Lexikon der Geschichte 9783938478325, 3938478322 [PDF]


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Lexikon der Geschichte
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Zitiervorschau

Lexikon der Geschichte

Lexikon der Geschichte

Voltmedia

ISBN 3-938478-32-2 © 2005 Voltmedia GmbH, Paderborn Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: GGPMedia GmbH, Pößneck Redaktionsleitung: Kay Szantyr Einbandgestaltung: Oliver Wirth, Bonn Satz und Layout: Wissen digital GmbH, München

Vorwort „Der schönste, reichste, beste und wahrste Roman, den ich je gelesen, ist die Geschichte.“ (Jean Paul, 1763-1825) Die Geschichte der Welt und der Völker in ihr ist tatsächlich ein unterhaltsamer und farbiger Roman – doch wie jeder Roman besitzt auch die Weltgeschichte zahlreiche Interpretationsvarianten, von denen keine als die einzig wahre erkannt werden kann. Aus diesem Grund existieren sie weiterhin alle nebeneinander: die historische Auslegung, die in jedem Ereignis einen nie wiederkehrenden Einzelfall sieht; die soziologische Deutung, die sich um die Erkenntnis von Mustern und Strukturen in der Geschichte bemüht, auf deren Basis Prognosen möglich werden; oder auch die anthropozentrische Interpretation, die großen geschichtlichen Wandel an der Existenz außergewöhnlicher Politiker, Heerführer oder Demagogen festmacht. Die Basis aller Deutungsvarianten aber sind unverrückbare Fakten und Daten, die durch jahrhundertelange historische Forschung verifiziert werden konnten. Ihre Quellen reichen von vorzeitlichen Versteinerungen und Spuren, die auf Völkerwanderungen hindeuten, bis zu den akribischen, wenngleich nicht immer historisch korrekten Geschichtsschreibungen der alten Griechen und Römer. Systematische Geschichtsschreibung wurde erst in jüngerer Zeit betrieben. Aber auch in den letzten Jahrhunderten verzerrten oft ideologische Ziele und religiöse Ansichten die Darstellungen. Nur mit Mühe konnte die historische Wissenschaft Wahrheit und Legenden trennen und eine (weitgehend) objektive Geschichte der Menschheit niederschreiben. Aufgrund des enormen Wissens, das sich inzwischen erschlossen hat, wird aber auch der Überblick zunehmend erschwert. Kein Mensch ist mehr in der Lage, die Unmenge an Fakten zu kennen, die heute „Geschichte“ sind. Gleichzeitig aber ist das Wissen um die Geschichte zentral, will man die Welt in ihrer heutigen Form verstehen – denn das Heute ist lediglich das Ergebnis des Gestern. Das vorliegende Lexikon gewährt in prägnanter Kürze einen Zugang zu den einzelnen Personen und Ereignissen der Weltgeschichte und damit zu den Hintergründen der Gegenwart. Denn, wie schon Gotthold Ephraim Lessing (17291781) feststellte: „Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand erleuchten.“



Aufbau und Abkürzungen des Lexikons der Geschichte Die einzelnen Artikel sind in alphabetischer Ordnung aufgeführt. Dabei wurde jeweils die in Deutschland übliche Schreibweise berücksichtigt (d. h. Cäsar statt des im Lateinischen ursprünglich geschriebenen Caesar); existieren mehrere gängige Versionen, wurde die üblichste gewählt, während die anderen Varianten mit einem Blankverweis gelistet werden (z. B. Kapetinger, ↑ Capetinger). Die Geburts- und Sterbedaten von Herrschern werden ohne Klammern, die Daten ihrer Herrschaft mit Klammern genannt. Neben den im Deutschen üblichen Abkürzungen, darunter der Adjektiv­ endungen auf -isch (.) bzw. -lich (l.) wurden folgende verwendet: Abk.= Abkürzung ahdt. = althochdeutsch allg. = allgemein amerik. = amerikanisch A. T. = Altes Testament bes. = besonders Bez. = Bezeichnung bez. = bezeichnet chin. = chinesisch christl. = christlich d. Ä. = der Ältere Dep. = Departement d. Gr. = der Große d. J. = der Jüngere dt. = deutsch eigtl. = eigentlich europ. = europäisch ev. = evangelisch frz. = französisch geb. = geboren gegr. = gegründet gen. = genannt geogr. = geografisch gest. = gestorben hebr. = hebräisch hl. = heilig hrsg. = herausgegeben insbes. = insbesondere insges. = insgesamt internat. = international

ital. = italienisch jap. = japanisch Jh. = Jahrhundert Jt. = Jahrtausend kath. = katholisch lat. = lateinisch MA = Mittelalter mhdt. = mittelhochdeutsch Mio. = Millionen Mrd. = Milliarden N = Norden nat.-soz. = nationalsozialistisch ndt. = neudeutsch niederl. = niederländisch N. T. = Neues Testament O = Osten österr. = österreichisch portug. = portugiesisch Prof. = Professor S = Süden sog. = so genannte urspr. = ursprünglich vgl. = vergleiche W = Westen wirtsch. = wirtschaftlich wiss. = wissenschaftlich zus. = zusammen zw. = zwischen z. Z. = zur Zeit



AZ

Aachen

A

Aachen (lat. Aquae grani, mit-

Karls d. Gr., kostbarer Münsterschatz, berühmter Karlsschrein, in den 1215 die ursprüngl. in antikem Sarkophag beigesetzten Gebeine Karls umgebettet wurden. Aargau, Kanton der Schweiz, in der Römerzeit bekannt durch das Legionslager Vindonissa (bei Windfisch) und die Thermen Aquae Helveticae (Baden); im MA Stammland der Grafen von Habsburg, 1415 bis 1418 von den Eidgenossen er­ obert, von Kaiser Friedrich III. vorüberge­ hend zurückgewonnen, 1474 für Habsburg endgültig verloren. 1798 (Einfall der frz. Revolutionsarmee) Kanton der Helvetischen Republik. 1803 vereinigt mit dem Kanton Baden zum Kanton Aargau mit Aarau als Hauptstadt. Abälard, Peter (Pierre Abelard, Petrus Abaelardus), Scholastiker, 1079–1142; spielte eine Mittlerrolle im Universalienstreit. Von seiner tragischen Liebe zu He­ loise zeugt ein Briefwechsel, der vermutlich erst später von A. erdichtet wurde. Abbasiden, islamische Kalifendynas­tie 749–1258; von Abbas, dem Oheim Mohammeds abstammend, stürzten im Bunde mit der pers. Opposition die ↑ Omaija­ den: Abul Abbas, der „Blutvergießer“ (750–754), besiegte 750 am Zab den Kalifen ↑ Merwan II. und bestieg nach der Ausrottung des Geschlechtes der Omaijaden (nur ↑ Abd Ar Rahman konnte nach Spanien entkommen) den Thron. Der Sieg der A. bedeutete das Zurückdrängen, nicht jedoch die Ausschaltung der Araber; durch Gleichberechtigung der sich zum Islam bekennenden Perser mit den Arabern, überwiegend pers. Beamtenaris­to­ kratie und Anknüpfung an altpers. Hofzeremoniell wurde die Entwicklung einer übernationalen islam. Kultur angebahnt. Al Mansur (754–775) errichtete am West­ ufer des Tigris die prunkvolle Residenz Bagdad (763). Glanzzeit unter ↑ Harun Ar Raschid (786–809), Blüte der Literatur. Unter Al Mamun (813–833) Übernahme griech. Wissenschaft: Philosophie,

tellat. Aquisgranum; Grannus vermutlich keltischer Gott), Stadt in Nordrhein-Westfalen, im 1. Jh. n. Chr. von den Römern ­ wegen seiner Thermen (heiße Quellen, ­Heilbäder) aufgesucht, seit Pippin (751–768) Königshof; seit 794 fast ständige Residenz Karls d. Gr., der vor der Pfalz das aus Ravenna herbeigeschaffte eherne Reiter­standbild Theoderichs d. Gr. aufstellen ließ; Mittel­ punkt der ↑ Karolingischen Renaissance, Hofakademie von Dichtern und Gelehr­ten; 812 Vertrag von A.: Ost­rom aner­kannte die Kaiserwürde Karls d. Gr.; 813–1531 Krönungsort für 37 dt. Könige: Stätte von 17 Reichstagen und 11 Synoden; unter den Staufern Reichsstadt („Aache­ner Reich“); 1656 durch Brand teilweise zerstört, 1793 von den frz. Revolutionstruppen besetzt. Durch den Frieden von ↑ Lune­ville gehörte A. 1801–1813 zu Frankreich als Hauptstadt des Departments Roer; 1815 an Preußen, im 2. Weltkrieg 1944 heiß umkämpft, zur Hälfte zerstört, am 21. 10. 1944 von alliierten Truppen besetzt. 1802–1821 (durch Napoleon) und ab 1930 Bischofssitz. Jährliche Verleihung des A.er Karlspreises für besondere Verdienste um die europ. Einigung. Aachener Friede, beendete 1668 den ↑ Devolutionskrieg Ludwigs XIV., der A. F. von 1748 den ↑ Österr. Erbfolgekrieg. Aachener Kongress, 1818. Frankreich erreichte hier von den übrigen ­Großmächten (Preußen, Österreich, Russland und England) den Rückzug der ­Besatzungstruppen von frz. Boden sowie eine Herabsetzung französischen Kriegsentschädigung von 700 auf 265 Mio. Aachener Münster, Kern des Baus die im byzantininischen Stil gehaltene Pfalzkapelle ↑ Karls d. Gr., 804 von Meister Odo von Metz (?) vollendet, von Papst Leo III. 805 geweiht, gotischer Chor aus dem 14. Jh., später Anbau weiterer Kapellen. Marmorner Kaiserstuhl aus der Zeit 

Abbe Mathematik, Astronomie, Medizin. Seit Mitte des 10. Jh. Verfall des Kalifats: Abhängigkeit der Kalifen von wechselnden Machthabern, Sektenwesen; die Bujiden wurden die weltlichen Machthaber. 1037 befreite der Seldschuk Togrulbeg das Kalifat von dieser Herrschaft, um sie auf seine Familie zu übertragen. 1258 wurde Bagdad das Opfer des Mongoleneinmarsches unter Hulagu, dem Neffen des Dschingis Khan. Damit ging das 500-jährige islam. Weltreich der A. zu Ende. Abbe, Ernst, dt. Optiker, 1840–1905; seit 1866 in den Jenaer Zeisswerken, schuf wiss. Grundlagen für die Errechnung und Herstellung von Mikroskopen; begründete Carl-Zeiss-Stiftung mit moderner Arbeiterfürsorge und Achtstundentag. Abbevillien, Kulturstufe des ↑ Paläolithikums, benannt nach dem Ort Abbeville im frz. Dep. Somme von dem dort ­tätigen Prähistoriker J. Boucher de Crevecœur de Perthes, früheste Faustkeilkultur. Die handtellergroßen Keile waren an beiden Seiten roh behauen, die abgeschlagenen Splitter als Kratzer genutzt; das A. ist verbreitet in W- und Mitteleuropa, Nahost, N-Afrika, Indien; um 500 000 v. Chr.: Zeit des Heidelberger Menschen. ABC-Staaten, Bez. für die Republiken Argentinien, Brasilien und Chile, die 1899 nach einem Konflikt zw. Argentinien und Chile einen Vertrag über die Beilegung von Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht und über gegenseitige Abrüstung schlossen. Abd Al Asis, Sultan der Osmanen, 1830– 1876; regierte seit 1861, versuchte ohne Erfolg, durch Reformen den Staat zu erneuern, seine Misswirtschaft führte 1875 zum Staatsbankrott; wurde durch Volksaufstand gestürzt und ermordet. Abd Al Hamid II., Sultan der Osmanen, 1842–1918; gen. der rote Sultan aufgrund seines blutigen Vorgehens gegenüber den Armeniern; regierte seit 1876, proklamierte eine Verfassung, regierte absolutistisch; auf Betreiben der Jungtürken 1909 abgesetzt.

Abd Ar Rahman, Gründer des omaijad. Kalifats in Cordoba, regierte 756–788. Abd El Kader, arab. Emir, 1807–1883; Führer der aufständischen Stämme Algeriens gegen die Franzosen; 1847 zur Übergabe gezwungen. Abd El Krim, Führer der Rifkabylen, 1882–1963; Vorkämpfer für die Freiheit Marokkos gegen Frankreich und Spanien (1920–1926), in frz. Gefangenschaft, 1947 nach Ägypten geflohen, führend in der Befreiungsaktion Nordafrikas tätig. Abdera, im 7. Jh. v. Chr. gegr. ionische Ackerbaukolonie an der thrakischen Küste, ­vorübergehend an thrak. Stämme verloren gegangen, um 550 von Kolonisten aus dem ion. Theos besetzt, Mitglied des 2. Attischen Seebundes, um 350 makedon., in der Römerzeit freie Stadt. Die Abderiten galten als die „Schildbürger des Altertums“. Abdul Rahman, malays. ­ Politiker, 1903– 1990; Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbe­ wegung, 1957 erster ­Premierminister und Außenminister des Malaiischen Bundes. 1963–1970 Premierminister des neugebil­ deten Staates ↑ Malaysia. 1970–1972 Ge­ neralsekretär der Islamischen Weltkon­fe­ renz. Abendland oder Okzident, urspr. Bez. für ↑ Europa im Gegensatz zum (östl.) Morgenland oder Orient. In der röm. Kaiserzeit diente das Begriffspaar Okzident und Orient zur geogr. Orientierung von Italien aus. Erst seit der nach dem Tode Kaiser Theodosius’ (395 n. Chr.) vollzogenen Teilung des röm. Weltreiches in ein westl. Reich mit Rom und ein östl. mit Byzanz als Hauptstadt wurde der Gegensatz „Okzident“ und „Orient“ allmählich zu einem allgemein gültigen histor.-polit. Begriff. Mit der Ausbreitung des Islam im Mittelmeerraum und seit den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Arabern entstand die Idee des christlichen Abendlandes. Seit dem 11. Jh. trat der Gegensatz zw. röm.-kath. und griech.-orthodoxer Kirche hervor, der später auch eine Rolle

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Abrüstungskonferenzen bei der Entstehung des Gegensatzes zwischen Europa und Russland spielte. Auch dem Vordringen der Türken in Südosteuropa seit dem 15. Jh. stellte sich das A. als politisch-kulturelle Einheit gegenüber. Geogr. niemals eindeutig umrissen, wurde der Begriff schließlich geistesgeschichtlich und im Sinne einer europ. Kultureinheit gefasst, die auf der Verschmelzung von Antike und Christentum beruht. Abendmahl (Tisch des Herrn, Eucharistie, Kommunion oder Sakrament des Altars), beim letzten Mahl mit seinen Jüngern von Jesus Christus gestiftet, gilt allen christlichen Bekenntnissen (außer Quäkern) als Sakrament. Der Abendmahl-Streit zw. den Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin und der kath. Kirche bewegte die Menschen des 16. und 17. Jh.; auch zw. Luther und Zwingli zeigten sich beim ↑ Marburger Religionsgespräch unüberbrückbare Differenzen. Die kath. Kirche sanktionierte im 4. Laterankonzil (1215) und auf dem Tridentiner Konzil (1545– 1563) die Lehre von der Transsubstantiation (der Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi); Luther lehrte, dass die Stoffe Brot und Wein bleiben, dass aber Christus in, mit und unter den Abendmahls-Elementen gegenwärtig ist; nach Zwingli sind Wein und Brot nur Symbole, nach Calvin ist Christus geistig im Abendmahl gegenwärtig. Abessinien, ehem. Name von ↑ Äthiopien Ablass (lat. indulgentia), nach der Lehre der kath. Kirche der Erlass von zeitlichen Sündenstrafen (nach Tilgung der Schuld) auf Grund von Buß- und Sühnetaten; seit dem 9. Jh. wurde die german. Rechtsauffassung der geldlichen Bußleistung (↑ Wergeld) ins Kirchenrecht aufgenommen. Im 13. Jh. fand die Lehre vom „Schatz der überschüssigen guten Werke der Heiligen“ Eingang. Die wahre Reue des Sünders blieb nach der Kirchenlehre Voraussetzung für die Wirksamkeit des A. In der Zeit der Kreuzzüge (1100–1250) wurde es üblich,

für verwirkte Bußen Ersatz in Form von Wallfahrt, Kreuzfahrt usw. oder Geldabgaben zu leisten. A. wurde auch gewährt für Bau von Kirchen, Hospitälern, Brücken, Straßen. Bonifatius VIII. führte 1300 den Jubiläums-A. ein. Im 15./16. Jh. entartete das A.-Wesen, sodass im Volk die Meinung entstand, man könne Sünden durch Geld abgelten. Der Missbrauch des A. wurde zu einem der Anlässe der ↑ Reformation. Abolitionisten (abgeleit. von lat. ­abolitio, Abschaffung), Anhänger einer philan­ throp. (menschenfreundlichen) Vereinigung in den USA, die sich die Abschaffung der ↑ Sklaverei zum Ziel setzte; im 19. Jh. bezeichnete A. auch Vereinigungen zur Bekämpfung der Prostitution. Abraham, Abram, nach dem A.T. der 175 Jahre alt gewordene älteste Erzvater des jüd. Volkes; wanderte um 1800 v. Chr. aus Ur im sumer. Mesopotamien nach Palästina aus und galt als Kultstifter (Eingottglaube); Grab angeblich in Hebron. Abraham a Sancta Clara, Klostername für Hans Ulrich Megerle, 1644–1709; seit 1677 Hofprediger in Wien, volkstüml. Kanzelredner während der 2. Türkenbelagerung. Verfasser satirisch-pädagog. Schriften: „Judas der Erzschelm“, „Merk’s Wien“ (Schilderung der Pest von 1680). Abrüstungskonferenzen zur Friedens­ sicherung und Verringerung der Rüstungslasten, vor dem 1. Weltkrieg ↑ Haager Konferenz; danach Bemühungen des Völkerbunds: 1926 Einsetzung einer vorbereitenden Kommission, ergebnislos bis 1930, ebenso die A. in Genf 1932/33. 1947 Einsetzung einer Abrüstungskommission der UNO; 1954 neue Abrüstungsvorschläge, die am west-östlichen Gegensatz scheiterten, ebenso wie die Londoner A. 1957; in der Folge Pläne zu einer Luftinspektion, „verdünnten Zone“, dem Auseinander­ rücken der „Blöcke“ (Eisenhower-, Eden-, Rapacki-Plan u. a.); 1958/59 Genfer Atom-A. (Einstellung der Atombombenversuche, Kontrolle u. a.); 1959 Chrusch­ 11

Abs Gorbatschow (1985–91) Fortschritte auf dem Gebiet der chemischen und konventionellen Waffen; 1991 START-I-Vertrag (Strategic Arms Reduction Talks), sah eine Verringerung der atomaren Gefechtsköpfe auf jeweils 6 000 Stück bis 2001 vor, 1993 Neufassung im START-II-Vertrag; außerdem unterzeichneten rund 100 Staaten eine „Internationale Konvention zum Verbot und zur Zerstörung von Chemiewaffen“. 1995 unbefristete Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages, Mai 2000 UNKonferenz über seine Umsetzung, die fünf Atommächte einigten sich auf eine völlige nukleare Abrüstung. Dez. 2001 einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrages durch die USA. Abs, Hermann Josef, dt. Finanzfachmann, 1901–1994; wurde 1938 Vorstandsmitglied der Dt. Bank, besaß bereits in der nat.-soz. Zeit großen wirtsch. Einfluss (1942: Aufsichtsratsmandate in 42 Firmen). Nach dem Krieg war er Finanzberater Adenauers, 1951–53 Leiter der dt. Delegation bei der Londoner Schuldenkonferenz, 1957–1967 Vorstandssprecher der Dt. Bank, 1967–1976 deren Aufsichtsratsvorsitzender. Absolutismus, Regierungsform, in der der Herrscher unbeschränkter Inhaber der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt ist (↑ Bodin: „Summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas“ = höchste von den Gesetzen entbundene Gewalt über Bürger und Untertanen). Zu Beginn des 17. Jh. in fast allen europ. Staaten begründet, erreichte der A. in Frankreich unter Ludwig XIV. bis 1715 seinen Höhepunkt. Unter dem Einfluss der ↑ Aufklärung erfuhr er eine Wandlung zum „aufgeklärten A.“. Hervorragender Vertreter dieses A. wurde Friedrich der Große, der als „ers­ ter Diener des Staates“ den Grundsatz der Erhaltung und Steigerung der absoluten staatlichen Macht zu verknüpfen suchte mit der Sorge für das Glück der Untertanen; er schützte u. a. die Bauern vor dem

tschow-Plan zur totalen Abrüstung; Gegenpläne des Westens (zuverlässig kontrollierter Atomstopp als 1. Stufe einer allgemeinen Abrüstung). 1961 Abkommen zw. den USA und der UdSSR über Prinzipien einer allgemeinen Abrüstung. 1963 Atomteststoppabkommen (ohne Frankreich und China). 1967 Abkommen über friedliche Erforschung und Nutzung des Weltraums. 1968 ­Atomwaffensperrvertrag. Schwergewichtsverlagerung auf Maßnahmen der Rüstungskontrolle zwischen den Weltmächten, seit 1970 SALT-(Strategie Arms Limitation Talks) Gespräche. 1972 SALT-I-Abkommen, sah die quantitative Begrenzung von Anti-Raketensystemen (ABM-Vertrag) und strategischen Angriffs­ waffensystemen vor. Seit 1973 Verhandlungen in Wien über Reduzierung der Streitkräfte in Mitteleuro­pa (MBFR) zwischen NATO- und Warschauer-Pakt-Staaten; zeitweise Stagnation v. a. nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afgha­nistan 1979. Im Nov. 1981 Wiederaufnah­me, Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion über die in Europa stationierten ­ Mittelstreckenwaffen. 1983 ohne Ergebnis von der UdSSR abgebrochen, ebenso wie die seit 1982 paral­lel laufenden Verhandlungen über die Verminderung der Interkontinentalraketen (START). 1984–86 Stockholmer Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa (KVAE). 1985 neue amerik.-sowjet. Gespräche in Genf über Nuklear- und Weltraumwaffen, beeinflusst vom amerik. SDI-Projekt (Abwehrsystem gegen Raketenwaffen im Weltraum) und von dem sowjet. Vorschlag, bis zum Jahr 2000 alle Kernwaffen abzubauen; ein erstes Abkommen über die Verschrottung landgestützter Mittelstreckenwaffen (Reichweite 150–5 500 km) wurde im Dez. 1987 geschlossen (INF-Abkommen). 1989 Beginn einseitiger Truppenreduzierungen der Sowjets in Mitteleuropa. Im Zuge der Entspannungspolitik unter 12

Achämeniden Bauernlegen. Zeugnis für seine Toleranz war die Errichtung der kath. Hedwigskirche in Berlin (1747). Joseph II., ­österr. Vertreter des aufgeklärten A., machte sich verdient durch die Bauernbefreiung (1781–1785) und Reformen auf sozialem Gebiet. Nach der Frz. Revolution wurde der A. zunehmend abgelöst vom modernen Verfassungsstaat. Abt (syrisch Abba = Vater), seit dem 5. Jh. Titel des Klostervorstehers bei nicht zentralisierten Orden; außerhalb der Amtsgewalt des regionalen Bischofs direkt dem Papst unterstehend; trägt bischöfliche Insignien (Mitra, Stab, Ring). Wahl erfolgt durch Klosterkonvent. Abu Bekr, Schwiegervater und Nachfolger Mohammeds, 573–634; seit 632 erster Kalif (↑ Kalifat). Abukir, Ort an der ägypt. Küste; vor A. schlug Nelson 1798 die frz. Flotte vernichtend. Landschlachten bei A. zwischen Engländern und Franzosen 1799 und 1801. Abul Abbas, erster Kalif aus der Dynastie der ↑ Abbasiden, gest. 754. Abu Simbel, Tempelanlage („Großer“ und „Kleiner“ Tempel) am westl. Nilufer in Oberägypten, erbaut unter Ramses II. (1290–1223 v. Chr.). Da ihr Untergang im Assuan-Stausee drohte, wurden die Tempel 1964–68 in Blöcke zerlegt und auf höherem Gelände wieder aufgebaut. Abydos, 1) bedeutende Ruinenstätte in Oberägypten, Hauptverehrungsstätte des Osiris, mit Tempeln Sethos’ I. (1303– 1290 v. Chr.) und Königsgräbern der beiden ersten Dynastien (2900–2650 v. Chr.). 2) antike Stadt an der engsten Stelle des Hellespont, Übergang nach Kleinasien; Schauplatz der Hero-und-Leander-Sage; thrak. Gründung, um 700 v. Chr. von Milet aus besiedelt, im 14. Jh. durch die Osmanen zerstört. Academie française, ↑ Akademie. Accra, Konferenz von, 1959; 62 Organisationen aus 28 afrikan. Ländern forderten sofortige Souveränität der afrikan. Völ-

ker, Schaffung eines „African Commonwealth“, Unterstützung der noch nicht entkolonisierten Völker in ihrem Befreiungskampf. Achäer, indogerman., zunächst in Thessalien (Achaier), dann in der Nordwestecke des Peloponnes ansässige Volksgruppe, Träger der myken. Kultur, Sammelname der ersten Stämme der Griechen. Bei Homer auch als Gesamtbezeichnung der Griechen verwendet. Von den A. gingen bedeutende Staatsgründungen und Kolonisationen in der ägäischen Inselwelt und an der kleinasiat. Küste aus. Achala (Ägialos), Landschaft des Peloponnes; benannt nach der Volksgruppe der ↑ Achäer, urspr. von Ioniern, dann von Achäern besiedelt. In röm. Zeit Teil der Provinz Makedonien; heute mit Elis griech. Verwaltungsbezirk. Achäischer Bund (griech. Kolonie), einer der Bünde, die sich in der hellenistischen Zeit, der Zeit eines letzten Ringens um die Erhaltung staatlicher Existenz in Griechenland bildeten. Wie der ↑ Ätolische, so richtete sich auch der um 280 v. Chr. von Achaia ausgehende Bund gegen den makedon. König ↑ Antigonos Gonatas, gleichzeitig auch in scharfer Rivalität zu Sparta. Seiner Verfassung nach war der Bund, dem u. a. Sikyon (seit 251 v. Chr.) und Korinth (seit 243) angehörten, mehr ein Bundesstaat als ein Staatenbund. Als ↑ Makedonien von Rom bereits niedergeworfen und als Provinz dem römischen Imperium angegliedert war, wagte der Bund einen Krieg mit Sparta, der Rom zum Eingreifen veranlasste: Konsul ↑ Mummius eroberte Korinth, den Hauptort des Bundes, zerstörte ihn und löste den Bund auf (146 v. Chr.). Achämeniden, altpers. Dynastie, herrschte seit etwa 700 v. Chr., schüttelte 559 v. Chr. die Oberherrschaft der Meder ab (↑ Kyros II. d. Gr.) und erhob Persien zum Weltreich; gestürzt von Alexander d. Gr. 330 v. Chr. (einzelne Herrscher ↑ Kambyses, Darius, Xerxes, Artaxerxes). 13

Acheuléen Acheuléen, benannt nach der Faustkeil-

innerhalb des Gerichtsbezirks, nach Jahr und Tag der Aberacht, der vollen Friedlosigkeit im ganzen Reich. Gegen Verbrecher wider König und Reich (Landfriedensbruch) verhängten der König oder sein Gericht die Reichsacht. Die Vollstreckung der Reichsacht gegen einen Landesherrn oder eine Reichsstadt wurde einem benachbarten Landesherrn übertragen. Acta, bei den Römern alle amtlichen Protokolle und Veröffentlichungen. Die A. diurna oder A. publica, von Cäsar begründet, waren die offiziellen Tagesberichte der Kaiserzeit, enthielten urspr. nur die Sitzungsberichte des Senats, entwickelten sich durch Einbeziehen von Familiennachrichten usw. zu einer Art Zeitung. – A. Apostolicae Sedis, das Amtsblatt des Päpstl. Stuhles. – A. Eruditorum, die erste dt. Gelehrtenzeitschrift, in lat. Sprache, nach frz. Vorbild (Journal des Savants), gegr. 1682 von dem Leipziger Professor Otto Mencke, 1782 eingegangen. – A. Martyrum, Protokolle und Berichte über die Prozesse und Hinrichtungen der christl. Märtyrer. – A. Sanctorum, Verzeichnis der Heiligen mit Lebensbeschreibung, Ausgabe und Bearbeitung der Quellenschriften, hrsg. von den ↑ Bollandisten (67 Bde., 1643–1940). Action Française, rechtsradikale Bewegung in Frankreich; gegr. 1898. Die A. F. und ihr geistiger Führer Charles ↑ Maurras bekämpften die Republik, forderten Revanche für 1870/71 und planten die Errichtung einer Erbmonarchie auf ständischer Grundlage („integraler Nationalismus“). Parlamentarisch nicht organisiert, blieb die A. F. nach dem 1. Weltkrieg polit. ohne Einfluss, wirkte aber auf die intellektuelle Jugend der Zwischenkriegszeit. Ihre Verherrlichung der Gewalt, die antisemit. Kampfparolen und ihre Lehre vom absoluten Primat der Politik brachten sie in Konfrontation zur Kirche (1926 vom Papst verurteilt) und machten sie zum Wegbereiter des frz. ↑ Faschismus. Trotz unverminderter Deutschfeindlichkeit wendeten

Fundstätte Saint-Acheul bei Amiens, die dem ↑ Abbevillien folgende Kulturstufe der Altsteinzeit (Paläolithikum), fällt in die 2. Eiszeit, in die 2. Zwischeneiszeit und die 3. Eiszeit. Verbreitung: Vorderasien, Afrika, S-, W-, Mitteleuropa. Sammler und Jäger, Hordenbildung, Grabbeigaben, Tieropfer, Schmuck. Universalwerkzeug: gegenüber dem Abbevillien technisch hervorragend gearbeitete Faustkeile, die als Messer, Sägen, Schaber, Kratzer und Bohrer zugleich benutzt werden konnten. Achse (Achse Berlin-Rom, ­Achsenmächte), Bez. für das enge außenpolit. Verhältnis zw. Deutschland und Italien nach Hitlers Unterstützung der ital. Annexion Äthio­ piens. Die A. wurde ideologisch ausgebaut durch den Beitritt Italiens zum Anti­ kominternpakt (1937) und militär.-ökonom. durch den Abschluss des Stahlpakts (1939). Der Begriff fand später Anwendung auf die Partner des Dreimächtepakts (1940), Deutschland, Italien und Japan, sodass sogar von einer A. Berlin–Rom–Tokio gesprochen wird. Für die mit Deutschland im 2. Weltkrieg verbündeten Staaten bürgerte sich die Bez. Achsenmächte ein. Die A. fand ihr Ende mit dem ital. Sonderwaffenstillstand im Sept. 1943. Acht (mhdt. = Verfolgung, Fried- und Rechtlosigkeit). Nach altgermanischem Recht galt jede Missetat als Friedensbruch, der Friedensbrecher wurde zum Feind, den der Verletzte und dessen Sippe oder das Volk töten durften. Gegen den nicht gefassten Missetäter wurde vom Thing die Acht verhängt, der Friedlose wurde dadurch aus der Friedens- und Rechtsgenossenschaft ausgestoßen, als „vogelfrei“ konnte er getötet werden. Wer ihm Schutz gewährte, verfiel unter Umständen selbst der Acht. In der fränk. Zeit Milderung der Acht, die durch ↑ Wergeld gesühnt werden konnte. Im MA war die Acht prozessuales Zwangsmittel; der Verbrecher, der sich dem Gericht nicht stellte, verfiel der Acht 14

Adel sich die Anhänger der A. F. 1939 vehement gegen einen Krieg mit Deutschland und unterstützten nach der frz. Niederlage 1940 die Regierung ↑ Petain. Durch Kollaboration diskreditiert, verschwand die A. F. nach 1944. Ihr Gedankengut tauchte gewandelt in den Programmen der Neuen Rechten in Frankreich wieder auf (↑ Neofaschismus). Act of Settlement, engl. Staatsgesetz zur Regelung der Thronfolge für Großbritannien (1701). Bereits die ↑ Bill of Rights (1689) hatte festgelegt, dass keine Person, die einen Katholiken heiratete, in England regieren durfte. Der A. setzte die Kurfürs­ tin Sophie von Hannover und ihre Nachkommen als Thronerben ein (↑ Georg I.): 1714 Personalunion GroßbritannienHannover. Adalbert, 1) A. von Prag, hl., um 956– 997; Sohn des böhm. Hzgs. Slavnik, mit dem sächs. Kaiserhaus der Liudolfinger verwandt, Freund Ottos III., Bischof von Prag, missionierte 994/95 erfolgreich im ungar. Raum; Apostel der Preußen, als Märtyrer im Samland erschlagen. 2) A., Erzbischof von Bremen, um 1000–1072; aus dem Geschlecht der sächsischen Pfalzgrafen, von König Heinrich III., dessen Vertrauter er war, zum Erzbischof erhoben, entfaltete rege Missionstätigkeit bis Grönland, Island und Finnland, plante Erhebung Bremens zum Patriarchat des Nordens (an den Bedenken Roms gescheitert), 1063–1066 Berater Heinrichs IV., auf Betreiben der Fürsten entlassen. 3) A., Erzbischof von Mainz, gest. 1137; 1106 Kanzler Heinrichs V., als Erzbischof (1111–1137) seit 1112 Haupt der Fürstenopposition gegen den Kaiser, betrieb nach dessen Tod 1125 die Wahl Lothars von Sachsen. Adam von Bremen, Domherr und Geschichtsschreiber (gest. um 1081); verfasste vier Bücher hamburgischer Geschichte, bedeutend durch geogr. Beschreibung des Nordens, erwähnt die Amerikafahrten der Wikinger um 1000.

Adams, 1) A., John, amerik. Staatsmann, 1735–1826; Vorkämpfer der Unabhän-

gigkeit Nordamerikas, Gefährte Washingtons, war dessen Nachfolger in der Präsidentschaft 1797–1801. Von seinem Parteifreund Hamilton bekämpft, legte A. 1799 den Konflikt mit Frankreich bei, stärkte durch seine ungeschickte Politik die Opposition gegen eine starke Bundesgewalt. 2) A., John Quincy, Sohn von 1), 1767–1848; erwarb als Staatssekretär unter Monroe 1819 von Spanien für 5 Mio. Dollar Florida und formulierte die ↑ Monroedoktrin, folgte Monroe als (6.) Präsident der USA (1825–1829). Vertreter der Zollschutz fordernden Industrie. 3) A., Samuel, radikaler Vorkämpfer der nordamerik. Unabhängigkeit, 1722–1803; trat für völlige Trennung von England ein, propagierte den offenen Widerstand der Kolonien, organisierte „Korrespondenzausschüsse“ zwischen den einzelnen Kolonien, leitete als Vertreter von Massachusetts nach dem Bostoner Teesturm („Tea Party“, 1773) den Kongress von Philadelphia (1774), der die Besteuerung durch England verwarf. Addison, Joseph, engl. Schriftsteller und Politiker (Whig), 1672–1719; glänzender Essayist, Begründer der moralischen Wochenschrift „The Spectator“. Adel (von ahdt. adal = Geschlecht), der in der ständischen Ordnung des MA mit polit. und sozialen Vorrechten (Privilegien) ausgestattete und durch Erfüllung entsprechender Pflichten führende Stand. Einen A. hat es fast überall und zu allen Zeiten gegeben, mit der Herrschaft hat sich jeweils auch ein Herrenstand entwickelt (Geburts-, Besitz-, Priester-, Kriegeroder Berufsadel). In den ältesten oriental. Hochkulturen, in Ägypten, bei den Assyrern usw. gab es führende Geschlechter, im trojan. Sagenkreis Homers hervorragende Sprosse berühmter Geschlechter myth. Herkunft. In den ↑ Alkmäoniden erscheint das alte Königsgeschlecht von Athen. Im 15

Adelheid republikan. Rom waren die ↑ Patrizier (Geschlechtsadel) staatsführend. Bei den Germanen der Völkerwanderungszeit galt zunächst grundsätzlich nur der Unterschied zw. frei und unfrei; im Zusammenhang mit krieger. Wanderzügen bildete sich ein Volksadel, aus dem die Herzöge und Könige gekürt wurden. Diese Adelssippen ragten auch durch reicheren Grundbesitz (höheren Beuteanteil) aus der Masse der Freien hervor. Durch das ↑ Lehnswesen wurde seit der fränk. Zeit dieser Adel eingebaut in die Lehnspyramide, seine Stellung im Staat war damit rechtl. festgesetzt (fortan Hochadel der großen Vasallen, der späteren Reichsfürsten). In der Stauferzeit Entwicklung eines sich aus kleineren Gefolgsleuten rekrutierenden Amtsadels der sog. ↑ Ministerialen („niederer Adel“), aus dem später die Reichsritterschaft hervorging (↑ Ritterstand). Aus den Unterlehnsleuten der großen Lehnsherren entwickelte sich der Land-A. der einzelnen dt. Territorien. Ausübung des Waffenhandwerks und Verwaltung des (Lehens)­ Grundbesitzes wurden Grundlage der standesbewussten ritterl. Lebensweise und ständischen Abkapselung gegenüber dem „gemeinen Mann“ (Prinzip der Ebenbürtigkeit, d. h. der „gleichen Geburt“, im Rechtswesen, bei Heiraten usw.; Recht auf Wappenführung; Satisfaktionsfähigkeit). Das Nachrücken von Unfreien als Inhaber königl. Ämter in den Ritter- oder A.-Stand hörte im späten MA auf, dafür gab es seit Kaiser Karl IV. den Brief-A.: Angehörige der kaiserl. Kanzlei, vornehme Juristen, die sich ein Landgut kaufen konnten, erhielten den A.-Brief (Erhebung in den A.Stand bis 1806 nur durch den Kaiser, bis 1918 auch durch die Landesfürsten). Mit dem Absinken in die Anarchie des Fehdewesens, der Ablösung des Lehnsstaates durch den modernen Staat mit Beamtentum und Söldnerheer und mit dem Aufkommen eines wirtschaftl. und kulturell überlegenen Bürgertums verlor der A. po-

lit. und sozial seine alte Geltung und im Zeitalter des Absolutismus auch einen Teil seiner Privilegien, den Rest erst durch die Revolution des „Dritten Standes“ (1789; 1848/49) und (in Deutschland) durch die ↑ Mediatisierungen von 1803, doch hatte der A. (z. B. in Preußen) prakt. bis 1918 noch eine gewisse Vorzugsstellung (höhere Beamtenschaft, Offizierskorps); die Weimarer Verfassung erkannte A.-Titel nur noch als Teil des Namens an. – In Frank­ reich wurde der A. polit. vom Königtum entmachtet, blieb aber sozial privilegiert, wurde 1789 abgeschafft, doch rief Napoleon I. die adligen Emigranten zurück. – In England ging der alte Feudal-A. in den Rosenkriegen zugrunde, seine Reste, die Nobility oder die Peers, beschicken das Oberhaus; der Titel vererbt sich nur auf den Erstgeborenen. Der niedere Adel, die Gentry, bildete sich durch Inbesitznahme herrenlosen Landes seit dem 15. Jh., hatte keine Lehnspflichten, stellte die Friedensrichter der Grafschaften, machte das Parlament (Unterhaus) stark gegenüber der Krone und trat mit dem Bürgertum den Ansätzen zum Absolutismus entgegen. – In Russland stellte sich der A. nach der Ausblutung des alten Bojaren-A. unter Iwan IV. in den Dienst des (zarist.) Cäsaro­ papismus und herrschte seinerseits gleich despotisch auf seinen riesigen Gütern; doch bildete sich im 19. Jh. der Typ der „reuigen Adligen“ als eines revolutionären Gegners dieser Gesellschaftsordnung aus; in der bolschewist. Revolution wurde der A. ausgerottet, soweit er nicht emigrierte. – In den USA konnte sich ein A. nicht ausbilden. Adelheid, dt. Kaiserin, um 931–999; Tochter König Rudolfs II. von Burgund, vermählt in 1. Ehe mit König Lothar von Italien, in 2. Ehe seit 951 mit Kaiser ­Otto I., führte 991–995 für ihren Enkel Otto III. die Regentschaft. Geistig hochgebildet, unterstützte die cluniazens. Reformideen (↑ Cluny). 16

Adolf Adenauer, Konrad, 1876–1967, dt. Politiker; seit 1906 Mitglied der Zentrumspartei; 1917–1933 war A. Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Köln und gewann als Mitglied des Preuß. Staatsrates (1920–1933 dessen Präsident) in der ↑ Weimarer Republik großen polit. Einfluss, lehnte aber 1926 die Reichskanzlerschaft ab. Als Katholik stand er dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber und wurde 1933 im Zug der ↑ Gleichschaltung seines Amts enthoben. 1934 vorübergehend in Haft, zog sich A. ins Privatleben zurück, wurde im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 erneut inhaftiert, doch bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach dem Zusammenbruch baute er – kurzfristig wieder Kölner Oberbürgermeister – die CDU mit auf und wurde als Präsident des Parlamentar. Rates einer der Väter des Grundgesetzes. Als 1. Bundeskanzler (1949–1963) stellte er sich dem schweren Erbe der NS-Zeit: u. a. Abkommen über ↑ Wiedergutmachung mit Israel, Verhandlungen in Moskau zur Freilassung der Kriegsgefangenen, Aussöhnung mit Frankreich. A. führte die Bundesrepublik ins westl. Bündnis; seine Ära begründete, nicht zuletzt dank wachsenden Wohlstands, eine stabile freiheitliche polit. Kultur im Westteil Deutschlands. Seine „Erinnerungen“ erschienen 1965–1968. Ädil, hoher Beamter im alten Rom, urspr. wohl Verwalter des Tempelschatzes, zuständig für Markt- und Straßenaufsicht, Wegebau, Überwachung der öffentlichen und privaten Bauten, Organisation von Volksspielen und Feuerlöschwesen. Adler, als König der Vögel Wappentier und Symbol vieler Völker und Kulturkreise in alter und neuer Zeit (Japan, Indien, Griechenland); mit Vorliebe von Reichen mit universalem Herrschaftsanspruch verwendet. So erscheint der einköpfige A. auf den Feldzeichen der Perser und der Makedonier; den Römern war er das Symbol Jupiters, des höchsten der Schutzgötter des

Heeres und der Kaiser (Augustus, Konstantin). Durch den Übergang der röm. Reichstradition auf die dt. Kaiser (seit Karl d. Gr.) schmückte er die dt. Reichsbanner des MA; zusammen mit dem Kreuz war er Symbol des Reiches (schwarzer Adler auf weißem Grund), wobei das Königswappen den einköpfigen und das Kaiserwappen den zweiköpfigen A. zeigte; ab Mitte 12. Jh. auch Wappenbild der großen Reichsfürsten. Im 15. Jh. übernahmen ihn die Reichsstädte als Zeichen ihrer Freiheit. Der Doppeladler in Fortsetzung der Tradition des 1. Reiches das Wappen der Habsburger Monarchie wie des zarist. Russlands. Napoleon I. verlieh seit 1804 (Beginn des imperialen Anspruchs) seinen Heeren goldene A.-Standarten; mit weniger imperialem Bewusstsein machten ihn auch die jungen USA zu ihrem Wappentier. 1848 Doppeladler Symbol des Dt. Bundes; das 2. Kaiserreich von 1871 übernahm den preuß. Einkopfadler, Übergang 1919 auf die Weimarer Republik und 1950 auf die Bundesrepublik Deutschland (schwarzer Adler mit rotem Schnabel und roten Fängen in goldenem Schild). Adler, 1) A., Viktor, österr. Sozialist, 1852–1918; Führer der österr. Sozialdemokratie, Mitbegründer der Österr. Republik. 2) A., Friedrich, Sohn von 1), österr. Sozialist, 1879–1960, erschoss 1916 den österr. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh. Adolf, Name von Herrschern. Dt. König: 1) A. von Nassau, um 1255–1298; 1292 von den Kurfürsten, die einer starken Reichsgewalt widerstrebten, als Nachfolger Rudolfs von Habsburg gewählt, verletzte die Interessen des mächtigen Erzbischofs von Mainz, 1298 abgesetzt und im Kampf gegen den Gegenkönig Albrecht, Sohn Rudolfs, gefallen. – Holstein-Dänemark: 2) A. II. von Schauenburg, Graf von Holstein, gest. 1164; erwarb endgültig Wagrien, Parteigänger seines Lehnsherrn Heinrichs des Löwen, Kolonisator rechts der Elbe, Gründer ↑ Lübecks, gefallen im 17

Adoptivkaiser Kampf gegen die Slawen. – Luxemburg: 3) A., Großherzog, 1817–1905; war 1839– 1866 letzter Herzog von Nassau, das von Preußen annektiert wurde; 1890 bis 1905 Großherzog von Luxemburg. – Mecklenburg-Schwerin, Schweden: 4) A. Friedrich, 1710–1771; aus dem Hause Hol­stein-Gottorp, das mit ihm 1751 durch russ. Hilfe auf den schwed. Thron gelangte, beteiligte sich am 7-jährigen Krieg. Adoptivkaiser, in Rom (96–180); Zeit der „guten Kaiser“, A. gelangten durch Adoption zur Herrschaft (die Annahme an Kindes Statt, eine alte röm. Rechtseinrichtung, konnte auch auf Erwachsene angewendet werden, um ihnen die Rechte leiblicher Nachkommen zu verschaffen). Die Abneigung des Senats und des Volkes gegen kaiserliche Dynastien und die Furcht vor einer Wiederholung der Despotie Domitians ließen den Senat 96 n. Chr. bestimmen, dass von nun an jeweils der Beste unter den führenden Bürgern Kaiser werden solle, in seine Nachfolgerechte durch Adoption eingesetzt. Nerva, selbst noch gewählt, adoptierte Trajan, es folgten Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und Commorus. Seit 180 Soldatenkaiser). Adrianopel, heute ↑ Edirne, das europ. Tor der Türkei am Grenzfluss Maritza in Thrazien, benannt nach Kaiser Hadrian, der es um 125 n. Chr. ausbauen ließ; 378 Ort der vernichtenden Niederlage Kaiser Valens’ durch die Goten, 1366 bis zum Fall von Konstantinopel türk. Residenz; im 19./20. Jh. mehrmals von Russen und Balkanvölkern besetzt. 1829 Friede von A. (Unabhängigkeit Griechenlands, Sonderstellung Serbiens und der Donaufürstentümer). 1920 (Sévres) wurde A. an Griechenland abgetreten, 1923 (Lau­ sanne) wieder türkisch. Aldua, Stadt in N-Äthiopien; 1896 endete der ital. Angriff von Eritrea aus mit der schweren Niederlage von A. und führte 1935 eben da zu einem Sieg der Italiener über die ­abessin. Truppen (↑ Äthiopien).

Aetius, Flavius, weströmischer Feldherr und Politiker, um 390–454; der „letzte

große Römer“, verteidigte in der Völkerwanderung Roms Oberherrschaft über Gallien, vernichtete 436 mithilfe der Hunnen das Burgunderreich am Mittel­ rhein und siedelte die Überlebenden als Grenzwacht gegen die Alemannen an der oberen Rhone an (Kern des späteren Burgund), rettete 451 auf den Katalaunischen Feldern mit german. Aufgeboten (u. a. Westgoten ­ unter Theoderich I., der in der Schlacht fiel) das Abendland vor der Hunnen­gefahr, wurde 454 nach einer Palast­intrige ermordet. Afghanistan, im SW Zentralasiens, zwischen dem Iran und Indien, durch seine Gebirge und Wüsten Puffer zwischen den asiat. Großreichen, zugleich Bindeglied durch wichtige Passstraßen (Khaiberpass). Im Altertum wiederholt von asiat. Reitervölkern überflutet und unter wechselnder Herrschaft: Assyrer (erste Städtegründung), Perser (Nord-A. = Satrapie Baktrien), Alexander d. Gr. und Diadochen, Parther. Um 150 n. Chr. Kern des Indo­ skythischen Reiches, 226 wieder beim Perserreich (Sassaniden) mit iran.-buddhist. Mischkultur, seit 7./8. Jh. von Arabern und Türken umkämpft, im 11./12. Jh. Reich der Ghasnawiden, im 13./14. Jh. von ↑ Dschingis Khan und ↑ Timur verheert. 1747 begründete Achmed Schah nach Abschüttelung der pers. Oberherrschaft ein Reich A., das 1838–1842 seine Unabhängigkeit gegen England nach blutigem Kampf behauptete, dank der brit.russ. Rivalität. Der zweite brit. Feldzug (1878–1880) führte schließlich zur Festlegung einer brit.-russ. Interessengrenze. Im 1. Weltkrieg blieb A. neutral. 1919 erhob sich der Emir Amanullah gegen England und erhielt trotz Niederlage polit. Freiheit; Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion. Amanullah machte A. 1925 zum Königreich, seine Reformen nach dem Muster der Türkei stießen jedoch auf Widerstand 18

Afrika der konservativ-mohammedan. Kreise und führten zu seinem Sturz 1928. Weiteres Lavieren als Pufferstaat zwischen West und Ost. 1937 Pakt mit Türkei, Irak und Iran; 1950 Freundschaftsvertrag mit der Ind. Union; 1961 Aufflackern alter Grenzstreitigkeiten mit ↑ Pakistan. 1973 Sturz der Monarchie, Ausrufung der Republik, Staatsoberhaupt Mohammed Daud Khan. 1978 kam dieser bei einem Militärputsch ums Leben; Beistandspakt der neuen Regierung mit der Sowjetunion, eine in Angriff genommene Landreform führte zum Bürgerkrieg, im Dezember 1979 Einmarsch der Sowjets, schwere weltpolit. Krise zw. Ost und West und Abkehr zahlreicher Staaten der Dritten Welt von der Sowjetunion. 1988/89 Abzug der sow­ jet. Truppen, dennoch Fortgang des Bürgerkriegs der Mudschaheddin gegen das Regime von Staats- und Parteichef (seit 1986) Nadschibullah. April 1992 Sturz der kommunist. Regierung durch die Mudschaheddin; ab 1994 großer Einfluss der radikal-muslimischen Taliban-Milizen, die begannen, einen streng islamischen Staat gemäß der Scharia, dem islamischen Sittengesetz, in den von ihnen kontrollierten Regionen (1996 2/3 des Landes) zu errichten, ab Okt. 1997 Islamisches Emirat A. Ab 1999 Sanktionen der USA (aufgrund der Beteiligung des in A. lebenden Osama Bin Laden am Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Nairobi) und wenig später der UN gegen A. Nach den Attentaten vom 11. 9. 2001 (World Trade Center) Aufforderung der USA zur Auslieferung des als Drahtzieher verdächtigen Osama Bin Laden, blieb wirkungslos, daraufhin im Okt. 2001 Angriff der USA und ihrer NATO-Verbündeten auf A., Vertreibung der Taliban aus Kabul und Kandahar, im Dez. 2001 Vereidigung einer Übergangsregierung unter Hamid Karzai, außerdem Stationierung einer internationalen Friedenstruppe. Jan. 2004 Verabschiedung einer neuen Verfassung (Präsidialsystem)

durch die Loya Jirga (Große Ratsversammlung), Herbst 2004 erste freie Wahlen, Bestätigung Karzais als Präsident. Afrika, Urmenschenfunde bei Oran (Algerien), Casablanca und Rabat (Marokko), Broken Hill (Simbabwe), Soldanha (Südafrika), Oldoway (Kenia), z. T. mit dem Java­menschen verwandt; Kulturreste liegen aus der frühen bis späten Altsteinzeit vor. Im Allg. die gleichen Stufen von der Faustkeil- zur Klingen-Kultur wie in Europa; der früheste bekannt gewordene Mensch mit negriden Merkmalen stammt vom Niger; er gehört der Mittelsteinzeit an; im Osten war der Mensch Zeuge der Vulkanbildung. In N-A., Tunesien, Algerien, Marokko mit Ausläufern zum Niger und Nil im Übergang zur Jungsteinzeit ausgepr. die Capsienkultur; der Mensch dieser Zeit gleicht dem europäischen ­CroMagnon-Menschen, Wechselbeziehungen der Kulturwelt der Pyrenäenhalbinsel und Siziliens sind sicher; der Capsien-Mensch kannte keine Beile, er fertigte Gefäße aus Straußeneiern mit Ritzornamenten an; er bewohnte auch die damals noch vegetations- und tierreiche Sahara (Elefanten, Nashörner, Flusspferde, Warzenschweine, Giraffen, Hirsche, Rinder, die er auf Felsen zeichnete oder farbig ausmalte); seit dem 5. Jt. v. Chr. allmähliche Verbreitung des Ackerbaus. Die Zeitfolge der Verbreitung und die Wanderbewegungen der heutigen Rassen sind unsicher; als Altrassen gelten in der Regenwaldzone die hell- bis gelbhäutigen, ­ kleinwüchsigen Pygmä­en, die viel weiter verbreitet waren und heute noch steinzeitl. ­ leben; den Altrassen gehören ebenfalls an die mittelwüchsigen Buschmänner im Süden, deren Felszeichnungen Beziehungen zur Spanien- und Sahara-Felskunst aufzuweisen scheinen, und die hochwüchsigen Hottentottenvölker im S und SW. Auf Madagaskar wurden schon früh die negriden Altstämme von indones. Einwanderern überlagert. Spät verbreiteten sich, wahrscheinlich aus 19

Afrika ihrem Kerngebiet um die großen ostafrikan. Seen, die braun- bis sehr dunkelhäutigen Negridenvölker über den Kontinent, vermischten sich mit früheren Völkern, nahmen neue Lebensformen an und wurden wieder sesshaft; der N war Wohngebiet mittel­meerischer, äthiop. (osthamit.), berberischer Völker; erst der Sklavenhandel der Araber brachte Schwarze vermehrt an die N-Küste; die Europäisierung setzte schon in der frühen Antike ein. A. wurde im Altertum zunächst als Teil Asiens angesehen (zu dem auch ↑ Ägypten gerechnet wurde); in der Niloase ers­te Reichsgründung um 3 000 v. Chr. (noch steinzeitliche Kultur); seit etwa 1200 v. Chr. phönik.-semit. Handelskolonien entlang der Nordküste, bes. im heutigen Tunesien (↑ Karthago, ­ Phöniker), Ausbildung libyscher und berber. Lebensformen; um 800 v. Chr. Gründung des Reiches Kusch im mittleren Sudan; um 700 v. Chr. im äthiop. Hochland Anfänge des späteren Reiches von Aksum; um 600 v. Chr. vermutlich erste Umseglung A.s durch die Phöniker vom Roten Meer aus, Rückkehr durch die Straße von Gibraltar; im 6. Jh. v. Chr. Fahrten des Hanno, vielleicht bis zum Kamerunberg, des Kolonialgriechen Euthymenes wahrscheinlich bis zur Senegalmündung. 146 v. Chr. wurde das Gebiet um das (zerstörte) Karthago als „Africa“ röm. Provinz. 30 v. Chr. kam Ägypten hinzu, 42 n. Chr. Mauretanien. Um 20 v. Chr. drang Cornelius Balbus in Libyen vor (bis Fezzan?), um 25 v. Chr. C. Petronius bis Nubien, 41/42 n. Chr. Suetonius Claudius ins Atlasgebirge, bald danach röm. Zenturionen bis zu den Nilsümpfen. Um die Zeitwende scheint eine neue große Völkerbewegung von Zentralafrika ausgegangen zu sein, deren Stämme bereits Eisen fördern und schmelzen konnten und im Besitz bes­serer Waffen waren; sie breiteten sich v. a. in bisherigen Leerräumen aus; unter ihnen vermutl. auch die Stammesgruppen der

Bantu. Anfang des 2. Jh. soll der Römer Julius Maternus den Tschadsee erreicht haben. Im 7. Jh. stießen die Araber bis zur W-Küste N-Afrikas vor und besiedelten im 10. Jh. die Ostküste, wohin schon früh chinesische Handelsfahrten führten (Porzellanfunde in Tansania). Im MA blühten zahlreiche Königreiche und Kulturen, bes. im Sudangürtel und im Nigergebiet. Das Christentum behauptete sich nur in Äthio­ pien und im kopt. Ägypten. Seit dem 16. Jh. geriet N-Afrika unter türk. Herrschaft oder Oberhoheit. Entdeckungsgeschichte seit dem MA: Um die Mitte des 14. Jh. berührten Italiener Madeira und Azoren, die aber erst im 15. Jh., dem Zeitalter der Entdeckungen, wirklich bekannt wurden. 1402 erreichte der Normanne Bethencourt die Kanarischen Inseln. Die Erschließung der Westküste war das Werk der Portugiesen (1446 Cap Verde umfahren, 1456 Goldküste, 1471 Guineaküs­te entdeckt, 1486 Kongomündung erreicht); 1487 umschiffte Bartolomeu Diaz das Kap der Guten Hoffnung, 1497/98 fand Vasco da Gama von dort den Seeweg nach Ostindien. Mit der Erforschung Inner-A.s begannen 1788 die Engländer, sie wurde gefördert durch „Afrika-Gesellschaften“ (1788 London, 1873 Berlin, 1876 Brüssel) und vorangetrieben durch die Kolonialpolitik der europ. Mächte, in großen Zügen erst 1900 abgeschlossen. – Der Erforschung folgte die Aufteilung A.s, die Ende des 19. Jh. in ein Wettrennen nach Kolonien ausartete und A. zum Hauptschauplatz der imperialist. Konflikte machte. Bis dahin hatten die seefahrenden Nationen nur befestigte Stützpunkte zur Sicherung des Seeweges nach Ostindien (Portugiesen: Moçambique, Angola) oder für den Sklavenhandel angelegt. Eine Ausnahme war Kapland, das 1652 den Spaniern von den Holländern entrissen und zur Siedlungskolonie ausgebaut wurde. Den Auftakt zur Kolonialpolitik neuen Stils bildete die Eroberung ↑ Algeriens durch 20

Agesilaos Frankreich; 1880 stellte der frz. Ministerpräsident Ferry ein großes koloniales Aktionsprogramm auf und verwirklichte es mit Hilfe des Generals Faidherbes: 1881– 1883 wurde durch Verträge das Protektorat über Tunis errichtet, durch Expansion in Westafrika wurde Algier mit Senegambien und Gabun verschmolzen zu einem riesigen, mit dem Mutterland unmittelbar verbundenen Kolonialreich. In Ägypten war England zuvorgekommen (1882), nachdem bereits 1806 die Kapkolonie erobert worden war; seit den 80er Jahren propagierte Cecil Rhodes den Zusammenschluss aller brit. A.-Besitzungen durch die Verbindung „Von Kapstadt nach Kairo“. 1898 Zusammenstoß mit Frankreich im Sudan (Faschoda-Krise), frz. W-O-Vorstoß gegen den oberen Nil abgebrochen. England blieb Herr des Sudans und unterwarf 1900–1902 die Burenrepubliken Oranje und Transvaal (1910 mit Kapland und Natal zum Dominion Südafrikan. Union zusammengeschlossen). Belgien erwarb den Kongostaat durch Initiative König Leopolds II. (1885). Im Norden Interessenkonflikte Frankreichs mit Italien um Tunis (1881), mit Deutschland um Marokko (1905/06 und 1911; ↑ Marokko). Deutschland verlor durch den 1. Weltkrieg seine Besitzungen (Erwerbungen: 1884 Dt.-Südw.-A., Togo, Kamerun; 1885 Dt.-Ost-A., führender Kolonial­ pionier: Peters); Italien seine Kolonien (erworben: 1889 Eritrea, Somaliland; 1912 Tripolis und Cyrenaika = Libyen; 1936 Abessinien) durch den 2. Weltkrieg. Die Auflösung der brit., frz., span. und portug. Kolonialreiche nach dem 2. Weltkrieg ließ zahlr. selbst. Staaten entstehen. Als letzte erhielten Simbabwe (das ehemalige Rhodesien) 1980 und Namibia (ehemals Südwestafrika) 1989 ihre Unabhängigkeit. Seit der Bildung national unabhängiger Staaten wird verstärkt die archäolog. und histor. Erforschung der voreuropäischen Geschichte Afrikas fortgesetzt. Zum Pro-

blem wurde der Besitz der neuen Rohstoffgebiete der Sahara, der Hinterländer Marokkos und Tunesiens; Gegensätze bestehen nicht nur zw. Afrikanern und Indern, Mohammedanern und den Gläubigen einheimischer Kulte, zw. Christen und Nichtchristen und Schwarzen und Weißen, sondern auch zw. der panafrikan. und panarab. Bewegung, den Vertretern der panafrikan. und der nationalstaat­lichen Ideen, des Föderalismus und Zentralismus, der demokrat. und autokrat. Regierungsformen, den Fortschrittlern und Traditionalisten, den unterentwickelten und agrarstarken oder industrialisierten Gebieten, den oft nur kleinen Intelligenzschichten und den zum größten Teil noch analphabet. Massen; schwerste Belastung ist die Einbeziehung in den Machtkampf zwischen der östl. und der westl. Welt. Ägäis, Raum des Ägäischen Meeres (griech. Aigaios Pontos) mit Griechenland, Kleinasien, den Kykladen-Inseln und Kreta; hier die Mittelpunkte der helladischen, vor- und frühgriech. Kulturen der griech. Halbinsel (↑ Griechenland), der minoischen ↑ Kreta-Kultur, der z. T. selbständigen Kultur der Kykladen und der des kleinasiat. Küstengebietes. Ägaten (Ziegeninseln), Inselgruppe an der Westspitze Siziliens; 241 v. Chr. entschied der Seesieg der Römer über die Karthager bei den Ä. den 1. Punischen Krieg. Agathokles, Tyrann von Syrakus, 360– 289 v. Chr.; Gegenspieler der Karthager im Kampf um Sizilien, bemächtigte sich 317 der Herrschaft, die er organisatorisch festigte und erweiterte, brachte einen ostsizilianischen Bund unter syrakus. Hegemonie zustande, kämpfte mit Erfolg bis 307 in Afrika, nahm den Königstitel an. Als sein Erbe kam Pyrrhus von Epirus, sein Schwiegersohn, nach Italien, seine entlassenen Söldner entfachten den 1. Punischen Krieg. Agesilaos, König von Sparta, 444– 361 v. Chr.; regierte seit 401, führte 399– 21

Agilolfinger 394 Krieg gegen Persien für die Autonomie der kleinasiat. Griechenstädte. In dem von den Persern angezettelten ↑ Korinthischen Krieg (395–387) wenig glücklich, ließ A. den Unterhändler Antalkidas mit den Persern Verhandlungen aufnehmen und gab 387/86 im „Königsfrieden“ die kleinasiat. Griechen den Persern preis; unterlag 371 bei ↑ Leuktra den Thebanern; trotz persönlicher Tapferkeit außerstande, den Zusammenbruch Spartas als führende griech. Großmacht und die Selbstzerfleischung der griech. Staaten zu verhindern. Agilolfinger, ältestes bekanntes Herzogsgeschlecht in Bayern, benannt nach dem Stammvater Agilolf, herrschten bis 788, als Bayern dem Frankenreich einverleibt und der letzte A. ↑ Tassilo III. ins Kloster verbannt wurde. Ägina, Insel im Saronischen (oder Athenischen) Golf, von Epidauros aus durch Dorer besiedelt (etwa 1200 v. Chr.), befreite sich um 550 v. Chr. von der Oberherrschaft der Mutterstadt; Handels- und Seemacht, Sitz einer berühmten (dorischen) Kunstschule; 456 von Athen besiegt, das 431 die Bewohner vertrieb und die Insel besiedelte. Dorischer Tempel zu Ehren der aus Kreta stammenden Göttin Aphaia, mit den berühmten, aus dem Anfang des 5. Jh. stammenden Giebelgruppen der „Ägineten“. Agnaten (lat. „agnatus“), urspr. der nach dem Tod des Vaters geborene Sohn, im weiteren Sinn der Blutsverwandte väterlicherseits; bei den Römern die unter väterlicher Gewalt Stehenden (auch durch einen Rechtsvorgang, z. B. durch Adoption), im Gegensatz zu den „Kognaten“ („cognatus“ = der Blutsverwandte väterlicher- und mütterlicherseits) oder Blutsverwandten im weiteren Sinne. Im dt. Recht die männlichen Blutsverwandten, die in männlicher Linie vom gemeinsamen Stammvater abstammen. Agnes von Poitou, 1015(?)–1077; zweite Gemahlin Kaiser Heinrichs III. seit 1043,

nach dessen Tod 1056 Regentin für ihren unmündigen Sohn ↑ Heinrich IV., ging nach dessen Entführung durch ↑ Anno von Köln (Staatsstreich von ↑ Kaiserswerth 1062) ins Kloster. Agora, in der Antike der Volksversammlungs- und Marktplatz griech. Städte; die von Säulengängen umrahmte A. war der tägliche Treffpunkt für Politiker, Philosophen usw. (lat. Bezeichnung: Forum). Agrargesetze (römische), ↑ Gracchus. Agricola, 1) A., Rudolf (eigentl. R. Huysmann), Mitbegründer des dt. Humanismus, 1443–1485. 2) A., Georg (eigentl. G. Bauer), Mineraloge und Arzt, 1494– 1555; Begründer der systemat. Mineralogie und Metallurgie in Deutschland. 3) A., Johann (J. Schnitter), Humanist aus Eisleben („Magister Islebius“), 1494– 1566; Schüler Luthers, Schöpfer der ersten ev. Schulordnung, 1540 Hofprediger Jo­achims II. zu Berlin. Bekannt durch Sprichwörtersammlung. 4) A., Michael, Reformator Finnlands, um 1508–1557; Schüler Luthers, Begründer der finn. Schriftsprache (Bibelübersetzung). Agrigentum (lat., griech. Akragas Agri­ gento), an der S-Küste Siziliens; in der Antike blühende Handelsstadt, gegr. 580 v. Chr. als dorische Kolonie von Gela aus, anfangs demokratisch, später unter Tyrannen, 405 von den Karthagern zerstört, 341 neu besiedelt, 262 von den Römern nach siebenmonatiger Belagerung erobert, seit 210 v. Chr. ständig römisch. Agrippa, Marcus Vipsanius, röm. Feldherr, 62–12 v. Chr.; Schwiegersohn des Augustus, siegte über Pompejus zur See bei Mylae 36 v. Chr. und über Antonius und Kleopatra bei Aktium 31 v. Chr., errichtete in seinem 3. Konsulat 27 v. Chr. das römische Pantheon und ließ nach ­einer Reichsvermessung die erste römische Landkarte anfertigen. Agrippa von Nettesheim (bei Köln), Schriftsteller, Arzt und Philosoph, 1486– 1535; abenteuerliches Wanderleben; der 22

Ägypten Magie ergeben, doch einer der ersten Vorkämpfer gegen den Hexenwahn. Agrippina, 1) A. die Ältere, Tochter des Vipsanius ↑ Agrippa, Gemahlin des ↑ Germanicus, Mutter des Caligula, starb – von Tiberius verbannt – auf der Insel Pandateria 33 n. Chr. den Hungertod. 2) A. die Jüngere, Tochter von 1), 15–59 n. Chr.; Gemahlin des Claudius, den sie vergiftete, um ihren Sohn Nero, auf den Thron zu bringen; auf Neros Veranlassung ermordet; Gründerin und Namensgeberin ihres Geburtsortes Köln (Colonia Agrippina). Ägypten, Vorzeit vor dem 5. Jt.: älteste erhaltene Menschenspuren aus dem Ende der Regenzeit (die der Eiszeit in Europa entspricht), als die Sahara austrocknete und sich das Niltal bildete. Altsteinzeitliche Kultur im Rahmen der westeurop. bzw. mittelmeer. Kulturkreise. In Horden ziehende Jäger und Sammler und nomadisierende Hirten. – Jungsteinzeit vom 5. Jt. an: eigenständige Niltalkultur: Zelte bewohnende Hirtenstämme, Rind und Schaf als Zuchttiere, Stammesverbände, Zauberglaube, Erdbestattung; im Delta sesshafte Bauern mit Rind, Schaf, Ziege, Schwein. Anbau von Emmer und Gerste; Lehmsilos, Reihenhütten, Töpferei ohne Töpferscheibe; Fruchtbarkeitskult; Totenbestattung im Haus oder in hausähnl. Gräbern. – Kupfersteinzeit im 4. Jt.: neben Steinauch Kupfergeräte, bilderreich verzierte Keramik, Steinbohrer. Lehmziegelbau, Gräber mit Ziegelmauerwerk, Fernhandel (Kupfer vom Sinai, Elfenbein aus Nubien, Perlen aus Abessinien, Bauholz vom Libanon, Obsidian aus der Ägäis, Olivenöl aus Libyen und Palästina). Verwaltungszentren und Marktflecken mit Handwerkern. Handelskarawanen und Schiffsverkehr. Tiere als Ortsgötter; Sonne, Sterne, Himmel, Erde, Gewässer als überlokale Gottheiten. – Frühzeit um 2900–2650 v. Chr.: 1. und 2. Dynastie (Thinitenzeit, Dynastie aus der Gauhauptstadt This). Zeit der Reichsbildung, von Oberägypten aus das

Delta umfassend. Sagenhafter Reichsgründer Menes, Hauptstadt Memphis (beim heutigen Kairo), erste Gaueinteilung. Ausbildung der ägypt. Bilderschrift (↑ Hie­ roglyphen), Erfindung des ↑ Papyrus. Einführung des Kalenders (↑ Zeitrechnung). Göttlichkeit des Herrscheramtes (der König = falkenartiger Gott Horus). Königliches Beamtentum, Ausprägung des „ägypt. Kunststils“. – Altes Reich um 2650–2190 v. Chr. (3.–6. Dynastie): Residenz Memphis, der erste König Djoser erbaute die erste Stufenpyramide (Werk des Baumeisters ↑ Imhotep); in der Glanzzeit der 4. Dynastie (um 2595–2450) entstanden durch Fronarbeit die gewaltigen Pyramiden (u. a. Cheops, Chefren, Mykerinos). Unter der 5. Dynastie Ausbildung des Sonnenkults (Sonnengott Re), Sonnenheiligtum; die Könige nannten sich nun „Sohn des Re“, die Größenmaße der Pyramiden wurden kleiner; später Aufkommen des Osiriskults. – 1. Zwischenzeit um 2190–2050 v. Chr. (7.–10. Dynastie): Zerfall der Reichseinheit, fast unabhängige Gaufürsten, deren Familien an Ansehen zunahmen, in den Gauhauptstädten selbstbewusstes Bürgertum, zwei rivalisierende Dynastien: die Herakleopiten in Memphis und die Gaufürsten von Theben; Blüte der Lyrik und Lehrdichtung. – Mittleres Reich um 2050–1710 v. Chr. (11– 14. Dynastie): durch den Sieg des Königs Mentuhotep von Theben über den Herakleopiten in Memphis wurde die polit. Einheit des Reiches wiederhergestellt; im Innern straffere Verwaltung und Zurückdrängung der Gaufürsten; Übergreifen auf Nubien, Bauten in Karnak, Besiedlung der Oase Fajum, Handelsfahrten nach Punt. – 2. Zwischenzeit um 1710–1570 v. Chr. (15.–17. Dynastie): Epoche der Fremdherrschaft der asiat. ↑ Hyksos („Fürsten der Fremdländer“), Hauptstadt Auaris (Tanis) im O-Delta. Die Fremden führten Pferd (als Bespannung) und Streitwagen in Ägypten ein und revolutionierten dadurch 23

Ägypten das Kriegswesen. Verbesserte Bronzetechnik. – Neues Reich um 1570–715 v. Chr. (17.–24. Dynastie): Das durch die theban. Fürsten von den Hyksos befreite Ägypten wurde Weltmacht, dehnte sich über Palästina und Syrien bis zum Euphrat und im S fast bis zum 4. Katarakt aus (Sudan). Beziehungen zu Babylonien, Mitanni, Assyrien, Hethiterreich. Theben wurde Weltstadt. Ungeheure Reichtümer (bes. nubisches Gold), überfeinerte Lebenshaltung. Marktwirtschaft, gewaltige Bauten im ganzen Nilland bes. um Theben, dessen Priesterschaft einen Staat im Staate bildete (riesige Pfründen). Das Königtum stützte sich auf Beamtenschaft und Heer; Königfelsgräber im „Tal der Könige“ mit riesigen Totentempeln vor dem Gebirge. Bedeutende Pharaonen: Thutmosis III., Amenophis III., Amenophis IV. („Ketzerkönig“ Echnaton, vorübergehende Verlegung der Hauptstadt nach Al-Amarna in Mittelägypten, Aton einziger Staatsgott), Ramses II. (monströse Bauten, Abgrenzung der Interessensphäre gegenüber Hethitern; Angriffe der Libyer und der „Seevölker“). Unter den Nachfolgern (3. Zwischenzeit) Niedergang: Grenzkriege, Verschuldung durch Staatsbauten, Unterwanderung im Delta durch die Libyer (seit 950). – Spätzeit um 715–332 v. Chr. (25.–31. Dynastie): Ä. durch die Äthiopier des Sudans (seit 750) überfremdet. Rückzug der Äthiopier vor den Assyrern, die 670 Memphis und 663 Theben besetzten. Unter der 26. Dynastie (Psammetich, Necho, Apries, Amasis) durch kluge Assyrerpolitik neue Blüte; Ausbildung von Beamtendynastien, Krieger- und Berufskasten. Der Jenseitsglaube schwand, Magie und Tierverehrung (Stiere, Krokodile) traten an seine Stelle. In der Kunst „Altertümelei“. Seit 525 (Schlacht bei Pelusium) Fremdherrschaft der Perser (mit Unterbrechungen). – Hellenistische Zeit um 332–30 v. Chr. (Alexander und die Ptolemäer): gewaltige Bautätigkeit (Dendera,

Edfu, Philae). In der Plastik Rückgreifen auf alte Vorbilder. Individualisierende Bilderkunst. Reliefbilder aus dem täglichen Leben. – Römische Zeit um 30 v. Chr. bis 395 n. Chr. (bis zur Teilung des röm. Reiches): Christianisierung, Begründung des Mönchtums. Patriarchat von Alexandrien (kopt. Sprache). – Byzantinische Zeit seit 395 n. Chr.: Ä. war Teil des Ostreiches. – Arabische Zeit seit 639: Provinz des Kalifenreiches, allmähliche Mohammedanisierung. Entwicklung zur Selbständigkeit seit etwa 850. 868 Trennung vom Kalifat Bagdad. Ä. wurde mit der neugegründeten Hauptstadt Kairo unter den Fatimiden (969–1171) und Aijubiden (1171–1250) führend in der islam. Welt. Unter den ↑ Mamelucken-Sultanen (1250–1517) Blüte der Moscheenbaukunst. 1517 Eroberung durch die Türken, allgemeiner Niedergang. Erwachendes Selbstbewusstsein seit dem ägypt. Feldzug Napoleons (1798–1801), Kontakt zu Europa, Beginn der neuzeitlichen ägypt. Geschichte. Moderne Staatsbildung durch Mehemed Ali (seit 1804). Unabhängigkeitskampf seit 1831. Europäisierung unter dem Khediven Ismail, 1863 bis 1879 (Armee, Schulen, Eisenbahnen, Suezkanal; aber Zerrüttung der Finanzen); 1869 Eröffnung des ↑ Suezkanals; 1882 Eroberung durch die Engländer, nationale Gegenbewegung. 1914–1922 brit. Protektorat (Hoher Kommissar). 1922 beschränkte Unabhängigkeit, Festigung des Staatswesens. 1936 Selbständigkeit. 1942 dt. Vormarsch auf Ä. durch brit. Truppen bei El Alamein zurückgeschlagen. 1948 Ende fast aller Reservatrechte Englands. 1952 Staatsstreich des Generals Nagib gegen König Faruk (seit 1936). 1953 Ä. Republik. 1954 Staatsstreich ↑ Nassers. 1956 Räumung der Suezkanalzone durch England, Nationalisierung des Suezkanals; „Suezkrise“ und „Suezabenteuer“ (Israel, England, Frankreich), Rückzug der Interventionstruppen unter dem Druck der USA, der 24

Akademie UdSSR und der UN. 1958 bundesstaatl. Zusammenschluss mit Syrien zur Vereinigten Arab. Republik, lose Angliederung des Jemen. 1961 nach Militärrevolte Austritt Syriens aus der VAR; 1961 Ende des Assoziationsvertrages mit dem Jemen. Nasser proklamierte arab. Sozialismus und festigte seine Stellung durch Ausschaltung der Parteien; Bau des Assuan­staudamms mit sowjet. Hilfe. Verluste für Ä. im 3. Israel.-Arab. Krieg 1967. Seit 1971 ↑ Sadat Staatsoberhaupt, erzielte im 4. Israel.Arab. Krieg Prestigeerfolg für die Araber. Im Zuge der „Entnasserisierung“ stärkere polit. Annäherung an die USA, 1975 Wiedereröffnung des Suezkanals. 1979 Friedensvertrag mit Israel, dadurch Isolation in der arab. Welt, 1981 Ermordung Sadats, sein Nachfolger Mubarak erreichte 1982 die Rückgabe des ges.Sinaigebietes an Ä.; 1989 wurde Ä. wieder als Vollmitglied in die ↑ Arabische Liga aufgenommen. Ahnentafel, Verzeichnis der Ahnen einer Person in gesetzmäßigem Aufbau, vom Ahnenträger aus über Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. (oft mit Lebensdaten und Wappen); v. a. üblich für die Ahnenprobe zur Zulassung für Turniere, Ämter, Orden oder ähnliches; Hauptverbreitung jedoch im 16. und 17. Jh., auch auf Bildteppichen, Gewändern, Grabmälern. Aihun, chin. Ort in der Mandschurei am Amur; im Vertrag von A. 1858, der durch den Vertrag von Peking (1860) erweitert und bestätigt wurde, musste China das gesamte Gebiet nördl. des Amur und den Landstreifen zw. Amur-Ussuri und der Küste an Russland abgeben. Diese Grenzziehung belastet das chin.-sowjet. Verhältnis bis heute (Kämpfe am Ussuri v. a. im März 1969). Aijubiden, von Salah Ad Din Jusuf Ibn Aijub (↑ Saladin) 1171 begr. Dynastie, löste die Herrschaft der ↑ Fatimiden in Ägypten ab. Die A. dehnten ihren Machtbereich auf Syrien und N-Mesopotamien aus und regierten 1183–1232 auch im Jemen.

Ainu, vermutl. aus Nordasien auf die ja-

pan. Inseln eingewanderte hellhäutige Rasse, Frühbewohner Japans, verbreiteten sich über alle Inseln, benannten viele Berge und Flüsse; letzte Reste zurückgedrängt auf Hokkaido, Sachalin, den Kurilen-Inseln. Aischa, zweite Gemahlin ↑ Mohammeds, um 614–678; bekämpfte nach Mohammeds Tod den Kalifen ↑ Ali; 656 in der Kamelschlacht von Basra gefangen, nach Medina entführt, wo sie 678 starb (Name der Schlacht nach dem Kamel, auf dem A. gesessen hat; als das Kamel stürzte, kam der Kampf zum Stehen, und Ali ging als Sieger hervor). Aistulf, König der Langobarden (749– 756); vereinigte das Herzogtum Spoleto mit der Krone und eroberte Ravenna. Um ihn an der Unterwerfung des röm. Herrschaftsbesitzes zu hindern, reiste 754 Papst ↑ Stephan II., von Byzanz im Stich gelassen, hilfesuchend zu König ↑ Pippin III., es kam zw. beiden zu einer Einigung (päpstlich-fränk. Bund). 756 zwang Pippin den Langobardenkönig, seine Eroberungen in Italien (auch das Exarchat Ravenna) zurückzugeben, und wies diese Gebiete dem Papst als Oberhaupt der Kirche zu (Entstehung des Kirchenstaates). Ajatollah (Ayatollah), Ehrentitel für geistliche Würdenträger im schiit. Islam, bedeutet etwa „Zeichen (Wunder, Spiegelbild) Gottes“. Akademie (der Wissenschaften), urspr. die Philosophenschule Platons, der seine Schüler in einem dem Heros Akademos geweihten Hain bei Athen zu versammeln pflegte. Die Akademie Platons (gest. 347 v. Chr.) lebte nach seinem Tod fort, wurde erst 529 n. Chr. von Kaiser Justinian aufgelöst: Die Bezeichnung wurde vom Humanismus für die Vereinigungen zur Pflege der Dichtkunst (Florenz, Palermo, Toulouse) und später der Philosophie wieder aufgegriffen: um 1445 Gründung der Accademia Platonica in Florenz; 1582 entstand die Accademia della Crusca 25

Akadien in Florenz als Vorbild für alle späteren Sprachgesellschaften, deren berühmteste die Pariser Academie française wurde, als höchste Autorität in Fragen der frz. Sprache und Literatur, hervorgegangen aus einer von Richelieu angeregten Privatgesellschaft (1635), gebildet von den 40 „Unsterblichen“. Ihr folgte die engl. ­ Royal Society (Königliche Gesellschaft) in London (1660). Die bereits 1603 gegr. päpstliche Accademia dei Lincei erlangte internationales Ansehen durch naturwiss. Forschungen. Auf Anregung von Leibniz wurde 1700 die Preuß. A. der Wissenschaften in Berlin gegründet. (Nachfolgerin: Dt. A. d. W. seit 1946), desgl. die Petersburger A. 1724; Bayern hat seit 1759 eine A. d. W., Österreich seit 1847, seither alle großen Kulturnationen. Diese A. vereinigen die jeweils fähigsten Gelehrten des Landes (geistes- und naturwiss. Zweig) und dienen im Gegensatz zu den Universitäten wie zu den Akademien der Künste nur der Forschung, nicht der Lehre. Akadien, ehemaliger frz. Besitz südl. des St.-Lorenz-Stromes in Kanada, seit 1604 von den Franzosen besiedelt, 1713 im Frieden von Utrecht an England abgetreten. Zahlreiche Franzosen wanderten freiwillig oder unter Zwang in die Provinzen Neuenglands aus (A. = die heutigen kanad. Provinzen Neu-Schottland und NeuBraunschweig). Akbar (arab. „Der Große“), Großmogul von Indien, 1542–1605; war tatar. Herkunft, islam. Glaubens; regierte seit 1556, genial als Feldherr wie als Staatsmann, einte in schweren Kämpfen fast ganz Indien und machte es durch umfassende Reformen zu einem Rechtsstaat mit geordneter Verwaltung. Freund der Künste und Wissenschaften, größter Sittenlehrer auf einem Thron seit Mark Aurel, tolerant und aufgeschlossen für alle Religionen, gewährte A. nicht nur den Hindus (der Masse seiner Untertanen), sondern auch Christen und Parsen Religionsfreiheit,

verbot die Exzesse (Witwenverbrennung), verfolgte als toleranter Gottgläubiger den Fanatismus der Mohammedaner und gründete einen monotheist. „Gottesglauben“ mit hohen sittlichen Anforderungen. Sein absolutist. Regime schuf kein Reich von Dauer, aber seine kulturelle Leistung erhob ihn im Geschichtsbewusstsein der Inder zu myth. Größe und wirkte über Jahrhunderte hinweg. Akiba, Ben Joseph, jüd. Schriftgelehrter, um 50 bis 135 n. Chr.; vermutlich Begründer der Riten-, Vorschriften- und Gesetzessammlung „Mischna“, als Teilnehmer am Aufstand Bar Kochbars hingerichtet. Akkad (Babylonien), erstes Großreich der Geschichte (um 2350–2150 v. Chr.). Schon seit 2800 v. Chr. beunruhigten semit. Hirtenstämme, aus der arab. Wüste kommend, die Randgebiete des Reiches ↑ Sumer; sie drangen allmählich ins Innere, kulturelle Verschmelzung mit den Sumerern. Um 2350 wurde Lugalsagesi, der den energischen Versuch gemacht hatte, das sumer. Reich zu retten, von dem Semiten ↑ Sargon I. von Akkad besiegt. Sargons Reich erstreckte sich vom SWIran bis nach Syrien, zum Libanon und nach Kleinasien; führende Stadt wurde ↑ Nippur, 150 km südöstl. von Bagdad. Entwicklung einer reichen Kultur mit Tempelburgen (Zikkurats) und Palaststätten; Sargons Nachfolger Naramsin trieb Handel bis Indien, das semit. Akkadisch wurde Staatssprache. Um 2150 bereitete der Einfall der Gutäer aus Nordosten („Drachen des Gebirges“) dem Reich Akkad ein rasches Ende; in der nachakkad. Zeit Wiederaufrichtung der sumer. Stadtstaaten; Akkad und Sumer bis 1955 v. Chr. unter den Königen von Ur. Akkon (im Zeitalter des Hellenismus: Ptolemais), Hafenstadt in Palästina, während der Kreuzzüge umkämpft, daher „Kirchhof der Christenheit“ genannt. Die Kreuzfahrer nahmen A. 1104, verloren es 1187, eroberten es 1191 nach zweijähriger Bela26

Alandinseln gerung zurück (Richard Löwenherz) und verloren es 1291 endgültig an die Mamelucken. – 1799 von den Türken mit engl. Waffenhilfe gegen Bonaparte verteidigt. Akragas, ↑ Agrigentum. AKP-Staaten, Bez. für die Entwicklungsländer in Afrika, in der Karibik und im Pazifik, die durch das Abkommen von ↑ Lomé (1975) der EU (damals EWG) assoziiert sind; 1975 in Georgetown auch als formelle Organisation konstituiert, 1979 Unterzeichnung des 2. Lomé-Abkommens, 2000 Abkommen von Cotonou. Akropolis (griech. Oberstadt), in der Antike der befestigte hochgelegene Teil der griech. Städte, Tempel- und Burgberg; die klassische A. von Athen, deren Ruinen erhalten sind, wurde anstelle älterer Anlagen zur Zeit des Perikles gebaut: Neben dem alten Athene-Tempel (6. Jh.) und dem alten Königspalast wurden 447 bis 432 der Parthenon, 437 bis 433 v. Chr. die Propyläen, nach 420 der Nike- und der Dionysostempel, 421 bis 413 das Erechtheion vollendet. In Römertagen kamen 27 v. Chr. der Tempel der Roma und des Augustus und das Monument des Agrippa hinzu. Nach der Christianisierung Griechenlands wurde der Parthenon christliche Kirche, 1458 nach Einnahme Athens durch die Türken Moschee. Bei der Belagerung des türk. Athen durch die Venezianer (1687) wurde der mittlere Teil des Parthenon in die Luft gesprengt. 1801 Bergung der bedeutendsten Schrift- und Bilddenkmäler durch den Schotten Lord Elgin; seit 1926 Wiederherstellungsarbeiten. Aktiengesellschaft, eine der Hauptformen der kapitalist. Unternehmung, entwickelte sich aus den (See-)Handelsgesellschaften des Frühkapitalismus (13.– 16. Jh., vor allem in Italien) und den staatl. konzessionierten Handelskompanien im Zeitalter des Kolonialismus. In der neues­ ten Zeit hatte die A. an dem rapiden Aufschwung des modernen Kapitalismus entscheidenden Anteil, nicht zuletzt durch

die Ausgabe von Klein- oder Volksaktien mit breitester Streuung und Vermeidung jeder Bindung an den Staat oder seine Organe (rein privatrechtliche Unternehmungen). Berühmte Beispiele von Aktienschwindel: John ↑ Law in Frankreich und die ↑ „Gründerjahre“ in Deutschland. Aksum, hl. Stadt in der Nähe von Adua, im Land Tigre, im 1.–7. Jh. n. Chr. zugleich Name für das altabess. Reich (↑ Äthio­ piens); erhalten sind zahlreiche Denkmäler (Stelen von A.), Palast- und Grabruinen; hier wurden die ­ „Bundeslade“ der kopt. Kirche und die „Gesetzestafeln“ des Moses aufbewahrt. Aktium, Vorgebirge an der Westküste des Epirus an der Einfahrt zum Golf von Arta. Hier errang 31 v. Chr. Oktavian, der spätere Kaiser Augustus, den entscheidenden Seesieg über Antonius und Kleopatra, der die Vorherrschaft des röm. Westen über den hellenist. Osten sicherte. Akzise (mittellat. accisia, Herkunft umstritten), seit dem MA, von den Niederlanden ausgehend, in England und Deutschland Bez. für Steuern versch. Art, besonders in Preußen, ursprünglich städtisch, dann verstaatlichte, 1766–1786 zentral verwaltete Umsatz- und Verbrauchssteuer; im 19. Jh. weitgehend abgebaut, im 20. Jh. in vielfältigen Formen wiederbelebt. Alandinseln, Inselgruppe von 6 550 Inseln im Bottn. Meerbusen mit schwed. Bevölkerung, von strateg. Bedeutung. 1809 zusammen mit Finnland von Schweden an Russland abgetreten. Nach den Bestimmungen des Pariser Friedens 1856 entmilitarisiert. 1916 mit stillschweigender Duldung der Alliierten befestigt; Bewohner wünschten nach dem 1. Weltkrieg Anschluss an Schweden, doch wurden die Inseln vom Völkerbund 1921 Finnland zugesprochen unter den Bedingungen der Autonomie und Entmilitarisierung. 1939 finn.-schwed. Vorstoß in der Befestigungsfrage, nach dem russ.-finn. Krieg hinfällig; Entmilitarisierung 1947 erneut bestätigt. 27

Alanen Alanen, iranisches Nomadenvolk. Urspr.

Bedeutung; 1958 Erhebung A.s zum 49. Bundesstaat der USA. Ende der 60er Jahre Entdeckung und Beginn der Förderung riesiger Erdölvorräte. Seit 1977 führt eine 1300 km lange Pipeline zum eisfreien Hafen Valdez. Alba, Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von, span. Feldherr und Staatsmann, 1508–1582; entschied als Oberbefehlshaber der Truppen Karls V. den Schmalkald. Krieg durch den Sieg von Mühlberg 1547, unterwarf als kaiserlicher Statthalter die aufständ. Habsburgischen Niederlande mit militär. Gewalt; führte ein starres Blutregiment (Hinrichtung ↑ Hoorns und ↑ Egmonts), Verbitterung des Bürgertums durch neue, hohe Steuern. Der Kampf zw. A. und den Rebellen (↑ Geusen) führte zum Abfall der Nordprovinzen. A. wurde 1573 abberufen, 1579 sogar verbannt, führte jedoch 1580 wieder ein Heer, das Portugal für die span. Krone eroberte. Albanien, das „Tor zur Adria“, in der Antike Teil der röm. Provinz Dalmatien, im MA in buntem Wechsel unter bulgar., byzant. oder serb. Oberhoheit, teilweise von Venedig oder Sizilien (Normannen) beherrscht, unter eigenen oder fremden Dynastien. 1443–1448 Freiheitskampf unter dem Nationalhelden Skanderbeg. 1476 dem türk. Reich einverleibt und zum größten Teil zum Islam bekehrt. 1913 (2. Balkankrieg) im Frieden von Bukarest für unabhängig erklärt (um Serbien am Zugang zur Adria zu hindern), 1914 Wahl des Prinzen Wilhelm von Wied zum „Mbret“ (Fürst) der Skipetaren, der aber noch im gleichen Jahr das Land verließ. 1914–1918 Kriegsschauplatz, nach dem Krieg als selbständige Republik wiederhergestellt, gefährdet durch die Ansprüche Italiens, Jugoslawiens und Griechenlands. Nach langen Wirren Regime Achmed Zogus (1925 Präsident, 1928 König), polit. von Italien abhängig; 1939 von Mussolini annektiert (Personalunion), Operationsbasis für das gescheiterte ital. Unterneh-

in Südrussland und im nördl. Kaukasus ansässig, zogen die A., durch die Hunnen verdrängt, um 350 nach W, fielen im Gefolge der Sueben und Vandalen in Gallien ein und teilten mit den beiden german. Völkern Spanien unter sich auf; nach der Eroberung Spaniens durch die Westgoten an der Loire angesiedelt. Die in Südrussland zurückgebliebenen Reste noch heute als Osseten im Kaukasus erhalten. Alarich, Könige der Westgoten aus dem Geschlecht der Balten: 1) A. I., um 370– 410; führte 395 sein Volk aus Mösien nach dem Peloponnes und dem Epirus, schließlich nach Italien, eroberte 410 Rom, starb in Unteritalien auf dem Weg nach NAfrika, begraben im Busento bei Cosenza. (Die mehrfache Suche nach dem großen Goldschatz, den die Goten ihrem König mit ins Grab gegeben haben, blieb erfolglos, 1961 aber mit Mitteln der Stiftung Lerici wieder aufgenommen.) 2) A. II., Sohn und Nachfolger ↑ Eurichs, seit 484 vermählt mit Theodegotho, Tochter ↑ Theoderichs d. Gr.; schuf 506 die „Lex Romana Visigothorum“, unterlag 507 Chlodwig bei Vouglé (bei Poitiers) und fiel (Ende des Tolosanischen Reiches der Westgoten). Alaska, Halbinsel im N des amerik. Kontinents, durch die ↑ Beringstraße vom asiatischen Festland geschieden; Einfallstor für die ersten Einwanderer aus Sibirien in den menschenleeren amerik. Kontinent. Im 18. Jh. von meist russ. Seefah­rern an den Küsten erforscht (Deschnew) und von Russland in Besitz genommen. 1867 für 7,2 Mio. Dollar an die USA verkauft, brachte es den USA die Kaufsumme durch Goldfunde und Pelzreichtum binnen kurzem wieder ein; zum Territorium der USA erklärt und 1942–1945 durch die 4600 km lange A.-Straße längs der Westküste Kanadas (Baukosten 115 Mio. Dollar) unmittelbar mit den USA verbunden, als Flotten- und Luftstützpunkt wie als Rohstoffreservoir von wachsender strategischer 28

Albertus Magnus 1819–1861; vermählt mit Königin Viktoria von England, seit 1857 mit dem Titel Prinzgemahl, förderte das Verständnis der Königin für den Gedanken der dt. Einheit; polit. liberal, weitsichtig; veranlasste Schulreformen; Initiator der 1. Weltausstellung in London 1851. Albert von Appeldern, Bischof von Livland, um 1170–1229; Domherr aus Bremen, führte ein Kreuzheer nach Livland, gründete 1201 zusammen mit Kaufleuten aus Gotland Riga, stiftete den Schwertbrüderorden, um außer den Kreuzfahrern, die jeweils erst im Frühjahr aus den Reichsgebieten kamen, das ganze Jahr hindurch eine schlagfertige Truppe zur Verfügung zu haben, und nahm 1207 Livland von König Philipp von Schwaben zu Lehen, teilte aber die tatsächliche Herrschergewalt mit der Stadt Riga und dem Orden der Schwertbrüder. Albertiner, jüngere Linie des Hauses ↑ Wettin (erbliche Kurfürstenwürde), benannt nach Herzog Albrecht dem Beherzten; 1485 Erbteilung des Hauses Wettin (Hauptsitz Sachsen-Wittenberg) in die ältere Ernestiner- und die jüngere A.-Linie. Die Ernestiner erhielten Kursachsen, fast ganz Thüringen, das Vogtland, die Albertiner die Markgrafschaft Meißen und das nördl. Restthüringen. 1547 gewannen die A. die Kurwürde zurück. 1806 wurden sie (durch Napoleon) Könige von Sachsen. Albertus Magnus (Albert d. Große), Graf von Bollstädt (Lauingen, Schwaben), hl., Kirchenlehrer, genannt „Doctor universalis“, um 1193–1280; bedeutendster Vertreter der Scholastik neben seinem Schüler Thomas von Aquin. Der Dominikaner erwarb an der Pariser Sorbonne den Doktorgrad, 1260–1262 war er Bischof von Regensburg, lehrte vor allem in Köln, widmete sich der Auslegung der Philosophie des Aristoteles in christl. Sicht und führte sie in die Scholastik ein, pflegte die Naturwissenschaft (Tierbeobachtungen, chemische Experimente), wurde von Fürsten

men gegen Griechenland, 1943 unter dt. Besatzung von der ital. Krone gelöst, 1945 sowjetfreundl. Regierung Enver Hoxhas, Volksdemokratie und Glied des Ostblocks; 1960/61 Abkehr von Sowjetrussland (das in A. eine starke Position an der Adria gewinnen wollte) und Bindung an das kommunist. China. 1961 Abbruch der diplomat. Beziehungen zur Sowjetunion, 1968 Austritt aus dem Warschauer Pakt. 1967 Schließung der Moscheen und Proklamation A.s zum ersten atheist. Staat. 1977/78 Streit mit China über Mao Tsetungs „Dreiweltentheorie“, China stellte seine Militär- und Wirtschaftshilfe ein. In den 80er Jahren vorsichtige Öffnung des lange Zeit internat. fast völlig isolierten A. gegenüber dem Ausland, zu Beginn der 90er demokratische Reformen. Aufgrund der wirtschaftl. Lage massenhafte Auswanderung, Auseinandersetzungen mit dem Nachbarland Serbien wegen des Kosovo, Unterstützung durch Stationierung von NATO-Truppen. Alberoni, Giulio, span. Kardinal und Staatsmann, 1664–1752; Emporkömmling ital. Abstammung, trieb als leitender Minister seit 1717 ohne Rücksicht auf die Erschöpfung des Landes durch den Span. Erbfolgekrieg ehrgeizige, abenteuerliche Großmachtpolitik mit Spitze gegen England und den Kaiser, scheiterte beim Versuch, Sardinien und Sizilien zurückzugewinnen, an der ↑ Quadrupelallianz und der Vernichtung der span. Flotte bei Passaro (1718) durch die Engländer, entlassen, später päpstlicher Legat. Albert, Name von Herrschern.– ­Belgien: 1) A. I., 1875–1934; König der Belgier seit 1909, schiffte sich 1914 mit dem Rest seiner Armee nach England ein; bei einer Felsbesteigung tödlich abgestürzt. – ­Sachsen: 2) A., 1828–1902; als Kronprinz 1866 Heerführer gegen Preußen, 1870 Sieger von Gravelotte, König seit 1873. – Sachsen-Coburg-Gotha: 3) A., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, 29

Albigenser und Städten um Rat und Schiedsspruch angegangen. In der Legende lebt er fort als christlicher Magier mit Zauberkräften. Albigenser, die nach ihrem Hauptsitz Albi (bei Toulouse) benannten, von der Kirche als Ketzer verfolgten Anhänger einer religiösen Reformbewegung des 12./13. Jh. in Südfrankreich und Oberitalien (gehen zurück auf die ↑ Katharer); sie verwarfen die Lehre der Kirche, predigten Armut und Askese, gaben sich eigene Bischöfe und hatten Freunde selbst unter den Fürsten; wegen der dauernden Verfolgungen Gottesdienste in verborgenen Höhlen und Wäldern; von der Inquisition und durch Kreuzzüge fast ausgerottet. Alboin, König der Langobarden (um 560– 572), vernichtete 567 das Reich der Gepiden an der mittleren Donau und führte 568 sein Volk, verstärkt durch Sachsen, aus dem nordthüring. Raum nach Italien; vermählt mit Rosamunde, der Tochter des getöteten letzten Gepidenkönigs Kunimund; auf deren Veranlassung 572 ermordet. Albornoz, Aegidius Alvarez Carillo, span. Kirchenfürst, um 1305–1367; Erzbischof von Toledo, machte als Kardinallegat für Italien in Abwesenheit der Päpste (Avignon) dem Chaos in Rom (Adelskämpfe, Auftreten Cola di Rienzos) ein Ende; ordnete die Verhältnisse des Kirchenstaates. Albrecht, Name von Herrschern. Dt. Könige: 1) A. I., von Österreich, 1255–1308; ältester Sohn Rudolfs von Habsburg, erst 1298 zum König gewählt, besiegte seinen Vorgänger (Gegenkönig) Adolf von Nassau; tatkräftiger Hausmachtpolitiker, bekämpfte erfolgreich die egoist. Politik der Kurfürsten, verzichtete auf die das Reich schwächende Italienpolitik, bemüht um Ausgleich mit dem Papst. 1308 von seinem Neffen Johann Parricida (= Vatermörder), dem er, um die geschlossene Hausmacht nicht zu zersplittern, sein Erbe vorenthalten hatte, ermordet. 2) A. II., Herzog von Österreich, 1397–1439; folgte 1438 seinem Schwiegervater Sigismund

auf den Thron; wurde auch zum König von Ungarn und Böhmen gekrönt; starb am Sumpffieber. – Bayern: 3) A. III., 1401–1460; 1432 heimlich mit Agnes ↑ Bernauer vermählt (die sein Vater, Herzog Ernst, 1435 ertränken ließ), seit 1438 Herzog von Bayern-München. 4) A. IV., 1447–1508; Herzog seit 1463, setzte die Unteilbarkeit seiner Erblande fest und beerbte die 1500 erloschene Linie BayernLandshut. 5) A. V., 1528–1579; Herzog seit 1550, förderte vor allem die Künste, errichtete 1558 die herzogliche Bibliothek, infolge einer Adelsverschwörung entschied er sich für die Gegenreformation. – Brandenburg: 6) A. I. der Bär, um 1100–1170; aus dem Hause der Askanier, Graf von Ballenstedt, 1134 mit der Nordmark belehnt, sicherte sich die Erbfolge im Havelland (1150), begründete im Kampf gegen die Wenden die Mark Brandenburg. 7) A. III. Achilles, 1414–1486; Hohenzoller, Kurfürst seit 1470, setzte 1473 durch Hausgesetz (Dispositio Achillea) die Unteilbarkeit der Mark fest. 8) A. Alcibiades, 1522–1557; Markgraf von Kulmbach-Bayreuth seit 1541; zahlreiche, mit brutaler Härte durchgeführte Fehden gegen die fränk. Bistümer Bamberg und Würzburg und die Stadt Nürnberg („Markgräfler Krieg“). Von seinen Gegnern geschlagen und vom Kaiser geächtet, ging A. A. 1554 außer Landes. 9) A., Bruder des Kurfürsten Joachim von Brandenburg, Kurfürst von Mainz, 1490–1545; mit 23 Jahren Erzbischof von Magdeburg, 1514 auch von Mainz, 1518 zum Kardinal erhoben, benötigte zur Bezahlung der hohen Palliengelder usw. große Geldmengen und ließ die Summe durch einen Ablass aufbringen, für den Tetzel, der Zeitsitte entsprechend, warb; der Missbrauch des Ablasses forderte Luthers Thesenanschlag heraus. – Österreich: 10) A., Erzherzog, 1817–1895; bedeutender Heerführer, 1866 Sieger von Custoza gegen die überlegenen ital. Streitkräfte. – Preußen: 11) A., 30

Alemannen Sohn des Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Ansbach, 1490–1568; seit 1511 (letzter) Hochmeister des Deutschen Ordens; nahm 1525 das Ordensland als weltliches (protestant.) Herzogtum Preußen von Polen zu Lehen, Stifter der Universität Königsberg. – Sachsen: 12) A. III., der Beherzte, 1443–1500; führte Kaiser Maximilians I. Kriege in Flandern, 1485 Herzog der geteilten sächs. Erblande, Stifter der Albertin. Linie des Hauses der Wettiner. – Württemberg: 13) A., Herzog, 1865–1939; Thronfolger (bis 1918), im 1. Weltkrieg Führer einer Heeresgruppe im Westen. Albuquerque, Alfonso d’, portug. Seefahrer, 1462–1515; als Statthalter Ostin­diens seit 1510 (Nachfolger ↑ Almeidas) fes­tigte und erweiterte er die portug. Macht am Indischen Ozean (Goa, Ormus, Ceylon). Alchemie oder Alchimie, als wiss. „Chemie“ in der Antike begr. von den Ägyptern (die ihr Land „Kemi“ = „Schwarze Erde“ nannten; ihre Beiz- und Färbetechnik wurde im Baumwolle verarbeitenden Indien als „Kunst des Schwarzen Landes“ bekannt). Die Griechen beschäftigten sich mit der Chemie mehr philosophisch-spekulativ als naturwiss.-experimentell. Erst die Araber griffen die Wissenschaft wieder auf, bauten sie aus und übermittelten ihre Kenntnisse als „al Kemia“ (= die Chemie) dem Abendland, doch blieben sie weit entfernt von einer zutreffenden Einsicht in das Wesen chem. Vorgänge. Ihre Überzeugung, dass Metalle ineinander umgesetzt werden können, übernahmen die abendländischen Alchemisten (daher A. = Metallscheidekunst); trotz dieses Irrtums blieb die A. in ihren Grundlagen wiss., bis sie bei Ausgang des MA mystisch-theo­ sophische Züge annahm und sich in eine Geheimwissenschaft verwandelte; Ziel: den „Stein der Weisen“ zu finden, mit dessen Hilfe unedle Metalle sich vermeintlich in Gold verwandeln und Krankheiten heilen ließen. Selbst bedeutende Gelehrte

glaubten noch bis ins 17. Jh. hinein an den Stein der Weisen und das Walten überird. Kräfte in den chem. Vorgängen; erst allmählich wurde der Unterschied zwischen berufsmäßigen Goldmachern und Scharlatanen und den echten Forschern begriffen: Seit Boyle um 1750 die moderne Chemie begründet hatte, erhielt das Wort A. jene geringschätzige Bedeutung, die es heute hat. Solange diese Unterscheidung nicht bestand, besaßen gerade die phantasievollsten Alchemisten hohes Ansehen, oft unterstützt von goldhungrigen Fürsten; der alchemist. Pseudowissenschaft ist u. a. die (zufällige) Erfindung des Porzellans und die Phosphorherstellung zu verdanken (↑ Chemie). Aleandro, Girolamo, ital. Humanist und Kardinal, 1480–1542; führte an der Pariser Universität das Studium des Griechischen ein und wurde ihr Rektor; trat in diplomatische Dienste der Kurie (päpstlicher Biblio­thekar), wurde zusammen mit ↑ Eck als Nuntius nach Deutschland gesandt, um dem gegen Luther verhängten Kirchen­ bann Nachdruck zu verleihen; betrieb auf dem Reichstag zu Worms 1521 die Verhän­ gung der (weltl.) Reichsacht über Luther und berichtete über Erasmus, Hutten und Sickingen als Gegner der Kirche nach Rom; verdient um die Geschichtsschreibung und Quellenforschung durch Ordnen des päpstl. Archivs sowie sorgfältig redigierte Gesandtschaftsberichte. Alemannen, Alamannen, german. Völkerschaften, wanderten zu Beginn des 3. Jh. n. Chr. aus ihren alten Siedlungsgebieten im norddt. Raum in das Maingebiet ab. Erstes histor. Auftreten gemeinsam mit dem Stamm der Semnonen 213 n. Chr., Vorstöße über den römischen ↑ Limes bis nach Mittel- und Oberitalien und nach ↑ Gallien. Die A. beherrschten im 5. Jh. das Gebiet zwischen Rhein, Bodensee, Lech, Fränk. Alb und Main. Bei Zusammenstößen mit den Franken (Chlodwig) unterlagen sie, mussten einen Teil ihrer 31

Alembert Siedlungsgebiete abtreten und die anderen der fränk. Oberhoheit unterstellen. Christianisierung seit dem 6. Jh., im 7. und 8. Jh. Aufzeichnung der alemann. Volksrechte; 746 von den Karolingern endgültig unterworfen. Diese Hoheitsgebiete bildeten später das Herzogtum Alemannia, aus dem das Herzogtum Schwaben (abgeleitet von dem alemann. Stamm der Sweben) wurde. Den Namen „Alemannia“ übertrugen die roman. Völker (ausgehend von Frankreich) auf das gesamte Deutschland: „Allemagne“. Alembert, Jean le Rond d’, frz. Mathematiker, Aufklärungsphilosoph und Freigeist, 1717–1783; gab zus. mit Diderot die 28bändige ↑ Enzyklopädie heraus, radikaler Kritiker der christlichen Dogmatik. Aleppo, Stadt in NW-Syrien; im 2. Jt. v. Chr. in einer hethit. Urkunde als Zentrum eines Königreichs genannt; kam 738 unter assyr. Herrschaft, danach in den Besitz der Meder (um 612), der Achämeniden (539), Alexander d. Gr. (333), der Römer (65), Perser (540 n. Chr.) und Araber (637–944); nach 969 zeitweilig byzantinisch; 1260 Provinzhauptstadt der Mamelucken; 1516 osmanisch; nach dem 1. Weltkrieg Teil des Völkerbundsmandates Syrien, ab 1946 syrisch. Alesia, keltische Stadt (nordwestl. des heutigen Dijon), 53 v. Chr. letzter Zufluchtsort der aufständ. Gallier unter ↑ Vercingetorix, 52 v. Chr. von Cäsar er­obert. Ausgrabungen der Lager und Befestigungen. Alëuten, Inselgruppe am Südrand der Beringsee zwischen Kamtschatka (Sibiren) und Alaska, um 1740 von Bering entdeckt, 1867 zus. mit Alaska von Russland an die USA verkauft, im 2. Weltkrieg teilweise von Japan besetzt, später Flottenund Luftstützpunkt der USA. Alexander, Name von Herrschern. Bulgarien: 1) A. von Battenberg, 1857–1893; aus dem Hause Hessen-Darmstadt (aus morganat. Ehe), Neffe des Zaren Alexander, 1879 von der bulgar. Nationalver-

sammlung zum Fürsten gewählt, machte sich frei von russ. Bevormundung, vereinigte Ostrumelien mit Bulgarien, was Russland veranlasste, ihn zur Abdankung zu zwingen (1886); der Plan seiner Heirat mit einer preuß. Prinzessin wurde von Bismarck im Interesse eines guten Verhältnisses zu Russland verhindert („Battenberg-Affäre“). – Makedonien: 2) A. der Große, 356–323 v. Chr.; Sohn König Philipps von Makedonien und der Königin Olympias, die ihn schon als Knaben von seiner göttlichen Abkunft überzeugte. A. wurde von seinem Lehrer Aristoteles mit der griech. Hochbildung vertraut gemacht, entschied 338 als Führer der makedon. Adels­reiterei die Schlacht bei Chaironea, wurde 336 König von Makedonien und Hegemon des Korinth. Bundes, der bei seiner Gründung (337) den Rachekrieg gegen Persien proklamierte; sicherte in Blitzfeldzügen seine Herrschaft auf dem Balkan und in Griechenland; 335 Einnahme und Zerstörung Thebens; überschritt 334 den Hellespont mit insgesamt 42 000 Mann zum Rachefeldzug (für die Perserzüge nach Griechenland), doch vor allem zum Er­oberungszug gegen die Weltmacht Persien, schlug die pers. Massenaufgebote 334 am Granikos, 333 bei Issos und nach der Einnahme von Tyros und der kampflosen Unterwerfung Ägyptens (Besuch A.s im Amonheiligtum) – 331 bei Gaugamela; übernahm die Würde des geflüchteten und ermordeten Großkönigs Darius III. (330), stieß nach Turkestan vor, vermählte sich mit der baktr. Fürstentochter Roxane, drang bis zum östl. Indusarm (326) vor, siegte in seiner letzten (genialen) Schlacht am Hydaspes (326) über König Poros. Bald darauf aber wurde er durch eine Meuterei seines Heeres zum Rückzug gezwungen und erlag vor der geplanten Umschiffung Ara­biens 323 in Babylon der Malaria. A.s Politik der Verschmelzung von Makedoniern und Persern, also des Abendlandes mit dem Mor32

Alexander von Roes genland (Massenhochzeit von Susa), die den Bestand seines Reiches ­sichern sollte, befand sich z. Z. seines Todes noch im Anfangsstadium; so zerfiel sein Weltreich (neben dem keine zweite Großmacht exis­tierte) unmittelbar nach seinem Tode (↑ Diadochenreiche); die weitreichendste Folge seiner Reichsgründung war die Verbreitung hellen. Kultur in der Welt der Antike und die Öffnung des Ostens für Weltverkehr und Welthandel. – Russland: 3) A. Newski, um 1220–1263; Fürst von Nowgorod, besiegte 1240 die Schweden an der Newa (daher sein Name) und 1242 den Dt. Orden auf dem gefrorenen Peipussee. 4) A. I., 1777–1825; Enkel Katharinas II., Sohn Zar Pauls I., im Geiste der Aufklärung erzogen, an der Ermordung seines Vaters wohl nicht unbeteiligt, 1801 Zar; begann mit Reformen, um die Adelsherrschaft zu brechen; blieb Sieger im Kampf gegen Napoleon 1812–1815, erwarb Finnland und Bessarabien, erzwang auf dem Wiener Kongress die Anerkennung eines mit Russland eng verbundenen Königreichs Polen, gründete die ↑ Heilige Allianz, seine repressive Innenpolitik führte 1825 zum ↑ Dekabristenaufstand, er regierte schließlich als Vorkämpfer der Reaktion und flüchtete in die Mystik. Die Berichte, dass A. seinen Tod vorgetäuscht habe und als Einsiedler nach Sibirien gegangen sei, sind Legenden. 5) A. II., „der Befreier“, 1818–1881; Zar seit 1855; hob die Leibeigenschaft auf (1861), modernisierte das Heeres-, Justiz-, Finanz-, Verwaltungs- und Schulwesen, lehnte jedoch Einschränkung der Zaren-Selbstherrschaft durch Mitbestimmung des Volkes ab; wurde mit den nationalen und sozialen Problemen Russlands nicht fertig (1863 Polenaufstand; Anarchismus und Nihilismus), durch Bombenattentat einer Anarchistengruppe getötet. 6) A. III., 1845– 1894; regierte seit 1881, Reaktionär, förderte den Panslawismus, betrieb Russifizierungspolitik (Ostprovinzen, Finnland),

neigte zu Frankreich, nachdem er vorher Deutschland durch Geheimverträge unterstützt hatte (↑ Rückversicherungsvertrag 1887); 1892 Militärkonvention Russland-Frankreich. – Serbien: 7) A. I., 1888– 1934; Regent seit 1918, König 1922, suchte 1929 die gefährdete Staatseinheit (kroat. Unabhängigkeitsstreben) durch Militärdiktatur zu retten (Umbenennung Serbiens in Jugoslawien); in Marseille (mit Barthou) ermordet. Alexander, Päpste: 1) A. III., zuvor Kardinal Roland, 1159–1181 Papst; setzte sich gegen Kaiser Friedrich I. und dessen Gegenpäpste durch, einer der großen Wahrer der päpstlichen Macht. 2) A. VI., aus dem Hause Borgia, skrupelloser, sittenloser und Pracht liebender Renaissancepapst (1492–1503); Vater von Cesare und Lucrezia Borgia; Förderer der Künste; legte durch den Vertrag von ↑ Tordesillas, der von beiden Parteien anerkannt wurde, die Demarkationslinie für die von Spaniern und Portugiesen neuentdeckten Länder der westl. Halbkugel fest; soll an einem Gifttrank gestorben sein, den er für seine Gegner hatte bereiten lassen. 3) A. VII., 1655–1667 Papst; betrieb die Jesuitenmission in China, beauftragte Bernini mit der Gestaltung des Petersplatzes. Alexander Severus (Severus Alexander), römischer Kaiser (222–235); beim Regierungsantritt noch nicht 14 Jahre alt, wurde er geleitet von seiner Mutter Julia Mammäa und dem Rechtsgelehrten ↑ Ulpianus; gebildet, tolerant, aber schwach und ohne festes polit. Ziel; kämpfte ohne Erfolg gegen die Neuperser (unter Ardasir, dem ersten Sassandiden) und Germanen, 235 bei Mainz von seinen Truppen mit seiner Mutter ermordet. Alexander von Roes, Kölner Kleriker der 2. Hälfte des 13. Jh.; streitbarer Verfechter der Reichsidee, bekämpfte in seinem Memoriale (1281) die frz. Ansprüche auf Kaisertum und Papsttum, in seiner Parabel vom Vogelkonzil („Pavo“), in dem der 33

Alexandria Papst als Pfau, der frz. König als Hahn und der dt. Kaiser als Adler erscheinen, spricht er von den drei Weltämtern: Imperium = Deutschland, Sacerdotium = Papsttum; Studium (der Wissenschaften) = Frankreich. Alexandria, gegr. 331 v. Chr. von Alexander d. Gr., erbaut nach Plänen des makedon. Architekten Deinokrates, Residenz des Ptolemäerreiches (↑ Ptolemäer), führende Hafen- und Handelsstadt der Antike mit etwa 1 Mio. Einwohner. Zentrum der hellenist. Weltkultur; das ↑ Museion, gegr. 280 v. Chr., gewährte vielen Gelehrten und Künstlern Lebensunterhalt und bot ihnen reiche wiss. Hilfsmittel: Institute für alle Forschungszweige und die berühmteste Bibliothek des Altertums (beim Brand der Bibliothek anlässlich der Eroberung Alexandrias durch Cäsar 48 v. Chr. wurde die Zahl der vorhandenen Papyrusrollen auf 70 000 geschätzt). 30 v. Chr. endgültig römisch, wurde A. in der Frühzeit des Christentums Sitz eines bedeutenden Patriarchats (Athanasius, Kyrillos) und einer berühmten Katechetenschule; im MA seit der Eroberung durch die Araber 640 verfallen (wiederaufgebaute Bibliothek vernichtet, Residenz nach Kairo verlegt); seit 1517 unter türk. Herrschaft; 1798 von Napoleon erstürmt. Wiederaufstieg unter dem Regime Mehemed Alis (Bau des SuezKanals), 1882 von den Engländern bombardiert und besetzt, wichtigster brit. Flottenstützpunkt im östl. Mittelmeer, brit. Garnison bis 1947, Hauptplatz des ägypt. Baumwollhandels. – Die anderen mehr als zwei Dutzend hellenist. Städte mit dem Namen A. gingen fast ausnahmslos unter, sie wurden von Alexander d. Gr. und seinen Generälen nach überwiegend militär. Gesichtspunkten gegründet. Alexandrinische Schule, Hochblüte der hellenist. Gelehrsamkeit unter den ↑ Ptolemäern in Alexandria, bes. in der Philosophie (Verschmelzung griech. Geistes mit oriental. Mystik); entsprechend auch in der frühen christlichen Theologie der

Katechetenschule in Alexandria. Ende der A. S. durch den Arabereinfall (640 n. Chr.). (In neuerer Zeit versteht man unter Alexan­ drinismus kulturelle Dekadenz, unschöpferische Übergelehrsamkeit, übersteigerten wiss. Sammeleifer.) Alexei Michailowitsch, russ. Zar (seit 1645), 1629–1676; Vater Peters d. Gr., vergrößerte das Moskauer Reich um die Ukraine links des Dnjepr, die Provinz Smolensk und Sibirien bis zur nördl. des Amur gelegenen Wasserscheide; führte 1666 eine Kirchenreform durch, leitete die Europäisierung Russlands ein. Alexeji Petrowitsch, russ. Thronfolger, 1690–1718; Sohn Peters d. Gr., die Hoffnung der reformfeindlichen altruss. Partei, verzichtete auf seine Rechte als Thronfolger, verstümmelte sich selbst und flüchtete nach Italien, von seinem erbitterten Vater zurückbefohlen und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, im Gefängnis an den Folgen der Tortur gestorben. Alexios, Kaiser von Byanz: 1) A. I. Komnenos, 1048–1118; Begründer der Dynas­ tie der Komnenen, hervorragender Feldherr und Diplomat, setzte sich im Bürgerkrieg durch und bestieg 1081 den Thron, kämpfte zunächst wenig glücklich gegen die Normannen (Niederlage von Dynhachium, 1081), erst der Tod des Normannen ↑ Robert Guiscard (1085) bannte die Gefahr; in der Abwehr gegen Türken (Seldschuken) und Petschenegen behauptete A. das Reich, rief nach Versöhnung mit dem Papst (Urban II.) das christl. Abendland zu Hilfe und schaltete sich in die Kreuzzugsbewegung ein. Den über Byzanz anrückenden Teilnehmern am 1. Kreuzzug (1096) nahm er den Lehnseid für die zu erobernden Gebiete ab. Mit dem Normannen Bohemund, der in Antiochia ein neues Fürstentum errichtet hatte, kam A. wiederum in Konflikt. Dem Kampf Alexios’ mit den Normannen hatte Venedig den Aufstieg zur Kolonialmacht und zur Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer zu verdan34

Algerien ken; A. gewährte großzügig seinem Bundesgenossen Venedig für Flottenhilfe Abgabenfreiheit im Handel (1082). 2) A. IV. Angelus, 1203 von den Kreuzfahrern eingesetzt unter Bedingungen (Vereinigung der griech. mit der röm. Kirche), die zu Volksaufständen führten, denen er 1204 zum Opfer fiel. Alfons, Name von Herrschern. Aragón: 1) A. I. der Kämpfer (el Batallaor), König 1104–1134; machte das den Mauren entrissene Saragossa zur Hauptstadt Aragóns (Vorverlegung der Grenze über den Ebro). 2) A. V. der Weise, König von Aragón, Neapel und Sizilien (1416–1458); vereinigte 1442 Sizilien wieder mit Neapel, das er vom Papst zum Lehen nahm, und herrschte dort als A. I. – Kastilien-León: 3) A. VI., König 1065–1109; herrschte nach Bruderkrieg seit 1072 allein über das Gesamtreich einschließlich León, machte das 1085 eroberte Toledo zur Hauptstadt, konnte sich gegen die maurische Dynastie der Almoraviden nur durch die Siege des span. Nationalhelden ↑ Cid, eines von ihm verbannten Vasallen, behaupten. Das von Cid eroberte Valencia verlor er nach dessen Tod an die Almoraviden. 4) A. VII. (1126–1157); setzte als letzter Herrscher des ungeteilten Kastilien-León den Anspruch auf kaiserliche Würde in Spanien durch; Lehensträger waren die Könige von Navarra und Portugal, die Fürsten von Barcelona und Toulouse. 5) A. X. (1252– 1282); Freund der Wissenschaften („Der Astronom“) und Förderer der kastil. Literatur, entriss den Mauren Cadiz und Cartagena, wurde 1257 mit Unterstützung Frankreichs und der Kurie zum dt. König gewählt, konnte aber seine auf Italien zielenden Pläne wegen innerer Schwierigkeiten nicht verwirklichen; er betrat nie deutschen Boden. – Portugal: 6) A. I. der Eroberer, 1112–1185; Sohn des mit der Grafschaft am Tajo belehnten Heinrich von Burgund (der sich von Kastilien unabhängig machte), herrschte seit 1139 (Sieg

über die Mauren) als erster König von Portugal (1179 vom Papst als Königreich anerkannt), machte das 1147 eroberte Lissabon zur Hauptstadt. 7) A. V. der Afrikaner, König 1438–1481; eroberte Tanger, erhob Anspruch auf Kastilien und wurde von Isabella und Ferdinand von Kastilien besiegt; unter ihm Entdeckungsfahrten portug. Seefahrer nach Westafrika. Alfonsín, Raúl, argentin. Politiker, geb. 1927; trat 1945 in die Radikale Bürger­ union (UCR) ein und war 1963–1966 Parlamentsabgeordneter. 1981 Vorsitzender seiner Partei. Bei den ersten freien Wahlen nach der Militärdiktatur (1976–1983) ging A. als Sieger hervor. Als Staatspräsident 1983–1989 konnte er mehrfach Rebellionen der Armee vereiteln, jedoch gelang es ihm nicht, die schwere Wirtschaftskrise seines Landes 1988/89 und die damit verbundenen sozialen Konflikte entscheidend zu mindern. Dies führte zu seinem vorzeitigen Rücktritt am 1. 7. 1989. Alfred der Große, König von Wessex und Oberherr über die anderen angelsächs. Teilreiche in England (871–899); drängte in schweren Kämpfen die dän. Wikinger zurück, verbesserte Kirchen- und Staatsverwaltung und förderte die altengl. Literatur; erbaute die erste engl. Flotte. Algeciras, span. Hafenstadt gegenüber Gibraltar; seit 711 Ausgangspunkt für die islam. Eroberung der iber. Halbinsel; 845 und 859 von den ↑ Normannen geplündert und zerstört. 1906 Konferenzort (↑ Marokko). Algerien, Teile des heutigen A. gehörten zum phönik. und karthag. Machtbereich und bildeten in der Antike die röm. Provinzen Numidien und Mauretanien (Mauretania Cäsariensis), eine der „Kornkammern“ Roms mit ausgedehnten Plantagenwirtschaften und blühenden Städten (Hippo Regius), 429 bis 534 unter der Herrschaft der Vandalen, dann zum Ost­ röm. Reich, um 700 von den Arabern erobert, im 11.–13. Jh. unter den Almoravi35

Alhambra den und Almohaden, seither unter eigenen Sultanen; Schlupfwinkel gefürchteter maurischer und türk. Seeräuber; ­ Chaireddin Barbarossa unterstellte 1519 A. der türk. Oberhoheit unter Zusicherung von Waffenhilfe gegen die angreifenden Spanier; 1535–1541 Abwehr der Landeunternehmungen Kaiser Karls V. Anfang des 18. Jh. machte sich A. von der türk. Oberherrschaft frei; im 17./18. Jh. mehrmals von europ. Flotten bombardiert. 1830 von Frankreich besetzt und erst nach schweren Kämpfen gegen den Emir Abd El Kader befriedet, als Protektorat kolonisiert; Eingeborenenaufstände bes. während des Dt.Frz. Krieges, Rückeroberung in den 70er Jahren; 1882 Annexion, bis 1902 Erweiterung durch Südterritorien, Verwaltung durch Generalgouverneur. Im 2. Weltkrieg Zentrum der frz. Widerstandsbewegung unter de Gaulle, doch bereits starke Unabhängigkeitsbestrebungen. Durch die Verfassung der Frz. Union Teil des Mutterlandes; seit 1954 Aufstand der ­Fellaghas (organisiert in der FLN = Front de la libération nationale); 1958 A. in die Verfassung der 5. Republik einbezogen, doch Weiterführung des „schmutzigen Krieges“. Nach Zusammenbruch eines Militärputsches (April 1961) im Mai 1961 in Evian und Lugrin ergebnislose Ausgleichsverhandlungen de ↑ Gaulles mit den Führern der Aufstandsbewegung; 1962 gewährte Frankreich A. im Abkommen von Evian-les-Bains die volle Unabhängigkeit. Ben Bella wurde Staatspräsi­dent der Republik A. Durch den Sturz Ben Bellas gelangte 1965 Oberst ↑ Boume­dienne an die Spitze eines Revolutionsrates. 1973 Konferenz der blockfreien Staaten in Algier. 1976 Annahme einer neuen Verfassung und Wahl Boumediennes zum Staatspräsidenten, nach dessen Tod 1978 Oberst Bin Dschadid Schadli als Staatsoberhaupt gewählt, im Juli 1989 Ablösung des bisherigen Einparteiensystems durch ein pluralist. System; als die fundamentalistisch

orientierte Islamische Heilsfront (FIS) bei den ersten freien Wahlen 1991 überraschend siegte Übernahme der Macht durch das Militär, seit 1997 wieder reguläres Parlament, aber weiterhin bürgerkriegsähnliche Zustände. Alhambra, ↑ Granada. Ali (Ben Abu Taleb), aus Mekka, einer der ersten Anhänger des Propheten Mohammed, dessen Vetter, Adoptiv- und Schwiegersohn (Gatte der Fatima), nach der siegreichen Kamelschlacht (656; ↑ ­Aischa) vierter und letzter orthodoxer Kalif (656– 661), von Verschwörern ermordet; Zentralgestalt aller ↑ schiitischen Sekten, die ihn allein als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten anerkennen. Aliso, 11 v. Chr. von Drusus angelegtes Kastell; wahrscheinlich bei dem heutigen Wetzlar gelegen (neue Ausgrabungen: 4 Kastelle, 5 Marschlager), wichtiger Stützpunkt der Römer zur Sicherung ihrer Herrschaft über Germanien (zw. Lippe und Rhein) zur Zeit des Augustus. Alkibiades, athenischer Staatsmann und Feldherr, um 450–404 v. Chr.; Neffe des Perikles, Vertreter eines athen. Imperialismus, trotz Bekanntschaft mit Sokrates Anhänger der Sophisten, plante und leitete ein Unternehmen gegen Sizilien, das nach seiner vorzeitigen Abberufung (415) mit einer Katastrophe endete; floh, zum Tode verurteilt, nach Sparta, intrigierte dort gegen Athen; vom athen. Volk zurückgerufen, sicherte er durch Seesiege über Sparta die Getreidezufuhr aus dem Schwarzen Meer, strebte nach der Diktatur, abermals verbannt; in pers. Emigration auf Betreiben Spartas ermordet. Alkuin, angelsächs. Gelehrter, um 735– 804; bedeutendster Ratgeber und Mitarbeiter Karls d. Gr. in geistlichen Angelegenheiten und allen Fragen der Bildung; von adeliger Herkunft, seit 782 am Hof Karls d. Gr., Mittelpunkt des Aachener Gelehrtenkreises, Leiter der Hofschule, Seele der ↑ Karolingischen Renaissance 36

Almagio (Erneuerung der Wissenschaften der Antike); 796 Abt von St. Martin zu Tours; erhalten ist der Briefwechsel mit Karl d. Gr. Alldeutsche, Anhänger einer Bewegung, die den dt. Nationalismus fördern wollte, imperialistisch, aber keine Forderung nach Weltherrschaft Deutschlands, bes. vor dem 1. Weltkrieg, zusammengefasst im A.n Verband. Die A. forderten die Erweckung eines polit. Zusammengehörigkeitsgefühls aller Deutschen über die bestehenden Grenzen hinweg und eine entschiedene Machtpolitik, wo immer es um das Ansehen und die Interessen Deutschlands ging, vor allem eine kraftvolle Flotten- und Kolonialpolitik. Wegen der Verstiegenheit ihrer Forderungen gewannen die A. keinen Einfluss auf die offizielle dt. Politik, schadeten ihr aber durch geräuschvolle Agitation. Die im 1. Weltkrieg gegr. „Vaterlandspartei“ griff Forderungen der A. auf (Annexionsprogramm). Nach dem Frieden von Versailles (1919) gewannen die A. einigen Einfluss auf die rechtsradikalen „völk.“ Parteien. Allenby, Edmund Henry Hynman, brit. Feldmarschall, 1861–1936; eroberte 1917/18 Palästina; 1919–1925 Hoher Kommissar in Ägypten. Allende Gossens, Salvador, chilen. Politiker, 1908–1973; 1933 Mitbegründer der chilen. sozialistischen Partei, 1937 Abgeordneter, seit 1945 Senator; 1970 Sieg A.s bei den Präsidentschaftswahlen. A. trat für das sozialist. Wirtschaftsprogamm ein, Verstaatlichungen. 1973 Putsch der Militärs unter General Pinochet. A. weigerte sich zu kapitulieren und wurde bei der Beschießung des Regierungssitzes getötet. Allgemeiner deutscher Arbeiterverein, ↑ Sozialdemokratie. Allid, kleiner Nebenfluss des Tiber; an der A. erlitten die Römer 387 v. Chr. eine schwere Niederlage durch die Gallier, die anschließend Rom besetzten. Alliierte, durch eine Allianz (mit formellem Vertrag geschlossenes Bündnis)

verbundene Staaten, die gemeinsame polit. oder militär. Ziele haben. – Heilige Allianz zw. Russland, Preußen und Österreich, dazu bestimmt, die auf dem Wiener Kongress festgelegte staatliche und dynast. Ordnung zu sichern. Von Metternich in den 1820/30er Jahren dirigiert, erwies sich die H. A. als ein wirksames Machtinstrument gegen die revolutionären nationalstaatl. Bewegungen. – Im 1. und 2. Weltkrieg nannten sich die gegen Deutschland verbündeten Großmächte alliierte und assoziierte Mächte (Assoziierte meint hier nicht vertraglich gebundene Staaten, wie z. B. die USA, im Gegensatz zu den A., den vertraglich gebundenen Mächten Frankreich, England, Italien u. a.). Allmende, das Gemein(de)land („allgemeines“ im Gegensatz zum „privaten“), die „gemeine Mark“, die zum Unterschied von der in Hufen, Zeigen o. ä. aufgeteilten Dorfgemeindeflur von den Gemeindegenossen ungeteilt genutzt oder deren Ertrag geteilt wurde (Weide, Wald, Gewässer, Brunnen, Steinbrüche usw.). Von bes. Bedeutung war das Recht jedes Dorfgenossen, im A.-Wald Neuland zu roden („Neubruch“), das dann zum Eigenbesitz wurde. Die aus der german. Agrarverfassung überkommene A. erhielt sich bis zu den Agrarreformen des 19. Jh., besteht heute noch teilweise in Süddeutschland und in der Schweiz. Allod, das freie Eigentum im Gegensatz zum Lehns- und Nutzungsgut, besonders in erbrechtlicher Beziehung; später Bez. für vererbbare Lehensgüter, vom Besitzer selbst bewirtschaftete (nicht verpachtete) Außenwerke eines Gutshofes und für Güter, über die der Besitzer frei verfügen kann (im Gegensatz zum ↑ Fideikommissgut). Almagio, Diego de, span. Konquistador, 1475–1538; eroberte zus. mit Pizarro das Inkareich von Peru, stieß auf Veranlassung der span. Krone weiter nach Süden vor und entdeckte Bolivien und Chile. Geriet mit ↑ Pizarro wegen des Besitzes der Inka37

Al Mamun stadt Cuzco in Streit, unterlag und wurde im Gefängnis erwürgt. Al Mamun, abbasidischer Kalif von Bagdad (813–833); grausamer Despot, aber sehr verdient als Förderer der Wissenschaften (Übernahme griech. Wissenschaft, Bibliotheksgründung, Sternwarte). Al Massur, der 2. Kalif aus dem Hause der Abbasiden (754–775); setzte deren Herrschaft in Bagdad endgültig durch, leitete das Aufblühen der arab.-islam. Kultur und Wissenschaften ein. Almeida, Francisco de, portugies. Eroberer, um 1450–1510; erwarb für die Krone Portugals den ostind.Kolonialbesitz; erster Vizekönig von Ostindien (1505), erzwang gegen Araber und Ägypter 1509 das Monopol im Gewürzhandel, von Eingeborenen Südafrikas getötet. Almohaden, aus einer islam. Sekte hervorgegangene berberische Dynastie in Nord­ afrika und Spanien, in Nachfolge der von ihnen 1147 gestürzten ↑ Almoraviden; im 13. Jh. von den Spaniern zurückgedrängt; 1269 durch den nordmarokkan. Berberstamm der Meriniden vernichtet. Almoraviden, maurische Sekte und Dynastie; herrschte um 1050 in Nordafrika und seit 1086–1147 auch in Spanien, von den christlichen Königreichen bedrängt und 1147 von den ↑ Almohaden gestürzt. Alpenstraßen, Alpenpässe, in frühester Zeit Saumpfade an den Hängen entlang; frühgeschichtl. Übergänge u. a.: Brenner (Etrusker, Kelten), Rottenmanner Tauern (Eisenzeit), Kleiner St. Bernhard (Kelten, vielleicht Hannibal), Prebichl (frühzeitl.), Mont Genèvre (Gallier 388; früheste Römerstraße). – Hauptstraßen der Römerzeit: Brenner, Mont Genèvre, Kleiner St. Bernhard, Großer St. Bernhard, Simplon, Neumarkter Sattel, Splügen, Julier, Reschenscheidegg, Fernpass, Seefelder Pass, Plöcken, Poptafel, Birnbaumer Wald, Radstädter Tauern, Pyhrn. – Im MA kamen hinzu: Predil, Krimmler Tauern, Arlberg, Septimer, Mont Cenis, Sem-

mering, St. Gotthard, Lukmanier; in der Neuzeit: Colle di Tenda, Grimsel, Furka, Sustenpass, Klausen­pass, Majola, Flüela, Bernina, Ofenpass, Stilfser Joch, Jaufen, Großglockner, Karawanken, Loibl. Altamerikanische Kulturen, ↑ Amerika. Altchristliche Kunst, im Morgen- und Abendland Kunst der ersten 6 Jh. des Christentums, zunächst noch mit den Motiven der Antike, doch schon in vorkonstantin. Zeit (vor 300) Gestalten und Symbole nur christl. Charakters (der Gute Hirte, das Kreuz [erstmals in Herculaneum um 70 n. Chr.], Öllämpchen mit Chris­tusmonogramm, Taube, Palme, Ölzweig, Hirtenstab, Lamm; erste Kirchensäle); nach dem Sieg des Christentums christl. Basiliken mit Vorhof, Langhaus, Priesterraum (Alte Peterskirche, St. Paul vor den Mauern, Santa Maria Maggiore in Rom, Doppeldom in Trier u. a.) und Zentralkirchen (San Stefano Rotondo in Rom, San Laurenzo in Mailand, San Vitale in Ravenna); seit 400 christl. Mosaike und Wandmalereien, Sarkophage, Elfenbeinreliefs, Steinplastiken, Portal-Holzschnitzwerke mit Motiven aus dem A.T. und N.T. und der Legende; eigene Entwicklung in den Kirchen des Ostens (Byzanz, Syrien, Paläs­tina, Mesopotamien, Ägypten). Altertum, in der Geschichtsbetrachtung (Periodisierung) geschichtliche Periode, deren Grenzen in neuerer Zeit nach vorwärts und rückwärts ausgeweitet wurden. Sie umspannt in moderner Sicht im Allg. das Zeitalter geschichtlichen Lebens vom 4. Jh. v. Chr. (Ägypten, Mesopotamien) bis zur Ausbreitung des Islam im 7. Jh. n. Chr. In der älteren Sicht reichte das „Altertum“ von der griech.-röm. Antike (Homerische Zeit) bis zur Völkerwanderung oder bis zum Ende des Weström. Reiches 476 n. Chr. Heute oft verwendete Einzeldatierungen für das Ende dieser Periode: für Deutschland 375 (Beginn der Völkerwanderung), für Hellas 529 (Schließung der 800-jährigen Athener Akademie durch 38

Amarna den christl. Kaiser Justinian), für die Reiche des Islam 622 (↑ Hedschra; vgl. auch ↑ Mittelalter). Altes Testament, ↑ Bibel. Althusius (Johannes Althaus), dt. Rechtsgelehrter, 1557–1638; verfasste eine sys­ temat. Staatsrechtslehre und vertrat den naturrechtlichen Gedanken der Volkssouveränität, der die Entwicklung der west­ europ. Demokratie beeinflusste. Altkatholiken, spalteten sich 1571 von der kath. Kirche ab, da sie die Beschlüsse des Vatikan. Konzils von 1870 über die Unfehlbarkeit des Papstes nicht anerkannten. Die Bewegung ging von Universitätskreisen Münchens, Breslaus, Bonns und Prags aus (dt. Messe, gegen Ablass, Abendmahl in beiderlei Gestalt, gegen unbefleckte Empfängnis Marias, für Priesterehe); polit. bedeutsam im ↑ Kulturkampf. Neuerdings Annäherung (Abendmahlsgemeinschaft) an Anglikan. und Orthodoxe Kirche. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil besserte sich das lange Zeit negative Verhältnis zur röm.-kath. Kirche. Altlutheraner, strenggläubige Anhänger der Lehre Luthers (Augsburger Konfession), sonderten sich bei der Verschmelzung der luth. und reformierten Kirche in Preußen zur Unionskirche im 19. Jh. ab. Altmark, Teile der ehemaligen sächsischen Nordmark (linkselbischer Teil), Stammland der ehemaligen Mark Brandenburg mit den Hauptorten Stendal, Tangermünde und Salzwedel. Kaiser Lothar belehnte den Askanier Albrecht der Bär, Graf von Ballenstedt (1134–1170), mit der A. Altranstädt, Dorf und Schloss bei Merseburg. Friede von A. zw. Karl XII. von Schweden und August I. dem Starken 1706, Verzicht Augusts auf den poln. Thron. Altsteinzeit, ↑ Paläolithikum. Alyattes, König der Lyder, (um 605– 560 v. Chr.); unter ihm größte Blüte des Lyderreiches; 575 Eroberung und Zerstörung Smyrnas; Kampf mit den Medern,

585 unentschiedene Schlacht am Halys, der zum Grenzfluss wurde. Amadeus, Grafen und Herzöge von Savoyen: 1) A. V. d. Gr., Stammvater des Hauses Savoyen (und damit des späteren ital. Königshauses), 1249–1323. – 2) A. VIII. der Friedfertige, 1383–1451; 1416 zum dt. Herzog erhoben, wurde 1440 vom Basler Konzil zum Gegenpapst (Felix V.) gewählt, verzichtete 1449 auf die Papstwürde. Amalarich, letzter König der Westgoten aus dem Geschlecht der Balten, 502–531; Enkel Theoderichs d. Gr., unterlag den Franken 531 bei Narbonne und wurde auf der Flucht ermordet. Amalaswintha, Tochter Theoderichs d. Gr. und nach seinem Tode 526 Regentin für ihren Sohn Athalarich. Nach dessen frühem Tod (534) Königin der Ostgoten. Von der römerfeindlichen Partei der Goten 535 festgesetzt und von ihrem Vetter Theodahad im Bad ertränkt. Amalekiter, arab. Stamm (im heutigen Jordanien), Feinde der Israeliten, von den Königen Saul und David vernichtet. Amaler, die Amelungen der Heldensage, Königsgeschlecht der Ostgoten, dem auch Theoderich d. Gr. angehörte; erlosch 536. Amalfi, Stadt bei Salerno in Italien, im 5./6. Jh. n. Chr. gegr. (Seerecht von Amalfi galt im westl. Mittelmeer), 1077 geriet A. unter normann. Herrschaft; Niedergang durch Kämpfe gegen Pisa 1135–1137. Amarna, moderne Bezeichnung für Achetaton, Ruinenstätte am östlichen ­ Nilufer nördlich von Assiut; der Ketzerkönig Ame­ nophis IV. (um 1353–1336 v. Chr.) ließ hier in Ablehnung des Amunkultes von Theben die neue Hauptstadt Ägyptens zu Ehren des reinen Sonnen(Aton)kultes erbauen. – 1886 berühmter Tontafelfund (Amarnatafeln): Briefwechsel der Könige von Mittani, Assur und Babyton mit den Pha­raonen Amenophis III. und Amenophis IV., überwiegend in babylonischer Sprache. Fundort der Nofretete-Büste (1912). 39

Amasis Amasis (Amosis), Pharaonen von Ägypten: 1) A. 1., 1580–1555 v. Chr.; befreite

Amerika, Doppelkontinent Nord- und

Südamerika, benannt nach dem Florentiner Seefahrer Amerigo ↑ Vespucci. – Vorkolumbische Geschichte: A. ist vermutl. urspr. „menschenleerer“ Kontinent; erste nachweisbare Einwanderung (Jäger und Sammler) aus dem asiat. Sibirien über die damals noch festländische oder vereiste Beringstraße seit etwa 15 000 v. Chr. (vielleicht schon früher); Einwanderung auch über den Stillen Ozean, von Südasien her, über die pazifische Inselwelt. Kulturstufe der Mittelsteinzeit vermutlich seit 10 000– 2500; früheste bekannte Menschenfunde: Fischgrätenhöhle bei Reno (Nevada) um 9500 v. Chr. und Santa-Rosa-Insel (kaliforn. Küste) um 8000 v. Chr.; allmählicher Übergang zu sesshafter Lebensweise (steinzeitliche Talkulturen, Anfänge der Keramik), Besiedlung des ganzen Doppelkontinents bis Südpatagonien. Weitere Einwanderungswellen aus Südostasien über den Stillen Ozean, beginnend wahrscheinlich gegen Ende des 3. Jh. v. Chr. Auch weiterhin Einsickern nomadisierender Jägervölker aus Sibirien, die aber meist im Norden des Kontinents blieben. Jäger, Sammler und Pflanzer entwickelten Hochkulturen, bes. in Mittelamerika und im Hochland von Peru. Aufnahme des Landbaus, später vor allem Maiskultur. Kulturzentrum war ↑ Mexiko mit der Teotihuacan-Kultur, davon stark beeinflusst das Reich der aus Nordamerika in Mexiko einbrechenden Tolteken (5./6. Jh. n. Chr.) und die ↑ Mayastaaten in Guatemala, San Salvador und auf der Halbinsel Yucatán. Im 13./15. Jh. n. Chr. bildete sich auf dem mexikan. Hochland das Reich der kriegerischen Azteken, der Nachfolger der Tolteken. In Peru seit 1200 das Inkareich, Höhepunkt im 15. Jh. n. Chr. – Entdeckungsgeschichte vor Kolumbus: Um 1000 n. Chr. landeten zum ersten Male Europäer an der Atlantikküste Amerikas: 981 Entdeckung Grönlands durch den Wikinger Erik den Roten; 985 sichtete der Isländer Bjarni,

das Land von den Hyksos, Begründer des Neuen Reichs. 2) A. II., 26. Dynastie (568–525 v. Chr.); Griechenfreund, von den Persern, die nach seinem Tod Ägypten eroberten, geschlagen. Amaterasu, Sonnengöttin Japans, „be­ trat“ am 11. Feb. 660 v. Chr. bei Osaka jap. Boden (seit 1873 als Beginn der jap. Zeitrechnung festgelegt). Ambronen, vermutl. auf den Nordfriesischen Inseln und in Dithmarschen ansässiger german. Stamm, nahm am Zuge der Kimbern und Teutonen teil, der zu ihrem Untergang bei Aquae Sextiae 102 v. Chr. durch die Römer führte. Ambrosius, Aurelius, hl., Kirchenlehrer, um 339–397; 374 Bischof von Mailand, zuvor dort Statthalter; bekämpfte das römische Heidentum, den Arianismus und Übergriffe der Kaiser. Durch seine Hymnen bedeutender Förderer und Erneuerer des Kirchengesanges (Ambrosianischer Kirchengesang). Bekehrte durch seine Predigt den hl. Augustinus. Amenemhet III., altägypt. König des Mittleren Reiches (1842–1797 v. Chr.), Erbauer des „Labyrinths“ (Totentempel bei Hawara); nach griech. Überlieferung legte er den Mörissee (Fajum) an. Amenophis (Amenhotep), altägypt. Könige des Neuen Reiches (18. Dynastie): 1) A. I., (um 1525–1505 v. Chr.); unterwarf Nubien bis zum 4. Katarakt, legte die Totenstadt von ↑ Theben an. 2) A. III. (um 1391–1353); einer der tatkräftigsten Pharaonen, Erbauer des Tempels in Luxor; u. a. in den „Memnonskolossen“ (Sitzsta­ tuen eines Totentempels) dargestellt. 3) A. IV., später Echnaton genannt (um 1353–1336); versuchte den Sonnenmono­ theismus (Verehrung des Gottes Aton = Sonnenscheibe) einzuführen, verlegte die Residenz von Theben in seine neugegrün­ dete Hauptstadt Achetaton (↑ Amarna); seine Gemahlin war ↑ Nofretete. 40

Amerika durch Stürme vom Kurs nach dem von Erik dem Roten besiedelten Grönland abgetrieben, die Küste von Nordamerika; Leif, der Sohn Eriks, und dessen Bruder landeten in „Helluland“ (wahrscheinlich Labrador), „Markland“ (wahrscheinlich Neuschottland oder Neufundland) und „Vinland hit goda“ = das gute Weinland, d. h. wahrscheinlich südl. des St.-LorenzGolfs. Daueransiedlung aber durch Indianerüberfälle unmöglich, immerhin noch Schiffsverbindung bis zum 14. Jh.; später Kenntnisse von A. in Europa bis Kolumbus fast ganz verloren gegangen. – Kolumbus und nachkolumbische Geschichte: Nach Sperrung der alten West-Ost-Handelswege von Europa nach Indien durch die Türken Suche nach neuen Seewegen zu den Reichtümern Ostasiens, vor allem durch Portugal und Spanien; die Erkenntnis von der Kugelgestalt der Erde führte zu Versuchen, Indien auf dem Westwege über den Atlantik zu erreichen. Als erster landete der Genuese Christoph ↑ Kolumbus (in spanischen Diensten) 1492 auf Guanahani, einer der Bahama-Inseln, in der Annahme, Indien von Westen her erreicht zu haben („Westindien“), entdeckte Kuba, Haiti („Hispaniola“); Entdeckungen 1493 bis 1496: die Kleinen Antillen, Jamaika, Puerto Rico; Entdeckungen 1498: die Nordküste Südamerikas; Entdeckungen 1502 bis 1504: Küste Mittelamerikas. 1497/98 erreichte der Venezianer ↑ Caboto Neufundland, die Cap-Breton-Insel, den St.-Lorenz-Golf bis zur Hudsonmündung, Entdeckung Kolumbiens (1499) und der La-Plata-Länder (1508); 1513 gelangte ↑ Balboa über den Isthmus von Darien (Panama) und sichtete die Südsee, den Stillen Ozean; im selben Jahr landete Juan Ponce de Leon in Florida. Dias de Solis erkundete 1515/16 die Ostküste Süd­ amerikas; 1517 durchforschte Hernandez de Cordoba Yucatán (Maya-Kultur). Entscheidender Fortschritt: ↑ Magellan umsegelte 1519/20 als erster Südamerika

(Straße nach ihm benannt) und durchquerte den Stillen Ozean. Den Entdeckungen folgten Eroberungen, Zeit der ↑ Konquistadoren: Nach der Erkundung der mexikan. Küste (1518) wurde 1519 bis 1521 Mexiko von Cortes erobert, die Kulturen der ↑ Azteken wurden vernichtet. Nicaragua wurde von Gil Gonzales de Avila entdeckt (1522). Die Welser erschlossen Venezuela, das ihnen Kaiser Karl V. 1527 verpfändete. Pizarro eroberte 1531–1536 das Inkareich (Peru), Almagro, dessen Rivale, Chile, Paraguay und Bolivien (1535 bis 1537). Gleichzeitig mit dem span. Kolonialreich entwickelte sich ein portug. Kolonialbesitz. Grundlage für die Abgrenzung der beiden rivalisierenden Kolonialmächte war die Demarkations­ linie, von Papst Alexander VI. auf Wunsch des span. Königs Ferdinand 1493 festgelegt und durch den span.-portug. Vertrag von Tordesillas 1494 bestätigt (21 Grad als Grenzlinie, die aber fehlerhaft festgelegt wurde, sodass Brasilien portug., Argentinien, Mexiko usw. span. wurden). Brasilien von Cabral als Erstem betreten, wurde seit 1530 von Portugiesen kolonisiert; die erste Einfuhr von Negersklaven 1574 (in Mittelamerika bereits 1502). – Weitere Erfolge der Entdeckungsfahrten: Um eine Nordwestpassage zu erschließen, fuhr ↑ Frobisher 1576–1578 entlang der Küste Labradors bis zur Hudsonbai, fand John ↑ Davis 1585–1587 die nach ihm benannte Davisstraße (zwischen Grönland und Baffinsland); 1607 gelang ↑ Hudson die nordöstl. Einfahrt in das Polarmeer zwischen Spitzbergen und Grönland; 1725–1728 segelte Vitus ↑ Bering östl. durch die nach ihm benannte polare Meeres­straße, die Amerika von Asien trennt. – Erst im 16./17. Jh. traten England und Frankreich in der Neuen Welt als Kolonisatoren auf, Frankreich in Kanada und im Mississippi-Gebiet; England an der Atlantikküste, wo die „Neuenglandstaaten“ entstanden; erste engl. Kolonie 41

Amiens Virginia (1607), Landung der ↑ Mayflower in Plymouth (1620); Neuenglandkolo­ nien: Massachusetts (1630), Providence und Rhode Island, Connecticut, New Maren, New Hampshire, Maine, New Jersey, Pennsylvania, Maryland, Carolina und Georgia. Frankreich machte zwar schon im 16. Jh. Versuche mit kolonialen Niederlassungen, die sich indes nicht hielten: 1541 Cartiers Kolonie bei Quebec, Colignys Hugenottensiedlung in Florida. Im Zuge der Kolonialpolitik Richelieus mehrere Gründungen: Port Royal in ↑ Akadien (1604), Quebec, Three Rivers und Montreal in Kanada (in der 1. Hälfte des 17. Jh.); 1682 das große Gebiet beiderseits des Mississippi: Louisiana; ferner Handelsplätze auf Martinique, Guadeloupe und Barthelemy. Die Niederlande gründeten 1626 auf der Insel Manhattan NeuAmsterdam (später ↑ New York). Die Rivalität zwischen England und Frankreich verursachte dauernde Kämpfe auch im kolonialen Amerika: 1629 Kanada vorübergehend in engl. Besitz, im ↑ Utrechter Frieden 1713 verlor Frankreich Akadien, Neufundland und die Hudsonbai an England. Entscheidung fiel im Kolonialkrieg, gleichzeitig mit dem 7-jähr. Krieg, aus dem England siegreich als größte Kolonial­ macht hervorging: Die frz. Truppen, an sich sehr kriegstüchtig, aber vom Mutterland nicht genügend unterstützt, unterlagen den englischen; 1759 Eroberung Quebecs nach einem nächtlichen Überraschungsangriff des englischen Heeres. Der Friede von Paris (1763) sprach Kanada den Engländern zu, Louisiana wurde spanisch. 12 Jahre später Aufstand der 13 engl. Kolonien 1775, der zum Krieg mit dem Mutterland (↑ Unabhängigkeitskrieg) und zur Gründung der ↑ Vereinigten Staaten von Nordamerika führte. Nur ↑ Kanada blieb brit. Kolonie. In der 1. Hälfte des 19. Jh. machte sich auch das span. und portug. Südamerika unabhängig: Entstehung der selbständigen Staaten Latein­

amerikas (siehe Artikel zu den einzelnen Staaten). Die europ. Kolonialpolitik auf dem amerik. Kontinent war damit weitestgehend beendet. Die machtpolit. Überlegenheit der Vereinigten Staaten von Nordamerika (USA) beherrschte von jetzt ab (wirtsch. und in zweiter Linie erst polit.) den Doppelkontinent: bis 1927 in der Form des Imperialismus, dann durch eine Politik des „guten Nachbarn“, weiter auf dem Weg einer staatl. ↑ „Dollardiplomatie“. Im 2. Weltkrieg traten fast alle lateinamerik. Staaten an der Seite der Vereinig­ ten Staaten in den Krieg. 1948 entstand in Bogotá unter der Führung der USA die ↑ Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Kennzeichnend für das Verhältnis der USA zu den Staaten Lateinamerikas war das gegenseitige wirtsch. Interesse und das Bemühen, die Ausbreitung des Kommunismus in den von sozialen und polit. Unruhen geprägten Ländern Lateinamerikas zu verhindern. Amiens, Hauptstadt der Picardie mit 1220 begonnener Kathedrale, einem Prachtwerk der Gotik. – 1802 Friede von A. zur Beendigung des 2. Koalitionskrieges zwischen England einerseits, Frankreich, Spanien und Holland andererseits geschlossen: Ceylon (bisher holländ.) und Trinidad (bisher span.) fielen endgültig an England, Frankreich gab seine Eroberungen in Ägypten und Italien auf. Friede von kurzer Dauer, 1803 Wiederausbruch des Krieges. Amin Dada, Idi, ugand. Politiker, 1925– 2003; im 2. Weltkrieg brit. Kolonialsoldat, seit 1953 auch gegen die „Mau-Mau“Aufständischen in Kenia eingesetzt, mit der Unabhängigkeit Ugandas zum Hauptmann befördert. A. beteiligte sich 1966 am Staatsstreich des Premierministers Obote, entzweite sich aber bald mit ihm und putschte seinerseits; 1971–1979 Staatspräsident und Verteidigungsminister von Uganda, seit 1974 auch Außenminister, 1975 Selbsternennung zum Marschall; betrieb rücksichtslos die Ausweisung des ind. 42

Amurprovinz Bevölkerungsteils, verfolgte brutal seine polit. Gegner („amnesty international“ beschuldigte ihn der Ermordung von mindestens 100 000 Menschen). Auseinandersetzungen mit Tansania führten 1979 zum Zusammenbruch seines Regimes, seitdem lebte A. im Exil in Libyen. Ammianus Marcellinus aus Antiochia, um 330 bis um 395 n. Chr.; seine nicht vollständig erhaltene röm. Geschichte behandelt (im Anschluss an ↑ Tacitus) die Zeit von 96 bis 378 n. Chr. Amon (Ammon, Amun), „Der Verborgene“, Hauptgott, Reichsgott der alten Ägypter, Weltschöpfer, Pneuma, „König der Götter“, mit dem Sonnengott Re vereint zu Amon-Re; ursprüngl. als Fruchtbarkeitsgott in Hermopolis, später in Theben verehrt (Mittelpunkt des Kultes der Karnak-Tempel in Theben); von Amenophis IV. (Echnaton) zeitweise als Reichsgott abgesetzt. Sein berühmtes Orakel im Ammonium der Oase Siwa (A. war gleichzeitig der Herr und Gott der Oasen der Libyschen Wüste) 331 v. Chr. von Alexander d. Gr. aufgesucht, der sich als Sohn des Zeus-Ammon ausgab; die Römer setzten ihn dem Jupiter gleich. Amoriter, ostkanaanäisches Volk, das um 2100 v. Chr. aus Innerarabien nach Palästina, Syrien und Mesopotamien vordrang (Amoritische Wanderung); später ein Nachbarvolk der Israeliten in Kanaan, das von Josua vernichtet wurde Amphiktyonie, bei den alten Griechen der Zusammenschluss mehrerer Stadtstaaten zu einem Kultbund um ein gemeinsam verehrtes Heiligtum, wobei auch die gegenseitigen polit. Beziehungen völkerrechtlich geregelt wurden; Schiedsgericht zur Verhinderung von Kriegen zwischen Mitgliedsstaaten. Amritsar, ind. Stadt; in einem See liegt der Goldene Tempel (Sikh-Heiligtum). – „Blutbad von A.“, 13. 4. 1919 von brit. Truppen des Generals Dyer unter unbewaffneter indischer Volksmenge (rd.

400 Tote und 1 000 Verwundete) angerichtet, gab dem ind. Nationalismus ungeheuren Auftrieb. Amselfeld, serbische Hochfläche, auf der 1389 die südslaw. Völker von den Türken entscheidend geschlagen wurden (Dezimierung des serb. Adels); Serbien unter türk. Herrschaft; 1448 türk. Sieg über die Ungarn; die Türken wandten sich anschließend gegen Konstantinopel, das 1453 fiel. Amsterdam, Hafen- und Handelsstadt an der Amstelmündung; um 1300 Stadtrechte, schnelle Entwicklung (Hansestadt), Blüte durch die Unabhängigkeit der nördl. Niederlande Ende des 16. Jh., trat das Erbe Antwerpens an; durch Kolonialhandel reich geworden (Ost- und Westindische Kompanie); im 17. Jh. bereits über 100 000 Einwohner; 1787 von Preußen, 1795 von den Franzosen eingenommen. 1808 Hauptstadt des napoleon. Königreiches Holland, von 1814 an der Niederlande. Amt (ahdt. ambaht, aus lat. ambactus, Dienstmann), 1) bes. im Territorialstaat des späten MA und der frühen Neuzeit Verwaltungs- und Gerichtsbezirk; die Ämterverfassung war die häufigste Form der Verwaltungsgliederung; an der Spitze des A.es stand der A.-mann; mit der Trennung von Verwaltung und Gericht seit Ende des Alten Reiches war das A. nur noch Verwaltungseinheit. 2) allg. in der modernen Staat- und Gemeindeverwaltung Bez. für Behörde; 3) Bez. für ↑ Zunft. Amundsen, Roald, norweg. Polarforscher, 1872–1928; bezwang 1903–1906 auf der Suche nach der genauen Lage des magnet. Nordpols die NW-Passage, erreichte als ers­ ter 1911 den Südpol; bei der Suche nach dem Italiener Nobile 1928 im Polargebiet verschollen. Amurprovinz, russ. Territorium in Ostsibirien am Amurfluss. Seit dem 17. Jh. Expansionsziel Russlands in Fernost; 1639 Amur-Vertrag zwischen China und Russland, 1849–1854 Erforschung der Amur43

Anabasis küstenländer unter Murawiew; 1858 Vertrag von Tientsin über A.-Prov., erweitert 1860 zugunsten Russlands. A.-Gebiet Basis für russ. Verstoß nach der ↑ Mandschurei (Amur Grenzfluss). 1969 kam es wegen der seit 1964 von der Volksrepublik China gegenüber der UdSSR erhobenen Forderung einer Vertragsänderung zu einem militärischen Grenzkonflikt am Ussuri. Anabasis (griech. „Hinaufmarsch“, d. h. nach Persien), Titel verschiedener antiker Feldzugsberichte; berühmt die A. des griech. Geschichtsschreibers ↑ Xenophon, Kriegstagebuch, in dem der Zug von 10 000 griech. Söldnern im Dienste Kyros d. J. nach der Schlacht von ↑ Kunaxa durch Innerpersien zum Schwarzen Meer geschildert wird, mit der Tendenz, den Nimbus von der Unangreifbarkeit Persiens zu zerstören. Anachoreten (griech., die Zurückgezogenen), Eremiten und frühchristl. Einsiedler, die sich in der Einöde von Wüsten und Gebirgen, „in größerer Gottnähe“, frommen Betrachtungen hingaben und in Hütten und Höhlen oder nomadisierend ein asket. Leben führten. Erstmals im 2./3. Jh. in Ägypten und Syrien; A. schlossen sich seit dem 4. Jh. unter dem Einfluss des Einsiedlerschülers Pachomius aus Oberägypten und des Kirchenlehrers und Bischofs Basilius des Großen aus Cäsarea im östlichen Kleinasien auch in kleinen klösterl. Gemeinschaften zusammen. Hauptgebiet der A. im 4.–6. Jh. die Thebaische Wüste. Anagni, ehemalige Papstresidenz südöstl. Roms, wo 1303 Papst Bonifaz VIII. von Wilhelm von ↑ Nogaret überfallen wurde. Anaklet II. (Petro Pierleoni), 1130–1138 Gegenpapst zu Innozenz II., Gegner des Kaisers, angegriffen von ↑ Bernhard von Clairvaux. Erhob 1130 das normann. Unteritalien und Sizilien als päpstliches Lehen zum Königreich. Anarchismus, polit. Theorie über die Befreiung der Gesellschaft vom Staat und jeder Form von Regierung (auch von Ge-

setz, Gericht, Polizei etc.) und die polit. Bewegung, die dieses Programm durchzusetzen sucht. Der A. ist die radikalste Ausprägung des Liberalismus, er geht von der optimistischen Voraussetzung aus, dass der Mensch von Natur gut sei, und folgert daraus, dass der in jeder Hinsicht freie Zusammenschluss sittlicher Individuen zur Harmonie führen müsse. Der A. erstrebt die herrschaftsfreie Gesellschaft und nicht die Auflösung jeder gesellschaftlichen Bindung und Ordnung, er fordert die freiwillige Unterordnung unter gemeinsam festgesetzte Grundsätze. Der konsequent individualist. A. erlangte nur literarischtheoret. Bedeutung (Stirner: „Die Gesellschaft ist eine Vereinigung von Egoisten“); anders die sozialist. und kommunist. Formen des A., als dessen führende Theoretiker und Organisatoren ↑ Bakunin und Fürst ↑ Kropotkin hervortraten, in scharfem Gegensatz zum Marxismus (schwarze gegen rote Fahne, anarchist. Internationale gegen sozialistische). Ein Teil der Anarchisten wollte durch eine Propaganda der Güte und Vernunft zum Ziele kommen (der belgische Geograf J. E. Reclus, Freund Kropotkins), die aktiveren revolutionären Elemente durch eine „Propaganda der Tat“ (Attentate auf führende Persönlichkeiten, Ende des 19. Jh.). In den USA wurde der A. 1886 verboten. Stärker in Erscheinung trat er in Russland und in den romanischen Ländern, vor allem in Spanien, wo er als Anarcho-Syndikalismus noch im Bürgerkrieg 1936–1939 eine Rolle spielte. In Deutschland hat der A. nicht Fuß fassen können. Einen aus dem christl. Glauben abgeleiteten A. vertrat der russ. Dichter Tolstoi. Anarchisten-Kongresse 1877 in Brüssel und 1907 in Den Haag. Elemente des A. sind in der Studentenbewegung der westl. Welt in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre sichtbar. Anathema (griech.), ursprüngl. Weihegeschenk, das der Gottheit überantwortet wird; in der kath. Kirche seit dem 4. Jh. 44

Andrássy Kirchenbann gegen Ketzer und Irrlehrer mit feierl. Exkommunikation. Bannformel: „Anathema sit“ (= er sei verflucht). Anatolien (türk. Anadolu, Morgenland), türk. Bezeichnung für Kleinasien, Kerngebiet des türk. Reiches, Schauplatz der natio­ nalen Regeneration der Türken (= Anatolier) nach dem 1. Weltkrieg (↑ Ankara und Kemal Atatürk). Anatomie (griech., Zergliederung durch Aufschneiden), die Grundlage der medizinischen Forschung. A. wurde von den alten Griechen nur an Tierkörpern geübt; selbst die bedeutendsten Ärzte der Antike (Alkmaion, Hippokrates) wussten über den Bau des menschlichen Körpers nur das, was sie bei der A. von Tieren (besonders Hunden und Affen) oder bei zufälliger Bloßlegung von inneren Körperorganen bei Verletzungen beobachtet hatten. Seit dem 3. Jh. n. Chr. sezierte man in der berühmten ↑ Alexandrinischen Schule die Leichen Verstorbener (seltener die Körper zum Tode verurteilter Verbrecher). Die Schule besaß zu Lehrzwecken hergestellte anatom. Präparate; ↑ Galen, im ganzen MA als Autorität betrachtet, fasste als Schüler des Museions von Alexandrien die Ergebnisse der alten Schulen zusammen und kam zu neuen Ergebnissen der A. des menschlichen Körpers. Im MA wurde die A. als Frevel am menschlichen Körper betrachtet und war deshalb sowohl bei den Arabern (Glaube an die leibliche Auferstehung) wie im christl. Abendland verboten (1163 Verbot durch das Konzil von Tours; 1300 Bann durch Papst Bonifaz VIII.). Die wiss. Sezierung zweier menschlicher Leichname in den Jahren 1306 und 1315 an der berühmten Hochschule von Bologna durch Prof. Mondini bleibt eine Ausnahme. Erst die wiss. Forschungen und Streitschriften des Andreas Vesalius und anderer brachten im 16. Jh. die Wende (vgl. auch ↑ Chirurgie). Ancien regime (frz.), Schlagwort der Frz. Revolution zur Kennzeichnung der 1789

überwundenen teils feudalen, teils absolutist. Staats- und Gesellschaftsordnung der Bourbonenzeit, heute auch für die europ. Staats- und Gesellschaftsordnung von der Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jh. verwendet. Andalusien, Landschaft in Südspanien; phönik. Kolonisation (Gründung von Cadiz um 1000 v. Chr.; karthag. Besetzung seit 500 v. Chr., danach röm. Provinz Baetica; 411–429 im Besitz der Vandalen, anschließend von den Westgoten besiedelt, 711 arabisch, 1212–1265 vom christl. Königreich Kastilien erobert. Andechs, Benediktinerkloster in Oberbayern und Wallfahrtsort seit dem 12. Jh.; 1458–1803 Benediktinerabtei, 1846 wiederhergestellt; seit etwa 1130 war die Burg auf dem Berg A. Stammsitz der Grafen von A., der Markgrafen in Istrien und Herzöge von Meran, die um 1245 ausstarben. Andengemeinschaft, (früher Andenpakt), 1968 geschlossene Vereinbarung über wirtsch. Zusammenarbeit zw. den südamerik. Staaten Chile, Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien als subregionale Zollunion. 1973 trat Venezuela dem A. bei, dagegen schied Chile 1976 wieder aus. 1993 trat die Freihandelszone (zunächst ohne Peru) in Kraft, 1995 der gemeinsame Außenzoll. Im August 1997 wurde der Andenpakt in Andengemeinschaft umbenannt; die Staaten konnten sich auf eine fortschreitende Integration im Bereich der Außenpolitik und den gemeinsamen Kampf gegen die Inflation einigen. 1999 wurde die Schaffung eines gemeinsamen Marktes bis spätestens 2005 beschlossen. Andrássy, Gyula, Grafen, ungar. Staatsmänner: 1) A. Gyula d Ä., 1823–1890; leitete 1848 den Aufstand der Ungarn, zum Tode verurteilt und 1857 begnadigt, 1867–1871 ungar. Ministerpräsident, 1871–1879 österr.-ungar. Minister des Auswärtigen, schloss 1879 den Zweibund mit Deutschland; bedeutendster Vertreter 45

Andreä der dt.-österr. Zusammenarbeit im 19. Jh. 2) A. Gyula d. J., Sohn von 1), 1860– 1929; letzter Außenminister ÖsterreichUngarns im Okt. 1918, übermittelte den Alliierten das Sonderfriedensangebot. Andreä, Johann Valentin, württemberg. luther. Theologe, 1586–1654, typischer Denker der geistig und polit. bewegten Notzeit des 30-jähr. Krieges, befreundet mit seinem schwäb. Landsmann Kepler, vertraut mit den Gedankengängen des Paracelsus, des Franz von Sales, Calvins u. a.; suchte die Verwirklichung christlicher Ideale auf dem Wege eines prakt. Chris­ tentums. (Eine seiner sehr zahlreichen Schriften: „Christianopolis“ 1619, dt. „Christenburg“ 1626, die erste deutsche christliche Staatsutopie, ein christlicher Sonnenstaat wie bei ↑ Campanella). Andreas, Könige von Ungarn aus dem Hause der Arpaden (Andreas-Krone): 1) A. I., 1013–1060, König seit 1046; erreichte 1058 den Verzicht auf die Oberhoheit des Reiches über Ungarn. 2) A. II. (1205–1235); Kreuzzugteilnehmer, erließ die „Goldene Bulle“ von 1222 (Privilegierung des Adels [Ministerialen] gegenüber den Magnaten); begründete die Vorrechte der Siebenbürger Sachsen. Vater der hl. ↑ Elisabeth. 3) A. III., genannt „der Venezianer“ (1290–1301); letzter Arpade auf dem ungar. Thron. Andreotti, Giulio, ital. Politiker, geb. 1919. Seit 1968 Vorsitzender der Fraktion der ↑ Democrazia Cristiana in der italien. Kammer, 1973/74, 1976–79 und 1989–1992 Ministerpräsident. Im Herbst 1995 wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit zur Mafia angeklagt, im Herbst 2002 von einem Berufungsgericht der Anstiftung zum Mord (an dem Journalisten Carmine Pecorelli) schuldig gesprochen, 2003 von beiden Anklagen freigesprochen. Andropow, Juri Wladimowitsch, sowjet. Politiker, 1914–1984; ab 1961 im ZK der KPdSU, dessen Sekretär 1962–1967, danach Vorsitzender des Komitees für Staats-

sicherheit (KGB), seit 1973 Mitglied des Politbüros, 1982 erneut Sekretär des ZK. Nach dem Tod von ↑ Breschnew wurde A. 1982 zum neuen Generalsekretär der KPdSU und 1983 zum Staatsoberhaupt der Sowjetunion gewählt, bekannte sich zur Kontinuität des Breschnew-Kurses in der Innen- und Außenpolitik (wirtsch.techn. Modernisierung bei gleichzeitiger Restauration Sicherung der Weltmachtstellung der UdSSR). Angeln, westgerman. Volksstamm in Holstein. Teile der A. zogen mit ihren Schiffen zus. mit Sachsen und Jüten seit der Mitte des 5. Jh. erobernd in den südl., von Keltoromanen bewohnten Teil Britanniens, von ihnen der Name „England“ (Angelland) abgeleitet. Der größte Teil blieb jedoch in der alten Heimat (noch heute Landschaftsname Angeln in SchleswigHolstein); weitere auswandernde Siedler bildeten zus. mit anderen Völkerschaften den neuen Stamm der Thüringer. Angelsachsen, die seit dem 5. Jh. im SO und O von Britannien ansässigen german. Stämme der Angeln, Sachsen und Jüten; Christianisierung seit 596 durch iroschottische Mönche; im 7. und 8. Jh. angelsächs. Missionare (Willibrord, Bonifatius u. a.) auf dem Festland. 1066 von den Normannen Wilhelms des Eroberers unterworfen, verschmolzen mit diesen und der kelt. Urbevölkerung zur engl. Nation. A. heute Bezeichnung für die Engl. sprechenden Bewohner Großbritanniens, des Commonwealth und der USA. Angevinisches Reich (Angevin), britisch-festländisches Reich am Westrand des Abendlandes; von Heinrich von Anjou-Plantagenet – als engl. König Heinrich II. (1154–1189) – begründet; Zurückdrängung der frz. Könige auf ihre Kernlande um Paris und wenige Kronländer. 1214, nach der Schlacht von Bouvines in Flandern, fielen alle engl. Festlandsbe­ sitzungen an die frz. Krone zurück; England suchte den Festlandsbesitz im 10046

Anhalt jährigen Krieg (1339 bis 1453) vergeblich auf die Dauer wiederzugewinnen. Angkor („Erhabene Stadt“), Ruinenstadt in Kambodscha; im 10. Jh. von den Herrschern des Königreichs ↑ Khmer gegründete Hauptstadt im hinterind. Kambodscha mit Tempelkloster Angkor Wat als Stadtteil; Blüte im 13. Jh., in den Bauwerken Verschmelzung hinduist. und ­buddhist. Elemente zu klass. und später barockem Stil. Tempel zu Ehren Vischnus und Buddhas; Klosterarkadenfronten von je 400 m Länge, Prunk- und Festungstürme; in der Stadt, die im 15. Jh. verlassen wurde, eine Zirkusarena, Aufmarschstraßen, Trinkwasserbassins; Freilegung seit 1907. Anglikanische Kirche (Church of England), die protestant. Staatskirche Englands, auch Episkopal-(Bischofs-)K. genannt; entstand 1534, als sich Heinrich VIII. wegen seines Ehescheidungs­skandals vom Papsttum lossagte, sich selbst zum Oberhaupt der Landeskirche machte und ihr mit Zustimmung des Parlaments eine neue Verfassung gab (↑ Suprematsakte). Alle Klöster und Abteien wurden aufgehoben, ihr Besitz fiel an die Krone; 1549 durch das „Book of Common Prayer“ (Gebetbuch) der Kultus neu geregelt. Nach vorübergehender Wiederherstellung der kath. Kirche durch Königin Maria die Katholische wurde 1559 unter Königin Elisabeth I. die A. neu errichtet und das Glaubensbekenntnis in den 39 anglikanischen Artikeln festgesetzt. Die A. bewahrt in Verfassung und Kult wesentliche kath. Züge, doch darf sie in ihrer Gesamtheit nicht der anglo-kath. ↑ Hochkirche gleichgesetzt werden; ihre staatlich reglementierte Gründung führte dazu, dass die ↑ Puritaner die religiöse Reformation in England seit dem Ende des 16. Jh. nachholten. 1643 beseitigte Oliver ↑ Cromwell die A. und führte die Presbyterialverfassung ein; Wiederherstellung der A. 1662 durch König Karl II. Stuart. Angola, Volksrepublik an der SW-Küste Afrikas zwischen Kongomündung und

Kunene; 1485–1488 Entdeckung der Küstengebiete durch Portugiesen, seit 1574 ständige portug. Niederlassung; 1640– 1648 holländisch. Von den Portugiesen bes. seit 1885 erschlossen. A.-Vertrag von 1898 zw. Deutschland und England (dt. wirtsch. Übergewicht in A., engl. in Moçambik). 1961 bewaffneter Aufstand gegen Portugal, wurde 1964 niedergeworfen, seitdem ständige Guerillaaktivitäten. Die Macht­übernahme durch General Spinola in Lissabon brachte für A. die Aussicht auf baldige Unabhängigkeit. Spinola anerkannte 1974 das Recht der Überseegebiete auf Selbstbestimmung. Uneinigkeit der Befreiungsbewegung führte zum Bürgerkrieg, Waffenlieferung aus dem Ausland. Sieg der von der Sowjetunion und Kuba unterstützten MPLA. Staatsoberhaupt 1975–79 Neto (Führer der MPLA), nach dessen Tod dos Santos, 1980 ers­te Parlamentswahlen. 1989 Waffenstillstand in dem seit 1975 andauernden Bürgerkrieg, Beginn des Abzugs der kubanischen Truppen, 1991 Friedensvertrag zwischen MPLA und der Widerstandsbewegung UNITA, erneut Bürgerkrieg, 1994 Statio­ nierung einer UN-Friedenstruppe, 1997 Bildung einer „Regierung der Nationalen Einheit und Versöhnung“, ab 1998 erneut Bürgerkrieg, 2002 Waffenstillstand. Angoulême, Louis Antoine de Bourbon, Herzog von, 1775–1844; kämpfte 1792– 1814 in der Emigration für die Thronansprüche der Bourbonen, rief 1814 seinen Onkel Ludwig XVIII. zum König aus, ging 1830 mit seinem Vater Karl X. ins Exil; 1836 (nach dem Tode Karls X.) von den Anhängern der Bourbonen als König Ludwig XIX. anerkannt. Anhalt, urspr. Fürstentum der Askanier, das sich im 12. Jh. aus dem unter Heinrich d. Löwen zerschlagenen Herzogtum Sachsen entwickelte, seit 1212 selbständig; Teilung in zahlreiche Linien (A.-Dessau, A.Köthen, A.-Zerbst u. a.); 1807 Annahme des Herzogstitels durch die anhaltin. Fürs47

Anjou ten, 1863 nach Aussterben aller Linien bis auf A.-Dessau einheitl. Herzogtum A. bis 1918; nach 1945 vereinigt mit der ehem. preuß. Provinz Sachsen („Land SachsenAnhalt“), 1952 in Bezirke aufgeteilt; 1990 Eingliederung in die Bundesrepublik und 1994 Kreisreform zur Neuordnung der Landkreise. Anjou (zur Römerzeit Wohnsitz der Andegaven in NW-Frankreich), ehem. Grafschaft und Herzogtum, Stammland bedeutender, weitverzweigter Dynastien. – Aus der Ehe Gottfrieds von A., der als Helmzier einen Ginsterzweig (lat. planta genista) trug, mit der engl. Thronerbin 1127 ging das Haus A.-Plantagenet hervor, das 1154 mit Heinrich II. den engl. Thron bestieg (↑ Angevinisches Reich); die Grafschaft A. wurde bereits 1204 von der frz. Krone erobert und fiel an eine Nebenlinie der Kapetinger. Karl I. von A. (↑ Karl, Neapel), Bruder König Ludwigs IX., gewann 1246 die Grafschaft Provence dazu, 1266 entriss er den Hohenstaufern das Königreich (Neapel-)Sizilien; seine Nachfolger herrschten im Königreich Neapel (Sizilien 1282 verloren) bis 1435 (im Mannesstamm 1414 erloschen). Die Grafschaft A. kam 1290 an Karl von Valois, 1297 zum Herzogtum erhoben, 1356 mit Maine an Ludwig, Sohn König Johanns des Guten; 1431/35 bis 1473 gehörten zum Haus A. auch noch das Herzogtum Bar und Herzogtum Lothringen. Die Herzöge von A. waren „Prinzen von Geblüt“ und gehörten zu den mächtigsten frz. Kronvasallen. Ferner stellte das Haus A. die Könige von Ungarn 1308–1382 und Polen 1370–1382; mit dem Erlöschen der frz. Linie 1480 wurde der Herzogtitel von A. Titel der dritten Söhne des frz. Königs; mit ihren Besitztümern übernahm die frz. Krone auch die Ansprüche auf Neapel. Ankara (vor 1930 Angora), das antike Ankyra; im 13. Jh. von den Seldschuken erobert, im 14. Jh. zum Osmanenreich; 1402 Schlacht bei A. (Sieg Timurs über die Os-

manen, die damit am weiteren Vordringen nach O gehindert wurden). – 1923 wurde A. zur Hauptstadt der neuen Türkei erklärt und großzügig ausgebaut. Anna, Name von Herrscherinnen. Byzanz: 1) A. Komnena, 1083 bis um 1150; Tochter des Kaisers Alexios I., vermählt mit dem Feldherrn und Geschichtsschreiber Nikephoros, schrieb die Reichsgeschichte der Jahre 1069–1118. – England: 2) A. Boleyn, 1507–1536, zweite Gemahlin Heinrichs VIII., Mutter der Königin Elisabeth, wegen angeblichen Ehebruchs hingerichtet; ihretwegen hatte Heinrich VIII. sich von seiner ersten Gemahlin Katharina von Aragon getrennt und mit der kath. Kirche, die nicht in die Scheidung einwilligte, gebrochen. 3) A. von Cleve, 1515–1557; vierte Gemahlin Heinrichs VIII., 1540 geschieden. 4) A. Stuart, 1665–1714; Königin seit 1702, Tochter Jakobs II., Schwägerin und Nachfolgerin Wilhelms III. von Oranien, vereinigte 1707 England mit Schottland zu Großbritannien, letzte Stuart auf dem Thron. – Frankreich: 5) A. von Bretagne, 1477–1514, Königin, vermählt mit Karl VIII., dann mit König Ludwig XII., brachte die Bretagne an die frz. Krone. 6) A. von Österr., 1601–1666; Königin (Regentin) von Frankreich, Tochter Philipps III. von Spanien, vermählt mit Ludwig XIII. von Frankreich, 1643–1651 Regentin für Ludwig XIV. Nach dem Tode ihres Günstlings (Geliebten?) Mazarin (1661) ging sie ins Kloster. – Russland: 7) A. Iwanowna, 1693–1740; Zarin seit 1730, Nichte Peters d. Gr., Nichte Friedrichs d. Gr., herrschte durch ihren Günstling Biron. Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar, Gemahlin Herzog Ernst August Konstantins von S.-W., 1739–1807; nach dessen Tode vom Adel 1758 auf den Thron erhoben und bis 1775 Regentin für ihren Sohn Karl August, Mittelpunkt des geis­ tigen Lebens in Weimar nach der Berufung Wielands als Erzieher ihrer Söhne. 48

Ansgar Annalen (lat.), Jahrbücher mit Darstellung

Klostergründer und Kirchenerbauer, heiliggesprochen; ihn besingt das um 1100 verfasste Annolied. Annunzio, Gabriele d’, ital. Dichter, 1863–1938; Nationalist, eroberte 1918 mit einer Freischar Fiume für Italien, ital. Nationalheld. Ansbach, Stadt und Markgrafschaft in Franken; seit dem 11. Jh. im Besitz der Grafen von Andechs, kam 1331 an die zollernschen Burggrafen von Nürnberg; weiterer Landzuwachs im 14. Jh. (Bayreuth, Gebiete um Kulmbach, Erlangen, Feuchtwangen u. a.); 1415 erhielt der Zoller Friedrich die Kurmark Brandenburg; ab 1486 Trennung der kurfürstlichen Linie von der fränk. Linie (↑ Albrecht Achilles); von da ab A. und Bayreuth zeitweise getrennt und vereinigt; der letzte, kinderlose Markgraf Carl Alexander, der seit 1769 auch Bayreuth innehatte, trat 1791 auf Betreiben seiner (von Berlin bestochenen?) Mätresse Lady Craven das Fürstentum A.-Bayreuth vor dem Erbfall an Preußen ab (unter der Verwaltung ↑ Hardenbergs). 1805/06 kam A. durch Schönbrunner Vertrag an Bayern, Bayreuth zunächst unter frz. Verwaltung, 1810 ebenfalls an Bayern. Anselm von Canterbury, hl., Kirchenlehrer, Philosoph, 1033–1109; seit 1093 Erzbischof von Canterbury, verteidigte im Sinne Gregors VII. die Rechte der Kirche gegen das englische Königtum; „Doctor ecclesiae“ und „Vater der Scholastik“ genannt, mit ihm begann die scholastische Spekulation (Grundgedanke: Credo ut intelligam, vom Glauben zu wiss. Einsicht; Verfechter des ontolog. Gottesbeweises: Der Begriff Gott zwingt zum Gottglauben). Ansgar, Erzbischof, Apostel des Nordens, 801–865; Mönch im Kloster Corvey an der Weser, betrieb als päpstlicher Legat Missionstätigkeit bei den Dänen und Schweden, 831 Erzbischof von Hamburg, 845 von Hamburg-Bremen.

der Zeitgeschichte; schon in Altägypten, Assyrien, Israel, Altchina, Altrom (Annales Maximi oder Annales Pontificum); bei den Römern später Bez. für Zeitgeschichte gegenüber den Historiae, der Vergangenheitsgeschichte; im MA erste Blüte in der Zeit der Karolinger (beginnend unter Karl Martell); Aufzeichnungen in Klöstern und von Mitgliedern der königl. Hofkanzlei; offiziöse Reichsannalen; an ihnen hat z. Z. Karls d. Gr. ↑ Einhard wesentlichen Anteil; sie gelten mit Einschränkungen als zuverlässigste Quelle für die Geschichte des Frankenreichs von 741 bis 829, später von Fulda, dem angesehensten dt. Kloster, bis 901 fortgesetzt (Annales Fuldenses). Eine wichtige Quelle aus der Zeit der Ottonen sind die A. Quedlinburgenses. Zweite Blütezeit im 11. und 12. Jh.: A. Altahenses (Niederaltaich), A. Patherbrunnenses (Paderborn), A. Magdeburgenses, A. Palidenses (Pöhlde a. Harz), A. Nienburgenses (Nienburg a. d. Weser). Noch das ganze MA hindurch finden sich vereinzelt A. Annam, ehemaliges indochin. Kaiserreich (seit 968), 1428 endgültig von China unterworfen, seit 1884 frz. Protektorat; seit 1932–1945 unter Kaiser Bao Dai, seit 1946 Kernland von Vietnam, ↑ Indo­ china. Antraten (lat., Jahrgelder), Abgaben an den Papst für die Verleihung von kirchlichen Ämtern, seit dem Konstanzer Konzil nur noch von Bischöfen und Äbten zu entrichten, im MA eine der wichtigsten Quellen für die Verwaltungsausgaben des Päpstlichen Stuhles, in der Reformationszeit Gegenstand heftiger Kritik. Anno, Erzbischof von Köln (1056–1075); bemächtigte sich des unmündigen Königs Heinrich IV. 1062, um ihn dem Einfluss seiner Mutter Agnes von Poitou zu entziehen (Staatsstreich von Kaiserswerth), von Adalbert von Bremen 1063 verdrängt; 1074 aus Köln nach Siegen vertrieben: Zwischenstellung zw. Kaiser und Papst; 49

Antalkidas sich die polit. Ordnung der ↑ Sowjet. Besatzungszone bis zur Gründung der DDR (Okt. 1949) Antifaschist.-demokrat. Ordnung und der Zusammenschluss aller „demokrat.“ Parteien unter Führung der SED Antifaschist.-demokrat. Block. Antigonos, Name von Herrschern. Judäa: 1) A. II., letzter König der Juden aus der Familie der Makkabäer (40–37 v. Chr.); von Hemdes besiegt und von den Römern enthauptet. – Makedonien: 2) A. I., Feldherr Alexanders d. Gr., um 384– 301 v. Chr.; gründete nach dessen Tod als Diadoche (Nachfolger) ein syr.-kleinasiat. Reich und suchte von hier die Einheit des Gesamtreiches wieder herzustellen, nahm 306 den Königstitel an, fiel bei Ipsos gegen die anderen Diadochen. 3) A. II. Gonatas, König von Makedonien, um 320– 239 v. Chr.; Enkel von 2), stellte das makedon. Königtum wieder her. Antike (lat.), Kultureinheit des griech.röm. ↑ Altertums; griech. Bildung und Lebensform (Ideale: freier Geist, edles Menschentum, freie Demokratie) beeinflussten (z. Z. Alexanders d. Gr. und des ↑ Hellenismus) die ganze damals bekannte Welt rund um das Mittelmeer; Ausstrahlung bis nach Indien und China. Nachhaltigste Wirkung auf Rom, das sich als Erbe der griechischen A. berufen fühlte (Ausprägung des Begriffes Humanität); Herausbildung der griech.-röm. Kultur mit höchster Blüte in der Kaiserzeit (griech. Kunst, Literatur und Philosophie und röm. Recht, Organisation und Staatsbewusstsein, Versuch einer Weltherrschaft ohne despot. Zwang). Nach dem Niedergang Roms Übernahme antiker Kulturgüter durch die christliche Kirche des Westens (lat. Kirchensprache, weltliche Organisation, Philosophie) und den christlichen Staat (↑ Karolingische Renaissance). Bewahrung antiken Wissens in den Klöstern. Im O griech.-christliche Staats- und Lebensform während des ganzen Mittelalters in Konstantinopel-Byzanz. Herausbildung der süd- und west-

Antalkidas, spartanischer Feldherr und

Staatsmann, schloss 387 v. Chr. den A.oder Königsfrieden mit Persien, der die kleinasiat. Griechenstädte an Persien auslieferte und die spartan. Hegemonie über Griechenland sichern sollte. (Autonomie für alle anderen, von Sparta überwacht). Antarktis, als Land erahnt von James ↑ Cook 1773 auf seiner Fahrt in die antarkt. Zone; geogr. Erschließung durch d’Urville, Wilkes, Roß, Hanson, Drygalski, Amundsen, Scott, Shackleton, Byrd, Dusek u. a., vor allem durch die Teilnehmer an den Expeditionen des Geophysikal. Jahres 1957/58 und der folgenden Jahre; Besitzansprüche auf Teilgebiete der A., die sich regional teilweise überdecken, stellen Argentinien, Australien, Chile, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, Norwegen; 1959 zur Wahrung des Friedens in der A.-Konferenz von Washington ein auf 30 Jahre geltender A.-Vertrag geschlossen (freier Zugang für wiss. Expeditionen, kein militär. Operationsgebiet). Anti-Corn-Law-League, die engl. „AntiKornzoll-Liga“ unter Führung ↑ Cobdens, gegr. 1838 in Manchester (↑ Manchestertum), Avantgarde des radikalen Freihandels, agitierte im Interesse der industriellen Unternehmer für die Aufhebung der 1815 zugunsten der Großgrundbesitzer eingeführten Kornzölle, bis sie 1846 vom Parlament beseitigt wurden. Antifaschismus, allg. Gegnerschaft gegen jede Form des ↑ Faschismus, ob weltanschaulich, politisch oder organisatorisch; im engeren Sinn durch kommunist. Doktrinbildung geprägtes Schlagwort, das sich von der Bez. für die Frontstellung gegen faschist. Parteien und Regime der Vergangenheit zum Etikett für den kommunist.revolutionären Kampf überhaupt wandelte: So übernahmen antifaschist. Ausschüsse („Antifas“) aus Mitgliedern von SPD und KPD, z. T. auch des Zentrums, am Ende des 2. Weltkrieges die Verwaltung in den dt. Gemeinden, so nannte 50

Antonius Pius europ. Sprachen auf der Grundlage des (Vulgär-)Lateins. Antike und Christentum beeinflussten auch die Welt des Islam (6./7. Jh.), der seinerseits dem Abendland durch maurisch-arabische Vermittlung die inzwischen verschollenen Werke der griech. Philosophie von neuem zugänglich machte. In Renaissance und Humanismus neue abendländ. Blüte der A., von dieser Zeit an treibendes Element europ. Kultur. Höhepunkt des Bewusstseins der Bildungswerte der A. (Geistesfreiheit und Humanität, Menschlichkeit): Aufklärung, Neuhumanismus (Schaffung des Gymnasiums durch W. von Humboldt), die dt. Klassik (Winckelmann, Goethe, Schiller). Mit der wachsenden Bedeutung von Naturwissenschaft und Technik verlor das klass. Bildungsideal des 19. Jh. an Bedeutung. Trotzdem ist auch heute noch die A. eine der Grundlagen abendländ. sowie europ.-amerik. Kultur. Antikominternpakt, ↑ Internationale (3). Antiochia, Stadt in der Türkei am Orontes (heute Antakya), 300 v. Chr. von ↑ Seleukos Nikator gegründet, Hauptstadt des Seleukidenreiches, im Altertum die bedeutendste, größte und prunkvollste Stadt des Ostens nach Alexandria. Hauptstadt der Provinz Syrien. Blüte unter den röm. Kaisern (zehnmal so groß wie das heutige A.), durchzogen von einer über 6 km langen, säulenumstandenen Hauptstraße, Durchmesser rd. 20 km. In A. bildete sich die erste große Christengemeinde außerhalb Palästinas, von A. aus begann der Apos­tel ↑ Paulus sein Missionswerk in Klein­asien und Osteuropa; in A. kam zuerst der Name „Christen“ (christianosi = zu Christus Gehörige) auf; Ort zahlreicher Konzilien; im 7. Jh. von den Arabern, im 11. Jh. von den Seldschuken erobert; seit 1098 (1. Kreuzzug) christl. Fürstentum A. als Vasallenstaat des Königreichs Jerusalem; 1190 wurden in A. Körperteile mit den Eingeweiden Kaiser Friedrich Barbarossas beigesetzt; 1268 von den Mamelu-

cken und 1516 von den Türken erobert; antike Baureste erhalten. Antiochos, Könige von Syrien aus der Dynastie der Seleukiden: 1) A. I. Soter (281– 261 v. Chr.), beseitigte in langwierigen Kämpfen die Galatergefahr (Zurückdrängung der ↑ Galater nach Galanen), daher Soter = Retter. 2) A. III. d. Große (223– 187 v. Chr.), warf aufständische Satrapen am Tigris nieder, unterlag in der großen Schlacht bei Rapheia (217) gegen Ptolemäus IV., zog siegreich nach dem Osten gegen Meder und Parther, nahm Hannibal als Flüchtling auf, geriet mit Rom in Konflikt und unterlag den Römern in der Schlacht bei Magnesia 190; (Verlust Kleinasiens). 3) A. IV. Ephiphanes (175– 163 v. Chr.), eroberte Ägypten; seine Tempelschändung bei einem Strafgericht über Jerusalem und das Verbot des jüd. Kultes führten zum Aufstand der ↑ Makkabäer. Antipater, makedonischer Feldherr unter Philipp II. und Alexander d. Gr., während dessen Perserzug Statthalter in Makedonien und Griechenland, warf 322 v. Chr. den Aufstand der Griechen nieder. Antisemitismus, ↑ Judentum. Antisklaverei-Akte, in Genf 1926 unterzeichnetes Abkommen über die Abschaffung der Sklaverei und die Unterdrückung des Sklavenhandels. Antonescu, Ion, rumän. General und Staatsmann, 1882–1946; machte sich beim Zusammenbruch Großrumäniens 1940 zum Staatsführer mit diktator. Vollmachten (Rücktritt des Königs), führte Rumänien an der Seite Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion; 1944 verhaftet, hingerichtet. Antoninus Pius, römischer Kaiser (138– 161 n. Chr.); Adoptivsohn Hadrians, versuchte eine Wiederherstellung altröm. Glaubens, wegen seiner Friedenspolitik von den Zeitgenossen gepriesen („glücklichste Regierung der Kaiserzeit“), sicherte Britannien durch den A.-Limes zwischen Clyde und Forth gegen die Scoten. 51

Antonius Antonius, 1) A., Marcus, röm. Feldherr und Staatsmann, 82–30 v. Chr.; Verwandter Cäsars, zugleich mit diesem Konsul, nach dessen Ermordung sein Rächer, im (2.) Triumvirat mit Oktavian und Lepidus 43 v. Chr., siegte bei Philippi über die Cäsarmörder Cassius und Brutus (42 v. Chr.), machte sich zum Herrn des Ostens und verfiel der Kleopatra, 36/35 unglücklicher Krieg gegen die Parther; 31 v. Chr. von seinem Schwager Oktavian bei Aktium besiegt, nahm er sich das Leben. 2) A. d. Große, hl., Begründer des christlichen Mönchtums, um 250–356 n. Chr.; führte in Ägypten die klösterlichen Gemeinschaften von Eremiten ein („Patriarch des Mönchtums“). 3) A. von Padua, Kirchenlehrer, 1195–1231, hl.; Franziskanermönch, Theologe in Bologna, Prediger gegen die Albigenser. Antwerpen, belg. Hafenstadt an der Schelde, seit dem 9. Jh. als Niederlassung bekannt, bald Sitz einer reichen Tuchmacherindustrie, 1315 Aufnahme in die Hanse. Im 16. Jh. eine der reichsten Städte Europas (Mitte des 16. Jh. 125 000 Einwohner); Hauptsitz der niederländ. Malerei; im Freiheitskampf der Niederlande 1585 von den Spaniern zurückerobert (Ende der Weltgeltung); weiterer Niedergang seit 1648 durch die niederländ. Blockade der Scheldemündung, 1714 zu den österr. Niederlanden, 1794 von Frankreich besetzt, 1814 zum Königreich Vereinigte Niederlande, 1830 zu Belgien; Wiederaufstieg als Seeumschlagsplatz der nordwesteurop. Industrie. ANZUS-Pakt (Australia, New Zealand, United States), Pazifik-Pakt, Verteidigungspakt der Staaten seit 1951 mit ständigem Rat der Außenminister; ergänzt durch Beistandspakte USA-Philippinen, USA-Japan. Neuseeland war 1986–1994 wegen seiner Kernwaffen ablehnenden Politik ausgeschlossen. Äoler, Sammelname für die nicht zu Ioniern oder Dorern gehörenden altgriech.

Volksgruppen; um 700 v. Chr. lagen die Hauptsitze der Ä. an der kleinasiat. Westküste bis Smyrna und auf einigen Inseln des Ägäischen Meeres. Apartheid, (Afrikaans, Trennung, eigtl. „Gesondertheit“); Bezeichnung für die Politik der Rassentrennung zwischen weißer und farbiger (Bantu, Mischlinge, Asiaten) Bevölkerung in der Republik Südafrika. Seit 1948 war die A. in Südafrika durch Gesetz offizielle Regierungspolitik. Ihr Ziel war die Festigung weißer Herrschaft und Privilegien über die farbige Bevölkerung. Die A. bedeutete: Verbot gemischtrassiger Ehen; Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser, Badeanstalten); Ausschluss der Farbigen von polit., sozialen und kulturellen Entscheidungen in Parlament und Verwaltungen und vom aktiven Wahlrecht. Seit 1950 die Rassenzugehörigkeit und der Wohnort durch Gesetz geregelt; seit 1954 wurden die Schwarzen in sog. Homelands (engl., „Heimatländer“) zwangsumgesiedelt. Das bedeutete für die in den Städten arbeitenden Schwarzen den Status eines Fremdarbeiters, der jederzeit wieder in sein Homeland ausgewiesen werden konnte. (Homelands: Transkei, Bophuthatswana, Venda, Ciskei.) Die Zwangsumsiedlungen wurden am 1. März 1989 durch ein neues Wohngesetz, das gemischtrassige Wohngebiete begrenzt zulässt, leicht abgemildert. In Opposition zur A. standen in Südafrika u. a. die Kirchen, die Gewerkschaften, der ANC („African National Congress“), die UDF („United Democratic Front“), die „Progressive Party“. Nach weltweiter Verurteilung u. a. durch UNO und EU wurde die A. im Jan. 1990 durch Parlamentsbeschluss aufgehoben. Apologet, Verteidiger des Christentums in Schrift und Lehre; in frühchristl. Zeit (2. Jh. n. Chr.) bes. gegen die Anklagen wegen Staatsfeindlichkeit, Unmoral u. a. Apostelgeschichte, Schrift des Neuen Testaments, wahrscheinlich vom Evan52

Aquae Sextiae gelisten Lukas um 63 n. Chr. verfasst, schildert die Arbeit der Apostel, das Leben in den Urgemeinden und die Ausbreitung der christlichen Lehre bis zur Übersiedlung des Paulus nach Rom. Apostelkonzil, nach der kath. Überlieferung Zusammentreffen der Apostel Petrus, Johannes, Jakobus mit Paulus und Barnabas um 50 n. Chr. in Jerusalem; Ablehnung der Forderung, dass zum Christentum übertretende Heiden dem mosaischen Religionsritus zu unterwerfen seien (Grundlage für die Entwicklung zur Weltkirche). Apostolisch, im weiteren Sinne alles, was auf die Apostel zurückgeht; im engeren Sinne = päpstlich, z. B. A.er Stuhl, nach der kath. Überlieferung vom Apostel Petrus begründet, gleichbedeutend mit Papsttum, A.es Glaubensbekenntnis, Apos­ tolicum, ältestes christliches Glaubensbekenntnis, aus dem 2. Jh. n. Chr., allen christlichen Kirchen (mit Ausnahme der Ostkirchen) gemeinsam. Apotheose, die mit besonderer Zeremonie verbundene Erhebung eines Menschen unter die Götter, schon früh bei den Ägyptern, Persern und anderen orientalischen Völkern, von den Griechen an ihren Heroen, auch Gesetzgebern, Feldherren, von den Römern durch die Konsekration oder Senatsbeschluss an Staatsgründern (Romulus) und Kaisern (seit Cäsar) geübt, seit Caligula auch zu Lebzeiten. Appian(os), griech. Geschichtsschreiber des 2. Jh. aus Alexandria; bedeutend wegen der vollständig erhaltenen Darstellung der röm. Bürgerkriege. Appius Claudius Caecus (der Blinde), röm. Staatsmann, Feldherr, Gesetzgeber und Schriftsteller, 307 und 296 v. Chr. Konsul, 292–285 Diktator, warnte 280 (im Krieg gegen Pyrrhus von Epirus) den Senat, zu verhandeln, solange feindliche Heere auf ital. Boden stünden (= machtpolit. Programm Roms für das folgende Jh.); Freund griech. Literatur, Herausgeber und

Übersetzer von Sprüchen aus dem Griechischen; als Zensor 312 Erbauer der Via Appia und der ersten Wasserleitung Roms (Aqua Appia). Après nous le déluge (franz., nach uns die Sintflut), Ausspruch, den die Gräfin von ↑ Pompadour nach der Niederlage von Roßbach (1757) getan haben und der die leichtfertige Haltung des frz. Hofes und des Adels vor der Revolution charakterisieren soll. Apulien, südöstl. Teil der ital. Halbinsel; 317 v. Chr. von Rom annektiert; seit etwa 570 gehörte der N A.s zu dem langobard., der S zum byzantin. Reich; um die Mitte des 11. Jh. eroberten die ↑ Normannen das Land, machten es zum Herzogtum und nahmen es vom Papst zu Lehen; 1128 gewaltsame Vereinigung mit Kalabrien und ↑ Sizilien durch König Roger II. zum Königreich Sizilien; größte Bedeutung unter stauf. Herrschaft, u. a. unter Friedrich II. Aquädukt, Wasserleitung römischer Städte, z. T. als hohe, gemauerte Bogen, die das Wasser in Röhren oder offenen Kanälen in natürlichem Gefälle von nahe oder entfernter gelegenen Gebirgen in die Stadt führten; Rom wurde in der Kaiserzeit von rd. 12 großen A.en (rd. 430 km Länge) versorgt und hatte deshalb trotz riesigen Bedarfes (außer den Wohnhäusern 11 mächtige Thermen, fast 1 000 kleinere Bäder und rd. 1800 Brunnen) nie unter Wassermangel zu leiden; überall in den Römerprovinzen eindrucksvolle Ruinen zerstörter A.e (die Rom versorgenden A.e wurden sämtlich durch die Goten bei der Belagerung von 537 n. Chr. zerstört); die bedeutendsten A.-Ruinen sind die der römischen Campagna, der Pont du Gard (Südfrankreich) und die A.e von Segovia und Tarragona (Spanien). Aquae Sextiae (frz. Aix-en-Provence), Stadt im narbonensischen Gallien nordöstlich der Rhonemündung; 102 v. Chr. Schlacht gegen die ↑ Teutonen, die von ↑ Marius vernichtet wurden. 53

Äquatorialguinea Äquatorialguinea, Republik in Afrika

den werden: Arabisch, Irakisch, Mesopotamisch, Syrisch, Palästinensisch, Ägyptisch, Libysch, Maghrebinisch (in anderen Ländern mit islam. Bevölkerung ist Arabisch nur theolog. und wiss. Schriftsprache). Im engeren Sinne bezeichnet der Name Araber die Bewohner der Arab. Halbinsel, die als Urheimat der Semiten gilt. Seit dem 3. Jh. suchten die Semiten der Arab. Halbinsel immer wieder aus ihrem harten und kärglichen Nomadendasein auszubrechen und überfluteten die fruchtbareren Nachbargebiete. Die Araber sind der Hauptzweig der semit. Völkergruppe, waren von jeher überwiegend Nomaden, aufgesplittert in zahlreiche kriegerische Stämme mit ständigen wechselseitigen Fehden und (seit etwa 500 n. Chr.) im Kampf um den Besitz des gemeinsamen Vielgötter-Heiligtums, der Kaaba in Mekka. Nach der religiösen und polit. Einigung durch den Eingottglauben des Islam um 630 n. Chr. wurden sie zur Welteroberung aufgerufen und gründeten ein Reich, das sich vom Kaukasus über Kleinasien und Nordafrika bis nach Spanien erstreckte. Weltgeschichtlich bedeutsam war außer der aggressiven Reichsbildung die durch sie erfolgende Blockade des westl. Mittelmeeres, die im Abendland zum Zusammenbruch der antiken Geldwirtschaft und damit zur Feudalisierung führte; nicht weniger bedeutsam wurden sie durch ihre glänzenden Kulturleistungen, die um die Wende zum 8. Jh. einsetzten; unter Förderung durch Mäzene und Übersetzungsakademien erfolgten Übertragungen aus dem Syrischen, Griechischen, Persischen und Indischen: Werke der Medizin (Hippokrates, Galen), der Philosophie (Plato, Aristoteles, Plotin), der verschiedensten naturwiss. Disziplinen, der Mathematik und Astronomie; außerdem reiche eigenständige wiss., philosophische und literarische Produktion; Verschmelzung der hellen. mit der iran., zum Teil auch ind. Kultur. Im O wichtigstes Kulturzentrum Bagdad als Resi-

am und im Golf von Guinea; ehemals span. Kolonie „Territorios Espanoles del Golfo de Guinea“, gebildet aus der Provinz Mbini und mehreren Inseln, darunter Fernando Póo; 1959 in eine Überseeprovinz umgewandelt, 1963 Gewährung innerer Autonomie, 1968 Ausrufung der unabh. Republik Ä. 1969; Unruhen als Folge wirtsch. Schwierigkeiten und Staatsstreich Präsident Macías Nguemas. Dessen Terrorregime sollen Tausende zum Opfer gefallen sein. 1979 wurde Macías Nguema durch einen Putsch gestürzt und hingerichtet; seitdem Militärregierung unter Nguema Mbasogo. 1982 wurde eine Präsidialverfassung angenommen. Aquileja, Stadt an der Isonzomündung; 181 v. Chr. röm. Kolonie, bis zum 5. Jh. volkreiche Großstadt, beim Hunneneinfall 452 zerstört, seit dem 6. Jh. Sitz eines Patriarchats. 1421 kam A. zu Venedig, dessen Konkurrenz den Handel A.s vernichtete; 1809 geriet A. in österr. Besitz. Aquino, Corazon Cojuanco, philippin. Politikerin, geb. 1933; Witwe des 1983 ermordeten philippin. Oppositionspolitikers Benigno A.; führte eine Volksbewegung gegen den Diktator Ferdinand Marcos an, nach dessen Sturz 1986 bis 1992 Staatspräsidentin; in ihrer Amtszeit zahlreiche Putschversuche, 1992 keine erneute Kandidatur. Aquitanien (Guyenne), im SW Frankreichs zwischen Loire und Garonne, alte gallische Provinz, seit 418 westgotisch, 507 fränkisch, um 670–769 eigene Herzöge, 768 karoling. Teilreich, um 950 Herzogtum der Grafen von Poitou, 1154 englisch (↑ Anjou), 1453 wieder zu Frankreich. Ära ↑ Chronologie, Zeitrechnung. Araber, im weiteren Sinne die arabisch sprechenden Bevölkerungsteile in Arabien, Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten, Nordafrika, im Sudan und in Ostafrika; heute in zahlreiche Dialektgruppen aufgegliedert, unter denen vor allem unterschie54

Arabien denz der abbasid. Kalifen (Bibliotheken, Gelehrtenakademien, Sternwarte; fortwirkend auch nach dem Verfall der Kalifenmacht); im S war es Sizilien (Palermo, Syrakus), auch nach der Eroberung durch die Normannen; im Westen, im Reich der omaijad. Kalifen, Cordoba, bes. seit Abd Ar Rahman und Hakem II. (Universität Cordoba, die zeitweise auch abendländ. Christen als Lehrstätte offen stand; Architektenschulen, Gelehrten-, Dichter- und Philosophenkreise); später waren Nachfolgefürsten Förderer des Kulturlebens. Gegen Ausgang des MA Vermittlung der „arabischen“ (in Wirklichkeit indischen) Ziffern, die erst das moderne praktische und theoretische Rechnen ermöglichten. Mit dem Eintritt der Türken in die islamische Welt Zurückdrängen des Arabertums. Ablösung der arab. durch die osman. Weltmacht. Bedingt durch den Niedergang des Osman. Reiches wurden die arab. Länder zu Objekten europ. Großmachtpolitik, Frankreich eroberte Algerien (1830), Tunesien (1881) und Marokko (1912), Großbritannien Ägypten (1882) und Italien Libyen (1912). – An der Kulturentwicklung außerhalb Arabiens nahmen die A. der Halbinsel kaum Anteil, sie verharrten in den alten Lebensgewohnheiten des Nomadentums. In der Gegenwart starke Fremdeinflüsse durch Erdölwirtschaft, Verkehrserschließung, Rundfunk, bessere Ernährung, arab. Bewegung, Reformen im Islam; in Ägypten, Palästina und im Libanon auch christliche Araber (↑ Islam). Der Zusammenschluss der nach 1945 unabhängigen arab. Staaten in der ↑ Arabischen Liga erwies sich als zu schwach für eine Basis der polit. Einigung. Die Entwicklung der Nachkriegsgeschichte wurde wesentlich beeinflusst durch die Gegnerschaft der A. zu Israel; diese zerbrach jedoch 1979 mit dem israel.-ägypt. Separatfrieden. Arabien, Halbinsel zw. Afrika und Asien, in ältester Zeit vielleicht durch breitere

Landbrücke mit Ägypten und Äthiopien verbunden; Gebirgswüste, Steppen mit einzelnen Oasen, Durchgangsland Eu­ropa-Vorderer Orient-Indien mit sich kreuzenden Karawanenwegen. Nur im SW dank der Monsunregen Möglichkeiten für Ackerbau, Sesshaftwerdung und stetige Kulturentwicklung. Hier bereits im 2. Jt. v. Chr. Städtekultur: Kulturzentren im Jemen und in Hadramaut. Lange Kämpfe zw. den Reichen von Main, Saba, Kataban und Hadramaut. Im Norden griff seit etwa 300 v. Chr. das Nabatäerreich z. T. auf die Halbinsel über; es war von großer Handelsbedeutung; zeitweise Ausdehnung bis Syrien (Damaskus); Hauptstädte: Hegra und Petra, dessen Ruinen zum großen Teil erhalten sind. Röm. Expeditionen insgesamt erfolglos; erst 105 n. Chr. wurden Teile Arabiens von den Römern erobert (Petra wurde verwüstet) und zur mehrteiligen Provinz Arabia zusammengefasst: Arabia Petraea (felsiges A.) umfasste die Sinaihalbinsel, S-Palästina und einen Teil des eigentlichen Arabiens, das zum Nabatäerreich gehörte; A. Felix (glückliches A.) das Weihrauchland im S mit der Oase Hadramaut und dem Jemen; A. Deserta (ödes A.) die Wüsten gegen Mesopotamien hin. Nach 500 n. Chr. Unterwerfung von Teilen A.s unter Abessinien, um 575 im Machtbereich der pers. Dynastie der Sassaniden. Im 7. Jh. Heimat des ↑ Islam und Ausgangsposition der arab. Eroberung in drei Erdteilen, mit dem Hauptort Medina; später übernahmen Damaskus, dann Bagdad die Rolle der Zentralstadt des arab. Weltreiches; Mekka blieb religiöser Mittelpunkt. Nach der Auflösung des arab. Gesamtreiches in Teildynastien (10. bis 12. Jh.) bildeten sich in Arabien und im Jemen verschiedene Fürstentümer; im Norden Eindringen der Türken, von Ägypten aus Herrschaft der Mamelucken, die 1517 von den Türken (Selim I.) abgelöst wurden; im 18. Jh. Erneuerungsbewegung der ↑ Wahhabiten, doch keine blei55

Arabische Föderation bende polit. Einigung; seit 1805 unter der erblichen Statthalterschaft Mehemed Alis allmählich Befreiung vom türk. Einfluss. Im 19. Jh. südl. Randgebiete Aden, Hadramaut, Oman, Kuwait britisch; 1916 Gründung des von der Türkei unabhängigen Königreichs Hedschas, 1924/1925 Gründung des Königreiches Ibn Sauds, das auch Hedschas einschloss. 1932 Zusammenfassung zu Saudi-Arabien. Der ↑ Jemen entwickelte eine eigene Geschichte, assoziierte sich 1958–61 dem Staatenbund der Vereinigten Arabischen Republik. Von weltwirtschaftl. Bedeutung die Ölfelder von Saudi-Arabien, Kuwait, den Bahrain­ inseln (↑ Araber, Saudi-Arabien, Jemen, Islam, Mohammed u. a.). Arabische Föderation, kurzzeitiger Staatenbund der Königreiche Irak und Jordanien; 1958 durch Aufstand im Irak und Ausrufung der Republik aufgelöst. Arabische Emirate ↑ Vereinigte Arabische Emirate. Arabische Liga, durch Verträge von 1945 und 1950 gegründeter Verband der arab. Staaten (Ägypten, Saudi-Arabien, Irak, Jordanien, Jemen, Syrien, Libanon). Beitritte: Libyen (1953), Sudan (1956), Marokko und Tunesien (1958), Kuwait (1961), Algerien (1962), Südjemen (1967), Katar, Bahrain und die Vereinigten Arab. Emirate (1971), Mauretanien (1973), Somalia (1974), PLO (1976), Dschibuti (1977). Sitz des Generalsekretariats in Kairo, seit 1979 in Tunis. Politische Differenzen unter den arab. Staaten schränkten die Wirksamkeit der A. L. stark ein. Das 1979 suspendierte Ägypten wurde 1989 wieder als Vollmitglied aufgenommen. Arafat, Jasir, palästinens. Politiker, 1929– 2004; hatte seit Mitte der 60er Jahre entscheidenden Anteil am Aufbau der Guerilla-Gruppe Al-Fatah, seit 1967 deren Führer; seit 1969 Vorsitzender des Exekutivkomitees der Palästinens. Befreiungsfront PLO. A. errang durch einen gemäßigten Kurs vor allem in den 80er Jahren

internat. Anerkennung. 1989 in Tunis vom palästinens. Exilparlament zum Präsidenten des Staates ↑ Palästina gewählt. 1994 gemeinsam mit Y. Rabin u. S. Peres Friedensnobelpreis für Osloer Abkommen, 1996 Vorsitzender der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), Stagnation des Friedensprozesses führte zu zunehmender Kritik an A. aus den eigenen Reihen wie aus Israel. Aragonien, span. Aragón, nordspan. Landschaft; um 200 v. Chr. in röm. Besitz; im 5. Jh. von den Westgoten besiedelt, 713 arabisch; die aus der Spanischen Mark Karls d. Gr. hervorgegangene Grafschaft A. (im äußersten N) an der Reconquista (Rückeroberung des maur. Spaniens) maßgeblich beteiligt, 1000–1035 mit Navarra vereinigt; Ramiro I. (1035 bis 1063) erster König von A.; 1137 Anschluss an Katalonien, 1238 Angliederung von Valencia, 1282 Verbindung mit Sizilien, 1443 mit Neapel, 1479 Vereinigung A.s mit Kastilien zum spanischen Gesamtstaat. Aramäer, semitische Beduinen, ließen sich um 3000 v. Chr., aus der arab. Wüste kommend, am mittleren Tigrisufer nieder; stießen seit 1300 v. Chr. in immer neuen Wellen nach Mesopotamien und Syrien vor, verwickelten Assyrien in langwierige Abwehrkämpfe, gründeten um 1000 v. Chr. das Reich von Damaskus und unterlagen den Assyrern nach hartnäckigem Widerstand im 8. Jh. v. Chr. Ihre Sprache, noch zu Mohammeds Zeiten in Vorderasien und Palästina Hauptverkehrssprache, lebt im Syrischen fort. Aratos von Sikyon, 271–213 v. Chr., Stratege (Feldherr) des ↑ Achäischen Bundes, Verfasser von „Denkwürdigkeiten“. Arausio, Schlacht von, ↑ Kimbern. Arbeiterbewegung, der seit der Industrialisierung im Zeichen des Schlagwortes der „sozialen Frage“ entwickelte Zusammenschluss der Handarbeiter (insbes. in der Industrie) zur Verbesserung ihrer wirtsch., soz. und polit. Lage oder zur Än56

Archiv derung der Wirtschaftsstruktur in Westund Mitteleuropa in der 2. Hälfte des 19. Jh.; die A. umfasst 1) die Bildung von polit. Parteien der Arbeiterschaft, insbes. die sozialistische, 2) die Gewerkschaftsbewegung und 3) das Genossenschaftswesen (Konsumvereine usw.). Aus dem Kampf gegen die besitzenden Klassen ging die A. vor allem infolge des allg. Wahlrechtes als mächtiger polit. Faktor hervor (↑ Sozialismus, Sozialdemokratie, Gewerkschaft, Genossenschaften, Anarchismus u. a.). Arbeiter- und Soldatenräte, ↑ Rätesys­ tem. Arc, Jeanne d’, ↑ Jeanne d’Arc. Archäologie (griech., wörtl. „Erzählung der alten Geschichten“), Altertumskunde; untersucht die materialen Hinterlassenschaften der Vergangenheit mit dem Ziel, das Wissen um das Leben (Gesetze, Sitten usw.) des Altertums, der Vor- und Frühzeit (soweit sie aus Baudenkmälern, Ausgrabungen und Bodenfunden zu erschließen ist) zu erweitern, daher auch als „Wissenschaft des Spatens“ bezeichnet. Anfänge der Archäologie bereits in der Renaissance auf dem Boden des antiken Italien; seit 1750 Ausgrabungen in Pompeji; bahnbrechend Winckelmann durch seine „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764). Seitdem Bestrebungen, die klass. Kunst dem Volk näher zu bringen: 1793 Gründung des Nationalmuseums im Louvre in Paris; 1816 Elgin Marbles (mit den Skulpturen des Parthenon) im Brit. Museum in London; 1830 Glyptothek König Ludwigs I. in München. Gleichzeitig planmäßige archäolog. Erschließung Griechenlands, Kleinasiens usw. Deutsche Ausgrabungen: Troja (1868, 1870–1890 durch Schliemann, dann Dörpfeld); Mykene (1876– 77 durch Schliemann); Olympia (1874– 1881); Pergamon (1878–1886 Humann); Milet (1899–1906); Tiryns (1912); Priene („Pompeji Kleinasiens“) u. a. Um 1906 Grabungen des Engländers Evans in Knossos auf Kreta; frz. Grabungen in Delphi,

auf Delos; amerik. Grabungen in Athen, Korinth und Dura. Seit Mitte des 19. Jh. planmäßige Durchforschung Mesopotamiens: Lagasch, Babylon, Uruk, Nippur (Harper, Hilprecht, Peters; seit 1889 die ersten Amerikaner unter den Ausgräbern), Ur (Glanzleistung Woolleys). In Ägypten seit 1880 Grabungen des Engländers Flinders Petri (1853–1942); erfolgreiche Grabungen Carters (1873–1939) in Tall Al ↑ Amarna, in Theben: Grab des ↑ Tutench­ amun. – Archäolog. Forschungen und Grabungen heute im Bereich aller eins­ tigen Kulturländer. Archelaos I., König von Makedonien (413–399 v. Chr.), das er der griech. Kultur erschloss; an seinem Hof lebten bekannte griech. Philosophen und Künstler; Sokrates lehnte es ab, einer Einladung des A. zu folgen. Archimedes von Syrakus, größter griech. Mathematiker und Physiker der Antike, 287–212 v. Chr.; entdeckte die Gesetze des Hebels, des Auftriebs, des spezifischen Gewichts u. a., untersuchte die Optik von Hohlspiegeln, verbesserte den Flaschenzug, A. wurde bei der Erstürmung seiner Heimatstadt Syrakus von einem röm. Soldaten getötet. Archiv, systematisch geordnete Sammlung von Schriftstücken (Urkunden, Akten, Briefe, Nachlässe u. a.), neuerdings auch von Filmen, Fotos und Tonträgern und deren Aufbewahrungsraum. Unterschieden in Reichs-, Staats-, Stadt-, Diözesan-, Kloster-, Wirtschafts-, Familienoder Privatarchive. Königliche oder StaatsA. schon in Altägypten und in Babylon, später in Griechenland und Rom. Im MA legte zwar schon Karl d. Gr. ein A. an, geregelte A.führung jedoch erst seit dem 14. Jh. (Heinrich VII.); Reichsarchiv bis 1806 (Reichsauflösung); der größte Teil der Bestände kam in das Wiener Haus‑, Hof und Staatsarchiv, das zus. mit dem Reichsarchiv Potsdam (Reichsakten seit 1867) von bes. Bedeutung für die dt. Ge57

Archonten schichtsforschung wurde; im zweiten Teil des 19. Jh. Öffnung der großen A.e für die Forschung (1865 Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, 1875 Preuß. Staatsarchiv, 1881 Vatikan. Archiv). Archonten (griech., Herrscher, Anführer), die obersten Staatsbeamten im alten Athen; es wurden 9 A. auf ein Jahr gewählt (oberster Priester, Richter, Feldherr und 6 „Gesetzgeber“); seit der demokrat. Verfassungsreform 487 v. Chr. sank die Bedeutung des Amtes. Ardaschir (Artachschassa), erster Sassanidenherrscher in Persien (226–242 n. Chr.); stürzte die parth. Arsakiden-Dynastie, zentralisierte die Staatsverwaltung, erhob die Lehre Zarathustras zur Staatsreligion. Arelat (Arelatisches Reich), Niederburgund südl. des Jura mit der Hauptstadt ↑ Arles, 879 zum Königreich erhoben (Boso von Vienne), 933 mit Hochburgund vereinigt; seitdem auch Bez. für das burgund. Gesamtreich (↑ Burgund). Arendt, Hannah, amerik. Politikwissenschaftlerin und Soziologin dt. Herkunft, 1906–1975; bed. ihre Werke zum Totalitarismusproblem und zu jüd. Problemen. Areopag (griech., Areshügel), in der Nähe der Akropolis von Athen gelegener Hügel (gegenüber den Propyläen), wo die Ältes­ ten, die Häupter des Adels, als Rat und Gerichtshof unter freiem Himmel tagten; Mitglieder waren seit 683 die ausgeschiedenen ↑ Archonten; seit Solon (594 v. Chr.) auf die polit. Gerichtsbarkeit beschränkt (400 Mitglieder). Im 5. Jh. wurde mit der weiteren Ausbildung der Demokratie der A. als polit. Kontrollinstanz entmachtet (nur noch Blutgerichtsbarkeit) ↑ Bule. Im 1. Jh. n. Chr. wurde der Hügel als Versammlungsort der Christen (Predigten des Paulus) genutzt. Aretino, Pietro, Schriftsteller der ital. Renaissance, 1492–1556; gefürchteter Pamphletist, geistreich und skrupellos; verkaufte seine Feder an den Meistbietenden, von Karl V. und Franz I. bewundert, mit

Künstlern wie Tizian befreundet, in seiner Wirkung auf die öffentliche Meinung von z. T. unheilvollem Einfluss auf seine Zeit. Argens, Jean Baptiste de Boyer d’, Marquis, frz. Schriftsteller der Aufklärung, 1704–1771; Freund Friedrichs d. Gr., seit 1744 in Potsdam. Argentinien (lat. argentum = Silber; „Silberland“), neben Brasilien der bedeutendste Staat Südamerikas, ging aus den ehem. Rio de la Plata-Provinzen hervor; 1508 (1516) La Plata-Fluss von ­ Spaniern entdeckt, seitdem span. Kolonisation; 1536 Buenos Aires gegr.; 1806 und 1807 Abwehr britischer Landungsversuche bei Buenos Aires; 1810–1816 Unabhängigkeitskampf, 1816 Nationalversammlung; in der Folge machten sich Bolivien, Paraguay und Uruguay selbständig, seit 1845 Kriege gegen diese Staaten, innere Kämpfe zwischen Unitariern und Föderalisten, die erst 1860 endeten; 1863 erkannte Spanien offiziell die Unabhängigkeit A.s an; in den 1880er Jahren Bildung des argentinischen Einheitsstaates. Im 1. Weltkrieg neutral, im 2. Weltkrieg 1945 Kriegserklärung an Deutschland. Betont nationale Politik: lateinamerik. Tradition gegen panamerik. Programm der USA; Rivalität gegen Brasilien; 1948 Rückkauf der Eisenbahnen von England; Anspruch auf Falklandinseln und antarkt. Gebiete; seit 1946 Diktatur des ehem. Obersten Perón (Sozialreformen, Industrialisierung, Ausschaltung der Opposition), 1955 durch einen Aufstand des Heeres und der Marine gestürzt, abgelöst durch Militärjunta, im gleichen Jahr Wiederherstellung der Verfassung von 1853; 1957 wieder freie Wahlen, Versuch einer Neuordnung der zerrütteten Wirtschaft; 1962 Macht­übernahme durch das Militär; seit 1969 wachsende Aktivitäten links- und rechtsgerichteter Stadtguerillas führten 1971 zu schweren Unruhen und zum Sturz der 3. Militärregierung seit 1962. 1973 Rückkehr Peróns aus dem spanischen Exil und Wahl zum Prä58

Ariovist sidenten, er konnte jedoch seine frühere Machtstellung nicht wiedererlangen, Auseinanderfallen der ­ perónist. Bewegung zeichnete sich ab. Nach dem Tode Peróns übernahm seine Frau Maria Eva („Evita“) Perón verfassungsgemäß die Präsidentschaft. M. Perón wurde 1976 durch General Videla gestürzt. Die folgende Militärdiktatur drängte die linken Guerillas zwar in die Defensive, doch nahmen die (z. T. von der Regierung geduldeten) terrorist. Aktivitäten der Rechten stark zu. Im Konflikt um die ↑ Falklandinseln erlitt das Regime 1982 eine folgenschwere außenpolit. Niederlage. 1983 wurde die Demokratie wiederhergestellt, als Staatspräsident ↑ Alfonsín (1983–1989) gewählt. 1989 Staatspräsident Carlos Menem, Amnestie für Verbrechen unter dem Militär-Regime, 1994 neue Verfassung, 1999 Staatspräsident Fernando de la Rúa, trat nach Protesten gegen seinen Sparkurs 2001 zurück, durch den ­ Perónisten Eduardo Duhalde ersetzt. 2003 nach Wahlen von Néstor Kirchner abgelöst, Aufhebung der Amnestie und zahlreiche Prozesse gegen ehemalige Soldaten und Offiziere der Militärjunta. Arginusen, Inselgruppe südöstl. von Lesbos, 406 v. Chr. Seesieg der Athener im Peloponnesischen Krieg über die spartan. Flotte; weil die Flottenführer wegen eines Sturmes die Schiffbrüchigen nicht retten konnten, wurden sie vom athenischen Volk zum Tode verurteilt. Argos, Hauptstadt der Landschaft Argolis im NO des Peloponnes; Heiligtum der Hera; Argolis urspr. von ↑ Ioniern besiedelt mit kret.-myken. Mischkultur (Ausgrabungen von ↑ Mykene und Tiryns). Arianismus, im 4. Jh. aufkommende theo­ log. Lehre über das Wesen Christi; der aus Alexandria stammende Priester Arius bezeichnete Christus als aus dem Nichts entstandenes Geschöpf Gottvaters, das erst zum Sohnesrang aufgestiegen sei; zur Klärung der die Christenheit bewegenden

Streitfrage berief Konstantin d. Gr. das Konzil von ↑ Nizäa (324/25) ein; es entschied für die Wesensgleichheit mit dem Vater; Weiterwirken der Arius-Lehre in radikaler (wesensungleich) und vermittelnder Form (ähnlich oder wesensähnlich); der A. wurde zur Konfession u. a. der Goten (↑ Wulfila), Vandalen und Langobarden (Arianer); weltgeschichtlich entscheidend war das Bekenntnis der Franken zur kath. Lehrauffassung (Chlodwigs Übertritt zum kath. Glauben 496); seit dem 6. Jh. folgten ihnen fast alle Germanenvölker, am längsten blieben die Langobarden arianisch. Aribert, Erzbischof von Mailand, gest. 1045; krönte Konrad II. 1026 zum König von Italien, kämpfte mit Unterstützung der Bürger von Mailand gegen seine Untervasallen, deren Leben er einziehen wollte; empörte sich 1037 gegen Konrad II.; als dieser den Vasallen Recht gab, abgesetzt, doch nicht unterworfen. Arier (Sanskrit, Arya = Herr oder Edler), ostindogerman. Völkergruppe, Heimat vermutlich nördl. des Hindukusch, drangen im 2. Jt. in Nordindien ein, wo sie auf die Urbevölkerung der Dravidas stießen, und in das Hochland Aryana (Iran); als Vorfahren der heutigen Inder siedelten sie im Pandschab, dann in ganz Nordindien, und als Vorfahren der Perser im Iran. Ursprüngl. nur ein Begriff der Sprachwissenschaft, wurde die Bez. A. im erweiterten Sinne und nicht korrekt auf die ↑ Indogermanen insgesamt angewendet; die rassenkundliche Verwendung des Begriffs A., d. h. die Hypothese von einem arischen Urvolk als einer allein kulturschöpferischen und allen anderen überlegenen Herrenrasse ist unwissenschaftlich, war aber wesentlicher Teil der nat.-soz. Ideologie. Ariovist, Heerführer eines german. Suebenstammes, drang über den Rhein nach Gallien vor, wurde trotz Verstärkung durch andere german. Stämme von Cäsar 59

Aristagoras 58 v. Chr. im Elsass besiegt; Cäsar gelang es, ganz Gallien unter röm. Herrschaft zu bringen. Aristagoras, Tyrann v. Milet; um 500 v. Chr. Leiter des gescheiterten ioni­schen Aufstandes gegen die Perser; A. flüchtete nach Thrakien, wo er 496 v. Chr. fiel. Aristarchos, 1) A. von Samos, griech. Astronom, um 320–250 v. Chr.; lehrte (in Alexandria) als erster vor Kopernikus, dass die Sonne im Mittelpunkt des Planetensys­ tems stehe. 2) A. von Samothrake, griech. Grammatiker, 217–145 v. Chr.; Bibliothekar in Alexandria, Erklärer des Homer. Aristides (griech. Aristeides), athen. Staatsmann und Feldherr (Marathon, Salamis), gest. um 467 v. Chr.; Führer der gemäßigten Konservativen, Rivale des Themistokles, brachte 477 den 1. Attischen Seebund zustande; erhielt den Beinamen „der Gerechte“. Aristokratie (griech., Herrschaft der Bes­ ten), im Gegensatz zur Demokratie, der Volksherrschaft, und zur Tyrannis, der Herrschaft eines Einzelnen; Staatsordnung, bei der eine durch Herkunft, Besitz, Ämter bevorrechtete (und ideal: mit entsprechenden Vorzügen ausgestattete und sich ihrer bes. Pflichten bewusste) Oberschicht die öffentliche Gewalt innehat (Oligarchie); in neuerer Zeit wird auch dieser Stand selbst als A. (= Adel) bezeichnet (↑ Adel). Aristoteles, aus Stagira in Makedonien (daher „Stagirite“ genannt), griech. Philosoph, 384–322 v. Chr.; bedeutendster Schüler Platons in Athen seit 366, 342– 339 Erzieher Alexanders d. Gr., seit 335 Leiter des von ihm gegr. Lykeions zu Athen, aus dem sich die philosoph. Schule der Peripatetiker entwickelte. Nach dem Tode Alexanders flüchtete A. vor der makedonierfeindlichen Reaktion nach Euböa (Anklage wegen Gottlosigkeit). A. war der universalste Denker und Naturforscher des Altertums, von weitreichender Nachwirkung bes. auf die Philosophie des MA,

er war insbes. der Begründer der formalen Logik und der empir. Wissenschaft, ihr erster Organisator und Systematiker; in seiner „Politik“ der Fürsprecher eines gemäßigt demokrat., auf einem starken Mittelstand beruhenden Rechts- und Verfassungsstaates. Arius, Priester aus Alexandria, gest. 336 n. Chr., Begründer der Lehre von der nur gottähnlichen, nicht gottgleichen Natur Christi (Leugnung der Dreifaltigkeit); ↑ Arianismus. Arkadien, altgriech. Landschaft im mittleren Peloponnes, abgeschieden, friedlich, arm, von Hirten bewohnt, als Hort ländlicher Schlichtheit und alter, guter Sitte von den Dichtern der griech. Schäferpoes­ie (Bukoliker und Theokrit) und in der Schäferdichtung des 17. Jh. gerühmt. Arkadius, griech. Arkadios, oström. Kaiser, 377–408 n. Chr.; Sohn Theodosius’ d. Gr., Bruder des ↑ Honorius; erhielt 395 bei der Erbteilung das oström. Reich, Honorius das weströmische. Arkebuse, seit dem 15. Jh. die Hakenbüchse (Feuerrohr) mit Luntenschloss und einem den Rückstoß auffangenden Haken (Stange), auf den sie beim Feuern gestützt wurde; im 16. Jh. durch die Muskete verdrängt. Arkebusiere waren die mit einer A. bewaffneten Landsknechte; später leichte Reiter. Arktis, die um den Nordpol liegenden Land- und Meeresgebiete; erste Kenntnisse gesammelt von irischen Mönchen und den Normannen im 8. und 9. Jh.; im 16. und 17. Jh. erkundeten Engländer und Niederländer auf der Suche nach der „Nordwestpassage“ und „Nordostpassage“ die W-Küste Grönlands und die O-Küsten des nördl. Nordamerika sowie des Kanad.Arkt. Archipels, Bäreninsel und Nowaja Semlja wurden erreicht. Entdeckung Alaskas, der Beringstraße und des Beringmeers durch russ. Forscher, um 1750 erste Kartierung der N-Küste Sibiriens. Nachdem Ende des 18. Jh. in Nordamerika die arkt. 60

Arminianer Küste erreicht war, setzte im 19. Jh. eine intensive Erforschung ein: Bezwingung der NW-Passage durch McClure 1850– 54, der NO-Passage durch Nordenskiöld 1878–1880, Nachweis, dass der Nordpol von Meer umgeben ist, durch F. Nansen 1893–96, Erreichung des Pols durch F. A. Cook 1908 (bezweifelt) und R. E. Peary 1909. Erster Flug zum Pol (Byrd) 1926. Arkwright, Sir Richard, engl. Mechaniker und Textilfabrikant, 1732–1792; Erfinder der Spinnmaschine (1769), die einen Wandel der Textilfabrikation herbeiführte. Arles, Stadt nahe der Rhonemündung gelegen, alte gallische Siedlung, seit Ende des 2. Jh. v. Chr. röm., 45 v. Chr. Veteranensiedlung (Kolonie) Cäsars, zeitweise Kaiserresidenz (Maximilian, Konstantin d. Gr.), um 400 gallischer Regierungssitz anstelle des grenznahen, bedrohten Trier, 536 fränkisch, seit 879 Hauptstadt des Königreichs ↑ Arelat. Armada (span., bewaffnete Macht), um 1600 üblicher Ausdruck für Streitkräfte (zu Wasser wie zu Lande), im 30-jährigen Krieg durch das frz. Wort Armee verdrängt; die Große A. Philipps II. von Spanien unter Admiral Medina Sidonia (130 Schiffe mit rd. 30 000 Mann an Bord) fuhr 1588 zur Niederwerfung Englands aus und wurde durch die beweglichere Taktik der engl. Flotte (↑ Drake) und durch schwere Stürme vernichtet; Beginn des Aufstiegs Englands zur seebeherrschenden Weltmacht. Armagnacs, Armagnaken, auch „Armegecken“ genannt, zügellose frz. Soldtruppen eines Grafen von Armagnac (Südfrankreich), später im Dienste König Karls VII., der sie 1444 gegen die Schweizer Eidgenossen schickte, um sie loszuwerden; plünderten sie das Elsass, bis sie 1445 vertrieben und aufgelöst wurden. Armbrust (lat. arcubalista, Bogen, Wurfmaschine), trag- oder fahrbare Fernschusswaffe der Antike und des MA, für Pfeile und Bolzen, später Bleikugeln und Steine.

Armenien, ursp.

das Land zw. dem Schwar­zem und Kasp. Meer südl. des Kaukasus, als Durchgangsland zw. Kleinasien und Persien seit alters umkämpft; allyrisch, medisch, persisch, makedonisch, seleukidisch, vorübergehend unabhängig (Großarmeni­sches Reich), römisch, sassa­ nidisch, arabisch (636), seldschukisch (Klein-A. vorüber­gehend byzantinisch und in Nachfolge der Kreuzfahrerherrschaft bis 1375 selbständig), mongo­lisch (1240), ­osmanisch (1522). Im 19. Jh. trat ­Russland als Schutzmacht der unterdrückten Armenier auf und erwarb Teile Nord-A., aus denen die transkaukasische Sowjetrepublik A. hervorging. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 präsidiale Republik. Armenier, altes Kulturvolk des ­ Vorderen Orients, Indogermanen; wanderten um 1000 v. Chr. aus Thrakien v. a. nach ↑ Arme­ nien ein und gründeten ein Reich mit wechselvollem Schicksal, errichteten um 300 n. Chr. die erste christliche National­ kirche (mit einem Katholikos an der Spitze), übernahmen die (im Westen unter­ drückte) monophysitische Lehre, wurden im Osmanischen Reich ihres Glaubens wegen in blutigen Massakern fast ausge­rottet (1894–97,1909), v. a. im Ersten ­Weltkrieg, als bei dem Völkermord 1,5 Mio. A. ermor­ det wurden, daneben etwa 250 000 nach Syrien deportiert, 250 000 flohen nach Transkaukasien). Armer Konrad, geheimer Bauernbund, der sich um 1505 im Remstal in Württemberg bildete; seine Erhebung 1514 gegen Herzog Ulrich misslang. Arminianer, niederländ. Partei der refor­ mierten Kirche; benannt nach ihrem Gründer Jakob Arminius (1560–1609); sie traten gegen die Calvinisten für die Willensfreiheit ein und erhoben 1610 Remonstranz (feierl. Protest) gegen staatl. Verfolgung (daher auch „Remonstranten“); auf der Synode von Dordrecht 1619 verdammt, 1798 offiziell anerkannt. 61

Arminius Arminius (fälschlich Hermann), Cheruskerfürst, 17 v. Chr. bis 21 n. Chr.; erlernte in röm. Diensten die Kriegskunst; brachte ein Bündnis der german. Stämme zwischen Rhein und Aller zustande, vernichtete gemeinsam mit Segimer 9 n. Chr. die Legionen des Varus im Teutoburger Wald und verhinderte die Besetzung Germaniens bis zur Elbe, Germanien blieb der röm. Kultur entzogen; wehrte 14– 16 n. Chr. die Rachefeldzüge des Germanicus ab; die Gemahlin des A., Thusnelda, wurde röm. Gefangene; 18–21 n. Chr. im Kampf mit den Markomannen unter Marbod; A. wurde wegen angeblichen Strebens nach der Krone von Verwandten ermordet. Arndt, Ernst Moritz, volkstümlicher polit. Schriftsteller und Dichter, 1769–1860; literar. Vorkämpfer der Befreiung von der Herrschaft Napoleons und des dt. liberalen Nationalgedankens; seit 1818 Prof. der Geschichte an der Universität Bonn, 1820–1840 von der Reaktion seines Amtes enthoben, forderte einen dt. Nationalstaat mit Erbkaisertum unter preuß. Führung („Katechismus für teutsche Soldaten“, „Der Rhein Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze“, „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“); 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Arnim, 1) A., Hans Georg (auch Arnheim), General im 30-jährigen Krieg, 1581–1641; zuerst in schwed., seit 1626 in kaiserlichen, seit 1631 in sächs. Diensten, der bedeutendste protestant. Gegenspieler Wallensteins auf kaiserlicher Seite. 2) A., Harry von, dt. Diplomat, 1824–1881; trieb als Botschafter in Paris (1872–1874) selbständig Politik zur Wiederherstellung der frz. Monarchie, wurde daher von Bismarck nach Konstantinopel versetzt, alsbald im Ruhestand; wegen bismarckfeindlicher Publizistik (unter Verwertung amtlicher Aktenstücke der Pariser Botschaft) auf Veranlassung Bismarcks strafrechtlich verfolgt; starb in Nizza.

Arnold, 1) A. von Brescia, kath. Pries­

ter, Reformer und Empörer, Schüler ↑ Abälards, trat gegen die Verweltlichung der Kirche auf, errichtete in Rom eine Republik mit Senat; 1155 in Rom als Rebell auf Befehl Barbarossas hingerichtet. 2) A. von Lübeck, Geschichtsschreiber; gest. 1212; seit 1177 Abt zu St. Johann in Lübeck, setzte Helmolds Slawenchronik fort, schrieb Reichsgeschichte und die Geschichte Heinrichs des Löwen. 3) A., Gottfried, pietist. Liederdichter und Kirchenhistoriker, 1666–1714; ergriff in seiner „Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie“ Partei für die von der Kirche Verfolgten. Arnulf, Name von Herrschern. Röm.-dt. Kaiser: 1) A. von Kärnten (896–899); geb. um 850 als unehelicher Sohn Karlmanns, 876 Herzog von Kärnten, 887 dt. König, besiegte 891 die Normannen, 896 zum Kaiser gekrönt. – Austrasien: 2) A. der Heilige (A. von Metz), Stammvater der Karolinger, um 582–641; 611 Bischof von Metz, 622–627 mit Pippin Regent im ostfränk. Reich (Austrasien), endete als Eremit. – Bayern: 3) A., Herzog (907–937), wehrte die Ungarn ab, 919 erster dt. Gegenkönig (gegen Heinrich I.), unterwarf sich 921; von der Kirche „der Böse“ genannt, da er Kirchengüter einzog. Arpad, erster Großfürst der vereinigten magyar. Stämme (um 890–907); begründete die Dynastie der Arpaden, die bis 1301 in Ungarn herrschte, seit 1001 als Könige. Arras, Hauptstadt des Artois, einst Haupt­ ort des keltischen Stammes der Atrebaten, 451 an den Hunnen, 800 von Normannen zerstört; kam später zusammen mit der Freigrafschaft Artois zu Burgund und wurde Residenz der Herzöge; 1435 Friedensschluss von A. zwischen Karl VII. von Frankreich und Philipp dem Guten von Burgund; 1493 fiel A. an das (österreichische) Haus Habsburg; der Vertrag von A. 1579 leitete die endgültige Teilung 62

ASEAN der Niederlande ein; 1659 von Franzosen eingenommen, unter Ludwig XIV. von Vauban zur Festung ausgebaut; in beiden Weltkriegen hart umkämpft. Arrianus, Nikodemus (röm. Name Flavius), aus Bithymen, um 100–180 n. Chr., griech, Geograf und Historiker; röm. Präfekt von Kappadokien, Schüler des Stoikers Epiktet; schrieb die Geschichte des Perserzugs Alexanders d. Gr. („Anabasis“). Arsakiden, Herrschergeschlecht der Parther, 247 v. Chr. bis 226 n. Chr., von Arsakes abstammend, der die Seleukidenherrschaft abgeschüttelt hatte; von den Sassaniden gestürzt. Artaxerxes (Artachschatra), pers. Großkönige: 1) A. I. Makrocheir (464– 424 v. Chr.); kämpfte gegen Aufstände in Baktrien und Ägypten; Friede mit Athen 449 v. Chr. 2) A. II. Mnemon (404– 358 v. Chr.); siegte 401 bei Kunaxa über seinen von den Griechen unterstützten Bruder Kyros, 374 vergeblicher Vorstoß gegen Ägypten; 387 „Königsfriede“ mit Sparta (Rückgewinnung Kleinasiens). 3) A. III. Ochos (358–338 v. Chr.); unterwarf 343 die aufständ. Ägypter; vergiftet. Artefakt (aus lat. ars = Kunst und facere = machen), in der Vorgeschichtsforschung ein Gegenstand, der seine Form durch menschliche Hand erfuhr. Artevelde, 1) A., Jakob van, Tuchhändler aus Gent, 1338 Führer der rebell. flandr. Städte gegen die frz. Krone und die Grafen von Flandern, 1345 ermordet. 2) A., Philipp van, Sohn von 1), seit 1381 an der Spitze der Genter Bürgerschaft, fiel 1382 in der Schlacht von Roosebeke gegen ein frz. Ritterheer. Artillerie, ↑ Geschütz. Artois, Landschaft in Nordfrankreich, das südl. Flandern, ehemals Land der Atrebaten, im 5. Jh. von den Franken erobert; 1180 zur frz. Krone, 1297 Herzogtum, 1384 zu Burgund, 1493–1659 beim Hause Habsburg, dann wieder an Frankreich abgetreten.

Artus (kelt. Arthur), sagenhafter Heerfüh-

rer der Briten, Herrscherideal im MA, verherrlicht in der A.-Sage; im Kampf gegen die Sachsen um 500 n. Chr., Mittelpunkt eines Kreises heldenhafter Ritter (A.-Tafelrunde); das MA glaubte an seine siegreiche Wiederkehr. Arya, ↑ Arier. Asarhaddon, König von Assyrien (681– 669 v. Chr.); Sohn des Sanherib, baute Babylon wieder auf; Assyrien erreichte größte Ausdehnung. A. eroberte 671 Ägypten bis Theben. Kämpfe gegen die einbrechenden ↑ Kimmerier. Aschanti-Reich, afrikan. Reich unter Gottkönigen im heutigen Ghana; die A. wohl von N eingewandert; gründeten um 1650 Staatenbund; um 1700 militär.-despot. „Reich des Goldenen Stuhles“, beherrschte westafrikan. Goldhandel (Goldminen von Oluasi); berühmte Goldarbeiten; im 19. Jh. von den Engländern in wechselvollen, blutigen Feldzügen unterworfen; 1874 Eroberung ihrer Hauptstadt Kumasi. Aschkenasim, im A. T. Mitglieder einer Völkerschaft im N Palästinas; der Begriff wurde übertragen auf die mittel- und osteurop. Juden, die Jiddisch als Umgangssprache haben (Gegensatz ↑ Sephardim, die Juden der iber. Halbinsel). Aschoka, König des ind. Maurya-Reiches (Nachfolgestaat aus dem Erbe Alexanders d. Gr.), größter ind. Herrscher (272 bis 231 v. Chr.); erweiterte in blutigen Feldzügen das Reich fast über ganz Indien und Afghanistan; nach seiner Bekehrung zum Buddhismus Förderer der buddhist. bzw. ethischen Mission in Ceylon, Griechenland, Ägypten („Apostelkönig“); errichtete Hospitäler für Menschen und Tiere, forderte Nächstenliebe und Toleranz (eth. Leitsätze auf Felswände und Säulen gemeißelt); nach außen Friedenspolitik (↑ Indien). ASEAN, Abk. für engl. Association of South-East Asian Nations, 1967 gegrün63

Asien dete regionale Organisation zur Förderung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit. Gründerstaaten sind Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Thailand und Singapur. Folgende Länder traten in die Organisation ein: 1984 Brunei, 1995 Vietnam, 1997 Myanmar und Laos, 1999 Kambodscha. Die Bedeutung von ASEAN liegt in der gemeinsamen Abstimmung von Handels-, Außen- und Sicherheitspolitik sowie in gemeinsamen Maßnahmen zum regionalen Konfliktmanagement. Der 1994 gegründeten Asiatischen Freihandelszone (Asean Free Trade Area, AFTA) gehören alle zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN an. 2002 trat das Freihandelsabkommen der ASEAN in Kraft. Asien, der gewaltige Festlandblock vom Fernen Osten bis zum Stillen Ozean, im Westen auslaufend in die große Halbinsel Europa (aus der Einheit Asien-Europa abgeleitet der Begriff „Eurasien“); historisch werden indes Asien und Europa auseinander gehalten. Die Griechen der Frühzeit bezeichneten mit A. alle barbar. Länder, die nicht zu Europa zählen, einschließlich Libyens (Afrika); A. zunächst der Name für die von Ioniern gegründeten Kolonien der Westküste Kleinasiens. Hauptquellen für die geschichtliche Frühzeit Hekataios von Milet um 500 v. Chr. und Herodot um 450 v. Chr. Um 400 v. Chr. berichtete Krepias, Arzt aus Knidos, der am pers. Hof lebte, über Indien. Mit den Zügen Alexanders d. Gr. wird der Name auf alle östl. gelegenen Länder übertragen. Um die geogr. Erschließung Asiens verdient Nearchos durch seine Fahrt von der Indusmündung zum Euphrat 325 v. Chr.; etwas später befuhren Seleukos Nikator und sein Sohn Antiochos den Indischen Ozean und das Kaspische Meer. In der Nach-Alexander-Zeit Handelsbeziehungen zw. Ägypten und Indien. Die röm. Provinz Asia umfasste das 133 v. Chr. geerbte AttalidenReich von ↑ Pergamon; dazu kamen später Lydien, Phrygien und Rhodos. Der Han-

del Roms reichte bis Indien und China, doch blieb Inner-A. selbst dem röm. Vordringen durch die pers. Großmacht verschlossen; noch Ptolemäus war Zentral-A. unbekannt. Im MA erschlossen sich die Araber in S- und O-A. zahlreiche ­Märkte. Im 13. Jh. verhandelten westl. Gesandtschaften in der Mongolenresidenz im Innern der Mongolei. 1271–1295 reis­te der Venezianer ↑ Marco Polo im Auftrag des Papstes und aus Handelsinteresse durch die Mongolei, China und Bengalen. 1325–1349 kam der Araber ↑ Ibn Batuta nach China und Indien. 1498 umsegelte der Portugiese ↑ Vasco da Gama Afrika und entdeckte den Seeweg nach Ostindien; damit begann eine neue Epoche der geogr. Erschließung Asiens, bes. durch die Portugiesen. 1521 fuhr ↑ Magellan auf dem Weg um die Welt zu den Philippinen; Gracia Henriques nahm 1525 Celebes, Vasco Laurez 1526 Borneo. Um 1542 Eindringen der Europäer in Japan. 1571 besiedelten die Spanier die Philippinen. Seit 1580 begann das russ. Vordringen der Kosaken ↑ Jermaks nach Sibirien, die Lena wurde 1628, der Amur und das Ochotskische Meer 1640 erreicht. 1600 schickte die engl. Königin Elisabeth eine Expedition nach Indien. Bis 1660 setzten sich die Holländer im Inselarchipel von Java, Celebes, Borneo usw. fest. 1601 begannen auch die Franzosen mit Ostindienfahrten. Auf Befehl Peters d. Gr. gingen 1710– 1716 mehrere russ. Expeditionen im Norden vor; ↑ Bering suchte 1725–1728 die Küste des nördl. Sibirien und das Meer von Kamtschatka auf; mit der Erdumseglung James ↑ Cooks (1772–1775) wurden auch die nordöstl. Küsten Asiens erforscht. Seither hellt sich das geografische Bild des Erdteils rasch auf. – Asiens Menschheit ist bis weit in die Altsteinzeit zurückzuverfolgen. Von China über die Mandschurei, die Wüste Gobi, das Baikal-Gebiet, Indien, Iran, Zweistromland, Syrien, Palästina sind zahlreiche früheiszeitliche Fundstät64

Assuan ten nachgewiesen. Soweit der Kontinent nicht von der Vergletscherung betroffen wurde, erlebte er die Klimawechsel als langdauernde Regen- oder Trockenzeiten. Frühe Kulturen erblühten bereits um 5 000 v. Chr. im Irak, mit Dorfsiedlungen und Dorfwirtschaft von Tierzüchterbauern; um 4500 erhob sich in Palästina (Jericho) ein erstes Heiligtum. Hier, in Syrien, Mesopotamien, im Irak, in Turkmenistan ist in der Folge der Ackerbau nachweisbar. Um 3 000 wurden in China, Indien, im Zweistromland Hochkulturen sichtbar, mit Stadtanlagen, und in Mesopotamien mit erstem monumentalen Tempelbau; erste Staaten- und Reichsbildungen. – A. war in der Folge Tummelplatz erobernder Steppenvölker (↑ Hunnen, Tataren, Mongolen, Türken usw.). In A. entstanden fast alle bedeutenden Menschheitsreligionen. Dem europ. Imperialismus hatte A. lange politisch. nichts entgegenzusetzen, erst im 20. Jh. ging eine Welle des Nationalismus auch durch alle asiat. Nationen, der japan. Imperialismus machte sich die Parole „Asien den Asiaten“ zu eigen; seit dem 2. Weltkrieg erkämpften sich die größten asiat. Nationen ihre Unabhängigkeit von europ. oder amerik. Einflüssen (↑ Indien, China, Ceylon, Pakistan, Indonesien). Asinius Pollio, Gajus, röm. Politiker und Schriftsteller. 76 v. Chr. bis 5 n. Chr.; unter Cäsar Offizier, dann auf Seiten des Antonius, unter Augustus Literat und Historiker (17 Bücher „Historiae“); gründete die erste öffentliche Bibliothek in Rom. Askalon, alte Hafenstadt Südpalästinas; eine der fünf Hauptstädte der Philister, 638 von den Arabern erobert, 1157 von einem Kreuzfahrerheer besetzt, 1191 von den Sarazenen zurückerobert und geschleift, 1270 zerstört. Askanien, alte dt. Grafschaft, benannt nach einer Sachsenburg bei Aschersieben, Stammburg der Askanier, die seit dem 12. Jh. bis 1319 in der Mark Brandenburg und bis 1918 in Anhalt regierten.

Askari (arab. und türk., Soldat), die far-

bigen Soldaten in der dt. Schutztruppe in Ostafrika, bewährten sich unter ↑ LettowVorbeck. Asklepiades, Arzt aus Prusa in Bithymen, 1. Jh. v. Chr.; brachte die griech. Medizin in Rom zu großem Ansehen. Asow, Stadt und Festung an der Mündung des Don ins A.sche Meer, ehemals genues. Besitz (ital. Name: Tana); Fernhandelszentrum nach Indien und China. 1471–1696 und 1711–1736 türkisch, 1696–1711 und endgültig 1739 russisch. Aspasia, zweite Gemahlin des Perikles, hochgeistige Ionierin aus Milet, geb. um 468; Ehe mit Perikles um 445, nach att. Recht nicht gültig (eheliche Verbindung mit Ausländerin nicht anerkannt), doch zu Unrecht als Hetäre bezeichnet; im Sokrateskreis hoch geachtet. Aspern und Eßling, Dörfer in der Donauebene nahe Wien; 1809 Sieg Erzherzog Karls über Napoleon, der hier seine erste Niederlage als Feldherr erlitt. Asquith, Herbert Henry, brit. Staatsmann, 1852–1928; Führer der Liberalen neben Lloyd George, der ihn 1916 als Premierminister (seit 1908) ablöste. Assassinen, polit.-religiöse Sekte der Mohammedaner, während der Kreuzzugszeit von Hassan (einem Perser aus Chorasan) um 1090 gegründet; bejahten den Meuchelmord als Kampfmittel. Assignaten, Anweisungen auf die während der Frz. Revolution eingezogenen geistlichen, königlichen und Emigrantengüter; 1790 dekretiert, urspr. verzinsliche Staatsobligationen, später ungedecktes Papiergeld mit Zwangskurs, im Zuge der Geldentwertung 1797 außer Kraft gesetzt (im Umlauf bis 1793: 4 Mrd. Francs, dann 8,3 Mrd., 1795/96 Emission von 37 Mrd., Wert schließlich kaum 0,5 % des Nennwertes). Assuan, Stadt in Oberägypten am Nil; Fürstengräber des Alten und Mittleren Reiches am W-Ufer des Nils, in der Nähe 65

Assur Ruine des Simeonsklosters, gegr. im 7. oder 8. Jh., im 13. Jh. verlassen. – Südl. von A. der 1902 fertiggestellte Nilstaudamm (1912 und 1933 ausgebaut), davor der neue A.hochdamm (errichtet 1960– 70), der die Nilwasser auf einer Länge von 550 km staut. Assur, Stammesgott der Assyrer, Herr der Stadt A. am oberen Tigris, die dem Lande den Namen gab (vorher Subarta) und zum Ausgangspunkt der assyr. Reichsgründung wurde; 612 von den Babyloniern zerstört (↑ Assyrien). 1903–14 dt. Grabungen, u. a. Bibliothek ↑ Tiglat Pilesars I. Assurbanipal, assyrischer König (669– 630 v. Chr.), jüngerer Sohn Asarhaddons, verlor um 655 Ägypten, vernichtete 639 das Reich von Elam; gründete die Bibliothek in Ninive (Tontafeln). Assurnasirpal II., König von Assyrien (884–859 v. Chr.); drang bis Phönikien vor, verlegte die Hauptstadt in das neugegründeten Kalach (gewaltiger Palast); Zwangsaussiedlungen. Assyrien, hügeliges Land am mittleren Tigris (Tigris ist sumer. Wort); im 4. Jt. zwei nicht näher fassbare Kulturen: die ↑ TallHalaf-Kultur (Symboltier Stier) und die Samarra-Kultur (Symboltier Widder); die Träger dieser Kulturen verschmolzen mit einwandernden Semiten (wie in ↑ Akkad); Mittelpunkt des neuen Völkertums war ↑ Assur, nach dem das Reich Assyrien genannt wurde. Die Assyrer waren ein krieger. Volk, kulturell aber von Babylon im Süden abhängig (Übernahme der babylon. ↑ Keilschrift). Um 2300–2150 v. Chr. gehörte A. zum Reich Akkad; um 2000 unter der Oberherrschaft der 3. Dynastie von Ur (assyr. König Uspia); dann (seit etwa 1815) vorübergehend selbständig (auch über Babylon gebietend); zur Zeit des babylon. Königs Hammurabi (um 1770) Provinz Babyloniens; im 15. Jh. (bis um 1330) in Abhängigkeit vom Reich der Mitanni. Seit der Mitte des 12. Jh. wachsende Übermacht Assyriens, um 1116 v. Chr.

Gründung eines assyrischen Großreiches des Tiglat Pilesar I. (1116–1077), Ausdehnung bis Syrien, Zypern und Kleinasien, im 9. Jh. unter ↑ Assurnasirpal II. und ↑ Salmanassar III. eine 2. Blüte, auf die abermals Verfall folgte. Von ↑ Tiglat Pilesar III. (746–727) bis zu Sanherib (705– 681) 3. Großzeit Assyriens mit der neuen Hauptstadt Ninive; unter ↑ Assurbanipal (669–630) wurde 648 Babylon von assyr. Truppen erobert; doch schwankte der auf brutaler Gewalt errichtete Reichsbau; ein Bündnis Babyloniens mit den Medern brachte das Reich zum Einsturz, das nach der Zerstörung Ninives (612) 606 v. Chr. zw. den Siegern geteilt wurde. Die kulturelle Leistung der Assyrer beruhte nicht auf eigenen Schöpfungen, sondern auf Aneignung und Sammlung; bedeutend durch Großbauten, von denen wenig erhalten ist (Assur, Kar-Tukulti-Ninurta, Ninive, Kalach-Nimrud), und in der Reliefkunst, bes. im Tierbild und in der Darstellung der Herrschertaten; die Assyrer waren das grausamste Herrenvolk des Altertums (primitive Rechtsordnung), das die Zwangsumsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen aus polit.-militär. Gründen zuerst anwendete. Astor, Johann Jakob, amerik. Großkaufmann dt. Herkunft, 1763–1848; wanderte 1783 nach Amerika aus, organisierte den Pelzhandel von den Großen Seen zum Pazifik, unterhielt Handelsbeziehungen mit China und Japan, erwarb großes Vermögen u. a. in New York mit Bodenspekulation. Astrologie (griech.), Sternkunde (ursprünglich Astronomie und Astrologie nicht unterschieden), vor allem die angebliche Fähigkeit, aus der Stellung der Gestirne zukünftige Ereignisse vorauszusagen; bei den Babyloniern und Ägyptern in hoher Blüte, verbreitete sie sich nach Griechenland und Rom, im 7.–13. Jh. von den Arabern mit Eifer betrieben, im abendländ. MA auch von großen Gelehrten wie 66

Athen vermählte sich mit ↑ Galla Placidia und eroberte Barcelona, wo er ermordet wurde. Athen (griech. Athenai), neben Sparta der bedeutendste Stadtstaat (Polis) der klass. griech. Antike und ihr geistiger Mittelpunkt. Im 2. Jt. v. Chr. Unterwerfung der (vorindogerman.) pelasg. Urbevölkerung durch eingewanderte Ionier, die sich auf der und um die ↑ Akropolis niederließen; in der myken. Zeit war der die Ebene bis zum Meer beherrschende Burgberg (Akropolis) Herrschersitz (Reste der myken. Mauer und des Königspalastes). Seit dem 9. (oder 8.) Jh. kam es zum polit. Zusammenschluss der Orte auf der Halbinsel Attika unter der Führung Athens (die Geschichte der Einigung klingt nach in der Sage vom „Synoikismus“ [= Vereinigung] des Theseus); Athen (Stadtgöttin: die vielleicht aus dem kretischen Kulturkreis übernommene Pallas Athene) und Attika seitdem ein polit. und kultureller Begriff. Im 8. Jh. Übergang vom Königtum zum Adelsstaat (Archontat mit jährlich gewählten ↑ Archonten), die Archontenliste beginnt 683. Um 624 wurde das geltende Recht von ↑ Drakon aufgezeichnet. Um 594/93 Reformen ↑ Solons zugunsten des Volkes (Seisachtheia = Lastenabschüttelung). 561 Beginn der Alleinherrschaft der ↑ Peisistratiden; 510 Sturz der Tyrannis, Übergang zur Demokratie, 508/07 demokratische Reformen (↑ Kleisthenes); polit., wirtschaftliche und kulturelle Blüte: A. als Seemacht, Stadt des Handels, der Künste und Wissenschaften, mit demokrat. Verfassung – Gegenpol zur konservativen, auf Königtum und Kriegeradel beruhenden Landmacht Sparta. Im Entscheidungskampf gegen Persien 500–479 v. Chr. trug Athen die Hauptlast des Kampfes (493 Verteidigungsprogramm des ↑ Themistokles: Flottenbau, Befestigung von Piräus), Rivale ↑ Miltiades; Sieg des Miltiades bei Marathon über die Perser (490); Höheund Wendepunkt des Perserkrieges (480): Einbruch der Perser in Attika. Verwüstung

Paracelsus, Cardanus, Tycho Brahe, Kepler usw. geübt; erst im 17. Jh. entwickelte sich (losgetrennt von der Astrologie) die Astronomie als eine empir. Wissenschaft. Astronomie ↑ Astrologie. Asturien, Landschaft in Nordspanien, benannt nach den kelt. Asturen; in der Römerzeit Militärgebiet, von den Westgoten als Restbesitz gegen die Mauren gehalten. Ausgangspunkt der Rückeroberung Spaniens („Reconquista“) für das christl. Abendland; 722 Königreich, seit dem 10. Jh. ↑ León genannt, 1037 unter Ferdinand d. Gr. mit Kastilien vereinigt. Astyages, letzter König der Meder (585– 550 v. Chr.), Sohn des ↑ Kyaxares; unterlag dem Perserkönig Kyros II. Asyl (griech.) unverletzliche Freistätte; im Altertum galten gewisse den Gottheiten geweihte Plätze, Haine und Tempel als Freistätten für Verfolgte, auch für Rechtsbrecher und im Krieg für die Zivilbevölkerung; seit Konstantin d. Gr. auf Kirchen, Klöster, christl. Hospitäler übertragen; in moderner Zeit für polit. und religiös Verfolgte in fremden Staaten. Atahualpa, letzter König der Inkas, von den Spaniern unter Pizarro 1533 trotz Zahlung von Lösegeld ermordet. Ataman, russ. Bez. für den frei gewählten, mit militär. und ziviler Befehlsgewalt ausgestatteten Führer der Kosaken, entsprechend dem ukrain.-poln. ↑ Hetman. Atatürk, ↑ Kemal Atatürk. Athanasius, Kirchenvater, um 295– 373 n. Chr.; seit 328 Bischof von Alexandria, Hauptgegner des ↑ Arianismus, trat statt für die (nur) gottähnliche für die gottgleiche Natur Christi ein; in dieser Auseinandersetzung fünfmal verbannt, seine Auffassung wurde zur herrschenden Lehrmeinung; A. deshalb „Vater der Orthodoxie“ genannt, Vertreter des mönch. Ideals („Leben des Antonius“). Athaulf, König der Westgoten (410– 415 n. Chr.); Schwager und Nachfolger Alarichs, führte sein Volk nach Südgallien, 67

Äthiopien des Landes und Zerstörung A.s und der Akropolis; Seesieg des Themistokles bei Salamis über die pers. Flotte; 476 griech. Sieg (Pausanias) bei Platää, die Persergefahr dadurch beseitigt. Seit Gründung des 1. Attischen Seebundes (477–404) wachsende Feindschaft der schwächeren Staaten gegen das erstarkende Athen, Erfolge ↑ Kimons gegen die Perser; 449 v. Chr. Seesieg der Athener beim zypr. ↑ Salamis: Niederlage Athens gegen die Böotier bei ↑ Koroneia (447). Seit 445 klass. Epoche des Perikleischen Zeitalters (Ausbau der langen Mauern und der Akropolis, ↑ Perikles); totale Niederlage Athens im ↑ Peloponnes. Krieg (431–404 v. Chr.); die von Sparta eingesetzte „Herrschaft der Dreißig“ 403 v. Chr. von den Demokraten gestürzt; der nochmalige Kampf um außenpolit. Vormacht erfolglos (355 v. Chr. Auflösung des 2. Attischen Seebundes). Kulturelle Bedeutung unter makedonischer und (seit 86 v. Chr.) römischer Herrschaft noch bewahrt (Rhetoren- und Philosophenschulen); 87 v. Chr. Verwüstung durch Sulla; neue Blüte unter Kaiser Hadrian (Tempelbau, Akademie); Eroberung durch die Goten (267 und 395); Christianisierung ließ die heidn. Bildungsstätten veröden (529 n. Chr. Schließung der Akademie durch den byzantin. Kaiser Justinian). Im MA bedeutungslos; 1205 errichteten Kreuzfahrer das Herzogtum Athen (Attika und Böotien umfassend), das bis zur Er­ oberung durch die Türken (1456) bestand; A. erhielt in türk. Zeit den Namen Setine (2 000 Einwohner); 1687 von den Venezia­ nern belagert (Zerstörung des Parthenon durch Explosion); 1788 wieder türkisch, neuer Befestigungsring; Anfang 19. Jh. hatte Athen 10 000 Einwohner; erneute Zerstörung der Stadt im griechischen Befreiungskampf (1826/27), 1834 Hauptstadt des neugegründeten griechischen Königreichs und bauliche Erneuerung durch den Wittelsbacher Otto I., Sohn König Ludwigs I. von Bayern (↑ Griechenland).

Äthiopien, demokrat. Rep. in NO-Afrika,

amtlich Mongasta Itiopia, arabisch Habescha, im NO des afrikanischen Erdteils. Urbevölkerung Hauriten und Negride, um 650 v. Chr. an den Küsten griech. Kolonisten, um Christi Geburt gründeten SAraber im Innern das Reich von Aksum, das den Indienhandel aufnahm und Obelisken und andere Großbauten hinterließ; nach 330 n. Chr. Christianisierung von Alexandria aus, Blüte der Kultur, zeitweise Herrschaft über Südarabien (5.–7. Jh.). Vom 10. Jh. bis 1268 starke jüdische Einwanderung, dann wieder Übergewicht der monophysitischen (kopt.) Christen. Um 1290 wurde unter dem Druck der Araber die alte Hauptstadt Aksum (früherer Name des Königreichs: Abessinien) aufgegeben und die Residenz nach Gondar verlegt. Aksum blieb Krönungsstadt. Nur vereinzelte Berührung mit der Welt: 1496 wurde der portug. Reisende Pedro de Covilhão in Gondar von den Amharas zum Bleiben gezwungen, grundsätzlich ließ man Fremde aus ängstlicher Vorsicht nicht mehr abreisen. Auch die 1541 dem Kaiser Lebna Dengel gegen den Islam zu Hilfe gekommenen Portugiesen unter Führung von Christoph da Gama, dem Bruder des Vasco d. G., mussten schließlich im Lande bleiben. Neben den Arabern machten die heidnischen Galla dem Reich zu schaffen. Danach wachsende Übermacht der Stammesfürsten (Ras) gegenüber dem zum Schattendasein herabsinkenden Kaisertum. 1850 stellte Ras Kasa von Gondar als Kaiser (Negus Negesti) Theodorus II. die Kaisermacht wieder her, unterlag aber 1868 gegen brit. Truppen und beging Selbstmord. Erfolgreiche Kämpfe gegen Ägypten (1875–1879) und die Italiener, die 1896 vom Negus Menelik II. (1889–1913) bei Adua geschlagen wurden. Im Frieden von Addis Abeba verlor Italien die Schutzherrschaft über Ä., es behielt nur den Hafen Massaua; Hauptstadt seit 1893 Addis Abeba. 1923 trat Ä. 68

Ätolischer Bund in den Völkerbund ein. Haile Selassie I. (seit 1930 Negus Negesti, Kaiser) führte Reformen durch und erließ eine Verfassung (1931). 1935 begann Mussolini mit der Eroberung des Landes. Der König von Italien nahm 1936 den Titel „Kaiser von Äthiopien“ an; der Negus floh nach England. Im 2. Weltkrieg wurden die Italiener durch die Engländer vertrieben. Kaiser Haile Selassie kehrte 1941 zurück, seitdem Ä. wieder selbständig durch Beschluss der UNO (1950); Angliederung ↑ Eritreas als föderativer Staat (1952); 1955 neue Verfassung, Beseitigung der Adelsvorrechte, Einrichtung eines Kronrats, Kabinetts und Parlaments (Senat mit berufenen Mitgliedern und gewähltes Abgeordnetenhaus); äthiop.-eritreischer Reichsrat. 1974 Putsch der äthiop. Streitkräfte mit dem Ziel der Abschaffung der feudalist. Struktur; Absetzung des Kaisers. 1975 offizielle Abschaffung der Monarchie, seitdem Machtausübung durch sozialist. Militärregierung, Verstaatlichungen und Landreform. Unruhen in ↑ Eritrea führten zum Bürgerkrieg. Das Staatsoberhaupt (seit 1977) Mengistu Haile Mariam wurde 1987 erstmals durch Wahl bestätigt. Ein Militärputsch gegen sein Regime 1989 scheiterte, 1991 wurde er schließlich gestürzt. Übergangsregierung unter Meles Zenawi, Ende des Bürgerkrieges, internationale Hilfe zum Wiederaufbau. 1993 erklärte ↑ Eritrea seine Unabhängigkeit. 1994 neue Verfassung (Demokratische Bundesrepublik Ä.), 1995 Negasso Gidada neuer Staatspräsident, Meles Zenawi Ministerpräsident, 1998–2000 bewaffnete Auseinandersetzung mit Eritrea wegen Grenzverlauf, 2001 Girma Golde Giorgis neuer Präsident. Athos (Hagion Oros = Heiliger Berg), Vorgebirge der Halbinsel Chalkidike; seit dem 8. Jh. n. Chr. ist der A. von griech.-orthodoxen Mönchen besiedelt, eine Mönchsrepublik von 20 Klöstern, der auch die Türken (seit 1430) ihre Freiheit beließen;

1926 Anerkennung der Selbstverwaltung durch die griech. Regierung, 1927 Bestätigung der alten Verfassung: Rat aus vier gewählten Mönchen und 20-köpfige Mönchsvertretung. Reich an byzantin. Kulturgut. Atlantik-Charta, zw. Churchill und Roosevelt am 11. 8. 1941 auf einem Schlachtschiff im Atlantik vereinbart und am 14. 8. verkündet; sie proklamierte: keine territoriale Vergrößerung; freie Entscheidung der Bevölkerung bei Gebietsveränderung; freie Wahl der Regierungsform; freier Zugang zu den Rohstoffen für alle Völker; soziale Hebung der Massen; Friede in Sicherheit, frei von Not und Furcht; freier Zugang zu den Meeren. Ziel: Verzicht auf Anwendung von Gewalt. Auf der Grundlage der A. wurden die Vereinten Nationen (UN) gegründet; der Erklärung traten nachträglich die UdSSR und 24 andere Staaten bei. Atlantis, sagenhafter Kontinent, der in vorgeschichtlicher Zeit Teile des heutigen Atlantiks eingenommen haben soll; in verlorengegangenen Schriften der ägypt. Pries­ terschaft und Solons erwähnt, von Platon in den Dialogen „Kritias“ und „Timaios“ überliefert, aber bereits von Strabon und Plinius d. Ä. bezweifelt; seither viele Theorien über A.; man vermutet, die A.-Sage gründe sich auf Erinnerung an eine vorgeschichtliche Flutkatastrophe, eine untergegangene Stadtkultur an den südspan. oder afrikan. Küsten oder auch vulkan. Ereignisse am geogr. Ort der Kanarischen Inseln oder auf Erzählungen ägypt. und phönik. Seefahrer, die durch Stürme an amerik. Küsten verschlagen worden seien. Atlantische Wirtschaftsgemeinschaft, ↑ Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Ätolischer Bund, Bund der Stämme Ätoliens (↑ Achäischer Bund), der seit etwa 320 v. Chr. große Teile Mittel- und Nordgriechenlands umfasste; 189 v. Chr. von den Römern aufgelöst. 69

Atomzeitalter Atomzeitalter, Selbstbez. unserer Zeit: ei-

Fermi und zur ungezähmten zerstörer. Kettenreaktion in der Atombombe; erste Explosion am 16. Juli 1945 in Neu-Mexiko, erster Kriegseinsatz am 6. August 1945 über Hiroschima und am 9. August 1945 über Nagasaki. Seitdem trat die umstürzende Bedeutung der Atomkraft in das Bewusstsein der Menschheit; planmäßiges Bemühen um friedliche Verwertung der neuen Energie (Atomreaktoren, Atomkraft­ werke, Atommotoren, Teilchenbeschleuniger, Ausnutzung der seit 1917 bzw. 1910 bekannten und in Atomreaktoren gewinnbaren Isotopen); andererseits Weiterentwicklung der Atomwaffen (1953 erste Atomenergie durch Kernverschmelzung in der durch eine Spaltungsbombe gezündeten Wasserstoffbombe, Ausbau von Trägerwaffen: Flugzeuge, Raketen, Kanonen, U-Boote); fortgesetzte Bemühungen zur Beendigung des Wettrüstens und zur Verhütung einer globalen Katastrophe durch wirksame Kontrolle der Verwendung der Atomenergie in allen Ländern. 1968 unterzeichneten die drei Atommächte USA, Großbritannien und die UdSSR einen „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“ (Atomwaffensperrvertrag). 40 weitere Staaten schlossen sich dem Vertrag an, die Atommächte Frankreich, Indien und China unterzeichneten nicht. Ende 1987 INF-Abkommen zw. den USA und der Sowjetunion über Verschrottung sämtlicher landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen (ca. 2 700 Sprengköpfe = rd. 5 % des weltweiten Atomwaffenpotentials), (vgl. ↑ Abrüstungskonferenzen). Aton, altägypt. Bez. der Sonnenscheibe, von ↑ Echnaton religiös interpretiert und als alleiniger, von ihm monotheistisch verehrter Gott verkündigt. Attalos, Könige von Pergamon: 1) A. I. Soter (241–197 v. Chr.); nahm als erster Attalide den Königstitel an, eroberte im Kampf mit den Seleukiden das westliche Kleinasien, gründete die Bibliothek von Pergamon in Konkurrenz mit Alexandria.

nerseits unter dem Eindruck der Freisetzung der im Atomkern schlummernden gewaltigen, friedlich verwendbaren Ener­ gien („Das zweite große Abenteuer des Menschen seit dem Raub des Feuers durch Prometheus“), andererseits unter dem Eindruck der machtpolitisch entscheidend gewordenen, Geschichte machenden Atombombenherstellung (Atommächte: USA, UdSSR, England, Frankreich, Indien, China). Der Begriff Atom (nicht mehr teilbares Teilchen) stammt von dem griech. Philosophen Leukippos von Milet (5. Jh. v. Chr.), dem Lehrer des Demokrit (461–371 v. Chr.), des Schöpfers der ers­ ten philosoph. Atomlehre: Das Seiende ist nicht ein stetiges Ganzes, sondern es besteht aus Verknotungen, Einheiten, die unveränderlich und atomar, d. h. nicht weiter teilbar sind und deren verschiedene Gestalt, Lage und Anordnung im Raum die Verschiedenheit der Dinge in der Welt erklärt. Diese Theorie blieb in der Antike eine unter vielen zur Erklärung des Seienden, wurde später vergessen und erst in der Renaissance wieder bekannt; Erneuerer der Atomlehre Demokrits war Pierre Gassendi (1592–1635). – Die neuzeitliche Atomphysik geht jedoch nicht von philosoph. Erörterungen aus, sondern erwächst zunächst aus der chem. Forschung (↑ Chemie), die die moderne Atomvorstellung allmählich entwickelte, ohne dass das Wesen des Atoms bis heute erfasst werden kann. – 1938 gelang O. Hahn und F. Straßmann durch Neutronenstrahlenbeschuss die Spaltung und der Zerfall von Uranatomkernen; die Möglichkeit der Kettenreaktion durch Neutronenbeschuss des Uran­isotops 235 erkannten 1939 F. Joliot, L. Kowarski und H. von Halban; im selben Jahr errechnete O. Frisch die riesigen bei solchen Kettenreaktionen freiwerdenden Kernenergien. Die weitere Entwicklung führte 1942 zur Zähmung der Kettenreak­ tion im ersten Uran-Atomreaktor durch 70

Aufklärung 2) A. II. Philadelphos (159–138 v. Chr.); Sohn von 1), trug zum Ausbau der Akropolis von Athen bei (Zeusaltar). 3) A. III. Philometor (138–133 v. Chr.); setzte die Römer als Erben seines Reiches ein; Ende des Reiches von ↑ Pergamon. Atticus, Titus Pomponius, gelehrter Römer, 109–32 v. Chr.; Freund des Cicero und Verfasser histor. Schriften, betätigte sich auch verlegerisch. Attika, Landschaft und Halbinsel an der mittleren Ostküste Griechenlands mit Athen als Hauptort, von Ioniern besiedelt; um 1000 v. Chr. Einheitsstaat; Städte außer Athen: Piräus, Eleusis, Thorikos, Brautun, Rhamnus (↑ Athen, Griechenland). Attila (Etzel oder Godegisel), König der Hunnen um 433–453 n. Chr.; Reichsbildung zwischen Kaukasus und Rhein mit Ungarn als Mittelpunkt; 450 Einfall in Gallien; 451 auf den Katalaunischen Fel­dern von ↑ Aetius besiegt, drang 452 n. Chr. in Italien ein; sein Großreich zerfiel nach seinem Tode. Grabstätte vermutlich im Flussbett der Theiß. Attischer Seebund, 1. A. S.: 477 v. Chr. von Athen gegen die Perser gegründeter und von ihm beherrschter Seebund mit den Ionischen Inseln und den Kolonien Kleinasiens; löste sich gegen Ende des Peloponnesischen Krieges (404 v. Chr.) auf; der 378 v. Chr. gegen Sparta gegründete 2. A. S. zerfiel um 355 infolge der Eroberungen Philipps II. von Makedonien. Attlee, Clement (seit 1951 Earl A.), brit. Staatsmann, 1883–1967; seit 1935 Führer der Labour-Partei, löste 1945 Churchill als Premierminister ab (bis 1951); versuchte die Durchführung eines Sozialisierungsprogramms; 1951–1955 wieder Führer der Opposition. Aubigné, Theodore Agrippa Chevalier d’, frz. Politiker, Soldat und Dichter, 1552– 1630; Hugenotte, Freund Heinrichs IV., Verfasser einer allgemeinen Geschichte seiner Zeit; wichtig als Geschichtsquelle auch seine Memoiren.

Auer von Welsbach, Karl Ritter von, ös-

terr. Chemiker und Techniker, 1858–1929; erfand das Gasglühlicht (A.-Licht) und die Osmiumglühlampe (Metallfaden). Auersperg, Anton Alexander Graf von, österr. Dichter (Pseudonym: Anastasius Grün), 1806–1876; polit. Tendenzlyrik gegen das System Metternich. Auerstedt, Dorf in Thüringen; Niederlage der Preußen gegen die Franzosen 1806 (Doppelschlacht von Jena und A.). Auerswald, 1) A., Hans Jakob von, Oberpräsident von Ost- und Westpreußen, wohlwollend gegenüber den SteinHardenbergschen Reformen, 1757–1833; berief 1813 auf Drängen von Steins ohne königliche Genehmigung den Ostpreußischen Landtag ein, der die dt. Erhebung gegen Napoleon einleitete. 2) A., Hans Adolf, Sohn von 1), preuß. General 1792– 1848; als Mitglied (der Rechten) in der Frankfurter Nationalversammlung, beim September-Volksaufstand zusammen mit Felix ↑ Lichnowsky ermordet. Aufklärung, eine von Westeuropa ausgehende, mit ihren Wurzeln in die Renaissance und den Humanismus zurückreichende, sich insbesondere aus dem neuen naturwiss.-mathemat. Weltbild des 17. Jh. (Descartes, Newton) entwickelnde geistige Bewegung zur Durchsetzung allgemeiner Grundsätze der Vernunft (Rationalismus) innerhalb der menschlichen Gesellschaft (↑ Naturrecht); nach Kant der „Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“; seit der Mitte des 17. Jh. bis ins 19. Jh. hinein von großem Einfluss auf das polit. Denken und die Literatur. Die A. verfocht besonders den Gedanken religiöser Toleranz sowie der Freiheit des Geistes; Revolution der unabhängigen, selbstgewissen Vernunft gegen die historisch überkommenen Autoritäten (weltanschaulich die Kirche, politisch das ↑ Ancien régime), ihre Grundsätze wollte sie nicht an die nationalen Grenzen gebunden sehen, Wegbereiterin der Frz. Revo71

Augereau lution und der Demokratie in Europa. Vorher Einfluss auf Staats- und Gesellschaftsordnung durch die Umwandlung des uneingeschränkten Absolutismus „von Gottes Gnaden“ in den „Aufgeklärten Absolutismus“, der nach den Prinzipien der Vernunft und der Toleranz zum Wohle der Untertanen regierte („Nichts durch das Volk, alles für das Volk“); Hauptvertreter: Friedrich d. Gr., Joseph II. Als philosoph. Richtung ist die A. gekennzeichnet durch die Begriffe Empirismus und Ratio­ nalismus; ihre bed. Vertreter: Descartes, Spinoza, Hobbes, Locke, Bayle, Hume, die frz. Enzyklopädisten Diderot und d’Alembert, Voltaire, in Deutschland Thomasius, Wolff, Mendelssohn und Lessing. Augereau, Pierre Francois Charles, frz. Heerführer, 1757–1816; von Napoleon zum Marschall von Frankreich und Herzog von Castiglione erhoben. Augsburg, 15–9 v. Chr. Legionslager, unter Claudius 45 n. Chr. Stadt (Augusta Vindelicorum), Hauptstadt Rätiens; 6. Jh. Bistum, infolge günstiger Verkehrslage (Zugang zur Alpenstraße) rasches Wachstum, zur Zeit der Ungarngefahr (↑ Lechfeld, ↑ Ulrich, Bischof von A.) befestigter Platz. Kämpfe zwischen Stadt und Bischof; 1276 Freie Reichsstadt. Nach Aufblühen der Weberei (Einfuhr ägypt. Baumwolle über Venedig) und der großen Handelshäuser (Fugger, Welser, Hoechstetter, Gossenbrot) wurde A. bes. im 15. und 16. Jh. zu einem der reichsten Märkte Deutschlands mit weltweiten Handelsbeziehungen und europ. Geldmarkt; Stadt des Humanismus, der Renaissance und des Frühbarocks (↑ Peutinger, Fugger, Welser). In der Reformationszeit Ort mehrerer Reichstage; seit 1537 lutherisch (durch die Zünfte, gegen den patriz. Rat); Mitglied des Schmalkaldischen Bundes, von Karl V. 1546 unterworfen (Strafgericht über die Zünfte). Im 17. Jh. wirtschaftlicher und polit. Niedergang, 1806 zu Bayern. Wiederaufstieg im Industriezeitalter.

Augsburger Interim, Bez. für das Reichs-

gesetz von 1548; vorläufige Lösung der Religionsfrage im Dt. Reich nach dem Schmalkald. Krieg auf dem sog. „geharnischten“ Reichstag zu Augsburg, mit einigen Zugeständnissen an die protestant. Stände (Laienkelch, Priesterehe); konnte nur z. T. durchgeführt werden. Augsburger Religionsfriede, Reichstagsabschied von 1555, besiegelte die Glaubensspaltung in Deutschland: Anerkennung der Luther. ↑ Augsburgischen Konfession als gleichberechtigt neben der kath.; Religionsfreiheit für die Reichsstände (fürstliche und städt. Obrigkeiten) nach dem Prinzip „Cuius regio, eius religio“ (wer herrscht, bestimmt die Konfession der Untertanen) mit dem Recht des freien Abzugs für Andersgläubige; geistliche Fürsten sollten beim Übertritt zum Protestantismus Amt und Territorium (Gebiet) verlieren (die reichsrechtliche Anerkennung der Gleichberechtigung der reformierten (calvinist.) Stände folgte erst 1648 im Westfälischen Frieden). Augsburgische Konfession (­Confessio Augustana), die entscheidende Bekennt­ nisschrift der Lutheraner, von Melanch­ thon für den Reichstag von Augsburg ausgearbeitet, von Luther gebilligt, mehrfach überarbeitet; 1530 Kaiser Karl V. als Grundlage für eine Verständigung unter den Konfessionen übergeben, erläutert und ergänzt durch die von Melanchthon verfasste Apologie der A. Auguren, altröm. Priester, denen bei Staatshandlungen, in Notlagen die Erkundung des Willens der Götter oblag; zur Deutung dienten Eingeweideschau, Vogelschau, Blitzbeobachtung u. a.; politisch oft missbraucht und später nicht mehr ernst genommen. August, Kurfürsten von Sachsen: 1) A. I., 1526–1586, ab 1553 Kurfürst; sorgte für Verbesserung von Kultur und Wirtschaft und für das Wohl seiner Untertanen, darum „Vater A.“ genannt; zur Bekämp72

Augustus fung des Kryptokalvinismus regte er die Abfassung der ↑ Konkordienformel an. 2) A. II. der Starke, 1670–1733; als Kurfürst Friedrich A. I. 1697 zum König von Polen gewählt, trat zur kath. Kirche über, seine Großmachtpläne durchkreuzt durch Karl XII. (↑ Nordischer Krieg), 1706 Verzicht auf Polen (im Frieden von ↑ Altranstädt) zugunsten ↑ Leszezynskis; seit 1709 (Niederlage Karls XII. von Schweden bei Poltawa) kämpfte und verhandelte A. wieder mit Polen, 1724 ↑ Thorner Blutbad; ließ seine Residenzen Dresden und Warschau nach Versailler Vorbild ausbauen, entfaltete 1729 als König von Polen höf. Pracht und förderte großzügig die Kunst des Barock (Zwinger, Frauenkirche in Dresden). 3) A. III., 1696–1763; im Polnischen Erbfolgekrieg Kandidat Russlands; überließ die Staatsgeschäfte dem Grafen ↑ Brühl. Augusta, Titel röm. Kaiserinnen; seit Augustus auch Beiname von Städten, die von Kaisern oder zu ihren Ehren gegründet wurden. Augusta, dt. Kaiserin, Königin von Preußen, 1811–1890; Tochter des Großherzogs Karl Friedrich von Sachsen-Weimar, Gemahlin Wilhelms I. seit 1829; wegen englandfreundlicher und russlandfeindlicher Einstellung Gegnerin Bismarcks. Auguste Viktoria, letzte dt. Kaiserin, 1858–1921; Tochter des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein-SonderburgAugustenburg, Gemahlin Wilhelms II. ab 1881. Augustenburg, eine nach Schloss A. (Nordschleswig) benannte Linie des oldenburg.-dän. Herrscherhauses, erhob 1848 und 1864 Erbansprüche auf den dän. Thron; von der Volksstimmung in Deutschland unterstützt, durch Bismarck ausgeschaltet. Augustiner, ↑ Orden. Augustinus, 1) A., Aurelius, hl., Kirchenlehrer, größter philosoph.-theolog. Denker des christlichen Altertums, 354–

430 n. Chr.; stammte aus Tagaste (Handelsstadt in Nordafrika), urspr. Heide (sein Vater Heide, Mutter Monika Chris­ tin), Lehrer der Beredsamkeit in Karthago und Mailand, hier 387 von ↑ Ambrosius bekehrt (klass. Schilderung dieser Wandlung in seinen „Bekenntnissen“), 395 Bischof von Hippo, unbestrittene oberste Autorität des abendländ. Geisteslebens bis ins hohe MA hinein; sein Werk über den Gottesstaat (De Civitate Dei), der am Ende der Zeiten über das Reich des Teufels triumphieren wird, diente dem Papsttum als Waffe im Kampf mit dem Kaisertum; auch seine sozialethischen Gedanken von weitreichender Wirkung (bedingte Anerkennung des Privateigentums, Rechtfertigung des Reichtums allein bei Unterstützung der Armen, Verkauf von Waren nur zu einem „gerechten Preis“, Zins ist Wucher). – Der theolog.-philosoph. Augustinismus, bis in die Neuzeit von Einfluss, verneinte die Selbständigkeit der Philosophie (Gegensatz zum Aristotelismus des Thomas von Aquin) und räumte dem Verstand nur eine untergeordnete Rolle ein (↑ Geschichtsphilosophie). 2) A., Apostel der Angelsachsen, Benediktiner aus Rom, 601 Bischof in Canterbury, gest. 604. Augustulus, ↑ Romulus 2). Augustus (lat. der Erhabene), Ehrentitel, den der röm. Senat dem Oktavian 27 v. Chr. verlieh; den Titel übernahmen die röm. Kaiser; seit Diokletian 2 Augusti (Oberkaiser), die über 2 Cäsaren geboten. Augustus, urspr. Gajus Octavius, ers­ter röm. Kaiser, 63 v. Chr.–14 n. Chr.; aus dem ehemals plebej. Geschlecht der Oktavier, sein Vater zuletzt Prokonsul in Makedonien; nach dem Tode des Vaters (58 v. Chr.) von Cäsar, seinem Großonkel, erzogen, später adoptiert (künftiger Name: Gaius Julius Caesar Octavianus) und als Erbe eingesetzt; nach Cäsars Ermordung Kampf des 19-Jährigen um das Erbe gegen Konsul Marcus ↑ Antonius, der sich das Erbe anmaßte, mit Hilfe des Senats und 73

Aurangzeb im Teutoburger Wald, ↑ Varus) zwang zur Zurückverlegung der Nordgrenze bis zum Rhein: Germanien blieb unromanisiert; Reichsgrenzen künftig etwa Rhein, Donau, Atlantik, Sahara, Euphrat. – A. war dreimal verheiratet: mit Claudia, Scribonia, Livia; am 19. Aug. 14 n. Chr. starb A. nach 44-jähriger Regierung mit 75 Jahren in Nola; Erhebung zum Divus durch den Senat. – Augusteisches Zeitalter war klassische Zeit der lat. Literatur (Virgil, Horaz, Tibull, Propertius, Ovid, Livius, Nepos); unter A., der Roms Machtstellung sittlich untermauern wollte (Vorbild die Römertugend), wurden Gesetze gegen Luxus und zur Familienförderung erlassen und die z. T. verfallenen Tempel wiederhergestellt oder neue errichtet (Tempel des Cäsar, des Apoll, Mars Ultor, das Pantheon des Agrippa); Ausbau der Stadt (aus dem hölzernen Rom wurde das MarmorRom): Bebauung des Marsfeldes, des Janiculushügels, Bau des Forum Augusti, der Domus Augustana (Kaiserpalast auf dem Palatin), des Theaters des Marcellus, der Thermen des Agrippa, des Palastes der Livia auf dem Palatin, des Mausoleums des A. auf dem Marsfeld; mehrere Volkszählungen (28 und 8 v. Chr., 13 n. Chr.) ergaben etwa 22 Mio. Gesamtbevölkerung; das Reich wurde vermessen, das Straßensys­ tem ausgebaut, das Postwesen organisiert (↑ Rom, Römisches Reich). Aurangzeb, Großmogul von Indien, 1618–1707; regierte seit 1658, eroberte den Dekkan und Kabul; unterdrückte als fanatischer Moslem rücksichtslos den Hinduismus. Aurelianus, Lucius Domitius, röm. Kaiser (270–275 n. Chr.); gewarnt durch den Einfall der Alemannen, die er am Ticinus schlug, begann er den Bau der nach ihm benannten röm. Stadtmauern gegen die Barbareneinfälle; eroberte die verloren gegangenen Grenzprovinzen in O und W zurück (Unterwerfung des Reiches von ↑ Palmyra 272/73); als neue Reichsreli-

der Cäsarveteranen; 43 v. Chr. Sieg über Antonius, Rückkehr mit dem Heer nach Rom, erzwang Konsulat und versöhnte sich mit Antonius. Dreimännerherrschaft (Triumvirat) mit unbeschränkten Vollmachten: Oktavian, Antonius, Lepidus; Vernichtung der innenpolit. Gegner und Krieg gegen Cäsarmörder (Sieg bei Philippi, 42 v. Chr.); Aufteilung der Reichsverwaltung in Ost (Antonius), West (Oktavian), Afrika (Lepidus); 36 v. Chr. Ausschaltung des Lepidus, der im Osten gegen die Parther siegreiche Antonius erstrebte Alleinregierung und löste Verbindung zu Oktavian, der den Gegner bei Aktium (31 v. Chr.) niederwarf; Antonius gab sich den Tod (30 v. Chr.): Ende des Bürgerkrieges. Oktavian, Alleinherrscher, häufte, den Schein der republikan. Tradition mit der tatsächlichen Amtsgewalt der Monarchen verbindend, die wichtigsten Ämter auf sich (u. a. Tribun mit Vetorecht gegen alle Gesetze, Zensor mit Oberaufsicht über Senat, Pontifex Maximus mit Unverletzlichkeit seiner Person); erhielt Ehrentitel Augustus und ↑ Princeps; durch neue Reichseinteilung sicherte A. die Zentralgewalt und sich als Prokonsul die Macht in und die Einkünfte aus 27 von 39 Provinzen, die er durch Legaten verwalten und durch Legionen sichern ließ; Wahrung des Friedens (Schließung des Janustempels, Errichtung der Ara Pacis) durch ordnende Maßnahmen in Gallien, Spanien, Asia; z. T. mit Waffengewalt (bes. gegen die Parther), Vorstoß zur Donau (Provinzen Raetia u. Noricum, 15 v. Chr.); um 13 v. Chr. Verlegung gallischer Legio­ nen an den Rhein (↑ Neuß); vier Feldzüge gegen Innergermanien bis zur Elbe (12–9 v. Chr.; Sieg der Stiefsöhne Drusus und Tiberius); 4 n. Chr. (nach dem Tod seiner Enkel) Adoption des Tiberius mit dem Recht der Nachfolge; 6–9 n. Chr. illyrischer Aufstand, niedergeschlagen durch Tiberius (Provinz Pannonien); der Rückschlag in Germanien (9 n. Chr. Schlacht 74

Australien gion führte er den Sonnenkult ein; in Byzanz ermordet. Aurignacien, vorgeschichtl. ­Kulturperiode des Jung-↑ Paläolithikums (späte Altsteinzeit, Zeit des Cro-Magnon-Menschen), benannt nach dem Fundort, der Höhle Aurignac im frz. Dep. Haute-Garonne, umfasste innerhalb der vierten und letzten (Würm-)Eiszeit den Zeitraum von etwa 40 000 an; Werkzeuge: statt der Faustkeile schmale, scharfe Klingen; ferner Knochenwerkzeuge; Beginn der Kunst (kleine Rundfiguren, Felszeichnungen). Auschwitz, poln. Oswiecim, größtes nat.soz. KZ und Vernichtungslager bei Krakau; eingerichtet im Mai/Juli 1940 (A. I = Stammlager), erweitert schließlich im Jahr 1941 (A. III = Monowitz/„Lager Buna“) und Ende 1941/Anfang 1942 (A. II = Birkenau, das eigentliche Vernichtungslager). A. hatte eine Doppelfunktion, es diente mit seinen rd. 40 Außenstellen einerseits als Arbeitslager, zum anderen der Tötung von kranken Häftlingen, Kriegsgefangenen, Sinti und Roma, v. a. aber von Juden im Rahmen der sogenannten Endlösung der Judenfrage (↑ Juden). In A., dessen Gaskammern von Mitte 1941 bis Ende Okt. 1944 in Betrieb waren, sind über 1 Mio. Menschen getötet worden, weitere 500 000 Häftlinge erlagen Folter, Menschenversuchen und den Haftbedingungen (Gesamtschätzungen reichen bis 3 Mio. Ermordete). Im Jan. 1945 erreichten Einheiten der Roten Armee das evakuierte A., wo sie noch 7 600 Überlebende vorfanden. Ausgleich, österreichisch-ungarischer, die 1867 durchgeführte Neuordnung der staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen dem österr. und dem ungar. Teil der Habsburger Monarchie; Ungarn erhielt eigenen Reichstag und eigenes Kabinett; gemeinsame kaiserlich-königliche (k. k.) Ministerien des Äußeren, des Krieges und der Finanzen; Zoll- und Handelsbündnis zwischen beiden Reichsteilen.

Außerparlamentarische Opposition, Abk.

APO, in der Bundesrepublik Deutschland nach 1966 Bez. für die Protestbewegung insbes. der jüngeren Generation gegen das parlamentar. Regierungssystem und die in ihm wirtsch., gesellschaftlich und polit. herrschende soziale Gruppe. Mit neuartigen, von der student. Protestbewegung der USA übernommenen Aktionsformen („teach-in“, „go-in“ und dergl.) und bewussten Verstößen gegen die gesetzliche Ordnung bis hin zur Anwendung von Gewalt bekämpfte die APO v. a. das militär. Engagement der USA in Vietnam, die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Massenmedien, bes. den Springer-Konzern, und die Verabschiedung der Notstandsgesetze. Ihre Bedeutung und Wirksamkeit schwand mit dem Ende der Großen Koalition 1969, ihre Mitglieder zogen sich teils aus der Politik zurück, teils wandten sie sich der nun zur Regierung gelangten SPD oder in den 1980er Jahren der Partei der Grünen zu, teils linksradikalen Gruppen und Organisationen, einige wenige auch dem Terrorismus. Austerity, Schlagwort für die Sparpolitik des brit. Schatzkanzlers Cripps seit 1948. Austerlitt, Stadt in der Tschechoslowakei: 1805 „Dreikaiserschlacht“: Sieg Napoleons über Kaiser Franz II. von Österreich und Zar Alexander I. von Russland; Waffenstillstand führte zum Frieden von ↑ Preßburg. Australien, „Südland“, schon im 13. Jh. auf Weltkarten als A. vermutet, doch erst nach 1600 von Entdeckern gesichtet, berührt, vor allem von Holländern (Tasman 1642–1644), deshalb Neuholland genannt; Ostküste und Gesamtumriss wurden erst durch James ↑ Cook 1770 bekannt; 1793 erste engl. Ansiedler; 1802 Umsegelung Australiens durch ↑ Flinders. Ab 1788 Neu-Südwales brit. Sträflingskolonie als Ersatz für die verlorenen Strafkolonien Nordamerikas (Gründung Sydneys); seit 1829 auch freie Kolonisie75

Austrasien rung; 1840 Gründung der brit. Kronkolonie ↑ Neuseeland; 1850 Parlamente in den Kolonien; Goldfunde lockten mehr Siedler an; Ende der Strafkolonien 1868; 1900 Zusammenschluss der 5 selbstverwalteten Einzelkolonien zum Bundesstaat (Australischer Bund, Commonwealth of Australia) als Dominion im Rahmen des brit. Empire; Hauptstadt Melbourne (später Canberra); das Landesinnere mit schwacher Urbevölkerung (auf der Stufe der Jungsteinzeit, Jäger und Sammler) noch wenig erschlossen; Abriegelung gegen Gefahr asiat. Unterwanderung und gegen billige Arbeitskräfte aus Europa, die das hohe Lohnniveau senken könnten. Ab 1941 A. selbständiger Gliedstaat im brit. Commonwealth; ab 1942 Krieg gegen Japan; 1951 ↑ ANZUS-Pakt zw. Australien, Neuseeland und USA. Seit 1921 Mandat über NO-Neuguinea, das 1975 zusammen mit Papua als Papua-Neuguinea unabhängig wurde. Austrasien oder Austrien (Ostreich), der östliche Teil des Frankenreiches unter den Merowingern, Hauptorte Metz und Reims (Gegensatz: ↑ Neustrien). Autarkie (griech., Selbstgenügsamkeit), als allgemeiner ethischer Begriff erstmals bei Aristoteles; heute nur wirtschaftspolitisch verwendet: wirtschliche Selbstversorgung eines Staates, d. h. Unabhängigkeit von jeder Einfuhr durch Produktionssteigerung (z. B. durch Subventionen, Schutzzölle, Einfuhrverbote usw.) oder Bedarfssenkung. A. bedeutet wirtsch. Nationalismus; als Ideal stellte sie in Deutschland Fichte auf („Der geschlossene Handelsstaat“), doch wurde diese theoretische Forderung in der Praxis nie uneingeschränkt verwirklicht, wie ihr Gegenprinzip, der Freihandel; Ansätze zum A.-Streben z. B. im nat.-soz. Deutschland, in der Sowjetunion, im brit. Staatenverband (OttawaVerträge). Authari, König der Langobarden (584– 590); behauptete langobardischen Besitz

in Italien gegen Byzanz und das Frankenreich; war mit der Bayerin ↑ Theodolinde vermählt. Autokratie (griech., Selbstherrlichkeit, Selbstherrschaft), die unumschränkte Herrschaft eines Monarchen, Diktators, eines Einzelnen; der Kaiser von Byzanz und der russ. Zar führten zeitweise den Titel „Autokrat“. Automobil (griech.-latein., „sich selbst Bewegendes“, Selbstbeweger), erste Versuche erfolgten mit Dampfantrieb: 1771 Geschütztransportwagen des frz. Artillerie-Offiziers Cugnot; 1801 erste Passagierfahrt mit Dampfwagen von Trevithick; 1821 ↑ Dampflastwagen Griffiths; 1831 erster gewerblicher Dampfomnibus in London (Hancock); 1864 baute der Österreicher Marcus ein A. mit Benzinmotor (bisheriges Abfallprodukt Benzin fand Verwendung; 1874 verwendete Maybach Benzin im Ottogasmotor); 1875 zweites Marcus-Auto; 1877 Siemens-Otto entwickelten elektr. Zündung, Viertaktmotor; 1883 Dampfomnibus und Dampfdreiräder in England, 1883 Benzin-Motorwagen von Benz und Benzin-Motordreirad von Daimler, ab 1888 Kraftwagenbau in vielen Ländern, meist mit Daimler- oder Benz-Lizenzen; 1890 Luftreifen beim Auto; 1894 erster Dieselmotor und seitdem Entwicklung zum Diesel-Fahrzeug. Ausbau der A.- und Motorrad-, der Zubehör-, Elektro-, Reifen- und Treibstoffindustrie. Autonome Sowjetrepublik, ehem. Verwaltungseinheit in der UdSSR unter Berücksichtigung des Nationalitätenmerkmals mit begrenzter kultureller Autonomie und eigensprachlicher Verwaltung, Schule und Presse. Autonomie (griech., Selbstgesetzgebung), im polit. Bereich das Recht der Selbstverwaltung eines untergeordneten Gebietes (z. B. Provinz) oder Verbandes gegenüber der größeren Einheit (Bund, Reich); der Streit um die A. ist so alt wie das Bestre76

Avignon ben, polit. Gemeinschaften zu schaffen; ihre klass. Verwirklichung in den antiken griech. Stadtstaaten (↑ Polis); die Großreiche der Antike dagegen waren Einheitsstaaten mit zentralist. Verwaltung; der Lebensstaat des MA war praktisch autonom gegenüber dem König oder Kaiser als oberster Autorität und gewährte diese Autonomie auch nach unten (z. B. an die landeigenen Städte). Diese A. wich in der Neuzeit dem weiterreichenden, schärfer formulierten Begriff der ↑ Souveränität, völkerrechtlich wie innerstaatlich; von da an bewegten sich die A.-Bestrebungen im Rahmen des souveränen Staates; A. wurde das Ziel von Landes- oder Reichsteilen, die auf Grund kultureller, sprachlicher oder historisch bedingter Eigenheiten eine Sonderstellung im größeren Verband verlangten. Als Staatsprinzip setzte sich die A. z. B. in der Schweizer Eidgenossenschaft durch (Kantone); heftig umstritten war sie bei Aufkommen des nationalen Gedankens in den Vielvölkerreichen des Ostens: Österreich-Ungarn, Russland und Türkei; der A.-Gedanke wirkte in diesen Reichen als Sprengmittel, weil die meisten nationalen Minderheiten mehr als z. B. bloße Kultur-A. (eigene Schulen usw.) anstrebten und die A. als Vorstufe zur nationalen Unabhängigkeit betrachteten. Ähnlich wirkten der nationale A.-Gedanke in den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns (Tschechoslowakei, Jugoslawien usw.) und die A.-Bestrebungen der farbigen Völker in den europ. Kolonialreichen; andererseits gibt es Beispiele für eine A., die den Zusammenhalt des Ganzen stärkt. Auvergne, Landschaft im SO Frankreichs, benannt nach den kelt. Avernern, seit Cäsar Teil der Provinz Aquitanien, 475 westgotisch, 507 fränkisch, im MA Grafschaft, 1210 größtenteils zur frz. Krone, 1416–1623 Herzogtum beim Haus Bourbon, dann mit der Krone vereinigt. Aventin (Mons Aventinus), einer der sieben Haupthügel Roms, im Süden der

Stadt am Tiber, gegenüber dem Palatinhügel, ab Mitte des 6. Jh. v. Chr. Siedlungsgebiet der Plebejer. Aventinus, Johannes (Turmayr aus Abensberg); bayer. Humanist und Historiker, 1477–1634; sein Hauptwerk „Annales Bojorum“, eine Darstellung der bayer. Geschichte, ist das erste große Geschichtswerk in dt. Sprache; A. schuf auch die erste bayer. Karte. Averroës (Ibn Raschid), arab. Philosoph, Jurist und Arzt, 1126–1198 n. Chr.; lebte in Cordoba; Kommentator des Aristoteles, der erst durch ihn im 13. Jh. dem Abendland vermittelt wurde; Pantheist, von nachhaltigem Einfluss auf das abendländ. Denken; seine Lehre von der „doppelten Wahrheit“ (ratio et fides: Vernunft und Glaube), als Averroismus bezeichnet und weit verbreitet, wurde von der kath. Kirche verworfen; sein medizin. Hauptwerk wurde über das MA hinaus von abendländ. Ärzten zu Rate gezogen. Avesta, in altiran. Sprache aufgezeichnete Schrift des Parsimus, entstanden zur Zeit der Sassaniden (226–661); enthält hl. Schriften, die z. T. auf Verkündigungen des Propheten Zarathustra zurückgehen. Erste europ. Übersetzung 1771 durch den frz. Orientalisten A. H. Anquetil-Duperron. Avicenna (Ibn Sina), arab. Philosoph und Arzt aus Buchara, 980–1037; Schöpfer einer philosoph.-theolog. Enzyklopädie, in der er den Islam mit der griech. Philosophie bekannt machte und auch auf christl. Denker einwirkte; „Fürst der Ärzte“ genannt, dessen das gesamte medizin. Wissen der Antike zusammenfassender „Kanon der Medizin“ an europ. Universitäten bis ins 17. Jh. hinein als Standardwerk galt. Avignon, frz. Stadt an der Rhone; phönik. Siedlung, griech. Kolonie, zur Römerzeit Avennio, 730–737 durch wiederholte Araberangriffe zerstört, gehörte zum Burgund. Reich, kam dann zur Herrschaft der Grafen von Provence, 1290 an Karl von Anjou-Neapel; 1309–1376 Exilsitz der 77

Awaren Päpste, die A. 1348 von der Anjou-Königin Johanna von Neapel erwarben; danach zum Kirchenstaat, 1303–1791 päpstliche Universität; 1797 Frankreich einverleibt. Awaren, tatar. Reitervolk, das z. Z. Justinians um 668 n. Chr. seine Wohnsitze am Asowschen Meer verließ und in Pannonien (Ungarn) siedelte; 666 im Bund mit den Langobarden Vernichtung der Gepiden; Raubzüge 671 und 696 gegen die Franken, seit 681 gegen die Byzantiner (626 Belagerung von Byzanz); im 7. und 8. Jh. Einfälle in westslaw. Gebiete. 791 schlug Karl d. Gr. die A. an der Raab, 796 eroberte sein Sohn Pippin ihr Hauptlager an der Theiß, ihre Reste gingen in den Ungarn und Slawen auf. Axt, als Waffe (Streitaxt) und Werkzeug seit Urzeiten in Gebrauch; im ↑ Mesolithikum, der Zeit der Bewaldung, Werkzeug zum Baumfällen und für den Hüttenbau; im Neolithikum und in der Bronzezeit auch als Prunkaxt, Symbol männlicher Kraft; polierte, schön geformte Steinäxte hatten oft kultische Bedeutung (z. B. in Irland); später auch Eisenäxte mit bes. gehärteter Schneide, zum Unterschied vom Beil mit schmalerer Schneide und mit längerem Stiel (Verwendung als Hieb- und Wurfwaffe); die steinerne Streitaxt bes. schöner Form hat der Kultur der mitteleurop. neolith. Streitaxtleute den Namen gegeben. Ayub Khan, pakistan. Feldmarschall und Politiker, 1907–1974; 1958 Ministerpräsident, stürzte den Staatspräsidenten Iskander Mirza und nahm zusätzlich dessen Pos-­

ten und den des Verteidigungsministers ein; nach bürgerkriegsähnlichen Unruhen seit Ende 1968 Rücktritt als Staatspräsident 1969. Azincourt, nordwestl. von Arras; im 100jährigen Krieg 1416 entscheidender Sieg Heinrichs V. von England über die zahlenmäßig weit überlegenen Franzosen. Azoren (portug., Habichtsinseln), Inselgruppe des Atlantiks, schon den Karthagern und den Arabern bekannt, 1432 von Portugiesen entdeckt; die Insel Feyal 1466 bis 1472 burgundisch; 1680–1640 gehörten die A. zu Spanien (Stützpunkt für die span. Amerikaflotten), dann wieder zu Portugal, heute portug. Provinz. Azteken, indian. Eroberer aus der Stammesgruppe der Chichimeken, die Mitte des 13. Jh. n. Chr. ins Hochtal von Mexiko eindrangen, bald schon zur Reichsbildung kamen und eine Kultur eigener Prägung entfalteten; 1370 siedelten sie auf einer Insel im Mexiko-See und gründeten hier die Stadt Tenochtitlan-Mexiko; unter erfolgreichen Herrschern Expansion bis an den Golf von Mexiko, mit Einrichtung von Garnisonsstützpunkten; sie zogen reiche Tribute ein zur Verschönerung ihrer Hauptstadt (Tempelpyramiden, Paläste, monumentale Bildwerke, bemalte Statuen); Menschenopfer; sie hofften auf die Rückkehr ↑ Quetzalcoatls, des Gottes der Federschlange; letzter König ↑ Montezuma, der dem Spanier Cortés und den ihn unterstützenden aufständ. Stämmen seines Reiches 1619 erlag (↑ Mexiko).

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Baalbek

B

Baalbek („Höhe des Tals“),

benstufige Tempelturm (Etemenanki, der Marduk-Hochtempel, ↑ Babylon. Turm), der Ischtartempel, Stadtburg und Palast Nebukadnezars; mehrmalige Zerstörung, mehrmalige Eroberung; im Perserreich eine der drei Hauptstädte; 331 von Alexander d. Gr. erobert und Hauptstadt seines Weltreiches; während der Seleukidenherrschaft Provinzstadt (Hauptstadt wurde Seleukia am Tigris; später Antiochia in Syrien); 141 Eroberung durch den Partherkönig Mithridates I.; dann langsamer Verfall. Babylonien, griech. Bezeichnung für das Land in Mittel- und Süd ↑ Mesopotamien zwischen armen. Tauros, syr. und arab. Steppe und Wüste und Pers. Golf, durchflossen von Euphrat und Tigris, waldloses Steppenland; Vermittler des Handels zwischen Indien und Mittelmeer, Mittelpunkt des Levantehandels; dort und von dort ausgehend zahlreiche Staaten- und Reichsgründungen, die zeitweise bis Indien, zum Schwarzen Meer, Mittelmeer und zum Nil übergriffen; im Altertum fruchtbar durch jährliche Schlammablagerungen, Dammund Kanalbauten (schon vor 3500 v. Chr.); Einfallsland für zahlreiche Nachbarvölker, bes. aus den Wüsten; benannt nach ↑ Babylon (Babilu, Babel), dem Kultur- und Kultzentrum Vorderasiens am Euphrat (die Babylonier nannten ihr Land Sumer und Akkad). In B. bereits im 7. Jt. v. Chr. bäuerliche Kulturen mit Getreideanbau, Haustieren, Rechteckhäusern (Fundstätte Qualat Jarmo); seit dem 5. Jt. bemalte Keramik (Tell Hassuna), um Heilig­tümer gescharte Siedlungen dörflichen oder stadtähnlichen Charakters; seit etwa 3600 vorsumerische steinzeitliche Kultur von Obeid (nach dem Hügel el-Obed bei Ur): Aufkommen des Metallgusses und der Töpferscheibe; erste Rechtecktempel aus Ziegeln und Siegelstempel: abgelöst durch die Uruk-Kultur, deren Träger bereits eine bedeutende zivilisator. Macht darstellten; die Menschen dieser Kultur waren ent-

uralte Stadt im Libanon, in der hellenist. Zeit Heliopolis genannt, von Augustus zur röm. Kolonie erhoben; unter Caracalla (211–217 n. Chr.) Vollendung des großen Tempels des Baal-Helios (= Jupiter); ausgedehnte Ruinen erhalten. Babenberger, fränk. Grafengeschlecht, das seinen Namen von seiner Burg in Bamberg ableitet; 976 Markgrafen der Ostmark (Österreich), 1156 Herzöge, 1246 erloschen; ausgezeichnet durch große Leistungen für die südöstl. Kolonisation. Babenberger Fehde, um die Vormachtstellung in Franken zw. den Geschlechtern der Babenberger und der rheinfränk. Konradiner, 902–906; die B. unterlagen, Graf Adalbert, ihr Anführer, wurde hingerichtet. Babeuf, François Noël, frz. ­Revolutionär, 1760–1797; Anhänger des Jakobiner­ter­ rors, den er als „Gracchus“ B. in eine kommunist. Revolution (Aufteilung des Bodens) überleiten wollte; die von ihm organisierte „Verschwörung der Gleichen“ wurde vorzeitig verraten, B. guillotiniert. Babur (Baber), Nachkomme ↑ Timurs und Dschingis Khans, 1483–1530; begründete 1526 das Reich der (mohammedan.) ↑ Großmogule in ↑ Indien (Hauptstadt Agra), verfasste eine wertvolle Autobiografie. Babylon (Babilu, im A. T. Babel), Ruinen­ stadt an beiden Ufern des mittleren Euph­ rat, „Gottespforten; seit 1770 v. Chr. von Bedeutung (↑ Hammurabi), Hauptstadt und kultureller Mittelpunkt der Landschaft und des Reiches ↑ Babylonien, vorher seit dem 3. Jt. Stadtstaat; unter Hammurabi wurde der Stadtgott ↑ Marduk Reichsgott; Umfang der Hammurabistadt noch nicht ermittelt; durch Ausgrabungen bekannt die 2600 mal 1500 m große Viereckstadt Nebukadnezars II. mit Außen- und Innenmauer und 8 Toren: im Viereck der Innenmauer die große Prozessionsstraße, der sie79

Babylonien weder die ↑ Sumerer oder sie waren aus dem Iran eingewandert, verschmolzen mit semit. Nomaden aus den Wüsten und schafften gemeinsam die erste Stadtkultur im südl. Mesopotamien; dieses frühbabylon. Reich zerfiel, wurde um 3100 v. Chr. von den Sumerern neu errichtet, die die zivilisatorischen Errungenschaften der Uruk-Periode neu belebten und in schöpferischer Kraft die eigentliche sumerische Hochkultur begründeten; seit etwa 3000 theokrat. Stadtstaaten der Sumerer in SüdB.; um 3000 Erfindung der ↑ Keilschrift mit Silben und Wortzeichen zunächst als Handelsschrift. nach 2600 auch in Königs­ inschriften und nach 2000 schon in literar. Texten (Hymnen, Klagelieder, Beschwörungen); Kultstatuen und Bildreliefs; sumer. Tempelbau schon um 3000 (Hochtempel auf künstlichen Terrassen, Tempelmosaike); um 2600 erste Urkunde (Inschrift auf einen sumer. ­ Priesterfürsten); um diese Zeit Eindringen semit.-akkad. Nomaden aus der arab. Wüste in den Norden des Landes, das Akkad genannt wurde; Städte in Sumer: Eridu, Ur, Larsa, Lagasch, Umma, Uruk, Schuruppak, Isis, Nippur, z. T. unter Oberkönigen zu Stadtgemeinschaften verbunden; in Akkad: Barsig, Babylos, Kisch, Sippar, Kuscha, Opis; Ausbildung einer sumer.-akkad. Mischreligion durch Zusammenfassung der Lokal­götter; um 2700 sagenhafter König ↑ Gilgamesch von Uruk; um 2500 Könige von Ur namentlich nachweisbar (1. Dynas­tie mit Königsgräbern und ­ Königsinschriften); sumer.-akkad. Reichsgründung zwischen Pers. Golf und Mittelmeer durch semit. Könige Sargon (um 2370) und Naramsin (um 2310) von Akkad, die auch Sumer, Elam, Assur und Teile Kleinasiens unterwarfen; um 2200–2100 Fremdherrschaft der Gutäer aus Nord-B.; Wiedererrichtung eines sumer. Reiches (um 2100 durch König von Uruk); Hochblüte der Kultur unter Gudea (um 2100), Schulgi (um 2070) und ihren Nachfolgern; um

2000 Einbruch semitischer Kanaanäer (in Kleinstaaten Jsin, Larsa, Mari, Eschrunna u. a.); das sumer. Volkstum verschwand um 1800, seine Kultur wirkte in die Zukunft; Sumerisch blieb als Kultsprache erhalten, Schrift wurde von Nachfolgevölkern übernommen und wirkte auch auf ägypt. ↑ Hieroglyphenschrift ein; Mythen wurden weiterentwickelt, Nachwirkung des Tier- und Dämonenglaubens noch im MA nachweisbar, sexagesimales Zahlensystem noch heute in Stunden- und Kreiseinteilung lebendig; astrolog. und astronom. Vorstellungen befruchteten babylon. Kultastronomie. Um 1890 v. Chr. Begründung der Dynastie von Babylon, ↑ Hammurabi wurde um 1770 Herr Babylons und des babylon. Reiches; Babylon wurde Mittelpunkt; Hammurabi erhob Stadtgott ↑ Marduk zum Reichsgott, der König ist Mittler zwischen ihm und den Menschen; Rechtskodifizierung anknüpfend an sumer. Recht (Staats‑, Wirtschafts-, Familienrecht), gegliederte Gesellschaft (Freie, Halbfreie, Sklaven), Richter wurden Berufsbeamte, Recht der Berufung an den König; Keilschrift wurde offizielle Staatsschrift, das Akkadische Verwaltungssprache; Tempel- und Palastbauten (↑ Babylon. Turm). – Nach Hammurabi Abfall Süd-B.s und Assurs, Zerbröckelung des Reiches, das von Hethitern vernichtet wurde (um 1595); Eindringen der Kassiten (Kossäer), die durch Pferd und Streitwagen überlegen waren und erst um 1160 verdrängt wurden; Einbruch der Aramäer, die sich einen Großteil Babylons unterwarfen; seit 850 Einwirken Assyriens auf B., das aber gewisse Selbständigkeit behauptete. Unter ↑ Tiglat Pilesar III. (745– 727), dem Begründer des neuassyr. Weltreiches, Anschluss Babylons an ↑ Assyrien; unter seinen Nachfolgern Aufstände der Babylonier; 689 Zerstörung Babylons durch Sanherib von Assyrien. Wiederaufbau durch Asarhaddon; unter Assurbanipal (669–630) wurde B. assyrische Pro80

Bad Babylonisches Reich, ↑ Babylonien. Bachofen, Johann Jakob, Schweizer Rechts-

vinz. – 626 riss Nabopolassar, Herrscher des seit etwa 850 v. Chr. in Südbabylonien entstandenen semit.-aramäischen Chaldäerstaates, die Herrschaft über Babylon an sich, im Bunde mit den Medern gelang es dem Kronprinzen ↑ Nebukadnezar, ganz B. und das übrige Assyrerreich unter chaldäische Herrschaft zu bringen; unter Nebukadnezar II. (604–562) umfasste das „Neubabylon. Reich“ Babylonien, Assyrien, Syrien, Palästina (Zerstörung Jerusalems 587 und Deportation der Juden [↑ Babylon. Gefangenschaft]); Nebukadnezars Vorbild war Hammurabi, Blüte der chaldäischen Sternkunde und Astralreligion; Bau des neuen Palastes, des neuen Marduktempels, des Ischtartores. Unter seinen Nachfolgern Kampf der Herrscher mit der Marduk-Priesterschaft und gegen die vordringenden Perser, die seit 550 im Osten eine Großmacht errichtet hatten; 539 eroberte der Perserkönig ↑ Kyros II. Babylon; B. war bis in die Alexanderzeit Provinz des Reiches der ↑ Perser. Babylonische Gefangenschaft: 1) der Juden: Wegführung nach Babylonien durch Nebukadnezar II. nach den Zerstörungen Jerusalems (598 Eroberung Jerusalems, Wegführung des Königs Jojachin nach Babylonien; nach der Erhebung des Königs Zedekia 2. Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar 587); Befreiung durch Kyros II. 536 v. Chr. und Rückwanderung; Propheten in der Zeit des Exils: Ezechiel (Hesekiel) und der zweite Jesaja. 2) der Kirche: Zeit des von Frankreich erzwungenen päpstlichen Exils in Avignon 1309–1376. Babylonischer Turm, nach dem Vorbild der sumer. Zikkurats (Tempeltürme) errichteter Hochtempel in Babylon, mehrmals erneuert, um 600 v. Chr. durch Nebukadnezar II. in der Größe 90 mal 90 mal 90 m in sieben Stufen erneuert; in der Höhe das „Gemach der Vermählung“ Marduks mit der Oberpriesterin; der Turm von Alexander d. Gr. niedergelegt.

und Kulturhistoriker, 1815–1887; er erforschte Mythen und Symbole der Antike, Bahnbrecher der vergleichenden Rechtswissenschaft; seine Theorie des ↑ Mutterrechts ist umstritten. Bacon, l) B., Roger, engl. Mönch und Gelehrter der Scholastik, 1214–1294; „Doctor mirabilis“ genannt, führte als einer der ersten (chem.) Experimente durch, prägte den Begriff des Naturgesetzes, forderte, dass theoretisch deduzierte Ergebnisse experimentell nachgewiesen werden müssen; wegen seiner Zweifel an der Autorität des Aristoteles zehnjährige Gefangenschaft in Paris. 2) B., Francis (Baco von Verulam), engl. Philosoph und Staatsmann, 1561–1626; 1618 Lordkanzler, begründete im Kampf gegen die Scholastik die engl. Aufklärungsphilosophie und die empir. naturwiss. Betrachtung; lehrte als Zweck der Wissenschaft die Beherrschung und Dienstbarmachung der Natur („Wissen ist Macht“). Bad, schon früh vor allem bei orientalischen Völkern (Ägypten, Induskultur, Kreta), vielfach durch Religionsgesetze geregelt (bes. bei Juden und Mohammedanern); die Pythagoräer schrieben kalte Bäder zu allen Jahrezeiten vor, die Hellenen badeten warm in den Gymnasien, die Römer brachten das Badewesen bes. durch den Bau von ↑ Thermen zur Blüte, sie kannten großzügige Seebäder (z. B. Bajä); Gallier und Germanen hatten geheiligte Quellen für Keilbäder; Karl d. Gr. förderte das Baden (Aachen); Klöster und Städte errichteten öffentliche Bäder (Holzwannen und Bottiche), nach den Kreuzzügen riss im Badewesen Sittenverderbnis ein, Badestuben wurden vielfach von Gauklern, Spielern und Scharlatanen bevölkert und gaben Anlass zu Ansteckung und Kurpfuscherei; an den Fürstenhöfen des Barock und des Rokoko waren Vollbäder unbekannt (daher der große Ver81

Badari-Periode brauch von Parfüm und Puder), erst die Aufklärung und hygienische Bestrebungen im 19. Jh. brachten das Baden wieder zu Ehren; Freibaden erst seit dem Beginn des 20. Jh. in der heutigen Form. Badari-Periode, vorgeschichtliche Kulturperiode in Oberägypten, 4. Jt. v. Chr., benannt nach dem Fundort Badari; KupferStein-Zeit, Viehzucht, Ackerbau. Baden, aus verschiedenen Lehen des ehemaligen Herzogtums Schwaben entstandene Markgrafschaft (1112) der Zähringer, nach der Burg B. benannt; 1535 in B.-Baden (seit 1689 Residenz Rastatt) und B.-Durlach geteilt (seit 1715 Hauptstadt Karlsruhe); 1771 durch Markgraf Karl Friedrich wieder vereinigt, 1803 und 1810 erheblich erweitert, Karl Friedrich 1803– 1806 Kurfürst, 1806 Großherzog; liberale Landesverfassung 1818; 1835 im Dt. Zollverein; unter Großherzog Friedrich I. (1852–1907) Eingliederung ins Dt. Reich; 1918 verzichtete Großherzog Friedrich II. auf den Thron; 1919 wurde B. Freistaat mit Verfassung; 1945 nördl. Teil zur amerikan. (zum Land Württemberg-B.), südl. Teil zur frz. Besatzungszone (Land B.); beide Teile kamen 1952 zum Bundesland ↑ B.-Württemberg. Badeni, Kasimir Graf, österr. Staatsmann, 1846–1909; aus galizischem Adel, entfesselte als Ministerpräsident 1895–1897 durch seine Sprachverordnung für Böhmen und Mähren einen erbitterten Sprachenkampf, bes. in Böhmen. Baden-Powell, Sir Robert, engl. General, 1857–1941; verteidigte im Burenkrieg Mafeking; gründete 1907 die Boy Scouts. Baden-Württemberg, dt. Bundesstaat, 1952 aufgrund einer nach dem Neugliederungsgesetz des Bundes angeordneten Volksabstimmung (nur Süd-B. stimmte für eigenes Land B.) aus den Ländern Württem­berg-B., Baden, WürttembergHohenzollern gebildet; 1952 Verfassunggebende Landesversammlung (zugleich Landtag) und Regierungsbildung; Lan-

deshauptstadt Stuttgart; Landesfarben Schwarz-Gold. 1970 wurde in einer Volksabstimmung im Landesteil Baden der Bestand des Landes B.-W. bestätigt. Badoglio, Pietro, ital. Marschall und Politiker, 1871–1956; 1935 Eroberer Abessi­ niens, seit 1919 mehrmals Generalstabschef, 1940 abgesetzt; stürzte 1943 ↑ Mussolini, schloss den Waffenstillstand mit den Alliierten ab, bis 1944 ­Ministerpräsident. Baeck, Leo, jüd. Theologe, 1873–1956; seit 1912 Rabbiner in Berlin und Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums; seit 1933 Präsident der Reichsvertretung der dt. Juden; nach vielfältigen Schikanen und Gestapo-Verhören 1943 nach Theresienstadt deportiert. B. erlebte die Befreiung 1945 und versuchte nach dem Krieg von London aus die gerissenen Fäden des dt.-jüd. Dialogs neu zu knüpfen (B.-Institut 1954 gegr.). Baeyer, Adolf Ritter von, dt. Chemiker 1835–1917; ermittelte 1883 die Strukturformel des Indigos (Voraussetzung für die künstliche Farbenherstellung); synthet. Indigo seit 1897 im Handel. Baffin, William, engl. Seefahrer, 1584– 1622; entdeckte auf der Suche nach der Nordwestpassage das arktische Amerika; nach ihm B.-Bai und B.-Land in der Arktis benannt. Bagauden, gallische Bauern, empörten sich unter Diokletian 283 n. Chr. gegen die Großgrundbesitzer, riefen ihre Anführer zu Kaisern aus; 285/86 unterworfen. Bagdad, Stadt am Tigris, 762 n. Chr. von den ↑ Abbasiden als Reichshauptstadt gegründet mit Hochschule des Islam, glanzvolle Residenz der Kalifen bis zur Eroberung durch die Mongolen 1258; dann persisch oder türkisch; 1638–1917 türkisch; seit 1920 Hauptstadt des ↑ Irak. Bagdadbahn, im Anschluss an die Anatol. Bahn von Konia über Bagdad nach Basra, stellt die Verbindung zw. dem Bos­ porus und dem Persischen Meerbusen her; 2 430 km lang, 1903 begonnen, 1940 82

Bakunin vollendet; die führende Beteiligung dt. Kapitals (1899 türk. Konzession für Dt. Bank) im Rahmen der dt. Wirtschaftsexpansion und Balkanpolitik erweckte das Misstrauen Russlands und Englands und verschärfte die internat. Lage vor dem 1. Weltkrieg. Bagdadpakt, bis 1959 (Austritt des Irak) Name für den Nahost-Pakt; 1955 geschlossener Beistandspakt zwischen Türkei, Irak, Großbritannien, Iran, Pakistan, unter Rückendeckung durch die USA; dagegen richtete sich das Bündnissystem der Vereinigten Arab. Republik (seit 1961 ohne Syrien) und Saudi-Arabiens; seit 1959 neuer Name ↑ Central Treaty Organization (CENTO-Pakt). Bahamas, in Westindien nördlich der Großen Antillen, von Kolumbus entdeckte Inselgruppe (1492); ehemals englisch, dann von ↑ Flibustiern besetzt (1673); 1717 wieder englisch, 1940 errichteten die USA militär. Stützpunkt. 1964 erließ die brit. Regierung eine Verfassung mit erweiterter Autonomie, seit 1973 volle Unabhängigkeit. Bahrain, Emirat im Pers. Golf, gegr. 1783. Durch Entdeckung der Erdöllagerstätten 1932 wurde B. zum wichtigsten brit. Stützpunkt im Pers. Golf. Seit 1971 ist B. unabhängig und Mitglied der Föderation ↑ Vereinigte Arabische Emirate. Baibars, ägypt. Sultan der Mamelucken (1260–1277); ermordete seinen Vorgänger, schlug 1259 die Mongolen zurück, eroberte 1268 Antiochia und 1270 Jerusalem; eine der kraftvollsten Herrschergestalten des Islam (Moschee in Kairo). Bailly, Jean Silvain, frz. Politiker und Astronom, 1736–1793; einer der Führer der ↑ Feuillants, guillotiniert. Bainville, Jacques, frz. Historiker und Politiker, 1879–1936; extremer Nationalist, führendes Mitglied der Action Française, erklärte die Zerstückelung Deutschlands nach dem Vorbild des Westfäl. Friedens zum Ideal der frz. Politik.

Bajä, am Golf von Neapel, Luxusbad der

Römer; Caligula baute über den Golf von B. eine vielbewunderte Schiffsbrücke. Bajasid, türkische Sultane: 1) B. I. (1389 bis 1403); erweiterte das Osmanischen Reich um Bulgarien, Walachei und Dobrudscha; siegte 1396 bei Nikopolis über das Kreuzheer der Ungarn, unterlag 1402 Timur bei Angora und starb in Gefangenschaft. 2) B. II. (1481–1512); kämpfte gegen Ungarn, Polen, Venedig, Ägypten, musste zugunsten seines Sohnes Selim I. abdanken. Bajonett, Stichwaffe (Seitengewehr), die auf das Gewehr aufgesteckt wird und die Pike ersetzt; nach der frz. Stadt Bayonne benannt, unter Ludwig XIV. in der frz. Armee eingeführt; zur besseren Verteidigung der Infanterie gegen Kavallerie­attacken, auch bei Sturmangriffen verwendet. Bajuwaren, ↑ Bayern. Baktrien, Landschaft nördl. des Hindukusch, unter Kyros II. 550 v. Chr. Satrapie des Perserreiches mit der Hauptstadt Baktra (Balch, eine der ältesten Städte Asiens); nach kurzer Zugehörigkeit zum Alexander­ reich (329–323 v. Chr.) selbständiges hellen.-baktr. Reich 250–150 v. Chr.; im 2. Jh. v. Chr. Eindringen der Saken aus Turan, um 140 v. Chr. Unterwerfung durch die Yüe-tschi aus Ost-China; im 7. Jh. arabisch, seit dem 10. Jh. wechselnd unter mongol. und türk. Dynastien, seit 1841 zu Afghanistan. Baku, Hafenstadt am Kasp. Meer in Kaukasien, im Altertum bekannt durch die brennenden Erdgasquellen („Heilige Feuer von B.“); 1723 russisch, 1735 persisch, seit 1806 wieder russisch; Hauptstadt von Aserbeidschan. Bakunin, Michail Alexandrowitsch, russ. Revolutionär, bedeutendster Vertreter des ↑ Anarchismus, 1814–1876; Sohn eines Adligen, urspr. Offizier, ging nach Westeuropa, beteiligte sich 1849 am Aufstand in Dresden, gründete 1864 die Inter­nationale Sozialdemokrat. Allianz, schloss sich 1868 83

Balance of Power der I. Internationale an. B. verband Panslawismus und Internationalismus, Sozialismus und Anarchismus, revolutionäre Mystik und rationalistische Philosophie, er forderte die Revolution in Permanenz; die anarchosyndikalistische Bewegung in den roman. Ländern sah in ihm, nicht in Marx, den führenden Denker des ↑ Sozialismus. Balance of Power (engl., Gleichgewicht der Macht), ↑ Gleichgewicht. Balbo, Italo, ital. Luftmarschall, 1896– 1940; beim faschist. Marsch auf Rom einer der führenden „Vier Männer“, 1929 Minister der Luftfahrt, 1933 Statthalter von Libyen, Erbauer der Via Balbia; über Tobruk abgeschossen. Balboa, Vasco Núñez de, span. Konquis­ tador, 1475–1519; entdeckte 1513 nach Durchquerung des Isthmus von Panama den Stillen Ozean von Osten her („Südsee“). Balduin, Name von Herrschern. König von Jerusalem: 1) B. 1. (1100–1118); Bruder Gottfrieds von Bouillon, nahm als dessen Nachfolger den Königstitel an. – Lat. Kaiser von Byzanz: 2) B. I., Graf von Flandern, begründete als einer der Führer des 4. Kreuzzuges 1204 das lat. Kaisertum von Byzanz, von den Bulgaren gefangen genommen, starb 1205. 3) B. II., Graf von Courtenay, letzter lat. Kaiser (1228– 1261). Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier (1307–1354), Bruder Kaiser Heinrichs VII., von bedeutendem Einfluss auf die Reichspolitik („Königsmacher“); auf dem Kurverein zu Rhense (1338); auf den Reichstagen zu Frankfurt 1338 und 1339 und auf dem Reichstag zu Koblenz Verfechter der Rechtswirkung der Königswahl durch die Kurfürsten, Verteidigung der Reichsrechte gegen die Kurie, doch zwischen Kurie und Kaiser vermittelnd; B. ließ den Römerzug Heinrichs VII. in einer noch erhaltenen Pracht-Bilderchronik verherrlichen („Balduineum“).

Baldwin, Stanley, brit. Staatsmann, 1867–

1947; Führer der Konservativen, 1923/24, 1924–1929 und 1935–1937 Premierminister, führte England 1936/1937 mit Geschick durch die Thronkrise (Abdankung Eduards VIII.). Balearen, Inselgruppe im westl. Mittelmeer; in der Antike waren ihre Bewohner als vorzügliche Steinschleuderer begehrte Söldner; vor 300 v. Chr. Sitz karthag. Faktoreien, 122 v. Chr. römisch, 425 n. Chr. vandalisch, 534 byzantinisch, später fränkisch, 798 arabisch; 1229 von Aragon erobert, 1276–1348 eigenes Königreich Mallorca, seitdem zu Spanien (Menorca 1708–1782 britisch). Balfour, Arthur James, Earl, brit. Staatsmann, 1848–1930; konservativer Minister­ präsident 1902–1907, Außenminister 1916–1919; gestand dem jüdischen Volk Staatsgründung in Palästina zu (↑ B.-Deklaration); bemühte sich um die Formulierung der staatsrechtlichen Stellung der Dominien im brit. Reichsverband (Reichskonferenz 1926). Balfour-Deklaration, die vom brit. Außenminister B. 1917 abgegebene Erklärung, dass England die zionist. Bestrebungen zur Errichtung eines Nationalheims für das jüd. Volk in Palästina fördern werde; die B. D. in Form eines Briefes Balfours an Lord Rothschild, den Vorsitzenden der engl. Zionisten, sollte die Juden der Welt für die Alliierten gewinnen; sie wurde in den Vertrag von Sèvres und in das brit. Mandat für Palästina aufgenommen. Balk, Hermann, erster Landmeister des Dt. Ordens (seit 1230) in Preußen, gest. 1239; eroberte im Auftrag des Hochmeis­ters Hermann von Salza Kulmerland und Ermland, gründete Thorn, Kulm, Elbing, Marienwerder. Balkan, Balkanhalbinsel, polit.-histor. Bez. seit dem 19. Jh.; im ↑ Neolithikum wirkten sich im Raum des Balkans vor allem die ↑ Lausitzer und die ↑ Urnenfelderkultur aus, deren Ausstrahlungen bis in 84

Ballai die Ägäis reichten; die indogerman. Kultur prägte die Kultur des frühen ↑ Griechenlands; über den B. führte im 3. Jh. der Weg der ↑ Kelten; der B. war infolge seiner gebirgigen Struktur seit je für eine polit. Zusammenfassung wenig geeignet; erster Versuch einer polit. Gestaltung durch Alexander d. Gr. und durch die Römer, durch sie Einteilung in Provinzen: Illyrien, unterteilt in Dalmatien, Pannonien (etwa Ungarn) und Mösien (Nordbulgarien); Thrakien, Dakien (etwa Rumänien); Makedonien, Epirus (etwa Albanien) und Achaia (Griechenland); im MA kämpften Byzanz, Serben und Bulgaren und von der Küste aus Venedig um die Vormacht; im 14./15. Jh. machten sich die Türken zu Herren des ganzen Balkans, seit ihrer Niederlage vor Wien mussten sie im NW vor Österreich zurückweichen; von NO drang seit 1768 Russland vor; im l9. Jh. wurde der B. durch den inneren und äußeren Verfall des Osman. Reiches, die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen der B.-Völker, die Interessenkonflikte der Großmächte und auch durch die religiösen Gegensätze (röm.-kath. Kirche und griech.-orthodoxe Kirche; Christen und Mohammedaner) zum polit. Wetterwinkel („Pulverfass“) Europas; nach dem russ.-türk. Krieg auf dem ↑ Berliner Kongress (1878) Neuordnung der Verhältnisse; am verderblichsten wirkten sich die österr.-russ. Rivalität, die Gegnerschaft zwischen Österreich und Serbien und der Streit um Mazedonien aus; die Türkei wurde bis 1913 trotz des Widerstandes und dir Reformen der Jungtürken fast völlig vom B. verdrängt. 1914 entzündete sich der 1. Weltkrieg auf dem B. (Attentat von ↑ Sarajevo), er brachte keine Lösung der B.-Probleme (seit 1919 Revisionsansprüche Bulgariens). Im 2. Weltkrieg versuchte Churchill, die „Zweite Front“ auf dem B. zu errichten, um von da aus Verbindung mit Sowjetrussland zu finden und die deutsche Ostfront aufzurollen, drang aber nicht durch; so kam der

größere Teil des B. in die Machtsphäre der Sowjetunion, der sich jedoch später das kommunistische ↑ Jugoslawien, Albanien und Griechenland entzogen; der griech. Bürgerkrieg gab den Anstoß zur ↑ Trumandoktrin (1947). Balkanbund, 1912 errichtetes System von vier zweiseitigen Kriegsbündnisverträgen zw. Bulgarien und Serbien bzw. Griechenland, Montenegro und Bulgarien bzw. Serbien zur Beseitigung der osman. Herrschaft auf dem Balkan. Balkankriege, 1912 von den verbündeten Balkanstaaten mit dem Ziel begonnen, die europ. Türkei unter sich aufzuteilen, begünstigt von Russland, das die Herrschaft über den Bosporus anstrebte. – Erster B. 1912/13: Der Balkanbund (Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro) warf die Türken bis auf die Tschataldschalinie (östl. Adrianopel) zurück und erhielt die eroberten Gebiete im Londoner Frieden zugesprochen. Zweiter B. 1913: Im Streit um die Beute griff Bulgarien Serbien an und wurde von diesem im Bunde mit Griechenland und Rumänien geschlagen; die Türken eroberten Adrianopel zurück; im Frieden von Bukarest kam Mazedonien zu Serbien, die Dobrudscha zu Rumänien, Saloniki und Kreta zu Griechenland. Balkanpakt, Vertrag von Ankara, Freundschaftsvertrag der Länder Türkei, Griechenland, Jugoslawien (seit 1953), von den USA und Großbritannien gefördert (militär., wirtsch. und kulturelle Zusammenarbeit); 1954 durch Vertrag von Bled zum Abwehrbündnis (auf 20 Jahre) erweitert, verlor seit 1955 an Bedeutung, bereits 1958 von Jugoslawien als nichtig bezeichnet. Er besteht infolge des griechisch-türkischen Dauerkonflikts um die Vorherrschaft in der Ägäis (Zypern) und der Auflösung Jugoslawiens und der UdSSR nur noch auf dem Papier. Ballei, Verwaltungsprovinz in den Ritterorden der Templer, Deutschherren und Johanniter, geleitet von einem Bailli (Ba85

Ballenstedt livus), bei den Johannitern in Priorate, bei den übrigen Ritterorden in Kommenden oder Komtureien unterteilt. Ballenstedt, Schlossburg und Siedlung in Anhalt (7. Jh.), ältester Besitz der Askanier; seit 1512 Stadt. Ballhausplatz in Wien, nach dem dort gelegenen österr. Außenministerium. Bez. auch für das Außenministerium selbst (wie Wilhelmstraße für das dt., Quai d’Orsay für das frz. und Downing Street für das brit. Außenministerium). Ballhausschwur, geleistet 1789 von den Abgeordneten des 3. Standes der frz. Nationalversammlung im Ballhaus von Versailles; Vereinbarung, nicht eher auseinander zu gehen, bevor die Versammlung Frankreich eine konstitutionelle Verfassung gegeben habe. Ballen, Albert, Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag), 1857–1918; einflussreicher Wirtschaftspolitiker der Ära Wilhelms II., mit dem Kaiser befreundet; um den dt.-brit. Ausgleich bemüht, entwickelte die Hapag in 15 Jahren zur größten Reederei der Welt. Balliste, armbrustartiges, in der Antike und im MA zu Belagerungszwecken verwendetes Wurfgeschütz. Balten, den Slawen verwandte indogerman. Völkergruppe (Letten, Litauer, Liven, Altpreußen und Kuren; die Esten und Liven gehören zu den finn.-ugrischen Völkern) in den Randgebieten der Ostsee südl. des Finn. Meerbusens; im MA vom Dt. Orden christianisiert, dann wirtsch. von der Hanse beeinflusst; gleichzeitig dt. Einwanderung. – Später Bezeichnung für die dt. Einwohner der genannten Gebiete, die zur polit. und kulturell führenden Oberschicht geworden waren; die Dt.B. spielten in Staat und Heer des zarist. Russlands eine bedeutende Rolle, mussten sich aber schon vor dem 1. Weltkrieg der Russifizierungspolitik erwehren; nach dem 1. Weltkrieg wurden sie von den jungen balt. Republiken größtenteils enteig-

net (Auswanderungsbewegung); 1939/40 und seit dem 2. Weltkrieg Aus- und Umsiedlungsaktionen. Balthen (got., die Kühnen), westgot. Herrschergeschlecht, das mit ↑ Alarich I. um 400 begann und mit Amalarich 531 endete. Baltikum, Sammelbez. für die ehemals russ. Ostseeprovinzen Livland, Estland und Kurland; nach dem 1. Weltkrieg selbständige Republiken Estland, Lettland und Litauen, 1940 infolge des Hitler-Stalin-Paktes der Sowjetunion als Sowjetrepubliken eingegliedert, 1991 nach dem Zusammenbruch der UdSSR unabhängige Staaten. B.-Truppen: die dt. Freiwilligenverbände, die nach dem 1. Weltkrieg bes. in Lettland gegen die Bolschewisten kämpften und auf Befehl der Alliierten zurückgezogen werden mussten. Baltische Staaten, ↑ Estland, Lettland, Litauen. Bamberg: Stadt B., erbaut im Anschluss an Burg Babenberg der Babenberger Grafen, als Ort 902 erstmals genannt; nach dem Untergang der Babenberger in der ↑ Babenberger Fehde 902 Reichsbesitz, später durch Schenkung an die Bayernherzöge; König Heinrich II. gründete den Dom (1012 geweiht, zweimal abgebrannt, heutiger Bau 1237 geweiht); berühmte Plastiken, Gräber Papst Clemens’ II., Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde; auf dem Domhügel Alte und Neue Hofhaltung, Neue Residenz und Domherrenbezirk, auf dem Michaelsberg das von Heinrich II. gegr. Benediktinerkloster; Hoftage in B. 1035, 1050 und 1122; Verfassungsstreit zw. Bischof und Bürgerschaft im 15./16. Jh., Zerstörungen im 30-jährigen und 7-jährigen Krieg; zahlreiche barocke Neubauten; B. kam 1802 zu Bayern, 1919 Sitz der vor dem Räte­terror aus München geflüchteten bayer. Regierung. Verkündung der „Bamberger Verfassung“ (bis 1933 in Kraft). – Bistum B., von Heinrich II. aus Teilen der Bistümer Eichstätt und Würzburg zur Missionierung der 86

Bandungskonferenz Slawen gestiftet, mit reichem Grundbesitz (bes. in Kärnten); der zweite Bischof Suidger wurde 1046 Papst Clemens II.; der achte Bischof, Otto von Bamberg (hl.), christianisierte auf zwei Missionsreisen Pommern („Apostel der Pommern“); seit der Mitte des 13. Jh. Fürstbischöfe; bedeutend Bischof Georg III. (1505–1522), Ratgeber Maximilians I., Wortführer auf dem Reichstag zu Augsburg 1518; 1648 Gründung der Akademie, seit 1773 Universität (bis 1804); Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn (1693–1729) erbaute die Neue Residenz und die Schlösser Pommersfelden und Gaibach; 1802 Säkularisierung des Hochstifts und Vereinigung mit Bayern; 1817 wieder Erzbistum mit verändertem und erweitertem Sprengel. Bamberger, Ludwig, dt. Politiker, 1823– 1899; als Teilnehmer an der 1848er Revolution 1849–1866 im Exil, Bankier, führender Nationalliberaler, Autorität in Wirtschaftsfragen, verteidigte die Goldwährung und die Gewerbefreiheit; 1880 spaltete er die Nationalliberalen (Sezession) und gründete 1884 mit der Dt. Fortschrittspartei die Dt. Freisinnige P.; zunächst finanzpolit. Berater Bismarcks, wandte sich später gegen dessen Schutzzoll-, Kolonial-, und Sozialpolitik; Vertrauter Friedrichs III. Bambergische Halsgerichtsordnung, Strafgerichtsordnung vom Jahre 1507; verfasst von Joh. von Schwarzenberg für das Fürstbistum Bamberg, Vorbild für die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (↑ Carolina). Banat, urspr. alle militär., durch einen Ban (Grenzbefehlshaber) verwalteten Grenzprovinzen Ungarns, später nur die Landschaft zwischen Marosch, Theiß, Donau und Karpaten (Temesburger B.), wurde zus. mit Ungarn im 15. und 16. Jh. türkisch, 1718 durch den Frieden von Passarowitz wieder österreichisch; unter Maria Theresia und Joseph II. mit Magyaren, Serben, Rumänen, vor allem aber mit Deut-

schen (Banater Schwaben) neu besiedelt; der nördl. Teil 1779 mit Ungarn vereinigt, der südl. seit 1872 (Magyarisierung); 1920 im Vertrag von Trianon zw. Rumänien, Jugoslawien und Ungarn aufgeteilt; die B.er Schwaben Jugoslawiens flüchteten z. T. 1944 mit den abziehenden dt. Truppen, der verbleibende Teil wurde von den Tito-Partisanen in Vernichtungslager gebracht, die meisten Überlebenden kamen seit 1949 nach Österreich und in die Bundesrepublik; ein ähnl. Schicksal (mit geringeren Opfern) traf die B.er Schwaben Rumäniens. Bancroft, George, nordamerik. Diplomat und Historiker, 1800–1891; schloss als Gesandter in Berlin 1867–1874 die B.Verträge über die dt. Auswanderung nach den USA (wechselseitige Anerkennung der Staatsangehörigkeit). Banderanaike, Sirimavo, ceylones. Politikerin, 1916–2000; übernahm anstelle ihres 1959 ermordeten Mannes Solomon B. (Premierminister 1956–59) die Führung der sozialist. „Sri Lanka Freedom Party“, 1960–65 Premierministerin, führte ein umfangreiches Verstaatlichungsprogramm durch; 1970–77 und 1994–2000 erneut Premierministerin. Bandkeramik, vorgeschichtl. Kulturkreis der Jungsteinzeit; um 4000/3 000 v. Chr. im Donaugebiet (bäuerliche ↑ Donaukultur), erst auf Süddeutschland, Böhmen, Mähren, Ostpolen, später auch nach Westen hin übergreifend (Ackerbau, Viehzucht und Jagd treibende Gruppen); benannt nach den bandähnlichen Mustern (runde und eckige Spirallinien), mit denen die Gefäße geschmückt sind (zum Unterschied von der ↑ Schnurkeramik). Bandmänner (Ribbon Society), Geheimbund irischer Pächter gegen engl. Großgrundbesitz, um 1817 gegründet; Abzeichen: bunte Bänder. Bandungkonferenz, 1955, Treffen der Regierungschefs bzw. Außenminister von 24 asiat. und afrikan. Staaten in der indo87

Banér nesische Stadt Bandung (nicht anwesend Israel und Südafrikan. Union); Kampf gegen Atomaufrüstung, Rassendiskriminierung, Kolonialimperialismus, Ausrichtung auf gemeinsames Handeln unter Bejahung der Grundsätze der UN (asiat.-afrikan. Bewegung). Banér, Johan, schwed. Feldherr im 30jährigen Krieg, 1596–1641; nach Gustav Adolfs Tod (↑ Lützen 1632) Oberbefehlshaber des schwed. Heeres in Deutschland, Sieger von Wittstock 1636 über die Kaiserlichen. Bangladesch, Volksrepublik in Südasien, bis 1971 östl. Landesteil von ↑ Pakistan. Die Absicht Mujibur ↑ Rahmans, nach dem Wahlsieg der Awami-Liga die volle Kontrolle über Ostpakistan zu übernehmen, und die Intervention westpakistan. Truppen führten zum Ausbruch des Sezessionskrieges und zur Unabhängigkeitserklärung von B. 1971. Ministerpräsident M. Rahman fiel 1975 einem Putsch zum Opfer. Unter Ziaur Rahman Militärregierung bis 1978, Aufhebung des Kriegsrechts 1979. Ziuur Rahman, inzwischen Präsident, wurde 1981 ermordet. Seit 1982 wieder Militärregierung unter H. M. Ershad, 1986 wurde die Verfassung wieder eingesetzt, 1988 der Islam zur Staatsreligion erklärt. Seit der Verfassungsreform 1991 hat Bangladesch wieder eine funktionierende parlamentarische Demokratie (nach der Verfassung von 1972 herrschte eine präsidiale Republik), 1996 –2001 Premierministerin Hasina Wajed, seither Khaleda Zia. – Bangladesch war und ist trotz umfangreicher ausländischer Entwicklungshilfe nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt; Korruption, eine desolate Wirtschaftslage, die sich ständig wiederholenden Umweltkatastrophen und das starke Bevölkerungswachstum verhindern, dass sich die Lage für die Bevölkerung wesentlich verbessert. Banken, benannt nach den Banken (italien. banca = Tisch) der Münzwechs-

ler (meist Juden, weil Zinsnehmen den Christen im MA verboten); Ägypter, Griechen und Römer kannten bereits bank­ ähnliche Funktionen; das Bankwesen im heutigen Sinne mit Geldaufbewahrung, bargeldloser Überweisung, Kreditvermittlung und Finanzierung begann mit dem Wiederaufkommen der Geldwirtschaft im 13./14. Jh. (risiko- und gewinnreicher Fernhandel, belebt durch die Kreuzzüge; schließlich steigender Geldbedarf der Fürsten; internationales Finanzwesen der Kurie), v. a in Italien (Heimat des Frühkapitalismus). „Lombarden“ = ­ Bankiers der reichen oberital. Handelsstädte; daher vielfach noch heute ital. Fachausdrücke im Bankwesen; Groß-Bankiers in der frühen Neuzeit die Fugger und Welser in Augsburg; die wichtigsten Kreditinstitute firmierten wegen des kanon. Zinsverbotes zunächst als Wohlfahrtseinrichtungen, Pfandanstalten („Montes pietatis“ – Berge der Frömmigkeit); seit Ende des 16. Jh. übernahmen die großen Handelsstädte die Regulierung des Geldumlaufs und organisierten die Kreditwirtschaft; Gründung öffentl. Banken: 1407 St.-Georgs-Bank in Genua, 1619 Venedig, 1609 Amsterdam, 1619 Hamburg, 1621 Nürnberg; erste Großbank: B. von England 1694; in Deutschland erst 2. Hälfte des 19. Jh. (Darmstädter, Dt. B.); erste Notenbank 1716 in Frankreich gegr. von ↑ Law. Batiks, Sir Joseph, brit. Naturforscher und Geograf, 1743–1820; 1769–1771 mit Cook auf Weltreise, Erforscher Islands, 1788 Begründer der „Afrikan. Gesellschaft“. Bann, im MA das Recht des Königs, dann auch der vom König beauftragten Grafen, in einem Bezirk bei Strafe etwas zu gebieten oder zu verbieten; auch das Verbot oder Gebot oder die Strafe selbst; schließlich das Gebiet, das unter der Gewalt des B.-Herrn stand (Blut-, Burg-, Wild-, Königs-, Heerbann usw.). – Beim Kirchenbann, in bes. schweren Fällen durch päpst88

Barclay de Tolly liche Bulle verhängt, wird unterschieden der „Kleine“ und „Große B.“ (lat. Excommunicatio minor und major oder Anathema); der Kleine B. schloss von den Sakramenten und kirchlichen Ämtern aus, der Große B. stieß aus jeder christlichen Gemeinschaft, dem bürgerlichen Verkehr und Recht aus. Banner, im MA rechteckige Fahne der Bannerherren (des Landes- oder höheren Lehnsherrn) mit dem Wappenbild; Städte führten ihr B. oft auf einem B.-Wagen; B. zum Unterschied von der einfachen Fahne an einem Querbalken befestigt. Bannforst (Bannwald) und Banngewässer, vom König kraft seines Wildbannrechtes abgegrenztes Gebiet, dessen Nutzung er sich zu Jagd oder Fischfang vorbehielt oder als Privileg vergab; seit Heinrich IV. wurde (wenn es sich nicht um königlichen Grundbesitz handelte) dem betroffenen privaten Grundbesitzer ein Mitnutzungsrecht zugestanden. Bannmeile, im MA der Bannbezirk einer Stadt oder eines Herrensitzes (Kloster, Schloss, Burg), meist der Umkreis einer Meile, innerhalb dessen kein Fremder Gewerbe oder Handel treiben durfte bzw. für den das ↑ Bannrecht bestand. Bannrecht, Recht der Grundherren, das die Bewohner des Bannbezirkes verpflichtete, bestimmten Bedarf nur an den vom Grundherrn bestimmten Stellen zu befriedigen, z. B. Mahlzwang, Bierzwang, Kelterzwang usw.; im l9. Jh. in ganz Europa durch die Gewerbeordnung aufgehoben. Bantu, ↑ Afrika. Bao-Dai, Kaiser, ↑ Annam, Vietnam. Baptisten (Täufer), christliche Freikirche mit selbständigen Gemeinden, verwarfen die Kindertaufe, Gegner der Staatskirchen; hielten sich streng an die Bibel; 1633 in England entstanden, 1639 durch Roger Williams nach Nordamerika verpflanzt; 1834 auch in Deutschland B.-Gemeinden; seit 1905 im Baptist. Weltbund zusammengeschlossen.

Bar (Le Barrois), Landschaft und ehemals Grafschaft, seit 1355 Herzogtum, in Frank­ reich beiderseits der oberen Maas, kam 1431 zu Lothringen, mit diesem 1766 an Frankreich. Barbados, Antilleninsel nordöstlich von Trinidad; 1519 von Spaniern entdeckt, seit 1625 englisch, im 17. und 18. Jh. Mittelpunkt des Sklavenhandels. Seit 1966 ist B. Commonwealth-Mitglied, weiterhin auf wirtschaftliche Unterstützung des Mutterlandes angewiesen. Barbaren, Bezeichnung der Griechen für alle nicht Griechisch Sprechenden, seit den Perserkriegen mit einem Beiklang der Geringschätzung (Mangel an Bildung); für die Römer alle Fremden und (vom röm. Standpunkt) Unzivilisierten, besonders die Germanen. Barbarossa, 1) Emir von Algier, ↑ Chaireddin. 2) Bezeichnung für ↑ Friedrich I. Barberini, röm. Adelsgeschlecht mit Barockpalast und Bibliothek in Rom (heute in der Vaticana); aus ihm ging Papst Urban VIII. hervor; von diesem gefürstet, 1738 erloschen. Barcelona, Hauptstadt der span. Provinz Katalonien; angeblich phönik. Gründung, seit Mitte des 3. Jh. n. Chr. Hauptstadt der röm. Provinz Hispania Citerior (Barcino); 415 von den Westgoten unter ↑ Athaulf, 713 von den Arabern und 801 von den Franken erobert (Hauptstadt der Span. Mark); im 10. Jh. von christlichen Markgrafen regiert, 985 von den Arabern wiedererobert, kam 1137 an Aragonien; im 17. Jh. zeitweise bei Frankreich; wirtsch. Zentrum des Königreiches Aragonien, im 19. Jh. Aufstieg zur führenden Industriestadt Spaniens; Hort des Anarchismus, Mittelpunkt des katalan. Separatismus; im span. Bürgerkrieg (1936–1939) Sitz einer autonomen (katalan.) Regierung. Barclay de Tolly, Michael, Fürst, russ. Feldherr, 1761–1818; aus schott. Familie, Oberbefehlshaber der russ. Westarmee 1812 (bis zur Schlacht bei Smolensk im

89

Bardowiek Aug.) und 1813/14 (Schlachten bei Dresden, Leipzig, vor Paris). Bardowiek, Ort nördl. Lüneburgs, vermutl. langobard. Siedlung, unter Karl d. Gr. wichtiger Handelsplatz, 965 Münzstätte; 1189 von Heinrich dem Löwen, dem die Stadt die Aufnahme verweigerte, aus Rache zerstört mit Ausnahme des Domes; eine Inschrift auf einer erhaltenen Tierfigur: „Vestigium leonis“ (Spur des Löwen) hält die Erinnerung an den Welfen wach. Barebone-Parlament, 1653 von Cromwell berufen, nur 155 Mitglieder; Spottname nach seinem Sprecher B. (= Totenknochen); bald aufgelöst. Barents, Willem, holländ. Seefahrer, um 1550–1597; entdeckte auf der Suche nach der Nordost-Durchfahrt 1596 Spitzbergen, die Bäreninsel und Nowaja Semlja, auf der Rückreise gestorben (nach ihm benannt B.-See und B.-Insel). Barere de Vieuzac, Bertrand, frz. Revolutionspolitiker, 1755–1841; 1793 Präsident des Nationalkonvents im Prozess gegen Ludwig XVI., Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, half die Girondisten und Danton stürzen; da er die Bluturteile blumenreich umschrieb, „Anakreon der Guillotine“ genannt. Bari, Hauptstadt Apuliens; nach Zerfall des weström. Reiches bei Ostrom, im 9. Jh. von Sarazenen, Byzantinern, Langobarden u. a. umkämpft, 1071 vom Normannen Robert Guiscard erobert, im 15. Jh. im Besitz der Sforza, 1558 beim span. Königreich Neapel. Bar-Kochba (hebr. Schimon Bar Kosiba = Sohn des Sterns), jüd. Fürst, Führer des Judenaufstands 132–135 n. Chr. gegen die röm. Besatzungsmacht (Kaiser Hadrian); eroberte große Teile Judäas, erlag aber dem röm. Feldherrn Julius Severus (die Juden verloren etwa 500 000 Mann). Jerusalem erhielt den Namen Aelia capitolina und wurde zur heidn. Stadt (Kriegsbefehle, Briefe, Geräte B.-K.s 1960 in den Höhlen am Toten Meer aufgefunden).

Barmer Theologische Erklärung, von

der Barmer Bekenntnissynode 1934 angenommene Erklärung, die die Grundlagen des ev. Bekenntnisses formulierte und den Totalitätsanspruch des nat.-soz. Staates ebenso ablehnte wie staatliche Funktionen für die Kirche; Grundgesetz der ↑ Bekennenden Kirche. Barock, Epoche der europ. Kunst- und Kulturgeschichte, löste Ende des 16. Jh. die Spätgotik bzw. die Renaissance ab, setzte sich wie diese von Italien aus im übrigen Europa durch und herrschte als der dem Zeitalter der Gegenreformation und des Absolutismus gemäße künstler. Ausdruck bis Mitte des 18. Jh. vor, in der Architektur, Bildhauerei, Malerei, Literatur und Musik; der B. führte die klassische Strenge, Erhabenheit und Ruhe der Renaissance in festliche Repräsentation, Kraft, Bewegtheit und geschwungene Linienführung über, löste den Raum auf, schwelgte in Formen- und Farbenreichtum, am Ende übersteigert zu hohler Pracht und Überladenheit; seit dem Klassizismus und der Aufklärung als schwüls­ tig missachtet, durch Gurlitt und Wölfflin „wiederentdeckt“. Baron, in Frankreich und England im MA der unmittelbare Kronvasall, in England heute die unterste Stufe (Baronet) des Hochadels; in Deutschland seit dem 16. Jh. der Freiherr. In Russland durch Peter d. Gr. als Adelstitel eingeführt. Baronius, Cäsar, Kardinal, ital. Kirchenhistoriker, 1538–1607; Verfasser einer l2bändigen Kirchengeschichte von Christi Geburt bis 1198, fortgesetzt von Reynaldus u. a. Barras, Paul Vicomte de, einer der Führer der Frz. Revolution, 1755–1829; aus altem Adel, Offizier, als Mitglied der Bergpartei im Konvent an der Errichtung der Republik führend beteiligt, stürzte 1794 Robespierre, dann Präsident des Konvents, 1795 Mitglied des Direktoriums, von Napoleon 1799 verbannt. 90

Basilios Barriere-Traktat, Grenzschutzvertrag von

der Schweiz); seit 1501 zur Eidgenossenschaft; Heimatstadt Merians, Sitz der Humanisten und Reformatoren Calvin, Reuchlin, Murner, Erasmus. – Das ehemalige reichsunmittelbare Bistum B., gegr. im 4. Jh., verlor im 14. Jh. die Herrschaft über die Stadt; bei Einführung der Reformation in B. 1529 verlegten die Bischöfe ihren Sitz nach Pruntrut; ihre reichsunmittelbaren Besitzungen kamen 1793 an Frankreich – B., auch zwei Halbkantone der Schweiz (B. Stadt und B. Land). Baseler Frieden, 1795 Separatfrieden zwischen Frankreich und Preußen, das den Kampf gegen die frz. Republik einstellte, das linke Rheinufer preisgab und dafür rechtsrheinisch entschädigt werden sollte. Baseler Konzil, 1431–1449, letzter großer Versuch des MA einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern, schloss mit den gemäßigten Hussiten einen Kompromiss, schränkte die Vorrechte des Papstes vor allem in finanzieller Hinsicht ein, geriet aber in der Frage: „Steht das Konzil über dem Papst?“ in Streit mit Eugen IV., gegen den sich das Konzil nicht durchsetzen konnte; der Papst machte die Reformbeschlüsse durch den Abschluss von Konkordaten zunichte; das Konzil löste sich selbst auf (Nachwirkung der konziliaren Idee [↑ Konzil] auf den ↑ Gallikanismus). Basileus (Herr, König), Titel des altgriech. Archon für die religiösen Opfer und Feste; im MA Titel oström. Kaiser. Basilios, 1) B. I., der Makedonier, Kaiser von Byzanz (867–886); Begründer der makedon. Dynastie, kämpfte erfolgreich gegen die Araber, reorganisierte Verwaltung und Gesetzgebung. 2) B. II., Kaiser von Byzanz (976–1025); zerstörte das bulgar. Reich endgültig 1018, daher Beiname „Bulgaroktonos“ = Bulgarentöter; festigte und erweiterte die byzantin. Macht von der Adria bis zum Euphrat, hatte entscheidenden Anteil an der Christianisierung Russlands; Blüte der byzantin. Kunst („Makedonische Renaissance“).

1715, abgeschlossen zw. Österreich und den Vereinigten Niederlanden, die das Recht erhielten, zum Schutz gegen Frankreich in mehreren Festungen der österr. Niederlande Besatzungen zu unterhalten; Quelle vieler Reibereien; 1781 von Joseph II. einseitig gekündigt. Barth, 1) B., Heinrich, dt. Forschungsreisender, 1821–1865; erforschte auf 6jähriger Reise Nord- und Zentralafrika (bes. den Sudan). 2) B., Karl, reformierter Theologe, 1886–1968; Begründer der dia­ lektischen Theologie; Gegner des National­ sozialismus („Vater der Bekennenden Kirche“), des westl. Kapitalismus und des östl. Kommunismus; 1935 aus Deutschland vertrieben, lehrte seitdem in Basel (bed. Werk: „Kirchliche Dogmatik“). Bartholomäusnacht (Pariser Bluthochzeit), Niedermetzelung von mehreren tausend Hugenotten (u. a. Admiral Coligny, Führer der frz. Hugenotten) während der Hochzeit Heinrichs von Navarra (später Heinrich IV.) und Margaretes von Valois in der Nacht zum Bartholomäustag, 24. Aug. 1572; Ende der Protestantisierung Frankreichs. Barthou, Jean Louis, frz. Politiker, 1862– 1934; Anhänger Poincarés, 1913 Ministerpräsident, 1922 Vorsitzender der Reparationskommission, 1934 Außenminister (Verträge mit den osteurop. Staaten und der Sowjetunion); zus. mit König Alexander von Jugoslawien in Marseille ermordet. Basedow, Johann Bernhard, dt. Pädagoge, 1723–1790; regte Reformen des Erziehungswesens im Geist der Aufklärung an, gründete 1774 das Philanthropinum (Lehrerseminar und Musterschule) in Dessau (↑ Philanthropinismus). Basel, römische Gründung (Lager „Basilia“ und Kolonie „Augusta ­Rauracorum“), seit Ende des 5. Jh. fränkisch, 912 an Burgund, 1032 beim Dt. Reich, später Reichsstadt; 1460 Universität (älteste 91

Basilius der Große Basilius der Große, hl., Kirchenlehrer,

Bastarner, ostgerman. Volksstamm zwi-

331–379; Erzbischof von Cäsarea (Kappadokien), im Sinne der Beschlüsse von ↑ Nicäa Gegner des ↑ Arianismus, Begründer des Mönchswesens der Ostkirche (Basilianer), für die seine 451 zusammengefasste Mönchsregel noch heute gilt; Stifter eines großen Hospitals zur Aufnahme von Armen, Kranken und Pilgern (die erste bekannte Anstalt christlicher Liebestätigkeit). Basken, Volksstamm beiderseits der westlichen Pyrenäen, zum größeren Teil bei Spanien (mit Hauptstadt Bilbao), mit der einzigen noch lebenden nicht-indogerman. Sprache Westeuropas, vermutlich Rest der iber. Urbewohner Spaniens; kämpften im Span. Bürgerkrieg 1936–1939 (obwohl streng kath.) auf Seiten der Republik für Autonomie und Sprachenrechte. Während der Regierungszeit ↑ Francos separatist. Bestrebungen und zahlreiche Terroraktionen der Separatistenorganisation ETA. Seit 1979 Autonomiestatut: eigenes Regionalparlament, eigene Regionalregierung. Dennoch weiterhin Terroranschläge der ETA (unterbrochen von einem Waffenstillstand 1994–1999), die nach der Gründung eines selbständigen baskischen Staates strebt. Bassermann, dt. Politiker: 1) B., Friedrich, 1811–1855; stellte im Badischen Landtag den Antrag auf dt. Nationalvertretung, Mitglied der Frankfurter National­ versammlung auf Seiten der preuß.-erbkaiserlichen Partei, gemäßigt liberal; die „B.schen Gestalten“ („Gestalten“ als Bezeichnung für zwielichtige Personen in B.s Bericht über eine Reise nach dem revolutionären Berlin) wurden sprichwörtlich. 2) B., Ernst, 1854–1917; Führer der Nationalliberalen Partei seit 1904. Bastard, das Kind einer außerehelichen oder unebenbürtigen Verbindung, im MA herald. durch den sog. Bastardfaden gekennzeichnet, der schräg durch das Wappen verläuft.

schen Karpaten und Weichsel; stießen Ende des 2. Jh. v. Chr. zum Balkan vor, 168 Bundesgenossen des Königs Perseus gegen die Römer, dann in Thrakien; gingen im 2. Jh. n. Chr. in den Goten auf. Bastiat, Frédéric, frz. Nationalökonom, 1801–1850; Freihändler, propagierte den Wirtschaftsoptimismus Careys, kämpfte gegen den Sozialismus. Bastille, urspr. in Frankreich üblicher Name für alle mit Bastionen und Türmen versehenen Schlösser; Name der Zwingburg, die Karl V. und Karl VI. 1369–1382 zu Paris bauen ließen; seit dem 15. Jh. Staatsgefängnis, kam die B. bald in Verruf, sie wurde am 14. Juli 1789 als Zeichen der Tyrannei vom Volk erstürmt und 1792 abgetragen; der 14. Juli wurde frz. National­ feiertag. Bataver, german. Volksstamm an der Rheinmündung; unter Cäsar röm. Untertanen, erhoben sich 69 n. Chr. unter Civilis, einem im röm. Heer ausgebildeten Häuptling, an der Spitze aller Rheingermanen gegen die röm. Herrschaft, 71 wieder unterworfen; 288 von den salischen Franken überwältigt. Batavia, Hauptstadt der Insel Java und Niederländ.-Indiens, seit 1619 Verwaltungssitz der Niederländ.-Ostind. Kompanie (Umbenennung aus Djakarta in Batavia); heute wieder Djakarta, Sitz der indones. Regierung. Batavische Republik, 1795 Name der Vereinigten Niederlande nach der Vertreibung der Oranier durch das revolutionäre Frankreich; 1806 von Napoleon zum Königreich Holland (unter Napoleons Bruder Louis) erklärt; 1815 Holland und das österr. Belgien zum Königreich der Niederlande vereinigt (bis 1830). Bathory, altes ungar. Adelsgeschlecht. – B., Stephan IV., König von Polen (1575–1586); zuvor Fürst von Siebenbürgen, setzte sich nach seiner Wahl in Polen gegen den Gegenkandidaten Kaiser Maxi92

Bauernbefreiung milian II. durch, kämpfte erfolgreich um Livland gegen Moskau. Bath-Partei, arab. polit. Partei, die den föderativen Zusammenschluss der arab. Staaten auf der Grundlage einer sozialist. Gesellschaft anstrebt; in Syrien und bis 2003 im Irak an der Macht. Batschka, Landschaft zwischen ­ unterer Theiß und Donau mit dem Hauptort Neusatz. Anfang des 18. Jh. von Österreich den Türken entrissen und mit Deutschen besiedelt; 1920 größtenteils an Jugoslawien (heute Teil der Wojwodina), der Rest an Ungarn. Batthyany, altes ungar. Adelsgeschlecht: 1) B., Karl Joseph, Fürst von, österr. Feldmarschall und Staatsmann, 1698–1772; Waffengefährte Prinz Eugens am Rhein und gegen die Türken; siegte 1745 bei Pfaffenhofen über Franz von Bayern. 2) B., Eleonore, Freundin des Prinzen Eugen, um 1698–1745. 3) B., Ludwig, Graf von, 1809–1849; erster ungar. Ministerpräsident, um den österr.-ungar. Interessensausgleich bemüht; wegen Hochverrats erschossen. Batu Khan, Mongolenfürst, Enkel Dschingis Khans, unterwarf seit 1237 Russland, nach der Eroberung Kiews verwüstete er Polen und Schlesien, 1241 siegte er bei ↑ Liegnitz über ein dt.-poln. Ritterheer, zog sich dennoch (wegen des Todes des Großkhans) zurück; seit 1251 Herrscher über ein westmongol. Reich (Hauptstadt Sarai an der Wolga), starb 1255 (↑ Goldene Horde). Bauer, 1) B., Gustav, dt. Politiker, 1870–1944; Sozialdemokrat, 1919–1920 Reichskanzler bis zum Kapp-Putsch; während seiner Regierung Versailler Vertrag und Weimarer Verfassung. 2) B., Max, preuß. Oberst, Mitarbeiter Ludendorffs im 1. Weltkrieg, 1869–1929; setzte sich ein für Vervollkommnung der techn. Waffen und für Lenkung der Kriegswirtschaft. 3) B., Otto, österr. Publizist und Politiker, 1882–1938; Wortführer des

Austromarxismus in Österreich, 1918/19 Staatssekretär des Äußeren; für Anschluss an Deutschland, 1920 maßgeblich an der Ausarbeitung der österr. Verfassung beteiligt; emigrierte nach dem Sozialistenaufstand 1934. 4) B., Wilhelm, Pionier des U-Bootes, 1822–1876; bayer. Unteroffizier; der von ihm konstruierte „Brandtaucher“ sank 1851 auf Probefahrt in der Kieler Bucht. Bauernbefreiung, allg.: revolutionäre oder reformgesetzliche Beseitigung der persönlichen oder dinglichen Dauerabhängigkeit des Bauern von ↑ Grund- oder ↑ Gutsherrschaft; die Bindungen gingen z. T. auf die Siedlungszeit zurück, verstärkten sich nach Ausbau der Gerichtsherrschaft und Polizeigewalt und sonstiger Vorrechte der Grundoder Gutsherren, bes. seit dem Ende des MA; die Abhängigkeit ging bis zur Schollenpflichtigkeit (Verbot der Freizügigkeit), dinglichen Hörigkeit (auch bei Heirat und Erbfall) und Erbuntertänigkeit, der persönlichen und vererbten ↑ Leibeigenschaft mit Frondienst und Abgaben (bes. schroff in den Gutsherrschaften Ostdeutschlands, nach dem 30-jährigen Krieg); in England erhielten die Bauern schon im Spät-MA persönliche Freiheit, in Österreich unter Maria Theresia und Joseph II.; in Preußen teilweise unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.; Hauptanstoß war die Frz. Revolution, die 1789 die völlige B. in Frankreich durchführte; für Deutschland von größter Bedeutung die Aufhebung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit im Jahr 1807 für Preußen (Steinsche Reformen), ergänzt durch Hardenbergsches Regulierungsedikt zur Entschädigung der Grundherren, vor allem durch Landabgaben von Seiten der befreiten Bauern (1811 und 1816); ähnliche Gesetze folgten in den übrigen dt. Ländern; die B. wurde in Deutschland erst durch die Revolution von 1848 abgeschlossen; in Russland folgte eine begrenzte B. 1861, durch die 23 Mio. leibeigene Bauern persönlich 93

Bauernkriege frei wurden, die Ablösung der Lasten erfolgte erst seit 1906. Die B. wirkte anfangs nicht nur segensreich: der befreite Bauer blieb vielerorts lange Zeit außerhalb einer schützenden Gemeinschaft, durch die Landabtretung vermehrte sich in manchen Gegenden der Großgrundbesitz (↑ Junker), oft Absinken in landloses Landarbeiter- oder Häuslertum; insgesamt aber kraftvoller Aufstieg eines selbstbewussten Bauerntums, Bildung neuer Bauernstellen und Steigerung der Agrarproduktion. Bauernkriege, Erhebungen der Bauern in W- und Mitteleuropa mit dem Ziel, das „alte Recht“ wiederherzustellen, d. h. die Ansprüche der feudalen Mächte (Königtum, Kirche, Adel) auf Obereigentum an allem Boden zurückzuweisen und das polit. und soziale Ansehen des Bauernstandes wieder zu heben; z. T. mit wirtschaftlichen Forderungen verbunden (Minderung der Abgaben); z. T. im Gefolge reformator. Strömungen (Wiclif; Luther); Kampf um „göttliches Recht“: Verwirklichung der (sozial aufgefassten) „Gerechtigkeit Gottes auf Erden“. – Bereits im 3. Jh. n. Chr. und später Bauernunruhen im röm. Gallien, wiederholte Aufstände der ↑ Bagauden; 1322–1328 in Flandern, 1356 in Nordfrankreich (↑ Jacquerie), 1381 in England (↑ Wat Tyler), 1513–1515 in der Schweiz; 1431 in Worms, 1461 im Allgäu, 1476 der Pfeifer von Niklashausen; 1502 „Bundschuh“ am Rhein, 1514 „Armer Konrad“ in Württemberg. – 1524–1525 der Große B., breitete sich in wenigen Wochen vom Allgäu nach Tirol, Württemberg, Schwaben, Lothringen, Franken bis nach Thüringen aus; gemäßigtes Programm der ↑ „Zwölf Artikel“; Anschluss von Städten an die Bewegung freiwillig, Anschluss von Adligen und Fürsten meist erzwungen; vergebliche Hoffnung auf Zustimmung des Kaisers (Reichsreformprogramm) und Luthers (anfangs auf Seiten der Bauern, dann Schrift „Wider die räuber. und mörder. Bauern“); Führer von Format nur

Florian Geyer, Wendel Hippler („Bauernkanzler“) und Peter Gaismair (Tirol); im übrigen unfähige Führung Hauptursache der Niederlage neben dem Mangel an Disziplin, Unterordnung und militärischer Schulung; blutige Niederlage der Bauernhaufen bei Leipheim (Wurzach), Frankenhausen (Thüringen), Königshofen (a. d. Tauber) und Zabern (Elsass); fürchterliches Strafgericht der Fürsten (Bauernmetzeleien des Feldhauptmanns des Schwäbischen Bundes, des Georg Truchseß von Waldburg); drückendere Abhängigkeit der Bauern als zuvor; Versinken in politische Lethargie; zum Teil Abkehr von der Reformation. Bauernlegen, in der Zeit der ↑ Grundherrschaft das gewaltsame Einziehen, aber auch der Aufkauf bäuerlicher Stellen durch die Grund- oder Gutsherren; in England, wo die Bauern der herrschaftlichen Schafweide und dem Park weichen mussten, führte das B. zum Ruin des Bauernstandes; in Deutschland griffen z. T. Landesherren zugunsten der Bauern ein, z. B. in Preußen (Ostelbien), wo nach dem 30-jährigen Krieg ein umfassendes B. einsetzte, die Armee aber auf das bäuerliche Rekrutenreservoir angewiesen war und das B. verboten wurde. Bauhütten, seit dem späteren MA Werkstattverband aller an Sakral­bauten tätigen Handwerker; mit streng ­hierarch. Aufbau (Bauknechte, Lehrlinge, Gesellen, Poliere, Hüttenmeister), ­ eigener Gerichtsbarkeit, Freizügigkeit, ­Ausbildungs- und Lohnordnungen (Hüttenordnungen), Steinmetzzeichen; ihre Mitglieder zur Geheimhaltung der Kunstregeln verpflichtet; Hauptorte der Bauhütten: Straßburg, Wien, Köln und Bern (Zürich); 1459 gaben sich die B. zu Regensburg ein gemeinsames Statut, das Kaiser Maximilian I. 1498 bestätigte; Oberhaupt aller dt. B. war die B. von Straßburg; im 17. und 18. Jh. Verschmelzung mit Steinmetzzünften; im 19. Jh. aller Sonderrechte entkleidet. 94

Bayern Bäumer, Gertrud, eine der bedeutendsten

Provinz Noricum; reiche röm. Provinzial­ kultur (Bodenfunde, Reste der Straßenzüge: Castra Regina [Regensburg] bedeutender militär. Mittelpunkt). Um 500 n. Chr. Einwanderung und erste Landnahme der Bajuwaren (Bayern, wohl aus Böhmen kommend, aus kelt., geman., röm. Volksteilen zusammengesetzt); um 570 Vorstoß bis Südtirol, um 670 bis zum Wiener Wald. Seit etwa 740 Christianisierung (iroschott. Mission) und Organisation der Kirche, Herzogtum der ↑ Agilolfinger (seit dem 6. Jh., verwandt mit Langobard. Königsgeschlecht) endete 788 mit der Absetzung ↑ Tassilos III. B. wurde fränk. Provinz. Seit 10. Jh. Entwicklung der Stammesherzogtümer, zunächst unter den Luitpoldingern, seit 947 den sächs. ↑ Liudolfingern; unter Herzog Heinrich I. größte Ausdehnung (955): Bayern, Franken, Nordgau (Oberpfalz), Schwaben, Kärnten, Friaul, ital. Marken. 1070–1180 mit Unterbrechungen unter Welfenherzögen, u. a. Heinrich X. der Stolze, ↑ Heinrich XI. der Löwe. Nach dessen Sturz 1180–1918 unter den ↑ Wittelsbachern (1180 bis 1183 ↑ Otto I.); 1214 kam die Pfalzgrafschaft bei Rhein („Rheinpfalz“, „Unterpfalz“, Pfalz am Rhein, Ober- und Mittelrheingebiete) zu Bayern, bedeutender Machtzuwachs (seitdem der Löwe im bayer. Wappen); doch 1255 erste Landesteilung: 1) Oberbayern und Rheinpfalz (mit Kurwürde), 2) Niederbayern; ↑ Ludwig IV. der Bayer (1302 Herzog, 1314 dt. Kaiser) schloss mit seinen Neffen, den Söhnen des Pfalzgrafen Rudolf, den Hausvertrag von Pavia (1329): Die Rudolfinger erhielten die Rheinpfalz und die Oberpfalz, Ludwig behielt Ober- und Niederbayern; nach dem Tod Ludwigs des B. (1347) 1349 2. Landesteilung, 1392 3. Teilung (Linien: Straubing, Ingolstadt, Landshut, Oberbayern mit München). Nach dem Aussterben der Landshuter Linie erhob Pfälzer Linie gegen München Anspruch auf Landshuter Land, daher grau-

Vertreterinnen der dt. Frauenbewegung, 1873–1954; wirkte 1919–1933 im Reichsinnenministerium und im Reichstag; namhafte historische und politische Schriftstellerin. Baumwolle, kam in ältesten Zeiten von Indien-China nach Ägypten, durch Phöniker und Karthager nach Griechenland, Sizilien und Spanien; auch die Inka kannten B.; B.-Manufakturen (meist Anfertigung von Leinen-Baumwolle-Mischgeweben) in Spanien seit dem 8. Jh. durch die Araber; in Italien seit dem 14. Jh. (Venedig), von hier gelangte die B. nach Deutschland (B.-Markt Augsburg); seit der Erfindung der Spinnmaschine Ende des 18. Jh. Verspinnung der reinen Baumwollfasern vor allem in England, Sachsen und Lyon; im 19. Jh. war Baumwolle das wichtigste Welthandelsgut, doch auch die Quelle schwerwiegender sozialer Probleme (afrikan. Sklaven auf den Plantagen der nordamerik. Südstaaten; ungesunde Abhängigkeit der Baumwollländer vom krisengestörten Weltmarkt; drückende soziale Lage der Textilarbeiter, darunter viele Frauen und Kinder). Bayard, Pierre du Terrail, Seigneur de, frz. Feldherr, Ritter, 1475–1524; wegen seiner Tapferkeit unter Karl VIII., Ludwig XII. und Franz I. von Frankreich „Ritter ohne Furcht und Tadel“ genannt. Bayern (bis Ludwig I. „Baiern“ geschrieben), setzt sich zusammen aus Altbayern (südl. der Donau zwischen Lech und Salzach), der Oberpfalz und den neubayer. Gebieten Franken (beide nördl. der Donau) und Schwaben (zwischen Lech und Iller). Alt-B. urspr. besiedelt von ↑ Kelten und ↑ Illyrern, beteiligt an den Kulturen der ↑ Hallstatt- und der ↑ Latène-­Periode; seit Ende des 2. Jh. v. Chr. Rückzug der Kelten; dann Römerherrschaft; Teil der Provinz Rätien (einschließlich Vindelicien) mit Hauptstadt Augusta ­ Vindelicorum (Augsburg) und, östl. des Inns, Teil der 95

Bayern wurden; Maximilian IV. Joseph (↑ Max. I. Josef, 1756–1825) wurde mithilfe seines absolutist. (1817 entlassenen) Ministers Montgelas zum Schöpfer des modernen Bayer. Staates (u. a. Aufhebung der Leibeigenschaft; 1818 Verfassung); im Bunde mit Napoleon (↑ Rheinbund) beträchtliche territoriale Gewinne, bes. Südtirol, dessen Aufstandsbewegung niedergeschlagen wurde. Schon 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss Erwerb der Bis­ tümer Augsburg, Freising, Würzburg usw.; 1805 ff. Erwerb von „Neubayern“: Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, Reichsstadt Nürnberg, mediatisierte Gebiete; 1806 Erhebung zum Königreich, 1812 Teilnahme am napoleon. Feldzug nach Russland, 1813 Anschluss an die Verbündeten. Unter dem deutschgesinnten und kunstliebenden König ↑ Ludwig I. (König 1825–1848) wirtschaftlicher und kultureller Aufstieg. München geistiges Zentrum Deutschlands; 1848 Revolution und Abdankung des Königs (im Zusammenhang mit der Lola- ↑ Montez-Affäre). König ↑ Maximilian II. (König 1848– 1864) bes. Förderer der Wissenschaften. Unter König ↑ Ludwig II. (1864–1886) mitentscheidende dt. Politik, nach dem Krieg 1866 Friede mit Preußen und 1867 Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen, 1870 Beitritt zum Dt. Reich (doch Sonderstellung durch Reservatrechte); Kulturkampf. Nach Ludwigs II. Tod Regentschaft Prinz Luitpolds (für Ludwigs geis­ teskranken Bruder Otto), Nachfolger: sein Sohn Ludwig III. (König seit 1913), verlor 1918 durch die Revolution den Thron. 1919 Räterepublik, nach deren Niederwerfung „Freistaat“; 1920 Coburg zu B.; Konkordat 1924; nach 1945 Rheinpfalz und Lindau bis 1956 der bayer. Verwaltung entzogen; 1956 Lindau wieder bei B., Rheinpfalz blieb bei Rheinland-Pfalz; 1946 neue Verfassung. Als einziges westdt. Parlament lehnte der Bayer. Landtag 1949 das Grundgesetz ab, akzeptierte jedoch die

samer Erbfolgekrieg; durch Schiedsspruch Kaiser Maximilians I. unter Albrecht V. dem Weisen (1467–1508) Wiedervereinigung Bayerns, aber gleichzeitig für die Söhne des Pfälzers Errichtung eines neuen Fürstentums Neuburg-Sulzbach („Jüngere Pfalz“); zur Vermeidung neuer Landesteilungen erließ Albrecht IV. das Primogeniturgesetz (1506): Vererbung nach dem Recht der Erstgeburt. Unter ↑ Wilhelm IV. (1508–1550) Rechtsreform; Unterdrückung des Luthertums; unter ↑ Albrecht IV. (1550–1579): nach außen Annäherung an die protestant. Reichsstände, innenpolit. infolge (protestant.) Adelsverschwörung und unter Einfluss der Jesuiten (Universität Ingolstadt) streng katholisch; ↑ Maximilian I. (1597–1651) errichtete den kath. Musterstaat, Vertreter eines gemäßigten Absolutismus, im 30-jährigen Krieg Heerführer der ↑ Liga, Rivale Wallensteins, erhielt 1623 zur Belohnung die Kurfürstenwürde; während des Krieges 1632–1646, 1648 Verwüstungen B.s; im Westfäl. Frieden Kurfürstenwürde als erblich anerkannt. ↑ Ferdinand Maria (1651–1679) trieb frankreichfreundliche Neutralitätspolitik; ↑ Max II. Emanuel (1679–1726), zunächst beteiligt am Türkenkrieg, erwarb durch Bündnis mit Frankreich die Niederlande, daher wurde B. im ↑ Span. Erbfolgekrieg ein Opfer Österreichs (Bauernaufstand, Sendlinger Mordweihnacht). 1724 Unions-Erbvertrag zw. Bayern und Pfalz, 1726–1745 Karl Albrecht als ↑ Karl VII. Kaiser; im Österr. Erbfolgekrieg Bayern wieder in der Hand österr. Truppen. Im Frieden zu Füssen (1745) verzichtete Kurfürst ↑ Maximilian III. Joseph auf die österr. Länder (Ende der bayer. Großmachtpolitik). Nach dem Tode Maximilians, mit dem die „Bayer.“ Linie ausstarb, 1777 Regierungsantritt des (pfälz.) Kurfürsten ↑ Karl Theodor (bis 1799), dessen Tauschpläne (Eintausch der Niederlande gegen Bayern) durch Einschreiten Friedrichs d. Gr. (Dt. Fürstenbund 1785) verhindert 96

Bebel Gründung der Bundesrepublik Deutschland unter Einschluss von B. Stärkste Partei ist seit den ersten Landtagswahlen von 1946 die CSU, die 1946–1956 und seit 1957 in unterschiedlich zusammengesetzten Koalitionen, seit 1962 in der Alleinregierung den Ministerpräsidenten stellt. Bayeux, Tapisserie de, berühmter Bildteppich aus dem Ende des 11. Jh., im romanischen Stil; Stickerei mit farbiger Wolle auf weißer Leinwand (50 cm hoch, 70 m lang), mit ausführlicher und durch latein. Legende erklärter Darstellung der Eroberung Englands durch die Normannen (Sieg Wilhelms des Eroberers bei Hastings 1066). Bayle, Pierre, frz. Philosoph der Aufklärung, 1647–1706; forderte Geschichtsschreibung nach krit. gesichteten Quellen; Verfechter der uneingeschränkten Freiheit der Wissenschaft und des Bekenntnisses; Moral nur auf Vernunft gegründet. Bayonne, frz. Stadt am Golf von Biskaya, 1154–1451 englisch; 1808 Zusammenkunft Napoleons I. mit dem span. König Karl IV., der zugunsten Joseph Bonapartes auf den span. Thron verzichtete. Bayreuth, Hauptstadt Oberfrankens; erstmals 1194 genannt, 1248 im Besitz der hohenzollernschen Burggrafen von Nürnberg, 1430 von den Hussiten zerstört; 1557–1603 mit der Markgrafschaft Ansbach vereinigt; 1604–1769 Residenz der Linie Brandenburg-B., 1769–1791 wieder mit Ansbach vereinigt; 1792–1806 preußisch, 1807–1810 unter frz. Verwaltung; 1810 an Bayern. – 1876 Eröffnung des Richard-Wagner-Festspielhauses, seither Festspielstadt. Bazaine, François Achille, frz. Marschall, 1811–1888; 1863–1867 Oberbefehlshaber des frz. Expeditionskorps in Mexiko, wegen der Kapitulation von Metz (1870) zum Tode verurteilt, von MacMahon zu Festung begnadigt, entfloh 1874 nach Spanien. Beaconsfield, ↑ Disraeli.

Béarn, ehemaliges Fürstentum Südfrank-

reichs, am Fuße der Pyrenäen, von Basken bewohnt, seit 600 fränk. Grafschaft; kam 1548 durch Heirat an das Haus Bourbon, fiel durch Heinrich IV. (den „Béarner“) 1589 an die frz. Krone, mit der es 1620 für immer vereinigt wurde. Beatrix von Burgund, um 1144–1184; 2. Gemahlin Kaiser Friedrichs I. seit 1156, Tochter und Erbin des Pfalzgrafen Rainald II. von Burgund. Beaufort, Henry, engl. Kardinal und Staatsmann, 1377–1447; Lordkanzler, 1417 auf dem Konstanzer Konzil; gehörte dem Gerichtshof an, der Jeanne d’Arc verurteilte; krönte 1431 Heinrich VI. in Paris zum König von Frankreich. Beauharnais, 1) B., Alexandre, Vicomte de, frz. General, 1760–1794; kämpfte im nordamerik. Unabhängigkeitskrieg, 1789 Mitglied der Nationalversammlung, wegen der Räumung von Mainz guillotiniert. 2) B., Josephine, Witwe von 1), 1763– 1814; heiratete durch Vermittlung von Barras 1796 Napoleon Bonaparte, von ihm 1804 zur Kaiserin gekrönt; da sie kinderlos blieb, ließ Napoleon sich 1809 von ihr scheiden. 3) B., Eugen, Sohn von 1) und 2), Stiefsohn Napoleons, 1781–1824; 1805–1814 Vizekönig von Italien, 1817 als Schwiegersohn des Königs Max I. von Bayern zum Herzog von Leuchtenberg erhoben. 4) B., Hortense, Tochter von 1) und 2), 1783–1837; seit 1802 Gemahlin Ludwig Bonapartes, des späteren Königs von Holland, Mutter Napoleons III. Bebel, August, einer der Mitbegründer und Führer der Sozialdemokrat. Partei in Deutschland, 1840–1913; Sohn eines Unteroffiziers, 1864 Drechslermeister in Leipzig, schloss sich Arbeiterbildungsvereinen an, gründete 1869 zus. mit W. ↑ Liebknecht in Eisenach die Sozialdemokrat. Arbeiterpartei, seit 1867 im Reichstag, glänzender Agitator und Organisator; unter dem Sozialistengesetz 1878–1890 der meistverfolgte Mann Deutschlands, 97

Beck mehrmals des Hochverrats angeklagt und verurteilt; setzte sich in den 70er Jahren gegen die Nachfolger ↑ Lassalles und nach Neugründung der Partei 1890 (Erfurter Programm) gegen die radikaleren „Jungen“ durch, hielt gegen die „Revisionisten“ aber auch am Marxismus fest. Beck, 1) B., Józef, poln. Staatsmann, 1894–1944; Waffengefährte und Vertrauter Pilsudskis, seit 1932 Außenminister, versuchte vergeblich zwischen bolschewist. Russland und nat.-soz. Deutschland zu lavieren (Nichtangriffspakte), um Polen zu retten. 2) B., Ludwig, dt. Generaloberst, 1880–1944; Generalstabschef 1935–1938, als Gegner der Kriegspolitik Hitlers entlassen; Haupt der Verschwörung gegen Hitler im Juli 1944, nach gescheitertem Selbstmordversuch erschossen. Becket, Thomas, hl., um 1118–1170; 1155 Kanzler Heinrichs II. von England, seit 1162 Erzbischof von Canterbury und Vorkämpfer des Papsttums gegen die Investituransprüche des Königreichs, floh 1164 nach Frankreich, nach seiner Rückkehr im Dom von Canterbury erschlagen; 1173 heiliggesprochen; vielfach literarisch gestaltet (T. S. Eliot, Anouilh). Beda, gen. Venerabilis (der Ehrwürdige), angelsächs. Theologe aus Northumberland, hl., um 673–735; Humanist, schrieb erste engl. (Kirchen-)Geschichte und „Die sechs Weltzeitalter“, regte die christliche Zeitrechnung in der Geschichtsschreibung an. Bede (mhdt., Bitte), eine seit dem 12. Jh. in allen dt. Territorien übliche direkte Steuer, die im allg. der Landesherr von Fall zu Fall vom bäuerlichen und bürgerlichen Besitz „erbat“ = erhob. Geistlicher und ritterl. Besitz waren von der B. befreit. Bedford, John, Herzog von, dritter Sohn Heinrichs IV. von England, 1389–1435; Regent in Frankreich seit 1422, siegte 1424 bei Verneuil über die Franzosen; die Belagerung von Orléans musste er infolge des Auftretens der Jungfrau von Orléans aufgeben (1429).

Beecher-Stowe, Harriet, amerik. Schriftstellerin, 1812–1896; Vorkämpferin gegen die Sklaverei („Onkel Toms Hütte“, 1852, in 37 Sprachen übersetzt); trat für die berufliche Frauenemanzipation ein. Befreiungskriege, 1812–1815, Kampf fast ganz Europas gegen die Herrschaft Napoleons nach dessen gescheitertem Russlandfeldzug 1812; eingeleitet durch die preuß.russ. Konvention von ↑ Tauroggen und die ostpreuß. Volkserhebung; entschieden durch die Völkerschlacht bei Leipzig Okt. 1813 und, nach Napoleons Rückkehr von Elba, durch die Schlacht von ↑ Belle-Alliance (Waterloo) 1815, endend mit Napoleons Verbannung nach St. Helena. Verlauf: Dezember 1812 Neutralitätsvertrag des aus Russland weichenden preuß. Hilfskorps mit den Russen; Februar 1813 preuß.-russ. Schutz- und Trutzbündnis von Kalisch; März 1813 Kriegsaufruf des preuß. Königs von Breslau aus und Kriegsrüstung; Mai 1813 Siege Napoleons, auf dessen Seite die Rheinbundstaaten standen, bei Groß-Görschen und Bautzen. Rückzug der Verbündeten nach Schlesien und Waffenstillstand; Juni bis August 1813 Allianz Preußen-Österreich-Russland-England; August 1813 Siege über frz. Heere bei Groß-Beeren und an der Kaubach; Niederlage bei Dresden; Aug. und Sept. 1813 Niederlage frz. Generale bei Kulm, Nollendorf und Dennewitz; Okt. 1813 Umfassung und Niederlage Napoleons bei Leipzig (Völkerschlacht bei Leipzig); Napoleon flüchtete über den Rhein; die Rheinbundstaaten traten auf die Seite der Verbündeten. – 1814: Krieg in Frankreich: ab Jan. 1814 Vormarsch der Verbündeten auf Paris, das im März 1814 kapitulierte; April 1814 dankte Napoleon ab, Verbannung nach Elba, Rückkehr der Bourbonen (Ludwig XVIII.). 1. Friede von Paris (Grenzen von 1792); seit Sept. 1814 ↑ Wiener Kongress zur Neuordnung Europas. – März 1815: Landung Napoleons in Frankreich; Einzug in Paris; engl.,

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Bela preuß., niederländ. Truppen sammelten sich in Belgien; Juni 1815 Sieg Napoleons über Blücher bei Ligny, alliierter Sieg bei Belle-Alliance (Waterloo); Juli 1815 Einzug der Verbündeten in Paris, Rückkehr Ludwigs XVIII., Napoleon nach St. Helena verbannt (dort 1821 gest.); 2. Pariser Frieden (ungefähr die Grenzen von 1790, Besetzung N- und O-Frankreichs, Kriegsentschädigung). – Die Bezeichnung „Freiheitskriege“ wurde in demokrat. und liberal gesinnten Kreisen abgelehnt, weil die den Völkern bei Beginn des Kampfes versprochene polit. Freiheit des Innern der befreiten Staaten auf dem Wiener Kongress hintertrieben wurde. Begin, Menachem, israel. Politiker, 1913– 1992; war früh zionistisch aktiv, 1940 als Führer einer radikalen zionist. Jugendorganisation in Litauen von den Sowjets verhaftet und nach Sibirien verbannt, 1942 nach Palästina eingewandert, ab 1942 Führer der terrorist. Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi und verantwortlich für zahlreiche Gewaltakte. 1948 gründete B. die rechtsgerichtete Cherut-Partei und bekämpfte die Politik des Staatsgründers ↑ Ben Gurion, v. a. territoriale Konzessionen an die Araber. 1967–1970 Minister ohne Geschäftsbereich, seit 1977 als Kandidat des nationalkonservativen Likud-Blocks Premierminister. B. förderte die zielbewusste Gründung weiterer israel. Siedlungen in den besetzten jordan. Gebieten, v. a. in Judäa und Samaria. 1979 Abschluss des israel.-ägypt. Friedensvertrages, wofür ihm gemeinsam mit ↑ Sadat der Friedensnobelpreis verliehen wurde. 1981 Annektierung der seit 1967 besetzten syr. Golanhöhen, 1982 Invasion des Libanon und Duldung des Massakers im Palästinenserlager Chatila. Im Sept. 1983 trat B. formell zurück, zu den Parlamentswahlen 1984 ließ er sich nicht mehr aufstellen. Beginen, im 13. Jh. gestiftete, ordensähnliche (ohne Gelübde, ohne Regel) Gemein-

schaft von Frauen für religiöse und wohltätige Zwecke in mauerumgürteten Höfen (B.-Höfe); vor allem in Belgien und den Niederlanden heimisch; der männliche Zweig nennt sich Begharden (seit 1230). Behaim, Martin, Nürnberger Kaufmann und Kosmograf, um 1459–1507; Schüler des ↑ Regiomontanus; seit etwa 1484 mit Unterbrechungen in Portugal, Teilnehmer und navigator. Ratgeber bei Entdeckungsfahrten; entwarf den ersten Globus und ließ ihn in Nürnberg anfertigen. Beirut, Hauptstadt des Libanon, wichtiger Hafen an der Levanteküste; die phönik. Hafenstadt Beruta ist seit dem 14. Jh. v. Chr. belegt; um 140 von den Syrern zerstört, unter Augustus ab 14 v. Chr. wieder aufgebaut. Seit 635 (mit Unterbrechungen) arabisch, 1110 von den Kreuzfahrern erobert. 1291 unter Hoheit der Mamelucken, 1516 osmanisch. Seit dem 19. Jh. bevorzugter Niederlassungsort westlicher Missionen und Handelsgesellschaften, seit 1943 Hauptstadt der Republik Libanon. Bis zum Bürgerkrieg (1975–1990) eines der wichtigsten Wirtschaftszentren Vorderasiens, im Bürgerkrieg starke Beschädigungen, seit 1991 Wiederaufbau mit einem völlig neuen Stadtzentrum. Bekennende Kirche, 1933 aus dem Gegensatz zur nat.-soz. Kirchenpolitik (Reichsbischof, „Deutsche Christen“) entstandene Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche, die den kirchlichen Machtansprüchen der Regierenden aus dem christl. Bekenntnis heraus entgegentrat (Hauptwortführer die Pastoren Niemöller und Asmussen, von der Schweiz her Karl Barth); ↑ Drittes Reich. Bela, Könige von Ungarn: 1) B. III. (1173–1196); in Byzanz aufgewachsen und mit byzantin. Hilfe auf den Thron erhoben, unterstützte später vorübergehend die Serben gegen Byzanz. 2) B. IV. (1235– 1270); baute das Land nach den Mongolenverwüstungen (1241 Niederlage bei Er99

Belagerungsmaschinen lau gegen die Mongolen) wieder auf; der von ihm geförderte Burgenbau des Adels schwächte jedoch die königliche Gewalt. Belagerungsmaschinen, schon in ältesten Zeiten der Stadtkultur bekannt; eine der ersten Darstellungen auf assyr. Reliefs um 850 v. Chr.; Meister der Belagerungskunst die Römer, die selbst die größten und stärkstbefestigten Städte (Syrakus, Karthago) jahrelang nach allen Regeln der Kunst belagerten und nach dem damaligen Stand der Technik höchstentwickelte B. zum Einsatz brachten: Belagerungstürme (in Höhe der Festungsmauern), Widder (Rammböcke gegen Mauerwerk und Tore), Katapulte (zum Schleudern von Steinkugeln und Brandtöpfen) und Steinschleudern; ähnliche B. wurden auch im MA verwendet. Belfast, seit 1920 Hauptstadt von Nord­ irland. Die Spannungen in Nordirland führten in B. seit dem Ende der 60er Jahre zu schweren Konflikten zwischen Katholiken und Protestanten. Belfort, frz. Stadt und Festung am Südfuß der Vogesen zum Schutz der Burgundischen Pforte; Festung 1686 von ↑ Vauban gebaut, 1870/71 vergeblich belagert. Belgien, parlamentar. Monarchie in WEuropa; im röm. Altertum nach dem kelt. Stamm der Belgen benannte gall. Landschaft zw. Seine und Niederrhein; seit 57 v. Chr. von Cäsar erobert; seit 16 v. Chr. röm. Provinz Belgica mit Hauptstadt Reims (Durocortorum), umfasste Gebiet zw. Rhein, Nordsee, Seine, Saône; nach den Verträgen von Verdun (843) und Meersen (870) zum Ostfränk. Reich, außer Flandern und Artois; zerfiel seit dem 10. Jh. in mehrere Territorien (Herzogtümer Limburg, Brabant, Luxemburg; Grafschaften Namur, Antwerpen, Hennegau nebst dem Bistum Lüttich); im 15. Jh. (einschließlich Flandern und Artois) vereinigt bei Burgund; seit 1482 habsburgisch, 1548 zu den Span. Niederlanden; wirtsch. und kulturelle Blüte; im Freiheitskampf der Niederlande blieben die Südprovinzen

bei Spanien und kath. (Vertrag von Arras 1579); 1659, 1668 und 1678 wurden Artois, Teile Flanderns und der Hennegau französisch; 1714 zu Österreich (Österr. Niederlande); 1794 Frankreich einverleibt, 1815 zusammen mit Holland Königreich der Vereinigten Niederlande. Die Geschichte des heutigen Staates, der 1831 seinen Namen B. erhielt, begann 1830 mit dem Aufstand gegen das aus religiösen und wirtsch. Gründen verhasste holländ. Regime; Proklamierung der Unabhängigkeit Belgiens, die von der Londoner Konferenz (1831) bestätigt wurde, unter gleichzeitiger Verbürgung ewiger Neutralität; Holland erkannte 1839 die Unabhängigkeit Belgiens an; seit 1831 parlamentar. Verfassung, im gleichen Jahre Leopold von Sachsen-Coburg zum König gewählt; innere Politik war beherrscht durch Gegensatz zw. Konservativen und Liberalen, german. Flamen (seit den 40er Jahren „Flämische Bewegung“) und roman. Wallonen; gegen Napoleon III. Abwehr der Annexions­ pläne; seit 1881 private Kolonialpolitik Leopolds II. (1865–1909) am Kongo; Gründung des ↑ Kongostaates, der 1908 belg. Kolonie wurde; 1894 allg. Wahlrecht; 1906 Militärvereinbarung zw. belg. und engl. Generalstab zur Sicherung der Neutralität (↑ Schlieffen); Verletzung der Neutralität Belgiens 1914 durch Deutschland Anlass für brit. Kriegseintritt; 1914– 1918 und 1940–1944 unter dt. Besatzung; nach 1945 heftige innere Auseinandersetzungen um die Person Leopolds III., der 1940 den Befehl zur Kapitulation gegeben hatte; 1947 wirtschaftspolit. Zusammenschluss mit Holland und Luxemburg zur ↑ Benelux-Union; 1949 Beitritt zum Atlantikpakt; seit 1958 im Gemeinsamen Markt (EWG); 1960/61 wirtsch. und polit. Erschütterung durch Kongo-Krise. Die Kolonie Belg.-Kongo erhielt 1960 die Unabhängigkeit. Verschärfung der Gegensätze zwischen Flamen und Wallonen. Zur Regelung dieser Frage kam es 1971 durch 100

Benedikt von Aniane Verfassungsänderung, in der die Abkehr vom Zentralstaat zugunsten einer halbföderalist. Staatsform verankert wurde. 1988 weitere Verfassungsänderungen, die B. in einen Bundesstaat umwandeln (Regionen Flandern, Wallomen und Brüssel). 1993 endgültig zu einem föderalistisch strukturierten Bundesstaat mit drei autonomen Regionen (Flandern, Wallonien, BrüsselHauptstadt) umgewandelt und Kompetenzen auf Bundesebene beschränkt. Im gleichen Jahr wurde Albert II. neuer belgischer König. Belgisch-Kongo, ↑ Kongostaat. Belgrad (serb. Beograd = weiße Burg), Hauptstadt Jugoslawiens; röm. Singidunum, kelt. Siedlung, röm. Militärlager, das während der Völkerwanderung mehrfach zerstört und wiedererrichtet wurde; im 10. Jh. bulgarisch, 11./12. Jh. byzantinisch; 1241–42 im Mongolensturm verwüstet, vom serb. König Stephan Duschau als Burg wiedererbaut, fiel B. 1433 an Ungarn; wichtige Grenzfeste gegen die Türken; 1521 türkisch, 1717 von Prinz Eugen erstürmt, 1739 im Frieden von B. wieder an die Türken; seit 1827 Hauptstadt Serbiens, bis 1867 mit türk. Besatzung, seit 1918 Hauptstadt Jugoslawiens; im 1. Weltkrieg von den Truppen der Mittelmächte, im 2. Weltkrieg von dt. Truppen besetzt. Belisar, Feldherr des oström. Kaisers Justinian I., um 500–565; 522–532 Oberbefehlshaber im Orient, vernichtete 534 das Vandalenreich in Nordafrika und kämpfte 536–540 und 544–549 gegen die Ostgoten in Italien; 559 schlug er die Hunnen vor Byzanz zurück. Belize, früher Brit.-Honduras, Republik in Zentralamerika; Kerngebiet der Maya; 1638 von brit. Schiffbrüchigen besiedelt, seit 1782 unter brit. Schutz, 1862 Kolonie; erhielt 1964 volle innere Autonomie, 1973 in B. umbenannt, nach langwierigen Verhandlungen, v. a. wegen territorialer Ansprüche des Nachbarn Guatemala, 1981 unabhängig.

Bell, Alexander Graham, amerik. Erfinder

(geb. in Schottland), 1847–1922; konstruierte 1876 das erste industriell herstellbare Telefon (↑ Telefon, Reis). Bellarmin, Robert, hl., ital. Jesuit und Kardinal, 1542–1621; Rechtsphilosoph, Vorkämpfer des Papsttums gegen territorial- und nationalkirchliche Bestrebungen, Verfasser eines Volkskatechismus, der in 60 Sprachen übersetzt wurde, 1930 heiliggesprochen. Belle-Alliance, Gehöft 20 km südl. Brüssel, nach dem Blücher die Schlacht von ↑ Waterloo benannt hat (↑ Befreiungskriege). Belsazar, bibl. Name für Belscharussur, babylon. Kronprinz, führte seit 551 die Regierungsgeschäfte, wohl 539 v. Chr. im Kampf gegen den Perserkönig Kyros II. gefallen; im A. T. Gotteslästerer, dem durch das Menetekel der bevorstehende Untergang seines Reiches verkündet wird. Benedek, Ludwig von, österr. General, 1804–1881; unterlag 1866 bei Königgrätz als Oberbefehlshaber der Nordarmee den Preußen. Benedetti, Vincent Graf, frz. Diplomat, 1817–1900; seit 1864 Botschafter in Berlin; seine Unterredung 1870 in Bad Ems mit König Wilhelm gab Anlass zur ↑ Emser Depesche. Benedikt, Name von 16 Päpsten, von denen B. XII. (1334–1342) als Erbauer der Papstburg von Avignon, B. XIV. (1740– 1758) als Kirchenrechtslehrer und Förderer der Wissenschaft und Künste, B. XV. (1914–1922) wegen seiner Bemühungen um den Frieden der Welt (bes. 1917), der Linderung des Kriegs- und Nachkriegs­ elends und durch die Herausgabe des ↑ Codex Iuris Canonici von besonderer Bedeutung sind. Benedikt von Aniane, Gote, Abt von Aniane in Frankreich, um 750–821; Gründer von Kornelimünster bei Aachen, Berater Ludwig des Frommen (kirchliche und weltliche Reformgesetzgebung, Got-

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Benedikt von Nursia tesreich auf Erden: ein Gott, ein Kaiser, eine Kirche). Benedikt von Nursia, hl., Begründer des abendländ. Mönchtums, etwa 480–543; 529 Abt des von ihm gegr. Klosters und mittelalterl. Kulturzentrums Monte Cassino und Verfasser der ersten abendländ. Mönchsregel (Leitsatz: Ora et labora – Bete und arbeite); Stifter des Benediktinerordens. Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, OSB), der 529 von Benedikt von Nursia gestiftete Mönchsorden; gegründet auf Demut, feierliche Gebetsübung (Chorgesang), Streben nach Vollkommenheit und geistiger oder profaner Arbeit (zum Unterschied von der mehr myst. Mönchswelt des Orients und der Ostkirche); durch Bodenkultivierung, Rodung und Siedlung, Gartenkulturen, Handwerk (geschlossene Klosterwirtschaft), Bau von Kirchen und Klosterschulen, Pflege der Wissenschaft und Kunst (Buchmalerschulen) wurden die B. auf vielen Gebieten Lehrer und Erzieher der abendländ. Völker im MA; zuerst in Einzelklöstern, seit 900 zusammengeschlossen in Gruppenklöstern; seit 596 in England (Abteien, Klosterschulen, gelehrte Anstalten); die angelsächsischen B. (Suitbert, Willibrord, Bonifatius, Pirmin, Ansgar, Willibald) missionierten in Deutschland und im Norden; bis ins 12. Jh. war abendländ. Mönchtum benediktinisch (↑ Cluny, Orden, Monte Cassino). Beneficium, im MA die von der Krone oder Kirche zur Nutzung gegen bestimmte Leistungen (Dienste oder Abgaben) vergebenen Ländereien, im Kirchenrecht die Pfründe eines Kirchenamtes; aus der Verbindung des B. mit der ↑ Vasallität entstand das ↑ Lehenswesen. Benelux, Abk. für Belgique (Belgien), Nederland (Niederlande) und Luxembourg (Luxemburg); seit 1921 Luxemburg und Belgien in Wirtschaftsunion; seit 1944 mit den Niederlanden Zollunion; Vertrag

von 1958 bereitete volle Wirtschaftsunion vor, die 1960 verwirklicht wurde (Vertrag auf 50 Jahre). Beneš, Eduard, tschechoslowak. Staatsmann, 1884–1948; nächster Mitarbeiter ↑ Masaryks, seit 1918 Außenminister, 1935 Staatspräsident, 1938–1945 im Exil in London. 1946 erneut zum Präsidenten gewählt; trat 1948 nach dem kommunist. Staatsstreich, dem er unzureichenden Widerstand leistete, zurück. Benevent, Stadt nordöstl. von Neapel, Samnitersiedlung; 275 v. Chr. Niederlage des Königs Pyrrhus gegen ein röm. Heer; 545 n. Chr. von den Ostgoten zerstört, danach langobard. Herzogssitz, 1049 zum Kirchenstaat; 1266 fiel Manfred von Hohenstaufen bei B. gegen Karl von Anjou. Bengalen, ind. Landschaft im Gebiet des unteren Ganges, reichstes und dichtest bevölkertes Gebiet Indiens; seit Ende des 12. Jh. von Mohammedanern erobert; seit 1650 Eindringen der Engländer, ihr Sieg bei Plassey (1737) begründete die brit. Herrschaft in B.; nach der Teilung des unabhängigen Indien wurde Ost-B. 1947 auf Grund einer Volksabstimmung Pakistan. Exklave in Hindu-Indien. 1971 proklamierte Scheich Mujibur ↑ Rahman in Ostpakistan die unabhängige Republik Bengalen = ↑ Bangladesch. Bengler, Rittergesellschaft, 1391 von westfäl. und rheinischem Adel gegen den Landgrafen von Hessen und den Bischof von Paderborn gegründet, löste sich 1395 auf; Abzeichen: silberner „Bengel“. Ben Gurion, David, Gründer und erster Regierungschef des Staates und der Republik Israel, 1886–1973; geb. im russ.-poln. Plonsk; schon 1906 im damals türk. Palästina Vorkämpfer des ↑ Zionismus und des jüd. Siedler-Sozialismus (↑ Israel). B. G. war von 1948–1953 und von 1956–1963 Ministerpräsident und Verteidigungsminis­ter. 1965 Bruch mit der von ihm 1930 gegr. Arbeiterpartei Mapai und Gründung der Rafi-Partei. 102

Berber Benin, Volksrepublik in W-Afrika, ehemals frz. Kolonie ↑ Dahomey; 1960 unabhängig, seit 1. Dez. 1975 in B. umbe-

nannt. Erste Parlamentswahlen seit dem Militärputsch Mathieu Kerékons (1972) fanden 1979 statt, K. wurde im Amt des Staats- und Regierungschefs bestätigt. Ende der 1980er Jahre aufgrund der wirtschaftl. Lage (geschätzte Auslandsschulden 1,5 Mrd. Dollar) Abkehr vom Marxismus und Demokratisierungsprozess, gemäß der Verfassung von 1991 parlamentarische Präsidialrepublik. 1991–1996 Staatspräsident Nicéphore Soglo, seit April 1996 erneut Mathieu Kérékon. Benin-Reich, nach der Stadt Benin, westl. des Nigerdeltas am Golf von Guinea benannt, sagenhafte Gründung durch einen König Ogane „aus dem Osten“, schon um 1300 Kulturzentrum am unteren Niger (Verbindung nach Abessinien); Küsten 1470 von portug. Seefahrern entdeckt und erste Handelsniederlassungen mit portug. Handelsmonopol (seit 1536); Blütezeit der B.-Kultur im 15. und 16. Jh. unter den Kriegerkönigen Ewuara und Casigu, vermutlich durch die Ife-Kultur direkt beeinflusst. Der Reichtum des Landes v. a. in der Spätzeit gründete auf extensivem Sklavenhandel; 1897 Eroberung durch die Briten; in ↑ Nigeria aufgegangen. Benkendorf (Benckendorff), Alexander Christoforowitsch Graf, russ. General und Hofbeamter, 1781 oder 1783–1844; Ratgeber des Zaren Nikolaus I; seit 1826 Organisator und Chef der nach dem Aufstand der ↑ Dekabristen eingerichteten Geheimpolizei; kam bei einem Schiffsunglück ums Leben. Bennet, Gordon, nordamerik. Journalist, 1795–1872; Gründer des „New York Herald Tribune“ (1835), des Vorbilds für die amerik. Massen- und Sensationspresse. Bennigsen, 1) B., Levin Leontjewitsch, Graf, russ. General, 1745–1826; Verschwörer gegen Zar Paul I. (1801), 1807 Oberbefehlshaber gegen Napoleon, den er

bei Preuß.-Eylau besiegte. 2) B., Rudolf von, dt. Politiker, 1824–1902; Hannoveraner; 1859 Vorsitzender des Deutschen Nationalvereins, 1866–1898 Führer der Nationalliberalen Partei, Anhänger Bismarcks, der ihn und seine Partei bis 1878 zur Durchsetzung seiner Politik benutzte, aber dann beiseite drängte. Benno, hl., 1010–1106; Bischof von Meißen seit 1066. Missionar der Wenden, Gegner der Investiturpolitik Heinrichs IV., der ihn zweimal absetzte. Bentham, Jeremy, brit. Philosoph des klass. Liberalismus, 1748–1832; Rationa­ list und Pragmatiker; der von ihm begrün­ dete Utilitarismus (­Nützlichkeitsdenken) unter dem Leitsatz „Größtmögliches Glück der größtmöglichen Zahl“ (durch liberale Reformen und eine Politik des Laissez faire) beeinflusste nachhaltig die Denk- und Verhaltensweise des westeurop. Bürgertums im 19. Jh. Benz, Carl Friedrich, dt. Ingenieur, 1844– 1929; baute 1885 einen dreirädrigen Benzinkraftwagen mit Einzylinder-Viertaktmotor, als „billigstes Beförderungsmittel für Geschäftsreisende und Touristen“; ↑ Automobil. Ben Zwi, Isaac, früher Schimschilewitsch, Isaak, israel. Politiker, 1884–1963; ging 1907 als Lehrer nach Palästina, 1921 Mitbegründer der Gewerkschaft Histradut und 1930 der sozialist. Arbeiterpartei Mapai; organisierte 1931–1948 als Präsident des Jüd. Nationalrats die jüd. Selbstverteidigung und war 1952–1963 israel. Staatspräsident. Berber, nordafrikanische alpine Volksstämme hamitischer Abkunft, Reste der hellhäutigen Altbevölkerung Nordafrikas; im Altertum Mauren, Mauretanier, Numidier, Libyer, Gargamanten u. ä. benannt; nach der arabischen Einwanderung nur noch in einzelnen Gebirgs- und Wüs­ tengebieten als Nomaden oder Ackerbauern reinrassig erhalten, u. a. die marokkanischen B., die Rifkabylen und Tuareg, im

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Berchtold MA nach ihnen benannt die Berberel und die B.-Staaten (Marokko, Algerien, Tunis, Tripolis). Berchtold, Leopold Graf, österr. Politiker, 1863–1942; Außenminister 1912–1915; legte im Sommer 1914 mit dem Ultimatum an Serbien die Richtung der österr. und dt. Außenpolitik fest (↑ 1. Weltkrieg). Berdjajew, Nikolai, russ. Religions- und Geschichtsphilosoph, 1874–1948; seit 1922 in Paris, forderte ein „neues MA“, d. h. Rückkehr zu Gott; verkündete messian. Sendung des russ. Volkes. Berengar, 1) B. I., Markgraf von Friaul, Enkel Ludwigs des Frommen, um 850– 924; 888 König von Italien, 915 zum Kaiser gekrönt, 924 ermordet. 2) B. II., Markgraf von Ivrea, um 900–966; Enkel Berengars I., 950 König von Italien, 963 von Kaiser Otto I. gefangengenommen, gest. in Bamberg. Beresina, rechter Nebenfluss des Dnjepr; im November 1812 fand hier der verhängnisvolle, verlustreiche Übergang der zurückflutenden Großen Armee Napoleons statt. Berg, alte Grafschaft, seit 1380 Herzogtum, östl. des Niederrheins mit der Hauptstadt Düsseldorf; kam 1511 zusammen mit Jülich und Ravensberg zu Kleve (1521: Kleve-Mark); 1614 (endgültig 1666) Jülich und Berg an Pfalz-Neuburg, mit diesem 1685 an Kurpfalz und 1777 an Bayern; 1806 napoleon. Großherzogtum unter Joachim Murat, 1815 an Preußen. Bergen, norweg. Hafenplatz, 1070 von König Olaf Kyrre gegr.; wurde alleiniger Umschlagplatz für den Handel mit getrockneten Fischen (Stock- und Klippfisch); um 1350 Errichtung eines HanseKontors, das gegen Fische vornehmlich Mehl, Bier und Salz einführte; das dt. Stadtviertel „Tydsebrüggen“ = „Dt. Brücke“. – 1450 Unionsvertrag von B. zw. Dänemark und Norwegen. Bergfried, „Berchfrid“, fester, unbewohn­ ter Hauptturm und letzte Zuflucht bei Be-

lagerung in mittelalterl. Burgen; gesichert gegen Wurfgeschosse, Erklettern, Untergraben, Rammen; Fundament­inneres oft Verlies (↑ Burg). Bergius, Friedrich, dt. Chemiker, 1884– 1949; entwickelte Methoden der Kohleverflüssigung (B.-Verfahren zur Gewinnung synthet. Benzins) und der Holzverzuckerung; Nobelpreis 1931. Bergpartei („Der Berg“, Montagne), in der Frz. Revolution die radikalste Gruppe (Jakobiner und Cordeliers), die im Konvent die oberen Sitzreihen einnahmen (Montagnards); die Partei der „Ebene“ (Plaine) wurde von den Girondisten geführt, während der Schreckensherrschaft verächtlich als „Sumpf“ (Mamis) bezeichnet. Berija, Lawrenti Pawlowitsch, sowjet. Politiker, 1899–1953; seit 1921 im sowjet. Staatssicherheitsdienst tätig, seit 1934 im ZK der KPdSU, 1938 Volkskommissar des Innern und damit Chef der Sicherheits­ organe. B. war einer der Stellvertreter und engsten Vertrauten des Diktators Stalin. Nach dessen Tod 1953 amtsenthoben, in einem Geheimprozess als „imperialist. Agent“ und „Verräter“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Bering, Vitus, dän. Seefahrer, 1680–1741; befuhr in russ. Diensten seit 1728 den NO-Teil des Stillen Ozeans, das nach ihm benannte B.-Meer, erforschte die NO-Küs­ ten Asiens und nach Durchfahrt der nach ihm benannten B.-Straße 1741 die Küste Alaskas und die Alëuten. Berlichingen, Götz von, „mit der eisernen Hand“, fränk. Ritter, 1480–1562; 1525 von den aufständ. Bauern gezwungen, ihre Führung zu übernehmen; kämpfte später gegen Türken und Franzosen. Berlin (Name wendisch), entstanden aus den Fischerdörfern B. und Kölln, die um 1237 Stadtrecht erhielten und 1307 vereinigt wurden; im 15. Jh. Mitglied der Hanse; seit 1486 ständige Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, um 1640 6 000 Einwohner; unter dem Großen Kur104

Bermudas fürsten Festung und Stadterweiterung. Barockbauten Schlüters (Schloss, Zeughaus); nach 1685 Aufnahme von Hugenotten (↑ Réfugiés), die sich wirtsch. und geistig positiv auswirkte; im 18. Jh. Entwicklung zum beherrschenden wirtsch. und kulturellen Mittelpunkt des preuß. Staates; unter Friedrich d. Gr. 100 000 Einwohner, 1760 vorübergehend von Russen, 1806–1808 von Franzosen besetzt; 1808 Selbstverwaltung; 1810 Universität (Ausgangspunkt der geistigen und sittlichen Erneuerung Preußens); klassizist. Bauten Schinkels; 1848 Mittelpunkt der Revolution in Preußen; Entwicklung zur Großstadt; 1871 Hauptstadt des Dt. Reiches; „Gründer(bau)fieber“ und rapide Entwicklung zur Weltstadt und Industriestadt, mit bedeutenden Kulturstätten (Preuß. Staatsbibliothek, Pergamon-, Kaiser-FriedrichMuseum, Staatsoper, Schillertheater u. a.); 1918/19 revolutionäre Unruhen und Straßenkämpfe (Spartakistenaufstand); 1920 Eingemeindung zahlreicher Randstädte; größte Industriestadt Europas; im 3. Reich wurde B. eigene Provinz; im 2. Weltkrieg verheerende Luftangriffe; 25. April bis 2. Mai 1945 von den Russen erobert, danach in vier Besatzungssektoren geteilt; 1948 sowjetruss. Blockade der Westsektoren („Luftbrücke“), Trennung des Ostsektors unter eigenem Magistrat; B. (Ost) Hauptstadt der DDR; Garantie der Westmächte für die Westsektoren, 1958 B.-Ultimatum der UdSSR, führte zu Ost-WestVerhandlungen 1959; neue sowjet. Forderungen weiteten 1961 die B.-Krise zur Weltkrise aus: B. (West) sollte zur Freien Stadt erklärt und das Kontrollrecht auf den Verbindungsstraßen und die Luftkontrolle der DDR übertragen werden. 1961 Absperrung von B. (Ost) durch die „Mauer“ (Stopp des Flüchtlingsstroms). Die Berlinverhandlungen der vier Mächte führten 1971 zu einer Vereinbarung über B. (West), in der vor allem Bestimmungen über die Sicherheit und die Bindungen

Westberlins an die Bundesrepublik getroffen wurden. Mit der Vereinigung 1990 endete die Teilung der Stadt, 1991 wurde sie zur Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland erklärt. 1999 nahm die Bundesregierung ihre Arbeit in Berlin auf. Berliner Kongress, 13. Juni–13. Juli 1878 unter Vorsitz Bismarcks als „ehrlicher Makler“; in Berlin durchgeführte Konferenz der führenden Staatsmänner der europ. Großmächte und der Türkei zur Neuordnung der Verhältnisse auf dem Balkan nach dem ↑ russ.-türk. Krieg von 1877 und dem (hinfälligen) Frieden von San Stefano (3. März 1878). Die neue Balkanordnung führte jedoch zu neuen Spannungen, Verschärfung der russ.-österr. Rivalität und der nationalen Frage auf dem Balkan. Berliner Mauer, 1961 von der DDR-Regierung errichtet, riegelte Ost- und WestBerlin hermetisch ab. Die 45,1 km lange Betonmauer war mit Sicherungsanlagen versehen, das Wachpersonal hatte Schießbefehl. Durch Öffnung der Grenze seit Nov. 1989 obsolet geworden, 1990 abgetragen. Berlinguer, Enrico, ital. Politiker, 1922– 1984; seit 1959 im Parteivorstand der KP, 1969 stellvertretender Generalsekretär der Partei. Bermudakonferenzen, 1. B., 1953: Bekräftigung der atlantischen Solidarität der NATO durch die Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und den USA. 2. B., 1957: Abstimmung der Außen­ politik von Großbritannien und den USA durch Eisenhower und Macmillan. 3. B., 1961: Vereinbarung zwischen Kennedy und Macmillan über Intensivierung der Entspannungs- und Abrüstungsgespräche mit der UdSSR. Bermudas, Inselgruppe im Atlantik, brit. Kolonie, US-Marine- und Luftstützpunkt im Rahmen der NATO. Durch die Verfassung von 1968 erhielten die B. Selbstverwaltung, engl. Recht gilt weiterhin, Landesverteidigung durch das brit. Mutterland.

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Bern Bern, Bundeshauptstadt der Schweiz und

Hauptstadt des Kantons B., 1191 von Berthold V. von Zähringen gegründet; im 13. Jh. Reichsstadt; 1353 Beitritt zur Eidgenossenschaft; 1415 Eroberung des Aargaues, 1536 der Waadt; 1528 Reformation Zwinglis; 1798–1813 frz. Besetzung und Abtretung von Aargau und Waadt; 1848 Bundeshauptstadt. Bernadotte, Jean Baptiste, General Napoleons I. und Marschall von ­ Frankreich, 1764–1844; 1804 Gouverneuer des von den Franzosen besetzten Hannover; 1810 als schwedischer Kronprinz adop­tiert; 1813 Führer der Nordarmee im Befrei­ungskrieg (Leipzig); 1818–1844 als Karl XIV. König von Schweden. Bernauer, Agnes, Tochter eines Baders aus Augsburg, 1432 heimlich mit Herzog Al­ brecht III. von Bayern vermählt und 1435 von dessen Vater in der Donau ertränkt. Bernhard, Prinz der Niederlande, 1911– 2004; heiratete 1937 Juliana, die Kronprinzessin der Niederlande, 1976 in Be­ stechungsskandal (Lockheed) verwickelt. Bernhard von Clairvaux, gen. Doctor mellifluus = honigfließender Lehrer, Kirchenlehrer, bedeutender Kirchenpolitiker, 1091–1153; Begründer einer tiefen Christusmystik (Gegner Abälards) mit dem Auftrag zu Predigt und Werken der Liebe; Begründer der Mystik des MA; von weitreichendem Einfluss auch auf die Reichsentwicklung („ungekrönter König im Abendland“); prägte wesentlich den Zisterzienserorden, rief zum 2. Kreuzzug auf. Bernhard von Weimar, protestant. Feldherr im 30-jährigen Krieg, 1604–1639; seit 1631 in schwed. und in frz. Diensten, entschied nach Gustav Adolfs Tod die Schlacht bei Lützen (1632), erhielt 1633 ein Herzogtum Franken, das er nach seiner Niederlage bei Nördlingen 1634 gegen die Kaiserlichen wieder verlor; nach dem Prager Frieden (1634) Übertritt in frz. ­Dienste; kämpfte mit Erfolg im Elsass,

das ihm als Fürstentum versprochen war, und eroberte 1638 die Festung Breisack (Schlüsselstellung der Habsburger); nach seinem Tod wurden seine Eroberungen, entgegen dem Letzten Willen B.s, von Frankreich einbehalten. Bernstein (Ambra, Augenstein), fossiles Nadelholzharz, „Vater des Handels“; aus der Jungsteinzeit Schmuckstückfunde in Kleinasien; in der Bronzezeit Luxushandelsgut selbst im Mittelmeerraum (Mykene), im Fernhandel auf den „B.-Straßen“ herangebracht; im späten MA Regalien des Dt. Ordens. Bernstein, Eduard, dt. sozialist. Theoretiker, 1850–1932; ging 1878 nach Zürich, später nach London, wo er den Fabianismus (↑ Fabian Society) kennen lernte, trat mit einer Kritik am Marxismus hervor, den er wegen nicht eingetroffener Voraussagen (Verelendungstheorie von Marx) für revisionsbedürftig erklärte, und begründete den Revisionismus; wirkte vor allem für die Gewerkschaften, die sich hinter ihn stellten. Bernstorff, mecklenburg. Uradel: 1) B., Johann Hartweg, Graf von, dän. Minister, 1712–1772; Reformen im Geiste der Aufklärung, förderte die Literatur, Gönner Klopstocks, den er nach Dänemark holte. 2) B., Johann Heinrich, dt. Diplomat, 1862–1939; Botschafter in den USA 1908–1917, versuchte den Kriegseintritt der USA zu verhindern; dann in der Türkei; 1926 dt. Vertreter in der Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. Bernward, Bischof von Hildesheim, hl., um 960–1022; Erzieher und Kaplan Kaiser Ottos III., Anhänger der cluniazens. Reformbewegung (↑ Cluny), Gelehrter und Förderer der Kunst; unter ihm wurde Hildesheim zum Kunstzentrum („Bernwardkunst“, Dom St. Michael, Bernwards­ türen, deren Reliefs Anfang der roman. Plastik sind). Berosos, babylonischer Priester und Geschichtsschreiber um 280 v. Chr.; Verfasser 106

Bessarion einer Geschichte des chaldäisch-babylon. Reiches, die nur in Bruchstücken noch vorhanden ist. Berry, Charles Ferdinand, Herzog von, 1778–1820; Sohn des Grafen von Artois, des späteren Königs Karl X., floh 1792 aus Frankreich, Emigrantenführer, 1814 zurückgekehrt; 1815 von Ludwig XVIII. mit dem Befehl über die Truppen in Paris betraut, ermordet. Bertha, 1) B., „mit dem großen Fuß“, „die Spinnerin“, Gattin Pippins des Kurzen, Mutter Karls d. Gr., gest. 783 (sagenumwoben und historisch nicht sicher). 2) B., Tochter Karls d. Gr. und seiner Gemahlin Hildegard, Angilberts heimliche Gemahlin, Mutter des Chronisten Nithard. 3) B., Tochter des burgund. Grafen Otto von Savoyen und der Markgräfin Adelheid von Turin, gest. 1087; 1065 vermählt mit Kaiser Heinrich IV. Berthier, Alexander, Herzog von Neu­ châtel, Fürst von Waltram, frz. Marschall und Stabschef Napoleons I., 1753–1815; beging Selbstmord. Berthold von Henneberg, Kurfürst, Erzbischof von Mainz, 1442–1504; Reichskanzler (Leiter der Reichskanzlei) unter Maximilian I., betrieb mit Tatkraft und Ausdauer Pläne zu einer umfassenden Reichsreform (Stärkung der Reichs gegenüber der kaiserlichen und Territorial­ gewalt, Reichsheer, Reichssteuer, Reichsuntertanenschaft), scheiterte nach Anfangserfolgen (Errichtung des Reichskammergerichts) an den Sonderinteressen des Kaisers und der Reichsstände. Berthold von Regensburg, Franziskanermönch, einflussreicher Wanderprediger, 1220–1272. Berwick, James Fitzjames, Herzog von, Marschall von Frankreich, 1670–1734; natürlicher Sohn des späteren Königs Jakobs II. von England; 1691 im Dienst Ludwigs XIV.; eroberte 1714 Barcelona; im poln. Erbfolgekrieg vor Philippsburg gefallen.

Besançon, alte Hauptstadt der Sequaner

(Vesontio), 1032 zum Dt. Reich; Reichstag von B. 1157 (Auseinandersetzung zwischen dem päpstlichen und dem kaiserlichen Kanzler, Roland von Siena und Rainald von Dassel); Freie Reichsstadt seit 1283; 1555–1648 spanisch, 1678 zu Frankreich. Besatzungsstatut, regelte 1949 das Besatzungsrecht der USA, Großbritanniens und Frankreichs in der Bundesrepublik (unter Vorbehalt Zuerkennung der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt, sofern die Sicherheit der Besatzungsmächte gewahrt blieb; Grundgesetzänderungen waren genehmigungspflichtig; die Bundesrepublik blieb entmilitarisiert; Einspruchsrecht gegen Gesetze); Milderung 1951 (Recht zu eigener Außenpolitik, Wegfall des Prüfungsrechtes bei Gesetzen); Ablösung 1952 durch ↑ Deutschland-Vertrag (Bonner Vertrag), der nach Ablehnung durch Frankreich durch ↑ Pariser Verträge (1955) ersetzt wurde, ↑ Deutschland, Bundesrepublik. Bessarabien, Gebiet zwischen Pruth, Dnjestr und Schwarzem Meer; im Altertum von Skythen bewohnt; kam unter röm. und got. Herrschaft, im 7. Jh. von den thrak. Bessen erobert, deren sagenhafter Fürst Bessarab dem Land den Namen gab; seit 1367 bildete B. die östl. Hälfte des Fürstentums Moldau unter türk. Oberhoheit; 1812 zu Russland, 1856 teilweise zurückgegeben; 1878 von dem 1858 gebildeten Rumänien ganz an Russland abgetreten (↑ Berliner Kongress); 1918–1920 Anschluss an Rumänien unter russ. Protest; 1940 wieder an Russland; 1941–1944 vorübergehend nochmals rumänisch. Bessarion, Johannes, byzantin. Humanist und Kirchenpolitiker, um 1403–1472; 1437 Erzbischof von Nicäa, 1438/39 auf dem Konzil von Ferrara/Florenz für die Wiedervereinigung der griech. mit der röm. Kirche tätig; 1439 zum Kardinal in Rom ernannt, seitdem in Italien als Ver-

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Bessières mittler griech. Literatur; 1463 lat. Patriarch von Konstantinopel. Bessières, Jean Baptiste, Herzog von Istrien, frz. Marschall, 1768–1813; kämpfte in Ägypten, Oberitalien (Marengo), Österreich und Russland; als Kommandeur der Garde bei Großgörschen (Lützen) gefallen. Bessos, pers. Satrap der Provinz Baktrien, schwang sich nach Ermordung des Königs Darius III. 330 v. Chr. als Artaxerxes IV. zum König auf; 329 von Alexander d. Gr. gefangen genommen und als Königsmörder nach pers. Recht hingerichtet (grausame Kreuzigung). Besthaupt, im MA Abgabe des besten Stückes Vieh oder anderer Besitzstücke an den Grundherrn aus dem Erbe des hörigen Bauern nach dessen Ableben (eine Art Erbschaftssteuer). Bestuschew-Rjumin, Alexei Petrowitsch Graf, russischer Staatsmann, 1693–1766; 1744–1758 Großkanzler der Zarin Elisabeth, führte Russland gegen Preußen in den 7-jährigen Krieg, fiel 1757 wegen seiner Eigenmächtigkeiten in Ungnade und wurde verbannt. Bethlen, Gabor (Gabriel), Fürst von Siebenbürgen, 1580–1629; Gegner Habsburgs und Verbündeter der Protestanten im 30-jährigen Krieg, fiel mehrmals in die österr. Erblande ein; 1620 zum König von Ungarn gewählt, 1621 zum Verzicht gezwungen. Bethmann Hollweg, Theobald von, dt. Staatsmann, 1856–1921; Reichskanzler 1909–1917; Verfassung und Wahlreform für Elsass-Lothringen; in der Marokkokrise 1911 diplomat. Niederlage; 1913 Heeresverstärkung, 1914 Bagdadabkommen mit England, 1914 durch das Vorgehen Österreichs diplomat. überspielt; nach Ausbruch des Krieges entschuldigte er im Reichstag das Unrecht des Einmarsches in Belgien mit Notwehr; Gegner des verschärften und des uneingeschränkten UBoot-Krieges; Fehlschlag der Friedens­

deklaration (12. Dez. 1916); Rücktritt Juli 1917; B. versagte durch seine Politik des „Zu spät“ und der Halbheiten, war in wehrpolit. Fragen Tirpitz und Ludendorff unterlegen. Bettelorden (Mendikanten), Mönchsorden seit ca. 1220, zu deren Regel das Gelübde der Armut gehört, das privates und klösterliches Eigentum verbietet: nur Nutznießung für einfachste Lebensbedürfnisse, Leben von milden Gaben (dafür Seelsorge, Unterricht), Rückkehr zur apostol. Strenge und Sittenreinheit (Bußbewegung), als Seelsorger und Prediger vor allem in volkreichen Städten tätig; weitgehende Missionstätigkeit, urspr. Franziskaner, und Dominikaner später auch Karmeliter, Kapuziner, Augustiner, Serviten u. a. Beust, Friedrich Ferdinand Graf von, sächs. und österr. Staatsmann, 1809– 1886; zunächst in sächs. diplomat. Dienst (Berlin, Paris, München, London und 1848 Gesandter in Berlin); 1849 sächs. Außenminister, bald auf Seiten Preußens, bald Österreichs; Gegner des Zollvereins; nach 1859 für Reform des Dt. Bundes im Sinne der ↑ Trias-Idee; ab 1864 entschieden antipreußisch, nach Königgrätz auf Veranlassen Bismarcks zurückgetreten; ging in österr. Dienste (1866 Außenminis­ ter, 1867 Ministerpräsident), maßgeblich beteiligt am österr.-ungar. ↑ Ausgleich; Annäherung an Frankreich und Italien; 1870 durch die Haltung Ungarns und den Druck Russlands am Eingreifen gehindert, 1871 entlassen. Beveridge, William Lord, brit. liberaler Politiker und Sozialreformer, 1879–1963; verdient um die Errichtung der Arbeitsämter in England: entwarf 1942 im Auftrag Churchills den nach ihm benannten Plan einer umfassenden brit. Sozialversicherung nach kontinentaleurop. Muster (1946 in den Grundzügen verwirklicht). Bevin, Ernest, brit. Arbeiterführer und Politiker, 1881–1951; Arbeitsminister im Kriegskabinett Churchill 1940; 1945– 108

Bibel 1951 Außenminister im Kabinett Attlee, maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des Brüsseler Vertrages (1948), der OECD (1948) und der NATO (1949). Beza, Theodor, Genfer Theologe, 1519– 1605; Freund und 1564 Nachfolger Calvins, Lehrer an der Theolog. Akademie in Genf, führender Apologet der reformierten Kirche; organisierte Hilfsaktionen für die Hugenotten. Bharat, amtlicher Name der ↑ Indischen Union, nach einem sagenhaften Kaiser Bharata. Bhutan, konstitutionelle Monarchie im Himalaja, zw. ↑ Nepal, Indischer Union und Tibet; außenpolit. Vertretung und Landesverteidigung durch ind. Union (seit 1949 auch jährliche Unterstützungszahlung); im 19. Jh. Kolonialkämpfe mit Brit.-Indien, Abwehr der chin. Herrschaftsansprüche. 1971 wurde B. Mitglied der UN. Seit 1974 Bestrebungen nach wirtsch. und außenpolit. Unabhängigkeit von Indien. Bhutto, Zulfikar Ali-Khan, pakistan. Politiker, 1928–1979; war 1963–66 Außenminister, gründete die linksgerichtete oppositionelle „Volkspartei“, befürwortete 1971 die militär. Intervention der westpakistan. Zentralregierung gegen den Separationsversuch O-Pakistans; 1971–73 Staatspräsident, 1973–1977 Ministerpräsident. B. wurde nach einem Militärputsch verhaftet und 1978 wegen Anstiftung zum Mord an einem polit. Gegner zum Tode verurteilt; trotz Intervention ausländ. Politiker 1979 hingerichtet. – Seine Tochter und Mitarbeiterin Benazir B., geb. 1953, gewann 1988 nach dem Tod von B.s Nachfolger (und Gegner) Ziaul Haq die Parlamentswahlen und wurde im Dezember 1988 zur Ministerpräsidentin ernannt – die erste Regierungschefin eines islam. Staates, im Juli 1990 entlassen, kam 1993 erneut ins Amt (bis 1996). 1999 in Abwesenheit zu 5 Jahren Haft verurteilt, 2001 in einem neuen Verfahren 3 Jahre Haft. 2002 we-

gen Verweigerung einer Aussage zu 3 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, im selben Jahr wurde ihre Kandidatur bei den Parlamentswahlen abgelehnt; aus dem Exil versucht sie weiterhin, gegen das 1999 errichtete pakistanische Militärregime anzukämpfen. Biafra, Ostteil Nigerias, erklärte sich 1967 für selbständig. In der krieger. Auseinandersetzung konnte es sich gegen die Truppen der nigerian. Bundesregierung nicht behaupten. Seit der Kapitulation 1970 ist B. wieder voll in den nigerian. Staat integriert. Bibel (griech. ta biblia, die Bücher, oder biblos, das Buch), hl. Schrift, Wort Gottes, das Wort, Buch der Bücher, Altes (A. T.) und Neues Testament (N. T.); von den christl. Kirchen in verschiedenem Umfang als Urkunde göttlicher Offenbarung anerkannt, Grundlage für Glauben und Lehre. Das A. T. begann in der Zeit der Könige (seit 11. Jh. v. Chr.) zu entstehen; seine Entwicklung bis zum für das Judentum wie für das Christentum verbindlichen Kanon währte mehr als 1 000 Jahre (Abschluss etwa 90 n. Chr.), doch ist die Kanoneigenschaft einiger Schriften strittig geblieben (im Protestantismus gelten die nur in griech. Sprache vorliegenden Schriften der Spätzeit, z. B. Bücher der Makkabäer, Sprüche Jesus Sirachs, Weisheit Salomos, zwar als „klug und nützlich“, aber als unkanonisch, apokryph; der Katholizismus hat sie als deuterokanonisch vollwertig in den Kanon aufgenommen; das Judentum erkennt sie z. T. an); das A. T., das aufgrund mündlicher Überlieferung urspr. hebr. und chaldäisch abgefasst wurde, umfasst etwa den Zeitraum eines Jahrtausends und enthält den Bericht vom „auserwählten Volk“ Israel als Heilsgeschichte (Größe Gottes, Abhängigkeit der Geschöpfe von ihm, Gebote sittlicher Lebensführung, Wirken Gottes in der Geschichte); es enthält 1) das Gesetz und die überlieferte Geschichte (den Pen-

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Bibliothek tateuch, jüd. Thora, alexandrinische Bez. der fünf Bücher Mose: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium); 2) die Propheten (Geschichte und Reden der Propheten als Verkünder des Wortes Gottes, als Volkslehrer, Mahner, Gottgesandte); 3) die Schriften (Psalmen, Sprüche, das Hohelied, Klagelieder) der Prediger, Lehrbücher; 4) die apokryphen bzw. deuterokanon. jüngeren Schriften (siehe oben) mit verstärkter Hindeutung auf den Messias. – Das N. T. umfasst weniger als ein Jahrhundert und ist griech., z. T. aramäisch abgefasst; es ist Quelle für das Leben Jesu und seiner Jünger, für Glauben und Leben der frühen Gemeinden und die erste Ausbreitung des Christentums; erstes Schriftzeugnis sind (etwa 2 Jahrzehnte nach Christi Tod) die Paulusbriefe; fast gleichzeitig entstanden wohl in aramäischer Sprache erste Aufzeichnungen von Reden und Taten Christi, dann als erstes Evangelium das des Markus (um 70), kurze Zeit später das Evangelium des Matthäus, zwischen 70 und 100 das Evangelium des Lukas und die Apostelgeschichte; vor 100 das Evangelium und die Apokalypse des Johannes („Offenbarung des Johannes“, Visionen von Himmel und Hölle, von Endzeit und Weltgericht); der Kanon des N. T. gegen Ende des 2. Jh. im wesentlichen festgelegt, doch bei Griechen und Lateinern noch lange unterschiedlich; Abschluss gegen Ende des 4. Jh. – Handschriften: Papyrus mit Teil des JohannesEvangeliums um 130 n. Chr.; Rollentexte vom Toten Meer (Jesaja, Jesus Sirach, Buch Tobias) auf Leder und Papyrus (um 200 n. Chr.). Papyrus Bodmer II (um 200, 14. Kapitel des Johannes-Evangeliums); Texte im sog. „Thomas-Evangelium“ (2./3. Jh.); die Codices Vaticani (4. Jh.), Sinaiticus (4. Jh.), Alexandrinus (5. Jh.), Ephraemi (5. Jh.) u. a. – Übersetzungen: ↑ Septuaginta (3. u. 2. Jh. v. Chr.), frühchristliche lat. Übersetzung (Vetus Latina), Ben Akiba Aquila, Symmachus und Theo-

dotion (2. Jh. n. Chr.), Hieronymus (um 400, ↑ Vulgata), außerdem frühe Übersetzungen ins Samaritanische, Aramäische, Koptische, Äthiopische, Syrische, Gotische (↑ Wulfila). Die Übersetzung Martin ↑ Luthers war von entscheidender Bedeutung für die Reformation und zugleich für die Entwicklung der dt. Sprache. Daneben Zürcher Bibel ↑ Zwinglis. Bibliothek (Büchersammlung), älteste nachweisbare B. die Tempel-B. der Babylonier in Nippur (zurückreichend bis 2200 v. Chr.) aus Tontafeln; umfangreich die B. von Chattusa-Bogazköy (14./13. Jh. v. Chr., Keilschriften); B. mit vorderasiat. Literaturdenkmälern die Tontafelsammlung des assyr. Königs ↑ Assurbanipal im Palast zu Ninive (7. Jh. v. Chr.); zu den größten B.en des Altertums zählten die zu Alexandria (↑ Museion, vor dem Brand 48/47 v. Chr. etwa 700 000 Schriftrollen) und die zu Pergamon; in Rom verfügten Cicero, Atticus, Vergilius usw. über eigene Privatbibliotheken; C. Asinius Pollio gründete 39 n. Chr. die erste öffentliche B.; im 4. Jh. n. Chr. hatte Rom 28 öffentliche B.en; im MA bestanden B.en nur in den Klöstern und bei manchen Hauptkirchen (erste Klosterbibliothek durch Cassiodor um 540 in Vivarium); Blüte in der Karolingerzeit (Kölner Dom-B.); seit dem 13. Jh. auch an den Universitäten (mit Katalogen und Ausleihe); gewaltiger Aufschwung seit dem 15./16. Jh. durch den Humanismus, vor allem seit der Erfindung des Buchdrucks (Laurentiana in Florenz, Vaticana in Rom); infolge der Klosteraufhebung Errichtung von städt. B.en; nach Ausbildung der neueren Territorialstaaten Gründung von fürstlichen (den später staatlichen) B.en (berühmt die Palatina = Pfälzische B. zu Heidelberg); Anfang des 19. Jh. wanderten die reichen Bücherschätze der aufgehobenen Klöster in die Landes-B.en; erst im 19. Jh. die moderne B., allgemein zugänglich, mit großzügigen Benutzungsmöglichkeiten (↑ Buch). 110

Bischof Bidault, Georges, frz. Politiker, 1899–

1983; 1946 und 1949/50 Ministerpräsident, Gegner der Algerienpolitik de Gaulles. Biedermeier, Kultur des Bürgertums im dt. Vormärz 1815–1848; Bezeichnung abgeleitet von zwei komischen Typen in der Zeitschrift „Fliegende Blätter“: Biedermann und Bummelmeier (Ludwig Eichrodts Biedermeiergedichte); Lebensstil des zurückgezogen lebenden Bürgers (gemütlich, einfach, sparsam, philiströs); in der Möbelkunst: Zopfstil und antikisierende Mode; solide in Material und Arbeit, schlicht und sparsam; Mittelpunkt der Geselligkeit die Familie, der Salon; Biedermeier in der Literatur: Übergang von der Romantik zum Realismus. Bier, schon in ältesten Zeiten hergestellt; in Babylonien und Ägypten aus Emmer oder Gerste gewonnen; die Nordvölker kannten nach Pytheas (um 240 v. Chr.) ebenfalls das B.; Priscus erwähnt es als Getränk im Lager Attilas (448 n. Chr.), bei den Griechen und Römern wenig geschätzt. – Im MA wurde die Kunst des Bierbrauens vor allem von den Klöstern gepflegt. Brauen und Ausschank mit besonderen Privilegien verbunden; führende dt. Braugebiete in Bayern und Westfalen; norddt. Bier war eines der Hauptexportgüter der Hanse. Bilderstreit in Byzanz: Kaiser Leo III. verbot 726 und 730 die Verehrung der Heiligenbilder, die im Orient zu Entartungen geführt hatte, und machte das Verbot zu einer völligen Verneinung der Bilderverehrung; die Westkirche verdammte die grundsätzliche Leugnung des Bilderkults, da die Verehrung dem Urbild der Darstellung gelte; der Parteikampf der Bilderstürmer (Ikonoklasten) und der Bilderdiener (Ikonodulen) wirkte zersetzend im byzantin. Reich: Unter Kaiserin Irene erlaubte das 7. allg. Konzil zu Nicäa 787 den Bilderdienst; nach einem Wiederaufleben des Streites wurden unter Kaiserin Theodora

auf der Synode von 843 in Konstantinopel die Beschlüsse von 787 endgültig bekräftigt. Bildersturm, Zerstörung von Heiligenbildern und -figuren in der Reformationszeit durch extreme Anhänger der neuen Lehre (Vorwurf des Götzendienstes); Luther trat gegen die Bilderstürmer auf; in der luther. Kirche wurden Bilder als Schmuck erlaubt; die Reformierten lehnten Bilder in ihren Kirchen ab. Bill of Rights, engl. Staatsgrundgesetz von 1689, hervorgegangen aus der „Declaration of Rights“, in der das Parlament seine alten Rechte und Forderungen gegenüber der Krone zusammenfasste (Steuerbewilligungsrecht, Freiheit der Wahl und der Rede, kein stehendes Heer), anerkannt von Wilhelm III. von Oranien bei seiner Thronbesteigung; die Gefahr des Absolutismus war dadurch gebannt und der Parlamentarismus fest begründet. Billunger, wahrscheinlich aus Franken stammendes Geschlecht, das 950–1106 die Herzogwürde in Sachsen innehatte. Birger Jarl, Regent von Schweden seit 1248, aus der Familie der Folkunger, schloss Handelsverträge mit der Hause, erhob Stockholm zur Stadt, gest. 1266. Birma, ↑ Burma. Biroll, Graf von (Ernst Johann von Büh­ ren), russ. Staatsmann, 1690–1772; unter Zarin Anna 1730–1740 Lenker der russ. Politik auf den Bahnen Peters d. Gr., Gegner der altruss. Partei, 1737 Herzog von Kurland, 1740–1762 verbannt. Bischof (griech. episkopos, Aufseher); oberster kirchl. Würdenträger in ei­nem Sprengel (Diözese), nach kath. Auffassung als Nachfolger der Apostel; er wurde in der älteren Zeit von den ­ Gemeindeältesten, später von Klerus und Volk der Bischofsstadt gewählt, schließlich vom Papst ernannt. Die byzantin. Kaiser beanspruchten schon früh das Recht der Ernennung der Bischöfe der oström. Kirche, ein Anspruch, den in der folgenden Zeit auch

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Bismarck die german. Fürsten und Könige für ihre Herrschaftsbereiche erhoben. Nach germanischem Recht war der Grundherr, der auf seinem Grund und Boden eine Kirche baute, Eigentümer dieser Kirche, verpflichtete sie zu Abgaben und war auch Herr über die Zuwendungen, die ihr von den Gläubigen gemacht wurden; aus diesem Recht (↑ Eigenkirchenrecht) leitete sich auch der Anspruch auf die Ernennung und Absetzung der Geistlichen ab; da die Könige ihren Herrschaftsbereich, die späteren Kaiser das Gesamtreich als ihr Grund­ eigentum und die Kirchen als Eigenkirchen betrachteten, vertraten sie die Auffassung, dass sie als „Grundherren“ auch die Bischöfe einsetzen oder absetzen könnten; der Jahrhunderte lange Kampf zw. dem Papsttum und den Königen bzw. den Kaisern um die Besetzung der Bischofssitze und die Belehnung mit dem Bischofsamt (↑ Investitur; die B. waren auch weltliche Fürsten, einige später Kurfürsten) hatte in dieser germanischen Rechtsauffassung eine seiner Ursachen, mit dem Wormser Konkordat 1122 endgültig bereinigt; die ↑ Säkularisierung in der Reformation, in England unter Heinrich VIII., in Frankreich in der Frz. Revolution und in Deutschland 1803 (↑ Deputationshauptschluss), beseitigte fast alle von Bischöfen verwalteten weltlichen Territorien. – In der anglikan. und schwed. Kirche B.-Amt etwa dem des kath. entsprechend; in den dt. Landeskirchen seit 1933 Titel des leitenden Geistlichen (Landes-B.). Bismarck, Otto von B.-Schönhausen (seit 1865 Graf, 1871 Fürst, 1890 Herzog von Lauenburg), preuß.-dt. Staatsmann, 1815– 1898; aus altem märk. Adel, 1837 Regierungs-Referendar in Potsdam, 1839 Gutsherr und Deichhauptmann zu Schönhausen, 1847–1850 konservativer Abgeordneter, 1851 Gesandter Preußens beim Bundestag in Frankfurt/Main (preuß. Machtpolitik gegen Österreich), 1859 Botschafter in Petersburg, 1862 in Paris, danach Er-

nennung zum preuß. Ministerpräsidenten und Außenminister, gewaltsame Lösung des preuß. Verfassungskonfliktes um die Heeresreform (Auflösung des Landtages); dann planmäßige Inangriff­nahme der Probleme der dt. Einheit unter Führung Preußens und Ausschluss Österreichs (kleindt. Lösung): 1864 Krieg gegen Dänemark um Schleswig-Holstein, 1866 Kampf gegen Österreich, Schonung des besiegten Österreichs und der süddt. Staaten, Gründung des Norddt. Bundes; 1867 Bundeskanzler; 1870 Krieg gegen Frankreich; 1871 Proklamation des Dt. Kaiser­reiches in Versailles; Erhebung in den Fürs­tenstand, Reichskanzler und Vorsitzender des Bundesrates (starke Stellung in Reichsverfassung verankert), 1878 innenpolit. Wendung (Übergang zur Schutzzollpolitik, Trennung von den National­liberalen); 1878 „ehrlicher (ausgleichender) Makler“ auf dem ↑ Berliner Kongress (Verstim­mung Russlands); 1879 Abschluss des Verteidigungsbündnisses mit Österreich, 1882 nach Beitritt Italiens zum ↑ Dreibund erweitert (1883 Anschluss ­Rumäniens); 1887 ↑ Rückversicherungsvertrag mit Russland; 1890 nach erbitterter Machtprobe von Kaiser Wilhelm II. entlassen, danach Abfassung der „Gedanken und Erinnerungen“ (eigentlicher Titel: „Erinnerung und Gedanke“). – B.s Staatskunst sicherte durch seine Bündnispolitik den Frieden Europas nach 1871, doch im Innern belastete er die deutschen Zustände mit der Durchführung des Kulturkampfes, einer oft parlamentsfeindlichen Haltung und der Einbringung des Sozialistengesetzes; Schöpfer der ersten umfassenden Sozialgesetzgebung der Welt (Unfall-, Kranken- und Altersversicherung). Bistum (Sprengel), Amtsbezirk eines kath. Bischofs; durch Belehnungen wurden die Bistümer seit Otto I. teilweise zu selbständigen, reichsunmittelbaren Fürstentümern; im 16./17. Jh. und 19. Jh. säkularisiert, rein kirchliche Verwaltungsbezirke. 112

Blaustrumpf Bithynien, Landschaft im NW Kleinasiens

am Marmarameer, Bosporus und Schwarzen Meer, Hauptstadt Nikomedia (gegr. 264 v. Chr.), wichtigste Stadt Nicäa; nach Zerfall des Perserreiches selbständig, seit 190 v. Chr. unter röm. Einfluss, 73 v. Chr. röm. Provinz, 395 n. Chr. oströmisch, seit dem 13. Jh. osmanisch. Bizone, Bez. für das im Dez. 1946 geschaffene einheitliche Wirtschaftsgebiet aus amerik. und brit. Besatzungszone in Deutschland; 1947 wurde ein Wirtschaftsrat der B. gebildet, der als ein Wirtschaftsparlament die Vorform der westdt. Regierung darstellte; April 1949 durch Anschluss der frz. Besatzungszone zur Trizone erweitert. Björkö, Insel im Finnischen Meerbusen, 1905 Zusammenkunft und (persönlicher) Vertrag zw. Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II., Verteidigungsbündnis, das jedoch an der Haltung der russ. Minister scheiterte. Black Muslims, 1932 gegründete radikale mohammedanische Sekte in den USA, treten für schwarzen Nationalismus und Rassentrennung ein, wollen Gründung eines separaten Staates. Weltweit bekannteste Anhänger: der 1965 ermordete Malcolm X. und der Boxer C. Clay (Muhammad Ali). Black Panther Party, 1966 gegründete afroamerik. Organisation, die den Befreiungskampf der Schwarzen zum Ziel hat. In sog. Selbstverteidigungstruppen gegen die Übergriffe der Polizei gerieten ihre Mitglieder oft in gewaltsame Auseinandersetzungen. In den späten 1960er Jahren wurde die Black Panthers Party von den US-Behörden terroristischer Aktionen verdächtigt. 1968 ermordete der US-Geheimdienst führende Mitglieder der Bewegung. 1972 spaltete sich die Partei an der Frage des Einsatzes von Gewalt zum Erreichen ihrer Ziele und verlor ab 1973 an Bedeutung. Bekannteste Führer: St. Carmichael und E. Cleaver.

Blake, Robert, engl. Admiral und Seeheld,

1599–1657; durch seine Siege über Holländer (1653) und Spanier (1657) wurde er zum Mitbegründer der engl. Seeherrschaft (↑ Navigationsakte 1651). Blanc, Louis, frz. sozialist. Theoretiker, Politiker und Historiker, 1811–1882; kritisierte als einer der ersten den Wirtschaftsliberalismus, forderte Arbeiterproduktions­ genossenschaften unter staatlicher Regie und staatliche Garantie des Rechtes auf Arbeit, verwirklichte als Mitglied der provisor. Regierung 1848 sein Programm in Form der Nationalwerkstätten (aufgelöst 1849), ging nach dem Maiaufstand ins Exil;1871 in der Nationalversammlung Gegner der Kommune. Blanca von Kastilien, Königin von Frankreich, 1188–1252; vermählt mit Ludwig VIII., regierte als Vormund ihres Sohnes Ludwig IX. 1226–1236; schloss den Vertrag von Paris 1229 (Ende der Albigenserkriege; Teile des Herzogtums Narbonne fielen an die Krone, der Rest 1271); unterdrückte Aufstandsversuche der Barone. Blanchard, Jean-Pierre, frz. Luftschiffer, 1753–1809; 1785 erste Überquerung des Ärmelkanals im Ballon und erster Fallschirmabsprung (↑ Luftfahrt). Blanqui, Louis Auguste, frz. Kommunist, 1805–1881; unermüdlicher Verschwörer und Organisator bewaffneter Aufstände; 1871 einer der Führer des Kommune-Aufstandes. Blauer Montag, im MA der Montag vor Fastenbeginn (benannt vielleicht nach der violettblauen Verkleidung des Altars während der Fastenzeit), an diesem Tag wurde nicht gearbeitet („blau gemacht“). Blaustrumpf (engl. blue stocking), seit etwa 1800 üblicher Spottname für gelehrte Frauen, die ihre weiblichen Pflichten vernachlässigen (benannt nach einem um 1750 in London tagenden literar. Kreis, zu dem ein Teilnehmer, Mr. Benjamin Stillingfleet, mit blauen Wollstrümpfen statt

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Bleikammern der üblichen schwarzseidenen zu erscheinen pflegte und damit allen Teilnehmern, insbesondere den weiblichen, diese spöttische Bezeichnung verschaffte). Bleikammern (Piombi) von Venedig, das berüchtigte Staatsgefängnis der Republik unter dem bleigedeckten Dach des Dogenpalastes, 1797 zerstört. Blendung, die alten Griechen straften mit dieser barbarischen Maßnahme Ehebruch, Tempelraub und vorsätzliche Beraubung der Sehkraft, die Westgoten die Abtreibung, die Langobarden den Diebstahl; das Strafrecht seit Friedrich II. von Hohen­ staufen verordnete die Strafe bei Meineid und Hochverrat an Reich und Kirche. Bligh, William, brit. Seefahrer, 1754– 1817; Kapitän der „Bounty“, deren Besatzung 1789 auf der Rückfahrt von Tahiti meuterte und ihn auf hoher See in einem Boot ausetzte. Bljucher (Blücher), Wassili Konstantino­ witsch, sowjet. General, 1890–1938; Bürgerkriegsheld und Führer des erfolgreichen bolschewist. Kampfes 1921/22 gegen Japan in Sibirien; 1924–27 militär. Berater der chin. Kuomintang-Regierung, 1935 Marschall der Sowjetunion. Blücher, Gebhard Leberecht von, aus pommerschem Adel, Fürst B. von Wahlstatt, preuß. Feldmarschall, 1742–1819; 1791 Oberst der roten Husaren, 1803 Gouverneur in Westfalen; volkstümlicher Heerführer der Befreiungskriege, genannt „Marschall Vorwärts“; siegte 1813–1814 als Befehlshaber der schles. Armee an der Kaubach, bei Wartenburg, Möckern (b. Leipzig) und, nach dem Rheinübergang bei Kaub und Koblenz, bei La Rothière und Laon; entschied 1815 (nach seiner Niederlage bei Ligny) durch rechtzeitiges Eintreffen zus. mit Wellington die Schlacht von Waterloo. Blum, Léon, frz. Sozialistenführer, 1872– 1950; seit 1919 Führer der sozialistischen Fraktion, protestierte nach dem 1. Weltkrieg gegen die Politik von Versailles;

1936/37 erster sozialistischer Ministerpräsident Frankreichs, Führer der Volksfrontregierung, 1940 von der Regierung Pétain eingekerkert und wegen der mangelnden Kriegsbereitschaft Frankreichs angeklagt, 1942–1945 im ­Konzentrationslager Buchen­wald; 1946/47 erneut Minister­ präsident. Blum, Robert, dt. Politiker, 1807–1848; im Vormärz demokratischer Agitator in Leipzig, radikaler Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848; wurde wegen der Teilnahme am Aufstand in Wien erschossen. Bluntschli, Johann Kaspar, Schweizer liberaler Rechtsgelehrter, 1808–1881; seit 1861 Prof. in Heidelberg; 1861–1871 Mitglied der bad. Ersten Kammer und des Zollparlaments, seit 1873 ­ Abgeordneter und zuletzt Präsident der bad. Zweiten Kammer. Blutbann, Blutgerichtsbarkeit, im MA Gerichtsbarkeit über Leben und Tod der Untertanen, urspr. nur den Königen und Kaisern vorbehalten; als Privileg später den Landesfürsten verliehen. Blutrache, bei Totschlag oder Kränkung Wiederherstellung des Rechts durch Selbsthilfe oder durch Sippen- oder Familiengenossen; vielen Völkern eigentümlich, die noch keine ausreichende staat­liche Rechtssatzung besitzen; bei verschiedenen indogerman. Völkern (Germanen, Persern) konnte die Blutschuld durch „Wergeld“ abgegolten werden; auch der Islam erlaubte die Lösungssumme; im antiken Rom galt in der frühen Republik das „ius talionis“ (Wiedervergeltung nach strenger Blutrache); auf Island und in Norwegen noch im 10./11. Jh. sogenannten „Blutsbrüderschaften“ zu gegenseitigem Schutz und wechselseitiger Rächung im Falle des Totschlags; ähnliche Verbindungen im 13./14. Jh. in den Balkanländern, auf Korsika u. a. Bocche di Cattaro, Bucht von Cattaro (Kotor), golfartige Bucht an der Ostküste 114

Böhmen Jugoslawiens, schon in röm. Zeit Flottenstützpunkt; im MA handeltreibende Küs­ tenstädte, bes. Kotor (Cattaro), gegen das offene Meer durch Ketten geschützt; zeitweise Seeräuberzuflucht. Böckler, Hans, dt. Gewerkschaftler und Politiker, 1875–1951, wurde als führender Kopf der illegalen Gewerkschaftsbewegung in der nat.-soz. Zeit verfolgt, organisierte nach 1945 den Wiederaufbau der Gewerkschaften und deren Zusammenfassung im DGB, setzte sich bes. für die Mitbestimmung in der Montanunion ein. Bodelschwingh, 1) B., Ernst von B.-Velmede, preuß. Staatsmann, 1794–1854; nach 1848 Mitbegründer der Zentrumspartei. 2) B., Friedrich von, Sohn von 1), evang. Pfarrer, 1831–1910, Begründer der wohltätigen, sich selbst versorgenden Anstalten in Bethel (Pflegehäuser, Diakonissen- und Diakonenanstalt) mit Außenanstalten und Afrika-Mission. Bodenreform, soz. Kernproblem in Staaten, deren Agrarverfassung durch Großgrundbesitz, Schrumpfung eines lebensfähigen Bauernstandes und Landflucht gekennzeichnet ist; die klass. B.-­Bewegung im alten Rom ging von den ↑ Gracchen aus; die gleichen siedlungs­polit. Ziele, doch unter den bes. Bedingungen des modernen Industriestaates, verfolgten im 19. Jh. die Bodenreformer (u. a. ↑ Damaschke): Aufteilung des Großgrundbesitzes, Schaffung einer Bodenreserve, Verhinderung der Grundstücksspekulation u. a.; prakt. durchgeführt wurde eine B. in Frankreich während der Frz. Revolution; in Deutschland (Ostelbien) Ansätze während der Weimarer Republik; radikale B. unter Verneinung des Privatbesitzes überhaupt in Russland nach der bolschewist. Oktoberrevolution, ähnlich in den balt. Staaten (Enteignung des dt. Großgrundbesitzes); die B.-Bewegung wurde im Osten abgelöst durch den Agrarkommunismus: in Sowjetrussland nach dem 1. und 2. Weltkrieg Grundlage der Agrarwirt-

schaft, desgleichen in den von der UdSSR beeinflussten Oststaaten und in radikalster Form im kommunist. China. Bodin, Jean, genannt Bodinus, frz. humanist. Rechtsgelehrter und polit. Schriftsteller, 1530–1596; Vertreter des Naturrechts, begründete die Epoche machende Lehre von der Staatssouveränität, erklärte die absolute Monarchie für die beste Staatsform, trat für religiöse Toleranz ein. Boethius, Anicius Manlius Severinus, röm. Staatsmann und Philosoph, um 480–525 n. Chr.; übersetzte und erklärte Schriften des Aristoteles („Letzter Römer und erster Scholastiker“); Ratgeber des Ostgotenkönigs Theoderich, der ihn später unter der (grundlosen) Anklage des Hochverrats gefangen nehmen und hinrichten ließ; im Gefängnis verfasste er im antiken Geist sein Werk „Trost der Philosophie“. Bogazköy, Ruinenstätte der althethi­ti­ schen Hauptstadt Chatussa (14. und 13. Jh. v. Chr.) in Ostanatolien; einst hochzivilisierte Stadt, bedeutende Keilschriftbibliothek mit hethit. Urkunden, Schriften. Bogomilen (slaw., Gottesfreunde), manichäische Sekte, entstanden im 10. Jh. in Thrakien, verbreitet auf dem Balkan, im 11./12. Jh. verfolgt; verwarfen Ehe, Fleischgenuss und Bilderverehrung; in gewissem Sinne Vorläufer der ↑ Katharer. Böhmen, benannt nach den kelt. ↑ ­Boiern (Boiohaemum = Heim der Böhmen), die um 60 v. Chr. den Germanen wichen; um 9 v. Chr. Einwanderung der Markomannen, die um 500 nach Bayern auswanderten; seit dem 6. Jh. Vordringen der Tschechen, zur Zeit Karls d. Gr. Christianisierung; in der 2. Hälfte des 9. Jh. polit. Zusammenfassung im Großmähr. Reich des Swatopluk; nach 908 unter ostfränk. Oberhoheit; durch König Heinrich I. 950 unterworfen, seitdem beim Reich (tributpflichtig und Heeresfolge); seit der Stauferzeit Aufstieg der Dynastie der ↑ Przemysliden. 1196 erbliches Königtum; seit dem 12. Jh. Einwanderung dt. Bauern und

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Böhmische Brüder Handwerker; Glanzzeit unter ↑ Ottokar II. (1253–1278); mit dem Erlöschen der Przemysliden 1306 B. als Reichsgut eingezogen; 1310–1437 unter luxemburg. Herrschern; „Goldenes Zeitalter“ unter Kaiser Karl IV. (Prag Erzbistum, Reichshauptstadt, Universität); unter Wenzel IV. wachsende Macht des Adels; durch dynast. Familienverbindung mit England Einsickern der Lehre Wiclifs, Reformbewegung unter Hus, 1419–1436 Hussitenkriege, Schwächung des kath. Deutschtums; 1452–1471 Herrschaft des Hussiten Georg ↑ Podiebrad, dann (Königswahl durch den Adel) unter der Regierung der Jagellonen, mit Ungarn verbunden und mit diesem 1526 habsburgisch; ständiger Kampf des habsburg. Königtums mit den Ständen; der Widerstand der protestant. böhm. Stände gegen den Kaiser führte zum Ausbruch des 30-jährigen Krieges; nach dem Sieg am Weißen Berg (Niederlage des Winterkönigs 1620) Strafgericht über 27 tschech. und dt. Ständeführer, Wiederherstellung der habsburg. absolutist. Herrschaft und des Katholizismus; erst im Gefolge der Ideen von Aufklärung und Romantik Wiedererwachen eines tschech. Nationalbewusstseins; 1848 Slawenkongress und aufstand in Prag; bis 1918 erbitterter Sprachenkampf gegen das Deutschtum und Kampf für die Erneuerung der „Wenzelskrone“; 1918 B. größtes der „histor. Länder“ der neu gegr. Tschechoslowakei, seit 1993 Teil der Tschechischen Republik. Böhmische (Mährische) Brüder, aus den Hussiten hervorgegangene christliche Gemeinschaft; verneinten Eigentum, Eid, Waffendienst (↑ Mähr. Brüder). Boier, keltisches Volk, spaltete sich im 4. Jh. v. Chr.; der eine Teil ist in Norditalien (Hauptstadt Bonoma = Bologna) in den Römern aufgegangen; ein anderer Teil in Böhmen, von dort Ausbreitung nach Pannonien, Noricum und Gallien; in Böhmen von den Markomannen um 9 v. Chr. verdrängt (↑ Böhmen).

Bojar (türk. bajar, der Vornehme), im al-

ten Russland Angehöriger der obersten Schicht des fürstlichen Dienstadels; Krieger und Mitglied des Verwaltungsrats (Duma) des Fürsten, mit Landbesitz ausgestattet, doch im Gegensatz zum Abendland ohne Standesprivilegien und Erblichkeit des Amtes; Rangordnung der Bojarengeschlechter nach dem Dienstalter festgesetzt; von Iwan IV. blutig verfolgt, da sie der Autokratie hinderlich waren, von Peter d. Gr. als Stand abgeschafft und durch neuen Dienstadel ersetzt. Boleslaw, Name von Herrschern. Polen: 1) B. I. Chrobry (der Kühne), Herzog (992–1025); erhob Polen zur Vormacht unter den Westslawen (Krakau, Gnesen); nach dem Tode des befreundeten Kaisers Otto III. vorübergehende Besetzung Böhmens und Mährens; Krieg gegen Deutschland (1004–1018); behauptete von seinen Eroberungen die Lausitz; 1025 zum König gekrönt. 2) B. II., Herzog (1058–1080); gewann die Slowakei und russ. Gebiet zw. Bug und San, 1076 König, vertrieben, starb 1081 in Ungarn. 3) B. III., Herzog (1102–1138); besiegte 1109 Kaiser Heinrich V., eroberte 1121 das heidnische Herzogtum Pommern (1135 von Kaiser Lothar mit Pommern und Rügen belehnt). Böhmen: 4) B. I., Herzog (929–967); urspr. Führer des heidn.-nationalen Adels, ermordete seinen Bruder Wenzel (tschech. Nationalheiliger), gewann Teile Mährens und Altschlesiens, 950 von Otto d. Gr. unterworfen. Boleyn, Anna, zweite Gemahlin Heinrichs VIII. von England, 1507–1536 (↑ Anna). Bolingbroke, Henry Saint John, Viscount, engl. Staatsmann (Tory) und Schriftsteller, 1678–1751; 1710–1714 Außenminister, schloss den Frieden von Utrecht 1713; wegen hochverräter. Verbindungen mit den vertriebenen Stuarts 1715–1723 im Exil; Vorbild für die Bezeichnung ↑ „John Bull“. 116

Bolschewismus Bolivar, Simon, südamerik. Staatsmann

und Nationalheld, 1783–1830; genannt „Libertador“ (Befreier), erkämpfte 1819– 1824 die Unabhängigkeit Kolumbiens, Venezuelas, Ecuadors, Perus und Boliviens von der span. Herrschaft, 1819 Präsident der Republik Groß-Kolumbien, wurde der Nachahmung Napoleons verdächtigt und dankte 1830 ab. Bolivien, südamerik. Republik, das alte Oberperu (um 1200 eroberten Inkas aus Peru ganz B.); 1538 durch Spanier (↑ Almagro) erobert, seit 1776 Teil des span. Vizekönigreichs La Plata, seit 1819 Revolution und selbständige Regierung in La Paz, 1825 unter Simon ↑ Bolivar (1816 Beginn des Befreiungskrieges Bolivars), den es durch Übernahme seines Namens ehrte (Bolivia), unabhängige Republik; 1879– 1884 zus. mit Peru Salpeter-Krieg gegen Chile, an das es seine einzige Küstenprovinz und den Zugang zum Pazifik verlor; 1932–1935 Niederlage im ↑ Gran-ChacoKonflikt gegen Paraguay; im 19. Jh. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. zahlreiche Revolutionen und Umsturzversuche, 8 Präsidenten ermordet; verarmte Bevölkerung („Tibet Amerikas“), auf Auslandshilfe angewiesen; 1952 Verstaatlichung der Zinnminen und Wahlrecht auch für Analphabeten. 1964 Machtübernahme durch das Militär unter General Barrientos; 1967 Partisanenkrieg „Che“ Guevaras von der Militärregierung mit amerikan. Hilfe niedergeschlagen; 1970/71 mehrere Putsche, seit 1971 wurde B. von einer Junta rechtsorientierter Offiziere unter Oberst Suarez regiert. Nach den manipulierten Wahlen 1978 mehrere Putsche; 1979 Generalstreik, 1980/81 erneute Putsche. Seit 1985 unter Präsident Victor Paz Estenssoro Versuche, die Wirtschaft des Landes (Inflationsrate zeitweilig 22 000 %) zu sanieren, Krise durch Zusammenbruch des Zinnmarktes 1986; 1989 Staatspräsident Paz Zamora, 1993 Gonzalo Sánchez de Lozada. 1997 Koalitionsregierung unter Banzer, Fort-

setzung des Sparkurses in der Wirtschaftspolitik, innenpolitische Auseinandersetzungen wegen Banzers Mitgliedschaft in der Militärregierung der 70er, wiederholte Ausrufung des Ausnahmezustandes, 2001 Rücktritt Banzers, Übergangspräsident Jorge Quiroga. 2002 Sánchez de Lozada erneut zum Präsidenten gewählt, Rücktritt Okt. 2004 nach Protesten gegen geplante Erdgasexporte in die USA, Ernennung des vormaligen Vizepräsidenten Carlos Mesa zum neuen Staatsoberhaupt. Bollandisten, Jesuitengesellschaft, beschäf­ tigten sich mit Erforschung der Heiligengeschichten, Herausgeber der ↑ Acta Sanctorum, benannt nach dem Gründer Jean Bolland, 1596–1665. Bologna, Hauptstadt der ital. Landschaft Emilia; „Felsina“ der Etrusker, danach „Bonoma“ der kelt. Boier, 189 v. Chr. von den Römern erobert; im MA zeitweilig beim byzantin. ↑ Exarchat; 1167 Beitritt zum Lombard. Städtebund, guelfisch; unterwarf sich nach Machtkämpfen der Geschlechter 1512 dem Papst; bis 1860 beim Kirchenstaat, dann Anschluss ans Königreich Sardinien; besitzt älteste europ. Universität, gegr. 1119; im MA wichtigste Pflegestätte des röm. Rechtes; in B. fand 1530 die letzte Kaiserkrönung (Karl V.) statt und tagte 1547/48 das ↑ Tridentinische Konzil. Bolschewismus, ehem. Bez. für das kommunist.-totalitäre Gesellschafts-, Staats-, Wirtschafts- und Kultursystem der Sowjet­ union mit Anspruch auf Weltgeltung, beruhend auf den Sozialisierungs- und Weltrevolutionsideen des ↑ Marxismus, getragen vom imperialist. slaw. Sendungsbewusstsein des 19. Jh. und der Philosophie des dialekt. Materialismus (Denken, geistiges Leben und Streben des Menschen werden allein durch die ständige Veränderung der wirtschaftlichen Produktionsverhältnisse, des gesellschaftlichen Seins, bestimmt); Ziel: über eine im marxist. Prozess oder durch revolutionäre Taktik er-

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Bolz richtete (Minderheits-)Diktatur des (bäuerlichen und industriellen) Proletariats zur klassen- und staatslosen Menschheit, gegebenenfalls unter vorübergehenden Kompromissen. Der B. der UdSSR wurde getragen von der staatsregierenden Partei (KPdSU) und ihren Spitzengremien: Zentralkomitee, Parteipräsidium, Parteisekretariat und der vom Parteitag gewählten Parteikontrollkommission. Bolz, Eugen, dt. Jurist und Staatsmann, 1881–1945; seit 1912 Mitglied im Zentrum; unterstützte als württemberg. Staatspräsident (1928–1933) die Politik ↑ Brünings und bekämpfte den Nationalsozialismus; 1933 für mehrere Wochen in Haft, unterhielt Verbindungen zu den Widerstandskreisen um ↑ Goerdeler; nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und hingerichtet. Bombay, auf einer Insel an der W-Küste Vorderindiens; eine der größten Hafenund Industriestädte Asiens; 1534 portugiesisch, 1661–1947 englisch; Hauptsitz der pars. Feueranbeter, der Nachkommen der altpersischen Religion Zarathustras; in der Vorstadt Malabar Hill „Türme des Schweigens“, auf denen die Toten ausgesetzt werden. Bomben, eiserne Behälter mit Sprengla­ dungen; als erster ließ Malatesta, Fürst von Rimini, B. aus zwei eisernen Halbkugeln anfertigen, die durch einen Zünder (ital. „bomba“) zur Detonation gebracht worden (1433), seit Ende des 15. Jh. als Granaten in artillerist. Gebrauch; vor dem Abfeuern der Geschütze werden die Zünder durch Anbrennen mit der Lunte in Gang gesetzt, Geschoss- und Aufschlagzünder kamen im 19. Jh. auf, chemische und Uhrwerkszünder 19./20. Jh. (Bezeichnung Bombe durch Granate verdrängt); Flieger-B. seit 1. Weltkrieg; mit Dynamit gefüllte, geworfene B. im 19. Jh. bevorzugte Kampfmittel revolutionärer Anarchisten und Nihilisten, vor allem in Russland; zahlreiche Herrscher und Minister

fielen B.-Attentaten zum Opfer; zur Bedrohung der Menschheit wurden seit 1945 die Atombomben. Bonaparte, eigtl. (ital.) Buonaparte, kors. Familie, im 16. Jh. von Genua eingewandert; ihr entstammen die Napoleoniden, u. a. die Kaiser ↑ Napoleon (B.) I. und Napoleon III.; Vater Napoleons I. war Carlo B., Advokat in Ajaccio, 1746–1785; Mutter Lätitia, geb. Ramolino, 1750– 1836; Napoleon der zweitälteste Sohn, seine sieben Geschwister: 1) B., Joseph, 1768–1844; 1806 König von Neapel, 1808–1814 von Spanien. 2) B., Lucian (Luden), 1775–1840; 1799 entscheidend beteiligt am Staatsstreich (18. Brumaire), anschließend Innenminister; befürwortete das Konkordat mit der Kurie, überwarf sich mit seinem Bruder; 1814 vom Papst mit dem Fürstentum Cassino belehnt. 3) B., Elisa (Marie-Anna), 1777– 1820; 1805 Fürstin von Piombino, 1809 Großherzogin von Toskana. 4) B., Ludwig (Louis), 1778–1846; 1806–1810 König von Holland, Vater Napoleons III. aus der Ehe mit Hortense ↑ Beauharnais. 5) B., Pauline, 1780–1825; verheiratet mit Fürst Borghese. 6) B., Karoline, 1782–1839; verheiratet mit Joachim Murat, 1806 Großherzogin von Berg, 1808–1814 Königin von Neapel. 7) B., Jérôme, 1784– 1860; 1807–1813 König von Westfalen, bestgehasster Napoleonide in Deutschland; 1850 Marschall von Frankreich, unter Napoleon III. zum Kronerben ernannt; sein jüngster Sohn Napoleon Joseph Karl Paul bonapartist. Thronprätendent, im Volksmund „Prinz Plon-Plon“ genannt; 1822–1891. Bonapartismus, in der polit. Literatur jedes Regime im Stile Napoleons I. oder Napoleons III.; in der Regel Produkt und Abschluss von Revolutionen, gekennzeichnet durch die Mischung autoritärer, konservativer Formen mit demokrat. und sozialen Errungenschaften; dem B. als einer Sonderform der Diktatur sind bes. die Beru118

Bono fung auf den Volkswillen und die Vorliebe für Volksabstimmungen (Plebiszite) eigentümlich, wenn deren günstiger Ausgang von vornherein mit Sicherheit einberechnet werden kann; außenpolit. Verbindung von Machtpolitik und Nationalismus, nach Bedarf Berufung auf das nationale Selbstbestimmungsrecht, im Gegensatz zum legitimist. Prinzip (↑ Legitimisten); Auflösung der europ. Staatenordnung von 1815 war das außenpolit. Hauptziel des B. im 19. Jh., verfochten von Napoleon III. Bonapartisten, Anhänger der Familie Bonaparte und Verfechter ihrer Thronansprüche nach dem Sturz Napoleons I., bekämpften die Republikaner wie die Anhänger der Häuser Bourbon und Orléans; seit dem Tode des Prinzen Lulu (Sohn Napoleons III.) polit. nicht mehr bedeutend, halten aber noch heute an der Thronkandidatur der Nachkommen Jerómes, des Bruders Napoleons I., fest. Bonhoeffer, Dietrich, dt. ev. Theologe, 1906–1945; seit 1931 Studentenpfarrer und Privatdozent in Berlin, 1935 Leiter des (illegalen) Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde; schloss sich der polit. Widerstandsbewegung gegen das Dritte Reich an, 1943 verhaftet, in den letzten Kriegstagen hingerichtet. Bonifatius, hl., eigentlich Winfrid, bedeutender Vertreter der angelsächs. Mission, gen. „Apostel der Deutschen“, Benediktiner, um 672–754; 719 in Rom mit Germanenmission beauftragt; 722 in Rom zum Bischof geweiht. Missionar in Thüringen, Hessen und Friesland, Gründer der Klöster Fulda und Fritzlar; 738 päpstlicher Legat von Deutschland und kirchlicher Organisator, gründete Bistümer (Freising, Regensburg, Passau, Salzburg, Würzburg, Fritzlar, Eichstätt, Erfurt); 745/746 (Titular-)Erzbischof von Mainz; bei neuem Missionszug von Friesen erschlagen; in Fulda begraben. Bonifatius, Bonifaz, Name von neun Päpsten; der bedeutendste: B. VIII. (Be-

nedikt Gaetani, 1294–1303); betrachtete sich seit 1300 auch in weltlicher Hinsicht als der Universalherr Europas, bekämpfte erbittert Philipp IV. von Frankreich, verkündete 1302 in der Bulle „Unam sanctam“ (↑ Zweischwerterlehre) den Vorrang der geistlichen vor der weltlichen Gewalt; starb an der Demütigung durch den frz. Überfall in Anagni 1303. Bonifatius, weströmischer Feldherr, Statthalter in Afrika seit 422 n. Chr., rief die Vandalen nach Afrika, besiegte Aetius, gestorben 432. Bonn, alte Stadt der Ubier, röm. Bonna oder Castra Bonnensia, von Drusus etwa 15 v. Chr. gegr., in der Völkerwanderung wiederholt zerstört und wieder aufgebaut, 1273–1794 Residenz der Kurfürsten von Köln; im „Münster“ wurden Friedrich der Schöne und Karl IV. gekrönt; Schlossbau seit 1692; 1801 an Frankreich, 1814 an Preußen, seit 1949 Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland; Universität seit 1786 (bzw. 1818). 1949–1990 Hauptstadt, bis Mitte 1999 Regierungssitz der Bundesrepublik. Bonner Vertrag, ↑ Deutschland-Vertrag. Bonset, Georges, frz. Jurist und Politiker, 1889–1973; 1925–1940 Minister verschiedener Ressorts, unterzeichnete als Außenminister ↑ Daladiers das Münchner Abkommen. Bonneval, Claude Alexandre Graf von, frz. Abenteurer, 1675–1747; zuerst in der frz. Marine, dann im frz. Heer, dann in der österr. Armee, kämpfte als österr. General gegen Frankreich und gegen die Türken, 1724 wegen Zerwürfnissen verabschiedet, ging 1729 zu den Türken über, zum Islam übergetreten, organisierte als Achmed Pascha das türkische Heereswesen. Bono, Emilio de, ital. General und Mitbegründer des Faschismus, 1886–1944; 1935 Oberkommandierender, im Krieg gegen Abessinien durch Badoglio ersetzt, half 1943 Mussolini stürzen; 1944 erschossen.

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Bootgrab Bootgrab, vor- und frühgeschichtliche

Form der Beisetzung in einem Boot, vorwiegend in N-Europa; bes. in der Wikingerzeit, meist mit reichen Grabbeigaben. Das bedeutendste B. wurde 1903 in Oseberg am Oslofjord entdeckt. Booth, William, 1829–1912; Begründer der Heilsarmee in London 1878. Böotien, alte griech. Landschaft zwischen dem Sund von Euböa und der Straße von Korinth, Hauptstadt Theben; im 4. Jh. v. Chr. polit. bedeutsam, Widersacher Spartas. Bordeaux, an der Garonne, Hauptstadt des Dep. Gironde; im Altertum (Burdigala) Hauptstadt der röm. Provinz Aquitanien (reiche Überreste aus der Römerzeit); 507 von den Franken, 732 von den Arabern erobert, 735 von Karl Martell zurückerobert; im 9. Jh. von den Normannen geplündert; 1154 an England (Heinrich II. von Anjou), Beginn des wirtsch. und kulturellen Aufstiegs; Hauptstadt des Herzogtums Guyenne (bei England); 1451–1453 von Frankreich zurückgewonnen; in der Frz. Revolution Hauptort der Girondisten; 1870/71 Mittelpunkt der nationalen Verteidigung (Gambetta), Sitz der Nationalversammlung; im 1. Weltkrieg Sitz der frz. Regierung. Borghese, röm. Adelsgeschlecht, nach ihm benannt die Villa B. in Rom (17. Jh.) mit berühmten Kunstschätzen; Fürst Camillo B. war 1803–1814 mit Napoleons Schwester Pauline verheiratet. Borgia, aus der span. Provinz Valencia stammendes Adelsgeschlecht, das in Italien zur Macht gelangte und zwei Päpste, ↑ Kalixtus III. und ↑ Alexander VI., stellte; dessen natürlicher Sohn Cesare B., 1475– 1507, schaffte sich gewaltsam ein Herzogtum in der Romagna, ermordete seinen Bruder Juan, wurde 1493–1498 ohne Priesterweihe Kardinal, musste seine Eroberungen 1503 herausgeben und fiel in Spanien; er verkörperte den skrupellosen Renaissancefürsten und das polit. Ideal

↑ Machiavellis; seine Schwester Lucrezia

B., 1480–1519, war in dritter Ehe vermählt mit Herzog Alfonso von Ferrara und machte dessen Hof zu einem glänzenden Sammelpunkt bedeutender Künstler, Gelehrter und Dichter; ihr schlechter Ruf beruht vermutlich auf zeitgenössischen Verleumdungen. Boris, 1) B. I. Michael, erster christlicher Bulgarenzar (Khan) (852–889); 865 ostkirchlich getauft; Nationalheiliger, zuletzt im Kloster, gest. 907. 2) B. III., Zar von Bulgarien 1894–1943, Zar ab 1918; stand im 2. Weltkrieg auf der Seite Deutschlands und regierte seit Hitlers Machtübernahme 1933 sein Land als autoritärer Herrscher; wurde jedoch aufgrund sowjetischer Drohungen im Krieg nicht aktiv. 3) B., Godunow, ↑ Godunow. Bormann, Martin, dt. Politiker, geb. 1900, seit 1945 verschollen, 1973 offiziell für tot erklärt. B. war seit 1930 in der obersten Parteiverwaltung der NSDAP tätig, 1941 Leiter der Parteikanzlei, 1943 „Sekretär des Führers“, gewann großen Einfluss auf Hitler. 1946 vom Nürnberger Gerichtshof in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Börne, Ludwig, polit. Schriftsteller und Kritiker, 1786–1837; radikaler Demokrat des Vormärz, lebte in Paris im Exil, Meister des journalistischen Feuilletons, durch seine „Pariser Briefe“ wurde er zum literarischen Abgott des „Jungen Deutschland“. Bornhöved, Ort in Schleswig, südl. Kiel; 1227 Sieg der norddt. Fürsten unter führender Teilnahme der Stadt Lübeck über den Dänenkönig Waldemar II.; das Land bis zur Eider blieb bei Deutschland. Bornu, ehemaliges afrikan. Reich südwestl. des Tschadsees (Hauptstadt Kuka); begr. wahrscheinlich schon im 10. Jh. n. Chr., zeitweise mit Kanem vereinigt, unter einem ausgewanderten König von Kanem um etwa 1500 selbständig. Zentrum des Islam im mittleren Sudan; Handel bis zum Mittelmeer (Tripolis); Anfang des 120

Bosporus 19. Jh. von den Fulbe bedrängt; Scheich Omar von B. Förderer der Afrikareisenden Barth, Overweg, Vogel, Rohlfs, Nachtigal; 1883–1901 unter der despot. Herrschaft des arab. Sklavenhändlers Rabeh; dann Hauptteil zur brit. Kolonie Nigerien, ein Teil zur dt. Kolonie Kamerun, der Rest zu Frz.-Äquatorialafrika. Borodino, Dorf im Gouvernement Moskau; 1812 verlustreicher Sieg Napoleons über die Russen unter Kutusow. Borromäus (Borromeo), Carlo, Graf, Kardinal und Erzbischof von Mailand, hl., 1538–1584; bedeutender, asketischer Kirchenpolitiker nach dem Tridentin. Konzil, wirkte für Erneuerung des kirchlichen Lebens, insbes. der Mönchsorden. Börse, im alten Rom gab es bereits im 1. Jh. v. Chr. die „Collegia mercatorum“ (Zusammenkünfte der Kaufleute); im MA Handelshallen (seit dem 13. Jh.); Börsen im modernen Sinne, d. h. gesetzlich organisiert, entstanden zuerst in Antwerpen 1531, Lyon und Toulouse 1546, in London 1566; in Hamburg seit 1558, in Berlin seit 1716; der Name wurde abgeleitet von einer Familie van der Burse in Brügge, Anfang 16. Jh., deren Wahrzeichen – der Geldbeutel – das Gebäude schmückte, in dem die Kaufherren schon seit dem 13. Jh. regelmäßig zusammenkamen, um hier mit Tauschgütern zu handeln, die beim Geschäftsabschluss nicht zur Stelle zu sein brauchten. – In Deutschland ist seit der Börsenreform von 1934 die Anzahl der Effektenbörsen von 21 auf 9 verringert, um leistungsfähige Märkte zu schaffen. Borsig, August, dt. Maschinenbauer und Industrieller, 1804–1854; erbaute die ersten dt. Lokomotiven. Bosch, 1) B., Carl, dt. Chemiker und Industrieller, 1874–1940; (mit Haber) Verfahren zur Stickstoffgewinnung aus der Luft (Ammoniak-Synthese aus Luftstickstoff), Verfahren zur Kohleverflüssigung; Nobelpreis 1931. – B., Robert, dt. Industrieller, 1861–1942, entwickelte die Mag­

netzündung für Verbrennungsmotoren und versah als erster Kraftwagen mit einheitlicher elektr. Ausrüstung. Bosnien, histor. Landschaft Jugoslawiens, urspr. von Illyrern bewohnt; gehörte in röm. Zeit zur Provinz Dalmatien; seit 600 von Südslawen (Kroaten und Serben) besiedelt; unter der Herrschaft von Fürsten (Titel: Ban) und unter ungar. Oberhoheit; von Ban Stephan Twertko I. (1353–1391) geeinigt und 1377 Königreich, Verfall und Adelsherrschaft unter den Nachfolgern; 1463 von den Türken unterworfen (Herzegowina, der südwestl. Teil, erst 1482); Übertritt des Großteils des Adels zum Islam; 1875 Aufstand, 1878 durch den Berliner Kongress unter österr. Verwaltung, langwierige und blutige Niederwerfung des Aufstands, wirtsch. und kulturelle Erschließung (Bahnen, Straßen, Schulen); 1908 Eingliederung in den österr.-ungar. Staatsverband (Annexions- oder ↑ Bosn. Krise); Herd des großserb. Nationalismus; 28. Juni 1914 Ermordung des österr. Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo; 1919 zu Jugoslawien; im 2. Weltkrieg erbitterter Widerstand gegen dt.-ital. Besetzung. Seit 1992 Landesteil der Republik Bosnien-Herzegowina. Bosnische Krise, von 1908/09, Österreich, von Deutschland diplomatisch unterstützt, annektierte das von ihm bereits seit 1878 (↑ Berliner Kongress) besetzte Bosnien mit der Herzegowina und verschärfte dadurch die polit. Gegensätze zwischen den europ. Großmächten vor dem 1. Weltkrieg. Bosporus (griech., „Rinderfurt“), Meerenge von Konstantinopel; im Altertum thrak. B., Ausgang aus dem Schwarzen Meer ins Marmarameer und durch die ↑ Dardanellen ins Mittelmeer; Öffnung oder Beherrschung der türk. Meerengen seit dem 18. Jh. eines der Hauptziele der russ. Politik; „Kranker Mann am B.“ = Spottname im 2. Teil des 19. Jh. für die verfallende Türkei. – Kimmerischer B. hieß

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Bossuet in der Antike die Straße von Kertsch; hier entstand um 480 v. Chr. auf beiden Landseiten das Bosporan. Reich, dessen letzter König sich ↑ Mithradates VI. von Pontus unterwarf; kam unter röm. Oberhoheit, dann unter die Herrschaft der Sarmaten, Ostroms, der Chasaren und Tataren. Bossuet, Jacques Bénigne, frz. Theologe, Kanzelredner, Historiker, 1627–1704; 1681 Bischof von Meaux („Der Adler von Meaux“), vertrat die Rechte der gallikan. Kirche, diente andererseits der kath. Kirche durch Bekämpfung des ↑ Quietismus und dessen Verteidigers Fenelon wie des Protestantismus, als dessen Grundfehler er die konfessionelle Zersplitterung der Kirchen ansah; betrieb die Aufhebung des ↑ Edikts von Nantes; Verfasser einer Universalgeschichte im Geiste der Geschichtsphilosophie des MA. Boston, Hauptstadt des nordamerikischen Staates Massachusetts. 1630 von Puritanern gegründet, Mittel- und Ausgangspunkt der Unabhängigkeitsbewegung der nord­amerikan. Kolonien; 1770 blutiger Zusammenstoß mit englischen Truppen („B. Massacre“); 1773 Bostoner Teesturm („B. Teaparty“), bei dem als Indianer verkleidete Einwohner eine Schiffsladung unverzollten Tee der Ostindischen Kompanie ins Wasser warfen. – 1638 wurde nahe B. die Cambridge-Harvard-Universität, die älteste der Neuen Welt, gegr. (↑ Unabhängigkeitskrieg). Bos(t)ra, antike Stadt in Syrien, Kultur­ mittelpunkt, Tempel der Astarte; seit 105 n. Chr. röm. Provinzialhauptstadt (Prov. Arabia): Beginn der „Bostran. Ära“ für das Ostjordanland (↑ Zeitrechnung); später byzantinisch. Botha, 1) B., Louis, südafrikan. Staatsmann und General, 1862–1919; kämpfte gegen die Engländer im Burenkrieg, 1907 Ministerpräsident von Transvaal, 1910– 1919 erstes Ministerpräsident der Südafrikan. Union, eroberte 1915 Deutsch-Südwest-Afrika. 2) B., Pieter Willem, südafri-

kan. Politiker, geb. 1916; seit 1948 Parlamentsabgeordneter für die National Party, 1961–66 Minister für Städtebau, öffentliche Arbeiten und Angelegenheiten der Farbigen, seit 1966 Parteiführer der NP in der Kap-Provinz, 1966–80 Verteidigungsminister. Seit 1978 auch Ministerpräsident, versuchte B. die Situation der Farbigen im Alltagsleben zu verbessern, ohne jedoch des System der Apartheid (Rassentrennung) insges. anzugreifen. Nach Verfassungsreform 1984 zum 1. exekutiven Präsidenten der Zweiten Republik gewählt, der in Personalunion die Ämter des Staatsoberhauptes sowie des Regierungschefs vereinigt; amtierte bis 1989. Bothwell, James Habburn, Earl of, schott. Abenteurer, um 1536–1578; ermordete 1567 Darnley, den Gemahl Maria Stuarts, die er danach selbst heiratete; vertrieben, in dän. Gefangenschaft gestorben. Botswana, Republik im südl. Afrika; seit 1885 war das nördl. Betschuanaland brit. Protektorat, bis 1962 Angliederungsbestrebungen Südafrikas. 1966 entließ Großbritannien B. in die Unabhängigkeit. Als einer der schwarzafrikanischen „Frontstaaten“ im Rhodesienkonflikt (bis 1979) befand sich B. wegen seiner starken wirtsch. Abhängigkeit von der Republik Südafrika in einer besonders exponierten Situation. Böttger, Johann Friedrich, Erfinder des (europ.) Porzellans, 1682–1719; Apotheker, Alchimist und vermeintlicher „Goldmacher“, von August dem Starken deshalb gefangen gehalten, erfand (1708/09) statt Gold zus. mit Tschirnhaus das rotbraune „B.-Porzellan“, später das weiße (chines.); daraufhin Gründung der Meißener Porzellan-Manufaktur. Botzaris, Markus, Held des griech. Freiheitskampfes, um 1788–1823; zeichnete sich bei der ersten Belagerung von Missolunghi aus, fiel im Kampf gegen die Albanesen; Lieblingsgestalt des griech. Volksliedes. 122

Bourges Bougainville, Louis Antoine de, 1729– 1811; frz. Weltumsegler (1766–1769) und Südseeforscher. Bouillon, Gottfried von,↑ Gottfried von B. Bouillon, belg. Stadt südl. Namur; ehemals Grafschaft, 1023 Herzogtum, 1096 von Gottfried von B. an das Bistum Lüttich verpfändet; später dem Haus Latour gehörig; 1814 zu Luxemburg; 1837 zu Belgien. Boulanger, Georges Ernest, frz. General und Politiker, 1837–1891; 1886–1887 Kriegsminister, Chauvinist, gefährdete den europ. Frieden durch intensive RevanchePropaganda (für 1870/71); gestürzt, floh nach Brüssel und beging Selbstmord. Boulogne-sur-Mer, Gründung der belg. Moriner, röm. Portus Gesoriacus; 1435– 1477 bei Burgund, danach bei Frankreich, 1544–1550 von den Engländern besetzt; berühmt durch das von Napoleon für eine Invasion Englands 1803–1805 errichtete Lager von B. Boumedienne, Houari, alger. Offizier und Politiker, 1925–1978; schloss sich 1954 Ben Bella an, wurde 1960 Generalstabschef der Befreiungsarmee. B. stützte Ben Bella bei der Machterrichtung im unabhängigen Algerien, stürzte ihn jedoch 1965 und wurde Staatspräsident. Bourbaki, Charles Denis Sauter, frz. General, 1816–1897; kämpfte im Krimkrieg, bei Solferino und im Dt.-Frz. Krieg 1870/71; als Führer der Ostarmee bei Betfort geschlagen. Bourbon, Herzog Karl von, Connétable von Frankreich, 1490–1527; frz. Feldherr, siegte 1515 im Dienste Franz’ I. bei Marignano, ging 1523 zu Kaiser Karl V. über, weil die Königinmutter Luise mit Erfolg gegen ihn intrigierte, führte 1524 ein kaiserliches Heer in die Provence, hatte Anteil am Sieg von Pavia 1525 über Franz I.; fiel bei der Erstürmung Roms. Bourbonen, frz. Herrschergeschlecht, Nebenlinie der ↑ Capetinger, benannt nach der Stammburg Bourbon l’Archambault

im Bourbonnais, die ein Sohn Ludwigs IX. 1272 durch Heirat erworben hatte; Grafschaft B. 1327 zum Herzogtum erhoben, 1523 nach dem Abfall des Connétable Charles de B. zus. mit anderen bourbon. Besitzungen (Herzogtum Auvergne) von der Krone eingezogen; 1527 erlosch die ältere Linie des Hauses; die Seitenlinie Vendôme gelangte zunächst auf den Thron von Navarra und 1589 mit Heinrich IV. auf den frz. Thron, regierte in gerader Linie bis 1792 (Frz. Revolution) und nochmals 1814–1830; Seitenlinien Condé, Condi und Orléans. In Spanien erlangte das Haus B. durch den Enkel Ludwigs XIV., Philipp, 1700, endgültig 1714 den Thron, den es bis 1931 inne hatte. Im Königreich beider Sizilien herrschte eine Nebenlinie der span. Bourbonen von 1738–1860; ein Seitenzweig im Herzogtum Parma und Piacenza bis 1859. Bourgeois, Léon, frz. Staatsmann, 1851– 1925; 1919 1. Präsident des Völkerbundes; Friedensnobelpreis 1920. Bourgeoisie (frz. bourgeois, Bürger); kam als Schlagwort zur Kennzeichnung der „besitzenden Klasse“ in der Frz. Revolution auf, verbreitet jedoch erst durch das Werk von Karl Marx, in dessen Schrift „Wissenschaftlicher Sozialismus“ die B. als Trägerin des kapitalist. Systems analysiert und als historische Gegenspielerin des ↑ Proletariats im entscheidenden (industriellen) Stadium des Klassenkampfes ausgegeben wurde; nach Erfüllung ihrer historischen Mission (Überwindung des Feudalismus, Ausbildung des kapitalist. Systems bis zum Monopolkapitalismus) selbst zum Untergang verurteilt; durch die marxist. Literatur wurde „Bourgeois“ im 19. Jh. zu einem der meistgebrauchten polit. Schimpfworte, sinngemäß „Ausbeuter“. Bourges, frz. Stadt zwischen Paris und Orléans; Galliersiedlung, 52 v. Chr. von Cäsar erobert („Avaricum“ nach dem Fluss Avara = Yevre, später „Bituricae“

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Bouteflika benannt); im 5. Jh. in den Händen der Westgoten, 583 fränkisch; Erzbistum mit einer der größten Kathedralen der Welt (got., 13./14. Jh.); bis zum Auftreten der Jungfrau von Orléans Residenz König Karls VII. (König von B., zunächst nur im Süden Frankreichs anerkannt). Konzil von B. von 1438 verteidigte unter Vorsitz Karls VII. die gallikan. Kirche gegen die Papstgewalt; Verhältnis geregelt durch die Pragmatische Sanktion von B. Bouteflika, Abdul Aziz, alger. Politiker, geb. 1937; 1963–1979 Außenminister, seit 1965 Mitglied des Revolutionsrates, 1979/80 Berater des Präsidenten, seit 1999 Staatspräsident. Bouvines, zwischen Lille und Tournay; 1214 entscheidende Niederlage König Ottos IV. (welf.-engl. Bündnis) durch den frz. König Philipp II. August; Philipp übersandte den auf dem Schlachtfeld zurückgelassenen goldenen Reichsadler Friedrich II.; „von da an“, schrieb der Chronist, „sank das Ansehen der Dt. bei den Welschen“ (Frankreich beendete den Thronstreit); Frankreichs Aufstieg zur vorherrschenden Macht in Europa angebahnt, das frz. Königtum siegte über die Kronvasallen; England musste seine Hoffnung auf Rückgewinnung der Normandie begraben, im Innern Zugeständnisse an die Stände (Magna Charta 1215). Boxer, chinesischer Geheimbund, dessen Aufstand 1900 gegen die weißen Kolonial­mächte zur Belagerung des Pekinger ­Gesandtschaftsviertels und zur Ermordung des dt. Gesandten von Ketteler in Peking führte; Strafexpedition der Großmächte (B.-Krieg) und 1901 B.-Protokoll (chines. Sühneleistungen). Boyen, Hermann von, preuß. General und Heeresreformer, 1771–1848; Mitarbeiter Scharnhorsts bei der Reorganisation des Heeres nach dem Tilsiter Frieden, 1814–1819 Kriegsminister, Schöpfer der ↑ Landwehr; von konservativen Kreisen beargwöhnt; nahm bei Anbruch der Reak-

tion seinen Abschied; 1841 erneut berufen (bis 1847). Boyneburg, Konrad von B. (Bemelberg), dt. Landsknechtsführer unter Frundsberg, 1494–1567; erstürmte 1527 Rom (↑ Sacco di Roma). Bozen, Hauptstadt der autonomen Provinz Bozen in Südtirol (Italien); bereits in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt, 14. v. Chr. röm. Straßenstation; im 7. Jh. Sitz einer langobard. Grafschaft, zw. den Grafen von Tirol und den Bischöfen von Trient umstritten, 1531 endgültig an Tirol; das B.er Handels- und Wechselgericht (1635) war Vorbild für ähnl. Einrichtungen in Frankfurt/M., Leipzig und Wien. 1805 mit Tirol an Bayern, 1810 an das napoleon. Königreich Italien, 1815 an Österreich, 1919 mit Südtirol an Italien. Brabant, belg. Provinz, Hauptstadt Brüssel; ehemals Kern von Niederlothringen, dessen Herzöge sich seit 1190 „Herzöge von B.“ nannten; 1355 zum Haus Luxemburg, seit 1406 bei Burgund, 1430 mit diesem vereinigt; 1477 an Habsburg, 1555 spanisch, 1648 nördl. Teil von den Holländern erobert, südl. Teil bis 1714 spanisch, dann österreichisch, 1830 zu Belgien. B. war von Ende des 14. Jh. bis zur Mitte des 16. Jh. wirtsch. und kultureller Mittelpunkt der Niederlande (B.er Leinen). Bradshaw, John, engl. Rechtsgelehrter, 1649 Lordpräsident des Gerichtshofes, der Karl I. zum Tode verurteilte. Braganza, portug. Dynastie, stammte von Alfons von Portugal (1442 Herzog von B.) ab; 1640–1853 auf dem portug. Thron; stellte 1822–1889 auch die Kaiser von Brasilien. Brahe, Tycho, dän. Astronom, 1546– 1601; arbeitete im Auftrag Landgraf Wilhelms IV. am ersten mit drehbarer Kuppel versehenen Observatorium in Kassel, errichtete 1576 auf der dän. Insel Ven ein eigenes Observatorium, erneuerte und berichtigte die Beobachtungsmethoden; seit 1597 in Prag, versuchte das ptole124

Brandt mäische und kopernikan. Weltsystem zu ­vereinen; Lehrer Keplers, der auf seinen Beob­achtungen aufbaute und sie weiterentwickelte. Brahmanismus, Lehre der Brahmanen, etwa im 6.–8. Jh. v. Chr., ausgebildet, ind. pantheist. Religion, in der indo-arischen Religionsentwicklung die zweite Stufe, die auf die „vedische“ Stufe folgte; Entwicklungsreihe: Vedismus (↑ Veden), Brahmanismus (↑ Hinduismus); der B. verdrängte in Indien den Buddhismus weitgehend. Im Mittelpunkt steht der geistige „Brahma“, die Weltseele, Urgrund des Lebens, das höchste göttl. Wesen; der Weg zu seiner Erkenntnis führt über Opfer und Opfergebet; sittliches Handeln fördert die Seelenwanderung; der Übergang von einem Leben ins andere vollzieht sich stufenweise, daher ausgeprägtes Kastensys­ tem, an der Spitze die geheiligte Kaste der Brahmanen (Priester). Brakteaten (lat. nummi bracteati, Blechmünzen), nur auf einer Seite geprägte, sehr dünne Silber- (selten Gold-)münzen des dt. MA und der Neuzeit, 12.–17. Jh. Brandenburg, 1) B., auch „die Mark“ schlechthin; bis zur Völkerwanderung Land der germanischen Semnonen, später der slaw. Wenden, von ↑ Albrecht dem Bären Mitte 12. Jh. erobert, seit 1144 Markgrafschaft, seit 1157 endgültig dt.; von Albrechts Nachkommen, den Askaniern (1134–1320), Erwerb von Teltow und Barnim, der Uckermark und der Gebiete Lebus und Stargard, der Oberlausitz, der Neumark, der Niederlausitz; 1231 Lehens­ hoheit über Pommern; 1320–1373 unter den Wittelsbachern, 1373–1411 unter den Luxemburgern; ab 1411 bzw. 1417 (feierliche Belehnung Friedrichs VI.) unter den Hohenzollern, Kurwürde seit 1415; 1473 durch Hausgesetz (Dispositio Achillea, ↑ Albrecht Achilles) Unteilbarkeit und Trennung von dem fränk. Herzogtum der Hohenzollern; 1539 Einführung der Reformation (jedoch außerhalb des Schmal-

kald. Bundes); danach Verbindung mit der Geschichte ↑ Preußens. B. seit 1815 preuß. Provinz, 1947–1952 Land der DDR, 1952 Dreiteilung (Bezirke Cottbus, Frankfurt/Oder, Potsdam); seit 1990 Bundesland. 2) B., Stadt, das altwend. Brennabor (Brennaburg, Burg auf gebrannter Rodung); 928 von Heinrich I. den Hevellern entrissen; 948 Bistum, 1161 durch Al­ brecht den Bären neu eingerichtet, 1571 säkularisiert; 1848 Sitz der preuß. Nationalversammlung. Brandenburg, Friedrich Wilhelm, Graf von, preuß. General und Staatsmann, 1792–1850; Sohn König Friedrich Wilhelms II., trat 1848 an die Spitze eines reak­ tionären Ministeriums und oktroyierte nach Auflösung der preuß. Nationalversammlung die neue Verfassung, stimmte der ↑ Olmützer Punktation zu. Brandström, Elsa, schwed. Rote-KreuzSchwester, 1888–1948; betreute im 1. Weltkrieg die dt. und österr. Kriegsgefangenen in Russland („Engel von Sibirien“). Brandt, Willy, dt. Politiker, 1913–1992; emigrierte 1933 nach Norwegen und arbeitete dort und in Schweden als Journalist. 1945 kehrte B. als Korrespondent skandinavischer Zeitungen nach Deutschland zurück, seit 1948 in der SPD tätig. 1957–1966 war B. Regierender Bürgermeister von Berlin. 1964 wurde er zum Parteivorsitzenden der SPD gewählt. Als Außenminister (1966–1969) bemühte B. sich um eine Aktivierung der Ostpolitik; 1969 Wahl zum Bundeskanzler, Fortsetzung der Entspannungspolitik (Dt.-Sow­ jet. Vertrag 1970, Dt.-Poln. Vertrag 1970, Viermächteabkommen über Berlin 1971); 1971 Friedensnobelpreis. 1974 Rücktritt als Bundeskanzler, B. übernahm die politische Verantwortung im Zusammenhang mit dem Spionagefall Guillaume. Seit 1976 Präsident der Sozialist. Internationale, seit 1977 Vorsitzender der unabhängigen Internat. Nord-Süd-Kommission,

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Brasidas trat 1987 von seinem Amt als Parteivorsitzender der SPD zurück, bis zu seinem Tod Ehrenvorsitzender. Brasidas, spartan. Feldherr im Peloponnes. Krieg, eroberte 424 die att. Kolonie Amphipolis in Thrakien, schlug 422 v. Chr. das athen. Entsatzheer unter Kleon. Brasilien, Bundesrepublik in S-Amerika; 1500 von Cabral als erstem Europäer betreten; 1500–1815 portug. Kolonie; seit 1531 Besiedlung und königliche Verwaltung; Versklavung der Küstenindianer; Schutz für Indianer durch Jesuiten (seit 1549, sie wurden als Arbeiter durch Negersklaven ersetzt); Anbau von Zuckerrohr und Baumwolle; 1630–1654 setzten sich die Holländer in Teilen B.s fest; seit 1695 Gold-, seit 1730 Diamantenfunde; 1763 wurde Rio de Janeiro Hauptstadt; 1797 soziale Unruhen unter dem Einfluss der Ideen der Frz. Revolution; 1807–1820 Rio de Janeiro Sitz der vor Napoleon geflüchteten portug. Regierung; der Regent Pedro, Sohn König Johanns VI. von Portugal, betrieb die Unabhängigkeit und ließ sich 1823 zum Kaiser krönen (Pedro I.); 1826 Verbot der Sklaveneinfuhr. 1826 Abfall Uruguays; unter Pedro II. (1841– 1889) wirtsch. Aufstieg (Kaffeeanbau); Pedro scheiterte an Sklavenfrage (1888 Abschaffung der Sklaverei) und polit. Militär; B. seit 1891 Republik (Vereinigte Staaten von B., 20 Bundesstaaten); innere Entwicklung oft gehemmt durch Auseinandersetzungen zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten. Aufstände und Finanzkrisen (Kaffeepreise), außenpolit. gutes Einvernehmen mit den USA, aber Rivalität mit Argentinien, gemildert durch Zusammenschluss zu den ↑ ABC-Staaten 1899; kulturell Anlehnung an Portugal; Entwicklung zum Industriestaat, zunehmende Stadtbildung, starke Einwanderung; im Zusammenhang mit wirtsch. Krisen (vor allem auf dem Kaffeemarkt) wiederholte Aufstände, 1930–1945 und 1950–1954 autoritäres Regime des Präsidenten Var-

gas; 1960 neue Hauptstadt Brasilia. Probleme: Währungssicherung, Agrarreform, Steuergerechtigkeit, Ordnung der Staatsfinanzen. Unter Präsident Kubitschek (1956–1961) forcierte Industrialisierung. Seit 1964 Machtausübung durch das Militär; die neue Verfassung verstärkte die Position der Zentralexekutive. 1968 Aufhebung der wichtigsten Verfassungsartikel und Vertagung des Parlaments auf unbestimmte Zeit durch das Militär. 1969 neue Verfassung. Die Ära der Militär­ regierungen (1964–1985) wurde 1988 durch Verabschiedung einer das Präsidialsystem konstituierenden Verfassung endgültig beendet. 1989 erstmals seit 1960 wieder Präsidentschaftswahlen. Es gelang jedoch nicht, die hohe Inflationsrate und die Staatsverschuldung zu meistern. 1989 Wahl Fernando Collor de Mellos zum Präsidenten, legte radikales Finanzierungsprogramm vor, musste jedoch wegen Korruption Ende 1992 zurücktreten. Mitte der 90er Jahre erste Stabilisierung der Wirtschaft B.s unter Fernando Henrique Cardoso, erste gesetzl. Einschränkungen der Rodung des tropischen Regenwaldes. Trotz der anhaltenden Finanzkrise 1998 Bestätigung Cardosos 1998 im Amt; im selben Jahr und erneut 2001 internat. Finanzhilfe des IWF für B. Bratianu, Familie führender rumänischer liberaler Politiker: 1) B., Ion, 1822–1891; 1848–1857 wegen Teilnahme am rumän. Aufstand in der Verbannung; 1867/68 Minister, bemühte sich vergeblich um das Zustandekommen einer Union der Donau­ fürstentümer; 1878 erreichte er die Unabhängigkeit Rumäniens. 2) B., Constantin, 1866–1948 (?), Haupt der Opposition gegen ↑ Antonescu, brachte 1944 den Waffenstillstand mit Russland zustande; von den Sowjets verhaftet. Brauer, Max, dt. Politiker, 1887–1973; wurde 1924 Oberbürgermeister des preuß. Altona; 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzt, leitete als erster Nachkriegsbür126

Breisach germeister von Hamburg (1946–1953) den Wiederaufbau der Hansestadt ein, 1957–1960 erneut Hamburger Bürgermeister. Braun, 1) B., Karl Ferdinand, dt. Physiker, 1850–1918; verdient um wiss. Fundierung der drahtlosen Telegrafie, Erfinder der Braunschen Röhre (Kathodenstrahlröhre); 1909 Nobelpreis. 2) B., Otto, dt. Sozialdemokrat. Politiker, 1872–1955; 1920–1933 preuß. Ministerpräsident („Roter Zar von Preußen“), nach dem Sturz Brünings von der Regierung Papen abgesetzt, 6. Feb. 1933 endgültig amtsenthoben, seitdem im Exil. Braunschweig, 1) Stadt: Siedlung um die Burg Dankwarderode; Brunswik 1031 erstmals erwähnt; kam 1127 an das Haus der Welfen, Stadtrecht durch Heinrich den Löwen (romanischer Dom 1173 gegr., mit Grabmälern Heinrich des Löwen und seiner Gattin); 1247 Hansemitglied, 1753 herzogliche Residenz. -Fachwerkbauten der Altstadt im 2. Weltkrieg zerstört. 2) Herzogtum B.: Restbesitz (Eigengut) der Welfen nach dem Sturz Heinrichs des Löwen seit 1181, 1235 neues Herzogtum B.-Lüneburg; fortgesetzt Teilungen; seit 1569 zwei Hauptlinien: 1. Lüneburg, B.Lüneburg, später Kurfürstentum ↑ Hannover, schließlich Königreich Hannover; 2. Dannenberg, seit 1634 im Besitz von Wolfenbüttel, daher B.-Wolfenbüttel (ausgestorben 1884, s. u.). Nichtsouveräne Linie B.-Bevern: Herzog Ferdinand, preuß. Feldherr unter Friedrich d. Gr. Herzog ↑ Friedrich Wilhelm (aus der Linie B.Wolfenbüttel) im Kampf gegen das republikan. Frankreich und Napoleon. – B. 1807–1813 dem Königreich ­ Westfalen zugeschlagen; 1830 Revolution gegen Misswirtschaft Herzog Karls II. (vertrieben); Aussterben der braunschweig. Welfen 1884, Regentschaft durch preuß. und mecklenburg. Prinzen; 1913–1918 Welfenherzog Ernst August von Cumberland (aus der Linie B.-Lüneburg-Hannover);

1922 Freistaat, 1933–1945 zusammen mit ↑ Anhalt unter Reichsstatthalterschaft, 1946 Teil des Landes Niedersachsen. Breda, Stadt in Nordbrabant, seit dem 15. Jh. bei einer nassauischen Nebenlinie (später N-Oranien), 1648 endgültig niederländisch; der berühmte Kompromiss von B. 1566 (Adelsbund gegen die span. Inquisition) war Auftakt der Erhebung gegen die Spanier; B. wechselte im niederländ. Freiheitskampf dreimal den Besitzer; berühmt die Einnahme durch den span. Feldherrn Spinola 1625 (Gemälde von Velasquez: Die Übergabe von B.). – Der Friede von B. 1667 beendete den unentschiedenen 2. Seekrieg zw. Holland und England. Brederode, Heinrich Graf von, Vorkämpfer der niederländ. Befreiung von span. Herrschaft, 1531–1568; überreichte an der Spitze der Adligen der Statthalterin Margarete von Parma die Kompromiss­ adresse von ↑ Breda; auf einem Festgelage schlug er seinen Gesinnungsgenossen vor, den Namen ↑ „Geusen“ anzunehmen. Bregenz, Hauptstadt des österr. Bundeslandes Vorarlberg, am O-Ufer des Bodensees gelegen, ma. Stadtkern in Terrassenlage; entstanden in röm. Zeit als Siedlung Brigantium in der Nähe eines Kastells; um 260 durch die Alemannen zerstört, im 5. Jh. Bau einer alemann. Burg an Stelle der röm. Oberstadt; seit Mitte des 10. Jh. Residenz der Udalrichinger; um 1200 Stadtrecht, 1330 Marktprivileg, 1408 an die Grafen von Montfort, 1451 an die Habsburger. Breisach, „Mons Brisiacus“ der Sequaner, Stützpunkt Ariovists, ehemals stark befes­ tigter Rheinübergang; seit dem 12. Jh. im Besitz der Bischöfe von Basel, 1275 Reichsstadt, 1331 von Kaiser Ludwig an Österreich verpfändet, 1425 endgültig habsburgisch; 1638 von ↑ Bernhard von Weimar erobert, 1648–1697 bei Frankreich, danach wieder mit Unterbrechungen bei Österreich; 1805 an Baden.

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Breisgau Breisgau, Landschaft zw. Schwarzwald

und Oberrhein, bis 1218 zähringisch, dann geteilt; bis zum 15. Jh. nach und nach zu Habsburg; 1468–1474/77 an Burgund verpfändet, im 17. und 18. Jh. von Frankreich und Österreich umkämpft; 1810 der gesamte B. Teil des Großherzogtums Baden. Breitenfeld, Dorf bei Leipzig; im 30-jähr. Krieg schwed. Siege über die Kaiserlichen: 1631 durch Gustav Adolf (über Tilly), 1642 durch Torstenson. Bremen, 1) ehemaliges Bistum; gegr. 788; 845 mit Erzbistum Hamburg vereinigt, Sitz der Erzbischöfe nach Bremen verlegt, von wo aus die Missionierung Skandinaviens begann; der bedeutendste Erzbischof war ↑ Adalbert von B.; im 13. Jh. Kampf um Stade (↑ Stedinger); seit 1522 Eindringen der Reformation; unter protestant. Fürsten; 1648 schwed. Herzogtum mit Hauptstadt Stade; 1715 durch Kauf an Hannover. 2) Stadt B., seit dem 13. Jh. von den Bischöfen unabhängig, 1276 Beitritt zur Hanse, Mitglied des Schmalkald. Bundes, 1541 reichsunmittelbar, 1810–1813 französisch, 1815 Freie Stadt im Deutschen Bund, erwarb 1827 Bremerhaven; Aufschwung zum Überseeund führenden dt. Auswandererhafen (Norddt. Lloyd); 1848/49 Beseitigung der patriz. Ratsverfassung, 1866 Beitritt zum Norddt. Bund, Zollanschluss an das Reich erst 1888; 1919 kurzzeitig Räterepublik, ab 1933 gemeinsam mit Oldenburg von einem Reichsstatthalter regiert. – 1946 selbständiges Land (Freie Hansestadt Bremen). Brennus, 1) B., gall. Heerführer, eroberte mit den ↑ Senonen 387 v. Chr. Rom, mit Lösegeld zum Abzug bewogen. 2) B., kelt. Heerführer, fiel 279 v. Chr. in Griechenland ein, plünderte Delphi, musste sich jedoch zurückziehen, beging Selbstmord. Brentano, lombard. Adelsgeschlecht seit 1282: 1) B., Heinrich, dt. Politiker, 1904– 1964; vertrat 1955–1961 als Außenmi-

nister die Außenpolitik Adenauers. 2) B., Lorenz, dt. Politiker, 1813–1891; republikan. Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1849 Führer der bad. Revolution, zum Tode verurteilt, floh 1850 nach den USA, 1876 dort Kongressmitglied. 3) B., Lujo, dt. Nationalökonom und Sozialpolitiker, 1844–1931; trat für Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte ein, forderte Freihandel. Brenz, Johannes, dt. Luther. Theologe, 1499–1570; Reformator Württembergs, verfasste die „Große Kirchenordnung“ 1559. Breschnew, Leonid, sowjet. Politiker, 1906–1982; seit 1952 im Zentralkomitee, seit 1957 Mitglied des Präsidiums der KPdSU, 1960–1964 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets. 1964 als Nachfolger ↑ Chruschtschows 1. Sekretär des Zentralkomitees und damit mächtigster Mann der Sowjetunion; außenpolit. v. a. um die Sicherung der Weltmachtstellung der UdSSR und deren ­Hegemonie in Osteuropa bemüht, innenpolit. Fortsetzung des wirtsch.-techn. Modernisierungsprozesses bei restaurativen Tenden­ zen; 1976 Marschall der Sowjetunion, seit 1977 als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets Staatsoberhaupt. Breschnew-Doktrin, zur nachträglichen Rechtfertigung der militär. Intervention der UdSSR in der Tschechoslowakei 1968 entwickelte Doktrin von der „beschränkten Souveränität“ aller sozialist. Staaten; nach dem früheren sowjetischen Staats- und Parteichef ↑ Breschnew benannt, stieß bei vielen Kommunisten, besonders bei den kommunistischen Parteien Jugoslawiens, Rumäniens und Chinas auf starken Widerstand. Verlor schon unter ↑ Gorbatschow stark an Bedeutung. Breslau, Gründung an der Stelle eines alten Handelsplatzes im 10. Jh. als böhm. Lehen; als Sitz des um 1 000 gegr. Bistums B. 1018 erstmals urkundlich erwähnt; Vorort der Christianisierung Schlesiens; 128

Brieg seit 1163 Residenz des in Niederschlesien regierenden Zweiges der Piasten; 1241 von den Mongolen zerstört, im 13. Jh. Zuwanderung dt. Kolonisten, wirtsch. und kultureller Mittelpunkt der dt. Ostkolonisation, Hansemitglied; 1327–1335 mit Böhmen (unter Luxemburgern) vereinigt, dessen Schicksal es im 15. Jh. teilte; 1527 österreichisch (Habsburg); 1742 (im Frieden von B.) preußisch; 1807 von Franzosen besetzt; 1813 Residenz des preuß. Königs; 1945 in 11-wöchigem Kampf fast völlig zerstört und unter poln. Verwaltung (Wroclaw) gestellt. Brest-Litowsk, Friede von, 1918, erster Friedensschluss im 1. Weltkrieg zw. den Mittelmächten und der Sowjetunion, die beträchtliche Gebietsverluste hinnehmen musste (u. a. Finnland, Polen, Ukraine, balt. Staaten); Lenin nahm die dt. Bedingungen an, um eine „Atempause“ für den Bürgerkrieg zu gewinnen; nach dem dt. Zusammenbruch wurde der Friede von den Westmächten und der Sowjetunion für ungültig erklärt; er diente den Gegnern Deutschlands als Rechtfertigung für die Friedensbedingungen von Versailles. Bretagne, nordwestfrz. Halbinsel; wegen ihrer seit dem 5. Jh. n. Chr. aus England geflüchteten Keltenbevölkerung Britannia minor (Klein-Britannien) genannt (die Bewohner Britanni, Bretonen); 497 fränkisch, später selbständig (Breton. Mark Karls d. Gr. gegen die unruhigen Bretonen); 1113 engl. Lebenshoheit, 1166 englisch; seit 1213 unter einer capeting. Nebenlinie, 1297 Herzogtum, 1488–1532 Kronbesitz; z. Z. der Frz. Revolution zusammen mit der Vendée Hauptgebiet der königstreuen Volksbewegung; starke separatist. Bewegung der kelt. sprechenden Bretonen im 2. Weltkrieg, beim dt. Rückzug flohen die Führer nach Irland. Brétigny, frz. Ort östl. von Chartres; 1360 Friede zw. Frankreich und England, das Poitou, die Guyenne und Gascogne sowie Calais erhielt.

Bretton Woods (USA), internationales

Währungs- und Finanzabkommen zur Stabilisierung der Währungen und für zwischenstaatliche Kreditgewährung, beschlossen 1944 von einer Sonderkommission der Vereinten Nationen, 1945 von 28 Staaten ratifiziert (nicht von der Sowjetunion). Hauptinstitutionen: Internationaler Währungsfonds und Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung; Hauptzweck: Förderung des Welthandels, Produktionssteigerung und Beseitigung von Devisenbeschränkungen; Teilnehmer verpflichtet, einen Teil der Beteiligungsquote in Gold zu zahlen. Breve (lat. brevis, kurz), päpstliches Schreiben, das sich von einer Bulle durch minder feierliche, kurze Form unterscheidet. Briand, Aristide, frz. Staatsmann, 1862– 1932; urspr. Sozialist, 1909–1932 mehrfach Ministerpräsident und Außenminister, Vertreter einer europ. Zusammenarbeit, bes. der dt.-frz. Verständigung (↑ Stresemann) und der Politik von ↑ Locarno; 1926 zus. mit Stresemann Friedensnobelpreis. Briefmarken, erstmals durch den Maitre des requètes (Berichterstatter über Bittschriften) O. de Valayer unter Ludwig XIV. 1653 in der Pariser Stadtpost verwendet (streifbandähnliche Billets de port payé zu 1 Sou); blieben im 18. Jh. ohne Nachahmung; allgemeine Einführung der Postwertzeichen zuerst in England 1840; es folgten 1843 Kanton Zürich, Brasilien, 1845 Finnland, 1846 Norwegen und Nordamerika, 1848 Russland, 1849 Frankreich, Belgien, Bayern, 1850 Preußen, Österreich, Sachsen. Brieg, Herzogtum in Schlesien, 1348 aus dem Herzogtum Liegnitz entstanden, von einem Zweig der Piasten beherrscht, mehrmals mit Liegnitz wiedervereinigt; 1524 reformiert, 1537 Erbverbrüderung mit Brandenburg (Hohenzollern), trotzdem nach Aussterben der Herzöge 1675 vom Kaiser eingezogen und mit Österreich ver-

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Bright einigt; erst 1742 nach dem 1. Schles. Krieg an Preußen abgetreten. Bright, John, brit. liberaler Staatsmann, 1811–1888; mit ↑ Cobden Haupt der ↑ Anti-Corn-Law-League und des ↑ Manchestertums, entschiedener Gegner des brit. Imperialismus; seit 1859 Führer der radikalen Liberalen im Unterhaus, mehrmals Minister. Brindisi, röm. Brundisium, seit 245 v. Chr. bereits latein. Kolonie, Kriegshafen Roms an der Adria, Endpunkt der Via Appia. Brissot, Jacques Pierre, frz. Politiker, 1754–1793; die von ihm gegründete Partei der Brissotins wurde zu den Girondisten gerechnet; nach deren Sturz hingerichtet. Britannicus, Beiname röm. Kaiser; Tiberius Cäsar Claudius B., Sohn des Kaisers Claudius und der Messauna, adoptierte seinen Stiefbruder Nero, der ihn 55 n. Chr. vergiften ließ. Britannien, lat. Britannia, röm. Name für England, das 55 und 54 v. Chr. von Cäsar betreten, aber erst nach weiteren erfolglosen Angriffen unter Kaiser Claudius (mit 30 000 Mann), Aulus Plautius und Vespasian 43 n. Chr. (unter Kaiser Claudius) erobert wurde. B. wurde 407 von den Römern geräumt; seit Mitte des 5. Jh. von ↑ Angelsachsen in Besitz genommen (↑ England). Briten, die kelt. Bewohner Englands, seit dem 5. Jh. n. Chr. von den Angelsachsen zurückgedrängt; heute Name für die Engländer. Britischer Staatenbund, ↑ Commonwealth, Empire, Großbritannien. Britisches Museum, Museum und Bibliothek in London, 1753 gegr., heute eine der größten Bibliotheken der Welt (7 Mio. Bücher); bedeutende Altertümer- und Münzensammlungen. Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf von, dt. Diplomat, 1869–1928; 1918–1919 Reichsaußenminister, Unterhändler in Ver­ sailles, versuchte vergebens, Milderung der

Friedensbedingungen zu erreichen, lehnte die Unterzeichnung des Vertrages ab; seit 1922 Botschafter in Moskau, erstrebte eine dt. Orientierung nach Osten, trug entscheidend zum Zustandekommen des Berliner Vertrages bei. Brockhaus, Friedrich Arnold, dt. Verleger, 1772–1823; urspr. in Amsterdam, gab 1813 auf Befehl des Fürsten Schwarzenberg in Altenburg die „Deutschen Blätter“ als Tageszeitung und Nachrichtenblatt des Hauptquartiers der Verbündeten heraus; seit 1817 in Leipzig; 1808 übernahm er das „Conversationslexikon“ Löbels und Frankes und baute es aus. Broglie, Albert Victor de, frz. Staatsmann und Schriftsteller, 1821–1901; Führer der orleanist. Katholiken, betrieb nach 1871 die Wiederherstellung der Monarchie, stürzte 1873 Thiers, 1873/74 Minister, 1877 nach Staatsstreich kurze Zeit Ministerpräsident. Bronzezeit, aus der Jungsteinzeit (↑ Neolithikum) erwachsende Kultur, Ende 3. bis Anfang 1. Jt. v. Chr. nachweisbar in verschiedenen Kulturbereichen der Erde, in Europa war die Ägäis (kret.-myken. Stadtkultur) erster Mittelpunkt (seit etwa 2500 bereits auf Kreta), insgesamt Zeit friedlicher Entwicklung (verfeinerter Ackerbau, größere Dörfer, stadtähnliche Orte, erste Staatsanfänge). Die Bronze ist eine schmelzbare und dadurch leicht form- und verzierbare Kupfer-Zinn-Legierung; Kupfer bereits im Neolithikum als Schmuckrohstoff oder für Geräte (im österr. Do­ naugebiet bis Siebenbürgen, seit dem 5. Jt. in Mesopotamien) verwandt (Kupfervorkommen auf Zypern, Sinai, in Spanien, Etrurien, der Slowakei, Ungarn, Siebenbürgen, Mitteldeutschland, Zinnstein im Vogtland, Erzgebirge, bes. in Spanien und England, später auch in Hallstatt); Kupfer, Zinn und Bronzerohstoff (in Stäben, Ringen, Barren) und Bronzefertigwaren schon früh Objekte des Fernhandels, Tausch gegen Nahrungsmittel, Salz, Tongefäße, 130

Bruce Bernstein u. a., bes. durch Phöniker und Etrusker. Die europ. B. unterteilt in 3 Stufen: 1) Früh-B. um 1800–1500 v. Chr. bes. in Mitteleuropa; allmählich Ersatz der Steinwaffen und -geräte und des Schmuckrohstoffes durch Bronzewaren (Beile, Dolche, Schwerter, Lanzenspitzen, Reifen, Ringe, Anhänger, Nadeln); Bronze-Händler und -Gießer wurden sozial gehobene Schicht; Bronze-Barrenbesitz wurde Grundlage zu individuellem Reichtum; Aufschwung in Handel und Gewerbe, verbesserter Ackerbau, neue Waffenarten, größere Dörfer, stärkere Befestigungen (bronzezeitliche Kultur von Kreta und Mykene); Bestattung vornehmlich in Hockerstellung (Hockergräber). 2) Mittel-B. etwa 1500–1300 v. Chr.; die B. hatte jetzt auch in W- und N-Europa die Steinzeit abgelöst; Hebung des gesamten bäuerlichen Lebensstandards (auch bedeutende Goldarbeiten, ziervollste Keramik); Bronze­ arbeiten in höchster Vollendung (Gürtel-, Brustschmuck, Prunkgefäße); reiche bronzene Grabbeigaben in den Hügelgräbern dieser Zeit; Bronzescheiben als Symbole der Sonne auf den Sonnenwagen (pferdebespannter Trundholm-Wagen mit goldblechbeschlagener Bronzescheibe), gesteigerte Kupferförderung, Zinnhandel auch über See. 3) Spät-B. seit etwa 1300, Zeit der ↑ Urnenfelderkultur (Brandbestattung in Urnen); bronzene Rundschildbeschläge, typ. Schwertformen, Luren, Henkelschalen, Aufkommen der Fibel (lat. fibula, Gewandhaftung) zur Gewandsicherung in Form der Spange oder Sicherheitsnadel und ihre techn. und ästhet. Vervollkommnung zur Brosche mit Spiralen, Zierbügeln, Schmuckplatten, Bronzeblechgehängen, figürlichen Darstellungen (Tiefe, Masken), eingelegten Korallen oder Farb­ email; die verschiedenen Fibelformen bieten bis ins frühe MA Hinweise für die Datierung von Funden. Die Bronze war auch in der ↑ Eisenzeit noch lange dem

Eisen verschwistert. – Von Europa bzw. dem Vorderen Orient aus Verbreitung der Bronze in Asien, vom Mittelmeer aus in Afrika (z. B. späte Bronzekultur im ↑ Benin-Reich), eigen­ständige Entwicklung im Fernen Osten (China) und in den vorkolumbischen Kulturen Amerikas (Azteken, Maya; nicht die Inka, die nur Kupfer, Gold und Silber kannten). Brougham and Vaux, Henry Baron, brit. Staatsmann und Schriftsteller, 1778– 1868; 1830–1834 Lordkanzler, dann Mitglied des Oberhauses, zw. Whigs und Torries; trat für humanitäre Reformen, Volksbildung und Katholikenemanzipation ein; Vorkämpfer für die Abschaffung des Sklavenhandels. Brown, Robert, engl. Prediger und Gründer einer wiedertäufer. Religionsgemeinschaft, um 1550–1630; Vorläufer der ↑ Independenten. Browne, Maximilian Ulysses Reichsgraf von, österr. Feldmarschall irischer Abstammung, 1705–1757; 1740 zur Räumung Schlesiens gezwungen, 1757 in der Schlacht bei Prag tödlich verwundet. Brownlow, William Gannaway (auch Parson B.), Unionsverfechter im nordamerik. ↑ Sezessionskrieg, 1805–1877; Methodist, Journalist; einer der schärfsten Publizisten gegen die Südstaaten und die Autonomiebestrebungen Tennessees, wurde nach dem Anschluss Tennessees 1865 dessen erster Gouverneur; berühmt seine „Sketches of the rise, progress and decline of secession“ (1862). Bruce, altes schott. Adelsgeschlecht, im 14. Jh. mit dem Hause Baliol im Kampf um den schott. Thron. – 1) B., Robert, 1306 zum König gewählt, behauptete 1314 den Thron und Schottlands Unabhängigkeit durch den Sieg von Bannockburn über Eduard II. von England. 2) B., David, Sohn von 1), beim Tode seines Vaters 1329 noch unmündig, 1346–1356 in engl. Gefangenschaft, erhielt gegen Lösegeld den Thron zurück, starb 1370.

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Bruck Bruck, Karl Ludwig Freiherr von, österr.

Staatsmann, 1798–1860; Mitbegründer des Österr. Lloyds und der österr. Handelskammern, 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, danach bis 1851 Handelsminister, Wirtschaftsorganisator und -planer großen Stils, dem ein Wirtschaftsgroßraum Europa vorschwebte; drang mit seinen umfassenden Reformvorschlägen nicht durch; beging Selbstmord. Brückenbrüder, Orden der Brückenbrüder des MA, als Frères pontifes oder Fratres pontifices im 12. Jh. in Südfrankreich entstanden; Gliederung in Ritter, Mönche und Arbeiter; ihre Aufgaben: Bau und Unterhalt von Brücken, Anlegung von Hospizen (Brückenbau im MA religiöse und soz. Tat: Brückenheilige, Brückenkapellen); der von Papst Clemens III. 1139 bestätigte Orden im 15. Jh. von Pius II. aufgelöst. Brüdergemeine (Brüderunität oder Herrn­ huter), protestant.-pietist. Freikirche. Reste und geistige Nachfahren der 1457 gegründet ↑ Böhmisch-mähr Brüder wanderten 1722 aus Böhmen und Mähren aus und stifteten 1727 in Herrnhut/Lausitz, einer Besitzung des Grafen Zinzendorf, die neue Gemeinschaft; 1749 Gemeinde in England, später Zweige auch in Amerika; ausgedehnte Missionstätigkeit; Erziehungsanstalten; die B. verwirklichte die Einheit von Glauben und Leben im Geiste des ↑ Pietismus. Bruderschaften, bes. im MA verbreitete, von der (kath.) Kirche erlaubte und geförderte Vereinigungen von Laien, die sich zu besonderer Frömmigkeit oder guten Werken verpflichteten, ohne Ordensgelübde; verschiedene Mönchsorden gründeten für Laien verschiedene Standes-B., die lose den Orden angeschlossen waren. Brüder und Schwestern des freien Geistes, freigeistige Sekte des 14./15. Jh.; pan-

theist. Mystiker, meist Laien, außerhalb der kirchlichen Ordnung; bes. am Oberrhein, auch in Frankreich und Italien verbreitet.

Brüder vom gemeinsamen Leben (Fra-

terherren, Hieronymianer, Gregorianer), von Gerhard Groote um 1376 in Deventer gegründete ordensähnliche religiöse Genossenschaft von Weltpriestern und Laien ohne Gelübde, bes. am Niederrhein und in Norddeutschland verbreitet; befassten sich bes. mit Jugenderziehung. Brügge, in Westflandern, im MA eine der wirtsch. bedeutendsten Städte Europas durch blühendes Tuchgewerbe (Verarbeitung engl. Wolle) und glänzende Handelsverbindungen (seit Balduin, Graf von Flandern und Lateinischer Kaiser von Byzanz: Levantehandel; Stapelplatz für engl. Wolle und für den westeurop. Hansehandel); reich privilegiertes Hansemitglied; am flandr. Freiheitskampf gegen die frz. Krone maßgeblich beteiligt (1302 Morgenfeier von B.: Zünfte ermordeten die frz. Besatzung; Schlacht bei Kortrijk); 1384 zu Burgund; 1488 hielt die Bürgerschaft Maximilian I. 4 Monate lang gefangen und zwang ihn zum Verzicht auf die Herrschaft über Flandern; in der Folge wurde B. von kaiserlichen Truppen genommen; durch die Entdeckung der großen Seewege, die Versandung der Fahrrinne zur Nordsee, das Aufkommen Antwerpens und durch die span.-habsburg. Herrschaft allmählicher Niedergang; Stadtbild B.s mit seinen zahlreichen Kanälen noch heute vom MA geprägt. Brühl, Heinrich Graf von, sächs. Staatsmann, 1700–1763; allmächtiger Minister Friedrich Augusts II. (III.) von SachsenPolen, vernachlässigte Verwaltung und Heer zugunsten höf. Prachtentfaltung. Brukterer, german. Volksstamm westlich der Ems, an den Aufständen gegen die Römer beteiligt; später zu Franken Brumaire, 2. Monat des frz. Revolutionskalenders; am 18. B. (9. Nov.) 1799 stürzte Napoleon Bonaparte, aus Ägypten zurückgekehrt, durch Staatsstreich die Direktorial­ regierung, löste den Rat der 500 auf und übernahm als Erster Konsul die Macht. 132

Brüssel Brun, ↑ Bruno. Brune, Guillaume, frz. Marschall, 1763–

1815; ehemaliger Buchdrucker, errichtete 1797/98 die Helvetische Republik, 1806 Gouverneur der Hanse-Städte, als angeblicher Mörder der Prinzessin ↑ Lamballe von Royalisten ermordet. Brunfels, Otto, dt. Theologe und Gelehrter, „Vater der Botanik“, um 1488–1534; zunächst Kartäuser, in Straßburg zum Protestantismus übergetreten, luther. Prediger, dann Arzt, begründete die moderne, auf unmittelbare Naturbeobachtung aufgebaute Botanik; Verfasser eines berühmten Kräuterbuches in lat. und dt. Sprache, Freund Huttens; sein Name stand an der Spitze des 1550 auf kaiserlichen Befehl zusammengestellten Verzeichnisses der Hauptketzer. Brunhilde, Tochter des Westgotenkönigs Athanagild, 567 vermählt mit Sigbert von Austrasien; trieb ihn zum Krieg gegen seinen Bruder Chilperich von Neustrien, der sich nach der Verstoßung Galswinthas, der Schwester Brunhildes, mit Fredegunde vermählt hatte; erlag als Regentin dem Aufstand des austras. Adels; dem Sohn Fredegundes, Chlothar II., ausgeliefert und zu Tode gefoltert (in der Heldensage Gemahlin Gunthers von Burgund und Feindin Siegfrieds). Brüning, Heinrich, dt. Politiker, 1885– 1970; 1921–1930 Geschäftsführer des (christl.) Dt. Gewerkschaftsbundes, Mitglied der Zentrumspartei. 1930–1932 Reichskanzler; versuchte durch Ausnutzen der verfassungsmäßigen Vollmachten des Reichspräsidenten (Notverordnungen) und unpopuläre Sparmaßnahmen die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise des Reiches zu überwinden; bereitete die Lösung der Reparationsfrage vor; im Innern Kampf gegen Nationalsozialismus (Verbot der SA 1932) und Kommunismus; 1932 von Hindenburg wegen seiner Agrarreformpläne in Ostelbien entlassen; 1933 Zentrumsführer; 1935 Emigration nach

den USA und Prof. der Harvard-Universität; 1951 Rückkehr und Professur in Köln. 1970 erschienen seine Memoiren. Bruno, Giordano, ital. Philosoph, 1548– 1600; urspr. Dominikaner, Pantheist, von Lukrez, Lullus und Nikolaus von Cues beeinflusst, verkündete mit dichterischer Leidenschaft die Lehre von der Unendlichkeit des Alls und erweiterte damit die Lehre des Kopernikus zum philosophischen Weltbild; nach unstetem Wanderleben von der Inquisition ergriffen und in Rom als Ketzer verbrannt. Bruno, 1) B., Erzbischof von Köln, Brun genannt, 925–965; Bruder Kaiser Ottos I., Herzog von Lothringen; als Erzkanzler Vertreter einer starken Reichspolitik und einer engen Bindung des Reichsklerus und des Reichsepiskopats an das Königtum; als Kirchenfürst für entschiedene Klosterreform; Förderer der Wissenschaften. 2) B. von Köln, hl., um 1040–1101; zog sich 1086 in die Gebirgsschlucht Chartreuse bei Grenoble zurück, wurde zum Stifter des Kartäuserordens. 3) B. von Querfurt, hl., um 970–1009; Missionsbischof in Polen, Ungarn, bei den Petschenegen; auf einer Missionsreise in Preußen erschlagen. Brüssel, im 7. Jh. durch den hl. Ge­rald, Bischof von Cambrai, auf einer Insel der Senne gegründet; im 11. Jh. Residenz der Herzöge von Niederlothringen und Brabant, 1430 an Burgund, 1477 an Habsburg; von Karl V. zur Hauptstadt der Niederlande erhoben, Herd des niederländischen Aufstandes (1566 Bund der ↑ Geusen zu B.; 1577 Union von B. zwischen Spanien und den Aufständischen); 1585 von Alexander Farnese unterworfen, teilte von da an das Schicksal der spanischen, seit 1714 der österreichischen Niederlande; mehrmals von den Franzosen belagert oder erobert (zuletzt 1794), Herd der Unzufriedenheit mit der österr. Herrschaft; 1830 Schauplatz der Revolution, durch die es zur Hauptstadt des neugebildeten Königreichs Belgien wurde; in

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Brüsseler Pakt beiden Weltkriegen von dt. Truppen besetzt. Nach dem 2. Weltkrieg war B. einer der Hauptstreitpunkte im flämisch-wallonischen Sprachenstreit. B. ist Hauptsitz der Institutionen der Europäischen Union und seit 1967 der Führungsorgane der NATO. Brüsseler Pakt, 1948 zw. Frankreich, Großbritannien, Belgien, Holland, Luxemburg geschlossener wirtsch. und militär. Beistandspakt gegen ein wiedererstarkendes Deutschland (Erweiterung des brit.-frz. Bündnisses von Dünkirchen 1947); nach Scheitern der Europ. Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 durch Beitritt Deutschlands und Italiens zur Westeurop. Union (WEU) erweitert (1955); seitdem Bestandteil des Nordatlantikpakts NATO. Brussilow, Alexej, russ. Heerführer, 1853– 1926; leitete 1916/17 großangelegte Offensiven in Wolhynien und der Bukowina, deren ungeheure Menschenopfer (über 1 Mio.) die russ Armee demoralisierten. Bruttier, im Altertum Bewohner der südwestital. Landschaft Bruttium (heute: Kalabrien); Verbündete Pyrrhus’, dann der Karthager, nach dem Sieg Roms versklavt. Brutus, Beiname des röm. Geschlechtes der Junier. 1) B., Decimus Junius, Unterfeldherr Cäsars im Gallierkrieg; um 84– 83 v. Chr. Statthalter Galliens, Teilnehmer an der Verschwörung gegen Cäsar. 2) B., Lucius Junius, nach sagenhafter Überlieferung Befreier Roms von der Königsherrschaft um 510 v. Chr.; 509 erster röm. Konsul, ließ seine Söhne als Verschwörer hinrichten. 3) B., Marcus Junius, 85– 42 v. Chr.; Neffe und Schwiegersohn Catos, Anhänger der Senatspartei, einer der Cäsarmörder, bei ↑ Philippi (42) besiegt, beging Selbstmord. Bucentaur, Staatsgaleere, auf der der Doge von Venedig bei dem alljährlichen Fest der Vermählung mit dem Meer zu fah­ ren pflegte; der letzte B. wurde 1798 von den Franzosen verbrannt.

Bucer, Butzer, Martin, Reformator Straß-

burgs, 1491–1551; urspr. Dominikaner, durch Luther für die Reformation gewonnen, für die er in Oberdeutschland, bes. in Straßburg, neben und zusammen mit Jakob Sturm wirkte; neigte zu Zwingli, Verfasser der Confessio Tetrapolitana („Bekenntnis der vier Städte“ Straßburg, Konstanz, Lindau, Memmingen, auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegt); im Gegensatz zu Luther auch politisch äußerst rührig, in enger Verbindung mit dem Landgraf Philipp von Hessen; Seele des Projektes eines protestantischen Gegenreiches gegen den Kaiser gerichtet; unermüdlich um die Einigung von Lutheranern und Zwinglianern bemüht (Wittenberger Konkordie 1536), weigerte sich nach dem ­Schmalkald. Krieg, das Interim anzuerkennen; als Prof von Erzbischof Cranmer nach Cambridge berufen. Buch (ahdt. buoh = zusammengeheftete Buchenholztafeln [auf denen man schrieb]); in babylonischer Zeit Tontafel-B., in Altindien Palmblatt-B., bei den Griechen und Römern zuerst in Form von Papyrusrollen, die um Christi Geburt auch zu Büchern gebunden wurden; bei den Römern in Form von zusammengebundenen Wachstafeln; seit etwa 250 v. Chr. auch Tierhautrollen (griech. kylindros, lat. volumen); seit dem 4. Jh. n. Chr. kam der Blatt-Codex auf Papyrus oder Pergament auf; er wurde gegenüber der als heidnisch angesehenen Rolle zur Form des christlichen Buches; Rollen wurden in Behältern, Kästen oder Regalen aufbewahrt, die Codices erhielten zunächst nur ein festeres Anfangs- und Schlussblatt, später (lederbezogene) Holzdeckel oder Kleinodieneinbände, wurden auch im Buchbeutel getragen; Blattzählung erfolgte erst seit dem 14. Jh., in dieser Zeit auch das Aufkommen der Papierbücher und der gedruckten Blockbücher mit Holzschnitttafelseiten; in der Anfangszeit des ↑ Buchdrucks wurde das B. der Handschrift nachge134

Buchdruck staltet (Inkunabelzeit bis etwa 1500), mit handgemalten, zum Teil schon in Metall oder Holz geschnittenen Initialen und Illustrationen; die Buchherstellung wurde zum Handwerk, der Buchdruck ermöglichte Massendrucke; Verschlechterung der Buchkultur im 17. Jh. (30-jähriger Krieg), Reform im 18. Jh. (Rokoko, Klassik); seit dem 19. Jh. Maschinendruck. – Buchillustration besonders in roman. und got. Zeit hoch entwickelt; im 15. Jh. Aufkommen des Holzschnitts und des Kupferstichs, im 19. Jh. des Stahlstichs und der fotomechan. Ätzung. Die Buchausmalung erfolgte in der Spätantike in städt. Werkstätten meist durch Sklaven, im MA in Klosterschreibstuben und bischöflichen Malschulen; Buchmaler (Miniatoren) waren Nonnen und Mönche; bedeutende Schreibstuben u. a. in Hinsau, Tours, Echternach, Trier, Lorsch, Corbie, St. Gallen, Cîteaux, Reichenau, Regensburg, Salzburg. Buchanan, James, nordamerik. Staatsmann, Demokrat, 1791–1868; als Staatssekretär um den Erwerb des bisher mexikan. Kaliforniens (1846) verdient; 1857– 1861 Präsident, begünstigte die Sklavenhalter und damit den Abfall (Sezession) der Südstaaten. Bucharin, Nikolai, führender Bolschewist, 1888–1938; an der Oktoberrevolution 1917 maßgeblich beteiligt; Chefredakteur der „Prawda“ seit 1917, Mitglied des Politbüros 1924, Vorsitzender der Komintern 1926 und Parteitheoretiker von bestimmendem Einfluss auf die bolschewist. Doktrin und Taktik; bei der großen Säuberung Stalins zum Tode verurteilt und hingerichtet (↑ Bolschewismus). Buchdruck, Vorstufen sind Siegel- und Stempeldruck, seit den Kreuzzügen der Zeugdruck; Druck mit Tonlettern schon um 1 000 in China; mit Wortstempeln aus Bronze Ende des 14. Jh. in Korea; Vorläufer des Gutenberg. Letterndruckes war der Tafeldruck in den Blockbüchern: Text oder Bild oder Text und Bild wur-

den als Ganzes in Holztafeln (ursprünglich Metalltafeln) geschnitten und mit einem Reiben auf Papier übertragen; ausgeübt von den Briefmalern und Kartenmachern, Formschneidern und Briefdruckern; vor allem Abzüge von Heiligenbildern, Ablassbriefen, Kalendern und Grammatikfibeln, sogenannte Donaten; um 1440/50 Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch ↑ Gutenberg (eigentlich Serie von Erfindungen: Letternguss mit eigens entwickelter Gießvorrichtung, Setzkasten, Setzleiste, Handpresse, Druckfarbe); erstes Meisterwerk Gutenbergs 42-zeilige Bibel mit 1282 Seiten, Auflage etwa 150; Druckereien (Offizinen): Bamberg 1457, Straßburg 1459, Köln 1465, Augsburg 1468; in Italien seit 1465, hier wurde Venedig seit 1469 der bedeutendste europäischer Druckort; in Frankreich 1470, in den Niederlanden 1472, Ungarn 1472, Spanien 1473, Polen 1474, England 1482, Schweden 1484; um 1500 gab es 260 Druckorte, bis dahin waren 40 000 Bücher und Schriften in einer Auflage von etwa 6 Mio. erschienen; die Buchdrucker (Goldschmiede, Buchmaler, Schreiber, Formschneiden, Akademiker) bildeten keine Zunft, sondern waren „freie Kunst“ (der Buchdruck war unsicheres Gewerbe, da Buchdrucker auch Verleger waren): Der B. förderte Entwicklung einer einheitlichen Schriftsprache; erste Verleger im 16. Jh.; 1725 erste Stereotypie (Letternsatz wurde in Gips gegossen, die Gipsform wurde mit Blei ausgegossen, die als Druckplatte diente); 1796 Flachdruckverfahren (Lithografie). 1799 erste Papiermaschinen; 1800 erste Eisendruckpressen (statt hölzerner); 1811 dampfbetriebene Schnellpresse (Friedrich Koenig); 1822 ers­ tes Setzmaschinenpatent; 1837 Galvanoplastik (Herstellung von Negativformen); 1848 erste Rotationspresse; 1884 Zeilensetzmaschine Ottmar Mergenthalers; im 20. Jh. Foto- und Lochstreifensetzmaschine und neue Druckverfahren.

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Bucher Bucher, Lothar, preuß. Politiker und Jour-

nalist, 1817–1892; ursprünglich radikaler Liberaler, als Mitglied der Nationalversammlung 1848 am Steuerverweigerungsbeschluss beteiligt, deshalb später in den Anklagezustand versetzt, emigrierte 1850 nach London; dank einer Amnestie nach Berlin zurückgekehrt, von Bismarck 1864 in das Auswärtige Ministerium berufen, wurde dann zu einem seiner engsten Mitarbeiter. Büchner, 1) B., Georg, dt. Dichter und Revolutionär, 1813–1837; Gründungsmitglied der hess. Verschwörerorganisation „Gesellschaft für Menschenrechte“, deren bürgerlich-liberales Programm er zu einem klassenkämpfer.-sozialist. umzuwandeln suchte; Hauptverfasser der illegalen Flugschrift „Der hessische Landbote“, musste fliehen; aufrüttelnd wirken seine realist. Dramen: „Dantons Tod“, „Woyzek“. 2) B., Ludwig, Philosoph, 1824– 1899; Bruder von 1), verfasste „Kraft und Stoff“, das Standardwerk des radikalen Materialismus im 19. Jh. Buckingham, engl. Herzogsgeschlecht, aus dem bedeutende Staatsmänner hervorgingen. – 1) B., George Villiers, 1592–1628; einflussreicher Hofmann unter König Jakob I., dann unter Karl I., vom Parlament wegen spanienfeindlicher und franzosenfreundlicher Politik angeklagt, ermordet. 2) B., George Villiers, 1627–1688, Sohn von 1), Günstling Karls II., 1669–1675 Mitglied in dessen absolutist. Ministerium. Budapest, Doppelstadt an der Donau, gebildet aus Buda (auf dem rechten Steilufer) mit Festung und Schloss, und Pest (auf dem linken Flachufer); 1872 vereinigt; röm. Militärkolonie Aquincum (das spätere Altofen), warme Heilquellen von Buda von den Römern benutzt; im MA Entstehen einer kleineren Siedlung auf dem linken Ufer (Pest); 1241 von Mongolen zerstört; von Bela IV. neu angelegt; Altofen im 14. Jh. überflügelt von „Schwa-

ben“-Kolonie Neuofen, die mit dem ungar. Buda verschmolz; 1351 Residenz; 1526 Pest von den Türken erobert, 1541 Ofen; Türkenherrschaft (Festung Ofen umkämpft); 1686 befreit; 1849 im ungar. Aufstand von österr. Truppen besetzt; 1867 Hauptstadt der Länder der ungar. Krone, im gleichen Rang wie Wien; 1944 von dt. Truppen besetzt, 1945 sechs Wochen lang umkämpft; 1956 antibolschewistischer Aufstand. Buddha (Sanskrit: der Erleuchtete), Beiname des indischen Königssohns Siddharta Gautama, um 560–480 v. Chr., Stifter der buddhist. Religion, in der er die Philosophie des ↑ Brahmanismus mit persönlichem religiösen Erlebnis verband (nach 7-jähriger Askese „Erleuchtung“, verkündet in der Predigt von Benares); Grunderkenntnis: Alles Leben ist vergänglich, alles Leid hat seine Quelle in der Lebensgier, die überwunden werden muss. Buddhismus, ind. Religion, nach ihrem Gründer ↑ Buddha benannt, bes. durch König ↑ Aschoka Mitte des 3. Jh. v. Chr. gefördert und Staatskirche; in den Anfängen als Hinayana („kleines Fahrzeug“, das den einzelnen über den Strom der Leiden führt) nur Lehre für wenige, seit dem 2. Jh. n. Chr. als Mahayana („großes Fahrzeug“, auf dem alle Wesen zum erlösenden Ufer gelangen) Religion auch für die Massen und deren Erlösungsbedürfnis und Weltreligion; Lehre von der Seelenwanderung und dem glückseligen Aufgehen im „Nirwana“ durch stufenweise Läuterung (achtteiliger Pfad), Versenkung durch Askese und Abwendung vom ird. Dasein. – Buddha hinterließ keinen Nachfolger; Richtschnur sollte seine Lehre sein, nach seinem Tode von den Jüngern gesammelt und mündlich weitergegeben (Richtungen, Schulen, die Buddhas Worte verschieden auslegten und sie dann schriftlich fixierten); Buddha war in dieser Zeit noch nicht kult. verehrter Heilbringer, sondern Lehrer, es gab noch keine 136

Bugeaud Buddha-Statuen; das plast. Bild wurde erst nach Christi Geburt in der hellenist. Gandhara-Kunst geschaffen, zugleich mit Vergöttlichung Buddhas. Nach frühen Ansätzen zur Missionierung im Ausland (Prediger in Diadochen-Reichen, Eindringen nach Ceylon, das bis heute Zentrum des Alt-Buddhismus blieb) in der Zeit von Chr. Geburt bis etwa 500 Missionierung Indonesiens, W-Afghanistans, O-Irans, OTurkestans, von dort aus ↑ Chinas, in dem der Buddhismus im 3./4. Jh. Volksreligion wurde, unter Übernahme des Kaiserkults und der Ahnenopfer; von China aus Tongking und Korea (dort um 372 n. Chr.) missioniert. Seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. begann in Indien der B. mit dem Hinduismus und Brahmanismus zu verschmelzen und sich in weitere Sekten zu teilen, das Rituelle überwucherte den Lehrinhalt; im NW Indiens wurde er seit 711 vom Islam überwunden. Bis etwa 1000 hatte er fast alle seine Anhänger an den Islam, den Hinduismus und andere Religionen verloren. Zur Hochblüte entwickelte er sich indes in Ceylon und in Hinterindien, wo im 9. Jh. die große Kultstadt Angkor entstand, und in Indonesien, wo ebenfalls im 9. Jh. Borobudur auf Java mit herrlichen Stupas geistiger Mittelpunkt war. In China wurde der B. trotz von Zeit zu Zeit heftiger Verfolgungen (mit Säkularisierung der Mönche und Tempelenteignung) durch geschmeidige Anpassung an die bestehenden Volkskulte und den ↑ Taoismus zu einem bestimmenden Kulturfaktor (neben dem vorherrschenden Konfuzianismus). In Japan, wo er den ↑ Schintoismus mit seinem Natur- und Ahnenkult verdrängte, wurde er stark japanisiert und gewann mehr nationalist. und krieger. Gepräge. In Tibet, wo er 642 eingeführt wurde, nahm der B. die Form des ↑ Lamaismus an, mit z. T. bizarrer Zaubermagie. Um 1200 erlag der B. in Indien dem Hinduismus, um die gleiche Zeit belebte er sich in Japan im ↑ Zen-Buddhismus. Seit

dem 13. Jh. griff er in der Form des tibetan. Lamaismus auf die Mongolei über. In Korea gewann im 14. Jh. der Konfuzianismus und in Indonesien im 15. Jh. der Islam die Überhand. Im 17. Jh. entstanden erste ­ buddhistische Gemeinden auf europ. Boden bei den Kalmüken. Heute ist der Hinayana-B. in Ceylon, Burma, Siam, Laos und Kambodscha verbreitet; der Mahayana-B. in Nepal, Vietnam, China, Korea, Japan; der Lamaismus in Tibet, Sikkim, Bhutan und der Mongolei. Budjonny, Semjon Michailowitsch, sowjet. Marschall, 1883–1973; gewann im Bürgerkrieg 1919–1921 als Reiterführer der Roten Armee legendären Ruhm. Im 2. Weltkrieg Oberbefehlshaber im SWAbschnitt (1941) und im N-Kaukasus (1942). Obwohl auf beiden Kriegsschauplätzen glücklos, blieb er als einer der ältesten Mitstreiter Stalins hochgeehrt und wurde 1946 in den Obersten Sowjet gewählt. Buenos Aires, Hauptstadt von Argentinien, am Rio de la Plata; erste Stadtgründung (1535) durch spanische Konquistadoren, 1541 aufgegeben; zweite Stadtgründung 1580; 1777 Hauptstadt des Vizekönigreichs La Plata; 1810 Zentrum der Revolution gegen die Spanier, 1816 Hauptstadt der Konföderation am Rio de la Plata, seit 1861 Hauptstadt der Republik Argentinien. Buffon, Georges Louis Leclerc, Graf von, frz. Naturforscher, 1707–1788; Intendant des Königlichen Botanischen Gartens in Paris, Verfasser einer stilistisch glänzenden 36-bändigen Naturgeschichte, von den Zeitgenossen, auch in Deutschland, viel gelesen (Popularisierung der Wissenschaft). Bugeaud, Thomas Robert, Herzog von Isly, Marschall von Frankreich, 1784– 1849; entscheidend beteiligt an der Unterwerfung Algeriens, wo er zum Generalgouverneur aufstieg, schlug 1844 die Marokkaner am Isly.

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Bugenhagen Bugenhagen, Johann (aus Pommern),

dt. Reformator, 1485–1558; urspr. Prämonstratenser, neben Luther und Melanchthon der einflussreichste Führer der Reformation, bes. in Norddeutschland, seit 1521 in Wittenberg, ordnete das protestant. Kirchen- und Schulwesen in Braunschweig, Hamburg, Pommern, Dänemark, Schleswig-Holstein. Bukanier, ↑ Flibustier. Bukarest, in den Chroniken seit dem 14. Jh. genannt; seit dem 17. Jh. Residenz der Fürsten der Walachei, 1862 Hauptstadt des neugebildeten Fürstentums Rumänien; im 1. und 2. Weltkrieg von dt. Truppen besetzt; durch alliierte und dt. Luftangriffe teilweise zerstört. Bukarester Friedensschlüsse, 1812 zw. Türkei und Russland, das Bessarabien und Teile der Moldau erhielt. – 1886 zw. Serbien und Bulgarien. – 1918 zw. Rumänien und den Mittelmächten: Dobrudscha fiel an Bulgarien, Deutschland erhielt Ölausbeutungsrechte (im Nov. 1918 aufgehoben). Bukowina (Buchenland), Landschaft im NO der Kurpaten, hauptsächlich von Ruthenen und Rumänen besiedelt, Landeshauptstadt Czernowitz; 1513 türkisch, 1769 von den Russen besetzt; 1775 österreichisch, 1786 mit Galizien vereinigt, 1850 eigenes Kronland, 1918 zu Rumänien; 1940 ultimativ erzwungene Abtretung der nördl. Bukowina an Russland, Umsiedlung von dt. Bewohnern, meist Bauern. Bule (griech., Rat), in der athen. Verfassung des Solon (594 v. Chr.) Rat der 400, aus den drei ersten Steuerklassen gewählt, Sitz im Buleutherium, u. a. Aufsicht über die Staatsverwaltung, Staatsgerichtshof; in der Verfassung des Kleisthenes von 510 v. Chr. Rat der 500, aus dem die 50 ↑ Prytanen hervorgingen. Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch, sow­ jet. Politiker, 1895–1975, bekleidete seit den 1930er Jahren leitende Positionen

in Stalins Partei- und Staatsapparat; seit 1948 Mitglied des Politbüros, 1947–49 und 1952–55 Verteidigungsminister, seit 1955 Ministerpräsident; 1958 als Regierungschef amtsenthoben und aus dem Politbüro, 1961 auch aus dem ZK entfernt. Bulgarien, Land der ursprünglich den Turkvölkern verwandten Bulgaren, die aus dem mittleren Wolgagebiet (Großbulgar. Reich) seit der Mitte des 6. Jh. in ihre heutigen Wohngebiete (Teil der ehemaligen röm. Provinzen Mösien und Thrakien) vorgedrungen waren, sich mit den Slawen vermischten und 681 ein eigenes Reich gründeten; im 9. Jh. in die byzantin. Kirche einbezogen; im 10. Jh. unter Symeon d. Gr. Vormacht auf dem Balkan, Angriffe gegen Byzanz; um 1000 von Byzanz unterworfen, 1185 wieder selbständig; seit 1330 Auflösung in Teilstaaten, seit 1396 türk. Provinz; 1878 durch den Berliner Kongress Gründung des der Türkei tributpflichtigen, aber verwaltungsmäßig selbständigen Fürstentums; B. 1908 souveränes Königreich unter dem Hause Sachsen-Coburg (↑ Ferdinand I.); große militärische und territoriale Verluste im 2. ↑ Balkankrieg; 1915 auf Seiten der Mittelmächte, um Mazedonien und südlich Dobrudscha zurückzugewinnen; 1918 militärischer Zusammenbruch; im Vertrag von Neuilly 1919 erneut Gebietsabtretungen an Rumänien und Griechenland, zwischen den beiden Weltkriegen Bauernund Bürgersystem und seit 1934 autoritäres Regime des Königs Boris; 1941 auf Seiten Deutschlands, Gewinn der südl. Dobrudscha (schon 1940; 1947 belassen), Thrakiens und Mazedoniens; 1944 russ. Einmarsch, 1946 Abschaffung der Monarchie, demokrat. Volksrepublik (↑ Dimitrow); 1947 in Paris Friedensvertrag (Staatsgrenzen von 1941); Freundschaftsund Beistandspakt mit Jugo­slawien; wirtsch.-sozialist. Sowjetisierung; 1948 Bündnispakt mit Sowjetrussland und Kündigung des Freundschaftsabkommens 138

Bundespräsiden mit ­ Jugoslawien, 1955 Beitritt zum Warschauer Militärpakt, Mitglied der UN. Regierungschef seit 1962 T. Schiwkow (1989 entmachtet). 1979 Auseinandersetzungen mit Jugoslawien um die mazedon. Frage, seit 1984/85 durch sog. „Bulgarisierungskampagnen“ Druck auf die türk. Minderheit. Nach Zusammenbruch des Kommunismus 1990 erste allg. und freie Wahlen, 1991 neue Verfassung (parlamentarische Demokratie), in den folg. Jahren wechselnde Regierungen, 2001 Wahlsieg der „Nationalen Bewegung“ unter Ex-Monarch Simeon II. (Sakskoburggotski), der seither Ministerpräsident von B. ist Bulle (mittellat. bulla = Kapsel), urspr. Metallabguss von Siegelstempeln, dann die Kapsel mit dem Siegel, schließlich die gesiegelte Urkunde selbst, vornehmlich die feierlichen Erlasse der byzantin. und abendländ. Kaiser sowie der Päpste (mit Benennung nach den ersten Wörtern des Textes); auf Pergament geschrieben, die angehängten Siegel oft in kostbaren Siegelbehältern (↑ Goldene B.). Bullinger, Heinrich, schweizer. Reformator, 1504–1575; Nachfolger Zwinglis in Zürich; Verfasser des Züricher Übereinkommens 1549 (Einigung Calvins mit den Zwinglianern); auch Verfasser der 2. Helvet. Konfession 1566 (Abgrenzung gegen das Luthertum). Bülow, 1) B., Bernhard Fürst von, dt. Staatsmann, 1849–1929; 1897–1900 Staatssekretär des Auswärtigen, 1900– 1909 Reichskanzler, gewandter Diplomat, aber ohne festen außenpolit. Kurs (Scheitern einer Verständigung mit England, ↑ Haldane); innenpolit. den zunehmenden Spannungen nicht gewachsen; scheiterte u. a. an der Reichsfinanzreform; bedeutsam seine „Denkwürdigkeiten“ (1930– 31). 2) B., Friedrich Wilhelm Graf B. von Dennewitz, preuß. General, 1755–1816; Sieger über die Franzosen 1813 bei Großbeeren und Dennewitz, 1814 bei Laos und 1815 bei Belle Alliance.

Bundesakte, Verfassungsvertrag des Dt.

Bundes, von 39 Staaten 1815 als Teil der Schlussakte des ↑ Wiener Kongresses unterzeichnet. Bundesgenossenkriege 1) 357–355 v. Chr. Krieg des Tyrannen Maussolos von Karien und der Inseln Chios, Rhodos und Kos, sowie Byzantions gegen Athen. 2) 220– 217 v. Chr. Krieg Philipps V. von Makedonien und des Achäischen Bundes gegen den Ätolischen Bund. 3) 91–89 v. Chr. und 82 v. Chr. der italienischen Verbündeten Roms gegen Rom um die Erringung des röm. Bürgerrechts (↑ Gracchen); 89 Verleihung des Bürgerrechts an alle Bundesgenossen. Bundeskanzler, 1) in der Schweiz auf 4 Jahre gewählter Leiter der Kanzlei des Bundesrats und der Bundesversammlung („Kanzler der Eidgenossenschaft“). 2) in Österreich 1920–1938 und seit 1945 Chef der Bundesregierung. 3) im Norddt. Bund 1867 bis 1871 Leiter des Bundespräsidiums und Vorsitzender des Bundesrats. 4) in der Bundesrepublik Deutschland als primus inter pares Leiter der Bundesregierung. Wahl auf Vorschlag des Bundespräsidenten durch den Bundestag; bestimmt die Richtlinien der Politik, hat im Verteidigungsfall Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Bundespräsident, allg. das Staatsoberhaupt eines Bundesstaats; in der Bundesrepublik Deutschland von der ↑ Bundesversammlung auf 5 Jahre gewählt (einmalige anschließende Wiederwahl zulässig). Befugnisse u. a.: Vorschlagsrecht für die Wahl des ↑ Bundeskanzlers, Ernennung und Entlassung (auf Ersuchen des Bundestags) des Bundeskanzlers, Ernennung und Entlassung der Minister auf Vorschlag des Bundeskanzlers, Einberufung des Bundestags und dessen Auflösung, Ernennung und Entlassung der Bundesrichter, Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffiziere, Gnadenrecht, Ehrungen. Der B. vertritt den Bund völkerrechtlich, er schließt

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Bundesrat Verträge und beglaubigt und empfängt die Gesandten. B.en seit 1949: Th. Heuss (1949–1959), G. Lübke (1959–1969), G. Heinemann (1969–1974), W. Scheel (1974–1979), K. Carstens (1979–1984), R. von Weizsäcker (1984–1989–1994), R. Herzog (1994–1999), J. Rau (1999– 2004), H. Köhler (seit 2004). – In Österreich ist die verfassungsrechtliche Stellung des B.en vergleichbar mit der des B. der Bundesrepublik Deutschland. – In der Schweiz führt der B. den Vorsitz im ↑ Bundesrat, dem er als Chef eines Departements angehört; jährlicher Wechsel nach dem Dienstalter. Bundesrat, im Norddeutschen Bund und im Dt. Reich von 1871 Vertretung der Bundesstaaten (nicht im Sinne eines Oberhauses); im Kaiserreich die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagende Vertretung der Staaten, das entscheidende Reichsorgan (über dem Reichstag stehend); zu seiner Zuständigkeit gehörte u. a. die Genehmigung der durch den Reichstag beschlossenen Reichsgesetze und die Entscheidung bei Streitigkeiten unter den Bundesstaaten (nach 1918 in der Weimarer Verfassung ersetzt durch den ↑ Reichsrat). – Seit 1949 das Länderorgan der Bundesrepublik aus Mitgliedern der Landesregierungen (mit Vertretungsrecht), die an die Weisungen ihrer Regierungen gebunden sind; in den Ausschüssen können auch andere Ländervertreter tätig sein; jährlich wechselnde Präsidentschaft. – In Österreich von den Landtagen der Bundesländer gewählte Körperschaft. In der Schweiz oberste leitende und vollziehende Bundesbehörde. Bundesrepublik Deutschland, ↑ Deutschland, Grundgesetz. Bundestag, im 19. Jh. ständige Versammlung der Gesandten der 38 souveränen Gliedstaaten des Dt. Bundes in Frankfurt am Main, 1815–1848 und 1850–1866; nach der Reichsgründung entsandten die Bundesstaaten ihre Vertreter in den ↑ Bun-

desrat, dessen Mitglieder (im Gegensatz zum Reichstag) von den Regierungen ernannt wurden; die Aufteilung der Sitze nach Einwohnerzahlen gab Preußen ein Übergewicht. – Seit 1949 Parlament der Bundesrepublik Deutschland (entsprechend dem früheren Reichstag), auf 4 Jahre in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Bundesverfassungsgericht, Sitz in Karlsruhe, seit 1951 bestehendes unabhängiges höchstes Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland, übt die Kontrolle der Gesetzgebung in Übereinstimmung mit der Verfassung (Grundgesetz, GG) aus; besteht aus 2 Senaten mit je 8 Richtern, die je zur Hälfte vom Bundesrat und Bundestag gewählt werden. Bundesversammlung, zur Wahl des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland zusammentretendes Kollegium, dem die Mitglieder des Bundestages und ebenso viele (gewählte) Vertreter der Landtage angehören. Bundeswehr, Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, in die NATO integriert, entstanden durch Änderungen des Grundgesetzes in den Jahren 1954 und 1956, welche die Wehrgesetzgebung konstituierten, allg. Wehrpflicht seit 21. Juli 1956, seit 2001 in allen Bereichen auch für Frauen offen. An der Spitze der B. steht der Bundesminister der Verteidigung, im Verteidigungsfall der Bundeskanzler. Ursprünglich Verteidigungsstreitkräfte, seit 1993 auch in „Out of Area“-Einsätzen im Rahmen der UN eingesetzt, 1999 im Rahmen des Eingreifens der NATO im Kosovo-Konflikt erster Kampfeinsatz der Bundeswehr. Weitere Einsatzgeb. der B. seit Jan. 2002 Afghanistan und im Rahmen des Internationalen Kampfes gegen den Terrorismus das Horn von Afrika. Bundschuh, im MA der derbe, mit Riemen zusammengeschnürter Bauernschuh, Feldzeichen der aufständ. Bauern in Südwestdeutschland 1492/1525. 140

Burg Bunker Hill bei Boston, 1775 im amerik. ↑ Unabhängigkeitskrieg Gefecht zw. Eng-

ländern und den aufständ. nordamerik. Kolonisten. Bunsen, Christian Karl Josias, Freiherr von, preußischer Diplomat und Schriftsteller, 1791–1860; Freund Friedrich Wilhelms IV., trotz seiner liberalen Prinzipien als Nachfolger Niebuhrs preuß. Geschäftsträger beim Vatikan, im Zusammenhang mit dem ↑ Kölner Kirchenstreit abberufen; später in London während der schleswig-holstein. Krise; wegen seines Eintretens für Preußens Teilnahme am Krimkrieg gegen Russland abberufen. Bunzelwitz, niederschles. Dorf bei Schweidnitz, 1761 befestigtes „Hungerlager“ der unterlegenen preuß. Armee unter Friedrich d. Gr., das die vereinigten Österreicher und Russen nicht anzugreifen wagten. Buonarotti, Filippo, ital.-frz. Revolutionär, 1761–1837; wegen oppositioneller Umtriebe aus der Toskana verbannt, ging nach Korsika, 1793 nach Paris, Vertrauter Robespierres, dann als Teilnehmer an der Verschwörung Babeufs verbannt. Burckhardt, l) B., Jacob, schweizer. Kunst- und Kulturhistoriker, 1818–1897; Schüler Rankes, gleichbedeutend in der Originalität der Deutung und Gediegenheit der Darstellung; humanitärer Geist, sah entgegen dem Fortschrittsoptimismus seines Jh. das Kommen neuer Barbarei voraus; vertrat einen ästhet. kulturellen Individualismus gegen Materialismus und Staatsallmacht, bes. des modernen Wohlfahrtsstaates; mit seinem Pessimismus beeinflusste er nachhaltig bes. Nietzsche und Spengler. 2) B., Carl Jacob, schweizer. Staatsmann und Schriftsteller, 1891– 1974; 1937–1939 Völkerbundskommissar in Danzig (Politik des Ausgleichs); 1944– 48 Präsident des IRK; Verfechter der europ. Einheit. Buren (holländ. = Bauern), Nachkommen der holländ., später auch niederdt.

und hugenott. Kolonisten in Südafrika (1615 Gründung der Kapkolonie, der ersten afrikan. Siedlerkolonie); strenggläubig und konservativ, ein Teil von ihnen wanderte nach der Eroberung der Kapkolonie durch die Engländer nordwärts und gründete 1842 den Oranje-Freistaat, 1853 die Südafrikan. Republik (Transvaal), die nach ihrer – durch innere Schwierigkeiten erleichterten – Annexion (1877) den Engländern 1881 am Majubaberg eine schwere Niederlage beibrachte und sich dadurch bedingte Unabhängigkeit erkämpfte; systemat. Einkreisung der B.Republik durch die Engländer (Basuto, Betschuanaland, Rhodesien), beschleunigt durch Gold- und Diamantenfunde; 1895 Abwehr des Überfalls der brit. Jameson-Freischärler; Gesetzgebung gegen brit. Überfremdung unter Präsident Krüger Anlass zum Einschreiten Englands: 1899– 1902 Burenkrieg (international bedeutsam, weil er Englands militär. Schwäche zu Lande enthüllte): infolge erdrückender brit. Übermacht, Verwüstung der Farmen und Internierung von Frauen und Kindern in Konzentrationslagern schließlich Kapitulation der B.; ihre Republiken wurden brit. Kolonien; 1906/07 Selbstverwaltung, 1910 Zusammenschluss zur ↑ Südafrikan. Union, Aussöhnung mit England, doch Opposition des nationalist. Flügels. Burg, befestigter Ort, an dem man sich „bergen“ kann; als befestigte Anlage an schwer zugänglicher Stelle angelegt (auf steilen Bergen, zw. Wasserläufen; Wasserburgen, mit Wall und Graben); bis zur Karolingerzeit Volksburgen als Zuflucht für die Gesamtbevölkerung bei Feindeinfällen (Fluchtburg/Fliehburg);später Herrenburgen als Wehr- und Wohnanlage der Grafen und des grundbesitzenden Adels, aus dem sich der Ritterstand entwickelte; seit dessen Blüte im 11.–13. Jh. Bau zahlreicher Ritterburgen (Hauptteile: Palas = Herrenhaus mit Rittersaal, Kemenate = mit Kamin versehene Wohn- und

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Burgenland Frauengemächer, Bergfried = Hauptturm als letzte Zuflucht, Kapelle, Wirtschaftsgebäude, unterirdisches B.-Verlies, Ziehbrunnen, Zugbrücke, Wehranlagen mit Zinnen, Scharten, Pechnasen usw.); mit dem politisch-sozialen Niedergang des Ritterstandes infolge Erstarkung des Territorialfürstentums sanken viele B. zu Raubnestern (Raubritterburgen) herab und wurden zerstört (durch weittragende wirkungsvolle Pulverwaffen); an die Stelle der (oft ungewöhnlichen) Burg trat seit dem 15./16. Jh. das großzügiger angelegte fürstliche Schloss, militär. die den neuen Verhältnissen (Belagerungsgeschütze) angepasste Festung. Burgenland, seit 1918 Bezeichnung für die früheren westungar. Komitate Eisenburg, Ödenburg und Wieselburg, bewohnt von den deutschsprachigen Heanzen, seit 1921 österr. Bundesland außer Ödenburg, das nach Scheinabstimmung 1922 wieder ungar. wurde; das B., früher „Armenhaus Europas“, heute wirtsch. gut entwickelt (Landwirtschaft, Industrie). Bürger, urspr. Burgverteidger, dann der Bewohner einer befestigten Anlage (Burg), seit dem 10./11. Jh. entwickelte sich ein neuer Stand zwischen Adel und Geistlichkeit mit dem Ziel der kommunalen Selbstverwaltung: das B.tum; die Entwicklung dieses seit dem späten MA wirtsch. wie kulturell eindeutig führenden Standes war eng mit der des Städtewesens verknüpft und ist ein besonderes Zeichen der abendländ. Sozialentwicklung gegenüber der oriental.; Inhaber des vollen städt. Bürgerrechts und Träger der städt. Selbstverwaltung waren zunächst die Patriziergeschlechter, im späten MA erkämpften sich auch die zünftigen Handwerker und Kleinkaufleute die Ratsfähigkeit; nichtzünftige Handwerker, Gesellen und Dienstleute, Juden und Geistlichkeit besaßen kein Bürgerrecht; für die örtlich verschiedene Abstufung der B.rechte war in der Regel Grundbesitz oder die Führung eines eigenen Haushalts

maßgebend. Als ausschlaggebend erwies sich die überlegene wirtsch. Leistungsfähigkeit des B.tums insges. gegenüber den privilegierten Ständen; seit dem 18. Jh. kämpfte das B.tum um die polit. Gleichberechtigung, als „Dritter Stand“ errang es in der Frz. Revolution einen vollständigen Sieg, in Deutschland kam es 1848 nur zu Teilerfolgen, das B. blieb weiterhin Träger des polit. Liberalismus; staatspolitisch erweiterte sich der Begriff des B. zum Staatsbürger (einschließlich der ländlichen Bevölkerung) mit verfassungsmäßig garantierten gleichen Rechten, ihm entsprach in Frankreich der citoyen; soziologisch dagegen wurde im 19. Jh. das in einem spezif. Sinne jetzt als ↑ „Bourgeoisie“ bezeichnete Bürgertum innerhalb der Klassengesellschaft, die es an Stelle der alten Ständeordnung geschaffen hatte, aus seiner Angriffsstellung vom „Proletariat“ allmählich in die Verteidigung gedrängt. Burgfriede, im MA der durch Verbot oder Einschränkung der Fehde verstärkte persönliche Rechtsschutz innerhalb einer ummauerten Anlage (Burg oder Stadt); heute die befristete Einstellung innenpolit. Kämpfe an Festtagen (z. B. WeihnachtsB.) oder bei nationalem Notstand (z. B. der Parteien in Deutschland bei Ausbruch des 1. Weltkriegs). Burggraf, im MA der militärisch und richterlich bevollmächtigte Vertreter des Stadtherrn, in Königs- oder Bischofsstädten; später auch als Titel ohne Amt verliehen. Burgiba (Bourguiba), Habib, tunesischer Politiker, 1903–2000; studierte 1924–27 Jura in Paris, gründete 1934 die Neo-Destour-Partei und hatte als ihr Führer wesentlichen Anteil am Kampf um die Unabhängigkeit Tunesiens. 1934–36, 1938– 1942 und 1952–54 saß B. in frz. Gefängnissen. 1955 kehrte er nach Tunesien zurück und wurde Ministerpräsident, nach Abschaffung der Monarchie 1957 Staatspräsident. B. lehnte panarabische Hege142

Burkina Faso moniebestrebungen ab, seine Politik war westlich orientiert; 1987 gestürzt. Burgoyne, John, brit. General, 1722– 1792; musste als Oberbefehlshaber im nordamerik. Unabhängigkeitskrieg 1777 bei Saratoga kapitulieren. Burgund, frz. Bourgogne, histor. Landschaft im Rhone-Saône-Gebiet; im MA ein meist selbständiges Reich von oft wechselndem Umfang; benannt nach den ↑ Burgundern, deren letztes Reich an der Rhone 534 von den Franken zerstört wurde; aus dem fränk. Teilreich B. bildeten sich beim Zerfall des Karolingerreiches zwei selbständige Königreiche unter dt. Lehenshoheit: 879-Nieder-B. (nach seiner Hauptstadt Arles Arelat genannt) mit der Provence; unter Boso 887 Hoch.B. (Hauptstadt Besançon) mit der Freigrafschaft B. (Franche-Comté) und der Westschweiz unter dem Welfen Rudolf I.; 933/34 beide Reiche vereint zum Königreich Arelat; 1033–1034 durch Erbschaft an die dt. Könige, allmählich Auflösung in mehrere Territorien, die größtenteils an Frankreich fielen (Provence, Dauphiné, Savoyen, Franche-Comté); daneben bestand seit dem 10. Jh. das Herzogtum B. mit der Hauptstadt Dijon, 1361 von der frz. Krone eingezogen und 1363 an eine königliche Nebenlinie (Valois) verliehen, von Karl dem Kühnen (1467–1477) zu einem mächtigen Reich zwischen Alpen und Nordsee ausgebaut, nach seinem Tod (1477) zw. Frankreich und Habsburg aufgeteilt bzw. umstritten: Niederlande und Freigrafschaft B. zu Habsburg (1512), Errichtung eines Burgund. Kreises; 1556 an die span. Habsburger; Herzogtum B. zu Frankreich; 1678 (Nimwegen) fiel auch die Freigrafschaft an Frankreich. Burgunder, ostgerman. Volk, urspr. auf Bornholm, dann zw. unterer Oder und Weichsel, im 4. Jh. n. Chr. am Main, 406– 413 Bildung eines Reiches um Worms, das von dem röm. Feldherrn Aëtius und den ihm verbündeten Hunnen 436 ver-

nichtet wurde (Nibelungensage). Rest des Volkes im Rhone-Saône-Gebiet angesiedelt (↑ Burgund). Burian, Stephan Freiherr von, österr.-ungar. Staatsmann, 1851–1922; 1915/16 und 1918 Minister des Auswärtigen, infolge Meinungsverschiedenheiten mit der dt. Regierung zum Abschluss eines Separatfriedens für Österreich-Ungarn entschlossen. Burke, Edmund, brit. Staatsmann und polit. Denker, 1729–1797; Fürsprecher der Freiheitsbewegung der Nordamerikaner, Iren, Korsen, Polen und Inder, doch nach 1789 Verfechter einer konservativen Staatsauffassung gegen die Frz. Revolution als ein „zerstörendes Experiment radikaler Doktrinäre ohne polit. Instinkt“ und Sinn für polit. Realitäten, betrachtete demgegenüber Staat und Gesellschaft als etwas organ. Gewachsenes, verwarf die Massendemokratie und trat für ein parlamentar. System mit führender Elite ein; beeinflusste den Freiherrn vom Stein, Gentz und Adam Müller. Burkina Faso, (Land der ­Unbestechlichen), Republik in Westafrika (bis 1984 Obervolta); 1896 wurden die Reiche der Mossi von Ouagadougou, Oatenga und Tenkodogo von den Franzosen erobert. 1919 Konstitution als Kolonie und Eingliederung in Frz.-Westafrika, 1932 aufgelöst und unter die Kolonien Elfenbeinküs­te, Sudan und Niger aufgeteilt. Im Rahmen der Frz. Union 1947 als Territorium wiederhergestellt, 1960 in die Unabhängigkeit entlassen. 1965/66 Militärputsch unter General S. Lamizana (Staatsoberhaupt bis 1980). Die Verfassung von 1977 wurde 1980 vom Militär außer Kraft gesetzt. Im Nov. 1982 wurde das „Militärkomitee für die Wiederaufrichtung des Nat. Fortschritts“ durch einen wiederholten Putsch gestürzt, J. B. Quedraogo wurde im August 1983 ebenfalls durch Putsch abgelöst, Th. Sankara setzte als neuer Machthaber den Namenswechsel durch und verstaat-

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Burleigh lichte Grund und Boden, im Okt. 1987 fiel er einem blutigen Putsch unter Justizminister B. Campaore zum Opfer. Im Laufe der nächsten Jahre wurden wieder Parteien zugelassen, 1991 wurde Compaoré bei einer Wahlbeteiligung von unter 30 % (die Opposition hatte zum Boykott der Wahl aufgerufen) zum Staatspräsidenten gewählt. Im Mai 1992 erstmals seit 14 Jahren wieder Parlamentswahlen, 1996 Zusammenschluss der Regierungspartei ODP-MT (Organisation pour la Démocratie Populaire-Mouvement du Travail) mit zehn bisherigen Oppositionsparteien zum CDP (Congrès pour la Démocratie et le Progrès) zusammen, 1998 Wiederwahl Compaorés. Burleigh (Burghley), William Cecil, Baron, engl. Staatsmann, 1520–1598; leitender Minister der Königin Elisabeth seit 1558, entschiedener Gegner Maria Stuarts und Spaniens; setzte den Protestantismus in England durch. Burma, Name (bis 1989) von ↑ Myanmar. Burmastraße, im Anschluss an die Bahnstrecke Rangun-Lashio über das Grenzgebirge nach Südwestchina, 1936–1939 erbaut, 1100 km lange strateg. Gebirgsstraße, um China im Kampf gegen Japan mit Kriegsmaterial zu versorgen. Bürokratie (frz.-griech.), die hierarch. gegliederten Kräfte des Beamtentums sowie das polit. System eines Staates, in dem das zu einem Berufsstand zusammengefasste Beamtentum polit. Macht ausübt; B. ist gekennzeichnet durch abgegrenzte Aufgabenverteilungen, Befehlsgewalten und Kompetenzen, durch beruflichen Aufstieg in vorgegebenen Laufbahnen, festgegliederte Bezahlung und genaue Aktenführung über sämtliche Vorgänge; V. Seigneur de Gournay prägte den Begriff B. bereits 1745; urspr. nur auf die vom Berufs­ beamtentum durchgeführte staatl. Verwaltung bezogen, wurde der Begriff B. bes. seit Anfang des 20. Jh. auch auf private Wirtschafts- und Organisations­formen

angewendet; in jüngster Zeit sind bürokratische Verwaltungen häufig der Kritik ausgesetzt wegen ihrer Tendenz zur Verselbständigung und Eigengesetzlichkeit. Burschenschaften, dt. Student. Bewegung, gegr. 1815 in Jena: veranstaltete 1817 Wartburgfest (↑ Wartburg), trat für die dt. Einheit und polit. Freiheiten ein; 1819 nach der Ermordung ­ Kotzebues durch den Studenten Sand verboten (↑ Karlsbader Beschlüsse) und verfolgt bis 1848; danach farbentragende Student. Verbindungen nach dem Muster der Corps; als Gesamtverband 1883–1934 der Allg. Dt. Burschenbund, daneben seit 1902 die Burschenschaft, 1935/36 aufgelöst; nach dem 2. Weltkrieg neu entstanden. Burundi, Republik in O-Afrika; wahrscheinlich im 17. Jh. von den Tussi gegr., seit 1890 Teil von Dt.-Ostafrika, zus. mit Ruanda 1919 Völkerbundsmandat und 1946 als UN-Treuhandgebiet unter belg. Verwaltung, 1962 unabhängiges Königreich, 1966 Republik. Im Innern Gegensätze zwischen der unterdrückten Bevölkerungsmehrheit der Hutu (85 %) und den Tutsi, die fast alle Machtpositionen besetzten; blutige Auseinandersetzungen (Bürgerkrieg) 1972, 1988 und 1993 führten zu Hunderttausenden Toten und Flüchtlingen, 2000 auf Vermittlung N. Mandelas Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen den verfeindeten Gruppierungen, trotzdem weiterhin Gefechte zwischen der Armee und den Hutu-Rebellen. Busch, 1) B., Hermann von dem (Buschius Pasiphilus), dt. Humanist, 1468– 1534; Parteigänger Reuchlins im Kampf gegen die Kölner Dominikaner, Freund Huttens. 2) B., Moritz, dt. Journalist, 1821–1899; seit 1870 Mitarbeiter Bismarcks, vielgelesener Autor zahlreicher Bücher über den Reichskanzler. Busento, Nebenfluss des Crati in Kalabrien; nach der Sage wurde in seinem Bett bei Cosenza 410 ↑ Alarich begraben (neue Ausgrabungen bisher ergebnislos). 144

Byzantinisches Reich Bush, George Herbert Walker, amerik.

Politiker, geb. 1924; seit 1966 als Abgeordneter der Republikaner im Repräsentantenhaus, 1970–72 UNO-Botschafter, danach zwei Jahre Vorsitzender seiner Partei, 1976–77 Leiter des Geheimdienstes CIA, 1981 Vizepräsident unter ↑ Reagan, 1989–1993 41. Präsident der Vereinigten Staaten, trat in seiner Amtszeit innenpolitisch für die Sanierung der Staatshaushaltes und Bekämpfung der Drogenkriminalität ein; außenpolitisch Verständigung mit ↑ Gorbatschow über Abrüstungsfragen. Sein Nachfolger Bill ↑ Clinton wurde 2001 wiederum von B.s Sohn George Walker Bush abgelöst. Bute, John Stuart, Earl of, brit. Staatsmann, 1713–1792; schloss 1763 nach dem Rücktritt des älteren Pitt mit Frankreich und Spanien den Frieden von Paris. Butler, Walter, kaiserlicher Oberst, irischer Abstammung; organisierte 1634 in Eger die Ermordung Wallensteins. Bylinen, epische Heldenlieder der russ. Volksdichtung; Blütezeiten als höf. Kunst im 11./12. Jh. in Kiew, im 13./14. Jh. in Nowgorod und u. a. im 16. Jh. in Moskau, danach als Volkskunst weiter tradiert. Die B. berichten, z. T. märchenhaft ausgeschmückt, über histor. Ereignisse und Personen, z. B. über Wladimir d. Gr., Iwan d. Schrecklichen, Peter d. Gr. Byrd, Richard, nordamerik. Flieger und Polarforscher, 1888–1957; flog 1926 mit F. Bennet als erster zum Nordpol, erforschte 1929/30 den Südpol mit Flugzeugen, leitete 1946/47 die größte amerik. Antarktisexpedition und bereitete die amerik. Expedition des Geophys. Jahres 1957/58 vor. Byron, George Noel Gordon, Lord, engl. Dichter, 1788–1824; Lyriker und Dramatiker der Romantik (Weltschmerz); seine Werke zählen zur Weltliteratur und beeinflussten nachhaltig die europäische Literatur des 19. Jh.; B. führte ein abenteuerliches Leben, nahm an der Verschwörung

der Carbonari und am Freiheitskampf der Griechen teil, starb während des Kampfes in ↑ Missolunghi. Byzantinisches Reich (Byzanz, Ostrom), abendländ. Bez. für das Oström. Reich; hervorgegangen aus der Reichsaufgliederung ↑ Diokletians, die Konstantin durch die äußerst bedeutungsvolle, aus strateg. Gründen (gegen die Perser) erfolgende Verlegung der Reichshauptstadt von Rom nach Byzanz (= Konstantinopel) 330 bekräftigte; 395 endgültige Teilung des Imperiums unter ↑ Theodosius, dem letzten Alleinherrscher des Gesamtreiches, der das Reich unter seine Söhne Arkadius (Osten) und Honorius (Westen) aufteilte. Das B. R. umfasste um 400 den Balkan südl. der unteren Donau (etwa ab Belgrad), aber ohne Dalmatien, Kleinasien bis ans Hochland von Armenien, Syrien, Paläs­ tina, Sinaihalbinsel, Ägypten und Libyen und alle O-Mittelmeerinseln: ungefährer Grenzverlauf zw. Ost und West: Belgrad – Südostspitze Italiens – Große Syrte. Anders als Westrom verstand es Ostrom, sich der Germaneneinfälle zu erwehren und von den Erschütterungen der Völkerwanderung zum großen Teil verschont zu bleiben: Abwehr der Westgoten (teilweise Ansiedlung auf byzantin. Reichsgebiet), der Hunnen unter Attila und der Ostgoten unter Theoderich; dadurch Staatsentwicklung ohne Germanenanteil, Bewahrung des spätantik-lat., vornehmlich aber des griech.-hellenist. Sprach- und Kulturerbes mit zunehmender Ausprägung eines griech.-byzantin. Nationalgeistes, auch im kirchlichen Bereich: 451 Gründung des Patriarchats von Konstantinopel; Ausbau der Verfassung der griech. Kirche; in dieser Zeit Hochblüte der Theologie und christlichen Philosophie; Entfaltung des weltflüchtigen griech. Mönchtums. Nach dem Zusammenbruch des Weström. Reiches 476 n. Chr. bewahrte im Westen das Papsttum die gesamtröm. Kaiser- und Reichsidee (vorerst in Abhängigkeit von

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Byzantinisches Reich Ostrom, bis die Päpste die Franken als ihre Schutzmacht anerkannten), im Osten beanspruchten die byzantin. Kaiser das Kaisererbe und verbanden die Funktion des Cäsars mit der des Pontifex maximus („Cäsaropapismus“ gegenüber dem späteren Dualismus Kaiser und Papst im Westen). Vom Osten ging unter Kaiser Justinian I. (527–565) der letzte tatkräftige Versuch aus, Ostrom wieder zum Haupt eines röm. Gesamtreiches zu machen; nach Kodifizierung des gesamtröm. Rechtes im (noch lat. verfassten, christlich durchsetzten) ↑ Corpus iuris (534); Zurückeroberung eines Teiles der weström. Reichshälfte; es wurden Nordafrika nach Zerstörung des Vandalenreiches durch ↑ Belisar (534), Italien nach Vernichtung des Ostgotenreiches durch ↑ Narses (552–554) und ein Teil des westgot. Südspaniens (554) oström. Reichsglieder; vorübergehende Überwindung des abendländ. Schismas (wegen der christolog. Frage); Bau der Hagia Sophia als neuem Reichssymbol; unter Justinian Vorstoß der ↑ Slawen und ↑ Bulgaren in die byzantin. Balkanprovinzen und der Perser in Kleinasien (hier wurde die Friedenssicherung durch Tributzahlung erkauft; starker Einfluss des Orients auf die byzantin. Herrscheridee). Unter Justinians Nachfolgern Verlust von großen Teilen Italiens an die Langobarden (seit 568) und Aufteilung Italiens in lango­bard. und byzant. Einflussgebiete (byzantin. ­ waren u. a. das Exarchat Ravenna mit Unter­ italien und Sizilien und ↑ Dukat Rom). Nach Festsetzung der Slawen auf dem Balkan unter Kaiser ↑ Heraklius I. (61()641) Reichsreform zur Stärkung der Abwehrkraft: Aufteilung in Wehrkreise (Themen) unter kommandierenden Generalen (auch in den ital. und nordafrikan. Provinzen), Wehrbauerntum an den Grenzen; Hellenisierung der Kultur (Griechisch wurde Amtssprache, der Kaiser nannte sich ↑ Basileus); drei Kreuzzüge gegen die Per-

ser (Zusammenbruch des ↑ Sassanidenreiches, 627); Abwehrkämpfe gegen Awaren und Slawen. In der Folge tauchten als neue Gegner das Donaubulgar. Reich (seit 680) und die Araber auf, die Ägypten, Syrien, Paläsrina erobert hatten und byzantin. Provinzen in Persien besetzten, aber 678 und 718 vor Konstantinopel zurückgeworfen wurden (Rettung des Abendlandes): Kleinasien blieb byzantin. Bollwerk gegen den Islam. Im 8. und 9. Jh. 100-jähriger zerrüttender ↑ Bilderstreit (Heiligenbilderverehrung als gotteslästerlich verboten, Vernichtung der Bilder); Höhepunkt des Bilderstreits unter Leo III. (717–741) und Konstantin V. (741–775), Zulassung der Bilderverehrung unter Kaiserin Irene (780–802), endgültig unter Kaiserin Theodora 843. Langobarden eroberten 751 ↑ Exarchat von Ravenna, der Papst beanspruchte Dukat von Rom; nur Unteritalien und Sizilien (bis 827) blieben byzantin. (Anerkennung des Kaisertums Karls d. Gr., Hinwendung des Papsttums zum Frankenreich); obwohl sich die Byzantiner noch Römer nannten, weitere Entfremdung zwischen Ost und West. Gegen Leo VI. den Weisen (886–912), der sich „Auserwählter Gottes“ nannte und ein absolutist. Regiment führte, verfocht Patriarch Photias die Zweigewaltenlehre; das Corpus iuris Justinians wurde durch neues Reichsgesetz abgelöst (Festigung des Beamtentums, Zunftordnung für Handel, Schiffbau; Seidenherstellung). Unter Konstantin VII. Porphyrogennetos (912–963) Blüte der Wissenschaften („Makedonische Renaissance“ antiker Schriftsteller), Förderung der Klein- und Wehrbauern. 961 wurden Kreta, 965 Zypern, 969 Teile Syriens, 974/75 Teile Palästinas dem Islam entrissen, 972 wurde Bulgarien byzantin. Provinz; Beginn der Missionierung des Balkans (Serbien, Bulgarien) und Mährens im Sinne des byzantin. Christentums; weltgeschichtlich folgenreich wurde die Christianisierung Russlands bes. unter ↑ Basilios II. 146

Byzantinisches Reich (976–1025); das B. R. erstreckte sich von der Adria bis Armenien, von der Donau bis zum Euphrat; doch nach Aufgabe der Themenverfassung und der Einführung eines Söldnerheeres anstelle des Wehrbauerntums und durch das Übergewicht der Zivilverwaltung und der Großgrundbesitzer Aufstieg der Territorialgewalten und Schwächung der Wehrkraft, vor allem im Kampf gegen die Offensive der ↑ Petschenegen von der Donau her, der Normannen (Verlust Unteritaliens) und der türk. ↑ Seldschuken (Verlust Inner-Kleinasiens). Unter Konstantin IX. (1042–1055) wegen dogmat. und kirchenpolit. Streitfragen Trennung der Ost- und Westkirche 1054 (gegenseitige Bannung Papst Leos IX. und des Patriarchen Michael Cärularius’), später Übergreifen des Schismas auf bulgar., rumän., serb. und russ.-orthodoxe Kirche (↑ Ostkirche). In den folgenden Jahren Tiefpunkt der byzantin. Macht. Italien war restlos, der Balkan teilweise, Kleinasien fast völlig verloren; die Zentralgewalt gelähmt; Währungsverfall; 1081 begründete General Alexios Komnenos als ↑ Alexios I. (1081–1118) die KomnenenDynastie und schlug mit Hilfe Venedigs und Genuas die Normannen zurück; Venedig erhielt 1082 Handelsvorrechte (Beginn seines Seereiches); Alexios gewann im 1. Kreuzzug 1096/97 Teile ­Kleinasiens zurück; Manuel I. (1143–1180) erstrebte ver­ geblich Zurückgewinnung Italiens; nach ihm Zersetzung des Reiches durch Thronfolgekämpfe, um 1200 Verlust des Balkans; Byzanz, für Fehlschläge in den Kreuzzügen verantwortlich gemacht, wurde auf Betreiben Venedigs unter Führung des vertriebenen Kaisersohnes Alexios IV. Angriffsziel des 4. Kreuzzuges und fiel 1204 in die Hand der Kreuzfahrer; Errichtung des ↑ lat. Kaisertums in Byzanz und Umgebung; Zerfall des übrigen Reichsgebietes in Herzogtümer, Grafschaften, Baronien und die Teilreiche von Epirus an der Adria, Trapezunt am Schwarzen Meer, Nicäa in

Nordwest-Kleinasien; starke kulturelle gegenseitige westöstl. Durchdringung, aber kirchliche und soziale Gegensätze zwischen Herrschenden und rechtloser Bevölkerung; der Dynastie von Nicäa (Paläologen) gelang 1261 die Wiedergewinnung von Konstantinopel (Ende des lat. Kaisertums). Kaiser ↑ Michael VIII. Palaiologos (1258–1282) suchte gegen Venedig das Bündnis Genuas und durch Union mit der röm. Kirche (Konzil von Lyon 1274) Beendigung des Schismas, scheiterte aber an innerem Widerstand; um 1300 ging Kleinasien erneut verloren. Das 14. Jh. war gekennzeichnet durch das weitere Vordringen der Türken, die Konstantinopel umgingen und Bulgarien, Serbien, Thessalien, Griechenland, die Dobrudscha besetzten; Kulturzentrum war zeitweise Mistra (Sparta) auf dem Peloponnes. ↑ Johannes V. (1354–1391) erhoffte durch erneutes Unionsangebot militär. Hilfe des Westens; auch er scheiterte an den inneren Gegensätzen (sozialradikale Bewegung, myst. Sektierer); um 1400 war das B. R. fast ganz auf die Hauptstadt beschränkt; das kirchliche Erbe trat Moskau an; erneute Unionspläne schlugen fehl (1437 in Rom, 1439 in Florenz), da sie vom Volk und von Russland abgelehnt wurden („Lieber ein türk. Turban als eine röm. Mitra“); auch der letzte Aufruf zur Union 1452 und zur Hilfeleistung war vergebens und wurde von den in partikularist. Interessen befangenen abendländ. Staaten überhört; nur eine kleine päpstliche Hilfstruppe eilte nach Konstantinopel. Die durch Mongolenangriffe vorübergehend geschwächten Türken begannen 1453 unter Sultan Mehemed II. (1451– 1481) die Belagerung Konstantinopels, das sie am 29. Mai unter Einsatz schwerer Artillerie eroberten; der letzte Paläologe, Kaiser Konstantin XI. Dragasas, fiel; Konstantinopel wurde türkische Hauptstadt (Stambul). 1456 wurde Athen, 1460 der Peloponnes, 1461 Trapezunt erobert, das

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Byzanz sich seit 1204 als eigenes Kaiserreich erhalten hatte; der Südwesten des Abendlandes war dem weiteren Vordringen der Türken geöffnet; 1459 eroberten sie Serbien, 1463 Bosnien, 1464 die Walachei, 1479 Albanien, 1483 die Herzegowina, 1526 fast ganz Ungarn, die Verteidigung des Abendlandes übernahm das Haus Habsburg. Die lange Zeit unterschätzte Bedeutung des B. R. liegt nicht nur in der Abdämmung der Anstürme, denen Europa vom Osten (Slawen) und vom Orient (Islam) her ausgesetzt war, sondern v. a. auch in seinen Kulturleistungen, die sowohl in das Abendland wie in den Vorderen Orient und nach Russland ausstrahlten: Das christliche theologisch-philosophische Denken des frühen Mittelalters wurde entscheidend mitgeprägt durch die Schriften frühbyzantin. Theologen (u. a. Eusebius, Athanasius, Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomos); bis in die Stauferzeit wirkte Byzanz auf das abendländ. Kaisertum einerseits durch Heiraten, andererseits als Vorbild für Herrschaftsordnungen, Hofzeremonien und Lebensformen, die Araber übernahmen vom B. R. Heeresordnungen, Waffen- und Schiffbautechniken. In die profane Literatur des Abendlandes strömten starke Einflüsse aus den Werken der byzantin. Geschichtsschreiber, Altertumskundler, Philosophen und vor allem der Übersetzer, da Byzanz das hellen. und hellenist. Erbe umfassender bewahrte als der Westen; auf dem Gebiet der bildenden Kunst war die Ausstrahlungskraft des B. R. besonders groß; die Kunst entwickelte sich aus frühchristlichen, spätantiken, später auch oriental. Elementen und gelangte mehrmals zu hoher Blüte (Architektur, Mosaik- und Reliefkunst, Raumdekoration, Wandmalerei, Elfenbeinschnitzerei, Bronzeguss, Seidenweberei); Ravenna (Kirche, Mosaiken), Venedig (Markusdom), Rom, Süditalien, Sizilien, aber auch Russland, der Balkan, Armenien, Geor-

gien bergen viele Zeugen des byzantin. Kunsteinflusses; in der ital. Malkunst des 13. Jh. ist die „maniera greca“ oder „bizantina“ ein fester Begriff; auch die dt. Romanik und Gotik und der dt. Humanismus erhielten Anregungen aus dem byzantin. Kunst- und Kulturbereich. Byzanz (Byzantion), um 660 v. Chr. von Dorern aus Megara gegr. Kolonie am Bosporus, handelspolit. bedeutend, 515 v. Chr. persisch, 478 v. Chr. von Pausanias befreit, der 7 Jahre in B. blieb; Mitglied des Att. Seebundes, nach 405 v. Chr. vorübergehend unter spartan. Herrschaft; 340 v. Chr. erfolglose Belagerung durch Philipp II. von Makedonien, selbständig auch unter Alexander d. Gr. und den Dia­dochen; um 278 v. Chr. von den Kelten heimgesucht, im 2. Jh. v. Chr. mit Rom gegen dessen kleinasiat. Gegner verbündet und darum als sog. Freie Stadt privilegiert; 196 n. Chr. von Septimius Severus wegen der Parteinahme für den Gegenkaiser nach dreijähriger Belagerung größtenteils zerstört; 330 von Konstantin d. Gr. als Roma Nova (Neu-Rom) feierlich zur Residenz erhoben, großzügig ausgebaut und Konstantinopel benannt; 395 bei Teilung des Reiches durch Theodosius Hauptstadt des Oström. (↑ Byzantin.) Reiches, Sitz eines Patriarchen (seit dem 5. Jh. Oberhaupt der griech.-orthodoxen oder Ostkirche); ↑ Hagia Sophia anstelle der gleichnamigen, 330 errichteten, später abgebrannten Kirche, erbaut 532–535; oftmals belagert (622 Doppelangriff der Awaren, Slawen und Perser; 674/78 und 717/18 Angriffe der Araber siegreich abgewiesen); 1204 von Kreuzfahrern genommen und Hauptstadt des ↑ lat. Kaisertums, 1261 vom griech. Kaiser Michael VIII. Palaiologos zurück­ erobert; 1453 Eroberung durch die Türken, deren Hauptstadt es bis 1923 blieb (Istanbul, Stambul).

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Cabet

C

Cabet, Etienne, frz. Kommu-

nist, 1788–1856; schrieb den utop. Roman „Reise nach Ikarien“, versuchte den Kommunismus auf friedlichem Wege zu verwirklichen, gründete 1848 in Texas und 1851 in Illinois mit Anhängern aus Frankreich „ikar.“ Kolonien, scheiterte jedoch. Caboto, Giovanni (John Cabot), ital. Seefahrer in engl. Diensten, um 1420–1498; entdeckte 1497 auf der Suche nach der Nordwestpassage (noch vor Kolumbus, der erst auf seiner 3. Fahrt 1498–1500 Südamerika anlief ) das amerik. Festland (Labrador), gelangte bis zur Küste Neufundlands und südl. vielleicht bis Florida. Cabral, Pedro Alvarez, portug. Seefahrer, um 1460–1526; landete 1500 in Brasilien (das er für die portug. Krone in Besitz nahm), als er auf der Indienfahrt westwärts abgetrieben wurde; gründete die ers­ten portug. Faktoreien in Indien. Cadiz, Hafenstadt an der span. Atlantik­ küste, phönik. Gründung um 1100 v. Chr.; seit etwa 500 v. Chr. bedeutender karthag. Handelsplatz; 206 v. Chr. von den Römern erobert (Gades); 711–1262 n. Chr. in Händen der Araber, dann an Kastilien, Hauptstapelplatz des span. Kolonialhandels; seit dem 18. Jh. Hafen der Silberflotte, mehrmals von den Engländern angegriffen, 1810 und 1823 von den Franzosen belagert, im 19. Jh. revolutionärer Unruheherd. Cadoudal, Georges, frz. Royalistenführer, 1771–1804; 1799 Führer der bret. ↑ Chouans gegen die frz. Revolutionäre, ging nach der Niederschlagung des Aufstandes nach London; 1803/04 zus. mit Pichegru Verschwörung gegen Napoleon, hingerichtet. Caen, Hauptstadt des frz. Dep. Calvados, von Wilhelm dem Eroberer um 1060 gegr.; normann.-roman. und got. Bauten, Hauptsitz der Herzöge von der Normandie; in den Kriegen mit England und in den Hugenottenkriegen heiß umstritten; 1944 bei Invasion der Alliierten heftig umkämpft und weitgehend zerstört.

Caere (Cervetri), alte etruskische Stadt

in der Toskana, 353 Friede mit Rom auf 100 Jahre; im MA verfallen, 1536 wurde hier eine Gräberstadt der Etrusker aufgefunden (Wandgemälde, Vasen). Caetano, Marcelo José, portug. Politiker, 1906–1980; seit 1936 enger politischer Mitarbeiter ↑ Salazars bei der Errichtung des portug. Ständestaates; 1968 Ministerpräsident, 1974 durch Militärputsch gestürzt, in Brasilien im Exil. Cafe Filho, Joa Fernandes, brasilian. Politiker, 1899–1970; Mitinitiator des Staatsstreichs von 1930, 1954 Staatspräsident, 1955 Rücktritt wegen innenpolit. Schwierigkeiten. Caillaux, Joseph, frz. Staatsmann, 1863– 1944; 1911/12 Ministerpräsident, im 1. Weltkrieg wegen Hochverrats verhaftet, 1920 verurteilt, 1925 begnadigt; 1925, 1926 und 1935 jeweils für kurze Zeit Finanzminister. Ça ira (frz., „So wird’s geh’n ...“, nämlich „die Aristokraten an die Laterne zu hängen“), Refrain eines vielgesungenen Liedes der Frz. Revolution, das später von der Marseillaise verdrängt und 1797 verboten wurde. Cajetan, Jacobus (eigtl. Thomas de Vio von Gaeta), bedeutendster kath. Theologe der Reformationszeit, 1469–1534; Dominikanergeneral, Kardinal, hochgebildeter Humanist und Scholastiker, versuchte als päpstlicher Legat auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 vergeblich, Luther zum Widerruf zu bewegen. Calais, Stadt und Seefestung, mittelalterl. Gründung; nach der Schlacht von Crécy 1347–155 in englischem Besitz (letzter engl. Stützpunkt auf dem europ. Festland); 1588 fand auf der Höhe von C. die Armadaschlacht statt; 1639 versenkten die Niederländer vor C. eine der span. Silberflotten; im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört. Calatrava, Orden von, span. Ritterorden; 1158 gegr. anlässlich der Verteidigung der span. Stadt Calatrava gegen die Mauren;

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Calhoun später wurde die Großmeisterwürde zu einem Titel der span. Könige. Calhoun, John Caldwell, nordamerik. Staatsmann, 1782–1850; mehrfach Vizepräsident der USA, vertrat gegen die Union die Interessen der Südstaaten (Sklaverei). Calicut, ind. Stadt an der Malabarküste; urspr. Handelsplatz eines Hindu-Fürsten, 1498 erster Landeplatz Vasco da Gamas in Indien, portug. Festung und stärkster kolonialer Stützpunkt; später im Besitz Englands (aus dem Namen C. abgeleitet Kaliko, gefärbter Kattun). Caligula (Gajus Julius Caesar Germanicus), röm. Kaiser (37–41 n. Chr.); geb. 12 n. Chr., Sohn des Germanicus, aufgewachsen im Feldlager (daher C., Soldatenstiefelchen); seine Schreckensherrschaft endete mit seiner Ermordung durch die Prätorianer. Calonne, Charles Alexandre de, frz. Staatsmann, 1734–1802; versuchte als Finanzminister 1783–1785 vergeblich eine Finanzreform vor dem Ausbruch der Revolution; auf seine Veranlassung trat 1787 (zum erstenmal seit 1626) die ↑ Notabelnversammlung zusammen, ohne seine Vorschläge zur Deckung des Defizits zu unterstützen. Calvin (Cauvin), Johann, Reformator, 1509–1564; frz. Herkunft, kam 1536 erstmals nach Genf, geriet – als leidenschaftlicher Fanatiker – in Streit mit den Anhängern der freieren, weniger strengen Lehre Zwinglis, musste fliehen; 1541 zurückgerufen, gründete er die reformierte Kirche und führte ein strenges Kirchenregiment; einer der bedeutendsten Gegenspieler der Gegenreformation; sein Hauptwerk (1536) „Institutio religionis Christianae“; seine Lehre, der ↑ Calvinismus, geprägt von seiner Strenge und Unerbittlichkeit. Calvinismus, durch ↑ Calvin begr. protestant. Religionslehre; in ihrem Mittelpunkt steht die aus der gänzlichen Verderbtheit des Menschen (Erbsünde) gefolgerte göttliche Vorherbestimmung (Prädestination)

zur ewigen Seligkeit oder zur Verdammnis und die Rechtfertigung allein aus dem Glauben (der bei den zur Verdammnis Ausersehenen nur ein Scheinglaube ist). In der von Luther und Zwingli abweichenden Abendmahlslehre wurde 1549 mit den Zwinglianern eine Einigung erzielt; äußerste Einfachheit im Kultus nach dem Vorbild der apostol. Urkirche, Bilder auch nicht als Schmuck in den Kirchen geduldet; republikan. Kirchenverfassung, Presbyterium = Rat der Ältesten an der Spitze, Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Der C. verbreitete sich bes. in Westeuropa (in Frankreich: Hugenotten; in Schottland: Presbyterialkirche des John Knox) und zeigte sich im Gegensatz zum Luthertum auch in weltlich-polit. Fragen (Ideal der Volkssouveränität) kämpferisch interessiert (Auswirkung vor allem in den aufständ. Niederlanden); die Gegenreformation fand den erbittertsten Widerstand beim C.; in Deutschland blieben die Anhänger des C. vom Augsburger Religionsfrieden 1555 ausgeschlossen, doch neigte selbst der Kreis um Melanchthon zum C.; diese „Kryptocalvinisten“ fanden in den luther. Ländern keine Duldung; der C. rächte sich durch entsprechende Intoleranz dort, wo er sich durchsetzte (1562 Pfalz, 1604 Hessen-Kassel); er trug andererseits wesentlich zur Förderung der Toleranz von Staats wegen bei, indem er das Problem der religiösen Minderheit aufwarf; im Dt. Reich wurde der C. 1648 als gleichberechtigt neben kath. und luth. Kirche anerkannt. – Die wirtschaftsund sozialgeschichtliche Bedeutung des C. besteht darin, dass der C. von seinen Anhängern Arbeitseifer fordert und den sichtbaren Erfolg des Arbeitens als eines der Zeichen der Auserwählung ansieht (Auswirkung auf das kapitalist. Denken). Camara, Helder Pessoa (gen. Dom Helder), brasilian. Erzbischof, 1909–1999; Sprecher der progressiven Gruppe der brasilian. Kirche. C. plädierte für „brasilian. Sozialismus“, lehnte Gewaltanwendung ab. 150

Canaris Cambacérès, Jean-Jacques Régis de, frz.

Staatsmann, 1753–1824; Revolutionspolitiker, gemäßigtes Mitglied des Konvents; 1793 Präsident des Wohlfahrtsausschusses, 1799 Justizminister, dann Zweiter Konsul, 1804 Erzkanzler, wesentlich an der Ausarbeitung des Code Napoleon beteiligt; 1808 zum Herzog von Parma ernannt, 1816– 1818 verbannt. Cambon, 1) C., Joseph, frz. Revolutionär, 1754–1820; Mitglied des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses, 1794 an Robespierres Sturz beteiligt; Finanzmann und Förderer des Assignatenwesens; 1816 verbannt. 2) C., Paul, frz. Diplomat, 1843– 1924; 1898–1920 Botschafter in London, treibende Kraft der ↑ Entente cordiale. Cambrai, frz. Stadt an der Schelde; das „Cameracum“ der Römer, von Nerviern besiedelt: im 6. Jh. Bischofssitz; Anfang des 11. Jh. erhielten die Bischöfe die Grafschaft C. (dt. Kammerich) als Reichslehen; 1556 Erzbistum, 1678 an Frankreich; 1508 ↑ Liga von C. – 1529 „Damenfriede“ von C. (ausgehandelt von Margarete von Parma, der Statthalterin der Niederlande, mit Luise von Savoyen, der Mutter des Königs Franz I.) zw. Frankreich und Habsburg. 1917 Tankschlacht von C. (erster Masseneinsatz von Tanks durch die Engländer). Cambridge, 1) Hauptstadt der Grafschaft C. im SO Englands; neben Oxford älteste und berühmteste Universität Englands, 1229 gegr.; 19 Colleges (selbständige Körperschaften); darunter das Trinity College, gegr. 1546 (Schüler: Bacon, Newton, Byron); St. John’s (1511) und Kings College (1441) mit prächtigen Kapellen. 2) Stadt in Massachusetts bei Boston, mit der Harvard-Universität, der ältesten und berühmtesten der USA, gestiftet 1636 von dem Prediger Harvard. Camillus, Marcus Furius, röm. Feldherr und Staatsmann, Eroberer des etruskischen Veji (396 v. Chr.), mehrmals Diktator; 391–387 v. Chr. im Exil.

Camorra, polit. Geheimverbindung im

ehemaligen Königreich Neapel im 19. Jh.; von den Bourbonen meist geduldet, unterstützte Garibaldi; im Königreich Italien wieder auf Seiten der gestürzten Bourbonen, sank allmählich zum Terroristenbund ab, 1911 Hinrichtung seiner Führer; dennoch lebte der Bund nach den Weltkriegen immer wieder auf (↑ Mafia). Campanella, Thomas, ital. Philosoph, 1568–1639; Dominikaner, verband unter dem Einfluss Platons in dem utop. Roman „Civitas solis“ (Sonnenstaat) die Vorstellung einer kath. Universalmonarchie mit gemeinwirtsch. Ideen (Verneinung des Privateigentums); 26 Jahre unter der Beschuldigung des Hochverrats in span. Haft, 1634 Flucht nach Frankreich. Campe, Joachim Heinrich, philanthrop. Pädagoge der Aufklärung und Jugendschriftsteller, 1746–1818; Reformer des braunschweig. Schulwesens im Geiste Rousseaus und Basedows, Bearbeiter des „Robinson Crusoe“ für die Jugend. Camphausen, preuß.-dt. liberale Politiker und Minister: 1) C., Ludolf, 1803–1890; nach der Märzrevolution 1848 Ministerpräsident, drang mit seinem Verfassungsentwurf nicht durch, trat als Bevollmächtigter Preußens in Frankfurt ohne Erfolg für engeren Bundesstaat unter preuß. Führung (Programm Gagern) ein. 2) C., Otto, Bruder von 1), 1812–1896; 1869–1878 Finanzminister im Zeichen des frz. (Kriegsentschädigungs-) „Milliarden-Segens“; als Förderer des Handels- und Industriekapitals von Schutzzöllnern und Agrariern wie von Sozialisten heftig angegriffen. Campoformio, Schloss in Venetien; 1796 Friede zwischen Frankreich und Österreich, das die österr. Niederlande und die Lombardei gegen den Erwerb Venetiens, Istriens und Dalmatiens abtrat und sich in den Geheimbestimmungen zur Räumung des linken Rheinufers verpflichtete. Canaris, Wilhelm, dt. Admiral, 1887– 1945; seit 1935 Chef der Abwehrabtei-

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Canberra lung, 1938–1944 Leiter des Amtes Ausland/Abwehr im OKW, unterstützte bes. 1938–1941 die Widerstandsbewegung gegen Hitler; obwohl bereits im Februar 1944 entlassen, wurde C. nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und in den letzten Kriegstagen hingerichtet. Canberra, austral. Bundeshauptstadt, als Hauptstadt 1913 gegr. (als Kompromiss der Städte Sydney und Melbourne). Canisius, Petrus (eigtl. Peter de Hondt), Prediger, Kirchenpolitiker, Missionar, ers­ ter dt. Jesuit, hl., 1521–1597; wirkte maßgebend für die Gegenreformation („Zweiter Apostel der Deutschen“), verfasste volkstümliche Katechismen, die 1597 in 200 Ausgaben vorlagen. Cannae, Ort in Apulien am Aufidus; 216 v. Chr. erlitten hier die Römer durch Hannibal die vernichtendste Niederlage ihrer Geschichte (rd. 50 000 Tote und 20 000 Gefangene auf röm. Seite, 6 000 Tote auf karthag. Seite). In der Kriegsgeschichte ist C. das klass. Beispiel für die Vernichtungsschlacht durch Umfassung. Canning, George, brit. Staatsmann, 1770– 1827; Tory, 1807–1809 und seit 1822 Außenminister, 1827 Premierminister; verantwortlich für den Überfall auf die dän. Flotte in Kopenhagen 1807; gegen die Heilige Allianz gerichtete Außenpolitik (Unterstützung des griech. Freiheitskampfes, Förderung der von Spanien abgefallenen südamerik. Staaten). Canossa, ital. Burg südwestl. Reggio-Emilia; im 11. Jh. im Besitz der Markgräfin von Tuszien, 1255 zerstört; hier erzwang Kaiser Heinrich IV. 1077 durch persönliche Kirchenbuße die Aufhebung des Bannes durch Papst Gregor VII. (Bismarck 1872 im Reichstag: „Nach Canossa gehen wir nicht!“). Canrobert, François Certain de, frz. Marschall, 1809–1895; am Staatsstreich Napoleons III. beteiligt, kämpfte auf der Krim, bei Magenta und Metz (Gefangennahme); eine der Hauptstützen der Bonapartisten.

Canterbury, Stadt in England, nach der Sage 900 v. Chr. von den Briten als Caerkent gegr., röm. Durovernum; König Ethelbert von Kent machte es 568 n. Chr. zu seiner Residenz; um 600 Bistum C., begründet vom Mönch Augustinus (ältestes Bistum Englands), später Erzbischofssitz mit berühmter Kathedrale aus dem 11.– 15 Jh.; der Erzbischof von C. ist Primas der anglikan. Kirche und erster Peer des Königreichs; Stadt 1942 durch Luftangriffe schwer zerstört. Capetinger, frz. Herrschergeschlecht, das mit Hugo Capet, dem Grafen von Paris und Herzog von Franzien, 987 den Thron bestieg; stammte von einem ­eingewanderten Sachsen namens Witichin ab, erwarb Franzien und erreichte 887/98 und 922/23 vorübergehend die Königswürde; regierte in Frankreich im Hauptstamm bis 1328, in der Seitenlinie der Valois bis 1589, in der der Bourbonen bis 1792 (bzw. 1830). Capistran(us), Johannes, ital. Franziskaner und Kreuzzugsprediger, hl., 1386–1456; rief Europa zur Türkenabwehr auf (Befreiung Belgrads 1456). Capitani (ital. Häupter); adelige Groß­ lehensträger, hoher ital. Feudaladel im MA. Capitularia, Sammlungen von Gesetzen und Erlassen der Karolingerzeit, benannt nach ihrer Einteilung in Kapitel; darunter das berühmte „Capitulare de villis“ (Ordnung über die Landgüter) Karls d. Gr. zur Verbesserung der heruntergewirtschafteten Krongüter in Aquitanien; wichtige Quelle der westeurop. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Gliederung des Fronhofhandwerks, Anbautechnik, Nutzpflanzen). Caprivi, Leo Graf von, preuß. General und dt. Staatsmann, 1831–1899; zuerst Stabsoffizier in den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71; 1883/88 Chef der Admiralität, 1890–1894 als Nachfolger Bismarcks Reichskanzler („Neuer Kurs“), lehnte Erneuerung des geheimen ↑ Rückversicherungsvertrages mit Russland ab; erwarb

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Carlos Helgoland im Austausch gegen Sansibar und leitete eine neue Handelspolitik (Senkung der Agrarzölle) ein; von den Alldeutschen und den agrar. Schutzzöllnern heftig angefeindet. Caprivizipfel, Landstreifen an der NOGrenze Deutsch-Südwestafrikas, 1890 erworben als Verbindung zum Sambesi; 1921 zu Brit.-Betschuanaland. Capsien, ↑ Afrika. Capua, Hauptstadt Campaniens; etrusk. Gründung um 600 v. Chr., um 430 v. Chr. samnitisch, um 335 unter röm. Schutz (Anlass zum 1. Samniterkrieg); 312 Endpunkt der Via Appia; 216 v. Chr. (nach der Schlacht von Cannae) schloss die Stadt ein Bündnis mit Hannibal, dessen Truppen dort im Winterquartier verweichlichten; 211 von den Römern zurückerobert und mit Entzug der Stadtrechte und Entvölkerung bestraft; durch Cäsar wieder aufgebaut; in der Völkerwanderung zerstört. Caracalla, Beiname (nach dem kelt. Soldatenmantel, Mantel mit Kapuze) des Marcus Aurelius Severus Antoninus, röm. Kaiser (211–217 n. Chr.); fähiger, aber grausamer Herrscher, ermordete 212 seinen Bruder und Mitregenten Geta; erteilte 212 durch die Constitutio Antoniniana allen freien Einwohnern des Imperiums das Bürgerrecht (Gleichstellung der Provinzen mit Italien); kämpfte gegen Alemannen und Goten; auf Feldzug gegen die Parther ermordet; Zeuge seiner verschwenderischen Bautätigkeit die gewaltigen C.-Thermen in Rom. Carbonari (ital., Köhler), nationalrevolutionärer Geheimbund in Italien, entstand um 1796 als Träger der Freiheits- und Einheitsbewegung, nach 1815 bes. im Königreich Neapel am Werk. Nach der Revolution von 1820 unterdrückt, neuer Mittelpunkt Paris, wo sich Mazzinis „Junges Italien“ absonderte; der Name bezieht sich auf die schwarzen Mäntel, Masken und Hüte, die die C. bei ihren Zusammenkünften trugen, und auf ihre dem Köhlergewerbe

entlehnte Ausdrucksweise, mit der sich die Eingeweihten verständigten. Carcassonne, Stadt in Südfrankreich, Dep. Aude; vorröm. Siedlung Carcasso im 1. Jh. v. Chr. erstmals erwähnt, in der Römerzeit Colonia Julia Carcasso; seit 462 westgotisch, 725 arabisch, um 759 von den Franken zurückerobert, seit 1247 frz. Krondomäne. Die Altstadt mit doppeltem Mauerring bewahrt bis heute mittelalterl. Gepräge. Carcer Mamertinus, altröm. Staatsgefängnis am O-Hang des Kapitols in Rom; vermutlich im 3. Jh. v. Chr. erbaut; wurde Ende des 14. Jh. zur Kirche San Pietro in Carcere umgestaltet, da das Bauwerk nach der christl. Legende das Gefängnis von Petrus und Paulus gewesen sein soll. Cardwell, Edward, brit. Staatsmann, 1813–1886; u. a. Präsident des Handelsamtes, Staatssekretär für Kolonien, Kriegsminister; Verfechter der „Kauffahrteiakte“, verdient um das Gesetzwerk für die brit. Handelsmarine; reformierte das brit. Heerwesen 1871. Carey, Henry, bedeutendster amerik. Nationalökonom des 19. Jh., 1793–1879; überwand die pessimist. Richtung der klass. (liberalen) Schule (Ricardo, Malthus) und den Individualismus der Aufklärungszeit; hielt den Assoziations- (Geselligkeits-, Ergänzungs-) Trieb für die wichtigste Triebfeder an Stelle des Eigennutzes; urspr. Freihändler, dann Schutzzöllner im Sinne des Merkantilismus; von großem Einfluss auf die europ. Nationalökonomie. Carlos, Infanten von Spanien: 1) Don C., 1545–1568; von seinem Vater Philipp II. 1568 (vermutlich wegen Geisteskrankheit) gefangen gesetzt, um seine Flucht in die Niederlande zu verhindern (Drama von Schiller, 1787; Oper von Verdi, 1867). 2) Don C., 1788–1855; Sohn Karls IV., focht die (altkastil statt salische) Erbfolge der Tochter seines Bruders Ferdinand VII., Isabellas II., an; Führer der ↑ Karlistenpartei im 1. Karlistenkrieg (1834–1849), ge-

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Carlyle schlagen, verzichtete 1844 auf die Thronfolge. Carlyle, Thomas, schott. Historiker und Schriftsteller, 1795–1881; Goethe-Verehrer, vermittelte den Engländern die Begegnung mit dem dt. Geistesleben (Übersetzungen), verurteilte aus puritan.-christl. Geist die Frz. Revolution als widerchristl.; Gegner des Liberalismus, Individualismus und der Massendemokratie; vertrat die Anschauung: „Männer machen die Geschichte“ („Über Helden und Heldenverehrung“, „Friedrich der Große“); als Sozial­ politiker Anhänger der christl.-sozialen Bewegung Englands. Carmagnole, frz. Revolutionslied, entstanden 1792 bei der Einnahme der Stadt Carmagnola in Piemont; wurde neben dem ↑ „Ça ira“ und der „Marseillaise“ das beliebteste Kampflied; Napoleon I. sorgte nach seinem Staatsstreich (1799) dafür, dass die C. und die anderen Revolutionslieder ihre Popularität verloren. Carmichael, Stokeley, führender Vertreter der amerik. ↑ Black-Power-Bewegung, 1941–1998; forderte den revolutionären Befreiungskampf der Farbigen in den USA, ging Ende der 1960er Jahre nach Guinea, wo er unter dem Namen Kwame Ture für einen sozialist. Panafrikanismus eintrat. Carmona, Fragoso, portug. General und Staatsmann, 1869–1951; machte sich 1926 durch Staatsstreich zum Staatsoberhaupt und errichtete ein autoritäres Regime. Wiederholt zum Präsidenten gewählt; gab 1932 das Amt des Ministerpräsidenten an ↑ Salazar ab. Carnegie, Andrew, nordamerik. Stahl- und Eisenindustrieller schott. Herkunft, 1835– 1919; verdient als Stifter gemeinnütziger und wiss. Einrichtungen (z. B. Mount-Wilson-Observatorium). Carnot, 1) C., Lazare, frz. Staatsmann und Militärschriftsteller, 1753–1823; Ingenieuroffizier, als Mitglied des Wohlfahrtsausschusses Organisator der Revolutionsheere 1793 und Schöpfer der allg. Wehrpflicht

(↑ Levée en masse); der einzige führende Jakobiner, der die Revolution überlebte, ohne seine polit. Ideen aufzugeben; unter Napoleon zeitweilig Minister; nach 1815 verbannt, starb in Magdeburg. 2) C., Sadi Marie François, frz. Staatsmann, 1837– 1894; Enkel von 1); 1887 Präsident der Republik, von Anarchisten ermordet. Carnuntum, alte Keltenstadt in Pannonien (östlich von Wien, an der Donau, heute Petronell-Altenburg); von den Römern als großes Truppenstandlager und Donauhafen ausgebaut, später Grenzstadt gegen die Germanen; um 400 n. Chr. von den Quaden zerstört; 2 Amphitheater, Mithrastempel, kelt.-illyr. Heiligtümer. Carol, Könige von Rumänien: 1) C. I., Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, 1839–1914; auf Empfehlung Napoleons III. 1866 zum Fürsten von Rumänien gewählt, 1881 zum König ausgerufen; Begründer des modernen Rumäniens, mit dem Dreibund verbündet, den er bei Kriegsausbruch unterstützte. 2) C. II., Großneffe von 1), 1893–1953; verzichtete zunächst auf die Thronfolge (Eheskandal mit Mme. Lupescu); 1930 nach seiner Rückkehr aus dem Ausland von der Nationalversammlung zum König ausgerufen, versuchte ein persönliches Regiment, 1938 Staatsstreich (autoritäre Regierung); 13. Nov. 1940 Staatskrise (von Russland erzwungene Abtretung Bessarabiens; Verlust des nördl. Siebenbürgens an Ungarn), berief General ↑ Antonescu als Staatsführer, der ihn zur Abdankung zwang. Carolina, abgekürzte Bezeichnung für die Constitutio criminalis Carolina (C. C. C.), die Kaiser Karl V. 1532 nach dem Muster der ↑ Bambergischen Halsgerichtsordnung als Strafgesetzbuch für die „peinlichen“ Verbrechen erließ; erste reichseinheitliche Regelung des Strafrechts und -verfahrens; obwohl von großer Härte (Verstümmelungen, Folter), war die C. in einigen dt. Ländern (Mecklenburg, Bremen, Schaumburg-Lippe) noch bis 1871 in Kraft. 154

Casanova Carpet-baggers, nach dem amerikan. Se-

zessionskrieg die aus dem Norden in die besiegten Südstaaten eingereisten Abenteurer und Postenjäger, deren ganzes Gepäck in einer Reisetasche (Carpet-bag) Platz hatte; sie besetzten die wirtsch. und polit. Schlüsselstellungen und beuteten den Süden aus, der schließlich zur Selbsthilfe griff und sich zugleich gegen die befreiten Schwarzen wandte (Ku-Klux-Klan); 1877 machte Präsident Hayes dem C.-System ein Ende. Carrero Blanco, Luis, span. Offizier und Politiker, 1903–1973; 1967 Vizepräsident, Vertrauter von ↑ Franco; 1973 Regierungs­ chef, wurde Opfer eines Sprengstoffattentats polit. Gegner. Carrier, Jean Baptiste, frz. Revolutionspolitiker, Konventsmitglied, 1756–1794; verantwortlich für die Massenertränkungen in Nantes 1793, hingerichtet. Carroccio, Fahnenwagen der oberital. Städte, auf dem das Feldzeichen (Banner) aufgerichtet war und von dem aus die Führer ihre Befehle gaben; eingeführt 1037 durch den Mailänder Erzbischof Aribert, um die Kampfmoral zu stärken; der Verlust des C. galt als Schmach; der mailänd. C. ging 1162 und 1237 verloren. Cartagena, ehemaliger karthag. Stützpunkt in Spanien, 225 v. Chr. von Hasdrubal als Carthago nova gegr.; 209 v. Chr. von Scipio Africanus erobert, wurde Hauptstadt der Provinz Hispania citerior; in der Völkerwanderungszeit fast völlig verödet, blühte erst im 19. Jh. wieder auf. Carter, James Earl (gen. Jimmy), geb. 1924; 1962–1966 Senator, 1970–1975 Gouverneur von Georgia, 1976 Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, 1977–1981 Präsident der USA, politisch größte Erfolge 1978 der Panamakanal-Vertrag, 1979 Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel, 1980 SALT II-Vertrag mit der UdSSR. Unterlag bei den Wahlen 1980 dem Republikaner ↑ Reagan. Nach dem Ende seiner Amts-

zeit fungierte er u. a. als Vermittler in politischen Missionen, wie auf Haiti, in Nordkorea und Nicaragua. Im Balkankrieg erreichte er 1994 einen Waffenstillstand zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina, 2002 Friedensnobelpreis. Cartier, Jacques, frz. Seefahrer, 1491– 1557; erforschte 1534–1541 die Küsten von Labrador und Neufundland und den St. Lorenz-Strom. Cartwright, Edmund, brit. Mechaniker, 1743–1823; urspr. Theologe, verdient durch techn. Verbesserungen in der Textilindustrie, Erfinder des mechan. Webstuhls (1786). Carus, Marcus Aurelius, aus Dalmatien, röm. Kaiser (282–283); urspr. Prätorianerpräfekt des Kaisers Probus, nach dessen Tod zum Kaiser erhoben, kämpfte erfolgreich gegen die Parther. Casablanca, marokkan. Hafenstadt am Atlantik; im 16. Jh. von den Portugiesen gegr., 1907 von Frankreich besetzt. – 1943 Konferenz zw. Churchill und Roosevelt, der die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation der Achsenmächte durchsetzte; Ausgleich zwischen den Führern des „Freien Frankreichs“, de Gaulle und Giraud. Casablanca-Staaten, Gruppe afrikan. Staaten (Ghana, Guinea, Mali, Marokko, Vereinigte Arab. Republik und algerische Exilregierung), die 1961 in C. über gemeinsames militärisches Oberkommando und eine „Afrikan. Charta“ konferierten. Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit aller afrikan. Völker. Die Vereinigung der C.-Staaten löste sich 1963 mit der Bildung der „Organization of African Unity“ (OAU) wieder auf. Casanova, Giacomo, adelte sich selbst: Chevalier de Seingalt, ital. Abenteurer, 1725–1798; floh aus den Bleikammern des venezian. Dogenpalastes (wegen Spionage eingesperrt), zog als vielseitiger Dilettant an den europ. Höfen umher, schließlich Bibliothekar in Dux (Böhmen); schrieb galante, erst nach seinem Tod erscheinende

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Cäsar Memoiren mit aufschlussreichen Zeitschilderungen (wiss. zuverlässige Ausgabe erst seit 1960). Cäsar (Caesar), Gaius Julius, röm. Feldherr und Staatsmann, 100–44 v. Chr.; stammte aus dem uradligen Geschlecht der Julier, mütterlicherseits mit der plebejischen Nobilität verwandt, schloss sich der Volkspartei gegen die Adelsfamilien an; in Fühlung mit ↑ Catilina, den er für seine Zwecke brauchte; 80–70 rhetor. und militär. Ausbildung im Osten; seit 68 im Staatsdienst, 68 Quästor, 65 Ädil, 63 Pontifex Maximus; 62 Prätor; schloss 60 mit ↑ Pompejus und ↑ Crassus das erste ↑ Triumvirat; 59 Konsul (Ausschaltung des Senats); er­ oberte und befriedete 58–52 als Statthalter das noch freie, Rom oft bedrohende kelt. Gallien (Südgallien war bereits röm. Provinz = Gallia Narbonensis), schaffte sich dort ein zuverlässiges Heer, überwarf sich mit Pompejus und dem Senat, überschritt 49 mit seinem Heer den Rubikon (Grenze seiner Provinz); schlug 48 Pompejus bei Pharsalus, überließ 47 das mühsam befriedete Ägypten ↑ Kleopatra, vernichtete 47/46 die Reste der Pompejaner in Nordafrika und Spanien: unumschränkter Alleinherrscher in Rom, ließ sich alle wichtigen Staatsämter unter Wahrung der verfassungsmäßigen Formen („Cäsarismus“: Alleinherrschaft auf demokrat. Grundlage) übertragen, reorganisierte das Reich (Überwachung der Steuererhebung, Verleihung des röm. Bürgerrechts an zahlreiche Provinziale, Gründung von Kolonien zur schnelleren Romanisierung bes. Galliens, Veteranensiedlungen, Verminderung des röm. Proletariats, Kalenderreform); sein Streben nach der Krone in den Formen des hellenist. Absolutismus führte zu einer Verschwörung von Anhängern des Senats und fangt. Republikanern und zu seiner Ermordung an den Iden des März (15. März); von seinen Schriften erhalten: 7 Bücher über den Gall. Krieg, 2 Bücher über den Bürgerkrieg. C.s Erkenntnis, dass

die Republik sich überlebt habe, bestätigte der Aufstieg seines Großneffen und Adoptivsohnes Octavian; „C.“ wurde zunächst ehrenvoller Beiname der julischen, dann Titel der Kaiser überhaupt, seit Hadrian Amtstitel der Thronfolger; davon abgeleitet „Kaiser“ und „Zar“. Cäsarea, Name mehrerer Städte der Antike, darunter: 1) C., Hauptstadt Kappadokiens, vordem Mazaka, von Tiberius in C. umbenannt; eine der Hauptmünzstätten des östl. Römerreiches. 2) C. in NWPalästina, an der Grenze von Galiläa und Samaria, 13. v. Chr. von Herodes ausgebaut und Augustus zu Ehren in C. umbenannt, Sitz der römischen Prokuratoren. Cäsarion, Sohn Julius Cäsars und Kleopatras, 47–30 v. Chr. Als Sohn einer Nichtrömerin kam er als Erbe Cäsars nicht in Frage; nach der Einnahme Alexandrias von Octavian hingerichtet. Cäsarismus, Regierungsform nach dem Vorbild Julius Cäsars; Herrschaft eines Einzelnen, der nicht einer legitimen Dynastie entstammt (↑ Legitimismus), sondern sich durch Staatsstreich des Thrones bemächtigt, gestützt auf das Heer oder Anhängerschaft im Volk; meist im Gefolge von Staatskrisen oder revolutionären Wirren, begünstigt durch den allgemeinen Wunsch nach Frieden und Ordnung. Der C. bedient sich meist der verfassungsmäßigen Formen; zu seinen polit. Mitteln gehören Volksabstimmungen und Scheinparlamente; Spielart des C. ist z. B. der ↑ Bonapartismus. Cäsarius von Heisterbach (bei Königswinter), Zisterziensermönch, um 1180– 1240; Verfasser von Legendensammlungen in Anekdoten- und Novellenform (als Kulturgeschichtsquelle von Wert), Biografien über Erzbischof Engelbert von Köln und Elisabeth von Thüringen. Cäsaropapismus, Vereinigung von weltlicher (kaiserlicher) und oberster geistlicher Herrschergewalt in einer Hand (im Unterschied zur Hierokratie: Unterordnung der 156

Cateau-Cambrésis geistl. unter die weltl. Gewalt), vor allem in Byzanz (↑ Justinian I.); da Russland von Byzanz aus christianisiert wurde, setzte sich auch dort das System des C. durch; der Zar war zeitweilig auch Patriarch der Kirche, die als „Ornat“ der Monarchie angesehen wurde und unter Peter d. Gr. den Rest von Selbständigkeit verlor; cäsaropapist. Züge auch im Karolingerreich. Casement, Sir Roger, irischer Freiheitskämpfer, 1864–1916; sabotierte im 1. Weltkrieg die brit. Rekrutierung in Irland, agitierte im (england-)feindlichen Ausland für die irische Unabhängigkeit, in London gehenkt. Cassin, René, frz. Jurist und Politiker, 1887–1976; nach wiss. Laufbahn 1924– 1938 Mitglied der frz. Delegation beim Völkerbund, seit 1940 führend in der Exilorganisation Freies Frankreich; an der Abfassung der Menschenrechtserklärung der UN maßgeblich beteiligt; 1965–1968 Präsident der Europ. Gerichtshofs für Menschenrechte; 1968 Friedensnobelpreis. Cassiodor (Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus), röm. Gelehrter und Staatsmann, um 490–583; Minister Theoderichs d. Gr., wirkte im Sinne der gotisch-röm. Verständigung; schrieb eine Geschichte der Goten und eine Weltchronik; trat um 540 in das von ihm gegr. Kloster Vivarium ein und förderte das Bildungswesen der Klöster (Abschriften antiker Schriftsteller). Cassius, Longinus Gaius, aus plebejischem Geschlecht, röm. Politiker; zunächst Parteigänger Cäsars, dann zusammen mit Brutus Haupt der Verschwörung gegen Julius Cäsar, an dessen Ermordung beteiligt; nach der Niederlage bei Philippi (42 v. Chr.) beging er Selbstmord. Cassius Dio, ↑ Dion Cassius. Castiglione, Baldassare Graf, ital. Diplomat und Schriftsteller, 1478–1529; zeichnete im „Cortegiano“ (1528) das Idealbild eines Hofmannes der Renaissance. Castlereagh, Henry Robert Stewart, Marquis of Londonderry, brit. Staatsmann,

1769–1822; 1812 Außenminister, trieb unermüdlich zum Entscheidungskampf mit Napoleon und zur Wiedereinsetzung der Bourbonen; Vertreter Englands auf dem Wiener Kongress von 1815, mit Metternich hauptverantwortlich für die restaurative Neuordnung Europas nach Napo­ leons Sturz; in der brit. Innenpolitik als aristokratischer Reaktionär verhasst; beging in geistiger Verwirrung Selbstmord. Castro, Fidel, kuban. Politiker, geb. 1927; Studium der Rechte, Rechtsanwalt in Havanna; 1953 wegen Aufstandsversuchs zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt; 1955 freigelassen; nach erfolgreichem Guerillakrieg (seit 1956) gegen die Regierung Batista 1959 Ministerpräsident, seit 1976 auch Staatsoberhaupt: Durchführung von Sozialreformen, Enteignung nordamerik. Besitzes, Landverteilung, Planwirtschaft, Volksbildungssystem. Wirtsch. und polit. Druck der USA führten zu militärischer Aufrüstung und zur Anlehnung an die Sowjetunion durch ↑ Kuba. C. unterstützte den Guerillakampf in Südamerika und Afrika, dort (↑ Angola) seit Mitte der 70er Jahre auch durch Militärhilfe. Seit der Kubakrise Differenzen zw. dem kommunist. Kuba unter C. und den westl. Ländern nahezu unüberbrückbar; nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 außenpolit. zunehmend isoliert. Auf Grund der Wirtschaftskrise Kubas gab C. Mitte der 1990er die sozialist. Wirtschaftsordnung z. T. auf, wurde 1998 vom Volkskongress in seinem Amt bestätigt. Catania (Katane), ionische Kolonie auf Sizilien, als Tochterstadt von Naxos um 729 v. Chr. gegr., 476 v. Chr. von Syrakus aus besetzt, seit 260 v. Chr. römisch, unter Augustus Kolonie; im MA von Feindeinfällen und Erdbeben heimgesucht (↑ Großgriechenland). Cateau-Cambrésis (bei Cambrai), 1559 Frieden zwischen Spanien, England und Frankreich, das Calais erhielt, aber auf sämtliche Ansprüche in Italien und Bur-

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Catilina gund (für immer) verzichtete; Höhepunkt der span. Macht in Europa. Catilina, Lucius Sergius, röm. patriz. Politiker, um 108–62 v. Chr.; sein Programm der Schuldentilgung fand Anklang, Cäsar und Crassus sahen in ihm ein Werkzeug; erster Umsturzversuch 66 v. Chr. (geplante Ermordung der Konsuln, Diktatur Crassus-Cäsar) misslang; staatsgefährliche Verschwörung 63/62 v. Chr. (nach Ermordung der Konsuln sollte Rom in Brand gesteckt werden; Aufwiegelung der gall. Allobroger), wurde vom Konsul ↑ Cicero aufgedeckt; C. floh mit 3 000 Anhängern und fiel im Verzweiflungskampf bei Pistoria. Cato, 1) C., Marcus Porcius C. Censorius (Cato d. Ä.), röm. Staatsmann und Schriftsteller, 234–149 v. Chr.; 195 Konsul, 184 Zensor (gefürchtet, daher Beiname Censorius); Verfechter der altröm. Tradition und Sittenstrenge, Todfeind Karthagos, dessen Zerstörung er unermüdlich forderte; Gegner des griech. Kultureinflusses, Schöpfer der lat. Prosa. 2) C., Marcus Porcius Uticensis (Cato d. J.), Urenkel von 1), 95– 46 v. Chr.; Anhänger der Senatsaristokratie, Gegner Cäsars; nach dessen Sieg bei Thapsus tötete sich C. selbst, um den Untergang der Republik nicht erleben zu müssen. Caulaincourt, Armand Augustin Louis Marquis de, Herzog von Vicenza, frz. Staatsmann, 1773–1827; 1807 Gesandter in Petersburg, begleitete Napoleon auf dem Rückzug von Moskau, 1813 und 1815 Außenminister. Cavaignac, Eugène, frz. General und Politiker, 1802–1857; warf im Juni 1848 in blutigen Straßenkämpfen den Arbeiteraufstand in Paris nieder. Cavour, Camillo Benso Graf von, ital. Staatsmann, 1810–1861; Begründer der nationalen Einheit Italiens; 1852–1859 und 1860–1861 Ministerpräsident von Sardinien-Piemont (Haus Savoyen), dem er die Führerrolle (ähnlich Preußen in Deutschland) zugedacht hatte, förderte die Entwicklung des Landes durch liberale

Gesetzgebung, Handelsverträge und Bahnbau; beteiligte sich am Krimkrieg, um sich das Wohlwollen der Westmächte zu sichern, brachte auf dem Pariser Friedenskongress 1856 die ital. Frage zur Sprache; verband sich mit Napoleon III. in einem Geheimbündnis zum gemeinsamen Angriff gegen Österreich; trat 1859 vorübergehend zurück, weil der Vorfriede von Villafranca seinen Wünschen nicht entsprach, vollzog anschließend trotz des frz. Protestes die Annexion Mittelitaliens und des Königreichs beider Sizilien. Ceausescu, Nicolae, rumän. Politiker, 1918–1989; seit 1945 im Zentralkomitee, seit 1960 Leiter des Parteiapparates der KP Rumäniens, 1965 1. Parteisekretär, 1967– 1974 Vorsitzender des Staatsrates (Staatsoberhaupt), seit 1974 Staatspräsident. C. verfolgte eine unabhängige rumän. Außen­ politik, machte sich jedoch im eigenen Land zunehmend durch Vetternwirtschaft, Zerstörung der alten agrar. Strukturen und den Terror seiner Geheimpolizei „Securitate“ verhasst; im Dez. 1989 gestürzt und von einem Militärgericht hingerichtet. Celsus, Aulus Cornelius, röm. Gelehrter und Arzt um 30 n. Chr.; Verfasser einer großen Enzyklopädie, die auf hohem Niveau den Stand der damaligen Wissenschaft, bes. der Medizin, wiedergibt. Celtis (Celtes), Konrad (eigtl. K. Pickel), dt. Humanist, 1459–1508; durchreiste als gefeierte Autorität humanist. Studien und klass. Beredsamkeit ganz Deutschland; von Kaiser Friedrich III. 1487 mit dem Lorbeer zum (lat.) Dichter gekrönt (poeta laureatus), stiftete Humanistenvereinigungen (Sodalitas Rhenana in Heidelberg), von Maximilian I. als erster Lehrer der Redeund Dichtkunst an einer dt. Universität 1497 nach Wien berufen. CENTO-Pakt, Abk. für ↑ Central Treaty Organization. Central Intelligente Agency, Abk. CIA, Zentralamt des amerik. Geheimdienstes; 1947 gegr.; mehrfach entgegen ihrer Be158

Chaldäer stimmung innerhalb der USA tätig (Überwachung von Gegnern des Vietnamkrieges, Infiltrierung von Organisationen, Verletzung des Briefgeheimnisses); teils Außenpolitik auf eigene Faust (Pläne zur Ermordung missliebiger ausländ. Politiker); 1975/76 Untersuchungsausschuss des Kongresses, danach Entlassung zahlreicher hoher C.-Beamter. Central Treaty Organization, Nachfolgeorganisation des ↑ Bagdadpaktes; Sitz seit 1960 Ankara; 1979 aufgelöst. Cesarini, Giuliano de, Kardinal, 1398– 1444; rief als päpstlicher Legat in Deutschland zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf; 1431–38 Leiter des ↑ Baseler Konzils, fiel in Ungarn gegen die Türken. Ceylon, Inselstaat an der Südspitze Vorderindiens; Hauptstadt Colombo; Urbevölkerung den Weddiden zugehörig; um 500 v. Chr. Singhalesenherrschaft; in den Weddahöhlen altsteinzeitliche Funde; Mitte 3. Jh. n. Chr. Einführung des Buddhis­ mus, Blütezeit im 12. Jh.; 1517 Niederlassung der Portugiesen, die 1606 von den Holländern verdrängt wurden; Ausbeutung durch Gewürzmonopol (Zimt) und Perlenhandel; 1796 von den Engländern erobert, 1802 britische Kronkolonie, 1948 selbständig. Mitglied des Commonwealth; 1954 Mitglied der Föderation der fünf ↑ Colombo-Staaten (Burma, Indien, Pakistan, Indonesien und Ceylon); 1955 UNMitglied. 1972 wurde Ceylon zur Republik ↑ Sri Lanka. Chaban-Delmas, Jacques, frz. Politiker, 1915–2000; 1958 gegen den Willen de Gaulles zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt, 1969 nach dem Rücktritt de Gaulles bis 1972 Ministerpräsident; von 1978–1981 und 1986–1988 erneut Präsident der Nationalversammlung; 1947–1977 und 1983–1995 Bürgermeister von Bordeaux. Chabot, François, Radikaler der Frz. Revolution, 1759–1794; urspr. Kapuzinermönch; fanat. Cordelier im Konvent,

schlug die Umwandlung der Kathedrale Notre-Dame in den „Tempel der Vernunft“ vor; als Anhänger Dantons guillotiniert. Chabrias, athen. Feldherr, trug durch seine Erfolge (376 v. Chr. Seesieg bei Naxos über die Spartaner) zum Wiedererstarken Athens nach dem Peloponnes. Krieg bei, fiel 357 v. Chr. in der Seeschlacht bei Chios. Chacokrieg, 1932–1935, zw. ↑ Bolivien und Paraguay um Grenzgebiet am La Plata (Erdöl; Zugang Boliviens zum Paraguay); 1938 erhielt Paraguay den größeren Teil des umstrittenen Gebiets, Bolivien einem Korridor zum Paraguay. Chadidscha, erste Gattin Mohammeds, um 555–619; reiche Kaufmannswitwe, in deren Geschäft der 15 Jahre jüngere Prophet zunächst als Karawanenführer und Handelsagent tätig war; Mohammeds ­erste Anhängerin, Mutter von ↑ Fatima. Chaireddin, gen. C. Barbarossa, griech. Seeräuber, um 1467–1546; seit 1515 Herr von Algier, kämpfte als türk. Admiral und Verbündeter Franz’ I. von Frankreich gegen Karl V., schlug 1538 die kaiserliche Flotte. Chaironeia (lat. Chaeronea), Stadt im westl. Böotien; hier siegte 338 v. Chr. Philipp von Makedonien über Athener und Thebaner und setzte damit der griech. Unabhängigkeit ein Ende. – 86 v. Chr. Sieg Sullas und der Römer über ↑ Mithradates. Chalcedon (türk. kadikoi), Stadt im alten Bithymen am Bosporus; 675 v. Chr. von Megara aus gegr., 74 v. Chr. an die Römer; 451 n. Chr. 4. ökumen. (allg.) Konzil; Rom lehnte Überordnung des Patriarchen von Konstantinopel ab; das Chalkedonische Glaubensbekenntnis verwarf die Lehre der ↑ Monophysiten. Chaldäer, semit. Bewohner der Landschaft Chaldäa (Kaldu) am unteren Euphrat; ihr Name erscheint um 900 v. Chr. unter den Titeln der assyr. Könige, diese machten Ur zur Hauptstadt; später verbunden mit der Geschichte der Babylonier (neue chaldäische Dynastie 626–538); erster chal-

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Chalid Ibn Al Walid däischer König in Babylon und Begründer des Neubabylon. Reiches war ↑ Nabupolassar (626–605 v. Chr.); ihm folgten: ↑ Nebukadnezar (604–556) und Nabonid (555–538); die C. standen als Sterndeuter in hohem Ansehen, ihre astronom. Kenntnisse und religiösen Vorstellungen wurden z. T. vom Hellenismus übernommen. Chalid Ibn Al Walid (el Makhzumi), arab. Feldherr aus dem Stamme Koraisch; anfangs erbitterter Gegner Mohammeds, seit 626 einer seiner tapfersten Anhänger, besiegte 632 die Perser und 634 die Byzantiner, eroberte Syrien und Palästina. Chalkis, griech. Seehandelsstadt auf Euböa; Blüte im 8.–6. Jh. v. Chr.; Grün­dung zahlreicher Kolonien; durch seine Lage an der Meeresenge des Euripos einer der „Schlüssel zu Hellas“; 506 v. Chr. von Athen unterworfen. Châlons-sur-Marne, frz. Stadt in der Champagne; zur Römerzeit als Catalaunum eine der bedeutendsten Städte Galliens, nach ihr die Schlacht auf den ↑ Katalaunischen Feldern benannt; alter Bistumssitz; in der Neuzeit bekannt durch das von Napoleon III. 1856 angelegte Truppenübungslager, das größte Frankreichs. Chamberlain, 1) C., Arthur Neville, brit. Staatsmann, 1869–1940; Sohn von 3), Konservativer, seit 1937 Ministerpräsident, betrieb gegenüber Hitler und Mussolini Politik des „Appeasement“ (Beschwichtigung), schloss 1938 das ↑ Münchener Abkommen über friedliche Regelung der Sudetenfrage; gab 1939 die engl.-frz. Garantieerklärung für Polen ab; nach dem dt. Einmarsch in Polen Kriegserklärung; Mai 1940 von ↑ Churchill abgelöst. 2) C., Houston Stewart, brit.-dt. Kulturphilosoph, 1855– 1927; Schwiegersohn ­ Richard Wagners, gilt durch sein Werk „Die Grundlagen des 19. Jh.“ mit dem Rassenmythos als einer der geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus. 3) C., Joseph, brit. Staatsmann, 1836–1914; Führer der Liberalen Unionisten, die in der Frage der Selbstverwaltung

für Irland (Gladstones Plan: ↑ Home Rule) von den Liberalen abfielen; 1895–1903 Kolonialminister, Hauptvertreter des Imperialismus, zus. mit C. Rhodes Urheber des Burenkrieges, betrieb den engen Zusammenschluss Englands mit den Kolonien zum Empire, scheiterte trotz glänzender Agitation mit dem Plan einer Wehr-, Zollund Wirtschaftsunion (Schutzzölle). 4) C., Sir Joseph Austen, brit. Staatsmann, 1863– 1937 Sohn von 3), Konservativer, 1924– 1929 Außenminister, schloss den ↑ Locarnovertrag und den Kelloggpakt (↑ Kellogg); Friedensnobelpreis 1925. Chambord, frz. Königsschloss (im Renaissance-Stil) an der Loire, von Franz I. erbaut. 1552 Vertrag von C. zwischen Heinrich II. von Frankreich und dt. protestant. Fürsten, an der Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen, der bei seinem geplanten Abfall vom Kaiser (Karl V.) frz. Hilfe benötigte und dafür in die Abtretung der dt. Bistümer Metz, Toul und Verdun einwilligte. Champagne, frz. Kreidelandschaft östl. von Paris; im MA Grafschaft unter frz. Lehenshoheit, Residenz Troyes, seit 1361 endgültig mit der Krone vereinigt. – Im 1. Weltkrieg eines der Hauptschlachtfelder, zw. Aisne und Marne frz. Offensiven 1915 und 1917, dt. Offensive 1918. Champlain, Samuel de, frz. Entdecker und Kolonialpionier, 1567–1635; Erforscher und erster Gouverneur Kanadas, gründete 1608 Quebec („Vater Neu-Frankreichs“). Champollion, Jean-François, frz. Ägyptologe, 1790–832; fand den Schlüssel zur Entzifferung der ↑ Hieroglyphen. Chantilly, ehemalige Residenz des Hauses ↑ Condé, Renaissanceschloss, im 1. Weltkrieg frz. Hauptquartier. – 1915 Konfe­renz von C., auf der die Alliierten be­schlossen, ihre Offensiven zu koordinieren und Gallipoli (Dardanellen) zu räumen. Chanzy, Antoine Eugène Alfred, frz. General, 1823–1883; einer der fähigsten frz. Heerführer 1870/71, versuchte 1871 mit der 2. Loire-Armee den Entsatz von Paris; 160

Chassidismus 1873 Generalgouverneur von Algerien, 1879 Botschafter in Petersburg. Chapultepec, Akte von, ein 1945 in C. (bei Mexiko-Stadt) auf Vorschlag der USA zwischen den amerikanischen Staaten (außer Kanada) geschlossenes wechselseitiges Garantieabkommen, das in allgemeinen Wendungen die gemeinsame Abwehr eines Angriffes auf einen Teil Amerikas vorsieht; ausgebaut auf der Panamerik. Konferenz 1948 zur „Organisation Amerik. Staaten“ (OAS). Charette de la Contrie, frz. Royalist, 1763–1796; seit 1793 Führer der aufständ. Vendéer im Kampf gegen die Republik, nach wechselvollen Kämpfen gefangen genommen und erschossen. Charlotte, Kaiserin von Mexiko, 1840– 1927; Tochter König Leopolds I. von Belgien und Gemahlin ↑ Maximilians, Erzherzogs von Österreich, dem sie 1864 nach Mexiko folgte; reiste 1866/67 nach Europa, um Hilfe für den gefährdeten Thron zu erlangen, verfiel dem Wahnsinn. Charta (frz. Charte), bei den Römern Blatt der Papyrusstaude, dann jedes Schriftstück überhaupt (davon abgeleitet das Wort Karte); im MA und später jede Urkunde, vor allem solche polit. Natur, in denen wichtige Freiheiten oder Privilegien festgestellt wurden (in dieser Bedeutung ↑ Magna C., ↑ Atlantik-C., UN-C.); im 19. Jh. auch Bezeichnung für geschriebene Verfassung, z. B. Charte constitutionelle Ludwigs XVIII. 1814; seit dem Verfassungsstreit in Portugal C. = die vom Herrscher gegebene Verfassung, zum Unterschied von der Konstitution, die sich das Volk durch die Nationalversammlung selbst gegeben hat. Charta 77, im Jan. 1977 in der CSSR gegr. Bürgerrechtsgruppe, die bis 1990 aktiv war, setzte sich für die Bürger- und Menschenrechte in der CSSR und in der Welt ein. Im Zuge der Liberalisierung wurde einer ihrer Sprecher, der Dramatiker V. Havel, im Dez. 1989 Staatspräsident.

Chartismus, demokratische Arbeiterbewe-

gung in England, entstanden nach der nur beschränkten Parlamentsform von 1832, die den Arbeitern das Wahlrecht vorenthielt; benannt nach dem 1838 in einer Flugschrift formulierten Programm, der „People’s Charter“, der Magna Charta des Volkes; allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht, Abgeordnetendiäten und jährliche Parlamentswahl, mit dem Ziel, die Vorherrschaft der Besitzenden im Parlament zu brechen und der Arbeiterschaft Einfluss auf Staat und Wirtschaft zu verschaffen; zugleich die erste demokrat. Massenbewegung mit sozialem Inhalt; forderte Einkommensteuer, Fabrikgesetze u. a.; 1838 Nationalkonvent des C., Spaltung in Radikale (O’Connor) und Gemäßigte (Lovett); Massenversammlungen und -petitionen an das Parlament, Streiks ohne Erfolg; nochmals großer Ansatz 1848, kurz vor der Revolution; danach Abflauen, Übernahme der Anhängerschaft und der sozialen Forderungen durch die TradeUnions (Gewerkschaften). Chartreuse, La grande (frz., Große Kartause), das 1084 vom hl. Bruno gegr. Stammkloster des Kartäuserordens (Leben der Mönche in Einzelhütten) nahe Grenoble zw. steilen Felswänden; 1793 aufgehoben, 1816 wieder bezogen. Chasaren, türkisches, urspr. in Innerasien, dann im Ural ansässiges Volk, seit Ende 6. Jh. n. Chr. in Südrussland; im 8./9. Jh. sich ausbreitendes Reich der C. zwischen Ural und Dnjepr. Hauptstadt seit 730 Itil an der Wolgamündung; byzantin. Einflüsse, Vermittlung des oriental. Handels zum Norden. Nebeneinander der Religionen und Toleranz; Gesamtvolk 860 für die jüd. Religion gewonnen; danach teilweise christianisiert, um 965 von den Russen unterworfen. Chassidismus, im 18. Jh. mystische Bewegung innerhalb des osteurop. Judentums, begründet von Baal Schem Tov (Rabbi Israel ben Elieser), suchte die Nähe Gottes

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Chateaubriand statt in Askese in Herzensfreude, Andacht und Demut; dabei sammelten sich die Chassidim um einen Zaddik (vollkommen Frommen). Chateaubriand, François René Vicomte de, frz. Dichter und Staatsmann; 1768– 1848; urspr. beeinflusst von Rousseau; ein Jahr in Nordamerika unter Indianern, 1792 im Emigrantenheer; 1800–1804 im Dienste Napoleons, danach dessen erbitterter Gegner; Legitimist, seit 1814 Diplomat im Dienste Ludwigs XVIII.; 1822 Außenminister, trieb entschiedene Restaurationspolitik im Geiste der Heiligen Allianz. 1824 entlassen; Übertritt zur liberalen Opposition, seit 1830 wieder Anhänger der Bourbonen. Chatten, Germanenstamm zwischen Main und Werra; nahm an der Erhebung des Arminius teil, fiel wiederholt in röm. Gebiet ein; röm. Rachefeldzüge 15 n. Chr. (Germanicus), 83 und 89 (Domitian); aus den C. gingen die Hessen hervor. Chauken, Germanenstamm zwischen Weser und Ems, Seefahrer und Piraten; später im Chattenland; wahrscheinlich in den Sachsen aufgegangen. Chauliac, Guy de, frz. Chirurg des 14. Jh., Arzt am päpstl. Hof zu Avignon, beschrieb die Pest 1348. Chaumette, Pierre Gaspard, frz. Revolutionär, 1763–1794; als fanatischer Terrorist führend beteiligt an den Greueltaten 1792 und an der Verurteilung Marie ­Antoinettes; hingerichtet. Chauvinismus, benannt vermutlich nach Chauvin, einem Soldaten, der wegen seiner blinden Schwärmerei für Napoleon bekannt war; Scribe verewigte den Haudegen in einem Lustspiel als Säbelrassler, der für Frankreichs Kriegsruhm und Machtvergrößerung lebt und stirbt; Chauvin auch Figur in dem Lustspiel der Brüder Cigniard „La cocarde tricolore“; C. ist übersteigerter Vaterlandsstolz, gegen fremde Rechte blinder und oft zur Kriegshetze führender Patriotismus.

Chavín de Huantar, archäolog. Fundort

eines Heiligtums in den nordperuan. Anden am O-Hang der Cordillera Blanca; wird in das 1. Jt. v. Chr. datiert und der Chavin-Kultur zugeordnet; erhalten ist die Ruine eines nahezu quadrat. Steinbaus mit Innenhof von 75 m Seitenlänge und etwa 13 m Höhe, in die Außenwände sind Steinmasken (menschliche Gesichter mit Raubtiergebiss) und Friese eingelassen, die wilde Tiere oder Kombinationen anderer Tierarten darstellen. Chelléen, früherer Name für ↑ Abbevillien. Chemie, Anfänge ↑ Alchemie; die wiss. chem. Forschung begann mit Robert Boyle (1627–1691); entgegen der herkömmlichen Dreielementenlehre (auch die im Altertum und MA bekannten Metalle Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Quecksilber wurden auf diese 3 Grundelemente zurückgeführt) lehrte Boyle, dass alle chem. nicht mehr zerlegbaren Stoffe Elemente seien, echtes chem. Wissen müsse experimentell, durch chem. Analyse, nicht autoritativ fundiert sein; auch Jungius (1587–1657) wendete sich gegen die Dreielementenlehre und forderte genaue Messungen mit der Waage; um 1700 waren 15 Elemente bekannt; im 18. Jh. wurden 19 neue Elemente entdeckt; Black (1728–99) begründete die Gaschemie (Gase können aus festen Körpern entstehen). Cavendish (1731–1810) erkannte die Zusammensetzung des Wassers, Priestley (1733–1804) die Zusammensetzung der Luft (Entdeckung des Sauerstoffs, der Salzsäure, des Ammoniakgases, der schwefl. Säure und des Kohlen­oxydgases); Richter (1762–1807) erforschte die Gewichtsverteilung der Grundstoffe in Verbindungen und bei chem. Reaktionen (Stöchiometrie) und stellte dazu erste Tabelle auf; Lavoisier (1743–1794) nannte quantitative Messungen Grundforderung der chem. Forschung; er erkannte, dass Verbrennung Sauerstoffaufnahme (Oxydation) 162

Chemnitz ist, und stellte das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes auf (Summe der Gewichte der chem. aufeinander wirkenden Stoffe = Summe der Gewichte der entstandenen Stoffe); bald danach begründete Dalton (1766–1844) die moderne Atomlehre: Alle Körper bestehen aus kleinsten, nicht mehr zerlegbaren Teilchen, unveränderlichen Atomen, die bei dem gleichen Element gleiche Struktur haben; sie verbinden sich in ganzzahligen Verhältnissen; Grundeinheit ist das Wasserstoffatom (= 1); nachdem Galvani (1737–1798), Volta (1745–1827) und Davy (1778–1829) die Voraussetzungen für die Elektrochemie (Elektrolyse, Elektrothermie) geschaffen hatten, gelang es Berzelius (1779–1848), erstmals genaue Gewichte für die Atome von Elementen festzulegen; er versuchte eine erste Systematik der Elemente, führte die Zeichensprache der C. ein und schied anorganische C. der toten von der organ. C. der lebenden Körper; doch bewies Wöhler (1800–1882) durch die Synthese von Harnstoff (aus Ammoniak u. a.), dass organ. Stoffe auch aus toten Stoffen entstehen können; um 1800 begann fabrikmäßige Herstellung chem. Produkte (Schwefelsäure, Soda, Chlorkalk, Rübenzucker), im 19. Jh. Ausbau der chem. Theorie, der Experimente, der Nutzung chem. Forschungsergebnisse; 50 neue Elemente wurden entdeckt und Ordnung in die Vielzahl der Elemente gebracht; das gelang L. Meyer (1830–1895) und Mendelejew (1834–1907), die die Elemente nach ihren Atomgewichten ordneten und erkannten, dass das Atomgewicht den Charakter des Elementes bestimmt (Periodisches Sys­tem der Elemente); Liebig (1803–1873) begründete die Agrarchemie, indem er die Bedeutung der Mineralien für die Pflanzenernährung erfasste (Kunstdünger); Kekulé (1829–1896) erkannte die Vierwertigkeit des Kohlenstoffes und die Ringstruktur des Benzols und wurde damit zum Begründer der Valenztheorie (Valenzwertigkeit, gegenseitiges Bindungsver-

mögen der Elemente), hochbedeutsam für die Entwicklung der modernen Großchemie; die räumliche Anordnung der Atome in Molekülen und Kristallen (Stereochemie) erkannte van t’Hoff (1852–1911); neue Methoden und Erkenntnisse wurden durch die Entdeckung des Massenwertungsgesetzes (1867, Berechnung chem. Gleichgewichte), der Osmose (1877), der Kolloidchemie (ab 1850) und der Spektralanalyse (1859, dadurch Entdeckung neuer Elemente, Übergreifen der chem. Forschung auf die Weltallmaterie) gewonnen; 1856 gelang erstmals die Herstellung einer synthet. Anilinfarbe; sie begründete das Zeitalter der chem. Industrie im 19. und 20. Jh. (Stickstoff aus der Luft, Kohleverflüssigung, künstl. Kautschuk, Kunstfasern, Zellstoff, Kunststoffe); von nicht geringerer Bedeutung war das Eindringen in die Chemie der Lebensvorgänge (Biochemie, physiolog. Chemie): Erforschung des Blutfarbstoffes, des Chlorophylls, der Vitamine, Hormone, Fermente, des Zellplasmas; Entdeckung der Antibiotika; chem. Herstellung von Heilmitteln (z. B. Sulfonamide); Chemotherapie und chem. Schädlingsbekämpfung; der Ausbau der Atomphysik brachte neue (meist künstliche) Elemente (Transurane) und Klärung über den wirklichen Charakter der Materie und ihren Aufbau aus Atomen und deren Elementarteilchen; er ergab zugleich, dass chem. Vorgänge sich nur im Schalenbereich der Atome, innerhalb des Elektronengürtels, abspielen; der Begriff C. wird heute jedoch auch auf Atomkerne angewandt und meint dann die Vorgänge bei natürlich oder künstlich ausgelösten Umwandlungsprozessen im Kern (Kernchemie). Chemnitz, 1) C., Martin, bedeutendster luther. Theologe im Zeitalter der Gegenreformation, 1522–1586; maßgebend beteiligt an dem Zustandekommen der ↑ Konkordienformel. 2) C., Philipp Bogislaw von, Geschichtsschreiber, 1605–1678;

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Cheops Enkel von 1), dt. Reichshistoriograf in schwed. Diensten, verteidigte die Rechte der Reichsstände und den Protestantismus gegen das habsburgische Kaisertum; schrieb eine Geschichte der Teilnahme Schwedens am 30-jährigen Krieg. Cheops (Chufu), König von Ägypten (4. Dynastie) um 2540 v. Chr.; Erbauer der größten Pyramide bei Giseh und des anschließenden Reichsfriedhofs (Grabbauten der hohen Beamten). Chephren (Chafra), König von Ägypten (4. Dynastie), um 2510 v. Chr.; Erbauer der zweitgrößten Pyramide im Reichsfriedhof von Giseh (früher Totenstadt von Memphis) mit berühmtem Bildnis (Diorit) als Gottkönig mit dem Horusfalken. Cherbourg, Hafenstadt in der Normandie auf der Halbinsel Cotentin; im MA umkämpft von England und Frankreich, das C. 1450 endgültig eroberte; unter Ludwig XIV. zur stärksten Seefestung Frankreichs ausgebaut, 1758 von den Engländern erobert und geschleift; von Ludwig XVI., Napoleon I. und Napoleon III. erneut ausgebaut und erweitert; 1944 durch die Alliierten schwer beschädigt. Cherusker, german. Stamm im Wesergebiet, der als Kern der unter ↑ Arminius verbündeten Stämme 9 n. Chr. den Römern die Niederlage im Teutoburger Wald beibrachte, sich auch 1416 gegen Germanicus behauptete; ging später vermutlich in den Sachsen auf. Chester, Hauptstadt der westmittelengl. Grafschaft C., altröm. Gründung im Stadtbild erkennbar, besterhaltene mittelalterl. Stadt Englands (Mauern, Fachwerkbauten, romanisch-got. Dom). Chichén Itzá, Mayastadt, um 600 n. Chr. in der Nähe von Quellen auf der Halbinsel Yucatán gegr.; 1007 im Städtebund mit Mayapan und Uxmal; 11–13. Jh. Hochblüte, Bau von Tempelpyramiden, Paläs­ ten, Observatorium, Ballspielplatz; dann von Mayapan unterjocht; in span. Zeit bereits in Trümmern (↑ Maya).

Childebert I., fränk. König, um 495–558;

Sohn und (511) Nachfolger Chlodwigs im Gebiet der Bretagne bis zur Somme, zerstörte 534 mit seinem Bruder Chlotar das Burgunderreich. Childerich, fränk. Könige aus dem Hause der Merowinger: 1) Ch. I. (457–481), Vater Chlodwigs; sein Grab in Tournai reich an merowing.-fränk. Beigaben. 2) Ch. II. (670–673), herrschte anfangs nur in Austrasien; bemächtigte sich 673 auch Neustriens und Burgunds. 3) Ch. III. (743– 751), letzter Merowinger auf dem Thron, von den Söhnen Karl Martells abgesetzt und ins Kloster geschickt. Chile, Staat in S-Amerika; von ­ Spaniern (Almagro) seit 1539 erobert und dem Vizekönigreich Peru einverleibt; seit 1778 span. Generalkapitanat; 1810–1818 Kampf für die Unabhängigkeit, danach Republik, Diktatur des Präsidenten O’Higgins (1818– 1823); 1840–1860 wirtsch. Aufstieg; neue Kupfer- und Silberminen, Eisenbahnen, Einwanderung (bes. aus Deutschland), Schulen, Gründung der Universität Santiago (1843); C. gewann 1879–1884 im Krieg gegen Bolivien und Peru das wertvolle Kupfer- und Salpetergebiet an der Küste; ­Weltmonopol C.s in Salpeter durch die dt. Stickstoff­gewinnung aus der Luft im 1. Weltkrieg gebrochen, seitdem Wirtschaftskrisen und soziale Unruhen; 1943 Kriegserklärung an Japan; im 2. Weltkrieg erneut wirtsch. Aufschwung durch Rohstoffexporte v. a. in die USA; 1952 militärischer Beistandspakt mit den USA; 1961 Währungsreform und Zehnjahresprogramm für Wirtschaftsausbau. 1964 nach dem Wahlsieg des Christdemokraten Frei Reformprogramm. 1970 Präsidentschaft des Sozialisten ↑ Allende nach dem Wahlsieg der Volksfront; Verstaatlichungen und Landreform. 1973 Militärputsch unter General Pinochet, Ermordung Allendes; Militärregierung verhängte Belagerungszustand und hob die Verfassung auf, Auflösung von Kongress und Partei, Aufhebung der polit. 164

China Freiheiten, Verhaftungswelle. 1978 wurde der Belagerungszustand aufgehoben (der Ausnahmezustand blieb jedoch aufrecht), die Militärregierung nahm erstmals Zivilisten auf. 1980 neue Verfassung. 1988 sprach sich in einem Plebiszit die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Verlängerung der Amtszeit von Präsident Pinochet aus, 1989 Wahlsieg des Christdemokraten Azócar, der einem Wahlbündnis aus 17 Parteien vorstand; damit Ende der Militärdiktatur Pinochets, der jedoch als Oberbefehls­ haber des Heeres sowie als Mitglied des Senates und des Nationalen Sicherheitsrates weiter großen Einfluss besaß. 1993 Einrichtung von Sondergerichten zur Aburteilung von Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der Militärdiktatur, denen sich jedoch Pinochet, geschützt durch seine Ämter, nicht stellen musste. Der ExGeneral wurde erst 1998 in England verhaftet, 2002 wurde in C. Anklage gegen ihn erhoben, das Verfahren jedoch wegen seiner Demenz eingestellt. 1994–2000 war der Christdemokrat E. Frei Ruiz-Tagle Präsident, Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, 2000 gewann der Sozialist Ricardo Lagos die Stichwahl um das Präsidentenamt. Chilliasmus (griech. chilioi, 1000), die auf Matth. 26, 29 oder Apokalypse 20, 2–4 gestützte Erwartung des Tausendjährigen Reiches Christi auf Erden, anschließend Überwindung des Satans, Untergang der Welt, Totenauferstehung, Jüngstes ­Gericht; besonders starke Bewegung im 8. Jh., dann bei der ersten nachchristlichen Jahrtausendwende, im Spät-MA und in der Reformationszeit durch protestant. Sektierer. Chilperich I., fränk. König aus dem Hause der Merowinger (561–584); Teilherrscher in Neustrien, führte Kriege gegen seine Brüder; ließ seine Gattin Galswintha, Schwester Brunhildes, ermorden. China, historisch das chin. Reich in seiner wechselnden Ausdehnung, von den übrigen Asiaten Kitai, von den Chinesen

Tschungkuo („Reich der Mitte“) genannt; Zentrum der großen Ebene zw. Hoangho und Jangtse, hier auch die dichteste Besiedlung. – Ur- und Vorgeschichte nur sehr lückenhaft bekannt (keine systemat. Grabungen); Menschen schon um 500 000 v. Chr. in C. nachweisbar (PekingMensch, Sinanthropus pekinensis: Reste von 40 Altsteinzeitmenschen, die das Feuer und einfache Steinwerkzeuge kannten, doch primitiver als der Neandertaler waren); Reste sichtbarer Kultur im Neolithikum im Hoangho-(Gelber Fluss-)Gebiet; Bauernkultur mit zahlreichen Dörfern; ab 2500, vielleicht durch Einwanderung, Yangschao-Kultur (Kansu, Schensi, Schansi, Hoanan und nördl. China), von weitreichendem Einfluss; noch ohne Metall; Anbau von Hirse, Reis, Weizen; Naturkult (Ströme, Berge, Quellen sind Götter, Obergott die Erde, Glaube an eine sinnliche und eine Charakterseele), Zauberbann, Ahnendienst (Ahnen sind Oberhäupter der Patriarchalfamilie); rote, schwarze, gelbe Keramik. – Seit etwa 2000–1500 Lungschan-Kultur (in Schantung, Nord-Honan, Anhui, Schekiang, Kiangsu in NO-C.); ebenfalls noch ohne Metall, mit befestigten Siedlungen; graue, schwarze Keramik; seit etwa 1800 Beginn staatlicher Organisationen (erste Königsdynastie); Beginn der Bronzezeit. – Altertum: seit etwa 1500–1100 v. Chr. durch König Tang begr. Schang-Dynastie (Herkunft unbekannt), Zentrum Nordost-Honan („Reich der Mitte“); losere Staatsorganisation (priesterliches Erbkönigtum, das die sittliche und gesellschaftliche Gesamtordnung, das Tao, zu sichern hatte, der König war absetzbar; Gaufürsten); z. T. Abkehr von der Langschau-Kultur, jetzt fantast. Tierornamentik (Drachen, Schlangen); hohe Bronzekunst (Dämonenmasken), weiße Keramik; Erweiterung des Ackerbaus; Haustiere, auch Opfertiere waren Rind, Schwein, Hund, Schaf, Wasserbüffel, Pferd; Seide und Hanfanbau; man

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China glaubte an den Himmelsgott Schau, an Götter und Dämonen (Menschenopfer); um 1300 wurde Yin in N-Honan Residenz, Umbenennung der Schang in Yin; Orakelpriester benutzten Kultschrift (2 000 Zeichen); Übergriffe der Könige, Religionsverfall führten zur Opposition der Gaufürsten; Gaufürst von Tschou beseitigte die Dynastie Schang-Yin. Tschou-Zeit um 1100–256 v. Chr.; die Tschou organisierten und sicherten das Land militär. und teilten es in eine große Zahl von Lehen auf; das Handwerk war stark gegliedert; im 10. Jh. von N-C. her Ausdehnung des Reiches nach Osten und Südosten durch Eroberungszüge der Lehensfürsten; in der Tschou-Zeit wurde das Muschelgeld durch Kupfer- und Bronzegeld ersetzt; in den Städten bildete sich Handel treibender Kaufmannsstand; im Laufe des 8. Jh. trat die Tschou-Dynastie gegenüber den Territorialherren (Fürstenbünde, z. T. gegen Hunnen gerichtet) stark zurück; in die Kämpfe der Lehensstaaten wurden die Bauern hineingerissen, die zunehmend verarmten; das Lehenswesen wurde beseitigt; zur Hebung der Wirtschaft staatlich organisierte Kanal- und Deichbauten. Unter der Tschou-Dynastie, auch in ihrer Verfallszeit, bedeutendes literar. und philosoph. Leben; die Kultschrift wurde zur allgemeinen Schrift; gegen den religiösen Verfall trat um 500 ↑ Lao-tse auf (↑ Taoismus), der die myst. Versenkung in die Allnatur lehrte; fast um die gleiche Zeit wirkte ↑ Konfuzius, der zur Pflege der Tradition aufrief und die Pflichten gegenüber der Familie über die Pflichten gegenüber dem Staat stellte. Die Territorialherren von Chin im Norden, die alle anderen Teilstaaten (Tschao, Yen, Wei, Tschu und Tsi) unterwarfen, machten der Herrschaft der Tschou ein Ende und begründeten als erste Dynastie des MA die Chin-Dynastie, 256– 206 v. Chr.; der von ihr gegründete absolutist. Staat wurde zum universalen Kaiserstaat, der in wechselnden Formen bis zum

Ende des chin. Kaisertums 1911/1912 Bestand hatte; das geeinigte Reich wurde zentral verwaltet, erhielt einheitliche Maße, Gewichte und einheitliche Schrift; oberste religiöse Wesenheit war der Himmel; der Herrscher von Chin nannte sich „Erster, erhabener Kaiser“; in dieser Zeit begann gegen das zwischen Mongolei und Pamir bestehende Hunnenreich der Bau der Großen Mauer (↑ Chinesische Mauer, zunächst als Wall); Ausrottung der feudalen Überlieferung durch Bücherverbrennung (213); die absolutist. Dynastie Chin brach in einer Rebellion zusammen; der Truppenführer Kiu Ki (Kaiser Kao-tsu) gründete die Han-Dynastie 206 v. Chr.– 222 n. Chr.; weiterhin Abwehrkämpfe gegen die C. bedrohenden Hunnen; um 190 n. Chr. Beseitigung des Bücherverbotes, Blüte einer mag. Theologie und profaner Wissenschaften (Dichtung, Geschichtsschreibung); Kaiser Wu-ti (140– 87 v. Chr.) drängte die Hunnen in die Wüste Gobi zurück, unterwarf Teile Koreas, südchin. Küstengebiete, eroberte das Tarimbecken und führte C. zu einem ersten Höhepunkt; gegen die Verarmung durch die Kriege kämpfte er durch Landreform an (Weinbau, Großgüter, Staatsmonopole); doch zunehmend Wirtschaftskrisen und Überbevölkerung, zahllose Bauern sanken zu Pächtern herab; unter Wu-ti Ausdehnung des chin. Handels über Zentralasien (↑ Seidenstraße); die Herrschaft der Han-Dynastie wurde zeitweise unterbrochen durch die Herrschaft des Kaisers Wang Mang (9–23 n. Chr.) aus dem verwandten Hause Hsin, unter dem die zentralasiat. Eroberungen größtenteils verloren gingen; unter den Nachfolgern, die wieder der Han-Dynastie angehörten, durch Berührung mit den Persern, Indern und dem hellenist.-röm. Orient starke fremde Kultureinflüsse; das Kaiserreich gewann seine alte Machtstellung wieder und erweiterte sein Gebiet um Annam, Tongking und Turkestan; auf der Seidenstraße 166

China Handel bis ins Römerreich; seit etwa 100 n. Chr. erneute Hunnenbedrohung und Aufstände der Militärbefehlshaber; doch zunehmende Erschließung Südchinas und Besiedlung durch nord- und mittelchin. Reisbauern. – In der Han-Zeit erneute Blüte der Literatur (Geschichtswerke, Lehrgedichte, Literatursammlungen). Ausbildung einer realist. Kunst, der Drache wurde zum Reichssymbol; das Staatsdenken wurde vornehmlich durch den Konfuzianismus bestimmt; seit etwa 60 n. Chr. (unter Kaiser Ming-ti) kam jedoch von Indien her der ↑ Buddhismus nach C. und begann mehr und mehr das geistige Leben zu bestimmen; buddhist. Bücher wurden übersetzt, Chinesen pilgerten in die Heimat Buddhas; starke wechselseitige Beeinflussung auf dem Gebiet der Philosophie und Literatur. Seit 222 Aufspaltung in drei Reiche; später, nach vorübergehender Einigung (265–317) und Einfall der Hunnen in N-C., Trennung in N(Reich der Wei) und S-C. (317–589) mit starker innerer Zerrüttung; doch weitere Kolonisierung in den südl. Küstenbezirken und Ausbildung von kulturellen Zentren in den verschiedenen Reichsgebieten; Blüte der buddhist. Kultur unter den Kaisern des 6. Jh.; der Süden trieb Handel mit Südostasien und Indonesien. Erneute Wiederherstellung der Reichseinheit durch den südchin. Feldherrn Yang Chien, Gründung der Tsui-Dynastie, 569–617; unter ihr Kanalbau Jangtse-Hoangho, verlustreiche Kämpfe gegen die Türken, Indochinesen und Koreaner; Einführung des Prüfungswesens für die Beamten (bis ins 20. Jh. bestehend). – Mit türk. Hilfe kam die TangDynastie, 618–907, zur Herrschaft und zentralisierte das Reich von Neuem. Bedeutender Herrscher Tsai Tsung (626– 649); C. war Weltreich; Kulturaustausch mit Indien, zeitweise Lehenshoheit über das Sassanidenreich; Einflussnahme auf Tibet und Japan; Kaiser Kao-Tsun (650– 683): Machtbereich bis zum Balchasch-

See, Vernichtung des nordkorean. Reiches; Kaiser Hsüan-Tsun 713–756 (Blüte der Literatur). – In der Tang-Zeit Entfaltung der Pagoden- und Tempelkunst, Grabanlagen mit Geisteralleen; reiche lyrische Dichtung (Litaipe 701–770) und hohe Gelehrsamkeit; christliche Missionare (Nestorianer um 780); unter Kaiser Wu-tsung (841– 846) Verfolgung des Buddhismus und Säkularisierung seiner Kirchengüter und Klöster; Ausrottung der Christen. – Unter den Nachfolgern Bauern­kriege. Nach Zerrüttungen und Reichs­teilungen Sung-Dynastie, nördl. mit Hauptstadt Kaifang und südl. mit Hauptstadt Nanking oder Hangtschou, 960–1269. Zur Herstellung der Reichseinheit große Reformen unter Kaiser Schen-tsun (1068 bis 1085), Außenhandel mit Indochina und Indonesien. Das Reich verlor durch tungus. Staatsgründungen den Norden und wurde von 1211 an durch Mongoleneinfälle erschüttert (↑ Dschingis Khan eroberte Peking), Teile Chinas wurden den Mongolen tributpflichtig; trotz des zunehmenden Niedergangs Blüte des geistigen Lebens, der Dichtung, der Philosophie („Buddhist. Scholastik“), der Geschichtsschreibung, der Landschaftsmalerei und der Baukunst (erstes Porzellan). ↑ Mongolen-Dynastie, 1271– 1368; C. wurde Chanat (Teilstaat) des Riesenreiches der ↑ Mongolen, die 1274 und 1281 von Korea aus auch Japan zu besetzen suchten; das Reich – erster Großkhan war Kublai Khan (1280–1294) – hatte rund 38 Mio. Einwohner; die Bewohner waren in vier Klassen eingeteilt: Mongolen, ­Innerasiaten, Nordchinesen, Südchinesen; die Verwaltung fast ausschließlich in Händen von Mongolen; in dieser Zeit ↑ Marco Polo in C.; Bau des Kaiserkanals Hangtschou-Peking; Eindringen des Islams; Abstieg seit 1307 durch Thronfolgestreitigkeiten und Parteikämpfe; den südchin. Nationalisten gelang es 1368, die Mongolen zu vertreiben, die sich in die ↑ Mongolei zurückzogen, aber auch weiterhin das Land

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China beunruhigten. Ming-Zeit, 1368–1644; unter Kaiser Tsai-tsu (1368–1398) wurden alle Nichtchinesen aus den Ämtern vertrieben; Küstenbefestigungen gegen drohende jap. Invasion; Korea machte sich selbständig; unter Tscheng-tsu (1402–1424) erneute Einfälle der Mongolen; 1420 wurde Peking wieder Hauptstadt, Bau des Himmelsaltars und der Ming-Gräber in Nanking; Bau einer Flotte gegen Japan; 1514 erschienen erstmals portug. Schiffe und gründeten Handel treibend 1567 die Kolonie ↑ Macao; ab 1581 Jesuitenmission in China, erste christliche Kirchen; der Jesuit Joh. Adam Schall von Beill (1619–1665) war Leiter der kaiserlichen Sternwarte; 1622 setzten sich die Holländer auf Formosa fest; Europa erhielt nähere Kunde vom Weltreich C. (Chinoiserien in der europäischen Kunst); unter dem letzten Ming-Kaiser Einbruch der tungus. Mandschu, die in der Mandschurei ein Reich errichteten und 1644 Peking eroberten. – Neuzeit: Mandschu-Zeit, 1644–1911: Die Mandschu, die mit der Zeit zu Chinesen wurden, sicherten ihre Herrschaft durch über das ganze Reich verteilte Garnisonen; Kaiser Kang-hi (1662–1722) schuf zentralist. Verwaltung (Besetzung der Ämter durch je einen Chinesen und einen Mandschu) und förderte die Kolonisation, besetzte 1683 Formosa und legte 1689 die Grenze gegen Russland fest; die Mongolen unterwarfen sich 1696; der Kanon der konfuzian. Schriften wurde festgelegt; großer Einfluss der christl. Missionare, jedoch 1724 Verbot der christl. Mission; unter Kaiser Kien-lung (1735–1795) größte Ausdehnung des chin. Reiches; 1751 wurde Tibet chin. Protektorat, 1758/59 wurde Ostturkestan besetzt, Burma und Nepal anerkannten die chin. Oberhoheit; um die Mitte des Jh. hatte C. 100 Mio. Einwohner, Ende des 18. Jh. 275 Mio. – Das 19. Jh. war gekennzeichnet durch das Eingreifen der westeurop. Seemächte und die Politik der Aufteilung Chinas in Interes-

sensphären; 1840–1842 ↑ Opiumkrieg, im anschließenden Frieden von Nanking 1842 Abtretung von Hongkong an England, Freigabe mehrerer Häfen für den Europahandel, später durch Handelsdiktate erweitert; 1850 Beginn des Taiping-Aufstands (Aufstand sozialrevolutionärer Sektierer), die Aufteilung von Grund und Boden forderten und Mittelchina besetzten und verwüsteten; nach der militär. Intervention Englands und Frankreichs (↑ Lorcha-Krieg wegen angeblicher Schändung einer brit. Flagge auf dem chin. Schiff Lorcha, Besetzung Pekings, Zerstörung des Sommerpalastes), 1860 Vertrag von Tientsin; Freigabe weiterer Vertragshäfen, europ. Gesandtschaften in Peking, Exterritorialität der Fremden, freie christliche Mission; Verlust Amurs und der Fernostprovinz Sibiriens an Russland; 1876 wurde China gezwungen, Gesandtschaften im Ausland zu unterhalten. 1885 fiel Annam an Frankreich, 1886 Burma an England; nach dem chin.-jap. Krieg von 1894/95 um Korea trat China im Vertrag von Schimonoseki Formosa (Taiwan) und die Pescadores-Inseln an Japan ab; Korea wurde „unabhängig“; 1896 erzwang Russland die Benutzung der nordchin. Bahn nach Wladiwostok; 1898 besetzte Deutschland als Vergeltung für die Ermordung von Missionaren Kiautschou mit Tsingtau; die fremdenfeindliche Bewegung führte 1900 zum Aufstand der ↑ Boxer und zum Eingreifen europ. Mächte, der USA und Japans; Besetzung Pekings; hohe Sühnegelder, die C.s Finanzwirtschaft weiter zerrütteten; die einsetzenden Reformbestrebungen (Plan einer Verfassung, Beseitigung der Beamtenprüfungen, Eisenbahnbau) konnten das Kaisertum nicht mehr retten. – Neueste Zeit: 1911 Revolution der Jungchinesen unter ↑ Sun Yatsen, dem Führer der 1905 gegr. revolutionären Kuomintang-Partei; Sturz der MandschuDynastie. Der mit den Revolutionären paktierende General Yüan Schikei wurde 1. Präsident der Chin. Republik; Abfall Ti168

China bets und der Mongolei; Generalsherrschaft; im 1. Weltkrieg Besetzung Kiautschous und Eingreifen in die Innenpolitik durch Japan; seit 1920 Bürgerkrieg der Generale; zunehmender Einfluss der UdSSR; seit 1925 war ↑ Tschiangkaischek Führer der Kuomintang; dann Auseinanderfall der Partei (nach dem Tod Sun Yat-sens) in Kommunisten (↑ Mao Tse-tung) und Nationalchinesen (Tschiangkaischek); T. gelang es, Nord und Süd zu einigen (1928); Nationalversammlung 1931, doch im gleichen Jahre Besetzung der Mandschurei durch Japan („Kaiserreich Mandschukuo“ von Japans Gnaden, ab 1934) und Vordringen nach Innerchina; Chin.-jap. Krieg 1937– 1945 (Eroberung Pekings, Tientsins, Nankings, Tsingtaus, Kantons; Blockade der Küste; Vormarsch stockte nach Überflutung der Hoangho-Ebene und durch Partisanenkrieg); nach Bau der ↑ Burmastraße Gegenoffensive C.s; nach Ende des Krieges neuer Bürgerkrieg (der Nationalchinesen unter Staatspräsident Tschiangkaischek seit 1948) gegen die Kommunisten unter Mao Tse-tung, dem Präsidenten der seit 1949 bestehenden „Chin. Volksrepublik“; nach Niederlage Flucht der Nationalchinesen nach Formosa („Nationalchina“, ↑ Taiwan); in „Rotchina“ radikale Landreform, Kollektivierung, gesteigerte Industrialisierung, Beistandspakt mit der UdSSR 1950; im gleichen Jahre Eingreifen in den Koreakrieg (↑ Korea) und Eroberung Tibets; 1958 Überspringen der „sozialist.“ Stufe der Industrialisierung (↑ Kommunismus) durch Gründung der Volkskommunen (exzessives Kollektivierungssystem, Aufhebung der Unterschiede zw. Stadt und Land, Kampf gegen altchin. Familienordnung), um den „letzten Zustand der Geschichte“ zu erreichen; ideolog. Kampf mit dem Kommunismus der UdSSR um die Möglichkeit der vorzeitigen Verwirklichung der kommunist. Gesellschaftsordnung und der „Koexistenz“ mit den „kapitalist.“ Ländern. Bis 1966 Verstaatlichung aller Indus-

trieunternehmen, große Produktionssteigerung. 1964 Explosion der ersten chin. Atombombe in Zentralasien. 1965 entfachte Mao Tse-tung die „Kulturrevolution“ gegen die bürokratische Praxis der Parteihierarchie, die „Roten Garden“ dienten der Mobilisierung eines revolutionären Bewusstseins. 1971 Aufnahme der Volksrepublik C. in die UN. Die Öffnung nach Westen signalisierte 1972 der Besuch des amerik. Präsidenten Nixon in China. 1976 nach dem Tode Maos innere Unruhen und Machtkämpfe. Ausschaltung der radikalen Fraktion um Maos Witwe ↑ Tschiang Tsching (sog. „Viererbande“). ↑ Hua Guofeng übernahm den Vorsitz im ZK der KPCh (bis 1981), der in der Kulturrevolution entmachtete ↑ Deng Xiaoping kehrte 1977 in seine Ämter als stellvertretender Ministerpräsident und stellvertretender Vorsitzender des ZK zurück. Seitdem wirtsch. Liberalisierung: Herabsetzung des Kollektivierungsniveaus, Leis­ tungsprinzip im Lohnsystem, Technologieimport aus dem Westen; Rückbesinnung auf die klass. chin. Traditionen in der Kultur. 1979 diplomat. Anerkennung durch die USA. 1978 Krieg mit Vietnam. 1983 und 1986 „Rektifizierungskampagne“ zur Säuberung der Partei von „radikalen“ Mitgliedern. Eine Bewegung für Freiheit und Demokratie, getragen hauptsächlich von Studenten, wurde im Juni 1989 blutig niedergeschlagen; dies führte vorübergehend zur polit. Isolation Chinas, seine Bedeutung als Absatzmarkt und als bevölkerungsreichstes Land der Welt bewirkte jedoch eine rasche Reintegration. Auch nach dem Tode Deng Xiaopings 1997 blieb die chin. Führung unter Min. Präs. Li Peng (1988–1998) und Parteichef Jiang Zemin (seit 1989, seit März 1993 auch Staatspräsident) bei dem eingeschlagenen Kurs einer liberalen Wirtschaft einerseits, der Unterdrückung jegl. Demokratiebewegungen andererseits. 2001 Aufnahme in die WTO, auch unter Min.Präs.

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Chinamensch Wen Jiaobao (seit 2003) weitere wirtsch. Öffnung bei gleichzeitigen vorsichtiger polit. Reformen (Lockerung der “Ein-Kind“Politik, 2003 Verfassungsänderung: Grundrechte auf Streik und Freizügigkeit sowie “Recht auf Privatsphäre”). 1997 erhielt C. die ehem. brit. Kronkolonie Hongkong zurück, 1999 die portug. Kolonie Macao, beide behielten als “Sonderverwaltungszonen” ihr Wirtschaftssystem, während die polit. Führung durch eine chinafreundliche ersetzt wurde. Chinamensch, ↑ Paläolithikum. Chinesische Mauer, von Kaiser Schi Huang-ti Ende des 3. Jh. v. Chr. zum Schutz gegen Angriffe von Nomadenvölkern aus dem Norden zunächst als Erdwall angelegt; im 15. Jh. zur gemauerten Befestigung ausgebaut; Länge 2450 km, Höhe bis 16 m, Dicke bis 8 m, größte Bauanlage der Welt; Renovierung durch die kommunist. Regierung. Chioggia, Stadt bei Venedig; 1381 Sieg der Venezianer über die Genuesen; Sicherung der Vorherrschaft Venedigs. Chirac, Jacques René, frz. Politiker, geb. 1932; 1972–74 Landwirtschaftsminister, 1974 Innenminister, 1974–76 Premierminister. Seit 1977 Bürgermeister von Paris, 1986–88 wiederum Premierminister, unterlag bei den Präsidentschaftswahlen 1988 dem Amtsinhaber ↑ Mitterrand, konnte 1995 schließlich dessen Nachfolge antreten. 1997 durch Sieg der Linken bei den Parlamentswahlen geschwächt, musste den Sozialisten Jospin zum Premierminister berufen. 2002 (erst in der Stichwahl gegen den extremen Rechten Le Pen) in seinem Amt als Staatspräsident bestätigt. Chirurgie (griech., Eingriff mit der Hand), neben der Geburtshilfe ältester Zweig der Heilkunst; Amputationen, Schienen gebrochener Glieder, Schädelöffnungen wurden von den Wundärzten der Ägypter vorgenommen; von noch höheren chirurg. Kenntnissen zeugt das ind. Werk „Ayurveda“ (Buch der Lebenskunde) aus dem

1. Jh. v. Chr.; der Grieche Hippokrates (5. Jh. v. Chr.) verfügte über chirurg. Erfahrung trotz geringer anatom. Kenntnisse (Behandlung von Knochenbrüchen, Bauchhöhlenoperationen); mit schweren Blutungen verbundene Operationen konnten erst durchgeführt werden, als die Unterbindung der Blutgefäße bekannt war, die der Enzyklopädist ↑ Celsus für die Zeit um 50 n. Chr. überliefert; im MA fand die C. eine Pflegestätte in der medizin. Schule von Salerno, die die Kenntnisse der Araber dem Abendland vermittelte, hier Ausbildung von geschulten Chirurgen für die Kreuzzüge; im 13. Jh. wurden frz. Wund­ärzte (Schule von Paris, Montpellier) Lehrmeister der C.; Höhepunkt der C. im 16. Jh. war das Wirken des Franzosen Ambroise Paré, der vier frz. Königen als Leibarzt auf ihren Feldzügen folgte und die Behandlung von Schusswunden verbesserte, die Gefäßunterbindung wiederentdeckte und den Kaiserschnitt versuchte; auch ↑ Paracelsus förderte die vernachlässigte, den Badern, Feldscherern, Steinschneidern und Schröpfern überlassene „niedere C.“ durch vorzügliche Anweisungen in der Wundbehandlung; drei entscheidende Fortschritte brachte erst das 19. Jh.: die antiseptische Wundbehandlung (↑ Lister), die Narkose (Long, Morton, Simpson, Braun u. a.) und die künstliche Erzeugung von Blutleere an den Operationsstellen (↑ Anatomie). Chlodomer, König der Franken, 511–524; Sohn und Teilerbe Chlodwigs, residierte in Orléans. Chlodwig (Chlodowech, Ludwig), König der salischen Franken aus dem Hause der Merowinger, um 466–511; Sohn Childerichs I., trat 482 die Herrschaft an, begründete das Fränk. Reich durch Beseitigung der anderen salischen Gaukönige, schließlich auch der ripuarischen und durch Siege über die Römer (↑ Syagrius erlag bei ­Soissons 486), über Alemannen und Westgoten; trat 496 zum (kath.) Christentum über (der Arianismus der Ostgermanen 170

Christentum entscheidend überwunden, Voraussetzung für die Reichseinheit); übernahm das zentralist. Verwaltungssystem der Römer, bewahrte aber auch die german. Tradition (Aufzeichnung der Lex salica). Chlothar, fränk. Könige aus dem Hause der Merowinger: 1) C. I. (511–561); Sohn Chlodwigs I. und dessen Nachfolger im nordwestl. Teil des Reiches seit 511, beteiligte sich an der Vernichtung der Reiche der Thüringer und Burgunder, überlebte seinen Bruder, dadurch 558 noch einmal König des Gesamtreiches. 2) C. II., gest. 629, kam 584 als Sohn Chilperichs I. im Alter von vier Monaten unter Regentschaft seiner Mutter Fredegunde auf den Thron von Neustrien; das Edictum Chlotarii (614) festigte die Stellung des Adels und der Hausmeier; 623 abgedankt. Choiseul-Amboise, Etienne François, Herzog von, frz. Staatsmann, 1719–1785; Günstling der Pompadour, brachte 1756 als Gesandter in Wien das Bündnis mit Österreich zustande; 1758–1770 Außenminister und zeitweilig Kriegsminister; Gegenspieler Englands im Kampf um die koloniale Vorherrschaft; setzte 1762 das Verbot der Jesuiten in Frankreich durch; reorganisierte Heer und Flotte nach 1763, gewann 1768 Korsika für Frankreich. Cholera, in Ostasien heimische Infektionskrankheit; in Europa epidemisch zuerst 1831 aufgetreten, zuletzt 1892 in Hamburg; 1883 entdeckte Robert Koch den Erreger, seither durch behördliche hygien. Maßnahmen fast erloschen. Chomjakow, Alexej, russ. Schriftsteller, 1804–1860; Wegbereiter des Panslawismus, verkündete Sendung Russlands und seinen Triumph über den zum Untergang bestimmten Westen, der das wahre Christentum verraten habe. Choresmien, das Gebiet um Chiwa, in der heutigen Sowjetrepublik Usbekistan; im Altertum von iran. Völkern bewohnt, im 9. und 8. Jh. v. Chr. machtvoller Staat Zentralasiens; 1097–1220 n. Chr. Neues

Reich, das 1194 das Seldschukenreich eroberte, dann von den Mongolen zerstört wurde; im 16. Jh. usbek. Teilreich (Khanat Chiwa), Sklavenhandelszentrale; 1873 von Russland erobert, mit zarist. Generalgouvernement Usbekistan vereinigt; Baumwollgebiet. Chorherren, Angehörige eines Ordens, die nicht nach der Mönchsregel, sondern nach den Richtlinien für Kleriker leben; entstanden im Gefolge der mittelalterl. Kirchenreform. Ihnen obliegt der gemeinsame Chordienst, Seelsorge, Unterricht und Wissenschaft. Chosrau, sassanidische Perserkönige: 1) C. I. (531–579); erhob das Buch Avesta (Kanon des Zarathustra) zur religiösen Autorität; Freund griech. Bildung; kämpfte gegen Byzanz, gegen die „weißen Hunnen“, Inder und Araber. 2) C. II. (590– 628); machtvoller Eroberer (Syrien, Nordägypten) und verhasster Despot, ermordet. Chotusitz, böhm. Städtchen; 1742 Sieg Friedrichs d. Gr. über die Österreicher. Chouans, die royalist. Aufständischen der Bretagne gegen die Revolutionsrepublik, benannt nach ihrem Anführer Jean Cottereau, mit dem Beinamen „Chouan“ (Uhu); führten 1792–1799 einen blutig niedergeschlagenen Guerillakrieg (Chouanerie). Christentum, die von ↑ Jesus von Nazareth – genannt „Christus“ = Gesalbter Gottes – gestiftete Religion, in Erfüllung der Verheißungen des A. T. aus der jüd. Religion hervorgegangen, doch gleichzeitig als Offenbarungsreligion etwas grundsätzlich Neues; durch die Apostel (vor allem Paulus) zunächst im östl. Mittelmeerraum bis Italien verbreitet; entwickelte sich aus den verstreuten Gemeinden des Urchristentums im Rahmen des übernationalen röm. Imperiums zur Weltkirche, in seiner Ausbreitung gefördert durch die Jenseitsgerichtetheit und das Erlösungsbedürfnis der Spätantike sowie durch die werbende Kraft der Blutopfer seiner Märtyrer (↑ Christenverfolgungen); gehemmt noch bis ins 4. Jh.

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Christenverfolgungen durch das Misstrauen des röm. Staates, durch innere Auseinandersetzungen (↑ Arianismus/Athanasius) und die Rivalität der anderen großen Weltreligionen und philosoph. Systeme der ausgehenden Antike (↑ Mithra); dabei formte sich das C. auch als Geistes- und Bildungsmacht in der Begegnung mit dem Hellenismus; andererseits enge Verbindung mit dem röm. Staatsund Rechtsdenken durch die Erhebung zur Staatsreligion bzw. Reichskirche unter Kaiser Theodosius I. 391. Im Kampf um den Primat (geistliche Vorrangstellung) setzte sich der Bischof von Rom 451 (Reichskonzil zu Chalcedon) gegen Konstantinopel durch; die Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig I. (496) führte die röm. Kirche auf den Weg der mittelalterl. Staats- und Reichskirche; die Rivalität Rom-Byzanz aber, dogmatisch vertieft, führte 1054 zur Kirchenspaltung (Schisma): Teilung in ein abendländ. (röm.-kath.) und morgenländ. (griech.-orthodoxes) C. Die ↑ Reformation (seit 1517) verursachte eine erneute Glaubensspaltung in der christl. Kirche und sprengte die Einheit der mittelalterl. Welt in Europa, die aus der Aneignung des C. und der von ihm religiös unterbauten universalen Reichsidee durch die german.-roman. Völkerwelt erwachsen war (↑ Luther, Zwingli, Calvin, Anglikanische Kirche). Subjektive Auslegung der christl. Lehre führte zur weiteren Aufsplitterung in Freikirchen und Sekten (vor allem auf protestant. Seite); die christl. Ständeordnung wurde gleichzeitig abgelöst von der modernen Gesellschaftsordnung (Aufklärung, Frz. Revolution), womit das C. als beherrschende Lebensmacht (z. B. in der Wirtschaftsauffassung) ausgeschaltet werden sollte. Parallel zu der von den Kirchen bekämpften „Entchristlichung“ des Abendlandes („Religion Privatsache“, C. in den meisten Ländern nicht mehr Staatsreligion) lief die Ausbreitung des C. in der „Neuen Welt“ und großen Teilen Afrikas und Asiens.

Christenverfolgungen, im röm. Reich bis

zum Toleranzedikt von Mailand 313; mit hervorgerufen durch die Absonderung der Christen und den Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums, das den Kult der offiziellen Staatsgötter verdammte; neben den Hassinstinkten der heidn. Großstadtbevölkerung gaben polit. Erwägungen der Kaiser den Ausschlag; die Staatsgleichgültigkeit der Christen steigerte sich im 3. Jh. zur Verweigerung des Militärdienstes und der Übernahme öffentlicher Ämter; die als Geheimbünde verdächtigten Christengemeinden genossen nicht die Sonderrechte der Juden (die gleichfalls die heidn. Götzendienste ablehnten). – C. des ↑ Nero 64 n. Chr., auf Rom beschränktes Ablenkungsmanöver und Willkürakt Neros; ↑ Trajan lehnte planmäßige Fahndung ab, bejahte aber grundsätzlich Strafverfolgung bei Verweigerung der Teilnahme am röm. Kult, dadurch Denunziantentum und Willkür der lokalen Justizbehörden begünstigt; größere C. unter ↑ Mark Aurel; systemat. C. erstmals unter ↑ Decius 250 (Einkerkerung oder Tod); unter ↑ Aurelianus 280 (neue Reichsreligion des Sol invictus – Sonnengott – mit Ausschließlichkeitsanspruch); schlimmste C. unter ↑ Dio­ kletian seit 303 (Verhaftung der Priester, Verschickung in die Bergwerke bei Opferverweigerung; im weström. Reichsteil Kirchenzerstörung, Folterung, Todesstrafe nach besonderen Strafverfahren). Zahl der Opfer (Märtyrer) nicht festzustellen, doch aus dem Geist der Blutzeugen bedeutender Kräftezuwachs für die Kirche; Beendigung der C. durch das Toleranzedikt 313 unter Konstantin d. Gr. (vgl. auch ↑ Japan, China). Christian, Name von Herrschern. Anhalt: 1) C. I., Fürst von A.-Bernburg, 1568– 1630; befreundet mit König Heinrich IV. von Frankreich, Calvinist, Feldherr der protestant. Union, unterlag 1620 in der Schlacht am Weißen Berge. – Dänemark: 2) C. I. (1448–1481); geb. 1426, 1450 172

Christus König von Norwegen (seither in Personalunion), 1457–1470 König von Schweden, 1460 Herzog von Schleswig, Graf von Holstein; Gründer der Universität Kopenhagen (1479). 3) C. II. (1513–1523); geb. 1481, bemächtigte sich 1520 Schwedens (↑ „Stockholmer Blutbad“ unter dem schwed. Adel), 1523 aus beiden Reichen vertrieben, starb 1559 in der Gefangenschaft. 4) C. IV., 1577–1648; Dänemarks volkstümlichster Herrscher, griff ohne Erfolg in den 30-jähr. Krieg ein (1625– 1629), erwarb bleibendes Verdienst durch Verwaltungsreform und merkantilist. Wirtschaftsförderung; Gründung von Kolonien auf Island und Grönland. 5) C. VIII. (1839–1848); geb. 1786, kündigte 1846 mit seinem „offenen Brief“ die Verschmelzung Schleswig-Holsteins mit Dänemark an und eröffnete damit den Streit um die Herzogtümer. 6) C. IX. (1863–1906); geb. 1818, aus der Linie Sonderburg-Glücksburg; durch das Londoner Protokoll 1852 zum Thronfolger bestimmt, verlor durch seine Verschmelzungspolitik 1864 Schleswig-Holstein und Lauenburg. 7) C. X. (1912–1947): geb. 1870, blieb beim dt. Einmarsch 1940 im Lande, leistete passiven Widerstand. – Halberstadt; 8) C., Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel, 1599–1626; 1616 Administrator des (luth.) Bistums Halberstadt, protestant. Feldherr im 30-jähr. Krieg; wegen harter Kriegführung als „der tolle Halberstädter“ gefürchtet, von Tilly 1622 bei Höchst und 1623 bei Stadtlohn geschlagen. Christine, Königin von Schweden, 1626– 1689 (1632–1654); Tochter Gustav Adolfs, gelangte 1632 zur Herrschaft, eigen­willig, hochbegabt, dankte 1654 ab und wurde 1655 kath., widmete sich nach unstetem Leben 1668 bis zu ihrem Tod 1689 ihren künstlerischen und wissenschafltichen Neigungen in Rom. Christlich-Demokratische Union (CDU), 1945 gegr., beide christl. Konfessionen Gesamtdeutschlands umfassende demokrat.

und föderalist. Partei, von der sich 1949 die CDU der DDR ablöste und gleichgeschaltet wurde; in der Bundes­republik Deutschland 1949–1966 und seit 1982 tragende Regierungspartei; Ziele: kulturpolitisch: christliche Staatsgestaltung, Schutz von Ehe und Familie, Elternrecht; wirtsch.- und sozialpolitisch: freie soziale Marktwirtschaft, gemeinsamer europäischer Markt, Schutz des Privateigentums, Mitbestimmungsrecht; außenpolitisch: Zusammenarbeit mit dem Westen, europäische Integration, Unterstützung der Entwicklungsländer; die CDU steht in Fraktionsgemeinschaft mit der seit 1945 in Bayern bestehenden, betont föderalistisch eingestellten, in den Gesamtzielen der CDU entsprechenden Christlich-Sozialen Union (CSU). Seit dem Ende der Großen Koalition 1969 war die CDU/CSU im Bund Oppositionspartei. Im Okt. 1982 Koalitions­regierung mit der FDP, die in den Wahlen von 1983, 1987, 1990 und 1994 bestätigt wurde. Seit der Bundestagswahl 1998 befindet sich die CDU nach 16jähriger Regierungszeit wieder in der Opposition. Der Organisationsgrad der CDU ist gering, nur etwa 2 % ihrer Anhängerschaft sind Mitglieder der Partei. – In der ehemaligen DDR ordnete sich die CDU 1949 als Blockpartei der SED unter. Nach den politischen Umwälzungen von 1989 wurde sie zunächst eigenständige politische Kraft. Aus den Volkskammerwahlen 1990 ging die Ost-CDU als stärkste Partei hervor und stellte in der DDR-Regierung den Ministerpräsidenten (Lothar de Maizière). Im Okt. 1990 vereinigte sie sich mit der westdt. CDU. Christophe, Henri, König von Haiti, 1767–1820; urspr. Sklave, wurde später zum General ernannt und 1807 Präsident, ließ sich 1811 als Henri I. zum König krönen; hatte nur Einfluss im NO der Insel, beging Selbstmord, als das Volk sich gegen ihn erhob. Christus, ↑ Jesus.

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Christusorden Christusorden, portug. Ritterorden, 1318

zum Kampf gegen die Mauren gestiftet; von bes. Bedeutung bei der Kolonisierung; 1550 Großmeisterwürde mit der Krone Portugals verknüpft. Chronik (griech., Zeitbuch), Form der Geschichtsschreibung, in der die Ereignisse in zeitlicher Ordnung erzählt werden, u. a. im MA gepflegt. C.en gehen oft von den Anfängen (der Welt, eines bestimmten Klosters, einer bestimmten Stadt) aus und stellen die Dinge in den Rahmen der Heilsgeschichte. Die Grenzen zu den ↑ Annalen sind fließend. Der Gebrauch der Muttersprache setzte sich, von Italien ausgehend, im späten MA immer mehr durch. Chronologie, Lehre von der Zeitmessung und den Zeitrechnungsarten; Altersbestimmung, Datierung von vorgeschichtlichen oder geschichtlichen Funden, Ereignissen, Tatsachen und die entsprechenden Verfahren; Anfänge schon in der Antike (z. B. bei ↑ Eratosthenes) und im MA; wiss. C. erst seit Joseph Scaliger (De emendatione temporum, 1583) und Petavius (De doctrina temporum, 1627); die ersten entscheidenden Beiträge von der Astronomie her lieferten Kepler und Newton; grundlegend L. Ideler (1766–1846). Annähernde Daten für die Eiszeiten und die eiszeitlichen (altsteinzeitl.) Kulturstufen werden astronomisch (Ermittlung von Klimaänderungen durch datierbare Änderungen der Sonneneinstrahlung), durch die Messung der Tonschichten nach dem Zurückweichen von Gletschern, durch die Messung der Ausbreitung und Schichtendicke der Moränen gewonnen; die Pollenanalyse (↑ Moorfunde) lässt die Zusammensetzung der Vegetation bestimmter Landschaften in früherer Zeit ermitteln (das Alter vorgeschichtlicher Fundstücke kann an Erdresten mit Pollen grob festgestellt werden); der Fluortest ermöglicht es, im Boden lagernde Skelettreste altersmäßig zu bestimmen (Knochen nehmen mit dem Grundwasser Fluor auf, dessen mengenmäßige Anreicherung bis

heute die Datierung erlaubt); noch genauere Altersbestimmungen ermöglicht die Radio­carbonmethode, jedoch nur an organ. Stoffen (Gewebe, Knochen, Pflanzen- und Holzreste); für frühe Zeit können die vergleichende Völkerkunde und die vergleichende Sprach-, Sagen-, Mythen- und Märchenforschung zeitliche Anhaltspunkte bieten, bes. für die Frage, ob histor. Vorgänge bei verschiedenen Völkern früher oder später liegen; eine große Rolle in der Datierung von Ereignissen für die Umrechnung althistor. Kalender spielen Angaben über Himmelserscheinungen (Sonnen- und Mondfinsternisse, Venus­ beobachtungen, Siriusaufstiege, Gestirnskonjunktionen, z. B. für das Geburtsjahr Christi: „Stern der Weisen“); diplomat. Briefwechsel, internat. Handelsbeziehun­ gen (Einfuhrgüter aus Kulturländern, deren C. festliegt), Kriege, Friedensschlüsse lassen Zeitangaben des einen Partners oder Volkes auf das andere übertragen; Königs, Archonten-, Konsullisten des Altertums, Annalen des MA machen zeitliche Festlegungen möglich, ebenso Angaben über Olympische Spiele und über Kalender­ reformen und ihre (astronom.) Begründung; Datierungsquellen sind auch die Jahresringe von Baumstämmen (↑ Dendrochronologie), Verwitterungserscheinungen, Grab- und Triumphtafeln oder an Siedlungsplätzen auf Völkerwanderungswegen, in Militärlagern vorgefundene Münzen, sofern festgestellt werden kann, seit wann und wie lange sie in Kurs waren; ebenso Gräber und Bestattungsweisen und Geräte, deren Material (handgeformte oder Drehscheibenkeramik; Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eisenfundstücke), Form, Verzierungsweise für eine Epoche oder einen Kulturkreis typisch sind (Band-, Schnurkeramik, Spiralfibeln, Kreuzformen u. a.); auch Familien-, Orts- und Flurnamen lassen zeitliche Rückschlüsse zu; v. a ergiebig sind die Schrift- und Sprach­analyse bei Schriftdenkmälern (Wortschatz) und die Stilana174

CIA lyse bei Kunstwerken und Ornamenten, die oft bis auf das Jahrzehnt genaue Datierungen zulassen. Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch, sowjet. Politiker; 1894–1971; Bergmann, kämpfte ab 1918 im kommunist. Bürgerkrieg, später Parteifunktionär, Baustellenleiter; 1935 als Nachfolger von Kaganowitsch Parteiführer Moskaus; wenig später im Obersten Sowjet; als gebürtiger Ukrainer 1938 Parteiführer der Ukraine („Säuberungs“-Aktionen); von dort 1939 Berufung ins Politbüro. 1941 organisierte C. den Abtransport der Industrie aus der Ukraine, um sie den Deutschen zu entziehen, und den Partisanenkampf; nach Kriegsende wieder in der Ukraine; 1949 Sekretär im Zentralkomitee (ZK) der KPdSU und 1952 im Präsidium; nach Stalins Tod 1953 einer der vier Sekretäre des ZK; nach Berijas Sturz 1. Sekretär des ZK (= Parteiführer); 1955 Sturz Malenkows; 1955–1958 mit Ministerpräsident Bulganin staatsbestimmend; auf dem 20. Parteitag 1956 (Verurteilung Stalins, gegen Persönlichkeitskult) sagte C. Ausbruch des Sozialismus aus den Landesgrenzen voraus, hielt aber takt. Koexistenz zw. Kapitalismus und Marxismus für möglich; gewaltiger Ausbau der Schwerindus­trie und Rüstung (Atombomben, Raketenwaffen); außenpolitisch flexible Taktik; 1957/58 Ausschaltung der polit. Konkurrenten Molotow, Kaganowitsch, Malenkow, Schukow, Bulganin; seit 1958 auch Ministerpräsident; auf dem 22. Parteitag 1961 nochmals schärfste Verurteilung des polit. und wirtschaftstheoret. Stalinismus; Entfernung der Stalinisten aus Staats- und Parteiämtern, Entfernung der Leiche Stalins aus dem Lenin-Mausoleum. Zunehmende wirtschaftliche Misserfolge und die Verschärfung des Konflikts mit China führten 1964 zum Sturz C.s als Partei- und Regierungschef, 1966 Ausschluss aus dem ZK. Chrysostomus (wegen seiner Beredsamkeit C. = Goldmund gen.), Johannes, hl.,

um 354–407 n. Chr.; Patriarch von Konstantinopel, griech. Kirchenvater und berühmter Redner; wegen seiner Reformideen und seiner sozialpolit. Anklagen am Kaiserhof (↑ Eudoxia) verhasst und 403 verbannt. Churchill, Winston, brit. Staatsmann, 1874–1965; aus der Familie der Herzöge von Marlborough, nahm am Burenkrieg teil; seit 1900 Mitglied des Unterhauses, urspr. konservativ, trat zu den Liberalen über, seit 1906 in der Regierung; Anteil an der Sozialgesetzgebung der Liberalen; 1911– 1915 Marineminister (Rücktritt nach gescheitertem Dardanellenunternehmen); 1917/19 Munitions-, 1919/21 Kriegs-, 1921/22 Kolonialminister, als Liberaler nicht wiedergewählt; Wiederanschluss an die Konservativen; seit 1930 Anteilnahme an der Außenpolitik, bekämpfte Baldwins und Chamberlains nachgiebige Politik gegenüber den Achsenmächten; nach Kriegsausbruch Marineminister, 1940–1945 Ministerpräsident und Führer Englands im 2. Weltkrieg; 1945–1951 Führer der konservativen Opposition, 1951–1955 wieder Ministerpräsident. C. trat als einer der ersten westl. Politiker für Ost-West-Entspannung ein, 1956 erhielt er auf Grund seiner Verdienste um die Einigung Europas den Karlspreis. Auch als Schriftsteller trat C. hervor („Marlborough“, 1933–1938, „Der Zweite Weltkrieg“, 1948–1953; Nobelpreis für Literatur 1953). Churriter, vorderasiat. Volk (Ausgangspunkt Churrum bei Aserbeidschan), das nach 1680 v. Chr. aus dem inneren Iran nach Assyrien und Kleinasien vordrang, kleinere Fürstentümer gründete, den Mitanni-Staat beherrschte und im Mitanniund Hethiterreich aufging; vermutlich verdankt Vorderasien ihnen die Einführung des Pferdes; Vermittlung der babylon. Keilschrift an die Hethiter ihnen zugeschrieben (Kulturfunde in ↑ Tall Halaf ). CIA, Abk. für ↑ Central Intelligence Agency.

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Ciano Ciano, Galeazzo, Graf von Cortellazzo,

ital. Diplomat und Politiker, 1903–1944; Schwiegersohn Mussolinis, 1936–1943 Außenminister, begründete 1936 die Achse Berlin-Rom, versuchte den Kriegseintritt Italiens zu verhindern. Am Sturz Mussolinis 1943 beteiligt, nach dessen Befreiung verhaftet und hingerichtet. Cicero, Marcus Tullius, röm. Staatsmann, Jurist und Schriftsteller, 106–43 v. Chr.; der größte Redner Roms, Vollender des klass. lat. Stils, als Philosoph selbst nicht schöpferisch, doch bedeutend durch die formvollendete Vermittlung der nach­ aristotelischen, besonders stoischen, griechischen Philosophie und ihrer humanitären Ideen (“Academica”, “Tuskulanische Gespräche”, “Über das Greisenalter”, “Über die Freundschaft”), deckte 63 v. Chr. als Konsul die Verschwörung des ↑ Catilina auf; republikanisch gesinnt, entschied sich daher im Bürgerkrieg für Antonius gegen Cäsar; nach Cäsars Ermordung Führer des Senats gegen Antonius, der ihn umbringen ließ. Das Erbe Ciceros wirkt durch alle Zeiten bis zur Gegenwart. Cid Campeador (Kämpfer), Beiname des span. Nationalhelden Ruy Diaz de Vivar, um 1045–1099; Idealgestalt des kastilian. Rittertums der Reconquista, eroberte 1094 das maurische Königreich Valencia; dichterisch verherrlicht in altspan. Romanzen (übersetzt von Herder); Dramen von Lope de Vega und Corneille. Cimbern, ↑ Kimbern. Cincinnatus, Lucius Quinctius, altröm. Nationalheld, nach der Überlieferung 458 v. Chr. vom Pflug weg zum Diktator berufen, um das von den Äquern eingeschlossene Heer zu befreien; löste diese Aufgabe binnen 16 Tagen und kehrte auf sein Landgut zurück, als Musterbild röm. Tugend gefeiert. Cinna, Lucius Cornelius, röm. Feldherr und Staatsmann, seit 87 v. Chr. Konsul, verband sich mit Marius, den er aus dem Exil zurückgerufen hatte, eroberte das von

Anhängern Sullas beherrschte Rom und errichtete eine Schreckensherrschaft; von seinen Soldaten 84 erschlagen. Cinquecento (ital., fünfhundert, Abk. für 1500), in der Kunst- und Kulturgeschichte gebräuchliche Bez. für das 16. Jh., d. h. die Hochrenaissance (und Übergang zum Barock), vertreten durch Bramante, Michelangelo, Raffael, in der Literatur Ariost und Tasso. Cipangu, Marco Polos Bezeichnung für ↑ Japan; unter diesem Namen zeichnete auch der ital. Geograf Toscanelli die Inseln auf seine Karten ein. Circus, Schauplatz der circensischen Spiele (ludi circenses), röm. Festspiele, zuerst nur als Pferde- und Wagenrennen, seit 264 v. Chr. auch als ↑ Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen; das Hauptvergnügen der großstädt. Massen, die „panem et circenses!“ (Brot und Spiele) forderten; Hauptschauplatz in Rom der C. Maximus (bis zum 4. Jh. n. Chr. für 385 000 Zuschauer erweitert); vorher seit 220 v. Chr. der C. Flaminius; neue C.-(↑ AmphitheaterBauten) unter Nero, den Flaviern (↑ Kolosseum), Caracalla; größere röm. Provinzstädte verfügten über eigene Anlagen (Verona, Nîmes, Pompeji, Trier u. a.). Cisalpinische Republik, 1797 von General Bonaparte in Oberitalien proklamierter frz. Vasallenstaat, umfasste Mailand, Modena, Ferrara, Bologna, Romagna, nahm 1802 den Namen „Italienische Republik“ an, ging 1805 im napoleon. „Königreich Italien“ auf. Cispadanische Republik, „diesseits (d. h. südlich) des Po“, 1796 von Bonaparte proklamiert, 1797 in der „Cisalpinischen Republik“ aufgegangen. Cisrhenanische Republik, ein 1797 von Anhängern der Frz. Revolution „diesseits des Rheins“ (den „Cisrhenanen“) geplantes Staatsgebilde (mit Bonn, Köln, Aachen), durch die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich (↑ Campoformio) illusorisch geworden. 176

Clayton-Bulwer-Verrtrag Citeaux, frz. Kloster in Burgund, Dep. Côte d’Or; 1098 von Robert von Molesme und Alberich gegr. Reformkloster, das zum Mutterkloster des ↑ Zisterzienserordens wurde. Citoyen (frz. Bürger), in der Ära der Frz. Revolution 1792–1804 Anredeform an Stelle des aristokrat. „Monsieur“; 1848 auf kurze Zeit wieder in Gebrauch. Civitas Dei (lat. Gottesstaat), nach ↑ Augus­ tinus (dessen Hauptwerk: „De Civitate Dei“, Vom Gottesstaat) der alle Völker umfassende christl. Idealstaat (im Gegensatz zur Civitas terrena, dem irdischen Staat der Kinder der Finsternis), in den sich am Ende auch die weltl. Gewalten einordnen; als Kernbegriff der teleolog. (zielgerichteten) Geschichtsauffassung (Geschichtsteleologie) des MA großer Einfluss auf den Machtkampf zw. Papsttum und Kaisertum. Clactonien, Kulturstufe der Altsteinzeit (↑ Paläolithikum), benannt nach der Fundstätte im Moor von Clacton-on-Sea an der SO-Küste Englands, nahe der Themsemündung; Kultur ohne Faustkeile, statt dessen Werkzeuge, die durch Zertrümmerung von Feuersteinknollen auf Steinunterlage entstanden sind und, am Rand grob oder feiner bearbeitet, zum Schlagen, Schneiden, Schaben, Kratzen, Sägen und Bohren benutzt wurden, vielleicht Hinterlassenschaften einer eigenen Menschenrasse in W- und N-Europa. Clairvaux, Zisterzienserabtei südl. Troyes im Herzogtum Burgund, 1115 von ↑ Bernhard von C. gegr., 1792 aufgehoben. Clarendon, engl. Staatsmänner: 1) C., Edward Hyde, Earl of, 1609–1674; im Bürgerkrieg Parteigänger der Stuarts; nach der Restauration von 1660 Leiter der Politik als Lordkanzler Karls II., 1667 gestürzt, floh nach Frankreich, schrieb die erste Geschichte des engl. Bürgerkriegs. 2) C., George Villiers, Earl of, 1800–1870; 1847–1852 Vizekönig von Irland, schlug den irischen Aufstand 1848 nieder, seit 1853 mehrmals Außenminister.

Clark, Mark Wayne, amerik. General,

1896–1984; befehligte im 2. Weltkrieg das amerik. Expeditionskorps in England und leitete an der Spitze der amerik. 5. Armee die Invasionen in Tunesien, Sizilien und Süditalien. Clarke, Henri Jacques Guillaume, Herzog von Feltre, frz. Marschall irischer Abstammung, 1765–1818; 1806 Gouverneur von Erfurt und Berlin, 1817–1814 Kriegsminister Napoleons. Claudier, altröm. Geschlecht plebejischer Herkunft, dem die Kaiser von Tiberius bis Nero entstammten (Adoption des Tiberius durch Augustus, dessen Gattin Livia vorher mit einem Claudius verheiratet war). Claudius, röm. Kaiser: 1) C., (Tiberius Claudias Nero Germanicus; 41– 54 n. Chr.); geb. 10 v. Chr., Sohn des Drusus (des Bruders des Kaisers Tiberius), als „Schwachkopf“ verachtet, von den Prätorianern zum Kaiser erhoben, hoch gelehrt und dank seiner Ratgeber auch in der Regierung erfolgreich; eroberte Britannien, führte Reformen durch; ließ seine zügellose Gemahlin Messalina hinrichten, heiratete Agrippina, die ihn vergiftete, nachdem er ihren Sohn Nero adoptiert hatte. 2) C. II. Gothicus (Marcus Aurelius Valerius Claudius; 268–270); besiegte Alemannen und Goten; erlag der Pest. Clausewitz, Carl von, preuß. General und Militärschriftsteller, 1780–1831; am Abschluss der Konvention von ↑ Tauroggen (1812) beteiligt; 1812–14 in russ. Diens­ ten; sein nach seinem Tod unvollendet erschienenes Buch „Vom Kriege“, das die militärtechn. Ergebnisse der Befreiungskriege auswertet, wurde Grundlage der modernen Kriegslehre. Clay, Lucius D., amerik. General, 1897– 1978; 1947–49 Militärgouverneur in der amerik. Besatzungszone Deutschlands, Organisator der Luftbrücke während der Berliner Blockade. Clayton-Bulwer-Vertrag, Abkommen zw. den USA und England 1850 über die

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Clémenceau Neutralität des geplanten Kanals zwischen dem Atlantischen und Pazifischen Ozean; 1900/01 zugunsten der amerik. Revisionsforderungen (rein amerik. Kontrolle) außer Kraft gesetzt (↑ Panamakanal). Clémenceau, Georges, frz. Staatsmann, 1841–1929; gefürchteter Parlamentarier („Der Tiger“); für Wiederaufnahme des Dreyfusprozesses (↑ Dreyfus-Affäre); 1906–1909 und 1917–1919 Ministerpräsident; seine willensstarke Politik führte zum Sieg Frankreichs im 1. Weltkrieg und zur weitgehenden Durchsetzung der frz. Forderungen gegenüber Deutschland im ↑ Versailler Vertrag. Clermont-Ferrand, Stadt in Südfrankreich; 1095 Konzil unter Vorsitz Papst Urbans II., beschloss den 1. Kreuzzug. Cleveland, Stephen Grover, nordamerik. Staatsmann, 1837–1908; Präsident der USA 1885–1889 und 1893–1897; Demokrat, Antiimperialist, verhinderte die Einführung der freien Silberwährung und forderte die staatliche Kontrolle der Privateisenbahnen. Clive, Robert, Baron C. of Plassey, Begründer der brit. Macht in Ostindien, 1725– 1774; seit 1743 im Dienst der Ostind. Kompanie, siegte 1757 bei ↑ Plassey über den Herrscher von Bengalen, festigte und erweiterte die brit. Herrschaft (Verwaltungsverträge mit dem Großmogul 1765). 1767 wegen Amtsmissbrauch angeklagt, später rehabilitiert, endete durch Selbstmord (↑ Indien). Cloaca Maxima, ältester und bedeutendster Abwasserkanal im alten Rom; vom 6.–1. Jh. v. Chr. gebaut, ermöglichte auch die Anlage des Forum Romanum. Clodius Pulcher, Publius, berüchtigter polit. Abenteurer in Rom; 58 v. Chr. Volkstribun, verbannte seinen Feind Cicero und terrorisierte Rom mit seinen Banden, 52 v. Chr. im Straßenkampf erschlagen. Cloots (Klootz), Baron von, gen. Anarchasis C., frz. Revolutionspolitiker dt. Herkunft, 1755–1794; demokrat. Schwärmer,

„Sprecher des Menschengeschlechts“, Konventsmitglied, guillotiniert. Club of Rome, internat. Organisation von Wissenschaftlern sowie Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur zur Untersuchung der Situation und Zukunftsperspektiven der Menschheit, gegr. 1968 von dem Industriellen Aurelio Peccei in Rom. 1973 Veröffentlichung: „Die Grenzen des Wachstums“ von D. Meadows, im selben Jahr Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 1991 erschien der Bericht des Rates des Club of Rome „Die erste globale Revolution. Bericht zur Lage der Welt“. Cluny, frz. Benediktinerabtei nördl. Lyon, 910 von Herzog Wilhelm von Aquitanien gegr., 1790 aufgehoben; von ihr ging im 10. und 11. Jh. die große cluniazensische Reformbewegung zur Erneuerung des Mönchswesens aus (strenge Klosterzucht, Unabhängigkeit der Klöster von der Rechtsprechung der fürstlichen Bischöfe und weltlichen Vogteien, Unterstellung direkt unter Rom), zur Erneuerung der Gesamtkirche (gegen die Priesterehe) und Stärkung des Papsttums; die Cluniazenser aus vielen hundert Klöstern (in Deutschland bes. Hirsau) wurden zur mächtigen Stütze des Papsttums im ↑ Investiturstreit: sie waren die Träger der die mittelalterl. Auffassung vom Sinn des Krieges revolutionierenden ↑ Gottesfriedensbewegung (vgl. auch ↑ Landfriede) und später der Kreuzzugsidee. Cobbett, William, brit. Politiker, 1763– 1835; bis 1803 Gegner der brit. Friedenspolitik gegenüber Napoleon I., kämpfte für die Rechte der verelendeten Fabrik- und Landarbeiter und war seit 1815 Führer der unorganisierten brit. Arbeiterschaft; 1832 wurde er ins Unterhaus gewählt. Cobden, Richard, brit. Industrieller und Wirtschaftspolitiker, 1804–1865; klass. Vertreter des freihändlerischen ↑ Manchestertums (Grundsatz des „Laissez faire“); Führer der ↑ Anti-Corn-Law League. 178

Colombo-Plan Cobenzl, Ludwig Graf von, österr. Staatsmann, 1753–1809; als Gesandter in St. Petersburg in Gunst bei Katharina II., entschiedener Gegner des revolutionären Frankreich; maßgeblich beteiligt an der 3. Teilung Polens (1795), Unterhändler zu ↑ Campoformio (1797), ↑ Rastatt und ↑ Lunéville, 1801–1805 Staatskanzler und Außenminister, errichtete das österr. Kaisertum und schloss Defensivbündnis mit Russland (1804). Cocceji, Samuel Freiherr von, dt. Rechtsgelehrter, 1679–1755; 1738 Chef der preuß. Justiz, 1747 preuß. Großkanzler, reformierte das Rechtswesen in Preußen (Prozessordnung 1748). Cochläus, Johann, dt. Humanist und kath. Theologe, 1479–1552; rührigster Gegner Luthers, den er in Predigten und Schriften bekämpfte; beteiligt an der Abfassung der ↑ Confutatio. Code Napoléon, das auf Veranlassung Napoleons I. ausgearbeitete, 1804 als Code civil (1807 „C. N.“) veröffentlichte Zivilgesetzbuch, später mehrmals erweitert und auch in Holland, Belgien, Italien, Spanien, Portugal, den bayer., hess. und preuß. Rheinlanden und Baden eingeführt; in Deutschland 1900 vom Bürgerl. Gesetzbuch abgelöst; 1806 kamen das Zivilprozessbuch, 1808 die Strafprozessordnung hinzu, die beide für die dt. Rechtsentwicklung bedeutsam wurden. Codex, alte (Buch)Handschrift; ursprünglich die zu einem ↑ Buch zusammengefügten hölzernen und mit Wachs überzogenen Schreibtafeln der Römer, bes. für Ein- und Ausgabenverzeichnisse; im MA der handschriftliche Pergament-, später Papier-C.; berühmt die frühmittelalterl. Bibelhandschriften auf Pergament, z. B. der C. argenteus (Silberne C.), die mit silbernen Lettern auf purpurrotem Pergament geschriebene gotische Bibelübersetzung des ↑ Wulfila, heute in Uppsala; auch die kaiserlichen Gesetzsammlungen im MA werden als C. bezeichnet, z. B. der C. Caroli-

nus Karls d. Gr.; schließlich die Sammlung des kath. Kirchenrechts, abschließend vereinigt im C. Iuris Canonici (C. des kanonischen Rechts), seit 1918 in Kraft. Colbert, Jean Baptiste, frz. Staatsmann, bedeutendster Vertreter des ↑ Merkantilismus („Colbertismus“), 1619–1683; förderte als Finanzminister Ludwigs XIV. Flotte, Kolonien und die gesamte Staatswirtschaft, bes. Gewerbe, Handel und Verkehr; Gegner der frz. Eroberungspolitik auf dem Kontinent, konnte sich aber gegen die Kriegspartei (Louvois) nicht durchsetzen. Coligny, Gaspard de, frz. Feldherr und Führer der ↑ Hugenotten, 1519–1572; 1552 für seine Siege im Dienste der Krone zum Admiral (Befehlshaber) von Frankreich ernannt; seit 1559 Calvinist, 1569 an der Spitze der Hugenotten; Opfer der ↑ Bartholomäusnacht. Colleoni, Bartolomeo, ital. Condottiere in mailändischen und venezianischen Diensten, 1400–1475; Denkmal von Verrocchio in Venedig. Collot d’Herbois, Jean Marie, frz. Revolutionär, 1749–1796; ehemaliger Schauspieler und Theaterdichter, radikaler Jakobiner, 1793 Präsident des Konvents, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, verantwortlich für die Massenhinrichtungen in ↑ Lyon, 1795 deportiert. Colombo, Emilio, ital. Politiker, geb. 1920; seit 1950 Minister in den verschiedensten Ressorts, zeitweilig Präsident des Ministerrats der EWG; 1970–71 Ministerpräsident, 1977–79 Präsident des Europ. Parlaments. Colombo-Plan (Colombo Plan for Coope­ rative Economic Development in South and Southeast Asia), 1950 im Verband des brit. Commonwealth in Colombo beschlossener wirtsch. Aufbauplan der Staaten Australien, Großbritannien, Japan, Kanada und Neuseeland für die Länder des süd- und südostasiatischen sowie des pazifischen Raumes (6-Jahres-Pläne). Derzeit sind 24 Staaten der Initiative angeschlos-

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Colonna sen. In dem Plan sind Hilfeleistungen in Form von Darlehen, Zuschüssen und Sachleistungen wie z.B. Düngemittel, Ausbildungsprogramme etc. enthalten. Colonna, berühmtes röm. Adelsgeschlecht, meist ghibellinisch gesinnt, griff in seiner Blütezeit im 11.–16. Jh. oftmals entscheidend in die innerröm. Machtkämpfe ein und beeinflusste bes. die Papstwahl; aus ihm gingen außer Papst Martin V. (1417–31) viele Kardinäle, Feldherren, Staatsmänner und Gelehrte hervor. – 1) C., Sciarra, floh vor Papst Bonifatius VIII. nach Frankreich, 1303 an der Gefangennahme des Papstes Bonifatius VIII. in Anagni beteiligt, krönte als Haupt der republikanischen Regierung in Rom, in Abwesenheit des Papstes, 1328 Kaiser Ludwig den Bayern in Rom. 2) C., Prospero, Feldherr, 1452–1523; vertrieb nach 1515 als Oberbefehlshaber der antifrz. Koalition die Franzosen aus Italien, siegte 1522 bei Bicocca. Columban, einer der ersten Germanen­ apostel, hl., um 543–615; irischer Herkunft (Kloster Bangor), verbreitete das Christentum unter den Franken und Alemannen, stiftete zahlreiche Klöster (berühmt: Bobbio in der Lombardei 612). Columbus, ↑ Kolumbus. COMECON, Abk. für engl. Council for Mutual Economic Assistance, dt. auch Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Abk. RGW), Wirtschaftsorganisation der ehemaligen sozialist. Ostblockstaaten, die 1949 auf Initiative der Sowjetunion gegründet wurde, um der Organisation für wirtschaftl. Zusammenarbeit (OEEC) eine ähnliche Wirtschaftsorganisation entgegenzusetzen. Sitz der Organisation war Moskau. Mitglieder waren die Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die DDR (seit 1950), die Mongolische Volksrepublik (seit 1962), Kuba (seit 1972) und Vietnam (seit 1978). Mit Jugoslawien gab es ein Asso­ziierungsabkommen und mit Finnland, Irak, Mexiko und Nicaragua ein Kooperationsabkommen. Der

Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe wurde im Juni 1991 förmlich aufgelöst. Comenius, Johann Amos (Komensky), Theologe und pädagog. Reformer, 1592– 1670; Bischof der ↑ Böhmisch-mährischen Brüder, wirkte für eine christl. durchdrungene Erziehung und (unter dem Einfluss Bacons) für Reformen des Schulwesens (Anschauung an Stelle der Belehrung aus Büchern), bes. im Sprachunterricht. Comes (lat. Begleiter), die röm. Bezeichnung Palatini für die Bewohner des kaiserlichen Palastes (für den Hofadel) wandelte sich mit Beginn des 4. Jh. n. Chr. in Comitati, Reisegefährten; Comes wurde zum Titel, der dem späteren Graf entsprach. Commodus, Marcus Aurelius C. Antoninus, röm. Kaiser (180–192); geb. 161, Sohn ↑ Mark Aurels, grausam, ausschweifend; ließ seine Gattin hinrichten, trat als Circuskämpfer auf, ermordet. Commoners (engl., Gemeine), alle, die nicht zur engl. Nobility, also zum Oberhaus, gehören; House of Commons = Unterhaus. Common Law (engl., Gemeines Recht): 1) das anglo-amerik. Rechtssystem im Unterschied zum röm. Recht und seinen Tochterrechten auf dem europ. Kontinent und in Lateinamerika (Civil Law). 2) im engeren Sinne das zentralisierte, für ganz England gültige Recht, wie es sich seit Wilhelm d. Eroberer durch die Königsrechte gegen die lokal beschränkten Gewohnheitsrechte und Sonderrechte eigenen Ursprungs durchsetzte. 3) das Gewohnheitsrecht (aufgrund richterlicher Entscheidungen von Fall zu Fall) zum Unterschied vom gesetzlichen Recht (Statute Law). Common Prayer Book, seit 1549 das liturg. Handbuch (Agende) der anglikan. Staatskirche in England, mehrmals revidiert, eine letzte Revision 1928 am Widerstand des Parlaments gescheitert. Commonwealth (engl., Gemeinwohl, Gemeinwesen, Staatenbund): 1) Bez. für die Republik unter ↑ Cromwell (C. of 180

Condorcet England). 2) 1900 Zusammenschluss der austral. Einzelstaaten zum C. of Australia. 3) 1926 (C.-Konferenz) infolge des Strebens der Dominions nach uneingeschränkter Souveränität Umgestaltung und Umbenennung des brit. Weltreiches (British Empire) in „British C. of Nations“, Gemeinschaft freier Staaten und Völker (angegliedert das eigentlich abhängige Kolonialreich); die engl. Krone als „Symbol“ stellt das Bindeglied des C. dar; als Völkerfamilie seit 1948 ohne den Zusatz „British“ mit Rücksicht auf die Gefühle der nichtengl. Völker (Indien u. a.); die letzten (theoret.) Vorrechte des brit. Parlaments gegenüber den Dominions fielen 1931 durch das Statut von Westreinster: formelle Beziehungen zwischen England und den gleichberechtigten Mitgliedern des C. nur noch wirtsch., kulturell (Premierministerbesprechungen, gemeinsame Währungsgrundlage, C.-Konferenzen in unregelmäßigen Zeitabständen); Mitgliedsstaaten: Antigua und Barbuda, Australischer Bund, Bahamas, Bangladesch, Barbados, Belize, Botswana, Brunei, Dominica, Fidschi, Gambia, Ghana, Grenada, Guyana, Indien, Jamaika, Kamerun, Kanada, Kenia, Kiribati, Lesotho, Malawi, Malaysia, Malediven, Malta, Mauritius, Moçambique, Namibia, Nauru (indirekt), Neuseeland, Nigeria, Pakistan, Papua-Neuguinea, Saint Kitts und Nevis, Saint Lucia, Saint Vincent and the Grenadines, Salomonen, Sambia, Samoa, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, Sri Lanka, Republik Südafrika, Swasiland, Tansania, Tonga, Trinidad und Tobago, Tuvalu (indirekt), Uganda, Vanuatu und Zypern. Simbabwes Mitgliedschaft im Commonwealth wurde aufgrund der Unterdrückung der Opposition und der Enteignung weißer Farmer im Land 2002 suspendiert, 2003 trat Simbabwe aus dem C. aus. Compiègne, Ort nördl. von Paris; im Wald von C. wurde 1918 zw. Marschall Foch und Erzberger der Waffenstillstand abgeschlossen; 1940 Waffenstillstand zwischen

Hitler und den Franzosen im gleichen Eisenbahnwagen wie 1918 und am gleichen Platz. Comte, Auguste, frz. Sozialphilosoph. 1798–1857; Begründer des Positivismus und der Soziologie als (oberster) Wissenschaft; begann als Saint-Simonist und endete als Prophet einer neuen Gesellschaft und einer neuen „Menschheitsreligion“, einer Verbindung von Positivismus (Wissenschaftsgläubigkeit), sozialist. Utopismus und hierarch. Forderungen („positive“ Philosophen an der Spitze des neuen Gemeinwesens); C. selbst Vorsitzender des „Europ. Komitees der zukunftsgläubigen Menschheit“. Einfluss auf St. ↑ Mill, Spencer und auch Marx (soziolog. Betrachtungsweise in der Geschichtswissenschaft); ↑ Geschichtsphilosophie. Condé, Seitenlinie der Bourbonen, benannt nach ihrem Stammsitz, der Stadt Condé im Hennegau (Nordfrankreich); bedeutendste Vertreter: 1) C., Ludwig I. von Bourbon, Prinz von C., 1530–1569; zusammen mit ↑ Coligny an der Spitze der Hugenotten gefangen genommen und erschossen. 2) C., Ludwig II. von Bourbon, Prinz von C. („Der große Condé“), Feldherr, 1621–1686; besiegte die Spanier bei Rocroy 1643, die Kaiserlichen bei Allersheim (Elsass) 1645, eroberte 1646 Dünkirchen; überwarf sich in den Kämpfen der Fronde mit dem Hof und Mazarin, wurde span. Oberbefehlshaber, als Hochverräter zum Tode verurteilt, 1659 rehabilitiert, eroberte 1668 die Freigrafschaft Burgund; siegte unter Ludwig XIV. in den Niederlanden 1674; 1675 Oberbefehlshaber am Rhein; das Haus C., dem auch der Emigrantenführer Prinz Ludwig Joseph von Enghien angehörte, erlosch 1830. Condorcet, Antoine, Marquis de, frz. Gelehrter, 1743–1794; Enzyklopädist, förderte als Mathematiker die Integralrechnung; bekämpfte das Königtum als unsozial, vertrat uneingeschränkten Fortschrittsglauben; 1792 Präsident der Ge-

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Confessio Augustana setzgebenden Versammlung, stand als Konventsmitglied ↑ Brissot nahe; geächtet, beging nach Verhaftung Selbstmord (↑ Geschichtsphilosophie). Confessio Augustana, ↑ Augsburgische Konfession. Confutatio pontificia, kath. Gegenschrift gegen die ↑ Augsburgische Konfession; auf dem Reichstag von Augsburg 1530 im Auftrag Karls V. verlesen. Connétable (von lat. comes stabuli, Stallmeister); in Frankreich seit dem 13. Jh. Oberbefehlshaber des Landheeres, im Rang über den Marschällen und Prinzen, im Krieg mit fast unbeschränkten Vollmachten, als Amt und Würde von Ludwig XIII. 1627 aufgehoben (↑ Bourbon). Conrad von Hötzendorf, Franz Graf, österr.-ungar. Feldmarschall, 1852–1925; 1906–1911 und 1912–1917 General­ stabschef, trat 1908/09 für einen Präventivkrieg gegen die Politik der Irredenta in Italien und die serb. Expansion ein; 1911 vorübergehend entlassen; entwarf die Pläne zu den Durchbruchsschlachten von Gorlice 1915 und Tolmein-Flitsch 1917; trat 1917 wegen Meinungsverschiedenheiten mit Kaiser Karl zurück und übernahm eine Heeresgruppe in Tirol. Conring, Hermann, Rechtsgelehrter und Mediziner, 1606–1681; forderte als Naturwissenschaftler und als Jurist kritische Einzelforschung, trat für eine vom röm. Recht unbeeinflusste vergleichende Rechtsgeschichte ein, Begründer der dt. Rechtsgeschichte. Consalvi, Ercole Marchese, Kardinal, 1757–1824; päpstlicher Staatssekretär, schloss mit Napoleon 1801 das Konkordat; von diesem zeitweilig interniert, wirkte 1815 auf dem Wiener Kongress für Wiederherstellung des Kirchenstaates, dessen Verwaltung er reorganisierte; verdient um zahlreiche Konkordatsabschlüsse. Considérant, Victor, frz. Sozialist, 1808– 1893; Anhänger Fouriers, den seine Agitation erst bekannt machte und dessen Ideen

er wiss. unterbaute; gründete in Frankreich kommunist. „Phalanstères“ (freie Arbeitsgemeinschaften); nach seinem Hochverratsprozess 1849 schuf er kommunist. Kolonien in Texas. Constans, röm. Kaiser des Westens (337 bis 350 n. Chr.), der jüngste Sohn Konstantins d. Gr., seit 333 Cäsar, wie sein Vater Anhänger des Athanasius, erlag einer Offiziersrevolte in Gallien, ermordet. Constant de Rebecque, Benjamin, frz. Politiker und Schriftsteller, 1767–1830; Liberaler und Befürworter der konstitutionellen Monarchie, von Napoleon 1802 als Freund von Mme. de ↑ Staël verbannt. Constantius, röm. Kaiser: 1) C. I. Chlorus (305–306 n. Chr.), 293 zum Cäsar des Westens ernannt, nach Diokletians Abdankung zum Augustus erhoben, Vater Konstantins d. Gr. 2) C. II. (337–361); Sohn Konstantins d. Gr., zunächst Herr des Ostens, 351 nach dem Tod seines Bruders Constans des Gesamtreichs, begünstigte im Gegensatz zu Vater und Bruder die Lehre des ↑ Arius. Contadora-Gruppe, aus Kolumbien, Mexiko (bis 1989), Panama und Venezuela bestehende Staatengruppe (1983–1990), benannt nach der Insel Contadora, auf der die erste Konferenz stattfand. Ziel der Gruppe war die friedliche Beilegung des Konflikts um ↑ Nicaragua. Contarini, mächtiges venezian. Adelsgeschlecht, aus dem zahlreiche Dogen, Kirchenfürsten, Feldherren und Gelehrte hervorgingen. – C., Gasparo, Kardinal, 1483– 1542; Gesandter Venedigs auf dem Wormser Reichstag 1521, wirkte seit 1535 für die Reform der Kirche und suchte Verständigung mit den Protestanten (Regensburger Religionsgespräch 1541). Contrat social (frz. Gesellschaftsvertrag), Titel des 1762 erschienenen Hauptwerkes von J. J. ↑ Rousseau; gegen den Kernbegriff des absolutist. Staates, das Gottesgnadentum (↑ Gottes Gnaden), gerichtete „Vertragslehre“ der Aufklärung, wonach der Staat aus dem freiwilligen Zusammen182

Cornwall schluss freier Individuen entstanden ist; trug wesentlich zur geistigen Vorbereitung der Frz. Revolution bei. Cook, James, brit. Forschungsreisender und Weltumsegler, 1728–1779; erforschte in drei Reisen seit 1768 Südsee und Beringmeer, widerlegte die Annahme eines großen zusammenhängenden Südkontinents, nahm die austral. Ostküste auf noch heute wertvollen Karten auf; von Eingeborenen auf Hawaii erschlagen. Coolidge, Calvin, nordamerik. Politiker, 1872–1933; Vizepräsident unter Harding, Präsident der USA 1923–1929, Republikaner; seine Präsidentschaft stand im Zeichen der „prosperity“ (Wirtschaftsblüte). Cooper, 1) C., Alfred Duff, brit. Staatsmann, 1890–1954; Konservativer, 1935 Kriegs-, 1937 Marineminister, gegen Chamberlains Politik, 1940–43 Minister im 1. Kabinett Churchill, 1944–48 Botschafter in Paris. 2) C., James Fenimore, nordamerik. Schriftsteller, 1789–1851; schilderte im „Lederstrumpf“ das ­Indianerund Grenzerleben im amerik. Westen. Copán, bedeutende Ruinenstätte der Maya, bei Santa Rosa de C. in W-Honduras gelegen; der Ort galt im 9./10. Jh. wegen seiner bes. Pflege der Wissenschaften als „Alexandria der Neuen Welt“, entdeckt wurde er 1576; wichtigster Teil ist die „Akropolis“ mit ihren Pyramiden und Tempeln, berühmt die lange „Hieroglyphentreppe“ auf dem Gebiet der Skulpturenkunst entwickelte C. einen eigenen, fast vollplast. Stil. Corday, Charlotte, Mörderin Marats, 1768–1793; wollte Frankreich von der jakobinischen Schreckensherrschaft befreien und suchte sich den verhassten Marat als Opfer aus; guillotiniert. Cordeliers, radikaler Klub der Frz. Revolution, benannt nach dem Tagungsort, einem Kloster der C. („Strickträger“, der nach ihrem Leibgurt benannten Franziskaner); 1790 als Sektion der Jakobiner gegründet, radikaler als diese, mit ihnen zus. im Konvent die „Berg“-Partei; 1794 von

Robespierre gestürzt, die Führer hingerichtet; berühmte Mitglieder der C.: Brissot, Danton, Desmoulins, Marat, Hébert. Cordoba, südspan. Stadt am Guadalquivir; in der röm. Kaiserzeit berühmte Handelsstadt, durch Hochschule kultureller Mittelpunkt; 711 von Arabern erobert, seit 756 Residenz der Emire und Kalifen (Kalifat von C. der maurischen Dynastie der Omaijaden); Mittelpunkt der maur. Kultur, von legendärer Pracht („Mekka des Westens“); 1236 von Kastilien erobert, seither im Verfall. – Kathedrale eingebaut in die im 8. Jh. errichtete Hauptmoschee (die zweitgrößte des Islams); maur. Palast begonnen 778 (↑ Araber, Islam). Cordova y Aguilar, Gonzalo Fernandez de, span. Feldherr, 1443–1515; vertrieb 1495 und 1501–03 (Sieg am Garigliano) die Franzosen aus dem Königreich Neapel, begründete den Ruhm der span. Waffen in Europa. Coriolan (Gnäus Marcius Coriolanus), sagenhafter röm. Patrizier, eroberte 493 die Volskerstadt Corioli; in die Verbannung geschickt, bedrohte er mit einem volskischen Heer seine Vaterstadt Rom (488 v. Chr.); von den Volskern getötet. Cornelia, Tochter des Scipio Africanus d. Ä., 2. Jh. v. Chr., Gemahlin des Sempronius Gracchus und Mutter der ↑ Gracchen; galt als Muster einer Römerin. Cornelius, Geschlechtername mehrerer patrizischer und plebejischer röm. Familien (Cornelier); dem Geschlecht gehörten u. a. an: Cinna, Dolabella, Gallus, Lentulus, Scipio, Sulla, Tacitus. – C., Name eines Papstes der Märtyrerzeit (251–253), der die während der Christenverfolgung (unter Decius) Abgefallenen gegen Bußleistung wieder in die Kirche aufnahm. Cornelius Nepos, ↑ Nepos. Cornwall, engl. Landschaft (lat. Cornu Gallige, das äußerste von Galliern bewohnte Land); auf der gebirgigen Halbinsel hielten sich die Kelten und ihr Druiden­ kult neben Wales am längsten; seit 1330

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Cornwallis führt der engl. Thronfolger den Titel eines Herzogs von C. Cornwallis, Charles Brome, Marquess of, brit. Heerführer und Politiker, 1738–1805; kapitulierte 1781 bei Yorktown (Washington), 1786 Generalgouverneur in Ostindien, 1798 Vizekönig von Irland, unterzeichnete 1802 den Frieden von Amiens. Corpus, Schriftensammlung, z. B. Sammlung von Gesetzen, Inschriften. Auch Bezeichnung für Zusammenschluss, Bund. C. catholicorum, Zusammenschluss der kath. Reichsstände nach dem 30-jährigen Krieg unter Führung von Kurmainz, C. evangelicorum, Zusammenschluss der protestant. Reichsstände 1648 unter Führung Kursachsens; auf den Reichstagen wurde nicht abgestimmt, sondern zw. dem C. e. und dem C. c. als gleichberechtigten Partnern verhandelt. Corpus Iuris Canonici, im 12.–15. Jh. nach dem Vorbild des Corpus Iuris Civilis zusammengestellte Sammlung der kanon. Rechtsquellen des MA, als kirchlich auslegendes Gesetzbuch 1918 vom ↑ Codex Iuris Canonici abgelöst. Corpus Iuris Civilis, die auf Veranlassung Kaiser Justinians von einer Juristenkommission unter Vorsitz Tribonians besorgte Zusammenfassung des gesamten röm. Rechts, begonnen 528 n. Chr. mit der Sammlung der geltenden kaiserlichen Erlasse (Codex Justinianus, 529), ergänzt durch die Erlasse aus den Jahren 535 bis 565 (diese – neuen – Nachträge als „Novellen“ bezeichnet) und auf den neuesten Stand gebracht; daneben stehen die „Pandekten“ oder „Digesten“, die aus der un­übersichtlichen Fülle der alten juristischen Lehrmeinungen ausgewählten und den praktischen Erfordernissen angepassten Auszüge (533 als Reichsgesetz verkündet); dazu als Einleitung über grundsätzliche Rechtsfragen die „Institutionen“. Das C. spielte im MA nur eine untergeordnete Rolle (Subsidarrecht in Italien und Frankreich, bei Lücken im einheimischen Recht); im 12.-l4. Jh. wurde

es durch die Rechtsschule von Bologna, die Glossatoren, wiederbelebt und zu einem in sich geschlossenen Rechtssystem verbunden, das später in dieser Form als Instrument der auf Rechtseinheit bedachten modernen Staaten das zersplitterte dt. Recht verdrängte (Rezeption des röm. Rechts) und im l6. Jh. unbeschränkte Geltung erlangte. Das Bürgerliche Gesetzbuch (seit 1900 in Kraft) ist z. T. auf den Grundsätzen des C. aufgebaut. Cortes (span., Gerichtshof ), Ständeversammlung (Adel, Kirche, Städtevertreter), Volksvertretung in Spanien und Portugal seit dem 12. Jh. (Steuerbewilligung, Gesetzgebung); seit dem 15. Jh. im Verfall; C. von Cadiz (1810–1813) erstes modernes Parlament Spaniens. Cortés, Hernán, span. Eroberer ↑ Mexikos, 1485–1547; 1504 in Haiti, 1511 Beteiligung an der Eroberung von Kuba; 1519– 1521 eroberte und zerstörte C. das Reich der Azteken: 1519 Landung bei Veracruz, Marsch mit 452 Soldaten und 6 leichten Geschützen, begleitet von Hunderten von Indianern als Lastenträgern ins Hochland, über Tlaxcala, Cholula nach Tenochtitlan-Mexiko, der Hauptstadt des Aztekenreiches; König ↑ Montezuma II., der ihn feierlich empfing, ließ er gefangen setzen und zwang ihn zur Anerkennung der span. Oberhoheit; Montezuma bei aztek. Aufstand getötet; nach Rückschlägen (Noche triste) 2. Zug und endgültige Eroberung von Tenochtitlan und des Aztekenreiches (1521); C. der erfolgreichste Konquistador, wurde Statthalter von Neuspanien, dann aber nach Intrigen von Neidern und Gegnern teilweise entmachtet; 1530 Expedition nach Kalifornien; 1541 Teilnahme am Feldzug Karls V. nach Algier. Corvey, Schloss bei Höxter (Westfalen), ehemalige Benediktinerabtei, die ältes­te Deutschlands; 822 als Schwesterkloster des frz. Klosters Corbie gegründet; im MA Pflegestätte der Wissenschaften (hier entstand u. a. 967 Widukinds Sachsen­ 184

Cremona geschichte); seit dem l3. Jh. gefürstete Reichsabtei, 1803 säkularisiert. Cosmas von Prag, tschech. Geschichtsschreiber, um 1045–1125; als Domherr von Prag verfasste er 1119/22–25 die erste lat. Chronik der Böhmen, „Chronikon Boemorum“, stützte sich darin bes. auf sagenhafte Überlieferungen aus der böhm. Vorund Frühgeschichte. Costa Rica, Staat in Mittelamerika; 1502 von Kolumbus entdeckt, span. Kolonie; 1821 unabhängig, 1871 eigene Verfassung; Gebietsstreitigkeiten mit Panama und Nicaragua von den USA bzw. den Panamerik. Staaten beigelegt. In beiden Weltkriegen trat C. R. an der Seite der USA in den Krieg ein. Wirtsch. Abhängigkeit von den USA, v. a. durch Niederlassung von Bananenpflanzungsgesellschaften. Nach bürger­ kriegsartigen Auseinandersetzungen 1948 Aufbau eines sozial orientierten demokrat. Verfassungsstaates unter Präs. José F. Ferrer (1948–49, 1953–58, 1970–74). Im Konflikt um ↑ Nicaragua versuchte das Land, das 1983 die dauernde, aktive und unbewaffnete Neutralität ausrief, zu vermitteln (Friedensnobelpreis 1987 für Präsident Arias Sanchez). Wegen seiner Neutralität, seiner ­Landschaft und seines relativen Wohlstandes wird C. R. auch die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt. Cotta von Cottendorf, Johann Friedrich, Freiherr, dt. Verlagsbuchhändler, 1764– 1832; Freund und Verleger Schillers und Goethes; seit 1798 Herausgeber der „Allgemeinen Zeitung“ (bis 1850 bedeutendstes dt. Presseorgan), seit 1807 auch des „Morgenblattes für die gebildeten Stände“; den techn. Entwicklungen sehr aufgeschlossen: 1824 eine der ersten dampfgetriebenen Schnellpressen; das Verlagsarchiv mit zahlreichen Handschriften 1961 der SchillerGesellschaft, Marbach, übergeben. Coubertin, Pierre Baron de, frz. Sportsmann, 1862–1937; erneuerte den olympischen Gedanken und organisierte als Vorsitzender des 1894 von ihm gegr. In-

ternat. Olymp. Komitees (bis 1925) die neuen ↑ Olymp. Spiele (l. Olymp. Spiele 1896 in Athen). Couthon, Georges, frz. Revolutionär, 1755–1794; Mitglied des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses, maßgeblich an den Massenerschießungen in ↑ Lyon (1793) beteiligt; vertrauter Freund Robespierres, mit diesem hingerichtet. Couve de Murville, Maurice, frz. Politiker, 1907–1999; 1956–58 Botschafter in Bonn; 1958–1968 vertrat er als Außenminister konsequent die Politik de Gaulles, 1968–69 Ministerpräsident. Covenant (Convenant), Bündnis der presbyterian. Schotten mit ihrem König (1580 mit Jakob I.); dann untereinander (1638) gegen Karl I. zur Verteidigung ihres Glaubens. Cranmer, Thomas, engl. Theologe und Reformator, 1489–1556; Erzbischof von Canterbury seit 1533, schied die Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von ­Aragon, förderte als dessen Kanzler und Ratgeber die Trennung der englischen Kirche von Rom und begründete die ↑ Angelika­ nischen Kirche; Feuertod unter Maria I. der Katholischen. Crassus, Marcus Licinius, röm. Konsul, 115–53 v. Chr.; Anhänger Sullas, unterdrückte 71 den Sklavenaufstand des Spartacus, danach Konsul; sich stützend auf seine gewaltigen Reichtümer (Spekulationsgewinne durch Aufkauf zerfallener Häuser, deren Wiederinstandsetzung und Vermietung zu überhöhten Preisen), trieb er eigennützige Politik, suchte durch Geld Catilina für sich auszunützen; mit Cäsar und Pompejus im ersten Triumvirat; von den Parthern vernichtend geschlagen und nach Verrat ermordet. Cremona, Stadt in Norditalien; kelt. Gründung, 218 v. Chr. Römerkolonie, 69 n. Chr. unter Kaiser Vespasian zerstört; im 12. Jh. ghibellinisch. 1334 zu Mailand. – Im 16. Jh. berühmte Maler-, im 16.–18. Jh. Geigenbauschule.

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Crépy-en-Laonnais Crépy-en-Laonnais, frz. Dorf nahe Laon; 1544 Friedensschluss zwischen Franz I. von Frankreich und Karl V.: Mailand blieb Reichslehen, Neapel zu Spanien, Burgund zu Frankreich. Crescentius, Adelsgeschlecht im mittelalterl. Rom: Johannes C., um 985–995 weltlicher Gewalthaber in Rom, bezeichnete sich als patricius Romanorum, wurde 998 nach der Einnahme Roms durch Otto III. gefangen gesetzt und vor der Engelsburg enthauptet, seine Parteigänger wurden gekreuzigt. Crispi, Francesco, ital. Staatsmann, 1819– 1901; beteiligt 1848–1849 am Aufstand in Palermo und 1860 an der Erhebung Siziliens unter Garibaldi im ital. Parlament Führer der liberalen Linken, 1887–1891 und 1893–1896 Ministerpräsident; Vertreter der Politik des ↑ Dreibundes; versuchte Eroberung Abessiniens, die bei ↑ Adua 1896 scheiterte. Croce, Benedetto, ital. Philosoph und Historiker, 1866–1952; entwarf, die Dialektik Hegels neu gestaltend, eine Philosophie des Geistes, unter Ablehnung der Naturphilosophie eine Philosophie des Lebens und eine idealist. Geschichtsphilosophie. Cro-Magnon, Ort in der Dordogne (SFrkr.), Fundstätte (1868) von fünf Skeletten des C.-Menschen des Jung-↑ Paläolithikums, nach dem Neandertaler 50 000 bis etwa 12 000 v. Chr. lebend; der CroMagnon-Mensch war der Träger der ↑ Aurignacien, ↑ Solutréen- und ↑ Magdalenien-Kultur; Klingen und Knochengeräte; Beginn der darstellenden Kunst, früheste Menschendarstellungen (Venusstatuetten); Rentierjäger. Der C.-Mensch war über Europa, Nordafrika und die Kanaren verbreitet; mit ihm begann die Aufspaltung in die Großrassen der Gegenwart (Europide, Australide, Mongolide, Negride). Cromer, Evelyn Baring, Earl of, brit. Staatsmann, 1841–1917; einer der großen Mehrer des brit. Empire, als Generalkonsul in Kairo 1883–1907 war er der eigent-

liche Beherrscher Ägyptens (großzügiger Ausbau der Nilregulierung, Straffung der ägypt. Verwaltung). Cromwell, Oliver, engl. Staatsmann und Feldherr, 1599–1658; seit 1640 treibende Kraft der puritan. Parlamentsopposition gegen Karl I., Führer der radikalen ↑ Independenten, schaffte sich im Bürgerkrieg eine Elitereiterei aus ergebenen Anhängern, den „Heiligen“, mit der er 1644/45 die königlichen Heere und 1648 die Schotten besiegte und sich das presbyterian. Parlament gefügig machte; das ihm ergebene „Rumpfparlament“ setzte die Hinrichtung Karls I. durch (C. Mitglied des Gerichtshofes); im Staatsrat der Republik spielte C. die führende Rolle; 1649/50 warf er als Generalgouverneur von Irland den irischen Aufstand grausam nieder; nach neuen Siegen über die Schotten und Truppen Karls II. gab er 1653 eine Verfassung, die ihn zum Lord-Protektor von England, Schottland und Irland erhob; errichtete zeitweilig eine Militärdiktatur; 1652–1654 führte er einen siegreichen Seekrieg gegen Holland, gegen das er 1651 die ↑ Navigationsakte verkündet hatte; er unterstützte überall die protestant. Mächte gegen Spanien; seine großen militär. Erfolge in und außerhalb Europas (1655 Eroberung Jamaikas, 1658 Einnahme von Dünkirchen) und seine konsequente merkantilist. Politik begründeten Englands Stellung als führende See-, Kolonial- und Handelsmacht; im Inneren gelang es ihm nicht, seine Macht zu legalisieren, er geriet in Konflikte mit dem Parlament, das er nach Hause schickte; die Königskrone lehnte er ab und hinderte seine Anhänger daran, die polit. Revolution bis zur soz. weiterzutreiben; die Wohlfahrt des Landes und die Garantie der bürgerl. Ordnung hielt er für die moralische Rechtfertigung seiner Diktatur; sein unfähiger Sohn Richard, 1626–1712, folgte ihm 1658 als Lord-Protektor, musste aber schon 1659 der inneren Opposition, die 1680 zur Restauration der Stuarts führte, weichen. 186

Curtius Rufus Crotus Rubianus (Johannes Jäger), dt.

Humanist, um 1480–1545; Freund Huttens, Mitverfasser (vielleicht Urheber) der „Epistolae obscurorum virorum“ (↑ Dunkelmännerbriefe), einer scharfen humanistischen Satire auf den selbstgenügsamen, ungebildeten niederen Klerus, abgefasst in sog. „Mönchslatein“. CSU, Abk. für Christlich-Soziale Union, ↑ Christlich-Demokrat. Union. Cuius regio, eius religio, Grundsatz des ↑ Augsburger Religionsfriedens von 1555 (der in einem Territorium herrschende Reichsstand bestimmt das rel. Bekennt­nis seiner Untertanen). Cumae, altitalisches Dorf bei Neapel, älteste griech. Kolonie auf ital. Boden, als Stadt mit Festungsburg um 750 v. Chr. von Chalcis aus gegr. und sich in die bäuer­ liche Umgebung ausdehnend; die Bewohner waren Seefahrer im ­ Tyrrhen. Meer, behaupteten sich 524 und 474 v. Chr. (mithilfe Hierons von Syrakus) gegen die Etrusker. Ende des 5. Jh. von italischen Völkerschaften zerstört und von Oskern und Samniten beherrscht. Unter den Römern (seit 338 v. Chr.) Kleinstadt; seine Rolle als Handelsplatz übernahm das nahe Puteoli; in C. Orakel – Kulthöhle der Sibylle; die Höhle wurde 1932 entdeckt (↑ Großgriechenland). Cumberland, 1) C., Wilhelm August, Herzog von, Sohn Georgs II. von England, 1721–1765; Heerführer im 7-jährigen Krieg; 1757 von den Franzosen bei Hastenbeck geschlagen, räumte Hannover (Konvention von Kloster Zeven). 2) C., Ernst August, Herzog von, königlicher Prinz von Großbritannien, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Sohn Georgs V., des letzten Welfenkönigs von Hannover, 1845–1923; 1885 als Erbe von Braunschweig ausgeschlossen, weil er an seinem Anspruch auf Hannover festhielt. Cunard, Sir Samuel, brit. Reeder (aus Kanada), 1787–1865; richtete 1840 trotz der Warnung der Techniker regelmäßige

Dampferverbindungen über den Atlantik ein und gründete die erste Dampfschifffahrtsgesellschaft der Welt. Cunha, Tristão da, portug. Seefahrer, gest. um 1550; entdeckte die nach ihm be­nannte Insel im südl. Atlantik; erhielt als Leiter einer Gesandtschaft 1515 von Papst Leo X. die Schenkungsurkunde für alle Gebiete, die Portugal den Ungläubigen entriss. Cuno, Wilhelm, dt. Staatsmann, 1876– 1933; Generaldirektor der HamburgAmerika-Linie, 1922/1923 Reichskanzler mit einem „Kabinett der Wirtschaft“, konnte in der Reparationsfrage zu keinem Erfolg gelangen und die Besetzung des Ruhrgebietes nicht verhindern; abgelöst von ↑ Stresemann. Curiae, die Geschlechterverbände im alten Rom, die Kuriatkomitien (Volksver­ sammlungen nach Curiae) wurden später abgelöst von den Zenturiat-Komitien. Curiatier, sagenhaftes Geschlecht aus Alba Longa, das Drillingsbrüder zum Kampf gegen röm. Drillinge – die Horatier – stellte und unterlag; Alba Longa kam dadurch unter die Herrschaft Roms. Curius Dentatus, Manius, röm. Staatsmann und Feldherr, Konsul 290, 284 und 275 v. Chr., schlug Sabiner und Samniten; zwang Pyrrhus von Epirus durch den Sieg von Benevent (275) zur Räumung Italiens; von Cato als Ideal eines Römers gerühmt. Curtius, 1) C., Ernst, dt. klassisch. Philologe, 1814–1896; leitete die Ausgrabungen in Olympia. 2) C., Julius, dt. Politiker, 1877–1948; seit 1920 Mitglied des Reichstages (Dt. Volkspartei), 1926–1929 Reichswirtschafts-, 1929–1931 Reichs­ außenminister (Durchsetzung des YoungPlanes); konnte 1931 die geplante dt.-österr. Zollunion gegen den frz.-brit. Widerstand nicht durchsetzen. Curtius Rufus, Quintus, röm. Geschichts­­ schreiber der Kaiserzeit; verfasste eine „Geschichte Alexanders d. Gr.“ in 10 Büchern, von den die letzten acht fast vollständig erhalten sind.

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Curzon Curzon, George Nathaniel, Marquess C. of

Kedlestone, brit. Staatsmann, 1859–1925; 1898–1905 Vizekönig von Indien, 1919– 1924 Außenminister. Curzon-Linie, die vom brit. Außenminister ↑ Curzon 1920 vorgeschlagene Grenzziehung zwischen Polen und Russland, folgte etwa der Siedlungsgrenze zw. Polen einerseits, Ukrainern und Weißrussen andererseits (überwiegend ukrainisch, Ostgalizien jedoch zu Polen); wurde von Polen abgelehnt, das nach seinem Sieg über die Sowjets 1920 große Gebiete östl. der C. behielt; 1939 annektierte die Sowjetunion diese Gebiete einschließlich Ostgaliziens und ließ sich auf der Konferenz von Teheran 1943 eine Nachkriegsgrenze gemäß der C. zusichern; Polens Protest gegen diese „5. Teilung Polens“ ohne Erfolg; Polen wurde jedoch 1945 auf Kosten Deutschlands durch die zur Verwaltung übergebenen Ostgebiete jenseits der Oder-NeißeLinie entschädigt. Custoza (fälschlich Custozza), Dorf südwestl. von Verona; hier schlugen die Österreicher 1848 unter Radetzky die sardische Armee unter König Karl Albert, 1866 unter Erzherzog Albrecht die Italiener unter Lamarmora. Cuvier, George Baron de (eigtl. Küper), frz. Naturforscher dt. Herkunft, 1769– 1832; begründete die vergleichende Anatomie und Paläontologie; vertrat eine Katastrophentheorie (alles Leben wird nach gewissen Zeiträumen durch Katastrophen vernichtet; neues Leben durch neue Schöpfung; Ablehnung der organ. Entwicklungslehre). Cuza, Alexandru Ioan, erster Fürst Ru­ mäniens, 1820–1873; nahm 1848 an der revolutionären Bewegung in der ­ Moldau teil; 1862 Zusammenschluss der Vereinig­ ten Fürstentümer unter dem Namen Ru­ mänien (C. als Alexander Johann I. von Rumänien); führte grundlegende liberale Reformen durch; 1866 zur Abdankung gezwungen.

Cuzco (Cusco), 1200–1533 n. Chr. Hauptstadt des Inkareiches, etwa 3400 m hoch gelegen, Residenz des „regierenden Inka“ und des „Viererrates“, der Vertretung des hohen Adels; nach Osten durch Berg- und Grenzfestung Machu Picchu geschützt; Sonnentempel und Tempel der Sonnenjungfrauen freigelegt; in der Nähe monumentale Reste von Machu Picchu und der Vor-Inkastadt Sacschuaman; 1533 Einzug ↑ Pizarros; 1535 z. T. niedergebrannt, Gründung der neuen Hauptstadt Lima; 1536/37 vergebliche Belagerung der Stadt durch die Inkas; auf den Ruinen Bau der heutigen Provinzhauptstadt C. Cyrankiewicz, Jozef, poln. Politiker, 1911–1989; als Generalsekretär der Poln. Sozialist. Partei (PPS) seit 1945 maßgeb­ lich an deren 1948 vollzogenen Vereinigung mit den Kommunisten zur Vereinigten Poln. Arbeiterpartei beteiligt. 1947–52 und 1954–70 Ministerpräsident, unterzeichnete den Dt.-Poln. Vertrag; 1970–72 Staatspräsident, seit 1972 Botschafter in Bern. Cyrus, ↑ Kyros. Czartoryski, Adam Georg Fürst, poln. Staatsmann, 1770–1861; Patriot, nahm am Freiheitskampf Kosciuszkos teil; 1795 als Geisel in Petersburg, während der napoleon. Kriege Ratgeber und Begleiter des Zaren Alexander I.; nach der poln. Erhebung 1830 Präsident der Nationalregie­ rung, aus Protest gegen poln. Übergriffe zurückgetreten, seit 1831 Haupt der aristo­ krat. poln. Emigranten in Paris. Czernin, Ottokar Graf, österr.-ungar. Staats­mann, 1872–1932; von 1916–1918 Außenminister, der eine neue Linie der österr.-ungar. Außenpolitik im Sinne Kaiser Karls einleitete; im Frühjahr 1917 diplomat. Schritte in Berlin mit dem Ziel eines baldigen Friedens. – Unabhängig davon Sonderfriedens-Aktion des Prinzen ↑ Sixtus.

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Dachau

D

Dachau, nat.-soz. KZ; 1933–

1945 waren hier rd. 200 000 Menschen interniert, mindes­ tens 34 000 von ihnen wurden zwischen 1940 und 1945 getötet; D. war eines der ersten KZs der Nationalsozialisten; die vom Kommandanten Eicke eingeführte Lagerordnung wurde maßgeblich für die weiteren ↑ Konzentrationslager. Dacia, ↑ Dakien. Dagobert I., merowing. König der Franken (629–639), Sohn Chlotars II.; herrschte seit 622 in Austrasien, später über das Gesamtreich (Austrasien, Neustrien und Burgund), kämpfte vergeblich gegen den Slawenherrscher Samo in Böhmen. Unter D. Emporkommen des arnulfing. Adelsgeschlechts (Arnulf von Metz und Pippin). Nach seinem Tod Preisgabe der Reichseinheit durch Erbteilung. Daguerre, Louis Jacques Mandé, frz. Dekorationsmaler, 1789–1851; erfand in den 1830er Jahren zus. mit Nièpce das erste fotograf. Verfahren, die Daguerreotypie. Dahlberg, Erik Graf, schwed. Feldmarschall, 1625–1703; berühmter Festungsbauer, „Vauban Schwedens“ genannt; Gegner der Offensivpläne Karls XII. gegen Polen, Russland und Sachsen. Dahlmann, Friedrich Christoph, dt. His­ toriker und Politiker, 1785–1860; in Kiel Wortführer Schleswig-Holsteins gegen die dän. Krone, fand das Dokument mit der Bestimmung „up ewig ungedeelt“; 1837 unter den ↑ „Göttinger Sieben“, seit 1842 Prof. in Bonn, 1848 Mitglied des Frankfurter Parlaments, gemäßigter, am engl. Vorbild orientierter Liberaler, für kleindt. Lösung, an der Ausarbeitung der Reichsverfassung maßgeblich beteiligt, kapitulierte vor der Reaktion. Als Vertreter eines liberalen geschichtlichen Denkens von beherrschendem Einfluss auf das Geschichtsbild des histor. interessierten Bürgertums. Dahomey, ehemals selbständiges König­ reich des Ewestammes in W-Afrika 1625– 1894, Hauptstadt: Alada, später Aboma

mit weiträumigen Lehmpalästen; blutige Gewaltherrschaft, grausame Eroberungskriege mit Hinmetzelung aller ­Gefangenen, Sklavenjagden, Leopardenkult mit unermesslichen Menschenopfern; berühmt und berüchtigt die Frauenregimenter, die noch 1890 den eindringenden Franzosen entgegentraten; 1904 Kolonialgebiet in Frz.Westafrika; 1960 unabhängig, jedoch in der Franc-Zone verbleibend. Seit der Unabhängigkeit wiederholt Militärputsche, Regierung durch „Nationalrat der Revolution“ seit 1965; Abbau der privilegierten Beziehungen zu Frankreich, 1975 Umbe­ nennung in ↑ Benin. Daily-Telegraf-Affäre, enstanden durch die Veröffentlichung eines Interviews Kaiser Wilhelms II. in der großen engl. Zeitung „Daily Telegraf“ 1908 mit taktlosen Bemerkungen über das dt.-engl. Verhältnis. Entfesselte einen Sturm in der öffentlichen Meinung in Deutschland gegen das „persönliche Regiment“ des Kaisers mit seinen Unberechenbarkeiten in der Außen­ politik (Thronkrise); seitdem stärkere Zurückhaltung in der Außenpolitik. Daimler, Gottlieb, dt. Ingenieur, Pionier der Motorentechnik, 1834–1900; konstruierte Verbrennungsmotoren und 1885 ein mit Verbrennungsmotor (Glührohrzündung) ausgestattetes, hölzernes Zweirad; 1890 Gründung der Daimler-Motoren­Gesellschaft (seit 1926 mit Fa. Benz zur Daimler-Benz AG vereinigt). Daimyo, seit dem 12. Jh. japanische Grund­ herren (Lebensherren), im 13. bis 19. Jh. auch Territorialherren, deren Rechte 1869 auf den Kaiser übergingen. Dakien, Siedlungsgebiet der thrakischen Daker im heutigen Rumänien, die z. Z. Cäsars zusammen mit den Goten ein Reich zwischen Schwarzem Meer und Böhmen errichteten und die röm. Nordgrenze beunruhigten; gegen ihren König ­Decebalus führte Trajan 101–107 n. Chr. siegreiche Kriege (verherrlicht auf den Reliefs der Trajansäule in Rom). Begründung der Ko-

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Daladier lonie Dacia in Siebenbürgen und westlich des Alt (einzige röm. Siedlung nördlich der Donau), besiedelt mit Pannoniern, Dalmatinern, Syrern. Reste der Daker erhalten in der Großen Walachei (Vorfeld der Provinz); unter Mark Aurel Abwehrkämpfe gegen die Sarmaten, im 3. Jh. Goteneinfälle, 271 Räumung der Provinz, Rückführung der Bevölkerung nach Neu-D. südl. der Donau. Daladier, Édouard, frz. Staatsmann, 1884– 1970; Radikalsozialist (bürgerlich-liberal), jahrelang Kriegsminister, 1933 und 1938– 1940 Ministerpräsident; beteiligt am Abschluss des Münchener Abkommens, dadurch Konflikt mit der Volksfront; 1939 Garantieerklärung für Griechenland, Rumänien und Polen, 3. Sept. Kriegserklärung an Deutschland (nach Briefwechsel mit Hitler), unter Petain als Mitschuldiger an frz. Niederlage verurteilt, 1944 nach Deutschland gebracht, 1945 befreit. Dalai Lama, das geistliche und weltliche Oberhaupt des ↑ Lamaismus. Dalberg, altes dt. Adelsgeschlecht (Minis­ terialadel), Erzkämmerer des Adelsstifts Worms, im 17. Jh. zu Reichsfreiherren erhoben. – 1) D., Johann, Kanzler der Kur­ pfalz, Bischof von Worms, 1445–1503; Förderer der Universität Heidelberg, Gründer der Bibliothek zu Heidelberg, sein Musenhof Mittelpunkt des Früh­humanismus (Agricola, Celtes, Reuchlin). 2) D., Karl Theodor, Freiherr von, letzter Kurfürst und Erzbischof von Mainz, 1744–1817: 1806 Fürstprimas des Rheinbundes, 1810/13 Großherzog von Frankfurt, nach 1815 Erzbischof von Regensburg, Freund Goethes und Wielands. Dalmatien, Küstenlandschaft an der Adria; in der Jungsteinzeit im Einflussbereich der ↑ Urnenfelder- und in der Bronzezeit der ↑ Hallstattkultur; in späterer Zeit bewohnt von den illyr. Dalmatinern, benannt nach der Handelsstadt Delminium; 229 v. Chr. erster Krieg mit den Römern, 33 v. Chr. von Oktavian unterworfen und seit 10 n. Chr.

Teil der Provinz Illyricum; seit dem 4. Jh. wechselnd im Besitz germ. Völker, vor allem der Ostgoten; nach deren Untergang Teil des byzantin. Reiches. Im 7. Jh. Besitznahme durch Kroaten und Serben, seit 11. Jh. umkämpft zw. Venedig, Ungarn, Byzanz, Serbien, Bosnien und Kroatien. Die Inseln und Küstengebiete 1420 venezianisch, gegen die Türken behauptet und landwärts vergrößert (Grenzziehung durch den Frieden von Passarowitz 1718), 1797 (endgültig 1814) zu Österreich, 1816–67 Königreich, 1867 Kronland, 1869 Aufstand. Nationalitätenkampf der Kroaten gegen Deutsche und Italiener; seit 1919 zu Jugoslawien, seit 1991 zu Kroatien. Dalwigk, Karl Friedrich Reinhard Freiherr von, dt. Staatsmann, 1802–1880; seit 1850 Leiter der Politik des Großherzogtums Hessen, einer der Gegenspieler Bismarcks in der dt. Frage, trat für uneingeschränkte Selbständigkeit der Mittelstaaten zw. Preußen und Österreich ein und verfocht die ↑ Trias-Lösung. Damaschke, Adolf, Führer der dt. ↑ Boden­ reform-Bewegung, 1865–1935; kämpfte für Überwindung der sozialen Not v. a. allem der Großstädte durch Beschränkung des Privateigentums an Grund und Boden (z. B. Enteignung von Grundstücken für Sozialeinrichtungen). Damaskus, Stadt an der großen Handelsstraße Mittelmeer–Euphratgebiet; bedeutender Markt und Gewerbeplatz bereits in der Altsteinzeit (Faustkeilindustrie) ebenso wie in geschichtl. Zeit (↑ „Damaszener Klingen“), am Ostfluss des Antilibanons; z. Z. Davids um 1 000 v. Chr. als gefährlicher Nachbar der Israeliten erstmalig erwähnt, 950–800 v. Chr. Hauptstadt eines aramäischen Reiches, 732 v. Chr. von den Assyrern erobert, dann babylonisch und persisch, blühende Handelsstadt; 333 in der Gewalt Alexanders d. Gr., anschließend unter den Seleukiden; seit 64 v. Chr. unter röm. Oberhoheit, 105 n. Chr. von Trajan der Provinz Syrien einverleibt. Bischofs190

Dampfschiff sitz im byzantinischen Reich, 635 vom Kalifen Omar erobert, bis 753 Residenz der ↑ Abbasiden, 1148 ohne Erfolg von Kreuzfahrern belagert, 1154 von Sultan Nureddin von Aleppo erobert; 1401 von Timur zerstört, 1516 türk. Statthaltersitz, 1860 Christenmassaker durch die ↑ Drusen. Nach dem 1. Weltkrieg Hauptstadt des frz. Mandats Syrien, beim Drusenaufstand 1925 von den Franzosen beschossen. Seit dem 2. Weltkrieg Hauptstadt der Republik Syrien bzw. bis 1961 2. Hauptstadt der Vereinigten Arab. Republik. Damaskusschrift, 1896 im Schriftrollenarchiv (Genua) der Synagoge Kairo entdeckte und in Teilen auch in Qumran am Toten Meer erhaltene Manuskripte bzw. Abschriften der Lebensordnung einer jüd. Gemeinschaft („Neuer Bund“, Essener?) aus dem 1. Jh. v. Chr. mit dem Ziel einer Rückkehr zu Moses. Damaszener Klingen, aus Indien und Persien stammende Stahlart, bei der Stahlplatten oder Stahldrähte und Weicheisen unter vielfacher Verdrehung/Knickung bei langsamer Abkühlung miteinander verschweißt werden. Die D. K. (Handelsplatz Damaskus) oder Panzer zeigten bei hoher Festigkeit große Elastizität; seit etwa 900 bekannt, durch die Araber nach Spanien (Toledo) übertragen, durch die Kreuzfahrer auch in Mitteleuropa bekannt geworden. Damiani, Petrus, hl., einflussreicher Verfechter des kirchlichen Reformgedankens, 1007–1072; ursprünglich Schweinehirt, dann Mönch, eiferte gegen die Sittenlosigkeit des Klerus; 1058/61 Kardinalbischof von Ostia, von Papst Gregor VII. mehrmals zu Missionen verwendet; als Legat auf der Synode zu Mainz (1069) bewegte er Kaiser Heinrich IV. dazu, auf die geplante Ehescheidung zu verzichten. Dampfmaschine, nach den ­Konstruktionen des frz. Physikers Papin um 1690 (atmosphär. Kolben-D.), des engl. Mecha­nikers Savery zur gleichen Zeit (Aspira­tions­ maschine) und des Engländers ­Newcomen

1700 (Kolben-“Feuermaschine“) erst von James Watt seit 1769 (1. Patent) in industriell einsetzbarer Form entwickelt. Die nach dem Vorbild von Watts Erfindungen gebauten D.n (mit Kondensator, doppelt wirkendem Zylinder, Schieber und Feuerung) wurden in England zunächst meist im Bergbau (Auspumpen des Grubenwassers) verwendet. 1798 baute der Engländer Richard Trevithick die erste leistungsfähige Hochdruck-D., 1801 der Amerikaner Symington die direkt wirkende D. mit unbeweglichem, liegendem Zylinder. Bereits um 1800 wurde die Arbeitskraft von 3 Mio. Menschen von der D. ersetzt; die „Industrielle Revolution“ wäre ohne D. undenkbar gewesen (Energie an jedem Standort, zu jedem Zweck). Das 19. Jh. brachte an Konstruktionsverbesserungen: die Mehrfachexpansion (zweistufig schon 1781 von Hornblower), Steuerungsverbesserung (1849 Dampfsteuerung von Corlis, 1867 Ventilsteuerung), Dampf­ überhitzung (Idee des Elsässers Hirn, 1892 Heiß-D. des Deutschen W. Schmidt). Die moderne Hochdruckdampftechnik wurde von Schmidt entscheidend gefördert (1886 Versuchsmaschine für 60 at). 1891 konstruierte Eberle die 1. Entnahme-D., 1909 Stumpf die Gleichstrom-D. Dampfschiff, um 1690 schlug der Franzose Papin vor, Dampfkraft zum Bewegen der Schiffe zu verwenden; die Fahrt von 1707 auf der Fulda oder Weser ist eine Legende. 1736 erhielt der Engländer Hull ein Patent auf Ruderradschiffe mit Dampfkraft; auch der Physiker Daniel Bernoulli griff den Gedanken auf. Versuche mit D.-Konstruktionen machten Auxiron 1774, Perrier 1775 und Marquis Joufroy 1776 (bis 1816) in Frankreich, der Engländer Fitch und der Amerikaner Miller 1787 und 1788. Symington kombinierte 1801 die bis dahin gemachten Verbesserungen. Am erfolgreichsten war Fulton, der mit dem Raddampfer „Claremont“ 1807 den Hudson befuhr; 1811 1. europ. Raddampfer von

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Dampier Bell. Schon 1819 kreuzte die „Savannah“ als erstes (noch besegeltes) Dampfschiff den Atlantik in 26 Tagen (davon 8 Tage unter Segel), 1833 wurde in England das erste Kriegsdampfschiff gebaut. Einen gewaltigen Fortschritt bedeutete die Erfindung der Schiffsschraube durch I. Ressel 1829, doch herrschte der Raddampfer noch bis über die Mitte des 19. Jh. vor; die Dampfer waren auch jetzt noch zusätzlich mit Segeln ausgerüstet. Seiner Zeit voraus war der von Brunel und Russel konstruierte, 1857 vollendete Riesendampfer „Great Eastern“ (ganz aus Eisen). Weitere bedeutende Fortschritte in der Entwicklung waren die Verwendung von Stahl als Hauptbaumaterial, die Verdrängung der Kolbenmaschine durch den Turbinenantrieb (auch kombiniert mit Generator und Elektromotor), Kohlenstaub- oder Ölfeuerung an Stelle der Kohlenheizung. Moderne (leichte) Kriegsschiffe erreichten Geschwindigkeiten von über 40 Seemeilen in der Stunde = über 70 km. Neueste Entwicklung: Wärme­ energie durch Atomreaktor. Dampier, William, engl. Weltumsegler 1652–1715; nach ihm benannt die D.Straßen (nordwestl. bzw. nordöstl. von Neuguinea) und das D.-Land (Halbinsel im NW Australiens). Danekelmann, Eberhard Freiherr von, brandenburg. Staatsmann, 1643–1772; leitender Minister des Kurfürsten Friedrich III. (des späteren Königs Friedrich I.), Calvinist, entschiedener Vertreter des Absolutismus und des Merkantilismus; wegen seines Widerstandes gegen die Verschwendungssucht des Kurfürsten und wegen seiner energischen Amtsführung von seinen Neidern 1697 gestürzt. Dandolo, eine der zwölf ersten Familien von Venedig, aus der bedeutende Staatsmänner, Gelehrte usw. hervorgingen; am berühmtesten Enrico D., um 1108–1205, Doge von Venedig seit 1192, Begründer der venezianischen ­ Mittelmeerherrschaft, eroberte mithilfe der Kreuzfahrer (4. Kreuz-

zug) die dalmatinische Hauptstadt Zara und zweimal, 1203 und 1204, Byzanz, erwarb wichtige Handelsstützpunkte (Ioni­ sche Inseln, Kreta), rettete 1205 das 1204 errichtete ↑ lateinisches Kaisertum in Byzanz vor der Vernichtung durch die Bulgaren. Danebrog, dän. Reichsbanner (rotes Banner, weißes Kreuz), fiel nach einer Sage in der Schlacht von Reval 1219 unter Waldemar II. in höchster Not aus den Wolken. Danegeld, ↑ Ethelred II. Dänemark, eines der Kernsiedelgebiete der Urgermanen; nach Abzug der Westgermanen seit dem 5. Jh. von den skandinav. Dänen besetzt, die zu den gefürchteten Wikingern (Normannen) gehörten; unter König Gottfried (ermordet 810) Kämpfe mit Karl d. Gr.; Christianisierung begonnen im 9. Jh., mit Dauererfolg im 10. Jh. vom Erzbistum Bremen aus, um 965 Übertritt des Königs Harald Blauzahn zum Christentum; seit Anfang des 10. Jh. geeintes Königreich mit Teilen von Schleswig und Südschweden. Unter Knut d. Gr. (1016 oder 1018–1035) vorübergehende Eroberung Englands und Norwegens; Glanzzeit unter Waldemar I. d. Gr.; Großmachtstellung (Mecklenburg, Pommern, Holstein) 1227 in der Schlacht bei Bornhöved zusammengebrochen; im Innern Erstarken des Feudaladels, Absinken der Bauern in die Leibeigenschaft, schwaches Wahlkönigtum. Nach der Vertreibung des Königs Christoph II. wurde 1326 Graf ↑ Gerhard III. d. Gr. von Holstein Reichsverweser; Übergriffe des gewalttätigen holstein. Adels. Unter ↑ Waldemar IV. Wiederher­ stellung des früheren Reichsumfangs, sein Überfall auf ­Gotland (↑ Wisby) 1361 lös­te Krieg mit der Hanse aus, Waldemar konnte sich nicht behaupten und floh ins Ausland. Durch den demütigenden Frieden von Stralsund (1370) geriet Dänemark in Abhängigkeit von der Hanse. Unter Königin Margarete 1387 Union mit Norwegen, 1389 auch mit Schweden; 1397 ↑ Kalma192

Dante Alighieri rische Union, Verschmelzungspolitik gegen heftigen Widerstand der Schweden. Nachfolger Margaretes: ↑ Erich der Pommer. Seit 1448 Haus Oldenburg in D. (in Schweden Gegenkönige). Vereinigung mit Schweden endgültig 1523 gelöst. 1640 Personalunion mit Schleswig-Holstein (bis 1863). 1536 Einführung der Reformation und Säkularisierung der Kirchengüter. 1625– 29 erfolgloses Eingreifen in den ↑ 30-jährigen Krieg. Territoriale Verluste durch die Kriege mit Schweden (1643–45 und 1657/58). 1665 Einführung des Absolutismus durch die Lex regia (Königsgesetz), 1700–1721 Teilnahme am ↑ Nordischen Krieg gegen Schweden; zweite Hälfte des l8. Jh. aufgeklärter Absolutismus und Reformen (­Bauernbefreiung). Nach Beschießung Kopenhagens und Wegnahme der Flotte durch die Engländer 1807 Anschluss an Napoleon, 1814 Abtretung Norwegens an Schweden, Helgolands an England; von den nationalliberalen „Eiderdänen“ geforderte und von der Krone übernommene Politik der Einverleibung Schleswig-Holsteins Anlass zum Krieg gegen den Dt. Bund (geführt von Preußen) 1849/50; Regelung der Thronfolge im Gesamtstaat 1852 durch ↑ Londoner Protokoll, 1863 Gesamtstaatsverfassung auch für Schleswig-Holstein Ursache des Krieges gegen Preußen und Österreich (↑ Schleswig-Holsteinischer Krieg), Niederlage (Düppeler Schanzen) und Verlust der Herzogtümer. Neutralität im 1. Weltkrieg, 1917 Verkauf der dän.-westind. Inseln. 1920 Rückgewinnung N-Schleswigs durch Volksabstimmung; 1940 dt. Einmarsch (kampflos); seit 1943 Widerstandsbewegung, 1945 Landung der Engländer in Kopenhagen, Abzug der deutschen Truppen; nach 1945 Ende der traditionellen Neutralitätspolitik; 1949 Beitritt zum Nordatlantikpakt; Mitbegründer des Nordischen Rats. 1918 Erklärung Islands zum selbständigen Staat in Personalunion mit D., Personalunion 1944 gelöst. Auf Grönland (Provinz) amerik.

Stützpunkte, die Insel erhielt 1979 die innere Autonomie. Staatsoberhaupt seit 1972 Königin Margarete II. 1973 wurde D. Mitglied der Europäischen Union. Die langjährige parlamentar. Herrschaft der Sozialdemokraten (zuletzt Minderheitsregierung unter A. Jørgensen) wurde 1982 beendet. Bis 1993 bürgerlich-liberale Minderheitsregierungen, 1993–2001 Mitte-Links-Regierung, seitdem Minderheitsregierung der rechtsliberalen und Konservativen unter Anders Fogh Rasmussen. Danewerk, befestigter Grenzwall der Dänen gegen die Deutschen in Schleswig, um 808 von König Gottfried erbaut, 974 von Kaiser Otto II. erstürmt, 1027 an Dänemark zurück, 1849 von den Preußen erstürmt, danach wiederaufgebaut und verstärkt, 1864 kampflos geräumt und von den Preußen geschleift. Danilewski, russ. Schriftsteller, ­Wortführer des Panslawismus, 1822–1885; gab in dem 1871 erschienenen Werk „Russland und Europa“, das zur „Bibel der Panslawisten“ wurde, eine geschichtsphilosophisch-religiöse Rechtfertigung der Führerrolle Russ­ lands bei der Befreiung der Balkanvölker und der Bildung eines allslaw. Reiches „von der Adria bis zum Stillen Ozean“, stellte darin eine (Spengler vorwegnehmende) Kulturtypenlehre auf, um zu beweisen, dass das „Russland der demütigen Heiligen“ nicht zum „Europa der gewalttätigen Helden“ gehöre und berufen sei, den zum Untergang verurteilten Westen zu überwinden und abzulösen. Dante Alighieri, der größte ital. Dichter, Schöpfer der ital. Literatursprache (de vulgari eloquentia) und einer der tiefstschöpfenden Geister aller Zeiten, 1265–1321; aus Florenz stammend, als gemäßigter Guelfe Opfer der Parteikämpfe seiner Vaterstadt, 1301 verbannt und nach seiner Parteinahme für Kaiser Heinrich VII. „auf ewig“ geächtet („De monarchia“ über Weltreich und Weltkaisertum; Kirche und Reich gleichberechtigt); sah seine Vater-

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Danton stadt nicht wieder und starb nach ruheloser Wanderschaft in Ravenna. Sein Hauptwerk „La Divina Commedia“, etwa 1311–1321 verfasst, gestaltet das Weltbild seiner Zeit in einer visionären Schau, im Persönlichen das Schicksal der Menschheit deutend. Danton, Georges Jacques, einer der Führer der Frz. Revolution, 1759–1794; Advokat, begründete mit ↑ Desmoulins die radikale Parteigruppe der Cordeliers, Vertreter der „natürlichen Grenzen“ Frankreichs, Mitglied des Konvents und des WohlfahrtsAusschusses; verantwortlich für die Septem­ bermorde 1792; errichtete 1793 das Revo­ lutionstribunal, durch Robespierre ­gestürzt, hingerichtet (↑ Frz. Revolution). Danzig, bed. Ostseehafen, an der Weichselmündung; 997 erstmals erwähnt; um 1260 Hauptstadt des Herzogtums Pommerellen (Oberpommern), 1224–1226 dt. (Lübisches) Stadtrecht. Umkämpft zw. Pommern, Dänemark, Polen, Brandenburg und dem Dt. Orden; 1308/10 zum Dt. Orden, 1361 Hansemitglied, nach 1410 (Tannenberg) Loslösung vom Orden, endgültig 1454; trotz Personalunion mit Polen (durch 2. Thorner Frieden 1466) weitgehende Unabhängigkeit und Aufstieg zur beherrschenden Handelsstadt; bei der 3. Teilung Polens 1793 zu Preußen, 1807–1814 durch Napoleon Freistaat; 1878 Hauptstadt der Provinz Westpreußen; 1919–1939 gegen den Willen der Bevölkerung „Freie Stadt“ unter Protektorat des Völkerbundes und seit 1922 im poln. Zollgebiet. Konflikte mit Polen, das seine Sonderrechte zu erweitern suchte und den Konkurrenzhafen Gdingen baute. Eingliederung in das Dt. Reich 1939 (2. Weltkrieg); 1945 von Russen erobert, dabei mittelalterl. Stadtbild zerstört, Marienkirche, größtes Denkmal der Backsteingotik, ausgebrannt. Von Polen annektiert, dt. Bevölkerung vertrieben; Wiederaufbau nach 1950. Heute bedeutende Industrie- und Hafenstadt, Stadtverband mit Zoppot und Gdingen.

Dardanellen, Meerenge zw. Ägäischem und

Marmarameer, nach der antiken Stadt Dardanos benannt, antiker Name Hellespont; in der Antike „Brücke“ Europa – Asien; durch die Araber stark befestigt; seit 1356 türkisch. Das Durchfahrtsrecht durch die D. wurde seit dem 18. Jh. zu einem internationalen Problem: – Die D.-verträge des 19. Jh. waren Ergebnisse des Ringens zw. Russland, das über den Besitz der Dardanellen Zugang zum Mittelmeer erstrebte, England und Frankreich, die im 19. Jh. der russ. Expansion entgegentraten, und der Türkei als der traditionellen Hüterin der Meerengen. – Gegen die 1833 von Russland dem Sultan abgenötigten Vorrechte 1841 Vertrag der Großmächte mit der Türkei: Verbot der Durchfahrt nichttürk. Kriegsschiffe ohne Zustimmung der Pforte, 1856 im Pariser Frieden bestätigt; ähnliche Bestimmungen enthielten das Londoner Protokoll von 1871 und der Berliner Frieden von 1878. Nach dem gescheiterten D.-Unternehmen der Alliierten 1915 und nachdem ein Geheimabkommen mit Russland (Zusage der D.-Kontrolle) durch die russ. Revolution gegenstandslos geworden war, 1918 Besetzung der D., Unterstellung unter eine Internationale D.-Kommission und uneingeschränkte Durchfahrt; 1922 Rückeroberung der 1918 an Griechenland abgetretenen Halbinsel Gallipoli durch die Türken. 1923 im Vertrag von Lausanne ständige Überwachung der freien Durchfahrt durch den Völkerbund; D. weiterhin entmilitarisiert, Durchfahrt für fremde Kriegsschiffe auch im Frieden gesperrt. Entgegen der Tradition sowjet. Widerstand gegen Öffnung der D. (Furcht vor Intervention). 1936 im Vertrag von Montreux volle Wiederherstellung der türk. Souveränität und Wiederbefestigung, freie Durchfahrt im Frieden ohne Einschränkung nur für Handelsschiffe, Sonderregelung für Kriegsschiffe. Darius (griech. Dareios), persische ­Könige aus dem Geschlecht der Achämeniden. 194

Daudet 1) D. I. (522–485 v. Chr.), warf den Aufstand des Gaumata nieder und rettete damit die Reichseinheit, sicherte die Außenprovinzen (518 Zug nach Ägypten, um das Schreckensregiment des Kambyses II. vergessen zu machen), unterwarf auf einer großen Expedition gegen die ­Skythen (Schiffsbrücke über den Bosporus) ­ Thrakien und Makedonien, eroberte das Indus­tal, reorganisierte die Reichsverwaltung (Einteilung in 20 Satrapien, Reichswährung, Staatspost), unterdrückte den großen Aufstand der ionischen Städte (Milet zerstört 494) und bereitete die Eroberung von Hellas vor; der Feldzug des Datis und Artaphernes nach Athen führte zur Niederlage von Marathon 490 v. Chr. 2) D. III. Kodomannos, letzter Achämenide (um 336–330 v. Chr.); unterlag Alexander d. Gr., floh nach dem O-Iran, von dem Satrapen Bessos ermordet. Darlan, François, frz. Admiral, 1881–1942; seit 1937 Chef des Generalstabs, 1940 Marineminister der Vichy-­Regierung, 1941 Regierungschef, zum Nachfolger Petains ernannt; 1942 Oberkommandierender der frz. Armee, erklärte sich zum Staatschef von Nordafrika und ging zu den Alliierten über, kurz danach in Algerien ermordet. Darnley, Henry Stuart, Lord, Vetter und (1565) zweiter Gemahl Maria Stuarts, 1545–1567; Vater König Jakobs I. von England, von ↑ Bothwell ermordet. Darre, Richard Walther, dt. Agrarpolitiker, 1895–1953; seit 1933 Reichsleiter der NSDAP, 1933–1942 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft (Reichserbhofgesetz, Reichsnährstand), seit 1934 Reichsbauernführer, Verfechter der Blutund-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. 1942 aus allen Ämtern entlassen; 1945 in Nürnberg zu 7 Jahren Haft verurteilt, 1950 entlassen. Darwin, brit. Naturforscher. 1) D., Erasmus, 1731–1802; mit seiner naturgeschichtlichen Theorie (in Form von Lehrgedichten) ein Vorläufer ↑ Lamarcks und

seines berühmten Enkels. 2) D., Charles, Enkel von 1), 1809–1882; sammelte auf einer 5-jährigen Erdumsegelung das Material für sein Epoche machendes Werk „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859); ↑ Darwinismus. Darwinismus, von Charles ↑ Darwin aufgestellte Entwicklungstheorie; erklärte in Ablehnung der herrschenden Theorie Cuviers und in Fortsetzung schon bestehender Entwicklungstheorien die Entstehung und Umformung aller Tier- und Pflanzen­ arten durch die Prinzipien der Variation (Abweichung vom Elterntypus), natürliche Auslese (abhängig von der Bewährung der Variation bei der Lebensbehauptung) und Vererbung (vorzugsweise der günstigen Variationen); die Entstehung der Arten ist vom Ziel her bestimmt; in Form dieser Auslese- oder Selektionstheorie verhalf der D. zus. mit den Theorien ↑ Lamarcks der Abstammungslehre zum Sieg, wonach alle Lebewesen nicht von Anfang an in der heutigen Form da waren, sondern sich aus einer oder wenigen gemeinsamen Urformen erst durch natürliche Zuchtwahl im Kampf ums Dasein entwickelt haben. Im positivistisch eingestellten 19. Jh. (↑ Positivismus) feierte der D. höchste Triumphe, gegen die Absicht Darwins auch außerhalb seines eigentlichen biolog. Bereiches (Darwinistische Weltanschauung, Nietzsches Herrenmenschentum durch Auslese, Materialismus, Manchestertum, Imperialismus, Nationalsozialismus). Der D. heute allgemein anerkannt und durch die Mutationstheorie ergänzt. Daschkow, Jekaterina Romanowna, Fürs­ tin, Vertreterin der Aufklärung in Russland, 1743–1810; 1762 beteiligt an der Verschwörung gegen Zar Peter III. und an der Thronbesteigung Katharinas d. Gr., 1783 Präsidentin der Akademie der Wissenschaften. Dussel, Reinhard von, ↑ Rainald. Daudet, Léon, Schriftsteller, 1867–1942; Wortführer der nationalistischen ↑ „Action

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Daun Française“, Führer der royalistischen „Camelots de roi“. Daun, Leopold Joseph Maria Reichsgraf von, österr. Feldmarschall, 1705–1766; reorganisierte seit 1748 die österr. Armee, Rivale ↑ Laudons, als Stratege «der große Zauderer» genannt, gefährlicher Gegner Friedrichs d. Gr., siegte bei Kolin (1757), Hochkirch (1758) und Maxen (1759). Dauphin, Titel der Kronprinzen von Frankreich 1349–1830; urspr. Titel der Grafen von Vienne, der Reichslehnsherren der Dauphine in SO-Frankreich, die einen Delphin im Wappen führten; 1349 vermachte Graf Humbert II. die Dauphine der Krone unter der Bedingung, dass der Thronerbe Frankreichs stets den Titel dieses Landes führen sollte. David (hebr., Geliebter), jüd. König, um 1000–970 v. Chr.; nach der Auseinander­ setzung mit den ↑ Seevölkern eigentlich Begründer des jüdischen Reiches, Nachfolger Sauls, durch den Propheten Samuel zum König gesalbt; vereinigte Israel und Juda, machte das bisher kanaanäische Jerusalem zur Hauptstadt (durch Überführung der Bundeslade); Psalmendichter; bestimmte Salomo, den Sohn seiner Geliebten Bethseba, zu seinem Nachfolger (↑ Israel). Davis, 1) D., Jefferson, amerik. Staatsmann, 1808–1889; Vorkämpfer der Sklavenhalterstaaten, im Sezessionskrieg 1861– 1865 Präsident der Südkonföderation und Seele des Widerstandes gegen die Union, 1865 gefangen genommen, 1868 begnadigt. 2) D., John, engl. Seefahrer, 1550– 1605; entdeckte 1585 die D.-Straße zw. Grönland und Baffinland, 1592 die Falklandinseln. Dawes, Charles G., nordamerikanischer Politiker und Finanzexperte, 1865–1951; im 1. Weltkrieg Leiter der amerikanischen Intendantur, 1924 Vorsitzender des Interna­ tionalen Sachverständigenausschusses der ­Reparationskommission, 1925 Friedensnobelpreis, 1925–29 Vizepräsident der USA; ↑ Dawes-Plan.

Dawesplan, benannt nach seinem Haupturheber ↑ Dawes, ausgearbeitet und ange-

nommen 1924; sollte die dt. Zahlungsfähigkeit für die Reparationen und damit die Rückzahlung der europ. Schulden an die USA sichern, unter dem Schlagwort „Business, not politics“; belastete Deutschland mit 1–1,75 Mrd. Mark Jahreszahlungen bis 1927, ab 1928 mit 2,5 Mrd. Zinsendienst von Reichsbahn- und Industrieobligationen, Verpfändung von Zöllen und indirekten Steuern als Sicherheit; endgültige Reparationssumme nicht festgesetzt; zur Stabilisierung der dt. Währung 800 Mio. „D.-Anleihe“; 1929 vom Young-Plan abgelöst. Dayan, Moshe, israel. General und Politiker, 1915–1981; Oberbefehlshaber des Sinaifeldzuges von 1956; 1959–64 Landwirtschaftsminister, 1964 Mitbegründer (mit ↑ Ben Gurion) der Rafi-Partei (Abspaltung der Sozialdemokrat. Mapai-Partei); führte als Verteidigungsminister (bis 1974) den Sechstagekrieg 1967. 1977–79 Außenminister; 1981 Gründer der Partei Telem (Bewegung für die nationale Erneuerung), die jedoch unbedeutend blieb. Deák, Franz, ungar. Staatsmann, 1803– 1876; Liberaler, 1848 Justizminister, trat als Abgeordneter im ungar. Reichstag für den Ausgleich mit Österreich (1867) ein. Debré, Michel, frz. Politiker, 1912–1996; 1959–1962 Ministerpräsident, 1966–1968 Wirtschafts- und Finanzminister, 1968/69 Außenminister, anschließend bis 1973 Verteidigungsminister, unterlag bei den Präsidentschaftswahlen 1981 dem Sozialisten ↑ Mitterrand. Debreczin, ungar. Stadt; 1567 Synode, Annahme des reformierten Glaubensbekenntnisses (das „calvinist. Rom“); 1711 Kongress von D.: Ungarn unterwarf sich dem Hause Habsburg; 1849 Sitz der ungar. Regierung; ↑ Kossuth verkündete die Unabhängigkeit Ungarns. Decebalus, König der Daker an der unteren Donau, führte 86–88 n. Chr. Krieg 196

Delbrück gegen Rom, von Trajan 102–107 besiegt, beging 107 Selbstmord (Reliefs der Trajansäule; ↑ Dakien). Decemvirn (lat., „decemviri“, zehn Männer), in der röm. Verfassungsgeschichte Kommission aus zehn Mitgliedern mit Sonderauftrag und -vollmacht; berühmt die um 451 v. Chr. mit dem ­ Niederschreiben der Gesetze beauftragten, die das ↑ „Zwölftafelgesetz“ abfassten. Decius, Gaius Messius Quintus Traianus, röm. Kaiser aus Sirmium (249–251), setzte sich für altröm. Sitte und Religion ein, ließ als Erster die Christen planmäßig verfolgen; fiel gegen die Goten, die er über die Donau zurückwarf. Declaration of Independence, Unabhängigkeitserklärung; am 4. Juli 1776 vom Kongress der 13 britischen Kolonien in Amerika angenommen, aus denen später die Vereinig­ten Staaten von Amerika entstanden. Declaration of Rights, aus der ↑ „Petition of Rights“ hervorgegangene Erklärung, in der das engl. Parlament 1689 die Grundsätze der engl. Verfassung und die Grundrechte des Bürgers festlegte und König Jakob II. wegen Verletzung dieser Rechte die Thronrechte absprach; von Wilhelm III. zu der ↑ „Bill of Rights“ erweitert. Defoe, Daniel, engl. Schriftsteller, 1660– 1731; Strumpfhändler, Pamphletschreiber, Politiker, Parteigänger Wilhelms von Oranien, kämpfte gegen Intoleranz und Korruption, zu Pranger und Gefängnis verurteilt; durch meisterhafte, wirkungsvolle Satiren und Herausgabe der ersten Moral. Wochenschrift (1704 „Review“) einer der Begründer des modernen Journalismus, ließ seinen Roman „Robinson Crusoe“ (Darstellung der Kulturentwicklung der Menschheit), der ein Welterfolg wurde, als ersten Zeitungsroman erscheinen, nachgeahmt in zahlreichen Robinsonaden. De Gasperi, Alcide, ital. Staatsmann, 1881–1955; im 1. Weltkrieg als Irredentist in österr. Haft, 1926 als Antifaschist

zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, danach verbannt; 1944 Mitbegründer der Democrazia Cristiana; 1944/45 und 1951–1953 Außenminister, 1946–1953 Ministerpräsident; entschiedener Vorkämpfer der europ. Integration, gewährte 1946 Südtirol Autonomie. Dekabristen (russ., „Dezembermänner“), Teilnehmer einer russ. Offiziersverschwörung gegen das absolute Zarenregime, die unter Führung von Oberst Pestel anlässlich des Thronwechsels beim Tod Alexan­ders I. im Dezember 1825 in Petersburg den Umsturz versuchten, um ihr westlerisches Reformprogramm (u. a. Bauernbefreiung) zu verwirklichen. Der Aufstand wurde von Nikolaus I. niedergeworfen, die Anführer gehängt oder nach Sibirien verbannt. Dekeleia, Ort nördl. Athen, den im Peloponnes. Krieg die Spartaner besetzten, um von hier aus Athen zu blockieren; daher wird der letzte Abschnitt des Krieges 413– 404 v. Chr. auch ↑ Dekeleischer Krieg“ genannt. Dekretalen (lat. decretales epistolae), päpstliche Rechtsentscheidungen in Einzel­ fällen, schon im frühen MA gesammelt, z. T. in das ↑ Corpus Iuris Canonici aufgenommen. Dekumatenland (lat. decumates agri: Bedeutung des Namens noch umstritten, die Erklärung „Zehntland“ – wegen Zahlung eines Zehnten an die Römer – kommt für diese Zeit nicht in Frage, vielleicht „Zehnland“, d. h. in 10 Teile gegliedertes Land), die seit Domitian zum röm. Reich gehörende südl. Oberrheinebene zw. Rhein und Donau (Württemberg, Baden), im Schutz des ↑ Limes von Kelten für die dort statio­ nierten Legionen bebaut; 260 n. Chr. von den Alemannen überrannt. Delbrück, 1) D., Clemens von, preuß. Staatsmann, 1856–1921; 1909-l6 preuß. Handelsminister und Stellvertreter des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. 2) D., Hans, dt. Historiker, Nachfolger Treitschkes in Berlin, 1848–1929; Herausgeber der

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Delcassé „Preuß. Jahrbücher“, Vertreter des nationalen Bürgertums; deutete Staatenbildung von der Kriegsgeschichte her, forderte für Deutschland Anteil an der Weltherrschaft; später der Linken zuneigend, Gegner Ludendorffs und Tirpitz’. 3) D., Rudolf von, preuß. Staatsmann, 1817–1903; verdient um die Entwicklung des Zollvereins als Präsident des Bundeskanzleramtes des Norddt. Bundes; ab 1871 enger Mitarbeiter Bismarcks bei der Errichtung und beim Ausbau des Dt. Reiches; als führender liberaler Wirtschaftspolitiker trat er zurück, als Bismarck sich für Schutzzollpolitik entschied, und kämpfte seit 1878 im Reichstag für den Freihandel gegen Bismarcks Schutzzoll- und Verstaatlichungspolitik. Delcassé, Théophile, frz. Staatsmann, 1852–1923; Außenminister 1898–1905 und 1914/15; Vertreter der Revanchepolitik gegen Deutschland, Schöpfer der „Entente cordiale“ mit England (1904). Delhi, Hauptstadt der Indischen Union (mit Alt-D. und Neu-D.); um 1 000 n. Chr. gegründet, 1193 von Türken erobert, 1398 von ↑ Timur zerstört (5-tägige Plünderung), seit 1526 Residenz des Großmoguls; 1739 Einfall des Perserkönigs Nadir Schah (Massaker und Brand); 1803 britisch, 1912–1948 Sitz der brit. Vizekönige. Prachtbauten: Jumna-Moschee (die größte des Islams), Palast der Großmogule mit dem Pfauenthron. – D. (Groß-D.) seit 1912 Staat der Ind. Union. Delhi, Sultanat, 1206–1526, von dem Sklavengeneral Aibak (1206–1290) ­ begründet (mohammedan. ­„Sklavendynastie“, 1206– 1290), reichte zeitweise von Indus- bis Gangesmündung und bis Mittelindien; unter dem Sultanat D. harte Kämpfe mit Hindus, Mongolen, Rajputen; Islam drang bis Dekhan und S-Indien vor; TughluqDynastie (1320–1413), unter ihr größte Ausdehnung, doch seit 1335 Aufstände in den Randstaaten im Osten und Süden, das Sultanat schrumpfte bis Ende des Jh. zusammen; 1398/99 Einfall ↑ Timurs in

das geschwächte Sultanat, Plünderung und Terrorisierung D.; Pandschab und Sind gingen verloren; Lodi-Dynastie (1451– 1526), unter ihr Herrschaft der Territorial­ fürsten; 1526 wurde das Sultanat Beute ↑ Baburs, Gründung des ↑ Mogul-Reiches mit der Zentralregierung in D. Delos, Insel der Ägäis; seit der Mitte des 6. Jh. v. Chr. im Besitz Athens, berühmtes Heiligtum mit Apollon- und Artemiskultstätte und Orakel, 477 v. Chr. wurde durch Athen der Attische oder Delische Seebund gegründet, dessen Bundeskasse sich bis 454 auf D. befand; um 168 v. Chr. von den Römern eingerichteter Freihafen, Mittelpunkt der Sklavenmärkte der Ägäis; 87 v. Chr. Landung des Mithradates und Gemetzel unter den Einwohnern. Delphi (griech. Delphoi), bed. antike Orakelstätte (Apollons), für Kultur, Verfassungs­ fragen, Kolonisation in Phokis (Mittelgriechenland), Sitz der Pythia, Schauplatz der Pythischen Spiele. Autonomer Mittelpunkt (Vorort) der Delphischen ↑ Amphiktyonie, durch eine polit. und sozial gut informierte Priesterschaft von erheblichem Einfluss auf die griech. Lebensgestaltung, bes. nach der Aufnahme des Dionysoskults; unermesslich reich durch Weihegaben; 279 v. Chr. von Galliern bedroht, von Sulla (86 v. Chr.) und Nero geplündert, doch ehrten auch die Römer das Delphische Orakel; erst in christl. Zeit verfiel D. nach einer kurzen Blüte unter Trajan und Hadrian; Ende des 4. Jh. n. Chr. wurde das Orakel von Kaiser Theodosius geschlossen. Demagogie (griech. Volksführung), Volksverführung und -aufwiegelung durch Phrasen, Hetze und Appell an die niedrigen Instinkte der Massen; urspr. war Demagoge in Athen eine Führergestalt mit persönl. Ansehen und überlegener Redekunst in den Volksversammlungen, doch schon Thukydides verband mit dem Ausdruck ein negatives Werturteil (Verachtung des Gerbers Kleon, der als Demagoge und Gegner des Perikles auftrat). – Die „De198

Demokratie magogenverfolgungen“ der Vormärzzeit in Deutschland richteten sich gegen die „demagog. Umtriebe“ der Liberalen Patrioten, z. B. gegen die Burschenschaften (↑ Karlsbader Beschlüsse); zu den Verfolgten gehörten Männer wie Arndt, Jahn, Welker u. a., später auch Fritz Reuten. Demetrios, 1) D. von Phaleron, griech. Staatsmann und Philosoph, um 350– 283 v. Chr., 378–308 v. Chr. Statthalter von Athen, von Demetrios Poliorketes vertrieben, Ratgeber des Ptolemäus bei der Einrichtung der Bibliothek des Museions zu Alexandria. 2) D. Poliorketes („Städte­ eroberer“), Diadochenherrscher, um 336– 283 v. Chr.; Sohn des Antigonos Monophthalmos (des Einäugigen), kämpfte in zahlreichen wechselvollen Feldzügen gegen die anderen Diadochen um die Vorherrschaft, vertrieb Kassandros aus Griechenland, unterlag 301 mit seinem Vater bei Ipsos, erstürmte 294 Athen; 294–287 v. Chr. König von Makedonien, von Pyrrhus vertrieben, starb in seleukidischer Gefangenschaft. 3) D. I. Soter („Retter“), König von Syrien (161–150 v. Chr.); vorher als Geisel in Rom, Sohn des Seleukos IV., siegte 160 über ↑ Judas Makkabäus, auf der Flucht vor dem Usurpator Balas getötet. Demetrius, Sohn Iwans des Schrecklichen aus 6. Ehe, 1582–1591; wahrscheinlich auf Veranlassung von Boris Godunow ermordet, die Ungewissheit seines Todes, der Streit um die Thronfolge führten zum Auftreten mehrerer Anwärter auf den Zarenthron, die sich als Zarewitsch D. ausgaben. Der erste „falsche“ oder „Pseudo-D.“, der Mönch Gregor Otrepjew, zog mit poln. Unterstützung gegen Moskau und bestieg nach dem Tod Godunows 1605 den Thron, wurde 1606 wegen Begünstigung der kath. Kirche von den Bojaren ermordet, die ihren Standesgenossen Schulski als Zaren einsetzten. Dagegen erhob sich das unzufriedene Volk und erklärte sich für einen zweiten „falschen D.“ als den Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit: einen Aben-

teurer, der nach seinem Siegeszug bis vor die Tore Moskaus eine Gegenregierung bildete; vom Volk „der Gauner von Tuschinn“ gen., von der ehrgeizigen Gattin des ersten „Pseudo-D.“ als ihr Gemahl und damit als der „echte D.“ anerkannt. Gegen die Misswirtschaft seines beutehungrigen Anhangs empörte sich schließlich das russische Nationalbewusstsein. Das Eingreifen Polens in die „Wirren“ brach seine Macht, er wurde 1610 zu Kaluga ermordet. Ein dritter und ein vierter D. hatten noch weniger Glück (Dramen von Schiller und Hebbel). Demirel, Suleyman, türk. Politiker, geb. 1924; seit 1964 Vorsitzender der Gerechtig­ keitspartei, 1965–71 Ministerpräsident, Rücktritt unter dem Druck der Armeeführung. 1975–77, 1977/78 und 1979/80 Ministerpräsident rechtsgerichteter Regierungen, 1980 durch Militärputsch gestürzt. Das gegen ihn und seinen sozialdemokratischen Gegenspieler Bülent Ecevit verhängte Verbot der polit. Betätigung wurde per Referendum 1987 aufgehoben. 1993–2000 Staatspräsident der Türkei. Democrazia Cristiana, 1942 unter Führung de Gasperis gegründet ital. christl.-demokratische Partei, Nachfolgeorganisation der 1926 durch die Faschisten aufgelös­ten katholischen Volkspartei. Seit 1944 war die DC tragende Regierungspartei Italiens mit wechselnden Koalitionspartnern und stellte zeitweise den Ministerpräsidenten. 1994 wurde die Partei aufgelöst. Demokratie (griech., Volksherrschaft), Staatsform, bei der die höchste Gewalt vom Volk (demos) ausgeht; nach der klassischen Formulierung von Lincoln „Regierung aller für alle durch alle“; zwei Organisationsformen der D. sind zu unterscheiden: direkte Demokratie (durch Plebiszit, Volksabstimmung) und indirekte D. (repräsentative, d. h. durch Volksvertretung). Historisch erwachsen und geformt ist die D. in der Auseinandersetzung mit den entgegengesetzten Grundsätzen (in der Antike: die ↑ Despotie, die ↑ Tyrannis und

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Demokratische Partei die Oligarchie; im MA und in der Neuzeit: ↑ Feudalismus, ↑ Absolutismus, ↑ Diktatur). In reiner Form ist die D. selten verwirklicht, weil der Begriff des „Volkes“ als des obersten Trägers der Staatsgewalt je nach der herrschenden Sozialordnung unterschiedlich weiter oder enger gefasst wird. So schloss die D. der Antike, wie sie sich namentlich in den reichen griech. Seeund Handelsstädten entwickelte, Sklaven und Besitzlose von den polit. Rechten aus; die röm. Republik ist mehr ↑ Aristokratie als D. Der Gedanke der parlamentarischen Vertretung (indirekte D.) war der Antike meist fremd. Auch die german. Volksversammlung stellte eine Form der direkten D. dar, wie sie in den vereinzelten bäuerlichen Republiken des MA (Urkantone, Dithmarschen) in Erscheinung trat und schließlich noch heute in den ↑ Landsgemeinden einiger schweizer. Kantone besteht. Wichtig für die Entwicklung der D. waren die Stadtrepubliken bes. Oberitaliens, später das Bürgertum Hollands und Englands, dessen wirtschaftliche Macht sich in polit. Selbstbewusstsein umsetzte und den Grundsätzen der D. zum Durchbruch verhalf; in England zus. mit dem Adel und im Verlauf einer Entwicklung, die bereits mit der ↑ Magna Charta einsetzte; in den absolutist. regierten Staaten des Festlands erst seit Ende des 18. Jh., in den Revolutionen des ↑ „Dritten Standes“ (1789, 1848) geistig vorbereitet durch die schon seit dem späten MA immer wieder formulierten Lehren von der Volkssouveränität und dem Widerstandsrecht (gegen Tyrannen) und vor allem durch die polit. Theorien der Aufklärung (Gesellschaftsvertrag, Gewaltenteilung, Menschenrechte). Die Volksvertretung war in der Ständeversammlung des MA bereits vorgebildet (engl. Parlament, frz. Generalstände, dt. Reichstag); das 19. Jh. verwirklichte in fast allen europ. Staaten das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht. In der polit. Praxis ging diese im Zeitalter der Industri-

alisierung verwirklichte oder angestrebte „bürgerliche“ D. Hand in Hand mit dem polit. Liberalismus und (in Deutschland, Italien und Osteuropa) mit der nationalstaatlichen Bewegung. Auch die D. stand (wie der Industrialismus) unter dem Gesetz des „West-Ost-Gefälles“, früh ausgeprägt in den angelsächs. Ländern (freiheitliche Tradition), spät und schwach entwickelt in Russland (zarist. Autokratie, Analphabetentum). In Deutschland kämpften linksliberale Gruppen (Fortschritt, später Freisinn) noch um die Verwirklichung der demokrat. Idee, als von sozialist. Seite die liberale „bürgerliche“ D. bereits als „Klassenherrschaft der Kapitalisten“ angefochten und eine neue Form der D. auf der Grundlage der sozialen Gleichheit angestrebt wurde (orthodox. Marxismus bzw. Kommunismus, Herstellung der angeblich allein wirklichen D. – „Volksdemokratie“ – auf dem Umweg über die Diktatur des Proletariats). Ein Todfeind erstand der D. nach dem 1. Weltkrieg von rechts in den autoritären Bewegungen, die sich besonders in Italien und Deutschland durchsetzten („Führerprinzip“). Als ideologische Waffe wurde die D. von den westlichen Alliier­ten im 1. und 2. Weltkrieg verwendet („Kreuzzug für die D.“); bis heute häufig Begründung v.a. der USA für militär. Aktionen gegen nichtdemokratische Staaten; ↑ Parlament, Ständewesen. Demokratische Partei, polit. Partei in den USA, 1828 gegründet; die republikan. Vorherrschaft (1860–1932) wurde durch die Demokraten erst seit der großen Wirtschaftskrise durchbrochen; ideolog. Unterschiede zwischen der D. P. und der Republikan. Partei sind kaum erkennbar, lediglich in der Sozial-, Schul- und Wirtschaftspolitik zeigt die D. P. größeres Engagement für die unteren Schichten der Gesellschaft, die einen großen Teil ihrer Wähler stellen. Demosthenes, 1) D., athen. Feldherr im Peloponnes. Krieg, eroberte 425 v. Chr. Pylos; 413 nach der athen. Kapitulation 200

Deportation auf Sizilien von den Syrakusanern hingerichtet. 2) D., Staatsmann und größter Redner Athens, 384–322 v. Chr.; kämpfte in seinen berühmten Reden gegen König Philipp II. von Makedonien („Philippika“) und die Makedonenfreunde in Athen (u. a. Äschines) für die von diesen bedrohte Freiheit der Griechen und gründete den Hellen. Bund. Nach der Niederlage bei Chaironea (338 v. Chr.) zog er sich aus dem polit. Leben zurück; wegen Bestechung verurteilt, floh er, kehrte nach dem Tod König Philipps zurück, floh erneut vor den Makedonern und nahm, um der Hinrichtung zu entgehen, Gift. Dendrochronologie, Datierungsmethode aus den Jahresringen von Hölzern, Balken an vorgeschichtlichen und geschichtlichen Bauten: Charakterist., unverwechselbare Wachstumserscheinungen der Jahresringe an einem Holz werden mit den gleichen an einem zeitlich vorausgehenden Holz und Charakteristika dieses Holzes mit denen eines noch früheren usw. verglichen, sodass sich eine Folge von Jahresringen (= Jahren) ergibt, die Datierungen weit zurück ermög­ licht. Deng Xiaoping (Teng Hsiap’ing), chin. Politiker, 1904–1997, Generalsekretär der KPCh 1956–1967. D. wurde 1967 Opfer der “Kulturrevolution”, 1973 rehabilitiert, stieg er nach dem Tod Mao Tse-tungs (1976) zum einflussreichsten chin. Politiker auf. Mit D. verbindet sich einer­seits die Öffnung Chinas zum Westen, aber auch die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem “Platz des Himmli­ schen Friedens” 1989. 1990 Rücktritt von allen wichtigen Ämtern. Denikin, Anton Antonowitsch, russ. General und Konterrevolutionär, 1872–1947; 1917 Oberkommandierender gegen die Deutschen, kämpfte 1918 als Nachfolger Kornilows an der Spitze einer Freiwilligenarmee gegen die Bolschewisten im Nordkaukasus und am Kuban, leitete 1918 als Oberbefehlshaber der weißgardist. Streit-

kräfte S-Russlands eine Großoffensive, die bis Tula vorankam und dann zusammenbrach, flüchtete auf einem frz. Torpedoboot und starb im Exil in den USA. Denkta, Rauf Rasit, nordzypriot. Politiker, geb. 1924; seit 1960 Präsident der türk. Kommunalkammer auf Zypern, 1964–68 im türk. Exil, 1973 Vizepräsident Zyperns, seit 1975 Präsident des „Türk. Föderations­ staates von Zypern“; verhandelte als Führer der türk. Volksgruppe auf Zypern mit anderen Volksgruppen, scheiterte mit seinem Teilstaaten-Modell am Widerstand von Erzbischof ↑ Makarios. 2003 lehnte er einen UNO-Friedensplan zur Wiedervereinigung Zyperns ab. Departement, frz. Verwaltungsbezirk; die 1789 von der frz. Nationalversammlung beschlossene, von Abbé ↑ Sieyès durchgeführte Einteilung des Landes in 83 etwa gleich große D.s (mit einem Präfekten an der Spitze, unterteilt in Arrondissements und Kantone), sollte die histor. Gegensätze der (33) Provinzen der Monarchie auslöschen; sie entsprang dem radikal rationalist. Denken der Aufklärung und dem Willen zum nationalen Einheitsstaat. – Heute zählt Frankreich 95 D.s, die Namen der früheren Provinzen haben sich als Landschaftsbezeichnungen erhalten. – In der Schweiz Bez. für die Verwaltungseinheiten, auf welche die Regierungsgeschäfte (der Kantone oder des Bundes) verteilt werden. Deportation (lat., „Wegführung“, „Verschleppung“), 1) strafweise Verbannung von Verbrechern oder Staatsfeinden an einen bestimmten Ort, vorzugsweise entlegene öde Inseln oder Landstriche mit rauen Lebensbedingungen; in der Antike von den ersten röm. Kaisern eingeführt, in der Neuzeit von einigen Staaten in ein System gebracht. Das zarist. Russland deportierte seit etwa 1650 bis 1917 nach Sibirien (in 5 Graden, vom Zwangsaufenthalt in einer Stadt ohne sonstige Rechtsbeschränkung bis zum Kettensträfling); die bolschewist. Machthaber setzten diese Tradition mit der

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Derby Einrichtung von Arbeitslagern fort, dabei noch stärker auf die Ausbeutung der Arbeitskraft der Verurteilten zu kolonisator. oder industriellen Zwecken bedacht. Kolonisator. Ziele verfolgte auch England, das seit 1619 nach Nordamerika, später Australien deportierte, doch 1858 die D. abschaffte. Das frz. Strafgesetzbuch (1810) führte die D. als drittschwerste Strafe (nach Tod und lebenslängl. Kerker) auf; die Verschickung in die berüchtigten Strafkolonien begann Mitte des 19. Jh. (Cayenne 1852, Neukaledonien 1863, bes. 1872 für die Teilnehmer am Kommune­aufstand). 2) Zwangsweise Umsiedlung ganzer Völker oder Bevölkerungsgruppen als Strafe oder aus polit., rass., milit. oder wirtsch. Gründen, im Altertum von den Assyrern eingeführt, von den Römern bes. zur Sicherung gefährdeter Grenzprovinzen angewendet; in der neuesten Zeit bes. vom nat.-soz. Deutschland (von „Fremd­arbeitern“ in die Rüstungsindus­trie, von Juden in die Vernichtungslager), von der Sowjetunion und der Türkei (von ↑ Armeniern 1915) geübt. Derby, Edward Geoffrey, Graf, früherer Lord Stanley, brit. Staatsmann, Führer der Konservativen, 1799–1869; mehrfach Minister und Ministerpräsident, kämpfte gegen die Aufhebung der engl. Staatskirche in Irland. – Sein Sohn Edward Henry D., 1826–1893, trat als Gegner der russlandfeindlichen Politik Disraelis zu den Liberalen über. Die berühmten Derby-Rennen hat ein Ahne, der 12. Graf D., 1780 begründet. Derfflinger, Georg (seit 1674) Reichsfreiherr von, brandenburg. Feldmarschall, 1606–1695; Sohn eines Bauern, im 30jähr. Krieg in schwed. Diensten, seit 1654 Reiterführer des Großen Kurfürsten; vertrieb zus. mit diesem die Schweden aus Deutschland, entschied durch den Handstreich auf Rathenow den Sieg von Fehrbellin 1675. Derwische (persisch, „Arme“, „Bettler“), Mönche des Islam (auch weiblich); An-

hänger mystisch-asket. Bewegungen, aus denen im MA zahlreiche Orden mit unterschiedlichen Regeln hervorgingen, meist in Klöstern unter einem Scheich, von frommen Stiftungen, Betteln oder einem Handwerk lebend; Aufgaben: religiöse Unterweisungen der Bevölkerung, Armenpflege, religiöse Übungen, ekstat. Kulttanz und -gesang („tanzende“, „heulende“ D.); auch als Wanderprediger und Gaukler unterwegs; bekannte D.-Orden: Rufaije, Mewlewije, Bektaschi, Kalender-D., ↑ Senussi; meist durch Tracht und Kult unterschieden; von großem religiösen und zeitweise auch von polit. Einfluss. Desaix, Louis Charles Antoine, frz. General, 1768–1800; half Bonaparte bei der Eroberung Ägyptens, fiel bei Marengo, nachdem er den Sieg herbeigeführt hatte. Desiderius, letzter König der Langobarden, Herzog von Tuszien (757–774); Nachfolger Aistulfs, von Karl d. Gr., der seine Tochter Desiderata heiratete, gestürzt, starb in der Verbannung; das langobardische Reich ins Frankenreich einbezogen. Desmoulins, Camille, frz. Revolutionär, 1760–1794; Advokat, Führer der Massen beim Bastillesturm 1789, Mitbegründer des Klubs der Cordeliers, wendete sich gegen die Schreckensherrschaft der Jakobiner, mit Danton hingerichtet. Despotie (despotes, griech. = Hausherr; Despot bei den Persern Beiname von Königen, im ↑ Byzantin. Reich Anrede für Prinzen, Thronfolger, Vasallenfürsten; bei den Türken im 16./l7. Jh. für ­Gouverneure auf dem Balkan): willkürliche Gewaltherrschaft ohne Gesetzesbindung und Kontrolle, stützte sich auf die Mitwirkung willfähriger Elemente, auf starke Polizei, militär. Hausmacht; heute Bez. für die unumschränkte Herrschaft eines Einzelnen. Deutsch (ahdt. „diutisk“, mhdt. „tiu[t]sch“, abgeleitet von „theoda“ – Volk), urspr. Bezeichnung für die (german.) Sprache des Volkes (lat.: „lingua theodisca“), im Gegensatz zum Latein als Kirchensprache und 202

Deutsche Demokratische Republik „walhisk“, Welsch, den roman. Sprachen; erst seit dem 9. Jh. zur Bezeichung der die­se Sprache sprechenden Menschen („theodisci“) angewandt (die in den Quellen des frühen MA als „barbari“ bezeichnet oder nach den Stämmen, z. B. Franci, genannt wurden); seit dem 10. Jh. für Franken, Sachsen, Bayern, Alemannen, ­ Thüringer, Friesen des Ostfränkischen Reiches gebraucht; bis ins 19. Jh. in der Schreibweise „teutsch“ verwendet, da fälschlich von ­„teutonicia (von Livius ­ übernommener, seit Otto d. Gr. im MA gebräuchl. Name der Deutschen) abgeleitet. Deutsche Arbeitsfront, Abk. DAF, nach Zerschlagung der Gewerkschaften am 10. Mai 1933 gebildete nat.-soz. Organisation, die anstelle der Gewerkschaften die Interessen der dt. Arbeiter wahrnehmen sollte; stützte sich auf das Vermögen der zwangsaufgelösten Gewerkschaften. Als Trägerin der „Nat.soz. Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude’“ (KdF) organisierte die DAF Urlaub und Reisen und die Volksbildung. Nach Kriegsbeginn war sie wesentlich an der Umstellung der Wirtschaft auf die Rüs­ tungsproduktion beteiligt. Am 10. Okt. 1945 aufgelöst. Deutsche Demokratische Partei (DDP), 1918 von Friedrich Naumann gegr. bürgerliche, staatsbejahende, antisozialist. Partei der Weimarer Republik, im Reich und in den Ländern meist in den Regierungen vertreten; 1930 Umbenennung in Deutsche Staatspartei, 1933 selbst aufgelöst. Deutsche Demokratische Republik, gegr. 7. Okt. 1949; Hauptstadt und Regierungssitz Ost-Berlin, Verfassung am 30. Mai 1949 vom „Volkskongress“ angenommen, der sich zum provisor. Parlament erklärte und dessen über eine Einheitsliste unfrei gewählte ständige Vertretung, der „Deutsche Volksrat“, sich als vorläufige Dt. Volkskammer konstituierte, die Verfassung in Kraft setzte und die Regierungsgeschäfte übernahm. Gleichzeitig Umwandlung der sowjet. Militärverwaltung in eine Zivilkom-

mission. Erster Staatspräsident Wilhelm Pieck, erster Ministerpräsident Otto Grotewohl, stellvertretender Ministerpräsident Walter Ulbricht, sämtlich Sozialist. Einheitspartei Deutschtands (SED). Zusammensetzung der Volkskammer, die zus. mit der Länderkammer das Parlament bildet, von der SED bestimmt, die auch die „demokrat. Massenorganisationen“ (Gewerkschaften, Frauenbund usw.) beherrschte. 1950 Ulbricht Generalsekretär der SED, Verkündung des 1. Fünfjahresplans, Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, Schaffung der polit. Geheimpolizei. Okt. 1950 Wahlen, keine parlamentar. Opposition, „Blockpolitik“ der gleichgeschalteten Parteien (CDU, LDP, DNP, DBP). Freundschaftsverträge mit den Ostblockstaaten. Nach Bodenreform (­entschädigungslose Enteignung des Privatbesitzes über 100 ha) und Errichtung Volkseigener Betriebe (VEB) konsequente Durchführung der zentral gelenkten Wirtschaft unter fast völliger Ausschaltung der Privatwirtschaft (1958: Anteil der sozialistischen Betriebe an Industrieproduktion 89 %); staatseigene Handelsorganisation (HO), Produktionsgemeinschaften der Handwerker und Bauern; Einbau der Wirtschaft in die gesamte Ostblockwirtschaft, z. T. im Rahmen des später gegründeten ↑ COMECON (des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfen). 1952 Proklamierung der vollständigen Sozialisierung und der längst vororganisierten „Nationalen Streitkräfte“. Auflösung der Länder (nur noch Bezirkseinteilung) zugunsten der zentralist. Verwaltung, Auflösung der Länderkammer; 1953 Ulbricht 1. Parteisekretär; 17. Juni 1953 Aufstand der Arbeiter und Bauern militär. niedergeschlagen; Beginn der zweiten Fluchtwelle (1950–1959 2,3 Mio. Flüchtlinge); 1954 erfolgte nach der ergebnislosen Berliner Außenminister-Konferenz der vier Mächte über die Deutschlandfrage durch sowjet. Erklärung die ausdrückliche Anerkennung der DDR als „souveräner Staat“ (Ende des

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Deutsche Demokratische Republik Besatzungs-Regimes, die Befugnisse der bisherigen Hochkommissare gingen über auf den sowjet. Botschafter, Belassung der sowjet. Streitkräfte als „Schutztruppen“). 1955 Beitritt der DDR zum Warschauer Pakt; Änderung der Verfassung vom 7. Okt. 1949, Bildung der „Nationalen Volksarmee“. 1956 2. Fünfjahresplan; seit Erhebung in Ungarn verschärfte Überwachungsmaßnahmen; neben der Nationalen Volksarmee wurden Grenzpolizei und Betriebskampfgruppen der SED aufgestellt. 1957 wurde die Staatsordnung der „Volksdemokratie“ als erreicht bezeichnet; die Staatsgewalt ging faktisch von dem durch das Zentralkomitee der kommunist. SED gelenkten Ministerrat aus. Im Truppenvertrag vom 12. März 1957 wurde die weitere Anwesenheit der Truppen der Sowjetunion geregelt; Verkündung eines Siebenjahresplans; die Staatsflagge Schwarz-Rot-Gold erhielt Hammer- und Zirkel-Emblem; 1960 Pieck gest.; Ulbricht Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Parteiführer, Vorsitzender des Staatsrats (Amt des Staatspräsidenten beseitigt), Grotewohl Vorsitzender des Ministerrats; 1961 Flüchtlingsflut in die Bundesrepublik; am 13. Aug. Abriegelung der Berliner Sektorengrenze; 1962 Einführung der Wehrdienstpflicht für Männer und Frauen; Erklärung zum selbständigen Zollhoheitsgebiet. Seit dem VI. Parteitag der SED Phase wirtsch. Reformexperimente durch „Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“. Aufstieg der DDR zur stärksten Industriemacht des Ostblocks nach der UdSSR. Die Verfassung von 1968 charakterisierte die DDR als „Sozialist. Staat deutscher Nation“. 1971 wurde ↑ Honecker 1. Staatssekretär der SED, 1973 ↑ Stoph Vorsitzender des Staatsrats. 1972 Normalisierung der Beziehungen zur BRD durch Unterzeichnung des Grundlagenvertrages: Vereinbarungen über Einsetzung einer Grenzkommission, Austausch von Korrespondenten, Errich-

tung ständiger Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin, Öffnung weiterer Grenzübergangsstellen und Einrichtung eines kleinen Grenzverkehrs. Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik. 1973 wurde die DDR Mitglied der Vereinten Nationen. 1976 Umbesetzungen in der Führungsspitze: Vorsitzender des Staatsrats (seit 1972 durch das Gesetz über den Ministerrat der DDR wieder aufgewertetes Amt) wurde SED-Generalsekretär Honecker, Stoph wechselte auf den Posten des Ministerratsvorsitzenden. Nach Jahren relativer Entspannung zw. den beiden dt. Staaten verschlechterte sich das Klima seit 1980 wegen Parteinahme der DDR für den sowjet. Einmarsch in Afghanistan und die Unterdrückung der freien Gewerkschaftsbewegung in Polen Solidarnosc). Der Grenzübertritt zw. der DDR und Polen wurde in beiden Richtungen erschwert. der Satz für den Devisen-Zwangsumtausch für Besucher der DDR drastisch erhöht; verstärkt erhob die DDR die Forderung nach völliger völkerrechtlicher Anerkennung durch die Bundesrepublik. Parallel zur Friedensbewegung im Westen (nach dem Beschluss über die Stationierung der Mittelstreckenraketen, Abrüstungskonferenzen) begannen sich auch in der DDR autonome Friedensgruppen zu bilden. In zahlreichen Rahmen- und Einzelvereinbarungen entwickelte sich das dt.-dt. Verhältnis seit Mitte der 80er Jahre weiter (Kulturabkommen, Kredite für die DDR, Ausbau der grenzüberschreitenden Straßenverbindungen). Honeckers Staatsbesuch in der Bundesrepublik im Sept. 1987 galt der DDR als Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit. Erstmals 1988 zeigte sich die Regierung bereit, Entschädigungszahlungen für jüd. Opfer des Nationalsozialismus zu leisten. Die Weigerung der DDRFührung, den von M. Gorbatschow in der UdSSR unter den Schlagworten Glasnost und ↑ Perestroika vorangetriebenen gesellschaftlichen und kulturellen Verände204

Deutsche Kommunistische Partei rungen zu folgen, isolierte die DDR im Ostblock; wirtsch. Schwierigkeiten und eine seit Mitte 1989 rapide anschwellende Ausreisebewegung (hauptsächlich über Ungarn und die ↑ CSSR) führten zu tiefgreifender Erschütterung des Staatswesens: Massendemonstrationen, Entmachtung, teilweise sogar Verhaftung führender Politiker, Umbenennung der Staatspartei in SED-PDS (Partei des Demokrat. Sozialismus – seit 1990 nur noch PDS), Öffnung der Grenze nach Westen im Nov. 1989, Angebote an die Opposition zur Regierungsbeteiligung, freie Wahlen, wirtsch. Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik mit der Aussicht auf grundlegende Veränderungen im Verhältnis der beiden dt. Staaten. Die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 ergaben eine Mehrheit für die konservative Allianz (CDU, DSU, Demokrat. Aufbruch). 1. Sept. 1990 Wirtschafts-, Sozial- und Währungsunion mit der Bundesrepublik, 3. Okt. Beitritt. Deutsche Einigungskriege, Bez. für die drei Kriege, deren national integrierende Wirkung wesentlich zur dt. Einigung unter Preußens Führung beitrug: ↑ SchleswigHolstein. Krieg 1864, ↑ Dt. Krieg 1866, ↑ Dt.-Frz. Krieg 1870/71. Deutsche Farben, bis 1806 Kaiserfarbe Schwarz-Gelb; Bundesfarben 1848/49: Schwarz-Rot-Gold; Norddt. Bund und Zweites Dt. (Kaiser-)Reich: SchwarzWeiß-Rot; Weimarer Republik: SchwarzRot-Gold; Handelsflagge: Schwarz-WeißRot mit schwarz-rot-goldener Ecke; „Drittes Reich“: zunächst Schwarz-Weiß-Rot, seit 1935 nur noch für Kokarden, Schlagbäume usw., sonst Hakenkreuzflagge; Bundesrepublik und DDR Schwarz-Rot-Gold; in der DDR seit 1959 mit Hammer-und Zirkel-Emblem. Deutsche Fortschrittspartei, ↑ Fortschrittspartei. Deutsche Kolonien, zunächst durch private Initiative (z. B. ↑ Lüderitz) ­erworben; Träger der Kolonialbewegung waren Han-

delsgesellschaften und (politisch-propagan­ distisch „Dt. Kolonialgesellschaft“ und „Dt. Kolonialverein“, erst später ­Initiative des Reichs durch Übernahme der Schutzherrschaft, Pachtverträge, Kauf oder Kom­ pensationsforderung; Ausbau zu Tausch­ märkten, Handels- und Machtstützpunkten, Erschließung als Rohstoffquellen und Siedlungsräume. Bis zum 1. Weltkrieg finanz. Zuschussunternehmen. Heftige innenpolit. Kämpfe zwischen „Kolonialschwärmern“ und Kolonialgegnern; Kolonial­skandale (↑ Peters); Eingeborenen­ aufstände (↑ Hereros). 1884 Dt.-Südwest­ afrika (Lüderitz), Kamerun und Togo (Nachtigal), Kaiser-Wilhelm-Land, Neuguinea. 1885 Dt.-Ostafrika (Peters), Marschallinseln, 1898 Kiautschou (auf 99 Jahre gepachtet). 1899 Karolinen, Marianen, Palauinseln, (westl.) Samoainseln, 1911 Neukamerun. – Im 1. Weltkrieg fielen alle dt. Kolonien in Feindeshand, der Versailler Vertrag sprach Deutschland die Fähigkeit ab, Kolonien zu verwalten, („Kolonialschuldlüge“); die dt. Schutzgebiete wurden als ↑ Mandate England, den britischen Domi­nions, Frankreich, Japan und Belgien zugeteilt. Die in ↑ Locarno gemachten Zusicherungen auf teilweise Rückgabe blieben unerfüllt (↑ Kolonien). Deutsche Kommunistische Partei, Abk. DKP; die 1968 neu gegründete kommunist. Partei, die rechtlich keine Nachfolge­ partei der KPD (↑Kommunist. Partei Deutschlands) war, sondern mit neuem Statut und Grundsatzprogramm die Verfassungsordnung des Grundgesetzes formal nicht anzweifelte. Sie strebte als allg. Ziel die „revolut. Veränderung der BRD“ hin zu einer „sozialist. Demokratie“ an. Die DKP wurde zwar nie als verfassungswidrig verboten, wurde jedoch immer als verfassungsfeindliche Partei betrachtet (Radikalenerlass). Mit dem Ende der SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR wurde der DKP die materielle Grundlage entzogen. 1990 wurde die Partei aufgelöst.

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Deutscher Bund Deutscher Bund, 1815 an Stelle des 1806

aufgelösten Hl. Röm. Reiches Dt. Nation auf dem ↑ Wiener Kongress durch die Bundesakte begründeter, durch die Wiener Schlussakte 1820 erweiterter Zusammenschluss der souveränen dt. Einzelstaaten (35 Fürsten, 4 Freie Städte), die mit bevollmächtigten Gesandten auf dem Frankfurter ↑ Bundestag (unter österr. Vorsitz) vertreten waren. Österreich gehörte nur mit Teilen seiner Gebiete (Böhmen, Mähren, Tirol u. a.) dem Dt. B. an, ebenso Preußen (ohne Ost- und Westpreußen). Keine Entwicklung zum dt. Nationalstaat (Versuch 1848/49 fehlgeschlagen); Mitglieder waren auch der König von England als König von Hannover, der König von Dänemark als Herzog von Holstein, der König der Niederlande als Großherzog von Luxemburg. Der Dt. B. zerfiel 1866 mit der von Österreich erwirkten Mobilmachung des Bundesheeres gegen Preußen und der Austrittserklärung Preußens. Deutscher Kaiser, 1871–1918 Titel der Könige von Preußen, die im (Zweiten) Dt. Reich die Rechte eines Bundespräsidenten besaßen. Wilhelm I. war gegen diesen Titel („Charaktermajor“) und forderte den Titel „Kaiser von Deutschland“; bei der Kaiserproklamation in Versailles verfiel der Großherzog von Baden auf den Ausweg, das Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ auszubringen. Deutscher König, an Stelle des „Königs der Franken und Sachsen“ (10. Jh.) Titel des dt. Herrschers, seit dem 11. Jh. häufiger: „König der Römer“; nach der Kaiserkrönung vom Kaisertitel verdrängt, während der Titel „Röm. König“ oft auf den von den Fürsten durch Wahl zu bestätigenden Thronerben angewendet wurde. Deutscher Krieg 1866 zw. Österreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland (kleindt. oder großdt. Lösung der dt. Frage); entzündet durch österr.-preuß. Spannungen in Schleswig-Holstein und durch den preuß. Antrag auf Reform des Dt. Bundes (unter Ausschluss Öster­reichs).

Verbündete Preußens: Italien und norddt. Kleinstaaten; auf Seiten Österreichs alle übrigen Mitglieder des Dt. Bundes (Hannover, Sachsen, Baden, beide Hessen, Bayern und Württemberg). Militär. Entscheidung bei Königgrätz, wo Moltke über Benedek siegte. Maßvolle Forderungen Bismarcks (im Gegensatz zu preuß. Militärs) im Vorfrieden zu Nikolsburg und Frieden zu Prag. Einverleibung Hannovers, Kurhessens, Nassaus, Frankfurts und Schleswig-Holsteins in Preußen, das freie Hand in Deutschland erhielt. Österr. Gebietsverluste: Venetien an Italien (trotz ital. Niederlagen bei Lissa und Costoza). – Auflösung des Dt. Bundes. Deutscher Michel, im 16. Jh. aufgekommener Spottname für den schwerfälligen, gutmütigen, bäuerlich-derben Typ des Deutschen, später ironische Bezeichnung für politische Rückständigkeit. Deutscher Nationalverein, ↑ Nationalverein. Deutscher Orden (Deutschritter oder Deutschherren), einer der drei großen geistlichen Ritterorden neben ­Johannitern und Tempelherren; ging 1198 nach der vorausgegangenen Gründung eines Pilger­ spitals vor dem von den Kreuzfahrern belagerten Akkon (Akka, nördl. Haifa) aus einer von dt. Kreuzfahrern gestifteten Bruderschaft zur Krankenpflege, Missions­ arbeit und zur Bekämpfung der Ungläubigen hervor; 1199 päpstlich bestätigt; Kauf von Landbesitz im Hl. Land. Nach missglückter Niederlassung im siebenbürg. Burgenland 1211 bis 1225 (Gründung von Kronstadt) unter dem Hochmeister Hermann von Salza um 1226 Beginn der Christianisierung Preußens, dessen Eroberung bes. dank des Landmeisters Hermann Balk 1283 abgeschlossen wurde (Ordensstaat); seit 1226 standen die Hochmeister im Rang von Reichsfürsten; 1237 Verschmelzung mit dem 1202 begründeten Schwertbrüderorden in Livland, Bistümer Kulm, Pomesanien, Ermland, Samland; 206

Deutsche Volkspartei 1291 Sitz des Hochmeisters von Akkon nach Venedig, dann nach Marburg a. d. Lahn, 1309 in die Marienburg verlegt. Größte Ausdehnung des Ordensstaates unter den Hochmeistern Winrich von Kniprode und Ulrich von Jungrogen im l4. Jh.: Preußen, Livland, Kurland, Estland, Gutland; beherrschende Ostseemacht, fast moderne Geldwirtsch.; neben Ritter- und Priesterbrüdern auch Söldner; Konvente unter Komturen, Komtureien zu Balleim zusammengefasst unter Landkomturen, dt. Balleim unter Deutschmeis­tern (sonst Landmeistern); die Hochmeis­ter wurden gewählt; Tracht: Ordensbrüder: weißer Mantel mit schwarzem Kreuz, Ritterbrüder: weißer Wappenrock mit Kreuz, kürzerer Mantel; Banner: weiß mit schlankem Kreuz. Ende des 14. Jh. Gegensätze zu Städten und Landadel. Wechselvolle Kämpfe gegen Litauen und Polen. 1410 vernichtende Niederlage bei Tannenberg, danach Abfall der dt. Städte; 1457 Verlust der Marienburg, Verlegung des Sitzes nach Königsberg; 1466 Zusammenbruch der Ordensmacht im 2. Thorner Frieden (Westpreußen zu Polen, Ordensland Ostpreußen poln. Lehen); 1525 unter dem Hochmeister ↑ Albrecht von Brandenburg-Ansbach Ordensgebiet in ein weltlich-protestant. Herzogtum umgewandelt (1618 zu Brandenburg); kath. gebliebene Ritter verlegten Ordenssitz nach Mergentheim, hielten aber Anspruch auf Preußen aufrecht, Besitz verblieb noch in Mittel-, Süd- und Südostdeutschland, Italien, Spanien, Schweden, Griechenland, seit 1809 nur noch in Österreich; Hochmeister seit 1840 nur Titel; der priesterliche Zweig erhielt 1929 neue Ordensregel, von Nationalsozialisten verboten, 1945 wiederhergestellt (Flüchtlingsfürsorge, ­Missionsarbeit). Deutscher Zollverein, ↑ Zollverein. Deutsches Museum, 1) in Berlin, 1930 eröffnet, dt. Kunst bis Ende des 18. Jh. 2) in München, 1903 von Oscar von Miller gegründet, Neubau 1925, im 2. Welt-

krieg teilweise zerstört, seit 1947 wiederaufgebaut; veranschaulicht die Entwicklung von Naturwissensch. und Technik, enthält wertvolle Originalapparate von Erfindern. Deutsches Reich: Durch die Kaiserkrönung Karls d. Gr. im Jahre 800 wurde die Tradition des römischen Imperiums mit der des christlichen Abendlandes und nach der Entstehung eines dt. Königtums (Anfang 10. Jh.) mit diesem durch Kaiser Otto I. zum „Imperium Romanorum et Francorum“ verbunden. Außer Deutschland bildeten auch Italien und Burgund die Grundlage dieses mittelalterlichen Reiches, das deutsch und universal zugleich war. Seit dem 11. Jh. als Römisches Reich, seit dem Spätmittelalter als „Hl. Römisches Reich Dt. Nation“ (eingeschränkt auf Deutschland) bezeichnet; es bestand als Erstes Reich bis 1806 unter wechselnden Kaiserhäusern. Die Machtgrundlage des Reiches, die Lehenshoheit, seit dem 16. Jh. durch die Ausbildung der autonomen Territorialstaaten stark gemindert. Vom Ersten Reich führte keine direkte Verbindung zu dem 1871 durch die Politik Preußens geschaffenen, in Versailles proklamierten nationalen, „kleindeutschen“ Kaiserreich, dem sogenannten Zweiten Reich, das bis 1918 bestand. 1919-1933 war das Dt. Reich eine Republik (↑ Weimarer Republik), 1933-1945 als sogenanntes „↑ Drittes Reich“ eine faschistische ↑ Diktatur. ↑ Deutschland. Deutsche Staatspartei, ↑ Deutsche Demokrat. Partei. Deutsche Volkspartei, bürgerlich-nationale Partei der Weimarer Republik; aus den ehemaligen Nationalliberalen hervorgegangen, gemäßigt monarchistisch, z. T. von der Schwerindustrie beeinflusst, die sich in den Wahlkämpfen zerrieben, 1933 schließlich aufgelöst. – Als bedeutendster Parteiführer wurde ↑ Stresemann bekannt, dem es gelang die Partei in die Weimarer Republik einzubauen.

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Deutsch-Französischer Krieg Deutsch-Französischer Krieg, von 1870–

1871 Ursache: die von Frankreich als Herausforderung angesehene Politik Bismarcks, unter preußischer Führung die dt. Einheit zu verwirklichen, auf der Gegenseite Napoleons III. Prestige- und Kompensationspolitik und die frz. Furcht vor einer preuß.-dt. Hegemonie in Europa. Auslösung durch die „einkreisende“ hohenzollernsche Thronkandidatur in Spanien sowie Bismarcks Veröffentlichung der ↑ Emser Depesche Juli 1870. Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, auf dessen Seite wider frz. Erwarten die süddt. Staaten traten. Unter Moltkes Oberleitung dt. Siege bei Wörth, Spichern; Armee Bazaines nach dt. Siegen bei Colombey-Nouilly, Mars-la-Tour, Gravelotte und St. Privat in Metz eingeschlossen und im Okt. zur Übergabe gezwungen. Armee MacMahons am 2. Sept. bei Sedan geschlagen, Napoleon III. gefangen. Danach Einschließung von Paris, Abwehr der frz. Entsatzarmeen. Brechung des „nationalen Widerstands“ der 3. Republik (Gambetta); Jan. 1871 Übergabe von Paris, Vorfriede von Versailles Febr. 1871, endgültiger Abschluss im ↑ Frankfurter Frieden. Ergebnis: die dt. Einheit im Sinne Bismarcks verwirk­ licht; Abtretung von Elsass und Lothringen; frz. Reparationszahlungen; Krönung Wilhelms I. von Preußen zum Dt. Kaiser; frz. Vormachtstellung in Europa gebrochen; Belastung der europäischen Politik durch das Aufsteigen der neuen Großmacht Deutschland und durch frz. „Revanche“-Gedanken. Deutschland, der heutige dt. Raum war in den ↑ Eiszeiten von den Gebirgen und von der Arktis her z. T. vergletschert und nahm an den verschiedenen Kulturen des ↑ Paläo­ lithikums teil; früheste Menschenfunde: Heidelberger Mensch (400 000 Jahre zurück, „der erste greifbare Europäer“), Steinheimer Mensch (300 000 Jahre zurück), der Neandertaler (um 100 000); im ↑ Mesolithikum Bewaldung und dichtere

Besiedlung durch Jäger und Sammler, im ↑ Neolithikum erste Bauernkulturen mit 3 Kulturkreisen: der nordische K. (Hünengräber im norddt. Flachland); der bandkeramische Donaukreis (Ausgangspunkt der ↑ Urnenfelderkultur) und der westliche K. (Pfahlbauten, Michelsberger Kultur). Gegen Ende der Steinzeit Beginn der Indogermanisierung (Schnurkeramik, Streitaxt, Ackerbau, Viehzucht, außer Rind und Schaf auch schon Pferd, das zunächst nur als Luxus von den Königen usw. als Zugtier gebraucht wurde, Sonnenkult). In der Bronzezeit seit etwa 1600 v. Chr. lassen sich drei Völker unterscheiden: im Norden die Germanen, im SW die Kelten, im SO die Illyrer. Die Kulturen von Hallstatt und La Tène (Eisenzeit) hatten bereits Kontakt mit der Kultur im Süden. Erste Berührung zwischen Germanen und Römern im Krieg gegen ↑ Kimbern und Teutonen (113– 101), noch sahen die Römer in den Germanen ↑ Kelten; Germanenstämme verdrängten allmählich die Kelten, mit denen sie sich z. T. auch vermischten, doch verhinderten die Römer zunächst mit Erfolg ein weiteres Vordringen über den Rhein. 58 v. Chr. ↑ Ariovist, Führer der Sueben, bei Mühlhausen (?) von Cäsar, der als erster Römer Kelten und Germanen unterschied, geschlagen. 56 v. Chr. Abwehr der Usipeter und Tenkterer; 55 und 53 v. Chr. Übergang Cäsars über den Rhein, der zur befestigten Militärgrenze des Römerreiches wurde; 15 v. Chr. wurde der spätere bayer. Raum südl. der Donau zur römischen Provinz (Raetien-Vindelicien); im Übrigen – abgesehen von vereinzelten militär. Demonstrationen – zeigte Rom keine Absicht, seine Herrschaft jenseits des Rheins zu erweitern; aufgrund der bitteren Erfahrungen in der Schlacht im Teutoburger Wald verzichtete Rom auf Eroberung des freien Germaniens; der von den röm. Kaisern Trajan und Hadrian 98–138 errichtete Limes sollte den Bestand des Reiches sichern; gegen 90 n. Chr. wurden die bishe208

Deutschland rigen Operationsbereiche des röm. Heeres am Ober- und Unterrhein verwaltungsmäßig von Gallien losgelöst und zu den Provinzen ↑ Germania superior (Obergermanien) und Germania inferior (Untergermanien) ausgebaut. Seitdem gliederte die sich geschichtlich lange auswirkende Teilung des dt. Gebietes in ein von Rom verwaltetes Germanien (Germania Romana) mit röm. Provinzialkultur (reiche Städte, z. B. Augusta Treverorum = Trier, mit Forum, Amphitheater, Thermen) und in das freie Germanien (Germania libera, magna), im Wesentlichen unberührt von röm. Zivilisation. Tacitus gab in seiner „Germania“ die klass. Schilderung Germaniens um Chr. Geburt. Die Germanen waren Krieger, Ackerbauern, Viehzüchter, teilweise beeinflusst durch das Keltentum; Rom vermittelte im Laufe der Jh. viele Elemente zur höheren Kultur: Schrift, Literatur, Steinbau, Städte- und Straßenwesen, höhere religiöse Vorstellungen. Auf die Dauer ließen sich die Wogen der in Bewegung geratenen Germanen an den Grenzen nicht stauen: Der Vorstoß der Markomannen gegen die Donau (166 n. Chr.) zwang Rom zu langwierigen militärischen Abwehrmaßnahmen; 213 n. Chr. versuchten die Alemannen den rätischen und obergermanischen Limes zu durchbrechen, durch ↑ Caracalla zunächst aufgehalten, 233 aber gelang ihnen der Durchbruch und der Vorstoß bis Oberitalien, Rom gab den Limes auf und räumte das Land nördl. der Donau und rechts des Rheins, das planmäßig stärker befestigt wurde. Seit Ende des 3. Jh. an der oberen Donau und am Rhein Ansiedlung von Germanen; 288 die Rheinmündung von den Franken besetzt, Sachsen erschienen an der Küste Nordfrankreichs; seit 355 Vordringen der Franken an und über den Rhein; 350 der Rhein von den Alemannen auf breiter Front überschritten, aufgehalten 357 durch den Sieg Julians bei Straßburg; 401 wurde schließlich der Ober­ rhein von den Römern geräumt. Im Zuge

der ↑ Völkerwanderung (um 375–568) stießen 406 Vandalen, Quaden und Alanen über den Rhein nach Gallien vor, 407 überschritten auch Burgunder und erneut Alemannen den Rhein; burgund. Föderaten-Reich um Worms, das indes 436 vom weström. Heermeister Aetius vernichtet wurde (451 Durchzug der ↑ Hunnen unter Attila, 476 Ende des weström. Reiches, das weitgehend german. unterwandert war, durch ↑ Odoaker). Gegen Ende der Völkerwanderung sechs Hauptstämme zwischen Rhein und Elbe: Friesen, Sachsen, Thüringer, Alemannen, Bayern und Franken (bereits um 260 erstmals gen.), deren Stellung sich seit Mitte des 5. Jh. sichtlich festigt; fränk. Kultur und fränk. Staatsbildung (↑ Fränk. Reich) für die Zunkunft D.s geschichtlich entscheidend: Im german.-roman. Norden entwickelte sich auf Grundlage german., röm. und christlicher Elemente (histor. Bedeutung des Übertritts Chlodwigs zum kath. Christentum 496) ein Staat neuartigen, besonderen Gepräges: ↑ Chlodwig, der Merowinger, einigte die Teilreiche seiner sal. Rivalen und beseitigte den König der ripuar. Franken, vernichtete durch seinen Sieg bei Soissons über Syagrius den letzten Rest röm. Herrschaft, bezwang die Alemannen und hinterließ 511 seinen Nachfolgern ein festgefügtes „fränk. Reich“; seine Söhne unterwarfen die Thüringer und die Burgunder und brachten auch Bayern in lose Abhängigkeit, Sachsen und Friesen hielten sich unabhängig. Nach Verfall der Merowinger-Herrschaft durch Teilungen, Familienzwiste Wiederaufstieg unter den Hausmeiern (Pippiniden); Pippin der Mittlere (aus dem austrasischen Geschlecht der Arnulfinger, stellte durch seinen Sieg über den neustr. Hausmeier bei Tertri 687 die Reichseinheit wieder her; sein leiblicher Sohn, Karl Martell, schlug 732 in der Schlacht zw. Tours und Poitiers die ↑ Araber und rettete dadurch die christlich-german. Kultur vor dem Is-

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Deutschland lam. Endgültige Verlagerung des polit. und kulturellen Schwergewichtes vom Mittelmeer nach Norden. Martells Sohn Pippin d. Jüngere, seit 741 Hausmeier, seit 752 König, wurde zum Begründer der karolingischen Königsdynastie (­endgültige Absetzung der Merowinger); folgenreich die sog. Pippinsche Schenkung: gegen päpstl. Anerkennung der neuen Dynastie königl. Schutz des Papsttums vor den Langobarden (rechtliche Grundlage des ↑ Kirchenstaates), Verknüpfung kirchl. und weltlicher Macht. Die Entwicklung gipfelte in dem abendländischen Reich ↑ Karls d. Gr. (768‑814): Einverleibung des Langobardenreichs, Unterwerfung des bayer. Herzogtums (Absetzung Tassilos III.), Bezwingung des letzten noch unabhängigen Stammes der Sachsen; Erneuerung der röm. Kaiserwürde als krönender Abschluss (Translatio imperii); neben diesen polit. Erfolgen auch die erste nachdenkende und nachempfindende Renaissance der klass. Wissenschaft und Kunst (↑ Karoling. Renaissance). Karl d. Gr. (Charlemagne) wird sowohl von dt. wie von frz. Historikern in gleicher Weise als Ahnherr des dt. wie des frz. Königtums bezeichnet, sein Kaisertum war abendländ.-christl.-universal, da noch keine Nationen mit eigener Staatsidee bestanden; erst durch die Reichsteilungen, die seine Erben und Nachfolger vornahmen, vor allem durch die Verträge von ↑ Verdun und ↑ Mersen bahnte sich eine dt. wie auch eine frz. Nationalgeschichte an. Ludwig der Deutsche wurde Erbe Ostfrankens (des späteren Deutschlands), Residenz in Regensburg; nach seinem Tode neue Teilreiche und mangels einer starken Zentralgewalt Erneuerung der Stammes­ herzogtümer in Sachsen, Bayern, Schwaben und Franken. Gegen die anderen Herzöge vermochte sich der 911 zum dt. König gewählte Frankenherzog Konrad I. nicht völlig durchzusetzen; sein Reich („Regnum Francorum“) war Übergang zu dem eigentlichen dt. Reich („Regnum Teu-

tonicorum“), das ↑ Heinrich I., 919–936, der erste der sächs. Herrscher, begründete (919–1024); H. suchte die Einheit seines Reiches zu fördern, reorganisierte die Landesverteidigung (Burgenbau; Schaffung einer Reiterei und Ausbildung des Lehenswesens); er vernichtete ein ungar. Heer bei Riade (Unstrut). Seinem Sohn Otto I. d. Gr. (936–973) gelang die Niederwerfung der aufständ. Herzöge und die Vertreibung der Ungarn (Schlacht auf dem Lechfeld 955); Otto kehrte zur Reichskirchenpolitik der Karolinger zurück, indem er die geistlichen Fürsten zu Stützen der Reichseinheit machte, erneuerte die Kaiserwürde (Kaiserkrönung 962) und gewann maßgeblichen Einfluss auf das Papsttum, dadurch Begründung des Hl. Röm. Reiches und Einleitung der mittelalterl. Italienpolitik der dt. Kaiser. Unter Otto II. und vollends unter Otto III. christlich-universale Einheitskultur noch ohne nationale Besonderheiten, getragen von Kloster- und Domschulen, eine neue Renaissance (↑ Ottonisches R.). In dem letzten der Sachsenkaiser, Heinrich II., erstand dem Reich ein Retter gegenüber den Wirren im Innern wie auch gegenüber den Slawen (Boleslav Chrobry). ↑ Konrad II. (1024–1039) eröffnete die Reihe der fränk. oder sal. Kaiser (1024– 1125), stützte sich, um vom Adel und 122 von der Kirche unabhängig zu werden, auf die kleineren Vasallen, denen er die Erblichkeit ihrer Lehen zugestand. Die Regierung ↑ Heinrichs III. (1039–1056) bedeutete einen Höhepunkt kaiserlicher Machtfülle (Absetzung und Ernennung der Päpste), der nach dem Tod des Kaisers zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit dem Papsttum um die Abgrenzung der gegenseitigen Machtbereiche (↑ Investitur) führte. Den erbitterten Kampf musste ↑ Heinrich IV. (1056–1106) austragen; 1062 als Knabe in Kaiserswerth gewaltsam entführt, 1065 mündig, warf er 1073/74 einen Sachsenaufstand nieder, kämpfte hartnäckig gegen 210

Deutschland Papst Gregor VII. und die gregorian. Reform, zuletzt auch gegen den eigenen Sohn Heinrich V. (1106–1125), dem es gelang, 1122 im Wormser Konkordat den Investiturstreit beizulegen. Die Notlage des Königs nützten im Innern des Reiches die partikularen polit. Gewalten, bes. die Welfenherzöge, zur Stärkung und Erweiterung ihrer Macht, der König fand Hilfe bei den (bes. rheinischen) Städten; in die Zeit des Investiturstreites fiel auch der Beginn der „Hl. Kriege“, der ↑ Kreuzzüge; ohne dt. Beteiligung begann der 1. Kreuzzug, in der Hauptsache getragen von dem religiös-verklärten Rittertum. Nachfolger Heinrichs V. wurde ↑ Lothar von Supplinburg (1125– 1137), unter ihm Wiederaufnahme der Mission und Kolonisation im Nordosten. Nachfolger wurde statt des von ihm designierten Welfen (Heinrich der Stolze) der Hohenstaufe ↑ Konrad III. (1138–1152), gewählt von der Kirche und den Fürsten; als erster Staufer lag Konrad fast dauernd im Kampf mit den Welfen und war beteiligt an dem gescheiterten 2. Kreuzzug. Gewaltiger Aufschwung des Kaisertums unter ↑ Friedrich I. Barbarossa (1152–1190), zunächst Verständigung mit den Fürsten, dann leidenschaftlicher Kampf mit dem Papsttum und mit den lombardischen Städten, schließlich aber nachgiebig gegenüber Papst und Lombarden; Sturz Heinrich des Löwen; nächstes Ziel die Eroberung des normannischen Reiches, vorzeitiger Tod an der Spitze des 3. Kreuzzugs. In Fortführung seiner Politik brach ↑ Heinrich VI. (1190–1197) den Widerstand des welfisch-sächsisch-niederrhein. Fürstenbundes (Gefangennahme des Königs Richard Löwenherz von England) und eroberte das normannische Reich, Höhepunkt der stauf. Macht; Heinrich, der die Kronen von Deutschland, Burgund, der Lombardei und von Sizilien trug, plante die Beseitigung des Wahlreichs, die Begründung einer Erbmonarchie und darüber hinaus die Errichtung eines Universal-

reiches, verbunden mit der Oberherrschaft des Kaisertums über die abendländ. Chris­ tenheit; seinem Hause suchte er auf dem Erbweg die Kaiserkrone zu sichern, sein früher Tod aber verhinderte die Durchführung und leitete den Abstieg ein. Das Doppelkönigtum Philipps von Schwaben und des Welfen Otto IV. (1198–1212) offenbarte den Niedergang des König- und Kaisertums. Die Niederlage Ottos bei ↑ Bouvines (1214) bedeutete nochmals einen Sieg der Staufer, deren Zeitalter glanzvoll ausklang in dem kämpfer. Königtum ↑ Friedrichs II. (1212–1250), dessen Tod den Untergang des mittelalterl. Kaisertums überhaupt bedeutete. Fr. machte den geistlichen wie den weltlichen Fürsten in Deutschland große Zugeständnisse, die für die Entwicklung landesherrlicher Macht entscheidend wurden, und konzentrierte sich auf den Machtkampf mit den Päpsten; gleichzeitig gewannen die westeurop. Mächte Einfluss auf die dt. Verhältnisse. Der Tod des Kaisers, das Erliegen der letzten Staufer in Italien (Hinrichtung Konradins 1268) besiegelten das Ende des ritterlichen Zeitalters in seiner Größe und seinem Glanz (die große Zeit der Ministerialen, staufische Dichtung und Kunst). Für das Reich folgte das Interregnum, „die kaiserlose, die schreckliche Zeit“; erst die Erhebung Rudolfs von Habsburg 1273 weckte neue Hoffnungen; nach Lage der neuen Verhältnisse, unter denen die tatsächliche Macht des Königtums schwere Einbußen erlitten hatte, sah sich König Rudolf indes in der Hauptsache auf die Macht seines Hausbesitzes angewiesen, doch gelang es ihm, durch Landfriedenstätigkeit (Landfriedensbündnisse) segensreich zu wirken. Die fortschreitende ostdt. Kolonisation, die von den Landesherren, Städten und Ritterorden getragen wurde, brach zusammen, als die außerdt. Staaten Osteuropas und Skandinaviens erstarkten; ohne den notwendigen Rückhalt durch ein starkes Reich erlahmte die Macht des Dt. Ordens ebenso wie die der Hanse.

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Deutschland Zunehmende Hausmachtpolitik schwächte nicht nur den Reichsgedanken, sondern auch eine gesamtdt. Ordnung, im Unterschied zur nationalstaatlichen Entwicklung in Frankreich und England, wo sich Zentralgewalt und Erbmonarchie durchsetzten und die Territorialherren allmählich zum Hofadel herabgedrückt wurden. Das Recht der Königswahl wurde in Deutschland seit der Mitte des 13. Jh. von den ↑ Kurfürsten beansprucht; vor der Wahl ließen sich die Landesfürsten ihre Rechte bestätigen oder erweitern (Wahlkapitulation). Unter den Luxemburgern versuchte Heinrich VII. (1308–1313) tatkräftig die Kaisertradition fortzusetzen (von Dante als ­Erneuerer der Kaiserschaft gefeiert); er starb auf dem Römerzug; der Luxemburger Karl IV. (1347– 1378) bestätigte in der ↑ Goldenen Bulle 1336 das alleinige Wahlrecht der Kurfürsten, das Grundlage der Reichsordnung bis zur Reichsteilung 1806 blieb (Gründung des vom Reich unabhängigen Rheinbundes). Seinem Sohn Sigmund (Sigismund; 1410–1437) gelang es, auf kirchlichem Gebiet das Schisma zu verhüten; doch blieben Versuche zur Kirchenreform erfolglos, ebenso wie unter Maximilian I. (1493–1519) die von ↑ Berthold von Henneberg angeregte Reichsreform zur Stärkung der Zentralgewalt fehlschlug. Durch seine Ehe mit der Erbin von Burgund, durch Erbvertrag mit Böhmen‑Ungarn, durch die Ehe seines Sohnes Philipp mit Johanna, der Tochter Ferdinands von Aragon und Isabellas von Kastilien, legte Maximilian den Grund zur späteren Donaumonarchie. Die größeren Fürsten des Reiches bauten in dieser Zeit zielstrebig ihre Territorien aus (Röm. Recht, Beamtentum, Söldnertruppen) und versuchten, auch das Bürgertum der privilegierten Städte zu Untertanen zu machen. Das Universalreich des MA wiederherzustellen, war das Bemühen vor allem Karls V. (1519–1556), des Erben eines Riesenreiches (Spanien und seine Kolonien;

Burgund. Kreis = Burgund, Luxemburg, Belgien, Holland waren habsburgische Hausmacht). Verwicklungen durch den wachsenden außerdt. Besitz; Kampf gegen Westen; die Türken zwangen Karl V. zum Kampf auch nach SO. Im Innern Schwächung durch den Misserfolg der kirchlichen Reform und die daraus erwachsende Glaubens- und Kirchenspaltung in der ↑ Reformation (konfessionelle und polit. Spaltung der Reichsstände). Das Herrscherhaus teilte sich 1521/22 in eine dt. und span. Linie, doch blieb die Verflechtung in außerdt. Angelegenheiten in der Folgezeit verhängnisvoll, als Deutschland zum Tummelplatz fremder Heere und Interessen wurde. Der ↑ Augsburger Religionsfriede von 1555 bestätigte die konfessionelle Spaltung und die staatliche Zerrissenheit. In den Parteiungen der protestant. „Union“ (1608) und der kath. „Liga“ (1609) standen sich die Konfessionen gegenüber. Der Aufstand der Böhmen (↑ Prag) ließ die Fronten zusammenprallen (↑ 30-jähr. Krieg). Der ↑ Westfäl. Frieden 1648 zerstückelte das Reich in 372 Obrigkeitsstaaten, überlieferte die Macht den Reichsfürsten und strich das Reich als Großmacht aus, während England, Schweden und Russland und vor allem Frankreich emporstiegen: Frankreich löste unter Ludwig XIV. D. als erste Festlands-Großmacht ab. In dem „Monstrum“ des Reiches mit dem Nebeneinander souveräner Fürsten, die entweder als Landesherren für die Wohlfahrt ihrer Untertanen sorgten oder ganz ihren privaten Zielen lebten und den „beschränkten Untertanengeist“ heranzüchteten, standen die Reichsinteressen fast völlig zurück, der Kaiser war nur noch Träger eines Ehrentitels (ein gewisser „Reichspatriotismus“ hielt sich jedoch noch bis 1806). Ansehen und Macht der habsburg. Kaiser gründeten sich auf ihre immer noch wachsende Hausmacht, die es ihnen ermöglichte, die ↑ Türkengefahr zu bannen (Wien 1683, Belgrad 212

Deutschland 1688); das Vorrücken Frankreichs im Elsass konnte jedoch nicht verhindert werden. Innerhalb des Reichsraumes wurde die Schwäche der Reichsgewalt seit 1640 (↑ Friedrich Wilhelm I.) von den Herrschern Brandenburg-Preußens zur Vereinheitlichung und Ausweitung ihres Staates benutzt, der ein Bollwerk gegen die sich seit dem 18. Jh. vorschiebende Macht Russlands wurde. Ostpreußen wurde aus der poln. Lehnshoheit befreit. Der Erbfolgekrieg um die Kaiserwürde der Habsburger (1741–43) führte zum dreimal erneuerten Kampf Preußens und Österreichs um Schlesien. Mit der Eroberung Schlesiens durch ↑ Friedrich d. Gr. (↑ 7-jähriger Krieg) verstärkte sich der Dualismus zwischen Österreich und Preußen, der für mehr als ein Jh. die dt. (und europ.) Politik bestimmte. Die habsburg. Kaisermacht wurde durch Preußens Aufstieg zur Großmacht nach Südosteuropa abgedrängt. Die Entwicklung der beiden dt. Großstaaten bewegte sich noch weiter vom Reich zur Eigenstaatlichkeit fort. Durch die Teilungen ↑ Polens von 1772, 1793, 1795 wurden die deutschen Grenzen nach Osten vorgeschoben. Im Zeitalter der ↑ Frz. Revolution und ↑ Napoleons wirkte sich durch das Fehlen einer aktionsfähigen Zentralgewalt die Ohnmacht des Reiches verhängnisvoll aus; Verlauf und Ergebnis der ↑ Koalitionskriege offenbarten die Schwäche des alten Reiches gegenüber der frz. Nation: Rückzug nach der Kanonade von ↑ Valmy (1792), Ausbruch Preußens aus der Koalition (Basler Separatfrieden 1795, von der österr. Publizistik als „Verrat am dt. Vaterland“ gebrandmarkt; fakt. Preisgabe des linken Rheinufers); nach schweren Niederlagen Österreichs Friede von Campo Formio (1797), in dessen Geheimabmachungen sich Österreich zur Räumung des linken Rheinufers verpflichtete; der 2. Koalitionskrieg (1799–1802, Preußen blieb wieder neutral) endete mit dem Frieden von Lunéville, linkes Rhein­ufer blieb frz.;

der Reichsdeputationshauptschluss (1803) wurde für die Fürsten zur großen territorialen „Flurbereinigung“ (Säkularisation der geistl. Gebiete, Mediatisierung zahlreicher Reichsstädte); nach dem 3. Koalitionskrieg 1806: Niederlage Preußens, Errichtung des souveränen Rheinbundes außerhalb des Reiches, dadurch am 6. Aug. 1806 Ende des Ersten Reiches, des „Hl. Röm. Reiches Dt. Nation“; Franz II., letzter Kaiser des alten Dt. Reiches, legte unter dem Druck Napoleons die Kaiserkrone nieder, nachdem er 1804 den österreichischen Kaisertitel angenommen hatte; das Ende des Kaisertums verschlimmerte die Lage. Nach der Katastrophe Napoleons in Russland Erhebung der Völker und Wiedererkämpfung der Freiheit in den ↑ Befreiungskriegen. Die europ. Neuordnung, die 1815 auf dem ↑ Wiener Kongress im Geiste der „Heiligen Allianz“ erfolgte, enttäuschte die Hoffnungen der dt. Patrioten und schaffte erneut einen Bund souveräner dt. ­Staaten, den ↑ Deutschen Bund, der sich im Vormärz mit Mühe und unterschiedlichem Erfolg (↑ Karlsbader Beschlüsse) der liberalen und nationalen Bewegung erwehrte. Die erstrebte polit. Einheit D.s wurde zunächst auf wirtsch. Gebiet eingeleitet durch den Dt. ↑ Zollverein (1833) und seinen Ausbau. Die vom Bürgertum getragene Revolution von 1848/49 (↑ Märzrevolution) führte zur ersten dt. ↑ Nationalversammlung, eröffnete am 18. Mai 1848 in der Paulskirche den ersten Versuch zur Bildung eines alle dt. Länder umfassenden parlamentarischen Reichstages; der revo­ lutionären Bewegung wurde der ­ Mangel an einem politischen Zentrum D.s ebenso zum Verhängnis wie der Mangel an polit. Wirklichkeitssinn; der Versuch zur Schaffung einer einheitlichen dt. Verfassung und eines Reichsministeriums sowie eines neuen dt. Kaisertums misslang, stattdessen verschärfte sich der österr.-preuß. Gegensatz im Kampf um die Führung in D.; der Kampf (Scheitern des ↑ Erfurter Parla-

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Deutschland ments, Preußens Nachgeben in ↑ Olmütz) wurde durch die Politik ↑ Bismarcks und den durch sie ausgelösten ↑ Deutschen Krieg 1866 im Sinne der nationalen preuß. Staatsidee entschieden. Mit dem preuß. Sieg entstand ein kleindt. Bundesstaat unter Führung Preußens (Auflösung des Dt. Bundes, Ausscheiden Österreichs aus D.), zunächst seit 1867 als ↑ Norddt. Bund, nach der siegreichen Beendigung des ↑ Dt.-Frz. Krieges als („kleindeutsches“) Kaiserreich (sog. Zweites Reich; „vom Volk gebilligt, aber von ihm polit. nicht mitgestaltet“) unter dem Hause Hohenzollern und einem ernannten, beamteten Reichskanzler als einzigem Reichsminis­ter. Den deutschen Nationalstaat erklärte Bismarck als „saturiert“ und als gleichberechtigtes, friedliebendes Mitglied der europ. Staatengemeinschaft, um das in der Umwelt und im Innern bestehende Misstrauen allmählich zu beseitigen. Bismarcks geschickter und zurückhaltender Außenpolitik gelang es, Vertrauen für die neue europ. Großmacht D. zu erwerben. Weniger günstig gestalteten sich die innenpolit. Verhältnisse: Bismarck schonte zwar die Gefühle der dt. Dynastien und ihrer Anhänger (außer den Welfen), genehmig­te Reservatrechte in der Reichsverfassung bes. für Bayern, aber der ↑ Kulturkampf hielt das Misstrauen des kath. Volksteils gegen das „protestant. Hohenzollernreich“ wach. Der preuß. Großgrundbesitz wurde auf Kosten anderer Volksschichten begünstigt (Getreidezölle), ebenso die Schwerindus­ trie (Eisenzölle); die parlamentar. Opposition der Linksliberalen wurde zu unfruchtbarem Parteikampf verdammt, die in der Sozialdemokratie polit. organisierte Arbeiterschaft durch das ↑ Sozialistengesetz (trotz der für Europa vorbildlichen Sozialgesetzgebung) weiterhin entfremdet. Die auch für die Außenpolitik D.s entscheidende Frage, ob Festhalten an agrar. Struktur oder Übergang zum reinen Industriestaat, blieb offen; deshalb in der Folgezeit ständige Be-

mühungen um den Ausgleich der Interessen. Verhängnisvoll wirkte sich das Misstrauen des Auslands, bes. Englands, aus, als nach Bismarcks Rücktritt im Zeitalter des ↑ Imperialismus und Wilhelms II. das neue Reich von der kontinentalen zur Weltpolitik überging und eine Seemacht zu gründen begann. Der außenpolit. „Neue Kurs“ begann 1890 mit der unerwarteten Kündigung des ↑ Rückversicherungsvertrages mit Russland; das unbedingte dt. Zusammengehen mit Österreich verstärkte die Abneigung Russlands, das sich mit dem wegen der Abtretung Elsass‑Lothringens gegnerischen Frankreich verband. Auch das Verhältnis zu England wurde zusehends gespannter; die ↑ Krügerdepesche (1896) verstimmte England schwer, Bündnisverhandlungen (1893 und 1901) blieben ohne Erfolg. So vermochte die an sich friedfertige, aber unsichere und wenig scharfsichtige, durch die Ungeschicklichkeit des Kaisers und bes. ↑ Bülows belastete dt. Politik 1890 bis 1914 den Ausbruch des Ersten ↑ Weltkrieges nicht zu verhindern. Die dt. Niederlage 1918 brachte in der Novemberrevolution den Zusammenbruch des Kaisertums und des Zweiten Reiches sowie die Schaffung der ↑ Weimarer Republik, deren Verfassung zum ersten Mal Reichsministerien vorsah und den Parlamentarismus in D. einführte. Die D. auferlegten Lasten des Versailler Vertrages (nicht zu bewältigende Güter- und Geldreparationen, Kolonialverlust, Abtretung von Reichsteilen, politische Demütigungen), die frz. Ruhrbesetzung und die Inflation von 1922/23 zerrieben die Kräfte des demokrat. Kerns und begünstigten sowohl den Linksradikalismus wie einen extremen Nationalismus (↑ Nationalsozialismus), der den Gedanken einer europ. Zusammenarbeit im ↑ Völkerbund, in den D. 1926 dank der Politik ↑ Stresemanns aufgenommen worden war, sabotierte. Die Massenarbeitslosigkeit, Zusammenbruch des Mittelstandes im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1930– 214

Deutschland, Bundesrepublik 32 und noch ungelöste außenpolit. Probleme erschütterten die kaum gefestigte Demokratie. Unter Ausnutzung der (in der ganzen Welt) bestehenden (abklingenden) Krise gelangte der Nationalsozialismus 1933 zur Herrschaft und errichtete die autoritäre Staatsform des sog. ↑ Dritten ­Reiches, das 1938 mit der Angliederung Österreichs als „Großdt. Reich“ proklamiert wurde. Die territorialen Ansprüche Hitlers führten – nach einer scheinbaren Beruhigung durch das ↑ Münchener Abkommen – infolge des Überfalls auf die Tschechoslowakei und Polen zum Zweiten ↑ Weltkrieg, der 1945 mit dem völligen Zusammenbruch des Dt. Reiches, der Besetzung ganz D.s, der Abtrennung großer Reichsteile und der Vertreibung ihrer Bewohner endete. Aus den Besatzungszonen der Westmächte einerseits und der Sowjetzone andererseits bildeten sich zwei getrennte Staatsteile heraus, die 1949 eine verschiedene verfassungsmäßige Grundlage erhielten: ↑ Bundesrepublik Deutschland und ↑ Deutsche Demokratische Republik (DDR). Deutschland, Bundesrepublik, aus den drei westlichen Besatzungszonen gebildet, föderalist., demokrat., parlamentar. Staatswesen (Bundesstaat). Vorausgegangen waren 1945 bzw. 1946 die Bildung der Länder Bayern, Württemberg-Baden, Hessen (US-Zone), Baden (Südbaden), Württem­ berg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz (frz. Zone), Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (brit. Zone, nach Auflösung der preuß. Provinzen); Großberlin erhielt besatzungsrechtliche Sonderstellung, das um 109 Gemeinden vergrößerte Saargebiet wurde von Deutschland losgetrennt und in Anlehnung an Frankreich autonom; 1947 Bildung der wirtsch., verkehrsmäßig und finanziell zusammengefassten US- und brit. Zone (Bizone, Leitung: Dt. Exekutivrat, Frankfurt; Überwachung: Zweimächte­

kontrollamt; Gesetzgebung: der parlaments­ ähnliche Wirtschaftsrat). Marshallplan, begann am 1. Juli 1948 nach Währungsreform mit Wirtschaftsstarthilfe. 1948 Beschluss der westl. Besatzungsmächte, dass Westzonen in bundesstaatlicher Ordnung gemeinsame, bevollmächtigte Regierung erhalten sollen; Anweisung zur Einberufung einer konstituierenden Versammlung zum 1. Sept. 1949 und zur Festlegung der Ländergrenzen mit dem Ziel der Beendigung der Teilung Deutschlands (Einladung an die UdSSR, die ablehnte). Am 1. Sept. 1948 traten 65 von den Landtagen gewählte Delegierte (dazu 5 Berliner Delegierte ohne Stimmrecht) aus 7 Parteien (CDU/CSU 26, SPD 26, FDP 5, DP 2, Zentrum 2, Kommunisten 2) zum Parlamentar. Rat in Bonn zusammen; Ratspräsident Konrad Adenauer. Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz als provisor, Verfassung für Gesamtdeutschland angenommen, am 23. verkündet, am 15. Juli Erlass des Wahlgesetzes zum 1. Bundestag und zur 1. Bundesversammlung. 14. Aug. 1949 Wahlen (78,5 % Beteiligung). Am 7. Sept. 1949 Konstituierung von Bundestag und Bundesrat. Die 1. Bundesversammlung (804 Mitglieder) wählte am 12. Sept. 1949 den 1. Bundespräsidenten mit 5-jähriger Amtszeit (Prof. Theodor Heuss, FDP), auf dessen Vorschlag wählte der 1. Bundestag am 19. Sept. 1949 den Bundeskanzler (Konrad Adenauer, CDU). Die Rechte der 11 Länder (heute nach Bildung von BadenWürttemberg und der Rückkehr des Saarlandes 10) wurden vom Bundesrat vertreten, zur prov. Hauptstadt wurde Bonn bestimmt. Die Rechte der westl. Besatzungsmächte wurden durch das am 21. Sept. 1949 in Kraft getretene Besatzungsstatut geregelt; sie behielten sich die oberste Gewalt bei Gefährdung der Ordnung vor und bestätigten dem Bund und den Ländern die Staatshoheit (ausgenommen Entwaffnung, Entmilitarisierung, Ruhrkontrolle, Vorprüfungs- und Einspruchsrecht bei Ge-

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Deutschland, Bundesrepublik setzen, Außenpolitik); das Statut wurde 1951 (Beendigung des Kriegszustandes zw. Westmächten und BRD) revidiert (kein Prüfungsverfahren mehr für Gesetze, Recht zu selbständiger Außenpolitik) und 1952 durch Deutschland-Vertrag ersetzt (Bonner Vertrag): Die BRD erhielt Verfügungsgewalt über alle inneren und äußeren Angelegenheiten (ausgenommen Stationierung von Streitkräften, Status von Berlin, Lage D.s als Ganzes, Wiedervereinigung, Friedensvertrag, Notstandsbefugnisse bei Bedrohung); Regelung der Truppenstationierung; Westmächte und Regierung verpflichteten sich zur Politik der Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln. Die BRD trat 1949 der OEEC, 1950 der Europäischen Zahlungsunion (EZU), 1951 dem Europarat und der Europ. Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montan­union), 1952 dem ­ Weltnachrichtenverein, der Internat. Arbeitsorganisation und der UNESCO bei; schneller Fortgang des wirtsch. Wiederaufbaus und der Wiedergewinnung des Vertrauens in der Welt (vor allem Versöhnung mit Frankreich). 6. Sept. 1953 Wahl des 2. Bundestages, 2. Kabinett Adenauer. 17. Juli 1954 Wiederwahl des Bundespräsidenten Heuss. Am 24. März 1955 traten Pariser Verträge in Kraft, Eintritt der BRD (nach Scheitern der Europ. Verteidigungsgemeinschaft/EVG) in die Nordatlant. Verteidigungsgemeinschaft (NATO); Vorbehalte hinsichtlich Status von Berlin, Wiedervereinigung, des Friedensvertrags, Stationierung von Truppen zur Verteidigung der freien Welt (Truppenvertrag) und Verteidigungsbeitrag; Wiedervereinigung und Friedensvertrag blieben gemeinsames Ziel; bei Wiedervereinigung Vertragsänderung möglich; am 5. Mai 1955 Wiederherstellung der vollen Souveränität (Ende des Besatzungsregimes, Auflösung der Alliierten Hochkommission); 1956 Einführung der allg. Wehrpflicht; Vertrag mit Frankreich über Angliederung des Saarlandes (vollzogen am 1. Jan. 1957); 1957 Wahl des

3. Bundestages, 3. Kabinett Adenauer; im gleichen Jahr Mitbegründung der ↑ Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (Gemeinsamer Markt, EWG) und der Atomgemeinschaft (EURATOM); 1. Jan. 1958 Inkrafttreten der EWG. 1. Juli 1959 Bundespräsidentenwahl (Heinrich Lübke). 6. Juli 1959 wirtsch. Rückgliederung des Saarlandes; 1961 Wahl des 4. Bundestages, 4. Kabinett Adenauer. 1963 Rücktritt Adenauers als Bundeskanzler, Wirtschaftsminister ↑ Erhard wurde Bundeskanzler. 1966 führte die wirtsch. Rezession zur Bildung der Großen Koalition von CDU/ CSU und SPD unter ↑ Kiesinger. 1969 Wahl ↑ Heinemanns zum Bundespräsidenten. Die Bundestagswahl von 1969 brachte die erste Bundesregierung unter Führung der SPD unter Bundeskanzler ↑ Brandt, Koalitionsregierung mit der FDP wurde nach dem Wahlsieg 1972 fortgesetzt. 1974 nach Spionageaffäre Rücktritt Brandts als Bundeskanzler, Nachfolger wurde ↑ Schmidt, Wahl des Außenministers ↑ Scheel zum Bundespräsidenten. Außenpolitisch kam mit der Regierung Brandt größere Bewegung in die Deutschland- und Ostpolitik. 1970 dt.sowjet. und dt.-poln. Vertrag, Viermächteabkommen über Berlin. 1972 „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zw. der Bundesrepublik Deutschland und der DDR“. 1973 Aufnahme bei der dt. Staaten in die Vereinten Nationen. 1973 Normalisierungsvertrag mit der Tschechoslowakei (Münchener Abkommen von 1938 wurde für „nichtig“ erklärt). Pragmatisch ausgerichtete Politik der SPD/FDP-Koalitionsregierung unter H. Schmidt seit 1974, Sanierung der Renten- und Krankenversicherung, Kampf gegen den Terrorismus (1977 Mogadischu), Ausbau der Kern­energie, der „Macher“ Schmidt in der internat. Politik aber bald höher angesehen als in D. selbst. Erstarken der oppositionellen CDU/CSU in den Bundesländern, 1979 mit K. Cars­tens zum erstenmal ein 216

Deutschlandlied Bundespräsident der CDU gewählt. Bei den Bundestagswah­len 1980 unterlag der Herausforderer F. J. ↑ Strauß; dennoch geriet die weitergeführte Koalitionsregierung Schmidt durch massive Einsparungen in den Bundeshaushalten 1981 und 1982 zu Lasten breiter Bevölkerungsschichten in die Krise, die FDP unter Genscher vollzog den Wechsel zur Koalition mit der CDU/ CSU. 1. Okt. 1982 Sturz der Regierung durch konstruktives Misstrauensvotum, der CDU-Vorsitzende ↑ H. Kohl wurde Kanzler. Bundestagswahl 1983 Mehrheit für die Koalition aus Christdemokraten/ Christlich-Sozialen und Liberalen, SPD und die neu hinzugekommenen Grünen seitdem in der Opposition. Außenpolit. setzte die Regierung Kohl/Genscher den Kurs ihrer Vorgänger fort (Entspannungspolitik bei gleichzeitiger Westorientierung), was sie in Auseinandersetzungen mit der Friedensbewegung und den Gegnern der Atomenergie brachte. Die Sensibilisierung der Bevölke­rung für die vom Atom ausgehenden Gefahren wurde 1986 durch das Reaktorunglück von Tschernobyl verstärkt; einen Markstein setzte in gewisser Hinsicht 1989 der Verzicht der Atomindustrie auf die Wiederaufbereitungsanlage in ­ Wackersdorf (Ober­pfalz). Wirtschaftspolit. setzte die Regierung auf die „Selbstheilungskräfte des Marktes“, ähnlich wie zur selben Zeit die brit. und amerik. Regierungschefs Thatcher und Reagan. Innenpolitisch 1983 starke Belastung durch die sog. Flick-Affäre (­Vorwürfe gegen Bundeswirtschaftsminister Graf Lambs­dorff wegen Bestechlichkeit), das Vorhaben, ein Amnestiegesetz für Steuerstraftaten im Zusammenhang mit Parteispenden einzuführen, scheiterte; 1984 Arbeitskämpfe in der Metall- und Druckindustrie um die 35-Stunden-Woche. Die Bundestagswahlen 1987 bestätigten die Koalitionsregierung. 1989 Massenflucht von Bürgern aus der DDR (↑ Deutsche Demokratische Republik) in den Westen und schließl. am

9. Nov. Grenzöffnung zw. der DDR und der Bundesrepublik. Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag (12. Sept. 1990) zw. der frei gewählten Regierung der DDR unter de Maizière, der Regierung der BRD und den vier Siegermächten aus dem 2. Weltkrieg wurden die Voraussetzung für die Wiedervereinigung der beiden dt. Staaten geschaffen, die am 3. Okt. 1990 vollzogen wurde. Hauptstadt wurde erneut Berlin, im Nov. 1990 wurde die Oder-NeißeLinie als endgültige Ostgrenze bestätigt. Bei den ersten freien gesamtdeutschen Wahlen seit Ende des 2. Weltkriegs wurde die Koalition aus CDU/CSU und FDP unter Kanzler Kohl bestätigt (erneut 1994). Die Wiedervereinigung stellte eine große wirtsch. Belastung für D. dar. Durch die Übernahme der Altschulden und die hohen Kosten für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern stiegen die Staatschulden an, ebenso die Zahl der Arbeitslosen. Schwierig gestaltete sich auch die Bewältigung der entstandenen gesellschaftlichen und sozialen Probleme durch die Wiedervereinigung. 1998 verlor die Koalition unter Kohl die Wahlen und wurde von einer Koalition aus Sozialdemokratischer Partei und Bündnis 90/Die Grünen unter Bundeskanzler G. Schröder (SPD) abgelöst. 2002 erneut (knapper) Wahlsieg der regierenden rot-grünen Koalition. Außenpolitisch spielt Deutschland v. a. im europ. Einigungsprozess eine führende Rolle, brach aber 2003 aufgrund seines hohen Haushaltsdefizits bereits zum zweiten Mal den EU-Stabilitätspakt. Deutschlandlied, dt. Nationalhymne; Text von dem Sprach- und Liedforscher und Liederdichter August Heinrich Hoffmann, gen. Hoffmann von Fallersleben, Prof. in Breslau, 1841 auf Helgoland verfasst und an einen Hamburger Verleger verkauft; nach seiner Entlassung aus dem Lehramt (wegen seiner „Unpolit. Lieder“) Bekenntnislied des Verfemten zum Nachweis seiner nationalen Gesinnung (Übernahme der

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Deutschmeister Melodie der alten österr. Kaiserhymne von Joseph Haydn); Veröffentlichung in Studentenliederbüchern; im 1. Weltkrieg Lied der Langemarckkämpfer; 1922 zur dt. Nationalhymne erhoben. Deutschmeister, ↑ Deutscher Orden. Deutschnationale Volkspartei, konservative Rechtspartei der ↑ Weimarer Republik, die der parlamentar.-demokrat. Verfassung meist feindlich gegenüberstand; erstrebte Wiederherstellung der Monarchie, stützte sich auf den ostelb. Großgrundbesitz und Teile der Schwerindustrie; geriet unter Führung Hugenbergs in ein immer mehr reaktionäres und rechtsradikales Fahrwasser und ebnete Hitler den Weg zur Macht (↑ Drittes Reich), 1933 selbst aufgelöst. Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt, am 23. Aug. 1939 in Moskau abgeschlossener Vertrag, in dem das Dt. Reich und die Sowjetunion sich wechselseitig Neutralität im Falle eines Angriffs auf Dritte versicherten. Ein geheimes Zusatzprotokoll beinhaltete die Möglichkeit der Teilung Polens, der Einbeziehung Finnlands, Estlands, Lettlands und ­Bessarabiens in die sowjetische, der Litauens in die dt. Machtund Interessenssphäre (Existenz dieses Zusatzprotokolls erst 1989 von der Sowjetunion zugegeben). Der D. gab Hitler freie Hand für die Entfesselung des 2. ↑ Weltkriegs. De Valera, ↑ Valera. Devolutionskrieg, erster Eroberungskrieg Ludwigs XIV. 1667/68 gegen die span. Niederlande; L. forderte auf Grund des in Brabant geltenden sog. Devolutionsrechts (Ablösungsrechts), wonach Kinder aus verschiedenen Ehen eines Vaters das während der einzelnen Ehen erworbene Vermögen erhalten sollen, als Erbgut seiner Gemahlin, der ältesten Tochter Philipps IV. von Spanien (gest. 1665), Teile der span. Niederlande und ließ Turenne zur Besitznahme einrücken; zur Abwehr des überraschenden Angriffs schlossen die Niederlande mit England und Schweden die Tri-

pelallianz; im Frieden von Aachen erhielt L. nur 12 flandr. Festungen (Lille). Dezemberverfassung, von Kaiser Franz Joseph in Kraft gesetzte liberale Grundgesetze; wegbereitend für das konstitutionelle Regierungssystem in Österreich; die D. war 1867–1919 geltendes Gesetz. Diadem (griech., Stirnbinde), Schmuckband aus Stoff oder Metall zum Zusammenhalten des Haupthaares, galt im alten Orient (bes. Persien) als Zeichen königlicher Würde, von Alexander d. Gr. übernommen, von den Römern der Republik verabscheut, erst von Konstantin offiziell zum Symbol der kaiserlichen Würde erhoben; als edelsteinbesetzter Stirnreif wandelte es sich schließlich zur Krone. Diadochen (griechisch, Nachfolger durch Übernahme), die Feldherren ­ Alexanders d. Gr., die sich als seine Nachfolger in wechselvollen und langwierigen Kämpfen um die Teile des Weltreichs stritten („D.-Kämpfe“). Von den hellenistischen D.-Reichen erlangten größere Bedeutung Ägypten (Ptolemäer), Vorderasien (Seleukiden) und Makedonien (Antigoniden); die Nachfolger der D. wurden Epigonen genannt. Diana von Poitiers, Geliebte König Heinrichs II. von Frankreich, 1499–1566; seit 1547 als Herzogin von Valentinois unbedingte Herrin des Hofes; 1559, nach dem Tod Heinrichs II., von Katharina von Medici verbannt. Diaz, 1) D., Armando, Duca della Vittoria, ital. Marschall, 1861–1928; Oberbefehlshaber seit 1917, Kriegsminister 1922–1924. 2) D., Bartholomeu, portug. Seefahrer, um 1450–1500; erreichte 1486 erstmals das Kap der guten Hoffnung, bei dem er auf späterer Fahrt unterging. 3) D., Porfirio, mexikan. General und Staatsmann, 1830–1915; kämpfte gegen Kaiser Maximilian, 1877–1880 und 1884–1911 Präsident der Republik, regierte diktatorisch; rang um Mexikos Selbständigkeit gegenüber den USA; 1911 gestürzt. 218

Diktatur Dibelius, Friedrich Karl Otto, dt. ev. Landesbischof, 1880–1967; seit 1925 Generalsuperintendent der Kurmark, 1933 des Amtes enthoben, danach führend in der Bekennenden Kirche; 1945–1966 Bischof von Berlin, 1949–1961 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Diderot, Denis, frz. Philosoph und Dichter der Aufklärung, 1713–1784; Herausgeber und Hauptverfasser der großen frz. Enzyklopädie (seit 1751) im Geiste des Freidenkertums, für das er auch mit journalist. Mitteln kämpfte. Diebitsch-Sabalkanskij, Iwan Graf von, russischer General, 1785–1831; schloss 1812 die Konvention von Tauroggen mit General Yorck; 1829 Oberbefehlshaber im Türkenkrieg, nahm nach dem Übergang über den Balkan (daher auch genannt Sabalkanskij = Balkanüberschreiter) Adrianopel; kämpfte 1830/31 gegen die aufständ. Polen. Diehards (engl.), die „Unentwegten“, nach ihrem Wahlspruch „to die hard“ = schwer sterben, der extreme, schroff imperialist. Flügel der engl. Konservativen. Dien Bien Phu, Stadt in Vietnam; diente 1953 den Franzosen als Sperre gegen den Nachschub des Vietminh, die Kapitulation der Franzosen in D. 1954 gilt als entscheidende frz. Niederlage in der 1. Phase des Vietnam-Krieges, leitete die Trennung Frankreichs von seinen Kolonien ein. Diesel, Rudolf, dt. Ingenieur, 1858– 1913; Erfinder des nach ihm benannten Schwerölmotors (Dieselmotor) mit Zündung durch hochverdichtete Luft; erster D.-Motor 1894 (↑ Automobil). Diesterweg, Adolf, dt. Pädagoge, Schulreformer, 1790 1866; von der preuß. Regierung wegen seiner liberalen, aufklären Gesinnung gemaßregelt; Mitglied des preuß. Abgeordnetenhauses; Gegner der Konfessionsschule und geistlicher Schulaufsicht, Verfechter des modernen staatlichen Volksschulwesens im Sinne ↑ Pestalozzis und des

polit. Liberalismus; Fürsprecher der Lehrerschaft (forderte Hochschulbildung für Volksschullehrer). Dietrich von Bern (Verona), in der german. Heldensage Name des Ostgotenkönigs ↑ Theoderich d. Gr., in zahlr. Dichtungen besungen (Nibelungenlied, Thidreksaga); Idealheld der Deutschen des MA. Dijon, Stadt in Frankreich; als galloröm. Siedlung Divio seit dem 2. Jh. nachweisbar, 479 burgundisch, 534 fränkisch; seit 1016 im Besitz der Herzöge von Burgund, die es zu ihrer Hauptstadt machten; seit 1477 zu Frankreich. Diktator (lat.), in Alt-Rom höchster, außerordentlicher Beamter, in Notzeiten auf Senatsbeschluss durch einen Konsul eingesetzt und mit unumschränkten Vollmachten ausgestattet; sein Auftrag ist fest umrissen, längste Amtsdauer 6 Monate. Diktatur, Staatsführung durch einen einzelnen (oder eine Gruppe) mit unbeschränkter Machtbefugnis; das Amt des ↑ Diktators im alten Rom war im Staatsrecht fest verankert und genau ­ umrissen (Beschränkung der Amtsdauer und des Auftrags); in der Neuzeit (Regierung ohne parlamentar. Kontrolle, Neigung zu Willkür und Rechtlosigkeit), entbehrt in der Regel der Dauerhaftigkeit und kommt überwiegend in Republiken vor (z. B. in den Stadtrepubliken der Antike und des MA, wo der Diktator meist als „Tyrann“ bezeichnet wird; oder in den Republiken Südamerikas; eine D. ist auch in (schwachen) Monarchien möglich (z. B. D. Primo de Riveras in Spanien). Die D. dient oft zur Verhinderung der sozialen Revolution, kann aber auch den Fortschritt proklamieren (Diktatur des Proletariats ↑ Marxismus). Wegbereiter der D. sind Wirtschaftskrisen, nationale Katastro­ phen und politische Unsicherheit der Massen (Ruf nach dem „starken Mann“). Eine im 19./20. Jh. häufige Form der D. ist die Militär-D., ausgeübt von erfolgreichen Generalen in Ländern mit schwacher demokratisch. Tradition; mit weltanschaulichen

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Diluvium Prinzipien verbindet sie sich in den totalitären „Führerstaaten“ des 20. Jh. (auch „autoritäre“ Staaten genannt: faschist. Italien, nat.-soz. Deutschland, ähnlich die Diktatur Francos, der sich auf die Falange stützte). Die Verteidiger der D. verweisen auf erfolgreiche histor. Beispiele wie Cromwell in England, Kemal Atatürk in der Türkei; die Gegner der D. sehen darin Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Diluvium (lat., Überschwemmung, „Sintflut“); zum Unterschied vom Alluvium (Anschwemmung, Nacheiszeit) zweitjüngste geolog. Formation, zum Quartär gehörig, gekennzeichnet durch die ↑ Eiszeiten und das erste nachweisbare Auftreten des Menschen und erste nachweisbare Kunstschöpfungen (↑ Paläolithikum). Dimitri Iwanowitsch Donskoi, Großfürst von Moskau (1359–89); geb. 1350; führte die Russen 1380 zum ersten Sieg über ein tatar. Heer in offener Feldschlacht unweit des Don (daher der Beiname). Dimitrijevi, Dragutin, serb. Offizier, 1876– 1917; Verfechter eines großserb. Nationalismus, 1903 beteiligt an der Ermordung des serb. Königs Alexander I. Obrenovic und dessen Frau Draga, seit 1911 Chef des Geheimbundes «Schwarze Hand» und Organisator des Attentats auf den österr.-ungar. Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in ↑ Sarajewo, 1917 hingerichtet. Dimitrow, Georgi, bulgar. Kommunistenführer, 1882–1949; flüchtete nach dem Aufstand von 1923 und (zum zweiten Mal) nach dem Bombenattentat auf die Kathedrale von Sofia ins Ausland; Kominternagent; 1933 im Reichstagsbrandprozess freigesprochen, danach Generalsekretär der Komintern und Vorsitzender des Obersten Gerichtshofes in Moskau; kehrte 1944 nach Bulgarien zurück, organisierte die kommunist. „Vaterländ. Front“ und ließ 1946 die Volksrepublik Bulgarien ausrufen, 1946–49 Ministerpräsident. Dinar, die entsprechend dem Bildverbot bildlose Goldmünze des Islam, die über

ein Jt. Währungseinheit der islam. Welt geblieben ist; eingeführt 696 n. Chr.; weist meist Koransprüche als Ornament auf. Diodorus Siculus, griech. Geschichtsschrei­ ber, Verfasser der „Historischen Bibliothek“, einer populären (nicht immer zuverlässigen) Weltgeschichte, die bis zum Gallischen Krieg seines Zeitgenossen Cäsar reicht (15 von 40 Büchern erhalten). Diogenes, 1) D. Laertios, schrieb um 275 n. Chr. eine Geschichte der griech. Philosophie (knapp, jedoch durch Übermittlung verlorener Quellen wertvoll). 2) D. von Sinope, griech. Philosoph, Zeitgenosse ↑ Alexanders d. Gr.; lebte in Korinth und Athen, durch sein Ideal der Bedürfnislosigkeit und der Verachtung aller Konvention Figur zahlr. Anekdoten; wohnte demonstrativ in einer Tonne (wie ein „Kyon“, griech. = Hund, daher „Kyniker“). Diokletian (Gajus Aurelius Valerius Diocletianus), röm. Kaiser (284–305); Sohn eines illyr. Freigelassenen, vom Heer zum Kaiser erhoben, regierte absolutist. nach oriental. Muster, führte eine polit. Neuordnung des Reiches durch: Teilung der Regierungsgewalt, an der Spitze zwei Augusti (neben D. sein Freund Maximian); die von ihnen adoptierten, zum Nachrücken bestimmten beiden Cäsaren sicherten gleichzeitig die Thronfolge (im ganzen eine Tetrarchie = Herrschaft der Vier, beginnende Reichsteilung). Zwecks Reform der Verwaltung Dezentralisierung (Einteilung des Gesamtreichs in 4 Präfekturen, in sich wiederum aufgeteilt in je 12 Diözesen), zugleich Stärkung der Zentralgewalt durch Gleichschaltung aller Reichsteile (Ende der Sonderstellung Roms und Italiens) und Einheitlichkeit der Verwaltungsmaßnahmen; ferner Heeres- und Finanzreform (Einheit der Münze und des Steuersystems, dabei Rückgriff auf Naturalabgaben), verzweifelter Kampf gegen die permanente Wirtschaftskrise durch zwangswirtsch. Maßnahmen (Höchstpreise, Schollenpflicht der Bauern und 220

Diplomatie Handwerker, Berufszwang); Großbauten (Thermen in Rom); Erneuerung des alten Jupiterkults und daher ↑ Christenverfolgung; nach seiner freiwilligen Abdankung (305) starb D. im Jahr 313 zurückgezogen in Salona (Split). Dion, 1) D. von Syrakus, aristokrat. Politiker, Schüler und Freund des Platon, der in Syrakus seinen von einer philosoph. geschulten Elite geleiteten Idealstaat verwirklicht sehen wollte; vom jüngeren Dionysios 366 v. Chr. vertrieben, nach seiner Rückkehr 354 v. Chr. ermordet. 2) D., Cassius, griech. Geschichtsschreiber aus Nicäa, um 155–229; Senator, Konsul 221 und 229; schrieb eine röm. Geschichte von Äneas bis zu seiner Gegenwart in 80 Büchern (erhalten die Jahre 68 v. Chr. bis 47 n. Chr.). Dionysien (lat. Bacchanalien), Feste zu Ehren des Gottes Dionysos (lat. Bacchus); wurden in Athen als städt. oder große D. Anfang April, als kleine oder ländliche D. Ende Dez. gefeiert. Über Unteritalien gelangte der Kult der ausschweifenden Baccha­nalien auch nach Rom, wo er vom Senat 186 v. Chr. mit Strenge unterdrückt wurde (Hinrichtung zahlreicher wegen Teilnahme an diesem Geheimkult Angeklagten), doch hielt er sich bis zur Mitte des 4. Jh. n. Chr. im Volk. Dionysios, 1) D. I. der Ältere, Tyrann von Syrakus, (405–367 v. Chr.), Tragödien­ dichter, bedeutender Staatsmann, Feldherr der sizilischen Griechen im Kampf gegen die Karthager, deren Machtbereich er auf W-Sizilien beschränkte; Ausdehnung seines Reiches auch auf Süditalien, Stützpunkte an der Adria. 2) D. II. der Jüngere, Sohn von 1), Tyrann von Syrakus seit 367 v. Chr., grausam und ausschweifend, 357 von Dion vertrieben, 346 nochmals Herr der Stadt, 344 endgültig verjagt und nach Korinth verbannt. 3) D. Areopagita, nach der Apostelgeschichte Schüler des Paulus und 1. Bischof von Athen; unter seinem Namen im frühen MA mehrere neuplatonischer frühchristliche Schriften verbreitet, von Einfluss

auf die Mystik (entstanden um 500). 4) D. von Halikarnassos, griech. Historiker und Rhetor, seit 30 v. Chr. in Rom, in seiner durch rhetorischen Glanz ausgezeichneten „Röm. Archäologie“ (Geschichte) versuchte er die Abstammung der Römer von den Griechen nachzuweisen. 5) D. Periegetes aus Alexandria, griech. Geograf und Schriftsteller, Anfang 2. Jh. n. Chr.; geogr. Lehrgedicht, das noch im MA als Schulbuch benutzt wurde. 6) D. Thrax, griech. Grammatiker, um 170–90 v. Chr., Lehrer in Rhodos und Rom, verfasste die erste griech. Grammatik. Dionysius, 1) D. (portug. „Diniz“), König von Portugal (1279–1325); gen. „der Ackerbauer“, legte in friedlicher Regierung den Grund zu Portugals Aufstieg. Gegner der Kurie; stiftete die Universität Lissabon. 2) D. Exiguus („der Geringe“), skyth. Mönch auf Monte Cassino und in Rom, gest. um 540; begründete die christliche Osterberechnung und Zeitrechnung nach Christi Geburt (Jahresbeginn Weihnachten statt Karfreitag), sammelte Kirchengesetze zur Rechtfertigung des päpstlichen Primates. 3) D. der Große, Bischof von Alexandria, Kirchenlehrer, gest. 265 n. Chr.; Schüler des Origines. 4) D. von Paris, frz. Nationalheiliger, erlitt im 3. Jh. vermutlich in Paris den Märtyrertod. Diözese (griech.), seit Kaiser Diokletian Unterverwaltungsbezirk des Röm. Imperiums, seit Konstantin auch Verwaltungssprengel der Erzbischöfe, später der Bischöfe. Diplomatie, polit. Verhandlungskunst, bes. als Teilbereich und Mittel der Außenpolitik; auch die im zwischenstaatlichen Verkehr ausgebildeten Regeln und Formen; schließlich die Gesamtheit der damit betrauten Beamten des auswärtigen Dienstes. – Mit dem griech. Wort „Diploma“, der zusammenklappbaren Schreibtafel, bezeichneten die Römer die auf solchen Tafeln festgehaltenen amtlichen Dokumente; danach hieß Diplomat, wer solche Urkun-

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Diplomatik den ausfertigte. Doch erst durch ↑ Mabillon wurde die Bezeichnung „Diplom“ für Staatsurkunden in Europa üblich; zur gleichen Zeit (17./18. Jh.) entwickelte die auf außenpolit. Prestige wie auf schriftliche Fixierung ihrer territorialen Erwerbungen, Ansprüche, Bündnisverpflichtungen usw. bedachte Kabinettspolitik eine verfeinerte Technik des zwischenstaatlichen Verkehrs (Regeln der D. auf dem ↑ Wiener Kongress und 1961 in der Wiener Vereinbarung festgelegt); deren verbindliche Normen im Zeitalter des Imperialismus und der autoritären Staaten an Geltung einbüßten; zudem entsprach die herkömmliche „Geheim-D.“ nicht den Prinzipien der modernen Demokratie. Große Staatsmänner waren immer zugleich Meister der D. (Talleyrand, Metternich, Bismarck), arbeiteten aber oft mit machiavellist. Mitteln. Auch der Begriff des „Diplomat. Korps“ als der Gesamtheit der bei einer Regierung „akkre­ ditierten“ (beglaubigten) auswärtigen Diplomaten gehört der Neuzeit an; erst seit der Renaissance gibt es ständige Gesandtschaften (bes. Venedigs und der Kurie) an fremden Höfen. Diplomatik, Urkundenlehre, wichtige his­ torische Hilfswissenschaft, begründet von ↑ Mabillon. Direktorium, die oberste Regierungsbehörde Frankreichs in der Spätzeit der Revolution, nach dem Sturz der ↑ Jakobiner bestehend aus 5 Direktoren, begr. durch die Verfassung von 1795, vertrat die polit.-soz. Restauration; gestürzt durch den Staatsstreich am 18. Brumaire (9. Nov.) 1799. Diskos von Phaistos, bedeutende antike Tonscheibe; 1908 im Palast von Phaistos auf Kreta gefunden, enthält auf beiden Seiten eine Vielzahl von bis heute nicht entzifferten Stempeln und Zeichengruppen; vermutl. kretisch-minoischer Herkunft, wird um 1600 v. Chr. datiert. Displaced Persons (DP), Bez. für die 8 Mio., die als Zwangsarbeiter oder Freiwillige während des 2. Weltkrieges in Deutsch-

land arbeiteten; 1 Mio. DPs kehrten nicht in die Heimat zurück. Disraeli, Benjamin, später Lord Beaconsfield, brit. Staatsmann und Schriftsteller, 1804–1881; nach einer für ihn als (getauften) Volljuden ungewöhnlichen ­ Karriere seit 1848 Führer der Konservativen im Unterhaus, 1868 und 1874–1880 Premier­ minister, strebte nach einer „Tory-Demokratie“ (↑ Tory), einer von den Konservativen getragenen Sozialpolitik zur Erhaltung der brit. Rasse für eine Reichspolitik großen Stils; führte 1868 eine Wahlrechtsreform zugunsten der Mittelklassen durch. Gründer den neueren brit. ↑ Imperialismus, kaufte die Suezkanalaktien an, verschaffte der Krone den Titel „Kaiser von Indien“ und gewann 1878 Zypern als eigent­licher Sieger des ↑ Berliner Kongresses (in seinem Sinne Erhaltung der Türkei, Vereitelung der russ. Expansion ohne Krieg, Verstimmung zwischen Russland, Deutschland und Österreich); Verfasser mehrerer Gesell­ schaftsromane („Vivian Grey“). Dissenters (engl., Andersdenkende), auch Nonkonformisten; seit 1550 Bezeichnung für die in England nicht zur anglikan. Staatskirche gehörigen Christen – im weiteren Sinne einschließlich der Katholiken, in engerem Sinne nur die protestant. Freikirchen (Presbyterianer, Quäker, Baptisten usw.); unter den Stuarts unterdrückt, 1689 durch die Toleranzakte Wilhelms I. geduldet, 1829 durch Aufhebung der ↑ Testakte (1673) rechtlich den Anglikanern gleichgestellt. Dissidenten (lat., Getrennte), die außer­ halb der Landeskirche Stehenden; in Polen die Nichtkatholiken, bes. die Protestanten; 1570 zu polit. Zwecken zusammengeschlos­ sen (gemeinsame Glaubensformel der Lutheraner, Reformisten und Böhm. Brüder), 1573 den Katholiken rechtl. gleichgestellt, im l8. Jh. unterdrückt und entrechtet, 1775 durch nachdrückliche Unterstützung seitens Russlands (1772 Einmarsch in Polen) wieder gleichberechtigt. Heute auch 222

Dollardiplomatie gebraucht als Bez. für polit. Andersdenkende (v. a. in den sozialist. Staaten). Dithmarschen (Thiadmarsgoi, die im Gau eines Dithmar Wohnenden), Landschaft in W-Holstein, zw. Elbe und Eider; besiedelt von Sachsen und Friesen, im MA trotz der Anerkennung der Lehnsoberhoheit des Bremer Erzbischofs Bauernrepublik mit weitgehender Eigenständigkeit, 1474 Protest gegen ihre Einverleibung in das von Kaiser Friedrich III. zum Herzogtum erhobene Holstein, mit dem der Dänenkönig belehnt wurde; 1500 Vernichtung eines Heeres dän. und dt. Ritter bei Hemmingstedt, 1559 Unterwerfung unter die dän. Krone. Division, Truppenkörper, der alle Waffengattungen in sich vereint und eigene Nachschubdienste besitzt, also die kleinste selbständig operierende Einheit; Ende des 18. Jh. eingeführt. Divus (lat., göttlich), röm. Ehrentitel, der als Erstem Julius Cäsar, später Augustus und seinen Nachfolgern verliehen wurde; bedeutet: „der zum Gott Gewordene“. Djilas, Milovan, jugoslaw. Politiker und Schriftsteller, 1911–1995; im 2. Weltkrieg engster Mitarbeiter ↑ Titos, 1954 Haft und Verlust aller Ämter wegen öffentlicher Kritik am kommunist. System, Gefängnis­ aufenthalte 1955–1961 und 1962–1966. Veröffentlichte u.a. „Die neue Klasse“ (1957), „Tito“ (1982). Dobrudscha, urspr. bulgar. Landschaft an der unteren Donau, 1396–1876 türkisch, seit 1878 (Berliner Kongress) rumänisch, der südl. Teil 1940 an Bulgarien, das ihn schon 1878–1913 besessen hatte. Dodekanes (griech., Zwölfinselland), Inselgruppe im Ägäischen Meer (Rhodos, Kos, Patmos u. a.), insges. 50 Inseln, von Griechen besiedelt, strategisch wichtig; 1552 von den Türken erobert, 1912 von Italien besetzt (1925 anerkannt) und zum Stützpunkt ausgebaut, 1943 von Deutschland besetzt, im Frieden von Paris 1946 von Italien an Griechenland abgetreten, vertragsgemäß demilitarisiert.

Doge (abgeleitet von lat. dux, Führer),

Staatsoberhaupt der Republiken Venedig (697–1797) und Genua (1339–1797). – Der D. von Venedig residierte im Palazzo ducale (Dogenpalast), einem spätgot. Prachtbau (1310–1340 erbaut). Dohna, adliges Geschlecht aus dem Pleißner Land; erstmals 1127 urkundlich erwähnt, 1648 kaiserliche Anerkennung als „Reichsburggrafen und Grafen“, katholisch-schlesische Linie (bis 1711) und protestant.-preuß. Linie (seit 1469), deren Zweige 1840 zur „Gesamtgrafschaft D.“ von Preußen vereinigt wurden. Dohnanyi, Hans von, dt. Jurist, 1902– 1945; Schwager ↑ Bonhoeffers, arbeitete im Reichsjustizministerium und im Stab der Abwehr des OKW; maßgebl. an den Widerstandsaktionen 1939/40 und 1943 beteiligt, nach Verhaftung 1943 im KZ Sachsenhausen durch Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dolchstoßlegende, die nach dem 1. Weltkrieg von nationalist. und militär. Seite aufgestellte und verbreitete Behauptung, Deutschland sei nicht der militär. und wirtsch. Übermacht seiner Gegner erlegen, sondern dem „Dolchstoß in den Rücken der Front“, dem schmählichen und verräter. Versagen der Heimat (Streiks, polit. Verhetzung usw.). Zu den namhaftesten Vertretern der D. gehörten ↑ Hindenburg und ↑ Ludendorff, auch Hitler übernahm sie in „Mein Kampf“; sie diente als propagandist. Waffe gegen die Weimarer Republik und die „Novemberverbrecher“ sowie gegen die „Erfüllungspolitiker“. Als „Legende“, d. h. Entstellung der histor. Wahrheit, wurde sie bereits in den 20er Jahren entlarvt. Dollar (abgeleitet vom dt. Taler), Münzund Währungseinheit der USA seit 1792, auch Kanadas, einiger kleinerer amerik. Staaten und Chinas (Silber-D.). Dollardiplomatie, Schlagwort zur Kennzeichnung der von den USA geprägten Sonderform des ↑ Imperialismus, insbes.

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Dollfuß der Unterstützung des Auslandes durch amerik. Geldgeber mit Vermittlung des Staatssekretariats, also der Zusammenarbeit zw. dem großen Kapital und der offiziellen Regierungspolitik. Erstmals angewendet unter den Präsidenten Theodore Roosevelt (1901–1909) und Taft (1909–1915), um „Kugeln durch Dollars zu ersetzen“. Hauptobjekte der D. bis zum 1. Weltkrieg waren die mittelamerik. Republiken und China („Politik der offenen Tür“ für amerik. Kapital); Hauptmittel Anleihen, Inves­ titionen, auch direkte finan­zielle Unterstützung amerikafreundlicher Regierungen oder der innenpolit. Gegner amerikafeindlicher Regierungen, gegebenenfalls Schutz des amerik. Kapitals durch Einsatz von Streitkräften, besonders der Marine. – Seit dem 2. Weltkrieg wurde in der Propaganda der Gegner der USA die amerik. Politik insgesamt als D. bezeichnet. Dollfuß, Engelbert, österr. Politiker, 1892– 1934; seit 1932 (christl.-soz.) Bundeskanzler, errichtete in Anlehnung an den mittelalterl. christl. Ständestaat (↑ Ständewesen) und nach Verbot der kommunist., nat.-soz., sozialdemokrat. Parteien und der Wehrverbände eine autoritäre und ständ. Regierung („Christlich-dt. Bundesstaat Österreich“), gründete die „Vaterländ. Front“; von Nationalsozialisten ermordet. Döllinger, Ignaz von, dt. kath. Kirchenhis­ toriker, 1799–1890; verfocht urspr. in der Bayer. Kammer und im Frankfurter Parlament die Sache der kath. Kirche (↑ Kölner Kirchenstreit); dann Gegner Roms, bes. des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas (1870); geistiger Urheber des Altkatholizismus. Dolmen (von kelt. dol, Tisch), aus mehreren Steinblöcken oberirdisch gefügtes Grab (Steintisch) bes. im jungsteinzeitl. Westeuropa, oft für mehrere Tote zum für Opferdienst zugänglichen Großsteingrab erweitert, das von Erdhügeln überdeckt wurde. Dom (von lat. domus, Haus), bischöfliche Hauptkirche, in Oberdeutschland auch Münster gen., in Burgund und Frankreich

Kathedrale. – D.-freiheit (durch Immunität): Die unmittelbare Umgebung des D.s stand im MA unter eigener Gerichtsbarkeit (des D.kapitels). – D.stift oder -kapitel: das Kollegium der Geistlichen an einer Bischofskirche, Beirat des Bischofs, seine Mitglieder: D.herren; die ev. D.städte Magdeburg, Brandenburg u. a. hatten seit der Reformation keine geistl. Ämter mehr und verliehen ihre Pfründe an Persönlichkeiten, die sich um den Staat verdient gemacht hatten. – D.schulen: Bildungsstätten des MA in den D.städten, vor allem zur Ausbildung künftiger Kleriker (berühmte D. Trier, Köln, Bamberg, Hildesheim, Paris); bedeutend für das allg. Schulwesen und als Vorstufen späterer ↑ Universitäten. Domäne (lat., Herrengut), heute Staatsgüter (und -forsten), urspr. Kron- oder Herrengüter der Könige und der Territorial­ herren; so gerieten die großen röm. D.n in Gallien in die Hände der fränkischen Könige, die damit z. T. das ↑ Lehenswesen aufbauten oder Verwalter einsetzten und aus den Erträgen den Unterhalt des Hofes bestritten (Königsgüter). Unter den Wahlkaisern des MA ging das Reichsgut durch Verschuldung, Verpfändung usw. vielfach verloren; bei seiner Auflösung 1806 verfügte das Reich über keine D.n mehr. (Die Bezeichnung D. setzte sich erst im 18. Jh. allgemein durch.) In den Einzelterritorien wurden die fürstlichen (Privat-)Kammergüter erst im 19. Jh. von den Staatsgütern klar getrennt. Nach dem Ersten Weltkrieg (und der Fürstenabfindung) verfügte der preuß. Staat über 10 % des gesamten Staatsgebietes als D. Domesday Book (engl.), eines der ältesten Rechts- und Geschichtsdenkmäler Eng­ lands, hielt nach Art eines Grundsteuerkatasters als Reichsgrundbuch die Ergebnisse der Landaufnahme unter Wilhelm d. Eroberer 1085/86 fest und ermöglichte eine angemessene Festsetzung der Lehensabgaben und damit eine geordnete köngliche Finanzverwaltung. 224

Domitius Dominat (von lat. dominus, Herr), das ab-

solute röm. Kaisertum an Stelle des halbrepublikan. ↑ Prinzipats des Augustus, der oriental. Despotie verwandt. Offiziell erst von Konstantin, praktisch schon zuvor von einzelnen Kaisern eingeführt. Dominica, Staat der Westind. Inseln; 1493 von Kolumbus entdeckt, im 18. Jh. zw. Frankreich und England umstritten, seit 1763 britisch; 1978 unabhängig. Dominikaner, Bettel- und Predigerorden, 1216 von ↑ Dominikus gestiftet, privilegiert, überall zu predigen und Beichte zu hören, einflussreich außer durch Massenseelsorge auch durch Wahrung der Reinheit des Glaubens; 1232 mit der Inquisition beauftragt (Bezeichnung: Domini canes, Spürhunde des Herrn). Berühmte Gelehrte: Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Petrus von Tarantasia; um 1300 Hauptträger der dt. Mystik (Eckhart, Seuse, Tauler); in Abänderung der urspr. Armutsidee seit 1475 Recht zu festen Einkünften; seit dem Zeitalter der Entdeckungen umfangreiche Missionstätigkeit. Dominikanische Republik, östl. Teil der Insel ↑ Haiti; 1492 durch Kolumbus entdeckt, span. Kolonie, 1795 Abtretung an Frankreich, 1801–1809 beherrscht von aufständ. Schwarzen. 1821 Ausrufung der Republik; 1916 von amerik. Truppen besetzt (bis 1924); innere Unruhen, teilweise Linkskurs. 1961 Ende des diktator. Regimes des Rafael Trujillo und seiner Familie. 1965 löste ein Militärputsch den Bürgerkrieg aus, Beendigung durch OASMilitärintervention. Unter dem gemäßigt konservativen Präsidenten Balaguer seit 1966 stabilere Entwicklung (Industrieaufbau, Agrarreform). Dessen zunehmend autoritäres Regime endete mit den Wahlen von 1978; 1978–1986 Präsidentschaft von Kandidaten der früheren Oppositionspartei Partido Revolucionario Dominicana (PRD). 1986 kam Balaguer erneut an die Macht, im Juni 1996 wurde er von Leonel Fernández Reyna von der Dominika-

nischen Befreiungspartei (PLD) abgelöst. Seit Anfang der 90er innenpolit. Situation von Ausschreitungen und Unruhen gekennzeichnet, dennoch Zunahme der Urlauberzahlen, Tourismus wurde neben dem Export von Nahrungsmitteln wichtigster Devisenbringer. 1998 überwältigender Wahlsieg der PRD, die 2000 den Unternehmer Hipólito Mejía zum Staatschef machte; 2004 erneut von Leonel Fernández Reyna abgelöst. Dominikus, Heiliger, aus Altkastilien, um 1170–1221; nach jahrelanger Tätigkeit als „Apostel des armen Christus“ unter den ↑ Albigensern gründete er 1216 in Toulouse den nach ihm benannten Orden der ↑ Dominikaner zur Bekehrung der Ketzer. Dominions (von lat. dominium, Herrschaft), bis 1952 die selbständigen Gliedstaaten des brit. ↑ Commonwealth: Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Indien, Pakistan, Ceylon; heutige Bezeichnung Countries of the ↑ Commonwealth. Dominium, im röm. Recht das nicht beschränkte Herrschaftsrecht über Grund und Boden; seit fränk. Zeit die allg. Bez. für Herrschaft, im MA unterschieden in D. directum (Obereigentum des Lehnsherrn) und D. utile (Recht und Untereigen­tum des Vasallen). Domitian (Titus Flavius Domitianus), röm. Kaiser (81–96 n. Chr.); Sohn des ↑ Vespasian, Nachfolger seines Bruders Titus, begann 88/89 den Bau des ↑ Limes, regierte despotisch; 2. Christenverfolgung; von Höflingen ermordet. Domitius, röm. Politiker und Feldherren: 1) D., Gnaeus, Ahenobarbus (= Rotbart), unterwarf 122 v. Chr. die Gallierstämme (Allobroger) im Hinterland von Massdia (Marseille), stellte die Landverbindung nach Spanien her (Via Domitia) und richtete die Provinz Gallia Narbonensis (Gallia Transalpina) ein. 2) D., Lucius, Ahenobarbus, Gegner Cäsars, fiel bei Pharsalus 48 v. Chr. 3) D., Lucius, Ahenobarbus, 16 v. Chr. Konsul, Führer der Rheinarmee,

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Donatisten demonstrierte 1 n. Chr. in einem weiträumigen Heereszug die Macht Roms in Inner­ germanien (von der Donau bis zum oberen Main, saaleabwärts bis über die Elbe, durch das Gebiet der Cherusker bis zum Rhein). 4) D., Gnaeus, Corbulo, röm. Feldherr, erfolgreich gegen Germanen und Perser, 67 n. Chr. von Kaiser Nero zum Selbstmord gezwungen. – Lucius Domitius Aurelianus, Kaiser ↑ Aurelianus. – Domitius Ulpianus, ↑ Ulpianus. – Lucius Domitius Ahenobarbus, von Kaiser Claudius adoptiert: Nero Claudius Drusus Germanicus Caesar, ↑ Nero. Donatisten, Anhänger einer Sekte in Afrika, im 4. Jh. entstanden; äußerer Anlass war der Streit um die Besetzung des Bischofsstuhles von Karthago, um den sich außer dem kath. Bischof Cäsarius der „ketzerische“ Bischof Donatus bewarb. Im 5. Jh. hatte die Sekte einen stark sozialrevolutionären Charakter. Donaukommission, internat. Körperschaft zur Verwaltung der Donau als Schifffahrtsweg; in ihrer Zusammensetzung und ihren Zuständigkeiten aus wirtsch. und machtpolit. Gründen heftig umkämpft. – 1) Europäische D., gegr. 1856 (nach dem Krimkrieg durch den Pariser Vertrag), um im Donaudelta eine Fahrrinne für Seeschiffe offen zu halten (Versandungsgefahr) und westeurop. bzw. österr. Kontrolle über türk. bzw. russ. Interessensphäre zu ­sichern. Mitglieder: alle europ. Großmäch­te (Russland und Türkei erst später zugelassen, ebenso Rumänien). Sitz in Galatz. Eigene Hoheits­rechte, technische Erfolge, 1918 Ausschluss Deutschlands, Österreichs, der Sowjetunion und der Türkei. 1939 Wiederzulassung Deutschlands, das sich beherrschenden Einfluss sicherte und mit der Sowjetunion in Konflikt geriet. Wurde 1940 aufgelöst. 2) Internat. D. (an Stelle der alten Uferstaatenkommission, die neben der Europäischen D. bestanden, doch weniger geleistet hat), auf Grund der Donaukonvention 1921 gegründet, Überwa-

chung des darin festgelegten Grundsatzes der Internationalisierung (unbeschränkte Schifffahrt). Mitglieder: alle Uferstaaten, einschl. Deutschland, ferner England, Frankreich, Italien. Sitz in Wien. Zuständigkeitsstreit mit der Europ. D., 1938 aufgelöst, nachdem Deutschland die Internationalisierung seiner Flüsse gekündigt hatte. – Neuregelung 1948 auf Belgrader Donaukonferenz (von der Sowjetunion beherrscht). Neue Donaukonvention: D. nur aus Vertretern der Uferstaaten; an Stelle der Europ. D. russ.-rumän. Sonderverwaltung. Vergeblicher Protest der Westmächte, vor allem der USA, die am Prinzip der Internationalisierung und internat. Kontrolle festhielten. Dt. Beteiligung an der neuen (sowjet.) D. nicht vorgesehen, obwohl dt. Zuständigkeit ab Ulm beansprucht, Erleichterung ab 1956; heute hat die Bundesrepublik Beobachterstatus. Die D. unterhält einen internationalen Fonds mit Sitz in Wien, der durch die EU und die Vertragsstaaten getragen wird. Aus diesem Fonds werden die Räumung der Schifffahrtsrinne der Donau, aber auch einzelne Projekte wie im Jahr 2000 die Entfernung der zerstörten Donaubrücken in Novi Sad finanziert. Donaukultur, ↑ Neolithikum. Donauwörth, seit 1348 freie ­ Reichsstadt; im 16. Jh. protestant., wegen eines Streites mit dem dortigen Kloster in Reichsacht, von Bayern unterworfen und rekatholisiert (Anlass zur Gründung der protest. ↑ Union). Dönitz, Karl, dt. Großadmiral, 1891– 1980; seit 1939 Befehlshaber der U-Boote, 1943 Nachfolger Raeders als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; 20. April 1945 von Hitler mit dem Oberbefehl in Norddeutschland beauftragt, übernahm nach Hitlers Tod die Führung, bildete eine neue Reichsregierung (Schwerin von Krosigk), erstrebte bei den Kapitulationsverhandlungen mit den westl. Alliierten Zeitgewinn für die dt. Verbände an der Ostfront (zum 226

Downing Street Absetzen nach Westen); als Staatsoberhaupt von den Alliierten nicht anerkannt und im Nürnberger Prozess zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, 1956 freigelassen. Donjon, wehrhafter Haupt- und Wohnturm einer Burg; seit dem 11. Jh. Teil der normann. Burgenarchitektur in N-Frankreich, England und S-Italien. Doppeladler, ↑ Adler. Doppelaxt, Werkzeug und Waffe der vorgeschichtlichen Kulturen des Vorderen Orients und seit dem 3. Jt. v. Chr. auf Kreta; erlangte in der minoischen Kultur bes. Bedeutung als Kultsymbol, wurde anfangs aus Bronze, später auch aus Stein gearbeitet. Dorado (Eldorado), sagenhaftes Goldland im Innern des nördlichen Südamerika, benannt nach dem König von Guatavita, der goldbestaubt den Göttern opferte. Dorer (Dorier), spät eingewanderter altgriech. Stamm, urspr. in NW-Griechenland ansässig; die D. eroberten im Verlauf der „Dorischen Wanderung“ 1100– 900 v. Chr. Teile Mittelgriechenlands und den Peloponnes mit Ausnahme von Arkadien, später auch Kreta und die südl. Küs­ tengebiete Kleinasiens. Dorisch sind auch Siedlungen in Süditalien (Tarent), Sizilien (Syrakus) sowie Kyrene. – Zum bedeutendsten der dorischen Staaten entwickelte sich ↑ Sparta (auch ↑ Lakedämon). Dorf, geschlossene ländliche Gruppensiedlung von urspr. bäuerl. Bevölkerung mit angeschlossenen Nutzflächen; früher zumeist Marktgenossenschaften oder Siedlungsgemeinschaften mit eigener Gerichtsbarkeit, den Bauerngerichten und anderen Selbstverwaltungseinrichtungen; älteste deutsche Dörfer im Altsiedelgebiet (5.–8. Jh.), bis zu Beginn des 19. Jh. galten Dörfer als Realgemeinde, danach wurden sie abgelöst von der polit. Gemeinde, die auch mehrere Orte umfassen konnte; seit 1900 starker Einfluss der industriellen Entwicklung und Auflösung alter dörflicher Sozialstrukturen; man unterscheidet je nach Form mehrere

D.typen (Weiler, Haufendorf, Rundling, Rund­angerdorf, Platzdorf, Sackgassendorf, Straßendorf, Zeilendorf, Reihendorf u. a.), nach der Fluraufteilung wird unterschieden zw. D. mit Gemengelage, Gewanndörfern und dt. Kolonialdörfern. Doria, Andrea, genuesischer Staatsmann und Admiral, 1466–1560; befreite 1528 die Republik von der frz. Herrschaft; von Karl V. zum Oberbefehlshaber zur See ernannt, besiegte 1532 die Türken, eroberte 1535 Tunis, vertrieb die Franzosen aus Korsika. – Gegen seinen Großneffen und Stellvertreter Gianettino D. richtete sich 1547 die Verschwörung des Fiesco. Dortmund, Stadt in Nordrhein-Westfalen; seit Karl d. Gr. Königshof, Münzstätte unter den Ottonen, reiche Handelsprivilegien (D.er Kaufleute im ganzen Reich vom Zoll befreit), freie Reichsstadt (seit 1221; die einzige in Westfalen) und Mitglied der Hanse, höchster Freistuhl des westfäl. Femegerichtes; D.er Stadtrecht bis nach Dorpat verbreitet; Verfall seit 30-jährigem Krieg; 1806 zum Großherzogtum Berg, 1815 preußisch, 1923/1924 frz. Besatzung; im 2. Weltkrieg schwere Zerstörungen. Douaumont, im 1. Weltkrieg Panzerwerk der Festung Verdun, 1916 erbittert umkämpft (Febr.-Okt. in dt. Hand). Douglas-Home, Sir Alexander Frederick, brit. Politiker, 1903–1995; 1960–1963 Außenminister, 1963–1964 als Nachfolger ↑ Macmillans Premierminister, 1970–1974 Außenminister. Doumergue, Gaston, frz. Staatsmann, 1863–1937; 1924–1931 Präsident der Republik, 1913/14 und 1934 Ministerpräsident, versuchte 1934 mit einem Kabinett der „Nationalen Einigung“ eine Politik der starken Hand zur Überwindung der frz. Staatskrise. Downing Street, Straße in London, in der außer dem Sitz des Premierministers das brit. Auswärtige Amt (Foreign Office) liegt; übertragene Bezeichnung für das Außenministerium selbst.

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Drachme Drachme, altgriech. Münze aus Silber (Silbergewicht 3,4 g); 1 D = 6 Obolen, 100 D = 1 Mine, 6 000 D = 1 Talent; 4 D (TetraDrachmon) attische Hauptmünze. Dragonaden, in Frankreich unter Ludwig XIV. seit 1681 durchgeführte Zwangseinquartierung von Dragonern in hugenot­ tischen Ortschaften und Häusern, um die Bewohner zum Übertritt in die katholische Kirche zu zwingen; die Mehrzahl der Bedrängten wanderte aus. Dragoner, um 1550 in der frz. Armee eingeführte berittene Infanterie, die meist zu Fuß kämpfte; im 19. Jh. zur leichten Kavallerie gerechnet. Drake, Francis, engl. Seeheld, um 1540– 1596; Spanienhasser, brandschatzte die span. Kolonien, umsegelte 1577–1580 die Erde, kaperte span. Flotten, kämpfte 1588 gegen die span. Armada. Seine Erhebung zum Ritter durch die engl. Königin verschärfte die Spannung zw. Spanien (Philipp II.) und England. Drakon, athenischer Gesetzgeber, der um 621 v. Chr. eine erste Aufzeichnung des geltenden ion. Gewohnheitsrechtes vornahm; die Gesetzgebung des D. galt sprichwörtlich als streng („drakonisch“). Dravida (Draviden), wohl aus dem Nordwesten in voran Zeit in Indien eingewanderte Stämme einer noch nicht identifizierten Sprachgruppe, Menschen von dunkel- bis hellbrauner Hautfarbe, z. T. von eigenständiger, kulturschöpfer. Begabung; wurden im Zuge des Einbruchs der durch ihre Streitwagen überlegenen ↑ Arya nach Zentral- und Südindien vertrieben, wo sie im 3. Jh. v. Chr. mehrere Königreiche gründeten; heute noch etwa 80 Mio. mit z. T. hoher Kultur und zahlreichen Sprachen. Dreadnought (engl., „Fürchte nichts“), brit. Linienschiffstyp des Jahres 1906, später Bez. für alle Großkampfschiffe. Dreibund, zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien auf Anregung Italiens geschlossenes geheimes Verteidigungsbündnis von 1882 auf fünf Jahre,

gerichtet gegen einen etwaigen frz. Angriff auf Italien oder Deutschland; 1883 Anschluss Rumäniens, 1887 Sonderabkommen über Balkan, 1887–1912 jeweils stillschweigend oder ausdrücklich verlängert, 1915 von Italien, das 1907 Geheimbund mit Frankreich geschlossen hatte, gekündigt. Auf der Gegenseite ↑ Dreiverband. Dreifelderwirtschaft, ­ landwirtschaftliche Betriebsform, die in der fränk. Zeit die Feld­ graswirtschaft (das Feld ist 1 Jahr Weide, 1 Jahr Acker) ablöste; der Feldbesitz war in jährlicher wechselnder Folge dreigeteilt: 1/3 Sommer-, ­1/3 Wintergetreide, 1/3 blieb 1 Jahr brach, damit der Acker sich erholte; Futter wurde aus eigenen Grasweiden gewonnen; später verbesserte D.: das Brachland wurde mit kurzlebigen Futterpflanzen (Klee u. a.) bebaut; die D. im Abendland über 1 000 Jahre vorherrschend; Anfang 19. Jh. durch die Fruchtwechselwirtschaft abgelöst (auf dem gleichen Acker wechselnd andere Pflanzen angebaut). Dreikaiserbündnis, das polit. Einvernehmen zw. den Monarchen Deutschlands, Österreichs und Russlands 1872–1887; zerschlug sich an den Balkangegensätzen zwischen Österreich und Russland. Dreiklassenwahlrecht, bestand im Gegensatz zum demokratischen Grundsatz der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl vor dem 1. Weltkrieg in einigen dt. ­Staaten, bes. in Preußen, auf Grund der 1849 oktroyierten Verfassung; innenpolit. heftig umkämpft, aber erst durch die Revolution 1918 beseitigt. Es teilte die Stimmberechtigten (Männer) für die Wahl des Abgeordnetenhauses nach dem Steueraufkommen in drei Klassen, diese wählten in öffentlicher Stimmabgabe die gleiche Anzahl Wahlmänner, diese die Abgeordneten (1908 waren z. B. für 8 sozialdemokrat. Sitze 600 000 Stimmen notwendig, dagegen ergaben 418 000 konservative Stimmen 212 Sitze). Dreikronenkrieg, auch nord. 7-jähriger Krieg genannt, 1563–1570, zw. Dänemark 228

Dreißig Tyrannen und Schweden, weil der dänische König Friedrich II. die drei Kronen (Sinnbild der ↑ Kalmarer Union von Schweden, Dänemark und Norwegen) nicht aus seinem Wappen entfernen wollte. Dreimächtepakt, 1940, Vertrag zwischen Deutschland, Italien, Japan, später Ungarn, Rumänien, Slowakei, Jugoslawien zur Sicherung der „Neuen Ordnung“ in Europa und im großasiatischen Raum; ergänzt 1942 durch Militärpakt Deutschland–Italien–Japan. Dreißigjähriger Krieg, 1618–1648; Kette von machtpolit.-militär. Auseinandersetzungen auf dt. Boden, einerseits Austragung des im ↑ Augsburger Religionsfrieden nur vorübergehend beigelegten, in der Gegenreformation wieder verschärften konfessionellen Gegensatzes (Streit um säkularisierte Kirchengüter, Auslegung der Religionsfreiheiten; Gründung der protestant. ↑ Union und der kath. ↑ Liga), andererseits Machtprobe zwischen dem Hause Habsburg und seinen Gegnern, den dt. Reichsständen, die nach Unabhängigkeit strebten, und den europ. Mächten, voran Frankreich, die Habsburgs Vorherrschaft zu brechen suchten. 1) Aufstand der protestant. Stände Böhmens gegen ihren König, den Habsburger Ferdinand, inzwischen Kaiser geworden und Führer der Liga, Absetzung und Wahl Friedrichs V. von der Pfalz, des Führers der Union (Prager Fenstersturz). Böhm.-Pfälz. Krieg, 1618–1623. Sieg des Kaisers im Bund mit der Liga über den „Winterkönig“ Friedrich V. (1620 Schlacht am Weißen Berge). Strafgericht in Böhmen. Eroberung der Pfalz durch Tilly. 2) Im Dän.-Niedersächs. Krieg 1625–1630 wurde Chris­tian IV. von Dänemark, der sich an die Spitze der Protestanten gestellt hatte, von Tilly und Wallenstein geschlagen, schied im Frieden von Lübeck aus den dt. Streitigkeiten wieder aus; fast ganz Deutschland bis zur Ostseeküste von kaiserlichen Truppen besetzt. Restitutionsedikt Ferdinands II. (1629)

forderte Rückgabe aller seit 1552 eingezogenen geistlichen Güter. Triumph des Kaisers und des Katholizismus. 3) Rettung des Protestantismus im Schwed. Krieg 1630– 1635 durch die Landung und den Siegeszug Gustav Adolfs von Schweden bis nach Bayern; zugleich Entlastung der schwed. Besitzungen im Baltenland und zw. Memel und Pommern. Wiederberufung des 1629 auf Betreiben der eifersüchtigen kath. Fürsten abgesetzten Wallenstein. 1632 Tod Gustav Adolfs bei Lützen. Die Schweden kämpften unter Bernhard von Weimar, Hoorn u. a. weiter, polit. Leitung bei Oxenstierna, Geheimverhandlungen mit dem undurchsichtigen Wallenstein durch dessen Ermordung beendet. Die schwed. Niederlage bei Nördlingen 1634 und der Übertritt Sachsens, Brandenburgs zum Kaiser im Separatfrieden von Prag 1635 brachte erneut Wendung zuguns­ ten Habsburgs. 4) Schwed.-Frz. Krieg (1635–1648): Frankreich (Riche­lieu) griff offen auf Seiten Schwedens und der noch kämpfenden protestant. Fürsten ein, um Habsburg bes. am Rhein zu schwächen: wechselvolle Kämpfe, unter denen bes. Bayern litt, schließlich durch den ↑ Westfäl. Frieden beendet. – Folgen des Krieges: Deutschland in seiner polit., kulturellen und wirtsch. Entwicklung um Jh. zurückgeworfen, weite Gebiete verwüstet, Bevölkerungsverluste: mindestens ein Drittel (dadurch Frankreich volkreichstes Land Europas), die Überlebenden verelendet und verroht. Reagrarisierung; in Handel und Gewerbe hoffnungsloser Rückstand gegenüber Westeuropa. Erstarken des territorialen Obrigkeitsstaates (Libertät). Kaiser und Reich nur noch Schattenmächte. Blüte des Partikularismus, Hegemonie Frankreichs (↑ Deutschland). Dreißig Tyrannen, die nach der Niederlage Athens im Peloponnes. Krieg 404 v. Chr. eingesetzte oligarchische Regierung von 30 Männern (Kritias, Theramenes u. a.), die unter dem Schutz einer spartan. Be-

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Dreiverband satzung etwa 1500 Bürger um ihres Reichtums willen hinrichten ließen; 403 von Demokraten unter Thrasybulos gestürzt. Dreiverband („Tripelentente“), die dem ↑ Dreibund gegenüberstehende Mächtegruppe vor dem 1. Weltkrieg: Frankreich, mit Russland durch Militärbündnis, mit England durch die ↑ Entente cordiale verbunden. Dreizehn alte Orte, Staatenbund der Schweiz. Eidgenossen von 1513; umfas­ ste die Orte Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Freiburg, Solothurn, Zug, Basel, Schaffhausen und Appenzell. Dresden, urspr. wendische Siedlung, entwickelte sich nahe der Burg der Wettiner am Taschenberg zur dt. Stadt (um 1212); 1485–1918 Residenz der Wettiner (Albertin. Linie: Kurfürsten, dann Könige von Sachsen), 1918–1952 Hauptstadt des Freistaats bzw. Landes Sachsen. Unter August d. Starken und August III. Mittelpunkt der dt. Barockkunst (Zwinger 1711–1722 von Pöppelmann, Frauenkirche 1726–1743 von Baehr erbaut, Brühlsche Terrasse u. a.). – Im Jahr 1745 Friede von D. nach dem 2. Schles. Krieg. 1760 Beschießung der Stadt durch die Preußen. 1813 bei D. letzter Sieg Napoleons auf dt. Boden (über Schwarzenberg). 13./14. Febr. 1945 verheerende Luftangriffe auf die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt. 1918–1952 und seit 1990 Hauptstadt Sachsens. Dreyfus-Affäre, die 1894 in Paris erfolgte Verurteilung des jüd. Artilleriehauptmanns Alfred Dreyfus (1859–1935) zu lebenslänglicher Deportation wegen angebl. Landesverrats (Auslieferung von militär. Dokumenten an die Deutschen). Dreyfus war unschuldig und wurde trotz zahlreicher Proteste (Zola: „J’accuse!“ = Ich klage an!, nämlich die Schuldigen an diesem Justizskandal) und Revisionsversuche erst 1906 freigesprochen. Der D.-Prozess war mit einer antisemit. und nationalist. Hetze verbunden, spaltete Frankreich in zwei große

Lager (Liberale, Sozialisten und Freimaurer traten für Dreyfus ein) und bewegte die öffentliche Meinung ganz Europas. Dreyse, Johann Nikolaus von, dt. Techniker, 1787–1867; erfand 1827 das Zündnadelgewehr (1836 zum Hinterlader verbessert), gründete 1841 mit Unterstützung der preuß. Regierung eine Gewehr- und Munitionsfabrik und lieferte bis 1863 300 000 Gewehre, die den Krieg von 1866 entschieden und die Kriegführung revolutionierten. Dritter Stand (frz. le tiers état), in der Ständeordnung des MA (das sozialgeschichtlich erst 1789 zu Ende ging) alle, die nicht zu den beiden privilegierten Ständen (Adel und Geistlichkeit) gehörten, bes. das ↑ Bürgertum, das an der Ständevertretung beteiligt war und 1789 zum Träger der Revolution wurde; 1789 zündende Flugschrift des Abbé Sieyès („Was ist der 3. Stand bisher gewesen? Nichts! Was soll er sein? Alles!“). Nach der Einberufung der frz. Generalstände bestand der doppelt starke 3. Stand auf Abstimmung nach Kopfzahl statt nach Ständen und konstituierte sich schließlich als ↑ Nationalversammlung, die alle feudalen Privilegien abschaffte. Drittes Reich, Epoche der dt. Geschichte, von der „Machtübernahme“ Hitlers am 30. Jan. 1933 bis zum „Zusammenbruch“ im Jahre 1945 („Führerstaat“, HitlerReich; nationalsoz. Suggestivbezeichnung: „Tausendjähriges Reich“). – Das Jahr 1933: Die Berufung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg beendete nach dem Sturz des Präsidialkabinetts Schleicher die Zeit der ↑ Weimarer Republik; „Nationales Konzentrationskabinett“ mit nur 2 Nationalsozialisten (Reichsinnenminister Wilhelm Frick und Reichsminister ohne Geschäftsbereich Hermann Göring); die anderen Mitglieder gehörten den ­Deutschnatio­nalen und dem Stahlhelm an (von Papen, von Blomberg, Seldte, von Neurath, von Rübenach, von Krosigk, Gärtner); Vizekanzler 230

Drittes Reich von Papen glaubte, mit seiner bürgerlichen Ministermehrheit Hitler „einzäunen“ und „zähmen“ zu können. Hitler, für den der 30. Jan. 1933 Tag der „Machtergreifung“ de facto war, löste jedoch am 1. Feb. den Reichstag auf, um die Koalitionspartner zu schwächen. Kabinettsumbildung: Auswärtiges: von Neurath, 1938 Ribbentrop; Inneres: Frick, 1942 Himmler; Wirtschaft: Schmitt, 1934 Schacht, 1937 Göring, 1938 Funk; Justiz: Gärtner, 1941 Schlegelberger (beauftragt), 1943 Thierack; Wehrminister: Blomberg, 1938 aufgehoben; Post: von Rübenach, 1937 Ohnesorge; Verkehr: von Rübenach, 1937 Dorpmüller; Ernährung: Darre, 1942 Backe; Propaganda: Goebbels; Luftfahrt: Göring; Kultus: Rust; Forsten: Göring; Kirchen: Kerrl. In Deutschland befand sich seit dem 30. Jan. die tatsächliche Gewalt bereits in den Händen der radikalen Parteiorganisation. Bildung der Geheimen Staatspolizei durch Göring, zuerst in Preußen, Terror gegen politisch Andersdenkende und gegen die Juden, Flucht zahlreicher bedeutender Politiker, Gelehrter, Künstler, Schriftsteller ins Ausland; „wilde“ Konzentrationslager mit willkürlicher Häftlingsbehandlung durch die Rache ausübende SA. Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (28. Feb  1933) schaffte permanenten Ausnahmezustand mit Aufhebung der Grundrechte und Ausschaltung der Opposition und gab Hitler die absolute Polizeigewalt. Am 5. März 1933 nach dem Reichstagsbrand (24. Feb.) und der Inhaftierung der kommunist. Kandidaten „Wahl“ mit knapper Mehrheit (NSDAP nur 43,9 %) für Regierungskoalition; schwarz-rot-goldene Flagge durch Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz ersetzt, die auch als Staffage bei der „Verbrüderungsszene“ Hitler–Hindenburg („Nationale Revolution“ und „Preuß. Tradition“) am „Tag von Potsdam“ dienten, dem Staatsakt in der Garnisonskirche zur Eröffnung des 1. Reichstags des D. R.

(21. März 1933); der Reichstag verzichtete gegen die Stimmen der SPD im (später verlängerten) „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 auf die Legislative. 31. März Gleichschaltung der Länder unter Reichsstatthaltern (Länderparlamente erhielten ohne Wahl gleiche Zusammensetzung wie der Reichstag); am 7. April 1933 allgemeines Gleichschaltungsgesetz (erweitert am 31. Jan. 1934); Führerprinzip für alle Vereine, Organisationen (außer den Kirchen und der Wehrmacht) nach dem Mus­ ter der NSDAP; am 1. und 2. Mai nach Massen-Maiaufzügen mit kontrollierter Be­ teiligung Gleichschaltung (Beseitigung) der Gewerkschaften und Einzug des Gewerkschaftsvermögens; Ende der Parteien (außer der NSDAP); Verbot der Neubildung von Parteien (14. Juli); organisierter Boykott der Juden im gesellschaftlichen und wirtsch. Leben. Trotz der Zusage, an internationalen Konferenzen teilzunehmen, am 14. Okt. 1933 Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund, um freie Hand für die in „Mein Kampf“ programmierten außenpolit. Aktionen zu haben; der Austritt wurde durch die Volksabstimmung vom 12. Nov. 1933 (39 Mio. Ja-Stimmen) sanktioniert; Ausbau der „totalen Propaganda“ auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens, auch in Wissenschaft, Kunst, Literatur, Film, Rundfunk, Versammlungen, Urlaubsgestaltung u. a.; Mobilisierung kritikloser, einseitig unterrichteter, nur noch gefühlsmäßig und auf Schlagworte reagierender Massen unter Tarnung der letzten Ziele. Glorifizierung Hitlers als des von der „Vorsehung berufenen Führers“. Durch das Reichskonkordat (20. Juli 1933) suchte Rom Bekenntnisfreiheit zu retten, um die bedrohte christl. Basis zu stärken; Hitler täuschte seine Partner und weiteste christl. Kreise über seine antichristl. kulturkämpfer. Absichten; der Kirchenkampf begann mit Angriff auf die Einheit der ev. Kirche (durch Partei gesteuerte, weitgehend adog-

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Drittes Reich mat. Bewegung der „Deutschen Christen“ unter Reichsbischof Müller; ihnen stellte sich die „Bekennende Kirche“ entgegen). Erste sichtbare wirtsch. Erfolge durch Verringerung der Arbeitslosenziffern um 600 000, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Autobahnbau. Das Jahr 1934 brachte den Einbruch in das frz. Bündnissystem im Osten durch (provisorisch gedachten) Freundschaftspakt mit Polen (16. Jan.); der Reichsverteidigungsrat beschloss die „wirtsch. Kriegsvorbereitung“, innenpolit. blutige Ausschaltung der SA-Armee unter Stabschef Röhm als Machtfaktor („Juni-Revolte“, „Röhm-Putsch“, 30. Juni ff.; Röhms Ziele: Überordnung der SA als eines nat.soz. Volksheeres über die Reichswehr und soziale Revolution); zugleich Ermordung persönlicher Gegner Hitlers (u. a. Schleicher, Gregor Strasser, Kahr); Sieger war nicht die Reichswehr, sondern die SS (Schutz-Staffel), die unter ↑ Himmler und Heydrich von der SA gelöst und durch die Verbindung zur Gestapo und durch die Verwaltung und Bewachung der Konzentrationslager Hauptträger des politischen Terrors und aktivstes Werkzeug der Diktatur wurde; Hitler entledigte sich des Vizekanzlers von Papen, der nach dem misslungenen nat.-soz. Putsch in Wien (Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß, 25. Juli 1934) „Versöhnungsgesandter“ in Wien wurde; nach dem Tode Hindenburgs (2. Aug. 1934) Abschaffung des Reichspräsidententitels; Hitler erhob sich als „Führer und Reichskanzler“ zum unumschränkten Staatsoberhaupt und forderte Eidesleistung der Reichswehr auf seine Person; Hakenkreuzflagge wurde Reichsflagge (15. Sept. 1934). Geheime Parteipropaganda für Annektierung der Ukraine und für deutschen Korridor durch Südbelgien–Nordfrankreich zum Atlantik. – Das Jahr 1935: Am 13. Jan. entschied sich die Saarbevölkerung (99 %) für Wiedereingliederung ins Deutsche Reich; Frankreich führte die 2-jährige Militärdienstpflicht ein, Hitler die allg.

Wehrpflicht (16. März); Protest gegen diesen Vertragsbruch und gemeinsame Abwehrpolitik Englands, Frankreichs, Italiens (Konferenz von Stresa, 11. April) und frz.sowjet. Beistandspakt (2. Mai); England entschloss sich, aus Furcht vor der bolschewist. Gefahr und um Krieg zu verhindern, zur Politik des Entgegenkommens („Appeasement“); Flottenabkommen mit Deutschland am 18. Juni 1935; Hitler unterstützte Italien im Abessinienkrieg (seit 3. Okt.) und schaffte so Voraussetzung für spätere „Achse Berlin–Rom“; die „Nürnberger Gesetze“ (15. Sept.) entzogen den Juden die Staatsbürgereigenschaft, das Wahlrecht, verboten Eheschließung mit „Deutschen“ und schalteten sie durch die Vorschrift des „Ariernachweises“ aus dem öffentlichen Leben aus; gegen Jahresende war neben der Organisation der Staatsund Kommunalverwaltungen die allmächtige Parteihierarchie mit einigen hunderttausend Amtsträgern im Wesentlichen aufgebaut: Reichsleitung der Partei, Sitz im „Braunen Haus“ in München, mit dem „Führer“ an der Spitze; „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß; 19 Reichsleiter (unter ihnen Reichsorganisationsleiter Robert Ley, Stabsleiter des Führer-Stellvertreters Martin Bormann, Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, Reichspressechef Dietrich, Beauftragter für weltanschauliche Schulung Rosenberg, Stabschef der SA [1 Mio. Mitglieder] Lutze, Reichsführer SS Heinrich Himmler [25 000 Mitglieder], Reichsjugendführer Baldur von Schirach); Untergliederung in Gaue, Kreise, Ortsgruppen, Zellen und Blocks (zur Überwachung der Bevölkerung); außerdem NSKraftfahrkorps, NS-Fliegerkorps, HitlerJugend, NS-Studentenbund, NS-Dozentenbund, NS-Frauenschaft, Reichsarbeitsdienst, NS-Fachverbände, Reichsbund für Leibesübungen u. a. – Das Jahr 1936 brachte gewaltige Steigerung der dt. Machtposition; Hitler kündigte am 7. März den ↑ Locarno-Pakt vom Jahr 1925, abge232

Drittes Reich schlossen zw. Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien (Garantie der dt. Westgrenze, Entmilitarisierung des Rheinlandes, friedliche Regelung aller Streitftagen); Hitler verlegte Truppen in die entmilitarisierte Rheinlandzone und gewann als Partner im Ausland: Franco (Unterstützung im span. Bürgerkrieg), Mussolini (dt.-ital. Vertrag vom 25. Okt. 1936 zur polit. Zusammenarbeit: „Achse Berlin–Rom“), Japan (Antikominternpakt vom 25. Nov. mit Bündnisabsprache gegen die UdSSR); erheblicher Prestigegewinn durch die Beteiligung des Auslands an den Olympischen Spielen in Berlin (1. Aug. 1936 eröffnet); Steigerung der militär. Rüstung ergänzt durch 2-jährige Militärdienstzeit (24. Aug. eingeführt) und durch „Vierjahresplan“ vom 18. Nov.; Hitler: „Die deutsche Armee muss in vier Jahren einsatzfähig sein, die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein“; Zweck: wirtsch. Unabhängigkeit vom Ausland (Autarkie), lückenlose Planwirtschaft, Forcierung der Aufrüstung, deren nächste Zielsetzung Hitler am 5. Nov. 1937 der Generalität unterbreitete („Hoßbach-Protokoll“): Behebung der dt. Raumnot durch Besetzung der Tschechoslowakei und Anschluss Österreichs. Das Jahr 1938: Die Aggres­sionen begannen, nachdem die Exekutive weitgehend engsten Gefolgsleuten Hitlers übertragen war: Himmler, Chef der Gestapo und Reichsführer der SS, war zugleich Chef der gesamten Polizei mit eigenem Geheimdienst; schimpfliche Entlassung des Reichskriegsministers und Oberbefehlshaber der Wehrmacht von Blomberg und des Oberbefehlshabers des Heeres von Fritsch, der durch von Brauchitsch ersetzt wurde; Hitler machte sich zum Oberbefehlshaber; die Aufgaben des Reichskriegsministers übernahm das „Oberkommando der Wehrmacht“ (OKW) unter Keitel; der „Sonderbeauftragte des Führers“ Ribbentrop wurde an Stelle von Neuraths Reichsaußenminister; Reichswirt-

schaftsminister Schacht wurde durch Göring und dann durch den Staatssekretär im Propagandaministerium Funk, ersetzt; am 12. März 1938 zwang Hitler durch Gewaltandrohung den österr. Bundeskanzler Schuschnigg zum Rücktritt, Besetzung Österreichs (am 10. April durch das letzte Plebiszit in Deutschland und Österreich gutgeheißen; 49 Mio. Ja-Stimmen); Organisierung des „Großdeutschen Reiches“; Hitler bezahlte Mussolinis Zurückhaltung in der österr. Frage mit der Preisgabe von Südtirol. Zur Verteidigung gegen Frankreich Bau des Westwalls (seit Juni 1938); die als nächstes Land bedrohte alleinstehende Tschechoslowakei teilmobilisiert (19. Mai), da weder von England noch Frankreich, noch von der UdSSR militär. Hilfe zu erwarten war; aus Protest gegen die Kriegspolitik Rücktritt des Chefs des Generalstabs des Heeres, des General­ obersten Beck; Hitler forderte Abtretung der den Anschluss erstrebenden sudetendt. Gebiete (Sept. 1938), dem sich die Tschechoslowakei unter Druck des ↑ Münchener Abkommens zw. Hitler, Daladier, Chamberlain und Mussolini nicht widersetzen konnte; Zusicherung Hitlers, dass es seine letzte Revisionsforderung sei; Einmarsch am 1. Okt. 1938; Konrad Henlein Gauleiter des „Gaues Sudetenland“; erst das von Goebbels mithilfe der SA or­ganisierte Judenpogrom („Reichskristallnacht“ am 9. Nov. 1938) mit organisierter Zerstörung jüd. Geschäfte und Synagogen, Tötungen und Misshandlungen jüd. Bürger und von Göring erpresstem Tribut von 1 Mrd. Mark (vorgeblich „Vergeltung“ für die Ermordung des Gesandtschaftsrats vom Rath in Paris durch einen Juden), vor allem aber die Anfang des Jahres 1939 von Hitler erhobenen Forderungen an Polen, die unter dem Druck Hitlers erfolgte Absprengung der Slowakei (Unabhängigkeitserklärung 14. März 1939) und die unter Bruch des Münchener Abkommens erfolgte Zerschlagung und Annektierung der Resttschechei

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Dritte Welt als „Reichsprotektorat Böhmen-Mähren“ (15./16. März 1939) brachten einen Schwenk der Politik der Westmächte; England führte die allgemeine Wehrpflicht ein (27. März), nach polnischer Teilmobilmachung brit.-frz. Garantie für Polen (31. März); Hitler gab Anweisung für einheitliche Kriegsvorbereitung (11. April), kündigte dt.-engl. Flottenabkommen und dt.-poln. Pakt vom 28. April 1934; Abschluss eines dt.-ital. Militärbündnisses (22. Mai); nachdem Litauen am 23. März das Memelgebiet an das Dt. Reich zurückgegeben hatte, gewann Hitler den Wettlauf um die Vertrags-Partnerschaft der UdSSR (seit Frühjahr 1939 Verhandlungen der Westmächte um Sicher­heitspakt gegen Hitler); im dt.-sowjet. Nichtangriffspakt vom 23. Aug. geheime Zusicherung von Beutegewinnen bei „terri­torialpolit. Umgestaltung“ in den balt. Staaten und Polen, Abgrenzung der Interessengebiete in Ound S-Europa; Befehl zum Angriff auf Polen (25. Aug.) wurde unter dem Eindruck des brit.-poln. Beistandsvertrages, der Kriegsunlust Italiens und letztem Vermittlungsversuch Mussolinis aufgehoben; Mobilmachung Polens am 30. Aug., Angriffsbefehl Hitlers am 31. Aug.; Beginn des Angriffs ohne Kriegserklärung am 1. Sept. 1939. Zur Vernichtungspolitik des D. R. an bestimmten Volks- und Religionsgruppen, auch ↑ Juden, ↑ Konzentrationslager. Dritte Welt, Bezeichnung der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die wirtsch. und sozial unterentwickelt sind und einen hohen Grad von Analphabeten an der Gesamtbevölkerung besitzen. Drogheda, Hafenstadt bei Dub­lin, Sitz eines alten Klosters, das auf den irischen Heiligen St. Patrick zurückgeführt wird; Cromwell nahm D. 1649 und ließ die Einwohner z. T. niedermetzeln, z. T. nach Amerika deportieren. Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr von, Erzbischof von Köln, 1773–

1845; im Kampf mit der preuß. Regierung 1837–1839 in Festungshaft, weil er entgegen der Zusage seines Vorgängers, des Grafen Spiegel, an der Forderung katholischer Erziehung der Kinder aus konfessionellen Mischehen festhielt (↑ Kölner Kirchenstreit). Droysen, Johann Gustav, dt. Historiker und Politiker, 1808–1884; 1848 Mitglied des Frankfurter Parlaments, Liberaler und Kleindeutscher; schrieb eine Geschichte des Hellenismus und prägte damit diesen Begriff; Vertreter der „boruss.“ (preuß.kleindt.) Geschichtsschreibung („Geschichte der preuß. Politik“). Druiden, Priesterkaste der ↑ Kelten unter Oberpriestern, von größtem Einfluss, ordensmäßig organisiert und auf Druidenschulen in religiöser, heil-, rechts- und sternkundlicher Unterweisung vorbereitet; verbreitet in Gallien und Britannien; die D. waren Priester, Wahrsager (Eingeweideschau, Deutung außerordentl. Naturereignisse), Richter, polit. Berater; Gottesdienste auf Bergen, hl. Inseln, Felsen, an hl. Seen; nicht selten Menschenopfer; Glaube an erkennbaren Götterwillen und Seelenwanderung; zeitweise als Wahrsagerinnen auch Druidinnen. Drummond, Sir Eric, später Lord Perth, brit. Diplomat, 1876–1951; erster Generalsekretär des Völkerbundes 1919/33, 1933–1939 Botschafter in Rom. Drusen, Angehörige der im 11. Jh. aus dem schiitischen Islam entstandenen Religionsgemeinschaft im Gebiet zw. Libanon, Israel und Syrien mit dem Kultzentrum Dschebel Drus; arab. Sprache, geheim gehaltene (aus islam., jüd., frühchristl. Elementen gemischte) Offenbarungsreligion auf der Grundlage von 111 Briefen der Weisheit, die nur einer kleinen Zahl von Mitgliedern bekannt sind (7 Verständige), gekennzeichnet vom Glauben an Seelenwanderung und Umsetzung göttlicher Prinzipien in der Weltvernunft; starker Unabhängigkeitsdrang, Erbfeindschaft gegen benachbarte 234

Dublin (christliche) Maroniten (Maronitenmassaker im 19. Jh.), nach 1919 Kampf gegen frz. Mandatsmacht, seit 1925 autonom, nach dem 2. Weltkrieg Syrien angegliedert; Bürgerkriegspartei im ↑ Libanon. Drusus, 1) D., Nero Claudius, röm. Feldherr, 38–9 v. Chr.; Adoptivsohn des Augustus, Bruder des Tiberius, Vater des Germanicus und des Kaisers Claudius, kämpfte 12–9 v. Chr. gegen die Germanen und stieß bis zur Elbe vor. 2) D., Marcus Livius, röm. Volkstribun, setzte sich für die Verleihung des Bürgerrechts an die Italiker ein, seine Ermordung 91 v. Chr. brachte den ↑ Bundesgenossenkrieg zum Ausbruch. Dschebel al Tarik (Berg des Tarik), arab. Name für ↑ Gibraltar; hier setzte 711 Tarik, der Unterfeldherr Musas, über die Meerenge und griff das Westgotenreich an. Dschemdet-Nasr-Periode, nach dem Ausgrabungsort D.-N. bei Kisch (nordöstl. von Babylos) in Mesopotamien gen. Kulturperiode zwischen Uruk und Mesilim, die 2. Epoche der sumer. Frühgeschichte, um 2800–2600 v. Chr.; Schriftdenkmäler (Tontafeln), künstler. Plastik, Siegelzeichnungen, auf Scheibe gedrehte schwarz-rote Keramik, Glasschmelz, luftgetrocknete Lehmziegel, Pflug, Wagen. Dschibuti, Republik in NO-Afrika; seit 1862 im Einflussbereich des frz. Kolonialismus, sollte Basis für frz. Expansion an den Nil sein, nach schweren Aufständen 1967 erhielt D. weitgehende innere Auto­ nomie mit eigener Exekutive, seit 1977 nach Volksabstimmung unabhängige Republik. Dschidda (Djidda, Jidda), saudi-arab. Hafenstadt am Roten Meer; vorislam. Gründung, bedeutend als Hafen für MekkaWallfahrer, seit 1517 osmanisch, 1925 zu Saudi-Arabien. Dschihad, bedeutete ursprüngl. eine entschlossene geistige Haltung, später den Einsatz für den Islam schlechthin unter Aufopferung des eigenen Lebens und Vermögens, aber auch inneren Kampf gegen

Fehler und Laster; heute meist für Glaubenskrieg der Muslime gegen Nicht-Muslime, Ausdehnung der Herrschaft der islam. Gesellschaftsordnung, Unterwerfung Andersgläubiger verwendet („Heiliger Krieg“), was jedoch nicht dem koran. Verständnis des Wortes entspricht. Dschingis Khan (Temudschin), um 1155–1227; mongol. Eroberer, nach blutigen Stammesfehden 1206 Großkhan aller Mongolen, eroberte 1215 Peking, 1219 Korea und Turkestan (Vernichtung der islam. Hochkultur von Samarkand), drang bis zum Indus, dann bis in die S-Ukraine vor, besiegte 1223 die Russen, wendete sich dann wieder nach Osten; begründete nach den blutigen Feldzügen ein straff verwaltetes Weltreich, das vom Stillen Ozean bis zum Schwarzen Meer reichte und zum Schmelztiegel vieler Kulturen wurde; Aufteilung nach seinem Tod (↑ Goldene Horde). Dschumblat, Kamal, libanes. Politiker, 1919–1977, Drusenführer, seit 1960 mehrfach Innenminister, vermittelte 1969 das Abkommen mit den palästinens. Fedajin, 1977 ermordet. Dubarry, Marie Jeanne Gräfin, Mätresse Ludwigs XV. von Frankreich, 1743–1793; unter Robespierre hingerichtet. Dubcek, Alexander, tschechoslowak. Politiker, 1921–1992; 1964–1968 l. Sekretär des slowak. Zentralkomitees. D. gilt als Träger des tschechoslowak. Reformkommunismus, der 1968 durch die militär. Intervention der Sowjetunion unterbunden wurde. 1970 Enthebung D.s aus allen Ämtern und Parteiausschluss, 1989 rehabilitiert, 1990 bis zu seinem Tod Parlamentspräsident. Dublin, älteste Geschichte wie die Chris­ tianisierung durch den hl. Patrick sagenhaft; 1. Hälfte 9. Jh. gegründet von einem norweg. Wikinger (Turgeis), nach der Vertreibung der Norweger aus Irland (901) Kleinreich der dän. Wikinger um D. 1038 Bistum, 1214 Erzbistum; um 1170 von den Engländern erobert, 1541 Sitz des Vizekönigs von Irland, Mittelpunkt der

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Dublone irischen Unabhängigkeitsbewegung, 1916 blutiger Osteraufstand, seit 1922 Hauptstadt des Freistaates Irland (Eire). Dublone, span. Goldmünze des 16.– 19. Jh.; war in dieser Zeit bedeutende Welthandelsmünze, wurde in vielen Staaten nachgeahmt und abgewandelt. Dubois, Guillaume, frz. Kardinal und Staatsmann, 1656–1723; Erzieher des Herzogs Philipp von Orléans; leitender Minis­ ter während dessen Regentschaft, brachte die ↑ Quadrupelallianz gegen Spanien zustande, durch die Spanien 1718 zum Frieden gezwungen wurde. Dubrovnik, Stadt in S-Dalmatien, Kroatien, das antike ↑ Ragusa; um 615 v. Chr. von den Griechen gegr., wurde 164 v. Chr. röm. Kolonie, bis 1205 byzantinisch, dann unter der Oberhoheit Venedigs, später Ungarns, seit 1526 unter türk. Herrschaft, 1806–1814 von Frankreich besetzt, seit 1815 von Österreich; 1919 zu Jugo­slawien, seit 1991 zu Kroatien. Duchesne, André, frz. Historiker, 1584– 1640; sammelte und edierte als Erster systematisch Quellentexte zur frz. Geschichte. Duchoborzen (russ., Geistesstreiter), pietistisch-mystische Sekte in Russland, entstanden um die Mitte des 18. Jh. unter einfachen Bauern aus Protest gegen die Veräußerlichung der Ostkirche; die D. verwerfen alle religiösen Zeremonien und die Sakramente, suchen „Gott im Menschen“, verweigern Kriegsdienst und Eid, deshalb vom Staat hart verfolgt; Reste heute noch in Kanada. Duckwitz, Arnold, dt. Wirtschaftspolitiker, 1801–1881; Mitglied des brem. Senats, Vorkämpfer der dt. Zolleinheit, Förderer der dt. Seeschifffahrt, 1848/49 Reichsminister des Handels; Schöpfer der ersten dt. Kriegsmarine. Dudley, John, Herzog von Northumber­ land, englischer Staatsmann, 1502–1553; Günstling Eduards VI., trat für die Thronfolge seiner Schwiegertochter Jane Grey

ein, unter Königin Maria hingerichtet. Dufour, Guillaume Henri, schweizer. General, 1787–1875; machte die letzten Feldzüge Napoleons I. mit, wurde 1832 Chef des Generalstabs der Eidgenossen, 1847 Befehlshaber im Feldzug gegen die Kantone des ↑ Sonderbundes; 1864 Mitbegründer des Intern. Roten Kreuzes, schuf 1832–64 die bedeutende „Topograf. Karte der Schweiz“. Duguesclin, Bertrand, Connétable von Frankreich, um 1320–1380; nahm 1370– 1373 den Engländern fast allen frz. Landgewinn ab (↑ Hundertjähriger Krieg). Duilius, Gaius, röm. Flottenführer, Konsul 260 v. Chr., Erbauer der ersten röm. Flotte; 260 v. Chr. Seesieg von Mylä über die Karthager (verherrlicht durch die «Columna rostrata» mit den erbeuteten karthag. Schiffsschnäbeln auf dem Forum). Duisberg, Carl, dt. Chemiker, 1861– 1935; Pionier der Farb- und pharmazeut. Chemie, Generaldirektor der IG Farben, an deren Aufbau er maßgebl. beteiligt war (Grundlagen- und eigene Farbenforschung). Dukat (von lat. dux, Herzog), Verwaltungs­ einheit des byzantantinischen Restbesitzes in Italien zur Zeit des Langobardenreiches; außer dem ↑ Exarchat von Ravenna die D.e von Rom, Neapel und Venetien. Dukaten, Goldmünzen, seit etwa 1100 von byzantin. Kaisern geprägt, daher auch „Byzantiner“ genannt; im 12. Jh. in Italien, seit 1284 besonders in Venedig als ­ Zecchino geprägt, von da über Europa verbreitet; in Deutschland 1559 zur Reichsmünze erklärt (1 Köln. Mark = 67 D.); 1857 durch den Münzvertrag der Länder des Dt. Zollvereins abgeschafft. Goldgehalt etwa 3,5 g (gehaltreicher als der Goldgulden). Dulles, 1) D., John Foster, amerik. Politiker, 1888–1959. 1953–1959 Außenminister unter Eisenhower, verfolgte Politik der Stärke gegenüber dem Ostblock. 2) D., Allen Welsh, amerik. Politiker, 1893–1969; leitete im 2. Weltkrieg den amerikanischen 236

Dupleix Nachrichtendienst in Europa, 1953–1961 Leiter der Central Intelligence Agency (CIA). Duma (russ., Rat), 1) Im Moskauer Reich: Adelsversammlung (Bojaren). 2) Stadtrat großer Städte seit Ende des 18. Jh. 3) die nach der Revolution von 1905 von Nikolaus II., zugestandene russ. Volksvertretung aus allgemeinen Wahlen, mit beschränktem Budgetrecht („Scheinkonstitutionalismus“); 1. und 2. D. wegen oppositioneller Haltung aufgelöst (1906/07), nach Wahlreform 1907 3. und 4. D., „Herrendumen“ im Dienst des Zarismus; aufgelöst 1917. – Seit 1993 Name des russischen Parlaments, des Unterhauses (450 Abgeordnete). Bildet mit dem Föderations­ rat das Zweikammern-Parlament. Dumbarton Oaks, Ort bei Washington (USA); 1944 Konferenz von D. O. zw. England, USA, China und UdSSR, em­ pfahl Auflösung des Völkerbundes und entwarf die Satzung einer neuen internat. Sicherheitsorganisation (↑ Vereinte Nationen). Dumouriez, Charles François, frz. General, 1739–1823; Parteigänger der ↑ Girondisten, veranlasste 1792 als Außenminister die Kriegserklärung an Österreich, übernahm nach Lafayettes Flucht dessen Kommando, behauptete sich bei ↑ Valmy, er­oberte Belgien, geriet mit dem ↑ Konvent in Konflikt, unterlag 1793 bei Neerwinden; wollte die Armee nach Paris zurückführen, um die konstitutionelle Monarchie wiederherzustellen, floh zu den Österreichern. Dunant, Henri, Schweizer ­ Schriftsteller und Philanthrop, 1828–1910; als ­ Zivilist Augenzeuge der Zustände nach der Schlacht von Solferino, der wohl blutigsten Schlacht des 19. Jh., und des völligen Versagens der Verwundeten- und Gefangenen­fürsorge („Erinnerung an Solferino“, 1862); Begründer des Roten Kreuzes und Urheber der Genfer Konvention (1864) zur Verbesserung der Lage der Kriegsgefangenen und Verwundeten. 1901 Friedensnobelpreis.

Duncker, 1) D., Max, dt. Historiker und

Politiker, 1811–1886; Mitglied des Frankfurter Parlaments, seit der neuen Ära (1860) mehrmals im preuß. Staatsdienst, vortragender Rat für Politik. 2) D., Franz, dt. Politiker, 1822–1888; Bruder von 1). Mitbegründer der ↑ Fortschrittspartei und der (liberalen) Hirsch-D.schen Gewerkvereine (↑ Gewerkschaft). Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum), Sammlung von fingierten satirischen, gegen kirchl. Autorität und entartetes Mönchtum gerichteten Briefen, absichtlich in schlechtem Latein („Küchenlatein“ des niederen Klerus) geschrieben, 1. Teil von Crotus Rubianus 1515, 2. Teil von Ulrich von Hutten 1517; erwiesen sich als schärfste Waffe des Humanismus im Kampf gegen die entartete Scholastik. Dünkirchen, frz. Hafenstadt an der Nordsee; flandr. Gründung, 1384 burgundisch, 1477 habsburg., 1558 spanisch, umkämpft zwischen Franzosen, Spaniern und Engländern, zeitweilig Seeräuberhafen, 1662 endgültig französisch. – 1940 Schlacht bei D., Einschiffung des brit. Expeditions­korps und von Resten der frz. Armee. – 1947 Bündnisvertrag von D. zwischen England und Frankreich auf 50 Jahre, gegen dt. Angriff oder Nichterfüllung des Friedensvertrages durch Deutschland (↑ Brüsseler Pakt). Dunois, Jean, frz. Feldherr, um 1403–1468; Sohn des Grafen Ludwig von Orléans und seiner Geliebten, daher „Bastard von Orléans“ genannt, verteidigte 1429 Orléans bis zum Auftreten der „Jungfrau von O.“ und trug wesentlich zur endgültigen Vertreibung der Engländer aus Frankreich bei (↑ Hundertjähriger Krieg). Dupleix, Joseph François, frz. Kolonial­ pionier, 1697–1763; Gegenspieler des Engländers ↑ Clive in Ostindien, 1730/41 Gouverneur der Besitzungen der frz. Ostindienkompanie, residierte in Pondichery, vom Mutterland unzulänglich unterstützt, 1754 abberufen.

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Düppeler Schanzen Düppeler Schanzen, dän. Befestigungen

in Nordschleswig, Schlüssel zur Insel Alsen, 1848/49 umkämpft, von den Dänen ausgebaut, 1864 von den Preußen erstürmt (↑ Schleswig-Holstein. Krieg). Dura-Europos, Ruinenstätte in O-Syrien, hellenist. Grenzstadt am mittleren Euphrat, Schnittpunkt hellenist. und oriental. Kultur; um 300 v. Chr. gegr. makedon. Militärsiedlung, seit Ende des 2. Jh. v. Chr. in der Hand der Parther, um 210 n. Chr. röm. Kolonie mit Garnisons­lager, 256 n. Chr. wieder von den Persern erobert und zerstört; durch frz. und vor allem amerik. Ausgrabungen wertvolle Denkmäler parth. Kunst erschlossen (↑ Parther). Durham, John George Lambton, Earl of, brit. Politiker, 1792–1840, Führer des radikalen Flügels der Whigs im Unterhaus; 1838/39 Generalgouverneur von Brit.Nordamerika; entwickelte ein Konzept kolonialer Selbstverwaltung, das Grundlage der brit. Commonwealth-Politik wurde. Duroc, Michel, Herzog von Friaul, frz. Marschall, 1772–1813; Adjutant und Vertrauter Napoleons, oft als Unterhändler verwendet, fiel nach der Schlacht von Baut­ zen bei Markersdorf in der Lausitz. Düsseldorf, Hauptstadt von NordrheinWestfalen; 1288 Stadtrecht, seit 1511 Residenz der Herzöge von Berg, nach deren Aussterben 1614 an Pfalz-Neuburg; Blüte unter Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz (1690–1716), Gemäldegalerie; 1795 von den Franzosen eingenommen, 1801 zurück an Bayern, 1806–1813 Hauptstadt des Großherzogtums Berg, 1815 an Preußen, 1921/25 von den Franzosen besetzt, im z. Weltkrieg durch Luftangriffe schwer getroffen, seit 1946 Hauptstadt von Nord­ rhein-Westfalen. Dutschke, Rudolf (Rudi), dt. Studentenführer, 1940–1979; Mitglied des Sozialist. Dt. Studentenbundes; seit 1966 an der Organisierung Student. „antiautoritärer“ Protestaktionen beteiligt (↑ Außerparlamentarische Opposition); 1968 durch Attentat

schwer verletzt; danach Aufenthalt in England (1968–1971) und Dänemark. Duvalier, François, haitian. Politiker, gen. Papa Doc, 1907–1971; 1957 mithilfe der USA zum Präsidenten gewählt, erklärte sich 1964 zum Präsidenten auf Lebenszeit. Sein Sohn Jean-Claude D., gen. Baby Doc, geb. 1951, wurde 1971 als Nachfolger zum Staatspräsidenten ernannt, 1988 nach Militärputsch entmachtet. Duvernois, Clement, frz. Publizist und Politiker, 1836–1879; bemüht um die Aussöhnung Napoleons III. mit den Ideen der Freiheit, gründete den vom Kaiser inspirierten und mitfinanzierten „Peuple“, eine der ersten Zeitungen mit Massenauflage. Dynamit, ein 1867 von dem schwed. Chemiker und Sprengstoffindustriellen Alfred ↑ Nobel erfundener Sprengstoff aus explosiblem Nitroglyzerin, das von Kieselgurpaste aufgesaugt ist, nur bedingt handhabungs- und transportsicher; fast ganz verdrängt durch die noch wirksamere Sprenggelatine. Dynamomaschine (Generator), Maschine zur Erzeugung von elektrischem Strom; von Dampf- oder Wasserkraftmaschinen, Gasmotoren, Atomkraftwärmeanlagen betrieben. Erste Konstruktionen nach dem Induktionsprinzip seit 1832; erst die Anwendung des Dynamoprinzips (wonach der in der D. erzeugte Strom die Erregung der eigenen Magneten verstärkt) 1867 durch Werner von Siemens ermöglichte den Bau leistungsfähiger, industriell verwertbarer D.n. Dynastie (von griech. dynastes, der Mächtige), Herrschergeschlecht, Herrscherhaus; D. oft zur histor. Aufgliederung dienend (Karolinger, Hohenstaufen, Habsburger, Bourbonen u. a.), besonders für die Einteilung der altägypt. Geschichte (seit dem 3. Jt. v. Chr. 31 z. T. unechte D.n, korrigiert durch Auswertung des altägypt. Kalenders, astronom. Daten, Urkunden).

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Eagle

E

Eagle, Goldmünze der USA

seit 1792; nach seinem Münzbild, einem Adler, benannt, entspricht im Wert 10 Dollar; seit Langem durch Papiergeld ersetzt. Earl (dän. Jarl), unter der Dänenherrschaft seit 1010 Verwalter einer der angelsächs. Grafschaften (↑ Alderman); bis zum 14. Jh. (Einsetzung königlicher Beamter) höchste Stufe des engl. Adels, später die 3. Stufe nach Duke und Viscount; E.s hatten erblichen Sitz im Oberhaus. Easterlings (engl., Ostmänner), zunächst die aus dem Osten nach England kommen­ den skandinav. Seeräuber; später auch Han­ se­kauf­leute, auch das Geld, das sie mitbrachten (Ableitung des Wortes Ster­ling aus E. ist umstritten). Eban, Abba Solomon, israel. Politiker, 1915–2002; 1949–1959 Vertreter Israels bei den UN, 1950–59 zugleich Botschafter in Washington, 1963–66 stellvertretender Ministerpräsident, anschließend bis 1974 Außenminister. Eberhard, Grafen und Herzöge von Würt­ temberg: 1) E. I., der Erlauchte, 1265– 1325; 1279 Nachfolger seines Bruders Graf Ulrich II.; Gegner der Reichsgewalt und der schwäb. Reichsstädte, empörte sich gegen Rudolf von Habsburg; 1309 gegen Kaiser Heinrich VII., im Verlauf des Reichskriegs (1310–1316) geächtet und bis 1313 vertrieben; Verlegung seiner Residenz von der Stammburg Württem­berg nach Stuttgart, das er 1320 zur Landeshauptstadt machte; E. vergrößerte sein Land um das Doppelte. 2) E. II. der Rauschebart oder der Greiner (der Streitsüchtige), 1315–1392; Enkel von 1); von Kaiser Karl IV. zur Unterwerfung gezwungen, zur Stärkung seiner Hausmacht in ständigen Fehden mit den Ritterund Städtebünden, brach 1388 die Macht des Schwäb. Städtebundes durch den Sieg von Döffingen. 3) E. V. (I.), mit dem Barte (1482–1496); geb. 1445; regierte zunächst im Uracher Teil Württembergs, begründete 1482 (Vertrag von Münsingen) die Unteil-

barkeit des Landes und die demokrat. Tradition Württembergs durch ständ. Verfassung, die die fürstl. Gewalt einschränkte; stiftete die Universität Tübingen (1477); vom Kaiser 1495 zum Herzog erhoben. Ebernburg, Burg in der bayer. Pfalz, seit 1504 im Besitz Franz von Sickingens, der dort verfolgten Anhängern der Reformation (Melanchthon, Butzer, Hutten u. a.) Zuflucht gewährte. Ebert, Friedrich, dt. Politiker und 1. Reichspräsident der Weimarer Republik, 1871– 1925; gelernter Sattler, schon früh in der Gewerkschaftsbewegung; 1893 Redakteur in Bremen; seit 1905 im Berliner Vorstand der SPD, 1913 als Nachfolger Bebels Parteivorsitz der SPD, 1916 mit Scheidemann Fraktionsvorsitz im Reichstag; Politiker des Ausgleichs, der Staatstreue und Völkerverständigung, beteiligt an der Friedens­ resolution 1917; verhinderte 1918 als Mit­vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten die Sowjetisierung Deutschlands; durch Denomination des letzten Reichskanzlers des Kaiserreiches 1. Reichskanzler, 1919 von der Weimarer Nationalversammlung zum 1. Reichspräsidenten gewählt, fes­ tigte die Demokratie und suchte, geachtet auch von polit. Gegnern, den Ausgleich in den politichen und sozialen Spannungen. – Sein Sohn Friedrich E., 1894–1979, war 1946 Mitbegründer der SED, 1948–1967 Oberbürgermeis­ter von Berlin (Ost); seit 1960 Mitglied des Staatsrates der DDR. Ebstorfer Weltkarte, größte und bedeutendste Erdkarte des MA; 30 Pergamentblätter mit Jerusalem als Mittelpunkt, im 13. Jh. entworfen, um 1830 im Kloster Ebs­ torf b. Uelzen entdeckt, das Original 1943 im Staatsarchiv Hannover verbrannt. Eburonen, kelt. Stamm zwischen Maas und Rhein, von Cäsar 53 v. Chr. aufgerieben; Nachrücken german. Stämme. Ecevit, Bülent, türk. Politiker, geb. 1925; 1961–1965 Arbeitsminister, seit 1972 Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei, 1974–79 Ministerpräsident. Nach dem

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Echnaton Militärputsch 1980 interniert; 1987 Vorsitzender der Demokratischen Linkspartei, 1999 bis 2002 erneut Ministerpräsident. Echnaton, Pharao, ↑ Amenophis IV. Echter von Mespelbrunn, Julius, Fürstbischof von Würzburg (1573–1617), geb. 1545, aus Ministerialenfamilie des Spes­ sarts, einer der aktivsten Führer der Gegen­ reformation in Süddeutschland, stellte den Katholizismus in seinem Bistum wieder her; 1582 Wiedererrichtung der Würzburger Universität. Eck, 1) E., Johann (Mayer aus Egg in Schwa­ ben), kath. Theologe und scharfer Gegner der Reformation, 1486–1543; Prof. in Ingolstadt, trat mit Streitschriften und in Religionsgesprächen gegen ­ Luther (↑ Leipziger Disputation 1519) und Zwingli auf, erwirkte persönl. in Rom die Bannbulle gegen Luther, beteiligt an der Abfassung der ↑ Confutatio. 2) E., Leonhard von, bay­er. Kanzler, um 1480–1550; aus altadliger Familie, seit 1519 unter Herzog Wilhelm IV. Leiter der bayer. Politik im Stile des zeitge­ nöss. Machiavellismus; Gegner der Reformation, ­ betrieb die Stärkung der herzogl. Macht im Innern und nach außen, unterlag aber bei dem Versuch, Bayern die habsburg. Erbrechte zu sichern, der gewandteren Politik Habsburgs. Ecuador, Republik im NW Südamerikas, unter dem Äquator, von den Anden durchzogen; bis 1533 Nordteil des ↑ Inkareiches, 1533/34 von Spaniern erobert; vom 16.– 18. Jh. zum Vizekönigreich ↑ Peru, seitdem bis 1830 dem Vizekönigtum Neugranada bzw. Groß-Kolumbien angehörend; 1830 souveräne Republik; bedeutende diktator. Präsidenten Garcia Morena (1861–1875) und Elory Alfara (1895–1911); in den üb­ rigen Zeiten von zahlreichen Revolten zerrüttet (Gegensätze zw. kirchlichen Kreisen und Liberalen); 1938–1941 Streit mit Peru um die Kaffeeprovinz El Oko, durch Schiedsgericht neutralisiert; 1944–47 und 1952–1961 Präsidentschaft des Velasco Ibarras, der die Bodenschätze des Indianer-

landes zu heben suchte. 1968–1972 erneut Präsidentschaft Velascos. 1972 Staatsstreich des Militärs, seitdem Militär­regierung reformer., am Beispiel der peruanischen Militärjunta orientierter Offiziere. 1979 nach einem Referendum Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit: Etablierung einer Republik mit Präsidialsystem. 1985 brach E. die Beziehungen zu Nicaragua ab und zog sich aus der Unterstützung der ↑ ContadoraGruppe zurück. Edda (nord., Buch von Oddi), unter diesem Namen werden zwei Denkmäler der altnord. Literatur zusammengefasst: die (jün­­gere) Snorra-E. und die (ältere) Saemundar-E. Die Snorra-E., nach der Überlieferung um 1230 von Snorri Sturtuson verfasst, ist in Handschriften aus dem 13. und 14. Jh. erhalten; sie ist Anleitung für junge Skalden (Dichter, Sänger), eine Poe­ tik, die die verschiedenen Versarten und die dichter. Gestaltungstechnik anhand von Beispielen erläutert; sie führt viele Einzelheiten aus der nord. Mythologie und Heldensage an. Die Saemundar-E., auch Lieder-E. genannt, fälschlich dem Priester Salmand Sigfusson (um 1100) zugeschrieben, ist in ihrer jetzigen Form durch eine Handschrift aus dem 13. Jh. bekannt; in mehr als 30 Liedern werden die nordische Götterwelt und die german. Heidenzeit besungen; die Stoffe der beiden Edden stammen fast alle aus altnord. Wikingerzeit; die „Völuspa“ (Weissagung der Völva), eines der interessantesten Gedichte der Edden, gilt als Hauptquelle für die Kenntnis der german. Mythologie. Eden, Anthony, brit. Staatsmann, 1897– 1977; Konservativer, entschiedener Gegner der Achsenmächte, 1935–38, 1940–45 und 1951–55 Außenminister; als Nachfolger Churchills 1955–57 Premierminister; Rücktritt nach dem ↑ Suezkonflikt. EdenPlan: von E. 1954 vorgetragener Plan zur Wiedervereinigung Deutschlands unter Demobilisierung Gesamtdeutschlands und Sicherheitsgarantie der 4 Großmächte. 240

Edrisi Edessa (heute Urfa), Stadt in N-Mesopo-

tamien, das Ruhu der Assyrer, unter den Seleukiden nach der gleichnamigen makedon. Stadt E. benannt; 145–129 v. Chr. Mittelpunkt des Edess. Reiches (unter eigener Dynastie), um 70 v. Chr. unter röm. Oberhoheit, nach Empörung 116 n. Chr. röm. Militärkolonie, seit dem 3. Jh. Zent­ rum der christl. Kirche im Osten, 525 als Justinianopolis Festung, 639 arab., 1031 zu Byzanz, 1098 Mittelpunkt der Grafschaft E. (Kreuzfahrerstaat), 1144 von Sultan Zenki erobert, 1391 von Timur zerstört; seit 1637 türkisch. Edfu, altägypt. Gauhauptstadt am ober­ ägypt. Nil mit Großtempel des Horus, er­baut 237–217 v. Chr.; Inschriften aufschlussreich für spätere ägypt. Religionsgeschichte. Edikt, amtl. Verlautbarung; im röm. Staat unterschieden in Edicta magistratuum, E. prae­torum, E. provincialia usw.; zur Vereinheitlichung von Verwaltung und Rechtsprechung wurden die älteren röm. E.e unter Hadrian durch den Juristen Salvius Julianus gesammelt und im Edictum perpetuum zusammengefasst; später dienten die E.e als Quelle für das ↑ Corpus Iuris des Kaisers Justinian. – Entsprechend wurde im ostgot. Reich unter Theoderich das für Ostgoten wie Römer verbindliche Gesetzeswerk 506 als Edictum Theodorici herausgegeben, im Langobardenreich 643 unter König Rothari der Edictus Rothari. Edikt von Nantes, 1598, Toleranzgesetz Heinrichs IV. v. Frankreich, das den ↑ Hu­ genotten Sicherheitsräume, Religionsfreiheit und bürgerliche Gleich­berechtigung ein­räumte; 1685 von Ludwig XIV. auf­ gehoben, Massenauswanderung von Hu­ genotten nach Deutschland, in die Schweiz und die Niederlande. Edinburgh, nach König Edwin von Northumbria (7. Jh.) benannt; 1128 als königl. Burg erwähnt, im 15. Jh. von den Stuarts als Residenz gewählt, seither Hauptstadt Schottlands, 1539 Universität.

Edirne, Stadt in der Türkei, das frühere ↑ Adrianopel. Edison, Thomas Alva, bahn­

brechender nordamerik. Erfinder, 1847– 1931; praktisch eingestellt und optimis­­ tisch, findig und zäh, verkörperte den Glau­ ben seines Landes und seiner Zeit an den techn. Fortschritt; erfand den Walzenphonografen, das Kohlenkörnermikrofon, die (Kohlenfaden-)Glühlampe u. a., richtete das erste Elektrizitätswerk ein (1882, New York) und verwendete erstmals den Betonguss; die Priorität vieler ihm zugeschriebener Erfindungen wird auch von anderen beansprucht. Edomiter, Edom (Stammvater Esau, der Bruder Jakobs), den Israeliten nah verwandtes semit. Volk in Südpalästina (Arabia Petraea) und auf der Sinaihalbinsel, mit reichem Kupferbergbau, von David um 1 000 v. Chr., später von Assyrern und Babyloniern unterworfen; um 500 v. Chr. Einwanderung in Juda. Edrisi (Scherif Al E.), arab. Geograf, 1099um 1166; bereiste Kleinasien und Nordafrika, verfasste für ↑ Roger von Sizilien Erdbeschreibung und Erdkarten („Rogerbuch“ erhalten); wohl wertvollste geogr. Leistung des MA. Eduard, engl. Könige: 1) E. der Bekenner (1042–1166); letzter angelsächs. König, forderte durch Begüns­tigung der ↑ Normannen die Opposition der angelsächs. Großen heraus und geriet unter den Einfluss Godwins; Heiligsprechung 1161. 2) E. I. (1272–1307); geb. 1239, aus dem Hause Plantagenet, unterwarf in zwei Feldzügen (1277 und 1282–84) Wales und gliederte es dem Königreich ein (Prinz von Wales seit 1301 Titel seines ältesten Sohnes E., von da an jedes engl. Kronprinzen), kämpfte gegen Frankreich 1294–97 und das mit diesem verbündete brit. Lehensreich Schottland, richtete zur Stärkung der Zentralgewalt 1295 das Model Parlament (so benannt wegen seiner vorbildlichen Zusammensetzung) ein, dem außer den großen Baronen auch Vertreter der Grafschaften und Städte angehörten. 3) E. II.

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EFTA (1307–1327); geb. 1284, Sohn von 2), unfähig, musste nach der Niederlage bei Bannockburn (1314) die Unabhängigkeit Schottlands anerkennen; Günstlingswirtschaft; abgesetzt und ermordet. 4) E. III. (1327–1377), geb. 1312; Sohn von 3) und Isabellas (Tochter Philipps IV.) von Frankreich, stellte vorübergehend die Lehenshoheit über Schottland wieder her, löste durch seine Ansprüche auf den frz. Thron und durch seine Einflussnahme in Flandern den ↑ Hundertjährigen Krieg mit Frankreich aus, siegte 1346 bei Crecy, eroberte 1347 Calais und sicherte sich im Frieden von Bretigny 1360 seine frz. Besitzungen gegen Verzicht auf die frz. Thronfolge; sein Sohn E., Prinz von Wales, 1330–1376; wegen seiner schwarzen Rüstung „Schwarzer Prinz“ gen., erfocht den entscheidenden Sieg von Maupertuis (1356); 1363 Statthalter in Guyenne. 5) E. IV. (1461–1483); aus dem Hause York, sicherte seine Herrschaft in den ↑ Rosenkriegen durch Siege über das Haus Lancaster 1471. 6) E. VI. (1547– 1553); geb. 1537, aus dem Hause Tudor, Sohn Heinrichs VIII. und der Johanna Seymour, für den Protestantismus gewonnen; die vormundschaftliche Regierung (Protektor Herzog Eduard von Somerset) führte die Reformation der engl. Kirche durch. 7) E. VII. (1901–1910); geb. 1841, Sohn Königin Viktorias, trug zur Festigung der Entente mit Russland und Frankreich bei. 8) E. VIII., 1894–1972; bestieg 1936 den Thron und dankte noch im gleichen Jahr ab, um eine geschiedene bürgerliche Frau heiraten zu können; führte seitdem den Titel Herzog von Windsor. EFTA, ↑ Europ. Freihandelszone. Egbert, angelsächs. König von Wessex (802–839), unterwarf Cornwallis und die angelsächsischen Königreiche (Sussex, Essex, Kent, Mercia, Ostanglien und Northumberland), nannte sich König von England. Eger, Hauptort des seit dem 10. Jh. von Deutschen besiedelten E.landes, zur Zeit

der Staufer Reichsstadt (seit 1179) mit Reichsburg, Mittelpunkt des von Reichsministerialen verwalteten Verteidigungssystems gegen Osten; 1342 zu Böhmen; 1634 im Stadthaus Ermordung Wallensteins; vor dem 2. Weltkrieg Mittelpunkt der sudetendt. Henleinbewegung. Egmont, Lamoraal Graf von, Fürst von Gavere, niederländ. Staatsmann und Heerführer in span. Diensten, 1522–1568; besiegte die Franzosen bei St. Quentin und bei Gravelingen (1557 und 1958), 1559 Statthalter von Flandern; seine Opposition gegen die span. Verwaltung führte zu seiner Hinrichtung durch Albas Blutgericht (zusammen mit dem Grafen Hoorn), obwohl er sich nicht am Aufstand der Niederländer beteiligt hatte. – Als Dramenheld von Goethe idealisiert. Ehernes Lohngesetz, eine von dem engl. Nationalökonomen Ricardo und dem preuß. Sozialisten Rodbertus begr., von Lassalle formulierte Lohntheorie, nach der im liberalen, kapitalist. Wirtschaftssystem der Arbeitslohn auf die Dauer das Exis­ tenzminimum der Arbeiterfamilie nicht übersteigen könne, d. h. der Arbeiter vom Steigen des Sozialprodukts zugunsten des Unternehmerprofits ausgeschlossen bleibe. Ehrenlegion (Legion d’honneur), einziger noch bestehender frz. Orden, 1802 von Napoleon I. zur Belohnung militär. oder ziviler Verdienste (auch an Städte verliehen) gestiftet (5 Klassen). Ehrhardt, Hermann, dt. Freikorpsführer, 1881–1971; ehemaliger Marineoffizier, be­­ teiligte sich an der Spitze der von ihm 1919 gegründeter (Freiwilligen-)Brigade E. 1920 am Kapp-Putsch (↑ Kapp), bekämpfte die Weimarer Republik („Organisation Consul“, deren Mitglieder die Fememorde an Erzberger und Rathenau begingen), emigrierte 1934. Ehrlich, Paul, dt. Mediziner, 1854–1915; entdeckte als Schöpfer der Chemotherapie das Salvarsan zur Behandlung der Syphilis; bahnbrechende Arbeiten über Hämatolo242

Einflusssphäre gie, Serologie, Immunologie; 1908 Nobelpreis für Medizin. Eichhorn, 1) E., Hermann, preuß. General, 1848–1918; im 1. Weltkrieg Führer einer Heeresgruppe im Osten; in Kiew ermordet. 2) E., Johann Albrecht Friedrich, preußischer Politiker, 1779–1856; Mitbegründer des Zollvereins, verhalf als Kultusminister (seit 1840) der kath. Kirche zur Un­abhängigkeit vom Staat und begünstig­te den orthodoxen Protestantismus, trat 1848 zurück. 3) E., Karl Friedrich, Jurist, His­ toriker, 1761–1854; verdienstvoll und Weg weisend seine „Dt. Staats- und Rechtsgeschichte“. Eichmann, Adolf, dt. SS-Obersturmbannführer, 1906–1962; organisierte während des 2. Weltkrieges Judentransporte in die Massenvernichtungslager in den besetzten Ostgebieten. Nach dem Krieg floh E. nach Argentinien, von dort 1960 vom israelischen Geheimdienst nach Israel entführt; 1961 zum Tode verurteilt und im folgenden Jahr hingerichtet. Eichstätt, Bistum in Mittelfranken, 741 von Bonifatius gegr.; erster Bischof Willi­ bald, dem Erzbistum Mainz unterstellt; 1802 säkularisiert und (endgültig 1805) zu Bayern; 1817 Bistum wiederhergestellt; als Standesherrschaft Leuchtenberg an Eugen ↑ Beauharnais, aufgelöst 1855. Eidechsenbund, Zusammenschluss der kulmischen Ritterschaft im Dt. Ordensstaat 1397, führte Eidechse (Symbol des Vertrauens) als Abzeichen; forderte vom Dt. Orden ständische Rechte, ließ ihn im entscheidenden Augenblick der Schlacht von Tannenberg 1410 im Stich und bereitete den Sturz des Hochmeisters Heinrich von Plauen vor; dieser kam den Verschwörern zuvor und ließ den Anführer Nikolaus von Reny enthaupten. Eiderdänen, nat.-lib. Partei Dänemarks, die Schleswig bis zur Eider dem dän. Staat einverleiben wollte; ihr maßgeblicher Einfluss auf die dän. Politik 1848–1864 endete mit dem Verlust Schleswig-Holsteins.

Eideshelfer (Juratores oder Consacramen-

tales), im altgermanischen Recht Männer, die die Glaubwürdigkeit des Eides einer schwurpflichtigen Person beschworen; sie nahmen nicht Stellung zur Tat selbst und konnten durch die Zahl der E. des Gegners überstimmt werden; bei Anschuldigungen gegen Edle sollten möglichst sieben, wenigstens aber drei Hände schwören; beim Reinigungseid war die Zahl der E. je nach sozialem Rang verschieden. Eidgenossenschaft, ↑ Schweiz. Eigenkirchenrecht, germ. Grundsatz, nach dem jeder Grundherr über die auf seinem Boden errichtete Kirche gebot (Aufsichtsrecht über Klöster und Klerus, Ernennung der Geistlichen); von den deutschen Königen auch auf die Reichskirche als „E.“ ausgedehnt (Investitur von Bischöfen und Äbten); gegen dieses E. wandte sich die Bewegung von ↑ Cluny; in Bezug auf den König und die Ernennung der höheren Geistlichkeit im Wormser Konkordat beseitigt. Eike von Repgow, Schöffe, Richter und Geschichtsschreiber aus Reppichau (Anhalt); verfasste um 1220 den Sachsenspiegel in Latein, übertrug ihn um 1235 ins Niederdeutsche und schrieb die „Sächs. Weltchronik“; beide Werke sind die ersten erhaltenen Prosaschriften in ndt. Sprache. Einaudi, Luigi, ital. Finanzsachverständi­ ger von internat. Rang, 1874–1961; Vertre­ ter des Neoliberalismus, 1945 Finanzminis­ ter; 1948–1955 erster Staatspräsident der Republik Italien. Einflusssphäre, im Zeitalter des ↑ Imperia­ lismus geprägter Begriff zur Abgrenzung der Interessengebiete der Großmächte (im Gegensatz zur Politik der „offenen Tür“), um offene Konflikte zu verhindern: z. B. 1907 Aufteilung Persiens in eine brit. (südl.) und russ. (nördl.) E.; Grad und Methoden des Einflusses (wirtsch. Durchdringung, militär. Beratung usw.) unterschiedl., doch (nominelle) Unabhängigkeit der Staaten in der E. zum Schein stets gewahrt. Obwohl durch die antiimperialist. Publizistik verru-

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Einhard fen, wurde die Politik der E.n auch nach dem 2. Weltkrieg unter versch. Vorwänden und Vorzeichen fortgesetzt, bes. von der UdSSR und den USA. Einhard, Gelehrter, Baumeister, Gesandter und Biograf Karls d. Gr., um 770–840; seit etwa 794 am Hof Karls, dessen Freund und polit. Ratgeber, Aufseher der kaiserlichen Bauten; leitete den Bau des ↑ Aachener Münsters; die von ihm in Anlehnung an ↑ Sueton verfasste Biografie Kaiser Karls (Vita Caroli Magni) als Geschichtsquelle weithin zuverlässig. Einheitsstaat, ↑ Unitarismus. Einkammersystem, Volksvertretung, durch eine einzige Kammer repräsentiert (Gegensatz: Zweikammersystem, z. B. Unterhaus– Oberhaus, Senat–Repräsentantenhaus). Einkreisungspolitik, nach deutscher Auffassung die Politik des engl.-frz.-russ. Dreiverbandes gegenüber Deutschland vor dem 1. Weltkrieg; als Schlagwort erstmals durch Reichskanzler von Bülow 1906 gebraucht, also noch vor der entscheidenden engl.-russ. Verständigung 1906/07; erst die vergeblichen Versuche Englands, sich mit Deutschland zu verbinden (1898 und 1901), führten zur Annäherung an Russland. Einstein, Albert, bedeutendster Physiker des 20. Jh., Mitbegründer eines neuen physikal. Weltbildes, 1879–1955; leitete bis 1933 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin, emigrierte 1934 als Jude, ­Pazifist und Kosmopolit nach den USA. Leistungen: die Spezielle Relativitätstheorie (1905), 1916 erweitert zur Allg. Relativi­ tätstheorie; Erweiterung der Quantenmechanik, Erschließung neuer Möglichkeiten der Energieproduktion durch Äquivalenzhypothese; 1950 Allg. Gravitationstheorie; machte Roosevelt auf die von ihm für möglich gehaltene Atombombe aufmerksam. 1921 Nobelpreis. Einung, mittelalterlicher Rechtsbegriff; ­bedeutete 1) die durch beschworene Übereinkunft von Standesgenossen begründe-

ten Verbände (z. B. Zünfte), 2) beschworene Verträge und Bündnisse wie Landfrieden und Strafsatzungen. Eire, offizieller Name der Irischen Republik (Südirland) nach der Verfassung von 1937, um den nationalir. Anspruch auf die gesamte Insel, d. h. einschließlich des zu England gehörigen Ulster (Nordirland), auszudrücken; ↑ Irland. Eisen, ↑ Eisenzeit. – Die Methoden der E.-Gewinnung und -Verarbeitung blieben mehr als zwei Jt. lang fast unverändert, als Schmelzmittel diente ausschließlich Holzkohle; Gusseisen kam erst im 14. Jh. in Ge­brauch (bis dahin nur Schmiedeeisen); die bei Beginn der Neuzeit noch schwach entwickelte E.-Industrie Europas war von der Wasserkraft abhängig und daher weit verstreut; erst das 18. und 19. Jh. brachten jene gewaltigen Fortschritte in der E.-Verhüttung (mit Steinkohle bzw. Koks statt Holzkohle), die die Grundvoraussetzungen für die industrielle Revolution und das Maschinenzeitalter waren; voran ging England, wo 1735 der erste (Koks-)Hochofen angeblasen wurde, 1796 der erste in Deutschland (Gleiwitz); weitere technische Neu­erungen ↑ Stahl. Die E.-Industrie entwickelte sich zur typ. Standortindustrie mit Schwerpunkten, wie sie sich aus den Fundorten bzw. billigsten Transportmöglichkeiten von E.-Erzen und Kohle ergaben; die aufkommende „Schwerindustrie“ bestimmte die Wirtschaftskraft, das Rüs­ tungspotential und die polit. Macht der Staaten; sie führte zu bis dahin in die­sem Ausmaß nicht gekannten wirtsch. Machtballungen. Die Eisen erzeugende In­dustrie zählt zu den sog. Schlüsselindus­trien. Eisenbahn, Vorläufer: Spurbahnen, die schon in der Antike bekannt waren (Straßenrinnen für Wagenverkehr); im MA gespurte, z. T. mit Eisen beschlagene Holzboh­ len (bes. in Bergwerken); Ende 18. Jh. die ersten Pferdebahnen auf (zunächst guss­eisernen) Schienen, 1820 erstmals Her­stellung gewalzter Schienen in Eng244

Eisenzeit land, wo auch die ersten ↑ Lokomotiven konstruiert wurden; 1822 Strecke Stockton–Darlington in England; 1835 Strecke Nürnberg–Fürth, 1837–39 Leipzig–Dresden; seit Mitte 19. Jh. rapide Ausdehnung des Schienennetzes bes. in den Industriestaaten; Erschließung neuer Wirtschaftsund Lebensräume; in Deutschland 1840: 500 km, 1845: 2300 km, 1855: 8290 km, 1865: 14 690 km, 1875: 27 930 km, 1885: 37 650 km; seither E. (dt. Vorkämpfer Baader, Harkort, Motz, List) Gegenstand des polit. Kampfes, in der Innenpolitik Verklammerung von Staatsgebieten (Atlantik–Pazifik-Bahnen der USA und Kanadas), Streit um Verstaatlichung (Bismarck hatte die Reichseisenbahn vergeblich angestrebt), anfangs auch Auseinandersetzun­ gen um E.-Spekulationen und -Skandale (bes. in der Gründerzeit); in der Außenpolitik der Großmächte Verwicklungen durch E.-Bauten in ihren ↑ Einflusssphären (z. B. Mandschur. Bahn, Bagdadbahn); zudem Revolutionierung der Kriegführung durch die E.: rascher Aufmarsch von Massenheeren (erstmals von Preußen 1866 und 1870 durchgeführt). Eisenhower, Dwight David, nordamerik. General und Politiker, 1890–1969; ­ leitete 1942/43 die alliierten Landungen in NAfrika und Sizilien und als Oberkommandierender der Westalliierten (seit Dez. 1943) die ↑ Invasion in Frankreich 1944 bis zum militär. Zusammenbruch Deutschlands; brach im Mai 1945 den Vormarsch bei Erreichen der in Jalta mit der UdSSR vereinbarten Linien ab und bestand auf der bedingungslosen Kapitulation aller dt. Streitkräfte; danach Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen und Mitglied des Kontrollrats, bis 1948 Chef des Generalstabs der USA, 1951 Oberbefehlshaber der Atlantikpakt-Streitkräfte (NATO); trat 1952 zurück; Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei, siegte nach hartem Wahlkampf 1952 über den Demokraten Stevenson; 2. Präsidentschaft 1956–1960.

Eisenhower-Doktrin, Kongressbotschaft Prä­sident E.s in der Suezkrise 1957: Die Vereinigten Staaten werden sich für die Länder des Nahen Ostens, sofern ihre Unabhängigkeit und innere Freiheit bedroht ist, einsetzen; praktiziert u. a. im Libanonkonflikt 1958. Eisenseiten (engl. ironsides), geharnischte Reiter, die Elitetruppen ↑ Cromwells im engl. Bürgerkrieg. Eisenzeit, Kulturstufe der Vorgeschichte, gekennzeichnet durch die Verbreitung des Eisens, das die Lebenswelt zunächst weit weniger veränderte, als es das Aufkommen der Bronze getan hatte (↑ Bronzezeit); Meteor-Eisen wahrscheinlich schon im Neolithikum genutzt; in Ägypten meteor. Eisen in der Pyramidenzeit vereinzelt bekannt, doch beharrte Ägypten bis um die Zeitwende im Allgemeinen bei der Bronze. Eisen aus Erdlagerstätten in größerem Umfang zuerst in Kleinasien genutzt, von wo es im 10. Jh. v. Chr. in die ägäische Kultur eindrang und hier als Werkmetall neben die Bronze trat; die Illyrer verbreiteten seine Kenntnis über den Balkan; um die gleiche Zeit fand es sich neben der Bronze in Italien und im Donautal; im übrigen Mitteleuropa in Form von eisernen Messern, eisernen Schmuckteilen an Waffen, seit etwa 800 v. Chr. (ältere Eisenzeit bis etwa 400 v. Chr. ↑ Hallstattzeit); Eisengeräte neben Bronzegeräten; vermutlich waren die Erschöpfung der Kupfer- und Zinnlager und das Übermaß an bronzenen Grabbeigaben die Ursache, das reichlich vorhandene Eisen zunehmend auszuwerten; durch die ↑ Kelten wurde es ab 500–400 v. Chr. zum allg. gebräuchlichen Werkmetall (Jüngere Eisenzeit, ↑ Latène– Kultur). – In Inner­asien kamen Eisengeräte im 1. Jh. v. Chr. vor, in Japan um 300 v. Chr., in China erst in nachchristl. Zeit, in Amerika durch die Entdecker, in Afrika (außerhalb des Nordens und Südens) folgte die E. im Allg. (ohne Bronzezeit) der Steinzeit.

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Eiserne Front Eiserne Front, 1931 gegr. Abwehr-Massen-

organisation der SPD, der Gewerkschaften, Arbeitersportverbände, des „Reichsbanners“ gegen die Massenorganisationen des Nationalsozialismus und Kommunismus. Eiserne Krone („eisern“ wegen eines eingelegten Eisenreifes, der aus einem Nagel vom Kreuz Christi geschmiedet sein soll), als Königinnenkrone im 9. Jh. geschaffen; später Königskrone von Italien, mit der Konrad III., Karl V., Napoleon I. und 1838 Kaiser Ferdinand I. von Österreich gekrönt wurden. Eiserner Vorhang, polit. Schlagwort, nach dem 2. Weltkrieg von Churchill geprägt; bezeichnete die Maßnahmen, mit denen die UdSSR ihren Einflussbereich im Zeichen des beginnenden kalten Krieges hermet. abzuriegeln versuchte. Eisernes Kreuz, preuß.-deutsche Kriegsauszeichnung, 1813 gestiftet (Entwurf von K. F. Schinkel in Anlehnung an das Kreuz des Dt. Ordens), 1870, 1914 und 1939 erneuert; zwei Klassen, zusätzlich Großkreuz und Goldener Stern (nur an Blücher und Hindenburg verliehen); im 2. Weltkrieg Rit­terkreuz und Großkreuz. Eisner, Kurt, dt. Linkssozialist. Schriftsteller und Politiker, 1867–1919; radikaler Kriegsgegner; 1918 Führer der Revolution in Bayern und bayer. Ministerpräsident, in München vor seinem beabsichtigten Rücktritt ermordet (Folge war die Ausrufung der [ersten] Räterepublik). Eiszeit, großräumige Vergletscherungen schon in der Urzeit der Erde (Kambrisch-algonische E.) und im Erdaltertum (Permo-karbonische E.); die für die Entwicklung des Menschen wichtigste war die E. der Nachtertiärzeit, des Quartärs (Di­luvium [lat., Sintflut] oder Pleistozäns [griech., Zeit viel neuen Lebens]); diese E. war das Zeitalter der allmählichen Entfaltung und Verbreitung der heutig. Menschheit (↑ Paläolithikum). Die Veränderung der Erdoberfläche durch den Vorstoß des Inlandeises vom Pol und von den Hochge-

birgsgletschern aus durch Erdbahnschwankungen, Veränderungen in der Zusammensetzung der Luft oder (wahrscheinlicher) durch pulsierende Veränderung der Sonneneinstrahlung auf die Erde erklärt; kein plötzlicher Beginn der Vereisung, sondern vor etwa 1 Mio. Jahren langsamer Übergang zu kälterer Witterung; volles Einsetzen vor 600 000 Jahren; größte Vergletscherung in Europa und Nordwestrussland 13 Mio. km², auf der Erde einschließlich der Südhalbkugel etwa 50 Mio. km² umfassend; in den Tropen, bes. in Afrika, in dieser Zeit Regen und Dürreperioden mit Wüstenbildungen bzw. Urwaldreichtum und in den Warmzeiten Wiederbegrünung der Wüsten (z. B. der Sahara); die Abfolge von Kalt und Warm ließ die Meere steigen (vielleicht Erklärung für die „Sintflut“) oder sinken und veränderte vielmals das geogr. Bild (starker Druck der Eismassen auf das Festland, das nach der E. anstieg; Bildung des engl. Kanals, Moränenlandschaften, Stromtäler, Binnenseen, Festland­senkung im Mittelmeer, Schollenerhe­bun­gen in Zentralasien, Entstehung der indo­nes. Inselwelt, Bildung der Ostsee u. a.). Die Klimaänderungen wandelten das Ausweichen, die Wiederkehr oder Neuzuwanderung von Völkern und ihre Anpassung an neue Umwelten, das Bild des Menschen und der Tier- und Pflanzenwelt. „Klassische“ Hauptgliederung der E. benannt nach der Donau bzw. nach 4 Donaunebenflüssen im einst vergletscherten Alpenvorland (die Flussnamen geben mit ih­ren Anfangsbuchstaben die zeitliche Reihenfolge an) oder – für den europäischen Norden  – von mittel- und osteurop. Flüssen (in Klam­mern angefügt): Der früheste Käl­te­einbruch trägt den Namen der Donau, die erste eigentliche Kaltzeit (Glazial) den Namen des Donaunebenflusses Günz, die 2. und 3. Kaltzeit die Namen der Donaunebenflüsse Mindel (im Norden Elster) und Riss (im Norden Saale), die letzte Eiszeit den der Würm 246

Eiszeitkunst (im Norden Weichsel), eines Abflusses des Starnberger Sees. Die Hauptwarmzeiten (Interglaziale) zw. den Kaltzeiten wurden mit Günz–Mindel-, Min­del–Riss-, Riss– Würm-Zwischenzeit (bzw. -Warmzeit), die Nacheiszeit mit Alluvium, d. h. Zeit der Anschwemmung, be­zeichnet; die entsprechenden Bez. für N-Amerika: Nebrascan (Günz), Kansas (Mindel bzw. Elster), Yarmouth (Mindel–Riss), Illinoian (Riss bzw. Saale), Sangamon (Riss–Würm), Wisconsin (Wärm bzw. Weichsel). Volle Entfaltung der Eiszeitabschnitte: Donau-Kaltzeit vor mehr als 600 000 Jahren, Günz-Kaltzeit um 550 000, Günz–Mindel-Warmzeit um 500 000, Mindel-Kaltzeit um 400 000, Mindel–Riss-Warmzeit um 300 000, RissKaltzeit um 200 000, Riss–Würm-Warmzeit um 100 000, die Würm-Kaltzeit um 80 000 mit zwei Erwärmungsperioden um 60 000 und 40 000; Ende der E., von Süden nach Norden abklingend, um 15 000– 12 000. Nach stärkerem Wärmevorstoß (Al­leröd-Schwankung um 10 000) erfolgte der Durchbruch zu gemäßigtem Klima um 8 000 (Boreal), doch wurde eine vorübergehende Warmperiode (Atlantikum) noch um 6 000 verzeichnet. (Zur Menschheitsund Kulturentwicklung in der E. ↑ Paläolithikum.) Eiszeitkunst, die früheste bekannte „Bilderschrift“ der Menschheit (bildhafter Ausdruck von Wünschen, Ideen und Gedanken), aufschlussreich für die Lebensweise der Vorzeitmenschen, ihre religiösen und magischen Vorstellungen (Zauberbe­ schwörungen), ihr Wirtschaften und ihre Wande­rungen, auch für die tierische Umwelt. Die Entdeckungsgeschichte begann 1840 (Broillet fand im Dep. Vienne einen gravierten Knochen); bedeutend das Auffinden von Gravierungen durch Lartet seit 1860 in der Dordogne; 1863 wurden die Bilder von La Madeleine, 1879 von Altamira entdeckt. Aber erst die Entdeckung der Höhlenbilder von La Mouthe 1895, von Pair-non-Pair 1896, von Les Comba-

relle und Font de Gaume 1901 führten zur allmählichen Anerkennung der Funde als eiszeitliche Schöpfungen. Bis heute wurden 70 Bilderhöhlen in Frankreich, 34 in Spanien, zwei in Italien, eine in Deutschland mit mehreren tausend Bildern und Skulpturen erschlossen. Ergiebigste Fundstellen sind Altamira in Spanien, Lascaux in Frankreich (Departement Dordogne), Schischkino an der oberen Lena (Sibirien). Die Künstler gehörten noch der Epoche der Freibeuter, umherschweifenden Jäger und Sammler an; Ackerbau, Viehzucht, Töpferei waren unbekannt, aber es bestand schon Tauschhandel. Vorstufen des zeichnenden und malenden Kunstschaffens waren Ritzzeichnungen mit Feuersteinstichel auf Steinplatten, Geweih- und Elfenbeinstücken, Wurf­stäben, Harpunen, Mammut­ stoßzähnen und Schulterblättern, vermutlich auch auf Holz; anfangs ornamentale Stri­chelungen, Wellenlinien, Schachbrettmuster, Verschlingungen, Mäander; dann erste Blütengebilde, Umrisse von Tieren, erste Tierfiguren aus gebranntem Lehm, menschliche Gestalten (Venus von Willendorf in der Wachau); Farben: Ockergelb bis Rot aus brauneisenhaltigem Ton, Kalksteinweiß, Holzkohle- oder Pechschwarz; Tierblutrot, ↑ Kupfergrün und Blau aus Kupferverbindungen; Zerstoßen mit Stein­ mörser, Zerreiben auf Reibplatten; Auftragen der Farben im Licht steinerner Fettlämpchen mit der Hand, mit Spachtel, Haar­pinsel, Fellstücken oder Blasrohr; plastische Wirkung durch Ausnutzung von Felsunebenheiten. Die E. entfaltete sich in 3 Stufen: 1) lineare Epoche (nur Gestaltumrisse: Zeit des ↑ Aurignacien, seit etwa 40 000 v. Chr.); 2) malerische Epoche (Darstellungen mit räumlicher Tiefe, mit Licht und Schatten; frühes ↑ Magdalénien, ab 20 000 v. Chr. mit Höhepunkt im mittleren Magdalénien); 3) Rückkehr zum linearen Umriss (spätes Magdalénien), bis etwa 10 000 v. Chr. und Ende der Eiszeitkunst; sie fand in der Nacheiszeit ihre

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Ekbatana Fortsetzung in der mehr und mehr stilisierenden Felsbildkunst Ostspaniens, Skandinaviens, Russlands einschließlich Sibiriens, vor allem in Nordafrika (↑ Sahara) in der Zeit von 10 000 bis etwa 2 000 v. Chr. Ekbatana (jetzt Hamadan), Hauptstadt des Medischen Reiches; um 700 v. Chr. von Dejokes gegr., später Sommerresidenz der Achämeniden und parth. Könige und Aufbewahrungsort des Staatsschatzes. Eknomos (heute Monte Sant Angelo), Felskap an der Südküste Siziliens, vor dem 311 v. Chr. die Karthager über die Syrakusaner, 256 v. Chr. die Römer unter Regulus über die Karthager siegten. Elagabal (M. Aurelius Antonius Heliogabalus), röm. Kaiser (218–222 n. Chr.); mit 14 Jahren auf dem Thron, angeblich Sohn Caracallas, vorher Oberpriester des syrischen Sonnengottes E. (griech. Helio­ gabalos), den er zum Hauptgott Roms erklärte; wegen seiner despot. Herrschaft und wüsten Ausschweifungen ermordet. Elam, altoriental. Reich im westl. Iran, nördl. des Persischen Golfs, östl. von ↑ Akkad, bestand schon im 3. Jh. v. Chr., Hauptstadt Arvan, dann Susa. Die Herkunft der Elamiter ist noch ungeklärt, ihre Sprache, das Elamitische, erst z. T. erschlossen; sie benutzten die Keilschrift ihrer westl. Nachbarn, der kulturell überlegenen ↑ Sumerer; nach wechselvollen Kämpfen gegen Akkad und Babylon, das von ihnen nach 1200 zeitweise beherrscht wurde, geriet E. schließlich unter die Herrschaft seines Erbfeindes Assyrien; 639 v. Chr. eroberte Assurbanipal Susa; anschließend persisch. El-Azhar („die Glänzende“), 972 n. Chr. von den ↑ Fatimiden in ihrer neuen Hauptstadt Kairo erbaute islamische Universität, heute unter Aufsicht der ägypt. Regierung; einflussreichste theolog. Hochschule des Islam (12 000 Studenten aus vielen mohammedanischen Ländern), Symbol der Einheit des Islam (Kairo durch E.-A. geistiges und polit. Kraftfeld in der Welt des Islam); neben dem Studium des alle Le-

bensgebiete bestimmenden ↑ Koran inzw. auch Na­turwissenschaft und moderne Spra­ chen; Ausbildung und Entsendung islam. Missionare besonders in die afrikanischen Länder; Pflege und Verbreitung der arab. Sprache und Kultur; dogmat. und moraltheolog. Gutachtertätigkeit. Elba, Insel im Mittelmeer zw. Korsika und dem ital. Festland; im Altertum im Besitz von Puniern, Griechen, Etruskern und Römern, berühmt wegen ihrer Eisengruben; im 10. Jh. an Pisa, 1290 an Genua, dann an Spanien, 1736 an Neapel; 1814/15 als Fürstentum Verbannungsort Napoleons I., 1815 an Toscana, 1860 an Piemont. Elbe, in Mitteldeutschland stromabwärts seit etwa 500 n. Chr. Grenze zw. Slawen und Deutschen, danach in Auswir­kung der deutschen Ostkolonisation seit dem 10. Jh. annähernd Grenze zw. dem alten Reichsboden und dem dt. Kolonialboden „Ostelbiens“, vor allem Brandenburg-Preußens, das bei seinem Aufstieg zur Großmacht zwar auch nach Westen über die Weser bis zum Rhein ausgriff, doch durch sein Vordringen nach Osten über die Oder und Weichsel seinen Schwerpunkt immer östl. der E. behielt und sich durch den Tilsiter Frieden 1807 vorübergehend mit der E. als Westgrenze abfinden musste. Sozialgeschichtlich bedeutsam wurde die E. als Trennungslinie der dt. Agrarverfassung: Die ostelb. ↑ Gutsherrschaft unterschied sich wesentlich von der ↑ Grundherrschaft in West- und Süddeutschland. Auch durch die Zweiteilung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg wurde die E. z. T. wieder zu ­einer innerdt. Grenze zwischen zwei grundverschiedenen Wirtschafts- und Sozialordnungen. Gleichzeitig verlor sie erheblich an Wert als Schifffahrtsweg. Die E.-Schifffahrt wurde im alten Dt. Reich durch Dutzende von Zöllen, Stapelrechten usw. behindert; die E.-Schifffahrtsakte von 1821 blieb wegen Sonderinteressen der Uferstaaten ohne Auswirkung, und erst durch Gesetz des Norddt. Bundes wurde 1870 die Freiheit 248

Elektrizität der E.-Schifffahrt verwirklicht; 1919–1936 war die E. internationalisiert. El-Bekri, arab. Geograf, schrieb 1069 in Cordoba das „Buch der Wege und Königreiche“, bedeutend für das Afrika im MA. Eldorado, ↑ Dorado. Elea, in Süditalien um 540 v. Chr. als Kolonie der Phokäer gegr., Sitz der ersten bekannten Philosophenschule des Altertums (Eleaten), die um 450 blühte, begründet von Xenophanes; berühmteste Vertreter Parmenides und Zenon. Elefanten, „Panzerwaffe“ der Antike neben dem Streitwagen, doch ebenso selten wie dieser von schlacht-, nie von kriegsentscheidender Bedeutung; ihre Stärke lag im Überraschungsmoment und in der moral. Wirkung auf einen unerfahrenen und undisziplinierten Gegner, ihre Schwäche in der Empfindlichkeit gegen Klima- und Futterwechsel bei Verwendung auf fremden Kriegsschauplätzen (Hannibal verlor bei seinem Alpenübergang fast sämtl. Kriegs-E.), ihrer Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit, die mitunter die eigenen Linien gefährdete. Zu Kriegszwecken erstmals abgerichtet von den Indern (seit Alexanders d. Gr. Indienzug den Griechen bekannt), mit Vorliebe verwendet von den Karthagern. Die Hauptausrüstung der Kriegs-E. bestand in einem meist gepanzerten Turm, der mit Speerschleuderern und Bogenschützen besetzt war, zudem reizten die Führer ihre Tiere dazu auf, die feindlichen Soldaten niederzutrampeln. In der Regel kamen nicht über 20 E. in einer Schlacht zum Einsatz, diese Anzahl brachte auch Pyrrhus von Epirus nach Italien mit; durch ihn sahen sich die Römer Kriegs-E. gegenüber. Nach anfänglichem Schrecken stellten sie sich darauf ein: Sie bildeten Gassen, in die die angreifenden E. hineinliefen, wo sie mit Feuerbränden scheu gemacht und ihre vom Hauptheer abgeschnittene Besatzung vernichtet werden konnte, indes sich die vorderen Schlachtreihen wieder schlossen. Die Römer selbst verwendeten E. nur

zu Schaukämpfen. Im MA wurden KriegsE. im Orient eingesetzt. Elektrizität (griech.), beim Reiben von Bernstein stellten schon die Griechen eine Anziehungskraft leichter Körperteilchen fest. Den Namen E. gab der englische Arzt Gilbert um 1600, der dieselben Merkmale außer bei Bernstein auch bei Glas, Harz und Edelsteinen entdeckte. Damit begann die E.s-Lehre, doch wurde bis Mitte 19. Jh. die E. nur zu Experimentierzwecken verwendet, erst von da an techn.-industrielle Auswertung in stürm. Entwicklung. – Anfang 17. Jh. konstruierte O. von Guericke die erste Elektrisiermaschine; 1727 entdeckte Gray den Unterschied zw. Leitern und Nichtleitern (Isolatoren), also die Leitbarken des Stromes bei bestimmten Stoffen, 1773 Du Fay die Anziehung und Abstoßung der Pole, 1789 Galvani und Volta den Galvanismus (Berührungs-E.). Davy (1778–1829) zersetzte mit Strom Alkalien; 1820 fand Örstedt durch Zufall den Elektromagnetismus; 1826 entdeckte Ampere die gegenseitige Einwirkung der elektr. Ströme; 1827 fand Ohm die Gesetze der Stromstärke (Ohmsche Gesetze); 1831 erkannte Faraday die Induktion; 1833 bauten Gauß und Weber einen elektro­magne­ tischen Telegrafen, 1835 Morse den Fernschreiber; 1838 erfand Jacobi die Galvanoplastik, 1839 Steinheil die elektr. Uhr; 1854 Heinrich Göbel die Glühlampe (1879 neu durch Edison); 1865 entwickelte Maxwell die elektromagnet. Lichttheorie; 1866 erkannte Siemens das dynamoelektr. Prinzip (für die Konstruktion leistungsfähiger Dynamomaschinen und später der Elektromotoren als wichtigsten Antrieb im Maschinenzeitalter); 1879 bauten Siemens und Halske nach der elektrischen Straßenbahn die elektr. Lokomotive, 1882 Edison das erste E.s-Werk; 1888 wies Hertz die elektromagnetischen Wellen nach; 1896 erfand Marconi die drahtlose Telegrafie und 1906 der österr. Physiker Robert von Lieben die Elektronenröhre.

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Elemente Neue Erfindungen auf dem Gebiet der Elektronik z. B. Braunsche Röhre, ↑ Fernsehen und in der Datenverarbeitung. Elemente, Urstoffe oder Grundbausteine der Materie; nach Auffassung der antiken griech. Philosophen Wasser, Feuer, Luft und Erde; nach Aristoteles nicht verschiedene Grundstoffe, sondern verschiedene Er­scheinungsformen einer einzigen Urmaterie. Die Lehre von vier (für unwandelbar gehaltenen) E.n gelangte über die Araber nach Westeuropa und ging in die ↑ Alchimie des MA ein, erweitert durch den Grundsatz der drei alchimist. E. Salz, Schwefel, Quecksilber; überwunden erst im 17. Jh. durch Boyle (1627–1691), der den naturwissenschaftl. Begriff des Elementes festlegte (↑ Atomzeitalter, Chemie). Eleonore von Aquitanien (von Poitou), um 1122–1204, Tochter Wilhelms X. von Aquitanien; vermählte sich 1137 mit Ludwig VII. von Frankreich, 1152 in 2. Ehe mit Heinrich von Anjou, Herzog der Normandie und Graf von Anjou, Maine und Tours, dem späteren Heinrich II. von England: westliche Hälfte Frankreichs fiel als „Mitgift“ an England; E. war die Mutter von Richard Löwenherz. Elephantine, altägyptische Kultinsel bei Assuan am 1. Nilkatarakt, befestigter Sperr­ riegel gegen ↑ Nubien; berühmter erhalte­ ner Nilpegel; Jahwe-Tempel. Eleusis, altgriech. Küstenstadt, mit Athen durch die „heilige Straße“ verbunden; berühmte Geheimkultstätte (Fruchtbarkeitskult); Demeter und Persephone zu Ehren wurden hier alljährl. zweimal große Weihen und Prozessionen abgehalten, die Eleusin. ↑ Mysterien, die Athen seinen Vor­ machtideen dienstbar machte. Elfenbeinküste, afrikan. Staat, 15.–19. Jh. Aschantireich im Innern, um 1700 „Reich des goldenen Stuhles“ , steigerte den von Ghana übernommenen Goldhandel; seit Anfang des 19. Jh. frz. Einflussgebiet, seit 1893 Kolonie, 1960 in die Unabhängigkeit entlassen.

Elis, fruchtbare griech. Landschaft auf dem

Peloponnes; am Fluss Alpheios der heilige Tempelbezirk ↑ Olympia. Elisabeth, Name von Herscherinnen. England: 1) E. I. (1558–1603); geb. 1533, Tochter Heinrichs VIII. und der Anna Bo­ leyn, eine der bedeutendsten Frauen auf dem englischen Thron, erfüllte nach dem katholischen Regime ihrer Stiefschwester Maria der Katholischen (gest. 1558) die Hoffnungen des antipäpstlichen und antispan. England, stellte die anglikan. Staatskirche wieder her, unterdrückte Katholiken und Presbyterianer, vermied Konflikte mit dem Parlament, ließ ihre Thronrivalin Maria Stuart nach mehrjähriger Gefangenschaft hinrichten und behauptete sich siegreich gegen Philipp II. von Spanien (1588 Vernichtung der Armada). 1584 wurde die von Raleigh gegr. erste engl. Kolonie in Nordamerika nach der unvermählten Königin „Virginia“ benannt (↑ Elisabethan. Zeitalter). 2) E. II., geb. 1926, Symbol des Empire, Tochter Georgs VI., dem sie 1952 auf den Thron folgte, seit 1947 mit Prinz Philip Mountbatten (aus dem griech. Königshaus, Herzog von Edinburgh) verheiratet; von den Schotten nur als E., nicht E. II., anerkannt. – Frankreich (Orléans): 3) E. Charlotte, Herzogin von Orléans, ↑ Liselotte von der Pfalz. – Österreich: 4) E., Kaiserin, 1837–1898; Schwester Herzog Karl Theodors von Bayern, seit 1854 Gattin Franz Josephs, bemüht um Ausgleich mit Ungarn, in Genf von einem Anarchisten ermordet. – Pfalz: 5) E., Kurfürstin, 1596–1662; Tochter Jakobs I. von England, seit 1613 Gattin Friedrichs V. von der Pfalz, des ↑ „Winterkönigs“ von Böhmen. – Preußen: 6) E. Christine, Königin, 1715–1797; braunschweig. Prinzessin, seit 1733 Gattin Friedrichs d. Gr., von dem sie seit 1740 getrennt lebte. – Rumänien: 7) E., Königin, 1843–1916; Prinzessin von Wied, seit 1869 mit Karl (Carol) I. verheiratet; Schriftstellername war Carmen Sylva. – Russland: 8) E. Petrowna, Zarin 250

Elsass (1741–1762); geb. 1709, Tochter Peters d. Gr., gelangte durch Palastrevolution auf den Thron, ausschweifend, Günstlingswirt­ schaft; im 7-jährigen Krieg aus persönl. Grün­den gegen Friedrich d. Gr., den ihr Tod aus verzweifelter Lage rettete („Mirakel des Hauses Brandenburg“); gründete 1755 die erste russ. Universität (in Moskau) und 1758 die Akademie der Künste (in Petersburg). – Spanien: 9) E., Tochter König Heinrichs II. von Frankreich und Katharinas von Medici, 1545–1568; nach der Auflösung ihrer Verlobung mit dem Infamen Don Carlos seit 1559 mit dessen Vater Philipp II. vermählt. 10) E. Farnese, Königin, 1692–1766; seit 1714 (2.) Gemahlin Philipps V., stürzte mit ihrem Günstling Alberoni Spanien in außenpolitische Abenteuer, um ihren Söhnen Throne zu verschaffen. – Thüringen: 11) E. die Heilige, Landgräfin 1207–1231; Tochter Andreas’ II. von Ungarn, 1221 vermählt mit dem Landgrafen Ludwig IV., der vom Kreuzzug nicht heimkehrte (1227); verließ die Wartburg und fand einen Herrschaftssitz in Marburg, wo sie seit 1229 unter der strengen Leitung ihres Beichtvaters Konrad von Marburg ein Leben der Askese, Andacht und aufopfernden Nächstenliebe führte; 1235 heiliggesprochen. Elisabethanisches Zeitalter, Regierungszeit der engl. Königin ↑ Elisabeth I. (1558– 1603), Blüte von Schifffahrt und Handel (↑ Kaperfahrten Drakes, Ostindische Kompanie) wie des Geisteslebens (↑ Bacon, Shakespeare). El Salvador, mittelamerik. Republik; 1524/25 von dem Spanier Alvarado unter­ worfen, von Indianern bewohnt, unterstand bis 1821 dem spanischen Generalkapitän von Guatemala, dann mit Guatemala, Honduras, Costa Rica bis 1839 im mittelamerik. Bund; 1841 Freistaat; 1842–45, 1895–98 und 1921/22 erneut mit anderen mittelamerik. Staaten föderiert; mehrmals Kriege mit Guatemala; 1886 demokratische Verfassung, abgelöst von Diktaturen;

1945 Wiedereinführung der Verfassung von 1886 (präsidiale Republik). 1960 Militärputsch linker Kreise, 1962 neue Verfassung. Seit der Wahl Carballos zum Präsidenten 1962 antikommunistische Politik, die sein Nachfolger Hernandez fortführte. Seit 1978 wachsende Unruhe v. a. unter den Bauern, die 1979 in Botschaftsbesetzungen und Geiselnahmen gipfelte; Sturz des Staatspräsidenten H. Romero (seit 1977) durch Militärputsch, fortan regierte eine 5-köpfige Junta aus Militär und christdemokrat. Politikern. März 1980 Ermordung des oppositionellen Erzbischofs von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero; daraufhin beschleunigter Zusammenschluss der Opposition in der Frente Democrático Revolucionario (FDR); Ausbruch eines Bür­gerkriegs, der 1980 etwa 10 000 Menschen das Leben kostete und in Form eines Guerillakampfes fortgesetzt wurde. 1980– 82 und seit 1984 Staatspräsidentschaft des Christdemokraten José Napoleón Duarte. Der von ihm angebotene „nationale Dia­ log“ mit allen demokrat. Kräften scheiterte; 1989 Regierung unter Führung der rechtsgerichteten Partei ARENA. 1992 Friedensabkommen, das u. a. die Demokratisierung der Armee, Bodenreformen und die Einhaltung der Menschenrechte zum Inhalt hatte; 1993 Generalamnestie für Bürgerkriegsverbrecher, die 2000 wieder aufgehoben wurde. Ebenfalls 2000 Ein­führung des US-Dollars als Zweitwährung zur Stabilisierung der wirtsch. La­ge. Seit 2000 Parlamentsmehrheit der FMLN, aber Regierung der ARENA unter Präsident Elías Antonio Saca (seit 2004). Elsass, zw. Rhein und Wasgenwald (Vogesen); Name von Alesaciones = Alemannen; ursprünglich von Kelten besiedelt, seit dem 1. Jh. v. Chr. Eindringen ger­man. Stämme; nach dem Sieg Cäsars über Ariovist (58 v. Chr. ) römisch: neue Siedlungen Augusta Rauricorum (Augst bei Basel), Mons Brisiacus (Altbreisach), Ar­gen­toratum (Straß­burg), Tabernae (Zabern) u. a.; seit

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Elsass-Lothringen der Mitte des 4. Jh. n. Chr. von Alemannen bewohnt, 496 im fränk. Reich Chlodwigs, im 7. und 8. Jh. eigene Herzöge, 843–870 beim Reich Lothars, seitdem zum ostfränk. (dt.) Reich, seit 925 Teil des Herzogtums Schwaben; Blüte in der sächs. und staufische Zeit (neue Burgen der Ministerialen und Städte; Pfalz Hagenau); territoriale Zersplitterung seit 1268 (Ende des Hauses Hohenstaufen): Landgrafschaft Ober-E. (Sundgau) im Besitz der Habsburger; Land­ grafschaft Unter-E. unter den Bischöfen Straßburgs; habsburg. Stifte, Reichsvogtei über die Städte; freie Reichsstadt Straßburg; seit 1354 Zehnstädtebund, in dem Hagenau führte; bedeutender Beitrag zur dt. Geistesgeschichte des MA und der Reformationszeit (Otfried von Weißenburg, Gottfried von Straßburg, Johannes Tauler, Geiler von Kaysersberg, Wimpfe­ ling, Sebastian Brant, Thomas Murner, Martin Butzer). Im 15. Jh. vergebliche Eroberungsversuche Frankreichs (Armagnaken 1445) und Burgunds (Karl d. Kühne); Bauernkrieg 1525; Eroberungsversuche Heinrichs II. (nach der Auslieferung von Metz, Toul und Verdun 1552) vor Straßburg abgewiesen. Im 30-jährigen Krieg E. Durchmarschgebiet der Spanier, Heimsuchung durch die Schweden und schließlich Vordringen Frankreichs; Richelieu erfolgreich im „Trümmerfeld links des Rheins“ (machtpolit.-strateg., nicht national motiviert), begünstigt durch die geheime Abtretung der habsburgischen Rechte an der span. Linie Habsburgs. Im Westfälischen Frieden 1648 Abtretung dieser Rechte an Frankreich, absichtlich in unklarer Fassung (beiderseits Wunsch nach Auslegung im eigenen Interesse). Die ↑ Reunions­politik Ludwigs XIV. gipfelte im Raub Straßburgs 1681. Im 18. Jh. Gesicht des E. noch dem Rhein zugewandt, rege kulturelle Beziehun­ gen zum Reich, Frage nach der nationalen Zugehörigkeit erst durch die Frz. Revolution aufgerollt. Restliche dt. Besitzungen von Frankreich eingezogen, Kampf gegen

dt. Sprache und Kultur, erfolgreich durch die werbende Kraft der Revolutionsideen. Wunsch der dt. Patrioten nach Rückgliederung des E. 1815 unberücksichtigt, (↑ E.Lothringen). Elsass-Lothringen, durch den Frankfurter Frieden 1871 an Deutschland als „Reichsland“ unter kaiserlichem Statthalter abgetreten. Die große Mehrheit der Bevölkerung protestierte gegen die Angliederung (15 elsass-lothring. „Protestler“ im Reichstag 1874), ein Teil optierte für Umsiedlung nach Frankreich; dazu aktive frz. Kulturpolitik, Verbundenheit der Intelligenzschicht (Notabeln) mit Frankreich; Missstimmung auch wegen allg. dt. Dienstpflicht, Verwaltung durch reichsdt. (preuß.) Beamte, Vorenthaltung der Autonomie (bis 1911) trotz der Qualität der dt. Verwaltung und der wirtsch. Blüte. Uneinheitliche Politik der Statthalter, noch verwickelter durch kulturpolit. Forderungen der kath. Kirche. 1913 weiterer Rückschlag durch ↑ Zabernaffäre. – Im 1. Weltkrieg Wiedererstarken der Sym­ pathien für Frankreich, 1918 Rückgliede­ rung an Frankreich begrüßt, doch aus kulturpolit. Gründen (Schulgesetze) starke Autonomiebewegung. Förderung der elsässischen Irredenta durch das nat.-soz. Deutschland. Bei Ausbruch des 2. Weltkrieges der Führer der Autonomisten, Roos, von den Franzosen erschossen, 1940 dt. Besetzung von E.-L. und Loslösung von Frankreich (keine förml. Annexion), Umsiedlung vieler Franzosen und mit Frankreich Sympathisierenden, Einberufungen zur dt. Wehrmacht; 1944/45 Rückeroberung durch die Alliierten; Erneuerung der alten Departementseinteilung. Emanuel, Könige von Portugal, ↑ Manuel. Emanzipation, bei den Römern Freilas­ sung einer Person aus der Gewalt des Haus­vaters (pater familias); später allgemein die Befreiung aus einem Zustand der Abhängig­keit oder Beschränkung: E. der Frauen (Wahlrecht, Zulassung zu den Universitäten usw.) im 19. Jh.; E. der Juden 252

Emigranten (Gleichberechtigung als Staatsbürger) im Gefolge der Frz. Revolution; E. der Katholiken in England 1829 durch Aufhebung der ↑ Testakte; E. der Bauern durch Auflösung der feudalen Agrarverfassung; E. der Unternehmer und Lohnarbeiter von dem Reglement des Merkantilismus. Emerson, Ralph Waldo, nordamerik. Philosoph und Dichter, 1803–1882; von bedeutendem Einfluss auf das Geistesleben der USA, mit Carlyle befreundet und stark vom dt. philosoph. Idealismus beeinflusst; forderte eine Vergeistigung des Lebens zur Wahrung der Würde des Menschen. Emesa (heute Homs), syr. Stadt, in der Antike Tempelheiligtum des Helios (als Ober­priester der spätere Kaiser ↑ Elagabat); 272 n. Chr. Sieg des Kaisers Aurelian über Zenobia, anschließend Verpflanzung des Baal-Dienstes nach Rom (Staatstempel 274); 1098 von Kreuzfahrern erobert; 1516–1918 osmanisch. Emigranten (lat. emigrare, auswandern), Flüchtlinge, die ihr Vaterland als Opfer politischer, konfessioneller, sozialer oder natio­naler Unterdrückung oder aus eigenem Entschluss aus Protest gegen das dort herrschende Regime verlassen; als Massen­ erscheinung meist der ersten Gruppe zugehörig. Markante Beispiele in der Neuzeit die Massenemigration der ↑ Hugenotten (↑ Refugiés), der Salzburger Exulanten (↑ Firmian), der kath. Irländer, der Gegner der Frz. Revolution aus Frankreich, die als E, zu einem spezif. histor. Begriff des Zeitraums 1789–1815 wurden: Es waren die meistgehassten Vertreter des Ancien régime, an ihrer Spitze die Angehörigen des Hauses Bourbon, fast der gesamte Hochadel, später auch Geistliche und reiche Bürger; sie stellten in Koblenz eine Gegenregierung und ein E.-Heer unter dem Prinzen Condé auf, das 1792 mit den Armeen der Verbündeten in Frankreich einmarschierte; ihre Verbindung mit auswärtigen Höfen, ihre Unbelehrbarkeit, Anmaßung und Rachsucht machten sie in

Frankreich noch mehr verhasst; die Pariser Revolutionsregierung stellte Ächtungslisten mit 30 000 Namen auf, die Güter der E. wurden eingezogen, der Verkehr mit ihnen unter Todesstrafe gestellt; nach Bonapartes allg. Amnestie 1799 kehrten viele E. nach Frankreich zurück, der bourbonentreue Rest erst 1814, erhielt aber Vermögen und Güter nicht zurück, sondern 1825 eine Entschädigung in Rentenpapieren, die 1831 zugunsten des Staates eingezogen wurden. – Nach 1815 wurde Frankreich selbst das Ziel von E., bes. aus Italien und Deutschland, die vor der Metternichschen Reaktion bzw. den Demagogen­ verfolgungen flüchteten. Massenemigra­tio­ nen lösten auch das Scheitern der poln. Aufstände und der Revolution 1848–1849 aus; in der 1. Hälfte des 19. Jh. war Paris Zentrum der europ. Emigration und der polit. Revolutionäre. In der 2. Hälfte des 19. Jh. wurden die nationalen und demokrat. Freiheitskämpfer abgelöst von emigrierten Sozialisten und Anarchisten: das Emigrationsgefälle verlief von Osten nach Westen: Russland–Deutschland–Westeuropa–USA. Die E. wählten Zufluchtsländer, in denen sie Gesinnungsfreunde fanden (z. B. begeisterte Aufnahme der poln. E. bei den dt. Demokraten im Vormärz) oder in denen sie mit weitgehender Toleranz oder Asylrecht (Schweiz) rechnen konnten; ihre Aufnahme führte mitunter zu diplomat. Verwicklungen (Auslieferungs- bzw. Ausweisungsbegehren, Forderung nach Verbot der polit. Weiterbetätigung u. a.). – Im nat.-soz. Deutschland kamen zu polit. E. (ca. 35 000 Menschen) die E. wegen rass. Verfolgung (bis Okt. 1941 emigrierten ca. 500 000 Menschen jüd. Abstammung). Im Nachkriegsdeutschland kursierte zeitweilig der Begriff der „Inneren E.“, mit dem v. a. Intellektuelle ihre Anpassung an den Nationalsozialismus als nur scheinbar, die E. dagegen als verantwortungslos Geflohene darstellen wollten. – Die großen polit. und territorialen Veränderungen nach dem

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Emin Pascha 2. Weltkrieg ließen die Emigration (neben der ↑ Vertreibung), zunächst in den ostmitteleuropäischen Staaten und der Ukraine, dann auch in Teilen Asiens und Afrikas, zum Schicksal für Millionen Menschen wer­den. Emin Pascha (Eduard Schnitzer), dt. Afrikaforscher, 1840–1892; 1865 türkischer Arzt, seit 1876 in ägyptischen Diensten, Übertritt zum Islam; 1878 Gouverneur von Äqua­torialafrika, das er gegen den ↑ Mahdi behauptete, obwohl seit 1883 völlig abgeschnitten; 1888 von Stanley befreit, besiegte er die Mahdisten und trat 1890 in dt. Dienste, erforschte die ostafrikanischen Seen; wurde am Kongo von arab. Sklavenhändlern ermordet. Emir (arab. Herrscher), Titel der (wirkl. wie angebl.) Nachkommen Mohammeds, der unabhängigen arab. Stammeshäuptlinge und einiger Würdenträger des Osman. Reiches, auch einiger islam. Dynas­ tien (z. B. der Omaijaden in Spanien; bis 1926 des Herrschers von Afghanistan). Empire, Bez. für das Kaiserreich Napoleons I., Napoleons III. und das brit. Weltreich. Emser Depesche, telegraf. Bericht aus Ems vom Juli 1870 an Bismarck über König Wilhelms I. Unterredung mit ↑ Benedetti über die Thronkandidatur eines Hohenzollern in Spanien; Bismarck ließ sie in verkürzter und dadurch verschärfter Form veröffentlichen, um auch nur den Anschein einer Demütigung Preußens zu verhindern und das in Prestigefragen empfindliche Frankreich zu provozieren: Damit löste er die frz. Kriegserklärung aus (↑ Dt.-Frz. Krieg). Emser Punktation, Übereinkunft, die die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln und Salzburg 1786 abschlossen, um Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber den päpstlichen Nuntien zu erlangen, von Joseph II. unterstützt, von Friedrich Wilhelm II. verworfen; die Bischöfe unterwarfen sich 1789; der Ansatz zu einer dt. Nationalkirche scheiterte.

Endlösung der Judenfrage, nat.-soz. Bez.

für den Plan, die europ. Juden zwangsweise in bestimmte Gebiete umzusiedeln bzw. durch millionenfache Morde, bes. in den KZ und Vernichtungslagern, auszurotten; die verschleiernde Bezeichnung tauchte erst­mals im Vorfeld des Russland-Feldzuges auf, er­hielt ihren mörder. Sinn dann 1942 bei der ↑ Wannsee-Konferenz; der E. fielen rd. 5 Mio. Juden zum Opfer. Enea Silvio, ↑ Pius II. Engelbert von Köln, Erzbischof, um 1185–1225, erst Parteigänger Philipps von Schwaben, später Friedrichs II.; seit 1216 Erzbischof, reorganisierte das zerrüttete Erzbistum, wurde 1220 Vormund Heinrichs (VII.) und als weitblickender Reichsverweser „des Reiches Schutz und Schirm“; 1225 von Friedrich von Isenburg erschlagen (Wehklage Walthers von der Vogelweide über seinen Tod, Biografie des Caesarius von Heisterbach). Engels, Friedrich, dt. sozialist. Theoretiker, Mitbegründer des wiss. Sozialismus oder ↑ Marxismus, 1820–1895; Sohn eines rhein. Textilindustriellen, in der Jugend Junghegelianer, kam durch Feuerbach zum Materialismus; seit 1842 in Verbindung mit Karl ↑ Marx, mit dem ihn lebenslange Freundschaft und das gemeins. Werk verband; lernte aus eigener Anschauung in Manchester (Filialbetrieb des Vaters) die Arbeiterfrage und die engl. Frühsozialisten (Chartisten, Owen-Anhänger) kennen, schrieb 1845 „Die Lage der arbeitenden Klassen in England“; Abkehr von Hegel; verfasste mit Marx 1847/48 für den „Bund der Kommunisten“ in London das „Kommunist. Manifest“, gründete mit ihm in Köln die „Rheinische Zeitung“, emigrierte als Teilnehmer am pfälz.-bad. Aufstand nach London und unterstützte Marx mate­ riell wie geistig. Nach dessen Tod galt er als Haupt des internationalen Sozialismus, von bes. Einfluss auf die dt. Sozialdemokratie. Hauptwerke: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, „Die 254

England Entwicklung des Sozialismus vom der Utopie zur Wissenschaft“. Engelsburg, die antike Moles Hadriani (Hadrians Grabmal), 136–139 n. Chr. als 50 m hoher Rundbau in Rom am Tiber erbaut, im MA Festung der Päpste bis 1870, ben. nach dem Erzengel Michael. Wiederholt belagert und erstürmt; berüchtigt die Belagerung 1527 durch die Landsknechte Karls V. (↑ Sacco di Roma). Enghien, Heinrich von Bourbon, Herzog von E., frz. Emigrant, Opfer eines Justizmordes, 1772–1804; auf Befehl Bonapar­ tes unter Bruch des Völkerrechts aus Baden nach Frankreich entführt und unter der Anschuldigung der Teilnahme an einer Verschwörung erschossen. England (Anglia, Land der Angelsachsen), südl. Hauptteil der brit. Insel, polit. der Kern Großbritanniens und des engl. Weltreiches. Zur Urgeschichte ↑ Paläolithikum, Mesolithikum, Neolithikum; in der Bronze- und Eisenzeit Eindringen der Kelten (↑ Briten); schon früh von seefahrenden Völkern wegen seines Reichtums an Zinn aufgesucht. Zeit der röm. Herrschaft: 55 und 54 v. Chr. von Cäsar betreten und die Eroberung eingeleitet; in der 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. von den Römern unterworfen (43 röm. Feldzug, SO-Britannien röm. Provinz Britannia); 57 n. Chr. Aufstand; 78–84 von Agricola bis zum ↑ Piktenwall in Schottland unterworfen; um 410 n. Chr. von den Römern geräumt. – Zeit german. Könige: Seit 449 n. Chr. wurde E. im SO von Jüten, Angeln und Sachsen (Angelsachsen) erobert; ein Teil der Vorbewohner floh aufs europ. Festland, in die Bretagne; Gründung mehrerer angelsächs. Kleinkönigreiche, die sich bis zur Irischen See ausdehnten; seit Anfang des 7. Jh. Einführung des Christentums; zum führenden angelsächsischen Teilkönig­reich wurde Wessex, das unter schweren Kämpfen gegen die ↑ Normannen (Dänen) im 9./10. Jh. einen angelsächs. Gesamtstaat errichtete, dessen einheitl. Verwaltung ↑ Alfred d. Gr. (871–

899) organisierte. Erneute Däneneinfälle führten zur (normann.) Dänenherrschaft 1016–1042; unter Knut d. Gr. von Dänemark und Norwegen (1016–1053) war fast ganz E. Teil des dän. Nordseeimperiums. 1066 setzte der normann. Herzog der Normandie Wilhelm (der „Eroberer“) mit einem Heer nach E. über, siegte in der Schlacht bei ↑ Hastings über die Teilkönige, eroberte ihre Staaten, ließ sich zum König wählen und krönen; Einführung des normann.-frz. Lehensrechtes (1400 königliche Lehensträger), Stärkung der Königsgewalt, deren Einflussbereich auch die Normandie auf dem Festland umgriff; zentrale Verwaltung (↑ Domesday Book 1083–86), Beendigung der Normanneneinfälle aus dem dän. Raum; am Hof Wilhelms I., des Eroberers, frz. Sprache und Kultur, Kirchen-, Palast- und Klosterbauten in „normann. Romanik“. Die Enkelin Wilhelms, Mathilde, heiratete Gottfried von AnjouPlantagenet, ihr Sohn Heinrich (II.) wurde Thronfolger: Die Krone E.s ging an das Haus ↑ Anjou-Plantagenet über (1151– 1399); Heinrich II. (1154–1189) legte durch die Heirat mit ↑ Eleonora von Aquitanien den Grund zum ↑ Angevin. Reich, das außer E. halb Frankreich und das 1170–1175 unterworfene Irland umfasste. Die Schwächung des Königtums in den Auseinandersetzungen mit dem Papst (E. wurde 1213 päpstliches Lehen) und durch Niederlagen auf dem Festland (Schlacht bei ↑ Bouvines 1214, Verlust der meisten Festlandsbesitzungen) benutzten 1215 die großen Lehensherren (Barone), ↑ Johann Ohneland die ↑ Magna Charta abzuzwingen; während eines erneuten Aufstands der Barone (1260–65) verschmolzen niederer Adel und das Bürgertum der großen Städte unter Führung Simons von Montfort zum dritten polit. Faktor, doch behielt das Königtum die Oberhand; entscheidende Ausbildung des Parlaments durch Hinzuziehen von Vertretern der Grafschaften und Städte (Unterhaus) 1265 bzw. 1295; unter

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England ↑ Eduard I. 1277–1282 Einverleibung des

keltischen Wales; das vorübergehend beherrschte Schottland ging 1344 (Schlacht bei Bannock­burn) wieder verloren; im 14. Jh. setzte sich die englische Sprache (das alte Angelsächsisch vermischt mit dem Fran­zösisch der Normannen) auch am Hof durch (anstelle der frz. Hofsprache). 1339– 1453 ↑ Hundertjähriger Krieg um das Erbe in Frankreich, im ersten Abschnitt erfolgreich, endete schließlich mit Verlust auch der noch verbliebenen engl. Festlandsbesitzungen (außer ↑ Calais). Regierende Häuser: Lancaster 1399–1461, York bis 1485. Die Ausblutung des Adels setzte sich in den ↑ Rosenkriegen, im Bürgerkrieg zwischen den Häusern Lancaster (Rote Rose) und York (Weiße Rose), 1455–1485 fort; an die Stelle der fast ausgerotteten Hocharis­ tokratie trat die neue ↑ „Gentry“, das Bauerntum blieb weiter bedrückt (↑ Bauernlegen), dagegen überwand das wirtschaftlich auf­blühende Bürgertum alle Rückschläge (erfolgreiche Konkurrenz gegen das flandr. Tuchgewerbe, das im MA die englischen Wolle verarbeitet hatte, und gegen den Han­del der Hanse). Neuer Abschnitt in der Geschichte E.s unter dem Hause Tudor (1485–1603): starke Königsmacht (ergebe­ nes Unterhaus), innere Stabilität, Loslösung von Rom (unter Heinrich VIII.) und Begründung der ↑ anglikan. Staatskirche, Säkularisierung des Kirchengutes (Erlös in Küstenbefestigungen angelegt) und Verstaatlichung der Pfründen (Entmachtung des hohen Adels), Knechtung des kath. Irland, Ausschaltung des fremden Handels (Schließung der Hanseniederlassungen), Abwehr des spanisch-kath. Universalismus, För­derung von Handel und Gewerbe – alles im Rahmen einer bewussten Inselpolitik unter Verzicht auf festländ. Machtpositionen; Höhepunkt dieser Entwicklung (Aufgabe der letzten Festlandsbesitzung Calais) unter ↑ Elisabeth I. (1558–1603); Erwachen des englischen Sendungsbewusst­ seins durch das Eindringen des ↑ Calvinis­

mus (E. = „Das neue Israel“); trotz des englischen Sieges über die spanischen Armada, trotz verwegener Freibeuterei (↑ Drake) und der Überseearbeit der ↑ Ostind. Kom­ panie (gegr. 1600) zunächst nur geringe überseeische Expansion (E. hatte in dieser Zeit nur 4 Mio. Einwohner); erst unter dem Hause Stuart (seit 1603 Personalunion E.-Schottland) Anfänge des engl. Kolonialreiches. – Haus Stuart und die Re­vo­lution (1603–1688): Die Thronfolge trat, da Elisabeth I. unvermählt geblieben war, König Jakob (I.) von Schottland, der Sohn der ↑ Maria Stuart, als nächstberechtigter Nachfolger an; die Neigung Jakobs I. (1603–1625) und Karls I. (1625–1649) zum Absolutismus (höf. Luxus, Steuererhe­ bung ohne parlamentarische Bewilligung, stehendes Heer usw.) forderte das von den Puri­tanern beherrschte Parlament zu offe­nem Widerstand heraus, führte 1640 zum Bürgerkrieg, in dem die von Oliver ↑ Cromwell geführten Parlamentstruppen den Sieg davontrugen, und endete mit der Enthauptung Karls I., doch blieben Republik und Diktatur Cromwells verfassungsrechtliche Episoden; durch ihn zunehmende außenpolit. Aktivität: Ausbildung eines geschulten Seemannsstandes; Begrün­dung der englischen Vormacht zur See im Kampf gegen Holland (↑ Navigationsakte 1651), 1654 Festsetzung auf dem span. Jamaika. 1660 Restauration der kath. Stuarts (Karl II., der Sohn Karls I., 1660– 1685); im Kampf um die königl. Rech­te (↑ Test­akte, Habeascorpusakte) Bildung der beiden großen Parteien (↑ Tories und Whigs), beide gegen Absolutismus und kath. Thronfolge; in der „Glorious Revolution“ 1688–89 Absetzung des kath. Königs Jakob II., des Bruders Karls II., und Berufung des protestant. Erbstatthalters der Niederlande Wilhelm (III.) von Oranien auf den engl. Thron (1689–1702); Entstehung des modernen Staates Großbritannien (ab 1689); Wiederherstellung der engl. Staatskirche, Politik des ↑ Gleich256

Entdeckungen gewichts; durch das Grundgesetz der ↑ Bill of Rights (1689) Ausschaltung des Absolutismus und Begründung der (ersten) parlamentar.-konstitutionellen Regierungsform unter Garantie der ständischen Rechte und Freiheiten des Volkes (Vorbild für europäischen Rechts- und Verfassungsstaaten); in das parlamentar. System der wirtsch. sehr aktive Adel einbezogen; Teilnahme E.s an der „Großen Allianz“ gegen ↑ Ludwig XIV. und am ↑ Span. Erbfolgekrieg (Eroberung Gibraltars 1704); nach Ausschaltung der kath. Thronanwärter durch den ↑ Act of Settlement 1714 Thronfolge des protestantischen Hauses Hannover (bis 1837) und damit (widerwillig) erneute Ver­strickung in die Geschicke des europ. Festlandes. 1707 durch Verschmelzung der Parlamente von E. und Schottland Begründung des „Vereinigten Königreichs“ von Großbritannien, das im Kampf mit Frankreich (erfolgreicher See- und Kolonialkrieg 1744–47) den Weg zur Weltmacht beschritt. (Weitere histor. Entwicklung ↑ Großbritannien.) Entdeckungen, der Europäer, Hauptmotive im Altertum: Suche nach Gold und anderen Metallrohstoffen, nach Nahrung, Gewürzen, Sklaven, neuen Handelswegen, auch geogr. Wissenstrieb. Die Ägypter unternahmen vermutlich um 2360 v. Chr. die erste Fahrt nach dem Lande ↑ Punt (Sudan- oder Eritrea- oder Somaliküste), erforschten vor dem 10. Jh. v. Chr. große Gebiete des oberen Nil, die Phöniker erreichten im 5. Jh. v. Chr. die Azoren; beide Völker fuhren zu den Küsten Ostafrikas und Arabiens zum Warenaustausch und Sklavenerwerb. Um 600 v. Chr. umfuhren (nach Herodot) Phöniker im Auftrag des ägypt. Königs Necho ganz Afrika von Ost (Rotes Meer) bis West (Straße von Gibraltar). Der Phöniker (Karthager) Hanno gelangte um 510 v. Chr. bis Kamerun. Die Griechen lösten die Phöniker als führendes Seefahrervolk ab, sie erforschten und besiedelten die Küsten des Schwarzen Meeres; der griech. Kaufmann ↑ Pytheas

gelangte etwa 325 v. Chr. zu den OrkneyInseln und evtl. in die Ostsee. Alexander d. Gr. wollte bis zu den Ostgrenzen der bewohnten Welt vorstoßen (Indienzug 327–325 v. Chr.), aber sein meuterndes Heer zwang ihn zu verfrühter Umkehr; auf dem Rückzug Um­segelung Arabiens durch die makedonische Flotte. Die Römer trugen vor allem aus macht- und militärpolit. Gründen zur Erschließung neuer Verkehrswege und unbekannter Gebiete bei (↑ Afrika). Unter Augustus und Tiberius Kundfahrten in die Libysche Wüste und zum mittleren Nillauf, unter Claudius ins Atlasgebirge; Agricola umsegelte 84 n. Chr. ganz Britannien, vermutlich auch Durchquerung der Sahara bis zum Tschadsee durch röm. Expedition. Doch keine planvollen und großzügigen E.-Fahrten, da die Römer kein Seefahrervolk, zudem geringer Wissensdrang. Ingesamt Schifffahrt der Alten Welt nur Küstenschifffahrt, „Weltverkehr“ des Röm. Reiches auf „terra cognita“ (bekanntes Land) beschränkt, machte im Allg. vor dem großen Ozean und den Tropenzonen halt (obwohl vereinzelt schon Handelsverkehr mit ↑ Indien und China). – Seit etwa 1 000 n. Chr. wurden die ↑ Araber aus wissenschaftlichen, ↑ machtpolit., missionar. und Handelsgründen zu Entdeckern: Erkundung großer Teile Südost-, Ost- und Westasiens, der afrikan. Sudanzone (Sultanat Kanem-Bornu am Tschadsee, Niger-Stadt Timbuktu, islamischer Haussastaaten, Vor­stoß bis ins Königreich Ghana). – Die ↑ Normannen befuhren um 1 000 n. Chr. den Atlantik, siedelten auf Island, entdeckten Grönland (↑ Erik der Rote) und erreichten das Festland Nordamerikas (↑ Leif ). – Westeuropas Interesse im MA galt dem Fernen Osten, dem Wunderland Indien und sagenhaften China. Zunächst kei­ne direkte Verbindung, sondern Vermittlung durch die Araber und Mongolen. Als erster Europäer zog Marco Polo 1271–95 durch ganz Asien. – Beginn der eigentlichen europ. E.-Geschichte erst

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Entebbe im 15. Jh.; wichti­ges Hilfsmittel: der Kompass. Entscheidender Anstoß durch den Fall Konstantinopels (1453) und durch den Bankrott der von ihren Handelsverbindungen abgeschnittenen ital. Städte; Ersatz für den Orienthandel: Suche nach einem Seeweg zu den Gewürzländern Ostindiens; andere bestimmende Motive: der abendländ., der Antike unbekannte Drang in die Ferne, Abenteuerlust und Kreuzzugsgeist; führend zunächst die Genuesen (Kanarische Inseln); dann die Portugiesen (planmäßige naut. Vorbereitungen unter ↑ Heinrich dem Seefahrer): Sie umfuhren 1415 Kap Nun, 1433 Kap Bojador, 1441 Kap Blanco, 1445 Kap Verde, 1447 Kap Leone; fuhren 1455 auf dem Senegal, 1483 auf dem Kongo ins innere Afrika; 1486 erreichte Bartholomeu Diaz die Südspitze Afrikas, und 1498 verwirklichte Vasco da Gama den Plan der Afrikaumsegelung (Kap der Guten Hoffnung) und in Fortsetzung der Umfahrung die Überquerung des Ind. Ozeans; er legte damit den Grund zur europ. Herrschaft in Vorder-(Ost-)Indien. – Gleichrangiges Entdeckervolk neben den Portugiesen die Spanier, in ihrem Dienst ↑ Kolumbus, der durch die falschen Erdumfangsberechnungen der Zeit zur Fahrt nach Westen angeregt wurde und glaubte, in San Salvador, Kuba, Haiti „westind.“ Inseln gefunden zu haben. Span.-portug. Rivalität um den Besitz der neuentdeckten Länder durch Festlegung der Demarkierungslinie 1494 (Vertrag von Tordesillas) geschlichtet. 1497 entdeckte Caboto Labra­ dor und Neufundland, 1500 Cabral Brasilien. Der an einer portug. Expedition nach Südamerika beteiligte Florentiner Amerigo ↑ Vespucci hielt als Erster die entdeckten Landteile für einen eigenen Kontinent. Damit begann die Zeit der Abenteurer und Eroberer, der Konquistadoren (↑ Pizarro, ↑ Cortes); Balboa überschritt 1513 die Landenge von Panama und gelangte als erster Europäer an die westl. „Südsee“ (Stiller Ozean). Höhepunkt: Weltumseglung des

Magellan 1519–1522, damit Beweis für den um das Doppelte größeren Erdumfang als bis dahin vermutet und für den Zusammenhang der Weltmeere erbracht. – Fortgang der E. im Zeichen des europ. Kolonialismus und der modernen Wissenschaft; Vervollkommnung der Navigationsmethoden (↑ Landkarten). 1585–87 entdeckte Davis die Davis­straße, 1594–97 erforschte Barents Nowaja Semlja und das Karische Meer, seit 1603 erkundeten die Franzosen (Champlain) die Ströme Kanadas, 1609–10 entdeckte Hudson die Hudsonbai und den Hudsonfluss, 1616 Baffin die Baffnbucht, 1642 Tasman in der Südsee Tasmanien und Neuseeland; 1728 durchfuhr Bering die Beringstraße zw. Asien und Amerika, 1768 erreichte Bougainville die Salomoninseln, Tahiti und Neuguinea, 1768–80 befuhr Cook alle Weltmeere und umrundete die südl. Halbkugel. – Im 19. Jh. Erforschung Innerafrikas: 1850–55 Barth; 1852–59 und 1867–73 Livingstone; 1863–67 und 1878 Rohlfs; 1869–74 Nachtigal; 1869–70 Schweinfurth; 1874– 77 Stanley; 1876–92 Emin Pascha. Die geogr. und kulturellen Rätsel Asiens erforschten bes. 1868–72 von Richthofen; 1894–1897, 1899, 1905–1908 Sven Hedin; 1904, 1926–28 Filchner. Im Kampf um den Nordpol zeichneten sich 1888 Nansen und 1903–1906 Amundsen aus; 1909 erreichte Peary den Pol. Im Wettlauf zum Südpol blieb Amundsen 1911 Sieger vor Scott. – Nach dem 1. Weltkrieg Einsatz moderner techn. Hilfsmittel (1926 überflogen Amundsen und Nobile mit Luftschiff den Nordpol, 1929 Byrd mit Flugzeug den Südpol). 1921 zog die erste Mount-EverestExpedition zur Bezwingung des höchsten Berges der Welt aus, die erst 1953 Hillary gelang. Durchforschung der Antarktis und anderer Erdzonen seit 1957 im (verlängerten) Internat. Geophysikal. Jahr. Entebbe, Stadt in Uganda, als brit. Militärposten gegr.: 1978 Schauplatz einer von Präs. Amin gedeckten Flugzeugentführung 258

Enzyklika und spektakulären Geiselbefreiung durch ein israel. Antiterror-Kommando. Entente, im engeren Sinne ↑ E. cordiale, das 1904 (Verständigung über Nordafrika) eingeleitete „herzliche Einverständnis“ zw. Frankreich und England, das im 1. Weltkrieg seinen Höhepunkt erreichte. Seit der engl.-russ. Verständigung 1907/08 sprach man von der Triple-E. (↑ Dreiverband), schließlich war E. während des 1. Weltkrie­ ges im weiteren Sinn gleichbedeutend mit ↑ Alliierte. Die 1920 unter frz. Protek­torat geschlossene sog. Kleine E. zw. der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumä­nien, bis 1938 bestehend, umfasste die Sicherung gegen territoriale Revisionsansprüche Österreichs und bes. Ungarns und gegen habsburg. Restaurierungsabsichten. Entnazifizierung, Maßnahmen zur Ausschaltung nat.-soz. Einflüsse aus dem öffentl. Leben, 1945 von den alliierten Sieger­ mächten eingeleitet. Übertragung der E. auf dt. Spruchkammern, unterschiedliche Hand­habung in einzelnen Besatzungszonen. Nach der Gründung der Bundesrepublik verlor die E. an polit. Bedeutung. Entwicklungshilfe, Hilfsmaßnahmen der entwickelten Welt an die Dritte Welt. Unterscheidung zw. staatl. und nichtstaatl. E. Staatl. E. im Rahmen multinationaler Organisationen (↑ UN, IWF, Weltbank u. a.) oder in bilateraler Entwicklungszusammenarbeit; Nicht-Regierungsorganisatio­ nen (Hilfsorganisationen, Kirchen u. a.) leisten ebenfalls einen z. T. erhebl. Beitrag zur E. Reichweite, Umfang, Art und Ziel von E. haben sich seit Ende des 2. Weltkriegs stark verändert. Im Zuge der Dekolonisierung von den ehem. Kolonialmächten zur Sicherung ihres polit. Einflusses, während des O-W-Konflikts z. T. zur Gewinnung von Bündnispartnern eingesetzt. Mit Ende des O-W-Konflikts sanken die Zuwendungen deutlich ab, Gelder aus der UdSSR und den Staaten des O-Blocks entfielen völlig, die USA, die europ. Staaten und Japan reduzierten ihre Hilfsleistungen

z. T. erheblich. Das von der UN ausgegebene Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts (BSP) als E. zur Verfügung zu stellen, erreichen nur wenige Länder. Ursprüngl. Ziel von E. in den 1950er und 60er Jahren war schnelle Industrialisierung und Modernisierung der Staaten der Dritten Welt durch Nachahmung der westl. Entwicklung; in den 60ern und 70ern forderten die Staaten der Dritten Welt stärkere Mitsprache, in den 80ern und 90ern verstärkte Ausrichtung der E. auf auf Liberalisierung, Privatisierung und Reformen in den Entwicklungsländern, freie Marktwirtschaft entscheidend für die Überwindung von Unterentwicklung erkannt, Fokus der E.-Politik auf Verbesserung der konkreten Lebensverhältnisse, z. B. durch verbesserte Trinkwasserversorgung, Konzept der nachhaltigen Entwicklung wurde zentral. Enver Pascha, türk. General und Politiker, Führer der Jungtürken, 1881–1922; Seele der jungtürk. Revolution 1908, des türk. Widerstands in Tripolis und im Balkankrieg, Kriegsminister und Oberbefehlshaber im 1. Weltkrieg; floh nach dem türk. Zusammenbruch in den Kaukasus, arbeitete zunächst mit den Sowjets zusammen und fiel schließlich im Kampf gegen die Rote Armee. Enzio (ital. Heinrich), König von Sardinien, um 1220–1272; illegitimer Sohn Kaiser Friedrichs II., zeitweise Generallegat des Kaisers für Italien (Rückgewinnung von Spoleto und der Mark Ancona; Kampf gegen die kaiserfeindlichen Städte); 1249– 1272 in Gefangenschaft der Bolognesen; E. war einer der ersten ital. Lyriker und Idealbild stauf. Rittertums. Enzyklika, Rundschreiben des Papstes an die Bischöfe der Welt oder eines Landes, hrsg. bei bes. Anlass, enthält die grundsätzliche Stellungnahme des Vatikans zu aktuellen politischen, sozialen oder kulturellen Problemen; E.en werden nach ihren Anfangsworten (meist lat.) benannt, z. B. 1864 (Pius IX.) „Quanta cura“ gegen die Weltan-

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Enzyklopädisten schauung des Liberalismus; 1907 (Pius X.) „Pascendi domini“ gegen die Zeitirrtümer; 1937 (Pius XI.) „Mit brennender Sorge“ gegen den Nationalsozialismus; 1950 „Humani generis“ (Pius XII.) gegen die Säkularisierung des Dogmas; Sozialenzykliken: 1891 (Leo XIII.) „Rerum novarum“ gegen die Auswüchse des Kapitalismus und den Sozialismus, fortgesetzt und ergänzt 1931 (Pius XI.) durch „Quadragesimo Anno“ für eine christl. Sozialordnung und 1961 (Johannes XXIII.) durch „Mater et Magis­ tra“ für soz. Gerechtigkeit in der Lebenswelt der Gegenwart. 1968 Ehe­enzyklika „Humanae vitae“ Pauls VI., Ablehnung der Empfängnisverhütung. Enzyklopädisten, urspr. die Herausgeber und Mitarbeiter der 35-bändigen frz. Enzyklopädie 1751–1772, unter Leitung von ↑ Diderot und d’Alembert; zu ihnen gehörten auch ↑ Voltaire und ↑ Montesqieu. Da sie die Vernunftideale und den Empirismus der Aufklärung gegen kirchliche, staatliche und wiss. Autoritäten vertraten, versteht man unter E. alle Wortführer des Rationalismus oder des philosophischen Ma­terialismus der Zeit, auch wenn sie an der Enzy­klopädie nicht unmittelbar beteiligt waren (↑ Aufklärung). Epaminondas, theban. Feldherr und Politiker, um 420–362 v. Chr.; siegte 371 v. Chr. dank der von ihm eingeführten „schiefen Schlachtordnung“ und der „Heiligen Schar“ bei ↑ Leuktra gegen die Spartaner und begründete zus. mit ↑ Pelopidas für 10 Jahre die Vormachtstellung Thebens in Griechenland; in der siegreichen Schlacht bei Mantinea (362) fand er gegen Spartaner und Athener den Tod; ↑ Philipp von Makedonien trat sein Erbe an. Epheben, die zur Mannbarkeit herangereiften und mündig gewordenen Jünglinge Griechenlands (Aufnahme in die Bürger­ liste); in Athen dauerte die vormilitär. und sportl. Ephebenausbildung in den Gymnasien vom 16. bis 18. Jahr; in Sparta, das die Knaben schon mit 6 Jahren den Müt-

tern fortnahm und in Staatserziehung gab, dauerte die E.-Zeit bis zum 30. Lebensjahr; dann erst durfte der „Jungmann“ heiraten. Ephesus (griech. Ephesos), bedeutende antike Handelsstadt an der Küste Kleinasiens, um 1100 v. Chr. als Kolonie der Ionier gegr.; 356 v. Chr. wurde der berühmte Artemistempel von ↑ Herostratos in Brand gesteckt, wieder aufgebaut gehörte er zu den 7 ↑ Weltwundern; 133 v. Chr. wurde E. römisch; 88 v. Chr. ließ Mithradates alle Römer ermorden; E. war 56–58 n. Chr. Wirkungsstätte des Apostels Paulus (Ephe­ serbriefe); um 262 wurde E. von den Goten niedergebrannt, seit 1426 in der Hand der Türken. Seit 1863 große englische, seit 1895 österr. Ausgrabungen. Neueste Funde: Thermen und Rathaus mit dem Hestia-Tempel. Ephialtes, 1) E., griech. Verräter, der 480 v. Chr. den Persern den Weg in den Rücken der Spartaner bei den ↑ Thermopylen zeigte; geächtet und erschlagen. 2) E., demokrat. Politiker in Athen, 462 v. Chr. ermordet; Zeitgenosse und Mitarbeiter des Perikles, entscheidend die von ihm eingeleitete Verfassungsreform (Entmachtung des Areopags und Demokratisierung). Ephoren (griech. ephoroi, Aufseher), Beamte in Sparta seit dem 8. Jh. v. Chr.; Körperschaft von 5 Mitgliedern, die, auf ein Jahr von der Volksversammlung gewählt, die Oberaufsicht über die Staatsverwaltung (auch über den König) hatte und allein berechtigt war, die Volksversammlung einzuberufen. Epidauros, griech. kultischer Kurort in der Argolis am Saronischen Golf, in der Antike berühmt durch das Heiligtum des Äskulap; Orakel und Heilstätte, von der zahlreiche Wunderkuren (durch Schlaf im Tempel) behauptet wurden; unter den Ruinen das besterhaltene griech. Theater. Epigrafik, histor. Hilfswissenschaft, Sammlung und Ausdeutung von Inschriften; bedeutende Sammlungen: Corpus Inscriptionum Latinarum; C. I. Graecarum; Inscrip260

Erdöl tiones Graecae, Sammlungen kleinasiat., semit., etrusk. Inschriften. Episkopat (griech. episkopos, Aufseher), Amt und Würde des ↑ Bischofs, auch die Gesamtheit der Bischöfe. – Episkopatkirche, ↑ Anglikan. Kirche. Episkopalsystem (Episkopalismus), Auffassung, dass die höchste kirchl. Gewalt der Gesamtheit bzw. Versammlung der katholischen Bischöfe (↑ Konzil) zukomme, der sich auch der Papst unterzuordnen ha­be (Konzilarismus); durch das Vatikan. Konzil dagegen Festlegung des päpstl. Primats. Im protestant. Kirchenrecht Ableitung der kirchlichen Autorität des Landesherrn durch Übertragung der bischöflichen Gewalt auf der Grundlage des ↑ Augsburger Religionsfriedens. Epistolae virorum obscurorum, ↑ Dunkel­ männerbriefe. Erasmus von Rotterdam, Desiderius (Gerhard Gerhards), berühmtester Huma­ nist, Niederländer, um 1465–1536; ursprünglich Mönch, besuchte Frankreich, England, Italien, seit 1521 in Basel und Freiburg i. Breisgau, sah das Bildungs- und Lebensideal in der Verbindung von Antike und Urchristentum („Zurück zu den Quellen!“), in der Einheit von Vernunft, Freiheit des Geistes, Toleranz und Maßhalten; kritisierte die alte Kirche, wandte sich gegen die Reformation als Massenbewegung, deren Fanatismus er ablehnte; gegen Luther verteidigte er die Lehre vom freien Willen; suchte zw. den Konfessionen zu vermitteln. Bedeutende wiss. Leistungen: Ausgabe des N. T. in griech. Sprache, die Luthers Übersetzung zugrunde liegt; Ausgabe der Kirchenväter. Eratosthenes aus Kyrene (im heutigen O-Libyen), Universalgelehrter (Philologe, Geograf, Astronom, Mathematiker, Dichter), um 275–195 v. Chr.; Leiter der Hochschule von Alexandrien (↑ Museion), bejahte die Kugelgestalt der Erde (der Erdball kann umfahren werden), entwarf ein Gradnetz und eine Ortskarte der Erdober-

fläche, bestimmte die Schiefe der Ekliptik, maß zwischen Alexandrien und Assuan die Meridianentfernung und errechnete daraus den Erdumfang auf 252 000 Stadien (etwa 41 000 km). Erbuntertänigkeit, bäuerliches Abhängig­ keits­verhältnis der ostelb. ↑ Gutsherrschaft; Form der ↑ Leibeigenschaft und verbunden mit Schollenpflichtigkeit sowie Hof- und Spann­diens­ten, Gesindedienstzwang der le­digen Kinder; Anfang 19. Jh. durch die Stein-Hardenbergschen Reformen aufgehoben (↑ Bauernbefreiung). Erbverbrüderung, Vertrag zweier (oder mehrerer) hochadeliger oder regierender Fa­ milien, durch den sie sich im Falle des Aussterbens gegenseitig zu Erben einsetzen, um zu verhindern, dass ihre Güter bzw. Länder als erledigte Lehen eingezogen werden; auch die Lehenshoheit öfter durch E. abgelöst. Wichtig die brandenburg. E.en mit Pommern, Liegnitz (1537), Jägerndorf (1596) und Neuenburg (1666). Erdöl, bis weit in die Neuzeit als Naphta, Bergöl, Steinöl, Erdpech nur in minimalen Mengen verbraucht („heilige Herdfeuer“ in den Erdölquellen im Orient, Einbalsamieröl, Pechmörtel, Abdichtung von Schiffsplanken, Brandfackeln, Heilöl); das Interesse an der Gewinnung erwachte erst in der 2. Hälfte des 19. Jh. mit der Erfindung der Petroleumlampe, dem Bau der ersten Erdölraffinerie (1853 in Galizien) und der ersten Verwendung des „Abfallproduktes“ Benzin in einem Motor (Marcus 1864, Maybach 1874); erste systematische Tiefbohrungen: 1858 bei Hannover, 1858/59 in Pennsylvanien; sprunghafte Stei­gerung der E.-Produktion seit 1870 durch Auswertung des E.s als Energiequelle: E. wurde zum „Blut der Motoren“ (Otto- und Dieselmotor), zum Treibstoff für Schiffsmaschinen (1904 erste Schiffe mit Ölfeuerung in England); wichtig auch als Schmieröl, als Straßenbelag (Bitumen), Isoliermittel, Rohstoff für Kunststoffe u. a. Im 19./20. Jh. schließl. „Ölimperialismus“:

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Eresburg Kampf um die Quellen des neuen Schlüsselprodukts der Weltwirtschaft und der Rüstungsindustrie; entscheidende Rolle des großen Finanzkapitals, Verschmelzung der E.-Kompanien zu Riesenkonzernen (1904 Shell), Tauziehen zwischen Staatsinteressen und Profitstreben des Kapitals; neue Methoden der Diplomatie (Finanz-, Handelsagenturen); wechselseitiges SichÜberbieten der Kaufsummen für E.-Konzessionen, zugleich Finanzierung des zivili­ sator. Fortschritts in rückständigen Gebieten (Iran, Irak, Arabien, Nordafrika, Venezuela). Im 1. und 2. Weltkrieg standen alle wichtigen E.-Vorkommen zur Verfügung der Alliierten (Vorderer Orient; Kaukasus; Venezuela; größter E.-Produzent: USA); rumän. E.-Vorkommen in Händen der Mittel- (bzw. Achsen-)mächte dagegen unbedeutend; vergebliche Vorstöße nach dem Kaukasus und Irak; Sieg der Alliierten „auf einer Woge von Öl“ (↑ Invasion); andererseits durch den Ölimperialismus Auftrieb des Nationalismus in den E.-Ländern; seit Ende des 2. Weltkriegs gewaltige Steigerung der Weltförderung, Erschließung neuer Fördergebiete (Alaska, Nordsee) steigende Erdgas- und Erdölgasförderung; gleichzeitig (Schwinden der amerik. Reserven) stark veränderte Verteilung der verfügbaren Erdölvorkommen, daher der Nahe Osten im Mittelpunkt des Kampfes um das Öl (1951 iran.-brit. Ölkonflikt; 1956 Suez-Konflikt, 1961 Konflikt um Ku­ wait, Streit Frankreich – Algerien um Sahara-Ölquellen). E.-Besitz bleibt weiterhin polit. Machtfaktor (Wettlauf um Marktbeherrschung durch Bau von Pipelines, Riesentankerbau). 1973 beschlossen die Öl exportierenden arabischen Staaten auf dem Höhepunkt des Jom-Kippur-Krieges, das Erdöl als polit. Waffe einzusetzen und die Ölförderung empfindlich zu drosseln, um die westl. Industrieländer und Japan zu einer proarabischen Haltung zu zwingen. Lieferbeschränkungen und Preiserhöhungen führten zu Engpässen in der Ener-

gieversorgung. Folge: Erschließung neuer Energiequellen (Kernenergie), Steigerung der Kohleförderung, Energieeinsparung. Eresburg, alte Grenzbefestigung der Sachsen, gebaut an der Diemel, Pforte in das in­ nere Sachsen (heute Obermarsberg/Westfalen), von Karl d. Gr. zu Beginn der Sachsenkriege 772 erobert; unweit davon die ↑ Irminsul. Erfüllungspolitik, seit 1921 Schlagwort zur Kennzeichnung der Außenpolitik der ↑ Weimarer Republik unter Reichskanzler Wirth und Wiederaufbauminister Rathenau: am 11. Mai 1921 nach Abstimmung im Reichstag vorbehaltlose Annahme des Londoner Ultimatums hinsichtlich der Reparationszahlungen, der Abrüstungsmaßnahmen und der Aburteilung der Kriegsbeschuldigten; durch bestmögliche „Erfüllung“ der Bedingungen des ↑ Versailler Vertrags und der Reparationsforderungen sollten die Alliierten, bes. Frankreich, versöhnlicher gestimmt und ihnen bewiesen werden, dass die restlose Erfüllung dieser Bedingungen wirtsch. unmöglich sei. Die E. wurde von der „nationalen Opposition“ (Hitler, Hugenberg) heftig angegriffen und als „nationale Würdelosigkeit“ bezeichnet: „Erfüllungspolitiker“ wurde zum Schimpfwort. Mitentscheidend für das Scheitern der „Politik des guten Willens“ war die frz. Unnachgiebigkeit (Poincaré). Der Nachfolger Wirths, Reichskanzler Cuno, versuchte die ablehnende Widerstand Frankreichs mit passivem Widerstand (im Ruhrgebiet) zu brechen; diesen musste ↑ Stresemann (ebenfalls als „Erfüllungspolitiker“ beschimpft) jedoch angesichts der Übermacht Frankreichs, der Infla­tion und der Notlage des dt. Volkes abbrechen. Erfurt (Furt am Fluss Erf ), Bistum 741 durch ↑ Bonifatius gegründet (ohne Bestand); wichtiger dt.-slaw. Handelsplatz schon unter Karl d. Gr., in loser Abhängigkeit von Kurmainz; 1181 Reichstag unter Friedrich I. (Unterwerfung Heinrichs des Löwen); spätgot. Dom 1349 bis 1372 er262

Eritrea baut; im 15. Jh. eine der größten deutschen Städte mit ausgedehnten Lehensbesitzun­ gen, blühendem Fernhandel, Mitglied der Hanse; die 1378 gegr. Universität Hochburg des Humanismus (1816 aufgehoben); 1483 erneuerte der Mainzer Erzbischof vertraglich seine Hoheitsrechte über die Stadt, die ihrerseits einen Schutzvertrag mit Sachsen schloss; 1660–64 in Reichsacht und durch frz. Truppen wieder zur Unterwerfung unter Kurmainz gezwungen; 1803 zu Preußen, 1806 frz., 1815 endgültig preuß.; 1945 zu Thüringen. – E.er Fürstentag mir Napoleon I., Zar AlexanderI. und den Fürs­ ten des Rheinbundes 1808; Napoleon über­ ließ Russland die Donaufürstentümer und Finnland, sicherte sich Spanien, sagte die Räumung Polens und Deutschlands zu, erreichte nicht die Abrüstung Österreichs. – E.er Unionsparlament, Versuch zu einer dt. Union 1850 unter preuß. Führung; an österr. Intervention gescheitert (↑ Union, Preußische). – E.er Programm von 1891, ↑ Sozialdemokratie. Erhard, Ludwig, dt. Politiker; 1897–1977; bereitete 1948 als Direktor der in den westl. Besatzungszonen eingesetzten Wirtschaftsverwaltung die Währungsreform mit vor; 1949–63 Bundeswirtschaftsminister, Eintreten für „soziale Markwirtschaft“, E. als „Vater des Wirtschaftswunders“ gefeiert; 1963 zum Bundeskanzler gewählt, 1966 als Nachfolger Adenauers Vorsitzender der CDU; 1966 Rücktritt E.s als Bundeskanzler, 1967 als Parteivorsitzender. Erich (Erik), skandinavischer Herrscher: 1) E. IX., der Heilige, führte das Christen­ tum in Finnland ein, 1160 von Dänen er­ schla­gen. 2) E. XIII., der Pommer, König der Union Dänemark, Norwegen und Schweden, um 1382–1459; regierte seit 1412 allein, brachte Kopenhagen unter die Herrschaft der (dän.) Krone, kämpfte ohne Erfolg gegen die Hanse und die Grafen von Holstein um Schleswig, verur­sachte durch Unfähigkeit und Grausamkeit Volksaufstand, abgesetzt in Schweden und Däne-

mark 1439, in Norwegen 1442. 3) E. XIV., König von Schweden (1560–1569); 1533–1577; Sohn Gustav Wasas, gewann Estland, kämpfte unglücklich gegen die Dänen, wegen despot. Maßnahmen von sei­nen Brüdern gestürzt, zu ewiger Haft ver­urteilt, im Gefängnis vergiftet. Eridu, südirak. Ruinenstätte; neben Kisch, Uruk, Ur, Lagasch, Nippur best­untersuchte sumer. Stadt, wie Ur im (später verlagerten) Euphratdelta gelegen (↑ Sumerer). Erik (Erich) der Rote, Wikingerfürst aus Norwegen, um 950–1007; als Kind in Island lebend, entdeckte um 981/82 ↑ Grönland und gründete dort 986 Normannensiedlung; sein Sohn ↑ Leif Erikson entdeckte um 1 000 die nordamerik. Küste. Eritrea (Erythräa), Republik in NO-Afrika am Roten Meer, seit 1993 von ↑ Äthiopien unabhängig. 1881–85 von Italien erobert, Basis für spätere Eroberung Äthiopiens (1935/36); im 2. Weltkrieg von Großbritannien besetzt; nach dem ital. Verzicht im Pariser Frieden (1947) 1952 als autonomes Gebiet mit dem Kaiserreich Äthio­ pien vereinigt, 1962 Eingliederung als Provinz. Widerstand gegen die äthiopische Vorherrschaft, Bürgerkrieg der „Eritrean Liberation Front“ (ELF, gegr. 1961), und der marxist. „Eritreans People’s Liberation Front“ (EPLF, gegr. 1970) für die Unabhängigkeit des Landes. 1987 weitgehende Autonomie, aber Fortsetzung des Bürgerkrieges. 1993 schließl. vollständige Unabhängigkeit, Hauptstadt Asmara, Staatspräsident und Regierungschef Isayas Afewerki (gewählt vom Zentralkomitee der EPLF). Langsamer Wiederaufbau des Landes, möglichst ohne ausländ. Hilfe, um nicht in neuerliche Abhängigkeit zu geraten. 1997 Vorstellung der neuen Verfassung, die aber noch nicht in Kraft trat. Im selben Jahr Einführung einer eigenen Währung (zuvor Währungsunion mit Äthiopien), deswegen und wegen Grenzstreitigkeiten ab 1998 Krieg mit Äthiopien, 2000 Friedensvertrag mit Hilfe der UN.

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Eri(u)gena Eri(u)gena, Johannes Scotus, ↑ Johannes

Scotus E. Erlander, Tage Fritjof, schwed. Politiker, 1901–1985; 1933–1973 sozialdemokrat. Abgeordneter im Reichstag, 1946–1969 schwedischer Ministerpräsident, zugleich Vorsitzender der Sozialdemokrat. Partei; außen­polit. Verfechter einer bewaffneten Neu­tralität, verwirklichte innenpolit. die Ideen eines modernen Wohlfahrtsstaates; trat 1969 von führenden Ämtern in Staat und Partei zurück. Erler, Fritz, dt. Politiker, 1913–1967; führende Stellung in der SPD als außen- und militärpolit. Sprecher, ab 1964 stellvertretender Vorsitzender der SPD und Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Ermächtigungsgesetz, Verzicht des Par­la­ ments auf die verfassungsmäßigen Rech­te (besonders in der Gesetzgebung) zugunsten der Regierung, um dieser in Krisenzeiten rasches und wirksames Handeln zu ermögli­chen; so übertrug der Reichstag 1914 dem Bundesrat Vollmachten zum Erlass von Verordnungen mit Gesetzeskraft, um die Umstellung auf die Kriegswirtschaft zu ermöglichen; 1923 zwei (erfolgreiche) E.e zur Überwindung der Inflation; bes. verhängnisvoll das E. vom 24. März 1933 („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“), vom Reichstag mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen (von allen Parteien gegen die Stimmen der Sozialdemokratie bei Ausschluss der Kommunisten) und auf vier Jahre befristet, bedeutete das Ende der Weimarer Republik; Hitler missbrauchte das befristete und mehrfach, zuletzt 1943, verlängerte Gesetz zum Ausbau seiner Diktatur (↑ Drittes Reich). Erman(a)rich, Legenden umwobener König der Ostgoten, gründete um 350 n. Chr. ein riesiges Reich zw. Dnjepr und Dnjestr, das um 375 von den Hunnen überrannt wurde; Freitod. – In der german. Heldensage Gegner Dietrichs von Bern in der Rabenschlacht.

Ermland, urspr. einer der elf Gaue des

heidn. Preußens, vom Dt. Orden erobert und seit 1250 eines der vier Bistümer des Ordenslandes; der Bischof vom Orden unabhängig, bis 1354 dem Erzbischof von Riga, dann unmittelbar dem Papst unterstellt und Reichsfürst, nach der Abtretung E. an Polen im Frieden von Thorn 1466 Mitglied des poln. Senats; 1772 wurde E. Preußen einverleibt; seit 1945 unter poln. Verwaltung. Ernestiner, der ältere Zweig der sächs. Wettiner, von Kurfürst Ernst, dem Bruder Herzog Albrechts (des Gründers der Albertin. Linie), 1485 begründet, bis 1547 im Besitz der Kurwürde, danach in viele Einzellinien zersplittert (↑ Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha u. a.). Ernst, dt. Fürsten. Braunschweig: 1) E. August, Herzog (1913–1918); geb. 1887, Welfe, Sohn des Herzogs E. August von Cumberland, Schwiegersohn Kaiser Wilhelms II., gest. 1953. – Hannover: 2) E. August, erster Kurfürst (1692–1698); geb. 1629, seit 1679 Herzog von Braunschweig; 1692 Belehnung mit der Kurwürde (die 9. Kur im Reich). – Lüneburg (Lüneburg-Hannover): 3) E. August, König (1837–1851); geb. 1771, durch seine Thronbesteigung Lösung ↑ Hannovers von England, hob die Verfassung von 1833 auf (Protest der ↑ „Göttinger Sieben“). – Sachsen: 4) E., Kurfürst (1464–1486); geb. 1441, als Kind zusammen mit seinem Bruder Albrecht von Kunz von Kaufungen geraubt („Sächs. Prinzenraub“), teilte 1485 mit Albrecht die Wettiner Lande und begr. die ↑ Ernestiner Linie. – SachsenGotha: 5) E. I., der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha (1640–1675); geb. 1601, protestant. Feldherr im 30-jährigen Krieg, vorbildlich als Landesvater beim Wiederaufbau seines Landes und als Förderer des Schulwesens. – Sachsen-Coburg-Gotha: 6) E. II., Herzog (1844–1893); geb. 1818, Schwager der engl. Königin Viktoria, als liberaler Politiker Gegner Bismarcks, setzte 264

Esquilin sich für die dt. Einigung ein. – Schwaben: 7) E. II., Herzog, geb. 1007, empörte sich gegen seinen Stiefvater, König Konrad II., und fiel 1030; Volksbuch „Herzog E.“. Eryx, im Altertum Berg und Stadt an der W-Küste Siziliens mit berühmtem Heilig­ tum der Aphrodite; im ersten ↑ Punischen Krieg zäh verteidigte Operationsbasis des karthag. Feldherrn Hamilkar Barkas. Erzämter, die Hofämter des Hl. Röm. Reiches (bis 1806), die bes. bei den Krönungsfeierlichkeiten ausgeübt wurden; hervorgegangen aus den vier germanischen Hausämtern (Truchseß, Kämmerer, Marschall und Schenk); seit der Krönung Ot­ tos d. Gr. zwischen den Fürsten wechselnd. Seit 1257 (bestätigt durch die ↑ Goldene Bulle 1356) fest in den Händen der sieben Kurfürsten; die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln waren die Erzkanzler für Deutschland, Burgund und Italien; der Pfalzgraf bei Rhein war Erztruchseß, der Herzog von Sachsen Erzmarschall, der Markgraf von Brandenburg Erzkämmerer und der König von Böhmen Erzschenk; 1652 kam das Erzschatzmeisteramt hinzu, 1692 das Erzbanneramt. – Die mit den E.n verbundenen Dienste waren schließlich nur noch symbolische Zeremonien, wurden von erblichen Stellvertretern aus dem hohen Adel verrichtet (Erbämter). Erzberger, Matthias, dt. Politiker, 1875– 1921; führender (linksgerichteter) Zentrumspolitiker; 1903 im Reichstag, wandte sich 1906 gegen die Kolonialskandale; im 1. Weltkrieg Annexionist (Angliederung Belgiens); 1917 Urheber der Friedensresolution des Reichstags mit dem Ziel eines Verständigungsfriedens, 1918 Staatssekretär, unterzeichnete auf Weisung der dt. Obersten Heeresleitung den Waffenstillstand von Compiègne, um den Reichszerfall zu verhüten; 1919/20 Reichsminister für Waffenstillstandsfragen und Finanzen, setzte als Vertreter des Einheitsstaatsgedan­ kens die Überführung der Eisenbahnen in Reichs­eigentum und reichseigene Steuer­

verwaltung durch; die Hetze gegen ihn als „Landesverräter“ und ↑ „Erfüllungspoliti­ ker“ führte 1921 zur Ermordung durch Rechtsradikale. Erzherzog, bis 1918 Titel der Prinzen des Hauses Habsburg; angeblich schon von Kaiser Friedrich I. dem zum Herzog erhobenen Markgrafen von Österreich verliehen, um ihm den höchsten Rang nach den Inhabern der ↑ Erzämter zuzuerkennen; von den Kurfürsten erst nach Bestätigung durch Friedrich III. anerkannt. Escher vom Glas, Alfred, schweizer. Politiker und Wirtschaftsführer, 1819–1882; 1847 Präsident des Großen Rats in Zürich, seit 1848 Regierungspräsident und Nationalrat, Mitbegründer des Eidgenöss. Polytechnikums 1854 (heute ETH Zürich) und 1856 der schweizer. Kreditanstalt, 1871– 78 erster Direktor der Gotthardbahn. Eschkol, Levi, israelischer Politiker, 1895– 1969; 1921 Mitbegründer der Gewerkschaft Histadruth; 1952–1963 Finanzminis­ ter, ab 1963 Ministerpräsident, 1963–1967 zu­gleich Verteidigungsminister. Escorial (el Escorial), Schloss, Kirche und Kloster in der Provinz Madrid, von Philipp II. erbaut, umfasste auch Universität, Se­minar, kostbare Bibliothek, Museum, Hos­pital und die Gruft der span. Könige; das Ganze künstler. Ausdruck der Persönlichkeit Philipps II. als des mächtigsten Herrschers im Abendland und des weltl. Hauptes der Gegenreformation; 1563–1584 mit ungeheuren Kosten (5,26 Mio. Dukaten) im Stil der Renaissance (schmuckloser „Herrera“-Stil) erbaut. Escudo, 1) 1537 in Spanien eingeführte Goldmünze; den doppelten E. nannte man Dublone, den halben Escudillo. 2) Goldmünze in Portugal bis 1854. 3) bis 2002 Währung der Republik Portugal; Abk. Esc. Esquilin, einer der vielen („sieben“) Hügel im Osten Roms, sehr früh schon Begräbnisstätte; in der frühen Kaiserzeit hier die „Gärten des Maecenas“ und das „Goldene Haus“ (Domus aurea) Neros.

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Esra Esra, jüd. Priester und Schriftgelehrter,

führte Mitte des 5. Jh. v. Chr. Tausende Juden aus ↑ Babylon. Gefangenschaft zurück und reformierte die Gemeinde Jerusalems. Essen, als Stadt erstmals 1003 erwähnt, gehörte zu einer Benediktiner-Frauenabtei, die um 860 als Nonnenkloster gegr., später in eine Reichsabtei (für adelige Kanonissen) umgewandelt und 1803 säkularisiert (zu Preußen) wurde; 1807 zum Großherzogtum Berg, 1814 endgültig preußisch; rascher Aufschwung durch ↑ Kruppwerke, dem wirtsch. Rückgrat der Stadt bis in den 2. Weltkrieg; durch Luftangriffe am stärks­ ten zerstörte dt. Großstadt, 1945 zu Nord­ rhein-Westfalen; 1957 Errichtung eines Bis­ tums Essen (Ruhrgebiet). Essener (Essäer), jüd. Sekte um Chr. Geburt, siedelte in abgesonderten Bruderschaften in dörfl. Siedlungen oder kloster­ ähnlichen Gemeinschaften, bes. am Toten Meer; meist ehelos, verwarfen Sondereigen­ tum, Eidleistung, Kriegsdienst, blutige Tier­opfer, Luxus und Handelsgeschäfte; such­ten das Reich Gottes vorwegzunehmen; strenge Reinheitsriten. Die durch die Schriftrollenfunde bekannt gewordene Gemeinde von Qumran am Toten Meer scheint E.-Gemeinde gewesen zu sein (↑ Damaskusschrift). Essex, Robert Devereux, Graf von, Günstling der Königin ↑ Elisabeth von England, 1567–1607; kämpfte auf verschiedenen Kriegsschauplätzen, 1596 am Handstreich gegen Cadiz beteiligt, 1599 gegen seinen Willen zum Statthalter Irlands ernannt, wurde des ir. Aufstands nicht Herr, verhaftet und wegen Hochverrats hingerichtet. Este, altes ital. Adelsgeschlecht, spaltete sich nach dem Tod des Markgrafen Azzo II. 1097 in eine ital. (Fulco I.) und eine dt. Linie (Welf I. seit 1070 Herzog von Bayern, Stammvater der jüngeren Welfen). Die italienischen E. herrschten seit 1264 in Ferrara (päpstl. Lehen), seit 1289/90 in Modena und Reggio (Reichslehen) und wurden 1452 bzw. (für Ferrara) 1471 zu

Herzögen erhoben; glänzende Hofhaltung während der Renaissance, Förderung der Künste und Wis­senschaften; Höhepunkt un­ter Alfon­so I. (1505–1535), Gemahl der Lukrezia Borgia, Gönner Ariosts und Tizians, Parteigänger Karls V., und unter Ercole II. (1535–1559), dem Erbauer der Villa d’E. bei Rom. 1597 folgte eine Nebenlinie, Ferrara vom Papst eingezogen. Nach Erlöschen des Mannesstammes 1803 Heirat der Erbtochter Maria Beatrice mit Erzherzog Ferdinand; die neue Linie (Öster­ reich-E.) regierte bis 1859 in Modena (das an das Königreich Italien fiel) und erlosch 1875; der Titel ging auf den 1914 ermordeten Erzherzog ↑ Franz Ferdinand über. Este-Kultur, vorröm., ostoberital. Kul­tur im Gebiet der illyr. Veneter (neben der etwa gleichzeitigen ↑ Villanova-Kultur im Raum um Bologna und der ↑ GolaseccaKultur im Westen der Poebene); Epoche der älteren Eisenzeit (↑ Hallstattzeit), beeinflusst von der vorangegangenen ↑ Urnenfelderkultur; Name nach den Brandgräberfeldern von Este bei Padua; Kultplätze an heilkräftigen Quellen mit mannigfaltigen Weihegaben zu Ehren der Fruchtbarkeits- und Muttergöttin Reitia und der Beistandsgöttinnen Hekata und Louzera; in den gemauerten Heiligtümern figurenreiche Bronzeblechwaren mit Bändern voller natürlich wiedergegebener oder phantast. Tiergestalten; die E.-K. wirkte stark auf die etrusk. Kunst, ihr Einfluss war aber auch in Mitteleuropa spürbar. Esterházy von Galántha, mächtiges, reiches ungarisches Magnatengeschlecht mit ausgedehnten Besitzungen im Burgenland (Schloss Eisenstadt); aus ihm gingen seit den Türkenkriegen bedeutende österr. Heerführer und Diplomaten hervor; großzügige Förderer der Künste und Wissenschaften und maßlose Verschwender. Estland, balt. Land, benannt nach dem finnougrischen Volk der Esten oder Aisten, das bis zum 8. Jh. n. Chr. aus dem Osten in die Ostseeprovinzen eingewandert war; An266

Etrusker fang 13. Jh. vom Schwertbrüderorden und den Dänen unterworfen und christia­nisiert; seit 1219/22 dänisch (↑ Waldemar II.); nach 1227 (↑ Bornhöved) Ausbreitung des Dt. Ordens, Gründung von Reval (1230), Einwanderung dt. Vasallen, seit 1345/46 E. ganz in der Hand des Dt. Ordens; um 1530 Reformation; 1561 schwedisch, ab 1572 vorübergehend russisch, 1584 wieder schwedisch; nach dem ↑ Nord. Krieg 1721–1918 russisch, 1918 selbständige Republik, 1919 Enteignung des dt. Großgrundbesitzes. Im 1. und 2. Weltkrieg zeitweilig dt. Besetzung, 1940 von der UdSSR annektiert, Umwandlung in die Estn.-Sozialist. Sowjetrepublik; 1990 Unabhängigkeit, März 2004 Beitritt zur NATO, Mai 2004 Beitritt zur EU. In der Außenpolitik enge Zusammenarbeit mit Lettland und Litauen („Baltischer Rat“). ETA, Abk. für Euzkadi Ta Azkatasuna (dt. „Baskenland und Freiheit“), baskische Untergrundorganisation; 1959 gegr., radikale Verfechterin eines unabhängigen Baskenlands, versucht bes. seit 1970 ihre Forderungen mit Sabotageakten und Attentaten durchzusetzen, 1973 verantwortl. für Atten­tat auf den span. Ministerpräsidenten L. Carrero Blanco. 1994 offizeller Gewaltverzicht, Ende 1999 Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. Die als politischer Arm der ETA geltende Partei „Batasuna“ wurde 2003 verboten, der polit. Führer Mikel Albizu Iriarte und 20 weitere aktive Mitglieder Ende 2004 verhaftet. Bisher bei nahezu 4 000 Anschlägen über 830 Tote und über 2 300 Verletzte. Etats généraux (frz., Generalstände), die unter Philipp d. Schönen 1302 erstmals gemeinsam einberufenen Vertreter der frz. Stände (Adel, Geistlichkeit, städtische Korporationen), die außerordentliche Steuer­ erhebungen zu bewilligen hatten; seit 1614 wurden sie für 175 Jahre nicht wieder versammelt; ihre Einberufung 1789 angesichts des drohenden Staatsbankrotts leitete die Frz. Revolution ein.

Ethelred (Aethelred), angelsächs. Könige:

E. II. (978–1016); suchte sich der dän. Einfälle zu erwehren, erhob von seinen Untertanen das „Danegeld“ (Ursprung der ersten allgemeinen Steuer eines Staates im MA) für Tributzahlungen an die Dänen, ließ 1002 alle Dänen in England ermorden, musste nach der Normandie flüchten und unterlag schließlich ↑ Knut d. Gr. Etrusker (lat. Tusci, griech. Tyrrhenoi, Tyrsanoi, etrusk. Rasenna), das einzige nichtindogerman. Volk Italiens, Herkunft umstritten; sichtbar um 1 000 v. Chr. an der WKüste Mittelitaliens; drangen landeinwärts (ins Tibergebiet) vor, wo das Dorf Rom zur etrusk. Stadt und später etrusk. Königsresidenz wurde, dann in den Mittel-Apennin, später im Norden bis in die Po­ebene, die sie fruchtbar machten, und in die Alpentäler, im NO bis zur Adria (Hafen Spina), im Süden bis in die Bucht von Salerno, im Westen nach Korsika. Zwischen dem 8. und 6. Jh. v. Chr. größte Machtentfaltung, doch wie die Kelten keine Reichsbildung, sondern lose verbundene Stadtstaaten wie bei den Griechen, mit regelmäßigen Zusammenkünften der Könige, später der aristokratischen Stadtältesten. Ihre Städte (mehrere Großstädte mit über 100 000 Einwohnern) meist auf Hügeln mit abseits gelegenen, straßendurchzogenen Totenstädten (Nekropolen, mit kostbar ausgestatteten, oft bemalten, vielfach geplünderten Grüften), oft weit größer als die Städte der Lebenden; die E. trieben intensiven Seehandel bis N-Europa, Griechenland, in den Orient, sie galten zeitweise als gefürchtete Seeräuber (westl. Mittelmeer: „Tyrrhen. See“). Im Kampf mit den unter­ ital. Griechen (↑ Großgriechenland) verbündeten sie sich mit ↑ Karthago, dessen Seekonkurrenten sie eine Zeitlang gewesen waren. Um 500 v. Chr. schüttelte Rom die Fremdherrschaft der E. ab. Von Süden drangen Großgriechen (Siege bei Cumae 524 und 474 v. Chr.) in etrusk. Gebiet vor. 396 v. Chr. wurde Veji, die bedeutendste

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Etzel südetrusk. Stadt, nach 10-jähriger Belagerung von den Römern zerstört, im Norden vertrieben die kelt. Gallier ab 390 v. Chr. die etrusk. Siedler; im 4. und 3. Jh. eroberte Rom eine Stadt nach der anderen, um 260 v. Chr. waren die E. unterworfen; im ↑ Bundesgenossenkrieg 91–88 v. Chr. verloren sie den Rest ihrer nationalen Eigenart (Zerstörung ihrer Städte durch Sulla) und wurden romanisiert; viele Familien zogen nach Rom. – Die Kultur der E. stark religiös bestimmt (Glaube an das Walten von Naturgöttern, Dämonen, Geistern; Wahrsagekunst, ausgeprägter Totendienst); sie waren große Bauherren (Dämme, gewölbte Abwässerkanäle, gepflasterte Straßen, steinerne Wohnhäuser, riesige Stadtmauern); ihre Kunst vom Orient und von griech. Lehrmeistern beeinflusst; bedeutend die Plastik (tönerne Gesichtsurnen, Relief-Sarkophage, Statuen und Statuetten aus Stein oder Bronze, z. B. Kapitolin. Wölfin, Mars von Todi); die Wandmalereien in den Gräbern mit Motiven des Lebensgenusses, später eines tiefen Pessimismus; bedeutend auch die Porträtkunst, die Architektur der Gruftgewölbe, Felskammergräber und nicht erhaltenen Holztempel, das Kunsthandwerk (Grabinventar aus Stein, Treibund Gießarbeiten, Goldschmiedegeräte und Steinschneidekunst). Deutlich die Einund Nachwirkung der E. auf die römische Kultur: Die Römer übernahmen von ihnen relig. Vorstellungen (Dämonenfurcht, Wahrsagekunst, Leber- und Vogelschau), das Staatszeremoniell (Triumphzüge, Likto­ ren), die Gladiatorenkämpfe, medizini­sche und astronomische Kenntnisse, den Bau von festen Straßen und Kanalisationsanlagen, das Tonnengewölbe u. a. Etzel, Name ↑ Attilas in der germanischen Heldensage. Euböa, Insel vor der O-Küste Mittelgriechenlands, im Altertum Handelsmacht, Hauptorte Chalkis und Eritrea, Mutterland der ersten griech. Kolonien auf der Chalkidike, auf Sizilien und in Unter­italien

(Cumae); 506–338 v. Chr. meist von Athen abhängig, in den Perserkriegen (490 und 480) verheert; 1366 an Venedig, 1470 an das Osman. Reich. Eudoxia, Älia, byzantinische Kaiserin, aus fränk. Adel, seit 395 Gemahlin des Kaisers ↑ Arkadius, den sie beherrschte; verbannte 404 den Johannes ↑ Chrysostomus. Eugen, Päpste: 1) E. III. (1145–1153); war Schüler Bernhards von Clairvaux; ↑ Arnold von Brescia zwang ihn, außerhalb Roms zu amtieren; E. flüchtete 1146 nach Trier, rief zum 2., unglücklich verlaufenden, Kreuzzug auf. 2) E. IV. (1431–1447); versuchte 1431 das Baseler Konzil aufzulösen, das ihn 1439 absetzte und Felix V. zum Gegenpapst wählte, doch behauptete er sich und ging durch Konkordatsabschlüsse über die Beschlüsse des Konzils hinweg. Eugen, Fürsten und Feldherren: 1) (Franz) E., Prinz von Savoyen, der „edle Ritter“, österr. Feldmarschall und Politiker, der eigentliche Begründer der Großmachtstellung Österreichs, 1663–1736, begraben im Wiener Stephansdom; Sohn der Olimpia Manzini, einer Nichte Mazarins, in Paris erzogen; von Ludwig XIV. als Offizier abgewiesen, trat E. 1683 in österr. Dienste, nahm teil an der Befreiung ­Wiens 1683, 1688 beim Sturm auf Belgrad verwundet, schlug 1697 als Oberbefehlshaber der kaiserl. Truppen in Ungarn die Türken entscheidend bei Zenta (Ungarn fiel an Österreich, Friede von Carlowitz 1699); Aufrüstung der österr. Armee und Führer im ↑ Spanischen Erbfolgekrieg gegen Frankreich, schlug im Bund mit englischen Truppen unter ↑ Marlborough die Franzosen bei Höchstädt, Turin, Oudenarde, Malplaquet, stieß auf Paris vor und forderte Metz, Toul, Verdun, das Elsass und die Freigrafschaft Burgund, um die Vormacht Frankreichs zu brechen; wandte sich, als diese Forderungen im Frieden von Rastatt 1714 unberücksichtigt blieben, wieder gegen die Türken und kolonisierte Ungarn und den Banat nach Bannung der Türken268

Europa gefahr (Sieg von Peterwardein 1716 und Eroberung Belgrads 1717); bis 1724 war E. Statthalter der im Frieden von Rastatt bzw. Baden Österreich zugefallenen ehem. Span. Niederlande, wo er sich vertreten ließ; als Hofkriegsratspräsident in Wien bemühte er sich um die Aussöhnung mit ­Frankreich, zentralisierte die Verwaltung, sorgte für einheitl. Ausbildung des Offi­ zierskorps und suchte, indem er die kaiserl. Gewalt gegenüber den Reichsfürsten stärkte, die alte Reichsidee zu erneuern. Als Mäzen der Künste berief er die Baumeis­ter Fischer von Erlach, Hildebrandt, Permoser, erbaute für sich den Belvedere-Palast und das Palais in der Himmelpfortgasse in Wien, war Freund von Leibniz, Gönner Rousseaus, sammelte in seiner Prachtbibliothek reiche Buchschätze; 1734 im poln. Erbfolgekrieg noch einmal als Feldherr tätig; hinterließ eine umfangreiche Korrespondenz. 2) E., Vizekönig von Italien, ↑ Beauharnais. Eugenie, Kaiserin der Franzosen und Regentin (1859, 1865, 1870), 1826–1920; span. Herkunft (Gräfin von Montijo); repräsentierende Gemahlin Napoleons III., dessen Politik sie entscheidend und ungüns­ tig beeinflusste; Gegnerin der neuen europ. Großmächte Italien und Preußen, auf Seiten Österreichs, mit dem sie die Entmachtung Preußens betrieb; lebte nach 1870 in England. Eulenburg, 1) Botho Graf zu, 1831–1912; 1878–1881 Innenminister (maßgeblich beteiligt am ↑ Sozialistengesetz), 1892– 1894 preuß. Ministerpräsident; Konflikt mit ↑ Caprivi, da er zur Unterdrückung der SPD den Reichstag auszuschalten suchte. 2) E., Philipp, (seit 1900) Fürst, Diplomat, 1847–1921; 1894–1902 Botschafter in Wien, einflussreicher Vertrauter Kaiser Wilhelms II., Schöngeist und Schwärmer, ohne polit. Ernst, durch die Skandalprozesse, die der Journalist Harden, Herausgeber der „Zukunft“, gegen ihn führte, vom Hofe verbannt.

Eumenes, 1) E., 362–316 v. Chr.; Feldherr

und Kanzler Alexanders d. Gr., nach dessen Tod als Diadoche Statthalter in Kappadokien, unterstützte als Verfechter der Reichs­ einheit Perdikkas und Polyperchos, unterlag durch Verrat seiner Truppen Antigonos, der ihn umbringen ließ. 2) E. II., König von Pergamon (197–159 v. Chr.); Sohn und Nachfolger Attalos’ I., Bundesgenosse der Römer, erkämpfte sich mit ihrer Hilfe oder Duldung eine bedeutende Machtstellung in Vorderasien, Förderer der griech. Kultur, ließ neben anderen Bauten (Athen, Milet) in Pergamon den berühmten Zeusaltar errichten. Eupen-Malmedy, deutschsprachiges Gebiet südl. von Aachen, seit 870 beim Dt. Reich, später zu den span., dann österr. Nie­ derlanden, 1801–1815 frz., seither preuß. Aufgrund des Vertrages von Versailles 1920 an Belgien abgetreten (eine von Deutschland angefochtene Volksabstimmung entschied zugunsten Belgiens, die Bevölkerung erhielt Minderheitenrechte). 1940 dt. Annexion. 1945 Zustand von 1920 wieder­ hergestellt. EURATOM, Abk. für ↑ Europäische Gemeinschaft für Atomenergie. Eurich, arian. König der Westgoten (466– 484); Sohn Theoderichs I., machte sich selbständig gegenüber dem verfallenden W-Rom, vergrößerte sein Reich in Gallien durch Eroberung weiterer Teile Galliens und NO-Spaniens mit dem Ziel der Herrschaft über das Abendland; ließ das Stammesrecht aufzeichnen (Codex Euricianus, ältestes german. Gesetzbuch; Regelung der Rechtsbeziehungen zw. W-Goten und Römern); sein Nachfolger war ↑ Alarich II. Europa, geogr. W-Ausläufer Eurasiens, der europ.-asiat. Landmasse, doch ethnograf. und kulturgeschichtlich eigenständig; im Wesentl. Schicksals- und Kulturboden der indogerman. (germ.-roman.-slaw.) Völkerfamilie. Name vermutlich von Semit. ereb = dunkel, d. h. Land des Sonnenuntergangs, des Okzidents; von dem Kleinasiaten

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Europäische Atomgemeinschaft ↑ Herodot für das Kleinasien gegenüber-

liegende Griechenland bzw. Thrakien und Peloponnes gebraucht (Kult der Euro­pa), die übrigen Weltteile waren Asia der Perser und Libia, d. h. Afrika; in der späteren Antike galten das Kaspische Meer als östl., das Mittelmeer als südl., der Atlantik als westl. und Nord- und Ostsee, später Skandi­na­ vien und das Nordmeer als nördl. Begrenzung; Aufteilung in Graecia, Thessalia, Ma­ cedonia, Thrakia, Moesia, Dacia, Italia, Illyria, ferner Hispania, Gallia, Britannia, Germania, Vindelicia, Rhaetia, Noricum, Pannonia und die großen Inseln Baliares, Corsica, Sardinia, Sicilia, Malta, Creta, Euböa, Cyclades u. a. Die heutige Begrenzung entspricht im Wesentlichen der des Altertums, wobei im Westen Island einbezogen ist. Der heutige Begriff Europa deckt sich nicht mit dem des ↑ Abendlandes. Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM), gegr. durch Versailler Vertrag vom 23. März 1957 mit den gleichen Mitgliedern wie die Montanunion, hat die Aufgabe, die Voraussetzungen für die schnelle Entwicklung von Kernindus­trien zu schaffen; sie fördert die Forschung (gemeinsa­me Atomforschungsinstitute), stellt einheitl. Sicherungsnormen für den Gesundheitsschutz auf, erleichtert Investitionen, versorgt die Mitglieder mit Erzen und Kernbrennstoffen und überwacht deren friedli­ che Verwendung, sichert sich gewisse Eigen­ tumsrechte am Spaltmaterial und sorgt für Absatzmärkte und günstigen Einkauf. – Organe: die „EURATOM-Kommission“, be­steht aus 5 Mitgliedern, die für 4 Jahre von den Länderregierungen ernannt werden; sie unterbreitet Vorschläge und trifft in eigener Zuständigkeit Entscheidungen. – Der „Rat“, aus Regierungsvertretern der Länder gebildet, stimmt die Tätigkeit der Atomgemeinschaft und der Mitgliedsstaaten aufeinander ab. Europäische Bewegungen, Bemühungen und Maßnahmen zum Zusammenschluss Europas, entweder in lockerer, mehr be-

ratender organisatorischer Form (Unionis­ ten) oder in Form eines festgefügten europ. Staatenbundes (Föderalisten) zur Überwin­ dung der übersteigerten Nationalstaatlichkeit, z. T. mit dem Ziel einer Blockbildung gegenüber dem Block der Vereinigten Staaten und dem der UdSSR. – Erster Initiator war nach dem 1. Weltkrieg der Österreicher Coudenhove-Kalergi (1923 Schrift „Paneuropa“, 1924 Gründung der Paneuropa-Union mit Nationalräten in den Ländern; Zeitschrift „Paneuropa“). 1926 Gründung einer wirtsch. Vereinigung für eine Europ. Union. 1929 Vorschlag zu einer vertraglich festgelegten europ. Solidarität durch den frz. Außenminister Aristide Briand (Rede vor dem Völkerbund und Memorandum für ein Sicherheitssystem aller europäischen Staaten), unterstützt durch den dt. Außenminister Gustav Stresemann (Weißbuch und Studienkommission 1931/32). Wiederaufgreifen des europ. Einheitsgedankens 1942 durch die dt. Widerstandsbewegung (Plan zu einer europ. Föderation). 1943 Anregung Winston Churchills zur Bildung eines Europarates. Nach dem 2. Weltkrieg neue Initiative Churchills (1946 Rede in Zürich, Plan für die Vereinigten Nationen von Europa nach Verständigung zw. Deutschland und Frankreich); Gründung der Liga für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Gründung der Union Europ. Föderalisten (Europa-Union mit dem späteren Bund Europäischer Jugend). 1947 Vertrag von ↑ Dünkirchen zw. Frankreich und Großbritannien zur gegenseiti­gen Hilfeleistung und Verteidigung (Vorstufe zum Brüsseler Pakt); Europäische Parlamentar. Union unter Coudenhove-Kalergi; Gründung der Wirtschaftsunion der UN für Euro­pa unter Teilnahme fast aller europ. Staaten, der USA und der UdSSR; Bewegung für ein Vereinigtes Europa (Churchill), Zusammenschluss der meisten europäischen Unionsbewegungen im Internat. Komitee als Dachorganisation, sozialistische Bewegung 270

Europäische Gemeinschaften für die Vereinigten Staaten von Europa. 1948 Erster Europa-Kongress in Den Haag unter Teilnahme Churchills, de Gasperis, Schumans, Blums, Monnets, Reynauds, Spaaks u. a.; Vorschlag zu einer legislativen Versammlung aus Vertretern des europäischen Parlaments; Zusammenschluss von 16 Ländern zur Organisation für europ. wirtsch. Zusammenarbeit (OEEC, Europ. Wirtschaftsrat) ohne Ostblockstaaten zur Verwirklichung des Marshallplans; ebenfalls 1948 Brüsseler Vertrag zw. Frankreich, England, Belgien, Holland, Luxemburg für ständige wirtsch. Zusammenarbeit und kollektiven Beistand (West-Union). 1949 Konferenz zur Bildung des Europarates, ­einer losen, beratenden Organisation der europäischen Staaten auf der Grundlage der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte (später Beitritt Deutschlands), Sitz Straßburg, erster Präsident Paul-Henri Spaak. 1950 Gründung der Europ. Zahlungsunion (EZU), aus der OEEC erwachsend. 1952 auf Vorschlag des frz. Außenministers Robert Schuman Vertrag über einen Gemeinsamen Markt auf dem Gebiet der europ. Kohle- und Stahlwirtschaft (EGKS, Schuman-Plan, Montanunion) und Plan zu einer Europ. Polit. Gemeinschaft (EPG) der 6 Länder der Montanunion. 1954 Erweiterung des Brüsseler Vertrags zur Westeurop. Union (WEU) durch den Beitritt Deutschlands. 1957 Unterzeichnung des Vertrages über die Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, Sitz Brüssel) und die Europ. Atomgemeinschaft (EURATOM). 1958 Gründung des Europ. Parlaments als gemeinsames beratendes Organ für EWG, Montanunion und EURATOM. 1960 Bildung der Europ. Freihandelszone (EFTA = European Free Trade Association, Sitz Genf ). 1961 Erweiterung der OEEC durch den Beitritt der USA und Kanadas zur OECD (= Atlant. Wirtschaftsrat); Plan de Gaulles zur polit. Konföderation der westeurop. Länder und Bemühungen um den Zusammenschluss bzw. die Assoziie-

rung der Länder der EWG und der EFTA. Symbol der Europ. Bewegung ist die Europaflagge (Grünes E auf weißem Grund). Europäische Freihandelszone, Abk. EFTA (für englisch: European Free Trade Associa­ tion), handelspolit. Zusammenschluss der europ. Länder Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz mit Hauptsitz in Genf (Schweiz). Organisation: in EFTA-Rat, Sekretariat und Gerichtshof aufgeteilt. Die E. wurde am 4. Jan. 1960 in Stockholm von Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz gegründet; Ziel des Bündnisses war es, gemeinsame wirtsch. Interessen gegenüber der 1957 gegr. Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu wahren, Liberalisierung des Handels mit Industriegütern und Abbau von Zöllen, mit Ausnahme der Zölle auf Agrarerzeugnisse, innerhalb des EFTA-Binnenhandels. Es wurde keine polit. Integration angestrebt. 1967 Beitritt Finnlands, 1970 Islands, 1991 Liechtensteins. 1973 verließen Großbritannien und Dänemark, 1986 Portugal und 1995 Österreich, Schweden sowie Finnland die EFTA, um der EG (seit 1993 EU) beizutreten. Am 2. Mai 1992 wurde der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) von den drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen sowie von den damaligen EGStaaten gegründet. Europäische Gemeinschaften (Europ. Gemeinschaft), Abk. EG, seit 1967 Sammelbez. für die im Zuge der europ. Einigungsbewegung nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Organisationen ↑ Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957), die ↑ Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM, 1957) und die ↑ Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1951); seit 1967 organisatorisch zusammengefasst. Gründungsmitglieder Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande; weitere Mitglieder: seit 1973 Dänemark, Irland, Großbritannien, 1981 Griechen-

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Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl land, 1986 Portugal und Spanien. Ziel der EG war die Errichtung einer Wirtschaftsund Währungsunion und eine enge­re poli­tische Zusammenarbeit. Speisung des Haushalts der EG aus Beiträgen der Mit­ gliedstaaten, abhängig von der Höhe des jeweiligen Sozialproduktes. Durch den Ver­ trag von Maastricht 1993 in Europäische Union (EU) umbenannt. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion). Die

Montanunion, die auf Grundlage des Vertrages vom 18. April 1951 gebildet wurde, fasste die Produktion und Versorgung auf dem Stahl- und Kohlenmarkt der angeschlossenen Länder (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande, seit 1973 auch Dänemark, Großbritannien und Irland) zu einer Marktgemeinschaft ohne Zollschranken und mengenmäßige Beschränkung des Warenverkehrs zusammen; Kohle- und Stahlmarkt wurde der Souverä­ nität der einzelnen Länder entzogen; der Montanunion oblagen alle dazu notwendi­ gen produktions- und versorgungsmäßigen Maßnahmen, die Preisregulierungen, Qualitätsverbesserungen; die natürlichen Hilfsquellen wurden rationell ausgenutzt, Fortschritte in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter sollten allen beteiligten Nationen zugute kommen. – Organe: Die „Hohe Behörde der Montanunion“ war oberstes Organ (9 Mitglieder für je 6 Jahre; davon 2 aus der Bundesrepublik Deutschland, je ein Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften); der Hohen Behörde oblag die Überprüfung der Markt- und Preisentwicklung und die Aufstellung von Programmen für Erzeugung, Verbrauch, Aus- und Einfuhr, Modernisierung der Fabrikation; ebenso die Aufnahme von Anleihen, die Erhebung von Umlagen, die Gewährung von Krediten an die Unternehmer, in besonderen Fällen auch die Festsetzung von Höchst- oder Mindestpreisen. – Der „Beratende Ausschuss“ umfasste min-

destens 30 und höchstens 51 Mitglieder, pa­ritätisch zusammengesetzt aus Vertretern der Erzeuger, Arbeitnehmer, Verbraucher und Händler. – Der „Rat“, aus je einem Vertreter der Länderregierungen bestehend und im Vorsitz alle 3 Monate wechselnd; er stimmte die Tätigkeit der Hohen Behörde und die Wirtschaftspolitik der angeschlossenen Länder aufeinander ab. Durch den Fusionsvertrag von 1965 gingen die Hohe Behörde und der Beratende Ausschuss in dem Gemeinsamen Rat und der Gemeinsamen Kommission der EG auf. Europäischer Gewerkschaftsbund, Abk.: EGB; engl. European Trade Union Confe­ deration, ETUC; 1969 von den EG-Mitgliederstaaten des IGFB gegründeter Bund mit Sitz in Brüssel. Neugründung 1973 mit Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Umfasst 65 nat. Gewerkschaftsverbände aus 28 Staaten. Ziel ist die Vertretung und Förderung der sozialen, wirtsch. und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer bei allen europ. Institutionen. Europäisches Gleichgewicht, ↑ Gleich­ gewicht. Europäisches Konzert, Bezeichnung für den von den europ. Großmächten im 18. und 19. Jh. erhobenen und praktizierten An­spruch, auch für die kleineren europäischen Staaten Entscheidungen treffen zu können. Anfang des 18. Jh. die Großen Vier: Österreich, Frankreich, die Niederlande, Spanien; seit etwa 1740 Österreich, Frankreich, England, Preußen, Russland, zuletzt wirksam unter Bismarck auf dem ↑ Berliner Kongress. Europäische Sicherheitskonferenz, ↑ Kon­ ferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Europäisches Parlament, Versammlung der EG; konstituierte sich 1958 in Straßburg, wird seit 1979 auf 5 Jahre direkt gewählt, hat (seit 1986) 518 Mitglieder; Beratungs- und Kontrollfunktionen, aber keine legis­lativen Befugnisse; E. P. kann eigenen Haushalt beschließen, hat das Recht, der 272

Europarat EG-Kommission mit Zweidrittelmehrheit das Misstrauen auszusprechen und sie damit zum Rücktritt zwingen. Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft

(EVG), Vertrag zwischen Deutschland, Bel­ gien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden (1952) zur gemeins. Verteidigung in Zusammenarbeit mit den freien Völkern und im Geist der Charta der UN; durch Ablehnung in der frz. Kammer zu Fall gebracht. Europäische

Wirtschaftsgemeinschaft

(EWG), vertragl. Zusammenschluss auf un­begrenzte Zeit zum Zweck der wirtschlichen Integration; Gründungsmitglieder: Bel­gien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande und ihre un­ab­ hän­gigen Überseegebiete sowie as­so­ziierte Mitglieder; seit 1973 Neunergemeinschaft mit Dänemark, Großbritannien und Irland; 1981 schlossen sich Griechenland, 1986 Spanien und Portugal an. Ziel: völlige Wirtschaftseinheit, ohne Binnenzölle und Warenkontingente und mit einheitlichen Außenzöllen, bei Freizügigkeit des Kapitals und der Arbeitskräfte, Einheitlichkeit des Verkehrs und der Wettbewerbsregeln. Zu den bedeutendsten Assoziierungsverträgen mit Überseeländern zählte das Abkommen von Jaunde 1963 zw. der EWG und einem Zusammenschluss von 17 afrikan. Staaten und Madagaskar. Ähnliches Abkommen 1968 mit Kenia, Tansania und Uganda. 1969 Abkommen mit Tunesien und Marokko; 1971 mit Malta; 1972 mit Mauritius. Ziele: Verflechtung der Volkswirtschaften, rationellste Verteilung der Erzeugung und Steigerung auf den höchsten Leistungsstand, Steigerung der Beschäftigung, Hebung der Lebenshaltung bei Stabilität der Preise, Abwehr von Störungen, gemeinsame Forschungsaufgaben, Schaffung eines gemeinsamen Sozialfonds, einer gemeinsamen Sozialpolitik, einer europ. Investitionsbank, Vereinheitlichung des Börsenwesens, des Kontrollrechts, der Wettbewerbsregeln, der Besteuerung,

Handelspolitik, des Verkehrswesens, der Freizügigkeit der Arbeiter, des Niederlassungsrechts, der landwirtsch. Marktordnung; 1968 war der Abbau der Zölle für gewerbl. Erzeugnisse verwirklicht; Aufhebung der mengenmäßigen Beschränkung für Industrieerzeugnisse bis 31. Dez. 1961, Angleichung der einzelstaatl. Zölle an den gemeinsamen Außenzolltarif des EWGRaumes (bereits abgeschlossen). Der Aufbau des zollfreien Agrarmarktes der EWG erfolgte ab 1. Juli 1962 bis 1970, der dt. Interzonenhandel blieb Binnenhandel. 1969 erklärte die Haager Konferenz der Staatsund Regierungschefs der EWG-Staaten die Übergangsphase zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes für abgeschlossen. Ziel war nun die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion. – Organe: Die EWG-Kommission (von den Regierungen der Mitgliedsstaaten auf vier Jahre ernannte Mitglieder); sie unterbreitet Vorschläge und trifft in eigener Zuständigkeit Entscheidungen. – Der „Rat“, aus je einem Vertreter der Regierungen der Länder bestehend, mit alle 6 Monate wechselndem Vorsitz; er koordiniert die Wirtschaftspo­ litik der Länder und entscheidet in den meisten der vertraglich festgelegten Fragen. – Der „Wirtschafts- und Sozialausschuss“ (mit EURATOM gemeinsam) mit beratender Funktion. Europarat, „Straßburger Versammlung“, lockere Organisation von 43 europ. Staaten (d. h. alle europ. Staaten außer Monaco und Weißrussland) und zwei vorderasiati­schen Staaten (Armenien und ­Aserbaidschan), die zum Zweck der Zusammenarbeit in wirtsch., kulturellen, soz. und wiss. Fragen 1949 gebildet wurde, erstes prakt. Ergebnis der z. T. auf die Paneuropa-Idee ↑ Coudenhove-Kalergis zurück­gehenden Europaunionbewe­ gung, die den polit. Zusammenschluss Europas anstrebt; Sitz in Straßburg, gegliedert in Ministerausschuss (der Außenminister) und Beirat, Versammlung (der Abgeordneten aus den Ländern, auch aus den Opposi­

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Eusebios tionsparteien), die ihre satzungsgemäße Ab­ hängigkeit vom Ministerrat zu überwinden und die gesetzgeber. Gewalt eines echten, aus allg. Wahlen hervorgehenden Europ. Parlaments zu erlangen sucht; da sowohl Verteidigungsfragen wie auch Fragen, die die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten berühren, außerhalb der Dis­kussion stehen, beschränken sich die Beratungen auf allg. Probleme der Politik, Wirtschaft, Kultur usw. Mitglieder der Organisation können alle europ. Staaten werden, die als Rechtsstaaten anerkannt sind und die Menschenrechte garantieren. 1950 Unterzeichnung einer europ. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten; 1954 Europ. Kultur-Konvention; 1955 Konvention über Niederlassungsrechte. Eusebios, 1) E. von Cäsarea, griech. Kirchenlehrer, um 270–339; „Vater der Kirchengeschichte“, verfasste außer einem Grundriss der Weltgeschichte eine zehnbändige „Kirchengeschichte“ (bis 323) von hohem Quellenwert; Verteidiger des Arius. 2) E. von Nikomedien, oström. Bischof, seit 338 Patriarch von Konstantinopel, gest. 342; erzog Kaiser Julian, taufte Kaiser Konstantin, trat im arian. Streit mit (vorübergehendem) Erfolg für Arius ein. Euthanasieprogramm, nat.-soz. Programm zur Vernichtung sog. „lebensunwerten Lebens“; begann 1939 auf Befehl Hitlers, wurde unter der organisator. Verantwortung des Reichleiters Ph. Bouhler durchgeführt. Ziel war die Massentötung missgebildeter Kinder und geisteskranker Erwachsener, die Zahl der Opfer wird auf rd. 100 000 geschätzt; 1941 nach Protesten bes. von kirchl. Seite abgebrochen, in Einzelfällen jedoch fortgeführt. Eutropius, röm. Geschichtsschreiber des 4. Jh. n. Chr.; verfasste im Auftrag des Kaisers Valens einen Abriss der röm. Geschichte, der im MA viel benutzt wurde.

EWG, Abk. für ↑ Europäische Wirtschafts-

gemeinschaft.

Ewige Richtung, 1474 in Konstanz zwi-

schen Herzog Sigmund von Tirol und der schweizer. Eidgenossenschaft geschlossener Vertrag; beendete durch den Verzicht auf die ehemals österr. Gebiete den Kampf der Eidgenossen mit Österreich. Ewiger Landfriede, auf dem Reichstag zu Worms 1495 ergangenes Gesetz, das das Recht der Fehde und bewaffneten Selbsthilfe abschaffte; seine Wahrung wurde dem neugeschaffenen Reichskammergericht als oberster Reichsinstanz übertragen, galt seit 1555 auch für Religionssachen. Exarch (griech., Außenherrscher), 1) in der griechisch-orthodoxen Kirche Vertreter des Patriarchen, von diesem meist praktisch unäbhängig. 2) im Byzantin. Reich Provinzstatthalter. Exarchat, byzantinische Außenprovinz in Afri­ka oder Italien; am berühmtesten das E. von Ravenna, seit 552 Sitz des militär. und zivilen Generalgouverneurs Ostroms (Exarchs) von Italien; umfasste nach der Er­oberung großer Teile Italiens durch die Langobarden nur noch Teile der Romagna, Rom (von den Päpsten beansprucht) und Unteritalien; Ende des E.s durch die Eroberung Ravennas durch den Langobardenkönig Aistulf (751), den Einfall der Sarazenen in Süditalien und die Gründung des Kirchenstaats durch Pippin (754). Exterritorialität, völkerrechtl. Sonderstellung bestimmter fremder Staatsangehöriger (bes. der Diplomaten) innerhalb des Gastlandes; ihre Verletzung gilt als schweres Vergehen gegen das Völkerrecht; die E. hat ihre Wurzeln in der schon im Altertum beachteten persönl. Unantastbarkeit des Unterhändlers oder Gesandten.

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Fabian Society

F

Fabian Society, 1883 gegr.,

britische sozialistische Vereinigung, seit etwa 1890 von Einfluss auf die ↑ Gewerkschaften und auf die Arbeiterbewegung, der Labour Party gab sie 1918 das Programm; die F. S. wirkte anfangs und seit den 20er Jahren wieder rein literarisch; zu ihren führenden Persönlichkeiten gehörten Sidney und Beatrice Webb sowie die Schriftsteller Shaw und Wells; sie lehnte den marxist. Ma­teria­lismus, die Lehre vom Klassenkampf und jede revolutionäre Taktik ab, erstrebte die Verwirklichung des Sozialismus mit der durchdachten Zurückhaltung des röm. Feldherrn Fabius Cunctator, des „Zau­derers“ (nach dem sie sich nannte), durch Propaganda in allen Bevölkerungsschichten (auch in der Liberalen Partei), durch so­ziale Reformen und enge Zusammenarbeit mit den brit. Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung, deren Politik sie maßgebl. und in mäßigendem Sinne be­ einflusste. In ihrer aufs Praktische gerichteten Denkweise und in ihrem streng demokrat. Vorgehen typisch englisch, wurden die Fabier die geistigen Väter der „Cautious revolution“ (vorsichtigen Revolution) des sozialist. England nach dem 2. Weltkrieg; von erhebl. Einfluss auch auf die festländ. Sozialdemokratie (der F. S. vergleichbar in Deutschland der Kreis um Friedrich Naumann). Fabier (Fabii), altes römisches Patriziergeschlecht; nach der Überlieferung fielen im Jahr 479 v. Chr. alle (300) F. bis auf einen Knaben, den Stammvater der späteren F., im Kampf gegen Veji. – Der berühmteste F.: Quintus Fabius Maximus, als röm. Feldherr Cunctator („Zauderer“) genannt, gest. 203 v. Chr.; mehrmals Konsul, nach der röm. Niederlage am ↑ Trasimen. See 217 v. Chr. im 2. Pun. Krieg zum Diktator ernannt, vermied eine Entscheidungs­ schlacht gegen Hannibal und versuchte des­ sen Kräfte durch hinhaltende Kampfführung und Störung der rückwärtigen Ver-

bindungen zu zermürben; das Abweichen von dieser Taktik bezahlten die Römer mit der Niederlage von ↑ Cannae. Fabius vom Volk als „Schild Roms“ bezeichnet. Fabricius Luscinus, Gajus, röm. Feldherr und Politiker, Konsul 282 und 278 v. Chr.; eroberte zahlreiche großgriechische Städte in Süditalien, wies als Gesandter alle Angebote an den König ↑ Pyrrhus ab; seine Rechtschaffenheit wurde später ins Legendäre erhoben (Abweisung eines Verräters, der sich anbot, Pyrrhus zu ermorden, und Warnung des Königs Pyrrhus). Fabrik, der moderne gewerbl. Großbetrieb, wesentl. Merkmal der Produktion seit der „industriellen Revolution“ in England, im Gegensatz zu den bis ins l8. Jh. vorherrschenden Produktionsweisen (Handwerksbetrieb, Verlagssystem, Manufaktur) gekennzeichnet durch die Konzentration von Kapital und Arbeitskräften, rationelle Zerlegung des Arbeitsprozesses (Höhepunkt: „laufendes Band“) und weitgehende Mechanisierung (Kraft- und Arbeitsmaschinen; Automation) zwecks Massenproduktion; freies Unternehmertum in freiem Wett­bewerb auf dem freien Markt. Die Voraussetzungen waren erst um die Wende vom 18. zum 19. Jh. gegeben: nach der Frz. Revolution Emanzipation der Wirtschaft (Gewerbefreiheit; Bauernbefreiung, dadurch Zustrom von Arbeitskräften in die Städte), Dampfmaschine, Verbindung von Wirtschaft und (Natur-)Wissenschaft zur Vervollkommnung der Produktionstechnik, schließlich das sprunghafte Ansteigen der europ. Bevölkerung zwischen 1800 und 1900 (damit sowohl erhöhte Nachfrage und Massenabsatz sowie „industrielle Reservearmee“ gegeben). Das F.System setzte sich im 19. Jh. in Europa und in den USA durch, seine Massenproduktion ermöglichte sowohl die moderne Massenzivilisation wie die Massenvernichtung, schaffte Völker verbindenden Weltmarkt und führte zugleich zum Kampf der imperialist. Industriestaaten um Absatzmärkte

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Fabrikgesetze (auch Kolonialimperialismus); vor allem aber entwickelte sich ein Proletariat, das durch die räumliche Konzentration in der F. leicht organisiert und zum „Klassenbewusstsein“ erzogen werden konnte (↑ Arbeiterbewegung, ↑ Marxismus). Fabrikgesetze oder Arbeiterschutzgesetze, die Anfänge der modernen Sozialgesetzgebung; erste Maßnahmen des Staates gegen die sozialen Missstände im Fabriksystem, besonders gegen die rücksichtslose Ausbeu­ tung von Kindern und Frauen (der Mehrheit der industriellen Arbeitskräfte in der 1. Hälfte des 19. Jh.); zuerst in England aufgrund alarmierender Blaubücher parlamentarischer Untersuchungskommissio­ nen; in Preu­ßen ging der Anstoß von den Militärbehörden aus (Rückgang der Diensttauglichkeit wegen gesundheitlicher Schädigung in den Fabriken), daher in Preußen 1839 erste dt. F.: Verbot der Kinderarbeit unter 9 Jahren, Beschränkung der Arbeitszeit für Jugendliche bis 16 Jahre auf 10 Stunden täglich, für diese Altersgruppe allg. kei­ne Nacht- und Sonntagsschichten. Die­se Bestimmungen wurden in den folgenden Jahrzehnten ergänzt und erweitert, 1869–1871 auf ganz Deutschland ausgedehnt (↑ Sozialversicherung). Fackeltelegraf, antikes Nachrichtenmittel über größere Strecken. Von einem weit sichtbaren Punkt aus wurden in einem bestimmten Rhythmus Signale mit einer oder mehreren Fackeln gegeben, vom Empfänger nach einem geheimen Schlüssel entziffert. Fahne, als Feldzeichen schon im Altertum nachweisbar (im Orient, Perser), von Griechen und Römern (Reiterstandarten) übernommen; aus dem spätröm. Labarum entwickelten sich die Kirchenfahnen und die Städtebanner des MA; im Abendland F.n seit dem 9. Jh. üblich, besonders als Erkennungs- und Richtungszeichen für soldat. Einhei­ten (Fähnlein), getragen vom Fähnrich oder Fahnenjunker (Fahneneid = Treueid); im hohen MA Schiffsflaggen als

Kennzeichen für Eigentümer und Herkunft. – Im Hl. Röm. Reich war die rote Blut-F. das Symbol des Blutbanns und der Belehnung durch den König; daneben gab es die Reichsfahne „Das hl. Reich“ (rot mit weißem Kreuz), als Kriegs-F. die Reichssturm-F. (schwarzer kaiserl. Adler auf goldenem Feld) und die schwarz-weiß gestreifte Reichsrenn-F. (Standarte der Reitervorhut); das Schwarz-Gold der kaiserlichen F. übernahmen die Habsburger, im ausgehenden MA kam das Rot der Adlerfänge hinzu, das aber nicht Fahnenfarbe wurde (Trikolore erst in der Neuzeit). SchwarzRot-Gold erst beim ↑ Wartburgfest (dt. Tri­kolore, verboten 1832), durch Bundesbeschluss 1848 Reichsfahnenfarben, 1871 Schwarz-Weiß-Rot Farben des dt. Kaiserreiches (vorher Farben der Marineflagge des Norddt. Bundes, kombiniert aus dem Schwarz-Weiß Preußens, dem Rot-Weiß der Hansestädte und dem Weiß-Rot Brandenburgs). Seit 1871 Schwarz-Rot-Gold Oppositionsfarben, in Österreich Farben der großdt. Bewegung. 1919 Fahnenfarben der Weimarer Republik (die Seeflagge blieb Schwarz-Weiß-Rot mit schwarz-rotgoldener Ecke). 1933 Fahne des „Dritten Reiches“ Schwarz-Weiß-Rot und Rot mit Hakenkreuz; seit 1934 nur noch Rot mit Hakenkreuz. 1949 Schwarz-Rot-Gold wieder Farben Deutschlands; in der DDR seit 1957 mit Hammer- und Zirkelemblem. – Bekannte F.n sind die schwarze Fahne des Propheten Mohammed (in Konstantinopel aufbewahrt); die ↑ Oriflamme Frankreichs, die rote Revolutionsfahne, die Rot-KreuzFahne u. a. Fahnenlehen (Fahnlehen), im MA weltliches Fürstentum, vom König direkt vergebenes weltliches Lehen mit Amtsgewalt (Heer- und Gerichtsbann); bei der Belehnung wurde dem Lehensträger eine Fahne (im späten MA mit dem Wappen des ­Lehensgebietes) überreicht (andere Lehenssymbole waren Schwert, Helm, Zepter, Schild, ↑ Lehnswesen). 276

Falkland Islands Fahrende Leute, im MA die herumzie-

henden Gaukler, Spielleute, Wanderkomödianten, Bärenführer, Quacksalber, Dirnen, Bettler usw.; auch verarmte Edelleute, entlaufene Mönche und Nonnen, brotlose Kleriker und entlassene Landsknechte schlossen sich dem Volk der „Landfahrenden“ an, sie bildeten insges. ein Lumpenproletariat (zählten zu den „unehrlichen Leuten“), für das in der strengen ständ. Ordnung des MA kein Platz war; in etwas höherem Ansehen standen die „fahrenden Schüler“ (Vaganten) und „fahrenden Sänger“, die Neuigkeits- und Nachrichtenkrämer, die mit Bildern ausgerüsteten „Zeitungssinger“ (Bänkelsänger). Faidherbe, Louis, frz. General und Kolonialpionier, 1818–1889; 1861 Gouverneur von Senegambien, Mitschöpfer des frz. Kolonialreichs in Afrika, 1870/71 Führer der Nordarmee; verdient durch geogr. und ethnolog. Forschungen. Faisal (Feisal), 1) F. I., erster König des Irak, 1883–1933; Sohn des nachmaligen (1926 wieder vertriebenen) Königs Hussein von Hedschas, kämpfte im 1. Weltkrieg an der Seite des britischen Obersten Lawrence gegen die Türken, nach deren Zusammenbruch als König von Syrien von den Alliierten nicht anerkannt, darauf 1921 durch Volksabstimmung König des brit. Mandats Irak. 2) F. II., 1935–1958; Enkel von 1), folgte 1939 (unter Regentschaft) seinem Vater Ghasi auf den Thron, 1953 gekrönt; schloss Febr. 1958 mit Jordanien die später aufgelöste Arab. Föderation; im Zug der nationalen Revolution getötet (Juli 1958); der Irak wurde Republik. Fajum („Meer“), oberägypt. Oase, durch einen Nilarm („Josefskanal“) bewässert, mit Karumsee (Mörissee); gefunden wurden zahlreiche Papyri und Grabmalereien. Falange, 1933 von Primo de Rivera jun. gegründete polit.-soziale Bewegung und Parteimiliz in Spanien, später von ↑ Franco geführt und Einheitspartei; 1976/77 aufgelöst.

Faliero, Marino, Doge von Venedig, um

1280–1355; versuchte nach diplomat. Erfolgen gegen Genua seine Herrschaft erbl. zu machen, deshalb abgesetzt und hingerichtet. Falk, Adalbert, preuß. Staatsmann, 1827– 1900; führte als Kultusminister 1872–79 mit Bismarck den ↑ Kulturkampf; verdient um die Einführung der Schulaufsicht, Verbesserung der Lehrerausbildung, als Ur­ heber der scharfen „Maigesetze“ (1873) gegen die kath. Kirche der meist umstrittene Minister, von Bismarck fallengelassen. Falken, 1) „Die Falken“, politische Jugend­ organisation der SPD; 1946 gegründet, Sitz ist Frankfurt/Main. 2) polit. Schlagwort, entstand während des Vietnamkriegs zur Bezeichnung der Befürworter einer unnachgiebigen Vietnampolitik in den USA. Heute allg. Vertreter einer militanten Außenpolitik. Falkenhayn, Erich von, dt. General, 1861–1922; setzte als preuß. Kriegsminis­ ter 1913 die Wehrvorlage (Heeresverstärkung) durch, löste Sept. 1914 Moltke als Chef des Generalstabs ab, entwickelte die verhängnisvolle Theorie des „Abnutzungskrieges“ und versprach sich vom Frontalangriff auf das starke Verdun die „Ausblutung“ der frz. Front, trat 1916 zurück; dann Armeeführer im siegreichen Feldzug gegen Rumänien und Heeresgruppenführer in Palästina. Falkland Islands and Dependencies, brit. Kronkolonie im S-Atlantik, umfasst die Falklandinseln (span. Islas Malvinas), Südgeorgien und die Süd-Sandwich-Inseln; 1592 entdeckt, 1764/65 von Briten und Franzosen besetzt, die beide kurz darauf von Spanien vertrieben wurden. 1820 im Besitz der La-Plata-Konföderation (Argentinien). 1831 Deportation der gesamten Bevölkerung nach dem Festland. 1833 nahm Großbritannien die F. wegen ihrer strateg. Bedeutung in Besitz, argentin. Ansprüche wurden stets zurückgewiesen. Der Konflikt steigerte sich seit Entdeckung von

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Fallières Erdölvorkommen bei den Inseln und gipfelte in der militär. Besetzung der F. durch Argentinien im April 1982. Vermittlungsversuche durch die USA scheiterten; nach schweren Kämpfen zur See landeten im Mai brit. Truppen und eroberten bis zum 15. Mai 1982 die Inseln zurück. Für ↑ Argentinien bedeutete die Niederlage auf den F. den Bankrott der (Militär-)Regierung. – In der Seeschlacht bei den F. 1914 wurde das dt. Kreuzergeschwader unter Graf Spee von einem überlegenen brit. Verband vernichtet. Fallières, Armand, frz. Staatsmann, 1841– 1931; mehrfach Minister, 1906–1913 Präsident der Republik, intensiv um Festigung des ↑ Dreiverbandes bemüht. Fanarioten, griech. Familien meist vorneh­ mer Abkunft, die nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken den Stadtteil Fanar bewohnten, sie stiegen im 18. Jh. zu hohen Staatsämtern im Osman. Reich auf und stellten die Fürsten der Moldau und Walachei; für die griech. Erhebung 1821 wurden sie blutig bestraft. Fanfani, Amintore, ital. Politiker, 1908– 1999; 1954 und 1960–1963 Ministerpräsident, 1965–1968 Außenminister, 1965– 1966 Präsident der UN-Vollversammlung, 1968–1973 und 1976–1982 Präsident des Senats; 1982/83 erneut ital. Ministerpräsident. Außerdem ehemaliger Innen-, Landwirtschafts- und Arbeitsminister; Senator auf Lebenszeit. Faraday, Michael, brit. Chemiker und Physiker, Begründer der modernen Elektrodynamik, 1791–1867; entdeckte u. a. die elektrische Induktion und die Gesetze der Elektrolyse, erforschte die Zusammenhänge zw. Licht, Elektrizität und Magnetismus, führte eine Reihe noch heute verwendeter Fachausdrücke ein (Feld, Kraftlinie, Anode usw. ). Farbbücher, von Regierungen veröffentlichte Dokumentensammlungen zur Rechtfertigung der Regierungspolitik (bes. Außenpolitik) vor dem Parlament (zunächst

als Parlaments-Drucksache) und der Öffentlichkeit des In- und Auslands; sie tru­ gen nach Ländern verschiedenfarbige Um­ schläge; in Deutschland waren Weißbücher, in England Blaubücher, in Frankreich Gelbbücher, in Österreich, den USA und in der UdSSR Rotbücher üblich, im zarist. Russland Orangebücher. Berühmt und aufschlussreich (entstellende Weglassungen, Fälschungen von Dokumenten) die F. über die Vorgeschichte und den Ausbruch des 1. Weltkrieges. Farel, Wilhelm, schweizer. Reformator, 1489–1565; reformierte die frz. Schweiz, Vorgänger, dann Mitarbeiter ↑ Calvins in Genf. Farnese, ital. Adelsgeschlecht, Stamm­burg Farneto bei Orvieto, Glanzzeit im 16. Jh., 1731 erloschen. Berühmteste F.: 1) F., Alessandro, 1468–1549; Kardinal, seit 1534 Papst Paul III., verlieh seinem natürlichen Sohn Pier Luigi 1545 das Herzogtum Parma und Piacenza, in dem die F. bis 1731 regierten; ließ in Rom den Palazzo F. bauen (vollendet von Michelangelo); ihm sind bedeutende antike Funde zu verdanken („Farnes. Sammlungen“, darunter der berühmte „Farnes. Stier“ und der „Herakles F.“, beides röm. Kopien griech. Originalwerke). 2) F., Alessandro, 1520–1589; Kardinal, vermittelte 1539–41 zwischen Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich und führte 1546 das päpstliche Hilfskorps in den Schmalkaldischen Krieg. 3) F., Alessandro, 1545–1592; Sohn des Herzogs Ottavio und der Margarete von Parma, 1578 Statthalter der Niederlande, rettete mit diplomat. und militär. Geschick die S-Provinzen für Spanien gegen den aufständ. Norden. Färöer („Schafinseln“), strateg. wichtige Inselgruppe im Nordatlantik, seit dem 9. Jh. von norweg. Wikingern besiedelt; 1380 dänisch, nach der dt. Besetzung Dänemarks 1940–1945 von den Engländern besetzt; 1946 Unabhängigkeit proklamiert, von Dänemark nicht anerkannt; 1947 278

Faschodakonflikt a­ utonom (Bewohner, die Färinger, sprechen nicht dänisch, sondern „färöyisch“, eine dem Altnorweg. verwandte Sprache), vertreten im dän. Parlament. Faruk I., König von Ägypten, 1920–1965; Sohn ↑ Fuads I., bestieg 1936 zunächst unter der Regentschaft seines Oheims Mohammed Ali den Thron; versagte sich den notwendigen sozialen Reformen und verlor den Krieg gegen Israel; 1952 durch den Militärputsch Nagibs abgesetzt und ins Exil geschickt. Fasces, im antiken Rom Ratenbündel der ↑ Liktoren, von den Etruskern übernommenes Symbol der Amts-(Straf-)gewalt der höheren Beamten, denen sie vorausgetragen wurden; das aus den F. herausragende Richtbeil (Sinnbild der Strafgewalt bzw. der Todesstrafe) wurde in der Republik entfernt, da die Blutgerichtsbarkeit dem Volk oblag, und nur in Zeiten der Diktatur wieder hinzugefügt. – Der ital. Faschismus erhob die F. zum Partei-, dann Staatssymbol, um zu bekunden, dass er das Erbe des alten Rom angetreten habe. Faschismus (ital. Fascismo), totalitäre Bewegung in Italien, 1919 von ↑ Mussolini ins Leben gerufen; urspr. als „Fascio di Combattimento“ Kampfbund, dann Einheitspartei, die die altröm. ↑ Fasces zum Symbol wählte; erwachsen aus der nationalen Unzufriedenheit mit dem schlechten Abschneiden Italiens bei den Friedensverträgen und aus dem Widerstand gegen einen zunehmenden Linksradikalismus; durch den Staatsstreich vom 28. Okt. 1922 („Marsch auf Rom“ des Wehrverbandes der „Schwarzhemden“) und nach Terrorisierung der noch immer bestehenden bürgerlichen Parlamentsmehrheit seit 1926 Übernahme der Macht (Einheitsparteienstaat bei fakt. Fortbestehen der Monarchie). Der F. vertrat den Gedanken eines autoritär gelenkten und ständisch geglie­ derten Staates gegen Liberalismus, Demokratie und Parlamentarismus; Nation und Staat galten als höchste Werte, Parlament

abgelöst durch Kammer der Korporationen (gelenkte Ständevertretung). Der F. versuchte auch nach außen an die Tradition des röm. Imperiums anzuknüpfen und die Italiener zu einer „imperialist. und krieger. Nation“, einem „Volk von Helden und Seefahrern“ zu erziehen und stürzte sich in koloniale und militärische Abenteuer (Eroberung Abessiniens, Unterstützung Fran­ cos im spanischen Bürgerkrieg, Angriff auf Griechenland); Italianisierung der Tiroler und slowen. Minderheiten. Der F. gab sich nicht kirchenfeindlich (1929 ↑ Lateranverträge) und nicht antisemitisch, nahm aber antisemit. Kurs unter dem Druck des Nationalsozialismus auf (doch keine organisierten Massenverfolgungen und Massenvernichtungen), mit dem er nach ursprünglicher Gegnerschaft seit 1936 außenpol. zusammenarbeitete (Achse Berlin–Rom). Im Gegensatz zum Regime Hitlers blieb seinem Staat eine gewisse Rechtsgrundlage erhalten (Dualismus Staat–Partei), so dass Mussolini, der „Duce“ (Führer), 1943 vom Faschist. Großen Rat abgesetzt werden konnte. Die anschließend unter dem Schutz dt. Bajonette errichtete faschist. Republik in N-Italien wurde von den Alliierten beseitigt, doch zeigte sich der F. bald nach Kriegsende wieder aktiv. – Der F. (bzw. sein Schöpfer Mussolini) fand Nachahmer fast in der ganzen Welt (Faschismus im weiteren Sinne), obwohl angeblich „kein Exportartikel“. Außer Hitler in Deutschland ahmten den F. nach: Dollfuß in Österreich, Franco in Spanien, Salazar in Portugal, Metaxas in Griechenland, Codreanu und Antonescu in Rumänien, Perón in Argentinien; in Ländern mit demokrat. Tradition konnte er sich nicht durchsetzen (Mosley in England, Degrelle in Belgien). Verschiedene Parteien und polit. Strömungen knüpften nach 1945 an die Tradition des F. an (↑ Neofaschismus). Faschodakonflikt, 1898 zw. Frankreich und England um die Beherrschung des Sudan, ausgelöst durch das Vorgehen des

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Fasti frz. Kolonialpioniers ↑ Marchand, der quer durch Afrika zog und in Faschoda am oberen Nil die frz. Flagge hisste, darüber aber mit dem englischen General Kitchener zusammenstieß; auf Weisung seiner Regierung, die vor der britischen Kriegsdrohung zurückwich, gab er sein Unternehmen auf. Empörung in Frankreich; Wende der frz. Außenpolitik eingeleitet, hin zu kolonialer Verständigung mit England (↑ Entente cordiale) mit Front gegen Deutschland (das Werk ↑ Delcassés). Fasti (lat. dies fasti, Gerichtstage, zum Unterschied von dies nefasti, an denen Amtshandlungen verboten waren), in Alt-Rom der Amtskalender; die Konsularfasten, Lis­ ten der Konsuln, als chronologische Geschichtsquelle wichtig. Fatah, Al, 1958 gegr., militante palästinens. Befreiungsbewegung, die die Selbstständigkeit Palästinas anstrebt; bis zu seinem Tod unter der Führung ↑ Arafats, seither Mahmud Abbas’. Versuchte ab 1965 durch Terroranschläge die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Palästinafrage zu lenken; wurde bei Zusammenstößen mit der jordan. Armee 1970/71 („Schwarzer September“ 1970) fast vollständig zerschlagen; Verlegung der Operationsbasis in den Libanon, Anschluss an die PLO; dort stärkste Gruppierung. 1983 spaltete sich die Al Fatah auf, Ende der 1980er Jahre sagte sie sich vom Terrorismus los. Bei der Wahl zum Palästinens. Autonomierat 1996 gewann sie die absolute Mehrheit. Fatima, jüngste Tochter Mohammeds und seiner Gemahlin Chadidscha, 606–632; Gemahlin des späteren Kalifen Ali, Mutter von Hasan und Hussein, Stammmutter des ersten islam. Adelsgeschlechts; die Nachkommen ihrer Söhne: die Fatimiden. Fatimiden, islam. Dynastie, schiit. Nachkommen der ↑ Fatima, herrschten seit 910 in Nordafrika, seit 969 in Ägypten (Residenz und Kulturzentrum Kairo, seit 972 Kalifen), eroberten Syrien; 1171 von ↑ Saladin gestürzt.

Faure, 1) F., Felix, frz. Staatsmann, 1841–

1899; Präsident der Republik seit 1895, unter ihm endgültiger Abschluss des Bündnisses mit Russland. 2) F., Edgar, frz. Politiker, 1908–1988; 1950–58 und 1963– 1972 Minister in verschiedenen Ressorts. 1968/69 Unterrichtsminister, suchte nach den Maiunruhen 1968 eine Hochschulreform im Sinne de Gaulles durchzuführen. 1973–78 Präsident der frz. Nationalversammlung. Faust, Georg (Dr. Johannes Faustus), Schwarzkünstler, Astrologe, Arzt, Lehrer, um 1480–1540; führte unstetes Wanderleben (Erfurt, Wittenberg, Ingolstadt, Heidelberg); schon bei Lebzeiten von Legenden umgebene Gestalt; lieferte seine Seele dem Teufel aus, um seinen Drang nach Wissen und Beherrschung der Welt zu befriedigen; später Mittelpunkt eines Sagenkreises. Das erste erhaltene Volksbuch vom Dr. F. erschien 1587 in Frankfurt/Main; der Engländer Marlowe schrieb um 1589 eine Tragödie vom Dr. F., der bereits Züge des genialen Übermenschen trug; die berühmteste Bearbeitung des Stoffes erfolgt allerdings durch Goethe; seither der „faus­ tische Mensch“ (Spengler) Verkörperung des abendländischen Dranges nach letzten Zielen durch Erkenntnis und Tat. Fausta, Flavia Maxima, erste Gemahlin des römischen Kaisers Konstantin d. Gr., der sie als Mörderin seines Sohnes Crispus töten ließ; Mutter der Kaiser Konstantin II., Constantius II. und Constans. Faustina d. Ä., nach ihrem Tod göttlich verehrte Gattin des röm. Kaisers Antoninus (Tempel der F. in Rom). Ihre Tochter F. d. Jüngere war Gattin Mark Aurels. Faustkeil, Hauptwerkzeug der frühen und mittleren Altsteinzeit (↑ Paläolithikum), Zeugnis der ersten greifbaren Zivilisation; aus Gesteinsknollen oder Gesteinsabschlägen gefertigtes, an beiden Seiten in die gewünschte Form geschlagenes Universalinstrument, meist aus ↑ Feuerstein (Zweiseher), manchmal mit ausgezogener Spitze 280

Fehrbellin zum Bohren; urspr. roh und plump, dann zunehmend verfeinert (Sinn für Linienführung); nicht in allen altsteinzeitlichen Kulturen vorkommend (↑ Clactonien) und im Jung-Paläolithikum von Klingen mehr und mehr verdrängt; beim Zersprengen der Gesteinsknollen abgelöste Splitter wurden zu Sticheln, Schabern, Sägemessern, Boh­rern oder als Speerspitzen verwendet. Faustrecht, Selbsthilfe „mit bewaffneter Hand“ (das Recht des Stärkeren ist Rechtsnorm), setzte sich im späten MA, einer Zeit des schwachen staatl. Rechtsschutzes durch; unvermeidbare Folge des ausarten­ den ↑ Fehdewesens. Favre, Jules, frz. Staatsmann, 1809–1880; Führer der republikanischen Opposition ge­gen Napoleon III.; unterzeichnete 1871 als Außenminister der Republik die Kapi­tu­ lation von Paris, den Waffenstillstand und den Frieden von Frankfurt. Fawkes, Guy, 1605 Haupträdelsführer der ↑ Pul­ververschwörung in England, 1570– 1606; hingerichtet; der Tag seiner Verhaftung (5. Nov.) heute noch in England Jugendfest. FDJ, Abk. für ↑ Freie Deutsche Jugend. Februarrevolution, 1) die am 24. Feb. 1848 in Paris gegen die Herrschaft des Bür­ gerkönigs Louis Philipp ausgebrochene Re­ volution, aus ihr ging die „2. Republik“ her­vor; die F. löste die dt. Märzrevolution aus (↑ Frankreich). 2) bürgerlich-demokratische Revolution in Russland am 12. März 1917 (nach russ. Kalender 27. Feb. 1917), ausgelöst durch den 1. Weltkrieg und seine Wirkungen auf Russland; beendete die Selbstherrschaft der russ. Zaren, Russland wurde Republik. Nach der F. wurde sog. Doppelherrschaft etabliert: die bürgerl. repräsentative Demokratie mit Provisor. Regierung und die revolutionären Räte (Sow­ jets). Die F. war der Vorbote der ↑ Oktoberrevolution im gleichen Jahr. Fedajin (arab. Fidaijjun, „die sich Opfern­ den“), im MA aufgekommene Bezeichnung für polit. Untergrundorganisationen

im arabischen Orient. Auch arab. Freischärler des 20. Jh. bezeichnen sich als F. Feddersen Wierde, frühgerman. Wurtensiedlung an der Wesermündung („Troja des Nordens“), reiche Funde (Bohlenwege, Weber-, Töpfer-, Schmiede- und Gerberhäuser, Vorratsspeicher, Pflüge, Gewebe) aus der Zeit von Chr. Geburt bis ins 5. nachchristliche Jh., in Verbindung stehend mit Ringwallfestung Sievern am Geestrand; die Bewohner zogen vielleicht mit den Angeln, Sachsen und Jüten nach England. Federmann, Nikolaus, dt. Konquistador, gest. 1542; im Dienst der ↑ Welser in Vene­ zuela 1530–32 und 1536–39. Federsee, verlandender Moränensee im schwäb. Voralpenland mit Besiedlungsresten seit 12 000 v. Chr. (Rentierjägerlager, Jäger- und Fischerhütten); um 1000– 800 v. Chr. befestigte Inselsiedlung („Wasserburg“); 800–500 zahlreiche Grabhügel mit reichen Bronze- und Eisengrabbeigaben; auch röm. und alemann. Funde; hier wurde erstmals die Pollenanalyse angewandt (↑ Chronologie, Moorfunde). Fehde, im MA gewaltsame Selbsthilfe als Rechtseinrichtung (später neben dem Gerichtswesen), erwachsen aus der german. Sitte des Rechtsschutzes bzw. der Sühneerzwingung als einer Angelegenheit des Einzelnen und seiner Sippe (erst in zweiter Linie der übergeordneten Gemeinschaft), sie setzte „gute“ Gründe und ritterl. Haltung voraus und unterlag bestimmten Regeln (F.-Recht; z. B. Ankündigung durch F.-Brief 3 Tage voraus) und Beschränkungen (Einhalten des Gottesfriedens, Schonung von Schwerkranken, Kaufleuten usw.); Beendigung durch die ↑ Urfehde; praktisch artete das F.-Wesen in die willkürliche Herrschaft des ↑ Faustrechts und damit in allg. Anarchie aus, der erst der ↑ Ewige Landfriede von 1495 juristisch ein Ende machte. Fehrbellin, Ort in der Mark Brandenburg; 1675 entscheidender Sieg Friedrich Wilhelms von Brandenburg-Preußen und Derfflingers über die Schweden; Befreiung

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Fehrenbach der Kurmark (seitdem Friedrich Wilhelm „Der große Kurfürst“). Fehrenbach, Konstantin, dt. Politiker, 1852–1926; Zentrumsabgeordneter, 1919/20 Präsident der Weimarer Nationalversammlung, 1920 Reichskanzler, verweigerte 1921 Annahme des Londoner Ultimatums und trat zurück; 1924 Fraktionsvorsitzender des Zentrums. Feldpost, für Soldaten der Überlieferung nach erstmals unter Alexander d. Gr. orga­ nisiert; im Spät-MA unter Kaiser Maxi­ milian (1426), in der frz. Armee unter Turenne und Guebriant um 1660 am Oberrhein. Erstes preuß. F.-Amt 1716, weiterer Ausbau im 7-jährigen Krieg; seit 1813 hatte jedes preuß. Korps ein eigenes F.-Amt, Leistung der dt. Feldpost 1870/71: 94 Mio., 1914–19: 29 Mrd., 1939–1945: 30,6 Mrd. Sendungen. Feldschlange, für den Bewegungskrieg bestimmtes Geschütz mit langem Rohr im 15. bis 17. Jh., Kaliber bis 14 cm, Geschossgewicht (Eisenvollkugeln) bis 10 kg. Felonie, im ↑ Lehenswesen Verletzung der Lehenstreue sowohl durch den Lehensherrn gegenüber seinem Vasallen wie umgekehrt; hob das Lehensverhältnis auf. Felsbilder, ↑ Eiszeitkunst. Felsengräber, in Felsen angelegte Begräbnisstätten des alten Orients und Ägyptens; die ältesten F. stammen aus dem 3. Jt. v. Chr., die bekanntesten sind in Theben-West (Beamtengräber), im Königsgräber­tal und im Tal der Königinnen (↑ Petra). Femegerichte (Ferne, Veme, mhdt. Verurteilung, Strafe), im MA (nachgewiesen seit dem 13. Jh.) vom König mit dem Blutbann beliehene Freigerichte (ausschließlich für todeswürdige Verbrechen), bes. in Westfalen (während anderswo die Blutgerichtsbarkeit von den Landesherren beansprucht wurde); das Gericht setzte sich zusammen aus mindestens 7 „Freischöffen“ (freie Bauern), tagte bei Tage und ohne Vermummung an der herkömmlichen Thingstätte, die Schöffen waren als „Wissende“ einge-

weiht in das geheime Prozessverfahren und durch Eid zur Geheimhaltung verpflichtet. An der Spitze jedes Freistuhls (der angesehenste: Dortmund) stand ein Stuhlherr (Oberstuhlherr: der Erzbischof von Köln als Herzog von Westfalen), unter ihm die Vorsitz führenden Freigrafen; seit dem 14. Jh., als die Rechtsunsicherheit im ganzen Reich zunahm, dehnte sich das Wirkungsfeld der F. weiter aus; wer der Ladung der F. nicht folgte, wurde „verfemt“ (= gerichtet). Die F. verfielen seit dem 15. Jh., in Westfalen bestanden sie als lokale Gerichte bis 1808. – In der Weimarer Republik gingen von rechtsradikalen Gruppen die Fememorde aus, denen sog. „Erfüllungspolitiker“ oder „Novemberverbrecher“, u. a. Rathenau und Erzberger zum Opfer fielen. Fénelon, François de Safignac de la Motte, frz. Theologe und Pädagoge, 1651–1715; Erzieher der Enkel Ludwigs XIV., 1695 Erzbischof von Cambrai, wegen seiner quie­ tist. Neigungen von ↑ Bossuet angegriffen und vom Papst gemaßregelt; schrieb den berühmten Erziehungsroman und ↑ Fürs­ tenspiegel der Aufklärung „Télémaque“ (Kritik an Ludwig XIV.). Fenier (abgeleitet vom altirischen Wort flann, Krieger), revolutionärer Geheimbund der Iren nach dem Vorbild der Jakobiner, bes. in den USA, betrieb seit 1861 die Lostrennung Irlands von England; Aufstände 1865 und 1867 in Irland; versuchte Handstreiche in Liverpool und Manches­ ter; seit 1886 im Erlöschen; neu erstanden in der ↑ Sinn Féin. Ferdinand, Name von Herrschern. Römisch-dt. Kaiser: 1) F. I., Begründer der österreichisch-ungar. Monarchie (1556– 1564); geb. 1503, Bruder Karls V., erhielt 1521 die österr. Erblande Habsburgs und vertrat Karl V. in Deutschland, 1526 König von Böhmen und Ungarn, um dessen Besitz er gegen die Türken kämpfte; 1531 zum röm. (dt.) König gewählt, bemühte sich um konfessionellen Ausgleich durch Konzil und Religionsgespräche, schloss 282

Ferdinand 1552 den ↑ Passauer Vertrag und 1555 den ↑ Augsburger Religionsfrieden; nach Karls Rücktritt 1556 Kaiser. 2) F. II. (1616– 1637); geb. 1578, führte in seinen Erblan­ den die Gegenreformation durch (Emigra­ tion der Protestanten) und löste durch sein schroffes Vorgehen gegen den Protestantis­ mus in Böhmen den ↑ 30-jähr. Krieg aus; 1629 auf dem Gipfel seiner Macht (Restitutionsedikt), eroberte Württemberg für Habs­burg. 3) F. III. (1637–1657); geb. 1608, Sohn von 2), führte nach Wallensteins Ermordung das kaiserl. Heer und schlug mit Gallas die Schweden bei Nördlingen; gab Württemberg wieder auf, such­te Aussöhnung mit den Protestanten und allgemeinen Frieden; stark kulturelle Neigungen, verhandelte zäh um den Abschluss des Westfäl. Friedens, um Schwächung der Reichsgegner und Erhaltung der Reichseinheit. – Aragonien: 4) F. II., der Katholische (1479–1516); geb. 1452, heiratete 1469 Isabella, die 1474 den Thron von Kastilien bestieg, und vereinigte damit beide Reiche (zunächst lose) zum Königreich Spanien, hielt den Adel nieder, erneuerte die Inquisition zum Kampf gegen die Ketzer, vertrieb die Juden, mehrte seine Macht nach außen durch Abschluss der ↑ Re­konquista (Zurückeroberung; 1492 Fall Granadas, des letzten Maurenstützpunkts), Eroberung von Neapel 1503 und Navarra 1512 sowie durch Entdeckungen (1492 Kolumbus; 1494 Vertrag von ↑ Tordesillas über die span.-portug. Demarkationslinie). – Bayern: 5) F. Maria, Kurfürst (1651–1679); geb. 1636, trieb während der Kriege gegen Ludwig XIV. eine frank­ reichfreundl. Neutralitätspolitik; Pracht und Kunst liebend (Theatinerkirche, Nymphenburg). – Braunschweig: 6) F., (nichtregierender) Herzog, preuß. Feldmarschall, 1721–1792; trat 1740 in die Dienste Friedrichs d. Gr., zeichnete sich in den Schles. Kriegen und im 7-jährigen Krieg aus, erhielt Ende 1757 den Oberbefehl über die preuß.-engl. Armee in Hannover, schlug

die Franzosen 1758 bei Krefeld, 1759 bei Minden und hielt sie bis Kriegsende in Schach. – Bulgarien: 7) F. I. (1887–1918); geb. 1861, Prinz von Sachsen-CoburgKohary, gegen den Willen Russlands zum Fürsten von B. gewählt, 1908 zum Zaren erhoben, im 1. Weltkrieg auf Seiten der Mittelmächte, dankte nach dem militär. Zusammenbruch Okt. 1918 ab, starb 1948 in Coburg. – Kastilien: 8) F. I., d. Gr., erster König von K. (1035–1065); eroberte im Kampf gegen seinen Schwager 1037 das Königreich Léon und gegen die Mauren 1064 Coimbra. 9) F. III., der Heilige (1217–1252); vereinigte 1230 Kastilien mit Léon (für immer), führte die ↑ Rekonquista auf ihren Höhepunkt (Eroberung von Cordoba, Murcia, Sevilla und Cadiz) und gründete die Universität Salamanca. – Neapel-Sizilien: 10) F. I. (1458–1494); geb. 1423, Sohn ALfons’ V. von Aragonien, nach dessen Tod setzte er sich als König von Neapel durch und behauptete sich gegen die Ansprüche der Anjous; Pracht liebend, Förderer der Wissenschaften. 11) F. IV. (I.) (1759–1825); geb. 1751, Bourbone, trieb nach der liberalen Regentschaft des Ministers Tanucci eine absolutist. Günstlingswirtschaft, führte aus Hass gegen die Frz. Revolution Krieg gegen Frankreich; 1798–1800 aus Neapel vertrieben und auf Sizilien beschränkt, 1805 von Napoleon er­neut abgesetzt, vereinigte nach seiner Rück­kehr 1816 beide Reiche zum Königreich beider Sizilien und nannte sich F. I., ließ 1821 die Revolution in seinem Land von Österreich niederschlagen. 12) F. II. (1830–1859); geb. 1810, Enkel von 11), regierte despotisch und warf die liberalen Erhebungen mit grausamer Härte nieder, sodass die brit. und frz. Regierung schließlich den diplomat. Verkehr mit ihm abbrachen, starb an den Folgen eines Attentats von 1856. – Österreich: 13) F. I., Kaiser (1835–1848); geb. 1793, regierungsunfähig (Regierung durch „Geheime Staatskonferenz“ unter Metternich), „Der gute

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Feriae Nandl“ dankte Dezember 1848 zugunsten seines Neffen Franz Joseph ab, starb 1875. – Rumänien: 14) F. I., König (1914–1927); geb. 1865, Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen, Neffe Karls (Carols) I., vermählt mit einer Nichte Eduards VII., ließ sich 1916 zum Kriegseintritt auf Seiten der Alli­ ierten bestimmen. – Spanien: 15) F. VII., König (1814–1833); geb. 1784, 1808 von Napoleon in Bayonne zum Thronverzicht gezwungen (Anlass zur span. Erhebung gegen die Franzosen), hob bei seinem Regierungsantritt die lib. Verfassung von 1812 auf, ließ die Revolution von 1820 durch Frankreich 1823 niederwerfen, stellte zugunsten seiner Tochter Isabella die weibl. Thronfolge wieder her, wogegen sich sein Bruder Don ↑ Carlos erhob. Feriae, die Fest- und Feiertage der Römer, entweder von Staats wegen allg. verbindlich oder nur innerhalb einzelner Familien; die Staatsfeste waren teils auf einen best. Tag festgelegt, teils wurden sie mit jährl. wechselndem Datum von den Priestern angesetzt, dazu Feiertage bei bes. Anlass. Fermi, Enrico, ital. Physiker, 1901–1954; benutzte als Erster Neutronen zum Atomkernbeschuss und erzielte 1934 künstliche radioaktive Stoffe; 1942 erster Atomreaktor der Welt in Chicago; Nobelpreis 1938. Fernrohr, das holländische oder Galileische (Zer­streuungslinse als Okular, aufrechte Bil­ der), um 1600 in Holland erfunden (wohl von dem Brillenmacher Lippers­heim) und auf Kunde davon 1609 auch von Galilei konstruiert, der damit in der ersten Nacht drei Jupitermonde entdeckte; das astronom. oder Keplersche F. (Lupe als Okular, verkehrte Bilder, größerer Gesichtskreis) 1611 von Kepler in seiner „Dioptrik“ vorgeschlagen und wohl von Scheiner 1613 erstmals konstruiert; das erste Spiegelteleskop 1668 von Newton hergestellt; das erste F. mit achromat. Objektiv (ohne Farbenzerstreuung) auf Anregungen Eulers 1757 von Dollond konstruiert, um 1820 techn. perfektioniert von Fraunhofer.

Fernsehen, die Idee älter als der Rund-

funk; 1884 erfand Paul Nipkow als Bildfeldzerleger die Spirallochscheibe (Nipkow­ scheibe, z. T. bis 1943 in Gebrauch); Erfindungen in verschiedenen Ländern führ­ten zum heutigen F.: 1893 Fotozelle zur Umwandlung von Licht- in Stromschwankungen (Elster und Geitel); 1897 Braunsche Röhre (Kathodenstrahlröhre) als Bildröhre im Empfänger (verbessert 1903 durch die Glühkathode Wehnelts), 1906 erstmals verwendet (M. Dieckmann); 1906 Verstärkerröhre (R. von Lieben); erste Fernsendung 1919 durch D. von Mihaly; 1925 Elektronenauge (Ikonoskop) als Ersatz für die Nipkowscheibe (W. Zworykin); 1925/26 erfolgreiche Sendeversuche nach verschiedenen Verfahren durch Karolus in Deutschland, Baird in England, Jenkins in den USA; 1927 Übertragung auf 330 km Entfernung (H. T. Ives, USA); 1928/29 Übertragungen durch die Dt. Reichspost (30 Zeilen) über Funksender Witzleben und Deutschlandsender; 1930 erzielten M. von Ardenne und W. Zworykin hochzeilige Bildzerlegung in der Braunschen Röhre; 1933 24-Stunden-Programm in den USA (Aufbau von 15 Sendern, Farbfernsehen 1941), 1935 Fernsehdienst der Reichspost (bis 1943); nach dem 2. Weltkrieg Neuaufbau in den USA (1945), in England 1946, in Deutschland 1953. – Das F. neben unterhaltender auch von großer polit., wirtsch., kultureller Bedeutung (aus bildlicher Anschauung Kenntnis der Länder und ihrer Probleme, der Politiker und ihrer Zielsetzungen, lebendige Teilnahme an zeitgeschichtl. Ereignissen, Einwirkung auf die öffentl. Meinung; Fortbildung). Fernsprecher, erstes Gerät konstruiert von dem dt. Lehrer Philipp Reis 1860, in der heutigen Form entwickelt 1876 von dem Amerikaner Graham Bell (statt Stromunter­ brechung, die nur entstellende Stimmwiedergabe zuließ, Stromschwankungen im elektromagnet. Induktionsstrom), in Deutschland verbessert von Siemens 1880; 284

Festung Hughes und Lütge erfanden das Mikrofon 1878; Generalpostmeister Stephan (auf den die Bezeichnung „F.“ zurückgeht) ließ die Postanstalten der kleinen Orte mit F. anstelle des kostspieligen Telegrafen ausrüs­ ten und 1881 in Berlin das erste Ortsnetz (8 Teilnehmer) eröffnen (vorangegangen USA seit 1878); um 1895 wurde die automatische Vermittlung entwickelt; die von von Lieben und de Forest 1906 erfundene Verstärkerröhre ermöglichte Ferngespräche über weiteste Distanz. Ferrara, Stadt am unteren Po, altrömische Kolonie, seit dem 4. Jh. n. Chr. Bischofssitz; seit dem 6. Jh. beim byzantin. ↑ Exarchat, im MA als päpstliches Lehen bei der Markgrafschaft Tuszien; im 12. Jh. als freie Stadt Mitglied des Lombard. Städtebundes, doch im 13. Jh. auf Seiten Kaiser Friedrichs II.; seit 1264 unter der Herrschaft der ↑ Este, 1471 vom Papst zum Herzogtum erhoben. Blütezeit in der Renaissance (im 15. Jh. 100 000 Einwohner). 1597 als erledigtes Lehen vom Papst eingezogen, bis 1859 beim Kirchenstaat. Ferry, Jules, frz. Politiker, 1832–1893; Re­ publikaner, antikirchl., begr. 1879/80 als Unterrichtsminister das weltliche Schulsystem, 1880/81 und 1883–85 Ministerpräsident; als weit planender Organisator des frz. Kolonialreiches (Tunis, Madagaskar, Tonkin, Annam) auf dem Weg des Einvernehmens mit Bismarcks Diplomatie (Ablenkung Frankreichs vom Verlust Elsass-Lothringens, dt.-frz. Verständigung), scheiterte aber an der Opposition der „Revanchepartei“ (Clemenceau). Fes (Fez), Wirtschaftszentrum in NW-Marokko; röm. Siedlung, von den Vandalen zerstört; 789 n. Chr. neu gegründet; 1. Residenz des Sultans, seit 1086 Hauptstadt der maur. Reiche F. und Marokko; zählte in seiner Blütezeit (13. Jh.) Hunderte von Moscheen und galt in W-Afrika als heili­ge Stadt des Islam neben Mekka und ­Kairouan; verfiel seit dem 16. Jh.; 1911 von den Frz. besetzt; heute marokkan. Provinzhauptstadt.

Festung, stärkste und dauerhafteste Form

einer Verteidigungsanlage; ihr Bau wie ihre Einnahme zu allen Zeiten und bei fast allen Völkern wichtiges Ziel der Kriegstechnik und schon in den Großreichen des Altertums (Assyrer, Perser, Römer) zur Vollendung entwickelt. Stärker befestigt und größer als Lager und Burg, zum Unterschied von der durchgehenden Grenzbefestigung (↑ Limes, Chin. Mauer u. a.) örtlich konzentriert, wandelte sich die F. mit der Entwicklung der Angriffswaffen (↑ Belagerungsmaschinen). Im Altertum waren praktisch alle Großstädte F.en, die in der Regel nur nach monate-, oft jahrelanger Belagerung genommen wurden (Ninive, Athen, Milet, Tyrus, Syrakus, Karthago, Rom); desgleichen die Städte des MA, die von der eigenen „wehrhaften“ Bürgerschaft verteidigt wurden (z. B. die dt. Reichsstädte gegen die rivalisierenden Fürsten, die Lombard. Städte gegen die Staufer, Konstantinopel 1453 und Wien 1683 gegen die Türken); erst mit der Ausbildung des modernen Staates, der stehenden Heere usw. entstand die ausschließlich zu militärischen Zwecken errichtete Festung im engeren Sinn (zum Schutz des Landes). Daneben entwickelte sich der Begriff der „offenen Stadt“; doch waren noch im 19. Jh. manche Hauptstädte (z. B. Paris, Wien) befestigte F.en. Die Einführung der Feuerwaffen (Belagerungsgeschütze) revolutionierte die F.-Bautechnik, die zu einer Wissenschaft wurde, mit der sich selbst große Künstler wie Dürer, Leonardo da Vinci und Balthasar Neumann beschäftigten. Vorbildlich wurden die F.en Italiens und der Niederlande im l6. Jh.; mit Vauban erreichte die Kunst des F.-Baus und des F.-Krieges einen Höhepunkt; sie hatte im 17./18. Jh. mehr mit Mathematik als mit soldat. Tapferkeit zu tun. Die Steigerung der Artilleriewirkung (Sewastopol 1854/55, Paris 1870/71, Port Arthur 1904/05, Antwerpen 1974, Verdun 1916) löste die F. alten Stils in ein weiträumiges Befestigungssystem einzelner

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Fetialen „Werke“ auf; im 2. Weltkrieg bildete sich ein neuer (großräumiger) F.s-Begriff (Maginot-Linie, Westwall, Atlantikwall, F. Holland, Alpenfestung u. a.). Fetialen (fetiales), altröm. Kollegium von 20 Priestern zur Wahrung des Völkerrechts (Vertragsabschlüsse; Kriegserklärung durch Wurf einer blutigen Lanze in ­Feindesland). Feudalismus (von mittellat. feudalia, Lehenssachen), von ↑ Montesquieu gepräg­ ter Begriff für das Gesellschaftssystem des ↑ Lehenswesens im MA; im 19. und 20. Jh. Begriff auch für ähnl. erscheinende polit., soziale, wirtsch. Zustände in anderen Gesellschaftsordnungen (z. B. in Alt­chi­na, Altjapan, Altindien, Altrom, Russland, Ägypten, Spanien, den Kolonien). F. bezeichnete die durch den Staat gestützte oder geduldete Vorherrschaft und die rechtl. (Erbrecht) und gesellschaftl. Vorrechte weltlicher und geistl. Grundbesitzer gegenüber anderen, abhängigen Schichten (Bürgern, Bauern, Hörigen, Leibeigenen u. a.), verbunden meist auch mit politischen Vorrangstellung und Sonderrechten der Lebensführung; mannigfache Erscheinungsformen, von autokrat. Willkür bis zu patriarchal. Fürsorge für die Abhängigen reichend. Seit dem Frühkapitalismus gehörten zur feudalen Schicht auch die Besitzer der großen Manufakturen; Karl Marx bezeichnete die moderne kapitalmächtige Bourgeoisie als neue Form des F. – Der F. im engeren Sinne – die auf dem Lehenswesen beruhende staatliche und soziale Organisationsform des MA – schaffte durch Verleihung von Ländereien und Rechten, die allmählich erblich wurden, privilegierte Schichten. Durch den F. wurde der alte Beamtenstand des frühen MA (Merowingerreich) in einen Stand erblicher Lebensträger umgewandelt. Der F. wurde in Frankreich erst durch die Revolution von 1789 endgültig beseitigt, in Deutschland als polit. Herrschaftsform erst 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss, als soziale Ordnung durch die Reformen in den dt.

Einzelstaaten (Stein-Hardenberg in Preußen); doch behauptete die feudale Großgrundbesitzerklasse in industriell rückständigen Gebieten (Ostelbien, Osteuropa, Süditalien, Spanien), z. T. bis in die neueste Zeit, ihre starke polit. und wirtsch. Stellung. Feuerstein, Flint, glasartiges, sprödes, sehr hartes Gestein, als Knollen in Kreideforma­ tionen vorkommend (S-Schweden, NJütland, auf Rügen, in England, Belgien, N-Frankreich, Polen, S-Russland), z. T. bergmännisch gewonnen oder als Geröll durch Gletscher verlagert; zerbricht bei Schlag in scharfkantige Bruchstücke, die zum Schneiden, Stechen, Bohren, Sägen, Raspeln, Schaben zu gebrauchen sind; als Rohmaterial für die wichtigsten Werkzeuge und Waffen der Steinzeit weithin ge­handelt; die Knolle, mehr oder weniger zurechtgeschlagen, als ↑ Faustkeil oder als Kernbeil; die dünneren Abschläge wurden Klingen, deren Ränder schärfer bearbeitet waren („Klingenkulturen“); aus F. wurden auch eingekittete Pfeilspitzen, Harpunen hergestellt, in der Nacheiszeit auch Schlagsteine zum Feuerzünden. – Das Maß und die Art der Bearbeitung Hauptmerkmal der steinzeitlichen Zivilisationsstufen. Feuersteinschloss, erfunden im 16. Jh., allg. eingeführt während des 30-jährigen Krieges; der mit einem Feuerstein versehene Gewehrhahn öffnete beim Niederschnappen den Deckel der Zündpfanne und erzeugte gleichzeitig durch Reibung am Deckel einen Funken, der das Pulver entzündete (200 Jahre in Gebrauch). Feuillants, gemäßigter Revolutionsklub, der 1789 im aufgehobenen Kloster der F. in Paris, einer Kongregation der Zisterzienser, tagte und für die konstitutionelle Monarchie eintrat; nach seinem Versammlungsort F. genannt (Führer: Lafayette, Bailly); ging 1791 im jakobin. Radikalismus unter. Fibeln (lat. fibula, Gewandhaftel), Spange in Form einer Sicherheitsnadel, diente der Gewandsicherung und als Schmuck, löste 286

Film die Gewandnadel mit Schnursicherung ab; mit der Zeit aufs Höchste vervollkommnet und modisch abgewandelt, zweiteilig (Nadel und Bügel getrennt) oder einteilig; zweigliedrige vor allem im nord.-german. Kulturraum (bis zum Ende der ↑ Urnenfelderkultur), dann in ganz Europa einteilige bis in die Völkerwanderungs- und Wikingerzeit; verbreitet auch bei Römern und Griechen; in ihrer techn. und künstler. Formentwicklung sind die F. Leittypen für vorgeschichtl. und geschichtl. Datierung, bes. wenn sie mit charakterist. Funden anderer Art vergesellschaftet sind. Fibonacci (Pisano), Leonardo, ital. Mathe­ matiker, um 1184–1250; brachte von seinen Reisen die arab. Ziffern nach Mittel­ europa (1202 „Liber abaci“), die bis zum 16. Jh. die römischen Zahlenzeichen verdrängten; Voraussetzung für das moderne Rechnen ohne Rechenbrett und Rechensteine (Abacus). Fichte, Johann Gottlieb, dt. Philosoph, 1762–1814; knüpfte an Kants „kategori­ schen Imperativ“ an und führte in seiner „Wis­senschaftslehre“ alles Seiende auf die Selbstentfaltung des (nichtindividuellen, absoluten) „Ich“ in sittl. Tathandlung zurück und stellte als polit. Denker demgemäß den Pflichtbegriff über die Glückseligkeit; F. verfocht die Prinzipien der Frz. Revolution, war liberaler Demokrat und Republikaner und verband extremen Patri­ otismus mit humanist. Weltbürgertum; in seinen wirkungsvollen „Reden an die dt. Nation“ (1807/08) rief er zum Kampf gegen Napoleon auf und forderte eine dt. Nationalerziehung über alle Standesschranken hinweg. Als einer der ersten Staatssozialisten wandte er sich in seiner Schrift „Der geschlossene Handelsstaat“ (1800) gegen das liberale Konkurrenz­system, trat für Autarkie ein und entwarf das Bild einer Planwirtschaft mit Vollbeschäftigung; seine Gedanken wirkten im 19. Jh. in verschiedenen Richtungen stark nach (bes. bei Hegel, Feuerbach, Marx).

Ficker, Julius, dt. Rechtshistoriker, 1826– 1902; bedeutender Urkundenforscher, Mit­ begründer der österr. historischen Schule, Haupt der großdt. Geschichtsschreibung, verteidigte gegen die Angriffe Sybels (klein­ ­dt.) die mittelalerl. Kaiserpolitik. Fideikommiss, Familienerbgut (in den meis­ten Fällen Groß­grundbesitz), durch be­ stimm­ten Erbgang nur ungeteilt übertragbar, unveräußerlich und nur beschränkt be­ lastbar; die im ↑ Feudalismus verwurzelte Errichtung von F.en war im 19. Jh. in den dt. Staaten unterschiedlich geregelt; wo sie erlaubt war, ein Privileg des Adels, darum von den bürgerl. Liberalen heftig angegriffen; durch die Reichsverfassung von 1919 beseitigt. Fiesco (eigtl. Fieschi), Giovanni Luigi, Graf von Lavagna, 1523–1547; aus berühmter genues. Familie (aus der Papst Innozenz IV. hervorging), zettelte zum Sturz der mit dem Kaiser verbündeten Doria eine Verschwörung an, ertrank bei einem Aufstandsversuch im von seinem Anhang schon besetzten Hafen. Figl, Leopold, österr. Politiker, 1902– 1965; saß als Gegner des „Anschlusses“ Österreichs an das Dt. Reich 1938–1945 in mehreren KZs; 1945 Führer des Bauernbundes und Mitbegründer der ÖVP, 1945–1953 österr. Bundeskanzler, 1953– 59 Außenminister, 1959–1962 Präsident des österr. Nationalrates. Filchner, Wilhelm, dt. Forschungsreisender, 1877–1957; 1900 Pamirexpedition, 1903–1905 Tibet, 1911/12 (2. dt.) Südpol­ expedition, 1926–28 Zentralasien („Om mani padme hum“), 1934–38, 1939/40 er­neut in Asien („Bismillah!“); später in Nepal. Film (Kinematografie), als bedeutendste techn. Pioniere um 1895 gleichzeitig am Werk: Edison (Streifen), der Franzose Lumière (Kamera), die Deutschen Messter (Fort­bewegung des Streifens), Anschütz; 1896 drehte M. bereits Straßenszenen in Berlin, 1897 aktuelle Sportereignisse, 1898

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Finck Naturaufnahmen. Anfänge des Spielfilms: dramatisch bewegte Einzelszenen („Sprung ins Wasser“), 1897 Aufsehen erregender, 250 m langer Spielfilm Edisons „Der Eisenbahnüberfall“. Filmvorführungen zunächst Schaubudensensation, um 1900 Blüte des Wanderkinos („Bioskop“); bereits aktuelle Reportagen (Burenkrieg); Spiel-F. mit Zirkusartisten. Nächste Stufe: „Ladenkino“ mit Erklärer, Klavier- oder Harmoniumbegleitung (gegen Vorführgeräusch, zur Untermalung und Pausenfüllung); 1902 erstes F.-Theater in den USA (Los Angeles), 1910 erstes Großkino in Berlin, Anfänge der F.Industrie. Griffith (USA) arbeitete als Erster mit Großaufnahmen und Bewegung der Kamera, Zucker mit Berufsschauspielern statt Laien; Wildwestaufnahmen an Ort und Stelle (Keimzelle Hollywoods). Führende Produktionsländer vor dem 1. Weltkrieg Frankreich, Italien, bes. mit histor. F.en (1913 „Quo vadis“); seit 1907 Star-F. (M. Linder, H. Porten, M. Pickford), 1910 erster dt. Groß-Spielfilm „Gelbstern“ (drei Tage Drehdauer, 600 Mark Herstellungskosten, 25 Mark Gage der Hauptdarsteller); gemeinsame Abwehrfront von Presse, kirchlichen Kreisen, Schule, Theater und Elternhaus gegen den F. Im 1. Weltkrieg „feldgrauer Kitsch“ („Überfall in Feindesland“, „Fräulein Feldwebel“ usw.). Nach dem Krieg Beginn des künstlerischen F.s („Der Student von Prag“). Experimente und Entwicklung des „film.“ Stils: expressionist. (Wienes „Kabinett des Dr. Caligari“), utop. (Fritz Langs „Metropolis“), Kammerspiel- (Ludwig Bergers „Ein Glas Wasser“) und Märchenfilme (Paul Wegeners „Rübezahl“). Große Publikumserfol­ge mit Kriminal- („Die Spinne“), Aufklärungs- („Es werde Licht!“), exot. und Ausstattungsfilmen („Die Lieblingsfrau des Maharadscha“). Hochflut von his­tor. F. („INRI“; „Madame Dubarry“; „Bismarck“). Von Hollywood aus Siegeszug des Grotesk(Buster Keaton, Harold Lloyd, Charlie Chaplin, Pat und Patachon) und Zeichen-

trickfilms (Disneys „Mickymaus“). International gefeierte Stammfilmstars: Greta Garbo, Ramon Navarro, Conrad Veidt, Harry Piel, Rudolf Valentino, Henny Porten u. a. Gleichzeitig entwickelte sich die F.-Industrie zum wirtsch. Machtfaktor: Millioneninvestitionen und -profite, Konzernbildung, Kampf um internationalen Absatzmarkt. 1918 Gründung der Ufa durch Hugenberg, Abwehr der USA-Konkurrenz und des Auslandboykotts dt. F.e. Seit den 20er Jahren F. auch polit. Faktor: Aufsehen erregende Sowjet-F.e (Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“), in Deutschland Protest der Linken gegen FridericusF., der Rechten gegen „Im Westen nichts Neues“, staatlich subventionierte Propaganda-F.e im faschist. Italien und nat.-soz. Deutschland, Anti-Hitler-F. Hollywoods. – Revolution in F.-Ateliers mit Erfindung des Tonfilms (1928 dt. Erfinder: Vogt, Engel, Massolle; Gründung der Tobis), seit 1930 Triumph des Tonfilms. Künstler. Verfall trotz Réné Clair (Frankreich) und anderer großer Könner. Massenproduktion (Hollywood tägl. ein Film); 1950: 90 000 Kinos mit über 50 Mio. Sitzplätzen). Neue Entwicklungsstufe: Farbfilm (seit 1935), Breitwand- und dreidimensionaler F. (plast. F. ) u. a. -Trotz Konkurrenz durch das ↑ Fernsehen von ungebrochener wirtschaftlicher und künstler. Bedeutung. Finck, Friedrich August von, preußischer General, 1718–1766; 1759 von Friedrich d. Gr. zur Verfolgung Dauns entsandt und von diesem mit seinem dezimierten Korps bei Maxen (Sachsen) zur Kapitulation gezwungen („Finkenfang“); nach Friedensschluss kriegsgerichtlich verurteilt (obwohl unschuldig); 1764 in dän. Diensten. Finnen, finnougrisches Volk, das vermut­ lich mit den Hunnen nach Europa kam und sich in Finnland und den nördli­ chen Gebieten Schwedens, Norwegens, Westruss­lands niederließ (1. Jh. n. Chr.); früh von nordgermanischer Kultur beeinflusst (↑ Finnland). 288

Fiume Finnland, im 12./13. Jh. von Schweden er-

obert und christianisiert: 1249 „Kreuzzug“ des Folkungers ↑ Birger Jarl, Festigung der schwed. Herrschaft, 1284 schwed. Herzogtum; seit 1495 russische Angriffe; Reformation 1530 durch Michael ↑ Agricola; 1721 (Friede von Nystadt) Abtretung Kareliens, 1743 weiterer Gebiete an Russland; 1809 wurde ganz F., das 1808 von Russland im Einverständnis mit Napoleon I. erobert war, dem russ. Reich angegliedert, zunächst autonom, doch schon unter Zar Nikolaus I. Russifizierungspolitik; Widerstand der finn. Nationalbewegung bes. gegen die russ. Gesetzgebung 1899; 1905 Generalstreik, 1917 Unabhängigkeitserklä­ rung, 1918–20 Kampf gegen die Bolschewisten, die von Mannerheim mit dt. Hilfe (General von der Goltz) vertrieben wurden; 1920 Friede von Dorpat mit Sowjetrussland; 1921 Gewinn der ↑ Alandinseln; 1922 Bodenreform (betroffen bes. die alte schwed. Oberschicht). Seit 1930 Putsche der antikommunist., bäuerl. Lappobewegung. Bedeutender Staatspräsident: Svinhufvud (1931–1937). 1939 Aggression sow­jet. Truppen, als F. Gebietsabtretungen ablehnte; Winterkrieg gegen die UdSSR, Kampf um „Mannerheim-Linie“; im Frieden (Moskau) Abtretung der karel. Landenge und der Ufer des Ladogasees. 1941 Teilnahme am dt. Angriff auf die UdSSR, danach Kriegserklärung Englands; 1944 Rückzug und Waffenstillstand, Wiederherstellung der Grenzen von 1940, Abtretung Petsamos, Verlust Wiborgs, Austausch Hangös gegen Porkkala (bestätigt auf Pariser Friedenskonferenz 1947); 1948 Beistandspakt mit der UdSSR, doch im Innern Schwächung des kommunist. Einflusses; 1950 Handelsverträge mit Sowjetunion und China; 1955 Mitglied der UN, 1959 der EFTA; der Freundschaftsund Beistandspakt mit der UdSSR von 1948 wurde 1955 und 1970 um jeweils 20 Jahre verlängert. Außenpolit. vertritt F. das Prinzip der Neutralität gegenüber den

Großmächten. Bedeutendster Politiker der Nachkriegszeit U. K. Kekkonen, als Staatspräsident 1956–1981 um gute Nachbarschaft mit der Sowjetunion bemüht. Unter seinem Nachfolger, dem Sozialdemokraten M. Koivisto, seit 1982 Koalitionskabinette unter Führung der Sozialdemokraten, seit 1987 der Nationalen ­ Sammlungspartei, 1991 Zentrumspartei wieder stärkste Kraft, Koalitionsregierung unter E. Aho, der mit Russland einen neuen Grundlagen­vertrag (anstelle der Freundschaftspakte der Nachkriegszeit) schloss. 1995 EU-Beitritt. Staatspräsident Tarja Halonen (seit 2000), Ministerpräsident Matti Vanhanen (seit 2003). Firdausi (Firdusi), Abul Kasim Mansur, größter pers. Epiker, 939–1020; verfasste in 60 000 Doppelversen die iran. Reichsgeschichte bis zur Eroberung durch die Araber 651 („Königsbuch“). Firmian, Leopold Anton Graf von, Erz­ bischof von Salzburg, 1679–1744; vertrieb 1731/32 über 17 000 Protestanten aus dem Lande, „Exulanten“, die z. T. in Ostpreußen von König Friedrich Wilhelm I. angesiedelt wurden, in der Markgrafschaft Ansbach Aufnahme fanden und z. T. nach Nordamerika auswanderten (die Vertreibung regte Goethe zu „Hermann und Dorothea“ an). Fischer, Karl, Begründer und erster Führer des „Wandervogels“, 1881–1941; rief 1896 zum Aufstand gegen die bürgerliche „Sofakultur“ auf und leitete damit die dt. Jugendbewegung ein. Fisher, 1) F., John, engl. kath. Bischof, um 1459–1535; wegen Widerstandes gegen die Ehescheidung Heinrichs VIII. und gegen die Begründung der anglikan. Kirche (Verweigerung des Suprematieeides) hingerichtet; 1935 heiliggesprochen. 2) F., John, Lord F. of Kilverstone, brit. Admiral, 1841–1920; 1904–1910 und 1914/15 Erster Seelord, Gegenspieler von Tirpitz, Schöpfer der mod. brit. Flotte (Übergang zur Ölfeuerung, Bau von ↑ Dreadnoughts). Fiume, italien. Name von ↑ Rijeka.

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Fjodor Fjodor, russ. Zaren: 1) F. I. (1584–1598); geb. 1557, Sohn ↑ Iwans d. Schrecklichen,

unpolitischer Fürst, überließ die Regierung seinem Schwager Boris Godunow. Mit ihm erlosch das. Haus ↑ Rurik im Mannesstamm. 2) F. III. (1676–1682); geb. 1661, aus dem Haus Romanow; Stiefbruder Peters d. Gr., kämpfte gegen Türken und Po­len um die Ukraine, ließ die Rangverzeichnisse des Adels öffentlich verbrennen, Freund der europ. Kultur. Flagellanten (lat., Geißelbrüder), Laien (Kreuzbrüder) des 13.–15. Jh., die durch öffentl. Selbstgeißelung Buße taten; durchzogen bes. in Pestzeiten trotz kirchlicher Verbote in Prozessionen zu Tausenden die Länder Europas, zuletzt abergläubisch verwildernd. Flamberg, Schwert des 15./16. Jh., Zweihänder mit bis zu 1,8 m langer wellenförmiger (geflammter) Klinge, ohne Scheide über der Schulter getragen; Waffe der Lands­knechte. Flamen (Vlamen), german. Bevölkerungsgruppe (Niederfranken) im Westen und Norden Belgiens, mit eigenständigen und bedeutenden Kulturschöpfungen und einer vom Holländ. nur geringfügig abweichenden Sprache, doch als Katholiken in konfessionellem Gegensatz zu den reformierten Niederlanden seit deren Abfall von Spanien im l6. Jh. Nach der Gründung des Königreichs ↑ Belgien standen die F. in gewissem Gegensatz zu den frz. sprechenden ↑ Wallonen; trotz formeller Gleichberechtigung wurde die fläm. Sprache zurückgedrängt, auch hatten die Wallo­nen ein Übergewicht in Verwaltung und Kultur; dagegen erhob sich seit der 2. Hälfte des 19. Jh. die fläm. Nationalbewegung, sie wur­de während der dt. Besetzung Belgiens im 1. Weltkrieg stark gefördert (flämische Universität Gent; Rat von Flandern), doch wurden die Erfolge der deutschfreundl. fläm. „Aktivisten“ 1919 zunichte gemacht (Führer Borms zum Tode verurteilt, dann begnadigt). Erst 1932 wurde die Forde-

rung „In Flandern flämisch!“ erfüllt (fläm. Amtssprache, Kommandosprache in fläm. Truppenteilen usw.); ein kleiner Teil der F. strebte darüber hinaus nach Autonomie oder nach beherrschender Stellung im Gesamtstaat. Zu Beginn der 60er Jahre flammte der Sprachenstreit wieder auf. 1962 Sprachgrenze in ost-westl. Richtung südl. von Brüssel, zwei homogene Sprachgebiete, Brüssel zweisprachig. Flamininus, Titus Quinctius, röm. Feldherr und Staatsmann, um 228–174 v. Chr.; Konsul 198, schlug 197 König Philipp V. von Makedonien bei Kynoskephalai und erklärte bei den Isthmischen Spielen 196 jeden der Griechenstaaten für autonom, nach dem Grundsatz: „Divide et impera“. Flaminius, Gaius, röm. Staatsmann, gest. 217 v. Chr.; 232 v. Chr. Volkstribun, setzte sich gegen die Senatsaristokratie für Landverteilung (im cisalpinen Gallien) an die Plebs ein, schlug als Konsul 223 die gall. Insubrer, erbaute als Zensor 220 den Circus F. und die Via Flaminia von Rom nach Ariminum (Rimini), verlor als Konsul 217 gegen Hannibal am ↑ Trasimener See Schlacht und Leben. Flandern, ehem. Grafschaft zw. Nordsee und Schelde; seit der Völkerwanderung von Franken besiedelt, 843 (Vertrag von Verdun) zum westfränk. Reich, im MA unter frz., zugleich (durch die Belehnung mit Zeeland, 1018) unter dt. Lehenshoheit, vorübergehend mit Hennegau vereinigt. Bedeutende Rolle der Grafen von F. auf den Kreuzzügen (Begründung des ↑ Lat. Kaisertums in Byzanz). Blüte der neben den toskan. und lombard. wirtsch. höchstentwickelten flandr. Städte (↑ Brügge, Gent, Ypern) als Umschlagplätze des Handels zw. Italien und N-Europa und durch ihr leistungsfähiges Tuchgewerbe, das große Teile Europas belieferte; im Bund mit der ↑ Hanse hohe wirtsch. Blüte, aber auch scharfe soziale Spannungen zw. Kaufherrenpatriziat und dem Weberproletariat. Zünfte der Städte von England 290

Florenz gestützt, Träger des Freiheitskampfes gegen die Franzosen, die 1300 F. besetzt hatten; 1302 „Morgenfeier von Brügge“ (die Zünfte machten die frz. Besatzung nieder), „Sporenschlacht“ von Kortrijk (Vernichtung des frz. Ritterheeres durch die bewaffneten Zünfte); 1338 erneuter Aufstand der Städte unter ↑ Artevelde. 1384 wurde F. durch Heirat der Erbtochter mit dem Herzogtum Burgund vereinigt und teilte von da an das Geschick der burgund. Niederlande (1477 an Maximilian); Teile kamen durch die Raubkriege Ludwigs XIV. an Frankreich. Nach der Gründung Belgiens fläm. Bewegung (↑ Flamen). – Im 1. Weltkrieg F. eines der Hauptkampf­ gebiete (Herbst 1914 beim „Wettlauf nach der Küste“ Schlachten an der Yser und bei Ypern; 1917 große Schlacht in F., 1918 Schlacht um den Kemmel) . Flavier, röm. Geschlecht plebej. Herkunft, dem die Kaiser Vespasian, Titus und Domi­ tian (69–96 n. Chr.) angehörten. Flavius Josephus, ↑ Josephus. Fleming, Sir Alexander, brit. Bakteriologe, 1881–1955; entdeckte das Antibiotikum Penicillin; 1945 Nobelpreis. Flemming, Jakob Heinrich Graf von, sächs. Minister und Feldmarschall, 1667–1728; verschaffte als Gesandter in Warschau August dem Starken die poln. Königskrone, kämpfte unglücklich gegen Karl XII. Fleurus, Ort im Hennegau; 1794 Sieg der Franzosen unter Jourdan über die Österreicher, die darauf die Niederlande preisgaben. Fleury, um 625 gegründete Benediktinerabtei an der Loire, mit führend in der Bewegung von ↑ Cluny, berühmte Klosterschule des MA. Fleury, Andre Hercule de, frz. Kardinal und Staatsmann, 1653–1743; leitete seit 1726 die Politik Frankreichs unter Ludwig XV., dem er im Poln. Erbfolgekrieg 1738 das Anrecht auf Lothringen verschaffte. Flibustier (englisch flyboats, leichte Segler), kühne Seeräuber des 17. Jh. in West-

indien, meist Franzosen, die 1625 die Insel San Christoph besetzten, später im Kampf mit den Spaniern Herren von Haiti wurden, wo sie auch als Bukanier bezeichnet wurden; sie plünderten die amerik. Küsten, trieben gelegentlich Handel; Anfang des 18. Jh. von den Seemächten entmachtet. Fliedner, Theodor, dt. ev. Pfarrer, 1800– 1864; Organisator der Inneren Mission, gründete 1836 das Diakonissen-Mutterhaus zu Kaiserswerth. Flint, ↑ Feuerstein. Flinte (frz. fusil, davon abgeleitet Füsilier), das im 17. Jh. eingeführte, mit dem ↑ Feuer­ steinschloss versehene Gewehr, benannt nach dem Feuerstein (Flint); viel leichter als seine Vorgänger. Flodoard von Reims, frz. Geschichtsschreiber, 894–966; Archivar der Reimser Domschule, zuverlässige Annalen der Jahre 919–966. Florentiner Konzil, 1439–1442, von Papst Eugen IV. einberufen als Gegenkonzil zum Baseler K. (tagte zuvor in Ferrara, dann nach Rom verlegt), berühmt durch die kurzlebige Union zwischen abend- und morgenländ. Kirche (1439), die der byzantin. Kaiser und der Patriarch von Konstantinopel nur wegen der türk. Bedrohung eingingen. Florenz, Hauptstadt der Toskana; einst Stadtstaat, einer der Ausgangspunkte der europ. Kultur der Neuzeit, Heimat oder Wirkungsstätte Dantes, Leonardos, Michel­ angelos, Machiavellis und Gali­leis, mit reicher Fülle von Kunstschätzen und Baudenkmälern bes. der Renaissance. – ­Urspr. vermutl. wie Fiesole (Faesulae) etruskische Sied­lung, unter Sulla röm. Militärkolonie (Florentina); im 4. Jh. n. Chr. Bischofssitz; nach gotischer, byzantin., langobard. und fränk. Herrschaft zur Markgrafschaft Tuszien, seit Ende 11. Jh. Aufstieg als freie Reichsstadt, Republik mit wechselnder, meist mehr aristokratischer als demokrat. Verfassung; in wechselvollen Kämpfen gegen Pistoia, Pisa, Lucca, Siena Herrin der

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Florin Toskana, behauptete Vormachtstellung und Unabhängigkeit (auch gegen den Kaiser) trotz empfindlicher Rückschläge, verur­ sacht durch zerrüttende Kämpfe im Innern zw. Guelfen und Ghibellinen (Parteien der „Schwarzen“ und „Weißen“), zw. Adel und Volk, oberen und niederen Zünften („popolo grasso“ und „popolo minuto“); um 1282 kamen die oberen Zünfte an die Macht, der zurückgedrängte Adel suchte und fand Zugang in den Zünften, sodass sich wieder ein oligarchisches Regiment entwickelte. Wirtschaftsblüte dank glänzender Handelsverbindungen, hochentwickeltem Gewerbe und ausgebildetem Geld- und Bankwesen; durch Eroberung von Pisa und Livorno Zugang zum Meer. Bankierfamilie der ↑ Medici seit 1434 in beherrschender Stellung; unter ihnen Glanzzeit der Stadt, Blüte der Wissenschaften und Künste, des Humanismus und der Renaissance; 1494 Vertreibung der Medici, nach kurzem Zwischenspiel der theokrat. Herrschaft ↑ Savonarolas (verbrannt 1498) 1512 Wiedereinsetzung durch Heilige ↑ Liga; 1527 erneute Vertreibung der Medici, 1531 Rückführung durch Karl V. (nach elf Monaten Belagerung von F. 1529/30), damit republikan. Verfassung endgültig aufgehoben. 1569–1859 Hauptstadt des Großherzogtums Toskana (bis 1737 unter Haus Medici, dann unter habsburg.-lothring. Dynastie); 1808–1813 frz.; 1865–1871 Hauptstadt des Königreichs Italien. – Berühmteste Bauten: Baptisterium (13. Jh.); Santa Maria Novella (14. Jh.); Santa Croce (l4. Jh., Gräber weltberühmter Italiener); Dom (begonnen 1296, Brunelleschis Kuppel 1420–1434); Palazzo Vecchio (14. Jh.); Palazzi Medici, Pitti, Strozzi (15. Jh.). Florin, die Florentiner Prägung des ↑ Gulden. Flottenverein, Deutscher, 1898 gegr., betrieb vor dem 1. Weltkrieg die Propaganda für dt. Flottenbau und dt. Seegeltung; wichtige politische Stütze des Flottenbauprogramms von ↑ Tirpitz.

Flüe, Nikolaus von der, eigentlich Löwen-

brugger, „Bruder Klaus“, Schweizer Amtmann, dann Einsiedler, 1417–1487; verhütete 1481 einen eidgenöss. Bürgerkrieg und formulierte den wichtigsten Bundesvertrag der alten Schweiz (Regelung des Landfriedens und der obrigkeitlichen Verhältnisse). Flugschriften, als Streitschriften schon im MA von nachweisl. Einfluss (in den Kämpfen Kaiser – Papst), als Druckschriften seit dem 15. Jh. (Reformation, Bauernkriege) mitentscheidend für die Bildung der öffentl. Meinung. Vorläufer der Gesinnungspresse und der Presse überhaupt; Verbreitung bes. auf Jahrmärkten, an Wallfahrtsplätzen; wichtige kulturgeschichtl. Quelle für Reformationszeit, 30-jährigen Krieg, Frz. Revolution, Befreiungskriege und die Revolutionen des 19. Jh. Flugzeug, ↑ Luftfahrt. Foch, Ferdinand, frz. Marschall, 1851– 1929; führte 1914 in der Marneschlacht die 9. Armee, 1916 Oberbefehlshaber der frz. Truppen an der Somme, Mai 1917 Generalstabschef Petains, November Mitglied (1919 Vorsitzender) des Obersten Kriegsrats, übernahm April 1918 den Oberbefehl über alle alliierten Armeen und eröffnete Juli die Großoffensive gegen die dt. Westfront; erzwang Nov. 1918 den Waffenstillstand; Verfechter der Rheingrenze und der Entmilitarisierung Deutschlands. Föderalismus (von foedus, Bündnis), staats­politische Theorie, die in der bundesstaatlichen Gliederung die ideale Organisationsform des staatl. Großverbandes, des „Bundes“, sieht; auch die Gesamtheit der um die Verwirklichung des F. bemühten polit. Strömungen. Im Gegensatz zum Partikularismus oder Separatismus anerkennt der F. die Notwendigkeit des Zusammenschlusses zur umfassenden Staats- oder Reichseinheit, sieht seinen Hauptgegner jedoch im ↑ Zentralismus oder Unitarismus und dessen Ideal des Einheitsstaates. Er betont die Freiwilligkeit des Zusam292

Folter menschlusses und fordert, dass den Gliedstaaten ein großes Maß an Selbständigkeit verbleibt. In der praktisch unvermeidbaren Auseinandersetzung mit der Zentralgewalt um die Abgrenzung der Machtbefugnisse verteidigt er die Eigenstaatlichkeit der Teile (↑ Autonomie). Sind die Kräfte des F. sehr entschieden und stark, so beschränkt sich der Zusammenschluss auf die Form des Staatenbundes, der Föderation oder Konföderation (mit schwacher Zentralgewalt) anstelle des Bundesstaates. Klassische Beispiele eines funktionierenden F.: USA und Schweiz. Im allg. vertreten konservative Parteien den F., der bis zur Frz. Revolution die vorherrschende politische Lebensform Euro­pas war. Deutschland blieb auch nach der Frz. Revolution und den Befreiungskämpfen 1815–1866 bzw. 1871 ein loser Bund souveräner Einzelstaaten. Der Gründung des Bismarck-Reiches 1871 sowie der ↑ Weimarer Republik 1919 lag der F. als Prinzip zugrunde, doch wurde nach Ansicht vieler Föderalisten in der Praxis in­folge der zentralistischen Bestrebungen der Wirtschaft und der Politik die Eigenstaatlichkeit der Länder ausgehöhlt. Ausgeprägt föderalist. bundesstaatliche Struktur hat nach ihrer Verfassung die Bundesrep. Deutschland, d. h. die Länder der Bundesrepublik sind Gliedstaaten eigenen Rechts und keine unselbständigen Körperschaften eines Zentralstaates, die Zuständigkeiten des Bundes sind verfassungsmäßig fest umgrenzt. Der föderalist. Gedanke wird heute von Föderalisten der europäischen Unions­ bewegungen auf die Einigung Europas über­tragen. Föderaten (lat., Verbündete), die im Röm. Reich vertraglich gegen Überlassung von Siedlungsland und Zahlung von Jahresgel­ dern zur Waffenhilfe verpflichteten Völker­ schaften; bes. germanische Stämme (Goten, Van­dalen, Burgunder u. a.), die damit als Grenzschutz ausgenutzt und gegeneinander ausgespielt wurden; das F.-System hatte die zunehmende Germanisierung

des röm. Heeres zur Folge. Konstantin erreichte 332 von den föderierten Westgoten, dass ihre Hilfstruppen auch außerhalb ihres Grenzschutzbezirks zur freien Verfügung standen; Neuregelung unter Theodosius 398 (nach Ansiedlung der Westgoten auf dem Balkan): F. waren autonom, aber Reichsangehörige, wirtsch. gesichert durch Überlassung eines Drittels des Bodens (mit dazugehörigen unfreien Bauern) der römi­ schen Grundbesitzer, denen sie als „Gäste“ zugewiesen wurden. Föderation (Konföderation), Staatenbund, lockere Verbindung gleichberechtigter, souverän bleibender Staaten ohne straffe überstaatl. Zentralgewalt, doch mit einheitlichen Zielsetzungen auf bestimmen Gebieten (Handel, Außenpolitik, Wirtschaftsmaßnahmen o. a.); moderne Form mehrerer übernationaler staatl. Zusammen­ schlüsse bes. in Afrika. Folkunger, schwed. Adelsgeschlecht, das 1250–1363 den schwed., 1319–1387 auch den norweg. Thron inne hatte. Folsom-Kultur, zweitälteste nordamerik. Kulturstufe des Eiszeitausgangs und der 1. Nacheiszeit; 1927 entdeckt, erste Fundstätte bei Folsom in Neu-Mexiko (gestielte, fein retuschierte, blattförmige Feuersteinspitzen, keine Menschenfunde); Urahnen des indian. Jägertums, um 10 000 v. Chr. nachweisbar auf dem Einwanderungsweg der Indianer: N-Asien, Alaska, S-Kanada bis Mittelamerika. Folter, bei den Römern, gegen Ausgang des MA und bis ins 18. Jh. hinein Einrichtung des Strafprozesses; die durch die F. erzwungenen Geständnisse galten als prozessuale Beweismittel; die Anwendung der „peinlichen Frage“ bei dringendem Verdacht wurde 1532 in der ↑ „Carolina“ einschränkend geregelt; Friedrich d. Gr. ging bei seinem Regierungsantritt (1740) mit der Abschaffung der F. den übrigen Staaten voran; allgemeine Ächtung, aber auch Wiederaufleben der F. in den Diktaturen des 20. Jh.

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Fondaco dei Tedeschi Fondaco dei Tedeschi, Kauf- und Lager-

haus der deutschen Kaufleute in Venedig bei der Rialtobrücke, vom 13. bis 15. Jh. wichtig für den dt. (nur mittelbaren) Anschluss an den Orienthandel (Monopol Ve­nedigs, daher strenge Überwachung des F.); Neubau 1507 mit Fresken von Gior­ gione und Tizian; 1805 geschlossen. Fontainebleau, Stadt südöstlich von Paris mit Jagdrevier der frz. Könige und berühmtes Jagd- und Lustschloss mit Kunstschätzen, bes. Gemäldesammlung. – Erster Schlossbau 998, wiederholt in verschiede­ nen Baustilen erweitert; Aufenthaltsort der Mätressen Montespan und Dubarry, der Königin Christine von Schweden, des Papstes Pius VII. (1812–14) und des geschlagenen Napoleon I., der hier 1814 abdankte. – Das Revokationsedikt von F. (1685) hob das ↑ Edikt von Nantes auf. Ford, Henry, amerik. Industrieller, 1863– 1947; moderner Wirtschaftsführer und Organisator großen Formats und eigenwilliger Prägung, gründete 1903 die Ford Motor Company in Detroit, entwickelte ein rationelles System der Serienmassenproduktion, den sog. „Fordismus“ (weitgehende Mechanisierung und Arbeitsteilung am „laufenden Band“), ergänzt durch das soziale Prinzip: hohe Löhne, kurze Arbeitszeit (Ablehnung der Gewerkschaften, soz. Fürsorge erfolgte durch Unternehmer); F. trug entscheidend zur Ausbreitung des Kraftwagens über die Erde bei (nach Aufbau zahlreicher Zweigfabriken in verschiedenen Ländern, zu seinen Lebzeiten Herstellung von insgesamt 30 Mio. F.-Wagen). F. gliederte seinem Unternehmen auch Bergwerke, Erzgruben, Eisenbahnen, Flugzeugfabriken usw. an. Ford, Gerald, amerik. Politiker, geb. 1913; seit 1965 Fraktionsführer der Republikan. Partei. 1973/74 Vizepräsident, wurde nach dem Rücktritt ↑ Nixons Präsident, 1976 Wahlniederlage gegen ↑ Carter. Foreign Office, das Auswärtige Amt Groß­ britanniens (Whitehall), Downing Street,

Lon­don, gegr. 1782; vom Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten (Rang eines Mi­nisters) geleitet. Formosa, ↑ Taiwan. Forster, dt. Naturforscher und Reiseschrift­ steller: 1) F., Georg, 1754–1794; begleitete seinen Vater 2) nach Australien, regte Humboldt zu seiner Forschertätigkeit an, ver­fasste meisterhafte Reisebeschreibungen (berühmt: „Ansichten vom Niederrhein“), begrüßte als Kosmopolit und Republikaner die Frz. Revolution und ging im Auftrag der Mainzer Klubbisten nach Paris, um den Anschluss des linken Rheinufers an Frankreich zu betreiben, starb dort in Reichsacht. 2) F., Johann Reinhold, 1729–1798; nahm an Cooks 2. Weltreise 1772–75 teil, erkannte die Selbständigkeit Austra­liens als Erdteil; von Friedrich d. Gr. an die Universität Halle berufen. Fortschrittspartei, dt. linksliberale Partei, gegründet 1861, erlangte die Majorität im preuß. Abgeordnetenhaus, bekämpfte Bismarck im preuß. Verfassungskonflikt, 1866 durch Gründung der Nationallib. Partei (die Bismarcks Politik nachträgl. billigte) geschwächt, blieb auch nach 1871 weiter in Opposition (mit Ausnahme des ↑ Kulturkampfes, den sie noch verschärfen wollte), lehnte bes. die Heeresvorlagen ab, forderte ein parlamentarisches System und Freiheit der Wirtschaft, bekämpfte die Sozialdemokratie. Im Reichstag Redeschlachten zw. ihren Führern (Eugen Richter, Virchow) und Bismarck. 1884 ging sie als mitbestimmende Gruppe in der neugegründeten ↑ Freisinnigen Partei auf. Forum Romanum, zentraler Platz in AltRom, zw. Kapitol, Esquilin und Palatin, urspr. Marktplatz, später dort nur Luxusgeschäfte und zahlreiche öffentl. Bauten, Tempel, Gerichtsgebäude, Säulenhallen, die berühmte Rednertribüne „Rostra“, Denkmäler und Standbilder; ausgebaut bes. unter Cäsar und Augustus und zu einem Mittelpunkt römischen Lebens gestaltet; hier begann die Via Sacra, die 294

FPOLISARIO Haupt­geschäftsstraße. Die Prachtbauten Augustus‘ engten den Platz so ein, dass die nachfolgenden Kaiser östl. des alten F. R. neue Prachtplätze anlegten; die neu entstan­ denen Fora wurden nach ihren Gründern oder Bauherren benannt, z. B. Forum Trajani, Forum Hadriani, Forum Severi u. a. Das F. R. diente im MA als Viehweide. Foscari, Francesco, Doge von Venedig (1423–1457); geb. 1372, begründete in Kämpfen mit Mailand die venezianische Festlandsmacht („Terra ferma“, Venetien), kurz vor seinem Tod abgesetzt. Fossa Carolina, Karlsgraben, um 785 Versuch Karls d. Gr., einen Kanal zwischen Main und Donau (Verbindung über die Altmühl und die Rezat) zu bauen, anscheinend wegen technischen Schwierigkeiten auf­gegeben; vermutliche Reste beim Dorf Graben. Fouché, Josef, Herzog von Otranto, frz. Staatsmann, 1759–1820; ohne politische Prinzipien, von Selbstsucht getrieben, radi­ kales Konventsmitglied, Teilnehmer der Schreckensherrschaft (Blutgericht über Lyon und Toulon), half Robespierre stürzen; 1799–1802 und 1804–1810 gefürchteter Polizeiminister Napoleons, fiel wegen seiner geheimen Macht und seines Widerstandes gegen die Eroberungspolitik in Un­ gnade, bekleidete aber weiter hohe Ämter, pendelte 1814/15 zw. Napoleon und den Bourbonen; 1876 als Königsmörder verbannt. Fouchet, Christian, frz. Politiker, 1911– 1974; 1962 als letzter Hochkommissar in Algerien, 1967 Innenminister, musste wegen des Polizeieinsatzes bei den Maiunruhen 1968 zurücktreten. Fouquier-Tinville, Antoine Quentin, frz. Revolutionär, 1746–1795; seit 1793 öffentlicher Ankläger des Revolutionstribunals, wurde nach Robespierres Sturz hingerichtet. Fourier, 1) F., Charles, frz. Sozialphilosoph, 1772–1837; entwarf ein System des utopischen Sozialism