Markterfolg radikaler Innovationen : Determinanten des Akzeptanzverhaltens
 9783835054158, 3835054155 [PDF]

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Zitiervorschau

Stefanie Regier Markterfolg radikaler Innovationen

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Forum Produkt- und Produktionsmanagement Herausgegeben von Professor Dr. Klaus Bellmann und Professor Dr. Frank Huber

Für Unternehmen in globalen, wettbewerbsintensiven Märkten sind die prozessorientierte Interaktion und Kommunikation von Marketing und Produktion die erfolgskritischen Faktoren schlechthin. Nur sehr wenige Konzepte und Ansätze stellen bislang auf eine schnittstellenübergreifende Verzahnung ab. Auffällig sind einerseits Defizite sowohl bei praktischen Konzepten als auch bei wissenschaftlichen Ansätzen zur Organisation, Planung und Kontrolle der Transformation von Kundenwünschen in Produktgestaltungsvorgaben (roll in, technology pull). Andererseits mangelt es ebenso an geeigneten Strategien zur Vermarktung innovativer Produkte und Dienstleistungen (roll out, technology push). Die Schriftenreihe will diese Lücke systematisch schließen, indem Autoren theoriegeleitet Konzepte und Ansätze zur Schnittstellengestaltung zwischen Marketing und Produktion präsentieren und diese in Wissenschaft und Praxis zur Diskussion stellen.

Stefanie Regier

Markterfolg radikaler Innovationen Determinanten des Akzeptanzverhaltens

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Frank Huber

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Mainz, 2007

1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0797-0

V

Geleitwort Der fortschreitenden Globalisierung, sich ändernden Marktverhältnissen und dem damit einhergehenden Wettbewerbsdruck können Unternehmen häufig nur durch neue, ertragsstarke Produktinnovationen begegnen. Für viele Unternehmen avanciert die Innovationsfähigkeit zum kritischen Erfolgsfaktor. Deutsche Unternehmen investieren daher große Summen in die Erhaltung und Förderung ihrer Innovationskraft. Allerdings ist die Liste der Innovationen, die sich nicht am Markt durchsetzen konnten, wesentlich länger als die der erfolgreichen. Dabei sind das Überleben und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen maßgeblich von der erfolgreichen Markteinführung ihrer Neuprodukte abhängig. Oft sind Misserfolge aus Sicht der Kunden auf eine unpassende Produktgestaltung oder mangelhafte Produktkommunikation zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund scheint eine genaue Kenntnis der Einflussfaktoren auf die Produktevaluation und die Adoptionsentscheidung unabdingbar. Ob es beim Kunden jedoch zur Akzeptanz der Produktneuheit kommt, hängt in hohem Maße davon ab, wie der Kunde die Innovation subjektiv anhand seines bestehenden Wissens bewertet. Das Vorwissen in Form von sog. kognitiven Schemata ist somit Voraussetzung für das Produktverständnis und zugleich Quelle von Schlussfolgerungen und Urteilen bei der Bewertung neuer Produkt: Es ist daher kritisch für den Innovationserfolg. Erst wenn eine Produktidee den tatsächlichen oder wahrgenommenen Bedürfnissen der Kunden entspricht, ist die Unternehmung in der Lage, die getätigten Aufwendungen zur Entwicklung der Innovation zu amortisieren. Die Stimme des Kunden avanciert damit zum Erfolgsfaktor in der Neuproduktgestaltung. Vor diesem Hintergrund sucht Stefanie Regier nach Determinanten, die zu einem besseren Verständnis der Akzeptanz radikaler Innovationen beitragen. Die Verschmelzung der Schematheorie und der erweiterten Theorie des überlegten Handelns erweist sich in diesem Zusammenhang als gewinnbringendes Konzept zur Identifikation von Einflussgrößen auf das Akzeptanzverhalten. Regier füllt schon deshalb eine Lücke in der existierenden Literatur, weil sie das Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen theoretisch fundiert, Hypothesen aus relevanten Theorien ableitet und das spezifizierte Modell umfangreich empirisch testet. Die von der Autorin präsentierten Analysen und Ergebnisse sind für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen relevant. Es gelingt ihr auf einer methodischen Ebene, die

VI Bedeutung von kognitiven Schemata für die Akzeptanz radikaler Innovationen zu erfassen und dabei notwendige Konstrukte erfolgreich zu operationalisieren. Für das Management ergeben sich hieraus zahlreiche Hinweise für Markteinführung von Innovationen. Das entwickelte Akzeptanzmodell verkörpert einen originären Beitrag und liefert zugleich wertvolle Hinweise im Hinblick auf die Einführung radikaler Innovationen. Daher ist die Lektüre dieses Buches für Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen zu empfehlen. Den Wissenschaftler interessieren die theoretische Herleitung, Spezifikation und Operationalisierung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen. Der Praktiker erhält konkrete Ratschläge für die Markteinführung von Neuprodukten. Insofern ist dieser Arbeit eine weite Verbreitung zu wünschen. Univ.-Prof. Dr. Frank Huber

VII

Vorwort Der Inhalt der vorliegenden Schrift repräsentiert das Resultat einer zwei Jahre dauernden Studie. In diesem Zeitraum haben zahlreiche Personen zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem akademischem Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Frank Huber, für die fachliche Unterstützung in jeder Phase der Entstehung dieser Arbeit. Er trug stets dafür Sorge, dass ich den „roten Faden“ meiner Arbeit in Auge behielt und gewährte mir zugleich die akademische Freiheit, das Projekt in dieser Zeit durchführen zu können.

Ein Dankeschön geht an Herrn Prof. Dr. Andreas Herrmann für die Erstellung des Zweitgutachtens und die Abnahme meiner mündlichen Prüfung. Des Weiteren gilt mein herzlicher Dank Herrn Prof. Dr. Volker Hentschel, der mir als Mentor in den Jahren meines Studiums den akademischen Einblick gewährte, meine Überlegungen hinsichtlich der Wahl eines akademischen Wegs stets bekräftigte und schließlich den Vorsitz bei meinem Rigorosum übernahm.

Danken möchte ich ferner ganz herzlich Dr. Stephanie Huber und Dr. Frank Kressmann für wertvolle fachliche Hinweise bei der Durchsicht des Manuskripts, Frederik Meyer für die fruchtbaren Diskussionen zum Thema sowie Anneke Behrendt für die orthografische Prüfung der Arbeit. Ein Dankeschön geht zudem an Frank Meyrahn, der mir insbesondere in der Endphase meiner Dissertation flexibel das Zeitfenster gewährte, welches ich zur Fertigstellung dieser Arbeit benötigte sowie an Imma Baumgärtner, die stets mit moralischer und tatkräftiger Unterstützung, insbesondere bei den administrativen Tätigkeiten am Ende des Projekts, vieles erleichtert hat.

Ein besonderer Dank gilt Leif Steinbrinker, der während der letzten zweieinhalb Jahre nicht nur moralisch für mich da war, sondern mir auch mit Ideen in den Gesprächen über meine Promotion zur Seite stand und dabei stets die „Höhen und Tiefen“ bewundenswert geduldig ertrug. Ganz herzlich danken möchte ich auch meiner lieben Schwester Katrin Regier, meinem guten Freund Stefan Thönnes sowie meinen treuen Freundinnen Manuela Thewalt und Rike Hoolmans, die mich stets mit immer neuen Einfällen abzulenken versuchten, mich in schwierigen Phasen aufmunterten und sich in guten Phasen mit mir freuten.

VIII Nicht zuletzt ist es mir ein besonderes Anliegen, meinen Eltern Monika und Hartmut Regier dafür zu danken, dass sie mich in all den Jahren von der Ausbildung zur Bankkauffrau bis zur Vollendung der Promotion mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln über das „Normale“ hinaus in meinen jeweiligen Vorhaben unterstützt haben. So haben sie durch ihre Wertschätzung von Wissen meine Motivation zu lernen stets gefördert; durch ihre materielle Unterstützung zur Zeit meines Studiums haben sie mir immer den Rücken frei gehalten. Ohne ihren Rückhalt und ihre bedingungslose moralische Unterstützung wäre dieses Projekt vielleicht nie zustande gekommen. Ihnen widme ich daher auch diese Arbeit. Stefanie Regier

IX

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... XIII Tabellenverzeichnis ...............................................................................................XV Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................XIX

Teil I: Die Relevanz von Vorwissen für den Innovationserfolg ..........1 1 Zur Notwendigkeit der Identifikation von Determinanten erfolgreicher Innovationen ...........................................................................................1 2 Erkenntnisse der neueren Adoptionsforschung .........................................3 3 Zur Rolle kognitiver Schemata bei der Produktbeurteilung ..........................9 4 Ziel der Untersuchung und Gang der Arbeit .............................................15

Teil II: Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ............................22 1 Beitrag der Erkenntnisse der Einstellungstheorie zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ........................................22 1.1

Semantische Grundlagen zum Einstellungskonstrukt ................................ 22

1.2

Grundlagen zum Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang ....................... 26

1.3

Einstellungs-Verhaltens-Modelle ................................................................ 30

1.3.1

Erwartungs-x-Wert-Modell nach Fishbein............................................ 30

1.3.2

Theorie des überlegten Handelns........................................................ 34

1.3.3

Erweiterung der Theorie des überlegten Handelns um die Einstellung zum Objekt........................................................................ 40

1.3.4

Erweiterung der Theorie des überlegten Handelns um die Zielkongruenz............................................................................................ 43

1.4

Hypothesensystem zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen auf Basis der Erkenntnisse der Einstellungstheorie.............. 49

X 2 Beitrag der Erkenntnisse der Schematheorie zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ........................................56 2.1

Strukturen menschlichen Wissens ............................................................. 56

2.2

Grundlagen der Schemaforschung............................................................. 62

2.2.1

Begriff und Grundlagen zu kognitiven Schemata ................................ 62

2.2.2

Funktionen kognitiver Schemata bei der Informationsverarbeitung und -speicherung ............................................................ 68

2.2.3

Zur Bedeutung von Schemata bei der Beurteilung neuer Informationen....................................................................................... 71

2.3

Beitrag der Schemakongruenz zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ......................................................................... 77

2.3.1

Der neuigkeitsbasierte Ansatz nach Mandler ...................................... 77

2.3.2

Schemata auf Produktebene – Produktschemakongruenz.................. 82

2.3.3

Schemata auf Markenebene – Markenschemakongruenz .................. 85

3 Integration der Erkenntnisse der Einstellungsforschung und der Schematheorie in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen .....................................................................91 3.1

Abgrenzung von kognitiven Schemata und Einstellungen.......................... 91

3.2

Synthese der Erkenntnisse aus Schema- und Einstellungsforschung........ 93

3.3

Hypothesensystem zur Erklärung von Adoptionsverhalten auf Basis der Integration der Erkenntnisse von Schema- und Einstellungstheorie .......... 96

3.4

Das Hypothesensystem im Überblick....................................................... 104

4 Spezifizierung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ........................................................................107 4.1

Vorgehensweise bei der Spezifizierung des Adoptionsmodells ............... 107

4.2

Kaufabsicht .............................................................................................. 108

4.3

Einstellung zum Kauf der Innovation ........................................................ 111

4.4

Innovationsbereitschaft ............................................................................ 113

4.5

Produktbezogene Emotionen ................................................................... 114

4.6

Produktzielkongruenz............................................................................... 118

4.7

Markenzielkongruenz ............................................................................... 119

XI 4.8

Produktschemakongruenz........................................................................ 120

4.9

Markenschemakongruenz ........................................................................ 123

Teil III: Empirische Überprüfung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen in der diagnostischen Medizin..................................................................125 1 Methodische Grundlagen der Modellschätzung ......................................125 1.1

Zur Wahl einer geeigneten Untersuchungsmethode ................................ 125

1.2

Grundlagen des Strukturgleichungsmodells............................................. 128

1.3

Vergleich von kovarianzbasierten und varianzbasierten Verfahren der Modellschätzung ...................................................................................... 133

1.4

PLS-Ansatz zur Schätzung linearer Strukturgleichungsmodelle .............. 138

1.4.1

Grundlagen zum PLS-Ansatz ............................................................ 138

1.4.2

Beurteilung der Modellgüte................................................................ 140

2 Konzeption der empirischen Studie .......................................................147 2.1

Anliegen und Aufbau der Untersuchung................................................... 147

2.2

Methode der Datenerhebung ................................................................... 152

2.3

Ergebnisse der Vorstudie ......................................................................... 155

3 Ergebnisse der empirischen Untersuchung zum Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen in der diagnostischen Medizin ............................160 3.1

Allgemeine Ergebnisse............................................................................. 160

3.2

Zur Eignung der Modellkonstrukte............................................................ 162

3.2.1

Kaufabsicht........................................................................................ 162

3.2.2

Einstellung zum Kauf der Innovation ................................................. 164

3.2.3

Innovationsbereitschaft...................................................................... 167

3.2.4

Produktbezogene Emotionen ............................................................ 170

3.2.5

Produktzielkongruenz ........................................................................ 172

3.2.6

Markenzielkongruenz ........................................................................ 174

3.2.7

Produktschemakongruenz................................................................. 176

3.2.8

Markenschemakongruenz ................................................................. 178

3.3

Wirkungszusammenhänge im Adoptionsmodell....................................... 180

3.3.1

Vorgehensweise bei der Modellschätzung ........................................ 180

XII 3.3.2

Wirkungszusammenhänge im Teilmodell Markenschema-

3.3.3

Wirkungszusammenhänge im Teilmodell Markenschema-

kongruenz (Bayer) ............................................................................. 182

inkongruenz (Telekom)...................................................................... 192 3.3.4

Modellvergleich Markenschemakongruenz und -inkongruenz........... 197

3.3.5

Wirkungszusammenhänge im Teilmodell Produktschemakongruenz (Home Diagnostics) ......................................................... 203

3.3.6

Wirkungszusammenhänge im Teilmodell Produktschema-

3.3.7

Modellvergleich Produktschemakongruenz und -inkongruenz .......... 216

3.3.8

Zusammenfassung und Hypothesen im Überblick ............................ 219

inkongruenz (HD2009/708) ............................................................... 210

3.4

Marketingpolitische Implikationen............................................................. 223

3.4.1

Implikationen für die Marketingpraxis ................................................ 223

3.4.2

Implikationen für die Marketingforschung .......................................... 234

Teil IV: Schlussbetrachtung ..............................................................238 Literaturverzeichnis ...........................................................................241 Anhang ................................................................................................283

XIII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Vorgehensweise der Arbeit zur verbesserten Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ................................ 17

Abbildung 2:

Forschungsziele der Arbeit............................................................... 18

Abbildung 3:

Gang der Arbeit ................................................................................ 21

Abbildung 4:

Dreikomponentenmodell der Einstellung .......................................... 27

Abbildung 5:

Basismodell der Theorie des überlegten Handelns .......................... 36

Abbildung 6:

Integration der Einstellung zum Objekt in die Theorie des überlegten Handelns ........................................................................ 42

Abbildung 7:

Integration der Zielkongruenz in die modifizierte Theorie des überlegten Handelns ........................................................................ 48

Abbildung 8:

Modifikation der Theorie des überlegten Handelns .......................... 55

Abbildung 9:

Hypothetische Gedächtnisstrukturen nach Collins und Quillian ....... 58

Abbildung 10: Auszug einer hierarchischen Struktur von kognitiven Schemata...... 67 Abbildung 11: Aufmerksamkeitserregende Rolle schemadiskrepanter Informationen ................................................................................... 69 Abbildung 12: Continuum Model of Impression Formation...................................... 75 Abbildung 13: Kausalzusammenhang zwischen Schemakongruenz, Emotionen und Produktbeurteilung .................................................................... 80 Abbildung 14: Fiktives Produktschema am Beispiel eines Mobiltelefons ................ 83 Abbildung 15: Fiktives Markenschema am Beispiel der Marke Bacardi .................. 87 Abbildung 16: Modifikation des neuigkeitsbasierten Ansatzes nach Mandler ......... 90 Abbildung 17: Ansatzpunkte zur Modellverknüpfung .............................................. 94 Abbildung 18: Integriertes Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ..................................................................... 95 Abbildung 19: Gesamtmodell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen ................................................................... 102 Abbildung 20: Aufbau eines Strukturgleichungsmodells........................................ 128 Abbildung 21: Überblick Teilmodell Markenschemakongruenz (Bayer) ................ 182 Abbildung 22: Überblick Teilmodell Markenschemainkongruenz (Telekom) ......... 192 Abbildung 23: Modellvergleich Markenschemakongruenz versus -inkongruenz................................................................................... 200

XIV Abbildung 24: Überblick Teilmodell Produktschemakongruenz (Home Diagnostics) ........................................................................ 203 Abbildung 25: Überblick Teilmodell Produktschemainkongruenz (HD2009/708) ................................................................................. 210 Abbildung 26: Modellvergleich Produktschemakongruenz versus -inkongruenz................................................................................... 217

XV

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Studien zur Bedeutung von kognitiven Schemata bei der Produktbeurteilung................................................................................ 14

Tabelle 2:

Übersicht zu semantischen Gedächtnismodellen ................................. 61

Tabelle 3:

Hypothesen im Überblick.................................................................... 106

Tabelle 4:

Konzeptionalisierung der Kaufabsicht................................................. 110

Tabelle 5:

Konzeptionalisierung der Einstellung zum Kauf der Innovation .......... 113

Tabelle 6:

Konzeptionalisierung der Innovationsbereitschaft .............................. 114

Tabelle 7:

Konzeptionalisierung der produktbezogenen Emotionen.................... 118

Tabelle 8:

Konzeptionalisierung der Produktzielkongruenz................................. 119

Tabelle 9:

Konzeptionalisierung der Markenzielkongruenz ................................. 120

Tabelle 10: Konzeptionalisierung der Produktschemakongruenz.......................... 122 Tabelle 11: Konzeptionalisierung der Markenschemakongruenz .......................... 123 Tabelle 12: Entscheidungsregeln zur Bestimmung der Konstruktkausalität. ......... 132 Tabelle 13: Vergleich zwischen kovarianz- und varianzbasierten Verfahren......... 136 Tabelle 14: Konservative Prüfkriterien für PLS-Modelle auf Messmodellebene .... 144 Tabelle 15: Prüfkriterien für PLS-Modelle auf Strukturmodellebene...................... 146 Tabelle 16: Produktbeschreibungen der radikalen Innovationen........................... 149 Tabelle 17: Aufbau der Befragung......................................................................... 151 Tabelle 18: Altersstruktur der Probanden.............................................................. 154 Tabelle 19: Wahrnehmung der Neuartigkeit der radikalen Innovationen............... 156 Tabelle 20: Wahrnehmung der Innovativität der radikalen Innovationen............... 156 Tabelle 21: Wahrnehmung der Produktschemakongruenz der radikalen Innovationen ....................................................................................... 156 Tabelle 22: Wahrnehmung der Zuordenbarkeit zu einer Kategorie ....................... 157 Tabelle 23: Auswahlset der Marken ...................................................................... 158 Tabelle 24: Signifikanz der Mittelwertunterschiede bei der Einstellung zum Kauf ............................................................................................ 161 Tabelle 25: Signifikanz der Mittelwertunterschiede bei der Kaufabsicht................ 161 Tabelle 26: Faktorladungen und t-Werte der Kaufabsicht ..................................... 163 Tabelle 27: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Kaufabsicht..... 164 Tabelle 28: Faktorladungen und t-Werte der Einstellung zum Kauf der Innovation ........................................................................................... 166

XVI Tabelle 29: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Einstellung zum Kauf der Innovation..................................................................... 167 Tabelle 30: Faktorladungen und t-Werte der Innovationsbereitschaft ................... 168 Tabelle 31: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Innovationsbereitschaft....................................................................... 169 Tabelle 32: Gewichte und t-Werte der produktbezogenen Emotionen .................. 171 Tabelle 33: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts produktbezogene Emotionen.......................................................................... 172 Tabelle 34: Faktorladungen und t-Werte der Produktzielkongruenz...................... 173 Tabelle 35: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Produktzielkongruenz ......................................................................... 174 Tabelle 36: Faktorladungen und t-Werte der Markenzielkongruenz ...................... 175 Tabelle 37: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Markenzielkongruenz.......................................................................... 176 Tabelle 38: Gewichte und t-Werte der Produktschemakongruenz ........................ 177 Tabelle 39: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Produktschemakongruenz .................................................................. 178 Tabelle 40: Gewichte und t-Werte der Markenschemakongruenz......................... 179 Tabelle 41: Gütekriterien der Operationalisierung des Konstrukts Markenschemakongruenz .................................................................. 180 Tabelle 42: Wirkungsbeziehungen im markenschemakongruenten Modell........... 183 Tabelle 43: R² und Q² für das Teilmodell Markenschemakongruenz..................... 189 Tabelle 44: Totaleffekte im markenschemakongruenten Szenario........................ 191 Tabelle 45: Wirkungsbeziehungen im markenschemainkongruenten Modell........ 193 Tabelle 46: R² und Q² für das Teilmodell Markenschemainkongruenz.................. 196 Tabelle 47: Totaleffekte im markenschemainkongruenten Szenario ..................... 197 Tabelle 48: Unterschiede der Modelle bei Markenschemakongruenz und -inkongruenz....................................................................................... 199 Tabelle 49: Wirkungsbeziehungen im produktschemakongruenten Modell........... 204 Tabelle 50: R² und Q² für das Teilmodell Produktschemakongruenz .................... 208 Tabelle 51: Totaleffekte im produktschemakongruenten Szenario........................ 209 Tabelle 52: Wirkungsbeziehungen im produktschemainkongruenten Modell........ 211 Tabelle 53: R² und Q² für das Teilmodell Produktschemainkongruenz ................. 214 Tabelle 54: Totaleffekte im produktschemainkongruenten Szenario ..................... 215

XVII Tabelle 55: Unterschiede der Modelle bei Produktschemakongruenz und -inkongruenz....................................................................................... 216 Tabelle 56: Hypothesensystem nach der empirischen Überprüfung ...................... 222

XIX

Abkürzungsverzeichnis

AVE

Average Variance Extracted

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

DEV

durchschnittlich erfasste Varianz

d. h.

das heißt

DV

Diskriminanzvalidität

etc.

et cetera

FL

Faktorladung

Gew.

Gewicht

H

Hypothese

Hrsg.

Herausgeber

i. S.

im Sinne

i. S. d.

im Sinne der

Jg.

Jahrgang

KR

Konstruktreliabilität

LISREL

Linear Structural Relations

MIK

Markenschemainkongruenz

MIMIC

Multiple Indicators Multiple Causes

MK

Markenschemakongruenz

ML

Maximum Likelihood

n. s.

nicht signifikant

OLS

Ordinary Least Squares

o. S.

ohne Seite

o. V.

ohne Verfasser

PIK

Produktschemainkongruenz

XX PK

Produktschemakongruenz

PLS

Partial Least Squares

u. a.

unter anderem

usw.

und so weiter

u. U.

unter Umständen

VIF

Variance Inflation Factor

Vol.

Volume

vs.

versus

z. B.

zum Beispiel

1

Teil I: Die Relevanz von Vorwissen für den Innovationserfolg 1

Zur Notwendigkeit der Identifikation von Determinanten erfolgreicher Innovationen

Mit dem Werbeslogan "Red Bull verleiht Flügel" trat der Hersteller des gleichnamigen Energy Drinks im Jahr 1987 seinen Siegeszug, zunächst in Österreich bald auch in Deutschland und anderen Nationen an. Die nach Gummibärchen schmeckende Flüssigkeit gilt seither als Prototyp einer erfolgreichen „Breakthrough“-Innovation.1 Mittlerweile versorgt Red Bull Konsumenten in über 120 Ländern mit jährlich über 2,5 Milliarden silbrig-blauer Dosen des Szenegetränks und hat Kultstatus erlangt.2 Der Umsatz der Red Bull Gruppe stieg im Jahr 2005 um 23 Prozent auf 2,15 Milliarden Euro. Red Bull hält trotz zahlreicher Nachahmerprodukte weltweit einen Marktanteil von etwa 70 Prozent bei den Energy Drinks und ist damit eines der erfolgreichsten neuen Markenprodukte der letzten Jahre.3

Revolutionäre Innovationen wie Red Bull sind ein Garant für öffentliche Aufmerksamkeit und verleihen Unternehmen ein innovatives Image. Doch nicht nur das Image ist für die Unternehmen ein Grund, warum sie sich intensiv mit der Neuproduktgestaltung auseinandersetzen. Oft verursachen auch ein starker Wettbewerbsdruck, eine hohe Marktdynamik und kürzere Produktlebenszyklen einen enormen Druck auf die Unternehmen, dem diese häufig nur durch neue, ertragssteigernde Produktinnovationen begegnen können. Unternehmerische Innovationsfähigkeit wird damit zu einem kritischen Wettbewerbsfaktor.

Aus diesem Grund investieren viele Unternehmen beträchtliche Summen in die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte. Viele dieser Produktentwicklungen zeichnen sich durch Einzigartigkeit oder durch eine überlegene Herstellungstechnologie aus. Doch noch immer ist die Misserfolgswahrscheinlichkeit von radikalen Innovationen mit bis zu 85 Prozent sehr hoch und stellt für die Unternehmen ein schwer

1 2 3

Synonym: radikale Innovation. Vgl. Bergmann (2005), S. 95. Vgl. Möchel (2006), o. S.

2 kalkulierbares Risiko dar.4 Aus Sicht der Kunden sind Misserfolge häufig auf eine unpassende Produktgestaltung oder mangelhafte Produktkommunikation zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund ist eine genaue Kenntnis der Einflussfaktoren auf die Produktevaluation und die Adoptionsentscheidung unabdingbar.

In Anbetracht der Vielzahl an Innovationen, die täglich am Markt erscheinen, ist es dem Konsumenten gar nicht mehr möglich, jede einzelne differenziert zu verstehen und adäquat zu beurteilen. Die begrenzte Informationsaufnahme- und -speicherkapazität des Menschen verhindert eine intensive Auseinandersetzung mit sämtlichen Neuprodukten am Markt. Die Mehrzahl der Innovationen vergisst der Verbraucher gleich wieder oder nimmt sie erst gar nicht wahr. Sehr häufig fällt er auch ein Urteil über die Produktneuheiten, ohne aktiv Informationen zu sammeln oder sich jemals mit ihnen auseinandergesetzt zu haben. Entscheidend für den Erfolg von Neuprodukten ist daher die Identifikation der Determinanten der Produktevaluation.

Für das Zustandekommen solcher Produkturteile dient dem Menschen sein bestehendes Wissen in Form von Schemata.5 Schemata sind kognitive Programme, die den Ablauf der Informationsverarbeitung festlegen. Sie organisieren Wahrnehmung, Bewertung und Entscheidung und sind auch bei der Evaluation neuer Produkte von erheblicher Bedeutung.6 Das Vorwissen eines Menschen determiniert nicht nur sein Produktverständnis, sondern auch seine Produkterwartungen, seine Schlussfolgerungen und die Produktbeurteilung.7 Vor diesem Hintergrund fokussiert die vorliegende Untersuchung die Rolle kognitiver Schemata bei der Beurteilung radikaler Innovationen.

4

5 6 7

Vgl. BBDO (2001), S. 12; Stevens/Burley (2003), S. 16 ff.; Ashwin/Sharma (2004), S. 47; Zimprich (2006), o. S. Vgl. Binsack (2003), S. 1. Vgl. Brewer/Nakamura (1984), S. 119 ff.; Trommsdorff (2002), S. 87. Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 544.

3

2

Erkenntnisse der neueren Adoptionsforschung

Will man das Verhalten von Konsumenten bei der Beurteilung radikaler Innovationen einer genaueren Betrachtung unterziehen, leisten diverse Forschungsrichtungen wertvolle Dienste.8 Eine besondere Rolle nimmt hierbei die Adoptionsforschung ein, deren Erkenntnisse Gegenstand der folgenden Ausführungen sind.

Die Adoptionsforschung beschäftigt sich mit dem individuellen Verlauf und den Faktoren einer Innovationsübernahme durch den Nachfrager. Im Gegensatz zur Aggregatsbetrachtung der Diffusionsforschung untersuchen Vertreter der Adoptionsforschung die Fragen der Übernahme einer Neuerung auf Individualebene.9 Die Adoption bezeichnet hierbei die Entscheidung eines einzelnen Verbrauchers zur Akzeptanz einer Innovation.10 Der Adoptionsprozess ist dynamisch, wobei sich die Dynamik aus dem sich ständig ändernden Umfeld des Nachfragers ergibt. Der Verbraucher muss fortwährend neue Informationen bewerten und in seine Wissensstrukturen integrieren, um sich ein Produkturteil bilden zu können. Dieses Urteil bildet die Grundlage für seine Entscheidung, eine Innovation anzunehmen oder abzulehnen. Somit stellt der Adoptionsprozess den ausschlaggebenden Faktor für den Erfolg oder Misserfolg einer radikalen Innovation dar.11

Wegen der Vielfältigkeit des Innovationsphänomens existiert bislang keine einheitliche Begriffsdefinition.12 Eine in der Adoptionsforschung häufig verwendete Deutung stammt von Rogers. Der Wissenschaftler bezeichnet eine Innovation als „ […] an idea, practice or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption“13. Der Autor hebt dabei die subjektiv wahrgenommene Neuartigkeit der Innovation hervor. Dabei fließen die objektiven Produkteigenschaften über die subjektive Wahrnehmung in die Urteilsbildung ein.14 Die Wahrnehmung selbst verändert sich durch Informationen, die das Individuum z. B. durch die Kommunikation mit dem Anbieter oder mit Personen aus dem sozialen Umfeld erlangt. Die wahrgenommenen

8 9 10 11 12 13 14

So z. B. die Diffusionsforschung und die Adoptionsforschung. Vgl. Weiber (1992), S. 3; Bähr-Seppelfricke (1999), S. 7. Vgl. Clement/Litfin (1999), S. 97. Vgl. Clement/Litfin (1999), S. 97; Rogers (1995), S. 161 ff. Für einen Überblick unterschiedlicher Innovationsdefinitionen vgl. Hauschildt (2004), S. 3 ff. Rogers (1983), S. 11. Vgl. Litfin (2000), S. 19.

4 Produkteigenschaften verdichten sich allmählich zu einem „inneren Bild“ der Innovation, das die Grundlage für das Adoptionsverhalten bildet.15

Ein Konsument kann eine Innovation sowohl positiv als auch negativ beurteilen. Die Begriffsverwendung in der einschlägigen Literatur zur Innovationsforschung ist uneinheitlich.16 Vertreter der Adoptionsforschung sprechen bei einem positiven Urteil von Akzeptanz und bei negativer Bewertung von Resistenz gegenüber einer Innovation. Die Akzeptanz bildet die Vorstufe einer positiven Adoptionsentscheidung.17 Hierbei zieht ein Individuum eine Innovation prinzipiell als eine in Frage kommende Alternative bei der Kaufentscheidung in Betracht.18 Aus der Akzeptanz muss jedoch nicht zwangsläufig eine Adoption resultieren, oftmals korrigiert ein Individuum sein erstes Urteil und lehnt das Neuprodukt ab, sofern es neue, widersprüchliche Informationen erhält.19 Erst wenn eine verhaltensbezogene Komponente in Form einer Entscheidung für oder gegen den Kauf hinzukommt, spricht die Literatur von Adoption (Kauf) und Ablehnung (Nicht-Kauf).20 Die Ablehnung kann entweder dauerhaft (fortgesetzte Ablehnung) oder aber nur vorübergehend sein (spätere Adoption).21

Vertreter der klassischen Akzeptanzforschung konzentrieren ihre Forschungsbemühungen vorwiegend auf die Analyse der Nutzungsbedingungen einer Innovation.22 So versteht Kollmann Akzeptanz als die Übernahme einer Innovation verbunden mit der tatsächlichen Nutzung des Neuprodukts.23 Sie erstreckt sich über die positive Einstellungsbildung über den Kauf bis hin zur Nutzung des Neuprodukts. Diese Deutung des Akzeptanzkonzepts schließt somit eine Betrachtung vor, während und nach dem Kauf ein.24 Die Adoption hingegen liegt dieser Auffassung folgend bereits mit der Übernahme bzw. dem Kauf der Innovation vor.25

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Schmalen/Pechtl (1996), S. 817. Zu einer Übersicht vgl. Kollmann (2004), S. 138 ff.; Weiber/Kollmann/Pohl (2006), S. 156 ff. Vgl. Binsack (2003), S. 9. Vgl. Schmalen/Pechtl (1996), S. 818. Vgl. Bagozzi/Lee (1999), S. 221. Vgl. Nabih/Bloem/Poisez (1997), S. 191; Bagozzi/Lee (1999), S. 221. Vgl. Weiber/Pohl (1996), S. 1205 f. Vgl. Döhl (1983), S. 125. Vgl. Kollmann (2000), S. 129; Weiber/Kollmann/Pohl (2006), S. 168. Vgl. Weiber/Kollmann/Pohl (2006), S. 168. Vgl. Clement/Litfin (1999), S. 97; Weiber/Kollmann/Pohl (2006), S. 157.

5 Im Zentrum dieser Arbeit steht die Untersuchung der Einflussfaktoren auf die Übernahme radikaler Innovationen. Hierzu werden im weiteren Verlauf der Untersuchung zwei Neuprodukte generiert, die in dieser Form nicht am Markt erhältlich sind. Aus diesem Grund spielt die Betrachtung der Nutzung des Neuprodukts in der vorliegenden Studie keine Rolle. Aus Gründen der sprachlichen Variation werden im weiteren Verlauf der Arbeit die Begriffe Adoption und Akzeptanz synonym gebraucht und stehen für die Übernahme des Neuprodukts durch den Konsumenten. Ob der Konsument eine Innovation adoptiert oder ablehnt, ist in den meisten Fällen von der Innovation selbst sowie von ihrer Neuartigkeit abhängig. Daher scheint an dieser Stelle eine Systematisierung von Innovationen angebracht.

Der Systematisierung von Innovationen haben sich diverse Autoren angenommen und unterschiedliche Ansätze entwickelt.26 Einen entscheidenden Faktor zur systematischen Kategorisierung von Innovationen stellt deren Neuartigkeit dar. In der Literatur herrschen allerdings uneinheitliche Auffassungen darüber, wann ein Produkt als „neu“ anzusehen ist.27 Die Spannweite der Neuartigkeit von Produkten erstreckt sich von der einfachen Produktdifferenzierung bis hin zur radikalen Innovation.28 In der Adoptionsforschung wird der Grad der Neuartigkeit oftmals indirekt – über den Grad der Abweichung des Neuprodukts zu vorhandenem Wissen – untersucht. Ein Konsument empfindet eine Innovation demzufolge dann als neu, wenn diese sehr stark von seinen vorhandenen Wissensstrukturen abweicht.29

Ein theoretisches Rahmenwerk zur Klassifizierung von Innovationen nach ihrem Neuigkeitsgrad stellt Robertson im Jahr 1971 in seinem „Continuum Model“ vor. Dabei beschreibt der Autor, wie sich Innovationen in Abhängigkeit von der Nähe zu bestimmten Gebrauchsgewohnheiten unterscheiden. Bei Robertson liegt die Differenzierungsgrundlage somit in der Veränderung gegenüber bestimmten Verhaltensmustern. Er unterscheidet hierbei drei Gruppen von Neuerungen: kontinuierliche,30

26

27 28 29 30

Vgl. z. B. Robertson (1971) zur Klassifizierung nach Konsumgewohnheiten, Hirschmann (1981) zur Ähnlichkeit von Innovationen zu bestehenden Produkten, Veryzer (1998) und Ziamou (1999) zur Klassifizierung nach Technologie, Funktionalitäten und Gewohnheiten und Binsack (2003) zur Klassifizierung nach kognitiven Strukturen. Vgl. Hauschildt (2004), S. 3 ff. Vgl. Sattler (2005), S. 507. Vgl. Hirschmann (1981), S. 537 ff.; Lehmann (1994), S. 1 ff.; Veryzer (1998), S. 144. Synonym: inkrementelle Innovationen.

6 dynamisch kontinuierliche und diskontinuierliche.31 Während kontinuierliche Innovationen an gespeichertes Wissen anknüpfen und bestehende Gewohnheiten kaum verändern, erzeugen diskontinuierliche Innovationen völlig neue Gebrauchsgewohnheiten und sind daher nur schwierig in vorhandene Produktkategorien einzuordnen. Die Diskrepanz dieser Produkte zu bestehendem Wissen ist sehr hoch. Dynamisch kontinuierliche Innovationen hingegen weichen zwar von bestehenden Wissensstrukturen ab, sind allerdings mit alternativen Produkten vergleichbar und rufen keine völlig neuen Gebrauchsgewohnheiten hervor. 32

Ziamou und Veryzer ergänzen das Modell von Robertson um die Aspekte Funktionalität sowie Technologie und wahrgenommener Nutzen.33 Hierbei betont Ziamou, dass diskontinuierliche Innovationen neue Funktionalitäten offerieren. Diese Funktionen definiert sie als Ausmaß der Veränderung des Nutzens, den die diskontinuierliche Innovation stiftet. Diese neuen Funktionalitäten gehen nach Auffassung der Autorin wiederum mit Verhaltensänderungen des Konsumenten einher.34 Veryzer zufolge implizieren diskontinuierliche Innovationen zudem neue Technologien, die den wahrgenommenen Nutzen der Innovation steigern können, allerdings auch einen erhöhten Lernaufwand induzieren.35

Binsack erweitert die Typologie um eine kognitionspsychologische Sichtweise, wobei sie Neuigkeit in Anlehnung an Hirschmann als Grad der Abweichung von den produktrelevanten Gedächtnisstrukturen definiert.36 Nach Binsack weisen Innovationen geringen Neuigkeitsgrads eine hohe Ähnlichkeit zu bestehenden Schemastrukturen auf und weichen nur leicht von bestehenden Produktkategorien ab. Dynamisch kontinuierliche Innovationen sind prinzipiell mit vorhandenen alternativen Produkten vergleichbar, haben aber nur eine geringe Ähnlichkeit zu bestehenden Schemata. Demgegenüber kann ein Konsument diskontinuierliche Innovationen nur schwer oder

31 32 33 34 35 36

Synonym: radikale Innovationen. Vgl. Robertson (1971), S. 21 ff. Vgl. Ziamou (1999), S. 368 f.; Veryzer (1998), S. 144. Vgl. Ziamou (1999), S. 369. Vgl. Veryzer (1998), S.138 ff. Vgl. Binsack (2003), S. 23 f.; Hirschmann (1981), S. 537; Schmalen/Pechtl (1996), S. 822.

7 keinem adäquaten Schema mehr zuordnen und empfindet meist eine extreme Inkongruenz zu existierenden Produktkategorien.37

Im Bereich des Innovationsmarketings ist demzufolge der Unsicherheitsfaktor bei diskontinuierlichen Innovationen am größten. Daher konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen primär auf das Phänomen der diskontinuierlichen Innovationen, die in der Literatur auch unter den Begriffen „radikale Innovationen“, „Breakthrough“-Innovationen oder „Really New Products“ beschrieben sind. Urban, Weinberg und Hauser charakterisieren „Really New Products“ als Innovationen, die neue Produktkategorien erzeugen oder bestehende verändern. Dem Autorengespann zufolge verändern diese etablierte Marktstrukturen, beinhalten neue Technologien, erfordern einen Lernaufwand und induzieren Verhaltensänderungen.38 Weitere Autoren führen zur Abgrenzung radikaler Innovationen ähnliche Charakteristika an.39 McDermott und O’Connor beschreiben diese als neue Technologien, die Nutzen stiften, weiterhin äußern sie sich: „Major innovations require new skills, levels of market understanding, leaps in new processing abilities, and systems throughout the organization.“40

Wie beim übergeordneten Innovationsbegriff fällt auch die Klassifizierung von radikalen Innovationen anhand eines fest definierten Kriterienkataloges schwer. So müssen nicht alle Innovationen sämtliche beschriebenen Merkmale erfüllen um vom Konsumenten als „Really New Products“ identifiziert zu werden. In der Literatur findet man häufig nur eine Kombination aus zwei bis drei dieser Charakteristika zur Abgrenzung diskontinuierlicher Innovationen.41 So etablierte beispielsweise die radikale Innovation „Mobiltelefon“ anfangs eine neue Produktkategorie, ferner schaffte sie einen zusätzlichen Nutzen, nämlich das „Telefonieren unterwegs“. Die Marktstrukturen veränderten sich ebenfalls durch dieses Neuprodukt, neue Anbieter drangen auf den Telekommunikationsmarkt und bildeten eine starke Konkurrenz zu den Festnetzbetreibern. Demgegenüber waren anfänglich die Funktionsweise und Bedienung nicht neu und ähnelten sehr stark dem Festnetztelefon. 37 38 39 40 41

Vgl. Binsack (2003), S. 24. Vgl. Urban/Weinberg/Hauser (1996), S. 47. Vgl. Aggarwal/Cha/Wilemon (1998), S. 363 f. McDermott/O’Connor (2002), S. 424. Vgl. z. B. Leonard-Barton (1994), S. 19; Rosenberger/De Chernatony (1995), S. 346.

8 Wie das Beispiel Mobiltelefon verdeutlicht, ist die Systematisierung von Innovationen auf Basis eines festgelegten Kriterienkatalogs nicht pauschal möglich. Radikale Innovationen und dynamisch kontinuierliche Neuprodukte gehen oftmals ineinander über. Ihre wahrgenomme Neuartigkeit entsteht ferner aus dem subjektiven Urteil eines Konsumenten. So erfüllen häufig auch dynamisch kontinuierliche Innovationen einen Teil dieser Kriterien. Hält man sich diese Tatsache vor Augen, so ist eine Abgrenzung der Innovationsarten erst vor dem Hintergrund des Forschungsziels sinnvoll. Die vorliegende Untersuchung zielt auf die Beurteilung von Neuprodukten aus Konsumentensicht ab. Wie erläutert, soll unter anderem der Einfluss von Gedächtnisstrukturen in Form von Schemata auf das Adoptionsverhalten von Konsumenten untersucht werden. Daher bietet es sich an, eine Klassifizierung auf dieser Basis vorzunehmen. Der Auffassung von Hirschmann, Lehmann und Veryzer folgend werden Innovationen daher im weiteren Verlauf der Arbeit daran gemessen und systematisiert, wie hoch ihre Ähnlichkeit zu bestehenden Produkt- und Verhaltensschemata ist und wie leicht sie in bestehendes Wissen einzuordnen sind.

Aufbauend auf den Grundlagen der Adoptionsforschung stehen theoretische Grundlagen zur Erklärung von Adoptionsverhalten im Mittelpunkt des folgenden Kapitels.

9

3

Zur Rolle kognitiver Schemata bei der Produktbeurteilung

Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Relevanz des Adoptionsverhaltens für den Markterfolg radikaler Innovationen hervorgehoben wurde, stellt sich die Frage, wie dieses Verhalten gelenkt werden kann. Hierzu ist es zweckdienlich, diejenigen Determinanten zu identifizieren, die für die Adoption einer radikalen Innovation verantwortlich sind.

Angesichts der unzähligen Neuprodukte ist der Konsument nicht in der Lage, sämtliche Produkte adäquat zu evaluieren. Um ein neues Produkt zu beurteilen, muss der Konsument dieses zunächst bewusst wahrnehmen. „Wahrnehmung umfaßt nicht nur die Entschlüsselung der aufgenommenen Reize, sondern auch ihre gedankliche Weiterverarbeitung bis zur Beurteilung des wahrgenommenen Gegenstands.“42 Dieser Definition zufolge endet der Wahrnehmungsprozess einer radikalen Innovation erst mit einer Bewertung des Neuprodukts und seiner Eigenschaften. Die Bewertung resultiert allerdings weniger aus einer systematischen und logischen Auseinandersetzung mit allen zur Verfügung stehenden Informationen. Vielmehr ist die Produktwahrnehmung und somit auch die Produktbeurteilung ein subjektiver und selektiver Vorgang, in dem das Individuum einige bestimmte Reize aufnimmt und vor dem Hintergrund seines vorhandenen Wissens interpretiert.43 Dieses Verhalten erklärt die Tatsache, dass ein- und dieselbe Innovation von einem Konsumenten positiv beurteilt und angenommen wird, während ein anderer Verbraucher es negativ evaluiert und ablehnt.44

Die bisherigen Ausführungen belegen, dass vorhandenes Wissen eine entscheidende Rolle bei der Akzeptanz radikaler Innovationen spielt. Diese Tatsache wird durch zahlreiche Untersuchungen zum Adoptionsverhalten gestützt.45 Ist ein Individuum in der Lage, ein neues Produkt mit seinem vorhandenen Wissen zu verknüpfen, so beeinflusst dies seine Erwartungen hinsichtlich dieser Innovation sowie deren Beurteilung.46 Hierbei haben die typischen Vorstellungen im Zusammenhang mit der

42 43 44 45 46

Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 275. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 266 f.; Bettman (1979), S. 77. Vgl. Wilkening (1988), S. 204 f. Vgl. Binsack (2003). Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 544.

10 Produktkategorie eine wesentliche Bedeutung. Von einem neuen innovativen Elektroauto erwartet man beispielsweise zunächst, dass es fahren kann. Diese typischen Assoziationen speichert das Gehirn in Form von kognitiven Schemata ab. Kognitive Schemata bilden den Schlüsselfaktor in der wissensbasierten Informationsverarbeitung und steuern die Informationsaufnahme und die Produktbeurteilung.47 Insbesondere bei radikalen Innovationen kommt daher der Rolle von kognitiven Schemata eine größere Bedeutung zu, da diese den Ankerpunkt für die weitere Informationsverarbeitung, Produkteinordnung und Beurteilung bilden.

Es überrascht, dass bislang relativ wenige Konsumentenverhaltensstudien zu finden sind, welche die Adoption neuer Produkte vor dem Hintergrund kognitiver Schemata untersuchen.48 Wie Tabelle 1 dokumentiert, konzentrieren sich die meisten Untersuchungen in diesem Bereich auf bekannte Produktkategorien sowie bekannte Marken oder Produkte mit relativ geringem Neuigkeitsgrad. Die Mehrzahl dieser Studien basiert zudem auf Prozessmodellen, die den Weg der Urteilsbildung und nicht deren Determinanten zu erklären versuchen. Eine Ausnahme bildet der neuigkeitsbasierte Ansatz nach Mandler, in dem die Beurteilung einer Information von der Ähnlichkeit zwischen dieser und einem bekannten Schema abhängig ist.49 Sowohl in Mandlers Modell als auch in den darauf folgenden empirischen Validierungen seines Ansatzes50 fehlt jedoch eine kausalanalytische Untersuchung im Hinblick auf radikale Innovationen, daher besteht hier Forschungsbedarf.

Zur Klärung der Frage, welchen Beitrag kognitive Schemata bei der Beurteilung von Neuprodukten leisten, tragen auch die Untersuchungen von Olshavsky und Spreng sowie von Binsack bei.51 Olshavsky und Spreng befassen sich mit den schema- und datenbasierten Informationsverarbeitungsprozesse bei der Beurteilung von Neuprodukten und gewähren somit einen Einblick in den Prozess der Urteilsbildung. Hierzu wählte das Autorengespann 40 Probanden aus und präsentierte ihnen neun unterschiedlich kongruente Innovationen aus den Bereichen „Speisen und Getränke“, „Haushaltsgeräte“ sowie „Kosmetik und Gesundheit“. Die protokollanalytisch erhobe47 48 49 50 51

Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 544. Vgl. Bridges (1990); Meyers-Levy/Tybout (1989); Sujan/Bettmann (1989). Vgl. Mandler (1982), S. 22 f. Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 52; Stayman/Alden/Smith (1992), S. 240 ff. Vgl. Binsack (2003); Olshavsky/Spreng (1996).

11 nen Daten deuten auf einen Prozess bei der Urteilsbildung hin, der sich wie folgt darstellt. Zunächst versucht der Nachfrager, das Neuprodukt zu kategorisieren. Gelingt eine Kategorisierung, überträgt er das mit dem Schema verbundene Urteil auf das Neuprodukt (Affekt-Transfer). Kategorisierung und Affekt-Transfer sind umso wahrscheinlicher, je schemakongruenter das Neuprodukt ist. Scheitern die Kategorisierung und der Affekttransfer, findet tendenziell eine datengesteuerte Urteilsbildung – das so genannte Judgement – statt. Hierbei werden alle internen und externen Informationen über ein Neuprodukt zu einer Gesamtbeurteilung integriert.52

Auch Binsack analysiert radikale Innovationen im Hinblick auf kognitive Schemata; allerdings legt die Autorin den Schwerpunkt ihrer qualitativen Befragungen vorwiegend auf den Einfluss kognitiver Schemata bei der gewählten Urteilsstrategie und bei dem Prozess der Urteilsbildung. Zu diesem Zweck entwickelte die Autorin drei Produktbeschreibungen von Mobiltelefonen, die sich hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit zu bekannten Schemata voneinander unterscheiden. Im Rahmen einer Protokollanalyse befragte Binsack 72 Probanden zu allen drei Neuprodukten. Die Analyse der Protokolldaten legt offen, dass die Nachfrager bei Konfrontation mit einer diskontinuierlichen Innovation zunächst neues Wissen generieren und Ziel-Mittel-Verknüpfungen herstellen müssen. Da diese Kognitionen bei der ersten Begegnung mit der Innovation meist fehlen, kann der Konsument die Innovation lediglich auf Basis sehr vager und unkonkreter Vorstellungen beurteilen. Eine positive Beurteilung erfolgt tendenziell dann, wenn der Urteilende die Innovation in seine Gedächtniststruktur integrieren kann, er aufgeschlossen gegenüber dem Neuprodukt ist und er sich eine Vorstellung über den Nutzen bilden kann.53

Die relevanten Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen kognitiven Schemata und der Beurteilung von Produkten sind in Tabelle 1 dargestellt. Auch wenn die folgende Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, so liefert sie dennoch einen Überblick über wichtige empirische Studien auf diesem Gebiet.

52 53

Vgl. Olshavsky/Spreng (1996). Vgl. Binsack (2003).

12

Autor

Fokus der

Untersuchter

Unter-

Sachverhalt

Datengrundlage

suchung Binsack

Prozesse

(2003)

ten Produkte Urteilsstrategien in

72 Probanden, die drei

Neuheitsgrad der

Abhängigkeit von

Innovationen im Mobil-

Produkte variiert

Schemakongruenz

telefonbereich beurteil-

von gering bis

unterschiedlich inno-

ten

hoch, auch radi-

vativer Neuprodukte Boush/

Prozesse

Neuheitsgrad der untersuch-

kale Innovationen

Auswirkungen der im

144 Probanden, die

Gering, bekannte

Loken

Markenschema ge-

Markenerweiterungen

Produkte

(1991)

speicherten Urteile

aus den Bereichen

auf den Beurtei-

Lebensmittel und Elekt-

lungsprozess einer

ronik evaluierten

Marke Bridges

Prozesse

(1990)

Informationsverarbei-

Probanden, die unter-

Gering, bekannte

tungsstrategie bei der

schiedlich schemakon-

Produkte

Beurteilung unter-

gruente Marken-

schiedlich schema-

erweiterungen aus dem

kongruenten

Gebrauchsgüterbereich

Markenerweiterungen

beurteilten

Kalamas

Ursache-

Auswirkungen unter-

160 Probanden, die

Inkongruente

et al.

Wirkungs-

schiedlicher Prototy-

sechs prototypische

Kombinationen

(2006)

beziehungen

pen auf die

Muttermarken sowie 18

bekannter Pro-

Einstellung und den

Markenerweiterungen

dukte und Mar-

wahrgenommenen Fit

bewerteten

ken (z. B.

Lee (1995)

Prozesse

der Markenerweite-

Laufschuhe von

rung

Coca Cola)

Schema- und daten-

111 Probanden, die

Gering, bekannte

basierte Informations-

Fastfood-Produkte

Produkte, be-

verarbeitungsstrate-

beurteilten

kannte Marken

gien bei der Produktbeurteilung in Abhängigkeit vom Involvement

13

Autor

Fokus der

Untersuchter

Unter-

Sachverhalt

Datengrundlage

Neuheitsgrad der untersuch-

suchung

ten Produkte

Meyers-

Ursache-

Einfluss von Sche-

Drei Experimente mit

Gering, dyna-

Levy/

Wirkungs-

makongruenz auf die

insgesamt 231 Proban-

misch kontinuier-

Tybout

beziehungen

Produktbeurteilung

den (Studie 1: 102,

liche Inno-

Studie 2: 54, Studie 3:

vationen, be-

75), die Produkte im

kannte Produkt-

Getränkesektor beur-

kategorien

(1989)

teilten Olshavsky/

Schema- und daten-

40 Probanden, die ins-

Neuheitsgrad der

Spreng

Prozesse

basierte Informati-

gesamt neun Innovati-

Produkte variiert

(1996)

onsverarbeitungs-

onen aus den

von gering bis

prozesse bei der

Bereichen Speisen und

hoch, Produktka-

Beurteilung von Inno-

Getränke, Haushaltsge-

tegorien bekannt

vationen

räte sowie Kosmetik

und vorgegeben

und Gesundheit bewerteten Stayman/

Ursache-

Einfluss von Kon-

Drei Experimente mit

Gering, bekannte

Alden/

Wirkungs-

gruenz zwischen

insgesamt 298 Proban-

Produktkategorie

Smith

beziehungen

Produkterfahrung und

den (Studie 1: 79, Stu-

Erwartungen bzgl.

die 2: 103, Studie 3:

eines Produktsche-

107), die Produkte im

mas auf die Produkt-

Getränkebereich beur-

beurteilung

teilten

Schema- und daten-

126 Probanden, die

Gering, bekannte

basierte Informa-

zwei unterschiedlich

Produkte

tionsverarbeitung bei

kongruente Kameras

der Produktbeurtei-

evaluierten

(1992)

Sujan (1985)

Prozesse

lung durch Experten und Novizen in Abhängigkeit der Produktkategoriekongruenz

14

Autor

Fokus der

Untersuchter

Unter-

Sachverhalt

Datengrundlage

suchung Sujan/

Prozesse

Neuheitsgrad der untersuchten Produkte

Wirkung der Kon-

Vier Studien mit insge-

Gering, neue

Bettman

gruenz zwischen

samt 253 Probanden

Marke aber be-

(1989)

Marke und Produkt-

(Studie 1: 46, Studie 2:

kanntes Produkt

kategorieschema auf

71, Studie 3: 40, Studie

die Prozesse der

4: 96), die neue Marken

Marken- und Pro-

bei Werbebroschüren

duktwahrnehmung

und Kameras bewerte-

und -beurteilung

ten

Tabelle 1: Studien zur Bedeutung von kognitiven Schemata bei der Produktbeurteilung

Die Klärung, welche weiteren Forschungsfragen im Verlauf dieser Arbeit beantwortet werden sollen, ist Diskussionsgegenstand im folgenden Kapitel.

15

4

Ziel der Untersuchung und Gang der Arbeit

Zur Erklärung der Adoption radikaler Innovationen wird neben der Schematheorie häufig auch die Einstellungstheorie herangezogen.54 Der besondere Stellenwert der Einstellungsforschung zur Erklärung des menschlichen Kauf- und Konsumverhaltens kommt in der Fundamentalhypothese zum Ausdruck, die eine positive Korrelation zwischen der Kaufbereitschaft eines Individuums und dessen Einstellungsstärke unterstellt. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit des Kaufs mit zunehmender Stärke positiver Einstellungen gegenüber Produkten oder Dienstleistungen steigt.55 Ihre Veränderbarkeit machen Einstellungen für marketingpolitische Aktivitäten interessant.56 Zudem liegen Einstellungen nahe am ökonomischen Ziel des Unternehmens, nämlich dem Kauf, und lassen sich im Vergleich zu anderen konsumentenpsychologischen Konstrukten gut von Marketinginstrumenten beeinflussen.57

Allerdings untersuchte die Kaufverhaltensforschung bislang beide Forschungsrichtungen separat voneinander im Hinblick auf Ihre Eignung zur Erklärung der Akzeptanz radikaler Innovationen. Bekannt ist, dass Schemata einen Einfluss auf die Neuproduktbeurteilung ausüben58 und Einstellungen verhaltenssteuernd wirken.59 Aufgrund der isolierten Betrachtung der Konstrukte Schemata und Einstellungen findet man in der Literatur jedoch keine theoretisch fundierten Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge zwischen diesen beiden Konstrukten im Bezug auf das Adoptionsverhalten. Es besteht jedoch Anlass zu der Vermutung, dass die Integration beider Ansätze zu einer verbesserten Erklärung der Akzeptanz radikaler Innovationen beiträgt. Daher liegt es nahe, sie in ein Modell zum Adoptionsverhalten zu integrieren, um Wechselwirkungen zwischen ihnen zu identifizieren.

Mit der Integration einstellungs- und schematheoretischer Erkenntnisse in ein Modell zum Adoptionsverhalten geht die Schließung einer Forschungslücke einher, die sich

54 55 56 57 58 59

Vgl. z. B. Vekantesh/Davis (2000); O’Cass/Fenech (2003); Wixom/Todd (2005). Vgl. Hammann/Erichson (1994), S. 271. Vgl. Eagly/Chaiken (1993). Vgl. Trommsdorff (2002), S. 151. Vgl. Lee (1995); Binsack (2003). Vgl. Ajzen (1991); O’Conner/Armitage (2004); Sutton (1998); Albarracín et al. (2001); Armitage/ Conner (2001); Godin/Kok (1996); Hagger/Chatzisarantis/Biddle (2002).

16 folgendermaßen charakterisieren lässt: Zum einen wurde der Einfluss von kognitiven Schemata auf die Einstellung zum Produkt und die Wahlhandlung bisher in der Innovationsforschung nahezu vernachlässigt. Lediglich einige wenige wissenschaftliche Arbeiten befassen sich mit der Wirkung von Schemata auf die Beurteilung neuer Produkte,60 wobei es sich hierbei zumeist um Innovationen mit geringem Neuigkeitsgrad handelt, also nicht um radikale Innovationen.61 Zum anderen findet sich in der Literatur keine Abhandlung zur theoretischen Fundierung der Wirkung von Schemata auf die Einstellungsbildung im Zusammenhang mit radikalen Innovationen. Auch eine theoriebasierte Verknüpfung von Schema- und Einstellungskonstrukt im Rahmen von Neuprodukten fehlt bislang gänzlich.62 Durch die isolierte Betrachtung von Schemata und Einstellungen sind keine Zusammenhänge der Wirkungsweise zwischen diesen beiden Konstrukten bekannt.

Die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen die gesteigerte Relevanz des Markterfolgs neuer Produkte für die Unternehmen.63 Diesem Interesse steht das skizzierte Erkenntnisdefizit in der betriebswirtschaftlichen Forschung gegenüber. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht daher erstmalig eine Verknüpfung von Einstellungs- und Schematheorie. Konkret bedeutet dies: Die durchgeführte Studie untersucht die Einflüsse kognitiver Produkt- und Markenschemata auf die Einstellungsbildung und das Adoptionsverhalten des Konsumenten und trachtet somit nach Erkenntnisgewinn zur Schließung der identifizierten Forschungslücke. Abbildung 1 dokumentiert die Vorgehensweise zur verbesserten Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen.

60 61 62

63

Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989); Sujan/Bettman (1989); Binsack (2003). Vgl. Bridges (1990); Sujan/Bettman (1989). Lediglich eine Arbeit von Bellman und Rossiter verknüpft beide Konstrukte in einer Untersuchung über Website-Schemata, nicht jedoch im Kontext von radikalen Innovationen. Vgl. Bellman/ Rossiter (2004), S. 55 ff. Siehe Kapitel I-1.

17

BISHERIGE STUDIEN

EINSTELLUNGSTHEORIE

SCHEMATHEORIE

ERKLÄRUNG VON ADOPTIONSVERHALTEN

ERKLÄRUNG VON ADOPTIONSVERHALTEN

z. B. Yoh et al. (2003), Vekantesh/Davis (2000), O’Cass/Fenech (2003), Wixom/Todd (2005).

Abbildung 1:

VORGEHEN DIESER STUDIE

EINSTELLUNGSTHEORIE

SCHEMATHEORIE

INTEGRIERTES MODELL ZUR ERKLÄRUNG VON ADOPTIONSVERHALTEN

z. B. Binsack (2003), Olshavsky/Spreng (1996), Kalamas et al (2006).

Vorgehensweise der Arbeit zur verbesserten Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

Folglich besteht das Hauptziel der vorliegenden Arbeit in der möglichst umfassenden Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse der Schematheorie sowie der Einstellungsforschung, da dieses Wissen erst die Ableitung von Handlungsoptionen zur Steigerung des Innovationserfolgs ermöglicht. Hierbei stellt die Beantwortung der folgenden Fragen den Kern der Arbeit dar: ƒ

Welche Rolle spielt das Vorwissen eines Konsumenten in Form von Produktund Markenschemata bei der Neuproduktbeurteilung?

ƒ ƒ

Welche Determinanten beeinflussen die Adoption von radikalen Innovationen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den identifizierten Determinanten für die Gestaltung, die Positionierung und die Kommunikation von Neuprodukten?

Zur Erreichung dieses Ziels sowie zur Beantwortung der Forschungsfragen empfiehlt sich die folgende Vorgehensweise. Zunächst wird auf Basis einstellungs- und schematheoretischer Überlegungen ein Modell entwickelt, welches das Adoptionsverhalten von Konsumenten bei radikalen Innovationen zu erklären vermag (erstes Unterziel). Dabei finden sowohl die Erkenntnisse der Einstellungstheorie als auch der

18 Schematheorie Berücksichtigung. In einem zweiten Schritt soll dieses hergeleitete Hypothesengefüge an der Realität überprüft werden. Dies geschieht mithilfe einer empirischen Untersuchung im medizinischen Sektor (zweites Unterziel). Ein Modellvergleich soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die schemakonforme oder schemadiskrepante Ausgestaltung und Markierung des Produkts einen Einfluss auf die Adoption dieser Innovation sowie deren Determinanten ausübt (drittes Unterziel). Auf dieser Basis können dem Management dann Handlungsempfehlungen und Interventionsansätze aufgezeigt werden. Die Forschungsziele der vorliegenden Arbeit sind in Abbildung 2 dargestellt.

Hauptziel der Arbeit Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen 1. Unterziel Theoriegeleitete Entwicklung eines Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen Erklärung von Adoptionsverhalten auf Basis der Erkenntnisse der Einstellungstheorie

Erklärung von Adoptionsverhalten auf Basis der Erkenntnisse der Schematheorietheorie

Integration der Erkenntnisse aus Einstellungs- und Schematheorie in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten 2. Unterziel Überprüfung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen in der diagnostischen Medizin 3. Unterziel Analyse des Modells bei variierender Produkt- und Markenschemakongruenz

Abbildung 2: Forschungsziele der Arbeit

19 Zur Bewältigung des skizzierten Forschungsanliegens gliedert sich die Arbeit in die vier aufgezeigten Teilbereiche. Teil I hat die Erläuterung der Relevanz von Vorwissen zur Erklärung des Adoptionsverhaltens zum Inhalt. Gegenstand in Teil II ist die Konzeptualisierung eines Adoptionsmodells bei radikalen Innovationen, während die empirische Überprüfung dieses Modells in Teil III erfolgt. Teil IV beschließt die Arbeit mit einer finalen Betrachtung.

Kapitel II-1 dient dabei der Erläuterung der terminologischen und theoretischen Grundlagen der Einstellungsforschung. Das Augenmerk richtet sich hierbei insbesondere auf die theoriegeleitete Hypothesengenerierung auf Basis der Einstellungsforschung. In Kapitel II-2 stehen die begrifflichen und theoretischen Grundlagen kognitiver Schemata im Zentrum des Interesses. Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf der Modifikation des neuigkeitsbasierten Ansatzes durch die Unterteilung kognitiver Schemata in Produkt- und Markenschemata. Nach der Erörterung schematheoretischer Grundlagen erfahren die gewonnenen Erkenntnisse in Kapitel II-3 eine Zusammenführung. Diese Synthese beider Theoriegebäude mündet schließlich in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen. Der Konzeptualisierung der Modellkonstrukte dienen die Ausführungen in Kapitel II-4.

Inwiefern sich das Modell zum Adoptionsverhalten tatsächlich zur Erklärung der Akzeptanz von radikalen Innovationen eignet, ist Diskussionsgegenstand im dritten Teil der Arbeit. Hierbei richtet sich das Augenmerk zunächst auf die methodischen Grundlagen der Modellschätzung in Kapitel III-1. Die Konzeption der empirischen Studie zur Überprüfung des aufgestellten Hypothesengefüges in Kapitel III-2 soll zeigen, ob die postulierten Zusammenhänge einer Konfrontation mit der Realität standhalten. Eine Analyse der empirischen Ergebnisse steht im Zentrum von Kapitel III-3. Hierbei gilt es zunächst, die verwendeten Skalen im Hinblick auf ihre Eignung zur Abbildung der Konstrukte zu untersuchen und gegebenenfalls anzupassen. Anschließend liegt der Fokus der Ausführungen auf der Analyse der postulierten Wirkungszusammenhänge. Hierbei erfahren die unterschiedlichen Situationen bei variierender Produkt- und Markenschemakongruenz ebenfalls eine Überprüfung. Aus den mithilfe der Kausalanalyse gewonnenen Ergebnissen lassen sich Empfehlungen ableiten, inwiefern die Adoptionsabsicht durch zieladäquate Marken- und Produktgestaltung sowie -kommunikation positiv beeinflusst werden kann. Die Implikationen

20 für das Management sowie ein Forschungsausblick sind Diskussionsgegenstand in Kapitel III-4.

Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung in Teil IV. Abbildung 3 liefert einen Überblick über den Gang der Arbeit.

21

Teil I: Relevanz von Vorwissen zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen I-1:

Notwendigkeit der Untersuchung der Determinanten erfolgreicher Innovationen

I-2:

Erkenntnisse der neueren Adoptionsforschung

I-3:

Zur Rolle kognitiver Schemata bei der Produktbeurteilung

I-4:

Ziel der Untersuchung und Gang der Arbeit

Teil II: Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten

II-1: Beitrag der Erkenntnisse der Einstellungstheorie

II-2: Beitrag der Erkenntnisse der Schematheorie

II-3: Integration der Erkenntnisse aus Einstellungs- und Schematheorie in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen II-4: Spezifizierung des Adoptionsmodells

Teil III: Empirische Überprüfung des Adoptionsmodells

III-1: Methodische Grundlagen der Modellschätzung III-2: Konzeption der empirischen Studie zur Erklärung von Adoptionsverhalten III-3: Ergebnisse der empirischen Untersuchung III-4: Implikationen für Management und Forschung

Teil IV: Schlussbetrachtung

Abbildung 3: Gang der Arbeit

22

Teil II: Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen 1

Beitrag der Erkenntnisse der Einstellungstheorie zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

1.1

Semantische Grundlagen zum Einstellungskonstrukt

In der Sozialpsychologie gehören Einstellungen mittlerweile zu den am häufigsten untersuchten Phänomenen.64 Die Anfänge dieses Forschungszweigs bildeten die Arbeiten von Thomas und Znaniecki in den Jahren 1918 bis 1920 sowie von Watson im Jahr 1925, welchen mehrere Dekaden intensiver empirischer, methodischer und theoretischer Forschung folgten.65 Seither geht man davon aus, dass Einstellungen der Schlüssel zur Erklärung von menschlichem Verhalten sind.

Seine herausragende Bedeutung verdankt das Einstellungskonstrukt der ihm zugeschriebenen Eigenschaft als Verhaltensprädiktor.66 Da Einstellungen sowohl verhaltensprägend als auch zugänglich für Messung und Beeinflussung – insbesondere durch Kommunikation – gelten, fanden sie relativ schnell Eingang in den Bereich der Konsumentenverhaltensforschung und haben diese seither nachhaltig geprägt.67 Trommsdorff bezeichnet Einstellungen daher auch als das am besten erforschte Konstrukt in der Konsumentenverhaltenstheorie.68 Wissenschaftler erbrachten vielfach den Nachweis, dass Einstellungen bei der Produktwahl eine wesentliche Rolle spielen.69

Trotz der umfassenden Forschungsbemühungen zur Erklärung von Einstellungen existiert bislang kein einheitliches, allgemeingültiges Begriffsverständnis.70 Stattdessen findet man bei Durchsicht der einschlägigen Literatur diverse Erklärungsansätze, die sich in ihrer Dimensionalität sowie in der Art des untersuchten Einstellungsob-

64 65 66 67 68 69 70

Vgl. Lord/Lepper (1999), S. 265. Vgl. Thomas/Znaniecki (1918); Watson (1925). Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 168; Braunstein (2001), S. 95; Franzoi (1996), S. 173. Vgl. Assael (1995), S. 278 f.; Trommsdorff (2002), S. 149; Kuß/Tomczak (2004), S. 44. Vgl. Trommsdorff (1998), S. 142. Vgl. Petty/Unnava/Strathmann (1991), S. 241. Vgl. Triandis (1975), S. 2 ff.

23 jekts unterscheiden.71 Eine Auswahl der wichtigsten und am häufigsten zitierten Konzepte soll in den folgenden Abschnitten vorgestellt werden.

Eine in der gängigen Literatur oft verwendete Definition von Einstellung stammt von Fishbein und Ajzen. Die Autoren verstehen Einstellung als „[…] a learned disposition to respond in a consistently favorable or unfavorable manner with respect to a given object.“72 Nach dieser Begriffsbestimmung ist Einstellung ein erlernter Zustand, der sich auf ein Objekt richtet.73 Kroeber-Riel und Weinberg interpretieren Einstellungen als die „[…] subjektiv wahrgenommene Eignung eines Gegenstands zur Befriedigung einer Motivation“74, wobei die Autoren die affektive Komponente der Einstellung gegenüber einem Einstellungsobjekt hervorheben.75 Diesem Verständnis der Einstellung liegt die so genannte Ziel-Mittel-Theorie (Means-End-Theorie) zugrunde,76 die auf der Annahme basiert, dass Nachfrager die vom Anbieter offerierten Leistungen erwerben, um wünschenswerte Ziele zu realisieren und Nutzenerlebnisse zu erfahren. Die konkreten Produkteigenschaften bilden in den Augen der Nachfrager Mittel (means), um eine bestimmte Nutzenstiftung (end) zu erleben. Die Einstellungsbildung wird demzufolge von der Bewertung der einzelnen Produkteigenschaften determiniert.77

Trommsdorff geht darüber hinaus auf die Veränderbarkeit von Einstellungen ein. Der Autor weist darauf hin, dass Einstellungsänderungen meist langsam erfolgen, und definiert Einstellung als „[…] Zustand einer gelernten und relativ dauerhaften Bereitschaft, in einer entsprechenden Situation gegenüber dem betreffenden Objekt regelmäßig mehr oder weniger stark positiv bzw. negativ zu reagieren.“78 Typische Faktoren, die solch eine Einstellungsänderung herbeiführen können, sind z. B. Kommunikationsmaßnahmen.79

71

72 73 74 75 76 77 78 79

Zu einer Übersicht vgl. Six (1980), S. 55 ff., der sechs verschiedene Definitionen aus den Jahren 1935 bis 1974 exemplarisch zusammenstellte. Ajzen/Fishbein (1975), S. 6. Vgl. Trommsdorff (2002), S. 150. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 169. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 168. Für einen Überblick vgl. Trommsdorff (1975). Vgl. Gutman (1982), S. 60 ff. Trommsdorff (2002), S. 150. Vgl. Kuß/Tomczak (2004), S. 50.

24 Eagly und Chaiken legen ihrer Definition ein dreidimensionales Einstellungskonstrukt zugrunde und verstehen Einstellung als „a psychological tendency that is expressed by evaluating a particular entity with some degree of favor or disfavor.“80 Diese Begriffserklärung beinhaltet im Wesentlichen drei Bestandteile. Unter dem Ausdruck “psychological tendency” verstehen die Autoren eine Neigung, d. h. einen inneren Zustand einer Person, die eine gewisse Dauer hat, aber nicht zwingend langfristig sein muss. Der Definitionsbestandteil „evaluating“ bezieht sich auf eine bewertende Reaktion, die sowohl positiv oder negativ auf der kognitiven, affektiven oder verhaltensbezogen Ebene ausfallen kann. Der Einstellungsgegenstand („entity“) beschreibt das Objekt, auf das sich die Einstellung richtet.81 Das Bezugsobjekt kann alles sein, was psychisch oder physisch besteht, z. B. Personen, Gegenstände, Sachverhalte oder Verhaltensweisen.82 Diesem Begriffsverständnis folgend werden Einstellungen im weiteren Verlauf der Arbeit als Neigung eines Individuums verstanden, die sich in der Bewertung eines Einstellungsobjekts ausdrückt.

Neben der Erläuterung des Einstellungskonstrukts bleibt zu klären, weshalb Individuen Einstellungen formen. Vertreter der funktionalen Einstellungstheorie gehen dieser Frage nach. Katz weist in diesem Zusammenhang auf vier grundlegende Funktionen des Einstellungskonstrukts hin, die darauf abzielen, bestimmte Bedürfnisse des Individuums zu erfüllen.83

x

Die Wissensfunktion entsteht aus dem Bedürfnis des Menschen heraus, seine Umwelt zu verstehen und zu strukturieren. Dies gewährleistet eine verbesserte innere Organisation, da nicht bei jeder Konfrontation mit einem Objekt eine neue Taxierung und Bestimmung des Verhaltens ihm gegenüber erfolgen muss.84

x

Die Wertausdrucksfunktion bringt die Wertvorstellungen und das Selbstbild eines Individuums zum Ausdruck. Diese Möglichkeit gestattet ihm die Identifikation mit

80 81 82 83 84

Eagly/Chaiken (1993), S. 1. Vgl. Bohner (2003), S. 267. Vgl. Trommsdorff (2002), S. 150. Vgl. Katz (1967), S. 457 ff. Vgl. Katz (1960), S. 175.

25 bestimmten Bezugsgruppen. Oftmals stellen Konsumenten diesen Bezug zu einer Gruppe mithilfe von Kleidung oder Magazinen her.85 x

Ferner erfüllen Einstellungen die so genannte Abwehrfunktion oder IchVerteidigungsfunktion. Diese hilft dem Individuum, sein Selbstbild vor Zweifeln zu schützen und das Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten.86 So kann es innere Konflikte besser bewältigen und das eigene Ego vor äußeren Gefahren schützen.87

x

Schließlich übernehmen Einstellungen eine Anpassungsfunktion, wodurch sie die soziale Integration des Individuums erleichtern und es vor sozialen Konflikten und Bestrafungen bewahren. „Politische Korrektheit“ wäre ein Beispiel für diese Funktion.88

Den Ausgangspunkt dieser funktionalen Theorie bildet die Idee, dass Einstellungsänderungen sich auf motivationaler Grundlage vollziehen. Der Erfolg einer intendierten Einstellungsänderung ist demnach wesentlich von der Art der Einstellungsfunktion abhängig; auch die Bewertung des Einstellungsobjekts ist eng mit den oben genannten Funktionen verknüpft.89

Mit der Frage, auf welche Art diese Bewertung erfolgt, beschäftigen sich Wissenschaftler im Rahmen der Einstellungskonzeptualisierung. So existiert ein dreidimensionales Konzept, das drei Arten evaluativer Reaktionen auf ein Einstellungsobjekt beinhaltet, die affektiv, kognitiv oder konativ sein können.90 Vertreter der so genannten Einkomponentenmodelle sehen hingegen lediglich die affektive Komponente als einzigen (eindimensionalen) Indikator für die Bewertung eines Einstellungsobjekts an.91 Im folgenden Kapitel richtet sich das Augenmerk auf die Arten der Konzeptualisierung von Einstellungen sowie auf den Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten.

85 86 87 88 89 90 91

Vgl. Katz (1960), S. 163 ff. Vgl. Schiffman/Kanuk (1991), S. 250. Vgl. Lutz (1991), S. 329 ff. Vgl. Katz (1960), S. 170. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1997), S. 171. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198 ff. Vgl. Thurstone (1931), S. 249 ff.

26 1.2

Grundlagen zum Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang

Von der Vielzahl an Konzeptualisierungsversuchen zur Analyse von Einstellungen erlangten ein auf Hovland und Rosenberg zurückgehender dreidimensionaler sowie ein von Thurstone vorgeschlagener eindimensionaler Ansatz die größte Bedeutung.92 Hovland und Rosenberg beschreiben im Rahmen ihres Dreikomponentenmodells Einstellung als eine Kombination aus kognitiven, affektiven und konativen Reaktionen auf ein bestimmtes Gegenstandsobjekt.93 Während Letztere die sichtbaren Handlungen und Verhaltensweisen in Bezug auf ein Einstellungsobjekt zum Ausdruck bringt, referiert die kognitive Komponente auf das Wissen und die Gedanken eines Individuums bezüglich dieses Objekts. Die affektive Komponente zeigt eine emotionale Bewertung an, die sich in Form von Gefühlen und Stimmungen ausdrückt.94

Jede einzelne Einstellung kann aus einer unterschiedlichen Kombination der drei Dimensionen bestehen.95 Zur Vermeidung kognitiver und affektiver Spannungen sowie aus Gründen der Entlastung strebt das Individuum nach Konsistenz der drei Komponenten untereinander.96 Dennoch existieren Kognition, Affekt und Verhalten als getrennte, direkte Reaktionen, die nicht zwingend korrelieren müssen. Dadurch schließen sich beispielsweise positive kognitive und negative affektive Bewertungen nicht aus. Ferner kommt die Einstellung gegenüber einem Objekt auch dann zustande, wenn nicht alle drei Komponenten auftreten.97 Eine Darstellung des Dreikomponentenmodells ist Abbildung 4 zu entnehmen.

92 93 94 95 96 97

Vgl. Braunstein (2001), S. 96. Vgl. Hovland/Rosenberg (1960), S. 198 ff. Vgl. Kuß/Tomczak (2000), S. 47. Vgl. Lutz (1991), S. 319. Vgl. Fischer/Wiswede (2002), S. 254. Vgl. Stahlberg/Frey (1996), S. 221.

27

Affekt

Physiologische Reaktionen Verbale Gefühlsäußerungen

Wahrnehmungsreaktionen Einstellungen

Kognition

Verhalten

Verbale Meinungsäußerungen Beobachtbare Handlungen Verbale verhaltensbezogene Äußerungen

Abbildung 4: Dreikomponentenmodell der Einstellung98

Legt man diese Ausführungen zum Dreikomponentenmodell der Beurteilung eines Neuprodukts zugrunde, so kann die Bildung einer Einstellung gegenüber einer radikalen Innovation grundsätzlich alle drei Dimensionen tangieren. Im Rahmen der kognitiven Komponente setzt sich der Konsument mit den inhaltlichen Aspekten des Neuprodukts unter Einbezug des vorhandenen Wissens auseinander. Die affektive Dimension käme in der Einschätzung eines Neuprodukts als Bedrohung oder Chance zum Ausdruck. Das Zeigen von Verhaltensweisen gegenüber dem Neuprodukt, wie z. B. der Kauf einer Zeitschrift mit Testberichten über diese Innovation, entspricht der konativen Komponente.

Das dreidimensionale Einstellungskonzept wurde bereits vielfach empirischen Überprüfungen unterzogen. So testete Breckler im Rahmen zweier Studien die Gültigkeit dieses Ansatzes.99 Weitere erfolgreiche empirische Überprüfungen des Dreikomponentenmodells stammen z. B. von Ostrom (1969), der Einstellungen gegenüber der Kirche erforschte, sowie von Kothandapani (1971), welcher die Geburtenkontrolle als Untersuchungsobjekt wählte.100

98 99 100

In Anlehnung an Stroebe et al. (1992), S. 166. Vgl. Breckler (1984), S. 1191. Vgl. Ostrom (1969); Kothandapani (1971).

28 Während eine Vielzahl von Wissenschaftlern für diese dreidimensionale Erfassung der Einstellung plädiert,101 sprechen sich ebenso zahlreiche Autoren für ein eindimensionales Einstellungskonzept aus.102 So führen Ajzen und Fishbein ein methodisches Problem des dreidimensionalen Einstellungskonzeptes an. Die Forscher weisen darauf hin, dass eine methodisch saubere Messung dieses Ansatzes nur selten gelingt, was sie auf Interaktionen zwischen den Komponenten zurückführen.103 Demnach sollte das Einstellungskonstrukt in Analogie zu Thurstone lediglich die affektive Komponente umfassen.104 Fishbein teilt diese Auffassung: “I prefer, following Thurstone, to view attitude as a relatively simple unidimensional concept, referring to the amount of affect for or against a psychological object.”105 Kognitive (Überzeugungen) und konative (Verhalten) Elemente finden bei der eindimensionalen Konzeptualisierung keine Berücksichtigung und sind auf eigenständige Konstrukte ausgelagert. Sie fungieren im Rahmen des eindimensionalen Ansatzes als Determinanten bzw. Konsequenzen derselben.106

In Anbetracht der Tatsache, dass in empirischen Überprüfungen der ein- sowie der dreidimensionalen Einstellungskonzeptualisierung keine übereinstimmenden Ergebnisse erzielt werden konnten, lässt sich keine abschließende Aussage zur Vorteilhaftigkeit einer der beiden Varianten treffen. Vielmehr bestimmen die vorliegenden Bedingungen im konkreten Forschungsfall die zu präferierende Auffassung.107 So postulieren Schlegel und Di Tecco, dass die Dimensionalität der Einstellung in hohem Maße von dem Einstellungsobjekt, den persönlichen Erfahrungen sowie den individuellen Eigenschaften des Beurteilenden determiniert wird.108 Um die angesprochene Abgrenzungsproblematik zu vermeiden, soll in der vorliegenden Untersuchung die eindimensionale Konzeptualisierung Anwendung finden.

101

102 103 104 105 106 107

108

Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 1 ff. Zur empirischen Überprüfung der Dreikomponententheorie vgl. Stahlberg/Frey (1996), S. 221 f. Vgl. Petty/Cacioppo (1981), S. 7; Hormuth (1979), S. 5. Vgl. Ajzen (2002), S. 110. Vgl. Thurstone (1931), S. 249 ff. Fishbein (1967), S. 478. Vgl. Lutz (1991), S. 319 f. Vgl. Braunstein (2001), S. 97; Breckler (1984), S. 1201 ff. So postulierten beispielsweise Schlegel und Di Tecco, dass die Erfassung der Einstellung durch die affektive Komponente nur dann erfolgen sollte, wenn die relevanten Überzeugungen bezüglich des Objekts zahlenmäßig gering, einfach und widerspruchsfrei sind. Vgl. Schlegel/Di Tecco (1982), S. 17 ff. Vgl. Schlegel/Di Tecco (1982), S. 17 ff.

29 Die Bemühungen zur Konzeptualisierung des Einstellungskonstrukts gründen letztendlich in der Absicht, eine Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten zu identifizieren. Die Erkenntnis, dass die Einstellung eines Individuums einen direkten Einfluss auf dessen Verhalten ausübt, kam bereits in der Psychologie des späten 19. Jahrhunderts auf. Die Psychologen Thomas und Znaniecki waren im Jahr 1927 die ersten Forscher, die Einstellungen als individuelle mentale Prozesse eines Menschen beschrieben, welche dessen mögliche und tatsächliche Handlungen determinieren.109

Allerdings zeigen schon frühe Experimente von LaPiere aus dem Jahr 1934, dass die direkte Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten geringer ist als zunächst von einigen Autoren angenommen.110 In den Dreißigerjahren bereiste der Forscher gemeinsam mit einem chinesischen Ehepaar die Vereinigten Staaten, um festzustellen, ob seinen Begleitern – trotz der dort vorherrschenden Vorurteile gegenüber Menschen asiatischer Herkunft – in Hotels und Restaurants Einlass gewährt werden würde.111 Lediglich in einer der 251 besuchten Einrichtungen weigerte man sich, den Wissenschaftler und seine chinesischen Begleiter zu bedienen. Sechs Monate nach seiner Rückkehr befragte er die Eigentümer aller besuchten Hotels und Gaststätten schriftlich, ob sie asiatische Besucher bedienen würden. Entgegen dem zuvor beobachteten Verhalten äußerten sich über 90 Prozent der Befragten ablehnend und gaben an, dass sie die Anwesenheit von Chinesen in ihrem Etablissement nicht wünschen.112 Dieses Experiment verdeutlicht, dass Einstellungen nicht zwingend auch in einer entsprechenden Verhaltensausführung zum Ausdruck kommen müssen. Das Einstellungskonzept ist zwar im Rahmen der Verhaltensforschung von besonderer Bedeutung, kann aber nicht als der alleinige Prädiktor für Verhalten angesehen werden.113

Die wissenschaftliche Kontroverse um die Verhaltensrelevanz von Einstellungen hat eine Vielzahl von Untersuchungen hervorgebracht. In den Siebzigerjahren entwickelten Vertreter der Einstellungsforschung diverse theoretische Modelle, anhand derer 109 110 111 112 113

Vgl. Thomas/Znaniecki (1927). Vgl. LaPiere (1934); Krech et al. (1997), S. 33 ff. Vgl. LaPiere (1934), S. 230 ff. Vgl. LaPiere (1934), S. 230 ff.; Aronson et al. (2004), S. 252 f. Vgl. Six/Eckes (1996), S. 8.

30 das Verhalten nicht mehr lediglich auf der Basis von Einstellungen erklärt werden sollte.114 Die Integration zusätzlicher Einflussfaktoren löste die bis dahin in der Sozialwissenschaft etablierte Vorstellung reiner Einstellungs-Verhaltens-Beziehungen ab. In diesem Kontext erlangten die Theorie des überlegten Handelns nach Ajzen und Fishbein sowie deren spätere Modifikationen erhebliche Bedeutung.115 Gegenstand der folgenden Ausführungen sind daher Einstellungs-Verhaltens-Modelle.

1.3

Einstellungs-Verhaltens-Modelle

1.3.1

Erwartungs-x-Wert-Modell nach Fishbein

Zur Erklärung des Zustandekommens von Einstellungen leisten diverse theoretische Ansätze wertvolle Beiträge, wobei das Erwartungs-x-Wert-Modell nach Fishbein eine herausragende Stellung einnimmt.116 Fishbein postuliert, dass Überzeugungen in Form von Wissen, die sich auf Objekteigenschaften beziehen, die Einstellung einer Person gegenüber diesem Objekt determinieren. Grundsätzlich kann ein Individuum über eine große Anzahl dieser Überzeugungen verfügen; seine Einstellung gegenüber einem Objekt117 resultiert jedoch nur aus einigen salienten118 Überzeugungen.119 Damit einhergehend erfahren die Objekteigenschaften eine subjektive Bewertung durch das Individuum. Die Einstellung gegenüber einem Objekt ergibt sich somit aus dem kognitiven Wissen über die Eigenschaften eines Objekts (Überzeugungen) und aus der Bewertung dieser Eigenschaften, wobei beide Komponenten multipliziert und über alle Eigenschaften hinweg aufsummiert werden. Die entsprechende Formel lautet wie folgt:120

114

115 116 117 118

119 120

Bentler/Speckart (1979), S. 452 ff. integrieren z. B. früheres Verhalten in den Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang. Fazio/Zanna (1981), S. 173 ff. sowie Doll/Ajzen (1992), S. 763 hingegen betonen in diesem Zusammenhang die Relevanz der direkten Erfahrungen mit einem Einstellungsobjekt. Vgl. Frey/Stahlberg/Gollwitzer (1993), S. 366 f. Vgl. Meffert (2000), S. 121. Dies bezieht sich auf die Einstellung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ajzen und Fishbein (1980), S. 63 bezeichneten diese salienten Überzeugungen zunächst als „salient beliefs“. Inzwischen verwenden sie den Terminus „accessible beliefs“ (2000), S. 5. Diese salienten Überzeugungen spielen eine besondere Rolle hinsichtlich der Einstellung bzw. der subjektiven Norm einer Person und sind aus diesem Grund gedanklich sehr schnell verfügbar. Vgl. Ajzen/Fishbein (1975), S. 218; Ajzen (1993), S. 44. Vgl. Braunstein (2001), S. 101; Fishbein (1967), S. 489.

31 N

A0

¦B a i

i

(1.1)

i 1

Dabei bedeuten: A0 = Einstellung gegenüber einem Objekt O

Bi ai N

=

Stärke der Überzeugung, dass O mit der Eigenschaft i verbunden ist

=

Bewertung der Eigenschaft i

=

Anzahl der Überzeugungen/relevanten Eigenschaften

Diverse Wissenschaftler überprüften das Erwartungs-x-Wert-Modell im Hinblick auf seine Eignung zur Erklärung des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhangs. Eine eindeutige Tendenz zu dieser Ursache-Wirkungsbeziehung war jedoch nicht festzustellen.121 Viele Forscher präferieren dennoch diese deterministische Auffassung, wonach aus den Aussagen einer Person zu ihrer Einstellung auf deren zukünftig beobachtbares Verhalten (beispielsweise auf das Kaufverhalten) geschlossen werden kann.122 Wie das bereits erläuterte Experiment von LaPiere verdeutlicht, ist die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten allerdings geringer als zunächst von einigen Wissenschaftlern angenommen.123 Die eigentliche Skepsis an der EinstellungsVerhaltens-These thematisierten Vertreter der Sozialpsychologie allerdings erst Mitte der Sechzigerjahre.124 Die Diskussion um den Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten erreichte mit einem Artikel von Alan Wicker im Jahr 1969 einen Höhepunkt. Der Forscher konstatierte eine wenig stabile Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten.125 Auf Basis einer Analyse von 45 empirischen, vorwiegend experimentellen Arbeiten über den Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten fand Wicker wenig Evidenz dafür, dass Menschen stabile Einstellungen besitzen, die deren Verhalten beeinflussen: „Taken as a whole, these studies suggest that it is considerably more likely that attitudes will be unrelated or only slightly related to overt behaviors than that attitudes will be closely related to actions. Product-moment correlation coefficients relating the two kinds of responses are rarely above .30, and often

121 122 123 124 125

Vgl. Wicker (1969); Ajzen/Fishbein (1975). Vgl. Roth (1967), S. 1 ff. Vgl. Krech et al. (1997), S. 33 ff. Hier sei vor allem auf Autoren wie Festinger (1957) und Wicker (1969) verwiesen. Vgl. Wicker (1969).

32 are near zero.“126 Mit der Veröffentlichung von Wickers Untersuchungen fand sich die Einstellungsforschung in einer Vertrauenskrise wieder, in der neue Richtungen und Ansätze gefragt waren. Den Weg aus der Krise der Einstellungs-VerhaltensForschung wiesen schließlich Ajzen und Fishbein, indem sie in ihrem Korrespondenzprinzip127 die Prämissen spezifizierten, unter denen eine hohe Übereinstimmung zwischen einer Einstellung und einem Verhalten zu erwarten ist.128

Das Autorengespann fand heraus, dass die Stärke des Zusammenhangs beider Größen durch die Art der Einstellungs- und Verhaltensmessung steuerbar ist. Im Rahmen ihrer Korrespondenzhypothese postulieren sie, dass das Verhalten auf Basis der Einstellung nur dann angemessen prognostiziert werden kann, wenn die Indikatoren des Einstellungs- und des Verhaltenskonstrukts den gleichen Spezifitätsgrad aufweisen.129 Das bedeutet, globale Einstellungsmaße sagen konkrete Verhaltensweisen nur ungenügend vorher. Wenn ein Konsument beispielsweise die Frage: „Wie sinnvoll finden Sie die Entwicklung neuer medizinischer Geräte?“ mit „sehr sinnvoll“ beantwortet, so bedeutet dies noch lange nicht, dass er innerhalb von zwei Wochen nach Markteinführung eines neuen Blutzuckermessgerätes dieses auch kauft.

Sowohl Einstellungen als auch Verhaltensweisen können in Bezug auf vier Aspekte definiert werden:

126 127

128 129 130

x

das Ziel, auf das eine Handlung gerichtet ist,

x

die spezifische Handlung, die auszuführen ist,

x

der Kontext, in dem die Handlung stattfindet, und

x

die Zeit ihrer Ausführung.130

Wicker (1969), S. 65. Für eine Übersicht vgl. Ajzen (2005), S. 174 ff. Das Korrespondenzpronzip wurde später auch als Kompatibilitätsprinzip bezeichnet. Vgl. Ajzen/ Fishbein (1977). Vgl. Ajzen/Fishbein (1977), S. 888 ff. Vgl. Ajzen/Fishbein (1977); Ajzen (1988). Vgl. Frey/Stahlberg/Gollwitzer (1993), S. 362.

33 Mit dem Handlungsaspekt legt der Forscher das Verhalten fest, das er untersuchen möchte, so z. B. das Kaufverhalten. Der Zielaspekt hingegen erfasst das Einstellungsobjekt, auf welches das Verhalten ausgerichtet ist, so z. B. das Neuprodukt. Der Kontextaspekt spezifiziert den Rahmen, in dem eine Handlung stattfindet (wie z. B. die finanziellen Möglichkeiten zum Kauf). Schließlich bestimmt der Zeitaspekt, in welchem Zeitraum das Verhalten stattfindet (sofort oder beispielsweise erst im nächsten Jahr).

Ajzen und Fishbein werten die Tatsache, dass die Untersuchungen von Wicker nicht auf einem einheitlichen Spezifitätsniveau stattfanden, als indirekten Nachweis für ihren Denkansatz.131 Die Korrespondenzhypothese fand neben diesem indirekten Beweis auch in weiteren Untersuchungen eine direkte Evidenz.132 So bestätigten z. B. Kim und Hunter die Korrespondenzhypothese, indem sie empirische Untersuchungen bezüglich der Kompatibilität ihrer Einstellungs- und Verhaltensmaße in die Ausprägungen „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ kategorisierten und für die einzelnen Klassen mittlere Einstellungs-Verhaltens-Korrelationen fanden.133

Fishbein und Ajzen nutzten diese Erkenntnisse und modifizierten die im Erwartungsx-Wert-Modell postulierten Zusammenhänge. Nunmehr sehen sie – anstelle der Einstellung zu einem Objekt – die Einstellung gegenüber einer Handlung als Determinante des Verhaltens an. Das modifizierte Modell impliziert, dass eine Person eine positive Einstellung gegenüber einer bestimmten Verhaltensweise bildet, wenn sie erwartet, dass das Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv bewertete bzw. mit niedriger Wahrscheinlichkeit negativ bewertete Folgen mit sich bringt.

Zahlreiche Wissenschaftler beschäftigten sich seither mit der Identifikation von Größen, die den Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten determinieren. Daraus entwickelten sich komplexere Modelle, die den Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten erfassen sollen.134 Zur Erklärung und Voraussage von Verhalten gilt die Theorie des überlegten Handelns inzwischen als eine der am häufigs131 132

133 134

Vgl. Ajzen/Fishbein (1977), S. 899 f. Vgl. Lord/Lepper/Mackie (1984), S. 1254 ff.; Weigel/Newman (1976), S. 793 ff.; Kim/Hunter (1993), S. 101 ff. Vgl. Kim/Hunter (1993), S. 101 ff. Vgl. Fazio/Zanna (1981), S. 165.

34 ten empirisch überprüften Theorien in der Sozialpsychologie.135 Das von Fishbein im Jahr 1966 konzipierte Modell zur Vorhersage von Verhaltensabsichten136 wurde nach der Weiterentwicklung durch Ajzen und Fishbein im Jahr 1980 erstmals unter dem Namen „Theory of Reasoned Action“ bekannt und soll im folgenden Kapitel eine Erörterung erfahren.137

1.3.2

Theorie des überlegten Handelns

Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Überlegungen zum Korrespondenzprinzip bilden die Grundlage für die von Fishbein und Ajzen formulierte Theorie des überlegten Handelns,138 die den kausalen Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten genauer spezifiziert.

Fishbein und Ajzen integrieren in ihre Theorie des überlegten Handelns die Verhaltensintention139 als eigenständiges Konstrukt, das angibt, wie intensiv eine Person versucht, eine Handlung auszuführen.140 Gestützt auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen gelangen Fishbein und Ajzen zu der Einsicht, dass Menschen mit identischer Einstellung durchaus unterschiedliche Absichten verfolgen können. Umgekehrt basieren identische Verhaltensintentionen zweier Personen nicht unbedingt auf identischen Einstellungen.141 Folgt man dieser Argumentation, so kann die Verhaltensintention nicht, wie im Rahmen des dreidimensionalen Einstellungskonzepts postuliert, als Teil der Einstellung verstanden werden.142 Vielmehr ist sie als unabhängige Variable anzusehen, die einerseits von der Einstellung gegenüber einem bestimmten Verhalten beeinflusst wird und sich andererseits auf das tatsächliche Verhalten auswirkt.143 Diese Überlegungen zur Einstellung gegenüber dem Verhalten bilden den Ausgangpunkt für die Formulierung der Theorie des überlegten Handelns. Das Ziel der Theorie des überlegten Handelns besteht in der Vorhersage von menschlichem Verhalten. Als dessen einzige direkte Determinante fungiert die Ab-

135 136 137 138 139 140 141 142 143

Vgl. Plies/Schmidt (1996), S. 71. Vgl. Six (1992), S. 14. Vgl. Jonas/Doll (1996), S. 18. Vgl. Ajzen/Fishbein (1975). Synonym: Verhaltensabsicht. Vgl. Ajzen (1991), S. 181; Ajzen (1993), S. 48. Vgl. Ajzen/Fishbein (1974), S. 59 ff. Vgl. Ajzen/Fishbein (1975), S. 289. Vgl. Fishbein (1967), S. 482.

35 sicht einer Person, eine Handlung auszuführen. Die Verhaltensabsicht dient somit als Bestimmungsfaktor für das Verhalten. Ajzen versteht Intentionen gar als Motivationsindikator und als Indikator für Willensstärke und Anstrengungsaufwand.144 Ajzen und Fishbein betrachten das Einstellungskonstrukt im Rahmen dieser Theorie als generelles Gefühl der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber einem bestimmten Verhalten.145 Hierbei wird die Sichtweise der Einstellung als eindimensionales affektives Konzept deutlich.146 Einstellungen gegenüber Objekten thematisiert der Ansatz hingegen nicht explizit.

Die Beziehung zwischen Intention und realisiertem Verhalten ist dabei dem Korrespondenzprinzip zufolge umso stärker, je ähnlicher der Spezifikationsgrad der Indikatoren beider Größen ist.147 Eine Vielzahl an Studien weist bei Berücksichtigung des Korrespondenzprinzips eine hohe Korrelation zwischen dem Intentions- und dem Verhaltenskonstrukt auf, eine Tatsache, die die Annahme der Verhaltensabsicht als Determinante des tatsächlichen Verhaltens belegt.148

In ihre Überlegungen zur Verhaltensintention integrieren Ajzen und Fishbein zusätzlich eine soziale Determinante der Verhaltensabsicht, die so genannte subjektive Norm. Diese bezieht sich auf den Einfluss von Bezugspersonen und des sozialen Umfeldes.149 „Subjective norm […] refers to the perceived social pressure to perform or not to perform the behaviour.“150 In der subjektiven Norm spiegeln sich die Erwartungen des sozialen Umfeldes im Hinblick auf eine Handlung sowie die Bereitschaft eines Individuums, diesen Erwartungen zu entsprechen, wider. Die Meinungen und Ansichten von Personen im sozialen Umfeld des Einstellungssubjekts wirken sich ebenfalls auf die Intention eines Individuums aus, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen.151

144 145 146 147 148 149 150 151

Vgl. Ajzen (1991), S. 179 ff. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 54. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 55. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 42 ff. Vgl. Ajzen (1985), S. 17. Vgl. Ajzen/Fishbein (1975), S. 302; Ajzen/Madden (1986), S. 454. Ajzen (1991), S. 188. Vgl. Ajzen/Madden (1986), S. 454.

36 Die Absicht, eine Handlung zu realisieren, ist daher umso stärker, je positiver eine Person selbst ihr Verhalten bewertet und je größer ihre Überzeugung ist, dass wichtige Bezugspersonen das Verhalten befürworten.152 Hierbei ist festzuhalten, dass auch bei der Erfassung des Zusammenhangs zwischen subjektiver Norm und Verhaltensintention das Korrespondenzprinzip Gültigkeit besitzt.

Einstellung zum Verhalten

Verhaltensintention

Tatsächliches Verhalten

Subjektive Norm

Abbildung 5: Basismodell der Theorie des überlegten Handelns153

Die Intention ergibt sich – wie Abbildung 5 zu entnehmen ist – aus einer Funktion, die aus der Einstellung gegenüber dem Verhalten und der subjektiven Norm besteht, wobei beide Komponenten eine unterschiedliche Gewichtung erfahren können. Diese Gewichtung spielt vor allem dann eine entscheidende Rolle, wenn Einstellung und subjektive Norm entgegengesetzt wirken.154 Welcher der beiden Komponenten bei der Bildung der Verhaltensabsicht eine dominante Stellung zukommt, ist sowohl von der jeweiligen Entscheidungssituation als auch vom Wesen der betreffenden Entscheidungsperson abhängig. Es besteht daher die Möglichkeit, dass zwei Personen zwar kongruente Werte hinsichtlich ihrer Einstellung zu einem Verhalten und hinsichtlich ihrer subjektiven Norm offenbaren, sich ihre Intentionen, das Verhalten auch auszuführen, jedoch grundlegend voneinander unterscheiden.155

152 153 154 155

Vgl. Ajzen/Fishbein (1975), S. 302. In Anlehnung an Ajzen (1988), S. 118. Vgl. Ajzen (1985), S. 12 f. Vgl. Henninger (1994), S. 21 f.

37 Die Theorie des überlegten Handelns wurde in diversen empirischen Untersuchungen in Bezug auf unterschiedliche Verhaltensweisen überprüft.156 Beispielsweise untersuchten Ajzen und Fishbein die beruflichen Orientierungen von Frauen sowie Konsumverhalten, Gewichtsabnahme, Familienplanung und Verhalten bei politischen Wahlen.157 Doll und Orth158 hingegen überprüften die Theorie im Bereich der Empfängnisverhütung und Steinheider und Kollegen159 beschäftigten sich mit der Vorhersage von umweltbezogenem Verhalten. Aktuellere Studien konnten die Gültigkeit der in der Theorie des überlegten Handelns formulierten Beziehungen in den Bereichen Konsumgewohnheiten,160 Recycling,161 Erziehung162 oder Technologienutzung163 bestätigen. Einen Überblick über empirische Untersuchungen zur Theorie des überlegten Handelns liefern Sheppard, Hartwick und Warshaw.164 Im Rahmen ihrer MetaAnalysen bescheinigen sie der Theorie von Fishbein und Ajzen eine hohe Vorhersagevalidität.165 Gute Vorhersagewerte für die postulierten Beziehungen fanden auch Hagger, Chatzisarantis und Biddle bei der Analyse von 72 Studien. Intentionen sagen dem Autorengespann zufolge in ausgeprägtem Maße Verhalten voraus.166

Wie die empirischen Untersuchungen belegen, gestattet die Theorie des überlegten Handelns gute Verhaltensprognosen in sehr unterschiedlichen Bereichen menschlichen Verhaltens. Die Korrelationen zwischen den einzelnen Konstrukten haben sich weitgehend als signifikant herausgestellt, jedoch ist die Stärke der Beziehung zwischen Intention und tatsächlichem Verhalten über die verschiedenen Studien hinweg sehr verschieden, was auf weitere Einflussfaktoren des Verhaltens schließen lässt.167

156

157 158 159 160 161 162 163 164 165

166 167

Vgl. beispielsweise Brinberg/Cummings (1984); Crawford/Boyer (1985); Davidson/Jaccard (1975); Granberg/Holmberg (1990); Pomazal/Jaccard (1976); Warshaw (1980). Vgl. Ajzen/Fishbein (1980). Vgl. Doll/Orth (1993). Vgl. Steinheider et al. (1999). Vgl. Brewer et al. (1999). Vgl. Park/Levine/Sharkey (1998). Vgl. Becker/Gibson (1998). Vgl. Chung/Kim (2002); Chung (2005). Vgl. Sheppard/Hartwick/Warshaw (1988). Im Rahmen ihrer Meta-Analyse konnten die Autoren die Theorie des überlegten Handelns sowohl durch die Vorhersage des Verhaltens (53 Prozent) als auch durch die Vorhersage von Intentionen (66 Prozent) eindrucksvoll bestätigen. Vgl. Sheppard/Hartwick/Warshaw (1988), S. 338. Vgl. Hagger/Chatzisarantis/Biddle (2002). Für einen Überblick vgl. Ajzen (1988).

38 Die überwiegende Kritik der Wissenschaft bezog sich infolgedessen hauptsächlich auf die Tatsache, dass die Theorie des überlegten Handelns nur solche Verhaltensweisen berücksichtigt, die willentlich gesteuert bzw. kontrolliert werden können. In der Realität treten allerdings häufig Faktoren auf, die dazu führen, dass eine beabsichtigte Handlung letzten Endes doch nicht realisiert wird, beispielsweise wenn ein intendierter Kauf wegen Zeit- oder Geldmangels nicht zustande kommt.168

Auf Basis dieser Kritik entwickelte Ajzen selbst seine Theorie des überlegten Handelns zur Theorie des geplanten Verhaltens weiter. Er integrierte mit der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle eine neue Variable, die die Erklärung der IntentionsVerhaltensbeziehung verbessern sollte. Ajzen geht davon aus, dass Menschen häufiger ein Verhalten beabsichtigen, wenn sie glauben, dieses Verhalten willentlich kontrollieren zu können und über die zur Verhaltensrealisation notwendigen Ressourcen und Möglichkeiten zu verfügen. Der Wissenschaftler bezeichnet dieses Phänomen als wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Er postuliert neben dem direkten Einfluss dieses Konstrukts auf das Verhalten auch eine indirekte Wirkung über die Verhaltensabsicht. Außerdem übt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle Ajzen zufolge Effekte auf die beiden der Verhaltensabsicht vorgelagerten Konstrukte Einstellung zum Verhalten und subjektive Norm aus.169

Seit Ajzens Einführung der Theorie des geplanten Verhaltens im Jahr 1991 untersuchte eine Vielzahl von Wissenschaftlern die in dem Modell spezifizierten Zusammenhänge empirisch170 und übertrug diese auf ein breites Anwendungsfeld.171 Viele dieser Untersuchungen und Meta-Analysen fanden empirische Evidenz der Theorie des geplanten Verhaltens.172 Taylor und Todd erforschten die Zusammenhänge einer

168 169 170

171

172

Vgl. Frey/Stahlberg/Gollwitzer (1993), S. 383. Vgl. Ajzen (1985); Ajzen/Madden (1986), S. 458 ff. Hierzu sind z. B. Untersuchungen von Jonas/Doll (1996); Manstead/Parker (1995) und Armitage/ Connor (2001) zu nennen. Diverse Wissenschaftler schlugen Ergänzungen der Theorie des geplanten Verhaltens vor, wie z. B. Selbstidentitätsprozesse (Sparks/Shepherd, 1992), moralische Normen (Beck/Ajzen, 1991; Parker/Manstead/Stradling, 1995) und antizipierte Emotionen (Parker/Manstead/Stradling, 1995; van der Pligt et al., 1995). Eine Modifikation der Theorie des überlegten Handelns an die Akzeptanz von Informationstechnologien resultierte in dem sog. Technology Acceptance Model. Diesem Ansatz zufolge bilden die wahrgenommene Nützlichkeit („perceived usefulness“) und die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit („perceived ease of use“) die wichtigsten Determinanten für die Einstellungs- und Absichtsbildung und somit für die Benutzerakzeptanz. Vgl. Davis (1986); Davis (1989); Davis/

39 innovationstechnologisch weiterentwickelten Version der Theorie des geplanten Verhaltens. Die Forscher kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass weder die wahrgenommene Verhaltenskontrolle noch die subjektive Norm die Fähigkeit des Modells zur Verhaltensvorhersage signifikant erhöhen.173

Im Hinblick auf radikale Innovationen überraschen diese Resultate nicht. Hält man sich den Neuheitsgrad dieser Innovationen vor Augen, so ist zu vermuten, dass das soziale Umfeld bei der Einstellungsbildung lediglich eine unwesentliche Rolle einnimmt, da der Urteilende und sein Umfeld das Produkt meist noch gar nicht kennen. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass die wahrgenommene Verhaltenskontrolle eine untergeordnete Rolle spielt, da der Konsument bei der ersten Begegnung mit dem Neuprodukt oft nur schwer einschätzen kann, ob er über die notwendigen Ressourcen (z. B. Geld) und Fähigkeiten verfügt, dieses zu kaufen. Daher wurde im Rahmen dieser Untersuchung sowohl auf die Integration der subjektiven Norm als auch der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle verzichtet.

Die modifizierte Theorie des überlegten Handelns bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Modells zum Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen. Diverse Forscher haben in Anbetracht abweichender theoretischer Sichtweisen Einwände gegen die Theorie des überlegten Handelns erhoben und Verbesserungsvorschläge angeführt.174 So wurden veränderte kausale Beziehungen zwischen den Konstrukten der Theorie befürwortet und ergänzende Konstrukte eingeführt. Des Weiteren wies man auf mögliche moderierende Variablen hin, die nicht in das Theoriegebäude integriert sind, aber je nach Ausprägung unter anderem die Gewichtung der Einstellung gegenüber dem Verhalten beeinflussen.175 Im Zentrum des folgenden Kapitels steht daher die Modifikation der Theorie des überlegten Handelns durch Integration einer weiteren Einstellungskomponente: der Einstellung zum Objekt.

173 174 175

Bagozzi/Warshaw (1989). Bis heute hat sich das Technology Acceptance Model in vielen Untersuchungen zur Adoption von Technologien empirisch bestätigt. Vgl. Vekantesh/Davis (2000); O’Cass/Fenech (2003); Wixom/Todd (2005). Vgl. Taylor/Todd (1995). Vgl. Herkner (2001), S. 219 f. Für einen Überblick der Kritikpunkte vgl. Braunstein (2001), S. 114.

40 1.3.3

Erweiterung der Theorie des überlegten Handelns um die Einstellung zum Objekt

Gemäß den in der Theorie des überlegten Handelns getroffenen Annahmen bilden behaviorale Überzeugungen und Ergebnisbewertungen die einzigen Determinanten der Einstellung zum Verhalten. Empirische Studien kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass die Berücksichtigung der Einstellung zum Objekt zu einer verbesserten Verhaltensvorhersage beiträgt.176 Allerdings ist die Rolle der Einstellung zum Objekt bisher weitgehend unklar. So sehen Ajzen und Fishbein sämtliche Konstrukte – mit Ausnahme der im Modell berücksichtigten Faktoren – als externe Variablen an, die keinen direkten Beitrag zur Erklärung von Verhaltensabsicht und Verhalten leisten.177 Bislang konnten diese moderierenden Effekte nicht empirisch nachgewiesen werden.178 Demgegenüber gelang diversen Autoren der Nachweis, dass die Berücksichtigung der Einstellung zum Objekt als modellimmanenten Faktor die Verhaltensvorhersage der Intention verbessert.179 Dadurch kommt der Einstellung zum Objekt, die zunächst durch die Einstellung zum Verhalten abgelöst wurde, wieder eine entscheidende Rolle zu: Sie kann Verhalten über die zwei Stufen der Einstellung zum Verhalten und der Intention indirekt beeinflussen.180 Viel versprechende Ansätze im Hinblick auf die Frage, in welcher Weise die Integration vorgenommen werden soll, liefern die Überlegungen von Fazio sowie von Eagly und Chaiken.181 Eagly und Chaiken182 bestätigen die Relevanz der Einstellung zum Objekt für die Verhaltensvorhersage und stützen sich bei der Integration der objektbezogenen Einstellungskomponente auf das „Automatic-Processing Model” aus dem Jahr 1986, das Prozesse beschreibt, die den in der Theorie des überlegten Handelns postulierten Zusammenhängen vorgelagert sind.183 Die Autoren interpretieren demzufolge die Einflussnahme auf das Verhalten durch die beiden Konstrukte Einstellung zum Objekt und Einstellung zum Verhalten sequenziell.184 Die Einstellung zum Objekt steht nach

176 177 178 179 180 181 182

183 184

Vgl. Morrison et al. (1996), S. 1658; Jaccard/Davidson (1975), S. 497 ff. Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 172 ff.; Ajzen/Fishbein (1975), S. 307. Vgl. Magin (2004), S. 34. Vgl. Morrison et al. (1996), S. 1658. Vgl. Vogelsang (2004), S. 43. Vgl. Fazio (1990), S. 75 ff.; Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff. Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff. Im Original verwenden die Autoren für den Ausdruck Einstellung zu Objekten („attitude towards objects“) den Begriff Einstellung gegenüber Zielen („attitudes towards targets“). Vgl. Eagly/Chaiken (1993). Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff.

41 Ansicht des Autorengespanns am Anfang einer Ursache-Wirkungskette und übernimmt somit eine richtungweisende Funktion in Bezug auf die Aktivierung von gespeicherten verhaltensorientierten Überzeugungen und Einstellungen zu bestimmten Verhaltensweisen.185 Einstellungen zu Objekten beeinflussen den Autoren zufolge das Verhalten nicht direkt, da die Ausführung von Verhalten die Aktivierung einer Verhaltensintention, zumindest jedoch die Einstellung zum Verhalten voraussetzt. Auf Basis dieser Argumentation integrieren Eagly und Chaiken die Einstellung zum Objekt daher nicht als direktes verhaltensbeeinflussendes Konstrukt in das Modell, sondern vermuten stattdessen einen indirekten Einfluss über die Einstellung zum Verhalten auf die Verhaltensintention.186

Der Ansatz von Eagly und Chaiken zur Neukonzeptualisierung der Einstellungskomponente unterscheidet sich von Fazios hinsichtlich der Beziehung zwischen der Einstellung zum Objekt und der Einstellung gegenüber dem Verhalten. Letzterer misst der Einstellung zum Objekt eine wesentlich bedeutendere Rolle zu als Eagly und Chaiken und hält daher eine Berücksichtigung des Konstrukts als interne Variable für erklärungsstärker.187 Einstellungen zu Objekten sind der Argumentation Fazios folgend i. d. R. kognitiv leichter zugänglich als die Einstellung zum Verhalten. Daher schreibt das Individuum dem Einstellungsgegenstand solche Eigenschaften zu, die der Einstellung zum Objekt entsprechen. Fazio begründet die große Bedeutung dieses Konstrukts mit der besseren kognitiven Zugänglichkeit von Einstellungen zu einem Objekt im Vergleich zu Einstellungen gegenüber einem Verhalten.188 Seiner Auffassung folgend vollzieht sich die Beeinflussung des Verhaltens durch die Einstellung zum Objekt daher parallel zur Beeinflussung des Verhaltens durch die Einstellung zum Verhalten. Magin konnte im Rahmen ihrer Untersuchungen zum Markenwahlverhalten beim Kleidungskauf diesen Ansatz bestätigen.189 Die vorliegende Arbeit integriert die Einstellung zum Objekt sowohl als Determinante der Einstellung zum Verhalten im Sinne von Eagly und Chaiken190 und folgt darüber hinaus

185 186 187 188 189 190

Vgl. Bamberg (1996), S. 49 f. Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff. Vgl. Fazio (1989), S. 155 ff. Vgl. Fazio (1989), S. 169 f. Vgl. Magin (2004), S. 217 f.; Huber/Herrmann/Huber (2006), S. 345 ff. Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff.

42 der auf Fazio191 zurückgehenden direkten Verknüpfung der Einstellung zum Objekt mit der Verhaltensabsicht.192 Integriert man diese Erkenntnisse in die Theorie des überlegten Handelns, so ergibt sich der in Abbildung 6 dargestellte Modellzusammenhang.

Einstellung zum Verhalten

Verhaltensintention

Tatsächliches Verhalten

Einstellung zum Objekt

Abbildung 6:

Integration der Einstellung zum Objekt in die Theorie des überlegten Handelns

Seit Ajzens Einführung der Theorie des überlegten Handelns überprüften diverse Forscher die in dem Modell spezifizierten Zusammenhänge in einem breiten Anwendungsfeld.193 Während die Gültigkeit des Modells nicht in Frage gestellt wird, gibt es dennoch Zweifel bezüglich seiner Suffizienz, Verhaltensabsichten und Verhalten dann umfassend zu erklären, wenn diese darauf abzielen, bestimmte Ziele zu erreichen.194 Im Mittelpunkt der Ausführungen des folgenden Kapitels steht daher die Integration des Zielkonstrukts in die Zusammenhänge der Theorie des überlegten Handelns.

191 192 193 194

Vgl. Fazio (1986). Vgl. Eagly/Chaiken (1993). Vgl. Meta-Studie von Sheppard/Hartwick/Warshaw (1988), S. 325 ff. Vgl. Perugini/Bagozzi (2001), S. 43 f.

43 1.3.4

Erweiterung der Theorie des überlegten Handelns um die Zielkongruenz

Die Verwendung von Zielen als Basis zur Erklärung menschlichen Handelns ist nicht neu.195 Insbesondere in der Konsumentenverhaltensforschung rücken die Ziele der potenziellen Käufer immer stärker in den Fokus des Interesses, was auch in diversen empirischen Untersuchungen zum Ausdruck kommt.196 Der Schwerpunkt bei der Erforschung des Zielkonstrukts lag lange Zeit hauptsächlich auf der Untersuchung zielspezifischer Strukturen und Prozesse und weniger auf den Auswirkungen dieses Konstrukts auf das Verhalten.197 Um jedoch zu verstehen, auf welche Art Konsumentenziele das Verhalten beeinflussen ist ein Verständnis der Zusammenhänge vonnöten, inwiefern diese Ziele nicht nur die Informationsprozesse, sondern auch deren Ergebnisse beeinflussen.198

Insbesondere marketingrelevante Größen wie die Einstellung oder das Konsumentenverhalten erfordern eine intensive Betrachtung im Hinblick auf ihre zugrunde liegenden Ziele.199 Moderne zieltheoretische Ansätze analysieren daher menschliches Verhalten in Relation zu einer vorausgegangenen Zielsetzung. Den Ausgangspunkt dieser Zieltheorien bildet die Prämisse, dass Zielsetzungen das Handeln einer Person wesentlich beeinflussen.200 Sämtliche Ansätze dienen dazu, ein zielorientiertes Handeln in Relation zu einer vorausgegangen Zielsetzung zu eruieren.201 Da sowohl Einstellungen als auch das Kaufverhalten bzw. die Verhaltensabsicht ausschlaggebend für den Erfolg einer radikalen Innovation sind, sollen die hinter diesen Konstrukten stehenden Ziele eine intensivere Analyse erfahren. Für das weitere Verständnis der Arbeit erscheint es daher zweckdienlich, zunächst den Zielbegriff zu definieren und einige Grundlagen zu diesem Phänomen zu erläutern.

195 196 197

198 199 200 201

Vgl. Gollwitzer/Moskowitz (1996); Martin/Tesser (1996). Vgl. Gollwitzer/Bargh (1996); Martin/Tesser (1996). Vgl. Huffman/Houston (1993); Park/Smith (1989); Peterman (1997). Für eine Übersicht vgl. Austin/ Vancouver (1996). Vgl. Garbarino/Johnson (2001), S. 930. Vgl. Garbarino/Johnson (2001), S. 929 f. Vgl. Gollwitzer (1995), S. 295. Vgl. Gollwitzer (1993), S. 141 ff.

44 „Goals are internal representations of desired states, where states are broadly construed as outcomes, events, or processes.“202 Diese Begriffsbestimmung stammt von dem Autorengespann Austin und Vancouver, das sich bereits sehr früh im Rahmen der Motivationsforschung mit der Entwicklung von Zielen, dem so genannten „Goal Setting“ auseinandersetzte.203 Ziele werden deren Auffassung folgend als ein gewünschter Zustand angesehen, nach dessen Erreichung ein Individuum strebt. Dieser Zustand kann entweder ein bestimmtes Ergebnis, ein Ereignis oder ein Prozess sein. Nach Brunstein und Maier stellt die Bildung von Zielen einen Prozess dar, in welchem Personen zunächst bestimmte Vorhaben generieren, um diese mit entsprechenden Handlungsvorsätzen zu verbinden, die zur Zielrealisierung beitragen.204 Demzufolge basiert die Verhaltensabsicht eines Individuums auf der Motivation, ein vorhandenes Ziel zu erreichen. Wenn z. B. die Erhaltung ihrer Gesundheit ein wichtiges Ziel im Leben einer Person ist, entwickelt sie folglich die Absicht, sich gesund zu ernähren oder Sport zu treiben, um dieses Ziel zu erfüllen. Ziele gelten somit – ähnlich wie die Einstellungen – als verhaltenssteuernd.205

Wie erinnerlich, klafft in der Realität jedoch oftmals eine Lücke zwischen intendiertem und tatsächlichem Verhalten. So fand Sheeran in seiner Studie heraus, dass 47 Prozent seiner Probanden ihre Absichten bezüglich gesundheitsbewussten Verhaltens nicht umsetzten.206 Ob eine Person eine Handlung tatsächlich ausführt, ist einerseits davon abhängig, inwieweit sie das zu erreichende Ziel als ausreichend attraktiv und realisierbar einschätzt. Andererseits bestimmt das Ausmaß, in dem eine Person ein Objekt oder eine Gelegenheit zur Verwirklichung ihres Ziels als geeignet empfindet, die Durchführung einer Handlung.207 Peterman überträgt diese Erkenntnisse auf den Konsumentenverhaltensbereich und definiert ein Ziel als die Absicht eines Konsumenten, einen gewünschten Zustand durch den Konsum von Produkten oder die Inanspruchnahme von Services zu erlangen.208 Diese spezifizierte Begriffsbestimmung dient im Folgenden als Grundlage für die weiteren Ausführungen zum Zielkonstrukt.

202 203 204 205 206 207 208

Austin/Vancouver (1996), S. 338. Goal Setting umfasst alle Aktivitäten, die mit der Identifizierung von Zielen in Verbindung stehen. Vgl. Brunstein/Maier (2002), S. 157 ff. Vgl. Gollwitzer/Moskowitz (1996). Vgl. Sheeran (2002). Vgl. Heckhausen (1989); Gollwitzer (1991); Dargel (2006). Vgl. Peterman (1997), S. 561 ff.

45 Da im Rahmen dieser Arbeit weniger die Entstehung und Bildung von Zielen, sondern vielmehr deren Auswirkungen auf das Akzeptanzverhalten bei radikalen Innovationen im Vordergrund stehen, soll der Einfluss von Zielen auf die Adoption dieser Neuprodukte untersucht werden. Zu diesem Zweck erfährt die Theorie des überlegten Handelns nach Fishbein und Ajzen neben der Ergänzung um die Einstellung zum Objekt mit der Berücksichtigung einer Zielkomponente eine weitere Modifikation. Damit soll der Annahme Rechnung getragen werden, dass Menschen durch ihr Handeln Ziele verfolgen, die ihr Verhalten steuern.209

Die Integration eines Zielkonstrukts in die erweiterte Theorie des überlegten Handelns kann auf diverse Arten erfolgen. So vermuten Perugini und Bagozzi einen direkten Einfluss des Zielkonstrukts auf die Verhaltensabsicht. Die Autoren sprechen in ihrem „Model of Goal-Directed Behavior“ der Einstellung zum Verhalten, der subjektiven Norm und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle eine indirekte Wirkung über das Zielkonstrukt auf die Verhaltensabsicht zu.210 Die Ziele fungieren gewissermaßen als Vermittler zwischen den genannten vorgeschalteten Konstrukten und den so genannten antizipierten Emotionen.211 Diese vermuteten Zusammenhänge wurden in verschiedenen Bereichen der Verhaltensforschung mehrfach empirisch validiert. Eine erfolgreiche Bestätigung gelang beispielsweise auf dem Gebiet der Gewichtsregulierung, bei Studienleistungen und bei Lernverhalten.212

Martin und Stewart hingegen wählen einen anderen Ansatz. Im Zusammenhang von Markenerweiterungen postulieren sie die moderierende Wirkung der Ähnlichkeit von Zielen zwischen Muttermarke und Markenerweiterung. Ihrer Untersuchung liegt die Annahme zugrunde, dass zwei Objekte ähnlich wahrgenommen werden, wenn beide bestimmte Gedächtnisassoziationen hervorrufen, die durch gemeinsame Ziele verbunden sind.213 Diese Vermutung stützt sich auf empirische Studien, die belegen, dass die Ziele des Konsumenten eine wichtige Rolle bei der Organisation von Infor-

209 210 211

212 213

Vgl. Perugini/Bagozzi (2001), S. 79; Perugini/Conner (2000), S. 708 f. Vgl. Bagozzi (1992), S. 184 ff. Die antizipierten Emotionen führen Perugini und Bagozzi ebenfalls in das erweiterte Modell ein. Positive antizipierte Emotionen bezeichnen die Gefühle, die mit dem Erfolg der Zielerreichung verbunden sind, negative antizipierte Emotionen verkörpern die Gefühle beim Scheitern bei der Erreichung eines Ziels. Vgl. Perugini/Bagozzi (2001), S. 89. Vgl. Bagozzi/Lee (2000); Leone/Perugini/Ercolani (1999). Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 471 ff.

46 mationen spielen.214 Die Analyse der Beziehungen zwischen Einstellung und Kaufabsicht bei gemeinsamen Zielen von unterschiedlich ähnlichen Markenerweiterungen legt offen, dass Markenerweiterungen dann am besten beurteilt werden, wenn der Konsument das Kernprodukt und das Erweiterungsprodukt über ein gemeinsames Ziel verknüpfen kann.215 Eine hohe Ähnlichkeit der Ziele zwischen Kernmarke und Erweiterungsprodukt führt somit tendenziell zu einer positiven Einstellung des Konsumenten gegenüber dem Neuprodukt.

Im Fokus der Studien von Brudvig und Raman steht ebenfalls der Einfluss von Zielkongruenz auf die Einstellung zu Markenerweiterungen. Das Autorengespann definiert Zielkongruenz in diesem Kontext als die Eignung der Markenerweiterung zur Erreichung eines Ziels.216 Die Autoren integrieren die Zielkongruenz allerdings nicht als moderierende Variable in ihr Modell, sondern sehen sie als direkte Determinante der Einstellung zur Markenerweiterung.217 Die Ergebnisse der Untersuchung liefern jedoch keine empirische Bestätigung für den vermuteten Zusammenhang. Allerdings halten die Wissenschaftler an dem postulierten Ursache-Wirkungsgefüge fest, sehen die Ursache für die fehlende Evidenz in dem gewählten „Repeated-MeasuresDesign“ begründet218 und empfehlen eine erneute Untersuchung des Zusammenhangs unter Verwendung einer anderen Operationalisierung ohne Messwiederholung.219 Chernev hingegen richtet sein Augenmerk auf die Untersuchung von Produkteigenschaften sowie deren Kompatibilität zu bestehenden Zielen des Konsumenten.220 Hierbei kommt der Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass ein Konsument diejenigen Produkteigenschaften, die er konsistent zu seinen aktuell bestehenden Zielsetzungen wahrnimmt, überbewertet.221 Die theoretische Begründung für diese Resultate liefert Lewin, der als einer der wichtigsten deutschen Vertreter dieser Forschungsrichtung gilt und bereits im Jahr 1926 im Rahmen seiner Bedürfnistheorie gesetzte

214 215 216 217 218

219 220 221

Vgl. Martin/Stewart/Matta (2004); Huffman/Ratneshwar/Mick (2001); Barsalou (1985). Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 483. Vgl. Brudvig/Raman (2006), S. 172. Vgl. Brudvig/Raman (2006), S. 171 ff. Verzerrungseffekte bei diesem Messdesign können beispielsweise durch Carry-Over-Effekte, Ermüdungseffekte und Sensibilisierung der Probanden hervorgerufen werden. Vgl. Mitchell/Jolley (2003). Vgl. Brudvig/Raman (2006), S. 175 ff. Vgl. Chernev (2004), S. 141 ff. Vgl. Chernev (2004), S. 144.

47 Ziele als „Quasi-Bedürfnisse“ darstellte, die durch die Absicht zielgerichteter Handlungen entstehen und die ein Individuum durch eine Vielzahl von Handlungen befriedigen kann.222 Lewin postuliert, dass durch die Zielsetzung beim Individuum ein Spannungszustand entsteht, weshalb es auf die Realisierung von zielgerichteten Handlungen drängt. Zur Erreichung dieser Ziele geeignete Objekte oder Gelegenheiten haben einen Aufforderungscharakter, der das Streben nach Realisierung dieser Ziele verstärkt.223 Glaubt ein Individuum also, mit dem Kauf eines Produkts ein bestimmtes Ziel erreichen zu können, so wird es den Kauf wahrscheinlich auch tätigen. Daher erscheint es sinnvoll, die Eignung von Neuprodukten zur Realisierung gesetzter Ziele einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Im Kontext von Neuprodukten ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Nachfrager den Kauf einer radikalen Innovation auf Basis von gesetzten Zielen plant. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er – analog der Argumentation Lewins – bei Konfrontation mit dem Neuprodukt dieses zunächst auf seine Eignung hin überprüft, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.224 Den Erkenntnissen der modifizierten Theorie des überlegten Handelns folgend, bildet der Konsument vor der Kaufentscheidung eine Einstellung zu der radikalen Innovation selbst sowie eine Einstellung zum Kauf dieser Innovation. Diese münden dann in einer positiven oder negativen Absicht, das Neuprodukt zu erwerben.225 So wird er ein neues Medikament beispielsweise im Hinblick auf das Ziel „Gesundheit erhalten“ beurteilen. Hält ein Konsument den Kauf dieses Medikamentes für geeignet zur Erhaltung der Gesundheit, so ist es plausibel, dass er auch eine positive Einstellung zu dem Medikament sowie zu dem Kauf dieses Medikaments entwickelt und es wahrscheinlich auch erwirbt. Diese Einschätzung der Eignung eines Objekts zur Erreichung eines bestimmten Ziels als Grundlage der Einstellungsbildung wird im weiteren Verlauf der Arbeit als Zielkongruenz bezeichnet.

Im Zusammenhang mit der Beurteilung von radikalen Innovationen können sich die Ziele der Konsumenten sowohl auf das Produkt selbst als auch auf die Marke, unter welcher ein Produkt angeboten wird, beziehen. Auf dem Pharmamarkt beispielswei-

222 223 224 225

Vgl. Lewin (1926). Vgl. Oettingen/Gollwitzer (2000), S. 406 ff. Vgl. Lewin (1926). Siehe Kapitel II-1.3.3.

48 se kommt der Marke insbesondere beim Medikamentenkauf eine wesentliche Bedeutung zu. So ziehen viele Patienten Markenmedikamente (Bayer, Roche etc.) den Generika vor, obwohl die Inhaltsstoffe bei beiden Produkten identisch sind. Will man dieser Tatsache Rechnung tragen, ist eine Unterteilung der Zielkongruenz zweckdienlich.

Fortan bezeichnet daher die Produktzielkongruenz den Grad, zu dem sich ein Produkt dazu eignet, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die Eignung einer Marke zur Zielrealisierung beschreibt die Markenzielkongruenz. Integriert man unter Einbezug der vorstehenden Erkenntnisse aus der Brand-Extensions-Forschung sowie aus den Untersuchungen Chernevs die beiden Konstrukte Markenzielkongruenz und Produktzielkongruenz in die erweiterte Theorie des überlegten Handelns, so gestaltet sich der Zusammenhang wie in Abbildung 7 dargestellt.

Produktzielkongruenz

Einstellung zum Verhalten

Verhaltensintention

Markenzielkongruenz

Tatsächliches Verhalten

Einstellung zum Objekt

Abbildung 7: Integration der Zielkongruenz in die modifizierte Theorie des überlegten Handelns

Diverse Studien konnten in der Vergangenheit belegen, wie Ziele zustande kommen, inwieweit diese erreicht werden und inwiefern sie menschliches Verhalten beeinflussen können.226 Bislang mangelt es jedoch an empirischen Untersuchungen, die sich auf die Eignung eines Produkts oder einer Marke zur Erreichung eines gesetzten

226

Für eine Übersicht vgl. Austin/Vancouver (1996); Gollwitzer/Moskowitz (1996).

49 Ziels fokussieren.227 Mit der Berücksichtigung der Produktziel- sowie der Markenzielkongruenz im Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen soll diesem Defizit Rechnung getragen werden. Im folgenden Kapitel gilt es, die erläuterten Zusammenhänge in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten zusammenzuführen.

1.4

Hypothesensystem zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen auf Basis der Erkenntnisse der Einstellungstheorie

Im Hinblick auf das Hauptziel dieser Arbeit, der theoriegeleiteten Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen, ist es sinnvoll, die beschriebenen Modifikationen der von Ajzen und Fishbein im Rahmen der Theorie des überlegten Handelns postulierten Zusammenhänge zu berücksichtigen. Die Ausführungen der vorangegangenen Abschnitte zugrunde gelegt, leisten die Erkenntnisse der Einstellungsforschung wertvolle Dienste im Hinblick auf die Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen. Den Annahmen zur Theorie des überlegten Handelns folgend ist insbesondere das postulierte Wirkungsgefüge zwischen der Einstellung gegenüber dem Verhalten und der Kaufabsicht von Interesse. Im vorliegenden Modell zum Adoptionsverhalten ist der tatsächliche Kauf, d. h. die Adoption selbst, nicht messbar, da die präsentierten Produkte rein hypothetischer Natur und am Markt nicht erhältlich sind. Doch bereits Ajzen und Fishbein attestierten den Konstrukten Verhaltensabsicht und Verhalten einen positiven Zusammenhang.228 Die Verhaltensabsicht kann als Vermittler zwischen der Einstellung und dem Verhalten angesehen werden.229 Es soll daher genügen, die Verhaltensabsicht zu messen.

Wie in der Theorie des überlegten Handelns postuliert, determiniert die Einstellung zum Verhalten maßgeblich die Absicht, ein Verhalten zu zeigen.230 Diese Beziehung ist Gegenstand diverser empirischer Untersuchungen, insbesondere im Bereich der

227 228

229 230

Vgl. Brudvig/Raman (2006), S. 172 f. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 42 ff. Der enge positive Zusammenhang zwischen Verhaltensabsicht und Verhalten wurde in der Literatur bereits häufig empirisch bestätigt. Vgl. Ajzen (1991); Ajzen/Madden (1986). Vgl. Bagozzi/Baumgartner/Yi (1989), S. 56; Trommsdorff (2004), S. 164. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 42 ff.

50 Konsumentenverhaltensforschung. Viele Studien belegen den engen positiven Zusammenhang zwischen der Einstellung zum Verhalten und der Verhaltensabsicht nachweisen.231 Der Einstellung zum Verhalten entspricht im konkreten Adoptionsmodell die Einstellung zum Kauf der Innovation. Nach Ajzen und Fishbein lässt sich daher folgender positiver Zusammenhang ableiten:

H1: Je positiver die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation ist, desto höher ist auch seine Absicht, die Innovation zu kaufen.

Neben der verhaltensbezogenen Einstellungskomponente in Form der Einstellung zum Kauf der Innovation wurde das objektbezogenen Einstellungskonstrukt in die Theorie des überlegten Handelns aufgenommen. In das vorliegende Hypothesensystem soll die Innovationsbereitschaft als Einstellung zum Objekt integriert werden.232

Die Innovationsbereitschaft bezeichnet den Grad und die Geschwindigkeit der Adoption eines neuen Produkts durch ein Individuum.233 Dem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass die Innovationsbereitschaft weniger einen Charakterzug einer Person darstellt, sondern vielmehr produkt- oder servicespezifisch ist und somit durch Marketingaktivitäten beeinflusst werden kann.234 Im Marketingbereich erfolgt die Konzeptualisierung dieses Konstrukts meist mithilfe von Meinungen zu einem bestimmten Produkt oder Service.235 Diesem Begriffsverständnis folgend kann Innovationsbereit-

231 232

233 234 235

Vgl. Cheung/Chang/Wong (1999); Shim et al. (2001). Siehe Kapitel II-1.3. In bisherigen Forschungsbemühungen wurde die Innovationsbereitschaft auf zwei verschiedene Arten konzeptualisiert. Vgl. Im/Bayus/Mason (2003), S. 61 ff. Eine Sichtweise bezeichnet die Innovationsbereitschaft als Persönlichkeitsmerkmal des Konsumenten, das einen Einfluss auf die Beurteilung neuer Produkte ausübt. Vgl. Klink/Smith (2001), S. 331. Dieser Definition gemäß stellt die Innovationsbereitschaft einen Charakterzug dar, der dem Konsumenten inhärent ist und je nach Ausprägung zu einer mehr oder weniger starken Bereitschaft führt, neue Produkte zu adoptieren. Vgl. Rogers/Shoemaker (1971), S. 27. Innovationsbereite Konsumenten übernehmen das Neuprodukt tendenziell in sehr frühen Diffusionsphasen und geben ihre Erfahrung danach an andere Personen weiter. Vgl. Midgley/Dowling (1978), S. 229 ff. Auf diese Weise fungieren sie als Meinungsführer, die zur weiteren Verbreitung der Innovation beitragen. Vgl. KroeberRiel/Weinberg (2003), S. 678 f. Vertreter einer anderen Forschungsrichtung hingegen wählen einen anderen Denkansatz und sprechen von der so genannten „personal innovativeness“. Vgl. Lassar/Manolis/Lassar (2005), S. 180. Vgl. Lassar/Manolis/Lassar (2005), S. 180. Vgl. Citrin et al. (2000), S. 294 ff. Vgl. Lassar/Manolis/Lassar (2005), S. 181 f.

51 schaft als Grad der Bereitschaft eines Konsumenten zur Akzeptanz der Innovation angesehen werden. Dies impliziert einen Bewertungsvorgang, da die Akzeptanz bzw. die Resistenz eines Neuprodukts das Resultat eines positiven oder negativen Bewertungsprozesses darstellt. Einstellungstheoretisch betrachtet ist die Innovationsbereitschaft somit äquivalent zur Einstellung zum Objekt; im vorliegenden Fall entspricht sie konkret der Einstellung zur Innovation.

Wie bereits erwähnt, beeinflusst die Innovationsbereitschaft i. S. d. Einstellung zur Innovation die Einstellung zum Verhalten.236 Es ist daher anzunehmen, dass die Innovationsbereitschaft positiv mit der Einstellung zum Kauf der Innovation in Verbindung steht. Daraus ergibt sich:

H2: Je höher die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation.

Weiterhin schreibt Fazio der Einstellung zum Objekt eine direkte Beeinflussung der Verhaltensabsicht zu. Seiner Auffassung folgend liegt die Vermutung nahe, dass die Innovationsbereitschaft nicht nur die Einstellung zum Kauf der Innovation beeinflusst, sondern dass eine hohe Innovationsbereitschaft auch eine hohe Kaufabsicht bewirkt.237 Daraus leitet sich die folgende Hypothese ab:

H3: Je höher die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten ist, desto höher ist seine Absicht, die Innovation zu kaufen.

Neben der Integration der klassischen Einflussfaktoren der Theorie des überlegten Handelns wurde das Adoptionsmodell um weitere adoptionskritische Faktoren ergänzt. So verspricht die Integration der Markenzielkongruenz eine bessere Verhaltensvorhersage. Die Ausführungen von Brudvig und Raman aus dem Bereich der

236 237

Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 204 ff. Siehe Kapitel II-1.3.3. Vgl. Fazio (1990), S. 75 ff.

52 Brand-Extensions-Forschung zugrunde gelegt, determiniert die Eignung der Marke zur Erreichung der Ziele eines Konsumenten seine Einstellung gegenüber der Markenerweiterung. Letztere ist nach Auffassung der Autoren umso positiver, je geeigneter der Nachfrager die Marke zur Zielrealisierung einschätzt.238

Überträgt man diese Resultate auf den Fall der Beurteilung radikaler Innovationen, so ist anzunehmen, dass der Konsument dann eine positive Einstellung zur Innovation entwickelt, wenn er die Marke als zur Zielerreichung geeignet einschätzt. Diese Vermutung hinsichtlich des positiven Einflusses der Markenzielkongruenz auf die Einstellung zur Innovation, die hier formal äquivalent zur Innovationsbereitschaft ist, erfasst Hypothese H4:

H4: Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto höher ist die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten.

Eine entsprechende Argumentation ist auch mit Blick auf die Einstellung zum Kauf der Innovation plausibel. Insofern wird behauptet, dass die wahrgenommene Markenzielkongruenz die Einstellung zum Innovationskauf positiv beeinflusst. Hypothese H5 lautet daher wie folgt:

H5: Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto positiver ist die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation.

Auf Produktebene sind die gleichen Überlegungen anzustellen wie auf Markenebene. Diesen Zusammenhang bestätigen die von Chernev durchgeführten Studien von Produktmerkmalen.239 Daher liegt die Vermutung nahe, dass die Einstellung eines Konsumenten zur Übernahme der Innovation umso positiver ist, je besser der Kon-

238 239

Vgl. Brudvig/Raman (2006), S. 171 ff. Vgl. Chernev (2004), S. 141 ff.

53 sument das Neuprodukt zur Erreichung seines Ziels einschätzt. Diese Aussage führt direkt zu Hypothese H6:

H6: Je höher die wahrgenommene Produktzielkongruenz ist, desto positiver ist die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation.

Analog den Ausführungen bezüglich des Einflusses der Produktzielkongruenz auf die Einstellung zum Kauf der Innovation ist auch ein positiver Effekt der Produktzielkongruenz auf die Innovationsbereitschaft wahrscheinlich. Daher soll die folgende Hypothese eine Überprüfung an der Realität erfahren:

H7: Je höher die wahrgenommene Produktzielkongruenz ist, desto höher ist die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten.

Wie erinnerlich zieht der Patient Medikamente, die unter einem bekannten Markenlabel vertrieben werden, solchen unbekannter Hersteller vor. Häufig fungiert die Marke für den Konsumenten daher als Orientierungshilfe bei der Bewertung und dem Kauf von Produkten.240 Den starken Einfluss der Marke auf die Produktbeurteilung konnte Heller bereits im Jahr 1919 empirisch belegen. In einer Untersuchung mit unterschiedlich markierten Produktverpackungen zeigt der Autor, dass die Probanden die vertraute, bekannte Marke als qualitativ höherwertig einstuften als die unbekannte Marke. Objektiv war die Qualität der unbekannten Marke jedoch höher als die des bekannten Markenartikels.241 Dieses Experiment verdeutlicht, dass die Marke die Beurteilung eines Produkts in erheblichem Maß beeinflussen kann.242 Spätere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Resultaten.243 So zeigt sich, dass Produkte starker Marken, wie z. B. Coca Cola, von den Konsumenten bei Offenlegung der Marke posi-

240 241

242 243

Vgl. Esch (2003), S. 25. Siehe Kapitel II-2.3.3. Vgl. Heller (1919), S. 63 ff. sowie zu ähnlichen Ergebnissen Hoyer/Brown (1990), S. 147; Bräutigam (2004), S. 49. Vgl. Keller (1993), S. 3; Esch (2001), S. 244. Vgl. Allison/Uhl (1964), S. 38 f.; Farquhar (1989), S. 25.

54 tiver bewertet werden als im Blindtest.244 Der erhebliche Einfluss der Marke bei der Beurteilung eines Produkts ist dabei unübersehbar.

Legt man diese Erkenntnisse der Beziehung zwischen der Produkt- und der Markenzielkongruenz zugrunde, erscheint es plausibel, dass diese durch die Marke bestimmten Orientierungs- und Risikoreduktionsprozesse auch auf Zielebene ablaufen können. So ist vorstellbar, dass die wahrgenommene Markenzielkongruenz die Wahrnehmung der Produktzielkongruenz ebenfalls determiniert. Passt die Marke also zu dem Ziel, welches der Konsument mit dem Kauf dieser verfolgt, so ist anzunehmen, dass sich das markierte Produkt aus seiner Sicht ebenfalls dazu eignet, dieses Ziel zu erreichen und auch von ihm als zielkonform wahrgenommen wird. Somit überträgt sich die Zieleignung der Marke auf das Produkt selbst. Dieser positive Zusammenhang zwischen Markenzielkongruenz und Produktzielkongruenz ist daher Gegenstand von Hypothese H8:

H8: Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto höher ist die wahrgenommene Produktzielkongruenz.

Eine Übersicht der um die Einstellung zum Objekt sowie um die beiden Zielkonstrukte ergänzten Theorie des überlegten Handelns ist Abbildung 8 zu entnehmen.

244

Vgl. De Chernatony/McDonald (1998), S. 83.

55

Produktzielkongruenz

Einstellung zum Kauf der Innovation

Kaufabsicht

Markenzielkongruenz

Innovationsbereitschaft

Abbildung 8: Modifikation der Theorie des überlegten Handelns

Die Diskussion der Theorie des überlegten Handelns führte zu dem Schluss, dass die Erweiterung des Modells um die Größen Einstellung zum Objekt sowie Markenund Produktzielkongruenz eine verbesserte Verhaltensprognose gewährleistet. Neben den einstellungs- und zieltheoretischen Einflussgrößen spielt darüber hinaus erwiesenermaßen auch vorhandenes Wissen in Form von Schemata eine wesentliche Rolle bei der Adoptionsentscheidung. Im folgenden Kapitel erfahren daher Gedächtnisstrukturen und deren Relevanz im Hinblick auf die Akzeptanz radikaler Innovationen eine detaillierte Erörterung.

56

2

Beitrag der Erkenntnisse der Schematheorie zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

2.1

Strukturen menschlichen Wissens

Gedächtniswissenschaftler beschäftigen sich bereits seit vielen Jahrzehnten mit der Untersuchung der Organisation menschlichen Wissens.245 Die Forschung im Bereich der mentalen Repräsentation von Gedächtnisinhalten geht von einer netzwerkartigen Wissensstruktur im menschlichen Gehirn aus. Man bezeichnet diese Strukturen auch als assoziative oder semantische Netzwerke246 bzw. Gedächtnismodelle,247 in denen das Wissen eines Konsumenten über sich und seine Umwelt abgelegt ist.248

Das semantische Gedächtnis ist der Speicher für die Sprachbenutzung. Es umfasst das organisierte Wissen einer Person über Wörter, deren Bedeutung und die Relation zwischen den Begriffen.249 Eine grundlegende Prämisse semantischer Gedächtnismodelle

ist,

dass

bei

jeder

Informationsspeicherung

neue

assoziative

Verbindungen (Kanten) zwischen betroffenen Wissenseinheiten (Knoten) entstehen. In diesen Knoten selbst sind keine Informationen vorhanden; alles Wissen über einen Knoten wird durch seine Kanten repräsentiert. Besteht eine Assoziation zwischen den Wissenseinheiten A und B, erfolgt bei einer späteren Aktivierung von A auch eine Reaktivierung von B. So bildet sich ein Netz aus Wissenseinheiten und Assoziationen.250

245 246

247

248

249 250

Vgl. Wender (1988); Collins/Loftus (1975). Das semantische Netzwerkmodell wurde ursprünglich entwickelt, um die Wissensstrukturen zu Worten und deren Bedeutungen sowie die zugrunde liegenden Prozesse bei Abruf dieses Wissens zu untersuchen. Vgl. Quillian (1968), S. 216 f.; Collins/Loftus (1975), S. 407. Tulving modifizierte das Modell durch die Integration von episodischem Wissen, welches auf Erfahrungen des Menschen beruht. Vgl. Tulving (1972), S. 385 ff. Inzwischen geht man davon aus, dass viele Wissensarten in assoziativen Netzstrukturen organisiert sind. Vgl. Peter/Olson (1996), S. 67. In der Literatur findet sich mit dem Feature-Modell ein weiterer Ansatz zur Abbildung von Wissensstrukturen. Hierbei wird ein Begriff durch miteinander verbundene Merkmalssätze, den so genannten “Sets“ beschrieben. Da die im Feature-Modell darstellbaren Prozesse grundsätzlich auch mithilfe von Netzwerkmodellen erklärt werden können, wird auf eine ausführliche Darstellung des Ansatzes an dieser Stelle verzichtet. Vgl. Collins/Loftus (1975), S. 410; Smith/Shoben/ Rips (1974), S. 214 ff. Für einen kritischen Vergleich beider Ansätze vgl. Klix (1988), S. 28 ff.; Bräutigam (2004), S. 69. Vgl. Kroeber-Riel (1999), S. 230; Peter/Olson (1996), S. 67; Wender (1988), S. 55; Solomon (1999), S. 86 f. Vgl. Tulving (1972), S. 385 ff. Vgl. Chang (1986), S. 199 ff.; Johnson-Laird/Herrmann/Chaffin (1984), S. 292 ff.

57 Neuere Assoziationsmodelle versuchen die Art der Beziehung zwischen den Einheiten zu erklären. Man fand heraus, dass die Relationen zwischen zwei Knoten betitelt sind, wobei die Relation Junge – Hund beispielsweise mit dem Begriff „beißen“ oder auch „streicheln“ verbunden sein kann. Ferner geben die Modelle die Richtung der Assoziation an, so hat die Relation „Junge beißt Hund“ eine andere Bedeutung als „Hund beißt Junge“. Wird ein Schema aktiviert, läuft die Aktivierung entlang der assoziativen Verbindungen.251 Die Wissenseinheiten formieren sich nach Objektklassen, wobei neue kognitive Strukturen entstehen, indem das menschliche Gehirn neue Knoten und Verknüpfungen zwischen ihnen hinzufügt. Die Modelle des semantischen Gedächtnisses haben drei Spielarten hervorgebracht: die Hierarchiemodelle, die Merkmalsmodelle und die Modelle der Aktivierungsverbreitung.252

Als Pioniere auf dem Gebiet der Hierarchiemodelle gelten die Forscher Collins und Quillian.253 Hierarchiemodellen liegt die Annahme einer streng hierarchischen Ordnung zwischen den Wissenseinheiten zugrunde. Dabei steht ein Begriff auf der Hierarchiestufe umso höher, je abstrakter und inklusiver er ist. Das Modell hierarchischer Netzwerke verknüpft die verschiedenen Wissenseinheiten mit „ist ein(e)“-, „hat“- und „kann“-Verbindungen.254 Die Wissenseinheit „Tier“ beispielsweise ist dem Begriff „Vogel“ übergeordnet, welcher wiederum über dem Begriff „Kanarienvogel“ steht.255 Die Attribute legt der Mensch auf der höchstmöglichen Ebene nur einmal ab und ökonomisiert dadurch seine Informationsspeicherung. Beispielsweise speichert ein Individuum das Merkmal „frisst“ nur auf der Ebene „Tier“ ab, das Merkmal „hat einen Schnabel“ auf der Ebene „Vogel“. Eigenschaften, die auf einer höheren Ebene verankert sind, gelten auch für die darunter liegenden Ebenen. Von der Tatsache, dass Vögel fliegen können, lässt sich somit ableiten, dass die Unterkategorie „Kanarienvogel“ auch fliegen kann.256 Abbildung 9 zeigt eine hypothetische Gedächtnisstruktur nach Collins und Quillian.257

251 252 253 254

255 256 257

Vgl. Binsack (2003), S. 74 f. Vgl. Johnson-Laird/Herrmann/Chaffin (1984), S. 292 ff.; Rumelhart/Norman (1983), S. 54 ff. Vgl. Collins/Quillian (1969), S. 240 ff. Ein Beispiel für diese Verbindungen wäre: „Der Vogel ist ein Tier, er hat einen Schnabel und kann fliegen.“ Vgl. Chang (1986), S. 207 f. Vgl. Anderson (2000), S. 15. In Anlehnung an Collins/Quillian (1969), S. 241.

58

Hat Haut

Ebene 1

Tier

Kann sich bewegen Frisst

Hat Flügel

Ebene 2

Vogel

Kann schwimmen

Fisch

Hat Federn

Ist im Wasser

Hat einen Schnabel

Ebene 3

Kanarienvogel

Hai

Strauß Hat lange Beine Kann nicht fliegen

Kann singen

Ist gelb

Hat Flossen

Lachs Hat rosa Fleisch

Ist essbar

Hat Zähne Ist gefährlich

Abbildung 9: Hypothetische Gedächtnisstrukturen nach Collins und Quillian

Modelle hierarchischer Netzwerke eignen sich sehr gut zur Modellierung von Begriffswissen. Ereignisse oder komplexe Sachverhalte können sie aber wegen ihrer einfachen und begrenzten Assoziationsformen (ist ein(e), hat, kann) nicht adäquat abbilden.258 Auch räumlich-zeitliche Relationen oder Beziehungen, die über die Begriffshierarchie hinausgehen, bleiben in diesem Modell unberücksichtigt. Spätere Ansätze, wie das Active Structural Network von Rumelhart, Lindsay und Norman, versuchen durch die Darstellung von handlungsbezogenem Wissen diese komplexen Beziehungen zu modellieren.259

Bei den Modellen des Merkmalsvergleichs erfolgt die Kategorisierung durch den Abgleich der Merkmale zweier Konzepte.260 Das vorhandene Wissen ist nicht als Verbindung zwischen den Konzepten abgespeichert, sondern wird bei Bedarf durch einen Vergleich einer Liste von Merkmalen errechnet. Das menschliche Gehirn speichert jeden Begriff und jedes Exemplar eines Begriffs mit allen Merkmalen ab, wobei zu jedem Begriff definierende und charakteristische Merkmale existieren. Während definierende Merkmale eine zentrale Rolle für die Bedeutung eines Konzepts spielen,

258 259 260

Vgl. Tergan (1986), S. 40 f. Vgl. Rumelhart/Lindsay/Norman (1972), S. 197 ff. Vgl. Smith/Shoben/Rips (1974), S. 215 ff.

59 sind die charakteristischen Eigenschaften zwar typisch, für die betreffende Kategorie aber nicht notwendig. Bezeichnend für diesen Ansatz ist der zweistufige Merkmalsvergleich, wobei in der ersten Stufe ein simultaner Abgleich aller definierenden und charakteristischen Merkmale erfolgt. Anschließend findet in Stufe zwei ein serieller Vergleich der definierenden Merkmale statt.261 Der Hauptkritikpunkt an den Modellen des Merkmalsvergleichs bezieht sich hauptsächlich auf die Tatsache, dass Kategorien als bloße Ansammlungen von Merkmalen betrachtet werden und somit keine Aussage zulassen, welche Merkmale für Kategorien bestimmend sind. Zudem kann diese Sichtweise nicht erklären, weshalb bestimmte Prototypen innerhalb der Kategorien eine dominierende Rolle einnehmen (Typizitätseffekte).262

Das Modell der Aktivierungsverbreitung verzichtet auf eine streng hierarchische Ordnung. Es basiert auf der Annahme, dass sich die Aktivierung entlang der Pfade eines Netzwerkes ausbreitet. Der Schwerpunkt liegt hierbei nicht in der reinen Abbildung der Wissensbeziehungen, sondern in der Darstellung von Informationsverarbeitungsprozessen. Vertreter dieses Ansatzes gehen davon aus, dass sich die Aktivierung simultan über sämtliche involvierte Knoten im Netzwerk ausbreitet, wobei die Wissenseinheiten graduell unterschiedlich aktiviert sind. Die Wahrscheinlichkeit einer Aktivierung (Zugänglichkeit) ist von der Stärke der Assoziation sowie der Höhe der Aktivierung abhängig.263 Ein starker, häufig genutzter Verbindungsweg ist somit zugänglicher als ein schwacher. Überlagern sich die Aktivierungswege, ist der Impuls an den Schnittstellen ebenfalls stärker. Die Knoten „Krankenschwester“ und „medizinisches Gerät“ kann ein Individuum demzufolge leichter abrufen als selten gemeinsam

auftretende

Paare

wie

beispielsweise

„Kanarienvogel“

und

„Kranken-

schwester“.264 Die Aktivierungshöhe ist folglich von der Häufigkeit des Zugriffs, der verstrichenen Zeit seit dem letzten Zugriff und der Entfernung vom aktivierten Ausgangspunkt im Netzwerk265 abhängig.266 Auslöser für einen Zugriff auf bestehendes

261 262 263 264 265

Vgl. Smith/Shoben/Rips (1974), S. 214 ff. Vgl. Murphy/Medin (1985), S. 294. Vgl. Collins/Loftus (1975), S. 412. Vgl. Anderson (2000), S. 187. Der Weg, der durch die Ausbreitung der Aktivierung gebahnt wird, entsteht allerdings nicht immer willentlich. So beschreibt Anderson ein Experiment, in dem den Probanden die Assoziation „Hund“ vorgegeben wurde. Auswertungen zeigten, dass die Aktivierung sich ausbreitete und die Verbindung „Knochen“ zu „Fleisch“ entstand, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. Diese

60 Wissen kann entweder ein externer Reiz (z. B. das Wahrnehmen einer Produktmarke im Supermarkt) oder ein interner Stimulus (z. B. das Verspüren von Durst und der Gedanke an eine Getränkemarke) sein. Denkt ein Konsument beispielsweise an eine Coca-Cola Dose, so aktiviert er automatisch das in seinem Gedächtnis abgespeicherte Markenschema von Coca-Cola. Infolgedessen werden verschiedene, mit der Marke Coca-Cola verbundene Schemavorstellungen ins Bewusstsein abgerufen und bilden die Grundlage für eine weitere Informationsverarbeitung. Typische Markenassoziationen, die der Konsument in einer solchen Situation abruft, könnten der typische Schriftzug, die braune Farbe, der typische Geschmack oder auch die Vorstellungen von Frische oder Lebensfreude sein.267 Welche Assoziationen der Konsument letztendlich mit dem präsentierten Produkt oder der präsentierten Marke verbindet, ist vorwiegend von seinen individuellen Verknüpfungen innerhalb der Wissensstrukturen abhängig.268

Ein wesentlicher Vorteil des Ansatzes der Aktivierungsverbreitung liegt in der Berücksichtigung von Typizitätseffekten. Typische Merkmale sind im Modell stärker assoziiert und leichter zugänglich, da sie häufiger gemeinsam aktiviert werden. Auch kategorieübergreifende Interferenzen269 kann das Aktivierungsmodell abbilden. Sie entstehen nach aktueller Forschungsmeinung über die Aktivierung stark zugänglicher Relationen.270

Anzumerken bleibt, dass die beschriebenen Ansätze keine separat voneinander existierenden Modelle zur Erklärung semantischer Gedächtnisstrukturen darstellen. Vielmehr fungieren sie als Teilsysteme innerhalb des semantischen Gedächtnisses. Hierbei können Modelle der Aktivierungsverbreitung Typizitätseffekte und die Kohärenz konzeptuellen Wissens erklären. Hierarchiemodelle hingegen liefern, trotz der genannten Kritik, Aussagen über die Grundlagen der hierarchischen Organisation

266 267 268 269 270

unbewusste Entstehung von Wissensstrukturen findet man in der Literatur unter dem Begriff „assoziatives Priming“. Vgl. Anderson (2000), S. 186. Vgl. Wessels (1994), S. 259. Vgl. Esch/Wicke (2001), S. 47. Vgl. Bräutigam (2004), S. 79 f. Synonym: Schlussfolgerungen. Vgl. Chang (1986), S. 216.

61 des menschlichen Gedächtnisses.271 Modelle des Merkmalsvergleichs wiederum besitzen trotz der genannten Schwächen heute noch in der Neubildung von Kategorien Relevanz.272 Eine Übersicht der gängigsten Ansätze semantischer Netzwerke ist Tabelle 2 zu entnehmen. Hierarchical Network Model Collins/Quillian (1969) Human Associative Memory Hierarchiemodelle

Network Anderson/Bower (1973) Active Structural Network

Merkmale: - Streng hierarchische Struktur - Je höher in der Hierarchie, desto abstrakter und inklusiver - Differenzierung in Subkategorien

Rumelhart/Lindsay/Norman (1972) Spreading Activation Theory

Merkmale:

Collins/Loftus (1975)

- Keine hierarchische Struktur - Assoziationen abhängig von

Modelle der

Search of Associative

Aktivierungs-

Memory

verbreitung

Raaijmakers/Shiffrin (1981)

Verarbeitungstiefe und Nutzungshäufigkeit - Stärke der Assoziationen und

Vernetzungsmodell

Höhe der Aktivierung bestimmt

Klimesch (1994)

Zugänglichkeit der Knoten

Predicate-Intersections-Model Meyer (1970)

Merkmale: - Kategorisierung durch Vergleich der Merkmale zweier

Modelle des Merk-

Feature-Comparison-Model

malsvergleichs

Smith/Shoben/Rips (1974)

Konzepte - Zweistufiger Vergleich:

Property-Comparison-Model

Erste Stufe: paralleler Vergleich

McCloskey/Glucksberg (1979)

Zweite Stufe: serieller Vergleich

Tabelle 2: Übersicht zu semantischen Gedächtnismodellen273

271

272 273

Ein Großteil des menschlichen Gedächtnisses ist in einer hierarchischen Organisationsform strukturiert. Vgl. Tergan (1986), S. 145. Vgl. Brewer (1989), S. 532 ff. In Anlehnung an Binsack (2003), S. 75.

62 Zur mentalen Darstellung sehr großer und komplexer Wissensbestandteile sind die im vorangegangenen Abschnitt erläuterten Netzwerkmodelle mit einer Vielzahl kleiner Wissenseinheiten nicht bzw. nur eingeschränkt geeignet. Die so genannten kognitiven Schemata hingegen ermöglichen eine Repräsentation größerer Wissensstrukturen auf einem höheren Abstraktionsniveau.274 Im folgenden Kapitel interessiert nunmehr die Organisation und Struktur dieser kognitiven Schemata. Mithilfe der Schematheorie versuchen Wissenschaftler, einen Erklärungsansatz für dieses Phänomen zu liefern.

2.2

Grundlagen der Schemaforschung

2.2.1

Begriff und Grundlagen zu kognitiven Schemata

Zur Erläuterung der Komplexität von Wissen leistet die Schematheorie, die seit Mitte der 1970er-Jahre als Erklärungsmodell für Kognitionsstrukturen entwickelt wurde, einen wertvollen Beitrag.275 Forschungsarbeiten zur Schematheorie entstammen vorwiegend aus verschiedenen Richtungen der Psychologie, der Linguistik, der Informatik,276 der Neurophysiologie und der Wissenstheorie277. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass sowohl der Sprachgebrauch als auch die Theorie- und Modellbildung eine Vielfalt und damit einhergehend eine gewisse Unübersichtlichkeit aufweisen. Mandl et al. erkennen daher richtig: „[…] einheitliche Schematheorie gibt es derzeit nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Gruppe von Theorien, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß sie das Schemakonstrukt verwenden, aber je nach konkretem Gegenstand durchaus unterschiedlich sein können.“278 Eines haben jedoch alle Ansätze gemeinsam: die Annahme, dass das menschliche Wissen netz-

274

275

276 277

278

Da die Schematheorie ihre Wurzeln unter anderem in der Computerwissenschaft hat, werden Schemata manchmal auch als „Prototyp“ oder „Frame“ tituliert. Vgl. Minsky (1975); Anderson (2000), S. 156; Cohen/Basu (1987), S. 455 ff. Der Psychologe Frederic Bartlett prägte Anfang der Dreißigerjahre des vorherigen Jahrhunderts den Begriff des Schemas. Vgl. Bartlett (1932). Anfänglich fand dieses Phänomen vorwiegend in der Wahrnehmungspsychologie Beachtung. Vgl. Neisser (1979). Später erlangten kognitive Schemata Eingang in diverse Disziplinen der Kognitionswissenschaft, unter anderem in die Konsumentenverhaltensforschung. Vgl. Luhmann (1996); Esser (2000). Die Schematheorie ist auf einen Paradigmen-Wechsel Ende der 1950er-Jahre in der Linguistik, der Psychologie, den Kognitionswissenschaften und der kognitiven Ethnologie zurückzuführen. Vgl. Petersen (2002), S. 63. Hier ist insbesondere die Erforschung der künstlichen Intelligenz zu nennen. Vgl. Röttger-Rössler (2000), S. 66; Mandl/Friedrich/Hron (1988), S. 124; Bartlett (1932); Cohen/ Basu (1987); Neisser (1979). Mandl/Friedrich/Hron (1988), S. 124.

63 werkartig in Form von Schemata organisiert ist und ein Individuum neue Informationen schnell und einfach in dieses Schemagefüge einordnen kann.279

Unter einem Schema versteht der Wissenschaftler Frederic Bartlett, der dieses Konstrukt erstmals im Jahr 1932 in die Psychologie einführte, „[…] an inactive organisation of past reactions, or of past experiences, which must always be supposed to be operating in any welladapted organic response.“280 Diese Begriffsbestimmung folgt der Auffassung, dass ein Individuum sämtliche Objekte, Situationen, Ereignisse und Handlungen mental erfasst und so verarbeitet, dass ihre einzelnen Komponenten ein zusammenhängendes Konzept ergeben. Merkmale, die eine Person als zusammenhängend erachtet, fügen sich zu einem prototypischen Muster, dem Schema, zusammen.281 Um einen neuen Stimulus bewerten zu können, greift die Person dann auf bereits vorhandene vergleichbare Schemata zurück. Neue Objekte und Ereignisse stellt das Individuum dabei in einen Sinnzusammenhang, so dass es sie identifizieren und zuordnen kann.282 Innerhalb standardisierter Ereignissequenzen, wie z. B. „Kaffee kochen“, können nicht nur verschiedene Prototypen einer Kategorie (wie z. B. „Tasse“ und „Kaffeemaschine“), sondern auch Vertreter unterschiedlicher Abstraktionsebenen gedanklich verknüpft werden. So assoziiert ein Individuum beispielsweise die Bedeutung einer Handlung „Ich koche mir einen Kaffee.“ mit der Durchführung einer Handlung „Wie bediene ich die Kaffeemaschine?“.283

Ein Schema vereinigt Konzepte über Objekte (z. B. Pflanzen, Tiere, Personen), Orientierungen (z. B. kognitive Karten von Städten), Zustände (z. B. krank sein), Ereignisse (z. B. ein Fußballspiel) und Handlungen (z. B. Kaffee kochen) in einer Wissensstruktur.284 Schemata umfassen sowohl Strukturen als auch Prozesse.285 Die

279 280 281 282 283 284 285

Vgl. Esch (2001), S. 84; Anderson (2000), S. 154. Bartlett (1932), S. 210. Vgl. Petersen (2002), S. 63. Vgl. D’Andrade (1992), S. 28. Vgl. Petersen (2002), S. 64. Vgl. Ballstedt et al. (1981), S. 17. Hierbei bezeichnet das deklaratorische Wissen die gespeicherten Informationen über Objekte, deren Beziehungen zueinander und Wissen über bestimmte Sachverhalte. Prozedurales Wissen hingegen spiegelt die gedanklichen Vorgänge bei der Bildung, Verknüpfung und Anwendung von Wissen wider. Vgl. Anderson (2000), S. 238 f.; Kroeber-Riel (1999), S. 229; Peter/Olson (1996), S. 65.

64 Wissenschaft spricht daher auch vom „dualen Charakter“ eines Schemas.286 Schemata, die sich auf Ereignisse beziehen, bezeichnen Schematheoretiker häufig als „Skript“, während Handlungsschemata auch als „Pläne“ und Situationsschemata als „Rahmen“ betitelt werden.287 In der einschlägigen Literatur wird der Schemabegriff weitgehend uneinheitlich angewendet. So findet man häufig Schemata, Kategorien und Konzepte in synonymer Verwendung. Aus Gründen der Einfachheit und sprachlichen Variation werden im weiteren Verlauf die Begriffe Schemata und Kategorien synonym gebraucht. Die nachfolgenden Ausführungen zu Aufbau und Charakteristika von Schemata verdeutlichen die Differenziertheit dieses Phänomens.

Bartletts Auffassung folgend definieren Ballstedt et al. ein Schema als „[...] abgrenzbares Teilsystem innerhalb der vernetzten Wissensrepräsentationen, in dem aufgrund von Erfahrungen typische Zusammenhänge des Realitätsbereichs realisiert sind.“288 Wie in der Definition von Ballstedt et al. zum Ausdruck kommt, bildet die Typizität einen wesentlichen Charakterzug von kognitiven Schemata. Während die traditionelle Schemaforschung noch eine Gleichbewertung der Objekte innerhalb eines Schemas annahm, gehen neuere Erkenntnisse von einer Abstufung aus. So existieren innerhalb eines Schemas typische und untypische Vertreter, wobei typische Vertreter Vorteile in ihrer kognitiven Verarbeitung zeigen.289 Das Rotkehlchen beispielsweise ist ein typischeres Objekt des Schemas „Vogel“ als der Pinguin. Umgekehrt gibt es auch graduelle Abstufungen zwischen Nichtmitgliedern eines Schemas. Ein Stuhl beispielsweise ist dem Schema „Vogel“ weniger zugehörig als ein Schmetterling.290

Die typischen Attribute eines Schemas entstehen durch die Abstrahierung einzelner Erfahrungen und bilden die Grundlage für die weitere Informationsverarbeitung.291 Die psychologische Literatur bezeichnet das für eine Kategorie typischste Element als Prototyp. Geometrisch betrachtet liegt der Prototyp im Zentrum einer Kategorie,

286 287 288 289 290 291

Vgl. Brewer/Nakamura (1984), S. 119 f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 232; Seel (2003), S. 54. Ballstedt et al. (1981), S. 17. Vgl. Han (1998), S. 2. Vgl. Boush/Loken (1991), S. 17; Anderson (2001), S. 161 f. Vgl. Fiske/Pavelchak (1986), S. 170.

65 während mehrere untypische Exemplare am Rand liegen.292 In der Kategorie „Fortbewegungsmittel“ fungiert das Auto für viele Menschen als Prototyp. Bei Aktivierung einer Kategorie wird der Prototyp überproportional häufig assoziiert. Im Markenbereich beispielsweise existieren Prototypen, die so stark mit der Kategorie verbunden sind, dass die Marke mit den typischen Eigenschaften der Kategorie zusammenfällt. Der Klebezettel „Post-it“ der Firma 3M oder das Papiertaschentuch von „Tempo“ sind Beispiele für solch eine Verschmelzung von Prototyp und Kategorie.293

Neben ihrer Typizität ist die Vielfältigkeit ein weiteres Merkmal kognitiver Schemata. Zusätzlich zu dem abstrakten und konkreten Wissen beinhalten Schemata ebenso deklarative und prozedurale Wissenskomponenten. Prozedurale Bestandteile zeigen sich im Wissen über Abläufe, wie beispielsweise „Kaffeemaschine öffnen, Filter einsetzen, Kaffee einfüllen…“, deklaratives Wissen äußert sich z. B. im Wissen über die Eigenschaften von Kaffee („ist braun“). Einige Schemata können darüber hinaus mit Emotionen geladen sein,294 ein leidenschaftlicher Kaffeetrinker freut oder entspannt sich beispielsweise beim Trinken eines guten Kaffees. Dabei unterliegen Schemata einem ständigen Wandel. Sie sind nicht als statische, abrufbare und kognitive Strukturen aufzufassen, sondern vielmehr als dynamische Wissenseinheiten, die das Individuum ständig ergänzt und mithilfe von Unterschemata differenziert.295 So gewährleisten Schemata eine effiziente Informationsverarbeitung und determinieren, ob, wie und wie schnell neue Stimuli verarbeitet werden.

Charakteristisch für kognitive Schemata ist weiterhin die Tatsache, dass sie Leerstellen, so genannte Slots, für bestimmte Attribute oder Merkmale beinhalten. Diese werden entweder mit Standardwerten gefüllt oder nehmen spezifische Werte an.296 Im Schema „Kaffee“ könnte dies die Farbe des Kaffees sein, die standardmäßig dunkelbraun ist, aber bei bestimmten Sorten auch andere Ausprägungen, wie z. B. hellbraun, schwarz oder cremefarben annehmen kann. Fehlende Informationen, beispielsweise über Merkmale eines bestimmten Objekts, füllt das Individuum einfach mit Wissen über allgemeine Eigenschaften der Objektkategorie aus. Dadurch 292 293 294 295 296

Vgl. Eckes (1991), S. 1 ff. Vgl. Krishnan (1996), S. 393. Vgl. Fiske/Pavelchak (1986), S. 171 f. Vgl. Seel (2003), S. 55; Binsack (2003), S. 57. Vgl. Anderson (1996), S. 150.

66 sinkt die Notwendigkeit, neue Informationen zu suchen.297 Den experimentellen Nachweis der Existenz dieser so genannten „Default-Werte“ erbrachten Brewer und Treyens im Jahr 1981. In einem Laborexperiment sollten sich 30 Versuchspersonen für eine bestimmte Zeit in einem Büro aufhalten. Anschließend gaben ihnen die Wissenschaftler die Aufgabe zu beschreiben, was ihnen aus diesem Büro in Erinnerung geblieben ist. Hierbei nannten 29 von 30 Probanden den zum Büroschema passenden Schreibtisch mit Stuhl. Lediglich acht Personen erinnerten sich an einen nicht zum Büroschema passenden anatomischen Schädel. Neun Versuchspersonen gaben an, Bücher in dem Büro gesehen zu haben, die tatsächlich aber nicht vorhanden waren. Diese Testpersonen haben demzufolge die in der kurzen Zeit nicht wahrgenommenen und damit fehlenden Merkmale des Slots (Ausstattung des betreffenden Büros) durch Default-Werte (Bücher gehören typischerweise in ein Büro) ausgefüllt.298

Die Organisation in einem komplexen hierarchischen System ist ebenfalls charakteristisch für kognitive Schemata.299 Schematheoretiker unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen dominierenden Schemata, Subschemata und Primitiven. Ein dominierendes Schema kann in Subschemata unterteilt werden; das dominierende Schema „Kaffeemaschine“ besteht zum Beispiel aus den Subschemata „Kaffeekanne“ und „Kaffeefilter“. Das Unterschema „Kaffeefilter“ kann weiter in „Papierfilter“, „Metallfilter“ unterteilt sein.300 Am unteren Ende der Hierarchie liegen die Primitiven,301 einfache Schemata, die nicht mehr in Subschemata zerlegt werden können. Eine exemplarische Schemastruktur ist in Abbildung 10 dargestellt.302

297 298 299 300 301 302

Vgl. Baumgarth (2003), S. 218; Alba/Hutchinson (1987), S. 421. Vgl. Brewer/Treyens (1981). Vgl. Seel (2003), S. 54. Vgl. Binsack (2003), S. 55. Primitive können z. B. die Farbe oder der Ort eines Objekts sein. Vgl. Seel (2003), S. 54.

67

Dominierendes Schema

Kaffeemaschine

Kaffeefilter

Subschema

Papierfilter

Primitive

braun

Kaffeekanne

Wasserbehälter

Metallfilter

weiß

Abbildung 10: Auszug einer hierarchischen Struktur von kognitiven Schemata

Wird ein neuer Stimulus mit einem Schema in Verbindung gebracht, ordnet das Individuum diesen entsprechend der Schemastruktur ein.303 Durch die abstrakte Merkmalsverdichtung

entsteht

eine

hierarchische

Struktur

unterschiedlicher Abstraktheit und Generalisierbarkeit.

304

von

Schemata

mit

Im Zuge der Generalisie-

rung ordnet der Mensch gemeinsame Merkmale verschiedener Unterschemata der allgemeinen Kategorie zu. So klassifiziert er Merkmale verschiedener Kaffeearten wie „ist braun und cremig“ in das abstraktere Schema „Kaffee“, anstatt beispielsweise in das Unterschema „Tchibo-Kaffee“.305 Stimmt ein neuer Stimulus in wesentlichen Merkmalen nicht mit den in den Gedächtnisstrukturen vorhandenen Schemata überein, so wird das entsprechend assoziierte Schema entweder modifiziert oder das Individuum generiert ein neues Schema.306 Schemata organisieren somit persönliche Erfahrungen, werden jedoch gleichzeitig durch diese Erfahrungen auch gebildet.

Resümierend postuliert Mandler, dass kognitive Schemata durch bereits gemachte Erfahrungen erlernt, für eine aktuelle Situation abrufbar und für neue Situationen veränderbar sind.307 Die Veränderbarkeit von Schemata zeigt, dass diese keine reinen Repräsentationsfunktionen innehaben, sondern sich den gegenwärtigen Gege-

303 304 305 306 307

Vgl. Taylor/Crocker (1981), S. 90 ff. Vgl. Seel (2003), S. 54. Vgl. Wessels (1994), S. 212. Vgl. Kokot/Lang/Hinz (1982), S. 339. Vgl. Mandler (1984), S. 55 f.

68 benheiten flexibel anpassen können. Auf diese Weise ist es einem Individuum beispielsweise möglich, den Vogel Strauß als Vogel zu betrachten, obwohl ihm dafür ohne die Fähigkeit zu fliegen ein wesentliches Merkmal fehlt.308

Die komplexe Struktur des Wissens indiziert, dass ein Individuum eine neue Information nicht einfach an eine Wissenseinheit anhängt, sondern dass existierende Wissensbestandteile innerhalb unterschiedlicher Einheiten gleichzeitig beeinflusst und eventuell verändert werden.309 Die neue Information wird dabei möglicherweise parallel in unterschiedlichen Schemata auf verschiedenen hierarchischen Ebenen abgespeichert. Dies erklärt, weshalb Individuen sich in einem gegebenen Kontext an etwas erinnern können, das sie in einem völlig anderen Zusammenhang gelernt haben. Die nun aktuelle Information ist nicht fest an die erlernte Situation geknüpft, sondern existiert als eigenständige Information in der Wissensstruktur. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen bleibt zu klären, welche Funktionen diese Art der Informationsspeicherung hat. Die Beantwortung dieser Fragestellung hat das folgende Kapitel zum Ziel.

2.2.2

Funktionen kognitiver Schemata bei der Informationsverarbeitung und -speicherung

Für die effiziente Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -speicherung spielen Schemata eine wesentliche Rolle. Sie erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen, die die Aufmerksamkeit lenken, das Verständnis erleichtern, das Abrufen von Erinnerungen vereinfachen und die Urteilsbildung unterstützen.

x

Aufmerksamkeitsfunktion: Wird ein Schema aktiviert, so löst dieser Vorgang beim Individuum zunächst bestimmte Vorstellungen und Erwartungen aus.310 Passen die neuen Informationen nicht zu den aktivierten Schemavorstellungen, so wirkt diese Diskrepanz zunächst aufmerksamkeitserregend.311 Diverse Autoren postulieren daher die aktivierende Rolle inkongruenter Schemata. Sie argumentieren, dass schemabezo-

308 309 310 311

Vgl. Wender (1988), S. 71; Opwis/Lüer (1996), S. 322. Vgl. Reimann (1996), S. 177. Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 544. Vgl. Mandl/Friedrich/Hron (1988), S. 130 ff.

69 gene, aber atypische Informationen nicht den menschlichen Erwartungen entsprechen und daher Interesse und Neugier wecken.312 Loftus und Mackworth berichten über längere Betrachtungszeiten und eine größere Zahl von Fixierungen von schemainkongruenten Objekten und belegen somit die Relevanz von Schemata bei der Lenkung von Aufmerksamkeit und selektiver Wahrnehmung.313 Die durch schemadiskrepante Informationen hervorgerufene Aufmerksamkeitsverstärkung tritt jedoch nur dann ein, wenn die Schemaabweichung nicht zu stark ist.314 In Abbildung 11 ist ein Bild des Künstlers M. C. Escher zu sehen, wobei die Zeichnung nicht dem gängigen räumlichen Schema von „oben“ und „unten“ entspricht. Diese Diskrepanz zu bekannten Vorstellungen sorgt zunächst für ein Überraschungsmoment und zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich.

Abbildung 11: Aufmerksamkeitserregende Rolle schemadiskrepanter Informationen315

312 313 314 315

Vgl. Seel (2003), S. 56 f.; Mandler (1982), S. 1 ff. Vgl. Loftus/Mackworth (1978). Vgl. Rojahn/Pettigrew (1992). “Relativity” von M. C. Escher (1953).

70

x

Verständnisfunktion: Auch während des Verstehensprozesses und der Interpretation von Informationen sind vorhandene Wissenskonzepte von essenzieller Bedeutung. Verstehen und interpretieren bedeutet, neue Informationen in bereits vorhandenes Wissen einzubetten. Ist dies nicht möglich, so läuft die Verarbeitung des Stimulus nur unter hohem kognitiven Aufwand ab; im Extremfall versteht das Individuum die Information nicht. Ein Beispiel hierzu stammt von Schwarz: „Der Heuhaufen war wichtig, weil der Stoff riss.“316 Dieser Satz ergibt erst dann einen Sinn, wenn man das Schema „Fallschirm“ vorgibt. Das Schema „Fallschirm“ erschließt zusätzliche Informationen über die Beschaffenheit und Funktionsweise eines Fallschirms und ermöglicht so das Verständnis und eine sinnvolle Interpretation des Satzes.317

x

Abruf- und Erinnerungsfunktion: Schemata erleichtern dem Individuum das Abspeichern von Informationen. Im Fall von schemakonformen Informationen legt es nicht die Information selbst, sondern lediglich die Verbindung zur assoziierten Wissenseinheit ab. Die Information rekonstruiert es dann aus dem abgespeicherten Schema, wobei allerdings Rekonstruktionsfehler auftreten können.318 Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass ein Individuum Informationen, die in einem Schema instanziiert werden, besser wiedergeben und erinnern kann als Informationen, die sich in keinem Schema zusammenfassen lassen.319 Schemairrelevante Informationen hingegen kann es nur sehr schlecht erinnern, da diese keinerlei Verbindung zu dem assoziierten Schema aufweisen.320

x

Verhaltenssteuerung und Urteilsfunktion: Neben Aufmerksamkeit, Verständnis, Erinnerung und Abruf können Schemata auch die Urteilsbildung sowie das Verhalten beeinflussen.321 Den verhaltensbeeinflussenden Effekt von Schemata stellen Bower, Black und Turner am Beispiel eines Restaurantbesuchs vor. Sie ließen Versuchsteilnehmer die wichtigsten

316 317 318 319 320 321

Schwarz (1985), S. 278. Vgl. Binsack (2003), S. 57. Vgl. Johnson/Russo (1984), S. 542 ff.; Srull/Lichtenstein/Rothbart (1985), S. 317 ff. Vgl. Brewer/Nakamura (1984); Srull/Lichtenstein/Rothbart (1985), S. 317 ff. Vgl. Binsack (2003), S. 59. Vgl. Binsack (2003), S. 59 f.

71 Ereignisse des Restaurantbesuchs nennen. Bei 73 Prozent der Teilnehmer ergab sich die Abfolge „Platz nehmen, Speisekarte lesen, bestellen, essen, bezahlen, gehen“. Daraus folgerte das Autorengespann, dass Schemata Verhaltensregeln einschließen und Verhalten beeinflussen können.322 Im Rahmen der Schemaaktivierung überträgt der Urteilende zudem Erwartungen, Annahmen und bestehende Urteile auf das Beurteilungsobjekt. Studien zu Personenbeurteilungen belegen, dass äußerlich attraktive Personen häufig mit Charakterzügen wie „ist charmant, interessant und aufgeschlossen“ belegt werden.323

Die genannten Funktionen kognitiver Schemata tragen beim Lernen, Behalten und Erinnern zur Entlastung der Informationsverarbeitungskapazität bei.324 Im Rahmen dieser Arbeit interessiert einerseits, wie sich dieser schemabasierte Evaluationsprozess vollzieht, und andererseits, auf welcher Basis Individuen Schemata aktivieren und modifizieren. Der Beantwortung dieser Fragen ist das folgende Kapitel gewidmet.

2.2.3

Zur Bedeutung von Schemata bei der Beurteilung neuer Informationen

Das Abrufen und Verändern von Schemastrukturen ist maßgeblich von dem wahrgenommenen Grad der Ähnlichkeit zwischen einem zu verarbeitenden Stimulus und dem damit verbundenem Schema abhängig. Diese Ähnlichkeit – in der Literatur auch häufig als Fit, Typizität oder Kongruenz bezeichnet – determiniert die Zugehörigkeit eines Objekts zu einer Kategorie sowie dessen interne Kohärenz mittels der Erfassung von Gemeinsamkeiten einzelner Mitglieder eines Schemas.325 Schemakongruenz gilt somit als die Schlüsselvariable in der konzeptbasierten Informationsverarbeitung.326

Die wahrgenommene Ähnlichkeit kann der Konsument im Hinblick auf physische oder spezifische Merkmale – wie das Produktdesign oder die Marke – wahrnehmen. Sie kann sich aber auch auf abstrakte Merkmale wie z. B. eine ähnliche Funktion,

322 323 324 325 326

Vgl. Bower/Black/Turner (1979), S. 177 ff. Vgl. Berscheid/Walster (1978), S. 23 f. Vgl. Seel (2003), S. 57. Vgl. Pavelchak (1989), S. 354. Vgl. Binsack (2003), S. 69.

72 Nutzungssituation oder Handhabbarkeit beziehen.327 In der Literatur findet man die Unterscheidung nach abnehmender Ähnlichkeit zwischen kongruenten, moderat inkongruenten und extrem inkongruenten Attributen. Während kongruente Stimuli konsistent zu dem assoziierten Schema sind, stimmen moderat inkongruente Informationen nicht vollständig mit dem Schema überein; die vorhandenen Widersprüche können aber mit relativ geringem kognitiven Aufwand aufgelöst werden.328 Die Auflösung der Diskrepanzen kann auf mehrere Arten erfolgen. Eine Möglichkeit wäre die Anpassung des Stimulus an das verbundene Schema. So kann bei einem sehr stabilen Handy mit der inkongruenten Eigenschaft „Stabilität“ diese als unwichtig abgewertet werden. Eine weitere Möglichkeit, die Inkongruenz aufzuheben, ist das Eingliedern der inkongruenten Information in ein untergeordnetes Subschema. Ein Handy mit einer Videokamerafunktion kann der Unterkategorie „Videohandy“ zugehörig sein. Auch die Aktivierung eines benachbarten Schemas beseitigt eine moderate Inkongruenz. Ein tragbarer Computer kann zuerst in die Kategorie „PC“ und dann unter die Kategorie „Notebook“ fallen.329 Sind diese „Ausweichmöglichkeiten“ nicht vorhanden, handelt es sich um extrem inkongruente Attribute, die zu keinem Schema passen. Diese Stimuli sind atypisch; die Inkongruenz kann der Beurteilende nicht beseitigen ohne das Schema selbst – unter hohem kognitiven Aufwand – zu verändern. Modifikationen an Schemata führt die Person u. a. auch beim Interesse an oder dem Erwerb von Neuprodukten durch, da solche Erzeugnisse häufig sowohl schemakongruente als auch -inkongruente Eigenschaften besitzen.330

In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie die schemabasierte Urteilsbildung abläuft. Hierzu haben die Wissenschaftlerinnen Fiske und Neuberg das so genannte „Continuum Model of Impression Formation“ entwickelt, das Aufschluss über die internen Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung liefern soll.331 Das Autorengespann integriert in seinem Modell das Konstrukt der Schemakongruenz und unterscheidet hierbei zwei Arten der Informationsverarbeitung: die schemagesteuerte und die datengesteuerte.332 Die schemagesteuerte Verarbeitung setzt dann ein, wenn

327 328 329 330 331 332

Vgl. Binsack (2003), S. 72 f. Vgl. Mandler (1982), S. 22 f. Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 41 f. Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 39 ff. Vgl. Fiske/Neuberg (1990), S. 2 f. Vgl. Fiske/Neuberg (1990), S. 2 f.

73 die Beurteilung neuer Informationen von vorhandenen Schemata gelenkt wird. Bei der datengesteuerten Strategie arbeitet das menschliche Gehirn die neuen Informationen Attribut für Attribut ab, wobei erst nach Abschluss dieses Prozesses eine Gesamtbeurteilung erfolgt. Das Objekt wird also nicht mithilfe eines Schemas evaluiert.333 Grundsätzlich neigt der Mensch zur Minimierung des kognitiven Aufwandes, daher wählt er – wenn möglich – die schemabasierte Informationsverarbeitung.334 Dabei gelten die folgenden Prämissen:

x

Schemagesteuerte Evaluationsprozesse haben Vorrang gegenüber den datengesteuerten.335

x

Die datenbasierte Evaluation beansprucht mehr kognitive Ressourcen als die schemabezogene.

x

Der Grad an Schemakongruenz beeinflusst die ablaufenden Prozesse maßgeblich, wobei hohe Kongruenz eher eine schemagesteuerte und niedrige Kongruenz eher eine datengesteuerte Informationsverarbeitung induziert.336

Dem Autorengespann zufolge erstreckt sich der Evaluationsprozess über vier Phasen, beginnend mit der Initialkategorisierung. Dabei ordnet das Individuum den Stimulus mittels Mustererkennung in seine Wissensstrukturen ein. Saliente Merkmale wie Augenfarbe, Haarfarbe (bei der Beurteilung von Menschen) oder Marke, Produktbezeichnung und Design (bei der Beurteilung von Produkten) spielen hierbei eine große Rolle. Anschließend entscheidet sich, ob das Beurteilungsobjekt von weiterem Interesse ist. Ein positives Ergebnis induziert die Phase der Kategorisierungsbestätigung. Während dieser prüft das Individuum, ob der Stimulus zu dem angenommenen Schema passt und die anfängliche Initialkategorisierung bestätigt werden kann. Ist dies der Fall, bleibt das Schema aktiviert und eine schemabasierte Informationsverarbeitung schließt sich an. Die Bestätigung ist maßgeblich vom Grad der Schemakongruenz abhängig. Je besser das Zielobjekt in das anfänglich assoziierte Schema passt, desto wahrscheinlicher erfolgt die Kategorisierungsbestätigung.

333 334 335

336

Vgl. Lee (1995), S. 210 f.; Krolak-Schwerdt (1996), S. 116. Vgl. Enders (1997), S. 9. Bei dem datengesteuerten Evaluationsprozess summiert das Individuum isolierte Beurteilungen einzelner Attribute zu einer Gesamtbeurteilung. Vgl. Fiske/Neuberg (1990). Vgl. Fiske/Neuberg (1990), S. 2 f.

74 Misslingt diese, schließt sich die Rekategorisierung an, die auf drei Arten erfolgen kann:

1. Das Individuum ordnet das Zielobjekt in eine Subkategorie ein, 2. es aktiviert ein anderes Schema oder 3. es vergleicht das Objekt mit einem individuellen Exemplar einer Kategorie.

Ist auch die Rekategorisierung erfolglos, so evaluiert das Individuum tendenziell datenbasiert, um ein neues Schema zu bilden.337 Grundsätzlich steigt der Anteil datenbasierter Evaluation mit zunehmendem Grad an Schemadiskrepanz. Radikale Innovationen mit hoher Schemadiskrepanz speichert der Urteilende üblicherweise als Subkategorien relativ abstrakter Schemata ab, wobei die neuen Produkte dann einziger Vertreter des neuen Subschemas sind.338 Kann kein neues Schema gebildet werden, bleibt die Information unverarbeitet. Abschließend beurteilt das Individuum das Ergebnis. Kommt es zu keinem zufrieden stellenden Urteil, setzt der Prozess von neuem an der Stufe der Kategorisierungsbestätigung ein. Der Kreislauf, wie in Abbildung 12 dargestellt, endet erst, wenn aus Sicht des Beurteilenden ein befriedigendes Ergebnis erreicht ist.339

337 338 339

Vgl. Mandler (1982), S. 23. Vgl. Carpenter/Nakamoto (1989), S. 286. Vgl. Binsack (2003), S. 91.

75 Stimuli ja

Initialkategorisierung

Interessant oder relevant? nein

wenn erfolgreich

wenn erfolgreich

Kategorisierungsbestätigung

Rekategorisierung

Stückweise Integration

Schemabasierte Evaluation

Datenbasierte Evaluation Stop

Ist neue Einschätzung notwendig?

ja nein

Abbildung 12: Continuum Model of Impression Formation340

Olshavsky und Spreng übertrugen das Modell von Fiske und Neuberg auf Neuprodukte. Das daraus entstandene „Model of Innovation Evaluation Process“ konnte die Befunde von 1990 bestätigen.341 Demnach ist die Kategorisierung einer Innovation vom Grad der Schemakongruenz abhängig; scheitert sie, findet tendenziell eine datengesteuerte Informationsverarbeitung statt. Der Prozessablauf entspricht grundsätzlich dem des Continuum Model of Impression Formation; allerdings beschreiben Olshavsky und Spreng innerhalb der datenbasierten Verarbeitung weitere Teilprozesse.342

Dem Autorengespann zufolge endet die schemabasierte Verarbeitung mit einem positiven343 oder negativen344 Urteil. Eine positive Evaluation kann gegebenenfalls um weitere datenbasierte Urteile ergänzt werden.345 Die datenbasierte Urteilsbildung titu-

340 341 342 343 344 345

In Anlehnung an Fiske/Neuberg (1990), S. 5. Vgl. Olshavsky/Spreng (1996). Vgl. Olshavsky/Spreng (1996), S. 522 f. Dieses positive Urteil nennen die Autoren „Akzeptanz“. Das negative Urteil bezeichnen die Autoren als „Rejektion“. Vgl. Olshavsky/Spreng (1996), S. 525.

76 lieren die Autoren als „Judgement“, wobei notwendige Voraussetzungen des Judgements das Bilden von Evaluationskriterien und Erwartungen an das Neuprodukt sind. Diese leitet der Konsument entweder von bestehenden Kognitionen ab (vergleichbare Produktschemata, Ziele, Werte) oder er formt sie mithilfe externer Kriterien (wie z. B. Informationen im Werbetext). Während dieser Judgement-Phase integriert der Beurteilende alle internen und externen Informationen zu einem Gesamturteil.346 Abschließend schätzt er die Zufriedenheit mit der alten Problemlösung ab und vergleicht das Neuprodukt mit alternativen Problemlösungen. So assoziiert das Individuum die Innovation mit bestehenden Produkten und Produktkategorien, die ähnliche Funktionsweisen und Ziele innehaben. Insbesondere bei Produkten, die neue Kategorien definieren, ist dieser Prozess wichtig. So kann z. B. das Wissen über die Funktionsweise und Handhabung eines „LCD-Bildschirmes“ helfen, die Innovation „elektronisches Papier“ zu verstehen.347

Auf den ersten Blick scheinen radikale Neuprodukte nur schwierig in vorhandene Schemastrukturen einzuordnen zu sein.348 Fiske und Kollegen erwähnen die steigende Schwierigkeit der Kategorisierung mit abnehmender Ähnlichkeit zwischen dem Stimulus – in diesem Fall dem Neuprodukt – und einem Schema.349 Wegen der Neigung des Menschen zur Aufwandsminimierung versucht er trotz offensichtlicher Diskrepanz ein passendes Schema zu finden, um ein neues Produkt einordnen zu können. Diese Kategorisierung kann auch aus oberflächlichen Gemeinsamkeiten zwischen Innovation und Schema resultieren.350 In diesem Zusammenhang konstatieren auch Fiske et al. im Rahmen ihrer Untersuchungen eine schemabasierte Verarbeitung trotz Inkongruenz zum vorgegebenen und assoziierten Schema.351 Die Ursache für dieses Verhalten liegt in der Tendenz des Menschen begründet, Diskrepanzen zu ignorieren oder in Richtung des Schemas umzuinterpretieren. Dieses Verhalten verstärkt wiederum die schemabasierte Verarbeitung.352 Aus der Tatsache, dass die Urteilenden eine schemabasierte Verarbeitung der datenbasierten vorzie-

346 347 348 349 350 351 352

Vgl. Olshavsky/Spreng (1996), S. 524. Vgl. Binsack (2003), S. 97. Vgl. Schmalen/Pechtl (1996), S. 822. Vgl. Fiske et al. (1987), S. 399 ff. Vgl. Fiske/Neuberg (1990), S. 2. Vgl. Fiske et al. (1987), S. 420. Vgl. Taylor/Crocker (1981), S. 119.

77 hen, ergibt sich ein Anknüpfungspunkt für das Management zur schemabildenden und -assoziierenden Gestaltung von Neuprodukten. Im weiteren Verlauf der Arbeit steht daher die schemabasierte Verarbeitung im Zentrum des Interesses.

Nachdem in diesem Kapitel die Schemakongruenz sowie ihre Rolle im Prozess der internen Informationsverarbeitung im Mittelpunkt stand, ist der folgende Abschnitt den Auswirkungen der Schemakongruenz auf das Ergebnis der Urteilsbildung gewidmet.

2.3

Beitrag der Schemakongruenz zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

2.3.1

Der neuigkeitsbasierte Ansatz nach Mandler

Wie bereits erwähnt existiert in der Schemaforschung nicht eine einzige, allgemeingültige Schematheorie, sondern es bestehen verschiedene theoretische Ansätze nebeneinander. Die Mehrzahl dieser Ansätze ist prozessorientiert und versucht die Art der Verarbeitung neuer Informationen zu erklären.353 Hält man sich das Teilziel dieser Arbeit vor Augen, nämlich die Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen auf Basis der Erkenntnisse der Schematheorie, interessieren insbesondere die schemabezogenen Einflussfaktoren auf die Akzeptanz der Innovation und weniger der Prozess der Verarbeitung. Zur Erreichung dieses Teilziels leisten die Erkenntnisse des neuigkeitsbasierten Ansatzes nach Mandler wertvolle Dienste. Der Forscher unterstellt in seiner Theorie einen direkten Einfluss der Ähnlichkeit zwischen einem Stimulus und dem entsprechenden Schema auf die Beurteilung dieses Stimulus.354 Hierzu unterteilt Mandler den Ähnlichkeitsgrad in fünf Ausprägungen: die hohe Schemakongruenz, die leichte, mittlere und hohe, aber lösbare Schemainkongruenz sowie die hohe, nicht lösbare Schemainkongruenz. 355

353 354 355

Für einen Überblick vgl. Binsack (2003). Vgl. Mandler (1982), S. 21 f. Vgl. Mandler (1982), S. 22 f.

78

x

Hohe Schemakongruenz: Eine hohe Schemakongruenz ist tendenziell mit einem Gefühl der Bekanntheit und Vertrautheit verbunden. In diesem Fall bewertet der Urteilende den Stimulus positiv, allerdings ohne emotionale Intensität.

x

Leicht aufzulösende Schemainkongruenz: Leicht aufzulösende Schemainkongruenzen kann der Urteilende durch Anpassung des Schemas beseitigen. Er nimmt Mandler zufolge diesen Vorgang als emotionales Erfolgserlebnis wahr, welches in einer positiven Beurteilung unter leichter emotionaler Intensität resultiert.

x

Moderate oder mittlere Schemainkongruenz: Moderate oder mittlere Schemainkongruenz kann durch die Aktivierung eines alternativen Schemas behoben werden. Die mit dem Beurteilungsobjekt verbundenen Emotionen sind mittelstark; das Erfolgserlebnis durch die Auflösung führt auch in diesem Fall zu einer positiven Evaluation.

x

Hohe, aber lösbare Schemainkongruenz: Die hohe, aber lösbare Schemainkongruenz verursacht Diskrepanzen, die das Individuum lediglich unter enormem kognitiven Aufwand beseitigen kann. Diese Auflösung bewirkt beim Urteilenden zwar ebenfalls ein positives Erfolgserlebnis, das aber durch die negative affektive Reaktion des hohen kognitiven Aufwands überlagert wird. Die Folge ist eine negative Beurteilung.

x

Hohe, nicht lösbare Schemainkongruenz: Die hohe, nicht lösbare Schemainkongruenz ist selbst durch Akkomodation, also Anpassung des Schemas, nicht zu beheben. Kann der Urteilende die Inkongruenz nicht beseitigen, so führt dies direkt zu negativen Emotionen gegenüber dem Produkt hervorgerufen durch das Gefühl der Frustration oder Hilflosigkeit.356 Diese Gefühle verursachen dann eine emotional zwar sehr intensive, aber tendenziell negative Evaluation. 357

356 357

Vgl. Garbarino/Edell (1997), S. 148 f. Vgl. Mandler (1982), S. 22 f.

79 Mandler konstatiert, dass moderat inkongruente Informationen wegen ihrer höheren emotionalen Intensität positiver beurteilt werden als schemakongruente. Auch im Vergleich zu den extrem schemainkongruenten Stimuli fällt die Evaluation der moderat schemainkongruenten Informationen meist positiver aus, da sich eher Erfolgserlebnisse einstellen. Diese nicht-monotone Beziehung ist in der Literatur unter der Bezeichnung „Mandlers inverse U-Funktion“ zu finden.358

Überträgt man diese Erkenntnisse auf radikale Innovationen, liegt die Vermutung nahe, dass die neuartigen Informationen eine starke emotionale Intensität gegenüber dem Neuprodukt erzeugen.359 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird daher auch von produktbezogenen Emotionen gesprochen. In welche Richtung die Bewertung inkongruenter Stimuli ausfällt – ob positiv oder negativ – hängt mit der Leichtigkeit zusammen, mit welcher der Urteilende die Innovation einem Schema zuordnen kann. Während moderat inkongruente Informationen relativ leicht verarbeitet werden können und positive Emotionen gegenüber der Innovation hervorrufen, ist die Auflösung von stark inkongruenten Informationen weitaus schwieriger, da das Individuum vorhandene Kognitionen verändern muss.360 Dies ist mit einem hohen kognitiven Aufwand verbunden und führt tendenziell zu negativen Gefühlen gegenüber dem Neuprodukt. Abbildung 13 sind die beschriebenen Kausalzusammenhänge zu entnehmen.

358 359 360

Vgl. Stayman/Alden/Smith (1992), S. 249. Vgl. Mandl/Friedrich/Hron (1988), S. 132. Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 41 f.

80

Schemakongruenz

Beurteilung

Emotionen

Abbildung 13: Kausalzusammenhang zwischen Schemakongruenz, Emotionen und Produktbeurteilung

Meyers-Levy und Tybout bestätigen im Rahmen von drei Experimenten die Annahmen von Mandler. Dem Autorengespann gelingt in seinen Untersuchungen zu Soft Drinks der Nachweis, dass eine leicht auflösbare Schemainkongruenz eine positivere Produktevaluation zur Folge hat als vollständige Schemakongruenz oder extreme Schemadiskrepanz.361

Stayman et al. legen den Fokus ihrer Untersuchungen auf die Diskrepanzen zwischen aktivierten Produktschemata und bereits vorhandenen Produkterfahrungen. Ihren Studienergebnissen zufolge resultieren negative Produktbeurteilungen aus einer extremen Schemainkongruenz während eine moderate Inkongruenz zu positiven Produktbeurteilungen führt. Auf Basis dieser Resultate schlussfolgern die Autoren, dass ein Individuum ein bereits aktiviertes Schema nur ungern wieder verändert. Wenn nun ein extrem inkongruenter Stimulus vorliegt, resultiert dies in einem negativen Gefühl, da ein erheblicher kognitiver Aufwand notwendig ist, um diese Information

zu

kategorisieren.

Produktevaluation.

362

Dieses

negative

Gefühl

beeinflusst

auch

die

Wie erinnerlich geht auch Mandler in seinem neuigkeitsbasier-

ten Ansatz davon aus, dass die Schemakongruenz selbst als Auslöser für Emotionen

361 362

Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 52. Vgl. Stayman/Alden/Smith (1992), S. 240 ff.

81 gegenüber dem zu kategorisierenden Stimulus fungiert. So postuliert er bei Vorhandensein einer hohen Schemainkongruenz die Entstehung negativer produktbezogener Emotionen als Folge der mangelnden Auflösbarkeit des Widerspruchs.363

Lehtisalo hingegen analysiert den Einfluss von Produktwissen auf die Produktbeurteilung und variiert die Schemakongruenz über den Preis. Die Forscherin simuliert den Grad an Schemakongruenz über einen sehr hohen bzw. einen sehr niedrigen Preis. Lehtisalo gelangt in ihren Studien zu dem Ergebnis, dass Konsumenten, die über ein relativ geringes Wissen bezüglich einer Produktkategorie verfügen, bei der Produktbeurteilung positiv auf schemakongruente Produkt- und Preisinformationen reagieren. Ist bereits Vorwissen im Hinblick auf die betreffende Produktkategorie vorhanden, so ist die Urteilsbildung dann vorteilhafter, wenn das Produkt durch einen schemainkongruenten Preis eine herausragende Position in der Produktkategorie einnimmt.364 In ihren Untersuchungen zur Wirkung von wahrgenommener Kongruenz auf menschliche Emotionen nehmen Roseman, Antoniou und Jose eine Differenzierung des Emotionskonstrukts in positive und negative Gefühle vor. Positive Emotionen treten nach Auffassung der Autoren vorwiegend in Situationen auf, die ein Individuum als schemakongruent365 empfindet, negative Emotionen hingegen in diskrepanten Situationen.366 Auch Kempf und Smith kommen in ihren Analysen zur Erprobung von Neuprodukten zu dem Ergebnis, dass die Gefühle während des Testens eines neuen Produkts maßgeblich die Beurteilung der Innovation beeinflussen.367

Die vorgestellten Studien unterstreichen die Relevanz der Schemakongruenz sowie der produktbezogenen Emotionen bei der Beurteilung eines neuen Produkts. Da es sich bei dem Untersuchungsobjekt der vorliegenden Arbeit um radikale Innovationen handelt, soll eine Spezifikation des Kongruenzbegriffs das weitere Verständnis erleichtern. Radikale Innovationen zeichnen sich definitionsgemäß durch einen hohen

363 364 365 366 367

Vgl. Mandler (1982), S. 22. Vgl. Lehtisalo (1986), S. 1 ff. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von „motivkongruent“. Vgl. Roseman/Antoniou/Jose (1996), S. 241 ff. Vgl. Kempf/Smith (1998), S. 325 ff.

82 Neuigkeitsgrad und eine relativ hohe Diskrepanz zu bestehenden Schemata aus.368 Die reine Schemakongruenz soll in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt werden, da diese nicht charakteristisch für diskontinuierliche Innovationen ist. Aus diesem Grund wird im Folgenden zwischen einer moderaten Schemainkongruenz und einer extremen Schemainkongruenz unterschieden. Während die moderate Schemainkongruenz mit geringem kognitiven Aufwand lösbar ist, geschieht dies bei der extremen Schemainkongruenz entweder gar nicht oder nur unter erheblichen kognitiven Anstrengungen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit umfasst daher der Terminus „Schemakongruenz“ sowohl die leichte als auch die moderate Schemainkongruenz nach Mandler. Schemainkongruenz hingegen beschreibt den Zustand der hohen Schemadiskrepanz.369

Im folgenden Abschnitt erfahren die Arten von Schemata eine genauere Betrachtung. Diese können sich beispielsweise auf Prozesse, Ereignisse, Produkte oder Marken beziehen. Hierzu ist eine Unterscheidung des Schemakonstrukts sowohl auf Produktebene als auch auf Markenebene sinnvoll. Während Produktschemata sich auf Produktebene bilden, ein neues Blutdruckmessgerät beispielsweise wird als ein medizinisches Gerät kategorisiert, determinieren Markenschemata die Einordnung des Produkts in die vorgegebene Marke, z. B. das „Blutdruckmessgerät der Marke Bayer“. Meist sind Produkt- und Markenschema assoziativ verknüpft. Diese Tatsache ermöglicht es dem Individuum, ein Produkt einer bestimmten Marke zuzuordnen. Im Folgenden erfahren die Produkt- und die Markenschemata eine separate Erläuterung.

2.3.2

Schemata auf Produktebene – Produktschemakongruenz

Zunächst stehen die Wissensstrukturen eines Individuums auf Produktebene im Zentrum des Interesses. Diese so genannten Produktschemata bezeichnen die mit einem bestimmten Produkt verknüpften Assoziationen.370 So verbindet ein Konsument beispielsweise mit dem Produkt „Mobiltelefon“ Assoziationen wie Telefonieren, SMS, Klingelton, Kamera etc. Diese stehen in wechselseitigen Beziehungen und je368 369

370

Siehe Kapitel I-2. Diese Begriffsspezifikation gilt für alle Schemakonstrukte, d. h. sowohl für die Produkt- als auch für die Markenschemakongruenz. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 32.

83 de dieser kognitiven Verknüpfungen kann wiederum ein Set von Assoziationen hervorrufen. So kann die Assoziation „Kamera“ Gedanken an das Fotografieren auslösen und assoziative Verbindungen wie Bildqualität, Fotos oder beispielsweise Urlaub aktivieren, die das eigentliche Schema „Mobiltelefon“ nicht direkt anspricht. Zur grafischen Veranschaulichung eines möglichen Produktschemas „Mobiltelefon“ dient Abbildung 14.

Display

Telefonieren

Kamera

SMS Mobiltelefon

Urlaub

Klein

Abbildung 14: Fiktives Produktschema am Beispiel eines Mobiltelefons

Das Mobiltelefon-Schema selbst existiert nicht isoliert, sondern kann wiederum Bestandteil eines übergeordneten Schemas sein, wie z. B. dem Telefon-Schema oder auf einer noch höheren Ebene dem Kommunikationsmittel-Schema. Dabei gehen Gedächtnisforscher inzwischen davon aus, dass Vererbungsmechanismen zwischen den unterschiedlichen Hierarchiestufen existieren.371 Für das Beispiel Mobiltelefon vererbt etwa das übergeordnete Schema „Telefon“ die Assoziationen „Telefonieren“

371

Vgl. Bräutigam (2004), S. 72 f.

84 oder „Telefonrechnung“, sofern kein anders lautendes Wissen im MobiltelefonSchema gespeichert wurde.

Vor dem Hintergrund der Erforschung von Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von radikalen Innovationen, spielt die Kategorisierung eines neuen Produkts eine wesentliche Rolle. Ob ein Konsument ein neues Produkt in ein bestehendes Produktschema integriert, ist auf Produktebene maßgeblich von dem Grad der wahrgenommenen Übereinstimmung zwischen Innovation und dem assoziierten Schema abhängig. Auf Produktebene bezeichnet die Schemakongruenz372 somit die Ähnlichkeit zwischen dem Produkt und einem verbundenen Produktschema, die der Hersteller beispielsweise über die Produktbeschreibung oder Werbung kommuniziert. Daher wird die Schemakongruenz, die sich auf ein Produkt bezieht, im Folgenden als Produktschemakongruenz bezeichnet. Produktschemakongruenz373 liegt immer dann vor, wenn sich ein zu beurteilendes Neuprodukt ohne Änderung kognitiver Strukturen in bestehende Produktschemata einordnen lässt. Ist dies nicht der Fall und ist das Neuprodukt nur schwer oder gar nicht einem bestimmten Produktschema zuordenbar, so ist die Produktschemakongruenz gering (Produktschemadiskrepanz374). Während der Proband sowohl eine produktschemakonsistente Innovation als auch ein leicht inkongruentes Produkt relativ leicht und unter geringem kognitiven Aufwand in bestehende Schemastrukturen integrieren kann, ist dies bei Vorliegen einer hohen Inkongruenz nicht der Fall.375

Untersuchungen auf diesem Gebiet belegen die Relevanz von Produktschemata bei der Beurteilung von Produkten. Wie bereits erwähnt, bestätigen die Untersuchungsergebnisse von Meyers-Levy und Tybout die vermutete Wirkung der Schemakongruenz auf die Produktbeurteilung von Soft Drinks. So beurteilt ein Konsument moderat inkongruente Produkte positiver als stark produktschemakongruente oder -inkongruente.376 Auch Binsack liefert in ihren Studien den Nachweis, dass kognitive

372

373 374 375 376

Martin/Stewart (2001) sowie Ratneshwar/Shocker (1991) und Chakravarti/MacInnis/Nakamoto (1989) sprechen in diesem Zusammenhang auch von „feature-based similarity“. Synonym: Produktschemakonsistenz. Synonym: Produktschemainkongruenz. Vgl. Mandler (1982), S. 22 ff. Vgl. Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 39 ff.

85 Produktschemata in Abhängigkeit der wahrgenommenen Schemakongruenz einen wesentlichen Einfluss bei der Beurteilung von unterschiedlich innovativen Neuprodukten spielen.377

Produktschemakongruenz nimmt der Beurteilende nicht nur auf konkreter, sondern auch auf abstrakter Ebene wahr, den Grad an Kongruenz konkretisiert er allerdings erst in Verbindung mit dem Bezugsobjekt. So kann ein neues Produkt beispielsweise diskrepant zum Produktschema „Handy“ sein, trotzdem empfindet das Individuum es u. U. auf der abstrakteren Ebene „technische Geräte“ als kongruent.378 In Abhängigkeit von der Beurteilungssituation können kognitive Produktschemata auch auf Markenebene relevant sein. So wird ein Spielzeug von McDonalds oftmals nicht lediglich auf Produktebene mit anderen Spielzeugen verglichen, sondern auch auf Markenebene mit dem Image der Marke McDonalds.379 Diese so genannten Markenschemata erfahren daher im folgenden Kapitel eine Erörterung.

2.3.3

Schemata auf Markenebene – Markenschemakongruenz

Bei der Beurteilung radikaler Innovationen orientieren sich Konsumenten nicht ausschließlich am Neuprodukt und seinen Produkteigenschaften, sondern evaluieren es auch unter Zuhilfenahme der Marke, unter welcher der Hersteller die Innovation betreibt.380 Die Marke gilt daher – neben dem Produkt selbst – als ein wesentlicher Einflussfaktor für die Akzeptanz von Produkten.381

Makens belegte den Einfluss der Marke im Rahmen der Produktevaluation bereits 1965 am Beispiel von Fleischwaren. Er legte den Probanden Kostproben von Truthahnfleisch vor, das von den gleichen Vögeln stammte und präsentierte diese unter gleichen Bedingungen. Unterschiedlich war lediglich die Markierung der Fleischwaren. Während ein Teil der Fleischstücke mit dem Label einer namhaften Herstellermarke versehen wurde, bekam der andere Teil eine unbekannte Etikettierung. Anschließend sollten die Probanden ihre Geschmackspräferenzen kundtun. Wesent-

377 378 379 380 381

Vgl. Binsack (2003), S. 165 ff. Vgl. Binsack (2003), S. 294. Vgl. Park/Milberg/Lawson (1999), S. 741. Vgl. z. B. Czellar (2003); Aaker/Keller (1990); Boush et al. (1987). Vgl. Bräutigam (2004), S. 104 f.

86 lich mehr Teilnehmer wählten die bekannte Marke.382 Diese Ergebnisse unterstreichen die Relevanz der Marke für den Konsumenten als Orientierungs- und Entscheidungshilfe. Hierbei ist der Markenname wegen der Häufigkeit, mit der die Konsumenten ihm begegnen, für eine erfolgreiche Kategorisierung meistens ausreichend.383

Ebenso wie das Produktwissen bildet auch das Wissen über die Marke ein assoziatives Netzwerk.384 So ist jede Marke im menschlichen Gehirn in Form eines Markenschemas repräsentiert, das alle Assoziationen zu dieser beinhaltet.385 Analog zum Produktschema repräsentiert ein Markenschema alles, was ein Konsument über eine Marke weiß, glaubt oder aus ihr ableitet.386 Es beinhaltet somit das Wissen über die Charakteristika der betreffenden Marke sowie ihre Position in der Markenkategorie.387 Soll der Konsument mit einer Marke dauerhaft bestimmte Nutzenvorstellungen verbinden, muss der Markenhersteller assoziative Verknüpfungen zwischen der Marke und dem gewünschten Markenbild gezielt herstellen und aufrechterhalten.388 Die Marke Nivea beispielsweise eröffnet dem Konsumenten ein großes Set von Assoziationen.389 Dabei aktiviert ein Konsument zunächst wahrscheinlich primär die kognitiven Verknüpfungen „Creme“, die Farbe „Blau“ oder die typische Nivea-Schrift, die dann etwa zu der Assoziation des Schemas „Pflege“ führen können. Da der Begriff „Pflege“ selbst wieder ein Schema darstellt, können globale Vorstellungsbilder aktiviert werden, die nur bedingt spezifisch für die Marke Nivea sind.

Trotz der durch den Markenhersteller kommunizierten Assoziationen variiert ein Markenschema von Konsument zu Konsument, allerdings lässt sich für die meisten Konsumenten ein Set von ähnlichen, typischen schematischen Vorstellungen einer Marke identifizieren.390 Abbildung 15 stellt ein fiktives Markenschema für die Marke Bacardi dar und verdeutlicht, dass Markenschemata unterschiedliche Arten von

382 383 384 385 386 387 388 389 390

Vgl. Makens (1965), S. 261 ff. Vgl. Park/Milberg/Lawson (1989), S. 730. Vgl. Esch (2001), S. 86; Esch/Wicke (2001), S. 47 f. Vgl. Boush (2001), S. 811; Loef/Verlegh (2002), S. 3. Vgl. Bridges (1992), S. 3. Vgl. Krishnan (1996), S. 389 ff. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 296. Vgl. Krishnan (1996), S. 391. Vgl. Strebinger (2002), S. 10.

87 Assoziation beinhalten können: neben sprachlichen auch bildliche, akustische (Erkennungsmelodie), geschmackliche oder emotionale.391

Abbildung 15: Fiktives Markenschema am Beispiel der Marke Bacardi392

Während im fiktiven Beispiel der Marke Bacardi stark emotional behaftete Elemente im Vordergrund stehen, dominieren bei informativ positionierten Marken rationale Assoziationen wie etwa die technischen Leistungsdaten eines Produkts.393 Für jede Marke existiert ein ganz individuelles Set an Assoziationen, das sie von konkurrierenden Marken differenziert.394 Dadurch löst eine Konfrontation mit der Marke Assoziationen im Gedächtnis des Konsumenten aus und aktiviert für diese Marke spezifische kognitive Informationsverarbeitungsprozesse. Im Fall der Marke Bacardi wären solche Assoziationen beispielsweise das unverkennbare Logo in Form einer Fledermaus oder der typische Bacardi-Song.

391

392 393 394

Die Gesamtheit aller mit einer Marke verbundenen Assoziationen bildet das Markenimage, welches in Verbindung mit der Markenbekanntheit die verhaltenswissenschaftliche Operationalisierung des Markenwerts darstellt. Vgl. Esch (1993), S. 53; Esch/Geus (2001), S. 1031 ff. In Anlehnung an Strebinger (2002), S. 11. Vgl. Strebinger (2002), S. 11. Vgl. MacInnis/Nakamoto (1991), S. 33.

88 Markenassoziationen waren bereits mehrfach Gegenstand empirischer Untersuchungen.395 Wissenschaftler fanden heraus, dass Konsumenten die emotionalen Inhalte eines Schemas häufig stärker mit der Marke als mit dem Produkt selbst verknüpfen. Die Ursache für dieses Phänomen liegt darin begründet, dass die Marke das Wissen über ein Produkt bündelt. So verknüpft der Konsument bestimmte Produkte mit Markenbezeichnungen wie beispielsweise „Nutella“, „Maoam“ oder „Walkman“ und weniger mit den entsprechenden Produktschemata „Nuss-Nougat-Creme“, „Kaubonbon“ oder „tragbarer Kassettenspieler“.396 Markus und Zajonc untersuchten in diesem Zusammenhang die Informationsverarbeitung von Personen mit und ohne ein entsprechendes Markenschema. Den Forschern gelang der Nachweis, dass vorhandene Markenschemata die Informationsverarbeitung unterstützen und vereinfachen.397 Zusätzlich sind Konsumenten, die bereits Erfahrungen mit der Marke gesammelt und dementsprechend ein Markenschema aufgebaut haben, sehr resistent gegenüber schemainkongruenten Informationen.398 Ob die Innovation konsistent zum bestehenden Markenschema wahrgenommen wird, ist – analog zur Produktschemakongruenz – maßgeblich von der Kongruenz zwischen Marke und Produkt abhängig. Markenschemakongruenz bezeichnet daher den Grad an Übereinstimmung zwischen dem Produkt und dem mit ihm verbundenen Markenschema. Im weiteren Verlauf der Untersuchung soll die Produktschemakongruenz aus der Schematheorie um die Markenschemakongruenz ergänzt werden.399

Mit dem Konzept der Ähnlichkeit auf Markenebene beschäftigt sich die BrandExtensions Forschung bereits seit vielen Jahren.400 Untersuchungen belegen, dass – unabhängig von der Einstellung zur Stammmarke – ein Konsument eine Markenerweiterung dann positiv evaluiert, wenn er sie kongruent zur Muttermarke wahr-

395 396 397 398 399

400

Vgl. z. B. Buttle et al. (2005); Roedder John et al. (2006). Vgl. Bräutigam (2004), S. 88. Vgl. Markus/Zajonc (1985), S. 147. Vgl. Markus/Zajonc (1985), S. 147 ff. Auch Mao/Krishnan gehen von einer Zweiteilung des Ähnlichkeits-Konstruktes aus. In ihren Untersuchungen zu der Beurteilung von Markenerweiterungen sprechen die Forscher daher auch von „prototype fit“ auf Markenebene und „exemplar fit“ auf Produktebene. Vgl. Mao/Krishnan (2006), S. 43 f. Der Ähnlichkeitsbegriff aus der kognitiven Psychologie entspricht dem Begriff „Fit“ in der BrandExtensions-Forschung. Vgl. Park/Milberg/Lawson (1991), S. 185 ff.; Czellar (2003); Mao/Krishnan (2006), S. 43.

89 nimmt.401 Mit zunehmender Ähnlichkeit von Markenerweiterung und Muttermarke steigt somit die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Markentransfers.402 Boush et al. erforschen die Bedeutung der Markenschemakongruenz im Hinblick auf den so genannten schemabasierten Affekttransfer, der besagt, dass sich die im Markenschema gespeicherten Urteile hinsichtlich dieser Marke auch auf den Beurteilungsprozess eines neuen Produkts auswirken. Das Produkt einer Marke, zu der ein Verbraucher eine positive Einstellung hat, profitiert bei erfolgreicher Kategorisierung automatisch von dieser Vorprägung. Genau dieser Transfer affektiver Einstellungskomponenten einer Marke auf Produkte ist die Grundlage für eine erfolgreiche Markenerweiterung.403 Dabei moderiert auch hier die wahrgenommene Ähnlichkeit den Affekttransfer auf die Markenerweiterung.404 Die Übertragung ist abhängig von der wahrgenommenen Repräsentativität des Neuprodukts für die Marke, die angibt, wie gut es in das assoziierte Markenschema passt.405 Empirische Studien belegen, dass diese Übertragung von Assoziationen aus dem Markenschema auf das Produkt umso stärker ausgeprägt ist, je größer die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen dem Produkt und dem gespeicherten Markenschema ist.406 Boush et al. zeigen weiterhin, dass Konsumenten ein neues Produkt in einer mit der Marke unverbundenen Produktkategorie aufgrund der unpassenden Reputation als schlecht beurteilen.407

Auch Park, Milberg und Lawson bestätigen in ihrer Studie, dass diejenigen Markenerweiterungen am besten evaluiert werden, die in Bezug auf die Muttermarke eine hohe Markenkonzeptkonsistenz408 und eine hohe Ähnlichkeit bezüglich der Produktmerkmale aufweisen.409 Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt Bridges nach der Analyse ihrer Experimente. Wie die Marktforscherin zeigen kann, kommt es vor allem bei großer und offensichtlicher Unähnlichkeit zwischen Stammmarke und Markenerweiterung zu einer spontan negativen Reaktion beim Verbraucher. Eine positive Be-

401 402

403 404 405 406 407 408

409

Vgl. Park/Milberg/Lawson (1999), S. 739 ff. Vgl. Aaker/Keller (1990), S. 27 ff.; Boush/Loken (1991), S. 16 ff.; Park/Milberg/Lawson (1991), S. 185 ff. Vgl. Boush et al. (1987), S. 224; Fiske/Taylor (1991), S. 132 f. Vgl. Boush et al. (1987), S. 232. Vgl. Boush (2001), S. 818. Vgl. Boush/Loken (1991), S. 24. Vgl. Boush et al. (1987), S. 234. Markenkonzeptkonsistenz bedeutet, das neue Produkt passt in das Markenschema der Muttermarke. Vgl Park/Milberg/Lawson (1991), S. 185 f.; Han (1998), o. S.

90 wertung kann nur dann erfolgen, wenn für den Konsumenten die Möglichkeit besteht, die Erweiterung in seine mit der Marke verbundenen Erwartungen zu integrieren.410 Dies ist aber lediglich dann denkbar, wenn es dem Innovator gelingt, durch ein markenkonsistentes Design und zielkonforme Kommunikation eine Ähnlichkeit des Neuprodukts zur bekannten Marke zu suggerieren.

Die vorangegangenen Ausführungen haben die Notwendigkeit der Unterscheidung von Schemata auf Produkt- und Markenebene verdeutlicht. Mit der Differenzierung und Spezifizierung des Konstrukts Schemakongruenz soll auch das von Mandler formulierte Modell eine Anpassung erfahren. Mit der Substitution von Mandlers Schemakongruenz durch die Konstrukte Produkt- und Markenschemakongruenz erfährt der Ansatz eine Spezifizierung im Hinblick auf die Feststellung der Einflussstärke von Produkt und Marke auf die Beurteilung einer radikalen Innovation. Die modifizierte Version des neuigkeitsbasierten Ansatzes ist in Abbildung 16 dargestellt.

Produktschemakongruenz

Produktbezogene Emotionen

Produktbeurteilung

Markenschemakongruenz

Abbildung 16: Modifikation des neuigkeitsbasierten Ansatzes nach Mandler

Der folgende Abschnitt ist der Synthese von einstellungs- und schematheoretischen Erkenntnissen gewidmet. Die gewonnenen Erkenntnisse resultieren in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen.

410

Vgl. Bridges (1990), S. 20 f.

91

3

Integration der Erkenntnisse der Einstellungsforschung und der Schematheorie in einem Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

3.1

Abgrenzung von kognitiven Schemata und Einstellungen

Zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen kognitiven Schemata und Einstellungen ist zunächst eine Abgrenzung beider Konstrukte zweckdienlich. In der Literatur werden die Begriffe Schema und Einstellung häufig synonym verwendet, daher soll zur Unterscheidung kurz auf die Unterschiede beider Phänomene eingegangen werden.

Schemata sind, wie erläutert, vorhandene Wissensstrukturen verbunden mit standardisierten Vorstellungen darüber, wie ein Objekt typischerweise aussieht. Schemata sind kognitive Strukturen des organisierten menschlichen Wissens, in die sämtliche neuen Informationen eingeordnet werden.411 Sie bestimmen den Grad an Aufmerksamkeit, die Schnelligkeit von Wahrnehmung und Lernen und beeinflussen die Produktbeurteilung. Schemata existieren in einer Form der höheren Ordnung als bereits gemachte Erfahrungen.412

Einstellungen hingegen setzen sich aus Motivationen und kognitiven Gegenstandsbeurteilungen zusammen. Im Gegensatz zu Schemata sind sie wesentlich von einer emotionalen Haltung gegenüber einem Gegenstand oder Sachverhalt geprägt.413 Die Einstellung determiniert die Verhaltensabsicht und das tatsächliche Verhalten eines Individuums414 und ist daher maßgeblicher Einflussfaktor der Adoptionsentscheidung.

Bezüglich der Abgrenzung von Schemata und Einstellungen herrscht in der spärlichen Literatur zu diesem Problem keine einheitliche Meinung. Einige Autoren vertreten eine Auffassung, wonach das Schemakonstrukt eine umfassendere Größe als das Einstellungskonstrukt darstellt und Einstellungen einen Bestandteil von Schema-

411 412 413 414

Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 543. Vgl. Fiske/Linville (1980), S. 542 f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 176 ff. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 5 ff.

92 ta repräsentieren.415 „It is natural to assume, that attitudes are related to schemata, toward which the attitudes are formed […] attitudes seem to be a part of schemata.“416 In diesem Sinne behaupten auch Lee, Chung und Kim, dass: “[…] schema is partly related with a cognitive aspect of attitude, but a broader concept than attitude.”417 Auch Taylor und Crocker sehen eine enge Verwandtschaft des Schemakonstrukts mit dem kognitiven Aspekt der Einstellung.418

Bellman und Rossiter gehen davon aus, dass Schemata den Einstellungen vorgelagert sind und diese beeinflussen. In ihren Untersuchungen von Internetseiten postulieren die Forscher, dass sich ein schemakongruenter Internetauftritt positiv auf die Einstellung des Menschen gegenüber dem Produkt und der Marke auswirkt. Die Studien bestätigen diesen Zusammenhang nicht, was das Autorengespann allerdings auf methodische Gründe zurückführt. Nach Meinung der Autoren lag die Ursache möglicherweise darin begründet, dass die Schemakongruenz lediglich mit der kognitiven Einstellungskomponente zur Website korreliert war, nämlich der Schwierigkeit der Navigation der Internetseite. Allerdings lag der Schwerpunkt der Messung der Gesamteinstellung gegenüber der Website eher auf der affektiven Komponente.419 Obschon also Bellman und Rossiter keinen Einfluss feststellen konnten, erscheint die Wirkung der Schemakongruenz auf die Einstellungsbildung plausibel. Diese Arbeit folgt daher der Auffassung von Bellman und Rossiter, wonach Schemata den Einstellungen vorgelagert sind und die Einstellungsbildung direkt beeinflussen. Einstellungen sind demzufolge das Ergebnis des schemabasierenden Kategorisierungsprozesses und entsprechen ihrem Wesen nach der Produktbeurteilung. An diesem Punkt ist eine Verknüpfung der einstellungs- und schematheoretischen Erkenntnisse zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen möglich. Diese Synthese der Erkenntnisse beider Forschungsrichtungen ist Diskussionsgegenstand im folgenden Kapitel.

415 416 417 418 419

Vgl. Suzuki (1987), o. S.; Lee/Chung/Kim (2004), S. 459. Suzuki (1987), o. S. Lee/Chung/Kim (2004), S. 459. Vgl. Taylor/Crocker (1981), S. 89 f. Vgl. Bellman/Rossiter (2004), S. 57 ff.

93 3.2

Synthese der Erkenntnisse aus Schema- und Einstellungsforschung

In den vorangegangenen Kapiteln erfuhren die Einstellungstheorie und die Schematheorie eine getrennte Betrachtung im Hinblick auf ihre Eignung zur Erklärung von Akzeptanzverhalten bei radikalen Innovationen. Im Folgenden soll daher eine Integration der Erkenntnisse beider Forschungsrichtungen in einem Gesamtmodell vorgenommen werden, um das Adoptionsverhalten von radikalen Innovationen möglichst umfassend zu erklären.

Ruft man sich die Definition der Einstellung zu einem Objekt in Erinnerung, so beschreibt diese den Zustand einer bewertenden Reaktion eines Individuums im Hinblick auf ein Einstellungsobjekt.420 Diese Begriffsbestimmung zugrunde gelegt, entspricht die im Rahmen der Theorie des überlegten Handelns verwendete Einstellung zur Innovation (hier benannt als Innovationsbereitschaft) der Produktbeurteilung bei der Schematheorie, denn auch Letztere steht für die Bewertung eines Beurteilungsobjekts. An dieser Stelle ergibt sich somit ein konkreter Anknüpfungspunkt für die Verbindung beider Theorien. Ersetzt man nun die Produktbeurteilung durch die Innovationsbereitschaft und verknüpft dadurch das dem schematheoretischen Ansatz nach Mandler entstammende Hypothesengefüge mit dem modifizierten Modell der Theorie des überlegten Handelns, entsteht ein Gesamtmodell, das die Einflussfaktoren beider Forschungsrichtungen vereint. Die Ansatzpunkte zur Zusammenführung beider theoretisch hergeleiteten Modellzusammenhänge sind in Abbildung 17 dargestellt.

420

Siehe Kapitel II-1.1.1; vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 1.

94

Produktzielkongruenz Einstellung zum Kauf der Innovation

Markenzielkongruenz

Kaufabsicht

Innovationsbereitschaft (Einstellung zum Objekt)

Produktschemakongruenz

Produktbezogene Emotionen

Produktbeurteilung

Markenschemakongruenz

Abbildung 17: Ansatzpunkte zur Modellverknüpfung

Dieses integrierte Gesamtmodell zum Adoptionsverhalten radikaler Innovationen beinhaltet neben den im Rahmen der modifizierten Theorie des überlegten Handelns postulierten Einflussgrößen auch die erläuterten Schemakonstrukte sowie eine emotionale produktbezogene Komponente als Determinanten von Einstellung und Kaufabsicht. Diese Zusammenführung trägt somit annahmegemäß zur Verbesserung der Vorhersage von Adoptionsverhalten bei, da die Einflussfaktoren der Evaluation einer Innovation beiden Theoriezweigen entstammen.

Durch die auf Basis der vorangegangenen Überlegungen vorgenommene Synthese des einstellungstheoretischen und des schematheoretischen Hypothesengefüges ergibt sich das in Abbildung 18 dargestellte Gesamtmodell zur Erklärung von Adopti-

95 onsverhalten bei radikalen Innovationen. Dieses integrierte Modell bildet die Grundlage für die weitere Arbeit.

Produktzielkongruenz Produktschemakongruenz Einstellung zum Kauf der Innovation

Kaufabsicht

Produktbezogene Emotionen

Markenschemakongruenz

Innovationsbereitschaft

Markenzielkongruenz

Abbildung 18: Integriertes Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

Das folgende Kapitel hat einerseits zum Ziel, unter Verwendung des integrierten Gesamtmodells Hypothesen zu den Erkenntnissen der Schematheorie unter Berücksichtigung der Integration des Einstellungskonstrukts zu formulieren. Andererseits sollen theoretisch fundierte Ursache-Wirkungszusammenhänge zwischen beiden theoretischen Ansätzen aufgezeigt werden.

96 3.3

Hypothesensystem zur Erklärung von Adoptionsverhalten auf Basis der Integration der Erkenntnisse von Schema- und Einstellungstheorie

Im Zentrum der Erklärung der Akzeptanz radikaler Innovationen auf Basis der Erkenntnisse der Schematheorie steht der Grad an Kongruenz zwischen dem Neuprodukt und den prototypischen Eigenschaften der assoziierten Kategorie.421 Wie erinnerlich postuliert Mandler im Rahmen seines neuigkeitsbasierten Ansatzes, dass kongruent und moderat inkongruent wahrgenommene Neuprodukte ein positiveres Urteil im Hinblick auf die Annahme der Innovation erzeugen als stark inkongruente.422 Seither bestätigten diverse empirische Untersuchungen diesen Effekt.423 Schwarz weist darüber hinaus darauf hin, dass Verständnis- und Urteilsbildung umso leichter sind, je höher die Produktschemakongruenz der Innovationen ist.424 Umgekehrt verweisen Aggarwal et al. und Veryzer auf Verständnisprobleme bei stark schemadiskrepanten Neuprodukten wegen fehlender kognitiver Anknüpfungspunkte.425

Der Argumentation Mandlers folgend hat der Grad an Produktschemakongruenz unmittelbare Auswirkungen auf die Produktevaluation. Da diese nach der Integration beider Theoriezweige definitionsgemäß die Innovationsbereitschaft i. S. der Einstellung zum Objekt darstellt, ist davon auszugehen, dass die Produktschemakongruenz einen signifikanten Einfluss auf die Innovationsbereitschaft ausübt. Im konkreten Fall generiert eine hoch wahrgenommene Produktschemakongruenz dabei annahmegemäß eine hohe Innovationsbereitschaft. Im Umkehrschluss nimmt ein Konsument schemadiskrepante Informationen in der Regel inkonsistent zum Einstellungssystem wahr und bewertet diese negativ. Diese Überlegungen führen zu der folgenden Hypothese:

H9: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft.

421 422 423 424 425

Vgl. Tversky (1977), S. 327 ff. Vgl. Mandler (1982), S. 1 ff. Vgl. Stayman/Alden/Smith (1992), S. 249; Meyers-Levy/Tybout (1989), S. 52. Vgl. Schwarz (1985), S. 279. Vgl. Veryzer (1998), S. 144; Aggarwal/Cha/Wilemon (1998), S. 358 ff.

97 Für die Beziehung zwischen der Produktschemakongruenz und der Einstellung zum Kauf der Innovation sind die gleichen Überlegungen anzustellen wie zur Wirkung auf die Innovationsbereitschaft. Daraus leitet sich die folgende Hypothese ab, die einen positiven Effekt zwischen der vom Konsumenten wahrgenommenen Produktschemakongruenz und der Einstellung zum Kauf des Produkts unterstellt:

H10: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation.

Wie erläutert, evaluieren Konsumenten Innovationen nicht lediglich auf Basis des Produkts selbst und seiner Produkteigenschaften, sondern beziehen in ihr Urteil auch die Marke ein.426 Die Erwartungen, die ein Konsument an ein neues Produkt knüpft, können sich somit sowohl auf produktbezogenes als auch auf markenbezogenes Wissen stützen.427 Vergleichbar mit den Schemata auf Produktebene ist die Schematheorie nach Mandler somit auch auf Markenschemata anwendbar.428 Daher ist analog zu der Argumentation auf Produktebene auch auf Markenebene zu vermuten, dass eine hohe Markenschemakongruenz tendenziell mit einer hohen Innovationsbereitschaft sowie einer positiven Einstellung zum Kauf der Innovation einhergeht. Folgende Hypothesen bringen diese Vermutungen zum Ausdruck:

H11: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation.

H12: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft.

426 427 428

Vgl. Bridges (1990), S. 1 ff. Vgl. Rossiter/Percy (1997). Siehe Kapitel 2.3.3.

98 Den Annahmen des neuigkeitsbasierten Ansatzes zufolge spielen nicht nur kognitive Schemata, sondern auch produktbezogene Emotionen eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung neuer Stimuli.429 Bagozzi und Lee sprechen daher auch von einer emotionalen Akzeptanz oder Resistenz gegenüber dem Neuprodukt. Die emotionale Akzeptanz kann aus positiven Gefühlen gegenüber der Innovation resultieren. Positive Emotionen können sich in Freude, Stolz oder beispielsweise Zufriedenheit ausdrücken. Umgekehrt kann ein Konsument auch negative Gefühle, wie z. B. Unsicherheit, Angst, Enttäuschung oder Ärger mit einer Innovation verbinden, was zu einer emotionalen Resistenz führen kann.430

Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Marken- und Produktschemakongruenz einen Einfluss auf die Gefühle gegenüber dem Neuprodukt haben und wie sich diese produktbezogenen Emotionen auf die Einstellungsbildung auswirken. Die Ergebnisse von Bagozzi und Lee stehen in Einklang mit den Erkenntnissen des neuigkeitsbasierten Ansatzes nach Mandler. Wie bereits in Abschnitt II-2.3.1 erläutert, geht Letzterer davon aus, dass die Auflösung einer leichten oder moderaten Schemakongruenz zu positiven Emotionen und somit zu einer positiven Einstellung gegenüber dem zu beurteilenden Produkt führt.431 Diese positiven produktbezogenen Emotionen resultieren aus einem Gefühl der Vertrautheit, welches bei schemakongruenten bzw. leicht inkongruenten Informationen entsteht und weitere positive Gefühle gegenüber dem Neuprodukt auslöst.432 Die starke Schemadiskrepanz hingegen bewirkt Gefühle der Frustration und Ablehnung, da die Inkongruenzen nicht oder nur unter hohem kognitiven Aufwand behoben werden können.433 Somit resultieren negative produktbezogene Emotionen aus einer extremen Schemainkongruenz, während eine moderate Inkongruenz zu positiven produktbezogenen Emotionen führt. Diesen vermuteten Einfluss der Produktschemakongruenz auf die produktbezogenen Emotionen erfasst Hypothese 13:

429 430 431 432 433

Vgl. Mandler (1982), S. 1 ff. Vgl. Bagozzi/Lee (1999), S. 218 ff. Siehe Kapitel 2.3.1. Vgl. Mandler (1982), S. 26. Vgl. Mandler (1982), S. 22 f.

99 H13: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto positiver sind die produktbezogenen Emotionen.

Der beschriebene Zusammenhang zwischen der Schemakongruenz und den produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten existiert annahmegemäß nicht nur auf Produktebene, sondern auch auf Markenebene. Analog erfährt daher die Beziehung zwischen der Markenschemakongruenz und den produktbezogenen Emotionen eine empirische Überprüfung:

H14: Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto positiver sind die produktbezogenen Emotionen.

Diese produktbezogenen Emotionen beeinflussen Mandler zufolge in erheblichem Maße die Produktbeurteilung.434 Auch Kempf und Smith konnten in ihren Forschungsarbeiten nachweisen, dass Gefühle während der Erprobung eines neuen Produkts die Einstellung des Konsumenten diesem gegenüber determinieren.435 Negative produktbezogene Gefühle, die durch nicht auflösbare Schemadiskrepanzen hervorgerufen werden, führen tendenziell zu einer negativen Einstellung gegenüber dem Kauf der Innovation.436 Selbst wenn ein Individuum starke Schemainkongruenzen unter hohem kognitiven Aufwand beseitigen kann, wird dieses Erfolgserlebnis dennoch durch die starke negative affektive Reaktion – hervorgerufen durch die erhebliche kognitive Anstrengung – kompensiert und überlagert. Demgegenüber ist bei leichter Inkongruenz das positive Gefühl, das durch das Erfolgserlebnis des Auflösens der Diskrepanz entsteht, größer als die durch den geringen kognitiven Aufwand hervorgerufenen negativen Emotionen.437 Es ist daher davon auszugehen, dass positive produktbezogene Gefühle tendenziell eine positive Einstellung zum Kauf der Innovation und negative produktbezogene Emotionen eine negative Einstel-

434 435 436 437

Vgl. Mandler (1982), S. 22 f.; Stayman/Alden/Smith (1992), S. 240 ff. Vgl. Kempf/Smith (1998), S. 325 ff. Vgl. Mandler (1982), S. 22 f.; Garbarino/Edell (1997), S. 148 f. Vgl. Garbarino/Edell (1997), S. 148 f.

100 lung hervorrufen. Die angestellten Überlegungen führen zu Hypothese H15, die einen positiven Zusammenhang zwischen den produktbezogenen Emotionen und der Einstellung zum Kauf der Innovation unterstellt:

H15: Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation.

Eine entsprechende Argumentation gilt für die Beziehung zwischen den produktbezogenen Emotionen und der Innovationsbereitschaft, die formal der Einstellung zur Innovation entspricht. Daher ist ebenfalls ein positiver Einfluss der produktbezogenen Emotionen auf die Innovationsbereitschaft zu vermuten. Diese Annahme soll im Rahmen von Hypothese H16 überprüft werden:

H16: Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft.

Letztlich bleibt zu klären, welche Rolle die produktbezogenen Emotionen im Hinblick auf die vom Beurteilenden wahrgenommene Zielkongruenz spielen. Zu diesem Zusammenhang gibt es bislang keine theoretisch fundierten Studien. So postuliert auch Frijda, dass “[…] little systematic research exists on the actual relationships between emotions and corresponding changes in goal-directed behaviours.”438

Den Annahmen des Dreikomponentenmodells folgend, bilden sich Einstellungen aus kognitiven, affektiven und konativen Bestandteilen, wobei jede einzelne Einstellung aus einer unterschiedlichen Zusammensetzung der drei Dimensionen besteht.439 Grundsätzlich existieren Kognition, Affekt und Verhalten als getrennte Reaktionen, die nicht zwingend korrelieren müssen. Dennoch besitzt jeder Mensch die Tendenz, einen Konflikt zwischen kognitiven, affektiven und konativen Spannungen zu vermei-

438 439

Frijda (1993), S. 393. Vgl. Lutz (1991), S. 319.

101 den und strebt daher eine Konsistenz zwischen den drei Komponenten untereinander an.440 Um solche inneren Konflikte auszuräumen, hat das Individuum unter anderem die Möglichkeit, durch Veränderungen der kognitiven Einheiten oder des Verhaltens Inkonsistenzen zu reduzieren. Dies geschieht z. B. durch Umbewertung und Anpassung der die Diskrepanz erzeugenden Faktoren.441 Diese Anpassungsprozesse konnten in vielen Bereichen innerer menschlicher Zustände nachgewiesen werden und wurden unter anderem in der Theorie der kognitiven Dissonanz thematisiert.442

Überträgt man dieses psychologische Phänomen auf die Beziehung zwischen dem affektiven Konstrukt „Emotionen“ und dem kognitiven Konstrukt „Zielkongruenz“, so ist das Individuum annahmegemäß bemüht, auch zwischen diesen beiden Komponenten ein inneres Gleichgewicht herbeizuführen. Daher ist zu vermuten, dass die produktbezogenen Emotionen zur Herstellung einer kognitiven Konsistenz Anpassungsprozesse der wahrgenommenen Zielkongruenz auslösen können, sofern Dissonanzen vorliegen. Gefällt ein Produkt und verbindet ein Konsument positive Emotionen mit diesem, so wird er dieses als wünschenswert einstufen. Diese Empfindung führt dazu, dass er das Produkt kompatibel zu den Zielen wahrnimmt und gegebenenfalls seine Ziele anpasst, um diese mit seiner Gefühlswelt in Einklang zu bringen. So ist anzunehmen, dass die produktbezogenen Emotionen die wahrgenommene Produktzielkongruenz positiv beeinflussen. Diese Überlegungen spiegeln sich in Hypothese H17 wider:

H17: Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto stärker ist die wahrgenommene Produktzielkongruenz.

Die Argumentation der Beziehung zwischen den produktbezogenen Emotionen und der Produktzielkongruenz ist auf die Markenzielebene übertragbar. Hierbei wird ebenfalls ein positiver Wirkungszusammenhang zwischen den produktbezogenen

440 441 442

Vgl. Fischer/Wiswede (2002), S. 254. Vgl. Festinger (1978), S. 22 ff.; Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 171 ff. Zur Theorie der kognitiven Dissonanz vgl. Festinger (1978).

102 Emotionen und der Markenzielkongruenz unterstellt. Daher lautet der in Hypothese H18 formulierte Zusammenhang wie folgt:

H18: Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto stärker ist die wahrgenommene Markenzielkongruenz.

Auf Basis der aufgestellten Hypothesen lassen sich die in Abbildung 19 dargestellten Modellzusammenhänge konstatieren.

Produktzielkongruenz H6 Produktschemakongruenz

H7

H10 H9

H17

H15 Produktbezogene Emotionen

H11

H18

H1

Kaufabsicht

H2

H16

H14 Markenschemakongruenz

Einstellung zum Kauf der Innovation

H8

H13

H3 H5

H12

Markenzielkongruenz

Innovationsbereitschaft

H4

Abbildung 19: Gesamtmodell zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

Obwohl mit der Integration der Produktschemakongruenz in das Modell zur Erklärung von Adoptionsverhalten der Einfluss dieses Konstrukts auf die Einstellung zum Kauf der Innovation, auf die Innovationsbereitschaft sowie auf die produktbezogenen Emotionen ermittelt werden kann, fand die Frage, inwieweit das Vorliegen der Produktschemakongruenz die Stärke aller Beziehungen im Modell beeinflusst, bislang

103 keine Beachtung. Weder im Rahmen der Einstellungs- noch in der Schemaforschung war die Klärung dieser Frage bereits Gegenstand empirischer Untersuchungen. Grundsätzlich ist ein Effekt auf sämtliche im Modell verwendeten Komponenten plausibel.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Modellvariante bei Vorliegen einer schemakongruenten Innovation von der Variante bei Vorliegen einer schemainkongruenten Innovation signifikant unterscheidet. Es ist zu erwarten, dass die Produktschemakongruenz dann die Beurteilungsgrundlage für das Neuprodukt bildet, wenn der Konsument das Produkt in sein vorhandenes Schemagefüge einordnen kann. Umgekehrt haben die markenbezogenen Faktoren, wie z. B. die Markenschemakongruenz oder die Markenzielkongruenz, im produktschemainkongruenten Teilmodell annahmegemäß einen stärkeren Einfluss auf die Einstellungsbildung, da sich der Konsument andere Orientierungspunkte sucht, mit deren Hilfe er das Neuprodukt beurteilen kann. Die jeweilige Situation moderiert somit die Modellzusammenhänge. Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich folgende Hypothese ableiten. Hypothese H19 erfasst die Vermutung des moderierenden Einflusses der Produktschemakongruenz:

H19: In unterschiedlich produktschemakongruenten Szenarien unterscheiden sich die Adoptionsmodelle hinsichtlich der Wirkungszusammenhänge signifikant voneinander.

Um auch den Einfluss der Markenschemakongruenz auf die Stärke der Beziehungen zwischen den Modellkomponenten zu erfassen, bietet es sich darüber hinaus an, ebenfalls einen Gruppenvergleich im Hinblick auf die unterschiedlich schemakongruenten Marken durchzuführen.

Analog zu der Argumentation bezüglich des moderierenden Einflusses der Produktschemakongruenz ist zu vermuten, dass im Teilmodell mit einer hohen Markenschemadiskrepanz der Konsument auf andere Vergleichsgrößen – wie z. B. das Produktschema oder die Produktziele – zurückgreift, um das Neuprodukt adäquat zu beurteilen. Umgekehrt ist anzunehmen, dass der Beurteilende bei Vorliegen einer

104 hohen Ähnlichkeit zwischen Marke und Neuprodukt vorwiegend die Marke zur Evaluation heranzieht. In diesem Fall spielt die Produktschemakongruenz bei der Evaluation lediglich eine untergeordnete Rolle. Auch im Hinblick auf das Markenschema ist daher ein moderierender Effekt der Situation auf die Modellbeziehungen anzunehmen. Daher soll die folgende Hypothese eine Überprüfung an der Realität erfahren.

H20: In unterschiedlich markenschemakongruenten Szenarien unterscheiden sich die Adoptionsmodelle hinsichtlich der Wirkungszusammenhänge signifikant voneinander.

3.4

Das Hypothesensystem im Überblick

Im vorhergehenden Kapitel stand die Erstellung eines Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen im Vordergrund. Hierzu bot es sich an, auf der Basis von einstellungs- und schematheoretischen Überlegungen die Determinanten des Adoptionsverhaltens zu identifizieren und in einem Gesamtmodell zu integrieren. Das hergeleitete Modell umfasst die Konstrukte Kaufabsicht, Einstellung zum Kauf der Innovation, Innovationsbereitschaft, Produktzielkongruenz, Markenzielkongruenz, produktbezogene Emotionen sowie Produktschemakongruenz und Markenschemakongruenz. Gemäß den theoretischen Überlegungen wirken mit der Einstellung zum Kauf der Innovation und der Innovationsbereitschaft zwei Einflussgrößen direkt auf die Absicht des Konsumenten, die Innovation zu kaufen. Die weiteren Determinanten beeinflussen die Kaufabsicht annahmegemäß indirekt über die Einstellung zum Kauf der Innovation sowie über das Konstrukt Innovationsbereitschaft. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich die Wirkungszusammenhänge im Adoptionsmodell in Abhängigkeit von variierender Produktschema- und Markenschemakongruenz verändern. Diese Vermutung kommt in den Hypothesen zu den moderierenden Einflüssen von Produkt- und Markenschemakongruenz zum Ausdruck.

Ein Überblick über die theoretisch hergeleiteten Hypothesen ist Tabelle 3 zu entnehmen.

105

H H1

H2

H3

H4

H5

H6

H7

H8

H9

H10

H11

H12

H13

H14

Hypothesen Je positiver die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation ist, desto höher ist auch seine Absicht, die Innovation zu kaufen. Je höher die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation. Je höher die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten ist, desto höher ist seine Absicht, die Innovation zu kaufen. Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto höher ist die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten. Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto positiver ist die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation. Je höher die wahrgenommene Produktzielkongruenz ist, desto positiver ist die Einstellung eines Konsumenten zum Kauf der Innovation. Je höher die wahrgenommene Produktzielkongruenz ist, desto höher ist die Innovationsbereitschaft eines Konsumenten. Je höher die wahrgenommene Markenzielkongruenz ist, desto höher ist die wahrgenommene Produktzielkongruenz. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Produktschemakongruenz ist, desto positiver sind die produktbezogenen Emotionen. Je höher die vom Konsumenten wahrgenommene Markenschemakongruenz ist, desto positiver sind die produktbezogenen Emotionen.

106

H15

H16

H17

H18

Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto positiver ist seine Einstellung zum Kauf der Innovation. Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto höher ist seine Innovationsbereitschaft. Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto stärker ist die wahrgenommene Produktzielkongruenz. Je positiver die produktbezogenen Emotionen eines Konsumenten sind, desto stärker ist die wahrgenommene Markenzielkongruenz. In unterschiedlich produktschemakongruenten Szenarien unterscheiden sich

H19

die Adoptionsmodelle hinsichtlich der Wirkungszusammenhänge signifikant voneinander. In unterschiedlich markenschemakongruenten Szenarien unterscheiden sich

H20

die Adoptionsmodelle hinsichtlich der Wirkungszusammenhänge signifikant voneinander.

Tabelle 3: Hypothesen im Überblick

Im weiteren Verlauf der Arbeit soll das postulierte Modell auf seine Tauglichkeit getestet werden. Für die Überprüfung des vorgestellten Modells an der Realität ist jedoch zunächst eine Spezifizierung der Modellstruktur notwendig. Dies ist Gegenstand des folgenden Kapitels. Dabei stehen zunächst die Operationalisierungen der latenten Konstrukte mittels geeigneter Indikatoren im Zentrum der Überlegungen.

107

4

Spezifizierung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen

4.1

Vorgehensweise bei der Spezifizierung des Adoptionsmodells

Ziel einer fundierten wissenschaftstheoretischen Forschung ist neben der Entwicklung theoretischer Hypothesensysteme auch die Überprüfung dieser an der Realität. Da es sich bei sämtlichen Modellkonstrukten um hypothetische Größen443 (nicht beobachtbare Variablen) handelt, die einer direkten Messung nicht zugänglich sind, werden diese über geeignete Indikatoren444 (beobachtbare Variablen) erfasst.445 Indikatoren sind „unmittelbar messbare Sachverhalte, welche das Vorliegen der gemeinten, aber nicht direkt erfassbaren Phänomene […] anzeigen“446. Die zentrale Herausforderung bei der Operationalisierung dieser latenten Variablen besteht somit in der Identifikation geeigneter Indikatoren zur Messung der Konstrukte. Dabei empfiehlt es sich, zunächst auf vorhandene Messansätze, die sich bereits in empirischen Untersuchungen bewährt haben, zurückzugreifen. Hierzu leisten die Auswertung der Fachliteratur sowie Methoden der qualitativen Marktforschung, wie z. B. Expertengespräche oder Tiefeninterviews, wertvolle Dienste.447

Die Itemsets zur Messung der hypothetischen Konstrukte unterscheiden sich oftmals hinsichtlich ihrer Reliabilität (Zuverlässigkeit der Messung) und Validität (Messgültigkeit).448 Die Selektion der Indikatoren für dieses Modell orientiert sich daher an Skalen, die sich als sehr reliabel und valide erwiesen haben. Bei der Auswahl und Modifikation der vorhandenen Indikatoren galt es, einfache Formulierungen zu wählen, um im Sinne der Probanden eine größtmögliche Verständlichkeit zu gewährleisten. Im Mittelpunkt des folgenden Kapitels steht daher die Beantwortung der Frage, welche Indikatoren sich zur Messung der hypothetischen Konstrukte eignen.

443 444 445 446 447 448

Zum Begriff des hypothetischen Konstrukts vgl. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24 f. Synonym: Items. Vgl. Hildebrandt (2000), S. 47 ff. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 31. Vgl. Homburg/Giering (1998), S. 128 ff.; Huber (2004), S. 180. Vgl. Homburg/Giering (1998), S. 184 ff.; Herrmann/Homburg (2000), S. 23 f.

108 4.2

Kaufabsicht

Zur Messung des tatsächlichen Kaufverhaltens eines Konsumenten stellt den Erkenntnissen von Hrubes, Ajzen und Daigle zufolge das vergangene Verhalten den besten Prädiktor zukünftiger Handlungen dar.449 Obwohl Ajzen dieses Postulat zunächst in Frage stellte, gelang dem Forscher selbst mehrmals der Nachweis, dass zwischen dem vergangenen und dem zukünftigen Verhalten ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht.450 Im näher zu untersuchenden Modell zum Adoptionsverhalten ist der tatsächliche Kauf, d. h. die Adoption selbst, nicht messbar, da die präsentierten Produkte rein hypothetischer Natur und am Markt in dieser Form nicht erhältlich sind. Es soll daher genügen, die Kaufabsicht zu messen, die, wie in der Literatur häufig bestätigt,451 eine enge positive Relation zum Produktkauf452 aufweist.453

Die Kaufabsicht stellt in dem in dieser Arbeit skizzierten Modell die Zielvariable dar. In der Marketingforschung wird die Kaufabsicht oftmals lediglich über ein einzelnes Item operationalisiert.454 Homburg und Dobratz empfehlen allerdings, einer latenten Variablen mehrere Indikatoren zuzuordnen, um potenzielle Verzerrungen zu vermeiden.455 Aus diesem Grund kommen in der vorliegenden Untersuchung vier Items zur Messung der Kaufabsicht zum Einsatz.

Bei der Literaturdurchsicht zur Operationalisierung der Kaufabsicht fällt auf, dass grundsätzlich zwei Arten der Messung dieser latenten Variablen existieren. So ist einerseits die Formulierung als Absichtsbekundung zu finden („Ich beabsichtige, das Produkt zu kaufen.“) und andererseits als Wahrscheinlichkeitseinschätzung („Für wie

449 450

451 452 453

454 455

Vgl. Hrubes/Ajzen/Daigle (2001), S. 168. Vgl. Ajzen (1991), S. 202 f.; Ajzen (2002), S. 111 und S. 119. Ajzen ging zunächst davon aus, dass sich das vergangene Verhalten lediglich dann als Prädiktor des zukünftigen Verhaltens eignet, wenn sämtliche Handlungsdeterminanten sowohl bekannt als auch konstant sind. Vgl. Ajzen (1991), S. 202. Vgl. Ajzen (1991), S. 179 ff. Hier: Adoption. Vgl. Ajzen (2005), S. 188. Für eine Meta-Analyse zum Zusammenhang zwischen Verhaltensabsicht und Verhalten vgl. Sheeran (2002), S. 1 ff. Weitere empirische Evidenz liefern z. B. die Arbeiten von Armitage/Conner (2001); Notani (1998); Randall/Wolff (1994); van den Putte (1993); Albarracín/Johnson/Fishbein/Muellerleile (2001); Godin/Kok (1996); Hausenblas/Carron/Mack (1997); Sheeran/Hartwick/Warshaw (1998). Vgl. z. B. McCarthy/Norris (1999), S. 267 ff. Vgl. Homburg/Dobratz (1998), S. 450.

109 wahrscheinlich halten Sie es, das Produkt zu kaufen?“). Beide Arten der Operationalisierung wurden bereits vielfach in empirischen Studien validiert.456 Sheppard, Hartwick und Warshaw gelang im Rahmen einer Meta-Analyse der Nachweis, dass die Art der Absichtsmessung die Beziehung zwischen der Verhaltensabsicht und deren Bestimmungsfaktoren bzw. dem tatsächlichen Verhalten beeinflusst. Die Autoren fanden heraus, dass die Absichtsmessung als subjektive Wahrscheinlichkeit Vorzüge bei der Voraussage des tatsächlichen Verhaltens aufweist. Die Intentionsmessung als Absichtsbekundung hingegen eignet sich, wenn die Beziehung zwischen der Verhaltensabsicht und ihren Determinanten im Fokus der Untersuchung steht.457 Wie erinnerlich besteht das Ziel dieser Untersuchung in der Identifikation derjenigen Faktoren, welche die Einstellung und die Kaufabsicht bei radikalen Innovationen beeinflussen. Daher erscheint eine Verhaltensmessung als Absichtsbekundung sinnvoll.

Die Auswahl des Messinventars orientiert sich an einer Skala von Magin, die sich im Rahmen einer Untersuchung zum Markenwahlverhalten als reliabel und valide erwiesen hat.458 Die Forscherin verwendet zur Messung der Markenwahlabsicht ein aus vier Indikatoren bestehendes Inventar, welches sie – in Anlehnung an das Korrespondenzprinzip – bezüglich des Handlungs- und des Zielaspekts spezifiziert hat.459

Die Bewertung der Kaufabsicht durch die Probanden erfolgt hierbei ohne Angabe eines Preises, da ein Ziel dieser empirischen Studie in der Erklärung von Adoptionsverhalten auf Basis kognitiver Schemata besteht. Daher soll die Beurteilung eines Produkts weniger aufgrund seines Preises, sondern vielmehr auf Basis anderer Faktoren, wie z. B. der Produktbeschreibung, erfolgen. Darüber hinaus konfrontieren die Hersteller neuer Produkte den Konsumenten in der Praxis meist über Werbemaßnahmen (z. B. Anzeigen oder Fernsehwerbung) mit der Innovation. Traditionell wird der Preis in diesen Medien ebenfalls nicht kommuniziert. Daher fand dieser keinen Eingang in die Produktbeschreibungen.

456

457 458 459

Zur Operationalisierung als Absichtsbekundung vgl. z. B. Bagozzi (1981), S. 607 ff.; Crawford/ Boyer (1985), S. 16 ff.; Magin (2004), S. 107 ff. Zur Messung der Kaufabsicht als Wahrscheinlichkeitseinschätzung vgl. Hrubes/Ajzen/Daigle (2001), S. 165 ff.; Warshaw (1980), S. 153 ff. Vgl. Sheppard/Hartwick/Warshaw (1988), S. 153 ff. Vgl. Magin (2004), S. 173 f. Vgl. Magin (2004), S. 123. Siehe Kap. II-1.3.1.

110 Da es sich bei den beschriebenen Produkten um hypothetische Innovationen handelt, die in dieser Form nicht am Markt existieren, war eine leichte Modifikation der ursprünglichen Skala notwendig. Die Frage nach der Kaufabsicht ist im Konjunktiv formuliert, da die Auskunftspersonen das Produkt nicht tatsächlich am Markt erwerben können. Anstelle der Aussage “Ich beabsichtige das Produkt zu kaufen“, lautet die an das Untersuchungsobjekt modifizierte Aussage nun “Ich würde das Produkt kaufen“.

Die vorgestellten Indikatoren wurden nun mit zwei in Expertengesprächen sukzessiv entwickelten Produktbeschreibungen von radikalen Innovationen hinterlegt. Hierbei war eine Produktbeschreibung (der so genannte Home Diagnostics) relativ kongruent zu bekannten Produkten ausgestaltet, die zweite hingegen (HD2009/708) sollte sehr diskrepant wirken. Die Einschätzung hinsichtlich der Kongruenz nahmen die Auskunftspersonen im Rahmen einer Vorstudie vor.460 Erwartungsgemäß empfinden die Probanden den Home Diagnostics schemakongruenter als den HD2009/708. Die vier Indikatoren zur Konzeptionalisierung der Kaufabsicht sind in Tabelle 4 dargestellt.

Indikatoren

Skala 1 = Sehr unwahrscheinlich 7 = Sehr wahrscheinlich 1 = Absolut unmöglich

Ich würde den Home Diagnostics (HD2009/708) kaufen.

7 = Sehr gut möglich 1 = Sehr unsicher 7 = Sehr sicher 1 = Trifft definitiv nicht zu 7 = Trifft definitiv zu

Tabelle 4: Konzeptionalisierung der Kaufabsicht

460

Zur Vorgehensweise bei der Vorstudie siehe Kapitel III-2.3.

Autor Magin (2004)

Magin (2004)

Magin (2004)

Magin (2004)

111 4.3

Einstellung zum Kauf der Innovation

Zur Operationalisierung des Einstellungskonstrukts stehen dem Forscher mit der direkten und der indirekten Einstellungsmessung grundsätzlich zwei Verfahren zur Verfügung.461 Während im Rahmen der direkten Messmethode der Schwerpunkt auf der globalen Beurteilung des Einstellungsobjekts liegt, erfasst die indirekte Messung vorwiegend die Überzeugungen, die ein Individuum bezüglich des zu beurteilenden Objekts hat.462

Die prominentesten Ansätze der indirekten Einstellungsmessung stammen von Fishbein und Rosenberg und sind – ebenso wie sämtliche Multiattributmodelle – auf das bereits angesprochene Erwartungs-x-Wert-Modell zurückzuführen. 463 Diesen Ansätzen zufolge ergibt sich die Einstellung aus der Wahrnehmung mehrerer Eigenschaften eines Objekts sowie deren Gewichtung. Beide Elemente werden hier für jedes Merkmal miteinander multipliziert. Der globale Einstellungswert errechnet sich schließlich aus der Aufsummierung der erzielten Produkte.464 Diese Art der Messung wird in der Literatur nicht unkritisch gesehen. Die Problematik der indirekten Einstellungsmessung liegt insbesondere in der multiplikativen Verknüpfung der Wichtigkeits- und Bewertungskomponente. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Einstellungsbildung tatsächlich diese mathematische Formel zugrunde liegt. Zudem setzt diese Art der Messung stets die Unabhängigkeit der bewerteten Eigenschaften voraus.465

Eine sehr bekannte und weit verbreitete Methode der direkten Einstellungsmessung stellt das Semantische Differenzial dar. In der Literatur finden sich auch die Bezeichnungen „Eindrucksdifferenzial“, „semantische Ratingskalen“ bzw. „Polaritätsprofil“466. Osgood, Suci und Tannenbaum entwickelten dieses Verfahren ursprünglich zur Messung von Wortbedeutungen.467 Das Semantische Differenzial setzt sich aus bipolaren Skalen zusammen, an deren Eckpunkten gegensätzliche Adjektivpaare ste461 462 463 464 465 466

467

Vgl. Unger (1998), S. 156; Manstead/Parker (1995), S. 80 ff. Vgl. Manstead/Parker (1995), S. 80 ff. Vgl. Fishbein (1967). Vgl. Schweiger/Schrattenecker (2001), S. 300 f. Vgl. Trommsdorff (2002), S. 147. Genau genommen handelt es sich bei dem Polaritätsprofil um eine abgewandelte Form des Semantischen Differenzials. Vgl. Hofstätter (1973), S. 258 ff. Vgl. Osgood/Suci/Tannenbaum (1957), o. S.; Snider/Osgood (1977), S. 1 ff.

112 hen.468 Der Proband ist nun angehalten, ein Einstellungsobjekt anhand einer Menge von ausgesuchten Assoziationen in Form von gegensätzlichen Eigenschaftswörtern zu beurteilen. Diese Gegensatzpaare müssen nicht unbedingt in einer sachlichen Beziehung zu dem Untersuchungsgegenstand stehen, aber sie sollten einen metaphorischen Bezug aufweisen, d. h. in einem übertragenen Sinn auf diesen anwendbar sein.469 So wird nicht nur die jeweilige Assoziation, sondern auch deren Stärke mithilfe von Rating-Skalen bestimmt. Somit kann der Befragte angeben, inwieweit ein aufgelistetes Eigenschaftswort seine Assoziation zum Stimuluswort wiedergibt.470 Durch dieses Vorgehen sind mit den gleichen Eigenschaftswörtern die Vorstellungen zu ganz unterschiedlichen Meinungsgegenständen ermittelbar.

Meistens verwendet der Forscher bei der Abfrage des Semantischen Differenzials eine Skala mit fünf oder sieben Abstufungen, die eine neutrale Mitte beinhaltet. Eine andere Vorgehensweise besteht darin, sechs Abstufungen ohne neutrale Mitte vorzugeben.471 Osgood, Suci und Tannenbaum begründen eine in der Verhaltensforschung häufig verwendete Itembatterie und empfehlen eine siebenstufige Skala:472 Zur Anwendung des Semantischen Differenzials im Marketingbereich wurde dieses mehrfach modifiziert und weiterentwickelt.473 Da es leicht anzuwenden ist und sowohl plausible als auch zuverlässige Werte liefert,474 findet diese Form der Untersuchung inzwischen in der Marketingforschung und -praxis häufig Anwendung.475

Die Vorteile der direkten Einstellungserfassung liegen insbesondere in ihrer Einfachheit und Zuverlässigkeit. Zudem entfallen die durch die multiplikative Verknüpfung hervorgerufenen Verzerrungseffekte der indirekten Messung.476 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erfolgt die Operationalisierung der Einstellung zum Innovati-

468

469 470 471 472 473

474 475 476

Die im Rahmen des Semantischen Differenzials benutzten Adjektivpaare haben die gleiche Funktion wie Items. Je nachdem, welche Eigenschaft für das Beurteilungsobjekt zutrifft, kreuzen die Probanden in Richtung eines Eckpunktes der Skala an. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 198 f. Vgl. Spiegel (1961), S. 43. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 198. Vgl. Karmasin/Karmasin (1977), S. 125. Vgl. Osgood/Suci/Tannenbaum (1975), S. 85. Zu den Modifikationen des Semantischen Differenzials vgl. Trommsdorff (1975) und Bergler (1975). Vgl. Manstead/Semin (2001), S. 112 f.; Trommsdorff (2002), S. 170. Vgl. Karmasin/Karmasin (1977), S. 129. Vgl. Manstead/Semin (2001), S. 112 f.; Trommsdorff (2002), S. 170.

113 onskauf auf direktem Wege. Die zur Messung der Einstellung zum Kauf der Innovation verwendeten Indikatoren haben sich bereits in empirischen Untersuchungen hinsichtlich ihrer Reliabilität und Validität bewährt. So entstammen drei Indikatoren einer Skala von Yoh, eine weitere Frage wurde einem von Bagozzi, Baumgartner und Yi verwendeten Inventar entnommen (Tabelle 5).477

Indikatoren

Rating-Skala 1 = Nutzlos 7 = Nützlich

Autor Yoh et al. (2003)

1 = Nicht erstrebenswert Der Erwerb des Home Diagnostics (HD2009/708) ist für mich…

Yoh et al. (2003)

7 = Erstrebenswert 1 = Nicht vorteilhaft

Bagozzi/

7 = Vorteilhaft

Baumgartner/Yi (1992)

1 = Eine schlechte

Bagozzi/Baum-

Wahl 7 = Eine gute Wahl

gartner/Yi (1992), Yoh (2003)

Tabelle 5: Konzeptionalisierung der Einstellung zum Kauf der Innovation

4.4

Innovationsbereitschaft

Im Zuge der Messung der Innovationsbereitschaft dient eine Skala nach Goldsmith und Hofacker als Grundlage. Das von den Autoren vorgeschlagene Messinventar fand bereits in vielen Studien Anwendung und hat sich mehrfach hinsichtlich Validität und Reliabilität bewährt.478 Um eine kognitive Überlastung der Probanden zu vermeiden, soll die Skala im Rahmen dieser Arbeit in einer reduzierten Form zur Anwendung kommen. So fanden vier Indikatoren Eingang in die Untersuchung. In der vorliegenden Studie ist es zudem aufgrund inhaltlicher Effizienz sinnvoll, die Indikatoren zu spezifizieren. Hierzu wurden die zu beurteilenden Einstellungsobjekte in Form

477

478

Vgl. Yoh et al. (2003), S. 1104; Bagozzi/Baumgartner/Yi (1992), S. 510. Zu der Vorgehensweise bei der Messung von Einstellungen vgl. Ajzen (2001). Vgl. Goldsmith/Hofacker (1991), S. 209 ff.; Goldsmith/Flynn (1993).

114 zweier Neuprodukte479 (Home Diagnostics, HD2009/708) direkt in die Itembatterie integriert. Das leicht veränderte Inventar von Goldsmith und Hofacker zur Messung der Innovationsbereitschaft stellt sich wie folgt dar:

Indikatoren In meinem Freundeskreis wäre ich wohl die/der Erste, die/der den Home Diagnostics (HD2009/708) kennt.

In meinem Bekanntenkreis wäre ich wohl die/der Erste, die/der den Home Diagnostics (HD2009/708) kauft.

Wenn solch ein neues Gerät wie der Home Diagnostics (HD2009/708) auf den Markt kommt, würde ich es gern

Rating-Skala

Autor

1 = Trifft überhaupt nicht zu 7 = Trifft vollkommen

Goldsmith/Hofacker (1991) modifiziert

zu 1 = Trifft überhaupt nicht zu 7 = Trifft vollkommen

Goldsmith/Hofacker (1991) modifiziert

zu 1 = Trifft überhaupt nicht zu 7 = Trifft vollkommen

Goldsmith/Hofacker (1991) modifiziert

zu

kaufen.

Am liebsten würde ich den Home Diagnostics (HD2009/708) kaufen, bevor andere Leute dies tun.

1 = Trifft überhaupt nicht zu 7 = Trifft vollkommen

Goldsmith/Hofacker (1991) modifiziert

zu

Tabelle 6: Konzeptionalisierung der Innovationsbereitschaft

4.5

Produktbezogene Emotionen

Bei Durchsicht der relevanten Literatur findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen zur Konzeptualisierung, Kategorisierung und Operationalisierung von Emotionen, die größtenteils der Psychologie entstammen.480 Dennoch fehlt bislang ein umfassender Emotionsbegriff; es existieren allerdings eine Reihe von Emotionstheorien, die je-

479 480

Vgl. Kapitel III-2.1. Zu einer Übersicht verschiedener Emotionstheorien vgl. Thyri (2003), S. 26 ff.

115 weils unterschiedliche Begriffskomponenten in den Vordergrund stellen.481 Die Fülle482 an theoretischen Ansätzen, die von psychoanalytischen über physiologischorientierte bis hin zu sozialen und kognitiven Ansätzen reicht, ist mit ihren einzelnen Differenzierungen kaum noch zu überblicken.483 Averill sammelte im Jahr 1975 beispielsweise schon über siebenhundert Emotionsbegriffe. Bereits 1872 formulierte Darwin484 die so genannten Basisemotionen, die durch Reproduktionsvorteile im Rahmen des Evolutionsprozesses entstanden.485 Aktuell postuliert auch SchmidtAtzert, dass sich Ärger, Angst bzw. Furcht, Traurigkeit und Freude mit Sicherheit als Basisemotionen bezeichnen lassen, wohingegen Abneigung bzw. Ekel, Unruhe, Scham, Zuneigung bzw. Anerkennung und Überraschung höchstwahrscheinlich zu den Basisemotionen gehören.486 Im Wesentlichen haben sich aus der Vielfalt an theoretischen Erklärungsangeboten487 zwei Forschungsrichtungen herauskristallisiert. Vertreter des diskreten oder auch kategorischen Ansatzes konnten eine Reihe von Basisemotionen identifizieren, auf deren Basis es möglich ist, weitere Emotionen als eine Kombination dieser Basisemotionen abzuleiten. Vertreter des so genannten dimensionalen Ansatzes hingegen befassen sich mit der Identifizierung der den Emotionen zugrunde liegenden Dimensionen, anhand derer die Forscher unterschiedliche emotionale Zustände unterscheiden können.488 Die Ausdrucksklassifikation nach Izard, die zu den diskreten Ansätzen zählt, nimmt die Existenz von zehn Basisemotionen an.489 Jede dieser zehn Basisemotionen hat unterschiedliche und einzigartige motivierende Eigenschaften und führt zu unter-

481

482

483 484 485 486 487

488 489

Übersichten zu den wichtigsten theoretischen Ansätzen zur Entstehung von Emotionen finden sich bei Euler/Mandl (1983); Izard (1994); Mayring (1992); Reisenzein (2000); Scherer (1990); Schmidt-Atzert (1996); Ulich (1995) und Ulich/Mayring (1992). Scherer spricht sogar von einem regelrechten „Wildwuchs“. Vgl. Scherer (1990), S. 8. Strongmann (1998) trägt alleine über 50 verschiedene Theorien zusammen. Vgl. Strongmann (1998). Vgl. Pekrun (1988), S. 95. Vgl. Darwin (1872). Vgl. Ekman (1992); Plutchic (1980); Izard (1991); Izard (1993). Vgl. Schmidt-Atzert (1996). Zu einer Diskussion der Basisemotionen vgl. Reisenzein (2000). Vgl. Frijda (1986); Izard (1991); Lazarus (1991); Oatley/Jenkins (1996); Otto/Euler/Mandl (2000); Scherer (2003). Vgl. Havlena/Holbrook (1986), S. 395. Hierbei handelt es sich um die folgenden Emotionen: Interesse/Erregung, Freude/Vergnügen, Überraschung/Schreck, Kummer/Schmerz, Zorn/Wut, Ekel/Abscheu, Geringschätzung/Verachtung, Furcht/Entsetzen, Scham/Schüchternheit/Erniedrigung, Schuldgefühl/Reue. Vgl. Izard (1994).

116 schiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Verhaltensauswirkungen. Basisemotionen sind Emotionen, die durch neuronale und hormonale Einwirkungen beeinflussbar sowie schwierig durch kognitive Kontrolle zu steuern sind.490 Sie treten daher unabhängig von Kognitionen auf, beeinflussen diese jedoch und werden im Gegenzug auch von diesen beeinflusst und können sowohl alleine als auch in Kombination mit anderen Basisemotionen auftreten.491 Eine Basisemotion kann so z. B. eine weitere Emotion auslösen oder das Empfinden einer anderen Emotion verstärken.492

Die Pleasure-Arousal-Dominance (PAD)-Skala von Mehrabian und Russel hingegen zählt zu den dimensionalen Ansätzen und dient nicht der Messung eigenständiger Emotionen, sondern beschreibt vielmehr die Reaktion von Individuen auf äußere Einflüsse.493 Insbesondere im Kontext von radikalen Innovationen ist dieser Ansatz von Bedeutung, da externe Faktoren wie z. B. das Produktdesign, die Produktbeschreibung oder auch die Werbung die Akzeptanz der Innovation beeinflussen. Daher soll dieser Ansatz eine intensive Betrachtung erfahren und bildet ferner die Grundlage für die Operationalisierung des produktbezogenen Emotionskonstrukts.

Bereits 1910 identifizierte Wundt bei der Untersuchung von Emotionsverläufen drei grundlegende Dimensionen: Lust – Unlust, Erregung – Beruhigung, Spannung – Lösung und lieferte damit die Grundlage für die PAD-Skala der Emotionsforschung.494 In einem Aufsatz von 1977 stellten Russell und Mehrabian eine Doppeluntersuchung vor, in der sie annehmen, dass die Beschreibung emotionaler Zustände mithilfe von drei Dimensionen möglich ist: der Valenz (Pleasure), der Erregung (Arousal) und der Dominanz (Dominance).495 Diese drei Dimensionen stellen das Raster dar, in dem sich – der dimensionalen Denkschule folgend – alle Gefühle eines Menschen abbilden lassen. Die Gefühlsskala der Dimension Pleasure reicht beispielsweise von Unlust, Unzufriedenheit und Langeweile bis hin zu Freude, Glück

490 491

492 493

494 495

Vgl. Oliver (1997), S. 293. Vgl. Westbrook (1983), S. 2 ff. Ebenfalls zu den diskreten Ansätzen zählt der Ansatz von Plutchic (1980). Zu einer Zusammenfassung dieses Ansatzes vgl. Oliver (1997), S. 298 f. und Havlena/ Holbrook (1986), S. 395. Vgl. Westbrook (1983), S. 2 ff. Zu einem detaillierten Überblick vgl. Oliver (1997), S. 297 f.; Havlena/Holbrook (1986), S. 395 ff.; Richins (1997), S. 128 f. Vgl. Wundt (1913). Vgl. Russell/Mehrabian (1977), S. 273 ff.

117 und einem Gefühl der Zufriedenheit. Arousal kann auf einem Kontinuum sowohl die Formen Ruhe, Entspannung und Trägheit als auch Alarmbereitschaft und Erregtheit annehmen. Weiterhin reicht die Dominanzskala von Gefühlen einer totalen Hilflosigkeit bis hin zu den Gefühlen überlegen, mächtig und einflussreich zu sein. Die empirische Arbeit, die auf diese Überlegungen folgte, stieß wiederum auf diese drei Dimensionen, die inzwischen als PAD (Pleasure-Arousal-Dominance) in der Emotionsforschung weite Verbreitung gefunden hat.496

Spätere Publikationen in der Konsumentenverhaltensforschung beschränken sich meist nur auf zwei Dimensionen unter Verzicht auf die Dominanz-Komponente.497 Auch in den Untersuchungen von Russell und Mehrabian erweist sich diese Dimension als die schwächste, da sie relativ wenig Varianz erklärt und oftmals Verweigerung beim Probanden hervorruft.498 Wie auch Fischer, Brauns und Belschack postulieren, spielen Gefühle der Dominanz eher in einem sozial determinierten Kontext eine Rolle499 als bei der Beurteilung von Produkten. Aus diesem Grunde wurde auch im Rahmen der vorliegenden empirischen Untersuchung auf die Dimension „Dominanz“ verzichtet.

Die Operationalisierung der produktbezogenen Emotionen lehnt sich an ein Inventar von Kempf an, die das produktbezogene Emotionskonstrukt im Zusammenhang mit Neuprodukten untersucht hat. Die Skala von Kempf wiederum ist eine Weiterentwicklung einer Itembatterie von Mano und Oliver, welche emotionale Reaktionen bei Konsumerfahrungen analysiert haben.500 So repräsentieren drei Indikatoren die Dimension Pleasure, drei weitere sollen die Dimension Arousal abbilden.501 Die Konzeptionalisierung des poduktbezogenen Emotionskonstrukts ist in Tabelle 7 dargestellt.

496 497 498

499 500 501

Vgl. z. B. Russell/Mehrabian (1977), S. 273 ff.; Feist (2000). Vgl. z. B. Lang/Bradley/Cuthbert (1997). Vgl. Feist (2000). Der Anteil an Antwortverweigerung schwankt über unterschiedliche Studien hinweg sehr stark. Insbesondere bei schriftlichen Befragungen ist dieser sehr hoch. So sprechen Fischer, Brauns und Belschack von Verweigerungsraten für die Dimension „Dominanz“ von bis zu 45 Prozent. Vgl. Fischer/Brauns/Belschack (2002), S. 145 f. Vgl. Fischer/Brauns/Belschack (2002), S. 68 f. Vgl. Mano/Oliver (1993), S. 451 ff. Vgl. Kempf (1999), S. 41.

118

Indikatoren

Rating-Skala

Autor

Bitte beschreiben Sie Ihre Emotionen bezüglich des Home Diagnostics (HD2009/708).

Pleasure

Arousal

1 = Nicht erfreut

Kempf (1999)

7 = Erfreut

Mano/Oliver (1993)

1 = Unzufrieden

Kempf (1999)

7 = Zufrieden

Mano/Oliver (1993)

1 = Unangenehm

Kempf (1999)

7 = Angenehm

Mano/Oliver (1993)

1 = Ruhig

Kempf (1999)

7 = Aufgeregt

Mano/Oliver (1993)

1 = Entspannt

Kempf (1999)

7 = Angeregt

Mano/Oliver (1993)

1 = Gelassen

Kempf (1999)

7 = Erregt

Mano/Oliver (1993)

Tabelle 7: Konzeptionalisierung der produktbezogenen Emotionen

4.6

Produktzielkongruenz

Ausgehend von der bereits vorgestellten Definition gibt die Produktzielkongruenz an, wie gut ein Produkt aus Sicht des Konsumenten dazu geeignet ist, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Hierzu entwickelten Martin und Stewart ein Messinstrumentarium, das sie als „ideals at the category level“ bezeichnen und im Rahmen von Markenerweiterungen erfolgreich testeten.502 Die drei Indikatoren zur Messung der Ähnlichkeit auf Basis von Zielen bilden die Skala von Martin und Stewart,503 die ihren Ursprung in einer Arbeit von Barsalou hat.504

502 503 504

Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 476 f. Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 477. Vgl. Barsalou (1985), S. 629 ff.

119 Zur Anpassung des Messinstrumentariums an die im Modell verwendeten radikalen Innovationen sind zunächst die mit ihnen verbundenen Ziele zu evaluieren. Die mit den präsentierten Neuprodukten assoziierten Ziele wurden im Rahmen einer Vorstudie ermittelt.505 Das mit 75 Prozent am häufigsten genannte Ziel war „Gesundheitskontrolle betreiben“.506 Dieses fand Eingang in die Hauptuntersuchung. Die Probanden erhielten nun die Aufgabe zu beurteilen, inwieweit das Neuprodukt geeignet ist, das Ziel „Gesundheitskontrolle zu betreiben“ zu erreichen. Der spezifizierte Messansatz gestaltet sich wie in Tabelle 8 dargestellt:

Indikatoren

Rating-Skala

Autor

Versetzen Sie sich in die Situation, dass Sie als Konsument mit dem Kauf des Home Diagnostics (HD2009/708) das Ziel verfolgen, Gesundheitskontrolle zu betreiben? Für wie geeignet halten Sie den Home Diagnostics (HD2009/708), um dieses

1 = Nicht sehr geeignet

Ziel zu erreichen?

7 = Sehr geeignet

Wie groß ist die Übereinstimmung

1 = Geringe

zwischen dem Home Diagnostics (HD2009/708) und dem Ziel „Gesundheitskontrolle betreiben“? Ist der Home Diagnostics (HD2009/708) ein gutes Beispiel, um das Ziel „Gesundheitskontrolle“ zu erreichen?

Übereinstimmung 7 = Große

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Übereinstimung 1 = Schlechtes Beispiel 7 = Gutes Beispiel

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Tabelle 8: Konzeptionalisierung der Produktzielkongruenz

4.7

Markenzielkongruenz

Die Markenzielkongruenz beschreibt in Analogie zur Produktzielkongruenz die subjektive Wahrnehmung des Konsumenten, wie gut eine Marke geeignet ist, ein be-

505 506

Vgl. Kapitel III-2.3. Der Begriff „Gesundheitskontrolle“ beinhaltet auch die Themen „Gesundheitsvorsorge“ und „gesundheitliche Absicherung“. Vgl. Kapitel III-2.3.

120 stimmtes Ziel zu erreichen. Wiederum dient das aus drei Indikatoren bestehende Messinstrumentarium von Martin und Stewart als Konzeptionalisierungsgrundlage.507

Wie bei der Produktzielkongruenz müssen die Auskunftspersonen nunmehr auf Markenebene angeben, wie gut sich ihrer Meinung nach die präsentierte Marke eignet, das im Rahmen der Vorstudie ermittelte Ziel zu erreichen. Hierzu wurde das Ziel „Gesundheitskontrolle betreiben“ mit zwei in der Vorstudie identifizierten Marken „Bayer“ und „Telekom“ unterlegt.508 Das Instrumentarium zur Messung der Markenzielkongruenz ist Tabelle 9 zu entnehmen:

Indikatoren

Rating-Skala

Autor

Versetzen Sie sich in die Situation, dass Sie als Konsument mit dem Kauf der Marke Bayer (Telekom) das Ziel verfolgen, Gesundheitskontrolle zu betreiben. Für wie geeignet halten Sie die Marke Bayer (Telekom), um dieses Ziel zu

1 = Nicht sehr geeignet

erreichen?

7 = Sehr geeignet

Wie groß ist die Übereinstimmung zwi-

1 = Geringe

schen der Marke Bayer (Telekom) und dem Ziel „Gesundheitskontrolle betreiben“? Ist die Marke Bayer (Telekom) ein gutes Beispiel, um das Ziel „Gesundheitskontrolle“ zu erreichen?

Übereinstimung 7 = Große

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Übereinstimung 1 = Schlechtes Beispiel 7 = Gutes Beispiel

Martin/Stewart (2001) Barsalou (1985)

Tabelle 9: Konzeptionalisierung der Markenzielkongruenz

4.8

Produktschemakongruenz

Das Verständnis der Schemaforschung zugrunde gelegt, beschreibt die Produktschemakongruenz die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen dem Neuprodukt und

507 508

Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 477. Zur Ermittlung der Marken Bayer und Telekom siehe Kapitel III-2.3.

121 dem assoziierten Produktschema.509 Sowohl in der Sozialpsychologie als auch in der Konsumentenverhaltensforschung findet sich eine Vielzahl von Ansätzen, die ähnlichkeitsbasierte Konstrukte wie z. B. die Produktkategorieähnlichkeit oder die Schemakongruenz operationalisieren.510

Zur Messung der Produktschemakongruenz in der vorliegenden Untersuchung dient eine Skala, die insgesamt aus vier Indikatoren besteht.511 Die Frage nach der Ähnlichkeit der Produkteigenschaften sowie Produktfunktionen ist einem Messinstrumentarium von Aaker und Keller entnommen.512 Die Fragen bezüglich der Nutzung sowie zu den Produktfunktionen basieren auf einem Inventar von Ratneshwar und Shocker513 sowie einer Skala von Chakravarti, MacInnis und Nakamoto.514 Sämtliche Indikatoren des Messinstrumentariums wurden bereits erfolgreich in empirischen Untersuchungen eingesetzt und reliabel und valide getestet.515

Um eine Aussage zur Ähnlichkeit zwischen der präsentierten Innovation und dem Produktschema treffen zu können, ist es sinnvoll, die Probanden das Neuprodukt zunächst einer Kategorie zuordnen zu lassen. Zu diesem Zweck wurden die Probanden angehalten anzugeben, mit welchem Schema sie das Neuprodukt vergleichen. So kann der Forscher gewährleisten, dass die Auskunftspersonen sich gedanklich mit der zu beurteilenden Innovation auseinandersetzen und versuchen, ihr ein passendes Schema zuzuordnen. Auf Basis dieser Kategorisierung vergleichen die Befragungsteilnehmer, wie hoch die Ähnlichkeit zwischen einem Neuprodukt und dem assoziierten Schema ist.

Wie bereits in Kapitel II-2 deutlich wurde, klassifizieren Personen Stimuli, die sie nicht ohne kognitiven Aufwand kategorisieren können, häufig in abstrakte Kategorien, wie z. B. in das Schema „technisches Gerät“. Diese abstrakte Zuordnung ist

509 510 511 512 513 514 515

Siehe Kapitel II-2.3.3. Vgl. Loken/Ward (1990); Meyers-Levy/Tybout (1989); Sujan (1985); Viswanathan/Childers (1999). Vgl. Martin/Stewart (2001), S. 476; Martin/Stewart/Matta (2004), S. 1 ff. Vgl. Aaker/Keller (1990), S. 31; Boush/Loken (1991), S. 20. Vgl. Ratneshwar/Shocker (1991), S. 281 ff. Vgl. Chakravarti/MacInnis/Nakamoto (1990), S. 910 ff. Vgl. Martin/Stewart (2001); Aaker/Keller (1990); Boush/Loken (1991); Ratneshwar/Shocker (1991); Chakravarti/MacInnis/Nakamoto (1990).

122 immer möglich und hilft bei der Produktbeurteilung nur wenig.516 Denn nur eine spezifische Kategorisierung erlaubt dem Beurteilenden, Inferenzen517 zu bilden und Schlussfolgerungen von der assoziierten Kategorie auf das Produkt zu übertragen.518 Daher werden die Probanden zudem gebeten, das Neuprodukt auf einer möglichst konkreten Ebene zu kategorisieren. Somit ergibt sich für die Konzeptualisierung der Produktschemakongruenz folgendes Messinventar: Indikatoren

Rating-Skala

Autor

Womit vergleichen Sie den Home Diagnostics (HD2009/708)? Bitte nennen Sie eine Produktkategorie, in die Sie den Home Diagnostics (HD2009/708) einordnen. (Bitte vermeiden Sie sehr allgemeine Kategorien wie medizinische Geräte, technische Geräte etc.) _______________________________________________________________ Wie ähnlich sind sich der Home Diagnostics (HD2009/708) und ein typisches Produkt der von Ihnen gewählten Produktkategorie in:

1 = Überhaupt nicht der Nutzungssituation?

ähnlich 7 = Sehr ähnlich

Ratneshwar/Shocker (1991) Chakravarti/MacInnis/ Nakamoto (1991)

1 = Überhaupt nicht den Produkteigenschaften?

ähnlich

Aaker/Keller (1990)

7 = Sehr ähnlich 1 = Überhaupt nicht den Funktionen?

ähnlich

Aaker/Keller (1990)

7 = Sehr ähnlich

1 = Überhaupt nicht den Gründen zur Nutzung?

ähnlich 7 = Sehr ähnlich

Ratneshwar/Shocker (1991) Chakravarti/MacInnis/ Nakamoto (1991)

Tabelle 10: Konzeptionalisierung der Produktschemakongruenz

516 517

518

Vgl. Gregan-Paxton/Roedder John (1997), S. 279; Binsack (2003), S. 273. Der Begriff „Inferenzen“ bezeichnet Schlussfolgerungen, die Menschen auf Basis ihres bestehenden Wissens ziehen. Der Konsument ergänzt beispielsweise externe Produktinformationen um interne Wissensbestandteile. Vgl. Enders/Engelmann (1997), S. 239. Vgl. Binsack (2003), S. 116.

123 4.9

Markenschemakongruenz

Wie erinnerlich bezeichnet die Markenschemakongruenz den vom Konsumenten wahrgenommenen Grad an Übereinstimung zwischen dem Markenschema und dem Produkt. Die Auskunftspersonen sind daher angehalten zu beurteilen, wie gut das Produkt zu der präsentierten Marke passt. Hierbei geben Erkenntnisse aus der Brand-Extensions-Forschung wertvolle Hinweise zur Gestaltung des Messinstrumentariums. Mit der latenten Variablen „Markenfit“ existiert in dieser Forschungsrichtung ein zur Markenschemakongruenz synonym verwendetes Konstrukt.519 In diesem Zusammenhang schlägt Zatloukal folgende Operationalisierung vor, deren Indikatoren sich hinreichend reliabel und valide erwiesen haben.520 Zur Verwendung in der vorliegenden Studie erfuhr die Skala lediglich eine Anpassung an das Untersuchungsobjekt.

Indikatoren

Rating-Skala

Autor

Inwiefern passt der Home Diagnostics (HD2009/708) in die bisher angebotene

1 = Gar nicht

Produktpalette der Marke Bayer (Tele-

7 = Sehr gut

Zatloukal (2002)

kom)? Inwiefern eigenen sich Ihrer Meinung nach die bei Bayer (Telekom) vorhandenen Produktionsanlagen und Fachkräfte, um den Home Diagnostics

1 = Gar nicht 7 = Sehr gut

Zatloukal (2002)

(HD2009/708) herzustellen? Wie schätzen Sie die Fähigkeit von Bayer (Telekom) zur Herstellung des Home Diagnostics (HD2009/708) ein?

1 = Gar nicht 7 = Sehr gut

Tabelle 11: Konzeptionalisierung der Markenschemakongruenz

519 520

Vgl. Baumgarth (2003), S. 225. Vgl. Zatloukal (2002), S. 239.

Zatloukal (2002)

124 Im Zentrum dieses Kapitels stand die Spezifizierung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen. Dabei interessierte insbesondere die Auswahl der Indikatoren, die zur Messung der latenten Variablen des Modells herangezogen werden. In einem zweiten Schritt gilt es nun, die verwendeten Skalen im Hinblick auf ihre Eignung zur Abbildung der Konstrukte zu untersuchen und gegebenenfalls anzupassen. Die Prüfung auf Reliabilität und Validität liefert bei der Beurteilung der Güte der Operationalisierung wertvolle Hinweise. Welche Verfahren in diesem Zusammenhang zur Überprüfung geeignet sind, zeigen die Ausführungen des folgenden Kapitels. Des Weiteren sollen die Methoden zur Beurteilung des zu untersuchenden Hypothesengefüges vorgestellt werden.

125

Teil III: Empirische Überprüfung des Modells zur Erklärung von Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen in der diagnostischen Medizin 1

Methodische Grundlagen der Modellschätzung

1.1

Zur Wahl einer geeigneten Untersuchungsmethode

Ob das erarbeitete Modell die Realität tatsächlich abbildet, kann durch eine empirische Überprüfung offen gelegt werden. Dazu ist eine Auswahl geeigneter mathematisch-statistischer Verfahren nötig, die den spezifischen Problemen der jeweiligen Aufgabenstellung Rechnung tragen.521 Nach Ohlwein existieren vier Kriterien zur Überprüfung der Eignung eines Schätzverfahrens zur Analyse eines Hypothesengefüges bestehend aus latenten Variablen.522

1. Die im vorangegangenen Kapitel operationalisierten latenten Variablen entziehen sich einer direkten Messung. Infolgedessen muss das Analyseverfahren kausale Beziehungen zwischen hypothetischen Konstrukten abbilden können.523 2. Die Erfassung der hypothetischen Konstrukte über Indikatoren ist mit Messfehlern behaftet. Diese resultieren beispielsweise aus falschen Aussagen der Probanden bzw. aus der Tatsache, dass sich nicht jeder Indikator gleich gut zur Messung eines Konstruktes eignet.524 Die Beachtung solcher Messfehler ist insbesondere bei Modellen relevant, die Relationen zwischen mehr als zwei Variablen abbilden. Um Verzerrungen bei der Modellschätzung zu vermeiden, müssen Messfehler explizit berücksichtigt werden.525 3. Zudem sollte das Analyseverfahren es dem Forscher ermöglichen, Beziehungen zwischen den Konstrukten abzubilden. Dieses Kriterium trägt der hohen Komplexität menschlichen Verhaltens Rechnung, was nicht durch eine vergleichsweise hohe Anzahl an Einflussfaktoren zum Ausdruck kommt, sondern auch darin, dass diese Determinanten sich gegenseitig beeinflussen. Daher soll ein geeignetes

521 522 523 524 525

Vgl. Homburg/Pflesser (2000), S. 635. Der Terminus „latente Variablen“ bezeichnet nicht beobachtbare Variablen. Vgl. Ohlwein (1999), S. 218 ff.; Peter (2001), S. 128 ff. Vgl. Bagozzi (1994), S. 26 f. Vgl. Peter (2001), S. 128 ff.

126 Analyseverfahren Interdependenzen zwischen den Variablen abbilden können, die zur Erklärung des Zielkonstrukts dienen. 526 4. Schließlich muss das Analyseverfahren eine simultane Überprüfung des gesamten postulierten Hypothesensystems ermöglichen. Die gleichzeitige Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen erhöht die Effizienz der Parameterschätzung.527

Vor diesem Hintergrund gilt es, ein Verfahren zu identifizieren, das allen angeführten Anforderungskriterien genügt. Grundsätzlich sind alle Formen von regressionsanalytischen Methoden zur Überprüfung kausaler Ursache-Wirkungszusammenhänge geeignet: die klassische Regressionsanalyse, das Logit-Verfahren sowie lineare Strukturgleichungsmodelle.

Die Grundform der klassischen Regressionsanalyse berücksichtigt allerdings weder Zusammenhänge zwischen den erklärenden Variablen noch die Messfehler. Ihre Annahme statistischer Unabhängigkeit der Regressoren steht im Widerspruch zu der oben aufgestellten Forderung nach Berücksichtigung kausaler Beziehungen zwischen den erklärenden Variablen. Zudem ermöglicht sie keinen gleichzeitigen Test des gesamten Hypothesensystems, außer im Fall der Existenz lediglich eines endogenen Indikators. Die Regressionsanalyse ist daher nicht geeignet, die vorgestellte Hypothesenstruktur zu überprüfen.528

Eine analoge Argumentation trifft auf das mit der Regressionsanalyse eng verwandte Logit-Verfahren zu. Von der klassischen Regressionsanalyse unterscheidet sich diese Methode allerdings in drei Punkten:

x

Das Verfahren benötigt lediglich kategoriale Daten.529

x

Zwischen abhängiger und unabhängiger Variable besteht ein logarithmischer530 Zusammenhang.531

526 527 528 529

Vgl. Ohlwein (1999), S. 220. Vgl. Ohlwein (1999), S. 220. Vgl. Homburg (1992), S. 499 f. Unter dem Begriff „kategoriale Daten“ sind sowohl nominale als auch ordinale Daten zusammengefasst.

127

x

Die Parameterschätzung erfolgt mithilfe der Maximum-Likelihood-Methode und nicht auf Basis der Kleinst-Quadrat-Methode.532

Das Logit-Verfahren gestattet dem Forscher, ein gesamtes Hypothesensystem mit latenten Variablen simultan zu überprüfen. Dennoch weist es ähnliche Schwächen auf wie die klassische Regressionsanalyse.533 Auch das Logit-Verfahren berücksichtigt keine Messfehler; eine Schätzung des kausalen Zusammenhangs zwischen den exogenen Variablen ist ebenfalls nicht möglich. Die Logit-Regression kommt daher zur Schätzung des vorliegenden Modells ebenfalls nicht in Betracht.534

Einen viel versprechenden Ansatz zur Überprüfung kausaler Zusammenhänge stellen lineare Strukturgleichungsmodelle dar. Diese Verfahren kombinieren regressionsanalytische Komponenten mit denen der Faktorenanalyse und werden seit Beginn der Siebzigerjahre in der Konsumentenverhaltensforschung verstärkt verwendet.535 Ziel ist die Überprüfung kausaler Abhängigkeiten, weshalb der Ansatz auch unter dem Terminus „Kausalanalyse“ Verbreitung gefunden hat.536 Der zentrale Vorteil der Kausalanalyse gegenüber der Regressionsanalyse besteht darin, dass Erstere mehrere kausale Zusammenhänge simultan modellieren kann. Charakteristisch für diesen Ansatz ist weiterhin, dass er erlaubt, zwischen beobachtbaren und theoretischen Variablen zu trennen und Messfehler angemessen zu berücksichtigen.537 Die Kausalanalyse gestattet dem Forscher, die Beziehungen zwischen Einflussgrößen des zentralen Konstrukts zu überprüfen sowie die simultane Schätzung des gesamten Hypothesensystems durchzuführen.538 Demzufolge entsprechen lineare Strukturgleichungsmodelle ausnahmslos allen vier genannten Anforderungen und dienen als methodische Basis zur Überprüfung des postulierten Hypothesensys-

530 531 532 533 534 535 536

537 538

Dies entspricht einem S-förmigen Verlauf. Bei der Regressionsanalyse wird ein linearer Zusammenhang unterstellt. Vgl. Herrmann (1992), S. 146 ff.; Krafft (1997), S. 628. Vgl. Agresti (1996), S. 150. Vgl. Homburg (1992), S. 499 f. Vgl. Hair et al. (1998). Nach Homburg und Pflesser ist der Begriff der Kausalanalyse insofern irreführend, da dieser Ansatz weniger Kausalitäten, sondern vielmehr Kovarianz- und Varianzstrukturen analysiert. Vgl. Homburg/Pflesser (2000), S. 633 ff. Vgl. Homburg/Pflesser (2000), S. 636. Vgl. Ohlwein (1999), S. 222.

128 tems.539 Das folgende Kapitel ist daher der Erläuterung von Strukturgleichungsmodellen gewidmet.

1.2

Grundlagen des Strukturgleichungsmodells

Jedes Strukturgleichungsmodell besteht grundsätzlich aus drei Teilmodellen: dem Strukturmodell,540 dem exogenen und dem endogenen Messmodell. Das Strukturmodell spezifiziert die kausalen Abhängigkeiten zwischen den latenten Variablen. Das exogene bzw. das endogene Messmodell hingegen beschreiben die Beziehungen zwischen den manifesten Indikatoren und den unabhängigen latenten Variablen (exogen) bzw. den abhängigen latenten Variablen (endogen).541 Der Aufbau eines Strukturgleichungsmodells ist in Abbildung 20 dargestellt.

Strukturmodell

Exogenes Messmodell

Endogenes Messmodell

]1 Hx1

x1

Hx2

x2

Tİx

Ox [1 )

Hx3 Hx4

x3

[2 x4

Oy

J K1 E

y1

Hy1

y2

Hy2

y3

Hy3

y4

Hy4

THy

\

K2 ]2

Abbildung 20: Aufbau eines Strukturgleichungsmodells

Die formale Schreibweise des Strukturmodells gestaltet sich wie folgt:

K

539 540

541

BK  *[  ]

(1.2)

Vgl. Steenkamp/Baumgartner (2000), S. 199. Das Strukturmodell stellt die vermuteten Beziehungen zwischen den hypothetischen Konstrukten dar. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 716. Vgl. Bollen (1989), S. 13 ff.

129 Dabei bezeichnet K den Vektor der endogenen latenten Variablen und [ den Vektor der exogenen latenten Variablen. Die Elemente bij und Jij der Matrizen der Strukturkoeffizienten B und * repräsentieren die direkten Effekte der endogenen Variablen auf andere endogene Variablen bzw. der exogenen Variablen auf weitere endogene Variablen. ] bezieht sich auf den Vektor der Fehlerterme542 in den Strukturgleichungen.543

Um die Relation zwischen Indikatoren und latenten Variablen im Messmodell zu analysieren, ist eine Differenzierung zwischen reflektiven und formativen Indikatoren notwendig. Der ungerechtfertigte Einsatz eines Messmodells544 bedingt eine Verletzung etablierter Gütekriterien und führt zudem zu einem Verlust des konzeptionellen Inhalts der latenten Variable.545 Da die Wahl der richtigen Messmodellspezifikation für die vorliegende Aufgabenstellung ausschlaggebend ist, stehen die Unterschiede zwischen formativen und reflektiven Messmodellen im Zentrum der folgenden Ausführungen.

Im formativen Messmodell verursachen die beobachtbaren Indikatoren (x1, …, xn) die latente Variable. Die Veränderung eines einzelnen Indikators führt zwangsläufig auch zu einer Veränderung der latenten Variablen. Die Ausprägungen der übrigen Indikatoren können davon unbeeinflusst bleiben und müssen nicht zwangsläufig miteinander korreliert sein. Daher kann die Veränderung der latenten Variable in einem formativen Messmodell ausschließlich auf der Veränderung eines einzelnen Indikators beruhen.546 Jeder Indikator stellt einen Teil des latenten Konstrukts dar. Die Eliminierung eines Indikators führt zur Veränderung des konzeptionellen Inhalts des Konstrukts. Dieses wäre in einem solchen Fall nicht mehr vollständig umschrieben.547

542 543 544

545 546 547

Synonym: Residualvariable. Vgl. Bollen (1989), S. 13 f. Die irrtümlich formative Spezifikation eines Konstrukts würde zu einer Nichtbeachtung der für reflektive Indikatoren wichtigen Gütemaße führen. Dies verringert aufgrund der Beibehaltung nichtreliabler Indikatoren die interne Konsistenz des Messmodells. Demgegenüber könnte die irrtümlich reflektive Spezifikation zur Anwendung eines Skalenbereinigungsprozesses führen, welcher bei formativen Konstrukten eine Veränderung der Konstruktbreite bewirkt. Vgl. Eberl (2004), S. 12 ff. Vgl. Eggert/Fassot (2003), S. 17. Vgl. Eberl (2004), S. 6. Vgl. Eggert/Fassot (2003), S. 6.

130 Die latente Variable kann mathematisch als eine Linearkombination ihrer Indikatoren dargestellt werden, wobei die formale Schreibweise wie folgt lautet:

[

3[ x  G [

(1.3)

für die exogenen latenten Variablen und

K 3K y  G K für endogene latente Variablen.

(1.4) 548

3[ und 3K stehen für die multiplen Regressionskoeffizienten, die den Effekt der manifesten auf die latente Variable repräsentieren. Demgegenüber bezeichnen G[ und GK die zugehörigen Messfehlerterme.549 Im reflektiven Messmodell verursacht die latente Variable Ș ihre zugeordneten Indikatoren. Dementsprechend verläuft hier die Richtung der Kausalität von der latenten Variablen zu den Indikatoren; eine Veränderung des Konstrukts bedingt somit auch eine Modifikation aller ihr zugeordneten Indikatoren.550 Die Indikatoren sollten bei einer reflektiven Operationalisierung möglichst hoch korreliert sein, da sie grundsätzlich austauschbare Messungen der latenten Variablen darstellen. Im reflektiven Mesmodell werden demzufolge alle Indikatoren eliminiert, die eine geringe Korrelation zu den anderen Indikatoren aufweisen. Da jeder einzelner Indikator das Konstrukt repräsentiert und die Items somit austauschbar sind, beeinflusst die Elimination den Inhalt des Konstrukts nicht. Liegt kein Messfehler (į1) vor, besitzen alle Indikatoren einen Korrelationskoeffizienten von eins; ein steigender Messfehler eines Indikators weist auf eine rückläufige Korrelation mit den übrigen Indikatoren hin.551 Diese bei reflektiven Operationalisierungen beschriebenen Annahmen können in mathematischer Schreibweise wie folgt dargestellt werden:

548 549 550 551

Vgl. Lohmöller (1989), S. 25 ff.; Chin/Newsted (1999), S. 323. Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 200. Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 200 f. Vgl. Eggert/Fassot (2003), S. 4 f.

131 y = /yK + Hy

(1.5)

für das endogene Messmodell und x = /x[ + Hx für das exogene Messmodell.

(1.6) 552

Dabei repräsentieren die Vektoren x und y die manifesten xi - und yi -Variablen, wohingegen die Vektoren Hy und Hx die entsprechenden Residualvariablen abbilden. In den Gleichungen (1.5) bzw. (1.6) spiegeln /y und /x die Ladungen von y auf K bzw. von x auf [ wider.553 Bei der Konzeption einer empirischen Untersuchung ist es von hoher Bedeutung, die Messmodelle von Beginn an korrekt zu spezifizieren. Auch beim anschließenden Prozess der Itemselektion ist zu berücksichtigen, dass zur Gütebeurteilung von formativen und reflektiven Messmodellen unterschiedliche Methoden anzuwenden sind.554 Eine Übersicht zur Identifikation und Differenzierung von formativen und reflektiven Indikatoren ist Tabelle 12 zu entnehmen.

552 553 554

Vgl. Bollen (1989), S. 16 ff. Vgl. Backhaus et al. (2000), S. 412 ff.; Eggert/Fassot (2003), S. 5. Vgl. Eberl (2004), S. 3 ff.

132

Kriterien Richtung der Kausalität? Indikatoren sind definierende Charakteristika oder Manifestationen des Konstrukts?

Formatives Modell

Reflektives Modell

Von den Indikatoren zum

Vom Konstrukt zu den

Konstrukt

Indikatoren

Indikatoren sind die definie-

Indikatoren sind Manifes-

renden Charakteristika

tationen des Konstrukts

Grundsätzlich ja

Grundsätzlich nein

Nein

Ja

Verursachen Änderungen in den Indikatoren Veränderungen des Konstrukts? Verursachen Änderungen des Konstrukts Veränderungen in den Indikatoren? Austauschbarkeit der Indikatoren?

Indikatoren müssen nicht notwendigerweise austauschbar sein

Indikatoren sollten austauschbar sein

Sollten die Indikatoren den

Indikatoren müssen nicht

Indikatoren sollten den-

gleichen Inhalt haben?

denselben Inhalt haben

selben Inhalt haben

Ja, Konstruktabbildung ist

Nein, Konstruktabbildung

dann unvollständig

ist nicht betroffen

Nicht notwendigerweise

Notwendigerweise

Auswirkungen auf das Konstrukt bei Eliminierung eines Indikators? Hohe Korrelation der Indikatoren? Besitzen die Indikatoren die-

Indikatoren müssen nicht

selben Antezedenzien und

dieselben Antezedenzien

Konsequenzen?

und Konsequenzen haben

Indikatoren müssen dieselben Antezedenzien und Konsequenzen haben

Tabelle 12: Entscheidungsregeln zur Bestimmung der Konstruktkausalität555

Die Entscheidung, ob ein Konstrukt formativ oder reflektiv zu operationalisieren ist, kann ein Forscher erst nach ausführlichen theoretischen Überlegungen zu dem Kon-

555

In Anlehnung an Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 203.

133 strukt und durch Ergründung der kausalen Verbindungen von Konstrukt zu Indikatoren entscheiden.556 Als Quelle für die Formulierung der Indikatoren dient die Literatur zu dem zu untersuchenden Bereich. Aus diesem Grund werden in den folgenden Kapiteln die einschlägige Literatur zur Suche nach möglichen Indikatoren herangezogen und die Operationalisierung entsprechend des theoretischen Hintergrunds ausgewählt.

Im nächsten Abschnitt erfahren die varianz- und kovarianzbasierten Verfahren zur Schätzung von Strukturgleichungsmodellen Partial Least Squares (PLS) und LISREL eine Diskussion im Hinblick auf das vorliegende Untersuchungsmodell.

1.3

Vergleich von kovarianzbasierten und varianzbasierten Verfahren der Modellschätzung

In der empirischen Marketingforschung ist die Verwendung von Strukturgleichungsmodellen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen.557 Zu ihrer Diffusion hat insbesondere die von Jöreskog und Sörbom entwickelte Kovarianzstrukturanalyse in Kombination mit dem zugehörigen Softwarepaket LISREL558 beigetragen.559 Diesem auf der Maximum-Likelihood-Methode basierenden Analyseverfahren liegt die Annahme zugrunde, dass die Verteilung der im Modell verwendeten Variablen bekannt ist, was in der Realität allerdings nicht immer der Fall sein muss. Wold entwickelte mit dem Partial Least Squares-Ansatz ein alternatives varianzbasiertes Verfahren, das ohne restriktive Verteilungsanforderungen auskommt.560 Hinsichtlich formaler Überlegungen zum Strukturmodell stimmen beide Ansätze überein. Die Unterschiede zwischen den Verfahren erwachsen vornehmlich aus den Schätzmethoden sowie den anwendbaren Messmodellen.561

556

557 558 559 560 561

Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 274; Fornell/Cha (1994), S. 61; Jarvis/MacKenzie/ Podsakoff (2003), S. 213. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 1095 ff. LISREL = Linear Structural Relationship. Vgl. Jöreskog (1970), S. 293 ff. Vgl. Wold (1980), S. 47 ff.; Wold (1985), S. 581 ff. Vgl. Rigdon (1998), S. 252 f.

134 Kovarianzbasierte Verfahren wie LISREL dominieren aktuell die wirtschaftswissenschaftliche Forschung.562 Die Bezeichnung Kovarianzstrukturanalyse erwächst aus der Vorgehensweise des Verfahrens. So wird auf iterativem Weg eine berechnete modelltheoretische Kovarianzmatrix bestmöglich an die Stichprobenkovarianzmatrix approximiert.563 Zu diesem Zweck stehen diverse Algorithmen zur Verfügung, deren Anwendung unterschiedliche Ansprüche an die Daten sowie die Operationalisierung der Konstrukte stellt.564

PLS-Schätzer hingegen basieren auf der Fix-Punkt-Schätzung mit der KleinstQuadrat-Methode und sind daher robust und mit lediglich geringen Verteilungsannahmen behaftet. Dadurch ist keine Normalverteilung der Eingangsdaten vonnöten.565 Dies ist ebenfalls auf die Anwendung einzelner OLS-Schätzungen566 zur Parameterbestimmung zurückzuführen.567 Allerdings sind Signifikanzprüfungen mangels Verteilungsannahmen lediglich unter Zuhilfenahme spezieller ResamplingTechniken, wie das „Bootstrapping“ und das „Jackknifing“ durchführbar. Beide Prozeduren schätzen gleichsam die Verteilung der der Stichprobe zugehörigen Grundgesamtheit

und

machen

Signifikanzaussage möglich.

dadurch 568

eine

Ermittlung

von

t-Werten

zur

Auch die so genannten „Heywood-Cases“, also

unsinnige Werte, treten bei dieser Methode nicht auf.569

Während LISREL zur Schätzung große Stichproben mit mindestens 200 Probanden benötigt, deren Anzahl je nach Komplexitätsgrad rapide ansteigt,570 genügen in PLS bereits relativ kleine Stichproben, um Signifikanzaussagen treffen zu können. Einen Anhaltspunkt für den benötigten Stichprobenumfang in PLS schlagen Chin und Newstedt vor.571 Das Autorengespann empfiehlt, zunächst die Anzahl an Indikatoren für alle formativen Messmodelle zu ermitteln, um dann den Block mit der höchsten 562 563 564 565 566 567 568 569

570 571

Vgl. Krafft/Haase/Siegel (2003), S. 95 f.; Homburg/Baumgartner (1995), S. 1095. Vgl. Backhaus et al. (2000), S. 412 ff. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 1. Vgl. Arnett/Laverie/Meiers (2003), S. 162. OLS = Ordinary Least Squares. Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 443. Vgl. Wold (1980). Als „Heywood Case“ bezeichnet man das Auftreten einer negativen Varianz bei einer der Modellvariablen. Dies macht eine weitere Schätzung der Parameter folglich nicht möglich. Vgl. Dillon/ Kumar/Mulani (1987), S. 126. Vgl. Gerbing/Anderson (1984); MacCallum (1986); Hu/Bentler (1999); Bollen (1989), S. 112. Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 335 f.

135 Indikatorenanzahl zu bestimmen. In einem zweiten Schritt ist dann herauszufinden, welches endogene Konstrukt die meisten Beziehungen mit latenten exogenen Variablen im Strukturmodell aufweist. Ausgehend von der Anzahl des höchsten Wertes beider Überprüfungen sollten zehnmal so viele Datensätze in die Analyse einbezogen werden, um die notwendige Stichprobengröße zu erhalten.572 Dies bedeutet, der Forscher sollte mindestens zehnmal so viele Datensätze einbeziehen, wie maximal Pfade (Strukturpfade oder formative Indikatoren) in einem Konstrukt zusammenlaufen. Damit dürfte die notwendige Stichprobengröße selten 100 übersteigen.573

Tabelle 13 liefert eine Übersicht über die Unterschiede zwischen varianz- und kovarianzbasierten Verfahren.

572 573

Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 337; Gefen/Straub/Boudreau (2000), S. 26 ff. Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 335 f.

136

Kriterien

Schätzalgorithmus

Schätzprinzip

Varianzbasiertes

Kovarianzbasiertes

Strukturgleichungsmodell

Strukturgleichungs-

(PLS)

modell (LISREL)

Kleinst-Quadrat-Schätzung

Simultane Schätzung der

anzen, partielles Schätzverfah-

Modellparameter durch

ren unter Einbezug der

Optimierung eines globalen

Gesamtinformation

Kriteriums Reflektiv (formativ nur bedingt

Formativ und reflektiv

möglich im Rahmen von MIMIC-Modellierung)574

Beziehung Relativ kleine Stichproben geStichprobengröße

Schätzung

Minimierung von Residualvari-

Konstrukt– Indikatoren-

Maximum-Likelihood-

nügen (größte Teilregression muss identifiziert sein)

Je nach Komplexitätsgrad große Stichproben mit mindestens 200 Probanden notwendig

Praxisorientiert

Theorieorientiert

Vorhersageorientiert, optimale

Parameterorientiert, optima-

Vorhersage des Zielkonstrukts

le Schätzung der Parameter

Keine Normalverteilung not-

Normalverteilung notwendig

wendig

(für ML-Schätzung)

Konsistent bei hoher Indikato-

Konsistent; Konsistenz steigt

renzahl; Konsistenz steigt mit

mit steigender Stichproben-

steigender Stichprobengröße

größe

Heywood-cases

Nicht möglich

Möglich

Konstruktwerte

Determiniert

Nicht determiniert

Anwendungsfeld Zielsetzung

Verteilungsannahmen

Konsistenz der Schätzer

Tabelle 13: Vergleich zwischen kovarianz- und varianzbasierten Verfahren575

574

575

MIMIC = Multiple Indicators Multiple Causes. Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 441 f.; Winklhofer/ Diamantopoulos (2002), S. 152 ff.; Jöreskog/Goldberger (1975), S. 331 ff. In Anlehnung an Hahn (2002), S. 107; Bliemel et al. (2005), S. 11; Chin/Newsted (1999), S. 314.

137 Bei Verwendung von Softwarepaketen zur Schätzung von Strukturgleichungsmodellen mithilfe der Kovarianzstrukturanalyse können formative Indikatoren lediglich unter bestimmten Voraussetzungen in den Modellzusammenhang eingebunden werden.576 Im Vergleich dazu bietet die varianzanalytische Schätzung mittels PLS die Schätzung unter Verwendung beider Konstruktoperationalisierungen an.577 Die aktuell verfügbare PLS-Software verfügt über Optionen zur Modellspezifikation, die sich besonders gut zur Analyse komplexer Hypothesensysteme mit formativen und auch reflektiven Indikatoren eignen.578

Die Entscheidung für ein Analyseverfahren sollte grundsätzlich in Abhängigkeit von der Zielsetzung der Untersuchung getroffen werden. Besteht das Anliegen eines Wissenschaftlers darin, ein theoretisch fundiertes Hypothesensystem unter Einbezug möglichst konsistenter Schätzer zu überprüfen, so wird er eher ein kovarianzbasiertes Verfahren wählen, da dieses eine bestmögliche Anpassung der Theorie an die Empirie gewährleistet.579 Eine managementorientierte Fragestellung hingegen fordert den Einsatz von PLS, da hierbei die Erklärung der Veränderung bzw. Vorhersage der Zielvariablen im Vordergrund steht.580

Im vorliegenden Untersuchungsmodell finden gleichermaßen reflektive und formative Indikatoren Berücksichtigung. Weiterhin ist die Fragestellung der vorliegenden Arbeit managementorientiert. Somit ist PLS die geeignete Methode zur Modellschätzung. Die Erörterung der Kriterien zur Beurteilung der Güte einer Schätzung mit PLS steht im Zentrum des folgenden Kapitels.

576 577 578 579 580

Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 213 ff.; MacCallum/Browne (1993). Vgl. Eggert/Fassott (2003), S. 13 f. Vgl. Temme/Kreis (2005), S. 193 ff. Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 337; Gefen/Straub/Boudreau (2000), S. 26 f. Vgl. Fornell/Bookstein (1982), S. 443.

138 1.4

PLS-Ansatz zur Schätzung linearer Strukturgleichungsmodelle

1.4.1

Grundlagen zum PLS-Ansatz

PLS ist ein varianzbasiertes Strukturgleichungsverfahren, das die Varianz der Fehlerterme aller abhängigen Variablen minimiert. Zu den abhängigen Variablen zählen die formativ operationalisierten Konstrukte und die endogenen Variablen im Strukturmodell. Darüber hinaus fungieren die Indikatoren der reflektiven Konstrukte ebenfalls als abhängige Variablen.581 Zur Minimierung der Varianzen innerhalb der Regressionsgleichung kommt die Kleinst-Quadrat-Methode zum Einsatz.582 Die Schätzung der Faktorladungen zwischen den latenten Variablen und den Indikatoren sowie der Pfadkoeffizienten583 erfolgt in PLS mittels einer OLS-Regression. Zur Bestimmung der Schätzparameter nutzt der Schätzalgorithmus von PLS Gewichte als Hilfsvariablen, die der Zuordnung von konkreten Werten für die latenten Variablen dienen. Diese werden in Abhängigkeit der Art des Messmodells innerhalb eines iterativen Prozesses bestimmt. Dabei ergeben sich die latenten Größen als eine gewichtete Linearkombination aus ihren jeweiligen Indikatoren. Um eine möglichst optimale Annäherung an die tatsächlichen Datenpunkte zu erreichen, werden die Residuen in den Messmodellen minimiert.584 Ein Gütekriterium zur Beurteilung des globalen Modellfit stellt PLS aufgrund mangelnder Simultanität der Parameterschätzung – im Gegensatz zu LISREL – nicht zur Verfügung.585 Daher ist lediglich eine separate Begutachtung der Gütekriterien möglich.

Der PLS-Schätzalgorithmus durchläuft mit der inneren und der äußeren Schätzung zwei Prozesse. Im Rahmen der äußeren Schätzung erfolgt eine Berechnung der Konstruktwerte als Erwartungswerte der Indikatoren.586 Bei der inneren Schätzung werden nach Noonan und Wold verbesserte Werte für die endogenen Größen auf

581 582 583 584

585 586

Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 62. Vgl. Hahn (2002), S. 107. Synonym: Strukturgleichungskoeffizienten, Faktorladungen. Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 64 ff.; Cassel/Hackl/Westlund (1999), S. 438; Lohmöller (1989), S. 29 f. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 5. Bei Konstrukten mit reflektiven Items sind die Gewichte als einfache Regressionskoeffizienten, bei formativen Konstrukten als multiple Regressionskoeffizienten anzusehen.

139 der Basis der Konstruktwerte der ihnen kausal vorgelagerten Konstrukte ermittelt.587 Die Prozesse gestalten sich wie folgt.

x

Äußere Schätzung: Der erste Schritt des PLS-Schätzalgorithmus besteht aus der Ermittlung der Konstruktwerte als Erwartungswerte der Indikatorvariablen, wobei anfänglich willkürlich gewählte Gewichte den Ausgangspunkt der Berechnung bilden. Anschließend erfolgt die Schätzung der Gewichte auf Messmodellebene.588 Während bei einem reflektiven Konstrukt die Gewichte als einfache Regressionskoeffizienten des Indikators anzusehen sind, verwendet PLS bei formativen Konstrukten multiple Regressionskoeffizienten als Gewichte.

x

Innere Schätzung: In einem zweiten Schritt erfolgt – basierend auf den Werten für die latenten Variablen – die Berechnung verbesserter Werte für die endogenen Größen unter Verwendung der Konstruktwerte ihrer latenten Variablen. Dabei fungieren die Konstruktwerte als Eingangswerte für die erneute Bestimmung der Gewichte.589

x

Dieses Vorgehen wird so lange wiederholt, bis sich hinsichtlich der Gewichte und folglich auch der Konstruktwerte keine wesentlichen Änderungen mehr feststellen lassen und die Ergebnisse konvergent sind.

x

Liegt Konvergenz vor, schließt sich die individuelle Ermittlung der Werte für die latenten Variablen auf Basis der berechneten Gewichte an.590 Daraufhin beginnt die Schätzung auf Strukturmodellebene mittels multipler Regressionen, wobei die Pfadkoeffizienten für jedes endogene Konstrukt als abhängige Variablen und ihre Einflussgrößen als unabhängige Variablen errechnet werden.591

Der Schätzalgorithmus in PLS unterscheidet sich von dem in LISREL verwendeten dadurch, dass nicht ein einziges übergeordnetes Optimierungskriterium Anwendung

587 588

589 590 591

Vgl. Noonan/Wold (1982), S. 77 ff. Das Messmodell bildet die Beziehungen zwischen den beobachtbaren Variablen und den ihnen zugrunde liegenden Konstrukten ab. Vgl. hierzu Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 717. Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 318. Die Konstruktwerte sind im Gegensatz zu LISREL somit determiniert. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 722.

140 findet. Der PLS-Ansatz teilt den Schätzalgorithmus vielmehr in die einzelnen Regressionsgleichungen des Struktur- und Messmodells auf. Die Lösung entsteht dabei iterativ.592 Die Parameter in PLS sind lediglich lokal angepasst, d. h. mit der Anzahl an Indikatoren erhöht sich die Konsistenz der Schätzer,593 daher unterschätzt das Verfahren die Beziehungen zwischen den latenten Variablen tendenziell.594 Demgegenüber überschätzt PLS die Beziehungen zwischen Indikatoren und Konstrukten auf Messmodellebene, da die latenten Variablen aufgrund der vorliegenden Linearkombination die mit Messfehler behafteten Indikatoren enthalten.595 Areskoug konnte jedoch zeigen, dass diese Verzerrungen keine Auswirkung auf die Vorhersagequalität der Schätzung haben.596 Der Autor postuliert, dass sich die beiden Effekte gegenseitig aufheben und dadurch die Konsistenz der Konstruktwerte und Parameterschätzungen wieder hergestellt ist.597 Im folgenden Kapitel erfahren die Gütekriterien der Modellschätzung mittels PLS eine Erörterung.

1.4.2

Beurteilung der Modellgüte

1.4.2.1 Messmodell Die abschließende Beurteilung der Güte einer Modellschätzung stellt eine zentrale Herausforderung der Kausalanalyse dar. Hierzu dienen Kriterien, die einen Rückschluss auf die Validität598 und Reliabilität599 der Modellbeziehungen sowie des Gesamtgefüges zulassen.600 Man differenziert dabei zwischen Kriterien zur Beurteilung der Güte des Mess- und des Strukturmodells, wobei auf Messmodellebene zusätzlich eine Unterscheidung zwischen formativen und reflektiven Indikatoren notwendig ist.

Im Zentrum der Gütebeurteilung reflektiver Messmodelle stehen die Plausibilität und Höhe der Faktorladungen sowie deren statistische Signifikanzen. Die ermittelten

592 593

594 595 596 597 598

599

600

Vgl. Hahn (2002), S. 103. Statistisch sind sie nicht konsistent, sondern lediglich „consistent at large“. Vgl. Albers/Hildebrandt (2006), S. 18. Vgl. z. B. Dijkstra (1983); Schneeweiß (1990). Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 66. Vgl. Areskoug (1982), S. 104. Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 66. Die Validität bezieht sich insbesondere auf systematische, konstante Fehler und wird als Gültigkeit einer Messung bezeichnet. Die Reliabilität bezieht sich auf unsystematische, variable Fehler und stellt die Zuverlässigkeit einer Messung dar. Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 93.

141 Strukturparameter geben dabei Aufschluss über die Einflussstärke eines Konstrukts auf ein kausal nachfolgendes.601 Chin empfiehlt eine Ladung von mindestens 0,6, besser noch 0,7 oder höher. Ladungen, die den Wert von 0,707 übersteigen, entsprechen einer erklärten Varianz von mehr als 50 Prozent. Dies bedeutet, dass über 50 Prozent der Varianz eines Indikators auf die latente Variable zurückzuführen ist.602 Die statistische Signifikanz der Ladungen kann mithilfe der t-Werte getestet werden. Diese lassen sich durch die im PLS-Programm integrierten Prozeduren „Bootstrapping“ und „Jacknifing“ bestimmen,603 wobei Bootstrapping dem Jacknifing wegen eines geringeren Standardfehlers bei Ermittlung der Schätzgüte vorzuziehen ist.604 Im reflektiven Messmodell sollten die t-Werte bei einem einseitigen Test auf einem Niveau von 90 Prozent (95 Prozent) statistische Signifikanz indizieren, was einem t-Wert von mindestens 1,66 (1,98) entspricht.605

Unter Zuhilfenahme der Ladungswerte können Diskriminanz- und Konvergenzkriterien berechnet werden. Zur Diskriminanzprüfung dient das Fornell-Larcker-Kriterium; durchschnittlich erfasste Varianz (DEV)606 und Konstruktreliabilität607 sind Konvergenzkriterien.608 Mithilfe der Konstruktreliabilität kann der Forscher die Eignung eines Faktors zur Erklärung seiner reflektiven Indikatoren messen. Der Wert der Faktorreliabilität sollte mindestens 0,7 betragen und variiert in einem Kontinuum von null bis eins, wobei ein hoher Wert von einer besseren Qualität der Messung zeugt.609 Die durchschnittlich erfasste Varianz ist ebenfalls auf Werte zwischen null und eins normiert, allerdings sollte hier die Grenze von 0,6 nicht unterschritten werden.610 Das Kriterium der DEV eignet sich zudem zur Bestimmung der Diskriminanzvalidität, wobei Fornell und Larcker postulieren, dass die durchschnittlich erfasste Varianz latenter Variablen größer sein sollte als die Wurzel der Korrelationen zwischen den 601 602 603

604 605 606 607 608 609 610

Vgl. Hulland (1999), S. 198. Vgl. Chin (1998a), S. 13. Beim „Jacknifing“ wird aus allen Datensätzen eine festgelegte Anzahl zu unterdrückender Fälle nach einem bestimmten Schema bestimmt. Darauf aufbauend wird das Modell für jedes Subsample geschätzt. Beim „Bootstrapping“ erfolgt diese Schätzung auf Basis zufällig ausgewählter Fälle. „Jacknifing“ benötigt daher weniger Zeit zur Ergebnisberechnung, was aber zu Lasten der Qualität der Resultate geht. Vgl. Chin (1998b), S. 295 ff. Vgl. Hahn (2002), S. 105. Die t-Werte dieser Untersuchung beziehen sich fortan auf 100 Freiheitsgrade. AVE = average variance extracted. Synonym: Faktorreliabilität. Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 69. Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 1091 ff. Vgl. Bagozzi/Yi (1988), S. 74 ff.

142 latenten Konstrukten.611 Ein Gütekriterium der ersten Generation, das so genannte Cronbachs Alpha stellt ein Maß zur Ermittlung der Reliabilität einer Itembatterie dar.612 Cronbachs Alpha repräsentiert den Anteil der Gesamtvarianz einer Skala, der auf einen gemeinsamen Faktor zurückgeführt werden kann, und kann Werte zwischen null und eins annehmen. Bei der Schätzung von Strukturgleichungsmodellen setzen sich allerdings zur Reliabilitätsprüfung reflektiver Indikatoren zunehmend alternative, Cronbachs Alpha überlegene Kriterien wie z. B. die durchschnittlich erfasste Varianz oder die Konstruktreliabilität durch.613

Ein Gütemaß zur Bestimmung der Vorhersagevalidität stellt das Q² nach Stone und Geisser dar, das die Prognose durch die gewählten Indikatoren mit einer trivialen Vorhersage durch die Mittelwerte der Indikatoren vergleicht. Dieses Maß liefert eine Aussage darüber, wie gut eine Rekonstruktion der latenten Variable durch ihre Indikatoren möglich ist. Ein Wert über null bescheinigt dem Modell Vorhersagerelevanz.614

Die Höhe und Korrelation der Residuen können daneben Auskunft über die Unidimensionalität der Konstruktmessung geben. Diese indiziert, inwieweit das Konstrukt selbst als einzige Quelle für die Korrelation zwischen dessen Indikatoren verantwortlich ist.615 Aufschluss über die Unidimensionalität der Konstruktmessung geben die Höhe und Korrelation der Residuen. Sofern die Indikatoren eines Konstrukts nur miteinander hoch korrelieren, liegt eine unidimensionale Messung vor.616

Im Gegensatz zu reflektiven Messmodellen sind bei formativen Operationalisierungen weitaus weniger Prüfkriterien relevant, da hier die Inhaltsvalidität nicht zur Beur-

611 612 613

614 615 616

Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46. Vgl. Cronbach (1951), S. 297 ff. Wird eine Stichprobe über ein Itemset gemessen, das aus k Indikatoren besteht, so ist Cronbachs Alpha als die durchschnittliche Korrelation zwischen diesen Items (mit der SpearmanBrown Formel um k nach oben korrigiert) definiert. Die Höhe des Koeffizienten ist einerseits positiv von der Anzahl der Indikatoren und andererseits von der Stichprobengröße abhängig. Somit ist Cronbachs Alpha im Vergleich zur Schätzung konsistenter Ladungen einzelner Items als beschönigendes Kriterium bei der Überprüfung der Eignung reflektiver Items anzusehen. Vgl. Kressmann (2007). Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 73. Vgl. Anderson/Gerbing/Hunter (1987). Vgl. Segars (1997), S. 115 ff.

143 teilung der Qualität der Messmodelle herangezogen werden kann.617 Von besonderer Bedeutung bei der Überprüfung formativer Messmodelle ist die statistische Signifikanz der Strukturparameter zwischen dem Konstrukt und den herangezogenen Indikatoren, wobei die Höhe der multiplen Regressionskoeffizienten Auskunft über die Vorhersagevalidität eines Indikators bezüglich eines Konstrukts gibt. Der zugehörige t-Wert liefert einen Anhaltspunkt zur Einschätzung der Reliabilität des Regressionskoeffizienten und sollte mindestens den Wert von 1,98 erreichen, um dem Indikator einen statistisch signifikanten Einfluss auf das Konstrukt zu bescheinigen.618 Als problematisch kann sich das Nichterreichen dieses Wertes erweisen, da Indikatoren eines formativ operationalisierten Konstrukts nicht ohne weiteres eliminiert werden können. Der Grund hierfür liegt in der zuvor auf Basis von theoretisch konzeptionellen Überlegungen getroffenen Zuordnung eines Indikators zu dem betroffenen Konstrukt. Die Eliminierung eines Indikators aus dem formativen Messmodell würde zu einer möglichen Verfälschung des definitorischen Inhalts des entsprechenden Konstrukts führen. Daher ist es angebracht, die Streichung eines Indikators lediglich nach ausreichenden inhaltlichen Überlegungen durchzuführen und nicht ausschließlich von dem errechneten t-Wert abhängig zu machen.619

Zur Beurteilung der Diskriminanzvalidität leistet die Korrelationsmatrix der Konstruktwerte wertvolle Dienste. Bleiben die Korrelationen unter einem Wert von 0,9, liegt Diskriminanzvalidität vor.620 Weiterhin kann die Betrachtung der Korrelationsmatrix einen ersten Anhaltspunkt auf Multikollinearität zwischen den Indikatoren geben.621 Multikollinearität bezeichnet den Grad der linearen Abhängigkeit der Indikatoren.622 Liegen die Korrelationskoeffinzienten in der Nähe eines Extremwertes, deutet dies auf das Vorhandensein von Multikollinearität hin. Eine Maßzahl, die Aufschluss über die Multikollinearität zweier Faktoren gibt, ist der Variance Inflation Factor (VIF).623

617 618 619 620 621 622 623

Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 728. Vgl. Backhaus et al. (2003), S. 73 f. Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 202. Vgl. Fritz (1995), S. 136. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 729. Vgl. Backhaus et al. (2003), S. 88. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 729.

144 Ein Wert über 10 deutet auf Multikollinearität hin,624 wobei Schätzwerte in diesem Fall nicht mehr als zuverlässig gelten.625

In Tabelle 14 sind die Gütekriterien reflektiver und formativer Messmodelle aufgeführt.

Reflektives

Formatives

Messmodell

Messmodell

Plausibilität der Ladung

Mindestanforderung

Mindestanforderung

Diskriminanz

Fornell-Lacker-Kriterium

Gütekriterien

Konstruktkorrelationen < 0,9 > 0,707

Irrelevant

Einseitig > 1,66

Zweiseitig > 1,98

(df = 100)

(df = 100)

DEV

> 0,6

(nicht möglich)

Konstruktreliabilität

> 0,7

(nicht möglich)

Ladung t-Wert Konvergenz:

Stone-Geissers (nicht möglich)

Vorhersagevalidität Q2 (Kommunalität) > 0 Multikollinearität Unidimensionalität

(nicht möglich) Höhe und Korrelation der Residuen

VIF < 10 (nicht möglich)

Tabelle 14: Konservative Prüfkriterien für PLS-Modelle auf Messmodellebene626

624 625 626

Vgl. Gujarati (2003), S. 362. Vgl. Gujarati (2003), S. 362; Backhaus et al. (2003), S. 90 f. In Anlehnung an Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 64.

145 1.4.2.2 Strukturmodell Die Güteprüfung auf Strukturmodellebene erfordert eine Bewertung der hypothetischen Beziehungen zwischen den verwendeten Modellkomponenten, um eine Aussage über die nomologische Validität des zugrunde liegenden Modells treffen zu können. Die Güteprüfung im Strukturmodell erfolgt unter Verwendung der Vorzeichen sowie der statistischen Signifikanzen der Strukturparameter, wobei Letztere Aufschluss über die Stärke des Einflusses eines Konstrukts auf ein kausal nachfolgendes geben.627 Die Reliabilität der Pfadkoeffizienten628 hinsichtlich der Modellschätzungen wird schließlich anhand der mittels Bootstrapping errechneten t-Werte überprüft.629 Eine Beziehung zwischen zwei Konstrukten ist dann als statistisch signifikant anzusehen, wenn der t-Wert bei einer 5-prozentigen Irrtumswahrscheinlichkeit einen Wert von 1,98 übersteigt.630

Neben den Pfadkoeffizienten und den dazugehörigen Signifikanzen bildet zunächst das aus dem statistischen Verfahren der Regressionsanalyse bekannte R2-Bestimmtheitsmaß631 die Grundlage für die Beurteilung.632 Der Determinationskoeffizient R² gibt den Anteil des erklärten Teils der Streuung an der Gesamtstreuung an; der normierte Wertebereich des Bestimmtheitsmaßes liegt zwischen null und eins. Das R² ist umso größer, je höher der Anteil der erklärten Varianz an der Gesamtvarianz ist.633 In der einschlägigen Literatur sind unterschiedliche Ansätze zu finden, ab wann ein R² als gut bezeichnet werden kann.634 Grundsätzlich sollte der Wert von 0,3 nicht unterschritten werden.635 Darüber hinaus kommt zur Prüfung der Vorhersagevalidität bei einem reflektiven Zielkonstrukt das auf Redundanzen basierende Stone-Geisser Q2 auch auf Strukturmodellebene zum Einsatz. Liegt der Q2-Wert über null, so kann dem Modell Vorhersagerelevanz bescheinigt werden.636 Daneben ist auch auf Strukturmo-

627 628

629 630 631 632 633

634 635 636

Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005), S. 83. Die Begriffe Strukturgleichungskoeffizient und Pfadkoeffizient werden im Folgenden synonym verwendet. Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005), S. 83. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 24. Vgl. Fritz/Möllenberg/Dees (2005), S. 269. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 730. Ein R² von 0,69 bedeutet beispielsweise, dass 69 Prozent der Gesamtvarianz durch die zugrunde liegende Variable erklärt werden, während 31 Prozent unerklärt bleiben. Vgl. Backhaus et al. (2003), S. 96; Chin (1998), S. 323. Vgl. Chin (1998b), S. 323. Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 72 f.

146 dellebene unter Zuhilfenahme des Variance Inflation Factor eine Überprüfung der Daten auf Multikollinearität möglich. Allerdings ist eine Berechnung dieses Gütekriteriums lediglich für die antezedenten Konstrukte im Modell ermittelbar, da PLS ausschließlich konkrete Konstruktwerte ermittelt.637

Ein globales Gütemaß zur Beurteilung der Güte des Gesamtmodells stellt PLS bisher nicht zur Verfügung.638 Anhand der verfügbaren Kennzahlen ist jedoch eine ausreichende Bewertung der Modellzusammenhänge möglich. Sofern einzelne Messmodelle bezüglich der Gütekriterien Defizite aufweisen, können Modifikationen die Signifikanzen in den Teilbereichen sichern. Tabelle 15 gibt eine Übersicht über die gängigen Gütekriterien reflektiver und formativer Mess- und Strukturmodelle in PLS.

Gütekriterien

Strukturmodell

Strukturparameter

(keine Vorgabe)

t-Wert

Zweiseitig > 1,98

R2

> 0,3

Vorhersagevalidität (bzgl. endogener reflektiver Konstrukte)

Stone-Geissers Q2 (Redundanz) > 0

Tabelle 15: Prüfkriterien für PLS-Modelle auf Strukturmodellebene639

Mithilfe von PLS wird nachfolgend überprüft, ob die empirischen Daten mit den theoretisch aufgestellten Relationen übereinstimmen. Zur Durchführung einer empirischen Studie bedarf es einer gezielten Konzeption im Vorfeld der Erhebung. Um die Hypothesen testen zu können, ist zunächst eine Präzision des Untersuchungsgegenstands notwendig.640 Darin besteht das zentrale Anliegen des folgenden Kapitels.

637

638 639 640

Auch auf Strukturmodellebene indiziert ein Wert über 10 eine hohe Multikollinearität. Vgl. Gujarati (2003), S. 362. Solch ein hoher Wert würde sich bereits in den Regressionskoeffizienten widerspiegeln und nicht signifikante Ergebnisse liefern. Daher soll dieses Kriterium auf Strukturmodell ebene keine Anwendung finden. Vgl. Kressmann (2007), S. 123. Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 61; Hulland (1999), S. 202. In Anlehnung an Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 64. Vgl. Hildebrandt (2000), S. 40.

147

2

Konzeption der empirischen Studie

2.1

Anliegen und Aufbau der Untersuchung

Eine Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht in der Entwicklung und empirischen Überprüfung eines möglichst umfassenden, generalisierbaren Erklärungsmodells zur Adoption radikaler Innovationen. Auf Basis dieses Modells soll der Forscher in der Lage sein, dem Management konkrete Ansatzpunkte für die erfolgreiche Gestaltung, Platzierung und Vermarktung von radikalen Innovationen aufzuzeigen. Zu diesem Zweck liefert eine empirische Untersuchung Aufschluss über die in der Realität bestehenden Zusammenhänge. Hierzu erfährt das Modell zunächst vier getrennte Schätzungen unter Variation der Produktschemakongruenz sowie der Markenschemakongruenz. In einem anschließenden Gruppenvergleich werden die Unterschiede zwischen den Beziehungen der Modelle deutlich. Abhängige Variablen im Modell stellen die Kaufabsicht und die Einstellung zum Kauf der Innovation dar. Den theoretischen Überlegungen zufolge stehen diese mit der Intensität der Produktschemakongruenz und der Markenschemakongruenz in Zusammenhang. Als weitere abhängige Variablen dieses Modells fungieren Innovationsbereitschaft, produktbezogene Emotionen sowie die Marken- und die Produktzielkongruenz.

Um die zuvor formulierten Hypothesen zu testen, ist zunächst eine Präzisierung des Untersuchungsgegenstands notwendig.641 Damit die Theorie des überlegten Handelns zur Erklärung des Adoptionsverhaltens bei radikalen Innovationen angewendet werden kann, muss es sich bei dem Untersuchungsobjekt um ein Produkt handeln, dessen Kaufentscheidung willentlich gesteuert bzw. kontrolliert erfolgt. Da neue medizinische Produkte generell ein hohes Maß an Interesse und Aufmerksamkeit beim Verbraucher hervorrufen, üblicherweise willentlich kontrolliert gekauft werden und ein Kaufrisiko beinhalten, wurden die untersuchten radikalen Innovationen im medizinischen Bereich angesiedelt. Um auch tatsächlich radikale und nicht etwa kontinuierliche Innovationen zu untersuchen, gilt es demzufolge, ein Neuprodukt zu generieren, das sowohl neu wahrgenommen wird als auch einen zusätzlichen Nutzen stiftet so-

641

Vgl. Hildebrandt (2000), S. 40.

148 wie neue Technologien beinhaltet.642 Darüber hinaus sollten die medizinischen Innovationen ein gewisses Kaufrisiko für den Konsumenten bergen.

Zur sukzessiven Entwicklung und Überprüfung der Neuprodukte erscheint ein qualitativer Forschungsansatz zielführend. Den Ausgangspunkt für die Generierung der radikalen Innovationen bildeten daher Expertengespräche. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen einer ersten Vorstudie Personen ausgewählt und befragt, die sich innerhalb oder außerhalb des Unternehmens in unmittelbarer Weise mit Neuprodukten oder medizinischen Geräten auseinandersetzen. Als betriebsinterne Experten fungierten Mediziner sowie Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen. Die Sichtweise der betriebsinternen Experten wurde durch eine übergreifende Sichtweise von außen ergänzt. Als unternehmensexterne Experten lieferten die Geschäftsführung sowie die Mitarbeiter einer branchenspezifischen Strategie- und Managementberatung, die ihre Kernkompetenz in der Beratung und Betreuung von Kunden aus dem medizinischen und pharmazeutischen Bereich hat, wertvolle Anregungen im Hinblick auf die Produktgestaltung.

Als Ergebnis der qualitativen Interviews mit den Experten liegen zwei Produktbeschreibungen von medizinischen Innovationen vor, die in ihrer Funktionsweise äquivalent

sind,

deren

Produktbeschreibungen

sich

allerdings

voneinander

unterscheiden. Neben den Produkteigenschaften gehört insbesondere der Name eines Produkts zu seinen dominierenden Merkmalen und spielt daher eine wesentliche Rolle bei der Kategorisierung.643 Eine der beiden Innovationen – der so genannte HD2009/708 – ist weder über seinen Namen, noch über seine Produktbeschreibung unmittelbar einem bestimmten Schema zuordenbar. Die Produktbeschreibung des HD2009/708 erhielt bewusst keine Schemavorgabe. Das zweite Neuprodukt erhielt den assoziativen Namen „Home Diagnostics“. Unter der Bezeichnung „Home Diagnostics“ kann das Neuprodukt eher eingeordnet werden, zudem gibt die Produktbeschreibung die Kategorie „Heimdiagnosegerät“ bereits vor und aktiviert aufgrund der Erläuterungen im Text das Schema „DNA-Test“. Die Wirkung beider

642 643

Vgl. McDermott/O’Connor (2002), S. 424; Urban/Weinberg/Hauser (1996), S. 47. Vgl. Blanz (1999), S. 44 f.; Gentner/Rattermann/Forbus (1993), S. 528 f.

149 Produkte wurde im Rahmen einer weiteren Vorstudie untersucht.644 Die Produktbeschreibungen der beiden medizinischen Produkte sind Tabelle 16 zu entnehmen.

HD2009/708 (inkongruent)

Home Diagnostics (kongruent)

Der HD2009/708 ist eine absolute Produkt-

Das neue Heimdiagnosegerät Home

neuheit und mit keinem der bisherigen auf

Diagnostics ist ein handliches, leicht zu

dem Markt befindlichen Geräte vergleich-

bedienendes Diagnosegerät für zuhause.

bar. Mit dem neuen HD2009/708 können

Der Home Diagnostics analysiert - ähnlich

Sie bequem von zuhause aus viele Krank-

wie bei einem DNA-Test - z. B. Ihre Spei-

heiten erkennen.

chelprobe auf schnelle und zuverlässige

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Art. Mithilfe der Speichelanalyse können viele Krankheiten frühzeitig diagnostiziert werden. Von zuhause aus können Sie so sicher und bequem Ihren Gesundheitszustand kontrollieren.

So gibt Ihnen der HD2009/708 Auskunft

Mit der mitgelieferten Software können Sie

über Ihren Gesundheitszustand.

Ihre Messdaten ganz bequem am heimischen PC auslesen, speichern, analysieren und Ihrem Arzt jederzeit zur Verfügung stellen. Die Zuverlässigkeit des Home Diagnostics hat sich in zahlreichen Tests bewiesen, im Labor wird er bereits seit mehreren Jahren erfolgreich eingesetzt.

Tabelle 16: Produktbeschreibungen der radikalen Innovationen

Weiterhin diente eine zweite Vorstudie der Ermittlung einer schemakongruenten sowie einer schemadiskrepanten Marke. Zu diesem Zweck beurteilten die Probanden, wie gut die Marken zu den neuen Produkten passen. Zur Spezifikation der Produktzielkongruenz erhielten die Probanden zudem die Aufgabe, ein Ziel anzugeben, das sie mit den Produktbeschreibungen der radikalen Innovationen verknüpfen.

644

Siehe Kapitel III-2.3.

150 In der Hauptuntersuchung wurde einem Teil der Auskunftspersonen die kongruente, dem anderen Teil die inkongruente Produktbeschreibung vorgelegt. Bei einer qualitativen Frage stand die Kategorisierung der Innovationen im Mittelpunkt. Die Probanden waren angehalten anzugeben, mit welcher Kategorie sie das Produkt vergleichen. Die dazugehörige Kategorie des Home Diagnostics könnte z. B. „Heimdiagnosegerät“ oder „DNA-Testgerät“ lauten. Diese vom Probanden durchzuführende Aufgabe diente dem Zweck festzustellen, inwieweit er vom Gegenstand abstrahiert oder neue Subkategorien erzeugt.645 Ferner wurden für jede Produktbeschreibung zwei Gruppen von Personen gebildet, um einen Erkenntnisgewinn bei der Markenschemakongruenz zu gewährleisten. So beurteilte eine Hälfte der Befragten die Produktbeschreibungen unter der kongruenten Marke, die andere Hälfte bewertete dieselben Produkte unter dem Label der inkongruenten Marke.646 Den Aufbau der Befragungen veranschaulicht Tabelle 17.

645 646

Eine vergleichbare Vorgehensweise wählte Binsack. Vgl. Binsack (2003). Zu der Auswahl der beiden Marken siehe Kapitel III-2.3.

151 1. Welle: - Experteninterviews mit internen und externen Spezialisten aus dem medizinischen Bereich 2. Welle: Vorstudie

- Vorgabe zweier Produktbeschreibungen, ermittelt in der 1. Welle - Frage zur Bewertung des Neuheitsgrads der Produkte - Bewertung der Ähnlichkeit (Kongruenz) und Typizität der Produkte mithilfe einer selbst gewählten Produktkategorie - Qualitative Frage zu einer passenden und einer unpassenden Marke - Ermittlung der Ziele, die der Proband mit der jeweiligen Innovation verknüpft - Vorgabe zweier Produktbeschreibungen in Kombination mit zwei Marken; dadurch wurden vier Gruppen von Probanden befragt: 1. Gruppe: Beurteilung des Home Diagnostics bei Markenschemakongruenz 2. Gruppe: Beurteilung des HD2009/708 bei Markenschemakongruenz

Haupt-

3. Gruppe:

studie

Beurteilung des Home Diagnostics bei Markenschemainkongruenz 4. Gruppe: Beurteilung des HD2009/708 bei Markenschemainkongruenz - Qualitative Frage zur Kategorisierung der Produkte - Bewertung der Ähnlichkeit der Produkte mit einer selbst gewählten Produktkategorie - Frage zur Bewertung des Neuheitsgrads und der Ähnlichkeit

Tabelle 17: Aufbau der Befragung

Bevor die Ergebnisse der Vorstudie eine genauere Betrachtung erfahren, steht zunächst die Methode der Datenerhebung im Zentrum des Interesses. Aufbau und Ergebnisse der Vorstudie sind Diskussionsgegenstand im darauf folgenden Kapitel.

152 2.2

Methode der Datenerhebung

Den Ausgangspunkt für die empirische Untersuchung bildet die Wahl der Datenerhebungsmethode. Die vorhandenen zugänglichen sekundärstatistischen Daten waren nicht ausreichend, um die Rolle von Vorwissen bei der Akzeptanz von radikalen Innovationen umfassend zu erklären. Aus diesem Grund erschien es notwendig, Primärdaten zu erheben.

Da diesem Dissertationsprojekt keine Forschungsressourcen eines großen empirischen Forschungsprojektes zur Verfügung stehen, gilt es eine Erhebungsmethode zu wählen, die kostengünstig und zeitsparend eine primärstatistische Überprüfung des postulierten Untersuchungsmodells erlaubt und zugleich zu wissenschaftlich verwertbaren Ergebnissen führt. Vor dem Hintergrund dieser Ziele scheint die schriftliche Befragung zweckdienlich.647 Ein wesentlicher methodischer Vorzug dieser Erhebungsmethode liegt darin, dass der direkte Interviewereinfluss entfällt. Ferner ist es als vorteilhaft zu werten, dass der Testperson ausreichend Zeit für Überlegungen zur Verfügung steht. Die schnelle und kurzfristige Ansprache einer großen Anzahl von Probanden durch die schriftliche Befragung648 ist ein zusätzlicher organisatorischer Vorteil.649

Dabei erweist sich aufgrund der rasanten Entwicklung der Internetnutzer-Zahlen die Online-Befragung als ein Instrument mit Potenzial. Bei dieser Befragungsart befindet sich der Fragebogen auf mehreren zusammenhängenden Internetseiten, wobei die Probanden durch den Besuch der entsprechenden Seiten online an der Befragung

647

648

649

Einen Überblick zu den verschiedenen Erhebungsmethoden findet sich bei Scheffler (2000), S. 69 ff. Zur Eignung der schriftlichen Befragung zur Überprüfung von Kausalmodellen vgl. Ohlwein (1999), S. 215. Zu den Nachteilen und Problemen vgl. Kanuk/Berenson (1975), S. 440. Für eine schriftliche Verbraucherbefragung ist insbesondere die Konstruktion des Fragebogens von besonderer Bedeutung. Bei einem standardisierten Fragebogen sind sowohl der Wortlaut als auch die Reihenfolge der Fragen vorgegeben. Die Mehrzahl der gestellten Fragen entstammt bereits reliabel und valide getesteten Untersuchungsdesigns. Einige Fragen erfuhren allerdings eine Anpassung an das Untersuchungsobjekt. Böhler formulierte in diesem Zusammenhang Kriterien zur Gestaltung eines Fragebogens, die bei der Erstellung berücksichtigt wurden: 1. Die Fragen sind so kurz und einfach wie möglich zu halten. 2. Sie müssen präzise und semantisch eindeutig sein. 3. Es ist auf eine widerspruchsfreie und unmissverständliche Formulierung zu achten. 4. Die Fragen sind neutral, d. h. weder suggestiv noch stereotyp zu formulieren. 5. Die verwendete Sprache sollte dem Wissensstand und dem Bildungsniveau der Probanden angemessen sein. Vgl. Böhler (1992), S. 89 f. Vgl. Hüttner (1997), S. 74.

153 teilnehmen.650 Für diese Art der Befragung spricht zunächst die einfache Erstellung des Fragebogens. Ferner ermöglicht diese Befragungsart den Untersuchungsteilnehmern die Abarbeitung des Fragebogens in Etappen, sodass diese die Items651 sorgfältig durchlesen können. Außerdem handelt es sich beim Internet um ein Medium, das eine hohe Erreichbarkeit sicherstellen kann. Die entscheidenden Vorteile dieser Befragungsart liegen allerdings in der sicheren, preisgünstigen und wenig zeitintensiven Datenerfassung und -bearbeitung, da die Antworten der Probanden direkt in eine Datenbank importiert werden. Alle Daten stehen dem Forscher daher ohne Medienbruch zur Weiterverarbeitung zur Verfügung, was Fehler bei der Dateneingabe ausschließt. Auch kann während der Befragung automatisch auf fehlende Angaben oder unbeabsichtigte Falschantworten hingewiesen werden, damit nur vollständig ausgefüllte Datensätze in die Untersuchung eingehen.652 Interviewerkosten entstehen bei einer Online-Befragung nicht. Die Dauer der Feldphase verkürzt sich – vor allem im Vergleich zu einer schriftlichen Befragung – erheblich.653 Eine Studie von Batinic lässt eine ähnlich hohe Reliabilität wie bei den traditionellen Verfahren vermuten.654 Diese Vielzahl an Argumenten, die für die Online-Befragung sprechen, überkompensieren Nachteile, wie die fehlende Möglichkeit, Rückfragen zu den Statements zu stellen, sowie die bewusste Auswahl der Probanden.

Im Hinblick auf die Generalisierbarkeit der Untersuchungsergebnisse sollen zusätzlich die Einschätzungen von Probanden, die über keinen Internet-Anschluss verfügen, in die Studie einfließen. Parallel zur Online-Befragung wurden daher zusätzlich 1.000 gedruckte Fragebögen ausgegeben. Sämtliche empirischen Daten für die Untersuchung wurden anhand einer aufs Geratewohl ausgewählten Stichprobe erhoben.655 Auch wenn diese Art der Auswahl der Erhebungseinheit auf Grund ihrer möglichen mangelnden Repräsentativität kritisiert wird, stellte sie im vorliegenden

650 651

652

653 654 655

Vgl. Starsetzki (2001), S. 43 f. Ein Item stellt ein grundlegendes Element eines Fragebogens dar. Inhaltlich kann es sich dabei um eine Aussage, eine Frage oder eine Aufgabe handeln. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1997), S. 690; Hildebrandt (2000), S. 40. Aufgrund dieser Vorteile werden die Unzulänglichkeiten dieses Ansatzes, die hauptsächlich in einer geringeren Repräsentativität sowie in unsorgfältig oder unvollständig ausgefüllten OfflineFragebögen liegen, in Kauf genommen. Vgl. Batinic (2001), S. 119. Vgl. Batinic (2001), S. 125 f. Vgl. Batinic (2001), S. 115 ff. Zur Auswahl aufs Geratewohl vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 134.

154 Untersuchungszusammenhang wegen ihrer einfachen und günstigen Durchführung sowie ihrer Praxisnähe die beste Alternative dar.656

Die Daten der schriftlich ausgefüllten Fragebögen waren zunächst auf Vollständigkeit zu überprüfen, zu codieren657 und in einer Datenmatrix zu erfassen.658 Dies geschah beim Online-Fragebogen bereits automatisch. Die Codierung der Likert-Skalen erfolgte anhand der Zahlenwerte der Skala; bei den Indikatoren wurden Werte von 1 bis 7 vergeben, wobei die geringste Ausprägung mit dem Wert 1, die höchste mit dem Wert 7 versehen war. Insgesamt reagierten 964 Probanden auf die Bitte nach Beantwortung des Fragebogens, wovon 806 Fragebögen in die Untersuchung einfließen konnten. 158 Personen lieferten unvollständig ausgefüllte und nicht verwertbare Bögen ab.659 Von den vollständig ausgefüllten Bögen sind 415 Teilnehmer (51,2 Prozent) weiblich; demzufolge sind 393 der Befragten (48,8 Prozent) männlich. Die Altersstruktur der Auskunftspersonen ist Tabelle 18 zu entnehmen.

Alterskategorie

Probanden

Prozent

unter 20

28

3,5 %

21-30

235

29,2 %

31-40

244

30,3 %

41-50

172

21,3 %

51-60

68

8,4 %

über 60

59

7,3 %

Tabelle 18: Altersstruktur der Probanden

656 657 658 659

Vgl. Böhler (2004), S. 135; Hammann/Erichson (2000), S. 134. Zur Codierung vgl. Bronner/Appel/Wiemann (1999), S. 206 ff. Vgl. Böhler (2004), S. 163. In die Untersuchung gingen nur vollständig ausgefüllte Fragebögen ein.

155 2.3

Ergebnisse der Vorstudie

Zu den zentralen Bedingungen des erfolgreichen Einsatzes eines Fragebogens gehört, dass die Auskunftspersonen die Fragen so verstehen, wie es der Forscher beabsichtigt.660 Wichtige Instrumente zur Überprüfung des Frageverständnisses sind im Rahmen von so genannten kognitiven Pretestverfahren entwickelt worden. Bei diesen Verfahren wird mit qualitativen Interviewtechniken gearbeitet.661 In die vorliegenden Untersuchung gingen die Auskünfte von insgesamt 84 Testpersonen ein. Die Wahl dieser Probanden erfolgte zufällig.662

Das Ziel dieser Vorstudie bestand primär in der Überprüfung der konzipierten Neuprodukte auf ihre Tauglichkeit zur Untersuchung des postulierten Hypothesensystems sowie in der Auswahl der entsprechenden Marken. Dabei galt es insbesondere, den Grad an Kongruenz sowie Neuartigkeit zu evozieren. Zur Spezifikation der Produktzielkongruenz interessieren ferner die Ziele, welche die Probanden mit den Innovationen verknüpfen. Zunächst steht allerdings die Wahrnehmung der beiden Neuprodukte im Mittelpunkt. Die Resultate der Vorstudie bestätigen die in den Produktbeschreibungen intendierten Wirkungen.

Mit einem Mittelwert von 5,8 für den HD2009/708 und für den Home Diagnostics nehmen die Probanden beide Innovationen sehr neu wahr.663 Ebenfalls gelten die Neuprodukte als sehr innovativ. Dies belegen die relativ hohen Mittelwerte von 5,2 (HD2009/708) sowie 4,9 (Home Diagnostics). Sowohl für die Neuartigkeit als auch für die Innovativität der beiden Produkte sind keine statistisch signifikanten Mittelwertunterschiede festzustellen. Die Testpersonen stufen also beide Produkte in gleichem Maße neu (Tabelle 19) und innovativ (Tabelle 20) ein.

660 661 662 663

Vgl. Kurz/Prüfer/Rexroth (2003), S. 83. Vgl. Kurz/Prüfer/Rexroth (2003), S. 84. Vgl. Kurz/Prüfer/Rexroth (2003), S. 87. Auf einer Skala von 1 bis 7, wobei 1 bedeutet „überhaupt nicht neu“ und 7 bedeutet „absolut neu“.

156

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

5,8

1,17

Home Diagnostics

5,8

1,29

Nein Tabelle 19: Wahrnehmung der Neuartigkeit der radikalen Innovationen664

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

5,2

1,40

Home Diagnostics

4,9

1,17

Nein Tabelle 20: Wahrnehmung der Innovativität der radikalen Innovationen665

Im Gegensatz dazu kristallisieren sich Unterschiede zwischen den Innovationen im Hinblick auf die Beurteilung der Ähnlichkeit der Neuprodukte zu bekannten Produkten und der Zuordenbarkeit zu einer Kategorie heraus. Den HD2009/708 nehmen die Probanden erwartungsgemäß sehr unähnlich zu bestehenden Produkten wahr (Mittelwert: 2,5), während sie den Home Diagnostics zwar als neu und innovativ, aber auch als etwas kongruenter zu existierenden Produkten einordnen als das Vergleichsgerät (Mittelwert: 3,2). Die Unterschiede zwischen den beiden Neuprodukten im Hinblick auf die Produktschemakongruenz sind statistisch signifikant, wie Tabelle 21 zu entnehmen ist.

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

2,5

1,45

Ja

Home Diagnostics

3,2

1,31

< 0,01

Tabelle 21: Wahrnehmung der Produktschemakongruenz der radikalen Innovationen666

664 665

666

Auf einer Skala von 1 bis 7, wobei 1 bedeutet „überhaupt nicht neu“ und 7 bedeutet „absolut neu“. Auf einer Skala von 1 bis 7, wobei 1 bedeutet „geringe Variation eines existierenden Produkts“ und 7 bedeutet „völlig neues Produkt“. Auf einer Skala von 1 bis 7, wobei 1 bedeutet „geringe Ähnlichkeit zu existierenden Produkten“ und 7 bedeutet „hohe Ähnlichkeit zu existierenden Produkten“.

157 Auch die Leichtigkeit der Zuordnung zu einer Kategorie war Gegenstand der Voruntersuchung. So beträgt der Mittelwert für den HD2009/708 2,7, was bedeutet, dass diese Innovation nur schwierig einer Kategorie zugeordnet werden kann. Dies fällt den Auskunftspersonen bei dem Home Diagnostics leichter, daher liegt der Mittelwert mit 3,6 auch höher. Auch diese Mittelwertunterschiede sind statistisch signifikant (Tabelle 22).

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

2,7

1,51

Ja

Home Diagnostics

3,6

1,26

< 0,01

Tabelle 22: Wahrnehmung der Zuordenbarkeit zu einer Kategorie667

Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Auskunftspersonen den Home Diagnostics zwar sehr neu und innovativ empfinden, ihn aber besser kategorisieren können und ähnlicher zu bekannten Produkten perzipieren als den HD2009/708.

In einem nächsten Schritt wurden die beiden Produktbeschreibungen unterschiedlichen Marken gegenübergestellt, um den Grad an Kongruenz zwischen Neuprodukt und Marke zu ermitteln.668 Insgesamt gingen in die Vorstudie zehn Marken ein, welche die Probanden hinsichtlich ihrer Eignung zu Herstellung und Vertrieb der Innovationen beurteilten. Hierzu erhielten die Auskunftspersonen die Aufgabe, auf einer siebenstufigen Likert-Skala zu beurteilen, wie gut die Marken zu den Innovationen passen. Ein Wert von 1 bedeutet „Marke passt sehr gut zum Produkt“ und 7 bedeutet „Marke passt gar nicht zum Produkt“. Ziel war es, sowohl eine sehr kongruente als auch eine sehr inkongruente Marke zu identifizieren. Bei der Zusammenstellung der Marken galt es daher sicherzustellen, dass sowohl schemakongruente als auch -diskrepante Marken im Auswahlset vertreten waren. Zudem wurde darauf geachtet,

667

668

Auf einer Skala von 1 bis 7, wobei 1 bedeutet „lässt sich relativ schwierig einordnen“ und 7 bedeutet „lässt sich sehr leicht einordnen“. Eine ähnliche Vorgehensweise wählte Zatloukal zur Messung des Markenfits, vgl. Zatloukal (2002); Sattler/Völckner (2003), S. 1 ff.

158 dass die Auskunftspersonen die Marken kennen. Das Auswahlset ist Tabelle 23 zu entnehmen.

Marke

Mittelwert

Standardabweichung

Bayer

2,2

1,22

Siemens

2,5

1,52

Ratiopharm

2,9

1,58

Barmer

3,1

1,47

IBM

4,3

1,89

Microsoft

4,5

1,69

Tchibo

5,7

1,62

Aldi

5,9

1,47

Nokia

6,0

1,34

Telekom

6,4

1,27

Tabelle 23: Auswahlset der Marken

Die Auswertung der Antworten erfolgte ebenfalls durch einen Mittelwertvergleich. Die Marke Bayer weist mit 2,2 den niedrigsten Mittelwert auf, was bedeutet, dass die Auskunftspersonen diese Marke sehr passend zu den beiden Neuprodukten wahrnehmen. Sehr unpassend hingegen beurteilen die Probanden die Marke Telekom, die mit einem Mittelwert von 6,4 die Spitze bildet. Die Standardabweichungen für Bayer und Telekom nehmen im Vergleich zu den übrigen Marken relativ geringe Werte an. Auf Basis dieser Resultate fanden mit der Marke Telekom als inkongruentem Vertreter bei technologischen Neuprodukten und der Marke Bayer als kongruentem Vertreter zwei Marken Eingang in die Hauptuntersuchung. Auf Abbildungen wurde verzichtet, da sich diese in vorherigen Studien in diesem Kontext als nicht hilfreich erwiesen haben.669

669

Auch Binsack erwähnt den großen Einfluss der Produktabbildung auf den Evaluationsprozess. Vgl. Binsack (2003), S. 172 und S. 219.

159 Zur Spezifikation der Fragen zur Zielkongruenz interessieren ferner die Ziele, welche die Befragten mit den beiden Neuprodukten assoziieren. Zu diesem Zweck erhielten die Probanden die Aufgabenstellung, in einer offenen Frage ein Ziel zu nennen, das sie mit dem Kauf des jeweiligen Neuprodukts verknüpfen. Von 71 gültigen Antworten wurde insgesamt 53 Mal das Ziel „Gesundheitskontrolle betreiben“670 genannt. Dies entspricht einem Prozentsatz von 75 Prozent. Die Basis für die Beurteilung der Produkt- und der Markenzielkongruenz in der Hauptstudie bildet somit das Ziel „Gesundheitskontrolle betreiben“. Im weiteren Verlauf der Befragung wurde den Auskunftspersonen die in Kapitel II-4 erarbeiteten Fragen zu dem jeweiligen Produkt und der jeweiligen Marke vorgelegt. Im Mittelpunkt des folgenden Kapitels stehen nun die Ergebnisse der empirischen Untersuchung.

670

Der Begriff „Gesundheitskontrolle betreiben“ beinhaltet auch die Themen „Gesundheitsvorsorge“ und „gesundheitliche Absicherung“.

160

3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung zum Adoptionsverhalten bei radikalen Innovationen in der diagnostischen Medizin

3.1

Allgemeine Ergebnisse

Ein Blick auf die Kategorisierung beider Neuprodukte verdeutlicht, dass die Teilnehmer den Home Diagnostics besser einer Produktkategorie zuordnen können als den inkongruenten HD2009/708. Im letzteren Fall nahmen lediglich 50 Prozent der Befragten eine Kategorisierung vor, den Home Diagnostics ordneten 69 Prozent einem Schema zu. Die Ursache hierfür ist vermutlich im menschlichen Bestreben nach Minimierung des kognitiven Aufwandes zu suchen. Möchte ein Individuum ein neues Produkt beurteilen, greift es auf bestehendes Wissen über eine verwandte Kategorie zurück und versucht, diese bereits vorliegenden Informationen auf das neue Produkt zu übertragen.671 Das verwendete Schema dient damit als Grundlage für die weitere Produktevaluation.672 Solche Schemata können durch Marketingaktivitäten, insbesondere im Rahmen der Kommunikationspolitik, vorgegeben werden. Der Home Diagnostics war mit solch einer Schemavorgabe versehen. Sowohl der Produktname als auch die in der Produktbeschreibung vorgegebenen Schemata „Heimdiagnosegerät“ und „DNA-Test“ ermöglichen den Probanden eine erste Einordnung des Neuprodukts. Demzufolge nahmen fast 70 Prozent aller Auskunftspersonen eine erfolgreiche Kategorisierung des Home Diagnostics vor. Diese Ergebnisse gehen mit den Resultaten von Moreau, Markmann und Lehmann einher. Die Wissenschaftler zeigen am Beispiel von Digitalkameras, dass das erste verfügbare konsistente Schema einen überproportionalen Einfluss auf die Präferenzbildung und somit auch auf die Kategorisierung hat. So ist auch hier zu vermuten, dass ein Individuum das erste passend wahrgenommene Schema auf das neue Produkt überträgt und es entsprechend kategorisieren kann.673

Bei Betrachtung der absoluten Werte ist zu konstatieren, dass die Einstellung zum Kauf des kongruenten Home Diagnostics mit einem Durchschnittswert von 4,4 insgesamt positiver anzusehen ist als beim inkongruenten HD2009/708 mit einem Mittel671 672 673

Vgl. Sujan/Bettmann (1989), S. 454 ff. Vgl. Gregan-Paxton/Roedder John (1997), S. 266 ff. Vgl. Moreau/Markmann/Lehmann (2001), S. 489 ff.

161 wert von 3,6. Die getesteten Mittelwertunterschiede für die Einstellung zum Kauf des jeweiligen Produkts sind statistisch signifikant. Ein ähnliches Bild zeichnet sich mit Blick auf die beiden Marken Bayer und Telekom ab. Erwartungsgemäß entwickelten die Auskunftspersonen zu dem Kauf des unter der Marke Bayer geführten Produkts eine positivere Einstellung (Mittelwert: 4,5) als zu einem unter der Marke Telekom gebrandetem Produkt (Mittelwert: 3,7).

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

3,6

1,48

Ja

Home Diagnostics

4,4

1,44

< 0,01

Telekom

3,7

1,90

Ja

Bayer

4,5

1,79

< 0,01

Tabelle 24: Signifikanz der Mittelwertunterschiede bei der Einstellung zum Kauf

Entsprechende Resultate sind auch für die Kaufabsicht zu konstatieren. Die Kaufabsichten differieren auf der siebenstufigen Skala mit einem Mittelwert von 4,0 beim Home Diagnostics und einem Mittelwert von 3,2 beim HD2009/708, die Unterschiede sind ebenfalls signifikant. Auf Markenebene generiert die schemakongruente Marke Bayer (Mittelwert: 4,1) erwartungsgemäß eine höhere Kaufabsicht als die schemainkongruente Marke Telekom (Mittelwert: 3,3).

Produkt

Mittelwert

Standard-

Signifikante Mittel-

abweichung

wertunterschiede

HD2009/708

3,2

1,46

Ja

Home Diagnostics

4,0

1,53

t < 0,01

Telekom

3,3

1,80

Ja

Bayer

4,1

2,23

t < 0,01

Tabelle 25: Signifikanz der Mittelwertunterschiede bei der Kaufabsicht

162 Zusammenfassend erzielt der Home Diagnostics sowohl bezüglich der Einstellung zum Kauf der Innovation als auch bei der Kaufabsicht wesentlich höhere Mittelwerte als dies beim HD2009/708 der Fall ist. Offenbar führt das relativ schemakonsistent wahrgenommene Produkt sowohl zu einer positiveren Einstellung als auch zu einer höheren Kaufabsicht. Eine analoge Schlussfolgerung ist auf Markenebene zu ziehen, auch hier führt die schemakongruente Marke Bayer sowohl zu einer statistisch signifikant positiveren Einstellung als auch zu einer höheren Kaufabsicht, als dies bei der Marke Telekom der Fall ist. Hält man sich diese Ergebnisse vor Augen, so liefert die Betrachtung der deskriptiven Ergebnisse schon vor der eigentlichen Analyse des Untersuchungsmodells bereits einen ersten Hinweis auf die Relevanz von Schemata bei der Neuproduktbeurteilung.

3.2

Zur Eignung der Modellkonstrukte

3.2.1

Kaufabsicht

Wie in Kapitel II-4.2 erörtert, kommen zur Messung der Kaufabsicht vier Indikatoren zum Einsatz. Zunächst ist die Form der Operationalisierung des Konstrukts Kaufabsicht zu bestimmen. Da im vorliegenden Fall die latente Variable ihre zugeordneten Indikatoren verursacht, liegt ein reflektives Messmodell vor. Eine Veränderung des Konstrukts bedingt in diesem Falle eine Modifikation aller seiner zugeordneten Indikatoren. Ob diese Indikatoren das Konstrukt adäquat erfassen, soll unter Zuhilfenahme der erläuterten Gütekriterien evoziert werden.

Wie bereits erwähnt, sollten die Ladungen der Indikatoren eines Konstrukts im reflektiven Messmodell den Wert von 0,707 übersteigen, da nur in diesem Fall sichergestellt ist, dass die Hälfte oder mehr der Varianz eines Indikators durch die latente Variable bestimmt wird.674 Wie Tabelle 26 dokumentiert, überschreiten die Faktorladungen aller Indikatoren den empfohlenen kritischen Wert und verbleiben daher im Messinventar.

674

Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 45.

163

MK*

MIK*

PK*

PIK*

Item FL675

t-Wert

FL

t-Wert

FL

t-Wert

FL

t-Wert

KA1

0,9391

135,056

0,9135

73,326

0,9280

88,872

0,9295

102,411

KA2

0,9413

144,801

0,9431

127,218

0,9390

140,746

0,9447

133,846

KA3

0,9420

161,113

0,9397

153,614

0,9414

151,353

0,9407

142,959

KA4

0,9468

129,220

0,9123

70,160

0,9250

77,951

0,9425

165,083

Ich würde den Home Diagnostics (HD2009/708) kaufen. KA1

Sehr unwahrscheinlich - Sehr wahrscheinlich

KA2

Absolut unmöglich - Sehr gut möglich

KA3

Sehr unsicher - Sehr sicher

KA4

Trifft definitiv nicht zu -Trifft definitiv zu

Tabelle 26: Faktorladungen und t-Werte der Kaufabsicht * Erläuterung der Teilmodelle: MK = Markenschemakongruenz, MIK = Markenschemainkongruenz, PK = Produktschemakongruenz, PIK = Produktschemainkongruenz

Zur Überprüfung der Güte des Messmodells dienen ferner die Konstruktreliabilität sowie die DEV. Mit einer Konstruktreliabilität von über 0,7 sowie einer DEV von über 0,6 wird die Operationalisierung der Kaufabsicht den Anforderungen an diese Kriterien ebenfalls gerecht. Auch das Fornell-Larcker-Kriterium zur Überprüfung der Diskriminanzvalidität ist im vorliegenden Fall erfüllt, da die höchste quadrierte Korrelation niedriger als die DEV ausfällt. Das Q² nach Stone-Geisser (Kommunalität) kann mit einem Wert größer als null ebenfalls für alle Teilmodelle akzeptiert werden. Somit ist auch die Vorhersagevalidität des vorliegenden Messansatzes gewährleistet.

Eine konfirmatorische Faktorenanalyse soll Aufschluss über die Unidimensionalität des Konstrukts Kaufabsicht geben. Dadurch können Indikatoren mit zu geringen Fak-

675

FL = Faktorladung.

164 torladungen frühzeitig eliminiert werden. Im Inventar zur Messung der Kaufabsicht laden jedoch alle Indikatoren hoch auf das jeweilige zu messende Konstrukt und wurden daher beibehalten. Somit sind alle verwendeten Indikatoren zur Operationalisierung des Konstrukts Kaufabsicht geeignet und gehen in die Schätzungen ein. Die Gütekriterien für alle Modelle sind in Tabelle 27 dargestellt.

Kriterien

MK*

MIK*

PK*

PIK*

Plausibilität

Erfüllt

Erfüllt

Erfüllt

Erfüllt

0,888

0,860

0,871

0,882

0,969

0,961

0,964

0,968

0,801