Maß- und Integrationstheorie [6., korr. Aufl.] 9783540897279 [PDF]

Dieses Lehrbuch vermittelt dem Leser ein solides Basiswissen, wie es für weite Bereiche der Mathematik unerläßlich ist,

141 52 31MB

German Pages 451 Year 2009

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Table of contents :
Front Matter....Pages i-xvi
σ -Algebren und Borelsche Mengen....Pages 1-26
Inhalte und Maße....Pages 27-82
Meßbare Funktionen....Pages 83-118
Das Lebesgue-Integral....Pages 119-162
Produktmaße, Satz von FUBINI und Transformationsformel....Pages 163-218
Konvergenzbegriffe der Maß- und Integrationstheorie....Pages 219-268
Absolute Stetigkeit....Pages 269-311
Maße auf topologischen Räumen....Pages 312-409
Back Matter....Pages 410-434
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Maß- und Integrationstheorie [6., korr. Aufl.]
 9783540897279 [PDF]

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Zitiervorschau

Springer-Lehrbuch

Grundwissen Mathematik Ebbinghaus et al.: Zahlen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie Hämmerlin† /Hoffmann: Numerische Mathematik Koecher† : Lineare Algebra und analytische Geometrie Lamotke: Riemannsche Flächen Leutbecher: Zahlentheorie Remmert/Schumacher: Funktionentheorie 1 Remmert/Schumacher: Funktionentheorie 2 Walter: Analysis 1 Walter: Analysis 2 Herausgeber der Grundwissen-Bände im Springer-Lehrbuch-Programm sind: F. Hirzebruch, H. Kraft, K. Lamotke, R. Remmert, W. Walter

Jürgen Elstrodt

Maß- und Integrationstheorie Sechste, korrigierte Auflage

123

Prof. Dr. Jürgen Elstrodt Westfälische Wilhelms-Universität Münster Fachbereich Mathematik und Informatik Einsteinstraße 62 48149 Münster Deutschland

ISBN 978-3-540-89727-9

e-ISBN 978-3-540-89728-6

DOI 10.1007/978-3-540-89728-6 Springer-Lehrbuch ISSN 0937-7433 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mathematics Subject Classification (2000): 28-01, 28-03 c 1996, 1999, 2002, 2005, 2007, 2009 Springer-Verlag Berlin  Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de

Vorwort zur sechsten Auflage Die dritte Auflage unterscheidet sich von der vorangegangenen vor allem durch einen zusätzlichen Paragraphen (Kap. VIII, § 4) über Konvergenz von Maßen und Kompaktheit von Mengen von Maßen. Wesentliche Ergebnisse sind hier z.B. das sog. Portmanteau-Theorem, die klassischen Sätze von HELLY und HELLYBRAY und der bedeutende Satz von PROCHOROV über die relative Folgenkompaktheit von Mengen endlicher Maße auf einem polnischen Raum. Herrn Prof. Dr. L. Mattner (Lübeck) danke ich herzlich für die Anregung, diesen Stoff in das Buch aufzunehmen. - Für die sechste Auflage wurde der Text nochmals korrigiert und aktualisiert. Mein herzlicher Dank gilt wiederum Frau G. Dierkes (geb. Weckermann) für die hervorragende Arbeit bei der Erstellung der Druckvorlage. - Herrn Dr. Heine und den Mitarbeiter(inne)n des Springer-Verlags danke ich für die aufmerksame und entgegenkommende verlegerische Betreuung. Münster, den 01.12.08

Jürgen Elstrodt

Vorwort zur zweiten Auflage Im Text der zweiten Auflage wurden einige kleinere Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen und die Literaturhinweise aktualisiert. Ich verweise hier insbesondere auf die verbesserte Fassung von Satz 1.6.5, die ich einer freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Dr. D. Plachky (Münster) verdanke, und eine Korrektur im Beweis des Satzes VIII.3.11, die auf einen hilfreichen Hinweis von Herrn Prof. Dr. U. Krengel (Göttingen) zurückgeht. Weitere wertvolle Hinweise verdanke ich den Herren Priv.-Doz. Dr. L. Mattner (Hamburg) und Akad. Dir. Priv.-Doz. Dr. H. Pfister (München). Neben den Genannten gilt mein herzli-

Vorwort

vi

cher Dank besonders Frau G. Weckermann, die erneut mit größter Sorgfalt und höchstem Geschick die Druckvorlage erstellt hat. - Herrn Dr. Heinze und den Mitarbeiter(inne)n des Springer-Verlags danke ich für ihr aufmerksames Entgegenkommen. Jürgen Elstrodt

Münster, den 30.11.98

Vorwort zur ersten Auflage Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?

(J.W. v.

GOETHE:

Faust 11,11. Akt, 1. Szene)

Das vorliegende Buch richtet sich an einen breiten Kreis von möglichen Interessenten. In erster Linie ist es ein Lehrbuch, das im Studium ab Beginn der Vorlesungen für dritte Semester eingesetzt werden kann. Daneben soll es auch für das Selbststudium und als Nachschlagewerk für wohlbekannte und weniger bekannte Dinge dienen. Zusätzlich will es Einblicke in die historische Entwicklung geben und über Leben und Werk einiger Mathematiker unterrichten, die zum Gegenstand des Buchs wesentliche Beiträge geliefert haben. Bei der Auswahl des Stoffes habe ich zwei Ziele im Auge: Zum einen soll dem "reinen" Mathematiker, der etwa mit konkreten Integralen zu tun hat, der funktionalanalytische Interessen verfolgt, der Fourier-Analysis oder harmonische Analyse auf Gruppen betreiben will, eine sichere Basis für seine Aktivitäten geboten werden. Zum anderen soll auch dem "angewandten" Mathematiker oder mathematischen Physiker, der sich z.B. für Funktionalanalysis oder Wahrscheinlichkeitstheorie interessiert, eine zuverlässige Grundlage vermittelt werden. Diese Ziele lassen sich m.E. am besten verwirklichen mit Hilfe des bewährten klassischen Aufbaus der Maß- und Integrationstheorie, der den Begriff eines auf einer a-Algebra über einer Menge X definierten Maßes voranstellt und darauf den Integralbegriff gründet. Die Kapitel I-IV realisieren dieses Konzept bis hin zu den klassischen Konvergenzsätzen von B. LEVI, P. FATOU und H. LEBESGUE. Die Reihenfolge der weiteren Kapitel ist mehr durch den persönlichen Geschmack des Autors bestimmt als durch interne strukturelle Notwendigkeiten. Bei Bedarf kann der weitere Stoff daher auch in anderer Reihenfolge erarbeitet werden. In dem Bestreben, das Buch auch als mögliche Grundlage für eine Vorlesung über Analysis 111 zu konzipieren, behandle ich als nächstes Thema in Kapitel V die mehrfache Integration und die Transformationsformel. Die folgenden Kapitel VI, VII widmen sich zwei Gegenständen, die für Funktionalanalysis

Vorwort

Vll

und Wahrscheinlichkeitstheorie von grundlegender Bedeutung sind: Kapitel VI behandelt die Vollständigkeit der Räume V und zahlreiche Konvergenzsätze, die das Wechselspiel der verschiedenen Konvergenzbegriffe beschreiben. Zentrales Resultat in Kapitel VII ist der Satz von RADON-NIKODYM, der in der Wahrscheinlichkeitstheorie als Basis für die Definitionen der bedingten Wahrscheinlichkeit und des bedingten Erwartungswerts dient. Kapitel VII wird abgerundet durch ein eingehendes Studium der absolut stetigen Funktionen auf :IR - ein Thema, das in der Vorlesungspraxis oft dem zu knappen Zeitplan zum Opfer fällt. So beweise ich z.B. den berühmten Satz von LEBESGUE über die Differenzierbarkeit fast überall der monotonen Funktionen und den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung für das Lebesgue-Integral. Für die Lektüre der ersten Kapitel dieses Buchs sollte der Leser lediglich mit dem Begriff des metrischen Raums vertraut sein; es werden keine besonderen Kenntnisse in mengentheoretischer Topologie vorausgesetzt. Da aber viele Sachverhalte unverändert für beliebige topologische Räume gelten, greife ich gelegentlich zu Formulierungen wie: "Es sei X ein metrischer (oder topologischer) Raum ... " Wer nur metrische Räume kennt, betrachte in solchen Fällen X als metrischen Raum; wer topologische Räume kennt, lese das folgende unter der allgemeineren Prämisse. Auf diese Weise hoffe ich, den flexiblen Einsatz des Buchs für Lehr- und Nachschlagezwecke zu fördern. Es liegt in der Natur der Sache, daß in Kapitel VIII über Maße auf topologischen Räumen beim Leser Kenntnisse über mengentheoretische Topologie im Umfang etwa einer einsemestrigen Vorlesung vorausgesetzt werden müssen. Dementsprechend ist dieses Kapitel für einen späteren Studienabschnitt (etwa ab dem fünften Semester) gedacht. In Kapitel VIII behandle ich zunächst die Regularitätseigenschaften von Borel-Maßen auf lokal-kompakten HausdorffRäumen und auf polnischen Räumen. Zentral für das folgende ist der Begriff des Radon-Maßes. Der neueren Entwicklung folgend, definiere ich Radon-Maße als von innen reguläre Borel-Maße. Diese Festlegung erweist sich als besonders vorteilhaft für die Behandlung des Darstellungssatzes von RIESZ, der in zahl~ reichen Versionen entwickelt wird, und zwar sowohl für lokal-kompakte als auch für vollständig reguläre Hausdorff-Räume. Als krönenden Abschluß beweise ich (nach A. WEIL) den Satz von der Existenz und Eindeutigkeit eines Haarschen Maßes auf jeder lokal-kompakten Hausdorffschen topologischen Gruppe und den entsprechenden Satz für Restklassenräume. Das vorliegende Buch behandelt zwar vorrangig die Mathematik, enthält daneben aber viele Originalzitate und Hinweise auf die historische Entwicklung und einschlägige Quellen. Dabei kann es sich naturgemäß nicht um eine erschöpfende Darstellung der gesamten Historie handeln, doch hoffe ich beim Leser ein gewisses Verständnis für die historischen Abläufe zu wecken und ihn zu weitergehendem Studium der Originalarbeiten anzuregen. Damit auch der menschliche Aspekt nicht zu kurz kommt, füge ich Kurzbiographien einiger Mathematiker bei, die wesentliche Beiträge zum Thema des Buchs geliefert haben.

viii

Vorwort

Mit dem Kleingedruckten ist es wie bei Versicherungsverträgen: Man kann es zunächst beiseite lassen, doch können Situationen eintreten, in denen es darauf ankommt. Das bezieht sich auch auf die Übungsaufgaben, von denen einige wenige an späterer Stelle im Text benutzt werden. Dieses Buch ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die ich im Laufe der Jahre an den Universitäten München, Hamburg und Münster gehalten habe. Bei der Vorlesungsvorbereitung waren mir die Vorläufer bzw. ersten Auflagen der Lehrbücher von BAUER [1], HEWITT-STROMBERG [1]' LOEVE [1] und RUDIN [1] eine wertvolle Hilfe. Gern ergreife ich hier die Gelegenheit, allen zu danken, die mir während der langen Entstehungszeit des Manuskripts geholfen haben. An erster Stelle danke ich namentlich meinem verehrten Kollegen Prof. Dr. M. KOECHER (t), auf dessen Anregung hin ich mich auf das Abenteuer eingelassen habe, dieses Buch zu schreiben - ohne genau zu wissen, wieviel Arbeit damit verbunden sein würde. Wertvolle Hinweise verdanke ich besonders den Kollegen Prof. Dr. V. EBERHARDT (München), Prof. Dr. D. PLACHKY (Münster), Prof. Dr. P. RESSEL (Eichstätt) und Prof. Dr. W. ROELCKE (München). Ganz besonderen Dank aussprechen möchte ich Herrn Akad. Dir. Priv.-Doz. Dr. H. PFISTER (München). Er hat das ganze Manuskript kritisch gelesen, zahlreiche Verbesserungsvorschläge und Korrekturen eingebracht und mich immer wieder ermahnt, im Interesse der Studenten nicht zu knapp zu schreiben. Von den Herausgebern der Grundwissen-Bände danke ich namentlich den Herren Prof. Dr. Dr. h.c. R. REMMERT (Münster) und Prof. Dr. W. WALTER (Karlsruhe) für die Unterstützung und die beständige Ermahnung, nur ja möglichst kompakt zu schreiben, damit das Manuskript nicht zu lang wird. Ein herzliches Dankeschön geht an Frau G. WECKERMANN, die mit großer Professionalität die Druckvorlage erstellt und klaglos die vielen Korrekturen und Änderungen durchgeführt hat. Meiner Frau BÄRBEL danke ich für ihre Unterstützung und ihr Verständnis, ohne die dieses Buch nicht zustandegekommen wäre. Last not least gilt mein Dank Herrn Dr. J. HEINZE und den Mitarbeiter(inne)n des Springer-Verlags für ihre Hilfe und für ihre nicht enden wollende Geduld. - Den Benutzer(inne)n des Buchs danke ich im voraus für etwaige Hinweise auf Corrigenda oder Verbesserungsvorschläge. Münster, den 01.07.96

J ürgen Elstrodt

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. O"-Algebren und Borelsche Mengen

1

§ 1.

Das Inhaltsproblem und das Maßproblem

1

§ 2.

Bezeichnungen und mengentheoretische Grundlagen 1. Bezeichnungen 2. Limes superior und Limes inferior Aufgaben

6 6 8 10

§ 3.

Ringe, Algebren, O"-Ringe und O"-Algebren 1. Ringstruktur von s,p(X) 2. Ringe und Algebren 3. O"-Ringe und O"-Algebren Aufgaben

11 11 11 13 15

§ 4.

Erzeuger und Boreische Mengen 1. Erzeuger 2. Boreische Mengen 3. Verhalten unter Abbildungen Aufgaben

16 16 17 19 20

§ 5.

Halbringe 1. Halbringe 2. Der von einem Halbring erzeugte Ring Aufgaben

20 20 22 22

§ 6.

Monotone Klassen und Dynkin-Systeme 1. Monotone Klassen 2. Dynkin-Systeme Aufgaben

23 23 24 26

Kapitel 11. Inhalte und Maße

27

§ 1.

Inhalte, Prämaße und Maße 1. Definitionen und erste Folgerungen 2. Ein erster Fortsetzungssatz 3. Eigenschaften von Inhalten 4. Charakterisierung der O"-Additivität 5. Historische Anmerkungen Aufgaben

27 27 30 31 32 33 34

§ 2.

Inhalte und Prämaße auf IR 1. Endliche Inhalte auf J 2. Endliche Prämaße auf J 3. Kurzbiographie von E. BOREL Aufgaben

37 37 38 41 42

x

Inhaltsverzeichnis

§ 3.

Inhalte und Prämaße auf JRP 1. Das Lebesguesche Prärnaß auf 'JP 2. Differenzenoperatoren 3. Inhalte auf 'JP 4. Prämaße auf 'JP 5. Kurzbiographie von J. RADON Aufgaben

43 43 44 46 47 48 49

§ 4.

Fortsetzung von Prämaßen zu Maßen 1. Äußere Maße 2. Der Fortsetzungssatz 3. Die Lebesgue-meßbaren Teilmengen des W 4. Kurzbiographie von C. CARATHEODORY Aufgaben

50 50 53 55 57 58

§ 5.

Eindeutigkeit der Fortsetzung 1. (J -endliche Inhalte 2. Der Eindeutigkeitssatz 3. Wahrscheinlichkeitsmaße und Verteilungsfunktionen auf JR Aufgaben

59 59 60 61 62

§ 6.

Vollständige Maßräume Aufgaben

63 65

§ 7.

Das Lebesguesche Maß 1. Approximationssätze 2. Charakterisierung der Lebesgue-Meßbarkeit 3. Der Satz von H. STEINHAUS 4. Meßbarkeit konvexer Mengen Aufgaben

66 66 67 68 68 69

§ 8.

Das Cantorsche Diskontinuum 1. Konstruktion von C 2. Triadische Entwicklung 3. Mächtigkeiten von Q3P und 4. Die Cantorsche Funktion Aufgaben

70 70 71 73 73 74

§ 9.

~P

Metrische äußere Maße und Hausdorff-Maße 1. Metrische äußere Maße 2. Hausdorff-Maße 3. Rektifizierbare Kurven 4. Kurzbiographie von F. HAUSDORFF Aufgaben

76 76 78 78 80 82

Inhaltsverzeichnis

xi

Kapitel 111. Meßbare Funktionen

83

§ 1.

Meßbare Abbildungen und Bildmaße 1. Meßbare Abbildungen 2. Bildmaße Aufgaben

85 85 87 88

§ 2.

Bewegungsinvarianz des Lebesgue-Maßes 1. Translationsinvarianz des Lebesgue-Maßes 2. Das Bildmaß des Lebesgue-Maßes unter bijektiven affinen Abbildungen 3. Bewegungsinvarianz des Lebesgue-Maßes 4. Das p-dimensionale äußere Hausdorff-Maß Aufgaben

89 89

Existenz nicht meßbarer Mengen 1. Nicht Lebesgue-meßbare Mengen und Unlösbarkeit des Maßproblems 2. Kurzbiographie von G. VITALI 3. Weitere Beispiele nicht Lebesgue-meßbarer Mengen 4. Existenz nicht meßbarer Mengen für Lebesgue-Stieltjessche Maße Aufgaben

96

100 102

§ 4.

Meßbare numerische Funktionen 1. Rechnen in JR, Topologie von JR 2. Meßbare numerische Funktionen 3. Approximation durch Treppenfunktionen 4. Abzählbar erzeugte Meßräume 5. Ein minimaler Erzeuger von Q)1 Aufgaben

103 104 105 108 109 109 110

§ 5.

Produkt-a-Algebren 1. Initial-a-Algebren und Produkt-a-Algebren 2. Borel-Mengen topologischer Produkte 3. Meßbarkeit der Diagonalen Aufgaben

112 112 114 115 116

§ 3.

91 92 94 95

96 99 99

Kapitel IV. Das Lebesgue-Integral

119

§ 1.

Integration von Treppenfunktionen Aufgaben

120 121

§ 2.

Integration nicht-negativer meßbarer Funktionen 1. Definition des Integrals 2. Der Satz von der monotonen Konvergenz 3. Kurzbiographie von B. LEVI 4. Maße mit Dichten Aufgaben

122 122 125 126 127 127

Inhaltsverzeichnis

Xll

§ 3.

Integrierbare Funktionen 1. Integrierbare Funktionen 2. Linearität und Monotonie des Integrals 3. Der Raum .cl 4. Stetige Funktionen mit kompaktem Träger 5. Integration über meßbare Teilmengen 6. Historische Anmerkungen 7. Kurzbiographie von W.H. YOUNG Aufgaben

128 128 131 132 133 135 136 137 138

§ 4.

Fast überall bestehende Eigenschaften Aufgaben

140 142

§ 5.

Konvergenzsätze 1. Das Lemma von FATOU 2. Kurzbiographie von P. FATOU 3. Der Satz von der majorisierten Konvergenz 4. Von einem Parameter abhängige Integrale 5. Der Satz von SCHEFFE Aufgaben

144 144 145 145 147 149 150

§ 6.

Riemann-Integral und Lebesgue-Integral 1. Eigentliches Riemann-Integral und Lebesgue-Integral 2. Uneigentliches Riemann-Integral und Lebesgue-Integral 3. Mittelwertsätze der Integralrechnung 4. Kurzbiographie von H. LEBESGUE Aufgaben

151 151 153 156 157 160

Kapitel V. Produktmaße, Satz von FUBINI und Transformationsformel

163

§ 1.

Produktmaße 1. Produkt-a-Algebren 2. Produktmaße 3. Das Cavalierische Prinzip 4. Produkte endlich vieler Maßräume 5. Das p-dimensionale äußere Hausdorff-Maß Aufgaben

163 164 164 169 170 171 173

§ 2.

Der Satz von FUBINI 1. Der Satz von FUBINI 2. Historische Anmerkungen 3. Beispiele für Anwendungen des Satzes von FUBINI 4. Der Gaußsche Integralsatz für die Ebene 5. Kurzbiographien von G. FUBINI und L. TONELLI Aufgaben

175 175 180 181 184 187 188

Inhaltsverzeichnis

XllI

§ 3.

Faltung und Fourier-Transformation 1. Integration in bezug auf Bildmaße 2. Transformation von Maßen mit Dichten 3. Die Faltung auf LI(W, ~P, ßP) 4. Die Fourier-Transformation Aufgaben

191 191 192 193 195 200

§ 4.

Die 1. 2. 3. 4. 5.

201 202 209 211 211 213 215

Transformationsformel Die Transformationsformel Der Satz von SARD Verallgemeinerte Transformationsformel Transformation von Maßen mit Dichten bez. Der Brouwersche Fixpunktsatz Aufgaben

)l

Kapitel VI. Konvergenzbegrif{e der Maßund Integrationstheorie

219

§ 1.

Die 1. 2. 3. 4.

Ungleichungen von JENSEN, HÖLDER und MINKOWSKI Die Jensensche Ungleichung Die Höldersche Ungleichung Die Minkowskische Ungleichung Historische Anmerkungen Aufgaben

220 220 223 224 225 226

§ 2.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Räume LP und der Satz von RIESZ-FISCHER Die Räume L P und V Der Satz von RIESZ-FISCHER Die Banach-Algebra LI (]Rn , ~n, ßn) Der Hilbert-Raum L 2 (J-L) Der Banach-Verband L~ Dichte Unterräume von LP Der Satz von PLANCHEREL Der Satz von FATOU über Potenzreihen Historische Anmerkungen Kurzbiographien von F. RIESZ und E. FISCHER Aufgaben

229 229 231 234 235 240 242 243 244 245 246 247

§ 3.

Der 1. 2. 3.

Satz von JEGOROW Konvergenz J-L-fast überall Fast gleichmäßige Konvergenz Kurzbiographie von D.F. JEGOROW Aufgaben

250 250 251 252 253

Inhaltsverzeichnis

XIV

§ 4.

§ 5.

Konvergenz nach Maß 1. Konvergenz nach Maß und lokal nach Maß 2. Cauchy-Folgen für die Konvergenz nach Maß 3. Vergleich der Konvergenzbegriffe 4. Charakterisierung der Konvergenz n.M. und der Konvergenz lokal n.M. Aufgaben

253 254 255 256

Konvergenz in f:'p 1. Der Satz von PRATT 2. Konvergenz in /2P 3. Der Konvergenzsatz von VITALI 4. Schwache Konvergenz in /2P Aufgaben

259 260

257 258

261 262 263 267

Kapitel VII. Absolute Stetigkeit

269

§ 1.

Signierte Maße; Hahnscher und Jordanscher Zerlegungssatz 1. Signierte Maße 2. Der Hahnsche Zerlegungssatz 3. Positive Variation, negative Variation und Variation 4. Jordanscher Zerlegungssatz 5. Der Banach-Verband der endlichen signierten Maße 6. Kurzbiographie von H. HAHN Aufgaben

269 269 271 272 273 274 275 277

§ 2.

Der Satz von RADON-NIKODYM und der Lebesguesche Zerlegungssatz 1. Absolute Stetigkeit 2. Der Satz von RADON-NIKODYM 3. Kurzbiographie von O. NIKODYM 4. Der Lebesguesche Zerlegungssatz Aufgaben

279 279 280 284 285 287

§ 3.

§ 4.

Der Dualraum von LP (1:S p < (X)) 1. Der Dualraum von LP (11) (1:S p < (X)) 2. Die multiplikativen Linearformen auf der Banach-Algebra LI (11m) Aufgaben

288 288

Absolut stetige Funktionen auf JR 1. Der Überdeckungssatz von VITALI 2. Differenzierbarkeit monotoner Funktionen A-f.ü. 3. Der Dichtesatz 4. Absolut stetige Funktionen auf JR 5. Lebesguesche Zerlegung Lebesgue-Stieltjesscher Maße 6. Rektifizierbare Kurven Aufgaben

296 296 298 301 302 306 308 309

293 295

Inhaltsverzeichnis

xv

Kapitel VIII. Maße auf topologischen Räumen

312

§ 1.

Borel-Maße, Radon-Maße, Regularität 1. Grundbegriffe 2. Regularitätssätze 3. Moderate Borel-Maße 4. Regularität von Borel-Maßen 5. Regularität von Borel-Maßen auf polnischen Räumen 6. Der Satz von L USIN 7. Kurzbiographie von N.N. LUSIN Aufgaben

313 313 317 318 318 320 323 324 327

§ 2.

Der Darstellungssatz von F. RIESZ 1. Problemstellung 2. Fortsetzungssatz 3. Der Darstellungssatz von F. RIESZ für lokal-kompakte Räume 4. Der Darstellungssatz von F. RIESZ für vollständig reguläre Räume 5. Träger von Maßen 6. Der Darstellungssatz von F. RIESZ für stetige Linearformen auf Co(X) Aufgaben

328 328 329 335 339 343

345 350

§ 3.

Das Haarsche Maß 1. Topologische Gruppen 2. Linksinvariante Linearformen und Maße 3. Existenz und Eindeutigkeit des Haarschen Maßes 4. Anwendungen des Haar-Maßes 5. Invariante und relativ invariante Maße auf Restklassenräumen 6. Kurzbiographie von A. HAAR Aufgaben

351 352 354 356 366 368 375 376

§ 4.

Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit 1. Eine Regularitätseigenschaft endlicher Maße auf metrischen Räumen 2. Schwache und vage Konvergenz von Folgen von Maßen 3. Das Portmanteau-Theorem 4. Schwache Konvergenz von Verteilungsfunktionen und die Sätze von HELLy-BRAY und HELLY 5. Der Satz von PROCHOROV 6. Die Laplace-Transformation 7. Die Prochorov-Metrik Aufgaben

378 379 380 384 386 392 398 401 408

XVI

Inhaltsverzeichnis

Anhang A. Topologische Räume

410

Anhang B. Transfinite Induktion

414

Literaturverzeichnis

416

Namenverzeichnis

423

Symbolverzeichnis

428

Sachverzeichnis

429

Kapitel I o--Algebren und BoreIsche Mengen In diesem ersten Kapitel beschäftigen wir uns mit Systemen von Mengen, die als Definitionsbereiche für die in Kapitel 11 einzuführenden Inhalts- und Maßfunktionen in Betracht kommen. Daß hier der Wahl angemessener Definitionsbereiche eine erhebliche Bedeutung zukommt, ergibt sich aus den Paradoxien l , die sich im Zusammenhang mit dem sog. Inhaltsproblem ergeben haben. Wir stellen einige dieser Paradoxien im ersten Paragraphen dar. Für das Verständnis der folgenden Abschnitte ist die Kenntnis des Stoffes von § 1 nicht nötig.

§ 1.

Das Inhaltsproblem und das Maßproblem «La notion de mesure des grandeurs est fondamentale, aussi bien dans la vie de tous les jours (longueur, surface, volume, poids) que dans la science experimentale (charge electrique, masse magnetique, etc.).»2 (N. BOURBAKI [1], S. 1)

Der Begriff des Flächeninhalts einer ebenen oder gekrümmten Fläche, des Volumens eines Körpers oder der auf einem Körper befindlichen Ladung erscheint zunächst selbstverständlich. Daher ist es nicht verwunderlich, daß erst relativ spät die diesen Begriffen innewohnenden grundsätzlichen mathematischen Probleme klar erkannt und gelöst werden. Für die Mathematiker früherer Jahrhunderte stellt sich nämlich durchaus nicht vordringlich die Frage, was unter dem Flächeninhalt einer" beliebigen" Fläche oder dem Volumen eines" beliebigen" Körpers zu verstehen ist. Sie sehen sich eher vor die Aufgabe gestellt, diese 1 Paradoxa heißen in der stoischen Philosophie solche Sätze, die zunächst widersprüchlich oder absurd erscheinen, bei näherer Untersuchung sich aber als wahr und wohlbegründet erweisen. 2Der Begriff des Maßes von Größen ist fundamental, sowohl im täglichen Leben (Länge, Oberfläche, Volumen, Gewicht) als auch in der Naturwissenschaft (elektrische Ladung, magnetische Polstärke usw.).

1. a-Algebren und Boreische Mengen

2

Größen in interessanten Beispielen wirklich auszurechnen. So ist zum Beispiel die Bestimmung der Oberfläche und des Volumens der Kugel durch ARCHIMEDES (287 (?)-212 v.ehr.) eine Glanzleistung hellenischer Mathematik. Zu Recht berühmt sind auch die Abhandlungen des ARCHIMEDES über die Kreismessung sowie seine Berechnungen des Flächeninhalts der Parabel, der Ellipse und der sog. Archimedischen Spirale. Jahrhundertelang wird den schon den Griechen bekannten Resultaten nur wenig Neues hinzugefügt. Erst etwa ab dem 17. Jahrhundert ergeben sich im Zuge der Entwicklung und Vervollkommnung der Infinitesimalrechung allgemeine Formeln zur Berechnung von Flächeninhalten, Volumina, Bogenlängen, Schwerpunkten, Trägheitsmomenten, Gravitationsfeldern usw. Die neuen Methoden gestatten die Behandlung einer gewaltigen Fülle konkreter Probleme. Die Mathematiker des 18. Jahrhunderts, an ihrer Spitze der geniale und unglaublich produktive L. EULER (1707-1783) und der große Analytiker J.L. LAGRANGE (1736-1813), widmen sich mit außerordentlichem Elan dem weiteren Ausbau und der Anwendung der Analysis. Hierbei spielen namentlich Anwendungen auf Probleme aus der Mechanik eine bedeutende Rolle. Diese Entwicklung reicht über das 19. Jahrhundert hinaus bis in die Gegenwart. Daneben aber stellt sich im 19. Jahrhundert die Frage nach klarer begriffiicher Fassung der Grundlagen der Analysis immer drängender. Wir können im Rahmen dieses Buches nicht auf die Einzelheiten der historischen Entwicklung eingehen und verweisen diesbezüglich auf die Grundwissen-Bände Analysis I, 11 von W. WALTER, insbesondere auf die Einleitung zu § 9 von Analysis 11. Ein Beispiel für die damals neuen Bemühungen um begriffiiche Strenge bietet der Integralbegriff. Die Mathematiker des 18. Jahrhunderts faßten die Integration primär als die zur Differentation inverse Operation auf, obgleich die Bedeutung des Integrals als Limes einer Folge von Zerlegungssummen auch bekannt war. Die Aufgabe, eine Funktion zu integrieren, war daher gleichbedeutend mit dem Problem der Bestimmung einer Stammfunktion. Für die allgemeine Frage nach der Existenz einer Stammfunktion einer beliebigen Funktion war die Zeit noch nicht reif. Das änderte sich mit der Einführung des modernen Funktionsbegriffs und des Stetigkeitsbegriffs. In seinem Resume des ler;ons donnees a l' Ecole Royale Polytechnique sur le calcul infinitesimal definiert A.L. CAUCHY (1789-1857) 1823 das bestimmte Integral einer stetigen Funktion f : [a, b] -+ lR als Limes von speziellen Zerlegungssummen. Das eröffnet ihm die Möglichkeit, vermöge F(x) :== f(t)dt (a ~ x ~ b) die Existenz einer Stammfunktion für jede stetige Funktion f nachzuweisen und damit den sog. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung streng zu beweisen. Den gleichen Weg beschreitet P.G. LEJEUNE DIRICHLET (1805-1859) bei seinen Untersuchungen über Fouriersche Reihen (s. Werke I, S. 136), und diese Einführung des Integralbegriffs ist in der etwas allgemeineren Version von B. RIEMANN (1826-1866; s. Werke, S. 239) fester Bestandteil der mathematischen Grundausbildung geworden. Ein eminent wichtiger Baustein für den exakten Aufbau der Analysis im 19. Jahrhundert ist die strenge Begründung der Lehre von den reellen Zahlen durch

J:

§ 1. Das Inhaltsproblem und das Maßproblem

3

R. DEDEKIND (1831-1916) und G. CANTOR (1845-1918). Die von CANTOR geschaffene Mengenlehre endlich bildet den passenden Rahmen zur Formulierung der Frage nach dem angemessenen Begriff des Volumens einer Teilmenge des JRP. Diese Frage wird seit den Anfängen der Mengenlehre diskutiert, und es werden gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von z.T. voneinander abweichenden Antworten vorgeschlagen. Hier sind namentlich die Beiträge von A. HARNACK (1851-1888), G. CANTOR, G. PEANO (1858-1932) und C. JORDAN (1838-1922) zu nennen. Eine genauere Darstellung der historischen Entwicklung findet man bei HAWKINS [1]; einen kurzen informativen Überblick mit vielen Quellenangaben gibt A. ROSENTHAL [1]. Diesen ersten Versuchen ist allerdings kein wirklich durchschlagender Erfolg beschieden. Die Frage nach einem angemessenen Begriff des Volumens einer Teilmenge des JRP hat erst durch E. BOREL (1871-1956) und H. LEBESGUE (1875-1941) eine befriedigende Antwort erhalten. Die Problemstellung wird erstmals allgemein von H. LEBESGUE ([1], S. 208) in seiner Pariser These (1902) formuliert. Im wesentlichen die gleiche Formulierung des Problems wählt LEBESGUE in seinen Ler;ons sur l'integration et la recherche des fonctions primitives (Paris 1904); dort heißt es auf S. 103 ([2]' S. 119)3: Nous nous proposons d'attacher a chaque ensemble E borne, forme de points de ox, un nombre positif ou nul, m(E), que nous appelons la mesure de E et qui satisfait aux conditions suivantes: I'. Deux ensembles egaux ont meme mesure; 2'. L 'ensemble somme d 'un nombre fini ou d 'une infinite denombrable d 'ensembles sans point commun deux a deux, a pour mesure la somme des mesures; 3'. La mesure de l'ensemble de tous les points de (0, 1) est 1. LEBESGUE nennt dieses Problem das Maßproblem. In seiner These weist er ausdrücklich darauf hin, daß er dieses Problem nicht in voller Allgemeinheit löst, sondern nur für eine gewisse Klasse von Mengen, die er meßbare Mengen nennt. Diese Einschränkung ist zwingend notwendig, denn wir werden sehen, daß eine Lösung des Maßproblems gar nicht existiert. Auffällig ist an Bedingung 2', daß LEBESGUE endliche oder abzählbar unendliche Vereinigungen von Mengen zuläßt. Der Gedanke, die Additivität des Maßes auch für abzählbare Vereinigungen disjunkter Mengen zu fordern, geht zurück auf E. BOREL (1898). Diese Idee spielt für den weiteren Aufbau der Maß- und Integrationstheorie eine Schlüsselrolle. In der älteren Inhaltstheorie von PEANO und JORDAN wird die Additivität des Inhalts nur für endliche Vereinigungen disjunkter Mengen betrachtet. Der Übergang vom Endlichen zum Abzählbaren hat zur Folge, daß die Lebesguesche Maß- und Integrationstheorie der älteren 3Wir wollen jeder beschränkten Teilmenge E der reellen Achse eine nicht-negative reelle Zahl m(E) zuordnen, die wir das Maß von E nennen, so daß folgende Bedingungen erfüllt sind: I'. Je zwei kongruente Mengen haben gleiches Maß. 2'. Die Vereinigung von endlich oder abzählbar unendlich vielen Mengen, von denen keine zwei einen gemeinsamen Punkt enthalten, hat als Maß die Summe der Maße. 3'. Das Maß des Einheitsintervalls [0, 1] ist 1.

4

1. a-Algebren und BoreIsche Mengen

Theorie von PEANO und JORDAN ganz wesentlich überlegen ist. Schließlich ist die Theorie von PEANO und JORDAN nicht einmal in der Lage, jeder offenen Teilmenge von IR. in befriedigender Weise einen Inhalt zuzuordnen. Dagegen ist die Definition des Maßes für offene Teilmengen von IR. denkbar naheliegend: Jede offene Teilmenge M c IR. ist auf genau eine Weise darstellbar als endliche oder abzählbare Vereinigung offener disjunkter Intervalle; als Maß von M definiere man die Summe der Längen dieser Intervalle. Dieser Ansatz geht zurück auf E. BOREL. Im Anschluß an LEBESGUE schränkt F. HAUSDORFF (1868-1942) die Forderung der abzählbaren Additivität des Maßes ein zur endlichen Additivität und formuliert das Inhaltsproblem.

Inhaltsproblem. Gesucht ist eine auf der Potenzmenge ~(JRP) des IR.P erklärte "Inhaltsfunktion " m : ~(IR.P) -t [0,00] mit folgenden Eigenschaften: (a) End 1 ich e A d d i t i v i t ä t: Für alle A, B c JRP mit A n B == 0 gilt m(A U B) == m(A) + m(B). (b) B ewe gun g s i n v a r i a n z: Für jede Bewegung ß : IR.P -t JRP und für alle A c JRP gilt m(ß(A)) == m(A). (c) N 0 r m i e r t h e i t: m ( [0, l]P) == 1. Die Theorie von PEANO und JORDAN ordnet nur gewissen beschränkten Teilmengen des IR.P, den sog. Jordan-meßbaren Mengen, einen Inhalt zu, der den Bedingungen (a)-(c) genügt. Es sind aber durchaus nicht alle beschränkten Teilmengen des JRP Jordan-meßbar. Die Frage nach der Lösbarkeit des Inhaltsproblems hat zu höchst merkwürdigen, zunächst paradox anmutenden Ergebnissen geführt. In seinem berühmten Buch Grundzüge der Mengenlehre beweist HAUSDORFF ([1], S. 469-472) folgendes Resultat:

Satz von Hausdorff (1914). Das Inhaltsproblem ist unlösbar für den JRP, falls p 2: 3. Daß hier die Dimensionsbeschränkung p 2: 3 wirklich notwendig ist, erkennt S. BANACH (1892-1945) im Jahre 1923 (s. BANACH [1], S. 66-89):

Satz von Banach (1923). Das Inhaltsproblem ist lösbar für den IR.1 und den IR.2 , aber es ist nicht eindeutig lösbar. Einen Beweis dieses Satzes findet man z.B. bei ZAANEN [1], S. 114-116, [2], S. 194-198. Nach J. VON NEUMANN (1903-1957) liegt der Grund für die Dimensionsabhängigkeit der Antwort auf das Inhaltsproblem in wesentlichen strukturellen Unterschieden der Bewegungsgruppen des JRP für p == 1,2 und für p 2: 3: Für p == 1,2 sind die Bewegungsgruppen des IR.P auflösbar, für p 2: 3 aber nicht, denn die spezielle orthogonale Gruppe SO (3) enthält eine freie Untergruppe vom Rang 2 (s. WAGON [2]). Die Unlösbarkeit des Inhaltsproblems für p 2: 3 wird auf geradezu dramatische Weise deutlich in folgendem Paradoxon von S. BANACH und A. TARSKI (1902-1983); s. BANACH [1], S. 118-148.

§ 1. Das 1nhaltsproblem und das Maßproblem

5

Satz von Banach und Tarski (1924). Es sei p ~ 3, und A, B c W seien beschränkte Mengen mit nicht-leerem Inneren. Dann gibt es Mengen Cl, ... , C n C W und Bewegungen ßl, ... , ßn, so daß A die disjunkte Vereinigung der Mengen Cl, ... , Cn ist und B die disjunkte Vereinigung der Mengen ßl(Cl ), ... , ßn(Cn ). Dieses Ergebnis erscheint absurd, "denn wollten wir die Körper teilen in eine endliche Anzahl von Teilen, so ist es unzweifelhaft, daß wir sie nicht zusammensetzen könnten zu Körpern, die mehr Raum einnehmen als früher ... ", wie es G. GALILEI (1564-1642) in Unterredungen und mathematische Demonstrationen ... , Erster und zweiter Tag, Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft 1917 auf S. 25 formuliert. Der Satz von BANACH und TARSKI behauptet jedoch das krasse Gegenteil; z.B. besagt der Satz, daß es möglich sei, eine Vollkugel vom Radius 1 im jR3 derart disjunkt in endlich viele Teilmengen zu zerlegen und die Teilstücke durch geeignete Bewegungen des jR3 derart disjunkt wieder zusammenzusetzen, daß dabei zwei disjunkte Vollkugeln vom Radius 1 (oder gar 1000 Vollkugeln vom Radius 106 ) herauskommen. Der Grund für dieses paradoxe Ergebnis ist, daß die Mengen Cl, ... , Cn im Satz von BANACH und TARSKI im allgemeinen unvorstellbar kompliziert sind. Diese Mengen werden mit Hilfe des Auswahlaxioms der Mengenlehre konstruiert, und das hat zur Folge, daß diese Mengen ganz unvorstellbar viel komplizierter sind als die Mengen, mit denen man es in der Analysis sonst zu tun hat, so daß etwa der Begriff des Volumens für Cl, ... ,Cn von vornherein durchaus nicht sinnvoll ist. Einen übersichtlichen und kurzen Beweis des Satzes von BANACH und TARSKI gibt L.E. DUBINS: Le paradoxe de Hausdorff-Banach- Tarski, Gazette des Mathematiciens, Soc. Math. France No. 12, Aout 1979, S. 71-76; s. auch K. STROMBERG: The BanachTarski paradox, Amer. Math. Monthly 86, 151-161 (1979) und W. DEUBER: "Paradoxe" Zerlegung Euklidischer Räume, EIern. Math. 48, 61-75 (1993). Wir verschärfen nun mit BOREL und LEBESGUE die Forderung der endlichen Additivität im 1nhaltsproblem zur Forderung der abzählbaren Additivität ((J"Additivität) .

Maßproblem. Gesucht ist eine "Maßfunktion " J-l : ~(W) -+ [0,00] mit folgenden Eigenschaften: (a) (J" - A d d i t i v i t ä t: Für jede Folge (An )n> 1 disjunkter Teilmengen des jRP gilt J-l (U~=l An) == 2:~=1 J-l(A n ). (b) B ewe gun g s i n v a r i a n z: Für jede Bewegung ß : W -+ jRP und alle A C jRP gilt J-l(ß(A)) == JL(A). (c) N 0 r m i e r t h e i t: J-l ( [0, l]P) == 1. Daß dieses Problem unlösbar ist, hat erstmals G. VITALI (1875-1932) im Falle p == 1 erkannt.

Satz von Vitali (1905). Das Maßproblem ist unlösbar. Wir werden dieses Ergebnis als Satz 111.3.3 formulieren und beweisen. BANACH und TARSKI verschärfen den Vitalischen Satz ganz erheblich durch folgendes Resultat (BANACH [1]' S. 118-148):

1. a-Algebren und Boreische Mengen

6

Satz von Banach und Tarski über das Maßproblem (1924). Es seip ~ 1, und A, B c W seien beliebige (möglicherweise auch unbeschränkte) Mengen mit nicht-leerem Inneren. Dann gibt es abzählbar viele Mengen C k C W (k ~ 1) und Be~egungen ßk : IRP -+ IRP (k ~ 1), so daß A die disjunkte Vereinigung der C k (k ~ 1) ist und B die disjunkte Vereinigung der ßk (C k ) (k ~ 1). Die Paradoxien, die sich im Zusammenhang mit dem Inhalts- und dem Maßproblem ergeben haben, zeigen deutlich, daß es nicht sinnvoll ist, von Inhaltsund Maßfunktionen von vornherein zu verlangen, daß sie auf ganz s,p(IRP) definiert sind. Als solche Definitionsbereiche kommen nur geeignete Teilmengen von s,p(IRP) in Betracht. Dabei hat sich herausgestellt, daß man sich beim Aufbau einer axiomatischen Theorie nicht auf den Raum IRP zu beschränken braucht, sondern mit im wesentlichen gleichem Aufwand eine beliebige Grundmenge X als Raum zugrundelegen kann. Der Mehraufwand bei diesem abstrakten Aufbau ist gering, der Gewinn an Allgemeinheit dagegen für die Zwecke der Funktionalanalysis und Wahrscheinlichkeitstheorie ganz erheblich. Es gibt eine ganze Reihe von Varianten der in diesem Abschnitt betrachteten Probleme und Paradoxien. WAGON [1] gibt hier einen interessanten kurzen Überblick. Eine ausführliche Darstellung enthält das Buch von WAGON [2].

§ 2.

Bezeichnungen und lllengentheoretische Grundlagen "D e d e kin d äußerte, hinsichtlich des Begriffes der Menge: er stelle sich eine Menge vor wie einen geschlossenen Sack, der ganz bestimmte Dinge enthalte, die man aber nicht sähe, und von denen man nichts wisse, außer daß sie vorhanden und bestimmt seien. Einige Zeit später gab C a n tor seine Vorstellung einer Menge zu erkennen: Er richtete seine kolossale Figur hoch auf, beschrieb mit erhobenem Arm eine großartige Geste und sagte mit einem ins Unbestimmte gerichteten Blick: ,Eine Menge stelle ich mir vor wie einen Abgrund.' " (Mitteilung von F. BERNSTEIN; s. R. DEDEKIND: Gesammelte mathematische Werke, Bd. 111, S. 449. Braunschweig: Vieweg 1932)

1. Bezeichnungen. Wir verwenden durchweg die üblichen mengentheoretischen Bezeichnungen E, (j., C, ct, U, n. Die Menge aller Teilmengen der Menge X heißt die Potenzmenge von X und wird mit s,p(X) bezeichnet, also s,p(X) :== {A : A C X}. Hier und im folgenden bedeutet der Doppelpunkt bei einem Gleichheitszeichen, daß die betr. Gleichung eine Definition ist. Der Doppelpunkt steht dabei auf der Seite des zu definierenden Ausdrucks. Insbesondere ist die leere Menge 0 Teilmenge jeder Menge X, also 0 E s,p(X). Alle im folgenden betrachteten Mengen sind Teilmengen einer festen Menge X bzw. von s,p(X) , soweit aus dem Zusammenhang nichts anderes ersichtlich ist. Speziell bezeichnen wir mit N :== {I, 2, 3, ...}, Z, Q, IR, C die Mengen der

§ 2. Bezeichnungen

7

natürlichen bzw. ganzen bzw. rationalen bzw. reellen bzw. komplexen Zahlen und mit i die imaginäre Einheit. Bei der Notation für die verschiedenen Typen reeller Intervalle folgen wir N. BOURBAKI und bezeichnen für a, b E :IR, a :S b mit [a, b] :== {x E IR a :S x :S b} das abgeschlossene Intervall, mit Ja, b[:== {x E IR a < x < b} das offene Intervall und mit [a, b[:== {x E IR : a:S x < b} , Ja, b] :== {x E IR : a < x :S b} das entsprechende nach rechts bzw. nach links halboffene Intervall von a nach b. Für a == b ist [a, a] == {a}, während die übrigen Intervalle leer sind. Wir verwenden diese Intervallschreibweise sinngemäß auch für a, b E JR, wobei JR :== :IR U { -00, +oo} die um die Elemente +00, -00 erweiterte Menge der reellen Zahlen ist. Für A c X bedeutet AC :== {x EX: x rt A} das Komplement von A in X. Die Menge A \ B :== {x E A : x rt B} == A n BC heißt die mengentheoretische Differenz und A 6 B :== (A \ B) U (B \ A) == (A U B) \ (A n B) die symmetrische Differenz von A und B; A 6 B enthält genau diejenigen Elemente von X, die in genau einer der Mengen A und B liegen. Eine Familie (AJl,EI von Teilmengen von X ist eine Abbildung der Indexmenge I in ~(X), die jedem i E I eine Menge Al, E ~(X) als Bild zuordnet. Im Falle I == N ist (An)nEN gleich der Folge der Mengen Al, A 2 , • •• , und für I == {1, 2, ... , n} (n E N) ist (Ai)iEI gleich dem geordneten n-Tupel (Al' ... ' An). Eine (endliche oder unendliche) Familie (Al,)l,EI von Mengen heiße disjunkt, wenn die Mengen Al, (i E I) paarweise disjunkt sind, d.h. wenn für alle i i- ~ gilt: Al, n A li == 0. Für das Rechnen mit Komplementen gilt das Dualitätsprinzip: Für jede Familie (AJl,EI von Teilmengen der Menge X gilt (2.1) Im Falle I == X

0 ist hier

Ul,E0

Al, == 0, und man definiert bei fester Grundmenge

(2.2) Mit dieser Konvention gilt (2.1) auch für 1==0. Sind X, Y Mengen und ist f : X -+ Y eine Abbildung, so bezeichnen wir für A c X mit

(2.3)

f(A) :== {f(x) : x E A}

das Bild von A unter der Abbildung

(2.4)

f

und mit

f-l(B) :== {x EX: f(x) E B}

das Urbild von BeY bez. f. Dann können wir f- l als Abbildung von ~(Y) in ~(X) auffassen. Das Bild einer Teilmenge ~ C ~(Y) unter dieser Abbildung ist

(2.5)

1. a-Algebren und BoreIsche Mengen

8

Eine Verwirrung mit der für bijektives f vorhandenen Umkehrabbildung f- l : Y -t X ist wohl nicht zu befürchten. Für bijektives fist f-I(B) == {f-I(X) : x E B} (B c Y). - Die Abbildung f- l : ~(Y) -t ~(X) hat die wichtige Eigenschaft der Operationstreue: Für beliebige B, BI, C Y (t E I) gilt:

(2.6)

(2.7)

(2.8) (Im Falle I == (/) hat man die Konvention (2.2) auf der linken Seite in (2.7) für die Grundmenge Y anzuwenden, auf der rechten Seite dagegen für die Grundmenge X.) Für A c X bezeichnet flA die Einschränkung (Restriktion) der Abbildung f : X -t Y auf A. Für je zwei Mengen X, Y wird die Menge aller geordneten Paare (x, y) von Elementen x EX, Y E Y das cartesische Produkt von X und Y genannt und mit X x Y bezeichnet. Entsprechend ist Xl x ... x X p == TI1=1 X k das cartesische Produkt der Mengen Xl,' .. , X p . Sind alle Mengen Xl,"" X p gleich X, so schreiben wir XP :== Xl x ... x X p . Dabei ist im Falle X == JR zu beachten: Vektoren des W fassen wir stets als Spaltenvektoren auf. Für a E JRP bezeichnen al," ., ap die Koordinaten von a, also a == (al,' .. , ap)t, wobei das hochstehende "t" die Transposition von Matrizen bedeutet; entsprechend schreiben wir x == (Xl, ... ,xp)t, Y == (YI,···,Yp)t usw. Für a,b E W bedeute a::; b, daß aj ::; bj ist für alle j == 1, ... , p; entsprechend bedeute a < b, daß aj < bj für alle j == 1, ... , p. Mit dieser Definition der Relationen,,::;" und" l kompakter Mengen mit X == U::=l K n , so ist Q3(X) == a(R). c) Hat 6 c D die Eigenschaft, daß jede offene Teilmenge von X darstellbar ist als abzählbare Vereinigung von Mengen aus 6, so ist Q3(X) == a(6). Beweis. a) Da die abgeschlossenen Teilmengen von X gerade die Komplemente der offenen Teilmengen von X sind, folgt Q3(X) == a(Q:). b) Nach einem bekannten Satz ist jede kompakte Teilmenge von X abgeschlossen. Daher ist a(R) C a(Q:) == Q3(X). Andererseits hat jedes F E Q: die Darstellung F == U~=l F n K n als abzählbare Vereinigung kompakter Teilmengen von X, d.h. es ist Q: C a(R), also a(Q:) C a(R), und zusammen folgt

a(R)

==

a(Q:)

==

Q3(X).

c) Natürlich ist a(6) C Q3(X). Andererseits ist jedes A E D abzählbare Verei0 nigung von Mengen aus 6, also D C a(6), d.h. Q3(X) C a(6). Wir nennen ein Mengensystem 9Jt C ~(X) durchschnittsstabil (bzw. vereinigungsstabil) , wenn für je zwei Mengen aus 9Jt auch ihr Durchschnitt (bzw. ihre Vereinigung) zu 9Jt gehört.

5Diese Voraussetzung ist für jeden metrischen Raum X erfüllt.

§ 4. Erzeuger und Boreische Mengen

19

4.3 Satz. Jedes der jolgenden Mengensysteme ist ein durchschnittsstabiler Erzeuger der a-Algebra Q3P der Borelschen Teilmengen des W:

DP :== {U c W : U offen}, ([:P :== {A c JRP : A abgeschlossen} , RP :== {K c JRP : K kompakt} , J~ :== {] a, b[ : a, b E JRP , a :::; b} , J~,Q:== {]a,b[: a,b E cry , a:::; b}, J~ :== {[a, b] : a, b E W , a :::; b} u {0} , J~,Q :== {[ a, b] : a, b E cry , a :::; b} U {0} , JP :== {] a, b] : a, b E JRP , a :::; b} , J Q :== {] a, b] : a, b E cry , a :::; b} , ~P :== {U~=1 I k : 11 , ••. ,In E JP disjunkt} , ~Q :== {U~=1 I k : 11 , . .. , In E J Qdisjunkt} . Beweis. Ersichtlich sind alle angegebenen Mengensysteme durchschnittsstabil. Die Gleichheit Q3P == a(DP) == a( ([:P) == a(RP) ist ein Spezialfall von Folgerung 4.2. Da jede offene Teilmenge des JRP als abzählbare Vereinigung offener Intervalle mit rationalen Eckpunkten dargestellt werden kann, ist nach Folgerung 4.2, c) Q3P == a(J~) == a(J~,Q)' Offenbar ist a(J~,Q) c a(J~) c Q3p. Weiter ist Ja, b[ == U r,sE(()JP [r, s] (a < b) (abzählbare Vereinigung!), also J~ c a(J~ Q)' al eine Cauchy-Folge in (6, d). Wählen Sie eine Teilfolge Bk = A nk (k 2: 1), so daß d(B k , Bk~l) ::; 2- k (k 2: 1). Folgern Sie aus B p D. Uk=p Bk C ut:~ Bk D. B k+ l (q > P 2: 1), daß für alle q 2: p gilt J.l (B pD. Uk=p Bk) < 2-(p-I), I'.J

und folgern Sie aus der Stetigkeit des Prämaßes von unten, daß für C p := U~p Bk E 6 gilt d(Bp , Gp ) ::; 2-(p-I). Für B := lim Bk gilt Cp -t B. Schließen Sie nun aus der Stetigkeit k-+oo

des Prämaßes von oben und aus d(B p, B) ::; d(B p, Gp) + d(G p, B), daß (B k)k'2 1 gegen B konvergiert. Warum folgt hieraus die Konvergenz der Folge (A n )n'21 gegen B?) 1.7. Es seien J.l ein Prämaß auf dem O"-Ring 6 und (A n )n'21 eine Folge von Mengen aus 6. Zeigen Sie:

a) J.l (lim An) ::; lim J.l(An). n-+oo

n-+oo

b) Gibt es ein P E N, so daß J.l c) Gibt es einp E N, so daß J.l

(U~=p A k) < 00,

so gilt J.l (lim An) 2: lim J.l(An). n-+oo

n-+oo

(U~p A k) < 00, und konvergiert (An)n>l' so gilt lim J.l(A n ) = n-+oo

J.l ( lim An). n-+oo

1.8. Es seien J.l ein Inhalt auf dem Ring 9t und Al,"" An E 91, J.l(A j

)

< 00

für j

= 1, ... , n,

a) J.l(A I U ... U An) = L~=l (-l)k- I mk. b) Für p = 1, ... , n sei B p die Menge aller x E X, die in genau p der Mengen Al,"" An enthalten sind. Dann ist B p E 91, und es gilt: n

n

LpJ.l(Bp )

= LJ.l(Ak).

p=l

k=l

c) Für p = 1, ... , n sei Cp die Menge aller x E X, die in mindestens p der Mengen Al,"" An enthalten sind. Dann ist Cp E 9l, und es gilt

LJ.l(Cp ) p=l

= LJ.l(Ak). k=l

-# I C {I, ... , n} die Mengen EI := njEI A j , FI := EI n A k, und beachten Sie, daß EI die disjunkte Vereinigung aller Mengen F J mit I C J c {I, ... , n} ist.) (Hinweis: Betrachten Sie für 0

nk~I

1.9. Es sei X -# 0. a) Es sei J.l : ~(X) ~ ~ ein Inhalt mit J.l(X) = 1 und J.l(A) E {O, I} für alle A C X; U :=

{A C X: J.l(A) = I}. Zeigen Sie: (i) 0 Et U; (ii) A EU, A c B CX===} B E U; (iii) A, B EU===} A n B E U; (iv) A cX===} A E U oder Ac E U.

11. Inhalte und Maße

36 (Eine Teilmenge II

1= 0 von s,p(X)

mit den Eigenschaften (i), (ii), (iii) heißt ein Filter auf X;

gilt zusätzlich (iv), so heißt II ein Ultrafilter.)

°

b) Ist II ein Ultrafilter auf X, so ist J-L : s,p(X) -t IR, J-L(A) :== 1 für A E ll, J-L(A) :== für Ac E ll, ein Inhalt. J-L ist genau dann ein Maß, wenn für jede Folge (A n )n21 von Mengen aus II gilt n~=l An 1= 0. c) Auf jeder unendlichen Menge gibt es einen nicht-trivialen Inhalt, der auf ganz s,p(X) definiert ist, nur die Werte (Hinweis: Zu jedem Filter 49.)

°

und 1 annimmt und auf allen endlichen Mengen verschwindet.

J' auf X gibt es einen Ultrafilter II => J', s. z.B. SCHUBERT [1], S. 21x1

Bemerkung. Man kann zeigen, daß es auf jeder unendlichen Menge X genau 2 (== Mächtigkeit von s,p(s,p(X))) Ultrafilter gibt (s. W.W. COMFORT: Ultrafilters: Some old and some new results, Bull. Am. Math. Soc. 83,417-455 (1977)). Daher gibt es auf jeder unendlichen Menge 1 X sogar 22 [X nicht-triviale Inhalte, die nur die Werte und 1 annehmen und auf allen endlichen Teilmengen von X verschwinden. Es ist eine naheliegende Frage, ob unter diesen Inhalten auch Maße vorkommen. Diese Frage läßt sich auf der Grundlage der üblichen ZermeloFraenkelschen Mengenlehre (ZF) einschließlich Auswahlaxiom (C) nicht beantworten, und zwar auch dann nicht, wenn man die verallgemeinerte Kontinuumshypothese (GCH) zusätzlich fordert: Die Diskussion dieser Frage führt auf tiefliegende Probleme einer angemessenen Axiomatisierung der Mengenlehre; s. z.B. T. JECH: Set theory. New York-San FranciscoLondon: Academic Press 1978, Chapter 5: Measurable cardinals; A. LEVY: Basic set theory. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1979, S. 342-356 oder H.C. DOETS: Cantor's paradise. Nieuw Arch. Wisk., IV. Sero 1, 290-344 (1983). Zusammenhänge mit topologischen Fragen werden diskutiert bei R. ENGELKING: General topology. Warszawa: Panstwowe Wydawnictwo Naukowe 1977, S. 275-276, und bei L. GILLMAN, M. JERISON: Rings of continuous functions. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1976, Chapter 12; s. auch W.W. COMFORT, S. NEGREPONTIS: The theory of ultrafilters. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1974, insbes. S. 196-197 und K. EDA, T. KIYOSAWA und H. OHTA: N -compactness and its applications. In: Topics in general topology, S. 459-521, insbes. section 3. K. MORITA, J. N AGATA, Eds. Amsterdam: North-Holland Publ. Comp. 1989.

°

1.10. Es sei X eine Menge, deren Mächtigkeit höchstens gleich der Mächtigkeit von IR ist. Zei-

°

gen Sie: Es gibt kein Maß J-L auf s,p(X) mit J-L(X) == 1, das nur die Werte und 1 annimmt und auf allen endlichen Teilmengen von X verschwindet. (Hinweis: Es kann ohne Einschränkung der Allgemeinheit X == [0,1] angenommen werden. Schließen Sie indirekt und konstruieren Sie durch sukzessive Halbierung von [0,1] eine fallende Folge abgeschlossener Teilintervalle In von [0,1] der Länge 2- n mit J-L(In ) == 1.) 1.11. Es seien X :== Q und SJ :== JIQ == {Ja, b] nQ : a ::; b, a, b E IR}. Ferner sei J-L(]a, bJ nQ) :== b- a für a ::; b. Dann ist J-L ein endlicher Inhalt auf SJ, der die Bedingungen b), c), d) aus Satz 1.10 mit SJ anstelle von 9l. erfüllt, aber J-L ist kein Prämaß. 1.12. Es seien J-L : SJ -t IR" und 1/ : Jt -t IR zwei Inhalte auf den Halbringen f), J~ über X bzw. Y, und p : SJ * .ft -t JE: (s. Lemma 1.5.3) sei definiert durch p(A x B) :== p(A) ·1/(B) (A E SJ, B E .ft); dabei wird das Produkt auf der rechten Seite definiert durch a . 00 :== 00 für < a ::; 00, o· 00 :== (!). Zeigen Sie: p ist ein Inhalt auf SJ * R. (Hinweis: Aufgabe 1.5.5.)

°

°

§ 2. Inhalte und Prämaße auf IR

§ 2.

37

Inhalte und Prälllaße auf JR «Le theoreme de Borel-Lebesgue perpetue le souvenir de ces deux mathematiciens, qui, avec Rene Baire (1874-1932), ont renouvele l'etude des fonctions de la variable reelle.»4 (La Grande Encyclopedie, Larousse, Vol. 3 (1972), S. 1842)

1. Endliche Inhalte auf J. Im folgenden Paragraphen bestimmen wir alle endlichen Inhalte und Prämaße auf dem Halbring J :== {Ja, b] : a, b E IR, a ~ b} über IR. Nach Satz 1.6 sind dann auch alle endlichen Inhalte bzw. Prämaße auf dem Ring ~ := { U7=1 I j : 11 , ••• ,In E J , I j n h = 0 für j =I- k} bekannt. 2.1 Satz. a) Ist F : IR -+ IR eine wachsende Funktion, so ist f.1F : J -+ IR, f.1F(]a, b]) :== F(b) - F(a) (a ~ b) ein endlicher Inhalt. Für zwei wachsende Funktionen F, G : IR -+ IR gilt genau dann f.1F == f.1G, wenn F - G konstant ist. b) Ist f.1 : J -+ IR ein endlicher Inhalt und wird F : IR -+ IR definiert durch

F(x) :== {

f.1(]0, x]) für x 2: 0 , -f.1(]x,O]) für x < 0,

so ist F wachsend und f.1 == f.1F. Für wachsendes F : IR -+ IR nennen wir f.1F den zu F gehörigen Stieltjesschen Inhalt. Diese Namengebung erfolgt zu Ehren von T.J. STIELTJES, der für solche Inhalte nach dem Vorbild der Riemannschen Integrationstheorie im Jahre 1894 den Begriff des (Riemann-)

I:

g(x) dF(x) einführt (s. § 1, 5.). Für F(x) == x ist das Stieltjessche Stieljesschen Integrals Integral gleich dem Riemannschen (s. Grundwissen-Band Analysis 11 von W. WALTER).

Beweis von Satz 2.1. a) Zum Nachweis der endlichen Additivität von f.1F auf J sei Ja, b] E J (a ~ b) dargestellt als endliche disjunkte Vereinigung Ja, b] == U~=l]ak' bk] nach links halboffener Intervalle. Dabei kann ohne Einschränkung der Allgemeinheit gleich angenommen werden, daß a == al ~ b1 == a2 ~ b2 == a3 ~ ... ~ bn- 1 == an ~ bn == b, und es folgt n

n

f.1F(]a,bJ) == F(b) - F(a) == L(F(b k ) - F(ak)) == Lf.1F(]ak,b kJ). k=l k=l Für zwei wachsende Funktionen F, G : IR -+ IR ist f.1F == f.1G genau dann, wenn für alle a,x E IR, x 2: a gilt f.1F(]a,x]) == f.1G(]a, x]), d.h. F(x)-G(x) == F(a)-G(a). Letzteres ist genau dann der Fall, wenn F - G konstant ist. b) Da F offenbar wächst, ist nur noch zu zeigen, daß f.1(]a, bJ) == F(b) - F(a) (a ~ b). Das erfordert drei Fallunterscheidungen: Für a ~ b < 0 ergibt die Subtraktivität von f.1

F(b) - F( a) == - f.1(]b, 0])

+ f.1(]a, 0])

==

f.1(]a, b]) .

4Der Satz von Lebesgue-Borelläßt die Erinnerung an diese beiden Mathematiker fortbestehen, die zusammen mit Rene Baire (1874-1932) das Studium der Funktionen einer reellen Variablen neu begründet haben.

11. Inhalte und Maße

38

Im Falle a < 0 S b liefert die endliche Additivität von f.1

F(b) - F(a) == f.1(]0, b])

+ f.1(]a, 0]) == f.1(]a, b]) ,

und für 0 S a S b erhält man wiederum aus der Subtraktivität

F(b) - F(a) == f.1(]0, b]) - f.1(]0, a]) == f.1(]a, b]) .

o 2. Endliche Prämaße auf J. Für die spätere Fortsetzung von Prämaßen zu Maßen (s. § 4) ist es wichtig zu wissen, welche der Stieltjesschen Inhalte f.1F Prämaße sind. 2.2 Satz. Es seien F : JR -+ JR wachsend und f.1F : J -+ JR der zugehörige Stieltjessche Inhalt. Dann ist f.1F ein Prämaß genau dann, wenn F rechtsseitig stetig ist. Bemerkung. Wählt man anstelle von J den Halbring der nach rechts halboffenen Intervalle [a, b[ (a:S b), und definiert man für wachsendes F : JR ~ JR entsprechend vF([a, b[) :== F(b) - F(a) (a:S b), so ist VF genau dann ein Prämaß, wenn F linksseitig stetig ist.

Beweis von Satz 2.2. Es seien f.1F ein Prämaß und a E JR. Dann gilt nach Satz 1.10, d) für jede Folge bn -t a : F(b n ) - F(a) == f.1F(]a,b n ]) -+ 0 (n -+ 00). Daher ist F rechtsseitig stetig. Es sei nun umgekehrt F rechtsseitig stetig. Der Nachweis der a- Additivität von f.1F auf J ist die wesentliche Schwierigkeit im Beweis von Satz 2.2. Dazu seien Ja, bJ E J (a < b) und Ja, b] == U~lJak' bk] mit disjunkten Jak, bkJ E J, ak S bk (k 2: 1). Nach Satz 1.7, e) folgt aus der Inhaltseigenschaft von f.1F bereits die Ungleichung 00

f.1F(]a, b]) 2:

L f.1F(]ak, bk]) , k=l

so daß wir nur noch die umgekehrte Ungleichung "S" zu zeigen haben. Der wesentliche Kunstgriff ist dabei ein Kompaktheitsargument, das auf E. BOREL zurückgeht: Es sei E > 0 beliebig vorgegeben. Dann gibt es ein a E]a, b], so daß F( 0:) S F(a) + E, denn F ist rechtsseitig stetig, und es existiert zu jedem k 2: 1 ein ßk > bk, so daß F(ßk) S F(b k) + E· 2- k. Nun ist aber 00

[a,b]

C

00

UJak,bk] k=l

C

U]ak,ßk[' k=l

und nach dem Überdeckungssatz von REINE und BOREL reichen bereits endlich viele der offenen (!) Intervalle Jak, ßk[ zur Überdeckung der kompakten (!) Menge [0:, b] aus. Daher existiert ein N E N, so daß [0:, b] c U:=l]ak, ßk[; folglich ist a fortiori Ja, b] c U:=l]ak, ßk], also N

f.1F(]O:, b]) S

L f.1F(]ak, ßk]) k=l

§ 2. Inhalte und Prämaße auf lR

39

(Satz 1.7, c)). Nach Wahl der Punkte a, ßk

(k

~

1) folgt nun weiter:

N

JLF(]a, b])~J-tF(]a, b]) + 6 ~

l: JLF(]ak, ßk]) +

6

k=l

N

00

l:

~l:(JLF(]ak'bk]) + 62- k) + 6 ~ J-tF(]ak, bk]) k=l k=l Daher ist für jedes

6

+ 26.

>0 00

JLF(]a, b]) ~

l: JLF(]ak, bk]) +

26 ,

k=l und folglich JLF(]a, b]) ~ E~l J-tF(]ak, bk]) , wie zu zeigen war.

o

Ist F : lR ~ lR wachsend und rechtsseitig stetig, so nennen wir JLF : J ~ lR das zu F gehörige Lebesgue-Stieltjessche Prämaß. Speziell erhalten wir für F(x) = x (x E lR) das Lebesguesche Prämaß ,X : J ~ lR, 'x(]a, b]) = b - a (a ~ b). Korrekterweise sollte dieses Prämaß benannt werden nach E. BOREL, denn er ist es, der in seiner These 1894 die a-Additivität des Lebesgueschen Prämaßes auf J erstmals nachweist (s. BOREL [3], S. 280-281). Das besondere Verdienst von BOREL besteht hier darin, daß er die a-Additivität des Lebesgueschen Prämaßes auf J nicht als evident hinnimmt, sondern als ernst zu nehmendes mathematischen Problem erkennt. Er schreibt: «On peut considerer ce lemme comme a peu pres evident; neanmoins, a cause de son importance, je vais donner une demonstration reposant sur un theoreme interessant par lui-meme ... »5 ([3], S. 281). Der "Satz von eigenem Interesse" ist hier der in der deutschen Literatur nach E. HEINE (18211881) und E. BOREL benannte Überdeckungssatz, den BOREL anschließend formuliert und beweist, allerdings nur für abzählbare Überdeckungen. Auch in unserem Beweis des Satzes 2.2 spielt dieser Satz eine Schlüsselrolle. In einer Notiz über seine wissenschaftlichen Arbeiten berichtet BOREL selbst ([3], S. 129-130) über diese Entdeckung und weist darauf hin, daß H. LEBESGUE den Satz für beliebige Überdeckungen bewiesen hat (s. LEBESGUE [2], S. 105, [5], S. 307-309). Demzufolge wird in der französischen Literatur dieser Satz treffend als Satz von BOREL und LEBESGUE bezeichnet.

Wir nennen zwei wachsende Funktionen F, G : lR

~

lR äquivalent, wenn

F - G konstant ist; [F] bezeichne die Äquivalenzklasse von F bez. dieser Äqui-

valenzrelation. Dann können wir die Ergebnisse der Sätze 2.1, 2.2 wie folgt zusammenfassen: 2.3 Korollar. Die Zuordnung J-t t---+ [F] (F s. Satz 2.1, b)) definiert eine Bijektion zwischen der Menge der endlichen Inhalte J-t : J ~ lR und der Menge der Äquivalenzklassen monoton wachsender Funktionen F : lR ~ lR. Diese Zuordnung definiert zugleich eine Bijektion zwischen der Menge der endlichen 5Man kann dieses Lemma als beinahe evident ansehen; nichtsdestoweniger werde ich wegen seiner Bedeutung einen Beweis führen, der auf einem Satz beruht, der von eigenem Interesse ist ...

40

11. Inhalte und Maße

Prämaße J.L : J -+ lR und der Menge der Äquivalenzklassen rechtsseitig stetiger wachsender Funktionen F : lR -+ lR. Offenbar definiert jede stetige wachsende Funktion F : lR -+ lR ein endliches Prämaß J.LF : J -+ lR. Ein solches Prämaß kann man sich als eine stetige Massenverteilung auf lR vorstellen. Es gibt jedoch auch ganz andere Prämaße. Um diese zu definieren, setzen wir voraus: Es seien A C lR eine abzählbare Menge und p : A -+ lR eine streng positive Funktion, so daß für jedes n E N die Reihe

L

(2.1)

p(y)

yEAn[-n,n]

konvergiert. Wählen wir z.B. A :== Z, so ist die Bedingung der Konvergenz von (2.1) sicher erfüllt, denn es handelt sich ja nur um eine endliche Summe positiver Terme. (Leere Summen sind definitionsgemäß gleich Null.) Wir können aber auch z.B. A :== Q wählen, die rationalen Zahlen durch eine Bijektion k r--+ rk E Q abzählen und definieren p(rk) :== 2- k (k 2:: 1). Dann ist die Reihe k LYEQP(Y) == L~l 2- konvergent, also die obige Konvergenzbedingung erfüllt. Setzen wir dagegen p(rk) :== 1, falls rk E Z, p(rk) :== 2- k , falls rk ~ Z, so divergiert die Reihe LC:=lP(rk), aber für jedes n E N konvergiert (2.1). Diese speziellen Beispiele verdeutlichen die Vielfalt der in obigem Ansatz enthaltenen Möglichkeiten. - Es sei nun p wie oben und

L

J.L(]a, b]):==

p(y)

(a ~ b) .

yEAn]a,b]

Dann ist J.L ein endliches Prämaß auf J, also ist die zugehörige Funktion G lR -+ lR,

(2.2)

G(x)

:==

~

{

EAn]O ] p(y)

L-ty ,x - ~ L-tyEAn]x,O] p (Y )

für x 2:: 0 , für x < 0

rechtsseitig stetig. (Das ist auch leicht mit Hilfe der Definition von G zu überprüfen.) Mit Hilfe von Satz 1.10 zeigt man leicht: G ist unstetig genau in den Punkten der Menge A. Wir nennen eine Funktion G : lR -+ lR eine Sprungjunktion, wenn es eine abzählbare Menge A C lR, eine Funktion p : A -+]0, oo[ mit LYEAn[-n,n] p(y) < 00 (n E N) und ein a E lR gibt, so daß

G(x)

== {

a + LYEAn]O,x] p(y) f~r x 2:: 0 , a - LYEAn]x,O] p(y) fur x < 0 .

Vorgelegt sei nun irgendeine wachsende rechtsseitig stetige Funktion F : lR -+ lR. Dann ist die Menge Ader Unstetigkeitsstellen von F abzählbar, denn mit

A n :== {x E [-n,nJ : lim(F(x h~

+ h) -

F(x - h)) 2

~} n

§ 2. Inhalte und Prämaße auf JR

41

gilt A == U~=l An, und wegen der Monotonie von F ist An endlich. Für y E A sei :== limh+o (F(y + h) - F(y - h)). Sind Yl,"" Yk E An] - n, n[ verschieden, so ist ~;=lP(Yj) :::; F(n) - F(-n). Daher ist die Reihe (2.1) für alle n E N konvergent. Es sei G die zugehörige Sprungfunktion (2.2). Dann zeigen unsere obigen Überlegungen, daß die Funktion H :== F - G auf ganz JR stetig ist. Ferner ist H wachsend (Beweis?), und wir können folgendes Resultat festhalten:

p(y)

2.4 Satz. Zu jeder wachsenden rechtsseitig stetigen Funktion F : JR ~ JR existieren eine wachsende rechtsseitig stetige Sprungfunktion G : JR ~ JR und eine wachsende stetige Funktion H : JR ~ JR, so daß F == G + H. Die Funktionen G und H sind bis auf additive Konstanten eindeutig bestimmt, und für die zugehörigen Prämaße auf J gilt MF == MG + MH·

Die Zerlegung MF == MG + MH wird sehr anschaulich, wenn man die Prämaße als Massenverteilungen deutet. Die Sprungfunktion G beschreibt die diskrete Massenverteilung, bei welcher in jedem Punkt y E A die Masse p(y) plaziert ist. Dagegen beschreibt H eine kontinuierliche Massenverteilung. Die Gleichung MF == MG + MH besagt nun, daß man jede Massenverteilung auf JR, bei welcher in jedem Intervall [-n, n] (n E N) nur eine endliche Masse vorhanden ist, durch Superposition einer diskreten und einer kontinuierlichen Massenverteilung erhalten kann. 3. Kurzbiographie von E. BOREL. EMILE BOREL wurde am 7. Januar 1871 in SaintAffrique (Aveyron, Frankreich) geboren. Er war ein Wunderkind. Im Alter von 18 Jahren bestand er 1889 als bester die Aufnahmeprüfung der renommiertesten Pariser Hochschulen, der Ecole Polytechnique und der Ecole Normale Superieure, und entschied sich für letztere. Bereits im gleichen Jahr erschienen seine beiden ersten mathematischen Arbeiten. Er absolvierte sein Studium mit glänzendem Erfolg, wurde schon 1892 Lehrbeauftragter (Agrege) für Mathematik und 1893 Dozent an der Universität LilIe. Bald darauf (1894) legte er seine These (Doktorarbeit) Bur quelque points de la theorie des fonctions vor. In den Jahren 1894-1896 erschienen 22 mathematische Arbeiten aus BORELS Feder, bevor er 1897 als Dozent an die Ecole Normale Superieure zurückkehrte. Während der Studienzeit geschlossene Freundschaften mit hernach bedeutenden Persönlichkeiten ermöglichten BOREL später eine verantwortliche Teilnahme am öffentlichen Leben und eine ungewöhnlich breite kulturelle und politische Entfaltung. Hierbei war ihm seine Ehefrau MARGUERITE, die älteste Tochter des Mathematikers PAUL ApPELL (1855-1930), eine wertvolle Stütze und Ergänzung. MARGUERITE BOREL wurde unter dem Pseudonym Camille Marbo bekannt als Autorin von mehr als 30 Romanen, und sie wirkte mehrere Jahre als Präsidentin des Schriftstellerverbandes. Insgesamt spielte das Ehepaar BOREL in einem weiten Kreis von Intellektuellen seiner Epoche - Wissenschaftlern, Literaten, Diplomaten, Politikern, Wirtschaftsführern, Journalisten - eine bedeutende Rolle (s. C. MARBO [1]). Im Jahre 1909 übernahm BOREL den für ihn neu geschaffenen Lehrstuhl für Funktionentheorie an der Sorbonne und wurde 1910 Nachfolger seines Lehrers JULES TANNERY (18481910) als Vizedirektor für wissenschaftliche Studien an der Ecole Normale Superieure. Die Tätigkeit in dieser Position bezeichnete BOREL später als die glücklichste Zeit seines Lebens; sie wurde durch den Ersten Weltkrieg jäh unterbrochen. BOREL stellte sich dem Dienst für Erfindungen zur Verfügung und stellte die Schallmeßtrupps auf, von denen er einen selbst befehligte, während seine Frau ein Lazarett leitete. Nach dem Krieg übernahm BOREL im Jahre 1919 auf eigenen Wunsch den Lehrstuhl für Wahrscheinlichkeitstheorie und mathematische Physik an der Sorbonne. Sein wissenschaftliches Interesse galt jetzt mehr anwendungsbezogenen Fragen; außerdem war ihm die weitere Tätigkeit an der Ecole Normale Superieure

11. Inhalte und Maße

42

wegen der vielen Lücken, die der furchtbare Krieg gerissen hatte, verleidet. Es folgte 1921 die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften; schon vorher hatte BOREL mehrere der bedeutendsten Preise der Akademie erhalten. Hochgeschätzt wegen seines Organisationstalents, wandte sich BOREL in den zwanziger Jahren der Politik zu, aber der Strom seiner mathematischen Arbeiten und seine mathematischen Vorlesungen wurden dadurch nicht unterbrochen. Höhepunkte seiner politischen Karriere waren seine Tätigkeit als Parlamentsabgeordneter (1924-1936) und Marineminister (1925) im Kabinett seines Freundes PAUL PAINLEVE (1863-1933). Nach dem Rückzug aus der Politik und von der Sorbonne (1940) veröffentlichte BOREL noch über 50 weitere Bücher und Arbeiten; seine politische Aktivität setzte er im Rahmen der französischen Widerstandsbewegung (Resistance) gegen die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkrieges fort. Ein Sturz auf seiner letzten Reise nach Brasilien zu einem Internationalen Kongreß für Statistik (1955) beschleunigte seinen Tod. EMILE BOREL starb in Paris am 3. Februar 1956 kurz nach seinem 85. Geburtstag. Das mathematische Werk von E. BOREL umfaßt mehr als 300 Titel; darunter sind über 30 Bücher. Besonderes Gewicht haben in seinem Gesamtwerk die Arbeiten zur Funktionentheorie (Polynome und rationale Funktionen, divergente Reihen, ganze Funktionen, analytische Fortsetzung) und die Untersuchungen über Mengenlehre und reelle Funktionen (Approximation reeller Zahlen, meßbare Mengen, Auswahlaxiom, Maß und Integral, Differentialgleichungen). Von BORELS erfolgreicher Arbeit auf dem Gebiete der angewandten Mathematik zeugen seine einflußreichen Bücher und Arbeiten über Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Er ist der Begründer der Spieltheorie, die später unabhängig von ihm von J. VON NEUMANN entwickelt wurde. Eine Serie von Arbeiten über Mechanik, statistische Mechanik, Kinematik und Relativitätstheorie dokumentiert seine Forschungstätigkeit auf dem Gebiete der mathematischen Physik. Weitere Aufsätze über Geometrie, Algebra, lineare Algebra, Zahlentheorie, Ökonomie, Philosophie und über den mathematischen Unterricht machen deutlich, wie umfassend BOREL an der Mathematik seiner Zeit, ihren Anwendungs- und Nachbargebieten aktiven Anteil nahm. Daneben schrieb BOREL Beiträge für populärwissenschaftliche Magazine und für die Tagespresse. Auch als Organisator leistete BOREL für die Mathematik Hervorragendes. Zur Förderung der Funktionentheorie und der Theorie der reellen Funktionen begründete er die berühmte Serie «Collection de monographies sur la theorie des fonctions» (Gauthier-Villars, Paris), in der außer mehreren seiner eigenen Werke auch Bücher zahlreicher Mathematiker von hohem Rang (wie R. BAIRE, H. LEBESGUE, N. LUSIN (1883-1950), F. RIESZ (1880-1956), W. SIERPINSKI, C. DE LA VALLEE POUSSIN (1866-1962)) erschienen. BOREL schrieb für diese Serie u.a. seine Le~ons sur la theorie des fonctions; ferner erschienen in dieser Sammlung die Le~ons sur l'integration (1904) von H. LEBESGUE und Integrales de Lebesgue, fonctions d'ensemble, classes de Baire (1916) von C. DE LA VALLEE POUSSIN. Diese Werke haben wesentlich zur raschen Verbreitung der Lebesgueschen Integrationstheorie beigetragen.

Aufgaben. 2.1. Gibt es eine monotone Funktion f : lR -+ lR mit f(lR) == lR \ Q? 2.2. Jede offene Teilmenge von lR ist disjunkte Vereinigung abzählbar vieler offener Intervalle. 2.3. Zu jeder nicht-leeren abgeschlossenen Menge A c lR gibt es eine monoton wachsende Funktion f : lR -+ lR mit f (lR) == A. 2.4. Es seien f : lR -+ lR monoton wachsend und F : lR -+ lR, F(x) :== (Riemannsches Integral). Zeigen Sie: Für alle x E lR ist

fox f(t) dt (x

E lR)

1 1 lim -h (F(x + h) - F(x)) == limf(y) , lim -h (F(x) - F(x - h)) == limf(y)· h-l.-O

Y-l.-x

h-l.-O

ytx

Folgern Sie: Zu jeder abzählbaren Teilmenge A C lR gibt es eine stetige Funktion g : lR -+ lR, welche genau in den Punkten der Menge A nicht differenzierbar ist.

§ 3. Inhalte und Prämaße auf lRP

43

2.5. Es seien X ein metrischer (oder topologischer) Raum und J-l ein endlicher Inhalt auf dem Halbring S) über X. Dann heißt J-l von innen regulär, wenn zu jedem c > 0 und jedem

A E S) ein K E S) existiert, so daß gilt: K ist kompakt, K

c A, J-l(A) :::; J-l(K) + c.

Zeigen

Sie: Ist J-l von innen regulär, so ist J-l ein Prämaß. (Hinweis: Ist J-l von innen regulär, so auch die Fortsetzung l/ von J-l auf den von .fJ erzeugten Ring. l/ genügt der Bedingung d) aus Satz

1.10.) 2.6. Ein Mengensystem Q: C ~(X) heißt eine kompakte Klasse, wenn für jede Folge (Cn)n~l von Mengen aus Q: mit n~=l C k i- 0 für alle n E N gilt: n~l C k i- 0. - Es sei J-l ein endlicher Inhalt auf dem Ring 9l über X. Dann heißt Q: C ~(X) J-l-approximierend für 9l, wenn zu jedem

A E 9l und c

>

0 ein C E Q: und ein B E 9l existieren mit B C C

Zeigen Sie: Existiert eine kompakte Klasse Q: C

~(X),

c A

und J-l(A \ B)

< c.

die J-l-approximierend ist für 9l, so ist

J-l ein Prämaß.

§ 3.

Inhalte und Prälllaße auf IRP "Zu jeder ... Funktion F, die

F(a', b') - F(a', b) - F(a, b')

+ F(a, b) 2: 0,

a' 2: a, b' 2: b

und limh,k~+o F(a - h, b - k) = F(a, b) erfüllt, gehört eine absolut additive monotone Mengenfunktion ... ,,6 (J. RADON [1], S. 10-11)

Im folgenden bestimmen wir alle endlichen Inhalte und Prämaße auf dem Halbring JP == {Ja, b] : a, b E JE? , a ~ b}. Damit sind nach Satz 1.6 dann auch alle endlichen Inhalte und Prämaße auf dem von JP erzeugten Ring ~P bekannt. 1. Das Lebesguesche Prämaß auf JP. Der wichtigste Inhalt auf JP ist das elementargeometrische Volumen

rr P

AP(]a, bJ)

:==

(b j - aj)

j=l

(a,b E JE? , a ~ b). Dieser Inhalt ist sogar ein Prämaß.

3.1 Satz. Das elementargeometrische Volumen AP : JP -+ lR ist ein Prämaß, das sog. Lebesguesche Prämaß auf JP.

Für den Beweis von Satz 3.1 bieten sich vier Möglichkeiten an: 1. Die entsprechenden Teile der Beweise von Satz 2.1, 2.2 lassen sich auf AP übertragen. 2. Satz 3.1 ist ein Spezialfall von Satz 3.8, b). 3. AP kann aufgefaßt werden als "Produktmaß" aus P Faktoren Al. Die aAdditivität von APIJP folgt daher aus Satz V.1.13 in Verbindung mit Beispiel 6RADON bezeichnet Maße als absolut additive monotone Mengenfunktionen; a.a.O. werden nur Maße auf dem IR2 betrachtet.

11. Inhalte und Maße

44 4.6. 4. Aufgabe 2.5 liefert die Behauptung.

D

2. Differenzenoperatoren. Ziel der folgenden Ausführungen ist eine genaue Beschreibung aller endlichen Inhalte bzw. Prämaße J1 : )P -+ ffi. mit Hilfe geeigneter Funktionen F : ffi.P -+ IR. Die Zuordnung von Funktionen F : ffi.P -+ IR zu Inhalten J1 : )P -+ IR läßt sich wie folgt am Fall p == 2 erläutern: Es sei J1 : )2 -+ ffi. ein endlicher Inhalt. Wir definieren für x E ffi.2 , x 2: 0:

F(x) :== J1(]0, xJ) .

(3.1)

Dann folgt aus der endlichen Additivität von J1: Für alle a, b E ffi.2, 0 (al, a2)t, b == (bI, b2)t ist

< a < b, a

J1(]a, b]) == F(b 1, b2) - F(a1, b2) - F(b 1, a2) + F(a1, a2) ==D ~~ D ~~ F(X1, X2);

(3.2)

(2)

(1)

hier bezeichnet

D ~~ F(X1' X2) :== F(b 1, X2) - F(a1, X2)

(1)

die Differenzenbildung im ersten Argument von F mit oberer Grenze bI, unterer Grenze a1, und D ~:; bezeichnet entsprechend die anschließende Differenzenbildung im zweiten Argument (2)

-

X2. Damit wird plausibel, daß die einfache Differenzenbildung in Satz 2.1, a) im ffi.P durch kompliziertere Differenzenbildungen zu ersetzen ist. Wir diskutieren zunächst die allgemeinen Eigenschaften solcher Differenzenoperatoren. 3.2 Definition. Es sei F : ffi.P -+ ffi. eine Funktion. a) Für v == 1, ... ,p und 0., ß E ffi. sei D ~F : ffi.P -+ ffi. definiert durch Differenzenbildung im (1/)

v-ten Argument: (3.3)

D ~F(xI, ... , x p ) (1/)

(3.4)

/\ a(2)F '==

L.:l a ( 1 ) ·

~ L...J i 1 , ... ,i p

(_1)i 1 +...+i p F(a(i}) a(i p )) 1 , ... , P



E{1,2}

Die Funktion (3.3) ist offenbar in Abhängigkeit vom v-ten Argument konstant. Dennoch wollen wir (3.3) als Funktion ffi.P -+ ffi. auffassen, damit bei eventueller weiterer Differenzenbildung klar ist, auf welches Argument sich die weitere Differenzenbildung bezieht. Ist dann nach p-facher Differenzenbildung die letzte Funktion konstant, so identifizieren wir diese konstante Funktion stillschweigend mit ihrem Funktionswert. Die Bildung (3.4) läßt sich geometrisch deuten: Ist etwa a(1) < a(2), so durchläuft ( a~il) , ... ,

a~ip)) t

genau alle 2P Eckpunkte des Intervalls ]a(l), a(2)], wenn i 1 , .•. , i p unabhängig vonein-

ander die Werte 1,2 annehmen. In (3.4) werden die Werte von F auf diesen Eckpunkten mit den Vorzeichenfaktoren (_1)i 1 +...+ip versehen und addiert. - Ersichtlich kann (3.2) in der Form J1(]a, bJ) == D~F geschrieben werden. Die Operatoren D ~ und D~:~; sind linear, und für J1 # v sind D ~ und D ~ (0., ß, '"'{, 8 E (1/)

(J.1,)

(1/)

§ 3. Inhalte und Prämaße auf lRP

45

ffi.) vertauschbar. Ferner gilt 2

2

L (_1)i L (_l)i 1

(3.5)

il=l

2

J

•••

iJ=1

L (_l)i pF (a~id, ... , a1ip )) ip=l

Es sei nun F : ffi.P -t ffi. eine Funktion, und für jede Wahl von Xl, ... , Xv-I, Xv+l, ... , Xp E ffi. sei die "partielle Abbildung" ffi. -t ffi., Xv H F(XI, , Xv-I, Xv, Xv+l, ... x p) konstant. (Die "Konstante" darf durchaus von Xl, ... , Xv-I, Xv+l, , x p abhängen.) In dieser Situation wollen wir kurz sagen, die Funktion F "hängt nicht ab von der v-ten Variablen ". Dann gilt nach (3.5) wegen der Vertauschbarkeit der Differenzenoperatoren auf der rechten Seite: 6~F

(3.6)

== 0 (a, b E

ffi.P).

Natürlich gilt (3.6) auch für alle Funktionen F, die darstellbar sind in der Form F == I:~=l H v mit Funktionen H 1 , ••• , Hp : ffi.P -t ffi., wobei H v nicht abhängt von der v-ten Variablen. Von dieser Aussage gilt folgende verschärfte Umkehrung: 3.3 Lemma. Für die Funktionen F, G : 6~ F

(3.7)

== 6~ G

Dann gibt es Funktionen H I , ... , Hp : (v == 1, ... ,p) und so daß gilt

ffi.P

-t ffi. gelte

für alle a, b E ffi.P

mit a :S b.

ffi.P

-t ffi., so daß H v nicht abhängt vom v-ten Argument

(3.8)

Beweis. Wir zeigen zunächst, daß (3.7) für alle a, b E

ffi.P

gilt. Dazu seien

a* :== (min(al' bl ), ... , min(ap, bp))t , b* :== (max(al' bd, ... , max(ap, bp))t ,

und k

~

> bv . Dann gilt nach (3.5):

0 sei die Anzahl der Indizes v E {I, ... ,p} mit a v

(3.9) Da (3.7) nach Voraussetzung für alle a, b E

(3.10)

6~ F

ffi.P

mit a :S b gilt, folgt aus (3.9) jetzt

== 6~ G für alle a, b E

ffi.P •

Es genügt, die Behauptung (3.8) für den Fall G == 0 zu beweisen: Nach (3.4) ist für alle

X

E ffi.P

p

(3.11)

6~F == F(x) -

L

Hv(x)

v=l

mit geeigneten Funktionen H I , ... , Hp : ffi.P -t ffi., wobei H v nicht abhängt von der v-ten Variablen. (Hier muß man auf der rechten Seite von (3.4) mit a(1) == 0, a(2) == X die 2P - 1 Summanden, in denen mindestens eine Koordinate von F gleich Null gesetzt wird, geeignet zu einer Summe der Form - I:~=l Hv(x) zusammenfassen.) Da nun wegen G == 0 und (3.10) die linke Seite von (3.11) verschwindet, folgt die Behauptung. 0 3.4 Definition. Zwei Funktionen F, G : ffi.P -t ffi. heißen äquivalent (Bezeichnung: F G), wenn es Funktionen H I , ... , Hp : ffi.P -t ffi. gibt, so daß H v nicht abhängt vom v-ten Argument (v == 1, ... ,p) und so daß (3.8) gilt. t"V

11. Inhalte und Maße

46 3. Inhalte auf JP.

3.5 Definition. Eine Funktion F : IRP -+ IR heißt (monoton) wachsend, wenn für alle a, b E IRP mit a ~ b gilt 6~ F 2 o.

Sind zum Beispiel die Funktionen F 1, ... , Fp : IR -+ IR wachsend, so ist F : IRP -+ IR,

(3.12) wachsend im Sinne der Definition 3.5, denn es ist P

6~F

(3.13)

= II (Fj(b j ) -

Fj(aj)).

j=l Man beachte aber, daß monotones Wachstum im Sinne der Definition 3.5 nichts zu tun hat mit dem Wachstum der partiellen Abbildungen IR -+ IR, XV t-t F(X1, ... , Xv-I, Xv, Xv+1, ... , Xp) (Xl' ... ' Xv-I, Xv+1, ... , Xp E IR fest); s. Aufgabe 3.1. - Das angestrebte p-dimensionale Analogon des Satzes 2.1 lautet nun wie folgt: 3.6 Satz. a) Ist F : IRP -+ IR äquivalent zu einer wachsenden Funktion, so ist J-lF : JP -+ IR,

J-lF(]a, bJ) := .6.~F

(3.14)

(a, b E IRP , a ~ b)

ein endlicher Inhalt. Für zwei solche Funktionen F, G : IRP -+ IR gilt J.lF = J.lc genau dann, wenn F rv G. b) Ist J-l : JP -+ IR ein endlicher Inhalt und definiert man für X = (Xl,"" Xp)t E IRP (3.15)

F(x) :=

(g

Signx v ) /l(]x- ,x+]),

wobei X- := (min(xl, 0), ... ,min(x p , O))t , x+ := (max(xl, 0), ... , max(x p , O))t, so ist F wachsend und J-l = J.lF· Hier bezeichnet

(3.16)

signa := {

1 -1

o das Vorzeichen von

0:

für für für

0:

> 0, < 0,

0:

=0

0:

E IR. - Den Inhalt (3.14) nennen wir den Stieltjesschen Inhalt zu F.

Beweis. a) Es ist nur noch zu zeigen, daß J-lF ein Inhalt auf JP ist. Wir beweisen die endliche Additivität von J.lF in zwei Schritten. Dazu sei I =]a, b] E JP (a ~ b). (1) Es seien v E {I, ,p}, 0: E IR, a v ~ (l ~ bv und a' := (ab ... , a v -1, 0:, a v+1,".' ap)t , b' := (bI,.'. ,bv- 1,0:,bv+1, ,bp)t. Dann ist die Vereinigung (3.17)

Ja, b] =]a, b']U]a', b]

disjunkt. Geometrisch bedeutet (3.17): Das Intervall Ja, b] wird durch die Hyperebene Xv = 0: disjunkt zerlegt in die Intervalle ]a,b'] und ]a',b]. Wegen 6 ~:F =6 ~vF+ 6 ~F folgt (v) (v) (v) nun aus (3.5): J.lF(]a, bJ) = J-lF(]a, b']) + J-lF(]a', bJ). Wird also I E JP durch eine zu einer Koordinatenhyperebene parallele Hyperebene in die Intervalle 11 ,12 E JP disjunkt zerlegt, so ist J.lF(I) = J-lF(I1 ) + J-lF(I2 ). Mit vollständiger Induktion bez. k folgt hieraus: Wird I durch endlich viele Hyperebenen Xir = 0:1, ... ,Xik = (lk disjunkt zerlegt in 11, ... ,In E JP, so gilt J.lF(I) = 'L7=1 J.lF(Ij ). (2) Es sei nun I = U7=IIj irgendeine disjunkte Zerlegung von I mit I j E JP (j = 1, ... , n). Wir betrachten die Hyperebenen, die durch "Verlängerung" der Randflächen aller Intervalle

47

§ 3. Inhalte und Prämaße auf IRP

I j (j == 1, ... , n) entstehen. Diese Hyperebenen zerlegen I in gewisse disjunkte Intervalle I jk E JP, wobei wir die Numerierung so vornehmen, daß I j == U:~l I jk (j == 1, ... , n). Diese Zerlegungen und die Zerlegung I == U7=1 U:~l I jk sind vom unter (1) betrachteten Typ, so daß wir nach zweimaliger Anwendung von (1) folgern können: n

mj

n

jjF(I) == LLjjF(Ijk ) == LjjF(Ij j=lk=l j=l

).

b) Es ist nur zu zeigen, daß für alle a, b E ffi.P , a :s; b gilt D.~F == jj(]a, bJ). Diesen Nachweis führen wir mit vollständiger Induktion bez. p: Der Fall p == 1 ist aus Satz 2.1 bekannt. Es seien nun die Behauptung für den ffi.P (p 2:: 1) richtig und jj : JP+1 --+ ffi. ein endlicher Inhalt. Zu jj gehöre die Funktion F : ffi.p+l --+ ffi. gemäß (3.15) mit p+ 1 anstelle von p. Es seien ferner a == (al, . .. , ap+I)t, b == (bI, .. . , bp+l)t E ffi.p+l "fest" vorgegeben. Wir definieren v : JP --+ ffi.,

Dann ist v ein endlicher Inhalt auf JP. Nach Induktionsvoraussetzung gilt für die v gemäß (3.15) zugeordnete Funktion G : ffi.P --+ ffi.: 6~G

(3.18)

== v(]u,v])

(u,v E

ffi.P,

u:S; v).

Nun prüft man mit Hilfe der Definitionen von Fund G nach: Für alle u E

(3.19)

D. ( (p+l)

~~~~ F)

ffi.P

ist

(u,O) == G(u).

Setzen wir nun a* :== (al' ... ' ap)t , b* :== (bI, .. . ,bp)t, so folgt nach (3.5), (3.19), (3.18):

6~F == 6~:

(( 6 (p+l)

~~~~ F)

(U,O))

==

6~:G(u) == v(]a*, b*J) == jj(]a, b]). o

4. Prämaße auf JP. Um die Prämaße unter den Inhalten jjF charakterisieren zu können, führen wir einen angemessenen Begriff rechtsseitiger Stetigkeit ein.

3.7 Definition. Die Funktion F : ffi.P --+ ffi. heißt rechtsseitig stetig im Punkte a E ffi.P, wenn zu jedem c > 0 ein 8 > 0 existiert, so daß für alle x E ffi.P mit x 2:: a, IIx - all < 8 gilt IF(x) - F(a)j < c. F heißt rechtsseitig stetig, wenn F in jedem Punkt rechtsseitig stetig ist. Ist P 2:: 2, F rechtsseitig stetig und G

rv

F, so braucht G nicht rechtsseitig stetig zu sein.

3.8 Satz. a) Ist jj : JP --+ ffi. ein endliches Prämaß, so ist die gemäß (3.15) definierte Funktion F : ffi.P --+ ffi. wachsend und rechtsseitig stetig. b) Ist F : ffi.P --+ ffi. irgendeine wachsende und rechtsseitig stetige Funktion, so ist jjF : JP --+ ffi. ein endliches Prämaß.

Beweis. a) Es seien a E ffi.P und Xn == (Xnl' ... ' xnp)t (n 2:: 1) eine Folge in ffi.P mit Xn 2:: a, lim X n == a. Dann liefert Aufgabe 1.2.5: lim ]x;;, x~] ==]a-, a+], und da jj ein Prärnaß ist, ergibt sich hieraus n~~

n~~

(3.20) (vgl. Aufgabe 1.7, c)). Ist nun I1~=1 signa v 1= 0, so ergibt (3.20) die gewünschte Gleichung limF(x n ) == F(a). Ist aber I1~=lsignav == 0, so ist ]a-,a+] == 0 und nach (3.20) folgt

n~~

lim F(x n ) == 0 == F(a).

n~~

11. Inhalte und Maße

48

b) Zum Beweis der Aussage b) benötigen wir folgendes Lemma, dessen einfachen Beweis wir dem Leser überlassen (s. Aufgabe 3.2). 3.9 Lemma. Die Funktion F : TI{P -7 TI{ sei rechtsseitig stetig, und es seien a, b E b, c > O. Dann gibt es a', b' E TI{P mit a < a' < b < b', so daß

~~F ::; ~~,F + c,

TI{P ,

a


l eine Folge von Mengen aus 91 mit Q C U~=l B n . (Wegen TJ(Q) < 00 gibt e~ eine solche Folge (B n )n'2 1.) Dann ist wegen der Inhaltseigenschaft von v

(s. (4.7)) 00

00

00

n=l

n=l

n=l

L v(Bn) == L v(Bn n A) + L

v(Bn \ A) 2: TJ(Q n A)

+ TJ(Q n AC),

und es folgt TJ( Q) 2: TJ( Q n A) + TJ( Q n AC), also Sj C 2l1] (s. Folgerung 4.3, b)). b) Nach Definition ist TJISj ~ J1. Ist nun J1 ein Prämaß, so ist auch die Fortsetzung v von J1 ein Prämaß auf 91. Daher gilt nach Satz 1.7, f) für jede Folge (A n )n>l von Mengen aus 91, welche die Menge A E Sj überdeckt, die Ungleichung-v(A) ~ L~=l v(A n ), und somit ist v(A) ~ TJ(A). Insgesamt folgt TJISj == J1. c) Ist J1 kein Prämaß, so gibt es eine Folge (An)nEN disjunkter Mengen aus Sj mit A :== U~=l An E Sj und fL(A) =I L~=l fL(A n ). Da nach Satz 1.7, e) (angewandt auf die Fortsetzung v von J1) gilt fL(A) 2: L~=l J1(A n ), ergibt sich J1(A) > L~=l J1(An) 2: TJ(A). D Die wesentliche Idee im Beweis des Fortsetzungssatzes besteht darin, in der Definition (4.6) des äußeren Maßes mit abzählbaren Überdeckungen von A durch Mengen An E Sj (n E N) zu arbeiten und nicht etwa nur mit endlichen Überdeckungen. Dieses Verfahren führt zu einer wesentlich" besseren" Approximation von A durch Mengen aus Sj als die entsprechende Infimumbildung mit endlichen Überdeckungen. Das wird an folgendem Beispiel deutlich: Es seien A == Q n [0,1] , A das Lebesguesche Prämaß auf J, A* das zugehörige äußere Maß und E > O. Wir nehmen eine Abzählung (rn)nEN von A vor und wählen

§ 4. Fortsetzung von Prämaßen zu Maßen

55

zu jedem n E N ein An E J mit r n E An, A(An ) < f . 2- n. Dann folgt: o ::; A*(A) ::; L~=l f . 2- n == f, also ist A*(A) == O. (Das folgt auch aus der a-Subadditivitätdes äußeren Maßes, denn für jedes a E JR ist offenbar A* ( { a }) == 0.) Die Menge der rationalen Zahlen des Einheitsintervalls ist also )..*-meßbar mit )"*(A) == O. Hätten wir hingegen in (4.6) nur mit endlichen Überdeckungen gearbeitet, so ergäbe die Infimumbildung für A den Wert 1. Die Definition des äußeren Maßes mit Hilfe abzählbarer Überdeckungen wird erstmals von H. LEBESGUE in seiner These (1902) angegeben ([1]' S. 209), und zwar für das Lebesguesche Prärnaß. Die Anregung hierzu verdankt LEBESGUE offenbar E. BOREL, der 1894 die (T-Additivität des Lebesgueschen Prämaßes auf J bewies. LEBESGUE weist in seiner These ausdrücklich auf BOREL hin. In einer späteren Arbeit ([2]' S. 291-350), in der er in einem Prioritätsstreit mit BOREL Stellung nimmt, schreibt er auf S. 291: «Dans sa These ..., M. Borel eut l'occasion de demontrer qu'on ne peut couvrir tous les points d'un intervalle (a, b)

a I' aide d 'intervalles dont la somme des longueurs est inferieure a b -

a. 11 aper 0 gibt es

eine disjunkte Folge (A n )n2 1 in Sj mit L~=l J-l(A n )

:s;

1](A)

+ c,

A C U~=l An. Daher ist

(U~=l An \ A) < c und 1](A) :s; v (U~=l An) = v(A) + v (U~=l An \ A) :s; v(A) + c.) c) Gibt es zur Menge A E 2l eine Folge (B n )n2 1 von Teilmengen von X mit A C U~=l B n ,

1]

1](Bn )
A mit 'xP(U \ A) < ~ und ein abgeschlossenes F c A mit 'xP(A \ F) < ~. Nun ist U \ F disjunkte Vereinigung von U \ A und A \ F, also 'xP(U \ F) < c. Hat umgekehrt A die angegebene Approximationseigenschaft, so wählen wir zu jedem n E N ein offenes Un =:> A und ein abgeschlossenes Fn C A mit 'xP(Un \ Fn ) < ~. Dann sind B :== U~=l Fn E ~P, C :== n~=l Un E ~P, B c A c C und 'xP(C \ B) == O. Daher ist A == B u (A \ B) Vereinigung der Boreischen Menge B und der Teilmenge A \ B der 'xP-Nullmenge C \ B. Da 'xPI~P vollständig ist, folgt A E ~p. D 7.5 Korollar. Eine Menge A C JRP ist genau dann Lebesgue-meßbar, wenn eine Gg-Menge B =:> A und eine F(}"-Menge C C A existieren, so daß 'xP(B \ C) == o.

Beweis. Ist A

E ~P,

so leisten die Mengen B, C aus Korollar 7.3 das Verlangte.

68

11. Inhalte und Maße

Die Umkehrung entnimmt man den letzten Zeilen des Beweises von Satz 7.4. D

Die Aussagen 7.1-7.5 gelten entsprechend für alle Lebesgue-Stieltjesschen Maße (s. Aufgabe 7.5). 3. Der Satz von H. STEINHAUS. Grob gesprochen besagt Satz 7.1, daß jede Lebesgue-meßbare Teilmenge des IRP näherungsweise gleich einer offenen Menge ist. Der folgende Satz des polnischen Mathematikers H. STEINHAUS (1887-1972) (Fundam. Math. 1, 93-104 (1920)) bekräftigt diese intuitive Vorstellung. Zur Formulierung dieses Satzes definieren wir für A, B c IRP und t E W:

A

+t

:==

{x + t : x

E

A}

A- B

:==

{x - Y : x

E

A, Y

E

B}.

7.6 Satz von H. Steinhaus (1920). Ist A E ~P und AP(A) > 0, so ist A - A eine Umgebung von 0, d.h. es gibt ein 8 > 0, so daß K 8 (0) C A - A. Beweis. Nach Korollar 7.2 genügt der Beweis für kompaktes A mit AP(A) > 0: Es gibt nach Satz 7.1 ein offenes U ~ A mit AP(U) < 2AP(A). Das nichtleere Kompaktum A hat von der nicht-leeren abgeschlossenen Menge UC mit A n UC == 0 einen positiven Abstand: 8 :== inf{lIx - yll : x E A, y E UC} > O. Dieses 8 leistet das Verlangte: Sei t E IRP, Iltll < 6. Für jedes x E A ist dann x + t E U, denn wäre y :== x + t E UC, so wären x E A, y E UC zwei Punkte mit Ilx - yll == IItll < 8 im Widerspruch zur Definition von 8. Daher gilt A u (A + t) c U. Weiter ist A + t kompakt, und auf Grund der Definition des äußeren Maßes rf (Beispiel 4.6) ist AP(A + t) == AP(A). Angenommen, es wäre A n (A + t) == 0. Dann erhielten wir: AP(U) 2: AP(A) + AP(A + t) == 2AP(A) im Widerspruch zur Wahl von U. Es folgt: Für jedes t E K 8 (0) ist An (A + t) i- 0. Daher gilt K 8 (0) C A - A. D 4. Meßbarkeit konvexer Mengen. Eine Menge A C IRP heißt konvex, wenn für alle x, y E A und 0 :::; A :::; 1 gilt AX + (1 - A)Y E A, d.h. wenn für alle x, y E A die Verbindungsstrecke von x und y in A enthalten ist.

7.7 Satz. Der Rand BA jeder konvexen Menge A C IRP ist eine Lebesguesche Nullmenge. Insbesondere ist jede konvexe Menge A C IRP Lebesgue-meßbar. Beweis (nach R.

LANG,

Arch. Math. 47,90-92 (1986)). Es darf gleich angenommen werden,

daß A beschränkt ist; sei etwa A C W mit geeignetem W E JP. Ist A== 0, so ist A Teilmenge einer geeigneten Hyperebene, und es gibt eine konvexe Teilmenge e C IRP mit BA c Be und

Ci 0. Daher kann zusätzlich Ai 0 angenommen werden. Das Mengensystem ist eine monotone Klasse und abgeschlossen bez. der Bildung endlicher disjunkter Vereinigungen. Sei Ja, b] C W , a < b, und für j == 1, ... , p werde ]aj, bj ] durch aj < Uj < Vj < bj in drei gleich lange Teilintervalle zerlegt. Durch Bildung cartesischer Produkte der Intervalle ]aj,uj],]uj,Vj],]vj,b j ] (j == 1, ... ,p) zerlegen wir ]a,b] in 3P Teilintervalle gleichen Maßes. Unter diesen gibt es mindestens ein Intervall I mit; nBA == für alle 3P Teilintervalle J, so wäre auch

J nA i

0. Wäre nämlich

J nBA i

0

0 für alle J, und wegen der Konvexität

von A wäre ]u,v[CA im Widerspruch zu der Annahme ]u,v[nBA

i 0.

Es folgt ]a,b] E 9n,

§ 7. Das Lebesguesche Maß

69

also JPIW c 9J1, JPIW c 9J1. Da JPIW ein Ring ist, der 9J1 == ~PIW. Insbesondere ist 8A E 9J1, also AP(8A) == O.

~PIW

erzeugt, liefert Satz 1.6.2: D

Der Rand jeder beschränkten Teilmenge des IRP ist kompakt, und eine kompakte Teilmenge des IRP ist genau dann eine Lebesguesche Nullmenge, wenn sie eine Jordan-Nullmenge ist (s. Aufgabe 7.6). Damit erhalten wir: 7.8 Korollar. Jede beschränkte konvexe Teilmenge des IRP ist Jordan-meßbar.

Einen kurzen Beweis von Korollar 7.8, der keine Lebesguesche Maßtheorie benutzt, gibt L. SZABO [1]. - Konvexe Teilmengen des W (p 2 2) brauchen hingegen nicht Borelsch zu sein: Ist K eine offene Kugel im IRP , p 2 2, so gibt es nach Korollar 8.6 eine nicht BoreIsche Teilmenge M c 8K, und A :== Ku M ist konvex, aber nicht Borelsch. - Aufgabe 111.2.10 eröffnet einen anderen Zugang zu Satz 7.7 und Korollar 7.8. Aufgaben. 7.1. Es seien ryP das äußere Lebesguesche Maß, A c IRP, und es gebe ein a E]O, 1[, so daß für alle I E JP gilt ryP(A n I) S; aAP(I). Dann ist A eine Lebesguesche Nullmenge. 7.2. Es seien A E ~P und 0 < a < AP(A) < ß. Dann gibt es eine kompakte Menge K C A mit AP(K) == a und eine offene Menge U ::J A mit AP(U) == ß. 7.3. Es seien A eine offene Teilmenge des IRP und 0 dichte offene Teilmenge U C A mit AP(U) == a.


o. Zum Nachweis von (9.1) braucht nur noch 'TJ(A U B) 2: 'TJ(A) + 'TJ(B) gezeigt zu werden. Dabei

§ 9. Metrische äußere Maße

77

können wir gleich 1](A U B) < 00 annehmen. Es seien 0 < 8 < d(A, B) und E l in Überdeckungen (An)n~l von A, (Bn)n~l von B, und es folgt L~=l p(Cn ) 1]o(A) + 1]o(B), also 1]o(A U B) 2:: 1]o(A) + TJo(B) , 1](A U B) 2:: 1](A) + 1](B). Ergebnis: 1] ist ein metrisches äußeres Maß. (Dagegen braucht 1]0 kein metrisches äußeres Maß zu sein; s. Aufgabe 9.2.) Für X == JRP liefert die vorangehende Konstruktion bei spezieller Wahl von 0, und (9.1) liefert induktiv 1] (U~=l P2k ) == L~=l 1](P2k ). Diese Gleichung ist auch richtig, wenn gewisse Pn leer sind. Analog ist 1] (U~=o P2k +1 ) == L~=o 1](P2k +1 ) , und wegen limn --+ oo 1](Mn ) < 00 folgt: L~=l 1](Pn) < 00. Nun ist M == Mn U U%:n Pk (n E N), denn A ist abgeschlossen, also 00

1](M) :s; TJ(Mn ) +

L 1](Pk)

(n E N) .

k=n Hier konvergiert die Folge der Reihenreste für n ----+ Behauptung.

00

gegen 0, und es folgt die D

9.4 Beispiel. Wir wenden die Konstruktion aus Beispiel 9.2 an auf X == IR, == Ix - Yl (x, Y E IR) und wählen als O.

l(c) ::::

Dann gibt es Zwischenpunkte a == t o

i=

II-r(tk) -

< h < ... < t n ==

-r(tk-dll + ~ .

k=l

Wegen der Stetigkeit von')' existiert ein 8 E]O, c - tn-d, so daß II')'(t) - ')'(c)1I


O. Dann existiert eine Folge

(In)n~l in

J mit l(E)

C U~=l

In, so

daß

L A(In ) ~ TJ(l(E)) + c,

A(In ) < 8 (n E N).

n=l Die Intervalle ln := l-l(In ) überdecken E, also gilt ,,(E) C U~=l ,,(ln) , und es ist sup {11,,(u) - ,(v) 11 : u, v E ln} ~

sup {Il(u) -l(v)1 : u, v E ln} ~ A(In ) < 8.

Damit resultiert h l ,8(,(E)) ~ L:~=l d(,(ln)) ~ L:~=lA(In) ~ rJ(l(E)) Behauptung. 9.8 Lemma. Für jede Kurve, : [a, b]

~

+ c, und es folgt die D

IRP gilt

Beweis. Es seien c > 0,8 > O. Dann existiert eine endliche oder unendliche Folge von offenen Mengen An mit [,,] C Un~l An , d(A n ) ~ 8 + c/2 n+1 und L:n~l d(A n ) ~ h 1,8(["D + c. Wegen der Kompaktheit von [,,] reichen endlich viele der An zur Überdeckung von [,] aus, d.h. wir können gleich annehmen, daß nur endlich viele Al,"" AN vorliegen. Wir wählen wie folgt eine Teilmenge von {Al,"" AN} aus: Es sei Ul eine dieser Mengen mit ,(a) E U1. Ist ,,(b) 1:. Ul, so sei 71 := sup{t E [a, b] : ,(t) E Ul } und U2 E {Al,"" AN} so gewählt, daß ,(Tl) E U2 • Ist auch ,(b) 1:. U2 , so sei 72 := sup{t E [a, b] : ,(t) E U2 } und U3 E {Al,"" AN} so gewählt, daß ,(72) E U3 , und so fort. Das ergibt eine "Kette" U1, ... , Um mit ,(a) E Ul ,,(b) E Um, Uk n Uk+1 1= 0 für k = 1, ... , m - 1. Wir setzen to := a, t m := bund wählen to < t1 < ... < t m mit ,,(tj) E Uj n Uj+1 (j = 1, ... , m - 1). Damit erhalten wir den Streckenzug ,,(a) = ,(to) , ,(tl), ... ,,,(tm ) = ,(b), dessen Gesamtlänge höchstens gleich

80 d(U1 )

11. Inhalte und Maße

+ ... + d(Um )

ist, und es folgt N

11" (b) -

,,( a) 11 ::;

L d( An) ::; h

1,8 ([,,])

+c.

n=l

o 9.9 Satz. Für jede einfache rektijizierbare Kurve" : [a, b]

~

jRP ist L(,,) = h 1 ([,,]).

Beweis. Es seien a = to < t1 < ... < t n = bund "j := ,,1[tj-1, tj] (j = 1, ... , n). Dann ist nach Lemma 9.8 n

n

j=l

j=l

L 1I,,(tj) -,,(tj-1)11 ::; L h (["j]) 1

=

h 1 ([,,])

,

denn" ist einfach. Es folgt L(,,) ::; h 1 ([,,]), und Lemma 9.7 liefert die umgekehrte Ungleichung.

o Eine Verallgemeinerung von Satz 9.9 für den Fall nicht einfacher Kurven findet man bei H. FEDERER [1], S. 177, Theorem 2.10.13. Nach C. JORDAN ist die Spur jeder rektijizierbaren Kurve" : [a, b] ~ jRP eine AP-Nullmenge (s. Gours d'analyse, Bd. 1,2. Aufl. S. 107, § 112); allgemeiner ist h a ([,,]) = 0 für alle a > 1 (s. Aufgabe 9.6). Dagegen gibt es durchaus stetige Kurven" : [a, b] ~ jR2 mit A2 ([,,]) > 0, denn nach G. PEANO existiert z.B. eine stetige Abbildung von [0,1] auf [0,1]2, eine sog. PeanoKurve (s. z.B. G. PEANO, Math. Ann. 36, 157-160 (1890); D. HILBERT, Math. Ann. 38, 459-460 (1891); F. HAUSDORFF [1], S. 369 ff.; W. SIERPINSKI [1], S. 52-66; s. auch W. SIERPINSKI [1], S. 99-119, wo auf S. 116-117 ein Versehen von HILBERT korrigiert wird). Von H. HAHN und S. MAZURKIEWICZ (1888-1945) wurde sogar gezeigt: Eine Menge M E jRP ist genau dann stetiges Bild des Einheitsintervalls, wenn M kompakt, zusammenhängend und lokal zusammenhängend ist (s. H. HAHN [2], S. 164 ff.). - Eine Peano-Kurve ist aber niemals einfach. Eine einfache Kurve" : [a, b] ~ jR2 nennt man einen Jordan-Bogen; ist ,,(a) = ,,(b) und ,,1 [a, c] einfach für alle a < c < b, so heißt" eine (geschlossene) Jordan-Kurve. Ein JordanBogen ist also das homöomorphe (d.h. das bijektive und in beiden Richtungen stetige) Bild eines kompakten Intervalls; eine Jordan-Kurve ist das homöomorphe Bild einer Kreislinie. Es gibt Jordan-Bögen und Jordan-Kurven" mit A2 ([,,]) > O. Auf diese bemerkenswerte Tatsache weist erstmals H. LEBESGUE in seiner These ([1], S. 219) hin. Entsprechende Beispiele findet man bei H. LEBESGUE ([4]' S. 29-35), W.F. OSGOOD (1864-1943; s. Trans. Am. Math. Soc. 4,107-112 (1903)), F. HAUSDORFF ([1], S. 374 f.) und bei J.R. KLINE (Amer. Math. Monthly 49, 281-286 (1942)). K. KNOPP (1882-1957) verdankt man ein Beispiel eines Jordan-Bogens " : [a, b] ~ jR2, so daß für jeden Teilbogen gilt: A2 ([" 1 [e, d]]) > 0 (a::; e < d ::; b); s. Arch. Math. Phys. (3) 26, 109 f. (1917). Bezüglich neuerer Literatur über einfache Jordan-Bögen positiven Flächenmaßes s. H. SAGAN [1]' chap. VIII und K. STROMBERG, S. TSENG: Simple plane ares of positive area, Expo. Math. 12,31-52 (1994). Notwendige und hinreichende Bedingungen dafür, daß eine kompakte Menge M C jR2 Teilmenge der Spur eines Jordan-Bogens ist, werden von R.L. MooRE und J .R. KLINE (Ann. Math. (2) 20, 218-223 (1918-1919)) angegeben. - Jordan-Bögen" : [a, b] ~ 0 dienen in der Theorie der Approximation im Komplexen zur Konstruktion eines Kompaktums K c a, so gilt hß(A) = o. Es gibt also ein eindeutig bestimmtes 8(A) 2:: 0, so daß ha:(A) = 0 für a > 8(A) und ha:(A) = 00 für a < 8(A); dieses 8(A) heißt die Hausdorff-Dimension von A. a) Für jedes A c IRP gilt 8(A) :::; p.

A#

b) Für jedes A c IRP mit 0 gilt 8(A) = p. c) Für jede einfache rektifizierbare Kurve 'Y ist 8(['Y]) = 1. (Es gibt jedoch stetige Funktionen / : [0, 1] ---+ IR, deren Graph die Hausdorff-Dimension 2 hat; s. P. WINGREN: Concerning a real-valued continuous /unction on the interval [0,1] with graph 0/ Hausdorff dimension 2, L'Enseignement Math., 11. Ser., 41, 103-110 (1995) und Y.-Y. LIU: A /unction whose graph is 0/ dimension 1 and has locally an infinite one-dimensional Hausdorff measure, C.R. Acad. Sei., Paris, Sero I 332, 19-23 (2001).) d) Für An cX (n E N) ist 8(U~=lAn) = sup{8(An ): n E N}. e) Für jede abzählbare Menge A C X ist 8(A) = O. f) Ist A c IRP , 8(A) = 0, so gilt AP(A) = o. g) Für das Cantorsche Diskontinuum 0 C [0,1] gilt 8(0) =log2/log3. h) Zu jedem a E]O, 1[ existiert eine Menge A C [0,1] mit < ha:(A) < 00, d.h. mit 8(A) = a (F. HAUSDORFF, Math. Ann. 79, 157-179 (1919)). i) Das Einheitsquadrat Qo = [0,1]2 werde in 9 Teilquadrate der Kantenlänge 1/3 unterteilt. Man entferne aus Qo die vier Teilquadrate, die an die mittleren Drittel der Kanten von Qo angrenzen, so daß als Restmenge 5 abgeschlossene Teilquadrate der Kantenlänge 1/3 übrigbleiben, die an den Eckpunkten des zentralen Teilquadrats zusammenhängen. Induktiv entstehe Qn+l aus Qn, indem man auf jedes der 5n Teilquadrate von Qn entsprechend denselben Tilgungsprozeß anwendet wie auf Qo; Q:= n~=oQn. Zeigen Sie: 8(Q) = log5/log3.

°

9.4. Ist 'Y : [a, b] A E ~I[a,b].

---+

IRP eine einfache rektifizierbare Kurve, so ist h 1 ('Y(A)) = A(l(A)) für alle

9.5. Übertragen Sie die Ergebnisse des Abschnitts 3 auf (stetige) Kurven 1 : [a, b] 9.6. Für jede rektifizierbare Kurve 'Y : [a, b] ---+ IRP ist ha:(['Y]) = AP(['Y]) = 0, falls p 2:: 2. (Hinweise: Lemma 9.7 und Satz 111.2.9.)

°

---+

X.

für alle a > 1, und es gilt

Kapitel 111 Meßbare Funktionen «Pour passer de la definition de l'integrale d'apres Cauchy-Riemann a celle que j'ai donnee, il suffit de remplacer les divisions de l'intervalle de variation de la variable par les divisions de l'intervalle de variation de la fonction.»l (H. LEBESGUE [7], S. 71) Meßbare Funktionen sind für die Integrationstheorie von entscheidender Bedeutung, da als Integranden nur meßbare Funktionen vorkommen. Um den Begriff der Meßbarkeit von funktionen zu motivieren, erinnern wir kurz an den Begriff des Riemann-Integrals und stellen ihm die Ideen gegenüber, die Lebesgue zur Einführung seines Integralbegriffs dienen. Wir betrachten eine beschränkte nicht-negative Funktion 1 : [a, b] ~ JR (a, b E JR, a < b). Zentrales Problem der Integralrechnung ist die Frage nach dem Flächeninhalt der Ordinatenmenge 0(/) := {(x, y)t E JR2 : a ::; x ::; b, 0 ::; y ::; I(x)}. Nach B. RIEMANN hat folgender Ansatz zur Lösung dieses Problems weite Verbreitung gefunden: Wir betrachten Zerlegungen Z : a = Xo < Xl < X2 < ... < X n = b des Intervalls [a, b] und schachteln die Ordinatenmenge 0(/) von außen dadurch ein, daß wir 1 im Intervall [Xj-1, Xj] durch das entsprechende Supremum von 1 ersetzen. Der Flächeninhalt dieser oberen Approximation des gesuchten Flächeninhalts ist gleich der Obersumme

0(/, Z) :=

L

(sup{/(x) :

Xj-1 ::; x::; Xj})· (Xj -

Xj-1) •

j=l

Dual dazu definieren wir eine untere Approximation durch die Untersumme U(/, Z) :=

L

(inf{/(x) :

Xj-1 ::; X ::; Xj}) . (Xj -

Xj-1) .

j=l

Nun ziehen wir das Unterintegral von

jb f(x) dx

:=

1

sup{U(f, Z) : Z Zerlegung von [a, b]}

-a

zur unteren und das Oberintegral -b

j /(x) dx

:= inf{O(f;

Z) : Z Zerlegung von [a, b]}

----------1 Um von der Integraldefinition nach Cauchy-Riemann zu derjenigen überzugehen, die ich gegeben habe, genügt es, die Unterteilungen des Definitionsintervalls der Funktion zu ersetzen durch Unterteilungen des Intervalls, in dem die Werte der Funktion liegen.

II!. Meßbare Funktionen

84

zur oberen Approximation des gesuchten Flächeninhalts heran. Die Funktion f heißt Riemannintegrierbar über [a, b], wenn das Oberintegral von f mit dem Unterintegral übereinstimmt, und dann heißt

1 b

a

!

-b

f{x) dx:=

f{x) dx a

=

!

b

f{x) dx

-=-a

das sog. "eigentliche" Riemann-Integralvon f über [a, b]. Geometrisch dient dieses Integral zur Definition des Flächeninhalts der Ordinatenmenge von f. - Verzichtet man auf die Forderung der Nichtnegativität von f, so bleibt die obige Definition des Integrals unberührt, nur die geometrische Interpretation lautet dann: Das Riemann-Integral mißt den mit Vorzeichen versehenen Flächeninhalt zwischen der "Kurve" Y = f(x) und der x-Achse, wobei die Flächen oberhalb der x-Achse positiv und unterhalb der x-Achse negativ zu zählen sind. - Aus Gründen der historischen Korrektheit bemerken wir, daß RIEMANN selbst diesen Integralbegriff in seiner Göttinger Habilitationsschrift 1854 nicht mit Hilfe von Ober- und Untersummen sondern mit Hilfe von Zwischensummen L7=1 f(~j)(xj - Xj-I) (Xj-I::; ~j ::; Xj , j = 1, ... , n) einführt. Die zur Riemannschen Definition äquivalente Definition mit Hilfe von Ober- und Untersummen wird 1875 gleichzeitig unabhängig von J.K. THOMAE (1840-1921), G. ASCOLl (1843-1896), P. DU BOIS-REYMOND (1831-1889), H.J.S. SMITH (1826-1883) und G. DARBOUX (1842-1917) angegeben; die Begriffe "Oberintegral" und "Unterintegral" werden erst 1881 von V. VOLTERRA (1860-1940) eingeführt. Betrachten wir die obige Konstruktion des Riemannschen Integrals, so fällt auf, daß im ganzen Ansatz gar keine Rücksicht genommen wird auf den Graphen von f. Benutzt werden willkürliche Zerlegungen Z, die in keiner Weise an den Graphen von f "angepaßt" zu sein brauchen, und diese können durchaus zu schlechten Approximationsergebnissen führen. Diese Beobachtung veranlaßt H. LEBESGUE, anstelle der Unterteilung der Abszissenachse eine Unterteilung der Ordinatenachse vorzunehmen, um auf diese Weise eine bessere Anpassung an den Verlauf des Graphen von f zu erzielen: Es seien etwa 0 ::; f < M(M > 0) und Y : 0 == Yo < YI < ... < Yn = M eine Unterteilung von [0, M]. Dann kann man den Flächeninhalt der Ordinatenmenge von f von unten approximieren durch die Lebesguesche Untersumme n-l UL(f, Y) := LYjA({x E [a, b] : Yj ::; f(x) < Yj+l}) j=O und von oben durch die entsprechende Lebesguesche Obersumme

n-l OL(f,Y):= LYj+l A({X E [a,b]: Yj::; f(x) j=O

< Yj+l}) ,

vor aus 9 e set z t , daß alle Mengen f- 1 ([Yj, Yj+d) = {x E [a, b] : Yj ::; f(x) < Yj+l} (j == 0, ... , n - 1) Lebesgue-meßbar sind. Funktionen mit dieser Eigenschaft nennt LEBESGUE ([2], S. 127) meßbare Funktionen. Es zeigt sich nun, daß praktisch alle Funktionen, mit denen man es in der Analysis üblicherweise zu tun hat, wirklich meßbar sind. Zum Beispiel sind alle stetigen Funktionen meßbar, und Limites von punktweise konvergenten Folgen meßbarer Funktionen sind meßbar. Für beschränkte meßbare Funktionen ist es nun leicht, die Lebesguesche Integraldefinition anzugeben: Ist nämlich E > 0 und die Unterteilung Y so fein, daß für den "Feinheitsgrad " von Y gilt maxj=o,... ,n-l(Yj+l - Yj) < E, so ist ersichtlich OL(f, Y) - UL(f, Y) < E(b - a). Läßt man nun Y eine Folge (y(k)) k'21 von Zerlegungen mit gegen 0 strebendem Feinheitsgrad durchlaufen, so konvergiert die zugehörige Folge der Lebesgueschen Ober- und Untersummen gegen einen gemeinsamen Grenzwert, der nicht abhängt von der Auswahl der Folge (y(k)) k'21; dieser Grenzwert heißt das Lebesgue-Integral von f. Existiert das eigentliche Riemann-Integral von

f,

so auch das Lebesgue-Integral, und beide haben denselben Wert. Daher ist es legitim,

§ 1. Meßbare Abbildungen und Bildmaße

85

J:

auch das Lebesgue-Integral in der Form f(x) dx zu schreiben. - Dieser Zugang zum Integralbegriff wird 1901 von H. LEBESGUE in einer Note in den C.R. Acad. Sei. Paris 132, 1-3 (1901) vorgeschlagen; er hat sich heute in mannigfachen äquivalenten Formulierungen allgemein durchgesetzt. In einem Vortrag zieht LEBESGUE 1926 folgenden sehr anschaulichen Vergleich zwischen seinem Integralbegriff und dem Riemann-Integral (s. LEBESGUE [2], S. 358, [7], S. 72): «On peut dire encore qu'avec le procede de Riemann ... on operait ... comme le ferait un commer 0, so kann man A derart in endlich viele disjunkte Teilmengen Al, ... ' An zerlegen, daß man nach Ausübung geeigneter Translationen auf Al, ... , An eine disjunkte Zerlegung von B erhält. Über Fragen, die mit der Bewegungsinvarianz des Lebesgue-Maßes zusammenhängen, unterrichtet ein nützlicher Überblicksartikel von K. CIESIELSKI (Math. IntelI. 11, No. 2, 54-58 (1989)). 4. Das p-dimensionale äußere Hausdorff-Maß. Es seien h p das p-dimensionale äußere Hausdorff-Maß im IRP und 'TJP das äußere Lebesgue-Maß.

2.9 Satz (F. HAUSDORFF 1919). Es gibt eine Konstante K,p E]O, 00[, so daß

Wegen der Bewegungsinvarianz des äußeren Hausdorff-Maßes bringt dieser Satz die Bewegungsinvarianz des Lebesgue-Maßes besonders deutlich zum Ausdruck. - Die Konstante K,p werden wir in Satz V.1.16 bestimmen.

Beweis von Satz 2.9. Es seien 8 > 0, W :==]0, l]p. Durch Unterteilung der Kanten von W in n halboffene Teilintervalle der Länge l/n erhalten wir eine Zerlegung von W in n P Teilwürfel, die alle den Durchmesser -IP/n haben. Wählen wir nun n > -IP/8, so liefert GI. (11.9.21) hp,o (W) ~ pp/2, also hp(W) ~ pp/2 < 00. Ist andererseits (A n )n2:1 eine Überdeckung von W mit dn :== d(A n ) ~ 8 (n E N), so wählen wir eine abgeschlossene Kugel K n vom Radius d n mit An C K n und erhalten 1 == ,\P(W) ~ L

n=l

,\P(Kn ) == ,\P(KI(O)) L d~ , n=l

also hp(W) 2: (,\P(KI(O)))-l > O. Damit ist K,p :== (hp(W))-1 E]O, 00[, und das Maß K,phplQ3P (s. Satz 11.9.3) ist normiert und translationsinvariant. Nach Satz 2.2 ist also K,p hplQ3P == ßP. Ist nun A C IRP , 8 > 0, so gibt es zu jedem n E N eine offene Überdeckung (Unk)k>l von A mit d(Unk ) ~ 8 (k E N) und ~

1

L(d(Unk))P ~ hp,o(A) + -;; . k=l Für M :== n~=l U~l Unk E Q3P gilt nun A C Mund

also hp,o(A) == hp,o(M). Zu 8n == l/n wählen wir nun eine Borel-Menge Mn ~ A mit hp,l/n(A) == hp,l/n(Mn ) und setzen B :== n~=l Mn· Dann gilt B E Q3P und B ~ A. Sei nun 8 > O. Wir wählen n E N so groß, daß l/n < 8 und erhalten

§ 2. Bewegungsinvarianz des Lebesgue-Maßes

95

d.h. hp(B) == hp(A). Für jedes A C IRP ist also

hp(A) == inf{hp(B) : B E

~p

, B ::) A} ,

und ebenso ist

7]P(A) == inf{7]P(B) : B

E ~p

, B

~

A}.

Da Kph p und 7]P auf allen Borel-Mengen übereinstimmen, folgt die Behauptung.

o

Der obige Beweis von Satz 2.9 benutzt nur das Verhalten des Lebesgueschen Maßes unter Translationen und unter Homothetien x r--t ax (x E IRP ; a > 0). Damit erhalten wir einen weiteren Beweis von Korollar 2.8.

Aufgaben. 2.1. a) Im Anschluß an GI. (2.2) läßt sich der Beweis von Satz 2.5 alternativ wie folgt zu Ende führen: Die Abbildung c : GL (IRP) --+ IR x (IR x :== IR \ {O}) ist ein Homomorphismus. Daher gibt es nach einem bekannten Satz aus der linearen Algebra (s. z.B. KOECHER [1], S. 119) einen Homomorphismus rp : IR x --+ IR x , so daß c(g) == rp(det g) für alle 9 E GL (W). Bestimmen Sie rp, indem Sie c(g) für die linearen Abbildungen der Form (Xl, ... ,X p)t r--t (axl,X2, ... ,Xp)t (a > 0), (Xl, ... ,Xp)t r--t (-Xl,X2, ... ,Xp)t berechnen. b) Führen Sie einen weiteren Beweis von (2.3) mit Hilfe einer Zerlegung von 9 in ein Produkt von Elementarmatrizen (s. z.B. KOECHER [1]' S. 87). 2.2. Es seien al, ... , ap > 0 und E das Ellipsoid

E :== {x E IRP : xi / ai

+

+ x;/a; < I} .

Zeigen Sie: Eist Borel-meßbar und AP(E) == al wird in Beispiel V.lo8 berechnet.)

apAP(K l (O)). (Bemerkung: AP(K l (O))

2.3. Betrachten Sie alle Parallelogramme, die eine vorgegebene Ellipse in der Ebene umfassen und mit jeder Seite berühren. Welche dieser Parallelogramme haben den kleinsten Flächeninhalt? 2.4. Für alle A, B E ~P mit AP(A) < 00 oder AP(B) < 00 gilt limx--+o AP(A n (B + x)) == AP(A n B). Die Endlichkeitsvoraussetzung ist nicht entbehrlich. (Bemerkung: Siehe auch Beispiel IV.3.14.)

2.5. Sind A,B E ~P, AP(A) > 0, AP(B) > 0, so enthält A + B :== {x + y : x E A, Y E B} ein Intervall. (Bemerkung: Diese Aussage besitzt eine Verallgemeinerung für lokal-kompakte topologische Gruppen; s. A. BECK et al., Proc. Am. Math. Soc. 9, 648-652 (1953).) 2.6. a) Ist G C IRP eine additive Untergruppe des IRP mit G E ~P , AP(G) > 0, so gilt G == IRP. b) Nach a) ist jede Lebesgue-meßbare additive Untergruppe G ~ IRP eine AP-Nullmenge. Eine solche Untergruppe kann durchaus gleichrnächtig zu IR sein, wie das folgende Beispiel (Fall p == 1) lehrt: Es sei G die von den Zahlen I:~=o a n 10- n! (an E {O, 1, ... , 9} für alle n 2: 0) erzeugte additive Untergruppe von IR. Dann ist G gleichrnächtig zu IR, G ist eine AI -Nullmenge, und G ist von erster Bairescher Kategorie.

2.7. Für n 2: 2 seien sn-l :== {x E IRn :

Ilxll

== I} die (n - l)-Sphäre und

mn :== ~nlsn-l

==

~(sn-l).

a) Es gibt ein endliches Maß /-Ln i= 0 auf mn , das in bezug auf die orthogonale Gruppe O(n) invariant ist (d.h. f(/-Ln) == /-Ln für alle f E O(n)). b) Jedes endliche o (2)-invariante Maß auf m2 ist ein nicht-negatives Vielfaches von /-L2. (D.h.: /-L2 ist das Haarsche Maß auf der kompakten multiplikativen Gruppe SI == {z E C : Iz I == I}. - Es ist auch jedes endliche O(n)-invariante Maß auf mn ein nicht-negatives Vielfaches von /-Ln; das folgt z.B. aus Korollar VIII.3.26.) 2.8. Es gibt ein translationsinvariantes Maß /-L : ~1 --+

JR, welches nicht bewegungsinvariant ist

96

II!. Meßbare Funktionen

(d.h. welches nicht invariant ist bez. der Spiegelung a : lR ~ lR, a(x) == -x (x E lR)). (Bemerkung: Nach Korollar 2.4, 2.8 ist jedes translationsinvariante Maß 1/ auf ~1 mit 1/([0,1]) < 00 bewegungsinvariant. - Hinweise: Konstruieren Sie eine Borel-Menge C c [0,1], so daß für jede Folge (an)nEN reeller Zahlen gilt a(C) ct- UnEN(C + an), und definieren Sie JL(A) :== 0, falls zu A E ~1 eine Folge (an)nEN reeller Zahlen existiert mit A c UnEN(C + an), und JL(A) :== 00 anderenfalls. Die Menge C aller x E [0, 1], die eine Entwicklung zur Basis 4 haben, in der die Ziffer 2 nicht vorkommt, leistet das Verlangte.) 2.9. Ist (X, 2t, JL) a-endlich und hat 2t einen abzählbaren Erzeuger, so sind (X, 2t, JL) und (X, 21., it) separabel. Insbesondere sind (lRP, ~P, ßP) und (lRP, ~P, AP) separabel. 2.10. Für jede konvexe Menge A c lRP mit 0 EA gilt A== U~2 (1 A, also AP(A) == AP(A). Das liefert einen weiteren Beweis für Korollar 11.7.8 und Satz 11.7.7.

i)

2.11. Ist al, ... , ap E lRP eine Basis des JRP, so heißen r :== Zal EB ... EB Zap ein Gitter im lRP, al, . .. , ap eine Z-Basis von rund

P:== {Alal + ... Apap : 0::; Aj < 1, j == 1, ... ,p} ein Fundamentalparallelotop von r. P ist ein Vertretersystem der Nebenklassen aus lRP Ir. a) AP(P) hat unabhängig von der Wahl der Z-Basis von r stets denselben Wert, und dieser ist gleich I det( al, ... ,ap) I· b) Für R ~ 00 gilt

I{x Er: Ilxll : : ; R}I = AP~~~~)) W + O(W- 1 )

.

(Zur Erinnerung: Sind j, 9 : [a, oo[~ ce zwei Funktionen, so bedeutet "j(t) == O(g(t)) für t ~ 00" definitionsgemäß, daß Ij(t)1 ::; Clg(t)1 für alle t 2: to mit geeignetem C > 0, to 2: a.) c) Es seien M E ~P und AP(Mn (M + g)) == 0 für alle gEr, 9 -# O. Dann ist AP(M) ::; AP(P). d) Ist K c lRP eine kompakte Menge mit AP(K) 2: AP(P), so gibt es x, y E K, x -# y mit x - y E r (H.F. BLICHFELD (1914)). e) Aussage d) wird schon für p == 1 falsch, wenn "kompakt" durch "abgeschlossen" ersetzt wird. f) Es sei C c lRP eine kompakte, konvexe und bez. 0 symmetrische (d.h x E C ===} -x E C) Menge mit AP(C) 2: 2PAP(P). Dann gibt es ein x E C n r mit x -# 0 (Gitterpunktsatz von H. MINKOWSKI (1896)). (Hinweis: d).)

§ 3.

Existenz nicht meßbarer Mengen

1. Nicht Lebesgue-meßbare Mengen und Unlösbarkeit des Maßproblems. Zum Nachweis der Existenz nicht Lebesgue-meßbarer Teilmengen des JRP benutzen wir folgenden Ansatz, der auf G. VITALI ([1]' S. 231-235) zurückgeht: Wir nennen x, y E JRP äquivalent genau dann, wenn x - y E Q! ist. Damit ist eine Äquivalenzrelation auf JRP erklärt. Die zugehörigen Äquivalenzklassen sind genau die Nebenklassen der additiven Gruppe JRP nach der Untergruppe Q!. Nach dem sog. A uswahlaxiom5 der Mengenlehre können wir aus jeder Äqui5 Auswahlaxiom.

Ist 9J1 eine nicht-leere Menge von nicht-leeren Mengen, so existiert eine

§ 3. Existenz nicht meßbarer Mengen

97

valenzklasse ein Element (einen Vertreter) auswählen und die Menge M dieser Vertreter betrachten.

3.1 Satz (VITALI 1905). Für jedes Vertretersystem M von KfP /~ gilt M Insbesondere ist ,ep~~(JRP).

tt ,ep.

Beweis. Angenommen, es sei M E ,ep. Wäre AP(M) > 0, so wäre nach Satz 11.7.6 die Menge M - M eine Umgebung von 0, enthielte also ein Element r E ~ mit r =I- 0 im Widerspruch zur Wahl von M. Daher folgt AP(M) == 0, also auch ).l (M + r) == 0 für alle r E ~. Das heißt aber: IR? == UrEQP (M + r) ist als abzählbare Vereinigung Lebesguescher Nullmengen selbst eine Lebesguesche D Nullmenge: Widerspruch!

tt

Satz 3.1 läßt die Möglichkeit offen, daß vielleicht nur deshalb M ,ep ist, weil der Definitionsbereich von )'l ungeschickterweise zu eng gewählt wurde. Das ist aber nicht der Fall, wie der folgende Satz 3.2 lehrt.

3.2 Satz. Es seien G eine abzählbare dichte additive Untergruppe von JRP und Mein Vertretersystem von JRP / G. Ferner sei JL : 2( -+ JR ein bez. G translationsinvariantes Maß auf der a-Algebra 2( über IR? , wobei ~P C 2(, JLI~P == AP. Dann ist M 2(, und es gibt keine Menge A E 2(, A c M mit JL(A) > O.

tt

Beweis. Angenommen, es sei M E 2(. Da G dicht ist im IR? , gibt es eine Basis gl,' .. , gp des IR? mit gl,' .. , gp E G. Wir betrachten das Gitter r == 7lg1 EB ... EB 7lgp und das zugehörige Fundamentalparallelotop P :== {A 1 gl

+ ... + Apgp : 0 :s;

Aj < 1 für j == 1, ... ,p} .

Die Menge L :== Ul'Er( -I + (M n (I + P))) c P ist ein Vertretersystem von JRP / G, und da 2( bez. G translationsinvariant ist und ,ep umfaßt, folgt L E 2(. Wir führen dies zum Widerspruch: Wegen der Translationsinvarianz von JL und JL l,ep == AP ist zunächst

00

== JL(JRP) == JL

(U

(g

+ L))

==

gEG

L

JL(g

+ L)

gEG

==

L

JL(L) ,

gEG

also sicher JL( L) > O. Andererseits ist G n P abzählbar unendlich, und mit 2P :== {2x : x E P} gilt

L gEGnp

JL(L) ==

L gEGnp

JL(g

+ L)

== JL (

U

(g

+ L)) :s;

JL(2P) == AP(2P)
0 existiert. D

3.3 Satz von Vitali (1905). Das Maßproblem ist unlösbar. Funktion f : 9J1-t UAE9J1 A, so daß f(A) E A für alle A E 9J1. - Intuitiv gesprochen, bewirkt ein solches f die simultane Auswahl eines Elements aus jeder der Mengen von 9J1.

98

111. Meßbare Funktionen

Beweis. Angenommen, es sei /.1 : ~(JRP) -+ lR ein bewegungsinvariantes Maß mit /.1([0, 1JP) == 1. Dann liefert Korollar 2.4: /.11'cP == )'.,P. Nun wählen wir in Satz 3.2 G :== QP und erhalten M tt ~(JRP), was absurd ist. D

3.4 Satz. Jede Menge A meßbare Teilmenge.

c JRP

mit 1]P(A) > 0 enthält eine nicht Lebesgue-

Beweis. Ist Mein Vertretersystem von JRP /QP, so liefert die a-Subadditivität des äußeren Maßes:

1]P(A) :::;

L

1]P(A n (M

+ r))

.

rEQP

Nach Satz 3.2 gilt für alle r E QP mit An(M +r) E'cP notwendig )'l(An(M + == O. Wären also alle Mengen A n (M + r) (r E QP) Lebesgue-meßbar, so wäre 1]P(A) == 0 im Widerspruch zur Annahme. Folglich gibt es ein r E QP, so daß An (M + r) tt ,Cp. D

r))

Der Beweis der Existenz nicht Lebesgue-meßbarer Teilmengen des IRP beruht ganz wesentlich auf dem Auswahlaxiom, das erstmals 1904 von E. ZERMELO (1871-1953) ausgesprochen wurde. Das Auswahlaxiom war in der Entstehungsphase der axiomatischen Mengenlehre heftig umstritten, ähnlich wie z.B. das Parallelenaxiom in der Geometrie lange Gegenstand kontroverser Diskussionen war. Erst 1963 hat P.J. COHEN (1934-2007) bewiesen, daß das Auswahlaxiom von den übrigen Axiomen der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre (ZF) unabhängig ist. H. LEBESGUE fand die Konstruktion nicht Lebesgue-meßbarer Mengen mit Hilfe des Auswahlaxioms wenig überzeugend. In einem Brief vom 16.2.1907 schrieb er an VITALI: «Ce mode de raisonnement idealiste n'a pas, a mes yeux, grand valeur... »6 Noch 1928 schrieb LEBESGUE in der zweiten Ausgabe seiner Lef.;ons sur l'inüf-gration [6] auf S. 114: «Je ne sais pas si l'on peut definir, ni meme s'il existe d'autres ensembles que les ensembles mesurables... Quant a la question de l'existence d'ensembles non mesurables, elle n'a guere fait de progres depuis la premiere edition de ce livre. Toutefois cette existence est certaine pour ceux qui admettent un certain mode de raisonnement base sur ce que l'on a appele l' axiome de Zermelo».7 Eine ähnlich distanzierte Haltung zum Auswahlaxiom nahm E. BOREL ein. Er bezog in vielen Artikeln, die im dritten Band seiner (Euvres gesammlt sind, zu Grundlagenfragen der Mengenlehre Stellung, und in einer kurzen Note ((Euvres, Tome 4, S. 2409) bemerkte er 1923 lakonisch: «Le probleme de la construction effective d'ensembles non mesurables, sans 1'emploi de l'axiome de M. ZERMELO, reste ouvert.»8 Dieses Problem wurde erst wesentlich später gelöst, als es gelang zu zeigen: Ohne Gebrauch des Auswahlaxioms ist es prinzipiell unmöglich, die Existenz einer nicht Lebesgue-meßbaren Teilmenge von IR nachzuweisen. Genauer hat R. SOLOVAY (Ann. Math., 11. Ser., 92, 1-56 (1970)) bewiesen: Wenn es ein Modell von ZF gibt, in dem eine unerreichbare Kardinalzahl existiert, so gibt es auch ein Modell von ZF, in dem eine schwache Form des Auswahlaxioms, das sog. Prinzip der abhängigen Wahlen, gilt und in dem jede Teilmenge von IR Lebesguemeßbar ist. Dabei heißt eine Kardinalzahl K, unerreichbar, wenn jedes Produkt TItEl Xl. von 6Diese idealistische Art der Beweisführung hat in meinen Augen keinen großen Wert... 7Ich weiß weder, ob man andere als meßbare Mengen definieren kann, noch ob solche Mengen existieren... Was die Frage nach der Existenz nicht meßbarer Mengen betrifft, hat es seit der ersten Ausgabe dieses Buches keinen Fortschritt gegeben. Jedenfalls ist diese Existenz gesichert für diejenigen, die eine gewisse Art der Beweisführung anerkennen, die auf dem sog. Axiom von Zermelo beruht. 8Das Problem der effektiven Konstruktion nicht meßbarer Mengen ohne Benutzung des Axioms von Herrn Zermelo bleibt offen.

§ 3. Existenz nicht meßbarer Mengen

99

Mengen X" mit IX"I < '" und mit einer Indexmenge 1 einer Mächtigkeit 111 < '" selbst eine Mächtigkeit< '" hat. Die Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl ist in ZF nicht beweisbar. Viele Logiker glauben, daß die Annahme der Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl mit ZF konsistent ist; ein Beweis dafür steht allerdings noch aus. Wenn man also bereit ist, das Auswahlaxiom aufzugeben - wozu wir wie die weitaus meisten Mathematiker natürlich nicht bereit sind (!) - so ist es konsistent anzunehmen, daß jede Teilmenge von lR Lebesgue-meßbar ist. (Dabei wird vorausgesetzt, daß die Annahme der Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl mit ZF konsistent ist.) Das Ziel der Untersuchungen von SOLOVAY war natürlich nicht, den Satz 3.1 von VITALI als falsch zu verwerfen; vielmehr sollte die Notwendigkeit des Auswahlaxioms für den Beweis der Existenz nicht Lebesgue-meßbarer Teilmengen von lR erkannt werden. SOLOVAY schreibt: "Of course, the axiom of choice is true, and so there are non-measurable sets." Einen gut lesbaren Überblick über die Konsequenzen der üblichen mengentheoretischen Axiome für die Lebesguesche Maßtheorie bieten J.M. BRIGGS und T. SCHAFFTER: Measure and cardinality, Amer. Math. Monthly 86, 852-855 (1979). Über die Geschichte des Auswahlaxioms kann man sich mit Hilfe von G.H. MOORE [1] umfassend informieren. Im Anschluß an SOLOVAY wurden namentlich von S. SHELAH (1945- ) weitere tiefliegende Resultate über das Maßproblem erzielt; s. J. STERN: Le probleme de la mesure, Asterisque 121-122, 325-346 (1985); J. RAISONNIER: A mathematical proo/ 0/ S. Shelah's theorem on the measure problem and related results, Isr. J. Math. 48, 48-56 (1984). 2. Kurzbiographie von G. VITALI. GUISEPPE VITALI wurde am 26.8.1875 in Ravenna geboren; er starb am 29.2.1932 in Bologna. VITALI besuchte das Gymnasium in Ravenna und studierte 1895-96 in Bologna u.a. bei F. ENRIQUES (1871-1946) und C. ARZELA (1847-1917), anschließend 1897-98 in Pisa u.a. bei L. BIANCHI (1856-1928) und U. DINI (1845-1918). In Pisa schloß er eine dauerhafte Freundschaft mit seinem Mitstudenten G. FUBINI (1879-1943). VITALI war von 1899-1901 Assistent bei U. DINI und habilitierte sich 1902 an der Scuola Normale Superiore in Pisa. Aus wirtschaftlichen Gründen arbeitete er von 1904-1922 als Lehrer in Genua, anschließend als Professor 1922-25 in Modena, 1925-1930 in Padua, ab 1930 in Bologna. VITALI ist einer der Schöpfer der modernen Theorie der reellen Funktionen. Er führte 1904 den Begriff der absolut stetigen Funktion ein, der für den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung von zentraler Bedeutung ist. Ferner wies er die Existenz nicht Lebesguemeßbarer Teilmengen von lR nach, und er führte den wichtigen Begriff der Vitalischen Überdeckung ein, für den er den Vitalischen Überdeckungssatz VII.4.2 bewies. Mit seinem Namen verbunden sind der Konvergenzsatz von VITALI VI.5.6 und ein Konvergenzsatz für Folgen holomorpher Funktionen. Da VITALI geraume Zeit in wissenschaftlicher Isolation arbeitete, überschneidet sich sein Werk z. T. mit Resultaten anderer Mathematiker, namentlich mit dem Werk von H. LEBESGUE (s. hierzu den Brief von LEBESGUE in VITALIs Opere, S. 457-460).

3. Weitere Beispiele nicht Lebesgue-meßbarer Mengen. 3.5 Beispiel. Es sei Beine Hamel-Basis von lR, d.h. eine Basis des Q- Vektorraums lR. Die Existenz einer solchen Basis zeigt man üblicherweise mit Hilfe des sog. Zornschen Lemmas; s. z.B. W. GREUB: Linear algebra. 4th ed. BerlinHeidelberg-New York: Springer-Verlag 1975. Jede Lebesgue-meßbare HamelBasis von lR ist eine Lebesguesche Nullmenge (W. SIERPINSKI [1], S. 323). (Beweis. Angenommen, es sei B E ..c eine Hamel-Basis von lR mit A(B) > O. Nach Satz 11.7.6 gibt es ein c > 0 mit] - c, c[c B - B. Ist nun a E Bund r E Q, 0 < ra < c, so gibt es b, c E B mit b - c = ra. Wegen b i= c widerspricht

111. Meßbare Funktionen

100

das der linearen Unabhängigkeit von B über Q. 0) Man kann zeigen, daß Lebesgue-meßbare Hamel-Basen von lR vom Maße 0 existieren und daß nicht Lebesgue-meßbare Hamel-Basen von lR ebenfalls existieren (s. z.B. H. HAHN und A. ROSENTHAL [1], S. 101-102). Es ist auch bekannt, daß keine Hamel-Basis von lR eine Borel-Menge ist (s. loc. cit., S. 102). Aber unabhängig von diesen Aussagen ergibt sich bereits allein aus der Existenz einer Hamel-Basis von lR die Existenz einer nicht Lebesgue-meßbaren Teilmenge von lR: Es seien Beine Hamel-Basis von lR , a E Bund M := Span (B \ {a}), d.h.

M:=

{t

rkbk :

n

E N,

rl,'"

,rn E Q, bl ,.·· ,bn E B \

{al} .

k=l

Dann ist M nicht Lebesgue-meßbar (W. SIERPINSKI [1], S. 324). (Beweis: Ist M Lebesgue-meßbar, so ist lR die disjunkte Vereinigung der abzählbar vielen Mengen M + ra (r E Q), die alle Lebesgue-meßbar sind und das Maß A(M) haben. Daher ist A(M) > 0, und nach Satz 11.7.6 gibt es ein c > 0, so daß ra E M - M = M für alle r E Q , 0 < Irl < c: Widerspruch zur linearen Unabhängigkeit von B über Q! 0) Ebenso sieht man: Ist Beine HamelBasis von lR und A =1= 0 eine abzählbare Teilmenge von B, so ist Span (B \ A) eine nicht Lebesgue-meßbare Teilmenge von lR. 3.6 Beispiel. Wir definieren eine Relation M auf IR: Für reelle x, y gelte (x, y) E M genau dann, wenn Ix - Yl = 3k für geeignetes k E Z. Sind x, y E IR, so nennen wir eine Folge (xo, Xl),"" (Xn-l' x n ) E M mit Xo = X, Xn = Y einen Weg der Länge n von x nach y. Einen Weg mit Xo = Xn nennen wir eine Zyklus. - Ist (xo, Xl)," ., (Xn-l' x n ) ein Zyklus, so gilt Xv = Xv-l + ~v3kv mit ~v = ±1 und k v E Z (v = 1, ... , n). Wegen Xo = Xn folgt ~13kl + ... + ~n3kn = 0, also auch für jedes N E N ~13kl+N

+ ... + ~n3kn+N = 0 .

Für hinreichend großes N sind hier alle Exponenten positiv, d.h. es liegt eine Summe von lauter ungeraden ganzen Zahlen vor. Da die Summe verschwindet, muß die Anzahl der Summanden gerade sein. Ergebnis: Es gibt in M keinen Zyklus ungerader Länge. Wir führen nun eine Äquivalenzrelation Rein: (x, y) E R genau dann, wenn es einen Weg gibt von x nach y. Es seien V ein Vertretersystem der Äquivalenzklassen von Rund U

.-

U{x E IR: U{x E IR:

es gibt einen Weg ungerader Länge von x nach a} ,

aEV

G

.-

es gibt einen Weg gerader Länge von x nach a} .

aEV

Dann ist GnU = 0, da es keinen Zyklus ungerader Länge gibt, und G u U = IR. Für alle x E IR gilt (x,x ± 3 k ) E M, also G ± 3 k cU, U ± 3 k C G (k E Z). Wäre nun G E~, so auch U E ~ und .-\(G) > 0, .-\(U) > O. Nach Satz 11.7.6 gibt es ein 8 > 0 mit G n (G + t) =I 0 für D alle t E IR mit Itl < 8: Widerspruch zu G + 3k C U (k E Z) , GnU = 0! 4. Existenz nicht meßbarer Mengen für Lebesgue-Stieltjessche Maße. Zerlegt man die wachsende rechtsseitig stetige Funktion F : IR ~ IR gemäß Satz 11.2.4 in F = G + H mit einer Sprungfunktion G und einer wachsenden stetigen Funktion H, so ist 2{p = 2{ H , 2{c = ~(IR) (Aufgabe 11.4.4), so daß wir uns auf die Diskussion der a-Algebren 2{p für wachsendes stetiges F beschränken können. Für konstantes Fist 2{ p = q:J (IR); für alle nicht konstanten stetigen wachsenden Funktionen F : IR ~ IR gilt hingegen 2{p ~ ~(IR); mehr noch:

101

§ 3. Existenz nicht meßbarer Mengen

3.7 Satz. Es gibt eine Menge B C ffi., so daß für jede nicht konstante stetige wachsende Funktion F : ffi. -t ffi. gilt B t/:. 2l p . Der Beweis dieses Satzes erfordert einige Vorbereitungen. 3.8 Lelllllla. Zu jeder überabzählbaren Gö-Menge A C ffi. gibt es eine nirgends dichte abgeschlossene Teilmenge C C A mit A( C) = 0, so daß eine stetige surjektive Abbildung f : C -t [0, 1] existiert.

Beweis. Es sei K C A die Menge aller Kondensationspunkte von A, d.h. die Menge aller a E A mit der Eigenschaft, daß für jede Umgebung U von a die Menge U n A überabzählbar ist. Dann ist K i- (/) und K enthält keine isolierten Punkte, d.h. K ist perfekt. Wir schreiben nun A = n~=l G n mit offenen G n C ffi. (n E N) und führen folgende Konstruktion vom Cantorschen Typ durch: Es seien K o, K l C ffi. zwei disjunkte abgeschlossene

Intervalle mit Länge :::; ~, so daß Ko nK i- (/) , Kl nK i- (/) , K o U K l C GI. Sind für n E N die 2n disjunkten abgeschlossenen Intervalle Ki1, ...,i n (i l , ... , in E {O, I}) mit Länge:::; 3- n schon erklärt, so daß das Innere jedes dieser Intervalle mit K einen nicht-leeren Durchschnitt hat und so daß alle Ki1, ...,i n in G n enthalten sind, so wählen wir K i1 ,...,i n ,i n+ 1 (i n + l E {O, I}) als disjunkte abgeschlossene Intervalle mit Länge:::; 3- n - l , so daß Kn Ki1, ...in,i n+ 1i- (/) und K i1 ,... ,i n ,i n+ 1 C G n + 1 n K i1 ,... ,i n ' Da K C A keine isolierten Punkte enthält, ist die induktive Konstruktion möglich, und wir setzen

C:=

n u

K·Zl,···,Zn . .

n=l il ,... ,i n E{O,l}

Dann ist C eine nirgends dichte perfekte Teilmenge von A. Für jedes n E N gilt A(C) :::; (2/3)n, also ist A( C) = 0. Zu jedem x E C gibt es eine eindeutig bestimmte Folge (in)n>l E {O, l}N mit x E Ki1, ...,i n für alle n E N, und die Zuordnung x r-+ f(x) := L~=l i n 2- n E [O~ 1] definiert eine Surjektion von C auf [0,1]. Für x,x' E C n Ki1, ...,i n ist If(x) - f(x')1 :::; 2- n , also ist f auch stetig. 0 3.9 Lelllllla. Die Menge aller überabzählbaren abgeschlossenen Teilmengen von ffi. ist gleichmächtig zu IR. Beweis. Die Menge aller offenen Teilintervalle von IR mit rationalen Eckpunkten ist abzählbar, und jede offene Teilmenge von ffi. ist Vereinigung offener Intervalle mit rationalen Eckpunkten. Daher gibt es höchstens c (= Kardinalzahl von ffi.) offene Teilmengen von ffi., also auch höchstens c abgeschlossene Teilmengen von IR. Andererseits gibt es mindestens c überabzählbare abgeschlossene Teilmengen von IR. Nach dem Satz von SCHRÖDER und BERNSTEIN (s. E. HEWITT, K. STROMBERG [1], (4.7)) folgt die Behauptung. 0

Für den Beweis des folgenden Satzes von F. BERNSTEIN (1878-1956) benötigen wir den Wohlordnungssatz: Ist M eine Menge und,,:::;" eine Relation auf M, so heißt,,:::;" eine Ordnung auf M, falls für alle a, b, c E M gilt: (i) a :::; a (Reflexivität), (ii) a :::; bund b :::; a ===} a = b (Antisymmetrie) und (iii) a :::; bund b :::; c ===} a :::; c (Transitivität). Dabei wird nicht verlangt, daß je zwei Elemente von M vergleichbar sind, d.h. daß für alle a, b E M gilt a :::; b oder b :::; a. (Daher benutzen manche Autoren statt des Namens Ordnung den Namen Halbordnung.) Eine Ordnung heißt eine Wohlordnung, wenn jede nicht-leere Teilmenge A von M ein kleinstes Element besitzt (d.h wenn ein a E A existiert mit a :::; x für alle x E A). Zum Beispiel ist die Menge N mit der üblichen Relation ,,:::;" eine wohlgeordnete Menge; IR mit der üblichen Relation ,,:::;" ist dagegen nicht wohlgeordnet. In einer wohlgeordneten Menge M sind je zwei Elemente a, b vergleichbar, denn {a, b} c M hat ein kleinstes Element. Die Bedeutung des Begriffs der Wohlordnung beruht auf dem sog. Wohlordnungssatz, der schon von G. CANTOR vermutet und von E. ZERMELO bewiesen wurde.

Wohlordnungssatz (E. ZERMELO 1904). Auf jeder Menge existiert eine Wohlordnung.

102

111. Meßbare Funktionen

Es ist bekannt, daß der Wohlordnungssatz auf der Basis der Axiome von ZF äquivalent ist zum Auswahlaxiom. Zum Beispiel folgt aus dem Wohlordnungssatz, daß auf ~ eine Wohlordnung existiert; man kann aber keine Wohlordnung von ~ "explizit angeben". (Literatur: G.H. MOORE [1].) 3.10 Satz (F. BERNSTEIN 1908).9 Es gibt eine Menge B mit jeder überabzählbaren abgeschlossenen Teilmenge von hat.

c ~

~,

so daß sowohl B als auch BC einen nicht-leeren Durchschnitt

Beweis. Nach dem Wohlordnungssatz und Lemma 3.9 läßt sich die Menge:F aller überabzählbaren abgeschlossenen Teilmengen von ~ indizieren mit Hilfe der Ordinalzahlen< TJ, wobei TJ die kleinste Ordinalzahl mit c Vorgängern ist: :F == {Fa: a < 1]}. Wir denken uns eine feste Wohlordnung auf ~ gegeben; diese induziert vermöge Restriktion auf jedem Element von :F eine Wohlordnung. Jede abgeschlossene Teilmenge von ~ ist ein GfJ. Daher hat jedes F E :F nach Lemma 3.8 die Mächtigkeit c. Es seien aI, bI die beiden (im Sinne der zugrundeliegenden Wohlordnung) kleinsten Elemente von F I , a2, b2 die beiden kleinsten von aI, bI verschiedenen Elemente von F 2, und so fort: Ist a < 1] und sind aß, bß für alle Ordinalzahlen ß < a bereits definiert, so seien aa, ba die beiden kleinsten Elemente von Fa \ Uß O. 3.4. Es seien A

c

~,

1](A)

> 0, und die Menge T aller t

E ~ mit A

+t

== A sei dicht in

~.

9F. BERNSTEIN: Zur Theorie der trigonometrischen Reihe, Sitzungsber. der Kgl. Sächsischen Akad. Wiss. Leipzig, Math.-Phys. Kl. 60, 325-338 (1908).

§ 4. Meßbare numerische Funktionen a) Für jedes Intervall I c ~ gilt 1](A n I) b) Ist A E ~, so ist A(AC) = O.

103

= A(I).

3.5. Es sei A gleich der Menge M aus Beispiel 3.5 oder gleich einer der Mengen G, U aus Beispiel 3.6. Für jedes Intervall I C ~ gilt 1](A n I) = 1](AC n I) = A(I). 3.6. Konstruieren Sie eine nicht meßbare Funktion

f : (JR,~) -+

(TI{, ~),

deren Betrag Borel-

meßbar ist. ~

3.7. Die Abbildung f

-+

~2 ,

f(x) .- (x,O)t

(x E

ist ~1_~2-meßbar, aber nicht

TI{)

~1_~2-meßbar.

3.8. Es seien C das Cantorsche Diskontinuum, F die Cantorsche Funktion und ~, f(x) := !(x

+ F(x)) (x

E ~).

a) f(C) ist eine nirgends dichte perfekte Teilmenge von [0,1] mit A(f(C)) = b) Es gibt eine Menge A E ~ mit f(A) ~ ~. c) Es gibt eine stetige streng wachsende Funktion 9 :

TI{

-+

TI{

f

~-+

!.

und eine Menge B E

~

mit

g-l (B) ~ ~. (Diese Schlußweise liefert die Existenz von nicht Borelschen Lebesgue-meßbaren

Teilmengen von d) Sind g, h :

~

ohne die früher benutzte Mächtigkeitsbetrachtung. )

(TI{,~)

(JR,~)

-+

sein. Es können sogar {x E sein.

TI{ :

meßbar, so braucht go h : (~,~) -+ (~,~) nicht meßbar zu g(x) #- O} eine A-Nullmenge und h stetig und streng wachsend

3.9. Zeigen Sie: Die Menge C aus dem Beweis von Lemma 3.8 ist dem Cantorschen Diskontinuum homöomorph (d.h. es gibt eine stetige Bijektion von C auf das Cantorsche Diskontinuum, deren Umkehrabbildung ebenfalls stetig ist). 3.10. Jedes A E

~P

mit AP(A)

> 0 enthält

ein N E

~P

, AP(N) = 0 mit N

rv

~.

3.11. Es sei ~ die Menge aller Teilmengen von TI{, deren Rand eine Lebesguesche Nullmenge ist. Dann ist O"(~) gleich der von den Jordan-meßbaren Teilmengen von TI{ erzeugten

O"-Algebra, und es gilt: ~~O"(~)~~. (Hinweise: (5:= {G D. A: G,A c ~,Goffen ,Amager} ist eine O"-Algebra über TI{ mit O"(~) C (5 n ~. Ist nun M C TI{ ein Vertretersystem von TI{/Q, so gilt nach Aufgabe 11.8.2: M N E

Q),

so auch M E

(5,

= Au N,

wobei A mager, A(N)

und es wäre M

= G D. B,G

= O.

Hier ist A E

Q) \~.

offen, B mager, wobei G

Wäre

#- 0 nach

Wahl von M. Da G ein Intervall enthält, existiert ein 8 > 0, so daß (x + M) nM#- 0 für alle x E TI{, lxi< 8: Widerspruch zur Wahl von M. Es folgt: N E ~ \ (5, also Q) n ~~~.) 3.12. Ist Beine Hamel-Basis von

~,

so ist die von B erzeugte additive Untergruppe G C

nicht Lebesgue-meßbar.

§ 4.

Meßbare numerische Funktionen «Lebesgue introduisit l'espece des fonctions mesurables. Le progres etait immense. Car le passage a la limite ... d'une suite de fonctions mesurables donne encore une fonction mesurable.... Des lors, toutes les fonctions rencontrees dans

~

II!. Meßbare Funktionen

104 les problemes de l'Analyse sont mesurables.»lo (A.

DENJOY

in

LEBESGUE

[1]'

S.69)

1. Rechnen in ~, Topologie von~. Für die Zwecke der Integrationstheorie ist es bequem, nicht nur meßbare Funktionen f : (X, 2l) ---+ (~, ~) zu betrachten, sondern auch Funktionen mit Werten in lR :== ~ U { - ( X ) , +oo}. Zunächst legen wir die Regeln für den Umgang mit den Elementen (X) == +00 und -(X) fest. Anordnung und Absolutbetrag werden von ~ auf IR fortgesetzt vermöge -(X) < a < +00 für alle a E lR, 1001 == I - 001 == 00. Damit sind die Begriffe max, min, sup, inf für Teilmengen von IR in natürlicher Weise sinnvoll. Jede nicht-leere Teilmenge M c lR hat ein Supremum in IR; dieses ist das übliche Supremum, falls M durch eine reelle Zahl nach oben beschränkt ist, und sonst ist sup M == 00. Addition, Subtraktion und Multiplikation werden - soweit möglich - vermöge Stetigkeit im Sinne der sogleich einzuführenden Topologie erklärt:

a + (±oo) :== (±oo) + a :== ±oo für a E lR , a - (±oo) :== -(±oo) + a :== =Foo für a E lR , (X)

+ (X)

:==

(X) ,

-(X)

+ (-(X))

a . (±oo) :== (±oo) . a :== {

(±oo) :== =Foo , ±oo , falls a E]O, 00] , =Foo , falls a E [-(X), O[ . :==

-(X) , -

Diese natürlichen Definitionen werden ergänzt durch die willkürlichen Festlegungen o. (±oo) :== (±oo) ·0 :== 0 , (X) - (X) :== -(X) + (X) :== 0 . Die Definition 0 . (X) :== 0 ist die einzig angemessene Festlegung, wie WIr In der Integrationstheorie und bei der Diskussion der Produktmaße sehen werden. Somit sind Summe, Differenz und Produkt je zweier Elemente von lR erklärt. Die für reelle Zahlen bekannten Rechenregeln gelten nur mit Einschränkungen für das Rechnen in lR. Zum Beispiel sind die Addition und die Multiplikation auf IR zwar kommutativ, aber nicht assoziativ. Das Distributivgesetz gilt nicht für die Rechenoperationen auf lR. Dagegen ist die Restriktion der Addition auf ]- 00, +00] assoziativ, und auch die Einschränkung der Addition auf [-(X), +oo[ ist assoziativ, so daß z.B. für ak E] - 00, +00] die Summenschreibweise L~=l ak sinnvoll ist. Definitionsgemäß sei die Menge der Intervalle Ja, 00] (a E lR) eine Umgebungsbasis von (X) in lR, und die Menge der Intervalle [-(X), a[ (a E lR) sei eine Umgebungsbasis von -(X) in IR. Für a E lR sei wie üblich {Ja - c , a + c[: c > O} eine Umgebungsbasis. Eine Menge V c lR heißt eine Umgebung von x E IR, wenn es eine Menge U aus der betr. Umgebungsbasis von x gibt mit U c V. Eine Menge A c lR heißt offen, wenn A Umgebung jedes Punktes x E A ist. Ersichtlich ist lOLebesgue führte die Klasse der meßbaren Funktionen ein. Der Fortschritt war ungeheuer. Denn der Übergang zum Grenzwert... einer Folge meßbarer Funktionen ergibt wieder eine meßbare Funktion. ... Seitdem sind alle Funktionen, auf die man bei Problemen aus der Analysis gestoßen ist, meßbar.

105

§ 4. Meßbare numerische Funktionen

eine Menge A c JR genau dann offen, wenn AnJR offen in JR ist und wenn im Falle +00 E A (bzw. -00 E A) ein a E JR existiert mit Ja, ooJ C A (bzw. [-00, a[cA). Damit ist R ein kompakter topologischer Raum, und JR ist eine offene und dichte Teilmenge von R. - Nun sind die Begriffe Konvergenz und Stetigkeit in R sinnvoll. Bekannte Schreibweisen wie limn-too an , limx-too f (x) , limx--+_ oo f (x) lassen sich nun auch im Sinne der Topologie von IR auffassen als Limites bei Annäherung an +00 E R bzw. -00 E R. Viele Sätze aus der Analysis gelten sinngemäß für R; z.B.: Jede monotone Folge in IR konvergiert. Jede Folge in R hat einen Häufungswert, denn IR ist kompakt. Für jede Folge (a n )n2: 1 in IR sind der Limes superior und der Limes inferior in IR erklärt vermöge lim an == lim (sup{ak : k 2: n}), n--+oo

n-too

lim an == lim (inf{ak : k 2: n}) , n--+oo n--+oo

und dieses sind der größte bzw. kleinste Häufungswert von (a n )n2: 1 in R. Die Folge (a n )n2:1 konvergiert genau dann in IR, wenn ihr Limes superior gleich ihrem Limes inferior ist, und in diesem Falle gilt limn--+ oo an == lim an == lim an' n-too n--+oo Diese Ausführungen über Zahlenfolgen gelten sinngemäß auch für die punktweise Konvergenz von Folgen von Funktionen fn : X -+ IR (n E N). Die a-Algebra ~ :== ~(R) der Boreischen Teilmengen von R ist nach Definition die von den offenen Teilmengen von IR erzeugte a-Algebra. Man erkennt: ~ ==

{B

U

E :B

E ~ ,

E c {-oo, +00}} ;

insbesondere ist ~IJR == ~. (Letzteres ist auch klar nach Korollar 1.4.6.) 2. Meßbare numerische Funktionen. Es sei in § 4 stets (X, 21) ein Meßraum. Zur Unterscheidung von den reellwertigen Funktionen auf X nennen wir die Funktionen f : X -+ IR numerische Funktionen. Eine numerische Funktion heiße meßbar, wenn sie 21-~-meßbar ist. Für reellwertiges f ist die 21-~-Meßbarkeit gleichbedeutend mit der 21-~-Meßbarkeit. 4.1 Beispiel. Für A c X und a E JR, a wenn A meßbar ist.

-I- 0 ist a . XA

genau dann meßbar,

Die folgende abkürzende Schreibweise paßt zwar nicht zum üblichen Gebrauch der Mengenklammern, ist aber so suggestiv, daß keine Mißverständnisse zu befürchten sind: Für f, g : X -+ IR und a, ß E IR setzen wir

{f > a}:== {a < f}:== {x EX: f(x) > a} == f-l(Ja,ooJ); entsprechend sind {f < a}, {f::; a}, {f 2: a}, {f == a}, {f -I- a}, {a < f::; ß}, {f < g}, {f ::; g}, {f -I- g}, {f == g}, {a < f, g > ß} usw. definiert. 4.2 Satz. Für jede numerische Funktion f : (X,2t) -+ Bedingungen a)-e) äquivalent: a) f ist meßbar. b) Für alle a E JR ist {f > a} E 21.

(IR, ~)

sind folgende

106

II!. Meßbare Funktionen

c) Für alle a d) Für alle a e) Für alle a

ist {i 2: a} E 2l. ist {i < a} E 2l. E lR ist {i :::; a} E 2l. E lR

E lR

Beweis. Jedes der Mengensysteme {]a, 00] : a E lR} , {[a, 00] : a E lR} , E lR} , {[-oo,a] : a E JR} ist ein Erzeuger der a-Algebra Q3 (Aufgabe 4.3). Daher ist die Behauptung klar nach Satz 1.3. D

{[-oo,a[: a

4.3 Satz. Für jede Folge (in)n?:.1 meßbarer numerischer Funktionen aui X sind SUPn>l in, infn>l in, lim in, lim in meßbar. Insbesondere ist limn--+ oo in meßn--+oo n--+oo bar, jalls dieser Limes (in JR) existiert. Beweis. Die Funktionen SUPn>l in und infn2: 1 in sind meßbar nach Satz 4.2, da für jedes a E lR gilt { su Pin :::; n2:1

a} = nUn

S;

a} E

n=l

Ql,

{inf in 2: n2:1

a} = nUn;:;> a}

E Ql.

n=l

Hieraus folgen die Meßbarkeit von lim in == inf (su p ik) , lim in == sup (inf in) n--+oo n2:1 k2: n n--+oo n2: l k2:n und von limn--+ oo in, falls der letztere Limes in lR existiert.

D

Wenden wir Satz 4.3 an auf die Folge i1,"" in, in, in,' .. , so folgt:

4.4 Korollar. Sind i1, ... , in : (X,2l) -+ (JR, Q3) meßbare numerische Funktionen, so sind auch max(il" .. , in) und min(i1,"" in) meßbar. Die Meßbarkeit vektorwertiger Funktionen läßt sich mit Hilfe der Meßbarkeit der Koordinatenfunktionen charakterisieren:

4.5 Satz. Eine Funktion i == (il" .. , ip)t : (X,2l) -+ (W, Q3P) ist genau dann meßbar, wenn alle Koordinatenjunktionen i1," ., i p : (X,2l) -+ (JR, Q3) meßbar sind. Beweis. Die Projektionsabbildungen prj : lRP -+ lR, prj(x) :== Xj für x == (Xl, ... , Xp)t E lRP , sind stetig, also Borel-meßbar. Ist also i meßbar, so sind auch alle ij == prj i (j == 1, ... ,p) meßbar. Sind umgekehrt i1,"" i p meßbar und Ja, b] E JP, a == (al,"" ap)t , b == (bI,"" bp)t, so ist i- 1(]a, b]) == n~=l i j- 1(]aj, bj ]) E 2l. Da JP die a-Algebra Q3P erzeugt, folgt die Behauptung nach Satz 1.3. D 0

ce == lR2 mit der a-Algebra Q32 aus und erhalten aus Satz 4.5: Korollar. Eine komplexwertige Funktion i : (X,2l) -+ (ce, Q32) ist genau

Wir statten

4.6 dann meßbar, wenn Rei und Im i meßbar sind.

Die Bildung von Linearkombinationen und Produkten meßbarer numerischer Funktionen liefert stets wieder meßbare numerische Funktionen:

§ 4. Meßbare numerische Funktionen 4.7 Satz. Sind f, g : (X, 2l) ~ af

+ ßg,

107

(lR, ~)

meßbar und a, ß E :IR, so sind auch

f . g, Ifl meßbar.

Beweis. Es seien zunächst f, g : X ~ JR reellwertig. Dann ist h : X ~ JR2, h(x) :== (f(x),g(x))t (x E X) nach Satz 4.5 meßbar. Die Funktionen s,p: JR2 ~ JR, S(XI,X2):== Xl +X2,P(XI,X2):== XI'X2 ((XI,X2)t E JR2) sind stetig, also Borel-meßbar. Daher sind f + g == so h, f . g == po h nach Satz 1.5 meßbar. Sind nun f, g : X ~ lR meßbare numerische Funktionen, so sind fn, gn : X ~ JR, fn:== max(-n,min(f,n)) , gn:== max(-n,min(g,n)) (n E N) nach Korollar 4.4 meßbar. Nach dem soeben Bewiesenen sind fn + gn und fn . gn (n E N) meßbar, also sind auch f + g == limn-too(fn + gn) , f· g == limn-too fn' gn meßbar. Da die konstanten Funktionen a bzw. ß meßbar sind, sind auch af und ßg meßbar und folglich auch af + ßg. Speziell ist - f meßbar und damit auch Ifl == max(f, - f)·

D

4.8 Korollar. Sind f, g : (X, 2l) ~ (C, ~2) meßbar und a, ß E C, so sind auch af

+ ßg,

f . g,

Ifl

meßbar.

Beweis. Klar nach Korollar 4.6 und Satz 4.7.

D

4.9 Korollar. Sind f, g : (X, 2l) ~


O}, {f ~ g} == {g- f 2: O}, {f == g} == {f - g ~ O} n {f - g 2: O}, {f # g} == {f - g < O} U {f - g > O} folgt die

Behauptung sogleich aus der Meßbarkeit von Für jede numerische Funktion f : X

~

f -

g und g -

f.

D

JR sind der Positivteil

f+ :== max(f, 0)

und der Negativteil f- :== max( - f, 0) == (- f)+ (2: O!)

erklärt, und es gilt f == f+ - f- , Ifl == f+

+ f-

.

4.10 Korollar. Eine numerische Funktion f : (X, 2t) ~

(lR, ~) ist genau dann meßbar, wenn ihr Positivteil f+ und ihr Negativteil f- meßbar sind.

Beweis. Ist f meßbar, so auch - f, und damit auch f+, f- nach Korollar 4.4. - Umgekehrt ist f == f+ - f- nach Satz 4.7 meßbar, wenn f+ und f- meßbar sind. D

4.11 Korollar. Eine komplexwertige Funktion f : (X, 2t) ~ (C, ~2) ist genau dann meßbar, wenn (Ref)+, (Ref)-, (Im f)+, (Im f)- meßbar sind. Beweis. Klar nach Korollar 4.6, 4.10.

D

108

II!. Meßbare Funktionen

3. Approximation durch Treppenfunktionen. Für die in Kap. IV zu entwickelnde Integrationstheorie ist die Möglichkeit der Approximation meßbarer Funktionen durch Treppenfunktionen von entscheidender Bedeutung. 4.12 Definition. Eine meßbare Funktion f : (X,2l) --t (JR, Q3), die nur endlich viele verschiedene (reelle) Werte annimmt, heißt eine (2l-) Treppenfunktion. Es seien T die Menge der (2l-)Treppenfunktionen auf X und T+ die Menge der nicht-negativen Funktionen aus T. Ersichtlich ist Tein Vektorraum über JR, und für f, 9 E T gilt f . 9 E T, max(f,g) E T, min(f,g) E T, Ifl E T. Für f,g E T+ und 0: 2: 0 sind auch o:f E T+ und f + 9 E T+ , f . 9 E T+. Ist f E T und f(X) == {0:1,"" O:m} mit verschiedenen 0:1,"" O:m E JR, so sind die Mengen A j :== f-l({O:j}) E 2l (j == 1, ... ,m) disjunkt und f == ~7=1 O:jXAj' Sind umgekehrt ßl,'" ,ßn E JR (nicht notwendig verschieden) und BI, ... ,Bn E 2l (nicht notwendig disjunkt), so ist n

g:== LßjXBj E T, j=1 und für

ßI, ... ,ßn 2:

0 ist 9 E T+.

Wir bezeichnen mit M die Menge der meßbaren numerischen Funktionen --t (JR, Q3) und mit M+ die Menge der nicht-negativen Funktionen aus M. Folgender Satz ist für die spätere Integraldefinition von entscheidender Bedeutung:

f : (X,2l)

4.13 Satz. Für eine nicht-negative numerische Funktion f auf X gilt f E M+ genau dann, wenn es eine Folge (U n )n2:1 von Funktionen aus T+ gibt mit Un t f.

Beweis. Jeder Limes einer wachsenden Folge von Funktionen aus T+ liegt in M+ (Satz 4.3). - Ist umgekehrt f E M+ und n E N, so sei ._ Aj,n .-

j { 2n {

< j+l} f"ur J. -- 0 , ... , n . 2n - 1 , - f < 2"7l

{f 2: n} für j

==

n . 2n

.

Die Mengen Aj,n(j == 0, ... ,n . 2n ) sind disjunkt, liegen in 2l, und es ist X == . n2n j=O Aj,n. Daher gIlt n2 n . U n :== '"""" L XA - E T+ , L...t 2n J,n j=O

U

und (u n )n2: 1 ist wachsend: Nach Definition ist nämlich Aj,n die disjunkte Vereinigung von A 2j ,n+l und A 2j +1,n+l für j == 0, ... ,n . 2n - 1, und A n2 n,n ist die disjunkte Vereinigung der Mengen A j ,n+l (j == n . 2n+1, ... , (n + 1 )2 n+1 - 1) und A(n+l)2 n+ 1 ,n+l' Daher ist Un+l 2: Uno Ist nun x E X und f(x) == 00, so gilt un(x) == n t 00 == f(x), während für f(x) < 00 und n > f(x) gilt un(x) ~ f(x) < un(x) + 2- n . Insgesamt folgt Un t f. 0

§ 4. Meßbare numerische Funktionen

109

4.14 Korollar. a) Zu jeder beschränkten Q!-meßbaren Funktion f : X -+ lR gibt es eine wachsende Folge (U n )n2:1 von Treppenjunktionen, die gleichmäßig gegen f konvergiert. b) Zu jeder nach unten beschränkten meßbaren Funktion f : X -+] - 00, +00] gibt es eine wachsende Folge von Funktionen U n E T (n E N) mit U n t f. c) Zu jedem f E M gibt es eine Folge von Funktionen V n E T mit V n -+ f. Beweis. a) und b) sind klar nach dem Beweis von Satz 4.13, und c) ergibt sich durch Anwendung von Satz 4.13 auf f+ und f-. D 4. Abzählbar erzeugte Meßräume. Zwei Meßräume (X, 2t), (Y,523) heißen isomorph, wenn es eine meßbare Bijektion f : (X,2t) -+ (Y, ~) gibt, so daß auch f- 1 : (Y,523) -+ (X,2t) meßbar ist; eine solche Abbildung f heißt dann ein meßbarer Isomorphismus. Ziel der folgenden Überlegungen ist Satz 4.17, in dem die Isomorphieklassen der Meßräume (A, 523 1 IA) (A c ~) durch einfache Bedingungen charakterisiert werden. Zunächst einige Vorbereitungen: Man sagt, ein Mengensystem ~ c ~(X) trennt die Punkte von X, wenn zu allen x, y E X mit x f. y ein A E ~ existiert mit XA(X) i= XA(y). Ein Meßraum (X,2t) heißt separiert, wenn 2t die Punkte von X trennt. 4.15 Lemma. Ein Mengensystem (X, o-(~)) separiert ist.

~

c

~(X)

trennt die Punkte von X genau dann, wenn

Beweis. Angenommen, ~ trennt die Punkte von X nicht. Dann gibt es x, y EX, x f. y, so daß für alle A E ~ entweder gilt x, y E A oder x, y E AC. Nun ist l B n == Y, so ist auch ~ * ~ == {E x F : E E ~, F E ~} ein Erzeuger von 21 ® ~~ Speziell ist 21 * ~ ein Erzeuger von 2l ®~.

5.4 Korollar (Transitivität der Bildung von Initial-a-Algebren). Unter den Voraussetzungen von Satz 5.2 seien für jedes ~ E I eine Indexmenge Ku M eßräume (Zt1K' Q:t,K) und Abbildungen gt,K : ~ ---+ ZtK (/'l; E KJ gegeben, und es sei ~t == I(gt,K : /'l; E KJ. Dann gilt:

I(gtK ft : ~ EI, /'l; 0

E K t ) ==

I(ft : ~

E

I) ;

Diagramm: X ~ (~, ~J ~ (ZtK' Q:t,K) . Beweis. ~t :== UKEK g;;/ (Q:tK) erzeugt ~t, also ist UtEI ft- 1 (~J ein Erzeuger von I(ft : ~ E I). Andererseits ist UtElft-l(~t) == UtEIUKEK (gtK o ft)-l(Q:tK) auch 0 ein Erzeuger von I(gtK ft : ~ EI, /'l; E KJ. L

L

0

5.5 Beispiele. a) In Beispiel 5.1 c) sei I == UKEK I K mit disjunkten I K (/'l; E K). Im Sinne der natürlichen Identifizierung von TIKEK (TItEl", X t ) mit TItEl X t gilt

114

II!. Meßbare Funktionen

dann

QSJ (QSJ 2t K,EK

t)

==

tEIK.

QSJ 2t

t

(Assoziativität der Produktbildung) .

tEl

b) Faktorisierung über das Produkt: In der Situation des Satzes 5.2 versehen wir Y :== TItEl ~ mit der a-Algebra ~ :== ®tEI93t und betrachten die Abbildung f : X ---+ Y, f(x) :== (ft(X))tEI (x E X). Bezeichnen wir mit pr t : Y ---+ ~ die i-te Projektion, so ist ft == pr t f (i E I), und Korollar 5.4 ergibt: I(f) == I(ft : i E I). Jede Initial-a-Algebra läßt sich also bereits als Initial-a-Algebra bezüglich einer einzigen Abbildung darstellen. 0

5.6 Satz. Sind in der Situation von Satz 5.2 (Z, Q:) ein weiterer Meßraum und g : Z ---+ X eine Abbildung, so ist 9 : (Z, Q:) ---+ (X,I(ft : i EI)) genau dann meßbar, wenn alle Abbildungen ft 9 : (Z, Q:) ---+ (~, 93J (i E I) meßbar sind. 0

Beweis. Nach Korollar 5.4 ist die Inklusion I(g) ft 9 (i E I) gleichbedeutend.

c Q:

mit der Meßbarkeit aller 0

0

5.7 Beispiel. Sind (Xt ,2tJ (i E I) Meßräume, X :== TItEl X o 2t :== ®tEI2tt' (Z, Q:) ein Meßraum und 9 : Z ---+ X eine Abbildung, so ist 9 : (Z, Q:) ---+ (X,2t) genau dann meßbar, wenn alle prtog: (Z,Q:) ---+ (Xt ,2tJ (i E I) meßbar sind. - Wir wählen spezielle g: Dazu seien X t i=- 0 für alle i E I und at E X t fest gewählt. Für K c I definieren wir eine Einbettung jK : TIK,EK XK, ---+ TItEl X t vermöge jK((XK,)K,EK) :== (Xt)tEI, wobei Xt :== at für alle i E 1\ K. Dann ist pr t ojK für i E I \ K gleich der konstanten Abbildung a t , und für i E K ist pr t jK gleich der Projektion von TIK,EK XK, auf die i-te Koordinate. Daher ist jK ®K,EK 2tK,-®tEI 2t t -meßbar. Für M C TItEl X t nennen wir 0

jiJAEI\K' Entsprechend heißt für f : X ---+ Y die Abbildung

f ojK :

rr

XK, ---+ Y , (XK,)K,EK r---+ f((xt)tEI) mit Xt :== at für

i

E

1\ K

K,EK der Schnitt von f durch (aA)AEI\K oder die partielle Abbildung von f bei "festgehaltenen " Koordinaten X A == a A (,,\ E 1\ K). Die Meßbarkeit von jK impliziert nun:

5.8 Korollar. Sind (X t , 2tJ (i E I) nicht-leere Meßräume, so ist jeder Schnitt einer ® tEl 2t t -meßbaren Menge M C TItEl X t meßbar, und für jeden Meßraum (Y, 93) ist jeder Schnitt einer ®tEI 2t t -~-meßbaren Abbildung f : TItEl X t ---+ Y wiederum meßbar. 2. Borel-Mengen topologischer Produkte. Sind (X t , 'T t ) (i E I) topologische Räume, so trägt X :== TItEl X t die Produkttopologie 'T. Diese ist die gröbste

§ 5. Produkt-a-Algebren

115

Topologie auf X, bezüglich welcher alle Projektionen prl, : X ~ Xl, (i E I) stetig sind. Eine Menge A c X ist also genau dann offen, wenn zu jedem x == (XI,)I,EI E A eine endliche Menge E c I und Umgebungen U"" von x"" in X"" (f;; E E) existieren, so daß IT""EK U"" x ITI,EI\K Xl, c A. Zur Topologie 'I gehört die a-Algebra a('I) == ~(X) der Borel-Mengen von X. Andererseits ist X mit der Produkt-a-Algebra ®I,EI ~(XI,) der Borel-Mengen der Xl, ausgestattet. Die Projektionen prl, : X ~ Xl, (i E I) sind stetig, also Borel-meßbar, und es folgt: ~(X) => ®I,EI ~(XJ; d.h.: 5.9 Satz. Ist (X, 'I) das topologische Produkt der topologischen Räume (X o 'II,) (i E I), so gilt: ~(X) => ®I,EI ~(XI,)'

In der Inklusion des Satzes 5.9 steht nicht notwendig das Gleichheitszeichen, und zwar nicht einmal für das Produkt nur zweier topologischer Räume (s. Aufgabe 5.3 und Bemerkung 5.16). Der folgende Satz 5.10 enthält ein einfaches Kriterium für die Gültigkeit des Gleichheitszeichens. 5.10 Satz. Es sei (X, 'I) das topologische Produkt abzählbar vieler topologischer Räume (X k, 'I k) (k 2: 1), und es sei angenommen, daß alle (X k ,'I k ) (k 2: 1) eine abzählbare Basis der Topologie haben. Dann gilt:

~(X) ==

® ~(Xk) . k2:: 1

Beweis. Ist

mk eine abzählbare Basis von 'I k, so bilden die Mengen pr;11 (Vk1 ) n E N, Vkv E mkv für v == 1, ... , n) eine abzählbare Basis m

... n pr;:(Vkn ) (n

von 'I. Offenbar ist m c ®k>1 ~(Xk), und jede Menge aus 'I ist abzählbare Vereinigung von Mengen aus W. Daher ist 'I C ®k>1 ~(Xk), und es folgt die Behauptung. D 5.11 Bemerkung. Ein topologischer Raum E heißt ein Lindeläf-Raum, wenn jede offene Überdeckung von E eine abzählbare Teilüberdeckung hat, und E heißt erblich Lindeläfsch,

wenn jeder Teilraum von E ein Lindelöf-Raum ist. Jeder topologische Raum mit abzählbarer Basis ist erblich Lindelöfsch. In Verallgemeinerung von Satz 5.10 gilt Q3(X) == Q9LEI Q3(X L), falls (X, 'T) erblich Lindelöfsch ist. Zum Beweis wende man Aufgabe 5.4 an auf die Subbasis ~ von

'T, die aus allen Mengen der Form ITLEI

~ (~E

'TL für alle tEl und ~ == XL für alle

tEl mit höchstens endlich vielen Ausnahmen) besteht.

Satz 5.10 liefert unmittelbar das folgende Korollar 5.12. Dabei vereinbaren wir als Bezeichnung: Für X c IRP sei ~~ :== ~PIX. 5.12 Korollar. Für X

c IRP,

Y

c IRq

gilt ~~ ® ~~ == ~~+xqy; speziell ist

~P == ~1 ® ... ® ~1 •

3. Meßbarkeit der Diagonalen. 5.13 Beispiel. Es seien (X, 2l) , (Y, Q3), (Z,

e:)

Meßräume, und es sei

D,z :== {(x, x) : x E Z} E

e: 'Si e: ;

116

III. Meßbare Funktionen

Z heißt die Diagonale von Z × Z. Ferner seien f : (X, A) → (Z, C) , g : (Y, B) → (Z, C) meßbar. Die Abbildung F : X × Y → Z × Z , F (x, y) := (f (x), g(y)) (x ∈ X , y ∈ Y ) ist nach Satz 5.6 meßbar. Es folgt: {(x, y) ∈ X × Y : f (x) = g(y)} = F −1 ( Z ) ∈ A ⊗ B . ur den Graphen G(f ) jeder meßbaren Im Spezialfall (Z, C) = (Y, B) , g = idY erhalten wir: F¨ Abbildung f : (X, A) → (Y, B) gilt G(f ) := {(x, f (x)) : x ∈ X} ∈ A ⊗ B , vorausgesetzt, daß Y ∈ B ⊗ B. Da Y gleich dem Graphen von idY ist, liefert umgekehrt die Meßbarkeit von G(f ) f¨ ur alle meßbaren f auch die Relation Y ∈ B ⊗ B. – N¨ utzliche Kriterien f¨ ur die Meßbarkeit der Diagonalen enth¨ alt der n¨ achste Satz. 5.14 Satz. F¨ ur jeden Meßraum (X, A) sind folgende Aussagen a)–d) ¨aquivalent: a) Es gibt eine abz¨ahlbare Menge E ⊂ A, die die Punkte von X trennt. b) Es gibt eine Menge M ⊂ [0, 1] und eine meßbare Bijektion f : (X, A) → (M, B1 |M ). c) X = {(x, x) : x ∈ X} ∈ A ⊗ A. d) Es gibt eine abz¨ahlbar erzeugte σ-Algebra C ⊂ A mit {x} ∈ C f¨ ur alle x ∈ X. ∞ Beweis. a) =⇒ b): Trennt E = {An : n ∈ N} ⊂ A die Punkte von X, so ist f := n=1 3−n χAn eine meßbare Injektion von X in [0, 1]; das zeigt man wie in den Beweisen der S¨ atze 4.16, 4.17. b) =⇒ c): Nach Beispiel 5.13 gilt f¨ ur jede gem¨ aß b) gew¨ ahlte meßbare Bijektion f : X → M : {(x, y) ∈ X × X : f (x) = f (y)} ∈ A ⊗ A . Wegen der Injektivit¨at von f ist aber letztere Menge gleich X . c) =⇒ d): Wegen X ∈ A ⊗ A gibt es eine abz¨ ahlbare Menge E ⊂ A, so daß X ∈ σ(E ∗ E) (s. Aufgabe I.4.2). Wegen σ(E ∗ E) = σ(E) ⊗ σ(E) liefert Korollar 5.8: {x} ∈ σ(E) f¨ ur alle x ∈ X. d) =⇒ a): Klar nach Lemma 4.15. 2 5.15 Korollar. Ist (X, A) ein Meßraum mit X ∈ A ⊗ A, so gilt |X| ≤ |R|. Beweis. Nach Satz 5.14, d) ist |X| ≤ |C|, und Aufgabe I.6.5 liefert |C| ≤ |R|.

2

5.16 Bemerkung. Es sei (X, T) ein Hausdorff-Raum. Dann ist X abgeschlossen in X × X, also X ∈ B(X × X). Gilt nun B(X × X) = B(X) ⊗ B(X), so folgt nach Korollar 5.15: |X| ≤ |R|. F¨ ur jeden Hausdorff-Raum X mit |X| > |R| gilt also B(X × X) ⊃ = B(X) ⊗ B(X).

Aι ) , (Yι , B aume, fι : Xι → Yι Aufgaben 5.1. Es seien (Xι , ι ) (ι ∈ I) nicht-leere Meßr¨ Abbildungen. Die Funktion f : X → Y , f ((x ) ) := (f (x ))ι∈I ist genau dann ι ι ι ι∈I ι ι ι∈I ι∈I   ι∈I Aι ι∈I Bι -meßbar, wenn alle fι : (Xι , Aι ) → (Yι , Bι ) (ι ∈ I) meßbar sind.   5.2. Es seien (Xι , Aι ) Meßr¨ aume, Aι ⊂ Xι , Aι = ∅ (ι ∈ I). Ist ι∈I Aι ∈ ι∈I Aι , so gilt Aι ∈ Aι (ι ∈ I). Unter welcher Zusatzvoraussetzung gilt die Umkehrung? 5.3. Es seien T die gew¨ ohnliche Topologie von R und Tr die rechtsseitige Topologie“, die ” von den Intervallen [a, b[ (a, b ∈ R , a < b) erzeugt wird. a) Die R¨ aume (R, T) , (R, Tr ) haben die gleichen Borel-Mengen. (Hinweis: Kelley [1], S. 58, J, (d).) b) F¨ ur die Produkttopologie T2r von Tr mit sich selbst gilt: B(R2 , T2r ) ⊃ = B(R, Tr ) ⊗ B(R, Tr ). 5.4. Ist (X, T) ein erblich Lindel¨ ofscher topologischer Raum und V eine Subbasis von T, so ist σ(V) = B(X).

§ 5. Produkt-a-Algebren

117

5.5. a) Ist C(Y) die Menge aller stetigen reellwertigen Funktionen auf dem metrischen Raum Y, so gilt: ~(Y) = I(f : f E C(Y)). b) Es seien (X,2t) ein Meßraum, Y ein metrischer Raum und fn : X ~ Y (n E N) eine Folge meßbarer Funktionen, die punktweise gegen f : X ~ Y konvergiere. Dann ist f 2t-~(Y)­ meßbar. (Hinweis: Satz 5.6. - Bemerkung: Von Y wird nur gebraucht, daß jedes abgeschlossene A c Y von der Form A = g-l( {O}) mit geeignetem 9 E C(Y) ist. Nach ENGELKING [1], S. 69, 1.5.19 ist letztere Bedingung für einen Tl-Raum Y gleichbedeutend damit, daß Y vollständig normal ist, d.h. daß Y normal ist und daß jede abgeschlossene Teilmenge von Y eine G 8Menge ist.) 5.6. Es seien X ein topologischer Raum mit abzählbarer Basis (Un)n>l und (Y, d) ein metrischer Raum. Dann ist ~(X x Y) = ~(X) Q9 ~(Y). (Hinweis: Für offenes U c X x Y und n, k E N seien Vn,k die Menge der y E Y mit Un x K(y, c U und Wn,k die Vereinigung der K(y, mit y E Vn,k. Dann ist U = Un,k~l Un X Wn,k E ~(X) Q9 ~(Y).)

i)

i)

5.7 Faktorisierungssatz. Trägt X die Initial-a-Algebra bez. t : X ~ (Y, ~), so ist eine Funktion f : X ~ (lR, ~l) genau dann t-I(~)-meßbar, wenn es eine meßbare Funktion 9 : (Y,~) ~ (lR,~I) gibt mit f = gote (Hinweis: Für alle x,y E X mit t(x) = t(y) ist f(x) = f(y). Daher existiert eine Funktion 9 : t(X) ~ lR mit f = gote Aufgabe 4.15 liefert das Gewünschte.)

Analog zum Begriff der Finaltopologie werden in den folgenden Aufgaben Final-a-Algebren diskutiert. Dabei unterstellen wir folgende Voraussetzungen und Bezeichnungen: Es seien (X~, 2t~) (t E I) Meßräume, X eine Menge und f~ : X~ ~ X (t EI). 5.8. Es gibt eine bezüglich mengentheoretischer Inklusion größte a-Algebra 2t auf X, in bezug auf welche alle f~ (t E I) meßbar sind, und zwar ist

2t = :F(f~ : tEl) := n{A

c X : f~-I(A)

E 2t~}

.

~EI

F(f~

: tEl) heißt die Final-a-Algebra auf X bez.

(f~)~EI.

5.9. Ist (Y, ~) ein weiterer Meßraum, so ist 9 : X ~ Y genau dann wenn alle 9 0 f~ : (X~, 2t~) ~ (Y,~) (t E I) meßbar sind.

F(f~

:t

E I)-~-meßbar,

5.10. Für jedes tEl sei K~ eine weitere Indexmenge, und es seien Meßräume (~~, ~~~) (t E I, K E K~) gegeben mit Abbildungen g~~ : ~~ ~ X~, so daß 2t~ = F(g~~ : K, E K~) (t EI). Dann gilt:

Diagramm:

(Transitivität der Bildung der Final-a-Algebra). 5.11. Es sei S:= {(t,x) : tEl, x E X~} die "disjunkte Vereinigung der X~ (t E I)", und für q~ : X~ ~ S , q~(x) := (t, x) (t EI, x E X~) die kanonische Einbettung. Wird S mit der Final-a-Algebra F(q~ : tEl) versehen, und setzt man f : S ~ X , f((t, x)) := f~(x) (t E I , x E X~), so gilt: F(f~ : tEl) = F(f). (D.h.: Jede Final-a-Algebra läßt sich bereits als Final-a-Algebra bez. einer einzigen Abbildung darstellen.)

tEl sei

5.12. Es seien (X,2t) , (Y,~) Meßräume und f : (X, 2t) ~ (Y, ~) meßbar. Ferner seien R := {(x, y) E X x X : f(x) = f(y)} die durch f induzierte Äquivalenzrelation, q : X ~ XI R die kanonische Abbildung, welche jedem Element von X seine Äquivalenzklasse mod R zuordnet, 9 : XI R ~ f(X) die durch f induzierte Bijektion, die jedem Element von XI R das eindeutig bestimmte Bild eines seiner Repräsentanten zuordnet, und j : f(X) ~ Y die kanonische

118

111. Meßbare Funktionen

Inklusionsabbildung. Dann sind in der kanonischen Faktorisierung

(X,2l)

~

Ij

ql (X/R,F(q)) alle Abbildungen meßbar.

(Y,~)

~

(f(X), ~lf(X))

Kapitel IV Das Lebesgue-Integral «Le progres essentiel obtenu par MM. Borel et Lebesgue dans la theorie de la mesure, est d'avoir realise l'additivite au sens camplet. Toute la superieurite de leur theorie vient de la. Il importe toutefois de dire que la premiere idee de cette theorie revient

a M.

Borel. L'reuvre propre de M. Lebesgue ne commence

qu'avec les integrales definies.»l

(eH. DE LA VALLEE POUSSIN

[1]' S. 17)

Bei der Einführung des Integralbegriffs folgen wir einem Weg, der im wesentlichen von W.H. YOUNG vorgeschlagen wurde und der sich auf die Benutzung monotoner Folgen stützt. Dieser Zugang zeichnet sich dadurch aus, daß von vornherein auch unbeschränkte Funktionen und Maßräume unendlichen Maßes ohne jeden Mehraufwand einbezogen werden, und die konstruktive Integraldefinition liefert automatisch für viele Aussagen einen effizienten Beweisansatz. Die Brücke zur ursprünglichen Definition von Lebesgue schlagen wir in Aufgabe 3.1. Wir legen für das ganze Kapitel IV folgende Voraussetzungen und Bezeichnungen fest: (X, 2l, JL) sei ein Maßraum; Meßbarkeit von Funktionen f : X ---+ JR bzw. f : X ---+ C ist stets in bezug auf die a-Algebra 2l zu verstehen. M sei die Menge der meßbaren numerischen Funktionen f : X ---+ JR und M+ die Menge der nicht-negativen Funktionen aus M. Weiter seien T die Menge der (reellwertigen) Treppenfunktionen und T+ die Menge der nicht-negativen Funktionen aus T.

1 Der wesentliche Fortschritt, der in der Maßtheorie von den Herren Borel und Lebesgue erzielt wurde, besteht darin, die Bedeutung der (J-Additivität erkannt zu haben. Die ganze Überlegenheit ihrer Theorie kommt daher. Es ist jedoch wichtig festzustellen, daß die erste Idee dieser Theorie von Herrn Borel stammt. Das eigentliche Werk von Herrn Lebesgue beginnt erst bei den bestimmten Integralen.

120

§ 1.

IV. Das Lebesgue-Integral

Integration von Treppenfunktionen "Starting from such simple integrals the whole theory of integration follows by the Method of Monotone Sequences." (W.H.

YOUNG:

On integration ..., Proc.

London Math. Soc. (2) 13, 109-150 (1914))

Bei der Einführung des Integralbegriffs gehen wir in drei Schritten vor: Zunächst definieren wir in § 1 das Integral für nicht-negative Treppenfunktionen, dehnen dann in § 2 mit Hilfe monotoner Folgen die Definition aus auf beliebige Funktionen aus M+ und führen anschließend in § 3 den Integralbegriff für integrierbare Funktionen zurück auf den Integralbegriff für Funktionen aus M+.

f

E

==

L CYjXAj == L

1.1 Lemma. Die Funktion

f

T+ habe die Darstellungen

m

n

j=I

k=I

m

n

j=I

k=I

L CYjJ1(Aj ) == L

ßkXBk

ßkJ1(B k ) .

Beweis. Mit A m+ I :== BI, . .. , A m+n :== B n sei ~ die Menge aller Durchschnitte n Mi, wobei Mi E {Ai' Ai} für alle i == 1, ... ,m + n. Je zwei verschiedene Mengen aus ~ sind disjunkt, denn für geeignetes i ist die eine enthalten in Ai, die andere in Ai. Jedes Ai (i == 1, ... , m + n) ist gleich der Vereinigung aller Elemente von ~ mit Mi == Ai. Sind nun Cl, ... , C r die verschiedenen Elemente von ~, so hat f genau eine Darstellung f == L:~=I flXCt mit fI, . .. , fr ~ 0, und aus Symmetriegründen genügt es zu zeigen, daß

nZ:i

m

L CYjJ1(Aj ) == L j=I

flJ1(C l ).

1=1

Nach Definition gilt nun für alle I == 1, ... , r:

j=l, ... ,rn: GtCAj

und es folgt:

~

'Y1J1(C1) =

~ (j~t=.=, ~c~

(Xj) J1(C1) =

t

(Xj

1=2" J1(C

1)

~c~

=

t

(XjJ1(A j ) ,

denn jedes A j ist gleich der disjunkten Vereinigung der in A j enthaltenen Cl. D

§ 1. Integration von Treppenfunktionen

121

Nun ist folgende Definition sinnvoll, denn sie hängt nicht ab von der Auswahl der Darstellung von 1. 1.2 Definition. Für 1 E T+ , 2l heißt

f

1 == L7=1 ajXAj mit al,""

f dp,;=

x

das (j1-)Integral von

f:OW(A

j )

am

2:: 0, Al, . .. , Am

E

(E [0,00])

j=l

1 (über X).

Das Integralzeichen wurde 1675 von G.W.

LEIBNIZ

(1646-1716) eingeführt. Es stellt ein

stilisiertes "S" dar und soll an "Summe" erinnern. Das Wort Integral (von lat. integer = ganz, vollständig) wurde von JOHANN BERNOULLI (1667-1748) geprägt und erscheint erstmals 1690 im Druck in einer Arbeit von JAKOB BERNOULLI (1654-1705).

1.3 Folgerungen. a) Für alle A E 2l ist

L XA dp, = p,(A). b) Für alle

1,g E T+

und a,ß E JR, a,ß 2:: 0 gilt

L(af+ßg)dP,=a Lfdp,+ß Lgdp,. c) Für alle

1, 9

E

T+ mit 1 ::; 9 gilt L f dp,::; Lg dp,.

Beweis. a) und b) sind klar (wegen Lemma 1.1). c) Es ist 9 == 1 + (g - 1), und hier ist 9 - 1 E T+. Daher folgt nach b)

L g dp, = L f dp, + L (g - f) dp,

~L

f dp, .

o Bisher wurde in Kap. IV nur die endliche Additivität von j1 benutzt. Die Ergebnisse aus § 1 gelten daher sinngemäß auch für Inhalte auf Algebren anstelle von Maßen. Erst von § 2 an wird die a-Additivität von j1 eine entscheidende Rolle spielen.

Aufgaben. 1.1. Für alle

l

f

dp

f

E

T+ gilt:

= sup {t(inf{J(X) : x E Bd) . p(Bk) : BI, .. ·,Bn E ~ disjunkt, inf {t(suP{J(X) : x E Cd)' p(Cd : Cl,'''' Cn E

k01 Bk = X }

~ disjunkt, kQ C

k

=X }

.

122

IV. Das Lebesgue-Integral

1.2. Für jedes

f

E

T+ ist J-lf : 2l-+ ffi:, J-lf(A)

:==

Ix f· XA dJ-l ein Maß auf 2l.

1.3. Es seien 0 < al < ... < an die (endlich vielen) verschiedenen positiven Werte, die f E T+ annimmt; ao :== O. Dann gilt:

§ 2.

Integration nicht-negativer meßbarer Funktionen "(1) The function whose integral is required is approached as limiting function by discontinuous functions, whose integrals are already known... (2) The mode in which the limiting function is approached is by means of monotone sequences of these functions, and it is shown that, whatever monotone sequence of functions of the elementary type in question be employed, the limit of their integrals is necessarily the same." (W.H.

YOUNG

[1])

1. Definition des Integrals. Nach dem Vorgehen von W.H. YOUNG erweitern wir den Integralbegriff durch Bildung monotoner Limites von Funktionen aus T+: ZU jedem f E M+ gibt es nach Satz 111.4.13 eine Folge (Un)n>l in T+ mit U n t f (n --+ CX»), und es bietet sich die Definition -

rf

Jx

r

dfL:= lim

n---+ooJx

Un

dfL

an. Diese Definition erweist sich als sinnvoll, denn sie hängt nicht ab von der speziellen Auswahl der Folge (u n )n2: l ' Der Nachweis der Unabhängigkeit von der speziellen Auswahl beruht auf folgendem Satz:

2.1 Satz. Für jede wachsende Folge (U n )n2:1 von Funktionen aus T+ und jedes v E T+ mit v :S limn---+ oo U n gilt

r

Jx

r

v dJ-l:S lim n---+oo x

J

Un

dJ-l .

Beweis. Es sei v == E7=1 ajXA j mit al,"" a m 2: 0 und disjunkten Al, . .. , Am E 2L Für festes ß > 1 und n E N setzen wir B n :== {ßu n 2: v} (E 2t). Ist nun x E X und v(x) == 0, so ist x E B n für alle n E N. Im Falle v(x) > 0 ist limk---+oo ßUk(X) > v(x), also x E B n für alle hinreichend großen n E N. Es folgt: B n t X, und nach Definition von B n ist ßU n 2: v . XB n • Die Stetigkeit des Maßes von unten impliziert daher

Ix

m

v dfL

=

m

I>l!jfL(A j ) j=l

=

1~ I>~jfL(Aj n Bnl j=l

r

r

lim v· XB n dfL:S; lim ß undfL n---+oo J x n---+oo J x Der Grenzübergang ß t 1 liefert die Behauptung.

= ß lim

r undfL.

n---+oo J x

D

§ 2. Integration nicht-negativer meßbarer Funktionen

123

Bemerkung. Der Beweis von Satz 2.1 benutzt die a-Additivität von JL in Form der Stetigkeit des Maßes von unten. Die a-Additivität von JL ist sogar gleichbedeutend mit der Gültigkeit der Aussage von Satz 2.1, d.h.: Gilt Satz 2.1 für den Inhalt JL auf 21, so ist JL ein Maß. (Zum Beweis gelte A, An E 21 (n E N) und An t A. Wendet man die Voraussetzung an auf U n :== XA n , v :== XA, so folgt JL(A) :S limn -7oo JL(A n ). Die umgekehrte Ungleichung ist klar. D) 2.2 Korollar. Sind (u n )n2: 1 , (v n )n2: 1 zwei wachsende Folgen von Funktionen aus T+ mit limn -7oo U n == limn -7oo vn , so gilt

r

lim

Jx

n-7OO

~

dp,

=

lim n-7OO

r

Jx

dp, .

Vn

Vk

:S limn -7oo u n , also nach Satz 2.1

Jrx

Vk

Beweis. Für alle k E N ist

und für k

Un

dp,::; lim n-7OO

Jrx

dp, ,

Un

00 ergibt sich

lim k-7OO

r

Jx Vk dJL:S

lim n-7OO

r

Jx U n dJL .

Aus Symmetriegründen folgt die Behauptung.

D

2.3 Definition. Es seien f E M+ und (u n )n2: 1 eine Folge von Funktionen aus T+ mit U n t f· Dann heißt das von der Auswahl der Folge (u n )n2: 1 unabhängige Element

rf

dp,:= lim

Jx

n-7OO

r

Jx

Un

(E [0,00])

dp,

das (JL-)Integral von f (über X). Schreibt man u E T+ als Limes der konstanten Folge U n :== U (n E N), so erhellt, daß Definition 2.3 für Treppenfunktionen denselben Integralwert liefert wie Defintion 1.2. - Die Folgerungen 1.3 gelten entsprechend (beachte: 0'00 == 0): 2.4 Folgerungen. a) Für alle

i b) Für alle

(o;f

f, g E M+ und a, ß E

+ ßg) dp, =

0;

i

f dp,



i

[0,00] gilt

g dp, .

f, g E M+ mit f :S g gilt

i

f dp,::;

i

g dp, .

Beweis. a) Es seien zunächst 0 :S a < 00 und E T+ , aU n t a f, und es folgt

U

n E T+ , U n

t f. Dann ist

aU n

Jrx o;f dp, =

lim n-7OO

Jrx o;Un dp, =

lim n-7OO

0;

Jrx Un dp, = Jrx f 0;

dp, .

124

IV. Das Lebesgue-Integral

Ist a == 00, so setzen wir A :== {f > O} und haben n . XA

r

Jx

00.

f d

t

00 . f, also

0, falls tL (A) == 0 , 00, falls tL (A) > 0 .

== {

tL

Ist nun tL(A) > 0 und An :== {f > ~} (n E N), so gibt es wegen An t A ein n E N mit tL(A n ) > 0, und es folgt (nach Satz 2.1) Ix f dtL 2: Ix ~XAn dtL > 0, also 00 . Ix f dtL == 00. Ist dagegen tL(A) == 0, und U E T+, U ::; f, so ist {u > O} c A und daher Ix u dtL == 0, folglich auch Ix f dtL == O. Ergebnis: Ix af dtL == a Ix f dtL für alle a E [0,00]. Nun ist nur noch Ix(f + g) dtL == Ix f dtL + Ix 9 dtL zu zeigen. Dazu wählen wir U n , V n E T+ mit U n t f , V n t g. Dann gilt U n + V n t f + g, und Folgerung 1.3 b) liefert

n-+oo

Jrx (u + v

lim

n

lim

n-+oo

b) Es ist 9 ==

n)

n

Jrx U

dll

+

dll

lim n-+oo

f + (g - f), wobei

Jrx V

n

dll

=

Jrx f

dll

+

r

J.x~

9 dll .

9 - f E M+, und a) ergibt

o 2.5 Korollar. Für alle

Ix f Beweis. Für alle

U E

Ix f

f

dll

E

M+ gilt

= sup

T+ mit

{Ix

U ::;

dll ::;> sup

U

dll : U E T+ , u::::;

f} .

f gilt Ix f dtL 2: Ix U dtL, also

{Ix

U

dll : U E T+ ,

U ::::;

f} .

Die umgekehrte Ungleichung ist auf Grund der Integraldefinition evident. 2.6 Satz. Für

f

E

M+ gilt

Ix f

dll

=0

genau dann, wenn {f > O} eine tL-Nullmenge ist. Beweis. Für A:== {f > O} und An :== {f >~} (n E N) gilt An Es sei zunächst Ix f dtL == O. Aus ~XAn ::; f folgt dann

t A.-

0

§ 2. Integration nicht-negativer meßbarer Funktionen

125

d.h. JL(A n ) == 0 (n E N). Wegen An t A ist daher JL(A) == O. Ist umgekehrt JL(A) == 0, so folgt aus i S ooXA nach Folgerung 2.4 0::::

also

Ix f

iI

dJl ::::

00 .

i

XA dJl

=

0,

o.

dJL ==

o

2. Der Satz von der monotonen Konvergenz. Der folgende Satz von der monotonen Konvergenz von B. LEVI (1875-1961) zählt zu den wichtigsten Konvergenzsätzen der Integrationstheorie. Bemerkenswert ist, daß dieser Satz für beliebige wachsende Folgen aus M+ gilt, wobei unendliche Werte durchaus zugelassen sind. Diese Tatsache ist wesentlicher Grund für die Betrachtung meßbarer numerischer Funktionen auf X, die den Wert 00 annehmen dürfen, und für die Integraldefinition, in welcher auch der Wert 00 des Integrals zugelassen wird.

2.7 Satz von der monotonen Konvergenz (B. wachsende Folge (in)n?) von Funktionen aus M+ gilt

LEVI

1906)2. Für jede

fn) dJL == lim r in dJL. lxr (lim n-+oo n-+oo lx Beweis. Zunächst ist f :== limn -+ oo fn dJL und daher

E

Ix fk dJL S Ix f

lim k-+oo

lxr I

k

M+. Für alle k

dJl::::

lxr I

E

N ist fk S f, also

dJl .

Zum Beweis der umgekehrten Ungleichung sei u E T+ , U S f. Für ß > 1 setzen wir B n :== {ßin 2: u} und erhalten: B n E 2(, B n t X und ßin 2: u· XB n • Hier gilt u . XB n E T+ und u . XB n t u. Nun impliziert Satz 2.1:

lim r u· XB lxr u dJl:::: n-+ool x und da

n

dJl ::::

In dJl , n-+oolr x

ß· lim

ß > 1 beliebig ist, folgt weiter lim r In dJl. lxru dJl:::: n-+oo lx

Korollar 2.5 liefert nun die Behauptung.

o

Ohne die Voraussetzung der Monotonie wird die Aussage des Satzes von der monotonen Konvergenz falsch; Beispiel: Es seien (X, 2(, JL) :== (IR, ~l, ßl) und in :== ~X[o,n]. Dann konvergiert (in)nEN auf ganz JR gleichmäßig gegen 0, aber die Folge der Integrale IrR. fn dßl == 1 konvergiert nicht gegen O. 2B. LEVI: Sopra l'integrazione delle serie, Rend. Reale Inst. Lombardo di Sei. e Lett., Sero 11, 39, 775-780 (1906); H. LEBESGUE: Brief an M. FRECHET, 4.1. 1906, Rev. Hist. Sei. 34, 149-169 (1981); H. LEBESGUE [2], S. 115.

126

IV. Das Lebesgue-Integral

2.8 Korollar. Für jede Folge (fn)n?:) von Funktionen aus M+ gilt

Beweis. Anwendung des Satzes von der monotonen Konvergenz auf die Folge der Teilsummen der Reihe L~=l fn; dabei ist die Additivität des Integrals auf M+ zu beachten. D 2.9 Beispiel. Es seien X :== N, 2t:== s,p(N) und f-L das Zählmaß auf 2t. Dann ist M+ gleich der Menge aller Funktionen f : N -+ [0,00]. Wir zeigen: Für alle f E M+ ist

Beweis: Mit gn :== f(n) . X{n} E M+ ist f == L~=l gn, also nach Korollar 2.8

Ix

Ix

Nach Folgerung 2.4, a) ist aber gn df-L == f(n) X{n}df-L == f(n). D Es seien weiter fn: N -+ [0,00] (n E N) und fn(k) ==: ank (n,k E N). Dann liefert Korollar 2.8: Für alle ank E [0,00] (n, k E N) gilt

3. Kurzbiographie von B. LEVI. BEPPO LEVI wurde am 14.5.1875 in Turin geboren, studierte 1892-1896 Mathematik an der Universität seiner Heimatstadt u.a. bei G. PEANO und V. VOLTERRA und promovierte 1896 bei C. SEGRE (1863-1924) mit seiner Arbeit über ein Thema aus der algebraischen Geometrie. Er wirkte bis 1899 als Assistent am Lehrstuhl für projektive und deskriptive Geometrie, anschließend wurde er Professor an der Technischen Hochschule Piacenza (1901) und den Universitäten Cagliari (1906), Parma (1910) und Bologna (1928), wo er 1951 emeritiert wurde. Wegen seiner jüdischen Abstammung diskriminiert, emigrierte LEVI 1939 mit seiner Familie nach Argentinien, wo er an der Universität Rosario eine neue Wirkungsstätte (1939-1961) fand. Er starb am 28.8.1961 in Rosario. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von B. LEVI sind vielseitig: Er begann mit Arbeiten zur algebraischen Geometrie, beteiligte sich an der Diskussion um das Auswahlaxiom und lieferte Beiträge zur Mengenlehre und zur Lebesgueschen Integrationstheorie. In der Geometrie publizierte er über projektive Geometrie und den absoluten Differentialkalkül, in der Physik über Quantenmechanik, in der Zahlentheorie über die arithmetische Theorie ternärer kubischer Formen, in der reellen Analysis über partielle Differentialgleichungen und das Dirichletsche Prinzip und in der Funktionentheorie über elliptische Funktionen. F. RIESZ (Zur Theorie des Hilbertschen Raumes, Acta Sci. Math. Szeged 7, 34-38 (1934-35)) benutzte eine von B. LEVI für das Dirichletsche Prinzip schon 1906 verwendete Schlußweise und bewies den Projektionssatz: Ist U ein abgeschlossener Unterraum des Hilbertraumes H, so hat jedes fEH genau eine Zerlegung der Form f == 9 + h mit 9 EU, h -l U. Dieser Satz wird bisweilen auch nach B. LEVI benannt und ist die geometrische Grundlage für den Darstellungssatz von F. RIESZ für stetige lineare Funktionale auf einem Hilbert-Raum. Der Beweis

§ 2. Integration nicht-negativer meßbarer Funktionen

127

des Projektionssatzes beruht auf der Ungleichung von B. LEVI: Ist U ein Untervektorraum des euklidischen oder unitären Vektorraums V und hat x E V von U den Abstand d, so gilt für alle u, v EU: Besondere Verdienste erwarb sich B.

auch als Organisator (Begründung mathematischer

LEVI

Zeitschriften in Argentinien), akademischer Lehrer und Lehrbuchautor.

4. Maße mit Dichten. Als weitere Anwendung des Satzes von der monotonen Konvergenz zeigen wir, wie sich mit Hilfe nicht-negativer meßbarer Funktionen Maße mit Dichten konstruieren lassen. 2.10 Satz. Für jedes f E M+ ist f 8 f-l : 2l ~

(f 8 p,)(A)

:=

L

f . XA

IR,

dp,

(A E 2l)

ein Maß auf 2l, das sog. Maß mit der Dichte f in bezug auf f-l. Beweis. Zum Nachweis der (j-Additivität sei A == U~=l An mit disjunkten An E 2l (n E N). Dann ist f· XA == I:~=1 f· XA n , und Korollar 2.8 ergibt sogleich die Behauptung. 0

2.11 Korollar. Für jedes f E M + ist f 8 f-l "stetig (( in bezug auf f-l in folgendem Sinne: Für alle A E 2l mit f-l(A) == 0 gilt f 8 f-l(A) == O. Beweis. Ist A E 2l eine f-l-Nullmenge, so ist auch {f . XA > O} eine f-l-Nullmenge, und die Behauptung folgt aus Satz 2.6. 0

2.12 Satz. Für alle f, g E M+ gilt:

L

f

d(g 8 p,)

=

L

(j . g) dp,.

Insbesondere ist f 8 (g 8 f-l) == (f . g) 8 f-l. Beweis. Nach Definition von g 8 f-l gilt die erste Gleichung für alle f == XA (A E 2l), also auch für alle f E T+. Ist nun f E M+ beliebig, so wählen wir eine Folge von Funktionen U n E T+ (n E N) mit U n t f und erhalten

Jrx f

d(g 8 p,)

= lim n-+oo

Jrx U n d(g 8

p,) = lim n-+oo

Jrx (un° g) dp, = Jrx (j . g) dp, ;

die letzte Gleichung folgt aus dem Satz von der monotonen Konvergenz. - Die zweite Aussage folgt aus der ersten durch Ersetzen von f durch f . XA (A E 2l).

o

Aufgaben. 2.1. Sind (J-ln)nEN eine Folge von Maßen auf 2l mit J-ln N) mit In t I, so gilt:

lim n--+oo

r

r

Jx In dJ-ln == Jx I

dJ-l .

t J-l und I, In

E

M+ (n E

128

IV. Das Lebesgue-Integral

(Hinweis: Es ist bequem, die Behauptung zunächst im Fall

f

==

fn

(n E N) zu beweisen.)

2.2. Sind (J-Ln)n?-1 eine Folge von Maßen auf 2l und J-L :== L~=1 J-Ln, so gilt für alle

/, 1 dJL = X

2.3. Ist f E M+ und

Ix f

dJ-L
0: J-L( {f > c}) < 00.

2.4. Es seien An E 2l (n E N) und B m die Menge der x E X, die in mindestens m der Mengen An liegen (m E N). Dann ist B m E 2l und mJ-L(B m ) ::; L~=1 J-L(A n ).· 2.5. a) Für alle

f

E

M+ gilt:

Ix 1 dJL =

sup

{~(inf{/(x) : x E Ad)JL(A n E N, k) :

Al, ... ,An

E

Qldisjunkt, X =

ÜAk} . k=1

b) Bleibt Aussage a) richtig, wenn man anstelle endlicher Zerlegungen von X abzählbare Zerlegungen zugrundelegt ? 2.6. Es seien (X, 2l, J-L) :== (IR,~, -\I~), (r n )n>1 eine Abzählung von Q, An :==]r n , r n + n- 3 [ und f:== L~=1 n· XA n ' a) IrR f dA < 00 und -\({f == oo}) == O. b) Die Abzählung (r n )n?-1 läßt sich so wählen, daß für jedes Intervall 1 C IR mit -\(1) > 0 gilt:

i

c) Es gibt ein a-endliches Maß 1/ : ~ -+ positiver Länge, während 1/( {a})

§ 3.

2

XI . 1

IR,

d)"

= 00 .

so daß 1/(1) ==

00

für jedes Intervall 1 C IR von

== 0 für alle a E IR.

Integrierbare Funktionen "When we come to consider unbounded functions no fresh difficulty arises in the application of our original principle, provided always we consider ... the two

12 whose difference is fand whose sum is the modulus On the new theory 01 integration, Proc. Roy. Soc. London, Sero A, 88, 170~178 (1913))

positive functions f1 and of f." (W.H.

YOUNG:

1. Integrierbare Funktionen. In einem dritten und letzten Konstruktionsschritt dehnen wir den Integralbegriff aus auf geeignete meßbare Funktionen. Dabei wird gleich der Fall komplexwertiger Funktionen mit erfaßt. Wir legen folgende Bezeichnungen fest: Es seien lK == IR oder ce versehen mit der a-Algebra Q3 (lK) == Q3 bzw. Q32 und

JK :== JR oder ce

versehen mit der a-Algebra

23

:== Q3 bzw. Q32 .

129

§ 3. Integrierbare Funktionen

Für jede Funktion f : X ~ JK sind der Realteil Ref und der Imaginärteil Im f erklärt; für JK == lR ist Ref :== f , Im f :== 0 zu setzen. f : (X, 2l) ~ (JK, Q)) ist genau dann meßbar, wenn alle Positiv- und Negativteile (Ref)±, (Im f)± meßbar sind.

3.1 Definition. Eine Funktion f : X ~ JK heißt (M-)integrierbar (über X), wenn f meßbar ist und wenn die vier Integrale (3.1) alle endlich sind, und dann heißt die reelle bzw. komplexe Zahl (3.2)

Ix

i dp, :=

das (M-)Integral von M).

f (über

Ix

(Re1) + dp, -

+i

Ix

Ix

(Reit dp,

(Im 1)+ dp, - i

l

(Im 1)- dp,

X) oder das Lebesgue-Integral von

f (über

X bez.

Wenn die Deutlichkeit eine klare Kennzeichnung der Integrationsvariablen erfordert, schreiben wir ausführlicher

Eine Funktion f E M+ ist genau dann integrierbar, wenn ihr M-Integral über X endlich ist, und das Integral (3.2) stimmt dann mit der früheren Begriffsbildung überein. Eine Funktion f : X ~ lR ist genau dann integrierbar, wenn f meßbar ist und wenn die M-Integrale von f+ und f- über X endlich sind, und dann ist

(3.3) Eine Funktion f : X ~ ce ist genau dann integrierbar, wenn Ref und Im f integrierbar sind, und dann gilt

(3.4)

Natürlich kann man mit (3.3) und den Konventionen aus Kap. 111, § 4, 1 für jedes meßbare f : X ~ lR ein Integral definieren, bei dem ±oo als Werte des Integrals zugelassen sind. Ein so allgemeiner Integralbegriff ist jedoch wenig zweckmäßig, da die üblichen Rechenregeln nicht richtig sind. Gelegentlich wird bei uns aber der Fall eine Rolle spielen, daß auf der rechten Seite von (3.3) höchstens ein Term unendlich wird:

IV. Das Lebesgue-Integral

130

3.2 Definition. Eine Funktion f : X ---t :IR heißt quasiintegrierbar genau dann, wenn f meßbar ist und wenn mindestens eines der Integrale f+ dJ-L, f- dJ-L endlich ist, und dann heißt

Ix

Ix

(3.5) das (J-L-)lntegral von f (über X). Insbesondere ist jedes f E M+ quasiintegrierbar, und der Integralwert (3.5) stimmt mit der früheren Definition überein. 3.3 Satz. Für jede Funktion f : X ---t Jk. sind folgende Aussagen a)-f) äquivalent: a) fist integrierbar. b) Ref und Im f sind integrierbar. c) (Ref)± und (Im f)± sind integrierbar. d) Es gibt integrierbare Funktionen p, q, r, s E M+ mit f ~ p - q + i(r - s). e) f ist meßbar, und es gibt ein integrierbares g E M+ mit Ifl ~ g. f) f ist meßbar und If I integrierbar. Eine Funktion g 2: 0 mit Ifl ~ g heißt eine Majorante von Ifl. Die Äquivalenz von a) und e) besagt: Eine Funktion f : X ---t Jk. ist genau dann integrierbar, wenn sie meßbar ist und wenn Ifl eine integrierbare Majorante hat. Beweis von Satz 3.3. Die Äquivalenz von a)-c) ist klar, ebenso "c) ===} d)". Zum Nachweis von "d) ===} e)" setzen wir g :~ p + q + r + s. Weiter ist "e) ===} f)" klar, denn Ifl ist meßbar und aus Ifl ~ g mit integrierbarem g E M+ folgt die Integrierbarkeit von Ifl. Die Implikation "f) ===} a)" ist ebenfalls klar, denn f ist meßbar, und (Ref)± , (Im f)± E M+ haben alle die integrierbare Majorante Ifl, sind also selbst integrierbar. D In Satz 3.3, f) ist die Bedingung der Meßbarkeit von f nicht entbehrlich. (Beispiel: Es seien (X, 2t, J-L) ~ (:IR,~,A), Ac [0,1], A tf-~, B:~ [0,1] \A, f:~ XA - XB· Dann ist Ifl ~ X[O,l] integrierbar, aber f ist nicht meßbar, also auch nicht integrierbar.) 3.4 Korollar. Für jedes integrierbare f : X ---t Nullmenge.

lR ist {Ifl

~

oo} eine J-L-

Beweis. A :~ {Ifl ~ oo} ist meßbar und 00 . XA ~ Ifl, also gilt nach Folgerung 2.4: 00 . J-L(A) ~ 00 . XA dJ-L ~ Ifl dJ-L < 00, d.h. J-L(A) ~ o. D

Ix

Ix

3.5 Korollar. Sind f, g : X ---t :IR integrierbar, so sind auch max(f, g) und min(f, g) integrierbar. Beweis. max(f, g) und min(f, g) sind meßbar und werden betragsmäßig durch Ifl + Igl majorisiert. D

§ 3. Integrierbare Funktionen

131

2. Linearität und Monotonie des Integrals. 3.6 Satz. Sind f, g : X -+ integrierbar und

Jk. integrierbar und

a, ß E JK, so ist auch

af + ßg

Beweis. Wir zeigen die Behauptung in drei Schritten. Dabei sind für numerische Funktionen f, g die imaginären Terme gleich 0 zu setzen. (i) Ist f == p - q + i(r - s) mit integrierbaren p, q, r, s E M+, so ist

Begründung: Aus Ref == (Ref)+-(Ref)- == p-q folgt q+(Ref)+ == p+(Ref)-, und die Additivität des Integrals auf M+ liefert

Hier sind alle Terme endlich, also ist

und mit der entsprechenden Gleichung für den Imaginärteil folgt (i). (ii) f + g ist integrierbar, und es gilt

+ g)

J)f

dp,

=

Ix

f dp,

+

Ix

g dp, .

+ (Reg)+ , q :== (Ref)- + (Reg)- , r :== (Imf)+ + + (Img)- sind integrierbare Funktionen aus M+ mit s). Daher ist f + g nach Satz 3.3, d) integrierbar, und (i)

Begründung: p :== (Ref)+

(Img)+, s

f +g

:==

(Imf)-

== P - q + i(r -

liefert:

Ix Cf + Ix

g) dp,

=

Ix

(Re/)+ dp, +

+i

Ix

Ix

f dp, +

Ix

q dp, + i

(Reg)+ dp, -

(Imf)+ dp, + i

Ix

Ix

p dp, -

Ix

Ix Ix

r dp, - i

(Re/)- dp, -

(Img)+ dp, - i

Ix

Ix

af dp, = a

Ix

s dp,

Ix

(Reg)- dp,

(Im/)- dp, - i

g dp, . -

(iii) af ist integrierbar und

Ix

f dp, .

Ix

(Img)- dp,

132

IV. Das Lebesgue-Integral

Begründung: af ist integrierbar, denn af ist meßbar, und lafl == lallfl ist nach Folgerung 2.4 integrierbar. Da für komplexwertiges f die Gleichung

klar ist, genügt es nun wegen (ii) (!) zu zeigen: Für alle integrierbaren Funktionen f : X -t JR und alle a E IR gilt

Ix al

dJL

=

a

Ix I

dJL .

Für a 2:: 0 ist (af)+ == af+ , (af)- == af-, und die Behauptung folgt aus der positiven Homogenität des Integrals auf M+. Für a < 0 ist dagegen (af)+ == lalf- , (af)- == lalf+, also

Ix al

dJL

= lai

(Ix r

Ix r

dJL -

dJL)

=a

Ix I

dJL .

o 3.7 Satz. Sind

f, g : X

Ix I Beweis. Wegen g- df-l, also

Ix

Ix I

=

dJL

-t IR quasiintegrierbar und

dJL:S;

Ix

dJL -

g, so gilt:

9 dJL (Monotonie des Integrals).

f+ ::; g+, f- 2:: g-

Ix r

f ::;

Ix r

ist

dJL:S;

Ix f+ df-l

Ix

9 + dJL -

::;

Ix

Ix g+ df-l, Ix f- df-l 9 - dJL

=

Ix

>

9 dJL .

o 3.8 Satz. Ist

f :X

-t

K

integrierbar, so gilt

I

Ix I

Beweis. Wir wählen ein ( E l[{,

dJLI

:s;

Ix 1I1

dJL.

1(1 == 1 mit

Hier ist die linke Seite reell, also auch die rechte Seite, und es folgt:

I

Ix I

dJLI

= Re

Ix

(f dJL

=

Ix

Re((J) dJL:S;

Ix 1I1

dJL.

o 3. Der Raum [}. Die Menge der integrierbaren numerischen Funktionen auf X ist bez. der punktweisen Verknüpfung kein Vektorraum, wenn es eine nicht-leere f-l-Nullmenge gibt. Daher definieren wir:

§ 3. Integrierbare Funktionen

133

3.9 Definition. [} :== ,Cl(J1) :== ,Cl (X, baren Funktionen mit Werten in lK.

2(,

J1) bezeichne die Menge der integrier-

Bevor wir erste grundlegende Eigenschaften von ,Cl aussprechen, erinnern wir an folgende Begriffe: Ist V ein Vektorraum über lK, so heißt 11 . 11 : V ~ JR eine Halbnorm auf V, falls für alle x, y E V und a E lK gilt: (i) Ilxll 2:: 0, (ii) Ilaxll == lalllxii, (iii) Ilx + yll ::; Ilxll + Ilyll (Dreiecksungleichung); V heißt dann ein halbnormierter Vektorraum. In jedem halbnormierten Vektorraum ist 11011 == (nach (ii)). Gilt Ilxll == nur für x == 0, so heißen 11 . 11 eine Norm und V ein normierter Vektorraum. Jede Halbnorm induziert vermöge d : V x V ~ JR, d(x,y) :== Ilx - yll (x,y E V) eine Halbmetrik auf V (s. Aufgabe 11.1.6); ist I1 . 11 sogar eine Norm, so ist d eine Metrik auf V. Insbesondere ist jeder halbnormierte Vektorraum ein topologischer Raum, und der Begriff der stetigen Funktion

o} eine Nullmenge ist. Gibt es also eine nicht-leere Nullmenge A E 2(, so ist I :== XA E ,Cl, I -=I- 0, aber 111111 == 0.) Weiter ist 1 eine positive Linearform auf ,Cl, und die Stetigkeit von 1 ergibt sich aus ,Cl.

11 (1) -

1(10)1

=

I

Ix

(1 - io) dJlI

~

Ix li - iol

dJl

= Ili - iolh (1, io

E .cl). D

Wir werden in Kapitel VI den Raum ,Cl in allgemeinerem Rahmen genauer untersuchen und beweisen, daß ,Cl vollständig ist.

3.11 Satz. Für jede beschränkte und meßbare Funktion I : X J1 ( {I -=I- o}) < 00 gilt I E ,C 1 .

~

Beweis. Ist 111::; a, so ist a· X{f#O} eine integrierbare Majorante von

lK mit

111.

D

4. Stetige Funktionen mit kompaktem Träger. Für eine Funktion I : JRP ~ lK heißt Tr I :== {x E JRP : I (x) -=I- o} der Träger von I. Nach Definition ist Tr I stets abgeschlossen. Ist a f/:- Tr I, so gibt es eine ganze Umgebung U von

IV. Das Lebesgue-Integral

134

a mit IIU == O. Eine Funktion I : lW ---+ IK hat genau dann einen kompakten Träger, wenn es eine kompakte Teilmenge K c JRP (z.B. eine abgeschlossene Kugel mit hinreichend großem Radius) gibt mit IIKc == O. Es bezeichnen C(lW) die Menge der stetigen Funktionen I : lW ---+ IK, Cc(JRP) die Menge der I E C(lW) mit kompaktem Träger und C~(lW) die Menge der beliebig oft differenzierbaren Funktionen aus Cc(JRP). 3.12 Satz. Zu jedem I E .cI (JRP, ~P, ,XP) und jedem c > 0 gibt es ein 9 E Cc(lW) mit 11I - glll < c; d.h.: Cc(lW) liegt dicht in .cI (JRP, ~P, ,XP).

Beweis. Nach Satz 3.11 ist Cc(lW) c .cI (lW , ~P, ,XP). - Gemäß der Definition des Integrals gibt es zu jedem c > 0 eine integrierbare Treppenfunktion u mit 1II ulll < c, U == "E]=ID:jXA j mit D:l, ... ,D:n E IK und A 1 , •.. ,An E ~P, 'xP(A j ) < (X) für j == 1, ... , n. Wegen der Dreiecksungleichung genügt es also zu zeigen: Zu jedem A E ~P mit 'xP(A) < (X) und jedem 8 > 0 gibt es ein h E Cc(lW) mit

IlxA - hilI< 8. Zum Beweis dieser Aussage wählen wir zunächst n E N so groß, daß für :== An [-n,n]P gilt )l(A) :::; 'xP(B) + 8/2, also IlxA - xBI!I :::; 8/2. Zu B wählen wir ein Kompaktum K und eine beschränkte offene Menge U mit K C B CU, 'xP(U\K) < 8/2 (s. Korollar 11.7.2). Es kann gleich K -I 0 angenommen werden, denn sonst leistet schon h == 0 das Verlangte. Das Kompaktum K hat von der abgeschlossenen Menge UC einen Abstand d(UC, K) > O. Die Funktion h : JRP ---+ JR, h(x) :== 1 - min(l, d(x, K)/d(UC, K)) ist also sinnvoll, stetig, hlK == 1 , hlUc == 0, also ist Tr h als abgeschlossene Teilmenge des Kompaktums V auch kompakt, d.h. h E Cc(JRP). Nach Konstruktion gilt IlxB - hilI:::; IIXu XKlll < 8/2, also IlxA - hilI< 8. D

B

Bekanntlich existiert zu jedem Kompaktum K C JRP und jeder offenen Menge K eine Funktion h E C~(JRP) mit 0 :::; h :::; 1 , hlK == 1 , hlUc == 0 (s. z.B. W. WALTER: Analysis 11, S. 262). Wählen wir im vorangehenden Beweis eine solche Funktion h, so erhalten wir (vgl. auch Korollar V.3.8):

U

~

3.13 Korollar. C~(lW) liegt dicht in

.cI (JRP, ~P, ,XP).

Satz 3.12 und Korollar 3.13 gelten entsprechend für alle Lebesgue-Stieltjesschen Maße. Satz 3.12 ermöglicht eine elegante Lösung der Aufgabe 111.2.4: 3.14 Beispiel. Für alle A, B E

~P

mit AP(A)

lim AP(A n (B

t---+O

< 00 oder AP(B)
0 gibt es nach Satz 3.12 ein r.p E Cc(I~P) mit IlxB - r.pll! < c, und wir erhalten für

t E ffi.P: I,\P(A n B) - ,\P(A n (B

+ t))1 = I

Lp XA(X)(XB(X) - XB(X - t)) d'\P(x) I

: :; J]Rp r IXB(X) - XB(X - t)1 dAP(X) : :; J]Rp r IXB - r.pldAP + JITI?P( Ir.p(x) - r.p(x -

t)ldAP(X) + (

JITI?P

Ir.p(x - t) - XB(X - t)ldAP(X).

§ 3. Integrierbare Funktionen

135

Wegen der Translationsinvarianz des Lebesgueschen Maßes sind das erste und das letzte Integral auf der rechten Seite gleich, und es folgt:

IAP(A

n B) -

AP(A n (B

+ t))1

~ 2c

+ IlRP l 0 ist limn -+ oo n-O: I(nx)

4.3. Es seien (ak)k>l irgendeine (!) streng monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen und In: [0, 1] -+ C, 1

In(x) :== -

n

n

L

e21riakX

(x E [0,1]).

k=l

Dann konvergiert (fn)n?-l A-f.ü. gegen O. (Hinweis: Es ist

und für m 2 ::; n ::; (m

+ 1)2

gilt

4.4. Für x E [0,1] sei x L~=l dn(x) ·2- n (dn(x) E {0,1} für alle n E N) die dyadische Entwicklung von x, wobei wir die nicht abbrechende Entwicklung von x wählen,

wenn x eine abbrechende und eine nicht abbrechende Entwicklung hat. Ziel der folgenden Aufgabe ist es zu zeigen, daß für A-fast alle x E [0,1] die Folge (dn(X))n?-1 "asymptotisch ebensoviele Nullen wie Einsen" enthält. Diese Aussage läßt sich folgendermaßen präzisieren: Wir nennen mit

E.

([4], S. 1055-1079) die Zahl x E [0,1] normal, falls

BOREL

lim n -+ oo ~I{k: 1 ::; k ::; n, dk(x) == 1}1 == ~. Ziel ist es nun zu zeigen: A-fast alle x E [0,1] sind normal. Dieses Resultat hat eine sehr anschauliche wahrscheinlichkeitstheoretische Deutung: Man stelle sich eine Münze vor, die auf einer Seite eine ,,0" und auf der anderen Seite eine ,,1" trägt. Die Folge (dn(X))n?-1 (d.h. den Punkt x) kann man dann auffassen als Ergebnisfolge unendlich vieler Münzwürfe. Bei einer idealen Münze wird man erwarten, daß bei "praktisch allen" solchen Ergebnisfolgen die Zahlen ,,0" und"l" asymptotisch mit gleicher Häufigkeit auftreten. Das ist das sog. starke Gesetz der großen Zahlen von E. BOREL ([4]' S. 1055-1079). Für den Beweis führen wir leicht modifizierte Bezeichnungen ein: Es seien fk(X) :== 2(d k (x) - ~) und F n :== ~(fl + ... + In). Wir haben zu zeigen, daß limn --+ oo F n == 0 A-f.Ü. auf [0,1]. Das kann in folgenden Schritten geschehen: l a) Für alle j, k E N ist fj Ik dA == ~jk.

Ia Ia

n

b) Für alle E N ist F~ dA == ~. c) limn -+ oo F n 2(X) == 0 für A-fast alle x E [0,1]. (Hinweis: Aufgabe 4.1.) d) Für k

< 1 ::;

l

m gilt

IFll ::; mkk + IFkl.

Folgern Sie: lim n -+ oo Fn == 0 A-f.Ü. auf [0,1].

Aufgabe 4.5. Es sei (X, 2t, ji,) die Vervollständigung von (X, Qt, J-l). Eine Funktion I : X -+ t ist genau dann ji,-integrierbar, wenn eine J-l-integrierbare Funktion 9 : X -+ t existiert mit

I == 9 J-l-f.ü., und dann gilt: grierbare Funktionen?

Ix I

dji, ==

Ix 9 dJ-l. Gilt das Entsprechende auch für quasiinte-

144

IV. Das Lebesgue-Integral

§ 5.

Konvergenzsätze «Si des fonctions positives, bornees sommables: 11(X), 12(X), ... tendent vers une fonction bornee ou non I (x) et si In (x) dx reste, quel que soit n, inferieur a un nombre fixe, la fonction I (x) est integrable, et I' on a:

J:

J: I(x) dx :::;

liminf

J: In(x) dx.»6

(P. FATOU: Series trigonometriques et series de Taylor, Acta Math. 30, 335-400 (1906), insbes. S. 375) «Si des fonctions sommables In forment une suite convergente et sont toutes,

en valeur absolue, inferieures a une fonction sommable positive F, la limite I des In est sommable et son integrale est la limite de l'integrale de In.» 7 (H. LEBESGUE [2], S. 199)

1. Das Lemma von FATOU. Das Lebesguesche Integral zeichnet sich gegenüber dem Riemannschen besonders dadurch aus, daß wesentlich bessere Konvergenzsätze gelten. Als wichtiges Resultat haben wir schon den Satz von der monotonen Konvergenz kennengelernt, der besagt:

Das folgende sog. Lemma von P. FATOU (1878-1929) enthält eine Verallgemeinerung des Satzes von der monotonen Konvergenz für Folgen von Funktionen aus M+, die nicht notwendig konvergieren.

5.1 Lemma von P. Fatou (1906). Für jede Folge von Funktionen In E E N) gilt:

M+ (n

r lim in dp, ::; lim Jr in dp,.

JX

n---+oo

n---+oo

X

Beweis. Zunächst ist I :== lim In E M+ und für gn :== infk>n Ik E M+ gilt

gn t



n---+oo

-

Der Satz von der monotonen Konvergenz liefert daher:

lim n---+oo

Für alle k 2:

rgn dp, = Jxr i dp, .

JX

n ist aber gn :::; Ik und daher Ix gn d/l> :::; infk~n Ix Ik d/l>, also

6Wenn eine Folge positiver, beschränkter, integrierbarer Funktionen 11 (x), 12 (x), . .. gegen eine beschränkte oder unbeschränkte Funktion I (x) konvergiert und wenn die Integrale In(x) dx für alle n unterhalb einer festen Schranke bleiben, dann ist die Funktion I(x)

J:

integrierbar, und es gilt:

J:ba I (x) dx

:::; lim inf

n-+oo

J:ba In (x) dx.

7Wenn die integrierbaren Funktionen In eine konvergente Folge bilden und alle betragsmäßig unterhalb einer positiven integrierbaren Funktion F bleiben, so ist der Limes I der In integrierbar und sein Integral ist der Limes der Integrale der In.

145

§ 5. Konvergenzsätze

D

2. Kurzbiographie von P. FATOU. PIERRE FATOU wurde am 28.02.1878 in Lorient (Frank-

reich) geboren; er starb am 09.08.1929 in Pornichet. FATOU studierte von 1898-1900 in Paris an der Ecole Normale Superieure, wo er über E. BOREL und H. LEBESGUE die neuesten Fortschritte der Theorie der reellen Funktionen kennenlernte. Ermutigt durch das Interesse seines Freundes H. LEBESGUE, «qui n'a cesse de s'interesser

a mes

recherches et dont les conseils

m'ont ete fort utiles», verfaßte FATOU seine Dissertation Series trigonometriques et series de Taylor, Acta Math. 30, 335-400 (1906). Ziel dieser Arbeit war es zu zeigen, welche Vorteile die Lebesgue-Borelsche Theorie des Maßes und die Theorie des Lebesgue-Integrals für die

Theorie der Fourier-Reihen und für die Funktionentheorie bieten. Ein berühmtes Ergebnis dieser Arbeit ist der sog. Satz von FATOU VI.2.35: Ist die Potenzreihe f(z) == L~=o anz n für Izi < 1 konvergent und beschränkt, so existiert für )...-fast alle 'P E [0,27rJ der "radiale" Limes limr -71- f(rei'P). - Rückblickend ist festzustellen, daß die Dissertation von FATOU und die Arbeiten von LEBESGUE über trigonometrische Reihen der harmonischen Analysis neue Horizonte eröffnet haben, deren Erforschung bis in die Gegenwart andauert. Dabei ist das Lemma von FATOU ein äußerst nützliches Hilfsmittel. - Ab 1901 wirkte FATOU am Observatorium in Paris. Neben astronomischen Arbeiten lieferte er vielerlei mathematische Arbeiten u.a. über

Differentialgleichungssysteme, numerische Verfahren und Funktionalgleichungen.

3. Der Satz von der majorisierten Konvergenz. Der folgende Satz von der majorisierten Konvergenz von H. LEBESGUE [2]' S. 199 ist wohl neben dem Satz von der monotonen Konvergenz der am häufigsten benutzte Konvergenzsatz. Bemerkenswert ist die Allgemeinheit des Resultats: Der Fall tL(X) == 00 ist durchaus zugelassen. Die Folge (In)n?.1 braucht nur punktweise gegen I zu konvergieren. Dagegen wird im üblichen Konvergenzsatz für Riemann-Integrale vorausgesetzt, daß die Funktionen In auf einem kompakten Intervall [a, b] C :IR definiert sind und gleichmäßig auf [a, b] gegen die Grenzfunktion i konvergieren. Wesentliche Voraussetzung im Satz von der majorisierten Konvergenz ist die Forderung der Existenz einer integrierbaren Majorante g E M+ der Folge

(In)n'2 1 : 5.2 Satz von der majorisierten Konvergenz (H. LEBESGUE 1910). Die Funktionen i, in : X ~ Jk. (n E N) seien meßbar, und es gelte limn --+ oo in == I tL-f· ü. Ferner gebe es eine integrierbare Funktion g E M+, so daß für alle n E N gilt Ilnl ~ g tL-f.ü. Dann sind I und alle In (n E N) integrierbar, und es gilt

JX In dJi = J{X 1 dJi

lim { n--+oo

und

lim { n--+oo

Beweis. Nach Korollar 4.3 sind

J

i

X

Iin - 11 dJi = 0 .

und alle

in

(n E N) integrierbar. Wir können

146

IV. Das Lebesgue-Integral

nach § 4 ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, daß f, 9 und alle fn (n E N) überall Werte in IK haben und daß überall gilt limn --+ oo fn == f , Ifnl :::; 9 (n E N). Dann ist gn :== Ifl + 9 -Ifn - fl E M+ (n E N), und das Lemma von FATOU liefert:

r(Ijl + g) rgn Jx

dJL

Jx

::::: lim

r gn = r(Iil + g) Jx

=

dJL

n--+oo

Hier ist das Integral von Ifl Wegen

dJL

lim

Jx n--+oo

+ 9 endlich.

dJL- lim n--+oo

r lin - il

Jx

Daher folgt: limn --+ oo

dJL.

fx Ifn - fl dJ-1 == o.

ergibt das die Behauptung.

D

Das folgende Beispiel enthält eine bemerkenswerte Verschärfung eines für stetig differenzierbare Funktionen für das Riemann-Integral wohlbekannten Satzes. 5.3 Beispiel (H.

f'

[1], S. 235). f : [a, b] ~ IK sei differenzierbar und Lebesgue-integrierbar über [a, b] und

LEBESGUE

beschränkt. Dann ist

f'

!ab l' dA = i(b) -

i(a) .

(Warnung: f' braucht nicht Riemann-integrierbar zu sein! Auf diese Möglichkeit hat zuerst V. VOLTERRA (Giorn. di mat. (1) 19,333-337 (1881)) aufmerksam gemacht. Ein Beispiel dafür findet man bei ROOIJ und SCHIKHOF [1], S. 80-83.) Beweis. Im folgenden kann ohne Beschränkung der Allgemeinheit angenommen werden, daß f : JR ~ IK differenzierbar ist und f' (x) M für alle x E JR mit geeignetem M > o. Mit gn(x) :== n (f (x +~) - f(x)) (x E JR, n E N) gilt f' == limn --+ oo gn· Daher ist f' meßbar, denn gn ist stetig, also ist f' über [a, b] Lebesgue-integrierbar. Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist Ign(x) I == If'(~n) I :::; M mit geeignetem ~n E]X, x + ~ [, also ist die Konstante M eine über [a, b] integrierbare Majorante der Folge (gn)nEN. Der Satz von der maj orisierten Konvergenz liefert: 1

j

I

b b

1'(x) dx = lim Jr gn(x) dx.

a

n--+oo

Wegen der Stetigkeit von fist F(x) :== Aufgabe 3.8), und es folgt:

a

fax f(t) dt differenzierbar mit F' == f (s.

!ab gn (x) dx = n !ab (i (x + ~) - i(x))

dx

n(F(b+~) -F(b)) -n(F(a+~) ~

n--+oo

:::;

F'(b) - F'(a)

==

f(b) - f(a) .

-F(a))

147

§ 5. Konvergenzsätze

Durch Anwendung des Satzes von der majorisierten Konvergenz auf die Folge der Teilsummen der Reihe E~=l fk erhalten wir:

5.4 Korollar. Die Funktionen f, fn : X ~ TI{ seien meßbar, und es gebe eine integrierbare Funktion g E M+, so daß für alle n E Ngilt I E~=l fk I ::; g M-f. ü., und es sei f ==

E%:l fk

M-f.Ü. Dann sind f und alle fn integrierbar, und es gilt

5.5 Korollar. Sei f : X ~ ]I{ integrierbar über A E 2t und A == U~=l An mit An E 2t (n E N) , M(A j n A k ) == 0 für alle j, k E N, j #- k. Dann gilt:

Beweis. Nach § 4 kann gleich ohne Beschränkung der Allgemeinheit angenommen werden, daß A die disjunkte Vereinigung der An ist und daß f - XA überall endlich ist. Dann ist f -XA == E~=l f· XA n , und g :== Ifl- XA ist eine integrierbare Majorante der Folge der Teilsummen. Korollar 5.4 ergibt die Behauptung. 0

4. Von einem Parameter abhängige Integrale. 5.6 Satz (Stetige Abhängigkeit des Integrals von einem Parameter). Es seien T ein metrischer Raum und f : T x X ~ IK habe folgende Eigenschaften: a) Für alle t E T ist f(t, -) E r}. b) Für M-fast alle x E X ist f(-,x): T ~ IK stetig im Punkt t o E T. c) Es gibt eine Umgebung U von t o und eine integrierbare Funktion g E M+, so daß für alle t E U gilt: If(t, -)1::; g M-f.Ü. 8 Dann ist die Funktion F : T ~ IK,

F(t):=

L

f(t, x) df.t(x)

(t E T)

stetig im Punkte t o E T, und auch die Abbildung : T ~ r} , (t) :== f(t, -) E r} (t E T) ist stetig in t o E T. Beweis. Es sei (t n )n2: 1 eine Folge von Punkten aus U mit limn - Hx) t n == t o. Dann ergibt eine Anwendung des Satzes von der majorisierten Konvergenz auf die 0 Folge der Funktionen fn :== f(t n , -) (n E N) sogleich die Behauptung.

5.7 Satz (Differentiation unter dem Integralzeichen). Es seien I ein Intervall, t o E I, und f : I x X ~ IK habe folgende Eigenschaften: a) Für alle tEl gilt f(t,·) Er}. b) Die partielle Ableitung ~{ (t o, x) existiert für alle x EX. 8Die Vereinigung der Nullmengen Nt := {If(t, ·)1 zu sein.

> g} (t

c IR

E U) braucht keine Nullmenge

148

IV. Das Lebesgue-Integral

c) Es gibt eine Umgebung U von t o und eine integrierbare Funktion 9 so daß für alle t E UnI, t #- t o gilt I f(t,

=

x~ ~(to, x) I ~ g(x)

Dann ist die Funktion F : I

~

F(t)

:=

E M+,

fL-f.ü. 9

JK,

Ix

f(t, x) dfL(X)

(t E 1)

im Punkte t o (ggf. einseitig) differenzierbar, ~{ (t o, .) ist integrierbar, und es gilt

Zusatz. Die Aussage dieses Satzes bleibt bestehen, wenn man die Voraussetzungen b), c) ersetzt durch: b*) Es gibt ein 8 > 0, so daß die partielle Ableitung ~{ (t, x) (x E X) für alle t E U :==]t o - 8, t o + fJ[ nI existiert. c*) Es gibt eine integrierbare Funktion 9 E M+, so daß für alle t E U und x E X gilt:

1~~(t,x)1 ~g(x). Beweis. Es sei (t n )n2:1 eine Folge in U mit limn --+ oo t n == t o , t n #- t o für alle n E N. Eine Anwendung des Satzes von der majorisierten Konvergenz auf fn :== (f(t n ,·) - f(t o, ·))/(tn - t o) (n E N) liefert unter den Voraussetzungen a)-c) sogleich die Behauptung. - Zum Beweis des Zusatzes wenden wir 'den Mittelwertsatz der Differentialrechnung an und erhalten zu jedem n E N und x E X ein (i.a. von x abhängiges!) t~ E U, so daß

Ifn(x)1 =

I~ (t~,x)1 ~ g(x)

(x E X).

Wieder ergibt der Satz von der majorisierten Konvergenz das Gewünschte.

D

5.8 Satz (Holomorphe Abhängigkeit des Integrals von einem komplexen Parameter). Es sei G c ce offen, und f : G x X ~ ce habe folgende Eigenschaften: a) f(z,·) E [} für alle z E G. b) Für alle x E X ist f(·,x) : G ~ ce holomorph. c) Zu jeder kompakten Kreisscheibe K c G gibt es eine integrierbare Funktion gK E M+, so daß für alle z E K gilt: If(z, ·)1::; gK Jl-f.ü. Dann ist die Funktion F : G ~ ce,

F(z)

:=

Ix

f(z,x) dfL(X)

(z

E

G)

9Die Vereinigung der Ausnahme-Nullmengen braucht keine Nullmenge zu sein.

§ 5. Konvergenzsätze

149

holomorph, für alle ganzen n

2 0 ist ~:! (z, .) integrierbar über X, und es gilt: (z

E

G) .

Beweis. Es seien a E G und r > 0 so klein, daß K :== K 2r (a) C G. Für alle z E K 2r (a) ist dann nach der Cauchyschen Integralformel für Kreisscheiben

J(z,x) =

r

~ 21rz

J 8K2r(a)

J((,x) d(, (- Z

wobei das Kurvenintegral im Riemannschen Sinn zu verstehen ist (s. Grundwissen-Band Funktionentheorie I von R. REMMERT). Für alle z, W E Kr (a) , z #- W ist also F(z)-F(w) ==

z- w

I f_ Jx

21ri

r J8 K 2r(a) (( -

J((,x) d(dJ-1(x). z)(( - w)

Es sei nun (Wk)k~l eine Folge in Kr(a) mit limk--+oo Wk == Z, Wk und 1 f((,x) CPk (z, x) :== ( )( ) d(. 21ri 8K2r(a) ( - Z ( - Wk

1

#- z

für alle k

Dann ist cpk(Z,') == (Z-Wk)-l(f(z, .)- f(Wk' .)) meßbar, genügt der Abschätzung

Icpk(Z, ·)1

~

2

-gK(') r

j1-f.ü.,

und es gilt wegen der gleichmäßigen Konvergenz des Integranden im Kurvenintegral . 1 f((,x) 8f 11m cpk(Z, x) == - . (( pd( = -8 (z, x) ; k--+oo 21rZ 8K2r(a) - Z Z

1

die zweite Gleichheit beruht hier auf der Cauchyschen Integralformel für die Ableitung ~: (0, x). Der Satz von der majorisierten Konvergenz liefert nun die Behauptung für n == 1. Eine Fortsetzung dieser Schlußweise liefert unter Benutzung der Cauchyschen Integralformel für die höheren Ableitungen die Behauptung in vollem Umfang. D Eine vertiefte Diskussion der Differentiation eines Integrals nach einem komplexen Parameter findet man bei MATTNER [2].

Ix

5. Der Satz von SCHEFFE. Sind f, fn (n E N) integrierbar und gilt Ifn Ildj1 ~ 0 (n ~ (0), so folgt auch I x lndj1 ~ I x l dj1 , denn IJylndj1I dj11 ~ Iin - I1 dj1. Der Satz von H. SCHEFFE (1907-1977)10 gibt eine hinreichende Bedingung für die umgekehrte Implikation.

Ix

Ix

lOH. SCHEFFE: A useful convergence theorem for probability distributions, Ann. Math. Stat. 18, 434-438 (1947).

150

IV. Das Lebesgue-Integral

5.9 Satz von Scheffe (1947). Die Funktionen

I, In

E

M+ (n

E

N) seien

integrierbar, und es gelte

lim In n~oo

r

= I fl-f.ü.,

lim In dfl n~ooJx

=

Jxr I dfl.

Dann gilt:

Beweis. Das Lemma von

liefert:

FATOU

lim (in + I Jxr n~oo


-00 und fn 2: f p-f.ü. (n E N), so gilt:

r

Jx

lim n-+oo

fn

rf

dp ::; lim n-+oo Jx

n

dp .

IR seien meßbar

und f

§ 6. Riemann-Integral und b) Ist

Ix I

dJ.-l
-00 bzw. I dJ.-l < 00 nicht verzichten kann und daß im Satz von der majorisierten Konvergenz die Bedingung der Existenz einer integrierbaren Majorante auch im Falle J.-l(X) < 00 nicht durch die schwächere Bedingung SUPnEN IlnldJ.-l < 00 ersetzt werden kann.

Ix

5.5. Es seien I, In : X -+ ll{ meßbar, a E IR, Ilnl ~ a J.-l-f.ü., und es gelte fn -+ I J.-l-f.ü. auf 00. Zeigen Sie:

X , J.-l(X)
l J.-l-integrierbarer Funktionen In : X -+ ll{ konvergiere J.-l-f.ü. gleichmäßig (d.h im Komple~ent einer geeigneten J.-l-Nullmenge gleichmäßig) gegen die meßbare Funktion I : X -+ K Dann ist I integrierbar, und es gilt: lim

r IIn -

n---+(X)}x

I I dJ.-l == 0, lim

r In dJ.-l == r I dJ.-l .

n---+(X)}x}x

5.7. Es sei SJ ein Halbring, der 21 erzeuge, und J.-lISJ sei a-endlich. Ferner sei I : X -+ teine

IA

integrierbare Funktion mit der Eigenschaft, daß I dJ.-l == 0 für alle A E SJ mit J.-l(A) < 00. Zeigen Sie: f == 0 J.-l-f.ü. Gilt die Aussage entsprechend für quasiintegrierbare Funktionen? 5.8. Es seien I c IR ein Intervall, a E I und I : I -+ ll{ Lebesgue-integrierbar mit für alle x E I. Dann ist 1==0 'x-f.ü. (H. LEBESGUE (1904), G. VITALI (1905)). 5.9. Konstruieren Sie eine positive stetige Funktion fa (j. ,Cl (,X) für alle a > O.

§ 6.

I : IR --+

I: f(t) dt

== 0

IR mit limlxl---+(X) f(x) == 0, so daß

Riernann-Integral und Lebesgue-Integral «Pour qu 'une fonction bornee f(x) soit integrable, il faut et il suffit que l'ensemble de ses points de discontinuite soit de mesure nulle.»l1 (H. LEBESGUE [2], S. 45)

1. Eigentliches Riemann-Integral und Lebesgue-Integral. Jede eigentlich Riemann-integrierbare Funktion ist Lebesgue-integrierbar, und die Integralwerte stimmen überein. Im folgenden Satz von H. LEBESGUE (1904), der unabhängig von G. VITALI (1904) bewiesen wurde, werden die Riemann-integrierbaren Funktionen genau charakterisiert. Vorläufer dieses Satzes stammen von B. RIEMANN und von P. DU BOIS-REYMOND; s. dazu H. LEBESGUE [6], S. 26-29. 6.1 Satz. Eine beschränkte Funktion f : [a, b] -t TI{ (a, b E JRP, a < b) ist genau dann Riemann-integrierbar, wenn die Menge ihrer Unstetigkeitsstellen 11 Dafür, daß eine beschränkte Funktion f(x) [Riemann-]integrierbar ist, ist notwendig und hinreichend, daß die Menge ihrer Unstetigkeitsstellen vom Maß Null ist.

152

IV. Das Lebesgue-Integral

eine AP-Nullmenge ist, und dann stimmt das Riemann-Integral von j mit dem Lebesgue-Integral überein. Beweis. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann TI{ == JR angenommen werden. Für j == 1, ... , p zerlegen wir [aj, bj ] in die 2n disjunkten Teilintervalle [aj, aj + (b j - aj)2- n], ]aj + (b j - aj)2- n , aj + (b j - aj)2- n+ 1], ... , ]b j - (b j aj )2- n , bj ] und erhalten durch Bildung cartesischer Produkte eine Zerlegung von [a, b] in 2np disjunkte Intervalle I nk (k == 1, ... ,2np ). Mit an,k :== inf{j(x) : x E ln,k} , ßn,k :== sup{j(x) : x E ln,k} bilden wir die Treppenfunktionen gn, h n : [a, b] -+ JR, deren Wert auf In,k gleich an,k bzw. ßn,k ist. Dann ist (gn)n?.1 wachsend, (h n )n?.1 fallend, gn :S j :S h n , und np

1

2

gn dA P ==

[a,b]

L an,k AP(In,k) ==: Un k=l

ist die Riemannsche Untersumme zur Zerlegung (In,k)k=1,... ,2 np und

I

2 np

hn dA P ==

[a,b]

L

ßn,k AP(In,k) ==: On

k=l

die entsprechende Riemannsche Obersumme. Ist nun j Riemann-integrierbar, so ist limn --+ oo Un == limn --+ oo On. Die Funktionen 9 :== limn --+ oo gn und h :== limn --+ oo h n sind Borel-meßbar und beschränkt, also Lebesgue-integrierbar über [a, b], und der Satz von der majorisierten Konvergenz liefert:

1

[a,b]

b 9 d)''p = lim Un = (R-) r f(x) dx = lim On = Ja

n--+oo

n--+oo

1

[a,b]

h dAP

,

wobei der Zusatz ,,(R-)" andeutet, daß es sich um ein Riemann-Integral handelt. Aus ~a,b](h - g)dA P == 0 folgt nun mit Satz 2.6: h == 9 AP-f.ü., also j == 9 AP-f.Ü., denn es ist 9 :S j :S h. Da AP die Vervollständigung von ßP ist, lehrt Aufgabe 4.5: j ist AP-integrierbar über [a, b] und

1

[a,b]

jdAP==l gd).'p=(R-) rbf(X)dx. [a,b] Ja

Bezeichnen D die Menge der Unstetigkeitsstellen von j und R die Menge der Randpunkte aller In,k (n E N, k == 1, ... , 2np ), so ist DeR U {g < h} eine AP - Nullmenge. Ist umgekehrt Deine AP-Nullmenge, so ist 9 == h AP-f.ü., denn {g < h} c D. Der Satz von der majorisierten Konvergenz liefert also zusammen mit Satz 4.2: lim Un == n--+oo

1

[a,b]

9 dA P ==

1

[a,b]

h dA P == lim On, n--+oo

§ 6. Riemann-Integral und Lebesgue-Integral

1 ist

d.h.

153

o

Riemann-integrierbar.

Satz 6.1 gilt entsprechend für jede beschränkte Funktion f : M -t TI{, die auf einer Jordan-meßbaren Menge M C W definiert ist, denn eine beschränkte Menge M C JRP ist genau dann Jordan-meßbar, wenn ihr Rand eine JordanNullmenge ist (vgl. W. WALTER: Analysis 11, S. 234-235).

6.2 Beispiele. a) Für x E [0,1] sei l(x) :== 1, falls x rational und l(x) :== 0, falls x irrational ist. Die Funktion 1 ist das bekannte Beispiel von DIRICHLET ([1]' S. 132) einer nicht Riemann-integrierbaren Funktion. Da 1 überall unstetig ist, ist auch nach Satz 6.1 evident, daß 1 nicht Riemann-integrierbar ist. Andererseits ist 1 als charakteristische Funktion der Boreischen Nullmenge Qn [0, 1] 1 Lebesgue-integrierbar mit fo 1 dA == 0. falls b) Für x E [0,1] sei l(x) :== 0, falls x irrational ist, und l(x) :== x E [0,1] n Q die Bruchdarstellung x == ~ mit minimalen ganzen p 2: 0, q 2: 1 hat. Die Menge Q n [0,1] der Unstetigkeitsstellen von 1 ist eine A-Nullmenge, 1 1 Aalso ist 1 Riemann-integrierbar mit (R-) fo l(x) dx == fo f dA == 0, da 1 == f.ü. c) Es seien C C [0, 1] das Cantorsche Diskontinuum und Ace , A ~ ~ 1 . Dann ist 1 :== XA I[0,1] auf [0,1] \ C stetig, d.h. die Unstetigkeitsstellen von 1 bilden eine Lebesguesche Nullmenge. Daher ist 1 Riemann-integrierbar mit 1 1 (R-) fo l(x) dx == fo 1 dA == 0, da 1 == A-f.ü. Eine Riemann-integrierbare Funktion braucht also nicht Borel-meßbar zu sein. d) Ist K c [0,1] eine nirgends dichte perfekte Menge mit A1 (K) > (s. Aufgabe 11.8.1), so ist 1 :== XK A1 -integrierbar, und 1 stimmt nicht A1 -f.ü. mit einer Riemann-integrierbaren Funktion überein.

*'

°

°

°

In Verallgemeinerung von Satz 6.1 bewies W.H.

YOUNG

(Proc. London Math. Soc. (2)

13, 109-150 (1914)): Es sei f : [a, b] ~ IR beschränkt und 9 : [a, b]

-t

IR monoton wachsend

und auf Ja, b[ rechtsseitig stetig. Dann existiert das Riemann-Stieltjes-Integral

f:

f{x) dg{x)

genau dann, wenn die Menge der Unstetigkeitsstellen von f eine Ag -Nullmenge ist, und dann

f:

gilt: f{x) dg{x) == ~a,b] f dA g. Der Beweis von Satz 6.1 läßt dies leicht erkennen, wenn man zur Zerlegung von Ja, b[ nur Stetigkeitspunkte von 9 benutzt.

2. Uneigentliches Riemann-Integral und Lebesgue-Integral. 6.3 Satz. Ist I C JR ein Intervall und 1 : I -t TI{ Riemann-integrierbar über jedes kompakte Teilintervall von I, so ist 1 genau dann Lebesgue-integrierbar über I, wenn 111 uneigentlich Riemann-integrierbar ist über I, und dann stimmt das uneigentliche Riemann-Integral von 1 über I mit dem Lebesgue-Integral überein.

Beweis. Es seien I ==]a, b[ mit -00 ::; a < b ::; 00 und a < an < bn < b, an -ta, bn t b. Dann ist 1 == limn --+ oo 1 . X[an,b n ] nach Satz 6.1 Lebesgue-meßbar. Weiter gilt nach Satz 6.1 und dem Satz von der monotonen Konvergenz: (6.1)

lim (R-) n--+oo

ibn If(x)1 dx = J111· an

lim

n--+oo

I

X[an,b n ] dA ==

J

Ifl dA.

I

154

IV. Das Lebesgue-Integral

Ist nun 1II uneigentlich Riemann-integrierbar über I, so ist die linke Seite dieser Gleichung endlich, also ist 1II und damit auch I Lebesgue-integrierbar über I. - Ist umgekehrt I Lebesgue-integrierbar über I, so ist die rechte Seite von (6.1) endlich und 1I1 über I uneigentlich Riemann-integrierbar. Ist 1II uneigentlich Riemann-integrierbar über I, so liefert Satz 6.1 in Verbindung mit dem Satz von der majorisierten Konvergenz:

(R_)jb f(x) dx = lim (R_)jb a

n

f(x) dx

an

n-+oo

= lim!l' X[an,b n ] dA ==!I dA. n-+oo

I

I

Im Falle eines halboffenen Intervalls I schließt man ebenso.

D

6.4 Beispiel. Das uneigentliche Riemann-Integral (R-)

(6.2)

(OO sin x

Jo

x

dx

existiert: Für 0 < a < b liefert eine partielle Integration

I

j

b

sin x dx I == I [- cos x] b

a

X

X

a

_jb CO~ x dx I :s ~a+b~ + jb d~ = ~a , a

X

aX

und das Cauchy-Kriterium ergibt die Konvergenz von (6.2). Aber I sinx/xl ist nicht über ]0, oo[ uneigentlich Riemann-integrierbar, denn

l

1r

(n+l)1r

I sin x I dx ~ X

L n

1 (k)

+1

k=l

l(k+l)1r

I sin x I dx 7r

k1r

2

=-

7r

1 L -~ k+ n

k=l

00 .

1

Daher ist x r-+ sin x/x nicht über ]0, oo[ Lebesgue-integrierbar. - Ebenso sieht oo man: Das Integral Jo sin x / X O dx existiert für 0: :s 0 weder als uneigentliches Riemann- noch als Lebesgue-Integral, für 0 < 0: :s 1 als uneigentliches RiemannIntegral, aber nicht als Lebesgue-Integral, für 1 < 0: < 2 als absolut konvergentes uneigentliches Riemann-Integral, also auch als Lebesgue-Integral und für 0: 2: 2 wegen des Verhaltens bei 0 weder als Riemann- noch als Lebesgue-Integral.

6.5 Die Gammafunktion. Für x > 0 existiert das Eulersche Integral

(6.3) als absolut konvergentes uneigentliches Riemann-Integral, also auch als LebesgueIntegral. Zum Beweis seien 0 < 0: < ß < 00 und x E [0:, ß]. Dann ist

o < tx-1e- t :S tß-1e- t :S

M e- t / 2 für alle t 2: 1

mit geeignetem M > O. Da die Funktion g :]0, oo[~ lR, für 0 < t :S 1 , M e- t / 2 für t > 1

to-l

g( t):==

{

§ 6. Riemann-Integral und Lebesgue-Integral

155

uneigentlich Riemann-integrierbar ist, existiert (6.3) als absolut konvergentes uneigentliches Riemann-Integral. Die Funktion r : ]0, oo[~ :IR heißt die Gammafunktion. Mit partieller Integration beweist man die Funktionalgleichung

r(x + 1) == x r(x)

(x > 0) .

Wegen r(l) == 1 ist also r(n + 1) == n! für alle ganzen n 2: o. Ist Xo > 0 und wählen wir 0 < a < Xo < ß < 00, so sind für die Umgebung U ==]a, ß[ von Xo die Voraussetzungen von Satz 5.6 erfüllt, und wir erkennen: Die Gamma/unktion ist stetig. Differenzieren wir den Integranden in (6.3) k-mal nach x, so erhalten wir:

ak

8x k tx-1e- t = (log t)k tx-1e- t

,

und für alle x E [a, ß] hat diese Funktion die integrierbare Majorante Ilogtlkg(t). Der Satz von der Differentiation unter dem Integralzeichen liefert nun sukzessive: Die Gamma/unktion ist beliebig oft differenzierbar, und für alle k 2: 0 gilt:

1

00

r(k)(X) =

(6.4)

(logt)k e-1e- t dt

(x > 0) .

Wegen 10g(1 + x) ::; x (x > -1) ist (1 - t/n)n ::; e- t für 0 ::; t ::; n, und der Satz von der majorisierten Konvergenz (integrierbare Majorante: g) liefert für x> 0:

r(x)

{OO tx-1e- t dt == lim {OO t x - 1 (1 _ } 0

n-+oo } 0

lim n-+oo

{n (1- !)n t xJo n

1

!)

n

X0n

n] , [

(t) dt

dt.

Das letzte Integral bestimmen wir durch sukzessive partielle Integrationen und erhalten die Gaußsehe Darstellung der Gamma/unktion: x

r(x) == lim

(6.5)

n-+oo

Für x (6.6)

==

,

n n.

x(x + 1) ..... (x

+ n)

.

~ liefert (6.5) zusammen mit der Wallisschen Formel

r (~)

== J7f ,

d.h.

(6.7) was wir noch auf verschiedenen anderen Wegen herleiten werden. Da für x E ce und t > 0 gilt ItXI == t Rex , lassen sich die obigen Aussagen unmittelbar auf komplexe x mit Rex> 0 ausdehnen, d.h. (6.3)-(6.5) gelten für

156

IV. Das Lebesgue-Integral

x E C, Rex> O. - Die Holomorphie der Gamma/unktion und GI. (6.4) lassen sich für Re x > 0 auch mühelos mit Satz 5.8 beweisen. Bringt man in der Gaußschen Darstellung den Faktor n! in den Nenner und fügt Faktoren exp( -z/k) ein, so erhält man für Rez > 0 _. exp (z (logn - L:~=l i)) r (z ) - n~oo 11m Z ITk=l n ( 1 + f ) exp ( -f ) ' Hier stellt z IT~l (1 + z/k) exp( -z/k) eine ganze Funktion von z E C dar mit den Nullstellen 0, -1, -2, , und der Limes limn~oo (logn - L:~=ll/k) existiert und ist gleich -'Y, wobei 'Y = 0,5772 die Eulersche Konstante ist (s. Grundwissen-Band Funktionentheorie 11 von R. REMMERT). Das liefert die meromorphe Fortsetzbarkeit der Gammafunktion in die ganze komplexe Ebene und die Weierstraßsehe Produktdarstellung:

_1_ r(z)

(6.8)

= ze"!z

fi

n=l

(1 + ~) n

e-~

(z E

C) .

Insbesondere ist r- 1 eine ganze Funktion, und rist nullstellenfrei in C. Wegen der Funktionalgleichung folgt aus (6.8)

rr (1 + ~)

r(z)r(l - z)

= z

rr 00

(

1-

n=l

(s. z.B. R.

rr (1 - ~)

0 0 0 0

1

---- z (-z)r(z)r( -z) - n=l

:22) =;:1

n

e- z / n

n=l

n

ez / n

sin 1rZ

loe. eit.), also

REMMERT,

r(z)r(l- z)

(6.9)

1r

= -.-. SIn 1rZ

Hieraus folgt erneut: r (~) = ~.

3. Mittelwertsätze der Integralrechnung. 6.6 Erster Mittelwertsatz der Integralrechnung. Es seien 1 : [a, b] ~ IR Lebesgueintegrierbar, 1 ~ 0 und 9 : [a, b] ~ IR stetig. Dann gibt es ein E [a, b], so daß

t

f(x)g(x) dx = g(e)

t

e

f(x) dx.

Beweis. Mit a = min{g(x) : x E [a, b]} und ß := max{g(x) : x E [a, b]} erhält man durch Integration der Ungleichung al ::; Ig ::; ß/: Cl
O. Dann gibt es ein 8 > 0, so daß I/(x)ldx < c für alle u, v E [a, b] mit 0 ::; v - u < 8 (s. Aufgabe 3.7). Ist nun

J:

§ 6. Riemann-Integral und Lebesgue-Integral

157

Z : a = Xo < Xl < ... < Xn = beine Zerlegung von [a, b] mit J-l(Z) := max{xk+l - Xk : k 0, ... , n - 1} < 8, so ist wegen der Monotonie von 9

I

J: f(x)g(x) dx - L~=l g(Xk) J:

k_ k 1

::; L~=l (g(Xk-l) - g(Xk))

J:

Für S(Z) := L~=l g(Xk)

k_ k 1

J::_

1

f(x) dxl ::;

J:

If(x)l(g(x) - g(Xk)) dx

k_ k 1

If(x)1 dx ::; c(g(a) - g(b)).

f(x) dx gilt also: Durchläuft Z eine Folge z(n) von Zerlegungen

mit J-l(z(n)) ~ 0, so gilt: lim s(z(n)) n---too Die Funktion F : [a, b] ~ IR, F(x) = Abelscher partieller Summation folgt:

L g(xk)(F(Xk) -

jb

=

f(x)g(x) dx.

a

Jax f(t)

dt (x E [a, b]) ist stetig (Aufgabe 3.8). Mit

n-l

n

S(Z) =

L~=l

=

F(Xk-l)) =

k=l

L F(Xk)(g(Xk) -

g(Xk+l))

+ F(b)g(b).

k=l

Wir setzen a := min{F(x) : a ::; x ::; b}, ß:= max{F(x) : a ::; x ::; b} und erhalten

+ F(b)g(b)

a(g(a) - g(b))

::; S(Z) ::; ß(g(a) - g(b))

+ F(b)g(b).

Hier lassen wir Z eine Folge (z(n))n~l mit J-l(z(n)) ~ 0 durchlaufen; das ergibt für n ---t

a(g(a) - g(b)) Es gibt also ein

'f}

E

+ F(b)g(b)

= F(~)

f(x)g(x) dx

~ ß(g(a) -

g(b))

+ F(b)g(b).

[a, ß] mit [

und da 'fJ

~[

00:

f(x)g(x) dx = TJ(g(a) - g(b))

+ F(b)g(b) ,

ist mit geeignetem ~ E [a, b] (Zwischenwertsatz), folgt die Behauptung.

6.8 Korollar. Ist in der Situation des Satzes 6.7 die Funktion 9 [a, b], so daß

~ E

[

f(x)g(x) dx = gral

t

0

2:: 0 Jallend, so gibt es ein

f(x) dx.

Beweis. Man wende Satz 6.7 auf 9 :== 9 . X[a,b[ an.

o

6.9 Beispiel. Für jede monotone Funktion 9 : [0, oo[~ IR mit limx---too g(x) == 0 existiert das trigonometrische Integral

1

00

0). Zeigen Sie weiter durch Grenzübergang t~ +0: (R-) {OO sinx dx = ~. 2 6.13. Die Funktionen F, G : lR ~ lR,

Ja

{X F(x):= ( Ja e-

t

2

x

)

dt

2

(1 ,G(x):= Ja

(x E lR) sind differenzierbar mit F' + G' = 0, F

+ G = i.

2 e-x2 (1+t )

1 + t2

dt

Folgern Sie:

(n 2:: 0 ganz, t

> 0) .

Folgern Sie weiter durch Reihenentwicklung des Integranden und Anwendung des Satzes von der majorisierten Konvergenz: 00

_1_1+

y'21r

-00

e-x2/2+itx

dx =

e- t2 / 2 .

162 6.14. Die Funktion

IV. Das Lebesgue-Integral

f : IR ~

IR,

ist wohldefiniert, stetig, in jedem Punkt t f. 0 differenzierbar und genügt der Differentialgleichung f'(t) + 2f(t) = 0 (t > 0). Folgern Sie: f(t) = y7rexp( -2Itl) (t E IR). 6.15. Die Funktion

f : IR ~

IR, +00

f(t):=

e- x " /2+it x dx

-00

(t E IR)

/

+ tf(t) = 0, also gilt: f(t) = J21rexp( -tZ /2).

genügt der Differentialgleichung f'(t)

6.16. Beweisen Sie mit Hilfe einer Differentiation unter dem Integralzeichen in der Gleichung

1

00

cSr(s)

=

x s-

1

e- tx dx

(s, t > 0)

+ 1) = s r(s)

(s > 0). 1 6.17. a) Der Raum Span {XI: I E JP} liegt dicht in .c (,\P). b) Ist I c IR ein Intervall und f : I ~ JK Lebesgue-integrierbar, so gilt: die Funktionalgleichung der Gamma/unktion: r(s

lim jf(x)e itx dx

Itl--+oo

I

=0

(Lemma von RIEMANN-LEBESGUE).

6.18. Die Funktion

1=

00

ua(t) :=

o

t -z--z cosaxdx t +x

(a, t > 0)

genügt der Differentialgleichung u~ aZu a (wiederholte Differentiation unter dem Integralzeichen und partielle Integration). Daher ist ua(t) = ae at + ße- at mit geeigneten a, ß E IR. Für a ~ 00 konvergiert ua(t) gegen 0 (Lemma von RIEMANN-LEBESGUE), und für a ~ +0 hat U a (t) den Limes 1r /2. Daher gilt:

1

00

o

t -')--z cos ax dx t.. + x

1r

= - e -at (a,t > 0). 2

Bestimmen Sie durch eine weitere Differentiation unter dem Integralzeichen das uneigentliche Riemann-Integral

(R-)

x

1

00

1r

-Z--Z sin ax dx t +x

o

(Hinweis: Beim letzten Schritt wähle man T

=-

2

e- at

(a,t

> 0).

> 0 und differenziere zunächst im Integral über

]0, T] unter dem Integralzeichen. Den Rest kann man nach partieller Integration abschätzen. - Fortsetzung: Aufgabe V.2.13.) 6.19. Es seien (a n )n2: 1 eine Folge positiver reeller Zahlen mit L~=l an 10g(1 + 1/ an)

< 00 und

(b n )n2: 1 eine beliebige Folge reeller Zahlen. Dann konvergiert die Reihe L~=l an/Ix - bnl

f.ü. auf IR. (Hinweise: Es gilt lim n--+ oo an = O. Man setze fn(x) := an/Ix - bnl für an S

(nl~~ An) = O. Für jedes R f.ü. auf IR.) 1

,\1_

bnl

f. an/Ix - bnl} gilt L~=l ,\1 (An) < 00 und > 0 gilt nun I~ L~=l f n d'\ 1 < 00, also konvergiert L~=l f n

und fn(x) = 0 sonst. Mit An = {x : fn(x) ,\

Ix -

Kapitel V Produktmaße, Satz von Fubini und Transformationsformel «Le procede dont je fais usage, est fonde sur la propriete connue des integrales doubles, d'etre independantes de l'ordre dans lequelles deux integrations sont effectuees.... la justice exige aussi d'attribuer a EULER la premiere idee de faire servir la propriete enoncee des integrales doubles definies simples.»1

(DIRICHLET

a l'evaluation

des integrales

[1], S. 111)

Das folgende Kapitel ist vornehmlich der Diskussion "mehrfacher" Integrale gewidmet. Zentrale Sätze sind der Satz von FUBINI und die Transformationsformel. Der Satz von FUBINI gestattet die Reduktion mehrfacher Integrale auf einfache. Die Transformationsformel ist das p-dimensionale Analogon der Substitutionsregel für das Riemann-Integral. Im folgenden Kapitel seien (X, 2l, J-l) , (Y, 93, v) zwei Maßräume, M(X, 2l) , M(Y, 93) , M(X x Y, 2(093) die Mengen der meßbaren numerischen Funktionen auf X, Y bzw. X x Y und M+( ... ) die Menge der nicht-negativen Funktionen aus M( .. .).

§ 1.

Prod uktlllaße "Man kann in dem Raume X x Y ein Maß einführen, so daß Mengen von der Gestalt Mx N meßbar sind, und zwar das Maß j.L(M)v(N) haben (dabei bedeuten Mund N meßbare Untermengen von X resp. Y), ... " (ULAM [1], S. 40)

1Das Verfahren, welches ich benutze, beruht auf der bekannten Eigenschaft von Doppelintegralen, unabhängig von der Reihenfolge der Integrationen zu sein.... die Gerechtigkeit gebietet es zudem, EULER die erste Idee zur Benutzung der genannten Eigenschaft der Doppelintegrale zur Auswertung von einfachen bestimmten Integralen zuzuschreiben.

V. Produktmaße

164

1. Produkt-a-Algebren. Wir wollen ein "Produktmaß" p auf X x Y definieren, so daß für alle A E 2(, B E ~ gilt: p(A x B) == fL(A) v(B) (elementargeometrische Motivation: Flächeninhalt eines Rechtecks == Länge· Breite). Als Definitionsbereich für ein solches Maß p bietet sich die von 2(

* ~ == {A

x B : A E 2(, B E ~}

erzeugte Produkt-a-Algebra

an. Aus Korollar 111.5.8 wissen wir:

1.1 Lemma. Ist M E

2( 0 ~,

so ist jeder Schnitt

M a . - {y E Y : (a, y) E M} Mb.- {xEX:(x,b)EM}

(a E X), (bEY)

meßbar, d.h. M a E ~,Mb E 2t, und für jeden Meßraum (Z, l konvergiert gegen Null (!). Diskutieren Sie das Monotonieverhalten dieser Folge und besti~men Sie die Dimension n, für welche Vn (1) maximal ist. Für welches n 2: 2 ist das Verhältnis des Volumens von Kr(O) zum Volumen des die Kugel umgebenden Würfels (Kantenlänge 2r) maximal? b) Die (Potenz-)Reihe L~=l Vn(r) konvergiert für alle r > 0; insbesondere ist (Vn (r))n2::1 für jedes r > 0 eine Nullfolge (!). c) Die Reihe L~=l n(n+l)/2Vn (r) konvergiert genau für 0 < r < (27re)-1/2.

174

V. Produktmaße

1.8 Volumen von Rotationskörpern. Es sei / : [a, b] -+ [0, oo[ Borel-meßbar und

K :== {(x, y, z)t

E IR3

:

x E [a, b], y2

+ Z2

::; (/(X))2}

der durch Rotation der Ordinatenmenge von / um die x-Achse entstehende Rotationskörper. Dann ist K Borel-meßbar, und es gilt:

1.9. Es seien 0 < r ::; R. Durch Rotation der Kreisscheibe Kr((O, R)) um die x-Achse im IR3 erhält man einen Torus T. Zeigen Sie: ,X3 (T) ==

(J.

KEPLER

21r 2 r 2 R

(1571-1630): Nova stereometria doliorum vinariorum, Linz 1615).

1.10. "Wenn in einen Würfel ein Zylinder eingeschrieben wird, der die Grundflächen in den gegenstehenden Quadraten hat und mit der Zylinderfläche die übrigen vier Ebenen berührt, und ferner in denselben Würfel ein zweiter Zylinder eingeschrieben wird, der die Grundflächen in zwei anderen Quadraten hat und mit der Zylinderfläche die vier übrigen Ebenen berührt, so wird der von den Zylinderflächen eingeschlossene Körper, der in beiden Zylindern enthalten ist, [dem Volumen nach] 2/3 des ganzen Würfels sein." (ARCHIMEDES; s. J.L. HEIBERG, H.G. ZEUTHEN: Eine neue Schrift des Archimedes, BibI. Math., 3. Folge, Bd. 7, 321-363 (1907).) b) "Wenn in ein rechtstehendes Prisma [d.h. in einen Quader] mit quadratischen Grundflächen ein Zylinder eingeschrieben wird, dessen Grundflächen in den gegenstehenden Quadraten liegen und dessen krumme Oberfläche die 4 übrigen Rechtecke berührt, und durch den Mittelpunkt des Kreises, der Grundfläche des Zylinders ist, und eine Seite des gegenstehenden Quadrats eine Ebene gelegt wird, so wird der Körper, der durch diese Ebene [vom Zylinder] abgeschnitten wird, [dem Volumen nach] 1/6 des ganzen Prismas sein." (ARCHIMEDES, Ioc. cit. ) 1.11. Bestimmen Sie mit Hilfe des Cavalierischen Prinzips das Volumen eines sphärischen Rings, der als Restkörper übrigbleibt, wenn man in eine Kugel ein zylindrisches Loch bohrt, so daß die Zylinderachse ein Durchmesser der Kugel ist. Alle sphärischen Ringe gleicher Höhe haben gleiches Volumen (unabhängig von den Radien der Kugel und des Zylinders). (Hinweis: Benutzen Sie als Vergleichskörper eine Kugel, deren Durchmesser gleich der Höhe des Rings ist.) 1.12. Für f : X -+ [0, oo[ bezeichne 0(/) :== {(x, y) E X x IR : 0 ::; y < /(x)} die Ordinatenmenge von /, und für / : X -+ IR sei 9(/) :== {(x, /(x)) E X x IR : x E X} der Graph von /. Ferner sei (Y, 93, v) :== (IR, 93 1 , ß1), und p sei definiert wie in Satz 1.3. Dann gilt: a) / E M+(X, 2l) ~ 0(/) E 2l ® 93 1. (Hinweise: ,,===}": g(x, y) :== /(x) - y : X x IR -+ 1R ist 2l ® 931_~-meßbar. ,,~": Schnittbildung.) b) dJ-L == p(O(/)) für alle / E M+(X,2l). (Bemerkung: Diese Aussage eröffnet eine alternative Möglichkeit zur Definition des Integrals mit Hilfe des Produktmaßes der Ordinatenmenge.) c) Ist / : X -+ IR 2l-93 1-meßbar, so ist 9(/) E 2l ® 93 1 und p(9(/)) == O. (Bemerkung: Für Funktionen / : IR -+ IR ist auch bekannt: Ist 9(/) E 93 2 , so ist / Borel-meßbar, und ist 9(/) E 121 ® 93 1, so ist / Lebesgue-meßbar; s. Amer. Math. Monthly 81, 1125-1126 (1974).) d) Ist J-L a-endlich und / E M+(X, 2l), so gilt:

Ix /

L>O J.L( {f > t}) dt , a 1.13. Ist K

mit

/Ix - ylI

c IRP

LX) J.L( {f > t}) t',,-l dt

(a > 0) .

eine kompakte konvexe Menge mit 'xP(K) 2:: 'xP(K 1 / 2 (0)), so gibt es x, y E K

== 1. (Hinweis: Satz 1.15.)

§ 2. Der Satz von

§ 2.

175

FUBINI

Der Satz von

FUBINI

«Se f(x, y) euna funzione di due variabili x, y, limitata 0 illimitata, integrabile in un'area r deI piano (x, y), allora si ha sempre:

Ir

f(x,y) da

=

! ! dy

f(x,y) dx

=

! ! dx

f(x,y) dy,

quando con d(J" si intenda l'elemento d'area di r.» (G. FUBINI: Sugli integrali multipli, Rend. R. Accad. dei Lincei, Sero 5a, 16,608-614 (1907))5

1. Der Satz von FUBINI. Die Integration in bezug auf das Produktmaß f1 @ v zweier a-endlicher Maße f1, v kann als iterierte Integration in bezug auf die einzelnen Variablen durchgeführt werden. Dies ist der wesentliche Inhalt des folgenden Satzes von G. FUBINI, der zu den am häufigsten benutzten Sätzen der Integrationstheorie gehört, denn "eine geschickte Vertauschung der Integrationsreihenfolge ist oft die halbe Mathematik", wie ein Bonmot von K. JÖRGENS (1926-1974) besagt. 2.1 Satz von G. Fubini (1907). Es seien f1, va-endlich. Dann gilt: a) Für jedes f E M+(X x Y,2l ®~) sind die durch

X f-----+ [f(X, y) dv(y)

(bzw. y f-----+

Ix f(x, y) dJ1(x))

auf X (bzw. Y) definierten nicht-negativen numerischen Funktionen 2l-meßbar (bzw. ~-meßbar), und es gilt:

(2.1)

IxxY f dJ10 v

b) Ist f : X x Y -+ alle x E X und

=

Ix ([ f(x, y) dV(y)) dJ1(x) [ (Ix f(x,y) dJ1 (X)) dv(y).

K f1 ® v-integrierbar,

so ist f(x, .) v-integrierbar für f1-fast

A :== {x EX: f(x, .) ist nicht v-integrierbar} E 2(; ebenso ist

f (', y)

f1-integrierbar für v-fast alle y E Y und

B :== {y E Y : f

(', y)

ist nicht f1-integrierbar} E ~ .

5Ist f(x, y) eine beschränkte oder unbeschränkte Funktion zweier Variablen x, y, die über eine Fläche r der (x, y)-Ebene integrierbar ist, so gilt stets:

Ir

f(x,y) da

=

! ! dy

wobei unter d(J" das Flächenelement von

r

f(x,y) dx

=

! ! dx

zu verstehen ist.

f(x,y) dy,

176

V. Produktmaße

Die Funktionen

x

f------+

[f(X, y) dv(y)

bzw.

y f------+

Ix

f(x, y) d/1(x)

sind J-l-integrierbar über Ac bzw. v-integrierbar über BC, und es gilt:

(2.2)

IxxY f d/1Q9 v

=

ic ([

lc (Ix c) Ist f : X x Y ---+ TI{

2(

f(x, y) dV(y)) d/1(x) f(x, y) d/1(X)) dv(y).

0 fJ3-meßbar und eines der Integrale

(2.3)

IxxY Ifl d/1Q9v, Ix ([ If(x,Y)ldV(Y)) d/1(x) , [(Ix If(x,Y)ld/1(X)) dv(y) endlich, so sind alle drei Integrale endlich und gleich, fist J-l 0 v-integrierbar, und es gelten die Aussagen unter b).

2.2 Bemerkung. Es seien N E 2t eine J-l-Nullmenge und 9 : NC ---+ TI{ integrierbar. Dann setzt man

J-l-

wobei g : X ---+ TI{ irgendeine 2t-meßbare Fortsetzung von g auf X ist. Diese erweiterte Integraldefinition ist sinnvoll, denn sie hängt nicht ab von der Auswahl von g, und sie stimmt für auf ganz X definierte Funktionen g mit der bisherigen Definition überein. Im Sinne der erweiterten Integraldefinition schreibt man die Formel (2.2) meist in der Gestalt

(2.4)

IxxY f d/1Q9 v

=

Ix ([

f(x, y) dV(Y)) d/1(x)

[ (Ix f(x, y) d/1(X)) dv(y). Entsprechendes gilt für nicht-negative meßbare Funktionen, die nur fast überall definiert sind. Beweis des Satzes von FUBINI. a) Für alle M E 2t 0 fJ3 ist Mx E fJ3 (x EX), r--+ v(Mx ) :=: XM(X, y) dv(y) ist 2t-meßbar, und nach (1.6) ist

die Funktion

x

Jy

Aus Symmetriegründen gilt dies entsprechend mit vertauschten Rollen für J-l und v. Das liefert a) für alle f :=: XM (M E 2( 0 fJ3), also gilt a) auch für alle f E T+(X x Y,2t 0 fJ3).

§ 2. Der Satz von

177

FUBINI

Ist nun f E M+(X x Y, Qt ® ~), so gibt es eine Folge von Funktionen fn E T+(X x Y, Qt ®~) (n 2:: 1) mit fn t f. Für alle x E X ist f(x,·) E M+(Y, ~) (Lemma 1.1), fn(x,·) E T+(Y, ~), und es gilt fn(x,·) t f(x, .). Nach der Integraldefinition gilt also für alle x EX:

[fn(X, y) dv(y) t [f(X, y) dv(y) .

(2.5)

Hier steht auf der linken Seite eine Folge Qt-meßbarer Funktionen von x E X. Daher ist die rechte Seite in Abhängigkeit von x E X ebenfalls Qt-meßbar, und wir erhalten:

r

JXXY

f dp, (9 v = lim

r

n-+ooJxXY

fn dp, (9 v

(Integraldefinition)

Jx Jyr fn(x,y) dV(y)) dJ.L(x)

== lim { ( n-+oo

== {

Jx

=

(lim Jyr fn(x,y) dV(y)) dJ.L(x)

(Aussage a) gilt für T+) (monotone Konvergenz)

n-+oo

Ix ([ f(x, y) dV(y)) dp,(x)

(nach (2.5)).

Entsprechend argumentiert man bei vertauschten Rollen für J.L und v. b) Mit f ist auch Ifl integrierbar bez. J.L ® v, und a) liefert:

Ix ([ If(x, y)1 dV(y)) dp,(x) Ixxy Ifl dp, =

(9

v
0)

-00

gebraucht. Die hier auftretende Dichte der Gaußsehen Normalverteilung ziert neben dem Porträt von C.F. GAUSS (1777-1855) die Vorderseite der 1989 erschienenen Banknote über 10 DM. - Der obige Beweis von (2.10) wurde von P.S. LAPLACE (1749-1827) im Jahre 1778 angegeben; s. Memoire sur les probabilites, CEuvres completes de LAPLACE, tome 9, S. 447-448, Paris 1893. Das Integral (2.10) wurde erstmals 1730 von L. EULER bestimmt (s. Opera omnia, Ser. 1, Vol. 14, S. 11 oder Mechanica, Vol. 1, Opera omnia, Ser. 11, Vol. 1, S. 100 und Opera omnia, Ser. IV A, Vol. 2, S. 40-41.)

2.7 Zusammenhang zwischen Betafunktion und Gammafunktion. Für x, y > 0 existiert das Integral

1 1

(2.11)

B(x, y):=

t x- 1 (1 - t)y-l dt

als absolut konvergentes uneigentliches Riemann-Integral, also auch als LebesgueIntegral; B : ]0, 00[2-+ ]R heißt die Eulersche Betafunktion. Diese steht in einem einfachen Zusammenhang mit der Gammafunktion (s. GI. (IV.6.3)). Zur Herleitung dieses Zusammenhangs multiplizieren wir die Integrale r(x), r(y) (x, y > 0) und substituieren im inneren Integral u == v - t:

r(x) r(y)

=

100 (100 100 (/00 r

y t x- 1 u - 1 e- t- u dU) dt t x- 1 (v _

W- 1 e-

XM(t, v)t X - 1 (v -

V

dV) dt

W- 1 e-

V

dß2(t, v) ,

J]O,00[2

wobei M :== {(t,v) E ]R2 : v > t > O}. Nach Vertauschung der Integrationsreihenfolge (Integrand nicht-negativ!) ergibt sich:

r(x)r(y) =

100 (lV

=

w x- 1 (1 - W)y-l dw ) v x +y- 1 e- V dv

100 (11

V

t x- 1 (v - t)y-l dt) e- dv =

B(x, y) r(x + y) ,

2 ,

§ 2. Der Satz von

183

FUBINI

also (2.12)

B(

) == f(x) f(y) x,y

f(x+y)

(x,y > 0).

Wegen It Z I == t Rez (t > 0, Z E C) ist (2.11) auch für alle komplexen x, y mit Rex,Rey > 0 sinnvoll. Wir wenden nun Satz 2.1, c) und b) an und erkennen: Gl. (2.12) gilt einsehl. Beweis für alle x, y E C mit Rex, Rey > O. Für x == y == ~ liefert (2.12) (Substitution: t == u 2 )

= r\-!(1-t)-!dt=2 ( ( r(~))2 2 Jo Jo

du =7r, ~

und wir erhalten erneut (s. GI. (IV.6.6)) (2.13) was mit (2.10) gleichbedeutend ist. - Wählen wir in (2.12) speziell y == I-x, 0 < x < 1, so liefert die Substitution u == (1 - t)-1 - 1:

f(x) f(l - x) = B(x,l - x) = {'X> u

Jo

1

1 ux-1

1 1

x 1 -

1+U

du

v-x

--du+ --dv ol+u ol+v

(v == U -1 ). Hier entwickeln wir (1 + u) -1 bzw. (1 + v) -1 in die geometrische Reihe und erhalten wegen majorisierter Konvergenz für 0 < x < 1: (2.14)

f(X)f(l-x)=I:(-l)n +I: n=O

x+n

n=O

(-l)n

=

n+l-x

f

n=-oo

(-l)n. x+n

Für x ~ kann man hier die rechte Seite mit Hilfe der Leibnizschen Reihe auswerten und erhält wieder (2.13). Auf der rechten Seite von (2.14) steht die bekannte Partialbruchentwicklung der Funktion 7r/ sin7rx, und wir erhalten erneut (vgl. GI. (IV.6.9)) (2.14)

7r f(x)f(l-x)==-.-

(O 0, so daß IDkg(u) - Dkg(v)1 < c für alle u, v E JRP mit Ilu - vii< 8. Bezeichnet ek den k-ten Einheitsvektor des JRP, so gilt also für 0 #- t E JR, Itl < 8 und x E JRP:

I~(j * g(x + tek) =

II f(Y)~ p

f

* g(x)) -

(j

* Dkg)(x)1

fat (Dkg(x - Y + sek) - Dkg(x - y)) ds dßP(y) I ~

Ellflll .

Daher ist 1 * 9 in x partiell differenzierbar mit Dk(1 * g) == 1 * (Dkg), und diese Funktion ist offenbar stetig (Aufgabe 3.1). Eine Fortsetzung dieser Schlußweise D liefert die Behauptung. Nun können wir leicht einen weiteren Beweis für Korollar IV.3.13 angeben:

3.8 Korollar. C~(JRP) liegt dicht in [}(ßP). Beweis. Für n E N sei k n

wobei

Cn

:

JRP -+ JR,

> 0 so gewählt sei, daß IIknl/I

== 1. Dann ist k n E C~(JRP), Tr k n ==

K 1 jn(0). Ist nun 1 E [,l(ßP) und c > 0, so gibt es ein R > 0, so daß für 9 :== I· XKR(O) gilt 111 - glll < c/2. Nach Lemma 3.6 ist IIk n * 9 - glll < c/2 für alle n 2:: no(c), also 111 - kn * glll < c für alle n 2:: no(c). Hier ist kn * 9 E COO(JRP) (Satz 3.7), und da 9 und k n einen kompakten Träger haben, ist auch der Träger von k n * 9 kompakt. D

4. Die Fourier-Transformation. Im folgenden legen wir in den Definitionen des Raumes [,1 und der Faltung * anstelle von ßP das Maß

zugrunde. Diese Umnormierung hat zur Folge, daß am Ende die Formel des Fourierschen Umkehrsatzes besonders einprägsam wird. Für komplexwertiges 1 E [, 1 (J1p) heißen j, j : JRP -+ C,

j(t):=

r e-i(t,x) f(x) dJ-lp(x)

JJRP

die Fourier- Transformierte von 1 und

(t

E

JRP)

196

V. Produktmaße

die inverse Fourier-Transformierte von f. Hier bezeichnet (t, x) == L~=l tjXj das Skalarprodukt von t, x E JR.P. (Der Name von j wird später durch den Fourierschen Umkehrsatz motiviert.) Die C-lineare Abbildung, die jedem f E [}(J-lp) seine Fourier-Transformierte] zuordnet, heißt die Fourier- Transformation. Sie ist benannt nach dem französischen Mathematiker, mathematischen Physiker, Administrator und «secretaire perpetuel~ der Academie des Sciences J EAN BAPTISTE JOSEPH FOURIER (1768-1830). 3.9 Satz. Für f, 9 E [}(J-lp) gilt: a) ] E C(W), 1]1 :S 111111 und limlltll-+oo ](t) == o. b)(f*g)A==].g. c) Für fa(x) :== f(a + x) (a E JRP) und (Mrf)(x) :== rPf(rx) (r > 0) gilt:

1a(t)

ei(a,t) ](t) ,

(Mrf)A(t)

] (~t) ,

(e-i(a,x) f) A

(])a .

d) Ist a == (a1, ... ,ap ) mit ganzen a1, ... ,ap 2: 0 und f E c1al(W),xßf E für 0 :S ß :S a, so gilt für 0 :S ß :S a:

.cl (J-lp)

nß]

== (-i)IßI (x ß f)A

.

Beweis. a) Nach Satz IV.5.6 ist] stetig. Die Ungleichung Ferner ist nach Korollar 3.2 für t E W, t #- 0

j(t) =

1]1

:S IIfll1 ist klar.

kp e-i(t,x1f(x)dflp(X) = - kp e-i(t,x1f (x+ 11~12t) dflp(X) ,

und es folgt:

2Ij(t)1 :s;

kp If(x) - f (X + 11~12t) Idflp(X)

--t 0 für

Iltll

--t

00.

(Dies ist ein alternativer Beweis des Lemmas von RIEMANN-LEBESGUE; s. Aufgabe IV.6.17.) b) Wegen (3.3) ist nach dem Satz von FUBINI

kp e-i(t,xI (kp f(y)g(x - y) dflP(Y)) dflp(X)

(f

* g)/\(t) =

=

kp (kp e-i(t,x-YI g(x - y) dflP(X)) e-i(t,YI f(y) dflp(y) = j(t)fj(t) .

c) ist klar nach Korollar 3.2. d) folgt durch sukzessive Anwendung von Satz IV.5.7. 3.10 Korollar. Es gibt kein k E

.cl (J-lp).

.cl (J-lp) ,

so daß k

* f ==

D

f j.ü. für alle f

E

§ 3. Faltung und Fourier-Transformation

197

Beweis. Gibt es ein solches k, so ist k] == ] für alle f E [,1 (J1p). Hier wählen wir f(x) == exp( -llxl1 2 /2). Dann ist] == f nach Aufgabe IV.6.13 oder IV.6.15, und es folgt k == 1: Widerspruch, denn als Fourier-Transformierte einer Funktion D aus [,l(J1p) müßte k im Unendlichen verschwinden (Satz 3.9, a)).

3.11 Fourierseher Umkehrsatz. Sind f E [,l(J1p) und] E [,l(J1p), so gilt:

f

== (]) v

f. ü.

Beweis. Für die Funktion

rr p

(3.4)

kn(x)

:==

(21f)p/2

max(O, n - n2lxjl)

(x

E

JRP)

j=l

gilt nach Aufgabe 3.2:

rr P

kn(t)

(3.5)

==

j=l

(sin t j /2n) 2 t j /2n

(

tEW

)

und (kn)V == kn. Der Grundgedanke des Beweises ist nun: Die Behauptung kann für die "approximative Einheit" (kn)n>l durch Rechnung verifiziert werden und ergibt sich dann folgendermaßen allge~ein: Wegen kn] E [,1 (J1p) ist nach dem Satz von FUBINI

(3.6)

(knj)V(x) =

r ei(x,t)kn(t) j(t) d{.tp(t)

JJRp

Lp I(z) (Lp ei(t,x~z) kn(t) d{.tp(t)) d{.tp(z) = 1 * kn(x).

=

Für n ---+ CX) gilt hier nach dem Satz von der majorisierten Konvergenz: Ilk n ] ]/11 ---+ O. Daher konvergiert die Folge der Funktionen (kn])V gleichmäßig gegen (j)V (Satz 3.9, a)). Andererseits gilt Lemma 3.6 ebenso mit J1p statt ßP, und da Ilkn ll l == 1 ist bez. J1p, erhalten wir: Ilkn * f - fllr ---+ o. Für alle R > 0 ist daher nach (3.6)

r

JKR(O) = !im

I(})V - I1 d{.tp = lim

n--+oo

und es folgt

f

n--+oo

r

JKR(O)

l(knj)V -

I1 d{.tp

r

!im Ilf * kn - 1111 = 0, JKR(O) 1I * kn - I1 d{.tp 0 gibt es also ein 0, so daß Ig(x) - g(O)1 < c für alle x E Ko(O). Wir benutzen nun die kn aus (3.4) und wählen no so groß, daß Tr k n C Ko(O) für alle n 2: no; dann ist

für alle n 2: no. Daher ist

Andererseits ist g * k n E LI (J1p) und (g * k n )/\ == fJk n E LI (J1p) , denn fJ ist als Fourier-Transformierte beschränkt und kn E .cl (J1p). Der Umkehrsatz ergibt daher wegen der Stetigkeit von g * k n : (3.8) Nun liefert eine Anwendung des Lemmas von

FATOU

wegen limn - Hx) kn == 1:

§ 3. Faltung und Fourier-Transformation

199

Da hier die rechte Seite endlich ist, gilt 1]1 2 E .cl (f-lp). Wir können nun wegen o :::; kn :::; 1 in der letzten Formelzeile den Satz von der majorisierten Konvergenz anwenden, statt "lim" überall "lim" schreiben und die Ungleichheit zur Gleichung verschärfen. 0 Aus (3.7) folgt sogleich eine Formel, deren Analogon für den Fall der FourierReihen zuerst von MARC-ANTOINE PARSEVAL (1755-1836) angegeben wurde. IO 3.14 Parsevalsehe Formel. Sind f,g E .cl(f-lp) und f2,g2 E .cl(f-lp), so gilt:

rf g

(3.9)

J~P

dJLp

=

r {g

J~P

dJLp .

Beweis. Wegen

o

liefert (3.7) sogleich die Behauptung. 3.15 Beispiele. a) Für f(x) == e- a1xl (x E IR; a > 0) ist ](t) t 2 ) (t E IR). Daher gilt nach (3.9) für a, b > 0:

+00 dt == ~ -00 (a 2 +t 2)(b2 +t 2) 2ab

1

1+

1

-00

Im Jahre 1932 publizierte kenswerten SatzlI:

e-(a+b)lxl dx ==

-00

b) Für f(x) == X]-a,a[(x) (a > 0) ist ](t) (3.9) liefert für a, b > 0: +00

00

t

1r ab(a+b)·

== _(21r)-1/22(sinat)/t (t

sin at sin bt d -

---2--

== (21r)-1/22a/(a 2+

. ( b)

t - 1rmln a,

NORBERT WIENER

E

IR), und

.

(1894-1964) folgenden bemer-

3.16 Satz von Wiener (1932). Für f E .cl(f-lp) liegt Span {fa: a E JRP} genau dann dicht in .cl (f-lp) , wenn] nullstellenfrei ist.

Die Notwendigkeit der Bedingung ist wie folgt leicht einzusehen: Angenommen, es gibt ein t o E IRP mit ](t o) == 0, so daß Span {fa: a E IRP} dicht liegt in .cl (f-lp). lOPARSEVAL DES CHENES, M.-A.: Memoire sur les series et sur l'integration complete d'une equation aux differences partielles lineaires du second ordre, a coefficiens constans, Memoires presentes a l'Institut des Sciences, Lettres et Arts, par divers savans, et lus dans ses assemblees, Sciences mathe et phys. (savans etrangers) 1, 638-648 (1806). 11 N. WIENER: Tauberian theorems, Ann. Math. 33, 1-100 (1932); Collected Works, Val. 11, 519-618, Cambridge, Mass.: MIT Press 1979.

V. Produktmaße

200

Dann gibt es zu jedem 9 E [}(Mp) und c > 0 endlich viele Al, ... , An E C und aI,"" an E JRP mit I/g - L7=I Ajfaj III < c. Wegen ia(t) == ei(a,t) j(t) verschwinden die Fourier-Transformierten von fal' ... ,fan an der Stelle t o, und da für alle h E .cI(Mp) gilt Ihl :::; IlhllI, müßte für alle 9 E .cI(M) gelten: g(t o) == 0: Widerspruch, denn für g(x) == exp( -llxl1 2 /2) ist g == 9 nullstellenfrei. - Der Beweis der Hinlängliehkeit der angegebenen Bedingung liegt wesentlich tiefer; s. z.B. H. REITER: Classieal harmonie analysis and loeally eompaet groups, London: Oxford University Press 1968, S. 8-9 oder K. CHANDRASEKHARAN: Classieal Fourier transforms, Berlin: Springer-Verlag 1989, S. 70-73. Benutzt man den Satz von FUBINI in der Version des Satzes 2.4, so lassen sich die Ergebnisse dieses Paragraphen über Faltung und Fourier-Transformation sinngemäß auch alle mit (27r)-P/2 AP anstelle von (27r)-P/2ßP == Mp aussprechen.

Aufgaben 3.1. Ist eine der Funktionen I, 9 E .cl (J-lp) beschränkt, so ist 1 * 9 gleichmäßig stetig auf IRP. Sind I, gELl (J-lp) beide unbeschränkt, so braucht 1 * 9 nicht stetig zu sein. 3.2. a) Für

l in lR. (Hinweise: Die Menge M der x E lR, für welche g(x) :== limn~oo exp(ianx) existiert~ist eine additive Gruppe. Nach dem Satz von STEINHAUS ist M == lR. Eine Betrachtung von

rf(x)g(x) dx == n~oo lim r f(x) exp(ianx) dx JIR

JIR lehrt, daß punkte?)

(an)n~l

§ 4.

Die Transformationsformel

beschränkt ist. Warum hat

(an)n~l

(f

E

.cl (lR))

keine zwei verschiedenen Häufungs-

" ... nanciscimur

quae est formula generalis pro integrali transformando. Quam formulam pro duabus et tribus variabilibus eodem fere tempore Eulerus et Lagrange invenerunt, sed ille paullo prius. Et haec formula egregie analogiam differentialis et Determinantis functionalis declarat."12 (C.G.J. JACOBI: De Determinantibus functionalibus, Gesammelte Werke, Bd. 111, S. 438) 12 ... erhalten wir

J

UBfBf1 ... Bfn ==

J (""

Bf Bf1 Bfn) U L.-- ± Bx . BX1 ... BX n

welches die allgemeine Transformationsformel für das Integral ist. Euler und Lagrange haben diese Formel für zwei und drei Variable fast gleichzeitig gefunden, aber jener ein wenig eher. Diese Formel macht in vorzüglicher Weise die Analogie zwischen der Ableitung und der Funktionaldeterminante deutlich. ("In Jacobi's Aufsatze ist nicht beachtet, dass bei der Transformation der Integrale immer nur der absolute Werth der Functionaldeterminante eine Rolle spielt ... ", bemerkt L. KRONECKER in seinen Vorlesungen über die Theorie der einfachen und der vielfachen Integrale, Leipzig: Teubner 1894 auf S. 235.)

202

V. Produktmaße

1. Die Transformationsformel. In Kap. 111 haben wir für jede bijektive affine Abbildung t : lRP -+ lRP die Bildmaße t(ßP), t(AP) bestimmt:

(4.1)

t(ßP) == Idet tl- l ßP, t(AP) == Idet tl- l AP .

Wesentliches Ziel dieses Paragraphen wird es sein, diese Ergebnisse durch einen Approximationsprozeß auf beliebige bijektive stetig differenzierbare Transformationen t mit nullstellenfreier Funktionaldeterminante auszudehnen. Zunächst erinnern wir an folgende Sachverhalte: Es seien X c :w offen und t : X -+ :w stetig differenzierbar, t == (tl,"" tp)t (Spaltenvektor). Mit D j :== 8 / 8xj (j == 1, ... ,p) ist dann

Dlt l , ... ,Dpt l ) Dt :== (Dlt, ... ,Dpt) = = : : ( Dltp , , Dptp die Funktionalmatrix von t. Bekanntlich besteht folgender Zusammenhang zwischen dem Nichtverschwinden der Funktionaldeterminante det Dt und der lokalen Bijektivität von t: Ist a E X und det((Dt)(a)) # 0, so vermittelt t einen CI-Diffeomorphismus einer offenen Umgebung U c X von a auf eine offene Umgebung V von f(a); d.h. tlU : U -+ V ist bijektiv, stetig differenzierbar, und die Umkehrabbildung (tIU)-1 : V -+ U ist ebenfalls stetig differenzierbar (s. W. WALTER: Analysis 11, S. 118 ff.). Die Funktionalmatrix der Umkehrabbildung ist dann nach der Kettenregel gegeben durch

(D(tIU)-I)(t(X)) == ((Dt)(X))-1

(x

E

U).

Ist also det Dt nullstellenfrei auf X, so ist Y :== t(X) eine offene Teilmenge des lRP. Weiter folgt: Ist t : X -+ Y eine bijektive stetig differenzierbare Abbildung der offenen Menge X c :w auf die offene Menge Y c lRP, so ist t genau dann ein CI-Diffeomorphismus, wenn det Dt nullstellenfrei ist auf X. - Man beachte, daß für p 2: 2 aus der Nullstellenfreiheit der Funktionaldeterminante einer stetig differenzierbaren Abbildung t von X auf Y nicht die Bijektivität von t folgt, wie das Beispiel der Polarkoordinatenabbildung t :]0, oo[ xlR -+ lR2 \ {O}, t(r, ')

=

1((D'{J)og\)g~

detDg\dßP

+

1

'{J0g>.

d~ (detDg\)dß P ,

15L.E. BROUWER: Über Abbildung von Mannigfaltigkeiten, Math. Ann. 71, 97-115 und S. 598 (1912); Berichtigung, Math. Ann. 82, 286 (1921).

V. Produktmaße

214

wobei der Strich stets die Ableitung nach'x bezeichnet. Ist nun A('x) == (ajk('x)) eine (p xp)Matrix von differenzierbaren Funktionen ajk :]0,1[-0 IR, ak == (alk,"" apk)t die k-te Spalte von A(-\), so gilt (4.32)

d~ det A(A) = det(a~, a2,···, a p ) + det(aI, a;, a3,· .. ap ) + ... p

+det(al, ... ,ap-l,a~) ==

L

a}k('x)äjk('x) == SpurA'('x)A('x) ,

j,k=l wobei A('x) == (äjk(,X))t die Komplementärmatrix von A('x) bezeichnet und äjk('x) == (_l)j+k det A jk (,X), wobei A jk (,X) durch Streichen der j-ten Zeile und k-ten Spalte aus A('x) entsteht. Das zweite Integral auf der rechten Seite von (4.31) ist also gleich

i =

'P 0 g>.

d~ det Dg>. dßP =

i

'P 0 g>. Spur

(Dg~)(Dg>.)~dßP

t 1.(Dk(g~)j)(Dg>.)jkdßP.

j,k=l

B

Hier bezeichnen (g~)j die j-te Koordinate von g~ und (Dg)..)jk das Element in der j-ten Zeile und k-ten Spalte von (Dg)..t'"'. Im letzten Integral integrieren wir partiell in bezug auf die Variable Xk und wälzen die Differentiation von Dk(g~)j auf die übrigen Faktoren ab. Da der Integrand nach Wahl von K,8 einen kompakten Träger in B hat, treten keine Randbeiträge auf, und wir haben

+

i

.

(g~)j Dk(Dg>.)jk dßP )

.

Nach dem Entwicklungssatz ist L~=l Dk(g)..)i (Dg)..)jk == 8ij det Dg).., also ist die erste Summe auf der rechten Seite von (4.33) gleich dem ersten Integral auf der rechten Seite von (4.31). Das ergibt:

-i

. div (Dg>.)~g~ dßP ,

wobei die spaltenweise zu bildende Divergenz von (Dg)..)'" ein Zeilenvektor ist, der mit dem Spaltenvektor g~ zu multiplizieren ist. Nach dem folgenden Lemma ist nun div (Dg)..)'" == 0, also ist h' (,X) == 0, und die Behauptung ist bewiesen. 0 4.13 Lemma von J ACOBI. Ist U so gilt

c IRP

offen und 9 : U -0 IRP zweimal stetig differenzierbar,

div (Dg)'" == 0,

215

§ 4. Die Transformationsformel

wobei die k-te Koordinate des Zeilenvektors auf der linken Seite gleich der Divergenz des k-ten Spaltenvektors der Komplementärmatrix (D g) rv von D 9 ist. Beweis. Bezeichnet L ij die Determinante der (p - 1)-reihigen Matrix, die aus Dg durch Streichen der i-ten Zeile und der j-ten Spalte entsteht, so ist (Dg)rv == (( -l)i+ j Lij)t. Aus Symmetriegründen genügt es daher zu zeigen, daß die erste Koordinate von div (Dg)rv verschwindet, d.h. wir haben zu zeigen:

~ 1+' ~(-1) J j=1

a ax ,L 1j ==0. J

Mit h :== (g2, ... , gp)t : U --+ ffi;.p-l ist L 1j == det(D 1h, ... , D j - 1h, D j + 1h, ... , Dph). Wir bezeichnen für i i- j mit Cij die Determinante der (p - l)-reihigen Matrix, deren erste Spalte gleich DiDjh ist, während die übrigen Spalten gleich D 1h, ... , Dph (im Sinne wachsender Indizes) sind, wobei die Spalten Dih und Djh auszulassen sind; C ii :== O. Dann ist nach (4.32)

mit

Cij

== 1 für i

< j, Cii

== 0 und

Cij

== -1 für i

p

> j. Das ergibt: P

j L(-1)I+ D j L 1j == L (-l)i+jcijCij. j=1 i,j=1

Die rechte Summe ist invariant bei Vertauschung der Summationsindizes i, j. Andererseits ist == -Cji, C ij == C ji , so daß die rechte Seite bei Vertauschung von i und j das Vorzeichen wechselt. Daher verschwindet die rechte Seite, und das war zu zeigen. D

Cij

Der tiefere Grund für die Konstanz der Funktion h aus dem Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes ist die Homotopieinvarianz des Abbildungsgrads; s. H. LEINFELDER und C. SIMADER: The Brouwer fixed point theorem and the transformation rule for multiple integrals via homotopy arguments, Expo. Math. 4, 349-355 (1983). In dieser Arbeit wird auch gezeigt, wie die Argumente aus dem obigen Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes zu einem Beweis der Transformationsformel ausgestaltet werden können. Eine Teilmenge Ades topologischen Raums X heißt ein Retrakt von X, wenn es eine stetige Abbildung f : X --+ A mit flA == idA gibt; eine solche Abbildung f heißt dann eine Retraktion von X auf A. 4.14 Korollar. Sp-l ist kein Retrakt von lffiP. Beweis. Gäbe es eine Retraktion f von lffiP auf Sp-l, so wäre - feine fixpunktfreie stetige Abbildung von IffiP in sich: Widerspruch zum Brouwerschen Fixpunktsatz! D

Eine stetige Abbildung f : X --+ X eines topologischen Raums X in sich heißt nullhomotop ("stetig in eine konstante Abbildung deformierbar"), wenn es eine stetige Abbildung F : X x [O,lJ --+ X und ein a E X gibt mit F(x,O) == f(x) (x E X) und F(x, 1) == a (x EX). Eine solche Abbildung F heißt dann eine Nullhomotopie. 4.15 Korollar. Die Identität von Sp-l ist nicht nullhomotop. Beweis. Gäbe es eine Nullhomotopie F : Sp-l x [O,lJ --+ Sp-l von idsp-l, so wäre f : IffiP --+ SP-1, f(AX) := F(x, 1 - A) (x E SP-1, 0 :::; A :::; 1) wohldefiniert (!) und eine Retraktion von IffiP auf Sp-l: Widerspruch zu Korollar 4.14! D

Aufgaben. 4.1. Es seien X C ffi;.P offen und konvex und t : X --+ ffi;.P stetig differenzierbar und (Dt)(c) : ffi;.P --+ ffi;.P (c E X) positiv definit. Dann ist t injektiv. (Hinweis: Sind a, b E X, t(a) ==

v.

216 t(b), so wende man für festes Y E W auf die Funktion

+ 'x(b -

(t(a

,X t-+

Produktmaße

a)), y)

(-8
0) .

Da G(t) > 0 ist, lassen sich F(t) und G(t) explizit bestimmen. Folgern Sie durch Grenzübergang t -1- +0:

1

00

(R-)

1

Vi

00

2

cosx dx

=

(R-)

2

sinx dx

=

(Fresnelsche Integrale). 4.4. a) Es seien al, ... , a p Borel-meßbar. Dann gilt:

> 0, Y

:=

{y E ~P

:

y > 0, YI + ... +

r f(Yl + ... + yp)y~,-1 ..... y;p-l dßP(y) = r(al) +

Jy

f(al

YP

r(ap )

+ ap )

< 1} und f :]0,1[-1- [0,00]

t

Jo

f(U)UUl+ ...+up-l du,

und diese Gleichung gilt auch, falls f :]0,1[-1- JK Borel-meßbar ist und eines der beiden Integrale existiert. (Hinweis: Benutzen Sie zur iterativen Berechnung des Integrals die Transformation t: X -1- Y,t(x) := (XI, ... ,Xp-2,Xp-IXp,Xp-I(1- xp))t, wobei X = {x E RP : x > 0, Xl + ... + Xp-l < 1, xp < 1}.) Ist zusätzlich ap+l > 0, so gilt:

r (1 _ (YI + ... + Yp)Y~P+I-Iyfl-1 ..... y~p-l dßP(y) =

Jy

f(al) f(al +

f(ap+I)

+ ap+l)

(DIRICHLET [1]' S. 383 ff., [2], S. 375 ff.). b) Sind aI, ... ,ap,al, ... ,ap,ßI, ... ,ßp > 0 und Z:= {z E ~p : z > 0, (zl/al)QI + ... + (zp/ap)Qp < 1},pj:= ßj/aj (j == 1, ... ,p), so gilt unter entsprechenden Voraussetzungen an f: f((zl/all u l + ... + (zp/ap)up)z~d ..... zgp-l dßP(z)

i

= a~' al

P

ag r(Pl) a p f(PI +

r(pp)

t

+ pp) Jo

f(u)uP1 +...+pp-l du.

c) Das Volumen des p-dimensionalen Ellipsoids E(al, ... ,ap):== {x E ~p : (xI/al)2 (x p / ap )2 < 1} beträgt

+ ... +

217

§ 4. Die Transformationsformel speziell ist

ßP(Kr(O)) ==

4.5. Unter entsprechenden Voraussetzungen an

!

f( XlI/al

X

(J.L.

RAABE,

+ ... + X pl/ap) dßP( X ) ==

f(al

Jrp/2 (P ) rP. 2" + 1

f

f

gilt für ab ... ,ap

+ 1)· ... · f(a p) + 1)

f(

al

+ ... + a p

> 0, X ==]0, oo[P:



00

f( ) al+··.+ap-l d r r

r

J. reine angew. Math. 28, 19-27 (1844)).

4.6. Für Res> p/2 existiert das Integral

1p(s):==

r (1 + IlxI1 2)-S dßP(x) ,

J~P

und es ist

Ip(s) = h Mit I l (s) == ftf

(s -

(s - p; 1)

Ip-ds).

~) /f(s) ergibt sich daher

1p(s) == Jrp/2f (s -

~) /f(s).

(Alternativen: Polarkoordinaten oder Aufgabe 4.5.) 4.7. Es seien B E ~P,ßP(B) < 00, und für festes a E ~'p+l mit ap+l mit der Basis B und der Spitze a, d.h. K == {-\(b, 0) + (1 - -\)a : K E ~p+l und ßP+l (K) == ap+l ßP(B) . p+1

>

°

sei K der Kegel

°:: ; -\ : :; 1, bEB}. Dann ist

4.8. Für n 2: 1 sei E n :== {x E lRn : Ilxll ]O,oo[xEp-l,Y :==]O,oo[xW-l,t: X -t Y,

< I}. - Es seien nun p 2: 2 und X .-

t(r,x) :== r((1-llxI1 2)1/2,x)

(r

> O,X

E Ep-

l ).

Dann ist tein Cl-Diffeomorphismusmit detDt(r,x) == r P- l (1_llxI1 2)-1/2. Ist F :]O,oo[-t Borel-meßbar und F(r)r P - l über ]0, oo[ ßl-integrierbar, so gilt:

t

Insbesondere resultiert für F == X]O,l[

und für F(r) == exp( -r 2 ):

ßP(Ep) ==

f

Jrp/2 (P ) . 2"

+

1

4.9. Sind a > O,ß > O,a+ß < p und x,y E lRP,x i= y, so ist die Funktion z ~ Ilx-zlla-PllzyIIß-P ßP-integrierbar über lRP, und es gibt eine nur von a, ß, p abhängige Konstante Ca,ß, so daß Ilx - zlla-Pllz - yIIß-P dßP(z) == Ca,ßllx _ y!!a+ ß- p .

r

J~P

(Bemerkung: Ca,ß == Jr P/ 2f(a/2)f(ß/2)f((p - a - ß)/2)/(f((p - a)/2)f((p - ß)/2)f((a + ß)/2)); s. N. DU PLESSIS: An introduction to potential theory, Edinburgh: Oliver & Boyd 1970, S. 71 ff. oder N.S. LANDKOF: Foundations 0/ modern potential theory, Berlin-Heidelberg-New

218

V. Produktmaße

York: Springer-Verlag 1972, S. 44.) 4.10. Es sei t : IRP \ {O} -+]0, oo[xS P-l, t(x) := = Pp 0 wp, wobei

(lIxII, IIxll- 1x)

(x E IRP, x

i-

0). Dann ist

t(ßP)

JArr P-

1dß1(r) für A E '1)P

]0,00['

pßP({ax: 0 < a::; 1,x E B}) für B E

~P,B C

Sp-1.

4.11. Für r ~ 0 sei Kr := {z E C : Izl < r}. Es seien R > 0 und f, 9 : KR -+ C holomorphe Funktionen mit den Taylorreihen f(z) = L~=oanzn,g(z) = L~=obnzn (an,b n E C für n ~ 0, Izi < R). a) Für 0 ::; r < R gilt:

b) Für 0 ::; r ::; Rist

1 1/1

2

dß2

= 1r

f

n=O

Kr

~a:l: r2n +2 ,

und sind If1 2, Igl 2 ß2-integrierbar über KR, so gilt die Formel unter a) für 0 ::; r ::; R. c) Ist f injektiv, so gilt:

ß2(f(Kr )) =

1f

L

nla n l 2r 2n

(0::; r ::; R).

n=l Bezeichnet SR die Menge aller holomorphen und injektiven Abbildungen f(O) = 0, f'(O) = 1, so gilt

f : KR -+

C mit

und das Infimum wird genau dann angenommen, wenn f(z) = z. d) Ist f(z) = 1 + L~=l anz n für Izi < R holomorph und 0 < r < R,

so hat f in Kr eine Nullstelle. (Hinweis: Ist f in Kr nullstellenfrei, so hat f auf Kr eine "holomorphe Quadratwurzel" 9 mit g(O) = 1, f = g2. Wie beginnt die Potenzreihe von 9 um O?) e) Wie lautet das Analogon von a) für Funktionen f, g, die in einem Kreisring D(r, R) := {z E C : r < Izi < R} (0::; r < R) holomorph sind? f) Ist f in D(O, R) holomorph, 0 < r < Rund fD(O,r) Ifl 2 dß2 < 00, so hat f in 0 eine hebbare Singularität. 4.12. Es seien JE := {z E C : Izi < I}, G die Gruppe der Abbildungen z f---+ (az + ß)/(ßz + a) (a, ß E C, lal 2 -IßI 2 = 1). (In der Funktionentheorie wird gezeigt, daß G gleich der Gruppe aller biholomorphen Abbildungen von JE auf sich ist; s. z.B. R. REMMERT: Funktionentheorie I, 4. Auf!. Berlin-Heidelberg-New York: Springer-Verlag 1995). a) Das Maß J-l mit der Dichte 4(1 - IzI 2)-2 bez. ßi ist G-invariant, d.h. es ist g(J-l) = J-l für alle 9 E G. b) Bezeichnet SI die Einheitskreislinie, so operiert G auf X := JE x SI vermöge

g(z,():= (g(z), (g'(z)/lg'(z)l)

((z,() E X,g E G).

Es bezeichne w das durch w( {ei

l nicht in L P zu konvergieren: Wählt man (X, 2l, J-l) == 2 ([0, 1]' ~[Ü,lJ' ß~,lJ)' In ~== n /P XJÜ,1/nJ, so gilt: In -t 0, In E L P , aber Illnll~ == n, d.h. (In)n>l ist nicht einmal beschränkt in L P • b) Ist 0 p < 00, In E L P und konvergiert (In)n?.1 gleichmäßig gegen 0, so braucht (In)n>l nicht in L P zu konvergieren, lalls J-l(X) == 00. Als Beispiel wählen wir (X,2l,J-l) == (JR,~l,ßl) und In :== n- 1X[Ü,2 n J. Dann konvergiert (In)n?.1 gleichmäßig gegen 0, aber wegen Illnll~ == n-P 2n ist (In)n?.1 nicht einmal beschränkt in L P • c) Eine n.M. konvergente Folge braucht nicht f. ü. zu konvergieren: s. Beispiel 2.8. d) Ist J-l(X) == 00 und konvergiert (In)n?.1 punktweise überall und nach Maß und in jedem L P (0 < p < (0) gegen 0, so braucht (In)n>l nicht fast gleichmäßig gegen 0 zu konvergieren: Wählt man (X, 2l, J-l) == (JR, ful, ßl) und In :== X[n,n+l/n], so gilt In -t 0, In -t 0 n.M., Illnllp -t 0, aber für jedes n E N und 0 < E < 1 ist

.
O. Es gibt eine Teilfolge gk :== fnk (k 2: 1), so daß j1 ({ gk - f 2: E}) ---t lim j1 ({ f n - f 2: E}) . I

1

1

1

k---+oon---+oo

Nach Voraussetzung hat (gk)k21 eine Teilfolge (gkJl21, die fast gleichmäßig gegen f konvergiert. Nach Satz 4.4 konvergiert j1( {Igk l - fl 2: E}) für l ---+ 00 gegen 0, also ist lim j1 ({ f n - f ~ E}) == O. 0 1

I

n---+oo

4.13 Korollar. Sind f, fn : X ---+ JK meßbar, so gilt: Konvergiert (fn)n21 n.M. gegen f, so hat jede Teilfolge von (fn)n21 eine j1-f.ü. gegen f konvergente Teilfolge. Für j1(X) < 00 gilt auch die umgekehrte Implikation.

Beweis: klar nach Satz 4.12 und dem Satz von

o

JEGOROW.

4.14 Satz. Sind j1 a-endlich und f, fn : X ---+ JK meßbar, so gilt: Konvergiert fn ---+ f lokal n.M., so hat (fn)n2 1 eine f.ü. gegen f konvergente Teilfolge.

Beweis. Es gelte fn ---+ f lokal n.M. Wir wählen A k E Ql mit A k t X, j1(A k ) < (k E N). Nach Korollar 4.13 existiert eine Teilfolge (fln)n2 1, so daß (fln I A 1)n2 1 f.ü. gegen f I Al konvergiert. Ebenso hat (fln)n21 eine Teilfolge (f2n)n21, so daß (f2n I A 2)n>1 f.ü. gegen f I A 2 konvergiert usw. Die Diagonalfolge (fnn)n>l aller dieser Folgen (fkn)n21 (k E N) konvergiert f.ü. gegen f. 0 00

4.15 Korollar. Sind j1 a-endlich und f, fn : X ---+ JK meßbar, so gilt: (fn)n21 konvergiert lokal n.M. gegen f genau dann, wenn jede Teilfolge von (fn)n?l eine f. ü. gegen f konvergente Teilfolge hat.

Beweis. Die Notwendigkeit der Teilfolgenbedingung ist klar nach Satz 4.14. Die 0 Umkehrung folgt aus Satz 4.12 und dem Satz von JEGOROW.

Aufgaben. 4.1. Sind In, I : X -+ 1K meßbar, konvergiert (/n)n>l nach Maß gegen ist (In)n?l eine Cauchy-Folge für die fast gleichmäßige Konvergenz, so gilt In -+ gleichmäßig.

4.2. Sind J-L lT-endlich, In, n.M., so ist I == 9 J-L-f.ü.

I, 9

: X -+

TI(

meßbar und gilt

In -+ I

lokal n.M.,

In -+

I I

und fast

9 lokal

4.3. Konvergiert die Folge der meßbaren Funktionen In: X -+ 1K lokal n.M. gegen die meßbare Funktion I : X -+ TI( und ist cp : 1K -+ TI( stetig, so konvergiert (CPOln)n?l lokal n.M. gegen cp 01. Die entsprechende Aussage für die Konvergenz n.M. ist falsch. 4.4. Es sei M der Vektorraum der meßbaren Funktionen

I : X -+

IK.

§ 5. Konvergenz in a) Ist p(X)


0, so daß Iv(A) I ::; a für alle A E 2l. b) Erfüllt r.p : 2l --+ IR die Bedingungen aus Definition 1.1, wobei (iii) abgeschwächt wird zur endlichen Additivität (r.p(A U B) == r.p(A) + r.p(B) für alle disjunkten A, B E 2l), so heißt r.p ein signierter Inhalt auf 2l; dabei braucht 2l nur ein Ring über X zu sein. Ist r.p(2l) C IR:., so heißt r.p endlich. Zeigen Sie: Ein endlicher signierter Inhalt braucht nicht beschränkt zu sein. Ein endlicher (J"-additiver signierter Inhalt braucht keine Fortsetzung zu einem signierten Maß zu haben. (Hinweis: Es seien 2l die von den einelementigen Teilmengen einer überabzählbaren Menge X erzeugte Algebra und r.p(A) :== lAI, falls A endlich ist, und r.p(A) :== -IAcI, falls Ac endlich ist.) 1.6. Es sei r.p : 2l --+ IR ein signierter Inhalt auf der Algebra 2l über X. a) Ist r.p nach oben oder unten beschränkt, so sind r.p+, r.p- : 2l -+ IR,

.-

sup{r.p(B): B C A, B E 2l}, -inf{r.p(B): Be A,B E 2l}

zwei Inhalte, von denen mindestens einer endlich (und damit beschränkt) ist, und es gilt r.p == r.p+ - r.p-. Diese Zerlegung ist minimal in folgendem Sinne: Sind p, (J" : 2l -+ IR zwei Inhalte, von denen einer endlich ist, und gilt r.p == P - (J", so ist r.p+ ::; p, r.p- ::; (J". b) Ist r.p (J"-additiv und nach oben oder unten beschränkt, so sind r.p+ und r.p- Prämaße. c) r.p gestattet genau dann eine Fortsetzung zu einem signierten Maß auf (J"(2l), wenn r.p (J"additiv und nach oben oder unten beschränkt ist. 1.7. Eine Abbildung v : 2l -+ C heißt ein komplexes Maß, wenn für jede Folge disjunkter Mengen An E 2l (n 2: 1) gilt: v (U~=l An) == L~=l v(A n ). - Es sei v ein komplexes Maß.

278

VII. Absolute Stetigkeit

Die Variation

Iv I von v wird definiert durch

Id(A) := sup

{~IV(Aj)1 : An

E 2l disjunkt

(j 2: l),A =

g

Aj } .

Eine Menge A E 2l heißt eine v-Nullmenge, falls v(B) = 0 für alle B E 2l, B C A. a) v ist genau dann ein komplexes Maß, wenn Rev, Im v endliche signierte Maße sind. b) Aufgabe 1.1 gilt sinngemäß für komplexe Maße. c) ist das kleinste positive Maß J-L auf 2l, so daß Iv(A)1 S; J-L(A) für alle A E 2l.

lvi

lvi (X)

(v E

ein komplexes Maß; v heißt das komplexe Maß mit der Dichte 1 bez. v; Schreibweise: v = Zeigen Sie: = 1118 /-l.

18/-l.

d) Der Vektorraum Mc(2l) der komplexen Maße auf2l ist bez. der Norm IIvll := Mc(2l)) ein komplexer Banach-Raum. 1.8. Ist (X, 2l, J-L) ein Maßraum und

1 : X ---+ C

v(A) :=

L!

integrierbar, so ist v : 2l ---+ C,

dp

(A E 2l)

lvi

Iv I Ipl;

1.9. Zwei komplexe Maße v, p auf2l heißen zueinander singulär, falls ..1 Schreibweise: v ..1 p. -Sind v, p komplexe Maße auf 2l, so sind folgende Aussagen äquivalent: a) v ..1 p; b) IIv + pli = Ilvll + Ilpll und IIv - pli = IIvll + IIpll; c) IIv + pli + IIv - pli = 2(lIvli + IIpll)· 1.10. Ist

1 : [a, b] ---+

IR eine Funktion, so heißt

Var(f; [a, b]) := sup

{~ 1!(Xk) -

!(xk-Ill : a = Xo < Xl < ... < Xn

=

b, n

E N}

die Totalvariation von 1 über [a, b], und 1 heißt von beschränkter Variation über [a, b], falls Var(l; [a, bJ) < 00. Entsprechend nennt man das Supremum der Menge aller Summen n

L max(l(xk) -

I(Xk-I), 0), a

= Xo < Xl < ... < Xn = b

k=l

die positive Variation Var+ (I; [a, bJ) und das Supremum der Menge aller Summen n

- L min(l(xk) -

I(Xk-I), 0), a

= Xo < Xl < ... < Xn = b

k=l

die negative Variation Var- (I; [a, bJ) von 1 über [a, b]. a) Für a < c < bist Var(l; [a, bJ) = Var(l; [a, cJ) + Var(l; [c, bJ). Entsprechendes gilt für Var+ und Var-. b) Die Menge BV (a, b) der Funktionen 1 : [a, b] ---+ IR von beschränkter Variation ist ein Vektorraum über IR. c) Jede monotone und jede Lipschitz-stetige Funktion 1 : [a, b] ---+ IR sind von beschränkter Variation. - Ist r.p : [a, b] ---+ IR Lebesgue-integrierbar, so ist I(x) := r.p(t) dt (a S; X S; b) von beschränkter Variation. d) Für alle 1 E BV (a, b) gilt:

J:

I(b) - I(a) Var(l; [a, bJ)

Var+ (I; [a, b])

+ Var- (I; [a, b]) .

1 E BV(a, b) ist Differenz monotoner Funktionen; genauer gilt: Die Funktionen := Var+(I; [a,xJ),t-(x) := Var-(I; [a,xJ) sind monoton wachsend mit 1 = I(a) +t+-

e) Jedes

t+(x)

Var+ (I; [a, bJ) - Var- (I; [a, bJ) ,

§ 2. Satz von

RADON-NIKODYM

und Lebesguescher Zerlegungssatz

279

t-. Diese Darstellung von f als Differenz zweier wachsender Funktionen heißt Minimalzerlegung von f, denn sie ist minimal in folgendem Sinne: Ist f == 9 - h mit wachsenden Funktionen g, h : [a, b] -+ IR, so sind 9 - t+ und h - t- wachsend. (Bemerkung: Wegen der Analogie dieser von C. JORDAN entdeckten Zerlegung zur Darstellung (*) v == v+ - v- nennt man (*) die Jordan-Zerlegung von v; s. auch h).) f) Ist f E BV (a, b), so hat f höchstens abzählbar viele Unstetigkeitsstellen und in jedem x E [a, b] einen rechtsseitigen und einen linksseitigen Grenzwert. g) Sind f,t+,t- wie in e), so gilt für kein x E [a,b[ zugleich t+(x + 0) - t+(x) > 0 und t- (x + 0) - t- (x) > O. Entsprechendes gilt für die linksseitigen Grenzwerte. Daher ist f in x E [a, b] genau dann (rechts- bzw. linksseitig) stetig, wenn t+ und t- in x (rechts- bzw. linksseitig) stetig sind, und das ist genau dann der Fall, wenn t == t+ + t- in x (rechts- bzw. linksseitig) stetig ist. Insbesondere ist f E BV(a, b) genau dann stetig, wenn die Komponenten der Minimalzerlegung von f stetig sind. h) Ist f E BV(a, b) auf Ja, b[ rechtsseitig stetig, so definieren t+, t- gemäß Kap. 11 zwei endliche Maße p, (J" auf Qt :== ~1 I [a, b]. Zeigen Sie: Für das endliche signierte Maß v :== p - (J" auf Qt gilt v+ == p, v- == (J", d.h. der Minimalzerlegung von f entspricht die Jordan-Zerlegung von v. i) Jedes f E BV(a, b) läßt sich schreiben als f == s + 9 mit der Sprung/unktion s E BV(a, b), s(a) :== 0,

s(x) :== f(a

+ 0) -

f(a)

+

L

(f(u

+ 0) -

f(u - 0))

+ (f(x)

- f(x - 0))

(a < x :::; b),

a ein 8 > 0 existiert, so daß Iv(A)1 < E für alle A E 21. mit 1J.1I(A) < 8. (RADON [1], S. 1319.)

°

2.2. Es seien J.1 ein endliches signiertes Maß, v ein signierter Inhalt auf 21., und für jede Folge (A n )n2: 1 von Mengen aus 21. mit 1J.11 (An) -t gelte v(A n ) -t 0. Dann ist v ein signiertes Maß auf 21..

°

2.3. Es seien (X, 21., J.1), (Y,~, v) Maßräume, 1 : X -t Y meßbar und j1, v die Vervollständigungen von J.1 bzw. v. Zeigen Sie: Aus 1(J.1) « v folgt 1(j1) « v. (Vgl. Aufgabe II1.1.2.) 2.4. Es seien J.1 ein a-endliches Maß und v, p signierte Maße auf 21.. a) Aus v« J.1 folgt av« J.1 (a E lR) und d(av)/dJ.1 == a(dv/dJ.1) J.1-f.ü. b) Nehmen v und p beide den Wert +00 oder beide den Wert -00 nicht an, so ist v falls v « J.1 und p « J.1, und dann gilt: d(v + p) / dJ.1 == dv / dJ.1 + dp / dJ.1 J.1-f. ü. c) Ist v ein a-endliches Maß mit p « v, v « J.1, so gilt die "Kettenregel"

dp dv -dvdJ.1 d) Ist v ein a-endliches Maß mit v

«

J.1 und J.1

:: =

(~~

J.1-f.ü.

«

r

+ p« J.1,

v, so ist dv/dM =I

°

J.1-f.ü. und

1

/l-f.ü.

2.5 In welchen der folgenden Beispiele existiert eine Lebesguesche Zerlegung von v bez. J.1? a) 21. == ~l 1[0, 1] , J.1 == Zählmaß, v == ßl 121.. b) 21. == ~l 1[0,1], J.1 == ßl 121., v == Zählmaß. c) 21. == ~l 1[0,1], M C [0,1], J.1(A) :== Anzahl der Elemente von AnM, v(A) :== Anzahl der Elemente von A n Me (A E 21.). (Hinweis: Unterscheiden Sie die Fälle M E 21. und M ~ 21..) d) 21. == ~21 [0,1]2, J.1(A) :== LXE[O,l] ßl(A x ), v(A) :== LYE[O,l] ßl(AY) (A E 21.). 2.6. Sind J.1 ein a-endliches Maß, v ein a-endliches signiertes Maß auf 21., so gilt v 1. J.1 genau dann, wenn kein signiertes Maß p i 0 existiert mit I pi:::; I v I, p « J.1. 2.7. Sind v, p signierte oder komplexe Maße auf 21., so sind folgende Aussagen äquivalent:

a) v« p; b) (Rev)± «p, (Imp)± «p; c) d)

lvi « p; lvi « Ipl·

2.8. Sind J.1, v signierte oder komplexe Maße auf 21., und hat v eine Lebesguesche Zerlegung v == p + a, p « J.1, a 1. J.1, so hat die Lebesguesche Zerlegung == +

lvi

lvi Ipl lai·

2.9. Ist v : 21. -t 1R ein endliches signiertes Maß, so gibt es eine Ivl-integrierbare Funktion 9 : X -t lR, I9 I == 1, so daß v == 9 8 I v



2.10. Ist v ein komplexes Maß auf 21., so seien p :== Rev, a :== Im v und .c~(v) :== .c~(p+)

n .c~(p-) n .c~(a+) n .c~(a-).

Für 1 E .c~(v) sei

r 1 dv:== Jxr 1 dp+ - Jxr 1 dp- + i Jxr 1 da+ - i Jxr 1 da- .

Jx

VII. Absolute Stetigkeit

288

2.11. Es seien /1 ein (T-endliches Maß und v ein komplexes Maß auf 21. mit v « /1. Dann existiert eine /1-f.ü. eindeutig bestimmte Dichte 9 E I:,~(/1) mit v == 9 8 /1. Für meßbares 1 : X -+ C gilt f E I:,~(v) genau dann, wenn Ig E I:,~(/1), und dann gilt

Ix fdv = Ix fgdJ1.. 2.12. a) Ist v : 21. -+ C ein komplexes Maß, so gibt es eine meßbare Funktion 9 : X -+ C mit Igl == 1, so daß v == 9 (Bemerkung: In Analogie zur Polarkoordinatendarstellung komplexer Zahlen nennt man diese Darstellung die polare Zerlegung von v.) b) Für alle 1 E I:,~(v) gilt

81vl.

IIx f dvl ::; Ix Ifl dlvl·

2.13. Es seien (X j , 21. j ,/1j) ein (T-endlicher Maßraum und Vj ein (T-endliches Maß auf 21. j mit der Lebesgueschen Zerlegung Vj == Pj + (Tj, Pj « /1j, (Tj .l- /1j (j == 1, 2). Dann hat VI Q9 v2

bez. /11

Q9

/12 die Lebesguesche Zerlegung VI

+ P2 Q9 (Tl + (Tl Q9 (T2

Q9

v2 == P + (T mit P :== PI

Q9

P2

«

J-L1

Q9

/12 und

-+ IR bez. J-Lj (j == 1, 2), so hat PI Q9 P2 bez. /11 Q9 /12 die Dichte 11 Q9 12(X1, X2) :== 11 (Xl) ·/2(X2) (Xj E X j , j == 1, 2). (T :== PI

Q9

(T2

.l- /11 Q9 /12' Hat Pj die Dichte Ij : X j

2.14. Ist (/1n)n?l eine Folge (T-endlicher Maße auf 21., so existiert ein (T-endliches Maß J-L auf 21., so daß J-Ln « /1 für alle n E N. 2.15. Ist P ein Maß auf 21. und M E 21., so sei PM(A) :== p(AnM) (A E 21.). - Es seien nun /1, v zwei (T-endliche Maße auf 21.. Dann existiert eine Zerlegung X == S U E (S, E E 21., Sn E == 0),

so daß gilt: /1 == /1s + /1E, V == Vs + VE, Vs .l- /1s, VE « /1E und /1E für (T-endliche signierte Maße /1, v. (Hinweis: Nach dem Satz von

«

VE. Entsprechendes gilt

RADON-NIKODYM

gibt es

I,g E M+, so daß /1 == 187,V == g87, wobei 7:== /1+v. Die Mengen S:== {I == O}U{g == O}

und E :== Sc leisten das Verlangte.)

§ 3.

Der DualrauIll von LP (1

< P < 00)

1. Der Dualraum von V(J-L) (1::; P < (0). Ist (V, 11·11) ein Banach-Raum über JK, so heißt

V' :== {cp : cp : V -+ JK linear und stetig} der (stetige) Dualraum von V. Bez. der Norm

11 cpll :== sup{ Icp(x) 1: x

E V,

Ilxll ::; I}

ist auch V' ein Banach-Raum. Für viele funktionalanalytische Untersuchungen ist die genaue Kenntnis von V' eine wesentliche Voraussetzung. Im folgenden sei stets (X, 2(, J-L) ein Maßraum. Es ist unser Ziel, mit Hilfe des Satzes von RADON-NIKODYM zu zeigen, daß der Dualraum des Banach-Raums V(J-L) (1::; P < (0) (zumindest für a-endliches J-L) zu Lq(J-L) normisomorph ist. Dabei ist q E]l, 00] gemäß 1 1

-+-==1 P q

festgelegt. Diese Bezeichnung wird im folgenden stillschweigend beibehalten.

§ 3. Der Dualraum von V

(1::; p < 00)

289

3.1 Lemma. Für jedes 9 E Lq ist 0 gemäß

Definition 4.11, so existieren nach dem Überdeckungssatz von VITALI endlich viele disjunkte Intervalle I k :== [Xk' Xk + h k] (Xk E A, h k > 0, Yk :== Xk + h k < c,k == 1, ... ,n), so daß (4.8) 14VITALI 15VITALI

[1], S. 207. [1], S. 215 f.

VII. Absolute Stetigkeit

304

und 11 (A \ U~=l I k ) < 6. Wir denken uns die Xk, Yk der Größe nach geordnet:

Yo :== a

Xl < YI

~

~

X2 < Y2

~

Xn < Yn

~

...

~

c ==: Xn+l .

Dann ist also L:~=O(Xk+1 - Yk) < 8 und mithin L:~=o IF(Xk+l) - F(Yk)1 < c. Wegen (4.8) ergibt das n

IF(c) - F(a) I =

n

IL

(F(XkH) - F(Yk)) +

k=O

L

(F(Yk) - F(Xk)) I < E(C - a + 1) .

k=l

Da c > 0 beliebig ist, folgt F( c) == F(a) für a < c < b, also ist F konstant.

0

4.14 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung für das Lebesgue-Integral (H. LEBESGUE (1904), G. VITALI (1905))16. a) Ist f : [a, b] -t Jk Lebesgue-integrierbar, so ist

1 x

F(x)

:=

(a::; x ::; b)

f(t) dt

absolut stetig, und es gilt F' == f A-f. ü. b) Ist F : [a, b] -t ]I{ absolut stetig und setzt man F' (x) :== 0 für alle x E [a, b], in denen F nicht differenzierbar ist, so ist F' Lebesgue-integrierbar über [a, b], und es gilt

1 x

F(x) - F(a)

=

(a::; x ::; b) .

F'(t) dt

Beweis. a) Nach Aufgabe IV.3.7 gibt es zu jedem c > 0 ein 6 > 0, so daß für alle A E )21 mit A(A) < 8 gilt JA Ifl dA < c. Daher ist F absolut stetig, insbesondere ist F A-f.ü. differenzierbar (Folgerung 4.12, b)). Wir beweisen die GI. F' == f A-f.ü. zunächst in dem Fall, daß f beschränkt ist: Sei etwa If(x)1 ~ M (x E [a, bJ). Wir setzen f(x) :== f(b) für alle x 2 bund

( ( 1) - F(x) ) =

fn(x):= n F x+;

Dann ist Ifnl ~ M für alle n E N und majorisierten Konvergenz liefert nun für a lim

n---+oo

n

Jx(x+I/n f(t)dt

(a::; x::; b).

fn

-t F' A-f.ü. Der Satz von der

~

~

c

b:

jC fn(x) dx = lim n je (F (x + ~) - F(X)) dx a

n---+oo

1~~ (n [cHln F(x) dx -

n

a

n1 a

1/n

+

F(x) dX)

1 c

F(c) - F(a) = -------16LEBESGUE [2], S. 145 und

458-459.

f(x) dx,

S. 175-182, [6], S. 183 und S. 188;

VITALI

[1], S. 205 ff. und S.

§ 4. Absolut stetige Funktionen auf :IR

305

denn F ist stetig. (Hier wird die klassische Version des Hauptsatzes der Differentialund Integralrechnung für stetige Integranden benutzt.) Damit erhalten wir

l

C

(F' (x) - f (x)) dx = 0 für a :; c :; b,

und nach Aufgabe IV.5.8 ist F' == f A-f.ü. Nun sei f : [a, b] --+ Jk A-integrierbar, aber nicht notwendig beschränkt. Wir können gleich annehmen, daß f 2: 0 ist, und setzen gn :== min(n, f),

Nach dem schon Bewiesenen ist Fn A-f.ü. differenzierbar mit Die Funktion G n ist wachsend, also A-f.ü. differenzierbar mit Insgesamt erhalten wir F' == F~ + G~ 2: gn A-f.ü. Daher ist

F' 2:

(4.9) und folglich

l

b

F'(x) dx ?:

l

f

F~ == G~

gn A-f.ü.

> 0 A-f.ü.

A-f.ü.

b

fex) dx = F(b) - F(a) .

Da F wachsend ist, gilt hier nach Satz 4.5 das Gleichheitszeichen, also I:(F'(x)f(x)) dx == 0, und (4.9) impliziert F' == f A-f.ü. b) F ist als absolut stetige Funktion von beschränkter Variation und daher Linearkombination monotoner Funktionen (Aufgabe 1.10). Die Ableitungen dieser monotonen Komponenten sind nach Satz 4.5 A-integrierbar, also ist F' E 1 ([a, bJ). Setzen wir G(x) :== F'(t) dt (a S x sb), so ist G nach a) absolut stetig mit G' == F' A-f.ü. Die Funktion G - F ist daher absolut stetig mit (G - F)' == 0 A-f.ü., also ist G - F konstant (Satz 4.13). Daher ist

.c

I:

F(x) - F(a) = G(x) - G(a) =

l

x

F'(t) dt

(a:; x :; b). o

Aus Hauptsatz 4.14, b) folgt unmittelbar: Ist f : [a, b] --+ :IR absolut stetig und f' 2: 0 A-f·ü., so ist f wachsend. Eine Funktion F : [a, b] --+ 1K heißt ein unbestimmtes Integral, wenn· eine Lebesgue-integrierbare Funktion f : [a, b] --+ Jk existiert, so daß

F(x) = F(a) +

l

x

f(t) dt

(a:; x :; b) .

Nun folgt aus dem Hauptsatz 4.14 unmittelbar:

VII. Absolute Stetigkeit

306

4.15 Korollar (G. VITALI 1905)17. Eine Funktion F : [a, b] -t dann ein unbestimmtes Integral, wenn F absolut stetig ist.

]I{

ist genau

Die Regel von der partiellen Integration (s. Aufgabe V.2.8) läßt sich jetzt so aussprechen:

4.16 Partielle Integration. Sind f, 9 : [a, b] -t

lb

[fg]~ -

J'(x)g(x) dx =

lb

]I{

absolut stetig, so gilt:

f(x)g'(x) dx.

4.17 Korollar (H. LEBESGUE 1906)18. Ist f : [a, b] -t so gilt für A-fast alle x E]a, b[:

11

11

I ~ (f (x + t) + f (x - t)) - f (x) I dt

o.

h--t+O h

0

h

0,

lim -h

lim h--t+O h

Lebesgue-integrierbar,

If(x ± t) - f(x)1 dt

(4.10) (4.11 )

]I{

0

Beweis. Es sei A c ]I{ eine abzählbare dichte Menge. Nach dem Hauptsatz 4.14 gilt für alle 0: E A und A-fast alle x E]a, b[

i Jor If(x ± t) - al dt = If(x) - al· h--t+O h

(4.12)

lim

Bezeichnen wir mit E n die Nullmenge der x E]a, b[, für welche (4.12) nicht gilt, so ist E :== UnEA E n eine Nullmenge. Es seien x E]a, b[\E und E > O. Dann existiert ein 0: E A mit If(x) - 0:1 < E /2. Nun ist

11

h

h

If(x ± t) - f(x)1 dt

0

11

s -h

0

h

If(x ± t) -

11

0:1 dt + -

h

h

If(x) -

0:1 dt,

0

und hier ist das zweite Integral auf der rechten Seite< E /2, das erste konvergiert wegen (4.12) für h -t +0 gegen If(x) - 0:1 < E/2. Damit folgt (4.10), und (4.11) ist klar nach (4.10). D Man nennt x E]a,b[ einen Lebesgue-Punkt, falls (4.11) gilt. Daher können wir sagen: Ist f : [a, b] -t ]I{ Lebesgue-integrierbar, so sind A-fast alle x E [a, b] Lebesgue-Punkte. Auf diese Aussage stützt sich der Beweis eines sehr allgemeinen Konvergenzsatzes von LEBESGUE ([8], S. 59) über Fourier-Reihen.

5. Lebesguesche Zerlegung Lebesgue-Stieltjesscher Maße. Ist F : JR -t JR wachsend und rechtsseitig stetig, so sei !JF : Q)1 -t i: das zugehörige LebesgueStieltjessche Maß auf Q)1 (s. Beispiel 11.4.7). Im folgenden Abschnitt seien alle Lebesgue-Stieltjesschen Maße auf Q)1 definiert. 17VITALI

[1], S. 207 ff. [8], S. 13.

18LEBESGUE

§ 4. Absolut stetige Funktionen auf JR

307

Der Zerlegung F == Fe + F d der wachsenden, rechtsseitig stetigen Funktion F : JR -+ JR in eine wachsende, stetige Funktion Fe und eine wachsende, rechtsseitig stetige Sprungfunktion Fd gemäß Satz 11.2.4 entspricht die (eindeutig bestimmte) Zerlegung J.LF == J.Le + J.Ld von J.LF in den atomlosen ("stetig verteilten") Anteil Me und den rein atomaren Anteil Md (s. Aufgabe 11.6.3). Bezeichnet U die (abzählbare) Menge der Unstetigkeitsstellen von F, so ist (4.13)

J.Ld(E) ==

L

(F(x) - F(x - 0))

(E E

Q.)1).

xEUnE

Nach Korollar 4.7 ist F~ == 0 f. ü., und offenbar ist J.Ld 1- ß. Ziel der folgenden Überlegungen ist die Zerlegung von J.Le in einen bez. ß absolut stetigen und einen singulären Anteil. Dazu definieren wir:

4.18 Definition. Eine Funktion F : J -+ :IR heißt absolut stetig im Intervall J c JR, wenn F I [a, b] absolut stetig ist für alle [a, b] C J, und F heißt singulär, falls F stetig und wachsend ist und F ' == 0 ß-f.ü. 4.19 Satz. Ist F : JR -+ JR wachsend und rechtsseitig stetig, so ist J.LF genau dann, wenn F absolut stetig ist, und dann gilt J.LF == F ' 8 ß.

« ß

Beweis. Ist F absolut stetig, so setzen wir F'(x) :== 0 für alle x E JR, in denen F nicht differenzierbar ist. Dann gilt nach Hauptsatz 4.14 für alle a < b

!LF(]a, b]) = F(b) - F(a) =

l

b

F'(t) dt.

Die Maße J.LF und F ' 8 ß stimmen auf J überein, sind also nach dem Eindeutigkeitssatz gleich. Ist umgekehrt J.LF « ß, so gibt es eine Borel-meßbare Funktion g : JR -+ [0,00[, so daß J.LF == 9 8 ß, und es gilt

F(x) - F(a) = !LF(]a,x]) =

l

x

g(t)dt

für alle a, x E JR, x 2: a. Daher ist F nach Hauptsatz 4.14 absolut stetig (und F ' == 9 ß-f.ü.). D

4.20 Satz. Eine wachsende, stetige Funktion F : JR -+ JR ist singulär genau dann, wenn J.LF atomlos ist und MF 1- ß· Beweis. Es sei zunächst F singulär. Damit ist F stetig, also MF atomlos (Beispiel 11.4.7). Weiter sei J.LF == P + (]" die Lebesguesche Zerlegung von J.LF bez. ß, wobei p « ß und (]" 1- ß. ZU p, (]" existieren wachsende, stetige Funktionen G, H : JR -+ JR mit p == J.Lc, (]" == J.LH, so daß F == G + H, und aus F ' == 0 ß-f.ü. folgt G' == H ' == 0 ß-f.ü. Das Maß p hat eine Dichte 9 bez. ß, und es ist

G(x) - G(a)

=

p(]a, x])

=

l

x

g(t) dt

VII. Absolute Stetigkeit

308

für alle a, x E lR, a ~ x. Daher ist nach Hauptsatz 4.14 9 == G' == 0 ß-f.ü., also p == 0, /-lF == (5, /-lF -.l ß· Nun sei umgekehrt /-lF -.l ß. Das Maß p :== F ' 8 ß ist absolut stetig bez. ß, und für alle a < b ist nach Satz 4.5

J'LF(]a, b]) = F(b) - F( a)

21

b

F I (x) dx = p(]a, b]) .

Nach dem Vergleichssatz 11.5.8 ist daher p ~ /-lF, und Aufgabe 2.6 liefert p == 0, also F ' == 0 ß-f.ü. D

4.21 Lebesgue-Zerlegung von /-lF (H. LEBESGUE 1904)19. Zu jeder wachsenden rechtsseitig stetigen Funktion F : lR ~ lR existieren eine Zerlegung (4.14)

F == F abs

+ F sing + F d

in wachsende rechtsseitig stetige Funktionen und dazu eine Zerlegung (4.15 )

/-lF == /-labs

+ /-lsing + /-ld

von /-lF in Maße auf p,1, so daß gilt: a) F abs ist absolut stetig, /-labs « ß, /-labs == F ' 8 ß· b) F sing ist singulär, /-lsing -.l ß,F;ing == 0 ß-f.ü.

c) Fd ist eine Sprungfunktion, F~ == 0 ß-f.ü., und für alle E E p,1 gilt (4.13). d) /-lF == /-le + /-ld ist die eindeutig bestimmte Zerlegung von /-lF in den atomlosen Anteil /-le == /-labs + /-lsing und den rein atomaren Anteil /-ld· e) Legt man die Normierungen F abs (0) == F sing (0) == 0 zugrunde, so sind die Zerlegungen (4.14), (4.15) eindeutig bestimmt. Beweis. Wir zerlegen wie oben F == Fe + F d , /-lF == /-le + /-ld und weiter /-le == /-labs + /-lsing, /-labs « ß, /-lsing -.l ß (Lebesguesche Zerlegung). Die Maße /-labs, /-lsing werden beschrieben durch wachsende stetige Funktionen F abs bzw. F sing die wir so wählen können, daß (4.14) gilt. Wegen F;ing == F~ == 0 ß-f.ü. ist F~bs == F ' ß- f. ü., und a )-d) sind nach dem obigen klar. Aussage e) ist nun leicht zu sehen. D

Eine vertiefte Darstellung der Differentiation von Maßen auf dem IRP und auf allgemeineren Räumen findet man bei COHN [1], EVANS und GARIEPY [1]' FEDERER [1], HAHN und ROSENTHAL [1]' KÖLZOW [1], RUDIN [1], SAKS [2], SHILOV und GUREVICH [1], WHEEDEN und ZYGMUND [1], ZAANEN [2]. 6. Rektifizierbare Kurven. Eine (stetige) Kurve ~ : [a, b] ---+ IRP ist genau dann rektifizierbar, wenn alle Koordinatenfunktionen ~1, ... , ~P von beschränkter Variation sind. Insbesondere existiert für jede rektifizierbare Kurve f.ü. die Ableitung ~'(t) (t E [a, b]). Es seien ~ rektifizierbar, L(~) die Bogenlänge von ~ und l(t) :== L(~ I [a, t]) (a::; t ::; b). Ist ~ sogar stückweise stetig differenzierbar, so ist bekanntlich L(~) == 1I~'(t)11 dt. Der folgende Satz von L. TONELLI enthält eine einfache notwendige und hinreichende Bedingung für die Gültigkeit dieser Gleichung.

f:

19LEBESGUE [2]' S. 144 f. und S. 232 ff.

§ 4. Absolut stetige Funktionen auf :IR

309

4.22 Satz (L. TONELLI 1908)20. Ist l' : [a, b] --+ JRP eine rektijizierbare stetige Kurve, so gilt: a) 111"11 ist Lebesgue-integrierbar und

L(')') 2>

(4.16)

[1I')"(t)11 dt.

b) Das Gleichheitszeichen gilt in (4.16) genau dann, wenn alle Koordinaten/unktionen von l' absolut stetig sind. Beweis. a) Die Funktion l(t) :== L(1' I [a, t]) (a:S; t :s; b) ist monoton wachsend, also f.ü. differenzierbar. Bezeichnet nun E die Menge der t E [a, b], in denen 1 und alle 1'1,···, 1'p differenzierbar sind, so gilt für alle t o E E: l'(to) == lim l(t) -l(to) > lim 1I1'(t) -1'(to)11 == 1I1"(to)ll. t~t() t - to - t~t() It - tol Nach Satz 4.5 ist also 111"11 integrierbar, und es gilt (4.16). b) Nach Aufgabe 4.11 sind 1'1, ... ,1'p absolut stetig genau dann, wenn 1 absolut stetig ist. Gilt nun in (4.16) das Gleichheitszeichen, so ist

= [II')"(S)II ds

l(t)

(a::; t ::; b),

also ist 1 absolut stetig. - Seien nun umgekehrt 1 absolut stetig und a == to b, l in j{ mit K n t A. Daher gilt J1(Kn ) t J1(A); insbesondere folgt (1.1). f) Sei A E ~. Dann ist Ac von innen regulär. Wegen J1(X) < 00 ist daher A von außen regulär. lSohn des gleichnamigen Mathematikers A.A. MARKOFF (1856-1922), nach dem die Markoffschen Prozesse und die Markoffschen Ketten benannt sind.

§ 1. Borel-Maße, Radon-Maße, Regularität

315

g) Nach b) hat K eine offene Umgebung U mit J-L(U) < 00. Da J-L von innen regulär ist, existiert zu E > eine kompakte Menge LeU \ K mit J-L( L) > J-L(U \ K) - E. Nun ist V :== U \ L eine offene Umgebung von K mit

°

J-L(V)

==

J-L(U) - J-L(L) :::; J-L(U) - J-L(U \ K) +

E

==

J-L(K) + E.

o Nach Folgerung 1.2, c) und d) kann man in der Definition der Radon-Maße die Forderung der lokalen Endlichkeit von J-L ersetzen durch die Forderung der Endlichkeit von J-L auf R, falls X lokal-kompakt ist oder dem ersten Abzählbarkeitsaxiom genügt. Ohne Zusatzbedingungen ist eine solche Ersetzung unzulässig (s. Beispiel 1.3, f)).

1.3 Beispiele. a) Die Borel-Maße und die Radon-Maße auf ~p sind genau die Lebesgue-Stieltjesschen Maße (s. Kap. 11, § 7, insbes. Aufgabe 11.7.5). Die Regularität der Lebesgue-Stieltjesschen Maße wird im folgenden in Korollar 1.11, Korollar 1.12 und in Satz 1.16 erneut bewiesen. b) Das Zählmaß auf 93 (X) ist genau dann lokal-endlich, wenn X diskret ist. Für diskretes X ist das Zählmaß ein reguläres Borel-Maß. c) Ist (J-LJtEI eine Familie von innen regulärer Maße auf 2l => 93(X), so ist J-L :== ~tEI J-Lt von innen regulär (Beweis zur Übung). Ist also (J-LJtEI eine Familie von Radon-Maßen auf 93(X) und J-L :== ~tEI J-Lt lokal-endlich, so ist J-L ein RadonMaß. d) Es seien J-L : 2l ~ [0,00] ein Maß, 2l => ~,A E 2l und J-LA : 2l ~ [0,00], J-LA(B) :== J-L(A n B) (B E 2l). Ist J-L lokal-endlich, so auch J-LA, und ist J-L von innen regulär, so auch J-LA. Ist insbesondere J-L ein Radon-Maß, so auch J-LA (A E 93). e) Ein von außen reguläres Borel-Maß braucht nicht von innen regulär zu sein: Es sei X == JR versehen mit der Topologie D, die von allen halboffenen Intervallen [a, b[ (a, b E JR, a < b) erzeugt wird. Offenbar ist D echt feiner als die übliche ("euklidische") Topologie '1'1 auf JR; dennoch ist 93( (X, D)) == ~1. Das Maß ß1 ist sowohl bez. '1'1 als auch bez. D ein von außen reguläres Borel-Maß, und bez. '1'1 ist ß1 auch von innen regulär. In bezug auf D gilt zwar für alle A E ~1

aber ß1 ist nicht von innen regulär, denn jede bez. D kompakte Teilmenge von JR ist abzählbar (Beweis zur Übung). f) Ein von innen reguläres Maß braucht nicht lokal-endlich und nicht von außen regulär zu sein: Es seien '1'1, '1'2 die üblichen ("euklidischen") Topologien auf]R1 bzw. JR2, X :== JR2 und D das System aller Teilmengen U c X mit Ux , UY E '1'1 für alle x, y E JR. (Wie früher ist Ux == {y : (x, y) EU}, UY == {x : (x, y) EU}.) Dann ist D eine Topologie auf X mit D => '1'2; insbesondere ist D Hausdorffsch. Das System 2l aller Teilmengen A c X mit A x , AY E 93 1 für alle x, y E JR ist eine a-Algebra mit 2l => D, also gilt 93(X) c 2l. Auf 2l definieren wir vermöge

J-L(A)

:==

Lß (A 1

x EIE.

x)

+ Lß 1 (AY) yEIR

(A E 2l)

VIII. Maße auf topologischen Räumen

316

ein Maß. Ist U E D eine Umgebung von (x, y) E X, so gibt es ein 6 > 0 mit {x}x]y - 6,y + 6[C U, und zu jedem t E]Y - 6,y + 6[ gibt es ein Ct > 0, so daß ]x - Ct, x + cd x {t} C U. Daher ist JL(U) == 00, d.h. jede nicht-leere D-offene Menge hat unendliches Maß, JL ist nicht lokal-endlich. Die Diagonale D :== {(x, x) : x E IR} ist 'T2 -abgeschlossen, also auch D-abgeschlossen, und es ist JL(D) == O. Für jedes offene U =:> D ist aber JL(U) == 00, d.h. D und damit JL ist nicht von außen regulär. (Es gibt keine nicht-leere von außen reguläre Menge A E 2( mit JL(A) < 00.) Wir behaupten: Eine Menge M C X ist kompakt (bez. D) genau dann, wenn es endliche Mengen E, F c IR und kompakte K(x), L(y) C IR (x E E, y E F) gibt, so daß M == U{x} x K(x) u L(y) x {y}.

U

xEE

yEF

Begründung: Daß jede Menge der angegebenen Gestalt kompakt ist (bez. D), sieht man leicht. - Umgekehrt: Ist M C X kompakt bez. D, so ist M kompakt bez. '1'2, also ist M C IR2 beschränkt und 'T2 -abgeschlossen. Daher sind alle Schnitte Mx, MY C IR kompakt, und wir müssen nur noch zeigen, daß M in der Vereinigung endlich vieler achsenparalleler Geraden enthalten ist. Wäre das nicht der Fall, so gäbe es eine Folge von verschiedenen Punkten Zn E M (n 2: 1), so daß A :== {zn : n E N} mit jeder achsenparallelen Geraden höchstens einen Punkt gemeinsam hat. Dasselbe gilt dann für jede Teilmenge von A. Daher ist A abgeschlossen und diskret, also als Teilmenge des Kompaktums M endlich: Widerspruch! - Es folgt: D ist echt feiner als 'T2 . Für alle M E R ist offenbar JL(M) < 00, und nach c) ist JL von innen regulär. (Dieses Beispiel geht zurück auf FREMLIN [2], S. 104 f.) g) Ein von außen reguläres, endliches Maß auf einem metrisierbaren Raum braucht nicht von innen regulär zu sein: Eine leichte Modifikation des Beweises von Satz 111.3.10 lehrt: Es gibt eine "Bernstein-Menge" X C [0,1], so daß sowohl X als auch [0,1] \ X mit jeder überabzählbaren kompakten Menge K C [0,1] einen nicht-leeren Durchschnitt hat. Nach dem Argument des Beweises von Satz 111.3.7 ist X ~1 und

tt

(1.3)

sup{ß1(K) : K C X, K kompakt} == sup{ß1(L): L C [0,1] \ X, L kompakt}

== 0.

Wir zeigen:

r/(X)

==

inf{ß1(U) : U =:> X, U offen in IR}

== 1 .

Zur Begründung sei U =:> X, U offen in IR. Dann ist [0,1] \ U eine kompakte Teilmenge von [0,1] \ X, also ß1([0, 1] \ U) == 0, d.h. ß1(U) 2: ß1([0, 1] n U) == 1. Da die Ungleichung ,,~ 1" klar ist, folgt die Behauptung. Wir versehen X mit der Spurtopologie 'T :== 'Tl I X; dann ist ~(X) == ~l IX. Offenbar ist 7] :== 7]1 I s,p(X) ein äußeres Maß. Wir zeigen, daß alle Mengen aus ~(X) 7]-meßbar sind: Dazu seien A E 'T und Q C X. Es gibt ein U E 'Tl mit A == X n U, und wir erhalten

§ 1. Borel-Maße, Radon-Maße, Regularität

317

denn U ist 1]1-meßbar. Folglich ist A E 2t11' also auch ~(X) C 2t1]; JL :== 1]1 ~(X) ist ein endliches Borel-Maß, und JL ist von außen regulär, denn für alle A c X ist

1](A) < inf{1](V): A c V, V E ~} < inf{1]I(U): A c U, U offen in lR} Daher gilt auch für alle A E

JL(A)

==

==

1](A).

~(X):

sup{JL(F) : F

c A, F

~-abgeschlossen}

.

Aber JL ist nach (1.3) nicht von innen regulär, also kein Radon-Maß.

2. Regularitätssätze. Auf vielen wichtigen Hausdorff-Räumen ist jedes endliche Borel-Maß automatisch regulär. Den Beweisen einiger Aussagen dieses Typs legen wir folgendes Regularitätslemma zugrunde. 1.4 Regularitätslemma. Für jedes endliche Maß JL auf einer a-Algebra 2t :=>

~

ist 9lJl :== {A E 2t : A JL-regulär}

ein a-Ring. Beweis. Wir führen den Beweis in zwei Schritten. (1) Für alle A,B E 9tJl gilt AUB,AnB,A \B E 9tJl. Begründung: Zu jedem E > 0 gibt es kompakte K, L und offene U, V, so daß K c A c U, LeB c V und JL(U \ K) + JL(V \ L) < E. Nun sind K U L kompakt, U U V offen, K U L c A U B c U U V und (U U V) \ (K U L) c (U \ K) U (V \ L), also JL((U U V) \ (K U L)) < E, und es folgt: Au B E 9tJl. Wegen (U n V) \ (K n L) c (U \ K) U (V \ L) folgt ebenso: A n B E 9tJl. Weiter ist A \ B == A \ (A n B), so daß wir beim Nachweis von A \ B E 9tJl gleich B c A voraussetzen können. Dann dürfen wir aber (ggf. nach den Ersetzungen K ~ K U L, V ~ U n V) auch gleich LeK und V c U annehmen und erhalten: K \ V c A \ B c U \ L, K \ V ist kompakt, U \ L offen und (U \ L) \ (K \ V)

==

((U \ L) \ K)

U

((U \ L) n V)

==

(U \ K)

U

(V \ L),

also JL((U \ L) \ (K \ V))
0 existieren K n E n, Un E D mit K n C An C Un und JL(Un \Kn ) < E2- n (n E N). Wegen 2:~=1 JL(A n ) == JL (U~=1 An) :::; JL(X) < 00 und JL(Un ) :::; JL(A n ) + E2- n (n E N) ist 2:~=1 JL(Un ) < 00. Daher existiert ein N E N, so daß 2:~N+l JL(Un ) < E. Nun sind K :== U:=1 K n kompakt, U :== U~=1 Un offen, K C U~=1 An C U und JL(U \ K) :::; 2::=1 JL(Un \ K n) + 2:~=N+l JL(Un) < 2E. Daher ist U~=1 An E 9tJl. Nach (1), (2) ist 9tJl ein a-Ring. D

1.5 Regularitätssatz. Ist JL : ~ ~ [O,oo[ ein endliches Borel-Maß, und sind alle V E D von innen regulär, so ist JL regulär.

VIII. Maße auf topologischen Räumen

318 Beweis. Wegen D

c

91Jl liefert das Regularitätslemma 1.4 die Behauptung.

D

1.6 Korollar. Ist jede offene Teilmenge von X (J"-kompakt, so ist jedes endliche Borel-Maß auf X regulär. Beweis. Folgerung 1.2, e) und Regularitätssatz 1.5 ergeben die Behauptung. D

3. Moderate Borel-Maße. Im folgenden wollen wir die Voraussetzung der Endlichkeit von f.-l im Regularitätssatz 1.5 und in Korollar 1.6 abschwächen. Dabei leistet der von N. BOURBAKI [5], S. 21 eingeführte Begriff des moderaten Maßes gute Dienste. 1.7 Definition. Ein Borel-Maß heißt moderat, wenn X die Vereinigung einer Folge offener Mengen endlichen Maßes ist. 1.8 Folgerungen. a) Jedes moderate Borel-Maß ist (J"-endlich, und jedes von außen reguläre (J"-endliche Borel-Maß ist moderat. (Dagegen braucht ein nur (J"-endliches Borel-Maß nicht moderat zu sein, wie die Beispiele von BOURBAKI [5], S. 101, exercice 8 und bei GARDNER und PFEFFER [1]' S. 1016 f., 12.6 oder 12.7 lehren.) b) Ist X (J"-kompakt, so ist jedes Borel-Maß auf X moderat (Folgerung 1.2, b)). c) Jedes Borel-Maß auf einem Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis ist moderat. Begründung: Sei meine abzählbare Basis von X. Wir zeigen: Auch e :== {V E m : f.-l(V) < oo} ist eine Basis von X. Zum Beweis seien U E D und x E U. Nach Voraussetzung hat x eine offene Umgebung W mit f.-l(W) < 00, und es gibt ein V E Q1 mit x E V c UnW. Offenbar ist V E me, d.h. Q1e ist eine Basis von X. Insbesondere ist f.-l moderat, da Q1e abzählbar ist. -

m

1.9 Satz. Ist f.-l ein moderates Borel-Maß auf ~(X) mit der Eigenschaft, daß jedes offene V C X mit f.-l(V) < 00 von innen regulär ist, so ist f.-l regulär. Insbesondere ist jedes moderate Radon-Maß auf ~(X) regulär. Beweis. Es sei (G n)n2: 1 eine Folge offener Mengen endlichen Maßes mit U~=l G n == X. Die Maße f.-ln :== f.-ll ~(Gn) (n E N) sind nach dem Regularitätssatz 1.5 regulär. Es seien nun A E ~(X) und An :== A n G n (n E N). Dann existiert zu jedem E > 0 ein offenes Un mit An C Un C Gn und f.-l(Un \ An) == f.-ln(Un \ An) < E2- n (n E N). Daher ist U :== U~=l Un offen, U ~ A und f.-l(U \ A) ::; E~=l f.-l(Un \ An) < E, folglich ist f.-l von außen regulär. - Weiter seien a < f.-l(A)

und N E N so groß, daß

E :=

p,

(U~=l

Ak)

~ a > O.

Zu jedem j = 1, ... , N exi-

stiert ein kompaktes K j C A j mit f.-l( A j \ K j ) == f.-lj (A j \ K j )
l eine abzählbare Basis von Y und I die Menge der n E N, zu denen ein x E X existiert mit -f(Vn ) C U x ' Zu jedem n E I wählen wir ein festes X n E X mit f(Vn ) C U Xn ' Dann ist (UXn)nEI eine Überdeckung von X, denn ist x E X und y E f-l({X}), so gibt es ein n E N mit y E Vn C f- 1 (Ux ), und dann ist x E f(Vn ) C UXn ' (3) Ist J-L ein Borel-Maß auf dem Suslin-Raum X, so ist jede offene Menge G C X mit J-L( G) < 00 von innen regulär. Begründung: Ist f wie unter (2), so der offene Teilraum f-l(G) C Y nach A.22 polnisch. Daher ist G ein Suslin-Raum. Nach (1) ist das endliche Borel-Maß J-LG :== J-L I ~(G) regulär, also ist G von innen regulär. Aus Satz 1.9 und (2), (3) folgt nun die Behauptung des Satzes. 0 Bezüglich vertiefter Darstellungen der Theorie der Suslin-Räume verweisen wir auf folgende Literatur: BEHRENDS [1], S. 236 ff., BOURBAKI [7], Chap. IX, § 6, COHN [1], S. 261 ff., CHRISTENSEN [1], DELLACHERIE [1], DELLACHERIE und MEYER [1], Chap. 111, 1., HAHN [2]' Kapitel V, HAUSDORFF [2], HOFFMANN-JORGENSEN [1], KURATOWSKI [1]' LUSIN [1], PARTHASARATHY [1]' S. 15-22, ROGERS, JAYNE u.a. [1], SAKS [2]' S. 47 ff., SCHWARTZ [1], Chapter 11, SRIVASTAVA [1].

Historische Notiz. Die Suslin-Räume sind benannt nach M.J. SUSLIN (1894-1919), einem der zahlreichen hochbegabten Schüler von N.N. LUSIN (1883-1950). In der einzigen zu seinen Lebzeiten veröffentlichten mathematischen Arbeit (M. SOUSLIN: Sur une definition des en-

sembles mesurables B sans nombres transfinis, C.R. Acad. Sci., Paris 164, 88-91 (1917)) zeigt SUSLIN mit Hilfe der Theorie der analytischen Mengen, daß stetige Bilder Borelscher Mengen nicht Borelsch zu sein brauchen. Damit korrigiert er einen Fehler von LEBESGUE und gibt einen wesentlichen Anstoß für die weitere Entwicklung der Theorie der analytischen Mengen und der sog. deskriptiven Mengenlehre. - SUSLIN starb schon 1919 während der schweren

§ 1. Borel-Maße, Radon-Maße, Regularität

323

Zeiten im Gefolge der russischen Revolution an einer Typhusepidemie. Über Leben und Werk von M.J. SUSLIN unterrichten die Biographien von V.I. IGOSHIN [1]' [2] sowie ein Artikel von

G.G. LORENTZ [1].

6. Der Satz von LUSIN. Der Satz von LUSIN stellt eine verblüffend enge Beziehung her zwischen Borel-Meßbarkeit und Stetigkeit. 1.18 Satz von Lusin (1912).3 Es seien X, Y Hausdorff-Räume, Y habe eine abzählbare Basis, f-1 sei ein a-endliches reguläres Borel-Maß auf ~(X) und f : X -+ Y. Dann sind folgende Aussagen äquivalent: a) Es gibt eine Borel-meßbare Funktion g : X -+ Y mit f == 9 f-1-f.ü. b) Zu jedem offenen U c X mit f-1(U) < 00 und jedem 8 > 0 gibt es ein Kompaktum K c U mit f-1(U \ K) < 8, so daß f I K stetig ist (bez. der Spurtopologie von X auf K). c) Zu jedem A E ~(X) mit J-l(A) < 00 und jedem 8 > 0 gibt es ein Kompaktum K c A mit f-1(A \ K) < 8, so daß f I K stetig ist. d) Zu jedem K ompaktum TeX und jedem 6 > 0 gibt es ein K ompaktum K c T mit J-l(T \ K) < 8, so daß f I K stetig ist.

Bemerkungen. a) Die Voraussetzungen bez. J-l sind z.B. dann erfüllt, wenn (i) J-l ein moderates Radon-Maß ist (Satz 1.9) oder (ii) X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis ist und f-1 ein Borel-Maß (Korollar 1.12) oder (iii) X ein a-kompakter Hausdorff-Raum ist und f-1 ein Radon-Maß (Korollar 1.13) oder (iv) X ein polnischer Raum ist und J-l ein Borel-Maß (Satz 1.16 von ULAM). b) Die Implikationen a) =* b) ~ c) ~ d) gelten auch ohne die Voraussetzung der a-Endlichkeit von J-l. Beweis. a) =* b): Es kann gleich U == X, J-l(X)
l eine abzählbare Basis von Y, so gibt es wegen der Regularität von J-l zu jed~m n E Nein K n E Jl und ein Vn E D mit K n C g-l(Bn ) C Vn und J-l(Vn \ K n ) < 6 . 2-(n+l). Daher ist V :== U~=l (Vn \ K n ) offen mit f-1(V) < 6/2, und h :== 9 I VC ist stetig, wie folgende Betrachtung lehrt: Für alle n E N ist

Vn n V C== K n n V Cc g-l(Bn ) n V C== h- 1 (B n )

C

Vn n V C,

d.h. h- 1 (B n ) == Vn n VC ist offen in Vc. Daher ist h stetig. Es sei weiter N E ~(X) eine J-l-Nullmenge mit f I NC == 9 I NC. Wir benutzen ein weiteres Mal die Regularität von J-l und wählen ein kompaktes K C (VUN)C mit J-l( (V U N)C \ K) < 8/2. Dann ist f-1(K C) ::; f-1(V U N)

+ f-1((V U N)C \

K) < 6,

und f I K == 9 I K == h I K ist wegen K C VC stetig. b) =* c): Es sei A E ~(X),f-1(A) < 00. Dann existieren ein offenes U =:> A und 3N. LUSIN: Bur les proprietes des fonctions mesurables, C.R. Acad. Sci. Paris 154, 16881690 (1912).

324

VIII. Maße auf topologischen Räumen

ein kompaktes K c A mit JL(U \ K) < 6/2. Nach b) gibt es ein Kompaktum LeU mit JL(U \ L) < 6/2, so daß f I L stetig ist. Nun ist K n L c A ein Kompaktum mit JL(A \ (K n L)) ::; JL(A \ K) + JL(A \ L) < 6, und f I K n List stetig. c) =? d): klar. d) =? c): Sind A E ~(X), JL(A) < 00 und 6 > 0, so existiert ein Kompaktum T c A mit JL(A \ T) < 6/2. Zu T wählen wir nach d) ein Kompakturn K c T mit JL(T \ K) < 6/2, so daß f I K stetig ist. Dann leistet K das Verlangte. c) =? a): Es sei X == U~=l An mit disjunkten An E ~(X), JL(A n ) < 00 (n E N). Zu jedem JEN existiert ein Kompaktum K nj C An mit JL(A n \ K nj ) < l/j, so daß f I K nj stetig ist. Ersichtlich ist L :== Un,jEN K nj eine a-kompakte Menge mit JL(A n \ L) == 0, d.h. N :== LC ist eine BoreIsche Nullmenge. Ist nun F C Y abgeschlossen, so ist (f I L)-l(F) == Un,jEN(f I K nj )-l(F) a-kompakt, also BoreIseh. Daher ist f I L Borel-meßbar. Wählen wir nun ein festes bEY und setzen g I LC :== b, g I L :== f I L, so ist g : X ~ Y eine Borel-meßbare Funktion, die JL-f.ü. mit f übereinstimmt. D 1.19 Korollar. Es seien X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum, JL ein reguläres Borel-Maß auf ~(X) und f : X ~ JK eine Funktion, die JL-f.ü. mit einer Borel-meßbaren Funktion übereinstimmt. Dann gibt es zu jeder offenen Menge U C X mit JL(U) < 00 und jedem 6 > 0 ein 0 ein

1

E

Ce(X) mit

§ 2. Der Darstellungssatz von F. Riesz

331

f ≥ χK und I(f ) ≤ μ0 (K) + δ. Offenbar ist U := {f > 1/(1 + δ)} eine offene Umgebung von K. F¨ ur jedes kompakte L ⊂ U ist (1 + δ)f ≥ χL und daher μ0 (L) ≤ (1 + δ)I(f ) ≤ (1 + δ)(μ0 (K) + δ) . W¨ahlen wir von vornherein δ so klein, daß δ(μ0 (K) + δ + 1) < ε, so folgt (KO). 2 2.3 Lemma. Es seien X ein Hausdorff-Raum und μ0 : K → [0, ∞[ eine Mengenfunktion mit den Eigenschaften (K.1)–(K.3), (KO) aus Lemma 2.2. Dann gen¨ugt μ0 folgender S t r a f f h e i t s b e d i n g u n g: (S) F¨ur alle K, L ∈ K mit K ⊂ L ist μ0 (L) − μ0 (K) = sup{μ0(C) : C ⊂ L \ K , C ∈ K} . Beweis. F¨ ur alle kompakten C ⊂ L \ K ist K ∪ C ⊂ L, K ∩ C = ∅, also μ0 (K) + μ0 (C) ≤ μ0 (L) (nach (K.1) und (K.3)). Daher braucht unter (S) nur noch ≤“ bewiesen zu werden. Dazu sei ε > 0. Dann existiert nach (KO) eine ” offene Umgebung U von K, so daß (2.4)

ur alle H ⊂ U, H ∈ K . μ0 (H) ≤ μ0 (K) + ε f¨

Nun ist L ⊂ K c ∪U, und hier sind K c , U offen. Wir zeigen zun¨achst: Es existieren undung: Die Mengen kompakte Mengen C ⊂ K c , D ⊂ U, so daß C ∪D = L. Begr¨ L \ K c = K und L \ U sind disjunkte kompakte Mengen im Hausdorff-Raum (!) X, haben also disjunkte offene Umgebungen V, W : K ⊂ V, L \ U ⊂ W, V ∩ W = ∅ . Nun sind C := L \ V, D := L \ W kompakt, C ⊂ L \ K ⊂ K c , D ⊂ U, C ∪ D = (L \ V ) ∪ (L \ W ) = L \ (V ∩ W ) = L , also leisten C, D das Gew¨ unschte. Mit den obigen Mengen C, D ist nun μ0 (L) ≤ μ0 (C) + μ0 (D) (wegen (K.2)), also folgt nach (2.4) μ0 (C) ≥ μ0 (L) − μ0 (D) ≥ μ0 (L) − μ0 (K) − ε . 2 Ohne R¨ uckgriff auf das Funktional I werden wir im folgenden Fortsetzungssatz zeigen, daß sich jede Mengenfunktion μ0 : K → [0, ∞[ mit der Eigenschaft (S) zu einem von innen regul¨aren Maß μ auf B fortsetzen l¨aßt. Geh¨ort μ0 gem¨aß (2.3) zu einer positiven Linearform I : Cc (X) → K, wobei X ein lokalkompakter Hausdorff-Raum ist, so werden wir in Abschnitt 3. zeigen, daß μ die gew¨ unschte Darstellung von I leistet. – In der Literatur gibt es verschiedene Varianten des Fortsetzungssatzes 2.4. Die ¨alteste Version stammt wohl von G.

332

VIII. Maße auf topologischen Räumen

(1915-2006) [1]' S. 207 ff. und [2], S. 158 ff., insbes. S. 164 f.; s. auch [1], S. 62, MEYER [1], S. 42 ff. und DELLACHERIE-MEYER [1], S. 82 ff. CHOQUET benutzt die Bedingung (KO) anstelle von (8); eine etwas allgemeinere, aber ähnliche Fassung steht bei BOURBAKI [1], S. 163 ff. Die folgende Formulierung des Fortsetzungssatzes mit (8) anstelle von (KO) stammt von KISYNSKI [1]; vgl. auch BERG-CHRISTENSEN-RESSEL [1]. Bezüglich neuerer Resultate verweisen wir auf ANGER-PORTENIER [1], POLLARD-ToPS0E [1], TOPS0E [1], [2] und KÖNIG [1]-[9]. In diesen Arbeiten wird in allgemeinerem Rahmen gezeigt, daß eine Straffheitsbedingung vom Typ (S) im wesentlichen notwendig und hinreichend für die Fortsetzbarkeit zu einem Maß ist. CHOQUET

SCHWARTZ

2.4 Fortsetzungssatz. Es seien X ein Hausdorff-Raum und J..Lo : Jt --t [O,oo[ eine Mengenfunktion mit der Eigenschaft (S). Dann gestattet J..Lo genau eine Fortsetzung zu einem von innen regulären Maß J..L : ~ --t [0, 00], und zwar gilt für alle A E ~

J..L(A) == sup{J..Lo(K) : K c A, K E Jt} .

(2.5)

Beweis (nach KISYNSKI [1]). Wenn J..Lo überhaupt eine Fortsetzung zu einem von innen regulären Maß J..L gestattet, so ist diese durch (2.5) gegeben. Damit ist die Eindeutigkeit klar und auch der Ansatz für den Existenzbeweis: Für beliebiges A c X setzen wir

J..L(A) :== sup{J..Lo(K) : K c A, K E Jt} .

(2.6)

Die Eigenschaft (8) impliziert (K.l)-(K.3). Nach (K.l) ist J..L I Jt == J..Lo, und es ist zu zeigen, daß J..L I ~ ein Maß ist. Dabei orientieren wir uns am Beweis des Fortsetzungssatzes 11.4.5, müssen jedoch beachten, daß das äußere Maß in GI. (11.4.6) durch ein Infimum definiert wird, J..L in (2.6) aber durch ein Supremum. Diese Bemerkung mag als Motivation dafür dienen, daß wir jetzt im Analogon der Meßbarkeitsdefinition das Ungleichungszeichen umzukehren haben. Dementsprechend definieren wir für beliebiges Q c X

und Ql:==

n

Qtc·

CEi{

Zum Beweis des Satzes werden wir zeigen: Qt ist eine a-Algebra, Qt

=:) ~,

und

J..L IQt ist ein Maß. Sei FeX abgeschlossen und C E Jt. Dann gilt nach (8)

J..L(C) - J..L(C n F) == J..Lo(C) - J..Lo(C n F) == sup{J..Lo(D): D C C \ F, D E Jt} == J..L(C \ F), also F E Qlc für alle C E Jt, d.h. F E Ql. Wenn wir Ql als a-Algebra erkannt haben, so folgt hieraus ~ C Ql.

§ 2. Der Darstellungssatz von F.

333

RIESZ

Es bleibt zu zeigen: 2l ist eine a-Algebra und J-l12l ein Maß. Zunächst ist

J-l(0) == 0 (nach (K.3»). Weiter ist 0 E 2l, und für alle A E 2l ist auch Ac E 2l. Es seien weiter A, B c X, A n B == 0. Ist J-l(A) == (X) oder J-l(B) == 00, so ist J-l(A U B) == (X) (wegen (2.6)), und die Ungleichung (2.7) ist richtig. Seien nun J-l(A), J-l(B) < R,K c A,L c B mit

J-l(A)

+ J-l(B) -

E

(X)

und

E

>

o.

Dann existieren K, L E

< J-lo(K) + J-lo(L) J-lo(K

U

L)

(nach (K.3»)

< J-l(A U B), und (2.7) gilt ebenfalls. Ist nun (A n )n2::1 eine Folge disjunkter Teilmengen von X, so folgt mit (2.7) induktiv für alle n E N

und daher

(2.8) Zunl Abschluß des Beweises brauchen wir daher nur noch zu zeigen: 00

(2.9)

Für jede Folge von Mengen E n E 2l (n E N) ist

UE

n E

2l und

n=l

Zum Beweis seien CER und c > o. Nach Definition von 2l und J-l gibt es zu jedem n E N kompakte Mengen An C C n E n, B n C C \ E n, so daß

Für alle n E N sind (Al U ... U An-I) n An und (BI n ... n B n- l ) U B n disjunkte kompakte Teilmengen von C. ll Daher gilt für alle n ~ 1:

-2- nE :::; J-lo(A n ) + J-lo(B n ) - J-lo(C) :::; J-lo(A n ) + J-lo(B n ) - J-lo( (Al U ... U An-I) n An) -J-lo((B l n n B n- l ) U B n ) (nach (K.l), (K.3») J-l(A n \ (Al U U An-I)) - J-l((B l n ... n B n- l ) \ B n ) (nach (8») J-lo(A l U U An) - J-lo(A l U U An-I) +J-lo(Bl n n B n ) - J-lo(B l n n B n- l ) (nach (8»). 11 Für

n == 1 ist BI

n ... n B n -

1

== C zu setzen.

VIII. Maße auf topologischen Räumen

334

Summiert man diese Ungleichungen über n == 1, ... ,N, so folgt ll (2.10)

J-lo(A I U ... U AN)

+ J-lo(B I n ... n B N )

N

~ J-lo(C) -

L

2- n c > J-lo(C) - c.

n=l

Nach (8) gibt es ein D E J{ mit D C BI \ n~=l B n , so daß (2.11) Da D n n~=l B n == 0 ist und D, B n (n E N) kompakt sind, ist D n n:=l B n == 0 für alle N ~ No mit geeignetem No E N. Daher liefern (K.3) und (K.l) zusammen mit (2.11)

für alle N ~ No, und nach (K.2) und (2.10), (2.12) folgt

(2.13)

~ 110(An) + 110 (0 B n)

~

110

(Q

An)

+ 110

(0

Bn) > 110(C) - 2E

(N ~ No). Wegen Al U ... U AN C C n U~=l E n , n~=l B n C C \ U~=l E n folgt aus (2.13), da c > 0 beliebig ist:

und wegen An

C

C

n E n liefert

(2.13)

(2.15) Aus (2.14) folgt U~=l E n E 2lc für alle C E J{, d.h. U~=l E n E 2l, und (2.15) ergibt

Damit ist (2.9) bewiesen.

o

§ 2. Der Darstellungssatz von F.

335

RIESZ

3. Der Darstellungssatz von F. RIESZ für lokal-kompakte Räume 2.5 Darstellungssatz von F. Riesz (1909) .12 Es seien X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum und 1 : Cc(X) ---t ]I{ eine positive Linearform. Dann existiert genau ein Radon-Maß /-L : 93 ---t [0,00], so daß

1(j) =

(2.16)

Ix f

djL

(j E Cc(X)) ,

und zwar ist

(2.17) (2.18)

/-L(K) /-L(A)

inf{1(f): f E Cc(X),f ~ XK} (K ER),

sup{/-L(K): K c A,K

E

R} (A

E

93).

Beweis. Eindeutigkeit: Es sei /-L ein Radon-Maß auf ~ mit (2.16). Wir brauchen nur (2.17) zu beweisen, und da für jedes K E Rund f E Cc(X) mit f ~ XK offenbar 1(f) ~ /-L(K) ist, bleibt unter (2.17) nur ,,~" zu zeigen. Dazu seien K E R, E > o. Nach Folgerung 1.2, g) gibt es eine offene Umgebung U von K mit /-L(U) :S /-L(K) + E, und nach Lemma 2.1 existiert ein f E Cc(X) mit XK :S f :S Xu· Nun folgt:

und die Eindeutigkeit ist bewiesen. Existenz: Wir definieren /-L durch (2.17), (2.18). Nach Abschnitt 2. ist /-L ein von innen reguläres Maß. Da X lokal-kompakt ist, ist /-L auch lokal-endlich (Folgerung 1.2,c)), d.h. /-L ist ein Radon-Maß. Es bleibt zu zeigen, daß (2.16) gilt, und dabei darf gleich f ~ 0 angenommen werden. Wir führen den Beweis in zwei Schritten:

(1) Für alle f

E C:(X) ist 1(f) ~

Ix f df1.

Begründung: Es sei u == L7=1 ajXAj (al,".' a m > 0, Al, .. . , Am E 93 disjunkt) eine nicht-negative Treppenfunktion mit u :S f. Alle A j (j == 1, ... ,m) sind im kompakten Träger von f enthalten, haben also endliches Maß. Zu vorgegebenem o < E < min(al' , a m ) existieren daher kompakte K j C A j mit f1(A j ) - E :S /-L(Kj ) (j == 1, , m). Die disjunkten kompakten K j haben disjunkte offene Umgebungen Uj (j == 1, ... , m), und Uj kann gleich als Teilmenge der offenen Umgebung {f > aj - E} von K j gewählt werden. Wir wählen zu jedem j == 1, ... , mein CPj E Cc(X) mit XKj :S CPj :S XUj· Dann ist m

9 :== L(aj - E)cpj E C:(X) , 9 :S

j=l 12 F. RIESZ

[1]' S. 400-402 und S. 490-495.

f

336

VIII. Maße auf topologischen Räumen

und daher m

m

l(f) 2 l(g) == L(aj - E)I( 0 existieren daher ein K E n und ein 8 > 0, so daß 11(f)1 < E für alle f E U8,K(0) n B. Ist insbesondere 0 :::; f :::; 1 und f K == 0, so ist f E U8,K(0) nB und daher 11(f)1 < E. Daß es unter der Voraussetzung der Darstellbarkeit von I nur ein darstellenD des Radon-Maß gibt, haben wir schon oben (nach (2.20)) gesehen. 1

Ix

1

1

Die Äquivalenz der Aussagen a), b) des Darstellungssatzes 2.12 bedeutet: Wird I(Xx) durch J1 dargestellt, so wird l(f) für alle f E Cb(X) durch j1 dargestellt gemäß (2.25). In Aufgabe 2.7 lernen wir ein Beispiel einer positiven Linearform I : Cb(X) -+ ]I{ kennen, die nicht durch das zugehörige Radon-Maß J1 dargestellt wird. Aus Aufgabe 2.7 folgt: Ein vollständig regulärer HausdorffRaum X ist genau dann kompakt, wenn jede positive Linearform I : Cb(X) -+ ]I{ durch ein Radon-Maß J1 darstellbar ist gemäß (2.25). - Bedingung d) von Darstellungssatz 2.12 geht zurück auf VARADARAJAN [1]; bez. weiterer Details s. BADRIKIAN [1] und WHEELER [1].

VIII. Maße auf topologischen Räumen

342

Satz 2.12 gilt sinngemäß, wenn die positive Linearform I auf ganz C(X) (X vollständig regulär) definiert ist. Zum Beweis dieser Aussage benötigen wir folgendes Lemma: 2.13 Lemma. Sind X ein vollständig regulärer Hausdorff-Raum, I : C(X) -+ ]I{ eine positive Linearform, f E C+(X) und fn :== min(n, f) (n E N), so gibt es ein no E N, so daß I(f) == I(fn) für alle n ~ no. Sind insbesondere I, J : C(X) -+ ]I{ zwei positive Linearform, die auf Cb(X) übereinstimmen, so ist I == J.

Beweis. Für jede Wahl reeller An > 0 ist g :== 2:~=1 An(f - fn) E C+(X), denn die Reihe ist lokal eine endliche Summe. Aus 2:~=1 An(f - fn) ::; 9 folgt 2:~=1 An(I(f) - I(fn)) ::; I(g) für alle N E N. Daher konvergiert die Reihe 2:~=1 An(I(f) - I(fn)), insbesondere gilt: An(I(f) - I(fn)) -+ 0 (n -+ (0). Da dies für jede Wahl der An zutrifft, gibt es ein no E N mit I(f) == I(fn) für alle n ~ no. D 2.14 Darstellungssatz von F. RIESZ für C(X). Ist X vollständig regulär, so gilt Darstellungssatz 2.12 entsprechend für positive Linearformen I : C(X) -+ ]I{, wenn man überall Cb(X) durch C(X) ersetzt.

Beweis. Zur Einschränkung I I Cb(X) gehört ein endliches Radon-Maß J-l gemäß (2.22), (2.23), und nach Lemma 2.11 gilt (2.24). Wir zeigen zunächst, daß sogar

i

(2.26) Dazu seien

f

E

I dJl :s; 1(1)

(I

E

C+ (X)) .

C+(X) und fn, no wie in Lemma 2.13. Dann ist nach (2.24)

i

In dJl :s; 1(1n) = 1(1)

(n;::: no) ,

und wegen fn t f liefert der Satz von der monotonen Konvergenz die Ungleichung (2.26). Insbesondere folgt C(X) C [}(J-l). Nach Darstellungssatz 2.12 sind die Aussagen a)-d) dieses Satzes äquivalent. Zum Beweis von Darstellungssatz 2.14 brauchen wir nur noch zu zeigen, daß aus (2.25) folgt (2.27)

1(1) =

i

I dJl

(I

Das ist aber klar nach Lemma 2.13 mit J(f) :==

E C(X)) .

Ix f dJ-l

(f E C(X)).

D

Bemerkung. Ist X lokal-kompakt und abzählbar kompakt, so ist C(X) == Cb(X); ist X überdies nicht kompakt, so gibt es nach Aufgabe 2.7 eine positive Linearform I : C(X) ~ JK, die nicht durch das zugehörige J-L dargestellt wird. - Folgender Raum X hat die genannten

Eigenschaften: Es seien ßN die Stone-Cech-Kompaktifizierung von N (s. Aufgabe 2.7) und

a

E

(ßN) \N. Dann ist X :== (ßN) \ {al lokal-kompakt und abzählbar kompakt (s.

ENGELKING

[1], 3.10.18), aber X ist als dichte echte Teilmenge von ßN nicht kompakt. Wie oben bemerkt, ist ein vollständig regulärer Hausdorff-Raum X genau dann kompakt,

§ 2. Der Darstellungssatz von F.

343

RIESZ

wenn jede positive Linearform auf Cb(X) durch ihr Radon-Maß dargestellt wird. Dagegen gibt es sehr wohl nicht kompakte vollständig reguläre Räume X, für welche jede positive Linearform auf C(X) durch ihr Radon-Maß dargestellt wird; z.B. hat jeder O"-kompakte lokalkompakte Hausdorff-Raum diese Eigenschaft (s. Darstellungssatz 2.19, b)).

5. Träger von Maßen. Im Hinblick auf Darstellungssatz 2.14 stellen wir die Frage, für welche Radon-Maße /-1 die Inklusion C(X) C L I (/-1) gilt. Wir werden zeigen: Ist X ein a-kompakter, lokal-kompakter Hausdorff-Raum, so gilt C(X) C L I (/-1) genau dann, wenn /-1 einen kompakten Träger hat (Lemma 2.16). Dabei ist der Träger eines Radon-Maßes /-1 definiert als das Komplement der größten offenen /-1- Nullmenge. Daß diese Definition sinnvoll ist, folgt aus Lemma 2.15. 2.15 Lemma. Sind X ein Hausdorff-Raum, /-1 ein Radon-Maß auf Q3 und (UJLEJ eine (nicht notwendig abzählbare) Familie offener /-1-Nullmengen, so ist /-1(ULEJ UJ == O.

Beweis. Sei K C ULEJ UL kompakt. Dann existieren endlich viele il,' .. , in E I mit K C U~=l ULv ' folglich ist /-1(K) == O. Da /-1 von innen regulär ist, folgt /-1(ULEJ UJ == O. D Nach Lemma 2.15 ist die Vereinigung V aller offenen /-1-Nullmengen eines Radon-Maßes /-1 eine /-1-Nullmenge, und offenbar ist V die (bez. mengentheoretischer Inklusion) größte offene /-1-Nullmenge. Das Komplement von V nennt man den Träger von /-1: Tr /-1 :== V C • Offensichtlich ist Tr /-1 abgeschlossen. Für a E X gilt a E Tr /-1 genau dann, wenn für jede offene Umgebung U von a gilt /-1(U) > O. Sind f,g E C+(X) (oder auch nur f,g E M+(X, Q3)) und f I Tr /-1 == gl Tr /-1, so ist f == g /-1-f.ü . und daher

Diese Gleichung gilt auch für alle f, gELl (/-1) mit f I Tr /-1 == g I Tr /-1. Ist Tr /-1 kompakt, so sind alle f E C(X) /-1-integrierbar. Lemma 2.16 enthält eine teilweise Umkehrung dieser Aussage.

2.16 Lemma. Es seien X ein a-kompakter, lokal-kompakter Hausdorff-Raum und /-1 ein Radon-Maß auf Q3, so daß C(X) C L I (/-1). Dann ist Tr /-1 kompakt.

Beweis. Wir wählen eine aufsteigende Folge (Kj )j'21 in R mit K j

t

X, K j CKj+1

(j 2 1). Angenommen, Tr /-1 ist nicht kompakt. Dann gibt es eine Folge 1 S; nl < n2 < ... natürlicher Zahlen und aj E Tr /-1, so daß aj E K nj + 1 \ K nj (j 2 1). Zur Vereinfachung der Notation kann gleich angenommen werden, daß aj E (Kj+l

\Kj ) nTr /-1. Zu aj existiert ein wird durch (2.17), (2.18) festgelegt. Offenbar stimmt /-1> mit dem durch (2.22), (2.23) definierten Radon-Maß überein, also gilt C(X) c 1 (/-1» (Darstellungssatz 2.14). Ist nun 1 stetig bez. 'Ic , so gibt es ein K E .R und ein a > 0, so daß 11(1) I :::; alliliK (I E C(X)). Daher erfüllt 1 die Bedingung c) von Darstellungssatz 2.12, und Darstellungssatz 2.14 liefert (2.28). - Wir zeigen, daß Tr /-1> kompakt ist: Dazu seien L c KC ein Kompaktum und

kompakt. Ist umgekehrt /-1> irgendein Radon-Maß mit kompaktem Träger, so ist C(X) C 1 (/-1», und (2.28) definiert eine positive Linearform 1 : C(X) ~ lK, die stetig ist bez. 'Ic . b) Ist X a-kompakt, so existiert nach Lemma 2.18 ein T E .R, so daß 1(1) == 0 für alle 1 E C(X) mit 1 T == O. Es seien V eine kompakte Umgebung von T und

~ Ilglloo} eine nicht-leere offene Menge, folglich existieren endlich viele Xl, ... ,Xm E G mit Tr f c U:=l Xk V, also ist f ~ 2(llfII00/llgII00) 2::=1 go L(X;l).

V

:==

Daher gilt eine Ungleichung des Typs m

(3.2)

f ~ LCkgoL(X;l)

k=l

mit Xl,'·' ,Xm E G,Cl,· . . ,Cm ~ O,m E N.

VIII. Maße auf topologischen Räumen

358

Für jede positive linksinvariante Linearform J : Cc ( G) ---+ JK, J =1= 0 folgt aus (3.2): J(f) :s; L:=l CkJ(g), d.h. L:=l Ck 2 J(f)IJ(g)· Das führt uns zur Betrachtung folgenden Ausdrucks: Es sei (f : g) das Infimum aller Summen L:=l Ck von Koeffizienten Cl, ... ,Cm , die in Ungleichungen des Typs (3.2) vorkommen. Das Funktional (f : g) (f,g E C:(G),g =1= 0) hat folgende Eigenschaften:

(3.3) (3.4) (3.5) (3.6) (3.7) (3.8)

(f oL(y) (>"f (f1 + f2 (f (f

(f : g) (y E G), : g) >"(f : g) (>.. 2 0) , : g) : g) < (f1 : g) + (f2 : g) (f1,f2 E C:(G)) , : g) > Ilflloo/llglloo , : h) < (f : g) (g : h) (h E C:(G), h =1= 0) , 1

(h : f)

< (1:g) < (1:h) (h : g) -

(f,g,h

E

C:(G) \ {O}).

Begründung: (3.3)-(3.5) sind auf Grund der Definition von (f : g) evident. Zum Beweis von (3.6) gehen wir aus von (3.2) und erhalten Ilflloo :s; L~l ckllglloo, also L:=l Ck 2 Ilflloo/llglloo. Damit folgt (3.6); insbesondere ist (f : g) > 0, falls zusätzlich f #- 0 ist. Zur Begündung von (3.7) seien Xl,"" Xm E G und Cl, ... , Cm 2 0 gemäß (3.2) gewählt und entsprechend Y1,···, Yn E G, d1, ... ,dn 2 0 zu g, h, so daß 9 :s; L~=l dzh L( yz 1). Schätzt man die rechte Seite von (3.2) mit Hilfe der letzten Ungleichung ab, so folgt: f :s; L:=l L~=l ckd zhoL((Xkyz)-l), also (f : h) :s; L:=l Ck L~=l dz, und die Infimumbildung auf der rechten Seite liefert (3.7). (3.8) folgt sogleich aus (3.7). Dabei ist zu beachten, daß die Nenner positiv sind, da f, g, h =1= o. Die weitere Beweisidee ist nun, den Träger von 9 auf den Punkt e schrumpfen zu lassen. Um dabei (f : g) unter Kontrolle zu halten, liegt im Hinblick auf (3.8) folgende Quotientenbildung nahe: Wir wählen für den Rest des Beweises G), fo =1= 0 und bilden eine feste Vergleichsfunktion fo E 0

C:(

19 (1) :=

(~::~)

(1, 9 E C:(G), 9

-# 0).

(Die Wahl der Funktion fo wird am Ende des Existenzbeweises bewirken, daß die Linearform 1 der Normierungsbedingung l(fo) == 1 genügt.) Die GIn. (3.3)(3.5) ergeben nun:

(3.9)

19 (f oL(y)) 19 (>"f)

(3.10) (3.11 )

19 (f1

und (3.8) liefert (3.12)

+ f2)
..19 (f) 19 (f1)

(y

E G) ,

(>.. 2 0) ,

+ 19 (f2)

(f1, f2

E

C:(G)) ,

§ 3. Das Haarsche Maß

359

Wir fassen I g (l) als Näherungswert für das zu konstruierende 1(1) auf und stellen fest: Die Eigenschaften (3.9), (3.10) sind bereits passend, aber (3.11) ist zum Beweis der angestrebten Additivität von I unzureichend. Daher beweisen wir eine Ungleichung in umgekehrter Richtung:

(3.13) Zu allen 11,12

E

C:(G) und c > 0 gibt es ein V I g (11)

lür alle 9

E

C: (G), 9

=1=

E

U, so daß

+ I g (12) ::; I g (11 + 12) + c

0 mit Tr 9

C

V.

C:

Begründung: Zu K :== Tr (11 + 12) wählen wir ein h E (G) mit h I K == 1 und setzen F :== 11 + 12 + 6h, wobei 6 > 0 so klein sei, daß 26(h : 10) < c/ 2. Für j == 1, 2 setzen wir r.p j (x) :== Ij (x) / F (x), falls x E {F > O}, und r.pj(x) :== 0, falls x E KC. Dann sind r.p1, r.p2 wohldefiniert, da K c {F > O} und r.p1 (x) == r.p2 (x) == 0 für alle x E {F > O} n KC. Ferner sind die Funktionen r.p1, r.p2 stetig, da sie auf den offenen Mengen {F > O} und KC stetig sind. Daher gilt: r.p1, r.p2 E C:(G),O ::; r.p1 + r.p2 ::; 1 und Fr.pj == Ij (j == 1,2). Die Funktionen r.p1, r.p2 sind nach Satz 3.8 links-gleichmäßig stetig. Wählen wir also o < TJ < ~ so klein, daß 2TJ(11 + 12: 10) < c/2, so existiert ein V EU, so daß Ir.p j (x) - r.p j (xv) I < TJ für alle x E G, v E V, j == 1, 2. Es seien nun 9 E C:(G), 9 =1= 0, Tr 9 C V und Xl,· .. , Xm E G, Cl, ... , Cm ~ 0, so daß (vgl. (3.2)) m

F::; LCkgoL(X;l). k=l

(3.14) Ist hier goL(X;l )(x) TJ (j == 1, 2), also

=1=

0, so gilt x E Xk V, und für diese x ist r.pj(x) ::; r.pj(Xk)

+

m

Ij(x)

==

r.pj(x)F(x) ::; L Ck(r.pj(Xk) k=l

+ TJ)g(X;l X) (x

E G;j ==

1,2).

Eine Addition der hieraus resultierenden Ungleichungen für (11 : g), (12 : g) führt unter Berücksichtigung von r.p1 + r.p2 ::; 1 auf m

(11 : g)

m

+ (12 : g) ::; L Ck(r.p1(Xk) + r.p2(Xk) + 2TJ) ::; L ck(l + 2TJ)· k=l

k=l

Wegen (3.14) und (3.10), (3.11) können wir daher schließen:

(11 : g) + (12 : g) ::; (F: g)(l + 2TJ) ::; ((11 + 12 : g) I g (11) + I g (12) ::; (lg (11 + 12) + 61g (h))(1 + 2TJ)·

+ 6(h: g))(l + 2TJ),

Hier ist nach (3.12) und der Wahl von 6, TJ

2TJlg (11 + 12) < 2TJ(11 + 12 : 10) < c /2 , 81g (h)(1 + 2TJ) ::; 26(h: 10) < c/2, und (3.13) ist bewiesen. -

VIII. Maße auf topologischen Räumen

360

Zum Abschluß des Existenzbeweises betrachten wir den Produktraum X :==

TI! [Uo1:f) ' (J : 10)]' wobei die Produktbildung über alle 1 E

C: (G), 1 i 0 erstreckt wird. Nach dem Satz von TYCHONOFF (1906-) ist X bez. der Produkttopologie kompakt, und nach (3.12) ist 19 E X für alle 9 E C:(X), 9 i= o. Der oben angedeutete Prozeß des "Zusammenziehens" des Trägers von 9 auf den Punkt e läßt sich nun mit Hilfe eines Kompaktheitsarguments folgendermaßen streng fassen: Für V E II sei F(V) der Abschluß der Menge {1g : 9 E (G), 9 i= 0, Tr 9 C V} in X. Sind VI, ... , Vn E ll, so ist F(V1) n ... n F(Vn ) == F(V1 n ... n Vn ), also hat das System der Mengen F(V) (V E ll) die endliche Durchschnittseigenschaft. Wegen der Kompaktheit von X ist daher der Durchschnitt der Mengen F(V) (V E ll) nicht leer; sei 1 E F(V) für alle V E U. Nach Definition der Produkttopologie gibt es zu allen f1, ... ,fn E C:(G) \ {O},n E N,c > 0 und V E U ein 9 E (G), 9 i= 0 mit Tr 9 C V, so daß

C:

C:

11(fj) - 19 (fj) I < c für alle j

== 1, ... , n.

Aus dieser Approximationseigenschaft und (3.9)-(3.13) erhellt, daß 1 : C:( G) \ {O} ~]O, oo[ folgende Eigenschaften hat (f, f1, f2 E C:(G) \ {O}): (3.15) (3.16) (3.17) (3.18)

1(f oL(y)) 1(>"f) 1(f1 + f2) 1

(fa: f)

1(f) (y E G), >..1(f) (>.. > 0) , 1(f1) + 1(f2) ,

< 1(f) :::; (f : fo) .

Daher gestattet 1 eine kanonische Fortsetzung zu einer linksinvarianten positiven Linearform 1 : Cc(G) ~ JK, und nach (3.18) ist 1 i= o. (Wegen (3.6) und der Definition von (fa: fo) ist (fa: fo) == 1; folglich ist 1(fo) == 1 nach (3.18).) Damit ist der Existenzbeweis beendet. Eindeutigkeit: Es seien J : C c ( G) ~ JK ein linkes Haar-Integral und f, 9 E C:(G), 9 i= o. Aus (3.2) folgt J(f) :::; ~;:=1 CkJ(g), also

(3.19)

J(f) :::; (f : g)J(g).

Hier ist notwendig J(g) i= 0, denn sonst wäre nach (3.19) J(f) == 0 für alle f E C:(G), d.h. J == 0: Widerspruch! Es seien weiter f E C:(G),c > O. Dann existiert ein U E ll, so daß If(x) f(y)1 < c für alle x, y E G mit x- 1y E U, denn f ist links-gleichmäßig stetig (Satz 3.8). Es sei ferner 9 E C:(G),g i= 0 mit Trg C U, so daß 9 symmetrisch ist in dem Sinne, daß g(x) == g(x- 1) (x E G). Für festes x E G betrachten wir die Funktion G ~ lR,y H f(y)g(y-1 X ). Wir bezeichnen diese Funktion im folgenden kurz mit f(y)g(y-1 X ), wobei y die "freie" Variable und x ein "festes" Element von G bedeuten. Für y-l x ~ U ist g(y-1 X ) == 0, und für y-1 x E U ist f(y) 2: f(x) - c. Daher ist wegen der Symmetrie von 9

J(f(y)g(y-1 X )) > (f(x) - c)J(g(y-1 X )) == (f(x) - c)J(g(x- 1y)) == (f(x) - c)J(g) ,

§ 3. Das Haarsche Maß

361

denn J ist linksinvariant, also

f(x) - c ~ J(f(y)g(y-lx))/J(g)

(3.20)

(x

E

G).

Die Funktion g ist rechts-gleichmäßig stetig. Zu vorgegebenem TJ > 0 gibt es daher ein offenes W E II mit Ig(y) - g(z)1 < TJ für alle y, z E G mit yz-l E W. Zur Menge K :== Tr (f + fo) existieren endlich viele Yl, ... , Yn E G und 0, so daß JeudJ-l > Q. Wegen der inneren Regularität von J-l kann gleich angenommen werden, daß Al,.'" An kompakt sind, und mit K :== A j gilt dann: J-l*(K) == ~ 8 J-l(K) 2: Je u dJ-l > D:. Daher ist J-l*(A) 2: ~ 8 J-l(A). D

U7=1

GI. (3.27) liefert in Verbindung mit der allgemeinen Transformationsformel V.3.1

(3.30)

k

f(xa) dJl(x) = /::,.(a)

k

f(x) dJl(x)

während (3.29) impliziert

(3.31)

k

f(x-1)/::,.(x) dJl(x) =

Diese Gleichungen gelten für alle meßbaren Linksinvarianz von J-l bedeutet dagegen:

(a E G) ,

k

f 2:

f(x) dJl(x).

0 und für alle

f

E

J21(J-l). Die

(3.32) Ist insbesondere G unimodular, so folgt für die genannten

(3.33)

f

und alle a E G:

kf(ax)dJl(x) = kf(xa)dJl(x) = kf(X-1)dJl(X) = kfdJl.

5. Invariante und relativ invariante Maße auf Restklassenräumen. Für den ganzen Abschnitt 5. vereinbaren wir folgende Voraussetzungen und Bezeichnungen: Es seien G eine lokal-kompakte Hausdorffsche topologische Gruppe mit neutralem Element e, Le(s),Re(s) die Links- bzw. Rechtstranslation um s E G, I e ein linkes Haar-Integral auf C c ( G), J-le das zugehörige linke Haar-Maß und ~e die modulare Funktion von G. Ferner sei H eine abgeschlossene Untergruppe von G. Dann ist auch H eine lokal-kompakte Hausdorffsche topologische Gruppe, und die Daten LH(t), RH(t) (t EH), I H, J-lH, ~H sind sinnvoll. Wir versehen die Menge G / Haller Linksrestklassen sH (s E G) mit der Quotiententopologie; das ist die feinste Topologie auf G / H, welche die Quotientenabbildung q : G -+ G / H, q( s) :== sH (s E G) stetig macht. Eine Menge M C G/H ist genau dann offen, wenn q-I(M) offen ist in G. Dann ist eine Abbildung f : G / H -+ Y in irgendeinen topologischen Raum Y genau dann

§ 3. Das Haarsche Maß

369

stetig, wenn 1 0 q : G ---t Y stetig ist. Die Quotientenabbildung q ist auch offen, denn für offenes U c G ist q-l(q(U)) == UH offen in G (Lemma 3.4, c)), d.h. q(U) ist offen in G/ H. Wir zeigen: G / H ist Hausdorffsch. Begründung: Für jedes a E G ist aH abgeschlossen in G, also (aH)e offen in G, also {aHle offen in G/ H, folglich {aH} abgeschlossen in G/ H. Sind nun a, bEG, aH =1= bH, so existiert eine offene symmetrische Umgebung V von e mit bH ~ q(V 2 a). Dann sind q(Va), q(Vb) disjunkte offene Umgebungen von aH bzw. bH. - Da q kompakte Umgebungen von a E G auf kompakte Umgebungen von aH E G/H abbildet, ist G / H ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum. 3.19 Lemma. Zu jedem K ompaktum LeG/ H gibt es ein K ompaktum K

cG

mit q(K) == L. Beweis. Es sei V eine relativ kompakte offene Umgebung von e. Dann existieren endlich viele SI,.'.' Sn E G, SO daß L C q(Vs 1 )U ...Uq(Vs n ) == q(Vs 1 U...UVs n ). Daher ist K :== (V SI U ... U 17sn) n q-l (L) eine kompakte Teilmenge von G mit q(K) == L.

0

Für jedes s E G ist die Linkstranslation L( s) : G/ H ---t G/ H, L( s) (aH) :== E G) stetig, denn L( s) 0 q == q 0 L c (s). Da L(S-I) stetig ist und zu L( s) invers, ist L( s) ein Homöomorphismus.

saH (a

1 E Ce(G), s E G definiert die Zuordnung t H) ein Element von Ce(H), und IH : G ---t lK,

3.20 Lemma. Für jedes

I(st) (t

E

(3.34)

fH(S)

:=

i

f(st) d/lH(t)

f--7

(s E G)

ist eine stetige Funktion mit fH(SU) == IH(S)

(3.35)

(s

E

G, u

E

H).

Daher definiert 1H eine stetige Funktion I~ : G/ H ---t lK mit I~ q == 1H, und I~ hat einen kompakten Träger. Die lineare Abbildung Ce(G) ---t Ce(G / H), 1 f--7 I~ ist surjektiv, und es gilt: 0

(3.36)

(loLc(u))~

(3.37)

(1 R c (u))~ 0

I~ L (U )

(u E G) , ~H(u)l~ (u E H). 0

Beweis. Für s E G ist Cc(G) -+ IK,

(j) und stellen fest: q> (3.42)

:=

1

/l -1 f dJla

(j

E

Cc ( G))

#- 0 ist eine positive Linearform mit

1

/l-1(joL a (8))dJla

q>(foLc(s))

/l( 8)

1

(/l -1 f) L a (8) dJla = /l( 8) (j) , 0

denn J-lc ist linksinvariant bez. G. Wir wollen nun die gesuchte Linearform I mit Hilfe des folgenden Diagramms einführen, in dem ,,~" die Surjektion aus Lemma 3.20 bezeichnet:

Offenbar existiert genau dann eine lineare Abbildung I, die dieses Diagramm kommutativ macht, wenn der Kern der linearen Abbildung ,,~" im Kern von q> enthalten ist. Wir zeigen daher folgende Zwischenbehauptung: Ist f E C c ( G) und f~ == 0, so ist q>(f) == O. Zur Begründung seien f E Cc ( G) und f~ == 0, d.h.

i

f(8t)dJlH(t) = 0 (8

E

G).

VIII. Maße auf topologischen Räumen

372 Nach (3.31) bedeutet dies:

Für alle g E Cc ( G) ist daher

Hier dürfen wir nach Aufgabe 2.13 die Reihenfolge der Integrationen vertauschen:

i

tlH(t) (lg(s)tl-1(s)f(sr1)dMC(S)) dMH(t) = O.

Im inneren Integral führen wir die Substitution s wegen (3.30) und der Voraussetzung (3.39):

f---t

st durch und erhalten

und eine nochmalige Vertauschung der Integrationsreihenfolge ergibt (3.43) Diese Gleichung gilt für alle 9 E Cc(G). Nun wählen wir ein spezielles g: Da G / H ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum ist, gibt es ein g E C c ( G / H) mit gl q(Tr f) == 1, und zu g gibt es nach Lemma 3.20 ein 9 E Cc(G) mit gP == g. Für dieses 9 gilt nach Konstruktion

i

g(st)dMH(t) = 1 (s E Tr f) ,

und aus (3.43) folgt:

l

f(s)tl-1(s)dMc(S) = 0,

d.h. ip(f) == O. Damit ist die obige Zwischenbehauptung bewiesen. Es gibt also eine Linearform I : C c ( G / H) kommutativ macht, und zwar ist

~

JK, die das obige Diagramm

(3.44) Nach Lemma 3.20 ist I nicht-trivial und positiv, und wegen (3.42) ist

d.h. I ist relativ invariant mit modularer Funktion ß. GI. (3.39) ist also hinreichend für die Existenz einer Linearform I mit den genannten Eigenschaften. -

§ 3. Das Haarsche Maß

373

Zum Beweis der Eindeutigkeitsaussage seien 11 , 12 zwei nicht-triviale positive relativ invariante Linearformen auf Cc ( G/ H) und J 1 , J 2 : Cc ( G) -t JK, J k (f) ::=: Ik((ßf)P) (f E Cc(G),k:=: 1,2). Wir haben oben bereits gesehen, daß J 1 ,J2 linke Haar-Integrale auf C c ( G) sind. Daher gibt es ein a > mit J 1 :=: aJ2 • Für alle f E Cc(G) ist also I 1(fP) :=: J1(ß~lf) :=: aJ2(ß~lf) :=: aI2(fP), und die Surjektivität der Abbildung "P" ergibt das Gewünschte. D

°

Es gelte (3.39) und I : Cc ( G/ H) -t JK sei eine nicht-triviale positive relativ invariante Linearform. Dann existiert nach dem Darstellungssatz von F. RIESZ 2.5 genau ein Radon-Maß j1: ~(G/H) --+ [0,00] mit

1(J)= (

(3.45)

fdfi

(JECc(G/H)).

JG/H

Wegen der allgemeinen Transformationsformel V.3.1 ist für alle a E G

t:..(a)I(J)

= l(JoL(a)) = {

foL(a)dfi

JG/H

= (

fd(L(a)(fi)) ,

JG/H

und da auch L(a)(j1) ein Radon-Maß ist, ist J-l relativ invariant in dem Sinne, daß L(a) (J-l) :=: ß (a) J-l für alle a E G. Umgekehrt entspricht jedem relativ invarianten Radon-Maß J-l gemäß (3.45) eine nicht-triviale positive relativ invariante Linearform I. Beschreiben wir I durch J-l, so ist (3.44) gleich der 3.22 Formel von A. Weil (1936). Es sei ß : G -t]0, oo[ ein stetiger Homomorphismus, und es gelte (3.39). Dann existiert bis auf einen positiven Faktor genau ein nicht-triviales relativ invariantes Radon-Maß J-l : ~(G / H) --+ [0,00], und bei geeigneter Normierung von J-l gilt die W eil s c h e F 0 r m e I (3.46)

l/H (if(st)dfiH(t)) dfi(sH)

=l

t:..~lfdfiG

(J E Cc(G)) ,

wobei das innere Integral über H als Element von C c ( G/ H) aufzufassen ist.

3.23 Korollar. Es seien H ein abgeschlossener Normalteiler von G und J-lG/H ein linkes Haar-Maß auf G / H. Gibt man zwei der linken Haar-Maße J-lG, J-lH, J-lG / H vor, so gibt es genau eine Fixierung des dritten, so daß die W eil sche Formel

gilt. Ferner ist ßG I H unimodular.

:=:

ßH

,o

ist insbesondere G unimodular, so ist auch H

Beweis. J-lG/H ist ein nicht-triviales linksinvariantes Radon-Maß auf G/ H, also existiert ein nicht-triviales Radon-Maß J-l obigen Typs mit ß :=: 1. Nach (3.39) ist ßG I H :=: ßH. Ferner ist J-l nach Satz 3.21 ein positives Vielfaches von J-lG/H, und (3.46) ergibt die Behauptung. D

VIII. Maße auf topologischen Räumen

374

3.24 Korollar. Eine nicht-triviale positive invariante Linearform I: Cc(G/H) -t IK existiert genau dann, wenn ~H == ~c I H, und dann ist I bis auf einen

positiven Faktor eindeutig bestimmt. Beweis: klar nach Satz 3.21.

D

3.25 Korollar. Ist G unimodular, so existiert eine nicht-triviale positive invariante Linearform I : Cc(G/ H) -t IK genau dann, wenn auch H unimodular ist, und dann ist I bis auf einen positiven Faktor eindeutig bestimmt.

Beweis: klar nach Satz 3.21.

D

3.26 Korollar. Ist G kompakt, so existiert eine und bis auf einen positiven Faktor genau eine nicht-triviale positive invariante Linearform I : C c(G / H) -t IK.

Beweis. Als abgeschlossene Untergruppe von G ist auch H kompakt, und nach Satz 3.16 sind G und H unimodular. Daher liefert Korollar 3.25 die Behauptung. D

Für die Existenzaussage von Korollar 3.26 gibt es folgenden einfachen zweiten Beweis: Es seien G kompakt und f E C(G / H). Dann definiert die Zuordnung s H f(sH) (s E G) ein Element von C(G), und I(f) :== fc f(sH)dJLc(s) (f E C(G / H)) leistet das Verlangte. D Bemerkung. 1. SEGAL (Invariant measures on locally compact spaces, J. Indian Math. Soc. 13, 105-130 (1949)) beweist einen Existenz- und Eindeutigkeitssatz für positive invariante Linearformen auf Cc(X), wobei X ein lokal-kompakter uniformer Raum ist, auf dem eine gleichmäßig gleichstetige Gruppe von uniformen Isomorphismen operiert. Dieses Resultat findet man auch bei SEGAL-KuNZE [1]' S. 187; s. auch FEDERER, S. 121 ff. - Man kann die Frage nach der Existenz eines invarianten Maßes auf G/ H auch unmittelbar mit der Beweismethode des Satz 3.11 behandeln; das geschieht bei J. PONCET: Une classe d'espaces homogenes possedant une mesure invariante, C.R. Acad. Sei. Paris 238, 553-554 (1954).

Beispiel 3.27: Haar-Integral auf SL (2, JR). Die Matrizen M == (~~) der Gruppe G :== SL (2, JR) operieren auf der oberen Halbebene JHI :== {z == x + iy : x, y E JR,Y > O} vermöge z H M(z) :== (az + b)/cz + d), denn für z == x + iy E JHI ist Im M(z) == Y/lcz + dl 2 > 0, d.h. M(z) E JHI. Für alle M, N E G, z E JHI ist (MN)(z) == M(N(z)).20 Ist z == x + iy E JHI, so setzen wir Pz

._ (VY x/VY) 0 1/ VY

.-

E

G.

Dann ist P z (i) == z. Daher operiert G transitiv auf JHI, d.h. zu allen z, w E JHI gibt es ein M E G mit M(z) == w; z.B. leistet M :== Pw P z- 1 das Verlangte. Die Fixgruppe des Punktes i in G ist die Gruppe K :== SO(2) der Matrizen 20Bekanntlich sind die Abbildungen des Typs Z H M(z) mit M E G genau die konformen Abbildungen von IHI auf sich; s. z.B. R. REMMERT: Funktionentheorie I, 4. Aufl. BerlinHeidelberg-New York: Springer-Verlag 1995, S. 213.

§ 3. Das Haarsche Maß K

:==

375

(c?s~ -sin~)

l vage gegen F konvergiert. b) Für jedes 9 E Cc(IR) gilt lim n-+oo

r

Jrnz.

9 dFn

=

r

Jrnz.

9 dF .

Beweis. a) =} b): Satz 4.14 von HELLy-BRAY. b) =} a): Es seien a, b E IR Stetigkeitspunkte von F, a < b, E > 0, a + E < b - E, und E sei so gewählt, daß auch a ± E, b ± E Stetigkeitspunkte sind von F. Ferner sei g€ E Cc(IR) definiert durch

g€ ( X )

.== .

0 für x ~ [a, b] , E-1 (x - a) für a 5: x 5: a + E , 1 fu··r a+E_x_ < < b -E, { E-1 (b - x) für b - E 5: x 5: b .

Dann ist wegen Voraussetzung b) F(b - s) - F(a

= lim n-+oo

+ s) ::;

1

g,dF

lim (Fn(b) Jrg,dFn ::; n-+oo rnz.

Fn(a)) .

VIII. Maße auf topologischen Räumen

390

Läßt man hier c eine Nullfolge von Werten Ck durchlaufen, so daß alle Punkte + Ck, b - Ck Stetigkeitspunkte sind von F, so erhalten wir

a

F(b) - F(a) ~ lim (Fn(b) - Fn(a)) . n---+oo

Wenden wir die gleiche Schlußweise an auf die Funktion he E Cc(IR),

h ( ). == e X



0 - (a - c)) 1 c- 1(b + C - x)

C-1 (x

{

für für für für

x tf- [a - c, b + c] , a- C~ x ~ a, a ~ x ~ b, b ~ x ~ b+ C ,

so folgt

= ~ hedF < F(b + E) - F(a - E) , also: lim (Fn(b) - Fn(a)) ~ F(b) - F(a) .

n---+oo

Damit haben wir gezeigt: Für alle Stetigkeitspunkte a, b E IR von F gilt lim (Fn(b) - Fn(a)) == F(b) - F(a) .

n---+oo

(Hier brauchen wir die Voraussetzung a < b nicht mehr.) Wählen wir nun irgendeinen Stetigkeitspunkt ao von F und setzen Cn :== Fn(ao) - F(ao), so besagt die letzte Gleichung: Für alle Stetigkeitspunkte x E IR von F gilt lim (Fn(x) - cn ) == F(x) ,

n---+oo

und das war gerade zu zeigen.

D

Die Sätze 4.12 und 4.15 lehren, daß die schwache bzw. vage Konvergenz der (ggf. um geeignete Konstanten abgeänderten) Verteilungsfunktionen gerade der schwachen bzw. vagen Konvergenz der zugehörigen Maße entspricht. 4.16 Auswahlsatz von HELLY (1912). a) Jede gleichmäßig beschränkte Folge von Verteilungsfunktionen Fn : IR ---t IR hat eine vage konvergente Teilfolge. b) Jede beschränkte Folge (J-Ln)n?.1 von Maßen auf fJ31 hat eine vage konvergente Teilfolge.

Beweis. a) Die Folge (Fn )n?.1 heißt gleichmäßig beschränkt, wenn es ein M > 0 gibt, so daß IFn(x) I ~ M für alle x E IR, n E N. Wir beweisen die Behauptung mit Hilfe des Cantorschen Diagonalverfahrens. Dazu sei (rj)j?l eine Abzählung von Q. Die Folge (Fn (r1) )n?l ist beschränkt, hat also nach dem Satz von BOLZANO-WEIERSTRASS eine konvergente Teilfolge (F1n (r1))n?1. Nun ist die

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

391

Folge (F1n (r2))n>1 beschränkt, hat also eine konvergente Teilfolge (F2n (r2))n>1' usw. Die k-te Thilfolge (Fkn(rk))n?) konvergiert, und da (Fkn ) eine TeilfoIge aller zuvor gewählten Teilfolgen (Fjn )n?.1 (j == 1, ... , k - 1) ist, konvergiert (Fkn (rj))n2::1 für alle j == 1, ... , k. Nehmen wir nun aus dem Schema der Fkn die "Diagonalfolge" der (Fnn )n2::1' so ist (Fnn (rj))n2::j eine Teilfolge von (Fjn (rj))n2:: 1' also konvergiert (Fnn (rj))n2::1 für jedes JEN. Wir gehen zur üblichen Notation für Teilfolgen über und stellen fest: Es gibt eine Teilfolge (Fnk )k2::1 von (Fn )n2:: 1 und eine Funktion G : Q ---+ IR, so daß für alle r E Q .

lim Fnk(r) == G(r) k-+oo

Offenbar ist die Funktion G : Q ---+ IR wachsend. Setzen wir nun für x E IR

F(x):== inf{G(r): r

E

Q,r > x},

so ist F rechtsseitig stetig, wachsend und beschränkt, d.h. F ist eine Verteilungsfunktion. Zum Abschluß des Beweises zeigen wir: (Fnk )k2::1 konvergiert vage gegen F. Dazu seien x E IR ein Stetigkeitspunkt von Fund c > O. Dann gibt es ein 8 > 0, so daß

F(x) - c < F(y)

~

F(z) < F(x)

für alle y, z mit x - 8 < Y < x < z < x y < S < x < z < t < x + 8, so daß

F(x) - c < F(y)

~

G(s)

~

+ 8.

+c

Zu y, z gibt es s, t E Q mit

G(t) < F(x)

+c

.

Wegen der Monotonie der F nk folgt hieraus:

F(x)-c
0 frei wählbar ist, erhalten wir: limk-+oo Fnk (x) == F(x). b) Die Folge (J1n)n>l heißt beschränkt, wenn die Folge (11J1nll)n>l beschränkt ist. Ordnen wir J1n gemäß (4.6) seine Verteilungsfunktion Fn zu, s~ ist die Folge (Fn )n2:: 1 gleichmäßig beschränkt, hat also nach a) eine Teilfolge (Fnk )k2:: 1, die vage gegen eine Verteilungsfunktion F konvergiert. Nach dem Satz 4.14 von HELLy-BRAY konvergiert dann (J1 nk)k2:: 1 vage gegen das zur Verteilungsfunktion F gehörige Maß J1. D

Bemerkungen, historische Notizen. Der Satz 4.13 von HELLy-BRAY gilt auch bei Integration über ein kompaktes Intervall [a, b], falls nur die Folge der rechtsseitig stetigen wachsenden Funktionen Fn : [a, b] ---+ IR an allen Stetigkeitspunkten von F gegen die rechtsseitig stetige wachsende Funktion F : [a, b] ---+ IR konvergiert und F in a und b stetig ist (s. LOEVE [1]). Ferner gelten die Sätze von HELLY und HELLy-BRAY sinngemäß auch für Funktionen F n von gleichmäßig beschränkter Variation (s. NATANSON [1]). - BRAY (1889-1978)

VIII. Maße auf topologischen Räumen

392

(s. [1]) veröffentlicht seine Ergebnisse über Stieltjessche Integrale 1919 offenbar ohne zu wissen, daß HELLY (1884-1943) die Sätze 4.13, 4.14 und den wichtigen Auswahlsatz 4.16 schon 1912 als technische Hilfsmittel in einer Arbeit (s. HELLY [1]) entwickelte, die im Keim grundlegende Prinzipien der Funktionalanalysis enthält (Satz von BANACH-STEINHAUS, Satz von HAHN-BANACH). Eine Würdigung des dornenreichen Lebensweges und der wissenschaftlichen Leistungen von EDUARD HELLY findet man im Artikel von P .L. BUTZER et al.: EDUARD HELLY (1884-1943). Jahresber. Dtsch. Math.-Ver. 82, 128151 (1980). Die Sätze von HELLy-BRAY und HELLY spielen insbesondere in der Wahrscheinlichkeitstheorie in der Theorie der charakteristischen Funktionen (Fourier-Transformierten von Wahrscheinlichkeitsmaßen) eine bedeutende Rolle. Der Begriff der schwachen Konvergenz von (signierten) Maßen wird implizit im Jahre 1911 eingeführt von F. RIESZ ([2]' S. 798-827) in einer Arbeit, die sich mit dem Beweis und mit Anwendungen des Darstellungssatzes von F. RIESZ für stetige Linearformen auf C[a, b] durch Stieltjessche Integrale (d.h. signierte Maße auf [a, b]) beschäftigt. Dort werden auf S. 814 Linearformen des Typs f N f(x) dam(x) betrachtet, wobei die Totalvariationen der Funktionen a m (m ~ 1) gleichmäßig beschränkt sind. RIESZ zeigt dann mit Hilfe des Cantorschen Diagonalverfahrens, daß die Folge (am)m~l eine schwach konvergente Teilfolge hat. Damit beweist RIESZ de facto den Auswahlsatz von HELLY, aber er spricht den Satz nicht als selbständiges Resultat aus, da seine Untersuchung andere Ziele verfolgt. Auf der Grundlage des Satzes von HELLY könnten wir nun die schwach relativ folgenkompakten Teilfolgen von M+ (~1) charakterisieren, doch stellen wir das zurück, da wir im nächsten Abschnitt mit dem Satz von PROCHOROV 2 ein wesentlich allgemeineres Resultat kennenlernen werden. Auch im Beweis des Satzes von PROCHOROV spielt das Cantorsche Diagonalverfahren eine tragende Rolle.

J:

5. Der Satz von PROCHOROV 2 • Im ganzen Abschnitt 5 seien (X, d) ein metrischer Raum und

~

==

~(X).

4.17 Definition. Eine Menge M c M+(~) heißt (schwach) relativ Jolgenkompakt, wenn jede Folge von Elementen aus M eine schwach konvergente Teilfolge besitzt, d.h. wenn zu jeder Folge von Elementen J-ln E M (n ~ 1) eine Teilfolge (J-lnk)k~l und ein J-l E M+(~) existieren mit J-lnk ~ J-l. Offenbar ist jede relativ folgenkompakte Menge M c M+(~) beschränkt in dem Sinne, daß {11J-l11 : J-l E M} beschränkt ist. Im Satz von PROCHOROV werden die relativ folgenkompakten Teilmengen von M+(~) mit Hilfe des Begriffs der Straffheit charakterisiert. 4.18 Definition. Eine Menge M c M+(~) (X metrischer Raum) heißt (gleichmäßig) straff, wenn zu jedem c > 0 ein Kompaktum K c X existiert, so daß

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

J-L(KC) < c für alle J-L E M. Eine Folge (J-Ln)n"2 1 von Elementen aus (gleichmäßig) straff, wenn die Menge {J-Ln : n E N} straff ist.

393 M+(~)

heißt

4.19 Beispiel. Es seien (X,~) :== (IR, Q31) und J-La(B) :== XB(a) (a E IR, B E Q31). Dann ist die Menge {J-Ln : n E N} nicht straff, aber {J-Lln : n E N} ist straff. Für beliebiges A c IR gilt: {J-La : a E A} ist straff genau dann, wenn A beschränkt ist. Eine straffe Menge M c M+(Q3) braucht nicht beschränkt zu sein. (Beispiel: Man nehme auf IR ein Borel-Maß J-L =I- 0 mit kompaktem Träger und setze

M:=={aJ-L:a>O}.) 4.20 Satz (PROCHOROV 2 1956). Ist X ein polnischer Raum (d. h. ein vollständig metrisierbarer Raum mit abzählbarer Basis), so ist jede relativ folgenkompakte Menge M C M+(Q3) straff und beschränkt. Da trivialerweise jede einelementige Teilmenge von M+ (Q3) relativ folgenkompakt ist, erweist sich der Satz 1.16 von ULAM im Fall eines endlichen Maßes J-L als Spezialfall von Satz 4.20. In der Tat wiederholt das wesentliche Argument im Beweis des Satzes 4.20 gerade die Schlußweise des schwierigsten Schrittes im Beweis des Satzes 1.16 von ULAM. Beweis von Satz 4.20. Oben wurde bereits bemerkt, daß jede relativ folgenkompakte Menge M C M+(~) beschränkt ist. - Zum Nachweis der Straffheit zeigen wir zunächst:

(A)

Ist (Uk )k>l eine wachsende Folge offener Teilmengen von X mit Uk>l Uk == X, so gibt es zu jedem c > 0 ein m E N, so daß J-L(U~) < c für alle ii E M.

Begründung: Wäre die Aussage (A) falsch, so gäbe es eine solche Folge (Uk)k"21 und ein c > 0 mit der Eigenschaft, daß man zu jedem k E Nein J-Lk E M finden könnte mit J-Lk(Uk) 2: c. Die Folge (J-Lk)k"21 hätte nach Voraussetzung eine schwach konvergente Teilfolge. Wegen der Monotonie der Folge (Uk)k"21 dürften wir gleich ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, daß bereits die ursprüngliche Folge (fLk)k"21 schwach konvergiert: J-Lk ~ J-L. Nach dem Portmanteau-Theorem könnten wir dann schließen: Für alle k E N ist

Da aber J-L endlich ist und Uk .t 0, erhalten wir einen Widerspruch, und (A) ist bewiesen. Zum Beweis der Straffheit von M sei nun c > O. Wir wählen eine in X dichte Folge (Xj)j"21 und setzen bei festem n E N k

Unk

:==

UK~(Xj)

j=l

(k

E

N) .

VIII. Maße auf topologischen Räumen

394

Dann konvergiert die Folge (Unk)k?) wachsend gegen X, und nach (A) gibt es zu jedem n E Nein k n E N, so daß

a jortiori ist also

Die gleichen Argumente wie im Beweis des Satzes 1.16 von ULAM lehren nun: K :== n~=l Unkn ist kompakt und JL(KC) < c für alle JL E M. Daher ist M straff. 0

4.21 Korollar. Jede schwach konvergente Folge von Maßen JLn E 1) ist straff (und beschränkt).

M+(~P)

(n 2:

Beweis. Ist (JLn)n?) schwach konvergent, so ist M :== {JLn : n E N} relativ 0 folgenkompakt, und Satz 4.20 liefert die Behauptung.

In Satz 4.20 gilt auch die umgekehrte Implikation, und zwar für beliebige metrische Räume. Das ist die beweistechnisch "schwierigere Hälfte" des Satzes 4.23 von PROCHOROV, während Satz 4.20 als die "einfachere Hälfte" anzusehen ist. Bei Anwendungen des Satzes von PROCHOROV kommt meist die folgende "schwierigere Hälfte" zum Zuge:

4.22 Satz (PROCHOROV 2 1956). Ist X ein metrischer Raum, so ist jede straffe und beschränkte Menge M c M+(~) relativ jolgenkompakt. Beweis (nach BILLINGSLEY [3] und [2]' second ed.). Es sei (JLn)n'2 1 eine Folge von Elementen aus M. Zur Konstruktion einer schwach konvergenten Teilfolge von (JLn)n>l benutzen wir folgenden Ansatz: D~ (JLn)n'21 straff ist, gibt es eine wachsende Folge kompakter Mengen Km C X (m E N), so daß

(4.9)

f-ln(K':,.)
O,a E D). Ist nun U C X offen und x E UnL, so wählen wir ein c > 0 mit Kc(x) C U, danach ein a E D mit d(x, a) < c/2 und ein r E Q mit d(x, a) < r < c/2. Dann gilt für die Kugel B :== Kr(a) E .R : x E B c B c Kc(x) c U. Mit V bezeichnen wir die Menge aller endlichen Vereinigungen von Durchschnitten des Typs B n Km(B E .R, m E N) einschließlich der leeren Vereinigung 0. Die Menge V ist abzählbar, und alle Mengen aus V sind kompakt. Für jedes m E N ist .R eine offene Überdeckung von Km, also gibt es eine

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

395

endliche Teilüberdeckung BI,' .. , B r E .R von Km' Trivialerweise bilden dann auch die Mengen BI n Km, ... ,Br n Km E 1) eine Überdeckung von Km, und da 1) abgeschlossen ist bez. der Bildung endlicher Vereinigungen, erhalten wir: Km E 1) für alle m E N. Wie im Beweis des Auswahlsatzes 4.16 von HELLY benutzen wir nun das Cantorsche Diagonalverfahren und wählen eine Teilfolge (J1 nk )k?1 von (J1n), so daß der Limes

v(D)

(4.10)

:== lim

k-+oo

J1 nk (D)

für alle D E 1) existiert. (Die Konstruktion verläuft hier wie folgt: Sei (D j )j?1 eine Abzählung von 1). Die Folge (J1n(D 1))n?1 ist nach Voraussetzung beschränkt (!), hat also eine konvergente Teilfolge (J11k(D 1))k?1' Ebenso ist (J11k(D 2))k?1 beschränkt, hat also eine konvergente Teilfolge (J12k(D 2))k?l, usw. Die Folge (J1lk(D j ))k?1 konvergiert nach Konstruktion für alle j == 1, ... , I. Daher konvergiert die Diagonalfolge (J1kk(Dj ))k?l für alle JEN, denn (J1kk(Dj )k?j ist Teilfolge der konvergenten Folge (J1jk(Dj ))k?l' - Wir kehren zur üblichen Bezeichnung für Teilfolgen zurück und bezeichnen die Diagonalfolge mit (J1 nk) k?l) . Das wesentliche Ziel des folgenden Beweises ist nun die Konstruktion eines Maßes J1 auf ~(X), so daß für alle offenen U c X gilt: (4.11 )

J1(U)

==

sup{v(D) : D

E 1),

D c U} .

Wenn wir ein solches J1 konstruiert haben, können wir den Beweis folgendermaßen rasch zu Ende führen: Sei U C X offen. Für jedes D E 1), D c U ist

also nach (4.11)

J1(U) :::; lim J1 nk (U) .

(4.12)

k-+oo

Insbesondere ist J1 endlich, denn M ist nach Voraussetzung beschränkt. Ferner gilt wegen Km E 1) (m E N) folgende Ungleichungskette:

J1(X)

sup v(D) ~ sup v(Km) DED

mEN

sup ( lim J1 n k (Km)) k-+oo

mEN

> sup mEN

(lim fLnk(X) k-+oo

~) m

lim J1 n k (X) . k-+oo Zusammen mit (4.12) ergibt sich J1(X) == limk-+oo J1 nk (X), und wegen (4.12) liefert das Portmanteau-Theorem die schwache Konvergenz J1 nk ~ J1. Damit bleibt nur noch ein Maß J1 auf ~(X) zu konstruieren mit (4.11).

VIII. Maße auf topologischen Räumen

396

Zur Konstruktion eines solchen J-l gehen wir ähnlich vor wie im Beweis des Fortsetzungssatzes 2.4 und bemerken vorab folgende trivialen Eigenschaften von v: Für alle D I , D 2 E V gilt (4.13)

v(D I )

(4.14)

v(D I U D 2 )

(4.15)

v(D I U D 2 )

< v(D 2 )


o. Dann gibt es offene Un => Mn mit p(Un ) :S 'TJ(Mn ) + E ·2- n (n E N), und wir können mit (3) abschätzen: 00

00

< LP(Un):S L'TJ(Mn) +E. n=l

Dies gilt für alle

E

n=l

> 0, also folgt (4). -

(5) Jedes abgeschlossene A

C

X ist 'TJ-meßbar.

Begründung: Wir müssen zeigen, daß für alle Q C X gilt (4.18) Das zeigen wir zunächst für den Fall einer offenen Menge Q == U c X: Dazu sei E > O. Wir wählen ein D C UnAc (==offen (!)),D E V mit v(D) ~ p(UnAC)-E. Weiter wählen wir ein E c UnDc (== offen 0)), E E V mit v(E) ~ p(UnDC)-E.

VIII. Maße auf topologischen Räumen

398

Da D, E disjunkte Mengen aus 1) sind mit D u E c U folgern wir aus (4.15), (4.13), (4.17) wegen UnDc ~ UnA:

p(U) > v(D U E) == v(D) + v(E) > p(U n AC) + p(U n D C) - 2E > 7](U n A) + p(U n AC) - 2E . Da hier E > 0 beliebig klein sein darf, gilt (4.18) für offenes Q == U. Ist nun Q C X beliebig, so wählen wir zu E > 0 ein offenes U 7](Q) 2:: 7](U) - E und erhalten nach dem soeben Bewiesenen

7](Q) > 7](U) - E 2:: 7](U n A) + 7](U n AC) > 7](QnA)+7](QnAC)-E,

~

Q mit

E

und es folgt die Behauptung (5). -

D

4.23 Satz von PROCHOROV 2 (1956). Ist X ein polnischer Raum, so ist eine Menge M C M+(Q3) genau dann relativ folgenkompakt, wenn sie straff und beschränkt ist. Beweis. Satz 4.20 und Satz 4.22.

D

Da insbesondere der Raum lRP polnisch ist, liefert der Satz von folgende Ergänzung zum Auswahlsatz von HELLY.

PROCHOROV

4.24 Korollar. Ist /-Ln E M+ (Q3P) (n 2:: 1), so gilt: Die Folge (/-Ln)n?) ist genau dann straff und beschränkt, wenn jede Teilfolge von (/-Ln)n?) eine schwach konvergente Teilfolge hat. Beweis. Ist (/-Ln)n21 straff und beschränkt, so hat jede Teilfolge von (/-Ln)n21 nach Satz 4.22 eine schwach konvergente Teilfolge. Umgekehrt: Erfüllt (/-Ln)n>l die angegebene Teilfolgenbedingung, so ist M :== {/-Ln: n E N} relativ folge~­ kompakt. Daher ist M und damit (/-Ln)n2 1 nach Satz 4.20 straff und beschränkt. D

Mit Hilfe von Satz 4.12 läßt sich die Aussage des Satzes 4.24 auch in Termen von Verteilungsfunktionen formulieren. 6. Die Laplace-Transformation. Ist /-L ein endliches Borel-Maß auf [0,00[, so heißt L : [0,00[-+ lR,

1

00

L(s) :=

e- SX dJl(x)

(s?: 0)

die (einseitige) Laplace- Transformierte von /-L. Offenbar ist L wohldefiniert, stetig und beschränkt, denn für s 2:: 0 ist

o ~ L(s)

~

L(O)

==

II/-LII ;

399

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit ferner gilt nach Satz IV.5.6 lim L (s) == /L ( {O}) .

s-too

Die Funktion L ist monoton fallend, und L ist gleichmäßig stetig auf [0,00[, denn für 0 ::; s ::; t gilt

1

00

o < L(s) - L(t) =

1

00


Oik 2': O,k E Z).

Speziell ist L" (s) 2 0 für s > 0, d.h. L ist konvex. Eine auf einem Intervall I c :IR erklärte Funktion F : I -+]0, oo[ heißt bekanntlich logarithmisch konvex, falls log F konvex ist, d.h. wenn

für alle x, y E 1,0 < A < 1. Nach GI. (VI.1.6) ist jede logarithmisch konvexe Funktion konvex. Wir zeigen: Ist /L i= 0 ein endliches Borel-Maß auf [0,00[, so ist die Laplace- Transformierte L von /L logarithmisch konvex. Zum Beweis seien s, t 2 0 und 0 < A < 1. Wir wenden die Höldersche Ungleichung an mit p :== A- 1 , q :== (1 - A)-l (p, q > 1,p-l + q-l == 1) und erhalten

L(>'s + (1 - >.)t) =


0)

e

r

und erhalten nach dem Satz von FUBINI

(4.19)

Die Funktion L ist als punktweiser Limes stetiger Funktionen Borel-meßbar, ferner nach Voraussetzung stetig in 0, also in einem Intervall [0, b] beschränkt (b > 0 geeignet). Zu jedem E > 0 gibt es daher ein r E]O, b], so daß

11°

T

(4.20)

r

(L(O) - L(s)) ds < -E . e

Nun gilt Ln(O)-Ln(s) --t L(O)-L(s) (n ---t (0), und diese Konvergenz wird auf [0, b] majorisiert durch eine geeignete Konstante, denn 0 :::; Ln (s) :::; Ln (0) (0:::; S :::; b) und Ln (0) ---t L (0) (n ---t (0). Nach dem Satz von der maj orisierten Konvergenz gibt es daher zu jedem E > 0 ein no E N, so daß für r gemäß (4.20) und alle n 2:: no gilt

11°

T

-

r

(Ln (0) - Ln (s)) ds < -E . e

Nach (4.19) ist nun f.Ln([r- , oo[) < E für alle n 2:: no, und wählen wir a > r- I hinreichend groß, um auch noch f.LI, ... ,f.Lno-1 zu erfassen, so können wir schließen: Zu jedem E > 0 gibt es ein a > 0, so daß f.Ln([O, a]C) < E für alle n E N. Daher ist (f.Ln)n?:) straff und wegen IIf.Lnll == Ln(O) --t L(O) auch beschränkt. Nach Satz 4.22 gibt es ein endliches Borel-Maß f.L auf [0, oo[ und eine Teilfolge f.Lnk ~ f.L (k ----t (0). Wir zeigen, daß bereits die "ganze" Folge (f.Ln)n?.1 schwach gegen f.L konvergiert: Dazu seien 1 E Cb([O,oo[) und M > 0 so beschaffen, daß 1111100 :::; M. Ferner sei M gleich so groß gewählt, daß auch 11f.L11 :::; Mund IIf.Lnll :::; M für alle n E N. Sei nun E > 0 und fJ :== E/(4M + 1). Da (f.Ln)n>1 straff ist, gibt es ein a > 0, so daß f.L([0, a]C) < fJ und f.Ln([O, a]C) < 8 für alle ~ E N. Zu a wählen wir ein h E Cc([O,oo[) mit h I [0, a + 1] == 1,0 :::; h :::; 1 und approximieren die Funktion h . 1 E Cc([O,oo[) durch eine Linearkombination der Funktionen es : [O,oo[---t IR, es (x) :== e- SX (x 2:: 0; s > 0): Offenbar bilden die Linearkombinationen der Funktionen es (s > 0) mit komplexen Koeffizienten eine l

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

401

Unteralgebra Ader C-Algebra Co([O,oo[) der stetigen Funktionen auf [0,00[, die im Unendlichen verschwinden, und A hat folgende Eigenschaften: (i) Für alle f E A ist 1 E A. (ii) A trennt die Punkte von [0,00[. (iii) Zu jedem x 2: 0 gibt es ein f E A mit f(x) =1= o. Nach einem Korollar zum Satz von STONE-WEIERSTRASS (s. z.B. SEMADENI [1]' S. 116,7.3.9.) liegt A daher dicht in Co([O, oo[) bez. der Supremumsnorm, d.h.: Es gibt eine Linearkombination g der Funktionen es (s > 0) (mit reellen Koeffizienten), so daß Ilhf - glloo < 6. Nun ist für alle n E N

11

00

f

dJtn -

11


0 setzen wir Ac :== 0, falls A == 0 und

Ac .- {x EX: es gibt ein y E A mit d(x,y) < c} {xEX:d(x,A) 0, 'Tl > 0 und b(J-L, v) < c, 6(v, p) < 'Tl. Dann gilt für alle A E 93 J-L(A)

< v(Ac) + c < p((AcY7) + c + 'Tl < p(Ac+ 17 ) + c + 'Tl ,

und aus Symmetriegründen ist auch

also b (J-L, p) :::; c ungleichung

+ 'Tl.

Die Infimumbildung bez. c und 'Tl liefert nun die Dreiecks-

D

4.30 Lemma. Es seien J-L, v E M+(93), c > 0 und

(4.22)

für alle B

E

93. Dann gilt für alle C

E

93

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit Beweis. Für beliebige B, C

c

403

X gilt:

(4.23) Begründung: Die Inklusion B c (CE)C ist gleichbedeutend mit "x t/:. CE für alle x E B", und das ist gleichbedeutend mit "d(x,y) ~ E für alle x E B,y E C". Die letzte Bedingung ist symmetrisch in B, C, also folgt (4.23). Es seien nun C E ~,E > 0, und für alle B E ~ gelte (4.22). Wir wählen speziell B == (CE)C und erhalten wegen (4.23)

M(C E)

IIMII- M((CE)C) == IIMII - M(B) > IIMII - v(B E v IIMII - II l + v((BE)C) - E > v(C) + IIMII- Ilvll - E • E

)

-

o

Damit ist die Behauptung bewiesen. 4.31 Korollar. Sind (4.24)

8(M, v)

M, v E

M+(~) und

IIMII

==

IIvll,

so gilt

inf{E > 0 : M(A) ::; v(A E) + E für alle A E ~} E == inf{E > 0 : v(A) ::; M(A ) + E für alle A E ~} .

o

Beweis. Definition 4.28 und Lemma 4.30.

4.32 Beispiel. Für a E X und B E ~ sei Ma(B) :== XB(a) (Einheitsmasse in a). Dann gilt für alle a,b EX: (4.25) Beweis. Nach (4.24) ist

8(Ma, Mb) == inf{E > 0 : XA(a) ::; XAe(b)

+ E für

alle A E ~} .

Für beliebiges A E ~ ist XA (a) ::; 1, daher ist zunächst 8(Ma, Mb) ::; 1. Ist weiter > d(a, b), so gilt für jedes A E ~

E

(4.26) denn für a t/:. A ist diese Ungleichung trivialerweise richtig, und für a E A ist b E AE, und (4.26) ist ebenfalls richtig. Damit haben wir gezeigt: Für alle a, b E X ist (4.27) Umgekehrt: Ist d(a, b) ~ 1 und 0 < verletzt, d.h. es gilt (4.28)

E

< 1, A

:==

{al, so ist b t/:. AE und (4.26) ist

VIII. Maße auf topologischen Räumen

404

Ist hingegen d( a, b) < 1, so wählen wir wieder A == {a}, und für 0 < c ::; d( a, b) ist b t/:- Ac, Ungleichung (4.26) ist verletzt, d.h. (4.28) gilt auch in diesem Fall. 0 Aus (4.27), (4.28) folgt nun (4.25). Offenbar ist min(l, d) eine Metrik auf X, die dieselbe Topologie definiert wie d. Beispiel 4.32 liefert folgendes 4.33 Korollar. Die Abbildung X 3 a t-+ fLa E M+(~) (fLa(B):== XB(a) für a E X,B E ~) definiert eine isometrische Injektion von (X,min(l,d)) in (M+(~), 8).

4.34 Satz. Sind fL, fLn E M+(~) (n E N) und gilt 8(fLn, fL) -t 0 (n -t (0), so folgt: fLn ~ fL· Beweis. Wir wählen eine monotone Nullfolge (Cn)n~1 positiver reeller Zahlen mit 8(fLn, fL) < Cn (n 2: 1). Für alle A E ~ gilt dann

(4.29) Ist speziell A

c

X abgeschlossen, so gilt Ac n

-J..

A, und (4.29) liefert für n -t

00:

speziell ist limn-Hx)fLn(X) ::; fL(X). - Ungleichung (4.29) gilt entsprechend bei Vertauschung der Rollen von fL und fLn, und das bedeutet für A == X

also n---too Insgesamt haben wir damit gezeigt: Für jedes abgeschlossene A c X ist limn---toofLn(A) ::; fL(A), und es gilt fL(X) == limn---too fLn(X). Das PortmanteauTheorem liefert nun die Behauptung. 0 Für separable metrische Räume gilt in Satz 4.34 auch die umgekehrte Implikation: 4.35 Satz (PROCHOROV 2 1956). Sind X ein separabler metrischer Raum und fL,fLn E M+(~) (n E N), so gilt für n -t 00: fLn ~ fL ~ 8(fLn, fL) ~ 0 .

Beweis. ~: Satz 4.34. Es seien (Xj )j~1 eine in X dichte Folge und C > O. Die Mengen BI :== K c/ 2(XI), B 2 :== K c/ 2(X2) \ BI, ... ,Bn+ I :== K c/ 2(x n+I) \ (BI U ... U B n) (n 2: 1) sind paarweise disjunkt, haben alle höchstens den Durchmesser c, und es ist =}:

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

405

x == U:=1 B n· Wir wählen ein k E N mit JL(Uj>k B j ) < c und bezeichnen mit mdas endliche System der offenen Mengen (B jl U ... U Bjrn)c, wobei 1 ::; jl < j2 < ... < jm ::; k. Nach Voraussetzung ist limn-tooJLn(U) 2: JL(U) für jede offene Menge U C X (Portmanteau-Theorem). Da m endlich ist, gibt es also ein no E N, so daß JLn(V) > JL(V) - c für alle n 2: no und alle V E m. Ist nun A E Q3, so seien B jl , ... ,Bjrn (1::; j1 < j2 < ... < jm ::; k) diejenigen unter den Mengen BI, .. . , Bk, die mit A einen nicht-leeren Durchschnitt haben, und V :== (Bh U ... U Bjrn)c. Dann ist V C A 2c, und für alle n 2: no gilt: JL(A)

< JL(V) + JL

(U

Bj )

::;

JL(V)

+c

J>k

< JLn(V) + 2c

::; JLn(A 2C)

+ 2c .

Nach Lemma 4.30 folgt hieraus für alle n 2: no und alle B E Q3 2

JLn(B) ::; JL(B c)

+ 2c + IIJLnl1

-

IIJLII .

Wegen JLn ~ JL gilt aber IIJLnll -+ IIJLII, und durch hinreichend große Wahl von no können wir zusätzlich erreichen, daß IIJLnll- IIJLII ::; c für alle n 2: no. Insgesamt ergibt das für alle A E Q3 und alle n 2: no die Ungleichungen

JL(A) ::; JLn(A 3C)

+ 3c ,

JLn(A) ::; JL(A 3C)

+ 3c , o

d.h. für alle n 2: no ist 5(JLn, JL) ::; 3c.

4.36 Korollar. Ist (X, d) ein separabler metrischer Raum, so ist eine Menge M C M+ (Q3) genau dann relativ jolgenkompakt (im Sinne der Definition 4.17), wenn Mals Teilmenge des metrischen Raums (M+(Q3), 5) relativ kompakt ist.

Beweis. Bekanntlich ist ein metrischer Raum R genau dann kompakt, wenn jede Folge von Elementen aus R eine konvergente Teilfolge hat. Die Behauptung folgt daher aus Satz 4.35, denn nach Satz 4.35 ist M genau dann relativ folgenkompakt, wenn jede Folge von Elementen aus Meine bez. der Prochorov-Metrik 5 konvergente Teilfolge hat, und das ist genau dann der Fall, wenn jede Folge von Elementen aus M (Abschluß von M in (M+(Q3), 5)) eine konvergente Teilfolge h~. D 4.37 Satz. Der metrische Raum (X, d) ist genau dann separabel, wenn (M+(Q3), 5) separabel ist.

Beweis. Da jeder Unterraum eines separablen metrischen Raums separabel ist, folgt die Separabilität von (X, d) aus der von (M+(Q3), 5) (Korollar 4.33). - Es sei nun umgekehrt (X, d) separabel, und c > 0 und die Folge (B j )j'2 1 seien wie im Beweis von Satz 4.35. Für a E X sei JLa(B) :== XB(a) (B E Q3). Wir lassen die leeren Mengen unter den B j weg und nehmen (nach eventueller Umindizierung) gleich an, daß B j =I- 0 für j 2: 1. Für jedes j 2: 1 wählen wir ein aj E B j und setzen

Mc

:==

{trjf.laj : n E N,rj J=l

E

Q,rj :::: 0

für j

= 1, .. . ,n} .

VIII. Maße auf topologischen Räumen

406

Offenbar ist Me abzählbar. Wir zeigen: Zu jedem f.L E M+(SJ3) gibt es ein E Me mit 6(f.L, v) :::; 3c. Begründung: Zunächst wählen wir k E N so groß,

v

daß Jl

(Uj>k

Bj )
J-lmo (X) - 21] (nach (4.30)) > J-lm(X) - 31] , denn wegen m ~ mo ist 8(J-lm, J-lmo) < 1], also (4.32) Zusammen ergibt sich aus (4.30), (4.31): Für alle m ~ 1 ist

Dies wenden wir an mit E • 2- n anstelle von E, wählen p == ~ können folgern: Zu jedem n E N gibt es ein k n E N, so daß

(n

E

N) und

für alle m E N. Wie im Beweis des Satzes 1.16 von ULAM folgt nun die Straffheit von (J-lm)m>l. - Die Beschränktheit ist klar nach (4.32). Sei nun umg~kehrt (M+(~), 8) ein polnischer Raum. Dann ist (X, d) separabel (Satz 4.37), und nach Korollar 4.33 ist nur noch zu zeigen, daß das Bild von X unter der Einbettung X :3 a t--+ J-la E M+(~) abgeschlossen ist. Wegen der Separabilität von X sind in M+(~) schwache Konvergenz und Konvergenz bez. der Prochorov-Metrik gleichbedeutend (Satz 4.35). Daher genügt es zum Nachweis der Abgeschlossenheit des Bildes von X, wenn wir zeigen: Ist (an)n>l eine Folge von Elementen aus X, und gibt es ein J-l E M+(~) mit J-la ~ J-l, so-gibt es ein a E X mit J-l == J-la. Begründung: Die Mengen A k :== {am : m ~ k} (k ~ 1) A :== n~=l An. bilden eine fallende Folge abgeschlossener Mengen mit A k Nach dem Portmanteau-Theorem ist für alle k E N n

+

also Wir zeigen weiter, daß A genau ein Element enthält: Angenommen, es gibt a, b E A mit a =1= b. Wir wählen 0 < E < ~d(a, b) und setzen f(x) :== max(l E-1d(x, Kc(a)), 0) (x E X); dann ist f E Cb(X) und f I Kc(a) == 1, f I Kc(b) ==

VIII. Maße auf topologischen Räumen

408

o. Nach Definition von A gibt es Teilfolgen (ank)k>l, (amk)k>l mit ank Kc(a)

(k E N), amk ---+ b, amk E Kc(b)

Ix f

dfta nk

=1,

(k E N)~ Daher gilt

Ix f dfta~k =

0 (k

E

---+ a, ank

E

N) .

Dies widerspricht offenbar der Konvergenz

Ix f

dfta n

----+

Ix f

dft

(n --t 00) .

Die Menge A enthält also höchstens ein Element, und da A wegen JL(A) == 1 1 folgt nicht leer ist, gibt es ein a E X mit A == {a}. Wegen JL(A) == JL(X) 0 nun: JL == JLa. Aufgaben. 4.1. Es seien (Y,~, v) ein endlicher Maßraum, (X, d) ein separabler (!) metrischer Raum und I, In : Y -+ X (n E N) meßbare Funktionen mit In -+ I n.M. (s. Aufgabe VI.4.5). Ferner seien J-L :== I(v), J-Ln :== In(v) die zugehörigen Bildmaße. Dann gilt: JLn ~ J-L. Insbesondere gilt J-Ln ~ J-L, falls In -+ I v-f. ü. 4.2. Sind (Y,~, v) ein endlicher Maßraum, (X, d) ein metrischer Raum, In : Y -+ X (n E N) meßbar, JLn :== In(v) (n E N) und a E X, J-La(B) :== XB(a) (B E ~) und gilt J-Ln ~ J-La, so gilt In -+ a n.M. (Warum ist hier - im Gegensatz zu Aufgabe 4.1 - der Begriff der Konvergenz In -+ a n.M. auch ohne die Voraussetzung der Separabilität von (X, d) sinnvoll?)

4.3. Es seien J-L,J-Ln (n E N) endliche Maße auf der (j-Algebra Ql über der Menge X. Dann sind folgende Aussagen äquivalent: a) Für alle A E Ql gilt limn --+ oo JLn(A) == J-L(A). b) Für alle I E ~oo (X, Ql, J-L) gilt lim /, I dJLn == /, I dJ-L . n--+oo X X

4.4. Es seien X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum und JL, JLn (n E N) endliche Radon-Maße auf ~(X). Die Folge (J-Ln)n>l heiße schwach konvergent gegen J-L (kurz: J-Ln ~ JL), wenn für alle I E Cb(X) die GI. (4.3fgilt. Zeigen Sie: a) Der Limes einer schwach konvergenten Folge endlicher Radon-Maße ist eindeutig bestimmt. b) Die Folge (J-Ln)n>l konvergiert genau dann schwach gegen J-L, wenn (J-Ln)n>l vage gegen J-L konvergiert und li~n--+oo J-Ln(X) == J-L(X) ist. 4.5. Ist J-L ein Borel-Maß auf dem topologischen Raum X, so bilden die J-L-randlosen Teilmengen von X eine Algebra, aber nicht notwendig eine (j-Algebra. M+(~) (n E N). Dann sind folgende Aussagen a)-d) äquivalent: a) JLn ~ JL. b) Für jede J-L-randlose abgeschlossene Menge A c X ist lim n--+ oo J-Ln(A) == J-L(A). c) Für jede J-L-randlose offene Menge U c X ist lim n--+ oo JLn(U) == J-L(U). d) Für jede offene Menge U c X ist limn--+ooJ-Ln(U) 2: J-L(U), und für jede abgeschlossene Menge A c X ist limn--+ooJ-Ln(A) :::; J-L(A).

4.6. Es seien X ein metrischer Raum und J-L, J-Ln E

4.7. Ist (X, d) ein metrischer Raum, so heißt eine Funktion I : X -+ IR Lipschitz-stetig genau dann, wenn es eine Konstante C 2: 0 gibt, so daß für alle x, y E X gilt: I/(x)- l(y)1 :::; Cd(x, y). Sind weiter J-L,J-Ln E M+(~) (n E N), so sind folgende Aussagen äquivalent:

§ 4. Schwache Konvergenz und schwache Kompaktheit

409

a) J-ln ~ J-l. b) Für jede gleichmäßig stetige Funktion 1 E Cb(X) gilt limn --+ oo c) Für jede Lipschitz-stetige Funktion 1 E Cb(X) gilt lim n --+ oo

Ix 1 dJ-ln == Ix 1 dJ-l. Ix 1 dJ-ln == Ix 1 dJ-l.

4.8. Sind (X, d) ein metrischer Raum und J-l, v E M+(~), so sind folgende Aussagen äquivalent: a) J-l == v. b) Für jede gleichmäßig stetige Funktion 1 E C b(X) ist 1 dJ-l == 1 dv. c) Für jede Lipschitz-stetige Funktion 1 E Cb(X) ist 1 dJ-l == 1 dv.

Ix

Ix

Ix

Ix

4.9. Es sei (Fn )n2 1 eine gleichmäßig beschränkte Folge von Verteilungsfunktionen auf IR, und es gebe eine abzählbare Menge C c IR und eine Funktion G : IR \ C ---+ IR, so daß Fn(x) ---+ G(x) (n ---+ 00) für alle x E IR\ C. Dann gibt es eine Verteilungsfunktion F : IR ---+ IR, so daß (Fn )n2: 1 vage gegen F konvergiert. 4.10. Ist (X, d) ein polnischer Raum, so ist jede schwach konvergente Folge von Maßen aus M+(~) straff und beschränkt. 4.11. Es seien X, Y metrische Räume, J-ln ~ J-l. Dann gilt I(J-ln) ~ I(J-l)·

1:X

---+ Y stetig und J-l, J-ln E M+(~) (n E N) mit

4.12. Eine Folge (J-ln)n>l endlicher Borel-Maße auf [O,oo[ ist straff genau dann, wenn es eine monoton wachsende Funktion 1 : [0,00[---+ [O,oo[ gibt mit I(x) ---+ 00 (x ---+ 00) und 00 SUPnEN 10 1 dJ-ln < 00. 4.13. Es seien (X,d) ein metrischer Raum und für J-l,J-ln E M+(~) (n E N) gelte J-ln ~ J-l. Dann gilt für jede nicht-negative stetige Funktion 1 : X ---+ [0,00[:

lim n--+oo

r1

Jx

dJ-ln

~

r1

Jx

dJ-l .

(Hinweis: Für jedes m E N ist min(/,n) E Cb(X) und min(/,n)

t I.)

4.14. Es seien (Y, Q:, v) ein endlicher Maßraum, (X, d) ein separabler (!) metrischer Raum, I, 9 : Y ---+ X zwei meßbare Abbildungen und I(v), g(v) die zugehörigen Bildmaße auf ~(X). Ferner bezeichne p die Halbmetrik aus Aufgabe VI.4.5, d.h.

p (I, g) == inf{c

~

0 : v ({ d (I, g)

> c}) ::; c} .

Dann besteht zwischen p und der Prochorov-Metrik 8 folgende Beziehung: 8(/(v), g(v)) ::; p(/, g) .

Anhang A Topologische Räume Im folgenden stellen wir ohne Beweise einige Begriffe und Sachverhalte aus der Topologie zusammen. Bei Bedarf sind die Lehrbücher von BOURBAKI [6], [7], DUGUNDJI [1], ENGELKING [1], KELLEY [1], V. QUERENBURG [1] und SCHUBERT [1] zuverlässige Ratgeber.

A.l. Ein topologischer Raum (X, D) ist eine Menge X versehen mit einem System D von Teilmengen von X, so daß folgende Axiome erfüllt sind: (0.1) Jede Vereinigung von Mengen aus D gehört zu D; 0 E D. (0.2) Jeder endliche Durchschnitt von Mengen aus D gehört zu D; X E D. Die Elemente x E X heißen Punkte, die Elemente von D heißen die offenen Mengen von X, und D heißt die Topologie von X. Speziell ist ~(X) eine Topologie auf X, die sog. diskrete Topologie. Ist (X, d) ein metrischer (oder halbmetrischer) Raum und D das System aller Mengen V C X mit der Eigenschaft, daß zu jedem a E V ein c > 0 existiert mit K e(a) C V, so ist D eine Topologie auf X. In diesem Sinne ist jeder (halb- )metrische Raum ein topologischer Raum. - Im folgenden sei stets (X, D) ein topologischer Raum, soweit nichts anderes gesagt ist.

A.2. Sind a E X, V C X, so heißt V eine Umgebung von a, wenn es ein U E D gibt mit a E U C V;U(a) :== {V C X : V Umgebung von a} heißt der Umgebungsfilter von a. X heißt separiert oder ein Hausdorff-Raum, wenn zu allen a, b E X, a -# b Umgebungen U von a, V von b existieren mit U n V == 0 (Hausdorffsches Trennungsaxiom). Jeder metrische Raum ist ein Hausdorff-Raum. - Sind A, V c X, so heißt V eine Umgebung von A, wenn ein U E D existiert mit A c U c V. (Man beachte: Bei dieser Terminologie brauchen die Umgebungen keine offenen Mengen zu sein.)

A.3. Eine Menge Q) c D heißt eine Basis von D, wenn jedes A E D Vereinigung (nicht notwendig abzählbar vieler) Mengen aus Q) ist. Eine Menge mC U( a) heißt eine Umgebungsbasis von a, wenn zu jedem U E U(a) ein V E mexistiert mit V C U. Zum Beispiel bilden die Mengen Ke(a) (c > 0) eine Umgebungsbasis von a im (halb-)metrischen Raum (X,d), und die Mengen Ke(a) (a E X, c > 0) bilden eine Basis der Topologie von (X, d). - Der Raum (X, D) genügt dem ersten Abzählbarkeitsaxiom, wenn jedes a E X eine abzählbare Umgebungsbasis hat. Jeder (halb- )metrische Raum genügt dem ersten Abzählbarkeitsaxiom. - (X, D) erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom, wenn Deine abzählbare Basis hat. A.4. Eine Menge A C X heißt abgeschlossen, wenn Ac offen ist. Jeder Durchschnitt abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen; X ist abgeschlossen. Jede endliche Vereinigung abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen; 0 ist abgeschlossen. Zu jedem A C X gibt es eine bez. mengentheoretischer Inklusion kleinste abgeschlossene Menge F mit F ::J A, nämlich den

411

A. Topologische Räume

Durchschnitt aller abgeschlossenen Teilmengen von X, die A umfassen. Diese Menge F heißt die abgeschlossene Hülle von A und wird mit A bezeichnet. Die Punkte b E A heißen die Berührungspunkte von A. Es gilt b E A genau dann, wenn U n A i= f/J für alle U E U(b). Ist sogar U n (A \ {b}) i= f/J für alle U E U( b), so heißt b ein Häufungspunkt von A. - Sind A, B C X, so heißt A dicht in B, falls B c A. X heißt separabel, wenn X eine abzählbare dichte Teilmenge hat. Jeder topologische Raum, der dem zweiten Abzählbarkeitsaxiom genügt, ist separabel. Jeder separable (halb- )metrische Raum genügt dem zweiten Abzählbarkeitsaxiom. A.5. Zu jedem A

c

X gibt es eine größte offene Teilmenge U

c

A, nämlich die Vereinigung

aller offenen Teilmengen von A. Diese Menge U heißt der offene Kern von A und wird mit

A

bezeichnet. Die Punkte x EA heißen innere Punkte von A. Es gilt (A)C == Ac. A.6. Ist Y c X, so ist D I Y :== {U n Y : U E D} eine Topologie auf Y, die Spurtopologie oder Relativtopologie von D auf Y. (Y, D I Y) heißt ein Teilraum von (X, D).

A.7. Sind X, Y topologische Räume und I : X -t Y eine Abbildung, so heißt I stetig in a E X, falls zu jeder Umgebung V von I(a) eine Umgebung U von a existiert, so daß I(U) C V. Die Abbildung I : X -t Y heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt a E X stetig ist. Kompositionen stetiger Abbildungen sind stetig. Eine Abbildung I : X -t Y ist genau dann stetig, wenn 1- 1 (V) offen ist in X für jede offene Menge V C Y. I : X -t Y heißt eine topologische Abbildung oder ein Homöomorphismus, wenn I bijektiv ist und wenn I : X -t Y und 1-1 : Y -t X beide stetig sind. Existiert ein Homöomorphismus I : X -t Y, so heißen X und Y homöomorph.

A.8. Sind 6 und '1' zwei Topologien auf der gleichen Menge X, so heißt 6 feiner als '1' (und '1' gröber als 6), falls '1' C 6. A.9. Sind (X, 6), (Y, '1') topologische Räume, so gibt es eine gröbste Topologie D auf X x Y, welche die kanonischen Projektionen prx : X x Y -t X, (x, y) H X und pry : X x Y -t Y, (x, y) H Y stetig macht; D heißt die Produkttopologie von 6 und '1' und (X x Y, D) das topologische Produkt von (X,6) und (Y, '1'). Die Mengen U x V (U E 6, V E '1') bilden eine Basis von D. Eine Abbildung 9 : (Z,9'\) -t (X X Y, D) ist genau dann stetig, wenn prx 0 9 und pry 0 9 stetig sind. Entsprechendes gilt für Produkte endlich vieler topologischer Räume. A.I0. Ein System U offener Teilmengen von X heißt eine offene Überdeckung von A C X, falls A C UU EU U. Eine Teilmenge 'I der Überdeckung U von A heißt eine Teilüberdeckung, falls 'I eine Überdeckung von A ist. X heißt kompakt, wenn jede offene Überdeckung von X eine endliche Teilüberdeckung hat. Eine Menge A C X heißt kompakt, wenn der Teilraum (A, DIA) kompakt ist, und A heißt relativ kompakt, wenn A kompakt ist. (Viele Autoren verlangen von einem kompakten topologischen Raum zusätzlich, daß das Hausdorffsche Trennungsaxiom erfüllt ist, und nennen die im obigen Sinne kompakten Räume "quasikompakt" .) Jede abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raums ist kompakt. Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorff-Raums ist abgeschlossen.

A.ll. Eine Familie ~ von Teilmengen von X hat die endliche Durchschnittseigenschaft, wenn jeder endliche Durchschnitt von Mengen aus ~ nicht-leer ist. X ist kompakt genau dann, wenn für jede Familie ~ abgeschlossener Teilmengen von X, welche die endliche Durchschnittseigenschaft hat, der Durchschnitt aller Mengen aus ~ nicht-leer ist. A.12. Es sei I : X -t Y eine Abbildung von X in den topologischen Raum Y. Ist I stetig und K C X kompakt, so ist I(K) eine kompakte Teilmenge von Y. - I heißt offen (bzw. abgeschlossen), wenn für jede offene (bzw. abgeschlossene) Menge A C X die Bildmenge I(A) offen (bzw. abgeschlossen) in Y ist. Ist X kompakt, so ist jede stetige Abbildung I : X -t Y in einen Hausdorff-Raum Y abgeschlossen. Daher ist jede stetige bijektive Abbildung eines kompakten Raums X auf einen Hausdorff-Raum Y ein Homöomorphismus.

412

A. Topologische Räume

A.13. Eine Folge (Xn)n~l in X heißt konvergent gegen a E X, wenn zu jedem U E ll(a) ein no E N existiert, so daß X n E U für alle n 2:: no. Der Punkt a E X heißt ein Häufungswert von (x n )n2: 1 ' wenn es zu jeder Umgebung U von a unendlich viele n E N gibt mit X n E U. A.14. X heißt abzählbar kompakt, wenn jede abzählbare offene Überdeckung von X eine endliche Teilüberdeckung hat. X ist abzählbar kompakt genau dann, wenn jede Folge in X einen Häufungswert hat. Ist (X, d) eine halbmetrischer Raum, so sind folgende Aussagen äquivalent: (i) X ist kompakt. (ii) X ist abzählbar kompakt. (iii) Jede Folge in X hat eine konvergente Teilfolge. Jede stetige Funktion auf einem abzählbar kompakten Raum ist beschränkt und nimmt ihr Maximum und ihr Minimum an. A.15. Es seien I eine Indexmenge und ((Xl,' Dl,))l,EI eine Familie topologischer Räume. Das cartesische Produkt X :== ITl,EI Xl, ist definiert als Menge aller Abbildungen x : I --t Ul,EI Xl,' so daß Xl, :== x(t) E Xl, für alle tEl; Schreibweise: x == (Xl,)l,EI. Sind alle Xl, f 0(t EI), so ist X f 0 (Auswahlaxiom). Das System aller Mengen der Form ITl,EI Ul, ' zu denen eine endliche Menge E C I existiert, so daß U l, E D für alle tEE und U l, == Xl, für alle tEl \ E, bildet die Basis einer Topologie D auf X, der Produkttopologie der D l, (t E I). Dieses ist die gröbste Topologie auf X, die alle Projektionen pr K : X --t XK,prK((xl,)l,EI) :== xK(K, E I) stetig macht. Alle prK(K, E I) sind offene Abbildungen. Satz von Tychonoff (1935): Sind alle (Xl,' Dl,)(t E I) kompakt, so ist (X, D) kompakt. l,

A.16. X heißt regulär, wenn für jedes a E X die abgeschlossenen Umgebungen von a eine Umgebungsbasis von a bilden. X heißt vollständig regulär, wenn es zu jedem a E X und jeder abgeschlossenen Menge FeX mit a ~ F eine stetige Funktion f : X --t [0,1] gibt mit f(a) == 0, f I F == 1. X heißt normal, wenn es zuje zwei abgeschlossenen Mengen A, B C X mit An B == 0 Umgebungen U von A und V von B gibt mit U n V == 0. Jeder vollständig reguläre Raum ist regulär. Jeder kompakte Hausdorff-Raum ist normal. Jeder (halb-)metrische Raum ist normal und vollständig regulär. A.17. X heißt lokal-kompakt, wenn jedes a E X eine kompakte Umgebung hat. (Viele Autoren verlangen von einem lokal-kompakten Raum zusätzlich, daß das Hausdorffsche Trennungsaxiom erfüllt ist; wir folgen hier KELLEY [1] mit der Terminologie.) Ist X lokal-kompakt und Hausdorffsch oder regulär, so bilden für jedes a E X die abgeschlossenen und kompakten Umgebungen von a eine Umgebungsbasis. Insbesondere ist jeder lokal-kompakte Hausdorff-Raum regulär. A.18. Es seien X ein Hausdorff-Raum, w ~ X,X .- X U {w} und D .- D U {X \ K K C X kompakt }. Dann ist (X,.o) ein kompakter topologischer Raum, und (X,D) ist ein Teilraum von (X, D). Ist X nicht kompakt, so ist X ein offener dichter Teilraum von X. X ist Hausdorffsch genau dann, wenn X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum ist. (X, .0) heißt die Alexandroff-Kompaktijizierung von (X, D). A.19. Es sei X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum. X heißt a-kompakt oder abzählbar im Unendlichen, wenn X darstellbar ist als abzählbare Vereinigung kompakter Mengen. Folgende Aussagen sind äquivalent: (i) X ist a-kompakt. (ii) w E X hat eine abzählbare Umgebungsbasis. (iii) Es gibt eine Folge offener relativ kompakter Mengen Un C X(n E N) mit Un C Un + 1 (n E N) und U~=l Un == X. A.20. Urysohnsches Lemma. X ist normal genau dann, wenn es zu je zwei disjunkten abgeschlossenen Mengen A, B c X eine stetige Funktion f : X --t [0,1] gibt mit f I A == 0, f I B == 1. Insbesondere ist jeder normale Hausdorff-Raum vollständig regulär. Es folgt: Jeder lokal-kompakte Hausdorff-Raum ist vollständig regulär, denn er ist Teilraum seiner kompakten, also normalen, also vollständig regulären Alexandroff-Kompaktifizierung, und jeder Teilraum eines vollständig regulären Raums ist vollständig regulär.

A. Topologische Räume

413

A.21. Metrisationssätze. Ist X ein Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis, so sind folgende Aussagen äquivalent: (i) X ist vollständig regulär. (ii) X ist regulär. (iii) X ist normal. (iv) X ist metrisierbar. Ein kompakter Hausdorff-Raum ist genau dann metrisierbar, wenn er eine abzählbare Basis hat. Ist X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum, so sind folgende Aussagen äquivalent: (i) X hat eine abzählbare Basis. (ii) X ist metrisierbar. (iii) X ist metrisierbar und a--kompakt. A.22. X heißt vollständig metrisierbar, wenn es eine Metrik d auf X gibt, welche die Topologie von X definiert, so daß (X, d) ein vollständiger metrischer Raum ist. (Warnung: Ist (X, d) ein vollständiger metrischer Raum, so kann es durchaus eine andere Metrik d' auf X geben, welche ebenfalls die auf X vorhandene Topologie definiert, so daß (X, d') unvollständig ist.) Ein vollständig metrisierbarer Raum mit abzählbarer Basis heißt ein polnischer Raum. (Ein metrischer Raum hat genau dann eine abzählbare Basis, wenn er separabel ist.) Jeder separable Banach-Raum ist polnisch; insbesondere ist IRn ein polnischer Raum. Jeder kompakte metrisierbare Raum ist polnisch, d.h. jeder kompakte Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis ist polnisch. Jeder abgeschlossene und jeder offene Unterraum eines polnischen Raums ist polnisch. Das Produkt höchstens abzählbar vieler polnischer Räume ist polnisch. Jeder lokal-kompakte Hausdorff-Raum X mit abzählbarer Basis ist polnisch, denn er ist offener

X. - Ein Teilraum A eines polnischen Raums X ist genau dann polnisch, wenn A eine Gl Man' und ß :== 'Y + 1 leistet das Verlangte. Das von den natürlIchen Zahlen her bekannte Prinzip der vollständigen Induktion gestattet eine naheliegende Ausdehnung auf Ordinalzahlen. Speziell für die Menge I besagt das Prinzip der transfiniten Induktion: Es sei E(a) eine Aussage, die für alle a E I sinnvoll ist, und es gelte: (i) E(O) ist richtig.

415

B. Transfinite Induktion (ii) Aus E(a) folgt E(a + 1) (a EI). (iii) Ist, eine Limeszahl, und gilt E(a) für alle a Dann gilt E(a) für alle a E I.

< " so gilt auch E(,).

Beweis. Ist die Menge der a E I, für welche E(a) falsch ist, nicht-leer, so enthält sie ein kleinstes Element ,. Wegen (i) ist, > 0, und nach (ii) hat, keinen Vorgänger, ist also eine 0 Limeszahl. Da aber E(a) für alle a < , richtig ist, ergibt sich ein Widerspruch zu (iii). Das Prinzip der transfiniten Induktion gilt sinngemäß für jede wohlgeordnete Menge, nicht nur für die Menge I. Ähnlich wie man im Bereich der natürlichen Zahlen induktiv definieren kann, besteht auch in wohlgeordneten Mengen wie z.B. I die Möglichkeit der Definition durch

transfinite Induktion, von der wir in Kap. I, § 4 und in Kap. 111, § 3 Gebrauch machen. Literatur: DUDLEY [1], A.3, HAHN [2], Kap. I, § 7, HALMOS [2]' HEWITT-STROMBERG [1], sect. 4; s. auch die Beiträge von THIELE in EICHHORN-THIELE [1] und von KOEPKE in BRIESKORN

[1]'

DEISER

[1].

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