sei lediglich auf die noch nicht einmal begonnene Integration auf

2.3 Theoretische Verortung und konzeptioneller Bezugsrahrnen

innovationstheoretische

Verst~indnis

dieser

Arbeit

119

sich

aus

mehreren

Quellen

und

Teilbereichen die A n r e g u n g e n zu w~hlen u n d zu einem geeigneten F u n d a m e n t zu verdichten (siehe Abbildung 22).

Specific theory

Innovation Management

Open

/

Innovation

Innovation

L

Networks

NewService Development

1

$

~

l

Paradigm & tfleory filter

Paradigmatische Basisund organisationstheoretischeVemrtung dieser Arbeit

,,Theoretical" basis

,,Open innovating"-Konzeptdes Innovationsmanagement

J ! ]

Abbildung 22: Quellen des innovationstheoretischen Verst~indnisses Die klassischen Konzepte des Innovationsmanagements - insbesondere deutscher Pr/ignng liefem die theoretischen Grundlagen z u m M a n a g e m e n t des (Produkt-)Innovierens, in B e z u g auf

die

Vernetzung

mit

extemen

Partnem

durch

den

jilngeren

Strang

der

Innovationsnetzwerke erganzt. Ein erster Versuch diese beiden Perspektiven zu integrieren, zur Zeit allerdings noch im Kern popuRirwissenschaftlieh gepr~igt, ist das Konzept der ,,open innovation" von Chesbrough. I~Voer die H i n z u n a h m e der Forschung zur Innovation von Dienstleistungen soil die Ganzheitlichkeit a u f Leistungsebene erreicht werden. N u n kann eine direkte Integration all dieser Ans~itze f'tir diese Arbeit nicht gelingen, sind sie doch unisono von anderen paradigmatischen wie auch organisationtheoretischen Verst~ndnisses und Perspektiven geprhgt. 724 Hier gilt es also die Konzepte entsprechend (soweit m6glich und notwendig) zu tibersetzen und in den Kontext dieser Arbeit zu transferieren. Das Ergebnis soll dann als ,,open innovating"-Konzept bezeichnet werden. 725 Die Darstellung des innovationstheoretischen Fundaments dieser Arbeit a u f der gerade geschilderten Basis soil der Pr/ignanz halber in Gegentiberstellung z u m traditionellen Innovat i o n s m a n a g e m e n t - K o n z e p t erfolgen (siehe Abbitdung 23). 726

Leistungsebene hingewiesen. Auch wenn dies mittlerweile wenigstens schon z. T. erkannt wird (vgl. Hauschildt, 2004, S. 12), der Wille also formuliert ist, bleiben Dienstleismngen in der Forschung zum Innovationsmanagement immer noch konsequent auBen vor. 724 Siehe auch Abschnitt 2.2.3 zu den Gtitekriterien ftir diese Arbeit. Dort weist das Kriterium der ,,Kob~renz" darauf hin, nicht dem Versuch eines Eldektizismus tinter Ignoranz inkonsistenter Annahmen und paradigmatischer Grundlagen zu verfallen. Siehe ~ihnlich z. B. Walter-Busch, 1996, S. 37. Eine andere Position vertritt z. B. Sydow, 1992, S. 234, welm er ftir eine ,,ektekfische Theorie" zur Untersuchung yon strategischen Netzwerken pl~diert. 725 Die Bezeichnung soil Offenheit (nach innen wie auBen, ftir Produkte wie Dienstleismngen) wie auch Aktivit~tsorientierung fiber die Betonung des Irmovierens als Verb unterstreichen. Siehe atmlich z. B. Hosking, 1988, S. 148. Der Begriff des Konzepts hier, im Gegensatz zu den Theorien in den vorherigen Abschnitten, soll den noch unreiferen Stand der diesbezfiglichen Forschung betonen (zum Konzeptbegriff siehe z. B. Hatch, 1997, S. 10). 726 NatiJrlich werden die als zentral erachteten Konzepte dabei nicht iiberlappungsfrei und trennschaft sein kSrmen. Fiir Details sei auf die zugrunde liegenden, zentralen Quellen verwiesen, ffir ,,New Service Development" siehe Kfipper, 2001 und die dort aufgefiihrten Quellen, Gr6nroos, 2000b, lgr ,,Innovation

120

2. Dekonstruktion - ,,root distinctions"

[~fronl ..

Abbildung 23: ,,Open innovating"-Konzept - innovationstheoretisches Verst~ndnis dieser Arbeit A u s g a n g s p u n k t sei - ahnlich z u m organisationstheoretischen Verstandnis - ein Wandel von

,,innovation" zu ,,innovating". liegenden Innovation

instrumentellen als

Dem

traditionellen

Organisations-

diskontinuierlicher

und

Verst/indnis u n d

seinem

Managementverst~ndnis

Sonderfal1727

entitativ

und

zugrunde

gemat3

wird

individualistisch

konzeptionalisiert, der v o n Spezialisten b e w u s s t iniziiert wird und in F o r m v o n Projekten linearisier- u n d verstetigbar ist. 728 I m Verstandnis dieser Arbeit j e d o c h soll h m o v i e r e n prozessuat, partizipativ und pluralistisch verstanden werden, als alle Aktivit~tten institutionell gekoppelter S y s t e m e 729 zur E n t w i c k l u n g und Etablierung 73~ neuartiger 731 Zweck-MittelK o m b i n a t i o n e n 73z ~ r

die Gestaltungsfelder der innovierten Leistung 733. Angestrebt wird

Management siehe Hauschildt, 2004, Vahs und Burmester, 2002, fiir ,,Innovation Networks" siehe Ritter, 1998; nnd ftir ,,Open Innovation" siehe Chesbrough, 2003a, Piller, 2004. 727 Siehe bereits Schumpeter, 1931, S. 100, zum aus seiner Sicht notwendig diskontinnierlichen Charakter yon Innovation. Eine Gedanke, in fiberaus enger konzeptioneller Affinitgt zur grundlegenden Wandelperspektive der Organisationsentwicklung (vgl. Noss, 2002, S. 43), der dann in Folge vielfach aufgegriffen wurde. 72s Vgl. Noss, 2002, S. 44. 729 Der Begriffdes ,,Systems" (vgl. Seiffert, 1997, S. 168f.) erm6glicht hier, fiber seine Skalierbarkeit sowohl in Bezug auf Gr6ge wie auch Vemetznng von Sub-Systemen eine geeignete Breite abzudecken. Der Aspekt der Vemetznng ist durch den Bezug auf institutionelle Kopplungen noch betont. Betont ist auch die aktivitgtsbasierte Sicht, also der Bezug auf System-Aktivitiiten (analog zum marketingtheoretischen Verstandnis). 73o ,,Entwicklnng und Etablierung" sei hierbei verstanden in Anlehnung an ,,invention + exploitation" (vgl. Roberts, 1987, S. 3). Der Begriff der ,,Entwicklung" bezieht sich hierbei auf den gesamten (kreativen) Weg des Hervorbringens einer Innovation, jedoch noch olme (6konomische) Verwertung, intern oder extem. Die ,Etablierung" betont schlieglich, dass Innovieren in einen 6konomischen Kontext eingebnnden verstanden werden soll, also nicht zum Selbstzweck erfolgt, sondern eine Nutzbarmachung der Ergebnisse anstrebt nnd umfasst (siehe ~hnlich z. B. Hauschildt, 2004, S. 24f.). 731 Der Begriff ,,neuartig" bedeutet dabei eine Anderung der Art, nicht nur dem Grade nach. Die subjektive Dimension, d. h. fRr wen die Innovation neuartig sein soil, sei hier bewusst often gelassen, t3blich und denkbar sind das innovierende Untemetnnen oder z. B. auch die Branche (vgl. Hauschildt, 2004, S. 22ff.). 732 Ressourcen offerieren neue Mittel, Nachfrage wfinscht neue Zwecke. Es werden also neue Zwecke angestrebt nnd / oder neue Mittel(kombinationen) zur Erfiillnng von Zwecken angeboten. Nicht zuletzt wird hieriiber auch auf die in den 70er Jahren intensiv diskutierte Frage nach ,,technology pusW' vs. ,,market pull" wieder aufgegriffen und dem aktuellen Erkennmisstand gemgl3 integriert: ,,Erfotgreiche Innovationen beruhen auf einer Zusammenfiihnmg yon demand pull nnd technology push." (Hauschildt, 2004, S. I 1). 733 Der Aspekt der Gestaltungsfelder zielt darauf ab, dass Innovatieren nicht nut auf das traditionelle Gestaltnngsfeld der ergebnisorientierten Dimension abzielt, sondem (tiber die Hinzunahmen yon Dientleistungen) auch auf die Felder der potenzial- oder prozessorientierten Dimensionen (vgl. Schaller et al., 2004a, S. 1311".).

2.3 Theoretische Verortung nnd konzeptioneller Bezugsrahmen

121

hiermit auch - in Kombination mit dem organisationstheoretischen Verst~indnis - eine 12~berwindung der Dichotomie aus Regelbetrieb und Innovationssonderfall.TM In obiger Definition bereits angedeutet ist der mit der aktivitatsbasierten Sicht einhergehende W a n d e l v o n , , R & D "" z u ,, n e t w o r k s ", also von einer formal institutionalisierten und speziali-

sierten Innovationsabteiltmg hin zum Innovieren als unternehmenstibergreifende Querschnittsfunktion, von ,,closed innovation" zu ,,open innovation ''735, zur ,,democratization of innovation"736: ,,The locus o f innovation should be thought o f as a ,network' o f inter- (and intra-, Anm. d. Verf.) organizational relations. ''737 Im Kontext der interorganisationalen Netzwerke haben Ford et al. hier -

in Anlehnung an Weicks ,,Prozesstheorie des

Organisierens" - den Begriff der ,,interacted environment" geprhgt. 738 Er unterstreicht die Dynamik und das permanente Im-Werden-Sein der Verfertigung der auf Beziehungen in Netzwerken basierenden Umwelt - auch im Innovieren. Ging

die

Beziehungen

Forschung zur

zu

Innovationsnetzwerken

gemeinsarnen

Nutzung

noch

von

technologischer

technologie-orientierten

Ressourcen

aus, 739

dem

traditionellen Fokus des technologie-getriebenen Innovierens auf Produkte gem~il3, formuliert der W a n d e l v o n , , p r o d u c t s "

zu ,,solutions"

fftr diese Arbeit eine ganzheitlichere Sicht. Denn

letztlich mtissen auch Produktinnovationen immer -

und zunehmend intensiv -

im

Zusammenhang mit Dienstleistungsinnovationen gesehen werden (wie natttrlich auch umgekehrt). 74~ Insbesondere die konstitutiven Faktoren von Dienstleistungen741, wie z. B. die Intangibilit~it des Absatzobjektes Dienstleistungsfghigkeit und -bereitschaft und in der prozessorientierten

Dimension

die

Integration

eines

externen

Faktors

in

den

Leistungserstellungsprozess unter (zeitlicher) Synchronitat von Dienstleistungserstellung und

734 Siehe z. B. Osterloh, 1993a, Sommerlatte, 1988 nnd Gaitanides und Wicher, 1986 zum organisatorischen Dilemma der Organisation von Innovation, also des Zielkonfliktes zwischen operativer Stabilitat auf der einen Seite und innovativer Dynamik auf der anderen Seite; oder auch Galbraith, 1982, S. 6: ,,(...) organizations that want to innovate (...) need two organizations, an operating organization and an innovating organization." 735 Chesbrough, 2003a: ,,(...) the way we innovate new ideas and bring them to market is undergoing a fundamental change. (...) I believe we are witnessing a 'paradigm shift' (...) I call the old paradigm Closed Innovation. (...) a new approach, which I call Open Innovation, is emerging in place of Closed Innovation." (S. 33 nnd S. 37) Zum Begriff der ,,open innovation" siehe z. B. bei Piller, 2004, S. 23: ,,(...) the term open innovation characterizes an innovation system that is not performed solely internally within a firm, but which is performed in a cooperative mode with other external actors." 736 Vgl. Piller, 2004, S. 13 (mit Verweis auf Van Hippel, 2005 (geplant)). Wobei Van Hippel wie Piller die m6gliche Breite des Konzeptes einschrankennnd den Kernfokus auf ,,customers" als Netzwerkpartner legt. 737 Arora und Gambarella, 1990, S. 374; siehe hhnlich auch bei der IMP, z. B. in Hakansson, 1987, oder Hakansson, 1989. 738 Ford et al., 1986, S. 28. 739 Vgl. Ritter, 1998, S. lff. 740 Vgl. Schaller et al., 2004a, S. 155 (mit Verweis auf [Exp_030227], S. 25). Fragwiirdig erscheint hier die Gewohnheit des traditionellen Innovationsmanagements, Dienstleistnngsinnovationen mit Prozessinnovationen gleichzusetzen nnd dann gleichzeitig unter Prozessinnovationen im Kem innerbetriebliche Effizienzsteigertmgen zu verstehen (siehe z. B. Hauschildt, 2004, S. 1If., Hauschildt, 2002, S. 29). 741 Zu Definitionsans/itzen yon Dienstleistnngen siehe z. B. Corsten, 1985, S. 173, Meyer, 1998a, S. 6f., oder auch- mit einer in der Konsequenz etwas anderen Orientierung - Kleinaltenkamp, 1998, S. 34ff.

122

2. Dekonstruktion

,,root distinctions"

-inansprnchnahme durch den externen Faktor, 742 werfen hier m a s s i v neue Herausforderungen - aber auch M6glichkeiten - auf. 743 W i e kann das M a n a g e m e n t eines derartig verstandenen Innovierens verstanden werden? Der Wandel yon ,,promotors" zu ,, competencies" zielt a u f ein alternatives Ftihrungsverst~indnis

ab: V o m entitativen Verstgndnis und der eng a u f den Innovationsprozess bezogenen l~)berwindung individueller Widerst~ande durch herausgehobene Spezialisten TM zu Aktivitaten des Gestaltens und (Weiter-)Entwickelns des Innovationssystems und -netzwerkes. 745 W e n n Innovieren zu einem ubiquitgren Ph~inomen wird, das im Z u s a m m e n s p i e l unterschiedlichster Akteure u n d Organisationen vonstatten geht, fliel3ende Aufgabenzuteilungen aufweist u n d sich einer inter-systemischen Vernetzung verdankt, m u s s auch das Ftihrungsvert~indnis v o m analytisch-linearen Denken u n d der Illusion der deterministischen Planbarkeit Abstand nehmen. Dieser Aspekt versch~irft sich, w e n n das I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t den mit d e m Innovieren einhergehenden organisatorischen Wandel mit adressieren m6chte. Der A n s p r u c h w a n d e r sich hierbei - der enormen (Umwelt-)Komplexit~tten u n d den nur beschrgnkten M6glichkeiten ihrer B e w N t i g u n g gewahr 746 - z u n e h m e n d zu einer indirekten Beeinflussung des Innovierens tiber den Innovationskontext. 747 In konsequenter Fortfiihrung dieser Gedanken kann m a n das (Management-)Leitbild formulieren, Innovationsf~higkeit als ,,(...) generelles Entwicklungspotenzial bzw. als ,auf Dauer gestellte' W a n d e l k o m p e t e n z von Organisationen zu begreifen. ''748 Damit ist auch schon der letzte Punkt v o r w e g g e n o m m e n , narnlich der

Wandel von

,,dichotomy" zu ,,learning". Im traditionellen Verstandnis wurde ein separater Innovations-

kontext d e m operativen ,,Normalkontext" gegentibergestellt. D a m i t sind zwei Welten formuliert, die einander m e h r oder minder i n k o m m e n s u r a b e l gegentiberstehen] 49 Das innovationstheoretische Verst~ndnis dieser Arbeit sucht nicht zu negieren, dass Innovieren ein anderes oder besonderes M a n a g e m e n t h a n d e l n erfordern mag, sondern a u f der Basis des prozessual-dynamischen u n d pluralistisch-partizipativen Organisations- wie Innovationsver-

742 Vgl. Meyer, 1983, S. 15, Meyer, 1991, S. 198, Berekoven, 1974, S. 29, Maleri, 1973, S. 5, Kleinaltenkamp, 1998, S. 36 743 Siehe hierzu den Teilbereich der Dienstleistungsforschung, der sich mit eben jenen Besonderheiten des Innovierens von Dienstleistungen auseinandersetzt; z. B. Benkenstein, 1998, Cowell, 1988, Ebling und Janz, 1999, Gwyrme, 1999, Hart, 1998, Miles, 1994, Schwartz, 1984, Voss, 1992, oder aueh die zusammenfassendeDiskussion bei Schaller et al., 2004b, S. 132ff., oder bei Kfipper, 2001, S. 4. 744 Vgl. Hauschildt, 2004, S. 29f., Hauschildt, 2002, S. 5f., Noss, 2002, S. 44f. Zum Promotorenmodell siehe z. B. Hauschildt und Gemiinden, 1998, Hauschildt und Kirchmann, 2001, Walter, 1999, oder Witte, 1973b. 745 Siehe auch zum Wandel von ,,leader" zu ,,leadership" in Abschnitt 2.3.3, sowie z. B. Rfiegg-SgJtm, 2002a, S. 21s (mit Verweis auf Ulrich, 1984). 746 Zum einen wird vielfach betont ,,(...) that organizations are among the most complex systems imaginable" (Daft und Weick, 1984, S. 284 (mit Verweis auf Boulding, 1956)). Zum anderen hat sich auch das Organisations-Umwelt-Verh~iltnis gewandelt, siehe z. B. z. B. Hatch, 1997, S. 63ff., Schrey6gg, 1985, oder Daft und Weick, 1984. 747 Siehe gnmdlegend z. B. auch bei Kieser, 1998, S. 55. 748 NOSS, 2002, S. 45. 749 Vgl. Noss, 2002, S. 45, Osterloh, 1993a, oder Sommerlarte, 1988.

2.3 TheoretischeVerortungund konzeptionellerBezugsrahmen

123

st~ndnisses die obige Dichotonomie zu tiberwinden. Als strategisches Ziel des Managements von Innovieren sei dann die Entwicklung von Kompetenz des Lemens und Wandels des gesamten Innovationssystems und -netzwerkes verstanden: ,,Die Herausfordertmg ftir die Untemehmen besteht in immer deutlicherem Mage darin, Kompetenzen zu erwerben und auszubauen, die eine ,Normalisierung' der Produktion yon Neuem erm6glichen. Der aul3ergew6hnliche Fall kommt daher n~iher und rtickt st~irker als bisher in das Zentrum der Betriebswirtschaftslehre selbst. Zu seiner aktiven Gestaltung kann und wird ein reformuliertes Innovationsmanagementeinen entscheidenden Beitrag leisten.''75~

2.3.4

Theoretischer Bezugsrahmen

Dieser Abschnitt sei zwei Zielen geschuldet: Er soil zum einen noch einmal kompakt und integrierend die theoretische Verortung in Marketing-, Organisation- und Innovationsforschtmg zusammenfassen; zum anderen gilt es jedoeh auch dessen innere Konsistenz wie aueh Stimmigkeit mit der paradigmatischen Fundierung dieser Arbeit zu diskutieren wie auch anschliel3end seine Eignung ~ r die Forschtmgsfrage zu er6rtem. Einleitend sei Bezug genommen auf Forschungsinteresse und -frage. Wie kama der Wandel eines mittelstandischen Industrieunternehmens zur nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren gestaltet werden? Dies formulierte den Ansprueh, eine theoretische Verortung in der Marketing- (,,von Marketing") und Innovationsforschung (,,und Innovieren") zu suchen, auf Basis einer fundierten organisationstheoretisehen Basis (,,wie kann der Wandel", ,,zur nachhaltigen Integration gestaltet werden?"). Zusammenfassend sind die zentralen Konzepte dieser gesamten theoretischen Fundierung in Abbildung 24 dargestellt.

Abbildung24: TheoretischerBezugsrahmenim lAberblick

750 Noss,2002, S. 46.

124

2. Dekonstruktion- ,,rootdistinctions"

Der wissenschaftlichen Verortung dieser Arbeit in der Marketingforschung g e m ~ iJbernahm der theoretische Bezug auf die Marketingforschung die FiJhrungsrolle. Bezugspunkt bildet das Relationship Marketing nach dem ,,Nordic approach", partiell angereichert um Elemente des ,,interaction & network"-Ansatz der IMP sowie des ,,service marketing". Marketing sei als unternehmerische Denkhaltung verstanden mit Fokus auf Interaktionen in Netzwerken von Beziehungen. Intra- wie inter-organisatorische Beziehungen werden im ,,complete marketing equilibrium" integriert, Produkte wie Dienstleistungen in ,,resource elements". Das dort bereits angedeutete netzwerkorientierte, prozessual-dynamische Organisationsverstiindnis erfuhr Verfeinerung durch die Prozesstheorie des Organisierens nach Weick sowie relationaler und interpretativer Elemente aus der Sozialpsychologie des Organisierens nach Hosking und Morley sowie der Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann. Organisationen sind in einem permanten Prozess der Verfertigung begriffen, regelm~ige Muster zirkul~ ineinandergreifender Verhaltensweisen und Beziehungen bilden die (netzwerkartige) Struktur. Wandel sei als permanenter und endogener Prozess organisationalen Lernens verstanden. Das innovationstheoretische Verstiindnis dieser Arbeit ftigt sich in dieses Bild ein. In Anlehnung an Konzepte der ,,open innovation", des Innovierens in Netzwerken wie von Dienstleistungen wird lnnovieren prozessual-dynamisch wie pluralistisch-partizipativ und ganzheitlich verstanden. Der Ort des Innovierens wird als Netzwerk intra- wie inter-organisatorischer Beziehungen gesehen. Der Managementanspruch zielt auf das Innovationssystem, in Konsequenz auf die Entwicklung von Lern- und WandelKompetenz. Wie kann nun abschliel3end die Eignung dieses ,,theoretical framework" fiar die Forschungsfrage(n) dieser Arbeit beurteilt werden? Das Ziel der Arbeit formuliert der in der Einleitung gegugerte Anspruch, im Rahmen einer induktiven, theorie-generierenden Forschung einen Beitrag zu leisten beim Aufbau einer integrierten (neuen) Marketingtheorie. Die Einfiihnmg zu Abschnitt 2.3 verdeutlichte nun, dass dem theoretischen Rahmen hierbei dann die Rolle eines Vorverstgndnisses im Sinne einer ,,theoretical sensitivity" zukommt. Sie sollte argumentative Basis bieten krrmen, aber nicht zu elaboriert sein und der empirisch verankerten Theorieentwicklung dieser Arbeit vorweggreifen. Diesem Anspruch sei GeniJge getan. Die inhaltliche Eignung manifestiert sich im Kern auf Basis der ftir diese Arbeit relevanten Forschungslticken (siehe Abschnitt 2.1.6). Ihre zentralen Ansprtiche bezogen sich auf die gewandelten Rollen von Marketing und Innovieren, die gewandelte Formen der Integration und Perspektiven der Untersuchung erfordern. Und im Verstandnis der Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft galt es, den Umsetzungsfokus zu betonen. Unterstrichen wurde der netzwerk- und beziehungsorientierte, prozesshaft dynamische und holistische Charakter der neuen Rollen von Marketing und Irmovieren, den es nicht zuletzt tiber das theoretische Fundament geeignet zu adressieren gelte. Die Betonung eben jener charakteristischen Elemente stand demzufolge im Vordergrund der Entwicklung dieses Rahrnens und finder sich dementsprechend prominent in allen Teil-Theorien. Die in das organisationstheoretische Verstgndnis integrierte Theorie der lernenden Organisation sucht zus~itzlich den Umsetzungsfokus zu unterf'tittern. Naheliegenderweise konnte dieser

2.4 Zusammenfassungder ,,root distinctions"

125

Abschnitt die z. T. recht komplexen theoretischen Verst~indnisse nur skizzieren, zur Vertiefung sei auf die jeweils angegebene Basisliteratur verwiesen. Als argumentative Basis zu bew~ihren hat sich der theoretische Bezugsrahmen nun im weiteren Verlauf der deskriptiven und interpretativen Auseinandersetzung mit der Empiric dieser Arbeit. 2.4

Zusammenfassung

tier ,,root distinctions"

Mit diesem Kapitel erfolgte der Bezug zum Stand der Forschung und im Kontext aufsetzend der Aut'bau des paradigmatischen und theoretischen Bezugsrahmens dieser Arbeit. Die fiar das Kapitel gew~thlte Oberschrift unterstrich - in Anlehnung an die Theorien der Postmodeme und des Dekonstruktivismus 751 - die interpretative und narrative Dimension der kritischen Auseinandersetzung mit bestehenden Diskursen und Theorien im Kontext von Forschungsinteresse und -frage. ,,Root distinctions" sollten Klarheit darfiber schaffen, von welchen grundlegenden Prgmissen paradigmatischer und theoretischer Art sich der Forschungs- und Theorieentwicklungsprozess dieser Arbeit aus entfaltet. Paradigmen als ,,basic sets of belief" stehen dabei einer Evaluation in Bezug zueinander nicht often, Angemessenheit und Eignung eines zu wahlenden Paradigmas stehen im Vordergrund. 752 Ausgangs- und Orientierungspunkt bildete denmach die breite Er6rterung der Diskurse zu Forschungsinteresse und -frage, eingebettet in die Entwicklungen in den Mutterdisziplinen von Marketing und Innovationsmanagement. Im interdependenten Zusarnmenspiel zu w~ihlen waren auf dieser Basis dann die (uni-)paradigmatische Ausrichtung dieser Arbeit 753 und die einhergehende substanztheoretische Verortung als ,,theoretical sensitivity''754 des weiteren induktiv-empirischen Konstntktionsprozesses. Der Forschungsprozess in diesem Kapitel vollzog sich dabei in zwei Phasen. Die erste Phas e suchte zwei Aspekte zu leisten: die Einbettung des Forschungsinteresses in den Kontext von kritischer Subjektivitgt755 und Pilotstudien sowie die kritischen wie fundierten Diskussionen der Entwicklung in Marketing- und Innovationsforschung, insbesondere - auf Basis einer breit angelegten, systematischen Literaturrecherche - mit Bezug auf Forschungsinteresse und -frage. Die Ergebnisse vermochten gleichermaBen von ausgepr~igt hoher praktischer wie theoretischer Relevanz zu zeugen wie auch - v o n unreflektiert tibemommenen, zuvor dekonstruierten ,,hidden assumptions" der Mutterdisziplinen gepragt - yon Theorielosigkeit, Methodenhegemonie und Praxisfeme (in beiden Diskursen). Ver6ffentlichungen der jiingeren Vergangenheit deuteten thematische Ausweitung und Offnung an, diese Kritikpunkte zu tiberkommen. Als Kemthese der Arbeit wurde mit Bezug zu einem Konferenzbeitrag des

75t Vgl. Weik und Lang, 2003, S. 105ff., Schreyfgg und Koch, 1999, S. 7ff. (mit Verweis auf Derrida, 1974 und Derrida, 1988). 752 Vgl. Guba und Lincoln, 2000, S. 108, R(iegg-StiLrm,2001, S. 17. 753 Vgl. Scherer, 1999, S. 19ff., Hatch, 1997, S. 7f., Burrell tmd Morgan, 1979, S. 22. 754 Vgl. Strauss und Corbin, 1996, S. 56f., Strauss, 1984, S. 6. 755 Vgl.Reason, 1988, S. 12ff., Lamnek, 1995a, S. 26, Miiller, 1979, S. 10.

126

2. Dekonstruktion- ,,root distinctions"

Autors zusammen mit Koautoren des Lehrstuhls 756 - propagiert, dass mit den gewandelten Rollen von Marketing und Innovieren gewandelte effektive Formen der Integration einhergehen. Deren netzwerk- und beziehungsorientierter, prozesshaft dynamischer und holistischer Charakter erfordert f/Jr eine wissenschaftlich fundierte Betrachtung gewandelte Perspektiven i. S. v. ,,root distinctions". Umsetzungsfokus im Sinne einer angewandten Betriebswirtschaftslehre komplettierte die zu adressierenden ForschungsliJcken. Die zweite Phase suchte hierauf aufsetzend das Fundament der ,,root distinctions" aus wissenschaftstheoretischer, methodologischer und substanztheoretischer Verortung, koh~irent und ,,bottom up" zu entwickeln. 757 Gefordert war - i m Kontext von Forschungsziel, -frage und -liicken - ein Paradigma, das kontexterhaltendes, offenes, reiches, dynamischprozessuales und holistisches Verstehen stiitzt. Gew/ihlt wurden ein interpretativ-relationales Paradigma und einhergehend die methodologische Einbettung in der qualitativen Sozialforschung. Einer Diskussion der Folgen f'tir den wissenschaftlichen Erkermtnisprozess folgte die Entwicklung von Giitekriterien als Referenzpunkt ftir die Qualit~t dieser Arbeit. Hierauf in paradigmatischer Koh~trenz758 aufsetzend folgte die explizit-reflektierende Auseinandersetzung mit einer fruchtbaren Basis an theoretischem Vorverstandnis, zusammengefasst in einem integrierten konzeptionellen Bezugsrahmen. Als marketing-, organisations- und innovationstheoretische Verstgndnisse gewLlalt wurden eine ,,relational network"-Theorie in Anlehnung an den ,,Nordic approach" des Relationship Marketing, 759 eine ,,enactment theory" als organisationstheoretisches Verstandnis unter Bezug zur ,,Prozesstheorie" von Weick 76~ und Theorien des organisationalen Lernens 761 und ein ,,open innovating"-Konzept offen-netzwerkartigen, ganzheitlichen Innovierens762. Ein konzeptioneller Bezugsrahmen, als Basis far den weiteren Forschungs- und Theorieentwickungsprozess, integriert diese substanztheoretischen Verortungen als ,,theoretical sensitivity". In Summe wurde im Rahmen des Forschungsprozesses dieses Kapitels fiber die ,,root

distinctions" die paradigmatische und theoretische Basis gelegt ftir die ,,empirical journey" im nachsten Kapitel und die interpretierende Theorieentwicklung der ,,disciplined integration" im Anschluss. (Relationship-)Marketingforschung und ForschungsliJcken formulieren die relevanten Bezugspunkte fiir die zu gewirmenden Erkermtnisse und die Zielsetzungen dieser Arbeit.

756 Vgl. Schaller et al., 2003a. 757 Vgl.Maxwell, 1996b, S. 25, Miles und Huberman, 1994, S. 18. 758 Kol~'renz im Sinne einer intemen Stimmagkeit formuliert eines der ffinf entwickelten G~tekriterien der Arbeit; siehe ~ihnlichz. B. Cassell, 2004, S. lf., Mayring, 1996, S. 104ff., Miles und Huberman, 1994, S. 278, oder Mfihlbach,2003, S. 23. 759 Vgl. Gummesson,2002b, Gummesson,2002a, Gummesson, 1999. 760 Vgl. Weick, 1998, Weick, 1995, Weick, 1979. 761 Vgl. Weick (siehe FN 760) und Schrey6gg, 2002, Schrey6ggund Noss, 1995. 762 Vgl.Noss, 2002, Chesbrough,2004, Piller, 2004, SchaUeret al., 2004a.

3. Rekonstruktion- ,,empiricalj ourney"

3.

127

Rekonstruktion - ,,empirical journey"

0-berdeutlich wurde im vergangenen Kapitel, dass Forschungsinteresse und -frage dieser Arbeit ein prominentes Thema formulieren, groBe Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis genieBen. Nur zu deutlich wurde jedoch auch, dass der in der Betriebswirtschaftslehre vielfach beklagte Graben zwischen Theorie und Praxis ~ r den Stand der Forschung zum Forschungsinteresse auf Basis der zentralen Kritikpunkte der Theorielosigkeit, Methodenhegemonie und Praxisferne bisher nur bedingt geschlossen werden konnte. Dabei zeigen aktuelle Entwicklungen, dass sich das Thema bedeutender und aktueller denn je gibt. Die auf dieser Basis abgeleiteten ForschungsRicken, die diese Arbeit zu adressieren sucht, reflektieren diese Entwicklungen: Gewandelte Rollen von Marketing und Innovieren erm6glichen und erfordern gewandelte Formen der Integration, die es tiber gewandelte Perspektiven und mit Umsetzungsfokus zu erforschen gilt. 763 Die zentrale Forschungsfrage nach der Gestaltung von Wandel f'tir ein mittelst~ndisches lndustrieunternehmen zur nachhaltigen Integration yon Marketing und Innovieren ftigt sich in dieses Bild. Grundlegendes Ziel dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer explorierend-induktiven, theorieentwickelnden Forschung einen Beitrag zu leisten beim Aufoau einer integrierten (neuen) Marketingtheorie. Die in der paradigmatischen Verortung bereits entworfene alternative Perspektive und die Berticksichtigung von Umsetzungsfokus und gewandeltem theoretischem Verst~indnis von Marketing, Innovieren und Organisation schlagen sich auch in diesem Kapitel nieder. So gilt es den Prozess der Theorieentwicklung in direkter Bezugnahme zum Forschungsfeld zu leisten, also in der Empirie begriindete, reiche Theorien zu entwickeln. 764 Aus der Sicht der paradigmatischen Basis dieser Arbeit bedeutet Theoriebildung, gewachsene Alltagstheorien und Wirklichkeitsordnungen und vor allem Beziehungs- und Kommunikationsprozesse, in denen diese Wirklichkeitsordnungen verfertigt, reproduziert und transformiert werden, mit Hilfe yon Sprache zu rekonstruieren und zu explizieren. 765 Es geht also darum, kontextabh~ingige Wirklichkeitsordnungen und deren Wandel zu rekonstruieren, deren Kontingenz sichtbar zu machen und damit schlieBlich neue Handlungsoptionen zu erschlieBen.766 Trotz des hochgradig iterativen und vemetzten Charakters des Theorienentwicklungsprozesses muss die Darstellung dieser Arbeit sich nattirlich einer linearen Form beugen. In Anlehnung an Van Maanen wurde fiir die textuelle Darstellung deshalb ein zweistufiges

763 Siehe hierzu im Detail Abschnitt 2.1.6. 764 Nicht zuletzt wird auf Basis der dichten Beschreibung reicher Theorie vielfach die h6here Akzeptanz derart entwickelter Theorien in der Praxis betont; siehe z. B. Miles und Huberman, 1994, S. 10. 765 Siehe auch bei Lanmek, 1995a, S. 25 (Herv. i. Orig.): ,,Diesen Konstitutionsprozess von Wirklichkeit zu dokumentieren, analytisch zu rekonstruieren und schlieBlich durch das verstehende Nachvollziehen zu erkl~iren, ist das zentrale Anliegen einer qualitativen Sozialforschung und der sie begrfindenden interpretativen Soziologie." Siehe ahnlich auch S. 35ff. 766 Vgl. Rfiegg-Stittm, 2002b, S. 14f.

128

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

Design gew~ihlt. So widmet sich dieses Kapitel der Rekonstruktion der ,,first-order conceptions", also der Ph~inomene der sozialen Realit~it und ihre lnterpretationen der Sicht der Beforschten in deren Alltagsbegriffen erster Ordnung. 767 Erst in Kapitel 4 werden dann ,,second-order conceptions", gegenstandsbezogene und schlieBlich partiell verallgemeinerte Theorien entwickelt. 768 Der Rekonstruktion der ,,first-order conceptions" vorgeschaltet ist die methodische Rekonstnaktion, um (den Gtitekriterien gem~if3) Forschungsstrategie, -ansatz und -design transparent zu machen (Abschnitt 3.1). Auch die zentrale Forschungsfrage wird dort abschliel3end einer Detaillierung unterworfen werden (Abschnitt 3.1.4). Die wichtige kontextuelle Einbettung in Bezug auf Industfie und Mittelstand sucht Abschnitt 3.2 zu leisten. Kemsttick ist dann die erwghnte prozessuale Rekonstruktion der Longitudinalforschung bei Michael Huber Mtinchen, fiber den engeren Untemehmenskontext (Abschnitt 3.3.1), die Explorationsphase des Teilprojekts ,,Service Excellence" (Abschnitt 3.3.2) hin zur Vertiefungsphase des Teilprojekts ,,REMIX" (Abschnitt 3.3.3). Erste Ans~itze zur lSPoerleitung zu Kapitel 4 finden sich in Abschnitt 3.3.3.4. Die ,,empirical journey" wird in Abschnitt 3.4 schliel31ich tiberblicksartig zusammengefasst.

3.1

Methodische Rekonstruktion

A u f Basis der identifizierten Forschungslticken und in l]bereinstimmung mit der paradigrnatischen Fundiertmg wurde die qualitative Sozialforschung als Methodologie gewghlt. So vielversprechend far diese Arbeit ihre Charakteristika sind, so wenig ist damit jedoch noch ausgesagt, Ftihrt man sich die Heterogenit~it unter das qualitative Paradigma subsummierbarer Methoden oder Forschungsans~itze vor Augen. Die Gtitekriterien berficksichtigend gilt es der eigentlichen empirischen Rekonstruktion demnach eine methodische Rekonstruktion explizierend vorzuschalten. Sie widmet sich dabei der Fragen hinsichtlich Forschungsstrategie 769 (Abschnitt 3.1.1), Forschungsansatz 77~ (Abschnitt 3.1.2) sowie Forschungsdesign 771 (Absclmitt 3.1.3).

767 Vgl. Van Maanen, 1983, S. 50, Lanmek, 1995a, S. 139. 768 Vgl. Van Maanen, 1983, S. 39ff., Glaser und Strauss, 1998, S. 41ff. 769 Unter Forschungsstrategie sei hier im Wesentlichen die Wahlentscheidung hinsichtlich Prtif- oder Konstruktionsstrategie emprischer Forschung bezeichnet (vgl. Kubicek, 1977, S. 6ff.), sowie i. S. eines Verst~indnisses von Strategie als Handlungsprogramm (Corsten, 1998, S. 3) aueh erste konzeptionelle Detaillierungen. 770 Unter Forschungsansatz sei hier - auf der Basis des vorgegebenen Forschungsparadigmas ,,(...) eine vielschichtige methodische Vorgehensweise" (Hartfiel, 1982, S. 160) bezeichnet, ohne selbst konkrete Erhebungstechnik zu sein (vgl. Lamnek, 1995b, S. 5). 771 Das Forschungsdesign bezieht sich auf das in Abschnitt 1.3 eingeflihrte Modell (siehe Abbildung 2) und konkretisiert bier das untere Dreieck, also die Teile ,,methods" und ,,validity", gefolgt von den ,,research questions" in Abschnitt 3.1.4.

3.1 Methodische Rekonstruktion

129

A u f dieser Basis kann dann auch die eingangs bereits vor-formulierte Forschungsfrage geeignet detailliert werden (siehe Abschnitt 3.1.4). 772

3.1.1

globale

Theorieentwickelnde Forschungsstrategie der Empirie

Mit langer Tradition bereits wird in der Betriebswirtschaftslehre der Graben zwischen Theorie und Praxis beklagt. 773 Diese Arbeit sucht (ira Spannungsfeld zwischen Brewsters Konfliktmodell und Barnards Toleranzprinzip) eine komplementgre Beziehung zwischen Theofie und Praxis. 774 Beim Verh~iltnis zwischen gelehrter Theorie und bew~hrtem Wissen yon Praktikern sei also angestrebt, dass die beiden Wissensarten als gleichwertige Partner miteinander dialogisch kommunizieren. Dialogisehes Verstehen im Zusammenspiel mit dem Beforschten als Dialogpartner steht auf der zugrunde gelegten paradigmatischen Basis also im Vorder~"und. 775 Und wenngleich qualitative Sozialforsehung grunds~itzlich auch theorieprtifendes Vorgehen m6glich scheint 776, liegt vielfach betont eine ihrer zentralen St~ken, die ~ r diese Arbeit auch genutzt werden soll, in der empifisch-fundierten Theofieentwicklung. 777 Kubicek nennt dies in seinem fr~hen und wegweisenden Beitrag die ,,Konstruktionsstrategie empirischer Forschung" und konfrontiert sic mit der vorherrschenden ,,Prfifstrategie empirischer Forschung". 778 A u f der Basis grundlegender Annahmen der betriebswirtschafllichen Forschung, wie einem pragmatischen Wissenschaftsziel als M ~ s t a b mr wissenschaftlichen Fortschritt, 779 lautet seine zentrale These, ,,(...) dass die Prtifstrategie empirischer Forschung einem derart gefassten wissenschaftlichen Fortschritt von ihrer grunds~itzlichen formal-verfahrenstechnischen Orientierung her wenig f6rderlich ist und in ihrer Anwendung in der Forschungspraxis sogar hinderlich ist. ''78~ Sinnvoller scheint es aus seiner Sicht, die Konstnaktion

wissenschafllicher Aussagen

empirischer Forschung -

-

im

Sinne

einer

Konstruktionsstrategie

als einen von theoretischen Absichten geleiteten und auf

772 In Anlehnung an die Aus~hrungen Maxwells zu ,,generalizing questions and particularizing questions": ,,(...) qualitative studies often employ small samples of uncertain representativeness, and this usually means that the study can provide only suggestive answers to any question framed in general terms (...) [but] a qualitative study can confidently answer a question posed in particularizing terms" (Maxwell, 1996b, S. 55). D. h. fiir die Detaillierung der Forschungsfrage gilt es, den Kontext des ,,sampling approach" (aus den Abschnitten 3.1.2 und 3.1.3) dieser Arbeit geeignet zu berficksichtigen. 773 Siehe z. B. bei Walter-Busch, 1996, S. 36f.: ,,Dieser Graben wurde beklagt, schon lange bevor die Akademisierung und Verwissenschaftlichung kaufi'o_annischenund administrativen Praktikerwissens im Rahmen der Handelshochschulbewegung ernsthaft einsetzte." 774 Zu Brewsters Konfliktmodell vgl. Larson, 1941, S. 44; zu Barnards Toleranzprinzip vgl. Barnard, 1939/40, S. 304f. Allgemein zum Theorie-Praxis Verh~iltuis, siehe z. B. Walter-Busch, 1996, S. 36ff., ~hnlich auch bei Weick, 1989, S. 521. 775 Siehe Abschnitt 2.2.2 Tabelle 2. 776 Vgl. Miles und Huberman, 1994, S. 10, oder Maxwell, 1996b, S. 33. 777 Siehe z. B. Lamnek, 1995a, S. 223ff., Walter-Busch, 1996, S. 53, Maxwell, 1996b, S. 21. 778 Vgl. Kubicek, 1977, S. 5ft. 779 Vgl. Kubicek, 1977, S. 5 und S. 7. 780 Kubicek, 1977, S. 7.

130

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

systematischem Erfahrungswissen basierenden Lemprozess zu begreifen, der sowohl die Gewinnung von Erfahrungswissen als auch seine kreative Umsetzung in theoretische Aussagen problematisiert. %1 Er betont, dass es hierfiir jedoch noch kein geschlossenes System an Prinzipien, Kriterien und Techniken gebe 782 und sucht selbst einen ,,Orientierungsrahmen ftir die erfahnmgsgesttitzte Konstruktion wissenschaftlicher Aussagen" zu entwerfen. 783 Auf der Basis theoriegeleiteter Fragen und einem entsprechend angelegten Forschungsdesign betont er den induktiven und iterativen Charakter, Erfahrungswissen als Dialog unter emanzipierten Subjekten in realen Problemsituationen zu gewinnen und schlieBlich allgemeine Aussagen tiber die Realit/~t im Sinne erfahrungsgestiatzter Theorie zu erm6glichen. Unschwer ist das Gedankengut von Glaser und Strauss und deren ,,grounded theory"-Ansatz zu erkennen. Grtmdlegendes Ziel dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer explorierend-induktiven theorieentwickelnden Forschung einen Beitrag zu leisten beim Aufbau einer integrierten (neuen) Marketingtheorie. 784 Die Arbeit orientiert sich dabei an einer Konstruktionsstrategie im Sirme von Kubicek. Der Aufforderung von Miles und Huberman, ,,[w]e advise you to look behind any apparent formalism and seek out what will be useful in your own work", sei gefolgt, und ein eigener kombinierter Ansatz entworfen. Die Grundlage bilden zwei interpretativ ausgerichtete, aber im Detail wenig elaborierte Ans~itze: Van Maanens Stufenkonzept der Theoriekonstruktion785 und hierauf aufsetzend Weicks Konzept der ,,disciplined imagination''786. Abgerundet und insbesondere hinsichtlich der Methoden im Prozess der Theorieentwicklung detailliert (siehe Abschnitte 3.1.3.3 und 3.1.3.4) wird dieses Fundament tiber die Anlehmmg an eine mit der paradigmatischen Ausrichtung konsistenten Auslegung des ,,grounded theory"-Ansatzes von Glaser und Strauss. 787 Van Maanens Ausfiihrungen, auf ethnographische Forschung (im Sinne teilnehmender Beobachtung788) in Organisationen bezogen, vermag eine gute erste Grundlage schaffen. Zuvorderst und zentral unterscheidet er zwischen ,,(...) an informant's first order conception of what is going on in the setting and the researcher's second-order conceptions of what is

7sl Vgl.Kubicek, 1977, S. 12f. 7s2 Diese Kritik f'mdet sich in Bezug auf die qualitative Sozialforschunghinsichtlich konkreter Methoden und Techniken (insbesondere hinsichtlich der Datenanalyse und -interpretation) bald 20 Jahre sp~iter erstaunlicherweiseimmer noch: ,,Clearly, we still lack a bank of explicit methods to draw on." (Miles und Huberman, 1994, S. 2) 783 In Abgrenzung zur Priifstrategie schl~gt er mehrere Namen vor: ,,Konstrttktionsstrategieempirischer Forschung", ,,Explorationsstrategie"oder ,,aufgeklarten konstruk~ivenEmpirismus" (vgl. Kubicek, 1977 , S. 13). 7s4 Sieheauch Abschnitt 1.2 bzw. 2.1.2 zur Entwickhmgin der Marketingforschung. 7ss Vgl. VanMaanen, 1983. 786 Vgl. Weick, 1989. 787 Vgl. Charmaz, 2000, Glaser und Strauss, 1967. 788 Auch wenn ethnographischeForschung auf einer breiteren Ebene nattirlich umfassender verstanden werden kann als auf eine einzelne Methode bezogen (vgl. Van Maanen, 1983, S. 38 und S. 52 Notes 1).

3.1 Methodische Rekonstruktion

131

going on. ''789 ,,First order concepts" beschreiben die ,,Fakten" einer ethnographischen Untersuchung, sowohl in Form von ,,descriptive properties" oder in Form von ,,(...) interpretations used by members of the organization to account for a given descriptive property." ,,Second order concepts" sind darm die ,,Theorien", die der Forscher verwendet, um jene ,,Fakten" zu organisieren und zu erkl~en. Sie kOnnen mit den ,,first-order interpretations" der Beforschten tibereinstimmen, werden aber mit theoretisierenden Ambitionen eher Interpretationen dieser Interpretationen darstellen. 79~ Eine Detaillierung erfolgt hinsichtlich der analytischen Unterscheidung der ,,first-order concepts" in ,,operational" und ,,presentational" Daten. Diese Unterscheidung zwischen ,,fact and fiction" liegt in der Verantwortung des Forschers, ,,(...) to see and understand what is ocurring within the informants' framework. ''791 Der Forscher muss auf dieser Basis kontinuierlich die ,,believability" der sprach-basierten Informationen in Frage stellen. Van Maanen betont, dass Analyse und Verifikation nur im Feld stattfinden krnnen, ,,(...) where one has the opportunity to check out certain bits of information across informants and across situations." Er unterstreicht zudem den fliegenden Charakter derart in Langzeitstudien gewonnener Theorien. 792 Ein erster Schritt diesen Ansatz ffttr diese Arbeit geeignet zu detallieren soil in Anlehnung an Weicks Ansatz zur Theoriekonstruktion als ,,discplined imagination" erfolgen. 793 Sein Ausgangspunkt ist, dass ,,[t]heory cannot be improved until we improve the theorizing process, and we cannot improve the theorizing process until we describe it more explicitely, operate it more self-consciously, and decouple it from validation more deliberately. ''794 Es geht also im Kern darum, sich als Forscher explizit und reflektierend mit seinem Prozess der Theoriegewinnung auseinander zu setzen wie auch sich der ,,tradeoffs ''795 gewahr zu werden. 796 Unter Theorie soll ffir diese Arbeit mit Weick in Anlehnung an Sutherland verstanden werden, ,,(...) an ordered set of assertions about a generic behaviour or structure assumed to hold throughout a significantly broad range of specific instances". 797 Weick diskutiert bestehende Arbeiten, die sich mit dem Thema der Theoriekonstruktion auseinander gesetzt haben und kritisiert, dass sie meist unpraktikable und zu fokussierte Ans/~tze linearen Problemlrsens propagieren. Mit Bourgeois betont er, dass ,,(...) the process continuously

789 790 791 792 793 794 795

Van Maanen, 1983, S. 39. Vgl. VanMaanen, 1983, S. 40. Van Maanen, 1983, S. 50. Vgl. VanMaanen, 1983, S. 51f. Vgl. Weick, 1989. Weick, 1989, S. 516. Weick bezieht sich hier auf Thorngates ,,impostulate of theoretical simplicity" der Unmtiglichkeit einer Beschreibung sozialen Verhaltens, die zugleich ,,general", ,,accurate" und ,.simple" ist (vgl. Weick, 1999, S. 800ff.). 796 In einem sp~iteren Beitrag setzt sich Weick mit diesen beiden Aspekten im Detail auseinander: ,,If theory construction in 1989 was partly an exercise in disciplined imagination, the theory construction in 1999 is partly an exercise in disciplined reflexivity." (Weick, 1999, S. 803) 797 Sutherland, 1975, S. 9 (nach Weick, 1989, S. 517).

132

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

should weave back and forth between intuition and data-based theorizing and between induction and deduction. ''79s Weick entwirft hierauf aufsetzend - selbst ein Prozessmodell der

Theorieentwicklung,

den

evolutionaren

Charakter

betonend.

Zentrale

Elemente

formulieren ,,thought trials", die es m~Sglichst heterogen zu gestalten gilt, und ,,selection criteria" fiir diese interpretierenden und theoretisierenden Gedankenwege, die selbstreflektierend m6glichst divers zu gestalten sind. 799 Er unterstreicht Plausiblit~it als Substitut for Validitat (ira traditionellen Sinne). Weiter zu detaillieren als Basis far diese Arbeit vermag die Ans~ttze von Van Maanen und Weick der von Glaser und Strauss entwickelte Ansatz der ,,grounded theory". 8~176 Seine zentrale St~irke liegt in seinen rigiden Strategien und Methoden zum verschr~inkten Prozess ,,(...) Daten zeitgleich zu erheben, zu codieren und zu analysieren ''8~

mit dem Ziel der

Entwicklung gegenstandsbezogener und schliel31ich formaler ,,middle-range"-Theorien. 8~ Die zentrale These von Glaser und Strauss lautet, dass ,,(...) the adequacy o f a theory today cannot be divorced from the process by which it is generated. (...) and we suggest that it is likely to be a better theory to the degree that it has been inductively developed from social research. ''8~ Grtmdlegend in ihrem Ansatz ist demnach der Anspruch, gegenstandsverankerte Theorien induktiv aus konkretem Datenmaterial heraus in direkter Bezugnahme auf die soziale Realit~it zu gewinnen. Die Strategien und Methoden umfassen neben der simultanen Sammlung und Analyse von Daten einen zweistufigen Codierungsprozess, komparative Methoden der Datenanalyse, das Schreiben von Memos, theoretisches ,,sampling" und die Integration in Theorien. 8~ Ftir diese Arbeit und ihre paradigmatische Verortung sei Bezug genommen auf eine geeignete, interpretative Version des ,,grounded theory"-Ansatzes. 8~ In Anlehnung an die von Charmaz propagierte Offenheit seien die Strategien und Methoden flexibel FOr den eigenen Ansatz dieser Arbeit genutzt. 8~ Zentrale Aspekte dieses Ansatzes suchen die interpretative Sicht zu integrieren, wenngleich Methoden vielfach unter der

798 Weick, 1989, S. 518 (mit Verweis aufBourgeois, 1979, S. 445). 799 Vgl. Weick, 1989, S. 522ff. 8oo Strauss und Corbin, 1994, S. 8f., bezeichnen den ,,grounded theory"-Ansatz als qualitative Forschungsmethode bzw., wenn sic seine philosophischen Hintergriknde unterstreichen wollen, als Methodologie. Ftir diese Arbeit sei der Verfahrenskomplex der ,,grounded theory in Anlehnung an Hartfiel, 1982, S. 160, als ,,(...) vielschichtige, methodische Vorgehensweise" verstanden und daher als Ansatz bezeichnet. 8Ol Glaserund Strauss, 1998, S. 52. 8o2 Vgl. Charmaz, 2000, S. 510, Lanmek, 1995a, S. 122. 8o3 Glaser und Strauss, 1967, S. 5. 8o4 Vgl. Charmaz, 2000, S. 510f., B6hm et al., 1992, S. 28ff., Lamnek, 1995a, S. 11 lff., oder Zander, 1991, S. 12. s05 Sowohl Glaser wie auch Strauss (und Corbin) ,,(...) endorse a realist ontology and positivist epistemology" (Charmaz, 2000, S. 513) mit entsprechendem Niederschlag in ihren Schriften zum ,,grounded theory"Ansatz - im Kontrast zur Fundierung dieser Arbeit (siehe Abschnitt 2.2). 806 Vgl. Charmaz, 2000, S. 513. Wobei Charmaz betont (S. 514), dass auch Strauss und Corbin zuletzt zunehmend flexibel und often in ihren Darstellungen waren.

3.1 Methodische Rekonstruktion

133

gewandelten Perspektive tibernommen werden k6nnen. 8~ Im Gegensatz zur Aussagen von Strauss und Corbin, ,,It]he data do not lie ''8~

gilt es natfirlich die Daten als narrative

Konstruktion zu verstehen: ,,Data do not provide a window on reality. Rather, the ,discovered' reality arises from the interactive process and its temporal, cultural, and structural contexts. Researcher and subjects frame that interaction and confer meaning upon it. The viewer then is part o f what is viewed rather separate from it. ''8~ Ein objektivistischer ,,grounded theory"-Ansatz nimmt an, dass eine systematische Anwendtmg der Methoden zur Entdeckung der Wirklichkeit Fdhrt und es erm6glicht, eine vorl~tufig wahre, testbare und schlieglich verifizierbare Theorie dieser Wirklichkeit zu entwickeln. Dem gegenfiber wird die t'tir diese Arbeit gewahlte interpretative Form des ,,grounded theory"-Ansatzes eher fiber ,,(...) ,intimate familarity' with respondents and their worlds" den Fokus auf das Verstehen von Hintergrfinden anstreben: ,,To seek respondents' meanings, we must go further than surface meanings or presumed meanings. (...) Strauss and Corbin stick close to their depiction o f overt data. I aim to understand the assumptions underlying the data by piecing them together. ''81~ Die entwickelte ,,grounded theory" auf dieser Basis wird vom Charakter oftener sein, eher auf Erkl~iren trod Verstehen als auf Vorhersagen ausgerichtet sein. Diese Arbeit sieht das Ziel demnach auch nicht in der Entwicklung von formalen Theorien, in Aufhebung des materialen Kontextbezugs, Allgemeinheitsgrad.811

mit

universalem

Geltungsanspruch

und

hohem

Van Maanen und Weick liel3en es noch often, wie sie im Prozess des Theorieaufbaus von einzelnen (auf fiblicherweise wenige F~ille bezogene) ,,second-order concepts" hin zur ,,middle-range theory ''812 als eigentlichem Ziel gelangen wollen. Diese Lticke sei fiber die oben genaimten Strategien und Methoden des interpretativen ,,grounded theory"-Ansatzes geschlossen. Als Ziel der Theoriekonstruktion auf Basis der ,,second-order concepts" des theoretischen Codierens kann in einem ersten Schritt die Entwicklung einer gegenstandsbezogener Theorie 813 mit engem Fokus und Kontextbezug formuliert werden. 814 Die

807 Die detaillierte Ausgestaltung hinsichtlich der Methoden zur Datenanalyse, -interpretation und zum Theorieauibau findet sich in den Abschnitten 3.1.3.3 und 3.1.3.4. 808 Strauss und Corbin, 1994, S. 85. 809 Charmaz, 2000, S. 523f. 810 Charmaz, 2000, S. 525 (beide Zitate). 811 Vgl. Glaser und Strauss, 1998, S. 85ff., 812 Weick formuliert den Begriff der ,,middle-range theory" dabei als ,,(...) solutions to problems that contain a limited number of assumptions and considerable accuracy and detail in the problem specification. The scope of the problem is also of manageable size." (Weick, 1989, S. 521) 8~3 In der deutschen Obersetzung von Glaser und Strauss, 1967 wird dies anch als ,,materiale Theorie" bezeichnet: ,,Als material bezeichnen wir Theorien, die fiir ein bestimmtes Sachgebiet oder empirisches Feld der Sozialforschung (...) entwickelt werden." (Glaser und Strauss, 1998, S. 42) Strauss und Corbin, 1996, S. 146, bezeichnen dies dann sp~iter als ,,bereichsbezogene Theorien", ,,(...) die in einem bestimmten situationalen Kontext angesiedelt sind." 814 ,,Second-order concepts are those notions used by the fieldworker to explain the patterning of the first-order data." Sie seien auf dieser Basis als aus der Sicht des Forschers formulierte erste lokale Konzepte und deren Beziehungen zueinander gesehen, jedoch noch nicht integriert in eine erkl~irende,,grounded theory".

134

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

Darstellung soil aufbauend a u f der dichten Beschreibung der ,,first-order concepts ''815 und z u s a m m e n mit den ,,second-order concepts" in ,,discussional form" erfolgen, a u f Basis der E m p f e h l u n g e n von W e i c k und Thorngate 816 sowie v o n Glaser und Strauss 817.

/~t"

Induction

~ ,

~iddle-range substathnteor vi ey

- . . . . . . . . . . . . . . . .

,

Perception

2-2:

. . . . . . . . . . . .

_. . . . . . . . . . . . .

,

"

substantive c o n t e x t u a theory

Conception

se co n d - o r d e r c o n c e p t s

first-order c o n c e p t s

descriptwo properties

member interpretations

Deduction

Abbildung 25: Ansatz der theorieentwickelnden Konsmaktionsstrategie Rir diese Arbeit 818 In einem zweiten h i e r a u f aufbauenden Schritt soil tiber Abstraktion u n d komparative Analyse im Kontrast zu bestehenden externen Forschungsergebnissen und Theorien eine zarte und hypotethisierende

Verallgemeinerung

in

einen

mal3voll

grdBeren

Kontext

mittlerer

Reichweite, jedoch i m m e r noch unter partiellem Kontextbezug, angestrebt werden.Sl9 Dies sei hier als ,,middle-range substantive theory ''82~ umschrieben. Hierbei sei auch der A n s c h l u s s an die Arbeiten z u m A u t b a u einer (neuen) Marketingtheorie geleistet. Z u s a m m e n f a s s e n d ist der Ansatz der theorieentwickelnden Konstruktionsstrategie dieser Arbeit in Abbildung 25 dargestellt.

8~5 Der Begriffder dichtenBeschreibunggeht dabeiaufRyle (Ryle, 1949) undGeertzzurtick(Geertz, 1973).In der qualitativen Forschung wird damit (in Ausweitung des ursprtinglichen Verstgndnisses, vgl. Maxwell, 1996b, S. 95, FN 2) die weitgehend unvorbehaltene, ausFtihrliche Darstellung eines gew~ihlten Ausschnitts des Untersuchungsphfinomens gemeint. Nur auf Grundlage dieser ,,thick description" ist eine ,,thick interpretation" mdglich: ,,Thick description creates the conditions for thick interpretation" (Denzin, 1989, S. 101). 816 ,,Theorists may be better off trying to author relatively ,pure' exhibits of general or accurate or simple explanations and leave the readers to embellish the text in ways that add in the two missing dimensions." (Weick, 1999, S. 801) 817 ,,Grounded Theory kann sowohl in Form eines codifizierten Aussagengeffiges als auch als fortlaufende theoretische Diskussion pr~isentiert werden. Aus verschiedenen Grtinden haben wir uns ffir die tetztere Fassung, d. h. die diskursive Form entschieden." (Glaser und Strauss, 1998, S. 41) 8t8 tn Visualisierung des bei Weick, 1989, S. 518, beschriebenen iterativen Prozesses; siehe ~ihnlich Weick, 1999, S. 803, unter Hinzunahme des Stufenkonzepts yon Van Maanen, 1983, S. 39ff., und der partieller Anletmung an die Strategien und Methoden zur Theorieentwicklung des ,,grounded theory"-Ansatzes bei Glaser und Strauss, 1998, S. 41ff. 8~9 Dieses zurtickhaltend-hypothetisierende Vorgehen reflektiert damit explizit, den von Strauss und Corbin beschriebenen, yon Forschem manchmal begangenen Fehler, ,,(...) dass sie denken, sie kdunten die Lticke von einer bereichsbezogenen zu einer formalen Theorie schliegen, indem sie vom untersuchten Ph~nomen in nut einer Situation auf verschiedene Situationstypen verallgemeinem." (Strauss und Corbin, 1996, S. 146) 820 Im Anschluss an Mertons Differenzierung von ,,grand" und ,,middle-range" Theorien (vgl. Merton, 1957, nach Grdnroos, 1994, S. 13).

3.1 MethodischeRekonstruktion

3.1.2

135

Forschungsansatz zwischen Prozess-, Aktions- und Fallstudienforschung

In der Einleitung zu diesem Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Wahl der qualitativen Sozialforschung als Methodologie zwar wohl erwogen war, aber damit noch wenig ausgesagt ist hinsichtlich der dedizierten Ausgestaltung der empirischen Forschung. Diese methodologische Basis vor Augen gilt es demnach im Kontext dieser Arbeit eine Detaillierung zu leisten, hin zu konkreten praktischen Handlungsanweisungen Rir die Empirie dieser Arbeit. Diese konkrete praktische Ausgestaltung leistet nun initial dieser Abschnitt, gefolgt vom Abschnitt zum Forschungsdesign (Abschnitt 3.1.3). In Analogie zum vorherigen Abschnitt, der die B~cke zwischen Forschungsziel und dem Prozess der Theorieentwicklung zu leisten suchte, widmet sich dieser Abschnitt dabei dem Brtickcnschlag zwischen der Forschungsfrage in ihrem Kontext von Forschungziel, -methodologie und theoretischem Bezugsrahmen - und ihrer Detailliemng im Forschungsdesign. Als fruchtbares Medium dieses Brtickenschlages soll die Wahl bzw. die Definition eines geeigneten Forschungsansatzes dienen. Zentraler Bezugspunkt des Forschungsansatzes FOr diese Arbeit ist der Ansatz der longitudinalen Prozessforschung nach Pettigrew (siehe Abschnitt 3.1.2.1). Die partielle lJberlappung dieses Ansatzes mit den Ansgtzen der Fallstudien- wie auch der Aktionsforschung macht eine Abgrcnzung gegentiber letzteren Ans~itzen n6tig, wobei die Chance zu fruchtbaren Anleihen in Bezug auf gemeinsame Element genutzt wcrden soll (siehe Abschnitt 3.1.2.2). Der Schwerpunkt des angestrebten Brtickenschlages liegt dabei in den Feldem ,,sampling" und ,,data collection" des Forschungsdesigns, die Detaillierung hinsichtlich ,,data analysis" sei bereits tiber die Methoden des interprctativen ,,grounded theory"-Ansatzes geleistet, s21

3.1.2.1 Longitudinale Prozessforschung als Forschungsansatz Was ist nun die longitudinale Prozessforschung nach Pettigrew? Und warum wird sic for diese Arbeit als Forschungsansatz gew~ihlt? Was sind die zentralen Konsequenzen dieser Wahl ftir das Forschungsdesign? Diesen Fragen gilt es im Folgenden nachzugehen. Als Ausgangspunkt sei noch einmal in aller Ktirze der Kontext rckapituliert, an dcm sich der Forschungsansatz auszurichten hat. Zentrale Forschungsfrage war, wie der Wandel eines mittelst~indischen Industrieuntemehmens zur nachhaltigen Integration von Marketing und Iunovieren gestaltet werden kaun. Der Forschungsansatz Ftir diese Arbeit hat sich also nicht nut der interpretativ-relationalen paradigmatischen Ausrichtung, sondem auch den aus der theoretischen Verortung erwachsenen Anfordemngen an kontextuelle Einbettung, Dynamik, Prozessualit[it und Ganzheitlichkeit zu stellen, will er den Forschungsfragen wie den zu adressierenden Forschungslticken den Weg zur Empirie ebnen.

szl Siehedas Moden zum Forschungsdesign dieser Arbeit in Abschnitt 1.3 (vgl. Maxwell, 1996b, S. 5 Figure 1.1). Die oben bezeichnetenFelder fallenhier alle unter den Baustein zu ,,methods"(siehe Absctmitt3.1.3).

136

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

Pettigrews Ansatz der longitudinalen Prozessforschung bietet nun aus Sicht des Autors eine ausnehmend geeignete Basis, um diesen Anforderungen gereeht werden. 822 Ausgangspunkt bei ibm wie zahlreichen anderen Vertretem der Prozessforschung ist die Kritik am Status quo der Organisations- und Managementforschung, die vielfach als ,,(...) ahistorical, aprocessual, and acontextual in character" geziehen wird, ,,(...) reflect[ing] the biases inherent in social sciences generally and in the study o f organisations in particular. ''823 Insbesondere auf Szenarien des organisationalen Wandels und der Innovation wird Bezug genommen, wenn der Ansatz der Prozessforschung dargelegt wird: ,,Process studies are fundamental to gaining an appreciation o f dynamic organizational life, and to developing and testing theories o f organizational adaption, change, innovation, and redesign. ''824 Dieser Fokus fiigt sich in Forschungsziel und

Forschungsfrage dieser Arbeit,

wie

auch

die

vielfaeh betonte

Umsetzungsorientienmg fiber die einhergehende l]berwindung des ,,(...) conventional split between policy formulation and implementation (...) as processes are not viewed as discrete or chronological but as interactive and muddled. ''825 Fokussieren Wandelstudien allzu oft nur ,,(...) the intricacies o f narrow changes rather than the holistic and dynamic analysis o f

changing" fordert Pettigrew ,,(...) a form o f research which is contextualist and processual in character. ''826 Kern des Ansatzes von Pettigrew (siehe auch Abbildung 26) ist die Sicht, theoretisch fundierte und praxisorientierte (Wandel-)Forschung ,,(...) should explore the contexts, content, and process (...) together with their interconnections through time. ''827 Content

Process

Context

Abbildung 26: Kernelemente der longitudinalen Prozessforschung828

8zz Z.T. linden sich in den Diskursen und Quellen zttm theoretischen Bezugsrahmen auch explizit Forderungen

823 s24

825 826 827 828

nach einer longitudinalen Prozessforschung. So argumentieren z. B. die IMP-Forscher Halinen tard T6rnroos explizit flit ,,(...) paying more attention to the concept of time and (...) using longitudinal methods in empirical research" (Halinen und T6rnroos, 1995, S. 494; siehe ghnlich z. B. auch Easton, 1995, S. 453f.). Pettigrew, 1990, S. 269 (beide Zitate), siehe ~ihnlichz. B. Van de Ven und Huber, 1990, S. 215. Van de Ven und Huber, 1990, S. 213; siehe ~ihnlichz. B. Pettigrew, 1990, S. 269, Pettigrew, 1987, S. 655, oder z. B. die Beitrage in den Sonderheflen (Organization Science 1/3 1990, Scandinavian Journal of Management 13/4 1997) zur Prozessforschung. Pettigrew, 1990, S. 268 (mit Verweis auf Quinn, 1980), siehe ~ihnlichz. B. Petfigrew, 1987, S. 655. Pettigrew, 1987, S. 655 (beide Zitate; Herv. i. Orig.), siehe ~ihnlichPettigrew, 1990, S. 269. Pettigrew, 1990, S. 268. In sp~iterenPublikationen spricht Pettigrew dann nicht mehr von ,,content", sondem von ,,outcome" (vgl. Pettigrew, 1997, S. 342). In Anlehnung an Petfigrew, 1987, S. 657 Fig. 1.

3.1 Methodische Rekonstruktion

137

,,(...) the ,what' o f change is encapsulated under the label content, much o f the ,why' o f change is derived from an analysis o f inner and outer context, and the ,how' o f change can be understood from an analysis o f process. ''829 Der ,, content" formuliert also den inhaltlichen Bezugs- trod Ausgangspunkt, als neu formulierte Strategie, gew~ihlten Ausschnitt des organisationalen Alltags und das Thema der Forschung bzw. die Forschungsfrage im engeren Sinn. Er steht in interdependenten Beziehungen zu ,,context" und ,,process". ,,Process" definiert Pettigrew - in Anlehnung an Van de Ven s3~ - als ,,(...) a sequence o f individual and collective events, actions, and activities unfolding over time in context. ''831 Ziel der prozessualen Analyse ist es dabei, ,,(...) to catch this reality in flight", die Prozesssicht dabei das Vehikel, um auf der Basis dynamischer und interdependenter Sequenzen von Aktionen und Ereignissen die Ursprtinge, das Werden nnd die Ergebnisse von Ph~inomenen zu erkl~en. 832 A u f der Basis dieser zentralen Rolle von Zeit und Historie betont Pettigrew insbesondere die Pfadabhangigkeit, auf der Basis der kumulativen und dualen Qualit~it von Akteuren und Kontext: 833 ,,The legacy o f the past is always shaping the emerging future. ''834 Diese prozessuale Sicht gilt es auch sprachlich zu reflektieren, z. B. tiber eine aktive Sprache, die Verbforrnen bevorzugt (wie dies im theoretischen Bezugsrahmen auch bereits geschehen ist, siehe Abschnitt 2.3.4). 835 Es fehlt noch die Einbettung in den ,, context": ,,If the process is our stream o f analysis, the terrain around the stream which shapes the flow o f events and is in turn shaped by them is a necessary part o f the process o f investigation. ''836 Urspriinglich war dieser Punkt, ,,contextualism as a theory o f method", der Kern des Ansatzes von Pettigrew, so ist die l]berlappung mit der Prozesssicht noch vorhanden: ,,An approach that offers both multilevel or vertical analysis and processual, or horizontal, analysis is said to be contextualist in character. ''837 Bezieht sich die horizontale Kontextualitat also wie gehabt - auf,,(...) the sequential interconnectedness among phenomena in historical, present, and future time", bezieht sich die vertikale Kontextualit~it auf ,,(...) interdependences between higher and lower levels o f analysis upon phenomena to be explained at some further level". 838 In Bezug auf letztere gilt es also ~iuBeren Kontext, ,,(...) the economic, social, political, competitive and

s29 830 s31 s32

833

s34 s35 s36 837 s3s

Pettigrew, 1987, S. 658. Vgl. Van de Ven, 1992, S. 169. Pettigrew, 1997, S. 338. Vgl. Pettigrew, 1987, S. 656. Vielfach betont wird yon Pettigrew dabei insbesondere der Bezug von ,,processes to outcomes": ,,The holistic ambition is not just about pattern recognition of the process stream, or handling the analytical complexities of explanation in the interactionist field, but also lies in linking these analyses to the outcomes of the process under investigation." (Pettigrew, 1997, S. 340) ,,Thus processes are both constrained by contexts and shape contexts" (Pettigrew, 1990, S. 270), in Anlehnung an die Strnkturationstheorie und das Konzept der Dualiflit yon Struktur und Handeln von Giddens (siehe z. B. Giddens, 1984, oder Giddens, 1997), durchaus im Einklang mit dem Organisationsverst~indnisdieser Arbeit (siehe Abschnitt 2.3.2). Pettigrew, 1997, S. 339; siehe auch Pettigrew, 1987, S. 656, oder Pettigrew, 1990, S. 270: ,,Thus history is not just an event in the past but is alive in the present and may shape the future." Vgl. Pettigrew, 1997, S. 338, Pettigrew, 1987, S. 656. Pettigrew, 1997, S. 340. Pettigrew, 1990, S. 269. Pettigrew, 1990, S. 269 (beide Zitate).

138

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

sectoral environments in which the firm is located", sowie inneren Kontext, ,,(...) the inner mosaic of the firm; the structural, cultural and political environments ''839, mit einzubeziehen. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass ,,[i]n holistic explanations causation is neither linear nor singular. ''84~ ,,(...) Changes have multiple causes and are to be explained more by loops than lines. ''841 Zusammenfassend krrmen also folgende Punkte festgehalten werden: 842 Die ,,embededness", also Prozessanalyse fiber mehrere Analyseebenen; die ,,temporal interconnectedness", also die Prozessanalyse im zeitlichen Kontext; die ,,holistic causality", also die Suche nach holistischen und nicht-linear/dynamischen E r k l ~ u n g e n far Prozesse; die ,,dual quality" von Kontext und Handeln sowie die ,,(...) ambition to link the analysis of processes to outcomes. ''843 Bevor diese zentralen Charakteristika als Brtickenschlag zum Forschungsdesign in Abschnitt 3.1.3 dann wieder aufgegriffen und weiter operationalisiert werden, soll mit Fokus auf die Felder ,,sampling" und ,,data collection" - hier schon eine erste Detaillierung versucht werden. TM Die Wahl des Forschungsortes charakterisiert Pettigrew als ,,planned opportunism", als Wechselspiel aus langfristiger Planung auf der Grundlage von Forschungsfrage und ,,access" sowie kurzfristig erforderlicher Offenheit und Flexibilit~it. 845 In seinen ,,decision rules" detailliert er seinen Ansatz und empfiehlt ,,extreme situations, critical incidents and social dramas", ,,polar types", ,,high experience levels of the phenomena under study", ,,more informed choice of sites" und ,,increase[d] probabilities of negiat[ed] access ''846. Den Regeln zugrunde liegt eine pragmatische Aufforderung, insbesondere bei Studien iiber wenige oder nur einen einzelnen Fall: ,,(...) choose cases where the progress is transparently observable." So lassen sich nach Pettigrew in extremen Situationen oder anhand von kritischen Ereignissen besonders dichte Episoden beobachten, gegensatzliche Forschungsorte eignen sich ftir eine komparative Prozessforschung. 847 Als taktische Empfehlung ftir eine informiertere Wahl von Forschungsorten wie auch ftir die Notwendigkeit eines intensiven Feldzugangs legt Pettigrew Vorstudien nahe. Sie seien besonders gut geeignet ,,(...) [to] help to establish a network o f relationships in a sector fairly quickly, and allow more informed choices to be made about sites on the basis of theoretical ideas and empirical trends. ''848 In Bezug auf die Frage ,,how many sites", also nach der Anzahl der Forschtmgsorte bzw. Fglle, betont Pettigrew, dass es

839 840 s4~ 842 843 s44 s45 846 847 848

Pettigrew, 1997, S. 340 (beide Zitate). Pettigrew, 1997, S. 341. Pettigrew, 1990, S. 270; siehe ~ihnlichz. B. Pettigrew, 1997, S. 342, oder Anderson et al., 1999, S. 233. Vgl. Pettigrew, 1997, S. 340. Pettigrew, 1997, S. 342. Siehe ~ihnlichauch Pettigrew in zahlreichen Beitr~igen, wie z. B. Pettigrew, 1997, S. 342ff., oder Pettigrew, 1990, S. 271ff. Vgl. Pettigrew, 1990, S. 274. VgI. Pettigrew, 1990, S. 274ff. Siehe z. B. auch bei Mtihlbach, 2003, S. 98. Pettigrew, 1990, S. 276.

3.1 Methodische Rekonstruktion

139

keine endg~ltige Antwort gebe. Mit Verweis auf Miller und Friesen ftihrt er aus, dass auch ein einziger Fall gen~igen karm. 849 Auch in Bezug auf das Thema ,,data collection'" finden sich bei Pettigrew bereits erste detailliertere Ausfiihrungen. 85~ Ziel ist, Daten prozessualen, komparativen, pluralistischen, historischen und kontextuellen Charakters zu gewinnen, als Basis fiir Fallstudien ,,(...) going beyond chronology to develop analytic themes. ''851 Als zentrale Folge fox die Feldarbeit empfiehlt Pettigrew eine ,,triangulated methodology", also eine bewusste Vielfalt an Datentypen und Datenerhebungsmethoden wie z. B. ,,in-depth interviews with key informants", ,,documentary and archive data" und ,,observational and ethnographical material". 852 Dies dient nicht zuletzt anch um den iterativen und verschrankten Prozess ans ,,observation" und ,,verification" geeignet zu unterffttern. Zentral ist der Aspekt der Reziprozitat. 853 Er kann initial fiber einen explizit reziproken Forschungsvertrag bereits adressiert werden. Und ein besonders geeigneter Mechanismus, um Reziprozit~it anzubieten, zugleich ein wichtiges, abschliel3endes Element im iterativen Forschungsprozess und auch zur Beziehungspflege zur ,,host case study organisation", k r n n e n ,,action workshops" darstellen. 854 Und schlieBlich auch das Thema Zeit, ein Teilaspekt des ,,sampling", 855 findet sich bei Pettigrew hinsichtlich der praktischen Durchffhrung einer longitudinalen Prozessstudie hervorgehoben: ,,Time sets the frame o f reference for what changes are seen and how those changes are explained. ''856 In Bezug auf die Frage, welchen Zeitausschnitt man, als ,,(...) combination o f historical and real time analysis", zu fokussieren gedenkt, kann es nach Pettigrew keine absoluten oder einfachen Antworten geben. 857 FOx den Fall, dass ,,(...) the unit o f analysis is the continuous process in context", empfiehlt er eine Ausrichtung an ,,(...) major (...) breakpoints in a firm's history which indicate the end or beginning o f periods o f continuity or change. ''858 Wobei eine horizontale wie vertikale Einbettung in ,,(...) features o f context and action [that] are driving the process ''859 ratsam scheint. Fragen zur Dauer des Forschungsprozesses

seien

fiber

die

Forschungsstrategie

und

den

Ansatz

zur

849 Vgl. Pettigrew, 1990, S. 276 (mit Verweis aufMiller und Friesen, 1982, S. 1016). 850 Vgl. Pettigrew, 1990, S. 277ff., wobei er fiir Details u. a. aufVan Maanen, 1988 und Yin, 1984 verweist. SSl Pettigrew, 1990, S. 277; siehe ~ihnlich z. B. auch Pettigrew, 1997, S. 339; siehe zu den verschiedenen Fallstudientypen bei Pettigrew schrn Pettigrew, 1990, Figure 1 auf S. 280. 852 Vgl. Pettigrew, 1990, S. 277f. 853 ,,If the research site is to give so much by way of time and information what do they receive back?" (Pettigrew, 1997, S. 343) 854 Vgl. Pettigrew, 1997, S. 343. 855 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 65, oder Abschnitt 3.1.3. 856 Pettigrew, 1990, S. 271. 857 Siehe Pettigrews Versuche fiber zahlreiche Fragen das Thema zu adressieren (vgl. Pettigrew, 1990, S. 272, oder Pettigrew, 1997, S. 345) 85s Pettigrew, 1990, S. 272. 859 Pettigrew, 1997, S. 345.

140

3. Rekonslntktion - ,,empirical journey"

Theorieentwicklung in A n l e h n u n g an die ,,grounded theory" bereits far diese Arbeit ausreichend adressiert.

3.1.2.2 Abgrenzung und Anreicherung in Bezug zu Fallstudien- und Aktionsforschung Deutlich wurden in den obigen Ausfithrungen n u n bereits Anleihen an verwandte Forschungsans~itze, insbesondere der Fallstudien- und der Aktionsforschung. A u f diese beiden Forschungsans~itze soll d e m n a c h im Folgenden B e z u g g e n o m m e n werden, zur A b g r e n z u n g des gewghlten Ansatzes der Anreicherung.

longitudinalen Prozessforschung, abet

auch zur fruchtbaren

Fallstudienforschung A n g e f a n g e n sei mit d e m Ansatz der ,, case study research "', mit B e z u g insbesondere a u f die beiden Grtmdlagen- u n d meist zitierten Beitr~ige von Eisenhardt u n d Yin. 86~ N e b e n einer ausgepr~tgten Nahe zur qualitativen Forschung 861 betont Hinings in seinem K o m m e n t a r zu einem Sonderhefl z u m Ansatz der Prozessforschung ,,(...) it s e e m s to be implicit in most o f the papers here that the case study is the appropriate approach to processual research. ''862 Dies findet sich auch vielfach bei Pettigrew. 863 W a s ist aber n u n ,,case study research"? Wie zu erwarten sind die Antworten vielf~iltig. Sie spannen das Feld a u f von ,,[c]ase research is defined b y its sampling mode. A case is a single instance ''864 bis hin z u m Ansatz der Fallstudienforschung, der elaboriert alle Phasen des Forschungsprozesses v o m Design fiber die Durchfiihnmg, die Datenanalyse und ,,case study reports" adressiert. 865 Passend - und zwischen diesen Extremen vermittelnd - definieren lasst sich ,,case study research" wohl als ,,(...) a research strategy w h i c h focuses on understanding the dynamics present within single settings. ''s66 Zentral

ist

das

Charakteristikum

des

Fokusses

auf

den

individuellen,

einzigartigen Fall. D e n zentralen Vorteil erblickt m a n dabei darin, ,,(...) sich durch die Beschr~akung a u f ein Untersuchungsobj ekt oder relativ wenige Personen intensiver mit m e h r Untersuchungsmaterial besch~ifligen zu k6rmen, und dadurch umfangreichere und komplexere Ergebnisse zu b e k o m m e n . ''867 Eine Einzelfallstudie l~isst sich nach Yin dabei insbesondere ftir das Ziel eines ,,longitudinal case" begrfinden, 868 wobei er mit Eisenhardt hierf'fir den Nutzen

86o Vgl. Eisenhardt, 1989, Yin, 1984, und aktuell Yin, 2003; siehe aber auch z. B. Woodside mad Wilson, 2003 oder Stake, 1994, bzw. Stake, 2000. s61 Vgl. Hiinngs, 1997, S. 494, mad Ropo et al., 1997, S. 331. 862 Hinings, 1997, S. 495. 863 Siehe z. B. Pettigrew, 1997, S. 339, oder Pettigrew, 1990, S. 275. 864 Easton, 1995, S. 475; siehe ~ihnlichz. B. Stake, 1994, S. 236, oder auch Lamnek, i995b, S. 6. s65 Wie z. B. bei Yin, 2003, S. 14, und vom Anspruch her, aber nicht vergleichbar elaboriert bei Eisenhardt, 1989. s66 Eisenhardt, 1989, S. 534. Siehe weitere Definitionen und ihre Diskussion z. B. bei Woodside und Wilson, 2003, S. 493f., Easton, 1995, S. 475f., oder Yin, 2003, S. 12ff. 867 Witzel, 1982, S. 78 (nach Lanmek, 1995b, S. 6); siehe ghnlich z. B. Easton, 1995, S. 476. s6s Siehe ~ihnlichauch Gummesson, 2000b, S. 84, der die Einzelfallstudie fiir den Fall empfiehlt, dass ,,(...) [the] ,case history' is of particular interest." Wobei er auch hinsichtlich des mit dem holistischen Anspruch

3.1 Methodische Rekonstruktion

141

eines ,,embedded case study design" zur fall-internen komparativen Analyse unterstreicht. 869 Bezogen auf den individuellen Fall des in der Forschungsfrage bereits im Vorgriff bezeichneten mittelst~ndischen Untemehmens, wird das Ergebnis dieser Arbeit also durchaus als (Einzel-)Fallstudie bezeichnet werden k6nnen. Bezogen auf den Forschungsprozess jedoch sind neben zahlreichen Gemeinsamkeiten durchaus wesentliche Unterschiede zwischen ,,case study research" und longitudinaler Prozessforschung zu konstatieren, insbesondere hinsichtlich der Betonung von Zeit, Prozessualit~it und Kontextualit/it im Ansatz der longitudinalen Prozessforschung. 87~ Es wird demnach deutlich, dass die longitudinale Prozessforschung keine Form der ,,case study research" ist, sondern einen eigenst~indigen Forschungsansatz im Sinne einer ,,theory o f method" begriindet. Als zentrale (trod in der Forschungsstrategie dieser Arbeit bereits eingeflossene) Anreichertmg kann jedoch auf Eisenhardts Ausfikkrungen zu ,,enfolding literature" Bezug genommen werden: Dort betont sie, dass ,,(...) tying the emergent theory to existing literature enhances the internal validity, generalizability, and theoretical level o f theory building from case study research. While linking results to the literature is important in most research, it is particularly crucial in theory-building research because the findings often rest on a very limited number o f cases. In this situation, any further corroboration o f internal validity or generalizability is an important improvement. ''871 l)-ber einen expliziten (abschliel3enden) Bezug (der eigenen Ergebnisse) auf den Stand der Forschung - sei er widersprtichlicher oder gleicher Meinung wie

man

selbst -

liel3e sich (in ihrem

positivistischen Verstiindnis) die Verallgemeinerbarkeit von eigen entwickelten Theorien erhOhen.

Aktionsforschung Auch der Bezug auf die

Aktionsforschung wurde

bei Pettigrew deutlich, tiber den Einbezug

des reziproken Elements der den iterativen Forschungsprozess abschlief3enden ,,action workshops". Was ist Aktionsforschung? 872 ,,Action research aims to contribute both to the practical concerns o f people in an immediate problematic situation and to the goals o f social

869 870 871 87z

verbundenen Aufwandes betont, dass ,,(...) it is generally not possible to carry out more than one or a very limited number of in-depth case studies in a research project." (S. 86f.) Vgl. Yin, 2003, S. 42f., und Eisenhardt, 1991, S. 622; von der Idee durchaus vergleichbar zu Pettigrews ,,comparative method" (vgl. Pettigrew, 1990, S. 274ff.). So bezieht sich ,,case study research" bspw. meist explizit (und mehr oder weniger ausschlief31ich) auf ,,contemporary real-life events" (siehe z. B. Yin, 2003, S. 5ff.). Eisenhardt, 1989, S. 545. Fiir die Antwort und die weitere Diskussion sei nicht auf verschieden ausgestaltete Schulen oder Richtungen der Aktionsforschung eingegangen, wie z. B. der ,,action science" von Argyris et al. (Argyris et al., 1985), der ,,participatory action research" von Whyte (Whyte, 1991, siehe auch Kemmis und McTaggart, 2000), dem ,,actors approach" von Arbnor und Bjerke (Arbnor und Bjerke, 1997), dem ,,management action science paradigm" nach Gummesson (Gummesson, 2000b) oder der deutschen Aktionsforschung (friih dargestellt z. B. bei Moser, 1975).

142

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

science by joint collaboration within a mutually acceptable ethical framework. ''873 Aktionsforschung betont also ,,(...) eine Einheit von Forschung und Praxis; wissenschaftliche Ergebnisse werden im Verlauf der Praxis gewonnen und wissenschaftliche Vorgangsweisen sind in diese Praxis

selbst einbezogen. ''874 Forschen,

Handeln

und

Lernen sollen

zusamrnengebracht werden. 875 Die Hintergrtinde der Entstehung sind auf fundamentale Kritik an der Kluft zwischen Theorie und Praxis in der Organisationswissenschaft zurOckzu~hren. Die in der Aktionsforschung zentrale enge Verkn~ipfung zwischen Theorie und Praxis ist auf eine Grundarmahme von Kurt Lewin zuriickzuftihren, ,,(...) that action research is a way o f learning about a social system and simultaneously trying to change it". 876 Das Forschungsdesign

der

Aktionsforschung

umfasst

demnach

geplante,

zielgerichtete

Interventionen, deren Auswirkungen es dann zu beobachten und auszuwerten gilt, ob sie die erwarteten bzw. erwiJnschten Ver~inderungen bewirkt haben. Mit diesen Interventionen und deren Auswertung soll dabei nicht nur ein Beitrag zur Erweiterung bestehender wissenschaftlicher Theorien geleistet werden, sondem im gleichen MaBe eine Untersttitzung ftir die praktischen Problemlrsungen im Rahmen des untersuchten Forschungsgegenstandes: ,,Here the role o f research involves the dual aim o f theorizing and taking action, with action based on theorizing. "877 Die Abrenzung zum Ansatz der longitudinalen Prozessforschung sollte aufgrund der Ausrichtung der Aktionsforschung bereits deutlich geworden sein. Interessant an dieser Stelle ist, dass eine durchaus fruchtbare partielle Anreicherung des Ansatzes der longitudinalen Prozessforschung ftir diese Arbeit tiber Elemente der Aktionsforschung erfolgen kann. So wird als Handlungsanregung zur praktisehen Detaillierung der von Pettigrew geforderten ,,reciprocity''878 von Bruce und Wyman ein ,,memorandum o f understanding" empfohlen, das neben einem juristischen Forschungsvertrag (wie bei Pettigrew empfohlen) sich insbesondere den Beziehungsaspekten der Zusammenarbeit widmen soll. 879 Diese Vereinbartmg soll das gemeinsame (Ein-)Verst~ndnis hinsiehtlich des thematischen Fokus, der Rolle des Forschers, der Ressoureenfrage, der Einflussnahme und der Beriehterstattung schaffen und verbindlich

873 Gill und Johnson, 1997, S. 62. Das Originalzitat stammt dabei von Rapoport und ist wohl die am h~iufigsten zitierte Beschreibung von Aktionsforschung (vgl. Rapoport, 1970). Die Diskussion anderer Definitionen sowie zahlreiche Literaturverweise hierzu finden sich z. B. bei Gummesson, 2000b, S. 116s Zur Geschichte der Aktionsforschung siehe z. B. Schtitz, 1998, S. 7f. 874 Himmelstrand, 1978, S. 51. Diese Einheit von Forschung und Praxis ist je nach wissenschaftstheoretischem Standpunkt die Chance der Aktionsforschung oder aber Anlass zu heftigster Kritik. Susman und Evered (Susman und Evered, 1978, S. 599) be~rworten bspw. diese Einheit, da die Aktionsforschung nur in dieser engen Verflechtung als ,,enabling science" for die Praxis fungieren kann. Als Verfechter einer strikten Methodologie in den Sozialwissenschaflen argumentiert Krnig hingegen gegen diese Verschmelzung: In seinen Augen ist die Aktionsforschung ,,(...) nichts anderes als die ausfiihrliche und begriindete Diskussion konkreter praktischer Entscheidungen" (K6nig, 1983, S. 86). 875 Vgl. Schiitz, 1998, S. 5. 876 Gummesson, 2000b, S. 117. 877 Karlsen, 1991, S. 145. 878 Siehe z. B. Pettigrew, 1997, S. 343. 879 Vgl. Bruce und Wyman, 1998, S. 63ff.

3.1 Methodische Rekonstruktion

143

festlegen. Weiterhin zeigt sich, dass der von Pettigrew empfohlene Einstieg in den Forschungsprozess mit einer Pilotstudie sich ideal mit einer initialen Aktionsforschungsphase verknfipfen l/isst. Pettigrew hat betont, dass ,,(...) the kind o f intense access necessary for longitudinal work ''88~ sowie die fiir die Kernempirie erforderliche ,,(...) empirically formed view of the problems, prospects and a range o f experiences o f the sector ''881 im Forschungsdesign zu berticksichtigen sind. W e n n Bezug auf Gummessons Antwort auf die Frage nach der Rolle eines ,,management action scientist" genommen wird, 882 wird deutlich, dass Aktionsforschung nun genau dies in einer initialen hermeneutischen Schleife von ,,pretmderstanding" zu informierterem ,,understanding" zu leisten vermag: 883 ,,On the basis of their paradigms and preunderstandings and [better] 884 access to empirical, real-world data through their role as change agent, management action scientists develop an understanding o f the specific decision, implementation, and change process in the cases with which they are involved. They generate a specific (local) theory which is then tested and modified through action. ''885 Es zeigt sich also, dass die Vorgehensweise dieser Arbeit und der Einstieg in die Empiric fiber das bereits laufende und (implizit) dem Ansatz der Aktionsforschung folgende (Teil-)Projekt ,,Service Excellence" nicht nur konsistent mit dem gewiihlten Forschungsansatz der longitudinalen Prozessforschung ist, sondern ihn sogar geeignet anzureichern und zu detaillieren weiB. 3.1.3

F o r s c h u n g s d e s i g n und -prozess

Dieser Abschnitt widmet sich, sozusagen in Ausgestaltung von Forschungsstrategie und Forschungsansatz, den zentralen operativen Fragen des Forschungsdesigns und -prozesses. Grundlage ist das in Abschnitt 1.3 eingei'fihrte Modell (siehe Abbildung 27), dessen Komponenten des unteren Dreiecks, Methode und Validitiit, hier detailliert werden, abgerundet durch die Aufschlfisselung der zentralen Forschungsfrage in ihre Subfragen im darauf folgenden Abschnitt (3.1.4). Die Komponente ,,methods" umfasst dabei drei Teile886: Forschungsbeziehungen und ,,sampling" werden im Abschnitt 3.1.3.1 zur ,,Wahl der Forschungspartner" behandelt, Fragen der ,,data collection" in Abschnitt 3.1.3.2 zu ,,Methoden der Empiric" und Fragen der ,,data analysis" in Abschnitt 3.1.3.3 zur

ss0 Siehe iihnlich z. B. Gummesson, 2000b, S. 25: ,,Access has already been defined as the researcher's Number

8sl 882 883 884 885 886

1 problem." Unter ,,access" versteht Gummesson dabei ,,(...) the ability to get close to the object of study, to really be able to find out what is happening." (S. 25) Pettigrew, 1990, S. 276(beideZitate). Siehe iihnlich auch bei Arbnor und Bjerke, 1997. Vgl. bei Gummesson, 2000b, S. 70f., Arbnor und Bjerke, 1997, S. 164ff., oder auch bei Lamnek, 1995a, S. 74ff. Diese Erg~inzung sei erlaubt, weft Gummesson direkt nach diesem Zitat betont, dass ,,(...) the role of change agent provides better access" im Vergleich zu traditionellen Formen der ,,data collection" (Gummesson, 2000b, S. 209). Gummesson, 2000b, S. 208. Vgl. Maxwell, 1996b, S. 4 und S. 65ff., wobei er vier Teile unterscheidet, von denen hier die ersten beiden in einem Abschnitt gemeinsam behandelt werden.

144

3. Rekonslruktion- ,,empiricaljourney"

,,Dokttmentation und Datenanalyse". Letzterer Abschnitt behandelt dabei auch die Methoden zur Theorieentwicklung und Plausibilisierung. 887 1

\

---J \. 1.2 & 3.1.4 Research Ouestion~

Abbildung 27: Methodenund Validit~itdes Forschungsdesignsim Fokuss88

3.1.3.1 Wahlder Forsehungspartner Dieser Abschnitt legt das Design dieser Arbeit und ihrer empirischen Forschung dar in Hinblick auf Forschungsbeziehungen und ,,sampling". Das ,,sampling" umfasst dabei alle Fragen und Entscheidungen hinsichtlich ,,(...) times, settings, or individuals you select to observe or interview and what other sources of information you decide to use. ''889

,,Sampling" Nun hatte die Herleitung der Forschungsfrage als ,,particularizing question "89~ aus dem Forschungsinteresse schon vorweggenommen, dass der Fokus der Empirie auf eine Einzelfallstudie erfolgen soll. Die zugrunde gelegten interpretativen Perspektive gepaart mit dem angestrebten Umsetzungsfokus tiber nachhaltigen Wandel schlug sich schlief31ich im Forschungsansatz der longitudinalen Prozessforschung nieder. Dessen ga~nzheitlicher und historizierender Anspruch nun empfiehlt ftir eine valide Bearbeittmg eine Einzelfallstudie. 891 Die Entscheidung zur Wahl des Forschungspartners Michael Huber Mtinchen (MHM) fiel im Laufe der Explorationsphase im Sinne eines ,,purposeful sampling ''892. Auf der Grundlage des Forschungsansatzes wurde das Teilprojekt ,,Service Excellence" hierzu dediziert als Vorstudie genutzt. Als zentrales Kriterium zur Wahl diente die Basis-Dimension der Forschungslticken, n~tmlich der Wandel in den praktizierten Rollen von Marketing und Innovieren, wie er (wie

887 88s 8s9 s90 89i

Dies erfolgt in Detailtierungdieses schon in Abschnitt 3.1.1 behandeltenThemas. Vgl.Maxwell, 1996b, S. 5, Figure 1.1. Maxwell, 1996b, S. 65 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 54f., in Kontrastierungyon ,,generalizingvs. particularizingquestions". Siehe Abschnitt 3A.2; oder dartiber hinaus bspw. auch Weick, unter Bezugnahme auf Thorngates ,,impostulate of theoretical simplicity"(1999, S. 801, mit Verweis auf Thomgate, 1976, S. 134f.). s9z Vgl. Patton, 1990, S. 169ff.

3.1 Methodische Rekonstruktion

145

sich herausstellte) in den letzten Jahren im Untemehmen massiv forciert worden war. 893 Die gewandelten Rollen legten - theoretisch abgeleitet auf Basis des Modells in Abschnitt 2.1.6 eine zunehmende Relevanz effektiver Integration von Marketing und Innovieren nahe. Die empirische Relevanz dieses Themas aus Sicht von M H M konnte mit der Auswertung der Explorationsphase best~itigt werden. In Bezug auf die massiven Forschungslticken hinsichtlich mittelstandischer Untemehrnen war ein weiteres Kriterium formuliert - und mit M H M als klassischem Mittelst~indler894 auch erFtillt. Und nicht zuletzt spielten auch - der Idee der Vorstudie mit Aktionsforschungscharakter gemgl3 - die tiber das Teilprojekt ,,Service Excellence" gewachsenen Vertrauensbeziehungen zum oberen Management wie dem Geschafts?tihrer und Teil-Inhaber eine wesentliche Rolle. Andere Kritierien, wie z. B. in Bezug auf Branche oder interne Strukturen, waren dahingehend nachgelagert. Das ,,sampling" hat sich jedoch in Bezug auf die Wahl der Forschungspartner nicht nur auf das U n t e m e h m e n zu beziehen, sondern nattirlich auch und insbesondere auf die Forschungsorte irmerhalb dieses organisationalen Kontextes - far die Explorations- wie auch die Vertiefimgs- und Abschlussphase des Forschungsprojekts. Charakter und Ziel der Explorationsphase gem~ig sowie im Kontext der initial breiten Definition des Forschtmgsinteresses stand hier ein am Projektauftrag ausgerichtctes, aber nichtsdestotrotz breites, flexibles, offenes und vom Verstehen getriebenes ,,sampling" im Vordergrtmd. 895 Formulierten Gesch~iftsffihrung und Leitung Vertrieb/Marketing initial die Kontaktpartner, gait es dies - im Sinne von Projektziel wie Forschungsinteresse - vertikal wie horizontal massiv auszuweiten, auch auf Kundenuntemehmen. Weiterhin sollte auch die Leitung der Entwicklung, insbesondere far die sp~iteren Projektphasen, zunehmend intensiv in das Teilprojekt mit einbezogen werden. Im Riickblick, das ,,sampling" der Explorationsphase nachzeichnend (siehe Abbildung 28), wurde der initiale Fokus auf traditionell dem Marketing subsummierbare Teilfunktionen (Vertrieb/Verkanf/Service) in der Analysephase durch eine breite Kundenanalyse ergfinzt, die Design- und Umsetzungsphase erfolgte hingegen anf dieser Basis, erganzt um ein extemes Benchmarking mit zentralen Konkurrenten - dann im intensiven Zusammenspiel mit entwicklungs- und innovationsnahen Bereichen.

893 Zentrale Eckpunkte hierbei formulieren die komplette Reorganisation des Innovafionsbereiches im Jahr 1998 sowie die Formulierung der ,,Vision 2000", mit den Anspriichen an Qualitfits-, Marketing- und Dienstleistungsfahrerschaft in der Branche, und damit einhergehende MaBnahmen, wie z. B. die Neu-Installation tibergreifender FiJhnmgsgremien ~r Marketing (LAM) und Innovieren (LAT) und die Initiienmg des Projektes ,,Service Excellence" im Jahr 2000 (ffir Details siehe Abschnitt 3.3.2). 894 Diese Bezeichnung als ,,klassischer Mittelst~indler"bezieht sich, der Deffmitionder Bundesregierung gemal3, insbesondere auf qualitative (Abgrerlzungs-)Merkmale (vgl. Gtinterberg und Wolter, 2003, S. lff.; siehe flit Details Abschnitt 3.2.1), im Einklang mit der Charakterisierung von MHM durch die MitarbeiterIrmen (siehe Abschnitt 3.3.3.1). s95 Dies entspricht den Empfehlungen der Aktionsforschung, die hier in Erg~inzungdes Forschungsansatzes der longitudinalen Prozessforschung nach Pettigrew als Basis dienen sollen (siehe Abschnitt 3.1.2.2).

146

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey" MHM

Kunden

Analysephase

Konkurrenten

MHM

Design- und Umsetztmgsphase

I~ t

Abbildung 28: ,,Sampling" der Explorationsphase bei MHM

Vertiefungs- und Abschlussphase dieser Arbeit, um deren ,,sampling" es

Grundlegend for die

im Folgenden gehen soll, sei die Strategie des ,,purposeful sampling ''896 oder wie LeCompte und Preissle es nennen, die ,,criterion-based selection ''897. Im Sinne einer Vorstrukturierung wurden dahingehend also ein Rahmen entworfen und ein initiales ,,sample" gew~thlt. Der induktiven Forschungsstrategie dieser Arbeit gem~it3 gait es dann aber nattirlich sich flexibel hiervon 16sen zu krnnen, fttr ein zunehmend vom Erkenntnisprozess getriebenes ,,theoretical sampling". 898 Dies sieht Mrglichkeiten sowohl zur Vertiefung innerhalb des gew~ihlten Rahmens vor, wie natiirlich auch diesen ~ r darttber hinaus fdhrende Forschungskontakte zu verlassen. Der gew~ahlte Rahmen suchte dabei den Ansprtichen von Forschungsfrage und ansatz nach einem relevanten organisationalen Ausschnitt, angereichert um Kontextualit~it und Historizitat gerecht zu werden. 899 Wie sotlte dieser Rahmen nun gestaltet sein? Pettigrew sieht for den ~ r

diese Arbeit gewtthlten Ansatz der longitudinalen Prozessforschung

Mehrebenenanalysen

als

unverzichtbar

und

empfiehlt

zudern

extreme

Situationen,

gegensatzliche Typen und Schltisselorte sowie kritische Ereignisse. Dieser bewusste Einbezug verschieden(st)er Datenquellen wird in Anlehnung an Denzin in der qualitativen Forschung auch als ,,data triangulation" bezeichnet, traditionetl unter Hinzunahme der ,,methodological triangulation" unter das Konzept der Triangulation subsummiert. 9~176 Der ftir diese Arbeit auf der Basis obiger Empfehlungen nun entwickelte initiale ,,sampling"-Rahmen ist in Abbildung 29 dargestellt. Zentraler Leitgedanke for diesen initialen Rahmen ist ein triangulierendes ,,purposeful

sampling"

sowohl

in

Form

eines

Querschnitt

entlang

der

Ziel-

Teilfunktionsbereiche des Marketings wie auch des Irmovierens wie auch in Form eines

896 Vgl. Patton, 1990, S. 169, wobei Patton in Summe 15 verschiedene Arten des sampling ftir qualitative Forschung beschreibt, die jedoch fast alle Arten des ,,purposeful sampling" formulieren. Das rein an Aufwandsminimierung orientierte ,,convenience sampling" lehnt er mit Nachdruck ab (S. 181). 897 Vgt. LeCompte and Preissle, 1993, S. 69. Oder, in Maxwells Worten: ,,This is a strategy in which particular settings, persons, or events are selected deliberately in order to provide important information that can't be gotten as well from other choices." (Maxwell, 1996b, S. 70) 898 Siehe z. B. Glaser und Strauss, 1998, S. 53ff., Strauss und Corbin, 1996, S. 148ff., Corbin und Strauss, 1990, S. 81". 899 Vgl. Pettigrew, 1990, Pettigrew, 1997, oder Abschnitt .3.1.2 900 Siehe z. B. bei Maxwell in Bezug auf einen frh'hen Beitrag Denzins (vgl. Denzin, 1970): ,,(._) the general principle known as triangulation: collecting information from a diverse range of individuals and settings, using a variety of methods." (Maxwell, 1996b, S. 75)

3.1 Methodische Rekonstruktion

147

L/ingsschnitt entlang der Hierarchie. Die dritte ,,sampling"-Dimension formuliert, dem Ansatz der longitudinalen Prozessforschung gem~il3, die Zeit. prozessual

9 Leltung

//Huber M~nchen~. , ~ [ ~ o~,~/__ ................................................................ LAM ~ LAY / ~ I+B ~ I+B

Funktionsbereiche 9 Leitung

............................................................................

I .........................................................

Tell-Funktlonsbereiche//A~/TAD Verkauf Vertriebt Ink Academy Labor 9 Leltung ~ I I I ~ I I 9 ~p~ive/~ I+B I+B I+B i I+B I

B

hor~on~l

Abbildung 29: Initialer ,,sampling"-Rahmen der Vertiefungsphase bei MHM Wie k6nnen nun auf der Basis von Forschungsinteresse, -lacken und theoretischem Bezugsrahmen die Funktionsbereiche des Marketings und des lnnovierens beztiglich des ,,sampling" geeignet adressiert werden?

Welche horizontalen

Ziel-Teilfunktionsbereiche 9~

sollten

fokussiert werden? Wenn fftir M H M angenommen werde, sich for beide Funktionen im Wandel zu befinden, denn gerade mit diesen gewandelten Rollen, so lautet ja die Kernthese dieser Arbeit, gehen gewandelte Formen effektiver Integration einher, verbietet sich ein (zu) enger Fokus,

bspw.

nur

auf die Marketing-

und

F&E-Abteilung.

Im

Sinne

des

marketingtheoretischen Verst~indnisses (siehe Abschnitt 2.3.1) sei for das Marketing der initiale Fokus auf Bereiche an der Schnittstelle zwischen Untemehrnen und Umwett gelegt: Service (bei M H M

Anwendungstechnik A W T

und

Technischer AuSendienst TAD

bezeichnet), Verkauf und Vertrieb, erg~nzt um das Fiihrungsgremium LAM. Ftir das Irmovieren, dem theoretischem Verstandnis gem~iB (siehe Abschnitt 2.3.3), liege der initiale Fokus nicht nut auf institutionalisierten Formen, Labor und die Ink Academy, sondern gleichermaBen auf temporaren, m6glichst offen-flexiblen und netzwerkartigen Formen, sprich von Innovationsprojekten 9~ auch hier erganzt um das Ffihrungsgremium LAT. Bedeutsam in

90~ Diese Ebene der Teilfunktionsbereiche formuliert dabei auch die Granularitfit der analytischen Ebene der Untersuchung des Zusammenwirkens zwischen Marketing und Innovieren (vgl. Brockhoff, 1994b, S. 10). 902 Die Auswahl der betrachteten Projekte sieht als Wahlkriterium im Kern das der Breite der beteiligten intemen (bei MHM) trod extemen Parteien (also z. B. Kunden, Zulieferer oder andere exteme Partner), was i. d. R. dann gr6Bere und komplexere Projekte nach sich ziehen wird. Die BegriJndung fiJr diese Wahl liegt nahe liegenderweise in der Forschtmgsfrage und dem netzwerk- und beziehungsorientierten Verstandnis der beiden Funktionsbereiche. Zudem sollen Projekte entlang der jtingeren Zeitachse gew~ihltwerden, also yon abgeschlossenen Projekten bis lain zu noch laufenden, aktiven Projekten. Als Forschungsorte flit die zweite empirische Methode, die teilnehmende Beobachtung, sollen - der Zielsetzung der Methode nach nat'Zirlichemund situationsspezifischem Verhalten der Teilnehmer gemaB (vgl. Strodtholz und Kiihl, 2002, S. 20) - ,,settings" des normalen operativen Tagesgesch~ifts gew~ihlt werden, die von m6glichst hoher Interaktionsintensit~itmit intemen undv'oderexternen Netzwerkpartnern gepragt sind. Dies entspricht einem ,,intensity based sampling", also der Wahl von informafionsreichen Fallen (vgl. Patton, 1990, S. 169ff, oder Miles und Huberman, 1994, S. 28).

148

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

diesem initialen Rahmen ist es i. S. der Triangulation a u f j e d e n Fall, beide Funktionsbereiche tiber eine Vielfalt an Teilfunktionsbereichen zu adressieren. Nur auf dieser Basis k6rmen in einem dyadisch- oder multiadisch-komparativen Szenario Sichten einander gegentibergestellt werden. 9~ Naheliegend, gerade auf Basis des aktivit~itsbezogenen Verst~indnisses von Marketing und Irmovieren, ist es, dass diese Zuordnung nicht als exklusiv zu verstehen ist. 9~ Wurden im Design der Explorationsphase noch der externe Kontext an Kunden und Konkurrenten explizit mit einbezogen, sollte hierauf in der Vertiefungsphase verzichtet werden. FiJr die hierareh&ehe AufJ~cherung der inneren Kontextualitgt sei Pettigrews Forderung nach Mehrebenenanalysen gefolgt 9~ und v o n d e r Geseh~iftsf'tihrang bis zur operativen Ebene vier Hierarchiebenen betraehtet. Die Bezeichnungen ,,I" und ,,B" beziehen sieh auf empirische Methoden (Interview, teilnehmende Beobachtung) und seien in Absehnitt 3.1.3.2 vertieft. Im Vorgriff auf den Einsatz der Methode des ExpertInneninterviews sind auf allen Ebenen jeweils Einzelpersonen zu fokussieren. Die Auswahl dieser Personen auf der operativen Ebene sttitzt sich, in angestrebter Kontrastierung eines ,,maximum variation sampling ''9~ auf maximale Varianz der Dauer der Zugeh6rigkeit zu dem jeweiligen Teilfunktionsbereich. Ziel ist es, bei altgedienten Mitarbeitern die Historizitat, Identit~it, Sprache und rollenspezifischen Werte geeignet verstehen lernen zu k6nnen und bei jungen Mitarbeitern, im Kontrast dazu, die Reflexion fiber tiberliefertes Rezeptwissen sowie Formen des Rollenspiels wie auch rollenspezifisehes Wissen in einem noeh friiherem Stadium der Habitualisierung und bei u. U. ausgepr~igterer F~ihigkeit zu Reflexion erfahren zu k6nnen. 9~ Sampling umfasst jedoch auch Fragen der

prozessualen Dimension, der Zeit, die fiir das

Dissertationsprojekt bedeutsam sind. Der Ansatz der longitudinalen Prozessforschung erfordert eine chronologische Rekonstruktion des Status quo und seiner relevanten Aspekte, um schlieBlich diese Aspekte in ihrer Historizit~it erfassen und verstehen zu k6nnen. 9~ Es gilt also die an Konstruktion wie Rekonstruktion relevanter Ph~nomene beteiligten Prozesse zu

9o3 Und es k6nnen (und sollen) auch Reflexionen fiber die erwartete jeweilige Sicht des Anderen den geaugerten Sichten der Anderen gegenfibergestellt werden. Dies erfolgt in Anlehnung an das Konzept der reziproken Sinngebungsprozesse beim Institutionalisierungsprozess auf der Basis von Reflexionsprozessen von Berger und Luckmann, 1999, S. 68t". 904 So hat sich sp~iterbspw. gezeigt, dass die Anwendungstechnik als Schnittstelle zwischen dem AuBendienst (sei es TAD oder der Vertrieb) und dem Labor eine Schlfisselrolle in beiden Funktionsbereichen spielt. Und anch Innovationsprojekte, bei MHM i. d. R. technisch verstanden und daher hier unter Innovieren eingefiigt, haben gerade in ihren Sp~itphasenausgepr~igtenund interfunktional getragenen Marketingfokus. 905 In Bezug auf das Forschungsinteresse mit Nachdruck unterstrichen wird diese Fordenmg, aufgmnd der Unterschiedlichkeit von Antworten aus verschiedenen Hierarchiebenen, jedoch auch von Ruekert und Walker, in der einzigen dem Autor bekannten Studie, die explizit hierarchische Ebenen differenziert (wenn auch nicht homogen): ,,(...) the finding serves to underscore the importance of collecting data from multiple levels of the organization when studying interfimctional relationships." (Ruekert und Walker, 1987a, S. 241) 906 Vgl. Guba und Lincoln, 1989, nach Miles und Huberman, 1994, S. 29, und Maxwell, 1996b, S. 71; siehe auch Pettigrews ,,comparative method" (Pettigrew, 1990, S. 274ff.). 907 Vgl. Berger und Luckmann, 1999, S. 66. 908 Siehe bei Pettigrew z. B. Pettigrew, 1997, S. 338f.

3.1 MethodischeRekonstruktion

149

erfassen, die dann schliel31ich erst die Basis schaffen k6nnen, Far eine gezielte Vergnderung dieser Ph~inomene eben fiber eine Beeinflussung der sie konstruierenden Prozesse. 9~ In Bezug auf die Frage, welcher Zeitausschnitt, fokussiert werden soll, sei der Empfehlung Pettigrews nach einer Ausrichtung an ,,(...) major (...) breakpoints in a firm's history which indicate the end or beginning of periods of contiuity or change ''91~ gefolgt. Das Kemelement (siehe Abbildung 30) bildet die empirische Begleitung von MHM tiber eine Periode von 4 89 Jahren. Diese ,,real time analysis" beginnt mit dem - tar diese Arbeit relevanten ,,breakpoint" der kurz vor Beginn der Explorationsphase des Projekts ,,Service Excellence" formulierten ,,Vision 2000". Die Dauer des Forschungsprozesses ist hierauf aufsetzend darm im Weiteren von theoretischer Sgttigung in Anlehnung an eine interpretative Auslegung des Ansatzes der ,,grounded theory" gepr~igt. Die ,,historical analysis" fokussiert den Zeitraum der letzten zehn Jahre, also bis t994 zurtick. Herausgehobenes Interesse hierbei gilt, neben den Pfadabh~ingigkeiten zum Forschungsinteresse, einem zweiten ,,breakpoint", n~imlich der Reorganisation der Entwicklung bei MHM im Jahr 1998, die es entsprechend zu rekonstruieren galt. Kemfokus

2,. Kernfokus .historical analysis" historischc Einbettlmg

~

~"-~,,

2,. 9

Grflndlmg1765

.....

1994

...... 9

......

1998 2000 Reorganisation Vision2000; Entwicklung Projekt.Sea'viceExcellence"

2004/5

| t

Abbildung 30: Zeit-,,sampling"der longitudinalenProzessforschungbei MHM Operativ untersttitzt wird der Ansatz der ,,historical analysis" durch die beim ,,sampling" der Interviewpartner skizzierte angestrebte Kontrastierung, wie auch durch explizite Rekonstruktionen der Pfadabhgngigkeiten in den Interviews der Ftihrungsebene. Beide Aspekte werden durch die bei MHM tiblichen langen Betriebszugehrrigkeiten in besonderem Mage erm6glicht. 911 Und auch die gew~ihlten Projekte sollen, untersttitzt durch die indirekrt geforderte Grrge und Komplexit/it, einen Rtickblick in die jtingere Vergangenheit

9o9 Pettigrews Komponente des ,,process" (siehe Abschnitt 3.1.2.1) betont die Pfadabh/ingigkeit einer Organisafion, ,,[n]eben der chronologischen Rekonstruktion vergangener Ereignisse geht es vor allem darum, das diese Ereignisse verbindende Muster zu entdecken, um Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft miteinanderzu verkniipfen.Diese Verkntipfungsleismngbildet die Basis fiir das Verst~ndnisder Gegenwart und die Vorstellungdes zukiJnftigenMfglichkeitsraums." (Mtihlbach,2003, S. 98) 91o Pettigrew, 1990, S. 272. 9~ Die durchschnittliche Betriebszugehrrigkeit der in dieser Arbeit interviewten Ftihrungskrafte betrug 20 Jahre (zum Vergleich: aller interviewtenMitarbeiterlnnen17 Jahre).

150

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

erm6glichen. Auch sie werden also kontextuell eingebettet und historisch zu rekonstruieren 9 912 seln.

lm Riickblick, das vom Erkenntnisprozess getriebene ,,theoretical sampling" nachzeichnend, wurde im Kern Dr die Vertiefungsphase der in Abbildung 29 skizzierte Rahmen als Orientierung beibehalten. Innerhalb dieses Rahmens jedoch wurde das initiale ,,sample" deutlich ausgeweitet.913 Und auch dartiber hinaus fiihrende, den Rahmen also verlassende Forschungskontakte, wie z. B. mit der Produktionsleitung von MHM, Kunden oder extemen Branchenbeobachtem, erwiesen sich als hilfreich zur angestrebten kontrastierenden Vielfalt. Und nicht zuletzt die Abschlussphase tiber - wie Pettigrew das schon empfahl - Feedbackbzw. Aktionsforschtmgs-Workshops verlief3 diesen Rahmen, um die Reziprozitat im Forschungsfeld aufrecht zu erhalten wie auch als probates Mittel zur fortlaufenden Plausibilisiertmg.

Forschungsbeziehungen ,,In den seltensten Fallen wird eine Organisation einem unbekannten Wissenschaftler, der mit einem Empfehlungsschreiben v o n d e r Universitat kommt, eine Feldforschung ,einfach so' durchfiihren lassen. Misstrauen sowie die Unklarheit, ,was das bringen soll', sprechen dagegen. ''914 Zentral zu adressieren sucht diesen Aspekt, neben dem einer inhaltlichen Annghemng an das Forschungsinteresse, die Einbindung und Nutztmg der von Aktionsforschungscharakter gepragten Vorstudie. 915 So konnten die im bereits angelaufenen und 6ffentlich gef'6rderten (Teil-)Projekt

,,Service Excellence" anfgebauten Forschungs-

beziehungen, wie auch die Rollen von Lehrstuhlinhaber und Prasident der Universitat als Mitglieder des Beirates der Huber Gruppe, hier fruchtbar genutzt werden. Dieses als Vorstudie genutzte Projekt war von Anbeginn im oberen Management, namlich der Vertriebsleitung sowie der Geschaftsf'tihrung aufgehangt. 12rber die intensive Zusammenarbeit in dieser Phase konnte eine ausnehmend vertrauensvolle Basis for die Vertiefungs- und Abschlussphase geschaffen werden. Das Teilprojekt der Explorationsphase war - dem Lehrstuhlstandard gemag - in eine Vertranlichkeitsvereinbarung zwischen dem Lehrstuhl (IOM) und MHM eingebettet. Ftir die Vertiefungs- und Abschlussphase war eine Verlangemng dieses Forschungsvertrages sowie ein ,,memorandum of understanding" als Diskussionspunkt mit dem Geschaftsfiihrer in das Kickoff-Meeting fitr diese Phase eingebracht worden. Aus Sicht des Geschaftsf'tihrers und

9t2 Daneben gilt es natiirlich auch, die Historizit~t dieser genannten Phanomene und Prozesse jeweils im chronologischen Rfickblick zu rekonstruieren, also in den empirischen Methoden explizit darauf hinzuwirken, nicht nur den Status quo zu erfassen, sondern auch die an seiner Konstruktion und RekonstruktionbeteiligtenProzesse. 9~3 Siehe im Anhang B.2, die Darstellung aller Forschungskontaktefiir die Vertiefungs-und Abschlussphase. Wobei diese Ausweitung und Flexibilisierungnatiirlich nicht nut die Anzahl der Forschungskontakte, sondernauch derenCharakter im Sinne einerzunehmendentheoriegeleiteten()ffnungim Dialogbetras 914 Bachmann,2002, S. 328. 915 SieheAbschnitt3.1.2.2 zur DiskussiondiesesPunktes.

3.1 MethodischeRekonstruktion

151

Mentors des Teilprojektes ,,REMIX" konnte hierauf far die Folgephasen verzichtet werden. Das Kickoff-Meeting zwischen Geschgttsfahrer und Forscher war dennoch von einer aus Sicht des Autors wichtigen Rollenkl~ung gepr~igt. Zentral war das Verst~indnis des Forschungsprojektes als partnerschaftlichen Prozess des Lemens und Verstehens. Der far MHM skizzierte Nutzen, Pettigrews ,,reciprocity" explizit adressierend, war die Unterstiatzung im Wandel zur Marketingfahrerschaft mit dem Ziel einer nachhaltigen Verbesserung zentraler ErfolgsgrN3en far eine effektive Integration von Marketing und Innovieren. 916 Die Aufwgnde wurden in Form des geplanten Forschungsansatzes und einer grob skizzierten Anzahl an Interviews und teilnehmenden Beobachtung dargelegt. Expliziert wurden Prinzipien der Zusammenarbeit, die die Haltung des Forschers, wie Rticksicht auf die WertschOpfung in der Partnerorganisation MHM und Verschwiegenheit und Einflihlungsverm6gen, definierten, wie auch die Haltung der Partnerorganisation zu Offenheit, Bereitschaft zum Dialog, Zutritt zum Alltagsgeschehen der Partnerorganisation MHM und Unterstiitzung und Begleitung. Auf Basis gemeinsamen Interesses an der Forschungsfrage wurde das Teilprojekt ,,REMIX" gestartet. Die Finanzierung des Forschers war fiber den Lehrstuhl siehergestellt, MHM war also in die Forschung finanziell nicht involviert. Der Forscher konnte sich im Folgenden vollkommen frei innerhalb der Organisation bewegen, selbstandig Kontakte kniipfen, Termine vereinbaren und auch interne Unterlagen einsehen. Die Leiterin des obersten Innovationsgremiums (LAT) fungierte als ,,gatekeeper" und diente als interner BriJckenkopf far Forschungsaktivitaten. Allen in Forschungsaktivitgten Involvierten wurde - mit der Gesch/iftsfahrung vereinbarte - absolute Vertraulichkeit zugesichert, ihre Beitr~ige sind in dieser Arbeit dementsprechend anonymisiert wiedergegeben. Ftir die zentrale aus dem Forschungsprojekt geplante Ver6ffentlichung, diese Arbeit, wurde eine explizite Freigabe durch MHM vereinbart. Die andiskutierten M6glichkeiten zum Schutz sensibler Informationen reichten von Kttrzungen bis hin zur vollst/indigen Anonymisienmg - v o n denen aber dann far diese Arbeit kein Gebrauch gemacht worden ist. 3.1.3.2

Methoden der Empirie

Welche Methoden der qualitativen Organisationsforschung gilt es nun wie ausgestaltet einzusetzen, um das far die Forschungsfrage(n) angestrebte Verstehen zu erreichen? Bevor sich Abschnitt 3.1.3.3 mit Dokumentation und Datenanalyse beschgftigen kann, soll sich dieser Abschnitt der Frage widmen, wie diese Daten denn m6glichst geeignet gewonnen werden sollen und k6nnen. Die Eignung hat sich hierbei primgr am paradigmatischen Fundamen~ und den dort formulierten Giitekriterien anszurichten, wie auch nattMich an den Forschungsfragen und dem Forschungsansatz. In diesem Sinne gilt es also, im Spannungsfeld der m6glichen Methoden und ihrer Vor- und Nachteile, Eignungen und Einschrgnkungen, fttr

916 Die Unterstfitzungsollte im Kern - und dem Forschungsansatz gerr~il3- fiber ,,action workshops" erfolgen (siehe Abschnitt3.1.2), darfiberhinaus natfirlichfiber die Arbeit als solche.

152

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

Explorationsphase und Vertiefimgs- und Abschlussphase der Empirie einen effektiven Mix an Methoden917 einzusetzen - und auszugestalten. Er soll im Folgenden vorgestellt und diskutiert werden. Als Ausgangspunkt der folgenden Diskussion sei Bezug genommen auf die Gfitekriterien dieser Arbeit und insbesondere das Kriterium der Authentizit~it. 918 Es bezieht sich auf die N~ihe zum

Untersuchungsgegenstand und

seiner Einbettung

in

Lebenswelten und

Alltagstheorien, den Prozess des ,,going native" und die partizipativ erfolgte Rekonstnaktion von subjektiv gemeinten Sirra der beforschten Akteure. Es geht also im Kern um die prozessuale und kommunikative Ann~ahemng an das Nr das Forschungsinteresse relevante Verstehen. So muss es nicht fiberraschen, dass die teilnehmende Beobachtung 919 als ,,(...) qualitative Methode ,par excellence'''92~ bezeichnet wird, scheint sie hierNr doch ausnehmend geeignet und ihre Idee denkbar einleuchtend: ,,Will man etwas ~iber andere Menschen herausfinden, geht man einfach zu ihnen hin, bleibt eine Weile, macht das mit, was diese Menschen dort normalerweise treiben, und lernt sie so durch eigene Erfahrung besser kennen. ''921 Der zentrale Vorteil der teilnehmenden Beobachtung wird darin gesehen, dass sie soziales Handeln in vivo erfasst. ,,Die Vorg~inge im Feld sind dem Beobachter durch seine Teilnahme direkt erfahrbar. Dadurch sind im Vergleich zu anderen Verfahren die Daten genauer und zuverl~tssiger und die Bedeutsamkeit von Ereignissen dem Forscher einsichtig.''922 Die Einbettung der Methode in den allt~iglichen Arbeitskontext, die N~ihe zum konkreten Handlungsgeschehen und der Zugang zum impliziten Wissenspotenzial sowie zu den Interpretationen und Bewertungen der Interaktionsteilnehmer sttitzen die Authentizitgt der Daten. In der Praxis ist die teilnehmende Beobachtung jedoch auch mit nicht unwesentlichen Problemen behaftet: Sie ist komplex und wenig kontrollierbar, v o n d e r Problematik des Feldzugangs und der unbemerkten Ver'~qderung der sozialen Situation durch den Forscher geprggt, wie auch von Datenaufbereitung und -auswertung.923

grogem Aufwand und

Schwierigkeiten der

Zunehrnend grol3er Beliebtheit erfreut sich, dabei zahlreiche Einschr/inkungen der teilnehmenden Beobachtung tiberkommend, die Methode des qualitativen Interviews, in der

917 Sieheauch Abschnitt2.2.2 zur methodologischenEinbettung. 918 SieheAbschnitt2.2.3. 919 Die teilnehmendeBeobachtung ist ,,(...) die systematischeWahrnehmungund das Verstehendes sozialen Handelns von Individuenund Gmppen in ihrer alltaglichenUmgebungdurch einen Beobachter,der an den Interaktionen der Personenteilnimmtund von diesen als Teil ihres Handlungsfeldesangesehenwird." Der Begriff der teilnehmendenBeoachtung stammt dabei yon Lindemann (Lindemarm, 1924, nach Schafer, 1995, S. 31), einem Soziologender Chicagoer Schule. Zu verschiedenenFormen der Beobachtungsiehe z. B. Lanmek, 1995b, S. 247ff. 920 Lanmek, 1995b, S. 35, sieheauchAngrosinoundMaysdePerez, 2000, S. 673. 921 Bachmann,2002, S. 323. 9zz Sch~ifer,1995, S. 33. 923 Siehe'z. B. Bachmann, 2002, S. 326f., Sch~ifer, 1995, S. 31ff., Lamnek, 1995b, S. 239ff., oder sehr ausffib_rlichbei Girtler,2001, S. 58ff.

3.1 Methodische Rekonstruktion

153

Organisationsforschung insbesondere in Form des sogenannten Expertlnneninterviews. 924 Das ExpertInneninterview ist dabei ,,(...) ein offenes, leitfadenorientiertes Interview mit einer Person, die beztiglich einer speziellen Fragestellung Experte ist oder diese Rolle v o m Forscher zugeschrieben bekommt. ''925 In A b g r e n z u n g zu anderen Interviewarten ist dabei nicht der Experte als Gesamtperson Gegenstand des Verfahrens, sondern er ist ausschlieBlich in seiner Funktion im institutionellen Kontext far den Forscher v o n Interesse. 926 Der Leitfaden soll beim ExpertInneninterview d e m thematisch begrenzten Interesse des Forschers an d e m

Experten bzw.

der Expertin gereeht werden.

Die methodische S t ~ k e

des

ExpertInneninterviews wird in seinen vielseitigen A n w e n d u n g s m 6 g l i c h k e i t e n gesehen. Indem theoretisehes Vorwissen often gelegt wird, besteht z u d e m die M6glichkeit, neu g e w o n n e n e Erkenntnisse in den Forsehungsprozess wieder einzufleehten. 927 L a m n e k betont, gerade im Kontrast zur teilnehmenden Beobachtung, z u d e m die Vorteile, dass ,,(...) die Informationen in statu nascendi aufgezeichnet werden k6nnen, unverzerrt authentiseh sind, intersubjektiv nachvollzogen werden und beliebig reproduziert werden k6nnen". 928 E i n s c h r ~ k u n g e n liegen in seiner ,,gesehlossenen Offenheit", also der erforderliehen Gratwanderung zwischen Strukturiertheit und Offertheit, 929 und erwachsen auch aus der Ktinstlichkeit der Situation. 93~ G e m e erg~nzt werden die beiden bereits genarmten Methoden durch die Erhebtmg von Sekund~trdaten, die sogenannte Dokumenten- und Aktenanalyse. 931 Ihr Nutzen geht dabei fiber die reinen Inhalte der D o k u m e n t e oder Akten hinaus, begreift m a n diese Artefakte als Materialisierungen von Kommtmikation, wodurch sie einerseits A u s d r u c k der sozialen Organisierung ihrer Herstellung sind und andererseits etwas iJber den Kontext k o m m u n i k ativer B e z i e h u n g e n aussagen, in denen sie auftauchen und verwendet werden. 932 ,,Well somit die B e d e u t u n g und der Stellenwert von Artefakten nicht v o n ihrem sozialen bzw. k o m m u n i k a t i v e n Kontext

isolierbar

sind,

lassen sie sich zu

dessen Rekonstruktion

924 Vgl. Lamnek, 1995b, S. 35, Liebold und Trinczek, 2002, S. 34, Bogner und Menz, 2002b, S. 7ff., oder sehr ausftthrlich auch in Bogner et al., 2002; zu anderen Formen des qualitativen Interviews, auf die hier nicht eingegangen werden soil, siehe z. B. Kiihl und Strodtholz, 2002, S. 31ff., Sch~ifer, 1995, S. 9ff., oder Lamnek, 1995b, S. 68ff. 925 Sch~ifer,1995, S. 15, siehe ~ihnlichz. B. auch Liebold und Trinczek, 2002, S. 33. 926 Vgl. Schiller, 1995, S. 15, oder Liebold und Trinczek, 2002, S. 35ff., zum ,,sozialwissenschaftlichen Begriff des ,Experten'". Experten geh6ren dabei ~iblicherweise der Funktionselite eines Untemehmens an, es sind aber auch andere Techniken der Identifiziertmg von Experten m6glich (siehe z. B. Schiller, 1995, S. 15 (mit Verweis aufDrewe, 1974), Bogner und Menz, 2002a, S. 33ff., oder auch Meuser und Nagel, 2002, S. 73ff.). 927 ,,Explikation und Prozesshaffigkeit manifestieren sich so wechselhaft in dem Prinzip der Reflexivit~it von Gegenstand und Analyse" (Liebold und Trinczek, 2002, S. 67), ein Aspekt der nicht zuleLzt fiir theorieentwickelnde qualitative Forschung yon Relevanz ist. 928 Lamnek, 1995b, S. 35. 929 Vgl. Liebold und Trinczek, 2002, S. 42f., oder im Detail Meuser und Nagel, 2002, S. 78s 930 Siehe z. B. die sehr sch6ne Diskussion hierzu bei Liebold und Trinczek, 2002, die die Kontextualitat der Interviewsituation beim Expertlnneninterview betonen (S. 46). 931 Vgl. Strodtholz und Ktihl, 2002, S. 19; oder z. B. auch in der longitudinalen Prozessforschung bei Pettigrew, 1990, S. 277, in der Aktionsforschung bei Gummesson, 2000b, S. 67ff., oder in der Fanstudienforschung bei Yin, 2003, S. 85ff. 932 Vgl. Froschauer, 2002, S. 362.

154

3. Rekonstruktion- ,,empiricalj oumey"

verwenden. ''933 Der Vorteil liegt nun darin, dass Artefakte einen zentralen Bestandteil der organisationalen Lebenswelt bilden und unabhgngig von Forschungsaktivit/iten bestehen und beobachtbar sind. Die Schwierigkeit liegt unzweifelhaft in der Omnipr/isenz von Artefakten und daher ihrer geeigneten Auswahl, wie in ihrer Interpretation und den ilmen zugrunde liegenden Entscheidungsprozessen. 934 Welche dieser Methoden sollen nun zum Einsatz kommen flir die Empirie dieser Arbeit? Die Forschungsfrage zielt auf M6glichkeiten zur Integration der zwei Funktionsbereiche Marketing und Innovieren ab, was auch auf methodischer Seite die Dyade eines Mehrperspektiven-Ansatz tiber Expertinneninterviews empfiehlt, will man lokale Prggungen identiflzieren und alternative Muster kontrastieren. Auch die tiber den Forschungsansatz geforderte Ber(icksichtigung der Historizit~it l~isst sich - wie oben bereits dargelegt - geeignet fiber Expertlnneninterviews adressieren. Passend untersttitzt werden kann dies tiber die Methode der Dokumenten- und Aktenanalyse, die die kontextuelle Einbettung, horizontaler wie aber auch vertikaler Form zu analysieren im Stande ist - neben ihren oben skizzierten, hiertiber hinausgehenden Potenzialen. Ftir diese Arbeit soil nun dartiber hinaus auch die Methode der teilnehmenden Beobachtung zum Einsatz kommen. Mag dies auf den ersten Blick tiberfltissig erscheinen - und mit erheblichem zus/s Aufwand verbunden - lassen jedoch die Gtitekriterien der Authentizit~it und Plausibilit/it keine andere Wahl. Eine zentrale Rolle, diese Kriterien zu adressieren, spielt das Konzept der Triangulation. Triangulation ,,(...) reduces the risk that your conclusions will reflect only the systematic biases or limitations of a specific method, and it allows you to gain a better assessment of the validity and generality of the explanations that you develop. ''935 Und gerade die teilnehmende Beobachtung karm die Schwgchen und Einschr~lkungen der Methode des Expertinneninterviews in fruchtbarer Symbiose geeignet iJberkommen und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen, insbesondere in wenig strukturierter Form, ,,(...) ist sie wie keine andere Methode dazu geeignet, etwas zu entdecken, das man vorher nicht gewusst hat - genauer: eine Fragestellung zu entwickeln, v o n d e r man vorher noch nicht wusste, dass dies eine wichtige Frage ist. ''936 Zum anderen kann sie aber auch widersprtichliche und ambivalente Daten generieren, besonders dicht und kontextuell eingebettet - und vermag durch diesen ,,cross-check" struktttrellen Problemen des ExpertInneninterviews zu begegnen. 937 Es zeigt sich also, dass, wenn die drei genannten Methoden in einem geeigneten Mix miteinander

933 934 935 936 937

Froschauer,2002, S. 362. Vgl. Froschauer, 2002, S. 367. Maxwell, 1996b, S. 75f. Bachmann,2002, S. 355. Siehe z. B. die zahlreichen bei Ktihl, 2002, S. 267f., diskutierten Problemf~ille,wie bspw. dass der ,,(...) Interviewer mit Antworten bedacht [wird], die der Interviewte gem in der Organisation verbreitet sehen m6chte." Siehe auch Maxwell, 1996b, S. 76.

3.1 MethodischeRekonstruktion

155

kombiniert werden, sich so ihre jeweiligen Schwgchen bzw. Einschr/inkungen in fruchtbarer Symbiose geeignet tiberkommen lassen. 938

!

--.

9 Explorat|onsphase

:i V e r t i e f u n g s - ~

Me~hoden: 9 aktiv teilnehmende Beobaehtung (direkt, often, nicht strukturiert; z.T auch passiv) 9 . 9 Interviews (often oder tellstandardisiert, Einzel- oder Gruppeninterviews) 9 D o k u r r ~ n t e n - & AktenanaJyse (wenig strukturiert bis strukturlert)

: Melhoden: ~...... ~ 9 passiv teilnehmende Beobachtung (direkt, i often, teil-strukturiert, zunehmend Interviewelemente~.. : . . . . . ~ 9 Interviews (ted-standardlslert vlsualisiert, Elrcel: interviews, zunehmend Feedback/ ; charakter) ~ Doku e / :9 m nten- & Akten- / *, analyse (struk- / *, turiert)

Prozess der Theorieentwicklung und der zunehmenden ,,theoretischen Sitttigung"

t

Abbildung 31 : Methodender Empirie in Explorations-,Vertiefungs-trod Abschlussphase Noch nichts gesagt ist damit jedoch tiber die konkrete operative Ausgestaltung dieser Methoden. Ftir diese Arbeit solten die Methoden in ihrer Ausgestaltung den V-f'6rmigen Ansatz des breiten Starts tiber die Explorationsphase, ~iber die von zunehmender theorieentwickelnder Fokussierung gepr~igte Vertiefungs- und Abschlussphase reflektieren (siehe Abbildung 31). Im Kern geht dies einher mit einer eher geringen Standardisierung und Strukturierung in den frtihen Phasen und einer eher strukturierten und teil-standardisierten Auspriigung in den sp/iteren Phasen, in die zudem Fragmente der entwickelten gegenstandsbezogenen Theorie einflieBen. Die Explorationsphase, ihrem Aktionsforschungscharakter gem/iB, ist prim/ir gepr/igt vom Einsatz der aktiv teilnehmenden Beobachtung, in direkter, oftener und nicht strukturierter Form. Die Rolle als ,,change agent "939 ist von aktiver Teilnahme gepriigt. Der Explorationscharakter mit induktiver, theorieentwickelnder Zielsetzung, der initialen Entwicklung einer ,,theoretischen Sensibilitlit", empfiehlt nut grobe Kategorien als Rahmen der Beobachtung. 94~ Fokus dieser aktiven teilnehmenden Beobachtung, dem Kemelement der Explorationsphase, sind Meetings und Workshops im Rahmen des Teilprojektes ,,Service Excellence", an denen

938 SO muss es nicht tiberraschen, dass der diskutierte Methodenmix dieser Arbeit einem ahnlichen Ansatz in der Prozessforschung gegentibersteht, aus ,,in-depth interviews with key informants", ,,documentary and archive data" und ,,observational and ethnographical material" (Pettigrew, 1990, S. 277). Und aueh flir Fallstudien-und Aktionsforschungwerden ~hnlicheAns~itzeempfohlen, siehe z. B. in der Aktionsforschung bei Gummesson,2000b, S. 121ff., oder in der Fallstudienforschtmgbei Yin, 2003, S. 85ff. 939 Vgl. Gummesson,2000b, S. 39 und S. 208. 940 Vgl. Lamnek, 1995b, S. 250, Strauss und Corbin, I996, S. 25ff.

156

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

der Autor als Projektleiter teilnahm. Erg~nzt wurden diese Forschungsaktivit~ten durch passiv teilnehrnende Beobachtungen, primer von Interaktionen zwischen Huber- und KundenMitarbeitern. Beide Formen der Beobachtung wurden, wo immer es nOtig und fruchtbar schien, durch Interviewpassagen i. S. eines Beobachtungsinterviews mit Feedback-, also Reflexionscharakter untersttRzt. 941 Begleitet wurde die Explorationsphase durch eine Dokumenten- und Aktenanalyse. Sie war im Kern auf das vorgegebene Projektziel ausgerichtete, i. S. des Forschungsinteresses dieser Arbeit also wenig strukturiert, zum Ende zunehmend jedoch fokussiert und strukturiert hinsichtlich der sich herausschNenden relevanten Themen und dem Forschungsinteresse. In Summe gab es in der Explorationsphase 65 Forschtmgskontakte, davon 50 aktiv teilnehmende Beobachtungen, 14 passiv teilnehmende Beobachtungen und 32 Interviews bzw. Beobachtungsinterviews.942 Kunden

NW-Partner

Abbildung32: Struktur des LeitfadensFOxdie ExpertInneninterviewsder Vertiefungsphase943 Auf Basis der aus der Explorationsphase gewonnenen relevanten Themen und theoretischen Sensibilit~it und der fokussierteren Forschungsfragen, war die Vertiefungs- und Abschlussphase dann von feineren Kategorien und strukturierterem Methodeneinsatz gepragt. Die teilnehmende Beobachtung fokussierte weiterhin Meetings, nun jedoch in passiver Teilnahme und einem zunehmend differenziertem System an Beobachtungskategorien.944 Dieses System an Beobachtungskategorien orientiert sich im Kern an den initialen Leitfaden-

941 Siehe zumBeobachtungsinterviewz.B. KuhlmaIm,2002, S. 103ff. Eigenst~ndigelnterviewswurdeninder Explorationsphase nut wenige und prin~r zum Abschluss des Teilprojekts durchgeffihrt(siehe auch die Auflistungim AnhangB.2). 942 F~ireine detaillierteAuflistungaller Forschungsaktivit~itender Explorationshpasesiehe AnhangB.2. 943 Aufbauend auf der Abbildung zum ,,complete marketing equilibrium" von Gummesson, siehe Absctmitt 2.2.1 oder Gummesson,1996, S. 41. 944 Vgl.Lamnek, 1995b, S. 250, Schafer, 1995, S. 32.

3.1 Methodische Rekonstruktion

157

Kategorien der Expertlnneninterviews. 945 Auch hier wurden unterstiitzend Beobachtungsinterviews eingesetzt. Interviews, das Kernelement der Vertiefungsphase, kamen jedoeh insbesondere in Form yon Experthmeninterviews zum Einsatz, als teil-standardisierte Einzelinterviews in den relevanten Funktionsbereichen. 946 Der theoriegenerierenden Zielsetzung gemal3 nahm der Autor in den Interviews primgr die Rolle des ,,Laien" ein. 947 Der Leitfaden Nr diese Interviews findet sich im Anhang B.4, seine Strnktur ist in Abbildung 32 visualisiert. Der Leitfaden sucht im Kern, aufbauend auf einer kontextuellen Einbettung (vertikal wie horizontal), Marketingorganistion, Innovationsorganisation und das Zusammenspiel dieser Funktionen (im internen wie externen Kontext) 94a zu thematisieren. Grunds/itzlieh wird hinsichtlich des Zusammenspiels also jeweils die interne Organisation des jeweiligen Funktionsbereiches

und

das

Zusammenspiel

der

Teilfunktionen

thematisiert,

das

externe

Zusammenspiel mit Kunden- oder anderen Netzwerk-Partnern und sehliel31ieh das direkte Zusammenspiel zwisehen Teilfunktionsbereichen des Marketings und des Innovierens. Grundidee ist, wie oben dargelegt, im Sinne eines Mehrperspektiven-Ansatzes bis auf eine an die hierarchische Position ausgeriehtete Feinanpassung far alle Interviewpartner der beiden Funktionsbereiche Marketing und Innovieren den gleichen Leitfaden zu nutzen. 949 Dem Organisationsverst/indnis gem~ig sollten aueh die j eweils angenommenen Sichten der Anderen thematisiert werden. 95~ Der Komplexit~it des Themas wie auch der Schw~iehen und Probleme der Methode des ExpertInneninterviews gewahr, sollte insgesamt verst~irkt nach konkreten Beispielen gefragt werden und insbesondere Visualisierung als innovatives methodisches Element eingesetzt werden. 951 Idee war, hiertiber nieht nur das Gespr/ieh zu 6ffnen und visuell greifbar zu strukturieren, sondern ebenso iaber die jeweils vom Interviewpartner visualisierten handlungsrelevanten Theorien hinaus aueh die darunter liegenden impliziten Phgnomene und latenten Sinngehalte zu adressieren. 952 Weiteres wichtiges, oben bereits erwahntes Element,

945 Die teilnehmende Beobachtung war dennoch Kern eher als ,,unstructured approach" ausgestaltet, die als ,,structured approach" gestalteten ExpertInneninterviews geeignet erg~inzend(vgl. Maxwell, 1996b, S. 64). 946 Far die detaillierte Verteilung der Interviews und teilnehmenden Beobachtungen auf die Forschungsorte sei auf Abbildung 29 in Abschnitt 3.1.3.1 verwiesen. 947 Siehe hierzu die Typologisierung yon ExpertInneninterviews und parallel von Interaktionsstrukturen bei Bogner und Menz, 2002a, S. 36ff. und S. 62f. 948 Hier galt es, das netzwerk- und beziehungsorientierte Verst~indnisvon Marketing und Innovieren geeignet zu reflektieren, also bspw. nicht nut das interne direkte, sondem auch das exteme und indirekte Zusammenspiel (fiber Kunden oder andere Netzwerk-Partner) zu adressieren. 949 Vgl. Sch~fer, 1995, S. 16, aber auch Pettigrews Konzept der ,,comparative method" (Pettigrew, 1990, S. 274ff.), oder das Konzept der ,,komparativen bzw. vergleichenden Analyse" in der ,,grounded theory" (Glaser und Strauss, 1998, S. 31ff.). Lediglich die Reihenfolge der Fragebl6cke wurde differenziert, da jeweils ein Einstieg mit Fragen zum Funktionsbereich des Interviewpartners angestrebt wurde. 950 Siehe Abschnitt 2.3.2. 9s~ Vgl. Kfihl, 2002, S. 243ff., oder auch der Beitrag von Barth und Pfaff (Barth und Pfaff, 2002) zu Organisationskarten. Konkret eingesetzt wurden je Interview zwei vorbereitete DIN A 2-B1/itter, auf denen die Interviewten mit Post-its relevante Teilfunktionsbereiche oder auch externe Parteien anbringen und fiber Pfeile deren Zusammenspiel visualisieren konnten. Im Marketing wurde keine Struktur vorgegeben, die Orientierung erfolgte meist am Kunden, im Innovieren wurde als Grundgerfist ein idealtypischer Innovationsprozess angeboten. 952 Vgl. Barth und Pfaff, 2002, S. 276.

158

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

ist die im Sinne der theorieentwickelnden Forschungsstrategie zu nutzende und genutzte M6gliehkeit, zunehmend Fragmente der sich entwickelnden gegenstandsbezogenen Theorie einfliel3en zu lassen. Dies mtindet dann in der Abschlussphase in die yon Pettigrew for den Forschungsansatz empfohlenen ,,action workshops".953 Begleitet werden soll auch diese Phase durch eine Dokumenten- und Aktenanalyse, im Gegensatz zur Explorationsphase jedoch strukturiert auf die sich entwickelnden verfeinerten Kategorien fokussiert. Die Auswahl t'or interne Dokumente erfolgte durch Akteure des untersuchten sozialen Feldes selbst. Aueh for exteme Dokumente wurde dies genutzt, jedoch erganzt um eigene Recherchebemiihungen. In Summe gab es in der Vertiefungs- und Absehlussphase 44 Forschungskontakte, davon 31 ExpertInneninterviews (acht davon mit ausgepragtem Feedback-Charakter hinsichtlich der Theorieentwicklung), elf passive teilnehmende Beobachtungen und zwei Feedbackworkshops.954

3.1.3.3 Dokumentation und Datenanalyse Wie k6nnen wir fiber die eingesetzten Methoden der Empirie und den daraus gewormen Daten Verstehen hinsichtlich der Forschungsfragen erreichen? Wie kann der Forschungsprozess dokumentiert werden? Wie gilt es die Theorieentwicklung zu strukturieren? Oder - in einfachen Worten was macht man mit 900 Seiten Text an Primardaten?9s5 Miles und Huberman betonen den Reichtum qualitativer Daten: ,,Qualitative data are sexy. They are a source o f well-grounded rich descriptions and explanations o f processes in identifiable local contexts.''956 Umzugehen gilt es aber mit den groBen Datenmengen in Bezug auf Dokumentation und Analyse. Und auch das Feld der Datenanalyse und der Theorieentwicklung, gilt es aufbauend auf der in Abschnitt 3.1.1 formulierten Forschungsstrategie zu adressieren.

Dokumentation Unschwer ist auf Basis der eingesetzten Methoden und dem gesamten Forschungszeitraum von 54 Monaten zu erkennen, dass eine aul3erordentlich groBe Menge an Daten anfallen wird. FOr den Erfolg des Forschtmgsprojektes war es deshalb unabdingbar, einen strukturierten Ansatz zum Management dieses anfallenden Materials zu entwickeln. Auf Basis der eingesetzten Methoden kOnnen folgende Prim~irdaten-Quellen unterschieden werden: 9

F e l d n o t i z e n , sie adressieren die Erfahrungen aus teilnehmenden Beobachtungen. Sie sind

zweigeteilt und werden in einem zweistufigen Verfahren erstellt. Der erste Teil umfasst

953 Vgl. Pettigrew, 1997, S. 343; siehe auch Abschnitt 3.1.2.1. Diese Methode ist m Abbildung 31 der Einfachheithalbernicht aufgefiihrt. 954 Fiir eine detaillierte Auflistung aller Forschungsaktivit~itender Vertiefungs-und Abschlussphasesiehe AnhangB.2. 955 So umfassen alleine alle direkt fiber Interviews und teilnehmendeBeobachtungen gewormenDaten der Vertiefimgsphase fiir diese Arbeit knapp 900 Seiten Text an Feldnotizen, Transkripten und InterviewMemos. 956 Milesund Huberman, 1994, S. 1, siehe~ihnlichauch Maxwell, 1996b, S. 95.

3.1 Methodische Rekonsmtktion

die

alltagsbegriffliche

159

Beschreibung

direkt

wahrgenommener

Phanomene

der

beobachteten sozialen Realit~it. Dieser wird dann in einem zweiten Teil erg~inzt urn einen separaten Abschnitt, der erstes Verstehen und Interpretieren versucht. Wghrend des Forschungskontaktes werden handschriftliche Notizen erstellt, tiblicherweise mit partieller Betonung deskriptiver Eindrficke. Im direkten Nachgang an den Forschungskontakt werden diese Eindrticke transkribiert und um nachtragliche Eindrficke ergLrtzt und interpretierend erweitert und vertieft. 957 Abrundung erf~ihrt die Dokumentation fiber partiell integrierte offene und unstrukturierte (Beobachtungs-)Interviews. 958

Transkripte, sie umfassen die direkte Verschrifllichung von digital aufgenommenen Expertlnneninterviews. Alle Interviews sind aufgenommen 959 und in Volltext transkribiert worden, zum Grogteil fiber externe Hilfskrafte. Eine nur selektive Transkription oder Paraphrasiertmg wurde dadurch vermieden. Die Transkriptionen aller nicht vom Autor pers6nlich transkribierten Interviews wurden dann in einem zweiten Schritt noch einmal vom Autor mit der Aufnahme abgeglichen und dabei bei Bedarf korrigiert. Der Regel g e m ~ , dass der Detailgrad sich an der angestrebten Interpretation auszurichten hat, 960 sind neben dem reinen, ungeglatteten gesprochenen Text nur Pausen und Betommgen kenntlich gemacht worden. 961

Interview-Memos 962, sie

adressieren die Erfahrungen aus ExpertInneninterviews, wie sie im direkten zeitlichen Nachgang an durchgeflihrte Interviews festgehalten werden. 963

Auch sie umfassen, ~hnlich wie Feldnotizen mehrere Teile. Ein Teil hNt die spontanen Eindrficke, also was die inhaltlichen Punkte wie interpretierenden Ideen aus dem Interviewprozess waren, die spontan in Erinnerung kommen. Ein weiterer Teil sucht Atmosphgre, Stimmung und Offenheit der Interviewsituation zu beschreiben. Und ein dritter Teil schliel31ich stellt, wenn es spontan auffiillt, Beziage zu anderen Interviews oder teilnehmenden Beobachtungen her, formuliert sogar z. T. schon erste Thesen auf Basis dieser Bezfige oder auch Empfehlungen ffir weitere Forschungskontakte.

957 Vgl. Bachmann, 2002, S. 340f. 958 Vgl. Kuhlmann, 2002, S. 103. 959 Die durchg~ingige Tonbandaufzeictmung von ExpertInneninterviews wird in der Literatur unisono als zwingend bezeichnet, ,,(...) da man sich ansonsten jeglicher M6glichkeit der (Eigen- wie Fremd-)Kontrolle eigener Einsch~itzungenund Interpretationen am Originalmaterial begibt" (Liebold und Trinczek, 2002, S. 48). 960 Vgl. Liebold und Trinczek, 2002, S. 48. 961 D.h. es wurde der Text wie gesprochen und ohne grarnmatikalische Glgttung, jedoch ohne Dialektfzirbung, transkribiert. Einzige Ausnahme sind exzessive und andauemde Wortwiederholungen, die aus Grtinden der Lesbarkeit nicht transkribiert wurden (vgl. Mayring, 1993, S. 65, und Bortz und D6ring, 1995, S. 287f.). 962 Das Konzept des ,,memo"-Schreibens ist dabei in der qualitativen Sozialforschung ein iiberaus beliebtes, als ,, (...) way of getting ideas down on paper and (...) as a way to facilitate reflection and analytic insight." (Maxwell, 1996b, S. 11) 963 In gewisser Weise stellen diese Memos also die Feldnotizen der reflektierenden Beobachtung des Interviews durch den Forscher dar. Siehe Beispiele FOrStudien mit ~ihnlichenAnsatzen der Interview-Memos z. B. bei Kuckartz, 1999, S. I39f.

160

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

Erganzt werden diese Daten und ihre Dokumentation um die aus der Dokumenten- und Aktenanalyse gewonnenen Sekund/irdaten, also der in der Organisationsanalyse hinzu gezogenen internen Schriftstficke wie z. B. Organigramme, Prasentationen, Verfahrensbeschreibungen, Projektunterlagen oder Protokolle. Hierunter fallen jedoch auch extemen Schriftstficke, die sich auf den Kontext des Untemehmens beziehen und tiber interne Forschungskontakte erworben wurden, wie z. B. Fachzeitschriften oder Berichte von Industrieverb~nden. Eine Auflistung dieser ffir diese Arbeit genutzten empirischen Sekund~irdaten findet sich im Anhang B.3.

Datenanalyse ,,Wie aufregend ihre Erfahrungen bei der Datenerhebung auch sein m6gen, es kommt der Tag, an dem die Daten analysiert werden mfissen. ''964 Wie kann der Forscher also all dem oben aufgeftihrten Material einen Sinn geben? Wie kann er zu einer theoretisehen Interpretation kommen? Wie kann er dabei die zugrunde gelegten Gtitekriterien bedJcksiehtigen? Wie bei der Entwicklung der Forschungsstrategie dieser Arbeit bereits dargelegt, sucht diese Arbeit als Ziel, eine ,,middle-range substantive theory" explorierend-induktiv aus der Empiric heraus zu entwickeln. Der verschrankte und iterative Prozess aus Datengewinnung, -analyse und Theorieentwicklung schreitet dabei fort vonder Empiric, fiber deren Beschreibung in Form von ,,frst-order conceptions", deren Interpretation in Form von ,,second-order conceptions ''965 bin zur ztmehmenden Verfeinerung und Integration der entwickelten Konzepte, Kategorien und deren Beziehungen in Form yon ,,substantive theories", seien sic nun noch direkt auf den Untersuchungsgegenstand und seinen Kontext fokussiert oder bereits in zarter Verallgemeinerung ausgeweitet. Es vollzieht sich also ein Prozess der Abstraktion vonder Beschreibung, ,,(...) making complicated things understandable by reducing them to their component parts ''966, hin zur Erklarung, ,,(...) making complicated things understandable by showing how their component parts fit together according to s o m e rules ''967, also zur Theorie. Der Prozess widmet sich dabei zentral der Entwicklung von Theorie. Aufgrund der im ,,grounded theory"Ansatz zentralen Methoden der ,,constant comparison" wie des ,,theoretical sampling" und der damit einhergehenden zunehmend fokussierenden Verschdinkung mit der Empiric zieht dies j edoch auch eine auf den Untersuchungsgegenstand bezogene Validierung nach sich. Der Prozess der Datenanalyse und Theorieentwicklung, ist in Abbildung 33 dargestellt und soll hier kurz beschrieben werden. Startpunkt ist die Explorationsphase, die initiale Phase der Empiric dieser Arbeit. Zielsetzung dieser Phase ist es, neben der Etablierung von Forschtmgsbeziehungen, fiber das initiale ,,preunderstanding" vor Forschungsbeginn hinaus

964 Straussund Corbin, 1996, S. ix. 965 Vgl.Van Maanen, 1983, S. 39s 966 Bernard, 1988, S. 90. 967 Bernard, 1988, S. 90.

3.1 Methodische Rekonstruktion

161

fortgeschrittene ,,theoretical [and empirical] sensitivity''968 und ein informierteres Niveau des ,,understanding" zu erreichen, dass zur Formulierung relevanter Themer aufbauend

Forschungssfragen

und

eines

geeigneten

und darauf

Forschungsdesigns

ftir

die

Vertiefungsphase bef~higt. A u f der Basis des als ,,change agent" entwickelten vertieften Verstehens gilt es zu diesem Zweck die Datenbasis aus Feldnotizen, Transkripten und Interview-Memos sowie Sekund~daten der Dokumenten- und Aktenanalyse zu nutzen (Schritt 1). Die Deskription dieser Phase baut hierbei auf ein deduktives hierarchisches Kategoriensystem, das sich ausgepr/igt an ,,content, context and process ''969 des Teilprojektes ,,Service Excellence" antehnt. Uber offenes Codieren und untersttitzt durch eine ,,keyword in context"-Analyse und am Anspruch nach Offenheit und Flexibilit/it orientiert, 97~ strebt die Suche nach relevanten Themen, nach induktiv aus der Datenbasis emergierenden Codes und Kategorien, die es darm zu interpretieren und zu retevanten Themen zu verdichten gilt (Schfitt 2). Diese formulierten darm den Startpunkt Nr die Vertiefungsphase des Teilprojektes ,,REMIX" und die Forschtmgsfragen dieser Arbeit. ~ - ~ emplrischeExploration ~ ' J -aktivteiln. Reohtlchtung: Interviews, Dok.-&Aktenanal.vse

E

ill

1

K2)

[

Grob- und eek~-Codieren

- d~luktiv nanh Pro!ektauftrag induktiv nanh rel Themen

~3 ~) empirische Vertierung K > ' - Int~wiews pass. teiln Beobachtuno Dok.- & Aktenanalys~

1

"C

~41)

Segmentegrob-codieren

- deduktlv nach Leitfadenthemen

Cl

1

t~5) K6 )

~7)

1

deskriptiveGesamtauswertung

- nach Leiffadenkenzept & -struktur oITenes (Re~Cb-dleren In-/EltekUVltaten _ - induktiv~rgierende ~ n

D|mens|onallslerung & axlales CoOleren

- Eigenschaffen~ Re.analyse und Beziehungsnetzwerke

~

es CooierentmqheoreLBezugsratlmen

J [

1 I I

- Integration der Int~rpmtatiortedl

~'9~'~KomparattveVallalerung & ,,zarte" Verallgemelnerung | [ ~ Y - finales Abschluss-Feedbank und theoretische A n r e i c h e r u ~

Abbildung 33: Prozessschritte und Methoden bei Datenanalyse und Theorieentwicktung Den Ausgangspunkt der

Vertiefungsphase mad

der auf diese Forschungsfrage(n) bezogenen

Datenanalyse und Theorieentwicklung stellt ein Initialzyklus aus Interviews und teilnehmen-

968 Zur ,,theoretical sensitivity" im ,,grounded theory"-Ansatz Straussscher Pragung, siehe z. B. Strauss und Corbin, 1996, S. 25ff., S. 56f., oder Strauss, t984, S. 6. Der Zusatz ,,and empirical" soil verdeutlichen, dass es fiber ,,(...) ein Bewusstsein fiir die Feinheiten in der Bedeutung von Daten" (Strauss und Corbin, 1996, S. 25) auch um ein Bewusstsein f'0r die Feinheiten des empirischen Feldes geht, dem interpretativen Verst~ndnis gerr~B. 969 Vgl. Pettigrew, 1987, S. 657, odersieheAbschnitt3A.2.1. 970 Offenes Codieren und die ,,keyword in context"-Analyse wurden unter Einsatz von MAXqdal (vgt. Kuckartz, 1999, S. 75ff. und S. 123ff.) durchgef~ihrt.

162

3. Rekonstruktion - ,,empirical j ourney"

den Beobachtungen und die hieraus gewonnen Daten dar, erganzt um Sekund~daten (Schritt 3). 971 Den leitfaden-gesttitzten Interviews gem~iB erfolgt die erste Grob-Codierung (Schritt 4) deduktiv nach den dort entworfenen Themen. Es wird also eine ftir die qualitative Forschungspraxis durchaus tibliche Mischform gew~ihlt, einen Leitfaden als Grundgeriist ftir ein Kategoriensystem zu nutzen und dann anhand des Untersuchungsmaterials induktiv auszudifferenzieren und zu pr~izisieren. 972 Im angestrebten mehrstufigen Codewortsystem sollte die erste Ebene also der Struktur des Leitfadens folgen, die weiteren Ebenen dann auf der

Basis

des

Materials

in

Form

von

induktiven

Kategorien

wahrend

des

Auswertungsprozesses entstehen. 973 Die deskriptive Gesamtauswertung, Darstellung und gruppenbezogene Gegentiberstellung des Status quo in Marketing und Innovieren der Empirie in Form von ,,first-order concepts" (Schritt 5) 974 orientiert sich an Leitfadenkonzept und struktur. Der Logik der initial vorstrukturierten Leitfaden-Interviews folgend k6nnen im Sinne einer Komparatistik die Antworten auf einzelne Fragen des Leitfadens und ihrer Zuordnung zu einer leitfaden-basierten Kategorie dann in vergleichender Art und Weise analysiert werden. Crber gruppenspezifische Gegentiberstellungen 975 mit Untersttitzung der ,,keyword in context"-Analyse k6nnen .~dmlichkeiten oder Muster initial exploriert werden. Datenbasis der Schritte 4 und 5 stellen dabei die deskriptiven Dokumentationen von Expertlnneninterviews und teilnehmenden Beobachtungen dar, also die Transkriptionen trod deskriptiven Teile von Memos und Feldnotizen. A u f dieser soliden deskriptiven Basis k6nnen dann in den Schritten 6 bis 9, gesttitzt durch tiber den Initialzyklus hinausgehende Empirie und unter Hinzunahme interpretierender Teile der Dokumentation, Theorieentwicklung, -validierung und zarte Verallgemeinerung erfolgen -

unter zunehmend intensivem Einsatz der zentralen Methoden des interpretativen ,,grounded theory"-Ansatzes: ,,constant comparison", ,,theoretical sampling" und ,,memo writing",

971 Der Begriff des Initialzyklus sei hierbei in zweifacher Hinsicht verstanden: Zum einen als eine initiale Menge an Interviews und teilnehmenden Beobachtungen (siehe Abschnitt 3.1.3.1, Abbildung 29 zum initialen ,,sampling"-Rahmen), zum anderen aber auch als initiale Vorstrukturierung der Empiric (siehe Anhang B.4 zum Leiffaden). In Anpassung des interpretativen ,,grounded theory"-Ansatzes f'firdiese Arbeit (vgl. Charmaz, 2000) worde also explizit der Nutzen vorstrukturierter Empirie fox die vergleichende Analyse und Gegeniiberstellung der Gruppen von Marketing- und Irmovieren-Teilfunktionsbereichengew~ihlt.Wobei mit zunehmendem Fortschreiten von Datengewinnung, -analyse und Theorieentwicklung der Grad an VorStrukturierung in Bezug auf die initialen Kategorien bewusst reduziert wurde, zunehmend also induktiv gewoimen Kategorien in die Empirie einflossen (vgl. Glaser und Strauss, 1998, S. 38ff.). 972 Vgl. Kuckartz, 1999, S. 96. 973 Vgl. Kuckartz, 1999, S. 206. Im Ansatz der ,,grounded theory" finden sich die Begriffe Code, Kategorie, Konzept und Subkategorie in nicht wirklich iiberzeugender Abgrenzung. Es sei fiir diese Arbeit daher lediglich die Unterscheidung von direkt aus dem Datenmaterial abgeleiteten Codes und Kategorien, als die Zusammenfassung von Codes auf ein h6heres Abstraktionsniveau, verwendet. 974 Die Verwendung des Begriffes der Deskription soil selbstredend nicht die dermoch und zwangsl~iufig interpretierende Rolle des Autors verleugnen. Zentral ist jedoch der Anspruch, m6glichst in der Alltagssprache der beforschten Akteure und ohne explizit wertende, interpretierende oder abstrahierende Tendenzen erfahrene Ph~inomeneaus Sicht der Organisation wieder zu geben. 975 Als Gruppen k6nnen die Funkfionsbereiche Marketing und Innovieren gegeniibergestellt werden, durchaus aber auch feiner auf der Ebene der ausgew~ihltenTeilfunktionsbereichen (also z. B. AWT, KAM, TAD, Labor etc.) innerhalb dieser beiden Funktionsbereiche.

3.1 Methodische Rekonstruktion

163

partiell begleitet von ,,keyword in context". Anstelle des ursprtinglich geplanten Ansatzes, das Leitfadengertist induktiv mehrstufig auszudifferenzieren, erwies es sich jedoch - dem Anspruch an neue aus der Empirie emergierender Theorie gemN3 - im Verlauf der Theorieentwicklung als geeigneter, einhergehend rnit dem Fokus auf In-/Effektivit~ten in Marketing, Innovieren und deren Zusammenspiel, in Schritt 6 induktiv emergierende Codes und Kategorien often zu (re-)codieren. 976 Mit den Schritten 6ff. erfolgt die interpretative Wende, von den Alltagsbegriffen und -theorien der Beforschten hin zu wissenschaftlichen Begriffen, ersten ,,second-order concepts" als lokalen Theorien und dann schliel31ich deren Ausarbeitung und Integration in Bezug zum theoretischen Bezugsrahmen, in Schritt 9 in komparativer Analyse mit externen theoretischen Beziigen. Die Schritte 6 bis 8 folgen dabei einer interpretativen Auslegung des klassischen Vorgehens des ,,grounded theory"Ansatzes: 977 Dessen Grundidee ist, dass Textstellen als Indikatoren for zugrunde liegende Phgnomene des interessierenden Wirklichkeitsbereichs aufgefasst werden. 13her den Prozess des Codierens werden Textstellen Codes zugeordnet, die dann ihrerseits miteinander verkntipft und in tibergeordneten Kategorien zusammengefasst werden. V o m anFgnglichen offenen ,,Aufbrechen" von Texten durch texterschlieBende Fragen wird das Codieren (axiales und selektives) zunehmend fokussierter. So schalen sich dann zunehmend die zentralen Kategorien heraus und es entsteht das komplexe Begriffsnetz einer Theorie. 978 Die schlieBlich tiber das selektive Codieren (Schritt 8) integfierte gegenstandsbezogene Theorie ist fiber die Codestruktur dabei immer noch in den Ph~inomenen ihrer Entstehung verankert, was als Prinzip der Gegenstandsverankerung den zentralen Leitgedanken des ,,grounded theory"Ansatzes formuliert. Und auch Schritt 9 zur hypothetisierenden partiellen Verallgemeinerung kann auf die komparative Analyse des ,,grounded theory"-Ansatzes rekurrieren. 979 Zentral far eine interpretative Auslegung der dargelegten Methoden des ,,grounded theory"Ansatzes wird es dabei sein, 98~ zu entwickelnde Theorie nicht (wie Glaser und Strauss) als ,,(...) ein Ausdruck der in seinen Daten verborgenen Ordnung ''981 zu begreifen, Theorieentwicklung

also

nicht

nur

an

den

overten

Daten

auszurichten

-

unter

Vemachlassigung der tiefer liegenden Ebenen des Verstehens von subjektiv gemeintem Sinn und komplexer Zusammenh~nge. %2 Dies soll in dieser Arbeit erreicht werden zum einen tiber

976 Dies erfolgt dann sogar zweimal, in Abschnitt 3.3.3.4 mit Bezug auf ,,member interpretations" noch deskriptiv orientiert far ,,first-order conceptions", in interpretativer Wende in Absclmitt 4.1.1 dann konzeptualisierend in den ,,second-order conceptions of what is going on" des Forschers. 977 In Bezug auf Charmaz, 2000 (siehe auch Abschnitt 3.1.1 zur Forschungsstrategie) gilt es - in interpretativer Offenheit far Verstehen mad gleichermaBen wissenschaftlichem Anspmch an Nachvollziehbarkeit im Vorgehen die Methoden und Techniken des ,,grounded theory"-Ansatzes als heuristische Empfehlungen zu verstehen, ohne sich jedoch nur auf die overten Daten auszurichten, also im Sirme yon Weick Raum lassend far ,,(...) theory construction as sensemaking" (Weick, 1989, S. 519). 978 Vgl. B6hmet al., 1992, S. 29. 979 Vgl. Glaser mad Strauss, 1998, S. 32ff., S. 11 lff. 980 Siehe auch Abschnitt 3.1.1 zur theorieentwickelnden Forschmagsslxategie bereits far diesbez~gliche Er6rtermagen. 9sl Glaser mad Strauss, 1998, S. 50. 98z Vgl. Charmaz, 2000, S. 525, Strodtbolz und Ktihl, 2002, S. 17.

164 den

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey" expliziten

Einbezug

von

interpretierenden

Teilen

der

Dokumentation

in

die

datenanalysierende Theorieentwicklung, wie auch zum anderen fiber eine offene Auslegung der Techniken und Methoden der ,,grounded theory" als heuristische Empfehlungen, 983 in der Gratwanderung aus Offenheit ffir Verstehen und wissenschaftlichem Anspruch an Nachvollziehbarkeit, im Vorgehen also Raum lassend fiir ,,(...) theory construction as sensemaking". 984 E i n s a t z v o n M A X q d a 2 als u n t e r s t i i t z e n d e S o f t w a r e

Im letzten Jahrzehnt sind zahlreiche EDV-Programme zur computergestfitzten Analyse qualitativer Daten entwickelt worden. 985 Ffir diese Programme hat sich im englischen Sprachgebraueh die Bezeichnung ,,QDA-Software" durchgesetzt. QDA steht dabei flir ,,qualitative data analysis". Moderne QDA-Programme wie z. B. ATLAS/ti 986 oder M A X q d a 987 k6nnen im Prozess der Datenanalyse und Theorieentwieklung erheblich Unterstfitzung leisten: ,,(...) software can in fact help competent researchers do more rigorous, consistent, and thorough analysis than thy otherwise might. ''988 Ihr Funktionsumfang kann von der Unterstfitzung des Autbaus von komplexen Codestrukturen, fiber das Management von Memos, Text-Retrival, Theorieentwicklung bis hin zu statistischen Verfahren reichen. 989 Auch ffir diese Arbeit wurde eine QDA-Software zur Untersttitzung eingesetzt. Ffir das Ziel der Theorieentwicklung galt es, insbesondere auf den Funktionsumfang beim Codieren, beim Text-Retrival wie auch darfiber hinausgehende ,,features" zu achten. 99~ A u f dieser Basis wurde die Software MAXqda2 gewahlt. Etwaigen z. T. ge~iugerten Vorbehalten gegen den Einsatz von QDASoftware kann nicht gefolgt werden, ein reflektierendes Verstandnis dessen, was QDASoftware (nicht) zu leisten imstande sein kann, vorausgesetzt. 991 MAXqda2 wurde dediziert ffir den entwickelten Forschungsansatz ausgew~ihlt und kann in geeigneter Weise den oben skizzierten Prozess der Datenanalyse und Theorieentwicklung unterstfitzen. Der Codemanager begleitet auf flexible Art und Weise den Aufbau des angestrebten, komplexen Kategoriensystems. Zentral jedoch ist die Unterstfitzung der Arbeit mit Memos. 13ber sic gilt es schliel31ich die Schritte der Dimensionalisierung wie auch des

983 Siehe z. B. Charmaz, 2000, S. 526: ,,(...) a constructivist grounded theory may remain at a more intuitive, impressionistic level than an objectivist approach." Siehe ahnlich z. B. auch Weick, 1989, S. 516. 984 Weick, 1989, S. 519. 985 Vgl. Kuckartz, 1999, S. 272ff., oder fiir eine frfihe vergleichende Analyse Miles und Huberman, 1994, S. 316. 996 Vgl. http://www.atlasti.de. 987 Vgl. http://www.winmax.de. 9ss Weitzman, 2000, S. 817; siehe ~ihnlichz. B. Charmaz, 2000, S. 520: ,,Such programs can prove enourmosly helpful with the problem of mountains of data". 989 Vgl. Weitzman, 2000, S. 805f. 99o Vgl. Miles und Huberman, 1994, S. 314. 99~ Vgl. Charmaz, 2000, S. 520: ,,Why would you want tot engage in work that connects you to the deepest part of human existence and then turn it over to a machine to ,mediate'?". Fiir eine gute Diskussion zu den ,,real fears" des Software-Einsatzes siehe z. B. Weitzman, 2000, S. 807f.

3.1 Methodische Rekonstruktion

165

axialen trod selektiven Codierens abzubilden (Schritte 6 bis 8 in Abbildung 33). Der Memomanager von M A X q d a bietet hier entsprechende Hilfe. 992 Abgerundet wird dies durch das machtige Text-Retrival-System, 993 insbesondere zur Untersttitzung der interpretativen Aspekte der Theorieentwicklung.

3.1.4

Forschungsfragen

A u f Forschungsstrategie, -ansatz trod zentraler Teile von Forschungdesign und -prozess autbauend, widmet sich dieser Abschnitt der abschliel3enden Detaillierung der Forschtmgsfragen. Die Forschungsfragen formulieren dabei den Kern, das Zentrum des Forschungsdesigns

und

dieser

Arbeit.

War

die

frtihe

Einftihrung

der

zentralen

Forschungsfrage noch GNnden der Leserftthrung geschuldet, sollte die - flir manchen Leser vielleicht ungewfhnlich spate

Vorstellung der detaillierten Forschungsfragen die induktive

Logik des Forschungsprozesses reflektieren. 994 In ihrer Interdependenz sollten sie erst nach der obigen Diskussion der zentralen Aspekte zur Methode eingef'tihrt werden (siehe Abschnitte 3.1.3.1 bis 3.1.3.3). 995 Ziel einer Forschungsfrage ist es dabei, zu explizieren, was speziell mit einer Studie versucht werden soll zu lernen oder zu verstehen. Daneben stiften Forschungsfragen aber auch Fokus und Fiihrung - insbesondere in Bezug tiber ihre Einfltisse dann auf die anderen Bausteine des Forschungsdesigns. Maxwell erlautert eingehend verschiedene Typen von Forschungsfragen 996 und betont die Wichtigkeit einer sorgf~iltigen und adaquaten Formulierung von Forschungsfragen, wie auch ihre Verkntipfung mit den anderen Bausteinen des Forschungsdesigns. Ein wesentlicher Grund, die Detaillierung der Forschungsfragen erst nach der Behandlung des ,,sampling" vorzunehmen, war, dass der Kontext der longitudinalen Einzelfallstudie fiber ,,particularizing questions" reflektiert werden soll. 997 Bewusst soll also Abstand davon genommen werden von der (auch in qualitativen Studien) haufig gepflegten (Un-)Sitte, Forschungsfragen in generalisierender Form zu formulieren, wenngleich diese Anspriiche auf Verallgemeinerung aufgrund

992 MAXqdabietetdieM6glichkeit,~berText-, Code-,Dokument-undProjekt-Memos (vgl. Kuckartz, 1999, S. 148ff.) die vom ,,grounded theory"-Ansatz geforderten Planungs-, Code- und Theoretischen Memos (vgl. Strauss und Corbin, 1996, S. 176ff.) geeignet abzubilden. 993 Vgl. Kuckartz, 1999, S. 101ff., S. 123ff., S. 169ff. und S. 177ff. 994 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 48: ,,Models of design that place the formulation of research questions at the beginning of the design process, and see these questions as determining the other aspects of the design, don't do justice to the interactive and inductive nature of qualitative research. The research questions in a qualitative study shouldn't be formulated in detail until the purposes and the context (and sometimes general aspects of the sampling and data collection) of the design are clarified". 995 Ganz wesentlich in die Herleitung insbesondere der Fragen 2ff. haben hiertiber hinaus die aus der Explorationsphase abgeleiteten relevanten Themen beigetragen (siehe Abschnitt 3.3.2.4). 996 Vgl. Maxwell, 1996b, S. 49ff. 997 ,,Particularizing questions" sind nach Maxwell, i996b, dabei Forschungsfragen, die explizit Aspekte des ,,sampling" in der Formulienmg reflektieren, flir qualitative Studien mit nicht-statistisch-repr~isentativem ,,sampling" also die Forschungsfrage(n) auf die ~blicherweise ,,small samples of uncertain representativeness" beschr~inken(S. 54f.).

166

3. Rekonstruktion- ,,empiricalj ourney"

der iiblichen ,,(...) small samples of uncertain representativeness''998 meist nur partiell erfiJllt werden k6nnen. Als zweiten zu beriicksichtigenden Aspekt gilt es, die epistemologische Verankerung im interpretativen Paradigma zu berticksichtigen. Auf dessen Basis und unter Einbezug von Forschungsstrategie wie dem Ansatz zu Datenanalyse und Theorieentwicklung soll in den Formulierungen der Fragen reflektiert werden, wo im Prozess die Frage jeweils anzusiedeln ist. Auf Grundlage des interpretativen Paradigmas und des damit einhergehend sensiblen Umgangs mit Sprache und Verstehen macht es bspw. einen massiven Unterschied, ob sich eine Forschungsfrage bezieht auf ,,(...) an informant's first order conceptions of what is going on in the setting" oder auf,,(...) the researcher's second order conceptions of what is g o i n g on. ''999 Der dritte schliel31ich zu berticksichtigende Aspekt nach Maxwell bezieht sich auf den Unterschied zwischen ,,variance questions [with] focus on difference and correlation" sowie ,,[p]rocess questions [with] focus on how things happen ''1~176176 also Fragen die auf Unterschiede abzielen vs. solche die Prozesse fokussieren. Der Fokus dieser Arbeit mag zwar vordergriindig in Unterschieden von Marketing und Innovieren liegen, zielt im Kern aber auf die Prozesse ab, die an Konstruktion wie Rekonstruktion relevanter Ph~inomene beteiligt sind, und die es wiederum im Kontext ihrer Historizit~it und in ihrer Pfadabh~ngigkeit zu verstehen gilt. Im Zentrum stehen demzufolge also Fragen, die diese prozessuale Dynamik adressieren.~~176 Im Einklang mit diesen AusRihrungen seien im Folgenden (siehe Abbildung 34), in Ableitung bzw. Detaillierung der bekannten Forschungsfrage, die weiteren Forschungsfragen dargelegt, jeweils unter zus~itzlicher Angabe ihrer Zuordnung im Theorieentwicklungsprozess wie auch in der Gliederung dieser Arbeit. Frage 1 widmet sich im Kern der deskriptiven wie interpretierenden Rekonstruktion der Explorationsphase im Kontext des durch die ,,Vision 2000" angestol3enen Wandels zu Marketing- und Dienstleistungsftihrerschaft. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurden relevante Themen aus Sicht der Organisation identifiziert und hierauf folgend sozusagen im Forschungsprozess die weiteren Forschungsfragen erarbeitet. 1~176 Diese weiteren Forschungsfragen gruppieren sich dann in fdnf, jeweils aufeinander Bezug nehmende Bl6cke, von deskriptiv orientierten Fragen (2 und 3), im 13bergang zu ersten Interpretationen (Frage 4), hin zu Theorien, kontextuell-gegenstandsbezogener (Frage 5) oder hypothetisierend-verallgemeinerter Form (Frage 6), und einer Beurteilung der gewonnen Erkenntnisse (Frage 7).

998 Maxwell, 1996b, S. 55. 999 Van Maanen, 1983, S. 39. 1000Maxwell, 1996b, S. 58. 1001Dies kann nach Maxwell, 1996b, S. 58f., z. B. fiber ,,Wie"-Fragengeschehen, also Fragen, die zu beleuchten suchen, wie es zu etwas kam, wie eine Entwicklung sich vollzog. Aber, mit Bezug auf das Verstehen von Ph~inomenenzugrunde liegenden Prozessen, k/Snnenauch andere Frage-Typenzum Einsatz kommen, wie z. B. ,,Warum"-Fragen. t00z Zur geschlossenenDarstellung der Forschungsfragenund der Leser~hrung geschuldet wurde jedoch darauf verzichtet, diese aus den relevanten Themen der Explorationsphase abgeleiteten Fragen erst nach der prozessualenRekonstruktionder Explorationsphasein Abschnitt 3.3.2 einzuftihren.

3.1 MethodischeRekonslruktion

V

9 Explo_ratton:

,,in-depth pre- ~ - ~ understanding" ~ 9 vertletung: / .1st order I ~ concepts ~

V

V

In welehem Kontext und wie initiierte die Huber Gruppe den strategisehen Wandel zu Marketing- und DienstteistungsfOhrerschaff?

Abschnitt 3.3.2

Wie stetlen sich aus Sicht der Mitarbeiterlnnen Organisation &Wandel zentraler Marketing- und Innovationsfunktionen bei MHM dar?

Abschnitt 3.3.3

Was sind aus Sicht der Mitarbeiterlnnen die zentralen In-/Effektivi~ten in Marketing und Innovieren

.1 st order concepts" ,,2nd order concepts =

167

~

,,substantive ~ contextual theory"

und deren Zusammenspiel bei MHM?

Abschnitt 3.3.3

Welehe urs~chliehen Bedingungen liegen den In-/Effektivitiiten in Marketing und Innovieren und deren Zusammenspiel bei MHM zugrunde?

Abschnitt 4.1

Wie kann der Wandel zu einer nachhaltigen Integration von Marketing und Innovieren bei MHM gestaltet werden?

Abschnitt 4.2.1

, middle-rangel~ substantive l n ~ Wie kann der Wandel theob" ~ zu einer nachhaltigen Integration von Marketing u. Innovieren bei einem mittelst. Industrieunternehmen gesteltet werden? 9 Abschluss: wissenschaf'd. Welche theoretischen und praxisbezogenen Beilx~ige l Erkenntnis- ~ k6nnen die gewonnen Erkenntnisse liefern? fortschritt -

Abschnitt 4.22

-

Abschniff 4.3

Abbildung34: Forschungsfragenim Detail Die Fragen 2 und 3 beziehen sich auf ,,first-order concepts", wie Mitarbeiter/irmen Organisation, Wandel zentraler Marketing- und Irmovationsfunktionen und In-/Effektivit~iten in Marketing, Innovieren und deren Zusammenspiel wahrnehmen. Sie adressieren demnach sozusagen die deskriptive Basis des Vertiefungsprojektes ,,REMIX". Hierauf in einem ersten Schritt aufbauend sucht die n~ichste Frage, Frage 4, zu interpretieren, welche urs~ichlichen Bedingungen diesen In-/Effektivit/iten zugrunde liegen, also ,,second-order concepts" aus Sicht des Forschers. Die n~ichste Forschungsfrage, Frage 5, adressiert dann bereits den Aspekt, wie auf Basis dieser Kermtnis der Wandel zur nachhaltigen Integration mit Bezug auf MHM gestaltet werden kann, also die auf den entwickelten ,,second-order concepts" basierende und auf das untersuchte Untemehmen im Kontext (gegenstands)bezogene Theorie (,,substantive contextual theory"). Die M6glichkeit einer hypothetisierenden zarten Verallgemeinertmg t~ber den Einzelfall MHM hinaus auf mittelst~ndische Industrieuntemehmen (des verarbeitenden Gewerbes) adressiert die Forschungsfrage 6 (,,middle-range substantive theory"). Bteibt nur noch Forschungsfrage 7, die den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt in Bezug auf Theorie und Praxis beurteilen m6chte - und nicht zuletzt auch den Abschluss des Theorieentwicklungsprozesses ftir diese Arbeit bildet.

168

3.2

3. Rekonstruktion ,,empirical journey"

Kontextuelle Rckonstruktion

Die qualitative Methodologie interpretativer Pr~igung dieser Arbeit formuliert als empirisches Ziel auf der Basis ausgepr~igter Nahe zum Untersuchungsgegenstand kontextbezogenes und reiches Verstehen. Aufgegriffen wird dieser Anspruch im Forschungsansatz der longitudinalen Prozessforschung nach Pettigrew, der nachdriicklich die Notwendigkeit kontextuellen und prozessualen Charakters betont) ~176Es gilt also vertikal wie horizontal eine kontextuelle Einbettung anzustreben ,,(...) to give events form, meaning, and substance. ''1~176 Dem holistischen Verst~indnisanspruch gem~il3 heif3t das, den Wandel von M H M also einzubetten in sektoralen und (makro-)6konomischen Wandel.

Mit dem prozessual-

interpretativen Organisationsverstandnis dieser Arbeit sei jedoch davon Abstand genommen, ausschliel31ich auf externen ,,Fakten" basierend diesen Kontext darzulegen) ~176Schlief31ich betonte die organisationstheoretische Verankerung die Abkehr von der reinen Abhangigkeitsbeziehung einer ,,Fit-Idee''1~176hin zur (inter-)aktiven Verfertigung der Umwelt durch die Organisation(smitglieder)) ~176Demzufolge sei versucht, die kontextuelle Rekonstruktion dieses Abschnittes durch die Sicht(en) beteiligter Akteure von M H M in den Abschnitten zur Druck(farben)industrie zu sttitzen. Der einleitende Abschnitt 3.2.1 soil die weitestm6gliche Einbettung in vertikaler Form leisten, 1~176 fiber den Bezug auf die mittelst~aadische Industrie in Deutschland. Bereits n~iher am empirischen Fall, auf Sekundar- wie auch Primardaten basierend, und mit ausgepragt horizontalem Charakter 1~176sucht Abschnitt 3.2.2 dann die Druck- wie die Druckfarbenindustrie im Wandel zu skizzieren. 3.2.1

Mittelstiindische lndustrie in Deutschland

,,A small business is not a little big business. ''1~176Vielfach betont wird, dass ftir das Management in Klein- und Mittelbetrieben -

aufgrund siginifikanter Unterschiede relevanter

Charakteristika -

andere betriebswirtschafUiche Prinzipien heranzuziehen sind als in

Grof3betrieben) ~

Michael Huber Miinchen, das Familienunternehmen, das Ftir die Empirie

~oo3Vgl. Pettigrew, 1990, S. 269. 1o04Pettigrew, 1990, S. 269. 1oo5Siehe z. B. Gummesson, 2000b, S. 137, zu ,,facts and fiction". ~oo6Vgl. Schrey6gg, 1985, S. 55f., Hatch, 1997, S. 76ff. 1oo7Weiek spricht dabei yon der ,,enacted environment" (vgl. Weick, 1998, S. 192), siehe auch Abschnitt 2.3.2. ~oos,,The vertical level refers to the interdependencies between higher or lower levels of analysis upon phenomena to be explained at some further level" (Pettigrew, 1990, S. 269). Insbesondere in den Abschnitten zur Druck(farben)industrie im Wandel wird mehrfach auf makro6konomisehe Analysen Bezug genommen. ~0o9,,The horizontal level refers to the sequential interconnectedness among phenomena in historical, present, and future time." (Pettigrew, 1990, S. 269) lOgOWelsh und White, 1980, S. 18. loll Siehe, sei es in allgemeiner Form oder bereits in aufgaben- oder t~itigkeitsbezogener Spezialisierung, betriebswirtschaftliche Ver6ffentlichungen mit Fokus auf dieses gewandelte Erkenntnisobjekt, z. B. Meiler, 1999b, Pfohl, 1990a; Blessin, 1998, Geschka, 1990, Harhoff und Licht, 1996, Meyer, 2001, Meyer et al., 1994, n. a., 1997; Wolf, 1994, Pfohl, 1990b, Riedl, 1999.

3.2 KontextuelleRekonstruktion

169

dieser Arbeit im Fokus steht, manifestiert ein traditionelles mittelst~indisches Industrieunternehmen. Was bedeutet dies nun? Welche Spezifika und Charakteristika gehen damit einher, welehe Vor- und Nachteile werden hiermit verkntipfl? Dem holistisehen Verstandnisanspmeh dieser Arbeit g e m ~ soll die folgende Auseinandersetzung mit der vertikal-kontextuellen Einbettung in ,,die mittelst~indische Industrie in Deutschland" Antworten hierauf suchen. Den Startpunkt bilde eine volkswirtschaftliche Ann~iherung. Die Wirtschafl (nicht nur) im deutschsprachigen Raum wird von kleinen und mittleren Untemehmen dominiert. Der Mittelstand bildet das ,,(...) R~ickgrat der deutschen Wirtschaft. ''1~ ,,15ber 99% der deutschen Untemehmen k6nnen der Gruppe der KMU zugeordnet werden. 70% aller Arbeitsplgtze finden sich hier. KMU schaffen etwa 90 aller neuen Arbeitsplgtze - mehr Stellen als sie abbauen. ''1m3 Zeitel weist in seiner Analyse der volkswirtschafllichen Bedeutung von Kleinund Mittelbetrieben jedoch darauf hin, dass die Bedeutung des Mittelstandes nicht alleine quantitativ gesehen werden sollte, vielmehr sei der qualitative Einfluss, den dieser wirtschaftlich und gesellschaftlich austibt, letztendlich ansschlaggebend. 1~ Er betont, mit Bezug anf die soziale Marktwirtschafl als Gestaltungsnorm in der Bundesrepublik Deutschland, die Bedeutung kleinerer und mittlerer Betriebe ftir die Aufrechterhaltung des Leisttmgswettbewerbs am Markt] ~ Strukturpolitisch bedeutsam ist zudem die KMU vielfach beschiedene gr6f3ere Flexibilit~it trod Anpassungsf~ihigkeit, die erforderlichen Stnakturwandel in einer Volkswirtschaft zu beschleunigen verm6gen: ,,Je starker die Wandlungstendenzen aufgrund von Naehfrageverschiebungen und/oder Ver~inderungen der Angebotsbedingtmgen (...) sind, um so bedeutsamer wird die Existenz leistungsf~ihiger Mittelbetriebe. ''1~ Wie oben anhand der Zahlen bereits angedeutet wurde, sind zudem mittelst~indische Untemehmen vielfach auch ein Hoffnungstr~tger bei der L6sung von Besch~iftigungsproblemen, neben ihrer bereits zentralen Bedeutung auf dem Gebiet der beruflichen Ausbildung 1~ Der industrielle Mittelstand in Deutschland ist ,,(...) immer noch ein Erfolgsmodell". 1018 Seine Bedeutung scheint also unbestritten. Als nachster Schritt, sich den mittelst~indischen Untemehmen beschiedenen Spezifika zu nahern, seien Versuche der Begriffsbestimmung bzw. der Definition herangezogen. Was steht denn iiberhaupt hinter dem Begriff des ,,mittelst~ndischen (Industrie-)Untemehmens"? Vielfach betont wird hierzu, dass sich eine allgemein anerkannte Definition bis heute nicht herausgebildet hat. Es dominieren in der Literatur wie in

lo12 G~interbergund Wolter, 2003, S. 14 (siehe analog Giknterbergund Wolter, 2002). lm3 Meyer, 2001, S. vii. Diese Zahlen linden sich auch in 2003 bestatigt, siehe noch ausfiihrlicherzur quantitativen Bedeutung des Mittelstandes in Deutschland z. B. auch Giinterberg und Wolter, 2003, S. 14, n. a., 2004d, oder G~interbergund Kayser, 2004. io14 Vgl. Zeitel, 1990, S. 29. ~o15Vgl. Zeitel, 1990, S. 31. lOl6Zeitel, 1990, S. 34. 10~7So haben mittelst/indischeUntemehmen (nach der neuen Definition des IfM) im Jahr 2000 in Deutschland 83% aller Lehrlinge ausgebildet(vgl. Giinterbergund Wolter, 2003, S. 14). lois Backes-Gellner,2003, S. 2.

170

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

der 6ffentlichen Diskussion meist pragrnatisch erhebungsbezogene Auswahlkriterien der Gr6fSenklasseneinteilung nach Anzahl der Beschafligten und H6he des Jahresumsatzes. 1~ Nach einer aktuellen Empfehlung der Kommission der Europ~iischen Union w~iren demnach bspw. Untemehrnen mit maximal 50 Mio. C Jahresumsatz und 249 Besch~iftigten als mittelst~indisch anzusehen, sofern sie nicht zu 25% oder mehr in Besitz yon Fremdunternehmen stehen. 1~176Interessanterweise ist der Begriff des ,,Mittelstandes" (in Abgrenzung zu K M U bzw. SME (small and medium enterprises)) ausschlieglich in Deutschland gebr~iuchlich - und damit auch die hiermit verknfipften und fiber einen rein statistisch definierten Tell der Gesamtwirtschaft hinausgehenden Aspekte. 1~ Gerade diese qualitativen Merkmale nun ,,(...) sind ffir das Verst~indnis der Motive, Einsch~itzungen, Verhaltensdeterminanten und Darstellungsformen des Mittelstandes yon zentraler Bedeutung. "l~

Dies findet sich so z. B.

dann auch in einer Definition der Bundesregierung, die unter dem Begriff,,kleine und mittlere Unternehmen" folgendes versteht: ,,Untemehmen in Handwerk, Industrie, Handel, Hotel- und Gastst~ttengewerbe, Verkehrsgewerbe und sonstigem Gewerbe, die sich in der Regel nicht fiber den Kapitalmarkt finanzieren und von selbstst~indigen, mitarbeitenden Inhabem geleitet werden, die das unternehmerische Risiko selbst tragen. ''1~

Auch Industrieverb~inde

verzichten auf eine starre Festschreibung des Mittelstandsbegriffs: ,,Mittelstand ist eine Frage der Geisteshaltung, der Entscheidungsstrukturen und der Bereitschaft, untemehmerisches Risiko zu tragen. ''1~ Damit wird nicht zuletzt anch die Heterogenitat ,,des" Mittelstandes unterstrichen. Zum Einstieg wie als interpretativer Hintergrund sei auf die schwierigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahre verwiesen. So verweist der Mittelstandsmonitor 2004 diesbeztiglich darauf, dass ,,[d]ie leichte Schrumpfung des realen BIP um 0,1% (in 2003, Anm. d. Verf.) den ersten Rfickgang im Jahresdurchschnitt seit der Rezession 1993 [bedeutet] und das f'finflschlechteste Wachstumsergebnis seit Grfindung der Bundesrepublik. ''1~ Die dabei praktisch nicht vorhandene Binnendynamik ist dabei eine besondere Belastung ffir kleine und mittlere Unternehrnen, die zu einem erheblichen Teil sehr stark auf das Inland ausgerichtet sind. 1~ Erst mit zunehmender Unternehmensgr6Be steigt tiblicherweise der Grad

1019Vgl. Giinterberg und Wolter, 2003, S. If. Siehe sch6n fiir einen 0berblick verschiedenster Ans~itzez. B. Giinterberg und Wolter, 2003, S. 4ff., fiir eine eingehende Diskussion betriebsgr6Benrelevanter Merkmale z. B. Pfohl und Kellerwessel, 1990, S. 5ff. 1020Vgl. Giinterberg und Wolter, 2003, S. 9. 1021Vgl. Giinterberg und Wolter, 2003, S. 1, K6hler, 1999, S. 3. So setzt sich auch international zunehmend die uniibersetzte 0bemahme des Begriffes ,,Mittelstand" dutch, siehe z. B. n. a., 1998. ~o22Giinterberg und Wolter, 2003, S. 1. io23 n. a., 1970, nach Giinterberg und Wolter, 2003, S. 3. ~024n. a., 1999, S. 5. ~o2sBindewald et al., 2004, S. 9. 1o26Siehe hierzu auch die Unternehmensbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank: ,,Der deutsche Mittelstand befmdet sich derzeit in einer besonders schwierigen Situation. Die Ertr~ige der kleinen und mittleren Untemehmen (KMU) (...) sind vonder andauemden Wachstumsschwache starker in Mitleidenschaft gezogen worden als die gr613erer Firmen. Ausschlaggebend daftir diirfte die vergleichsweise starke Abh~ingigkeitder KMU yon der lahmenden Binnenkonjunktur gewesen sein." (n. a., 2003b, S. 29)

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

171

der Intemationalisierung. 1027 Die Auswirknngen dieser konjunkturellen Lage 1~ schlagen sich aus Sicht der U n t e m e h m e n in stark gestiegenem Wettbewerbsdruck nieder. Zugleich betonen sie die Schere aus gesunkenen Absatzpreisen, Auftragsbest~inden und Kapazit~itsauslastung bei zugleich gestiegenen Kosten far Rohstoffe. Nicht wundern mtissen darm eine sich verschlechternde Liquidit~it und zurtickgehende Aufwgndungen f'tir Investitionen. Will man nun die Fragen nach Spezifika und Charakteristika des Mittelstandes ansatzweise vertiefend beantworten, empfiehlt sich ein Blick auf den Stand der Forschung diesbeziJglich. Beschaftigt sich die betriebswirtschaftliche Forschung zwar im Kern (und interessanterweise meist implizit) mit Groguntemehmen 1~ haben sich dennoch in den letzten Jahren Forschungsbemtihungen auch mit dediziertem Bezug auf die Problembereiche von kleinen und

mittelst~indischen

Untemehmen

verst~irken

k6nnen. 1~176 Als

grnndlegendes

Charakteristikum des Mittelstandes wird tibereinstimmend die enge Verbindung von Unternehmen und InhaberIn bezeichnet: 1~ ,,The close connection between a person and a economic unit strongly influences the market behaviour and performance o f privately owned SMEs and determines the social and political role o f the ,Mittelstand'. ''t~ Mit dieser engen Verbindung einher gehen idealtypisch eine Einheit von wirtschaftlicher Existenz des Untemehmens und seiner Leitung und eine verantwortliche Mitwirkung der Leitung an allen untemehmenspolitisch relevanten Entscheidungen. Dieses qualitative Merkmal der ,,(...) Identit~it von Eigenttimer und verantwortlichem Management ''~~ mit dem Unternehmer/der Unternehmerin als ,,zentralem Kraftzentrum" 1034, spiegelt sich insbesondere im Themenfeld Untemehmensftihnmg wieder. Das absolute Gros der mittelst~indischen U n t e m e h m e n sind Familienunternehmen, vielfach eignergef'tihrt 1~ und Personalfirmen als Rechtsform 1~ ,,Die meisten mittelstgndischen Untemehmen sind (...) Familienbetriebe, for welche die Mitarbeit und Mitverantwortung der Familienmitglieder selbstverst~indlich ist und in denen umgekehrt die Untemehmerfamilie nicht ein v o n d e r Firma getrenntes Pfivatleben ftihrt - wie bei

1027Vgl. K6hler, 1999, S. 21f. (mit Verweis auf Kaufmann et al., 1990, S. 57). toz8 Die folgenden Punkte beziehen sich auf eine Studie des IfM Bonn zur Situation des industriellen Mittelstands in Deutschland (vgl. Backes-Gellner, 2003, S. 10ff.). 1029 ,,Yon etwa eintausend deutschen BWL-Lehrst/lhlen an Universitatan sind nut ca. zwei Dutzend zu finden, denen die Forschungs- und Lehrethemen Griindung, Handwerk, Gewerbe und Mittelstand ins Stammbuch geschrieben wurden." (Meyer, 2001, S. vii) 1o3oSiehe beispielhaft tilt das Themenfeld des Innovationsmanagement, das wohl am aktivsten mit Mittelstandsbezug adressierte, die bei Meyer, 2001 aufgeffihrte Literatur (S. 305ff.). 1o31Siehe z. B. Bindewald et a1., 2004, S. 1, G/interberg und Wolter, 2003, S. 2. 1o32Gfinterberg und Kayser, 2004, S. 1. 1033Bindewald et ai., 2004, S. 1. ~o34Vgl. Backes-Geliner, 2003, S. 6, und Pausenberger, 1999, S. 81. 1035 84,5% aller mittelst/indischen Untemehmen (> 500 Mitarbeiter) sind nach Kayser, 2003, S. 9, eignergeftihrte Unternehmen. Mit Bezug auf die IfM-Mittelstandsdefinition sind dort 94,8% aller mittelst/indischen Unternehmen angegeben, die zugleich zur Kategorie der Eigent~merIrmen-Untemehmengeh6ren (Giinterberg und Wolter, 2003, S. 3). 1o36Vgl. Hamer, 1990, S. 44; siehe auch Kayser, 2003, S. 8.

172

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

M a n a g e m - , sondern sich als Teil des U n t e m e h m e n s sieht. ''1~

Vielfach betont wird, dass

mittelst~ndische U n t e m e h m e r a u f dieser Basis anders f'tihren als (Fremd-)Manager. A u f der Basis zahlreicher empirischer U n t e r s u c h u n g e n betont Hamer, dass ,,(...) mittelstandische U n t e m e h m e r nicht nach d e m homo-oeeonornicus-Modell, also nicht nur rational-6konomisch entscheiden, s o n d e m subjektiv-6konomisch a u f der Basis ihrer jeweiligen pers6nlichen Situation, Familienlage, ihrer pers6nlichen Motivation und ihres pers6nlichen Nutzens. ''1~ Der Anteil subjektiver Entscheidungsmotive ist bei kleineren Betrieben tendenziell gr6ger, das rational-6konomische Verhalten n i m m t mit steigender Betriebsgr6Be zu. Zentrales Oberziel des industriellen Mittelstandes (insbesondere der F a m i l i e n u n t e m e h m e n ) ist dabei die Sicherung des U n t e m e h m e n s f o r t b e s t a n d e s ) ~

Eine hiertiber hinausgehende Charakteri-

sierung v o n Pfohl u n d Kellerwessel, in Gegentiberstellung z u m Ftihrungsverhalten von M a n a g e m in GroBuntemehmen, ist in Tabelle 6 dargestellt. Unternehmensfiihrung In Klein- und Mittelbetrieben

In GroBbetrieben

Eigenttimer-Untemehmer

Manager

Mangelnde Untemehmensfiihrungskenntuisse1~176

Fundierte Untemehmensfiihrungskennmisse Gutes teclmisches Wissen in Fachabteilungen und St~iben verfiigbar Ausgebautes formalisiertes Informationswesen

Technisch orientierte Ausbildung Unzureichendes Informationswesen zur Nutzung vorhandener Flexibilit~itsvorteile Patriarchalische F~ihrung

Fiihrung nach Management-by-Prinzipien

Kaum Gruppenentscheidungen

Haufig Gruppenentscheidungen

GroBe Bedeutung yon Improvisation und Intuition

Geringe Bedeutung von Improvisation und Intuition

Kaum Planung

Umfangreiche Planung

Durch Funktionsh~iufungiiberlastet, soweit Arbeitsteilung personenbezogen

Hochgradige sachbezogene Arbeitsteilung

Unmittelbare Teilnahme am Betriebsgeschehen

Ferne zum Betriebsgeschehen

Geringe Ausgleichsm6glichkeiten bei Fehlentscheidungen

Gute Ausgleichsm6glichkeiten bei Fehlentscheidungen

Fiihrungspotenzial nicht austauschbar

Ftihrungspotenzial austauschbar

Tabelle 6: Charakterisierung der Untemehmensfiihrungvon Klein- und Mittelbetrieben 1~ Die Gegentiberstellung kann - bei aller Pauschalisierung - auch bereits organisationale Charakteristika deutlich machen, die mittelstandischen U n t e m e h m e n zugeschrieben werden, wie Funktionsh~iufung, geringe Abteilungsbildung, Delegation in beschranktem U m f a n g und

1037Hamer, 1990, S. 47f. 1038Hamer, 1988, S. 84. ~039Vgl. Backes-Gellner, 2003, S. 8, Hamer, 1990, S. 49f. t040 Dieser Punkt ist wohl (wie auch ein paar der sp/iteren) von Pfohl und Kellerwessel etwas unglficklich (weil (ab-)wertend) formuliert. Hamer kann diesen Punkt kl~iren. Er betont, dass selbst~indige Unternehmer in Kleinbetrieben aus der Praxis kommend haufig keine Fiihrungstheorien gelernt haben, aufgrund des Direktverh~ilmisses und des engen und st~indigen Kontakts zu den Mitarbeitem aber einen Fiihrungsvorteil gegeniiber GroBuntemehmen verbuchen k6nnen (vgl. Hamer, 1990, S. 52f.). t041 Vgl. Pfohl und Kellerwessel, 1990, S. 18.

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

ein

geringer

173

Formalisiemngsgrad. 1~

Aus

der

N/ihe

des

U n t e m e h m e n s f t t h r e r s und

Eigent~imers z u m Betriebsgeschehen und des personalen Ffihrungsansatzes folgen kurze direkte Informationswege sowie W e i s u n g und Kontrolle in direktem personenbezogenen Kontakt und geringe Koordinationsprobleme, bei insgesamt hoher Flexibilit~it 1~

A u c h in

gr613eren mittelst~indischen U n t e m e h m e n k 6 n n e n dabei ,,(...) im organisatorischen Bereich viele Relikte aus der kleinbetrieblichen Vergangenheit der Firmen zurtick geblieben [sein]. 'a~ auch

die

Vielfach betont werden die starken pers6nlichen B i n d u n g e n wie insbesondere hohe

Untemehmen.l~

Arbeitszufriedenheit

und

Mitarbeiterloyalit/it

bei

mittelst~indischen

U n d auch das T h e m a der Kooperation, insbesondere im Z u s a m m e n h a n g mit

der Intemationalisierung von mittelst~ndischen U n t e m e h m e n , ist ein eifrig diskutiertes. 1~ U n d es formuliert ein ftir viele K M U auch hoch relevantes Thema, sind sie doch z u n e h m e n d auch in ihren lokalen Markmischen, in denen sie sich durch spezielle Leistungen mit regionalem Schwerpunkt d e m Konkurrenzdruck der Grogen zu entziehen suchten, nicht m e h r unge f~ihrdet. 1~ Im Gegensatz z u m Marketing finden sich z u m I n n o v a t i o n s m a n a g e m e n t eine deutlich gr6f3ere Vielzahl an a u f den Mittelstand bezogenen Ausftihnmgen.l~

Far eine Kurzcharakterisiemng

v o n F o r s c h u n g u n d Entwicklung in K M U s sei a u f folgende Tabelle verwiesen. Forsehung und Entwieklung In Klein- und Mitteibetrieben

In GroBbetrieben

Keine dauemd institutionalisierte Forschungs- und Entwicklungsabteilung

Dauemd institutionalisierte Forschungs- und Entwickhmgsabteilung

Kurzfristig-intuitiv ausgerichtete Forschung und Entwickltmg

Langfristig-systematisch angelegte Forschung und Entwicklung

Fast ausschlieBlich bedarfsorientierte Produkt- und Verfahrensentwicklung, kaum Gmndlagenforschung

Produkt- und Verfahrensentwicklung in engem Zusammenhangmit Grtmdlagenforschung

Relativ kurzer Zeitraum zwischen Erfmdung trod wirtschaftlicher Nutzung

Relativ langer Zeitraum zwischen Erfindung und wirtschaftlicher Nutzung

Tabelle 7: Charakterisierung der Forschung und Entwicklung in Klein- und Mittelbetrieben 1~

1042Vgl. Pfohl und Kellerwessel, 1990, S. 19, Hamer, 1990, S. 52ff., Kayser, 1990, S. 83. 1043Pausenberger, 1999 verweist auf eine Studie, die verdeutlich, dass in GroBuntemehmen die intemen Reibungsverluste um ein vielfaches h6her angegeben werden, als bei KMU (S. 82 (mit Verweis auf Simon, 1990, S. 887)). Dies schlage sich dann in h6herer F~hrungseffizienz wie auch gr6Berer Flexibilit~t und Anpasstmgsfahigkeit nieder. Siehe auch z. B. Kayser, 1990, S. 84ff. io44 Vgl. Kayser, 1990, S. 89 (mit Verweis auf eine Untersuchung von Albach, Bock und Wamke, jedoch ohne Literamrverweis). 1o4~Siehe z. B. Pausenberger, 1999, S. 82. 1o46Siehe die zahlreichen Beitr~ige hierzu in Meiler, 1999b. 1047Vgl. K6hler, 1999, S. 2. t048 Siehe z. B. Blessin, 1998, Geschka, 1990, Harhoff und Licht, 1996, Meyer, 2001, Meyer et al., 1994, n. a., 1997. lO49Vgl. Pfohl und Kenerwessel, 1990, S. 20.

174

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

,,Nach wie vor sind es die groBen Untemehrnen mit mehr als 10.000 Besch~ifligten, die mit 46,9% den gr613ten Anteil der F&E-Aufwendungen aufbringen.':~176So betont auch Meiler, dass die meisten Untemehmen des Mittelstandes eher inkrementelle Forschung und Entwicklung betreiben. Er verdeutlicht aber ihre ,,technologische Diffusionsfunktion", indem sie neue Technologien aufgreifen und f'tir spezielle Anwendungsfelder weiterentwickeln)~ Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist stoker auf die Verwertbarkeit der Ideen ansgerichtet) ~ Auch Penzhofer und Schmalholz ~iuBem sich ~ihnlich: ,,Unterhalb der komplexen Systemebene leisten kleine und mittlere Untemehmen einen wesentlichen innovativen Beitrag. Typisch ~ r sie sind insbesondere solche Entwicklungsaktivit~iten, denen nicht hoher Innovationsaufwand und

in

systematische F&E-Anstrengungen den

Ausschlag geben, sondem eher spezialisiertes marktnahes Wissen und K6nnen erforderlich sind. Auf diese Weise schaffen sich kleine und mittlere Untemehmen Marktsegmente, deren Innovationsm6glichkeiten GroBuntemehmen nicht wahmehmen wollen und k6nnen. ''1~ Dies formuliert bereits die l]berleitung in das Themenfeld des Marketings, flir das sich mit Bezug auf den Mittelstand jedoch nur wenige Ver6ffentlichungen finden lassen. 1~ Betont wird unisono als qualitatives Charakteristikum die ausgepragte Markt- und Kundenniihe wie orientiertmg mittelstandischer Unternehmen.1~ Nicht nur die lnhaberlnnen selbst pflegen h~iufig persOnlichen Kontakt zu den wichtigsten Kunden, sondern auch die Quote der Mitarbeiter mit unmittelbarem Kundenkontakt ist h6her als in GroBuntemehmen.1056 So haben es, wie Zeitel betont, viele kleine und mittlere Unternehmen verstanden, sich in Marktnischen starke Positionen aufzubauen) ~

lhre erhebliche Stellung als Zulieferer von Halb- und

Fertigerzeugnissen verdeutlicht, dass kleine und mittlere Betriebe haufig pr~idestiniert sind daf'tir - bzw. im Gegensatz zu Grol3untemehmen tiberhaupt in der Lage sind - technische Sonderprobleme kostengiinstig zu 16sen. So wird vielfach betont, dass f'tir mittelst~indische Untemehmen im Rahmen eines wettbewerbsorientierten strategischen Managements vor allem die Konzentration der Marktbearbeitung auf ein bzw. wenige Segmente empfohlen wird. 1~

Ziel

ist,

die bestm6gliche Erflillung der Bediirfnisse einer spezifischen

Abnehmergruppe oder eines regionalen Marktes in den Vordergrund zu stellen. ,,Verbunden mit einer derart zielgerichteten und sehr intensiven Marktbearbeitung kann ein mittelstlindisches Unternehmen ein iiberdurchschnittlich hohes akquisitorisches Potenzial

*osoKayser,2003, S. 11. 1o51Vgl. Meiler, 1999a, S. 168. 1052Vgl. Zeitel, 1990, S. 37. 1053Penzhoferund Schmalholz,1995, S. 11. *054Ausnahmensind z. B. im deutschsprachigenRaum Wolf, 1994, Pfohl, 1990b, Albrechtet al., 1994a und jedoch nur mit partiellemMittelstandsbezug Riedl,1999; internationalz. B. Ford und Rowley, 1979, oder auch Sashittalund Wilemon, 1996. *o55Siehez. B. Pausenberger,1999, S. 82, .Pfohlund Kellerwessel,1990, S. 19, Zeitel, 1990, S. 32f. ,056 Vgl. Simon, 1990, S. 882. *057Vgl. Zeitel, 1990, S. 32. 1058Siehez. B. Weber, 1999, S. 245ff., oder Simon, 1996, S. 108t".

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

errichten. ''1~

175

In mittelst~indischen Untemehmcn, betont Wolf, wird Marketing vielfach mit

dem Teilbereich Absatz oder Vertrieb gleichgesetzt, also der Absatzbereich als Endglied des Leistungsprozesses als Marketing verstanden. 1~176 So muss es nicht verwundern, dass in einer der wenigen dem Autor hierzu bekannten empirischen Untersuchungen, Piercy (bezogen auf England) in seinem ,,(...) sample [that] was heavily biased towards medium-sized companies ''1~ bei 55% der Unternehmen keine Marketingabteilung im Sinne von ,,formally organised marketing operations" vorfand. ,,(...) the departmentisation o f marketing is predictably related positively to company size", wobei insbesondere die Marketingfunktionen ,,advertising",

,,marketing

Marketingabteilungen Themenfeld

des

research",

vorgefunden

mittelst~ndischen

,,trade

wurden.

marketing" Trotz

Marketings

und

weniger stehen

,,sales"

als

empirischer

diese

Befunde

Teil

von

Daten

zum

doch

in

0"bereinstimmtmg mit obigen Ausfiihrungen und k6nnen ein insgesamt schl(issiges Bild geben.

3.2.2

Druck(farben)industrie im Wandel

Nur wenige Erfindungen hatten einen so groBen Einfluss auf unsere kulturelle Entwicklung wie das Buchdruckverfahren. Jedoch k6nnen auch die rasanten Entwicklungen im Bereich der Druckverfahren wie der Druckfarben der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte nicht dartiber hinwegt~iuschen, dass die Druck(farben)industrie sich aktuell in einem tiefgreifenden Prozess des Wandels befindet. 1~ Versch/irft wurde und wird diese Entwicklung sicherlich durch die angespannte gesamtwirtschafltiche Situation der letzten Jab.re - und die verhaltenen Prognosen ftir die nahe Zukunft. I063 Die kontextuelle Einbettung und weitere Anngherung an den Druckfarbenhersteller Michael Huber Manchen bzw. die Huber Gruppe soll in zwei Schritten erfolgen. Die Druckindustrie 1~ als (Kern-)Absatzmarkt und zentraler Bezugspunkt fiir Druckfarbenhersteller, wie z. B. MHM, bildet den Einstieg in Abschnitt 3.2.2.1, bevor der Blick in Abschnitt 3.2.2.2 dann dediziert auf die Branche der Druckfarbenhersteller gelenkt wird. Den Ausffihrungen in der Einleitung zu Abschnitt 3.2 entsprechend, werden in Abschnitt 3.2.2.2 neben einer grundlegenden Basis aus Sekundgrdaten soweit m6glich, n6tig

10s9Weber, 1999, S. 246. ~06oVgl. Wolf, 1994, S. 15. Jo6~Piercy, 1986, S. 269. ~o6zSiehe z. B. BVDM, 2004c, Niemela, 2004, n. a., 2004f, Hudetz et al., 2000, S. v. 1o63Dies sei (mit Stand 12/2004) insbesondere mAt Bezug auf Deutschland verstanden, partiell aber durchaus auch ffir USA und Westeuropa als relevante Export- und ImportmAirkte.Siehe auch Hudetz et al., 2000, S. v., mat Bezug auf die mAttelstandischeIndustrie z. B. Demmer, 2004, S. 7ff. lo64 Unter der Druckindustrie sei fiir diesen Abschnitt (eng gefasst) die Branche der am Druckprozess beteiligten Betriebe bezeichnet, also der Druck- trod Medienvorstufe, des eigentlichen Druckes und der Druckweiterverarbeitung (vgl. Ullmann, 2003, S. 12 (mAtVerweis auf das Statistische Bundesamt)). Der Systematik des Statistischen Btmdesamtes gemaB werden dabei allerdings nut solche Unternehmen beriicksichtigt, die ,,Druckereierzeugnisse und Vervielf~iltigungen"erzeugen, die aus Papier bestehen (vgl. Kauffeldt, 1991, S. 23ff.). Diese Einschr~nkung wird im Weiteren aber - mat dem Fokus auf die Druckindustrie als (Kern-)Absatzmarkt for Druckfarbenhersteller - aufgegeben bzw. der Begriff in Bezug auf mfgliche andere Materialien als Bedruckstoffe (wie z. B. Karton, Pappe, Kunststoff, Glas) entsprechend welter gefasst.

176

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

und relevant auch empirische Prim/irdaten dargelegt. Diese finden sich in separaten Unterabschnitten und seien als Additiv, Korrektiv oder als weitere bzw. MHM-Sicht verstanden.

3.2.2.1

DruckindustrieimWandel

Die Druckindustrie ist seit Jahren einem standigen Wandel unterworfen. 1~

Technischer

Fortschritt und intensiver Wettbewerb in der Branche erfordern immer wieder Anpassungen der Untemehmen. 1~ Dieser Abschnitt fugt zentral auf Sekund~irdaten aus Druckzeitschriften, Fachbiichern und yon deutschen wie europ~iischen Fachverb~inden. Die technischen Voraussetzungen zu Druck von Wort und Bild gehen auf eine Erfindung von Johannes Gutenberg aus dem 15. Jahrhundert zuriJck. 1067 Ober 300 Jahre blieben Gutenbergs Verfahren in Folge nahezu unver~ndert 1~ bis zur Geburtsstunde der industriellen Druckindustrie, die auf das Jahr 1798 taxiert wird und Senefelders Steindruck zugeschrieben wird. Erstmals konnten nun auch ftir eine breite Bev61kerungsschicht Druckerzeugnisse hergestellt werden. Doch wachsender Bedarf wie die Nachfrage nach Aktualitat in Zeitungen und Zeitschriften forcierten den technischen Fortschritt. Das Maschinenzeitalter in der Druckerei begann in der zweiten H~ilfte des 19. Jahrhunderts und die Druckverfahren entwickelten sich rasant. Bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg blieb jedoch der Buchdruck in der Tradition Gutenbergs das vorherrschende Druckverfahren. Erst als sich Fotosatz und Scannen zunehmend durchsetzten, verddingte der Offsetdruck zwischen 1960 und

1980 den

Buchdruck fast vOllig. 1~ Fiir hohe Auflagen kam der Tiefdruck zum Einsatz. Die Farbe hielt umfassend Einzug. Und Computertechnologie

neue

insbesondere seit den 70er Jahren schuf der Einzug der MOglichkeiten

Heutzutage sind h6chste Druckauflagen bedarfsweises

und

individuelles

fiir den

gesamten

ProduktionsprozessJ ~176

in ktirzester Zeit genauso Wirklichkeit wie

Drucken

kleinster,

individualisierter

Auflagen

im

Digitaldruck. Je nach Auflage, Produkt, Materialien, Format und 6konomischen, terminlichen wie qualitativen Anspdichen werden dabei unterschiedliche Druckverfahren eingesetzt. Die Printmedien suchen hierbei in einer immer dynamischeren und komlexen Medienwelt ihren Stellenwert zu behaupten. In einer partiellen Offnung ftir neue digitale Medien und deren Integration verstehen sich auch Druckunternehmen dabei vielfach nicht mehr nur als reine

1065Siehe z. B. die sehr ausfiihrliche Branchenanalyse f'tir den Zeitraum yon 1960-1988 bei Kauffeldt, 1991, oder auch fokussiert bei Weber et al., 2000. a06~Vgl. Hudetz et al., 2000, S. lff., oder Kauffeldt, 1991, S. 2, der in diesem Zusammenhang auch aufdie 1968 durchgefiihrte verbandsmaflige Umbenennung der Branchenbezeichnung von ,,Graphisches Gewerbe" in ,,Druckindustrie" hinweist. io67 Vgl. BVDM, 2004c, auch im Weiteren; siehe auch Lippert, 1995, S. 12, oder Kauffeldt, 1991, S. 7ff. ~o68Vgl. Lippert, 1995, S. 18ff., Kauffeldt, 1991, S. 8. ]o69 Vgl. Lippert, 1995, S. 21. 1070Siehe hierzu sehr sch6n und ausfiihrlich die Abschlussver6ffentlichung eines BMWi-Projektes zum Strukturwandel der Druckindustrie unter dem Einfluss der IuK-Technologien bei Hudetz et al., 2000; Lippert, 1995, S. ll3ff., Kauffeldt, 1991, S. 339ff., oder auch eine frfihe Ver6ffentlichung z. B. Weber, 1982, S. 22ff.

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

177

Printanbieter, sondern als universetle Mediendienstleister. 1~

Die mit dem technischen

Fortschritt einhergehende Innovations- und Investitionsintensit~tt ist dabei im Vergleich zu anderen Branchen fiberdurchschnittlich hoch, mit zunehmend kttrzeren Investitionszyklen.l~ Die mit der fortschreitenden Automatisierung fiblicherweise einhergehende Kapazit~itsausweitung und Produktivitgtssteigerung 1~

wirken sich wettbewerbsverschSrfend aus - und

forcieren schlief31ich den Kreislauf der Konsolidierung der mittelst~ndisch gepr~igten Branche. 1074

Ver~inderung der Nettoproduktion und 9 Ver~nderungderNettoKapazitlitsauslastung in der Druckindustrie produktion(linke Skala) m KapazrtMsau~lastung (rechte Skala)

%

%

[

8

871

[

6

86j

t

4

85 t

[

2

841

[ 0 t -2

83 l 821

[ -4

811

t -6

1996

&997

$998

$999

2000

2001

2002

2003

80 t

Quel[e: Statistisches 8undesamt

Abbildung 35: Wirtschaflliche Entwicklung der Dmckindustrie m Deutschland1~ A u f Basis der skizzierten technischen Entwicklung lohnt also eine (makro-)6konomische Ann~herung an die Branche der Druckindustfie. Ausgangspunkt seien statistische Daten zur Branchenstntktur und -entwicklmlg, wie sie z. B. der Bundesverband Druck und Medien (BVDM) regelm~f3ig ver6ffentlicht. I~

Die Druckindustrie erzielte im Jahr 2003 mit knapp

2000 Betrieben und etwa 125 000 Beschgftigten in Deutschland einen Umsatz yon 16,5 Mrd. 6. l~

Die

Branche

ist

dabei

in

aul3erordentlich

hohem

Mage

von

kleinen

und

107x Vgl. K6nen, 2004, S. 12, Hudetz et al., 2000, S. 8, oder mit konkreten Beispielen z. B. Lippert, 1995, S. 119ff. lo7z Vgl. Vngt, 2004, 9, Holland, 2004b, S. 7ff., Hudetz et al., 2000, S. v, Grefermann, 1990, S. 19. 1073 Siehe z. B. Hudetz et al., 2000, S. 31f., oder bei Wolf, 2004, S. llf., die zur Drupa (weltweit gr6gte Messe im Bereich ,,print media, publishing & converting") 2004 yon den Marktfiihrem neu angekfindigten Dmckmaschinen, die bspw. fiir den Offsetdruck unisono Produktivitiitssteigemngen zwischen 20 und 30% versprechen, sei es fiber kfirzere Rfistzeiten, h6here Geschwindigkeiten oder zunehmender Arbeitsbreite. Siehe ~itmlichz. B. Holland, 2004b, S. 7, D6rsam, 2004, S. 58. ~o74Vgl. Vogt, 2004, S. 9, Wittmarm, 1982, S. 10; oder z. B. auch ffir den Tiefdruckmarkt n. a., 2004b, S. 5. 107sVgl. Vogt, 2004, S. 7; siehe auch den ifo-Gesch~iftsklima-Indexder letzten vier Jahre fiir die westdeutsche Druckindustrie in BVDM, 2004a. Ffir das 1. Halbjahr 2004 wird - bezogen auf den Umsatz - ein leichter Zuwachs von 1% gemeldet (vgl. BVDM, 2004d). ~o76Siehe z. B. UUmann, 2004c, Ullmann, 2004a, Ullmann, 2003, Hudetz et al., 2000, S. 13ff., oder auch direkt auf der Website des BDVM z. B. BVDM, 2004d. 1077Diese Zahlen beziehen sich dabei auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, mit dem Berichtskreis der Industrie- und Handelsbetriebe mit 20 und mehr Besch~iftigten. Bezieht man auch Betriebe mit weniger

178

3. Rekonstrnktion- ,,empiricaljourney"

mittelstandischen Betrieben geprtigt, knapp 94% aller Betriebe haben weniger als 50 BeschafligteJ ~

Verfolgt man Analysen zur Branche fiber die letzten Jahre tritt nun

fiberdeutlich hervor, dass die Druckindustrie

national wie international - in den letzten

Jahren eine ausgewachsene Rezession 1~ durchschritten hat (siehe Abbildung 35) und sich nach aktuellen Zahlen nur langsam - und noch ohne klaren Trend erholt. 1~176

von dieser Branchenkrise

Was sind die zentralen Grfinde flJr diese vielfach als Branchenkrise bezeichnete Entwicklung? Meist genannt werden, f'tir Deutschland wie fiir das Ausland, ,,(...) zum einen das nachlassende Geschaft der Verlage und zum anderen die riicklaufigen Werbeausgaben der Wirtschaft. ''1~

Der Branchenreport der Deutschen Industriebank betont, wie zahlreiche

andere Studien auch, die ausgeprtigte Abh~ngigkeit vom Werbemarkt. Fast zwei Drittel der gesamten

Umstitze

Verlagserzeugnisse)

mit stehen

Druckerzeugnissen unmittelbar

oder

(einschliel31ich mittelbar

im

der

werbeabhangigen

Zusammenhang mit

den

Werbeaktivitaten der Wirtschafl. 1~ Und ein Anteil von gut einem Drittel der Umstitze f~illt auf

Verlage.

Im

Zentrum

der

Analyse

steht

dergestalt

konjunkturuellen Schwache dieser beiden Bereiche. 1~

meist

die

Betonung

der

Daneben vollziehen sich in der

Werbung und der Verlagsbranche aber auch - u. a. durch die Verbreitung elektronischer Medien - strukturelle Vertindemngen, die die zukiinflige Entwicklung der Printmedien und damit der Druckindustrie beeinflussen. Sie sorgen bspw. ffir Verschiebungen innerhalb der ffir den Werbe- und Anzeigenmarkt genutzen Medien, 1~

wodurch nicht zuletzt die massive

Unterauslastung der Kapazittiten noch verschtirft wird.l~

Tabelle 8 f'fihrt die Entwicklung der

als 20 Beschtiftigten mit ein, das sind 83,9% allcr 12 410 Betriebe (Stand: 30.06.2003), werden in Summe 196 662 Beschtiftigte angegeben (vgl. Ullmann, 2004a, S. 11, und BVDM, 2004d). Siehe zur Bedeutung der Branche in der BRD auch Grefermann, 1990, S. 24. io78 Vgl. BVDM, 2004d, Ullmarm, 2004a, S. 11, Hudetz et al., 2000, S. 19f., Kauffeldt, 1991, S. 388ff., oder auch Weber, 1982, S. 17. io79 Neben riickltiufigen Ums~itzen und Ertrtigen seit dem Herbst 2000 (vgl. Ullmann, 2003, S. 12, Ullmann, 2004a, S. 10, oder BVDM, 2004d), wird vielfach zudem betont, dass die Stimmungslage der Druckindustrie in den letzten Jahren das tiefste Niveau in den vergangenen 30 Jahren erreicht hatte (vgl. Ullmann, 2004a, S. 10). Siehe ~hnlich auch Rir die USA z. B. Tolliver-Nigro, 2003, S. 15f. 1080 Siehe z. B. K6nen, 2004, S. 10f., Vogt, 2004, S. 2. ~o81Vogt, 2004, S. 2. 1082 Siehe neben dem IKB-Report z. B. auch K6nen, 2004, S. 10, Ullmann, 2004a, S. 10, Milmo, 2003, S. 21. In einer Branchenanalyse aus dem Jahre 2003 beziffert Ullmarm diesen Anteil f'tirdas Jahr 2002 auf 63,1% des Umsatzes an Druckerzeugnissen,die auf die Prodnktion von Werbetr~igemfiel (vgl. Ullmann, 2003, S, 10). los3 ,,'Once GPD starts to slow down, it has an immediate effect on printing sales.'" (Milmo, 2003, S. 18) Siehe auch die augenf~illigen Parallelen der Entwicklung der Werbeausgaben, die das erste mal in den letzten 50 Jahren drei Jahre hintereinander gesunken sind (vgl. Ullmann, 2004c, S. 14), mit der Entwicklung des BIP tiber die letzten Jahre, z. B. bei Demmer, 2004, S. 10. Siehe ahnlich z. B. auch Grefermann, 1990, S. 35ff. 1o84Siehe z. B. die Tabelle bei Ullmarm, 2004c, S. 15, und Ullmann, 2003, S. 10, zur Entwicklung der Werbeeinnahmen in Bezug auf Werbetrtiger. 1o85Zur Kapazit~tsauslastung siehe z. B. Ullmarm, 2004a, S. 11: ,,Trotz leichter Besserung in der zweiten Jahreshtilfle sank die Kapazit~tsauslastungim Jahresdurchschnitt2003 auf (...) den niedrigsten Stand seit 20 Jahren." Zu den lJberkapazittiten in der Druckindustrie siehe z. B. auch Vogt, 2004, S. 7f.

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

179

U m s g t z e der Druckindustrie nach Erzeugnissen auf, u m einen !2Jberblick sowohl fiber Druckerzeugnisse in Ggnze zu geben, als auch deren Ver~inderungen tiber die letzten Jahre. Ver~inderungen jeweils gegeniiber Vorjahr in Prozent 2003 Mio. E

2000

2001

2002

2003

Erzeugnisse/Leistungen

2004 (1. Hj.)

Werbedrucke/Kataloge

5.551

+15,3

0,0

-4,7

-5,6

0,0

Gesch~ifts-/Drucksachen

2.099

+3,5

0,0

-10,2

-9,0

+2,9

Zeitschriften

1.972

+19,2

-16,2

-1,4

-4,7

+0,6

Zeitungen/Anzeigenblgtter

1.764

+7,9

-7,2

-4,3

-7,9

+ 1,2

Biicher/Kartogra fische Erzeugnisse

1.055

+1,4

+0,8

-5,3

-4,2

+0,2

Bedruckte Etiketten

1.002

+3,9

+4,1

+10,1

+5,9

+0,8

Kalender/Karten

201

-6,4

+2,4

+16,8

-12,5

-21,4

Sonstige Druck-Erzeuginsse

1.576

+7,9

+4,4

-1,5

-0,1

+5,7

Summe Druekerzeugnlsse

15.220

+7,6

-2,6

-3,8

-5,0

+1,0

TabeUe 8: Ums~itzeder deutschen Druckindustrie nach ErzeugnisserdLeistungen 1~ Die A u s w i r k u n g e n dieser Entwicklung manifestieren sich im Kern in drei Feldem: E i n e m deutlichen A b b a u des Personalbestandes, w a c h s e n d e m Preiswettbewerb, sowie ausgeprggten .

.

.

.

Konsolidierungs- und elnhergehend Intematlonahsaerungstendenzen. Der

Personalabbau

rekapituliert.l~

fiel

massiv

aus,

wie

Ullmann

in

1087

seiner

Branchenanalyse

A u f den Image anhaltenden U m s a t z - u n d Ertragsrtickgang reagierten viele

U n t e r n e h m e n deutlich. So hat die Branche seit d e m konjunkturellen H o c h im Jahr 2000 bis Mitte 2004 fast 30 000 Arbeitsplgtze abgebaut 1~ - nicht ohne A u s w i r k u n g e n auch a u f die Druckfarbenindustrie, wie wir in der Longitudinalstudie v o n M H M werden.1090 9

sehen

Der wachsende Preiswettbewerb wiederum wird demlich, w e n n m a n sich die in den letzten

Jahren

kontinuierlich

fallenden

Erzeugerpreise

fdr

Druckerei-Erzeugnisse

1086Vgl. BVDM, 2004d, und Ullmann, 2003, S. 12. 1087Wenngleich hier mit Fokus auf Deutschland zeigen sich diese Trends international ~ihnlich: ,,As a result, overcapacity has increased, prices have fallen and margins have been squeezed even further (...), profit margins (...) have continued to reach new depths." (Holland, 2003, S. 11) to88 Vgl. Ullmarm, 2004a. Siehe auch eine frahe Analyse bei Weber, 1982, S. 17, die auf die hohe sektorale Lohnquote in der Druckindustrie hinweist, die sich dann durch die zunehmende Automatisierung deutlich verringerte (siehe z. B. Kauffeldt, 1991, S. 9 FN 3). Eo89Vgl. Unmann, 2004a, S. 11. ~09oSiehe insbesondere Absctmitt 3.3.3 zur Vertiefungsphase der Empirie.

180

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

betrachtet.1091 Versch~irt2 wird diese Situation durch den verstarkten [mportdruck wie auch den erh6hten Wettbewerb in den Auslandsmarkten. 1~ Vielfach betont werden in diesem Z u s a m r n e n h a n g auch die unzureichende Kapitalausstattung u n d Probleme

in der

Kapitalbeschaffung eines Grol3teils der insbesondere kleinen und mittelst~indischen Betriebe. 1093 Die schlechte Ertragslage der letzten Jahre - gepaart mit der oben bereits magedeuteten verscharften Innovationsintensitat - schlug sich in einer Insolvenzwelle nieder. ~~ Insbesondere kleine und mittlere U n t e r n e h m e n konnten sich d e m schwierigen Branchenumfeld vielfach nicht entziehen, 1~ wodurch letztendlich ein Wandel der Branchenstruktur induziert wird, der nicht zuletzt auch ~ n l i c h e n Tendenzen in den K u n d e n b r a n c h e n folgt. 1096 Mit der Konsolidierung einher 1~

geht eine z u n e h m e n d e Intemationalisierung des

Wettbewerbs, mit zentralem Fokus a u f Westeuropa, z u n e h m e n d aber auch Mittel- und Osteuropa.1~ W i e wird die Lage aktuell eingeschatzt, mit welchem Ausblick? ,,Die Druckindustrie hat die konjunkturelle Talsohle im Winterhalbjahr 2003/2004 iiberwunden. Nach einem dreij~hrigen krisenhaften Absturz n a h m e n Ums~itze, Produktionstatigkeit u n d Kapazitatsauslastung wieder zu. Die Gesch~iflslage besserte sich, gilt aber nach wie vor als unbefriedigend. (...) Der weiteren wirtschat21ichen Entwicklung im Jahr 2004 blicken die U n t e m e h m e r mit verhaltenem O p t i m i s m u s entgegen. Impulse werden v o m

anziehenden Werbemarkt

anhaltenden moderaten Belebung der Gesamtwirtschaft erwartet. ''1~

und v o n d e r

Personalabbau und

Preisriickgang werden nach Expertlnnen-Einsch~itzung anhalten, die Gesch~iflsaussichten werden durchaus skeptisch eingeschatzt. H~176 W i e wirken sich diese Entwicklungen a u f die Druckfarbenindustrie

aus?

Was

sind

deren

zentrale

Herausforderungen

vor

diesem

Hintergrund? Der n~ichste Abschnitt wird hierauf eingehen.

1091Die Erzeugerpreise fiir Druckerei-Erzeugnisse liegen nach den Berechntmgen des BV'DM in 2004 1,6% unter denen von 2003, die schon 0,6% unter denen von 2002 lagen (vgl. BVDM, 2004d; siehe ahnlich auch Ullmarm, 2004a, S. 11). 1092Vgl. Ullmarm, 2004b, S. 14f., Grefermarm, 1990, S. 19 und S. 56f. ~o93Vgl. K6nen, 2004, S. 12, und Vogt, 2004, S. 10f. 1094Vgl. Ullmann, 2004a, S. 11:2002 waren die Insolvenzen um 47% gegeniiber 2001 gestiegen, 2003 worden noch 20% mehr Insolvenzen als 2002 registriert. Und auch in den USA z. B. nahm die Zahl der Druckereien seit 1993 um knapp 16% ab (vgl. Tolliver-Nigro, 2003, S. 16). 1095Vgl. Vogt, 2004, S. 10f., oder auch schon Wittmann, 1982, S. 10f.; oder fiir die USA z. B. auch TolliverNigro, 2003, S. 16. 1096Vgl. Milmo, 2003, S. 24, Krauss, 2004, S. 3. 1097Grefermann, 1990, verweist bereits darauf, dass die Druckindustrie Ftir den Zeitraum von 1976-1986 zu den Wirtschaftsgruppen mit der h6chsten Zunahme des Konzentrationskoeffizienten z~ihlt (S. 31 f.). ~09sSiehe z. B. Hudetz et al., 2000, S. 81 ff., Grefermann, 1990, S. 19, oder BVDM, 2004d: Der Auslandsumsatz stieg in 2002 um 1,5% und in 2003 um 26% im Vergleich zum Vorjahr. Zum AuBenhandel nach Landergruppen fiir 2003 siehe Ullmann, 2004b, S. 15. 1099BVDM, 2004b, aktualisiert September 2004. Zum Werbemarkt siehe auch aktuelle Zeitungsmeldungenwie n. a., 2004c. H0~ Vgl. BVDM, 2004a, und die bereits merklich ungiinstigere Beurteilung im Vergleich zu den Vormonaten.

3.2 KontextuelleRekonstmktion

3.2.2.2

181

Druckfarbenindustrie im Wandel

,,Tough times for the printing industry means that it becomes a buyers' market for consumables which in turn makes things difficult for the ink makers. ''11~ Die oben geschilderten Trends werden also auch in der Druckfarbenindustrie ihren Niederschlag finden, auch sie befindet sich sehon seit Jahren in einem ausgeprggten Wandel, der im Folgenden besehrieben werden soll. Hier sei auf Sekund~daten anf der Basis von Fachzeitschriflen zttriickgegriffen, zus~ttzlich erg~tnzt um die MHM-Sicht auf der Basis von Prim~irdaten der Explorations- und auszugsweise auch der Vertiefungsphase. Externe Siehten - Sekundiirdaten

Bereits in den Fachzeitschriflen zur Druckindustrie finden sich Hinweise dafiir, dass die Druckereien den gestiegenen Ertrags- und Kostendruck an ihre Lieferanten weitergeben. So verweist Ullmann in seiner Branchenanalyse bspw. auf nachlassende Papierpreise in den vergangenen Jahren] 1~ Und diesem Druck konnte sich auch die Druckfarbenindustrie nicht entziehen, wie folgendes Zitat deutlich macht: ,,What a year it was! If you thought that volumes and margins could not decrease further, you were wrong! The description 'challenging' has been used on a number of occasions but 'depressing' is probably a more accurate term as to how most executives and customers in the European ink industry will remember 2002. ''11~ Nach der gugerst positiven Entwicklung bis zum Jahr 2000, das vielen Druckfarbenherstellern Ergebnisrekorde beschert hatte, bewegte sich also auch die Druckfarbenindustrie in den letzten Jahren in einem schwierigen wettbewerblichen Umfeld. Wobei auch der Trend FOxdas Jahr 2003 derart eingesch~itzt wurde, ,,(...) [with] prospect for a further squeeze on margins in the ink sector", 11~ und dann entsprechend best/itigt wurde.ll~ Vielfach betont werden hierbei die strukturellen Auswirkungen: ,,The present harsh economic climate could lead to radical changes in the structure of the supply chains for ink and other printing materials."11~ Bevor dies n/iher beleuchtet wird, seien aber erst noch einmal ein paar Grundlagen zur Druckfarbenindustrie n/iher betrachtet. Druckfarben sind past6se bis dfinnfltissige Zubereitungen aus Farbmitteln, Bindemitteln, Lfsemitteln und Additiven, die in schnelllaufenden Druckmaschinen verarbeitet werden. D. h., sie sind zwar ~hnlich wie Lacke und Anstrichmittel aufgebaut, trocknen aber wesentlich schneller und werden in einer erheblich geringeren Schichtdicke aufgetragen. Die im Verband der Druckfarbenindustrie (VdMi) organisierten 19

1101Holland,2004a, S. 8. ll0ZVgl. Ullmann, 2004a, S. 11. Die Statistikendes BVDM weisenFOxdie Erzeugerpreisefiir Druckpapiereinen sich ausweitendenRfickgangfiberdie letztenJahre aus, von 2,5% in 2002, 5,1% in 2003 bis hin zu 6,1% im erstenHalbjahr2004 (vgl. BVDM, 2004d). Ho3 Holland,2003, S. 10; siehe~hnlichz. B. Casatelli,2004, S. 24. vo4 Milmo,2003, S. 21. llOSVgl. Holland, 2004a, 8. 11o6Milmo,2003, S. 24; siehe ~ihnlichz. B. auch EuPIA,2004, oder Casatelli,2004, S. 21ft.

182

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

Druckfarbenhersteller, die nach Eigenangaben den Grogteil der deutschen Druckfarbenindustrie repr~sentieren, haben im Jahr 2003 ca. 440.000 t Druckfarbe und Hilfsmittel mit einem Wert von rtmd 1,5 Mrd. C hergestellt. 1107 Die deutsche Druckfarbenindustrie behauptet mit einem Marktanteil von etwa 35% eine ftihrende Position in Europa. Druckfarben werden dabei in verschiedensten Druckverfahren wie Buchdruck, Offsetdruck, Flexodruck, Tiefdruck oder Siebdruck, sowohl in Bogen- wie auch in Rotationsdruckmaschinen eingesetzt. Anwendungsbeispiele sind B(icher, Zeitungen, Zeitschriften, Kataloge, Verpackungsmaterialien, Tapeten, Geldscheine, Briefmarken, Etiketten und vieles mehr. Druckfarben werden dabei ausschliel31ich an gewerbliche Kunden, also an Druckereien bzw. an Fachh/indler, und nicht an private Endverbraucher ausgeliefert. Die Entwicklung der Absatzmengen und -werte von Druckfarben in Deutschland fiber die letzten Jahre kann folgende Abbildung darstellen.

16o

Gesamtinlandsabsatz an Druckfarben (inkl. Hilfsmittel)

140 130 120 110

100

f , 1990 1991 1992 i993'1994'1995'1996'1997'1998'1999

2000 2001'2002'2003

Abbitdung 36: Entwicklung der Absatzmengen und -werte von Druckfarben in Deutschland 1108 A u f europgischer Ebene (934.000t)

sind Deutschland (291.000t)

und Grorbritarmien

(195.000 t) die mit Abstand gr66ten Druckfarbenmarkte, gefolgt von Italien (l13.000t) Frankreich (96.000 t) und Spanien (52.000 t). Diese Fanf L~inder umfassen dabei 80% des Verkaufsvolumens in Westeuropa] lO9 Eine Auff~ichenmg der verschiedenen Produkte (bezogen auf Europa) stellt Abbildtmg 37 dar, sie wird im Wesentlichen auch durch Zahlen Far Deutschland bestgtigt, m ~ Es zeigen sich die fallenden Volumina seit dem Jahr 2000, mit Ausnahme von Farben Far den Verpacktmgsdruck wie auch ftir ,,heat set". Die St~irke insbesondere der ,,packaging inks" wird deutlich, wenn die Entwicklung des Umsatzvolumens

1107Vgl. VdMi, 2004b. In Branchenstatistiken wird die Druckfarbenindustrie jeweils der chemischen Industrie eingegliedert, wo sie abet aufgrund der extremen Grrgenunterschiede (yon Unternehmen wie Branchen) jedoch nicht dttrchscheim (siehe z. B. Btichner, 2004, S. 181".). u08 1990 wurde als Basisjahr mit dem Wert 100 belegt, vgl. VdMi, 2004a. i109 Vgl. Holland, 2004a, S. 8, trod VdMi, 2004a; siehe auch aktuelle Zahlen zur ,lst half 2004", wie sie vom ,,European Council of the Paint, Printing Ink and Artists' Colours Industry" (CEPE) ffir Mitglieder verrffentlicht werden (CEPE, 2004b, CEPE, 2004a). m0 VgL VdMi, 2004a, wobei die dort aufges Zahlen zwar aktueller sind, aber eine andere strukturelle Zuordnung aufweisen.

3.2 KontextueUe Rekonstruktion

183

hinzugezogen wird. Dort konnten sie trotz des schwierigen U m f e l d e s deutlich zulegen+ 11H Wobei - gerade im Hinblick a u f den letzten Abschnitt - die (marktliche) Aufteilung zu beachten ist, ca. 25% Verpackung- und ca. 75% Publikationsdruckfarbe. Der ,,packaging"Tell finder sich dabei nicht in die Statistiken der Druckindustrie integriert. H 12 Others 2,5% (~,5%1 Print Varnishes 6,7% (-1,5%)t

News Inks (Cold Set) 1.'1= ; % t-1,5%)

Sh,

Heat Set 18,9% (+1,6%) Pack

..

u,i 70 ~-1z~-/o) i Printing Aux. _~ 5,6% (+/- 0%)

Gravure 18,5% (-1,6%)

_+ion

Abbildung 37: Absatzvolumina von Produkten der Druckfarbenindustrie in 20021113 Zentrale Triebkr~fte der Entwicklung in der Druckfarbenindustrie sind n u n z u m einen der z u n e h m e n d e Margendruck mad z u m anderen die strukturellen Ver'~inderungen in den A b n e h m e r - wie Zulieferbranchen. 1114 Die A u s w i r k u n g e n sind +ihnlich, wie bereits in der Druckindustrie geschildert, in Konsolidierung und Intemationalisierung zu finden, aber auch in stetem Bemtihen, den ,,value" von Druckfarbe zu unterstreichen und sie nicht als ,,commodity" zu bewerten. A u f Triebkrafte und Entwicklungen sei detaillierter eingegangen. Der z u n e h m e n d e Margendruck ist nachvollziehbar, erinnert m a n sich der gesunkenen Erzeugerpreise u n d des Stukturwandels in der Druckindustrie. Versch~rft wird dieser Effekt jedoch durch die a u f der Basis des 01preises gestiegenen Rohstoffpreise und damit der Kosten ftir wesentliche Fertigungsstoffe, wie z. B+ Pigmente oder Harze+ Ht5 Diese erh6hten Erzeu-

1111Absolut von 30,7% in 2001 auf 31,3% in 2002 (vgl. VdMi, 2004a). 1t12 Dies tiberrascht ob seiner Gr6Be. Grfinde Ftir die Nichtbeachtung in den Statistiken der Druckindustrie liegen im Zahlenwerk und dessen Zuorduungen dutch das Statistische Bundesamt, wie ein Telefonat mit dem BVDM (07.12.2004) best~itigenkonnte (siehe auch Kauffeldt, 1991, S. 23ff.). 1113 Schatzung FOX2002, in Anlehnnng an CEPE-Statistiken (vgl. CEPE, 2004c). Total ca. 934.000 t, Ratio 2002/2001: -0,9%, 2001/2000: -2,9%. Die einzelnen Klammerwerte geben jeweils die relative A+nderungdes Volumenanteils gegentiber dem Jahr 2001 an. 1114Siehe sehr sch6n Casatelli, 2004 , S. 21. Als Beispiel FOX(strukturelle) Vergndemngen bei den Pigmentherstellern als einer der wesentlichen Zulieferbranchen siehe z. B. Berk, 2004, S. 18f. lu5 Vgl. Milmo, 2003, S. 21, Casatelli, 2004, S. 24: ,,Recently, raw material suppliers have announced price increases because of escalating costs." Wenngleich dieser Trend wohl durch die Entwicklung des Dollarkurses (mit dem Dollar als Leitwahrung fOx01gesch~ifte)zur Zeit noch etwas gemildert wird.

184

3. Rekonstruktion - ,,empiricaljoumey"

gerpreise k6nnen nun aufgrund der oben geschilderten Branchenkrise in der Druckindustrie nur bedingt weitergegeben werden, fftihren also vielfach zu reduzierten Margen: ,,(...) although ink sales had risen by value over the last couple o f years, margins had been hammered with operating profits having slumped by two thirds and pretax profits down around 40%. ''m6 ()berraschen mag der massive Preisdruck von Abnehmerseite her, wenn man den Anteil der Druckfarbe an den Gesamtkosten eines Druckproduktes n~iher in der folgenden Abbildung betrachtet.

Outside Services 9,,

Ink 2,2%

Factory ~pensee %

Other Materia 5,1%

Factory Payr( 33,6%

Abbildung 38: Bestandteile der Gesamtkosten eines Druckproduktesm7 Im Kontrast hierzu betont die Druckfarbenindustrie ,,(...) the value ink provides". 1118 Selbstkritisch werden zwar Preisk~mpfe zur Ausweitung von Marktanteilen eingeraumt, jedoch auch betont, dass man damit Gefahr laufe, dass Druckfarbe als ,,commodity" angesehen werde: ,,Now, ink companies are looking closer to their books and the bottom line. They are not liking what they are seeing, which is their product perilosously perched on the line between becoming a commodity rather than a speciality product in the eyes o f their customers. ''1119 Vielfach betont werden in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Druckfarbe ~ r den Druckprozess, seine Effektivit/it wie Effizienz, also ihr Bezug zu den Gesamtkosten des Druckens. m ~ Und es werden tiber den fftir den Kunden zu erbringenden ,,value" auch Dienstleistungen im Zusammenhang unterstrichen: ,,'We can also offer our

1116Holland, 2004a, S. 8_ Fi~ die USA siehe konkrete Zahlen und deren Entwicklung bei Savastano, 2003, S. 18, und Tolliver-Nigro, 2003, S. 16. Striktere Umweltgesetze auf europ~iischerEbene k6unten zudem umfassende Investitionen der Druckfarbenhersteller in naher Zukunft erforderlich machen (vgl. Holland, 2004a, s.10f.). 1117Vgl. Savastano, 2003, S. 18 (mit Verweis auf,Printing Industries of America's (PIA) 2002 Ratios report"). 1118Vgl. Savastano, 2003, S. 18. m9 Savastano, 2003, S. 18. i12o Siehe z. B. Sajdowski, 2004, S. 27, Holland, 2003, S. 12, oder Murphy, Vizepr~sident bei Sun Chemical Nordamerika, in Savastano, 2003, S. 18ft.: "'Ink has a major impact on press availability and production waste.'"

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

185

expertise and services so the printers can maximize their own skills. '''1121 Jedoch verdeutlicht Lucas, der CEO von Sun Chemical, dem BranchenflJhrer, weiterhin auch den damit einhergehenden, notwendigen kulturellen Wandel: ,,'Creating value has to be the attitude throughout our company, and we must be able to walk away from commodity deals. (...) We need to completely transform our mindset and retrain our salespeople.'"1122 Weiterhin jedoch wird sich der Prozess der zunehmenden Konsolidierung fortsetzen, der bereits die letzten Jahre zu zahlreichen 13-bemahmen und Zusammenschltissen von Druckfarbenherstellem gefl.ihrt hatte. 1123 ,,Seizing opportunity" nennt dies Tolliver-Nigro und ~hrt aus, dass sich insbesondere f'tir groBe Druekfarbenhersteller M6glichkeiten ergeben ,,(...) to carve out more market share. ''1124 Vielfach wird dies als Folge der Konzentration und Globalisierung von Kunden und Rohstoffiieferanten gesehen, yon ,,single sourcing"Strategien von Grol3kunden und Bestrebungen zur vertikalen Integration und Migration von GroBlieferanten. 1125 Dies mag durchaus partiell im Kontrast (oder Widerspruch) gesehen werden zu obiger Betonung des ,,value", gerade auf der Basis von Personalabbau in der Druckindustrie und der hohen Komplexit~it des Druckprozesses. So empfiehlt demnach Tolliver-Nigro auch als Oberlebensstrategie, ,,(...) [to] become closer to your customers, understand their businesses, and really understand areas where you can provide value': 126 erst einmal unabh~ingig v o n d e r Untemehmensgr6Be. Auch in diesem Tenor und noch indifferent zeigen sich die Empfehlungen for den Bereich des ,,packaging market". Er wird vielfach als (noch) ~iul3erst lukrativ und yon Werbeausgaben und Verlagen unabhangig gepriesen, ,,(...) packaging looks like a bit of haven': 127. Aber die ,,packaging industry" weist auch eine hoch konsilidierte Struktur auf: ,,The packaging industry is dominated by large companies, and just like in the commercial printing industry, large companies are consolidating their purchasing and narrowing supplier bases to shore up purchasing efficiency. (...) So while packaging may be the one bright spot in the printing and packaging industries, it's haven only for a shrinking number of suppliers. ''1128 So muss es nicht tiberraschen, dass der Konsolidierungsprozess auch in der Druckfarbenindustrie schon fortgeschritten ist. Aktuell sind in Europa noch etwa 80 Druckfarbenhersteller aktiv, davon

ll2| Savastano, 2003, S. 21; siehe ahnlich z. B. Holland, 2003, S. llf., Tolliver-Nigro, 2003, S. 17, Casatelli, 2004, S. 24, oder Holland, 2004a, S. 8: ,,No longer is it possible to drive up, unload the ink and drive off. Customers expect and get press audits, color matching, assistance to iron out technical problems, waste collection services, and even the installation of ink pumping and water treatment equipment." 1122 Savastano, 2003, S. 22. 1123 Siehe auch die erw~ihnten ,,mergers" z. B. bei Holland, 2003, S. 11, Milmo, 2003, S. 22f., oder bei Holland, 2004a, S. I0. 1124 Tolliver-Nigro, 2003, S. 17; siehe ~mlich Casatelli, 2004, S. 18f. 1125 Siehe z. B. n. a., 2004e, Tolliver-Nigro, 2003, S. 17, Milmo, 2003, S. 24, oder Holland, 2004a, S. 10. 1126 Tolliver-Nigro, 2003, S. 17. 1127 Tolliver-Nigro, 2003, S. 14; siehe ~ihnlich Milmo, 2003, S. 22, Tolliver-Nigro, 2004, S. 14, n. a., 2003a, Casatelli, 2003, S. 16, oder auch den CEO yon Flint-Sehmidt im Interview, Sajdowski, 2004, S. 25. Europa ist dabei mit ca. 29% Marktanteil der weltweit gr6Bte Verpackungsmarkt (nach einem MHM-Papier, vgl.

ES]). 112s Tolliver-Nigro, 2003, S. 14.

186

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

jedoch nur Ftinf von Europa aus international agierend, erg~inzt um drei aul3ereurop~iische fiber lokale Produktionsst~itten in Europa aktive] 129 Einen Oberblick tiber die flihrenden Druckfarbenhersteller in Europa gibt Abbildung 39. Van Son Others 2"1, 6% Akzo Nobel f ' ~ - ' ~ - ~

s% -'A

II

I I

\

32%

"----.. / 10%

~

~ BASF 13%

Flint-Schmidt 14%

Abbildung 39: Die ftihrenden Druckfarbenherstener in Europa 1130 Tabelle 9 stellt dem eine Auflistung der weltweit ffihrenden Druckfarbenhersteller gegentiber, die auch bis auf die japanischen Hersteller alle in Europa t~itig sind. Deutlich wird die Spitzenstellung japanischer Unternehmen, aber auch die enormen Gr6Benunterschiede zwischen Sun Chemical und dem Rest der Branche, insbesondere den eher kleineren Untemehmen(sgruppen) ab den Positionen vier oder insbesondere sieben. Einher mit der fortschreitenden Konsolidierung und als m6glicher Ausweg aus den sinkenden Margen in den hart umk~mpffen M~irkten in Westeuropa, Japan und U S A geht eine zunehmende Verlagerung der Aktivit~iten in Wachstumsgebiete, insbesondere nach Asien und Osteuropa.ll31 Umgekehrt sind jedoch auch von auBer-triadischen Produzenten zunehmend Aktivitgten in den angestammten Mgrkten zu spfiren, 1132 die Globalisierung der Druckfarbenindustrie ist also in vollem Gange. Herstener

Land

Umsatz (Mio. USD)

1. Dai Nippon h ~ & Chemicals Sun Chemical

J / USA

4.400

2. Flint Ink

USA

1.400

3. Toyo Ink

J

1.000

4. BASF Drucksysteme

D

763

1129Basierend auf Zahlen der ,,European Printing Ink Group" (EuPIA) (vgl. EuPIA, 2004). 1130Vgl. Sekundarquelle [7], S. 21. H31 Vgl. n. a., 2004e, Holland, 2004a, S. 8f., Casatelli, 2004, S. 18f. II32 In 2001 wurde in den USA bspw. eine Zunahme der Drnckfarben-Importe (im Kern aus Indien) um 45% konstatiert (vgl. Tolliver-Nigro, 2003, S. 17). Siehe ~ihnlichCasatelli, 2004, S. 21.

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

187

5. Sakata Ink

J

742

6. Sicpa

CH

725

7. Tokyo Printing Ink

J

454

8. Huber Gruppe

D

380

9. Siegwerk Druckfarben

D

380

10. lnctec

J

360

Tabelle 9: Die fiihrenden Druckfarbenhersteller weltweit 20031133 W o geht die Reise hin, wie wird die nahe Zukunfi der Branche eingeschiitzt? Eindriicklich beschreibt dies der Vize-Pr~isident von Flint-Schmidt: ,,'I think the w a y we are m o v i n g is from a highly labor intensive situation and non-consolidated b u s i n e s s e s to a consolidated industry w h i c h actually offers better quality and better value for money. '''1134 Die Auswirk u n g e n betrachtet er dabei jedoch durchaus als positiv: Grundlage der Verbesserungen sind aus der Unternehmensgrrl3e erwachsene M r g l i c h k e i t e n flir h r h e r e Investitionen in Forschung u n d Entwicklung wie die (voile) Automatisierung des Produktionsprozesses. 1135 A u c h er betont die Bedeutung v o n Dienstleistungen: ,,'In fact, there is no doubt that ink suppliers are shifting emphasis to offering added value services which in turn builds up longterm relationships. '''1136 Der Pr~isident von Flint Nordamerika formuliert dies nicht minder priignant: ,,'The key is partnering with our customers and identifying what value you can offer. The companies that learn h o w to bundle services and technology well will be the ones that succeed. '''1137 Dies soil als externe Sicht a u f die Branche der Druckfarbenindustrie gentigen. MHM-Siehten - Primiirdaten aus der Explorationsphase Im Folgenden, die Huber-Sicht des W a n d e l s in der Druckfarbenbranche. Empirische Basis sind sowohl mehrere Interviews speziell zu diesem T h e m a mit d e m Geschaftsfiihrer Herrn Ringer x138 z u m Ende der Explorationsphase wie auch die Integration dieses T h e m a s in

i133 Vgl. n. a., 2004a (mit Verweis auf Ink World als Quelle). 1134Holland, 2003, S. 12. Flint-Schmidt bezeichnet dabei den europiiischen Teil yon Flint, der aus einem Zusammenschluss der US-amerikanischen Flint Ink Corp. und dern deutschen Druckfarbenhersteller Gebriider Schmidt hervorgegangen ist (siehe z. B. auch Sajdowski, 2004). 1135 Siehe iihnlich Schmidt in Sajdowski, 2004, S. 27. i136 Holland, 2003, S. 12; siehe iihnlich z. B. auch Tolliver-Nigro, 2004, S. 18. 1137Savastano, 2003, S. 24. 1138Herr Ringer ist seit 1981 Geschiiftsf'tihrer der Huber Gruppe. Er ist Farnilienmitglied in der achten Generation aus der Huber-Familie und einer von 26 Gesellschaftem aus dem Familienverbund. Vom Werdegang her hat Herr Ringer Betriebswirtschaftslehre und Soziologie studiert, bevor er nach mehrjiihriger Tiitigkeit bei einem Pharmabetrieb darm bei Michael Huber Miinchen begann - und in die Fugstapfen seines Vaters trat, der nach dem Krieg 40 Jahre bei Huber war (vgl. [Int_HR 040720], w

188

3. Rekonstruktion ,,empiricaljourney"

Interviews mit Fiihrungskr/iflen in der Vertiefungsphase. 1139 Diese Sicht sei hier deskriptiv wiedergegeben, in Form yon direkten Zitaten oder zusammenfassend. Die Druckfarbenindustrie war sowohl in Europa, als auch in Nordamerika und Japan, bis in die 70er Jahre mittelst~indisch und ,,einheimisch" gepr~igt. Die Herstellung von Druckfarben wurde gewissermal3en als (Kunst-)Handwerk verstanden. Wie die schwarze Kunst des Druckens war auch die Farbmacherkunst ,,(...) keine Wissenschaft, sondern da geh6rte einfach viel Erfahrung und Gespilr fiir die Materialien dazu. ''1140 Zahlreiche unabh/ingige Druckfarbenhersteller versorgten nahezu ohne Konkurrenz jeweils regionale M/irkte: ,,Das war eigentlich alles ein sch6ner, iiberschaubarer, netter Rahmen. Ich wiarde auch sagen, ohne so unheimlich viel Wettbewerbsgebahren. Das war denke ich mal eine sch6ne Branche, die auch nach dem Krieg einen unheimlichen Aufschwung genommen hat. Das Geld hat sich mehr oder weniger von selber verdient. ''Hal Export war ftir alle Anbieter kein wichtiges Thema. Der Wandel ,,(...) vom Kunsthandwerk oder vom Handwerk zur industriellen Leistungserstellung,,1142 kam dann Anfang der 70-er Jahre, vom technischen Fortschritt in der (zunehmend automatisierten) Herstellung forciert. Er brachte weitreichende Konsequenzen mit sich, wie sich Herr Ringer erinnert: ,,Und gleichzeitig (...) wie die Automatisierung kommt, sind auch die Preise gesunken und es ist der Wettbewerb intensiver geworden. Ist logisch: In dem Moment, wenn ich in Hardware investiere, brauche ich Auslastung. Und (...) dann brauche ich mehr Kunden als ich heute habe. Also muss ich in den Garten des Nachbam gehen. Und so hat jeder irgendwie gedacht. Und dann entstand eigentlich erst, vorher gab es gar keinen Wettbewerb. Weil es alles regional abgegrenzt war. ''1143 Die zunehmende Automatisierung in der Herstellung und die erforderlichen Investitionen verscharften also die Konkurrenz, die Verkaufspreise fielen und der Druck auf die Kosten nahm massiv zu. Die Entwicklungen auf Seiten der Druckereien wie der Vorlieferanten verliefen ~nlich: ,,Die Kunden werden immer grO6er. (...) Druckgewerbe ist ja eigentlich auch ein Handwerk, und hat sich jetzt zur Industrie gewandelt. Wo, werm die jetzt so eine grol3e Headset- oder Zeitungsdruckmaschine hinstellen, das ist ja eine riesige Investition. ''1144 Und auch ,,[d]ie chemische Grol3industrie, besonders im Pigmentbereich, hat in den letzten zehn Jahren einen elementaren Strukturwandel hinter sich gebracht, der die Zahl der Anbieter reduziert hat und zu einer ,arbeitsteiligen' Spezialisierung unter den Anbietern geftihrt

1139Herangezogenwerden hier der Einfachheithalber nur die Sichten der Fiihrungskraftevon Huber, auf die im Weiteren als ,,die Huber-Sicht" Bezug genommen werde. Die durchschnittlicheBetriebszugeh6rigkeitder bier herangezogenen Fiihrungskr~iftebetr~igtknapp 25 Jahre, die durchschnittlicheBranchenzugeh6rigkeit liegt noch dariiber, bei etwa 30 Jahren. Auf eventuelle Unterschiede in diesen Sichten wie auch in den Sichten von Mitarbeitem aus eher opcrativ orientierten Ebenen wird nicht hier, sondem in den Auswertungenzur Vertiefungsphaseeingegangenwerden (siehe Abschnitte 3.3.3, 3.3.4 und Kapitel 4). J140[Int_HR040126], w 114J [Int_UB 040615], w 1142[Int_HR040126], w 1143[Int_HR040126], w 1144[Int_HR040126], w

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

189

hat. ''1145 Es gab nur noch wenige unabh~ngige Pigment-Lieferanten bis in jtingerer Vergangenheit aus China und Indien wieder neue hinzukamen. 1146 Die Druckfarbenindustrie, in der ,,(...) Sandwichposition zwischen Grogchemie und Grol3abnehmern ''1147 befand sich bei kleiner werdenden Margen in einem Verdr~ingungswettbewerb. Die Branche reagierte mit ausgeprggten Konzentrationstendenzen und verst~irkter Internationalisienmg tiber Akquisitionen und forciertem Export, ,,(...) wer nicht mitgemacht hat, ist nicht mehr da. ''1148 Ziel der Akquisitionen war aus Sicht von Herrn Ringer im Kern Fixkostendegression, ,,(...) zentrale Funktionen wie Entwicklung, oder wie Marketing, (...) auf eine breitere Basis zu stellen.,,1149 Betont wird yon beiden Gesch~iftsftihrern auch, dass es sich bei Druckfarbe um einen Fertigungsstoff mit festen, d. h. vom Markt fix vorgegebenen, Verbrauchsmengen handelt, die nicht von den Druckfarbenherstellern beeinflusst werden k6nnen: ,,Lind diese Menge wird verteilt. Und da muss ich mich eben so geschickt verhalten, dass ich den gr613tmfglichen Anteil, und den interessantesten Anteil von diesem, ganzen Kuchen bekomme. ''HS~ Damit geben die Kunden auch ein Sttick weit den Weg vor, sei es in Bezug auf Internationalisierung oder auch Wachstum. Wobei tiber die Internationalisierung nattirlich nicht nur neue externe Mgrkte erschlossen wurden, sondem auch die angestammten M~irkte bedr~ingt wurden, ,,[d]er Konkurrenzkampf wird (...) immer gr613er. ''1151 Firrnen wie Sun Chemical oder Flint suchten sich auf dieser Basis in neue Markte einzukaufen: ,,Wir haben einen oligopolistischen Markt, wenn man da als neuer kommt und sich sozusagen v o n d e r Pike auf verdienen will, die Marktanteile, dann geht's erstens langsam und in der Regel anf Kosten der Preise. ''1152 Durch Obernahmen wie z. B. von Hartmann durch Sun Chemical oder von Gebrtider Schmidt durch Flint sollten (international) Marktanteile ohne Preiskampf tibernommen werden, ,,(...) jeder will alles zusammenkaufen, damit er global wird. ''1153 Das ,,Wettbewerbsgebahren" wurde anders, als man es insbesondere in der mittelstandisch gepr~igten deutschen Druckfarbenindustrie gewohnt war: ,,Da hat die Druckfarbe denke ich insgesamt ziemlich stark dartmter gelitten, vor allem die mittelst~ndischen Unternehmen. Weil sie ganz einfach so ein Auflreten gar nicht karmten. Und da auch sich schwer damit getan haben, sich damit in irgendeiner Form zu arrangieren. Also z. B. als dann Sun Chemical mit brachialer Gewalt hier auf dem europ~iischen Markt anfing wirklich jetzt massiven Wettbewerb zu machen, da haben erst mal alle geschluckt und gesagt, das gibt's doch gar

1145 Sekund~irquelle[6], S. 4. 1146Siehe auch [Int UB 040615], w ,,(...) Heute gibt's ganze Gruppen, die praktisch weltweit zusammengeschlossen sind. Die haben Druckereien praktisch quer tiber den gesamten, fiber s~imtlicheKontinente, mit einer zentralen Einkaufsstelle, und einer entsprechenden Einkaufsmacht. Auch das sind gartz andere Parmer fox tans, als sie das ffiiher waren. Und unsere Lieferanten, ist genau das gleiche. Hat'ten wir, was weig ich, vor 10 Jahren, 15 Harzlieferanten, darm sind's jetzt noch 5." 1147 [Int_HR 031010], w 1148 [Int RE 040720], w 1149 [Int_HR 040126], w 1150 [Int RE 040720], w 1151 [Int RE 040720], w lm [Int_HR 040126], w 1153 [Int_HR 040126], w

190

3. Rekonstruktion ,,empiricaljourney"

nicht. Und haben sich zurfickgezogen und haben gesagt, also das kann gar nicht sein. Und entsprechend gibt's das auch nicht und das was die machen, das ist gar nicht gut, also wird's der Kunden auch nicht akzeptieren. Der Kunde hat's aber dummerweise akzeptiert. Und es war irgendwie sehr seltsam. ':154 Sinkende relative Margen flihren also im Zusammenhang mit ges/ittigten Markten, mit niedrigen Zuwachsraten oder auch Stagnation zu Deckungsbeitragsminderungen, die nicht mehr durch Mengenwachstum (auch nicht im Export) kompensiert werden k6nnen. Der Stand der Technik ist dabei mittlerweile in der Druckfarbenindustrie international ~_nlich und auf hohem Niveau. Eine Differenzierung rein fiber Produktqualitat oder Preis wird also zunehmend schwieriger, ,,(...) die Qualit/it wird immer ahnlicher, (...) rein technische Differenzierung gibt es bald nicht mehr. ':155 ,,Und, ja jeder versucht seine Mengen zu platzieren und der Kampf um den Kunden ist sehr hart und wird sowohl auf der Qualit/itsebene als auch zunehmend auf der Preisebene ausgetragen. ':156 Dabei hat jeder Druckfarbenhersteller noch so ein paar Spezialit~iten, ,,(...) wo er eindeutig besser ist als der andere. In solchen Nischen herrschen begrenzt zwar Verh~iltnisse, wie frfiher generell. Wenig Konkurrenzdruck und ausreichende Preise. Aber im Prinzip ist der Unterschied nicht grol3. Aber das ist doch in jeder hochentwickelten Industrie so. ''1157 In'l Kern mfissen sich Anbieter demnach fiber andere Kauffaktoren differenzieren. Herr Ringer prognostiziert, dass die Deckungsbeitr~ige weiterhin schwach bleiben werden, man mtisse also Kostenmanagement machen, wobei das Kunststfick sei, an der richtigen Stelle zu sparen und nicht an der falschen. ,,Und Service ist wahrscheinlich die falsche Stelle.''1158 Damit verquickt stehen Qualit~it und das Management von Kundenbeziehungen im Fokus: ,,Also h6here Preise kriegt man nicht durch die Qualit/it der Produkte, sondern eher durch die Qualit~it der Kundenbeziehungen. Wenn ein Kunde einfach sagt, ich akzeptiere, dass der Service gut ist, und ich kaufe bei euch, weil ich genau weil3, wenn ich irgendwo ein Problem habe, darm kommt sofort einer, ihr nehmt mich wichtig. Also dieser Service, diese Kundenbindung, dass einer einfach sagt, wenn's mal brennt, dann reifSen sich die alle die Beine aus, damit das Problem gel6st wird. Das ist ein ziemlich wichtiges Argument. Weil die Drucker off nicht planen, sehr improvisieren und schnell mal den Auflrag reinholen, und wenn's dann ein Problem gibt, dann muss das schnell gel6st werden. ''1159 Dies formuliert dann nicht zuletzt auch eine Chance von gegenfiber GroBkonzernen kleineren und lokal verankerten, einheimischen Druckfarbenherstellern, sollten doch die Grol3unternehmen (theoretisch) in Bezug auf rein technische Innovationen, ,,(...) mit ihren Ressourcen mehr zustande bringen, [aber] die haben mit ihrer Gr6Be auch Probleme. ''116~ Auch weil die Grol3unternehmen der Druck-

1154[Int_UB040615], w 1155[Int_HR040126], w tl56 [Int_KH040622], w 1157[Int_HR040126], w 115s [Int_HR040126], w 1159[Int_HR040126], w 116o[Int HR 040126], w

3.2 Kontextuelle Rekonstruktion

191

farbenbranche, die tiber ihre ausgepr/igte Rtickw~'tsintegration ,,(...) zum Beispiel ihre Pigrnente selbst [machen] ''1161, letztlich Kostenvorteile haben, die kleinere Anbieter nur bedingt werden aufholen kfnnen.1162 Ebenso in diesem Kontext ist der Trend zu sehen, den Herr Hanke (Leiter Wissenschaftliche Zentralfunktion) betont, ,,(...) dass die europ~iischen Druekfarbenhersteller, sich teilweise (...) spezialisieren, (...) in die Richtung Verpackungsdruck, weil die (...) die Beobachtungen machen (...), dass man da noch bessere Deckungsbeitr~ige einfahren kann als in dem Massengeschgft. ''1163 Akzidenz, also alles was Vierfarbdruck ist, steht nach Aussage von Frau Borgmann, Leiterin des LAT, ,,(...) mehr tinter Preisdruck als die Verpackung. ''1164 Wobei auch dieser Aspekt durch die Konzentrationstendenzen bei den Verpackungsdruckereien schwindet. Was bleibt, ist jedoch aus Sicht von Frau Borgmann die individuellere Ausgestaltung beim Verpackungsdruck, sei es fiber Sonderfarben oder tiber die ,,(...) ganz umfangreiche Frage, was die gesamten Veredelungen und Aufwertungen betrifft", also z. B. tiber Schmuckfarben, Effektfarben, Fluoreszenzfarben, fiber Lackwerke oder andere Aggregate zur Weiterverarbeitung. Damit formuliert der Verpackungsdruck nicht zuletzt ,,(...) wesentlich h6here Anforderungen ''1165 - t'tir die Druckereien wie auch die Druckfarbenhersteller: ,,Man braucht also um qualitativ hochwertige Verpackungen herzustellen, braucht man ein sehr umfassendes Wissen, sowohl Drucktechnik, Chemie, alle m6glichen Gesetzgebungen. Das ist also eine Sache, wo man den Kunden sehr gut beraten karm und wo man diese Leistung, die man dann mit einbringt auch noch honoriert bekommt. In dem Massengesch~ift Zeitungsdruck, Akzidenzdruek, sowohl Bogen als auch Rolle, da sind die Preise am untersten Limit, da geht's irgendwo nicht mehr weiter. ''1166 Herr Einsiedler (zweiten Gesch~iflsfiihrer von M H M ) betont in diesem Zusammenhang aueh, dass der Verpackungsdruck weniger anf~illig ist. Er steht ,,(...) nicht in Konktm'enz mit anderen Informationsmedien ''H67, wie z. B. den elektronischen Medien, wegen seiner ausgepr/igten Know-how-Intensit~it ist er nicht so schnell kopierbar, z. B. durch Konkurrenz aus Billiglandem, und nicht zuletzt die Abh/ingigkeit von den klassischen Pigmentherstellem (die z. T. auch als Druckfarbenhersteller agieren) wird reduziert.

116t [Int_KH 040622], w 1162Siehe auch [Int_KH 040622], w ,,Die Pigmente sind teuerster Bestandteil der Druckfarben und diesen Vorteil in der ganzen Wertsch6pfungskette nutzen die [Grogen, Anm. d. Verf.] nattirlich". 1163[Int KH 040622], w 1164[Int_UB 040604], w Unter Akzidenz fasst sie dabei zusammen, ,,(...) alles, was aus den vier Farben dargestellt werden kann. Also irgendwelche Motive. Akzidenz ist auch Kalender, Akzidenz sind Bficher, Akzidenz sind Zeitschriften, unter anderem auch Zeitungen. Wobei Zeitung fast schon nicht mehr Akzidenz ist, wenn es nur schwarz ist, ist aber heute ja zum Teil schon sehr viel vierfarbig. Aber das ist alles, was, irgendwelche Broschiiren, wo ich mit vier Farben querbeet, s~imtlicheMotive darstelle." (w14) 1165lint_RE 040720], w 1166[Int_K~ 040622], w 1167[Int RE 040720], w

192

3.3

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Prozessuale Rekonstruktion

Mit diesem Abschnitt nun erfolgt der vertiefte Einstieg in die Empirie dieser Arbeit. Die l)berschrift der ,,prozessualen Rekonstruktion" - in Abgrenzung zur Konstnaktion in Kapitel 4 - soll dabei die Einordnung in den primar deskriptiven Teil der theorieentwickelnden Forschungsstrategie dieser Arbeit verdeutlichen. Das Prozesshafte dieser Rekonstruktion umfasst sowohl den Forschungsprozess wie auch die historisierende Perspektive in der Empirie, also sowohl eine ,,real time analysis" als auch eine ,,historical analysis".1168 Ersteres fokussiert die verschiedenen Phasen des Forschungsprojektes. Von der Explorations- (Abschnitt 3.3.2) zur Vertiefungsphase (Abschnitt 3.3.3) werden die 4 89 Jahre der empirischen Longitudinalforschung nachgezeichnet. Die historisierende Perspektive in der Empirie unterstreicht die horizontale Kontextualit~it, die ihren Niederschlag in den jeweiligen Darstellungen innerhalb der Abschnitte sowie deren kontextuellen Einbettung findet. Gepaart mit einer weiteren Detaillierungsstufe der vertikalen Kontextualit~it zeigt sie sich auch in Abschnitt 3.3.1 zum engeren Kontext von Michael Huber Mtinchen und der Huber Gruppe. Dem Credo der qualitativen Forschungsmethodologie nach Nahe zum Untersuchungsgegenstand gem~il3 seien die Darstelltmgen mrglichst nah an den jeweiligen empirischen Prim~quellen und erganzenden internen Dokumenten vorgenommen. Zentral sei hier auch der Anspruch der Orientierung an der Alltagssprache der beforschten Akteure. 1169

0NN i

....

,

- induktiv ememierende Codes und Kateoorien

~'-7~ ~

i

~

Se,ekhvosCod~erenimtheoret Bezugsrahmen - lnteqrahondertnlerprelationen . .~

]

Dimens~ona##emn9 & axiatesCodieren - Eigen_schaften,Re-analy~eundBez~ehun#snetzwerke

-

j

~

KomparabveVa#dierun9&,zafe" Verallgemeinerun9 - f~nalesAbschluss-FeedbackundtheorebscheAnreicherun#

Abbildung 40: Prozessschritte der Datenanalyseund Theorieentwicklungin Abschnitt 3.3

~68Siehe Abschnitt3.1.3.1 zum Zeit-.sampling"der Empiriedieser Arbeit. u69 Vgl. Van Maanen, 1983, S. 50, Lamnek, 1995a, S. 139.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

193

In Bezug auf den Prozess der Datenanalyse und -auswertung bezieht sich dieser Abschnitt auf die Schritte 1-5 89 also yon der empirischen Exploration in den Schritten 1 und 2 fiber die deskriptive Gesamtauswertung in Schritt 5, bis hin zur offenen Codierung zentraler In-/ Effektivit~iten in Schritt 6 noch in ,first-order"-Deskriptionen aus Sicht der Beforschten (siehe Abbildung 40). Die Schritte 1 und 2 werden dabei in Abschnitt 3.3.2 adressiert, die anderen Schritte finden ihren Niederschlag in Abschnitt 3.3.3, wobei hier der letzte Unterabschnitt tiber das offene Codieren bereits eine theorieentwickelnde, fliel3ende l)berleitung in die Folgeschritte leisten soll. Weiterhin werden auch bereits erste auf diese Schritte bezogene Forschungsfragen in diesem Abschnitt adressiert, wie in Abbildung 41 dargestellt ist. Der Frage (1.) nach der Initiation zum strategischen Wandel zu Marketing- und Dienstleistungsftihrerschaft widmet sich Abschnitt 3.3.2, wobei die umfassendere kontextuelle Einbettung bereits vorgenommen wurde, uT~ Die hierauf autbauenden und vertiefenden Fragen nach (2.) den MitarbeiterInnensichten auf Marketing- und Innovationsfunktionen wie (3.) zentralen In-/Effektivit~iten in Marketing, Innovieren und deren Zusammenspiel werden dann in Abschnitt 3.3.3 behandelt - so dass schlief31ich eine ausreichend solide Grundlage fib" die hierauf aufsetzenden Fragen geschaffen werden sollte, die dann auf den weiteren Prozess der Theorieentwicklung abzielen. Global: Wie kann der Wandet eines mittelst~lndischen lndustrieuntemehmens zur nachhaltigen Integration yon Marketing und Innovieren gestaltet werden? 9

V

Exploration:

V

V

.in-depth preunderstanding"

Abschnitt 3.3,2

9 Vertiefung:

.1 st order corcepts"

Abschn~ 3.3~

,,1st order concepts"

Abschn~ 3.3~

.2rid order ~ concepts"

Wetcheurs~,chlichenBedmguncjen liegen den tn4Effektivit~len in Markehngund lnnovieren und derenZueemmenepielbei MHMzugrunde?

~bschnitt 4i

wte kann der Wandel zu einernachhallJgenlnlegralton van Marketing und InnovJerenbei MHM9eetallelwerden?

Abschnilt 42f

W~ekannder Wandel zu einernachhalIigenIntegrationyon Markelingu, lnnevierenbei einem mittetel, lndustrieuntemehmengestaltet werden?

Abschnitt 422

i

.subslanlive L ~ conlexlual ~ theor/ . middle-range | substantive ~ theor/ 9 gbschluss: wissenschafll. ~ Erkenntnis~ fortschntt

WelchetheoretischenundpraxmbezooenenBeitr~ge k(~nnend~e9ewonnenErkenntmeseliefem?

Abbildung 41: In Abschnitt 3.3 adressierte Forschungsfragen

u7o Siehedie Abschnitte 3.2 sowie 3.3.1.

Abschmlt 43

194

3.3.1

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

Huber Gruppe und Michael Huber Miinchen im Wandel

Dieser Abschnitt sei gedacht als 13-berleitung der Rekonstruktion der vertikalen wie horizontalen Kontextualitat, zum Mittelstand in Deutschland wie zur Druck(farben)industrie im Wandel. Kontextuelle Bezugspunkte der folgenden Ausfftihnmgen bilden dabei insbesondere die Beschreibungen zur Druck(farben)industrie im Wandel aus den Abschnitten 3.2.2.1 und 3.2.2.2. Abschnitt 3.3.1.1 sucht nun diese langi~ihrige Tradition und die Entwicklung der Firma zu rekonstruieren, von einem kleinen Miinchner Handwerksbetrieb bis hin zu einem der f0hrenden Druckfarbenhersteller weltweit. Als wichtiger Bezugspunkt ~ r die weiteren Phasen der prozessualen Rekonstruktion widmet sich Abschnitt 3.3.1.2 im Anschluss der Deskription des Wandels von Profil(en) und Strategie(n) in der jtingeren Vergangenheit seit 1945. Er endet mit der (3-berleitung zur Vision 2000, eines Programmes zum strategischen Wandel, das als strategischer ,,breakpoint" den Startpunkt for die ,,real time analysis" der Explorationsphase bildet. Beide Abschnitte beziehen sich auf Daten aus dediziert zu diesem Thema (prim/ir mit dem Gesch~ifts~hrer) gef0hrten Interviews, 1171 wie auch auf in Interviews der Vertiefungsphase mit Gesch~iftsftihrung wie Funktionsbereichs-Leitungen eingeflossene Fragen zu strategischem Kontext und Wandel. 1~72 Erganzt und abgerundet werden diese Prim~daten durch S ekundardaten aus der Dokumenten- und Aktenanalyse.H73

3.3.1.1 Chronologic der Firmenentwicklung Die Abschnitte zur kontextuellen Rekonstruktion haben den Wandel in der Druckfarbenindustrie wie ihren Abnehmermarkten und in der Zulieferindustrie bereits beschrieben. Konzentration und Globalisierung waren dabei die zentralen Entwicklungen in allen Bereichen des Wertsch6pfungsnetzwerkes. Die Huber Gruppe, gegriindet 1765, war und ist dabei stets aktiver Teil dieses Wandels gewesen. Diese Entwicklung zur historischen Einbettung sei in chronologischer Form in nachfolgender Tabelle kurz skizziert. 1765

1780 1815

1823

Griindung von Michael Huber Miinchen. ,,Auf der Schwaigen zu Haidhausen" werden von Mathias Mittermayr Naturfarben wie ,,Wiener Lack", ,,Berliner Blau" und ,,Roter Karmin" hergestellt und mit der an ihn erteilten und mit dem Hofratssiegel beglaubigten Lizenz im Inmad Ausland verkauft. Sein Schwiegersohn Georg Huber iibemimmt den Betrieb und erweitert die Farbenproduktion. So/an Michael Huber (I.) erkennt die zukiJnftige Bedeutung der Druckfarben durch Kontakte zu Alois Senefelder, der 1796 die Litografie erfindet. Der Flachdruck (Steindruck) wird das dritte Hauptdruckverfahren neben dem Hochdruck (Holzschnitt) und dem Tiefdruck (Kupferstich). Mitgliedschafi beim Polytechnischen Verein in Miinchen

1171Vgl. [Int_HR 040126], [Int_HR 031010] und [Int_HR 030826]. 1172Vgl. [IntUB 040604], [Int_UB 040615], [Int_KH 040622], [Int_RE 040720], [Int_HR 040720]. Zum Leitfaden der Expertlnneninterviews siehe Anhang B.4. 1173Gemeinsam mit Herin Ringer (Gesch~iftsfiihrerund Teilinhaber von MHM) wurde bei einem Treffen am 02.11.2004 hierzu ein Paket an internen Unterlagen zusammengestellt. Relevant fiir diesen Abschnitt sind hierbei insbesondere die Sekund~irquellen[7], [4]-1/1990, [9]-2003, und [10] - [24].

3.3 Prozessuale Rekonstrnktion

195

1836

Fiir Hubers weltbekannte ,,Milnchner Lacke" und ,,Echten Karmin" gibt es Gold- und Silbermedaillen auf Industrieausstellungen in Miinchen, Berlin und Paris.

1857

An der Berg-am-Laim-Strafle in Haidhausen/Miinchen verst~irkt Sohn Michael Huber (II.) die Herstellung von Drnckfarben.

1885

Die S6hne Michael Huber (Ilk) und Julius iibernehmen die Leitung der Miinchner Fabrik, w~ihrend der Bruder Josef 1892 eine Drnckfarbenfabrik in New York gdindet. Der Bau der ersten Tiefdruckrotationsmaschine (1904), der ersten Bogen- und RollenoffsetMaschine (1907/1910) und zahlreiche Erfindungen fiir den Schnellpressen- und Rotationsdruck geben der Druckfarbenprodnktion des Hauses Michael Huber neue, starke Impulse. Um die Jahrhundertwende halten sich die Pigment- bzw. Farbstoff- und die Druckfarbenproduktion das Gleichgewicht.

1923

Die Firma Michael Huber OHG wird in eine KG umgewandelt, acht Familienmitglieder treten ein. Rudolf und Ernst Huber (S6hne von Julius Huber) und Herrmann Traitteur (Schwiegersohn von Michael Huber III.) dicken in die Gesch~iftsleitung auf. Die Herstellung yon synthetischen Pigmenten durch die chemische GroBindustrie leiten fiir das Unternehmen einen Strukturwandel ein. Neben den Druckfarben wird nur noch der Farbstoff ,Roter Karmin" produziert. Vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges liegt der Exportanteil bei 60 Prozent.

1945

Wiederautbau der Produktionsanlagen, Spezialisiemng als reiner Druckfarbenhersteller und Gewinntmg neuer Druckfarbenm~'rkte durch die Enkel von Michael Huber (III.) Dr. Walter Ringer und Dr. Heinz Traitteur und den Direktor Rolf Rau.

1965

Die starke Expansion des Unternehmens fiihrt zur Standortverlagertmg nach KirchheimHeimstetten. Zur 200-Jahr-Feier findet das Richtfest start. Ein groBer Werksneubau mit modernen Fabrikationsst/itten, grol3ziigig angelegten Labors und Versuchsdruckereien fiir alle Drnckverfahren entsteht.

1976

Mehrheitsbeteiligungen an der Dmckfarbenfabrik E. T. Gleitsmann GmbH & Co. in Berlin und Erwerb der Druckfarbenfabrik Max Stehlin AG in Lachen in der Schweiz.

1977

0bemahme der traditionsreichen Chr. Hostmann-Steinbergschen Farbenfabriken GmbH, Celle. Damit wurden gleichzeitig das kanadische Unternehmen Hostmarm-Steinberg (Canada) Ltd. in Toronto/Ontario und das schweizerische Unternehmen Hostag AG erworben. Noch im gleichen Jahr werden die beiden Unternehmen in der Schweiz zu einem handelsrechtlich selbstiindigen Unternehmen unter dem Firmennamen Stehlin + Hostag AG in Lachen am Ziirichsee fusioniert.

1978

Michael Huber Miinchen wird in eine GmbH umgewandelt.

1982/1983

Einftihrung der funktionell gegliederten Gesch/iflsfiihrung mit den Ressorts Vertrieb/Marketing (Fritz Eder), Technik (Dr. Andreas Brusdeylins) und Verwaltung (Heiner Ringer). Mit Ausscheiden von Dr. Walter Ringer wird die achte Generation der Familie in der Unternehmensfiihrung aktiv.

1987

Grfindung des Unternehmens Info-Lab Ltd. in Annacotty/Irland. Das Unternehmen konzentriert sich im Wesentlichen auf die Produktion von Hi-Tech-Produkten: Toner f'tir Laserdrucker und Kopierer, Adlerfiillmasse filr Lichtwellenleiter.

1988

Obernahme der Toner-Produktion und des Toner-Entwickluugslabors der Firma Gestetner in London mit Umfirmierung in Info-Lab (UK) Ltd. Erwerb des amerikanischen Druckfarbenuntemehmens National Printing Inks Company in Marietta/Georgia und Fusion mit Hostmann-Steinberg in USA.

1990

Umorganisation der Huber-Gruppe in eine Spartenorganisation: Offset (H.-J. Lenze), Tiefdruck/Flexodruck (Heiner Ringer), Reprografie (Dr. Huber), Key Account und Offset Export (Fritz Eder), Zentralfunktionen (Heiner Ringer). Umzug der Firmen E. T. Gleitsmann und Hostmarm-Steinberg in jeweils neue Entwicklungs-, Produktions- und Verwaltungseinrichtungen.

1992

Griindung der MHM Holding GmbH, Dresden.

1995

Gdindung von Michael Huber Polen und Ungarn. Obemahme von ATS Color in Italien. Einfiihrung einer stark dezentralen Profit Center Organisation fib"die Steuerung der verbundenen

196

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey" Untemehmen, verbunden mit dem Ausbau der MHM Holding von einer reinen Finanz-Holding zu einer Fiihrungs-Holding.

1997

Griindung von Michael Huber Bulgarien. 0bernahme von Tipolit in Spanien.

1998

Ubemahme von HST Drukinkten in Holland und von Elfotec in der Schweiz. Griindung von Hostmann-Steinberg Belgien. Namens~indemng yon E. T. Gleitsmann nach Gleitsmann Security Inks, Berlin. Verlagerung der MHM Holding GmbH nach Miinchen.

1999

Griindungen von Michael Huber CZ in der Tschechischen Republik, Hostmann-Steinberg Schweden und Hostmann-Steinberg Norwegen.

2000

Griindung von Hostmann-Steinberg Snomi, in Finnland. Einfiihrung eines integrativen Fiihrungsstils mit Management durch Vereinbarungen als Weiterentwicklung der Profit-CenterOrganisation; Neue strategische Ausrichtung unter der Bezeichnung ,,Visionen 2000".

2001

Griindungen yon Michael Huber Tfirkiye und Tipolit Portugal. lJbernahme yon Stehlin Hostag Ink UK, in England.

20022005

Die Huber Gruppe tritt unter gemeinsamen Logo hubergroup auf. Griindungen weiterer Vertriebs- und Service- GeseUschaflen in Ukraine, Russland, Hongkong, China, Chile und Brasilien. Fertigstellung der MGA-Produktionsstatten in Mtinchen und Irland.

Tabelle 10: Firmenchronologie von MHM und der Huber Gruppe 1174 Heute nun, nach zahlreichen weiteren O b e m a h m e n und Grtindungen, ist die Huber Gruppe ein

Verbund

aus

weltweit

26

Untemehmen,

davon

21

in

Europa

und

ftinf im

anl3ereuropaischen A u s l a n d (Chile, Kanada, Stidafrika, Thailand, USA), sowie weltweit tiber 200 Niederlassungen, Verkaufsbtiros, Auslieferlager und Vertretungen. Mit etwa 450 Mio. f? U m s a t z in 2003 ist die Huber Gruppe die N u m m e r drei in Deutschland, Ftinf in Europa und die N u m m e r acht weltweit. Die Produktionskapazit~it betrug 2003 ca. 120.000 t, der Personalstand u m f a s s t etwa 2100 Mitarbeiter. 1175 Der Exportanteil, vor 30 Jahren bei noch nicht einmal 20% gewesen, hat sich im Z u g e dieser Entwicklung a u f in 2003 knapp 74% ftir die Gruppe erh6ht, '~76 Neben einer stetig w a c h s e n d e n Intemationalisierung k 6 n n e n die Gesehaftsberichte der letzten Jahre abet anch die anhaltend hohe Investitionst~itigkeit unterstreichen. So lag die Investitionsquote auch im von schwierigen gesamtwirtschaftlichen R a h m e n b e d i n g u n g e n gepr~igten Jahr 2003 noch bei knapp 6%. 1177 U n d auch das Jahr 2004 setzt dies fort, ist bspw. yon m a s s i v e n Investitionen in neue Produktionsanlagen in Heimstetten wie Irland f'tir eine neue Serie an Farben ftir Lebensmittel-Prim~rverpackungen gepr~igt.llT8 Die Huber Gruppe ist dabei im Kern u m die drei zentralen U n t e r n e h m e n Michael Huber Miinchen, Hostmann-Steinberg in Celle und Stehlin + Hostag in der Schweiz gruppiert. H79 Haben diese U n t e m e h m e n auch jeweils fachliche Spezifika, richten sie sich bzgl. (des Kemgesch~ifts) der Offsetdruckfarben ihrer geographischen Lage entsprechend

1174Vgl. Sekund~irquelle [4]-1/1990, S. 6f., [7], S. 7, sowie [55] und [56]. 1175Vgl. Sekundarquelle [9]-2003, Anlage 1.4, Blatt 8. 1176Vgl. [Int HR 040126], w und auch Sekund~irquelle [9]-2003, S. 2 und Anlage 1.1, S. 1; bezogen auf Michael Huber Mfinchen liegt dieser Weft erwartungsgem[il3 etwas niedriger, n~imlich flit QI 2004 bspw. bei knapp 53%, davon ca. 12% auBerhalb Europas (vgl. Sekundiirquelle [10]). 1177Vgl. Sekund~irquelle[9]-2003, Anlage 1.1, S. 2f. 1178Alleine das Investitionsvolumen fiir diese beiden neuen Produktionss~tten wird auf 7-8 Mio. E taxiert (vgl. [Int_RE 040720], w 1179Vgl. Sekundarquelle [11], S. 2.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

197

regional aus. Zentralfunktionen der Holding, wie z. B. Rohstoffeinkauf oder IT, sind bei MHM angesiedelt. Michael Huber Miinchen beschtifligt dabei insgesamt etwa 600 Mitarbeiter und verbuchte 2002 bei einem Produktionsumfang von ca. 32.000 Tonnen einen Umsatz von ca. 110 Mio. ~.ns0 Das Leistungsprofil der Huber Gruppe adressiert dabei aktuell sechs Bereiche: Farben und Druckhilfsmittel fiir Akzidenzdruck, fiir Verpackungsdruck und flir Zeitungs- und Wertpapierdruck, sowie Spezialittiten, das sind z. B. Toner oder Produkte der Kabelindustrie, und Dienstleistungen, wie z. B. Beratungs- oder SchulungsleistungenJ 181 Wertpapierdruck und Spezialittiten sind dabei Bestandteile des Leistungsprogrammes, die im Kern von spezialisierten Unternehmen innerhalb der Gruppe abgedeckt werden, n82 Die KemUntergliederung in Bezug auf Druckfarben in Akzidenz- und Zeitungsdruck (als Massengeschtifl) einerseits sowie Verpackungsdruck (als Spezialittitengeschtifl) andererseits, findet sich nicht nur im aktuellen und letzten Organigramm, 1183 sondern spiegelt auch bereits die jiingere und geplante zukiinftige strategische Entwicklung wieder. Der aktuelle Schwerpunkt liegt dabei noch ganz eindeutig im Bereich Akzidenz und Zeitung, mit noch ,,(...) fiber zwei Drittel 'm84 Anteil an Produktionsmenge und auch Umsatz. ,,Der Verpackungsfarb- und -lackanteil ist [noch] nicht so, dass man sagen kOnnte wir lassen das andere und konzentrieren uns nur darauf. Das geht nicht. ''Hs5 Und schliefSlich der Bereich Dienstleistungen, auch er formuliert ein strategisches Zielfeld, und findet sich demnach in der aktuellen Selbstdarstellung der Huber Gruppe von 2004 auch erstmals separat ausgewiesen. H86 Fiir ihn gibt es allerdings (noch) keine Umsatz- oder Ergebnisbeitr~ige separat ausgewiesen. Schon mehrfach klangen hier Verweise auf die strategische Orientierung der Huber Gruppe an, sei es in Bezug auf Automatisierung nach dem Krieg, Wachstum und Intemationalisierung in den Folgejahren, und Fokus auf Verpackungsdruck und Dienstleistungen in jiJngerer Zeit. Eine Vertiefung dieser Aspekte und den jeweils zugrunde liegenden Intentionen wie lnterpretationen des Huber-Managements soil im Folgenden vorgenommen werden. 3.3.1.2

Profil(e) und Strategie(n) in horizontaler Kontextualiflit

Wie im vorherigen Abschnitt dargelegt, kann die Entwicklung der Huber Gruppe, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, in mehrere Phasen untergliedert werden (siehe Abbildung 42): Eine Phase der Automatisierung, mit Schwerpunkt von 1965-1980, eine

1180Vgl. Sekundtirquelle[7], S. 15. 1181Vgl. Sekundtirquelle[11], S. 7ff., oder auch [7], S. 8, allerdingshier noch ohne Dienstleistungen. 1182FOr den Wertpapierdruck ist das die Firma GleitsmarmSecurityInks, Berlin, und fiir Speziali~ten, wie z. B. Toner oder Produkte der Kabelindustrie, die Firma Info-Lab in Irland. 1183Vgl. Sekund~irquelle[ 12]. 1184[Int_KH040622], w 1185[Int_KH040622], w 1186Vgl. Sekundtirquelle [ 11], S. 11.

198

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

geprggt von Wachstum und Intemationalisierung seit den 80er Jahren, und eine mit der Vision 2000 angestol3ene Phase, die bier noch unbenannt bleiben soll, deren inhaltliche Ausrichtung erst mit der Explorationsphase interpretiert werden kann. Ohasen

}0

~...,~-~---

AutomatJslerung

.J h ~ U m z u g nach Heimstetten ..... 1945 t959

1960

1970

19BG

1990

200(I

2005 ......

Zeil

Abbildung 42: Zentrale Wandelphasen in der Entwicklung der Huber Gruppe 1187

Automatisierung Farbe machen, ,,[d]as war friJher richtig Handarbeiten ''u88, und ,,[w]ar keine Wissenschaft, sondem da geh6rte einfach viel Erfahrung und Gespiir fiir die Materialien dazu. "1189 ,,[F]rilher war man Handwerksbetrieb, da war auch Automatisierung nicht spannend, weil da war das ganze Ktinstlerische weg. ''119~ Die Phase nach dem Krieg war dann ftir Huber, vom Umzug nach Heimstetten forciert, von zunehmender Automatisierung gepr~igt: ,,Und dann hat es sich allm/ihlich vom Ktmsthandwerk oder vom Handwerk zur industriellen Leistungserstellung gewandelt. Pl6tzlich hat man gemerkt, die Maschinen k6nnen automatisch laufen, ich brauche weniger Leute, ich kann meine Prozesse standardisieren, was man frtiher genau nicht gemacht hat. (...) als wir hier rausgezogen sind, war praktisch noch nichts automatisiert. Und erst hier ist das dann Sttick ftir Sttick, Ende der 70er Jahre oder Anfang der 70er Jahre passiert, ganz langsam und vorsichtig. ''1191 lJber die famili~en Kontakte in die U S A hatte man entdeckt, ,,(...) [dass] die Amerikaner da viele Sachen ganz anders als wir [machen]. Viel industrieller,

1187Die Bezeichnungen der Phasen basieren auf ,,in vivo"-Codes, also Bezeiclmungen, die sich dergestalt auch wortwOrtlich in den Interviews der Empirie finden. Eine/ihnliche Abbildung findet sich in einer Pr/isentation zur Vision des LAM (vgl. Sekundarquelle [15], S. 8). 1188 [Int_HR 040126], w 1189lint HR 040126], w 1190 [Int_HR 031010], w llgl lint HR 040126], w

3.3 ProzessualeRekonstntktion

199

und viel mehr auf riesen Volumina usw. ''1192 Man suchte diese auch Rir Europa erwartete Entwicklung vorwegzunehmen - und mit Erfolg: ,,Darum waren wir die ersten die Rollenoffsetfarben in Europa hatten, (...) weil wir gespickt haben. ''1193 Diese Phase der Automatisierung ist zwar sicher noch nicht abgeschlossen, diarfte aber wohl seit Ende der 80er Jahre etwas abgeebbt sein.

Waehstum und Internationalisierung Im Wechsel zur n~ichsten Phase des Wachstums und der Intemationalisierung, was waren nun Vision und Strategie, in den Folgejahren derart massiv expandieren zu wollen? Die Notwendigkeit zu Wachstum wie Intemationalisierung wurde zunehmend erkannt: ,,Also da war dann, da war dann wirklich die Frage, hat man schon wirklich erkannt, dass man als rein lokales Untemehmen, nicht zureeht kommt", 1194 es wurde erkennbar, ,,(...) man musste wachsen, sonst kann man mit den ganz Grol3en nicht, nieht mithalten. ''u95 Die zugrunde liegende Strategie war dabei ,,(...) in erster Linie technologisch orientiert ''n96, also den gemeinsamen Deckungsbeitrag fiir Investitionen und fiir Forschung und Entwicklung zu nutzen, weniger der Marketinggedanke: 1197 ,,(...) das Hauptmotiv, Hostmann-Steinberg zu kaufen lag daran einfach, eine gr613ere Gesch~iflsbasis zu haben, um sich eine wettbewerbsfiihige Entwicklung leisten zu k6nnen. ''1198 Diese ausgepragte technische Pr~tgung war dabei ,,(...) nieht strategiseh gewollt, sondern, sondern es war einfach, ja, es war Tradition des Hauses eben. Ich meine man hat auch, mein Vater (Dr. Walter Ringer, Anm. d. Verf.) hat Chemie studiert und man hat den, nach dem Krieg, dazu bestellt, den Laden wieder aufzubauen. Und das ging in erster Linie von der Technik aus. Wir wollen wieder gute Farben machen k6nnen und die verkaufl man dann schon. Das waren einfach die Grtinde. Und wir hatten damals einen Verk~iufer, einen Herrn Direktor Rauh hiel3 der, der kam aus der grafischen Branche, der war ein Vollblutverk~iufer. Der hat keine Ahnung v o n d e r Technik gehabt, ist aber rumgelaufen und hat allen Leuten iiberzeugend dargelegt, Huber sind die besten und wir haben den besten Service, und dann geht das voran. Wir haben damals Wachstumsraten gehabt noch und noch und die anderen sind auch gewachsen, aber eben wir immer schneller. ''1199 Was war das Erfolgsrezept der Huber Gruppe in dieser Zeit? ,,Einfach dynamischer sein. Interessierter. Man, ich glaube nur Motivation. Die Organisation wollte einfach, besser sein. ''12~176 Die Phase von Waehstum und Internationalisierung ist sicherlich noch nicht abgeschlossen, insbesondere wenn man jtingste Griindungen oder Obernahmen in

1192[Int HR 040126], w 1193[Int_HR 040126], w 1194[Int_HR040720], w 1195[Int_HR040720], w 1196[Int HR 040126], w 1197Vgl. [Int HR 040126], w37. u98 [Int_HR040720], w 1199[Int_HR040720], w 1200[Int_HR040720], w

200

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

der Firmenchronologie betrachtet. Gewandelt haben diirfte sich der Fokus, von technologisch orientiertem Wachstum hin zu eher markorientiertem (internationalem) Wachstum) 2~

Strategiseher Kontext im Jahr 2000 Wie kann nun der strategische Kontext im Jahr 2000, vor und mit der Entwicklung und Initiierung der Vision 2000 beschrieben und charakterisiert werden? Ausgangspunkt sei noch einmal der Blick auf die Branchenstruktur, die ja in allen Bereichen von ausgepr~igter Konzentration und Globalisierung gepr~igt ist) 2~ Eine tiefergehende Analyse, wie sic im Jahr 2000 v o n d e r Huber Gruppe vorgenommen worden war, zeigte aus Sicht des Managements folgendes Bild for den europ~iischen Druckfarbenmarkt: Sun als Weltmarktftihrer ist um den Faktor zehn gr613er als die Huber Gruppe. Sun ist Akzidenz-orientiert, global pr~isent, Grol3kunden-orientiert, auf ,,commodities" fokussiert, pflegt ein ,,Marketing fiber ,Macht-Konzepte'", bei Druckfarben als auch bei Pigmenten, 12~ und ,,strebt [ein] Quasi-Monopol an durch Akquisition, Einschfichterung und Dominanz in der Branche. 'a2~ Flint ist um den Faktor zwei gr613er als die Huber Gruppe. Flint ist ,,vorwiegend aktiv in USA und mit Manders/Premier in Europa". Flint sucht Sun zu imitieren, ,,hat aber nicht das gleiche ,working capital' verffigbar, weil Privatfirma", 12~ und hat auch nicht das internationale ,,know-how" und Management. K+E ist das ,,ungeliebte Kind der BASF". Sicpa, Gebriider Schmidt, Siegwerk und die Huber Gruppe sind mittelstandisch und ann~ihernd gleich grog. Gebriider Schmidt und Siegwerk dabei vorwiegend in Deutschland und England, Sicpa ,,global mit Problemen" und die Huber Gruppe auch in England und Nordamerika.12~ Versch~fl hatte sich die Situation insbesondere ,,[n]ach der - wider Erwarten ,problemlosen' Zustimmung der Kartellbeh6rden zur Ubemahme von Coates-Lorrilleux durch SUN", also dem damals zweitgr613ten durch den gr6gten Druckfarbenhersteller] 2~ Dadurch wurden nicht zuletzt die ,,'Ungleichgewichtigkeiten' zwischen den ,Multis' und den deutschen ,Mittelstandlern' noch gr6ger".12~ Der Strategieansatz der Huber Gruppe bis dahin war als ,,'l]berlebensstrategie'" gepr~igt davon, klein und fein zu sein sowie Wert auf Qualit~it

1201Wie z. B. die Expansion nach Grol3britaimien,mit den 0"bernahmenvon Info-Lab und Stehlin Hostag Ink UK (siehe die Chronologieoben oder Sekund~irquelle[13], S. 8). 1202Vgl. Sekund~quelle [13], S. 2; siehe auch Abschnitte3.2.2.1 und 3.2.2.2. 12o3Vgl. Sekund~irquelle[14], S. 6. 12o4Sekundarquelle[13], S. 4f. ~2o5Sekund~irquelle[13], S. 6. 12o6Vgl. Sekund~irquelle[13], S. 4. 12o7Sekund~irquelle[16], S. 2. 12o8Sekund~quelle [16], S. 1.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

201

und Technologie zu legen. 12~ Als fehlende strategische Elemente bezeichnete man ,,Marketing, Produktprogramm, Innovationskraft, Rtickw~rts- oder aueh Vorw~irtsintegration, Globalisierung, Synergie/Rendite/Eigenkapital. ''1el~ 15ber mehrere Jab_re nun hatte man, zahlreiche Druckfarbenhersteller im europ~iisehen und weltweiten Kontext fokussierend, mit Nachdruek versucht, fiber Kooperation/Fusion/Joint-Venture diese fehlenden strategischen Elemente einzubringen. ~211 Die Idee der Suehe nach Allianzen war, tiber diese Kooperationen letztendlich (ira Verbund) ein ahnliches Konzept zu verfolgen wie SUN. Das HuberManagement sah ausgepr~igte Chancen ~ r strategische Allianzen, sei es mit oder ohne Kapitalverflechtung, oder die Verwirklichung gemeinsamer Interessen in Joint-Ventures, bspw. auch unter den verbliebenen deutschen Mittelst~indlem im Wettbewerb gegen die Multis. 1212 Man war tiberzeugt, dass man zusammen das breitere und bessere Sortiment h/itte. 1213 Jedoch fiihrten Gespr~iehe mit Vertretern dieser Unternehrnen, wie z. B. Gebrtider Schmidt und Siegwerk, oder auch BASF/K+E, schliel31ieh nieht zum Erfolg. 1214 Frau Borgmann (Leiterin des LAT) erinnert sich an die Kooperationsgespr~iehe zwischen Huber, Siegwerk und Schmidt: ,,Das ist damals kl~iglieh gescheitert. Ganz einfach, der Herr Schmidt hat damals gesagt, wir w~iren ja wohl beknackt, solche Saehen die kann man doch nicht andenken, die w~iren doch absolut illusoriseh, wie k~ime man denn auf eine solche Idee. Also das Wettbewerber zusammenarbeiten, sei ja wohl pervers. Gut, mittlerweile sind sie von Flint kassiert worden."l 21s Es sah also im Jahr 2000 schliel3lich ,,(...) so aus, als ob [man] keine ,idealen' KooperationsPartner finden [wiirde], und [sich] selbst an den eigenen Haaren aus dem ,strategischen Sumpf' [wiirde] ziehen m)assen.''1216 Man konnte sich selbst also nieht den (Struktur-)Wandel dadureh ersparen, dass eine Kooperation mit einem geeigneten Strategiepartner die bezeiehneten fehlenden strategischen Elemente einbringen wfirde. 1217 Selbstbewusst war man sieh aber auch klar, dass man sich nicht verstecken muss, zwar nicht so groB, aber eher ,,einer von den ,Besseren der Branehe '''1218 war. Dies formulierte dann die Basis schlieBlich f'ttr die sogenannte ,,Vision 2000", die ffttr die kommenden Jahre (bis einsehliel31ich heute) die Riehtung weisen sollte. Sie formuliert gleiehzeitig den Startpunkt Rir die Explorationsphase

1209Vgl. Sekund~rquelle [13], S. 8. 1210 Sekund~irquelle[13], S. 9. 1211Vgl. Sekund~irquelle[13], S. 9. 1212 Sei es in Form von Einkaufsgenossenschaften, zusammengelegtem Produktprograrrma, kooperativem Innovationsmanagement, Rtickw~irtsintegration,oder auf bestimmten Teilgebieten wie z. B. bestimmten Gesch~iftsfeldem,Regionen oder Funktionen (vgl. Sekund~irquellen[16], S. 1lff., [14], S. 12ff. 1213Vgl. Sekund~irquelle[14], S. 11. 1214Vgl. Sekund~irquelle[13], S. 9. lZlS [Int_UB 040615], w Sie verweist hiermit darauf, dass spater, namlich im Jahr 2004, der nordamerikanische Druckfarbenhersteller Flint den deutschen, mittelst~indischen Druckfarbenhersteller Gebrtider Schmidt schliel31ichtibernommen hat. Das Unternehmen firmiert innerhalb von Europa dabei aktuell unter dem Namen Flint-Schrrlidt (siehe z. B. Sajdowski, 2004). 1216 Sekund~irquelle[13], S. 13. ~2~7VgI. Sekund~irquelle[13], S. 11. ms Sekundarquelle [13], S. 12.

202

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

der ,,real time"-Empirie dieser Arbeit und findet sich demnach in Abschnitt 3.3.2.1 naher detailliert. 3.3.2

E x p l o r a t i o n s p h a s e - ,,breakpoint" Vision 2000 als Wandelinitiative

Dieser Teil der prozessualen Rekonstruktion widmet sich der Explorationsphase, der initialen Phase der empirischen Forschung dieser Arbeit. Zielsetzung dieser Explorationsphase ist es, fiber erstes Verstehen hinaus auf der Basis fortgeschrittener ,,theoretical [and empirical] sensitivity''1219 ein informierteres Niveau des Verstehens zu erreichen, das zur Formulierung relevanter Themen, darauf aufbauend Forschungsfragen, und eines geeigneten Forschungsdesigns fOr die Vertiefungsphase bef~ihigt. Auch im Fokus steht hiermit verkntipft die Etablierung eines Netzwerkes an vertrauensvollen Beziehungen mit der Partnerorganisation. Vefie~nge- & Abschiussphase Tei#rojekl .REMIX"

A.

#

~

middle-range substanWe theory

understanding

substantive contextual theory second-order concepts •st-order concepts t

I

I

descriptive properties

member interpretations

deepened research interest / questions

preunderstanding

Abbildung 43: Forschungsstrategie der Explorationsphase

Der Begriff der Exploration betont dabei die Offenheit und Flexibilit~it (in) dieser initialen Felderkundung. In Anlehnung an den Forschungsansatz der longitudinalen Prozessforschung wurde also ein V-f'6rmiges Design gewNalt, das zu Beginn der Forschung seine Zielsetzung sehr breit w~ihlt, um in permanenter Auseinandersetzung mit dem ebenfalls breit gewahlten Forschungsfeld durch Exploration schliel31ich zu engeren Fragestellungen und Erkenntnisinteressen zu gelangenJ 22~ Modelliert man den Forschungsprozess als hermeneutischen Zirkel aus ,,conception" und ,,perception" wie in Abschnitt 3.1.1 oder als

1219 Zur ,,theoretical sensitivity" im ,,grounded theory"-Ansatz, siehe z. B. Strauss und Corbin, 1996, S. 25fs Der Zusatz ,,and empirical" soll verdeutlichen, dass es fiber ,,(...) ein Bewusstsein ftir die Feinheiten in der Bedeutung von Daten" (Strauss und Corbin, 1996, S. 25) auch um ein Bewusstsein fiir die Feinheiten des empirischen Feldes geht. 1z20 Vgl. Pettigrew, 1990, S. 279; siehe auch Abschnitt 3.1.3.2 zu den eingesetzten Methoden der qualitativen Organisationsforschung und ihren Auspr~igungen in der Empirie der Explorationsphase.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

203

,,hermeneutic spiral" aus ,,preunderstandings" und ,,understandings ''122l, forint die Explorationsphase demnach eine Art von initialer Schleife, wie in Abbildung 43 dargestellt. Empirische Grundlage der Explorationsphase bildeten in Summe 65 Forschungskontakte, davon 50 aktiv teilnehmende Beobachtungen, 14 passiv teilnehmende Beobachtungen und 32 Interviews bzw. Beobachtungsinterviews, unter Einbezug von Kunden und Konkurrenten.1222 Auch auf Basis des Forschungsansatzes wurde im Forschungsdesign das Zeit-,,sampling" der longitudinalen Prozessforschung bei MHM festgelegt, mit dem ,,breakpoint" der Vision 2000 als Startpunkt der ,,real time analysis" und der Explorationsphase] 223 Die Vision 2000 markiert dabei den expliziten Start der Initiative des strategischen Wandels zur tiber die bisherige Qualit~itsftihrerschafl hinausgehenden Marketing- und DienstleistungsRihrersehafl wie auch eine ,Priorit~ten-Neufestlegung" mit einer angestrebten Marktftihrerschaft im Verpackungsdruck. Die Explorationsphase fokussiert dabei den Zeitraum von der Formulierung dieser Vision, im M ~ z 2000, |224 bis zum vorgegebenen Ende des Teilprojektes ,,Service Excellence" im Januar 2004. Das Teilprojekt ,,Service Excellence" konzentrierte sich mit ausgesprochenem Aktions forschungscharakter auf das Teilziel der DienstleistungsNhrerschaft (nattirlich verquickt mit bzw. beeinflusst vnn den anderen im Rahmen der Vision 2000 angestoBenen Magnahmen, siehe Abbildung 44).

I!l Teilproj,eSkterviExcel ce lence"

-/////

!

sonstige Maf~nahmen Abbildung 44: Aktionsstfiingeder Empirieder Explorationsphase Die zentrale Forschungsfrage, die dieser Abschnitt zu beantworten suchen wird, bezieht sich derrmach darauf, diese erste Phase des strategischen Wandelprozesses nachzuzeichnen. Dementsprechend lautet die Forschungsfrage: In welchemKontext und wie initiiertedie Huber Gruppe den strategischenWandel zu Marketing-und Dienstleistungsfiihrerschaft?

1221Vgl. Gummesson, 2000b, S. 70f., oder Lamnek, 1995a, S. 74ff. (mit Verweisauf Danner, 1979, S. 55f.). m2 Siehe Abschnitt 3.1.3.1, Abbildung 28, znr Wahl der Forschungsorte im ,,sampling"-Ansatz der Explorationsphase, und im Anhang B.2 die detaillierte Auflistung der Forschungskontakte der Vertiefungsphase. 1223Siehe Abschnitt 3.1.3.1, Abbildung 30, zum Zeit-,,sampling" der longitudinalen Prozessforschung bei MHM. 1224Vgl. Sekundarquelle[13], S. 15ff., dortjedoch noch nicht mit der BezeichnungVision 2000 versehen.

204

3. Rekonstruktion- ,,empirical journey"

Ausgangspunkt bildet Abschnitt 3.3.2.1 zum ,,breakpoint" Vision 2000, in Bezug auf und in Fortschreibung der Darstellungen in Abschnitt 3.3.1 zur Huber Gruppe im Wandel. Die Abschnitte 3.3.2.2 und 3.3.2.3 widmen sich dann den beiden Aktionsstr'angen der ,,sonstigen MafSnahmen" und des Teilprojekts ,,Service Excellence". Abschnitt 3.3.2.4 schliefSlich diskutiert, gleichsam als Oberleitung in die Vertiefungsphase, die relevanten Themen der Organisation, die aus dieser Explorationsphase hervorgetreten sind und sich Far eine weitere Vertiefung durch diese Arbeit empfahlen. 3.3.2.1 Vision 2000 - Initiative zum nachhaltigen strategisehen Wandel Einleitend sei Bezug genommen auf den Abschnitt 3.3.1.2 und den dort dargelegten strategischen Kontext im Jahr 2000, der den Rahmen fiir die Formulierung der Vision 2000 lieferte. Die externen Parameter, die auf die Huber Gruppe wirkten, waren im Kern Konzentration und Globalisierung im Abnehmermarkt, in der Zulieferindustrie und in der Druckfarbenbranche. Die ,,'Ungleichgewichtigkeiten' zwischen den ,Multis' und den deutschen ,Mittelst~indlern'''~225 hatten sich dabei durch 13bernahmen in den Jahren zuvor zunehmend verscharft. Den Bem0hungen der Huber Gruppe nun fiber Allianzen (respektive Kooperationen/Fusionen/Joint-Ventures) die fehlenden strategischen Elemente einzubringen, war bis dato kein Erfolg beschieden. Man konstatierte also: ,,Es sieht so aus, als ob wir keine ,idealen' Strategicpartner finden, die uns selbst den Strukturwandel (...) ersparen", man musste sich selbst ,,(...) an den eigenen Haaren aus dem ,strategischen Sumpf' ziehen". 1226 Selbstbewusst war man sich aber auch klar, dass man sich nicht verstecken muss, zwar nicht so grol3, aber eher ,,einer von den ,Besseren der Branche ''d227 war. Im Folgenden sei diese Vision 2000 auf der Basis von Sekundarquellen deskriptiv vorgestellt und ihre Interpretationen durch die Beteiligten zur Detaillierung herangezogen. Initiales Ziel der dann als ,,Vision 2000" bezeichneten Ausrichtung war die ,,(...) langfristige Existenzsicherung ohne reinen Wachstumszwang. ''1228 Die bisherige ,,Oberlebensstrategie" war gepragt davon klein und fein zu sein sowie Wert auf Qualit~it und Technologie zu legen. 1229 Die Huber Gruppe verstand sich also als Qualitatsf'tihrer. Das Problem dabei war jedoch, dass ,,[d]as Differenzierungsmerkmal Qualitat der Produkte inzwischen nicht mehr wichtig [ist], weil die Konkurrenten auch alle Produkte haben, mit denen man drucken kann. (...) Eine Firma wie wir, die sich als Qualit~itsfiihrer versteht und technologieorientiert ist, in einem Markt, der gar nicht mehr nach Qualit~it fragt, sondem davon ausgeht, jeder hat sie, da

1225Sekund/irquelle[16], S. 1. 1226Sekund~irquelle[13], S. 11 und S. 13. 1227Sekund~irquelle[13], S. 12. ~22sSekund~irquelle [13], S. 15. Zugrunde liegt hierbei das strategische Ziel, als Familienunternehmen unabhangig zu bleiben. Siehe hierzu auch die Formuliertmg in einer Gesellschafter-Tagung: ,,Die wohl wichtigste Erkennmis aus dem Workshop insgesamt war die Erkenntnis, dab unter den strategischen Zielsetzungender Aspekt des ,Selbst~indigBleibens' absolute Priorit~ithatte." (Sekund~irquelle[30], S. 16) 1229Vgl. Sekund~irquelle[13], S. 8.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

205

rennt man sozusagen in die falsche Richtung. ''123~ Der K a m p f um den Kunden wird nicht mehr ausschliel31ich auf der Qualit~ttsebene ausgetragen, sondem auch zunehmen auf der Preisebene. Wie k6nnte nun eine L6sung aussehen? Wie k6nnte man in der ,,(...) Sandwichposition

zwischen

Grof3chemie

und

Grol3abnehmem"

sich

dem

Verdr~ngungswettbewerb mit immer kleiner werdenden Margen stellen und wie der entstehenden ,,(...) Deckungsbeitragsliicke, begegnen?

in

die wir

systematisch hineinlaufen ''1231

Es erfolgte eine eingehende Auseinandersetzung im Ftihrungs- und Gesellschafterkreis mit diesen Fragen, ein Aspekt der wohl auch den von Herin Ringer forcierten Wandel hin zu einem geplanteren Vorgehen auf der Basis professioneller Managementmethoden reflektiert] 232 Ziel war keine reine Wachstumsstrategie, sondern Differenzierung vom Wettbewerb durch,1233 9

weiterhin die Qualit~itsfiihrerschaft anstreben,

9

die Marketingftihrerschafl tibemehmen und

9

den Wandel vom Hersteller zum Dienstleister.

Einher ging eine ,,Prioritaten-Neufestlegung", n~imlich die Marktf'tihrerschaft in der Verpackung anzustreben auf der Basis einer ,,'Melkstrategie'" in der Akzidenz. 1234 Diese Punkte formulieren dabei schon die Kernelemente der Vision 2000. Das Bemtihen nach Differenzienmg vom Wettbewerb durch Qualit~itsfiihrerschaft und Dienstleistungsmarketing wird betont, sei nicht einfach eine neuer ,,Modetrend", ,,(...) sondern ein elementarer Beitrag, den die Organisation in allen Funktionen, besonders aber in den kundennah operierenden Abteilungen (...) zur langfristigen Untemehmenssicherung leisten kann bzw. mul3. ''1235 Es

1230 [Int HR 031010], w11. 1231 [Int_HR 031010], w (beide Zitate). ,232 ,,Also als ich (Herr Ringer; Gesch~iftsftihrerund Teilinhaber von MHM, Anm. d. Verf.) angefangen habe (1981, Anna. d. Verf.), gab es kein monatliches Berichtswesen. Es war eine riesige Kunst, eine monatliche Erfolgsrechnung hinzukriegen. Das war v611ig neu. Budgets, Planung und strategische Planung. Irgendwie ring es dann, man hat einfach mit Erfahrungswerten nach vorne gewurschtelt. Und das ging natiirlich auch gerade in der Nachkriegszeit wunderbar. Wer da schneller war trod engagierter, ist in dieser Wachsturnsphase immer, besser weg, hat da immer besser abgeschnitten wie die anderen, die irgendwie, zu langsam waren." ([Int_HR 040720], w ,233 Vgl. Sekundarquelle [13], S. 15ff. t234 Ursprtinglich (vgl. Sekund~irquelle [13], S. 16) war dieser Fokns auf Verpackung noch auf England und Nordamerika beschrankt. In spateren Unterlagen zur Vision 2001 findet sich diese Einschranknng allerdings nicht mehr. Auch der urspriinglich angefiihrte Aspekt des ,,Franchising von HIT-Konzentraten und -knowhow" taucht hier nicht mehr auf (vgl. Sekundarquellen [17], S. 3, oder [18], S. 24). 1235 Sekund~irquelle[13], S. 18.

206

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

lohnt wohl ein nLlaerer Blick auf die zentralen, neuen Ziele dieser Vision und die ,,member interpretations" durch das Huber-Management. 1236 Vomeweg sei der Begriff der Fiihrerschafl gekl~rt. Er wird verstanden als ,,(...) dass wir das erreichen, was wir wollen. ''1237 Man sucht also explizit nicht die Konkurrenz als Mal3stab, da diese nicht objektiv ist und man diese nicht gut genug kennt. 1238Verbunden wird Fiihrerschaft also mit dem Begriff des Ffihrens: ,,Das kann man eigentlich nur daran fest machen, wenn man sagt, wir haben dann, die Ftihrerschaft, sprich wir ftihren unser eigenes Untemehmen, wenn das geschieht im Grol3en und Ganzen, was wir uns vorgenommen haben. Das ist schon mal ein ganz gutes gutes Gefithl, wenn einem das gelingt. Gelingt nattirlich nicht immer aber, vieles ltiuft, treibt auch so vor sich hin. Reagieren ist immer, immer leichter als agieren. ''~239 Herr Ringer erl~utert anschaulich das Verst~ndnis der Marketingl~hrerschafi als Ziel und den Hintergrund seiner Aufnahme in die Vision: ,,Wir haben den Eindruck, dass in der gesamten Druckfarbenindustrie Marketing nicht wirklich gut gekonnt wird, weil alle sind eigentlich, haben industrielle Kunden, die nichts anderes wollen, als ein Produkt, das funktioniert. Das ist ja ein Verbrauchsmaterial. Der Drucker macht sich in der Regel mehr Gedanken fiber die Anschaffung einer neuen Maschine als fiber die Auswahl des Farblieferanten. Weil da gibt er auf einmal viel Geld aus, und die Farben ist ja durchlaufender Posten, weil ist ja nur 2% vom gesamten Druckerzeugnis wert. Das ist nicht wirklich (...) im Fokus. Umgekehrt ist aber trotzdem die Farbe der Probleml6ser mr ganz viele Phanomene. Also es gibt Druckmaschinen, die sind falsch konzipiert, und wenn man aber mit der Farbe, das kompensieren kann, ist das sch6n. (...) Aber werm man sich sagt, wenn man QualitatsfiJhrer ist, dann ist die Differenzierungsm6glichkeit zwar ganz gut, aber die muss ja an den Mann gebracht werden. Und Marketing, wenn keiner verniinftige Marketingkonzepte hat, dann muss rein theoretisch, das ist die Grundannahme, derjenige, der dort besser ist als alle anderen einen Vorteil haben. Das ist ein langwieriger Prozess bis man das Image so au~aut, dass die Leute wissen, die Farben aus der Huber Gruppe sind wirklich die besten, oder der Service. Es ist ja nicht mehr nur die Farbe, sondern das gesamte Beratungsangebot drum herum. ''124~ In einem anderen Intereview wurde dies noch einmal konkretisiert vom zweiten GeschhftsFtihrer von MHM, Herrn Einsiedler: ,,Druckfarbe, der Druckfarbenverbrauch/-bedarf wird nicht dadurch generiert, dass wir eine grol3e Werbeaktion machen, dass wir grol3 Marketing machen. Sondern der entsteht ganz woanders, in den Druckereien in den Verlagen. Und diese Menge wird verteilt. Und da muss ich eben mich so geschickt verhalten, dass ich den

1236Diese Vision wurde ein Jahr sptiterals Vision 2001 im Kern besttitigt(vgl. Sekundtirquellen[17], S. 3, oder [18], S. 24). Wobei Unterschiede darin bestehen, ob die MarketingFuhrerschaflals separates Ziel gesehen wird. In der ,,LAM-Vision 2001" (vgl. Sekundarquelle [17], S. 3) wird sie als Oberziel fiir die Ziele Qualittits~hrerschaft, Dienstleistungsf'tihrerschaftund Marktf'tihrer Verpackung gew~ihlt, in anderen Unterlagenhingegen als separates und gleichrangigesZiel genannt (vgl. Sekundtirquelle [ 18], S. 24). 1237[Int_HR 040720], w 1238[Int_HR040720], w 1239[Int HR 040720], w 1240[Int HR 040720], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

207

gr6Btm6glichen Anteil, und den interessantesten Anteil von diesem, ganzen Kuchen bekomme. ''1241 Er formulierte dann auch die Folge dieser Umst/inde, n~mlich dass man mit den Kundenkontakten, die man habe, wachsen mtisse. ,,Und man muss,im Marketing viel besser werden. Besser rauskriegen, wo worauf es dem Kunden ankommt. Mit welchen Kleinigkeiten man sich differenzieren kann. ''1242 Dies formuiert in Summe dann auch schon die lSroerleitung zum zweiten neu hinzugekommenen Ziel, dem der Dienstleistungsf~hrerschafi. Ausgangspunkt hier waren (neben den in den Ausfiihrungen zur Marketingftihrerschafl bereits genannten Griinden) die Anktindigungen der ,,Multis", aus Kostengrfinden bislang erbrachte Dienstleistungen einstellen zu wollen: ,,(...) vor zwei Jahren haben alle gemerkt, die Kosten steigen starker als die Umstitze. Die Margen werden immer kleiner und die Deckungsbeitrage werden schlechter. Und dann ist die ganze Druckfarbenindustrie auf den Trichter gekommen, wir sind ja bl6d, wir leisten so viele Dienstleistungen, ohne dass wir Geld bekommen daf'tir, also stellen wir die Dienstleistungen ein. ''1243 Der Wettbewerb suchte also, bislang branchentiblich gratis erbrachte Dienstleistungen im Rahmen von Kostensenkungsprogrammen abzubauen. ,,Und genau in dem Zeitpunkt haben wir gesagt, nein, das machen wir anders, wir machen schon Dienstleistungen, aber verlangen Geld daflir. Dieselbe Ursache, der eine hat in Kostensenkungsprogrammen gedacht, und wir haben halt gedacht, vielleicht kann man da ein Geschaft draus machen. ''1244 ,,(...) ich glaub der Glaube dieser Automatisierung, der aus einem Kunsthandwerk eine Industrie gemacht hat, der hat eine Zeitlang vergessen lassen, also wir haben es hier im Hans auch gemerkt, dass es eben nicht nur eine Industrie ist. Wir verkaufen eben nicht nur irgendeine bunte Tunke, mit der man drucken kann, sondem der gesamte Vertriebsweg und die Kommunikation mit den Kunden geht tiber Service: Was kannst Du mit der Farbe machen? Welche Effekte kannst Du erzielen? Worauf musst Du achten? Was musst Du vermeiden? (...) Und daran sieht man ganz deutlich, dass eben Service wichtig ist. ''1245 Die Huber Gruppe wollte also mit der Vision 2000 als Startpunkt die entgegengesetzte Richtung einschlagen, auf Dienstleistungen setzen. Ziel hierbei war letztlich, ,,(...) mit Dienstleistungen als Erganzung des Vertriebsprogramms, die Differenzierung schlieBen, schaffen, und die Deckungsbeitragslticke schlieBen. Erstens dadurch dass man soviel Image gewinnt, dass die Kunden lieber bei uns kaufen, oder dadurch, dass sie t'tir Dienstleistungen Geld bezahlen. ''1246 Und Dienstleistungen sollten dabei nicht, wie in der Vergangenheit, nur technisch verstanden

1241[Int_RE 040720], w J242[Int_HR040720], w 1243[Int_HR040126], w ~244[Int_HR040126], w 124s[Int_HR040126], w t246 [Int_HR 040126], w Siehe ~ihnlichformuliert, aber mit Bezug auf die Qualit~itder Kundenbeziehungbei [Int_HR 040126], w ,,Also h6here Preise kriegt man nicht durch die Quali~t der Produkte, sondem eher dutch die Qualitat der Kundenbeziehungen.Wenn ein Kunde einfach sagt, ich akzeptiere, dass der Service gut ist, und ich kaufe bei euch, weil ich genau weiB, wenn ich irgendwo em Problem habe, dann kommt sofort einer, ihr nehmt mich wichtig. Dieser Service, diese Kundenbindung, dass einer sagt, wenn's real brennt, darmreil]endie sich fiir mich alle Beine aus, das ist ein ziemlich wichtigesArgument."

208

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

werden. 1247Noch etwas weiter geht die Aussage von Herin Ringer, die Farbe schliel3lich nur noch als Grundeinstieg zu sehen: ,,(...) wenn ich nur in Fertigungskosten denke, und automatisiere, dann denke ich in Materialien. Was muss ich tun, damit ich irgend so eine Flfissigkeit im Topf habe? Und dann verkaufe ich diese Farbe. Und erst jetzt kommt man darauf, die Farbe ist ja nur der Grundeinstieg, dass ich fiberhaupt mit dem Kunden reden kann. Ohne Farbe k6nnte ich ja mit keinem Drucker reden. (...) Und aus dem Gesprach und aus dieser Beratung kommt dann halt das Geschaft zustande."1248 Nahe liegt in diesem Zusammenhang, dass man damit einhergehend sich vom standardisierten Massengeschaft Akzidenzdruck in das beratungs- und know-how-intensivere Feld des Verpackungsdruckes bewegen wollte. Die Griinde hierf'fir formuliert pr~ignant Herr Hanke, Leiter Wissenschaflliche Zentralfunktion: ,,Die strategische Orientierung der Huber-Gruppe ist, spitze zu sein und zwar ganz besonders in dem Bereich Verpackungsdruck, weil der Bereich Verpackung das meiste Know-how erfordert und zwar nicht nur die Produkte betreffend, sondem auch das ganze Umfeld betreffend. Man braucht also um qualitativ hochwertige Verpackungen herzustellen, braucht man ein sehr umfassendes Wissen, sowohl Drucktechnik, Chemie, alle m6glichen Gesetzgebungen. Das ist also eine Sache, wo man den Kunden sehr gut beraten kann und wo man diese Leistung, die man dann mit einbringt auch noch honoriert bekommt. In dem Massengeschaft Zeitungsdruck, Akzidenzdruck, sowohl Bogen als auch Rolle, da sind die Preise am untersten Limit, da geht's irgendwo nicht mehr weiter. 'a249 Verpackung steht demnach weniger unter Preisdruck als Akzidenz, was nicht zuletzt in der individuelleren Ausgestaltung beim Verpackungsdruck begrfindet liegt, sei es fiber Sonderfarben oder fiber Fragen der Veredelungen und Aufwertungen. Der Schwerpunkt lag und liegt dabei noch ganz eindeutig im Bereich Akzidenz und Zeitung, mit noch fiber zwei Drittel Anteil an Produktionsmenge und auch Umsatz. Ziel war also, fiber die Vision 2000 angestol3en, den Verpackungsbereich hinsichtlich der Produkte wie auch des Images zu forcieren. Problematisch scheint nur, in einer aktuellen Beurteilung (aus dem Jahr 2004), ,,(...) dass die europ~iischen Druckfarbenhersteller, sich teilweise auch spezialisieren, dummerweise auch in dieselbe Richtung wie wir, also auch in die Richtung Verpackungsdruck, weil die natiirlich genau dieselben Beobachtungen machen wie wir auch, dass man da noch bessere Deckungsbeitr~ige einfahren kann als in dem Massengeschafl. 'a25~ Mit der Vision 2000 sollte also ein Wandel eingeleitet werden, weg vom zunehmend standardisierten und unter Margendruck geratenen Massengesch~ift, hin zu beratungs- und wissensintensiven (Spezial-)Leistungen, die mehr Raum ffir nachhaltige Differenzierung lassen ,,(...) und wo man diese Leistung, die man dann mit einbringt auch noch honoriert bekommt. ''1251

1247[Int_HR031010], w 124s [Int_HR040126], w 1249[Int_KH040622], w t250 [Int_KH040622], w t251 [Int_KH040622], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

209

Was sollte das nun f'tir Huber in der Praxis bedeuten? Was gait es wie zu wandeln? Man war sich weiterhin ,,(...) klar dariiber, dass man Allianzen eingehen muss. A u f welchem Wege auch immer die stattfinden sollen. ''1252 Die Bestrebungen, neben den mit der Vision 2000 verkniipften MaBnahmen, fehlende strategische Elemente fiber Strategiepartner einzubringen, sollten also weiter verfolgt werden. Aber es galt auch die Vision 2000 mit Leben zu flJllen. Ein Workshop etwa ein Jahr nach der Verabschiedung der Vision 2000 best/itigte diese Vision als Vision 2001 noch einmal und man rekapitulierte erste Mal3nahmen und er6rterte den mit der Vision 2000 bzw. den Visionen 2000/2001 anzustol3enden organisatorischen wie kulturellen Wandel. 1253 Der n/ichste Abschnitt wird kurz skizzieren, wie dieser strukturelle und kulturelle Wandel adressiert wurde. 3.3.2.2

K u l t u r e l l e r u n d s t r u k t u r e l l e r Wandel mit der Vision 2000

Wie gait es nun die im letzten Abschnitt vorgestellte Vision 2000 umzusetzen? Deutlich wurde bereits bei der Formulierung der Vision 2000 die Tragweite des angestrebten Wandels, dass es die ,,(...) ganze innere Organisation dementsprechend um[zu]stellen ''1254 gelte. So muss es auch nicht iiberraschen, dass zahlreiche interviewten Mitarbeiter und Fiihrungskr~ifte in der Vertiefungsphase der Empirie Huber (und seine jiingere Entwicklung) als in einer tiefgreifenden Phase des Wandels befindlich beschrieben) 255 Diese Einsch~itzungen gehen nicht zuletzt auch auf die in Folge der Vision 2000 angestoBenen umfassenden MaBnahmen zum strukturellen wie kulturellen Wandel zuriick. A u f sie soll im Folgenden n/flaer eingegangen werden. Grundlage wird im Kern eine Artefaktanalyse der Unterlagen zum Initial-Workshop der Vision 2000 wie eines Workshops zur Standortbestimmung, etwa ein Jahr nach der Verabschiedung der Vision 2000, sein. 1256 Maflnahmen des Wandels mit der Vision 2000

Die ,,Wandlung vom Hersteller zum Dienstleister und von der Akzidenz zum Verpackungsspezialisten ''1257, so findet es sich bereits in der Einleitungspr/~sentation zum initialen Workshop zur Vision 2000, geht mit einem Wandel in Bezug auf Fiihrung, den Rollen im Unternehmen und dem zugrunde liegenden Selbstverstandnis einher. Sp/iter wurde dies dann noch ausgeweitet, durch vier zentrale Punkte zu ,,unsere Strategiechance, ein Strukturwandel": ,,Team, (Proj ekt)Management, neue Fiihrungsgrunds/itze und Dienstleistungsengineering") 25s Was gilt es nun unter diesen aufgeFtihrten Stichworten zur

1252[Int_UB 040615], w 12s3 Vgl. Sekund~irquellen [18] und [22]. 1254[Int_RE 040720], w 12ss Siehe z. B. [Int_I2], w [Int I1], w [Int_G1], w [Int_I11]-Memo, S. 1, lint_M3], w lint_M9], w oder auch [Int G2], w Zu Details, siehe Abschnitt 3.3.3.1. 1256Dieser Workshop fand am 12.07.2001 unter dem Titel ,,Visionen 2000!? Visionen 2001!? Eine Standortbestimmung" statt. Vgl. Sekund~irquellen [ 18]/[22], [25] - [29], [32]. 1257Sekund~irquelle [19], S. 6. 1258Sekund~irquelle [13], S. 19.

210

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Vision 2000 zu verstehen? Welche konkreten Intentionen waren damit verkntipft? Es sei mit dem letzten Begriff angefangen: Dienstleistungsengineering. Dieser Begriff zielt direkt auf das in der Vision 2000 formulierte Globalziel der Dienstleistungsftihrersehaft ab bzw. dem angestrebten Wandel vom Hersteller zum Dienstleister. Adressiert wurde dieser Punkt fiber das in Kooperation mit dem IOM, im Rahmen des 6ffentlich gef'rrderten Verbundvorhabens ,,Service Engineering", betriebene (Forschungs-)Projekt mit dem Namen ,,Service Excellence". Die Entwickhmg von Dienstleistungen und der Wandel zum Dienstleistungsf'tihrer markierten die Ziele dieses Projektes, auf das im nachfolgenden Abschnitt n~iher eingegangen werden wird. Zur ,,member interpretation" der anderen drei zentralen Punkte, Team, (Projekt)Management und neue Fiihrungsgrundsiitze sei eine Abbildung herangezogen, anhand derer im Workshop zur Vision 2000 die Begriffe diskutiert wurden (siehe Abbildung 45). In dieser von der Geschgftsf'tihrung erarbeiteten Pr~isentation werden beispielhaft zwei Fiihrungsstile einander gegentiber gestellt. Management A

Management B

9 stiitzen ihre F(ihrung auf Kontrolle

9 konzentrieren slch auf die Menschen

9 akzeptieren den Status quo

9 stellen den Status quo in Frage

arbeiten detaillierte Schritte und Zeitpl~ine aus

9 entwickeln Visionen und Strategien

streben nach Berechenbarkeit und Ordnung

9 streben nach Ve~nderung

motlvleren die Mitarbeiter

'~vsl

9 Insplrleren die Mitarbeiter slch zu ~tndern

orgonisieren flieSende Gesc h~iltsprozesse

9 stellen das Erreichte in Frage

setzen den mit ihrer Position verbtmdenen Einfluss ein

9 (iben pers~inlichen Einfluss aus

repr~isenUeren eine F(ihrungsposiUon

9 Obemehmen FOhmng auch ohne Position

Abbildung 45: Ftihrungsgrtmds~itzein der Diskussionbei MHM1259 Die sp/itere Diskussion hierzu f'tihrt nun aus, dass es sich nur um scheinbare Gegens/itze handelt. ,,Ein erfolgreicher, gemeinsam zu verabschiedender Fiihrungsstil kombiniert Aspekte aus beiden Bereichen, n/imlich Vision und Ver/inderungsbereitschaft kombiniert mit wohlfunktionierenden reproduzierbaren Prozessen. ''126~ ,,Management A" wird also der Ftihrung von Routine(abteilungen) zugewiesen, ,,Management B" eher der Ftihrung neuer Projekte. Ziel dieser expliziten Auseinandersetzung mit Fiahrungsverst~indnissen war, eine ,,starke FiJhrungskoalition" zu etablieren, die nach einheitlichen, von allen akzeptierten FiJhrungsgrunds/itzen handelt. 1261 Die arbeitsteilige Aufbau- und Ablauforganisation bezeichnet die Grundvoraussetzung f'tir routinem/iBig funktionierende Informations- und

1259Vgl. Sekund~rquelle[21], S. 1. 126oSekund~irquelle[21], S. 2. 1261VgL Sekundarquelle[21], S. 2.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

211

Prozessabl~iufe: ,,Ein Lob der Routine!" ,,Das (Zusammen-)Arbeitsprinzip der Teamarbeit tiberlagert diese Routineorganisation und ,erftillt sie mit Leben'". 1262 AuBerordentliche F~ille gilt es also in Form yon Teams (= Projekten) und Projektmanagement zu bearbeiten. 1263 Grunds~itze des Projektmanagement werden definiert, betont werden Teamchef, Ziel, akzeptierte Entscheidungsgrundlagen und klare Vereinbarungen, wer was bis wann rnacht, und Eigenverantwortung. ,,Wir sind das U n t e m e h m e n ''1264 formuliert ein Credo zum Team, und zu den Kundenbeziehungen, dass ,,[j]eder dazu beitr~gt, die Kundenerwartungen gem~iB [der] Marketingprogramme, treffsicher zu ert~tillen ''1265. Diese Aspekte zusammenfassend vermag wohl Abbildung 46 zu visualisieren. Sie wurde im Workshop zur Standortbestimmung zur Vision 2000 pr/isentiert, um in polarisierender Gegen~berstellung den angestrebten ,,Kulturwandel" in seiner Breite wie Tiefe zu verdeutlichen. From o.. AufbauorganisaUon

9 Hlerarchlsch strukturiert

9 ,,Flache"

9 Nach intemen Kriterien ocganislert

9 Nach Markt-Krlterien organisiert

Sparten und Profitcentres

9 Integrierte

Produktorientiert

9

HubePGruppe

M~cktorienUert

Delegation (lurch Anweisung

Delegation

Karriereanfocderung eher fachorientiert

Karrieree~lforderung eher pers0nlichkeitsorientJert

FUhrung (lurch Amtsautorit~t

FQhrung ~ c h

mR Mitverantwortung

Uberzeugung

V

V staff

9 flexibel

9 national

9 global

9 konservativ

9 progresslv

9 bewahrend

9

9

9

re~limnd

i vorslchtig, ~ingstlich beamtenhaft

< E E

kreaUv

9 agierend 9 vorausschauend, 9 muUg

unternehmerisch

Abbildung 46: Angeslxebter kultureller Wandel im Zuge der Vision 20001266 Die mit der Vision 2000 eingeleiteten Maflnahmensahen neben ,,Schulungen in Ftihrung und Selbstverantwortung", den Start einiger intemer Projekte vor, wie erwghnt zur ,,Service Excellence", aber bspw. auch zur Personalftihrung (Mitarbeitergespr~iche,

1262Sekund~quelle [21], S. 6. 1263AuBerordentliche Ffille bzw. Projekte sind definiert als die F~ille, ,,(...) ftir die es (noch) keine Routine gibt, derer wir uns aber intensiv dadurch annehmen, dab wit einen Verantwortlichen dafiir benennen, der die erforderliche Leistung sicher stellt." (Sekund~irquelle [21], S. 8) 1264Sekund~quelle [21 ], S.22. J265 Sektmd~rquelle [21 ], S.24. ~266Vgl. Sekund~rquelle [20], S. 18ff., und [18], S. 16ff.

212

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Zielvereinbartmgen), zum Aufbau eines Beschwerdemanagements (zentrale Koordination vom Innendienst) und einer (zeitlich) erweiterten Servicebereitschaft. 1267 Flankiert wurden diese Projekte durch umfassende organisatorische M ~ n a h m e n , wie sic in Abbildung 46 bereits angedeutet sind. Die Leits~itze des Team- und Projektmanagements, einer ,,[f]lache[n] Organisation mit Ftihrung durch Teams innerhalb strategischer Rahmenvorgaben durch Marketing und Management by objectives" wurden tiber die ,,Organisation 2001" adressiert. ,,Ftihrung durch Lenkungsausschtisse" formulierte das Credo: Zwei Lenkungsausschtisse fOx Marketing (Lenkungsausschuss Marketing, LAM) und FOx Technik (LAT) wtvden etabliert und prominent in der Organisation platziert (siehe Abbildung 47).

MHM GmbH I LAT w d

AWTTF

AWTBO

vertrleb Akzidenz

Labor MHM

ProdukUon BO und TF, Versand

vertrleb Verpackung Key Accounter

E-Projekt-Matrix, Wlssenschaftllche Offenffichkeit

Vertriebsgebiete, MHIVI kfm. AD, Exportgebiete

Abbildung47: ,,Organisation2001" als initiale strukturelleUmsetzungder Vision 20001268 Etwa 1982 hatte die Huber Gruppe eine Spartenorganisation eingeFtihrt, untergliedert nach Offset, Tiefdruck und Finanzen. 1269 Zugrunde liegende Ideen waren gebtindelte Methodenhoheit und Ressourcenstraffung, nach den Phasen der funktionalen (1944-1970) und mit der Expansion dann regionalen Organisation (1970-1982). 127~ Diese Spartentrenntmg war dann auch in der Phase von 1990 bis 2000, der ,,Profit Centres mit Finanzholding''1z7! bei MHM intern beibehalten worden, lhre partielle Fortftihrung findet sich jedoch in der ,,Organisation 2001" noch innerhalb der Anwendungstechnik (AWT). 1272 Der Vertrieb hingegen reflektiert bereits die neue Ausrichtung hinsichtlich Akzidenz und Verpackung. (57oer den LAT soll die

1267Vgl. Sekundarquelle [18], S.5; ein bisschen anders bei [20], S.17. 1268Vgl. Sekund~irquelle[22], S. 14. 1z69Vgl. Sekund~irquelle[23]. 127oVgl. Sekund~irquelle[23]. 1271Hier wurden also die Untemehmen der Gruppe (MHM, HST, GSI, Hostag, HST Canada) als Profit Centres geFtibxt(dezentral, mit klarer Marktzuordnung)unter dem Dach der Huber Gruppe als Finanzholding. 127zDies wurde dann im Laufe der Vertiefimgsphasein 10/2004 geandert, die mit der Vision 2000 anvisierte Ausrichtungnach Akzidenz und Verpackungalso auch •r die AWT umgesetzt (siehe Abschnitt 3.3.3).

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

213

Qualitgtsffihrerschaft adressiert bzw. gesichert werden. 1273 Ibm obliegt die Ffihrung von Anwendungstechnik Tiefdruck Produktion

und

,,Wissenschaftlichen

Versand

(TF) wie

und Verpackung-Offset (BO), von

Offentlichkeit".

E(entwicklungs)-Projekten 13-ber

den

LAM

des Labors, von und

der

sog.

wiederum

soil

die

Marketingffihrerschaft adressiert bzw. erreicht werden, mit den Schwerpunkten Verpackung und Akzidenz, aber auch Dienstleistungen. 1274 Nach der Phase der ,,Profit Centres mit Finanzholding"

war

also

ffir 2000ff.

die

Phase

der

,,Integration

der

PCs

durch

F0hrungsholding" gestartet. 1275 Zugrunde liegende Ideen waren die Integration der Einzelteile und die Optimierung des Ganzen, weniger der Teile. Die ,Untemehmensffihrung nach HuberGruppen-Marketing-Programmen" setzt sich also zum Ziel, die ,,Profit-Centres und verbundenen U n t e m e h m e n n~her zusammen [zu flihren], damit ,global' gleichwertige Dienstleistungen [angeboten werden] k6nnen. ''1276 In konsequenter Umsetzung dieses Ziels und in Fortschreibung der ,,Organisation 2001" wurden dann auch in Folge beide Lenkungsausschfisse, die ursprfinglich (wie bei der ,,Organisation 2001" als Zwischenstadium dargestellt) noch einen MHM-Fokus hatten, auf Holding-Ebene gehoben. 1277 ,,Fiihrung durch Lenkungsausschiisse" - LAT und LAM

Es sei im Folgenden ein vertiefter Blick in die Konzeptualisierung dieser beiden neuen Ffihrungsgremien geworfen, so wie sie initial gedacht waren.1278 Sie sollen j a nicht zuletzt den mit der Vision 2000 initiierten neuen Kontext for Innovieren und Marketing (mit)pr~igen. Die Kemaufgabe des L A T ist formuliert als ,,Entscheidung fiber Entwicklungsprojekte ffir die Huber-Gruppe". 1279 Seine Themen soll der LAT dabei beziehen aus dem operativen Geschaft mit den AWTs, aus dem LAM ffir strategische Themen oder aus eigener ,,Neugier". Der Ablauf von E(ntwicklungs)-Projekten wird dabei fiber ein 3-Phasen-Modell gegliedert: Denkphase, Umsetzungsphase und Kontrollphase (siehe Abbildung 48). Die Denkphase, geprggt durch den LAT, sowie zu benennenden Delegierten, Projektleiter und unter Hinzuziehen von Experten, schliel3t mit einer Entscheidung ffir eine bestimmte LOsung. Ihre Umsetzung gilt es dann interdisziplinar unter Koordination des Projektleiters zu bewerkstelligen. Die Kontrollphase schliefSlich vergleicht, ob man festgelegte ,,Muss-Ziele" und ,,Kann-Ziele"

1273Vgl. Sekund~irquelle[22], S. 14. 1274Vgl. Sekund~irquelle[22], S.14. 1275Die Rolle yon LAT und LAM fiir diese Integration formuliert Herr Einsiedler pr/ignant: ,Wir haben heute tiber LAT und LAM zwei Instrumente, die eben genau dieses fibergreifende, Element darstellen. LAT als Lenkungsausschuss Technik, hinsichtlich F&E wie sie sagten, also Entwicklung, was ffir Techniken mfissen wir anbieten? Und LAM als Marketinginstrument fiber alles, welche Marketingaktionen sind notwendig, um weltweit bestehen zu k6nnen." ([Int RE 040720], w 1276Sekund~irquelle[22], S. 15. 1277Dies geschah fiber die Besetzung des LAM mit den Vertriebsleitem von MHM, Hostmann + Stelin, und beim LAT fiber die Zentralisiertmg s~imtlicherLaborbereiche am Standort Mfinchen und die Besetzung des LAT mit den Leitern von Labor, Wissenschaftliche Offentlichkeit und Produktion. 1278Siehe hierzu die Sekund~irquellen[25] und [26]. 1279Sekund~irquelle[26], S. 1; hier findet sich bereits das Wirken des LAT auf Holding-Ebene betont.

214

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

erreicht hat - oder mit einem neuen Umsetzungsprogramm weiter machen muss. Aufgabe des LAT ist auch das ,,Sicherstellen der Wissenschaftlichen 13ffentlichkeit", mit der Idee, ,,das Wissen vieler [zu] nutzen" und ,,viele am Lernprozess [zu] beteiligen": ,,W13 (Wissenschaftliche Offentlichkeit, Anm. d. Verf.) ist ein lebendiger, dynamischer Prozess, der alle ,Betrofferlen' zu bewirkt!"1280

,Beteiligten'

Denk-Phase

macht

und

einen

kontinuierlichen,

Umsetzungs-Phase

breiten

Lernprozess

KontrolI-Phase

Abbildung 48: Phasen eines vom LAT gesteuerten E-Projektes 1z81 Was kann man sich nun unter dem LAM im Gegenzug vorstellen? Eine Prgsentation der ersten konstituiererlden Sitzung des LAM, im Februar 2001, suchte diese Fragen zu beantworten. Dem Untemehmensziel der UnabhSngigkeit wird dort das Marketingziel der Marketingftihrerschafl zugeordnet, mit den - aus der Vision 2000 bekannten - (Unter-)Zielen der Qualit~its-,

Dienstleistungsftibxerschaft

und

der

Marktftihrerschafl

Verpackung.

Als

,,taktischer Mix" werden die ,,Werkzeuge des gesamten Unternehmens" bezeichnet. ~282 Die Antworten zur Frage ,,Warum LAM?" lautet: 1283 ,,Ziele zu determinieren und ktinftige Sollzustgnde durch Strategien und Anwendung der Marketinginstrumente (Tool, taktisches Mix) optimal zum Erfolg des Unternehmens einsetzen. Marketing wird Kultur in unserem Unternehmen, dass heil3t vorleben, kommunizieren! ''1284 Betont wird insbesondere die Integrationsfunktion des LAM, die ,,Nachteile der dezentralen Organisation aus[zu]gleichen". 1285 Auch hier findet sich darm - ~ihnlich zum E-Projekt-Modell des LAT ein Phasenmodell, das tiber ein (M-)Projekt 1286, mit Festlegen der Strategie, Bestimmen der Delegierten, Magnahmen und Zeitplan schliel31ich zu Umsetzung und Aktionen t'tihrt (siehe Abbildung 49). 1287 Ziel ist es letztlich, sich hin zu einem ,,integrativen Marketing" als

1280Sekundarquelle [26], S. 13. 1281Vgl. Sekundarquelle [31], S. 24. 12sz Sekund~irquelle[25], S. 3. iz83 Vgl. Sekund~quelle [25], S. 4; auch hier findet sich - in Analogie zum LAT und in Fortschreibung der ,,Organisation 2001" - bereits das Wirken des LAM auf Holding-Ebene betont und auch bereits organisatorisch als integratives Dach ~iberMHM, Hostmann + Stelin dargestellt. 1284Sekundarquelle [25], S. 5. 12s5 Sektmd~irquelle[25], S. 5. 1286Vgl. Sekund~irquelle[32], S. 3. 1287Vgl. Sekund~irquelle[25], S. 7.

3.3 Prozessuale Rekonstrukfion

,,untemehmens-

und

215

marketingorientiere[m]

Ftihrungskonzept"

zu

entwickeln. 1288

Grundlegende These ist, dass ,,[e]in dauerhafter Markterfolg (Untemehmenserfolg) nur bei einem dauerhaften ausgewogenen Abgleich aller Zielgruppen in unserem Untemehmen und bei unseren Kunden und Zulieferem erreicht werden [kann]." ,,Alle wirken zusammen. Wir kommen zu einer Wertbereitstellung far interne und exteme Ktmden."1289

Umsetzungsverantwortung des Delegierten

;

/ Ergebnisse Meilensteine

Abbildung 49: Phasen eines vom LAM gesteuerten (M-)Projektes129~ An

dieser

Stelle

sei

dem

Aktionsstrang

der

,,sonstigen

Mal3nahrnen"

fttr

die

Explorationsphase der Empirie dieser Arbeit gentige getan. Der folgende Abschnitt 3.3.2.3 wird die mit dem Ziel der Dienstleistungsfiihrerschafl verbundene MaBnahme des Projekts ,,Service Excellence", den Strang des Wandels zum Dienstleister nachzeichnen. 3.3.2.3 W a n d e l z u r Dienstleistungsf•hrerschaft - (Teil-)Projekt ,,Service Excellence" Wie bereits dargelegt, war eines der mit der Vision 2000 formulierten Ziele, die Dienstleistungsftihrerschafl bzw. der Wandel vom Hersteller zum Dienstleister. 1291 Als eine Magnahme, die Differenzierung vom Wettbewerb durch Dienstleistungsftihrerschafl zu eflangen, wurde im Juni 2000, in Kooperation mit dem Lehrstuhl far Information, Organisation trod Management der TU M~inchen, eingebunden in das 6ffentlich gef'rrderte Verbundvorhaben ,,Service Engineering", das (Forschung-)Projekt ,,Service Excellence" angestoBen. Dieses Projekt, im Kontext des Forschungsinteresses dieser Arbeit als Teilprojekt bezeichnet, lief dann bis Januar 2004. Der Autor spielte als Projektleiter des IOM in diesem Projekt eine

t288 Auf der Basis der Herkunfl fiber eine Entwicklung aus Stufen der Produktions-, Verkaufs-, Produkt- und Absatzorientierung (vgl. Sekund~irquelle[25], S. 8). 1289Sekundarquelle [25], S. 9 (beide Zitate). ~zg0Vgl. Sekundarquelle [25], S. 7. ~29~Beide Formulierungen, also sowohl die Dienstleistungsfiihrerschafl wie auch der Wandel zum Dienstleister, finden sich bereits in der ersten Prasentation aufgefiihrt (vgl. Sekund~irquelle[13], S. 15 und S. 17). Sp~ter, bei stichpunktartigen Auflistungen der Ziele aus der Vision 2000, findet sich dann i. d. R. nur die Dienstleistungsfiihrerschaft aufgeFtihrt(siehe z. B. Sekundarquellen [18]/[22], S. 9, [33], S. 8).

216

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

aktive Rolle als ,,change agent" und Forscher und begleitete das Projekt von Juni 2001 bis zum Ende, also fiber 31 Monate. Die nachfolgende Deskription fuBt maBgeblich auf ,,first-order conceptions", wird aber fallweise um interpretative Elemente im Sinne von ,,second-order conceptions" erg~inzt, um den im Forschungsprozess eingeflochtenen Reflexionen Rechnung zu tragen. Zum Teil, soweit es f'fir das Rekonstruieren des Forschungs- und Wandelprozesses notwendig ist, werden auch im Prozess hinzugezogene und relevante Sekundarquellen und -theorien angeflihrt, jedoch nicht vertieft. Die Fein-Gliederung im Folgenden wird ausgehend vom geplanten Vorgehen, also Ziele und Ansatz des Projektes, die Analysephase und ihre Ergebnissen sowie den angestrebten L6sungsansatz vorstellen, und mit einem kurzen Resilmee abschliel3en. Ziele and Ansatz des Teilprojektes ,,Service Excellence" Der offizielle Projektstart war 01/2001. Aufgrund von Verz6gerungen beim Start hatten Kollegen des IOM das Projekt in Kooperation mit MHM bereits im Juni 2000 inoffiziell anlaufen lassen. Der Autor stieg im Juni 2001, d. h. ein Jahr nach dem inoffiziellen Projektstart in das Vorhaben ein. Es lohnt ein Blick in den ursprfinglichen Projektantrag; dort werden neben den ,,(...) Wettbewerbsvorteile[n] durch ein professionelles Angebot von Dienstleistungen" insbesondere die Defizite im ,,[p]rofessionellen Umgang mit Dienstleistungen ''1292 unterstrichen: ,,Viele neue Dienstleistungen entstehen noch zu oft adhoc aus Einzelprojekten. In den Unternehmen ist ein eigenes Innovations- und Entwicklungsmanagement f'fir Dienstleistungen - und damit auch die Voraussetzung flir die effiziente und erfolgreiche Positionierung neuer Dienstleistungen am Markt bisher nur in Ausnahmefiillen vorhanden. ''I293 Die im Antrag formulierten Ziele suchen nun die angestrebte Dienstleistungsffihrerschaft unter diesem Kontext zu adressieren: lm Fokus stand die ,,(...) konkrete Neuentwicklung von Dienstleistungen ''1294, begleitet davon, Innovationsprozesse zu optimieren und kulturelle Aspekte zu adressieren. Der Projektansatz sah eine umfangreiche Analysephase vor, fiber eine breite Ist-Analyse, Benchmarking sowie einer Ermittlung von Kundenanforderungen, gefolgt yon Konzeption f'fir die neuen Dienstleistungen, den Innovationsprozess und die F6rderung der Service-Kultur und schliel31ich der Realisierung. Dieses urspriinglich anvisierte Vorgehen vemachl~issigte jedoch - wie sich im Laufe des Projcktcs zeigte - den Aspckt des Wandels. Wie wird man denn eigentlich Dienstleister? Durch das Anbieten von Dienstleistungen? Ja anch, aber wohl nicht nur. Der ursprfingliche Ansatz hatte sich, so wurde zunehmend klar, im Kern (implizit) an die etablierte Management- und Organisationslehrc angelehnt, in der Tradition des analytisch-linearen Denkens auf Basis eines entscheidungstheoretischen Hintergrundmodells. Im Sinne des

1292Sekund~irquelle[34], S. 3 und S. 4. 1293Sekund~irquelle[34], S. 4. 1294Sekund~irquelle[34], S. 12.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

217

,,strategic planning" hatte er das Finden der L6sung wie auch ihre Umsetzung im Kern als Planungsproblem angesehen, ein Vorgehen, dass sich - wie z. B. Schrey6gg oder Sydow und Ortmann anmerken - in der Praxis nur zu off als pure Illusion erweist, mit massiven Implementierungsproblemen als Folge. 1295 Man verlieB also den Pfad der methodischen (,,Service Engineering"-)Tugend 1296 und nahm zunehmend den Weg bin zu einem altemativen Wandel-, Management- und auch Innovations-Verst~ndnis 1297, wie nicht zuletzt auch am L6sungsansatz deutlich werden wird. Grundlage war, in fr~her Symbiose mit dem Organisations- und Wandelverst~indnis fiir diese Arbeit, das Konzept der lernenden Organisation als Kandidat f'tir eine erweiterte Theorie des organisationalen Wandels. Und ebenso im Einklang mit dieser Arbeit ging dies mit einem prozessuallen, pluralistischpartizipativen aktivit~itsbasiertem Innovationsverst~ndnis einher. In einer ersten, initialen Andeutung dieses Wandels im Projektansatz, stellt Abbildung 50 die Kemfoki des Teilprojektes ,,Service Excellence" dar: Die Entwicklung und Etablierung von Dienstleistungen, die Institufionalisierung eines Innovationsmanagements (fiir Dienstleistungen) und die F6rderung der Service-Kultur.

Projekt " ,,Service Excellence"

/

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Entwlcklung urld Et~)ll~Urlg yon

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Abbildung 50: Ansatz des Teilprojektes ,,Service Excellence"

1295Vgl. Schrey6gg, 2002, S. 483, Sydow und Ortmann, 2001, S. 6, oder auch Reiss, 1995, S. 291. 1296Die noch junge Disziplin des ,,Service Engineering" ist fiber ihre Anlehnung an ingenieursmaI3igeMethoden ausgesprochen insmamentell-deterministisch gepr~igt, auch von den zugrunde liegenden Management- nnd Organisatiousverst~indnissen(siehe z. B. F~ihnrichund Opitz, 2003 fiir einen Oberblick bzw. fiir konkrete Vorgehensmodelle z. B. Bullinger trod Schreiner, 2003, oder Schneider et al., 2003). 1297Auf diesen Aspekt des gewandelten Innovationsverstandnisses weist Piller, dem Fokus seiner Habilitation gernal3, bei seiner Dartegung des Teilprojektes ,,Service Excellence" als Fallstudie hin: ,,The starting point was to create a conventional, closed innovation system for new service offerings. During the course of the project, however, it became obvious that an open innovation approach was needed, and that the deep integration of Hubergroup's customers and users in the innovation process could offer multiple positive effects beyond the original objective of the project." (Piller, 2004, S. 191f.)

218

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

A n a l y s e p h a s e - ein R u c k d u r e h das U n t e r n e h m e n u n d viele Ideen

Der Start des Teilprojektes ,,Service Excellence" sah nun eine ausgepr~igte Analysephase vor, fiber eine Ist-Analyse der Ausgangssituation, eine breit angelegte Kundenbefragung wie auch ein Benchmarking mit den zentralen Konkurrenten, bevor es in die Konzeptions- und Umsetzungsphase gehen sollte. Vorgehen und zentrale Ergebnisse yon Ist-Analyse und Kundenbefragung sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.1298 Kemstfick der Ist-Analyse war ein umfangreicher Workshop-Zyklus unter Einbezug von fiber 100 MitarbeiterInnen am Miinchener Standort. 1299Neben der Vermittlung von grundlegendem Wissen fiber Dienstleistungen sowie der neuen Vision der Gesch~it2sfiihrung wurden Ideen zur Verbesserung bestehender oder ffir neue Dienstleistungen in Teams erarbeitet. Alle Kunden(kontakt)prozesse wurden zusammen mit den verantwortlichen Abteilungen systematisch erfasst und eine erste transparente Darstellung der Huber-Services aufgestellt. Die MitarbeiterInnen beurteilten ihre aktive Einbeziehung in den Veranderungsprozess als ~iulSerst positiv. Und auch die Gesch~iflsfiihrung z6gerte nicht in direkter Folge f'tir zwei der zentralen erarbeiteten Ideen (zum Beschwerdemanagement und zur MitarbeiterInnent'tihrung) Projekte zu starten, die z~gig umgesetzt werden sollten. Mehrfach wurde der Eindruck ge~tulSert, ein Ruck sei durch das Untemehmen gegangen. Diese Ist-Analyse zu Beginn des Projekts f'6rderte Erstaunliches zutage. Es wurden - wider dem Wissen und dem Bewusstsein der meisten Mitarbeiterlnnen - bereits zahlreiche Dienstleistungen angeboten. Jedoch auch f'fir die Kunden war das Dienstleistungsangebot nicht transparent: ,,Wir vermarkten das nicht ganz konsequent. ''13~176 Dienstleistungen, wie z. B. Lieferservices, Schulungen, Beratungen oder Produkt-Sonderanfertigungen, wurden den Branchengepflogenheiten entsprechend n~imlich ausschliel31ich kostenlos angeboten - und damit auch kundenindividuell, abhangig vom Wert des Kunden und davon, ,,(...) was er von uns als Lieferanten als Mehrwert erwartet. Das ist ja auch immer diese Erwartung, zwischen Lieferant und Kunde. Dementsprechend miissen sie dann agieren, und dann werden diese Dienstleistungen offeriert, aber nur auf den einen Kunden bezogen. ''13~ Bezogen auf einen idealtypischen Entwicklungsprozess zum ,,Engineering" von Dienstleistungen zeigte sich ein eher einfach und pragmatisch (im Vergleich zu elaborierten Vorgehensmodellen und ihren Methoden und Werkzeugen) gehandhabtes Entwickeln von Dienstleistungen, also ohne fest definierte oder strukturierte Innovationsprozesse. Explizite Aktivit~iten zur breiten Integration von Kunden bzw. zur Marktforschung fanden nicht statt, betroffene interne Abteilungen wurden jedoeh i. d. R. in das jeweilige Projektteam personell integriert oder fiber die

tz9s F~ eine vertiefende Darstellung sei auf Ringer et al., 2004 verwiesen, dem Abschlussbeitrag zu diesem Teilprojekt im Rahmen des Verbundvorhabens,,Service Engineering". 1299Der Fokus lag, dem urspriinglichen Projektansatz gem~il3,primar auf Mitarbeiter der Kundenschnittstelle (vgl. Sekundiirquelle[34], S. 7), n~imlichaus AuBendienst,Irmendienst/Verkaufund AWT. ~30o[Int_DH020313], w 1301[Int_DH020313], w

3.3 ProzessualeRekonstntktion

219

Einfiihrung informiert. Fragen der Bepreisung und der Kosten/Nutzen-Kalkulation wurden nicht vertieft, und anch Tests oder Markteinffihrungen i. d. R. eher unstnakturiert verfolgt. Die meisten der bestehenden Dienstleistungen waren dabei als produktbegleitende Services von Kunden initiiert entwickelt worden, z. T. sah man sich auch gezwungen, dem Wettbewerb zu folgen. Das zentrale Ziel war jeweils die Kundenbindung durch hohe Kundenzufriedenheit. Explizite 6konomische oder vor6konomische Ziele wurden mit den angebotenen Dienstleistungsinnovationen meist nicht verbunden. Die im Anschluss durchgeftihrte Kundenbefragungfokussierte ausgew~ihlte Kunden aus allen relevanten Zielmarkten. Anvisierte Gespr~ichspartner waren Gesch~iftsffihrung und Einkaufsbzw. Druckereileiter. Die Interviews wurden sehr intensiv vorbereitet, so wurde z. B. der Kundenwert aller Kunden tiber ein mehrdimensionales Kundenportfolio erhoben und visualisiert. In Form von pers6nlichen, halb-strukturierten Leitf~iden wurde in den Interviews dann direkt nach Ideen f'fir neue Dienstleistungen und Verbesserungsm6glichkeiten der bestehenden (Dienst-)Leistungen gefragt, wie auch indirekt versucht, relevante Informationen hierzu zu erhalten, wie z. B. der Kontext des jeweiligen Unternehmens intensiv untersucht (Vision, Strategien, Ziele, Trends und Prognosen). Zus~itzlich wurde fiber einen Fragebogen die gewichtete Kundenzufriedenheit bezogen auf vorgegebene Standardkriterien im Vergleich zum besten Konkurrenten (anonym) abgefragt. Von Seiten der Huber Gruppe beteiligt waren Gesch~iftsf[ihrer, Verkaufsleiter und meist der jeweilige Vertriebsmitarbeiter. Ffir die Branche (und ftir die Huber Gruppe) kam das nahezu einer Revolution gleich, zu deutlich stand der Kommentar des Gesch/ifts~hrers zum Projektbeginn vor Augen, so etwas ware in der Branche nicht tiblich, sich (auf diesen hierarchischen Ebenen) mit seinen Kunden so intensiv auszutauschen. 13~ Dementsprechend grog war dann auch die Scheu aller Beteiligten zu Beginn der Kundenbefragung. Die Ergebnisse waren jedoch sehr brauchbar und lieferten zahlreiche interessante Einblicke und gute Ideen, letztere jedoch meist nah am Kemgeschaft des jeweiligen Kunden. H~iufig nachgefragt wurden Beratungs- und Schulungsleistungen 13~ Entwicklungskooperationen mit der Huber Gruppe, aber ebenso fiber die Huber Gruppe moderiert auch mit anderen an der Wertsch6pfung beteiligten Partnem sowie ein umfassendes Ressourcenmanagement ffir Hilfs- und Betriebsstoffe. Besonders eindrficklich war aufder Beziehungsebene - j e d o c h die Kundenresonanz, wie folgende Kommentare von Interviewpartnern untermalen k6nnen: ,,Haben noch nie einen Lieferanten so massiv mit derartigem Interesse bei uns gesehen. Finde ich ganz toll, ehrlich!" (Einkaufsleiter, Kundenuntemehmen)Das erste Gespr/ich, das wir so mit einem Hersteller f'fihren. Sehr gut, das Feedback von seinen Kunden einzuholen." (Werksleiter, Kundenuntemehmen); ,,Trend bei ziemlich vielen, Service abzubauen. Sie scheinen in eine andere Richtung zu laufen!" (Technischer Leiter, Kundenuntemehmen).

13o2Vgl. [Int_GT 010626], w3. t303 Diese Idee war jedoch eine von Huber eingebrachte,die in den Kundenbefragungenauf Resonanz getestet worden war, und sich positiv bewertet fand.

220

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Konzeptions- & Realisierungsphase - ,,Ink Academy" als innovativer LSsungsansatz Ergebnis der Analysephase war, neben dem durch den Workshopzyklus angestoBenen Ruck im Unternehmen, cin brcitcs Ideenspektrum for die Konzeptionalisierung, Realisierung und Vermarktung potcnzieller Dienstleistungen. Wie sollte es nun mit all diesen Ideen weitcr gehen, welche liel3en das meiste Potenzial crwarten und sollten zur Marktrcife entwickelt werden? Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen und dem angestrebten Zicl einer Differenzierungsstrategie durch das Angebot qualitativ hochwertiger Dicnstleistungcn galt es also, das Potenzial der cinzelnen Ideen fiJr neuc Dienstleistungen abzusch~itzen und Entschcidungcn dariiber zu Fallen, welche Ideen in eine Konzeptphase eintreten sollen. Hatten die Projektmitarbeitcr des IOM hierzu ein Scoring-Modells mit dcfiniertcn und gewichteten Auswahlkriterien als Grundlage einer Priorisicrung und Entscheidung angedacht, zog Huber die interne Diskussion und Entscheidung im Ftihrungskreis vor. Im Rtickblick bezeichnet Herr Ringer, dies als ,,spannende[n] Eckpunkt in dem Werdegang", der ,,(...) Bewertungsvorgang der war mir damals schon, mir pers6nlich, vicl zu seelenlos. ''13~ Man entschied sich fiir dic Grtindung ciner ,,Corporate University" - der ,,Ink Academy". Andcrc Ideen sollten vorcrst zurtickgestcllt werden, man wolltc sich konzentrieren. Grundlage dieser fokussicrcnden Entscheidung war wohl zum einen die Sorge, sich zu verzetteln, 13~ und zum andercn dcr Umstand, dass cs den erkl~irtcn Willen zur Grtindung cincr ,,Ink Academy" schon gegeben hatte, ,,(...) die ,Ink Academy', die h~itten wir, (...), so und so gemacht", wenn auch mit ,,(...) einer ganz anderen Richtung als sic hcutc aussieht. 'a3~ Nicht zuletzt war die Idee auch in die Kundcnbefragung eingefiihrt worden und dort mehrheitlich positiv aufgenommen worden. Der ursprtingliche Ansatz war dabei jedoch noch eng gefasst gewesen, ,,(...) die Huber Gruppe braucht ein [internes] Schulungsinstitut. Warum? Damit wir unsere Stratcgie der Internationalisierung erfolgreich weiter machen k6nnen. Wit wollen n~,imlich unscren Service, den Druckfarbenservice, weiter~hren, sprich custom-made Druckfarben, curopaweit, weltweit in gleichcr Qualit~tt anbieten k6nnen. Mit jcdcr neuen Niederlassung, die wit irgendwo grtindcn, brauchcn wir drei oder vier Lcutc, die geschult werdcn mtissen, und dafiir brauchen wit eine Schule. (...) Das waren die Anfange, also rein tcchnisches Know-how multipliziercn. ''13~ 0-ber Nachfragen von Kunden, die zuFdllig von diescn Pl~inen erfahren hatten, wie auch durch das positive Feedback aus der Kundenbcfragung kam die erste konzeptionellc Offnung. Ein weitcrer wesentlichcr Schritt im Prozcss der konzcptionellen Entwicklung war dann die Auseinandcrsctzung mit dem ,,six market's framework" von Christopher et al.: 13~ Man wurde gewahr, dass eine Offnung der ,,Ink Academy" als Plattform hin zu v611ig neuen Ziclgruppen, Inhaltcn und auch Zwccken greifoar wurde. Dcr

t3o4 [Int_HR 031010], w46 und w 13o5,,(...) weil es gibt ja bestimmt viele einzelne Dienstleistungen,die uns SpaB machen, und darm habe ich gedacht, um Gotteswillen,wir miissenja nebenher auch noch Farbe verkaufen" ([Int HR 031010], w 13o6[Int_HR031010], w51 (beide Zitate). 13o7[Int_HR031010], w 13o8Vgl. Christopheret al., 2002, S. 79ff.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

221

sp~iter im Marketingkonzept entwickelte Slogan ,,more than just ink" suchte dies zu reflektieren. 13~ ,,Heute wollen wir aber wirklich eine Academy sein, die zwar auch Druckfarben, Drncktechnologie vermittelt, aber auch komplett v6llig andere Sachen. D. h. es ist dann dartiber hinausgegangen - und dadurch wird es eigentlich erst interessant! Dadurch dass wir andere Produkte als technische Informationen und Schulungen zum Drucken anbieten, werden wir fiberhaupt auch wirklich innerlich frei: Was die Preisbildung angeht, wir kriegen andere Kunden dazu (...).,,1310 Weiter getrieben wurde der Prozess der konzeptionellen Entwickhmg unter dem Bedeutungszuwachs des (kulturellen) Wandels und dem damit einhergehenden zunehmend wandelnden Innovations-, Organisations- und Managementverst~ndnis. Und auch die Anlehnung an das Konzept der ,,Corporate University'' bef6rderte diesen Prnzess. Denn mag man - eng gefasst - unter einer ,,Corporate University" lediglich eine neudeutsche Formuliernng der internen Trainingsabteilung vermuten, wird der Begriff mittlerweile f'tir verschiedenste Lernkonzeptionen in Unternehmen verwendet, in Auspr~igungen von standardisierter Qualifizierung auf individueller Ebene bis hin zu unternehmensiibergreifenden Lernarenen f'tir strategischen Wandel.1311 Das eigentliche Potenzial des schliel31ich konzipierten Ansatzes lag in den vielf~iltigen Rollen, for die man die ,,Ink Academy" vorsah und die nicht zuletzt auch den konzeptionellen Entwicklungspfad nachzuzeichnen verm6gen. Die ,,Ink Academy" ist im Kern erst einmal dem Projektziel gem~il3 - eine Dienstleistung, f'tir Mitarbeiterlnnen der Huber Gruppe, aber auch und insbesondere f'tir (potenzielle) externe Kunden, aktueller wie neuer M~kte. Zentrales Angebot sind initial Schulungen, fachlich im Branchenkontext wie zunehmend da~ber hinausgehend, aber auch im Weiteren dann Beratungsund Implementierungsleistungen. 1312 Im Sinne des klassischen Marketings 6ffnet die ,,Ink Academy" zudem einen neuen Kommunikations- und Vertriebskanal far diese Leistungen. Weiter - und im Sinne des Service und Relationship Marketing verstanden etabliert sie eine neue Interaktionsplattform, mit Potenzial zur nachhaltigen Etablierung und Vertiefung von vertrauensvollen und partnerschaftlichen (Kunden-)Beziehungen einer neuen Qualit~it in einem ,,erpressungsfreien" Ambiente, in fruchtbarer Distanz zum klassischen Farbengeschgft. Wichtig hierbei ist, ,,(...) dass die ,,Ink Academy" nicht werblich tatig ist ftir die Huber Gruppe, sondern als neutrale Dienstleistung der hubergroup einen so genannten erpressungsfreien Kontakt zu den Kunden managt. Wir wollen als Profis, als Wissenschaftler,

~309Siehe auch Sekun&irquelle[4]-01/2004, wo dieser Slogan aufder Titelseite vorgestellt wurde. 1310[Int_HR031010], w 1311Fiir einen 0berblick siehe z. B. Kraemer und Klein, 2001, S. 8ff. Das derzeit wohl popul~irsteModell ist das 5-Stufen-Modell von Deiser, 1998, S. 46, an das sich auch die Konzeptionierungim Teilprojekt ,,Service Excellence"anlehnte. J3~zReferenten dieser Schulungen oder Tr~iger dariiber hinausgehenden Leistungen sind vorrangig Mitarbeiterlnnen der Huber Gruppe. Z. T. werdenjedoch auch, insbesonderefiir nicht-technischeThemen, externe Referenten eingebunden(vgl. Sekund~quelle [35]-2005, S. 50ff.).

222

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

dastehen, als Leute, die wirklich Know-how rfiberbringen und indirekt Image ftir die Huber Gruppe maehen. ''1313 Diese Basis nun gilt es zu nutzen. Die n~ichste Rolle der ,,Ink Academy" ist die des lnnovationsmotors fiir die Huber Gruppe: Einer Plattform zur Institutionalisierung von Kundenn/ihe und des Lernens tiber und mit den Kunden - und Basis eines Prozesses des permanenten Dialoges und Innovierens. Ziel ist, ,,(...) dass wir aus dem Dialog mit den Teilnehmem in Workshops etwas lemen, den Markt und die Leute dadurch besser kennen lernen, in diesem erpressungsfreien Ambiente sozusagen. ''1314 Uber das partnerschaftliehe L e m e n in Seminaren und Workshops hinaus soll die ,,Ink Academy" auch die Plattform bieten for dedizierte Irmovationsworkshops mit Kunden oder organisationstibergreifende Innovationsinitiativen. Wobei es auch hier die z. T. ja komplett neuen (externen) Zielgruppen zu beachten gilt, wie z. B. Werbeleiter, Verleger oder Markenartikler als ,,(...) das Klientel der Kunden unserer Kunden. ':315 Schlief31ich - als mittel- bis langfristig ausgerichtete Rolle - soil die ,,Ink Academy" auch die organisatorische Basis eines ,,enabling context" zum nachhaltigen strategischen Wandel zum innovativen bzw. innovierenden Dienstleistungsftihrer sein: ,,Die ,Ink Academy' ist der Motor, der in seiner ureigensten Aufgabe tiber Dienstleistungen nachdenkt, (...) diese Gedanken, diese Funken an die Organisation weiter gibt und damit die Organisation in diesen Prozess mit einbezieht, (...) in einer Spirale, die immer weitere Kreise zieht. 'd316 Die Rollenbezeichnung als ,,enabling context" vermag dies zu unterstreichen. Der Begriff stammt aus dem Bereich des organisationalen Lernens unter einer Wissensperspektive und bezeichnet einen ,,(...) shared space that fosters emerging relationships. (...) such an organizational context can be physical, virtual, mental, or - more likely - all three. ''1317 Zugrunde liegt die lJberzeugung, dass effektive Wissenserzeugung a u f einem geeignet entworfenen Kontext basiert, den es organisatorisch zu gestalten gilt. Damit wird deutlich, dass die ,,Ink Academy" nicht nur Innovations-, sondern auch Wandelmotor zur DienstleistungsRihrerschaft sein sollte. Zentrale Idee der Realisierung war, parallel zur Finalisierung des konzeptionellen Teils des Projektes bereits inkrementell Implementierung und Rollout der ,,Ink Academy" zu betreiben. Als wichtigster Handlungsbedarf in Form eines kombinierten ,,top-down"- wie ,,bottom-up"Ansatzes wurde die organisationale Verankerung der ,,Ink Academy'' in die Huber Gruppe, die Erarbeitung eines Feedbacksystems sowie die Realisierung eines Marketingkonzepts fiir die ,,Ink Academy" anvisiert. Die ersten beiden Punkte lohnen an dieser Stelle eine detailliertere Erfrterung. Sie ful3en auf dem Punkt, dass ,,[d]as Irmovieren von

1313 [Int_HR 030826], w 1314[Int_HR 030826], w siehe auch w ,,(...) wir schaffen eine kreative Kultur, wo wir die Kunden mit einbeziehen, und in dieser kreativen Umgebung fallen uns gemeinsam Dinge ein, was machen wir fiir euch, ihr braucht's es, wir machen es Rir euch, hier ist es." 13~5[Int_HR, 040720], w Dieses Zitat weist dabei auch auf die mit der Vision 2000 initiierte strategische Priorisierung des Verpackungsmarktes bin und das damit einhergehende und als notwendig erachtete breitere und tiefere Verst~indnisder Kundenstrukturen und -beziehungen. 1316 [WS_HR 030224], w 1317Von Krogh et al., 2000, S.7.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

223

Dienstleistungen eigentlich die Rolle des LAM [ist], der er aufgrund seines R6hrenblickes (mit Fokus auf Farb-Produkte, Anrn. d. Verf.) bisher nicht nachgekommen ist. 'a318 Versteht man die ,,Ink Academy" nicht nur als Schulungszentrum sondem vor allem auch als Ohr zum Kunden und somit als Innovationsmotor von Dienstleistungen und Produkten, stellte sich unumganglich die Frage, wie diese eigenstandige Institution in die Organisations- und Innovationsstruktur der Huber Gruppe integfiert werden kann. Es gait ,,(...) die Schnittstellen zum Innovationsmanagement so zu entwickeln, dass LAM, LAT und die Ink Academy nicht nebeneinander her agieren, sondern Projekte in integrativer Form gestalten. 'a319 Ein Feedbackprozess sucht diesen Aspekt zu adressieren, verdichtet und berichtet fiber die Leiterin der ,,Ink Academy", die zugleich Leiterin des LAT sowie Mitglied im LAM ist, regelmal3ig innovationsrelevantes Feedback an den LAM (als potenziell zentrales Innovationsorgan). ,,Das Extrakt des Lernprozesses der Ink Academy gilt es (analog zu der Ver~Sffentlichung des Lerneffektes aus E-Projekten in Form der ,wissenschaftlichen Offentlichkeit') dem LAM und seinen Mitgliedern zu pr'asentieren und vorzustellen (halbjahrlich). Der LAM hat dann die Aufgabe und Herausforderung in einem kreativen Prozess zu diskutieren und zu entscheiden, was sich hieraus ergibt, was damit gemacht werden kann und soll. ''132~

Problematisch stellte sich der anfangliche Versuch heraus, aus Synergiegrfinden den vorhandenen Vertrieb der Huber Gruppe zu nutzen: ,,(...) auf dem Hintergrund der existierenden Kultur des klassischen Druckfarbenvertriebs, geht's tats~ichlich nicht. Mit denen, und im engen Kontext mit Druckfarbenverkauf und kostenlosem Service, geht's nicht. Weil, die fallen jedes Mal um, wenn ein Kunde sagt, ,des gibt's doch nicht, dass ihr da Geld dafiir wollt, soviel muss ich euch doch wert sein' (...). Das war dann die Geburtsstunde, wenn es iiberhaupt Sinn machen soll, muss es was ganz was Eigenstandiges werden. ''132~ ,,Und die erpressungsfreie Kundenbeziehung ist, du bist mein Kunde, beliefern tun dich andere. Aber wir reden mit dir darfiber, welche Probleme hast Du, k6nnen wir dir da helfen, interessiert uns das, hast Du Probleme, die mehrere Leute haben, wenn Du eine einzelne Sachlage hast, dann kann man Unternehmensberatung spielen, wenn wir aber feststellen, bestimmte Dinge kommen in bestimmten Zeitabst~inden h~iufiger vor, dann kann man es fiber die ,Ink Academy' 16sen, und sagen, wir laden euch ein zu einem Workshop, dann k6nnt ihr miteinander und voneinander lemen. 'a322 ,,Ich glaube, dass das Image, das wir fiber die ,Ink Academy' kreieren k6nnen, deutlich angezweifelt wfirde, wenn ich es fiber den normalen Vertrieb kreiert h~itte.'a323

1318[WS_MHMIOM 030224], w 1319[WS MHM_IOM030224], w 1320Sekund~rquelle [36], S. 41. Dies steht partiell im Widerspruch zur Interpretationder Rollen von LAM und LAT in Abschnitt 3.3.2.2. 1321[Int_HR 030826], w 1322[Int_HR030826], w17. 1323[Int HR 030826], w

224

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

Eine gebiihrenpflichtige, also bepreiste Ink Academy (und nur tiber eine solche l~isst sich die erwartete Deckungsbeitragslticke direkt adressieren), konnte nut losgel6st vom Produkt Druckfarbe existieren. In Konsequenz organisierte man die ,,Ink Academy" als eigenst~indiges Profit Center. Sie sucht ihre Leistungen separat zu vertreiben, nutzt den klassischen FarbenVertrieb lediglich zur kommunikativen Vermittlung des eigenen Leistungsangebots an bestehende Produkt-Kunden. ,,Das einzige Problem das wir da haben in der Praxis ist off, dass die gleichen Leute Referenten der Ink Academy sind, (...) wie solche, die im Vertrieb t~itig sind. ,d324

Resiimee Wohl der herausragendste Erfolg der Ink Academy f'tir die Huber Gruppe ist, dass der Beweis inzwischen schon erfolgt ist, dass man Dienstleistungen verkaufen kann: ,,Also dartiber, dass es geht, redet keiner m e h r " ) 325 Und die Frage, ob Dienstleistungen als Erg~nzung des Vertriebsprogramms die n6tige Differenzierung bringen und die erwartete Deckungsbeitragslficke schlieBen k6nnen werden? ,,Die Vision ist, dass es geht. Aber ob es geht, das k6nnen wir in 5-7 Jahren sagen. Und dann ist immer noch die Frage, wenn's nicht geht, ob man es nur falsch gemacht hat. Es kann der Grundansatz falsch sein, oder die Umsetzung falsch. ''1326 Der praktische Versuch ,,Ink Academy" wird zeigen, ob sich die Vision der Huber Gruppe bewahrheitet und ob der Weg der richtige war. Die ,,Ink Academy" als Motor eines institutionalisierten Innovationsmanagements f'dr Dienstleistungen betont, dass das Entwickeln oder Innovieren von Dienstleistungen sich nicht im kontextfreien Raum abspielt, nicht nur die stereotypische Abfolge von Verfahrensschritten unter Einsatz passender Methoden und Tools sein k a n n . 1327 Sie betont auch, dass das Innovieren nicht ohne Lemen und Kreativit~it passieren k6nnen wird, ftir Mitarbeiterlnnen wie f'tir Kunden und andere Partner) 328 Und sie betont, dass es gegeniiber den Kunden hierftir ein ,,(...) Kunden-Lieferanten-Verh~iltnis auf[zu]bauen [gilt] von anderer Qualit~it", erpressungsfreie Kundenbeziehungen. Die ,,Ink Academy" sollte, so wurde in der Abschlussver6ffentlichung zum Projekt formuliert, 1329 ein interessantes Modell bieten k6nnen, wie der

1324 [Int HR 030826], w 1325 [Int_HR 030826], w 1326 [Int_HR 040126], w m7 Siehe hierzu auch das im Rahmen des Leitprojektes entwickelte Modell, das auf theoretisch konzeptioneller Basis sehr anschaulich die Prozessualit~it und Ganzheitlichkeit des yon der Huber Gruppe gew~ihlten Ansatzes des Managements yon Innovieren, mit der ,,Ink Academy" in der Mitre als zentralen Innovationsmotor, zum Ausdruck bringt. 1328 ,,(...) wir schaffen einen Prozess der Kreativit~it.(...) N~imlich ich schaffe einen Raurn, ein Forum, wo man attBerhalb des Tagesgesch~iftssich zuriicklehnen kann, auch als Kunde der ,Ink Academy' oder der Huber Gruppe, und sagen kann, hier kann ich, wenn ich will, Probleme ~iullern,und u. U. kriege ich, wenn ich will, von der ,Ink Academy' oder von anderen Serninarteilnehmem die entscheidenden Ideen, dass ich sage, jetzt mache ich es bei mir so und so." [Int_HR 030826], w 1329Vgl. Ringer et al., 2004.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

225

,,enabling context" eines solchen Interaktionsraums zum Innovieren, L e m e n und zum Wandel zum Dienstleistungsftihrer gestaltet werden kann. 3.3.2.4 Relevante Themen im Fokus A u f der Basis des mit der Vision 2000 initiierten bzw. forcierten Wandels in den Rollen von Marketing und Innovieren bei M H M und der damit theoretisch abgeleiteten Relevanz des Forschungsinteresses wurde im Laufe der Explorationsphase M H M als Zielunternehmen der Empirie dieser Arbeit gewahlt. 133~ Dieser Wandel sei anf~inglich noch einmal rekapituliert, bevor das Forschungsinteresse fiber - aus der Empirie der Explorationsphase emergierte relevante Themen aus Sicht der Organisation er6rtert und ausdifferenziert wird. 1331 Diese relevanten Themen und ihre empirische Relevanz sollen dann flir den weiteren Forschungsprozess die Richtung weisen, die Basis far die Formulierung der Forschungsfragen und eines geeigneten Forschungsdesigns ftir die Vertiefungsphase bilden (siehe Abschnitt 3.3.3). Die aktive Begleitung von M H M tiber die Explorationsphase von fiber 2 V2 Jahre und vertiefte Einblicke in den vertikalen wie horizontalen Kontext, Kunden- und Konkurrenzuntemehmen inklusive, sollen hierzu die Basis bilden.1332 Das im Absclmitt zu den Forschungslficken vorgestellte, bereits in einem Konferenz-Beitrag mit positiver Resonanz pr~isentierte Model11333 legt eine mit gewandelten Rollen yon Marketing

und

Innovieren

zunehmende

Relevanz

der

Integration

und

effektiven

Zusammenspiels nahe.1334 A u f Basis dieser theoretisch abgeleiteten Relevanz erfolgte in der Explorationsphase das ,,purposeful sampling ''~335 yon M H M als Empirieunternehmen ffir diese Arbeit. Denn hatte M H M den Wandel in Innovieren wie Marketing in den letzten Jahren bereits aktiv betrieben, sollte mit der Vision 2000 und ihren Zielen der Marketing- und Dienstleistungsflihrerschaft, flankiert

vonder

angestrebten Markt~hrerschaft

in

der

Verpackung, der Wandel in diesen beiden zentralen Funktionen dezidiert forciert werden. Ausgangspunkt vor der Vision 2000 war also im Innovieren die bereits eingeffihrte MatrixProjektorganisation fOr Forschung und Entwicklung, im Marketing die, in traditioneller Beurteilung, Betonung der Verkaufs- und Vertriebsfunktion, 1336 ohne eine Marketing-

1330Siehe Abschnitt 3.1.3.1 zum ,,sampling". 1331Zielsetzung der Explorationsphase war es, neben der Etablienmg eines Netzwerkes an vertrauensvollen Beziehungen, ein informierteres Niveau des Verstehens zu erreichen, das zur Formulierung relevanter Themen fiir die Vertiefungsphase beffihigt. 1332Siehe Abschnitt 3.1.3.1 zum ,,sampling" der Explorationsphase, Abschnitt 3.1.3.2 zu den eingesetzten Methoden bei den in Summe 65 Forschungskontakten. 1333Vgl. Schaller et al., 2003a. 1334Siehe Abschnitt 2.1.5. 1335Patton, 1990, S. 169ff. 1336Diese traditionelle Beurteilung propagiert im Kern eine echte organisatorische Institutionalisierung des Marketinggedankens, indem ,,(...) alle Marketingaktivit~iten - einschlieBlich denen des Verkaufs - der Marketingabteilung direkt unterstellt sind und dieser ein dementsprechendes Mitspracherecht bei allen wichtigen Unternehmensentscheidungen einger~iumtwird." (Meffert, 2000, S. 1067)

226

3. Rekonstruktion ,,empiricaljourney"

abteilung ffir formal organisierte Marketingaktivit/iten. 1337Mit der Organisation 2001 und der ,,Fiihnmg durch Lenktmgsausschfisse" fiber die neuen Gremien LAM und LAT wurde bereits eine strukturelle Umsetzung der Vision 2000 angestoBen. Der LAM ist als zentrales Innovationsorgan vorgesehen, llir Farbe und ftir Dienstleistungen. Ziel ist es, sich hin zu einem ,,integrativen Marketing" als ,,untemehmens- und marketingorientiere[m] Ffihrtmgskonzept" zu entwickelnJ 338 Marketing wird also als marktorientiertes FiJhrungskonzept und aktivit~itsorientiert verstanden. Dauerhafter Markterfolg und Untemehmenserfolg, so findet sich formuliert, krnne nur durch ein Zusammenwirken aller, bei einem dauerhaften ausgewogenen Abgleich aller Zielgruppen im Untemehmen wie bei Kunden und Zulieferem erreicht werdenJ 339 Zentral im Fokus der MaBnahmen zur Vision 2000 stand der angestrebte kulturelle Wandel. Auch mit diesem Anspruch, aber dariiber hinausgehend, widmete sich das (Teil-)Projekt ,,Service Excellence" der Institutionalisierung eines Innovationsmanagements (ftir Dienstleistungen). Einher ging hier, im Prozess der konzeptionellen Entwicklung und Umsetzung, ein gewandeltes Innovations-, aber auch Organisations- und Wandelverst/indnisJ 34~ Grob, in einer ersten Analyse (detailliert wird hierauf in Abschnitt 3.3.3 und insbesondere in Kapitel 4 eingegangen werden) kann also ein vom MHM-Management aktiv betriebener oder initiierter Wandel in den Rollen von Marketing und Innovieren konstatiert werden, der der theoretisch prognostizierten Richtung im bezeichneten Modell entspricht. Nun sollte auf Basis der in der Explorationsphase entwickelten ,,theoretical and empirical sensitivity" die empirische Relevanz des Forschungsinteresses aus der Sicht von MHM errrtert werden krnnen wie auch eine detailliertere Ausdifferenzierung des Forschungsinteresses hinsichtlich relevanter Themen mrglich geworden sein. Grundlage bildet die Auswertung der breiten Datenbasis an Feldnotizen, Transkripten, Interview-Memos, erganzt um die Sekundardaten der Dokumenten- und Aktenanalyse. Die Auswertung erfolgte fiber eine in der qualitativen Forschungspraxis fiblichen Mischform aus deduktiven und induktiven Elementen. Am Anspruch nach Offenheit und Flexibilit/it orientiert riicken ffir diesen Abschnitt dabei induktiv aus der Datenbasis emergierende Codes und Kategorien in

1337MHM hatte friiher einmal einen ,,(...) eigenen Marketing-Mann eingestellt", was nach Aussage der Gesch/iftsftihrung aber nicht funktioniert hatte ([Int_SP 040603], w In Bezug auf das traditionelle Marketingparadigmaund das 4P-Konzeptdorniniertedie Vertriebsorganisationals Sachfunktionder zweiten Hierarchieebene, mit eingegliederten Verkaufsabteilungen. Die Zustandigkeit ftir Werbnng war beim technischenEinkauf eingegliedert(vgl. Sekund~irquelle[ 12]). 1338Sekund/irquelle[25], S. 8; siehe auch Sekund/irquelle[33], S. 17. 1339Vgl. Sekund~irquelle[25], S. 9. 1340Siehe Abschnitt 3.3.2.3.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

227

den Vordergrund) 341 Im Kern emergierten drei Kategorien an Codes fiber die Datenanalyse der Explorationsphase, die sich als ,,in-vivo"-Codes 1342 folgenderma/Sen bezeichnen lassen: 1. ,,erpressungsfreie Kundenbeziehungen"1343, 2. ,,existierende Kultur des klassischen Druckfarbenvertriebs ''1344 und 3. ,,Strategiechance Wandel ''1345. Diese Punkte seien im Folgenden naher ed~iutert. Am eindringlichsten von allen drei Themen zeigt sich wohl das der ,,erpressungsfreien Kundenbeziehungen ". Ausgangspunkt ist die grunds~itzliche, strategische Bedeutung der Qualitgt von Kundenbeziehungen, ,,[a]lso h6here Preise kriegt man nicht durch die Qualitgt der Produkte, sondern eher durch die Qualit~it der Kundenbeziehungen. '4346 In der Position zwischen Grol3chemie und Grol3abnehmem werden Kundenbeziehungen dabei vielfach als ,,erpresserisch empfunden". 1347 Darin liegt dann wohl auch begrtindet, dass man ,,(...) immer einen riesen Respekt vor den Kunden gehabt [hat]. ''1348 Aufgabe der ,,Ink Academy" als Ergebnis des Teilprojektes ,,Service Excellence" und in ihrer Rolle als Interaktionsplattform soil nun - in Bezug auf Ktmden - die nachhaltige Entwicklung von ,,erpressungsfreien Beziehungen" sein. Neben dem damit verbundenen Imageaspekt wird dies als Voraussetzung gesehen far Lernen und Innovieren fiber und mit den Kunden, ist das Ziel (der ,,Ink Academy") doch, ,,(...) dass wir aus dem Dialog mit den Teilnehmern in Workshops etwas lernen, den Markt und die Leute dadurch besser kennen lernen, in diesem erpressungsfreien Ambiente sozusagen."1349 Der zweite aufgef'tihrte ,,in-vivo"-Code, ,,existierende Kultur des klassischen Druckfarben-

vertriebs "', bezieht sich nun auf einen Ziel- wie Problembereich der Vision 2000. Zielbereich, weil der Vertrieb in der Vision 2000 explizit genannt worden war als einer der kundennah operierenden Bereiche, der einen elementaren Beitrag zur langfristigen Untemehmens-

1341Zum Ansatz der Datenanalyse siehc Abschnitt 3.1.3.3. Das deduktiv vorgegebene hierarchische Kategoriensystem wurde prim~ir zur Deskription des Forschungsprozesses der Explorationsphase genutzt und lehnte sich ausgepfiigt an ,,content, context and process" (siehe Abschnitt 3.1.2.1) des Projektes ,,Service Excellence" an. 1342Vgl. Strauss, 1984, S. 29, oder auch Kuckartz, 1999, S. 791". Unter ,,in-vivo"-Codes werden nach Strauss Begriffe verstanden, die yon den Akteuren selbst verwendet werden und die einen unmittelbaren, durch kcine Theorie verstellten Zugang zu der Sichtweise der Akteure erm6glichen. 1343 Siehe z. B. lint HR 030826], w 1344 Siehe z. B. [Int_HR 030826], w 1345 Siehe z. B. Sekund~irquelle[13], S. 15ff. 1346[Int_HR 040126], w J347 Herr Ringer (Gesch~iftsflihrerund Teilinhaber von MHM, Anna. d. Verf.) betonte im Feedback, dass die ,,erpresserische Kundenbeziehung" aus Kundensicht ein normales Verhalten sei. Es gehe also nicht datum, den Kunden zu ~indem, sondem die eigene Einstellung in der Kundenbeziehung (vgl. [IntSP 040603]Memo, S. I). 134s [Int_HR 030826], w 1349 [Int_HR 030826], w

228

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljoumey"

sicherung leisten muss) 35~Zielbereich auch, weil in der ,,Organisation 2001" tiber den LAM und die Vertriebsorganisation die neuen strategischen Ziele der Marketing- und Dienstleistungsftihrerschaft adressiert werden sollen, wie auch die Priorit~iten-Neufestlegung der Verpackung] TM Problembereich nun, weil insbesondere der Vertrieb als zentraler Manager bzw. Gefangener der bisherigen erpresserischen bzw. erpresserisch empfundenen Ktmdenbeziehungen gilt. Problembereich auch, weil sich in der Analysephase des Projektes ,,Service Excellence" gezeigt hatte, dass ,,[d]as Innovieren von Dienstleisttmgen eigentlich die Rolle des LAM [ist], der er aufgrund seines R6hrenblickes bisher nicht nachgekommen ist. ''135z Im Teilprojekt ,,Service Excellence" wurde folglich nicht der existierende Vertriebskanal Nr die Etablierung der ,,Ink Academy" gew~ihlt. Denn auch ,,(...) das Image, das wir tiber die ,Ink Academy' kreieren k6rmen, [wtirde] deutlich angezweifelt, wenn [wir] es tiber den normalen Vertrieb kreiert h/itte[n]. ''1353 So muss es nicht tiberraschen, dass Herr Ringer beim KickoffMeeting hier als Feedback gab, dass die ,,'Ink Academy' die Schule des Lebens flir den Vertrieb sei", im Sirme eines Wandelmotors far den Vertrieb. Der Vertrieb bekgme also die neue Form der Kundenbeziehungen quasi vorgeftihrt und vorgelebt und wiirde begreifen, dass es auch anders ginge.1354 Eine Interpretation dieser ersten beiden Codes l~isst nun das Forschungsinteresse dieser Arbeit aus der Empirie der Explorationsphase als relevantes Thema aus Sicht von MHM emergieren (siehe Abbildung 51).

Abbildung 51: Forschungsinteressesals relevantesThema aus Sicht der Organisation

1350Vgl. Sekund~irquelle[13], S. 18. 1351Vgl. Sekund~irquelle[18], S. 14. 1352[WS_MHM IOM 030224], w 1353[Int HR 030826], w 1354Vgt. [Int SP 040603]-Memo, S. 1.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

229

Die ,,second-order conceptions" des Autors auf Basis obiger aus der Explorationsphase emergierter Codes und Konstrukte sieht die Schnittstellenthematik von Marketing und Innovieren als relevantes Thema aus Sicht der Organisation: Der Vertrieb als zentraler Agent der Institutionalisierung des Marketings bei MHM ist ,,Manager" der erpresserisch empfundenen MHM-Kundenbeziehungen. Die ,,Ink Academy" soil aus Sicht des Gesch~iflsFtihrers Wandelmotor flir den Vertrieb spielen, die neue Form von erpressungsfreien, partnerschaftlichen Kundenbeziehungen vorFtihren. Die Beziehung zwischen Vertrieb und ,,Ink Academy" zum Ende der Explorationsphase zeigte sich aber gespannt, stief5 sich der Vertrieb doch mehrfach an dem am langfristigen Imageautbau orientierten Neutralit~itanspruch der ,,Ink Academy" und suchte sie fiir seine Zwecke zu instrumentalisieren. 1355 Weiter fortgeschritten hinsichtlich des mit der Vision 2000 angestrebten Wandels zeigt sich das Innovieren. Das Beispiel eines E-Projektes zu migrationsfreien, Ftir Lebensmittel-Faltschachtelverpackungen geeigneten Farben f'tihrt bereits, auch unter Einbezug der ,,Ink Academy", die Offmmg Ftir andere Kunden vor, unter Einbezug von Lieferanten, Markenartiklern, Agenturen und anderen Netzwerk-Partnern. 1356 Die ,,Ink Academy'' als Agent des Innovierens und des Wandels, so wie sic im Teilprojekt ,,Service Excellence" konzeptioniert wurde, sucht zudem lernf~ihige und partnerschaflliche Beziehungen als Grundlage des Innovieren auch mit Kunden zu entwickeln. Unschwer ist auf dieser Basis das angespannte Verh~iltnis zwischen Vertrieb (als Agent des Marketings) und ,,Ink Academy" (als Agent des Innovierens) zu sehen, ihre verschiedenen Formen und Qualit~iten von (Kunden-)Beziehungen und die damit einhergehenden wohl divergierenden Selbstverst~indnisse. Dies Ftihrt zur vom Autor konstatierten (und als Feedback in beiden Kickoff-Meetings best~itigten) cmpirischen Relevanz der Schnittstellenthematik, als Ausgangspunkt Ftir Forschungsfragen und die Empiric der Vertiefungsphase. Weitere Detaillierung neben obiger Interpretation vermag der dritte aufgeFtihrte ,,in-vivo"Code, ,,Strategiechance Wandel", zu leisten. Ausgangspunkt ist, dass die Huber Gruppe in ihren Bemiihungen fiber Allianzen die als fehlend bezeichneten strategischen Elemente einzubringen bis zum Ende der Explorationsphase nicht erfolgreich war, man sich den Strukturwandel also nicht ersparen konnte, sondern sich selbst ,,(...) an den Haaren aus dem ,strategischen SumpC ziehen'a357 musste. Der Code bezieht sich nun auf die tiber die Vision 2000 explizierte und adressierte Tragweite des angestrebten Wandels, dass es - wie spater der zweite Gesch~ifisflihrer Herr Einsiedler betonte - die ,,(...) ganze inhere Organisation dementsprechend um[zu]stellen''135s gelte. ~359 Auch deutlich wird jedoch nicht nur der

1355Siehe z. B. [Int_HR 031010], w ,,Und wir ziehen ja absichtlichdas Image so unabh~ingigdavon auf, dass keiner sagen kann, die ,Ink Academy' ist eine Werbeveranstaltung der Huber Gruppe. Da passen wir peinlichst darauf auf, dass es das nicht wird. Weil dann kommt n~imlichkeiner mehr." 1356Vgl. [Int_HR 031010], w Dieses E-Projekt lief w~hrend der Explorationsphasean und wurde am Rande mitverfolgt. In der Vertiefungsphase wurde dieses Projekt als eines von mehreren Irmovationsvorhaben n~iheruntersucht, siehe Abschnitt 3.3.3. 1357Sekund~irquelle[13], S. 12. J3ss [Int_RE 040720], w siehe ~ihnlichauch [Int_HR040720], w

230

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Umfang des angestrebten Wandels, sondem einhergehend das Bewusstsein der Dauer des Wandclprozesses: ,,Das Geheimnis sind immer die Menschen, die in Gottesnamen sich so schwer tun, sich zu ver~indem. Und die Vorgesetzten sind Menschen die Angst haben. ''136~ Demzufolge kann das Forschungsinteresse auf Basis der empirischen Relevanz der ertrterten ,,in-vivo"-Codes weiter ausdifferenziert werden, den Aspekt des Wandels (wie in der zentralen Forschungsfrage schon vomeweggenommen) in die weitere Vertiefung der Empirie, die detaillierten Forschungsfragen und das Forschungsdesign der Vertiefungsphase zu integrieren. 3.3.3

Vertiefnngsphase - Integration von Marketing und Innovieren

Dieser Teil der prozessualen Rekonstruktion widmet sich der Vertiefungsphase, also der Kemphase der auf dem Ansatz der longitudinalen Prozessforschung basierenden empirischen Forschung dieser Arbeit. War die Zielsetzung der Explorationsphase, ein informierteres Niveau des Verstehens zur Formulierung relevanter Themen und Forschungsfragen zu erreichen, gilt es ~ r die Vertiefungsphase nun hierauf geeignet aufzusetzen. Ziel der Vertiefungsphase ist es, im Sinne einer induktiv-theorieentwickelnden Konstruktionsstrategie weiter fortzuschreiten bis hin zum Ziel dieser Arbeit, einer ,,middle-range substantive theory" als Beitrag zum Aut'bau einer (neuen) Marketingtheorie. 1361 Trotz des hochgradig iterativen und vernetzten Charakters des Theorienentwicklungsprozesses muss sich die Darstellung dieses Prozesses dabei natiirlich einer linearen Form beugen. Wie in der Einleitung zur prozessualen Rekonstruktion dargelegt, wurde daher ~ r die textuelle Darstellung ein zweistufiges Design gew~ihlt. Den ,,first-order conceptions" zur Vertiefungsphase, also den Phanomenen der sozialen Realit~it und ihren Interpretationen der Sicht der Beforschten in deren Alltagsbegriffen 1. Ordnung, widmet sich neben dem vorherigen (zur Explorationsphase) auch dieser Abschnitt, w~ihrend dann hierauf autbauende ,,second-order conceptions" und gegenstandsbezogene und schliefSlich partiell verallgemeinerte Theorien erst in Kapitel 4 entwickelt werden sollen. 1362 Im Unterschied zur ,,change agent"-Rolle des Forschers in der Explorationsphase wird fiir die Vertiefungsphase, dem Forschungsansatz gem~il3, die Rolle als ,,Experte einer anderen Wissenskultur" bzw. als ,,Laie" gew~ihlt. 1363

1359Dieser Umfang an angestrebtem strukturellemwie kulturellem Wandel zeigt sich auch eindrucksvollin der Gegeniiberstellungvon alter Kultur und Vision 2000, siehe Abschnitt 3.3.2.2, Abbildung46. 1360[Int HR 030826], w 1361Siehe Abschnitt 3.1.1 zur theorieentwickelndenForschungsstrategiedieser Arbeit 1362Vgl. Van Maanen, 1983, S. 39ff., Glaser und Strauss, 1998, S. 41ff. 136aVgl. Bogner und Menz, 2002a, S. 62f.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

231

Expforatlonsphaee Teilprojekt,Se~ice Excellence"

2,.

understanding A second-order concepts firsborder concepts I' i 1 descriptive member properties interpretations initial research interest / questions

preunderstanding Abbildung 52: Forschungsstrategie der Vertiefungsphase Der Begriff der Vertiefung betont, in Bezug zum V-F6rmigen Design des Theorieentwicklungsprozesses, das fokussierende Aufsetzen auf der Explorationsphase und den hieraus abgeleiteten relevanten Themen und Forschungsfragen. Dieser Aspekt wird so auch vom Forschungsdesign der Vertiefungsphase reflektiert, das von einem triangulierenden mehrdimensionalen ,,sampling" in der Gegentiberstellmag der Marketing- und Irmovierenfunktion und einem zunehmend fokussierenden Einsatz der Methoden gepr/igt ist. 1364 Auf Basis dieses ,,samplings" wurden in der Vertiefungsphase 30 Expertlnneninterviews (sieben davon mit ausgepr/igtem Feedback-Charakter hinsichtlich der Theorieentwicklung) und 11 teilnehmende Beobachtungen fiber vier Hierarchieebenen, acht Funktionsbereiche, drei Ftihrungsgremien und drei Proj ekte durchgeFtihrt.1365 Allen Beforschten der Vertiefungsphase wurde absolute Anonymit~it zugesichert, Verweise erfolgen demnach im Weiteren nur noch auf Funktionsbereiche] 366 Der Ansatz zum Zeit-,,sampling" ist Explorations- und Vertiefungsphase gemein. Die ,,real time analysis" der Vertiefungsphase kniipft nahtlos an die Explorationsphase an (bzw. iaberlappt leicht) und umfasst den Zeitraum von 10/2003 bis 10/2004. In erster Vertiefung des Forschungsinteresses sucht der in diesem Abschnitt dargelegte deskriptive Teil der Vertiefungsphase folgende Forschungsfragen zu beantworten:

1364Siehe Abschnitt 3.1.3.1. zum ,,sampling"-Ansatz der Vertiefungsphase, Abschnitt 3.1.3.2 zu den eingesetzten Methoden der qualitativen Organisationsforschung und ihren Auspr/igungen. ~365Siehe zum initialen ,,sampling"-Rahmen Abschnitt 3.1.3.1, Abbildung 29; hierOber hinaus wurden Interviews rnit den Bereichen Werbung, Key Accounting und Produktion geFtihrt. Abgerundet wurde dies durch die Forschungskontakte der Abschlussphase, ein Interview (mit Feedbackcharakter) und zwei Feedbackworkshops, die hier jedoch vorerst nicht im Fokus stehen sonen. 1366Die Verweise lauten dabei fiir Interviews jeweils [Int_I/Mx], wobei I ftir den Bereich trmovieren, M fib den Bereich Marketing und x ftir einen beliebig gewahlten Identifikator innerhalb der dort durchgeffihrten Interviews steht. Das Suffix ,,Memo" bezeichnet dann das zugeh6rige Interview-Memo. Teilnelunende Beobachtungen werden analog mit [Beo lfMx) bezeichnet.

232

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

2.

Wie stellen sich aus Sicht der MitarbeiterInnen Organisation& Wandel zentraler Marketing-und Imaovationsfunktionenbei MHM dar?

3.

Was sind aus Sicht der MitarbeiterInnen die zentralen In-/Effektivit~tenin Marketing mad Irmovieren und deren Zusammenspielbei MHM?

Die

Gliederung

orientiert

sich

am

holistisch-prozessualen

und

kontextualistischen

Forschungsansatz, wie auch dem hieraus abgeleiteten triangulierenden dyadischen Design, wie es in Abbildung 53 mit Bezug auf diesen Abschnitt dargestellt ist. MHM-Kontext

Abbildung 53: Design des deskriptivenTeils der Vertiefungsphase Abschnitt 3.3.3.1 widmet sich der Fortschreibung der Kontextualitgt, aus der Sicht der beteiligten Akteure im Forschungsfeld. Die Abschnitte 3.3.3.2 und 3.3.3.3 fokussieren dann die Fragen nach der Organisation der Funktionen Marketing und Innovieren auf Basis der entsprechenden Funktionsbereiche 1367, auf der Grundlage eines netzwerkartigen und beziehungsorientierten Verst/~ndnisses, in historisierender Einbettung. Die beiden Abschnitten zugrunde gelegten Szenarien, Regelbetrieb in 3.3.3.2 und Innovieren in 3.3.3.3, subsummieren dabei, in ihrer funktionalen wie aktivit~itsorientierten 12rberlappung (siehe Abbildung 53), bereits die interessierenden Aspekte des Zusammenspiels von Marketing und Innovieren. Abschnitt 3.3.3.4 nun widmet sich dann explizit der Forschungsfrage 3, also den aus Sicht der Beforschten zentralen In-~ffektivit~ten in Marketing, Innovieren und deren Zusammenspiel. Abschnitt 3.3.3.5 sucht die Vertiefungsphase zusammen zu thssen.

3.3.3.1

Vertiefungsphase in ihrer Kontextualitiit

Wie einleitend bereits dargelegt, widmet sich dieser Abschnitt der Fortschreibung der Kontextualit~it. Haben sich die Abschnitte zur mittelstSandischen Industrie, zur Druck(farben)industrie im Wandel und zur Huber Gruppe wie Michael Huber Mfinchen im Wandel bereits vertikal wie horizontal dem Forschungsinteresse angen~ihert, soll dies hier aus Sicht von MitarbeiterInnen in den Funktionsbereichen Marketing und lmlovieren zum Abschluss gebracht werden. Datengrundlage dieses Abschnittes seien ausschlieBlich die im Rahmen der Vertiefungsphase durchgef'lihrten ExpertInneninterviews und ihre tiber deduktiv

1367Siehe Abschnitt 3.1.3.1 zum initialen ,,sampling"-Rahmendieser Arbeit.

3.3 ProzessualeRekonstruktion

233

am Leitfaden orientierte Kategorien ausgewerteten Transkripte 1368 sowie die deskriptiven Teile der hierzu verfassten Interview-Memos. Grundlage ist der einleitende Frageblock des Leitfadens zu ,,strategischen Kontextinformationen", bezogen auf die Branche und Huber, aber auch schon auf Marketing- und Innovieren-Philosophien und -Strategien.1369

Branehe und Huber, Entwicklung, Wandel, Strategie und Differenzierung In den Abschnitten 3.2.2.2 und 3.3.1 sind bereits die Entwicklungen der Branche und von Huber auf der Basis von Interviews der Explorationsphase wie von solchen mit Gesch~iftsf'tihrtmg und Funktionsbereichsleitungen der Vertiefungsphase dargelegt worden, lm Folgenden seien, additiv oder korrektiv hierzu zu verstehen, Antworten der HuberMitarbeiterlnnen der anderen Hierarchieebenen aufgef'tihrt. In einer for diesen Punkt in zweiter Ebene induktiven Codierung ergeben sich insbesondere die Kategorien zu Konzentration/Wachsturn/Internationalisierung wie auch, sehr deutlich, zur Konkurrenz. Der Druckfarbenmarkt habe sich analog der Drucktechnologie entwickelt, die sich seit der Nachkriegszeit massiv entwickelt habe. 137~Bis zu den 70er und 80er Jahre wird auch hier betont, gab es relativ wenig Konkurrenzdruck, ,,[a]lso wir waren lange Zeit so eine Insel der GlOckseligen, kann man fast sagen. ':371 Waren diese Jahre von enormen Wachstumsraten wie auch M6glichkeiten zur qualitativen Differenzierung gepr~igt, gehe mit der Reife des Produktes Druckfarbe der zunehmende Preisdruck einher: ,,Wer es am billigsten kann, hat gewonnen". 1372 So muss es nicht fiberraschen, dass eine Fiihrungskraft aus dem Funktionsbereich Marketing die Branche ,,wie ein Haifischbecken" charakterisiert: ,,Jeder versucht, dem anderen die Kunden wegzujagen, ohne Rticksicht auf Verluste. Einfach nur die Preise nach unten senken und den Wert, den wit eigentlich hier mit unserem Geschaft tagt~iglich quasi darstellen, oder leisten, der wird in keinster Weise mitverkauft. ''1373 Bei der Frage nach der Entwicklung von Huber, finden sich die Beziige zur Branchenentwicklung wieder genannt, hat die Huber-Gruppe durch ,,ihre expansive Politik" diese Entwicklung doch ,,sehr gut hinbekommen", 1374 hat sich den Gegebenheiten v o n d e r Marktseite angepasst 137s und wurde ,,(...) von einer kleinen Druckfarbenfabrik, doch zu einem Weltuntemehmen wenn man so will. ''1376 Sehr viele Interviewpartner betonen hierbei, h~iufig mit BezOgen zur Gesellschaftergruppe und Huber als Familienunternehmen, ,,(...) dass unsere Gesellschafter, dass die Familie wirklich investiert ins Untemehmen, und auch in Zeiten

1368Siehe Prozessschritt4 der Datenanalyseund Theorieentwickhmg,Abschnitt 3.1.3.3, Abbildung40. 1369Siehe Abschnitt 3.1.3.2, Abbildung32, zum Konzept des Leitfadens, bzw. Anhang B.4. J370Vgl. [IntS4], w und [Int M7], w

1371[Int_S4],w 1372[Int_I9], w siehe ahnlich z. B. [Int M6], w und w 1373[Int_M4], w 1374[Int_S4], w 1375Vgl. [Int_G1], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_M4], w 1376[Int_I7], w

234

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

investiert, in denen man also nur liest: hier Entlassungen, da Entlassungen, Einsparungen, Kiirzungen, Schliel3ung von Standorten, was auch immer, da investieren wir richtig grol3e Betr~ige.''1377 Beschrieben wird Huber mehrfach als ,,(...) ein charakteristisches mittelstandisches Untemehmen. Ein Familienunternehmen vom Auibau her", mit dem vielfach ge~iufSerten Wunsch, ,,so lang wir m6glich unabh~tngig [zu] bleiben". 1378 Einher geht, dass es ,,(...) keine sehr ausgepragten Strukturen gibt, also so dieses, Hierarchiedenken ist eigentlich relativ niedrig, wiirde ich sagen. Das ist so etwas, das, charakteristisch ist Ftir Huber Ftir mich. Mit all den Vor- und Nachteilen". 1379 Bei der Charakterisierung von Huber, finden sich ,,zwei Gesichter des Unternehmens" in den Kommentaren wieder: ,,Auf der einen Seite recht bodenst~indig, familienorientiert, und auf der anderen Seite international offen. ''138~ In diesem Kontext zeigt sich dann die Bandbreite aus ,,vorsichtiger Politik, (...) man startet nicht unbedacht in irgendwelche Abenteuer", 1381 und durchaus groBer Bereitschafi, unter Risiko neue Dinge einzugehen, schnell Entscheidungen zu treffen, t382 Vielfach positiv betont werden der ,,(...) sehr menschliche, Umgangston, und einer, ftir mich, sch6nen Art, aufeinander zuzugehen", 1383 und das Zusammengeh6rigkeitsgeftihl, ,,(...) weil man nicht ganz so grol3 ist oder nicht so eine winzige Sparte in einem riesen K o n z e m ist". 1384 Auch das AuBenverh~iltnis wird derart charakterisiert: ,,Was uns sehr sehr positiv hervorhebt, traue ich mir sagen, wir sind sehr ehrlich. Und, also ich sehe das positiv, weil den Mund sehr voll nehmen und danach zurtickstecken zu miissen, das empf'~nde ich pers6nlich wahnsinnig peinlich, und auf solche Dinge haben wir uns eigentlich nicht g e m eingelassen. ''1385 Huber hat dabei ,,(...) in vielen Bereichen, nicht in allen Bereichen, aber doch in vielen Bereichen einen sehr guten Ruf, einen sehr guten Namen. Also mit dem Namen wo er hin geht, dann sagen die Kunden oder die potenziellen Kunden schon, jawohl, den Huber den kennen wir als einen verl~isslichen Partner, hat eine gute Technik und macht gute Produkte. Sind zwar nicht die billigsten, aber gut, k6nnen wir draufbauen, ist t'tir uns ein verl~isslicher Partner. ''1386

1377 [Int_S4], w 1378 [Int_I6], w siehe z. B. auch [Int_S4], w ,,Eigenst~indigzu bleiben. Sehe ich als einen ganz wichtigen Punkt flit uns." 1379[Int_M1], w Als Beispie! ist angemerkt, dass es durchaus vorkommen kann, dass sich ein Gesch~iftsfiihrer um operative Tagesprobleme meint kiimmem zu miissen. 1380 [Int_S4], w 1381 [Int $4], w SchlieBlichso betont dieser Interviewpartner auch, habe man keinen Gesch~iftsffihrer,der sich profilieren miisse. 13s2Vgl. [Int_M1], w oder [IntS4], w 1383 [Int_I3], w siehe z. B. auch [Int M5], w ~384[Int I6], w siehe ahnlich z. B. [Int_I7], w [Int I6], w [Int_M5], w [IntI8], w [Int I9], w [Int_M7], w 1385 [Int_I6], w 13s6 [Int_M8], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_I3], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

235

Mit Nachdruck von zahlreichen Mitarbeiterlnnen unterstrichen wird, dass sich Huber beziiglich des Statischen, Traditionellen, Vorsichtigen im Wandel befindet, ,,[m]itten im Quantensprung (...), yon einer sehr traditionell festgefahrenen Schiene, auf eine sehr stark innovationsbetonte Schiene. Wir sind in einem richtigen Change, in einem richtigen Umbruch, oder AuI'bruch. ''1387 Betonen die einen hierbei den Wandel zur Innovationsorientierung, 1388 unterstreichen andere den Wandel zu verstarkter Kundenorientierung, ,,(...) von einer wirklich so einer traditionellen, starren Firma, auf ein, auf dem besten Weg zu einer flexiblen, offenen, servicebewussten, kundenorientierten, wie soll ich sagen internationalen Unternehmen. ''1389 Das Konservative, das j ahrelang gepflegt wurde, werde abgestreift, j edoch nicht ohne Kritik einiger Mitarbeiterlnnen an Beharrungstendenzen, an ,,statischen Eigenschaften", ,,(...) da eben auch einige dabei sind, die nicht so leistungsbereit sind. Die muss man mitziehen ganz klar und, da st613t man auf seine Grenzen teilweise. ''139~ Die Frage nach der aktuellen Vision und Strategie von Huber wird mit ausgepragter lJoereinstimmung beantwortet: ,,Die Strategie ist eigentlich ganz klar, wir m6chten starker in den Verpackungsmarkt. Wir m6chten da auch eine Ftthrerschafl iibemehmen, Qualit~it und Dienstleistung. Und unseren Fokus auf den Verpackungsmarkt setzen und weg von dem breiten Markt, d e r j a natiirlich sehr angegriffen und umk~mpft ist". 1391 ,,Und, Huber h a t j a die Strategie, dass er einer von den kleinen, aber unersetzbaren Anbieter werden m6chte. ''1392 Bei der Frage danach, wo Huber in ~ n f Jahren steht, wird der Aspekt der Eigenst~indigkeit mehrfach genannt. 1393 Verwiesen wird auf die l~lbemahmen von mittelstandischen Wettbewerbern, von Schmidt durch Flint, und auch die jtingste von K & E durch eine intemationale Investorengruppe: 1394 In den Ausblicken genannt wird aber auch Zuversicht, dass sich ,,(...) Huber mit Sicherheit in f'tinf Jahren, noch ein ganz grol3es Stack weiterentwickelt (...) sich Huber mit Sicherheit, eine gute Position auf dem Markt, verschafft", 1395 dass man in Bezug auf Qualitat und Kundenfreundlichkeit immer wieder mal eine Position gut mache am

1387 [Int_I2], w siehe auch [Int_II], w [Int G1], w [Int_I1l]-Memo, S. 1, [Int M3], w [Int $4], w oder auch lint_G2], w 1388Vgl. [Int I2], w 1389 [Int_M3], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_M6], w 1390 [Int I3], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_I7], w ,,Weft,ja weil einfach das alt gewachsene, das immer schon gut war usw. da ist, und so festgehalten wird, dass zwar viele vielleicht behaupten, wir wollen uns ver~indem, und wir wollen irgendeine Zielrichttmg oder Zielsetzung erreichen, und machen es aber nicht, sehe ich schon so." 1391 [Int_I5], w siehe ahnlich z. B. [Int_M4], w [Int II0], w [Int I9], w 1392[Int_I9], w Zum Teil wird der Anspruch nach Marktfiihrerschaft hinterfragt und zuriickhaltender formuliert: ,,Ich glaube, vonder Erwartung her gibt es kein Anstreben yon Marktflihrerschaft, so sch6n wie das auch genannt wird. Ich denke, Position sichern ist im Moment, also von meinem Empfinden her, ist ist das Ziel Position sichern. Auch wenn es nach auBen bin anders propagiert wird, aber ich, meine Position sichern ist das Ziel. Als Mediumgewicht, also als Mittelgewicht in der Branche, nicht unter die Rader zu kommen und seinen Namen zu behaupten." [Int_I3], w17; siehe ~ihnlichz. B. [IntM8], w 1393Vgl. [Int_S4], w [Int_I6], w 1394Vgl. [Int_I6], w [Int_S4], w 1395 [Int_M2], w

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3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

Markt. 1396 Auch erw~ihnt wird z. T. die weitere Intemationalisierung, ,,(...) dass sich das Hauptgesch~tfi doch im Export abspielen wird", 1397 breit aufgestellt, international zu bleiben, Ful3 zu fassen auf neuen M ~ k t e n , Zukunftswachstums-M~irkten, was ja schon mit Erfolg gemacht werde zum Teil. 1398 Betont wird die Notwendigkeit, ,,(...) weiterhin innovativ zu bleiben, neue Produkte, mit neuen Produkten an der Entwicklung dran zu bleiben. ''~399 Optimistisch sch~itzt ein Mitarbeiter aus dem Marketing-Funktionsbereich die nahe Zukunfi ein, ,,(...) wenn wir uns mit unserer MGA, nur als Highlight, als Highlight-Produkt, werm wir uns da durchsetzen, (...) dann sehe ich uns was die Qualit~it und dann den Preis auch, dann sehen wir uns, oder ich uns schon ganz vorne, also als Innovator, ganz vorne. ''14~176 Bei den Fragen zur Differenzierung oder Positionierung gruppieren sich die Antworten im Kern um drei Punkte abgehoben: Hubers Serviceorientierung, die guten Beziehungen zu den Kunden und die Qualitat der Produkte. Ausgangspunkt ist die Produkte und deren Qualit~it, ,,[w]enn sie keinen guten Produkte haben, k6nnen sie den Rest schon mal vergessen. 'a4~ Zum Teil wird betont, dass Huber hier, im Offsetbereich, Vorteile habe: ,,(...) wir haben, zum GroBteil die bessere Qualit~it". 14~ Preislich sch~itzt man sich teurer ein als die Konkurrenz: ,,Huber hat gute Ware. Das ist mir also immer, wird mir immer wieder mal bestatigt (von Kunden, Anm. d. Verf.). (...) Wenn es um Preisgeschichten geht, dann ist, muss ich nicht unbedingt bei Huber kaufen. ''14~ Im Zentrum nahezu aller Anworten steht aber der Service: ,,Ja ich glaube dieser Kundenservice, das ist eines unserer Vorteile. Der Kunde kaufi, weil wir ihm auBer der Farbe, die er im Prinzip von jedem anderen genauso kriegen kann, auch eine entsprechende Serviceleistung, auch eine entsprechende Hilfestellung geben k6nnen. Oder geben wollen. Das heiBt, wir haben Know-how, das wir f'tir ihn zur Verf'tigung stellen. Das er mitbenutzen kann, in Anfiihrungszeichen, wovon er profitieren kann. Und ja, ich glaube, das ist auch eines der Argumente warum, warum ich als Kunde heute bei Huber kaufen wtirde. ''14~ Service als Briicke zu Beziehungen wird von einer Mitarbeiterin aus dem Funktionsbereich Innovieren betont: ,,Also die guten Beziehungen der Aul3endienstmitarbeiter, der kaufm~innischen Auf3endienstmitarbeiter zum Kunden versuchen wir also sehr

1396Vgl. [Int_M5], w w 1397 [Int M6], w 1398Vgl. [Int $4], w 1399[Int_S4], w 14oo[Int M8], w MGA, ein laufendes M-Projekt f'tir auf erwartete EU-Gesetze ausgerichtete mirgrationsarme Farben flit Lebensmittel-Faltschachtelverpackungen, steht bei den sp~iterenFragen zur Innovativit~itdann auch im Zentrum. Dieses Projekt wurde fOr die Vertiefungsphase ausgew~ihltund findet sich demnach in Abschnitt 3.3.3.3 detaillierter dargestellt. 14o~ [Int M8], w 14o~[Int_M5], w ~4o3[Int_M2], w siehe zum Preis z. B. auch [Int_M5], w 14o4 [Int_M1], w siehe ~mlich z. B. [Int__I5],w [Int_I6], w [Int_M3], w [Int_M5], w [Int_I8], w [Int_M7], w [Int_M8], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

237

hoch zu halten, und d r u m versuchen wir also seit Jahren schon i m m e r mit Service zu arbeiten. ,,14~ M a r k e t i n g - , , K u n d e n p a r a d i e s "14~ i m W a n d e l

Dieser Unterabschnitt n u n bezieht sich a u f die Antworten zu den Fragen nach Marketingstrategie und diesbeziJglichen Status quo aus Sicht der Mitarbeiterlnnen) 4~ Einleitend sei die Marketingstrategie von einer Fiihrungskraft aus d e m Funktionsbereich lnnovieren dargelegt: ,,Unsere, eigentlich mal wichtigste Marketingstrategie heute heil3t, wir verkaufen nur das, was wir wirklich k6nnen, und wir haben, wir definieren ein Vertriebsprogramm, das wir fitly Wert halten zu verkaufen trod yon d e m wir iiberzeugt sind, dass w i r e s tats~ichlich beherrschen und dass wir damit Geld verdienen k6nnen. U n d dass verkaufen wir. U n d wir verkaufen nicht (nur, A n m . d. Verf.) das, was der K u n d e will. ''14~ Ein mehrfach erwahnter Punkt ist auch, dass ,,(...) 16sungsorientiert verkaufi wird. Also in d e m halt hier v o n d e r klassischen Farbe, w e g g e g a n g e n wird und das halt zusatzliche L 6 s u n g e n ftir den K u n d e n verkauft werden". 14~ Dies gelte es dann auch d e m K u n d e n zu vermitteln: ,,Ja, und das ist das, wo ich sage, da fangt eigentlich ein gutes Marketing auch an, dass m a n d e m K u n d e n verkOrpert, verklickert, klar macht, hier du kriegst nicht nur die Farbe s o n d e m noch so und soviel Peripheres mit dazu, was aber auch was kostet. 'a41~ W i e kundenorientiert sch/itzen die Mitarbeiterlnnen Huber ein? Die Einsch~itzungen z u m Status quo lauten unisono, dass Huber als ,,sehr kundenfreundlich", 14H oder gar ,,extrem kundenorientiert 'a412 beurteilt wird. ,,Ja, w e n n sie sagen kundenorientiert, also ich wOrde sehon sagen, dass wir sehr gute enge Kundenkontakt haben, und a u f den K u n d e n zugehen, und den auch abholen, u n d wissen was der g e m e h~itte und was der will". 1413 Ein anderer Mitarbeiter

formuliert

dies

atmlich:

,,Ich

glaube

wir

k6nnen

uns

es

nicht

leisten

kundenunfreundlieh zu sein. Das ist unser Gesch/ift. Das ist auch eines unserer Ziele einfach, Service zu bieten, den Kunden, (...), seinen Bedarf, seine Wiinsche zu erf'tillen und da gibt es schon, ich denke in der Hinsicht sind wir schon sehr kundenfreundlich. ''1414 ,,Ein Problem, das

14o5 [Int_I6], w ~ao6 [Int_S2], w ~4o7FiJr diesen und den nachsten Unterabschnitt werden dabei auch die Antworten der Funktionsbereichsleitungen und der Gesch/iftsfiihrer wieder hinzugenommen, da in den vorderen Teilen zur Kontextualit~itauf die fokussierten Aspekte noch nicht eingegangen worden war. 14o8 [Int_II], w 14o9[Int_M4], w siehe ~ihnlichz. B. lint M3], w w [Int M6], w 1410[Int_M4], w siehe auch [Int M6], w ,,(...) man m6chte natiirlich dem Kunden ein Komplettangebot geben, man m6chte dem Kunden so viel wie m6glich um den Preis drum rum noch mitgeben, sei es an Service, sei es an Produktqualit~it." 14u [Int_Ml], w 1412 [Int I5], w Siehe zur Einsch~itzungdes status quo auch z. B. [Int_I4], w [Int_M1], w [Int I6], w [Int_M6], w [Int_I9], w lint_M7], w lint_M8], w 1413 [Int_I7], w 1414 [Int MI], w

238

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

sicher nichts mehr mit dem Drucken zu tun hat, das vielleicht auch nur noch ganz am Rande rnit der Farbe was zu tun hat, wir kfimmem uns teilweise darum. Das so weit, dass wir teilweise Kontakte haben zwischen dem Endabnehmer und uns oder dem Maschinenhersteller und uns, ohne den Kunden. 'a415 Auch hinsichtlich der Zielsetzung sei Kundenorientierung das Motto, das auf dem Banner stehe. Beispielsweise werde hierzu ,,(...) auch sehr viel Geld investiert in die in die Technik, in die AuBentechnik". 1416SchliefSlich sei dies Huber-Standard, Unterschiede zur Konkurrenz wtirden sich in den Nuancen zeigen: ,,Die Frage ist dann immer wer, welche Kompetenz hat der, f~thrt nur der Verkaufer mit, um seinen Kunden zu zeigen, ich bin f'tir dich da, oder kommt irgendwo ein Techniker aus Miinchen oder jemand, der Ahnung hat davon, und wie intensiv verfolge ich das dann. Versandet das dann ganz schnell oder ist da jemand da, der sich da auch drum ktimmert und das dann auch 1/Sst oder, da glaub ich sitzen Nuancen drin. ''1417 Sehr ausgepr~igt wird bei diese Einschgtzungen zur Kundenorientierung aber auch Kritik ge~iufSert, ein Umdenken gefordert und das Unternehmen als im Wandel befindlich beschrieben. Hierauf sollte (aus Sicht der Interviewten) auch die einleitend ge~iul3erte Marketingstrategie hinweisen, aufdiesen angestrebten grol3en und umfassenden Wandel. Lange Zeit war es Strategie, mit der man auch sehr erfolgreich war, ,,(...) wenn der Kunde was wollte, wir haben das gemacht. 'a418 Verwiesen wird auf Zeiten, wo man es sich noch leisten konnte, ,,(...) auch wochenlang an irgendwas rumzupr6beln, und das dann vielleicht doch nicht hinzukriegen. ''1419 Heute, so wird von dieser Fiihrungskraft betont, ,,(...) funktioniert [das] schlicht und ergreifend nicht mehr. Die Kapazit~iten hat man nicht, das Geld hat man auch nicht. 'a42~ Andere Ftihrungskrafte formulieren das ahnlich, ,,(...) Kunde sagt, was braucht er, wir machen. Also das war unsere frtihere Kundenorientierung. Unsere jetzige Kundenorientierung ist eher, von uns raus die, die Denke, was braucht der Kunde, was brauchen wir, was wollen wir, also mehr in dem Kontext. ''1421 Unterschiedliche Einschatzungen werden geguBert, wie weit man in diesem Wandelprozess sei, wobei die Meinung iiberwiegt, dass es ,,(...) nach wie vor und im breiten Rahmen gang und gabe list], dass ein Vertriebsmitarbeiter zum Kunden geht und sagt, was m6chtest Du denn geme haben. Und dann erz~ihlt er uns alles das, was er von den anderen nicht kriegt. Und das sind meistens irgendwelche Exoten. Und damit kommen die Leute dann heim und sagen: Macht mal. Start das ich sage, pass auf, ich habe ein Programm und ich bin wirklich gut in dem und dem und dem Produkt, warum willst Du das nicht von mir kaufen? Na, und da kann ich dir gute Konditionen bieten, weil wir da, was weil3 ich, automatisierte Produktion haben, wie auch immer, na. Also das ist jetzt alles ein bisschen schwarz-weifS, also, aber und ich denke es ist ein riesig grofSer Lemprozess,

1415[Int_M1], w 1416[Int_M5], w 1417[Int_M1], w 14~8[Int I1], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int $2], w J4w [Int_I1], w (beide Zitate). 142o[Int_I1], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_I9], w 14Zl[Int_I2], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

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tats~ichlich zu sagen, pass auf, das ist unser Selbstverst~adnis, das ist auch unser Selbstbewusstsein, da sind wir gut, da k6nnen wir locker hingehen, da brauchen wir uns auch nicht zu ftirchten, werm Stm Chemical auch ein gutes Produkt hat. ''1422 Der aktuell eingeschlagene Weg sei dabei durchaus kundenorientiert, aber anders kundenorientiert, und ,,fiir das langfristige Wohl der Firma ist der aktuelle Weg, den wir jetzt gehen, der bestimmt bessere. ,,1423 Wandel gelte es aber auch zu leisten hinsichtlich mit der Ausrichtung auf den Verpackungsdruck einhergehender neuer Zielgruppen. Bisher sei man auf das Klientel der Drucker eingeschossen, nun ,,(...) mtissen [wir] eine Organisation schaffen, die, die tiberhaupt in der Lage ist, mit einer komplett neuen Zielgruppe, zu verkaufen, n~mlich den Markenartiklern."1424 I n n o v i e r e n - k o n s e r v a t i v mit I n n o v a t i o n s k r a f t

In Analogie zum vorherigen Unterabschnitt bezieht sich das Folgende auf die Antworten zu den Fragen nach Innovationsstrategie und diesbeziiglichen Status quo. 1425 Die Innovationsstrategie richtet sich, so formulieren es nicht nur beide Geschgftsfiihrer, sondem nahezu alle Interviewten, daran aus, ,,(...) fiir die Verpackungsindustrie, der Gespr~ichspartner zu sein, wenn es um neue Probleml6sungsans~itze geht", 1426 Innovationsftihrer in der europ~iischen Verpackungsindustrie zu sein, ,,(...) jeder Markenartikler, jeder Verpackungsdesigner soil wissen, ohne Huber, werm er da ein Projekt bearbeitet, macht er einen Fehler. ''1427 Ist man bisher also ,,(...) ganz stark offsetlastig vom gesamten U n t e m e h m e n her, sowohl v o m Produktprogramm als auch von der Umsatzstarke, als auch sag ich mal von der Denkweise innerhalb der gesamten Gruppe", 1428 soil der zuktinftige Irmovationsschwerpunkt bei Fltissigfarbsystemen fiir den Verpackungsdruck liegen. Der Fokus soil hierbei auf Konzentratsystemen liegen, das sind Systeme, ,,(...) wo aus universell gestalteten Konzentraten m6glichst viele Farbklassen oder Farbeinstellungen abgeleitet werden k 6 n n e n " ) 429 M a n arbeite derzeit im Fltissigfarbenbereich noch viel zu Einzelkunden- und Einzelrezeptur-bezogen, was zu nur begrenzten Kenntnissen fiber Anwendungsbreite und -tiefe fiihre, und den Know-howUnterschied zttrn Offset-Bereich begrtinde. 143~ Der aktuelle Innovations-Schwerpunkt liegt

1422lint I1], w 1423[Int_I9], w siehe iihlich z. B. [Int_I2], w 1424[Int_G2], w 1425Ftir diesen Unterabschnitt werden dabei (analog zum vorherigen) auch die Antworten der Funktionsbereichsleitungen und der Geschiiftsffihrer wieder hinzugenommen. 1426 [Int G2], w 1427[Int_G2], w (beide Zitate); siehe iihnlich z. B. auch [Int_G1], w [Int_II], w 1428 [Int_I1], w 1429[Int_I1], w Der Mitarbeiter flihrt weiter an: ,,Diese Konzentratausrichtung sei ziemlich spezifisch flit die Gruppe, ,,(...) die gibt's in anderen Untemehmen in der Form teilweise, aber hie so ausgepr~igt." 1430Vgl. [Int_I1], w

240

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

also auf der ,,Sanierung des Produktsortiments ''~43! mit Fokus auf das Segment Verpackung. Auch adressiert in einigen Interviews wurde das Thema der Innovationskooperationen. Man sei hier nach Ansicht einer Mitarbeiterin ,,[e]xtrem often (...) [und] [w]enn sich M6glichkeiten bieten, denke sehon, dass es sehr clever genutzt wird. ''1432 Eine strategische Ausrichtung hinsichtlich Innovationskooperationen gebe es jedoch nicht, ,(...) in aller Regel, sind es Zuf~ille, sind es gute Ideen, sind es irgendwelche Blitze, die aufiauchen und die man dann verfolgt", ~433beziiglich des Einbezugs von Entwicklungspartnem. Wie innovationsorientiert sch/itzen die Mitarbeiterhmen Huber ein? Das Gros der Antworten beschreibt Huber als ,,sehr innovativ" bis z. T. sogar ,,[v]on der Technik aus gesehen extrem innovativ"1434: ,,Wenn ich das vergleiche jetzt europaweit also mit den europ/iisch agierenden groBen Druekfarbenherstellern, dann sind wir da was die Innovationskrafl angeht, mit an der Spitze. ''1435 Mehrere Meinungen unterstreichen aber auch, dass Huber hier ein eher konservarives Unternehmen sei, ,,(...) und dass man vielleicht in manchen Dingen ein bisschen schwerf~illig reagiert, ist vielleicht ein bissehen der Nachteil. ''1436 Dies sei auch die Sicht der Kunden auf Huber diesbeziiglich, wie eine Fiihrungskrafi aus dem Funktionsbereich Innovieren zusammenfasst: ,,Ne, also ich denke Huber wird als sehr innovativer Partner eingesch/itzt, und wird auch als ein sehr kompetenter Partner eingesch/itzt. Sagen wir so, in der Innovation vielleicht nicht immer der schnellste. Das denke ich nicht. Also von wegen Ruckizucki und machen wir geschwind, dass sicher nicht. Aber mit einem sehr fundierten und konstanten Know-how in der Entwicklung. 'a437 Zum Teil differenzieren die MitarbeiterInnen auch hinsichtlich der oben bereits erw/ihnten Produktbereiche und Anwendungsfelder, Huber geh6re ,,(...) zu den Innovativsten im Bereich der Offsetverpackung", habe aber ein groBes Defizit und hohen Aufholbedarf ,,(...) im Bereich der Verpackungsfarben f'tir flexible Verpackungen, sprich im Bereich Verbundverpackungen, die speziell im Tiefdruek und Flexodruck gedruckt werden. ''1438 Als Beispiel Rir die Innovativit/it gebracht wird mehrfach MGA, das bereits erw~ihnte Projekt im Verpackungsbereich, ,,(...) MGA zeigt, dass wir in einem Segment wieder enorm innovativ sind. ''1439 Grunds/itzlich g6nne man sieh viel Zeit for Entwicklung, ,,(...) andere Firmen im Druckfarbenbereich leisten sich diesen Luxus nicht.''144~ Die Teehniker im Hause seien hierbei ehrgeizig und neugierig, ihr K6nnen beweisen zu

1431[Int I2], w 1432[Int_II0], w siehe/ihnlich z. B. [Int I2], w 1433[Int_I1], w 1434[Int_II0], w 1435[Int_I4], w siehe ahnlich z. B. [Int_G1], w [Int I1], w [Int_I10], w [Int M1], w [Int_M4], w 1436[Int_I6], w 1437[Int_I1], w siehe ~ihnlichzur Kundenwahmehmungz. B. [Int_M3], w 1438[Int_Gl], w siehe/ihnlich differenzierend[Int_M7], w [Int_M8], w [Int_I1], w [Int_I4], w 1439[Int_S4], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_M8],w [Int_M3],w [Int M1], w [Int_I8], w 144o[Int_II 0], w16.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

241

dtirfen, auch natiirlich im Vergleich zur Konkurrenz. 1441 A u f den Begriff der Innovation zielt ein Mitarbeiter, gelemter Druckermeister, ab, wenn er darauf hinweist, dass ,,[das] Produkt, das wir erstellen, rein v o n d e r Aul3erlichkeit her kein sonderlich innovationsfreudiges Produkt [ist]." Innovationen wtirden i. d. R. ,,(...) von der maschinentechnischen Seite her" angefordert. Rezeptierungen k6nnten durchaus innovativ sein, ,,(...) aber ich glaube nicht, dass der Markt das als, enormes Innovationspotential aufnehmen kann, weil ihrn der Unterschied nicht bewusst sein wird. ''1442 Folge sei, dass das einzige Feld fiir Innovationen, wo man sich noch abheben k6nne, der Dienstleistungssektor sei. In Bezug auf die Aspekte Wandel und Historie betont eine FiJhrungskraft aus dem Funktionsbereich Innovieren, dass man heute ,,(...) was das gesamte Know-how betriflt, innovativer [ist] als vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren hat man spontan Kundenwiinsche erf'fillt, was der irgendwie wollte, ich denke wir sind heute viel konsequenter. In dem tats~ichlich was zu lemen und das dann umzusetzen. Und nicht bloB nichts zu lemen und eine Farbe zu machen. ''1443 Kritischer beurteilt dies ein anderer Mitarbeiter des Innovationsbereichs, man bewege sich ,,(...) auf dem Weg innovativ zu werden". 1444 Eine weitere Ftthrungskraft aus dem Funktionsbereich Innovieren verweist darauf, dass man bereits einen sehr starken Wandel vollzogen habe, von personenbezogener Entwicklung hin zu mehr Teamarbeit und st~keren Einbezug mehrerer Mitarbeiter. Friiher habe man Spezialbereiche gehabt, in denen die Entwicklung stattgefunden hat. ,,Das haben wir aufgel6st und sind mittlerweile in einem Bereich eigentlich, dass wir sagen, Entwicklung findet nicht in einem K o p f statt, sondern findet tiberall im Untemehmen statt. Wir definieren unsere Entwicklung fiber Projekte, setzen die Leute hier entsprechend nach Kompetenzen zusammen und betreiben in der Weise die Entwicklung. Das war ein sehr grofSer Umbruch, insgesamt in der Firma. Ist geistig mit Sicherheit nur teilweise vollzogen". 1445 Der Umbruch habe 1997 eingesetzt und sei organisatorisch 1999-2001 vollzogen w o r d e n ) 446 Eher im Ausblick betont einer der Gesch~iftsRthrer, dass man hinsichtlich der Zielsetzungen in der Verpackungsindustrie eine komplett neue Organisation schaffen mfisse. 1447 Diesbeztiglich miisse man die Bedfirfnisse der Markenartikler verstehen lemen, ,,(...) man muss sich spezialisieren, und muss, viel starker verstehen, was diese Abnehmerindustrie eigentlich wirklich braucht. Und dann kann man denen Produktempfehlungen machen. Aber das sind

144J Vgl. [Int_I10], w siehe ~ihnlichz. B. auch bei [Int_S2], w ,,Und da haben beide Seiten eigentlich mit ihren Part drin gehabt, einmal natiirlich die Vertriebsleute, die den Input gebracht haben, aber die sind nicht die alleinigen, denen man des so in die Schuhe schieben sollte. Es sind auch die Entwickler und Techniker gewesen, die bereitwillig das aufgesogen haben trod sich da eben angetrieben und ihren Ehrgeiz angetrieben gefiihlt haben, zu beweisen, dass sie das k6nnen, olme zu hinterfragen, wie sinnvoll das dann noch ftir den Gesamtbetrieb ist aus wirtschaftlicher Sicht. Das muss man schon ganz klar sagen." 1442 [Int_I3], w (beide Zitate). ~443[Int I1], w 1444 [Int_I5], w 1445 [Int_I2], w 1446 Vgl. [Int_I2], w 1447Vgl. [Int_G2], w

242

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

dann nicht nur Produktempfehlungen, sondem, die gesamte Leistungskette.''x448 Eine Rolle hierbei k6nne die ,,Ink Academy" spielen, dass man Markenartikler und Designer schule, aber aneh sieh an sie wende, ,,(...) um gemeinsam was zu entwiekeln.':449

3.3.3.2

Marketingfunktion - Organisation und Beziehungen

Dieser Abschnitt fokussiert die Frage nach der Organisation der Marketingfunktion bei MHM. Grundlage der deskriptiven Darstellung sind die an den deduktiv am Leitfaden orientierten Codes, die die erste Ebene des hierarchischen Kategoriensystems bilden. Konzept und Struktur des Leitfadens zur Marketingorganisation orientieren sich am netzwerk- und beziehungsorientierten Marketing- und Organisationsverstandnis dieser Arbeit. 145~ In die Datenbasis

dieses

Abschnittes

werden

neben

den

Expertinneninterviews,

deren

Transkriptionen und Memos, auch die teilnehmenden Beobachtungen und deren Feldnotizen im Funktionsbereich Marketing integriert) 451 Dieser Abschnitt adressiert dabei den ersten Teil der Forsehungsfrage 2, also wie sich aus Sicht der Mitarbeiterlnnen Organisation und Wandel zentraler Marketingfunktionen bei MHM darstellen. Sich dem Szenario Regelbetrieb widmend werden zwar z. T. indirekt bereits Aspekte des Zusammenspiels von Marketing und Innovieren subsummiert, explizit wird dieser Aspekt jedoch erst fiber das korrelierende Szenario Innovieren im n~ichsten Abschnitt adressiert werden) 452 Die Feingliederung sucht erst Teilfunktionen des Marketings und

ihre Rollen darzulegen und

das

interne

Zusammenspiel im Szenario Marketing darzulegen, bevor Kunden und Ktmdenbeziehungen sowie die Beziehungen zu weiteren extemen Netzwerkpartnern im Szenario des Regelbetfiebs thematisiert werden.

Teilfunktionen und deren Rollen Mit der Vision 2000 wurden Marketingziel und -verstandnis als ,,integratives Marketing" als ,,untemehmens- und marketingorientiertes FiJhrungskonzept" formuliert: ,,Alle wirken zusammen. Wir kommen zu einer Wertbereitstellung fftir interne und exteme Kunden. ''1453 Auf der Basis eines vertieften Verst~ndnisses nach der Explorationsphase wurden LAM, AWT, TAD, Verkauf und Vertrieb grob unter den Funktionsbereich des Marketings subsummiert. 1454 Der Fokus soll, dort wo dahingehend organisatorisch differenziert wird, der Vision 2000 gemaB

1448[Int G2], w 1449[Int_G2], w 1450SieheAbschnitt3.1.3.2 zu Konzeptund Struktur des Leitfadensfiirdie Expertlnneninterviews. 1451Auf die Feldnotizen dieser teilnehmenden Beobachtungen wird dabei mit [Beo_Mx] anonymisiert verwiesen,M verweistauf den FunktionsbereichMarketing,x auf die jeweiligeBeobachtung. ~45zDer Einsatz des Szenarios Regelbetrieb erfolgt hierbei lediglich als Hilfskonstrukt, um die Rollen des FunktionsbereichesMarketing und deren operatives Wirken m6glichstplastisch er6rtem zu ktinnen, ohne bereits Aspektedes direkten ZusammenspielszwischenMarketing und Innovierenexplizit zu adressieren. Im Weiteren soil der Einfachheit halber, wo die Differenzierungnicht relevant scheint, vom Szenario Marketing gesprochenwerden. 1453Sekund~irquelle[25], S. 9 (beideZitate). 1454SieheAbschnitt3.1.3.1, Abbildung29.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

243

auf dem Verpackungsbereich liegen) 455 Welche Aufgaben und Rollen werden diesen Teilfunktionen nun von den Mitarbeiterlnnen zugeschrieben? Wie stellen sich diese Rollen in der teilnehmenden Beobachtungen dar, von welchem Selbstverst/indnis gepragt? Welche weiteren Rollen werden u. U. fiir das Szenario des Regelbetriebes genannt und als relevant erachtet? Die

in

den

Expertlnneninterviews

zum

Funktionsbereich

Marketing

eingesetzte

Visualisierung gab in einem Mix z. T. Teilfunktionsbereiche auf Post-its vor (Key Account, Verkauf, AWT, TAD), die erganzt werden konnten, oder fragte often nach den relevanten Parteien im Szenario des Regelbetriebes

wie auch nattirlich nach den Rollen dieser Parteien

und deren Zusammenspiel. Die Bereiche Key Account, Verkauf, AWT, TAD wurden als Kem-Teilfunktionen des Szenarios operatives Tagesgesch/ift bzw. Regelbetrieb in allen Interviews bestgtigt. Erganzt wurden sie h/iufiger um den kaufm~nnischen Augendienst, 1456 sowie mehrfach um den LAM in Bezug zu Marketingsstrategie/-organisation oder die erwahnten Marketing-Post-its) 457 Das Post-it Kunde wurde in allen Interviews als Orientierungspunkt gewahlt, in einem Interview differenziert nach ,,Kunde Druckerei" und ,,Kunde Markenartikler/Verleger ''1458. Die zu fokussierenden Teilfunktionsbereiche seien daher um den LAM und den kaufm/innischen Augendienst erweitert und im Folgenden in ihren Rollen und ihrem Selbstverstgndnis in ,,first-order conceptions" beschrieben. Welche Rolle nimmt der mit der Vision 2000 etablierte LenkungsausschussMarketing (LAM) aus Sicht der Interviewten im Szenario des Marketings ein? 1459 Fiir mehrere der Antwortgeberlnnen ist der LAM ,,nicht so ganz durchschaubar", aber man gehe davon aus, ,,(...) dass die ja was tun da drin, also was uns in der Richtung (Entwicklung hin zu einem st/irkeren Marketing, Anm. d. Verf.) ein bisschen vorwarts bringt. ''146~ Andere Antworten unterstreichen den LAM als letzte Instanz hinsichtlich Entscheidungen in Sachen Marketing oder Marketing werde im LAM kreiert. 1461 Die Idee sei, ,,(...) dass halt Marketing gebiindelt aus dem LAM einfliegen soll. ''1462 Durch den LAM wiirden Zielsetzungen kreiert, die dann in operative Aktionspl/ine miindeten, die wiederum projektbezogen umgesetzt wiirden. 1463

1455Zur Erinnerung: In der Vision 2000 wurde die Marktfiihrerschaft in der Verpackung als eines der Ziele formuliert, siehe auch Abschnitt 3.3.2.1. 1456Siehe z. B. [Int_I3], [Int_I10], [Int_M1], [Int_M6], [Int M5]. 1457Siehe z. B. [Int_I1], lint_S2], [Int_I6], [Int_Ml], [Int M4], [Int_M6]. Z. T. wurden die Kem-Teilfunktionen auch erg~inzt um Produktion ([Int M6], [Int G2], [Int_I8]), Versand bzw. Logistik ([Int_M6], [Int I8], [Int G1], [Int_G2]), Einkauf und Rechnungswesen ([Int_M6], [Int_18]), Ink Academy ([Int_I3], [Int_M5], [Int_I2], [Int_l 10]) oder auch ein Post-it Marketing ([Int_M 1], [IntI 10], [Int M3]). 1458Vgl. [Int_G2]. ~459Siehe auch Abschnitt 3.3.2.2 zur vorgesehenen Rolle des LAM auf Basis von Sekund/irquellen. Und siehe auch den niichsten Abschnitt (3.3.3.3) zur Rolle des LAM im Kontext des Innovierens. 1460 [Int_I6], w (beide Zitate); siehe ahnlich z. B. auch [Int_M6], w w [Int_I8], w [Int M8], w 1461Vgl. [Int_M6], w [Int_M4], w 1462[Int_M4], w 1463Vgl. [Int_M4], w lint_M6], w

244

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

Weitere Aufgabe sei dann die Koordination und Kontrolle dieser Projekte. 1464 Hiermit eng zusammen hangen die Begrtindungen dafiir, warum M H M keine Marketingabteilung habe, n~nlich weil zum einen viele Marketingaufgaben in den einzelnen Abteilungen angesiedelt seien (wie z. B. Versand-, Verkauf- und Werbeabteilung) und zum anderen tiber die strategische Ausrichtung durch den LAM dann Einzelf'dlle in Projekten bearbeitet wtirden. 1465 Ein tiber obige Aufgaben hinaus betonter Aspekt ist der der steuemden Funktion fiir die gesamte Huber Gruppe: ,,(...) und auch das ist, was Neues, man denkt nicht mehr fiir Huber oder Hostmann alleine, sondern wird da, man denkt innerhalb, oder tibergreifend for die Gruppe. Treffen entsprechend in diesem Rahmen, Vertriebsentscheidtmgen, jetzt nicht auf einzelne Kunden bezogen, sondern Projekt-bezogen, Far bestimmte Produktgruppen, -klassen USW.". 1466 A u f Basis von marktlichen Daten und diesbeztiglichen Entscheidungen wtirden

zudem technischen Folgen er6rtert werden, ,,(...) was heil3t das fiir die Technik? Mtissen wit irgendwo, innovativ [werden]? ''1467 In den teilnehmenden Beobachtungen des LAM zeigen sich beide Aspekte, die Diskussion von marktlichen Aspekten, technischen Konsequenzen, mit folgenden Beschltissen von M- wie E-Projekten, sowie die gruppeniJbergreifende Zusammensetzung des LAIVI. 1468 Und auch die Koordinations- und Controllingfunktion wird deutlich tiber Projektleiter bzw. Delegierte, die die Stati ihrer (M-)Projekte vorstellen. 1469 War das Gremium des LAM in Folge der Vision 2000 neu geschaffen worden, erfolgte ftir die Vertriebs- und Verkaufsbereiche in den Jahren 2002/2003 eine umfangreiche Reorganisation, 147~ die es einleitend zu rekonstruieren gilt. Ursprtinglich habe es eine Dreiteilung gegeben: ,,[e]s gab einen Vertrieb Tiefdruck, es gab einen Vertrieb Offset und es gab einen Export. Und dieser war strukturiert, klassisch mit einem Innendienst und einem Aul3endienst. ''1471 Zudem habe es eine geographische Organisation des (kaufmannischen) Auf3endienstes und des Verkaufs gegeben.1472 In Folge der ,,Prioritaten-Neufestlegung" einer Marktfiihrerschafl in der Verpackung in der Vision 2000 habe man dann gesucht, die exteme Kundenstruktur intern abzubilden, zudem sollte ein grof3es Problem der Vergangenheit, die Betreuung dieser internationaler Gruppen, zerschlagen werden. Die Verpackungsdrucker-

1464Vgl. [Int_M4], w 1465Vgl. [Int_M3], w [Int_M6], w Siehe auch den Kommentar einer FOhrungskrafl hierzu ([IntI1], w ,(...) wenn eine Marketingabteilung, jetzt sage ich mal am Vertrieb vorbei agiert, bzw. eine getrennte Abteilung ist vom Vertrieb, dann denke ich, wird das nicht funktionieren. Weil eine gestandene Vertriebsmannschaft, und unsere Vertriebsmannschaft sind wirklich lauter alteingesessene Burschen, die werden sich nicht von einer Marketingabteilung in irgendwo, jetzt sagen wir mal richtungsweisend irgendwo vorschreiben, das wird, das xviirdeschlicht nicht funktionieren." 1466 [Int_I1], w siehe ahnlich [Int_S2], w 1467 [Int 11], w ~46sVgl. [Beo M1], w [Beo_M5], w Der LAM setzt sich aus den Vertriebsleitern von MHM, Hostmann + Stelin, der LAT-Leiterin, einem der Gesch/iftsfiihrerund dem (zukiinftigen) Leiter der Werbung zusammen. 1469Vgl. [Beo_M1], w [Beo M5], w35ff. 1470Siehe auch das Organigramm in Abschnitt 3.3.2.2, Abbildung 47, dort ist bereits diese neue Struktur fox den Funktionsbereich Marketing unter dem LAM dargelegt (Stand 04/2001). 1471 [Int_M1], w 1472Vgl. [Int_M1], w [Int_M3], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

245

Branche zeigte einige Spezifika, denen man begegnen habe wollen, wie bspw. dass ,,(...) eine Druckerei, die Verpackungen druckt, fast zu 90% auch schlief31ich wirklich nur Verpackungen druckt ''1473, und dass Verpackungsdruckereien sich aufgrund der Konzentration innerhalb der Branche zu grol3en, internationalen Druckereien-Gruppen zusammen geschlossen h~itten, die nicht zuletzt zahlreiche verschiedenen Verfahren, Tief- und Flexodruck und auch Offsetdruck vereinten. Die Umstrukturierung resultierte dann in (neben dem Export) zwei Vertriebszweigen, einer f'tir Verpackung und einer for Akzidenz und Offset, mit entsprechendem Niederschlag im Innendienst/Verkauf wie auch im Aul3endienst, wo ftir den Verpackungsbereich das Konzept der Key Accounter neu einge~hrt wurde.1474 Wie werden nun die frisch geschaffenene Key Account (KA) Strukturen gesehen? Die Rolle der Key Accounter wird sehr einheitlich beurteilt, darin in Gruppen organisierte Verpacktmgsdruckereien zu betreuen: ,,(...) und wenn ich jetzt, was weir5 ich, Mayr-Melnhof(Packaging, Anm. d. Verf.) nehme, dann gibt es einen Key Accounter ftir Mayr-Melnhof und der, jetzt sagen wir real, organisiert die komplette Betreuung aller Mayr-Melnhof-Betriebe. Ob die jetzt in Polen, in Ungarn, in Griechenland oder sonst wo sitzen. Der macht das nicht alles, aber er organisiert das. ''1475 Einher gehe damit nicht nur eine Straffung der Ansprechpartner, sondern auch eine wesentlich intensivere Betreuung der Kunden bzw. die Rolle als Scout auf dem Markt und die Notwendigkeit, einen extrem kurzen Draht zu allen relevanten Positionen in der Firma zu haben. 1476 Die Key Accounter seien dabei organisatorisch ,,(...) beim Verkauf mit angesiedelt. Und, so dass der Verkauf weig, was da lauft. ''1477 Vielfach wird betont, die Key Accounter seien ,,am allern~ichsten am Kunden dran ''1478, und damit der erste Ansprechpartner der Kunden. In dieser Rolle seien umfassende Qualifikationen, kaufm~innischer wie technischer Art erforderlich, wie mehrfach unterstrichen wird. 1479 Angemerkt werden jedoch auch die Zust~indigkeiten von Key Accountern ftir Produktsortimente (wie z. B. seit einigen Jahren t'tir Zigarette oder tiber MGA t'tir Lebensmittelverpackungsfarben, oder seit neuerem auch ftir Markenartikler), ,,(...) also Entscheider, die entscheiden, wo gehen Druckauftr~ige hin, wie gehen sie da hin, mit welchen Farben ''148~ In diesen Kontext f~illt dann auch die Selbstcharakterisiereung als ,,Marktmanager". 1481 Dies pragt dann schliel31ich auch das Selbstverst~indnis: ,,Also ich sehe

1473[Int M1], w 1474Vgl. [Int_M3], w [Int_M1], w oder auch Sekund~irquelle[37]. 1475[Int I1], w siehe ~ihnlichz. B. [IntI4], w [Int M3], w 1476 Vgl. lint_M3], w [Int_I2], w [Int_I3], w [Int_I5], w [Int_Gl], w ~477[Int_I4], w 1478[Int_I5], w 1479Siehez. B. [Int_I7], w [Int_I10], w [Int_M7], w [Int_M8], w [Int_G2], w113. 148olint_M8], w siehe ~ihnlich[Int_M5], w [Int_M6], w w 1481Vgl. [Int_M7], w

246

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

mich im Grunde mehr so als Allzweckwaffe, so als Troubleshooter, Allzweckwaffe, Kontaktanbahner, Kontaktemacher. ''1482 Zum Teil kommt in die Betreuung von Verpackungsdruckereien auch noch der regional verankerte (kaufmiinnische) Auflendienst (KAD) hinzu, sei es als Unterstiitzung ftir den Key Account vor Ort, oder als Betreuung, ,,(...) wenn's tats~ichlich irgendwo die kleine Verpackungsdruckerei gibt, die iiberhaupt nirgends dazugeh6rt". 1483 ,,Den kaufmannischen AuBendienst sehe ich als Ansprechpartner, sag ich real, vor Ort eines Kunden, regional, (...) ~ r die die ganze Vor-Ort-Betreuung. ''1484 Dieser KAD ist (organisatorisch) im Bereich Akzidenzdruck angesiedelt. Seine Parallelexistenz zum Key Account beziehe sich auf die historisch gewachsen Strukturen. Wenn also eine Betriebs- oder Druckereileiter ein Problem habe, u n d e r arbeite aufgrund der frtiheren Struktur bereits seit vielen Jahren mit einem Huber-Mitarbeiter vor Ort gut zusammen, halte er nattirlich den Kontakt weiterhin zu diesem. 1485 Im Einklang steht seine Rollenbeschreibung als ,,erstes Glied zum Kunden", als ,,Kontakthalter", und die Betonung von Kundenbetreuung und -pflege als seine zentralen Aufgaben 1486. Sowohl Key Accounts als auch Mitarbeiter des KAD werden dabei als ,,sehr stark technisch besetzt''1487 beschrieben, k~imen die meisten K.As und KADs doch aus dem TAD, ,,das sind ja im Grogen und Ganzen alles Teclmiker. ''1488 Die Rolle des Verkaufs wird erst einmal einheitlich beschrieben als ,,Routine zu organisieren": ,,Kunde ruft an, will was, eindeutig definiert, was er will, dann l~iuft das tiber den Verkauf. ''1489 Eine Ftihrungskraft aus dem Verkauf unterstreicht hierbei Marketing und Service und dartiber hinaus aber auch diverse Projektarbeiten als Nicht-Routine) 49~ Der Verkauf sei Ansprechpartner und Berater zum Kunden, ,,(...) das Bindeglied zwischen, oder der Reprasentant zwischen der Huber Group und irgendwo dem Kunden. ''1491 U n d e r sei Koordinationsstelle f'tir alle Kundenangelegenheiten nach innen. 1492 Ein Satz der in der Art mehrfach f~illt, ,,(...) der Verkauf, also der Innendienst, soil irgendwo, auch das Sekretariat des Kunden und des entsprechenden AuBendienstes oder des Key Account sein. "1493 Die Visualisierungen streuen deutlich in der Rolle des Verkaufs, stellen ihn in den Extrema z. T. als zentrale Drehscheibe dar, mehrfach aber auch - im Kontrast hierzu - am Rande, anderen

1482lint_M8], {}64. 1483[Int_I1], w 1484[Int_M3], w w 1485Vgl. [Int_M4], w [Int_M1], w 1486[Int_M5], w bzw. lint GI], w siehe ~ihnlich[Int_M6], w w 1487[Int I2], w 1488[Int_Ml], w 1489lint I2], w 1490Vgl. [Int_M3], w 1491[Int_M3], w 1492Vgl. [Int_M3], w w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_Gl], w 1493[Int_M3], w nur auf den Kunden bezogen z. B. auch bei [Int_M4], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

247

Teilfunktionsbcreichen eher nachgelagert) 494 Die teilnehrnende Beobachtung im Verkauf konnte insbesondere die zahlreichen Schnittstellen verdeutlichen, sei es fiber EDV-Systeme zur Auftragsvergabe an die AWT oder die Produktion oder telefonisch bspw. zu den K e y Accountern und natfirlich den Kunden. 1495 Was bleibt sind die Anwendungstechnik (AWT) und der technische AuBendienst (TAD), zwei Bereiche, die sowohl bei der Visualisierung als auch bei den Interviews haufig als ,,ein Block", ,,quasi, faktisch, eins ''t496 dargestellt werden, TAD sei ja ein (organisatorischer) Bereich der AWT im Moment. Dies verweist ffir den TAD auf den Aspekt, dass dieser in frfiheren zeiten in den Vertrieb eingegliedert war, er mittlerweile aber an den verschiedenen AWTs angebunden ist. 1497 Als Grfinde t'fir diesen Wechsel werden im Rfickblick pers6nliche Griinde vermutet und eine gewisse Kontrollfunktion der Fakult~it Technik gegeniiber der Fakultat Vertrieb, seien Oberverk/iufer in friiheren Jahren sehr leicht bei der Hand gewesen und h/itten Techniker rumgeschickt: ,,Wenn der Kunde Pieps gemacht hat, dann ist der Techniker losgediist, oder war standig beim Kunden. ''1498 In den letzten Jahren und Jahrzehnten sei jedoch ,, (...) die Starke mehr in die Technik rfiber gewandert. Also aus meiner Sicht waren wir frfiher sehr sehr vertriebsorientiert und sind jetzt mehr, also viel viel s t o k e r technikorientiert. 'd499 Was ist nun die aktuelle Rolle des TAD? Sie wird mit groBer Ubereinstimmung formuliert, ,,[der] TAD ist eigentlich derjenige, der mit der Produktpalette drauBen vor Ort beim Kunden entsprechend a) Troubleshooting macht oder b) entsprechend neue Kunden unsere Produkte mit einffihrt. Und auch den technischen Input wieder in den Bereich mit reinbringt, um Produktmodifikationen durchzuf'fihren.''15~176 Eine F~ihrungskraft formuliert darfiber hinaus noch einen weiteren Punkt, namlich, ,,(...) dritte Aufgabe ist noch, dass er auch Kunden ber~it. Wenn ein Kunde irgendein Problem hat, der den technischen AuBendienstmitarbeiter gut kennt, das ist ganz wichtig, dass da ein Vertrauensverh~iltnis herrscht, dass dann der technische AuBendienst auch vor Ort den Kunden ber~it und sagt wenn du das so und so machst sind deine Erfolgschancen gr6f3er. ''15~ Die Mitarbeiter seien zum GroBteil gelernte Drucker, Meister oder Techniker, was wichtig sei, ,,(...) dass mir draul3en dann keiner was vormachen kann an der Maschine" und dass man sich mit seinen

1494Siehe [Int_M3], [Int_M6], [Int_M4] bzw. [Int_M1], [Int_I3], [Int M8], [Int_G2]. Siehe auch den Kommentar bei [Int I3], w der die Rolle des Verkaufs sieht als ,,(...) reine Sachbearbeitung und sonst iiberhaupt gar nichts anderes." 1495Vgl. [Beo_M3], w 1496[Int I2], w bzw. [Int I3], w 1497Siehe z. B. [Int_M1], [Int_I6], [Int I8], [Int M4], [Int M5], [Int MT]. Siehe auch das Organigramm in Sekund~irquelle [12]. Diese Anbindung an den AWT blieb auch in der Reorganisation der AWT in 10/2004 erhalten, siehe Sekund/irquelle [37]. 1498 [Int_I6], w 1499 [Int_I6], w is0o [Int 12], w siehe /ihnlich z. B. auch [Int_18], w lint_M2], w [Int_M4], w [Int M6], w [Int_G1], w Und so formuliert das auch ein Mitarbeiter des TAD: ,,Und ich bin auch so ein bisschen Verbindungsglied zwischen Kunden vom technischen Bereich her und dem was hier entwickelt wird, oder weiterentwickelt wird, und auch so in verschiedene Projekte involviert." ([Int_M5], w 1501 [Int_I4], w siehe auch [Int_Ml], w

248

3. Rekonstruktion - ,,empiricaljourney"

Ansprechpartnern auf einer Ebene unterhalten k6nne. ~5~ Schliel31ich ginge es darnm, Wissen weiter zu geben und an der Maschine Hilfestellung geben zu k6nnen. Die Abgrenzung zum KAD erfolge tiber grOl]er werdende Anforderungen bei den Kunden, und ,,(...) wenn es in Spezialit/iten rein geht, muss der technische AufSendienst mit eingesetzt werden. Der dann entweder mit dem kaufmannischen AuBendienstler hingeht, oder bei GroBkundenerstbesuche auch der Key Accounter mit hingeht. 'a5~ Die A W/" nun, koordiniert wie eben geh6rt den TAD, ihre Rolle dariiber hinaus sei ,,(...) vorwiegend de[r] Kontakt zum Kunden, v o n d e r

technischen Seite her, also was nicht

unbedingt nur die Verkaufsseite anbetriffi, die Rezeptoptimierung generell, das Bindeglied auch zur Produktion r~ber, und, ja, arbeiten innerhalb von Projekten mit dem Labor zusammen. ''15~ Eine andere Ftihrungskraft aus der AWT formuliert die Zwitterrolle, aus Service und Kundenbetreuung vom Druck auf der einen Seite, ,,(...) lauft die Farbe, warum laufi sie nicht beim Kunden, wo kann man sie verbessern", sowie ,,(...) Bereich intern, dass ich hier ein, natiirlich auch einen rezeptorischen Einfluss habe, um zu sagen, ja gut ich modifiziere jetzt die Farben, dass sie den Vorstellungen der Kunden entsprechen. 'a5~ Der letzt genannte Punkt mtindet in die technische Betreuung der Produktpalette, ,,[a]lso ich habe ein aktives Produktportfolio, das muss ich irgendwo verwalten, betreuen, weiter entwickeln, auf die MOglichkeiten oder die Anforderungen, die der Kunde hat. ''15~ Mehrfach betont wird auch, dass die AWT so definiert sei, ,,(...) dass sie das immer aktuelle Know how der HuberGruppe haben sollte, oder muss. ''15~ Auch die Rolle der AWT gilt es in ihre historische Kontextualitat einzubetten. Ganz friJher habe es Labor und Ausarbeitung gegeben, die AWT sei vor etwa 20, 25 Jahren, tiber Auslagerung von Laboraufgaben entstanden, wobei die Grenze zwischen AWT und Labor fliel3end gewesen sei. ,,Was kann mit praktischen oder mit vorhandenen Bausteinen abgedeckt werden, oder wo brauche ich was Neues? Und das ist damals zum groBen Teil, auch der Kontakt zum Kunden, von den Laborleuten mit abgewickelt worden. 'a5~ Frtiher seien Entwicklung und AWT viel, viel enger miteinander verzahnt gewesen, ,,(...) da war's ja in vielen Fallen gar nicht, gar nicht auseinander zu halten,

1502 [Int_M5], w w siehe iihnlich z. B. [Int_I8], w 1503 [Int_M7], w ~s04 [Int I6], w 15o5[Int_Ml], w siehe ~ihnlich z. B. auch [Int_I3], w [Int_M6], w Der erste Punkt bzgl. des Kundenkontaktes wird dabei durchaus auch anders formuliert beschrieben, die ,,AWT sollte eigentlich nicht direkt mit den Kunden, wird nicht gerne gesehen, sondem fiber den Verkaut~' ([Int_I 10], w iso6 [Int_I2], w K6nne die AWT identiflzierte Schwachstellen im Produktporffolio nicht entsprechend schnell regeln, ,,(...) dann muss die Entwicklung n~imlicheingreifen. Dass, dann muss ich ein Projekt entsprechend generieren." [Int_I2], w Siehe ~ihnlich z. B. [Int_I4], w ,,So ist das definiert, die AWT muss das vorhandene Know how einsetzen, um die Wiinsche, die berechtigten Wfinsche des Kunden, die wir auch akzeptieren umzusetzen, technisch. Wenn die AWT sagt, das kann ich nicht, dazu reicht das rnir zur Verffigung stehende Know how nicht aus, dann wird da~'ber entschieden, ob in diese Richtung entwickelt wird. Das man sagt, bier ist ein Know how Mangel, den mfissen wir ausgleichen, da mfissen wir ein Entwicklungsprojekt machen." 1507 [Int_I4], w siehe ~ihnlichz. B. [Int_I3], w is08 [Int_I6], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

249

was ist jetzt Anwendungstechnik, was ist Entwicklung. D. h. diese ganze Entwicklung hat sich auf das Kundenproblem beschrankt. ''15~ Heute seien die Bereiche deutlich getrennter, insbesondere dutch die Projektarbeit in den E-Projekten. Die Reorganisation der Entwicklung habe damit die Abl6sung der Entwicklung vom Tagesgesch~ift gebracht, die produktgruppenm~if~ige Differenzierung gebe es nur noch in der Anwendungstechnik, ,,[s]o dass das Know how, dass frfiher in der Entwicklungsabteilung, beheimatet war, (...) das muss jetzt in der Anwendungstechnik gepflegt werden") 51~ Zum Ende der Vertiefungsphase, hier also nur kurz erwahnt, erfolgte auch in der AWT eine Reorganisation, analog zu der oben dargelegten im Vertrieb/Verkauf, auch sie strukturiert sich seit 10/2004 in die Bereiche Verpackung sowie Akzidenz und Offset. 15H Der deskriptive Teil der teilnehmenden Beobachtungen in der AWT konnte insbesondere die Rolle der AWT in Service und Kundenbetreuung und den ausgepr~igten Kundenkontakt unterstreichen.1512

Internes Zusammenspiel Einige Aspekte des intemen Zusammenspiels waren bereits bei den Rollenbeschreibungen angedeutet worden. Ausgangspunkt der folgenden vertieften Beschreibung seien zwei in Expertlnneninterviews entworfenen Visualisiertmgen des Zusammenspiels, die die Bandbreite an Darstellungen widerspiegeln sollen (vgl. Abbildung 54 und Abbildung 55). Als Kunde sei jeweils eine (Verpackungs-)Druckerei gew~ihlt. Das in Abbildung 54 dargestellte Szenario unterstreicht die Rolle des Verkaufs als ,,Drehscheibe des Geschehens", als zentrales Koordinations- und Kontrollorgan) 513 lm Regelweg wende sich der Kunde entweder direkt an seine Ansprechpartner im Verkauf oder an seine AuBendienstler, also den kaufm~innischen Aul3endienst oder den Key Account, die dann den Innendienst beauftragen wfirden. ,,Daraus, je nach Anforderung des Kunden, konzipiert der Verkauf Ausarbeitungsauftrage, Angebote, Besuchstermine, halt alles, generelle Auslieferungstermine, und so weiter. Alles was hier Mr die Kundenbeziehung Huber-Kunde wichtig ist. ''1514 ,,Und werm jetzt hier (...) eine Sonderfarbe auszuarbeiten ist, dann geht das in die AWT, die AWT rezeptiert das, der Verkauf hat dann eine Kalkulationsgrundlage, schickt dann dem Kunden das Angebot oder er l~isst es fiber den kaufm~nnischen Aul3endienst oder den Key Accounter platzieren. Macht alles der Verkauf. Wenn es technische Probleme gibt beim Kunden, wenn also auch hier der Verkauf fiber den technischen Aul3endienst die Termine abfragen, wann es m6glich ist und meldet das dann auch wieder direkt dem Kunden, oder fiber Key Account oder kaufmannischen AuBendienst. ''1515 Ffir den Fall, dass Kunden

1509[Int_Ml], w ~sJo [Int 19], w 1511Vgl. [Int M1], w oder auch Sekundarquelle [37]. 1512Vgl. [Beo_M2], [Beo_M4]; auf andere Aspekte sei sp~itereingegangen. 15,3 [Int_M4], w bzw. [Int_M3], w 15~4[Int_M4], w t515 [Int_M4], w siehe ~nlich z. B. auch [Int_I8], w [Int_M3], w

250

3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

durch ,,historische Bindungen" direkt bei der AWT anriefe, was eine Ausnahme sei, 1516 gibt die AWT umgehend Rfickmeldung an den Verkauf. 1517

Abbildung 54: Zusammenspiel zentraler Marketing-Teilfunktionsbereiche (I/11)1518

In Uberleitung zum in Abbildung 55 dargestellten Szenario wird erl/~utert, dass der technische Augendienst nicht nur direkt fiber den Verkauf beauftragt werden k6nne: ,,Es kann auch genauso gut sein, dass der kaufm~innische Augendienst jetzt sagt, ich brauche technische Unterstfitzung, wir gehen zusammen zum Kunden. Oder es kommt tiber Key Account rein, dass er sagt, der Markenartikler m6chte bei der Druckerei dieses Projekt durchf'tihren oder sowas. ''1519 Der Verkauf sei aber auch in solchen Fgllen dadurch eingebunden, dass er einen Besuchsbericht bekomme, ,,(...) eine kurze Zusammenfassung, was beim Kunden, durchgefftihrt worden ist, was zu veranlassen ist, was ausgemacht worden ist", dass der Verkauf einen 13berblick habe, was gelaufen sei. 152~ Dartiber betont das dargestellte Altemativszenario die Vorstellung des Verkaufs als ,,Sekretariat des [kaufmiinnischen] Augendienstes oder des Key Accounts": 1521 ,,Der Verkaufsinnendienst, der setzt eigentlich das um, was ich mit dem berede. "1522 Der Key Account steuere die kaufm/innischen Aul3endienstler, agiere bei kleineren Kunden selbst~ndig und stimme sich bei gr6geren

1516 Vgl. [Int_M4], w 1517 [Int_M3], w 1518 Aus [Int_M4]. 1519 [Int M6], w 152o lint_M6], w 1521 lint M3], w [Int_M8], w

15z2

siehe diese Rolle verneinend lint M6], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

251

Kunden mit der Vertriebsleitung ab./523 Anforderungen, die KAD und KA reinbr~chten, liefen dann in den Verkauf, der sic erledigte. Die AWT checke im Zusammenspiel mit dem Key Account technische Machbarkeiten, unter Unterst~itzung vom Labor] 524 Mit operativem Bezug sei die AWT (z. T. dann auch Ausarbeitung genannt) f'tir Auftr/~ge von KA, KAD, TAD und Verkauf, die eigentlich ausNhrende Ebene, die Auftr/ige, bspw. zur Farbmodifizierung, nachher umsetzen mfdsse.1525 Dieses l)berleitungsszenario betont demnach die ,,gelebte Hierarchic", der Key Account sei derjenige der KAD und TAD sage, was Sache sei, dann mt~sse der Verkauf springen, wenn ihnen was angeschaftt werde, und der letzte, das sei die AWT, die von allen Seiten gebettelt werde, ,,(...) dass sic doch bitte dort ein Problem und hier ein Problem und was sic wieder far scheiB Produkte haben". 1526

Abbildung 55: ZusammenspielzentralerMarketing-Teilfunkrtionsbereiche(IUII)1527 Das Szenario in Abbildung 55 geht hieriiber dann noch ein wenig hinaus. Es ftihrt den KAD auf, der auf Basis historisch gewachsener Strukturen parallel zum Key Account sitze) 528 Beim Key Account ,,(...) hangt es jetzt davon ab, wie viel technisches Wissen kann der Key Account liefem, um den Kunden zu beraten, wie viet braucht er davon AWT, als Beratung". 1529 Abh~ngig von diesem technischem Know-How des Key Accounts, liefe der

1523Vgl. [Int_M7], w 15z4Vgl. [Int_M8], w 1525Vgl. [Int_M7], w t526 [tnt_I3], w 1527Aus [tnt_M1]. 1528Vgl. [Int_M1], w m9 [Int M1], w

w [Int_M7], w

w

252

3. Rekonstruktion ,,empiricaljourney"

Weg direkt vom Kunden zur AWT, oder fiber den Key Account zur AWT. Der Pfeil zwischen Kunde und AWT/TAD beschreibe den Status quo und verdeutliche den Raum ffir ,,mehr technische Kompetenz im Key Account", so dass der Pfeil zwischen Kunde und Key Account die intensive Betreuung des Kunden wiederspiegelt) 53~ Auch im Szenario findet sich ein Post-it Marketing, das die Sicht dieser Ftihrungskraft zum Ausdruck bringt, man br~iuchte ein Marketing, ,,(...) das irgendwo schon Ziele konkretisiert, das aber auch Marktentwicklungen genauer beobachtet und aufarbeitet. Da haben wir noch viel zu wenig. Wir schwimmen da viel zu sehr in dem Saft Kunde, Kunde-Verkauf, oder so was also. Aber wir schauen im Grunde genommen nicht, oder zu wenig noch das Gesamtfeld an, das wir beackern. Auch zahlenmaBig einfach. Das irgendwo auch ganz klar, vorhandenen Ums~itze auswertet, zusammenfasst und so weiter. ''1531 Kunden - Erwartungen und Beziehungen

Wie charakterisieren die MHM-Mitarbeiterlnnen ihre Kunden? Welchen Erwartungen von Kundenseite sehen sie sich ausgesetzt? Wie beschreiben sie die Beziehungen zu den Kundenparteien? Aufdiese Punkte sei im Folgenden kurz eingegangen. Der liebste Kunde aus Sicht von MHM ,,[i]st der, der innovativ ist, ist der, der kreativ ist, ist der, der ein gewisses, jetzt sag ich mal, auch Risiko, eine gewisse Risikobereitschafl hat, sich mit neuen Dingen auseinander zu setzen und auch mal zu riskieren, dass da mal was schief geht. Ist der, der jetzt sag mal, eine gewisse Vertrauenswtirdigkeit, sag konstant in seinem Handeln hat, und der, der letztendlich, jetzt sag ich mal, nicht tiber die reine Preisdiskussion irgendwo zum Gesch~iflspartner wird. (...) Also ich, ich finde ein Kunde, der nut bei uns kauft, ist mir nicht der liebste, denn letztendlich, von dem fehlt uns vielleicht manchmal auch einfach die Herausforderung, weil das, das wird ganz schnell, gleichf'6rmig und irgendwo so selbstverstandlich. Also ich denke so ein bisschen der Wettbewerb von auBen, der darf geme da sein. Und ich denke auch wichtig ist, man braucht einfach eine offene, konstruktive, ja, mal wirklich eine vertrauenswfirdige Atmosph~ire, um miteinander umzugehen. Also, eher ein Partner, also jetzt eine reine Kunden-Lieferanten-Beziehung.''153z Der Markt stelle aber heute leider Bedingungen, so dass viele einfach sagen, ,,(...) mir ist alles egal, ich will blo15 billige Farbe kaufen. Aber denen steht einfach das Wasser bis zum Hals") 533 Diese Aussage wird in zahlreichen Interviewten best~itigt, dass zum einen die Verpackungsdruckereien, der Kunde selber unter extrem grol3em Preis- und Wettbewerbsdruck steht, und dass sich die Kundenerwartungen und die Kunden-Lieferanten-

is3o [Int_M1], w 1531[Int M1], w 1532[Int_I1], w siehe auch [IntM7], w 1533[IntI 1], w siehe iihnlichz. B. lint_M7], w159, [IntG 1], w w ,,Well, wenn die Filma am finanziellen Absaufen ist, hilft ihr die beste partnerschaftlicheBeziehungnichts, dann wird billig eingekauft. Und tmsere Wirtschaftslage hat in letzter Zeit bewiesen, dass vieles parmerschaflliche nicht diesen Existenzkampf tiberdauert."

3.3 ProzessualeRekonstruktion

253

Beziehungen gewandelt h~itten. Besonders drastisch formuliert diesen Wandel ein Key Aecounter: ,,(...) diese Kunden-Lieferanten-Beziehungen, so wie so vor 10, 15 Jahren gewesen sind, die gibt es teilweise gar nicht mehr. (...) knallharte Forderungen, preislieher als auch teehnischer Sicht. Starke Forderung Termine einzuhalten. Ob das jetzt Lieferungen sind, oder ob das Termine technischer Anforderungen sind. Vielleicht nur 30% faire, absolut faire Behandlung. Es geht also immer mehr hin in diesen Preisdruck, Preisreduzierungen. Es gibt Kunden, wo ich mir sage, es macht fiberhaupt keinen Spal3 mehr. Obwohl wir sehr gut verkaufen dort. Aber alles was drum herum h~ngt, den Stress, diese Auftr/ige und dieses, dieses, ich will nicht sagen Gegeneinander, aber was das Tagesgesch~ift anbelangt z. B. immer ein Druck dahinter: wenn sie nieht bis dahin, dann passiert das und das. Es gibt also, es gibt vielleicht von zehn gibt es vielleicht zwei angenehme Kunden, und acht Kunden, wo ich mir sage, was tust du dir eigentlieh jeden Tag da an? ''1534 Die Machtigen seien die Aldis, die Lidls, die Rewes, die Metros, das seien die Bestimmer fiber Regale und Preise, (...) und so geht die Kette welter. Und so geht die Kette bis runter, bis zum Drucker. Und der Drucker, der kriegt nur noch seheil3 Preise da genannt. Und die Drucker die wollen natfirlich sehen, so wie kann ich das denn kompensieren. (...) Dann rufen sie bei Huber an und sagen, Huber, wir haben ein Problem. Eure Preise sind zu hoeh. ''153~ Vielfach betont wird in diesem Zusammenhang auch der strukturelle Wandel in der Verpackungsdruck-Branche, wodurch immer gr613ere Einheiten geschaffen wfirden und der zu verst/irktem Zentralismus im Einkauf ffihre: ,,Je gr613er diese Einheiten sind, desto unsensibler sind die auch t'tir Details", 1536 ffir technische Belange also. Sei bei kleineren Druckereien noch haufiger der Druckereileiter auch gleichzeitig der Einkaufschef, wtirden insbesondere in Druckereigruppen zunehmend ,,(...) wirtschaftlicher orientierte Menschen, also sprich Eink~iufer, Einkaufsleiter, da solche Entscheidungen treffen."1537 Verpackungskunden selbst seien i. d. R. gr6Bere Druckereien, die zunehmend das gesamte Spektrum an Druckverfahren abdeekten, betonen die meisten Antworten. 1538 Bei einer Charakterisierung wird z. T. unterschieden nach ,,(...) Kunden, die Massenware produzieren, da muss die Maschine laufen, st6rungsfrei, m6glichst volle Leistung", und nach solchen Kunden, ,,(...) die both- oder h6chstwertige Verpaekung produzieren, also zum Beispiel im Bereich Kosmetik, w o e s darauf ankommt, dass der Kunde irgendwelche Schnickschnack-

1534[Int_M7], w siehe ~ihnlichzum gestiegenen Preisdruck z. B. auch [Int_M6], w [Int_M3], w und w [Int M8], w [Int I3], w [Int_G1], w [Int_M7], w 1535[Int_M8], w 1536[Int_I4], w Siehe z. B. sch6n bei [Int_G1], w 1537[Int_M3], w siehe auch [Int_M5], w oder [Int_I4], w zur 6konomischen vs. technischen Pr~igung von Einkaufsentscheidungen:,Da wiirde ich sagen gibt es eine ziemlich klare Tendenz. Je kleiner die Unternehmen shad, desto st~irker liegt da die Kompetenz bei dem technischen Teil. Und je gr6fSer die Unternehmen werden, desto mehr verschiebt sich das in Richtung Zentralismus. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten." 153sSiehe z. B. [Int I5], w [Int I7], w [Int_II0], w [Int_M1], w [Int_M5], w [Int G1], w Zugleich seien Verpackungskundenunterschiedlich zu sehen, d. h. sowohl in Gruppen sehr professionell und streng organisiert, als auch einzeln agierende Unternehmen (vgl. [Int_I2], w bzw. [Int_I4], w [Int_M3], w [Int_M4], w

254

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

Extravaganzen haben will, (...) [die]der Kunde auch bezahlt diese Spezialitaten, dass heiBt w o e s eher nicht darauf ankommt, Masse zu liefem, sondern Qualit~it, h6chste Qualit~tt. ''1539 Der Verpackungskunde suche zudem Innovation, sei viel innovationsbereiter, um sich von seinen Wettbewerbem abzusetzen) 54~ Ein Verpackungskunde habe auch wesentlich langere Vorlaufzeiten von seinen Auftriigen und k6nne daher besser planen.154t Ein weiterer mehrfach angesprochene Punkt ist, dass Verpackungskunden die letzten Jahre Know-how abgebaut hlitten, ,,(...) sowohl was das Wissen um ihren Prozess betrifft, als auch was die Man Power betrifft, mir der sie wiederum Probleme ihres Kunden 16sen k6nnen. ''1542 Dieses zunehmend mangelnde Know-how w~ilzten die Druckereien jetzt auf die Farblieferanten ab. Fiir die Druckereien sei es selbstverst~ndlich, dass man mit technischen Fragen zum Farbhersteller gehe, diese hatten ihnen das auch immer offeriert. 1543 Und eine Ftihnmgskraft aus dem Funktionsbereich Marketing vertieft diesen Aspekt, mit Hinweis auf die Kundeninterviews in der Explorationsphase: ,,Das haben sie j a bei unseren Interviews mitbekommen, das war ja f'tir mich auch ein Aha-Erlebnis, dass man gesagt hat, man erwartet von dem Lieferanten, der eigentlich den zweitkleinsten Part, oder auch den kleinsten Part tibemimmt hier, dieses gesamte Know-how. Dieses Generieren des Know-hows untereinander: Maschinenhersteller, Papierhersteller und so weiter, das erwartet man vom Druckfarbenhersteller. Und das war ja kein Einzelfall in diesen InterviewiiuBerungen oder in den Ergebnissen der Interviews, sondem das ist ja 6fters aufgetaucht, diese Forderung". 1544 Die Erwartungshaltung der Verpackungskunden auf dieser Basis sei also beste Technologie zum besten Preis und zum besten Service: ,,Gute Qualitlit mal in erster Linie, ist klar. W e n n er die Farbe kauft, einen ordentlichen Preis, vemtinftigen Preis, ich sage nicht billig, sondern, ein ordentlicher Preis, Untersttitzung eigentlich in jeglicher Hinsicht, Service, erwarten die schon alle. ':545 In einer Differenzierung nach Gr6Be betont eine Ftihrungskraft aus dem Funktionsbereich Innovieren, dass ein Grol3kunde eher einen Systempartner wollte, ,,(...) mit dem er kompetent weiter reden kann, der ihm auf lange Sicht zum einen die Produktqualit~it, aber auch die Innovation mit bieten kann. Der eher kleinere Kunde, der will von heute auf morgen sofort sein Produkt haben, und wenn er ein Problem hat, will er es sofort gel6st haben. ''1546 Den Zeitaspekt betont ein Key Accounter: ,,Also bei Grogkunden sehr schnelle

1539[Int_M1], w (beide Zitate). 1540Vgl. [Int_M6], w143; siehe ahnlich z. B. auch [Int_M3], w117, [Int_M 1], w [IntG 1], w78. 1541Vgl. [Int_M5], w in [Int_M1], w werden dem entgegen ,,kurze Termine" als Charakteristikum angeffihrt. 1542[Int M1], w x543Vgl. [Int_M4], w [Int_M2], w t544 [Int_M4], w 1545 [Int_I7], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_M8], w und [Int_G1], w 1546[Int_I2], w siehe Lhnlich z. B. auch [Int_I3], w [Int_I4], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

255

Reaktion. W e n n Probleme reinkommen, m6glichst v o r g e s t e m erledigt, u n d eine L 6 s u n g a u f d e m T i s c h . ' : 547 In diesem Kontext sind dann auch die Beziehungen zu den K u n d e n zu sehen. Wobei deutlich wird, dass unterschiedliche Parteien jeweils miteinander zu tun haben: ,,Also der AuBendienstler redet im Zweifelsfall mit d e m Einkauf, im Zweifelsfall, je n a e h d e m wie die Druckerei strukturiert ist, auch mit einem technisehen Leiter. W e n n es u m irgendwelche, jetzt sag ieh mal, gr6Berformatige Preisverhandlungen geht, dann m a c h t ' s in aller Regel der Vertriebschef und nicht m e h r der Aul3endienstler von unserer Seite. Es gibt die Kontakte a u f technischer Ebene, das sind der Druckereileiter oder der Drucker an der Maschine, die dann mit unserem, mit u n s e r e m technischen AuBendienst entsprechend in Kontakt sind. Oder aueh mit d e m AWT-Innendienst, w e n n ' s drum geht, also, irgendwie Farbe so und so und ieh brauche das und das. Das sind also ganz unterschiedliche Ebenen, (...) dann, ist es die Sachbearbeitung beim Kunden, die bei u n s e r e m Verkaufsinnendienst Farbe bestellt. Also es gibt viele verschiedene Ebenen, die da miteinander zu tun haben. ':54s Wie die einleitende Beschreibung des idealen K u n d e n bereits verdeutlichte, suehe m a n sieh als Partner anzubieten. N a h m e der K u n d e die erste Bewertung nach d e m Preis vor, erfolgte sp~iter dann die Bewertung fiber die pers6nliehe Beziehung z u m Partner bzw. Repr~isentant der Firma: ,,Und dann geht es wirklich, wirklich darum, ihrn, i h m einfach, menschlich, partnerschaftlich zu zeigen, so, wir k 6 n n e n dir in dieser und dieser Form helfen. ':549 Die Bedeutung von persOnlichen

Kontakten,

allgemein

und

insbesondere

iiber

mehrere

Stellen

und

Hierarchieebenen im K u n d e n u n t e m e h m e n , sei enorm bindungsfestigend u n d dtirfe m a n a u f keinen Fall untersch~itzen, x55~ Mehrfach wird dies in den Gespr~ichen auch unterstrichen, insbesondere fiir den technischen AuBendienst und die K e y Accounter. B e i m T A D sei, wie auch beim K A D , die Identifikation mit d e m K u n d e n dabei sehr hoch, 155~ und die meisten K u n d e n seien froh, ,,wenn wir da sind, w e n n wir ihnen helfen k6nnen und, sind also nicht a u f

1547 [Int_M7], w 1548 [Int_I1], w 1549 [Int_M3], w Der Ausgangspunkt sei immer der Preis, ,,(...) wenn du nicht zu gleichen Konditionen wie, als Beispiel SUN verkaufst, bist du draugen", man miisse also als Partner ihm andere M6glichkeiten aufzeigen, insbesondere mit Service. (lint_M3], w Vgl. aueh [Int_I3], w 1550Vgl. lInt_I4], w siehe aueh z. B. [Int_M7], w [Int GI], w [Int I7], w ,,(...) es ist einfaeh wichtig, nicht zu irgendeiner Person alleine den Kontakt zu pflegen und zu halten, sondem wirklieh wirklich die die einzelnen Ebenen oder die einzelnen Hierarchien mit abzudeeken. Das das sollte teilweise muss das bis zum Drucker ranter gehen. Weil es ist oftm~alsso, das ist sehr individuell das Ganze. Es ist oftmals so, dass dass, gute Drueker, sogenannte erste Drucker an der Masehine oder die Schichtfiihrer oder wie aueh immer, oft so hohen Einfluss haben zu zu wesentlieh h6heren Ebenen in der Firma, dass sie die anderen alle im Prinzip ausspielen, also die Druckereileiter oder was aueh immer, wenn die entspreehend unf~ihig sind, oder keine Fiihrungsleute sind, keine Fiihrungsqualit~itenhaben." ~55a [Int_I3], w ,,Wenn es aber Schwierigkeiten gibt, wo man sieht, es gibt produkttechnisch tats~ichlicheinen Mangel, und man kann ihn selbst nicht abstellen, und man kann ihn selbst auch nicht erkl~iren, dann befindet man sieh mit dem VerkaufsauBendienst zusammen auf der Ebene des Kunden und sagt scheiBe, das Produkt ist da nicht gut, und das ist, muss naehgebessert werden, oder es muss ein anderes Produkt ausgew~.hlt werden. Und darm, hat man naturgem~ eine gute Beziehung zu diesen Leuten."

256

3. Rekonslruktion- ,,empiricaljourney"

Konfrontationen aus. ':552 Auch die Key Accounter betonen, dass sie versuchten und m6glichst daran interessiert seien, l~ingerfristige Verbindungen im Sinne einer Partnerschaft mit den Kunden aufzubauen: ,,(...) dann bauen sich ja im Laufe der Zeit teilweise ja freundschaftliche Beziehungen auf, die normalerweise im Arbeitsleben eigentlich nicht zu suchen haben, aber es ist so.'d553 Und auch hier h~itte man zwar ,,eigentlich die gr/Sf3tenBeziehungen immer zum Einkauf beim Ktmden", gerade der KAD solle aber auch zu den Technikern gehen, ,,[w]eil ein Eink~iufer, der erz~ihlt dir nur was fiber Preise, der Tectmiker, der erz~thlt dir was fiber den Wettbewerb, in den Firmen. ''1554 Von den Kontakten mfisse der Key Accounter fiber den Druckereileiter hinaus zumindest bis zum Betriebsleiter gehen, ,,sonst hat er was falsch gemacht". 1555 Das Gros der Interviewpartnerlnnen betont in Summe, dass Huber mit den Kunden sehr, sehr gute Kontaktpflege betreibe, auf allen Ebenen, die notwendig seien. 1556 Diese vertraut-freundlichen bis freundschaftlichen Beziehungen zu Kundenparteien haben sich auch in allen teilnehmenden Beobachtungen mit Kundeninteraktion best~itigt.~557

Weitere Netzwerk-Beziehungen In Bezug auf Fragen zur Zusammenarbeit mit weiteren extemen Partnem im operativen Tagesgesch~ift wird mehrfach betont, dass Huber sehr gut eingebunden sei in das Branchennetzwerk, man agiere diesbezfiglich aber ,,[e]her allein''1558 und Kooperationen seien ,,[i]m Tagesgesch~ift eher selten. Im Tagesgeschaft nicht. ':559 Ein Key Accounter verweist darauf, dass es bei GroBkunden 61~er vorkomme, mindestens einmal im Jahr, dass man sich zusammen mit Netzwerk-Partnern zusammensetze. ,,Das kann mit den Zulieferern sein, das kfnnen Maschinenhersteller sein, Papierhersteller, wie sie schon angesprochen haben, wenn irgendwelche Neuerungen auf dem Papiersektor sind. Das heil3t also auch in der Hinsicht setzt man sich da natfirlich im Vorfeld zusammen und bespricht zusammen diese Sachen. Das klappt ganz gut". Einberufen wiirden diese Arbeitskreise dabei nicht nur von Kundenseite, sondern auch von Huber, bspw. wenn der Kunde ein neues hochwertiges Segment drucken wolle, was er vorher fiberhaupt noch nicht gemacht habe: ,,Dann wissen wir im Vorfeld schon, dass wir das nie alleine, nur fiber die Farbe, steuern kOnnen. Dass wir sagen, ok, jetzt (...) nehmen wir den Papierlieferanten mit dazu. Wir kennen Papierlieferanten sehr gut, wir wissen teilweise auch, welcher Papierlieferant da liefert.''156~Die Sicht eines Mitarbeiters aus dem technischen Auf3endienst stellt sich ~ihnlich dar: ,,Also entweder macht es der Kunde

1552 [Int_M5], w ~s53 [Int M7], w siehe ahnlichz. B. [Int_M8], w [Int_G1], w 1554[Int_M7], w111. isss lint M1], w 1556Vgl. [Int_I7], w siehe ~ihnlich z. B. auch [IntI10], w ,,,,Huber lebt sehr von den pers6nlichen Kontaktenyon AWT und AD zu den einzelnenDruckereien,Druckereileitern". 1557Vgl. [Beo_I1], [Beo_I4], [Beo_I5], [BeoM2], [BeoM3], [Beo M4]). 1558 [Int_M2], w siehe ahnlichz. B. [Int_I8], w 1559lint_MS], w 1560[Int_M7], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

257

dann von Haus aus, dass er sagt, er m6chte jetzt von von, was weil3 ich, Farbhersteller, Waschmittelhersteller und so, die m6chte er jetzt alle da haben, und dann tun wir das Ganze mal durchdiskutieren, oder wir machen einen Test oder irgendsowas, also das kommt schon auch vor. Aber wir haben nattirlich schon Kontakte zu den verschiedenen Gummituchherstellem, Papierherstellem und so, und unterhalten uns auch mit denen, treffen uns auch regelmal3ig, w o e s Probleme geben kann. ''1561 Schon in Oberleitung zum n~ichsten Abschnitt, der den Funktionsbereich Innovieren beleuchtet, verweisen zwei Ftihrungskrafte bei der Frage nach Netzwerk-Beziehungen im operativen Tagesgesch/fft auf das Projekt zu MGA, den aufgebauten Vertriebsverbund und darauf, dass es hier ,,(...) fahrl~issig [ware], nur alleine los zu gehen. Gerade in so sensiblen Bereichen. ''1562 ,,Diese Zusammenarbeit (im Vertriebsverbund, Anm. d. Verf.) haben wir momentan, und zwar mit einem Druckmaschinenhersteller, mit zwei Kartonherstellem, mit zwei Klebstoffherstellem. Da sind wir also richtig dran, da den ganzen Prozess geschlossen zur Verf/Jgung stellen zu k6nnen. ':563 So miisse man das dann auch in anderen Bereichen machen, d. h. Vertriebsverbundprozesse starker aufbauen und immer Maschinenhersteller mit im Boot haben, die seien sehr wichtig und k6nnten als Multiplikator dienen) 564 A u f dieses Projekt und den Vertriebsverbund wird im n/ichsten Abschnitt n/flaer eingegangen werden. 3.3.3.3

I n n o v i e r e n f u n k t i o n - O r g a n i s a t i o n u n d Beziehungen

Dieser Abschnitt fokussiert - in Analogie zum vorherigen

die Frage nach der Organisation

der Innovierenfunktion bei MHM. Auch hier wird sich die deskriptive Darstellung an deduktiven

Leitfaden-Codes

orientieren,

wobei

sich

der

Leitfaden

zur

Innovationsorganisation am netzwerk- und beziehungsorientierten Innovieren- und Organisationsverst~indnis dieser Arbeit orientiert. 1565 In die Datenbasis dieses Abschnittes werden neben den Expertlnneninterviews, deren Transkriptionen und Memos, auch die teilnehmenden Beobachtungen und deren Feldnotizen im Funktionsbereich Innovieren integfiert) 566 Dieser Abschnitt adressiert dabei den zweiten Teil der Forschungsfrage 2, also wie

sich

aus

Sicht

der

Mitarbeiterlnnen

Organisation

und

Wandel

zentraler

lnnovationsfunktionen bei M H M darstellen. Sich dem Szenario Innovieren widmend adressiert er hieriiber hinausgehend aber auch (in ftmktionaler wie aktivit/~tsorientierter Oberlappung mit dem Szenario Marketing) zentral Aspekte des Zusammenspiels zwischen

1561 [Int M5], 9139. Wo L6sungspakete mit extemen Partnem angeboten werden sei bei zwei SoftwareSystemen, HOT und Metal FX, bei denen man das Fremdprodukt quasi mitverkaufe bzw. die Pakete vom Hersteller beziehe. Dies komme jedoch eher projekt- und fallbezogen vor. (Vgl. [Int_M6], 9265ff.) 1562 [Int_I2], 970. 1563 [Int I4], 9102. 1564Vgl. [Int_I4], 9104, [Int_M3], 9137. ~565Siehe Abschnitt 3.1.3.2 zu Konzept und Struktur des Leitfadens f/Jr die Expertlnneninterviews. 1566Auf die Feldnotizen dieser teilnehmenden Beobachtungen wird dabei mit [Beo Ix] anonymisiert verwiesen, I verweist auf den Funktionsbereich Innovieren, x auf die j eweilige Beobachtung.

258

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Marketing und Innovieren) 567 Die bezfigliche Feingliederung entspricht der des vorherigen Abschnittes, sucht erst Teilfunktionen des Innovierens und ihre Rollen darzulegen und das interne Zusammenspiel im Szenario Irmovieren zu adressieren, bevor Kunden und Kundenbeziehungen sowie die Beziehungen zu weiteren extemen Netzwerkpartnem im Szenario des Innovierens thematisiert werden. In Erweiterung dieses Kerns und eingerahmt sind diese Darstellungen yon einleitenden Ausf'fihnmgen zur Reorganisation der Entwickhmg bei Huber, des neben der Vision 2000 zweiten ,,breakpoint" im Fokus, und der abschliel3enden Vorstellung zweier im ,,sampling"-Rahmen fokussierter Projekte als konkrete Fallbeispiele.1568

,,Breakpoint" Reorganisation Entwicklung Bezugspunkt der folgenden Ausfiihrungen seien die Darstellungen in Abschnitt 3.3.2.2 zu den ersten Mal3nahmen des Wandels im Kontext der Vision 2000. Wobei die ersten Mal3nahmen im Funktionsbereich Innovieren jedoch bereits 1998 anliefen. Die Vision 2000 stellte hier im Kern nur noch das 6ffentliche Bekenntnis zu diesen neuen Zielen und strukturellen Ans~itzen dar, die jedoch in den Folgej ahren noch mehrfach korrigiert werden so llten. 1569 Der Ausgangspunkt 1997/98 sei gewesen, dass man in Miinchen eine so genannte Entwicklungsabteilung gehabt hatte, die allerdings nur Entwicklung Offset betroffen habe. AWTs habe es in Miinchen, Celle und in der Schweiz gegeben, wobei es hier (ffir die Fliissigfarbbereiche) j eweils kombinierte Entwicklungs-AWT-Szenarien gegeben habe.1570 Der Grund fiir die vergleichsweise klarere Strukturierung im Offset habe darin gelegen, dass Offset als Hauptgesch~ift personell st~irker besetzt gewesen sei und sich dadurch eine eigene Entwicklung gelohnt habe. Grfinde ~ r die Ver~nderung waren dann im Kern drei: ,,Zum einen die Uberlegung, es macht keinen Sirra, Entwicklungen, standortm~il3ig und auch jetzt sag ich auch mal v o n d e r Bearbeitung her, voneinander zu trennen, denn jegliche Synergien, die unterbleiben. (...) und die Synergien zwischen den einzelnen, sagen wir mal Entwicklern, die fallen vollkommen flach. Weil jeder betrachtet sein Segment und schaut in keinster Weise in irgendeiner Form fiber den Tellerrand. ''157! Der zweite Punkt war die Rolle des Labors als ,,Edel-AWT": ,,Also das, was normalerweise AWT-Aufgaben sind, hat das Labor mit wahrgenommen, weil sie gedacht haben, wir sind ja alle so toll und wir so sch6n, das machen

1567Auch in diesem Abschnitt erfolgt der Einsatz eines Szenarios, des Szenarios Innovieren, als Hilfskonstrtflct zur veranschaulichendenUnterstiitzungfiir Interviews wie Visualisierung,hier (im Kontrast zum vorherigen Abschnitt) um das ZusammenspielverschiedensterTeilfunktionsbereiche,intern, mit Kunden und weiteren extemer Parteien im Irmovierenm6glichstplastisch er6rtem zu k6nnen. 156sSiehe zum Zeit-,,sampling" der ,,breakpoints" der longitudinalen Prozessforschungbei MHM sowie zum initialen ,,sampling"-Rahmender ForschungsorteAbbildung30 und Abbildung 29 in Abschnitt 3.1.3.1. 1569Vgl. [Int_S5], w 1570Vgl. [Int_S5], w (auch im Weiteren, soweit nicht anders bezeichnet). ,,Und je nachdem mit wem man geredet hat, war der halt Entwicklung oder AWT. Aber das war von den T~itigkeiten nicht konkret zugeordnet, (...) das war mehr oder weniger durchmischt, und auch nicht klar strukturiert." ([Int_S5], w siehe auch [Int_M1], w 1571[Int_S5], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

259

wir gleich mit. Und damit, jetzt sag ich mal, blieben Ptir die AWTs, blieb im Prinzip wirklich so die Routine. Das Labor war immer so irgendwie was, nicht was anderes, was, h6her stehendes. ''1572 So hatten auch die Laborleute dann die Kundenkontakte, mit dem Ergebnis, dass viele Kundenanfragen zu banalen Themen an das Labor adressiert wurden. 1573 Und der dritte Punkt war die im Labor seinerzeit extrem starke Trennung nach Bearbeitungsthemen: ,,(...) als ich hier angefangen habe, habe ich angefangen mit Bindemittelentwicklung, also Offset-Bindemittelentwicklung. Und dann hat man wirklich Bindemittel gemacht und sonst nichts. Und das Bindemittel, was man gemaeht hat, hat man dann in die n/ichste Abteilung, Farbentwicklung gegeben, und was der mit dem Bindemittel gemacht hat, hat man nicht erfahren. Und, wie ich das Bindemittel gemacht habe, hat den nicht interessiert. Also das war, das war extrem. ''1s74 Produktweitermodifizierungen seien derart ,,[i]mmer sehr, sehr stark personenbezogen" betrieben worden. 1575 Ausl6ser der Umorientierung war aus Sicht einer Ftihrungskraft ,,(...) eine gewisse Produktschw~iche, die wir in den Jahren 95, 96 gehabt haben, in einem Kembereich eigentlich von unserem Produktsortiment. ''1576 Mit herk6mmlichen Mitteln sei man nicht weiter gekommen, man habe dann die M~ngel analysiert und festgestellt, dass man die Synergien aus den einzelnen Entwicklungsarbeiten nutzen wollte und dass man im Labor ein Heer von Spezialisten hatte, deren Wissen in keinste Weise verbreitet worden sei) 577 Ein erstes Projekt, das diese Ideen bereits z. T. berficksichtigte, verlief erfolgreich, und auch der Einfluss von Herin Ringer hinsichtlich einer themenbezogenen und nicht mehr personenbezogenen Entwicklung sei im Weiteren pragend gewesen) 578 Die Idee war dann schlieBlich, alle Entwicklungsaktivit~iten an einen Standort und raus aus den AWTs, ,,[u]nd das alles in ein Labor, und gleichzeitig dieses Labor nicht mehr Entwicklung genannt, sondern definitiv Labor, weil es ist zustandig fiir Laborarbeiten. ''1579 Und die Idee war gleichzeitig die Aufhebung

dieser

einzelnen

Fachkompetenzen

bei

gleichzeitiger

Etablierung

von

Projektarbeit. Als Funktionsweise dieses Zentrallabors war vorgesehen, dass es einen Mitarbeiterpool innerhalb der E-Projekt-Matfix darstelle, zustandig ftir die Bearbeitung von Themenstellungen

innerhalb

der

Rezepturkomponenten-orientierten

E-Projekte,

und

der

,,Aufbau

Kompetenzzentren. ''158~ Und

von ~iber

Rohstoff- und die

steuemde

1572 [Int_S5], w siehe auch [Int_Ml], w allerdings in Betonung der geringen Kompetenz der AWT: ,,Na ja, die AWT hat sich's angeschaut, und hat gesagt, nein, da kornmen wir nicht weiter, liebe Entwicklung, da musst du was machen." 1573Vgl. [Int_S5], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_I9], w 1574 [Int $5], w siehe z. B. auch [Int_I8], w ,,Also das war, streng gegliedert, streng getrennt eigentlich." 1575 [Int_I2], w 1576[Int_I2], w 1577Vgl. [Int_S5], 24; siehe ahnlich [Int_I2], w 1578Vgl. [Int_I2], w w 1579 [Int_S5], w Siehe auch Sekund~irquelle[38], S. 131". 1580Sekund~irquelle[38], S. 15.

260

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

Filterfunktion des LAT 158~ sollte eine Abkehr vom vormaligen Status quo erfolgen, d. h. die Einfiihnmg von umfassenden E-Projekten (inkl. Vorprojekt und Markterhebung).

MI-IM Holding GmbH

I

I

kfm. Zentralfunkfion

I ZenO'allabor

L.enkungsausschus~Technik.e~ungsausschusSMarketing

I E-Projekte

I

I

I

WissenschaltL Ofrent chke t

Ink Academy

Abbildung56: Status quo der Organisationdes FunktionsbereichsInnovierenauf Holding-Ebene Die Anf~nge dieser Einffthrung von Entwicklung in E-Projekten und deren Steuerung fiber einen LAT seien dann noch als ,,Mfinchen-lastige Angelegenheit" entworfen worden. Der LAT sei mit den Mthqchner AWT- und Produktionsleitern besetzt gewesen, der LAM setzte sich analog aus der gesamten Vertriebsleitungen Mtinchen zusammen) 582 In den Jahren danach habe man dann gesehen, dass es so nicht funktioniere: ,,Das Ganze war ganz extrem auf Miinchen konzentriert, und die anderen hingegen so mehr oder weniger wie die Anh~ingsel da dran. Aber von, von irgendwo einer gleichberechtigten Organisation war nicht die Rede. ''1583 ,,Und das war letztendlich auch der Lemprozess",1584 zwei bis drei Jahre spater habe man dann den LAT auf Holding-Ebene gehoben und die AWTs rausgenommen, die sich nun VU-iibergreifend fiber technische Koordinationsteams (TKs) abstimmen sollten und Anforderungen in den LAT kommunizieren sollten. Das Credo Anfang 2003 sei also gewesen: ,,Alle zentralen Funktionen in die Holding" und ,,Gleichberechtigung aller VUs". 1585 Dergestalt zeigt sich auch das Holding-Organigramm mit Fokus auf den Funktionsbereich Innovieren zum Stand 09/2004 in Abbildung 56. T e i l f u n k t i o n e n u n d deren Rollen

Im Gegensatz zum Funktionsbereich Marketing finden sich f'tir den des lnnovierens in der Vision 2000 keine explizit zugeordneten Ziele formuliert, neben den indirekten Zielen der Qualit~itsffihrerschaf~ und der Marktffihrerschafi in der Verpackung. 1586 Und auch wenn die Anf~inge der Reorganisation der Entwicklung frfiher als die Vision 2000 datieren, wurde jene

15s] Vgl. [Int_IlO], w [Int_S2], w 1582Vgl. [INS4], w lS83 [Int $5], w ~s84[Int_S5], w is85 Mail von $4 am 01.03.2005 auf eine Rfickfrage. iss6 SieheAbschnitt3.3.2.1 oder siehe Sekund~irquelle[17], S. 3.

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

261

dennoch genutzt, die Ideen und Ans~itze mit entsprechendem Commitment fiber die gesamte Gruppe zu kommunizieren) 587 Ziele waren im Endeffekt, die analysierten Mangel zu beseitigen und der gesamtstrategischen Ausrichtung der Vision 2000 zu folgen. Auch im Folgenden sei der intiale ,,sampling"-Rahmen zugrunde gelegt, der auf der Basis des vertieften VerstSJadnisses nach der Explorationsphase grob LAT, Labor, Ink Academy und Projekte unter dem Ftmktionsbereich des Innovierens subsummierte. 1588 Auch hier soll der Fokus, wo relevant, der Vision 2000 gemaB auf dem Verpackungsbereich liegen. 1589 Welche Aufgaben und Rollen werden diesen Teilfunktionen nun von den Mitarbeiterlnnen zugeschrieben? Wie stellen sich diese Rollen in der teilnehmenden Beobachtungen dar, von welchem Selbstverst~indnis gepr~igt? Welche weiteren Rollen werden u. U. fiir den Kontext des Innovierens genannt trod als relevant erachtet? Die letzte Frage sei zuerst aufgegriffen. Die in den Expertlnneninterviews zum Funktionsbereich Innovieren eingesetzte Visualisierung gab grunds~itzlich keine Teilfunktionsbereiche auf Post-its vor, sondern ein allgemein gehaltenes Ablaufschema eines Innovationsvorhabens. 159~Es wurde often nach relevanten Parteien im Kontext des Innovierens gefragt (i. d. R. auf der Basis von konkreten Beispielen), die es als Post-its in das Bild einzufffigen galt. Als ,,Dauerverd~tchtige" in technisch motivierten E-Projekten wurden unisono AWT und Labor genannt, 1591 z. T. noch erganzt um die Produktion 1592. Dieser im Kern auf die eigentliche Entwicklung ausgerichtete Fokus wird erweitert mit internen Parteien, h~iufig um die AWT als fiber alle Phasen involviert, 1593 LAT, LAM meist in den frfihen Phasen, 1594 die Vertriebsparteien (KAM, KA) in den frfihen wie sp~iteren Phasen (ab Test), 1595 den TAD ab der Testphase 1596 und den Verkauf i. d. R. zur Markteinffihrung 1597. An extemen Parteien wtwde in Visualisierungen meist das Post-it Kunde einget'figt, mit Fokus auf die Startphase ~598 und

1587Vgl. [IntS5], w Die Interdependenz mit den parallel laufenden MaBnahmen, z. B. im Marketmgbereich, diirfte im letzten Unterabschnitt unsehwer deutlich geworden sein. 1588Siehe Abschnitt 3.1.3.1, Abbildung 29. t589 Zur Erinnerung: In der Vision 2000 wurde die Marktf'tihrersehafi in der Verpaekung als eines der Ziele formuliert, siehe auch Abschnitt 3.3.2.1. 1590Dieses umfasste mit dem Ziel des Anschlusses an als bekannt angenommene Schemata bei den InterviewteilnehmerInnen, wie z. B. dem Phasen-Schema eines E-Projektes (siehe Abschnitt 3.3.2.2) - vier linear angeordnete Phasen: Ideengewinnung - Priifung, Bewertung & Auswahl - Design, Entwieklung & Test Markteinfiihrung. 1591 Siehe z. B. [Int_I10], [Int_II], [IntI9], [Int I8], [Int M7], [Int_M6], [Int_M2], [Int_I6]. 1592Siehe z. B. [Int_I1], [Int_I2], [Int_18], [Int_M7], [Int_M6]. 1593Siehe z. B. [Int_I1], [Int_I4], [Int_I2], [Int_I3]; fiber die meisten Phasen bei [Int_I6], [Int_M6], [Int_I9]. 1594 Siehe z. B. [Int_II], [Int_I2], [Int I9], [Int I8], [Int M7], [Int_G1]. 1595Siehe z. B. [Int I3], [Int M5], [Int_I9], [Int M7], [Int M6], [Int I6]. 1596Siehe z. B. [Int_I10], [Int_I1], [Int_I4], [Int_I2], [Int_I3], [Int_M5], [Int_M7], [Int_I6]. 1597Siehe z. B. [Int_I1], [Int_I2], [Int_I3], [Int_M5], [Int_I8], [Int_M6], [Int_M3], [Int M4]. ~598Siehe z. B. [Int_I1], [Int_I4], [Int_I2], [Int_I3], [Int_G2], [Int_M5], [Int_I9], [Int_I8], [Int_M7], [Int_M3], [Int_M2], [Int_M4].

262

3. Rekonstruktion - ,,empirical joumey"

die MarkteinfOhrungsphase 1599. In Summe ist auf dieser Basis die netzwerkartige Uberlappung mit dem Funktionsbereich Marketing offensichtlich, das Delta der noch zu fokussierenden Teilfunktionsbereiche a u f LAT, Labor und Ink Academy, in ihrem Selbstverstandnis in ,,first-order conceptions", beschr/inkt. Die Projekte des initialen ,,sampling"-Rahmens finden sich im letzten Unterabschnitt beschrieben. Was ist aus Sicht der Interviewten der in Folge von Reorganisation Entwicklung und Vision 2000 etablierte Lenkungsausschuss Technik (LAT) im Kontext des Innovierens? 16~176 Auch hier ist for manche Antwortgeberlnnen ,,gar nicht" transparent, was der LAT eigentlich mache, wie er besetzt sei und wie Entscheidungen zustande k~imen. 16~ Im Kern herrscht aber lJoereinstimmung in seiner Rolle, wie hier von einem der Geschaftsfiihrer bezeichnet: ,,(...) der LAT als Lenkungsausschuss Technik kiimmert sich um die technische Entwicklung") 6~ Aufgabe hierbei sei zuvorderst die Bewertung und Entscheidung bzgl. der Ideen, also seine Funktion, Projekte anzustoBen 16~ Hervorgehoben wird hierbei vielfach die oben bereits angedeutete Filterfunktion des LAT, basierend auf der ausgepragten Verschr'~nkung zwischen A W T und Entwicklung in der Vergangenheit. ,,Das heiBt, jedes neue Projekt muss tiber dieses Entscheidungsgremium LAT laufen, Entwicklungsprojekte. (...) Und die prOfen jetzt, (...) ist es sinnvoll dieses Produkt zu machen, was stehen jetzt for Mengen dahinter, welche Ums~itze stehen dahinter, hat es unabhangig von dem noch einen anderen Effekt, der es bejahen wiirde es zu tun. ''16~ W e n n die A W T Anforderungen mit den bestehenden Systemen, dem bestehenden Know-how nicht mehr bedienen k6nne, ,,(...) dann fiingt sie nicht selber das Entwickeln an, oder fiingt irgendwo auf unterer Ebene, an rumzuspielen, sondern dann, ist es eine Frage, die an den Lenkungsausschuss gestellt wird, Lenkungsausschuss Technik. Was machen wir in dem Fall? Wollen wir da einsteigen, oder lassen wir das bleiben? Man sucht eine Entscheidung. Der Lenkungsausschuss Technik diskutiert das dann, fragt die Leute die Marktkenntnis haben, und dann wird ein Entwicklungsprojekt aufgestellt oder nicht. Und wenn keines aufgestellt wird, ist es flir uns auch eine wichtige Information, weil wir dann dem Kunden j a sagen k6nnen, das ist ein interessantes Gebiet, auf dem wir uns aber nicht bet/itigen werden. Damit haben wir den Kopf frei und die Kapazit~it frei, um uns mit den wichtigen Dingen zu beschaftigen, mit den Projekten, mit den Produkten, die wir in drei Jahren haben wollen. Das ist wichtig. ':6~ Und wenn das (E-)Projekt da sei, ,,(...) dann geht

1599Siehe z. B. [Int_I2], [Int_I3], [Int_M7], [Int_M3], [Int_M4]. Fiir die Startphase z. T. erg~inzt um weitere externe Parteien wie Papier-, Druckmaschinen- oder Vorprodukt-/Rohstufflieferanten (siehe z. B. [Int I1], [Int_I2], [Int_I5], [Int_M5], [Int_I9]). 1600Siehe auch Abschnitt 3.3.2.2 zur auf Basis yon Sekundiirquellen vorgesehenen Rolle des LAT. J6ol Vgl. [Int M8], w w [Int_M7], w 16o2[Int_G2], w 16o3Vgl. [Int_M4], w 16o4 [Int_S2], w 16o5[Int_I9], w siehe auch [Int_I4], w ,,Oder die LAT sagt, das ist eine Aufgabenstellung fiir die Anwendungstechnik, das ist kein Entwicklungsprojekt. Nehmen wir mal an, ich suche Substitute for irgendwelche Rohstoffe, oder irgendwelche Umformulierungen. Das ist keine Entwicklung, das ist nicht, nichts Irmovatives, sondern da muss einfach was abgearbeitet werden, was aber mit dem vorhandenen Know

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

263

die Maschinerie los. ''1606 Zentmle Rollen ~ r die Steuerung von E-Projekten seien dann ein Delegierter, ,,(...) das ist derjenige aus dem LAT, der fiir die Umsetzung dieses Projektes insgesamt gerade steht", 16~ also jemand, der verantwortlich sei ftir den Ablauf des Projektes, und ein Projektleiter, z. T. auch Projektbeauflragter genannt. In den teilnehmenden Beobachtungen bestatigt sich die Rolle des LAT als strategisches Forum der technischen Entwicklung, es wurden aktuelle wie potenzielle E-Projekte er6rtert, produktionstechnische Fragen wie auch Anforderungen aus dem LAM. 16~ Die horizontale Kontextualitat des Zentrallabors wurde ja eingangs, beim ,,breakpoint" zur Reorganisation Entwicklung, bereits dargelegt. Wie wird nun aus Sicht der InterviewpartnerInnen seine aktuelle Rolle gesehen? Eine Selbstcharakterisierung lautet folgendermaBen: ,,Die Rolle des Labors? Im Labor sind wir eine personelle Zusammensetzung, sind ein sehr stark chemisch ausgerichtetes Labor. Also wir sind vom promovierten Chemikem runter bis zum Laboranten entsprechend besetzt. Und in s~imtlichen Themen, die mehr chemisch orientiert sind von der Entwicklung her, ist das Labor mit integriert. Also es ist ein wesentlicher Bestandteil im Entwicklungsmanagement eigentlich der Untemehmensgruppe. ''~6~ Der Arbeitsumfang des Labors wiirde zu 70% anf E-Projekte fallen, bei denen das Labor i. d. R. die Projektleitung stelle) 61~ Das Tagesgeschaft dariJber hinaus sei, neben der Analytik, ,,(...) die Zusammenarbeit mit Rohstofflieferanten, um auch nach v o m e gerichtet a) unsere Rohstoffpalette zu emeuern, neue Rohstoffe zu sichten", und hier wirtschaftlich und innovativ interessante Altemativen einzubringen) 611 Das Labor ktimmere sich also nicht um den Tagesalltag, sondem sei vielmehr einer der zentralsten Bereiche bei der Entwicklung, betont ein Mitarbeiter aus dem TAD, wiirden dort doch die ganzen Versuche trod Auswertungen gemacht. 1612 l)ber die Reorganisation habe man aktuell kaum noch fachliche Spezialisierung 1613 und keine erkennbare Differenzierung und Struktur mehr. Dahinter stehe der Wille, ,,(...) dass sich auf die Weise das Know-how fiber m6glichst viele K6pfe verteilt. ''1614 Obwohl Entwicklung ja nun in Projekten erfolge, ist dennoch in den Interviews vielfach die

how m6glich ist. Wenn man aber sieht, das Know how ist nicht vorhanden, dann muss man sagen, ok, das ist ein Entwicklungsproj ekt." 1606[Int_I6], w 16o7 [Int_I1], w Auf den Ablaufvon E-Projekten sei im nachsten Unterabschnitt eingegangen. 1608Vgl. [Beo_I3]. 1609[Int_I2], w 1610Vgl. [IntM 1], w177, oder ahnlich lint I2], w 1611 [Int_I2], w 1612Vgl. [Int_M5], w 1613Die Differenzierung, z. B. nach Wasserfarben, L6semittelfarben, Feuchtmittelzusatze, UV, sollten die Anwendungstechniker machen (vgl. [Int_I9], w 1614 [Int_I9], w

264 Bezeichnung Entwicklung far das Zentrallabor noch zur AWT 1616.

3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney" HSIIS, 1615 Z.

T. auch ohne Differenzierung

Die Einordnung der Ink Academy ntm in das initiale ,,sample" zum Innovieren resultiert aus ihrer dem Teilprojekt ,,Service Excellence" entsprungenen Rolle als Innovationsmotor. 1617 Ihre (aktuelle) Rolle wird von den Interviewpartnerlnnen prim/ir in drei Feldem gesehen. Vielfach betont wird zum einen ihre Funktion im Marketing, ,,(...) im Zusammenhang [mit] KundenbindungsmaBnahmen, also stark ausgerichtet zum Kunden, um hier einen Produktservice zu haben, bzw. ein eigenes Produkt, das ich entsprechend vermarkten kann, und das uns fiir den Kunden wichtiger macht, als die reine Druckfarbe. ''1618 l]ber die Kundenbindung hinaus sei sie auch geeignet fiber die Darstellung der fachlichen Kompetenz bei Kunden ,,(...) den Gedanken auszul6sen, die Leute sind kompetente Partner ftir mich und meine Projekte", kOnne also Vertrauen in das technische Know-how bilden. ]619 Zum zweiten wird ihre Rolle als bepreiste Dienstleistung betont, zur Wissensvermittlung gegentiber Kunden, aber auch intern. In dieser Rolle sei sie ,,(...) eine Sparte der Huber-Gruppe, die bietet als Dienstleistung, verkauft sie die Know-how-Vermittlung, die Wissensvermittlung.''162~ ,,Also meiner Meinung nach ist die sehr viel auch Know howAustausch. Also einfach dem Kunden, dass der Kunde Know how bei uns einbringen kann, und dass der Kunde auch Know how von uns bekommen kann. Dass man den, dass man mit dem Kunden quasi eine Partnerschaft macht, dass man ihn bestm6glich informiert auch. ''1621 Als dritte Funktion wird mehrfach die M6glichkeit betont, fiber die Ink Academy Beziehungen zu neuen Netzwerkpartnem oder neuen Kundengruppen aufzubauen. Eine ihrer ganz zentralen Aufgaben sei es, Kontakte zu Parteien wie z. B. Maschinenherstellern, Rohstofflieferanten oder Papierherstellern herzustellen oder zu verbessem) 622 Ein Nebeneffekt sei der, ,,(...) fiber die Ink Academy und die entsprechenden Kontakte und tiber das Know-how Innovation [zu] forcieren. ''1623 Nicht zuletzt seien, mit der Ausrichtung nach innen, geschulte Leute innovationsf~ihiger, die Ink Academy ,,(...) ein Faktor, eine Triebfeder nach vorne, der Innovationsatmosphgre schafft". 1624 In den teilnehmenden Beobachtungen von Veranstaltungen der Ink Academy finden sich alle Rollen der Ink Academy wiedergespiegelt, sei es zur Vertiefung bestehender Beziehungen, Darstellung fachlicher

~6ts Siehe z. B. [Int_M5], w [Int_M3], w [Int_M4], w [Int_M6], w [Int_M7], w [Int_M8], w 1616Vgl. [Int M8], w [Int_M7], w 1617Vgl. Abschnitt 3.3.2.3. 1618[Int I2], w siehe iihnlich z. B. auch [Int_II], w [Int_I6], w [Int_I9], w [Int_II0], w [Int_M6], w [Int_M7], w 1619[Int_I4], w 162o[Int_I4], w siehe iihnlichz. B. auch [Int_I6], w [IntM2], w [Int_M7], w 1621[Int_M6], w ~622Vgl. [Int_I4], w [Int_I9], w [Int_I10], w lint_M7], w w 1623[Int_I1], w siehe iihnlichz. B. auch [Int_I5], w [Int_M3], w [Int_M5], w [Int_M6], w 1624[Int_I2], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

265

Kompetenz tiber bepreiste Dienstleistungen der Wissensvermittlung, oder der Autbau von B eziehungen zu neuen Kundengruppen.1625

Internes Zusammenspiel Einige Aspekte bzgl. des Ablaufs von Innovationsvorhaben bzw. E-Projekten und dem Zusammenspiel relevanter Parteien waren oben nun bereits bei den Rollenbeschreibungen angedeutet worden. 1626 Im Folgenden sei dieser Punkt noch einmal vertieft. Bezugspunkte seien hier - analog zum Marketingkontext - zwei in Expertlnneninterviews entworfene Visualisierungen von Irmovationsprozessen, beteiligten Parteien und deren Zusammenspiel, die die Bandbreite an Darstellungen widerspiegeln sollen (siehe Abbildung 57 und Abbildung 58).

Abbildung 57: Zusmrtrnenspielzentraler Innovieren-Parteien (I/II) 1627 Das in Abbildmag 57 dargestellte Szenario findet sich in dieser Art in den Visualisierungen mehrer Interviews wiederJ 628 Das Szenafio unterstreicht dabei zwei Aspekte, die Breite einbezogener Parteien in die Ideengenerierung sowie die separaten Phasen eines Projektes, eine Vorphase bis zum Start eines E-Projektes, die Phase des E-Projektes selber und die des anschliegenden LAM- oder M-Projektes zur eigentlichen Markteinffihrung. 1629 Ideen k~imen

1625VgL [Beo_I1], [Beo_I4], [Beo I5]. Der Aspen der Innovationsf~ihigkeitl~isstsich aus Sicht des Autors - als fachfremden AuBenstehenden- nut bedingt beobachten. t6z6 Siehe weiterhin auch das in Abschnitt 3.3.2.2 vorgestellte, in Folge der Vision 2000 und der Etablierung einer E-Projektmatrix, idealtypische Ablaufmodell eines vom LAT gesteuerten E-Projektes (siehe Abbildung 48). ~627Aus [Int_I9]. 16z8 Siehe z. B. [Int I1], [Int I2], [Int_I3]. 1629 ggL [Int Ill, w [Int_M4], w [Int_I9], w in [Int_S1], w wird dies auch ,,Umsetzungsprojekt" genannt. Ein explizit anders dargestelltes Szenario, n~imlichmit dem E-Projekt ffir Design, Entwicldung, Test und f ~ Markteinl~hrung, findet sich bei [IntG 1].

266

3. Rekonstruktion ,,empiricaljourney"

zum einen von Kunden bzw. vom Markt, dann fiber die Personen, die aufgrund ihrer Tatigkeiten tagt/iglich mit Kunden zu tun h/itten, oder tiber Personen, ,,(...) die den Markt sehr stark beobachten''163~ Hauptverantwortlich seien dabei Mitarbeiter vom Vertrieb mit Kundenkontakt anzusehen: ,,Die mtissen Augen und Ohren offen haben, mtissen Vorstellungen oder mtissen zusammen mit ihrem Kunden auch rauskriegen, wo geht es hin .... wohin geht die Richtung? Das mtissen die auch kommunizieren nach innen, das muss auch die Vertriebsleitung selbstverstandlich, wissen. (...) Vieles wird aber auch in der Anwendungstechnik oder im Zentrallabor selber anfallen. ''1631 Aus AWT und dem Labor kOnnten auch unabh~ingig davon Ideen kommen. Hierbei spielte die Kontaktpflege zu Zulieferern, ftir die AWT insbesondere zu Maschinen- und Papierherstellem, aber auch zu Gummiwalzen- und Druckplattenherstellern, und ftir das Labor zu Rohstofflieferanten eine wesentliche Rolle) 63z Umwelt- und sicherheitstechnische Anforderungen, wenn z. B. aus kennzeichnungstechnischen Grtinden eine bestimmte Sorte Rohstoff ausstirbt, wiirden v o n d e r entsprechenden Stabsstelle eingebracht. Der LAT sei dann das Gremium, mit Leuten, ,,die den l]berblick haben miissen", der, in starker Wechselwirkung mit dem LAM, damit ,, (...) der LAT nichts entscheidet, was v611ig am Markt vorbei geht", ein Projekt anstol3e. 1633Ob der LAM allerdings wirklich hier mit dabei sei, wisse er nicht, befindet (nicht nur) dieser Interviewpartner. 1634 In einem initialen Brainstorming, einberufen von Projektleiter und Delegiertem, werde eine Ideenliste erstellt, bewertetund hierfiber entschieden. Ftir die Phase der Entwicklung seien Labor und AWT die Kembeteiligten, die Leute aus dem Labor, ,,(...) weil die sind nur dazu da, die haben keine weitere Funktion aul]en in E-Projekten zu arbeiten", und die Leute aus der AWT, ,,(...) weil man, das spezifische Know how von Kunden, vom Markt braucht, und die technischen Dinge") 635 Auch TAD und Produktion k6rmten hier dabei sein, ,,(...) aber das kann durch die gesamte Organisation gehen, das kommt da drauf an, was tats~ichlich das Ziel des Projektes ist. ''1636 Mit der Testphase sei das E-Projekt dann abgeschlossen, werde bis hier hin tiber den LAT koordiniert, und geht dann in die Verantwortung des LAM. Aus dem LAT-Projekt ,,(...) gibt [es] in jedem Fall einen konkreten Bericht, praktisch aus dem Projekt an den LAM, dass entweder der Delegierte oder der Projektleiter berichtet im LAM fiber, ja fiber die technischen Inhalte, fiber Umfang, das Produktportfolio wie auch immer, was kann das Ding, was kann das Ding nicht, was stellt man sich vor, was kann man damit erreichen, und so weiter. So. Und jetzt geht's weiter im LA/~. ''1637 Der LAM entscheide dann, ob und wie weitergemacht werde. 1638 Und danach komme die Markteinftihrung, ,,(...) und das l~iuft dann, das ist dann ein Marketingprojekt, das

163o[Int M4], w Vgl. auch [Int_M5], w 167. 1631[Int_I9], w 1632Vgl. [Int_I9], w 1633[Int_I9!, w w 1634Vgl. [Int_I9], w 1635[Int_I9], w 1636[Int_I1], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_I8], w 1637[Int_I1], w 1638Vgl. [Int_I1], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

267

1/iuft dann unter Regie des L A M . ''1639 Der LAM wfirde ein Konzept bauen, wie das gemacht werde, und an jemanden delegieren, einen Key Accounter oder jemanden, der am Vertrieb h~inge, ,,(...) der das Ganze dann, praktisch durch die Organisation bringt. ''164~ In Oberleitung zum in Abbildung 58 dargestellten zweiten Szenario finden sich Visualisierungen und Interviewpartnerlnnen, die hierfiber hinaus zwei Aspekte st/irker betonen und differenzieren. Der eine ist die Testphase, die eine l~ingere Phase sein k6nne: ,,Test heil3t ja ich mache wirklich gezielte Versuche bei ausgewahlten Kunden, und dann kann's also auch noch eine Zwischenphase geben, wo ich komplett in die Markteinffihrung gehe, dass ich mir bestimrnte Teilm/irkte raussuche und sage, da mache ich noch irgendwo eine erweiterte Testphase. Das begleite ich nicht mehr gezielt und beobachte nicht mehr die Ablaufe, sondern ich liefere jetzt, aber auch gezielt, an zehn Kunden, die wissen, dass sie was Neues kriegen, aber ich liefere da ganz normal und warte einfach auf irgendwie, auf Resonanz, ob da irgendwas schief geht. Bevor ich jetzt eine komplette Markteinftihrung m6glicherweise mache. Also das kann, das kann so fiber eine erweiterte Testphase in irgendwo gehen. Das sind dann, wie nennen wir denn das, das sind, beobachtete Lieferungen. '"641 Ausgangspunkt hierf'fir ist, dass Testen im Hans nie etwas mit Realbedingungen zu tun habe. Ftir Tests zur Beschreibung der Marktf~ihigkeit eines Produktes ,,(...) brauche ich reelle Produktionsbedingungen unter Zeitdruck, unter finanziellem Druck, unter den ganzen unangenehmen Unannehmlichkeiten, die der Markt halt so hergibt.''1642 Idealerweise habe man Tests, wo man ,,(...) gezielt sagen wir mal mit mit ffinf Druckem solche Tests machen kann und gezielt an den Prozessparametem in der Druckerei spielt, und da tiberall ~ihnliche Grenzwerte feststellt, wo das Produkt kippt, dann ist man relativ nah an der Markteinfiihrung. ''1643 ,,Wenn wir die Drucker nicht hinkriegen, wenn wir nicht f'tinf Drucker hinkriegen, wo wir wirklich an den Maschinen spielen dfirfen, dann ersetzten wir f'finf Drucker mit gezielten Versuchsanordnungen durch 30 Drucker, wo w i r e s einfach probieren, wo wir einfach den Kunden fragen, wir liefem dem die Farbe, sagen, hast du Lust das auszuprobieren? ''1644 Hier, wo man keinerlei Einfluss auf den Prozess habe, gehe man also einfach statistisch vor. Und dann kommen die oben bezeichneten beobachteten Lieferungen, oder wie manche Interviewpartnerlnnen es nennen, die Pilotierungsphase, ,,(...) ein halbes Jahr lang wird das Produkt verkaufl und, aber sorgt'filtig beobachtet. ''1645 Testkunden besorgen wtirde i. d. R. der TAD aufgrund seiner Einblicke bei den Kunden, ,,(...) wie die Maschinen aufgebaut sind, was die ffir Konfigurationen haben, auch wo der Wissens-

1639[Int_I9], w w 164o[Int_I1], w118. Vgl. auch [Int_I9], w 1641[Int I1], w 1642[Int_I3], w siehe ahnlich z. B. auch [Int_I2], w 1643[Int_G2], w153. 1644[Int_G2], w 1645[Int_G2], w siehe ~itmlichz. B. auch [Int_I2], w

[Int_I6], w

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3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

und Kenntnisstand ist von den Druckereien". 1646 Einbezogen in Tests seien dariiber hinaus insbesondere Key Accounts oder kaufmannische Aul3endienstler. Der zweite Aspekt, auf den hier in Oberleitung zum zweiten Szenario eingegangen werden soil, ist die Rolle der Key Accounter. Finden diese sich in obigem Szenario in Abbildung 57 noch bei der Ideengewinnung im Vertrieb subsummiert, werden sie mehrfach in ~.hnlichen Szenarien explizit hervorgehoben, ffir die Ideengewinnung, die Tests und die Markteinfiihrung) 647 In Projektteams seien sie noch kaum vertreten im Moment. Aktiv involviert seien sie sehr stark in der MarkteinNhrung, in der Testphase und Pilotierung, und relativ schwach in der Ideengenerierung. t648 Letzterer Aspekt wird mehrfach so best~itigt, Key Accounter k~imen zwar mit Ideen, sagten aber nicht Idee, sondem ,,(...) ich will, ich habe eine Anforderung, das brauche ich. ''1649 Der Key Account sei also in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden, fiber dessen Anforderungen, das Sprachrohr zum Input) 65~ Bei Tests sei der Key Account involviert, sowohl was die Frage nach potenziellen Testkunden anbetrifft, also auch bzgl. Kontaktanbahnung im Testfall. 1651 FOr die Markteinfiihrung k ~ n e n dann aus dem Projekt heraus die Vorgaben, ,,(...) bei welchen Kunden gehen wir jetzt wie vor mit dieser ganzen Angelegenheit. Also mit diesem neuen Produkt, mit diesem neuen Produktprogramm. Also, was machst du bei deinem Kunden mit dieser neuen Produktgruppe? ':65z Erfahren wiirde der Key Accounter v o n d e r Vertriebsleitung fiber neue Produkte dann wenn diese soweit seien: Dann hiel3e es, ,,(...) jetzt haben wir ein Produkt, jetzt haben wir ein Produkt, jetzt gehen wir los. Jetzt mi~ssen wir was machen. Jetzt haben wir was, jetzt gehen wir los. ,,1653

1646 [Int_M5], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int I2], w 1647Siehe z. B. [Int I1], [Int M7], [Int_M6], [Int_I6]. 164s [Int_I2], w (beide Zitate). 1649[Int_I1], w 128; siehe auch z. B. [Int_I3], w 1650Vgl. [Int_I3], w Hinsichtlich der Segmentorientierung betont ein Interviewpartner, sei der Key Account ,,(...) oft bei der Ideengewinnung schon mit dabei, ganz einfach weil der den Markttrend in seinem Segment am besten im Oberblick hat." ([Int_M5], w189) 165~ lint M8], w Bei Tests vor Ort sei er mit dabei, oder ein Anwendungstechniker. ,,Ich muss da nicht zwingend dabei sein, aber ich mache das dann auch meistens, also ich fahre mit dahin." ([Int M8], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_I1], w 1652 [Int_I1], w 1653 lint_MS], w

3.3 Prozessuale Rekonstruktion

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Abbildung 58: Zusammenspielzenlxaler Innovieren-Parteien (II/II) 1654 Das in Abbildung 58 abgebildete Szenario unterstreicht in Fortschreibung obiger Diskussion n u n nicht nur die Rollen v o n K A / K A D , s o n d e m darfiber hinaus insbesondere die des K u n d e n im Innovieren. 1655 Ein K e y Accounter erl~utert, dass ,,(...) w e n n so was im Markt, oder w e n n so was ausliegt (Beispiel eines Messeausstellungstticks mit neuen Effektfarben v o n einem Pigmentlieferanten, A n m . d. Verf.), dann sehe ich, dass eben eine Marktanforderung da ist. Gut, dann m u s s ein Projekt gestartet werden. ''1656 Ein anderes Beispiel sei gewesen, als K e y Account, technischer und auch kaufm/hnnischer AuBendienst eine Idee tar eine sehr hochpigmentierte Farbserie entwickelt hatten, ,,(...) weil die Marktanforderungen im Markt so waren, dass i m m e r stgrker gedruckt wurde, i m m e r leuchtender, i m m e r reiner, diese Farbt6ne, und sehr viele K u n d e n g e z w u n g e n waren, Sonderfarben einzusetzen. ''1657 A u f den Aspekt der Rollenverteilung von L A T u n d L A M sei ebenfalls noch eingegangen, findet sich die Darstellung , , L A T / L A M " im in Abbildung 58 dargestellten Szenario doch a u f mehreren Visualisierungen, 1658 neben solchen a u f denen beide Gremien gar nicht auftauchen 1659 oder

1654Aus [Int MT]. 1655 Siehe ~hnlch z. B. auch [Int_I10], [Int_I4], [Int I3], [Int_M3], [Int_M2], [Int_I8], [Int_M4]. 1656[Int_M7], w ,,(...) dann wird auch der LAT oder LAM der letzte sein, der sagen wfirde, nein, da machen wir nicht, aus den und den Grfinden." Siehe/ihnlich z. B. auch bei der Visualisierung yon [Int M4], einer F~ihnmgskraft aus dem Vertrieb, wo LAT und LAM gar nicht auftauchen, sondem nur ,,Vertriebsleitung" als Ent scheidungsgremium. 1657 lint M7], w Dies sei allerdings dann kein E-Projekt geworden, wenn es eine SpezialiNt aber sei, l~hrt ein Mitarbeiter des Key Acount aus, ,,(...) mtisste natarlich entschieden werden, tiber den LAT oder fiber den LAM, machen wir das? Wenn es jetzt also eine absolute Spezialit~it wgre, die also eine Entwicklungsarbeit yon einem halben Jahr oder einem Jahr dauem wfirde, das kann ich also nicht entscheiden. Ich kann zwar sagen, das ist eine Sache, da sehe ich die und die Anforderung, oder sehe ich die und die M6glichkeiten, sehr groBe Chancen, dass wir da was machen k6nnen. Dann wird abet auch der LAT oder LAM der letzte sein, der sagen w~irde, nein, da machen wir nicht, aus den und den Gr/inden. Gut. Dann wird eben die Farbe entwickelt." ([Int_M7], w187) z658 Siehe z. B. [Int_I2], lint_IS], lint_M7], lint_G1], 1659Siehe z. B. [Int_I4], [Int_I5], [Int_M5], [Int_M3], [Int M2], lint_M4].

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3. Rekonstruktion- ,,empiricaljourney"

der LAM bzw. der LAT fehlen 166~ In vielen Interviews findet sich eine Nermung beider Parteien ohne Differenziertmg, ,,[a]lso diese Auswahl (an Ideen, Anm. d. Verf.) kommt auch aus dem LAT und LAM also. Und dann wird da entschieden, ok, das wollen wir machen, und wer k6nnte das eventuell machen oder w e r . ''1661 Ausgepr~igter differenzierend betont eine Fiihrungskrafi, lnnovieren sei tiber den LAT organisiert, der den Input von ganz vielen Leuten brauche, ,,weil viele Leute haben viele Ideen", und dann habe man ,,(...) ganz einfach, Vorgaben, Ideen usw. aus dem LAM. LAM sagt, ich will die und die Kundengruppe bearbeiten, mir fehlt dazu das Produkt. Also, ich brauche d a s . ''1662 Die Ideen k~rnen von tiberall, von drau6en oder dfinnen, und gingen dann in LAM und LAT, ,,(...) wobei der LAM immer die marktmal3ige Bewertung macht, soweit sie der LAT nicht selbst weil3. Also sehr haufig wissen die eine ganze Menge, k6nnen das selber machen". 1663 Eine andere Ftihnmgskraft beschreibt dieses Zusammenspiel z. T. ~ihnlich, allerdings mit st~irkerer Betonung des LAM, n~imlich dass Anfragen und Anforderungen zun~ichst einmal an den LAM gingen, der dann Background schaffe, ,,(...) indem man sagt, ist das nur Rir einen Kunden, ist das Ftir mehrere Kunden, welchen Deckungsbeitrag k6unen wir damit erzielen, welcher Bedarf wird gesch~itzt". Auf Basis dieser ,,fast-Fakten" werde dann im LAT tiber die technische Machbarkeit entschieden und ,,(...) dann kriegt das auch eine Priorit~it zugeordnet und dann wird es ein Projekt. ''1664 Kunden - Erwartungen und Beziehungen

In Analogie zum Abschnitt zur Marketingfunktion sei auch hier das Zusammenspiel mit den Kunden im Kontext des Innovierens n~iher betrachtet. Wie werden Kunden in Innovationsvorhaben einbezogen? Welchen Erwartungen von Kundenseite sehen sich die HuberMitarbeiterlnnen hierbei ausgesetzt? Aufdiese Punkte sei im Folgenden kurz eingegangen. Ausgangspunkt des Einbezugs von Kunden in Innovationsvorhaben ist ein Kunde, ,,(...) der das hier irgendwo fordert. Irgendwo bei der Ideengewinnung muss ich doch auch mit berticksichtigen, was will denn der Kunde tiberhaupt. ''1665 In einem anderen Interview wurde dieser Aspekt noch deutlicher betont, der Begfiff der Ideengewinnung in der Visualisierung in Klammern gesetzt und ,,reagieren" dariiber geschrieben, sie sei narnlich so definiert, dass ,,(...) wenn die AWT aus dem operativen Tagesgesch~ift ein Problem nicht 16sen kann, gibt es eine Idee f'tir ein Projekt. ''1666 In den meisten Fallen reagiere man, nur in wenigen Fallen agiere man. Sehr haufig seien Innovationsvorhaben kundenspezifisch, best~itigt auch eine Ftihrungskraft aus dem Vertrieb, ,,(...) also wenn der Kunde sagt, du innovierst jetzt ganz

1660Siehe z. B. zum LAM [Int_I10], [Int_I6];zum LAT [Int_G2]. ~66~[Int I8], w siehe ~ihnlichz. B. auch [Int_G1], w [Int M6], w 1662[Int_I1], w (beide Zitate). 1663[Int G2], w 1664[Int_I4], w116, w118 (beide Zitate). 1665[Int_M3], w ~666[Int_I10], w

[Int_M7], w

[Int_M8], w

3.3 ProzessualeRekonstruktion

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speziell was fiir mich". 1667Ein yon einem der Gesch~iftsftihrer dargelegtes Beispiel stellt dann den Bezug zur sp~iteren Phase mit den entsprechenden Kundenerwartungen, die das Zusammenspiel pdigen: ,,(...) ein lustiges Beispiel war, wir hatten wir wollten ausprobieren, einen Farbtypus, der ist ~ihnlich wie MGA, aber noch extremer. Das sind die, die wirklich mit Lebensmitteln in Kontakt kommen diirfen. Diese Direktkontakt, DC-Farben heil3en die bei uns, da haben wir Anwendungen gemacht, die sind also mit mit Rohstoffen gefertigt, die auf einer Positivliste stehen und die also alle toxikologisch unbedenklich sind. Ist nur die Frage, ob die dann drucken. Aber man kann es zwar essen, aber vielleicht kann man nicht damit drucken. Da haben wir jetzt in Osterreich mit einer Druckerei, fiir Flugzeuge, diese Papiersets, die auf diese Tische legen, weil da f~illtja doch immer mal wieder was runter und dann isst es einer doch noch auf, und also haben wir die gedruckt. Und der Drucker war so begeistert, dass der die Farbe unbedingt haben wollte. Weil er sich selbst einen Marketingerfolg bei den ganzen Luftfahrtgesellschaften. Aber wir haben diese Farbe im Labormal3stab, wo man Firnis in fiinf, f'tinf Liter-Koblen gekocht haben, gemacht und gesagt, die Farbe k6rmen wir nicht industriell fertigen, weil wir die Raumbedingungen gar nicht schaffen, und die Farbe muss dann so ~anlich wie in einer Molkerei in einigermal3en sterilen R~iumen hergestellt werden. Wir haben gesagt, wir k6nnen es nicht. Das war ein Laborversuch und es war ein Test. Wir wollten wissen, ob man tiberhaupt mit solchen Rohstoffen, Farben testen kann. Sagt sie, ja, wissen w i r j a gut, aber jetzt habe ich doch gesehen, dass es geht. Und dann ist die halt vOllig unzufrieden. Und dann am Schluss droht er noch uns im klassischen Gesch~tft rauszuschmeiSen, weil wir so b6se sind und ihm seine innovative Farbe nicht geben. Solche F~ille gibt es immer wieder, aber das ist eben, das ist das Kunststtick, das was man in der Knndenbeziehungsmanagement auch hinkriegt, dass die auch eine gewisse, eine gewisse Weitsicht und Geduld haben. Weil sonst verkauft man denen was, was man letztendlich noch nicht kann, und das ist, mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit darm eine Reklamation. 'd668 Der Markt, der Kunde drticke ja, wolle ja eine ProblemlOsung, oder wie im Beispiel verspricht sich eine Differenzierungsm6glichkeit. Und im schlechtesten Fall, wie im Beispiel dargelegt, will der Kunde das unfertige Produkt haben, w~hrend man selbst noch weiter testen wolle. In Bezug auf den Kontext des Innovierens ist die Beziehung zu Kunden aber auch gepr~igt davon, iiberhaupt Kunden zu Tests zu gewinnen. ,,(...) es gibt ja immer Kunden, die sind an Neuerungen brennend interessiert, um sich hier halt zu differenzieren von irgendeinem Wettbewerber. Und es gibt halt auch wieder Kunden, die sagen, so nach dem Motto, stol3t ihr euch erst mal die H6rner ab, sammelt eure Erfahrungen und dann, wenn das soweit ausgegoren ist, dann bin ich auch daran interessiert. Das ist unterschiedlich. ''t669 Die innovativen Kunden seien dabei meistens etwas kleinere Betriebe. ,,Die sagen auch mal, weil3t du was, ich stelle dir jetzt die Maschine zur Verf'tigung ftir, was weil3 ich, ftir acht Stunden, testet ihr das und

1667[Int_M4], w 1668[Int_G2], w167. 1669[Int_M4], w

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3. Rekonstruktion - ,,empirical journey"

macht das, weil ich m6chte das an den Kunden verkaufen k6nnen, wenn das sp~iter aussieht. ''167~ W~ihrend bei anderen, typischerweise gr6Beren Kunden, ,,(...) die sind, immer, bis zur zur Oberkante voll mit Arbeit, und da hast du eigentlich ganz selten Chancen, dass du da testen kannst. Da kannst du h6chstens irgendwelche Weiterentwicklungen, die wo schon langer Bestand haben, neu testen, so unter der Produktion. ''x671 Eine Labormitarbeiterin betont in ihrem Interview die besondere Beziehung zu Testkunden: ,,Und wenn es nichts ist, macht auch nichts. Dann lemen wir was draus, und die lernen was draus, aber wir m6chten mit dem Kunden also, einfach often sein trod ehrlich und sagen, das m6chten wir testen, das ist ganz was Neues, es kann sein, dass es nicht funktioniert, und seid ihr bereit dazu? Und einfaeh da das, ja, dadurch das, Vertrauen einfach mehr zu gewinnen auch von den Kunden. ''1672 Testkunden h~itten h~iufig auch den entsprechenden Produktwunsch, was gut sei, ,,(...) wenn ich da zwei starke Kunden dfin habe, die einen grol3en Produktwunsch haben, dann, dann machen die das", aber auch wie oben im Beispiel skizziert - durchaus auch ,,(...) 6fters mal problematisch, weil wie gesagt, der will schnell was". 1673 Man miisse beim Kunden i. d. R. im operativen Betrieb testen. ,,(...) der Kunde will ja sein operatives Geschaft weiterlaufen lassen und sagt, eigentlich m