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German Pages 132 Year 2006
Edition
PRAXIS.WISSEN
Frank Wilmes
Krisen PR – Alles eine Frage der Taktik Die besten Tricks für eine wirksame Offensive
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Krisen PR – Alles eine Frage der Taktik Die besten Tricks für eine wirksame Offensive
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Layout und Satz Sabine Kempke
Bestellnummern PDF-eBook Bestellnummer. EB-557 Druckausgabe Bestellnummer. PB-557 ISBN 978-3-938358-30-6
Inhaltsverzeichnis
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Über den Autor ................................................................................................................. 3 Vorwort ................................................................................................................................ 5 1. Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann ......................... 7 2. Krise............................................................................................................................... 11 Krisengedanken .............................................................................................................. 11 Krisenpsychologie........................................................................................................... 14 Krisensymptome ............................................................................................................. 17 Krisenwirkungen ............................................................................................................. 21 Krisengene ..................................................................................................................... 24 Krisentrends ................................................................................................................... 25 Krisenarten .................................................................................................................... 27
3. Krise und Medien .................................................................................................... 31 Auflage machen .............................................................................................................. 31 Wie Journalisten arbeiten ............................................................................................... 32 Wie eine Nachricht entsteht ............................................................................................ 33 Wie aus Nachrichten Schlagzeilen werden .................................................................... 35 Coppenrath & Wiese: Tod durch Torte? ......................................................................... 35
4. Krisenanalyse ............................................................................................................ 37 Situationsanalyse ........................................................................................................... 37 Medienanalyse................................................................................................................ 38 Internetanalyse ...............................................................................................................38 Krisenanalyse bei Coca-Cola: Käuferboykott in Amerika ............................................... 39
5. Richtiges Verhalten in der Krise ...................................................................... 41 Die Krisenverschärfer .................................................................................................... 41 Die Krisenentschärfer .................................................................................................... 45
6. Professionelle Krisenvorbereitung .................................................................. 53 Krisenanfälligkeit.............................................................................................................53 Krisenhandbuch .............................................................................................................. 57 Krisentraining .................................................................................................................. 58 Reputationsmanagement................................................................................................ 59
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Inhaltsverzeichnis
7. Der richtige Umgang mit Journalisten ........................................................... 63 Wirkungsvolle Kommunikation ....................................................................................... 64 Wirkungsvolle Interviews ................................................................................................ 64 Wirkungsvolle Pressekonferenzen ................................................................................. 67 Wirkungsvolle Pressemitteilungen ................................................................................. 70 Wirkungsvolles Medientraining ....................................................................................... 73
8. Nach der Krise........................................................................................................... 75 9. Aus Krisen lernen .................................................................................................... 79 Bahn: Falsche Weiche .................................................................................................... 79 Volkswagen: Scharfe Kurven ......................................................................................... 81 RWE: Eiskalt erwischt..................................................................................................... 83 Klinikum Krefeld: Fehlerhafte Kunst .............................................................................. 85 Zapf Creation: Kein Kinderspiel ..................................................................................... 87 E.ON Ruhrgas: Fernweh ............................................................................................... 89 Humana: Dornenpfad ..................................................................................................... 91 Borussia Dortmund: Eigentor.......................................................................................... 92 Bundesagentur für Arbeit: Selbstbeschäftigung.............................................................. 95 Cryotec: Wüstensturm ................................................................................................... 96 Berger Wild: Appetitzügler ............................................................................................. 98 Spedition Betz: Führerlos ............................................................................................... 99
10. Wenn der Staatsanwalt kommt – Krisen-PR im Strafprozess ........ 101 Justitia in der Krise ....................................................................................................... 102 Der Justizbetrieb .......................................................................................................... 104 Akteure und Finessen ................................................................................................... 105 Medienfreiheit und Unschuldsvermutung ..................................................................... 110 Richtig handeln: Ermittlungsverfahren ......................................................................... 112 Richtig handeln: Prozess .............................................................................................. 115 Etikette im Gerichtssaal ................................................................................................ 116 Richtig handeln: Urteil .................................................................................................. 117 Strafrechtliches Risikomanagement ............................................................................. 117
11. Zu guter Letzt – Die Deutsche Bank .......................................................... 119 12. Literaturverzeichnis ........................................................................................... 121
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Über den Autor
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Über den Autor Frank Wilmes hat Public Relations und Wirtschaftsjournalismus von der Pike auf gelernt. Er arbeitete für PR-Agenturen und volontierte beim Handelsblatt. Zuvor machte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und studierte Betriebswirtschaftslehre (mit Abschluss). Während seiner journalistischen Zeit hat er Bundeskanzler, Minister und Wirtschaftsführer kennen gelernt, sie interviewt und ihre Arbeit bewertet. Für DIE WELT arbeitete er als Blattmacher im Wirtschaftsressort, für die Wirtschaftswoche analysierte er börsennotierte Unternehmen, für die WELT am SONNTAG beobachtete er als Regierungskorrespondent die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und beim Wirtschaftsmagazin Capital entwickelte er mit der Chefredaktion die Neupositionierung des Blattes. Im Jahre 2003 gründete er die Agentur Wilmes Kommunikation mit den Schwerpunkten Personality Marketing, Krisen-PR, Strafrechtliches Risikomanagement für Unternehmen und Öffentlichkeitsarbeit für beschuldigte und angeklagte Personen.
Kontaktdaten: Wilmes Kommunikation Frank Wilmes Gogrevestraße 1 40223 Düsseldorf Telefon: 02 11-33 67 92 93 Telefax: 02 11-33 67 92 95 E-Mail: [email protected] Web: www.wilmes-kommunikation.de
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Über den Autor
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Vorwort
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Vorwort
„Wenn man mir eine Stunde Zeit geben würde, ein Problem zu lösen, von dem mein Leben abhängt, würde ich 40 Minuten dazu verwenden, es zu studieren, 15 Minuten dazu, Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, und 5 Minuten, um es zu lösen.“ Albert Einstein (1879 – 1955), deutscher Physiker
Die Krise ist die Fratze des Unternehmens. Sie zeigt Gerüchte, Erpressungen, Entlassungen, Streiks, Boykotts, Verhaftungen, Anklagen, Umweltskandale, Mergers and Aquisitions, Produktfehler und Finanzskandale. Sie zeigt die Wirklichkeit: Ein Finanzinvestor übernimmt und zerlegt das Unternehmen; der Vorstand meldet ohne Vorwarnung Konkurs an; der Aufsichtsratsvorsitzende agiert in Hintergrundgesprächen gegen seinen Vorstandsvorsitzenden; der Staatsanwalt ermittelt wegen Bilanzbetrug; eine spekulative Meldung reißt den Aktienkurs in die Tiefe; das Unternehmen möchte trotz steigender Gewinne Mitarbeiter entlassen oder seine Produktion ins Ausland verlagern; das Fernsehen berichtet über gefährliche Substanzen im Haarwaschmittel; Erpresser drohen mit Giftanschlägen auf Lebensmittel – der Fantasie, was alles passieren kann, sind keine Grenzen gesetzt.
Beispiel: Der Fall Wendy´s Am 22. März 2004 besucht Anna Ayala ein Restaurant der Fastfoodkette Wendy´s im kalifornischen San Jose. Sie bestellt Chili Con Carne. Plötzlich habe sie in eine Fingerkuppe gebissen – und kündigt Schmerzensersatzklagen an. Später findet die Polizei heraus, dass die Frau die Fingerkuppe selbst in das Essen hineingelegt hatte. Die Fingerkuppe gehört einem Bekannten. Er hatte die Kuppe durch einen Betriebsunfall verloren. Amerika ist geschockt über die Ekelmeldung. Wendy´s beziffert den Schaden durch entgangenen Umsatz nach Presseberichten auf 2,5 Millionen Dollar. Krisenmanagement erfordert Schnelligkeit, Gründlichkeit, Ehrlichkeit und Beharrlichkeit. Kompromisse in der Methodik der Krisenbewältigung gefährden den Erfolg. Wenn etwas aus dem Ruder läuft, ist die Aufregung natürlich groß. Als Berater für Public Relations mache ich immer wieder die Erfahrung, dass selbst gestandene Führungspersönlichkeiten in einer Krise scheitern. Sie erkennen viel zu spät die Bedrohungen, ziehen falsche Schlüsse daraus und sind zu einer zielgenauen Krisenabwehr nicht mehr in der Lage. Ich schätze, dass sich in rund 80 Prozent aller Fälle die Krise nur deshalb verschärft, weil es keine plausiblen Gegenmaßnahmen gibt. Diese Fahrlässigkeit oder Gutgläubigkeit führt dazu, dass Manager im Handumdrehen ihrem Unternehmen großen Imageschaden zufügen.
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Vorwort
Bitte bedenken Sie: Erstens: Krisen sind öffentliche Inszenierungen. Sie führen zu Missgunst oder Missverständnis, Schadenfreude oder Verständnis, sie polarisieren und polemisieren. Kein Unternehmen ist davor gefeit. Gibt’s nicht, gibt es nicht. Alles, was möglich ist, kann auch geschehen. Krisen bedeuten Schock, Distanz und Aufregung. Eine Krise liegt vor, wenn der Kunde nach einem Ereignis das Produkt meidet, der Investor die Aktie verkauft, die Mitarbeiter keine Lust auf Leistung haben, die Medien sich auf das Unternehmen einschießen und der öffentliche Druck zunimmt. In einer Krise leidet die Glaubwürdigkeit und der Erklärungszwang nimmt zu. Sie erfahren in diesem Buch, welche Krisen auf Unternehmen zukommen, wie sie wirken und wie Journalisten damit umgehen. Zweitens: Krisen sind wunderbar. Ein Unternehmen hat die Chance, Risiken in den Griff zu bekommen, aus Gefahren und Fehlern zu lernen. Die Krise ist nichts für Pessimisten und Angsthasen, sie fordert den entschlossenen Krisenmanager, der sich in die Menschen hineindenkt, der hellwach ist und genau spürt, was alles passieren kann. Er behält den Überblick und weiß genau, wie er vorzugehen hat.
wie Sie mit Worten und Taten umgehen, wie Sie mit Witz und gezielter Medienarbeit Pluspunkte sammeln. Drittens: Krisen machen aus der Öffentlichkeitsarbeit eine Königsdisziplin. Ohne Public Relations ist Krisenmanagement nicht möglich. Gutes Krisenmanagement bedeutet Wachsamkeit, Effizienz und Schnelligkeit. Mit kommunikativer und wahrhaftiger Öffentlichkeitsarbeit kommt ein Unternehmen aus der Defensive. Es baut Vorurteile ab, weckt Verständnis und gewinnt Vertrauen. Sie erfahren in diesem Buch, wie Public Relations in einer Krise funktioniert – mit vielen Fallbeispielen. Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie mögliche Bedrohungen ausfindig machen und die Krise als das nehmen, was sie ist: eine selbstverständliche Managementaufgabe. Mit dieser souveränen Einstellung bewahren Sie das Unternehmen vor dauerhaften Imageschäden. Düsseldorf, im März 2006 Frank Wilmes
Der erfolgreiche Krisenmanager ist ein Held, weil er die Reputation und damit die Werte des Unternehmens schützt. Er schafft Vertrauen in einer komplizierten Situation. Das ist großartig. Sie erfahren in diesem Buch,
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Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann
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1. Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann
Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt. Hermann Hesse (1877 – 1962), deutscher Dichter
Schon wieder Irritationen? „Die Deutsche Bank tut alles, um ihre Privatkunden zu vergraulen“, stöhnt ein Mitarbeiter, der an diesem Morgen die volle Wut der Kunden abbekommt. Der Vorstandsvorsitzende Josef „Joe“ Ackermann ficht das nicht an – noch nicht. Aber in wenigen Stunden ist er weich gekocht, dann muss er wieder einmal alles gerade rücken. Die Suchmaschine Google zählt zu diesem Zeitpunkt bereits 291 Artikel, die sich kritisch mit der Bank auseinander setzen. Was ist passiert: Die Immobilientochter der Deutschen Bank, die DB Real Estate, musste einen offenen Fonds schließen, nachdem Anleger Geld in Höhe von rund 450 Millionen Euro abgezogen haben. „Wir hatten keinerlei Informationen darüber, wie es tatsächlich um den Fonds stand“, sagt ein Bankangestellter, der Verwandten und Bekannten geraten hat, in das Produkt zu investieren. Viel zu spät informiert die Bank die Mitarbeiter über die Krise des einstigen Flagschiff-Fonds. Noch eine Woche vor dem Desaster bietet das Geldhaus das Krisenprodukt als langfristig sicheres Investment an. Obwohl die Bankenaufsicht BaFin und
der Bundesverband Deutscher Banken Ackermann nun eindringlich dazu raten, die geschockten Anleger zu unterstützen, verweigert der Deutschbankier jede Unterstützung. Trotzig lässt er mitteilen, dass die Aktionäre nicht die Risiken der Fondsanleger tragen könnten. Aber schon kurz nach dieser Feststellung setzt bei ihm ein kurzes und heftiges Umdenken ein. Offenbar befürchtet Ackermann nunmehr Schadensersatzprozesse wegen fehlerhafter Beratung, denn deutsche und amerikanische Anwälte suchen schon nach Mandanten, um dem Geldhaus den Prozess zu machen. Wie verwandelt sichert Ackermann den Neuanlegern nun schnelle und unbürokratische Hilfe zu. Doch Vertrauen gegenüber seinen Mitarbeitern und Kunden schafft er damit nicht mehr. Dafür kommt das taktische Zugeständnis zu spät. Mit bitterer Schärfe schreibt der Wirtschaftsjournalist Thomas Wels in der Rheinischen Post: „Es ist bemerkenswert, mit welcher Beharrlichkeit sich die Deutsche Bank bei Bürgern, Anlegern und Mitabeitern unbeliebt macht.“ Die Deutsche Bank beherrscht wie kaum ein anderes Unternehmen die Kunst, sich permanent mit schlechten Nachrichten ins Gespräch zu bringen. Verantwortlich dafür sind ausgerechnet die Spitzenmanager selbst. Neben Ackermann der Aufsichtsratsvorsitzende
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Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann
Rolf Breuer und Hilmar Kopper, Ex-Vorstandschef und Ex-Aufsichtsratsvorsitzender. Diese drei Männer haben dafür gesorgt, dass Deutschlands größte Bank unter neurotischem Imageverlust leidet. Neurosen äußern sich in auffallenden Verhaltensweisen, die einen Menschen oder seine Umgebung beunruhigen können. Seit mehr als einem Jahrzehnt unterhalten sie das Publikum mit Mannesmann-Prozess, Kirchpleite, Peanutsaffäre und vielen weiteren Schlagzeiten.
Manager müssen Fakten verständlich kommunizieren und die Wahrnehmung dieser Fakten beeinflussen.
Die Öffentlichkeitsarbeiter haben alle Mühe, aus der Imagekrise herauszukommen. Sobald ein wenig Ruhe einkehrt, überrascht das Spitzenpersonal wieder mit einer Kommunikationspanne. So verkündet Ackermann steigende Gewinne und ehrgeizige Renditeziele – und verbindet diese Erfolgsmeldung mit der Ankündigung, 6400 Arbeitsplätze abzubauen. Und das nur einen Tag nachdem die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland die Grenze von fünf Millionen Menschen überschritten hatte. Politiker und selbst Wirtschaftsvertreter fallen über die Bank her, werfen ihr „Schweinerei“ vor und bezeichnen das Management als „tumbe Geldmenschen“. Weil Ackermann nicht auf die Wirkung seiner Worte achtet, bringt er sich selbst um seine Wirkung. Er versteht nicht, dass nicht die Fakten allein, sondern die Wahrnehmung von Fakten eine eigene
Wirklichkeit schafft. Deshalb ist er auch nicht in der Lage, diese Wahrnehmungen zu seinem Vorteil zu beeinflussen. Der Vorstandsvorsitzende prägt mit seinem Verhalten wesentlich das Image der Bank. Sein Fehltritt schadet somit auch der Bank. Es gibt nicht den privaten Ackermann und den geschäftlichen Ackermann. Wer ein wichtiges und bedeutendes Unternehmen leitet, der ist ein „Privatgeschäftsmann“. Nun hat Ackermann immer wieder Probleme damit, sich angemessen in der Öffentlichkeit zu verkaufen, obwohl er einen sympathischen Eindruck macht. Auf der Anklagebank im Düsseldorfer Mannesmann-Prozess sucht Ackermann am ersten Verhandlungstag nach einem Ventil, um aus der Ungehörigkeit seiner Situation für einen Augenblick herauszukommen. Er macht gegenüber dem mitangeklagten Klaus Esser das V-Zeichen – und beide kichern wie kleine Kinder. Das Siegeszeichen als Machtgeste in einem deutschen Prozess. Die Wirkung entlädt sich erst am anderen Tag, als dieses Foto um die Welt geht, Zeitungen aller Couleur darüber berichten und Kommentare dazu schreiben. Das Echo ist durchweg negativ. Seit dem 21. Januar 2004 sind Ackermanns Finger ein Zeichen für Respektlosigkeit und Überheblichkeit. „V wie Verlierer“ titelt die WELT am SONNTAG wenige Tage danach. Für die Süddeutsche Zeitung ist Ackermanns Geste „obszön und ein Abgrund der Arroganz“. Der Spiegel titelt: „Ackermanns Blackout“. Hans-Ulrich Jörges schreibt im Stern: „Ackermann
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Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann
hat verloren, selbst wenn er den Prozess gewinnt.“ Mehr noch: Das Bild macht ihn – und nicht Klaus Esser – zum Mittelpunkt des Prozesses. Eine fatale Wirkung: Denn nicht Ackermann, sondern Esser hat die Millionen bekommen, über deren Rechtmäßigkeit vor Gericht verhandelt wird. Außerdem tritt Ackermann vor Gericht auf wie ein Sunnyboy. Er lächelt ständig und gibt sich betont locker. Das Gesicht eines Strahlemanns passt aber nicht vor Gericht, selbst wenn man glaubt, dass man unschuldig ist. Denn ein Gericht ist keine lustige Veranstaltung. Ackermanns Landsmann, der Schweizer Kabarettist Emil, demonstriert in einem Stück, wie lächerlich eine paradoxe Kommunikation sein kann. Er spielt einen Parteivorsitzenden, der trotz Wahlschlappe von Stärke und Zuversicht spricht, gleichzeitig aber dem Weinen nahe ist. Ackermann verteidigt sein Verhalten unter anderem damit, dass ein Verteidiger ihm dazu geraten habe, von nervösen Gesten abzusehen, weil dies auf ein schlechtes Gewissen hätte hindeuten können. Deshalb habe er versucht, so locker wie möglich zu wirken. Genau das ist gründlich in die Hose gegangen. Angemessen wären ein solides und verbindliches Verhalten, ein konzentrierter Blick und ruhige Gesten. Die restliche Geschichte ist bekannt: Ackermann wird freigesprochen, der Bundesgerichtshof hebt das Urteil des Landgerichts Düsseldorf Ende 2005 aber wieder auf. Die Schutzvereinigung der Kapitalanleger
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und die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz fordern Ackermann zum Rücktritt auf.
Bescheidenheit, Sensibilität und Rechtschaffenheit vermitteln Vertrauen.
Für etwas Ablenkung sorgt Ackermanns Vorgänger Rolf Breuer. Der plaudert am 3. Februar 2002 in einem Fernsehinterview mit Bloomberg TV über den Kunden Leo Kirch und entzündet damit eine mehrjährige juristische und peinliche Auseinandersetzung. Der Redakteur fragt: „Ein großes Thema derzeit in Deutschland ist der Kirch-Konzern und die Probleme mit der Verschuldung. Es gibt einen Zeitungsbericht in der Financial Times, dass Sie mit dem Bundeskanzler gesprochen hätten über Kirch. Stimmt das?“ Breuer antwortet kurz und knapp: „Das kann ich nicht kommentieren, der Bundeskanzler muss sagen, ob er mit mir gesprochen hat oder nicht.“ Der Redakteur hakt nach: „Fragen wir mal anders: Kirch hat sehr, sehr viele Schulden, sehr hohe Schulden. Wie exponiert ist die Deutsche Bank?“ Die Antwort: „Relativ komfortabel würde ich mal sagen, denn – das ist bekannt und da begehe ich keine Indiskretion, wenn ich das erzähle – der Kredit, den wir haben, ist erstens zahlenmäßig nicht einer der größten, sondern relativ im mittleren Bereich, und zweitens voll abgesichert durch ein Pfand-
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Die Krisen nehmen zu – Von Peanuts bis Mannesmann
recht auf Kirchs Aktien am Springer-Verlag. Uns kann also eigentlich nichts passieren, wir fühlen uns gut abgesichert. Es ist nie schön, wenn ein Schuldner in Schwierigkeiten kommt und ich hoffe, das ist nicht der Fall. Aber wenn das so ist, bräuchten wir uns keine Sorgen zu machen.“ Nach diesem Vorgeplänkel lockt der Redakteur den damaligen Deutschen Bank-Chef in die Falle. „Die Frage ist ja, ob man ihm mehr hilft, weiter zu machen?“ Breuers Antwort stürzt die Deutsche Bank in eine Vertrauenskrise und beschäftigt im Januar 2006 sogar den Bundesgerichtshof. Breuer antwortet: „Das halte ich für relativ fraglich. Was man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Es können also nur Dritte sein, die sich gegebenenfalls für eine – wie Sie gesagt haben – Stützung interessieren.“ Zwei Monate später meldet Kirch Media Konkurs an, Leo Kirch macht Breuers Interview dafür mitverantwortlich und verklagt ihn auf Schadensersatz. Das Oberlandesgericht München verurteilt die Deutsche Bank im Dezember 2003, sämtliche Schäden zu ersetzen, die Breuer mit seinem Fernsehinterview angerichtet hat. Prompt geht die Bank in die Revision, um sich rein zu waschen vom Vorwurf, das Bankgeheimnis verletzt zu haben. Doch was der Bundesgerichtshof dazu sagt, ist ein Debakel für die Deutsche Bank. Sie habe „Loyalitätspflichten“ und das „Bankgeheimnis“ verletzt. Das ist das
Schlimmste, was man einer Bank vorwerfen kann. Denn Vertrauen ist das wichtigste Kapital einer Bank. Bescheidenheit, Sensibilität und Rechtschaffenheit vermitteln Vertrauen. Die Deutsche Bank aber wirkt nur überheblich – und dazu hat gewiss auch Hilmar Kopper beigetragen. Die Peanuts, die er 1994 in die Welt setzt, wird er nicht mehr los. Anfang 2006 steht Kopper schon wieder im entsetzlich grellen Licht der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart verdächtigt ihn des Insiderhandels. Nach dem Wertpapierhandelsgesetz ist nicht nur der Handel mit so genannten Insider-Papieren, sondern auch die unbefugte Weitergabe von InsiderInformationen verboten. Als Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler-Chrysler soll er die Deutsche Bank über den geplanten Rücktritt von Daimler-Chef Jürgen Schrempp noch vor der offiziellen Bekanntgabe informiert haben. Dadurch habe er der Bank einen Informationsvorsprung ermöglicht, um sich mit guten Gewinnen von einem Teil ihrer Daimler-Chrysler-Aktien zu trennen. Alles nur Peanuts? Die Deutsche Bank wirkt maßlos und arrogant. Sie gibt sich ersichtlich auch keine große Mühe, sympathisch zu wirken. Erschrocken fragt man sich, warum diese Bank aus Krisen nicht lernt? Warum schlittert sie immer wieder in den Schlamassel?
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Krise
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2. Krise
„Erfahrung ist nicht das, was einem zustößt, Erfahrung ist das, was man aus dem macht, was einem zustößt.“ Aldous Huxley (1894 -1963), britischer Schriftsteller
Wir haben Respekt vor Krisen, weil sie nicht nur im Großen wirken, sondern auch im eigenen Leben. Lebenskrisen, Sinnkrisen, Ehekrisen, Gesundheitskrisen. Krise bedeutet Schmerz, Ungemach, Angst. Damit fertig zu werden, ist das eigentliche Problem einer Krise. Wenn wir nicht in der Lage sind, Erfahrung und Wissen wirkungsvoll einzusetzen, befinden wir uns in der Defensive. Eine Chance hat nur derjenige, der weiß, was er tut und wie er es tun muss. Logik hat keine Chance ohne Sensibilität. Übrig bleibt nur noch die Chance des Zufalls, damit sich die Dinge ohne eigenes Zutun in Wohlgefallen auflösen. Der Zufall aber meint es meistens nicht gut mit uns. Er spielt mit uns, ist launisch und unberechenbar.
Krisengedanken Nicht jedes größere Problem ist eine Krise. Es ist nun mal Aufgabe des Managements, komplizierte Probleme zu lösen, um Ziele zu erreichen. Ein Unternehmen ist per se ein kompliziertes, störanfälliges Gebilde, auf das Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Banker, Verbraucher, Investoren, Analysten, Journalisten, Poli-
tiker und Gesetzgeber direkt und indirekt einwirken. Dieses engmaschige System aus Mensch, Technik, Kapital und Information gerät aus den Fugen, wenn Erwartungen und Anforderungen sich verschieben und die Homogenität der unternehmerischen Schaffenskraft Risse zeigt. Nichts ist selbstverständlich, alles kommt, wie es kommen muss. Alles, was möglich ist, kann auch passieren. Hätte sich Karstadt, Deutschlands Vorzeige-Warenhaus, jemals erträumen lassen, am Abgrund zu stehen? Dazu liefert die Medizin die passende Definition. Sie versteht unter Krise „ein anfallartiges Auftreten von Krankheitserscheinungen mit besonderer Heftigkeit, auch aus scheinbarer Gesundheit heraus“. Beispiel: Der Fall Bosch Bosch, weltgrößter Automobilzulieferer, hat Anfang 2005 massive Probleme aufgrund fehlerhafter Dieseleinspritzpumpen. BMW muss deshalb im Werk Dingolfing wegen Zuliefer-Problemen die geplante Auszeit über Fasching um drei Tage verlängern. Auch Mercedes-Benz, Toyota und Opel melden Probleme. Bosch hat das Problem zügig analysiert und den Lieferrückstand aufgeholt. Wenn es dazu nicht in der Lage gewesen wäre, hätte es alle Mühe gehabt, sein Image als Hersteller von technisch hoch entwickelten Produkten zu retten. Dann hätte aus dem Konflikt (technische Probleme) eine Krise (Imageschaden) werden können: Die Fantasie lässt schnell erahnen, dass von Schadensersatzforderungen über Liefe-
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Krise
rantenwechsel bis Arbeitsplatzabbau alles möglich gewesen wäre. Nun ist Bosch als exzellentes Unternehmen über alle Zweifel erhaben, aber dieses Beispiel zeigt nur, wie schnell der Übergang von einem Konflikt auf eine Krise möglich ist. Die Krise schreckt uns besonders dann auf, wenn sie nicht in unsere Vorstellungen passt. An ein Unternehmen, das permanent als „insolvent“ bezeichnet wird oder über ein mieses Produktimage verfügt, gewöhnen sich die Menschen sehr schnell. Wenn aber ein Unternehmen, das im Bewusstsein der Menschen als stark gilt, den Erwartungen nicht gerecht wird, ist das Gerede groß. So ähnlich ist das auch im Leben. Den Tod eines leidenden, krebskranken Menschen ohne Hoffnung sehen wir als Erlösung, doch wenn ein Mensch plötzlich an einem Herzinfarkt oder bei einem Unfall stirbt oder schwer verletzt wird, sind wir geschockt. Eine Krise mobilisiert natürliche menschliche Regungen wie Fassungslosigkeit, Neugierde und Mitleid. Eine Entwicklung ist erst dann krisenhaft, wenn sie den Erfolg grundlegend beeinflusst – wenn die Situation so außergewöhnlich negativ ist, dass wir spontan nicht wissen, was Sache ist. Und wenn wir nach Analyse und Diskussion immer noch nicht in der Lage sind, die Probleme zügig in den Griff zu bekommen, dann hat die Krise ihren Namen wirklich verdient. Dann wuchert sie, giftet und ätzt. Sie lähmt die Routine und den Rhythmus eines Unternehmens. Die Kunden fragen den Verkäufer, die Journalisten den
Pressesprecher, die Analysten den Finanzvorstand – jeder will etwas wissen: Warum, wieso, weshalb? Fragen fordern, zwicken, ärgern. Wehe, die Antwort passt nicht zur Erwartungshaltung der Fragesteller. Dann bilden Gerüchte und Mutmaßungen eine eigene Wahrheit. Eine Krise liegt vor, wenn aus Gerüchten, Streitereien, Fehlentscheidungen oder fremdbestimmten Aktionen dauerhafte Irritationen und Negativmeldungen entstehen. Beispiel: Der Fall Bayer Am 30. Januar 2006 schockt der „Spiegel“ mit der Überschrift: „Stopp für BayerMedikament“? Der Pharmakonzern gerät durch eine Studie der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ massiv in Bedrängnis. Das Journal hat eine Untersuchung mit 4700 Patienten gemacht, die sich einer Herzoperation unterziehen mussten. Diejenigen, die mit dem Bayer-Medikament Trasylol behandelt worden waren, hatten demnach ein doppelt so hohes Risiko eines Nierenversagens oder Schlaganfalls, als die Gruppe, die ein anderes Medikament eingenommen hatte. Zusätzlich sei das Herzstillstands-Risiko um 55 Prozent gestiegen. Die Autoren der Studien schätzen, dass jedes Jahr etwa 10.000 Menschen weltweit einer Nierendialyse entgehen könnten, wenn sie statt des Bayer-Präparats eine Alternative erhalten würden. Bayer widerspricht diesen Erkenntnissen mit eigenen Auswertungen. Die Europäische Arzneimittelbehörde und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gehen dem Fall nach. Erinnerungen werden wach an den Lipobay-
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Skandal im Jahre 2002. Damals musste Bayer den Cholesterinsenker wegen tödlicher Nebenwirkungen vom Markt nehmen und geriet in eine schwere Krise, die den ganzen Konzern erfasste. „Noch glaube ich in diesem Fall an ein zweites Lipobay“, sagt Finanzanalyst Ludger Mues von Sal. Oppenheim. „Aber was ist, wenn bei den US-Gerichten die ersten Klagen einlaufen?“ Dann könnte aus dem Konflikt eine Krise werden. Die Krise ist eine Ausnahmesituation. Sie bedroht Reputation und Liquidität – und greift damit das Unternehmen an seinen empfindlichsten Stellen an. Die Krise verhält sich logisch, indem sie sich die schwächste Stelle eines Unternehmens aussucht und dort den Schaden multipliziert. Wer diese Logik begreift, hat auch die Macht, die Krise zu entschärfen. Wenn keiner etwas merkt, gibt es auch keine Krise. Wenn aber einer etwas merkt, beginnt das Wundenlecken. In einer Krise leidet die Glaubwürdigkeit und der Erklärungszwang nimmt zu. In China besteht das Wort Krise aus zwei Elementen, sie bedeuten Gefahr und Chance. Genau darum geht es: Unternehmen müssen sich ihrer Risiken bewusst sein und sie müssen in der Lage sein, eine kritische Entwicklung in den Griff zu bekommen. Ob ein Umstand wirklich eine Krise hergibt, hängt auch von Meinungen, Einstellungen und Erwartungen ab. Jede Zeit hat ihr eigenes Krisenverständnis. Wenn die Menschen
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unter Arbeitslosigkeit und Sozialeinschnitten leiden, dann erhalten Strafprozesse gegen Manager wegen Korruption, Bilanzfälschung oder Vorteilnahme eine eigene Dynamik. Der Mannesmann-Prozess, bei dem es um die Rechtmäßigkeit von Abfindungszahlungen in Millionenhöhe ging, erlebte nur deshalb die Ehre des größten Wirtschaftsprozesses seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, weil die wirtschaftlichen Zeiten rau und schwierig sind. Beispiel: Der Fall Cordes Am 15. Dezember 2005 schreibt „DIE WELT: „Eckhard Cordes droht Ärger.“ Ein Mitarbeiter hat ihn auf Schmerzensgeld in Höhe einer fünfstelligen Summe verklagt. Der Grund: Cordes soll als Nutzfahrzeugvorstand von Daimler-Chrysler zwischen November 2000 und Mitte 2004 jahrelang Mobbing und schwere Persönlichkeitsverletzungen mit Gesundheitsfolgen am Kläger, dem Konzernmanager Jürgen K. geduldet, möglicherweise toleriert oder sogar selbst veranlasst haben. Diese Zivilklage (Aktenzeichen 1 Ca 12065/05) steht im Zusammenhang mit der Entscheidung der zweiten Kammer des Stuttgarter Arbeitsgerichts. Das Gericht kam zum Urteil, dass Daimler-Chrysler über Jahre zielgerichtet und schwerwiegend das Persönlichkeitsrecht, die Ehre, das berufliche Selbstverständnis und die Gesundheit von Jürgen K. verletzt hat. Die Sache ist durchaus prekär: Mittlerweile ist Cordes Vorstandsvorsitzender des Handelskonzern Haniel. Müssen die Mitarbeiter nun befürchten, ihr Chef sei ein Rambo? Wie steht dieses ehrwürdige Traditionsunterneh-
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men da, wenn ihr neuer Chef tatsächlich des Mobbings verurteilt wird? Wirkt sich eine solche Entscheidung auf Kultur und Identität des Unternehmens aus? Fakt ist: Die Imagekrise eines Vorstandsvorsitzenden oder Geschäftsführers kann sich auf das Unternehmen auswirken. Die Trennung von Amt und Person (siehe Ackermann) funktioniert kaum. In solchen Zeiten haben Unternehmen verständliche Probleme, die Balance zu halten zwischen betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit und sozialer Feinfühligkeit. Der Vorstandschef von Daimler-Chrysler, Dieter Zetsche, kündigt massiven Arbeitsplatzabbau an und peilt gleichzeitig gewaltige Gewinnerhöhungen an. Sofort kontert Jörg Hoffmann, der mächtige Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg: „Es geht nicht an, dass immer neue Renditeziele nur zu Lasten der Beschäftigten erzielt werden sollen.“ Er droht mit Massenprotesten und einer harten Lohnrunde. Damit schwappt der Konflikt auch noch auf die gesamte Branche über. Aus dem Konflikt wird eine Krise, wenn die Situation die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Daimler-Chrysler einschränkt. Anders ausgedrückt: Wenn ein Unternehmen Arbeitsplätze trotz steigender Gewinne abbaut oder Kapazitäten ins Ausland verlagert, führt diese unternehmerische Entscheidung zu einer Vertrauenskrise. Deshalb muss ein Unternehmen seine Ziele nachvollziehbar erklären und begründen. Wer nicht weiß, wie Menschen „ticken“, der kann noch so vernünftig handeln, er verliert seine Akzeptanz.
Krisenpsychologie Jeder Mensch ist in einer Krise nervös. Viele Verantwortliche fühlen sich beengt, unter Druck gesetzt, verfallen in Hektik oder Stress – oder haben Angst vor Fehlentscheidungen. Selbst gestandene Persönlichkeiten sind vor Blackouts in kritischen Situationen nicht gefeit. Nach einer Krise wundern sie sich über sich selbst. Dann höre ich Sätze wie: „Ich weiß auch nicht, warum ich so gehandelt habe.“ Oder: „So ein Verhalten ist doch völlig untypisch für mich.“ Oder: „Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder.“ Empirische Forschungen beweisen, dass die meisten Personen beim Handeln in komplexen Situationen – unabhängig von der fachlichen Kompetenz und der Intelligenz – viele schwerwiegende, systematische Fehler machen. Ausnahmesituationen sind Grenzerfahrungen, die einen Menschen ad hoc aus der Routine reißen. Die Psychologin Gesine Hofinger, die sich mit Fragen von Stress und Fehlern beschäftigt, unterteilt kritische Situationen in drei Faktoren: 1. Zeitdruck: Der Feind des guten Denkens. Zeitdruck bedeutet: Man muss entscheiden, man kann nicht abwarten und sehen, was passiert. 2. Risiko und Gefahr: Entscheidungen in komplexen Situationen werden unter Unsicherheit getroffen, man weiß nicht, ob sich die erwünschten Effekte einstellen werden.
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Wenn die Psyche verrückt spielt Bei einer Knall-auf-Fall-Krise, die plötzlich und unerwartet dem Unternehmen zusetzt, geraten viele Manager selbst in eine Krise – in eine Psychokrise. Die Psychotraumatologin Katharina Purtscher sagt, dass plötzlich auftretende, traumatische Krisen zu einer „massiven Beeinträchtigung des Denkens, der Emotionen und des Verhaltens“ führen. Beeinträchtigt seien Wahrnehmung, Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit. Wie reagieren Manager konkret auf die spontane Krise? Die Traumatologin unterscheidet zwei verschiedene Reaktionsweisen: „Die einen reagieren extrovertiert. Sie tragen ihre Wut und Trauer nach außen, fordern andere auf, etwas zu tun, oder werden selbst aktiv. Allerdings agiert diese Gruppe ohne entsprechende Unterstützung und Begleitung meist kopflos. Die zweite Gruppe reagiert introvertiert – völlig ratlos und entscheidungsunfähig.
3. Notwendigkeit des Stress-Managements: Zeitdruck, Gefahr und Wichtigkeit der Aufgabe setzen Menschen unter Stress. Damit richtig umzugehen, ist eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Krisenbewältigung. Der erfolgreiche Krisenmanager ist ein Held, weil er dauerhaften Schaden von dem Unternehmen abwendet. Er ist kein seelenloser Roboter, der mit mathematischer Logik und naturwissenschaftlicher Präzision den Krisenfall optimal löst. Ein guter Krisenmanager n darf geschockt sein. Aber er muss in der Lage sein, die Wucht der Kritik ohne Selbstzweifel auszuhalten und die Kontrolle wieder zu erlangen. n darf irritiert sein. Aber er darf nicht wie ein wandelndes Fragezeichen herumlaufen und damit womöglich auch noch die „dumme Trägheit“ seines Unternehmens symbolisieren.
n darf traurig sein. Aber er darf sein Grundgefühl nicht über die Interessen seines Unternehmens stellen. Der französische Staatstheoretiker Alexis de Tocqueville hat den treffenden Satz gesagt: „Der Mensch bleibt in kritischen Situationen selten auf seinem gewohnten Niveau. Er hebt sich darüber oder sinkt darunter.“ Krisen verändern Persönlichkeiten, zum Guten oder Schlechten. Sie machen stark und erfinderisch – oder sie lähmen und verhindern gute Absichten.
Mut ist der Gegner der Angst.
Krisenmanagement ist wie Theater, es spielt sich ab zwischen Drama und Komödie. Welche Rolle spielen Sie? Sind sie die verzweifelte Tosca oder der listige Hauptmann von Köpenick? In Giacomo Puccinis Oper möchte die Sängerin Floria Tosca nur für die Kunst und die Liebe leben und gerät trotzdem gegen ihren Willen in einen Strudel politischer Ereignisse und Intrigen, die ihr
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Leben zerstören. Es gelingt ihr nicht, das Leben ihres Geliebten zu retten – sie flüchtet selber in den Tod. Wie tragisch – und wie komödiantisch dagegen der arbeitslose Schustergeselle Wilhelm Voigt, der mit einer geliehenen Soldatenuniform als Hauptmann von Köpenick die Autoritäten narrte, um nach seiner Haft aus einem Teufelskreis der Bürokratie herauszukommen. Ohne ordentliche Abmeldung findet er nirgends Arbeit, ohne Arbeitsnachweis erhält er keine Anmeldung. Mit der Autorität eines – fingierten – Hauptmanns möchte er sich nun die nötigen Papiere besorgen. Die „Psychologie des Erfolges“ besteht darin, die Krise als „lästige Herausforderung“ zu nehmen. Sie ist nun mal da und muss gelöst werden. Wilhelm Voigt war mutig und kreativ – und konnte nur deshalb seine Krise meistern. Mut ist der Gegner der Angst, Kreativität ist die Gegnerin der Eintönigkeit. Wer sich vor lauter ach-und-wo in Denklabyrinthen verirrt, trägt seine Fantasie zu Grabe. Der Krisen erprobte Kommunikationschef der Karstadt Quelle AG, Jörg Howe, kennt die Tücken der Dramatik nur zu gut. Er sagt: „Man wird von der Krise des Unternehmens durchgeschüttelt, bemüht sich, klaren Kopf zu behalten, und überlebt, wenn man weniger Fehler macht als die, die die Krise verursacht haben.“ Howes Gedanken lassen sich in drei Phasen unterteilen:
Die erste Phase: Bedrohung und Konfrontation. Wer sagt was? Was wollen die von uns? Stimmen die Vorwürfe? In vielen Fällen sind Entscheidungsträger von dem Ausbrechen einer Krise geradezu geschockt. Sie haben elementare Probleme, ihre Sinne beisammen zu halten, um mit Selbstbeherrschung Chaos und Stress in den Griff zu bekommen. Die zweite Phase: Welche Vorwürfe stimmen? Welche Fehler haben wir gemacht? Wer ist schuld? Kommunikationsmanager neigen in diesem Akt zu harten Reaktionen. Sie unterwerfen sich entweder der negativen Stimmungslage oder versuchen dieser Situation mit Leugnen oder Besserwisserei zu trotzen. Die dritte Phase: Positionierung und Management. Was wollen wir ändern? Wie wollen wir es ändern? Wofür stehen wir? In dieser Phase entscheidet sich: Gelingt es dem Kommunikationsmanager, die Argumente so zu steuern, dass das Publikum ihm glaubt? Wirkt er ehrlich und solide oder verkrampft und heimlichtuerisch?
Wenn Sie ihre Stärken oder Schwächen nicht kennen, dann taugt Ihr Wissen nur für die Routine.
Wie würden Sie in einer unangenehmen Situation reagieren? Kennen Sie sich? Entscheiden Sie:
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Geben Sie nach? Ignorieren Sie? Hören Sie weg? Belehren Sie? Sind Sie ein Dickkopf? Werden Sie schnell wütend? Sind Sie geschockt? Können Sie sich schnell sammeln? Behalten Sie den Überblick? Können Sie Schläge einstecken? Sind sie ein Sensibelchen? Sind Sie ein Schweiger?
Vielleicht haben Sie eine Vorstellung, was Journalisten, Mitarbeiter und Betroffene von Ihnen erwarten? Passt ihr Profil zu dieser Erwartungshaltung. Wenn Sie sich darüber im Klaren sind, wie Sie in brenzligen Situationen reagieren, dann haben Sie die Macht, dieses Verhalten zu objektivieren – und es gegebenenfalls zu verändern. Wenn Sie ihre Stärken oder Schwächen nicht kennen, dann taugt Ihr Wissen über Ihr eigenes „Ich“ nur für die Routine.
Krisensymptome Es gibt versteckte und offensichtliche Anzeichen für die Gefahr einer Krise. Dafür verantwortlich sind Gerüchte, gesellschaftliche Werte, Fehler und Krisen von Wettbewerbern. Wer etwas ahnt, ist schon auf der richtigen Spur. Er hat ein Gespür für Gefahren und kann deshalb darauf reagieren. Die Ahnungslosen, die nichts merken und auf den großen Knall warten, hecheln immer der Wirklichkeit hinterher.
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Krisensymptom: Gerüchte Eine Gesellschaft lebt von und mit Gerüchten. Sie sind das älteste Medium der Welt – skurril und manchmal auch erbärmlich. Welcher Unsinn schon von Ohr zu Ohr gewandert ist. McDonald´s strecke sein Rindfleisch mit Regenwürmern oder Procter & Gamble finanziere eine Satanssekte. Die Neugierde formt eine eigene Wirklichkeit, die sich schnell verbreitet. „Nichts ist schneller als das Gerücht“, sagte schon der römische Geschichtsschreiber Livius Titus, der um Christi Geburt lebte. Gerüchte, die aus der Gesellschaft kommen, markieren vor allem soziale Ängste. Da heißt es zum Beispiel: „Wenn es zu einem Regierungswechsel kommt, streichen die uns die Subventionen und wir verlieren unsere Arbeitsplätze.“ Auch wenn die neue Regierung keine Kürzungen plant, sitzt das Gerücht in den Köpfen der Menschen. Glauben die betroffenen Arbeitnehmer den Beteuerungen ihres Managements, dass das Unternehmen auf gesunden Füßen steht? Was sagt die Gewerkschaft? Baut sich eine Vertrauenskrise auf? Gerüchte sind gefährlich, weil sie einen Schaden anrichten, ohne dass etwas Greifbares passiert wäre. Gerüchte setzen ein Unternehmen unter Zugzwang. Eine typische Reaktion von Pressesprechern lautet: „Gerüchte kommentieren wir grundsätzlich nicht.“ Diese zur Schau gestellte Lässigkeit funktioniert nicht immer. Abgesehen davon, dass Schweigen bereits eine Aussage ist, bedeutet Schweigen Akzeptanz oder Gleichgültigkeit.
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Besonders gefährlich sind inszenierte Gerüchte, die absichtlich zum Schaden eines Unternehmens lanciert werden. Wer das hinnimmt, wird selbst zum Akteur der Krise, weil er mit seiner Passivität Wehrlosigkeit vorgaukelt. Der raffinierte Gegner, der das Gerücht gezielt als Waffe einsetzt, ist zwar schwer auszumachen, aber er versucht Journalisten, Politiker oder Lobbyisten für sich einzunehmen, damit sie die Information weitergeben. Das sind die Adressaten für Richtigstellungen. Gerüchte sind trotz ihrer Gefahren sehr aufschlussreich. Gerüchte zeigen, was andere Menschen denken, was sie wissen – und wie andere Menschen denken sollen. Wenn der Journalist den Pressesprecher mit dem Gerücht eines Vorstandswechsels konfrontiert, steckt dieser zwar in der Zwickmühle (schweigen, zugeben, dementieren), aber immerhin weiß er jetzt, dass die geplante oder zur Diskussion stehende Personalentscheidung schon durchgesickert ist. Krisensymptom: Missachtung gesellschaftlicher Werte Wenn sich Moral und Ideale verändern, die Unternehmen aber auf einer anderen Werteskala unverändert agieren, kommt es über kurz oder lang zu Differenzen. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen gesellschaftlich akzeptiert werden. Es ist die ureigenste Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit, diese Akzeptanz herzustellen und mögliche Bedrohungen herauszufinden.
Jedes Unternehmen und jede Branche hat ihre typischen Konfliktpotenziale. Zum Beispiel Schwarzarbeit in der Bauindustrie oder Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie. Brisante Themen können ein Unternehmen schachmatt setzen, dazu zählen: n Menschenrechtsverletzungen n Ausbeutung n ‚Knebelung‘ von Lieferanten n Umweltverschmutzung n Korruption n Bilanzverschleierung n Unlautere Werbung n Mobbing n Vernachlässigung von Sicherheitsstandards n Rüstungsexporte in Spannungsgebiete n Geldwäsche n Wucher n Hohe Preise für lebensnotwendige Medikamente. Die wesentlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen sind geprägt durch Schlagworte wie „Lebensqualität“ und „Gerechtigkeit“. Wer in einem dieser Bereiche patzt oder bei einem Vorwurf nicht sofort seine „Unschuld“ beweisen kann, bekommt Probleme mit Interessengruppen, Parteien, Kirchen und Gewerkschaften. Die deutsche Hoechst AG hatte sich 1997 von der Abtreibungspille RU 486 getrennt und nicht gewagt, sie in Deutschland auf den Markt zu bringen. Kein Unternehmen möchte die Kirche zum Gegner haben.
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Moral und Profit führen eine Hassliebe.
Das moralische Fallbeil ist scharf, sehr scharf. In einer Umfrage der Zeitung News Frankfurt (Verlagsgruppe Handelsblatt) von Anfang 2005 meinten 78,55 Prozent der Befragten, dass „unmoralische Unternehmen“ boykottiert werden sollten. Das sei der einzige Weg, etwas zu ändern. Aber auch kampagnenähnliche Aktionen können ein Unternehmen dauerhaft beschädigen, wenn der Druck ohne Gegendruck bleibt. Seit Jahren schießt sich die Gewerkschaft Verdi auf die Supermarktkette Lidl ein, wegen angeblich unwürdiger Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen kommt aus dieser Defensive nicht heraus und verfestigt damit auch noch das Bild vom „bösen Arbeitgeber“. Daraus hat der Discounter allerdings gelernt. Seit Anfang 2006 beschäftigt Lidl erstmals seit Firmengründung vor mehr als 33 Jahren einen Pressesprecher. Moral und Profit führen eine Hassliebe. Manchmal bricht der Zorn so heftig und so plötzlich aus, dass der Schaden irrational hoch ist. In einem Rundumschlag deklassiert Franz Müntefering Finanzinvestoren als „Heuschrecken“ und macht damit eine ganze Branche madig. Nur wenige von ihnen trauen sich zu einer Gegenoffensive, die meisten ziehen sich peinlich berührt zurück. Sie haben offenbar Angst vor der Moral des Volkes.
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Am 19. November 2004 hält Müntefering, damals noch SPD-Vorsitzender, einen (unbeachteten) Vortrag in der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Kapitalismuskritik. Er sagt: „Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen, gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell.“ Am 17. April 2005 zieht Müntefering in der BILD am SONNTAG nach und löst erst jetzt eine heftige Diskussion aus. „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.“ Im Lauf der Debatte macht der SPD-Politiker deutlich, dass sich sein Heuschreckenvergleich gegen eine (relativ kleine) Gruppe Unternehmen richtet, nannte aber keine konkreten Beispiele. Am 28. April 2005 veröffentlicht stern.de eine Liste und bezieht sich dabei auf ein von der Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion erstelltes Hintergrundpapier mit dem Titel „Marktradikalismus statt sozialer Marktwirtschaft – Wie
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Private Equity-Gesellschaften Unternehmen verwerten“. Daraufhin titelt „metall“, das Mitgliedermagazin der IG Metall: „US-Firmen in Deutschland – die Aussauger“; und zeigt dazu die Karikatur einer Stechmücke im Nadelstreifenanzug. Zynisch grinsend hebt sie ihren Zylinder in den Farben der US-Flagge. Der goldene Raffzahn glitzert unter der langen, gebogenen Nase. Die Debatte über die Heuschrecken blitzt nur noch selten auf, aber sie ist latent präsent und richtet deshalb fortwährenden Schaden an. Krisensymptom: Spezifische Fehler Der Anteil menschlichen Versagens wird in Luftfahrt, Medizin, Anlagentechnik, Kraftwerken regelmäßig auf 60 bis 80 Prozent aller Unfallursachen geschätzt. Das heißt, dass Unternehmen in diesen Branchen mit einer erhöhten Krisengefahr rechnen müssen – sie gehört zum spezifischen Risiko eines Unternehmens. Der Krankenhausmanager muss trotz aller Vorsichtsmaßnahmen damit rechnen, dass Ärzte versehentlich das falsche Bein amputieren und für das Spital ein Imageschaden eintritt. Wenn er diese symptomatischen Möglichkeiten ausschließt oder gar nicht weiß, was im Fall des Falles zu tun ist, verhält er sich fahrlässig. Gefahren lauern immer. Automobilunternehmen sind von Rückrufaktionen betroffen, Lebensmittelhersteller von Erpressungen, Energiekonzerne von fehlerhaften Strommasten, die Bahn von Massenverspätungen nach einem Unwetter, der Spielwarenhersteller von einem losen
Teil, das das Kind verschluckt – jeder muss sein mögliches Risiko kennen, um eine Krise optimal zu meistern. Überlegen Sie bitte: Welche Störungen oder Fehler hat es in unserem Unternehmen schon gegeben? Was ist daraus geworden? Sind sie wieder möglich? Gibt es neue Gefahren? Denken Sie das Unmögliche. Denn alles ist möglich. Krisensymptom: Konkurrenzkrise Geht’s dem Konkurrenten schlecht, ist das kein Grund zur Schadenfreude. Denken Sie daran: Mitgefangen, mitgehangen. In der Finanzwelt erleben wir diesen Effekt permanent. Veröffentlicht ein Unternehmen eine Gewinnwarnung, sinkt in vielen Fällen auch der Aktienkurs des Wettbewerbers, dessen Zahlen völlig in Ordnung sind. Meldet ein bekanntes Unternehmen Konkurs an, telefonieren Journalisten durch die ganze Branche, um weitere „Konkursaspiranten“ ausfindig zu machen oder eine „drohende Branchenkrise“ zu konstruieren. Stürzt der Wettbewerber in einen Skandal, kann sich der Konflikt sehr schnell auf Unternehmen der gleichen Branche auswirken, die n ähnliche Produkte herstellen oder standardisierte Verfahren anwenden (Krisenfall: Winzer panschen Wein – der „ehrliche“ Winzer wird in Mitleidenschaft gezogen); n über ein geringeres Image als der Krisenverursacher verfügen (Krisenfall: Mercedes A-Klasse kippt um – VW muss sich Fragen nach der Stabilität seiner Autos gefallen lassen);
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n Gattungsprodukte herstellen, also Produkte ohne Marke (Krisenfall: Hühnerfarm quält Tiere – die Verbraucher meiden Eier, weil sie keinen Bezug zu den „Erzeugern“ herstellen können). Frank Roselieb, Leiter des Instituts für Krisenforschung in Kiel, hat die typischen Wege einer Krise zu einer Branchenkrise analysiert: n Je mehr Journalisten, Politiker und Verbraucherverbände das Thema aufgreifen, desto mehr generalisieren und skandalisieren sie es. n Wenn sich andere Unternehmen der Branche zum Vorfall des Wettbewerbs äußern, kochen sie das Thema hoch. n Wenn der Gesetzgeber den Vorfall zu einer verschärfenden Neuregelung nimmt, „bestraft“ er damit auch die gesamte Branche. Sich von der Krise eines anderen abzuschotten oder rein zu waschen ist ein schwieriges Unterfangen. In einer Krise verhalten sich die Menschen ängstlich und übertrieben kritisch. Solches Verhalten fördert weder Differenzierung noch Objektivität.
Krisenwirkungen Die Kunst besteht darin, sich in die Köpfe der „Krisenopfer“, der Unternehmensverantwortlichen und Multiplikatoren hineinzuversetzen, um deren Motive, Interessen und Ängste kennen zu lernen.
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Denn Sie bestimmen die Wirkung einer Krise: n Der Aktionär bangt um den Aktienkurs, verkauft das Papier wie andere auch und löst damit einen Kursrutsch aus; n Der Mitarbeiter fürchtet um seinen Arbeitsplatz, ist demotiviert und flüchtet in die Leistungsverweigerung; n Der Kunde verweigert seine Treue und kauft andere Produkte; n Der Lieferant will nur noch gegen Vorkasse liefern; n Der Banker verlangt neue Sicherheiten für Kredite; n Der Verbraucher quasselt, produziert Vorurteile und Gerüchte; n Der Vorstand versteckt sich; n Der Aufsichtsrat diskutiert einen Führungswechsel; n Die Medien streuen Pfeffer in die Wunde; n Politiker und Multiplikatoren melden sich kritisch zu Wort. Es versteht sich von selbst, dass die Attraktivität eines Unternehmens oder seiner Produkte per se die Wirkung einer Krise vergrößern. Je bekannter das Unternehmen oder seine Marke, desto gravierender auch die Auswirkungen einer Krise. Das heißt, eine unbekannte Schraubenfabrik hat in einer Krise weniger zu befürchten als ein bekannter Puddinghersteller. Ein anerkanntes oder prominentes Unternehmen vermittelt Glanz und Glamour, wenn’s mal schief läuft, trägt es sofort Trauerflor. Dann sind Menschen, Gruppen und Verbände irritiert, weil Krise nicht zu dem Unternehmen passt. Enttäu-
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schung schlägt dann schnell in Distanz, Schock, Schadenfreude oder Ironie um. Das ist die Irrationalität des Erfolgs. Wenn zum Beispiel ein Autohersteller Fahrzeuge in die Werkstätten zurückrufen muss, hat das ungeahnt heftige Auswirkungen. Einer Umfrage der Nürnberger Marktforschung „Puls“ aus dem Jahr 2006 zufolge verliert beinahe die Hälfte der Befragten durch Rückrufaktionen das Vertrauen in die Marke. Besonders negativ fällt Mercedes auf. Auf die Frage „Welche Automarke ist Ihnen im vergangenen Jahr durch Rückrufaktionen besonders aufgefallen?“ antworten 22,8 Prozent mit Mercedes. Dies führt Puls-Geschäftsführer Konrad Weßner unter anderem auf die großen Rückrufe im März 2005 zurück, bei der Mercedes 1,3 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten habe holen müssen. Mit Abstand folge Volkswagen mit 5,1 Prozent der Befragten. Bei allen anderen Marken bewegen sich die Werte in einem sehr niedrigen Bereich. Befragt wurden rund 2000 potenzielle Autokäufer. Rückrufaktionen von Autoherstellern schaden dem Markenimage zudem weit mehr als bisher bekannt: Rückrufe erschüttern zumindest kurzfristig das Vertrauen von 45 Prozent der Autokäufer in die betroffene Marke. Vor allem bei Neuwagenkäufern zerschlagen Rückrufaktionen viel Porzellan. 19,3 Prozent der am Neuwagenkauf Interessierten geben an, eine Rückrufaktion schädige das Vertrauen in die betroffene Marke „sehr stark“, bei weiteren 30,9 Prozent ist das Vertrauen „stark“ beschädigt.
Nicht nur das Image einer Automarke leidet durch eine Rückrufaktion erheblich, selbst reale Kaufentscheidungen werden laut Puls-Studie offensichtlich beeinflusst. Denn 5,5 Prozent der Befragten geben an, es sei „sehr wahrscheinlich“, dass sie durch eine Rückrufaktion vom Kauf ihrer bevorzugten Automarke Abstand nehmen. Für weitere 14,5 Prozent der potenziellen Autokäufer ist dies immerhin noch „wahrscheinlich“. Beispiel: Produktrückruf und Produktwarnung Wenn ein Unternehmen ein Produkt aus dem Verkauf zurückziehen muss, ist das auch immer ein Eingeständnis, dass die Marke „fehlerhaft“ ist. Diese Rückrufaktion verursacht extrem hohe Kosten, schadet dem Image, führt in vielen Fällen auch zu Kursrückgängen an der Börse und personellen Konsequenzen. Betroffen sind vor allem die Autohersteller, die Pharma- und Lebensmittelindustrie. Als der Pharmariese Merck das Medikament „Vioxx“ aufgrund gefährlicher Nebenwirkungen vom Markt nehmen musste, fiel der Aktienkurs an einem Tag im Jahre 2004 um 28 Milliarden Dollar. Eine Rückrufaktion von verunreinigter Coca-Cola kostete den Konzern neben dem Imageschaden 300 Millionen Euro – und führte zum Rücktritt von Vorstandschef Douglas Ivester.
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Der Bayer-Konzern stürzte über den Rückruf seines Medikamentes „Lipobay“ gar in eine fundamentale Unternehmenskrise, die mit einem kompletten Umbau des Unternehmens endete.
der Schweiz nach dem Verzehr dieser Käse an einer Salmonellose erkrankt waren. In den genannten Ziegenkäse-Produkten des französischen Herstellers wurden Salmonellen nachgewiesen.
Die Meldungen über verschimmelte, verseuchte oder gesundheitsgefährdende Lebensmittel reißen nicht ab. Nur eine kleine Auswahl:
9. Mai 2005: Salmonellen in Mini-Salami des Herstellers Redlefsen – Wegen möglicher Salmonellen-Belastung warnte der Fleisch- und Wurstwarenhersteller Redlefsen vor dem Verzehr einer Mini-Salami. Die betroffene Wurst mit Haltbarkeitsdatum 31.08.2005 wird im Zweierpack über die Discountkette Lidl verkauft. Bei den laufenden Untersuchungen konnte bislang aber kein Befall nachgewiesen werden.
31. Oktober 2005: Rückruf von Herrmannsdorfer Haussalami – Bei einer Routineuntersuchung fanden die Behörden in einer Charge von insgesamt 239 kg Herrmannsdorfer Haussalami, Art. Nr. 885, das Bakterium EHEC. 8. August 2005: Warnung vor chinesischen Schlankheitspillen – Die Produkte „Evolution Slim & Slender“ der Firma New Life LiDa b.v. sowie „LiDa DaiDai Hua Jiao Nang“ der Firma Kunming Dali Industry & Trade Co. Ltd. können die Gesundheit gefährden. Nach Untersuchungen des Landesuntersuchungsamtes Rheinland-Pfalz enthalten die Schlankheitskapseln nicht die vom Hersteller deklarierten chinesischen Pflanzenpulver, sondern den nicht deklarierten verschreibungspflichtigen Arzneimittelwirkstoff Sibutramin. 25. Juli 2005: Salmonellen in bestimmten Ziegenkäseprodukten der Firma Sarl de Fromagerie du Col del Fach – Die französischen Überwachungsbehörden haben vor dem Verzehr von bestimmten ZiegenkäseProdukten aus Frankreich gewarnt, nachdem mehrere Personen in Schweden und in
19. April 2005: Listerien in Wildlachs – Die Firma Elfin/Royal Greenland ruft eine Charge geräucherten Wildlachs zurück, da in diesem der gesundheitsgefährdende Keim Listeria monocytogenes nachgewiesen wurde. 20. Januar 2005: Rückruf von Glühwein und Amarettopunsch verschiedener Marken – Betroffen sind Glühwein und Amarettopunsch der Marken Christkindl, St. Lorenz, Wintertraum, Winterland und Hüttenglut. 3. November 2004: Produktrückruf „MilkaTonkürbis“ – Die Schokolade des limitierten Sonderartikels „Milka-Tonkürbis“ 150 g der Firma Kraft Foods kann aufgrund von Restfeuchte im Tonkürbis verschimmelt sein. 3. Oktober 2004: Warnung vor dem Verzehr von „Salametti mit Knoblauch“ der Chiemgauer Naturfleisch GmbH – Das
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Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat EHECBakterien nachgewiesen.
Ausmaß der Katastrophe entlädt sich erst in den kommenden Stunden, aber die Medien treiben die Geschichte bereits in eine andere Richtung. So schnell und umbarmherzig tickt die Uhr der Krise.
Krisengene Eine Krise ist eine Krise eine Krise. Aber was sind die Gene einer Krise? Die unverwechselbaren Informationen über die Entstehung und das Wirken einer Krise? Sie heißen Zeit, Dynamik, Wissen und Bewusstsein. Diese Gene bedingen sich gegenseitig und bestimmen das Ausmaß einer Krise. n Die Zeit Innerhalb von 24 Stunden entscheidet sich, ob eine Krise „gewonnen“ oder „verloren“ wird. Wer in dieser Zeit nicht in der Lage ist, das Tempo der Negativmeldungen zu stoppen und die Inhalte zu relativieren, riskiert eine Ausweitung der Krise. Deshalb ist umsichtige Schnelligkeit das Nonplusultra in einer Krise. Die Zeit diktiert das Handeln. Wer sagt was? Wer ist für was zuständig? Was machen wir in welcher Reihenfolge? Zeit erfordert Logik. Wer das Falsche macht, der hat weniger Zeit für das Richtige. Die Medien, die Verbraucherverbände, die betroffenen Menschen und Gruppen handeln in der Stunde der Krise egoistisch, egozentrisch und emotional. Das ist menschlich völlig normal. Die Zeit nimmt darauf aber keine Rücksicht. Sie tickt weiter. Im Laufe der Zeit festigen sich Ängste und Vorurteile. Daraus entstehen Druck und Forderungen. Zwei Stunden nach dem Zusammenbruch der Eissporthalle in Bad Reichenhall am 2. Januar 2006 beginnt bereits die Suche nach den Schuldigen. Das
n Die Dynamik Der Krisengrund (Tod, Unfall, Verhaftung, Konkurs, Kursrutsch, Produktwarnung), das Ausmaß der Betroffenheit (Trauer, Entsetzen, Wut, Enttäuschung, Ratlosigkeit, Vertrauensverlust) und die Macht der Betroffenen (Multiplikatoren, Interessenvertreter, Medien) entscheiden über die Kraft einer Krise. Entsteht daraus ein laues Lüftchen oder ein Orkan? Oder entwickelt sich aus dem lauen Lüftchen der Orkan? Kurz vor Weihnachten 2005 kommt eine 22-jährige Fahrradfahrerin in Düsseldorf bei einem Zusammenstoß mit der Straßenbahn ums Leben. Die Rheinische Post thematisiert das Unglück, befragt Passanten und erinnert an frühere Unglücke. Sofort steht die Rheinbahn AG in der Defensive. Der Vorstand schreibt daraufhin einen Kondolenzbrief an die Eltern. Die Lokalredaktion hakt nicht mehr nach, keine Interessenverbände setzen das Unternehmen unter Druck. Damit ist der Fall erst einmal ausgestanden. Glück gehabt. Was wäre passiert, wenn die Lokalredaktionen in Düsseldorf personelle Konsequenzen gefordert hätten? Wenn daraus ein Politikum geworden wäre, weil die Rheinbahn AG der Stadt Düsseldorf gehört? Wenn eine überregionale Tageszeitung das Thema auf die Bundesbühne gezogen danach gefragt hätte: Wie sicher sind eigentlich Busse und Straßenbahnen in den Städten? Hätte, könnte,
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wäre: Der Konjunktiv warnt vor trügerischer Selbstsicherheit. n Die Information Wissen ist Macht. Halbwissen bedeutet Ohnmacht. In einer Krise steigt das Informationsbedürfnis der Medien, der Betroffenen und der Öffentlichkeit von null auf hundert. Die Komplexität der Fragen, deren Antworten maßgeblich den weiteren Verlauf der Krise beeinflussen, bedroht massiv die Souveränität des Unternehmens. Der Krisenmanager hat kaum eine Chance, das Tempo der Berichterstattung mitzugehen. Er muss diese Zeitverzögerung allerdings hinnehmen, damit er sich einen vollständigen Überblick über die Situation verschaffen kann. Nur dann ist er in der Lage, die Fragen der Journalisten und die Auswirkungen seiner Antworten richtig einzuschätzen. Der Wissende vermittelt eine natürliche Autorität, weil er aus der Fülle seiner Informationen akzentuiert und strategisch informieren kann. Der Halbwissende dagegen flüchtet in Dementis, Beschwichtigung und Informationsverweigerung. So ein Verhalten pusht geradezu eine Krise.
Der Halbwissende flüchtet in Dementis, Beschwichtigungen und Informationsverweigerung. So ein Verhalten pusht geradezu eine Krise.
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Missgunst, Pessimismus, Erfahrung, Vorsicht, Moral. Es macht also keinen Sinn, mit der Mechanik eines Roboters eine Krise anzugehen. Wer die Gefühle und die Gedankenwelt der Krisenopfer nicht kennt, der entfremdet sich und stößt auf Unverständnis. Die Krisenopfer der Deutschen Telekom sind die Kleinaktionäre, die aufgrund der Kursentwicklung ein Debakel erlebt haben. Viele von ihnen haben alles verloren. Eine rationale Erklärung zur Entwicklung der Kapitalmärkte und zur strategischen Ausrichtung des Konzerns wird diese Anleger nicht beschwichtigen. Die Vertrauenskrise hat sich in den Köpfen festgesetzt. Die Zeitschrift Capital schreibt permanent über die Deutsche Telekom, um die Entwicklung des Unternehmens und des Aktienkurses zu bewerten. Damit macht sie sich zum Anwalt der Kleinaktionäre.
Krisentrends Krisen verändern ihr Gesicht. Waren früher Umweltkrisen (Hoechst) in aller Munde, sind es heute Sexaffären (VW), Managementfehler (Borussia Dortmund), Massenentlassungen (Daimler-Chrysler) oder Prozesse (Deutsche Bank). Fast täglich berichten Zeitungen über Liquiditätsprobleme, Korruption oder Konkursgerüchte. Permanent plaudert die Staatsanwaltschaft über Ermittlungen und stellt damit Manager und Aufsichtsräte an den Pranger.
n Das Bewusstsein Krisen finden im Kopf statt. Rühren Sie alles zusammen, was Ihnen dazu einfällt: Schock, Angst, Verlust, Vorurteile, Schadenfreude,
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Krise
Die „Krisen der Zukunft“ sind komplexer, verzahnter und schwerer einzuschätzen als die „gute alte Umweltkrise“.
Wir erleben eine radikale Verschiebung der klassischen Krisenbranchen Chemie, Pharma, Verkehr, Ernährung und Energie in allen Bereichen der Wirtschaft. Sie betreffen jedes Verhalten, das sich in der öffentlichen Wahrnehmung abspielt und für die mediale Skandalisierung taugt. Weil sich alles verändert, vom Verbraucherverhalten über Bildung und Wissen bis zu den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, verändern sich auch Ursachen und Stoßrichtungen für Krisen. Keiner bleibt verschont, jeden kann es treffen. Die „Krisen der Zukunft“ sind komplexer, verzahnter und schwerer einzuschätzen als die „gute alte Umweltkrise“. Diese Krisen können entstehen durch n Produktionsverlagerungen in sicherheitskritische Länder. Mögliche Gefahren: Entführungen, Absatzkrisen, Produktionsstillstand, Lieferengpässe, Qualitätsprobleme, Sabotage; n Wirtschaftsstrafrechtliche Ermittlungen und Anklagen. Mögliche Gefahren: Vertrauensverlust bei Mitarbeitern, Kunden, Investoren und Lieferanten;
n Einsatz der Gentechnik. Mögliche Gefahren: Gesundheitliche Risiken, negative Kampagnen; n Aufkaufen und Zerschlagen von Unternehmen. Mögliche Gefahren: Verlust der Unternehmensidentität, Verlust unternehmerischer Perspektiven, Konkurs oder Stilllegung von Unternehmsteilen, Massenentlassungen; n Verschärfte Produkthaftung. Mögliche Gefahren: Zerstörung einer Marke und eines Unternehmens; n E-Business. Mögliche Gefahren: Internetkrisen, Virenangriffe; n Industriespionage. Mögliche Gefahren: Zerstörung von Technik- und Wissensvorsprung auf der Basis eines hohen finanziellen Engagements; n Skandale um Führungskräfte. Mögliche Gefahren: Führungsvakuum, Imageschaden, Vertrauensverlust. Die PR-Verantwortlichen in den Unternehmen müssen sich also auf neue Krisentypen einstellen, die neue Frühwarnsysteme und Herangehensweisen erforderlich machen.
Enttäuschung schlägt schnell in Distanz, Schock, Schadenfreude oder Ironie um.
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Krisenarten Eine Krise ist wie eine Krankheit. Sie kommt plötzlich als Herzinfarkt, wuchert langsam als Krebs oder nervt ständig mit Magengeschwüren. Wer seine Krankheit nicht versteht oder leugnet, hat kaum Chancen auf Heilung. Als Wirtschaftsjournalist habe ich in mehr als 15 Jahren Unternehmenskrisen beobachtet, sie analysiert und bewertet. Meine Feststellung: Jede Krise hat unabhängig von der Größe eines Unternehmens typischen Formen und Merkmale. Sie kehren immer wieder. Weil das so ist, haben Sie die Chance, die Krise zu durchschauen. Folgende Beispiele geben Ihnen einen Überblick über die sechs Krisenarten: n Die Hoppla-Hopp-Krise kommt wie aus dem Nichts, sie ist schnell und wirkt sofort. Beispiel: Die Arques Industrie AG hat sich darauf spezialisiert, Unternehmen in Umbruchsituationen oder mit ungelösten Nachfolgeregelungen zu kaufen und zu restrukturieren. Mitte Dezember 2005 entlässt der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied wegen angeblichen Verstoßes gegen das Wertpapiergesetz und informiert darüber die Öffentlichkeit in einer Ad-hoc-Meldung. Sofort stürzt die Aktie um 20 Prozent ein. Obwohl die beiden verbleibenden Vorstände 6000 Aktien kaufen, um den Kurs zu stützen, verharrt das bisherige Erfolgspapier auf niedrigem Niveau. Das Unternehmen wird kalt erwischt, reagiert schnell und richtig. Die Aktionäre verhalten sich typisch irrational, statt das richtige Handeln des Vorstands zu würdigen.
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Weiteres Beispiel: Im Oktober 1997 kippt ein Fahrzeug vom Typ „A-Klasse“ bei einem Test in Schweden auf sein Dach und hält die Daimler-Benz AG viele Monate lang in Atmen. Das Wort „Elch-Test“ wird zum allgemeinen Sprachgebrauch für nicht bestandene Tests. n Die Schleichkrise kommt langsam, so langsam, dass man sie nicht ernst nimmt. Aber sie erreicht ihr Ziel. Beispiel: Das Management der Karstadt AG hat über Jahre hinweg die Notwendigkeit einer grundlegenden Sanierung geleugnet. Der Vorstand wähnt das Unternehmen in einer Stärke, die es schon lange nicht mehr besaß. Von Jahr zu Jahr muss es seine Renditeziele nach unten korrigieren. Innerhalb von vier Jahren verbraucht Karstadt drei Vorstandsvorsitzende, im Jahre 2005 machte sich der Aufsichtsratsvorsitzende selbst zum Vorstandsvorsitzenden, weil er keinen geeigneten Kandidaten gefunden hatte. Weiteres Beispiel: Im Herbst 1993 gerät die Metallgesellschaft AG in eine schwere Unternehmenskrise. Riskante Öltermingeschäfte bringen das Traditionsunternehmen an den Rand des Ruins. n Die Gewöhnungskrise ist einfach da, sie wirkt vertraut als gehöre die permanente, negative Unruhe zum Erscheinungsbild. Beispiel: Die Infineon AG, Hersteller von Halbleitern, zieht das Krisenhafte geradezu an. Allein im Jahr 2005 wird der Aufsichtsratchef Dietrich Kley der Unfähigkeit bezichtigt, die EU droht mit Bußgeldern,
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Krise
Staatsanwälte ermitteln wegen Schmiergeld, der ehemalige Vorstandsvorsitzende klagt auf Zahlung seiner Abfindung und die Justiz beschäftigt sich mit einem Streik und einer Blockade von Mitarbeitern, die gegen die Aufspaltung des Unternehmens protestieren. Weiteres Beispiel: Zeitungen spekulieren immer wieder über die Ablösung von LTU-Chef Jürgen Marbach. Das „manager magazin“ titelt über ihn: „Das Ende eines Irrflugs“. Diese Negativdebatte beginnt 2005 und setzt sich 2006 fort. n Die Schockkrise kündigt sich langsam an, schlägt dann mit zerstörerischer Wirkung zu. Beispiel: Auto Becker, das nach eigenen Worten „faszinierendste Autohaus der Welt“ – bestückt mit Bentley, Maserati, Ferrari und vielen Glamourmarken mehr – muss Frühjahr 2002 Insolvenz anmelden. Generationen von Geldadel und Schickimickies haben hier ihre sündhaft teuren Wagen gekauft, sie alle – und auch der Betriebsrat – bemerken nicht den baldigen Untergang. Helmut Becker, einem größeren Publikum bekannt als kurzzeitiger Partner der vorbestraften Gesellschaftsdame Tatjana Gsell, spielt in der Öffentlichkeit die Rolle des erfolgreichen Unternehmers – ehe dann alles zusammenbricht. Weiteres Beispiel: Der Bremer Vulkan Verbund AG – aus der Vision „des maritimen Weltkonzerns“ wird im Mai 1996 ein Konkursfall.
n Die Zickenkrise lähmt die Rationalität, sie ist berechnend, handelt aber unberechenbar. Erst durch dieses Verhalten entsteht aus einer negativen Situation eine Krise. Beispiel: Als sich am 6. Dezember 2004 acht GreenpeaceAktivisten vor dem Werkstor von MüllerMilch postieren, weil das Unternehmen Milch von Kühen verwendet, die mit genmanipuliertem Soja gefüttert werden, geht Inhaber Theo Müller handgreiflich auf die Demonstranten los. Die Bilanz laut Greenpeace: Zwei zerstörte Kameras, Schürf- und Schnittwunden, Prellungen und Blutergüsse. Zehn Monate später darf die Organisation nach einem gewonnenen Prozess MüllerMilch als Gen-Milch bezeichnen. Theo Müller spricht von einer „haltlosen Angstkampagne“, Greenpeace dagegen plant weitere Aktionen. Weiteres Beispiel: Nach seinem unrühmlichen Abgang als Chef der Deutschen Börse im Jahr 2005 droht Werner Seifert mit einem Buch, indem er seine Version der Geschehnisse erzählen will. n Die Ankündigungskrise: Sie sitzt in den Startlöchern und wartet jetzt nur noch auf den Startschuss. Das Unternehmen weiß also, was ihm blühen kann. Beispiel: Anfang 2006 kündigt der Hedge-Fonds-Manager Florian Homm an, er wolle in den kommenden zwei Wochen über eine Klage gegen die Postbank entscheiden. Er wirft Deutschlands größter Filialbank vor, Börsianer bei der Übernahme der Bausparkasse mit veralteten Informationen in die Irre geführt zu haben. Natürlich bestreitet das Geldhaus alle Vor-
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würfe. Aber das reicht nicht. Es muss in den verbleibenden zwei Wochen die wichtigen Finanzjournalisten in Hintergrundgesprächen informieren, damit die Postbank-Argumente im Falle einer Klage in den Presseberichten ausgewogen zur Geltung kommen. Weiteres Beispiel: Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes muss der Mannesmann-Prozess 2006 neu aufgerollt werden. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bank weiß: Wird Vorstandschef Josef Ackermann verurteilt, muss sie blitzschnell einen Nachfolger präsentieren, um das Geldhaus im öffentlichen Ansehen nicht noch weiter zu beschädigen.
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Krise und Medien
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3. Krise und Medien
Ein leidenschaftlicher Journalist kann kaum einen Artikel schreiben, ohne im Unterbewusstsein die Wirklichkeit ändern zu wollen. Rudolf Augstein (1923 – 2002), Gründer und Herausgeber des Spiegels
Wenn Sie nicht wissen, wie Journalismus funktioniert, dann haben Sie auch keine Chance, mit Journalisten zusammenzuarbeiten. Journalisten haben kein Interesse, Sie persönlich zu treffen. Journalisten wollen aber eine Geschichte schreiben, die zum Blatt und zum Leser passt. So einfach ist das. Wenn Sie wissen, wie Journalismus funktioniert, dann können Sie sich auch in der Krise richtig verhalten. Sie wissen, welches Blatt Sie mit welcher Information ansprechen, worauf Sie Rücksicht nehmen müssen, welche Gefahren und Fallen lauern.
Chefredaktion und an den Textchef. Jeder „fummelt“ an der Geschichte herum, setzt inhaltliche, sprachliche und dramaturgische Schwerpunkte. Logisch, dass von der ursprüngliche Fassung des Redakteurs manchmal recht wenig übrig bleibt. Leider haben auch die meisten Pressesprecher und die meisten PR-Berater noch nie eine Redaktion von innen gesehen. Sie wissen nicht, wie Journalisten arbeiten und wie der Medienbetrieb funktioniert. Sie glauben zwar, sie wüssten alles und halten sich irrtümlich für Medienprofis. Dieses Missverhältnis zwischen Nichtkönnen und Anmaßung ist ein echtes Problem.
Wer gerne isst, ist noch lange kein guter Koch.
Auflage machen Ich habe als Wirtschaftsjournalist immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Vorstände und Geschäftsführer gar nicht wissen, wie eine Zeitung oder ein Magazin entsteht, wer alles in der Redaktion mitredet, bevor ein Artikel gedruckt wird. Beim Wirtschaftsmagazin Capital geht das so: Der Redakteur meldet seine Geschichte beim Ressortleiter an. Das Ressort diskutiert über das Thema. Eine weitere Diskussion findet in der Redaktionskonferenz mit allen Redakteuren des Magazins statt. Der Ressortleiter redigiert die Geschichte und gibt sie weiter an die
Zeitungen sind Wirtschaftsgüter, die sich wie jedes andere Produkt auch rechnen müssen. Es macht kaufmännisch keinen Sinn, wenn die Redaktion über etwas schreibt, das die Leser nicht interessiert. Eine Tageszeitung wie die FAZ (Auflage 376.000 Exemplare/ 1 Millionen Leser), die hauptsächlich von ihren Abo-Kunden lebt, ist sicherlich freier in der Themenwahl als eine Boulevardzeitung wie Bild (Auflage: 3,8 Millionen Exemplare/ 12 Millionen Leser), für die es kein Abonnement gibt. Sie muss jeden Tag am Kiosk um Auflage kämpfen. Das ist Marktwirtschaft
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Krise und Medien
pur. Die Leser stimmen am Kiosk ab, was sie lesen wollen und was nicht.
Die Tageszeitungen werden bunter, trivialer und subjektiver.
Weil der kaufmännische Druck auf die Redaktionen immer größer wird, neigen auch seriöse Tageszeitungen zu dramaturgischen Arbeitsweisen: Journalisten n vermischen Nachricht und Kommentar und kopieren damit den Magazinjournalismus. Die permanente Vermischung von objektiven Informationen und persönlicher Meinung führt zur Aushöhlung einer Nachricht. Eine Nachricht besteht aus den sieben „W-Fragen“. Wer ist beteiligt? Was ist passiert? Wann ist es geschehen? Wo ist es geschehen? Wie ist es passiert? Warum ist es passiert? Woher stammen die Informationen? n personalisieren Geschichten, um sie interessanter zu machen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, Manfred Schneider, sagte einmal: „Wenn der Pförtner morgens fünf Minuten zu spät kommt, dann schreiben die Journalisten, dass ich meinen Laden nicht im Griff habe.“ Diese Überspitzung trifft den Kern. n wollen immer mit der Nummer eins eines Unternehmens sprechen, um sich mit diesem Namen zu schmücken. Eine interessante Meldung greifen die Presseagenturen auf
und verbreiten sie. Wenn andere Medien aus dem Gespräch mit Quellenangabe zitieren, ist das eine hervorragende und unentgeltliche Werbung für die Zeitung. Bedauern Sie diese Entwicklung, aber ärgern Sie sich nicht. Denn es kommt noch schlimmer. Die Tageszeitungen werden bunter, trivialer und subjektiver, um neue und jüngere Leser zu gewinnen. Sinkt oder stagniert die Auflage, setzen viele Chefredaktionäre auf ein neues Layout oder provozierende Themen. Diese Entwicklung macht selbst vor Fachmagazinen nicht halt. Im Januar 2003 druckt die „absatzwirtschaft“ entgegen ihrer Machart eine Titelgeschichte über Dieter Bohlen ab, um damit zu locken und sich ins Gespräch zu bringen.
Wie Journalisten arbeiten Es macht keinen Sinn, große theoretische Abhandlungen über dieses Thema zu schreiben. Merken Sie sich nur besondere Merkmale und Eigenarten: n Spontane Selektionskriterien für eine Nachricht (Papierkorb oder Veröffentlichung) richten sich nach Bekanntheit und Prestige des Unternehmens und dem Maß der allgemeinen Betroffenheit. n Boulevardjournalisten vereinfachen, dramatisieren, skandalisieren, emotionalisieren und suggestieren, um eine Nachricht aufzupeppen. Es ist wesentliches Merkmal einer Boulevardzeitung, in Wort, Bild und Layout den Massengeschmack zu treffen. Der Mas-
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sengeschmack giert nach Skandalen und Enthüllungen. Das Schlüsselloch kann gar nicht groß genug sein, um dahinter die „verruchte“ Welt von Sex & Crime zu erhaschen.
Journalisten fragen so, wie sie ihre Antworten gerne hätten.
n Jeder Journalist denkt an sein Blatt und seine Zielgruppe. Der Boulevardjournalist schreibt im Sinne der Arbeitslosen und Schwachen, die ihren Job verloren haben, „weil die da oben zu viel verdienen“. Der Wirtschaftsjournalist vertritt die Interessen der Aktionäre und untersucht, welche Vorstände von DAX-Konzernen ihr Geld wert sind. n Journalisten schreiben über ein Thema, weil alle darüber schreiben. In den morgendlichen Ressortrunden analysieren die Redakteure die Aufmacher und Berichte der Konkurrenz und überlegen, wie sie das Thema mit einem eigenen Inhalt weiterdrehen können. n Jeder Journalist möchte sich mit einer exklusiven Nachricht profilieren. n Journalisten fragen so, wie sie ihre Antworten gerne hätten. Sie locken mit ihren Fragen in eine bestimmte Ecke oder spitzen die Fragen in eine bestimmte Richtung zu. Sie haben ein Konzept im Kopf oder richten sich nach einem Grundgefühl, ob eine Situation eher schlecht oder gut ist.
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n Journalisten berichten kontrovers, weil die Leser sich für Konflikte interessieren. Hierbei stellen sie sich meistens auf die Seite des Schwächeren, der gleichwohl nicht im Recht sein muss. Entscheidend ist die öffentliche Wahrnehmung über das subjektiv Richtige. n Journalisten verlangen detaillierte Informationen über Ursache und Hergang unmittelbar nach dem Vorfall, auch wenn die Untersuchung noch voll im Gange ist und noch keine Ergebnisse vorliegen.
Wie eine Nachricht entsteht Guten Morgen Deutschland, gerade meldet eine Presseagentur die Verhaftung Ihres Vorstandsvorstandsvorsitzenden. Noch ehe Sie davon erfahren, stehen schon Kamerateams vor dem Privathaus des Verhafteten und vor den Werkstoren. Nun hören Sie es auch im Autoradio auf dem Weg zur Arbeit. Das Frühstücksfernsehen sendet live, die Presseagenturen bringen nach ihren dürftigen Eilmeldungen immer mehr Details. GoogleNews listen bereits 78 Meldungen über den Vorfall auf. Permanent versuchen sich die Medien mit exklusiven Nachrichten zu übertreffen, die ersten Berichte über Schuldzuweisungen laufen an. Wer ist noch beteiligt? Drohen weitere Verhaftungen? Vorwürfe wie „Korruption“, „Bilanzfälschung“ schwirren in der Luft. Halbwissen verformt sich zu einer eigenen Wirklichkeit, die wiederum Ausgangspunkt für neue Behauptungen und Unterstellungen ist.
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In der Zwischenzeit stürzt der Aktienkurs ein. Auch das ist eine Nachricht wert. Während Fernsehen, Radio und die Onlineausgaben der Medien ständig aktualisieren, beginnen die Tageszeitungen mit der Blattplanung. Eine Konferenz jagt die nächste, ehe die Grundstruktur der Zeitung für den kommenden Tag steht.
Der Nachrichtenmarkt ist schnell, unerbittlich und rau.
Kai Diekmann, Chefredakteur der BILDZeitung, trifft um 10.30 Uhr die Ressortleiter, eine halbe Stunde später die gesamte Redaktion zur Konferenz, zu der auch die Korrespondenten zugeschaltet werden. Die Konferenz bewertet die Nachrichtenlage, diskutiert Aufmacher und Berichte und legt die Themen für die morgige Ausgabe fest. Um 12 Uhr findet die Bildkonferenz statt, das heißt, aus einer Fülle von Fotos werden die richtigen Motive ausgesucht. Auf der Aufriss-Konferenz um 13 Uhr legen Chefredaktion und Ressortleiter fest, wo welcher Text in welcher Größe mit welchem Foto stehen soll. Bei der Süddeutschen Zeitung treffen sich die Wirtschaftsredakteure um 9.30 Uhr zur Konferenz, die Politikredakteure um 9.40 Uhr. Die Chef-Konferenz der Ressortleiter mit Chefredakteur Hans Werner Kilz dauert von 10 bis 10.30 Uhr, danach beginnt die große Konferenz mit der gesamten Redaktion.
Die wichtigste Konferenz beim Handelsblatt ist die Vormittagskonferenz von 10 bis 10.30 Uhr mit Chefredakteur Bernd Ziesemer und die Mittagskonferenz um 13.30 Uhr, denen diverse Ressortkonferenzen vorausgehen. Auch die Magazine, die nur wöchentlich erscheinen, versuchen nun das Thema für ihre Leser aufzufangen. Jeden Morgen um 11 Uhr trifft sich Chefredakteur Stefan Baron mit den Ressortleitern zur Nachrichtenlage. Montags erscheint das Blatt, Freitagabend ist Redaktionsschluss. Bis dahin nutzt die Redaktion jede Möglichkeit, aktuell und exklusiv ein Thema „herauszuhauen“. Nach ähnlichem Muster verfahren auch Stern (Donnerstag) und Spiegel (Montag). WELT am SONNTAG und BILD am SONNTAG machen sich sonntags breit und konkurrieren mit den Vorabmeldungen des Spiegels. In einigen Fällen nimmt die WELT am SONNTAG eine andere Vorabmeldung zum Anlass, die Nachrichten weiter zu drehen und mit eigenem Tenor als Aufmacher zu bringen. Der Nachrichtenmarkt ist schnell, unerbittlich und rau. Da kämpft jeder gegen jeden. Ein üppiger Skandal versorgt die „Meute“ zunächst ausreichend mit Informationsfutter, ehe dann die Schlacht um den letzten Bissen beginnt. Wenn nichts mehr da ist, müssen die Redaktionen eigene Themen konstruieren, um weiter vom Skandal zu profitieren.
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Wie aus Nachrichten Schlagzeilen werden Stellen Sie sich vor, Sie wären Chefredakteur von BILD-Zeitung, FAZ, Wirtschaftswoche, Spiegel oder Stern: Wie würden Sie den Fall des verhafteten Vorstandsvorsitzenden in den folgenden Tagen aufbereiten? Vorschläge: n BILD-Zeitung: Aufmacher Seite 1: „Schluss mit den Raffkes – Politiker fordern härtere Strafen“/Seite 2: Statements von wütenden Kleinaktionären, die nach dem Kurssturz um ihr Geld bangen. n FAZ: Feature Seite 3: „Ein Leben zwischen Moral und Profit: Deutschlands Unternehmer in einer Wertekrise“/1. Wirtschaftsseite: Reaktionen der Finanzmärkte. n Wirtschaftswoche: Titelgeschichte: „Die verspielte Chance – ein Unternehmen am Abgrund.“ n Stern: Reportage über das bizarre Leben des Vorstandsvorsitzenden mit Bildern des Beschuldigten in allen Lebenslagen (Urlaub, Beruf, auf Partys und Veranstaltungen). n Spiegel: Titelgeschichte: „Die korrupte Republik“/Beispiele von anderen Fällen/ Interview mit einem Ankläger einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft „Wirtschaftskriminalität“.
Die Negativberichterstattung ist etwa fünfmal stärker als die entlastende Berichterstattung.
Jeder Chefredakteur steht bei einem öffentlichen Interesse unter starkem Druck. Selbst wenn das Blatt keine Neuigkeiten bringen kann, muss es das Thema erwähnen, um Lesern Präsenz vorzugaukeln. Damit bleibt die Affäre künstlich am Leben und unterhält das Publikum mit einer Scheinaktualität.
Coppenrath & Wiese: Tod durch Torte? Europas größter Tiefkühl-Konditor Coppenrath & Wiese, Osnabrück, erhält Freitagabend, den 10. Januar 2003, die Nachricht, dass ein elfjähriges Mädchen möglicherweise durch den Verzehr der Torte „Feine Conditor Auswahl“ gestorben ist. Auch die Familie des Mädchens erkrankt, schließlich werden weitere erkrankte Personen bekannt. Sie klagen über Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Martin Möller, Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb, fürchtet einen beträchtlichen Imageschaden. Noch am selben Tag reagiert das Unternehmen. In 90 Minuten liegen die Ergebnisse interner Qualitätskontrollen der betroffenen Chargen vor. Das Ergebnis: Alle drei Kontrollen ergeben, dass die Sahnetorten die Produktionsstätte einwandfrei verlassen haben. Nicht ausschließen kann das Unternehmen allerdings Fremdeinwirkung. Jedenfalls
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Krise und Medien
entscheidet sich das Management im Sinne eines umfassenden Verbraucherschutzes zum bundesweiten Rückruf der Charge. Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert reibungslos: Vom Eingang der ersten Meldung im Ministerium bis hin zur medialen Verkündung des Produktrückrufs um 4.30 Uhr am nächsten Morgen vergehen keine sieben Stunden.
in der Krise keine Chance, eine breite und intensive Negativberichtstattung zu konterkarieren. Sie geraten immer tiefer in den Strudel.
Die Presse-Maschinerie läuft an. „Tot durch Torte?“, titelt die BILD, immerhin mit Fragezeichen. Am 11. Januar 2003 warnen die Medien vor den Verzehr der Torten. Das Unternehmen verfasst eine sachliche und offene Pressemitteilung, reagiert sofort auf E-Mails und führt innerhalb weniger Tage 250 Einzelgespräche mit Journalisten, Verbrauchern und Kunden. Trotz der rechtzeitigen und eindeutigen Entwarnung, dass der Tod des Mädchens definitiv nicht durch eine schadhafte Torte ausgelöst worden ist, berichten die Medien vom 12. bis 14. Januar 2003 mit großer Reichweite über die „gefährliche Torte“. Die vollständige Entlastung des Unternehmens in den Medien vom 15. bis 17. Januar 2003 fällt mit deutlich niedriger Reichweite aus. Die Negativberichterstattung ist etwa fünfmal stärker als die entlastende Berichterstattung. Gleichwohl konnte Coppenrath & Wiese aufgrund seiner professionellen Öffentlichkeitsarbeit Schlimmeres verhindern. Der Umkehrschluss lautet: Unternehmen ohne professionelle Öffentlichkeitsarbeit haben
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Krisenanalyse
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4. Krisenanalyse
„Um klarer zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“ Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944), französischer Schriftsteller
Das Ziel des Krisenmanagements ist es, schnellstmöglich und kompetent ein Problem zu lösen. Krisenbewältigung ohne Public Relations ist nicht möglich. Die Öffentlichkeitsarbeit ist das entscheidende Werkzeug, um Imageschäden zu reparieren. Nur bringt es gar nichts, mit Pauken und Trompeten in die Krisenschlacht zu ziehen. Wohlüberlegtes Denken in gebotener Schnelligkeit ist die Voraussetzung für gründliches Handeln. Das bedeutet: Ohne Analyse keine Strategie. Ohne Strategie keine Chance, Ziele zu erreichen.
Situationsanalyse Die Fragen überschlagen sich in einer Krise. Was ist passiert? Wie ist es passiert? Ist die Gefahr vorüber? Wer sagt was? Wie ist die Nachrichtenlage – und so weiter. Nehmen Sie sich auf jeden Fall die Zeit, alle notwendigen Informationen zu beschaffen, damit Sie die Krise mit Sachverstand (präzises Wissen) und Menschenverstand (emotionale Logik) angehen können. Wer nichts weiß, hampelt nur herum und macht alle noch nervöser. Analysieren Sie den Fall:
n Was ist konkret passiert? n Liegt tatsächlich eine Krise (Bedrohung) vor? Oder ist unser Unternehmen gar nicht betroffen? n Sind Menschen betroffen? n Gibt es weitere konkrete Gefahren für Menschen? n Gibt es bereits Erkenntnisse über eigene Fehler? n Sind Gegenmaßnahmen eingeleitet worden? n Sind Produkte oder Investments betroffen? n Ist das gesamte Unternehmen oder sind nur Unternehmensteile betroffen? Ein Sonderfall ist das (freiwillige) Delegieren von Verantwortung auf Polizei, Staatsanwalt oder Schlichter; dann ist eine fortlaufende Situationsanalyse nicht mehr möglich. Dass ein Unternehmen bei einem kriminellen Hintergrund die Polizei einschaltet, ist noch nachvollziehbar. In Deutschland aber neigen viele Konzernlenker dazu, überhastet die Polizei in einen Fall einzubeziehen – nicht, weil die Polizei dies wünscht oder fordert, sondern weil die Unternehmensleitung nicht in der Lage ist oder in der Lage sein will, den Sachverhalt aufzuklären. Verantwortung wird bewusst abgeschoben. Um es banal auszudrücken: Da will sich keiner die Hände schmutzig machen. Für den Kommunikationsmanager entsteht damit eine komplizierte Situation: Er ist nicht mehr im Vollbesitz aller Informationen, muss aber gegenüber Medien und Öffentlichkeit weiter präsent
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Krisenanalyse
sein. Wenn er immer nur sagt: „Wir wissen nichts. Das ist Sache der Polizei“, bringt er sich zwangsläufig in die Defensive. Das Dilemma ist jedenfalls offensichtlich: Ohne klare Situationsanalyse keine klare Kommunikationsstrategie.
Medienanalyse Ohne Medien keine öffentliche Krise. Sie bestimmen mit ihrer Berichterstattung Tempo und Umfang einer Krise. Krisenmanagement bedeutet, den Informationsfluss zu erkennen, zu bewerten und zu steuern. Das heißt: Wenn eine für das Unternehmen unbedeutende Zeitung eine negative Meldung über Bilanzmanipulationen verfasst, kann es unter Umständen richtig sein, darauf nicht zu reagieren, wenn die Presseagenturen oder andere Zeitungen diesen Fall nicht aufgreifen. Vermeiden Sie unnötigen Wirbel. Differenzieren Sie. Beantworten Sie diese Fragen: n Welche Anfragen von Journalisten gibt es? n Entwickeln die Nachrichten eine eigene Dynamik oder reicht es aus, die Medien im Auge zu behalten? n Welche Medien bestimmen die Berichterstattung? n Welche Journalisten sind die Meinungsführer? n Wie berichten Sie (ausführlich, objektiv, subjektiv)? n Sind die Leser der Zeitung für uns wichtig? n Wie berichten die Nachrichtenagenturen?
n Wie berichten Radio und TV-Sender? Nun können Sie ad hoc die Nachrichtenlage einschätzen. Bleiben Sie jetzt am Ball, verdichten Sie permanent Ihr Wissen und beantworten diese Fragen: n Wie sind die Artikel platziert (Aufmacher oder kleine Meldung)? n Besondere Stilmittel (Interview, Feature, Reportage, Kommentar)? n Verändert sich die Berichterstattung tendenziös positiv oder negativ? n Welche Gegenpositionen (Betriebsrat, Politiker, Interessengruppen) kommen zu Wort? Jetzt haben Sie alle notwendigen Informationen, um die mediale Wirkung erschöpfend zu beurteilen. Dieses Rüstzeug ist wesentlich zur Bekämpfung einer Krise. Wer diese Informationen nicht hat, läuft Gefahr, die Krise zu verniedlichen oder aufzubauschen. Verniedlichung bedeutet Provokation, Aufbauschen bedeutet Dummheit. Provokantes und dummes Verhalten wird bestraft. Damit fördern Sie die Jagdinstinkte der Journalisten.
Internetanalyse Das Internet ist ein schnelles und gefährliches Medium: Interessengruppen können sich mit geringem Aufwand im Netz organisieren, dort Stimmung machen und zum Boykott der Unternehmen aufrufen.
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Krisenanalyse
Vorsicht auch vor kritischen Weblogs: Gegner richten im Internet eine Protestseite ein, auf der die Leser ihre Meinung sagen können: Spöttisch, sachlich, emotional – alles ist erlaubt. Dadurch entsteht eine Öffentlichkeit außerhalb der Medien. Auf Medien können Sie gegebenenfalls mit Argumenten einwirken, auf Weblogs kaum. Gleichwohl müssen Sie im Falle einer solchen Seite das Meinungsspektrum kennen. Sie erhalten dadurch einen ergiebigen Fundus über die Stimmungslage bestimmter Konsumenten oder Gruppen – und können dieses Wissen in Ihre Kommunikationsstrategie integrieren. Schauen Sie bitte auch regelmäßig in die Websites maßgeblicher Organisationen und Institutionen, um deren Meinungen (Pressemitteilungen, Statements) zu Ihrem Unternehmen kennen zu lernen.
Kein Medium hat sich in Deutschland so rasant verbreitet wie das Internet. Seit Ende April 1993, als das Europäische Labor für Teilchenphysik den www-Standard freigab, entwickelt sich das Internet zum Massenmedium. Inzwischen sind rund 36 Millionen Deutsche im Netz. Dies entspricht 55 Prozent aller Erwachsenen über 14 Jahre.
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Krisenanalyse bei Coca-Cola: Käuferboykott in Amerika n Situation Als die 54.000 Studenten der University of Michigan Anfang 2006 aus dem Weihnachtsurlaub zurückkommen, können sie an ihrer Uni keine Coca-Cola trinken. Die Automaten mit dem uramerikanischen Getränk sind leer. Die Hochschule verbietet den Verkauf auf ihrem Campus. Damit tritt bereits die zehnte Universität in Amerika in Coca-Cola-Streik. Mit diesem Boykott reagieren die Hochschulen auf massiven Druck von Protestgruppen, die sich aus allen Teilen der USA gegen den Brausegiganten zusammengefunden haben. Sie werfen dem Konzern vor, in verschiedenen Regionen Indiens für Pestizidverseuchungen, sinkende Grundwasserspiegel, extreme Trockenheit und Not der dortigen Dorfbevölkerung verantwortlich zu sein. Außerdem behaupten sie, Coca-Cola sei an der Ermordung von sieben Gewerkschaftsführern in Kolumbien beteiligt gewesen und habe Dumping-Löhne eingeführt. „Murder – It´s the real thing“ lautet der bissige Slogan ihrer Kampagne gegen „Killer-Coke“. Das Unternehmen sitzt offenbar in der Imagefalle – und das kann gefährlich sein. Der Umsatzverlust an den Universitäten spielt keine Rolle. Entscheidend ist der Imageverlust, wie das Unternehmen freimütig einräumt. Denn Coca-Cola ist die bekannteste und einer der wertvollsten Marken der Welt. Damit das so bleibt, muss das Unter-
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Krisenanalyse
nehmen mit Nachdruck seine Reputation schützen. n Krisenpsychologie: Ohnmacht Das Unternehmen ist irritiert, verwundet – es kann nicht so recht begreifen, was da mit ihm geschieht. Es setzt sich mit Dementis und dem Hinweis auf das Fehlen wissenschaftlicher Beweise zur Wehr. n Krisenwirkung: Solidarisierung Der Protest steckt Studenten anderer Universitäten an. Außerdem besteht die konkrete Gefahr, dass sich andere gesellschaftliche Gruppen der „Rebellion“ anschließen.
n Krisenart: Schleichkrise Sie kommt langsam, so langsam, dass man sie nicht ernst nimmt. Die Vorwürfe gegen Coca-Cola sind schon seit längerem bekannt, bereits im November 2004 reicht eine Studentengruppe der University of Michigan eine offizielle Beschwerde bei der Verwaltung der Hochschule ein und verlangte, sie solle ihren 1,4 Millionen Dollar schweren Vertrag mit dem Getränkehersteller auflösen.
n Krisentrend: Verletzung der Menschenrechte, Ausbeutung Die Beachtung von Menschenrechten und Sozialnormen stehen für eine wertorientierte Unternehmensführung, ihre Verletzung provozieren Kaufverweigerung und Rufschädigung. n Krisengene: Zeit, Dynamik, Information, Bewusstsein Es darf unterstellt werden, dass der Konzern die Studenten nicht ernst genommen hat, denn wie sonst konnte sich in nur 13 Monaten eine wirksame Protestgruppe gegen Coca-Cola etablieren. Nun wird es schwer, die entstandene Dynamik der Krise zu brechen. Studenten sind gefährliche Gegner, weil sie intellektuell und emotional argumentieren, Jugend und Aufbruch symbolisieren – und damit per se interessant für die Medien sind.
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Richtiges Verhalten in der Krise
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5. Richtiges Verhalten in der Krise
„Leute, die sich die Finger verbrennen, verstehen nichts von dem Spiel mit dem Feuer.“ Oscar Wilde (1854 -1900), irischer Schriftsteller
Die entscheidende Frage lautet: Sind Sie ein Krisenentschärfer oder ein Krisenverschärfer? Wundern Sie sich bitte nicht über diese Frage, vermutlich sind Sie der Meinung, dass es doch irrsinnig ist, eine Krise noch zu verschärfen. Richtig, aber wir Menschen ticken nicht nur nach den Geboten der Vernunft, leider schwingen auch Emotionen, Dickköpfigkeit und Leichtsinn mit. „Nicht die Krise ist das eigentliche Problem, sondern der oft amateurhafte Umfang mit der Situation und ihren Folgen“, sagt Tom Bender, Kommunikationschef der Deutschen Fußball-Liga.
Die Krisenverschärfer Die Krise macht, was sie will. Richtig. Die Krise macht, was Sie wollen. Auch richtig. Die Frage ist nur, ob Sie die Krise eingrenzen oder durch Ihr Verhalten verschärfen. Durch Fehler, Nachlässigkeiten und Übertreibungen kann aus der beherrschbaren Krise eine unberechenbare Krise werden. Das Münchhausen-Syndrom Sie sind nur dann ein guter Lügner, wenn Sie die Lüge dauerhaft durchhalten und andere die Wahrhaft nicht erfahren. Ab-
gesehen von der charakterlichen Eignung eines Lügners, lehrt uns das Leben, dass die Wahrheit immer stärker ist als die Unwahrheit. Unternehmen sind ohnehin anfällig für Entdeckungen. Die spezielle Situation von Mitarbeitern (Karriere, Abstieg, Mobbing, Neid, Ungerechtigkeit) können zu kompromittierendem Verhalten führen. Journalisten oder Finanzbeamte erhalten ihre Informationen vor allem aus dieser Klientel. Platzt eine Lüge, verliert das Unternehmen dramatisch seine Glaubwürdigkeit und multipliziert damit seinen Reputationsschaden. Eine Lüge kann auch ein juristisches Nachspiel haben, wenn n die Ursache einer Krise wissentlich falsch oder nur unvollständig aufgeklärt worden ist; n unschuldige Menschen verdächtigt und damit vorverurteilt worden sind; n Geschädigte keine Wiedergutmachung erhalten haben und n der Aktienkurs künstlich aufgeblasen worden ist. Nicht immer ist es möglich, die Wahrheit zu sagen. Dann müssen Sie leider sagen, dass das Unternehmen nichts sagen kann. Aber Lügen sollten Sie vermeiden. Wann ist eine Lüge eine Lüge? Die Frage ist ernsthafter als Sie meinen. Denn eine Lüge ist mehr als die bewusste Unwahrheit. Die Lüge beginnt schon mit der Verdrehung von
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Tatsachen, um die Krise weniger schlimm darzustellen. Jede Form der Schönfärberei entspricht nicht der Wahrheit. Wahrheit, Lüge oder Schönfärberei Eins plus eins ist zwei. Das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Drei mal vier minus zehn ist zwei. Das ist zwar die Wahrheit, aber der Weg zur Wahrheit soll bewusst kompliziert sein, um von weiteren Nachfragen abzulenken. Eins plus eins ist drei: Das ist eine Lüge. Eins plus eins ist weniger als 111 minus 109: Das ist Schönfärberei.
Denken Sie daran: Nur die Wahrhaftigkeit ist der Freund des Guten. Sagen Sie nicht, sie müssten die Wahrheit mit Rücksicht auf das Unternehmen oder den Geschäftsführer verbiegen. Dann soll er selbst lügen und sich beschädigen. Die veranlasste oder erzwungene Lüge ist besonders schäbig. Das Vogel-Strauß-Syndrom Den Kopf in den Sand stecken bedeutet, eine Gefahr nicht sehen zu wollen. Bereits im Altertum sagte man dem Strauß fälschlicherweise nach, dass er bei Gefahr seinen Kopf unter die Flügel oder in den Sand steckt, um so der Gefahr zu entgehen. Der Krisenmanager entgeht nicht der Gefahr, wenn er einfach wegguckt. Weggucken bedeutet, die Krise sich selbst zu überlassen. Schon das Leugnen von möglichen Krisengefahren bedeutet eine gefährliche Gleichgültigkeit.
Es passt auch nicht zusammen: Auf der einen Seite die aktive Krise, auf der anderen Seite der passive Mensch. Aufgabe des Krisenmanagers ist es, den Regelkreislauf aus Ursache und Wirkung zu unterbrechen. Vogel-Strauß ist ein Typ, der mit neurotischer Gelassenheit eine negative Entwicklung hinnimmt, weil er nicht die Kraft hat, die Folgen zu erkennen oder nicht den Willen hat, die Folgen zu bekämpfen. Wegschauen ist auch eine Form der Selbsttäuschung. Manager von erfolgreichen Unternehmen können sich manchmal gar nicht vorstellen, dass ihrem starken, selbstbewussten und geschätzten Unternehmen etwas passieren könnte. Selbst wenn etwas passiert, sagt ihnen das Unterbewusstsein: „Wir sind ja stark, uns kann gar nichts passieren.“ Die aufkommenden Proteste und negativen Presseartikel bestärken den Vogel Strauß in seinem Tun. Weil er die Gefahr nicht sehen will oder sie nicht akzeptiert, guckt er weg. Damit provoziert er die Öffentlichkeit, die wiederum das Krisenunternehmen zunehmend unter Druck setzt. Das Zappelphilipp-Syndrom Kommunikationsmanager, die in einer Krise die Journalisten permanent mit Pressemitteilungen ohne neue Fakten zuschütten, leiden unter dem Zappelphilipp-Syndrom. Sie haben das Gefühl, sie müssten sich pausenlos äußern, nur weil das Unternehmen kritisiert wird. Sie haben nicht die Geduld und auch nicht die Ruhe, die Lage zu analysieren und jeden Schritt sorgsam zu planen. Was soll
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ein Journalist mit einer Pressemitteilung anfangen, in der keine neuen Fakten stehen? In den Papierkorb werfen! Vielleicht aber denkt sich der Journalist erst jetzt: „Wenn das Unternehmen sich so häufig meldet, hat es sicherlich ein größeres Problem“ – und rollt den Fall noch einmal auf.
Aktionismus ist ein unreflektiertes, zielloses Handeln ohne Konzept. Es verbraucht viel Kraft für eine relativ geringe Wirkung. Der Hauptzweck von Aktionismus besteht darin, den Anschein von Untätigkeit oder Überforderung zu vermeiden oder zu vertuschen. Aktive Menschen wissen, welche Kraft sie für ein Ziel investieren müssen. Sie handeln intelligent.
Der Zappelphilipp-Manager verbreitet eine unproduktive Unruhe. Er macht und tut, beruft Sitzungen ein, diskutiert und ist am Abend wohl der irrigen Meinung, dass er mit der Ruhe eines Schachspielers seine Gegner schachmatt gesetzt hat. Die Krise aber ist ein raffinierter Gegner, einschmeichelnd, aggressiv, langsam und dann wieder schnell. Es macht keinen Sinn, auf jeden Haken sofort zu reagieren. Wer immer nur reagiert oder so tut, als würde er reagieren, hechelt der Wirklichkeit hinterher. Nur wenn der Krisenmanager in der Lage ist, das Tempo der Krise zu verringern und mit eigenen Themen in eine andere Richtung zu lenken, hat er die Chance auf Erfolg. Der Zappelphilipp ist dazu nicht in der Lage.
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Das Chaos-Syndrom Eine Krisenkommunikation ohne inhaltliche und zeitliche Ordnung (stringente Argumente für die richtige Zielgruppe zur rechten Zeit) führt zu Chaos. Diese Unordnung ersetzt Strategie durch Zufall. Die Auswüchse des Chaos-Prinzips lauten: n Widersprüchliche Aussagen. n Unterschiedliche Aussagen gegenüber verschiedenen Gruppen. n Zusagen können nicht eingehalten werden. Das Chaos verstärkt den Vertrauensverlust, weil keiner mehr durchblickt und alles quer läuft. Der Chaot hat sich völlig verrannt, seine Aufbau- und Ablauforganisation ist nicht mehr in der Lage, die Krise wirkungsvoll zu managen. Ständig rufen Journalisten an, aber die Leitungen sind besetzt oder der zuständige Pressesprecher ist auf einer „wichtigen“ Sitzung, es fehlen Sprechzettel mit einheitlichem Statement oder in der Abteilung weiß die Rechte nicht, was die Linke tut. Dieses Durcheinander am ersten Tag Krise zählt zu den häufigsten Fehlern Krisenkommunikation. Der militärisch plante und umgesetzte Feldzug gegen Krise ist eine Ausnahme.
der der gedie
Das Monster-Syndrom Wer Opfer in Frage stellt, ist ein Monster. Das tut man einfach nicht. Wenn sich „Täter“ mit Opfern anlegen, gebührt ihnen zu Recht erhebliche Kritik. Das Unternehmen hat dem Geschädigten seine Referenz zu er-
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weisen. Dies ist ein Signal der Menschlichkeit, der gesellschaftlichen Verantwortung und entspricht im Übrigen der praktischen Vernunft. Selbst wenn die Schuld des Unternehmens noch gar nicht bewiesen ist, empfiehlt sich ein sachlich-offener Dialog mit dem vermeintlichen Opfer. Denn in dieser Phase der Krise stehen die Medien auf der Seite des Schwächeren. Besonders Boulevardblätter personalisieren das vermeintliche Opfer und skandalisieren den vermeintlichen Täter. Diese Rollenverteilung ist gottgewollt. Nehmen Sie das erst einmal hin. Sie haben keine Chance, dies zu verhindern. Das Jura-Syndrom In einigen Fällen mag die juristische Auseinandersetzung (Strafanzeige, Schadensersatzforderungen) nicht zu vermeiden sein, etwa bei übler Nachrede mit einem konkreten Vermögensschaden. In den meisten Fällen ist sie aber kontraproduktiv. Denn während eines Konfliktes nutzt es gar nichts, dass in einigen Monaten eine juristische Rechtfertigung folgt. Außerdem verhärtet die Drohung mit der juristischen Keule die Fronten. Oder noch schlimmer: Sie führt erst dazu, dass der Fall einem größeren Publikum bekannt wird. Das wäre eigenwillig dumm. Selbst wenn das Unternehmen den Prozess gewinnt, ist nicht garantiert, dass davon die Reputation profitiert. Das Unternehmen mag der Gewinner sein, aber ist es auch sympathisch? Ist seine Klage verständlich und nachvollziehbar? Schaffen Klage und Prozess eine positive Resonanz? Manchmal
ist die Faust in der Tasche besser aufgehoben als donnernd vor einem Gericht. Das Politik-Syndrom Für Politiker ist das Aussitzen von Problemen eine Überlebensfrage. Sie erfordert Standhaftigkeit, viele Freunde und ein mangelndes Unrechtsbewusstsein. Der Aussitzer vertraut darauf, dass sich der Fall irgendwann einmal ohne Beschädigung seines Ansehens auflöst. Für Manager ist diese Strategie nicht nur gefährlich, sondern kaum durchführbar. Die Gesetzmäßigkeiten für politisches und unternehmerisches Handeln sind grundlegend verschieden. In der Politik agieren Politiker, Funktionäre und alle vier Jahre auch die Wähler. Unternehmer (Manager) befinden sich in einer permanenten Interaktion mit potenziellen Kunden, Stakeholdern und Shareholdern. Außerdem haben Politiker in der öffentlichen Wahrnehmung sozusagen ein Gewohnheitsrecht auf das Aussitzen von Kritik. Ein Unternehmensführer müsste sich in der gleichen Situation vorwerfen lassen, er würde die Meinung seiner Kunden missachten. So ein Verhalten strafen die Medien sofort ab. Das Politik-Syndrom lähmt jeden Versuch, Reputation und Liquidität nachhaltig offensiv zu schützen. Damit verpasst der PR-Manager die Chance, kritische Meinungen offen anzunehmen und sie in die strategische Planung zu integrieren. Er riskiert eine Eskalation der Krise. Bricht sie aus, hat er verloren. Bricht sie nicht aus, hat er nicht gewonnen. Denn Archive lügen nicht. Irgendwann kommt das unbereinigte Problem wieder auf
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den Tisch. Je früher also der Konflikt bereinigend ausgestanden ist, desto berechenbarer die Zukunft.
Die Krisenentschärfer Handeln Sie klug, angemessen und umsichtig. Dann haben Sie die besten Chancen, die Krise in den Griff zu bekommen und aus den Problemen sogar einen Imagenutzen zu ziehen. Die Kommunikationsstrategie Für die erfolgreiche Krisenbewältigung sind die ersten Maßnahmen extrem wichtig. Sie müssen den Konflikt isolieren, eindämmen und ihn vom Rest des Unternehmens so gut wie möglich fernhalten. Es wäre ja verrückt, ein ganzes Unternehmen mit einer Krise zu infizieren, obwohl nur ein kleiner Bereich davon betroffen ist. Prüfen Sie genau, wie breit Sie die Krisenkommunikation anlegen. Wecken Sie keine schlafenden Hunde. Je breiter sie Ihre Informationspolitik anlegen, desto ausführlicher die Berichterstattung. Dies kann zu einer Eskalation der Krise führen. n Zeitpunkt der ersten Reaktion Die Frage, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt Sie auf die Krise reagieren, ist ein sensibles Unterfangen. Melden Sie sich zu früh, können Sie aufgrund mangelnder Informationslage kalt erwischt werden. Sie müssen notgedrungen mit dürftigen Informationen arbeiten und treffen deshalb nicht die Erwartungshaltung der Journalisten. Dadurch könnte der Eindruck entste-
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hen, dass Sie blocken, etwas verheimlichen wollen. Melden Sie sich später zu Wort, entsteht ein kritisches Informationsvakuum. Die laufenden Nachrichten enthalten negative Tatsachen und Bewertungen, die Sie zu Lasten des Unternehmens hinnehmen. Journalisten stellen nicht die Arbeit ein, nur weil ein Kommunikationsmanager schweigt. Nachrichten entwickeln sich automatisch weiter. Entscheiden Sie nach Ursache und Umfang der Krise, ob es ratsamer ist, erst nach einer umfassenden Prüfung der Ereignisse sicher, klar und umfassend zu kommunizieren. Stellt sich die Faktenlage als umfangreich und kompliziert dar, könnten Sie gleichwohl gezwungen sein, schon vor dem Abschluss der Untersuchungen eine erste Stellungnahme über die aktuell verfügbaren Informationen herauszuschicken – auf jeden Fall mit dem Hinweis, dass die Untersuchungen voll im Gange sind und dass die Öffentlichkeit laufend informiert wird. Damit signalisiert das Unternehmen Interesse, Engagement und Besorgnis. n Nach der ersten Reaktion Nach der ersten Stellungnahme haben Sie erst einmal Ihre Pflicht getan. Die Journalisten haben ihr Futter, schauen Sie, was jetzt passiert. Es ist gut möglich, dass das öffentliche Interesse rasch nachlässt oder völlig abflaut. Wenn die Journalisten erkennen, dass der Fall nichts hergibt oder neue, andere Ereignisse in den Vordergrund drängen, dann sollten Sie sich erst recht zurückhalten. Leider entwickelt so mancher Kommuni-
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kationsmanager das falsche Gefühl für die Situation. Das gewaltige – ungewöhnliche – Medieninteresse emotionalisiert ihn derart, dass er aus dieser Gefühlsfalle nicht herauskommt. Er denkt, er müsse handeln, informieren, etwas machen, um sein Unternehmen zu schützen. Er verschickt weitere Pressemitteilungen und merkt gar nicht, dass er damit das Thema unnötig präsent hält. Besser: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Geben sich Journalisten nach der ersten Stellungnahme, die sachlich und informativ verfasst worden ist, nicht zufrieden, dann müssen Sie das für eine angemessene Zeit so hinnehmen. Lassen Sie sich nicht von der Hektik des Medienbetriebs anstecken. Was sollten Sie auch machen? Sie können keine Wischi-Waschi-Erklärung herausschicken, nur um den Nachrichtenfluss am Laufen zu halten. Die Ernsthaftigkeit einer Situation erfordert eine ernsthafte Kommunikationspolitik. Die Krise ist keine Kirmes, sondern ein Konflikt, der sich nicht mit den „Spielregeln“ der Journalisten lösen lässt. Sie müssen zwar wissen, wie der Medienbetrieb funktioniert und wie Journalisten arbeiten, aber Sie sind Medienpartner, nicht Mediensklave. Sie tun das, was dem Unternehmen nutzt. n Die „Nummer eins“ schützen In einer Krise gieren die Medien nach der „Nummer eins“. Der Vorstandsvorsitzende oder Geschäftsführer soll sich äußern, um der Krise ein Gesicht zu geben. Abstrakte Geschichten über das Unternehmen sind
natürlich nicht so prickelnd wie über Personen. Es ist ein großer Unterschied, ob in der Zeitung steht: „Wilmes AG entlässt 1000 Mitarbeiter“ – oder „Vorstandschef Wilmes: Gewinne statt Mitarbeiter“. Personalisierte Geschichten fördern Wut, Protest und Verständnislosigkeit. Ein vorschneller Auftritt der “Nummer eins“ kann dazu führen, dass sie bei einer Veränderung der Faktenlage oder Richtigstellung ihre Glaubwürdigkeit verliert. Sie wird mit der Krise und nicht mit der Lösung der Krise in Verbindung gebracht. Deshalb ist es in den meisten Fällen ratsam, den Auftritt zeitlich und inhaltlich mit einer Vorwärtsstrategie zu verbinden: „Problem erkannt – Lösung wirkt“. Die Vermittlung dieses GewinnerImages stärkt das gesamte Unternehmen. Der Chef personalisiert Lösungskompetenz und relativiert das eigentliche Problem. Der Fall Mercedes Benz Am 23. September 1997 testen Mitglieder der Jury „Auto des Jahres“ die A-Klasse von Mercedes-Benz. Bei einem Ausweichmanöver heben die Räder bei 55 Stundenkilometer ab. Am 21. Oktober 1997, drei Tage nach der Marktfeinführung, macht der schwedische Automobiljournalist Robert Collin eine Probefahrt, bei dem das Auto mit 60 Stundenkilometern ins Schleudern gerät, zur Seite kippt und sich überschlägt. Es folgt eine massive und nicht nachlassende Medienoffensive. Das Unternehmen zögert und zaudert, beschuldigt andere, will von eigenen Fehlern nichts wissen, ehe PKWVorstand Jürgen Hubbert am 29. Oktober
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1997 Fehler einräumt, Entschuldigungen ausspricht und Lösungen verspricht. Erst nach der vollständigen Klärung des Falls tritt Konzernchef Jürgen Schrempp am 11. November 1997 vor die Presse. Er findet den richtigen Ton zwischen Selbstkritik und Lösungskompetenz. Seine Worte: „Wir nehmen die öffentliche Kritik und vor allem die Sorgen unserer Kunden sehr ernst. Dass bei Extremtests die A-Klasse eine Schwäche gezeigt hat, bedauert niemand mehr als wir. Unsere Ingenieure haben Tag und Nacht mit aller Energie nach einer optimalen Lösung gesucht. Wir haben sie gefunden. Wir wollen kein Fahrzeug ausliefern, von dem wir heute nicht wissen, dass wir es noch besser bauen können.“ Ein vorzeitiger Auftritt der „Nummer eins“ vor der vollständigen Klärung des Sachverhalts ist angemessen und notwendig in einer schwerwiegenden Situation. Wenn Mitarbeiter während ihrer Arbeit ums Leben kommen oder im Ausland entführt werden, wenn Babys nach dem Genuss des Milchbreis ins Krankenhaus müssen oder Massenentlassungen drohen. In solchen Fällen kann die „Nummer eins“ mit ihrem Auftritt ein Zeichen der Menschlichkeit setzen, Mut und Beileid aussprechen oder grundsätzliche, erläuternde Erklärungen abgeben. Der Auftritt von Führungskräften unterer Hierarchiestufen würde in einem dieser Fälle den Eindruck vermitteln, dass das Unternehmen die Situation unangemessen herunterspielt oder die Bedeutung nicht erkennt. Ein solcher Eindruck wäre fatal.
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Die „Nummer eins“ schützen bedeutet aber auch, sie umfassend und schnell zu informieren. Dazu folgender wahrer Fall: Während der Vorstandsvorsitzende einer deutschen Aktiengesellschaft auf Sylt Urlaub macht, eskaliert daheim im Rheinland eine Krise. Es heißt, Menschen seien durch die Einnahme des Produktes zu Tode gekommen oder schwer erkrankt. Die Zulassungsbehörden verbieten das Produkt, der Börsenkurs bricht ein – und der Vorstandsvorsitzende ist noch immer auf Sylt. Die Medien verstehen nicht, weshalb der Mann Urlaub macht, wo doch zu Hause die Bude brennt. Später stellt sich heraus, dass er das Ausmaß der Krise von seiner Ferieninsel aus falsch eingeschätzt hat. Er wurde zu spät und zu spärlich informiert. So etwas darf natürlich nicht passieren. Die Medienstrategie In Deutschland erscheinen täglich rund 200 Hauptausgaben deutscher Tageszeitungen und über 600 Unterausgaben. Durch diesen Berg von Publikationen kann man sich in einer Krise keinen Überblick verschaffen. Wichtiger ist es, Schlüsselpublikationen auszumachen und auf wichtige Journalisten zuzugehen. Zunächst einmal: Untersuchungen belegen, dass die Regionalzeitung ausführlich über das Krisenunternehmen in ihrem Gebiet berichtet und die meisten wörtlichen Zitate abdruckt. Die Gründe liegen auf der Hand. Die räumliche Nähe und die Bedeutung des Unternehmens für die Region fordern geradezu eine journalistische Betreuung dieses wichtigen Arbeitgebers. Die Journalisten
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sind mit der Geschichte, den Produkten und Eigenarten des Unternehmens bestens vertraut. Es versteht sich von selbst, dass diese Zeitungen für die Krisenkommunikation von großer Bedeutung sind. Gehen Sie auch auf Presseagenturen und Medien zu, die ausführlich über den Fall berichtet haben. Diese Journalisten sind ohnehin im Geschäft und müssen daher in den aktiven Dialog eingebunden werden. Gewinnen Sie Meinungsmacher. Die meisten Journalisten schreiben voneinander ab. Nur ein paar wenige steuern mit ihren Recherchen das öffentliche Meinungsbild. Das sind die Könige der Zunft. Nun prüfen Sie sehr genau, welche Zeitungen für das bestehende Problem noch wichtig sind – ist es die Fachzeitschrift, eine Wirtschaftszeitung oder ein Verbandsblatt? Noch einmal: Wecken Sie keine schlafenden Hunde. Tun Sie alles, damit das Thema nicht unnötig nach oben schäumt. Die zehn wichtigsten Journalisten, die Sie für die Krisenkommunikation identifiziert haben, sollten Sie intensiv „betreuen“. n Rufen Sie bei Anfragen auf jeden Fall zurück (das gehört sich generell). n Beantworten Sie die Fragen ausführlich – wenn Sie nichts Wesentliches sagen können, dann holen Sie einfach weiter aus, um erst gar nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, dass Sie nichts sagen wollen.
n Organisieren Sie mit dem Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzenden zu gegebener Zeit Hintergrundgespräche und zitierbare Interviews. n Veranstalten Sie mit einer kleinen Journalistengruppe ein Abendessen mit dem Vorstand, um Vertrauen aufzubauen. n Organisieren Sie eine Betriebsbesichtigung, um die Leistungskraft des Unternehmens augenscheinlich zu vermitteln. Wichtig ist, dass Sie wendig, schnell und kreativ sind. Gehen Sie neue Wege. Mit Langeweile, Trübsinn und „Das-war-immer-soAllüren“ gewinnen Sie keine Journalisten. Machen Sie es dem Journalisten mit einem sympathischen und ehrlichen Verhalten möglichst schwer, eine negative Geschichte über das Unternehmen zu schreiben. Aber versuchen sie nicht, ihn von einer Geschichte abzuhalten. Erstens klappt das nicht, zweitens ist das peinlich und drittens geht der Schuss meistens nach hinten los. Die Dialogstrategie Das Unternehmen reagiert umgehend und nimmt Kontakt mit den betroffenen Menschen und Gruppen auf. Es zeigt damit Betroffenheit (kein Schuldeingeständnis) und demonstriert den Willen zur Aufklärung. Das Unternehmen sammelt die Argumente und verspricht fortlaufende Informationen und Gespräche. Mit diesem Vorgehen verhindert das Krisenmanagement eine Eskalation. Die Menschen fühlen sich ernst genommen und können darauf hoffen, dass sich ihre negati-
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ve Situation verändert. Stellt sich nach dem Gespräch heraus, dass die Kritik berechtigt ist, bietet das Unternehmen den Geschädigten eine angemessene Wiedergutmachung an und kündigt eine Verbesserung der Produkte oder der Sicherheit an. So kann aus einer Krise sogar ein Imagenutzen werden. Die Dialogstrategie erfordert Sensibilität und Demut. Manager, die vor lauter Kraft nicht gehen können, sollten lieber in ihrer Firma bleiben und keine Gespräche führen. Wer sich mit einem Betroffenen an den Tisch setzt, der muss erst einmal zuhören. Es ist nicht die Stunde der flinken Argumente und der vorschnellen Rechtfertigung. Es ist die Stunde der Rechtschaffenheit. Das erwarten nicht nur die mutmaßlichen Opfer, sondern auch die Öffentlichkeit. Die Humorstrategie Eine Krise ist nicht zum Lachen. Ich weiß. Aber ein Witz beginnt oft mit einer Krise und endet mit einer lustigen Pointe. Die Mutter ruft den Arzt an: „Hilfe mein Sohn hat Zement gegessen, was soll ich tun?“ Der Arzt: „Geben Sie ihm vorerst nichts zu trinken.“ Und noch ein Witz: Schon kurz nach dem missglückten „Elch-Test“ der MercedesA-Klasse kursieren die ersten Witze. Einer davon lautet: „Warum heißt die A-Klasse A-Klasse? Weil die Fahrer in der Kurve ´AAAA´ sagen – und wenn sie durch die Kurve durch sind, ´Klasse´.“ Weil es unmöglich ist, gegen einen Witz anzukommen, hat Mercedes den Humor für die eigene Strategie genutzt, indem es in jeden ausgelieferten Wagen einen Elch
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als Maskottchen gehängt hat. Dieser humorvolle Umgang mit dem „Elch-Test“ eröffnet neue Chancen für den Imagetransfer: Aus Spott wird Witz, aus Witz wird Spaß. Wenn Konsumenten über eine Idee lachen, weil sie witzig ist, dann ist die Idee unschlagbar raffiniert. Immer geht es darum, mit einer Kritik spielerisch umzugehen und negative Stimmungen mit einem „Lächeln“ aufzufangen. So viel Mut und Raffinesse hätte man der Deutschen Bank nach der Peanutsaffäre ihres Vorstandsvorsitzenden Hilmar Kopper auch gewünscht. Zur Erinnerung: Nach der Flucht des Bauunternehmers Jürgen Schneider hatte Kopper den Verlust für die Deutsche Bank als Peanuts bezeichnet, während viele Handwerksbetriebe um ihre Existenz bangten. Die Folge: Heftige Reaktionen und wütende Proteste gegen die Arroganz einer Großbank.
Witzig sein bedeutet nicht, sich auf Kosten anderer lächerlich zu machen oder sie in ihren Gefühlen zu verletzen. Witzig sein bedeutet, das positive Gefühl der Menschen zu treffen.
Die Deutsche Bank hätte den Unmut mit Humor auffangen können, indem sie zum Beispiel in ihren Filialen gläserne Behälter mit Nüssen aufgestellt hätte. Aufschrift: „Wir mögen Peanuts. Bitte bedienen Sie sich.“ Die Humorstrategie funktioniert nur dann, wenn ein starkes Unternehmen sich einen Lapsus erlaubt hat. Unternehmen, die im öf-
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fentlichen Bewusstsein als schwach gelten, machen sich mit einem Witz nur lächerlich und ernten Mitleid. Selbstverständlich muss der Witz auch einen direkten Bezug zur Krise, zum Missgeschick haben. Aber es gibt eindeutige Grenzen für die Humorstrategie: n Niemals bei Schicksalsschlägen (Tod, Krankheit, Arbeitslosigkeit) n Niemals bei moralischer Fragwürdigkeit (Erotik, Abtreibung) n Niemals bei Fragen des Glaubens (Religionsgemeinschaften) n Niemals bei Fragen von Minderheiten (Behinderte, Ausländer, Hautfarbe)
Witz erfordert Feingefühl und Charakter. Witzig sein bedeutet nicht, sich auf Kosten anderer lächerlich zu machen oder sie in ihren Gefühlen zu verletzen. Witzig sein bedeutet, das gute Gefühl der Menschen zu treffen. Die Ablenkungsstrategie In der ersten Phase der Krise – das Erkennen und Bewerten des Schadens – ist es kaum möglich, davon abzulenken. Möglich aber ist in vielen Fällen, die Krise zu relativieren, das heißt, den negativen Vorfall mit positiven Nachrichten (mehr Arbeitsplätze, neue Produkte, Gewinnprognosen) zu verbinden. Aber bitte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Priorität hat die exakte Schilderung des Vorfalls, erst danach können Sie deutlich machen, dass das Unternehmen trotz der Krise
wettbewerbs- und leistungsfähig ist – und greifen Sie ruhig auf die Vergangenheit zurück, um die Bedeutung des Unternehmens in einen geschichtlichen Kontext zu stellen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde eine negative Nachricht das gesamte Unternehmen aus dem Rhythmus bringen. Relativieren heißt nicht bagatellisieren. Relativieren heißt, Stärken stärken, Schwächen schwächen. Ein starkes und selbstbewusstes Unternehmen akzeptiert Fehler und Schwächen, aber es darf auch stolz auf das Erreichte sein. Die zweite Phase der Ablenkungsstrategie setzt ein, wenn die Krise sich im Bewusstsein der Menschen verankert. Dann entstehen permanent negative Reflexe. Die Menschen denken negativ, sie wissen aber nicht mehr so genau, warum sie so denken. Hierbei handelt es sich um einen emotionalen Argwohn, eine latente Störung von Identifikation und Vertrauen. Sie kennen das sicherlich aus Ihrem Privatleben: Sie ändern Ihr Kaufverhalten, kaufen jetzt woanders ein, weil Sie irgendetwas stört. Dieses Unbehagen ist einfach da. Ein betroffenes Unternehmen muss in diesem Fall neue Themen initiieren, n die die Kompetenz des Unternehmens verdeutlichen und n für die Gesellschaft von Bedeutung sind.
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Das Unternehmen setzt seine Kompetenz für die Interessen der Öffentlichkeit ein und vermittelt auf diese Weise neue Assoziationen. Über die alten negativen Bilder schieben sich neue positive Bilder. Beispiel: Der Fall Karstadt-Quelle Seit Monaten kriselt die Karstadt-Quelle AG. Die Medien bedienen alle Schreckthemen: Von Konkursgerüchten über Sanierung bis Querelen im Vorstand. Sogar eine Rücknahme von der Börse mit anschließender Zerschlagung des Konzerns wird diskutiert. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff meldet sich vor allem mit den Themen zu Wort, für die sich die Aktionäre interessieren: Erfolgreiche Sanierung, Verkauf von Filialen und neue Sortimentspolitik. Mit diesen Themen frischt er allerdings immer wieder die Krise auf. Denn die Verbraucher – die Karstadt-Kunden – interessieren sich nicht für Investor Relations. Sie haben keine Lust bei einem Unternehmen einzukaufen, das über Sanierungserfolge diskutiert. Die Lösung: Karstadt lenkt ab und initiiert eine Debatte über Städteplanung. Motto: „Karstadt – mehr Leben in der Stadt.“ Wie entwickeln sich die Innenstädte? Abends leer, morgens halbvoll, nachmittags überlaufen? Wie können die Städte ihre Attraktivität erhöhen? Karstadt bringt Politiker, Stadtplaner und Visionäre zusammen, veranstaltet Foren, prämiert wissenschaftliche Arbeiten und Architekturwettbewerbe.
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Die Menschen haben somit einen Grund, wieder gut über das Unternehmen zu denken. Sie erleben das Unternehmen aus einer neuen Perspektive. Die Begriffsstrategie Die Kunst der Rhetorik besteht darin, Begriffe zu besetzen. Wer die Hoheit über Begriffe hat, der lenkt die Debatte. Begriffe ersetzen Argumente. Sie stehen wie ein Bollwerk für eine Gedankenkette. Man hört nur das Wort, schon weiß man, was gemeint ist. Die Politik arbeitet permanent mit diesem Stilmittel, um breite Schichten zu gewinnen. „Agenda 2010“ ist so ein Beispiel. Dahinter verbergen sich viele Einzelmaßnahmen mit zum Teil schwerwiegenden Sozialeinschnitten. Die Bundesregierung hat versucht, mit ihrem Begriff von den Themen Sozialabbau und Gerechtigkeitslücke abzulenken. Sie wünscht eine Debatte über Zukunft, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. Unternehmen, die sich in einer Krise befinden, haben – leider – wenig Gespür für die Macht der Sprache. Sie verstehen es nicht, eine Krise oder eine schwere Herausforderung mit einem Wort umzudeuten, damit sich neue positive Assoziationen ergeben. Es gibt aber auch beachtliche Ausnahmen. Beispiel: Münteferings Heuschrecken Als Franz Müntefering Finanzinvestoren beziehungsweise Private-Equity-Firmen als Heuschrecken bezeichnete und damit eine beispiellose Kampagne gegen diese Unternehmen initiierte, reagierten die betroffenen Unternehmen wie gelähmt. Die Geschäfts-
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Richtiges Verhalten in der Krise
führer fühlten sich verleumdet und an den Pranger gestellt. In dieser Situation hätte zumindest der zuständige Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften mit einer eigenen Begriffsbestimmung dagegen halten müssen, um eine neue Debatte zu erzwingen. Zwar ist es immer misslich, einen schon bestehenden Begriff mit einem neuen Begriff auszuhebeln. Aber in diesem Fall hätte eine Lösung so aussehen können: Der Verband kontert mit einem intelligenten und sympathischen Tier, das das Wirken der Finanzinvestoren positiv ausdrückt. Zum Beispiel: „Wir sind keine Heuschrecken, wir sind Bären.“ Daraus entwickelt der Verband die Kampagne „Bärenstarke Argumente gegen schwirrende Heuschrecken“. Um das Thema auch bildhaft zu vermitteln, verschickt der Verband Kuschelbären an alle Bundestagsabgeordneten und an Journalisten. Offener Brief an Franz Müntefering „Sehr geehrter Herr Müntefering, nun weiß es die ganze Republik. Sie mögen keine Heuschrecken. Aber wussten Sie, dass für viele Menschen in Afrika, Asien und Südamerika Heuschrecken eine wichtige Mahlzeit sind? Denn sie sind sehr proteinhaltig und fettarm. Sie sollten das kleine Tierchen mal probieren. Vielleicht laden Sie Gäste dazu ein. Die Zubereitung ist ganz einfach: Sie nehmen zwei Kilo Heuschrecken und erhitzen sie im Ofen. Wenn der Ofen heiß ist, schalten Sie ihn aus, lassen aber bitte die Heuschrecken noch einen halben Tag dort trocknen. Noch ein wichtiger Tipp: Ehe Sie die Heuschrecken essen, sollten Sie den
Kopf, die Beine und die Flügel entfernen. Das Rezept reicht für vier Personen. Wir wünschen Ihnen einen guten Appetit.“ Der Verband hätte aber auch den Heuschrecken-Begriff aufnehmen, mit positiven Assoziationen verbinden und darüber einen offenen Brief verfassen können. Aber bitte mit Humor. Öffentliche Rechthaberei mit biestigem Unterton schreckt nur ab. Es gibt viele Varianten der Begriffsstrategie. Als der Unternehmer und SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp von übereifrigen Staatsanwälten zu Unrecht verdächtigt und vorverurteilt worden war, geht er in die Offensive und gründet die Stiftung „Pro Justitia“, die die Aufgabe hat, den Machtmissbrauch von Staatsanwälten aufzudecken. Dietmar Hopp hat die Deutungshoheit über das (negative) Wirken von Staatsanwälten kraft einer Organisation gewonnen. Die Stiftung „Pro Justitia“ hat das Image eines neutralen, gewissenhaften und wissenschaftlichen Instituts. Das ist raffiniert. Die Sprache ist ein elegantes und wirksames Werkzeug, um Menschen zu begeistern, zu überzeugen und zu motivieren. Dröge, betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche Fakten führen zu keiner lebhaften, positiven Auseinandersetzung. Sie sind ein Hochamt für Insider, mehr nicht.
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Professionelle Krisenvorbereitung
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6. Professionelle Krisenvorbereitung
„Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“ Louis Pasteur (1822 -1895), französischer Bakteriologe
Schon das Wort „Krisenprävention“ ist schrecklich, es hört sich nach Schmerz, Vorsicht und Verteidigung an. Jedenfalls schwebt Ungemach über uns: Die drohende Krise (ach weh), die wir noch nicht kennen, aber schon vorbeugen sollen. Otto Bloder, der Generaldirektor von Unilever Österreich, sagt: „Krisen lassen sich minimieren, aber nicht verhindern. Mann kann sich vor Krisen nicht hundertprozentig schützen, aber man kann sich adäquat darauf vorbereiten.“ Genau darum geht es. Ein Unternehmen, das Krisenprävention betreibt, muss erst einmal wissen, welche Gefahren möglich sind, um überhaupt vorbeugen zu können. Krisenprävention bedeutet umsichtiges und vorausschauendes Handeln, um mögliche Gefahren mit dem Ziel zu erkennen, sie frühzeitig in den Griff zu bekommen bzw. Schäden gering zu halten. Sie ist – übrigens – auch nur dann möglich, wenn der Vorstandsvorsitzende bzw. der Geschäftsführer voll dahinter steht. Wenn der Chef meint, so etwas brauchen wir nicht, dann ist zappenduster. Ohne Rückendeckung der „Nummer eins“ ist es unmöglich, ein so heikles Projekt wie die Krisenprävention durchzuführen, weil die Auseinandersetzung
mit Schwachstellen, Gefahren und Risiken grundlegende Merkmale des Unternehmens betrifft. Es ist nun mal einfacher, sich mit Stärken und Chancen als mit Schwächen und Risiken auseinander zu setzen. Routine und Selbstgefälligkeit sind gefährliche Fallen. Sie schnappen schneller zu als man denkt.
Krisenanfälligkeit Es macht nun wirklich keinen Sinn, sich von Krisen und Krisengerede verrückt machen zu lassen. Eine Krise muss zum Unternehmen passen wie der Topf zum Deckel. Es kommt also darauf an, realistische Bedrohungen zu erkennen. Die Analyse der Krisenanfälligkeit ist das Herzstück der Krisenprävention. Sie umfasst sieben Punkte: Unternehmen, Börse, Branche, Gesellschaft, Dominanz, Gesetzgeber und Kriminalität. Prüfen Sie jeden Punkt in Bezug auf Ihr Unternehmen. n Das Unternehmen: Flugunternehmen (Absturz), Reiseveranstalter (Bombenanschläge am Urlaubsort), Pharmahersteller (Tod durch Medikament) oder Lebensmittelfilialisten (Produktrückruf) haben eindeutige und typische Gefahren. Diese Unternehmen kennen ihre besonderen Risiken sehr genau und können sich darauf präzise vorbereiten. Jedes Unternehmen muss sich fragen, ob die Dienstleistungen oder Produkte, die es anbietet oder herstellt, nach vernünftiger Wahrscheinlichkeit einen konkreten, außergewöhnlichen Schaden verursachen
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Professionelle Krisenvorbereitung
können. Produktfehler und Produkthaftung greifen Image und Liquidität an. Gerüchte über Übernahmen, Arbeitsplatzabbau und die Schließung von Werksteilen sind per se negativ, weil sie Mitarbeiter demotivieren und Lieferanten verunsichern.
über den Kurs des Unternehmens aus, eine Gewinnwarnung führt unmittelbar zu einer Unversicherung der Aktionäre und die Quartalsberichte unterliegen einer ständigen Beobachtung durch Aktionäre, Analysten und Journalisten.
Beispiel: Wacher Geist Sich darüber im Klaren zu sein, was eigentlich passieren kann, ist die Grundvoraussetzung für wirksames Gegensteuern. Die nächste Frage lautet, ob diese mögliche Gefahr ernst zu nehmen ist. Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind der Kommunikationschef der Friseurkette Essanelle AG. Welche Gefahren sehen Sie: Dass ein überhitzter Föhn die Kopfhaut der Kundin beschädigt? Eine falsche Zusammensetzung der Haarfärbung zu Haarausfall führt? Dass eine prominente Kundin wegen grober Schlechtleistung öffentlichkeitswirksam auf Schadensersatz klagt? Ich glaube, dass sind an Haaren herbeigezogene Fälle, die die Krisenprävention ad absurdum führen. Richtig ist zwar, das Unmögliche zu denken, weil alles passieren kann, aber die Wahrscheinlichkeit muss gleichwohl in einem vernünftigen Verhältnis zum zeitlichen und kostenmäßigen Aufwand der Krisenprävention stehen.
n Die Branche ist ein Seismograph für die Befindlichkeiten der Unternehmen. „Gesunde“ Unternehmen können sich nicht immer von „kranken“ Unternehmen oder von negativen Trends und Debatten über den Zustand der Branche abkapseln. Selbst Fachleute (Banker) sind instinktiv nicht immer dazu in der Lage, sachlich differenziert das eine vom anderen zu trennen. Sie entwickeln automatisch eine „standardisierte Vorsicht“, man könnte es auch „Sippenhaft“ oder „Kollektivhaftung“ nennen.
n Börsennotierte Unternehmen sind permanent krisenanfällig, weil eine Verunsicherung der Kapitalmärkte sofort auf den Aktienkurs niederschlagen kann. Insofern bedeutet Investor Relations nicht nur Kurspflege, sondern auch Krisenprävention. Ein plötzlicher Wechsel an der Spitze des Unternehmens löst bereits heftige Debatten
Krisengerede schadet den starken Unternehmen, aber es stärkt nicht die schwachen Unternehmen.
Als Anfang 2005 mit Walter Bau eines der größten Bauunternehmen Deutschlands nach 43 Jahren Konkurs anmelden muss, verfinstert sich die ohnehin depressive Debatte über die Zukunft dieser Branche. Was mögen sich wohl Aktionäre, Investoren, Mitarbeiter oder zukünftige Bauingenieure denken? Sie haben gewiss nicht den Eindruck, dass es den Bauunternehmen gut geht. Angst, Vorsicht und Skepsis sind gefährliche Emotionen, weil sie Glaubwürdigkeit untergraben.
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Als der Präsident des Maschinen- und Anlagenbauverbands, Diether Klingelnberg, im Jahr 2004 eine Verdoppelung der Pleitezahlen in den kommenden Jahren prognostizierte und eine massive Produktverlagerung ins Ausland befürchtete, löst er damit eine heftige Debatte über die Zukunftsaussichten des Maschinenbaus aus. Gerade der mittelständische Maschinenbau aber zählt zu den Leistungsträgern unserer Volkswirtschaft. Klingelnbergs Rhetorik passt nicht zur Wirklichkeit. Als das Firmenkundenmagazin der Deutschen Bank, „results“, das Thema aufgreift und sich auch auf Klingelnberg beruft, protestiert der Hauptgeschäftsführer des Verbandes ungeniert beim Vorstand der Deutschen Bank. Dem gingen wohl massive Proteste von Mitgliedsfirmen voraus. Die Geister, die die Verbandsherren riefen, werden sie nicht mehr los. Sie haben ursächlich diese Debatte verschuldet und müssen nun deren Folgen tragen. n Die Gesellschaft erfindet sich immer wieder neu. Wie Wellen entwickeln sich neue Sympathien oder Antipathien, Ängste und Befindlichkeiten. Daraus entstehen Werte, die das Tun eines Unternehmens moralisieren. Gäbe es keinen Sinn für Umweltschutz, würde sich kaum einer über Umweltschäden, die ein Unternehmen anrichtet, aufregen. Entstünde eine Debatte darüber, dass mit „grüner Gentechnik“ – also mit mikrobiologischer Manipulation von Pflanzen statt traditioneller Züchtung – die Hungersnot in der dritten Welt wirksamer bekämpft werden
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könnte, würde sich dadurch sicherlich die Akzeptanz für genmanipulierten Reis, Raps oder Mais erhöhen. Gesellschaftliche Krisen sind immer Ausdruck einer Angst. Angst vor dem Neuen und Ungewissen. Der Gegner der Angst ist die Glaubwürdigkeit. Wenn ein Unternehmen mit seiner Dienstleistung oder seinem Produkt Ängste verursacht, dann hat das Unternehmen ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie sind der Kommunikationschef eines Unternehmens, das Fertiggerichte herstellt. Zunächst kaum wahrnehmbar, dann aber immer deutlicher entwickelt sich eine Debatte über den gesundheitlichen Wert von Fertigprodukten. Kritiker behaupten, dass die Mahlzeiten nicht den modernen Erkenntnissen der Forschung entsprechen. Medien greifen das Thema auf, verfassen berichte über „Alt werden mit richtiger Kost“, „Richtig ernähren“ oder „Fit mit Vitaminen“. Die Menschen bewerten kritischer ihre Essgewohnheiten und die Zusammensetzung ihrer Mahlzeiten. Wenn Sie diese Tendenzen nicht merken, nicht ernst nehmen oder nur lässig darauf reagieren, dann treibt die Gesellschaft Sie und das Unternehmen in die Defensive.
n Krisendominanz bedeutet, dass das Unternehmen eine gesellschaftliche Krise verschärft, um auf Kosten der Wettbewerber davon zu profitieren. Diese Unternehmen setzen sich geschickt von einer allgemeinen Krise ab, tun so, als seien sie davon nicht betroffen und positionieren sich als Problemlöser. Der Werbespruch der Mediakette Saturn „Geiz ist geil“ funktioniert nur deshalb,
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weil die Menschen Angst haben vor der Zukunft. Die Verbraucherstimmung schwankt zwischen Pessimismus und Pragmatismus, zwischen Sparzwang und Schnäppchenjagd. Die Ungewissheit über den Ausgang der politischen Reformen, die ständige Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder für einen anderen Job in eine andere Stadt ziehen zu müssen – derartige soziale Risiken machen viele Verbraucher nervös. Saturn fördert mit seinem Reklamespruch geradezu einen Kundentypus, der in ständiger Angst lebt, das gleiche Produkt möglicherweise zwei Straßen weiter sechs Euro günstiger zu bekommen. Jeder möchte ein Sparfuchs sein, ein schlauer Käufer, der sich auf Kosten des Unternehmens bereichert. Daraus entwickelt sich eine gesellschaftliche Hysterie, die den ganzen Handel erfasst. Die Branche ist völlig irritiert. Sie weiß nicht so genau, wie Sie darauf reagieren soll. Die Folge: Ruinöse Rabattschlachten und klare Marktpositionierungen. Saturn ficht das nicht an. Saturn ist ein Krisengewinner. n Die Pläne des Gesetzgebers können gravierende Folgen für Ihr Unternehmen haben. Ob er nun den bürokratischen oder steuerlichen Aufwand erhöht, Forschung oder Betriebsgenehmigungen erschwert, den Tatbestand für den unlauteren Wettbewerb neu definiert, die Rechte der Verbraucher stärkt, die Hürden für Produkt- und Managerhaftung senkt – prüfen Sie mit den Steuer- und Rechtsexperten, ob sich daraus Nachteile ergeben können, die das Unternehmen krisenhaft treffen.
Sie sind Kommunikationschef der bundesweiten (frei erfundenen) Filialkette „Sexy Adventure“. Der Stadtrat in Frankfurt, wo sich die umsatzstärkste Filiale befindet, möchte Änderungen herbeiführen, um den Verkauf von entsprechenden Artikeln in der Innenstadt zu unterbinden. Wenn Sie von diesen Plänen rechtzeitig erfahren, haben Sie alle Zeit, rechtliche und betriebswirtschaftliche Optionen prüfen zu lassen, um auf dieser Basis eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln.
Sofern das Unternehmen Mitglied eines Verbandes ist, wird es ohnehin regelmäßig über anstehende oder verabschiedete Gesetze informiert. Es ist Aufgabe der Verbandslobbyisten, Gefahren durch Gesetze aufzuspüren, zu filtern, zu beeinflussen und zu interpretieren. Nutzen Sie diese Arbeit für Ihre Kommunikationsstrategie. n Kriminalität werden Sie wohl nicht in Ihrem Unternehmen vermuten. Behalten Sie gleichwohl Themen wie Bilanzbetrug, Korruption, Verhaftung und Hausdurchsuchung im Blick. Machen Sie sich mit diesem Thema vertraut. Die Wirtschaftskriminalität ist eine große Herausforderung für Krisenprävention und Krisenmanagement. Weil dieses Thema immer wichtiger ist, bildet es in diesem Buch auch ein eigenes Kapitel (siehe Litigation-PR, Kapitel 11).
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Krisenhandbuch Ich habe mich in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema schwindelig gelesen. Dazu kann ich nur sagen: Es ist ja wunderbar, dicke Krisenhandbücher zu schreiben, aber sie müssen übersichtlich und zweckmäßig sein. Dass ein großes Unternehmen (BASF) mit einem großen Problem (Chemieunglück) umfangreiche Vorkehrun-
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gen für diesen Fall treffen muss, versteht sich von allein. Wird BASF aber bestreikt und kann dadurch wichtige Liefertermine nicht einhalten, nutzt das für den Fall einer Umweltkatastrophe geschriebene Krisenhandbuch gar nichts. Die Frage ist nur, ob es Sinn macht, für den seltenen Fall eines Streiks extra ein Krisenhandbuch zu schreiben? Nein, es macht keinen Sinn.
Was gehört in ein (PR-)Krisenhandbuch Das gut geführte und laufend aktualisierte Krisenhandbuch ist sicherlich keine Wunderwaffe. Aber es ist notwendig, um in großer Zeitnot alle notwendigen Informationen auf einen Blick zu bekommen. Die wichtigsten Punkte: n Wer wird als erster über den Vorfall informiert (Pförtner, Telefonzentrale, Sicherheitsdienst etc.)? n Welche spontanen Entscheidungskompetenzen hat diese Person (Was muss sie unbedingt machen)? n Wen informiert sie in welcher Reihenfolge? n Welche Aufgaben und welche Kompetenzen haben diese informierten Personen? n Wer koordiniert die Krise? n Wer informiert den Leiter des Krisenstabs? n Wer informiert die weiteren Mitglieder des Krisenstabs? n Wann wird der Kommunikationsverantwortliche informiert? n Wer koordiniert vor Ort Einsatz von Feuerwehr und Polizei? Diese Informationskette muss reibungslos funktionieren, damit die maßgeblichen Personen ihre Arbeit zeitnah aufnehmen können. Jetzt müssen sehr schnell weitere Details geklärt werden: n Wer informiert den Vorstandsvorsitzenden bzw. Geschäftsführer? n Ist sichergestellt, dass das Topmanagement noch vor den Medien informiert wird? n Wer nimmt Journalistenanrufe entgegen? n Wer informiert die Behörden? n Wie werden die Behörden informiert? n Wer informiert die Mitarbeiter? n Wie werden die Mitarbeiter informiert? n Wann erfolgt die erste Pressemitteilung? n Mit wem wird die Pressemitteilung abgestimmt? n Wer nimmt Anrufe von Nachbarn und Betroffenen entgegen? n Wer aktualisiert das Internet?
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Bitte lassen Sie die Kirche im Dorf. Konzentrieren Sie sich auf die größtmögliche Gefahr und entwickeln Sie dafür Vorkehrungen. Denken Sie bitte nicht um fünf Ecken. Denken Sie geradeaus. Als Kommunikationschef eines erpressten Lebensmittelkonzerns müssen Sie nicht die Telefonnummern von Katastrophenschutz, benachbarten Schulen/ Kindergärten und Anwohnern parat haben. Diese Liste wäre eher etwas für ein Chemieunternehmen, aus dessen Schornsteinen versehentlich eine Giftwolke entweicht. Das Vorbereiten auf realistische Krisen ist eine echte Chance, Abläufe zu strukturieren und Verantwortlichkeiten zu definieren. Das Krisenhandbuch ist eine praktische Möglichkeit, um Informationen zu sammeln, zu strukturieren und übersichtlich darzustellen. Darum geht es. Stellen Sie in einem Brainstorming regelmäßig fest, welche Punkte sonst noch wichtig sind – und stellen Sie auf jeden Fall sicher, dass die Informationen (Namen, Telefonnummern, Abläufe) regelmäßig aktualisiert werden.
Krisentraining Wenn Sie wissen, was alles möglich ist und dafür Vorkehrungen treffen, dann haben Sie 50 Prozent einer Krise im Griff. Dadurch sparen Sie sehr viel Zeit, um den nicht planbaren Teil der Krise gründlich zu verstehen und angemessen darauf reagieren zu können. Erwecken Sie nun Ihr Krisenhandbuch zum Leben. Trainieren Sie.
Beispiel: BP trainiert Bei BP geht man auf Nummer sicher. „Wir sind davon überzeugt, dass man einen Krisenfall und die Reaktion gut abfedern kann, indem man das, was man vorbereiten kann, vorbereitet“, sagt Unternehmenssprecherin Claudia Braun. Die Krisenprävention bei BP beinhaltet einen fortlaufenden Abgleich der maßgeblichen Telefonnummern. Außerdem finden mehrmals im Jahr Übungsalarme statt. Wenn das Telefon klingelt, eilen alle in die Zentrale oder bei entsprechender Order dahin, wo die Krise auftritt. Ein mögliches Krisenszenario ist beispielsweise ein Tankerunglück. Zum Themenkomplex Tanker hat die Presseabteilung einen Krisenordner erstellt. Dort findet Claudia Braun die Zahl der Tanker, Schiffsgrößen und anderes Hintergrundmaterial. „Die Übungen zeigen uns nicht nur, wie wir zusammenarbeiten, sondern auch, ob die Infrastruktur ausreicht. Wenn wir feststellen, dass wir mit vier Telefonleitungen nicht auskommen und sie immer überlastet sind, müssen wir in Zukunft sechs Leitungen freihalten, damit wir Nachfragen beantworten können.“ Vielleicht denken Sie sich: BP hat es ja auch nötig. Das ist eine Krisenbranche. Vorsicht: Wenn Sie der Meinung sind, es gibt in Ihrem Unternehmen einen wunden Punkt, dann nutzt es nichts, diesen wunden Punkt ausführlich zu analysieren und ein Krisenhandbuch für alle Eventualitäten anzulegen, Sie müssen damit im Krisenfall auch umgehen können. Es passieren in der Hektik die merkwürdigsten Dinge. Keiner kann das Krisenhandbuch finden, die Medienliste ist nicht
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mehr aktuell, Sie haben nicht die Telefonnummer vom Ferienhäuschen des Chefs, der Besprechungsraum ist eine Rumpelkammer und die vorbereite Internetseite lässt sich aus technischen Gründen nicht freischalten.
Reputationsmanagement Es gibt eine ganz einfache Weisheit: Wer sich in guten Zeiten einen guten Ruf erworben hat, kann in schlechten Zeiten davon zehren. Das ist die beste Form der Krisenprävention. Wer sich in guten Zeiten um intensive Kontakte zu Journalisten bemüht, kann in schlechten Zeiten davon profitieren. Wer sich in guten Zeiten Gedanken darüber macht, wie Kunden „ticken“, der kann in schlechten Zeiten davon profitieren. Wer sich in guten Zeiten Gedanken über den Wertewandel der Gesellschaft macht, der kann in schlechten Zeiten davon profitieren.
Unternehmen, die ihr betriebswirtschaftliches Wirkungsfeld (entwickeln, verkaufen, Geld verdienen) um das gesellschaftliche Engagement erweitern, verdienen Respekt.
Reputationsmanagement bedeutet, alles dafür zu tun, dass das Unternehmen einen guten Ruf hat. Was heißt das eigentlich? Kann ein Unternehmen mit mäßigem Produktimage einen guten Ruf haben, weil es sich etwa für Obdachlose einsetzt? Das wäre paradox. Entscheidend ist das Image, das zur angemessenen Gewinnsteigerung führt. Konsumenten kaufen nicht deshalb
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ein Produkt bei diesem Unternehmen, weil es sich für Obdachlose einsetzt, sondern weil es gute Produkte hat. Wer diese Produkte kauft, erwirbt aber einen ideellen Zusatznutzen, weil das Unternehmen sich für Obdachlose einsetzt. Unternehmenszweck (zum Beispiel Herstellung von Brot) und Engagement (Brot für Bedürftige) sollten zueinander passen, damit keine inhaltlichen Dissonanzen entstehen. Eine anerkannte Großbäckerei, die jeden Abend ihre nicht verkauften Brote zur Obdachlosenhilfe der Franziskaner bringt, hebt sich von den Wettbewerbern ab und muss keine gravierenden Tiefschläge befürchten, wenn es mal nicht so gut läuft. Der Imagevorrat gleicht solche Entwicklungen aus. Beispiel: Die Lokalredaktion veranstaltet einen Geschmackstest über Brötchen und verteilt Noten. Unsere Bäckerei kommt entgegen früherer Bewertungen diesmal schlecht dabei weg – das ist sicherlich unangenehm, aber verkraftbar. Reputation bedeutet Fehler zu verzeihen. Eine Larifari-Bäckerei um die Ecke hätte hingegen bei gleicher Benotung weitaus größere Probleme. Unternehmen, die ihr betriebswirtschaftliches Wirkungsfeld (entwickeln, verkaufen, Geld verdienen) um das gesellschaftliche Engagement erweitern, verdienen Respekt. Respekt ist höchste Form der Anerkennung, ein Zwitter aus Verständnis und Bewunderung. Gleichgültigkeit ist ein leichtes Opfer der Krise. Sie hat keinen Willen, keine Seele, nicht einmal Verstand. Möchten Sie für ein Unternehmen arbeiten, das nur an Bilanzen und Shareholder denkt? Oder möchten
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Sie für ein Unternehmen arbeiten, das die Grenzwerte für Umweltnormen nicht nur einhält, sondern positiv übertrifft und damit neue Zeichen setzt? Unternehmen mit einer Vorbildfunktion motivieren Mitarbeiter und sorgen für ein angenehmes Stimmungsbild in der Öffentlichkeit.
Raus aus der Tu-Nichts-Gesellschaft: Reputation steigern mit sozialem und kulturellem Engagement.
Die B. Braun Melsungen AG aus dem hessischen Melsungen versorgt den Gesundheitsmarkt weltweit mit Produkten für Anästhesie, Intensivmedizin, Kardiologie, Blutbehandlung, Chirurgie und mit Dienstleistungen für Kliniken, niedergelassene Ärzte und häusliche Pflege. Das Familienunternehmen fühlt sich dem Gebot der Nachhaltigkeit verpflichtet. Dazu gehört umweltgerechtes Wirtschaften ebenso wie soziales und kulturelles Engagement. Das Unternehmen leistet finanzielle und organisatorische Unterstützung bei Kunst- und Sportprojekten, ist Partner in Private Public Partnerships und unterstützt Universitäten, Mediziner und Studenten mit Stipendien oder Ausrichtung wissenschaftlicher Veranstaltungen. Im Rahmen der Initiative „B. Braun for Children“ fördert jedes Tochterunternehmen ein Kinderprojekt – in Indien für obdachlose Kinder, in Belgien für Leukämiepatienten und in Südafrika für aidskranke Kinder.
n Die betapharm Arzneimittel GmbH aus Augsburg vertreibt Generika (patentfreie Arzneimittel). Das Sortiment mit weit über 100 Wirkstoffen deckt alle wesentlichen Indikationen von der einfachen Erkältung bis zur schweren Herz-Kreislauferkrankung ab. Seit 1998 fördert das Pharmaunternehmen den „Bunten Kreis“, einen gemeinnützigen Nachsorgeverein, der Familien mit schwerstkranken Kindern unterstützt. Die Arbeit rührt an ein grundsätzliches Problem im Gesundheitswesen: Patienten werden zwar nach den modernsten Erkenntnissen der Medizin und Pharmazie versorgt, aber im Umfeld von schweren Krankheiten entstehen viele Probleme und Belastungen, mit denen die Betroffenen allein gelassen werden und die zum Teil die Krankheitsbewältigung erschweren. Das will betapharm ändern, initiiert und fördert deshalb sozialmedizinische Projekte. Die B. Braun Melsungen AG und die betapharm Arzneimittel GmbH sind zwei markante Beispiele für das gesellschaftliche Engagement von mittelständischen Unternehmen. Größe (Umsatz, Beschäftigtenzahl) spielt keine Rolle für vorbildliches Verhalten. Es kommt allein auf den Willen an.
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Wenn Unternehmen sich engagieren. Wichtige Internetadressen www.b-b-e.de
Übergeordnetes Netzwerk zu allen Themen der Bürgergesellschaft
www.aktive-buergerschaft.de
Der von Genossenschaftsbanken unterstützte Verein „Aktive Bürgerschaft“ bietet Qualifizierungsveranstaltungen, Wettbewerbe und Informationen über das bürgerliche Engagement an.
www.csrgermany.de
Eine gemeinsame Plattform von BDI und BDA zu Corporate Social Responsibility
www.econsense.de
Eine Initiative von zwei Dutzend deutschen Großunternehmen
www.kiem.fh-konstanz.de
Das Konstanzer Institut für Werte-Management beschäftigt sich mit der Implementierung von Wirtschaftsethik in Unternehmen
www.nachhaltiges-investment.org
Informationen rund um das Thema nachhaltiges Investment
www.globalreporting.org
Die Global Reporting Initiative (GRI) entwickelt Richtlinien für Nachhaltigkeitsberichte
www.corporatecitizen.de
Informationen des Center for Corporate Citizenship an der Katholischen Hochschule Eichstätt
www.corporate-citizenship.nrw.de
Das NRW-Wirtschaftsministerium informiert über Konzeption, Förderung und Projekte für Unternehmen
www.dnwe.de
Das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik forscht an Ethik-Audit- und Ethik-ManagementSystemen
www.initiative-fuer-beschaeftigung.de
Die Initiative bildet regionale Netzwerke von Unternehmen
www.upj-online.de
Bundesinitiative „Unternehmen: Partner der Jugend“: Großes Informationsangebot zum Thema „Corporate Citizenship“
www.bitc.org.uk
Business in the Community verfügt in Großbritannien über eine große Mitgliederzahl und fördert „Corporate-Citizenship-Projekte“ der Unternehmen
www.bsr.org
Business for Social Responsibility ist ein Netzwerk von US-Unternehmen, die sich für CSR interessieren. Das Angebot ist überaus vielfältig
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Professionelle Krisenvorbereitung
Lösen Sie sich bitte von dem Gedanken, dass Reputationsmanagement stets gleichzusetzen ist mit großartigen Strategien, Förderprogrammen und Engagements. Es ist manchmal simpler als Sie glauben. Notwendig aber sind ein Gespür und ein Gehör für Entwicklungen, um sie aufnehmen, verstehen und sie in die gewünschte Richtung lenken zu können. Selbst bekannte Unternehmen, deren Produkte wir seit Kinderalter kennen und deren Schornsteine seit einem Jahrhundert den Stadtteil symbolisieren, wirken ungewöhnlich verschlossen. Man spürt förmlich, wie es in den langen Fluren des Verwaltungstraktes zugehen muss. Ein traditioneller Charme zwingt die Modernität in den Rhythmus der Geschichte. Es geht zwar vorwärts, aber ohne Schmackes. Was würde passieren, wenn der Stolz der Menschen auf „ihr“ Unternehmen nachlässt, die emotionalen Bindungen brüchig werden? Spätestens, wenn dieses Unternehmen Arbeitsplätze im großen Stil abbauen muss, wenn der monetäre Kontakt zur Firma reißt, entwickelt sich ein Scheißegal-Gefühl. Für Tradition können sich die Menschen nichts kaufen. Unternehmen dürfen sich nicht wie Anstalten des öffentlichen Rechts gebärden. Sie müssen ihre materielle und emotionale Bedeutung für die Menschen in der eigenen Stadt richtig einschätzen und Begegnungen fördern. Das ist relativ einfach. Ein „Tag der offenen Tür“ oder eine „Betriebsbesichtigung“ zieht die Menschen in das Unternehmen und sorgt für positiven Gesprächsstoff. Ohnehin haben viele Menschen am Sonntag
Langeweile, ihnen fällt die Decke auf den Kopf oder sie wissen nicht, wohin sie mit den quengelnden Kindern gehen sollen. Die professionell gestaltete Betriebsbesichtigung – mit Schautafeln, Demonstrationen und Kinderbetreuung – zeigt das Unternehmen von seiner besten Seite. Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen steht in einem Wohngebiet. Schon die hässliche hohe Mauer, die das Werk wie ein Gefängnis umrahmt, ist ein Schandfleck. Außerdem verbreitet die Produktion einen muffigen Geruch. Zu gerne würde eine Bürgerinitiative erreichen, dass das Unternehmen vom Wohngebiet auf die grüne Wiese vor den Türen der Stadt verbannt wird. Das Management bunkert. Mit etwas Fantasie könnte das Unternehmen ein Ausufern der Kritik verhindern. Es müsste nur die Mauern in einer Farbe streichen, die zur Umgebung passt. Einen kleinen Teil der Mauer könnten die Kinder aus dem benachbarten Kindergarten streichen. Das Unternehmen stellt Farbe und Schürzen zur Verfügung – und natürlich Säfte und Negerküsse für die kleinen Maler. Die stolzen Eltern sind wichtige Multiplikatoren. Sie werden sich zukünftig mit Kritik zurückhalten. Das Management sollte auch seine Kritiker in der nahe gelegenen Gaststätte „Zum Wilddieb“ zu einem Gespräch einladen. Wichtig ist die Botschaft, dass das Unternehmen die Menschen ernst nimmt. So macht es das Unternehmen den Kritikern viel schwerer, den Konflikt zu emotionalisieren.
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Der richtige Umgang mit Journalisten
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7. Der richtige Umgang mit Journalisten
„Aus vielen Worten entspringt ebensoviel Gelegenheit zum Missverständnis“. William James (1842-1910), amerikanischer Psychologe und Philosoph
Ich weiß aus eigener Erfahrung als Journalist, wie schnell ein Vorurteil wirkt. Die Agenturen melden eine Unternehmenskrise, der Redakteur lässt sich davon unterschwellig beeinflussen, noch ehe er mit seinen Recherchen begonnen hat. Es entsteht ein erstes Stimmungsbild über das Unternehmen und die Krise. Handelt es sich um ein sympathisches Unternehmen mit einem sympathischen Chef, dann stehen die Chancen für eine mildere Berichterstattung gut. Ist das Gegenteil der Fall, stehen die Chancen schlechter. So außergewöhnlich ist diese Feststellung freilich nicht. Nach diesem Muster verhalten sich die meisten Menschen.
unter verschärfter Beobachtung. „Auch Worte sind Handlungen“, sagte der Schriftsteller und Goethe-Sekretär Johann Peter Eckermann. Welche Worte der Satz enthält und wie er ausgesprochen wird, schafft eine eigene Wirklichkeit. Sie können richtige Gedanken falsch ausdrücken und bringen sich damit um Ihre Wirkung. Die Beherrschung elementarer Regeln, wie Sprache wirkt, ist in brenzligen Situationen, wo jedes Wort zählt, eine fundamentale Voraussetzung für wirksame Inszenierungen. Worte schaffen Vertrauen oder Distanz, Verständnis oder Ablehnung.
Die Frage ist nur, wie Sie oder Ihr Chef auf dieses Muster reagieren. Jede Pressemitteilung und jedes Statement verstärkt oder schwächt dieses Muster. Jedes Wort und jede Gestik beeinflusst Wahrnehmungen und Stimmungen.
Beipiel: Kranker Elch Nach dem verunglückten „Elch-Test“ mit der Mercedes A-Klasse erklärt der Pressesprecher von PKW Mercedes Benz: „Wir wissen leider noch keine Einzelheiten. Ein Vorstand kann nicht ein Statement geben, nur weil irgendwo auf der Welt ein Auto umgefallen ist. Dann müssten wir zig Kommentare abgeben. Sobald wir mehr wissen, werden wir den Vorfall kommentieren.“ Dieser Text drückt Unklarheit, Distanz und Überheblichkeit aus. Daraus machen die Medien: „Ein Vorstand kann nicht ein Statement abgeben, nur weil irgendwo auf der Welt ein Auto umgekippt ist.“
Bitte bedenken Sie: In einer Krise hat Ihr Unternehmen die größtmögliche Aufmerksamkeit, die Sie selbst mit einem positiven Ereignis kaum erreichen können. Sie stehen
Journalisten saugen alles auf, nicht nur die Informationen, sondern auch die Art und Weise der Informationsdarstellung. Ist ihr Chef ein Kommunikationsmuffel oder ein
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Der richtige Umgang mit Journalisten
Mensch, der mit Worten und Gesten umgehen kann? Ist er ein Charmeur oder eine Kratzbürste? Nicht immer reagieren „Chefs“ in außergewöhnlichen Situationen besonnen. Das ist allzu menschlich. Leider ist es Ihre undankbare Aufgabe, dem Vorstandsvorsitzenden oder Geschäftsführer mitzuteilen, wie sein Verhalten wirkt und wie er bei Journalisten ankommt. Verbinden Sie die sensibel vorgetragene Kritik mit einer Alternative, dann wirkt der Vorstoß nicht so hart. Bitte nicht so: „Herr Müller, Journalisten haben mir gesagt, dass Sie die Fragen sehr aggressiv beantwortet hätten.“ Es geht auch milder, so zum Beispiel: „Herr Müller, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, wie Sie in Pressekonferenzen noch überzeugender herüberkommen.“ Führen und lenken Sie Ihren Chef, damit Journalisten mit ihm umgehen können.
Wirkungsvolle Kommunikation In jeder Gesprächssituation, ob im Interview oder auf der Pressekonferenz, lauern Fallen. Schnell ist ein Satz gesagt, der so nicht gemeint war, aber dessen negative Wirkung nicht mehr zu stoppen ist. In außergewöhnlichen Situationen neigen Menschen ohnehin dazu, die Sprache zu emotionalisieren. Das ist gefährlich, weil der Journalist sich auf die Worte verlassen muss. Die psychologischen Befindlichkeiten des Managers oder des Unternehmenssprechers interessieren nicht.
Denken Sie bitte daran, dass Worte die Macht haben zu zerstören oder zu heilen. Verschaffen Sie sich mit der folgenden Checkliste auf Seite 65 das Rüstzeug für wirkungsvolle Kommunikation.
Wirkungsvolle Interviews In einem Interview hat der Gesprächspartner die größte Chance, mit seiner Persönlichkeit zu punkten und negative Nachrichten zu relativieren. Er lernt die Meinung des Journalisten kennen und kann sich unmittelbar damit auseinander setzen. Nehmen Sie sich Zeit für dieses Gespräch und sorgen Sie für eine angenehme Gesprächsatmosphäre. Wie kaum ein anderer beherrschte der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Schneider, das Interview. Gespräche mit Journalisten fanden nicht in einem Sitzungsraum, sondern in seinem Arbeitszimmer statt. Damit schaffte er eine unaufdringliche Vertraulichkeit. Im Interview selbst beantwortete er jede Frage mit Frische und Engagement, auch wenn er sie schon zigmal gehört hatte. Er redete nie zu lang, vermied Fremdworte und wiederholte mehrmals seine Kernbotschaften. Wenn es zeitlich ging, lud Manfred Schneider den Journalisten anschließend im Vorstandscasino noch zum Mittagessen ein, um das Gespräch in angenehmer Atmosphäre fortzusetzen. Dort erzählte er Dönekes über Bayer Leverkusen, beantwortete Fragen und stellte selbst Fragen. Perfekter geht es nicht.
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Der richtige Umgang mit Journalisten
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Checkliste: Wirkungsvolle Kommunikation n Reizen Sie nicht, indem Sie andere Personen schlecht machen. Nicht so: „Entschuldigen Sie bitte, aber Herr Meyer hat davon wirklich keine Ahnung.“ Besser: „Ich bin anderer Meinung als Herr Meyer.“ n Vermeiden Sie Allgemeinsätze. Nicht so: „Wir befinden uns in einem permanenten Prozess der Entscheidungsfindung.“ Besser: „Wir haben das Problem erkannt und setzen jetzt Punkt für Punkt die notwendigen Schritte um.“ n Keine Negativbegriffe wie „falsch“ oder „schlecht“. Besser: „Das finden wir nicht gut.“ n Vermeiden Sie Substantive, weil sie eine Negativ-Aussage verstärken. Nicht so: „Das ist eine Verantwortungslosigkeit.“ Besser: „Das ist verantwortungslos.“ n Beginnen Sie keine Sätze mit „Obwohl ich…“, weil dieser Anfang zu Verhärtungen führen kann. n Keine Unfreundlichkeiten. n Keine Arroganz. n Keine Besserwisserei. Nicht so: „Glauben Sie uns, wir wissen schon, was wir machen.“ Besser: „Unser Abteilungsleiter Herr Meyer möchte Ihnen gerne die Gründe für den Unfall und die eingeleiteten Gegenmaßnahmen erläutern.“ n Keine Logikargumente. Nicht so: „Es ist doch logisch, dass …“ Wenn der Gesprächspartner eine andere Wahrnehmung hat und die Logik nicht erkennt, fühlt er sich entmündigt, intellektuell erniedrigt. Besser: „Wir sind der Meinung, dass …“ n Bitte nicht spekulieren: Voreilige Aussagen können die Rechtsposition beeinflussen. Nicht so: „Eine Möglichkeit könnte es sein…“ Besser: „Wir prüfen alle Möglichkeiten…“ n Wiederholen Sie Ihre Kernbotschaften, damit sie als wichtig erkannt werden. n Betroffenheit zeigen und Zuständigkeit demonstrieren. Nicht so: „Was da passiert ist, ist natürlich nicht gut und wir prüfen auch, was jetzt zu tun ist.“ Besser: „Wir haben selbst das größte Interesse daran, den Vorfall lückenlos aufzuklären.“ n Keine Fragezeichen provozieren. Die Formulierung „Wir glauben…“ ist gefährlich, weil sie keine verlässliche Informationsund Aufklärungsarbeit vermittelt. Besser: „Wir werden Sie sofort umfassend informieren, sobald Ergebnisse vorliegen.“ n Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sind eine absolute Selbstverständlichkeit. Sie müssen nicht alles sagen, was Sie wissen, aber was Sie sagen, muss wahr sein. Lügen sind eine charakterliche Unverschämtheit, zumal sie bei ihrer Entlarvung großen Schaden anrichten.
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Der richtige Umgang mit Journalisten
Machen Sie es so wie Manfred Schneider: n Interview im persönlichen Arbeitszimmer n Beginn des Interviews um 11 Uhr n Anschließend Einladung zum Mittagessen Das Wechselspiel zwischen sachlicher Information und angemessener Emotionalität schafft Nähe, Vertrauen und Sympathie. Davon profitieren Journalist und Gesprächspartner gleichermaßen. Nutzen Sie diese Chance, Sie haben nichts zu verlieren. Denn das Frage-Antwort-Interview ist Eigentum des Interviewten. Der Journalist muss das gesamte Interview also mit seinem Gesprächspartner vollständig abstimmen. Alles ist dann möglich, von einzelnen Änderungen bis zur Rücknahme des Interviews. Aber bedenken Sie: Es macht keinen guten Eindruck, wenn Sie mit unzähligen Korrekturen quasi ein neues Interview schreiben und der Text dann nichts mehr mit dem Gespräch zu tun hat. Zur Ehrlichkeit gehört allerdings auch, dass viele Interviews von Magazin-Journalisten derart angespitzt sind, dass sich der Interviewte darin oft kaum wieder erkennt. Interviews im Spiegel, in der Wirtschaftswoche oder im Stern haben mit der tatsächlichen Gesprächssituation kaum etwas zu tun. Der Leser soll das Gefühl haben, als hätten sich Manager und Journalist ein lebhaftes Duell geliefert. Insofern dient das Interview auch der Unterhaltung. Inhaltliche Korrekturen an diesen Magazin-Interviews dürfen des-
halb nicht die Lese-Spannung zerstören. Sie wissen also vorher, worauf Sie sich mit Magazin-Interviews einlassen. Tageszeitungen hingegen drucken seltener Interviews. Sie bevorzugen es, Zitate in direkter und indirekter Rede aus dem Interview in eine Geschichte einzubauen. Zwar müssen auch diese Zitate abgestimmt werden, nur nutzt Ihnen das recht wenig, wenn sie die Geschichte nicht kennen. Denn Sie können das Zitat nur in seinem Zusammenhang verstehen. Beispiel: Das Zitat lautet: „Wir sind uns keiner Schuld bewusst.“ Sie denken sich: Okay, das Zitat ist in Ordnung. So haben wir es gesagt und so meinen wir es auch. Hinterher steht aber in der Zeitung: Noch laufen die Untersuchungen, aber fest steht schon jetzt: 75 Mitarbeiter verlieren ihren Job. Der Betriebsrat macht der Geschäftsführung schwere Vorwürfe. Das Unternehmen habe mehrmals Sicherheitshinweise sträflich vernachlässigt. Doch Geschäftsführer Fritz Meier sagt: „Wir sind uns keiner Schuld bewusst.“ Es ist offensichtlich, dass der Geschäftsführer mit diesem Zitat in diesem Zusammenhang unsensibel und rechthaberisch wirkt. Es müssen 75 Mitarbeiter entlassen werden, aber er ist sich keiner Schuld bewusst. Für alle Interviews gilt: Gute Vorbereitung schützt vor Reinfall. Es darf nicht passieren, dass Sie von einer Frage kalt erwischt wer-
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den. Sie müssen mit jeder Frage rechnen und darauf eine Antwort haben. Selbst wenn eine Frage gestellt wird, die Sie aus rechtlichen oder anderen Gründen nicht beantworten dürfen, müssen Sie darauf eine Antwort haben. Denken Sie daran: Der Ton macht die Musik. Sagen Sie bitte nicht: „Dazu möchte ich jetzt nichts sagen. Haben Sie dafür bitte Verständnis.“ Sagen Sie es doch bitte so: „Ich habe mit dieser Frage gerechnet, aber mein Dilemma ist jetzt, dass wir mittendrin sind in der Aufklärung, so dass ich jetzt passen muss. Vielleicht kann ich morgen schon mehr sagen.“ Zur Interview-Vorbereitung gehört die Ausarbeitung von möglichen Fragen mit Antworten. Denken Sie sich 50 Fragen aus und schreiben Sie die Antworten auf. Sie müssen nur in der Zeitung schauen, was bisher über die Unternehmenskrise berichtet worden ist. Dann wissen Sie schon sehr genau, in welche Richtung die Fragen für das Interview gehen. Sprechen Sie mit einem Wirtschaftsredakteur, wird er Fragen zur Bilanzierung, zum Aktienkurs und zu den Absatzmärkten stellen, ein Boulevardjournalist fragt eher nach dem Schicksal der Opfer. Zur Interview-Vorbereitung gehört auch die Definition von Botschaften: Was wollen Sie mit dem Interview erreichen, welche Inhalte müssen Sie unbedingt herüberbringen? Diese Kernsätze sollten Sie mehrmals im Interview fallen lassen, damit sie haften bleiben. Sie müssen sich auch darüber im Klaren sein, wie Sie wirken wollen. Angriffslustig, verhalten oder nachdenklich? Nur wenn Sie
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diese Stoßrichtung verinnerlicht haben, können Sie das Interview mit diesem Verhalten konsequent und überzeugend durchziehen. Checkliste: Wirkungsvolle Interviews n Überlegen Sie sich genau, welche Zielgruppen Sie ansprechen wollen und wählen danach das Wunsch-Medium für das Interview aus. n Für den Fall, dass der Journalist aus dem Interview nur Zitate für eine Geschichte nimmt, vereinbaren Sie vorher, dass Sie den gesamten Text bekommen. Machen Sie im Krisenfall nur dann eine Ausnahme, wenn Sie den Redakteur und seine Arbeitsweise gut kennen. n Legen Sie das ausgearbeitete Interview auch dem Hausjuristen vor. Gerade in einer Krise kommt es auf jedes Wort an. n Formulieren Sie für das Interview Kernbotschaften, die Sie unbedingt vermitteln möchten. n Seien Sie sich darüber im Klaren, wie Sie wirken wollen. n Bereiten Sie sich mit einem unfangreichen Frage-Antwort-Katalog auf das Interview vor. n Sorgen Sie für eine angenehme Gesprächsatmosphäre. n Schwafeln Sie den Journalisten nicht zu Tode. In der Kürze liegt die Würze.
Wirkungsvolle Pressekonferenzen Ihr Auftritt, bitte! Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Boss AG, Peter Littmann, hatte die interessante Angewohnheit, auf Pressekonferenzen die Fragen der Journalisten mit einem Mi-
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krofon in der Hand stehend zu beantworten und mehrmals den Standort auf der Empore zu wechseln. Außerdem wiederholte er bei einer Antwort jedes Mal den Namen des fragenden Journalisten, um damit deutlich zu machen: Das ist meine Antwort für dich. Mit dieser Inszenierung durchbrach Littmann alle Regeln des „Bravsitzens“ und fokussierte die Blicke auf sich. So eine offensive Darstellung kann sich allerdings nur ein Manager leisten, der sich seiner Wirkung bewusst ist. Wem dieser Auftritt nicht liegt, sollte lieber sitzen bleiben. Spielen Sie aber bitte nicht mit Ihrer Lesebrille oder blinzeln durch die halboffene Lesebrille. Solche „intellektuellen Attitüden“ wirken überdreht. Machen Sie einen ruhigen und konzentrierten Eindruck. Die Menschen, denen Sie nun erklären müssen, was passiert ist und wie es nun weitergeht, merken sehr schnell, ob Sie echt sind, schauspielern oder psychische Auffälligkeiten wie Angst, Unsicherheit, Aggression und Arroganz zeigen. Verräterisch sind nicht nur Mimik und Gestik, sondern auch die Stimme. Tonlage und Intensität der Stimme offenbaren Ruhe und Kraft oder Hektik und Schwäche. Wer schnell redet, sich verhaspelt, sich überschlägt, falsche Worte betont, die normale Tonhöhe nicht halten kann, überfordert die Konzentration der Zuhörer. Noch schlimmer: Die Kommunikationsbotschaft kommt nicht herüber.
ein lustiger Typ mit vielen Lachfalten sind, denken Sie jetzt bitte an Ihre letzte Influenza. Vielleicht hilft das. Eine Situation muss zur Körpersprache passen. Mimik und Gestik drücken die Ernsthaftigkeit oder Lächerlichkeit einer Situation aus. Zu schlechten Nachrichten passt weder eine joviale Art noch ein Beerdigungsgesicht. Eine unangemessene Lockerheit oder eine übertriebene Traurigkeit sind typische Fehler, mit denen Manager eine ungewohnte Situation überspielen wollen. Warum lachen Menschen, wenn ihnen zum Weinen zu Mute ist? Weil sie irritiert sind. Sie kompensieren ihre Ratlosigkeit mit einem bitteren, traurigen Lachen, das mehr in den Körper hineingeht als nach außen schallt. Sie müssen kein Rhetorik-Genie sein. Aber wenn Sie schon wissen, dass Sie in diesem Bereich Schwächen haben, konzentrieren Sie sich auf das ruhige Ablesen Ihres Manuskriptes. Gehen Sie vorher in Ihr Büro und lesen es zweimal laut durch. Wenn Sie über einzelne Passagen stolpern, weil sie nicht flüssig formuliert sind, können Sie das noch rechtzeitig korrigieren. Unterstreichen Sie die Worte, bei denen Sie das Publikum anschauen sollten, weil der Inhalt besonders wichtig ist.
Wenn Sie immer zum Fürchten ernst aussehen, können Sie in einer Krise diesen Gesichtsausdruck fast beibehalten. Wenn Sie
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Erhöhen Sie ihre Wirkung Eine kraftvolle und sympathische Persönlichkeit hat n eine klare, feste und ruhige Stimme vermittelt Vertrauen und Hingabe n einen konzentrierten Blick vermittelt Ernsthaftigkeit und Respekt n eine natürliche Körperhaltung vermittelt Erfahrung und Kompetenz
Lesen Sie bitte diesen Satz: „Gestern Abend haben wir einen Erpresserbrief bekommen. Der Erpresser droht mit Giftanschlägen auf den Pudding der Marke ´Mag mich´. Wir haben noch in der Nacht diese Produkte vollständig aus unseren Filialen entfernt.“ Nun stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie würden diese Sätze mit n fahriger Stimme n hektischer Mimik und n verkrampfter Körperhaltung vortragen. Es ist offensichtlich, dass diese Art der Präsentation alles andere als beeindruckend ist. Das Unternehmen hat alles getan, was es tun muss. Aber dem Sprecher gelingt es nicht, die vorbildliche Tatkraft des Unternehmens mit seiner Körperhaltung und Stimme eindeutig zu vermitteln. Vorbereitung Die inhaltliche Vorbereitung auf die Pressekonferenz ist identisch mit dem Interview. Gleichwohl gibt es einen gravierenden Unterschied: In einem Interview können Sie einen „Patzer“ im weiteren Gesprächsverlauf wieder gerade rücken, in einer Presse-
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konferenz aber müssen Sie befürchten, dass nach einer verpatzten Antwort weitere Fragen genau zu diesem Aspekt folgen. Es ist nachvollziehbar, dass Journalisten besonders in einer Unternehmenskrise eher die Schwächen als die Stärken herausarbeiten. Zur organisatorischen Vorbereitung einer Pressekonferenz gehört – wie schon beim Interview – die atmosphärische Gestaltung. Bieten Sie vor der Pressekonferenz in einem Nebenraum Kaffee und Brötchen und nach der Pressekonferenz ein Stehimbiss an. Die Journalisten sollen nicht mit leerem Magen oder grimmiger Stimmung in die Pressekonferenz hereinfallen. Eine ausgeruhte Situation und ein Gespräch mit Kollegen entspannt die Situation. Diese ruhige und angenehme Atmosphäre stellt das Krisenunternehmen auch in ein anderes Licht. Statt Hektik und Stress vermittelt es eine besonnene Stärke. Wichtig ist auch der Zeitpunkt der Pressekonferenz: Vormittags ist ideal, weil die Tageszeitungsjournalisten bis zum Redaktionsschluss genügend Zeit für Nachfragen und das Schreiben des Berichtes haben. Vermeiden Sie nach Möglichkeit auch den Freitag, weil Handelsblatt und Financial Times nicht samstags erscheinen und aus diesem Grunde nur bei größter Wichtigkeit einen Redakteur zu diesem Termin schicken. Leider haben viele PR-Chefs für diese Details kein Verständnis. In mehreren Fällen, die ich leider selbst erleben musste, bestand das Unternehmen auf einen Freitags-14 UhrTermin. Als ich darauf hinwies, dass dieser
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Termin extrem ungünstig ist, entgegnete der Pressesprecher: „Wir können aber nur dann.“ Es kommt nicht darauf an, wann das Unternehmen kann, sondern wann die Journalisten können. Checkliste: Wirkungsvolle Pressekonferenzen n Bestimmen Sie den Kreis der einzuladenden Redakteure. Je breiter Sie diesen Kreis anlegen, desto breiter die Berichterstattung. Sie dürfen bei der Auswahl aber keine Medien benachteiligen. Wenn Sie Tageszeitungsredakteure einladen, dann müssen Sie alle einladen. Differenzieren Sie: Fachjournalisten, Wirtschaftsjournalisten, Tageszeitungen, Magazine, Agenturen, Rundfunk und Fernsehen. n Bestimmen Sie den Kreis der Mitarbeiter, die vor, während und nach der Pressekonferenz anwesend sein sollen. Briefen Sie diese Mitarbeiter mit dem ausgearbeiteten Frage-Antwort-Katalog. n Bestimmen Sie die Mitarbeiter, die Anrufe von Journalisten entgegennehmen, die nicht an der Pressekonferenz teilnehmen können. Briefen Sie diese Mitarbeiter. n Sorgen Sie für eine angenehme Atmosphäre vor, während und nach der Pressekonferenz. n Der Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende mischt sich nach der Pressekonferenz selbstverständlich unter die Journalisten und steht für Gespräche zur Verfügung. n Sorgen Sie für ausreichende Technik, damit Agentur- und Tageszeitungsredakteure unmittelbar nach der Pressekonferenz in einem gesonderten Raum ihre Arbeit machen können.
Ein Aufregerthema ist auch die Pressemappe. Es gibt übereifrige Pressesprecher, die jede Pressemappe mit allerlei Informationen „zumüllen“. Was soll das? Lenken Sie nicht mit Broschüren und Fotos ab, die mit dem direkten Thema der Pressekonferenz nichts zu tun haben. Das liest jetzt sowie keiner durch. Der Journalist fischt sich das Redemanuskript heraus und konzentriert sich voll auf diesen Text.
Wirkungsvolle Pressemitteilungen Gerade in einer Krisensituation ist es besonders wichtig, dass Sie Journalisten und andere wichtige Gruppen mit einer klaren und verbindlichen Sprache ansprechen. Die Lage ist schon kompliziert genug, komplizieren Sie bitte das Problem nicht mit einer unverständlichen Sprache. Glauben Sie bitte nicht, dass eine schwierige Sprache Kompetenz ausdrückt. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Menschen, die auffallend vornehm formulieren wollen, schwerfällige und aufgeplusterte Sätze verwenden? Mit dieser verschwenderischen Ausdrucksweise wollen sie Stärke und Klugheit demonstrieren. Leider passieren bei diesem Versuch die meisten Unfälle. Wie finden Sie diesen Satz: „Unsere Erwartung war immer, dass wir das Problem schnell finden.“
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Besser: Wir waren immer der festen Überzeugung, dass wir das Problem rechtzeitig lösen.“ Oder: „Infolge der massiven Reaktionen der Kapitalmärkte sind wir gezwungen, unseren Börsengang auf unbestimmte Zeit zu verschieben.“ Besser: „Wir verschieben unseren Börsengang, weil die Stimmung an den Kapitalmärkten derzeit nicht gut ist. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben: Wir sind fest entschlossen, den Schritt nachzuholen, sobald sich die Lage entspannt.“ Oder: „Es wird darum gehen, das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen.“ Besser: „Wir werden das Vertrauen der Kunden wiedergewinnen.“ Denken Sie einmal über Ihre natürliche Sprache nach. Sie reden in Alltagssituationen doch auch ein normales, verständliches Deutsch. In einer Pressemitteilung zu einem Krisenfall können Sie zwar nicht so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist, aber Sie können geschwollene Ausdrücke beiseite lassen. Die Pressemitteilung verbreitet sich über die Nachrichtenkanäle (Agenturen, Fernsehen, Radio, Internet) extrem schnell. Was Sie schreiben, ist Gesetz. Entweder werden Sie wörtlich zitiert, dann ist nur zu hoffen, dass der Satz auch verständlich ist. Oder Sie werden indirekt zitiert, dann ist zu hoffen,
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dass die indirekte Rede dem gemeinten Sinn entspricht. Oder eine Ihrer Aussagen wird verkürzt als Überschrift gebracht. Oder Ihre Aussage wird bewusst missverständlich interpretiert. Sie merken schon: Und, oder, und, oder … Der Journalist kann Ihre Worte nach Herzenslust einsetzen. Das kann gut, aber auch gefährlich sein. Versetzen Sie sich bitte für einen kurzen Moment in die Rolle des Journalisten. Er sitzt an seinem Schreibtisch und liest die Agenturmeldungen. Noch ist er auf dpa, Reuters, AP oder ddp angewiesen. Nun erhält er per Fax oder E-Mail die Pressemitteilung des Unternehmens. „Mein Gott“, denkt er sich, „da steht ja gar nichts drin.“ Das sagen Journalisten immer, wenn eine Pressemitteilung keinen Nachrichtenwert enthält. Besonders schlimm ist es, wenn eine Pressemitteilung sogar hinter den Informationen der Agenturen zurückbleibt. Das provoziert geradezu Nachfragen. Wer dann nicht in der Lage ist, schlüssig zu argumentieren, bringt sich und das Unternehmen in die Defensive. In vielen Fällen schreibt der Redakteur dann: „Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich dazu nicht äußern.“ Es ist erstaunlich, wie gedankenlos Pressesprecher Presseartikel verfassen. Nicht nur die sprachliche Schludrigkeit, auch der spröde Ton schafft eine pikierte Distanz zu den Journalisten. Um es ganz deutlich zu sagen: Die meisten Presseartikel sind für Journalisten unbrauchbar: Unverständlich. Ungenau. Unverschämt. Wer Worte ohne Sinn oder Worte mit Hintersinn verfasst, gibt sich alle
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Checkliste: Wirkungsvolle Pressemitteilungen n Die journalistische Form ist streng sachlich und ausschließlich faktenorientiert. Wer hat? Was getan? Wann? Wo? Wie? Warum? Verfassen Sie die Pressemitteilung nach diesen Grundsätzen. n Nennen Sie so viele Details wie möglich. Nicht so: „Wir bestätigen den Bericht der Polizei, dass mehrere Mitarbeiter verhaftet worden sind. Mehr können wir dazu jetzt nicht sagen.“ Bitte so: „Wir bestätigen den Bericht der Staatsanwaltschaft, dass gestern sechs Mitarbeiter wegen Korruption verhaftet worden sind. Mit Hochdruck prüfen wir die Vorwürfe. Wir werden Sie umfassend informieren, sobald verwertbare Erkenntnisse vorliegen.“ n Denken Sie an die Überschrift des Presseartikels. Denn der Journalist bastelt aus Ihrem Text eine Headline. Liefern sie ihm keine Vorlage für eine negative Wertung. Wenn im Text steht: „Wir wissen noch nicht, wie es zum Unfall kam“, wundern Sie sich nicht über die Überschrift: „Viele Verletzte – Vorstand ratlos.“ n Bilden Sie einfache und kurze Sätze, die nicht mehr als 12 Wörter enthalten. Bitte nicht so: „Die am Zahnrad befestigte Antriebswelle führte zu einer kompletten Störung der gesamten Anlage, weshalb wir die Produktion für einen Tag komplett aussetzen mussten.“ Bitte so: „Die Antriebswelle, die am Zahnrad befestigt ist, funktionierte nicht mehr. Sie beschädigte die gesamte Anlage. Wir mussten deshalb die Produktion für einen Tag einstellen.“ n Benutzen Sie keine gestelzten Formulierungen und keine Fremdworte. Bitte nicht so: „Diese Qualität entspricht unserem Niveau und es versteht sich von selbst, dass wir jegliche Nivellierung unserer Ansprüche nicht dulden werden.“ Bitte so: „Unser Anspruch ist es, erstklassige Qualität dauerhaft zu sichern.“ n Benutzen Sie viele Verben und möglichst wenig Substantive, um den Text anschaulicher zu machen. Bitte nicht so: „Die Komplexität des Unglücks macht die Aufklärung des Falles und die Erarbeitung einer Lösung extrem schwierig. Besser so: „Das schwere Unglück wirft viele ungelöste Fragen auf. Aber wir werden jede Frage gründlich beantworten und saubere Lösungen umsetzen.“ n Zeigen Sie, dass Sie das Tempo bestimmen. Bitte nicht so: „Die behördlichen Stellen haben unsere Stellungnahme über den Vorfall zum richtigen Zeitpunkt erhalten. Bitte so: „Wir haben die Behörde rechtzeitig über den Vorfall informiert.“ n Formulieren Sie aktiv. Bitte nicht so: „Es wird alles getan, um das Problem zu lösen.“ Bitte so: „Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Problem zu lösen.“ n Genauigkeiten nicht übertreiben: Meistens darf man auf- oder abrunden. Statt 1,953 Millionen Euro reicht es zu sagen, rund 2 Millionen Euro. n Schreiben Sie nur dann eine Pressemitteilung, wenn Sie etwas Neues mitteilen können. Bitte kein Aktionismus.
erdenkliche Mühe, nicht verstanden werden zu wollen. Vielleicht bezweckt er dies ja sogar. Aber das wäre dumm. Wer nichts mitteilen kann, soll wenigstens dies mitteilen: „Sobald wir Näheres erfahren, informieren wir Sie rechtzeitig und umfassend.“
Schaffen Sie für Ihre Pressemitteilung eine übersichtliche Form: n Die Überschrift bringt das Thema bzw. die Kernbotschaft auf den Punkt.
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n Der Vorspann enthält eine kurze Inhaltsangabe. n Der erste Satz der Pressemitteilung muss den Journalisten in den Text hineinziehen und zum Weiterlesen animieren. Beispiel: Adler AG unterstützt Familien Vorspann: Produktion läuft wieder an – Sicherheit erhöht – Vorstandschef Gerd Krause: „Wir haben aus Fehlern gelernt.“ Erster Satz: Ort/Datum – Die Adler AG hat nach dem Betriebsunfall am vergangenen Freitag in ihrem Düsseldorfer Stammwerk umfangreiche Hilfen für die betroffenen Familien angekündigt. Eine weitere Form der Pressemitteilung ist die Veröffentlichung eines Statements. Wenn sich der Unternehmenschef äußert, sollten Sie den Wortlaut nicht wie eine geschriebene Pressemitteilung, sondern als wörtliche Erklärung abdrucken. Das erhöht die Aufmerksamkeit. Beispiel: Vorstandsvorsitzender kündigt Aktionsplan für betroffene Familien an Vorspann: Rasche und unkomplizierte Hilfe – Sicherheit erhöht – „Wir haben aus Fehlern gelernt“ Text: Ort/Datum – Der Vorstandsvorsitzende der Adler AG, Gerd Krause, hat nach dem Betriebsunfall am vergangenen Freitag im
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Düsseldorfer Stammwerk einen umfangreichen Aktionsplan für die betroffenen Familien angekündigt. Er erklärte am Freitag nach der Sitzung des Vorstandes: „….“ (Jetzt folgt das vollständige Statement mit zehn bis fünfzehn Sätzen). Aber ich möchte Sie nicht mit Formalien nerven. Merken Sie sich das Wichtigste: Schreiben Sie so, dass Sie verstanden werden.
Wirkungsvolles Medientraining Fragen können unerbittlich sein. Sie stärken entweder den Interviewten, weil er die Fragen pariert, oder sie schwächen ihn, weil er sich windet. Ich habe als Journalist zahlreiche Vorstandsvorsitzende von DaxKonzernen und Geschäftsführer namhafter Unternehmen interviewt. In einigen Fällen kannte ich meinen Interviewpartner nur aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung. Ich ging durchaus mit Respekt zu diesen Interviewterminen, hatte während des Gesprächs aber sehr schnell den Eindruck, dass mein Gesprächspartner aufgeregter war als ich. Das überraschte mich dann doch. Denn die Gefahr, dass ich ihn mit einer Frage überrasche, die er nicht beantworten kann, ist doch sehr gering. Das Problem ist vielmehr, dass ich ihn mit den Fragen in eine bestimmte Richtung dränge, in die er nicht will. Aus diesem Unbehangen heraus entstehen die meisten Patzer. Wenn der Unternehmenschef während des Antwortens überlegt, was er nicht sagen will und was er wie sagen muss, gerät er schnell in die Defensive.
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Der richtige Umgang mit Journalisten
Dieses Verhaltensmuster taucht immer wieder auf. Ich habe zahlreiche Vorstandsvorsitzende und Finanzvorstände im Rahmen von Börsengängen für die Bilanz-Pressekonferenz trainiert. Dass die Damen und Herren jede Bilanzzahl innig und auswendig kennen, ist klar. Sie gerieten aber immer dann ins Schwimmen, wenn sie anfingen zu taktieren, um eine Frage nicht vollständig zu beantworteten. So ein Verhalten provoziert Nachfragen, dadurch gerät der Interviewte immer mehr in Bedrängnis. Das ist unnötig. Deshalb ist Medientraining wichtig. Und es ist ganz einfach. Mein Vorschlag: Der Unternehmenschef trainiert das Interview mit einem Journalisten und bereitet sich mit dem vorbereiteten Fragen-Antwort-Katalog auf das Gespräch vor, der Journalist erhält eine Fallstudie, damit er den Hintergrund für das Interview genau kennt. Nach dem Gespräch erläutert er seinem Interviewpartner dessen Stärken und Schwächen: Was war gut, was war weniger gut. Nur so lernt man. Verfahren Sie nach gleichem Muster für die Vorbereitung einer Pressekonferenz. Verpflichten Sie fünf Journalisten, die dem Unternehmenschef Fragen stellen, nachhaken und ihn – sorry – in die Enge treiben. Auch in diesem Fall ist Manöverkritik wichtig. Es reicht nicht aus, dass nur der Unternehmenschef sein Befinden erläutert, er muss auch die Meinungen der Journalisten kennen lernen, um daraus zu lernen.
Ich verspreche Ihnen: Diese Art von Medientraining ist hochwirksam. Seltener sind Interviews mit dem Fernsehen. Wenn aber das Fernsehen anrückt oder den Unternehmenschef ins Studio bittet, ist der Ernstfall da. Denn kein Medium erreicht so viele Zuschauer wie das Fernsehen – und kein Medium ist für Ungeübte gefährlicher als das Fernsehen. Schon das ganze Drumherum, der Beleuchter, der Kameramann und der Reporter, jagen dem Fernsehnovizen Respekt ein. Hin und wieder lädt Sabine Christiansen auch prominente Unternehmer in ihre sonntägliche Talkshow ein. Im direkten Vergleich zu Politikern merken Sie sehr schnell, wie vorsichtig, fast schüchtern, viele Manager auftreten. Sie formulieren umständlich, kommen nicht zur Sache, wirken steif. Politiker dagegen kennen alle Regeln der TV-Masche und wissen genau, wie sie sich vor der Kamera verhalten müssen. Wer dauernd vor der Kamera steht, für den ist das täglich Brot. Ein Unternehmer hat gar nicht die Chance, diese Praxis zu erwerben. Deshalb ist das TV-Training zwar wichtig, um elementare Regeln anzuwenden, aber Brillanz entsteht nur durch permanente Übung. In einem TV-Training lernt der Manager, wie er seine Botschaft verständlich und sympathisch in 30 Sekunden ohne „äh“ herüberbringt, dabei in die Kamera schaut und nicht den Reporter ansieht. Dieses Training schult flinke Reaktionen auf eine einseitige Interviewführung, rhetorische Fähigkeiten, Sprache, Atmung, Stimme, Gestik und Mimik.
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Nach der Krise
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8. Nach der Krise Was jetzt zu tun ist: „Misserfolg ist die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen.“ Henry Ford (1863 -1947), Gründer der Ford Motor Company
Das Unternehmen hat nach der Krise ein Ziel: So schnell wie möglich wieder ein „normales Leben“ führen zu können. Alltag und Routine statt Selbstbeschäftigung und Hektik. Nach der Krise….? Das ist der erste ruhige Moment nach dem großen Knall, der großen Aufregung – jedenfalls ist der Höhepunkt der Krise vorbei und Sie können nun mit den Aufräumarbeiten beginnen. Manche Arbeiten müssen sofort erledigt werden, weil sie zeitlich noch in die Phase der Krisenbewältigung fallen, andere Arbeiten dienen der Fehleranalyse, dem Lernen und der Umsetzung von Konsequenzen. Es ist zwar menschlich verständlich, der Konfrontation aus dem Wege zu gehen. Aber ein Unternehmen kann sich nicht erlauben, zweimal in eine Krise zu rutschen. Decken Sie Schwächen auf und weisen Sie auch auf die Stärken hin. Dann haben Sie die Chance, die daraus resultierenden Veränderungen konsequent umzusetzen. Das Schlimmste wäre, Kritik zu ignorieren oder abzuschwächen, weil es dumm ist, vermeidbare Fehler fahrlässig zuzulassen.
Krisendokumentation erstellen: Nichts dem Zufall überlassen. Schreiben Sie jede Kleinigkeit mit Stunde und Datum auf und sammeln Sie alle Presseartikel. Die wesentlichen Fragen lauten: n Mit welchen Inhalten und Personen haben wir wann auf die Krise reagiert? n Wie haben die Medien unsere Reaktionen aufgenommen? n Wie haben Multiplikatoren unsere Reaktionen aufgenommen? n Gibt es nachvollziehbare Tatsachen, die zu einer Eindämmung oder Verschärfung der Krisen geführt haben? Mit den Antworten sind Sie in der Lage, den Fall sicher zu beurteilen und Kritik sauber zu entgegnen. Sie können den Verlauf der Krise und die Reaktionen der Medien präzise nachvollziehen. Insofern ist damit auch ein hoher Lerneffekt für alle Beteiligten verbunden. Aber bedenken Sie bitte auch, dass die Krisendokumentation für zukünftige Fälle nur dann Sinn macht, wenn ihre Erkenntnisse weiterentwickelt werden. Das ist schwer genug, weil Mitarbeiter wechseln und Krisen ständig ihr Gesicht verändern. Ein Analyseteam einberufen: Der Vorsitzende dieses Teams sollte ein ranghoher Manager sein, der am Krisenfall nicht beteiligt war. Sie können auch einen externen Berater
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Nach der Krise
nehmen. Wichtig ist jedenfalls ein Maximum an Objektivität. Aufgabe des Teams ist eine ehrliche, sachliche und vollständige Stärkenund Schwächenanalyse auf Basis der Krisendokumentation. Die wesentlichen Fragen der Manöverkritik lauten: n Welche Signale haben wir übersehen? n Was haben wir falsch eingeschätzt? n Warum haben wir es falsch eingeschätzt? n Was haben wir falsch entschieden? n Warum haben wir falsch entschieden? n Welche Lücken hatte der Krisenplan? n Hat sich der Krisenstab bewährt? n Waren wir überzeugend? n Hat unser Image gelitten? n War unser Krisenhandbuch übersichtlich und ausreichend? Die Antworten können zu Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens führen. Werbung überprüfen: Die Kernfrage lautet: Stimmen die Werbebotschaften nach der Krise noch? Stellen Sie sich einmal ein Sicherheitsunternehmen vor, dass mit dem Slogan wirbt: „Sie schlafen, wir wachen.“ Prompt hat das Unternehmen mehrere Einbrüche nicht bemerkt, der Slogan wird buchstäblich über Nacht zur Lachnummer. Konsequenz: Alle Broschüren einziehen und vernichten, keine Anzeigen mehr schalten. Achten Sie nicht nur auf den Slogan, überprüfen Sie alle Texte, ob die Inhalte nach der Krise noch stimmig sind.
Internet überarbeiten: Schildern Sie ausführlich den Krisenfall, nennen Sie Ursache und Lösungen. Das signalisiert Offenheit und Engagement. Aktualisieren Sie die Informationen, nach ein paar Wochen aber können Sie den Vorfall abschließen. Lassen Sie eine kleine Meldung stehen, dann kann keiner sagen, das Unternehmen ginge zur Tagesordnung über. Umfragen machen: Beginnen Sie im eigenen Haus. Bitten Sie die Mitarbeiter, mehrere Fragen zum Image des Unternehmens anonym zu beantworten. Befragen Sie auch Kunden (in Filialen) und Lieferanten (Vertreterbesuch). Mit dieser sicherlich hemdsärmeligen Umfrage haben Sie zumindest ein Stimmungsbarometer, um Imagelücken feststellen zu können. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen, dann müssen Sie ein Institut für viel Geld mit der Imageuntersuchung beauftragen. Angriff planen: Wer die Krise als einen einmaligen Ausrutscher abtut, der hat schon verloren. Der hat keine Chance, aus Fehlern zu lernen und das Unternehmen mit neuen Assoziationen zu verbinden. Intelligent wäre es, das Beste aus einer Krise zu machen, indem Sie das Krisenthema nicht verstecken, sondern offensiv für neue Imageziele einsetzen: Beispiel: Der Fall Brent Spar Brent Spar, 190 Kilometer nordöstlich der Shetland-Inseln im Meer verankert, dient von 1976 bis 1991 als Rohöl-Zwischenlager. Aus finanziellen und technischen Gründen
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Nach der Krise
will Shell den Stahlkoloss mitsamt 130 Tonnen Ölschlamm, Schwermetallen und radioaktiven Abfällen im Meer versenken. Nach einer beispiellosen Kampagne gegen die geplante Versenkung lenkt Shell im Juni 1995 viel zu spät ein. Die Folge: Ein ramponiertes Image auf der ganzen Welt. Das Unternehmen reagiert mit brutaler Offenheit auf das Kommunikationsdesaster. Nach der schonungslosen Aufklärung von Managementfehlern initiiert der Konzern eine viel beachtete Kampagne unter dem Titel „Societies Changing Expectations“: Shell befragt in zwölf Ländern Akademiker, Multiplikatoren und Umweltschützer, was sie von Mineralölkonzernen erwarten. Der Konzern setzt die Ergebnisse der Befragung nach mehr Einsatz für Menschenrechte und Investitionen in der dritten Welt systematisch um. Die weitere Forderung, Shell soll sich intensiver im Bereich der erneuerbaren Energien engagieren, führt zur Gründung eines neuen Geschäftsfeldes, das der Forschung auf diesem Gebiet dient. Außerdem beauftragt das Unternehmen ein unabhängiges Institut mit der jährlichen Erarbeitung seines Umweltberichtes. Mit diesen Aktivitäten kommt Shell aus der Defensive und gewinnt neues Vertrauen.
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Aus Krisen lernen
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9. Aus Krisen lernen
„Lang ist der Weg durch Lehren, kurz und wirksam durch Beispiele.“ Lucius Annaeus Seneca (4 vor Chr. bis 65 nach Chr.), römischer Philosoph und Dichter
Lernen bedeutet Demut. Es wäre dumm, Krisen anderer Unternehmen mit Hochmut zu sezieren. In den folgenden Beispielen geht es allein darum, das Eigenartige einer Krise zu verstehen und Reaktionen zu beurteilen. Sofern Sie kein Übermensch sind, werden Sie sich in einigen Verhaltensweisen wiedererkennen. Denn jeder macht in extremen Situationen Fehler.
Bahn: Falsche Weiche Überblick Die Deutsche Bahn AG verhandelt mit dem Hamburger Senat über eine stufenweise Beteiligung an der Hamburger Hochbahn AG und an der Hamburger Hafen und Logistik AG – und erwägt einen Umzug ihrer Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg. Situation Im Herbst 2005 erarbeiten Hamburger Senat und Deutsche Bahn AG eine Absichtserklärung. Darin steht: „Die DB AG plant, ihre Konzernzentrale und ihre Führungsstruktur nach Auslaufen der Mietverträge in einer Ei-
gentumsimmobilie zu konzentrieren. Dazu wird sie mit dem Senat der Freien und Hansestadt ein Standort- und Bebauungskonzept erarbeiten …“ Kurz danach kursieren erste Meldungen, dass die Bahn von Berlin nach Hamburg umziehen möchte. Es folgen erste Proteste aus der Politik. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ist entsetzt, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee irritiert und Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlt sich übergangen. Am 25. November 2005 bestätigt die Deutsche Bahn AG in einer Presseerklärung die Gespräche mit dem Hamburger Senat und geht erst am Ende dieser Erklärung auf den für die Öffentlichkeit wesentlichen Punkt des Umzuges ein. Nur lapidar heißt es, dass auch eine „Verlagerung zentraler Funktionen der Deutschen Bahn nach Hamburg im Gespräch“ sei. Das heißt: Die Presseerklärung verschweigt, dass es bei den Verhandlungen eben auch um den Umzug der Konzernzentrale geht. Hamburgs erster Bürgermeister Ole von Beust stellt daher am 29. November 2005 klar: „Der Vorstand der Bahn hat Hamburg ein Paket angeboten, das auch nur als Paket verhandelbar ist. Es enthält einerseits die Beteiligung … andererseits die Verlagerung von Konzernleitung und Konzernfunktionen nach Hamburg.“
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Aus Krisen lernen
Die Debatte plätschert vor sich hin, die Sprachverwirrung ist groß. Mit spitzfindigen Wortdeutungen versucht die Deutsche Bahn AG die Debatte zu lenken. Sie spricht vom Sitz der Deutschen Bahn AG“, von „Konzernsitz“ und „Konzernzentrale“. Bahnchef Hartmut Mehdorn gerät zunehmend in die Defensive. Am 10. Januar 2006 bezeichnet er gegenüber einem Reporter der „Berliner Morgenpost“ die Debatte über den Umzug als ein „Missverständnis“. Das Blatt titelt daraufhin: „Umzug der Bahn nach Hamburg vom Tisch.“ Daraus entwickelt sich erneut eine heftige Debatte. Das Unternehmen versucht den Eindruck zu erwecken, als sei alles normal. Am 12. Januar 2006 erklärt es in einer aufschlussreichen Pressemitteilung: „Die Deutsche Bahn AG hatte im Zusammenhang mit ihrem geplanten Engagement in der Hansestadt mitgeteilt, dass die Verlagerung zentraler Funktionen der DB von Berlin nach Hamburg im Gespräch sei. Daran hat sich nichts geändert. Insofern kann auch von einem „Rückzieher“ oder einer geänderten Strategie, wie in einzelnen Medien berichtet, keine Rede sein. Die Gespräche mit dem Hamburger Senat dauern an. Der Vorstand wird das Angebot in Ruhe aushandeln und den zuständigen Gremien zur Bewertung vorlegen. Entscheidungen über Umzugsfragen werden erst am Ende dieses Prozesses getroffen. Die Deutsche Bahn AG beabsichtigt nicht, ihren Sitz von Berlin nach Hamburg zu verlegen.“
Der letzte Satz ist der entscheidende. Es ist offensichtlich, dass Mehdorn gegen den politischen Druck nicht ankommt. Deshalb tut er jetzt so, als habe ein Umzug nie zur Diskussion gestanden. Diese Klarstellung hätte er freilich schon im November 2005 treffen können – obgleich die Absichtserklärung zwischen Bahn und Senat den Umzug sehr wohl vorsieht. Auf diese neue Entwicklung kontert von Beust am 13. Januar 2006 auf einer Pressekonferenz: „Es ging von Anfang an um die Verlagerung von Konzernvorstand, Konzernleitung und Konzernfunktionen nach Hamburg. Dazu fehlt bis jetzt ein klares Bekenntnis, obwohl der Vorstand der DB AG gestern die Chance hatte, den entstandenen Eindruck öffentlich zu korrigieren.“ Hamburg bricht die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG ab. Bewertung Es ist offensichtlich, dass die Deutsche Bahn AG sich verrannt hat. Nach langem Schweigen folgen irritierende Erklärungen. Gegenüber Politikern, Journalisten und insbesondere auch Geschäftspartnern entsteht der Eindruck der Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit. Von einem bedeutenden Unternehmen, das zudem an die Börse strebt, erwartet das Publikum mehr Klarheit und Standfestigkeit. Eine Kommunikationsstrategie ist nicht zu erkennen. Sie hätte den Umzug als brisantes Politikum erkennen und folgende Fragen beantworten müssen:
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n Mit welchen Szenarien stimmen wir den Eigentümer (Bund) auf die Möglichkeit eines Umzugs von Berlin nach Hamburg ein? n Wie inszenieren wir den Vorstandsvorsitzenden (Anlass/Themen/Ort), um ihn gegenüber politischen Entscheidungsträgern zu profilieren? n Wie erreichen wir die Zustimmung von wichtigen Medien? Als die Kommunikationskrise bereits wuchert, versucht die Bahn mit relativierenden und taktischen Erklärungen die Debatte einzufangen. Diese defensive und holprige Reaktion verfestigt nur das mediale Bild, dass sich das Unternehmen in die Sackgasse manövriert hat.
Volkswagen: Scharfe Kurven Überblick Die Firmenleitung des Volkswagen-Konzerns soll Mitglieder des Betriebsrates mit finanziellen Zuwendungen, Luxusreisen und Dienstleistungen von Prostituierten bestochen und in ihren Entscheidungen korrumpiert haben. VW stellt der Staatsanwaltschaft Braunschweig umfangreiche Unterlagen zur Verfügung und verspricht Kooperation. Situation Die Sex- and Crime-Affäre bei VW ist für die Medien ein Geschenk des Himmels. Es geht um Korruption, Betrug, Untreue und Liebesdamen. Alle journalistischen Gattungen (Tageszeitungen, Fachzeitungen,
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Boulevardzeitungen, Wochenzeitungen, Agenturen, Magazine, Radio und Fernsehen) bedienen ihre „Kundschaft“ ausführlich mit Berichten, Reportagen und Interviews. Die BILD-Zeitung gibt das Tempo vor und verschießt eine Salve nach der anderen: „VW-Affäre: Auch Politiker im Sexsumpf?“ – „VW-Sex-Affäre: So ließen sich die Bosse ihre Rotlicht-Rechnungen begleichen.“ – „Sexvorwurf gegen Hartz: Wie hält seine Ehefrau das nur aus?“ – „Bosse riefen: Wo bleiben die Weiber.“ – „Zahlte VW sogar Viagra?“ – „Das Liebesmädchen: Hartz ließ mich nach Paris einfliegen.“ Am 30. Juni 2005, kurz nach dem Beginn der Affäre, gibt VW eine Pressemitteilung heraus. Die Überschrift lautet: Pischetsrieder: „Wir werden für vollständige Aufklärung sorgen.“ Im Text heißt es dann „Volkswagen hat vor wenigen Tagen die Staatsanwaltschaft Braunschweig eingeschaltet, um vorliegenden Hinweisen des Konzerns weiter nachzugehen. Volkswagen arbeitet hierbei eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Dabei wird allen vorliegenden Hinweisen nachgegangen und für vollständige Aufklärung gesorgt.“ Die Pressemitteilung endet mit dem Hinweis, dass sich das Unternehmen zu „Details der laufenden Untersuchung oder zur Höhe eines gegebenenfalls entstandenen finanziellen Schadens“ derzeit nicht äußern könne. Kurz nach dieser Erklärung gerät Personalvorstand Peter Hartz zunehmend in die Schusslinie der Medien. Der Vorwurf lautet,
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er sei aktiver in die Affäre verstrickt als bisher angenommen. Eine Woche später geht Hartz in die Offensive und weist den Vorwurf als absurd zurück, dass der Vorstand den Betriebsrat mit Lustreisen gekauft hätte. Im Vorstand seien solche Vorgänge nicht bekannt. Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch stellt unterdessen klar, dass es keine Pläne gibt, Hartz einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Ein Sprecher dementiert ebenfalls angebliche Rücktrittspläne. Er sagt: „Peter Hartz ist und bleibt Personalchef.“ Während diese Worte fallen, ist schon klar, dass Hartz nicht mehr zu halten ist. Er tritt am 8. Juli 2005 zurück. Für die Börse räumt damit ein „Sündenbock“ den Platz. Nach der Ankündigung steigt der VW-Kurs um 1,7 Prozent auf 38,55 Euro. Im weiteren Verlauf der Krise melden sich weitere Beschuldigte zu Wort, teilweise zitieren Medien aus Untersuchungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Bewertung Die Krise hat dem Börsenkurs nicht geschadet. Die Präsentation des neuen Passat Variant im Juli 2005 findet in den Medien und in der Öffentlichkeit eine positive Resonanz. Allerdings weist Vorstandschef Bernd Pischetsrieder mahnend darauf hin, dass der VW-Konzern durch das Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter auf eine unerträgliche Art und Weise in die Schlagzeilen geraten sei. Die Frage lautet, wie viel negative Publizität ein Unternehmen aushält? Wann beginnt der Imageschaden? Auch wenn VW einen robusten Ruf hat, irgendwann bringt der berühmte
Tropfen das Fass zum Überlaufen. Die Kommunikationspolitik hat drei offensichtliche Schwächen: n Die Öffentlichkeitsarbeit von VW ist nicht gerade bekannt für ihr kollegiales Verhältnis zu den Medien. Auch in den „heißen Krisenmonaten“ mauert die Pressestelle, statt offener zu kommunizieren und den Dialog zu suchen. Mit dieser Einstellung hat VW keine Chance, aus der Defensive herauszukommen. Gleichwohl hat das Unternehmen für seine Verhältnisse recht früh auf die Krise reagiert. In der Pressemitteilung kündigt der Vorstandschef eine lückenlose Aufklärung an. Er hat das (negative) Problem mit der (positiven) Botschaft der lückenlosen Aufklärung verbunden. Gut so. Dann aber verfällt VW wieder in seine defensive Konzernsprache und macht Pischetsrieders Auftritt kaputt. Die Formulierung – „Zu Details der laufenden Untersuchung … kann sich das Unternehmen derzeit nicht äußern“ – ist schwach. Wenn der Vorstandschef schon eine lückenlose Aufklärung verspricht, dann macht es doch keinen Sinn, eben dieses Versprechen mit dem nächsten Satz abzuschwächen. Warum nicht so: „Wir werden Sie aktuell informieren, sobald weitere Informationen vorliegen.“ n Das Unternehmen geht mit seiner Ankündigung, dass es die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat, nur scheinbar in die Offensive. Es ist ohnehin seine Pflicht, die Ermittlungsbehörden bei Rechtsverstößen zu unterstützen. Aber es ist auch die Pflicht des Unternehmens, aus eigener Kraft selbst
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alles zu unternehmen, um Missverständnisse aufzudecken, statt diese Arbeiten an Staatsanwälte und Wirtschaftsprüfer zu delegieren. Indem VW systematisch Verantwortung abgibt, macht es deutlich, dass es nicht die Kraft oder den Willen hat, Fehler zu offenbaren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das Abschieben von Verantwortung bedeutet den Verlust von Souveränität und Kontrolle. Denn die externen Stellen (Staatsanwälte, Wirtschaftsprüfer) entwickeln eigene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, auf die VW keinen Einfluss mehr hat. n Problematisch ist auch die Erklärung von Peter Hartz. Sie ist menschlich verständlich, entspricht aber nicht dem notwendigen Gebot, dass das Unternehmen in einer Krise mit einer Stimme spricht. Außerdem ist sein Hinweis problematisch, dass keiner im Vorstand – also auch er nicht – von den Lustreisen gewusst hätte. Damit überträgt er quasi die Beschuldigungen, die sich nur gegen ihn richten, auf den gesamten Vorstand. VW war, ist und bleibt eines der grandiosen Unternehmen in Deutschland. Mit dem Einstieg von Porsche und der allmählichen Zerschlagung von Seilschaften entsteht (hoffentlich) eine moderne Unternehmenskultur. Die Öffentlichkeitsarbeiter sollten diesen Wandel mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit begleiten und prägen. Die offensive Aufarbeitung der Krise wäre dazu ein erster Schritt.
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RWE: Eiskalt erwischt Überblick Nach heftigen Schneestürmen stürzen am 25. November 2005 in 25 Gemeinden des Münsterlands 82 Strommasten ein. Davon betroffen sind 250.000 Menschen. Für sie bedeutet das: keine Wärme, kein Licht. Dafür verantwortlich: die RWE AG. Situation Abgesehen von den extremen Unannehmlichkeiten, richtet der Stromausfall auch beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden an. Verdorbenes Essen in aufgetauten Tiefkühltruhen, Überspannungsschäden an Elektrogeräten, ausgefallene Trockenpumpen und Melkmaschinen gehen massiv ins Geld. Allein der Schaden durch Produktionsausfall beträgt nach Schätzungen der Industrie- und Handelskammer 100 Millionen Euro. Je länger der Stromausfall dauert und den Menschen zusetzt, desto harscher wird die Kritik von Bürgermeistern und Journalisten. RWE habe seine Sorgfaltspflicht bei Wartung und Instandhaltung der Leitungen vernachlässigt. Es sei nicht in ausreichendem Maße in die Erneuerung der Netzinfrastruktur investiert worden. Insbesondere müsse sich RWE Versäumnisse beim Ersatz von Masten anlasten lassen, die aufgrund angeblich mangelhafter Qualität des beim Bau verwendeten Stahls altersbedingt an Elastizität verloren hätten.
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RWE ist verblüfft über die Situation und zieht zunächst seinen Beschwichtigungskurs durch. Wie Hohn wirkt das Versprechen des Konzerns, nachzulesen auf der Website für Privatkunden: „Unser Leben braucht Sicherheit. Und die bietet Ihnen RWE Tag und Nacht mit ganzer Energie.“
Aktionistisch verschickt das Unternehmen permanent Pressemitteilungen, um damit Besorgnis, Handlungsbereitschaft und Rechtfertigung auszudrücken.
RWE-Presse im Dauereinsatz 26. November 2005
„RWE arbeitet mit Hochdruck“
27. November 2005
„Netzaufbau schreitet weiter voran“
27. November 2005
„Wiederherstellung der Stromversorgung schreitet weiter voran“
28. November 2005
„RWE-Bereitschaftsdienst versorgt über Nacht weitere 30.000 Menschen mit Strom“
28. November 2005
„10 Zentimeter Eis auf den Leitungen“
28. November 2005
„Zusätzliche Regenfälle auf stark vereisten Leitungen“
29. November 2005
„Westliches Münsterland fast wieder komplett versorgt“
30. November 2005
„Stromversorgung wird noch heute im ganzen Münsterland nahezu komplett wiederhergestellt“
2. Dezember 2005
„Offener Brief“ an die Kundinnen und Kunden
2. Dezember 2005
„Freiwilliger Härtefallfonds soll Bürgerinnen und Bürgern rasch helfen“
2. Dezember 2005
„RWE nimmt Stellung zur Kritik nach den Stromausfällen im Münsterland“ (Rechtfertigung)
3. Dezember 2005
„Hochspannungsnetz von RWE ist sicher“ (Reaktion auf kritischen Spiegel-Bericht)
6. Dezember 2005
„RWE stellt Zwischenbericht zu den Stromausfällen im Münsterland vor“ (Schuld daran ist die extreme Wettersituation)
17. Dezember 2005
„Die Nächte von Vreden“ (reportageähnliche Pressemitteilung über einen Mitarbeiter, der Tag und Nacht arbeitet, damit die Menschen wieder mit Strom versorgt werden)
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Bewertung Das Unternehmen schätzt die Krise falsch ein. Die Öffentlichkeitsarbeit läuft quasi neben der Spur. Nach einem starken Beginn verliert sie die Orientierung: n Ein Tag nach dem Beginn der Krise kündigt der Vorstandsvorsitzende der RWE Westfalen-Weser-Ems AG, Knut Zschiedrich, alles „Menschenmögliche“ an, um die Stromversorgung rasch wiederherzustellen. Er bedauert die „Unannehmlichkeiten für unsere Kunden“ und bedankt sich für die Hilfskräfte. Das ist eine schnelle und angemessene Reaktion. n Er wiederholt diese Botschaften am siebten Tag der Krise, diesmal befindet er sich aber in der Defensive. Statt die Medienresonanz auf diese Erklärung abzuwarten und sie eventuell mit einer Geste (zum Beispiel Besuch bei einer besonders betroffenen Familie) aufzuladen, „verschießt“ das Unternehmen noch am gleichen Tag sein Pulver: Es kündigt einen freiwilligen Härtefallfonds (von allerdings nur fünf Millionen Euro) an und verschickt eine weitere Pressemitteilung, um alle Schuld an der Krise abzustreiten. Damit neutralisiert das Unternehmen den „offenen Brief“ ihres Vorstandsvorsitzenden und verschenkt wertvolle Aufmerksamkeit. n Die aktionistisch verschickten Pressemitteilungen mit zum Teil agitatorischem und rechthaberischem Unterton vermitteln nicht das Bild eines Unternehmens, das die Krise vollständig im Griff hat.
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n RWE richtet keine Hotline für geschädigte Kunden ein, es gibt auch keine zusätzlich freigeschalteten Seiten auf der Internetpräsenz mit aktuellen Informationen und Hilfsadressen (vielleicht meinte RWE: kein Strom – kein Internet). n Nach der Krise hat RWE den widerlegten Werbespruch „Unser Leben braucht Sicherheit. Und die bietet Ihnen RWE Tag und Nacht mit ganzer Energie“ nicht ausgetauscht. Nur eine Petitesse? Glaubwürdigkeit ist nicht nur das große Ganze, sondern beginnt mit dem Detail.
Klinikum Krefeld: Fehlerhafte Kunst Überblick Am 21. Juli 2004 stirbt der ZDF-Journalist Bodo Hauser mit 58 Jahren nach einer harmlosen Darmoperation. Der Chefarzt der Viszeralchirurgie des Klinikums Krefeld wird am 16. Januar 2006 suspendiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Hausers Witwe erwägt eine Klage gegen den behandelnden Arzt. Situation Nach dem Tod teilt die Klinik der Witwe Barbara Hauser mit, dass ihr Mann an einer Lungenembolie gestorben sei. Obwohl die Obduktion am folgenden Tag diese Todesursache nicht bestätigt, informiert das Klinikum Frau Hauser erst sechs Wochen später darüber. Sie veranlasst daraufhin eine
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Untersuchung der Todesumstände durch objektive Experten. Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein untersucht den Fall und übergibt der Klinik im Januar 2006 ihren zehnseitigen Bericht. Darin heißt es: „Der Tod des Patienten muss mit praktischer Gewissheit als Folge des Behandlungsfehlers angesehen werden.“ Die Medien berichten ausführlich, die BILD-Zeitung titelt: „Todesakte Bodo Hauser.“ Am 16. Januar 2006 verkündet der Krefelder Oberbürgermeister Gregor Kathstede (CDU) als Aufsichtsratsvorsitzender des Krefelder Klinikums die Suspendierung des Chefarztes. In einem Kondolenzschreiben an Frau Hauser kritisiert er die Medien, die keine Rücksicht auf die Familie nehmen würden. Ebenfalls am 16. Januar kündigt der ärztliche Direktor der Klinik, Professor Dr. Dieter Bach, eine komplette Überprüfung des Notfallmanagements an. Mit der raschen Suspendierung versucht das Klinikum, die fehlerhafte Behandlung auf eine Person zu konzentrieren, um den Imageschaden für die Klinik gering zu halten. Doch der Rechtsanwalt der Familie Hauser will sich darauf nicht einlassen. Er beruft sich auf das Gutachten und sagt: „Dass nach der dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen wurden, haben alle Ärzte, Pfleger und Schwestern des Teams zu verantworten.“
Wie mittlerweile bekannt wird, ist Bodo Hauser kein Einzelfall: In einem früheren Fall suspendierte die Klinik ebenfalls einen Chefarzt wegen eines angeblichen Behandlungsfehlers. Seitdem klagt er gegen seine fristlose Kündigung. Die Diskussion um Leben und Tod trifft die Klinik in einer schwierigen Unternehmensphase. 20 Millionen Euro Defizit im laufenden Etat und ein baulicher Sanierungsbedarf von rund 104 Millionen Euro gefährden die Existenz des Klinikums. Die Vorgaben sind knallhart. Gelingt bis 2009 nicht die Sanierung, dann droht ein Verkauf. „Das wäre das Ende des ehemals überregional angesehenen Klinikums, das seit einem Jahr in atemberaubender Geschwindigkeit seine Reputation zu verlieren droht“, schreibt die Rheinische Post. Bewertung Die Geschäftsführung weiß, dass Behandlungsfehler die Glaubwürdigkeit eines Krankenhauses auch dann beschädigen, wenn es bisher über einen guten Ruf verfügt. Es gibt für ein Krankenhaus kaum etwas Schlimmeres als einen tödlichen Behandlungsfehler. Das Management des Klinikums Krefeld ist aber nicht in der Lage, die prekäre Situation überzeugend zu kommunizieren. Es hatte mehr als 18 Monate Zeit, alle Eventualitäten für den Fall eines Behandlungsfehlers gegenüber einem bundesweit bekannten Patienten durchzuspielen.
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n Die Suspendierung des Arztes ist ein Verwaltungsakt. Die Menschen aber fragen sich, wie gut und sicher das Krankenhaus ist. Darauf gibt die Klinik weder auf ihrer Homepage noch in einer Pressemitteilung Auskünfte. Sie lässt die Menschen alleine. n Der ärztliche Direktor kündigt nach der Suspendierung eine komplette Überprüfung des Notfallmanagements an. Was heißt das denn? Was bedeutet das konkret? Dazu gibt es weder eindeutige noch nachlesbare Informationen. Der Patient ist tot, sein Arzt suspendiert – und ein ärztlicher Direktor kündigt eine Überprüfung des Notfallmanagements an. Abgesehen davon, dass es unklug ist, dieses wichtige, perspektivische Thema mit dem negativen Thema der „Suspendierung“ zu verbinden, ist eine akademische Redensweise auch völlig fehl am Platze. n In einem Brief an Frau Hauser beklagt sich der Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums über die Medien, die keine Rücksicht auf die Familie des Verstorbenen genommen hätten. Er geht mit keinem Wort auf die schwereren Fehler der Klinik und des Arztes ein. „Dieses Schreiben macht alles noch schlimmer“, sagt Frau Hauser. Außerdem weist sie die Medienkritik zurück. In der Tat ist es instinktlos, in dieser Situation einen Brief mit schematischen Inhalten zu verfassen. Das gehört sich einfach nicht. n Die Abteilungen der Klinik, die über wissenschaftliche Kapazitäten mit internationaler Erfahrung verfügen, müssen ebenfalls für den Reputationsschaden haften. Das
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Management ist nicht in der Lage, die Krise fachlich und menschlich überzeugend zu kommunizieren und den Fall auf die Viszeralchirurgie einzugrenzen. Management und Aufsichtsrat des Klinikums Krefeld haben die Krise fahrlässig vergrößert. Beide Gremien haben kein Verständnis für den erforderlich sensiblen Umgang mit dem „Todesthema“. Die Vorgehensweise erschüttert Vertrauen statt Vertrauen wiederzugewinnen.
Zapf Creation: Kein Kinderspiel Überblick Europas führender Puppenhersteller steht unter dem Verdacht, die Bilanz manipuliert zu haben. Analysten raten zum Verkauf der Aktie. Die negativen Nachrichten reißen nicht ab. Sogar die Veröffentlichung der Quartalszahlen muss verschoben werden. Situation Die Zapf Creation AG ist Europas führender Markenhersteller von Spiel- und Funktionspuppen. Die bekanntesten Marken sind „Baby born“, „Baby Annabell“ und „Chou Chou“. Am 26. April 1999 geht das Unternehmen an die Börse, steigt am 27. Dezember 2001 aufgrund seiner guten Marktkapitalisierung in den M-Dax auf und wird am 20. September 2004 wegen zu geringer Marktkapitalisierung in den S-Dax zurückgestuft. Der Anteil des Streubesitzes (free float) ist mit 91,84 Prozent sehr hoch.
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Die Aktie steht unter Druck, Ergebnis und Umsatz gehen zurück. Von Ende März bis Dezember 2005 empfehlen fünf von zehn Analysten die Aktie zum Verkauf, vier raten zum Halten und einer zum Kaufen. In dieser prekären Situation stellt sich nach einer Bilanzprüfung heraus, dass „bestimmte Aufwandspositionen im Geschäftsjahr 2004 … nicht korrekt verbucht worden sind“. Der Vorstand prüft strafrechtliche Schritte. In einer weiteren Pressemitteilung teilt das Unternehmen am 17. Oktober 2005 mit, dass der „Interims-Finanzvorstand“ mit sofortiger Wirkung sein Amt niedergelegt habe und dass die Funktion kurzfristig neu besetzt werden solle. Aufgrund der laufenden Untersuchung muss die für Mitte November 2006 geplante Veröffentlichung der Quartalszahlen verschoben werden. Bewertung Ein börsennotiertes Unternehmen, das sich mit dem Vorwurf der Bilanzmanipulationen auseinander setzen muss, ist in besonderer Weise dem Argwohn der Aktionäre ausgesetzt. Der Puppenhersteller befindet sich gegenüber seinen Aktionären in einer Vertrauenskrise. Das Unternehmen ist erkennbar nicht in der Lage, die gewiss schwierige Situation mit einer überzeugenden Kommunikationsstrategie zu managen. Eine zielführende Zusammenarbeit zwischen den getrennten Funktionen Public Relations und Investor Relations fehlt ebenso wie ein Personality Marketing für den Vorstandsvorsitzenden:
n Das Unternehmen teilt nach Bekanntwerden der bilanziellen Ungereimtheiten die Trennung vom „Interims-Finanzvorstand“ mit und kündigt eine baldige Neubesetzung an. Mehrere Monate danach ist die Stelle immer noch vakant. Schon die Interimslösung macht deutlich, dass das Unternehmen nicht in der Lage war, die Position schnell und adäquat zu besetzen. Das Unternehmen macht keine Angaben darüber, wer eigentlich die Aufgaben des Finanzvorstands seit Oktober 2005 wahrnimmt – vermutlich der Vorstandsvorsitzende, weil der Vorstand nur aus zwei Personen besteht und das zweite Vorstandsmitglied für Entwicklung und Design zuständig ist. Ein S-Dax notiertes Unternehmen ohne Finanzvorstand bzw. ohne erkennbare Funktionsverteilung im Vorstand ist den Aktionären nur schwer zu erklären. n Das Unternehmen teilt aufgrund der laufenden Sonderprüfung eine Verschiebung der für Mitte November 2005 geplanten Veröffentlichung der Quartalszahlen mit. Es fehlt in dieser Meldung jeglicher Hinweis auf ein Datum. Später kreist das Unternehmen den Zeitpunkt schließlich auf „Anfang 2006“ ein. Aber auch diese unklare Terminierung unterstellt, dass das Unternehmen offenbar größere Probleme mit der korrekten Bilanzierung hat. n Die Veröffentlichung der Jahresbilanz gibt das Unternehmen noch Anfang 2006 mit „bis Ende März“ an. Auch diese unpräzise Terminierung zeigt den Aktionären, dass es im Unternehmen nicht rund läuft. Es gehört zum gewöhnlichen Standard eines im S-Dax,
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M-Dax oder Dax gelisteten Unternehmens, alle Finanztermine (Quartalsberichte, Bilanzpressekonferenz, Analystenkonferenz, Hauptversammlung) weit im Voraus festzulegen, jedenfalls nicht kurz davor. n Der Vorstandsvorsitzende ist weitgehend unbekannt. Es gibt kaum Meldungen über ihn oder Interviews mit ihm. In den seltenen Fällen, in den man ihn wahrnimmt, tritt er als „Sanierungsmanager“ auf. Ein Personality Marketing ist nicht erkennbar. Zapf ist ein Unternehmen ohne Gesicht. Für die Mütter, die ihren Töchtern Puppen kaufen, mag das unwichtig sein. Aber Aktionäre orientieren sich nicht nur rational an Zahlen und Fakten, sie lassen sich auch von der Persönlichkeit des Vorstandsvorsitzenden leiten. n Zapf Creation verfügt über vorbildliche Sozialstandards und engagiert sich gewissenhaft für SOS-Kinderdörfer. Nur wer weiß das schon? Zapf Creation verschenkt positive Aufmerksamkeit.
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E.ON Ruhrgas: Fernweh Überblick: Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt seit Mitte 2005 gegen den Essener EnergieKonzern E.ON Ruhrgas AG. Der Verdacht: Der Gas-Riese soll rund 150 Stadträten und anderen Kommunalpolitikern, die als Aufsichtsräte in Stadtwerken und bei anderen Versorgern sitzen, teure Lustreisen finanziert haben, um im Gegenzug bei der Vergabe von Gas-Lieferverträgen bevorzugt zu werden. Auf dem Programm stehen Reisen zum Beispiel nach Brügge, Barcelona und St. Petersburg. Situation Der Verdacht auf Vorteilsnahme wiegt schwer. Der Fall gewinnt im Januar 2006 innerhalb von zwei Tagen eine Eigendynamik.
Mit stringenter Finanzkommunikation, mit Personality Marketing und der Darstellung seines sozialen und gesellschaftlichen Engagements würde Zapf Creation trotz geschäftlicher Probleme aus der Defensive herauskommen.
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Auf dem Ticker Beispiel Deutscher Depeschendienst (ddp) und Deutsche Presseagentur (dpa): Mittwoch, 18. Januar 2006 um 17.23 Uhr: „Ermittlungen gegen E.ON Ruhrgas wegen Politikerreisen“ (ddp) Mittwoch, 18. Januar 2006 um 19.11 Uhr: „Ermittlungen gegen E.ON Ruhrgas“ (dpa) Donnerstag, 19. Januar 2006 um 13.02 Uhr: „Stadtwerke Burscheid weisen Vorwürfe zurück“ (dpa) Donnerstag, 19. Januar 2006 um 13.28 Uhr: „Affäre um von E.ON Ruhrgas gesponserte Reisen zieht weitere Kreise“ (ddp) Donnerstag, 19. Januar 2006 um 15.42 Uhr: „E.ON Ruhrgas weist Vorwürfe zu Reisen für Lokalpolitiker zurück“ (ddp) Donnerstag, 19. Januar 2006 um 17.07 Uhr: „E.ON Ruhrgas Affäre weitet sich aus – Ermittlungen gegen 150 Kommunalpolitiker“(ddp) Donnerstag, 19. Januar 2006 um 17.21 Uhr: „E.ON Ruhrgas-Reisen. Beschuldigte wehren sich“ (dpa)
Es entwickelt sich ein breites Medienecho, Wissenschaftler, Politiker und Korruptionsexperten melden sich zu Wort. Während ein Pressesprecher (nicht der Kommunikationschef) des Unternehmens den Vorwurf bezahlter Lustreisen zurückweist („reine Informationsreise mit straffem Programm“), melden Onlinedienste und Agenturen zur gleichen Zeit, dass die Staatsanwälte ihre Ermittlungen systematisch ausweiten. Bewertung Die ersten 24 Stunden entscheiden wesentlich über den weiteren Verlauf einer Krise. Wenn sich erst einmal Meinungen verfestigen und auf dieser Basis das Medieninteresse stark zunimmt, sind nachträgliche Versuche der „Gestaltung“ schwierig. Gestalten setzt voraus, dass man weiß, was man will:
n Ruhrgas braucht für die erste Reaktion rund 22 Stunden. Das ist zu lang. Denn schon nach wenigen Stunden hätte das Unternehmen eine Pressemitteilung herausgeben müssen. Inhalt: „Wir bestätigen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln wegen angeblichen Verdachts der Vorteilsgewährung. Unsere Rechtsexperten prüfen den Vorwurf eingehend. Wir sind bemüht, die Zusammenhänge schnellstmöglich aufzuklären und öffentlich bekannt zu geben.“ Mit dieser Erklärung hätte das Unternehmen den Nachrichtenfluss von Anfang an begleitet und guten Willen für eine rasche Aufklärung bewiesen. n Wenn Ruhrgas aber schon 22 Stunden mit einer Reaktion wartet, erwartet die Öffentlichkeit eine konkrete Aussage. Dementis, Beschwichtigungen und Aussageverweige-
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rung führen hingegen zu einer Verschärfung des Konfliktes. Der Pressesprecher sagt, dass es sich um keine Lustreisen gehandelt habe, sondern um eine Informationsreise mit straffem Programm. Statt Beweise für diese Aussage offensiv vorzulegen, geht er nach Rückfragen in eine „verräterische“ Defensive. Er verweigert nähere Angaben unter Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren. Das ist absurd. Nichts wäre leichter gewesen, als das Programm für die Informationsfahrt zu kopieren und zu verschicken. n Auf der Website des Unternehmens (Presse) findet sich keine Pressemitteilung zu diesem Thema. Entweder gibt es nicht einmal eine offizielle Erklärung, sondern nur das mündliche Statement des Pressesprechers, oder das Unternehmen möchte die Pressemitteilung wegen der Brisanz nicht öffentlich dokumentieren. Das wäre besonders schwach. Das Unternehmen macht keinen souveränen Eindruck. Es vermittelt den Eindruck der Tapsigkeit und der Heimlichtuerei. Auch wenn der Konzern tatsächlich Schuld auf sich geladen hat bzw. die rechtliche Prüfung der Vorwürfe noch andauert, erfordert gerade diese kritische Situation ein professionelles Kommunikationsmanagement.
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Humana: Dornenpfad Übersicht Anfang November 2003 erheben israelische Eltern und Ärzte schwere Vorwürfe gegen den deutschen Baby-Lebensmittelhersteller Humana. Die von der Firma über einen israelischen Zwischenhändler vertriebene BabyNahrung enthalte zu wenig Vitamin B und sei somit für den Tod von drei Säuglingen in Israel verantwortlich. Situation Der Tod ihres Babys ist für die Eltern ein grausames Schockerlebnis. Aber auch die Gesellschaft nimmt daran Anteil. Dass sich diese Tragödie auch noch in Israel ereignet, ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte eine weitere schwerwiegende Belastung. Im Raum steht die Aussage: Jüdische Kinder sterben durch Babynahrung aus Deutschland. Die Humana GmbH (Werbung: „Aus Liebe zu Ihrem Kind“) muss schlimmste betriebswirtschaftliche Konsequenzen befürchten. Es gibt keine kritischeren Verbraucher als Mütter von Babys. In dieser komplexen, schwierigen und menschlich fordernden Situation geht das Unternehmen spontan in die Offensive. Am selben Tag, noch bevor der Vorwurf wirklich geklärt worden war, erklärt der Geschäftsführer, die Vorwürfe seien unbegründet und falsch, denn bereits die Sojabohnen (ein Grundbestandteil des Präparats) würden genug Vitamin B1 enthalten.
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Schon kurz danach, am 11. November, muss der Geschäftsführer einräumen, dass man sich geirrt und die hauseigene Qualitätskontrolle „sträflich versagt“ habe. Der Gehalt an Vitamin B1 in der nach Israel gelieferten Säuglingsnahrung soll nur etwa bei einem Zehntel der auf der Packung angegebenen Menge gelegen haben. Ursache sei menschliches Versagen in der Produktionskontrolle. Der Vorstand spricht von einer Verkettung unglücklicher Umstände. Am 12. November schreibt die Geschäftsführung einen Brief an die Mitarbeiter, um den tragischen Fehler offen und ehrlich zu erläutern. Am 14. November schreibt die Geschäftsführung einen Informationsbrief an Hebammen, Kliniken und Ärzte, um die fachlichen Aspekte des Falles vollständig zu erläutern. Am 17. November finden eine Betriebsversammlung, ein Gespräch der Geschäftsführung mit Nordrhein-Westfalens Verbraucherministerin Bärbel Höhn und eine Pressekonferenz statt. Vier verantwortliche Mitarbeiter aus den Bereichen Produktentwicklung, chemisches Zentrallabor und Qualitätsmanagement werden entlassen. Am 22. November schaltet das Unternehmen Anzeigen in großen Tages- und Fachzeitungen. Bewertung Das Unternehmen hat seinen anfänglichen Fehler, eine Schuld vor dem Abschluss der Prüfung auszuschließen, innerhalb kurzer Zeit revidiert und mit einer vorbildlichen
Kommunikationsstrategie wettgemacht. Das Unternehmen kommuniziert offen, ehrlich und angemessen schnell. Die Medien honorieren diese vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit mit einer fairen Berichterstattung.
Borussia Dortmund: Eigentor Übersicht Gerd Niebaum hat Borussia Dortmund an die Spitze des europäischen Fußballs gebracht – und wenige Jahre später an den Rand der Pleite. Deutschlands einziges börsennotiertes Fußballunternehmen verliert das Vertrauen der Fans, der Kleinaktionäre, der Finanzanalysten und Wirtschaftsjournalisten. Niebaum hinterlässt nach seinen erzwungenen Rücktritten als Vereinspräsident und Geschäftsführer der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA 119 Millionen Euro Schulden. Die gesamten Verpflichtungen aus Leasing-, Miet- und anderen Verträgen belaufen sich auf 363 Millionen Euro. Situation Beflügelt vom Champions-League-Sieg 1997 und den damit verbundenen Einnahmen aus TV-Rechten, kauft Niebaum für „unglaubliche Summen“ (Handelsblatt) Spieler. Doch mit den nachlassenden sportlichen Erfolgen reichen die Einnahmen längst nicht aus, um die explodierenden Spielergehälter und den Stadionausbau zu bezahlen. Niebaum treibt den BVB in die Schuldenfalle. Am 2. Januar 2004 macht der Finanzanalyst Peter Thilo von der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank nach langem Zögern seine Drohung wahr
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und stuft die Borussen-Aktie auf „underperform“ ab, also schnell verkaufen. Es folgt eine Phase der Enthüllungen, Spekulationen und Indiskretionen, der Notlügen und peinlichen Unwahrheiten. Der Druck auf Niebaum wird immer stärker, aber noch kurz vor seinem Rücktritt als Vereinspräsident sagt er Sätze wie: „Ich trete nicht zurück, weil ich eine Verantwortung gegenüber dem Verein habe.“ Oder: „Ich mache weiter und sehe keine Veranlassung, die Flinte ins Korn zu werfen.“ Schon seit Ende November 2003 steht Niebaum unter Druck. Er verschärft den Druck durch eine undurchsichtige Geschäftspolitik. Die FAZ kritisiert seine „winkeladvokatische Art und Weise, das Handelsblatt beurteilt ihn als einen von „Großmachtsucht getriebenen Autokraten“. Die Zeit titelt über Borussia Dortmund: „Größenwahn AG“ und schreibt: „Selbst jene, die Niebaums Lebensleistung bewundern, sagen mittlerweile, dass ihnen der Mann unheimlich geworden ist.“ Er habe die Bodenhaftung verloren, hat angefangen, Geld auszugeben ohne Sinn und Verstand. Report München sendet einen TV-Beitrag über „Finanzamateure im Proficlub – Chaos bei Borussia Dortmund“. Niebaum weigert sich, einfache und übliche Fragen unter anderem zur Bilanz zu beantworten. Er flüchtet in Heimlichtuerei und verweigert Antworten. Mithilfe des Bilanzexperten Professor Karlheinz Küting nimmt das TVMagazin die Bilanz auseinander und stellt fest: „Ein transparenter und anlegerfreundli-
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cher Geschäftsbericht ist offenbar nicht das Ziel. Ein Beispiel hierfür ist, dass eine der wichtigsten Bilanzzahlen, der so genannte cash flow, zweimal aufgeführt wird. Auf der Übersichtsseite noch mit minus 22 Millionen Euro, auf Seite 77 plötzlich mit minus 39 Millionen Euro. Zwei unterschiedliche Zahlen in einem Geschäftsbericht. Zahlenjonglieren auf Dortmunder Art.“ Der Spiegel erhebt gegen Niebaum den Vorwurf, „in die eigene Tasche“ gewirtschaftet zu haben. Längst müsse er sich „nicht nur vorhalten lassen, seit dem Champions-League-Sieg 1997 dem Größenwahn anheim gefallen zu sein und die Borussia dank einer riskanten Ausgabenpolitik zum Pleitekandidaten mit 119 Millionen Euro Schulden gemacht zu haben“. Erstmals gebe es Indizien dafür, „dass er sein Amt nutzen wollte, um in die eigene Tasche zu wirtschaften“. Niebaums Name ist ramponiert, vereinzelt droht er mit rechtlichen Schritten gegen Medien. Substanziell unternimmt er aber nichts, um Vertrauen aufzubauen. So gerät er immer schneller ins Abseits und schadet damit auch dem Verein und dem Unternehmen. Längst hat sich in der Öffentlichkeit, bei Fans, Journalisten und Analysten das Bild verfestigt, dass Niebaum systemisch die Wahrheit leugnet. Der Anlegervertreter Stefan ten Doornkaat von der Schutzvereinigung der Kapitalanleger kritisiert Niebaums „irreführende Informationspolitik“ und wirft ihm „Verschleierung“ vor.
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Die Glaubwürdigkeitskrise erreicht ihren Höhepunkt, als Niebaum eine Vereinbarung mit dem neuen Großaktionär Florian Homm über eine vorzeitige Vertragsauflösung abwechselnd als „Fälschung“ und „üblen Scherz“ bezeichnet. Als die Süddeutsche Zeitung aber die vollständige Vereinbarung abdruckt, hat er alles verspielt, vor allem seine Ehre. Homm plaudert in der BILD am SONNTAG: „Herr Dr. Niebaum gerät fast täglich durch die Veröffentlichung neuer Enthüllungen unter Druck. Unabhängig davon, ob diese alle der Wahrheit entsprechen, sage ich: Diese Vielzahl an Enthüllungen schadet dem Unternehmen Borussia Dortmund.“ Am 14. November 2004 tritt Niebaum zurück. Wenige Monate später, am 9. Februar 2005, muss er auch als Vorsitzender der Geschäftsführung der KGaA zurücktreten. Die Reaktion: Die Aktie legt um acht Prozent auf 2,86 Euro zu. Dem Finanzanalysten PeterThilo Hasler fällt ein Stein vom Herzen. Er sagt: „Der Schritt von Herrn Niebaum ist positiv, weil er damit Platz macht für einen echten Sanierer.“ Carsten Heise, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, findet den Rücktritt „mehr als überfällig“. Bewertung Gerd Niebaum war ein hervorragender Präsident, der mit dem Verein grandiose Erfolge gefeiert hat. Als Vorsitzender der Geschäftsführung der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA sind ihm operative Fehler unter-
laufen. Fehler kommen vor, die Frage ist nur, wie ein betroffener Manager bzw. ein betroffenes Unternehmen aus der Stimmungsfalle wieder herauskommt. Hierbei sind Niebaum schwere Kommunikationspannen unterlaufen, um nur ein paar Punkte zu nennen: n Die Androhung einer Klage gegen kritische Medien ist immer problematisch. Selbst wenn man sich mit sicheren Beweisen im Recht wähnt, macht die Durchsetzung des Rechts auch nur dann Sinn, wenn sie schnell erfolgt und sich Gegner davon beeindrucken lassen. n Die Finanzkommunikation ist ein Desaster. Systematisch verweigert Niebaum dem Kapitalmarkt die gewünschten Informationen und verspielt damit die Chance, mit Transparenz seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Mit wortklauberischen Sätzen versucht er, sich kritischen Fragen zu entziehen. n Das Investor Relations erfüllt nicht einmal Mindestanforderungen: So hätte der Verein unmissverständlich kommunizieren müssen, welche finanziellen Folgen die Nicht-Qualifikation für die Champions League und das Ausscheiden aus dem UEFA Cup für die Gesellschaft hat. Die geheime Absprache zwischen Niebaum und Homm zur vorzeitigen Vertragsauflösung ist eine kursrelevante Nachricht, die die Gesellschaft hätte mitteilen müssen. Sie riskiert aktienund zivilrechtliche Klagen.
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Der Fall Borussia Dortmund zeigt auch, wie schwer sich Manager nach einem Börsengang mit Publizitätspflichten und ständiger Kontrolle durch Analysten, Investoren und Journalisten tun können.
Bundesagentur für Arbeit: Selbstbeschäftigung Übersicht Am 27. März 2002 ernennt die Bundesregierung Florian Gerster zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit. Er hat den Job angenommen, nachdem sein Gehalt und später auch das Spesenkonto des Vorstandes verdoppelt wurden. Nach vielen Irritationen und zum Teil unbewiesenen Vorwürfen um seine Amtsführung muss er den Posten am 24. Januar 2004 schon wieder verlassen. Situation Ob Irritationen, Fettnäpfchen oder Skandälchen: Florian Gersters PR-Manager eilen von Notfall zu Notfall, um Krisen Ihres Chefs einzudämmen. Der Schlamassel beginnt schon vor Gersters erstem Arbeitstag: Er lässt seine zukünftigen Mitarbeiter in Nürnberg wissen, in Zukunft werde die Behörde mit der Hälfte der Bediensteten auskommen. Damit hatte er sofort den Hauptpersonalrat gegen sich, auf dessen Kooperation Gerster beim geplanten Umbau der Bundesagentur angewiesen ist.
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Im November 2003 gerät er wegen eines PR-Auftrags in Höhe von 1,3 Millionen Euro, der nicht ausgeschrieben worden war, in die Schlagzeilen. Mitte Januar 2004 werden Verträge mit fünf Beraterfirmen in einem Gesamtvolumen von 38 Millionen Euro bekannt. Am 20. Januar 2004 werden (falsche) Vorwürfe laut, Gerster solle veranlasst haben, dass interne Protokolle der Behörde verfälscht werden, um die Affäre zu vertuschen. Für Unmut sorgen auch die 2,6 Millionen Euro teure Renovierung der Vorstandsbüros und Berichte über die Bestellung von 900 BMW-Dienstlimousinen – auch wenn die Behörde versicherte, es habe sich um Leasingverträge für vorerst nur 300 Modelle gehandelt. Permanent gerät Gerster in die Defensive. Die Medien haben sich auf ihn eingeschossen und ihn mit negativen Schlagzeilen umzingelt. Der studierte Psychologe wird zum medialen Psychofall: Sein angeblich arroganter Umgang mit den Mitarbeitern, dass sie zum Beispiel den Fahrstuhl verlassen müssen, wenn er selbst damit fahren möchte, forciert das negative Stimmungsbild. Gerster gilt als ungeliebter Erneuerer. Mit seinen Plänen für einen radikalen Umbau der Bundesanstalt, für tiefe Einschnitte in das Sozialsystem und seinem Konzept einer marktnahen Sozialstaatsreform macht er sich viele Feinde. Vor allem in der rot-grünen Regierungskoalition sorgt seine Eigenwilligkeit immer wieder für Verdruss.
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Bewertung Gerät der eigene Chef schuldhaft in die Schusslinie, ist seine Selbstkritik für den weiteren Verlauf der Krisenkommunikation entscheidend. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung ist es für den Kommunikationsmanager außerordentlich schwierig, der Führungsperson Ursachen und Folgen seines Handelns in gebotener Schärfe zu verdeutlichen. Wenn sich der Topmanager keiner Schuld bewusst ist und diese Haltung auch demonstrativ nach außen trägt, ist wirksame Krisenkommunikation nicht mehr möglich. Im Fall Gerster sind die Probleme vielfältig und komplex. Gerster versteht es nicht, jemanden für seine Ideen zu begeistern. Er legt sich mit jedem an und hat zuletzt keine Freunde mehr: n Fehler bei Ausschreibungen oder unsensibles Handeln (Hohe Renovierungskosten/ teure Autos contra hohe Arbeitslosigkeit) prägen zunächst einmal das Bild von der Person Florian Gerster. Nur mit stringenter Selbstdisziplin (keine harten Reden, keine arroganten Auftritte, keine gedroschenen Interviews) gelingt ein allmählicher Imagewandel Personality Marketing. n Die Distanz des Chefs zu seinen Mitarbeitern ist ein unmöglicher Zustand. Eine offensive interne Kommunikation (Entscheidungen und Ziele erklären, Mitarbeiter loben, keine überheblichen Gesten auf Personalratsversammlungen, häufiger in der Kantine essen etc.) löst Verhärtungen.
n Provokationen oder Besserwisserei gegenüber der Bundesregierung sind per se kontraproduktiv. Parlamentarische Abende mit Abgeordneten und Journalisten fördern den Dialog und auch die vernünftige Auseinandersetzung mit dem Menschen Florian Gerster. Gewiss: Die Kommunikation muss zur Person passen. Sie muss aber vor allem zum Unternehmen passen. Ein Image schwacher Vorstandsvorsitzender schwächt das Unternehmen, wie es umgekehrt von seiner Stärke profitiert.
Cryotec: Wüstensturm Überblick Am 24. Januar 2006 werden im Irak zwei Mitarbeiter der sächsischen Cryotec Anlagenbau GmbH entführt. Schon kurz danach beginnt eine Debatte um Schuld und die Übernahme der Kosten im Fall einer erfolgreichen Befreiung. Die Neugierde an der Firma ist so groß, dass die Besucherzahl auf der Homepage innerhalb von zwei Tagen von ein paar Hundert auf über 13.000 ansteigt. Situation Das Unternehmen ist seit einigen Jahren im Irak aktiv. Es beschäftigt etwa 15 Mitarbeiter und ist auf Anlagen zur Produktion, Lagerung und Anwendung industrieller Gase wie Stickstoff und Kohlendioxyd spezialisiert. Bereits seit dem Jahr 2000 liefert das Unter-
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nehmen im Rahmen des UNO-Programms „Öl für Lebensmittel“ zwei Anlagen in den Irak, 2005 folgt die dritte. Nach Informationen des Mitteldeutschen Rundfunks betreut die Firma ein Millionenprojekt für eine Ölraffinerie, das eine Bank mit 600.000 Euro vorfinanziert habe. Laut Cryotec entstand eine Anlage zur Erzeugung von Stickstoff in einer Raffinerie in Badschi. Die zwei entführten Mitarbeiter sollten vor Ort die Anlage übergeben.
n Da das Unternehmen ein Spezialist mit einer relativ kleinen Anzahl von Kunden und Lieferanten ist, stellt sich gar nicht die Frage einer umfassenden Krisenkommunikation.
Nach der Entführung kritisiert der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), die Verantwortlichen der Firma Cryotec, weil sie Warnhinweise des Auswärtigen Amtes, das von Reisen in den Irak abrät, missachtet hätten. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach spricht sich dafür aus, im Falle einer Freilassung der beiden Ingenieure das Unternehmen an den Kosten zu beteiligen.
n Der Geschäftsführer hat im Namen seiner Mitarbeiter den Vorwurf einer Schuld zügig und strikt zurückgewiesen – und mit dieser klaren Position eine negative Medienwelle verhindert.
Draußen vor dem kleinen Betriebsgebäude stehen Journalisten und Kamerateams. Geschäftsführer Peter Bienert stellt sich den Journalisten und versucht die Situation zu beruhigen. Bewertung Hat das Unternehmen die Gefahren falsch eingeschätzt? Hätte es einen Notfall-Plan haben müssen? Man muss die Kirche im Dorf lassen. Wichtig ist:
n Der presseunerfahrene Geschäftsführer hat sich den Journalisten und Kamerateams gestellt, ein menschliches Wort für die Entführten gefunden und gesagt, dass er wirklich nicht mehr weiß. Die Medien sind zufrieden, sie haben ihre O-Töne und Aufnahmen.
n Zur Forderung nach einer Kostenübernahme im Falle einer erfolgreichen Geiselbefreiung konnte der Geschäftsführer schweigen, weil bereits Ministerpräsident Georg Milbradt die Forderung zurückgewiesen hatte. n Der Geschäftsführer sollte den Bürgermeister von Bennewitz, in dessen Ort das Unternehmen seinen Sitz hat, und andere örtliche Multiplikatoren kontinuierlich informieren, um sich deren Solidarität zu sichern.
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Berger Wild: Appetitzügler Situation Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz holt am Dienstag, den 24. Januar 2006 in einer groß angelegten Aktion verdorbenes Wildfleisch der Firma Berger Wild GmbH aus dem Handel. Der zuständige Minister Werner Schnappauf spricht von einem „handfesten Fleischskandal“. Er entzieht dem Unternehmen die Zulassung für zwei Filialen, weitere „Zulassungsprüfungen“ laufen. Sogar die Tagesschau berichtet ausführlich über den Fall. Verbraucherschützer sprechen von insgesamt rund fünf Tonnen Wildbret, die in den Handel gelangten. Überblick Die Berger Wild GmbH in Passau ist Europas größter Wildverarbeitungsbetrieb mit einem Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro. Sie beschäftigt in Polen und Ungarn 420 und im Landkreis Passau 80 Mitarbeiter – genau diese Mitarbeiter sind von der behördlich angeordneten Schließung der Betriebe betroffen. Diese Entscheidung ist das Ergebnis einer mehrstufigen Überprüfung: Am Montag (9. Januar) erhält das Veterinäramt Passau von der Kripo Passau umfangreiche Unterlagen mit dem Hinweis auf gravierende Rechtsverstöße der Firma Berger Wild. Nach Sichtung und Auswertung der Tausenden von innerbetrieblichen E-Mails informiert das Landratsamt am Donnerstag (12. Januar) die Regierung von Niederbayern, diese wiederum am Freitag
(13. Januar) das Verbraucherschutzministerium. Kontrollen der Betriebsstätten durch das Veterinäramt Passau und die Regierung von Niederbayern finden am Montag (16. Januar) und Mittwoch (18. Januar) statt. Dabei werden in den Betrieben in Ruderting und Ortenburg Ekel erregende hygienische Zustände festgestellt, zum Beispiel erhebliche Verschmutzungen von Arbeitsgeräten, Boden, Türen, Türgriffen mit Blut, Fleischund Federresten, Schimmelbildung an Decken und Wänden, Verunreinigung bereits erschlachteter Fleischteile sowie Fleischkörper ohne Genusstauglichkeitskennzeichen, die als untauglich zu bewerten waren. Bewertung Die Marke „Berger“ ist zumindest in Deutschland massiv beschädigt, um nicht zu sagen: irreparabel beschädigt. Krisenkommunikation funktioniert nur dann, wenn ein Unternehmen sich aktiv und ehrlich mit der Krise auseinander setzt und plausible Botschaften für positive Veränderungen mitteilen kann: n Im vorliegenden Fall ist das Vertrauen des Handels und der Verbraucher so systematisch beschädigt worden, dass selbst dann, wenn das Unternehmen wieder produzieren dürfte, die Chancen für eine akzeptierte Wiedergutmachung schlecht stehen. n Würde es sich um ein Massenprodukt (Schwein) ohne eine klare Markenidentität handeln, stünden die Chancen ungleich besser.
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n Der Chef des Unternehmens, Karl Berger, ist in der Versenkung verschwunden, die Internetseite vom Netz genommen. Dieses Schweigen in einer krachenden Krise wirkt nicht Vertrauen erweckend. n Karl Berger muss sich aber auch Sorgen um seine persönliche Reputation in Passau machen. Die „Neue Passauer Presse“ befragte in der Region Bürgermeister, Lebensmitteleinzelhändler und Bauern: Sie sind geschockt. Die Angelegenheit ist (fast) hoffnungslos. Ein grundlegender Imagewandel setzt neue Personen und Marken voraus.
Spedition Betz: Führerlos Überblick Schon seit geraumer Zeit hat die Internationale Spedition Willi Betz GmbH Co. KG aus Reutlingen ein schräges Image. Inhaber Thomas Betz sitzt seit September 2005 in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft wirft ihm und anderen Mitarbeitern unter anderem Bestechung von in- und ausländischen Amtsträgern, Sozialversicherungsbetrug und Urkundenfälschung vor. Am 20. Januar 2006 erhebt sie Anklage. Situation Die Medien berichten bundesweit von der Klageerhebung. Die regionalen Zeitungen und Radiosender befassen sich kontinuierlich mit dem Fall, zumal Betz ein bekanntes Unternehmen ist. Die Überschriften im
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Reutlinger Tageblatt offenbaren die mediale Brisanz von dem Unternehmen und der Familie Betz: 26. April 2003: „Beschuldigte geben Zahlungen zu“ 3. Juni 2004: „Verdacht auf Bestechlichkeit“ 27. September 2005: „Riesiger Sumpf“ 30. September 2005: „Sachverhalt umstritten“ 20. Januar 2006: „Staatsanwalt erhebt Anklage gegen … Betz“ Laut Staatsanwaltschaft soll Thomas Betz gemeinsam mit einem Mitarbeiter von 1999 bis 2002 insgesamt mehr als vier Millionen Euro Bestechungsgelder an hohe Amtsträger in Georgien und Aserbaidschan gezahlt haben. Im Gegenzug soll die Spedition Genehmigungen ausgestellt bekommen haben, die für den grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr unter den so genannten CEMT-Staaten berechtigen. Zu diesen Staaten gehören die EU-Länder, zahlreiche osteuropäische Länder, Russland sowie weitere Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Betz und sein Prokurist sollen von 1999 bis 2002 zudem den Vizepräsidenten des Bundesamtes für Güterverkehr, Rolf Kreienhop, bestochen haben, indem sie ihm Reisekosten bezahlt und ein Auto zur Verfügung gestellt haben. Dafür soll Kreienhop die Spedition nach Angaben der Staatsanwaltschaft unter anderem über Kontrollmaßnahmen informiert und Änderungen hinsichtlich CEMTRegularien frühzeitig mitgeteilt haben.
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Darüber hinaus wird Betz vorgeworfen, das Anbringen falscher Kennzeichen an rund 900 bulgarischen und aserbaidschanischen Kraftfahrzeugen veranlasst zu haben. Zudem sollen Thomas Betz und sein Vater, der Firmengründer Willi Betz, bulgarische Fahrer in der EU eingesetzt haben, ohne sie zur Sozialversicherung angemeldet zu haben. Auf die Anklageerhebung reagiert Thomas Betz sofort mit einer umfangreichen Pressemitteilung, die nicht der Strafverteidiger, sondern das Unternehmen herausschickt. Darin weist er alle Vorwürfe zurück und schildert seine Version. Diese Pressemitteilung ist offenbar die erste offizielle Reaktion nach der Verhaftung. Jedenfalls liefert das Unternehmen auf seiner Internetseite keine weiteren Informationen. Bewertung Strafrechtliche Auseinandersetzungen, die womöglich mit Verhaftungen und Anklagen enden, berühren die sensibelsten Punkte des Unternehmens – nämlich Vertrauen, Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit. Jede Störung eines dieser Punkte führt zur radikalen Akzeptanzverschiebung: Zweifel statt Klarheit, Demotivation statt Motivation, Peinlichkeit statt Stolz. Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden, Banker und viele Menschen mehr verändern ihre Haltung schon zu einem Zeitpunkt, wo die Schuld noch gar nicht bewiesen ist. Das Unternehmen Betz befindet sich in einer solchen Situation:
n Betz hat noch am gleichen Tag, als die Staatsanwaltschaft die Anklage veröffentlicht, reagiert. Diese schnelle und umfangreiche Reaktion lässt vermuten, dass Betz` Anwalt das Papier schon vorbereitet hatte. Das ist professionell. In der Regel hat die Staatsanwaltschaft immer einen Vorsprung von mindestens einem Tag, ehe die Gegenseite nach internen Abstimmungen in der Lage ist zu reagieren. n Ersichtlich hat es aber zwischen Verhaftung und dieser Pressemitteilung keine weitere Stellungnahme gegeben, obwohl die regionalen Medien ausführlich und regelmäßig über den Fall berichten. n Auch zum Schutz des Unternehmens und der Familie des Verhafteten ist eine sensible – aber kontinuierliche – Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der regionalen Medien sinnvoll. n Extrem wichtig ist die interne Kommunikation, damit sich die Depression des Falls nicht auf Leistungswille und Stolz der Mitarbeiter überträgt. Die Öffentlichkeitsarbeit für einen beschuldigten, verhafteten, angeklagten oder verurteilten Unternehmensverantwortlichen ist mit herkömmlichen Methoden nicht zu leisten, daher bildet sie in diesem Buch auch ein eigenes Kapitel – und schließt damit in der Literatur eine Informationslücke.
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10. Wenn der Staatsanwalt kommt – Krisen-PR im Strafprozess Fast täglich lesen wir in der Zeitung, dass ein Staatsanwalt Ermittlungen gegen einen Manager oder Unternehmer eingeleitet hat. Damit beginnt für die Krisenkommunikation ein heikles Unterfangen, wenn nicht sogar die schwierigste Herausforderung, um die Reputation des Beschuldigten und des Unternehmens zu schützen. KrisenPR in rechtlichen Auseinandersetzungen (in Amerika heißt es Litigation-PR) ist in Deutschland noch nahezu unbekannt.
„Aggressiver als je zuvor verfolgen Staatsanwälte Unternehmensverantwortliche.“ Strafverteidiger Marcus Mosiek
Soviel ist jedenfalls sicher: Manager leben gefährlich. Die Gefahr, dass sie in die Fänge der Staatsanwaltschaft geraten, ist seit den 90er Jahren enorm gestiegen. Immer häufiger müssen sich Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Topmanager für ihr Handeln oder Unterlassen vor Gericht verantworten. Das Spektrum möglicher Fehltritte reicht von vermeintlichem Subventionsbetrug über angebliche Bilanzfälschung bis hin zur strittigen Höhe von Abfindungen. Der Düsseldorfer Strafverteidiger Marcus Mosiek warnt: „Aggressiver als je zuvor verfolgen Staatsanwälte Unternehmensverantwortliche. Mitunter wird hierbei über das Ziel hinausgeschossen – mit oftmals ver-
heerenden Folgen für den Betroffenen, aber auch das von ihm repräsentierte Unternehmen. Es kann nicht angehen, dass die Haltbarkeit unternehmerischer Entscheidungen zunehmend von der Einschätzung einzelner Strafverfolger abhängig gemacht wird.“ Deutschlands Unternehmer sitzen in der Rechtsfalle. „Selbst unbescholtene Manager, die ohne Hintergedanken handeln, verheddern sich schnell in juristischen Fallstricken“, sagt der Wirtschaftsjournalist Thomas Werres vom manager magazin, der sich seit Jahren mit dem Themenkomplex Strafrecht und Unternehmen beschäftigt. Zu unübersichtlich ist das Paragraphenwerk geworden, das vom Strafgesetzbuch über Insolvenzrecht bis zum Außenwirtschaftsgesetz reicht. Statt Orientierung und Schutz bieten die Massengesetze jede Menge Angriffsfläche für Staatsanwälte. Hätte sich TUI-Chef Michael Frenzel je erträumen lassen, dass Staatsanwälte gegen ihn wegen Untreue und Insolvenzverschleppung im Fall der ehemaligen TUI-Tochter Babcock ermitteln? Beispiel: Der Fall Karl-Heinz Wildmoser Karl-Heinz Wildmoser ist ein erfolgreicher Gastronom und Hotelier, dekoriert mit vielen Auszeichnungen, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz. Doch seine Bekanntheit und Beliebtheit verdankt er dem Fußball. Als Präsident von 1860 München saniert er den maroden Verein und führt ihn
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in die Bundesliga. Im Jahre 2007 wollte er dieses Amt nach 15 Jahren abgeben. Am Dienstag, den 9. März 2004 wird er verhaftet und ins Gefängnis München-Stadelheim gebracht. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, Ausschreibungsunterlagen für den Bau des Münchener Stadions an die Alpine Bau GmbH weitergegeben zu haben, damit sie den Zuschlag für das Projekt erhält. Im Gegenzug soll das Unternehmen 2,8 Millionen Euro Schmiergelder gezahlt haben. An diesem Tag werden weitere Personen verhaftet, unter anderem Wildmosers Sohn. Die Polizei untersucht Räume der Fußballclubs 1860 München und FC Bayern München sowie weitere 30 Objekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sofort beginnt ein wildes Wechselspiel aus Häme, Verdächtigungen und Vorverurteilungen – allen voran Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), selbst Mitglied bei 1860 München. Er sei „entsetzt darüber, welche gravierenden und fundierten Vorwürfe“ die Staatsanwaltschaft gegen die Wildmosers vorgelegt habe, erklärte er direkt nach der Polizeiaktion. Wildmoser müsse „unabhängig von der strafrechtlichen Entwicklung“ von seinem Posten als Präsident der Löwen zurücktreten. Der Sohn entlastet seinen Vater vollständig und legt ein Geständnis ab. Dem Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Christian Schmidt-Sommerfeld, reicht dieses Geständnis nicht aus. Er spielt auf Zeit und sagt: „Solange wir von Herrn Wildmoser senior keine Aussage haben, dauert der Haftgrund Verdunklungsgefahr an.“ Am Freitag, den 12. März 2004 darf Wildmoser das Gefängnis dann doch verlassen. Er ist
unschuldig. Aber er verliert sein Präsidentenamt und seine Reputation. Der Staatsanwalt trifft aber nicht nur auf unbescholtene Unternehmer und Manager. Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sind über 60 Prozent der großen deutschen Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen. Erfahrungsgemäß ist dieser Anteil in mittelständischen Unternehmen deutlich höher, dort wird Wirtschaftskriminalität jedoch nicht so häufig aufgedeckt. Mehr als 80 Prozent aller befragten Manager befürchten einen Anstieg der Wirtschaftskriminalität, aber weniger als 30 Prozent der Manager sehen eine Gefahr im eigenen Hause. Diese Sorglosigkeit ist ein Problem.
Justitia in der Krise In einer repräsentativen Umfrage hat Wilmes Kommunikation vom 15. bis 25. November 2005 insgesamt 427 Fachanwälte für Strafrecht zum Thema „Objektivität von Richtern und Staatsanwälten“ befragt. Die befragten Anwälte sind Mitglieder des Verbandes „Deutsche Strafverteidiger e.V.“ und so genannte Promianwälte für Wirtschaftsstrafrecht. Insgesamt nahmen 114 Strafverteidiger an der Umfrage teil. Dies entspricht einer Beteiligung von 26,7 Prozent. Aufgrund dieser außergewöhnlich hohen Rücklaufquote, die weit über das erforderliche Maß für eine repräsentative Umfrage hinausgeht, sind nunmehr Aussagen zur öffentlich-medialen
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Umfrage 2005: So objektiv ist die Justiz! Wie bewerten Sie diese These: „Die größte Gefahr für den fairen Verlauf eines Ermittlungsverfahrens geht von den Beeinflussungsversuchen der Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien aus“: Diese These ist richtig q
26 Antworten/22,8 Prozent
Diese These ist falsch q
76 Antworten/66,7 Prozent
Oder: (Individuelle Antwort)
12 Antworten/10,5 Prozent (Insgesamt 114 Antworten)
Wie bewerten Sie diese These: „Bereits mit dem öffentlichen Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens beginnt für den Beschuldigten die Vorverurteilung“: Diese These ist richtig q
95 Antworten/85,6 Prozent
Diese These ist falsch q
11 Antworten/9,9 Prozent
Oder: (Individuelle Antwort)
5 Antworten/4,5 Prozent (Insgesamt 111 Antworten)
Wie bewerten Sie diese These: „Der öffentliche Druck kann dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft statt einer möglicherweise sachgerechten Verfahrenserledigung im Wege der Einstellung oder des Strafbefehls Anklage erhebt“: Diese These ist richtig q
94 Antworten/83,9 Prozent
Diese These ist falsch q
14 Antworten/12,5 Prozent
Oder: (Individuelle Antwort)
4 Antworten/3,6 Prozent (Insgesamt 112 Antworten)
Wie bewerten Sie diese These: „Die Berufsrichter urteilen klinisch-objektiv ohne jegliche Beeinflussung durch die Medien“: Diese These ist richtig q
15 Antworten/13,5 Prozent
Diese These ist falsch q
80 Antworten/72,1 Prozent
Oder: (Individuelle Antwort)
16 Antworten/14,4 Prozent (Insgesamt 111 Antworten)
Abbildung 1: So objektiv ist die Justiz!
Wirkung auf die Strafrechtspflege möglich. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Gerichte keineswegs als objektiv von den Befragten eingeschätzt werden können.
Auch muss durchweg mit einer (negativen) Vorverurteilung bereits bei Aufnahme eines Strafverfahrens gerechnet werden. Was nützt da dann ein späteres entlastendes Urteil.
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Wenn der Staatsanwalt kommt
Für Betroffene dürfte die Erkenntnis aus dem Urteil sein, dass Angeklagte und ihre Anwälte ihr Meinungsbild in der Öffentlichkeit aktiv mitbestimmen sollten, wenn nachhaltiger Schaden abgewendet werden soll.
Der Justizbetrieb Jeder kennt den Spruch: „Die Mühlen der Justiz mahlen langsam.“ Die Mühlsteine heißen Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren und Strafvollstreckung. Jeder Vorgang dauert, geht an die Nerven und schwächt die Reputation des Angeklagten und des Unternehmens. Ermittlungsverfahren Die Staatsanwaltschaft ermittelt den Sachverhalt, prüft also, ob eine Schuld vorliegt. Seine Werkzeuge: Zeugenvernehmung, Durchsuchung von Privatwohnungen und Geschäftsräumen, Überwachung des Fernmeldeverkehrs und Sicherstellung von Beweismitteln. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens entscheidet der Staatsanwalt, ob das Verfahren eingestellt wird oder eine öffentliche Anklage erfolgt. Beispiel: Nadja Auermann Donnerstag, den 19. Januar 2006 um 10 Uhr. Berliner Steuerfahnder verschaffen sich mit dem rosafarbenen Durchsuchungsbeschluss Zugang zur Wohnung des Models Nadja Auermann. Sie soll einen Teil ihres Einkommens nicht angemeldet haben. Beamte durchkämmen die rund 200 Quadratmeter große Altbauwohnung in Potsdam und beschlagnahmen mehrere Unterlagen.
Ergibt sich anhand des Ermittlungsverfahrens, dass kein strafbares Verhalten vorliegt, wird das Verfahren eingestellt. Andernfalls erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Anklage – durch Einreichung einer Klageschrift oder den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Bei einem Strafbefehl (Geldstrafe) bleibt dem Beschuldigten die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung erspart. Zwischenverfahren Im Rahmen des Zwischenverfahrens prüft das Gericht, ob hinreichende Verdachtsgründe vorliegen, die eine Durchführung des Hauptverfahrens rechtfertigen. Hält das Gericht einen hinreichenden Verdacht für gegeben, beschließt es die Eröffnung des Hauptverfahrens. Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung bildet das zentrale Element des Hauptverfahrens. Das Gericht kann sein zu fällendes Urteil allein auf den in der Hauptverhandlung ermittelten Sachverhalt stützen. Es gilt der Grundsatz der Mündlichkeit. Die Hauptverhandlung endet mit einem Urteil, soweit das Verfahren nicht anderweitig durch eine Einstellung abgeschlossen wird. Beispiel: Comroad AG Das Landgericht München verurteilt am 21. November 2002 den Firmengründer der Comroad AG, Bodo Schnabel, wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Insiderhandels und Kursbetrugs zu sieben Jahren Gefängnis. Seine Frau erhält eine Bewährungsstrafe
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von zwei Jahren. Zudem sollen rund 20 Millionen Euro aus dem Vermögen der Familie eingezogen werden. Strafvollstreckung Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung schließt sich an das Hauptverfahren die Strafvollstreckung an, im schlimmsten Fall die Gefängnisstrafe. Jeder Verfahrensabschnitt erfordert eine neue Strategie. So wie die Staatsanwaltschaft jeden Schritt sorgfältig plant, um die notwendigen Argumente für eine Klageerhebung zusammenzutragen und sie während eines Prozesses für eine Verurteilung zu verdichten, müssen Anwalt, Angeklagter und Unternehmen (PR-Manager) systematisch dagegen halten, um Nachteile für den Prozess und Nachteile für das Unternehmen zu minimieren.
Akteure und Finessen Man stelle sich einmal diesen Idealfall vor: Die Kriminalpolizei übergibt ihre gewissenhaft erarbeiteten Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft. Weil die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt ist, sucht sie auch nach entlastendem Material für den Beschuldigten. Der Richter beurteilt in einem Verfahren jedes Argument und jeden Beweis mit objektiver Schärfe. Die Zeugen erinnern sich in perfekter Genauigkeit. Die Opfer erzählen ohne Emotionen. Der Angeklagte erzählt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Sein Anwalt hilft kräftig mit bei der Wahrheitssuche.
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So ein Gericht gibt es nicht. Jeder Verfahrensbeteiligte verfolgt seine Ziele durch Weglassen, Manipulieren, Übertreiben oder Dramatisieren. Dass alles mit rechten Dingen zugehen möge, wünschen wir uns alle. Aber es ist nicht die Aufgabe des Anwalts, nach Minuspunkten für seinen Mandanten zu suchen. Und ein Opfer wird kaum in der Lage sein, sein Leiden ohne Emotionen auszudrücken. Der Zeuge wackelt und nervt mit Erinnerungslücken. Der Staatsanwalt ist alles andere als objektiv und der Richter gefällt sich vielleicht darin, harte Urteile zu fällen. Die Art und Weise, wie die Akteure eines Prozesses auftreten, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen, wie sie steuern, glucksen oder bremsen, bedeutet permanenten Kampf um die Deutungshoheit eines Falles. Der Strafprozess ist ein lebendiges Geschehen, ständig der Gefahr suggestiver Beeinflussungen ausgesetzt. Die Akteure benutzen die Medien und sie lassen sich von ihnen benutzen. Der Rechtswissenschaftler Klaus Marxen beschreibt das Verhältnis zwischen Medien und den Strafverfolgungsorganen als ein Geben und Nehmen. „Die Mischung ändert sich von Fall zu Fall. Zum Beispiel leisten auf der einen Seite Medien Fahndungshilfe, sie verpflichten sich zu einem befristeten Schweigen, sind Opfer von Durchsuchung und Beschlagnahme, geben Beschuldigten Gelegenheit zu öffentlichen Stellungnahmen. Auf der anderen Seite inszenieren Polizei und Staatsanwaltschaft eine Festnahme mediengerecht, sie legen für die Medien eine falsche Spur, posaunen Erfolge in Presse-
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Der Staatsanwalt Im Volksmund ist die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt. Diesen Ruf verdankt sie § 160 Abs. 2 der Strafprozessordnung. Danach sollen die Anwälte des Staates nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände ermitteln. Außerdem sollen sie nach herrschender Meinung so ermitteln, dass die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten geschützt und die Unbefangenheit von Richtern, Zeugen und Sachverständigen nicht verletzt werden. Diese idealisierende Darstellung spricht der Wirklichkeit Hohn. Tatsächlich verfügen die Staatsanwälte über eine taktische Raffinesse, die Angst macht. Der Strafverteidiger Norbert Gatzweiler wirft den Staatsanwälten vor, dass sie statt Zurückhaltung und Objektivität subjektive Überzeugungen als letzte Wahrheit vertreiben. „Hinreichender Tatverdacht wird zur Tatgewissheit.“
tet ein Strafverfahren einzuleiten (§ 152 II StPO). Ein Anfangsverdacht besteht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Voraussetzung ist das Vorliegen konkreter Tatsachen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Bloße Vermutungen reichen nicht aus. Wirklich nicht? Dietmar Hopp, der Mitbegründer des Softwareriesen SAP, schnauft noch heute vor Wut und wirft der Staatsanwaltschaft „Willkür“ vor. Am 27. Februar 2003 lässt die Staatsanwaltschaft Mannheim Hopps Haus durchsuchen. Der Grund: Angeblich habe Hopp Gelder der von ihm ins Leben gerufenen „Dietmar-Hopp-Siftung“ veruntreut. Der Unternehmer hält sich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich auf und fährt sofort nach Deutschland zurück, als er von der Durchsuchung erfährt. Später sagt er gegenüber „3sat“, dass er eine kalte Wut bekommen habe, als er das Aufgebot der Polizei, die Blockade der Einfahrt zu seiner Villa und das arrogante Benehmen der Beamten vor Ort gesehen hat. Die Durchsuchung empfindet er als beschämend, zumal die Polizisten auch persönliche Dokumente wie sein Testament durchgelesen haben. Auch bei Hopps Steuerberater wühlen die Ermittler. Später stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, die Vorwürfe waren an den Haaren herbeigezogen.
Beispiel: Dietmar Hopp und die Staatsanwälte Es gilt das Legalitätsprinzip. Haben die Ermittlungsbehörden den Verdacht einer verfolgbaren Straftat, so sind sie verpflich-
Für Gatzweiler haben die Pressemitteilungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in vielen Fällen einen „verheerenden Vorverurteilungscharakter“, der die Beschuldigten „oft irreparabel stigmatisiert“.
konferenzen heraus, geben nichts sagende Presseerklärungen ab.“ Strafrecht provoziert ein Imponiergehabe, das sich ausdrücken will. Meinung und Darstellung verdichten sich zu Strategie oder Instinkt, zu einem aktiven oder unbewussten Handeln. Wie funktioniert das? Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser halb verdeckten Öffentlichkeitsarbeit?
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Um ihr Ziel zu erreichen, schrecken Staatsanwälte auch nicht davor zurück, Journalisten gezielt Informationen zuzustecken, selbst im Ermittlungsverfahren nicht, das eigentlich nicht öffentlich ist. Obwohl noch gar nicht feststeht, ob überhaupt Anklage erhoben und zugelassen wird, finden sich in den Zeitungen Details zu Vorwürfen, Namen, Fotos und sogar Lebensläufen der Beschuldigten. Damit machen sich die Staatsanwälte zu informellen Richtern. Denn die Gesellschaft grenzt Beschuldigte sehr schnell aus. In dieser sozialen Normierung haben diese Menschen kaum eine Chance, heil aus diesem Dilemma wieder herauszukommen, selbst wenn sie später freigesprochen werden. Es bleibt immer etwas hängen – am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft. Die Staatsanwälte sind kaum zu stoppen. Es gibt kein Gesetz, das ihnen Art und Weise der Öffentlichkeitsarbeit diktiert. Es gibt nur eine Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren. Unter 4 a heißt es: „Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck der Ermittlungen bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann.“ Ein schöner Satz, mehr auch nicht. Denn es fehlen Sanktionen im Falle eines Verstoßes. Wenn der Beschuldigte dem Staatsanwalt aber nachweisen kann, dass er zum Beispiel mit Falschinformationen handelt, könnte es für ihn doch noch eng werden. Gleichwohl: Menschen, die schon genügend Stress mit einem Strafprozess haben, scheuen einen weiteren seelischen und finanziellen Kraftakt, um den Staatsanwalt zu verklagen.
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Beispiel: Der Fall Klaus Esser Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Klaus Esser, hatte die Kraft und verklagte das Land NRW. Das Landgericht Düsseldorf sprach ihm 10.000 Euro Schadensersatz zu. Das Gericht hat die folgenden fünf Punkte als Rechtsverletzung eingestuft: n Die Mitteilung des Generalstaatsanwalts (persönlich) an Spiegel-Redakteure, er werde die Staatsanwaltschaft Düsseldorf anweisen, ein Ermittlungsverfahren gegen Klaus Esser einzuleiten (zuvor war die Einleitung der Ermittlungen abgelehnt worden). Diese Mitteilung der beabsichtigten Weisung war weder dem Beschuldigten noch seinem Verteidiger Sven Thomas zugeleitet worden. Sie erfuhren davon aus der Presse. n Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft an Journalisten, dass umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen geplant seien. Diese wurden aber tatsächlich später nicht durchgeführt. n Die Mitteilung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft an das Magazin Focus, dass die Durchführung der Vermögenssicherung beim Beschuldigten geprüft werde. Die Voraussetzungen für eine Vermögenssicherung lagen jedoch erkennbar nicht vor. n Der Leiter der Staatsanwaltschaft sprach bei der Vorstellung der Anklage, die dem Beschuldigten (nur) Untreue vorwarf, von „Käuflichkeit“. Diesen Begriff erläuterte und relativierte er zwar als umgangssprach-
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lich. In der Presse wurde der Begriff „Käuflichkeit“ zu Lasten des Beschuldigten im Sinne von Bestechlichkeit verwandt. n Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen veröffentlicht im Internet einen stark tendenziösen, „reißerischen“ dpa-Artikel mit dem Titel „Gangster in Nadelstreifen“, der auf den Beschuldigten bezogen werden konnte, ohne sich davon zu distanzieren oder den Text zu kommentieren. Dieses Urteil belegt, wie systematisch die Staatsanwaltschaft – und auch die Politik – die Unschuldsvermutung außer Kraft setzt. Insofern ist dieses Urteil auch eine Mahnung zu seriösen Ermittlungsmethoden. Staatsanwälte sind bei aller notwendigen Differenzierung offenbar nicht in der Lage, sich in die Situation eines Beschuldigten hineinzuversetzen. Sie könnten durch zügiges Ermitteln für schnelle Klarheit sorgen und die Bedrohung der gesellschaftlichen Vorverurteilung abwenden. Die Praxis aber zeigt, dass selbst in Fällen, bei denen die Unschuld schon nach kurzer Ermittlungszeit feststeht, Verfahren oft über zwei Jahre weiterdösen – ohne dass der Betroffene eine Chance hätte, dagegen anzugehen. Das heißt: In einem öffentlich gemachten Ermittlungsverfahren muss er sich weiter als Beschuldigter bezeichnen lassen, obwohl de facto seine Unschuld feststeht. Die sozialen, beruflichen und finanziellen Folgen sind gravierend. Staatsanwälte handeln nach dem Motto: „Erst schlagen, dann fragen“, sagt der Berliner Strafverteidiger Lars Kutzner.
Der Beschuldigte Sofern der Staatsanwalt schnell und zügig ermittelt, die Presse davon nichts mitbekommt und die Öffentlichkeit sich für den anschließenden Prozess nicht interessiert, befindet sich der Beschuldigte in einer vorzüglichen Situation. Für kleinere Fälle des Alltags mag dies zutreffen, doch für prominente Beschuldigte oder spektakuläre Prozesse gelten andere Gesetze. Dann lauern Vorurteile, Vermutungen und Schadenfreude, selten Verständnis und Ausgewogenheit. Vorurteile sind die Vorstufe zur Vorverurteilung. Diese Art von Meinungsbildung entzieht sich jeder Korrektur. Sie ist gnadenlos, ohne Chance dagegen anzukommen. Es ist offensichtlich, dass ein Prozess, der unter massiver Medieneinwirkung stattfindet, der objektiven Rechtsfindung enge Grenzen setzt. Allerdings hat ein Richter die Möglichkeit, das Leid eines Beschuldigten infolge einer massiven Medienkampagne durch eine mildere Strafe zu kompensieren. Der Angeklagte wird also dann, wenn er schon öffentlich vorverurteilt wurde und danach vom Strafgericht schuldig gesprochen wird, milder bestraft, weil er unter dem medieninduzierten Prozess bereits gelitten hat. Die These, ein Grundanliegen des Strafprozesses sei die Wahrheitsforschung, klingt wie ein unerreichbares Ideal. Der Strafprozess ist nicht in der Lage, den Beschuldigten wirksam zu schützen. Denn in vielen Fällen lautet die Gleichung: Medienöffentlichkeit gleich Existenzvernichtung. Deshalb lassen sich gerade auch prominente Beschuldigte
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aus Sport, Kunst und Wirtschaft auf einen Deal mit dem Staatsanwalt ein, auf eine Verfahrenseinstellung gegen Auflagen. Beispiel Boris Becker: Auch Boris Becker hat sich darauf eingelassen. Wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe akzeptierte er im Schnelldurchgang eine absprachenübliche Standardstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Ansonsten hätte er sich einem langen Großverfahren mit üppiger Medienbeteiligung stellen müssen. Der Richter Es ist menschlich, dass Strafrichter, die spektakuläre Prozesse mit großer Medienbeteiligung leiten, sich in der Suggestion verirren können. Diese Erfahrung machte auch der vorsitzende Richter, der den Prozess gegen die Schauspielerin Ingrid van Bergen geleitet hatte. Er sagte: „Bei einer derartigen Ausuferung der Meinungsmache werden das Richteramt sowie Befangenheit und Freiheit der richterlichen Entscheidung tangiert.“ In Deutschland leben die Prozessbeteiligten während eines Verfahrens nicht in Quarantäne, der Präsident des Bundesgerichtshofes, Günter Hirsch, sieht daher durchaus die Gefahr, dass Medien Richter beeinflussen. „Der Richter liest die Zeitung, er verfolgt die Nachrichten, er wird überflutet nicht nur von Informationen, sondern auch von Stellungnahmen. Und jede Stellungnahme, je nachdem von wem sie kommt, beabsichtigt natürlich eine subtile Einflussnahme auf ihn.“
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„Der Richter muss Urteile fällen, die akzeptiert werden und nicht dazu führen, dass die öffentliche Meinung, die Bevölkerung ihre Justiz nicht mehr versteht und das Vertrauen verliert.“ BGH-Präsident Günter Hirsch
Hirsch glaubt zwar nicht, dass sich Richter in der Frage Schuld oder Unschuld von den Medien beeinflussen lassen, die öffentliche Meinung könnte aber Einfluss auf die Höhe einer Strafe haben. Das bedeutet entweder eine moderate oder harte Strafe. Hirsch entwickelt dafür ein Kriterium, das freilich nicht ganz ungefährlich ist. Er sagt: „Der Richter muss Urteile fällen, die akzeptiert werden und nicht dazu führen, dass die öffentliche Meinung, die Bevölkerung ihre Justiz nicht mehr versteht und das Vertrauen verliert.“ Damit macht er die Medien indirekt zu Verfahrensbeteiligten. Zumindest die Massenblätter steuern mit ihren Aufmachungen und Kampagnen die Volksmeinung. Der Strafverteidiger Zwei Drittel der Bevölkerung fordert härtere Strafen. 71 Prozent meinen, dass die Prozesse zu lange dauern. Solche Zahlen verwunden das Ego des Strafverteidigers. Sie machen aber auch deutlich, dass Strafverteidigung ein permanenter Kampf gegen Dummheit, Unwissenheit und Verbohrtheit ist. Menschen, die einen Fall in all seinen Facetten nicht kennen und auch keine Vorstellungen vom Strafvollzug haben, vertauschen Ahnungslosigkeit mit Erkenntnis. Das ist gefährlich. Wer das Richtige zu fordern
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glaubt, ohne die Voraussetzungen für eine gerechte Forderung zu kennen, begeht Unrecht. Dieses Unrecht ist wesentlicher Bestandteil einer Gesellschaft, die sich laut und schrill äußern will, um Dampf abzulassen. Wut schärft das persönliche Gerechtigkeitsempfinden. Es artikuliert Schimpf und Schande, das tut gut. Davon darf sich der Strafverteidiger nicht beeinflussen lassen. Wer es tut, hat schon verloren. Seine Unbefangenheit und die Qualität seiner Verteidigung nehmen Schaden. Er ist nicht mehr in der Lage, Argumente und Anträge mit notwendiger Autorität einzubringen. Strafverteidiger befinden sich gegenüber der Öffentlichkeit fast immer in der Defensive. Sie haben kaum eine Chance auf gesellschaftliche Akzeptanz. Sie werden als „Schmuddelkinder“ unseres Rechtssystems wahrgenommen. Dabei sind sie es, die einem Menschen, schuldig oder unschuldig, in einer dramatischen Situation beistehen – und damit erst die tiefere Sinnmäßigkeit unseres Rechtssystems verdeutlichen. Es verinnerlicht das Ideal der Wahrheitsfindung, um damit dem Opfer, der Gesellschaft und letztlich auch dem Schuldigen durch die Klarheit eines Urteils Referenz zu erweisen. Der Zeuge Wenn der Zeuge einen Fall in Zeitungen nachliest, bestehen erhebliche Gefahren für die Richtigkeit von Zeugenaussagen. Das ist allzu menschlich. Der Richter befragt ihn, er ist nervös, der Zuschauerraum ist voll, draußen sitzen die Bildreporter. Jetzt muss er präzise sagen, was er gesehen oder gehört
hat. Es wird manchem Zeugen schwer fallen, überhaupt noch zu unterscheiden, was er selbst erlebt und was er der Presse entnommen hat. Interviews und Reportagen nehmen dem Zeugen die erforderliche Unbefangenheit. Der Zeuge steigert sich in den Fall und die handelnden Personen hinein, statt emotional abzurüsten und die Wahrheit ohne schmückendes Beiwerk zu schildern. Jedes Wort, das nicht mehr vollständig das Erlebte, sondern eine gewisse Wunschvorstellung ausdrückt, macht aus dem Zeugen einen Zweifler.
Medienfreiheit und Unschuldsvermutung Der Platz auf der Anklagebank ist von demütigender Härte. Über den Menschen, der hier Platz nehmen muss, unvoreingenommen zu schreiben, ist sicherlich schwierig. Warum das so ist? Es sind unsere durchtrainierten Vorurteile, zunächst einmal die Schuld eines Menschen zu sehen und nicht so sehr seine Unschuld. Sicherlich spielt im Unterbewusstsein auch der Respekt vor dem Gericht eine Rolle. „Der hat sicherlich etwas auf dem Kerbholz, sonst würde er da ja nicht sitzen.“ Der legendäre Spiegel-Gerichtsreporter Gerhard Mautz hat mal den nachdenklichen Satz ausgesprochen: „Dem Deutschen liege es nicht, für einen anderen einzutreten, lieber klage er an, am liebsten richte er.“ Das geschriebene Wort lässt sich nicht mehr leugnen, nicht mehr relativieren oder korrigieren. Gedruckt ist gedruckt und die Menschen glauben, was in der Zeitung steht.
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Der Zeitgeist diktiert Ablehnung, Entrüstung oder Zustimmung. Entweder initiieren die Medien diese Stimmungen oder sie reagieren darauf. Die Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen sagt es so:
„Wenn alle sparen müssen, gilt die öffentliche Erregung Manager-Gehältern und Abfindungen in Millionenhöhe. Dann wird der Mannesmann-Prozess zum wichtigsten Wirtschaftsprozess der Nachkriegszeit aufgebläht und entsprechend journalistisch begleitet.“ Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen
Medien sind darauf ausgerichtet, sich einzumischen und Stellung zu beziehen. Das muss nicht immer zum Nachteil des Beschuldigten sein. Im Kokain-Prozess gegen den Maler Jörg Immendorf tritt der Richter teils beleidigend, teils respektlos auf. Die Lokalredaktion der Rheinischen Post in Düsseldorf kritisiert daraufhin heftig den Auftritt des Richters und fordert mehr Würde gegenüber dem Angeklagten. Tatsächlich ändert er daraufhin sein Verhalten und mäßigt sich. Der Deutsche Richterbund erwartet von den Journalisten, dass sie „fair, kompetent und zutreffend berichten“, weil „eine persönlich gefärbte, diffamierende oder falsche Berichterstattung fundamental und oftmals unkorrigierbar in die Rechte der am Strafverfahren Beteiligten eingreift“. Fairness bedeutet Ausgewogenheit, Kompetenz bedeutet Beurteilungsfähigkeit. Richtigkeit bedeutet Wahrheit. Ein Journalist, der
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nicht permanent an der Verhandlung teilnimmt, vom ersten Tag bis zum Urteil, hat keine Chance, den hohen Anforderungen des Deutschen Richterbundes gerecht zu werden. Doch nur wenige Verlage sind finanziell dazu in der Lage, einen Redakteur für die gesamte Dauer eines Verfahrens abzustellen. Oder die Redaktion schickt den Journalisten nur zur Prozesseröffnung und zur Urteilsverkündigung zum Verfahren. Die meisten Redaktionen drucken nur Agenturmeldungen ab, formulieren danach Überschriften, Kommentare und Bewertungen. Inhaltliche Ausrutscher sind deshalb unausweichlich. Sie führen deshalb zu einer Verletzung der Unschuldsvermutung. „Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil“, hat die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach geschrieben, eine Meisterin der psychologischen Erzählung. Die meisten Journalisten glauben zumindest, sie würden keinen Menschen wissentlich dem Messer ausliefern. Selbst Boulevardjournalisten, die von der Zuspitzung ihrer Themen leben, tricksen mit Worten, um das Gebot der Unschuldsvermutung halbwegs zu retten. „Halbwegs“ heißt ja und nein, wenn die Sensationslust kitzelt, ist die Auflage näher als der betroffene Mensch.
Wenn ein Journalist komplizierte Regeln der Vorstandsvergütung mit dem Wort „Abzockerei“ auf den Punkt bringt, dann wird aus dem Vorstandsvorsitzenden sehr schnell der Abzocker.
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Die Brüche der Unschuldsvermutung sind fein. Die Verletzung der Unschuldsvermutung beginnt nicht erst mit dem Beschreiben eines Falles, sondern schon mit dem Bekanntwerden eines Falles. Die Veröffentlichung der Vorwürfe und der Ermittlungsergebnisse kann sich für die Betroffenen erheblich schlimmer auswirken als die offizielle Strafe. Altbundespräsident Roman Herzog: „Es darf in einem Rechtsstaat doch eigentlich nicht vorkommen, dass ein Mensch, gegen den ein Strafverfahren anhängig ist, am Ende gesellschaftlich und wirtschaftlich am Ende ist, obwohl ihn das Gericht nachher wegen erwiesener Unschuld freigesprochen hat.“ Die feinen Risse der Unschuldsvermutung zeigen sich auch bei der Sprache. Schreibt der Journalist bissig, aggressiv oder nüchtern? Welche Synonyme findet er für einen Vorwurf? Wenn er komplizierte Regeln der Vorstandsvergütung mit dem Wort „Abzockerei“ auf den Punkt bringt, dann wird aus dem Vorstandsvorsitzenden sehr schnell der Abzocker. Daraus entwickeln die Medien ihre Storys. Der Boulevardjournalist schreibt im Sinne der Arbeitslosen und Schwachen, die ihren Job verloren haben, „weil die da oben zu viel verdienen“. Der Wirtschaftsjournalist vertritt die Interessen der Aktionäre und untersucht, welche Vorstände von DAX-Konzernen ihr Geld wert sind. So funktioniert Journalismus. Sich darüber aufzuregen ist unprofessionell.
Gerüchte, Halbwahrheiten und Unwichtigkeiten schaffen Tatsachen, die dann nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Sie greifen ein in die Prozesswirklichkeit, denen sich Richter, Staatsanwälte, Zeugen und Sachverständige nicht immer verschließen können. Extrem gefährlich sind die Veröffentlichungen während eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, in dem bekanntlich die Weichen für den Fortgang des Verfahrens gestellt werden. Der Strafverteidiger Gerd Eidam warnt: „In diesem Verfahrensabschnitt kann sich der Beschuldigte gegen die öffentliche Einflussnahme nur unzugänglich wehren, denn das Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich nicht öffentlich. Zudem ist die Ermittlungsarbeit am Anfang noch breit angelegt, an einem klaren Konzept fehlt es der Staatsanwaltschaft häufig noch. Nichtigkeiten können aus diesem Grund überbewertet werden und zu falschen Verdächtigungen führen.“
Richtig handeln: Ermittlungsverfahren Sobald die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleitet, beginnt der „juristische Krisenfall“. Nun müssen Sie damit rechnen, dass der Fall öffentlich bekannt wird. Es ist von extremer Wichtigkeit, dass der Anwalt frühzeitig mit der Pressestelle der Staatsanwaltschaft oder Justizverwaltung Kontakt aufnimmt, um mit Hinweis auf
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die besondere Situation des Beklagten eine Pressemitteilung der Behörde aufzuschieben oder zu verhindern. Wenn die „Nummer eins“ oder ein leitender Mitarbeiter des Unternehmens davon betroffen ist, ergibt sich ein zusätzliches Problem. Dann vermischen sich unterschiedliche Interessen: Einerseits müssen Sie das Topmanagement schützen, weil es die Reputation eines Unternehmens wesentlich beeinflusst, andererseits müssen Sie im Falle einer persönlichen Schuld das Unternehmen schützen. Die Situation ist inhaltlich und menschlich kompliziert. Bitte bedenken Sie folgende drei Schritte: Der erste Schritt Denken Sie sich in die Situation hinein, um ein Gefühl dafür zu bekommen: n Ist der Vorstandsvorsitzende/ Geschäftsführer oder ein anderer leitender Mitarbeiter persönlich betroffen (Korruption) oder das Unternehmen (Bußgeldverfahren)? n Ist der Vorwurf ehrenrührig? n Gab es in der Vergangenheit ähnliche Vorwürfe? n Wie beurteilt der Hausjurist oder Strafverteidiger den Fall? n Haben sich Kontrollorgane (Aufsichtsrat) mit dem Thema beschäftigt? n Gibt es in der Belegschaft zu den Vorwürfen Gerüchte?
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Der zweite Schritt Nun können Sie den Fall einkreisen, gezielte Rückfragen stellen und sich auf den Ernstfall vorbereiten. Er tritt ein, wenn die Öffentlichkeit von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfährt: n Reagieren Sie auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft mit einer bereits vorbereiteten Erklärung, die Sie jetzt noch herausschicken müssen. In dieser Erklärung steht ein Dementi, wenn an dem Vorwurf nichts dran ist, oder Sie reagieren im Falle einer möglichen Schuld mit einer hinhaltenden Aussage, der zufolge sich das Unternehmen um schnellstmögliche Aufklärung bemüht. Löst der Fall heftige Emotionen aus, empfiehlt sich ein Hinweis auf die enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Generell gilt: Keine schlafenden Hunde wecken. Steht der Fall nur in der Regionalzeitung, reicht eine Stellungnahme gegenüber dieser Zeitung – und auch nur dann, wenn der Bericht größer herausgestellt ist. Bei einer kleineren Meldung brauchen Sie gar nichts zu machen. n Informieren Sie die Mitarbeiter über Intranet oder einen Aushang, um Ängste und Gerüchte zu steuern. Formulieren Sie sensibel. Die Kunst besteht darin, juristisch nichts zu sagen, aber alles zu sagen. Mit anderen Worten: Wenn Sie aufgrund der Situation nicht in der Lage sind, konkrete und weiterführende Aussagen zu treffen, dann dürfen Sie den kläglichen Rest an Information nicht auch noch mit gestelzten und nichts sagenden Formulierungen belasten.
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Wenn der Staatsanwalt kommt
Treffend formulieren Bitte nicht so: „Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft unterliegen einer genauen Überprüfung. Unsere Bemühungen sind nun darauf gerichtet, der Staatsanwaltschaft sachdienliche und umfangreiche Fakten zur Verfügung zu stellen. Wir bitten um Ihr Vertrauen.“ Besser so: „Wir haben das größte Interesse daran, die Vorwürfe möglichst schnell aufzuklären. Deshalb arbeiten wir eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Sobald wir mehr erfahren, informieren wir Sie umgehend. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und für Ihr Vertrauen.“
Schon der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wir Ängste und Sorgen mit belanglosen Wischi-Waschi-Erklärungen noch verstärken. Mindestens muss der Eindruck entstehen, dass das Unternehmer seine Mitarbeiter ernst nimmt. Es ist für die Mitarbeiter keine lustige Veranstaltung, in einem gerüchteumwobenen Unternehmen zu arbeiten. Besonders schlimm ist es, wenn diese Menschen ihre Informationen aus der Zeitung erhalten. Der dritte Schritt Warten Sie ab, was jetzt passiert. Verschaffen Sie sich einen gediegenen Überblick, saugen Sie alle Stimmungen auf, um „halbwegs“ informiert zu sein. Bitte bedenken Sie, dass der Beschuldigte Sie nicht detailliert informieren wird, wenn die Schuld offensichtlich ist oder die Klärung der Schuldfrage taktische Fragen aufwirft. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber für das Unternehmen eine unerquickliche Situation.
n Beruhigt sich die Lage, weil die Medien sich für den Fall nicht mehr interessieren? n Hat sich die Sache in Wohlgefallen aufgeklärt? n Erfolgt eine Durchsuchung der Geschäftsräume? n Gibt es Verhaftungen? n Wie reagieren Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung, Beirat oder Mitglieder der Unternehmerfamilie? n Gibt es personelle Konsequenzen? n Wie reagiert der Beschuldigte? n Gibt es Differenzen zwischen dem Strafverteidiger des Beschuldigten und den Hausjuristen? n Wie reagieren Aktionäre und Analysten? Sie merken schon: In einigen brenzligen Situationen gibt es keine eilfertigen Lösungen. Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als verschiedene Handlungsoptionen durchzuspielen, um sich der optimalen Lösung zu nähern. Handlungsoptionen: n Bei Verhaftung, Entlassung oder Rücktritt des Beschuldigten: Den Aufklärungswillen des Unternehmens betonen, Vorwärtsstrategie mit der neuen „Nummer eins“ (neues Gesicht/neue Themen Personality Marketing); n Bei einem Durchsuchungsbeschluss: Offensive und schnelle Reaktion absolut erforderlich – jede zeitliche Verzögerung und jede Informationsverweigerung multipliziert den Vertrauensschaden;
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n Bei Einstellung des Verfahrens: Sofern der Fall Kreise gezogen hat, sollte der Hausjurist oder Strafverteidiger gegenüber der Staatsanwaltschaft auf eine klare, nachvollziehbare und öffentliche Klarstellung bestehen. Das Unternehmen schickt eine eigene Pressemitteilung heraus – eventuell mit der Aufforderung, dass die Staatsanwaltschaft sich entschuldigen möge. Das unterstreicht noch einmal die Unschuld. Problem Medienkenntnis Der Strafverteidiger bestimmt die Prozesstaktik und damit auch die Taktik im Umgang mit den Medien. Seine Aufgabe ist es, alles dafür zu tun, dass sein Mandant möglichst unbeschädigt aus dem Verfahren herauskommt. Seine Aufgabe ist es nicht, alles dafür zu tun, den Imageschaden für das Unternehmen möglichst gering zu halten.
Richtig handeln: Prozess Kommt es tatsächlich zu einem Prozess, dann ist die erste Schlacht schon verloren. Aus dem Beschuldigten wird nun der Angeklagte – und das Unternehmen sitzt imaginär mit auf der Anklagebank. Person und Firma gehen ineinander über, sofern nicht vor dem Prozess klar Schiff gemacht wurde. Bleibt der Topmanager im Unternehmen, entsteht eine skurrile Situation: Der Strafverteidiger bestimmt die Prozesstaktik und damit auch die Taktik im Umgang mit den Medien. Seine Aufgabe ist es, alles dafür zu tun, dass sein Mandant möglichst unbeschädigt aus dem Verfahren herauskommt.
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Er ist nicht zwingend ein Medienprofi und kann daher alleine meist nicht erreichen, dass kein Imageschaden für das Unternehmen entsteht. Nur wenn Angeklagter, Verteidiger und Kommunikationsmanager zusammenarbeiten, ist eine positive Öffentlichkeitsarbeit möglich: Hier einige Tipps zur Krisenprävention: n Weil nur wenige Journalisten alle Prozesstage eines Verfahrens besuchen und die meisten Redaktionen Agenturmeldungen abdrucken, ist es wichtig, die journalistischen Meinungsführer ausfindig zu machen. Vermitteln Sie ein Hintergrundgespräch mit dem Strafverteidiger, um auf diese Weise ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Verändert der maßgebliche Journalist seine kritische Grundhaltung, verändert sich sehr oft auch die Grundstimmung aller Medien, die über den Prozess berichten. Die Küken laufen ihrer Henne hinterher. n Vorerst kein Kontakt zu Boulevardjournalisten. Sie bedienen den Massengeschmack und spitzen Geschichten undifferenziert zu. n Vorerst kein Kontakt zu so genannten Enthüllungsjournalisten, deren Reputation von kritischen Berichten abhängt. n Vorsicht bei Fernsehen: Wer nicht gut herüberkommt, sollte sich darauf nicht einlassen.
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Wenn der Staatsanwalt kommt
n Sorgfältige Analyse aller Pressestatements der Staatsanwälte, um argumentative Schwerpunkte auszuwerten und die öffentliche Beeinflussung im Sinne eines unfairen Prozesses offen zu legen. n Öffentliche Gegenreaktion des Strafverteidigers auf Pressemitteilung oder Statement des Staatsanwalts n Richtigstellung von Falschmeldungen n Entwicklung und Durchführung imagefördernder Aktionen, um entweder vom Prozess abzulenken oder die Reputation des Angeklagten zu stärken. n Abhängig vom Verlauf des Prozesses und der öffentlichen Wahrnehmung gezieltes Exklusiv-Interview des Angeklagten, Inszenierung einer Reportage („So bin ich wirklich“) n Behalten Sie Interessengruppen (Aktionäre, Lobbyisten, Verbände) im Auge. Analysieren Sie sorgfältig gegnerische Stimmungen und Positionen, um differenziert darauf reagieren zu können. Wenn Sie zur Totalblockade gezwungen sind, bleibt immer noch die „Däumchendreh-Strategie“: Alles aufschreiben, was Sie machen wollten, aber nicht durften – und alle Presseanfragen an den Strafverteidiger weiterleiten. Sie sind dann aus dem Schneider.
Etikette im Gerichtssaal Ein Gerichtsverfahren zehrt an den Nerven. Die Situation ist peinlich und unangenehm. Selbst gestandene Persönlichkeiten verlieren in einer solchen Situation ihr Maß. Sie versuchen schon mal mit übertriebener Lockerheit ihren Rechtsstandpunkt darzustellen oder mit demutsvollen Gesten dem Gericht Milde abzutrotzen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus Esser (Vorwurf: Beihilfe zur Untreue) gibt sich im Mannesmann-Prozess jovial, als würde er dem Gericht einen Prozess gegen ihn zugestehen. Urteil: In erster Instanz Freispruch. Manfred Schmider, der Gründer des Bohrgeräteherstellers Flowtex (Vorwurf: Betrug), lässt den Prozess traurig-leidend über sich ergehen, ehe ihn das Gericht für 11,5 Jahre ins Gefängnis schickt. Esser und Schmider verdeutlichen die Bandbreite möglicher Verhaltensformen vor Gericht. Doch was ist richtig und was ist falsch? Erklären Sie dem Angeklagten die Grundregeln für einen perfekten Auftritt. n Behalten Sie ihre Würde: Denken Sie daran, was Sie schon alles im Leben geleistet haben. n Das Gericht ist eine ernste Veranstaltung. Drücken Sie mit Gesten, Worten und Kleidung ihren Respekt vor dem Gericht aus. n Beantworten Sie sachlich-freundlich die Fragen des Richters. n Tragen Sie Konflikte mit dem Staatsanwalt mit Härte aus. n Lachen Sie nicht, wenn Ihnen zum Weinen zumute ist. n Versuchen Sie ruhig zu wirken, auch wenn sie es nicht sind.
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n Maßvolle Emotionen sind menschlich, aber nie überziehen. n Ihre Rhetorik muss zu Ihrer Persönlichkeit passen. n Ihre Rhetorik darf keine Vorurteile bedienen (Rechthaber, Besserwisser). n Besondere Vorsicht während der Verhandlungspausen: Sie werden jetzt besonders genau beobachtet – also: konzentrierter Blick, entspannte Körperhaltung, ein Blick in die Akten oder so tun, als würde man telefonieren. Denken Sie daran: Nicht nur Richter und Staatsanwälte lassen sich vom Verhalten des Angeklagten beeinflussen, auch die Medien.
Richtig handeln: Urteil Weil Datum und Uhrzeit des Urteils feststehen, können Sie verschiedene Pressemitteilungen vorbereiten und die dem Urteil entsprechende Fassung nach einem kurzen Okay des Verteidigers unmittelbar nach der Verkündigung des Urteils herausschicken. Diese erste Meldung hat nur den Sinn, den Nachrichtenfluss von Anfang an zu begleiten und nach Möglichkeit in die gewünschte Richtung zu lenken. Die Agenturen werden sich nach dem Ende der Verhandlung um O-Töne bemühen. Die Fragen zielen mehr auf die Stimmung als auf Inhalte. Nutzen Sie die Chance, die Stimmung mit wohlbedachten Statements zu beeinflussen. Also bitte keine übermütigen Kommentare im Falle Freispruchs und auch keine biestigen Kommentare im Falle einer
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Verurteilung. Gehen Sie alle denkbaren Fragen durch und entwickeln dafür Antworten. Im Falle eines Freispruchs: n Wie bewerten Sie die Urteilsbegründung? n Haben Sie mit diesem Urteil gerechnet? n Wie fühlen Sie sich? n Empfinden Sie Genugtuung? n War es ein fairer Prozess? Im Falle einer Verurteilung: n Fühlen Sie sich schuldig? n Akzeptieren Sie das Urteil? n Treten Sie zurück? n Was bedeutet das Urteil für Ihr Unternehmen? n Würden Sie heute anders handeln? Der Prozess ist vorüber, die juristische, betriebswirtschaftliche und kommunikative Aufarbeitung beginnt.
Strafrechtliches Risikomanagement Weil strafrechtliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren wesentlich die Reputation eines Unternehmens beschädigen, kommt es darauf an, absichtlichen und irrtümlichen Rechtsverletzungen systematisch vorzubeugen. Der Kommunikationsmanager sollte diese Aufgabe an sich ziehen, weil sie einen wesentlichen Beitrag zur Krisenprävention leistet.
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Wenn der Staatsanwalt kommt
Risiko: Absichtliche Rechtsverstöße Denn jede Form des Wegguckens, Leugnens oder Verniedlichens erleichtert Wirtschaftskriminalität und multipliziert das strafrechtliche Risiko. Deshalb ist die kritische Analyse über mögliche Rechtsverstöße unabdingbar für eine präventive Auseinandersetzung. Alle Studien zum Thema Wirtschaftskriminalität – von KPMG bis zum Bundeskriminalamt – verdeutlichen einen entscheidenden Zusammenhang: Unternehmen ohne Maß und Ziel sind in besonderer Weise anfällig für strafrechtliche Vergehen. So kommt Korruption vor allem in Unternehmen vor, die nicht nur aufgrund ihrer Branche (Bau) dafür besonders anfällig sind, sondern auch aufgrund ihrer Gewinnsucht und der mangelhaften Vorbildfunktion ihrer Vorgesetzten. Das bedeutet im Umkehrschluss: Unternehmen, die über Regeln zur Firmenethik und über ein angesehenes Management verfügen, unterliegen geringeren Risiken der Korruption. Dieser Zusammenhang lässt sich auch auf andere Delikte übertragen. Die beste Krisenprävention ist daher die Aufstellung und das Leben eines Wertekanons für das Handeln im Unternehmen. In einem weiteren Schritt kommt es darauf an, die technischen und organisatorischen Schwachstellen eines Unternehmens, die die Wirtschaftskriminalität erleichtern, ausfindig zu machen und Lösungen zu erarbeiten. Leiten Sie ein Team, dem ein führender Vertreter der internen Revision, des Sicherheitsdiensts, der Datenverarbeitung und der Personalabteilung angehören. Holen Sie sich
Rückendeckung vom Vorstandsvorsitzenden oder Geschäftsführer. Das erhöht Ihre Autorität in dieser Runde. Ein heikler Punkt ist das so genannte WhistleBlowing, auf gut deutsch: jemanden verpfeifen. Worum es geht: Wenn ein Mitarbeiter Unregelmäßigkeiten mitbekommt, wäre die beste Lösung, er würde seine Erkenntnisse einer Person des Unternehmens anvertrauen. Sorgen Sie daher dafür, dass ein potenzieller Informant nicht das Gefühl haben kann, ein Verräter zu sein. Absolute Vertraulichkeit und Rechtssicherheit müssen selbstverständlich zugesichert werden. Risiko: Irrtümliche Rechtsverstöße Gut gemeint, reicht schon lange nicht mehr. Wenn ein Manager aufgrund seiner praktischen Erfahrung, seines logischen Menschenverstands und eines guten Rechtsempfindens handelt und trotzdem strafrechtliche Probleme bekommt, ist das zu bedauern – aber das ist die Wirklichkeit. Gegen potenzielle Rechtsverstöße helfen folgende Schritte, die in jedes Konzept für Litigation PR gehören: n Bedrohungen erkennen (falsche Kreditauskünfte, Bilanzierungsfehler, steuerliche Erklärungspflichten, Wettbewerbsrecht, etc.); n Bedrohungen bewerten (niedriges Risiko, hohes Risiko); n Bedrohung minimieren durch Einführung eines Legal Risk Managements (definierte Risiken unterliegen automatischer Überprüfung).
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Zu guter Letzt – Die Deutsche Bank
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11. Zu guter Letzt – Die Deutsche Bank
„Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Aus Goethes „Faust“ Johann Wolfgang von Goethe (1749 -1832), deutscher Dichter
Die gute Nachricht vorweg. Die Bild-Zeitung hat mit Josef „Joe“ Ackermann, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, ein langes Gespräch geführt und das Interview am 19. und 20. Januar 2006 abgedruckt. Das ist eine seltene Ausnahme. Denn lange Interviews und Berichte passen nicht in das typische Layout einer Boulevardzeitung. Die Redakteure befragen den Deutschbankier zur Weltwirtschaft, zum Patriotismus, zur Gerechtigkeit, zum Mannesmann-Prozess, zu seiner Person und zum Glauben. Ackermann beantwortet die Fragen mit Bravour, weil er fachlich sowieso, aber auch menschlich sympathisch herüberkommt. Eine Frage lautet: „Die Richter im Mannesmann-Prozess haben Ihnen vorgeworfen, Sie hätten ‚keinen ausreichenden Bezug mehr zur Welt, in der wir leben‘. Hat Sie das getroffen? Seine Antwort: „Ja. Das verletzt mich. Ich kenne die Richter persönlich nicht, aber ich lade sie gern ein, bei mir mal am Familientisch zu sitzen. Dann können sie sehen, wie normal die Familie Ackermann lebt.“ Diese Natürlichkeit ohne jede abstrakte Überhöhung wirkt sehr angenehm. Nun die schlechte Nachricht. Nicht die Kommunikationsabteilung der Deutschen Bank kommt
auf die Idee, der Bild-Zeitung ein Interview anzubieten – nein: Die Bild-Zeitung selbst bohrt wochenlang, um das Interview zu bekommen. Warum kommt die Deutsche Bank nicht selbst auf die Idee, der Bild-Zeitung ein Gespräch anzubieten? Warum braucht sie so lange für eine Zusage? Welche Angst, welche Vorsicht, welche Strategie spielt da eine Rolle? Ein Frage-Antwort-Interview ist jedenfalls völlig risikolos, weil der Interviewte den Text verändern oder ablehnen kann. Oder meint die Bank, eine Boulevardzeitung sei nicht das richtige Medium für den Vorstandsvorsitzenden? Je mehr Fragen auftauchen, desto simpler wird die Sache: Die Deutsche Bank hat offenbar keinen Plan, um Ackermanns Stärken zu stärken und Schwächen zu schwächen.
Kein Manager steht im Jahre 2005 häufiger in der Presse als Ackermann. Auf ihn entfallen 3500 Nennungen, die meisten davon mit einem negativen Hintergrund.
Interessant ist doch, dass Ackermanns hervorragende geschäftliche Leistungen nicht zu einem nachhaltigen Stimmungsumschwung führen. Der Mannesmann-Prozess, die Fonds-Affäre und die unglückliche Verknüpfung ehrgeiziger Renditeziele mit der Ankündigung eines massiven Arbeitsplatzabbaus bilden das entscheidende Stigma. Die Hinweise auf seinen exzellenten Ruf im Ausland zählen nicht.
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Zu guter Letzt – Die Deutsche Bank
Die Deutsche Bank ist Deutschlands größte Bank und sie trägt den Namen unseres Landes. Diese Bank gehört zur Identität Deutschlands. Entscheidend sind deshalb nicht die Schlagzeilen in New York, London oder Tokio, entscheidend ist die mediale Wirklichkeit in unserem Land. Sie filtert und reflektiert auch das politische Denken in Deutschland. Wenn es um die Deutsche Bank geht, schaut und hört jeder Bundeskanzler genau hin. Die Bank ist ein Politikum. Ein sympathischer und akzeptierter Vorstandsvorsitzender hat kraftvollere Möglichkeiten, seine Ziele zu erreichen als ein Manager, dem die öffentliche und veröffentlichte Meinung ständig zusetzt. In dieser Situation sind drei Wege denkbar: n Personality Marketing Auswahl der Themen, die zu Ackermann passen und ihn profilieren. Auswahl der möglichen Instrumente (Medien, Auftritte, Reden, Buchprojekt etc.), Festlegung eines Zeit- und Maßnahmenplans, der so gestaltet ist, dass eine Wirkungskette entsteht: Jede Maßnahme baut auf die nächste auf und steigert die positive Aufmerksamkeit. Public Relations ist eine Managementaufgabe. Ackermann muss mehr Zeit dafür investieren.
in Berlin präsent sein und das Gespräch mit Politikern suchen. n Themensetting Die Deutsche Bank selbst sollte sich mit einem relevanten gesellschaftlichen Thema ins Gespräch bringen, die Debatte prägen und sie substanziell weiterführen. Die schnelle Schlagzeile ist schnell vergessen. Aber die tiefgründige und glaubwürdige Auseinandersetzung mit einem Thema schafft positive Resonanz und flankiert die PR-Maßnahmen für den Vorstandsvorsitzenden. Diese Kommunikationspolitik erfordert Disziplin und den festen Willen, mit aller Macht in die Offensive zu kommen. Nur wenn die Deutsche Bank ihre Öffentlichkeitsarbeit grundlegend neu ausrichtet, hat sie eine realistische Chance, aus ihrer medialen Bedroulie wieder herauszukommen.
n Lobbyismus Der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Caio Koch-Weser, steht Ackermann seit Anfang 2006 beratend zur Seite – das ist gut, reicht aber nicht. Der Vorstandsvorsitzende selbst muss häufiger
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Literaturverzeichnis
12. Literaturverzeichnis Kickinger, Viktoria Danke für die Krise echomedia verlag, Wien 2005 Hücker, Fritz Rhetorische Deeskalation Richard Boorberg Verlag, München 2005 Strohschneider, Stefan (Hrsg.) Entscheiden in kritischen Situationen Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt 2003 Neumann, Rainer und Ross, Alexander Der perfekte Auftritt Murmann, Hamburg 2004 Klaas, Apitz Konflikte Krisen Katastrophen FAZ/Gabler, Frankfurt 1987 Hamm, Rainer Große Strafprozesse und die Macht der Medien Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 1995 Neuling, Christian-Alexander Inquisition durch Information Duncker & Humblot, Berlin 2005 Wagner, Joachim Strafprozessführung über Medien Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 1987
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www.BusinessVillage.de
BusinessVillage – Update your Knowledge! Edition Praxis.Wissen je 21,80 Euro * n
Persönlicher Erfolg
559
Projektmanagement kompakt – Systematisch zum Erfolg, Stephan Kasperczyk; Alexander Scheel
583
Free your mind – Das kreative Selbst, Albert Metzler
596
Endlich frustfrei! Chefs erfolgreich führen, Christiane Drühe-Wienholt
604
Die Magie der Effektivität, Stéphane Etrillard
620
Zeitmanagement, Annette Geiger
624
Gesprächsrhetorik, Stéphane Etrillard
631
Alternatives Denken, Albert Metzler
646
Geschäftsbriefe und E-Mails – Schnell und professionell, Irmtraud Schmitt
721
Intuition – Die unbewusste Intelligenz, Jürgen Wunderlich
733
Limbic Mind – Die intelligente Schlagfertigkeit, Christine Lehner; Sabine Weihe
743
Presenting Yourself – Der souveräne Auftritt, Eva Ruppert
754
Einfach gesagt – Wenn jeder plötzlich zuhört und versteht, Oliver Groß
n
Präsentieren und konzipieren
590
Konzepte ausarbeiten – schnell und effektiv, Sonja Klug
632
Texte schreiben – Einfach, klar, verständlich, Günther Zimmermann
635
Schwierige Briefe perfekt schreiben, Michael Brückner
625
Speak Limbic – Wirkungsvoll präsentieren, Anita Hermann-Ruess
n
Richtig führen
555
Richtig führen ist einfach, Matthias K. Hettl
614
Mitarbeitergespräche richtig führen, Annelies Helff; Miriam Gross
616
Plötzlich Führungskraft, Christiane Drühe-Wienholt
629
Erfolgreich Führen durch gelungene Kommunikation, Stéphane Etrillard; Doris Marx-Ruhland
638
Zukunftstrend Mitarbeiterloyalität, 2. Auflage, Anne M. Schüller
643
Führen mit Coaching, Ruth Hellmich
n
Vertrieb und Verkaufen
479
Messemarketing, Elke Clausen
561
Erfolgreich verkaufen an anspruchsvolle Kunden, Stéphane Etrillard
562
Vertriebsmotivation und Vertriebssteuerung, Stéphane Etrillard
606
Sell Limbic – Einfach verkaufen, Anita Hermann-Ruess
619
Erfolgreich verhandeln, erfolgreich verkaufen , Anne M. Schüller
647
Erfolgsfaktor Eventmarketing, Melanie von Graeve
664
Best-Selling – Verkaufen an die jungen Alten, Stéphane Etrillard
668
Mystery Shopping, Ralf Deckers; Gerd Heinemann
726
Sog-Selling – Einfach unwiderstehlich verkaufen, Stéphane Etrillard
753
Zukunftstrend Empfehlungsmarketing, 2. Auflage, Anne M. Schüller
759
Events und Veranstaltungen professionell managen, 2. Auflage, Melanie von Graeve
n
PR und Kommunikation
478
Kundenzeitschriften, Thomas Schmitz
549
Professionelles Briefing – Marketing und Kommunikation mit Substanz, Klaus Schmidbauer
557
Krisen PR – Alles eine Frage der Taktik, Frank Wilmes
569
Professionelle Pressearbeit , Annemike Meyer
594
1×1 für Online-Redakteure und Online-Texter, Saim Rolf Alkan
595
Interne Kommunikation. Schnell und effektiv, Caroline Niederhaus
653
Public Relations, Hajo Neu, Jochen Breitwieser
691
Wie Profis Sponsoren gewinnen, 2. Auflage, Roland Bischof
Edition Praxis.Wissen je 21,80 Euro * n
Online-Marketing
688
Performance Marketing, 2. Auflage, Thomas Eisinger; Lars Rabe; Wolfgang Thomas (Hrsg.)
690
Erfolgreiche Online-Werbung, 2. Auflage, Marius Dannenberg; Frank H. Wildschütz
692
Effizientes Suchmaschinen-Marketing, 2. Auflage, Thomas Kaiser
731
Was gute Webseiten ausmacht, Tobias Martin; Andre Richter
n
Marketing
500
Leitfaden Ambient Media, Kolja Wehleit
533
Corporate Identity ganzheitlich gestalten, Volker Spielvogel
546
Telefonmarketing, Robert Ehlert; Annemike Meyer
549
Professionelles Briefing – Marketing und Kommunikation mit Substanz, Klaus Schmidbauer
566
Seniorenmarketing, Hanne Meyer-Hentschel; Gundolf Meyer-Hentschel
567
Zukunftstrend Kundenloyalität , Anne M. Schüller
574
Marktsegmentierung in der Praxis, Jens Böcker; Katja Butt; Werner Ziemen
576
Plakat- und Verkehrsmittelwerbung, Sybille Anspach
603
Die Kunst der Markenführung, Carsten Busch
610
Faktor Service – Was Kunden wirklich brauchen, Dirk Zimmermann
612
Cross-Marketing – Allianzen, die stark machen, Tobias Meyer; Michael Schade
630
Kommunikation neu denken – Werbung, die wirkt, Malte Altenbach
661
Allein erfolgreich – Die Einzelkämpfermarke, Giso Weyand
712
Der WOW-Effekt – Kleines Budget und große Wirkung, Claudia Hilker
n
Unternehmensführung
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Die Bank als Gegner, Ernst August Bach; Volker Friedhoff; Ulrich Qualmann
634
Forderungen erfolgreich eintreiben, Christine Kaiser
656
Praxis der Existenzgründung – Erfolgsfaktoren für den Start, Werner Lippert
657
Praxis der Existenzgründung – Marketing mit kleinem Budget, Werner Lippert
658
Praxis der Existenzgründung – Die Finanzen im Griff, Werner Lippert
700
Bankkredit adieu! Die besten Finanzierungsalternativen, Sonja Riehm; Ashok Riehm; Axel Gehrholz
701
Das perfekte Bankgespräch, Jörg T. Eckhold; Hans-Günther Lehmann; Peter Stonn
755
Der Bambus-Code – Schneller wachsen als die Konkurrenz, Christian Kalkbrenner; Ralf Lagerbauer
Edition BusinessInside +++ Neu +++ 693
Web Analytics – Damit aus Traffic Umsatz wird, Frank Reese, 34,90 Euro
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Online-Communities im Web 2.0, Miriam Godau; Marco Ripianti, 34,90 Euro
757
Die Exzellenz-Formel – Das Handwerkszeug für Berater, Jörg Osarek; Andreas Hoffmann; 39,80 Euro
BusinessVillage Fachbücher – Einfach noch mehr Wissen 598
Geburt von Marken, Busch; Käfer; Schildhauer u.a.; 39,80 Euro
644
Mordsbetrieb, Peter Schütz; Robert Kroth; 7,90 Euro
679
Speak Limbic – Das Ideenbuch für wirkungsvolle Präsentationen, Anita Hermann-Ruess, 79,00 Euro
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Gründung und Franchising 2007/2008, Detlef Kutta; Karsten Mühlhaus (Hrsg.), 9,95 Euro
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High Probability Selling – Verkaufen mit hoher Wahrscheinlichkeit, Werth; Ruben; Franz, 24,80 Euro
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Was im Verkauf wirklich zählt!, Walter Kaltenbach; 24,80 Euro
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Ja, ich bestelle: Zukunftstrend Empfehlungsmarketing, 2. Auflage, Anne M. Schüller Speak Limbic – Wirkungsvoll präsentieren, Anita Hermann-Ruess Limbic Mind – Die intelligente Schlagfertigkeit, Christine Lehner; Sabine Weihe Allein erfolgreich – Die Einzelkämpfermarke, Giso Weyand
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