Multi-Channel-Handel : Erfolgsfaktoren und Best Practices 9783834998941, 383499894X [PDF]


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Multi-Channel-Handel : Erfolgsfaktoren und Best Practices
 9783834998941, 383499894X [PDF]

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Zitiervorschau

Gerrit Heinemann Multi-Channel-Handel

Gerrit Heinemann

Multi-Channel-Handel Erfolgsfaktoren und Best Practices 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Prof. Dr. Gerrit Heinemann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, Management und Handel an der Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach.

1. Auflage 1976 . 1. Auflage 2008 2. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Barbara Roscher | Jutta Hinrichsen Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1180-3

Vorwort zur 2. Auflage

Bereits nach einem halben Jahr die zweite Auflage: Multi-Channel-Handel ist in aller Munde und steht auf den To Do-Listen vieler Handelsmanager ganz oben an. Der Bedarf an relevanten Informationen ist hoch und die Zahl an Quellen, in denen man sich kompetent und zugleich praxisorientiert informieren kann, immer noch relativ gering. Auch in aktuellen Marketingbüchern wird in der Regel vernachlässigt, dass das bloße Vorliegen einer Website nicht mehr ausreicht, sondern Online-Verkauf stattfinden muss. Nur bei Vorliegen echter Transaktionen auf allen Kanälen, also bei Kombination von elektronischen Online-Verkaufskanälen und stationären Offline-Verkaufskanälen, kann von Multi-Channel-Retailing gesprochen werden. Multi-ChannelHandel in dieser Form ist keine Modewelle, sondern eine Revolution, die den Handel in den nächsten Jahren grundlegend prägen wird. Sie bietet als einzige Verkaufsform die Möglichkeit, dem steigenden Bedürfnis der Kunden nach Channel-Hopping Rechnung zu tragen. Die erste Auflage dieses Werkes hat in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen gute Resonanz gefunden. In der vorliegenden zweiten Auflage wurden die zugrunde gelegten Zahlen aktualisiert und ergänzt sowie die Best Practices auf den neuesten Stand gebracht. Weiterhin wurde das vierte Kapitel um eine Best-Practice-Studie zum Thema AGB erweitert, da die veränderten rechtlichen Anforderungen an den Internethandel von vielen Multi-Channel-Handelsunternehmen immer noch nicht berücksichtigt werden. In diesen Themenkreis war die auf diesem Gebiet spezialisierte ANWALTSKANZLEI HEINEMANN aus Magdeburg eingebunden. Multi-Channel-Handel bleibt auch in den nächsten Jahren die dynamischte Handelsform. Sollte dieser seinen Weg in dem erfolgreich begonnenen Lebenszyklus erwartungsgemäß fortsetzen, wird er die Handelslandschaft zukünftig grundlegend verändern.

Mönchengladbach, im Juli 2008

Gerrit Heinemann

V

Vorwort zur 1. Auflage

In der Handelslandschaft ist die Nutzung unterschiedlicher Absatzkanäle nicht neu. „Mehrkanal-Handel“ ist so alt wie die großen amerikanischen Warenhauskonzerne und viele andere Traditionsunternehmen im Handel, die ihre Sortimente über den Katalog parallel zum stationären Geschäft bereits im vorletzten Jahrhundert verkauft haben. Die eigentliche Entwicklung und Bedeutung des Multi-Channel-Handels ist jedoch eindeutig der Einführung und Etablierung der Internettechnologie als neuer Vertriebsweg zuzuschreiben. Echtes Multi-Channel-Retailing liegt eigentlich nur bei Kombination von elektronischen Online-Kanälen und stationären Offline-Kanälen vor. Das bloße Vorliegen einer Website reicht dabei nicht mehr aus, es muss OnlineVerkauf stattfinden. Diese „revolutionäre“ Auffassung geht weit über das bisherige Verständnis des Multi-Channel-Marketing bzw. –Management hinaus und macht die „Uniqueness“ dieses Buches aus. Vorrangiges Ziel der Multi-Channel-Handelsunternehmen ist nicht mehr nur die Erschließung neuer Kundengruppen und Märkte durch den Einsatz innovativer Absatzkanäle. Mittlerweile geht es vor allem darum, dem Wunsch der Kunden nach „Channel-Hopping“ sowie ihrem gestiegenen Informationsbedürfnis aus der „explodierenden“ Nutzung des „World-Wide-Web“ Rechnung zu tragen. Aus dem parallelen Einsatz von offline und online ergeben sich dabei zahlreiche Fragestellungen, die es zu beantworten gilt. Diese betreffen vor allem die Integration der Absatzkanäle zu einem Gesamtsystem, eine Notwendigkeit, der die wenigsten deutschen Multi-ChannelHändler Rechnung tragen. Nachweisbare Erfolge mit Multi-Channel-Systemen stellen sich erst durch die vollständige Integration und Vernetzung der Offline- und OnlineKanäle ein, da es sonst zu Kunden-Confusion kommt und dem Wunsch nach „reibungslosem“ Channel-Hopping nicht wirklich entsprochen werden kann. Es geht aber auch um die Nutzungsmöglichkeiten der elektronischen Kundendaten für kanalübergreifende Customer-Retention-Maßnahmen, die erst eine umfassende Realisierung der Cross-Selling-Potenziale erlauben. Im deutschsprachigen Raum überwiegen immer noch Multi-Channel-Konzepte, die das bisherige Geschäft als „Lead-Channel“ betrachten und den Online-Shop nicht wirklich als „strategic opportunity“ betrachten. Echte, voll integrierte Multi-ChannelSysteme, in denen alle Kanäle gleichberechtigt betrieben werden, finden sich praktisch nur im englischsprachigen Raum. Interessanterweise erwirtschaften diese Unternehmen traumhafte Renditen, die im deutschsprachigen Handel so nicht erreicht werden. Die mittlerweile über zehnjährigen Erfahrungen mit dem Parallelbetrieb von Onlineund Offline-Kanälen lassen es heute zu, Empfehlungen für eine erfolgreiche (Neu-) Ausrichtung von Multi-Channel-Systemen zu geben. Hier setzt das vorliegende Buch VII

an, das sieben zentrale Erfolgsfaktoren für den Multi-Channel-Handel aufzeigt und um internationale Best-Practice-Beispiele „echter“ Multi-Channel-Retailer ergänzt. Die Frage, ob sich Multi-Channel-Handel tatsächlich lohnt oder lediglich eine Kannibalisierung in Gang setzt, wird am Ende des Buches klar beantwortet. Die endgültige Idee für dieses Buch entstand während des „Multi-Channel-Handel2007“- Kongresses, den ich am 12. und 13. Juni diesen Jahres für Management Forum in Köln leiten durfte und deren Einführungsreferat ich gehalten habe. Die Erfahrungsberichte auf der Veranstaltung machten deutlich, dass viele Multi-Channel-Händler mittlerweile aus ihren Anfangsfehlern gelernt haben und derzeit dabei sind, ihre Multi-Channel-Geschäftssysteme neu auszurichten. Diese Erkenntnis traf auf „innere Vorbereitung“, denn es lag umfassendes Forschungs- und vor allem Erfahrungsmaterial vor: Bereits 1996 durfte ich als Mitglied im Geschäftsleitungskreis der Douglas-Gruppe an Diskussionsrunden zum Thema „Douglas online?“ teilnehmen. Als Leiter des Competence-Centers Handel der Droege & Comp. Unternehmensberatung wurde ich von 1997 bis 2003 mit den Themen E-Commerce und Multi-Channel-Handel in nahezu allen Handelsprojekten konfrontiert. Unvergessen bleiben die Projekterlebnisse beim „Der Club“-Bertelsmann und BOL während des „Hypes“ der „New Economy“. Nachhaltige Wirkung für dieses Buch hinterlassen hat aber auch die Interimsgeschäftsführung von 2001 bis 2002 beim „Multi-Channel-Pionier“ Kettner, der alle Fehler begangen hat, die im Multi-Channel-Handel nur denkbar sind. Meine wichtigsten „InternetHandels-Lehrjahre“ stammen aus den Jahren 2003 bis 2004, in denen ich gemeinsam mit Philipp Humm, ehemaliger Geschäftsführer von Amazon Deutschland, als Gründungspartner der H&P-Consulting-for-Consumer-Goods beratend tätig war und im ersten Anlauf vergeblich versuchte, Top-Adressen des deutschen Handels von der „Kraft“ des integrierten Multi-Channel-Handels zu überzeugen. Ohne die Unterstützung folgender Personen, denen mein Dank gebührt, wäre dieses Buch nicht so schnell und reibungslos fertig geworden. An erster Stelle danke ich herzlichst meiner lieben Frau Kirsten dafür, dass sie mir den Rücken freigehalten hat, damit ich dieses Buch mit extensiver Lukubration „zügig durchziehen“ konnte. Vor allem aber schulde ich ihr Dank dafür, dass sie das komplette Buch Korrektur gelesen hat und mich auf Fehler aufmerksam machte, die ich selbst so nicht gesehen hätte. Meiner Familie schulde ich Dank für die Zeit, die sie mir gegeben hat, insbesondere an den Abenden und den Wochenenden. Danken möchte ich auch meinem Zwillingsbruder Jobst Heinemann sowie Herrn Matthias Witek für die kritischen und schnellen Durchsichten des Manuskriptes sowie die wertvollen Anregungen. Abschließend möchte ich gerne darauf verweisen, dass es mein vordringlichstes Anliegen war, mit dem Buch eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu bauen und dieses benutzerfreundlich zu gestalten. Sollte ich diesem Anspruch jedoch nicht genügt haben, bitte ich um Nachsicht, aber auch um entsprechendes Feedback.

Mönchengladbach, im Dezember 2007 VIII

Gerrit Heinemann

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XV

1 Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft................... 1 1.1 Internet treibt Multi-Channel Handel ................................................................... 1 1.2 Alter Wein in neuen Schläuchen? - Tradition versus Innovation...................... 5 1.3 Im Fokus: Der multioptionale Kunde ................................................................... 8 1.4 Multi-Channel-Handel betrifft Jeden .................................................................... 10 1.5 Prognose bis 2015: Deutlich positiv....................................................................... 13

2 Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau? .............. 14 2.1 Was Multi-Channel von anderen Handelsformen unterscheidet .................... 14 2.1.1 Definition des Multi-Channel-Handels....................................................... 15 2.1.2 Kontaktprinzipien im Handel ..................................................................... 16 2.1.3 Merkmalsausprägungen des Multi-Channel-Handels.............................. 17 2.2 „Online“ versus „Offline“ ...................................................................................... 19 2.2.1 Offline: Kanäle des stationären Handels (Residenzprinzip) .................... 19 2.2.2 Online: Kanäle des Distanzhandels (Distanzprinzip) ............................... 21 2.2.3 Vorteilhaftigkeit des Absatzkanals Internet ............................................... 22 2.2.4 Vergleich „Offline“ und „Online“ ............................................................... 24 2.3 Fähigkeitsprofil: Welche Kernkompetenzen gefordert sind .............................. 28 2.3.1 Veränderte Fähigkeitsanforderungen ......................................................... 28 2.3.2 Paradigmenwechsel im Marketing.............................................................. 30 2.3.3 Kernkompetenzen je Kanal........................................................................... 30

IX

2.4 Vertikalisierung: Multi-Channel-Handel auch für Hersteller relevant ........... 32 2.4.1 Multi-Channel-Handel als Vertikalisierungsinstrument......................... 32 2.4.2 Intermediation versus Disintermediation.................................................. 33 2.4.3 Vertikalisierung treibt Disintermediation ................................................. 35 2.5 Handlungsoptionen des Multi-Channel Handels ............................................... 36 2.5.1 Multi-Channel-Strategievarianten ............................................................... 37 2.5.2 Multi-Channel-Vertrieb und –Marketing ................................................... 41 2.5.3 Multi-Channel-Management........................................................................ 45 2.6 Kanalverhalten: Channel-Hopping muss möglich sein...................................... 47

3 Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel...................... 52 3.1 Ermittlung der Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel ................................ 52 3.2 Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1.......................................... 55 3.2.1 Kanalinterne Kundenführung und Navigation ......................................... 57 3.2.2 Selektions- und Evaluationshilfen ............................................................... 60 3.2.3 Kommunikationsunterstützende Dialogelemente ................................... 63 3.2.4 Kanalübergreifende Koordination der Kommunikation .......................... 64 3.2.5 Koordination der Online-Werbung ............................................................. 67 3.2.6 Personalisierung der Kommunikation ........................................................ 70 3.2.7 Koordination der Kommunikation über Customer-Interaction-Center . 72 3.3 Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2 ............. 73 3.3.1 Zusammenwirken von Interaktion, Individualisierung u. Integration .. 75 3.3.2 Kunden-Bindung .......................................................................................... 78 3.3.3 Kunden-Gewinnung...................................................................................... 85 3.3.4 Kunden-Conversion ...................................................................................... 87 3.3.5 Kunden-Cut .................................................................................................... 91 3.3.6 Wirtschaftlichkeit des Multi-Channel-CRM............................................... 94 3.3.7 Implementierung von Central CRM............................................................ 95

X

3.4 Core-Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3.................................................... 96 3.4.1 Sortimentsoptionen im Multi-Channel-Handel......................................... 96 3.4.2 Kanalübergreifende Sortimentsfindungslogik........................................... 99 3.4.3 Konventionelles versus digitales Category Management ........................ 100 3.4.4 Kanalinterne Sortimentsfindung in Filialsystemen ................................... 105 3.5 Common Brand and Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4 ........................ 108 3.5.1 Markenoptionen im Multi-Channel-Handel .............................................. 108 3.5.2 Integration des Multi-Channel-Markenmanagements ............................. 114 3.5.3 Multi-Channel-USP als Markeninhalt......................................................... 116 3.5.4 Externe Promotion der Multi-Channel-Marke........................................... 117 3.5.5 Voraussetzungen für eine Multi-Channel-Premiummarke...................... 119 3.6. Complexity-and-Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5 ..................... 120 3.6.1 Reduzierung der Interkanal-Komplexität ................................................. 121 3.6.2 Reduzierung der Intrakanal-Komplexität ................................................. 126 3.6.3 Cycle-Time-Reduction................................................................................... 127 3.6.4 Prozesskostensenkung über Self-Service-Funktionalitäten...................... 128 3.7. Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6 .................................. 130 3.7.1 Ergebnisrechnungsproblem.......................................................................... 130 3.7.2 Wertorientierte Kundensteuerung .............................................................. 131 3.7.3 Netzwerk-Controlling ................................................................................... 134 3.7.4 Kundenbezogene Deckungsbeitragsrechnung ......................................... 137 3.8 Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7................................................. 140 3.8.1 Integration „New Economy“- und „Old Economy“-Kultur .................... 140 3.8.2 Kultureller Fit der Absatzkanäle.................................................................. 144 3.8.3 Gestaltungselemente der Kanalkultur ........................................................ 147 3.8.4 Möglichkeiten einer kulturellen „Kurskorrektur“..................................... 151

XI

4 Best Practices im Multi-Channel-Handel ........................................ 153 4.1 Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel............................................. 153 4.1.1 Best Practices mit stationärem Lead-Channel ............................................ 153 4.1.2 Best Practice mit „echtem“ Multi-Channel-System ................................... 156 4.2 Beispiele für erfolgreiches Multi-Channel-Management.................................... 162 4.2.1 Best Practices in Front-Office-Funktionen .................................................. 163 4.2.2 Best Practices in Back-Office-Funktionen und Supply-Chain.................. 165 4.3 Erfolgsbeispiele für barrierefreien Multi-Channel-Handel ................................ 168 4.3.1 Digitale Spaltung und rechtliche Situation................................................. 168 4.3.2 Wirtschaftliche Bedeutung und technische Unterstützung ..................... 169 4.3.3 Anbieter im Test............................................................................................. 170 4.4 Beispiele für anforderungsgerechte AGB im Multi-Channel-Handel………… 174 4.4.1 AGB für Internetanbieter………………...…………………………..……… 174 4.4.2 Regelungen für Produktindividualisierungen……………………….…… 176 4.4.3 Anbieter im Vergleich………………………………………………….……. 177 4.5 Multi-Channel-Aktionsplan ................................................................................... 181 4.5.1 Herstellung der Multi-Channel-Fähigkeit ................................................. 181 4.5.2 Entwicklung eines Multi-Channel Aktionsplanes..................................... 182 4.6 "Lessons Learned" - 20 Regeln für den Multi-Channel Handel ........................ 185

5 Risk-Benefit – wie sich Multi-Channel-Handel rechnet .............. 187 5.1 Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels............................................ 188 5.1.1 Chancen aus Handelssicht........................................................................... 181 5.1.2 Risiken aus Handelssicht ............................................................................. 191 5.1.3 Chancen aus Kundensicht ........................................................................... 195 5.1.4 Risiken aus Kundensicht.............................................................................. 195

XII

5.2 Erwartete Auswirkungen aus Handelsperspektive ........................................... 96 5.3 Zusatzumsatz und Kannibalisierung aus Kundenperspektive ........................ 198 5.4 Informationswirkungen und Multi-Channel-Erfolgsbilanz.............................. 200

Literaturverzeichnis………………………………………….………….203 Stichwortverzeichnis………………………………………………...….215

XIII

Abkürzungsverzeichnis

Abb…………………………………………………...……………….……………..Abbildung Adm…………………………………………………...………………………..Administration AG ……………………………………………………...……….…………..Aktiengesellschaft AGB`s……………………………………………..…….Allgemeine Geschäftsbedingungen Agof……………………………………..………….Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung asw……………………………………………..……………………………..Absatzwirtschaft At………………………………………………..…………………………..……………Austria BGB…………………………………………………………………..Bürgerliches Gesetzbuch BGG……………………………………………..…………Behindertengleichstellungsgesetz B2C………………………………………………….……………….….Business to Consumer B2B………………………………………………………………………..Business to Business bn……………………………………………………………………………………….…billion bzw……………………………………………………….…………..………beziehungsweise CAGR…………………………………..……………..…..Cumulated Average Growth Rate CBC…………………………………….……………………..………..Customer Bying Cycle CCG…………………………………….………………………..Centrale für Coorganisation CEO…………………………………….…………………………..….Chief Executive Officer CIC……………………………………….……………...………Customer Interaction Center CM……………………………………………………………………..Category Management CNC…………………………………….……………………………..…Costs New Customer Comp…………………………………….……………………………..……………..Company CRM……………………………………….…………..Customer Relationship Management CS……………………….................................................................................Customer Service CU……………………………………………………………………..……….Corporate Units D…………………………………………….…………………………………..….Deutschland

XV

Disc………………………………………….………………………………………….Discount e……………………………………………….………………………..……………….expected EAN……..……………………….……………………………Europäische Artikel-Nummer EC………………………………………………………………………………Electronic Cash ECC………………………………………………………...……………..E-Commerce-Center ECR…………………………………………………...………..Efficient Consumer Response EDV…………………………………………..……………Elektronische Datenverarbeitung EH…………………………………………………………………………………Einzelhandel EHI………………………………………………………………….…….EuroHandelsinstitut EKS……………………………………………………………………….………Einkaufsstätte EP……………………………………………………………...……………..Electronic Partner EVP………...………………………………………………………….…Endverbraucherpreis FAZ………………………………………………………....Frankfurter Allgemeine Zeitung FernAbsG……………………………………………………………..…..Fern-Absatz-Gesetz ff…………………………………………………………………………………..…….folgende FL………………………………………………………………………………..…………Filiale GE………………………………………………………………..………………….Geldeinheit ges………………………………….…………………………………….……………….gesamt GfK………………………………….……………..…….Gesellschaft für Konsumforschung GmbH……………………………….………………Gesellschaft mit beschränkter Haftung H&M………………………………………………………………………..Hennes & Mauritz H&P………………………………………………………………….………Humm & Partner http………………………………….………………………….Hyper Text Transfer Protocol HWS………………………………….…………..…………Hermes Warehousing Solutions IfH…………………………………….……………………….Institut für Handelsforschung IT……………………………………….…………………………….Informationstechnologie KFZ…………………………………….………….…………………………….Kraftfahrzeuge KB………………………………………..……………………………..……………….Kilobyte KRW……………………………………..………………………………..….Käuferreichweite XVI

Log…………………………………………..……………………………….………….Logistik m…………………………………………….……………………………………………million Max…………………………………………..…………………………………………maximal MB…………………………………………….……………………………...……….Megabyte Mio……………………………………………..………………………………..…….Millionen Mktg…………………………………………….……………………………………Marketing Mrd……………………………………………….…………………………………..Milliarden MW………………………………………………...…………………………………Mittelwert PC………………………………………………….……………………….Personal Computer P&C………………………………………………..……………………..Peek & Cloppenburg P&L………………………………………………….…………………………….Profit & Loss POS…………………………………………………..…………………………..…Point of Sale ProdHaftG…………………………………………………………..Produkthaftungs-Gesetz qm……………………………………………………..…………………...…….Quadratmeter ROI……………………………………………………...…………..…..Return of Investments SE…………………………………………………………...………..Stationärer Einzelhandel Sec…………………………………………………………...……………………...…Sekunden SGE………………………………………………………….….Strategische Geschäftseinheit SKU…………………………………………………………...……………Stock Keeping Unit Std…………………………………………………………….…………………………..Stunde SU…………………………………………………………….…………………....Service Units URL…………………………………………………………….….Uniform Resource Locator USP…………………………………………………………….….Unique Selling Proposition vgl………………………………………………………………..………………..….vergleiche vs…………………………………………………………………..………………………versus WWS………………………………………………………...…….….Warenwirtschaftsystem WWW……………………………………………………………..…………World Wide Web ZAW…………………………..………….Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft z.B………………………………………………………………………………….zum Beispiel XVII

Internet treibt Multi-Channel-Handel

1

1.1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

Internet treibt Multi-Channel-Handel

„Die Modekette C&A ist auf Wachstumskurs und will im Herbst in den OnlineHandel einsteigen“ (Handelsblatt 2008 Nr. 80, S. 18). Nach dem Niedergang der New Economy erlebt der Online-Handel einen zweiten Frühling, denn das Internet wächst so schnell wie nie zuvor. Während der stationäre Einzelhandel auch in 2008 nur auf der Stelle tritt, boomt in Deutschland der Verkauf über das Internet. Laut GfKWebscope 2008 hat der Umsatz im B2C-Online-Handel auch 2007 wieder deutlich zweistellig zugelegt. Die Verbraucher hierzulande haben im vergangenen Jahr für rund 18 Mrd. € Waren und Dienstleistungen über das Internet bezogen. Für 2008 werden über 20 Mrd. € Online-Umsatz erwartet. Damit ist das Netz der Vertriebskanal mit der höchsten Wachstumsdynamik (vgl. Abbildung 1-1). Was 1995 mit amazon.com begann, ist zu einem bedeutenden Teil des Einzelhandels geworden. Der InternetHandel tritt als so genannte Meta-Betriebsform in Wettbewerb zu den traditionellen Meta-Betriebsformen des Einzelhandels, zu denen der stationäre Handel, der Katalogversandhandel, das Teleshopping sowie der ambulante Handel zu zählen sind. Internet bildet mittlerweile einen neuen Massenmarkt mit hohem Zielwachstum. In 2008 soll es bereits über 30 Mio. regelmäßige Internetnutzer in Deutschland geben. Die Verbraucher sind begeisterter als je zuvor: Über 88 Prozent der europäischen Internetnutzer recherchieren im Internet, bevor sie bestimmte Produkte offline einkaufen. Aber nicht nur die Nutzerzahl wächst dramatisch, auch der Nutzen selber nimmt bei vernetzten Medien durch neue Verbindungen exponentiell zu, zeigt also eine explosionsartige Steigerung. So verbessern sich Inhalte und Qualitäten immer mehr, und es findet eine Digitalisierung aller Geräte statt. Darüber hinaus werden durch den Austausch von Anbieter- und Nutzererfahrungen zunehmend Verbesserungen und Innovationen ermöglicht, wodurch der Nutzerkomfort weiter steigen wird. Auch bei abflachendem Nutzerwachstum wird der Nutzen weiter ansteigen. Zum Teil noch bestehende Barrieren für das Internet-Shopping werden durch die fortlaufende Entwicklung des Internets mehr und mehr überwunden, so dass die Verbreitung der Online-Haushalte auch weiterhin zunehmen wird. Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahren der Komfort bei der Internetnutzung und die Geschwindigkeit durch den spürbaren Kapazitätsaufbau bei Servern und Netzen sowie der Breitbandübertragung deutlich verbessert haben. Auch ist eine Qualitätssteigerung der OnlineAngebote durch die Weiterentwicklung des Internet-Kanals auf Handelsseite zu er-

1

1.1

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

kennen. Sowohl Inhalt als auch Design der Websites werden zunehmend ausgefeilter und attraktiver, wobei die Anbieter sich neuer Kundenbindungsinstrumente bedienen.

Abbildung 1-1:

Umsatzentwicklung Internet-Handel

Quelle : GfK-Webscope 2008, Hochschule Niederrhein 2008 B2C-Internet-Umsätze 2000-2020e (Mrd. €) Entwicklung B2C-Umsatz in Mrd. €* > 60,0 = Dienstleistungen = Waren

> 40,0 > 22% CAGR

21,2 15,4 14,2

11,2 6,3

% NonFood

2,0

10,6 7,9

4,4 4,0%

2000

2002

2004

5,0%

7,0%

15,0%

2006

2008e

2020e

*ohne KFZ und Apotheken, Prognose mit 2% Inflation angenommen

Für die traditionellen Händler bieten sich folglich enorme Chancen, durch einen gelungen Auftritt im Netz einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen. Dementsprechend gehören auch die erfolgreichsten Retail-Websites in Deutschland zu einem etablierten Offline-Unternehmen. Reine Internetanbieter, die sogenannten „Pure-Player“, sind immer seltener anzufinden oder ergänzen die bestehenden Online-Absatzkanäle um weitere, alternative Absatzkanäle. Unter den acht größten Web-Händlern in Deutschland findet sich mit Amazon nur noch ein echtes Start-Up-Unternehmen. Die bedeutendsten Shops werden von etablierten Marken wie Otto, Quelle, Neckermann oder Tchibo betrieben. Die positive Entwicklung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass beim Aufkommen des Internet-Shoppings in Deutschland zunächst Zurückhaltung vor der Ergänzung bestehender, traditioneller Systeme mit dem möglichen neuen Absatzkanal bestand. Grund dafür waren u. a. Risiken, die mit der Einführung weiterer Absatzkanäle in das bestehende Portfolio in Verbindung gebracht wurden. Diese betrafen z.B. Fragen der unternehmensinternen Abstimmung bzw. Anpassung der Absatzkanalstruktur und 2

Internet treibt Multi-Channel-Handel

der organisatorischen Verankerung. Auch wurden Kannibalisierungseffekte zwischen den Kanälen befürchtet. Zudem ist mit dem Einsatz von Multi-Channel-Systemen eine Steigerung der Komplexität in Management-, Logistik- und Marketingsystemen sowie der internen Infrastruktur verbunden. Assoziiert wurden auch Befürchtungen der möglichen Desorientierung und Überforderung der Kunden, wenn unterschiedliche Leistungen in verschiedenen Kanälen angeboten werden. In der Tat sind derartige Probleme in zahlreichen neuen Multi-Channel-Systemen des deutschen Einzelhandels aufgetreten, wie empirische Studien zu diesem Thema belegen (vgl. Zentes/ SchrammKlein 2006, S. 7). Die Gründe dafür sind vielschichtig, da viele der Multi-ChannelSysteme evolutionär gewachsen sind und die neuen Kanäle nur bedingt mit existierenden Betriebstypen abgestimmt wurden, so dass die erhofften Ziele nicht erreicht werden konnten. Wesentlicher Grund dafür, als Handelsunternehmen schließlich doch in verschiedenen Absatzkanälen tätig geworden zu sein, liegt in dem Wunsch der Konsumenten begründet, auf verschiedenen Wegen mit einem Anbieter in Kontakt zu treten. In einer Konsumentenbefragung zum Thema „E-Zufriedenheit“ gaben mehr als 70% der Befragten an, in ihrem Einkaufsverhalten zukünftig die Wahl zwischen „Offline“- und „Online“-Beschaffungskanälen haben zu wollen. Über 40% äußerten sogar, bei der Wahl des Handelsunternehmens dasjenige zu bevorzugen, das über verschiedene Absatzkanäle verfügt (vgl. Ahlert 2003, S. 6-7). Im Internet auf Produktsuche gehen, Angebote und Preise vergleichen, per Handy bestellen und schließlich beim nächsten Einkaufsbummel in der City im Geschäft kaufen: Ein solches Konsumentenverhalten ist mittlerweile für viele Verbraucher zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Internet beeinflusst mehr denn je als Informationsmedium das herkömmliche Informationsverhalten und ist damit zu einem zentralen Bestandteil der zunehmend durch Multi-Channel-Strategien gekennzeichneten Handelswelt geworden. Dementsprechend schreiben sich immer mehr Handelsunternehmen das Thema MultiChannel auf die Fahne. Jedes Handelsunternehmen benötigt mittlerweile eine MultiChannel-Strategie, auch wenn diese beinhaltet, keinen Multi-Channel-Handel betreiben zu wollen. Folgende Faktoren begründen die Notwendigkeit, sich als Handelsunternehmen mit Multi-Channel-Srategien zu beschäftigen (vgl. Hurth, 2002, S.1):

 Der Internet-Handel wächst weiter. Daraus ergeben sich Wachstumschancen, die der traditionelle Handel so nicht mehr hat.

 Unabhängig vom eigenen Internet-Standpunkt sind alle Handels-Unternehmen durch die veränderten Kundenwünsche und durch Aktivitäten des Wettbewerbs gezwungen, sich zumindest dem Thema zu stellen und Position zu beziehen.

 Hat ein Handelsunternehmen die Entscheidung getroffen, mit Multi-ChannelRetailing zu starten, ist die Frage zu beantworten, wie der neue Kanal in die bestehenden Absatzsysteme zu integrieren ist. 3

1.1

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

Deswegen spielen die Multi-Channel-Systeme in der deutschen Handelslandschaft eine immer größere Rolle. Ob es sich allerdings bei den Internetumsätzen der Versender um Zusatzumsätze handelt, ist umstritten. Der Anteil des reinen Versandhandels geht jedoch augenmerklich zurück, während der B2C-Distanzhandel, der das Internet mit einschließt, seit 2003 wieder wächst. Treiber der positiven Entwicklung des Distanzhandels ist damit ganz klar das Internet (vgl. Abbildung 1-2). Experten der Deutschen Bank gehen sogar davon aus, dass im Jahr 2015 ein Versandhandelsanteil am Einzelhandel von 13 Prozent erreicht wird, wovon etwa 10 Prozentpunkte auf den Online-Handel entfallen sollen (vgl. Giersberg 2008, S. 15).

Abbildung 1-2:

Entwicklung B2C-Distanzhandel

Quelle: BVH, Skillnet, Bähre 2007, FAZ 2008 (FAZ Nr. 6 vom 8. Januar 2008, S. 15) Anteilsentwicklung B2C-Distanzhandel am Einzelhandel

Volumen in Mrd. EUR und % ohne Apotheken und KFZ-Handel

401,2 368,0

370,5

370,7

384,6

Einzelhandel i.e.S.

>13,0%

6,5% 5,8%

1996

7,5% Online

5,5% 5,0%

2002

>10,0%

B2C-Distanzhandel 2004

2006

2008e

2020e

Letztlich ist es aber unerheblich, ob es sich um neue Umsätze oder um Substitution handelt. Jeder traditionelle Händler ist betroffen, wenn in seinem Segment nennenswerte Umsatzanteile über das Internet realisiert werden und dieser Umsatz aufgrund der für Kunden nicht gegebenen Online-Einkaufsmöglichkeit verloren geht. Alle bis-

4

„Alter Wein in neuen Schläuchen“? - Tradition versus Innovation

herigen Erfahrungen, vor allem aus den USA und dem europäischen Ausland zeigen, dass etablierte Händler, die konsequent auf mehrere Vertriebskanäle setzen, Umsätze und Kundenbindung verbessern und zugleich ihre bestehende „Store Brand“ neu beleben können. Das Warenhaus- und Katalogunternehmen JC Penney in den USA zeigt auf, dass seine Multi-Channel-Kunden das Vierfache dessen einkaufen, was sie in den alten Kanälen ausgegeben hatten. Außerdem wurden im Internet zu 26% Kunden neu geworben, die vorher nicht bei JC Penney einkauften. Auch andere Unternehmen berichten von einer hohen Anzahl Neukunden im Netz:

 Conrad Electronic verzeichnet 60 Prozent Neukunden im Netz.  Quelle gibt 15 Prozent Neukunden an.  Tesco bezeichnet 40.000 der 750.000 Online-Shopper als Neukunden. Multi-Channel-Systeme sind folglich Strategieoptionen, die es einem Unternehmen ermöglichen, eine größere Kundenpotenzialausschöpfung zu realisieren bzw. den „Share of Customer“ und die Kundenbindung zu steigern. Den Kunden wird über die unterschiedlichen Arten der Absatzkanäle eine Vielzahl von Kontaktpunkten angeboten, wodurch die Kaufwahrscheinlichkeit und damit der Umsatz steigt . Das vorliegende Werk soll Handelsunternehmen, die bereits über unterschiedliche Vertriebskanäle verfügen und überlegen, einen weiteren Kanal aufzubauen oder die bestehenden Absatzkanäle besser miteinander abzustimmen, Hilfestellung geben. Die vorliegenden Erkenntnisse basieren überwiegend auf Erfahrungen von Handelsunternehmen, die sich intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt haben und damit erfolgreich neue Umsatzpotenziale erschließen konnten.

1.2

„Alter Wein in neuen Schläuchen“? Tradition versus Innovation

In der deutschen Handelslandschaft ist die Nutzung unterschiedlicher Absatzkanäle eigentlich kein neues Phänomen. Vielmehr gibt es schon lange Unternehmen, die neben dem Einkauf in ihren Ladengeschäften, ihren Kunden auch noch die Bestellung über einen Katalog ermöglichen. „Mehrkanal-Handel“ ist so alt wie Sears, Montgomery Ward und viele anderen Traditionsunternehmen im Handel, die ihre Sortimente über den Katalog parallel zum stationären Geschäft bereits im vorletzten Jahrhundert verkauft haben. Der älteste Versandhändler in Deutschland, die Firma Kettner, betrieb praktisch seit Gründung im Jahre 1884 neben dem stationären Verkauf immer auch schon Distanzhandel. Der Club Bertelsmann nutzt seit mehr als 50 Jahren mehrere Kanäle für den Vertrieb von Medienprodukten, insbesondere Kataloge und stationäre Geschäfte.

5

1.2

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

Vor allem die klassischen Versandhändler Quelle und Neckermann gelten als die eigentlichen Pioniere der Mehrkanal-Absatzstrategie. Neckermann war seit seinen frühesten Anfängen immer schon Mehrkanal-Händler und nie nur ein Versandhändler, nicht einmal in erster Linie. Nach der Eröffnung eines Textilgeschäfts 1948 gründete Joseph Neckermann erst 2 Jahre später das Versandhandelsunternehmen. Er sah in der Verbindung von Versandhandel und stationären Geschäften eine ideale Kombination (Giersberg 2007, S.18). „Meine Idee war es, ein Versandunternehmen zu errichten mit gleichzeitigen Schaufenstern, verkörpert durch Kaufhäuser und Verkaufsstellen“, bemerkte er 1964 auf der ersten Hauptversammlung seiner Gesellschaft. Der MultiChannel-Gedanke hat also Tradition, obwohl der „Phasensprung“ zum eigentlichen Multi-Channel-Handel untrennbar mit dem Online-Handel verbunden ist. Ohne die Einbindung von Internet-Handel kann nicht von „modernen“ Multi-ChannelSystemen, sondern allenfalls von „traditionellen“ Mehrkanalsystemen gesprochen werden (Giersberg 2007, S.18). Entwicklung und Bedeutung von Multi-Channel-Systemen muss insofern eindeutig der Einführung und Etablierung der Internettechnologie als neuer Vertriebsweg zugeschrieben werden, die zunächst zu einem Internetboom führte. In der ersten Phase spezialisierten sich viele Unternehmen nur auf diesen neuen Vertriebsweg ohne den stationären Handel ins Visier zu nehmen, während die traditionellen Händler auf der anderen Seite dem „Hype“ misstrauisch begegneten und sich auf ihr altbewährtes Stationärgeschäft konzentrierten. Im Zuge der Internet-Diffusion und -Evolution nahmen jedoch immer mehr Unternehmen aus dem traditionellen Bereich das Internet in ihr Vertriebsportfolio mit auf und setzten damit erste Multi-Channel-Strategien um. Dabei wurden viele der halbwegs erfolgreichen Internethändler von großen stationären Einzelhändlern aufgekauft und in deren Multi-Channel-Strategie integriert. Zunehmend bemerkten auch die Onlinehändler, dass ihre Chancen deutlich steigen, wenn sie ihr Vertriebssystem mit Katalogversandhandel und stationären Geschäften ergänzen bzw. erweitern (vgl. Krone, 2004, S. 5-6). Im Folgenden wird von Multi-Channel-Handel immer nur in Verbindung mit Internet-Handel gesprochen. Die traditionellen Mehrkanalsysteme ohne Online-Handel werden nicht betrachtet. Die Erscheinungsformen von Multi-Channel-Systemen sind dementsprechend vielseitig (vgl. Bohlmann 2007, S. 2):

 „Pure“ stationäre Einzelhändler („Brick&Mortar-Abieter“), die einen zusätzlichen elektronischen Absatzkanal einrichten („Click&Mortar-Anbieter“), wie u.a. Douglas, Tengelmann und Schlecker.

 Stationäre Einzelhändler, die mit Online-Shopbetreibern kooperieren, die zusätzlich auch klassischer Katalogversender sein können, um so von deren Know-How zu profitieren und sich damit Zugang zu einem Multi-Channel-System zu verschaffen, wie u.a. OBI mit Otto oder Bogner mit Primondo/ Quelle.

6

„Alter Wein in neuen Schläuchen“? - Tradition versus Innovation

 „Klassische“ Mehrkanal-Systeme (stationärer Handel in Verbindung mit dem Katalogversand), die um einen elektronischen Kanal erweitert werden, wie u.a. bei Tchibo, Conrad Elektronic, IKEA oder Neckermann.

 „Pure-Internet-Player“, die bislang ausschließlich den elektronischen Kanal benutzen und die Ladengeschäfte erwerben bzw. eröffnen, um sich damit Zugang zu neuen Kunden zu verschaffen. Beispiele sind u.a. beautynet oder pixelnet, die in 2001 Photo Porst übernahmen. Von allen Erscheinungsformen am häufigsten anzutreffen ist die Umwandlung vom Brick&Mortar-Anbieter (stationärer Handel) zum „Click&Mortar-Händler“ in ERetailingform. Durch Multi-Channel-Systeme stehen dem Kunden – in der Regel mit dem stationären Handel und dem Internet-Handel – insofern mindestens zwei Vertriebswege für die Beschaffung seines Produktes zur Verfügung. Dabei stellt sich die Frage, wieviele reine Online-Händler ohne Stationärgeschäft es überhaupt noch gibt. Insgesamt beträgt der Anteil der Multi-Channel-Retailer in Deutschland unter den Online-Händlern über 65%. Die restlichen 35% sind den reinen Online-Händlern zuzuschreiben. Mit dieser Verteilung liegt Deutschland im Mittelfeld. Während Italien mit nur 39% Multi-Channel-Anteil das Schlusslicht bildet, weist die Schweiz mit 84% den höchsten Anteil der Multi-Channel-Retailer auf (vgl. Krone, 2004, S.6). Insgesamt aber dominieren die Multi-Channel-Systeme den deutschen Handel (noch) nicht. Betrachtet man zum Beispiel den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und die Textilbranche, zeigt sich, dass ein großer Teil der Top-30 Handelsunternehmer als MultiChannel-Händler agieren. In Bezug auf die absolute Anzahl der Multi-ChannelHändler (auf Konzernebene) zeigt sich, dass ca. 47% der größten 30 Unternehmen Multi-Channel-Handel betreiben. Dabei werden ca. 78% des Umsatzes in diesen MultiChannel-Systemen realisiert. Obwohl sich das Internet als Kommunikationskanal bei allen Unternehmen durchgesetzt hat, wird es im LEH immer noch selten als Distributionskanal eingesetzt, allenfalls als Nebenabsatzkanal. Tatsächlicher Vertrieb von Food-Sortimenten über das Internet erfolgt nur in sehr eingeschränkter Form, wenn man einmal vom Wein-Versand absieht, wie z.B. Hawesko zusammen mit den Jaques-Weindepots. Im Textileinzelhandel betreiben immerhin 42% der größten 30 Unternehmen Multi-Channel-Handel und realisieren damit ca. 54% ihres Umsatzes. Insgesamt ist der Einsatzgrad von Multi-ChannelSystemen in dieser Branche stärker ausgeprägt als im LEH, zumal Textilien ja auch bereits im Versandhandel „traditionell“ eine größere Rolle spielen (vgl. Zentes, Schramm-Klein 2006, S. 7).

7

1.2

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

1.3

Im Fokus: Der multioptionale Kunde

Aufgrund der inzwischen über 10-jährigen, Internet getriebenen Multi-ChannelErfahrung, lässt sich eindeutig sagen, dass Multi-Channel-Retailer Kundenbedürfnisse besser erfüllen können und dem Kunden einen höheren Gesamtnutzen bieten als Handelsunternehmungen mit nur einem einzigen Kanal (vgl. Zaharia 2006, S. 2):

 Den geänderten Kundenbedürfnissen wird mit Multi-Channel-Handel Rechnung getragen. Den Kunden wird eine Vielzahl von alternativen Kontaktpunkten und damit Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung geboten. Der sich zunehmend multioptional verhaltende Kunde hat damit an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten die Möglichkeit zur unterschiedlichen Bedürfnisbefriedigung. Er kann, je nachdem welche Bedürfnisse im Vordergrund stehen, zwischen convenience-, erlebnis- oder preisorientierten Einkaufsstätten wählen. Multi-ChannelRetailing kommt den nach unterschiedlichen Bedürfnissituationen variierenden Anforderungen der Kunden an Einkaufsstätten entgegen.

 Den Kunden wird mit Multi-Channel-Retailing ein höherer Gesamtnutzen geboten, als es ein Single-Channel-Händler kann. So können die Kunden verschiedene Kanäle im Rahmen ihres Einkaufsprozesses kombinieren, wodurch sie mehr Auswahl und Kontrolle über den Prozess erhalten. Je nach Kaufphase und den dabei relevanten Bedürfnissen, wählen und nutzen die Kunden den am besten geeigneten Kanal. Dieses versetzt wiederum das Multi-Channel-Handelsunternehmen in die Lage, die Kanäle im Sinne eines besseren Kundeninteraktionsprozesses zu gestalten, wodurch zusätzliche Umsatzpotenziale erschlossen werden können. So wird dem Online-Kanal eine zentrale Rolle als Informationsquelle für die Kaufanbahnung zugesprochen. Das multioptionale Kaufverhalten, das auch als „mehrdimensionales“ Verhalten bezeichnet wird, darf nicht mit dem hybriden Konsumentenverhalten verwechselt werden. Mit diesem auch „zwitterhaften“, hybriden Verhalten ist ein Nebeneinander gegensätzlicher Orientierungen gemeint. Typisches Beispiel dafür ist das Nebeneinander von Discount- und Premiumkauf. Dieses unterscheidet sich wiederum deutlich vom klassischen, konsistenten Kaufverhalten, bei dem der Kunde seinen „Stammkanal“ nutzt und diesbezüglich stabiles Verhalten zeigt. Das Multi-Channel-Retailing fokussiert auf den multioptionalen Kunden, der innerhalb des Kaufprozesses zwischen den angebotenen Kanälen wechselt, also „ChannelHopping“ oder auch „Kanal-Zapping“ betreibt. Die Absatzkanäle existieren nebeneinander und ermöglichen dem multioptionalen Kunden die Befriedigung seiner vielschichtigen Bedürfnisse. Sie versuchen – ähnlich wie in anderen Lebensbereichen – auch beim Einkaufen die Vorteile aller sich bietenden Optionen zu nutzen. Typisch für diese Kunden ist zum Beispiel der Start seines Kaufprozesses mit der Informationssuche im Katalog sowie Produktbegutachung im stationären Shop. Im Internet wird

8

Im Fokus: Der multioptionale Kunde

dann bestellt, bezahlt und der Verlauf der Auslieferung begutachtet (Order-Tracking). Ist die Ware beschädigt oder gefällt sie dem Kunden dann doch nicht, gibt er diese dann im stationären Shop zurück (vgl. Wegener 2004, S. 211 ). In Abbildung 1-3 ist dargestellt, wie ein derartiges multioptionales Kanalkaufverhalten aussehen kann.

Abbildung 1-3:

Multioptionales Kaufverhalten

Quelle: Wegener 2004, S. 211

Fachmärkte

Informieren

Probieren

Bestellen

Erhalten

Bezahlen

Informieren

Umtausch

Katalogversand

Electronic Shops

Wird den Kunden die Möglichkeit zum „Channel-Hopping“ gegeben, dann wirkt sich diese erfahrungsgemäß positiv auf das Stammgeschäft aus (vgl. OC&C, S.2):

 Multi-Channel-Kunden kaufen mehr: Erfolgreiche Multi-Channel-Händler in den USA und in England setzen mit ihren Kunden 200-400% mehr um als mit den „Einkanal-Kunden“. Eine bloße Kannibalisierung des Stammgeschäftes findet also nicht unbedingt statt, sondern eher eine deutliche Steigerung des „CustomerValue“ mit diesen Kunden. Auch lassen sich im stark wachsenden Online-Markt besser Neukunden gewinnen

 Multi-Channel-Kunden sind loyaler: Mit der gestiegenen Präsenz eines Händlers sind die Wünsche der Kunden jederzeit und überall erreichbar. Dadurch steigt die Kundenbindung und Kundenzufriedenheit. Der persönliche Kontakt zum Kunden reduziert die Wechselbereitschaft zu Wettbewerbern. Intensives Customer Relationship Management nutzt Informationen über die Kundenpräferenzen für maßgeschneiderte Angebote.

9

1.3

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

Der klassische Einzelhandel hat durch das integrierte Angebot mehrerer Vertriebskanäle die Möglichkeit, seine Kunden erheblich besser kennen zu lernen und wertorientierte Kundenbeziehungen aufzubauen.

1.4

Multi-Channel betrifft Jeden

Die enormen Zuwachsraten, die das Multi-Channel-Retailing mittlerweile erreicht, sind auch Ergebnis der hohen Internet-Diffusion in der Bevölkerung. In 2006 waren ca. 40 Millionen Menschen und damit über 60% der Bevölkerung regelmäßig online. Über 52% der Frauen und 67% aller Männer sind im Netz.

Abbildung 1-4:

Branchenspezifische Bedeutung des Internet

Quelle: Meffert 2001, S. 167 PC`s

Zunehmende Bedeutung des Internet

Software

Bücher/CD´s

Nahrungsmittel Zeitungen

hoch Chemie

Autonomie des Käufers gemessen anhand der Erklärungsbedürftigkeit des Produktes

Reisen

Ersatzteile Finanzdienstleistungen

Sportzubehör Möbel

Schulungen

Rohstoffe niedrig

Industriemaschinen

Logistikdienstleistungen

niedrig

hoch

Transaktionskostensenkungspotential durch - mehrstufige Absatzkanalstruktur - Vorhalten großer Kapazitäten

Dabei kommen die Online-Shopper nicht mehr nur aus der jüngeren, sondern aus allen Altersschichten. Im vergangenen Jahr waren bereits mehr als 58% der über 50Jährigen und 26% der über 60-Jährigen regelmäßig online. Insofern kann heute nicht mehr von einer altersmäßigen Begrenzung der Online-Nutzung ausgegangen werden. Neben der Altersfrage ist auch die Branchenfrage immer wieder Gegenstand reger Diskussionen. Im Raum steht die These, dass die Branchen jeweils unterschiedlich geeignet sind für den Internet-Verkauf. Aussagefähige Kriterien zur Spezifikation 10

Multi-Channel betrifft Jeden

dieser Branchen sind dabei das Transaktionskostensenkungspotenzial sowie die Autonomie des Käufers (vgl. Abbildung 1-4). Tendenziell gilt, dass eine Brancheneignung um so eher gegeben ist, je größer das Einsparpotenzial bei der Durchführung von Transaktionen über das Internet und je größer die Autonomie des Käufers bzw. das Selbstbedienungspotenzial sind. Auch wenn diesbezüglich digitalisierbare Leistungen offensichtlich die beste Brancheneignung haben, weswegen das Internet für Retailbanking zu einem strategischen Muss geworden ist, so hat die Zahl der das Internet nutzenden Branchen unentwegt zugenommen. Dbei haben vor allem klassische Sortimente und allen voran Bekleidung/Textilien/Schuhe stark wachsende Akzeptanz im Online-Handel. Für nahezu 4,0 Mrd. € wird mittlerweile Bekleidung online gekauft, was einem Zuwachs von ca. 40% gegenüber 2006 entspricht, gefolgt von Bücher/Medien/Bild-/Tonträgern mit knapp 2,0 Mrd. € (plus 10,6%)

Abbildung 1-5:

Internet-Umsätze nach Warengruppen

Quelle: bvh/TNS-Infratest 2006/2007 Vergleich 2006 %

Internet-Umsätze nach Warengruppen 2007 (in Mio. €) Bekleidung/Textilien/Schuhe

3.918

Medien/ Bild- und Tonträger

1.990

Unterhaltungselektronik/-technik

1.212

Hobby/ Sammel- u. Freizeitart.

775

Möbel/ Dekoration

568

Haushaltsgeräte

319

Haushaltswaren

+ 39,6% +10,6% -13,7% + 4,4% +16,1% -12,1%

298

+22,6%

Lebensmittel/ Delikatessen/ Wein

279

+ 3,0%

Medikamente

252

Drogerie/ Kosmetik/ Parfüm

234

Computer und -zubehör

193

Spielwaren

186

Schmuck/ Uhren/ Blumen DIY/ Garten/ Heimwerkbedarf

183 153

-(1) -(1) -46,3% +22,4% - 4,2% -49,9%

Bürobedarf

106

+24,7%

Tierbedarf

45

- 3,2%

(1) Fehlende Vergleichsbasis

Auch Unterhaltungselektronik und Hobby/Heimwerken/ DIY/ Freizeit sind unter den Top 4 mit jeweils deutlich über 1 Mrd. € Umsatz (vgl. Abb. 1-5). Weit abgeschlagen mit knapp 0,3 Mrd. € Umsatz liegen Lebensmittel und damit die größte Einzelhandelsbranche. Im deutschen LEH standen bisher sicherlich eher andere Themen auf der Tagesordnung als die Entwicklung eines Online-Shops. Hier hat sich inzwischen aber 11

1.4

1

Multi-Channel-Handel – Verkaufsform der Zukunft

zumindest die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht ausreicht, den Kunden nur einen Einkaufskanal anzubieten. Die zunehmende Zahl von zum Beispiel Convenience-Shops in Tankstellen und Factory-Outlets verdeutlicht die Entwicklung weg vom traditionellen, stationären Handel mit starren Öffnungszeiten und traditionell gewachsenen Sortimenten und Serviceleistungen. Diese Art von Betriebstypendiversifikation oder auch Mehrkanalstrategie nutzt Internet bisher allenfalls als Informationsmedium, aber nicht offensiv als Verkaufskanal, wie es zum Beispiel Tesco, der wohl erfolgreichste europäische Lebensmittel-Online-Händler tut. Die Umsätze von Tesco, in 2001 bei über 500 Mio. €, dürften mittlerweile die Milliardengrenze überschritten haben bei positivem Ergebnis. WalMart startete in den USA bereits 1996 mit 1.400 Artikeln und bietet heute über 140.000 Artikel online an (vgl. Passenheim 2003, S. 83-102). Auch wenn der Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland zur Zeit noch in den Kinderschuhen steckt und zu den eher langsam wachsenden Online-Segmenten gehört, erwarten Marktforscher eine deutliche Belebung in diesem Bereich. Auch der traditionell geprägte, stationäre LEH ist durch die neue Technologie herausgefordert. Jeder der großen deutschen Lebensmitteleinzelhändler beschäftigt sich inzwischen mit dem Thema der internetgestützten Bestellung und Belieferung privater Konsumenten (vgl. Passenheim 2003, S. 102). Nach neuesten Zeitungsberichten intensivieren die großen Lebensmitteldiscounter in Deutschland die Tests mit der Vertriebsschiene Internet. So bietet Lidl inzwischen erstmals ein themenbezogenes Nonfood-Sortiment online an (vgl. LZ 23 2007, S. 23) und testet u.a. mit einem Kanu-Shop den Anklang eines neuen Nonfood-Sortiments im Internet. Unter der Online-Adresse www.LidlAktionen.de werden sieben verschiedene Boote sowie Zubehör angeboten. Bereits seit einiger Zeit offeriert Lidl im Internet digitale Foto-Services, Handy-Verträge und DSLOnline-Anschlüsse. Hinzu kommen Reisen des Veranstalters Paneuropa sowie Blumen des Internet-Versenders Valentins.de. Weiterhin testen die Neckarsulmer den Vertrieb von Nonfood-Restanten über den Ebay-Shop „Dauerschnäppchen“. Als nächsten Schritt wird in der Branche die Gründung einer Internet-Vertriebsschiene neben Lidl und Kaufland in der Schwarz-Gruppe erwartet. Mit der aktuellen Website Lidl.de erreicht der Neckarsulmer Discounter nur die Hälfte der Besucherzahlen seines Mitbewerbers Aldi, der nach Nielsen NetRatings im April 2007 auf 2,64 Mio. Besucher kam. Plus, der bisher als einziger deutscher Discounter mit einem umfassenden Nonfood-Shop Online-Handel betreibt, kam im April 2007 auf 1,97 Mio. Besucher. Zum Vergleich: Der Online-Shop von Schlecker lockte im gleichen Zeitraum 1,28 Mio. Menschen an, die Online-Filiale von Tchibo 5,67 Mio. Besucher. Vergleicht man damit die Amazon-Zahlen mit 10,45 Mio. Surfern, sind die Besucherzahlen der großen Lebensmitteleinzelhändler sicherlich noch ausbaufähig. Alles in allem lässt sich aber nachweisen, dass Multi-Channel-Handel keine Aschenputtelrolle mehr spielt, sondern sich zu einem Massengeschäft entwickelt hat, dass Alle angeht und anspricht.

12

Prognose bis 2015: Deutlich positiv

1.5

Prognose bis 2015: Deutlich positiv

Alle Prognosen deuten darauf hin, dass der Internet-Boom bzw. damit der MultiChannel-Trend ungebrochen weitergeht und auf absehbare Zeit anhalten wird. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Einzelhandelsumsätze im Internet bis 2015 mindestens verdoppeln werden und damit die Multi-ChannelEntwicklung auch in den nächsten Jahren deutlich treiben werden. Im Vergleich zu anderen Ländern wie z.B. den skandinavischen Ländern oder den USA, ist die Internetpenetrationsrate in Deutschland mit rund 60% noch relativ gering, so dass auch im Quervergleich immer noch Wachstumspotenziale bestehen. Viele Multi-Channel-Händler sind mit der Umsatzsituation noch nicht zufrieden und wollen zumindest eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen Online- und Ladengeschäften in eine bestimmte Richtung erreichen, wie jüngste empirische Studien zeigen (vgl. Schobesberger, A. 2007, S. 61 ff.). Ganz eindeutig wird von den befragten Multi-Channel-Einzelhändlern dabei die Meinung vertreten, dass die Bedeutung des Online-Shops in Zukunft steigen wird, während die Bedeutung des Ladengeschäfts leicht abnehmen soll. Dabei werden überwiegend zweistellige Zuwachsraten im Internet-Geschäft angestrebt. In 50% der Fälle wird ein Online-Wachstum von über 20% genannt, bei 30% der befragten Unternehmen sogar von über 30%. Nur 15,6% der befragten Unternehmen sind mit der Bedeutung ihres Online-Shops zufrieden. Die Steigerung der Bedeutung des Online-Shops soll sich zwischen 10% und 50% bewegen. Einigkeit besteht darin, dass Multi-Channel-Handel zur Gewinnung zusätzlicher Kunden führt, neue Kundenzielgruppen anspricht, das Firmenimage auffrischt, die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, zu positiven Imagetransfers führt und den Marktanteil steigert. Die Mehrzahl der Unternehmen glaubt ebenfalls an eine Verbesserung der Kundenbindung. Uneinigkeit herrscht allerdings darüber, ob Multi-Channel zu Kannibalisierung führt. Gleiches gilt für die Aufteilung von Risiken und möglichen zusätzlichen Kosten. Insofern wird diese Frage in den folgenden Kapiteln aufgegriffen und zu beantworten versucht.

13

1.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

2

2.1

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Was Multi-Channel von anderen Handelsformen unterscheidet

Ein Multi-Channel-Unternehmen ist ein komplexes Gebilde, das nicht selten über lange Jahre hinweg gewachsen und damit „unique“ geworden ist. Es ist daher schwer, allgemeine Regeln für die Identifikation und Realisierung von Potenzialen abzuleiten. Handelsexperten schlagen deshalb vor, aus der Vielzahl der verschiedenen Möglichkeiten und Varianten, eine allgemeingültige Definition zu finden, die den MultiChannel-Handel eingrenzt. In diesem Zusammenhang werden zunächst die drei definitorischen Begriffe „Einzelhandel“, „Multi“ und „Channel“ geklärt (vgl. Zaharia S. 11ff, Schröder 2005, S. 5ff).

 Einzelhandel ist jede Form der Weiterveräußerung von Gütern und Dienstleistungen an Letztverbraucher. Sowohl Handelsunternehmen als auch Produzenten können Einzelhandel betreiben. Entscheidend ist lediglich, dass die Hauptaufgabe des Einzelhandels nicht in der Gütererzeugung, sondern im Umsatz (Beschaffung und Absatz) von Waren besteht. Als typische Handelskonzerne gelten demnach z.B. die Metro-Kaufhof-Gruppe, der Otto-Konzern oder die Edeka-Organisation. Im Zuge der Direktvermarktung bzw. Vorwärtsintegration vieler Hersteller auf der einen Seite, und deren Produktionsvergabe („contract manufacturing“) auf der anderen Seite, sind zahlreiche Hersteller in den letzten Jahren mehr oder weniger zu Groß- bzw. Einzelhändlern „mutiert“ (z.B. Puma, adidas, BOSS).

 Multi bedeutet, dass das Einzelhandelsunternehmen mindestens zwei Absatzkanäle betreibt, über die er seine Waren dem Endverbraucher anbietet. Dabei wird zunächst nicht berücksichtigt, ob die Kanäle unterschiedliche Bedeutung haben (z.B. „Lead-Kanal“) oder mehr oder weniger stark integriert sind. Bei Douglas stellt z.B. das Filialgeschäft nach eigenen Angaben ganz klar den „Lead-Channel“ und der Online-Kanal den „Support-Channel“ dar. Anders bei Dell, wo der Online-Verkauf aktuell um stationäre Geschäfte „ergänzt“ wird.

 Channel oder auch Kanal bezeichnet den Absatzweg eines Einzelhändlers, auf dem ein Endkunde seine Waren erwerben kann. Ein Absatzkanal muss eine Bestellung zulassen können, so dass solche Kanäle auszugrenzen sind, die nur auf Kommunikation oder andere Marketing-Flows begrenzt sind wie z.B. Geld- und Informationsströme. Sieht also der Internetauftritt keine Kaufmöglichkeit vor wie 14

Was Multi-Channel von anderen Handelsformen unterscheidet

z.B. bei C&A (www.cunda.de) oder Pohland (www.pohland.de), dann kann nicht von Multi-Channel gesprochen werden.

2.1.1

Definition des Multi-Channel-Handels

Von Multi-Channel-Handel kann somit zusammenfassend nur gesprochen werden, wenn eine Kombination von Absatzkanälen vorliegt, die ein Kunde wahlweise nutzen kann, um Leistungen eines Anbieters nachzufragen. Im Gegensatz zu traditionellen Mehrkanalsystemen muss dabei mindestens ein Kanal des Handelsunternehmens den stationären Handel und ein zweiter Kanal desselben Unternehmens (und nicht bloß der Firmengruppe) den Internet-Handel repräsentieren. Multi-Channel-Handel bezeichnet folglich ausschließlich die relativ neue und innovative Verknüpfung von stationärem Geschäft und Internethandel plus möglicherweise zusätzlich Kataloggestütztem Versand. Beide Formen des Online-Handels werden zusammenfassend betrachtet als B2C-Distanzhandel. Dabei müssen die Kanäle Bestellung und damit Nachfrage zulassen. Ein Kaufabschluss muss in den betrachteten Kanälen möglich sein, so dass Kanäle rechtlich gesehen die verbindliche Spezifizierung der Güterübertragung hinsichtlich Menge, Preis, Zahlungsbedingungen, Lieferung, Garantieleistungen, etc. darstellen. Liegt „nur“ stationäres Filialgeschäft und kataloggestütztes Versandgeschäft, nicht aber ein Internet-Shop vor, dann liegt kein Multi-Channel-Handel vor, sondern traditioneller Mehrkanalhandel (wie z.B. bei SOR-Rusche). Nach vorliegender Definition des Multi-Channel-Handels sind z.B. Karstadt Warenhaus GmbH mit Karstadt.de, oder Tchibo GmbH mit Tchibo.de typische MultiChannel-Handelsunternehmen. Dieses gilt nicht für die Thalia Holding GmbH (als 75%-Tochterunternehmen der Douglas-Holding AG) und Buch.de, einer 35,2%Konzernbeteiligung der Thalia-Gruppe. Bloße Beteiligungen oder unabhängige Schwesterunternehmen in einem Konzernverbund rechtfertigen nicht den Begriff Multi-Channel-Handel. Beide Kanäle müssen operativ vom gleichen Unternehmen betrieben werden, was die unternehmerische Führung im Falle eines Joint-Ventures mit einschließt. Bogner-Homeshopping.de, der als jeweilige 50%-Beteiligung sowohl von Bogner, als auch von der Primondo-Gruppe/ Quelle betrieben wird, kann demgegenüber sowohl als Teil eines Bogner-Multi-Channel-Systems, als auch als Teil eines Quelle-Multi-Channel-Systems angesehen werden, da von beiden Seiten aus ein Teil der operativen Führung in Personalunion gestellt wird. Namensgleichheit muss nicht unbedingt gegeben sein, d.h. die Kanäle des Multi-Channel-Handels können durchaus unterschiedlich markiert sein, auch wenn dieses suboptimal ist. Reine Kommunikationskanäle, die keine Transaktionen zulassen, stellen keinen Absatzkanal in diesem Sinne dar und sind somit nicht die zweite „Verkaufssäule“. eines Multi-ChannelHandelsunternehmens (vgl. Bohlmann 2007, S. 21).

15

2.1

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Zu klären ist jetzt, welche Erscheinungsformen im Einzelhandel als Muli-ChannelSystem bezeichnet werden können. Dazu bietet es sich an, ein Modell zu benutzen, dass ein Multi-Channel-Unternehmen als ein System begreift, das nach drei Merkmalen charakterisiert werden kann: Art und Anzahl der Kontaktprinzipien, Art und Anzahl der Geschäftsbezeichnungen und Art und Anzahl der Vermarktungskonzepte (vgl. Bohlmann 2007, S. 12 ff.).

2.1.2

Kontaktprinzipien im Handel

Kontaktprinzipien beschreiben die Art und Weise, wie Einzelhandelsunternehmen und Kunden in Beziehung zueinander treten. Art der Kommunikation und Interaktion mit dem Kunden unterscheidet sich je nach zugrunde liegendem Kontaktprinzip beträchtlich. Diese gilt ebenso für die unterschiedlichen Betriebstypen, die sich jeweils den Kontaktprinzipien zuordnen lassen, allerdings in differenzierterer Form. Wie Abbildung 2-1 zeigt, lassen sich vier Prinzipien der Kontaktanbahnung unterscheiden:

Abbildung 2-1:

Kontaktprinzipien im Multi-Channel-Handel

Quelle: Wegener 2004, S. 200

Anbieter

Verbraucher Residenzprinzip: Stationärer Einzelhandel

Domizilprinzip: Haustürverkauf

Treffprinzip: Marktplatz

Distanzprinzip: Katalogversand, Electronic Shops

 Das Residenzprinzip: Kunden treten mit dem Anbieter in dessen Verkaufsräumlichkeiten in Kontakt (= stationärer Einzelhandel, z.B. Filialen). 16

Was Multi-Channel von anderen Handelsformen unterscheidet

 Das Domizilprinzip: Der Einzelhändler tritt mit den Kunden an deren Wohnort in Kontakt (= ambulanter Einzelhandel, z.B. Haustürverkauf).

 Das Treffprinzip: Anbieter und Kunde treten an einem dritten Ort außerhalb von Domizil und Residenz in Kontakt (= halbstationärer Einzelhandel, z.B. Wochenmärkte).

 Das Distanzprinzip: Einzelhändler und Kunde treten physisch nicht in Kontakt. Deren räumliche Trennung wird durch Medien überbrückt (= Versandhandel, entweder Katalog-gestützt oder als Internethandel). Auch wenn immer wieder der Sinn einer Kategorisierung von Handelsunternehmen nach Betriebstypen diskutiert wird, so kann aus diesem Ansatz die Erkenntnis abgeleitet werden, dass Einzelhandelsunternehmen mit ihren Leistungen unterschiedliche Bedürfnissituationen und Bedarfe der Kunden ansprechen. Man kann daraus unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltung der Kanäle und an die Abstimmungsprozesse zwischen den einzelnen Kanälen ableiten.

2.1.3

Merkmalsausprägungen des Multi-Channel-Handels

Die Geschäftsbezeichnung bezieht sich auf die (Händler-)Marke, unter der das Absatzkonzept vermarktet wird, also die Store Brand oder Retail Brand bzw. Betriebstypenmarke. Ein Einzelhändler kann dazu eine einzige Marke (z.B. Tchibo) oder mehrere Marken nutzen (z.B. Karstadt und Myworld.de). Die Erfahrungen zeigen aber, dass es nicht sinnvoll ist, den Online-Shop mit einer anderen Storebrand als das stationäre Geschäft zu versehen. Unter Vermarktungskonzept sind alle Maßnahmen der Marktbearbeitung zu subsumieren, wie Kontaktmittel (z.B. face-to-face, print oder digital), Sortiment, Preisstruktur, Zahlungsarten, physische Distribution und die Re-Distribution. Mit diesem Kriterium werden in der Regel die stationären Betriebstypen abgegrenzt. Für die Wahrnehmung des Multi-Channel-Handelsunternehmens durch den Kunden ist aber vor allem das Merkmal „Integrationsgrad der Absatzkanäle“, das sich auch auf die Geschäftsbezeichnung bezieht, von zentraler Bedeutung. Dabei sind die Aspekte „Wahrnehmung der Zusammengehörigkeit der Kanäle“ und „Wahrnehmung der Integration von Prozessen und Funktionen für die Konsumenten“ zu unterscheiden. Die Wahrnehmung der Zusammengehörigkeit der Kanäle kann vor allem gefördert werden durch eine einheitliche Geschäftsstättenbezeichnung, was sich durch den Einsatz integrierter und kanalübergreifender Kommunikation noch verstärken lässt. Sämtliche möglichen Ausprägungen sind in Abbildung 2-2 zusammengefasst

17

2.1

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Abbildung 2-2:

Merkmale des Multi-Channel-Handels

Quelle: Bohlmann 2007, S. 27 Ausprägungen der Merkmale

Merkmale Art der Geschäftsanbahnung Varietät des Sortiments zwischen den Kanälen

persönlich deckungsgleich

umfassend

Printmedien

Elektronische Medien

überschneidend

Überschneidungsfrei

zeitpunktbezogene Preisstruktur der Kanäle

standardisiert

differenziert

Anzahl der Storebrands

Eine (Monobrand-System)

Mehrere (Multibrand-System)

Varietät der Zahlungsverfahren

Barzahlung

Geldkarte

Rechnung

Kreditkarte

Lastschrift

Varietät der physischen Distribution

kanalspezifisch

kanalübergreifend

Varietät der physischen Re-Distribution

kanalspezifisch

kanalübergreifend

InternetCash

Aus der Sicht des Einzelhandelsunternehmens werden in Hinblick auf das Vermarktungskonzept häufig zur Charakterisierung der Kanäle die Begriffe Betriebstypen, Betriebsformen oder Vertriebslinien benutzt. Weder die Abgrenzung zwischen diesen Begriffen, noch die Systematisierung der verschiedenen Erscheinungsformen wird eindeutig vorgenommen. Dieses ist aber für die Beschreibung von Mult-ChannelHandelsformen ohne Bedeutung, da im Folgenden alle, eine Erscheinungsform des Handels charakterisierenden Begriffsbezeichnungen, mit Betriebstyp gleichgesetzt werden. Demnach stellen Betriebstypen Kategorien von Erscheinungsformen der Handelsunternehmen dar, die mit Konstanz über einen längeren Zeitraum hinweg gleiche oder ähnliche Merkmalskombinationen aufweisen und von den Kunden als gleichartig angesehen werden, wie z.B. Warenhäuser oder Fachgeschäfte. Diese Definition folgt der Erkenntnis, dass die bislang in der Literatur angegebenen Merkmalsausprägungen der Betriebstypen des Einzelhandels aus Kundensicht nur bedingt bestätigt werden konnten und Vertreter desselben Betriebstyps aus Kundensicht zum Teil signifikant unterschiedlich beurteilt werden. (vgl. Zaharia 2006, S. 17). Aufgrund dieser Erkenntnisse ist vorzuziehen, dass bei der Betrachtung der Kanäle die Sicht der Kunden Vorrang hat. Im Hinblick auf den Multi-Channel-Handel ist dabei die Unterscheidung in stationären („offline“) und nicht-stationären („online“) Handel von entscheidender Bedeutung (vgl. Schobesberger 2007, S. 19 ff.).

18

„Online“ versus „Offline“

2.2

„Online“ versus „Offline“

Zur Unterscheidung von „Online“- und „Offline“-Handel können gut die beiden Kontaktprinzipien Residenz und Distanz und ihre grundlegenden Charakeristika herangezogen werden, da beide eine Auswirkung auf das Kundenverhalten im MultiChannel-Handel haben. Dabei wird zwischen den Kanälen des stationären Handels sowie den Kanälen des Distanzhandels unterschieden. Der ambulante Handel, dessen Einkaufsstätte nicht immer am selben Ort verfügbar sein muss, wird nicht gesondert betrachtet, da diese Handelsform irrelevant für das allgemein vorliegende Verständnis von Multi-Channel-Handel ist.

2.2.1

Offline: Kanäle des stationären Handels (Residenzprinzip)

Wesensmerkmal des stationären Handels ist ein fester und unflexibler Standort (Residenz des Anbieters), an dem ein physisches Angebot der Güter und Dienstleistungen stattfindet (z.B. in Filialen). Die Kunden müssen diesen Ort aufsuchen und die Ware persönlich abholen, so dass der Standort des Geschäftes sich insofern als entscheidender Faktor für die Einkaufsstättenwahl des Nachfragers entpuppt. Entscheidend für die Wahl des Geschäftes ist hier auch die reale Präsenz der Waren, so dass der Kunde diese physisch begutachten und testen kann („Touch and Feel“). Dabei hängt es vom Betriebstyp ab, in welchem Umfang Bedienung durch das Verkaufspersonal geboten wird, oder ob der Kunde sich selbst bedienen bzw. zumindest Vorauswahl tätigen muss. In der Regel findet im stationären Handel eine unmittelbare Übergabe der gekauften Ware statt. Ungünstig aus Kundensicht sind die festen Ladenöffnungszeiten ebenso wie der erhebliche Zeitaufwand, der durch Anfahrtszeit, Parkplatzsuche etc. anfällt (vgl. Zaharia 2006, S. 17). Im stationären Handel ist in der Praxis eine Vielzahl an unterschiedlichen Betriebstypen anzutreffen. Welche dieser Betriebstypen ein Multi-Channel-Händler einsetzt, ist unternehmensspezifisch und fallabhängig. Eine wesentliche Rolle spielt dabei sicherlich auch die Internet-Eignung der angebotenen Waren. Typische Betriebstypen des stationären Einzelhandels, bei denen nicht zwischen Solitär- und Filialkonzept unterschieden wird, sind (vgl. Schobesberger 2007, S. 21):

 Fachgeschäft: Enges und tiefes Sortiment bei relativ hohem Sortiments-, Serviceund Beratungsniveau. In der Regel Innenstadtlage. Beispiel: Fielmann, Douglas, Görtz, Christ, Thalia und Peek&Cloppenburg.

 Fachmarkt: Breites und tiefes Sortiment eines Branchenbereiches oder eines Bedarfsbereiches, Verkaufsflächen bis zu 2.000 qm (Baumärkte 10.000 qm), niedriges Preisniveau, Vorwahlprinzip mit Fachberatung bei Bedarf. Innenstadt- und Rand-

19

2.2

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

lagen. Beispiel: DM, Rossmann, Reno, Deichmann, H&M, Adler, Vögele, Praktiker, OBI und Hornbach.

 Spezialgeschäft: Sehr enges und besonders tiefes Sortiment mit hohem Sortimentsniveau bei hoher Beratungs- und Serviceintensität. Innenstadtlage. Beispiel: SOR-Rusche, Cove & Co, Wempe und Hussel.

 Boutique: Unterform des DOB-Spezialgeschäftes mit enger Fokussierung auf spezielle Zielgruppen und „modischer“ Ausrichtung. Beispiel: Biba oder kleine Solitär-Geschäfte selbständiger Einzelhändler.

 Warenhaus: Hohe Sortimentsbreite, Prinzip „Alles unter einem Dach“, mindestens 3.000 qm. Ausschließlich Innenstadtlagen und Centerlagen. Beispiel: Karstadt- oder Kaufhof-Warenhäuser.

 Kaufhaus: Ähnlich wie Warenhaus, jedoch schmaleres Sortiment und kleinere Verkaufsflächen unter 3.000 qm. Innenstadtlagen und Centerlagen. Beispiel: Müller, Karstadt-Kompakt/ Hertie und Woolworth.

 Gemischtwarenladen: Kleine Variante des Kaufhauses unter 1.000 qm, ausgeprägte Sortimentsbreite bei relativ geringer Sortimentstiefe, Güter des „täglichen Bedarfs“, häufig auch „Nah- und Alleinversorger“. Beispiel: Strauss Innovation, Spinnrad, typische Geschenkwarenläden wie z.B. Nanu-Nana.

 SB-Warenhaus: Mindestens 50% Food-Anteil und größer als 5.000 qm. Überwiegend Stadtrandlage („Grüne Wiese“). Beispiel: Real, Kaufland, Globus/ Maxus.

 Verbrauchermarkt: Kleine Variante des SB-Warenhauses mit 1.000 – 5.000 qm. Höherer Food-Anteil. Überwiegend Stadtrandlage. Beispiel: Toom, Marktkauf, HIT.

 Supermarkt: Lebensmitteleinzelhandel, breites und relativ flaches Sortiment, Selbstbedienungsprinzip, 400-1.000 qm Flächen. Innenstadt- und Randlagen. Beispiel: Edeka, Rewe, Kaisers/ Tengelmann.

 Discounter: Begrenzte Sortimentsbreite und –tiefe, kein Serviceangebot, Discountprinzip. Stadtrandlagen bei Food-Discountern, ansonsten auch Innenstadt- und Centerlagen. Beispiel: Aldi, Lidl, Penny, Plus, Takko, KiK.

 Automatenhandel: Mechanisierte Verkaufsform anhand von Automaten. Überwiegend in Hochfrequenzlagen. Beispiel: Zigaretten- oder Getränkeautomaten.

 Kiosk: Kleine Verkaufsflächen, enges und flaches Sortiment, hohe Zeitschriftenanteile. Rand- und Innenstadtlagen. Beispiel: Bahnhofskioske, Stilke aktuell, Shop`N Go, hit shop.

20

„Online“ versus „Offline“

 Convenience-Stores: Breites und flaches Sortiment, insbesondere Nahrungs- und Genussmittel, Nahversorgerfunktion. Kleinflächige Standorte in räumlicher Nähe oder gut erreichbar. Beispiel: Markthallen, Seven Eleven, Tank&Rast.

 Off-Price-Store: Angebot von Non-Food-Markenartikeln bei äußerst aggressiver Preisgestaltung. Ausgeprägte Partievermarktung. Beispiel: Havaria, Pfennigfuchser, typische Kleinpreisläden wie z.B. Skonto.

 Factory-Outlet: Verkaufsstellen der Hersteller im Direktvertrieb für das Angebot Zweiter-Wahl-Waren, Über- und Restbestände, Retouren. Standorte in Fabriknähe (Fabrikverkauf) oder in speziellen Factory-Outlet-Centern. Beispiel: Center Roermond mit Factory-Outlets bekannter Markenanbieter.

 Mono-Label-Stores: Herstellereigener Einzelhandel in Fachgeschäftsform mit eigenen Sortimenten und Lizenzwaren. Innenstadtlagen und Flughafenstandorte. Beispiel: Boss, Joop, Hermes, Gerry Weber, Mustang.

2.2.2

Online: Kanäle des Distanzhandels (Distanzprinzip)

Die wichtigsten beiden Betriebstypen von Distanzkanälen ist der Katalog- und der Internet-Versandhandel, die sich als „nichtstationäre Kanäle“ charakterisieren lassen. Die Abgrenzung beider Handelsformen liegt in der Vermarktungskonzeption und dem dabei zugrunde liegenden Kontaktmedium: Ein Katalog, der entweder gedruckt oder elektronisch vorliegen kann, oder der Einsatz elektronischer Medien über das Internet.

 Traditioneller Versandhandel: Angebot an Endkunden mittels Katalog, Prospekt, Anzeigen, elektronische Medien z.B. in Form einer CD-Rom, Außendienstmitarbeiter. Bestellung schriftlich, mündlich oder telefonisch. Auslieferung an den gewünschten Ort des Konsumenten. Je nach Sortimentsausrichtung Fach-/ Spezialhandel bzw. Sortiments-/ Universalhandel. Beispiel: Otto, Quelle, Neckermann und Lands End.

 Internet-Handel: Angebot an Endkunden über World Wide Web. Bestellung interaktiv über Internet oder telefonisch. Lieferung und Handling wie im Versandhandel. Eher breitere und flachere Sortimentsausrichtung mit kundenindividuellen Angeboten. Einsatz neuer E-Marketinginstrumente. Beispiel: Amazon.de, Ebay.de, Asos.com und Sprd.net.

 Tele-Shop: Spezielle Fernsehsender mit 24-stündigen Produktshows und interaktiver Bestellmöglichkeit. Keine besondere Sortimentsausrichtung. Lieferung und Handling wie im Versandhandel. Beispiel: QVC und RTL-Shop.

21

2.2

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

 M-Shop: Nutzung des Handys als PC-Plattform für Internet-Handel. Bestellung telefonisch über Mobilfunk bzw. per SMS. Ansonsten wie Internet-Handel. Beispiel: Vodafone 3G. Für den Multi-Channel-Handel haben bisher die Betriebstypen Tele-Shop und MShop keine Bedeutung gespielt. Der Fokus beim Online-Handel liegt insofern auf den Medien PC und Katalog. Beide Formen repräsentieren im Multi-Channel-Handel den B2C-Distanzhandel, dessen Wesensmerkmale die folgenden sind (vgl. Zaharia 2006, S. 18):

 Mediales Angebot: Einsatz von Printmedien oder elektronischen Medien.  Kauf aus Distanz: Raum zwischen Anbieter und Nachfrager wird auf schriftlichem, telefonischem oder sonstigem elektronischen Wege überbrückt, wodurch sich zeitliche Differenzen zwischen Bestell- und Warenverfügbarkeitszeitpunkt ergeben.

 Versand der Ware an die Kunden bzw. Retrodistribution (Rückgabe) durch eigene oder outgesourcte Zustelldienste. Die Betriebstypen des nicht-stationären Handels verfügen über keinen physischen Ort, an dem die Ware an den Kunden verkauft wird. Der Kunde bestellt die Ware beim Einzelhändler und lässt sich diese zu sich nach Hause, an den Arbeitsplatz, an eine Pick-Up-Station etc. liefern. Als zentrale Unterschiede zum stationären Handel kann damit herausgestellt werden, dass der persönliche Kontakt im Distanzhandel entfällt, und stets über ein Medium stattfindet. Der Standort des Distanzhändlers hat eigentlich keine nachfragebeeinflussende Bedeutung, zumal die Ware physisch nicht präsent ist. Das hat zur Folge, dass auch nicht alle relevanten Produktinformationen vermittelt werden können, es sei denn, diese lassen sich in Bildern oder textlichen Beschreibungen darstellen. Unabdingbare Voraussetzung für den Kaufabschluss und die Lieferung der Ware ist die Erfassung der individuellen Kundendaten, weshalb auch das Thema Adressmanagement ein wesentlicher Erfolgsfaktor im B2C-Distanzhandel ist.

2.2.3

Vorteilhaftigkeit des Absatzkanals Internet

Das Internet, als virtueller Begegnungsraum zwischen Anbieter und Nachfrager, weist Eigenschaften der Ort- und Zeitunabhängigkeit (Ubiquität) auf. Jeder Teilnehmer kann in Abhängigkeit von seiner technischen Infrastruktur und seinen Präferenzen diesen virtuellen Raum betreten, in ihm verbleiben und ihn auch wieder verlassen. Damit unterscheidet er sich grundlegend von anderen Märkten, in denen diese globale und augenblickliche Reichweite nicht möglich ist. Dieser und auch andere Vorteile haben sicherlich zur Diffusion des Internet beigetragen.

22

„Online“ versus „Offline“

Betrachtet man die Merkmale des Handels über das Internet, empfiehlt sich eine zweigeteilte Betrachtung aus Handels- und Kundensicht. Dadurch wird vermieden, dass die Wertschöpfungskette vom Handelsunternehmen zum Konsumenten „abgeschnitten“ betrachtet wird und dementsprechend nur ein Partner von der Transaktion entscheidend profitiert. In Abbildung 2-3 sind die Vor- und Nachteile des Absatzkanals Internet zusammenfassend dargestellt.

Abbildung 2-3:

Vorteilhaftigkeit des Absatzkanals Internet

Quelle: Passenheim 2003, S. 99 Nachteile

Vorteile

Handelssicht

Kundensicht

• globale Präsenz • direkte Bestellannahme • Gewinnung von Kundendaten • One-to-One-Marketing • Cross/ Up-Selling

• Anywhere- und Anytime- Verfügbarkeit • Unabhängigkeit von Öffnungszeiten • Größere Auswahl und Vergleichbarkeit an Produkten und Angeboten

• Markttransparenz • Individuelle Angebote • Offenheit • bessere Informationen

• hoher technischer Aufwand • kein schneller ROI • Wettbewerb auch mit bisher branchenfremden Anbietern

• „free rider“-Mentalität

• fehlender physischer Kontakt mit den Produkten

• fehlender sozialer Aspekt beim Einkauf • mögliche Schwierigkeiten bei der Reklamation

• Sicherheit bei der Zahlungsabwicklung • ggf. Mindestbestellwert und zusätzliche Kosten

Als Vorteil für den Einzelhändler gilt sicherlich die globale Präsenz des Internet. Jedes Handelsunternehmen kann sich damit Zugang zu neuen Zielgruppen und Märkten erschließen. Gleichzeitig werden durch den Online-Verkauf eine höhere Flexibilität und damit ein Wettbewerbsvorteil ermöglicht. Außerdem können Waren tagesgenau in das bestehende Sortiment aufgenommen und auch wieder herausgenommen werden. Weiterhin sind Querverweise zwischen den Produktgruppen möglich. Schließlich führt die Möglichkeit der direkten Bestellannahme zur Verkürzung der Vertriebskette. Resultat sind erhebliche Zeit- und Kostenvorteile, die sich in höheren Margen für den Händler niederschlagen können. Ferner ermöglicht der Internet-Kanal den Händlern, Kundendaten in bisher unerreichter Qualität zu generieren, da das tatsächliche Suchund Kaufverhalten elektronisch nachvollzogen werden kann. Anhand der so gewon-

23

2.2

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

nen Kundendaten kann ein für den Kunden individualisiertes Angebotsprofil bis hin zur persönlichen Marketingstrategie entwickelt werden. Wesentlicher Nachteil aus Handelssicht ist der technische Aufwand des InternetKanals. So muss eine zusätzliche informationstechnische Infrastruktur geschaffen werden, wodurch eine schnelle Amortisation des eingesetzten Kapitals unwahrscheinlich sein dürfte. Hinzu kommt die „Free-Rider“-Problematik, mit der Kunden gemeint sind, die sich im stationären Handel beraten lassen und anschließend im Internet dem günstigsten Angebot hinterher jagen. Aus Kundensicht entpuppt sich die große Auswahl sowie die Unabhängigkeit von Ladenöffnungszeiten und Standorten als wesentlicher Vorteil. Aufgrund der Internationalität des WWW hat der Kunde Zugang zu sämtlichen Anbietern weltweit und somit zu erheblich mehr alternativen Anbietern, als es stationär möglich wäre. Dabei können Suchmaschinen oder Software-Agenten, die nach Vorgabe der Nutzer die für ihn besten Angebote suchen, gute Hilfestellung geben. Mit der insgesamt verbesserten Markttransparenz findet der Kunde ohne zusätzliche Transaktionskosten leicht das für ihn beste Angebot. Das Internet ermöglicht schließlich auch, bewegte Bilder und Töne zu übermitteln, wodurch es im Vergleich zum Versandhandel die Produktanschauung plastischer gestalten kann. Gleiches gilt für die immer häufiger anzutreffende Drei-D-Animation. Aber trotz der vielfältigen technischen Möglichkeiten erweist sich der fehlende physische Kontakt aus Kundensicht als entscheidender Nachteil. Auch geht der soziale Kontakt, der den Einkauf im stationären Geschäft kennzeichnet, verloren. Technische Innovationen wie z.B. Kommunikationsplattformen, können daran nicht ändern. Mit dieser relativen Anonymität sind deswegen auch Sorgen von Konsumenten bezüglich möglicher Schwierigkeiten bei Reklamation und Umtausch sowie bei der Sicherheit der Zahlungsabwicklung verbunden.

2.2.4

Vergleich „Offline“ und „Online“

Für den Vergleich zwischen „Offline“ und „Online“ soll der Fokus auf Unterhaltung, soziale Interaktion, Sicherheit, Kontaktpunkte, Auswahl, Informationsmöglichkeit(en) und Fulfilment (Zeiteinsatz und Kosten) gelegt werden. In Abbildung 2-4 werden die Vorteile bzw. der Nutzen im Sinne einer „relativen Attraktivität“ der unterschiedlichen Handelsformen gegenübergestellt (vgl. Schobesberger 2007, S. 23).

 Die Unterhaltung ist in Geschäften aufgrund der persönlichen Komponente sowie der vielfältigen Inszenierungsmöglichkeiten höher als mit Katalogen. Die vielfältigen Animationsmöglichkeiten im Internet-Shop lassen diesen ebenfalls als relativ unterhaltsam erscheinen. Experten bestätigen aber, dass die „reale“ Einkaufswelt im stationären Kanal aufgrund der multisensualen Sinnesansprache (z.B. Ein-

24

„Online“ versus „Offline“

kaufsatmosphäre oder Ladengestaltung) der virtuellen Einkaufswelt im Distanzhandel überlegen ist.

 Soziale Interaktion findet bei Katalog- und Internet-Shop praktisch nicht statt, ist hier also niedrig im Gegensatz zum Geschäft, das persönliche Kontakte ermöglicht.

 Persönliche Sicherheit ist nach allgemeiner Meinung in einem stationären Kanal eher gegeben als beim Kauf in einem Distanzkanal, da die Kunden die Produkte vor Kauf begutachten, anfassen und probieren können. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit zur Barzahlung, können die Ware sofort mitnehmen und verfügen hier über bessere und einfachere Reklamationsmöglichkeiten.

Abbildung 2-4:

Attraktivität offline versus online

Quelle: Schobesberger 2007, S. 23 Dimensionen

Geschäft

Katalog

Internet-Shop

mittel bis hoch

niedrig

mittel bis hoch

soziale Interaktion

hoch

niedrig

niedrig

persönliche Sicherheit

hoch

mittel

gering bis mittel

mittel bis hoch

mittel

niedrig bis mittel

Konataktpunkte / Möglichkeiten der Bestellabgabe

wenig

überall

viele

Lieferzeit

sofort

Tage

Tage

niedrig bis hoch

begrenzt

mittel bis hoch

Informationsangebot - Quantität - Qualität

mittel hoch

mittel mittel

hoch hoch

Zeiteinsatz beim Einkauf

hoch

niedrig

niedrig

niedrig

hoch

hoch

Unterhaltung

Datensicherheit

Sortimentsauswahl

Lieferkosten

 Auch die Datensicherheit ist beim Kauf in einem stationären Kanal eher gegeben, da der Kunde hier auf Wunsch anonym bleiben kann. Dagegen müssen im Distanzhandel zahlreiche individuelle Daten erfasst werden, wodurch beim Kunden auch Angst vor dem „gläsernen Kunden“ entsteht. Aus Kundensicht besteht auch das Risiko, dass der Anbieter Daten an Dritte weitergibt.

 Während die Kontaktpunkte in stationären Kanälen aufgrund der limitierten Zahl fixer Standorte begrenzt ist, gilt diese Restriktion für den Distanzhandel nicht. Es

25

2.2

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

ist davon auszugehen, dass die räumliche Nähe und dadurch auch die Erreichbarkeit der Distanzkanäle weitaus höher ist als bei stationärem Einkauf.

 Lieferzeiten hat der Kunde im Geschäft in der Regel nicht, wenn die Ware vorrätig ist und er diese sofort mitnehmen kann. Dagegen ist Distanzhandel ohne Lieferzeit praktisch nicht möglich, da immer eine Zeitspanne zwischen Bestellung und Lieferung liegt. Lediglich bei E-Büchern und digitalen Produkten kann es eine Sofortlieferung via Internet geben.

 Hinsichtlich der Auswahl kann es im Online-Shop eventuell ein breiteres bzw. tieferes Angebot geben aufgrund der fehlenden räumlichen Restriktionen (z.B. Präsentations- und Lagerfläche). Auf der anderen Seite kommt es aber vor, dass Waren mit geringer Handelsspanne nicht angeboten werden. Tendenziell ist die Auswahl im Geschäft und Internet-Shop höher als im Katalog.

 Die Informationsmöglichkeiten sind zu differenzieren. Während der Kunde im stationären Kanal vor dem Kauf begutachten, anfassen und probieren sowie „multisensual“ erleben kann, geht das im Distanzhandel nicht. Ebenso kann jederzeit auf das Verkaufspersonal als Informationsquelle zurückgegriffen werden. Auch dienen hier Schaufenster als wichtige Informationsquelle. Dagegen ist der Kunde im nichtstationären Handel auf bildliche Darstellung sowie textliche Produktbeschreibung angewiesen. Andererseits kann er mittels Brief, Telefon und E-Mail eine personalisierte Information einholen oder durchaus per Telefon auch direkt Kontakt zu Verkaufspersonal aufnehmen (z.B. Call-Back-Option oder Call-NowOption). Außerdem ist die „interaktive“ Informationsmöglichkeit, ausführliche Produktinformationen einzuholen, unangefochtener Vorteil beim Online-Kauf.

 Der Zeiteinsatz ist eng verbunden mit dem Thema Raumüberbrückung. Wenn der Kunde ein stationäres Geschäft aufsucht, ist der Zeitaufwand in der Regel hoch, wenn es sich nicht gerade um einen Nahversorgerstandort in unmittelbarer Nähe handelt. Diese „Überbrückungszeit“ entfällt in den Distanzhandels-Kanälen, wird dann aber mit höheren Lieferzeiten erkauft.

 Die Kosten, die mit dem Kaufvorgang verbunden sein können und sich nicht auf den Produktpreis beziehen, sind vielfältig und in jeder Phase des Kaufprozesses wirksam. Dabei handelt es sich um die so genannten Transaktionskosten wie z.B. Reisekosten, Liefer- bzw. Versandkosten, Kosten für Transportverpackungen, Beschwerdekosten, Rückgabekosten bei Nichtgefallen oder Opportunitätskosten (z.B. Nutzen- und Zeitentgang). Diese Kosten sind zusammenfassend in Abbildung 2-5 dargestellt. Neben den skizzierten Merkmalen, anhand derer die Kanäle verglichen werden können, wird auch noch Convenience und Bezahlung genannt. Zum Conveniencegrad der beiden Kanäle kann jedoch keine allgemeingültige Aussage getroffen werden, da nicht zu bestimmen ist, in welcher Situation welche Person welche Aspekte als wichtig erachtet. Es ist durchaus möglich, dass verschiedene Effekte je nach Kanal gegenläufig 26

„Online“ versus „Offline“

sind, wie z.B. die Sofort-Bestellmöglichkeit im Internet versus Nichtsofortverfügbarkeit der Ware. Auch zur Bezahlung ist es schwer möglich, allgemeingültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Zwar ist im stationären Verkauf die Barzahlung relativ gängig, jedoch nimmt die Kreditkartenzahlung, die für Online-Kauf typisch ist, auch in Geschäften zu. Im Gegensatz zum Ladengeschäft ist im Internet-Handel eine Rechnungsregel und auch die Zahlung per Nachnahme häufig anzutreffen, was angesichts des potentiellen Datenmissbrauchs eine für den Kunden angenehmere Art der Zahlung sein dürfte. Alles in allem lassen sich jedoch die mit der Zahlung verbundenen Aspekte dem eben schon aufgeführten Sicherheitsmerkmal zuordnen (vgl. Bohlmann 2007, S. 43-45).

Abbildung 2-5:

Beschaffungskosten beim Kauf im Vergleich

Quelle: Bohlmann 2007, S. 39 in Anlehnung an Schröder 2005, S. 13 Kosten beim Kauf im… stationären Einzelhandel

• • •

Fahrtkosten / Anbahnungskosten Zeit (Opportunitätskosten) Kosten des Transportmittels

Online-Shop

• • •

Anbahnungskosten Zeit (Opportunitätskosten) Kosten der Internetverbindung

Kosten für Transportverpackung • einmalige Verwendung • mehrmalige Verwendung

Lieferkosten, z.B. abhäbgig von: • Bestellung • Warengruppenart • Produktanzahl • Transportverpackung • Lieferzeit • Liefergebiet • Zahlungsart

Kosten der Beschwerdeführung / Kontrollkosten (entfallen soweit Beschwerden durch Kontrollen vor Abschluss des Kaufvorgangs Mängel erkennen und beseitigen lassen)

Beschwedekosten bei mangelhafter Lieferung / Kontrollkosten • Zeit (Opportunitätskosten) • Kosten der Internetverbindung • sonstige Kosten bei mangelhafter Lieferung • Nutzenentgang • Kosten für Erstatzprodukte

Rückgabekosten bei Nichtgefallen der Ware: Fahrtkosten, falls Ware bereits mitgenommen im übrigen keine

Rückgabekosten bei Nichtgefallen der Ware: regelmäßige Kosten bei Anwendung des Wiederrufsrechtes können vertraglich auferlegt werden bei einer Bestellung bis 40 Euro (§357 Abs. 2 BGB)

27

2.2

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

2.3

Fähigkeitsprofil: Welche Kernkompetenzen gefordert sind

Eine Multi-Channel Strategie ist für alle Händler beinahe zu einem Muss geworden. Die Aufgabenstellungen sind jedoch höchst unterschiedlich, je nachdem, ob der stationäre Handel ins Internet einsteigt, oder der Online-Händler auch mit eigenen Filialen startet, so wie neuerdings Dell. Dabei stellt Online völlig andere Anforderungen an Fähigkeiten, Kernkompetenzen und Steuerungsgrößen als das Offline-Geschäft.

2.3.1

Veränderte Fähigkeitsanforderungen

Aus dem klassischen stationären Geschäft sind nur wenige Erfahrungen übertragbar auf den Online-Handel und umgekehrt. Wesentlicher Grund dafür ist, dass InternetHandel kein neuer Vertriebskanal im herkömmlichen Sinne ist, sondern ein vollkommen neues Geschäft mit neuen Fähigkeitsanforderungen. Im Online-Handel werden die bisher so wichtigen Standorte, Verkaufsmitarbeiter und FilialBestandssteuerungsprozesse unbedeutend. Auch die mit dem Internet einhergehende globale Preistransparenz steht im Konflikt zum lokalen Pricing, wie es der stationäre Händler gerne betreibt. Hier kommen ebenfalls neue Aufgaben auf ihn zu, denn im traditionellen stationären Einzelhandel werden nur etwa drei bis vier Händler miteinander verglichen. Auch die stationären Sortimentskonzepte sind nicht anwendbar, da im elektronischen Handel die Zielgruppen und Sortimente nicht abgesteckt werden können. Völliges Umdenken ist in den Bereichen Retail-Branding, Markenprofil und Werbung gefragt, da die erhebliche Komplexität des Internet-Handels ein neues InternetMarkenmanagement erfordert. In der nahezu unübersehbaren Vielfalt der Markennamen und Shops muss vor allem Aufmerksamkeit und Markenbekanntheit erreicht werden, da der Online-Shopper sonst auf bekanntere Anbieter zurückgreifen wird. Auch das klassische Store-Merchandising ist im Internet nicht mehr nutzbar. Hier ist eine spezifische, gänzlich andersartige Internet-Shop-Gestaltung gefragt. Last but not least treten im Online-Handel an Stelle von geschlossenen Warenwirtschaftssystemen und effizienten, schlanken und schnellen Geschäftsprozessen konsequent kundenorientierte Geschäftsprozesse. Die wichtigsten Veränderungen in Hinblick auf die Fähigkeitsanforderungen sind in Abbildung 2-6 noch einmal zusammenfassend dargestellt (vgl. Schnetkamp 2001, S. 35 ff.). Der stationäre Händler muss begreifen, dass vor allem kundenorientierte Geschäftsprozesse und uneingeschränkte Kundenorientierung Erfolgsvoraussetzung Nr. 1 im Online-Handel sind.

28

Fähigkeitsprofil: Welche Kernkompetenzen gefordert sind

Abbildung 2-6:

Veränderte Fähigkeitsanforderungen im Internet- Handel

Quelle: Nach Schnetkamp 2001, S. 35

Alte Kernkompetenzen im stationären Handel

Neue Kernkompetenzen Storeless Retailing

• Standorte

⇒ Nicht relevant

• Verkaufsmitarbeiter (Effizienz/ Qualität)

⇒ Unbedeutend

• Effizienter Filial-Bestandssteuerungsprozess

⇒ Nicht relevant

• Wettbewerbsorientiertes Pricing

⇒ Globaler Preisvergleich möglich

• Zielgruppenorientiertes Sortimentskonzept

⇒ Neuartige Sortimentskonzepte gefordert

• Retail Brand / „Markenprofil“ / Werbung

⇒ Internet-Markenmanagement

• Store-Merchandising

⇒ Internet-Shop-Gestaltung

• Geschlossenes Warenwirtschaftssystem

⇒ CRM- und Kundendatenmanagement

• Effiziente Geschäftsprozesse

⇒ Kundenorientierte Geschäftsprozesse

Schnelligkeit, Transparenz und Serviceorientierung sind allerdings Themen, die in der „Servicewüste Deutschland“ häufig erst noch gelernt werden müssen. Für Amazon sind Vorgaben im Customer Service wie beispielsweise „ein click zum Kaufakt“, „unter 24 Std. Durchlauf“ oder „E-mail in 24 Std. und Phone innerhalb 1 Minute“ selbstverständlich, nicht aber für ein typisches deutsches Filialunternehmen mit klassischen Marketingansätzen. „Paradigmenwechsel im Marketing“, lautet die Erkenntnis, weg vom Massenmarketing hin zu einem Customer-Relationship-Management (CRM). Ziel des klassischen Handelsmarketing ist es, möglichst viel Frequenz über standardisierte Angebote und eine enge Definition der Marke abzuschöpfen. Es ist transaktionsorientiert und stellt die Neukundengewinnung in den Fokus. Bekanntheit und Image definieren die Marke und nicht der Markenkern. Informationstechnologien haben im stationären Handel fast ausschließlich das Ziel, im Vertrieb Effizienz und Effektivität zu steigern.

29

2.3

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

2.3.2

Paradigmenwechsel im Marketing

Der mit dem Einstieg in den Online-Handel verbundene Paradigmenwechsel im Marketing ist in Abbildung 2-7 dargestellt. Ziel des Online-Handelsmarketings ist es demnach, die richtigen Sortimente für attraktive Kunden bereitzustellen. Neue CRMSysteme, Kundendatenbanken und ein intelligentes 1:1-Marketing rücken in den Fokus, der auf dauerhafte Kundenbeziehungen angelegt ist. Die Markendefinition gestaltet sich breiter und umfasst das gesamte operative Leistungsversprechen sowie das Kundenvertrauen und die Unternehmenskultur. Informationstechnologien werden vorrangig mit dem Ziel eingesetzt, den Kundenwert zu steigern.

Abbildung 2-7:

Paradigmenwechsel im Marketing

Quelle: Schneider 2001, S. 12

Wirksamkeit New Marketing „Online-Marketing“

• Ziel: Richtige Produkte für attraktive Kunden • Direkte Kundenbeziehung/-bindung • Breite Markendefinition (Kultur, Werte, Kern) • IT-Einsatz zur Kundenwertsteigerung Weltweit einsetzende Internet-Penetration Traditionelles Marketing:

• Ziel: Möglichst viele Kunden für die eigenen Produkte finden

„Offline-

• Massenmarketing mit dem Fokus auf Neukunden • Enge Definition der Marke (Bekanntheit, Image) • IT-Einsatz für Vertriebseffizienz

1960

2.3.3

1980

2000

Zeit

Kernkompetenzen je Kanal

Betrachtet man den Aufbau weiterer Kanäle aus Online-Sicht und dabei zunächst aus der Perspektive des Versenders, dann stellt sich die Übertragbarkeit der Fähigkeiten anders dar. Die Kernkompetenzen je Kanal aus Versendersicht sind in Abbildung 2-8

30

Fähigkeitsprofil: Welche Kernkompetenzen gefordert sind

dargestellt. Vergleicht man dementsprechend die Erfolgsfaktoren und Kernkompetenzen für Versand, Internet und Stationär-Geschäft, dann steht im Versand zunächst die kundenorientierte Umsatzausschöpfung im Mittelpunkt. Es gilt, aus den vorliegenden Kundenadressen den höchstmöglichen Nutzen zu ziehen. Neben den Adressen ist der Katalog Hauptstellhebel. Alles dreht sich um den Katalog, Sortimentskonzeption und planung sind katalogabhängig und erfordern präzise Planungen und Prognosen. Ein hoher Grad an Systematik prägt das Versandgeschäft. Die Planung ist katalogbasiert und ist nicht zu trennen von der Kataloganstoßkette, über die auch die Sortimente nachgesteuert werden. Schließlich erfordert die Warenzustellung eine Einzelkundenlogistik. Zielsetzung im Zusammenhang mit Multi-Channel-Handel muss es sein, die Versandpositionierung in andere Kunden-Kauf-Kanäle zu leveragen.

Abbildung 2-8:

Kernkompetenzen je Kanal aus Versendersicht

Quelle Nach Bähre 2007, S. 15 Versand

• Kundenorientierte Umsatzaus schöpfung

• Katalogabhängige Sortimentskonzeption und –planung (präzise Prognose/Planung)

E-Commerce

Natürliche Stärken konnten weitgehend genutzt werden • Logistik • CRM.Fähigkeit“/ Einzelkunden optimierung • Katalog als gute Basis für E-Commerce-Adaption

• Katalogbasierte Planung, Nachsteuerung der Sortimente durch Katalog-Anstoßkette

• Einzelkundenlogistik • Hoher Grad an Systematik

Ziel: Leverage der Versandpsitionierung in andere Kunden-Kauf-Kanäle

E-Commerce dient auch als „Kosteneinsparinstrument“

Stationär-Geschäft

Versand verfügt über Stärken, die im stationären Geschäft an Bedeutung gewinnen • Kundebindungssysteme • Denken in Kundenpotenzialen • Ausgefeilte anaytische Instru mente • Systematisches und konzeptio nelles Vorgehen

Neue Fähigkeiten (klassisch stationär) konnten entwickelt werden •Sortimentsdynamik •Präsentations- / Positionierungsflexibilität

Muss aber mehr und komplexere neue Fähigkeiten entwickeln •Sortimentskonzepte •Sortimentsinnovation •Standortführung

Hauptproblem: Synchronisation der Positionierung und des Preisthemas; neue Aufteilung von Sortiments-/ Fequenzmanagement

Für Universal-Sortiment keine Option mit gleicher Positionierung

Im Internet-Kanal können in vielen Fällen natürliche Versandstärken genutzt werden. Dieses betrifft die Logistik und Warenwirtschaft, den Katalog als gute Basis für eine Internet-Adaption sowie CRM-Fähigkeiten im Zusammenhang mit Einzelkundenoptimierungen. Internet wird aus der Versandhandelsbrille nicht selten als Kosteneinsparinstrument“ gesehen, mit dem vor allem die hohen Katalogkosten reduziert werden können. Als Hauptproblem entpuppt sich jedoch die Synchronisation der Positionierung und des Preisthemas sowie eine neue Aufteilung von Sortiments- und

31

2.3

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Frequenzmanagement. Auf der anderen Seite konnten in Hinblick auf die Sortimentsdynamik sowie Präsentations- und Positionierungsflexibilität neue Fähigkeiten entwickelt werden. Mit dem Eintritt eines Versenders ins Stationär-Geschäft müssen allerdings mehr und komplexere neue Fähigkeiten entwickelt werden wie z.B. Sortimentskonzepte und innovationen sowie eine Standortführung. Andererseits verfügt der Versand über Stärken, die im stationären Geschäft zukünftig sowieso an Bedeutung gewinnen werden und bereits in Kundenbindungs- bzw. Loyalitätsprogrammen ihren Niederschlag finden. Das Stationärgeschäft ist für Universalversender sicherlich keine Option mit gleicher Positionierung. Anderes gilt für Spezialversender, die hier überwiegend bereits fachgeschäftsähnliche Sortimente mitbringen.

2.4

Vertikalisierung: Multi-Channel-Handel auch für Hersteller relevant

Nicht nur klassische Einzelhändler betreiben Multi-Channel-Handel. Viele der erfolgreichen Vertikalen setzen zunehmend auf eine Multi-Channel-Strategie und nutzen diesen Ansatz. H&M plant z.B. ab Herbst 2007 in Deutschland einen bestellfähigen Online-Shop. Zusätzlich zu den Filialsortimenten soll es auch ein exklusives HomeAngebot geben. Ein ergänzendes Katalogangebot wie in Schweden und den Niederlanden ist aber in Deutschland nicht vorgesehen. IKEA baut das Versandgeschäft und den Online-Versand deutlich aus. Erklärtes Ziel ist es, hier „größte Filiale“ mit 10% Umsatzanteil zu werden. Vorerst werden 500 zusätzliche Testartikel aufgenommen, was einem Sortimentsanteil von 15% entspricht. In Zukunft soll der Online-Shop aber mindestens 50% des Gesamtsortiments anbieten.

2.4.1

Multi-Channel-Handel als Vertikalisierungsinstrument

Während Vertikale, die man vereinfacht als Hersteller-Händler-Kombination bezeichnen kann, sich sowohl offline als auch online durch die Beherrschung des Vertriebskanals auszeichnen und damit traumhafte Zuwachsraten und Renditen erzielen, nutzen viele Top-Modemarken den Multi-Channel-Handel als Vertikalisierungsinstrument. Grund ist, dass nicht vertikal organisierte Unternehmen zunehmend bedrängt werden von den preisaggressiven Vertriebsformen aus dem Discountbereich und den zumeist modischen vertikalisierten Ketten, die überhaupt keinen Vertriebspartner mehr benötigen, sowie den Großvertriebsformen des Handels, die sich zunehmend über Eigenmarkenpolitik profilieren. 32

Vertikalisierung: Multi-Channel-Handel auch für Hersteller relevant

Der Direktvertrieb durch die Fashion-Industrie wächst stark, sei es durch eigenen stationären Einzelhandel oder B2C-Onlinevertrieb. Gerry Weber, BOSS, adidas, Puma und Esprit, um nur einige Beispiele zu nennen, sind mittlerweile zumindest in Teilbereichen vertikalisiert und betreiben dabei Multi-Channel-Handel. Vertikalisierte Konzepte wachsen seit Jahren dynamisch in Deutschland. Eine klare Markenhandschrift, verbunden mit einer hohen Einflussnahme auf das Sourcing und Design und somit auf die wesentlichen Bestandteile der Wertschöpfungskette, führen zu einer überdurchschnittlichen Performance. Vertikal organisierte Fashion-Anbieter konnten beispielsweise seit 1998 den Gesamtmarkt mit Umsatzzuwächsen von durchschnittlich bis zu 27 Prozent deutlich outperformen. Allein der Verzicht auf die Zwischendistributionsstufe erschließt beträchtliches Synergiepotenzial und fördert zudem eine vergleichsweise schnelle Expansion. Auch der Wegfall von Zwischenlägern spart Zeit und Kosten und ermöglicht eine höhere Datentransparenz/ Qualität als es bei der „klassischen Arbeitsteilung“ möglich ist. Damit kann auch flexibler auf die Nachfrage agiert werden. Wichtig ist allerdings ein integriertes Branding, das die Markenbotschaft und die Leistung für den Kunden transparenter und leichter bewertbar macht (vgl. KPMG 2005, S 21 ff.). Der Trend zur Vertikalisierung ist mittlerweile in nahezu allen Branchen zu erkennen. Herstellermarken wie BREE, NIVEA, GEOX, Faber-Castell, Samsonite, Bang & Olufsen, LEGO, Apple und sogar Maggi und Frosta erobern die Innenstädte und das Web. Gleiches gilt für die Dienstleister. Die DB hat in 2006 vier Mobility Center in Innenstädten eröffnet, in denen unterschiedliche Angebote wie Bahn, Mietwagen und Fahrrad verknüpft werden und in Verbindung mit dem DB-Online-Verkauf die DB als lupenreinen Multi-Channel-Anbieter darstellen.

2.4.2

Intermediation versus Disintermediation

Hand in Hand mit der Vertikalisierung aufgrund des herstellereigenen MultiChannel-Handels kommt unweigerlich die Frage nach der Ausschaltung von Handelsstufen auf, was als Disintermediation bezeichnet und diskutiert wird. Dieser erstmals 1995 im Zusammenhang mit virtuellen Wertschöpfungsketten geprägte Begriff (vgl. Benjamin, Wigand 1995, S. 62 ff.) , kennzeichnet neben der Intermediation den zweiten mit Electronic Commerce zusammenhängenden grundlegenden Effekt, der für den Handel möglich geworden ist:

 Intermediation steht für eine neue Form von Arbeitsteilung in Distributionssystemen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie. So sind im Zuge der Internet-Ökonomie aufgrund der Unabhängigkeit des Mediums von Raum und Zeit sowie der geringen Transaktionskosten eine Vielzahl neuer Intermediäre in den Internet-Markt eingetreten, die häufig Vermittlungsfunktionen zwischen den Klassischen Anbietern (Hersteller und/oder Händler) und dem End-

33

2.4

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

kunden besitzen. Diese haben teilweise traditionelle Werteketten durchbrochen oder aufgespalten. Typisch für derartige Intermediäre sind Preisagenturen, die Handelsfunktionen übernehmen, oder Internet-Marktplätze wie z.B. ebay. Einige dieser neuen Intermediäre haben mittlerweile solche Größen erreicht, dass der klassische Handel dadurch in Teilbereichen substituiert wird.

 Disintermediation bezeichnet die Verschmelzung der einzelnen Wertschöpfungsstufen, die auch typischerweise mit der Vertikalisierung einhergeht, wodurch eine Reduzierung der Distributionskosten stattfindet. Resultat ist eine verstärkte Kontrolle der Distributionssysteme durch einen neuen Anbieter, der auch die Koordinationsaufgabe übernimmt. Disintermediation wird in erster Linie von solchen Herstellern betrieben, die damit aus ihrer Sicht wertschöpfungsmindernde Aktivitäten von Zwischenhändlern ausschalten wollen. Gängig ist in dem Zusammenhang die Annahme, das die im Zuge der Disintermediation dazugewonnene Marge zwischen Hersteller und Endkunde aufgeteilt wird. Das ist beispielsweise der Grund, warum Vertikale relativ günstig anbieten und dabei immer noch zweistellige Umsatzrenditen realisieren können, wie z.B. IKEA, Inditex/ Zara und H&M.

Abbildung 2-9:

Intermediation und Disintermediation

Quelle: Passenheim 2003, S. 97

Intermediation

• Wertschöpfungsketten fallen auseinander

• Konzentration der Anbieter auf einzelne wertschöpfende Aktivitäten

• Aufbau weniger Fähigkeiten im Rahmen einer wertschöpfenden Aktivität

• Zusammenarbeit vieler Partner

Disintermediation

• Ausschaltung von Zwischenstufen in der distributiven Wertschöpfung

• Koordination verschiedener wertschöpfender Aktivitäten

• Aufbau von Fähigkeiten über die gesamte distributive Wertekette

• Zusammenarbeit mit wenigen Partnern

Die wesentlichen Aspekte der Intermediation und Disintermediation sind zusammenfassend in Abbildung 2-9 dargestellt. In der Regel zeichnet sich aber keine ganz eindeutige Entwicklung Richtung Inter- oder Disintermediation ab. Häufig trifft man auf

34

Vertikalisierung: Multi-Channel-Handel auch für Hersteller relevant

ein Kontinuum mehrerer Implementierungsformen, die zwischen beiden Extremen liegen. Der von traditionellen Handelsunternehmen praktizierte Multi-Channel-Handel eröffnet ebenfalls eine neue Möglichkeit, die Re-Intermediation. Diese Form bezeichnet die Entwicklung eines völlig neuen, zusätzlichen Vertriebsweges im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie, womit die Vorteile der Distribution eines bestehenden Leistungsspektrums auf Basis des Internet-Handels genutzt werden (vgl. Passenheim 2003, S. 95-97). Libri.de bietet im Sortimentsgroßhandel z.B. seinen Geschäftskunden die Möglichkeit, eine gemeinsame Internet Plattform zu nutzen. Gängig ist mittlerweile auch, dass zunehmend auch Dienstleistungsfunktionen um das Internet an Dritte vermarktet werden. So hat beispielsweise Buch.de für verschiedene Handelsorganisationen wie z.B. Electronic-Partner, Betrieb und Abwicklung der Buchsortimente übernommen, was für die Kunden aber nicht ersichtlich ist. In welchem Ausmaß Disintermediation stattfinden kann, hat die Musikindustrie gezeigt. Dort hat nicht nur eine Substitution des stationären Einzelhandels durch den Verkauf von CD´s über das Internet stattgefunden. Durch de digitalen Vertrieb einzelner Musiktitel über das Internet im sog. MP3-Format, der eine erhebliche Komprimierung der Datenmenge ermöglicht, hat sich ein gänzlich neuer Markt entwickelt, in dem die ehemaligen Key Player der Musikindustrie eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen (vgl. Meffert 2001, S. 169-170).

2.4.3

Vertikalisierung treibt Disintermediation

In der Praxis zeichnet sich vor allem durch die neuen vertikalen Online-Anbieter eine klare Tendenz in Richtung Disintermediation ab. Insgesamt gesehen wird der herstellereigene Multi-Channel-Handel in Zukunft weiter zunehmen. Die in Deutschland über Jahrzehnte gewachsenen, arbeitsteiligen Strukturgebilde zwischen Industrie und Handel erscheinen vor dem Hintergrund ihrer zunehmend ausbleibenden Erfolge veraltet zu sein und sind offensichtlich nicht mehr in der Lage, den wachsenden Konsumentenanforderungen gerecht zu werden. Vertikale Angebotsformen sind in Hinblick auf Verfügbarkeit, Abwechslung, Inszenierung und Identifikation den traditionellen Handelsformen überlegen. Die Herausforderungen, die insbesondere der Textil- und Bekleidungsbranche durch den zunehmenden Direktvertrieb entstehen, verlangen nach neuen Prozessen bzw. Organisationsstrukturen und hieraus resultierend neuen Geschäftskonzepten, wie etwa dem integrierten Multi-Channel-Handel. Durch welche enorme Vorteilhaftigkeit der herstellereigene Multi-Channel-Handel auch in Zukunft weiter getrieben werden wird, zeigt das Beispiel „Inditex“ in Abbildung 2-10. Dieses Vorzeigebeispiel veranschaulicht den uneinholbaren Zeitgewinn eines vertikalen Systems im Vergleich zu einem arbeitsteilig organisierten System durch die Reduktion von Durchlaufzeiten innerhalb der Prozesskette bei gleichzeitiger 35

2.4

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette. Nicht explizit dargestellt ist der zusätzliche Margengewinn durch Verzicht auf die Zwischenhandelsstufen.

Abbildung 2-10: Vorteilhaftigkeit des Inditex-Geschäftssystems Quelle: KPMG 2005, S. 23

Wertschöpfungsprozess der textilen Kette

Vorstufe

K l a s s i s c h e

Textilproduktion

Produktion

Konfektion

Produktion

Kollektionsentwicklung

Produktion

Markenführung/-politik

Produktion

Distribution zu Verkaufsstätte/Lager

Produktion

Warenversorgung in Verkaufsstelle

Handel

POS-Marketing

Handel

Sortimentsgestaltung

Handel

Verkauf

Handel

Werbung

Optimierung durch Vertikalisierung

A r b e i t s t e i l u n g

A u s s c h a l t u n g I n t e r m e d i ä r e

Design

•Eig. Designer/Auftr.-fertigung •>20 eigene Lieferanten •Hoher Autonomisieungsgrad •>50.000 Teile pro Tag

Fertigung

•Automatisiertes Zentrallager •24-h-Belieferung für Europa •48-h-Belieferung für Übersee •Auslieferung 2x pro Woche

Auslieferung

Abverkauf

• Nur 2-3 Teile pro Artikel • Automat. Bestellvorgang • Warenbestellung bis Mi 15:30 und Sa 9:30

•2 Kollektionen pro Jahr aber alle 14 Tage neue Ware

Reduktion der Durchlaufzeiten

Mind. 60-90 Tage*

2.5

Vorteil Vertikale mind. 45 Tage

12-15 ´Tage* *exklusive der Leistungen der Vorstufe

Handlungsoptionen des Multi-ChannelHandels

Vor der Umsetzung von Multi-Channel-Handel muss der Einzelhändler festlegen, wie viele und welche Kanäle er überhaupt bedienen will. Dieses betrifft die Wahl der Multi-Channel-Strategie, sowie die grundsätzlichen Handlungsoptionen. Die Wahl der Multi-Channel-Strategie muss Rücksicht auf den Kunden, das Produkt, die Wettbewerber sowie den Nutzen einer solchen Strategie nehmen. Sicherlich bietet Multi36

Handlungsoptionen des Multi-Channel-Handels

Channel-Handel eine Reihe von Chancen, wie im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt wurde. Vor allem spielen aber auch die Ziele eines Handelsunterehmens eine entscheidende Rolle. Zuallererst ist deshalb zu klären, welche Unternehmensziele mit einer Multi-Channel-Strategie überhaupt verfolgt werden sollen und was ein Unternehmen damit erreichen will. Viele Firmen der „New Economy“ haben häufig den Eindruck vermittelt, dass ihnen Ziele eher nebensächlich waren: „Schnell reich werden“ oder „Was wir genau wollen, wissen wir auch nach dem IPO noch nicht“. Die sogen. cash-burn-rate schockte Niemanden und zahlreiche Business Angels finanzierten großzügig die jungen Start-ups. Obwohl man sich gerade auf dem Gebiet von Multi-Channel-Systemen des Einzelhandels immer noch nur rudimentär mit der inhaltlichen Ausfüllung des Zielbegriffs beschäftigt, ist es zwingend notwendig, die entsprechenden Zielinhalte festzulegen (vgl. Schröder 2005, S. 22 ff.). Dabei sind u.a. die externen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die besonderen Eigenschaften der Waren zu klären, die vorhandenen Ressourcen zugrunde zu legen sowie Art und Anzahl der bisher betriebenen Absatzkanäle einzubeziehen. So ist für die Zielformulierung entscheidend, ob ein Händler bereits mehrere Kanäle führt, bisher eher weniger Kanäle bewirtschaftet oder nur einen einzigen Kanal betreibt und dabei vorrangig über die Ausweitung seiner Vertriebskanäle nachdenkt (vgl. Schröder 2005, S. 24). Ein lupenreiner stationärer Einzelhändler kann zum Beispiel folgende Ziele verfolgen:

 Ausdehnung des Absatzgebietes auf bislang nicht besetzte Räume (z.B. auch Einstieg in die Internationalisierung über das WWW).

 Ansprache neuer Zielgruppen, die bisher nicht in das stationäre Geschäft kommen (z.B. wenn der Standort ungünstig liegt). Ganz andere Ziele sind demgegenüber für Einzelhändler sinnvoll, wenn er schon mehrere Absatzkanäle betreibt. So liegt es auf der Hand, die Effizienz einzelner Kanäle zu erhöhen, indem z.B. Kunden in bestimmte Kanäle umgelenkt werden. Die empirische Zielforschung im Zusammenhang mit Multi-Channel-Systemen (vgl. Schröder 2005, S. 25) deckt überwiegend Zielinhalte auf, die auf die Nutzung der Chancen und Vermeidung der Risiken des Multi-Channel-Handels Bezug nehmen (vergleich dazu auch das vorhergehende Kapitel).

2.5.1

Multi-Channel-Strategievarianten

Zur Ableitung einer Multi-Channel-Strategie stehen dem Handelsunternehmen grundsätzlich die Varianten Einkanalstrategie, Mehrkanalstrategie sowie Allkanalstrategie zur Verfügung (vgl. Schobesberger 2007, S. 25ff.):

 Einkanalstrategie: Bei dieser Variante wird nur ein Kanal unterstützt. Sie steht insofern nicht in Widerspruch zum Thema Multi-Channel-Handel, weil die bewusste Entscheidung für die Nutzung nur eines einzigen Absatzkanals in manchen 37

2.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Situationen die beste Entscheidung sein kann. Liegen zum Beispiel die Zielprioritäten in der schnellstmöglichen, stationären Betriebstypenmultiplikation, weil die Marktpotenziale dieses hergeben, dann steht der Einstieg in das Multi-ChannelGeschäft sicherlich zunächst hinten an. Diese war zum Beispiel wesentlicher Grund für den sehr späten Start von Mediamarkt mit dem Online-Handel. In diesem Fall war sich das Unternehmen durchaus bewusst, welche Potenziale im Internetverkauf zur Verfügung stehen, es entscheidet sich aber bewusst gegen den Einstieg in den Multi-Channel-Handel. Auch wenn zum Beispiel die für den Online-Handel erforderlichen Fähigkeiten nicht oder noch nicht verfügbar sind, kann diese Strategievariante durchaus sinnvoll sein. Weiterhin sprechen auch eine Reihe von Vorteilen für diese Strategie, denn die Kommunikationskosten sind deutlich geringer und die Kontrolle über die Kommunikation mit den Kunden ist besser möglich. Auch die Transparenz der Kundenkommunikation und die bessere Zielgruppenorientierung verbunden mit einem exklusiveren Produktangebot sprechen für die Einkanal-Strategie. Auch Gründe der leichteren Marktbeobachtung sowie mögliche Reaktionen der Wettbewerber in anderen Kanälen können für eine Einkanalstrategie sprechen, ebenso wie geringe Austauschbarkeit bei Produkten bzw. starke Alleinstellungsmerkmale. Demgegenüber lassen sich als Nachteile höhere Opportunitätskosten, beschränktere Expansionsmöglichkeiten, potentieller Verlust von Kundensegmenten, höhere Abhängigkeit sowie eine schnellere Marktsättigung nennen. Die Nutzung der Einkanalstrategie bietet sich vor allem für solche Handelsunternehmen an, die sich auf eine ganz spezifische Zielgruppe mit einem ganz spezifischen Produktangebot fokussieren (z.B. hochwertige Juweliere a lá Wempe). Dazu bedarf es aber einer offensiven Argumentation gegenüber den Kunden, die z.B. durch eine herausragende Exklusivität gerechtfertigt sein kann. Ansonsten ist es aus Imagegründen heutzutage kaum noch vermittelbar, noch keinen Internetkanal zu betreiben.

 Mehrkanal-Strategie: Bei einer Mehrkanal-Strategie werden von dem Handelsunternehmen nur die aus seiner Sicht sinnvollen Kanäle eingesetzt. Dabei werden die genutzten Kanäle in der Regel miteinander synchronisiert und koordiniert, um den Kunden das Handling zu erleichtern und sie auf diese Weise dazu zu bewegen, den richtigen Kanal für die spezifische Kaufphase zu nutzen, wodurch sich die Kommunikationskosten reduzieren lassen. Eine solche Mehrkanal-Strategie erfordert allerdings vom Unternehmen eine exzellente Vorbereitung und eine permanente Überwachung der einzelnen Kanalnutzung. Sie ist organisatorisch und ITtechnisch sehr aufwendig, hat jedoch den Vorteil einer ausgezeichneten Kundenbindung. Diese Strategievariante bietet die Möglichkeit, größtmögliches Wissen über den Kunden und seine Bedürfnisse zu erfahren und in umfangreichen CrossChannel-Möglichkeiten umzusetzen. Außerdem ist das Kostensenkungspotenzial aufgrund der Kanalintegrationsmöglichkeiten hier höher. Nachteile sind allerdings die begrenzte Nutzbarkeit von eigenen Kanälen, deren Synchronisationsaufwand

38

Handlungsoptionen des Multi-Channel-Handels

sowie die hohen Investitionskosten. Häufig anzutreffen ist diese Form des MultiChannel-Handels bei führenden Handelsfilialisten (z.B. Douglas und Karstadt).

 Allkanal-Strategie: Diese Stragievariante stellt sicherlich die extremste Form des Multi-Channel-Handels dar und ist eine große Herausforderung für das Handelsunternehmen. Dabei geht ein Unternehmen davon aus, dass die beste Kundenbetreuung nur unter Nutzung aller verfügbaren Kanäle möglich ist und nur so im Wettbewerb bestehen kann. Dementsprechend wird hiermit auf eine komplette Marktabdeckung mit allen Kundengruppen abgezielt. Darin liegt auch der Vorteil, nämlich die Erreichung aller Kundengruppen sowie das größte Umsatzpotenzial sowie die beste Situation im Wettbewerb. Zudem können Kostensparpotenziale durch Prozessverlagerungen realisiert werden. Die Kosten für die Umsetzung der Allkanal-Strategie sind sehr hoch, ebenso wie der organisatorische Aufwand. Da die Kanäle sich in ihrer Funktion überschneiden, ist eine exakte Kontrolle kaum möglich. Ferner können Kommunikationsbrüche auftreten. Unternehmen sind aber aufgrund ihrer Wettbewerbssituation unter Umständen gezwungen, sprichwörtlich „alle Register zu ziehen“ wie zum Beispiel die Mobilfunkanbieter a lá Vodafone, die praktisch eine Allkanal-Strategie verfolgen und darüber hinaus neben dem B2C-Vertrieb auch noch Geschäftskundenvertrieb, also B2B-Kanäle, betreiben. Die Allkanal-Strategie ist deshalb auch nur sinnvoll, wenn Unternehmen über entsprechende finanzielle Mittel und eine entsprechende Kunden- und Produktstruktur verfügen. Unter der Voraussetzung gegebener finanzieller Mittel und entsprechender Kundenund Produktstruktur lässt sich generell davon ausgehen, dass eine durchgängige Präsenz auf möglichst vielen Kanälen am vorteilhaftesten ist, wie in Abbildung 2-11 dargestellt ist (vgl. Schneider 2001, S. 177). In der Medienbranche spricht man von einer sogen. „Cross-Property“-Vermarktung der Inhalte. Martha Steward und Oprah Winfrey haben in den USA z.B. Lifestyle-Marken aufgebaut, die über alle Medien und Shopping-Kanäle agieren, also auch über Fernsehen, Radio, Zeitschriften, Bücher und Internet (vgl. Schneider 2001, S. 177). Auch wenn vordergründig Kosten und Komplexität steigen, sollte ein Unternehmen sich heute für möglichst viele Kanäle entscheiden, da die Kunden mittlerweile eine ubiquitäre Erreichbarkeit und damit durchgängige Präsenz des Unternehmens erwarten. Damit verbunden ist eine einheitliche und konsistente Erfahrbarkeit des Leistungsversprechens für die Kunden über alle für ihn relevanten Kanäle und Kontaktpunkte hinweg.

39

2.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

Abbildung 2-11: Durchgängige Präsenz über alle Kanäle und Kontaktpunkte hinweg Quelle: Schneider 2001, S. 179 Kanäle

360°-Sicht des Kunden

Kontaktpunkte

Kundenservice

Telefonmarketing

PR/Events Internet

Ladenpräsenz

E-Mail

Filiale

Internet

Teminals

Print

Katalog

TV

Direct Mail Außendienst Radio

Partner Mobiles Internet

Die Festlegung, welche Kanäle ein Handelsunternehmen überhaupt bedienen soll, erfolgt am besten anhand einer Multi-Channel-Matrix, in der alle Geschäftsbereiche und Absatzkanäle des betreffenden Unternehmens aufgeführt werden. Diese Matrix hilft dabei, eine Multi-Channel-Strategie zu visualisieren. In Abbildung 2-12 ist beispielhaft ein Bekleidungshandelsunternehmen dargestellt, das über fünf Sparten verfügt. Daraus ergeben sich vielfältige Multi-Channel-Beziehungen z.B. zwischen Filialen, Katalogen und Internet. Weiterhin sind auch innerhalb eines Handelsunternehmens horizontale Beziehungen zwischen den verschiedenen Sparten möglich, die bei der Gestaltung der Kanäle berücksichtigt werden müssen (vgl. Schneider 2002, S. 3940). Nachdem Art und Anzahl der Absatzkanäle anhand der Multi-Channel-Matrix festgelegt wurden, geht es darum, die Handlungsoptionen für den Multi-ChannelHändler auszuloten. Die Potenziale einer systematischen Ausweitung und Abstimmung der Kanäle sind jedoch kaum zeitgleich zu erschließen. Stattdessen ist von einem zeitaufwendigen Integrationsprozess auszugehen, wie sich am Beispiel der meisten existierenden Multi-Channel-Händler nachweisen lässt. Sowohl Karstadt, als auch Kaufhof und Otto haben als ursprüngliche Einkanalanbieter nach und nach weitere Kanäle aufgebaut und zunehmend integriert. Dieser sich fortlaufend wiederholende Integrationsprozess kann in drei Phasen unterteilt werden: Multi-Channel-Vertrieb, Multi-Channel-Marketing sowie Multi-Channel-Management (vgl. Wegener 2004, S. 202 ff.).

40

Handlungsoptionen des Multi-Channel-Handels

Abbildung 2-12: Multi-Channel-Matrix am Beispiel eines Bekleidungshändlers Quelle: In Anlehnung an Schneider 2002, S. 40

Stationäre Kanäle -Filialen -Shop-in-Store

Vesandkanäle -Print-Katalog -Internet-Katalog -Telefonverkauf

Werbekontakte -Beilagen/Prospekte -Anzeigen -Radio -Website

2.5.2

Sparte A Basics

Sparte B Junge Mode

X

X

X

X X

X X X

Sparte C Designer Mode

Sparte D Discount

Sparte E HeimTextilien

X X

X

X

X X

X X

X

X

X

X X X

Multi-Channel-Vertrieb und Marketing

In der ersten Phase, den Vertriebsaktivitäten, ist alles darauf ausgerichtet, den neuen Kanal zu penetrieren und dessen Akzeptanz bei den Kunden zu sichern. Der Integrationsgrad des neuen Kanals mit dem bestehenden Geschäftsystem ist zu diesem Zeitpunkt relativ gering und beschränkt sich überwiegend auf das gemeinsame Leistungsangebot. In der sich anschließenden Marketing-Phase geht es darum, Synergien zwischen den verschiedenen Kanälen zu erschließen und die kundengerichteten Prozesse im Marketing voranzutreiben. Zentrale Schlüsselfrage ist dabei, inwieweit sich die einzelnen Kanäle voneinander differenzieren sollen oder ob eine Harmonisierung der Kanalaktivitäten sinnvoll ist. Anhand einiger Beispiele aus der Unternehmenspraxis lassen sich die diesbezüglich vielfältigen Handlungsoptionen verdeutlichen.

 Sortimentspolitik: Es geht darum, ob in allen Absatzkanälen identische oder jeweils absatzkanalspezifische Sortimente angeboten werden sollen. Diesbezüglich sind alle Varianten denkbar, z.B. völlig vom Ursprungssortiment losgelöste Angebote (otto-supermarkt.de) oder aber Ausschnitte des Gesamtsortiments (karstadt.de, galeria-kaufhof.de). Identische Sortimente sind ebenso anzutreffen (z.B. Ikea.de, Sport-Scheck.de) wie erweiterte Online-Angebote (otto.de). Besonders gut geeignet für den Internet-Handel sind digitalisierbare Sortimente und Produkte, die darüber hinaus einen ausgeprägten Selbstbedienungscharakter aufweisen. Das 41

2.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

sind z.B. Sortimente wie Musik, Nachrichten, Software oder Bücher, nicht dagegen Produkte, die vor dem Kauf von den Kunden besichtigt werden müssen. Der Multi-Channel-Händler muss also vornehmlich solche Produkte ins Sortiment aufnehmen, die sich über seine Absatzkanäle auch problemlos vertreiben lassen. Das Multi-Channel-System bietet ihm aber dabei die Möglichkeit einer besseren Produktdifferenzierung. So können durch das Angebot diverser Variationen eines Kernproduktes verschiedene Zielgruppen angesprochen werden, z.B. mit unterschiedlichen Konditionen und Beratungsformen. Insgesamt bietet sich für einen Multi-Channel-Händler im Gegensatz zu einem traditionellen Händler ein größerer Handlungsspielraum bei der Gestaltung seines Sortiments.

 Brandmanagement: Das Brandmanagement hat eine entscheidende Rolle in Hinblick auf die Erwartungshaltung des Kunden und damit die Beurteilung der Leistung aus Kundensicht. Die Erfahrung zeigt, dass in diesem Bereich häufig die unternehmensindividuellen Umstände entscheidend sind, z.B. welches Markenversprechen in der Vergangenheit kommuniziert wurde. Das erklärt, warum führende Handelsunternehmen beim Aufbau ihres Internetkanals gezielt ihre Dachmarke einsetzen. Damit soll verdeutlicht werden, wie der Kunde den neuen Kanal zu verstehen hat, was ihn erwartet und inwiefern es sich lohnt, die neue Einkaufsstätte zu nutzen. Während IKEA zum Beispiel konstant ein einheitliches Markenversprechen über alle Kanäle abgibt, nutzt Quelle die innovative Komponente des Internet, um das Image aufzufrischen. Tchibo hingegen kennzeichnet die besonderen Vorteile des neuen Kanals mit einer eigenen Submarke (Tchibo.de), die allerdings auf dem Markenkern der Dachmarke aufbaut, was mit einer Line-Extension vergleichbar ist. Wird eine bereits existierende Marke auf einen neuen Absatzkanal ausgedehnt, liegt eine integrierte Markenstrategie vor. Der Elektronikhändler Conrad verwendet z.B. für sein Ladengeschäft, seinen Katalog sowie seinen InternetKanal dieselbe Marke. Wird allerdings eine neue, eigenständige Marke geschaffen, liegt eine fokussierte Markenstrategie vor. Vielfach ist jedoch eine genaue Zuordnung zu einer Markenstrategie nicht genau möglich.

 Preispolitik: Im Worldwide-Web lassen sich Preise verschiedener Anbieter problemlos und schnell vergleichen, unterstützt von Preisvergleichsseiten. Aufgrund der steigenden Markttransparenz und des damit einhergehenden Wettbewerbsdrucks durch das Internet erwartet der Kunde, dass die Preisspielräume der Anbieter Abschläge zulassen. Die Kunden haben gelernt, dass die Kostenstrukturen neuer Kanäle nicht selten geringer sind, als die der stationären Kanäle. Dieses liegt auch mit darin begründet, dass die Kunden selbst Teilaufgaben der Kaufprozesse übernehmen (z.B. Selbstbedienung, Bestellabwicklung etc.). Die Erfahrung zeigt, dass das Preisniveau vergleichbarer Artikel im Online-Kanal geringer ist als in den stationären Geschäften, dafür erhält der Kunde auch keine persönliche Beratung. Wünscht der Kunde ein ausführliches Beratungsgespräch, kann er dies im Ladengeschäft bekommen, muss dann aber auch einen höheren Ladenpreis bezahlen. Aufgrund der großen Preistransparenz im Internet kann ein Handelsunternehmen 42

Handlungsoptionen des Multi-Channel-Handels

Paketangebote bzw. Preisbündel für zusammengestellte Produkte schnüren, um die Vergleichbarkeit mit den Mitbewerbern zu erschweren. Zur Preispolitik gehört auch die Gestaltung der Bedingungen der Entgeltentrichtung. Ein Multi-ChannelHändler hat prinzipiell alle denkbaren Zahlungsverfahren zur Verfügung. Dabei besteht die Möglichkeit, je nach Absatzkanal auch unterschiedliche Zahlungsmöglichkeiten anzubieten. So gilt die Kreditkarte als wichtigstes Zahlungsmittel im Onlineshop, während Bargeldkauf immer noch im stationären Handel überwiegt (vgl. Schobesberger 2007, S.48).

 Kommunikationspolitik: Die Kommunikationspolitik spiegelt deutlich die unterschiedlichen Auffassungen von Kundenbedürfnissen wieder. Während ein Teil der Multi-Channel-Händler ganz klar auf eine kanalspezifische Differenzierung setzen wie z.B. aktuell die Lebensmitteldiscounter Lidl und Aldi, verfolgt der andere Teil der Anbieter eine strenge Harmonisierungspolitik der werblichen Instrumente (z.B. Couponing in allen Kanälen) wie zum Beispiel Crate & Barrel. Vielfach reduziert sich die Harmonisierung der Kommunikationspolitik auf ein identisches Corporate Design und die gleiche Bezeichnung der Produkte und Services, wie z.B. von Conrad Elektronic praktiziert. In der Regel werden dabei die kanalspezifischen Möglichkeiten voll ausgespielt, z.B. mit Suchmöglichkeiten im Internet oder aktuellsten Aktionen. In elektronischen Katalogen können Unternehmen alle angebotenen Produkte abbilden. Dabei kann der Kunde sich gezielt informieren, nicht nur über Produkteigenschaften, sondern auch über Preise, Zahlungsmöglichkeiten sowie sonstige Geschäftsbedingungen. Ein Multi-Channel-Händler hat im Rahmen der Kommunikationspolitik aber auch die Möglichkeit, in einem Absatzkanal Werbung für einen anderen Absatzkanal zu machen und damit die Reichweite zu erhöhen. In Katalogen dürfen eigentlich Hinweise auf den Online-Shop eigentlich bei keinem Anbieter mehr fehlen, da es keine bessere und kostengünstigere Werbung für den Internet-Kanal gibt.

 Servicepolitik: Zur Servicepolitik zählen vor allem die Kundendienstleistungen, die sich in Mehrkanalsystemen mit der Anzahl der Absatzkanäle multiplizieren. Das mögliche Spektrum reicht dabei von der isolierten Kundendienstpolitik, die für jeden Kanal spezifische und separate Instrumente zur Verfügung stellt, bis hin zum integrierten Ansatz, der ein einheitliches Kundenmanagementsystem zu grundegelegt (vgl. Schröder 2004, S. 184 ff.). Vorteil einer kanalübergreifenden Integration der Kundendienstpolitik ist zweifelsohne, dass auch Kunden, die die verschiedenen Kanäle für jeweils einzelne Phasen des Kaufprozesses in Anspruch nehmen, mit allen Kundendienstleistungen erreichbar sind. Das ist auch der Grund, warum hier in der Regel versucht wird, durch identische Inhalte und einheitliche Qualitäten in der Kundenbetreuung ein Mindestmaß der Qualitätsorientierung sicherzustellen. Aus diesem so vereinheitlichen Serviceangebot ragen nur vereinzelt kanalspezifische Services hervor, wie z.B. die virtuelle Anprobe auf Otto.de.

43

2.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

 Distributionspolitik: Aufgrund der kanalspezifischen Eigenschaften sind die Verkaufs- und Abwicklungsvorgänge in der Regel sehr unterschiedlich gestaltet. Im stationären Geschäft kann der Verkaufsprozess in hohem Maße durch das Verkaufspersonal beeinflusst werden, was im Katalogverkauf nun mal nicht möglich ist. Ansonsten wird jedoch auf eine weitestgehende Harmonisierung Wert gelegt, z.B. wie bei Eddie Bauer oder Manufaktum, die beide ihre Markenversprechen in Bezug auf Qualität und Vertrauen im eigentlichen Verkaufsprozess identisch gestalten. Häufigste Strategie ist allerdings, sich bei der Harmonisierung der kanalspezifischen Aktivitäten auf die Abwicklung des Kaufvorgangs (z.B. Verpackung, Zahlungsart und Rückgabeprozess) zu fokussieren. Beispielsweise garantiert Otto seinen Kunden in allen Kanälen von Anfang an eine einheitliche Qualität des Abwicklungsprozesses. Oft unterstützen Kundeninformationssysteme nur Teile dieser Abläufe. Wichtig ist, dass ein System zu Beginn eines Bestellvorgangs Informationen über die bestellten Produkte, Dienstleistungen, gewünschte Liefer- und Zahlungsmodalitäten sowie den Kunden erfasst, sei es aus internen Datenbanken oder im Dialog mit dem Besteller. Vom Kunden müssen jederzeit Waren zur Bestellliste hinzugefügt oder entfernt werden können. Gleiches gilt für die Lieferund Zahlungsmodalitäten, die jederzeit veränderbar sein müssen. Stammkunden sollten die Möglichkeit haben, auf gespeicherte Stammdaten zurückzugreifen. Standard ist die Erstellung eines Bestelldokuments, auf der die zuvor getroffene Auswahl festgehalten und der Preis berechnet wird. Gängig ist mittlerweile auch eine Auftragsbestätigung nach Bestellfreigabe oder eine Sofortrechnung. Für die Dauer der Lieferzeit sollten Kunden über den Stand der Auftragserledigung informiert werden (vgl. Schobesberger 2007, S. 47). Steht die Bestellung zur Lieferung an, kann ein Multi-Channel-Händler seinen Kunden verschiedene Optionen der Warenzustellung bieten. Denkbar ist zum Beispiel auch ein „In-Store Pick-Up“, bei dem ein Kunde sein Produkt online bestellt und dieses dann in einem nahe gelegenen Ladengeschäft abholt. Dabei kann die Ware bereits für den Kunden vorbereitet werden, wodurch er Zeit und Versandkosten spart (vgl. Schobesberger 2007, S. 48). Es gibt aber immer noch erstaunlich viele Händler, die ihren Web-Auftritt ausschließlich dazu nutzen um potenzielle Kunden auf Angebote in anderen Kanälen hinzuweisen. Insgesamt lässt sich die Tendenz erkennen, Marketing-Mix-Konzepte im MultiChannel-Handel zu vereinheitlichen. So zeigen sich Bestrebungen, die Markierung der Kanäle zu harmonisieren, indem die Varianten der Retail-Brands reduziert werden. Während im LEH dieser Ansatz auch konsequent auf alle Betriebstypen des stationären Geschäfts übertragen wird, wie die Beispiele AVA und Marktkauf sowie Rewe und Minimal bzw. Toom zeigen, lassen sich im Textilbereich auch gegenteilige Tendenzen erkennen (vgl. Zentes, Schramm-Klein,2006, S. 9). Hier sind separierte Konzepte anzutreffen, mit denen anhand einer differenzierten Gestaltung der Retail-Brand unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden sollen, z.B. bei den Versendern Otto-Group und Quelle.

44

Handlungsoptionen des Multi-Channel-Handels

Grundsätzlich besteht aber auch im Textilhandel eine Tendenz zu integrierten Systemen mit einheitlicher Retail-Brand, in denen fast durchgängig ähnliche Konzepte der Sortiments- und Preispolitik realisiert werden sollen. Unterschiede gibt es aber in der Sortimentsbreite bzw. –tiefe zwischen den Kanälen aus Gründen einer grundsätzlich unterschiedlichen Sortimentsfindungslogik. Auch werden häufig im Internet-Kanal Zusatzsortimente aus anderen Warengruppen angeboten, die der Kunde in den stationären Kanälen nicht antrifft. In der Regel sind die Online-Sortimente aber doch deutlich eingeschränkter als im stationären Geschäft, trotz der eigentlich „unbegrenzten Regalkapazität“. Unterschiede sind auch nicht selten in der Preispolitik zu erkennen, was auf unterschiedliche Preisaktionen oder –senkungen zurückzuführen ist. Hauptgrund dafür ist ein immer noch recht häufig verbreitetes „MauerblümchenDasein“ des Internet-Kanals, der oft (noch) nicht als vollwertiger Kanal eingestuft wird und deswegen nicht selten separat oder outgesourced betrieben wird. Bei den Preisdifferenzen, die auch durch Versandkosten zustande kommen können, gibt es in der Regel aber keine Probleme auf Kundenseite. Sind die Preisdifferenzen aber zu groß, wie häufig in der Unterhaltungsbranche zu beobachten ist, kommt es zu Vertrauensverlust und Unzufriedenheit bei den Kunden, wie empirische Untersuchungen zeigen (vgl. Zentes, Schramm-Klein,2006, S. 9).

2.5.3

Multi-Channel-Management

In der dritten Stufe steht neben der permanenten Optimierung des kanalübergreifenden Marketings die Integration der Backend-Prozesse im Vordergrund. Ziel ist es dabei, die reibungslosen Abläufe und Kosteneffizienz sicherzustellen. Außerdem sollen Kosteneinsparungen durch Prozessoptimierungen sowie Synergien realisiert werden (z.B. Zentraldisposition, Sortimentsentwicklung etc.). In dieser erfolgskritischen Phase befinden sich derzeit viele führende Handelsunternehmen wie zum Beispiel Karstadt, Tchibo oder Otto. Die damit verbundene Aufgabenstellung ist umso komplexer, je mehr Kanäle es dabei prozessseitig zu verknüpfen gilt (vgl. Wegener 2004, S. 205). Schwerpunkt dieser Stufe bilden zweifelsohne organisatorische Fragestellungen, die neben den Prozessen vor allem auch die Organisationsstrukturen behandeln. Dabei gibt es die drei Möglichkeiten eines fokussierten Systems, integrierten Systems oder hybriden Systems (vgl. Schobesberger 2007, S. 35):

 Fokussierte Systeme: Fokussierte Strukturen liegen vor, wenn die einzelnen Absatzkanäle getrennt voneinander operieren. Dieser Ansatz wird nicht selten auch als „Multiples-Channel-System“ bezeichnet oder auch „isolierter Multi-ChannelAnsatz“. Besonderheit ist hier, dass die einzelnen Kanäle nicht koordiniert werden, also autark arbeiten. Jeder Kanal richtet sich jeweils auf bestimmte Zielgruppen und deren Bedürfnisse aus, wodurch ein Wettbewerb zwischen den Kanälen entsteht und gefördert wird. Es ist durchaus gängig, dass die Kunden in solchen fokussierten Kanälen unterschiedlich angesprochen werden (vgl. Schobesberger 45

2.5

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

2007, S. 35ff.). Vor allem in Fällen, in denen ein Handelsunternehmen seinen Internet-Kanal als Joint-Venture mit einem Internet-Spezialisten betreibt, liegen in der Regel derartige fokussierte Systeme vor (z.B. Bogner-Homeshopping mit Primondo/ Quelle oder OBI mit Otto).

 Integrierte Systeme: Dieser Ansatz geht mit einer vollständigen Koordination und Abstimmung der Kanäle untereinander einher. Die Kanäle sind praktisch voneinander abhängig und betreiben eine einheitliche Preis- und Markenpolitik. Erfolgsrechnungen erfolgen hier weniger kanalspezifisch als kundenspezifisch. Da Aufgaben und Rollen klar abgegrenzt sind, kommt es nicht zu einer Konkurrenzsituation und damit auch nicht zu Konflikten. Warenwirtschafts- und Informationssysteme arbeiten kanalübergreifend und stellen allen Kanälen die gleichen Daten zur Verfügung (vgl. Schobesberger 2007, S. 35ff.). Diese Form des Multi-Channel-Management verspricht die potentiell größte Ausschöpfung von Synergien und Cross-Selling-Potenzialen und wird aktuell von den führenden Multi-Channel-Händlern betrieben (z.B. Douglas, Tchibo, Karstadt).

 Hybride Systeme: Diese Form des Multi-Channel-Management ist eine Zwischenlösung und wird häufig auch als „kombinierter Multi-Channel-Ansatz“ bezeichnet. Er stellt eine Mischung aus abgestimmtem Gesamtsystem einerseits und flexibel gestalteten Einzelkanälen andererseits dar. Die Kanäle sind mehr oder weniger lose miteinander verbunden und koordinieren ihre Kundenansprache untereinander. Harmonisiert wird in der Regel die Preis- und Markengestaltung, um den Kunden die Orientierung in den Kanälen zu erleichtern. Warenwirtschafts- und CRMSysteme arbeiten jedoch immer noch weitgehend separiert, so dass zwischen den Kanälen Brüche und insofern Probleme beim Austausch auftreten können (vgl. Schobesberger 2007, S. 35ff.). Diese Form des Multi-Channel-Management ist derzeit (noch) am weitesten verbreitet. Insgesamt werden in Deutschland im Multi-Channel-Handel die Prozesse und Funktionen zwischen den Kanälen bisher nicht besonders intensiv integriert. In der Regel liegen Verknüpfungen nur in Form kommunikativer oder informativer Verbindungen vor. Aktionen werden häufig nicht kanalübergreifend abgestimmt Insbesondere in der Warenwirtschaft werden Verknüpfungen der Warenprozesse wie z.B. Retourenabwicklung oder Verfügbarkeitsprüfungen für unterschiedliche Kanäle selten umgesetzt. Hauptgrund dafür ist sicherlich die Komplexität der damit verbundenen BackendProzesse. Nur im Falle von Kundenkarten ist häufig ein durchgängig kanalübergreifender Einsatz zu beobachten (vgl. Zentes, Schramm-Klein 2006, S. 9).

46

Kanalverhalten: Channel-Hopping muss möglich sein

2.6

Kanalverhalten: Channel-Hopping muss möglich sein

Aus Sicht eines Multi-Channel-Unternehmens ist es sinnvoll, das Kanalwahlverhalten der Kunden aktiv zu beeinflussen, wenn sich damit die Profitabilität der Kunden steigern lässt. Die Aufgabe einer Bestellung über das Internet ist zum Beispiel mit geringeren Kosten verbunden, als in diesem Fall die Inanspruchnahme des Call Centers, weshalb eine Migration der Kunden zum Internet sinnvoll sein kann. Vor allem der wahrnehmbare Nutzen der Vertriebskanäle beeinflusst das Kanalwahlverhalten der Kunden. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kanal wählen, der ihnen den höchsten Nutzen stiftet. Dieser Nutzen ergibt sich aus der wahrnehmbaren Qualität eines Kanals, seiner wahrgenommenen Convenience, dem damit verbundenen wahrgenommenen Risiko sowie dem mit dem Kanal assoziierten Preis bzw. den damit verbundenen Beschaffungskosten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vertriebskanäle je nach Phase des Kaufprozesses verschiedene Aufgaben erfüllen können, wenn man z.B. zwischen Informations-, Kauf- und Produktnutzungsphase unterscheidet (vgl. Gensler, Böhm 2006, S. 31). Diesbezüglich sind jedoch drei verschiedene Grundtypen von Kunden zu unterscheiden. Der erste Typ nutzt für den gesamten Kaufprozess grundsätzlich immer denselben Kanal, z.B. den Stationären. Der zweite Typ wickelt zwar den kompletten Kaufprozess über einen Kanal ab, wechselt aber in Abhängigkeit von den genannten Einflussfaktoren den Kanal unter bestimmten Voraussetzungen. Der Typ drei schließlich nutzt während des Kaufprozesses grundsätzlich mehrere Kanäle (vgl. Schröder 2005, S. 64). Für den Multi-Channel-Händler ist deshalb von zentraler Bedeutung zu erfahren,

 welche Kunden wann welche Produkte in welchem Kanal kaufen,  welche Kanäle die Kunden wann nutzen für welche Phase des Kaufes,  wie die Kunden ihr Budget auf die einzelnen Kanäle verteilen,  was die Gründe für eine Kanalnutzung sind,  welches Risiko die Kunden jeweils in den Kanälen wahrnehmen,  wie die Kunden die Kanäle jeweils beurteilen und  wie zufrieden die Kunden mit den einzelnen Leistungen der Kanäle sind. Insgesamt lässt sich feststellen, dass 35% derjenigen Kunden, die sich beispielsweise im Online-Shop eines Händlers informieren, auch in dessen Geschäft kaufen. Dabei werden in 31% der Fälle dasselbe Produkt und dieselbe Marke eingekauft, in 4% der Fälle wechseln die Kunden auf ein anderes Produkt bzw. eine andere Marke. Bemerkenswert ist, dass 65% der Konsumenten allerdings nach der Informationsphase den Anbieter gewechselt und im Geschäft eines Mitbewerbers gekauft haben (vgl. Schröder 2005, S. 69). Den umgekehrten Fall, d.h. Informationseinholung stationär und Kauf 47

2.6

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

online, praktizieren knapp 30% der Kunden. Dabei kaufen dann aber von allen Kunden weniger als 3% bei genau demselben Händler (vgl. Dach 2002a, S. 7). Egal, in welchen Fällen die Kunden in welchem Ausmaß die verschiedenen Kanäle nutzen, so kann unbestritten festgehalten werden, dass ein „Channel-Hopping“ der Kunden tatsächlich stattfindet, was insbesondere den convenienceorientierten Kunden auszeichnet. Anhand der Abbildung 2-13 wird dieses noch einmal erläuternd skizziert. Ein Konsument kann z.B. in einem gedruckten Katalog auf ein Produkt aufmerksam werden und beschafft sich dann über das Internet weitere Informationen. Es ist auch denkbar, dass er anschließend das Geschäft des Händlers aufsucht, um das gewünschte Produkt zu bestellen. Ebenfalls kann der Fall auftreten, dass der Kunde das Produkt im Internet bestellt und per Post nach Hause zugestellt bekommt.

Abbildung 2-13: Channel-Hopping Quelle: Nach Ahlert 2003, S. 12 ff.

„Channel-Hopping“ des Kunden

Online-Kauf

Sieht Produkt in Filiale Zusatzinfo im WWW

Beratung in Filiale

Kauf im WWW

Anlieferung zu Hause

Beschwerde in Filiale

Nachfrage via Call Center

Hotline Reklamation

Defekt, Umtausch

Filialen Kein Umtausch

Versand/ Internet Einsendung

Multi-Channel-Retailing

   

Unterschiedliches Sortiment Uneinheitliches Branding/ Corporate Design Keine kanalübergreifendes CRM-System Keine Verknüpfung WWS/ Daten

Geht er allerdings danach in die Filiale, um sein Produkt zu reklamieren oder umzutauschen, dann kann im Falle nicht integrierter Kanäle leicht vorkommen, dass der Umtausch des online bestellten Produktes im Geschäft gar nicht möglich ist. Mangelnde Kundeninformationen und eine unzureichende Integration der Warenwirtschaftssysteme innerhalb der verschiedenen Absatzkanäle lassen ein derartiges Szenario als nicht unwahrscheinlich erscheinen. In solchen Fällen ist es nicht möglich, auf den Kunden als Channel-Hopper einzugehen. Weitere Problemfälle sind dabei vorprogrammiert, z.B. wenn die Kunden in den verschiedenen Kanälen des Händlers unterschiedliche Sortimente vorfinden. Bei einer Multi-Channel-Strategie besteht dabei die große Gefahr, dass ein Kunde seine negativen Erfahrungen auf die übrigen Absatzkanäle überträgt. Sollte es daher Zielsetzung des Handelsunternehmens sein, 48

Kanalverhalten: Channel-Hopping muss möglich sein

separierte, nicht verknüpfte Absatzkanäle aufzubauen und dabei kanalspezifische Sortimente anzubieten, dann sollten diese nicht unter einer einheitlichen Markierung gegenüber dem Kunden präsentiert werden (vgl. Ahlert 2003, S. 11 ff.). Damit werden dann aber auch alle Chancen und Vorteile dieser Strategie hinfällig. Umso erstaunlicher ist, dass bei den meisten Multi-Channel-Unternehmen ein konsistentes Zusammenwirken der Kanäle nicht stattfindet. Nur ein geringer Teil der Händler ist auf das „Channel-Hopping“ eingestellt, obwohl Kunden diese Art des Kanalverhaltens bevorzugen. Konsumenten, die z.B. stark nachgefragte Aktionsartikel in einer Tchibo-Filiale nicht erhalten, versuchen in den meisten Fällen eine Bestellung per Telefon oder Internet. Auch haben Online-Käufer häufig noch telefonische Anfragen, die sie gerne persönlich geklärt haben möchten. Besonders herausfordernd für viele Multi-Channel-Unternehmen sind Reklamationen in anderen Kanälen. Auf eine solche Situation sind nur wenige Unternehmen wirklich eingestellt. Liegt dann die Kontrolle nicht in der Obhut des eigenen Unternehmens und sind externe Partner eingebunden, dann entpuppt sich dieser Fall als doppelt problematisch. Der Mobilfunkkunde von D2 z.B. wird sich wahrscheinlich auch dann bei Vodafone beschweren, wenn er seinen Vertrag bei einem unabhängigen Provider abgeschlossen hat (vgl. Schneider 2001, S. 174 ff.). Es kann also generell davon ausgegangen werden, dass eine höchstmögliche Harmonisierung und Integration der Kanäle angestrebt werden sollte, weil nur so ein echtes Channel-Hopping möglich ist. Insofern lässt sich folgern: „Soviel Harmonisierung und Integration der Kanäle wie möglich, soviel Differenzierung der Kanäle wie nötig“. Damit können drei zentrale Schlüsse für das Marketing eines Multi-Channel-Anbieters gezogen werden (vgl. Schneider 2001, S. 182):

 Erfolgskritisch ist die Schaffung eines nahtlosen Kundenerlebnisses.  Synergien sind realisierbar durch Erzeugung von Cross-Frequenz.  Nutzung der jeweiligen Stärken der Kanäle erhöht Kundennutzen. Die Schaffung eines nahtlosen Kundenversprechens bedingt, dass der MultiChannel-Händler in allen Kanälen einheitlich auftritt und nicht durch mangelnde Channel-Hopping-Möglichkeit auf Kundenseite kognitive Dissonanzen erzeugt. Bedenklich ist, dass die Diskrepanzen zwischen den Kanälen in der Regel nicht von den verantwortlichen Führungskräften des Multi-Channel-Unternehmens wahrgenommen werden, sondern nur den Kunden bei der Verwendung der verschiedenen Kanäle auffallen (vgl. Schneider 2001, S. 182). Brüche zwischen den Kanälen treten häufig bereits im angebotenen Sortiment auf, das ohne nachvollziehbaren Grund eigentlich nicht unterschiedlich gestaltet sein sollte. Auch wenn die Sortimentsfindungslogik gewöhnlich kanalspezifisch ausgeprägt ist und es wirtschaftliche Gründe geben kann, warum die Produktpalette kanalspezifisch zu variieren ist, sieht der Kunde dies mitunter völlig anders. Vorbildlich agiert hier Tchibo, wo der Kunde beim Erwerb der

49

2.6

2

Multi-Channel-Handel – Was ist das eigentlich genau?

aktuellen Angebotsartikel frei wählen kann, wann er welchen Kanal benutzen möchte, ohne hier auf Schwierigkeiten zu stoßen. Besonders ausgeprägt sind unterschiedliche Preise in den Kanälen. Bei nahezu allen Autovermietungsfirmen kommt immer wieder vor, dass im Internet völlig andere Preise zugrunde gelegt werden als in den stationären Niederlassungen. Hier empfehlen fast alle Ratgeber auf den gängigen Fernsehkanälen den Verbrauchern, vor der Buchung über das Internet noch einmal den aktuellen Preis beim Vermieter telefonisch zu erfragen. Und das, obwohl die Kunden im Internet einheitliche, überregionale Preise erwarten, die im Zweifel günstiger sind als im stationären Geschäft. So hatte auch Douglas bei der Eröffnung des Internet-Shops douglasbeauty.com erhebliche Probleme bei der Umsetzung der Preisstrategie, weil selbst die Filialen bundesweit in unterschiedlichen Preisschienen agieren und deswegen überregional keine einheitlichen Preise sicherstellen können. Die Preishoheit liegt hier in den starken Regionalgesellschaften, die dezentral geführt werden. So kommt es insbesondere in dezentral organisierten Filialsystemen immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Kanalverknüpfung, weil Internet eher ein zentral ausgerichtetes Geschäftssystem darstellt. Gleiches gilt für die Internationale Ausrichtung eines Unternehmens, wenn Preisunterschiede zwischen den verschiedenen Ländergesellschaften mit wenigen Klicks aufgedeckt werden können, weshalb sich vom Grundsatz her ein kanalübergreifendes Stammsortiment mit einheitlichen Produkten und Preisen empfiehlt (vgl. Schneider 2001, S. 183). Gleiches gilt für die kanalübergreifende Kommunikation mit den Kunden, bei der ein einheitliches Corporate Design eine Grundvoraussetzung für Channel-Hopping ist. Immer wieder beklagen sich die Kunden über unterschiedliche Marken, Logos, Farben, Schrifttypen, Werbebotschaften und Servicelevels. Besonders anfällig sind diesbezüglich Multi-Channel-Unternehmen, die eine ausgeprägte Outsourcing-Strategie verfolgen. Demotivierte oder überlastete Call-CenterMitarbeiter, die darüber hinaus noch schlecht informiert sind und nicht einmal den Namen des Unternehmens richtig aussprechen können, schaden dem Unternehmensimage erheblich. Gleiches gilt für den Auslieferungskontakt. So kommt es immer wieder vor, das die Auslieferung der Ware über Subunternehmer erfolgt, die z.T mit schmutzigem und unfreundlichem Auftreten als „Vertreter des Multi-ChannelUnternehmens“ völlig diametral zum beabsichtigten Erscheinungsbild der Marke wahrgenommen werden. Dazu gehört auch das Einhalten von Anlieferungszeiten, bei denen es immer wieder zu Störungen der gesetzlich festgelegten Ruhezeiten kommt. Outsourcing-Partner, die sich nicht an vorgegebene Qualitätsstandards halten, beeinträchtigen das Markenimage des Unternehmens und sind sofort auszutauschen. Dies bedingt allerdings eine funktionierende Service-Qualitätskontrolle (vgl. Schneider 2001, S. 183). Erzeugung von Cross-Frequenz ist Grundvoraussetzung dafür, dass Synergien zwischen den Kanälen realisierbar sind. Mehrkanalkunden kaufen deutlich mehr und sind treuer als Einkanalkunden. Insofern profitieren die Multi-Channel-Unternehmen davon, wenn sie ihre Kunden zu Mehrkanalnutzern konvertieren und aktiv zur Nutzung der verschiedenen Kanalalternativen auffordern, um dadurch mehr Cross-

50

Kanalverhalten: Channel-Hopping muss möglich sein

Frequenz zu erzeugen. Dies beginnt bereits mit dem deutlich sichtbaren Hinweis auf den Internet-Kanal in allen Medien des Unternehmens. Dafür nutzbar sind z.B. das Filial-TV (z.B. Schlecker), Kataloge, Prospekte, Werbeanzeigen, Geschäftsberichte, Firmenfahrzeuge, Visitenkarten, Briefköpfe, also rundum alle zur Verfügung stehenden „Werbeflächen“ des Unternehmens. Kunden können auch durch Incentives (z.B. Gutscheine), Gewinnspiele oder kanalspezifische Aktionen zur Nutzung bestimmter Kanäle veranlasst werden. Umgekehrt kann im Internet-Kanal auf Filialen (inkl. Wegbeschreibung), Öffnungszeiten und Warenverfügbarkeiten hingewiesen werden. Auch Events und Sonderaktionen können hier beworben werden. Es ist auch durchaus denkbar, neue Kanäle durch spezifische Angebote zu fördern, sofern der einheitliche Gesamtauftritt dadurch nicht gefördert wird. Als hilfreich für die Steigerung der Cross-Frequenz erweist sich auch der kanalübergreifende Einsatz der Kundenkarte, wie Douglas z.B. zeigt (vgl. Schneider 2001, S. 184). Dritte Schlussfolgerung ist die Nutzung der jeweiligen Stärke der Kanäle. Dieses steht nur scheinbar im Widerspruch zum geforderten einheitlichen Auftritt der Kanäle. Je nach Kaufphase lassen sich die spezifischen Vorteile der Kanäle synergetisch nutzen. So kann auf das Internet unabhängig von Raum und Zeit jederzeit als Informationsmedium zugegriffen werden. Demgegenüber erlaubt die physische Warenpräsenz in der Filiale, im „Touch-and-Feel“ persönliche Erfahrung mit dem Produkt zu machen und dabei ein „multisensuales“ Kauferlebnis zu haben. Auch der persönliche Kontakt mit den Verkaufsmitarbeitern kann eine zentrale Rolle spielen und Kunden mitunter zu Impulskäufen anregen. Ganz andere Möglichkeiten wiederum bietet ein Call-Center, das ortsunabhängig helfen kann, Probleme zu lösen und die Kundenbeziehung zu vertiefen (vgl. Schneider 2001, S. 185). Die Umsetzung einer Multi-Channel-Marketingstrategie stellt jedes Unternehmen vor große Herausforderungen. Es ist zu klären, welcher Kanal der „Lead-Channel“ sein soll und die Markenhoheit über alle Kanäle hinweg besitzt. Ferner sind sämtliche mit dem Multi-Channel-Management verbundenen Fragestellungen zu klären wie z.B. Organisationsstrukturen und Prozessgestaltung, Verantwortlichkeiten, Führungs- und Steuerungssysteme. Es bietet sich an, den Schritt zu einem Multi-ChannelUnternehmen durch eine detaillierte Business-Planung vorzubereiten und zu begeleiten. Die bisherigen Erfahrungen mit Multi-Channel-Systemen zeigen, dass sich allgemeingültige Grundsätze für die Ausgestaltung anwenden lassen.

.

51

2.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im MultiChannel-Handel

3.1

Ermittlung der Erfolgsfaktoren im MultiChannel-Handel

Stellt man die Erkenntnisse über das Kaufverhalten im Multi-Channel-Handel den Handlungsoptionen gegenüber, so lassen sich allgemein gültige Grundsätze für ein kundenorientiertes Multi-Channel-Management ableiten. Die skizzierten Grundsätze können auch als Erfolgsfaktoren des Multi-Channel-Management angesehen werden. Erfolgsfaktoren sind üblicherweise Einflussfaktoren, die einen maßgeblichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten (vgl. Patt 1988, S. 6 ff). Es geht dabei vor allem um die Frage, warum und inwiefern erfolgreiche Multi-Channel-Handelsunternehmen Erfolg haben, während nicht-erfolgreiche Multi-Channel-Anbieter ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Der Erfolg bemisst sich dabei nicht nur an spezifischen OnlineKennzahlen wie z.B. Reichweite (z.B. Besucher pro Mio. WWW-Nutzer), Vernetzung durch Uniform Resource Locators (URL) die auf eine andere URL verlinken oder Schnelligkeit (in KB der Shopping-Homepage). Es geht vor allem um betriebswirtschaftliche Größen der gesamten Multi-Channel-Organisation, wie z.B. Umsatz und Ergebnis. Insbesondere an den betriebswirtschaftlichen Ansprüchen scheitern immer wieder Multi-Channel-Händler, obwohl sie nachweislich über eine exzellente Website mit schneller Abwicklung verfügen. In Abbildung 3-1 wird am Beispiel MediamarktSaturn (Stand 2004) verdeutlicht, was die möglichen Gründe für einen derartigen Nichterfolg sein können, der im krassen Gegensatz zur hervorragenden Aufmachung der Website und zum enormen Erfolg des stationären Geschäftes steht. Obwohl der Online-Shop von Mediamarkt klar strukturiert ist, exzellenten Content aufweist, extreme schnelle Bestellabwicklung erlaubt, Musicdownloads anbietet und Finanzkauf ermöglicht, liegen nachvollziehbare und offensichtliche Gründe für den Nichterfolg aus Expertensicht vor. So ist das Sortiment im Vergleich zum stationären Sortiment äußerst begrenzt, obwohl Internet ja gerade die Limitierung aufhebt, die im stationären Geschäft besteht. Eine Integration offline und online findet überhaupt nicht statt, so dass auch keine Synergievorteile realisiert werden können, die ja Grundvoraussetzung für erfolgreichen Multi-Channel-Handel sind. Weitere Gründe, die gerade in Hinblick auf das vertriebene Sortiment wichtig sind, bestehen im Fehlen eines Marktplatzes zur strategischen Ergänzung sowie in der mangelnden Werbepräsenz im Internet, auf die gleich auch noch genauer eingegangen wird. Content und Verkauf sind getrennt in zwei Websites ohne direkte Verlinkung aufgesplittet. 52

Ermittlung der Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-1:

Online-Shop von Mediamarkt Stand 2004

Quelle: H&P 2004

Der Online-Shop von MediaMarkt ist klar strukturiert, der Content ist sehr gut, die Bestellabwicklung ist extrem schnell, Musicdownloads werden Angeboten, Finanzkauf ist möglich, aber….

Nur begrenztes Sortiment Kein eigener Marktplatz zur strategischen Ergänzung Mangelnde Integration Online/ Offline Content und Verkauf getrennt in zwei Websites ohne direkte Einbindung Dem Online-Shop fehlen „Killer-Features“ Keine Instrumente zur Neukundengewinnung Online Keine Instrumente zur Umsatzsteigerung bei Bestandskunden Keine optimale Ausnutzung der Offline Kundenbasis Keine Werbepräsenz im Internet

Operative Verbesserung und strategische Neuausrichtung sinnvoll

Ebenso fehlen dem Online-Shop die für erfolgreiche Internetverkäufe so wichtigen „Killer-Features“. Schließlich wird es auch versäumt, Instrumente zur Neukundengewinnung, Umsatzsteigerung bei Bestandskunden sowie zur Ausnutzung der OfflineKundenbasis zu nutzen. Fasst man alle genannten Punkte zusammen, dann können die Erkenntnisse im Umkehrschluss erste Hinweise für Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel geben. Das würde allerdings für eine fundierte Aussage nicht ausreichen. Basis für die qualitative Ermittlung der Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel bilden 42 aktuelle Erfahrungsberichte aus unterschiedlichen Multi-ChannelHandelsunternehmen, 19 internationale „Best Practice Case Studies“ aus 2007 sowie insgesamt ca. 150 Expertengespräche, die zu diesem Thema seit 2000 geführt wurden. Eingeflossen sind auch die Erfahrungen aus 11 Beratungsprojekten zum Thema Multi-

53

3.1

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Channel-Handel von 1999-2004. Auf qualitativer Basis können sieben zentrale Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel abgeleitet werden, die im vorliegenden Kapitel detailliert erläutert werden sollen (vgl. Abbildung 3-2):

Abbildung 3-2:

7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Coordinated Communication CrossCorporateCulture

CompetentChannelControlling

Complexityand Cycle-TimeReduction

Central CRM

CoreCategoryConcept

CommonBrand and Corporate-Design

 Erfolgsfaktor Nr. 1: Die koordinierte Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette (Coordinated Communication).

 Erfolgsfaktor Nr. 2: Ein kanalübergreifendes und zentralisiertes CustomerRelationship-Management (Central CRM).

 Erfolgsfaktor Nr. 3: Eine kanalübergreifende Sortimentsfindungslösung (CoreCategory-Concept).

 Erfolgsfaktor Nr. 4: Ein gemeinsamer, integrierter Markenauftritt (Common Brand and Corporate-Design).

 Erfolgsfaktor Nr. 5: Komplexitäts- und Durchlaufzeitenreduzierung (Complexityand-Cycle-Time-Reduction).

 Erfolgsfaktor Nr. 6: Kompetentes kanalübergreifendes Controlling (Competent Channel-Controlling).

 Erfolgsfaktor Nr. 7: Eine gemeinsame, kanalübergreifende Kultur (CrossCorporate-Culture).

54

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

Bei Anwendung einer Multi-Channel-Strategie muss zunächst die Differenzierung bei gleichzeitiger Harmonisierung der unterschiedlichen Kanäle forciert werden. Dabei geht es vor allem darum, dass die Kanäle zusammenpassen. Die Differenzierung der Kanäle sollte in erster Linie nach kanal- bzw. medienspezifischen Vorteilen geleitet sein (vgl. Wegener 2004, S. 213). Die Unterschiedlichkeit der Kanäle ist so zu gestalten, dass sich für den Kunden ein komplementäres, breites Nutzenspektrum ergibt. Dagegen sollten die Harmonisierungsbestrebungen auf die Wahrung eines einheitlichen Multi-Channel-Auftritts ausgerichtet sein. Ziel muss es sein, dass die Kanäle zueinander passen, sich ergänzen und entsprechend stark anziehend auf den Kunden wirken (vgl. Wegener 2004, S. 214). Gleichzeitig muss sich das Multi-ChannelHandelsunternehmen so aufstellen, dass eine höchstmögliche Ergebnisorientierung erzielt werden kann. Dieses bezieht sich sowohl auf die Systemgestaltung im Sinne der Integration und Koordination als auch auf die Systemnutzung (z.B. Warenwirtschaft und CRM).

3.2

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

Die Online-Kanäle haben die Werbe- und Informationsmöglichkeiten für MultiChannel-Händler grundlegend verändert, denn der Gestaltungsspielraum ist in quantitativer und qualitativer Hinsicht enorm gestiegen. Werbung ist für den Kunden heutzutage in (fast) jeder Form zu (fast) jeder Zeit und an (fast) jedem Ort empfangbar. Studien zum Informationsverhalten von Multi-Channel-Kunden stellen fest, dass zahlreiche Kunden sich vor dem Kauf in einem Ladengeschäft zunächst im OnlineShop informieren. Der umgekehrte Weg kommt auch vor, allerdings seltener (Schröder 2002, S. 245). Erfolg haben in der Regel die Multi-Channel-Händler, denen es gelingt, das Informationsverhalten ihrer Kunden am besten für sich zu nutzen. Zunächst muss aber geklärt sein, welche Kommunikationsziele ein Multi-Channel-Händler überhaupt verfolgt. Dabei können die Ziele auf die spezielle Konfiguration seines Kanalsystems gerichtet sein, für die es drei grundsätzliche Optionen gibt. Als erste Option kann ein Multi-Channel-Händler als Ziel haben, dass die Kunden bestimmte Kanäle nicht mit anderen in Verbindung bringen. Dazu wird er konsequenterweise die Vermarktungskonzeptionen der Kanäle differenzieren. In diesem Fall sind die Koordinationserfordernisse grundsätzlich anderer Art als wenn die Kanäle bewusst miteinander in Verbindung gebracht werden sollen. Diese ist bei der zweiten Option der Fall, bei der die Vermarktungskonzeption über alle Kanäle hinweg zu standardisieren ist, um die Verbindungen zwischen den Kanälen zu nutzen. Dieses hat den Vorteil, die Reichweite des Absatzmarktes und damit den Umsatz und Gewinn zu erhöhen. Dritte Option schließlich ist, die besonderen Spezifika seiner Kanäle zu berücksichtigen und

55

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

unter derselben Marke Sortimente und Preise zu differenzieren. Folgende Kommunikations-Ziele sind denkbar für einen Multi-Channel-Händler (vgl. Schröder 2005, S. 248):

 Erhöhung des Bekanntheitsgrades für neue Absatzkanäle.  Steigerung des Wissens der Kunden über seine Kanäle und deren Leistungen sowie Verknüpfungsmöglichkeit.

 Bewusstseinsschaffung über Leistungen und Preise in den Kanälen.  Neukundengewinnung.  Kundenbindung.  Nachfrageumlenkung auf andere Kanäle.  Erhöhung kanalspezifischer Erfolge. Aus diesen Zielen leiten sich die Entscheidungen über die Kommunikationspolitik in Multi-Channel-Systemen ab. Wird eine Differenzierungsstrategie verfolgt, besteht die Koordinationsnotwendigkeit darin, auf kanalspezifische Werbebotschaften zu achten. Dadurch wird sichergestellt, dass gezielt auf die Unterschiede zwischen den Kanälen hingewiesen wird, um Irritationen und damit Enttäuschungen bei den Kunden zu vermeiden. Demgegenüber ist bei der Standardisierungsstrategie darauf zu achten, keine kanalbezogenen Unstimmigkeiten zu erzeugen. Derartige Unstimmigkeiten liegen insbesondere dann vor, wenn der Eindruck entsteht, dass der Online-Shop teurer ist. Ursache für Irritationen ist nicht selten auch der online-Verweis auf Vertragsbedingungen, die dort aber nicht zu finden sind, sondern z.B. im gedruckten Katalog nachzuschlagen sind. Aber derartige Koordinationsproleme können nicht nur kanalübergreifend auftreten, sondern auch innerhalb eines Kanals, wenn z.B. Seitenangaben für Vertragsbedingungen nicht stimmen und dadurch ein erhöhter Suchaufwand entsteht. Häufiger Grund für Desorientierung und Irritation ist auch die Art und Weise, wie Multi-Channel-Kunden über die anfallenden Lieferpreise informiert werden. Während sich diese in klassischen Katalogen in der Regel auf den Serviceseiten finden oder auf dem Bestellschein, finden sich im Internet-Kanal häufig die verschiedensten Variationen. Einerseits finden sich die Informationen über die Lieferpreise auf der Startseite, in anderen Fällen muss der Kunde sich damit gedulden, bis er seinen gesamten Warenkorb zusammengestellt hat. Generell sollte dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden, sich vor dem Füllen des Warenkorbes über die Lieferpreise informieren zu können, um nicht von völlig inakzeptablen Versandkostenzuschlägen an der Kasse überrascht zu werden. Versandpreisübersichten und auch Allgemeine Geschäftsbedingungen sollten dann aber übersichtlich und nicht zu textlastig gestaltet sein. Insofern kommt Kundenführung und Navigation im Multi-Channel-Management eine entscheidende Rolle zu.

56

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

Abbildung 3-3:

Bedienbarkeit von Online-Shops im Vergleich

Quelle: H&P 2004 Beispiel Bestellvorgang Olympus 300y Click

Amazon

Otto

Quelle

1. 2. 3.

Elektronik und Foto Kamera und Foto Digitale Kameras - Top seller - Pixel Segmente - Hersteller Detailseite - Vergleiche - Zubehör - Similarities Upselling page - Für Sie - Neuerscheinung - Hits Kundendaten -

(Technik) Foto und Camcorder Digitale Kameras (fünf Seiten unsortiert)

Elektronik und MM Foto und Optik Kameras

Detailseite (Similarities (voreingestellt)

Digitale Kameras (sechs Seiten unsortiert)

Pop up

Detailseite

Bestellschein Kundendaten -

Detailseite Einkaufswagen Kundendaten

4.

5.

6. 7. 8.

3.2.1

Kanalinterne Kundenführung und Navigation

Die Kanalinterne Kundenführung und Navigation bezieht sich auf das Erscheinungsbild des Online-Shops und seine Bedienbarkeit. Diesbezüglich besteht in der Regel großer Nachholbedarf. Es ist ratsam, die Bedienbarkeit der eigenen Website mit denen der Mitbewerber zu vergleichen und dabei insbesondere zu testen, mit wie vielen Clicks der Kunde an das gewünschte Ziel kommt. Ein derartiger Vergleichstest zwische Otto, Amazon und Quelle ist beispielhaft in Abbildung 3-3 dargestellt. Am Beispiel eines Bestellvorgangs für eine Olympus 300y wird dabei untersucht, mit welchen und wie vielen Cicks man jeweils wohin gelangt. Für den Multi-Channel-Händler stellt sich auch die Frage, ob und in welchem Ausmaß er das Erscheinungsbild seines Online-Shops und Versandkatalogen dem seiner stationären Geschäfte angleichen sollte. Es ist durchaus möglich, mit Hilfe der Drei-DAnimation den Online-Shop sehr nah an die Realität des stationären Geschäftes anzulehnen und dabei den Kunden einen empfohlenen Einkaufsvorgang zu vermitteln (Immersion). Auch kann er in einem Lageplan die Regalanordnung zeigen, wodurch auch Wiedererkennungseffekte vermittelt werden können (vgl. Schröder 2002, S. 171).

57

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Im Online-Shop kann die Kontakthäufigkeit mit dem Sortiment gut durch die Benutzerführung beeinflusst werden. Dabei sind hierarchische und offene Verknüpfungsstrukturen zu unterscheiden. Während die offenen Strukturen dem Kunden eine vollständige Freiheit bei Suche und Gang durch den virtuellen Shop ermöglichen, sind die hierarchischen Strukturen entweder linear oder baumartig gestaltet. Bei der linearen Konzeption ist der Kunde angehalten, im Sinne einer festen „Zwangsführung“ an allen Produkten vorbeizugehen. Das baumartige Konzept ermöglicht ihm, an bestimmten Punkten abzuzweigen und damit nicht an allen Produkten entlang zu gehen, bis er den gewünschten Artikel gefunden hat. Ein spezieller Fall sind die sogen. „guided tours“, die vor allem den ungeübten Nutzern die Orientierung und Navigation in komplizierten Umgebungen erleichtern sollen. Dabei können Suchfunktionen und Schlüsselbegriffe gute Hilfestellung geben (vgl. Schröder 2005, S. 170). Mögliche Navigationshilfen für einen Online-Shop sind in Abbildung 3-4 dargestellt.

Abbildung 3-4:

Navigationshilfen für den Online-Shop

Quelle: Schröder 2005, S. 171 nach Esch, Langner, Fuchs 1998 S. 193

Lineare Hilfen

Inhaltsverzeichnis, Register, alphabetisches Glossar etc.

Hypermediale Hilfen

Sitemap

gibt z.B. in Form von Netz- oder Baumstrukturen einen Shop-Überblick

Fischaugengesicht

gibt analog zu einer Fischaugenlinse eine detaillierte Sicht der nahen Umwelt und eine grobe Sicht der Umwelt

Backtrack-Funktionen

ermöglicht das schrittweise Zurückgehen oder das direkte Ansteuern besuchter Seiten

Bookmark

ermöglicht das Kennzeichnen von Bereichen

Eng mit der Navigation zusammen hängen auch die internetbasierten Produktkataloge, die im Vergleich zu den konventionellen Katalogen besser die gesamte Produktund Leistungspalette vollständig und detalliert abbilden können, ohne dass es räumliche Beschränkungen gibt. Darüber hinaus sind sie besser aktualisierbar, ein großes Manko der physischen Kataloge, die häufig eine mindestens einjährige Laufzeit haben und deswegen völlig unflexibel sind. Auch bietet der virtuelle Katalog eine Vielzahl zusätzlicher Darstellungs- und Informationsmöglichkeiten, die nützlich für den bewertenden Produktvergleich sein können. Es gibt Websites, auf denen mehr als 220.000 Artikel online abrufbar sind (z.B. der US-Anbieter Grainger), was einem ge58

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

druckten Katalog von mehr als 10.000 Seiten entsprechen würde (vgl. Schrödter 2003, S. 51). Elektronische Produktkataloge dieser Art müssen in mehreren Ebenen jeweils nach Kategorien geordnet sein, um dem Nutzer das problemlose Auffinden des Produktes zu erlauben. Hilfreich ist hier auch eine Suchfunktion nach Stichwörtern, wofür verschiedene Schlagwörter/ Attribute oder Keywords für jedes Produkt im Datenbestand hinterlegt sein muss. Die elektronischen Kataloge sind auch erweiterbar und können durch Videos, Audioelemente, 3D-Animationen, 360°-Rundumsichten oder virtuelle Rundgänge ergänzt werden. Nachteil ist hier aber häufig, dass für ihre Nutzung vom Benutzer unter Umständen spezielle Zusatzprogramme (sogen. plug-ins) geladen werden müssen, was sich insbesondere bei Endkunden häufig in langen DownloadZeiten niederschlägt. Auch spielt immer wieder die Menge der mit der Darstellung an sich verbundenen Daten eine Rolle, d.h. dass die Website auch sehr „schwer“ ist (vgl. Schrödter 2003, S. 52ff.).

Abbildung 3-5:

Test einer Website im Amazon-Benchmarking

Quelle: H&P 2004 Geschwindigkeit

184 kb (+75% zu Amazon) 44% der Kunden nutzen Modems (44 kb/sec.)

Features

- Verfügbarkeit - Kundenrezensionen - Upselling bei Bestellung - Vorbestellung - Personalisierung

Suche / Browse

Browse nach Marke, Subcategories Sortierbare Listen

Information

Versandkosten nicht gezeigt Was ist mit At / CH?

Operatives

Empfehlung Geschenk für Seniorin: „2 mal Staubsauger“ Keine Preisgegenüberstellung bei Schnäppchen

Einen beispielhaften Test einer Website im Benchmarkvergleich mit Amazon aus dem Jahre 2004 zeigt Abbildung 3-5. Angesichts der geringen Innovationszyklen im Internet-Handel sollten Multi-Channel-Händler derartige Vergleiche nach verschiedenen Kriterien (z.B. Geschwindigkeit, Komfort und Bedienelemente) regelmäßig durchführen, um nicht in die Gefahr des „out-of-date“ zu geraten.

59

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3.2.2

Selektions- und Evaluationshilfen

In elektronischen Produktkatalogen sind eine Vielzahl von interaktiven Gestaltungselementen einsetzbar, mit denen der Prozess der Produktauswahl und –bewertung vereinfacht werden soll. Ihre verbindende Aufgabe ist es, Empfehlungen zu geben, Alternativen darzustellen und Lösungsvorschläge anzubieten. Der Kunde hat den Nutzen, dass sich sein Zeitaufwand bei der Produktauswahl verringert und sich die Qualität des Auswahlprozesses erhöht. Folgende Selektionshilfen und Evaluationsmöglichkeiten sind denkbar (vgl. Schrödter 2003, S. 57ff.):

 Vorschlagslisten: Der Anbieter kann dem Kunden eine engere Auswahl von bewährten Produkten vorschlagen und damit den Kreis der Wahlmöglichkeiten eingrenzen. Dabei bietet sich an, auf den „suggested lists“ die gängigsten Artikel für verschiedene Produktbereiche/ Kategorien aufzuführen. So stellt Amazon (www.amazon.de) z.B. in den Kategorien Bücher und CD´s sogen. „Empfehlungen der Redaktion“ für verschiedene Interessengebiete zusammen. Das vermittelt den Kunden zusätzlich den Eindruck, dass sich auf Seiten des Multi-ChannelHändlers Fachleute oder auch „Gleichgesinnte“ mit den Kundeninteressen auseinandersetzen.

 Checklisten und Einkaufslisten: Bei vielen Anwendungen ist es auch denkbar, mehrere Produkte eines Anbieters oder anderer komatibler Anbieter in Kombination einzusetzen. In derartigen Fällen ist es möglich, entsprechende Listen zusammenzustellen, die dem Kunden einen Überblick über die benötigten Komponenten geben (Checklisten) und zugleich eine Vorselektion geeigneter Artikel vornehmen (Einkaufslisten). Maggi (www.maggi.de) stellt den Nutzern seiner Website verschiedene Kochrezepte zur Verfügung im Zusammenhang mit den eigenen Produkten. Hornbach (www.hornbach.de) stellt Material- und Werkzeuglisten für spezifische Do-it-yourself-Anwendungen ins Netz.

 Bestsellerlisten: Der Anbieter zeigt auf Bestsellerlisten in regelmäßigen Abständen und in jeweils aktualisierter Form seine meistverkauften Produkte nach Themenbereichen, Bedürfnissen, Anwendungen oder Problemstellungen. Der gezeigte Verkaufserfolg der Produkte stellt dabei einen Anhaltspunkt für die Kunden dar.

 Collaborative Filtering: Hierbei wird die Darstellung von Produkten und Leistungen mit Hinweisen und Links auf andere Produkte oder Leistungen versehen, die Käufer des gerade begutachteten Artikels auch erworben haben. Bei diesem auch intensiv von Amazon genutzten Tools gehen die Anbieter davon aus, dass ähnliche Gebrauchsmuster und Vorlieben von Kunden vorliegen und potenzielle Kunden durch entsprechende Informationen nützliche Hinweise auf Waren erhalten, die für sie möglicherweise interessant sind. Auch entsteht hierdurch bereits der Eindruck einer gewissen Individualisierung.

60

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

 Persönliche Produktempfehlungen: Bei diesem Instrument geht es darum, dass die Kunden jeweils individuell zugeschnittene Produktvorschläge erhalten, die nicht selten in personalisierten Einstiegsseiten eingebunden sind. Voraussetzung ist allerdings, dass individuelle Kundendaten aus bereits getätigten Käufen vorliegen bzw. gesammelt wurden oder ein vom Kunden hinterlegtes Interessenprofil vorliegt. Dabei kann ein relativ hohes Maß an Personalisierung des Angebots erreicht werden. Die Kundenidentifikation erfolgt entweder automatisch aufgrund bereits hinterlegter Daten (sogen. cookies) oder über ein Login des Kunden.

 Produktbewertungen von Kunden: Dieses Tool beinhaltet die aktive Mitwirkung von Kunden, durch die aktive Produktempfehlungen zustande kommen. Dazu müssen auf der Website entsprechende Dialogelemente zur Artikelbewertung integriert sein. Die derartige Einbindung von Kunden kann auch positive Effekte für die Kundenbindung haben. Zugleich wird ein wichtiger Mehrwert für den Anbieter geschaffen, da die Bewertung zumindest mit der Angabe von Name und E-Mail Adresse des Bewertenden verbunden ist.

 Rating: Immer mehr Anbieter bieten den Nutzern die Möglichkeit, ihre angebotenen Artikel im Rahmen eines sogen. Ratings auf einer Werteskala zu beurteilen. Dabei wird in der Artikelanzeige jeweils die Anzahl der abgegebenen Wertungen sowie die Durchschnittsnote mit angegeben, wodurch sich der Kunde relativ schnell ein erstes Bild von der Produktqualität machen kann.

 Rezensionen und Erfahrungsberichte: Vom Kunden verfasste Rezensionen in Form von kritischen Beurteilungen oder Erfahrungsberichten geben potenziellen Kunden die Gelegenheit, sich ein differenzierteres Bild über ein Produkt zu machen. Derartige Stellungnahmen besitzen einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit und werden deshalb ebenfalls häufig in Artikelanzeigen mit eingebunden. Gerade für Multi-Channel-Händler bieten sich Rezensionen und Ratings an, da diese in der Regel eine große Auswahl von Produkten anderer Hersteller vertreiben und auch negative Bewertungen nicht unbedingt auf das eigene Image ausstrahlen.

 Expertenmeinungen: Möglichkeiten zur Produktempfehlung bieten auch Hinweise bzw. Darstellungen von Testberichten und Empfehlungen unabhängiger Dritter, also Experten. Dazu zählen auch Institutionen wie z.B. Stiftung Warentest, Verbraucherschutzorganisationen und/ oder Fachzeitschriften. Compaq stellt z.B. auf seiner Website (www.compaq.de) eine Übersicht zur Verfügung, die derartige Expertenaussagen aufführt. Auch Amazon zeigt z.B. bei Musik-CD´s Rezensionen von Redakteuren bekannter Fachmagazine.

 Produktgegenüberstellungen: Hiermit kann dem Kunden der Produktvergleich erleichtert werden. So bietet Hewlett Packard (www.hp.com) ein Tool an, mit dem der Kunde die wichtigsten Eckdaten dreier frei von ihm wählbaren Artikel einer Kategorie in Tabellenform auf einer Seite gegenüberstellen kann.

61

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

 Konfiguration: Falls ein Produkt in mehreren Varianten oder Ausführungen (z.B. Farbkombinationen oder Zusatzausstattungen) aus verschiedenen Komponenten kombiniert werden kann, bieten sich auch Konfigurations-Tools an, die auch konstruierende elektronische Kataloge genannt werden. Vorteil dieses auch zunehmend von Bekleidungshändlern und –herstellern wie z.B. Puma (www.puma.de) angebotene Instrument ist, dass der Kunde das Produkt nach seinen individuellen Wünschen relativ zeiteffizient selbst am PC konfigurieren bzw. zusammenstellen kann und dabei unmittelbar das Ergebnis seiner Arbeit sieht. Dabei bietet sich auch an, dass der Kunde parallel den Preis des Produktes kalkulieren kann, so wie inzwischen bei fast allen Autoanbietern möglich („Car Configurator“).

 Bedürfnisanalysen: Dieses Instrument können Anbieter nutzen, um zu klären, welcher Bedarf beim Kunden besteht und welche Artikel oder Leistungen aus seinem Sortiment geeignet sind. Dazu werden auf den Websites entsprechende Dialogelemente eingesetzt, mit welchen die Rahmenbedingungen und Präferenzen des Kunden erfasst werden können. Es handelt sich um eine Art Eignungsbewertung, die der Anbieter vornimmt, um eine Vorselektion für seine Produkte anbieten zu können. Dabei kommt die Web-basierte Bedürfnisanalyse dem Charakter eines realen Verkaufs- und Beratungsgespräches relativ nahe, denn auch hier ist ein gewisses Maß an Vertrauen in die Kompetenz des Anbieters erforderlich. In vereinfachter Form findet die Bedürfnisanalyse bei der Internet-Automobilbörse „Automobiles. com“ (www.automobiles.com) Anwendung. Eine detalliertere Bedürfnisanalyse findet sich beim „Skincare Advisor“ auf der Website des schweizer Kosmetikherstellers Juvena (www.juwena.com), der Angaben wie Alter, Hauttyp, Hautproblem und bevorzugten Pflegeaufwand seiner Produktempfehlung zugrundelegt.

 FAQ-Listen: Auch die FAQ-Listen, bei denen es sich um eine übersichtliche Auflistung häufig gestellter Fragen („Frequently Asked Questions“) handelt, die um entsprechende vom Anbieter formulierte Antworten ergänzt werden, können als Selektions- und Evaluationshilfe angesehen werden, soweit sie sich auf die Produkte und Leistungen des Anbieters beziehen. Es kann durchaus vorkommen, dass sich durch FAQ-Listen der Aufwand einer persönlichen Anfrage für den Nutzer erübrigt und damit auch die Wartezeit auf eine Antwort. In anderer Richtung profitiert natürlich auch der Multi-Channel-Händler von der reduzierten Anzahl zu bearbeitender Kundenanfragen sowie von der Information, die indirekt in den Fragen enthalten ist.

62

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

3.2.3

Kommunikationsunterstützende Dialogelemente

Die Nutzung des Internet-Kanals erweitert für den Multi-Channel-Händler auch die Möglichkeiten zum persönlichen Dialog mit dem Kunden unter Anwendung internetbasierter Telekommunikation. Dabei müssen Mittel der asynchronen Kommunikation (E-Mail, Foren) und der synchronen Kommunikation (Chat, Videokonferenzen, CoBrowsing, Internet-Telefonie) unterschieden werden. Zum Teil eignen sich diese Tools auch zur Evaluation wie z.B. E-Mail-Korrespondenz und Foren. Folgende Dialogelemente sind zu nennen (vgl. Schrödter 2003, S. 87 ff.):

 E-Mail: Hierbei handelt es sich wohl um die am meisten genutzte internetbasierte Kommunikationsform. Wesentlicher Vorteil ist die Schnelligkeit und direkte Zustellmöglichkeit. Darüber hinaus sind die formellen Erwartungen nicht so hoch wie bei konventionellen Briefen und bauen mögliche Schwellen zur Kontaktaufnahme ab. Deswegen werden E-Mails auch häufig genutzt, um Kundenfeedback zu erhalten. Darüber hinaus können damit auch persönliche und individuell erscheinende Produkthinweise gegeben werden. Bearbeitung und Betreuung können sich aber schnell als sehr arbeitsaufwendig und damit kostenintensiv erweisen.

 Forenbeiträge: Auch der Anbieter kann sich an Foren, die eigentlich Kunden zum Erfahrungsaustausch untereinander dienen, mit eigenen Beiträgen beteiligen. Dadurch werden diese zu einer weiteren Schnittstelle im Dialog mit den Kunden. In der Regel sind die Kundenanliegen aber an Nutzergemeinschaften und weniger an den Anbieter gerichtet, so dass häufig auch keine Antworten von ihm erwartet werden. Trotzdem kann der Multi-Channel-Händler jederzeit auch auf einzelne Beiträge eingehen, wie dies z.B. auch Compaq (www.compaq.com) unter Mitwirkung eigener firmeninterner Experten macht.

 Chat: Diese internetbasierte Kommunikation (engl. Plauderei) erlaubt einen Informationsaustausch in Echtzeit. Die Teilnehmer bringen sich durch Diskussionsbeiträge ein, wobei der inhaltliche Rahmen durch themenorientierte Diskussionsbereiche, sogen. virtuelle Chatrooms, gebildet wird. Allerdings sind die Möglichkeiten der synchronen Kommunikation sehr begrenzt und deswegen auch der potenzielle Einsatz als Kommunikationsinstrument zwischen Anbieter und Kunde.

 Videokonferenz: Videokonferenzen über das Internet sind dort hilfreich, wo Visualisierungen erforderlich sind, um Sachverhalte zu klären und Kundenanliegen zu klären. Dieses Kommunikationsmittel kommt eigentlich dem Charakter eines realen Beratungs- und Verkaufsgespräches sehr nahe. Es setzt allerdings spezifische Software beim Kunden voraus (z.B. Headset, Webcam).

 Co-Browsing: Das Co-Browsing macht es dem Anbieter möglich, dem Kunden seine Website aus der Distanz vorzustellen und ihn bei der Nutzung zu navigieren. Kunde und Anbieter blicken synchron auf eine identische Seite in ihrem Browser und greifen beide auf die jeweils angebotenen Seitenfunktionen zu. Dadurch spart

63

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

der Kunde Zeit und „Trial-and-Error“-Erfahrungen. Auch hierfür sind spezifische Softwarekomponenten erforderlich.

 Call-back: Typische Call-back Optionen sehen vor, dass der Kunde den MultiChannel-Händler per Online-Formular um telefonischen Rückruf bitten kann. Neben Name und Telefonnummer können in entsprechende Formularfelder auch Stichworte zum Anliegen sowie ein gewünschter Rückruftermin angegeben werden. Obwohl es sich hierbei nicht um einen eigentlichen Online-Service handelt, so wird er doch online eingeleitet. Auch können Call-back Optionen in der Evaluationsphase für den Kunden hilfreich sein, um gezielt weiterführende Informationen zu erfragen.

3.2.4

Kanalübergreifende Koordination der Kommunikation

Zunächst muss sichergestellt sein, dass die Kunden in ihrem kanalübergreifenden Kaufverhalten durch eine unterstützende, koordinierte Kommunikation geführt werden. So sollte in einigen Phasen des Kaufprozesses ein Querverweis auf Funktionen in anderen Kanälen kommuniziert werden, um die Informationssuche zu erleichtern. In späteren Phasen des Multi-Channel-Kaufprozesses sollte dieser dagegen möglichst nicht gestört werden. Man spricht auch von „Konsumpfaden“, mit denen sich das Handelsunternehmen auseinandersetzen sollte und die über die Gestaltung der Kommunikation in bzw. mit den jeweils relevanten parallelen Kanalleistungen wesentlich mitbestimmen. Typisch für einen Konsumpfad der Kunden im Versandhandel ist der Start mit der Information und Bedarfsdeckung durch den Katalog. Danach wechseln die Kunden dann ins Internet, um dann anschließend telefonisch ihren Bestellstatus abzufragen. Aufgrund des von Kunden vielfach praktizierten ChannelHoppings weisen viele Multi-Channel-Händler in ihren Katalogen auf die Bestellmöglichkeit über die jeweilige Internet-Site hin. Wie sich die Multi-ChannelKommunikation entlang der Wertschöpfungskette gestalten kann, ist in 3-6 dargestellt. Dabei muss der Multi-Channel-Händler genau darauf achten, dass Aktionen, Events, Gewinnspiele mit gleicher Wichtigkeit zeitgleich in allen Kanälen präsent sind. Der Kunde darf nicht beim Channel-Hopping davon überrascht werden, dass der Internetkanal einen verspäteten Informationsstand hat. Eine bundesweite Filialaktion muss sich mit adäquater Präsenz auch bereits auf der Homepage wieder finden, sonst ist der Verwirrung auf Kundenseite Tür und Tor geöffnet. Inwiefern und in welchem Umfang Multi-Channel-Handelsunternehmen Werbeträger einsetzen, um auf ihre verschiedenen Kanäle hinzuweisen, hat das EHI untersucht.

64

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

Abbildung 3-6:

Multi-Channel-Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette

Quelle: Nach Wegener 2004, S. 214 Kommunikation Multichannelangebot Informieren

 

Kommunikation Multichannelangebot

Probieren

Unterstützung des Kunden durch vielfältige Informationsquellen …

Ziel: Erleichterung der Kaufentscheidung und Vermeidung von Fehlkäufen

Bestellen

 

Erhalten

Informieren

Bezahlen

Beeinflussung der getroffenen Kaufentscheidung vermeiden Durch einfache Prozesse dem Kunden die Kaufabwicklung erleichtern

Ziel: Kanalwechsel des Kunden ermöglichen und Kauf abschließen

  

Umtausch

Einfaches Reklamations-System Produktzusatznformationen zur Verfügung stellen Wiederholungskauf initiieren

Ziel: Kundenzufriedenheit

Wie nachfolgende Abbildung 3-7 zeigt, besitzt der stationäre Kanal viele Möglichkeiten, um Kunden auf den Online-Shop aufmerksam zu machen. Dabei fällt auf, dass sich das Verkaufspersonal offenbar mit Hinweisen und Empfehlungen eher zurückhält (vgl. Schröder 2002, S. 254). Ein Grund dafür könnte durchaus in den erfolgsabhängigen Vergütungssystemen liegen, durch die ihnen Gehaltsbestandteile verloren gehen, wenn Kunden in anderen Kanälen einkaufen. Hinzu kommt, dass die OnlineShops nicht selten eigenständige Gesellschaften sind, die mehr oder weniger mit dem stationären Kanal im Wettbewerb stehen (z.B. bei EP, OBI und BognerHomeshopping). Im Gegenzug ist interessant zu wissen, welcher Art die Hinweise im Online-Shop auf andere Kanäle gestaltet sind. Dabei steht die Kontaktmöglichkeit an der Spitze (91,3%), vor Filialfindern (73,9%), Bestellmöglichkeiten für Printmedien (52,2%), Präsentation aller Kanäle (47,8%) sowie Hinweise auf Kiosksystem (13%) und Coupons für Onlineeinsatz (13%). Das Couponing ist in Deutschland demnach noch nicht so verbreitet, obwohl es in den USA eine einschlagende Erfolgsstory ist:

 87% der US-Konsumenten nutzen Coupons,  8% der Werbeetats US-amerikanischer Anbieter wird für Couponing ausgegeben  5 Mrd. Coupons werden jährlich in den USA eingelöst.

65

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-7:

Werbeträger für Hinweise auf den Online-Shop

Quelle: Schröder 2002, S. 255

100

(% der Nennungen) 100 85 90

75

80 55 70

60

55 45 35

20

50

5

40

Plakate Tüten Kassen- Kassen- Flyer bon zone

KataKiosk- Inhouse- Hinweise log TV system durch ausgePersonal legt

Der Trend geht dabei zu Instore-Coupons, die nur noch bei Kauf auf Kassenbon gedruckt werden. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch für Deutschland ab. Bereits jeder 2. Konsument in Deutschland ist bereit, Coupons zu nutzen. Die Wiederkaufrate unter Einlösern beträgt bereits 64% und das Verkaufsvolumen im Zusammenhang mit Coupons ist um 30 bis 60% höher als bei Aktionspreisen. Lebensbereiche, in denen Kunden Coupons einsetzen, sind Lebensmittel (64%), CD/DVD (59%), Tanken (45%) und Bekleidung (44%). Wege zum Kunden beim Couponing sind E-Mails, Produktverpackungen, Zeitschriften, Leaflets und Direct-mailing. Wichtig ist, dass durch gezielte Coupon-Aktionen Kunden sich offensichtlich nicht an Dauertiefpreise gewöhnen und diese eher als Sonderaktion wahrnehmen. Als Beispiele für praktiziertes Couponing in Deutschland lassen sich Tchibo und Bonusnet nennen. Tchibo verbindet Couponing mit dem Clubansatz „Privat-Programm“, wobei der Kunde für 10 € Jahresgebühr 4 Coupons a´ 3 € erhät, die jeweils pro Quartal eingelöst werden können. Dafür gibt es ein monatliches Privat Magazin, das Privatkunden früher über Angebote informiert. Außerdem gibt es weitere Coupons für

66

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

Kaffee und TCM-Produkte, exklusive Veranstaltungen, Sonderermäßigungen sowie Gewinnspiele und Reiseangebote. Bonusnet besaß ein Jahr nach Start im September 2003 bereits 40.000 Mitglieder. Ziel für 2004 waren 300.000 Kunden, wofür eine Werbekampagne von 8 Mio. € bereitgestellt wurde. Grundansatz hier ist ein Rabattclub im Internet, in dem der Kunde für eine Monatsgebühr von 5 € grundsätzlich die Möglichkeit hat, bei 350 Online-Partnern vergünstigt einzukaufen und Rabatte überwiesen zu bekommen (z.B. 30% der Festnetzgespräche). Zusätzlich erhält er monatl. Coupons im Wert von bis zu 100 €.

Abbildung 3-8:

Online-Werbung für UE in 10 T€ (KW 1-13 in 2004)

Quelle: H&P 2004 5.582 Vermarktung z.B. • Bei t-online als Shop-Partner • Bei Amazon (als Anbieter) • Bei Ebay als Anbieter für Restanten 1.687

48

Ebay

3.2.5

Amazon

EP

10

0

MediaMarkt

Conrad

Koordination der Online-Werbung

Multi-Channel-Kommunikation bedeutet auch, den neuen Kanal online zu bewerben und die Online-Kommunikation werbewirksam zu koordinieren. Obwohl der schnell wachsende Markt der Online-Werbung in 2007 erstmals die 2-Milliarden-€-Grenze überspringen wird, waren die Online-Werbemittelausgaben der Multi-ChannelHändler in den vergangenen Jahren immer noch relativ gering, wie das Beispiel für UE-Online-Werbung in Abbildung 3-8 zeigt. Den mit Abstand größten Anteil vereinen die großen Einzelkanal-Online-Anbieter auf sich. Die Multi-Channel-Unterehmen sollten sich umgehend mit den neuen Gegebenheiten der Online-Werbung auseinandersetzen und in ihren Budgets berücksichtigen. Derzeit sind Web-2.0-Gemeinschaften das große Thema bei Online-Werbung. Diese verändern aktuell die Strukturen des

67

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

deutschen Online-Werbemarktes. Nach neuesten Erhebungen der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (Agof) profitiert vor allem Sevenone Interactive, ein Unternehmen der ProSieben-/Sat.1-Gemeinde, als erster großer Vermarkter stark vom Web 2.0. So konnte Sevenone Interactive seine Reichweiten im deutschen Internet binnen eines Jahres nahezu verdoppeln, was vor allem auf die Videoseite MyVideo mit rund 6,5 Mio. Besuchern im Monat (laut Agof) zurückzuführen ist. Das Konkurrenzprodukt Clipfish.de des Senders RTL kommt nur auf halb so viele Interessenten. Auch die Online-Gemeinschaft Lokalisten mit rund 530.000 Nutzern wird von Sevenone Interactive vermarktet Wie Abbildung 3-9 zeigt, hat Sevenone Interactive zu den beiden Platzhirschen United Internet Media und dem Telekom-Vermarkter Interactive Media aufgeschlossen.

Abbildung 3-9:

Reichweiten im Internet

Quelle: AGDF und FAZ vom 13. August 2007, S. 19 Reichweiten im Internet Monatliche Zahl der Einzelbesucher im ersten Quartal 2007 (in Mio.) und Veränderung zum ersten Quartal 2006 (in Mio.) Vermarkter

Internet-Seiten +2,2

T-Online

+1,3

Web.de

12,1

+7,8

Yahoo Deutschland

10,5

-0,5

12,0

-2,9

Freenet.de

10,3

+3,9

9,9

18,8

United Internet Media

17,1

Interactive Media CCSP Seven One Interactive

16,8

Tomorrow Focus

11,3

+0,3 +1,6

Freenet

10,8

+3,6

MSN.de

Yahoo Deutschland

10,5

-0,5

GMX

Adimk Media Germany

10,4

+1,3

Preisvergleich.de

8,3

-

Microsoft Digital Adv.

9,9

-

Prosieben.de

7,7

+2,1

9,8

+7,8

Myvideo

6,5

-

+2,2

RTL.de

6,3

+0,7

Mediasquares & Ad

9,4

IP Deutschland

9,1

Unister Media Lycos Europe

7,9

Quality Channel

7,5 6,6

AOL Digital Marketing

6,5

Axel Springer G+J Electr. Media Sal.

5,5

+1,2

Meinestadt.de

Map24.com

+0,1

Spiegel Online

+1,2

5,3 4,9

AOL

+1,3

4,7 4,6

Dastelefonbuch.de Lycos

-0,3 8,6

4,4

+0,7

+1,5 -1,1 +0,5 -

4,2

+0,5

Hi-Media Deutschland

5,5

-

Chip Online

4,2

+1,1

Allesklar.com

5,3

+1,5

Bild-T-Online

4.0

+0,9

-0,2

1&1

Mobile.de Online Media Sales Gr.

68

3,5 2,9

-

Mobile.de

3,7 3,7

+0,7 -0,2

-

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

United Internet Media vermarktet ausschließlich eigene Marken wie 1&1, GMX und Web.de und hat mit Unddu.de zwar auch eine Online-Gemeinschaft am Markt, diese hat aber wohl erst einige tausend Nutzer gewonnen (vgl. FAZ vom 13. August 2007, S. 19). Interactive Media betreibt außer T-Online auch die Zeitschriften-Internetangebote „Bunte“, die „Computerwoche“, die „Frankfurter Rundschau“, „RTL2.de“ sowie „PCWelt“. Bei der Telekom sind aber Web-2.0-Angebote nicht zu finden. Zu nennen sind auch die GWP Online-Marketing, die zur Holtzbrinck-Gruppe gehört und mit einer Reichweite von „nur“ 2,29 Millionen Besuchern zwar noch nicht zu den Top-5 Anbietern gezählt werden kann, aber demnächst wohl kräftig aufholen dürfte durch die Vermarktung der Studentengemeinschaft StudiVZ, deren Websites bereits im Juli mehr als 3 Milliarden mal aufgerufen wurden. Der langjährige Spitzenreiter TOnline kam „nur“ auf 2,3 Milliarden Aufrufe. Dabei werden die Reichweitenwerte von StudiVZ auf rund 2 Millionen geschätzt. Stark zugelegt hat auch Unister-Media, das von Preisvergleich.de profitiert und dabei 9,1 Millionen Nutzer erreicht. Als Orientierungsseiten bleiben Preisvergleichsseiten auch zukünftig beliebt, zumal diese es auch immer wieder schaffen, bei Google und Yahoo ganz oben zu stehen und vor den eigentlichen Multi-Channel-Händlern unter den eingegebenen Suchbegriffen aufzutauchen. Starke Wachstumsraten verzeichnen auch neuartige Nachrichtenportale wie Google News oder Netvibes, auf deren Seiten die Besucher Nachrichten aus verschiedensten Quellen zusammenstellen und individuell mit kleinen Zusatzprogrammen (Widgets) ergänzen können. Nicht so gut entwickelt hat sich die Reichweite von Tomorrow Focus, die im Vorjahresvergleich um 2,9 Millionen Besucher gefallen ist und die den Landkartendienst Map24.com in ihrem Angebot hat. Neue Vermarktungspartner aus dem Web-2.0-Umfeld sind hier die Videogemeinschaft Sevenload. Vielfach versäumen es die Multi-Channel-Händler, ihre Werbebudgets entsprechend der neuen Kanalstrukturen und –ziele anzupassen bzw. neu zu allokieren. So zeigt Abbildung 3-10 den Werbewirkungseffekt von Kampagnen ohne sowie mit zusätzlicher Online-Werbung. Während mit reiner Offline-Werbung, also ohne OnlineWerbung, die Kaufabsichten um 3,4% gesteigert werden konnten, verbesserte sich dieser Wert bei einem 7%-igen Anteil von Online-Werbung auf 3,8%, was einer Steigerung von 9% entspricht. Als optimal erweist sich ein Anteil der Online-Werbung an der Gesamtkampagne von 11%, wodurch sich die Kaufabsichten auf 4,3% steigern lassen, also mehr als 20% gegenüber der reinen Offline-Kampagne. „Der Markt ist aufgewacht. Auch die Großunternehmen geben jetzt Vollgas im Internet. Die Rolle des Internets für das Marketing muss nicht mehr erklärt werden. Das Internet ist akzeptiert“, bemerkt Philipp Schindler, Nordeuropachef des Suchmaschinenbetreibers Google laut Zeitungsmeldung in der FAZ vom 1. Oktober 2007 (vgl. FAZ 2007, S. 23). Obwohl der Aufschwung der Online Werbung sich auch in den Zahlen erkennen lässt, wonach der Online-Werbemarkt in 2007 voraussichtlich auf 2,71 Mrd. € und damit 12% Anteil am gesamten Werbemarkt steigen wird, sind viele Internetauftritte immer noch falsch konzipiert (vgl. FAZ 2007, S. 23). 69

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Verbesserung der Werbewirkung durch Online-Werbung

Abbildung 3-10: Quelle: H&P 2004 Kaufabsicht 6,0 5,0

+9%

4,0 Steigerung gegenüber Level vor der Kampagne 3,0

Verbesserung gegenüber nur Offline Kampagne

+20 %

4,3% 3,8%

3,4%

2,0 1,0 0,0 Nur Offline

Online mit 7%

Online mit 11%

Absolute Steigerung gegenüber dem Level vor Kampagnenstart

Häufig sind die Homepages zu sehr auf die Selbstdarstellung des Unternehmens ausgerichtet, statt Markenwelten um die besten Produkte herum aufzubauen und sich damit an den Interessen der Kunden auszurichten. Dieses lässt sich anhand der Verweildauer nachweisen, wonach der Internetnutzer einer direkt angesteuerten Homepage durchschnittlich 23 Sekunden verweilt gegenüber 2 Minuten bei direkt angesteuerter Produktseite über eine Google-Suche (vgl. FAZ 2007, S. 23). Auf graphische Werbung wie Banner entfällt mit 1,31 Mrd. € der größte Anteil des Internet-Werbemarktes, gefolgt von 1,19 Mrd. € für Suchmaschinenmarketing sowie 0,21 Mrd. € für die Vermarktung von Partnerseiten (Affiliate-Marketing). In diesen Zahlen sind allerdings das E-Mail-Marketing und die mobile Werbung noch nicht erfasst (vgl. FAZ 2007, S. 23).

3.2.6

Personalisierung der Kommunikation

Das ökonomische Potenzial der Personalisierung liegt in der Nutzung des InternetKanals mit dem Ziel einer „Massen-Personalisierung“ zu den Kosten eines standardisierten Vorgehens. Sie hat für den Multi-Channel-Händler zahlreiche Vorteile (Vgl. Riemer 2002, S. 103):

70

Coordinated Communication als Erfolgsfaktor Nr. 1

 Hilfe bei der Differenzierung von Leistungen und somit bei der Erlangung einer eigenständigen Positionierung am Markt.

 Aufbau von psychologischen „Lock-Ins“.  Gezielt und auf den Kunden und seine Bedürfnisse abgestimmte Angebote.  Abmilderung der Unpersönlichkeit des Mediums durch personalisierte Interaktion.

 Erhöhung von Kundennutzen, -zufriedenheit und –bindung.  Gewinnung von Kundendaten und –profilen. In Hinblick auf die Website ist bei der personalisierten Kommunikation zwischen den Inhalten bzw. Informationen, der Konfiguration der Benutzer-Interfaces (Navigation) sowie der Anpassung des Layouts zu unterscheiden. Aus dem Gesamtvorrat aller Informationen kann der Kunde Themenkategorien wählen, die er (regelmäßig) angezeigt haben möchte. Dabei werden die Informationsangebote personalisiert, um jedem Kunden genau die Informationen zu liefern, die er persönlich für sich benötigt. Demgegenüber ist die Personalisierung der Navigations- und Interaktionselemente geeignet, den Konsumenten ein gutes Zurechtfinden auf der Website zu ermöglichen. Die Anpassung des Layouts ermöglicht wiederum dem Benutzer, Inhalte und Informationen benutzerspezifisch aufzubereiten (vgl. Riemer 2002, S. 113). Neben der persönlichen Ansprache kann auch die Art der Kommunikation personalisiert werden. So ist es möglich, den Inhalt der (one-to-one) Kommunikation individuell an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen, denn viele Kunden möchten nicht zu jedem Thema informiert werden. Beispiel hierfür sind die E-Mail-Newsletter, die es dem Kunden neben der inhaltlichen Differenzierung ermöglichen, auch den von ihm bevorzugten Kommunikationskanal zu wählen (E-Mail versus Website), was vor allem im Rahmen der Online-Beratung relevant ist. Dem Kunden sollte dabei stets die Freiheit gelassen werden, die Parameter der Online-Kommunikation frei bestimmen und an seine Bedürfnisse anpassen zu können. Insbesondere gestresste Nutzer, die beruflich viele E-Mails verarbeiten zu haben, wissen es zu schätzen, private Newsletter nicht ganz so häufig zugesendet zu bekommen. Auch der Grad der persönlichen Ansprache sollte durch den Kunden gewählt werden können. So sind Situationen denkbar, in denen der Kunde es vorzieht, anonym zu bleiben und keine persönlichen Daten über sich preiszugeben. Aber nicht nur der Kunde sollte Informationen über sich preisgeben, sondern vor allem auch der Anbieter, es ist also eine gewisse Symmetrie in der gegenseitigen Ansprache erforderlich. Wird z.B. einem Kunden ein Ansprechpartner oder Berater zugeordnet, kann auch dies die Unternehmenskommunikation personalisieren. Dieses setzt allerdings die Erreichbarkeit des Ansprechpartners voraus, die häufig nicht gegeben ist. Negativerfahrungen mit Call Centern treiben viele Kunden zur Weißglut und etliche Multi-Channel-Unternehmen in die ImageFalle. Automatische Telefonanlagen, in die viele Kunden im Zuge der Selbstselektion

71

3.2

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

geschickt werden, sind sicherlich geeignet, Personalkosten einzusparen, aber niemals dazu, gegenüber dem Kunden eine persönliche Kommunikation zu vermitteln. Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit outgesourceten Call-Center-Partnern sollten sich Multi-Channel-Händler auch über die Imagegefahren im Klaren sein, wenn z.B. Kunden mit Problemen auf unausgebildete Aushilfs-Jobber treffen, die nicht einmal den Namen des Unternehmens richtig aussprechen können. Hinzu kommt das Unvermögen vieler Call-Center, die mit Multi-Channel-Handel notwendig gewordene Koordination der Kommunikation aufgrund der unterschiedlichen Mediennutzung (Telefon, E-Mail, Fax, Internet und SMS) sicherzustellen. Das unter der Prämisse der persönlichen Kommunikation proklamierte Ziel einer hohen Beziehungsqualität und eines „one-face-to-the-customer“ wird dann häufig mit dem klassischen Call-Center obsolet. Dadurch greift Verärgerung bzw. Unzufriedenheit auf der Kundenseite um sich.

3.2.7

Koordination der Kommunikation über CustomerInteraction-Center

Customer-Interaction-Center (CIC), deren Bedeutung im Rahmen von Multi-ChannelStrategien in den letzten Jahren stark angestiegen sind, stellen eine Weiterentwicklung von klassischen Call-Centern dar, die neben dem Telefon weitere Medien wie Fax, SMS, Internet und E-Mail in einer organisatorischen Einheit gegenüber dem Kunden koordinieren und bündeln (vgl. Kantsperger, Meyer 2006, S. 26). Da alle Informations-, Beratungs-, Kauf- und Nachkaufprozesse im B2C-Distanzhandel im Normalfall heutzutage medial gestützt ablaufen, sind Customer-Interaction-Center vor allem im Multi-Channel-Handel von besonderer Bedeutung. In vielen Fällen ist die Implementierung eines Multimedialen Interaction-Center die logische Reaktion auf die veränderten Kundenanforderungen, denn wie bereits eben ausgeführt, wollen diese zunehmend selbst bestimmen, wann und über welchen Kanal sie mit ihrem MultiChannel-Händler Kontakt aufnehmen. Auch dem Channel-Hopping ist unternehmensseitig nur mit einem koordinationsfähigen Interaction-Center Rechnung zu tragen. Insofern erhöht sich die Chance, die mit Multi-Channel-Systemen verbundenen Ziele zu erreichen, mit der Einrichtung eines CIC. Allerdings muss es dabei auch gelingen, alle Kommunikationskanäle zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. So müssen die Kundenbedürfnisse frühzeitig erkannt werden, um proaktiv passende Angebote zu unterbreiten. Ferner muss den Kontaktpersonen die gesamte Kundenhistorie vorliegen, so dass der Mitarbeiter weiß, dass Kunden in der vorliegenden Angelegenheit bereits zahlreiche Briefe oder E-Mails geschrieben hat (vgl. Kantsperger, Meyer 2006, S. 26). Neben effektivitätsorientierten Zielen müssen sich Interaction-Center zunehmend auch an effizienzorientierten Maßstäben messen lassen, wobei diesbezüglich Kosten und Kundenwert im Vordergrund stehen. Hinzu kommt, dass die CIC zunehmend als

72

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Profit-Center geführt werden und nicht als Cost-Center, wie früher bei Call-Centern üblich. Hinzu kommt die effizienzgetriebene Tendenz zum Outsourcing an externe Dienstleister, die jedoch in Hinblick auf Image- und Kundenzufriedenheitsaspekte durchaus kritisch zu sehen ist. Angesichts eines zunehmend wertorientierten Kundenmanagements, das auch das Customer-Relationship-Management zunehmend bestimmt, ist es nicht angeraten, alle Kunden gleich zu behandeln, sondern ihnen ein differenziertes Service- und Betreuungsniveau anzudienen. Es ist durchaus zweckmäßig, profitablen Kunden einen höheren Servicegrad zu bieten und bevorzugt zu behandeln. Außerdem lässt sich die Werthaltigkeit einzelner Kunden erhöhen, wenn sie auf kostengünstigere Medien umgeleitet werden können (vgl. Kantsperger, Meyer 2006, S. 26). Dieses ist vor allem auch Gegenstand des nächsten Erfolgsfaktors, dem Customer-RelationshipManagement.

3.3

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Customer Relationship Management (CRM) und Multi-Channel-Handel sind untrennbar miteinander verbunden. Mit dem Aufbau direkter und loyaler Kundenbeziehungen wird darauf abgezielt, den Wert des einzelnen Kunden für das Unternehmen zu steigern und damit Gewinne und Unternehmenswert zu erhöhen. Die Gestaltung von Kundenbeziehungen und die gezielte Ausrichtung der Kanäle auf Kundenprozesse haben für den Multi-Channel-Handel herausragende Bedeutung. Im stationären Handel ist der Nutzen von CRM immer noch umstritten, da hier die „Free-Float-Mentalität“, nach der ein guter Standort automatisch genügend Kundenfrequenz generiert, weit verbreitet ist. Hinzu kommt, dass den Investitionen in den Aufbau direkter Beziehungen zu namentlich bekannten Kunden oft relativ geringe Umsätze der einzelnen Kunden gegenüberstehen. Außerdem ist CRM für den stationären Handel relativ neu. Im Gegensatz zum Versandhandel, der immer schon direkte Kundenbeziehungen pflegte, kennen die stationären Einzelhändler ihre Kunden in der Regel nicht oder kaum. Erst in den letzten Jahren gewinnen Loyalitätsprogramme im deutschen Einzelhandel an Bedeutung, obwohl die meisten Einzelhändler längst wissen dürften, wie wertvoll detaillierte Informationen über die Kunden sein können. Im Zusammenhang mit CRM geht es um vier Kernfragen, die ein Handelsunternehmen beantworten muss (vgl. Schneider, 2002, S. 31 ff.): 1. Wie können die Kundenprozesse optimal unterstützt werden, um dauerhafte und profitable Kundenbeziehungen aufzubauen?

73

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

2. Welche Sortimente und Leistungen müssen dem individuellen Kunden angeboten werden, um dessen Bedürfnisse dauerhaft am besten zu befriedigen? 3. Wie können diese Leistungen effizient selbst oder durch Dritte erbracht werden? 4. Welche Kunden sind am profitabelsten in Hinblick auf die Gesamtdauer der Kundenbeziehung und wie lassen sich ähnliche, neue profitable Kunden gewinnen? CRM bringt eine radikale Neuausrichtung der Marketingpolitik mit sich. Im Gegensatz zum Massenmarketing, das im stationären Handel weit verbreitet ist und dem es vor allem darum geht, zur Steigerung der Marktanteile möglichst viele standardisierte Massenprodukte zu vermarkten, setzt CRM auf den langfristigen Aufbau loyaler Kundenbeziehungen. Die wichtigsten Ziele von CRM im Multi-Channel-Handel sind damit:

 Individuelle Kunden gewinnen und binden.  Profitable Kundenbeziehung dauerhaft pflegen.  Kundenzufriedenheit und Kundenwert permanent steigern. Enge Kundenbeziehungen und hohe Kundenloyalität sind wichtige Erfolgsvoraussetzungen, insbesondere für interaktive Absatzkanäle, und haben diesbezüglich einen direkten Einfluss auf das Unternehmensergebnis. Folgende Erkenntnisse konnten bisher gesammelt werden (Schneider, 2002, S. 32 nach Reichheld 1999):

 In den USA verlieren Unternehmen durchschnittlich die Hälfte ihrer Kunden in fünf Jahren. Die „churn-rate“ bei deutschen Mobilfunkbetreibern liegt deutlich höher und erreicht bis zu 30% pro Geschäftsjahr.

 Kundenbindung korreliert positiv mit Profitabilität. Nach empirischen Untersuchungen führt eine um fünf Prozentpunkte verbesserte Kundenbindungsrate zu einem 35-95% höheren Unternehmenswert.

 Die Kosten der Neukundengewinnung lassen sich mit langjährigen Kundenbeziehungen gut armortisieren und stehen in keinem Verhältnis zu den positiven Effekten aus Umsatzwachstum, Weiterempfehlungen des Kunden und zunehmender Kostendegression aus der Zusammenarbeit mit den Kunden.

 Die meisten Neukunden, nämlich gut die Hälfte, gehen in den ersten beiden Jahren wieder verloren, während zwanzigjährige Stammkunden nur mit fünf Prozent Wahrscheinlichkeit die Beziehung einstellen.

 Neukundengewinnung ist teurer als Kundenbindung. Es ist davon auszugehen, dass es fünf bis zehn mal mehr kostet, Kunden zu gewinnen als zu halten. Die „Informationsrevolution“ im Zusammenhang mit dem Internet birgt insbesondere Kundenbindungspotenziale in den Bereichen „Interaktion zwischen Anbieter und Kunde“, „Individualisierung der Kundenbeziehung“ sowie Integration des Kunden“.

74

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

3.3.1

Zusammenwirken von Interaktion, Individualisierung und Integration

Das Zusammenwirken von Interaktion, Individualisierung und Integration ist in Abbildung 3-11 dargestellt. Die Interaktion bezeichnet die wechselseitige Kommunikation zwischen Anbieter und Kunde. Dabei wird die Eigenschaft der Online-Kanäle, eine Interaktion ohne persönlichen Kontakt herzustellen zu können, auch als „maschinelle Interaktivität“ bezeichnet. Diesbezüglich kann der Nutzer Art, Inhalt, Zeitpunkt, Dauer, Abfolge und Frequenz seines Informationsabrufes weitgehend selbst bestimmen. Obwohl die Kommunikationsmöglichkeiten über Online-Medien nicht „face-to-face“ erfolgen, beinhalten sie gegenüber dem persönlichem Dialog die wesentlichen Vorteile, dass sie zeit- und ortsungebunden erfolgt und keine Kapazitätsengpässe wirksam werden (insbesondere nicht in Hinblick auf die maschinelle Interaktivität). Dabei begünstigen Online-Medien im Gegensatz zur einseitigen Vermittlung von anbieterseitigen Botschaften, den Informationsaustausch zwischen Anbieter und Nachfrager. Der Online-Kanal vereinfacht dem Anbieter den Einsatz aktiver Kommunikationsmittel im Rahmen von Kundenbindungsmaßnahmen (vg. Schrödter 2003, S. 23).

Abbildung 3-11: Zusammenwirken von Interaktion, Individualisierung und Integration Quelle: Schrödter 2003, S. 25

=> Individualisierung

Konfiguration Kunde Nutzung

  

Informationen Leistungen/ Services (=> Integration)

Adaption

Anbieter

Kommunikation (=> Interaktion) Individuelle Kundendaten

Die Individualisierung der Kundenbeziehung ist eine weitere Stärke des Internet. So erlaubt der Online-Kanal im Zuge der maschinellen Interaktion das automatische Aufzeichnen des Transaktions- und Informationsverhaltens des Kunden. Damit können sämtliche Kundenbindungsmaßnahmen individuell auf den Kunden ausgerichtet werden und auf seine Bedürfnisse und Wünsche abgestimmt werden. Die Individualisierung erlaubt dabei für die Kunden die individuelle Konfiguration des Abrufs und Erhalts von Informationen und Leistungen sowie der Kommunikation mit dem Anbieter. Die Anbieter haben demgegenüber die Möglichkeit, Informationen, Leistungen

75

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

und Kundenbindungsmaßnahmen aufgrund der vorliegenden Kundendaten individuell anzupassen und zu adaptieren (vg. Schrödter 2003, S. 24). Die Integration des Kunden in die Leistungserstellung und -entwicklung wird ebenfalls möglich durch das Internet. Aufgrund der breiteren und beschleunigten Einbindung der Kunde wird die Kundenintegration effizienter und intensiver. So kann sich der Kunden jederzeit ein Bild von der Leistungsbereitschaft –fähigkeit des Anbieters machen. Die Effekte für die Kundenbindung sind dabei um so positiver, je besser der Multi-Channel-Anbieter die spezifischen Problemstellungen der Kunden zu bewältigen in der Lage ist. Die Kundenintegration bezieht sich auch auf den leistungsbegleitenden Service, wie zum Beispiel das Beschwerdemanagement oder die Beratung. Sie betreffen ebenfalls die wiederkehrenden Routinetransaktionen, die letztendlich vom Kunden ausgelöst werden. Hinzu kommt die Möglichkeit zur Leistungsindividualisierung in Massenmärkten, der sogen. Mass Customization (vgl. Schrödter 2003, S. 24). Als Beispiel lässt sich die industrielle Maßkonfektion nennen, bei der ein Kunde möglichst zur Dateneingabe via Internet bewegt werden sollte, wozu natürlich auch die entsprechenden Voraussetzungen im Business-to-Consumer-Bereich getroffen werden müssen. So muss gewährleistet sein, dass der Kunde die Daten fehlerlos und vollständig eingeben kann. Darüber hinaus ist es ratsam, den Kunden durch Incentives anzuhalten, die Homepage des Händlers regelmäßig zu besuchen und so die neusten Informationen über Trends und Mode zu erhalten (vgl. Ahlert 2001, S. 18).

Abbildung 3-12: Ökonomische Wirkung der Kundenbindung Quelle: Schrödter 2003, S. 14 Ökonomische Effekte der Kundenbindung Erlös erhöhende

Kosten senkende

• Wiederholungskäufe

• Senkung der Transaktionskosten

• Cross-bying

• verminderte Streuverluste im Marketing

• höhere Kauffrequenz und –intensität

• sinkender Neukunden-Akquisitionsanteil

• verbesserte Preisbereitschaft

• Rationalisierungseffekte

• Weiterempfehlung

• Lerneffekte

Mit Hilfe des Internet erhält der Multi-Channel-Händler nicht nur die Möglichkeit, über einen weiteren Absatzkanal zu verkaufen. Das Internet eröffnet vor allem dem Kundenbeziehungs- und Kundenbindungsmanagement umfassende Möglichkeiten. Ziel dabei ist der Aufbau einer „uniquen“ Beziehung zum Kunden, die nicht ohne

76

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

weiteres von den Mitbewerbern imitiert werden kann und dadurch zum strategischen Wettbewerbsvorteil wird. Dabei greifen die Bereiche Interaktivität, Individualisierung und Integration ineinander. Sie bedingen sich gegenseitig und sind deswegen nicht vollständig voneinander zu trennen. Loyale Kunden und langfristige Geschäftsbeziehungen sind folglich unumstößlich mit Kostensenkung, Umsatzsteigerung und Wachstum verbunden. Zusätzlich bringt ein hoher Stammkundenanteil dem Anbieter eine verbesserte Planungssicherheit bzw. geringere Fehlerquoten in Hinblick auf Disposition der Produkte und Leistungen für Folgeperioden. Die positiven ökonomischen Wirkungen der Kundenbindung sind zusammenfassend in Abbildung 3-12 dargestellt (vgl. Schrödter 2003, S. 14). Aber nicht alle Kunden sind es wert, gehalten zu werden. Es kommt immer auch darauf an, enge Beziehungen zu den richtigen Kunden zu pflegen. Dabei hilft sicherlich eine Segmentierung der Kunden nach ihrem Wert zur Strukturierung der Kundenanalyse, der Marketingmaßnahmen und des eigenen Leistungsangebotes. Die Analyse verschiedener Kundenwertsegmente erlaubt es, einfache Normstrategien abzuleiten wie Abbildung 3-13 zeigt (vgl. Schneider 2002, S. 33):

Abbildung 3-13: Kundenwertanalyse zur Identifikation von CRM-Normstrategien Quelle: Schneider 2002, S. 34

Beitrag zum Gesamtwert 7

2 Akquirieren neuer vielversprechender Kunden

1

3

4

Ausbau der Kundenbeziehung

Migration nicht profitabler zu profitablen Kunden

Abstoßen dauerhaft unprofitabler Kunden

2 9

3

1

0 -1

10

20

30

40

50

60

70

-2 80

-3 90

-9 100

Anzahl der Kunden

77

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

1. Ausbau und Verlängerung der Beziehung zu profitablen Kunden (Kundenbindung) 2. Akquirieren neuer Kunden mit Potenzial und ähnlichem Profil wie die profitablen Kunden (Kundengewinnung) 3. Migration unprofitabler zu profitablen Kunden (Kunden-Conversion) 4. Trennung von unprofitablen Kunden (Kunden-Cut)

3.3.2

Kunden-Bindung

Wichtig ist, dass der Multi-Channel-Handel seine Kundenbindungsmaßnahmen an dem Potenzial der jeweiligen Kunden ausrichtet, was detailliertes Wissen über jeden einzelnen Kunden erfordert. Hilfreich kann die Einordnung der einzelnen Kunden in einen typischen Lebenszyklus sein. So spielen z.B. im Möbelhandel Alter und Familienstand eine wichtige Rolle für Marketingmaßnahmen, da die Bedürfnisse von Singels, Rentnern und Familien sich hier eklatant unterscheiden. Mit jedem Jahr, in dem die Geschäftsbeziehung fortdauert, wird ein Kunde wertvoller für den Multi-Channel-Händler. Der mit loyalen Kunden nach mehreren Jahren erzielbare Jahresgewinn erreicht nicht selten ein Vielfaches des Grundgewinns im ersten Jahr. Das strategische Potenzial der Kundenbindung zeigt sich vor allem in solchen Märkten, in denen das Erstkäuferpotenzial nahezu ausgeschöpft ist, wie aktuell zum Beispiel in der Mobilfunkbranche. Auch angesichts der zunehmenden Austauschbarkeit von Produkten und Leistungen, nimmt der Stellenwert der Kundenbindung als Erfolgsfaktor zu. Die skizzierten Zusammenhänge verdeutlichen, dass es für den Multi-Channel-Anbieter immer wichtiger wird, die Kundenbindung zu erhöhen bzw. die Kundenabwanderung („Churn-rate“ oder Migration) so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört es auch, abwanderungsgefährdete Kunden rechtzeitig zu identifizieren. Auch sollte der Multi-Channel-Händler zusammen mit den abgewanderten Kunden die Umstände analysieren, die letztendlich zur Abwanderung geführt haben. Die Informationen über abwanderungswillige oder bereits abgewanderte Kunden und die daraus gewonnen Erkenntnisse über Abwanderungsgründe können dazu genutzt werden, durch adäquate Maßnahmen die Abwanderung weiterer Kunden in Zukunft zu verhindern (vgl. Schrödter 2003, S. 14-15). Hand in Hand mit der Kundenbindung werden zunehmend auch Customer Buying Cycle Modelle (CBC) diskutiert. Es handelt sich um Lebenszyklusmodelle einer Kundenbeziehung, mit deren Hilfe Unternehmen ihre Beziehung zu den Kunden verändern und erweitern können. Für jede Phase der Zusammenarbeit mit dem Kunden wird geprüft, wie diese verbessert werden kann.

78

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Das CBC-Modell, das in Abbildung 3-14 dargestellt ist, lehnt sich an ein vierstufiges Phasenmodell der IBM an und besteht aus den vier Hauptphasen Anregung, Evaluation, Kauf und After Sales (vgl. Güttler 2003, S. 24 ff).

 Anregung: In der Anregungsphase, die am Anfang der Beziehung zum Kunden steht, möchte ein Unternehmen bei potenziellen Kunden das Bedürfnis nach seinen Produkten wecken. Dazu versucht es, mögliche Kunden auf das Angebot des Händlers aufmerksam zu machen, wozu Werbung und Verkaufsförderung eingesetzt werden.

Abbildung 3-14: Customer Bying Cycle Quelle: Güttler 2003, S. 26; Muther 1999, S. 15

Werbung und PR

Kundenbindung und -pflege

Verkaufsförderung

Zusatzleistungen

Bedürfnisanalyse und Beratung

Anregung Evaluation

Kundendienst und Wartung

Produkt- und Preisinformationen After-Sales

Installation und Schulung

Konfiguration und Offerterstellung Kauf

Lieferung und Leistungserbringung

Zahlungsverkehr

Bestellung und Kaufabwicklung

 Evaluation: Hat ein Unternehmen Interesse bei den Kunden geweckt, dann möchte dieser detaillierte und konkretere Informationen über die angebotenen Produkte bzw. Leistungen erhalten. Insofern muss das Unternehmen den Kunden entsprechend seiner Bedürfnisse beraten, ihn eventuell auch mit Proben und Mustern versorgen und unterstützend auf seine Entscheidung einwirken. Abschluss dieser Phase bildet ein konkretes Angebot für den Kunden.

79

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

 Kauf: Ist die Entscheidung auf Kundenseite gefallen, gelangt er in die nächste Phase, den Kauf. Hier findet dann die komplette Bestell- und Kaufabwicklung statt. Der Kunde kann nun Produkte bestellen und bezahlen. Auch die Lieferung erfolgt in dieser Phase.

 After Sales: Hier beginnt der Zeitraum der Produktnutzung bis hin zur Entsorgung. Auch Einführung und Schulung sowie Kundendienst fallen in diese Phase, die ebenfalls Anreizsysteme für den erneuten Produktkauf bzw. Anschlusskauf beinhalten sollte. Bei wiederholten Durchläufen ist es möglich, dass Phasen des CBC übersprungen werden, da der Kunde ohne erneute Bewertung Wiederholungskäufe tätigt oder wenn er von sich aus Interesse an weiteren Leistungen des Anbieters entwickelt und direkt zur Evaluationsphase übergeht, ohne eine besondere Anregung durch den Anbieter erhalten zu haben (vgl. Schrödter 2003, S. 37). Unterbrechungen des CBC können dagegen auftreten,

 wenn die Anregungen des Anbieters beim Kunden wirkungslos verpuffen und er kein Interesse an seinem Leistungsangebot weckt,

 wenn der Kunde gegen Ende der Bewertungsphase für die Leistung doch einen anderen Anbieter vorzieht oder

 Wenn die Kunden nach Inanspruchnahme der Leistung kein Interesse mehr haben an einem Wiederholungskauf oder Cross-Buying. Ziel eines jeden Anbieters muss dementsprechend sein, einer Unterbrechnung dieses Zyklus entgegenzuwirken. Dazu kann er gezielt auf die Bedürfnisse seiner Kunden eingehen. Hohen Stellenwert hat diesbezüglich das Retention-Marketing in der AfterSales-Phase, mit dem der Kunde zum Wiederkauf animiert werden soll. Die praktische Anwendung des CBC-Modells im Internet-Handel hängt stark von den angebotenen Produkten und Leistungen ab. Dabei kann ein Unternehmen prinzipiell sowohl alle Phasen der Kundenbeziehung als auch nur ausgewählte Phasen mit dem CBC-Modell unterstützen. Voraussetzung für die Nutzung in allen Phasen ist die Zustellung auf elektronischem Wege. Dieses betrifft eigentlich nur Nominalleistungen (Wertpapiere, Devisen) und digitalisierbare Produkte (z.B. Software, E-Books etc.). Bei materiellen Gütern, bei denen die Warendistribution nicht auf elektronischem Wege durchgeführt wird, besteht aber die Möglichkeit des „Online-Tracking“. Damit können die Kunden verfolgen, an welchem Ort sich die Ware derzeit befindet. In modifizierter Form kann das CBC-Modell jedoch auch gut für den Online-Handel mit materiellen Gütern herangezogen werden, so wie in Abbildung 3-15 dargestellt. Die in 3-15 aufgeführten Anwendungen wurden anhand von Recherchen ermittelt. Prinzipiell ist möglich, dass ein Online-Händler alle skizzierten Anwendungen einsetzt. Möglich ist aber auch die selektive Anwendung zur Unterstützung bestimmter Teilphasen (vgl. Güttler 2003, S. 29ff.). Wichtige Säule für Kundenbindung im Multi-

80

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Channel-Handel ist auch das Thema „Loyalitätsprogramm und Kundenkarte“. Loyalitätsprogramme bieten dem Multi-Channel-Unternehmen zusätzliche Möglichkeiten zur Kundenbindung. Ziel ist es, die Konsumenten über eine gezieltere Ansprache in loyale Kunden zu verwandeln.

Abbildung 3-15: Customer Bying Cycle im Internet-Handel Quelle: Güttler 2003, S. 29

Phase

Teilphase

BC-Anwendungen

Anregung

Werbung/

Werbung auf den Websites anderer Anbieter (z.B. Banner, Suchmaschinen); Links mit und zu anderen Anbietern

Verkaufsförderung Zusatzleistungen Beratung/ Angebotseinholung

Kaufvorgang

AfterSales

Bedürfnisanalyse/ Beratung

Affiliate-Programme; Preisausschreiben Give-Aways (z.B. Spiele, Schoner), kostenlose Leistungen Intelligente Kaufberater; individuelle Angebotserstellung auf Basis des bisherigen elektronisch ermittelten Kaufverhaltens

Produkt- und Preisinformationen

Angebot eines elektronischen Produktkatalogs; elektronische Preislisten und elektronische Sonderangebote

Konfiguration/ Offerterstellung

Serviceprogramme und Selbstserviceprogramme, mit denen der Kunde Varianten selbst kalkulieren kann

Bestell- und Kaufabwicklung

Führung eines Warenkorbes; Bestellmöglichkeit auf der Website; Bestellung per E-Mail, Sicherheiten für Transaktion

Preisermittlung

Angebot eines elektronischen Produktkatalogs

Zahlungsverkehr

Möglichkeit der elektronischen Bezahlung

Lieferung/ Leistungserbringung

Möglichkeit, das Produkt herunterzuladen (z.B. E-Books); Online-Tracking und elektronische Serviceleistungen

Installation/ Schulung

Bedienungsanleitungen und Handbücher zum Runterladen

Kundendienst/ Wartung

FAQ-Listen; Bearbeitung von Kundenanfragen per E-Mail; Online-Registrierung nach dem Kauf; Online-Updates

Kundenbindung/ Kundenpflege

Regelmäßiger Versand eines Newsletter an Kunden per E-Mail; CommunityAngebote auf virtueller Basis

Generell lassen sich drei Arten von Loyalitätsprogrammen unterscheiden (vgl. Mexer, Schneider 2002, S. 309 ff.):

 Rabattprogramme: Bei der Vorlage der Kundenkarte werden Preisnachlässe gewährt.

 Bonusprogramme: Umsatzabhängige Boni in Form von Bargeld und / oder Prämien.

81

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

 Mehrwertprogramme: Zusatzleistungen für loyale Kunden. Häufig werden diese drei Typen mit weiteren Eigenschaften kombiniert wie z.B. Zahlungsfunktion, Gültigkeit bei mehreren Unternehmen und natürlich Verknüpfung von Offline- und Online-Programmen im Multi-Channel-Handel. Seit Wegfall des Rabattgesetzes in 2000 ist ein überproportionaler Anstieg von Kundenkartenprogrammen in Deutschland zu verzeichnen. Der Trend geht eindeutig zu firmen- wie branchenübergreifenden Programmen (hier auch regionale Programme) mit der Möglichkeit, in verschiedenen Einkaufsstätten Punkte zu sammeln. Zudem erfährt das Thema permanent neue Impulse, zuletzt z.B. durch das M- und E-Paying, da insbesondere der Paid-Content Bereich immer weiter ausgebaut wird. Da das Kartenpotential in Deutschland immer noch hoch ist (auf jeden Bundesbürger entfällt weniger als 1 Karte im Schnitt im Vergleich zu Frankreich mit 2,1 und Großbritannien mit 2,8), würde sich ein Relaunch vieler Kundenkartenprogramme in jedem Fall anbieten: Die Kunden nutzen bis zu 3 Programme parallel, 56% der bestehenden Karteninhaber legt Wert auf Sonderaktionen und die Mehrzahl begrüßt die Datennutzung für zielgruppengerechte Ansprachen (z.B. Weinangebote für Weinliebhaber). Jeder zweite Konsument ist bereit, Coupons zu nutzen und 72% der Kartenhalter bevorzugen Multipartner-Programme. Solokarten wie z.B. die EDECARD müssen deshalb im Gegensatz zu branchen- und firmenübergreifenden Programmen ihren Kunden hohen Zusatznutzen bieten (Club-/ Community-Ansatz), um zusätzliche Akzeptanz zu finden. Trotz einiger Erfolgsbeispiele haben viele Kundenkarten eine geringe Akzeptanz bei den Kunden und innerhalb der eigenen Organisation. Nicht selten ist nur ein Bruchteil der Kunden Teilnehmer am Bonusprogramm. Konzeptionell fällt auf, dass häufig noch mit einem eigenen Prämienshop gearbeitet wird, der erfahrungsgemäß einen erheblichen Kostenblock darstellt und so nicht notwendig ist. Auch die häufig praktizierte Barauszahlung ist in der Regel kostspielig und heutzutage eher die Ausnahme bei Loyalitätsprogrammen. Geringe Akzeptanz von Kundenkarten darf nicht verwundern, wenn wichtige Komponenten fehlen, die eigentlich „state of the art“ sind. So arbeiten viele Multi-Channel-Händler immer noch ohne Kooperationspartner und geben Ihren Kunden somit keine Möglichkeit, die Karte in anderen, nicht selbst geführten Konsumbereichen, einzusetzen. Auch findet häufig keine Kommunikation mit dem Kartenhalter statt, es fehlen z.B. Contents, Mailings oder Sonderaktionen für Mitglieder. Wertvolle Kundendaten können so nur ansatzweise genutzt werden. Darüber hinaus ist es suboptimal, Bonuspunkte unbegrenzt „haltbar“ zu lassen, da damit zusätzlicher Anreiz für Kunden zum Shoppen fehlt (in USA verfallen über 30 % bei Bonusprogrammen). Immer wenn keine Kartengebühr abverlangt wird, lässt das konzeptionelle Schwächen vermuten. Gleiches gilt für die Bonifizierung, die national einheitlich gestaltet sein sollte und in der Spitze auf üblichen Standards liegen sollte (zwischen 1% und 3%).

82

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Eng mit der Kundenkarte verbunden ist auch die Idee eines Kundenclubs. Emotionalisierung durch persönlichen Kontakt. Neben der Kundenbindung verfolgen Kundenclubs auch noch folgende Ziele:

 Schärfung der Positionierung gegenüber der Konkurrenz.  Akquisition von Neukunden.  Verbesserte Kundenkenntnisse durch Aufbau von Kundendatenbank mit persönlichen, wie verkaufshistorischen Daten.

 Produktinteresse fördern z.B. durch exklusive Vorabinformationen über Neuigkeiten.

 Direkte Kundenansprache mit individuellen Bedürfnissen möglich (Weinliebhaber bekommen Weinangebote etc.).

 Generierung zusätzlicher Umsätze durch Cross- und Up-selling (z.B. durch günstige Zubehörteile oder Ersatzteile).

 Ökonomische Anreize durch Bonus- und Rabattprogramme.  Plattform für virales Marketing durch Engagement der Kunden und Mund-zuMund-Propaganda.

 Angebot von nachkauforientierten Services z.B. bezüglich Transport, Entsorgung oder Hotline.

 Stärkung der persönlichen Bindung und Identifikation z.B. durch Communities oder Klubveranstaltungen. Insgesamt bieten Kundenclubs dem Anbieter die Möglichkeit, exklusive Vorteile in Anspruch zu nehmen. Dabei decken Kundenclubs nicht nur Aspekte der Kundenbindung, sondern beinhalten auch Möglichkeiten der Kundengewinnung. Es geht also auch um Anreize für Nicht-Mitglieder, einem Club und damit auch einer speziellen Community beizutreten. Tritt ein Kunde bei, hilft der Kundenclub auch dabei, den Nutzer durch die Registrierung beim Eintritt in den Club aus seiner Anonymität herauszulösen und darauf aufbauend eine personalisierte, dialogorientierte Kommunikation aufzubauen. Deswegen eignen sich Kundenklubs auch hervorragend als Kommunikations- und Marktforschungsinstrument. Bei den Kundenclubs sind zwei unterschiedliche Arten zu unterscheiden, und zwar Vorteilsclubs und Prämienclubs. Während bei den Vorteilsclubs die Kunden unmittelbar in den Genuss der mit der Mitgliedschaft verbundenen Vorteile kommen, müssen diese beim Prämiensystem zunächst durch Käufe Bonuspunkte sammeln, die sie dann später gegen ausgelobte Prämien oder Geld einlösen können. Typisch für Vorteilsclubs sind Sonderkonditionen oder temporäre Rabatte. Die Kundenclubs eignen sich gerade für Multi-Channel-Händler deswegen, weil die Klubleistungen gleichermaßen im

83

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Internet wie im stationären Geschäft eng mit dem Leistungsangebot des Anbieters verknüpft werden können, die dann im Sinne von zusätzlichen Services eine bessere Nutzung der Grundleistungen ermöglichen. Dabei kann der Kundenclub auch dazu dienen, die Mitglieder über ein Leistungsspektrum zu informieren, das ihnen in der gesamten Breite vielleicht noch gar nicht bewusst ist. Aber auch grundleistungsferne Angebote wie Online-Services, Präsente oder Klubveranstaltungen sind einsetzbar, insbesondere wenn die Grundleistung relativ austauschbar ist (z.B. Lebensmittelhandel). Kernleistungen derartiger Kundenclubs sind neben Clubkarte als Zugehörigkeit zu rexklusiven Gemeinschaft in der Regel ein Clubmagazin und/oder Newsletter als zentrales Informationsmedium, flankiert durch eine Hotline und/ oder Website als Kommunikationsplattformen. Darüber hinaus werden häufig MerchandisingProdukte im Club, spezielle Serviceleistungen (Produktproben, Rezepte etc.), Events und Gewinnspiele für Mitglieder sowie ein besonderer Premiumstatus angeboten. Ein derartiger bevorzugter Status wird in der Regel bei überdurchschnittlichen Umsätzen erreicht und eröffnet den Anspruch auf zusätzliche Leistungsangebote (vgl. Schrödter 2003, S. 44). Das Leistungsspektrum bei Kundenklubs sollte auch abhängig sein von den Merkmalen der Kundenzielgruppen, z.B. hinsichtlich Loyalitätsgrad. Im Idealfall mutiert der Kundenklub für die Kunden zu einem attraktiven Umfeld, das auch das Weiterempfehlungsverhalten fördert. Das Unternehmen sollte jedoch stets aufpassen, nicht andere Kunden zu sehr auszugrenzen und dadurch eine Reaktanz zu produzieren, wenn Nichtmitglieder (aber Kunden) z.B. das Gefühl bekommen, von bestimmten Leistungen und Services zu ihrem Nachteil ausgeschlossen zu sein. Eine gefühlte Herabsetzung der Kunden in ihrem Kundenstatus sollte unbedingt vermieden werden. Das wird u.a. dadurch erreicht, dass die Kernleistungen außerhalb des Kundenclubs bereits den Grundbedarf der Konsumenten zufrieden stellend erfüllen und dabei die Eintrittsvoraussetzungen mit Bedacht gewählt werden. Daher bieten sich selbst vom Kunden gewählte Kriterien für einen Sonderstatus (z.B. VIP-Klub oder „preferred customer“-Status) an. Das Internet nun bietet gerade für Kundenclubs verbesserte Möglichkeiten zur Personalisierung und Interaktion mit den Konsumenten (vgl. Schrödter 2003, S. 44).

 Die Online-Registrierung und –Aufzeichnung der kundenindividuellen Daten kann eine Kundenkarte voll und ganz ersetzen, wenn es ausschließlich um Marktforschungszwecke geht, so dass der Kunde und sein Kaufverhalten identifizierbar und erfassbar wird.

 Die Kundenzeitschrift kann online durch den E-Newsletter ersetzt werden oder auch durch clubspezifische Internetseitenbereiche, die den gedruckten Medien klar überlegen sind, da sie flexibel und individuell gestaltet werden können.

 Die Trennung der clubspezifischen Internetseitenbereiche von den öffentlich zugänglichen Websiteteilen erlaubt auch eine bessere Aufgabenteilung von Kunden-

84

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

gewinnung einerseits und Kundenbindung andererseits. Während die öffentlichen Seiten einen Vorgeschmack geben und dabei auf die Klubseiten Appetit machen können, sind dann die Mitgliederseiten mit den eigentlichen kundenbindenden Leistungen nur über Password zugänglich, was aber für die Nichtmitglieder durch sofortige Mitgliedschaft auch unmittelbar zugänglich sein sollte.

 Gezielt eingesetzte Response-Elemente wie z.B. E-Mails oder Online-Blätter bzw. Formulare (z.B. für Bestellung oder Befragung) können den Kundenkontakt erheblich intensivieren. Im Multi-Channel-Handel bietet sich an, die Nutzung des Klubangebotes mit traditionellen Elementen des Kundenklubs, also die Kundenkarte und/ oder –zeitschrift, zu kombinieren und gegenseitig zu fördern. Dadurch besteht auch die Möglichkeit, zum Channel-Hopping anzuregen. Darüber hinaus kann bei einem Prämiensystem die Prämienvergabe auch mit der Websitenutzung verknüpft werden, so dass die Kunden zur verstärkten Inanspruchnahme des Internet-Kanals incentiviert bzw. motiviert werden. Dazu liefert das Internet zahlreiche Ansatzpunkte wie z.B. Login, Registrierung, Newsletter-Abonement, Diskussionsbeiträge in Foren, Weiterempfehlungen (Kunde wirbt Kunde), Bestellung, Bewertungen sowie Beteiligung an OnlineUmfragen (vgl. Schrödter 2003, S. 45). Eine weitere Dimension für Kundenclubs eröffnet die Kommunikation zwischen Kunden z.B. über Foren oder Live-Chats, wodurch diese zu einer sich austauschenden, sogen. virtuellen Gemeinschaft entwickelt werden können (virtuell communities). Diese können dann wiederum auch Aspekte der CBC-Phasen abdecken bzw. unterstützen. Auch sind derartige Communities im Sinne des „Dazugehören-Wollens“ zur Kundengewinnung nutzbar.

3.3.3

Kunden-Gewinnung

Viele Multi-Channel-Händler nutzen das Internet nicht aktiv zur Neukundengewinnung. Die relaunchte Website ist zwar häufig funktional und modern, nutzt aber bedeutende, die Conversion steigernde E-Tools nicht. Entsprechend hoch sind die Werbekosten bezogen auf die Anzahl der Neukunden. Die hierfür typische Kennzahl, Costs-New-Customer (CNC), liegen nicht selten bei bis zu 300 € im Versandbereich, wovon ca. 80 € reine Akquisitionskosten sind. Auch bei den Buchclubs, die bis zu 1 Mio. Neukunden im Jahr akquirieren müssen, erreichen CNC`s von bis zu 100 €, obwohl die Akquisitionskosten pro Neukunde und Kanal (CNC) detailliert kontrolliert werden. Ein Grund hierfür liegt an den immer noch hohen Anteilen der Klassischen Kanäle, insbesondere Agenten mit ca. 45% Anteil an gewonnenen Neukunden und Adress-Kooperationen mit ca. 20% Anteil. Auch Freundschaftswerbung - über 10% Anteil an Neukunden – ist eine teure Werbeform (Präsent und/oder 60 € Gutschein). Die CNC`s der Reaktivierungen oder Vertragsverlängerungen liegen sicherlich güns85

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

tiger, erreichen jedoch bei weitem nicht die CNC´s im E-Versandhandel. So ist Internet als Direktvertriebskanal geeignet, eine sehr große Anzahl von Transaktionen (Orders oder Neukundenorders) zu generieren. Wie effektiv dies gemacht werden kann zeigen Amazon und Ebay, die über 2 Mio. Neukunden pa. akquirieren mit < 10 € pro Neukunde. Diese Unternehmen nutzen intensiv virale Instrumente (Suchmaschinen, Affiliates, Freundschaftswerbung, Neukundengutscheine, Newsletter-Gewinnausschreibung) und Kooperationen mit Unternehmen, die einen großen Kundenstamm haben. Für Amazon & Co. sind >75% ihres Werbebudgets messbar, da an Transaktionen gebunden. Auch Finanzdienstleister wie DiBa gewinnen mit ihrem GuthabenKonto viele Kunden online. Nachfolgende Abbildung 3-16 zeigt auf, mit welcher Professionalität typische E-Intermediäre wie Amazon das Thema CNC verfolgen. Dabei sind massive Neukundenzuwächse bei stark fallenden Kosten möglich.

Abbildung 3-16: Erhöhung der Marketingeffizienz nach CNC Quelle: H&P 2004 Kunden in Mio.

6,5

7 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0 CNC in € 10 5 2 5

Maßnahmen

Wachsender Kundenstamm

• •

4,0 2,0



1,0 1999

2000

2001

2002

Fallende Marketingkosten pro Neukunde (CNC) 32 25

1999

2000

11

9

• • -82% mit 20 Mio. € Einsparung



Umschichtung Budget von Brandwerbung zu messbarer Neukundenwerbung Detailliertes Marketing-Controlling: 75% der Neukunden sind Maßnahmen und 75% des Budgets sind Kunden zuordbar Errechnung Kundensegment- und Kanal-ROI ; Unschichtung der Mediabudgets zu hohen ROIPlatzierungen und -Ansätzen Ausschreibung und professioneller Einkauf Media und Agenturleistung Versendung von Gutscheinen an E-Mail Adressbestände mit > 1 Mio. Adressen Intensive Nutzung von viralen Medien mit AffiliatePartner-Seiten 10% , Freundschaftswerbung 5% , Massengutschein-Aktionen 6%, WebsiteGutscheinen 4%

2001 2002

Insgesamt muss erstaunen, dass die Möglichkeiten des Internets bei der Kundengewinnung von vielen Multi-Channel-Händlern vernachlässigt werden. Die Websites dienen heute vielfach immer noch rein als eine alternative Bestellform zum Katalog, Neukunden werden nicht aktiv im Internet gewonnen. Dementsprechend erzielten erstaunlich viele Multi-Channel-Anbieter nur hintere Ränge in der Besuchsfrequenz der Websites (z.B. Alexa) und bei der Anzahl der Verlinkungen. Wichtiges Indiz ist auch die Präsenz in den Suchmaschinen: Zentrale Begriffe eines marktführenden Versand-Weinhändlers wie z.B. Rotwein und Weißwein dürften bei Google nicht von andern belegt sein. Vielfach wird immer noch vergessen, Gutscheine über Partner an deren E-Mail Adressenbestände zu verschicken.

86

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Als typisches Beispiel einer „nicht genutzten Website“ lässt sich aufführen, dass Neukunden keinen cooky-basierten Gutschein erhalten, wodurch die natürliche Seitenfrequenz nicht genutzt wird. Bei Freundschaftswerbung fehlt ein finanzieller Anreiz für den Werbenden und den Beworbenen. Die Website-Conversion kann verbessert werden. Hitlisten sind nicht ausreichend differenziert, Similarities fehlen, der Content ist zwar von hoher Qualität, jedoch fehlen Kundenbewertungen und Ratings. Der Bestellablauf ist effizient, er wird jedoch leider von Pop-Ups unterbrochen, die wiederum Conversion kosten. Angesichts des skizzierten „Nachholbedarfs“ muss es das Ziel eines erfolgreichen MultiChannel-Anbieters sein, die kosteneffiziente Gewinnung von Neukunden im Internet sicherzustellen. Dabei sollten die durchschnittlichen Kosten pro Neukunde erfahrungsgemäß maximal 50% der durchschnittlichen Neukundengewinnungskosten im Versandhandel (80 €) betragen. Es geht darum, wie einerseits das Internet besser zur Neukundengewinnung genutzt werden kann und andererseits natürlich mehr Umsatz mit der Website generiert werden kann. Im Internet findet man leicht Zugang zu großen E-Mail Datenbeständen, mit denen Kooperationen zur Neukundengewinnung eingegangen werden können. Das Gleiche gilt für Werbebanner die auch - falls mit Angeboten versehen - zur Kundengewinnung genutzt werden können. Diesbezüglich bieten sich insbesondere Affiliate-Modelle (10% der Neukunden der E-Händler) und Guerilla-Kampagnen an.

3.3.4

Kunden-Conversion

Die Migration nicht-profitabler Kunden zu profitablen Kunden ist im Multi-ChannelHandel in der Regel nur mit einem offensiven Internet-Auftritt möglich. Basiserfolgsfaktoren eines E-Shops sind diesbezüglich sicherlich ein kompetentes Angebot, attraktive Preise und guter Service. Das reicht aber nicht aus. Weitere differenzierende Erfolgsfaktoren sind die Fähigkeit, den Kunden zu animieren, häufiger (Frequenz) und mehr einzukaufen (Cross Selling). Häufig gibt es aber keine CrossSelling-Möglichkeiten. Auch fehlen in der Regel „Killer-Features“ (z.B. von Amazon/ Tchibo/ Ebay/ Freenet), die Cross-Selling und Besuchsfrequenz nach oben treiben, wie z.B. Communities, Similarities, Cross-Selling-Gutscheine, wöchentliche Aktionen, Zielgruppendifferenzierungen und Bundles. Häufig sind jedoch die angebotenen Services keine “KillerServices”, insbesondere nicht fürs Internet oder den Versandhandel. Wenn Multi-ChannelHändler in der Kunden-Conversion mit Serviceangeboten Erfolg haben wollen, müssen klare Alleinstellungsmerkmale erreicht werden. Bei diesem Thema ist auch zu überlegen, ob und wie die Geschäftsmodelle so zu optimeren sind, dass sie obigem Anspruch gerecht werden (z.B. Ticketing Discount mit online buchbaren Tickets oder Fotos, die der Kunde mit Preisvorteil nach Hause zugestellt bekommt). Nicht selten schlägt auch negativ auf die Kunden-Conversion durch, dass viele MultiChannel-Händler es versäumen, der Online-Werbung adäquat Rechnung zu tragen. Die Allokation eines Teils des Mediabudgets (10-15%) in die Onlinewerbung erhöht 87

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

überproportional die Effektivität der Werbekampagne, ohne die Spendings zu erhöhen. Dieses zeigt ein Vergleich von IAB mit Dove, McDonalds, Colgate und Kimberley Clark aus dem Jahre 2004, der in Abbildung 3-17 dargestellt ist.

Abbildung 3-17: Effekt der Online-Präsenz auf die Werbewirkung Quelle: H&P 2004

Markenimage Kaufabsicht



+8%

Awareness

+34% +14% 15%

+7%

+20% 13%

 11%

10%



7% Dove



McDonald´s

Colgate

Kimberly-Clark

Marken werden optimiert mit 10-15% Online-Präsenz Online bringt 15-25% der Kontakte, die über TV-Werbung nicht erreicht werden Online-Werbung kann sowohl Markenimage transportieren als auch Emotionen ansprechen Online-Werbung kann produktiver/ preiswerter bei der Erreichung der Markenziele sein

In Hinblick auf die Kunden-Conversion ist auch zu bedenken, dass das Internet als Direktvertriebskanal geeignet ist, eine sehr große Anzahl von Transaktionen (Orders oder Neukundenorders) zu generieren. Dabei können z.B. intensiv virale Instrumente (Suchmaschinen, Affiliates, Freundschaftswerbung, Neukundengutscheine, Newsletter-Gewinnausschreibung) und Kooperationen mit Unternehmen gesucht werden, die einen großen Kundenstamm haben. Wichtig ist aber auch die Messbarkeit der Kunden-Conversion. Für Amazon & Co. sind wie bereits erwähnt mehr als 75% ihres Werbebudgets messbar, da dieses an Transaktionen gebunden ist. Auch Finanzdienstleister wie z.B. DiBa gewinnen mit ihrem Guthaben-Konto viele Kunden online. Die Website eines jeden Multi-Channel-Händlers muss regelmäßig bezüglich ihrer Verkaufseffektivität gebenchmarkt werden (z.B. bezüglich Order Funnel, Cross-Selling, UpSelling, Personalisierung, u.a.), um dann daraus Maßnahmen zur Kunden-Conversion abzuleiten. Eng mit der Kunden-Conversion und Kundenbindung verbunden ist der Begriff „Kundenzentriertheit“, der immer häufiger im Multi-Channel-Retailbanking anzutreffen ist und Vorbild für die Handelsbranchen haben dürfte. Obwohl die meisten Kunden angeben, eigentlich mit ihrer Bank zufrieden zu sein, wie im Kundenmonitor 2003 mit der Note 2,4 den Geldhäusern attestiert (vgl. Kundenmonitor 2003), gehen Hausbank-Kunden erstaunlich häufig fremd: 15% von ihnen beabsichtigen sogar, ihre 88

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

Hausbank über die nächsten 12 Monate wechseln zu wollen (vgl. KPMG 2004). Und tatsächlich nutzen viele Kunden bereits parallel zu ihrer Hausbank spezialisierte Finanzdienstleister wie z.B. die DAB bei Wertpapieren, die DiBa für Tagesgeldkonten, schließen ihre Kredite mit der Citibank ab, kaufen ihre Versicherung bei Tchibo und/oder finanzieren Ihr Eigenheim mit der örtlichen Kreissparkasse. Dabei kommt unweigerlich die Frage auf, wie es sein kann, dass angeblich zufriedene Kunden immer weniger bei ihrer Hausbank einkaufen und zunehmend zu anderen Instituten überlaufen. Offensichtlich reicht Kundenzufriedenheit als Erfolgsmesser nicht mehr aus. Unternehmen ziehen häufig den Anteil zufriedener Kunden als Indikator für den wirtschaftlichen Erfolg heran, weil zufriedene Kunden in der Regel mehr konsumieren als unzufriedene. In der Tat konnte nachgewiesen werden, dass der Marktanteil einer Bank bezogen auf die Finanzprodukte seiner Kunden (Share of Wallet) in hohem Maße mit der Kundenzufriedenheit korreliert. Die sehr zufriedenen Kunden geben demnach bis zu 65% mehr aus als die Unzufriedenen (vgl. Bain, Net Promotors). Während offensichtlich ein starker Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Marktanteil einer Bank besteht, trifft dies jedoch für das Umsatzwachstum nicht zu. Untersuchungen zeigen, dass Wachstum eines Unternehmens weniger mit der Kundenzufriedenheit als vielmehr mit dem Anteil weiterempfehlender Kunden korreliert (vgl. Booz, Allen & Hamilton 2003). Die absolute Anzahl der Kunden, die das Unternehmen aktiv weiterempfehlen, bemisst die Kundenzentriertheit. Ein geeigneter Indikator für die Kundenzentriertheit ist z.B. die Intensität, mit der das Instrument „Freundschaftswerbung“ (Kunde empfiehlt das Unternehmen einem Freund oder Bekannten und erhält einen Gutschein) von bestehenden Kunden genutzt wird. Abgesehen von unzufriedenen Kunden sind vor allem die begeisterten Kunden emotional engagiert und kommunizieren deshalb intensiv mit ihren Freunden und Bekannten. Sie raten ihnen zu, falls sie begeistert sind. Da von unzufriedenen Kunden behauptet wird, dass sie sieben mal häufiger ihre Eindrücke kommunizieren als zufriedene Kunden, kann davon ausgegangen werden, dass begeisterte Kunden ebenfalls in gleicher Häufigkeit mit anderen kommunizieren. Eigentlich ist kein Unternehmen bekannt, welches nicht kundenorientiert sein möchte und dies nicht in seiner Vision so festgehalten hätte. Kundenzentrierte Unternehmen, die in Maximierung der Kundenbegeisterung denken, sind jedoch nachweislich erfolgreicher als kundenorientierte Unternehmen. Kundenzentriertheit impliziert Leidenschaft und Glaubwürdigkeit der Führung und ein bedingungslos am Kundenwunsch ausgerichtetes Unternehmen. Jeff Bezos, CEO von Amazon, ist der festen Überzeugung, dass nur überragender Service am Kunden und genaues Verstehen der Kundenwünsche langfristig Erfolg gewährleisten können. Da Kunden Angebote verschiedener Händler zu einem Produkt vergleichen wollen, hat er anderen Händlern erlaubt, auch bei Amazon anzubieten, selbst auf die Gefahr hin, dass Amazon von

89

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

anderen Händlern unterboten werden kann. „Tut ihr es nicht, so wird es der Kunde tun“ ist dabei sein Motto. Kundenzentriertheit durchdringt das komplette Geschäftssystem des Unternehmens und gibt Mitarbeitern einen Orientierungsrahmen vor für ihre täglichen Entscheidungen. So weiß ein Mitarbeiter bei Wal-Mart, dass er zuerst den Kunden bedienen muss, bevor er einem internen Problem nachgeht. Ein Aldi-Einkäufer weiß, dass er die Preise bei preisunelastischen Artikeln nicht erhöhen sollte, auch wenn es die Wettbewerbssituation hergeben würde. So weiß ein Amazon-Mitarbeiter, dass er Platzierungen der Industrie als solche kenntlich machen muss, um nicht den Eindruck zu erwecken diese wären objektiv generiert. Einem Cortal-Consors Mitarbeiter ist bewußt, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, in erster Linie Probleme offen und ehrlich mit seinen Kunden im Community-Bereich zu diskutieren. Ein Kunde ist nicht gleich einem anderen Kunden. Idealerweise wird jeder Kunde als Individuum betrachtet wie bei Berenberg oder Sal Oppenheim. Im Massengeschäft ist eine Individualisierung nicht wirtschaftlich darstellbar, deshalb werden Kunden statistisch relevanten Segmenten zugeordnet (personalisiert). Diese werden entweder statisch gebildet bei traditionellen Unternehmen oder dynamisch/chaotisch bei Internet-Anbietern. Die Kunst der Kundenzentriertheit liegt in der überragenden Individualisierung oder Personalisierung des Unternehmens und in der richtigen Implementierung, die „Chefsache“ sein muss. Nur wenn die oberste Führung von der Kundenzentriertheit überzeugt und quasi „passioniert“ ist, ist er auch bereit, dies glaubwürdig vorzuleben und das Unternehmen systematisch kundenzentriert auszurichten. Dabei ist ein vier-stufiges Vorgehen sinnvoll:

 Phase 1: Kunden verstehen: Hier geht um Fragen der Kundensegmentierung (Segment of one, statische oder dynamische Personalisierung), die Wünsche einzelner Kundengruppen, deren Performance, den Erfüllungsgrad der Kundenwünsche durch das Unternehmen im Wettbewerbsvergleich sowie die Aktivierungsintensität.

 Phase 2: Unternehmensziele formulieren: Abgeleitet von der Strategie sollen die Quellen zukünftigen Wachstums bestimmt werden, dabei wird nach Produkten und Kundensegmenten differenziert. Letztendlich werden Ziele für die einzelnen Kundensegmente festgelegt.

 Phase 3: Maßnahmen erarbeiten: In dieser Phase werden konkrete Maßnahmen, die zu einer erhöhten Weiterempfehlung bei Kunden führen erarbeitet und nach der 80/20-Regel umgesetzt. Flankierend wird eine Meilensteinplanung und ein Controlling aufgebaut.

 Phase 4: Organisatorische Voraussetzungen schaffen: In dieser Phase werden die Promotoren und Blockierer der Veränderung in der Organisation identifiziert und für den Veränderungsprozess eingespannt, geschult und möglicherweise ver- oder

90

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

ersetzt. Ferner werden die erforderlichen strukturellen Voraussetzungen und die Prozesse definiert und angepasst.

3.3.5

Kunden-Cut

Das Abstoßen dauerhaft unprofitabler Kunden geht mit der zunehmenden Suche von Multi-Channel-Unternehmen einher, die Wirtschaftlichkeit der Kundenansprache zu erhöhen. Bedenkt man, dass komplette Katalogstrecken im Versandhandel nicht selten mehr als 100 € pro Kunde im Jahr kosten, wird die Unwirtschaftlichkeit passiver, nicht kaufender Kunden schnell deutlich, zumal deren Anteil in Kundenstämmen auf bis zu 30% veranschlagt wird. Es geht beim Kunden-Cut also darum, dauerhaft unprofitable Kunden abzustoßen. Dies setzt eine permanente Kundenbewertung voraus, wozu unterschiedliche Kundenbewertungsverfahren eingesetzt werden können. Der Wert von Kunden kann monetär und nicht-monetär ausgedrückt werden. Während die monetären Verfahren nach Geldeinheiten quantifizieren, beschreiben nicht-monetäre Methoden den Kundenwert auf qualitative Art und Weise. Die gängigen Kundenbewertungsverfahren sind in Abbildung 3-18 dargestellt.

Abbildung 3-18: Systematisierung ausgewählter Kundenbewertungsverfahren Quelle: Wittkötter/ Steffen 2002, S. 77

Retrospektiv

Monetär

• Kundenumsatzanalyse • Kundendeckungsbeitragsanalyse

NichtMonetär

• Scoring Modelle • Kunden-Portfolioanalysen

Prospektiv

• Customer Lifetime Value • Kundendeckungsbeitragspotenzialanalyse

• Scoring Modelle • Kunden-Portfolioanalysen

Bei den dargestellten Methoden wird auch danach differenziert, ob diese retrospektiv sind und sich auf Daten aus der Gegenwart und Vergangenheit beziehen, oder prospektive Methoden sind, die eine Prognose zukünftiger Entwicklungen auf der Grundlage vorhandener Informationen verfolgen (vgl. Wittkötter, Steffen S. 76 ff.). Folgende Verfahren zur Kundenbewertung können angewendet werden:

 Kundenumsatzanalyse: Hierbei werden Kunden nach ihren getätigten Umsätzen bewertet und klassifiziert. Gängig ist dabei eine ABC-Analyse. Die Umsatzanalyse ist in der Handelspraxis weit verbreitet, da die Kundenumsätze leicht zu erheben 91

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

sind und diese einfach vorzunehmen ist. Die Kostenseite wird dabei allerdings nicht berücksichtigt, so dass es durchaus möglich ist, dass nach Umsatz starke AKunden unrentabel sind.

 Kundendeckungsbeitragsanalyse: Bei diesem Verfahren wird der Deckungsbeitrag eines Kunden aus der Differenz seiner Erlöse und Kosten errechnet. Diese Information lässt differenzierte Aussagen über die Profitabilität von Kunden zu und welche Marketingmaßnahmen als angemessen gerechtfertigt sind. Abgesehen davon, dass die verursachungsgerechte Zurechnung der Kosten in der Regel problematisch ist (Gemeinkostenschlüsselung), werden zukünftige Entwicklungen bei diesem Verfahren nicht berücksichtigt, wonach unrentable Kunden sich durchaus noch entwickeln lassen, wenn geeignete Conversion-Instrumente angewendet werden. Insofern besteht durchaus die Gefahr von Fehlbewertungen, vor allem in jungen Unternehmen oder Kanälen, die sich erst noch im Aufbau befinden und deswegen häufig fixkostenlastig sind.

 Kundendeckungsbeitragspotenzialanalyse: Diese Methode berücksichtigt neben den Deckungsbeiträgen auch zukünftige Entwicklungspotenziale und ist bei Unternehmen mit vertraglichen Kundenbeziehungen weit verbreitet (Verlage mit Abbonements etc.). Dabei wird nach Phasen unterschieden und berücksichtigt, dass bei Kunden in der Anfangsphase Verluste durchaus normal sind und in Kauf genommen werden können, wenn diese im Verlaufe der Geschäftsbeziehung immer profitabler werden. Da auch zukünftig prognostizierte Deckungsbeiträge mitberücksichtigt werden, kann dieses Verfahren auch gut für Neukunden oder potenzielle Kunden herangezogen werden. Es ist allerdings ratsam, für die Prognose der zukünftigen Nachfrageentwicklung sowie die wahrscheinliche Dauer der Geschäftsbeziehung Vergleichskunden mit ähnlichen Merkmalsprofilen heranzuziehen.

 Customer Lifetime Value: Hier werden Prinzipien der Investitionsrechnung auf die Kundenbewertung angewendet und so der Vermögenswert eines Kunden errechnet. Das Verfahren orientiert sich an der Kapitalwertmethode, nach der Barwert eines Kunden sich aus den diskontierten Ein- und Auszahlungsströmen während seiner Lebensdauer berechnet wird. Vorteil dieser Methode, die bei Unternehmen mit hohen Kundengewinnungskosten angewendet wird (z.B. Buchclubs und Mobilfunkbetreiber) liegt in der Berücksichtigung des zeitlichen Auseinanderklaffens von Investitionen und Zahlungsrückflüssen. Sie wird ebenfalls für die bilanzielle Aktivierung von „Kundenstämmen“ oder beim Kauf solcher „Kundenstämme“ von professionellen Kundenwerbern angewendet.

 Scoring-Modelle: Diese Modelle erlauben die Berücksichtigung von monetären und nicht-monetären Kriterien, anhand derer ein Kunde mit Punkten bewertet wird, die dann zu einem Kunden-Score addiert werden. Je höher der Punktwert, desto bedeutender ist der Kunde für das Unternehmen. Es kann auch berücksichtigt werden, wann ein Kunde das letzte Mal gekauft hat (Recency), wie häufig er ein92

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

kauft (Frequency) und mit welchem Volumen er kauft (Monetary Ratio), wobei es sich dann um sogen. RFMR-Methoden handelt.

 Kunden-Portfolioanalysen: Hierbei wird die Wertigkeit eines Kunden mehrdimensional erfasst und dokumentiert. Zunächst werden verschiedene Dimensionen zugrundegelegt, die für eine Kundenbeziehung wichtig sind, wie zum Beispiel Kundenattraktivität und eigene Wettbewerbsposition gegenüber dem Kunden. In einem zweidimensionalen Raum werden dann die Kundenpositionen dargestellt und deren Wert abgeleitet. Marketingmaßnahmen in Abhängigkeit von der jeweiligen Kundenposition leiten sich ab, ebenso wie Desinvestitions-Entscheidungen, also der Kunden-Cut. Empfehlenswert ist der Einsatz mehrerer Methoden, um die Kunden-CutEntscheidung noch einmal von verschiedenen Seiten zu verproben und auf fundierter Basis zu treffen. Dabei handelt es sich keinesfalls um ein einmaliges Verfahren, sondern eine Routinemaßnahme, die regelmäßig mindestens einmal pro Jahr zu wiederholen ist. Sie kann auch als Grundlage für eine wertorientierte Kundensteuerung im Rahmen des Mehrkanal-Controllings installiert werden. Das setzt allerdings auch voraus, dass die Ziele, die im kanalübergreifenden CRM verfolgt werden sollen, vorher festgelegt werden. In Abbildung 3-19 sind Beispiele für derartige Ziele dargestellt.

Abbildung 3-19: Beispiele für Kanalübergreifende CRM-Ziele Quelle: H&P 2004

  Neukunden gewinnen

   

Kunden Halten und Umsatz steigern

 

Massen e-mail/ Internet Kampagnen mit Gutscheinen für neue Kunden (z.B. 40.000 Neukunden mit einem Partner-Mailing gewonnen) „Viral-Marketing“ Werkzeuge: Weiterempfehlungsprogramm, Geschenkgutscheine auf der Web-Seite, Integration von Werbepartnern (Affiliate Programm) (>15% der Neukunden im E-Commerce werden so gewonnen) Leistungen/ Sonderangebote, die nur über das Internet angeboten werden (z.B. Vorveröffentlichung, Sondermodelle, Zusatzleistungen) Inaktive Kunden aktiv nach Grund für Nichtnutzung befragen und zurückgewinnen (Bis zu 5 Prozentpunkte Kundenreaktivierung durch Rückgewinnungsmanagement) Personalisiertes Cross-Selling auf Basis früherer Käufe, verwandte Bedarfe und Daten (Mail an ehemalige Käufer mit einer Konversionsrate von 35%) Kundenbindungsprogramme (Klubkarte Tesco +30% Umsatz, personalisierte E-mails bei Amazon) Personalisiertes „Up-Selling“ auf der Webseite (z.B. wenn Kunde Artikel in den Warenkorb legt oder vor der Bezahlung: +15% Umsatz) Erhöhung der Kontaktfrequenz (z.B. 52 mal pro Jahr, jede Mail mit einer Konversionsrate von 0,3-0,5%)

93

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3.3.6

Wirtschaftlichkeit des Multi-Channel-CRM

Das im Zusammenhang mit Internet betriebene Customer-Relationship-Management ist anderen CRM-Ansätzen überlegen, was sich anhand einer Kosten-NutzenBetrachtung aufzeigen lässt. Wie in Abbildung 3-20 aufgezeigt, sind in einem zweidimensionalen Kosten-Nutzen-Portfolio grundsätzlich vier Extrem-Positionen denkbar aus der Kombination hoch und niedrig jeweils, wobei die Konstellation „niedrige Kosten und niedriger Nutzen“ im Rahmen von CRM nicht vorkommen kann. Dabei zeigt sich, dass die persönliche Kundenansprache („face-to-face“ oder „mouth-tomouth“) hohe Kosten verursacht, aber auch einen hohen Nutzen bringt (Position 4). Der Mitarbeiter geht hier individuell auf die Kunden ein, z.B. wenn er einen Mobilfunk-Kunden rechtzeitig anruft vor Vertragsende und eine Vertragsverlängerung vereinbart. Massenkommunikation ist dagegen ebenfalls teuer, jedoch vom Nutzen her stets fraglich (Position 1). Zielgruppenwerbung, die z.B. auf der Basis von Nutzendifferenzierung (Kaufbetrag und Kaufhäufigkeit) sowie Bedarfsdifferenzierung (Kaufhistorie) erfolgen kann, bewegt sich im Mittelfeld (Position 2). Die Internet-basierte EPersonalisierung dagegen ist mit Abstand am kostengünstigsten, realisiert dagegen aber den höchsten Nutzen, da der Kunde ein vom System generiertes personalisiertes Angebot bekommt, dessen Anstoß aus dem Abgleich seiner Kaufhistorie mit der anderer Kunden kommt (Position 3).

Abbildung 3-20: CRM-Ansätze im Kosten-Nutzen-Vergleich Quelle: H&P 2004

1

Kosten

4 2 3

Hoch

1

4

1

4 2

1

3

4 2 3

Niedrig

Hoch Nutzen

1

4 2 3

94

Massenkommunikation Werbungen/Mails, Kundenzeitschrift, Kundenkarte gehen an alle Kunden.

3

2

Niedrig

Persönliche Kundenansprache Mitarbeiter geht individuell auf Kunden ein (z.B. ruft Kunden rechtzeitig vor Vertragsende an und vereinbart eine Vertragsverlängerung).

Zielgruppenansprache Best Practise ist Dunn Humby (arbeiten für Tesco) Differenzierung erfolgt auf Basis Nutzung (Kaufbetrag und Kaufhäufigkeit) und Bedarf (aus Kaufhistorie abgeleitet). E-Personalisierung Kunde erhält ein vom System generiertes personalisiertes Angebot. Der Anstoß kommt aus dem Abgleich seiner Kaufhistorie mit der anderer Kunden (z.B. past-buyer-mail, personal similarities).

Central Customer-Relationship-Management als Erfolgsfaktor Nr. 2

3.3.7

Implementierung von Central CRM

Im Normalfall kommen Vorstand oder Geschäftsführung mit Hilfe eines externen Beraters zu der Erkenntnis, dass das Unternehmen nicht ausreichend kundenorientiert ist und deswegen Marktanteile verliert. Daraufhin werden harte Umsatzmaßnahmen erarbeitet, ein CRM-System wird angeschafft, am Schluss wird ein Change Management Programm aufgesetzt und ein prägnanter Name kreiert, so wie „Aufbruch“ oder „Move“. Mitarbeiter erhalten Karten in Kreditkarten-Format mit der neuen Vision und mit den Top 5 Unternehmensprioritäten und werden im Rahmen von Veranstaltungen und Gruppentrainings geschult. Überprüft man nach einem Jahr was sich verändert hat, so stellt man fest, dass 70% der Maßnahmen realisiert wurden, die Kosten wegen der neuen Systeme gestiegen sind und die Marktanteile sich nur unwesentlich verbessert haben. So auch geschehen mit der Einführung von CRM-Systemen bei Banken wo im Schnitt weltweit pro Bank $ 20 Mio. in die CRM-Systemausstattung investiert wurde. Ergebnis war eine um 1,5 Prozentpunkte verschlechterte Current Investment Ratio (CIR), ohne dass sich ein nachweisbarer positiver Effekt bei der Umsatzentwicklung eingestellt hat (vgl. Booz, Allen & Hamilton 2003). Bei der Ursachenanalyse lässt sich feststellen, dass die Unternehmen ein Programm umgesetzt haben ohne ihr Verhalten anzupassen. Organisationen sind äußerst sensibel und reagieren auf kleinste Ungereimtheiten in der Führung. Die Führung redet von Kundenorientierung, trotzdem werden die Schalter mittags und früh am Freitag geschlossen, wenn die Kundenfrequenz eigentlich am größten ist. Trotzdem verbringen Vorstand oder Geschäftsführung nicht einmal einen Tag im Monat mit seinen Vertriebsmitarbeitern im Kundengespräch, sondern lieber bei anderen Investment Banken oder Corporates. Gleichzeitig schrieb die Deutsche Bank ihre vermeintlich „schlechteren“ Kunden an um sie der DB24 zuzuweisen. Oder die HVB vertriebt ihre Mittelstandskunden im Rahmen der KreditportfolioBereinigung, um sie kurze Zeit später wieder zu umwerben. „Der Fisch stinkt vom Kopf her“, sagt schon der Volksmund. Verhaltensänderungen müssen immer bei der Führung beginnen, sonst sind sie zum Scheitern verurteilt. Nur ein glaubwürdiger Vorstand kann seine Organisation sprichwörtlich „elektrisieren“. Die Führung muss sich gut überlegen, wie sie sich verhalten möchte und kann Verhalten glaubwürdig vorleben in einem „Management by Example“. Bei Amazon spricht jeder darüber, dass der CEO Jeff Bezos selber Hand anlegt zur Weihnachtszeit und Päckchen packt, bei Wal-Mart spielt das Management die für alle sichtbare Rolle des „Vorturners“, bei Aldi wird die Bedeutung des Sparens an kleinen Beispielen illustriert, so zum Beispiel indem Theo Albrecht vor seinem TopManagement über die „Reißwolf schonende“ Klammertechnik referiert. Diese Beispiele bewegen mehr als die dicksten Change-Management-Handbücher!

95

3.3

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3.4

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

Das Core Category-Concept beinhaltet die Sortimentsfindung im Multi-ChannelSystem, also das Problem, welche Sortimente in welchem Kanal angeboten werden sollen. Erschreckend viele Multi-Channel-Handelsunternehmen versuchen immer noch, ohne detailliertes Sortimentskonzept und quasi per „Bauchentscheidung“ diese Frage zu beantworten. Deswegen darf es nicht verwundern, dass die meisten Misserfolge im Multi-Channel-Handel ihre Ursache in einer verfehlten oder nicht vorhandenen Sortimentspolitik haben. Für die Festlegung einer Sortimentspolitik ist im ersten Schritt die Ausgangssituation zu hinterfragen. Je nachdem, ob es sich um eine Neugründung eines Multi-Channel-Systems oder die Erweiterung eines bestehenden Handelssystems handelt, sind die Randbedingungen andere. Bei Neugründung sind verständlicherweise die Freiheitsgrade größer, da „von Null an geplant werden kann“. Ein stationäres Handelsunternehmen, das künftig sein Sortiment in einem B2CDistanzhandelskanal anbieten möchte, wird sich demgegenüber zwangsweise mit den bisherigen Erfahrungen seiner Kunden auseinandersetzen müssen. Angesichts veränderter Fähigkeitsanforderungen wird es ebenfalls Umlernprozesse der Kunden und der Mitarbeiter zu berücksichtigen haben. Es handelt sich für das bereits tätige Handelsunternehmen, das seine Sortimente künftig auch in anderen Kanälen anbieten möchte, eigentlich um eine ureigene, kreative Gestaltungsaufgabe, die es auch im Rahmen neu zu entwickelnder Vermarktungskonzepte und Betriebstypen zu erfüllen gilt. Im Zuge einer Multi-Channel-Strategie gestaltet sich dieses jedoch schwieriger, da die Optionen vielfältiger sind (vgl. Schröder 2005, S. 159 ff.).

3.4.1

Sortimentsoptionen im Multi-Channel-Handel

Wie in Abbildung 3-21 dargestellt, kann ein Multi-Channel-Unternehmen grundsätzlich zwischen vier Optionen wählen (vgl. Schröder 2005, S. 160):

 Alle Kanäle bieten 1:1 identische Sortimente an (1:1-Strategie).  Ein Kanal bietet einen Ausschnitt des Sortiments eines anderen Kanals an (Teilmengen-Strategie).

 Zwei (oder mehr) Kanäle haben sowohl gemeinsame als auch verschiedene Sortimentsbestandteile (Schnittmengen-Strategie).

 Jeder Kanal bietet ein eigenes und separates Sortiment an (Leermengen-Strategie). Bei der Strategiefindung sind zwei zentrale Aspekte, die gegenläufig arbeiten, zu berücksichtigen, und zwar der absatzkanalbezogene Integrationsbedarf einerseits und

96

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

der sortimentsbezogene Differenzierungsbedarf andererseits (vgl. Schröder 2005, S. 160ff.):

Abbildung 3-21: Sortimentsoptionen im Multi-Channel-Handel Quelle: Schröder 2005, S. 160

hoch

hoch Absatzkanalbezogener Integrationsbedarf

Absatzkanalbezogener Integrationsbedarf niedrig

niedrig

1:1

Teilmenge

Schnittmenge

Leermenge

Umfang der Sortimentskongruenz zweier Absatzkanäle

 Absatzkanalbezogener Integrationsbedarf: Je identischer die Sortimente in den Kanälen sind, um so harmonischer müssen diese abgestimmt, also integriert sein. Das liegt daran, dass den Kunden dabei mehr Vergleichsmöglichkeiten gegeben werden. Aus der Wahrnehmung identischer Sortimente bauen sich dabei spezifische Kundenerwartungen auf, die abgestimmt werden müssen. Typisch für MultiKanal-Kunden ist es z.B., für ein identisches Produkt im Online-Shop einen geringeren Preis zu erwarten. Der Multi-Channel-Händler kann sich deswegen dazu genötigt sehen, mit Produkt- und Preisbündeln zu arbeiten, wenn ein Produkt in der Preisoptik steht. Dadurch kann die Vergleichbarkeit abgemildert werden, da dann keine Einzelpreise mehr für die Produkte ausgewiesen werden.

97

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

 Sortimentsbezogener Differenzierungsbedarf: Je unterschiedlicher die Sortimente in den Kanälen sind, umso differenzierter und kanalspezifischer sind diese auszugestalten. Im Extremfall werden dabei durchaus völlig unterschiedliche Sortimente angeboten. Auch besteht die Möglichkeit, das Sortiment in den Distanzkanälen zu vertiefen und sich in den stationären Geschäften auf schnell drehende Sortimente zu konzentrieren. In Abbildung 3-22 sind die Optionen der heterogenen Ausgestaltung von Sortimentsdimensionen in Multi-Channel-Systemen dargestellt. Es ist aber auch denkbar, dass die Distanzkanäle bestimmte Sortimentsteile des stationären Kanals nicht anbieten. Grund dafür können z.B. bestimmte Produktmerkmale sein wie z.B. Kühlung und Gewicht.

Abbildung 3-22: Optionen der Sortimentsausgestaltung in Multi-Channel-Systemen Quelle: Schröder 2005, S. 161

schmal flach

Sortimentsbreite

Sortimentsbreite breit

Stationärer Einzelhandel KatalogVersandhandel

Sortimentstiefe

OnlineShop

tief

schmal flach

Fall 1 Vertiefung des Sortiments von SE über KT zu OS, denkbar für Unterhaltungselektronik und Elektrohaushaltsgeräte

Stationärer Einzelhandel

Sortimentstiefe tief

breit

OnlineShop

KatalogVersandhandel

Fall 2 Stationärer Einzelhandel

Verteilung der Ausprägungen, denkbar für Grundbedarf an Lebensmitteln (OS), Lebensmittel des täglichen Bedarfs (SE) und Weinspezialitäten (KT)

SE = Stationärer Handel, KT = Katalog-Versandhandel, OS = Online-Shop

Als Grundlage für die Sortimentsfindung in den Kanälen kann das Kanalverhalten der Kunden herangezogen werden. Dabei darf es nicht nur um den Status Quo gehen, sondern es müssen auch weitere Sortimets-Optionen geprüft werden wie z.B. Ausdehnung, Ergänzung oder Einschränkung von Warengruppen. Studien zu diesem Thema zeigen auf, dass drei Viertel der Kunden im Internet-Kanal mehr Artikel einkaufen würden, wenn es diese auch dort gäbe bzw. das Angebot entsprechend erweitert würde. Die Gefahr, an Umsatzpotenzialen vorbeizugehen, ist offensichtlich groß. Obwohl vielfach von Experten angenommen, sind bei der Sortimentsfindung die Produkteigenschaften allerdings keine hinreichende Hilfestellung (vgl. Schröder 2005, S. 163 ff.). Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Sortimentstiefe im Online-Shop und im Ladengeschäft relativ ähnlich ist, die Sortimentsbreite im Ladengeschäft aber 98

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

höher ist als im Online-Shop (vgl. Schobesberger 2007, S. 69). Offensichtlich unterliegt die Sortimentsfindung einer kanalspezifischen Logik.

3.4.2

Kanalübergreifende Sortimentsfindungslogik

In Hinblick auf die kanalübergreifende Sortimentsfindung entpuppt sich als wesentliche Herausforderung für Multi-Channel-Handel die grundsätzlich unterschiedliche Sortimentsfindungslogik der drei Kanäle Versand, Stationär und E-Commerce. Unterschiede gibt es in der Sortimentsbreite bzw. –tiefe zwischen den Kanälen deswegen, weil die Kapazitätsrestriktionen, Thementreiber sowie Laufzeiten der Sortimente höchst unterschiedlich sind. Diese Problematik ist in Abbildung 3-23 verdeutlicht.

Abbildung 3-23:

Sortimentsfindungslogik unterschiedlicher Kanäle

Quelle: Bähre 2007, S. 13

Versand

Stationär

E-Commerce

Sortimentsbreite

Sehr breit (ca. 5000 Artikel in Spezialformaten)

Klar begrenzt (ca. 600 Artikel in 250 qm Filiale)

Unendlich (keine Beschränkung aus Kanalgründen nötig)

Thementreiber

Doppelseite

Rückwand und Monatstaktung

Keiner („6 aus 49“, kleine Themen werden aus breitem Angebot als Teaser selektiert)

Saison („6 Monate“; Bestellmanagement und Injections; Zeit für Abverkauf und Retouren)

~ 1-3 Monate; je nach Flächenproduktivität

LaufzeitArtikel

Egal

Für den Multi-Channel-Handel muss demnach eine neue Logik zur Sortimentsfindung entwickelt werden. Geht man jeweils von einem Leitsortiment aus, das der LeadChannel vorgeben würde, dann bietet der Versand sicherlich genügend Themen, von denen auch Teilmengen möglich sind. Für stationäre Konzepte haben die vielen Themen oft aber eine zu geringe Sortimentstiefe, so dass „Model-Selection“ von hier aus nur bedingt erfolgreich wäre. Demgegenüber ist ein stationäres Leitsortiment, bei dem 99

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

der Kanal mit den härtesten Restriktionen mit erster Priorität geplant wird, prinzipiell gut erweiterbar, birgt allerdings die Gefahr des Ausfransens in sich. Im Internet gibt es zunächst keinerlei strukturelle Vorgaben, d.h. der Einkauf kann sich Style- und Trendtechnisch „ausleben“. Restriktionen der Sortimentsführung müssen sich hier aus Kriterien der Sortimentseffizienz ableiten (vgl. Bähre 2007, S. 16). Aus den jeweiligen Kanalspezifika heraus lässt sich für ein gemeinsames Multi-Channel-Sortiment als Kernsortiment folgern, dass zunächst alle Kanalbedürfnisse zu berücksichtigen sind und ein harmonisches Markenangebot über alle Kanäle hinweg erforderlich ist. Dabei ist dann ein gezielter Ausbau je Kanal wahrscheinlich, wenn der „Kern“ funktioniert. Die daraus ableitbare Logik für die Sortimentsführung lautet „breitestes Sortiment als Leitsortiment“ und Selektion je Kanal, oder „restriktivstes Sortiment als Leitsortiment“ und Ausbau je Kanal. Das Motto wäre also „Kanalübergreifende Sortimentslogik und Kanalspezifische Umsetzung“. Beispiele für stationäre Leitsortimente im Multi-Channel-Handel sind Douglas und Gap. Während Douglas eine einheitliche Kommunikation der Markeninhalte über alle Kanäle sicherstellt und dabei die verschiedensten Kommunikationselemente nutzt, versucht Gap, kanalspezifische Kundenelemente herauszustellen und Verständnis für die Zielgruppen in den verschiedenen Kanälen aufzubringen. Dementsprechend passt Gap die Angebote an (z.B. Maternity-Shop oder Online Sales), bietet aber spezifische Anreize, auch die anderen Kanäle zu nutzen (z.B. über Gutscheine, Spezielle Preise und/ oder Promotions).

3.4.3

Konventionelles versus digitales Category Management

Liegt die sortimentsstrategische Ausrichtung für das Multi-Channel-System auf Betriebstypenebene fest, muss im nächsten Schritt hinterfragt werden, wie das CategoryManagement kanalübergreifend zu gestalten ist. Konventionelles Category Management (CM) ist typisch für stationäre Absatzkanäle und stellt eine kooperative Sortimentserstellung durch den Händler und den Hersteller dar. Während das Handelsunternehmen sein Flächen- und Sortiments-Know-how einbringt, steuert der Lieferant sein Marktforschungs- und Marketing-Know-how bei. Beide zusammen bilden das sogenannte ECR-Team („Efficient-Consumer-Response“). Zielsetzung von Hersteller und Händler ist es dabei, in der Zusammenarbeit differenzierte und eigenständig steuerbare Warengruppen (Categories) zu bilden, die vor allem von den Verbrauchern als Einheit gesehen werden. Abbildung 3-24 stellt unterschiedliche Kriterien einer derartigen Warengruppen-Zusammenfassung dar. Zugrundegelegte Kriterien zur Warengruppen-Zusammenfassung sind in diesem Fall erstens die Bedürfnisorientierung, zweitens die Orientierung an Erlebnisbereichen und drittens die Orientierung an Zielgruppen (vgl. Ahlert 2002, S. 22 ff.).

100

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

Abbildung 3-24: Kriterien einer Warengruppen-Zusammenfassung Quelle: Ahlert 2002, S. 22

Category: Unterscheidbare, eigenständig steuerbare Gruppe von Waren, die von den Verbrauchern als zusammenhängend und/ oder austauschbar zur Bedürfnisbefriedigung angesehen wird Kriterien einer WarengruppenZusammenfassung

Erläuterungen



Bedarfsorientierte Zusammenfassung





Orientierung an Erlebnisbereichen





Orientierung an Zielgruppen



Waren, die der Verbraucher als in der Verwendung zusammenhängend betrachtet (z.B. Gartenbedarf) Waren, die für einen Anlass zusammen hängend eingeschätzt werden (z.B. alles fürs Bad oder alles zum Grillen) Zusammenfassung von konsumentenspezifischen Waren (z.B. alles für die „Studenten“-Category)

Bei der Orientierung nach Bedarfsbereichen werden die Waren derart gebündelt, dass sie die Kunden in der Verwendung als zusammenhängend empfinden (z.B. Gartenpflege, Küchenbedarf, Lebensmittel etc.). Die Abteilungen der Warenhäuser sind klassischerweise nach solchen Verwendungsbereichen gegliedert. Bei der Orientierung der Warengruppeneinteilung nach Erlebnisbereichen werden die Artikel für einen bestimmten Anlass (z.B. Party, Grillabend, Karneval etc.) oder unter einem speziellen Thema (z.B. Farben, Stilrichtungen, Modegrade etc.) zusammengestellt. Die Warengruppeneinteilung nach Zielgruppen steht für eine Bündelung der Waren nach Konsumententypen. Basis sind hier Einkaufgewohnheiten oder Verhaltensaspekte der Konsumenten (z.B. Studenten, Reiche, Sparfüchse etc.). Grundproblem im Multi-Channel-Handel ist nun, dass das konventionelle CM auf herkömmliche Bedürfnisbereiche und stationäre Handelsformen ausgerichtet ist. Diese Kennzeichnung ist in Abbildung 3-25 dargestellt, wobei zwischen Angebotssystem einerseits und Nachfragesystem andererseits unterschieden wird. Bezüglich des Angebotssystems kann der Systemhintergrund handelsdominant oder herstellerdominant sein. Das Nachfragesystem unterscheidet zwischen herkömmlichen oder innovativen Bedürfnissen, Standardprodukten oder Problem-Lösungs-Komplexen (z.B. PCKonfigurationen) sowie Kanälen, die entweder konventionell oder digital sein können (vgl. Ahlert 2002, S. 22 ff.).

101

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-25: Einordnung des konventionellen und digitalen CM Quelle: In Anlehnung an Ahlert 2002, S. 23

Nachfragesystem

Bedürfnisse PL

Angebotssystem

Innovativ

Herkömmlich Standardprodukte

Problem-Lösungs-Komplexe

Kanal

Systemhintergrund

konventionell

digital

digital

konventionell

Handelsdominanz

ECR Team

Konventionelles Category Management

Digitales Category Management

Herstellerdominanz

Dabei ist es durchaus möglich, dass bei neuen Warengruppenordnungen auch neuartige Entwicklungen von Verbraucherbedürfnissen oder Ansatzpunkte des CRM berücksichtigt werden. Die konsumentenorientierte Zusammenstellung der Category erlaubt es, auf spezifische Bedürfnisse der Kunden einzugehen, allerdings können diese noch nicht kundenindividuell zusammengestellt werden. Im stationären bzw. konventionellen Geschäftsansatz kann aufgrund der räumlichen Beschränkung das „100.000 X 100.000 Kombinationen“-Problem nicht gelöst werden (vgl. Ahlert 2002, S. 22 ff.). Hier setzt das digitale Category Management an, bei dem die kundenindividuelle Zusammenstellung der Categories möglich wird, wenn Waren digital dargestellt werden können. In der virtuellen Welt spielen dabei weder räumliche Begrenzungen, zeitliche Beschränkungen, noch Kombinationsprobleme und Darstellungsschwierigkeiten eine Rolle. Dadurch ergibt sich die in Abbildung 3-25 dargestellte Positionierung des digitalen CM, das dem Bereich der konventionellen Bedürfnisbefriedigung mit dem Angebot von Standardprodukten über digitale Absatzkanäle zuzuordnen ist. Mit dem Multi-Channel-Handel und der damit einhergehenden Kombination stationärer und digitaler Absatzkanäle sind die Handelsunternehmen gezwungen, die Möglichkeiten des digitalen mit denen des konventionellen CM zu kombinieren. Die Weiterentwicklung von Kundenbeziehungen kann dabei über die verschiedenen Absatz-

102

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

kanäle erfolgen. Im Falle einer Internetbestellung erhält das Unternehmen detaillierte Kundendaten, die es im Rahmen des CM nutzen kann unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse des Konsumenten. Das ebnet den Weg zu einem innovativen, kundengetriebenen CM, über das gegebenenfalls die komplette Wertschöpfungskette neu gestaltet wird. Dadurch wird es möglich, innovative Lösungskonzepte für komplexe Konsumprobleme effizient zu vermarkten und die Beziehungsqualität im Sinne des CRM auszubauen.

Abbildung 3-26: Eindordnung des innovativen, kundengetriebenen CM Quelle: Ahlert 2002, S. 27 Nachfragesystem

Bedürfnisse

Angebotssystem

PLK

Herkömmlich Standardprodukte Multi-Channel-Strategie

Innovativ Problem-Lösungs-Komplexe Multi-Channel-Strategie

Kanal Systemhintergrund

konventionell

digital

digital

konventionell

Handelsdominanz

ECR Team

Hybrides Category Management

Kundengetriebenes Category Management

Herstellerdominanz

Komplexe Konsumprobleme oder auch Problem-Lösungs-Komplexe können sich aus Angebotskombinationen verschiedener Produkte, Handwerks- und Dienstleistungen ergeben. Das Bedürfnis nach einer adäquaten Multimediaausstattung kann bereits ein komplexes Konsumproblem darstellen, wenn man die notwendigen Komponenten dafür betrachtet. Als Beispiel lässt sich die Kombination aus TV, DVD-Player, Stereoanlage, Computer, Software, Raumverdunkelung und entsprechenden Handwerksleistungen nennen, wenn es darum geht, diese Bestandteile sinnvoll zu kombinieren und dem Kunden „wie aus einem Guss“ zu liefern. Die Einordnung des innovativen, kundengetriebenen CM ist in Abbildung 3-26 dargestellt (vgl. Ahlert 2002, S. 27).

103

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-27: Das Libri-Modell Quelle: H&P 2004 Webshop Libri.de Auslieferung

• Kompetentes Sortiment/ Downloads • Nationale Preise • State of the art Website

Provision

Stationäre Buchhändler

2. Abholung Kunden 1. Versand

Bezahlung

Abwicklung Libri betreibt einen Webshop „Libri.de“ und bietet Buchhändlern für 35 € im Monat einen leicht personalisierten Webshop an, z.B. „[email protected]“. Ca. 1000 Buchhändler nehmen teil. Die Buchhändler erhalten 5% Provision auf Libri-Umsätze in ihrem Einzuggebiet. Bei Bestellungen über die Website der Buchhändler erhalten sie entweder 10-15% Provision bei Direktversand von Libri an den Kunden (auf Rechnung Libri) oder Libri erhält eine Logistikprovision vom Buchhändler bei Abholung im Buchladen. Buchhändler nehmen automatisch an zentralen Vermarktungsaktionen teil und erhalten damit Sonderkonditionen Kunde bezahlt Libri.de bei Direktversand oder bei Abholung in einem Buchgeschäft

Im Rahmen des kundengetriebenen CM werden die Vorteile einer Kombination der digitalen und konventionellen Absatzwege zur Lösung der eben beschriebenen komplexen Konsumprobleme kombiniert. Diesbezüglich ist auch denkbar, andere Handelsunternehmen oder im Sinne des ECR auch Herstellerunternehmen als Bestandteil

104

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

einzubeziehen. Die entsprechenden Enabling-Technologies machen es möglich, alle Teilnehmer der Category zur Lösung von komplexen Konsumproblemen miteinander zu verbinden, obwohl die Komplettleistung gegenüber dem Kunden „wie aus einer Hand“ erscheint. Für die Nutzer des Online-Kanals von Electronic Partner ist beispielsweise nicht ersichtlich, dass die kompletten Buchsortimente in Dienstleitung von Buch.de (www.buch.de) bearbeitet werden. Bei der Erstellung einer Lösung des komplexen Konsumproblems muss der Kunde mit in den Prozess integriert werden. Wird der Kunde dabei zufrieden gestellt, ist das kundengetriebene CM auch dazu geeignet, die Beziehungsqualität zum Verbraucher nachhaltig zu verbessern. Eine kooperative Zusammenarbeit von Lieferanten und Handelsunternehmen im Rahmen eines kundengetriebenen CM liegt beispielsweise auch vor, wenn ein Großhändler seinen Handelskunden eine Internetplattform anbietet, die dieser unter seinem Namen oder im Co-Branding als weiteren Absatzkanal nutzen kann, wie Libri, führender Buch-Großhändler Deutschlands (www.libri.de), dies erfolgreich tut. Libri ist auch der Hauptlieferant von Amazon und praktiziert mit ihm eine „digitale Kooperation“. In Abbildung 3-27 ist das Libri-Modell dargestellt.

3.4.4

Kanalinterne Sortimentsfindung in Filialsystemen

Eine kanalübergreifende Sortimentsfindung sollte erst in Angriff genommen werden, wenn im Startkanal die kanalspezifische bzw. kanalinterne Sortimentsfindung abgeschlossen ist. Das Problem der kanalinternen Sortimentsfindung betrifft vor allem den stationären Kanal und dabei insbesondere Filialsysteme, die nicht soweit standardisierbar sind, dass in allen Filialen identische Sortimente angeboten werden können. Das ist zum Beispiel im filialisierten Einzelhandel der Fall, wenn unterschiedliche Standortgegebenheiten und/ oder Flächengrößen vorliegen. Auch bei identischem Betriebstyp führt dies zu unterschiedlichen Gruppierungen oder Typen von Filialen und zwangsweise zu einem Spannungsfeld zwischen höchstmöglicher Standardisierung einerseits sowie maximal notwendiger Differenzierung andererseits. In Abbildung 3-28 soll dieser Sachverhalt am Beispiel der beiden Dimensionen Standortattraktivität (z.B. Wettbewerbssituation, Kaufkraft, Standortqualität) und Filialstärke (z.B. Filialgröße, Umsatzvolumen, Ertragsniveau) verdeutlicht werden. Dabei ergeben sich vier unterschiedliche Filialtypen, die an späterer Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Das Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Differenzierung kann bei der Sortimentsfindung durch Sortimentsmodule gelöst werden (vgl. Heinemann 1989, S. 115 ff.). Diese bestehen aus festgelegten Artikelgruppen, die einer WarengruppenZusammenfassung oder Category inhaltlich entsprechen und nach alternativen Sortimentstiefen, d.h. Artikelauswahl, zusätzlich unterkategorisiert werden. Die sich daraus ergebenden Modul-Kategorien stellen quasi Kompetenzstufungen dar, wobei

105

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

jeweils ein Basismodul pro Warengruppen-Zusammenfassung eine Mindestkompetenz gewährleistet.

Abbildung 3-28: Mögliche Filialtypen eines einheitlichen Betriebstyps

hoch Investitionsfilialen

B

Powerfilialen

A

„Flaggschiffe“

„Schlachtschiffe“

Relative StandortattraktiviMitläuferFilialen

„Begleitschiffe“

D

Brot- und Butterfilialen

C

„Lastschiffe“

niedrig niedrig

hoch Relative Filialstärke vor Ort

Das Basismodul weist für die Wahrnehmung der Fachkompetenz eine mindestens notwendige Sortimentstiefe auf. In Bezug auf eine z.B. textilspezifische WaengruppenZusammenfassung beinhaltet ein Basismodul beispielsweise bestimmte BasisPreislagenschwerpunkte, Basis-Marken, eine Basis-Angebotsvariation sowie BasisMengen je Angebot. Die auf dem Basismodul aufbauenden Modul-Kategorien gehen pro Warengruppen-Zusammenfassung mit einer angebotsmäßigen Erweiterung der wahrgenommenen Mindestkompetenz einher. Sie zeichnen sich durch zusätzliche Sortimentstiefe aus und enthalten für die gleichen Artikelgruppen wie das Basismodul in mehreren Stufen erweiterte Preislagenschwerpunkte, weitere Marken, eine vergrößerte Angebotsvariation sowie erweiterte Mengen je Angebot.

106

Core Category-Concept als Erfolgsfaktor Nr. 3

Für jedes Sortimentsmodul und die entsprechenden Modulkategorien sind die notwendigen Flächenbeanspruchungen zu ermitteln und filialtypenspezifische Auswahlkriterien zu erarbeiten. Die Kriterien müssen dabei zum einen auf den Warengruppen-Zusammenhang, zum anderen auf die Standortgegebenheiten (z.B. Potenziale und Wettbewerbssituation) Bezug nehmen. Sie dienen dem Aufbau eines die wahrgenommene Fachkompetenz sicherstellenden Pflichtsortiments, über das hinaus jeder Betriebstyp ein komplementäres Randsortiment zusammenstellen sollte. Dieses Pflichtsortiment kann ebenfalls eine gute Basis für die kanalübergreifende Sortimentsfindung im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“ darstellen. Zur Konkretisierung dieses Sachverhaltes wird in Abbildung 3-29 ein Modulkonzept aufgezeigt, das auf die eben skizzierten vier Filialtypen beispielhaft Bezug nimmt. So sind vier Sortimentsmodule einer Warengruppen-Zusammenfassung dargestellt. Es wird deutlich, dass die möglichst vollständige Abdeckung der Basis-Module zu mehr Kompetenzbreite führt, während die Ausdehnung jedes Basis-Moduls in höhere Modulkategorien mit einer zunehmenden Kompetenztiefe einhergeht. Aus den unterschiedlichen Verkaufsflächenbeanspruchungen der Basis-Module ergibt sich für das dargestellte Pflichtsortiment ein genau bezifferter Flächenbedarf. Die verbleibende Restfläche ist für komplementäre Randsortimente frei disponierbar, die z.B. eine standortspezifische Sortimentsprofilierung sicherstellen können.

Abbildung 3-29: Modulkonzept zur Sortimentsfindung in Filialsystemen Flächenbeanspruchung in qm

Filialtyp A

B

C

D

Merkmal

Basis-

Zusatz-

Umsatz/DM

> 20 Mio. > 10 Mio. > 5 Mio. > 3 Mio.

Fläche/m 2

> 1.500

> 1.000

> 500

...

Modul 1

100

Besuchsfrequenz pro Woche

> 10.000

> 5.000

. .

. .

Modul 2

100

100

Modul 3

100

100

Modul 4

100

Anzahl Wettbewerber

4

3

Wachstum



Ø



Sonderaufbauten . .

> 20 . .

. .

. . optimale Modul. . kombination . . für jede . Filiale . . .

. .

. .

. .

Zusatz-

100

...

Zusatz-

100

F l ä c h e n b e a n s p r u c h u n g

S o r t i m e n t s b r e i t e

Sortimentstiefe

Das aufgezeigt Modul-Konzept ist nicht nur für Filialsysteme einsetzbar, sondern kann als allgemeingültiges Denkraster auch auf die anderen Kanäle eines MultiChannel-Händlers Anwendung finden. Insgesamt stellt sich die Sortimentsfindung aufgrund der interkanalspezifischen Abstimmungsnotwendigkeit einerseits sowie der intrakanalspezifischen Differenzierungsnotwendigkeit bei stationären Filialsystemen

107

3.4

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

andererseits als hochkomplexes Entscheidungsproblem dar. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer permanenten Sortimentspflege, da ein Sortiment niemals statisch ist sondern „lebt“.

3.5

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

Beim Start mit Multi-Channel-Handel darf auf keinen Fall die Markenstrategie vergessen werden, sonst besteht schnell die Gefahr, auf Kundenseite eine „Brand Confusion“ zu erzeugen. Bereits heute sehen sich die Kunden einer Vielzahl unterschiedlichster Markenbezeichnungen ausgesetzt, die kaum noch zu unterscheiden sind. In Abbildung 3-30 wird der Versuch unternommen, alle denkbaren Erscheinungsformen „des Markenwirr-warrs“ zusammenfassend darzustellen.

Abbildung 3-30:

Gefahr einer Brand-Confusion Multi-Channel-Brand ?

Eigenmarke ?

Internetmarke ? Betriebstypenmarke ? Händlermarke ?

E-Brand ?

Handelsmarke ?

Store-Brand ?

Franchisemarke ? Lizenzmarke ?

Sortimentsmarke ? Herstellermarke ?

Mono-Label ? Co-Brand ?

Premium-Marke ? Gattungsmarke? Markenartikel ?

Für den Multi-Channel-Händler ist dabei in erster Linie die Händlermarke bzw. Retailbrand oder Storebrand relevant. Alle drei Begriffe sind synonym verwendbar und kennzeichnen Geschäftsbetriebe eines Handelsunternehmens.

3.5.1

Markenoptionen im Multi-Channel-Handel

Im stationären Handel ist die Verwendung von Store-Brands unterschiedlich. So kommt es vor, dass die Store-Brand entweder für alle Betriebe verwendet wird, auch wenn sie unterschiedliche Betriebstypen unter sich vereint (z.B. Rewe), oder aber unterschiedliche Betriebstypen über Storebrands differenziert (z.B. Lidl und Kaufland oder Rewe und Toom). Selbst die Differenzierung innerhalb eines Betriebstyps ist 108

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

möglich (z.B. Zara und Mango, Mediamarkt und Saturn oder Anson`s und Peek&Cloppenburg). Ähnlich verhält es sich auch mit der Kennzeichnung der Absatzkanäle für einen Multi-Channel-Händler. Die Markenstrategie für einen MultiChannel-Händler ist eng mit der Kanalstrategie verknüpft. Diesbezüglich lassen sich die folgenden Kanal-Optionen unterscheiden (Schröder 2005, S. 237):

 Vollkommene Trennung der Kanäle: Grund kann das Ziel sein, verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Es kann auch darum gehen, dass jegliche Assoziation zwischen den Kanälen bewusst vermieden werden soll. Logische Konsequenz ist in diesem Fall die Schaffung einer völlig neuen Internet-Marke. Dieses deckt sich mit der Ansicht einiger Betreiber, dass die Kunden den elektronischen Kanal als wenig affin mit dem stationären Kanal und dem klassischen Versandkanal empfinden. Demnach könnten die Kunden des stationären Kanals und des klassischen Versandhandels der Einführung eines Online-Kanals kritisch gegenüberstehen, weil sie diesen emotional ablehnen. Andererseits könnten sich die onlineorientierten Kunden vom „traditionellen Image“ der bestehenden Kanäle abgeschreckt fühlen.

 Integration der Kanäle: Dem Kunden soll die Gelegenheit gegeben werden, ihre Kaufentscheidungen je nach Bedarf auf die Kanäle zu verteilen. Die einheitliche Kommunikation und das Umsetzen des Markenversprechens bedingt in diesem Fall ein integriertes Marken-Management. Folglich sollten sich auch die Markenwerte in allen Kanälen widerspiegeln, wozu eine kanalspezifische Interpretation und Operationalisierung der Begrifflichkeiten notwendig ist. Auch sollten Investitionen in die Kanäle danach bewertet werden, inwieweit sie auf die Markenwerte einzahlen (vgl. Wegener 2004, S. 215). Die Kanalerwartungen der Kunden sind auf Dauer nur erfüllbar, wenn die „kanalspezifische Markeninvestition“ in die Bewertung der Option mit eingeht.

 Wahrgenommene Distanz zwischen den Kanälen: Die gewollte Distanz zwischen den Kanälen lässt sich durch eigenständige Bestandteile einer Marke zum Ausdruck bringen, wie etwa EP:Netshop. In diesen Fällen wird der Charakter, in gewisser Weise auch die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kanäle unterstrichen. Häufig findet man diese Form der Kanalstrategie auch bei partnerschaftlich betriebenen Internet-Kanälen, entweder mit einem Joint-Venture Partner (z.B. Bogner-Homeshopping mit Primondo/ Quelle und Bogner) oder mit einer Internetplattform des Lieferanten (z.B. Co-Branding mit Libri.de). Die Wahl der Kanal-Strategie bestimmt unmittelbar auch die markenstrategischen Optionen bei der Nutzung des Internet als innovativen Absatzkanal. Ausgangspunkt bildet dabei die Frage, ob eine autonome oder fremdbestimmte Markenführung gewählt werden soll. Bei der fremdbestimmten Markenführung wird bewusst darauf verzichtet, eine eigene Marke aufzubauen und zu führen, indem die Angebote z.B. in Electronic-Shopping-

109

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Malls oder Portale integriert werden und sich so den markenpolitischen Aktivitäten der Partner unterordnen. Vorteil ist dabei, die vorhandene Wirkung der Marke des übergeordneten Partners für sich nutzen zu können, ohne in den Aufbau einer eigenständigen Marke investieren zu müssen. Nachteil ist jedoch die fehlende Einflussmöglichkeit auf markenpolitische Aktivitäten und die Abhängigkeit vom Kooperationspartner. Die markenpolitischen Entscheidungen werden letztendlich auf andere Akteure verlagert, weswegen dieser Verzicht auf eine autonome Führung nicht mehr dem Multi-Channel-Handel zuzuordnen ist (vgl. Bongartz 2002, S. 311 ff.). Im Rahmen der eigenständigen Markenführung im neuen Internet-Kanal werden sämtliche markenpolitischen Entscheidungen autark getroffen. Reine InternetAnbieter (z.B. Amazon, Ebookers oder Ricardo) sind stets gezwungen, eine neue, internetbasierte Marke aufzubauen. Im Gegensatz dazu eröffnen sich für Multi-ChannelHändler, die bereits über eine etablierte Marke verfügen, die folgenden MarkenOptionen, die nach dem Integrationsgrad unterschieden werden (vgl. Bongartz 2002, S. 311 ff., Schröder 2005, S. 235):

 Kennzeichnung mit unterschiedlichen Marken und deswegen virtuelle Markenstrategie für den neuen Internet-Kanal, die keine Verbindungen zu bereits vorhandenen Marken aus klassischen Marktumgebungen aufweist. Beispiele für eine derartige, separierte und virtuelle Marke war z.B. BOL für Bertelsmann, oder ist Buch.de für Thalia/ Douglas, Eworld für Edeka sowie Peapod für Ahold). Diese Markenoption gilt natürlich auch für alle reinen Internet-Händler.

 Einsatz von verwandten Marken mit kombinierter Markenstrategie, die zwar eine Zusammengehörigkeit der verschiedenen Kanäle erkennen lassen und insofern bis zu einem gewissen Grad integriert sind, sich aber in der Markenaufmachung deutlich unterscheiden. Eine existierende Kernmarke wird durch die Ergänzung mit neuen internetspezifischen Komponenten wie zum Beispiel Namenszusätzen zu einer Internet-Marke entwickelt. Beispiele sind DouglasBeauty, BognerHomeshopping oder e-Sixt.

 Verwendung derselben Marke für alle Kanäle als hybride Markenstrategie mit vollständiger Integration zwischen vorhandener und internetbasierter Marke. Die bestehende Marke wird quasi auf den neuen Internet-Kanal übetragen, so dass ein Marken- oder Imagetransfer vorliegt. Die gemeinsame Verwendung erfordert eine enge Abstimmung und Koordination aller Marketingsktivitäten, um Verwirrung auf Kundenseite zu verhindern. Beispiele für eine hybride Markenstrategie sind Tchibo, Conrad Electronic, Rossmann, Schlecker, Quelle, TUI sowie Barnes & Noble. In Abbildung 3-31 sind die markenstrategischen Optionen für den Multi-ChannelHändler noch einmal zusammenfassend dargestellt (vgl. Bongartz 2002, S. 312). Bei der hybriden Markenstrategie wird darauf abgezielt, dass der neue Kanal von der eingeführten Marke partizipiert. Außerdem werden Anfangsinvestitionen und Kosten

110

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

eingespart, wenn die Nutzung von Werbesynergien mit dem stationären Kanal möglich ist. Umgekehrt kann es zu einer Absatzförderung für das bestehende Geschäft durch die Information der Kunden im Internet sowie die Möglichkeit einer gezielten Verjüngung der etablierten Marke durch ihr Auftreten im Internet kommen. Es kann aber auch beabsichtigt sein, dass sich die neue Marke bewusst von der „Altmarke“ emanzipieren soll, um ein eigenes kanalspezifisches Profil zu entwickeln. Gerade im Internet-Kanal sprechen gewichtige Gründe für die Erschaffung einer neuen, virtuellen Marke. Wesentliches Argument für die virtuelle Markenstrategie ist, dass im Web junge, moderne Marken erforderlich sind. Das hat auch den Vorteil, mögliche Imagerisiken für die bereits existierende Marke zu verringern, falls es zu einem Misserfolg des neuen E-Kanals kommt.

Abbildung 3-31: Markenstrategische Optionen im Multi-Channel-Handel Quelle: Bongartz 2002, S. 312 Eigenständige Markenführung Bedingung: …

Strategietyp

Definition

Integrationsgrad

Beispiele

Virtuelle Markenstrategie

Bedingung: Existenz einer Marke aus klassischer Marktumgebung Kombinierte Markenstrategie

Hybride Markenstrategie

Unabhängige, internetspezifische Marke Ohne Verbindung zu Marken aus klass. Marktumgebungen

Verbindung vorhandener Elemente einer Kernmarke mit neuen internet-spez. Bestandteilen zu kombinierter Marke

Verwendung eines einheitlichen MarkenNamens für Electronic-Commerce und weitere Transaktionskanäle

keine Integration

teilweise Integration

vollst. Integration

• amazon • ebookers • ricardo

• e-Sixt • DouglasBeauty

• Quelle • TUI • Barnes & Noble

Die Neuschaffung einer Marke ermöglicht zudem eine unabhängige Weiterentwicklung eben dieser im Internet. Dadurch wird die Ausdehnung des Geschäftes in neue Warengruppen, Preislagen und neue Kundenkreise möglich (vgl. Schnetkamp 2001, S. 41). Auch kann eine neue Marke die internationale Kooperationsfähigkeit im Rahmen von Partnerschaften erhöhen. Die Optionenbewertung und -wahl für die Markierung eines neuen Kanals ist folglich ein komplexes Problem. Eine Hilfestellung für die Bewertung und Auswahl der Kanal-Optionen und die damit einhergehende Markenoption kann das Imagetransfermodell von Meffert und Heinemann liefern (vgl. Meffert, Heinemann 1990, S.8). Wie in Abbildung 3-32 dargestellt, sind die technische und 111

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

emotionale Affinität der Absatzkanäle wesentliche Voraussetzungen für den Imagetransfer einer Storebrand von einem auf einen weiteren Kanal. Gleiches gilt für die sogen. Markenerweiterung, Markenausdehnung, Brand Extension oder Line Extension.

Abbildung 3-32: Imagetransfermodell für den Multi-Channel-Handel Quelle: Schröder 2005, S. 239 in Anlehnung an Meffert, Heinemann 1999, S. 119

n

IijkA - HijkN

IT ijN = i=1

ITijN = I ijkA = H ijkN =

Imagetransfertauglichkeit des neuen Kanals N hinsichtlich des positiven Images der Storebrand j, ermittelt beim Kunden i Als Eindrucksideal ermittelte, positive Einstellung des Kunden i in Bezug auf die Storebrand j beim einstellungsrelevanten Merkmal k des bisherigen Kanals A Die vom Kunden i in Bezug auf das Merkmal k eingeschätzte Ausprägung beim hypothetisch neuen Kanal N mit derselben Storebrand

Je ähnlicher die verschiedenen Kanäle empfunden werden, desto größer ist das transferierbare Volumen an Imagebestandteilen und umso erfolgversprechender scheint die Verwendung einer gemeinsamen Marke. Damit ist allerdings die Entscheidung auf ein einziges Kriterium reduziert. Für die detaillierte Bewertung sind verschiedene Kriterien heranzuziehen. Hinsichtlich der eine Orientierung erleichternden, das Risiko reduzierenden und differenzierenden Wirkungen von Marken im Internet-Kanal kommt der hybriden Markenstrategie mit vollständiger Integration das größte Potenzial zu. Neben den bereits vermuteten Vertrauens- und Bekanntheitsvorsprüngen belegen Testuntersuchungen, dass Hybride Marken wegen ihrer Mehrkanalpräsenz über ausgeprägte Differenzierungsmerkmale verfügen, die sich in deutlich ansteigenden Wiedererkennungsraten dieser Marken niederschlagen. Die Gefahr negativer Ausstrahlungseffekte steigt allerdings auch, da die Kunden den Multi-Channel-Händler als eine Einheit sehen. Unter Risikoaspekten gewinnt die Kombinierte Markenstrategie an Bedeutung, da die negativen Ausstrahlungseffekte abgemildert werden können, was

112

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

aber dann mit dem Risiko eines unprofilierten Images der vorhandenen und der kombinierten Marke einhergeht (vgl. Bongartz 2002, S. 313). Ein etwas anderes Bild ergibt sich hinsichtlich der Steuerungs- und Gestaltungsfreiräume im Rahmen des Prozesses der identitätsorientierten Markenpositionierung und -profilierung. Hier existieren bei den virtuellen Markenstrategien eher größere Spielräume, da Traditionen und Verpflichtungen keine Rolle mehr spielen. Auch ist der Koordinationsbedarf hier geringer, der bei einer Hybriden Markenstrategie zur Sicherstellung eines konsistenten Erscheinungsbildes nun mal höher ist. Darüber hinaus haben hier neben den kommunikativen auch leistungsbezogene medienübergreifende Abstimmungen zu erfolgen. Dabei ist zusätzlich zu bedenken, dass bei der Hybriden Strategie sich gesteigerte Ansprüche an den Prozess einer ganzheitlichen Markenführung ergeben, um den Aufbau einer starken Markenidentität sicherzustellen. Der Internet-Kanal darf insofern in keinem Fall als Testfeld für abweichende markenpolitische Variationen missverstanden werden. In Abbildung 3-33 sind die Berwertungen der markenstrategischen Optionen für Multi-Channel-Händler zusammenfassend dargestellt.

Abbildung 3-33: Bewertung markenstrategischer Optionen für den Multi-Channel-Handel Quelle: Bongartz 2002, S. 314 Strategietyp Kriterium

Virtuelle Markenstrategien

Hybride Kombinierte Markenstrategien Markenstrategien

Orientierungspotenzial Risikoreduktionspotenzial Wirkungsebene

Differenzierungspotenzial Gefahr von Ausstrahlungspotenzial Gefahr der Imageverwässerung Flexibilität

Gestaltungsebene

Koordinationsbedarf Nutzung von Synergiepotenzialen Kosten der Markenetablierung Stark ausgeprägt

mittel ausgeprägt

gering ausgeprägt

Ungeachtet ihrer Flexibiltätsvorteile erfordern Virtuelle Marken hohe Investitionen zur Erzeugung ausreichender Markenbekanntheit und –stärke. Auch können keine 113

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

nennenswerten Synergiepotenziale ausgeschöpft werden, wenn man einmal von den Backend-Prozessen absieht. Mit zunehmender Entfernung von der Kernmarke ist eine Erweiterung bzw. Veränderung der Kompetenzbereiche erforderlich, was tendenziell auch für die Kombinierte Strategie gilt.

3.5.2

Integration des Multi-Channel-Markenmanagements

Die Erfahrungen in Multi-Channel-Systemen über die letzten Jahre hat gezeigt, dass die Unternehmen umgelernt haben. Während in den Anfangsjahren des Internets viele Multi-Channel-Retailer bewusst auf den Transfer der identischen Marke verzichtet haben und in der Storebrand des neuen Kanals keine Verbindungen mit der Ausgangsmarke zeigen wollten, haben die Experten mittlerweile die einheitliche Marke als Erfolgsfaktor erkannt. Begründung liefert vor allem das Channel-Hopping der Kunden, das die Anbieter dazu zwingt, seinen Markenauftritt über alle Kanäle hinweg einheitlich zu gestalten, um so den Kunden einen nahtlosen Übergang zwischen den Absatzkanälen zu ermöglichen. Dieser Erkenntnis sind mittlerweile auch Karstadt und andere Multi-Channel-Anbieter gefolgt. So begann Karstadt mit „my-world by Karstadt“, wechselte dann zu „Karsadt my-world“ und landete schließlich bei „Karstadt.de“. Ein anderes Beispiel liefert Kaufhof. So rückte in 2001 das Unternehmen von seiner früheren Strategie ab, nach und nach eigenständige Onlineshops mit dem Kunstnamen wie Zebralino zu etablieren und installierte den Online-Shop unter Kaufhof.de. Völlig anders agiert noch die Firma Hawesko. Dieser Multi-Channel-Anbieter nutzt wahrscheinlich viele Synergien im rückwärtigen Bereich, gegenüber den Kunden präsentieren sich die Unternehmen jedoch völlig eigenständig (Stand 2004). So sind die Websites unterschiedlich gestaltet, es fehlt ein übergreifender B2B oder B2C Bereich sowie eine übergreifende Kundenkarte mit entsprechender Vermarktung. Synergien zwischen den einzelnen Websites (Hawesko, Tersdorf, Bordeaux Wines, JaquesWeindepot) werden von Hawesko nicht genutzt. Der Kunde muss mit unterschiedlichen Website-Logiken zurechtkommen. Dies führt auch zu einem erheblichen Mehraufwand im Content und im IT Bereich. Auch ist anzunehmen, dass Hawesko auf diese Weise Umsatzpotential verschenkt, da die Hawesko-Kunden sicherlich auch gerne bei Tesdorf, Bordeaux Wines oder Jaques-Weindepot einkaufen würden. Ähnlich wie Hawesko agiert auch der Multi-Channel-Händler Otto. Mit „Otto“, „My Toys“, „Bon Prix“, „discount 24“ und „Heine“ agiert das Unternehmen völlig eigenständig gegenüber seinen Kunden. Selbst innerhalb der Heine-Gruppe, in der vor allem die stationären Betriebstypen gebündelt sind wie u.a. Sportscheck und Frankonia, setzt sich diese Marken-Separierung fort. Dabei ist anzunehmen (Hypothese), dass Otto Synergien im Backend nutzt, wie in Abbildung 3-34 dargestellt ist. Für den Kunden entsteht wenig Mehrwert aus dem Gruppenverbund.

114

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

Abbildung 3-34:

Beispiel für ungenutzte Markensynergien

Quelle: H&P 2004 Interne Sicht (Hypothese)

Kundensicht Obi

Einkauf

IT

Adm.

CS

Log.

Mktg.

Discount 24

Booxtra

Otto

My Toys

My Toys Expedia

Heine

Otto

Shopping 24

Otto Reisen

Bon Prix

Sport scheck

Disc. 24

Bücher. de

Heine

Eddie Baur

Bon Prix Freizeitclub

Conrad Douglas

Synergien genutzt

Plus

Experten predigen bereits seit Jahren, dass es für ein Multi-ChannelHandelsunternehmen wenig erfolgsversprechend sei, eine eigene Marke im Internet aufzubauen. In den Anfangsjahren des Internet hatten viele Unternehmen eigene Webmarken geschaffen, unter denen sie ihren elektronischen Handel abwickeln sollten. Obwohl die Handelsmanager vor allem junge Leute mit solchen Phantasiemarken wie My-World begeistern wollten, die mit traditionellen Handelsunternehmen nichts „am Hut“ hatten, gingen die Erfahrungen in eine andere Richtung. Zum einen stellte sich heraus, dass es enorm aufwendig ist, eine neue Internetmarke aufzubauen, zu pflegen und in den Köpfen der Kunden zu verankern. Zum anderen nutzten nicht bloß junge Kunden den neuen Online-Kanal zum Shoppen, sondern vor allem bestehende und gestandene Kunden sahen sich mit dem neuen E-Kanal in die Lage versetzt, sich umfassend zu informieren und/ oder dem Channel-Hopping zu fröhnen. So hatte der virtuelle Laden My-World nur wenige Kunden und selbst nach mehrmaligen Änderungen der Sortimente kam das Unternehmen nicht aus der Verlustzone heraus, Schließlich sah sich Karstadt gezwungen, einen Auftritt unter dem bewährten Namen Karstadt einzurichten. Verschiedenste Händler haben mittlerweile ihre speziellen Webmarken aufgegeben. Douglas nennt ihren Auftritt nicht mehr „Douglasbeauty.de“ sondern schlicht „Douglas.de“. Der Möbelhändler „Möbel Walther“ hat seinen E-Shop von „Wetcomeliving.de“ auf „Waltherliving.de“ umgetauft. Aber nicht nur der Markenname muss einheitlich sein. Eine echte Multi-Channel-Marke ist vertikal und horizontal durchgängig harmonisiert und mit dem Uniform Resource Locator (URL) abgestimmt. Nichts ist schlimmer für das Unternehmensimage, als die vergebliche Suche einer Marke im Web. Auch das

115

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

kann der Grund für die Vereinheitlichung des Namens sein, der auch häufig mit einer Vereinfachung einhergeht. Die URL sollte völlig identisch mit dem Markennamen übereinstimmen. Es gelten hier die gleichen Anforderungen wie bei der Namensgebung bezüglich Prägnanz und Internationalisierungsfähigkeit. In alle Markenüberlegungen im Multi-Channel-Handel ist 1:1 die URL mit einzubeziehen.

3.5.3

Multi-Channel-Marken-USP als Markeninhalt

Die Marken der Katalog-Versender verfügen in der Regel über sehr differenzierende und relevante USP´s für den Katalogversandhandel. Online sind diese jedoch nicht differenzierend genug. Häufig fehlen in den E-Shops typische Internet-USP`s wie Sortimentskompetenz, Aktualität und Servicekompetenz.

 Sortimentskompetenz steht dabei für überragende Auswahl gegenüber OfflineAnbietern. Ein Beispiel hierfür ist ebay mit dem weltweit größten Produktangebot im C2C-Breich, die in Zukunft auch B2C anbieten wollen. Ein anderes Beispiel ist amazon in seinen Produktbereichen mit der größten Auswahl an B2C- und C2CSortimenten. Auffallend ist bei Beiden, dass Sie Dritten den Zugang zu Ihrer Plattform gewähren.

 Aktualität kann für zwei Sachen stehen. Zum einen für Neuheiten und Angebote, die einen Kunden zum häufigen Besuch der Site animieren. Beispiele sind Aldi, Media Markt und Tchibo mit jeder Woche einer neuen Aktionswelt oder Amazon mit seinen wöchentlichen Angeboten oder der Gold Box. Zum anderen steht Aktualität für Neuheiten und Themen. Beispiele sind bei Amazon die Vorbestellfunktionalität, die dynamischen Hitlisten und die Möglichkeit taggenau bei dem Themencontent einzusteuern.

 Servicekompetenz ist deutlich mehr als ein schneller und kulanter Kundenservice und gute Produktbeschreibungen und Fotos. Bei Service geht es um online Lieferversprechen, Ausliefergeschwindigkeit (Benchmark 48 Stunden außer Montags) und Einhaltung der Lieferversprechen. Bei Service geht es weiter um kompetente Fachberatung auf der Website und per mail wie Kundenrezensionen, technische Produktvergleiche, Zubehörlisten, dynamische Produktempfehlungen, Wunschlisten, Listmania oder ein Suchservice für seltene Titel. Als Beispiel lässt sich Shopping 24 nennen (Stand Februar 2004). Shopping24 ist heute eine führende Shopping Mall in Deutschland. Die offiziellen Eckdaten lauten 8 Mio. Artikel, 400450.000 Besucher/Monat und 170.000 Newsletter. Shopping 24 erleichtert Internetnutzern das Finden von Produkten, z.B. auf Werbeplatzierungen und über Browser- oder Suchoptionen. Der Kunde kann eine virtuelle Einkaufsberaterin „Atira“ einsetzen. Shopping 24 verlinkt Besucher auf Partnerseiten. Bei der Suche setzt Shopping24 die PangoraTechnologie (Bertelsmann) ein. Der Umsatz kommt aus der Vermietung von Werbeplätzen

116

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

und der Provision aus der Vermittlung von Kunden (Clicks). Erfolgsvergütungen ersetzen zunehmend Festmieten. Das Geschäftsmodell von Shopping24 ist vergleichbar mit dem der großen Portale (T-Online Shopping, Yahoo Shopping, Lycos Shopping oder MSN Shopping/ Kelkoo), deren Shopping Bereiche vom hohen Traffic der Portale profitieren, ohne selbst wesentlich Traffic beizusteuern. Gattungs-USP sind dabei vor allem die Produktauswahl sowie die Übersichtlichkeit/ Strukturiertheit der Suchergebnisse. Die Portale differenzieren sich wenig voneinander, wobei Kelkoo führend ist in der Auswahl – u.a. auch durch die Einbindung von einer Ebay-Suche -, gefolgt von Lycos (2 Mio. Artikel) und T-Online (1,5 Mio. Artikel). Yahoo und Shopping24 haben deutlich weniger Auswahl (< 500.000 Artikel). Die Shopping Bereiche bieten dem Kunden wenig echten Mehrwert, wie zum Beispiel finanzielle Anreize (Rabatte oder Einkaufsgutscheine), Content (Katalog, Produktvergleiche) oder Convenience (integrierter Warenkorb, Zahlungsfunktionalität). Ihre Bedeutung sowie auch die von Shopping 24 geht durch den wachsenden Marktanteil der Suchmaschinen (insb. Google inklusive Dienstleister) und der Affiliate-Plattformen (Zanox u.a.) zurück. Auf Sicht werden auch Amazon und Ebay zu direkten Wettbewerbern, da sie größere Händler auf Ihrer Plattform integrieren und somit eine Verlinkung über die Shopping Bereiche überflüssig machen. Bei Shopping24 fehlt die natürliche Besucherfrequenz eines Portals, die auch nicht durch die Anbindung an die Otto-Gruppe kompensiert werden kann. Zusätzlichen Traffic zu kaufen, z.B. mit online Werbung lohnt sich dabei nicht. Shopping24 müsste sich stärker von seinem Wettbewerb differenzieren, ein eigenständiges USP entwickeln und neue Wachstumsquellen erschließen. Besonders nahe liegend für Shopping24 ist der Auktionsmarkt. Dessen Attraktivität besteht in der Marktgröße und der Differenzierungsmöglichkeit zu Ebay, so zum Beispiel über USP-Profilierungspunkte wie Sicherheit, Service und Gebühren.

3.5.4

Externe Promotion der Multi-Channel-Marke

Für die Multi-Channel-Marke sollte die Präsenz in allen Suchmaschinen angestrebt werden, um den Namen möglichst bekannt zu machen und den Kunden zu ermöglichen, sie problemlos und ohne langes Suchen im Internet zu finden. Auch hier gilt natürlich die vorher dargestellte URL-Prämisse. Bannerwerbung gilt als sehr effizientes Mittel, den Bekanntheitsgrad zu steigern, wenn sie gezielt eingesetzt wird. Sie kann dem Kunden auch die Suche erleichtern und darüber hinaus gut neue Kunden anzuwerben helfen. Effizient ist auch der Austausch von Links, die dann auf den Websites von Partnern erwähnt werden. Auch sollte der Multi-Channel-Händler in E-MailServices präsent sein, damit die Kunden die Präsenz im Internet registrieren können (vgl. Schnetkamp 2001, S. 41ff.).

117

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Ebenfalls angeraten ist der Eintritt in die Internet-Gemeinschaft, damit das MultiChannel-Unternehmen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und Top-Platzierungen in Hitlisten besetzen kann. Auch die Präsenz in News Groups ist sinnvoll, um „von sich reden zu machen“. Das gilt vor allem für externe Promotions außerhalb des Internets, um die Multi-Channel-Marke zu bewerben. Wie bereits beim ersten Erfolgsfaktor dargestellt, müssen die internen und externen Werbekampagnen dabei unbedingt koordiniert werden. Darüber hinaus sollten „alle Werbeflächen“, d.h. auch Produkte und Publikationen der Marke, dazu genutzt werden, um die URL zu präsentieren. Jeder Kundenkontakt sollte für Promotion-Zwecke geprüft werden, vor allem der einzige physische Kundenkontakt, den der Handel mit dem Kunden hat, der Abgabe und Übernahme der Ware. Gerade im Distanzhandel werden hier häufig die größten Fehler gemacht, vor allem wenn die Zustelldienste outgesourcet sind und das Erscheinungsbild der Kontaktpersonen nicht mehr kontrollierbar ist. Mit entscheidend ist auch die Einflussnahme und das Standing bei Meinungsführern und Multiplikatoren, da diese zu einer guten Mund-zu-Mund-Propaganda beitragen. Einen Überblick über die Möglichkeiten der Internet-Promotion gibt Abbildung 3-35 (vgl. Schnetkamp 2001, S. 42ff.).

Abbildung 3-35: Möglichkeiten der Multi-Channel-Markenpromotion im Internet Quelle: Schnetkamp 2001, S. 42

Eigene Website

Andere kommerzielle Websites

InternetGemeinschaft

Außerhalb des Internets

118

-Informationen über Neuigkeiten im Internet-Shop (Shop-Thema) -Erfolge und Auszeichnungen der Website herausstellen -Aktive Promotion von Events auf der Website -Verkaufsförderungsaktionen -Präsenz in allen Suchmaschinen -Gezielter Einsatz von Bannerwerbung -Austausch von Links mit Partnern -Platzierung im Sponsoring und bei E-Mail-Services -Hoher Bekanntheitsgrad im Internet -Gute Platzierung in Hitlisten -Präsenz in News Groups -Status in der Internet-Gemeinschaft -Koordinierte Werbekampagnen -Internet-Adresse auf allen Produkten und Publikationen -PR bei externen Meinungsführern und Multiplikationen -Promotion durch Kundenkontakt bei Lieferung

Common Brand und Corporate-Design als Erfolgsfaktor Nr. 4

3.5.5

Voraussetzungen für eine Multi-ChannelPremiummarke

Im Zusammenhang mit der Umsetzung einer integrierten Multi-Channel-Marke stellt sich die Frage, inwieweit diese in möglichem Konflikt zu vertriebenen Premiummarken stehen kann. So ist eine „inside-out“-Orientierung im Sinne einer Ausrichtung der Markenführung an den Kompetenzen der Mitarbeiter eine notwendige Bedingung für den Markenerfolg. Darüber hinaus ist die Orientierung an den Bdürfnissen der Kunden erforderlich („outside-in“-Orientierung). Insofern müssen sich auch Premiummarken einerseits an den Kompetenzen und Ressourcen des Multi-Channel-Händlers orientieren, andererseits an den Erwartungen der Nachfrage ausrichten. Beide Anforderungen sind zentral für die Beurteilung der Eignung des Multi-Channel-Handels für Premiummarken (vgl. Burmann, Wenske 2006, S. 11). Hinzu kommt die wettbewerbsstrategische Bedeutung der Kanäle in Zukunft sowie der Marken-Kanal-Fit. Die Image-Ähnlichkeit zwischen Kanal und Marke kann dabei in Anlehnung an das eben beschriebene Imagetransfermodell von Meffert und Heinemann (vgl. Meffert, Heinemann 1990, S. 8) über denotative (sachbezogene) oder konnotative (symbolhafte) Assoziationen hergestellt werden. Diesbezüglich ist anzunehmen, dass im Falle einer Image-Inkongruenz zwischen Kanal und Marke kognitive Dissonanzen auf Kundenseite ausgelöst werden können, wodurch das Markenimage Schaden nehmen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Premiummarken von Begehrlichkeit leben, was für eine distributive Einschränkung spricht, andererseits von der Markenbekanntheit profitieren, was für eine möglichst breite Streuung möglicher „Brand Touch Points“ spricht. Beides ist dadurch zu bewerkstelligen, dass eine begrenzte Anzahl von Vertriebskanälen Anwendung findet, jedoch der Einsatz möglicher Kommunikationskanäle maximiert wird. Folgende Hinweise für die Ausgestaltung eines Multi-ChannelSystems bei Premiummarken können gegeben werden (vgl. Burmann, Wenske 2006, S. 12-14): 1. Sicherstellung der Kompetenzen und Ressourcen der markenführenden Unternehmung: Dieses gilt insbesondere für Kenntnisse der zukünftigen technischen Möglichkeiten neuer Kanäle sowie latenter manifestierter Nachfragebedürfnisse. Dabei geht es insbesondere um Veränderungen des Status Quo und den rechtzeitigen, systematischen Aufbau von Kompetenzen und Ressourcen oder die Kooperation mit anderen Händlern, falls wenig Zeit zur Verfügung steht. Das JointVenture von Primondo/ Quelle mit Bogner (www.bogner-Homeshopping.de) geht ganz klar in diese Richtung. 2. Berücksichtigung der anzusprechenden Kundengruppe und deren Bedürfnisse: Die Verwender von Premiummarken zeichnen sich vor allem durch Prestige-, Ästhetik- und Sensitivitätsorientierung aus (z.B. Gefühlsbetontheit). Die Prestige- und Ästhetikorientierung verbietet jedoch den Vertrieb über bestimmte Kanäle und Betriebstypen. Eine ästhetisch anmutende Darstellung einer Premiummarke ist in den meisten Lebensmittelmärkten oder Discountern nicht vorstellbar im Gegensatz 119

3.5

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

zu markeneigenen „Flagship-Stores“, wie sie zum Beispiel zunehmend im MultiChannel-Ansatz von Apple multipliziert werden. 3. Antizipation der wettbewerbsstrategischen Bedeutung der Kanäle: Für die meisten Premiumanbieter ist die Nutzung des Internet-Kanals mittlerweile unverzichtbar. Neben BOSS, Bogner und Douglas lassen sich auch die Mitglieder der Altagamma nennen, zu denen u.a. Bulgari, Fendi und Versage gehören und die ihre Produkte über eine gemeinsame Homepage vertreiben (www.altagamma.de). Dabei erfolgt wie bei inzwischen nahezu allen Top-Bekleidungsmarken der MultiChannel-Handel in Kombination mit eigenen Mono-Label-Stores, die nur die eigenen Marken führen, ergänzt um Lizenzsortimente (z.B. Mustang, Esprit, S Oliver, Puma, adidas etc.). 4. Sicherstellung des Marken-Kanal-Image-Fit: Die hohe Qualitätsanmutung und der symbolische Nutzen bei Premiummarken muss sich auch in den Kanälen und im Service wiederspiegeln. Als Beispiel sei das Call-Center genannt, das häufig outgesourcet betrieben wird und insofern ein „Hort der Inkompetenz“ darstellt. Wird allerdings bei derartigen „Brand Touch Points“ z.B. auch bei der Hauszustellung auf adäquate Positionierung geachtet, dann ist nach Ansicht der Fachexperten das Internet ein geeigneter Vertriebskanal für Premiumprodukte, was auch anhand der Zahlen nachweisbar ist (vgl. Bogner-Homeshopping). Bogner verkauft mittlerweile mehr Damenmäntel im Top-Segment über 8.000 € über Internet als über alle anderen Absatzkanäle. Voraussetzung ist allerdings, keine Kompromisse bei der Gestaltung des Online-Shops zu machen und auch hier den „FlagshipGedanken“ konsequent umzusetzen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Premiummarken sehr wohl MultiChannel-Handel für sich nutzen können und auch sollten. Die besondere Herausforderung ist allerdings darin zu sehen, einen „exklusivitätsfördernden Kompromiss“ zwischen Begehrlichkeit durch Knappheit einerseits und maximaler Bekanntheit andererseits zu finden.

3.6

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

Multi-Channel-Handelsunternehmen sind komplexe Gebilde. Das Ausmaß der Komplexität steigt in dem Maße, in dem Kunden Channel-Hopping betreiben. Dabei sind zunächst je nach Ausmaß der Kanalnutzung folgende drei verschiedene Typen von Konsumenten grundsätzlich zu unterscheiden (vgl. Schröder 2005, S. 157 ff.):

 Kunde nutzt nur einen Kanal: Konsistentes Kanalverhalten (Typ 1), z.B. Deckung des täglichen Bedarfs nur in stationären Geschäften. 120

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

 Kunde nutzt für bestimmte Produkte nur bestimmte Kanäle: Hybrides Kaufverhalten (Typ 2), z.B. werden Frischeprodukte ausschließlich stationär gekauft, Trockensortimente und Wein ausschließlich online bestellt.

 Kunde nutzt mehrere Kanäle je nach Situation: Multi-optionales Kanalverhalten (Typ 3), z.B. uneinheitliche Nutzung aller Kanäle für alle Arten von Produkten Im ersten Fall (Typ 1) ist eine isolierte Ausrichtung der absatzpolitischen Instrumente möglich, der Koordinationsaufwand ist folglich gering. Es bietet sich an, durch unterschiedliche Markierung der Kanäle eine Interaktion zwischen den Kanälen auszuschließen. Sinn und Zweck besteht hier vornehmlich in der Kundengewinnung. Liegt jedoch multi-optionales Kanalverhalten vor (Typ 3), entsteht ein erhöhter Koordinationsaufwand zwischen den Kanälen. In diesem Fall ist nicht nur ein einheitlicher Markenauftritt erforderlich, sondern ebenfalls ein Höchstmaß an organisatorischer Integration. Für einen typischen MultiChannel-Händler muss Typ 3 und damit der Fall des höchsten Koordinationsaufwandes angenommen werden. Das unterstellt die maximal mögliche Komplexität als Normalfall in Multi-Channel-Systemen, zumal Multi-Channel-Hopping mittlerweile zur Normalität geworden ist und jedes Multi-Channel-System bestimmt. In Bezug auf die Komplexität bemüht sich z.B. ein führendes Telekommunikationsunternehmen derzeit um eine radikale Vereinfachung seines Internet-Auftritts, um die Zahl der Online-Bestellungen zu steigern. Ein großer Tankstellenbetreiber stellt seit einiger Zeit Internet-Terminals in den Tankstellen ein, um Kunden die Chance zu geben, den neuen Internet-Shop zu testen. Demnach sind auch Schulungen und Roadshows Möglichkeiten, um die Kunden im „Learning-by-Doing“ an neue Kanäle heranzuführen und damit zumindest auf Kundenseite die „Outside-in“-Komplexität zu reduzieren (vgl. Schögel, Schuften 2006, S. 41). Der Erfolgsfaktor Komplexitätsreduktion in diesem Fall zielt aber vornehmlich auf die „Inside-out“-Komplexität des Multi-Channel-Unternehmens ab. Zentraler Erfolgsfaktor im Multi-Channel-Handel ist insofern ein nachhaltiges Komplexitätsmanagement, das zugleich die schnellstmögliche Abwicklung im Internet-Kanal sicherstellt (CycleTime-Reduction). Wesentliche Herausforderung besteht folglich in der maximalen Integration der Kanäle (Interkanal-Komplexität) einerseits, aber zugleich kanalspezifischen Sicherstellung der optimalen und schnellstmöglichen Arbeitsabläufe/ Prozesse in jedem einzelnen Kanal (Intrakanal-Komplexität) andererseits.

3.6.1

Reduzierung der Interkanal-Komplexität

Die maximal mögliche Integration der Kanäle erfordert eine frühzeitige Prüfung und Sicherstellung der organisatorischen Voraussetzungen. Wie aktuelle Studien zeigen, ist dieses der am meisten unterschätzte Schritt im Rahmen von Multi-Channel121

3.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Projekten. Die Ergebnisse dieser Studien sind in Abbildung 3-36 dargestellt. Demnach sehen potenzielle Multi-Channel-Unternehmen als kritische Erfolgsfaktoren vor allem das „Zusammenpassen der unterschiedlichen Absatzkanäle“, also deren Integrationsfähigkeit (23,9% sehr wichtig), sowie die „erhöhten Anforderungen durch Steigerung der Komplexität“ (19,6 % sehr wichtig) an. Es folgen „Anpassung der Unternehmensprozesse“ (13,3 % sehr wichtig), „Desorientierung der Konsumenten“ (11,4% sehr wichtig), Kannibalisierungseffekte zwischen den Kanälen“ (11,4% sehr wichtig) sowie „Anpassung der Unternehmensstrukturen“ (4,4% sehr wichtig).

Abbildung 3-36: Kritische Erfolgsfaktoren „Organisation und Prozesse“ Quelle: Wegener 2004, S. 217 Mittelwert Erhöhte Anforderungen durch Steigerung der Komplexität Anpassung der Unternehmensprozesse

19,6 13,3

Zusammenpassen der unterschiedlichen Absatzkanäle Anpassung der Unternehmensstrukturen

50,0 50,0

23,9

Kannibalisierungseffekte zwischen den Absatzkanälen

11,4

Desorientierung der Konsumenten

11,4

31,8

37,0

4,4

32,6

62,2

Sehr wichtig

31,8

4,9

2,2

neutral

2,2

9,0

2,4

15,9

2,5

36,4

34,0

relevant

2,7

6,5

24,4

40,9 18,2

4,4

26,0

3,0

nicht relevant

Zusammengenommen bilden organisatorische Aspekte folglich den mit Abstand wichtigsten Problembereich, weit vor absatzpolitischen Aspekten. Ein ebenfalls äußerst kritischer Erfolgsfaktor für ein erfolgreiches Multi-Channel-Management ist die Synchronisation der „gewachsenen“ Steuerungssysteme der Einzelkanäle. In den meisten Multi-Channel-Handelsunternehmen besteht ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Kanäle, was oft historisch bedingt ist. Der Lead-Channel ist vielfach der älteste Kanal, auch wenn er als Einzelkanal keine strategische Bedeutung mehr hat. Entscheidungen werden dabei häufig noch aus der „historischen Brille“ auch für die neuen Kanäle getroffen, obwohl diese dann aus „strategischer und innovativer Sicht“ suboptimal sind. Investitionen fließen deswegen tendenziell stärker in schon lange bestehende stationäre Kanäle und weniger in die innovativen, noch im Aufbau befindlichen Online-Kanäle. Daraus ergibt sich eine teilweise deutlich auseinanderdriftende Qualität der jeweiligen Kanalgestaltung (vgl. Wegener 2004, S. 216). Während es zum Beispiel zum guten Ton gehört, einen stationären „Flagship-Store“ einzurichten, was Millionensummen verschlingt, ist in vielen Handelsunternehmen auch heutzutage noch nicht vermittelbar, dass man auch über einen „virtuellen Flag-

122

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

ship-Store“ nachdenken sollte und dass es diesen nicht umsonst geben kann. Apple setzt diesen Gedanken bereits auf allen Kanälen konsequent um und erntet damit große Erfolge. Apple hat erkannt, dass der Kunde nur ein Markenversprechen realisiert und alle Kanäle nach dem gleichen Maßstab bewertet. Der Kunde empfindet nur dann ein konsistentes Bild, wenn es gelingt, die Investitionen in allen Kanälen gleichermaßen intensiv danach einzusetzen, wie es die kanalspezifischen Erfolgskennzahlen erfordern. Dabei geht es auch um andere Erfolgsgrößen als bisher angewendet, denn wenn der Internet-Kanal erheblich zur Kundenbindung und Bewerbung der anderen Kanäle beisteuert, muss dieses in entsprechenden Kriterien berücksichtigt werden. Das Spannungsfeld zwischen höchstmöglicher Homogenität und Integration der Kanäle gegenüber dem Kunden einerseits sowie minimierter Komplexität in den BackOffice-Prozessen andererseits, erfordert eine konsequente gedankliche Trennung. Im Vordergrund muss die Erkenntnis stehen, dass Multi-Channel-Handel zwei verschiedenartige Geschäftssysteme integriert, nämlich mindestens ein OfflineGeschäftssystem sowie mindestens ein Online-Geschäftssystem. Beide Geschäftssysteme sind völlig unterschiedlich zu managen, wie über Kostenstrukturen und Erfahrungsberichte dokumentierbar ist (vgl. Abbildung 3-37).

Abbildung 3-37: Kostenstrukturen Online versus Offline im Vergleich

Offline

Online

Kommentare Online

Umsatz

Preise im Schnitt niedriger

Wareneinsatz

Margendruck und Retourenproblem

Personalkosten

Hoher Automatisierungsgrad

Marketingkosten

Kundengewinnungskosten

Fixkosten

Geringere Bereitstellungskosten

EBIT

Profitabilität immer noch gering

Statt Personalführung und Intuition, wie in stationären Handelssystemen gefordert, sind im Internet- und auch Distanzhandelsgeschäft eher analytische und systematische Managementfähigkeiten gefragt. Das ist im Übrigen auch der wesentliche Grund dafür, warum für Karstadt die Übernahme von Neckermann 1976 „nach kurzem Rausch eine lange Zeit der Reue mit sich brachte“, wie sich der drei Jahrzehnte währende Versuch von Karstadt beschreiben lässt, neben den stationären Warenhäusern auch im Versandhandel tätig zu werden.

123

3.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

„Einheitlich nach vorne und getrennt nach hinten“ ist die Erkenntnis, die sich bei den Handelsexperten immer mehr durchsetzt. Demnach erfordert Multi-Channel ein geschlossenes Auftreten an der Kundenfront in allen „Front-Office“-Funktionen, um Verunsicherung auf Kundenseite zu vermeiden, jedoch ein getrenntes Managen im Back-Office, um den unterschiedlichen Kompetenzanforderungen Rechnung zu tragen. Die Kanäle sind folglich kompatibel-aber-getrennt zu managen. Das getrennte Management muss unter einheitlicher Führung stehen, die eine maximale Realisierung der Back-Office-Synergiepotenziale zwischen den Kanälen sicherstellt. Anreiz- und Führungssysteme sind in der getrennten Erfolgsverantwortung für die Kanäle unbedingt sicherzustellen, damit diese nicht gegeneinander arbeiten (kein „Kanalegoismus“). Als typische Zentralbereiche bzw. gemeinsame Abteilungen sind dabei die kundennahen Funktionen zu bündeln. Dieses betrifft idealerweise die Kommunikation inklusive Customer-Interaction-Center, um den Koordinationsanforderungen gerecht werden zu können, sowie das Brandmanagement, um das Markenversprechen einheitlich über alle Kanäle umzusetzen.

Abbildung 3-38: Geschäftssystemanforderungen im Multi-Channel-Handel

Front-Office „Channel als Profit Center“ Markenauftritt/ Positionierung

Geschäftssystem/ Erfolgsfaktoren

Kundenansprache/ Servicequalität

Kompetenzen/ Verantwortlichkeiten

Kundentransparenz/ CRM

Strukturen und Prozesse

Aktualität und Durchgängigkeit

Kernkompetenzen/ Fähigkeitsaufbau

„Channel-Hopping Möglichkeit“

Back-Office

One Company Approach

Single Company Approach

Aber auch das Customer-Relationship-Management und dazugehörige Kundendatenmanagement sind unbedingt „gemeinsam“, d.h. kanalübergreifend, zu managen. Dadurch wird das immer noch bei erschreckend vielen Multi-Channel-Unternehmen verbreitete Phänomen vermieden, dass in den verschiedenen Kanälen gleiche oder ähnliche Informationen über den Kunden (z.B. Demographie der Nutzer) gesammelt werden. Folge ist ansonsten eine enorme Redundanz an Kundendaten, deren Abgleich

124

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

einen immensen Systemaufwand bedeutet. Aber auch die Anforderungen der Kunden erfordern eine systematische Integration der Kundendaten, denn sowohl beim Channel-Hopping innerhalb eines Kaufprozesses, als auch zwischen unterschiedlichen Kaufvorgängen erwarten die Konsumenten, dass der Ansprechpartner im Unternehmen (z.B. Call-Center, stationärer Shop, Zusteller etc.) auf dem „aktuellsten Stand“ ist. Jede abgegebene Information muss an jedem Kontaktpunkt zur Verfügung stehen bzw. in die Kundenkommunikation einfließen (Wegener 2004, S. 216). Die entsprechenden Anforderungen an die Geschäftssysteme in Multi-ChannelSystemen sind in Abbildung 3-38 dargestellt. Gegenüber dem Kunden muss dabei über alle „Contact Points“ im Front-Office ein „One Company Approach“ sichergestellt werden, während in den Back-Office-Funktionen den Besonderheiten der Geschäftssysteme im „Single Company Approach“ Rechnung zu tragen ist. Es gilt, die kanalübergreifenden, strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Schlagkraft gegenüber den Wettbewerbern zu erhöhen und damit dauerhafte Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Dieses kann – ähnlich wie in Management-HoldingOrganisationen – über Zentralbereiche in der kanalübergreifenden Führungsorganisation erfolgen. Eine derartige Führungsorganisation ist in Abbildung 3-39 beispielhaft dargestellt.

Abbildung 3-39: Mögliche Führungsorganisation in Multi-Channel-Handelsunternehmen Geschäftsführung/ Vorstand Controlling

Finanzen

Steuern und Recht

Zentraleinkauf

Corporate Units (CU)

Marketing und Vertrieb Service Units (SU)

Absatzkanäle Einkauf/ Marketing/ BeschafBrandfung/ Mgnt./ WaWi CRM

HR/ KulturMgnt.

Kfm. Verwaltung

Controlling Vertriebskonzepte

Stationär- KatalogFilialen Versand

Ergebnisverantwortung nach Kennzahlenkranz

ZentrallagerLogistik



PR und MarktMarktforschung forschung

Einkaufs- VertriebsServices Services

Pro Kanal:

• • •

IT/ WWS

InternetVerkauf



KanalMarketing KanalVertrieb Feindistribution Service





... FacilityMgnt.

125

3.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Unter den Ressortzuständigkeiten der Unternehmensführung stellen die Corporate Units (CU) kanalübergreifend die Koordination, Integration und den Know-HowTransfer in den Bereichen CRM, Brand-Management, Warenwirtschaft sowie Einkauf und Beschaffung sicher. Service-Units (SU) unterstützen die Kanäle in den jeweiligen Funktionen. Die Kanäle selbst verantworten eigenverantwortlich das Kanalmarketing, den Kanalvertrieb, die Feindistribution/ Belieferungen sowie die Serviceabwicklung

3.6.2

Reduzierung der Intrakanal-Komplexität

In getrennter Managementzuständigkeit, ist unabhängig voneinander und den Grundregeln des jeweiligen Geschäftes folgend, die Komplexität in den Kanälen weitestgehend zu reduzieren. Multi-Channel-Händler sind angesichts des veränderten Marktumfeldes sowie der Kundenerwartungen an Zeit und Kosten mittlerweile in jedem Kanal dazu gezwungen, einerseits die Effektivität zu erhöhen und andererseits nachhaltige Effizienzschübe zu realisieren, um den anstehenden Herausforderungen standzuhalten. Diesbezüglich kommt zum Beispiel im Online-Handel der Geschwindigkeit der innerbetrieblichen Entscheidungs- und Arbeitsabläufe eine Schlüsselrolle zu. Der stationäre Händler muss begreifen, dass vor allem kundenorientierte Geschäftsprozesse und uneingeschränkte Kundenorientierung Erfolgsvoraussetzung Nr. 1 im Online-Handel sind. Schnelligkeit, Transparenz und Serviceorientierung sind allerdings Themen, die in der „Servicewüste Deutschland“ häufig erst noch gelernt werden müssen. Für Amazon sind Vorgaben im Customer Service wie beispielsweise „ein click zum Kaufakt“, „unter 24 Std. Durchlauf“ oder „E-mail in 24 Std. und Phone innerhalb 1 Minute“ selbstverständlich, nicht aber für ein typisches deutsches Filialunternehmen. Kriterien wie „mit drei Klicks zum Ziel“, „Rückruf nach maximal einer Stunde“, „Lieferung in maximal 48 Stunden“ sind „state-of-the-art“ im Online-Handel und Messlatte für jeden Quereinsteiger aus dem Stationärhandel. Dieser Anspruch ist nur erfüllbar, wenn durch eine prozessorientierte Neuausrichtung die Organisation schlanker, schneller und schlagkräftiger ausgestaltet wird. Hinzu kommt der Anspruch an eine kompromisslose Kundenorientierung, die infolge der drastisch verkürzten Kundenreaktionszeiten Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit ist und die Basis für Wachstumsdynamik bildet. Es ist erwiesen, dass die durch radikale Prozessoptimierungen hervorgerufene Durchlaufzeitenreduzierung eine Effizienzverbesserung zwischen 20 % und in einzelnen Fällen sogar über 60 % bewirken können. Diese ergibt sich u.a. aus erhöhter Lagerumschlagsgeschwindigkeit, Produktivitätssteigerung, Bestandsabbau sowie deutlicher Minimierung von Nicht-Verkaufsaktivitäten (vgl. Droege&Comp. 2000). Doch gelingt dieser Kraftakt nur, wenn nicht nur die Kostenstrukturen, sondern ebenfalls das gesamte Geschäftssystem auf die Anforderungen im Multi-Channel-Handel getrimmt wird. Gerade in filialisierten Einzelhandelsunter-

126

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

nehmen sind immer noch deutliche Ineffizienzen in Prozessen und Strukturen zu finden. Unzureichende Verzahnung der Kernprozesse, suboptimale Regelungen von Verantwortlichkeiten sowie strukturell bedingte Verzögerungen deuten in der Regel auf umfangreiche Verbesserungspotenziale hin. Im Rahmen der kundenorientierten Neuausrichtung sind alle Kernprozesse nach Zeit-, Qualitäts- und Kostenaspekten “in Frage zu stellen”. Ziel ist es, den Anteil an wertschöpfenden Tätigkeiten signifikant zu erhöhen, um so auf Kosten- sowie Umsatzseite Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die Prozessoptimierung hat “spitz” entlang der Kernprozesse in Marketing/Logistik, Zentrallagerlogistik, Distribution/Verteilung sowie Filiallogistik zu erfolgen. Diesbezüglich müssen alle Prozessabläufe auf ihren erfolgskritischen Kern hin untersucht und neu ausgerichtet werden. Barrieren, die eine reibungslose und effiziente Leistungserstellung verhindern, sind zu beseitigen. Dabei sind Sachbarrieren (z. B. unzureichende WWS-Instrumente), Prozessbarrieren (z. B. fehlende -WWS-Prozessverantwortung) und Kulturbarrieren (z. B. mangelnde Teamkultur) zu unterscheiden. Zu bedenken ist, dass die Kulturbarrieren mit deutlichem Abstand die höchste Wirkung haben.

3.6.3

Cyle-Time-Reduction

Ergebnis der Prozessoptimierung muss sein, dass die identifizierten Kernprozesse gestrafft und “Ersatzprozesse” konsequent eliminiert sind. Um langfristig den Erfolg der Optimierung sicherzustellen, ist es ratsam, den Stand der Barrierenbeseitigung in den Kern- bzw. Teilprozessen ständig zu messen. In Restrukturierungsprojekten hat sich diesbezüglich bewährt, an definierten Messstellen regelmäßig die zentralen Prozesstreiber “Durchlaufzeit”, “Hit-Rate” und “Termintreue” zu ermitteln. Anhand der Veränderung der Treiberwerte werden neue Barrieren identifiziert bzw. die angestrebte Prozessoptimierung aufgezeigt. Die möglichen und im Vorfeld definierten Resultate hinsichtlich z.B. Umsatz- und Kostenwirkung (20-40 %), Bestandsabbau (25-35 %), Produktivitätssteigerung (15-30 %) und Kundenzufriedenheit (30-50 %) stellen sich immer erst zeitversetzt ein. Die übersichtliche Darstellung und Dokumentation der aktuellen Werte von Prozesstreibern und Resultaten erlaubt die direkte Einbindung jeder Stufe in der Projekthierarchie. Im Laufe eines Restrukturierungsprojektes führt die Messung der Verbesserungen zu einer permanenten Leistungstransparenz und somit zur Motivation aller Beteiligten. “Cycle-Time-Reduction“ ist die zentrale Erfolgsformel für den Internet-Handel, wie in Abbildung 3-40 am Beispiel der „Customer-Supply-Chain“ von Amazon dargestellt ist. Erfolgreiche Multi-Channel-Unternehmen ziehen als Vergleichsmaßstab vor allem Kenngrößen von Wettbewerbern heran, d.h. sie führen ein externes Benchmarking anhand der drei Prozesstreiber durch. Das mit Priorität anzustrebende “Primärziel” 127

3.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

bleibt aber die theoretische Durchlaufzeit, also die reine Bearbeitungszeit im Optimalfall.

Abbildung 3-40:

Customer Supply Chain von Amazon

Quelle: H&P 2004

Website

Schnelligkeit

Angebot

Logistik

Customer Service

Marketing

< 24 Std Durchlauf

Ein click zum Kaufakt

Individiuelle Kundenführung

Sofort-Bestellbestätigung

Persönliche Antwort/ Verfügbarkeitsinfo

Stimmiger Preis

Einhaltung Lieferversprechen (Zeit/ Vollständigkeit)

Mit drei clicks zum Ziel

zum

Aktualität Übersichtlichkeit Beratung Personalisierung Selfservice

Risikominimierung (z.B. Reinhören)

Hauslieferung

Relevante, personalisierte Info Belohnung für Treue

E-mail in 24 Std, Phone < 1 Minute

LoyalityProgramme

Einfaches Retourenhandling

Individuelle Kaufvorschläge

Special: Call Center !

3.6.4

Prozesskostensenkung über Self-ServiveFunktionalitäten

Eng mit der Cycle-Time-Reduction zusammen hängt das Ziel der Prozesskostensenkung im Internet-Kanal. Die Automatisierungsmöglichkeiten in der Abwicklung eröffnen große Kostensenkungspotenziale im Vergleich zu den stationären Kanälen, so dass erfahrungsgemäß die Personalkostenanteile im Online-Shop erheblich niedriger liegen als im stationären Geschäft. Weitergehende Überlegung ist die ProzesskostenEinsparung über eine komplette Automatisierung der Prozesse durch sogen. SelfService-Funktionalitäten auf der Website. Diese machen es möglich, dass der Kunde selbst Interaktionen mit dem Unternehmen abwickelt, ohne dass ein Verkaufsmitarbeiter aktiv werden muss. Grundproblem bei der Nutzung solcher Self-Service-Module ist die Komplexität der Benutzerführung, die oftmals komplizierter ist als ein schneller Anruf im Call-Center. Die sich daraus ergebende Ablehnung des Self-Service kann aber durch Anreizsysteme überwunden werden. Es gilt die Daumenregel, dass die Höhe der Anreize umgekehrt proportional zu der Nutzungsfrequenz und proportio-

128

Complexity-and Cycle-Time-Reduction als Erfolgsfaktor Nr. 5

nal zu der Komplexität der Aufgabe ist. Folgende Anreiz-Beispiele für die Nutzung der Self-Service-Funktionalität lassen sich nennen (vgl. Laue 2004, S. 81):

 24/7-Verfügbarkeit des Internet vs. Call-Center  Kostenlose Kontoführung oder Brokerage-Konditionen  Geringere Versandkostenpauschalen  Nur im Internet exklusiv verfügbare Artikel  Sonderpreise für ausgewählte Produkte im Internet  Vermeidung des Anrufs kostenpflichtiger Servicenummern Abbildung 3-41: Typisches Online-Nutzungsverhalten ohne Anreize Quelle: Laue 2004, S. 87

Produktinformationen

Antragsbearbeitung

1/Tag

Einkauf 1/Woche Stammdatenpflege OnlineBanking

Nutzerfrequenz

Produktinformationen

1/Monat OnlineShopping

1/Jahr

Stammdatenpflege

0

20

40

60

80

Nutzeranteil Privatkunden

Gewerbliche Kunden / indirekter Vertrieb

129

3.6

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Man kann aber davon ausgehen, dass vor allem für den Informationsaustausch dann ein dauerhafter Anreiz gegeben werden sollte, wenn der Kunde die Self-ServiceModule nicht mindestens einmal pro Woche nutzt. Die Erfahrung zeigt, dass gewerbliche Kunden eine höhere Nutzung in Verbindung mit hohen Nutzungsfrequenzen haben als private Kunden. Private Kunden geben die Transaktionsvereinfachung (z.B. Online-Banking) sowie weitergehende Produktinformationen als Nutzungsgrund an, wie in Abbildung 3-41 dargestellt ist. Ein Teil der Nutzer wird aber auch stets SelfServicefunktionen ohne explizite Anreize nutzen. Es ist deswegen wichtig, die Erfahrungswerte für diese konstanten Nutzer zu sammeln, um die Kosten für Anreizsysteme den Einsparpotenzialen gegenüberzustellen. Die Frequenzsteigerungen können beträchtlich sein. Durch Entfall der Versandkostenpauschale werden erfahrungsgemäß die Transaktionszahlen um ein Vielfaches erhöht. Im Einzelfall sollte aber jede Maßnahme noch einmal nachkalkuliert werden (vgl. Laue 2004, S. 87).

3.7

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

Ein kompetentes Multi-Channel-Controlling gewinnt einen immer höheren Stellenwert und stellt sich mittlerweile als zentraler Erfolgsfaktor heraus. Die Aussagen, inwieweit Multi-Channel-Systeme zum wirtschaftlichen Erfolg einer Handelsunternehmung beitragen, sind widersprüchlich (vgl. Schröder, Schettgen 2006, S. 43).

3.7.1

Ergebnisrechnungsproblem

In vielen Fällen lässt sich jedoch nachweisen, dass Multi-Channel-Kunden durchschnittlich höhere Erlöse generieren als Einkanalkunden. Allerdings beruht dieser Effekt auf der Nutzung bestimmter Kanäle, wie Studien zu diesem Thema beweisen (vgl Schögel, Schuften 2006, S. 37). Diese kommen auch zum Ergebnis, dass Kanäle nur in bestimmten Leistungskategorien Mehrwerte für das Handelsunternehmen schaffen. Hinzu kommt, dass Multi-Channel-Systeme einen nachhaltigen Effekt auf die Kosten haben und zum Teil bis zu 40% der Gesamtkosten eines Handelsunternehmens ausmachen können. Multi-Channel-Handel führt insofern nicht automatisch zu wirtschaftlichem Erfolg, sondern es kommt darauf an, die Kanäle sorgsam fein zu steuern. Dieses stellt sich jedoch als besondere Herausforderung dar, da es sich jeweils um völlig verschiedene Geschäftssysteme handeln kann, die gar nicht ohne weiteres vergleichbar sind und völlig unterschiedliche Kostenstrukturen aufweisen. Eine Schlüsselrolle spielt im Multi-Channel-Controlling die Kundenperspektive und das Kunden130

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

verhalten. Es kommt darauf an, die richtigen Leistungen über die richtigen Kanäle den richtigen Kunden anzubieten und die entsprechenden Leistungen richtig zu bewerten. So setzt sich Im Multi-Channel-Handel zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Kunden unterschiedliche Kanäle entlang ihres Kaufprozesses nutzen bzw. miteinander kombinieren. Dabei kann man aus Kundensicht nicht mehr vom „richtigen Kanal“ sprechen, so dass folgerichtig auch immer weniger Multi-Channel-Händler ihre Kanäle differenzieren. Alle Leistungen über alle Kanäle anzubieten ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, wodurch allerdings die Komplexität und der Koordinationsaufwand steigen. Negativer Nebeneffekt ist die zunehmende Unterauslastung einzelner Kanäle, wodurch vielfach in Multi-Channel-Systemen trotz steigender Umsätze die Profitabilität zurückgeht (vgl Schögel, Schuften 2006, S. 37ff.). Nutzt zum Beispiel ein Kunde umfassend den Internet-Kanal ausschließlich als Informationsmedium, das dann ausschlaggebend für den Kauf im stationären Geschäft ist, verbucht die Filiale den Umsatz und hat den betriebswirtschaftlichen Erfolg, während der Internet-Kanal die Bereitstellungskosten für die Informationen tragen muss. Tödlich für ein Multi-Channel-System wäre es jetzt aber, eine reine ergebnisorientierte Spartenerfolgsrechnung zugrunde zu legen und damit den Internet-Kanal für die Kaufanbahnung „abzustrafen“. Dieses zu verhindern, hilft die wertorientierte Kundensteuerung.

3.7.2

Wertorientierte Kundensteuerung

Für eine korrekte betriebswirtschaftliche Bewertung der unterschiedlichen Kanäle und ihres Erfolgsbeitrages ist eine Orientierung am „Kundenvorteil“. Gelingt es zum Beispiel, die Kunden bei ihrer Kaufwahl und –nutzung dementsprechend zu beeinflussen, dass nicht ausgelastete Kanäle stärker genutzt werden, dann kann eine unvorteilhafte Kanalkombination und dadurch gestiegener Koordinationsaufwand reduziert werden. Während der Kundenvorteil den durch einen Kunden empfundenen Nutzenzuwachs durch eine Leistung darstellt, lässt sich der Kundenwert als Summe aller Beiträge des Kunden zur Erreichung der Multi-Channel-Ziele definieren. Beides steht in engem Zusammenhang mit dem sogen. Kundenleverage, der auch im Rahmen des CRM und der Kundenkartenkonzepte Anwendung findet. Da Kundenwerte nur durch Kundenvorteile entstehen können, muss dieser in Einklang mit den Unternehmenszielen gebracht werden. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 3-42 dargestellt (vgl. Schögel, Schuften 2006, S. 37ff.). Wichtig ist es allerdings, die Nutzenerwartungen der Kunden richtig zu erfassen und die Wertigkeiten der Kunden und ihre Migrationspfade zu ermitteln. Für die Kundenwertermittlung dienen dieselben Kundenbewertungsverfahren, die bereits im Rahmen des CRM beim Kundencut zu Grunde gelegt wurden. Die Messung der Nutzenerwartungen kann durch empirische Verfahren der Sozialforschung erfolgen. Dazu

131

3.7

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

zählen die kompositionellen oder dekompositionellen Methoden bzw. multivariate Analyseverfahren (vgl. Heinemann 1989, S. 170 ff.). Eine besondere Eignung ist diesbezüglich der Conjoint-Analyse zuzuschreiben. Die Ermittlung der Migrationspfade erfordert ein „Tracking“ des Kaufprozesses, wie es beispielsweise im Versandhandel über kodierte Bestellscheine üblich ist. Im Online-Handel werden dafür Cookies eingesetzt, um das Migrationsverhalten zu verfolgen. Ist dieses nicht möglich, können auch Kundenumfragen einen Beitrag zur Erfassung des Kanalverhaltens leisten.

Abbildung 3-42: Zentrale Komponenten der wertorientierten Kundensteuerung Quelle: Schögel, Schuften 2006, S. 37ff. Kosten durch Pull-Maßnahmen

Pull-Maßnahmen

Erhöhter Nutzen des Zielpfades Kanalausstattung

Kundenwert

Kosten Kontextfaktoren

Risiko

Kundenmigration in den Zielpfad

Steuerungserfolg

Lernanforderungen Soziale Relevanz

Kundvorteil

Verringerter Nutzen des Ausgangspfades

Push-Maßnahmen

Kosten durch Push-Maßnahmen

Sind Kundenwerte und Migrationspfade erfasst, können mit ihnen die Wertschöpfungspotenziale der Kundensteuerung abgeschätzt werden, wie in Abbildung 3-43 am Beispiel einer Informations-Kauf-Matrix dargestellt. Aus der Informations-KaufMatrix geht hervor, dass die Summe der Kundendeckungsbeiträge um 80 GE erhöht werden kann, wenn 20 Kunden des Migrationspfades Online-Shop/Katalog (Information/Kauf) in den Online-Shop (Information/Kauf) gesteuert werden könnten. Allerdings darf eine derartige Informations-Kauf-Matrix nicht isoliert und „mechanisch“ angewendet werden, da es sonst zu falschen Ergebnissen kommen kann. So können Erlösunterschiede zwischen verschiedenen Migrationspfaden auch z.B. auf unterschiedliche Kanalausstattungen oder Selbst-Selektionseffekte der Kunden zurückzuführen sein. Die Matrix ist um derartige Effekte zu bereinigen. Außerdem sind Veränderungen im Kaufverhalten der Kunden zu berücksichtigen.

132

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

Eine besondere Herausforderung ist es nun, den Kunden über eine Steigerung des erwarteten Nutzens zum Kanalwechsel zu bewegen. Dazu gibt es folgende Ansatzpunkte bzw. Nutzendimensionen (vgl. Schögel, Schuften 2006, S. 39):

 Ausstattung: Hierbei geht es um die Gebühren, das Leistungsniveau, die räumliche Nähe sowie zeitliche Verfügbarkeit der einzelnen Kanäle. Maßnahmen zur Steuerung des Kunden können dabei am Preisniveau, Sortimentsumfang, an der Servicequalität, dem Distributionsgrad sowie den Öffnungszeiten ansetzen.

 Gebrauchs- und Anschaffungskosten: Kosten dieser Art entstehen beim Kunden durch Telefonate, Kauf eines PC´s, die Internetnutzung sowie Koordinationskosten bzw. Opportunitätskosten. Ansatzpunkte sind hier die Einführung einer zentralen Kundendatenbank oder vergünstigte Online-Tarife wie beim E-Banking.

Abbildung 3-43: Wertschöpfungspotenziale in der Informations-Kauf-Matrix Quelle: Schögel, Schuften 2006, S. 39. Kauf

Information

Katalog

Online-Shop

Wettbewerb

Katalog

50 (11 GE)*

20 (13 GE)

20 (-6 GE)

Online-Shop

20 (10 GE)

60 (14 GE)

20 (-3 GE)

Wettbewerb

20 (11 GE)

20 (16 GE)

60 ( 0 GE)

* Von den Kunden des Segments, die über den Katalog gekauft haben, haben sich 60 im Katalog, 20 im OnlineShop und 20 bei Wettbewerbern informiert. Kunden, die sich im Katalog informiert und über diesen gekauft haben, generieren einen durchschnittlichen kundenbezogenen Deckungsbeitrag von 11 GE. Werden die Informationen im Online-Shop (bei Wettbewerbern) eingeholt, so beträgt der durchschnittliche Deckungsbeitrag 10 GE (11 GE).

 Risiko: Dieses ergibt sich aus Fehler- oder Sicherheitsrisiken, die z.B. Versandhändler dazu veranlassen, eine 128 Bit-Verschlüsselung im Internet mit anzubieten. Die Reduzierung von Prüfziffern reduziert darüber hinaus das Fehlerrisiko.

 Lernanforderungen: Diese Nutzendimension zielt auf die Kompatibilität, Komplexität sowie die Probierbarkeit ab. Diesbezüglich können Flagship-Stores zur Markenstärkung beitragen. Die Komplexität wurde bereits als eigenständiger Erfolgsfaktor behandelt.

 Soziale Relevanz des Ziel- oder Ausgangspfades aus Kundensicht: Die soziale Relevanz ergibt sich aus dem sozialen Wert des Kanals. Es ist heutzutage „in“, im Internet-Kanal einzukaufen, und man ist dementsprechend „out“, nicht dazuzugehören. Communities können helfen, den Identifikationsgrad zum Kanal zu erhöhen. 133

3.7

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Insgesamt ist es schwierig, generalisierte Gestaltungsempfehlungen für eine wertorientierte Kundensteuerung zu geben, da die Kontextfaktoren, die auf die Wirkung von Steuerungsmaßnahmen Einfluss nehmen, höchst unterschiedlich sein können. Folgende Kontextfaktoren sind zu unterscheiden (vgl. Schögel, Schuften 2006, S. 40):

 Kundenspezifische Faktoren: Werte, Einstellungen, Erfahrungen, Prädispositionen, Erwartungen, soziale Umstände.

 Situationsspezifische Faktoren: Zeitdruck, Tagesarbeit, körperliche Verfassung, soziales Umfeld, Life Events, Feiertage, Gesetzesänderungen.

 Unternehmensspezifische Faktoren: Image, Größe, Alter, Kanalvielfalt, Macht. Zusammenfassend stellt der Ansatz der wertorientierten Kundensteuerung eine wesentliche Basis für ein kompetentes Kanal-Controlling dar. Dazu ist es allerdings notwendig, das Multi-Channel-System nach Vorbild eines Netzwerkes auszurichten und zu managen.

3.7.3

Netzwerk-Controlling

Viele Multi-Channel-Systeme haben sich über die letzten Jahre evolutorisch weiterentwickelt und weisen zunehmend virtuelle Organisationsformen auf, die durch die Internet-Technologie möglich geworden sind. Als virtuell kann normalerweise eine Organisation bezeichnet werden, die in Form eines Netzwerkes von unabhängigen Akteuren an unterschiedlichsten Plätzen dieser Welt geteilt wird durch einen spezifischen, definierten Marktmechanismus. Es liegt weder interne Integration noch regionale Nähe vor, jedoch ein hoher Grad an Koordination von einem so genannten „Netzwerk-Führer“, der normalerweise eher am Ende der Wertschöpfungskette angesiedelt ist. Dies ist zum Beispiel der Fall bei den großen amerikanischen BekleidungsHandelsketten mit hohen Eigenmarkenanteilen, die nur direkt die Distributionsstufe kontrollieren, jedoch den beschriebenen Marktmechanismus nutzen, um ein internationales Netzwerk unabhängiger Lieferanten hinzuzufügen. Diese Lieferanten sind verschiedenen Stufen der textilen Pipeline zugeordnet und werden je nach Marktbedingung ausgewechselt (vgl. Salviolo, S., Testa, S. (2002) S. 66). Nike, Weltmarktführer bei Sportbekleidung, ist ein derartiger virtueller PipelineFührer. Wesentliches Merkmal der Nike-Produktion ist, dass die Produkte zu 100% von externen Zulieferern produziert werden, die von Nike als „Produktionspartner“ bezeichnet werden und überwiegend in Ost-Asien angesiedelt sind. Diese Lieferanten werden in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe besteht aus den Partnerbetrieben, die das fertige Produkt zusammenbauen, währen die zweite Gruppe das gesamte Netzwerk aus Material-, Komponenten sowie Sub-Fließband-Lieferanten beinhaltet. Die Partner der ersten Gruppe sind nochmals in drei Kategorien unterteilt, wie Abbildung 3-44 im Detail zeigt (Trott, P. 2005, S. 219; Donaghu, M., Barff, R. 1990, S. 537ff.): 134

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

 Entwickelte Partner: Flexible und mittelgroße Firmen, die für die Produktion der innovativsten und erfolgreichsten verantwortlich sind. Diese sind überwiegend in Taiwan und in Süd-Korea angesiedelt und arbeiten exklusiv ausschließlich für Nike.

 Volumen-Produzenten: Große Fabriken, die bis zum Einfärbprozess vertikal integriert sind und gewöhnlich nur ein einziges Produkt produzieren. Sie sind überwiegend in Süd-Korea lokalisiert, arbeiten jedoch nicht exklusiv für Nike.

 Zu entwickelnde Quellen: Produzenten in Thailand, China und Indonesien, die z.B. aus Kostengründen relativ häufig ausgetauscht werden. Diese Fabriken produzieren die meisten Basic-Artikel für Nike und arbeiten in der Regel dabei exklusiv.

Abbildung 3-44:

Netzwerk von Nike

Quelle: Trott 2005, S. 219; Donaghu, Barff 1990, S.537ff.

Locally sub-contracted materials and components

Components, materials And sub-assemblies from developed partners and Nike

Developed Partners (Taiwan, South Korea)

Developing sources (Thailand, China, Indonesia)

NIKE

Market

Specialty components, e.g. Nike airsoles Volume producers (South Korea) Internally developed materials and components,

Dabei haben sich die virtuellen Pipeline-Konfigurationen in einer spezifischen Wettbewerbsnische positioniert und sind vorzuziehen bei Standardqualitäten und kurzer Lebensdauer, soweit die Marktmechanismen weniger etabliert und vertrauensbasiert arbeiten, also in typischen Konsumgüterbranchen (vgl. Salviolo/ Testa 2002, S. 66). Die Verbesserungspotenziale liegen dabei vor allem in strategischen Ansätzen, die über die eigene Firma hinausgehen d.h. sogen. „Interfirmen-Strategien“ oder Netzwerkverbünden. Annahme ist, dass gerade die textile Kette vom Grundansatz her gut geeignet ist, durch derartige „Interfirmen-Strategien“, die weit über den Ansatz der vertikalen Kooperation hinausgehen, Wettbewerbsvorteile zu generieren. Die Implementierung derartiger Strategien zielt im Endeffekt darauf ab, in einem Netzwerk einen perma135

3.7

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

nenten Prozess eines „shared knowledge“ zu kreieren, der einen kontinuierlichen Innovationsprozess mit sich bringt. Dadurch kann wiederum ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil für das gesamte Netzwerk sichergestellt werden (vgl. Salviolo/ Testa 2002, S. 62). Einen solchen „shared knowledge“-Gedanken haben sich auch die erfolgreichen Multi-Channel-Händler zunutze gemacht. Diesem Gedanken liegt die Erkenntnis zugrunde, dass in einem Multi-Channel-System die Kanäle nicht als separierte Profit-Center agieren dürfen, da dadurch immer wieder einzelne Kanäle in Frage gestellt werden. Es geht darum, die Kanäle im Verbund als ein Gebilde zu betrachten, auf der anderen Seite aber durch kanalspezifische Controllinginstrumente die maximale Effizienz in den einzelnen Absatzkanälen sicherzustellen. Die entsprechende Multi-Channel-Architektur ist erfolgskritisch, um die sogenannte 3E-Falle zu vermeiden, d.h. unprofitable Investments bei gleichzeitigem Versuch „Everything to Everyone Everywhere“ zu verhindern. Der Schlüssel, um dieses zu verhindern, liegt zunächst in einer umsichtigen Analyse des wertorientierten Kanalverhaltens bzw. der entsprechenden Kundenpräferenzen einerseits und des bestehenden Multi-ChannelNetzwerkes und seiner Kostenwirkungen andererseits (vgl. McKinsey 2000).

Abbildung 3-45:

Manage your Channel as a Network

Quelle: McKinsey 2000, S. 6 Segments High value A

Stores 20

Channels* Phone

Mail

Online

10

40

30

10

20

10

10

30 To

High value B

40

Moderate value C

70

From

10

To: • Customer-driven cross-channel decision making • Resource allocation based on high-value segments usage and preferences

Implied Action:

• Investment in phone/ Low value D Average*

80

10

10

0

53

20

10

18

From: • Channel silo decision making • Bottom-up resource allocation based on channel usage and cost

Implied Action:

• Continued investment in dominant store channel

136

Web channels for appropriate stages of shop/ buy process

* Channel usage map, percent

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

Ein derartiges Vorgehen erfordert im ersten Schritt allerdings eine Umkehr vom gewöhnlich in Multi-Channel-Systemen vorliegenden „Silo-Denken“ hin zu einem verlinkten, interdependenten Managementansatz. Dieses bedeutet in der Konsequenz eine Transformation von den eher bottom-up-, kapazitäts- und kostengetriebenen Controllingansätzen hin zu einem Kunden-fokussierten „Cross-Channel“-Controlling. Dieser Ansatz ist in Abbildung 3-45 dargestellt. Die dabei aufgedeckten Lücken oder Überinvestments können dazu genutzt werden, um Migrationsschritte in Richtung einer Kunden-getriebenen, wirklichen Multi-Channel-Architektur einzuleiten. Damit gute Erfahrung gemacht hat zum Beispiel Gateway, wobei wichtig ist, die unterschiedlichen Kanal-Rollen genau zu definieren bzw. festzulegen und diese dann genau auf die speziellen Kundenbedürfnisse auszurichten. Gateway fand zum Beispiel heraus, dass 30 Prozent der Kunden Probleme beim Online-Kauf eines Computers hatten und eröffnete deswegen die Gateway Country Stores, in denen Anfängern die Möglichkeit zum Testen und Ausprobieren gegeben und ihnen spezielle Trainings angeboten werden. Die Läden halten keine Ware vor, so dass die Kunden ihre Ware online kaufen, wenn sie sich sicher fühlen. Der größte Anteil der Neuumsätze von Gateway wird mittlerweile durch die Stores initiiert, wobei eine große Anzahl der Käufer sich anschließend einem Computertraining unterziehen. Die erzielten Bruttomargen aus diesen Trainings tragen wesentlich zum guten Unternehmensergebnis bei. Erfahrungen besagen, dass mit einem derartigen Netzwerk-Controllingansatz Einsparungen im gesamten Multi-Channel-System von 15 bis 20 % möglich sein dürften. Darüber hinaus kann dieses auch zur Schließung von Filialen führen, weil bis zu 6% der Kunden und dabei vor allem die „Werthaltigen“ dazu tendieren, vom stationären Kauf zum Online-Kauf zu wechseln, wodurch sich die Profitabilitäten zwischen den Kanälen entsprechend verschieben können. Kompetentes Channel-Controlling hat dieses im Verfolg und bereitet die daraus resultierenden Entscheidungen vor.

3.7.4

Kundenbezogenen Deckungsbeitragsrechnung

In letzter Konsequenz ist in Multi-Channel-Handelsunternehmen ein Kundencontrolling erforderlich, an das für eine aussagefähige Erfolgsmessung und Erfolgsrechnung folgende Anforderungen zu stellen sind (vgl. Schröder 2005, S. 267):

 Kundendaten sollten in personalisierter Form zur Verfügung stehen, um eine Identifikation der Kunden und Kundengruppen zu ermöglichen.

 Es muss abgebildet werden, wie die Kunden ihre Käufe und sonstigen Aktivitäten auf die einzelnen Kanäle verteilen (Erlöse) und welche Ressourcen dadurch in welchen Kanälen in Anspruch genommen werden (Kosten).

 Die Kanäle sind miteinander zu vernetzen, so dass einheitliche Waren- und Kundendaten zur Verfügung stehen.

137

3.7

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-46: Kunden- Deckungsbeitragsrechnung für den Multi-Channel-Handel Quelle: Schröder 2005, S. 45

Kunde 458 787 654, Mayer, Fritz

Brutto-Umsätze - Kanalbezogene Rabatte = Netto-Umsätze - Warenkosten = Rohertrag - Werbekosten = Deckungsbeitrag 1 - Beratungskosten = Deckungsbeitrag 2 - Transportkosten = Deckungsbeitrag 3 - Kosten für Umtausch, Reklamation, Gewährleistung, Garantie = Deckungsbeitrag 4 - kanalbezogene Gemeinkosten (z.B. genereller Kundenrabatt) = Deckungsbeitrag 5

- kundenbezogene Gemeinkosten (nicht einzelkostenbezogen) = Kundenbezogener Gewinn

138

Kanal 1 (z.B. Stat. Laden)

Kanal 2 (z.B. Katalog)

Kanal 3 (z.B. OnlineShop)

Competent-Channel-Controlling als Erfolgsfaktor Nr. 6

 Geeignete und kanalspezifische Verrechnungsschlüssel sind für den Fall zu entwickeln, dass Kosten und Erlöse nicht direkt den Kunden oder Kanälen zurechenbar sind. Auf dieser Basis ist eine kundenbezogene Erfolgsrechnung zu installieren, die entweder nur auf Basis von relativen Einzelkosten oder zusätzlichen Prozesskosten gestaltet sein kann. Auf Basis von relativen Einzelkosten sind dem Bezugsobjekt Kunde alle Kosten und Erlöse zuzurechnen, die durch sein Bestehen und seinen Kauf bzw. seine Belieferung entstehen. Im Umkehrschluss kann man auch sagen, dass es sich um die Größen handelt, die wegfallen würden, wenn es ihn nicht gäbe. In Abbildung 3-46 ist ein Vorschlag dargestellt, wie sich einem Kunden die kanalbezogenen Umsätze und Kosten als Einzelgrößen zurechnen lassen. Diese Methode lehnt sich an die relative Einzelkostenrechnung von Riebel an (vgl. Schröder 2006, S. 44-46). Die Stufung der Kostenzurechnung orientiert sich an den Phasen eines Kaufprozesses in einem Multi-Channel-System, während die Mengengerüste auf die persönlichen Kundendaten zurückreifen. Dabei bleiben nach dem Deckungsbeitrag 5 Gemeinkosten übrig, die sich den Kunden nicht als Einzelkosten zurechnen lassen und die von allen Kunden zu decken sind, um einen Gewinn zu erzielen. Der wesentliche Kritikpunkt an diesem Ansatz, die Nichtzurechenbarkeit von Prozesskosten als Einzelkosten, führt zur Erweiterung dieser Methode um relative Prozesskosten. Dabei werden diese Kosten nach dem Grad der Inanspruchnahme des Prozesses durch den Kunden berücksichtigt. Hierzu müssen sowohl die kanalbezogenen als auch die kanalübergreifenden Prozesse abgebildet werden, wobei mit den kanalspezifischen Prozessen sehr unterschiedliche Kostentreiber abgebildet werden, da ja auch die Geschäftssysteme der Kanäle stark differieren. Vorteile der Einbeziehung dieser Prozesskosten ist, dass die Gemeinkosten der Kunden differenziert betrachtet werden können. Für die Implementierung der kundenbezogenen Erfolgsrechnung sind Voraussetzungen zu erfüllen, die in der Regel erst noch geschaffen werden müssen, wie z.B. kompatible IT-Infrastrukturen, Warenwirtschaftsysteme in den Kanälen, Organisation und Führung sowie vollständig personalisierte Daten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, steht der erfolgreichen Ausrichtung des Multi-ChannelSystems nur noch eine besondere Herausforderung bevor, die Lösung der kulturellen Hindernisse.

139

3.7

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3.8

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

So wie die Bedeutung informaler Strukturen für die Unternehmensführung und die Steuerung von Organisationen in der Betriebswirtschaftslehre lange Zeit vernachlässigt wurde, so wurden diese auch in der Erfolgswirkung für Multi-ChannelUnternehmen bislang unterschätzt. Man ging in den letzten Jahren überwiegend davon aus, dass Multi-Channel-Unternehmen formalisierte Systeme sind, die in ihrer Steuerung auf einer vollkommen transparenten Folie ihre Aufgaben und Ziele entwickeln können. Hand in Hand mit dieser Ansicht ging auch die Überzeugung einher, dass alles, was nicht planbar und organisierbar ist, auch nicht erfolgskritisch sein kann. Genau das Gegenteil muss aber für Multi-Channel-Systeme konstatiert werden. Ein Bereich der informalen Organisation, der zunehmend auch als „Soft-Factor“ charakterisiert wird, hat sich hier als absolut erfolgskritisch herauskristallisiert, nämlich die Unternehmenskultur (vgl. Schreyögg, Koch 2007, S. 330), die innerhalb eines Unternehmens auch zwischen verschiedenen Kanälen deutlich differieren kann. Darauf wird an späterer Stelle noch einmal genauer eingegangen. Der nach außen ausgetragene Konflikt zwischen „New Economy“ und „Old Economy“ in den Anfangsjahren des Internet-Hype, hat sich mittlerweile in die Unternehmen verlagert und ist dort immer noch latent wirksam. Als erfolgreich erweisen sich dabei die Multi-Channel-Handelsunternehmen, die den Spagat zwischen alt und neu bewerkstelligen und sich dieser besonderen unternehmenskulturellen Herausforderung in einem gestalterischen Sinne gestellt haben. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei die Integration der „New-Economy“- und „Old-Economy“-Kultur.

3.8.1

Integration „New Economy“- und „Old Economy“Kultur

Ohne Zweifel sind die Jahre 1998 bis 2000 als „Aufstieg und Fall der New Economy“ schon jetzt in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen. Um die unternehmenskulturellen Herausforderungen eines Multi-Channel-Unternehmens richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, die Lektionen der „New Economy“ zu verstehen. Den Boden für die neue Start-up-Generation bildete die öffentliche Freigabe des World Wide Web 1993 und der anschließende Börsengang von Netscape 1995, der als absolutes Erfolgsbeispiel gilt. In dieser Zeit erfolgten die Gründungen der „Treiber“ der New Economy wie u.a. Amazon und Yahoo. Im Jahre 1998 setzte dann zuerst in den USA und kurze Zeit später global die allgemeine Interneteuphorie ein mit zahlreichen erfolgreichen Börsengängen, genährt durch unzählige Presseberichte und explodierende Nutzerzahlen. Die „Goldgräberstimmung“ nahm ihren Lauf, jeder wollte einfach schnell reich werden und Tausende von sogen. „High Potentials“ folgten den Verfüh140

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

rungen der „New Economy“. Der Trend war „out of control“, das Weihnachtsgeschäft wurde in „E-Christmas“ umgetauft und der „Internet-Hype“ erfuhr schließlich seine Krönung mit der Übernahme des Mediengiganten Time Warner durch AOL im Januar 2000 für Aktien im Wert von 156 Mrd. US-Dollar (Schneider 2001, S. 25). Rund 5% an diesem Kuchen fiel damals auch für Bertelsmann ab, außerordentliche Erträge, ohne die Bertelsmanns „Old Economy“-Bereiche heute sicherlich nicht so rosig dastehen würden. Der Geldsegen bescherte dem Unternehmen nicht nur viele sorgenfreie Jahre, sondern seinen Jungvorständen schnelle und steile Karrieren, die in der „Old Economy“ so nicht denkbar gewesen wären. Die Überflieger der „New Economy“ setzten danach, gut unterfüttert von Sonderboni und Aktienoptionen in bis zu dreistelliger Millionenhöhe, zu einem nie da gewesenen Höhenflug an, der auch die Vertreter der „Old Economy“ ansteckte und Anlass gab, ihre Gehaltsforderungen nachzuverhandeln. Dann kam die Wende. Der „BigMacIndex“ der „New Economy“, die Aktie von Amazon, brach Mitte April 2000 nach widersprüchlichen Meldungen von Analysten ein, und der Zusammenbruch des „New Economy“-Kartenhauses nahm seinen Lauf. Im Frühjahr 2001 waren dann auch die letzten Stars der New Economy am Kapitalmarkt erloschen, nachdem sie ihre weit überhöhten Erwartungen deutlich zurückschrauben mussten. Insgesamt wurden im Zuge der „New Economy“ gigantische Werte geschaffen und wieder vernichtet, wie in Abbildung 3-47 dargestellt ist. Dem Aus für die Anleger folgte der Exodus der „High Potentials“. Klassische Vertreter der „Old Economy“, die dem Hype kritisch gegenüberstanden, sahen sich bestätigt (Schneider 2001, S. 25-27). Trotzdem fühlten sich einige gezwungen, im Laufe des Jahres 1999 hektisch auf den fahrenden Internetzug aufzuspringen, weil der Kapitalmarkt und vor allem kritische Analysten dieses forderten, nicht aber weil sie wirklich innerlich dahinter standen. Einige Vertreter der „älteren Generation“ geben gelegentlich im kleinen Kreis offen zu, noch nie einen PC bedient zu haben und eigentlich „mit dem ganzen Zeug“ nichts „am Hut zu haben“. Viele gestandene Handelsmanager halten damit aber „hinterm Berg“, um sich keine Blöße zu geben, und lassen ihre Sekretärinnen die PC´s bedienen. Nicht Wenige hegen immer noch ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber allem, was mit Computern und Internet zu tun hat, weil sie im Grunde auch nicht bereit sind, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Eigentlich handelt es sich um typische Schwellenängste, die sich mit den Ausstattungen eines Vorstandsbüros unbemerkt vertuschen lassen. Da sie sich aber, wie gesagt, unfreiwilligerweise mit der New Economy eingelassen haben, müssen sie sich mit diesem Thema irgendwie arrangieren. Dabei werden sie mit einer derartigen Einstellung gegen die Internet-Technologie niemals in die „Multi-Channel-Offensive“ gehen können.

141

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-47: Wertschaffung und –vernichtung am Neuen Markt Quelle: Schneider 2001, S. 25

Aktienwert aller Unternehmen am Neuen Markt in Mrd. € (Tertialsende) 251

Verfall um ca. 2/3

208

120 105 85 60*

58 45 26 *Mitte August 2001

1999

2000

2000

Das Misstrauen gegenüber dem Internet-Thema wurde sicherlich auch durch das Auftreten und die gelebte Kultur vieler „High-Potentials“ genährt, die sich schon wie die wahren Nachfolger von Bill Gates fühlten und sich mit der Höhe ihres „cash burns“ brüsteten. Der Verfasser kann sich noch gut an eine Situation erinnern, wo der Finanzvorstand von BOL mit Walkman und auf Inline-Skatern zum Dienst erschien. In diesen Jahren erlebten die mitternächtlichen Pizza-Dienste ebenfalls einen regelrechten Hype. Der in den Anfangsjahren nach außen ausgetragene Konflikt zwischen „New Economy“ und „Old Economy“ setzt sich folglich fort, diesmal allerdings nach innen und unausgesprochen in den Unternehmen. Dabei ist er nicht selten „im Stillen“ wirksam, bei Investitionsentscheidungen zum Beispiel, die erschreckend häufig immer noch gegen den Internet-Kanal getroffen werden. Es wird wohl in vielen Fällen noch Jahre dauern, bis diese „kulturelle Barriere“ überwunden ist und eine neue Generation Einzug gehalten hat, die ohne Schwellenängste in die technologische Offensive geht. Die Unternehmen, deren Führung aufgrund eines bereits eingeleiteten, echten Generationenwechsels diesen „inneren Hemmschuh“ schon jetzt nicht mehr hat, sind eindeutig im Wettbewerbsvorteil und werden kein Problem damit haben, „alle Register des Multi-Channel-Handels“ zu ziehen. Echter Generationenwechsel bedeutet in dem Fall, dass nicht die alten Entscheidungsträger in den Aufsichtsräten sitzen und von da aus das Thema weiterhin „ausbremsen“. Leider sind jedoch immer wieder „Kulturbarrie142

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

ren“ wirksam, die weitaus problematischer zu werten sind als Sach- oder Prozessbarrieren, wie in Abbildung 3-48 dargestellt (vgl. Droege&Comp. 1999). In den Unternehmen „ohne Kulturbarriere“ hat die „New Economy“ massive Investitionen und Restrukturierungen ausgelöst. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der „New Economy“ zeichnete sich bereits ab, dass E-Business sich auf breiter Front durchsetzen wird, allerdings vornehmlich im B2B-Bereich, da die Einsparpotenziale bei den Transaktionskosten schnell offensichtlich wurden. Die Entwicklung im B2CBereich und damit im Multi-Channel-Handel erfolgte zeitverzögert aus den genannten Gründen und weil die Umsatzseite auch für Berater immer sehr viel schwieriger abzuschätzen ist als die Kostenseite. Die traditionelle Trennung in „online“ und „offline“ wird mit dieser Entwicklung zunehmend irrelevant, da die Kanäle integriert werden. Als größte Hürde stellt sich dabei die kulturelle Integration der Absatzkanäle heraus. Dabei geht es vor allem um die Herausforderung, den kulturellen Fit zwischen den Absatzkanälen herzustellen.

Abbildung 3-48: Barrieren bei der Kanalintegration

Sachbarriere

Wirkungsfaktor

1

Prozessbarriere

Kulturbarriere

10

100

• Inkompatibilitäten in

• Unklare Prozessver-

Sortimenten • Fehlende gemeinsame Qualitätsstandards • Mangelnde Synchronisation der Investitionen • EDV-Schnittstellenprobleme • ...

verantwortlichkeiten • Fehlende gemeinsame Abstimmungsplattform • Unterschiedliche Entscheidungsmuster/ -regeln • Intransparenz der Erfolgspotentiale/ -messung • ...

• Unterschiedliche Denkmuster

• Divergierende Interessen/Motivationen • Ungleiche Werte und Normen • Konträre Spielregeln • ...

143

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

3.8.2

Kultureller Fit der Absatzkanäle

Der Begriff des kulturellen Fits wird sehr uneinheitlich verwendet. Gewöhnlich wird dieses Thema im internationalen Management mit der Frage verbunden, ob Landesbzw. Unternehmenskulturen zueinander passen. Dabei wird angenommen, dass die Aversion zur kulturellen Integration mit steigendem kulturellen Fit sinkt. Ist der Fit allerdings zu hoch, kann er auch zu einem Verlust an Synergieeffekten führen, denn die Ähnlichkeit lässt dann keine Veränderung zu. Bereich des M&A bzw. bei Firmenübernahmen wird der kulturelle Fit zwischen Unternehmen zunehmend als Erfolgsfaktor erkannt. Die Missachtung der kulturellen Dimension ist dabei auch wesentlicher Grund, warum die Mehrzahl aller Merger fehlschlagen. Die Misserfolgswahrscheinlichkeit von Übernahmen liegt zwischen 60 – 70 %, wie empirische Studien zu dem Thema zeigen (vgl. Droege & Comp. 2002). Die direkte Korrelation von „cultural fit“ und Akquisitionserfolg ist nachgewiesen. Dieses gilt insbesondere für die Akquisition eines bestehenden Internet-Geschäftes, um den Weg zu einem Multi-ChannelUnternehmen zu beschleunigen.

Abbildung 3-49: Entscheidungstabelle pro oder contra Kanalintegration Quelle: In Anlehnung an Zentes, Swoboda, Morschett 2003, S. 975 Ermitteltes Fit-Ergebnis erwünschter Fit

kein spezifischer

Ex ante notwendig?

Misfit

Ähnlichkeit

Kompatibilität

ja nein ja

Ähnlichkeit nein Kompatibilität

ja nein ja

Komplementarität

Optimaler Fit

144

nein

Entscheidung gegen Integration der Kanäle

Indifferent

Komplementarität

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

Es gilt aber auch für die Integration selbst aufgebauter Kanäle, da die akquirierten Internet-Fachleute den Geist der „New Economy“-Kultur eingehaucht bekommen haben, als sie bei den Stars des Internet-Hypes ihr Handwerkszeug gelernt haben. Selbst wenn sich das Outfit dieser „High-Potentials“ mittlerweile etwas geändert hat, so unterscheidet sich ihre „mentale-Kultur“ deutlich von denen der gestandenen, stationären Handelsmanager. Um den kulturellen Fit herauszufinden, hilft die in Abbildung 3-49 dargestellte Entscheidungstabelle. Mit ihr können die Absatzkanäle einer Kulturanalyse unterzogen werden. Annahme ist dabei, dass der kulturelle Fit kann nur auf Basis von drei Möglichkeiten bestehen kann, nämlich Ähnlichkeit, Kompatibilität und Komplementarität der Kanalkulturen (vgl. Zentes/ Swoboda/ Morschett 2003, S. 974).

 Ähnlichkeit bemisst sich an dem Ausmaß der Differenzen zwischen verschiedenen Kanal-Kulturen.

 Kompatibilität bezeichnet die Verträglichkeit bzw. Vereinbarkeit von KanalKulturen, auch wenn sie Distanzen aufweist.

 Komplementarität zielt auf das Ergebnis ab, das durchaus komplementär sein kann, auch wenn die Kanal-Kulturen völlig verschieden sind.

Abbildung 3-50: Typischer Verlauf eines Kulturwandels Quelle: Schreyögg, Koch 2007, S. 349

1. Die herkömmlichen Interpretations- und Handlungsmuster führen in die Krise

2. Es tritt Verunsicherung ein. Die Symbole und Riten verlieren an Glaubwürdigkeit und werden kritisiert

6. Die neue Kultur entfaltet sich mit neuen Symbolen, Riten usw.

3. „Schattenkulturen“ treten hervor oder eine neue Führungsmannschaft versucht, neue Orientierungsmuster aufzubauen

5. Wenn es den neuen Orientierungen gelingt, die Krise zu meistern, werden sie akzeptiert

4. Alte und neue Kulturen kommen in Konflikt

145

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Dabei kann angenommen werden, dass sich kulturelle Differenzen der Kanäle negativ auf eine Integration auswirken, während ähnliche Kulturen genau den gegenteiligen Effekt bewirken. Kulturelle Synergieeffekte können von den verschiedenen Kulturen zur Erreichung einer gemeinsamen „Cross-Corporate-Culture“ genutzt werden. Müssen allerdings die eben skizzierten drei Möglichkeiten verneint werden, liegt ein kultureller Misfit der Absatzkanäle vor. Die Vorraussetzungen für eine problemlose Integration der Kanäle liegen dann nicht vor und es muss anders entschieden werden. Die Entscheidung für oder gegen die Integration der Kanäle hängt dann von der Art des gewünschten Fits mit dem herausgefundenen Fit-Ergebnis ab (vgl. Zentes/ Swoboda/ Morschett 2003, S. 975-976). Wird ein Mis-Fit ermittelt, obwohl ein Fit erwünscht war, sollte aus kulturellen Gründen von einer Integration abgeraten werden. Andererseits sind die Kanalkulturen vernachlässigbar, wenn ex ante kein Fit der Kanäle erforderlich ist. Die Entscheidung für oder gegen die Kanalintegration wird dann vorrangig durch andere Faktoren bestimmt wie z.B. finanzielle oder strategische Gründe. Dabei liegt dann aus Kultursicht Indifferenz vor. Von einem optimalen Kultur-Fit der Kanäle kann gesprochen werden, wenn Übereinkunft zwischen erwünschtem Fit und FitErgebnis besteht. In einem solchen Fall ist es angeraten, die Absatzkanäle zu integrieren. Für das Erreichen einer erfolgreichen Integration ist dabei entscheidend, inwieweit sich ein kultureller Wandel einleiten lässt, dessen Schritte in Abbildung 3-50 dargestellt sind. Stimmen aber erwünschter Fit und Fit-Ergebnis trotz einer Ex-anteNotwendigkeit nicht überein, dann sollte die Entscheidung gegen die Integration ausfallen und ein multipler Channel-Ansatz (vgl. Ahlert 2003, S. 9) verfolgt werden (vgl. Zentes/ Swoboda/ Morschett 2003, S. 975). Von einer Komplementarität kann gesprochen werden, wenn das Fit-Ergebnis und der gewünschte Fit sich entsprechen.

Abbildung 3-51: Projektorganisation Kanalintegration

Kanal 1

Gemeinsames Führungsgremium

Kanal 2

Integrations-Büro

Moderator Top- TopTeams Teams Top- Teams (Integrationsteams) (Integrati(Integrati-

Spezialisten (bei Bedarf)

Integrations-Organisation

146

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

Das Management sollte dabei allerdings einer professionellen Organisation folgen und besser die Unterstützung einer erfahrenen Beratung einholen, als dem TED-Ansatz zu folgen, wonach die Kanalintegration im „Trial-and-Error-to-Death“ einem schnellen Ende zugeführt wird. Eine typische Projektorganisation für Integrationsprojekte findet sich in Abbildung 3-51 (vgl. Droege & Comp. 2002, S.8).

3.8.3

Gestaltungselemente der Kanalkultur

Für einen erfolgreichen Kulturwandel muss bekannt sein, was genau eine Kanalkultur ist und welche Elemente diese aufweist. Demnach ist die Absatzkanalkultur als ein System von Wertvorstellungen, Verhaltensnormen sowie Denk- und Handlungsanweisungen zu definieren, die das Verhalten von Mitarbeitern aller Stufen und damit das Erscheinungsbild eines Absatzkanals prägen (vgl. Meffert, Hafner 1987, S. 4 ff.). Hervorzuheben ist dabei der spezifische und unverwechselbare Charakter des Absatzkanals. Zum erweiterten Begriffsverständnis der Absatzkanalkultur gehören die Begriffsmerkmale Tradierbarkeit, Wandlungsfähigkeit, Vielschichtigkeit, Erfahr- bzw. Erlernbarkeit sowie Überindividualität (vgl. Meffert, Hafner 1987, S. 4 ff.).

 Tradierbarkeit: Die Ursprünge der Kanalkultur liegen in der Vergangenheit. Sie hat sich über längerfristige Zeiträume zu einem Meinungs-, Normen- und Wertegefüge für das Verhalten in der Gegenwart und Zukunft gebildet. Für den Internet-Kanal liegen die kulturprägenden Ursprünge in fast allen Fällen im InternetHype, während das Stationärgeschäft wie bei Karstadt und Kaufhof 125-jähriges Jubiläum feiert.

 Wandlungsfähigkeit: Die Kanalkulturen haben die Möglichkeit, sich an innere und äußere Einflüsse anzupassen. Die damit angedeutete Dynamik der Kanalkultur im Sinne einer Angleichung an die Kulturveränderungen der Unternehmensumwelt wird insbesondere im Zuge einer hohen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Dynamik zum dominanten Begriffsmerkmal. Vor diesem Hintergrund geht es heute vor allem darum, dass sich die stationären Kanalkulturen eher an die eher akademische Internetkultur anpasst als umgekehrt die Online-Kultur an die hemdsärmelige und „vom Bauchgefühl“ dominierte Stationärkultur, wie z.B. in den angloamerikanischen Ländern tendenziell bereits eher gegeben als in der deutschen Handelslandschaft.

 Vielschichtigkeit: Die Kanalkulturen setzen sich aus einem System verschiedener Sub- bzw. Teilkulturen zusammen, die branchenspezifisch oder funktionsbedingt differieren und sich wechselseitig positiv oder negativ beeinflussen. Die verschiedenen Ebenen der Kulturbetrachtung bzw. Kulturebenen sind in Abbildung 3-52 dargestellt. Dabei muss konstatiert werden, dass vor allem die Branchenkultur einen hohen Einfluss auf die nächsten Kulturstufen hat. Schon in einem einzigen Warenhaus sind seit jeher kulturelle Konflikte zwischen den „Heringsbändigern“ 147

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

auf der einen Seite und den „Textil-Verkäufern“ auf der anderen Seite an der Tagesordnung.

Abbildung 3-52: Ebenen der Kulturbetrachtung Quelle: In Anlehnung an Meffert, Hafner 1987, S. 5

Individualkultur Gruppenkultur Subkulturen im Absatzkanal Absatzkanalkultur Unternehmenskultur Branchenkultur Gesellschaftskultur Länderkulturen

 Erfahr- bzw. Erlernbarkeit: Die Kanalkulturen können über eine gewisse Zugänglichkeit und Verständlichkeit (z.B. Symbole) durch die Mitarbeiter identifiziert und in einem längerfristigen Prozess erkannt oder abgelehnt werden. Typisches Beispiel ist die in Internetkanälen verbreitete Duz-Kultur oder „schlipslose“ Kleiderordnung, was in den Warenhausetagen immer noch undenkbar wäre. Der Autor weiß von Fällen zu berichten, wo die Farbe des Anzuges, das Muster der Krawatte oder die fehlende Bügelfalte in der Hose zu unmittelbaren Sanktionierungsmaßnahmen geführt haben.

 Überindividualität: Eine Kanalkultur wird zwar immer auch entscheidend von einzelnen Persönlichkeiten mitgeprägt. Dabei handelt es sich in der Regel um die Unternehmens- bzw. Absatzkanalgründer, von denen sich die Kultur aber im Zeitablauf immer mehr löst und verselbständigt, bis sie überwiegend von Gruppeneinflüssen getragen wird. Es ist davon auszugehen, dass Gründer und „passionierte Visionäre“ wie Jeff Bezos bei Amazon seinen Mitarbeitern „nachhaltig“ den eigenen „Kulturstempel“ aufgedrückt haben. Gleiches gilt im stationären Geschäft für die charismatischen Unternehmerpersönlichkeiten wie zum Beispiel Jörn Kreke von Douglas oder Götz Werner von DM.

148

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

Die Absatzkanalkulturen sind in ihrer Gesamtheit nicht unmittelbar erfass- bzw. messbar. Erkennbar sind lediglich die Folgen und Erscheinungsformen des verhaltens prägenden Normen- und Wertegefüges. Dabei hilft auch das Modell von Schein, das in Abbildung 3-53 dargestellt ist. Demnach gliedern sich Kanalkulturen im Wesentlichen in drei Ebenen, und zwar die sichtbaren Symbolsysteme, die halb bewussten Normen und Standards sowie unsichtbare Basisannahmen (vgl. Schreyögg, Koch 2007, S. 333 ff.).

Abbildung 3-53: Schein`sches Kulturschema Quelle: Schreyögg, Koch 2007, S. 334

Symbolsysteme

Sprache, Rituale, Kleidung, Umgangsformen

Sichtbar, aber interpretationsbedürftig

Normen und Standards

Maximen, „Ideologien“, Verhaltensrichtlinien, Verbote

Teils sichtbar, Teils unbewusst

Basis-Annahmen

Umweltbezug Wahrheit Wesen des Menschen Wesen menschl. Handelns Wesen menschl. Beziehungen

Nicht sichtbar, meist unbewusst

Basisannahmen: Bestehen als unterste Ebene des Schein`schen Schemas aus einem Satz grundlegender Orientierungs- und Vorstellungsmuster („Weltanschauung“), die die Wahrnehmung und das Handeln in einem Absatzkanal prägen. Dabei handelt es sich um die selbstverständlichen Orientierungspunkte organisatorischen Handelns, die quasi automatisch und unbewusst verfolgt werden („ungeschriebene Gesetze“). Die Basisannahmen ordnen sich wiederum nach fünf klassischen Grundthemen (vgl. Schreyögg, Koch 2007, S. 334 ff.):

149

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

1. Annahmen über die Umwelt, die als grundlegende Vorstellungen in einem Absatzkanal über die Umwelt und das Verhältnis des Absatzkanals zur Umwelt charakterisiert werden können. Diese unterscheiden sich danach, ob die Umwelt (Wettbewerber, Lieferanten, Kunden, Kommune etc.) als bedrohlich, herausfordernd, bezwingbar oder z.B. übermächtig angenommen wird, was sich in allen möglichen Handlungsbereichen niederschlägt. Während der klassische stationäre Handel den Lieferanten grundlegend misstraut („der Gewinn liegt im Einkauf“), verfolgen die Online-Händler eher kooperative und vertrauensbasierte Formen der Zusammenarbeit mit Lieferanten. 2. Annahmen über die Wahrheit und Zeit bestimmen das Entscheidungsverhalten bei Unsicherheit, z.B. ob man sich eher akademisch oder pragmatisch verhält. Hinzu kommen auch moralische Aspekte, die Einfluss auf eine Entscheidung nehmen, sowie Verständnis von Zeit, ob alles zum Beispiel hektisch unter Zeitdruck oder eher ruhig und entspannt zu entscheiden ist. Tendenziell verfahren stationäre Systeme eher hektisch und pragmatisch, während die neuen Kanäle mehr akademisch und unter weniger Zeitdruck verfahren. 3. Annahmen über die Natur des Menschen betreffen vor allem den Mitarbeiterumgang und das Führungsverhalten. Dabei kann entweder grundlegendes Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern bestehen, was dann in einer Angstkultur mündet, oder aber die Führungskultur ist vertrauensbasiert, wobei dann die Mitarbeiter grundsätzlich für entwicklungsfähig gehalten werden. Im Gegensatz zu der eher partnerschaftlichen Führungskultur hat sich bei den klassischen Vertretern des stationären Handels überwiegend ein Angstklima etabliert. 4.

Annahmen über das menschliche Handeln betreffen Vorstellungen über Aktivität und Arbeit. Das betrifft insbesondere die Arbeitszeit und das Arbeitspensum. Hier verfolgen die stationären Kanäle eher streng geregelte Bahnen, während sich die Online-Kanäle immer noch durch ausgeprägtes „moonlightening“, also Lukubration, auszeichnen.

5. Annahmen über die Natur sozialer Beziehungen bezeichnet die ungeschriebenen Gesetze über die Beziehungen zwischen Individuen. Dabei geht es zum Beispiel um Emotionen (Wut, Trauer, Freude, Liebe), die entweder am Arbeitsplatz zulässig oder aber im Sinne einer sachlichen Atmosphäre eher verpönt sein können. Dieses betrifft das „Weltbild“ eines Kanals, das tendenziell emotionaler geprägt ist in den Online-Kanälen und eher sachorientiert erscheint in den traditionellen stationären Kanälen. Normen und Standards: Finden ihren Niederschlag in Wertvorstellungen und Verhaltensstandards. Typisch sind ungeschriebene Verhaltensrichtlinien, Verbote usw., was sich in Managementphilosophien, Führungsgrundsätzen oder Leitlinien manifestiert. Es geht aber nicht um bloß aufgeschriebene, sondern tatsächlich gelebte Grundsätze. In der Regel dürften derartige Normen und Standards eher in den stationären Syste-

150

Cross-Corporate-Culture als Erfolgsfaktor Nr. 7

men anzutreffen sein, da das Thema Personalpolitik hier stärker gewichtet wird (vgl. dazu auch die Fähigkeitsanforderungen). Symbole und Zeichen: Sind sichtbare Signale wie z.B. Unternehmensfarben, Logo, Kundenauftritt. Das Thema „Markenintegration“ muss vor allem diesen Aspekt der Kanalkulturen berücksichtigen. Aber auch Geschichten („stories“) und Legenden, etwa über den Firmengründer, gehören in diese Kategorie. Der Besuch eines Konzernchefs in der kleinen Filiale einer Mittelstadt bleibt ein unvergessliches Ereignis, über das noch jahrelang erzählt wird, vor allem, wenn der oberste Chef ähnlich wie vor 125 Jahren in einer preußischen Kompanie alle Mitarbeiter hat „stramm stehen lassen“. So wird von orangefarbenen Hubschraubern erzählt, mit denen der letzte „Warenhauskönig“ seine Filialen anflog, während die Hausleitung größte Mühe hatte, rechtzeitig den bevorzugten Wein für den Chef auf die richtige Temperatur runterzukühlen. Derartige Geschichten dürften aber in allen Kanälen an der Tagesordnung sein, denn wenn es in der „New Economy“ nicht mehr der orangefarbene Hubschrauber war, der nur für innerdeutsche Flüge eingesetzt wurde, so war es im Internet-Hype der Learjet über New York, oder die 84-Meter-Jacht im Mittelmeer, die als Schaltzentrale für das aufstrebende, aber noch virtuelle Milliardenunternehmen diente.

3.8.4

Möglichkeiten einer kulturellen „Kurskorrektur“

Das Kulturthema wird vielfach noch unterschätzt, ist aber Schlüsselfaktor bei der Kanalintegration. Liegt kein Kultur-Fit zwischen den Kanälen vor, dann besteht aber jederzeit die Möglichkeit zu einer „Kurskorrektur“. Namhafte Unternehmen, die mit ihren herkömmlichen Interpretations- und Handlungsmustern in die Krise gerieten, wie zum Beispiel IKEA mit dem Elch-Image oder C&A mit seiner „Klosterschülerkultur“, haben erfolgreich eine Kurskorrektur geschafft. Auf Grundlage einer Rekonstruktion und Kritik der Ist-Kultur, kann eine kulturelle Kurskorrektur initiiert werden. Die idealtypischen Phasen eines solchen Veränderungsprogramms sind in Abbildung 3-54 dargestellt (vgl. Schreyögg, Koch 2007, S. 351). Wichtigster Schritt einer derartigen „Kultur-Umentwicklung“ ist die Beschreibung und das Bewusstmachen der existierenden Kultur, wozu eine umfängliche Interpretationsleistung zu erbringen ist. Erst durch eine solche Rekonstruktion wird es möglich, den relevanten Teil einer Kanalkultur genauer zu analysieren und in allen Konsequenzen offen zu diskutieren. Aufgrund ihrer Komplexität und Nichtfassbarkeit ist eine vollständige planerische Neugestaltung „auf dem Reißbrett“ jedoch kaum möglich. Dieses ist für eine Kanalintegration jedoch auch nicht erforderlich, da es primär um das „verträgliche Zusammenarbeiten“ beider Kanäle sowie das Verhindern eines „Gegeneinanderarbeitens“ geht (vgl. Schreyögg, Koch 2007, S. 351).

151

3.8

3

Die 7C-Erfolgsfaktoren im Multi-Channel-Handel

Abbildung 3-54: Phasen einer kulturellen Kurskorrektur Quelle: Schreyögg, Koch 2007, S. 351

Phase

Diagnose

• Systematische Erfassung der kulturellen Ausdrucksformen

• Erschließung der zugrunde liegenden Basis-Orientierung Beurteilung

• Abschätzung der Wirkungen der Ist-Kultur • Ermittlung der Veränderungsbedürftigkeit

Maßnahmen

• Entwurf einer Kurskorrektur im Dialog mit den Betroffenen

• Einleitung von Interventionen • Bestärkung der Neuorientierung

152

4.1

Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel

4

Best Practices im Multi-ChannelHandel

4.1

Beispiele für erfolgreichen Multi-ChannelHandel

4.1.1

Best Practices mit stationärem Lead-Channel

Multi-Channel-Systeme sind differenziert zu bewerten, je nachdem, welcher Kanal dominiert. Die Erfolgskriterien für Multi-Channel-Unternehmen differieren danach, ob sie einen stationären oder nichtstationären Lead-Channel aufweisen und die anderen Kanäle eher unterstützenden Charakter haben, oder ob alle Kanäle gleichwertig nebeneinander stehen. Von „echten“ Multi-Channel-Systemen kann nur dann gesprochen werden, wenn die Absatzkanäle gleichberechtigt nebeneinander stehen. Im Folgenden soll zunächst von dem Fall eines stationären Lead-Channels ausgegangen werden, bei dem der neue Online-Shop überwiegend Supportfunktion für das stationäre Geschäft hat und der Online-Umsatzanteil in der Regel deutlich unter 10% liegt. Als Best Practices mit stationärem Lead-Channel können dabei nach Expertenmeinung The Gap, Comet, Tesco, Bogner-Homeshopping, Douglas und Apple angesehen werden, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Ansätzen:

 The Gap (www.gap.com) wurde 1969 mit einem ersten Gap-Shop in San Franzisco gegründet und ist heute weltweit größter Bekleidungseinzelhändler mit einem Umsatz von 15,8 Mrd. $. Zu Gap gehören auch die Marken Banana Republic, Old Navy sowie Piperlime. Der Internet-Verkauf wurde in 1999 mit BananaRepublic.com gestartet. In 2000 wurde der Internet-Kanal um Oldnanvy.com und Gap.com erweitert. Unter Gap.com wird auch die Maternity-Kollektion vermarktet. Im Online-Handel erzielte Gap im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatzzuwachs von rund 24% auf 903 Mio. $. Dieses entspricht einem Geschäftsanteil von 5,7%. Gap stellt in seinem Multi-Channel-Konzept kanalspezifische Kundenelemente heraus. Der Erfolg begründet sich hier auf das Verständnis der Zielgruppe in den unterschiedlichen Kanälen und die entsprechende Anpassung des Angebotes, z.B. mit dem Maternity Shop oder dem Online Sales. Darüber hinaus werden spezifische Anreize gegeben, andere Kanäle zu nutzen, z.B. in Form von Gutscheinen oder speziellen Preisen und Promotions.

153

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

 Comet (www.comet.co.uk) wurde 1933 in Hull gegründet und gehörte zwischen 1984 und 2003 zur Kingfisher-Gruppe. Das Unternehmen ist zweitgrößter Einzelhändler für Elektroartikel in UK mit rund 2,3 Mrd. € Umsatz und einem stark wachsenden Online-Kanal, der nach Besuchen auf Platz 1 aller „Elektro-Websites“ steht. Neben über 250 stationären Filialen werden 15 logitische Zustellplattformen betrieben, über die 1,3 Mio. Haus-Zustellungen im Jahr erfolgen. Der Anteil des Online-Shops am Gesamtumsatz liegt bei annähernd 4% mit steigender Tendenz. Dabei schafft es Comet, sich online über exzellente Service-Levels gegenüber den Wettbewerbern zu differenzieren. Als einziger Elektro-Anbieter werden auch online optionale Installationen angeboten. Zudem wird eine klare „Preis-Botschaft“ über den Internet-Kanal gegeben, indem Comet eine Preisgarantie im Vergleich zu den acht größten Online-Wettbewerbern gibt. Schließlich nutzt Comet den Internet-Kanal auch für Auktionen, über die Lagerverkäufe stattfinden. Fast 35% der Räumungsverkäufe werden bei Comet auf diese Weise abgewickelt.

Abbildung 4-1:

Geschichte von Tesco.com

Quelle: OC&C 2005 Tesco.com History Oct: JV with Grattans announced to provide extended ranges via catalogues. Initial ran-ges are Gift + Baby& Toddler but may expand to include clothing and DIY

Tesco.com officially set up as 100% owned subsidiary

1998 Online grocery shopping properly launched after 3 year trial period. Intiial coverage of 135 stores and 45% of UK Population Non-food ranges include, finance and Baby & Toddler and Home-wares provided by Grattan

Sept: Electricals range increased in direct competition to Dixons and Comet. Order fulfilment provided by Grattan

1999 Non-food range expanded considerably with the addition of Books, CDs, VHS and DVDs

Mar: Musical Instruments introduced

2000 Sep: JV announced with Safeway in the USA to operate Tesco.com model there

May: Shoppers able to redeem Clubcard points online

May: Baby and Toddler ranges removed

2001

2002

Jan: Safeway JV starts operating

Mar: “Marketplace”, a shopping portal to showcase non-food ranges launched on tesco.com. Robert Dyas and Whittard are early retailers to utilise the service

International Products / Range General

Feb: Wines Direct increased wine range introduced

2003 Aug: Travel services introduced in conjunction with Lastminute.com

Jun: DVD postal rental service introduced in conjunction with Video Island

2004 Nov: Digital Music Download service started

 Tesco (www.tesco.com), größter Lebensmitteleinzelhändler in UK, ist im abgelaufenen Geschäftsjahr wieder zweistellig mit über 11% gewachsen und hat dabei im Umsatz die 63 Mrd. €-Grenze überschritten. Davon wurden rund 54% im Ausland mit Schwerpunkt Europa und Asien erzielt. Tesco.com startete offiziell in 1999 nach 2 Testjahren und hat sich zu einer Erfolgsstory entwickelt. Wie Abbildung 4-1 zu entnehmen ist, wurde der Online-Kanal systematisch und strategisch mit hohen 154

Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel

Investitionen aufgebaut. Mittlerweile beträgt der Online-Geschäftsanteil gut 3,3% mit über 2,1 Mrd. € Umsatz, ist also in 2007 um 31% gewachsen. Die „Operating Margin“ des Online-Shops übersteigt mit 7,8% deutlich das Konzernergebnis in Höhe von 6%. Starke Säule des Online-Kanals ist das Non-Food-Sortiment, das mit den stationären Sortimenten harmonisiert wurde und aus mittlerweile 11.000 Artikeln besteht. Die Bestellungen können sowohl online als auch per Telefon oder in ausgewählten Filialen aufgegeben werden. Die Ware kann dabei optional nach Hause geliefert, oder in rund 200 Geschäften abgeholt werden. Dabei wird auf extrem kurze Durchlaufzeiten und hohe Servicelevels geachtet. Wesentliche Säule des Online-Erfolges ist das exzellente Kunden- und Datenmanagement von Tesco, bei dem der weit penetrierten Tesco-Clubcard eine Schlüsselrolle zukommt. Als dritter Kanal wurde in 2007 das Katakoggeschäft mit Tesco Direct etabliert, das mit 7.000 Katalogartikeln annähernd 240 Mio. € Umsatz erzielen konnte.

 Bogner-Homeshopping (www.bogner-homeshopping.de) stellt eine hervorragende Ergänzung zu den 50 eigenen Lifestyle-Stores und ca. 1600 Handelspartnershops dar, mit denen Bogner über 200 Mio. € Umsatz erzielt. Als dritter Kanal wurde ein Magazinkatalog herausgebracht, der neueste Lifestyleinfos vermittelt und detaillierte Produktbeschreibungen für seine Premiumprodukte bietet, für die es „auf allen Kanälen“ eine Bestellmöglichkeit gibt. In enger Abstimmung mit dem Magazinkatalog werden exklusive Angebote auch im Online-Lifestyle-Shop mit Drei-D-Animation dargestellt. Bogner gelingt es dabei z.B., auch DOB Damenjacken im Top-Premiumsegment über acht tausend Euro als „Renner“ zu positionieren und kann insofern als hervorragendes Beispiel für einen „Lifestyle-MultiChannel“-Ansatz angesehen werden, der auch von den Geschäftszahlen her zu einem großen Erfolg geworden ist. So erzielte der B2C-Distanzhandel unter BognerHomeshopping im abgelaufenen Geschäftsjahr fast 50 Mio. Euro Umsatz und damit einen Geschäftsanteil von deutlich über 20% an der Bogner-Gruppe. Trotz des relativ hohen Geschäftsanteils gilt Bogner allerdings deswegen nicht als „echter“, d.h. vollintegrierter Multi-Channel-Händler, weil Bogner-Homeshopping.de als Joint-Venture mit Primondo/ Quelle betrieben wird.

 Douglas (www.douglas.de), stärkste Sparte der Douglas-Holding AG und deutscher sowie europäischer Marktführer im Parfümeriemarkt, hat im abgelaufenen Geschäftsjahr ca. 1,7 Mrd. € Umsatz erzielt, davon gut 0,9 Mrd. Euro in Deutschland. Der Online-Umsatz stieg dabei um 20% auf fast 23 Mio. €, was einem Anteil von rund 1,3 % entspricht. Dem Internet-Kunden steht zum einen das gesamte Sortiment an Duft- und Pflegeprodukten zur Verfügung. Ferner erfreut sich auch das Dessous- und Wäschesortiment im Online-Shop offensichtlich wachsender Beliebtheit, ebenso wie das Online-TV, das jeden Dienstag eine neue Folge des Douglas-TV ausstrahlt. Diese innovative Möglichkeit, die Vorzüge von speziellen Marken oder besonderen Produkten im Internet herauszustellen, soll weiter ausgebaut werden, wie im letzten Geschäftsbericht angemerkt wird. Der Internet-Kanal von Douglas zeichnet sich durch eine exzellente Kommunikation der Online-Marke 155

4.1

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

aus. Erfolgsfaktoren sind hier die einheitliche Kommunikation der Markeninhalte über alle Kanäle und die Nutzung der verschiedensten Kommunikationselemente wie TV/ Print, Online und Direkt Marketing. Hinzu kommt das exzellente Handling der Kundenkontakte im Online-Prozess, wie z.B. beim Lieferschein, der Rechnung oder der Verpackung. Damit gelingt es Douglas, das besondere stationäre Kauferlebnis auch auf den Internetkanal zu übertragen. Hinzu kommt das enorme Multi-Channel-Vermarktungspotenzial, das die inzwischen mehr als 6 Millionen Inhaber der Douglas-Card ermöglichen und Douglas für die Migration zu einem „echten“, vollintegrierten Multi-Chanel-Händler prädestiniert erscheinen läßt.

 Apple (www.apple.com) gilt als Pionier der PC-Branche und hat sich in der Designwelt einen legendären Ruf erarbeitet. Um seinem Image auch im Vertrieb der Produkte gerecht zu werden, ist Apple vor wenigen Jahren mit einem eigenen Direktvertrieb und der Eröffnung eigener Apple-Stores gestartet. Ende 2007 wurde in München der erste deutsche und weltweit hundertfünfundachzigste „iconic flagship store“ eröffnet werden, der eine ähnliche architektonische Meisterleistung darstellt, wie die „Flagshipstores“ in New York, London und Paris. Die Shops sind vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche geöffnet und verfolgen das Ziel, der „apple“-Gemeinde auch eine stationäre Möglichkeit des „Touch & Feel“ sowie des Kaufs zu geben. Die Shops arbeiten hochprofitabel und haben im letzten Geschäftsjahr rund 4,1 Mrd. $ umgesetzt. Das sind über 23 Mio. $ Umsatz pro Store und fast ein Fünftel des Apple-Umsatzes, der im letzten Jahr auf über 24 Mrd. $ gestiegen ist bei rund 21% „Operating Margin“. Mit der Leitlinie „Flagshipping auf allen Kanälen“ wurde der E-Shop ebenfalls als Flagshipstore gestaltet, um die ultimative Pflege der „apple-commuity“ auf allen Kanälen sicherzustellen. Es wird geschätzt, dass der Internet-Shop von Apple mehr als 10% Umsatzanteil erzielt. Dennoch ist das Multi-Chanel-Konzept noch nicht voll integriert, was wahrscheinlich aufgrund der Drittvermarktung an Händler schwierig (aber nicht unlösbar!) sein dürfte.

4.1.2

Best Practices mit „echtem“ Multi-Channel-System

Historisch bedingt gibt es bei den meisten Multi-Channel-Unternehmen immer noch ein Ungleichgewicht in Hinblick auf die Bedeutung der einzelnen Kanäle. Daraus resultiert eine teilweise deutlich auseinanderdriftende Qualität der jeweiligen Kanalgestaltung. Allerdings realisieren die Kunden nur ein einziges Markenversprechen und bewerten alle Kanäle nach gleichem Maßstab. Sie empfinden nur dann ein konsistentes Bild, wenn es dem Multi-Channel-Unternehmen gelingt, die Investitionen in allen Kanälen gleichermaßen intensiv danach zu allokieren, wie es die kanalspezifischen Markenwerte erfordern (vgl. Wegener 2004, S. 216).“Echte” Multi-ChannelSysteme liegen vor, wenn die Kanäle gleichberechtigt nebeneinander stehen und die “gewachsenen” Steuerungssysteme der Einzelkanäle synchronisiert werden. Dieses 156

Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel

äußert sich u.a. auch in nennenswerten Online-Umsatzanteilen und/ oder weit überdurchschnittlichen Zuwachsraten des Online-Geschäftes. Dabei muss konstatiert werden, dass echte Multi-Channel-Konzepte fast nur im englischsprachigen Raum anzutreffen sind, wie eine Studie von OC&C aus dem Jahre 2005 bestätigt (vgl. OC&C 2005). Dabei können sechs „echte“ Multi-Channel-Systeme identifiziert werden. Bis auf eine Ausnahme, die restrukturierungsbedingt ist, erzielen die beschriebenen Multi-Channel-Händler deutlich zweistellige Wachstumsraten auf Basis des CAGR (Cumulated Average Growth Rate), zwei von ihnen sogar über 30% nach CAGR. Bemerkenswert bei allen gezeigten Erfolgsbeispielen ist, dass die „echten“ Multi-ChannelAnbieter kaum weniger als 10% „Operating Margin“ trotz ihres enormen Wachstums erwirtschaften.

Abbildung 4-2:

Umsatzanteile „echter“ Multi-Channel-Konzepte

Quelle: Company Annual Reports 2007-2008, Factiva, OC&C 2005

Argos Williams Sonoma White Company

57%

17%

40%

35%

JC Penney

26%

16%

84%

8%

49%

41%

% Retail

21%

25%

76%

Next

Lakeland

6%

73%

% Mail-Order

8% 8% 10%

% Internet

In Abbildung 4-2 sind die Umsatzanteile der sechs ausgewählten Best Practices aus UK/ USA nach Bestellwegen, also Stationär/ Retail, Versand/ Mail-Order und Internet, dargestellt. Die Zahlen wurden den aktuellen Geschäftsberichten aus 2007 - 2008 entnommen. Die besten Konzepte der Multi-Channel-Player zeigen einen hohen Integrationsgrad zwischen den Kanälen. Der „customer proposition“ zwischen den Kanälen ist annähernd identisch in Bezug auf Preispolitik, Kernsortimente und Servive-Levels. Obwohl Migrationen vom Print-Katalog- zum Online-Shop stattfinden, arbeiten beide Kanäle mit hoher Komplementarität zusammen und ergänzen sich hervorragend. Dabei wächst der Online-Kanal deutlich schneller als die anderen Kanäle. Er ist in den Augen der Kunden eine kostengünstige und angenehme Bestellmöglichkeit. Die erfolgreichen Multi-Channel-Anbieter nutzen neben der hohen Integration die spezifischen

157

4.1

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Vorteile der unterschiedlichen Kanäle durch „maßgeschneiderte“ Kanalangebote. Im folgenden sollen die sechs ausgezeichneten Multi-Channel-Unternehmen kurz charakterisiert werden (vgl. OC&C 2005 mit Aktualisierung nach Recherche):

Abbildung 4-3:

Multi-Channel-Netzwerkarchitektur von Argos

Quelle: OC&C 2005

Ordering / Payment

Selection/Browsing Internet

Catalogue numbers can be entered into website

Catalogue

Browse



Delivery of Product

Order

Home Delivery Network

Website (www.argos.co.uk)

Large proportion of internet users use catalogue for browsing / idea generation

Catalogue

Store

Phone Order Store Pick Up Order online or phone store directly for reserve and pick up (c.7% of sales) Stock Availability can be checked from in-store “browsing kiosks

Identical catalogue is source of information instore

Browse

Catalogue numbers clearly identified for every product for noting down

Orders placed in-store can be delivered at home (c.10% of sales)

Introduction of Self-Pay Kiosks allows payment by customers instore without retail staff assistance –

Order Store Network (680 stores)



Pick Up

 Argos (www.argos.co.uk), mit 5,7 Mrd. € Umsatz größtes Standbein der Home Retail Group, die mit rund 8,0 Mrd. € Umsatzvolumen zu den führenden Elektronik, Haushalts- und Hartwarenanbietern in UK zählt, gilt zweifelsohne als der führende Multi-Channel-Händler. Die „Operating Margin“ von Argos ist im abgelaufenen Geschäftsjahr um 16% auf 8,7% gewachsen und liegt damit deutlich über der Rendite deutscher Handelsunternehmen aus dem Segment. Zunächst als reiner Katalog-Versender in 1973 gegründet, wurde bis heute ein Filialnetz aus über 700 Ladenlokalen aufgebaut, die bis auf rund 800 multipliziert werden sollen. Rund 17 Millionen Haushalte in UK verfügen dauerhaft über einen Argos-Katalog, der ca. 17.000 Artikel aus dem Bereich Haushalt, Möbel und Elektro beinhaltet. Sämtliche Artikel können auch online bestellt werden und sind zeitgleich in allen Filialen vorrätig. Die Internet-Bestellungen sind im abgelaufenen Geschäftsjahr um 40% gewachsen und repräsentieren 21% des Argos-Umsatzes, also über 1,2 Mrd. €. Weitere 6 % der Umsätze sind auf Katalogbestellung zurückzuführen. Bemerkenswert ist, dass weitere 11% der Umsätze Versandumsätze sind, die in den Filialen bestellt wurden, so dass rund ein Drittel aller Verkäufe bei Argos durch Kun-

158

Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel

den zustande kommt, die mehr als einen Absatzkanal benutzen. Das voll integrierte Multi-Channel-System stellt einen einzigartigen Wettbewerbsvorteil für Argos dar, abgesichert durch ein hochkomplexes Supply-Chain-System, das von Wettbewerbern nicht ohne weiteres kopierbar ist. Bemerkenswert ist die Steigerung von „online check & reserve“ um 50%. In Abbildung 4-3 ist die Multi-ChannelNetzwerkarchitektur von Argos dargestellt. Die Verknüpfung aller Kanäle und zentrale Verwaltung der Kundendaten erlaubt es, die Käufe der Kunden in allen Kanälen nachzuvollziehen. In Kombination mit der Kundenkarte können gezielte CRM-Anstöße gegeben werden. Ziel ist es, den Kunden das Einkaufen auf allen Kanälen so angenehm und einfach wie nur möglich zu machen. Gleiches gilt auch für die 7 Mio. Hauszustellungen pro Jahr, die Argos zum größten Non-FoodZusteller in UK machen. Die Multi-Channel-Fähigkeiten von Argos werden dabei zunehmend auch von Homebase, dem zweiten Standbein der Home Retail Group, genutzt. Nicht ohne Grund wurde Argos Non Retail Weeks 2006 zum „OnlineRetailer of the year“ gewählt und war Gewinner des „Customer Service Initiative Award“.

 Williams-Sonoma (www.williams-sonoma.com) wurde 1956 zunächst als gehobenes Möbel-Fachgeschäft in Sonoma/ California eröffnet und nach erfolgreichem Start zu einem Filialsystem multipliziert mit aktuell über 600 stationären Geschäften in den USA. In 1972 wurde als zweiter Kanal das Versandgeschäft mit dem „Flagship“-Katalog „A Catalog for Cooks“ gegründet, der bis 1998 auf 37% Umsatzanteil kam. Als dritter Absatzkanal wird seit 1999 der Online-Shop betrieben, der mit ca. über 1 Mrd. $ Umsatz in 2007 über 25% Anteil am Gesamtumsatz in Höhe von 3,9 Mrd. $ erreichte. Zusammen mit dem Katalogversand-Geschäft, das ca. 17% zum Umsatz beiträgt, beträgt der Umsatzanteil der B2CDistanzhandelskanäle knapp 43%. Die „Operating Margin“ liegt bei knapp 10 %, trotz des forcierten Expansionskurses mit über 10 % Jahreswachstum nach CAGR. Bemerkenswert ist die erfolgreiche Differenzierung in unterschiedliche StoreBrands wie z.B. Williams-Sonoma Grande Cuisine und Classic, Pottery Barn Design Studio und Classic, Pottery Barn Kids sowie als neue Marken West Elm, PBten und Williams-Sonoma Home. Sämtliche Store-Brands werden sowohl online als auch offline betrieben und zeichnen sich dabei durch einen hohen Integrationsgrad aus. Durch die Kanalausdifferenzierung erreicht Williams-Sonoma deutlich mehr Kunden, als in den Einzelkanälen getrennt möglich wäre. Wie Abbildung 4-4 zeigt, kaufen 30% aller Kunden und 56% der Katalogkunden mehr als in einem Shop. Diese „hoppenden“ Kunden sind „wertvoller“ als die Einkanalkunden und geben im Schnitt 20% mehr aus.

159

4.1

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Abbildung 4-4:

Channel-Overlap bei Williams-Sonoma

Quelle: Annual report Williams-Sonoma, OC&C analysis 2005

Williams Sonoma. Overlap of Customer Set Retail and Direct-to-Customer Channel Overlap Retail ($ 2,154m) (57% of total sales)

Direct ($ 1,573m) (43% of total sales) 30% of all Customers (56% of catalogue shoppers) shop more than 1 channel

Overlapping customers are the most valuable (Spending > 20% on average)

Direct Channels Overlap Channel Overlap Catalogue Distribution 379 m catalogues Mail Order/ Catalogue ($ 645 m) (18% of total sales)

Internet ($ 928m) (25% of total sales)

7%

7%

27%

rd. 50% of internet sales are incremental to the Direct-toCustomer Channel

 The White Company (www.thewhitecompany.com) wurde erst 1994 gegründet, zunächst als Versandhandelsunternehmen für lifestyle-orientiertes Wohnen. Nach Etablierung des Versandgeschäftes wurde 2001 der erste stationäre „Store“ eröffnet. Erst 2004 wurde mit dem Internet-Verkauf gestartet, allerdings kompromisslos im innovativen „flickable-page“-Format“. The White Company verfügt heute über 14 eigene Läden und 3 Concessions in UK sowie 2 Franchiseläden in Dubai. Die

160

Beispiele für erfolgreichen Multi-Channel-Handel

Distanzhandelskanäle versenden im Jahr 10 Kataloge zwischen 36 und 72 Seiten an 625.000 Stammkunden. Das Unternehmen gilt mit über 40% Jahreswachstum nach CAGR seit 1997, und einem geschätzten Umsatz von knapp 100 Mio. €, als einer der am schnellsten wachsenden Multi-Channel-Retailer. Dabei erzielte der Internet-Shop rund 25% und der Katalogversand ca. 35% Umsatzanteil. Die „Gross Margin“ konnte auf über 46% und die „Operating Margin“ auf ca. 8% gesteigert werden. Auch „The White Company“ zeichnet sich durch einen hohen Integrationsgrad und eine exzellente Harmonisierung der Kanäle aus. Die Kunden können nicht nur problemlos „Channel-Hopping“ betreiben, sondern werden ebenfalls zur wechselnden Nutzung der verschiedenen Kanäle ermuntert. Dabei wird auf einen konstant guten Service auf allen Kanälen Wert gelegt, der durch ein permanentes „Cross-Channel-Service“-Monitoring sichergestellt wird. Die Unternehmensphilosophie schreibt fest, dass die Marke in gleicher Aufmachung und konsistent über alle Kanäle, die gleichen Markenwerte „best quality“ und „outstanding value for money“ verkörpert.

 NEXT (www.next.co.uk) wurde mit der Übernahme der „Kendalls rainwear shops“ 1981 als Einzelhandelsunternehmen für Damenbekleidung gegründet. Seit 1984 wird auch Herrenbekleidung angeboten. In 1988 erfolgte mit Next Directory der Start für das Katalog-Versandgeschäft, das dann 1999 durch den Internet-Shop ergänzt wurde. Next betreibt 502 Filialen im Stationärgeschäft (Stand Januar 2008) und erzielte in 2007 als Multi-Channel-Handelsunternehmen für „Bekleidung und Living“ rund 4,4 Mrd. € Umsatz bei einer Umsatzrendite von 16,1% vor Steuern (Operating Profit). NEXT Directory erzielt im abgelaufenen Geschäftsjahr knapp 1,1 Mrd. € Umsatz und damit rund 24% Geschäftsanteil, wozu der Internet-Shop ca. ein Drittel beisteuerte. Mit über 20% Umsatzrendite (Operating Profit) ist Next Directory überdurchschnittlich profitabel. Der Umsatz je Kunde liegt hier bei ca. 480 € im Jahr mit 40% „share of wallet“. Next kennzeichnet einen hohen Integrationsgrad aller Kanäle mit extrem guter Channel-Abstimmung. Dieses äußert sich in einem konsistenten Produktangebot und einer harmonisierten Preisstrategie zwischen den Kanälen. Dabei ist auch eine Katalogseitensuche im Netz sowie die Bestellung, Abholung und Retoure in allen Filialen möglich. Zugleich werden die kanalspezifischen Möglichkeiten weitestgehend ausgenutzt. So findet sich jeweils in den Kanälen ein breiteres und wachsendes Produktangebot. Darüber hinaus werden hohe Servicelevels definiert. Bereits im Jahre 2000 wurde die Belieferung innerhalb von 24 Stunden als Standard gesetzt. Der Katalog unterstützt die Kunden beim „browsing“ und bei der Farbauswahl. Schließlich wird der Kundenservice aus Effizienzgründen verstärkt über Netz oder Filiale forciert.

 JC Penney (www.jcpenney.com) hat eine über 100 Jahre alte Warenhaus-Tradition. In 1963, als die deutschen Warenhaus-Unternehmen noch weit von „Distanzhandelsgedanken“ entfernt waren, brachte JC Penney den ersten Katalog heraus, der es bis 1979 auf immerhin 1 Mrd. $ Jahresumsatz brachte. Durch den Launch von jcpenney.com in 1998 avancierte das Unternehmen zum Multi-Channel-Anbieter. 161

4.1

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Mit annähernd 20 Mrd. $ Umsatz und knapp 10% „Operating Margin“ zählt JC Penney nicht nur zu den renditestärksten Warenhausbetreibern, sondern ebenfalls zu den erfolgreichsten Multi-Channel-Anbietern. Die Versandsparte wurde zwischen 2000 und 2002 mit einem Umsatzschnitt von fast 50% grundlegend saniert und profitabel ausgerichtet. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielte JC Penney ca. 1,6 Mrd. $ Katalog-Versandhandels- und 1,5 Mrd. $ Online-Umsatz sowie 15% Online-Wachstum. Die Website ist auch verfügbar über 35.000 Sales-Terminals in den 1.067 Filialen. Der Internet-Kanal ist vollständig in das Unternehmen integriert und bietet das gesamte Sortiment von ca. 200.000 Artikeln an. Der hohe Integrationsgrad spiegelt sich auch im einheitlichen Markenmanagement wieder, in der konsequent kanalübergreifenden Kommunikation des Multi-Channel-Angebotes sowie in der Integration von Services und Leistungen. So findet sich in allen Kanälen ein konsistentes Angebot bei Sortiment und Preisniveau. Der Service-Anspruch wird auch online in guten Internet-Funktionalitäten wie Größentabellen und Geschenktischen sowie in kompetenten Call-Centern mit unterschiedlichen Nummern für die einzelnen Sortimente- und Servicebereiche gelebt. Die JC PenneyKundenkarte ist gleichermaßen in allen Kanälen benutzbar. Auch kann der Kunde sein Karten-Konto im Internet einsehen. Ein Konkurrenzdenken zwischen stationärem und Internet-Geschäft wird dadurch vermieden, dass die Filiale den Bonus für die Bestellungen erhält, die vom Kunden aus der Gegend eintreffen.

 Lakeland (www.lakeland.co.uk) wurde 1963 gegründet und ist ein Nischenanbieter für Küchenartikel und Haushaltswaren in UK. Über 200 Mio. € Umsatz und ca. 10% „Operating Margin“ werden in rund 35 Lakeland-Stores, über 18 Kataloge im Jahr sowie durch einen Online-Shop erzielt, der 1999 gegründet wurde. Das Sortiment aus ca. 4.000 Artikeln ist komplett über alle Kanäle beziehbar. Die Kanäle sind vollständig integriert und werden zur Kundenakquisition komplementär genutzt. Wesentliche Erfolgssäule stellt der hohe Servicelevel in allen Kanälen dar. Bemerkenswert ist, dass der Umsatz jeweils zur Hälfte im stationären Geschäft sowie im Distanzhandel erzielt wird, wobei der Internet-Kanal mehr als 10% Geschäftsanteil aufweist.

4.2

Beispiele für erfolgreiches Multi-ChannelManagement

Im Multi-Channel-Management steht neben der fortlaufenden Optimierung der FrontOffice-Funktionen im Marketing die Integration der Backend-Prozesse im Vordergrund. Während es in den Front-Office-Funktionen um die Sicherstellung eines „geschlossenen“ Bildes gegenüber dem Kunden geht, stehen bei den Backend-Prozessen („Back-Office“) die Optimierung der Abläufe unter Synergiegesichtspunkten im Vor-

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Beispiele für erfolgreiches Multi-Channel-Management

dergrund. Primäre Ziele sind hier die Sicherstellung eines reibungslosen Geschäftsverkehrs und Kosteneinsparungen durch effiziente Prozesse sowie die Nutzung von Synergien im Kostenbereich (z.B. zentrale Disposition, Sortimentsentwicklung etc.). Je mehr bestehende Kanäle es dabei zu verknüpfen gilt, desto komplexer ist diese Aufgabenstellung.

4.2.1. Best Practices in den Front-Office-Funktionen Im Folgenden sollen zunächst einige Erfolgsbeispiele für Teilfunktionen im FrontOffice dargestellt werden, die das ECC der Universität Köln auf seiner Homepage hervorhebt (vgl. www.ecc-handel):

 NURTEC (www.nurtec.de) in Hamburg bietet seinen Kunden die Möglichkeit einer „Abholung on demand“, bei der die Kunden sich das gewünschte Produkt im Internet aussuchen, bestellen und innerhalb der nächsten 24 Stunden im stationären Laden abholen können. Bezahlen müssen sie dann bei der Abholung, so dass die Versandkosten entfallen. Den Kunden wird damit die Angst vor dubiosen Anbietern und überhöhten Versandkosten genommen. Die Serviceleistung wurde so gut angenommen, dass aufgrund der gestiegenen Nachfrage die Zahl der Mitarbeiter verdoppelt werden musste. Einziger Wehmutstropfen dabei ist, dass dieser Service bislang auf Hamburg beschränkt bleibt.

 Brother (www.brother.de), Büromaschinenanbieter, bietet im Internet ein interaktives Beratungssystem für seine P-Touch-Produkte an. Der Kunde markiert dabei in einem Fragenkatalog seine Anforderungen und erhält dann entsprechende Produktempfehlungen mit detaillierten Informationen. Brother reagiert damit auf den Trend, dass sich eine zunehmende Zahl von Endkunden vor der Kaufentscheidung über das Produkt im Internet informieren möchte. Ein Katalog als Alternative wäre zu teuer, umfangreich und unübersichtlich geworden. Das Internet stellte sich hier als bessere Alternative heraus, zumal die Implementierung des Produktberaters nicht sehr teuer ist. Das Konzept erwies sich als voller Erfolg. So riefen in den ersten drei Monaten 4.500 Nutzer den Produktberater 7.700-mal auf. Von ihnen nutzten 2.000 die Detailansicht und davon wiederum 450 aktiv einen Händler. Vorteil des Beratungssystems ist ebenfalls eine klare Differenzierung im Wettbewerb.

 Silberhimmel (www.silberhimmel.de) wurde 2003 zunächst als B2C-Internetshop des Schmuckgroßhändlers „U-niq: must have!“ gegründet. Die Website präsentiert sich übersichtlich und stilvoll. Die Produkte werden mit Kurzbeschreibung und Frontalfoto präsentiert. Das Schmuckangebot aus Silberschmuck, Accessoires und Uhren hat bei rund 10.000 Stammkunden Anklang gefunden. Diese Kunden baten darum, ein stationäres Geschäft zu eröffnen, damit sie anprobieren und noch mehr kaufen können. Das neue Geschäft in Frankfurt Sachsenhausen erzielt mittlerweile einen gleich großen Umsatz wie der Online-Shop, der auch zur Neukundenakqui-

163

4.2

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

se genutzt wird. Dabei setzt das Unternehmen vor allem auf die Weiterempfehlung durch die bestehende Nutzerschaft. Die Kunden können mit Geschenkgutscheinen und „Tell a friend“ ihre Bekannten auf Silberhimmel.de aufmerksam machen, wobei dann eine Bewertungsseite für das nötige Vertrauen sorgt. Kundenbindung erfolgt vor allem durch einen Newsletter.

 EP:Netshop (www.epnetshop.de) wurde im Januar 2001 von der Verbundgruppe Electronic Partner (EP) gestartet, um den 560 angeschlossenen stationären Händlern die Teilnahme an einem flächendeckenden Multi-Channel-System zu ermöglichen. Nach Vorbild des Libri-Modells wurde damit eine große Gruppe selbständiger Fachhändler unter einem Markenauftritt in einem gemeinsamen Online-Shop integriert. Dabei können die Kunden die Vorzüge des traditionellen, beratenden Fachhandels mit denen des Internet kombinieren. Dieses führt auch zu Synergien in Marketing und Vertrieb, da die EP-Händler über das Internet Zugang zu neuen Zielgruppen mit attraktivem Umsatzpotenzial erhalten. Andererseits profitiert EP:Netshop von der bereits etablierten Marke „EP“. Die Vorbehalte der Mitglieder wurden dadurch ausgeräumt, dass jede Online-Bestellung über die Postleitzahlen der Kunden automatisch dem nächstgelegenen Händler zugeordnet werden. Dieser erhält nach Kaufabschluss eine Provision, selbst wenn er nicht in den Kaufprozess involviert war. Als Gegenleistung muss er aber für After-SalesDienstleistungen zur Verfügung stehen. Außerdem ermöglicht es EP:Netshop dem Kunden, selber zu bestimmen, wie das Produkt zu ihm kommt und wie er es bezahlt. So kann dieser im Internet kaufen und die Ware entweder beim Händler abholen oder sich direkt zuschicken lassen.

 Engbers (www.engbers.de) betreibt 162 Modegeschäfte offline und verfolgt mit Gründung des Online-Shops primär das Ziel, neue Kunden zu gewinnen und das Stammpublikum stärker zu binden. Der Internet-Shop wird wie eine virtuelle Filiale betrieben mit entsprechenden wechselnden Kollektionen und Outfit-Beratung. Bestellte Artikel können in allen der 162 Stores umgetauscht werden. Stammkunden können online und offline die EngbersCard benutzen, die ihnen 3% Rabatt gewährt. Neukunden bekommen nach der ersten Bestellung die EngbersCard und eine Nummer automatisch zugeschickt, mit der sie sich einloggen können. Der Online-Shop wird primär über Suchmaschineneintragungen und in allen Filialen beworben. Zur Kundenbindung wird 14-tägig ein Newsletter an über 40.000 Kunden verschickt.

 Tchibo (www.tchibo.de) steht nach Kundenzahlen in der Liste der OnlineHändler in Deutschland auf Platz drei hinter ebay und Amazon. Für den Vertrieb seiner Produkte bedient sich Tchibo eines einzigartigen Multi-ChannelVerkaufssystems mit über 50.000 nationalen und internationalen Outlets. Verkauft wird auch über die Tchibo-Filialen, via Call-Center sowie über das Tchibo-Portal. Das Netzangebot ist deckungsgleich mit den Filialsortimenten. Zahlreiche Bilder auf der Startseite sollen Emotionen wecken, wobei das Internet nicht nur als Ver-

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Beispiele für erfolgreiches Multi-Channel-Management

kaufsinstrument dient, sondern ebenfalls als Kommunikationsinstrument. So wird „jede Woche eine neue Welt“ über das Netz beworben und zugleich zum Kauf angeboten. Aber auch neue Kunden sollen über das Internet gewonnen werden, da hier deutlich mehr männliche, jüngere sowie finanzstärkere Zielgruppen zu finden sind als in den Tchibo-Läden. Zur Neukundenakquisition kooperiert Tchibo auch mit horizontalen Portalen wie z.B. Yahoo und T-Online. Auch sind TchiboProdukte häufig in den Katalogen anderer Anbieter zu finden, die diese auf Provisionsbasis verkaufen (Cost-per-Order-Basis).

4.2.1

Best Practice in den Back-Office-Funktionen und Supply-Chain

Als hervorragendes Beispiel für das Management von Back-Office-Funktionen und Supply-Chain gilt die Hermes Warehousing Solutions GmbH. Der Hamburger Fulfilment-Anbieter, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Otto-Group, ist auf Dienstleistungen für den europäischen Distanz- und Stationärhandel mit Geschäftskunden und Endverbrauchern spezialisiert. In fünf eigenen Logistikzentren arbeiten rund 5.000 Mitarbeiter, die in ein bundesweites und globales Netzwerk weiterer Logistikstandorte eingebunden sind. Mit über 60 Millionen abgewickelten Bestellungen sowie 230 Millionen Warenbewegungen im Jahr, zählt das 2006 gegründete Unternehmen bereits zu den großen Playern in der Warenlogistik. Die Kernkompetenz der HWS ist es, ganzheitliche, zukunftsorientierte Multi-Channel-Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Das Unterehmen profitiert dabei stark von der zunehmenden Nutzung des Internets, die vor allem „traditionelle“ stationäre Händler vor ungeahnte Herausforderungen stellt, wenn diese in den Internet- und Distanzhandel einsteigen möchten. Dabei gilt es, eine mittlerweile über zehnjährige Erfahrung der Pioniere aufzuholen und die schwerwiegenden Investitionsrisiken in die teure Infrastruktur weitestgehend zu vermeiden. Diesen Trend hat HWS frühzeitig erkannt. Das im März 2006 gegründete Unternehmen deckt mit seiner integrierten Multi-Channel-Logistik sämtliche Kanäle ab und managed die gesamte Prozesskette von der Beschaffung, Zollabwicklung und Wareneingangsprüfung über die Lagerung, Kommissionierung und Distribution bis hin zur Bonitätsprüfung, Zahlungsabwicklung und dem Retourenmanagement. Das Sortiment umfasst 500.000 Artikel – von Handys und Camcordern über Textilien und Schmuck bis hin zu Möbeln und Waschmaschinen. Die Back-Office-Funktionen müssen dabei so organisiert sein, dass die verschiedenen Absatzkanäle von den Kunden nicht alternativ, sondern parallel genutzt werden können. Durch eine geschickte Verknüpfung wird nicht nur der Service für bestehende Kunden deutlich verbessert. Mit den neuen Angebotskanälen werden auch zusätzliche Kundengruppen erschlossen, die auf den bisherigen Wegen nicht erreicht wurden. So werden vielmals befürchtete Kannibalisierungseffekte vermieden und eine gegenseitige Befruchtung der Kanäle erreicht. Deshalb wird das Online-Geschäft zunehmend 165

4.2

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

auch für den stationären Fachhandel als zweites Standbein interessant. Hinzu kommt, dass der Verbraucher inzwischen von seinem Stationärhändler gezielt eine OnlinePräsenz erwartet und ihm auch nicht vermittelbar ist, warum der bereits vielfältig vorhandene Werbeauftritt nicht um einen Online-Shop ergänzt wird. Darüber hinaus bietet die Web-Filiale einen 24 Std. geöffneten Shop, dessen Marketingeffekte nicht zu unterschätzen sind. Lascana hingegen hat genau die andere Richtung eingeschlagen. Aus dem Distanzhandel kommend, eröffnete der Wäsche- und Bademodenspezialist sechs stationäre Shops, die von HWS aus demselben Warenbestand versorgt werden wie das Katalogund Online-Geschäft des Labels. Das Lascana-Konzept betrachtet HWS innerhalb der Otto-Gruppe als Piloten für die Akquisition externer Kunden, die nicht aus dem Konzern kommen. Allerdings sind die Investitionshürde und das Risiko beim Schritt vom Web in den Stationärhandel wesentlich höher als beim umgekehrten Weg, so die Erfahrung von HWS. Wenn die Absatzkanäle mit unterschiedlichen Sortimenten und Angeboten getrennt agieren und weder die Kundeninformationssysteme noch die Warenwirtschaftssysteme kanalübergreifend miteinander verknüpft sind, entsteht Chaos aus Kundensicht. Ein echter Mehrwert für den Kunden und den Händler stellt sich erst ein, wenn Channel-Hopping tatsächlich möglich ist. Hinzu kommt, dass der Handel in den meisten Sortimentsbereichen einem intensiven Preiswettbewerb ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund müssen zusätzliche Synergien genutzt werden, wie sie sich beispielsweise aus der Abwicklung aus einem Bestand für Stationär- und Onlinehandel ergeben. Deshalb gilt, dass je mehr Vertriebswege bedient werden, umso größer die Anforderungen an die Logistik sind. Nach HWS-Erfahrung stellen dabei der gezielte Einsatz von Technik und die Verzahnung betrieblicher Prozesse den Schlüssel zum Erfolg dar. Channelübergreifendes System setzt durchlässige Kanäle voraus Unabdingbare Voraussetzung für ein funktionierendes, channelübergreifendes System ist nach HWS-Erfahrung die volle Durchlässigkeit aller Kanäle. Dies betrifft sowohl die Produktinformation und den Kauf als auch die Zahlung, Lieferung und Rückgabe. Damit der Verbraucher sich in der Filiale über Produkte informieren sowie Waren bestellen und abholen kann, muss – wie beim Internet- und Versandhandel – ein Kundenkonto eingerichtet werden, dessen Daten ständig verfügbar sind. Zu den weiteren Anforderungen an die Multi-Channel-Logistik gehören die Disposition und Pflege von Beständen und die operative Einbindung der Filialen. Die großvolumigere Erstversorgung von Geschäften, zum Beispiel zum Verkaufsstart, wird bei HWS per Cross-Docking durchgeführt. Am Abgangsort wird die Ware direkt zu filialbezogenen Versandeinheiten gebündelt, die mit weiteren für dieselbe Filiale bestimmten Waren zu kompletten Sendungen zusammengestellt werden. Zusätzlich wird das gesamte Warensortiment für den Web-Shop und Nachbestellungen der Filialen in einem Lager vorgehalten, so dass auf Abruf Einzelteile für die jeweiligen Geschäfte

166

Beispiele für erfolgreiches Multi-Channel-Management

kommissioniert werden können. In den Lascana-Filialen etwa liefert das Kassensystem die täglichen Abverkaufsdaten, die Basis für die Nachversorgung sind. Vor allem wegen der beschränkten Verkaufsfläche in den Geschäften ist nach HWS-Erfahrung eine punktgenaue Belieferung erforderlich. Die Logistik für das kleinvolumige Sortiment wickelt HWS in Warenverteilzentren ab, in denen leistungsstarke Sortieranlagen für die Kommissionierung zur Verfügung stehen. Diese können nicht nur ein sehr hohes Auftragsvolumen, sondern auch saisonbedingte Peaks abwickeln. Großvolumige Artikel wie Schrankwände, Teppiche oder Waschmaschinen werden an Standorten gemanaged, die ebenfalls über sortimentsspezifische Aufbereitungsmöglichkeiten verfügen, so dass Durchlaufzeiten so kurz wie möglich gehalten werden. Je großvolumiger die Waren sind, desto mehr menschliche Arbeitskraft ist gefragt. Wichtig ist es, die für das spezifische Kundensortiment optimale Mischung aus Effizienz und Flexibilität zu finden. In derselben Anlage, in der die Artikel für den Web-Shop und die Filialnachbestellungen konzentriert sind, werden auch die Retouren geprüft, bei Bedarf bearbeitet und repariert, neu verpackt und in den Warenbestand integriert, so dass sie umgehend wieder in den Handel gelangen. Gerade bei Textilien ist es wichtig, sie schnell zu identifizieren und innerhalb des Vermarktungsfensters umgehend wieder in den Handel zu bringen, denn in der Regel sollen sie noch während der laufenden Saison verkauft werden, was bei mittlerweile bis zwölf Kollektionen pro Jahr eine logistische Herausforderung ist. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob die Ware per Post zurückgeschickt oder im Geschäft abgegeben wird, die Filiale sozusagen als "Paketstation" fungiert. Es kommt auf Schnelligkeit, Transparenz und Serviceorientierung an, weswegen der Logistik eine Schlüsselstellung für den Erfolg eines Multi-Channel-Systems zukommt. Von vernetztem Einkaufserlebnis profitieren Kunden und Händler Mit der zunehmenden Zahl von Kanälen steigen erfahrungsgemäß die Ansprüche der Kunden, wie eine aktuelle Studie, die der HWS vorliegt, zeigt. Dabei haben sich die Verbraucher in den USA zu ihren Erwartungen an den Handel geäußert. Mehr als die Hälfte der Befragten wünschen sich beispielsweise, einen Artikel in einem Geschäft umtauschen zu können, egal, ob er per Katalog bestellt, online gekauft oder in einer Filiale erworben wurde. Die Untersuchung kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Konsumenten ihre Erfahrungen aus dem Online-Shopping auf das Einkaufsverhalten im Geschäft übertragen. Von einem vernetzten Einkaufserlebnis profitiert nicht nur der Kunde, sondern auch der Handel. Denn die Nutzung verschiedener Absatzwege verspricht dem Unternehmen neben einer besseren Markenwahrnehmung eine Steigerung der Erträge, so die HWS-Erfahrung.

167

4.2

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

4.3

Erfolgsbeispiele für barrierefreien MultiChannel-Handel

Hand in Hand mit der Multi-Channel-Entwicklung und der zunehmenden Nutzung des Internet-Kanals nimmt die Forderung nach barrierefreiem Multi-Channel-Einkauf in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion einen immer höheren Stellenwert ein. Zudem erweist sich die betroffene Zielgruppe auch für die Unternehmen der Konsumund Gebrauchsgüterindustrie als durchaus ökonomisch interessantes und zukünftig stark wachsendes Marktsegment. Eine Studie, die im Rahmen einer Diplomarbeit von Frau Karin Ruland unter Betreuung von Prof. Dr. Klaus Hardt und dem Autor im Jahre 2006 an der Hochschule Niederrhein durchgeführt wurde, untersuchte an 50 repräsentativen Internetpräsentationen, inwieweit die Webseiten von ausgewählten Textil- und Bekleidungsunternehmen mit Internetpräsenz der skizzierten Entwicklung Rechnung tragen. Textilien und Bekleidung zählen zu den Gewinnern im OnlineShopping, wie bereits im ersten Kapitel ausgeführt wurde und jüngste Statistiken zu diesem Thema belegen (vgl. Gutschi 2006). Die folgenden Ausführungen sind einem Fachbeitrag entnommen, den Frau Ruland mit ihren Betreuern zusammen in der Fachzeitschrift Melliand 1-2 2007 veröffentlicht hat. Mittels zwanzig verschiedener Testdurchführungen wurde die Übereinstimmung der Internetseiten mit der Forderung auf Barrierefreiheit bestimmt und in einem Ranking zusammengefasst, das im folgenden erläutert und aufgezeigt werden soll. Dabei entpuppt sich, dass es einige wenige Best Practices gibt, die das Thema proaktiv umsetzen und nutzen, während die Mehrzahl der betrachteten Unternehmen das Thema noch nicht für sich entdeckt hat (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 65).

4.3.1

Digitale Spaltung und rechtliche Situation

Die zunehmende Integration des Internets in die normalen Lebensabläufe, aber auch die Bedeutung für wirtschaftliche Prozesse und damit einhergehend die berufliche Tätigkeit lässt auf der anderen Seite die Befürchtung einer „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft aufkommen (vgl. BPB 2006). Personen, die aufgrund ihrer Lebensumstände oder ihrer körperlichen und geistigen Konstitution von der Nutzung des Internets ausgeschlossen werden, könnten gravierende Nachteile erfahren und von entscheidenden Chancen zur Gestaltung ihres Lebens abgekoppelt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerungsstruktur und der Wechselbeziehung zwischen Alter und Behinderung ist abzusehen, dass diese Problematik immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Aus dieser Überlegung ergibt sich die Forderung, die Nutzung des Internets für alle ohne große Hindernisse auszugestalten. Dieser Anspruch wird zusammengefasst unter dem Begriff „Barrierefreies Internet“. Die vorliegende Studie untersucht, inwieweit diese Forderung durch die Interpräsentationen

168

Erfolgsbeispiele für barrierefreien Multi-Channel-Handel

der Textil- und Bekleidungsbranche erfüllt werden, beziehungsweise welche Defizite im aktuellen Zustand festzustellen sind (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 65). Rechtliche Situation In Deutschland wird den Bedürfnissen von Menschen mit einer Behinderung oder Einschränkung von rechtlicher Seite her durch das „Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen“ (BGG) Rechnung getragen. Gesetzesziel ist die Vermeidung und Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, sowie das Ermöglichen einer gleichberechtigten, selbst bestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. Bundesrecht 2006). Details zur Umsetzung von barrierefreien Internetauftritten der Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen in Deutschland regelt die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem „Behindertengleichstellungsgesetz“ (vgl. BITV 2006). Unternehmen und Unternehmensverbände sind von dieser Rechtsverordnung ausgenommen, also gesetzlich nicht zur barrierefreien Umsetzung ihrer Internetpräsentationen verpflichtet. Im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung kann diese jedoch angegangen werden. Anders als in Deutschland werden Wirtschaftsunternehmen in den USA auf Basis der „Section 508 of the Rehabilitation Act“ von jeglichen geschäftlichen Beziehungen mit den Bundesbehörden ausgeschlossen, sollten diese keine barrierefreie Informationstechnologie verwenden (vgl. Section 508, 2006; Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 65).

4.3.2

Wirtschaftliche Bedeutung und technische Unterstützung

Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen spielt für eine Einschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung barrierefreier Internettechnik die Größe der angesprochenen Zielgruppe eine entscheidende Rolle. Bei einer sorgfältigen Analyse stellt sich heraus, dass nicht nur behinderte Menschen, sondern zum Beispiel auch ältere Menschen sowie Nutzer mit einer Lernbehinderung oder einem Migrationshintergrund von einer barrierefreien Internetpräsentation profitieren und damit im weitesten Sinne ebenfalls zur Zielgruppe zu rechnen sind. Aufgrund ihrer Immobilität und der hieraus resultierenden Einschränkung sind behinderte oder ältere Menschen eine besonders internetaffine und kaufkräftige Zielgruppe. Bietet ein Unternehmen für diese Nutzergruppen ein barrierefreies Angebot an, bedeutet dies neben der Akzeptanzsteigerung der Webseite und erhöhter Kundenloyalität einen zusätzlichen Imagegewinn in der Öffentlichkeit. Dies wiederum kann zu höheren Verkaufszahlen und somit einer Steigerung des Marktanteils führen. Die Größe dieser Zielgruppe kann leicht anhand zweier Zahlen erfasst werden. In der Europäischen Union gibt es ca. 38 Millionen Menschen mit Behinderung und 20% ihrer Bevölkerung haben ein Alter über 60. Obwohl Wirtschaftsunternehmen also große Vorteile durch eine barrierefreie Internetpräsentation haben können, belegen die Ergebnisse einer Studie der INDECA GmbH im Januar

169

4.3

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

2006 deutlich, dass die Nutzung der Webseiten vieler Unternehmen „durch vielfältige technische Barrieren erschwert oder sogar verhindert“, sowie „das wirtschaftliche Potenzial barrierefreier Technologien […] nur unzureichend“ ausgeschöpft wird (vgl. Indeca 2006). Der Hauptgrund für Unternehmen, der gegen die Einrichtung einer barrierefreien Internetpräsentation spricht, ist ein vermeintliches Mehr an Kosten. Laut einer Kosten- Nutzen- Analyse (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66) belaufen sich die relativen Zusatzkosten auf Werte zwischen 0,04% und 1,56% falls der barrierefreie Auftritt bei Entwicklungsbeginn der Webseite mitkonzipiert wird. Diese Werte relativieren die Befürchtungen der Unternehmen und machen deutlich, dass durch die barrierefreie Umsetzung einer Webseite nur unwesentlich höhere Kosten entstehen (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66). Technische Unterstützung des barrierefreien Internetzugangs Blinde oder stark sehgeschädigte Menschen benötigen zu einem vollständigen Informationserhalt die Möglichkeit einer variablen Schriftskalierung, verstärkte Kontraste und für alle nur visuell zu erfassenden Informationen (z.B. Bilder und Animationen) hinterlegte Alternativtexte. Gehörlose und hörbehinderte Menschen können durch den Einsatz von Gebärdensprachenvideos als Alternative zu geschriebenem Text unterstützt werden. Körperbehinderte Menschen können aufgrund ihres meist eingeschränkten Bewegungsradius Webseiten nur dann kontrolliert bedienen, wenn alle ansteuerbaren Seitenelemente logisch angeordnet und inhaltlich voneinander abgegrenzt werden, da unnötig viele Eingaben und Interaktionen für den Nutzer einen zusätzlichen Kraftaufwand bedeuten (vgl. Weist 2004, S.67). Barrierefreie Webangebote, die speziell auf die Bedürfnisse Lernbehinderter und geistig behinderter Menschen ausgerichtet sind, zeichnen sich in hohem Maße durch die Verwendung einfacher Sprache, den Einsatz von Symbolen und Grafiken und durch den Gebrauch von Farben als Orientierungshilfe zur Informationsvermittlung aus (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66).

4.3.3

Anbieter im Test

In zwölf voneinander unabhängigen Tests wurde im Zeitraum von August bis September 2006 für 50 Websites der Textil- und Bekleidungsbranche eine Desktopanalyse der Startseite und von mindestens zwei Unterseiten vorgenommen. Ziel war es hierbei, festzustellen, ob die unternehmenseigenen Homepages den Kriterien barrierefreier Webangebote entsprechen, und inwieweit die Unternehmen somit die Bedürfnisse behinderter oder eingeschränkter Internetnutzer berücksichtigen. Die Kriterien für die Stichprobenauswahl orientieren sich in erster Linie an den Bedürfnissen der Zielgruppen barrierefreier Webseiten, welche sich im Zusammenhang mit der Textil- und Bekleidungsindustrie im Internet primär über Bekleidung für den persönlichen Gebrauch informieren werden. Aus diesem Grund wird die Gruppe der Hersteller,

170

Erfolgsbeispiele für barrierefreien Multi-Channel-Handel

deren Sortiment aus Produkten speziell für behinderte Menschen besteht, gesondert aufgeführt. Gleichzeitig soll die Zusammenstellung einen Überblick über die verschiedenen Sparten der Textil- und Bekleidungsbranche verschaffen, und berücksichtigt aus diesem Grund neben der größten Gruppe der Bekleidungshersteller auch Hersteller für Heimtextilien, sowie die Kategorie „Warenhäuser“ und „Versandhandel“. Die Vertreter der Hersteller von „Textil- und Bekleidungsmaschinen“ und die Berücksichtigung zweier Fachmagazine der Branche komplettieren die Auswahl. Die Stichprobenauswahl ist in Abbildung 4-5 dargestellt (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66).

Abbildung 4-5:

Zusammensetzung der untersuchten Internetpräsentationen

Quelle: Ruland, Hardt, Heinemann 2007, S. 66. Kategorie

Anzahl

Bekleidungshersteller

20

Hersteller von Behinderung

Bekleidung

für

Menschen

mit

einer

8

Heimtextilien- Hersteller

8

Textilmaschinen- und Bekleidungsmaschinen- Hersteller

5

Warenhäuser

4

Versandhandel

3

Textil- und Bekleidungsfachmagazine

2

Für die Durchführung der Tests wurden verschiedene Merkmale betrachtet. Zum einen wurden die Internetseiten mit drei Programmen untersucht : dem Screenreader JAWS, der geeignet ist, Blinden und Sehbehinderten den Bildschirminhalt vorzulesen, dem Textbrowser LYNX und dem automatischen Auswertungstool BOBBY Sie liefern eine erste Einschätzung der barrierefreien Umsetzung jeder Seite. Zusätzlich wurden die Internetpräsentationen auf folgende Kriterien untersucht: -

-

Schriftgrößenskalierung Farbkontrast Farbumkehr Variable Auflösung Geräteunabhängigkeit der Nutzung (z.B. ohne Maus) Funktionsfähigkeit ohne „aktive“ Inhalte alternative Texthinterlegung. 171

4.3

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

In einem dritten Teil wurde der Quelltext der Internetseiten betrachtet. Hierbei wurde anhand von Schlüsselwörtern bewertet, inwieweit der Programmcode für automatisierte Darstellungshilfen geeignet ist. Im Rahmen der vorgenommenen Attributsprüfung wird eine Bewertung der Ergebnisse nach auftretenden Fehlern durchgeführt. Eine objektive Beurteilung der erhaltenen Resultate gestaltet sich sehr schwierig, da keine der getesteten Webseiten vollständig barrierefrei konzipiert wurde und die Bedürfnisse der Nutzer, sowie ihre Anforderungen an eine barrierefreie Webseite je nach individuellen Voraussetzungen stark differieren. Aus diesem Grund wird das abschließende Ranking der getesteten Webseiten nach rein quantitativen Gesichtspunkten erstellt und auf eine qualitative Gewichtung der durchgeführten Tests verzichtet. Für die Erstellung des Firmenranking ist ausschlaggebend, welche Webseite bei den vorgenommenen Tests die meisten der zwanzig zu erreichenden positiven Bewertungen erhält. Webangebote, die die gleiche Punktzahl und Verteilung erhalten, sind im Ranking lediglich untereinander aufgeführt, nehmen jedoch den gleichen Rang ein. Haben Webseiten die gleiche Anzahl positiver Bewertungen, unterscheiden sich aber durch das Verhältnis von negativen und mittleren Bewertungen, wird dies in der Rangfolge berücksichtigt (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66). Es lässt sich festhalten, dass die untersuchten Internetseiten eine sehr große Bandbreite an erzielten Punkten aufweisen. Dies reicht von 17 Punkten der maximal 20 zu erreichenden Höchstzahl bis zu lediglich 5 Punkten. Positiv bleibt festzustellen, dass offekundig viele Präsentationen eine geeignete barrierefreie Grundkonzeption aufweisen. Als Beispiel sei hier der für Sehbehinderte überaus wichtige Sprachausgabetest angeführt. Der Inhalt von zwei Drittel der untersuchten Seiten konnte durch den Screenreader vorgelesen werden. Bei weiteren 24% waren Teile des Inhalts hörbar, bei 10% war allerdings auch eine Sprachausgabe gänzlich unmöglich (vgl. Abbildung 4-6). Die beste Bewertung in dem hier durchgeführten Test erhält die Webseite von Otto „www.einfach.otto.de“. Mit 17 von 20 möglichen Punkten verdeutlicht sie, dass die Firma Otto mit diesem von den allgemeinen Seiten abgesetzten Internetangebot gezielt auf einen barrierefreien Zugang gesetzt hat. Sechs der insgesamt 8 getesteten Webseiten von Bekleidungsherstellern von Mode für Behinderte belegen einen Rang unter den ersten zehn. Die Unternehmen dokumentieren durch die weitgehende Umsetzung der wichtigsten Kriterien, dass sie die Bedeutung und notwendige Umsetzung der Barrierefreiheit im Internet für ihre Zielgruppe erkannt haben. Ebenfalls beachtenswert und erfreulich sind die Platzierungen der Webangebote „www.melliand.de“ und „www.twnetwork.de“. Somit sind zwei wichtige übergreifende Fachmagazine der Branche in weiten Teilen auch für behinderte und eingeschränkte Leser im Internet zugänglich. Warenhäuser und Unternehmen, wie z.B. Karstadt, Kaufhof oder Tchibo, die auf ihrer Webseite die Möglichkeiten des Onlinekaufs anbieten, belegen im Firmenranking Ränge unter den ersten zwanzig und bemühen sich offensichtlich, für einen Großteil der Internetnutzer erreichbar zu sein. Die Webseite der Karstadt Wa-

172

Erfolgsbeispiele für barrierefreien Multi-Channel-Handel

renhaus GmbH erreicht die zweithöchste Punktzahl aller Bewertungen. Die Internetpräsenz der Mexx Direct GmbH & Co.KG erreicht mit 14 positiven Beurteilungen mit Abstand den besten Rang in der Kategorie „Bekleidungshersteller“. Die übrigen Webangebote dieser Kategorie sind im Bereich von Platz 16 bis 48 anzusiedeln und weisen doch schon gravierende Mängel auf. Sechs Webangebote von Herstellern für Heimtextilien erreichen lediglich eine Bewertung, die sie im Intervall zwischen Rang 30 und 50 einstuft. Offenkundig ist ein ausreichendes Problembewusstsein hier noch nicht vorhanden (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 66-67).

Abbildung 4-6:

Test der automatisierten Sprachausgabe von Internetseiten

Quelle: Ruland, Hardt, Heinemann 2007, S. 67

Sprachausgabe- Test

24%

10% 66%

Inhalte werden vorgelesen Inhalte werden teilweise vorgelesen

Inhalte werden nicht vorgelesen

Generell kann festgestellt werden, dass trotz enormer Potenziale viele Unternehmen sowohl die Marktchancen als auch die besondere Verantwortung des barrierefreien Internets nicht erkannt bzw. in ausreichendem Masse umgesetzt haben. Es bleibt zu hoffen, dass die vermehrt einsetzende Diskussion in der Gesellschaft und den Medien zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dieser Fragenstellung führen wird (vgl. Ruland/ Hardt/ Heinemann 2007, S. 67).

173

4.3

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

4.4

Beispiele für anforderungsgerechte AGB im Multi-Channel-Handel

4.4.1 AGB für Internetanbieter Mit der Multi-Channel-Entwicklung und der Verbreitung des Internet-Handels kommt zunehmend die Frage nach der gesetzeskonformen Gestaltung der AGB in diesen neuen Handelskanälen auf. Wie die zu diesem Themenkreis eingebundene, auf diesem Gebiet spezialisierte ANWALTSKANZLEI HEINEMANN aus Magdeburg ausführt, liegen AGB im Sinne der gesetzlichen Vorschriften vor, wenn es sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Regelungen handelt, die dem einem vom anderen Vertragspartner gestellt werden (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB). Allgemeine Geschäftsbedingungen können für Internet-Anbieter also als spezifische, vorformulierte Vertragsbedingungen definiert werden, die in einer Vielzahl von Fällen bei Vertragsabschluss der anderen Partei vorgelegt werden. Dabei ist gleichgültig, ob die ABG ein gesonderter Bestandteil eines Vertrages sind oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden. Darüber hinaus ist irrelevant, welchen Umfang die AGB haben und in welcher Schriftart sie verfasst sind. Keine AGB´s liegen vor, wenn im Einzelfall ausgehandelte, individuelle Vertragsbedingungen getroffen werden. Die AGB werden gemäß § 305 Abs. 2 BGB nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluß auf sie hinweist. Darüber hinaus muß die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme des Inhalts der AGB bestehen und die andere Vertragspartei mit der Geltung der AGB einverstanden sein. Dabei reicht ein pauschales Einverständnis über die Einbeziehung der AGB in den Vertrag aus. Allerdings werden so genannte überraschende Klauseln gemäß § 305c Abs. 1 BGB in keinem Fall Vertragsbestandteil. Überraschende Klauseln liegen vor, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihnen zu rechen braucht. Die Überraschungswirkung kann sich dabei auch aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ergeben. Als überraschend wäre z.B. eine Klausel zu bewerten, wonach der Käufer eines Fotoapparates auch verpflichtet sein soll, die aufgenommenen Bilder beim Händler entwickeln zu lassen. Die Verwendung von AGB dient regelmäßig der Abwandlung gesetzlicher Regelungen, um mögliche Unzulänglichkeiten auszugleichen. AGB bezwecken in der Regel der Rationalisierung, Ergänzung und Risikoverlagerung. Sind keine AGB vereinbart, gelten die allgemeinen Regeln des BGB. Dies kann für den Internetanbieter u.U. nachteilig sein. Andererseits können AGB ein starkes Machtinstrument sein, durch das ein Vertragspartner, also in der Regel der Internet-Kunde, stark benachteiligt werden kann. Deswegen hat der Gesetzgeber mit den §§ 307 – 309 BGB einen gesetzlichen 174

Beispiele für anforderungsgerechte AGB im Multi-Channel-Handel

Rahmen vorgegeben, in dem sich die anbieterspezifischen Regelungen zu bewegen haben. Damit soll sichergestellt werden, dass AGB den Vertragspartner nicht unangemessen benachteiligen. Danach wäre z.B. eine Klausel, wonach bei einem Kauf neu hergestellter Sachen die Gewährleitungsrechte vollständig ausgeschlossen sein sollen, wegen des Verstoßes gegen das spezielle Klauselverbot des § 309 Nr. 8 b) aa) BGB unwirksam. Sind AGB-Klauseln überraschend oder verstoßen sie gegen den gesetzlichen Rahmen in §§ 307 – 309 BGB, hat dies die Unwirksamkeit der betreffenden Klauseln zur Folge. Der Inhalt des Vertrages richtet sich insoweit dann nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Die AGB im Internet haben insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Kunden gemäß § 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB die

 Möglichkeit des Abrufs und die  Möglichkeit des Speicherns in wiedergabefähiger Form, z.B. pdf-Datei, zu verschaffen ist. Zudem ist, entsprechend dem allgemein geltenden Transparenzerfordernis, auf eine übersichtliche und sinnvolle Gliederung Wert zu legen. Sichergestellt werden muss auch, dass die AGB leicht, d.h. durch wenige Klicks, erreichbar sind. Nur so kann von einer „zumutbaren Kenntnisnahme“ gesprochen werden. Um Zweifel über die Einbeziehung von AGB zu vermeiden, sollte ein Hinweis auf die AGB oder die ganzen AGB vor Abgabe der Vertragserklärung des Kunden (Bestellung) erscheinen. Am besten wird die Genehmigung der AGB in einem gesonderten Fenster verlangt, wobei technisch dann nur bei Betätigung des Bestätigungsbuttons mit der Menüführung fortgefahren werden kann. Durch die Erfüllung der Anforderungen von § 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB genügt der Verwender regelmäßig zugleich seinen Obliegenheiten aus § 305 Abs. 2 BGB. Die AGB im Internethandel sollten zweckmäßigerweise insbesondere drei Aspekte ausdrücklich regeln: und zwar den Transport, die Versandkosten sowie die Bezahlung. Transport: Die Beschädigung von Waren auf dem Transportweg zum Verbraucher („B2C“) geht zu Lasten des Internetanbieters (§ 474 Abs. 2 BGB). Deswegen sind Transportversicherungen anzuraten. Dafür anfallende Kosten dürfen dem Kaufpreis nicht hinzugeschlagen werden. Eine Berechnung als „Servicepauschale“ o.ä. dürfte aufgrund mangelnder Transparenz für den Verbraucher gemäß § 307 BGB unwirksam sein.

175

4.4

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Versandkosten: Im Distanz-Handel und damit auch im Internet-Handel können dem Kunden die Versandkosten auferlegt werden, wobei ab einem bestimmten Bestellwert üblicherweise das Unternehmen die Versandkosten übernimmt; so z.B. bei Amazon ab € 20,Kaufsumme. Gängig ist es, eine zusätzliche Versandkostenpauschale bei Expressversand zu berechnen. Für Fälle der Ausübung des Widerrufsrechts des Verbrauchers ist es nach Maßgabe von § 357 Abs. 2 S. 3 BGB möglich, dem Verbraucher die Kosten der Rücksendung aufzuerlegen. Bezahlung: Kunden werden im Internet-Handel verschiedene Bezahlmöglichkeiten zur Verfügung gestellt wie z.B. Kreditkarte, Rechnung oder Vorkasse. Bei Zahlungsverzug werden dem Kunden gewöhnlich Zinsen berechnet. Übersteigen diese den gesetzlichen Zinssatz, ist § 309 Nr. 5 BGB zu beachten.

4.4.2 Regelungen für Produktindividualisierungen Internet-Händler, die individualisierte Produkte anbieten (z.B. Einzelfertigungen oder Mass-Customization) sollten ergänzende Regelungen in ihre AGB aufnehmen. So gibt es bei Fernabsatzverträgen für Produkte, die nach Kundenspezifikationen angefertigt wurden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, kein Widerrufsrecht (§ 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB). Dieses wird von Anbietern entsprechender Produkte in den AGB´s häufig nicht bedacht. Gleiches gilt für die Regelungen der Urheberrechte am geistigen Eigentum der Kunden, die z.B. eigene Design-Ideen betreffen. Auch diese sollten in den AGB geregelt werden. In Hinblick auf das Widerrufsrecht ist unbedingt zu berücksichtigen, dass Produkte, die nach einem sogenannten Baukastensystem individuell nach Kundenwünschen zusammengestellt werden, von § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB nicht erfasst werden (z.B. Computer, Schmuck). Diesbezüglich kann auf das Urteil des BGH vom 19.03.2003, Az. VIII ZR 295/01, hingewiesen werden, welches das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen betrifft. Der die Rückabwicklung begehrende Kläger hatte ein Notebook zwar nach seinen Wünschen ausstatten und mit Zusatzkomponenten versehen lassen, so dass der BGH davon ausging, dass das Notebook in der konkreten Zusammenstellung nur zufällig einen anderen Käufer finden könne. Gleichwohl sei das Widerrufsrecht des Klägers nicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FernAbsG (jetzt § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB) wegen Anfertigung der Ware nach Kundenspezifikation ausgeschlossen. Für den beklagten Händler habe, weil dieses aus Standardbauteilen zusammengesetzt worden sei, die ohne größeren Aufwand getrennt und anderweitig verwendet werden konnten, die Möglichkeit einer wirtschaftlich tragbaren Verwertung des Notebooks bestanden. Deshalb war nach Ansicht des BGH der Schutzbereich von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FernAbsG

176

Beispiele für anforderungsgerechte AGB im Multi-Channel-Handel

(jetzt § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB) nicht eröffnet. Viele Mass-Customization-Anbieter im Internet gehen in ihren AGB auf das (Nicht-)Bestehen eines Widerrufsrechts nach §§ 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB, 355 BGB nicht ein.

4.4.3 Anbieter im Vergleich Eine Studie, die im Rahmen einer Master-Thesis von Frau Nora Gundelach unter Betreuung des Autors im Jahre 2008 an der Hochschule Niederrhein durchgeführt wurde, untersucht am Beispiel von 14 ausgesuchten Internet-Anbietern, inwieweit den spezifischen Anforderungen an die AGB Rechnung getragen wird. Dabei wurden vor allem Rückgaberegelungen und Widerrufsrechte, aber auch Gewährleistungen, Retourenregelungen, Schutzrechteregelungen sowie Produkthaftungsregelungen im Mass Customization untersucht. In Abbildung 4-7 ist dargestellt, nach welchem Prinzip die Anbieter im Sinne einer möglichst breiten Branchenabdeckung ausgesucht wurden und um welche InternetUnternehmen es sich dabei handelt

Abbildung 4-7:

Stichprobe der AGB-Untersuchung im Internet Kriterien

Alle Branchen

           

T - Shirts Maßkonfektion Schuhe Taschen Foto - Produkte Schmuck Bücher Lebensmittel Computer Sportartikel Drucksachen Spielwaren

National & International

Pure Internet & Multi-Channel

National:

Pure Internet:

  

  

MyMüsli PersonalNovel Julie&Grace

International:

  

Spreadshirt Tailor Store Factory 121

Spreadshirt dieDruckerei MyMüsli

Multi – Channel:

  

Nike iD Lego Factory Eterna

Phasen der Kundenintegration

Spät

     

Pixum Agando PersonalNovel Nike iD Tailor Store Spreadshirt

Früh

177

4.4

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Folgende Internetanbieter stehen im Vergleich:

 Maßhemden-Tailor Store (www.tailorstore.de): Die schwedische Firma Tailor Store hat innerhalb von drei Jahren mit Ihrem Online-Angebot an maßgeschneiderten Hemden zu bezahlbaren Preisen einen preisgekrönten Shop entwickelt, der seinen Online-Service in über 30 Ländern anbietet.

 Drucksachen online - dieDruckerei.de (www.diedruckerei.de): Dieser OnlineAnbieter verkauft online Drucksachen, (z.B. Flyer, Plakate, Broschüren, Kataloge, Briefpapier, Visitenkarten). Diese Drucksachen werden dann im hochwertigen Offsetdruck oder demnächst auch im Digitaldruck produziert.

 PC-Kombinationen – AGANDO (www.agando-shop.de): AGANDO bietet komplett individuell konfigurierbare PC-Systeme und Note-books. Der Kunde kann sich online sein Wunschsystem ganz nach seinen Anforderungen zusammenstellen.

 Schmuckkonfiguration – Juwelon (www.juwelon.de): Der Kunde kann sich sein Schmuckstück im Stil eines Baukastensystems selbst zusammenzustellen und bei Material, Design und Steinbesatz unterschiedliche Varianten wählen unter Anpassung der individuellen Kundengrößen.

 T-Shirts frei gestalten – Spreadshirt (www.spreadshirt.net): Die Produkte (u.a. Hemden, Tassen, Mützen) entstehen zunächst nur im Internet, wobei die Kunden ihre Motive in einem virtuellen Designstudio entwerfen und auf ihrer eigenen Homepage zum Kauf anbieten können. Produziert wird erst nach Order.

 Fotoprodukte/ Bücher mit eigenen Motiven - Pixum.de (www.pixum.de): Die Produktpalette umfasst neben Kartendruck, Belichtung von digitalen Bildern als Fotos, Fotoposter oder Fotokalender, individuelle Foto-Geschenkartikel als Tasse, Puzzles, T-Shirts sowie Stofftiere etc. Pixum.de wurde 2007 u.a. von Capital mit dem „Fast 50-Award“ für die 50 am schnellsten wachsenden Technologieunternehmen in Deutschland ausgezeichnet.

 Personalisierbare Uhren - Factory121 (www. 121time.com): Der Internet-Anbieter aus der Schweiz bietet nach ästhetischen Gesichtspunkten individualisierte Uhren an. Kunden haben die Wahl zwischen 82 Uhrenmodellen, durch deren Zahl i.S. der Vorauswahl/ Vorkonfiguration die Komplexität aus Kundensicht gesenkt wird.

 LEGO Factory (http://factory.lego.com): LEGO stellt seinen Kunden ein hochentwickeltes Toolkit für Nutzerinnovationen und Co-Design zur Verfügung („LEGODesigner“). Nutzer können eigene LEGO-Modelle entwickeln. Danach produziert die Fabrik die Steine, die für die neuen Modelle notwendig sind und sendet sie den Nutzern zu, die dann damit ihre Modelle zusammenbauen können.

178

Beispiele für anforderungsgerechte AGB im Multi-Channel-Handel

 My Müsli (www.mymuesli.com): Bietet die Möglichkeit, sich aus über 70 verschiedenen Zutaten sein Müsli individuell im Internet zusammenzustellen. My Müsli wurde vergangenes Jahr mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter u. a. mit dem Gründerpreis der Financial Times.

 Personal Novel (www.personalnoval.de): Verkauft seit 2003 personalisierte Bücher, in denen die Nutzer selber die Hauptrolle übernehmen. Der Kunde kann den Romanfiguren, Orten oder Tieren eigene Namen geben. 70 unterschiedliche Titel hat PersonalNovel mittlerweile im Programm.

 Nike iD (http://nikeid.nike.com): Bei Nike iD kann sich der Kunde online Schuhe, Taschen, Sportuhren konfigurieren. Modelle basieren auf den normal erhältlichen Serienmodellen und können in der Farbgebung sowie durch einen eigenen Schriftzug vom Kunden individualisiert werden.

 Cays (www.cays.de): Bei Cays hat der Kunde die Möglichkeit, sich eine Tasche aus LKW – Plane selbst zu gestalten. Er kann zwischen verschiedenen Taschentypen wählen und diese mit eigenem Foto versehen oder individuell mit verschiedenen Farben zusammenzustellen.

 Julie&Grace (www.julie-grace.de): In diesem Online – Shop kann man Armbänder, Halsketten und Ohrringe selbst zusammenstellen. Es besteht die Möglichkeit, die eigenen Designs von anderen Usern bewerten zu lassen oder im öffentlichen Showroom zum Verkauf anzubieten.

 Eterna (http://hemden-meister.de): Bietet in seinem Online – Shop die Möglichkeit, Maßhemden fertigen zu lassen. Kunden können sich ihr Wunschhemd nach dem Baukastenprinzip zusammenstellen: Sie können Manschetten, Rumpflänge, Ärmellänge, Größen, Stoffe, Farben und Dessins kombinieren. Bei den untersuchten Internet-Anbietern sind in der Regel die untersuchten rechtlichen Rahmenbedingungen im Rahmen der AGB geregelt. In wenigen Fällen sind die AGB unvollständig, in einem Fall fehlten sie ganz. Gewährleistung (§§ 437 BGB) und Produkthaftung sind in der Regel nach gesetzlichen Bestimmungen geregelt bzw. begrenzt. Ein Link zu den AGB ist auf jeder Seite integriert, teilweise existiert eine direkte Download – Funktion. Den empfohlenen Umfang von AGB eines Mass Customization Anbieters im Internet zeigen die diesbezüglichen Best-Practice-Anbieter Spreadshirt, dieDruckerei und Julie&Grace:

 §1 Allgemeines, Geltungsbereich (§ 305 BGB)  §2 Verantwortlichkeit für Online – Angebot  §3 Vertragsschluss  §4 Lieferung/ Versand 179

4.4

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

 §5 Preise  §6 Bezahlung  §7 Eigentumsvorbehalt (§ 449, § 929, § 158 BGB)  §8 Gewährleistung (§ 438 BGB)  §9 Haftung/ Haftungsbeschränkung (§ 309 BGB)  §10 Widerrufrecht (§ 312d BGB)  §11 Schutzrechte/Urheberrechte (UrhG)  §12 Technische und gestalterische Abweichungen  §13 Datenschutz (BDSG)  §14 Erfüllungsort, Gerichtsstand. Der in der Regel vorgefundene Umfang von AGB von Mass Customization Anbietern im Internet findet sich bei den Anbietern Tailor Store, PersonalNovel, MyMüsli, Eterna und Pixum:

 §1 Allgemeines, Geltungsbereich (§ 305 BGB)  §2 Vertragsschluss  §3 Lieferung/ Versand  §4 Preise  §5 Bezahlung  §6 Gewährleistung (§ 438 BGB)  §7 Haftung/ Haftungsbeschränkung (§ 309 BGB)  §8 Widerrufrecht (§ 312d BGB)  §9 Erfüllungsort, Gerichtsstand. Worst Practices im Bereich AGB von Mass Customization Anbietern im Internet sind Agando, Juwelon und Cays. Während Agando und Juwelon dem Aspekt der Produktindividualisierung in ihren AGB´s keine Berücksichtigung schenken, sind bei Cays überhaupt keine AGB´s zu finden. Die Urheberrechte sind nur von wenigen der führenden Mass Customization Anbietern im Internet beachtet worden, und zwar lediglich von Nike iD, Lego Factory und Pixum. Spreadshirt nutz die Bestimmung „zur Regelung des Urheberrechts an geistigem Eigentum der Kunden“ und bietet seinen Kunden die Möglichkeit, eine Lizenz über ihre selbst gestalteten Motive an Spreadshirt zu vergeben. Spreadshirt vertreibt dann dieses Motiv und der Kunde erhält eine Provision vom Umsatz des Motives. 180

Multi-Channel-Aktionsplan

4.5

Multi-Channel-Aktionsplan

Der Schlüssel für die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung einer Multi-ChannelStrategie liegt in der Herstellung der Multi-Channel-Fähigkeit und der Entwicklung eines Multi-Channel-Aktionsplans. Beides bedingt einander und darf nicht lösgelöst betrachtet werden. Wird zum Beispiel nach detaillierter Prüfung festgestellt, dass die Multi-Channel-Fähigkeit nicht gegeben ist und auch nicht ohne weiteres hergestellt werden kann, spricht dieses erst einmal gegen eine Multi-Channel-Strategie und möglicherweise für eine Multiple-Channel-Strategie.

4.5.1

Herstellung der Multi-Channel-Fähigkeit

Gehen wir davon aus, dass sich eine Multi-Channel-Fähigkeit grundsätzlich herstellen lässt, dann stehen dazu folgende Schritte an (vgl. EEC 2007 nach Amor 2004, S. 36-37): 1. Harmonisierung der Kundendaten: Absolut erfolgskritisch für die Multi-ChannelFähigkeit ist es, die Kundendaten, die in verschiedenen Systemen abgelegt sein können, zentral zu halten und pflegen. Dieses ist notwendig, da Daten in verschiedenen Systemen gewöhnlich unterschiedliche Detaillierungsgrade aufweisen sowie doppelt, falsch und unvollständig angelegt sind. Auch weil die verschiedenen Systeme bei ihrer Tagesarbeit einen Teil der zur Verfügung stehenden Daten benötigen, müssen Änderungen zentral vorgenommen und zeitgleich sowie zeitnah auf die Systeme verteilt werden. 2. Harmonisierung der Prozesse: Aus Vereinfachungsgründen für Mitarbeiter und Kunden, sollten sämtliche Prozesse unabhängig vom Absatzkanal harmonisiert werden. Es erleichtert den Zugang zum Unternehmen enorm, wenn zur Prozessdurchführung immer die gleichen Schritte notwendig sind und die gleichen Daten benötigt werden.

3.

Harmonisierung der Infrastruktur: Da in einem Unternehmen, vor allem wenn es größer und älter ist, im Laufe der Zeit unterschiedlichste Systeme zum Einsatz gekommen oder noch im Einsatz sind, ist es kaum möglich, alle Systeme quasi per Knopfdruck auf den neuesten Stand zu bringen. Es empfiehlt sich deshalb, eine Zwischenschicht zwischen Systemen und Kanälen einzuziehen, um die Systeme miteinander zu verbinden und eine einheitliche Sicht auf die Prozesse und Daten zu bekommen. Moderne Portaltechnologie hilft dabei, Daten und Prozesse optimal aufzusetzen.

Die Erfüllung dieser drei Punkte hat den Vorteil, dass das Unternehmen danach relativ einfach weitere Produkte über die bestehenden Vertriebskanäle verkaufen kann. Zusätzliche Artikel können ohne größeren Kostenaufwand und Einarbeitungszeiten 181

4.5

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

hinzugefügt werden, da die Daten und Prozesse identisch sind (vgl. EEC 2007 nach Amor 2004, S. 36-37).

4.5.2

Entwicklung eines Multi-Channel-Aktionsplans

Im nächsten Schritt geht es jetzt darum, einen Multi-Channel-Aktionsplan zu entwickeln. Lehnt man sich an die Vorgehensweise der „Early Winners“ an, dann sind dazu folgende vier Schritte zu absolvieren (vgl. McKinsey 2000, S. 2). Diese Schritte sind in Abbildung 4-7 dargestellt:

Abbildung 4-8:

Entwicklung eines Multi-Channel-Aktionsplanes

Quelle: McKinsey 2000, S. 3

Decide on multi-channel vs. Multiple channel strategy And design multi-channel value proposition





Value creation opportunities of multi-channelvs. Multiple channel-stratgy portfolio Key criteria: - Segments - Customer Mix - Competition - Brand - Capabilities - Economics

1.

2.

182

  

High-valuesegment convenience and information benefits Technology enabled realm of the feasible Brand promise linkage

Develop a multichannel network architecture

  

Core channel roles and linkage Customer cost/revenue across channels Set role, siting, scale of physical assets – wrap the old around the new and recondition/exit

Retool your ability to deliver target cutomer experience

 



Clear accountabilities/metrics, requistite skills

Build the requitite Organization, Marketing and IT-skills



Customer recognition, brand promise delivery, consistent treatment foundational



Experiment with „tactical accelerators“



Accoutability for cross-channel customer experience – senior management comitted Modify marketing resource/budget and performance management processes – single/shadow P&L vs. transfer pricing Track metrics balancing customer segment measures with channelspecific measures

Schritt: Entscheidung zwischen Multi-Channel- und Multiple-ChannelStrategie sowie Erarbeitung eines einzigartigen Cross-Channel-Nutzens (z.B. Möglicher Verfügbarkeitscheck vor Filialbesuch). Schritt: Definition und Entwicklung einer Multi-Channel-Netzwerkarchitektur, mit der die Rollenverteilung und Investitionsprioritäten zwischen den Kanälen aus Kundenwertperspektive geklärt sind.

Multi-Channel-Aktionsplan

3. 4.

Schritt: Sicherstellung eines Kundenerlebnisses sowie der permanenten Einhaltung des Markenversprechens. Schritt: Entwicklung der erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie Aufbau der benötigten Infrastrukturen.

Im Folgenden sollen diese vier Schritte näher erläutert werden. Entscheidung zwischen einer Multi- und Multiple-Channel-Strategie Diese Entscheidung lässt sich auf den Punkt „volle Integration der Kanäle – ja oder nein“ bringen. Diesbezüglich wurde bereits ausgeführt, dass echter Kundennutzen sich nur bei voller Kanalintegration einstellt. Die Entscheidung hängt von zwei Faktoren ab. Erstens ist zu prüfen bzw. abzuschätzen, wie groß das Potenzial des neuen Multi-Channel-Segmentes voraussichtlich ist. Untersuchungen von McKinsey zeigen, dass Multi-Channel-Kunden einen stark wachsenden und signifikanten Anteil an der Kaufbevölkerung ausmachen (geschätzt über 50% im Bekleidungseinzelhandel und Retail-Banking). Hinzu kommt, dass Kunden, die mehrere Kanäle nutzen, zwei bis viermal soviel Geld ausgeben, wie Einkanalkunden. Wenn die attraktiven Mehrkanalkunden lediglich daran interessiert sind, Zugang zu einem neuen Kanal zu haben, ist eine Multiple-Channel-Strategie durchaus ausreichend. Sind diese aber empfänglich für Wettbewerber, die zusätzlichen Cross-Channel-Nutzen anbieten, dann ist die Entwicklung einer „echten“ Multi-Channel-Strategie essentiell. Dabei zeigen Untersuchungen, dass vor allem zwei zentrale Nutzenkomponenten den USP von MultiChannel-Systemen bestimmen werden:

 Der erste Faktor bezieht sich auf Convenience und Informationsqualität. Dabei wird Convenience durchaus unterschiedlich interpretiert und muss auf unterschiedliche Bedürfnisse Bezug nehmen wie z.B. Schnelligkeit, Zustellungsqualität oder personalisierter Service. Die Informationsqualität bezieht sich auf die Kombination aus Informationszugang und Beratungs-Tools wie z.B. individualisierte Empfehlungen. Diese „hybride“ Beratung ist dabei sowohl online als auch „on call“ vorzuhalten. Charles Schwab zum Beispiel bietet seinen Kunden nicht nur Convenience „auf allen Kanälen“, sondern ebenfalls Information bzw. Beratung via Online-Lernkurs und „Portfolio Consultation“, wobei sämtliche Instrumente online und interaktiv genutzt werden.

 Der zweite Faktor bezieht sich auf den Multi-Channel-Integrationsgrad, der für eine Branche ideal bzw. notwendig ist. Für Banken ist eine hohe Kanalintegration mittlerweile zu einer strategischen Notwendigkeit geworden, während Handelsunternehmen mit überzeugenden Konzepten und in Marktführerpositionen (z.B. Mediamarkt/ Saturn) noch lange nicht der Notwendigkeit für eine hohe Kanalintegration unterliegen. Dennoch zeichnet sich ein Trend zu „echten“ Multi-ChannelKonzepten im Handel ab.

183

4.5

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

Definition einer kundenbasierten Multi-Channel-Netzwerkarchitektur Viele der heutigen Distributionsnetzwerke von Multi-Channel-Händlern sind Ergebnis eines organischen Wachstums und inkrementaler Kanal-Expansion. Dieses hat vielfach zu einer Zersplitterung von Rollen und Zuständigkeiten geführt mit dem Ergebnis höherer Distributionskosten und fragmentierter Kauferlebnisse. Dabei ist die Definition der Kanal-Architektur, also die Festlegung der Schlüsselrollen jedes Kanals zusammen mit den entsprechenden Funktionalitäten und Formaten, absolut erfolgskritisch. Dieses bedingt ein sorgfältiges Auflisten der Kundenanforderungen an die Multi-Channel-Nutzung einerseits und die gegebenen Netzwerkmöglichkeiten und Kosten andererseits. Dieses bedingt ein Umdenken weg von der Silo-Orientierung hin zu einem Netzwerkdenken, wie bereits im Rahmen des Competent-ChannelControllings (Erfolgsfaktor Nr.6) ausgeführt wurde. Voraussetzung ist aber auch, Komplexitäten und Durchlaufzeiten soweit wie möglich zu reduzieren (Erfolgsfaktor Nr. 5). Sicherstellung eines Kundenerlebnisses und Einhaltung des Markenversprechens Kritisch für diese strategischen Marketing-Aspekte ist die operative Managementqualität, die sich u.a. auf organisatorisches Committment, Ressourcenallokation sowie Marketingpraktiken beziehen. Das organisatorische Committment bezeichnet die „Berechenbarkeit“ für den Kunden und für das Kundenerlebnis und bedingt eine klare Definition und Fixierung der Kanalrollen. Die Ressourcenallokation bzw. Budgetierung nimmt Bezug auf die jeweiligen Kanalrollen und vermeidet einen „Kanalegoismus“. Die Maketingpraktiken in und zwischen den Kanälen sind unbedingt zu koordinieren, was bereits im Rahmen der „Coordinated Communication“ (Erfolgsfaktor Nr. 1) hervorgehoben wurde. Dieses bezieht sich auch auf die Servicequalität, die in Servicelevels festzuschreiben ist. Diese Servicelevels sind zwischen den Kanälen zu harmonisieren und „quer abzustimmen“. Dabei ist die Einhaltung eines kanalübergreifenden Markenversprechens nur möglich, wenn eine übergreifende MultiChannel-Brand umgesetzt wurde (vgl. Common-Brand als Erfolgsfaktor Nr. 4).

Aufbau der erforderlichen Fähigkeiten und Infrastrukturen Hierbei geht es um die Umsetzung der veränderten Fähigkeitsanforderungen, die sich sowohl auf neue Kanäle als auch auf das Gesamtsystem beziehen, sowie die Entwicklung einer „Cross-Corporate-Culture (Erfolgsfaktor Nr. 7). Fähigkeiten sind aber nur in Erfolg umsetzbar, wenn die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sind. Absolut erfolgskritisch ist zum Beispiel die kanalübergreifende Integration und Nutzung

184

"Lessons Learned": 20 Regeln für den Multi-Channel-Handel

eines Warenwirtschaftssystems sowie CRM-Systems (vgl. Central CRM System als Erfolgsfaktor Nr. 2). Während in den Anfangsjahren des Multi-Channel-Retailings sicherlich ein „Test-and -Learn“-Ansatz erforderlich war, weil die Fähigkeiten neu oder zum Teil noch gar nicht bekannt waren, kann der Fähigkeitsaufbau heute schneller durch Personalakquisition erfolgen. Treiber des Multi-Channel-Gedankens in den klassischen Handelsorganisationen sind mittlerweile die „High Potentiales“ der New Economy, die vielfach als Online-Channel-Experten gerade in den letzten Jahren eingestellt wurden und ihre „Lehrjahre“ in jungen Internetfirmen verbracht haben.

4.6

"Lessons Learned": 20 Regeln für den MultiChannel-Handel

Abschließend zum vierten Kapitel soll die Checkliste des Engländers Robin Klein mit 20 Regeln für den „echten“ Multi-Channel-Handel aufgezeigt werden, die die bisherigen Erkenntnisse „auf den Punkt“ bringen (vgl. Versandhausberater 2005): 1.

Jeder Einzelne muss den Multi-Channel-Gedanken teilen und auch leben.

2.

Entwickeln Sie von Anfang an eine Organisationsstruktur, die Multi-Channel ermöglicht.

3.

Sorgen Sie dafür, dass alle Personen an Schlüsselstellen mit Begeisterung jeden Kanal optimieren wollen.

4.

Treffen Sie alle harten Entscheidungen mit Rücksicht darauf, welche Vorund Nachteile ein zusätzlicher oder ein fehlender Kanal für den Kunden hat.

5.

Betrachten Sie nicht nur die Entwicklung einzelner Läden, sondern beobachten Sie auch den Versandumsatz im Einzugsgebiet des Shops.

6.

Überprüfen Sie, ob Ihre Lieferanten und Dienstleister die Anforderungen des Multi-Channel-Handels verstehen bzw. ihnen gewachsen sind.

7.

IT gehört an die erste Stelle in allen Entscheidungsprozessen.

8.

Versuchen Sie, die stationären IT-Systeme und die Versand-EDV von Anfang an integriert zu entwickeln.

9.

Denken Sie stets regional, nicht entsprechend der nationalen Verbreitung des Katalogs.

185

4.6

4

Best Practices im Multi-Channel-Handel

10. Achten Sie bei jeder Produkt und Marketingentscheidung darauf, ob Sie auch Ihre Shops zu einem interessanten Ziel für Ihre Kunden machen. 11. Sie können durch Direct-Mails die Kunden steuern. Wählen Sie daher keine Läden in teuren 1A-Lagen – Sie sind nicht so sehr auf den „Lauf“ angewiesen wie bei rein stationären Kunden. 12. Suchen Sie Ladenstandorte, indem Sie Transaktionsdaten des Versandgeschäftes (Adressen/ Umsätze) mit Geodaten über Kaufkraft etc. abgleichen. 13. Platzieren Sie Ihre Läden dort, wo Ihr Versandgeschäft die größten Erfolge hat. Versuchen Sie nicht, in schwache Versandregionen zu gehen, um „Kannibalisierung“ zu vermeiden. 14. Zwingen Sie Kunden nicht, bei einem Kanal zu bleiben – ermutigen Sie diese dazu, auch andere Kanäle zu nutzen. 15. Geben Sie den Filialkunden gute Gründe, Ihnen Name, Adresse und e-MailAccount zu nennen. 16. Folgen Sie einem Filial-Kontakt wirklich rasch mit einem DirektmarketingFollow-Up. 17. Achten Sie darauf, dass Ihre Sprache und Ihr Ton, Ihre Warenpräsentation und Ihre Geschäftspolitik in allen Kanälen gleich sind. Lediglich Angebotsformen können kanalspezifisch vom gemeinsamen Kernsortiment abweichen. 18. Behandeln Sie nicht alle Kunden gleich. 19. Unterschätzen Sie nicht die besonderen Qualifikationen, die der LadenVerkauf gegenüber dem Versandhandel und umgekehrt erfordert. 20. Unterschätzen Sie niemals das Kapital, das der professionelle Start in einen neuen Absatzkanal benötigt.

186

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

5

5.1

Risk-Benefit – Wie sich MultiChannel-Handel rechnet

Chancen und Risiken des Multi-ChannelHandels

Der Aufbau eines neuen Vertriebsweges stellt für einen Einzelhändler eine Innovation dar und zwar sowohl in Bezug auf den einzelnen innovativen Vertriebskanal als auch im Hinblick auf den Einstieg in den Multi-Channel-Handel. Neben zahlreichen Chancen einer derartigen Innovation können sich auch Spannungen, Konflikte und damit Risiken ergeben, die kontraproduktiv zu der ursprünglichen Idee einer zusätzlichen Umsatzquelle wirken. Die folgende Abbildung 5-1 fasst die Chancen und Risiken bei der Verwendung paralleler Absatzkanäle zusammen.

Abbildung 5-1:

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

Quelle: In Anlehnung an Passenheim 2003, S. 124 Chancen

• Erhöhung der Konsumentenreichweite durch breitere Kanalstreuung

• Erhöhung der Marktabdeckung durch die

Handels sicht

Erschließung neuer Kundengruppen und anderer Mediennutzer • Wirtschaftlichkeit durch die Nutzung von Synergiepotentialen • Risikoausgleich durch die Vermeidung von Abhängigkeiten von bestimmten Medien • Flexibilität durch medienspezifische Reaktionen auf Marktentwicklungen • Kundentreue durch gestiegenes Image und medienübergreifende Aktivitäten • Imagegewinn und Markenverjüngung durch Absatzkanal-Innovation

• Anpassung an Kundenbedürfnisse durch Kunden sicht

gezielte Kommunikation in verschiedenen Medien • Risikoausgleich durch die Vermeidung von Abhängigkeiten von bestimmten Medien

Risiken

• Schwierigkeiten der Implementierung durch mangelndes Problembewusstsein

• Kontrollverlust durch die Einschränkung von Handlungsspielraum auf Grund steigender Komplexität in der Mediensteuerung • Suboptimierung durch gestiegene Aufgabenkomplexität • Kannibalisierungeffekte durch konkurrierende Absatzkanäle • Konflikte durch Konkurrenzsituationen in den verschiedenen Medien • Sinkende Differenzierungspotenziale durch Zunahme von Penetration und Standards

• Verwirrung beim Kunden durch die Kommunikation der gleichen Leistung in verschiedenen Medien • Unzufriedenheit durch mangelnde ChannelHopping-Möglichkeit

187

5.1

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

Betrachtet man die Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels, empfiehlt sich aus ähnlichen Gründen wie bei der Vorteilhaftigkeitsbetrachtung des Internet-Handels eine zweigeteilte Betrachtung aus Handels- und Kundensicht. Dadurch wird vermieden, dass die Wertschöpfungskette vom Handelsunternehmen zum Konsumenten „abgeschnitten“ betrachtet wird und dementsprechend nur ein Partner von der Transaktion entscheidend profitiert. Dabei ergeben sich vier Konstellationen, nämlich Chancen und Risiken jeweils aus Handelssicht sowie Chancen und Risiken jeweils aus Kundensicht.

5.1.1

Chancen aus Handelssicht

Als Chancen aus Handelssicht lassen sich Erhöhung der Konsumentenreichweite und der Marktabdeckung, Wirtschaftlichkeit, Risikoausgleich, Flexibilität, Kundentreue sowie Imagegewinn und Markenverjüngung nennen.

 Erhöhung der Konsumentenreichweite durch Angebot in mehreren, breiter gestreuten Absatzkanälen: Mit Konsumentenreichweite ist die Anzahl der aktuellen und potenziellen Kunden gemeint, die von einer Kombination aus verschiedenen Vertriebskanälen, über die Waren vertrieben werden, tatsächlich erreicht werden können. Kunden entscheiden sich bei der Kaufentscheidung für den Betriebstyp, der für den aktuellen Bedarf die Leistungserwartungen am besten erfüllen kann. Im Extremfall entscheidet sich der Kunde bei jedem Einkauf aus Neue, welchen Betriebstyp bzw. Absatzkanal er in welchem Handelsunternehmen frequentiert. Dabei steigt die Auswahlwahrscheinlichkeit, wenn die Produkte über mehrere, die verschiedenen Erwartungen erfüllenden Betriebstypen und Kanäle angeboten werden. Die dadurch ansteigende Konsumentenreichweite eröffnet Handelsunternehmen die Chance, dass es bei unterschiedlichen Kaufanlässen ausgewählt wird. Multi-Channel-Systeme zielen folglich darauf ab, möglichst viel von der Konsumentenrente abzuschöpfen und unter Effizienzgesichtspunkten „aus möglichst vielen Rohren breit zu schießen“ (vgl. Schobesberger 2007, S. 29).

 Erhöhung der Marktabdeckung durch Erschließung neuer Kundengruppen: Durch den Einsatz einzelner Absatzkanäle erreichen die Anbieter häufig nur einen Bruchteil des anvisierten Marktes. Erst durch die Distribution in mehreren Absatzkanälen kann brachliegendes Marktpotenzial erschlossen werden. Damit verbessert sich auch die Möglichkeit, höhere Umsätze zu erzielen. Zum anderen tun sich mit neuen Kanälen wiederum auch neue Marktpotenziale auf, da andere Zielgruppen als bisher erschlossen werden können (vgl. Schobesberger 2007, S. 29). Durch abgestimmte Kommunikation kann der Kunde auf die unterschiedlichen Beschaffungskanäle und ihre spezifischen Vorteile hingewiesen werden. Ein Mitglied des Bertelsmann Buchclubs wird sowohl in Katalog und Filialen als auch bei der telefonischen Bestellung immer wieder auf die Möglichkeit eines Besuchs der

188

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

Internetseite hingewiesen. Eine erhöhte Marktabdeckung, verbunden mit einer umfassenden Erschließung aller Marktpotenziale kann häufig die Hinzunahme eines weiteren Absatzkanals rechtfertigen (vgl. Ahlert, Hesse 2003, S. 18). Häufig wird auch der Einstieg in den Multi-Channel-Handel genutzt, um eine Internationalisierung vorzubereiten. Die WWW-Präsenz kann als „Speersitze“ in neue Länderregionen genutzt werden, wie z.B. Douglas erkannt hat oder auch die Versandhändler zunehmend praktizieren.

 Wirtschaftlichkeit durch Realisierung von Synergiepotenzialen: Mit der Distribution über Mehrkanal-Systeme gehen nicht nur Effektivitätsüberlegungen einher. Es werden damit häufig auch Kostenziele verfolgt. Die Überlegung besteht darin, durch den Einsatz verschiedener, wertkettenergänzender Absatzkanäle die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. So kann ein kostenintensiver Außendienst durch Stützpunktsysteme und forciertes Direktmarketing via Internet entlastet werden, wodurch die Wirtschaftlichkeit steigt. Weitere Beispiele sind Synergieeffekte durch die Nutzung vorhandener Ressourcen, durch die laufende Kosten und notwendige Anfangsinvestitionen reduziert werden können. Die gemeinsame Nutzung eines Warenlagers durch verschiedene Kanäle gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Kapazitäten besser auszulasten und Fixkosten zu relativieren. Über gute Voraussetzungen für Effizienzvorteile verfügen vor allem die traditionellen Versandhändler. In der forcierten, von vielen Versandhändlern betriebenen Substitution des klassischen Kataloggeschäftes durch den Internet-Kanal steckt häufig auch die Überlegung, Druck- und Katalogkosten des klassischen Versandgeschäftes senken zu können. Die Versandhändler beherrschen die hinter dem Online-Auftritt stehenden Geschäftsprozesse, da diese in der Regel identisch sind mit dem traditionellen Geschäftsmodell. Dies gilt auch für die Zentrallagerlogistik und das Management der Verpackungszentren. Mit dem Einstieg in den Online-Handel wird praktisch nur die Stückzahl „im backoffice“ erhöht, so dass die damit anfallenden Stückkosten zumindest teilweise von der bereits in Gang gesetzten Erfahrungskurve profitieren können. Dadurch kann gegenüber Wettbewerbern ein Kostenvorteil erzielt werden. Branchenfremde Händler und Neugründer sind damit im Vergleich zum Versandhandel erheblich benachteiligt (vgl. Krone 2004, S. 18 ff.). Die entsprechenden Infrastrukturdefizite in der „New Economy“ waren wesentlicher Grund für das Scheitern vieler Internet-Newcomer. Mit der Beschaffungsabhängigkeit von den relativen teuren und damit auf die Margen drückenden Barsortimentern konnten viele der neu gegründeten Internet-Buchhändler ohne eigene Infrastruktur niemals schwarze Zahlen erreichen (z.B. BOL). Voraussetzung für die Erzielung von Effizienzvorteilen in Multi-Channel-Systemen ist aber in jedem Fall die Verknüpfung und Koordination der verschiedenen Kanäle.

 Risikoausgleich durch die Vermeidung von Abhängigkeiten auf bestimmte Kanäle: In einzelnen Absatzkanälen können immer auch starke Anhängigkeiten von einzelnen Kundengruppen entstehen. In vielen Branchen hat sich der Marktzugang als Nadelöhr für Lieferanten erwiesen. Einkaufsmacht, Handelskonzentration und 189

5.1

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

Abhängigkeit bedroht vor allem mittelständisch strukturierte Industrien, die über Multi-Channel-Handel und insbesondere den damit verbundenen Online-Vertrieb eine Möglichkeit zur Direktvermarktung erhalten. Viele Anbieter wie z.B. Gerry Weber nutzen diese Vertikalisierungschance, um sich aus der Anhängigkeit ihrer Vertriebspartner zu lösen. Für den Händler ergibt sich ein Risikoausgleich auch aus einer mit dem Einstieg in den Multi-Channel-Handel verbundenen Betriebstypen-Diversifikation. Das Betriebstypen-Portfolio lässt sich besser ausbalancieren, wodurch das Geschäftsrisiko auf eine breitere Basis gestellt wird.

 Flexibilität durch kanalspezifische Reaktionen auf Marktentwicklungen: In Bezug auf die Internetnutzung lassen sich zum Beispiel Vorteile der Vertriebskanalkombination nennen, die so sonst nicht bestehen. Insbesondere als flexibel einsetzbares Informationsmedium hat das Internet vielfach eine wichtige, nicht zu ersetzende Rolle im Rahmen von Multi-Channel-Systemen eingenommen. Studien besagen, dass ca. 40% aller Verbraucher sich vor einem Kauf im stationären Handel im Internet informieren und dabei entscheidend beeinflussen lassen. Das Internet ermöglicht es den Handelsunternehmen, die Konsumenten gezielt, flexibel und aktuell anzusprechen und deren Bedürfnisse besser auszuloten. Unter Zuhilfenahme des Internets können sich Händler ihren wertvollsten Kunden widmen und damit die profitabelsten Kundenbeziehungen intensiv pflegen (vgl. Krones 2004, S. 1516), wie z.B. von Bogner-Homeshopping praktiziert.

 Kundentreue durch kanalübergreifende Aktivitäten: Multi-Channel-Handel eröffnet die enorme Chance, den Kunden durch personalisierte Produktangebote und kundengerechte Sortimentsgestaltung langfristig zu binden. Auf Basis der neuen Systeme können Handelsunternehmen über verschiedene Kanäle eine Fülle unterschiedlichster Informationen über ihre Kunden sammeln und gewinnbringend einsetzen. In Verbindung mit Kundenkartensystemen sind sämtliche Käufe eines Kunden kanal-übergreifend nachvollziehbar und seine Kaufhistorie dokumentierbar. Damit lässt sich ein aussagefähiges Kaufverhaltensprofil des Kunden aufzeichnen, das u.a. über sein Suchverhalten Auskunft gibt und für persönliche Kauf-Empfehlungen genutzt werden kann (vgl. Krones 2004, S. 17). Hinzu kommt, dass Kunden, die permanent auf der Suche nach neuen Angeboten sind, Mehrfachangebote auf differenzierten Kanälen registrieren und in der Regel auch honorieren, wie z.B. Neckermann.de bestätigt.

 Imagegewinn und Markenverjüngung durch Absatzkanal-Innovation: Unternehmen ohne Internet-Präsenz gelten mittlerweile als „veraltet“. Die Mehrzahl der Konsumenten nutzt das Internet, um sich im Vorfeld ihres Kaufes über Produkte vorab zu informieren. Eine Website kann dabei auch gut dazu genutzt werden, Imagewerbung zu betreiben. Viele Besucher schließen vom Internet-Auftritt auf das Unternehmen und bilden sich dabei eine gefestigte Meinung. Dieses gilt insbesondere für die jungen Käufergenerationen, die ohne Internet vielfach gar nicht mehr erreicht werden können. Wenn ein Unternehmen allerdings den Internet-

190

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

Kanal als Marketinginstrument zur Imageverbesserung und Markenverjüngung nutzen will, darf es sich diesbezüglich nicht mit „halben Sachen“ zufrieden geben. Mit schlechten Websites kann der Schuss dabei „schnell nach hinten losgehen“. Dieses hat z.B. Karstadt erkannt und mit Karstadt.de in den letzten beiden Jahren eine regelrechte „Online-Offensive“ gestartet.

5.1.2

Risiken aus Handelssicht

Als Risiken aus Handelssicht können Implementierungsschwierigkeiten, Kontrollbzw. Komplexitätsgefahren, Suboptimierung, Kannibalisierungseffekte, Konflikte, sowie sinkendes Differenzierungspotenzial genannt werden:

 Schwierigkeiten der Implementierung von Onlinevertrieb durch mangelndes Problembewusstsein: Die Implementierung von Onlinevertriebskanälen in bestehende Filialsysteme bringt nicht selten erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Für den stationären Handel besteht die Herausforderung dieses Modells insbesondere in der Koordination des neuen Absatzkanals mit den traditionellen Vertriebswegen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der Internetkanal von den vorhandenen Kunden nicht nur zum Einkauf, sondern vor allem auch als Informationsmedium genutzt wird. Es macht wenig Sinn und birgt große Gefahren in sich, den neuen Kanal implementieren zu wollen, ihn aber dann nicht als gleichwertige Verkaufsform zu akzeptieren, zu pflegen und weiterzuentwickeln. So gehen Kunden, die im Internet bestellen, von einer extrem hohen Warenverfügbarkeit und einer vergleichsweise sehr schnellen Lieferfähigkeit aus. Gerade hier haben viele Probleme ihren Ursprung, da die Bestellvorgänge in vielen Unternehmen noch manuell oder über den stationären Handel ausgeführt werden, womit die Kundenerwartungen aber nicht erfüllbar sind und Unzufriedenheit vorprogrammiert ist. Nur eine Automatisierung des Bestellwesens „ohne Medienbrüche“ ist in der Lage, die zeitlichen Erwartungen der Kunden zu erfüllen. Den Internet-Kanal als „Nebenkanal“ anzusehen, nicht zu integrieren und den Kunden dabei das Gefühl zu geben, mit einem völlig neuen Anbieter statt mit dem Stammgeschäft zu kommunizieren, ist in vielen Unternehmen Grund für den schlechten Start des Online-Verkaufs (vgl. Krones 2004, S. 7-9), wie z.B. bei Mediamarkt und Müller in der Vergangenheit zu beobachten.

 Kontrollverlust durch die Einschränkung von Handlungsspielräumen auf Grund steigender Komplexität in der Kanalsteuerung: Wie zu Beginn dieses Kapitels bereits erwähnt, ist ein Multi-Channel-Unternehmen ein komplexes Gebilde, das nicht selten über lange Jahre hinweg gewachsen ist. Es ist daher schwer, allgemeine Regeln für die Identifikation und Realisierung von Potenzialen abzuleiten. Zwar können die verschiedenen Kanäle durch Aufgabenverteilung gewisse Wertschöpfungspotenziale realisieren, der steigende Koordinationsaufwand finanzieller und

191

5.1

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

personeller Art ist jedoch erheblich. Der Start ins Multi-Channel-Retailing wird häufig auch dadurch erschwert, dass keine geeigneten Controllingsysteme vorliegen, wodurch die genauen Ergebniswirkungen der Kanäle insbesondere untereinander nicht transparent sind. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass sich mit der Einführung neuer Kanäle auch die Rangfolge der betrieblichen Ziele verschiebt. Als Auswirkung des Internet-Vertriebs zeichnet sich zum Beispiel ab, dass aus Kundensicht die jederzeitige Erreichbarkeit und die Möglichkeit, jederzeit zu bestellen und den Lieferstatus zu erfahren, an Bedeutung gewinnen. Die nachhaltigsten Veränderungen ergeben sich in den Bereichen Informationsfluss, Zeit, Geschwindigkeit und Effizienz. Außerdem ist davon auszugehen, dass mit der Implementierung eines Internet-Kanals die Qualifikationsanforderungen der Verkaufsmitarbeiter verändert werden. Die Vertriebsmitarbeiter müssen sich von der bisherigen „value communication“ lösen, um eine Chance gegen die hohen Effizienz- und Servicepotenziale des Internet zu haben und aus Kundensicht wertvolle Beziehungs- und Dialogleitungen zu erbringen (vgl. Krones 2004, S. 14).

 Suboptimierung durch gestiegene Aufgabenkomplexität: In der Regel müssen die neuen Fähigkeiten für die neuen Geschäftsarten und –systeme erst noch gelernt werden, wodurch viele Multi-Channel-Händler gerade in der Anfangsphase vielfach überfordert sind. Die große Gefahr dabei ist, dass die Anlaufschwierigkeiten und Probleme durch den neuen Kanal zu viel Managementkapazität binden und vom Tagesgeschäft im traditionellen Geschäftsteil ablenken. Risiken bestehen häufig auch in der Suche nach allgemein gültigen Lösungen, die sich dann in allen Absatzkanälen anwenden lassen. Die Spezifika der Kanäle werden dabei außer Acht gelassen, wodurch sich die eigentlichen Vorteile des Multi-Channel-Systems nivellieren. Ferner können zusätzliche Kosten entstehen, wenn die Unterschiede der Kanäle zwar antizipiert werden, aber keine integrierten Lösungen gefunden wurden, was die Wirtschaftlichkeit des gesamten Gebildes gefährden kann (vgl. Schobesberger 2007, S. 33).

 Kannibalisierungseffekte durch konkurrierende Absatzkanäle: Durch neue Kanäle verlieren Stammkanäle an Bedeutung und damit an Umsatz. Wie stark solche Kannibalisierungseffekte wirken, hängt unter anderem von der Art des Produktes, der Zugänglichkeit der verschiedenen Kanäle sowie der Habitualisierung des Kaufprozesses auf Kundenseite ab. Untersuchungen über Kannibalisierung in Multi-Channel-Systemen kommen jedoch auch zum Ergebnis, dass Befürchtungen in diese Richtung häufig übertrieben sind und die Kanäle sich bei richtiger Ausgestaltung eher gegenseitig fördern können.

 Konflikte durch Konkurrenzsituation in den verschiedenen Kanälen: Werden z.B. die einzelnen Absatzkanäle als eigenverantwortliche Bereiche im Sinne eines Profit-Centers geführt, kann es zu erheblichen Konflikten zwischen den Kanälen kommen, die auf opportunistisches Verhalten der einzelnen Absatzkanäle zurückzuführen sind. Sind die Kanalverantwortlichen dann noch für ihren Kanal ergeb-

192

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

nisverantwortlich tätig und ein Teil ihres Einkommens erfolgsabhängig gestaltet, ist der Konflikt vorprogrammiert. Wieso sollte der Filialleiter eines stationären Geschäftes seinen Kunden empfehlen, das Produkt doch besser online einzukaufen? Insofern benötigen Multi-Channel-Systeme auch geeignete Anreiz- und Kontrollsysteme, die weniger umsatz- und absatzabhängig gestaltet sind und so eine zielsetzungsgerechte Koordination ermöglichen (vgl. Ahlert 2003, S. 21 ff.). Die neuen Multi-Channel-Händler müssen sich insgesamt die grundlegende Frage stellen, welche Konfliktwirkungen sich aus der neuen Konstellation ergeben können und wie in der spezifischen Konfliktsituation zu agieren ist, sei es durch ein präventives Konfliktmanagement oder ein situatives Konfliktmanagement. Vor allem bei langfristigen Veränderungen sollten Konflikte bereits im Vorfeld vermieden werden, z.B. durch eine offene Kommunikation der Ziele sowie der angestrebten Prioritäten im neuen Distributionssystem. Missverständnisse lassen sich auch dadurch ausräumen, dass die Rollenverteilungen zwischen den Absatzkanälen klar und nachvollziehbar geklärt werden (vgl Krones 2004, S. 11). Welche Konfliktwirkungen mit MultiChannel-Retailing verbunden sein können, zeigt Abbildung 5-2.

Abbildung 5-2:

Konflikte im Multi-Channel-Handel

Quelle: Krones 2004, S. 11

Positive und negative Konflikte im Multi-Channel-Retailing

Positive Konfliktwirkungen

Negative Konfliktwirkungen

• Neue Energien werden freigesetzt

• Instabilität und Unsicherheit

• Neue Ideen werden gefördert

• Koordination wird erschwert

• Veränderungen werden möglich

• Abnehmende Rationalität

• Klarheit in missverständlichen Situationen

• Weigerung und Ablehnung

 Sinkende Differenzierungspotenziale durch Zunahme von Penetration und Standards: Es kommt vor, dass Handelsunternehmen die Leistungsunterschiede zwischen den Absatzkanälen anders interpretieren, als diese von den Kunden wahrgenommen werden. Je weniger Unterschiede allerdings zwischen den Kanälen hervorgehoben werden können, desto eher kannibalisieren sich die Absatzkanäle (Krones 2004, S. 9-10). Zur Herausstellung der Unterschiede müssen die Besonderheiten des jeweiligen Absatzkanals verdeutlicht werden. Erkennbare Diffe-

193

5.1

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

renzierungsmerkmale liegen nur dann für den Konsumenten vor, wenn ihnen ein zusätzlicher Absatzkanal einen bedeutsamen Nutzen bzw. Vorteil bietet, den andere Kanäle nicht aufweisen (z.B. 24-Stunden-Verfügbarkeit). Weiterhin muss die angebotene Problemlösung von den Kunden als relevant und einzigartig angesehen werden. Auch sollten die Bedürfnisse in dem spezifischen Absatzkanal für den Kunden besser erfüllt werden als durch den Wettbewerber (z.B. Lieferzeit). Allerdings besteht im Handel ein grundsätzliches Manko darin, dass eine vom Kunden wahrnehmbare Serviceleistung oder Profilierung nur von wenigen Handelsunternehmen erbracht wird. Zusätzlich wird eine Differenzierung durch einen neuen Online-Kanal und den damit verbundenen „First-Mover“-Vorteil immer schwieriger, denn je mehr Händler im Internet aktiv werden, desto geringer werden die Differenzierungspotenziale einzelner Angebote. Die folgende Abbildung 5-3 verdeutlicht diesen Sachverhalt (vgl. Passenheim 2003, S. 125).

Abbildung 5-3:

Differenzierungspotenziale von Multi-Channel-Systemen

Quelle: Passenheim 2003, S. 128

hoch Multi-ChannelSysteme als strategische Option; „First-MoverAdvantage“ Multi-ChannelSysteme als Notwendigkeit;

Differenzierungspotenzial

Differenzierungspotenzial vorhanden

Multi-ChannelSysteme als Notwendigkeit; Gefahr isolierter Aktivitäten als Wettbewerberreaktion

gering

Unternehmensindividuelle Strategie

Umbruchsituation

Entwicklungsstufen

194

Branchenstandard

Chancen und Risiken des Multi-Channel-Handels

5.1.3

Chancen aus Kundensicht

Kommt man auf die Kundensicht zu sprechen, dann lassen sich hier als Chancen die Anpassung an Kundenbedürfnisse und der Risikoausgleich nennen:

 Anpassung an Kundenbedürfnisse durch gezielte Distribution in verschiedenen Kanälen: In der Regel sind Kunden bereit und wünschen auch, bei einem ihnen bekannten Anbieter weitere Produkte zu erwerben, insbesondere wenn die bisherigen Erfahrungen gut waren. So erwägt der Kunde nach dem Kauf einer Spielkonsole vielleicht auch die passenden Spiele oder sogar ein Nachfolgemodell der Spielkonsole zu erwerben. Gleiches gilt für den PC-Kauf, dem sich der Erwerb von Software-Programmen anschließen kann. Neue „Storeless“-Kanäle versetzen den Kunden dabei in die Lage, auch ortsunabhängig und zu jeder Uhrzeit flexibel ordern zu können. Beispielsweise erzielt der Fernseh-Shop QVC nachts zwischen 1:00 und 2:00 Uhr seine höchsten Umsätze bei der Vorstellung seiner Neuangebote. Dieses Kaufverhalten könnte in stationären Geschäften definitiv nicht befriedigt werden.

 Risikoausgleich durch Vermeidung von Abhängigkeiten auf bestimmte Kanäle: Die Standortproblematik im stationären Handel schafft insbesondere in strukturschwachen Regionen Versorgungsabhängigkeiten, die im Falle von Geschäftsschließungen zu katastrophalen Konsequenzen führen können. Hier schaffen zusätzliche Online-Einkaufsmöglichkeiten Abhilfe und reduzieren aus Kundensicht Versorgungsrisiken.

5.1.4

Risiken aus Kundensicht

Als Risiken des Multi-Channel-Retailing aus Kundensicht lassen sich demgegenüber Verwirrung und Unzufriedenheit beim Kunden nennen.

 Verwirrung beim Kunden durch das Angebot der gleichen Leistung in verschiedenen Absatzkanälen: Es kann vorkommen, dass der Kunde die Leistung eines Anbieters nur in einem bestimmten Absatzkanal erwartet. In Fällen, in denen an eine spezielle Kundengruppe unterschiedliche Leistungen über verschiedene Kanäle distribuiert werden, kann es dann zur Überforderung der Kunden kommen, wenn diese die Angebote und deren Vorteilhaftigkeit dann nicht mehr beurteilen können. Dabei sind nicht selten ungenaue Vorgaben für einzelne Absatzkanäle für die Verwirrung der Kunden verantwortlich (vgl. Schobesberger 2007, S. 32). Auch das unkoordinierte Nebeneinander von Absatzkanälen ist in der Regel Ursache für Desorientierung der Nutzer. So werden z.B. Sonderangebote nicht in allen Kanälen kommuniziert oder die Sortimentsgestaltung ist vollkommen unterschiedlich ausgerichtet, Produkte haben unterschiedliche Preise und das Corporate Design (z.B. Schriftzug, Farbe, Position) fällt völlig unterschiedlich aus. Dadurch haben die

195

5.1

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

Kunden ständig das Gefühl, es auch mit unterschiedlichen Unternehmen zu tun zu haben. Sie können dann nicht mehr beurteilen, welches Angebot für sie von Vorteil ist und sind dementsprechend überfordert. Bei den Konsumenten entsteht so ein Bild der Unprofessionalität und Unkoordiniertheit. Das kann letztlich auch zum Abwandern der Kunden und damit zu Umsatzeinbußen führen. Verbraucher betrachten Unternehmen trotz unterschiedlicher Kanäle als Einheit und reagieren auf Widersprüche überaus sensibel (vgl. Krones 2004, S. 12).

 Unzufriedenheit durch mangelnde Channel-Hopping-Möglichkeit: Haben Kunden keine Möglichkeit zum unbeschwerten Channel-Hopping, kann das Unternehmen auch nicht davon profitieren und sogar eher Imageschädigung davontragen. Folge ist eine nachhaltige Kundenunzufriedenheit, die sich nur noch schwer korrigieren lässt. Das Handelsunternehmen muss auf allen Kanälen seine kompletten Produkte und Services anbieten können, sonst verliert es an Glaubwürdigkeit (vgl. Krones 2004, S. 12).

5.2

Erwartete Auswirkungen aus Handelsperspektive

In einer empirische Studie zum Multi-Channel-Retailing, die im Oktober 2005 durchgeführt wurde und an der 103 österreichische Handelsunternehmen teilnahmen, wurden u.a. Auswirkungen und Vorteilhaftigkeit von Multi-Channel-Retailern in Hinblick auf Umsatz, Marktanteil, Return on Investment (ROI) , Kundentreue, Kaufbetrag, Wiederkauf, Frequenz sowie Kosten untersucht (vgl. Schobesberger 2007, S. 73 ff.). Dabei lässt sich durchaus eine positive Wirkung einer Multi-Channel-Strategie erkennen:

 Die Umsätze blieben in den meisten Fällen im Ladengeschäft konstant, die OnlineUmsätze dagegen stiegen.

 Ähnlich verhält es sich mit dem Marktanteil, der ebenfalls online stieg, jedoch offline gleich blieb.

 Bei 40,3% der Unternehmen stieg der ROI im Online-Shop und 32,2% der Firmen verzeichneten einen gestiegenen ROI im Ladengeschäft.

 Bei der Mehrheit der Unternehmen blieb die Kundentreue sowohl online als auch offline unverändert.

 Während sich die durchschnittliche Einkaufssumme im Ladengeschäft kaum veränderte, stieg sie bei 56,7% der Händler im Online-Shop.

196

Erwartete Auswirkungen aus Handelsperspektive

Abbildung 5-4:

Bewertete Vorteile von Multi-Channel-Strategien

Quelle: Schobesberger 2007, S. 79

Mehrkanalvertrieb führt zu……

Gewinnung zusätzlicher Kunden

Ansprache neuer Kundenzielgruppen

Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Erhöhung des Marktanteils Erhöhung der Wirtschaftlichkeit

Modernes Firmenimage Positiver Imagetransfer

Verbesserte IT-Auslastung Kostensenkung bestehender Prozesse

Erhöhung der Kundenbindung Verbesserung der Sortimentsstruktur

Aufteilung von Risiken Schnellere Lösung von Kundenproblemen

0 trifft völlig zu

trifft ziemlich zu

trifft mittel zu

25

50

trifft weniger zu

75

100

trifft gar nicht zu

 Die Wiederkaufhäufigkeit erhöht sich bei etwa einem Drittel der Ladengeschäfte und in 52,2% der Fälle im Online-Shop.

 Auch die Kauffrequenz nahm bei gut 30% der Offline-Shops zu, während sie sich bei etwa 40% der Unternehmen im Online-Shop erhöhte.

197

5.2

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

 Bei den Kosten sind am stärksten die Marketingkosten gestiegen, und zwar bei 46% der Multi-Channel-Händler offline und in 71,2% der Fälle online. Die Logistikkosten erhöhten sich um 31,2% offline und 54,5% online. Kaum verändert haben sich allerdings die Personalkosten. In der Studie wurde weiterhin untersucht, wie die potenziellen Vor- und Nachteile von den Multi-Channel-Unternehmen bewertet werden. Wie Abbildung 5-4 zeigt, wird von den befragten Multi-Channel-Unternehmen als weitaus größter Vorteil die Gewinnung zusätzlicher Kunden angegeben. Darüber hinaus war eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, eine Steigerung des Marktanteils sowie eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit zu beobachten. Multi-Channel-Handel hat nach Sicht der Betroffenen eine positive Auswirkung auf das Firmenimage und verleiht ihm einen modernen Touch. Auf der Nachteilsseite bestätigen zahlreiche Multi-Channel-Händler zusätzliche Kosten (47,1%), steigenden Koordinationsaufwand (40,2%) sowie Kundenverwirrung (12,3%). Dass Multi-Channel-Handel zu Kannibalisierung führt, trifft bei etwa gleich vielen Unternehmen auf Zustimmung bzw. Ablehnung. Gerade dieser Punkt bedarf deswegen einer detaillierteren Betrachtung.

5.3

Zusatzumsatz und Kannibalisierung aus Kundenperspektive

Die entscheidende Frage „Zusatzumsatz oder Kannibalisierung“ wurde in einer Studie des E-Commerce-Center Handel (ECC) der Universität Köln untersucht. In Kooperation mit der KarstadtQuelle AG (heute Arcandor AG) wurden im April 2006 1.000 Internetnutzer mit Wohnsitz in Deutschland befragt, die hinsichtlich soziodemographischer Merkmale für Online-Besucher ab 14 Jahren repräsentativ quotiert wurden. Diese wurden zu ihrer letzten Bestellung im Internet, ihrem letzten Kauf im stationären Handel sowie ihrer letzten Bestellung aus einem Print-Katalog befragt. Dabei standen physische Produkte im Fokus, allerdings ohne Lebensmittel. Auch der Kauf über elektronische Marktplätze wie z.B. ebay, wurde ausgeschlossen (vgl. van Baal, Hudetz 2006, S. 25ff.). Zur Bestimmung des Umsatzbeitrages eines Vertriebskanals in einem Multi-ChannelHandelsunternehmen wurde zunächst die Frage untersucht, inwieweit sich die Kanäle kannibalisieren bzw. inwiefern es sich bei den Kanalumsätzen jeweils um Zusatzumsätze handelt, die in einem Einzelkanal so nicht generiert worden wären. Da das Ausmaß der Kannibalisierung entscheidend von den Konsumenten bestimmt wird, wurden diese danach gefragt, ob sie ihren Kauf in Vertriebskanal a in einem anderen Absatzkanal b desselben Händlers getätigt hätten, wenn dieses Handelsunternehmen den 198

Zusatzumsatz und Kannibalisierung aus Kundenperspektive

Kanal a nicht betreiben würde. In Abbildung 5-5 sind die Kannibalisierungswirkungen zwischen den untersuchten Vertriebskanälen dargestellt (vgl. van Baal, Hudetz 2006, S. 73). Es zeigt sich, dass offensichtlich starke Kannibalisierungswirkungen vorliegen. Die stärkste Kannibalisierung findet dabei zwischen den B2C-DistanzVertriebskanälen Online-Shop und Print-Katalog statt. So wären zum Beispiel knapp 55% der Orders aus Print-Katalogen im Internet-Kanal desselben Anbieters getätigt worden, wenn der Anbieter keinen Print-Katalog anbieten würde, wobei diese Umsätze ca. 57% des Print-Katalogumsatzes entsprechen. Abbildung 5-5:

Kannibalisierungswirkungen in Multi-Channel-Systemen

Quelle: van Baal, Hudetz 2006, S. 73

26,7% / 31,7% Stationäre Filialen

Online-Shop 32,6% / 22,8%

40,4% / 29,5%

25,1% / 27,3%

54,7% / 66,8%

62,4% / 55,3%

Print-Katalog Lesebeispiele: 26,7% der Transaktionen in Online-Shops von Multi-Channel-Anbietern wären in einer stationären Filiale desselben Anbieters getätigt worden, wenn der Anbieter keinen OnlineShop betreiben würde. Dieses entspricht 31,7 % des Umsatzes in Online-Shops. 32,6% der Transaktionen in stationären Filialen von Multi-Channel-Anbietern wären im Online-Shop desselben Anbieters getätigt worden, wenn der Anbieter keine stationären Filialen betreiben würde. Dies entspricht 22,8 % des Umsatzes in Online-Shops.

Weniger stark ausgeprägt, allerdings immer noch recht hoch, ist die Kannibalisierung zwischen den Distanzkanälen und den stationären Läden. So wären mehr als 25% der Online-Bestellungen und damit ca. ein Drittel des Internet-Umsatzes in stationären Filialen zustande gekommen, wenn das Unternehmen keinen Online-Kanal betreiben würde. Allerdings darf im Umkehrschluss nicht übersehen werden, dass der restliche Anteil der Käufe und damit des Umsatzes eines Vertriebskanals zusätzlich zu den anderen Kanälen generiert wird. Insofern sind 68,3% des Online-Umsatzes echter Zusatzumsatz, der im stationären Geschäft alleine so nicht erzielt worden wäre (vgl. Baal, Hudetz 2006, S. 74).

199

5.3

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

Den größten Fehler, den Multi-Channel-Händler jetzt machen könnten (und zum Teil auch tun), ist die voreilige Schlussfolgerung und daraus folgende Exit-Entscheidung für den Internet-Kanal. So wird im Folgenden der Beweis angetreten, dass sich MultiChannel-Handel trotz vorliegender Kannibalisierungseffekte auf alle Fälle lohnen kann, wenn die Informationswirkungen auf Kundenseite mit ins Kalkül einbezogen werden.

5.4

Informationswirkungen und Multi-ChannelErfolgsbilanz

Die Ergebnisse der ECC-Studie zeigen auf, wie sich die Kunden vor dem Kauf in einem Kanal informieren. Beispielsweise werden bei 31,3% der Orders in Online-Shops vorher stationäre Geschäfte des Anbieters besucht sowie in 26,9% der Fälle zuvor Print-Kataloge herangezogen. Beim Kauf in den stationären Filialen informieren sich 16,5% der Kunden vorher in Print-Katalogen und 20,9% im Online-Shop. Hier ist die Informationswirkung also etwas geringer, jedoch immer noch beträchtlich. Beachtlich ist mit einem Wert von 32,7% vor allem die vorherige Information beim Online-Shop, wenn anschließend aus Print-Katalogen bestellt wird (vgl. Baal, Hudetz 2006, S. 32ff.). Es beweist sich die Eingangsthese, dass Informationssuche und Kauf eines Produktes häufig in unterschiedlichen Vertriebskanälen desselben Multi-Channel-Unternehmens erfolgen. Diese Wechselwirkung ist verständlicherweise zwischen Online-Shop und Print-Katalog am stärksten und erklärt auch den Internet-Erfolg der klassischen Versender, da hier „pure Substitution“ stattfindet. So informieren sich bei 25,4% der Bestellungen aus Print-Katalogen die Kunden vorab im Online-Shop desselben Unternehmens. In umgekehrter Richtung benutzen die Online-Käufer eines Internet-Shops in 21,6% der Fälle bei Bestellungen vorher einen Print-Katalog desselben Anbieters. Solche Wechselwirkungen sind auf stationärer Ebene zweifelsohne geringer, aber immer noch recht deutlich. Hier informieren sich die Kunden bei 9,3% der stationären Käufe vorher im Online-Shop desselben Anbieters (vgl. Baal, Hudetz 2006, S. 32ff.). Die Frage, ob sich der Online-Kanal rechnet, muss sicherlich den informatorischen Wert dieses Mediums Internet und dessen Stellenwert im Rahmen von Kaufprozessen detaillierter untersuchen. So ist der These nachzugehen, dass die Informationssuche in einem Kanal den Impuls zu einem Kauf bei diesem Unternehmen in einem anderen Ansatzkanal liefert. Auch diesem Aspekt ist die ECC-Studie nachgegangen und kommt wiederum zum Ergebnis, dass die Wechselwirkungen diesbezüglich zwischen Print-Katalog und Online-Shop am stärksten sind. Bei 14,9% der Bestellungen im Internet-Shop stammt demnach der Impuls zur Wahl eines Anbieters aus dessen PrintKatalog. In umgekehrter Richtung sind es 13,6% der Bestellungen. Die Bedeutung der kanalübergreifenden Kaufimpulse wird im stationären Handel besonders deutlich, da 200

Informationswirkungen und Multi-Channel-Erfolgsbilanz

hier 8,4% der Käufe durch einen Print-Katalog desselben Unternehmens und weitere 5,5% der Kaufimpulse durch dessen Online-Kanal ausgelöst werden (vgl. Baal, Hudetz 2006, S. 73ff.). Noch ausgeprägter ist die Umsatzwirkung, da die Kaufbeträge mit kanalübergreifender Informationssuche deutlich höher sind als bei Einkanalkäufen:

 45,5% des Umsatzes und 26,9% der Orders in Internet-Shops stehen in Verbindung mit der vorherigen Informationssuche in Print-Katalogen.

 38,9% des Umsatzes und 9,3% der stationären Käufe in Filialen sind verbunden mit der vorherigen Informationssuche im Online-Shop desselben Anbieters.

 26,9% des Umsatzes und 13,6% der Bestellungen aus Print-Katalogen werden im Online-Shop des Anbieters ausgelöst. Verantwortlich für den Kanalwechsel ist in den meisten Fällen die Suche der ChannelHopper nach Preisinformationen. Ferner stehen Convenience-Ansprüche im Vordergrund (z.B. detaillierte Information, jederzeitige Bestellmöglichkeit, Zustellung etc.). Auch spielt die Art des Produktes eine große Rolle (z.B. intensiveres Kanalhopping bei Elektroartikeln). Aus strategischer Sicht ist die Frage interessant, ob Multi-Channel-Unternehmen ihre Kanäle stärker harmonisieren oder abgrenzen sollten. Diesbezüglich zeigen die ECCStudienergebnisse, dass mit zunehmender Integration und Harmonisierung der Absatzkanäle der Anteil des kannibalisierten Umsatzes ansteigt. Andererseits erhöht sich aber auch die Kundenloyalität, die sich auf die langfristige Umsatzentwicklung auswirkt (vgl. Baal, Hudetz 2006, S. 88ff.). Um zu einem abschließenden Ergebnis und eine Erfolgsbilanz des Multi-ChannelHandels zu kommen, sollen in Abbildung 5-6 die verschiedenen Wechselwirkungen zusammengeführt und durch gesamtwirtschaftliche Größen ergänzt werden. Auf der linken Seite ist dargestellt, inwieweit sich Informationssuche und Kaufanbahnung im Internet für den stationären Kauf nach Produktgruppen unterscheiden. Auf der rechten Seite ist die Erfolgsbilanz für Multi-Channel-Handel aus stationärer Sicht dargestellt. Geht man von ca. 15,8 Mrd. € B2C-Internethandelsumsatz und knapp 350 Mrd. Euro stationärem Einzelhandelsumsatz in Deutschland aus, dann entspricht die Kannibalisierungswirkung des Online-Handels für den stationären Handel einem Minus von ca. 5 Mrd. €, da 31,7 % des B2C-Internetumsatzes (i.H. von 15,8 Mrd. €) von diesem kannibalisiert werden. In umgekehrter Richtung aber, und das ist entscheidend für die Erfolgsbilanz, werden 8,6% des stationären Umsatzes durch die Informationssuche im Online-Kanal ausgelöst, was bei ca. 380 Mrd. € Marktvolumen einer Summe von ca. 32 Mrd. € entspricht. Bleibt also unterm Strich ein beträchtliches Umsatzplus von 27 Mrd. Euro, den der stationäre Einzelhandel ohne Multi-Channel-Konzepte nicht tätigen würde. Diese Wechselwirkung verdeutlicht den Benefit des OnlineKanals und darf bei der Kanalerfolgsrechnung auf keinen Fall vernachlässigt werden,

201

5.4

5

Risk-Benefit – Wie sich Multi-Channel-Handel rechnet

da es sonst zu falschen Schlussfolgerungen und Entscheidungen kommt. Es kann davon ausgegangen werden, dass jedes Handelsunternehmen über ausreichende Mittel für eine Multi-Channel-Offensive verfügt, denn die Kommunikationswirkungen des Internet-Kanals deuten auf die „heiligen Kühe“ in Marketing und Werbung. Das geänderte und „moderne“ Kaufverhalten der Kunden rechtfertigt eine Reallokation des Marketingbudgets in größerem Ausmaß.

Abbildung 5-6:

Erfolgsbilanz des Multi-Channel-Handels

Quelle: ECC, GfK Kaufvorbereitung im Internet

Kannibalisierung versus Kaufimpulse

Produktgruppe

InfoSuche

Kaufanbahnung

Garderobe

23,0%

14,5%

Haushaltswaren

47,5%

24,9%

Elektroartikel

52,5%

19,9%

Mediengüter

29,1%

10,1%

Kannibalisierung Online ca. 5 Mrd. €

Sonstige Produkte

83,5%

80,3%

Kaufimpuls für Offline

ca. 32 Mrd. €

Gesamt

55,0%

38,9%

Gesamtsaldo Offline

+ 27 Mrd. €

202

31,7% des Online-Umsatzes Stationäre Filialen

8,6 % durch Online-Kaufimpuls

Onlineshop

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213

Stichwortverzeichnis

1&1 69

Apple 33, 153, 156

Abholung on demand 163

Arcandor AG 191

Absatzkanalbezogener Integrationsbedarf 97

Argos 158

Abverkaufsdaten 167 adidas 14, 33, 120 Adler 20 Adress-Kooperationen 85 Affiliate-Marketing 70 Affiliate-Modelle 87 Affiliate-Plattformen 117 Affiliates 88 After Sales 80 After-Sales-Dienstleistungen 164 AGB´s 174, 177, 180 Ahold 110 Akquisitionserfolg 144 Akquisitionskosten 85 Aldi 12, 20, 43, 95 Alexa 86 Allkanal-Strategie 39 Altagamma 120 Amazon 21, 57, 59, 86, 87, 88, 89, 95, 117, 126, 127, 140, 141 Anson`s 109 AOL 141

Auftragserledigung 44 Auktionen 154 Auktionsmarkt 117 Automatenhandel 20 automatisierte Darstellungshilfen 172 Automobiles.com 62 B2C-Distanzhandel 4, 15 B2C-Distanzhandelskanal 96 B2C-Internetshop 163 B2C-Internetumsatz 194 B2C-Online-Handel 1 Backend 114 Backend-Prozess 114 Backend-Prozesse 162 Back-Office 124, 162 Back-Office-Funktionen 165 Back-Office-Prozesse 123 Back-Office-Synergiepotenziale 124 Banana Republic 153 Bang & Olufsen 33 Banner 70 Bannerwerbung 117

215

Barnes & Noble 110

BOL 110, 142, 189

barrierefreie Informationstechnologie 169

Bon Prix 114

Barrierefreie Webangebote 170 barrierefreie Website 172 barrierefreier Multi-Channel-Einkauf 168 Barrierefreies Internet 168 beautynet 7 Bekleidungseinzelhändler 153 Bekleidungshersteller 173 Bekleidungsindustrie 170 Benchmarkvergleich 59 Beratungssystem 163 Bertelsmann 5, 110, 116, 141 Bertelsmann Buchclub 188 Best Practices 53, 153, 163, 165 Bestellung im Internet 198 Bestsellerlisten 60 Besucherzahlen 12 Besuchsfrequenz 86 Betriebsformen 18 Betriebstypen 17, 18, 96, 105, 108 Betriebstypendiversifikation 12 BGB 174ff., 179ff. Biba 20 BigMac-Index 141 Bogner 6, 15, 109, 119, 120 Bogner-Homeshopping 15, 46, 65, 109, 110, 120, 153, 155 216

Bonusprogramm 81 Bonuspunkte 82 Bordeaux Wines 114 BOSS 14, 21, 33, 120 Boutique 20 Brand Confusion 108 Brand Touch Points 119 BREE 33 Brick&Mortar-Abieter 6 Brokerage-Konditionen 129 Brother 163 Buch.de 15, 35, 105, 110 Bulgari 120 C&A 15, 151 Call-back 64 Call-Back-Option 26 Call-Center 72, 120, 162 cash-burn-rate 37 Category Management 100 Center Roermond 21 Central Customer-RelationshipManagement 73 Channel 14 Channel-Abstimmung 161 Channel-Hopping 8, 47, 196, 201 Channel-Hopping-Möglichkeit 196 Channelübergreifendes System 166

Chat 63

Couponing 65

Checklisten und Einkaufslisten 60

Cove & Co 20

Christ 19

Cross-Byuing 80

Churn-rate 78

Cross-Channel-Nutzen 176

Click&Mortar-Anbieter 6

Cross-Channel-Service 161

Clipfish.de 68

Cross-Corporate-Culture 140, 146, 184

Clubkarte 84

Cross-Docking 166

Clubmagazin 84

Cross-Frequenz 49, 50

Co-Branding 105

Cross-Selling-Möglichkeiten 87

Co-Browsing 63

cultural fit 144

Colgate 88

Customer Buying Cycle 78

Collaborative Filtering 60

Customer Lifetime Value 92

Comet 153, 154

Customer-Interaction-Center 72

Common Brand 108

Customer-Relationship-Management 29, 73

Communities 82, 83, 133, 156 Compaq 61, 63 Competent-Channel-Controlling 130, 184

Customer-Supply-Chain 127 Cycle-Time-Reduction 120, 127 D2 49

Complexity 120

DAB 89

Conrad Elektronic 7, 43, 110

Datenmanagement 155

Convenience-Shops 12, 21

Datensicherheit 25

Conversion 85

DB 33

cooky-basierter Gutschein 87

Deichmann 20

Coordinated Communication 55

Dell 14, 21

Core Category-Concept 96

Deutsche Bank 95

Corporate Units 126

Dialogelemente 63

Corporate-Design 108

digitales Category Management 102

Cortal-Consors 90

Digitale Spaltung 168

Costs-New-Customer 85

Direct-Mails 179

217

Direkte Kundenansprache 83

E-Kanal 111

discount24 114

Electronic Partner 105, 164

Discounter 20

Elektronische Produktkataloge 59

Disintermediation 33

elektronische Medien 21

Distanzhandelskanäle 159

E-Mail 26, 63

Distanzprinzip 17

E-Mail-Marketing 70

DM 20, 148

E-Mail-Newsletter 71

Domizilprinzip 17

Engbers 164

Douglas 6, 14, 15, 19, 39, 46, 51, 110, 120, 148, 153, 155

EP 65

DouglasBeauty 110 Douglas-Card 156 Dove 88 Download-Zeiten 59 Drei-D-Animation 24, 57, 155 Durchlaufzeitenreduzierung 126 Ebay 12, 21, 87, 117 E-Bücher 26 echte Multi-Channel-Konzepte 157 E-Commerce 99, 165, 198 EDECARD 82 Edeka 14, 20, 110 Effektivität der Werbekampagne 88 Efficient-Consumer-Response 100 EHI 64 Einkanal-Kunden 9 Einkanalstrategie 37 E-Intermediäre 86 Einzelhandel 14, 201

218

EP:Netshop 109, 164 E-Paying 82 E-Personalisierung 94 Erfolgsfaktoren 52, 53 e-Sixt 110 Esprit 33, 120 E-Tools 85 Evaluation 79 Evaluationshilfen 60 Eworld 110 E-Zufriedenheit 3 Faber-Castell 33 Fachgeschäft 19 Fachhändler 164 Fachmarkt 19 Factory-Outlet 12, 21 FAQ-Listen 62 Fashion-Industrie 33 Fendi 120 FernAbsG 176ff.

Fielmann 19 Filialtypen 107 Flagship-Stores 120, 123 Flexibilität 183 flickable-page 160 Foren 85 Forenbeiträge 63 Free-Float-Mentalität 73 Freenet 87 Front-Office 125 Front-Office-Funktionen 162 Frosta 33 galeria-kaufhof.de 41 Gap 100, 153 Gemischtwarenladen 20 GEOX 33 Gerry Weber 21, 33, 190 Globus 20 GMX 69 Google 69, 70, 86 Görtz 19 Grainger 58 Guerilla-Kampagnen 87 guided tours 58 H&M 20, 32 Hawesko 7, 114 Heine 114 Hermes 21

Hermes Warehousing Solutions GmbH 165 Hertie 20 Hewlett Packard 61 HIT 20 Holtzbrinck-Gruppe 69 Home Retail Group 158 Hornbach 60 Hussel 20 hybride Markenstrategie 110, 112 Hype 6, 141, 142 IAB 88 IKEA 7, 32, 41, 42, 151 Ikea.de 41 INDECA GmbH 169 Inditex 35 Instore-Coupons 66 Interactive Media 68, 69 Interaktion 75 Intermediation 33 Internationale Ausrichtung 50 Internet 1 Internet-Adaption 31 Internetauftritt 69 internetbasierte Marke 110 Internetboom 6 Internet-Diffusion 10 Internet-Gemeinschaft 118 Internet-Handel 15, 21

219

Internet-Hype 140

Kettner 5

Internet-Kanal 31, 153

KiK 20

Internet-Marke 109

Killer-Features 53

Internetnutzer 173

Killer-Services 87

Internetnutzung 1

Kimberley Clark 88

Internetpenetrationsrate 13

Kingfisher-Gruppe 154

Internetpräsenz 173

Kiosk 20

Intrakanal-Komplexität 126

Kompetentes-Channel-Controlling 137

IPO 37 Jaques-Weindepot 7, 114 JC Penney 5, 161 jcpenney.com 161 Joint-Venture 155 Joop 21 Juvena 62 Kaisers 20 Kanal-Controlling 134 Kanalkultur 145, 147 Kannibalisierung 185, 191, 192, 201 Karsadt my-world 114 Karstadt 15, 17, 20, 39, 41, 45, 46, 114, 123, 147, 172 KarstadtQuelle AG 198 Katalog-Versender 158 Kaufhaus 20 Kaufhof 20, 147, 172 Kaufland 20, 108 Kelkoo 117 Kendalls rainwear shops 161

220

Komplexitäts- und Durchlaufzeitenreduzierung 54, 121 Kundenbindung 74, 76, 78 Kunden-Conversion 78, 88 Kunden-Cut 78, 91 Kundengewinnung 78, 85 Lakeland 162 Lands End 21 Lascana 166 Lead-Channel 51, 122, 153 LEGO 33 Libri 105 Lidl 12, 20, 43, 108 Logistik 31, 166, 165, 191 Loyalitätsprogramm 32, 73, 81, 82, 84 Lycos 117 Maggi 33, 60 Mass Customization 176ff. Maternity-Shop 100 Maxus 20

McDonalds 88

New Economy 1, 37, 140, 145, 185

McKinsey 182

NEXT 161

Mediamarkt-Saturn 52, 104, 109, 158

Nike 134, 135

Mehrkanal-Controlling 93

NIVEA 33

Metro-Kaufhof-Gruppe 14

NURTEC 163

Mexx Direct GmbH & Co.KG 173

OBI 6, 46, 65

Möbel Walther 115

OC&C 157

mobile Werbung 70

Offline 19, 24, 69

Mono-Label-Stores 21

Old Economy 140

Montgomery Ward 5

Old Navy 153

M-Shop 22

Oldnanvy.com 153

MSN Shopping 117

on cal 176

Müller 20

Online 21, 24, 45, 67, 68, 69, 84, 155, 162, 173, 183, 199

Multi-Channel-Aktionsplan 174, 182 Multi-Channel-Management 40, 45, 162 Multi-Channel-Netzwerkarchitektur 159, 176, 184

Oprah Winfrey 39 Otto 6, 14, 21, 41, 44, 45, 46, 57, 114, 117, 165, 172 PBten 159

Mustang 21, 120

Peek & Cloppenburg 19, 109

My Toys 114

Penny 20

MyVideo 68

Photo Porst 7

My-World 115

Pick-Up-Station 22

Myworld.de 17

pixelnet 7

Nanu-Nana 20

Plus 20

Navigation 57

Pohland 15

Neckermann 5, 7, 21, 123

Pop-Ups 87

Netscape 140

Pottery Barn Design Studio 159

Netvibes 69

Pottery Barn Kids 159

Netzwerk-Controlling 134

Prämienclub 83

221

Primondo 6, 46, 109, 119, 155

Spinnrad 20

ProSieben-/Sat.1 68

Sport-Scheck.de 41

Provider 49

Stilke aktuell 20

P-Touch-Produkte 163

Storebrand 17, 108, 112

Puma 14, 33, 62, 120

Strauss Innovation 20

Quelle 5, 21, 42, 44, 46, 57, 109, 110, 119, 155

StudiVZ 69

QVC 21, 188

Suchmaschinen 24, 69, 70, 86, 88, 117, 164

Real 20

Supermarkt 20

Reno 20

Supply-Chain-System 159

Residenzprinzip 16

Takko 20

Rewe 20, 108

Tank&Rast 21

Rossmann 20, 110

Tankstellen 12

RTL 21, 68

Tchibo 7, 12, 15, 17, 42, 45, 46, 87, 89, 110, 164, 172

S Oliver 120 Samsonite 33 SB-Warenhaus 20 Schlecker 6, 51, 110 Schwarz-Gruppe 12 Sears 5 Selektionshilfen 60 Self-Servive-Funktionalitäten 128, 129 Seven Eleven 21 Sevenone Interactive 68 Shopping24 116, 117 Silberhimmel 163 SOR-Rusche 15, 20 Spezialgeschäft 20 Spezialversender 32

222

Telekom 69 Tele-Shop 21 Tengelmann 6, 20 Tersdorf 114 Tesc 153 Tesco 12, 154 Thalia 19, 110 Thalia Holding GmbH 15 The Gap 153 The White Company 160 Time Warner 141 T-Online 69, 117 Toom 20, 108 TUI 110

Unddu.de 69

Web.de 69

Uniform Resource Locator 52, 115

Wertschöpfungskette 36, 134

United Internet Media 69

West Elm 159

Universalversender 32

Wetcomeliving.de 115

Verbrauchermarkt 20

Williams-Sonoma 159

virale Instrumente 83, 86, 88

Woolworth 20

Vodafone 3G 22

Yahoo 69, 117, 140

Vögele 20

Zanox 117

Wal-Mart 12, 90, 95

Zara 109

Waltherliving.de 115

Zustellplattformen 154

Warenhaus 20, 161

Zwangsführung 58

223