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German Pages 379 Year 2008
Alexander Graf Geschäftsmodelle im europäischen Automobilvertrieb
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Alexander Graf
Geschäftsmodelle im europäischen Automobilvertrieb Herausforderung Multikanalmanagement
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. W. Fritz
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät der Technischen Universität Braunschweig, 2007
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Viktoria Steiner Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1081-3
Geleitwort
V
Geleitwort Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts galt der Automobilvertrieb in Europa als ein Musterbeispiel für herstellergesteuerte Vertikale Marketing-Systeme. Er war traditionell durch indirekten Absatz auf der Basis langfristig angelegter enger vertraglicher Bindungen zwischen Hersteller und Absatzmittler charakterisiert. Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, geprägt z.B. durch die 2002 in Kraft getretene Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) 1400, steigender Wettbewerb und insbesondere ein verändertes, zunehmend markenilloyales Verhalten der Kunden, bewirken jedoch seit einiger Zeit einen grundlegenden Strukturwandel im europäischen Automobilvertrieb. Es entwickeln sich neue Absatzkanäle und -formen, zugleich nutzen Automobilhersteller das Marketing und den Vertrieb immer stärker zur Wettbewerbsdifferenzierung. In zunehmendem Maße sehen sie sich auch der neuen Herausforderung des Multikanal-Managements gegenüber. Vor diesem Hintergrund verfolgt Alexander Graf in seiner Untersuchung das Ziel, jene neuen Geschäftsmodelle im Vertrieb zu identifizieren, die sich im Strukturwandel bereits herausgebildet haben, sowie jene zu charakterisieren, die für die Distribution zukünftig von größerer Bedeutung sein werden. Mit Hilfe einer zweistufigen, europaweit angelegten Expertenbefragung nach dem Muster der Delphi-Methode untersucht er die zu erwartenden Rahmenbedingungen der Automobildistribution und die künftige Bedeutung der einzelnen Geschäftsmodelle im Vertrieb. Ein zentrales Ergebnis bildet die nach Expertenurteil wachsende Relevanz des Multikanal-Managements im europäischen Automobilvertrieb. Darüber hinaus wird die künftige Automobildistribution voraussichtlich durch 24 verschiedene Geschäftsmodelle oder Typen von Distributionsorganen geprägt sein, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Dabei zeigt sich insbesondere, dass das aktuell bedeutende Geschäftsmodell des vertragsgebundenen Autohauses in der kommenden Dekade an Bedeutung verlieren wird. Dagegen werden innovative Geschäftsmodelle, deren Positionierung beispielsweise auf Mobilitätsbereitstellung, ganzheitlichem Kundenerlebnis oder Dienstleistungen auf nationaler Großhandelsebene beruhen, deutlicher hervortreten. Die Untersuchungsergebnisse belegen, dass sich der Automobilvertrieb schon mitten in einem Umbruch befindet, dessen Kraft der Umgestaltung aber noch erheblich wachsen wird. Darauf sind die meisten Automobilhersteller jedoch nur unzureichend vorbereitet. Die Automobildistribution der kommenden Dekade wird sich von der gegenwärtig gegebenen signifikant unterscheiden. Univ.-Prof. Dr. W. Fritz
Vorwort
VII
Vorwort Welche Bedürfnisse haben Autokäufer im Kaufprozess und wie möchten sie angesprochen werden? Inwieweit sollten unterschiedliches Kundenverhalten und divergierende Bedürfnisse in einer differenzierten Gestaltung von Distributionsorganen münden? Wie können die beteiligten Institutionen und Akteure des Vertriebsnetzwerks über alle Absatzkanäle effizient zusammenarbeiten? Welche Auswirkungen haben rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere die GVO? Wie kann ein Automobilhersteller ein Multikanalvertriebssystem effektiv steuern? Diese und ähnliche Fragen haben mich erstmals im Rahmen eines studienbegleitenden Praktikums bei der Volkswagen AG beschäftigt. Nach und nach ist daraus die Idee für diese Arbeit gewachsen. Eine Dissertation ist auch ein Diskussions- und Navigationsprozess, in dessen Verlauf immerwährend Richtungskorrekturen und Entscheidungen vorzunehmen sind. Für ihren Beitrag als Unterstützer, Ratgeber, Gesprächspartner, Zuhörer, Motivator oder Kritiker in diesem Prozess möchte ich folgenden Personen herzlich danken: meinem Doktorvater Prof. Dr. Fritz und den Mitgliedern des Lehrstuhls Marketing an der TU Braunschweig – insbesondere Ingrid Birker und Hilke Schulenburg, Koreferent Prof. Dr. Spengler sowie Freunden und Kollegen, darunter Björn Thies, Kathrin Heintsch, Mathias Lorek, Dr. Karina Marschner, Alexander Nolte, Prof. Dr. Gordon Eckardt, Jesko Schröder, Coen Droog, Maik Stephan, Michael Perschke, Frank Wittemann, Jens Silligmüller, Jan Heipke und Kim Knop. Diese Arbeit basiert nicht zuletzt auch auf den Ergebnissen der Delphi-Studie. Daher möchte ich meinen besonderen Dank den zahlreichen Teilnehmern für ihre geduldige und ausdauernde Arbeit mit den Fragebögen sowie Vermittlung weiterer Experten aussprechen. Hervorheben möchte ich dabei den Beitrag von Peter Bosch und des icdp-Teams. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Familie, meinen Eltern für ihre fortwährende Unterstützung und meinem Großvater Dr. Günter Wendt für seine Inspiration. Allen voran danke ich meiner Frau Christina für ihren Zuspruch, ihr Verständnis und ihre Diskussionsbereitschaft in allen Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre. Ich hoffe, dass dieses Buch Ausgangspunkt für weitere Diskussionen zu den Herausforderungen des Multikanalmanagements im Automobilvertrieb wird. Alexander Graf
Inhaltsverzeichnis
IX
Inhaltsverzeichnis Geleitwort.................................................................................................................................. V Vorwort ...................................................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis..................................................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................... XIII Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... XV Tabellenverzeichnis............................................................................................................... XIX 1 Einleitung und Problemstellung .............................................................................................. 1 2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen............................................................................... 5 2.1 Inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen...................................................................... 5 2.2 Konzeptionelle Basis...................................................................................................... 10 2.2.1 Vertikale Marketing Systeme.................................................................................. 10 2.2.2 Multikanalmanagement ........................................................................................... 12 2.2.3 Kritische Würdigung ............................................................................................... 16 2.3 Stand der Forschung....................................................................................................... 17 2.3.1 Gestaltung des Distributionssystems....................................................................... 18 2.3.2 Hersteller-Absatzmittler-Beziehung........................................................................ 19 2.3.3 Kontakt zum Endkunden......................................................................................... 20 2.3.4 E-Commerce und neue Distributionsorgane ........................................................... 21 2.3.5 Defizite bisheriger Forschung ................................................................................. 22 2.4 Forschungsfragen und Gang der Untersuchung ............................................................. 23 3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs .............. 25 3.1 Perspektive Distributionsobjekt ..................................................................................... 27 3.1.1 Automobil als Distributionsobjekt .......................................................................... 27 3.1.2 Distributionsobjektbezogene Trends....................................................................... 29 3.1.3 Zusammenfassende Thesen..................................................................................... 32 3.2 Perspektive Marktstruktur .............................................................................................. 32 3.2.1 Kunden im europäischen Automobilmarkt ............................................................. 32 3.2.2 Trends im Automobilmarkt..................................................................................... 36 3.2.2.1 Kundenstruktur................................................................................................. 37 3.2.2.2 Kundenverhalten und Kundenbedürfnisse ....................................................... 38 3.2.3 Zusammenfassende Thesen..................................................................................... 41 3.3 Perspektive Distributionssystem .................................................................................... 42 3.3.1 Distributionssysteme im Automobilvertrieb ........................................................... 43 3.3.2 Trends im Distributionssystem................................................................................ 44 3.3.2.1 Strukturwandel ................................................................................................. 45 3.3.2.2 Professionalisierung ......................................................................................... 54 3.3.3 Zusammenfassende Thesen..................................................................................... 56 3.4 Perspektive Unternehmen .............................................................................................. 57 3.4.1 Automobilhersteller im europäischen Markt........................................................... 57 3.4.2 Herstellerbezogene Trends bis 2015 ....................................................................... 57 3.4.3 Zusammenfassende Thesen..................................................................................... 59 3.5 Weitere Umweltfaktoren ................................................................................................ 59 3.5.1 Politisch-Rechtliche Situation des europäischen Automobilvertriebs .................... 59 3.5.1.1 Gruppenfreistellungsverordnungen der EU-Kommission vor 2002 ................ 60 3.5.1.4 Die aktuelle GVO 1400/02............................................................................... 61 3.5.2 Trends im politisch-rechtlichen Umfeld ................................................................. 65 3.5.2.1 Abbau von Handelshemmnissen und Deregulierung ....................................... 65 3.5.2.2 Veränderungen durch die GVO 1400/02 ......................................................... 66 3.5.3 Einfluss des technologischen Umfelds.................................................................... 68
X
Inhaltsverzeichnis
3.5.4 Zusammenfassende Thesen..................................................................................... 69 3.6 Zwischenfazit: Forschungsfragen F-I und F-II .............................................................. 70 4 Analyse von Distributionsorganen ........................................................................................ 71 4.1 Kategorisierung von Distributionsorganen .................................................................... 71 4.2 Analysekonstrukte zur Differenzierung von Distributionsorganen ............................... 74 4.2.1 Ansatz „Betriebsformen“ ........................................................................................ 78 4.2.2 Ansatz „Distributionsformen“................................................................................. 81 4.2.3 Ansatz „Absatzkanal“ ............................................................................................. 82 4.2.4 Ansatz „Geschäftsmodell“ ...................................................................................... 83 4.2.5 Diskussion der Ansätze ........................................................................................... 90 4.3 Geschäftsmodell als Analysekonstrukt .......................................................................... 92 4.3.1 Differenzierungsansätze des Geschäftsmodellbegriffs ........................................... 93 4.3.2 Theoretischer Rahmen der Operationalisierung des Analysekonstrukts................. 96 4.3.2.1 MBV: market-based view of the firm .............................................................. 97 4.3.2.2 RBV: resource-based view of the firm........................................................... 101 4.3.2.3 Transaktionskostenansatz als Teil der Neuen Institutionenökonomik........... 105 4.3.2.4 Verhaltenstheoretischer Ansatz...................................................................... 112 4.3.2.5 Consumer-based view der Unternehmung ..................................................... 113 4.3.2.6 Theoretische Ansätze als Basis der Ausgestaltung des Analysekonstrukts ... 118 4.4 Operationalisierung des Analysekonstrukts für den Untersuchungsgegenstand.......... 120 4.4.1 Leistungskonzept................................................................................................... 120 4.4.1.1 Kundengruppen .............................................................................................. 121 4.4.1.2 Kundennutzen im Kaufprozess ...................................................................... 122 4.4.1.3 Value Add des Geschäftsmodells im Distributionssystem ............................ 123 4.4.2 Kommunikationskonzept ...................................................................................... 125 4.4.3 Ertragskonzept....................................................................................................... 129 4.4.4 Wachstumskonzept................................................................................................ 130 4.4.5 Kompetenzkonfiguration....................................................................................... 131 4.4.6 Organisationsform................................................................................................. 132 4.4.7 Kooperationskonzept............................................................................................. 134 4.4.8 Koordinationskonzept ........................................................................................... 135 4.5 Zwischenfazit: Hauptthese H-II und Forschungsfrage F-III ........................................ 135 5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie.................... 139 5.1 Ziel der Untersuchung.................................................................................................. 139 5.2 Methodik ...................................................................................................................... 139 5.2.1 Auswahl der Methode ........................................................................................... 140 5.2.2 Grundzüge der Delphi-Methode............................................................................ 140 5.2.3 Kritik der Delphi-Methode.................................................................................... 146 5.2.4 Zwischenfazit zur Methodik.................................................................................. 149 5.3 Durchführung der empirischen Untersuchung ............................................................. 149 5.3.1 Pretest .................................................................................................................... 150 5.3.2 Expertenauswahl ................................................................................................... 152 5.3.3 Fragebogen-Design ............................................................................................... 154 5.3.4 Abbruchkriterien ................................................................................................... 155 5.4 Ergebnisse zu allgemeinen Trends............................................................................... 158 5.5 Geschäftsmodelle im europäischen Automobilvertrieb ............................................... 162 5.5.1 Geschäftsmodell Autohaus.................................................................................... 164 5.5.1.1 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Hierarchie) ........................................... 170 5.5.1.2 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Vertrag)................................................ 174 5.5.1.3 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Markt) .................................................. 179 5.5.2 Geschäftsmodell Automall.................................................................................... 182
Inhaltsverzeichnis
XI
5.5.3 Geschäftsmodell Downtownshop.......................................................................... 188 5.5.4 Geschäftsmodell Factory Outlet............................................................................ 191 5.5.5 Geschäftsmodell Vermittlung (branchennah) ....................................................... 197 5.5.6 Geschäftsmodell Vermittlung (branchenfremd).................................................... 199 5.5.7 Geschäftsmodell Mobility ..................................................................................... 202 5.5.7.1 Geschäftsmodellvariante Mobility (Geschäftskunden).................................. 207 5.5.7.2 Geschäftsmodellvariante Mobility (Privatkunden) ........................................ 209 5.5.8 Geschäftsmodell E-Commerce.............................................................................. 210 5.5.8.1 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Quoting) ......................................... 216 5.5.8.2 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Transaktion mit Endkunden) ......... 219 5.5.8.3 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern).......................................................................... 221 5.5.9 Geschäftsmodell Einzelhandelskooperation ......................................................... 222 5.5.10 Geschäftsmodell Nationale Vertriebsgesellschaft............................................... 226 5.5.10.1 Geschäftsmodellvariante Nationale Vertriebsgesellschaft (Hierarchie) ...... 230 5.5.10.2 Geschäftsmodellvariante Nationale Vertriebsgesellschaft (Vertrag) ........... 231 5.5.11 Geschäftsmodell Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen ................ 232 5.5.12 Geschäftsmodell Franchising im freien Autohandel........................................... 233 5.5.13 Weitere Geschäftsmodell-Ansätze ...................................................................... 237 5.5.13.1 Geschäftsmodell Auktion............................................................................. 237 5.5.13.2 Geschäftsmodell Versandhandel (offline).................................................... 238 5.5.13.3 Geschäftsmodell Eventvertrieb .................................................................... 238 5.5.13.4 Geschäftsmodell Network-Marketing – Kunde wirbt Kunde ...................... 239 5.5.13.5 Geschäftsmodell Hard Selling...................................................................... 239 5.6 Güte der empirischen Ergebnisse................................................................................. 239 5.6.1 Objektivität............................................................................................................ 239 5.6.2 Reliabilität ............................................................................................................. 240 5.6.3 Validität................................................................................................................. 246 5.6.4 Nebengütekriterien nach LIENERT/RAATZ............................................................. 248 5.6.5 Zusammenfassung................................................................................................. 248 5.7 Zwischenfazit Forschungsfragen I bis IV und H-I....................................................... 249 5.7.1 Forschungsfragen F-I und F-II und Hauptthese H-I.............................................. 249 5.7.2 Forschungsfragen III und IV ................................................................................. 250 6 Implikationen auf die Distributionssystemgestaltung ......................................................... 251 6.1 Geschäftsmodelle im Distributionsplanungsprozess.................................................... 251 6.2 Allgemeine Implikationen für die Distributionsplanung ............................................. 254 6.2.1 Perspektive Distributionsobjekt ............................................................................ 254 6.2.2 Perspektive Marktstruktur ..................................................................................... 254 6.2.3 Perspektive Distributionssystem ........................................................................... 255 6.2.3.1 Integration des MKV...................................................................................... 256 6.2.3.2 Steuerung und Führung des MKV ................................................................. 258 6.2.4 Perspektive Unternehmen ..................................................................................... 260 6.2.5 Weitere Umweltfaktoren ....................................................................................... 264 6.2.6 Zusammenfassung................................................................................................. 265 6.3 Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs und Distributionssystemgestaltung .......... 265 6.3.1 Leistungskonzept................................................................................................... 266 6.3.2 Kommunikationskonzept ...................................................................................... 270 6.3.3 Ertragskonzept....................................................................................................... 272 6.3.4 Wachstumskonzept................................................................................................ 272 6.3.5 Kompetenzkonfiguration....................................................................................... 274 6.3.6 Organisationskonzept ............................................................................................ 274
XII
Inhaltsverzeichnis
6.3.7 Kooperations- und Koordinationskonzept ............................................................ 275 7 Kritische Würdigung der Ergebnisse und Ausblick............................................................ 277 7.1 Ziel, Ergebnis und Güte der Arbeit .............................................................................. 277 7.2 Ausblick ....................................................................................................................... 279 Anhang 1: Fragebogen Pretest ............................................................................................... 281 Anhang 2: Vorbereitung empirische Untersuchung............................................................... 284 Anhang 3: Fragebogen 1. Delphi-Runde................................................................................ 289 Anhang 4: Fragebogen 2. Delphi-Runde................................................................................ 303 Anhang 5: Auswertung freier Antworten aus Befragungsrunde I.......................................... 318 Anhang 5.1 Statements aus Teil I des Fragebogens........................................................... 318 Anhang 5.2 Statements aus Teil II des Fragebogens ......................................................... 321 Anhang 5.3 Statements aus Teil III des Fragebogens ........................................................ 324 Anhang 6: Anwendung der Abbruchkriterien auf Geschäftsmodell-spezifische Items ......... 327 Anhang 7: Teilnehmer der Runden I und II ........................................................................... 331 Literaturverzeichnis................................................................................................................ 333
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis A.d.V. BtO BtS DSG EU Fzg. GM GMV GVO IT IuK LCV MBV NVG OEM PoS RBV SCP Stabw TAK VMS
Anmerkung des Verfassers Build-to-Order Build-to-Stock Distributionssystemgestaltung Europäische Union Fahrzeug Geschäftsmodell Geschäftsmodellvariante Gruppenfreistellungsverordnung Informationstechnologie Informations- und Kommunikation Leichte Nutzfahrzeuge bzw. Light Commercial Vehicles Market-based View Nationale Vertriebsgesellschaft eines Herstellers Original Equipment Manufacturer bzw. Automobilhersteller Point-of-Sale Resource-based View Structure-Conduct-Performance-Paradigm Standardabweichung Transaktionskosten Vertikales Marketing System
XIII
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Traditionelle Automobilvertriebsstrukturen ........................................................ 2 Abbildung 2: Formen der Koordination im Absatzweg............................................................. 7 Abbildung 3: Wertschöpfungskette der Automobilwirtschaft ................................................... 9 Abbildung 4: Dreistufige Konzeption von Multikanalsystemen.............................................. 16 Abbildung 5: Terminologische Abgrenzung innerhalb des Distributionsmanagements ......... 17 Abbildung 6: Beeinflussbarkeit der Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren ....................... 26 Abbildung 7: Ziele der BtS- bzw. BtO-Strategien im Automobilvertrieb ............................... 31 Abbildung 8: SIGMA-Milieus Europa 2005............................................................................ 36 Abbildung 9: Wandel im Konsumentenverhalten.................................................................... 38 Abbildung 10: Konsumentenklassifikation nach MEER 1995.................................................. 39 Abbildung 11: Umsatz- und Renditepotenzial in Europa ........................................................ 43 Abbildung 12: Systemprofit in Deutschland 2004................................................................... 44 Abbildung 13: Quersubvention vor der GVO 1400/02............................................................ 46 Abbildung 14: Konsolidierung europäischer Vertragshandelsnetze........................................ 47 Abbildung 15: Entwicklung 50 größten herstellerunabhängigen Handelsgruppen ................. 48 Abbildung 16: Für 2015 prognostizierte Renditeverteilung in Deutschland ........................... 50 Abbildung 17: Differenzierung nach Aktivität und Medieneinsatz ......................................... 51 Abbildung 18: Differenzierung nach Anzahl der Absatzkanäle .............................................. 51 Abbildung 19: Differenzierung nach Überlappung der Absatzkanäle ..................................... 52 Abbildung 20: Differenzierung nach Konsumorientierung und Koordination ........................ 53 Abbildung 21: Distributionsorgane aufgrund divergierender Kundenbedürfnisse .................. 54 Abbildung 22: Großhandelsstufe in EU in Anteil des Absatzvolumens.................................. 58 Abbildung 23: Marktanteilsbeschränkungen der GVO 1400/02.............................................. 63 Abbildung 24: Fall der Niederlassungsklausel durch GVO 1400/02....................................... 64 Abbildung 25: Entwicklung der Preisunterschiede (vor Steuern) in der Euro-Zone ............... 66 Abbildung 26: Wirkungsbereiche von IuK-Technologien....................................................... 68 Abbildung 27: Distributionsorgane als Elemente des Distributionssystems ........................... 73 Abbildung 28: Bezugsrahmen der Geschäftsmodellierung nach SCHÖGEL ............................. 86 Abbildung 29: Synoptischer Geschäftsmodellbegriff .............................................................. 88 Abbildung 30: Structure-Performance-Conduct-Paradigma.................................................... 97 Abbildung 31: Modell der Wertkette ....................................................................................... 99 Abbildung 32: Argumentationslogik des Kompetenzansatzes............................................... 102 Abbildung 33: Komponenten der Neuen Institutionenökonomik .......................................... 106 Abbildung 34: Organisational Faliure Framework ................................................................ 107 Abbildung 35: Koordinationsformen und Spezifität.............................................................. 108 Abbildung 36: Koordinationsformen zwischen Markt und Hierarchie.................................. 110 Abbildung 37: Kausalzusammenhang der Customer-based view der Unternehmung........... 114 Abbildung 38: Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert ..... 115 Abbildung 39: Wettbewerb um Customer Value................................................................... 116 Abbildung 40: Entwicklungen der Strategie- und Unternehmensforschung ......................... 118 Abbildung 41: Kundensegmentierung der vorliegenden Arbeit ............................................ 121 Abbildung 42: Idealtypischer Automobil-Kaufprozess ......................................................... 123 Abbildung 43: Distributionsprozesse im Neuwagenvertrieb ................................................. 125 Abbildung 44: Markensegmentierungsmatrix........................................................................ 127 Abbildung 45: Differenzierung der Kommunikationskonzepte............................................. 129 Abbildung 46: Basisstrategien nach PORTER ......................................................................... 131 Abbildung 47: Wachstumsstrategien – geographische Perspektive....................................... 131 Abbildung 48: Organisationsformen unterschiedlicher Wertkettenkonfiguration................. 133 Abbildung 49: Ablauf der empirischen Untersuchung .......................................................... 150
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 50: Berufliche Zuordnung der Teilnehmer .......................................................... 153 Abbildung 51: Arbeits- und Wirkungsgebiet der Teilnehmer ............................................... 153 Abbildung 52: Verwendung von Abbruchkriterien im Delphi .............................................. 157 Abbildung 53: Angebotsspektrum des GM Autohaus ........................................................... 165 Abbildung 54: Neuwagen-Distributionsprozesse des GM Autohaus .................................... 166 Abbildung 55: Multi-Franchise-Konzepte im Automobilhandel ........................................... 168 Abbildung 56: Prognose der Marktbedeutung für fahrzeugsegmentspezifisches Autohaus.. 169 Abbildung 57: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Hierarchie)........................................... 172 Abbildung 58: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Vertrag) ............................................... 175 Abbildung 59: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Markt).................................................. 180 Abbildung 60: Delphi-Ergebnisse zum GM Automall, Teil 1 von 2 ..................................... 183 Abbildung 61: Delphi-Ergebnisse zum GM Automall, Teil 2 von 2 ..................................... 184 Abbildung 62: Zusätzliches Angebot des GM Automall ggü. GM Autohaus ....................... 185 Abbildung 63: Delphi-Ergebnisse zum GM Downtownshop ................................................ 189 Abbildung 64: Delphi-Ergebnisse zum GM Factory Outlet .................................................. 194 Abbildung 65: Distributionsprozesse des GM Factory Outlet ............................................... 196 Abbildung 66: Delphi-Ergebnisse zum GM Vermittlung (branchennah).............................. 198 Abbildung 67: Delphi-Ergebnisse zum GM Vermittlung (branchenfremd) .......................... 200 Abbildung 68: Funktionsweise GM Mobility ........................................................................ 203 Abbildung 69: Delphi-Ergebnisse zum GM Mobility............................................................ 204 Abbildung 70: Kunden des GM Mobility .............................................................................. 205 Abbildung 71: Delphi-Ergebnisse der GMV Mobility (Geschäftskunden) ........................... 208 Abbildung 72: Potenzielle Aufgabenumfänge der GMV Mobility (Geschäftskunden) ........ 208 Abbildung 73: Delphi-Ergebnisse zum Flottenmanagement ................................................. 209 Abbildung 74: Delphi-Ergebnisse zur GMV Mobility (Privatkunden) ................................. 210 Abbildung 75: Integration der BETZ-Typologie in die Geschäftsmodellsystematik.............. 211 Abbildung 76: Distributionsprozesse des GM E-Commerce................................................. 214 Abbildung 77: Delphi-Ergebnisse der GMV E-Commerce (Quoting) .................................. 217 Abbildung 78: Delphi-Ergebnisse der GMV E-Commerce (Transaktion mit Endkunden)... 219 Abbildung 79: Delphi-Ergebnis zur GMV Tele-Shopping .................................................... 220 Abbildung 80: Delphi-Ergebnisse zur GMV E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) ......................................................................................................... 221 Abbildung 81: Delphi-Ergebnisse des GM Einzelhandelskooperation.................................. 223 Abbildung 82: Potenzielle Distributionsprozesse des GM Einzelhandelskooperation.......... 224 Abbildung 83: Delphi-Ergebnis zu Händlergruppen ............................................................. 226 Abbildung 84: Distributionsprozesse des GM Nationale Vertriebsgesellschaft.................... 228 Abbildung 85: Delphi-Ergebnisse zum GM Nationale Vertriebsgesellschaft ....................... 229 Abbildung 86: Delphi-Ergebnisse zur GMV NVG (Hierarchie) ........................................... 231 Abbildung 87: Delphi-Ergebnisse zur GMV NVG (Vertrag)................................................ 232 Abbildung 88: Delphi-Ergebnis zum GM Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen.................................................................................................. 233 Abbildung 89: Delphi-Ergebnisse zum GM Franchisegeber im freien Autohandel.............. 234 Abbildung 90: Distributionsprozesse des GM Franchising im freien Autohandel ................ 235 Abbildung 91: Alternative Geschäftsmodelle im Einzelhandel ............................................. 237 Abbildung 92: Hilfsmodell zur Stützung der Konstruktvaliditätshypothese ......................... 247 Abbildung 93: Multikanalmanagement-Prozess .................................................................... 252 Abbildung 94: Entscheidungsdimensionen zur Steuerung eines MKV ................................. 252 Abbildung 95: Gestaltungs- und Managementprozess für Multikanalvertriebssysteme ....... 253 Abbildung 96: Geschäftsmodelle im Spiegel der Herstellerziele .......................................... 263 Abbildung 97: Zielkonformität der Geschäftsmodelle mit Herstellerzielen.......................... 263 Abbildung 98: Prognose der Marktbedeutung der Geschäftsmodelle ................................... 266
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildung 99: Relevante Kundengruppen der Geschäftsmodelle ......................................... 267 Abbildung 100: Privatkundensegmente der Geschäftsmodelle ............................................. 268 Abbildung 101: Geschäftskundencharakterisierung der Geschäftsmodelle........................... 269 Abbildung 102: Idealtypischer Kundennutzen der Geschäftsmodelle................................... 270 Abbildung 103: Markenexklusivität der Geschäftsmodelle................................................... 271 Abbildung 104: Empfohlene Wettbewerbsstrategie der Geschäftsmodelle........................... 273 Abbildung 105: Wettbewerbsstrategie von Geschäftsmodellen innerhalb der Absatzkette .. 274 Abbildung 106: Organisationskonzepte der Geschäftsmodelle ............................................. 275 Abbildung 107: Weiterführende Konzeption des Multikanalmanagements .......................... 280 Abbildung 108: Feedback von Globalthesen im Feedback zu Runde I ................................. 320
Tabellenverzeichnis
XIX
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Ausgewählte Monographien und Aufsätze zum Automobilvertrieb ...................... 18 Tabelle 2: Ansätze der Distributionssituationsanalyse............................................................. 25 Tabelle 3: Beispiele kundenbezogener Segmentierungskriterien ............................................ 33 Tabelle 4: Differenzierungskriterien für Geschäftskunden...................................................... 33 Tabelle 5: Veränderungen im Distributionssystem.................................................................. 45 Tabelle 6: Auswahl institutioneller Typologien des Automobilvertriebs ................................ 77 Tabelle 7: Betriebsformenkatalog nach SPECHT/FRITZ ............................................................ 80 Tabelle 8: Ausgewählte Definitionen des Geschäftsmodell-Begriffs ...................................... 84 Tabelle 9: Vergleich von möglichen Analysekonstrukten, Teil 1 von 2.................................. 91 Tabelle 10: Vergleich von möglichen Analysekonstrukten, Teil 2 von 2................................ 92 Tabelle 11: Differenzierungskriterien von Geschäftsmodellen verschiedener Autoren .......... 93 Tabelle 12: Beispiele für Erlösmechaniken ........................................................................... 130 Tabelle 13 : Aspekte der Differenzierungskriterien............................................................... 136 Tabelle 14: Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs ......................................................... 137 Tabelle 15: Ausprägungen der Delphi-Methode bzgl. des Untersuchungsdesigns................ 142 Tabelle 16: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (bestätigt nach Runde I) .................. 158 Tabelle 17: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (bestätigt nach Runde II) ................. 159 Tabelle 18: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (ohne einheitliches Meinungsbild) .. 160 Tabelle 19: Weitere Trends im Automobilvertrieb (durch Experten eingebracht) ................ 161 Tabelle 20: Weitere Trends im Automobilvertrieb (durch Experten neu eingebracht) ......... 162 Tabelle 21: Redefinition der Geschäftsmodelle auf Basis der empirischen Untersuchung ... 163 Tabelle 22: Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs der vorliegenden Untersuchung ...... 164 Tabelle 23: Beispiele für horizontale Closing Gap-Kooperationen des GM Autohaus......... 170 Tabelle 24: Nutzenpotenziale des E-Commerce im Automobilvertrieb ................................ 213 Tabelle 25: Vor- und Nachteile eines Franchise-Systems im freien Autohandel .................. 235 Tabelle 26: Korrelationskoeffizienten im Test-Retest-Design der Reliabilitätsprüfung ....... 241 Tabelle 27: Abhängigkeit von Fragebogensprache und -mode.............................................. 242 Tabelle 28: Selbsteinschätzung der Teilnehmer bzgl. ihrer themenspezifischen Expertise .. 244 Tabelle 29: Beruflicher Herkunft in Abhängigkeit vom Arbeitsgebiet................................. 244 Tabelle 30: Einfluss Panelmortalität ...................................................................................... 245 Tabelle 31: Strategische Zielgrößen der Absatzkanalpolitik ................................................. 261 Tabelle 32: Thesen zur Diskussion der Distributionssituation............................................... 285 Tabelle 33: Thesen zu Zielen eines Nachfolgeregime der GVO 1400/02 ............................. 318 Tabelle 34: Thesen zu weiteren Trends mit Auswirkung auf Automobilvertrieb.................. 319 Tabelle 35: Bereits in Runde I berücksichtigte Statements.................................................... 320 Tabelle 36: Im Kontext der Geschäftsmodelle rückgekoppelte Statements .......................... 321 Tabelle 37: Statements zum GM Autohaus............................................................................ 321 Tabelle 38: Statements zum GM Downtownshop.................................................................. 321 Tabelle 39: Statement zum GM Automall ............................................................................. 321 Tabelle 40: Statements zum GM Vermittlung (branchenfremd) ........................................... 322 Tabelle 41: Statement zum GM Mobility .............................................................................. 322 Tabelle 42: Statements zum GM Einzelhandelskooperation ................................................. 322 Tabelle 43: Statements zum GM Nationale Vertriebsgesellschaft, Teil 1 von 2 ................... 323 Tabelle 44: Statements zum GM Nationale Vertriebsgesellschaft, Teil 2 von 2 ................... 324 Tabelle 45: Vorschläge der Experten für weitere GM ........................................................... 325 Tabelle 46: Ziele des Einsatzes von Geschäftsmodellen ....................................................... 326 Tabelle 47: Items zu GM-Charakteristiken (bestätigt in Runde I), Teil 1 von 2 ................... 327 Tabelle 48: Items zu GM-Charakteristiken (bestätigt in Runde I), Teil 2 von 2 ................... 328 Tabelle 49: Items zu GM-Charakteristiken (ohne stabiles Antwortverhalten), Teil 1 von 3. 328
XX
Tabellenverzeichnis
Tabelle 50: Items zu GM-Charakteristiken (ohne stabiles Antwortverhalten), Teil 2 von 3. 329 Tabelle 51: Items zu GM-Charakteristiken (ohne stabiles Antwortverhalten), Teil 3 von 3. 330 Tabelle 52: Liste der Delphi-Teilnehmer beider Runden, Teil 1 von 2 ................................. 331 Tabelle 53: Liste der Delphi-Teilnehmer beider Runden, Teil 2 von 2 ................................. 332
1 Einleitung und Problemstellung
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1 Einleitung und Problemstellung In einem der wettbewerbsintensivsten Automobilmärkte der Welt, der Europäischen Union, werden jährlich rund 15 Mio. Pkw abgesetzt. Zirka 80.000 Händler konkurrieren mit über 50 verschiedenen Automobilmarken um die Gunst von 490 Millionen potenziellen Käufern.1 Die Fahrzeuge sind auf dem weltweit höchsten technischen Niveau, denn über Jahrzehnte haben die Hersteller ihre Fahrzeuge und Produktion ständig verbessert. Die Automobilindustrie ist Motor technologischen Fortschritts. Ganz anders verhält es sich hingegen bei den Absatzsystemen – diese haben sich jahrzehntelang kaum verändert: „Perhaps the most striking characteristic of automotive retailing is its homogeneity; all around the world, cars are sold and serviced through the same mono channel, one-stop shopping format of independently owned franchised dealers, who combine several very different businesses – new and used car sales, lease-finance, after-market parts and service – under one roof.“2 Traditionell existierte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts folgende Vertriebsstruktur: Schwerpunkt bildete der indirekte Vertrieb von Automobilen über den Vertragshandel im Rahmen langfristig angelegter vertikaler Bindungen zwischen Hersteller und Absatzmittler. Mit Ausnahme weniger Hersteller war der Direktvertrieb über Niederlassungen nur schwach ausgeprägt.3 Lediglich Groß- und Sonderkunden wurden im Direktvertrieb bedient – siehe Abbildung 1. Automobilhersteller besaßen in diesem indirekten (qualitativ und quantitativ selektiven) Vertriebssystem großen Einfluss auf die Gestaltung und Steuerung der Distributionsorgane: Sie setzten ihre Marketingpolitik auf allen Distributionsstufen in allen Absatzkanälen weitgehend durch.4 Der traditionelle Automobilvertrieb ist insofern ein Beispiel für herstellergesteuerte Vertikale Marketing Systeme (VMS).5 Über die Gestaltung der Handelsverträge sowie damit verbundener Standards und Richtlinien konnten OEM Hersteller die Gestaltung wichtiger Elemente des Groß- und Einzelhandels bestimmen: • Auf Einzelhandelsebene dominierte der Vertragshändler:6 Der Hersteller schrieb die Verbindung von Neuwagenverkauf und Service in einem Betrieb vor und definierte detaillierte Anforderungen bzgl. Qualifikation der Mitarbeiter, Geschäfts- und Betriebsausstattung in Verkauf und Service sowie Gestaltung des Point-of-Sale (PoS).7 Zudem durfte der Hersteller selektiv in der Auswahl seiner Absatzmittler vorgehen, im Gegenzug wurde dem Vertragshändler zum Ausgleich ein exklusives geografisches Gebiet für den Verkauf der Fahrzeuge zugesprochen. Niederlassungen und Vertragshändler bzw. andere 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Wade/Brown 2006, S. 5. Jullens/Smend 2003, S. 96. DIEZ/BRACHAT schätzen 1994 den maximalen Direktvertriebsanteil enzelner Marken in Deutschland auf 30%. Vgl. Diez/Brachat 1994, S. 106. Vgl. Hoffmeister 1998, S. 42-51; Meffert 2000a, S. 350; Decker 2000, S. 31 und 58 oder Brockmeier 2000, S. 70ff. Vgl. Florenz 1992, S. 4-5; Kotler/Walther 1999, S. 820; Meffert 2000a, S. 588; Jullens/Smend 2003, S. 95. Vgl. Meinig 1995, S. 447. Herausragende Elemente sind dabei z.B. die Verwendung von Markenzeichen und Corporate Identity, die Anzahl der Ausstellungs- und Testfahrzeuge sowie die Markenexklusivität.
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1 Einleitung und Problemstellung
Vertragskonstrukte – wie z.B. Handelsvertreter oder Kommissionsagent – unterschieden sich in der Erscheinung vor Kunde kaum. Es dominierte der Betriebstyp des markenexklusiven Autohauses, welches neben dem Verkauf von Neuwagen in einem separaten Verkaufsraum, auch durch eine Werkstatt, den Handel mit Gebrauchtwagen und den Verkauf von Ersatz- und Zubehörteilen charakterisiert ist.8 • Auf Großhandelsebene setzten Hersteller selbständige Importeure oder eigene Nationale Vertriebsgesellschaften (NVG) ein. Beiden wurde im Rahmen eines Handelsvertrags ein exklusives geografisches Absatzgebiet zugeordnet – i.d.R. Nationalstaaten – in dem sie Vertragshändler einsetzten und den Vertrieb eigenständig führten. Die beiden Varianten unterschieden sich lediglich in der unterschiedlichen Steuerungsmöglichkeit des Herstellers.9 Hersteller
Herstellereigene (nationale) Vertriebsgesellschaften Niederlassungen
Vertragsgebundene Importeure* Vertragshandel**
Vertragshandel**
Großkunden / Sonderkunden
Kleine Unternehmen
Privatkunden
Leasing- / Mietwagenflotten Unternehmensflotten Indirekter Vertrieb
Öffentliche Institutionen Fahrschulen / Taxi
Direktvertrieb *
Mitarbeiter V.I.P.
**
Vertragsgebundene Importeure besitzen z.T. einen großen Anteil an Absatzmittlern auf Einzelhandelsebene Einstufig oder zweistufig
Abbildung 1: Traditionelle Automobilvertriebsstrukturen10
Diese Struktur des Automobilvertriebs hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts nur langsam verändert und wurde in ihren Grundzügen durch die Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) 123/85 und 1475/95 der Europäischen Kommission festgeschrieben. Aktuell befindet sich der europäische Automobilvertrieb jedoch in einem beschleunigten Restrukturierungsprozess, um auf sich wandelnde Wettbewerbsbedingungen zu reagieren. Es sind folgende Trends sichtbar:11 • Politisch-rechtliches Umfeld: Insbesondere mit Inkrafttreten der GVO 1400 in 2002 änderten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen europaweit und führten zur Stärkung des Wettbewerbs auf allen Ebenen des Vertriebssystems: Die Konsolidierung der Vertriebsnetze wurde beschleunigt, Konzentration führt zu Machtverschiebung zu Gunsten
8 9 10 11
Vgl. Diez 2001a, S. 314-330. Vgl. Brockmeier 2000, S. 15-21. Die Heimatmärkte der Hersteller werden z.T. direkt aus der Herstellerorganisation gesteuert. Eigene Darstellung in Anlehnung an Diez 1994, S. 106. Vgl. Kapitel 2.
1 Einleitung und Problemstellung
3
der Absatzmittler, Preisunterschiede innerhalb der EU werden von verschiedenen Marktteilnehmern systematisch ausgenutzt. • Wirtschaftliches Umfeld: Der Markt ist weitgehend gesättigt, zugleich steigt der Wettbewerbsdruck stetig durch den Eintritt neuer Wettbewerber und die beschleunigte Einführung neuer Produkte. Die hohen Vertriebskosten von bis zu 30% des Fahrzeuglistenpreises und die niedrige Umsatzrendite der Automobilhändler von durchschnittlich unter 1% erhöhen den Druck zu strukturellen Änderungen im Vertriebssystem. • Soziokulturelles Umfeld: Der europäische Automobilmarkt ist ein Käufermarkt. Die Loyalität der Kunden nimmt ab, stattdessen steigen Diversität und Instabilität von Kundensegmenten, -bedürfnissen und -verhalten. • Technologisches Umfeld: Die technische Fahrzeugkomplexität nimmt zu, während die Automobilhersteller ihre Produktportfolios um immer mehr Fahrzeugvarianten anreichern. Die Erklärungsbedürftigkeit der Produkte ggü. Endkunden und Absatzmittlern wächst und stellt erhöhte Anforderungen an die Informationsflussgestaltung im Vertriebssystem. • Vertriebsstrukturen: „In den vergangenen Jahren stand in vielen Unternehmen mit der Distribution ein bisher eher beständiger und strukturkonservativer Funktionalbereich im Mittelpunkt tief greifender Transformationsprozesse.“12 Diese Entwicklung bildet sich jetzt auch im Automobilvertrieb ab. Vor dem Hintergrund des skizzierten Marktumfeldes gewinnen bisher vernachlässigte Vertriebswege zunehmend an Bedeutung, neue Marktteilnehmer nutzen Liberalisierungstendenzen.13 Aus dem vormals Quasi-Monokanalvertrieb über vertragsgebundene Absatzmittler mit einheitlicher Gestaltung des Point-ofSale entwickelt sich ein echter Multikanalvertrieb. Horizontal und vertikal sind Spezialisierungs- und Konzentrationstendenzen gleichzeitig sichtbar.14 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Automobilhersteller vor dem Hintergrund ihrer individuellen Marktpositionierung mit der neuen Herausforderung des Multikanalmanagements konfrontiert sind, da: • die Pluralität, zeitliche Instabilität und Differenzierung der Kundenwünsche und -bedürfnisse zunimmt • die Anzahl der zu koordinierenden Absatzkanäle (horizontal) und Distributionsorgane (vertikal) zunehmen und sich das Absatzvolumen unter diesen neu verteilt, • die vertragsbasierte Steuerungsmöglichkeit traditioneller Absatzkanäle und somit das Machtpotenzial der Hersteller abnimmt • sowie die geografische und kundenspezifische Zuordnung der Absatzkanäle (und somit deren separate Steuerung) durch Channel Hopping nur noch eingeschränkt möglich sind. Folglich ist die Entwicklung eines Multikanal-Vertriebskonzeptes für den Automobilvertrieb notwendig: D.h. es sollte erstens eine Bewertung bestehender und potenzieller neuer Absatzkanäle, zweitens die Konfiguration des Multikanalsystems sowie drittens die Koordination und Weiterentwicklung des Multikanalsystems erfolgen.15 Wie in Kapitel 2.2 noch weiter auszuführen ist, eignet sich der MultikanalmanagementAnsatz als konzeptionelle Basis der vorliegenden Arbeit. Allerdings liegt bisher kein
12 13 14 15
Sauer 2005, S. 1. Vgl. Schögel/Tomczak 1999, S. 12; Schögel/Sauer 2002, S. 91-92. Vgl. Fritz/Graf 2006, S. 22-23. Vgl. Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 10; Specht/Fritz 2005, S. 171.
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1 Einleitung und Problemstellung
ausreichendes Anaysekonstrukt vor, um Distributionsorgane als Teil der Absatzkanäle im (Multikanal-) Vertiebssystem beschreiben zu können. In Kapitel 4 zeigt eine Gegenüberstellung potenzieller Modelle die Überlegenheit des Geschäftsmodell-Ansatzes für die Zwecke des Multikanalmanagements. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Ziel der Arbeit: Vor dem Hintergrund der veränderten Wettbewerbsbedingungen soll nach der systematischen Erfassung und Beschreibung des europäischen Automobilvertriebs – unter Verwendung eines geeigneten Analysekonstrukts – die Vielfalt aktueller und zukünftiger Distributionsorgane erfasst werden, um schließlich strategische Implikationen für Automobilhersteller zur marktorientierten Gestaltung ihrer Vertriebssysteme abzuleiten. Damit soll gleichzeitig ein Beitrag zur weiteren Ausarbeitung des Multikanalmanagement-Ansatzes bzw. -Prozesses geleistet werden.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen Basierend auf Problemstellung und Ziel werden im vorliegenden Kapitel zunächst inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen vorgenommen. Danach werden die konzeptionelle Basis ausgewählt und der Stand der Forschung dargestellt, bevor die Forschungsfragen und Hauptthesen sowie das Vorgehen konkretisiert werden.
2.1 Inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen Die vorliegende Arbeit ist der Distributionsforschung zuzuordnen, Untersuchungsobjekt ist die Distribution von Automobilen in Europa16. Gesamtwirtschaftlich gesehen, kann zwischen Produktion, Konsumtion und Distribution unterschieden werden. Distribution stellt die Schnittstelle zwischen Produktion und Konsumtion dar. Wenngleich eine klare Abgrenzung zwischen diesen drei Funktionen in der Literatur bisher nicht gelang,17 soll in Anlehnung an AHLERT unter dem Begriff der Distribution „sämtliche Maßnahmen, die zur Erzeugung des Distributionssubjektes hinzutreten (müssen), um den Umsatz mit dem Verbraucher zu bewirken, [...] subsumiert werden“18. Dabei bezieht sich der Distributionsbegriff auf Aktivitäten der eingeschalteten Institutionen, welche dazu beitragen, die körperliche und/oder wirtschaftliche Verfügungsmacht über materielle oder immaterielle Güter von einem Wirtschaftssubjekt auf ein anderes übergehen zu lassen. Einzelwirtschaftlich gesehen ist die Distribution Teil des Marketingmix, bestehend aus Produktions-, Preis-, Kommunikations- und Distributionspolitik. Der Begriff Distributionspolitik bezieht sich auf ein bestimmtes Wirtschaftssubjekt, denn als Teil des Marketings umfasst die Distributionspolitik „Entscheidungen und Handlungen, welche die Übermittlung von materiellen und/oder immateriellen Leistungen vom Hersteller zum Endkäufer19 und damit von der Produktion zur Konsumtion beziehungsweise gewerblichen Verwendung betreffen“20. Ein Distributionssystem ist die Zusammenfassung der Wirtschaftseinheiten, die an den Real-, Nominal- und Informationsströmen, ausgehend von einer bestimmten Absatzleistung eines bestimmten Produzenten, teilnehmen. Das Distributionssystem besteht aus Distributionsorganen, darunter fallen Absatzorgane der Hersteller, Absatz- und Beschaffungsmittler bzw. -helfer sowie Beschaffungsorgane der Konsumenten.21
16 17 18 19 20 21
Wegen des einheitlichen vorherrschenden Rechtsrahmens ist es zweckmäßig den Untersuchungsgegenstand auf Europa einzuschränken. Vgl. Ahlert 1996, S. 9. ebenda, S. 10. Als Endkäufer ist der Transaktionspartner definiert, der ein Gut erwirbt, um es produktiv oder konsumtiv zu nutzen. Vgl. Arnold 1995, S. 29 Vgl. Meffert 2000a, S. 600. Vgl. Ahlert 1996, S. 11 und 34; Specht/Fritz 2005, S. 36-37 und 47-49. In der wissenschaftlichen Literatur werden Distributionspolitik, Absatzpolitik und Vertriebspolitik oftmals synonym verwendet, obwohl von einigen Autoren definitorische Unterschiede herausgearbeitet wurden. Im Rahmen dieser Arbeit soll sich der weitgehend synonymen Begriffsauffassung angeschlossen werden. Unterschiede stellt zum Beispiel AHLERT heraus, vgl. Ahlert 1996, S. 18ff. Eine synonyme Begriffsauffassung findet sich u.a. bei: Müller-Hagedorn et al. 1999, S. 61; Decker 2000, S. 57; Busch/Dögl/Unger 2001, S. 286.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
Im Rahmen der Distributionspolitik kann zwischen der physischen und der akquisitorischen Distribution unterschieden werden.22 Erstere betrachtet logistische Aufgaben der Überführung des Distributionssubjektes vom Anbieter zum Nachfrager. Die akquisitorische Distribution betrachtet verkaufsorientierte Aufgaben, wie Kundenkontakt, Abschluss des Kaufvertrages und Kundenbindung. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit steht die Betrachtung der akquisitorischen Distribution im Vordergrund, deren vordringlichste Aufgabe die Wahl, Gestaltung und das Management des Absatzweges ist. Der Absatzweg – auch als Distributionsweg, Distributionskanal, Distributionskette, Handelskette, Vertriebsweg, Marktkanal, Marketing Channel oder Absatzkanal bezeichnet23 – ist die „Art und Weise, wie das Gut aufgrund der Arbeitsteilung zwischen den beteiligten Distributionssubjekten vom Hersteller zum Verbraucher gelangt“24. Die Wahl des Absatzweges – als strategische distributionspolitische Entscheidung, ist durch folgende charakteristische Merkmale gekennzeichnet:25 • Es wird der Güteraustausch zwischen dem ersten Anbieter und dem letzten Nachfrager bzw. Endkäufer in vertikaler Sicht betrachtet. • Die Übertragung von Verfügungsrechten bzw. property rights und der damit einhergehende Handel stehen im Vordergrund der Betrachtung, während Aspekte der physischen Distribution nachgeordnet behandelt werden. • Der Absatzweg wird durch Distributionsorgane, also Personen oder Institutionen konstituiert, welche am Distributionsprozess beteiligt sind und in rechtlicher, ökonomischer und kommunikativ-sozialer Beziehung zueinander stehen. • Die Distributionsorgane stehen in vielfältigen horizontalen und (entlang des Absatzweges) vertikalen Beziehungen zueinander, sie bilden das Distributionsnetzwerk bzw. -system. • Die Auswahl und zweckgerechte Gestaltung der Distributionswege kann auch als Makeor-Buy-Entscheidung aufgefasst werden, bei der die Frage im Mittelpunkt steht, wie viel Kontrolle ein Hersteller über den Distributionsweg benötigt, um seine absatzmarktspezifischen Ziele bestmöglich zu erreichen. Diese Frage spiegelt sich in der Koordinations- bzw. Organisationsform der ökonomischen Austauschbeziehung wider und ist gleichbedeutend mit dem Grad der vertikalen Integration der Distributionsleistung. Distribution im Allgemeinen und Handel im Speziellen können im funktionalen Sinn – Betrachtung der Transpositions- und Transformationsprozesse – oder im institutionalen Sinn – Abgrenzung der Distributionsorgane und ihr Beitrag zur Überbrückungsfunktion – aufgefasst werden.26 „Handel im funktionellen Sinn liegt vor, wenn Marktteilnehmer Güter, die sie i.d.R. nicht selbst be- oder verarbeiten (Handelswaren), von anderen Marktteilnehmern beschaffen und an Dritte absetzen.“27 Handel im institutionellen Sinn umfasst jene 22 23 24 25 26 27
Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 883; Busch/Dögl/Unger 2001, S. 286; Specht/Fritz 2005, S. 48. Der synonymen Verwendung der Begriffe durch METHNER soll sich im Rahmen dieser Arbeit angeschlossen werden. Vgl. Methner 2002, S. 12; Ahlert 1996, S. 11; Müller-Hagedorn et al. 1999, S. 61. Ahlert 1996, S. 11. Vgl. Kotler/Walther 1999, S. 807. Vgl. Arnold 1995, S. 29; Meffert 2000a, S. 600-601. Vgl. u.a. Ahlert 1996, S. 8ff.; Müller-Hagedorn 1998, S. 19; Jaspert/Klein-Blenkers/Müller-Hagedorn 1995, S. 28; Meffert 2000a, S. 1178; Kaapke 2003, S. 155; Falk/Wolf 1991, S. 17-18. Jaspert/Klein-Blenkers/Müller-Hagedorn 1995, S. 28.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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Institutionen, deren wirtschaftliche Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend dem Handel im funktionellen Sinne zuzurechnen ist.28 Davon ist die Handelsvermittlung abzugrenzen, welche die Anbahnung, Pflege und Verbindung zwischen Handelspartnern zum Zwecke der Förderung von Absatz und/oder Beschaffung zum Inhalt hat. Folgende Entscheidungsfelder sind bei der Distributionssystemgestaltung (DSG) von herausragender Bedeutung: • Absatzkanallänge und Koordination: Nach der Anzahl der eingeschalteten Handelsstufen sind die beiden Grundtypen, direkter und indirekter Vertrieb zu unterscheiden. Der direkte Vertrieb wird durch einen Eigentumsübergang des Wirtschaftssubjektes vom ersten Anbieter direkt zum letzten Nachfrager gekennzeichnet, die Distributionsfunktionen werden zwischen beiden aufgeteilt. Im indirekten Vertrieb übernehmen ein oder mehrere selbständige Absatzmittler und/oder Absatzhelfer einen Teil der Distributionsfunktionen und Absatzrisiken. Dabei entsteht ein Trade-Off zwischen der Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeit des jeweiligen Koordinationsmechanismus und den eingesetzten Ressourcen. Abbildung 2 gibt einen Überblick über mögliche Koordinationsformen im Absatzweg. Im Automobilvertrieb liegen Direktvertrieb und vor allem vertragliche Vertriebssysteme vor – vgl. Kapitel 3.3. HierarchieLösung Herstellereigene Vertriebsorgane
MarktLösung
hybride Formen Herstellergebundene Verkaufsorgane
Direkter Vertrieb/ geschlossener Markt
Vertraglich begründete „QuasiFilialisierung“
Vertragliche Einzelbindungen
Vertragliche Vertriebssysteme
Lose Über reine Strategische Koopera- MarktPartner- tions- prozesse schaften formen koordinierte Absatz-kanalsysteme
Indirekter Vertrieb
Abbildung 2: Formen der Koordination im Absatzweg29
• Tiefe des Absatzkanals: Die Tiefe beschreibt die Art der eingeschalteten Absatzmittler. Der Hersteller wählt zwischen den beiden Grundtypen Universal- und Selektivvertrieb. Beim Universalvertrieb vertreibt der Hersteller seine Ware ohne Einschränkungen an alle kommerziellen und nicht-kommerziellen Nachfrager. Demgegenüber werden beim Selektivvertrieb Absatzmittler nach qualitativen und/oder quantitativen Kriterien ausgewählt. Eine besondere Ausprägung des Selektivvertriebs ist der Exklusivvertrieb. Dabei werden die Vertriebsrechte für ein bestimmtes Marktgebiet einem einzigen Absatzmittler übertragen, so dass dieser in diesem geografischen Gebiet als QuasiMonopolist auftritt. Im europäischen Automobilvertrieb herrschte bis zur Einführung der GVO 1400/02 eine Mischung aus selektivem und exklusivem Vertrieb vor. Seit 2002 muss der OEM (Original Equipment Manufacturer) zwischen beiden Formen wählen – vgl. Kapitel 3.5.2. 28 29
Für Handel im institutionellen Sinn werden auch die Begriffe Handelsunternehmung, Handelsbetrieb oder Handlung verwendet. Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 295.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
• Breite des Absatzkanals: Die Breite des Distributionssystems beschreibt die Anzahl artgleicher Absatzmittler auf einer Distributionsstufe und unterscheidet weiterhin nach der Anzahl der von einem Produzenten für eine Produktgruppe gleichzeitig benutzten Absatzkanäle zwischen Einweg- und Mehrwegabsatz – in Kapitel 3.3 wird auf diesen Aspekt besonders eingegangen.30 • Auswahl der Partner im Distributionssystem: Die Auswahl der Mitglieder und Kooperationspartner sowie Helfer des Distributionssystems stellt eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen der Distributionspolitik dar. Diese Entscheidung ist durch ihre langfristige Tragweite und hohen Lock-in-Kosten gekennzeichnet.31 Da im Automobilvertrieb traditionell mit einem großen Anteil selbständiger Absatzmittler gearbeitet wird, spielen Auswahl und Steuerung der Absatzmittler eine besondere Rolle. • Prozessbeziehungen im Absatzkanal: In der Literatur werden zur systematischen Analyse der Distributionsfunktionen – Überbrückung räumlicher, zeitlicher, qualitativer und quantitativer Diskrepanz zwischen Produktion und Konsumtion32 – das MarketingflowKonzept33 und die deskriptive Funktionenanalyse34 angeboten. • Typen von Distributionsorganen im Distributionssystem: Betriebsformen sind standardisierte Typen möglicher Waren-Dienstleistungs-Kombinationen für Distributionsorgane.35 Im Automobilvertrieb herrscht traditionell der vertraglich gebundene Fachhändler vor. Der Begriff Betriebsform, wird im Kapitel 4.1 und 4.2 auf seine Anwendbarkeit für die vorliegende Problemstellung näher untersucht. Die dargestellten Entscheidungsfelder sind Teil der Absatzkanalpolitik des Herstellers. An dieser Stelle soll sich der Definition von HOFFMEISTER angeschlossen werden, der den Gegenstand der Absatzkanalpolitik im Automobilvertrieb als „die Gesamtheit aller Entscheidungen des Automobilherstellers zur Gestaltung und Betreuung des Absatzkanalsystems beim Vertrieb von Neuwagen [definiert.] Sie berücksichtigt in funktioneller Hinsicht Verkaufsanbahnung, -unterstützung, -abschluss, -nachbetreuung sowie Reparatur- und Kundendienstservice. In institutionenorientierter Betrachtungsweise schließt die Absatzkanalpolitik alle [...] Institutionen des Absatzkanalsystems mit Verkaufs- und Servicefunktion ein.“36 In der Literatur hat sich keine allgemeingültige Definition des Begriffs Automobilwirtschaft herausgebildet. Vielmehr wurde je nach Forschungsziel oder Betrachtungsfokus die Begriffsdefinition angepasst. Es lassen sich zwei grundsätzliche Fassungen unterscheiden: Als Auto30 31 32 33 34 35 36
Vgl. ebenda, S. 165; Pepels 2001, S. 6-12. Als Differenzierungskriterien werden insb. Produkte oder Zielmärkte herangezogen. Vgl. Günter 1995, S. 2642. Vgl. Jullens/Smend 2003, S. 95. Vgl. Ahlert 1996, S. 11. Vgl. u.a. Rosenbloom 1999, S. 16. Vgl. u.a. Ahlert 1995, S. 501-506; Thies 1976, S. 24. Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 81-89. Hoffmeister 1998, S. 38. Automobile sind technisch komplexe und wartungsbedürftige Produkte, insofern müssen den Kunden regelmäßig adäquate Service- und Beratungsdienstleistungen zugänglich gemacht werden. Die vorliegende Arbeit stellt zwar den Neuwagenvertrieb in den Vordergrund, dennoch müssen ServiceAspekte mit berücksichtigt werden. Als Neuwagen sind Fahrzeuge definiert, die vor dem Verkauf nicht für den Straßenverkehr zugelassen waren. Der Bundesgerichtshof schränkt den Neuwagen-Begriff weiter ein und nennt Fahrzeuge „fabrikneu“, wenn erstens zwischen dem Kaufvertrag und der Auslieferung des Fahrzeugs weniger als 12 Monate liegen, wenn zweitens das Modell zum Zeitpunkt des Verkaufs in unveränderter Spezifikation vom Hersteller gefertigt wird und wenn drittens keine Lagermängel oder Beschädigungen am Fahrzeug vorhanden sind. Vgl. Sattler 2004, S. 50.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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mobilwirtschaft i.e.S. wird die Gesamtheit aller Automobilhersteller, -importeure und -händler in einem Markt verstanden.37 DIEZ/BRACHAT und MEINIG prägen dagegen eine erweiterte Begriffsfassung, wonach unter Automobilwirtschaft die Gesamtheit aller „Unternehmen, die überwiegend mit der Herstellung, der Vermarktung, der Instandhaltung sowie der Entsorgung von Automobilen und Automobilteilen beschäftigt sind“38, verstanden wird. Dieser erweiterte Begriff trägt der Tatsache Rechnung, dass entlang der Wertschöpfungskette viele Marktteilnehmer auftreten und sich Teilmärkte überlappen, die selten scharf gegeneinander abgegrenzt werden können – vgl. Abbildung 3. Downstream Downstream
Upstream Upstream ProduktBeentschaffung wicklung Verkaufsanbahnung Information, Ausstellung, Probefahrt, Beratung
Produktion
NWVerkauf
Transaktion Verhandlung, Vertrag, Bestellvorgang
Finanzdienstleistungen
Service & Teile
Dienstleistung Finanzdienstleistungsangebote, GWInzahlungnahme
GWHandel
Physische Distribution Logistik, Aufbereitung, Auslieferung
Kraft-/VerEntsorgung brauchsRecycling stoffe After-Sales Service, Wartung, Reparatur, Zubehör
Abbildung 3: Wertschöpfungskette der Automobilwirtschaft39
Bei Automobilherstellern zeichnet sich eine Verringerung der Fertigungs- und Entwicklungstiefe (Upstream-Märkte) bei gleichzeitiger Erhöhung der Vertriebs- und Servicetiefe (Downstream-Märkte) ab.40 Teilnehmer des Downstream-Marktes sollen unter dem Begriff Automobilmarkt zusammengefasst werden, während die Marktteilnehmer der UpstreamMärkte unter dem Begriff Automobilindustrie subsumiert werden sollen.41 In der Literatur zur Automobilwirtschaft werden häufig die Begriffe Automobilhersteller und -importeur in Kombination verwendet und zum Begriff Automobilhersteller i.w.S. zusammengefasst.42 Hersteller i.e.S. sind dagegen solche Unternehmen, deren primärer Geschäftszweck die Herstellung und der Vertrieb von Kraftfahrzeugen darstellt. In dieser Arbeit soll lediglich der enger gefasste Begriff verwendet werden, um klar Importeure als Distributionsorgane bzw. Absatzmittler abgrenzen zu können. Der Begriff Automobilhandel lässt sich – analog zur oben eingeführten Definition – zum einen funktional i.S. der Tätigkeit des Handelns mit Automobilen, zum anderen institutional auffassen. In der institutionalen Sichtweise können i.e.S. Wirtschaftssubjekte, die sich gewerblich mit dem An- und Verkauf von Automobilen (Neu- und Gebrauchtwagen) befassen, zusammengefasst werden. Auto37 38 39 40 41 42
Vgl. Florenz 1992, S. 6. Diez/Reindl 2005c, S. 59. Vgl. Meinig 1995, S. 59; Decker 2000, S. 52; Diez 2001a, S. 26; Schögel/Sauer 2002, S. 89; o.V. 2003a, S. 5; Smend 2004, S. 8. Eigene Darstellung in Anlehnung an Diez 2001a, S. 26. Vgl. ebenda, S. 29; Liske/Bernhart 2003, S. 3; Wrona 1999, S. 8. Vgl. u.a. Meinig 1995, S. 59; Florenz 1992, S. 7; Diez/Reindl 2005c, S. 59-60. Vgl. Florenz 1992, S. 8; Meinig 1995, S. 58; Decker 2000, S. 53f.; Jensen 2001, S. 4.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
mobilhandel i.w.S. schließt auch herstellereigene Distributionsorgane (Niederlassungen und Direktvertrieb) sowie Handelsvertreter mit ein.43 Der Begriff Automobilhändler kann i.w.S. auch auf Niederlassungen, Handelsvertreter und Kommissionsagenten ausgedehnt werden, da häufig für den Endkunden eine Unterscheidung kaum sichtbar wird.44 Davon abzugrenzen sind so genannte EU-Vermittler, die im Auftrag eines Kunden in dessen Namen ein Fahrzeug aussuchen und kaufen.45 Eine Sonderstellung nimmt der (virtuelle) Direktvertrieb durch den Hersteller ein, der Endoder Großkunden direkt ab Werk beliefert. Bisher werden i.d.R. lediglich Sonderfahrzeuge (Einsatzfahrzeuge, Fahrschulwagen) oder spezielle Kundengruppen (Mietwagenfirmen, Journalisten, staatliche Institutionen) im Direktvertrieb ab Werk verkauft bzw. bedient – oft spielen dabei E-Commerce und Direkt Marketing für die Kommunikation und die Warenpräsentation eine wichtige Rolle, während Absatzmittler Betreuungsfunktionen vor Ort wahrnehmen.46
2.2 Konzeptionelle Basis Die in Kapitel 2.3 im Überblick dargestellte Forschung zur automobilspezifischen Gestaltung von Distributionssystemen kann im Wesentlichen zwei Ansätzen zugeordnet werden. Auf der einen Seite sind solche anzusiedeln, die im Kontext des kooperativen, kontraktbasierten Vertikalen Marketing stehen. Dabei steht meist der Vertrieb über das traditionelle Autohaus im Vordergrund. Ziel ist die Optimierung der Beziehung zwischen Absatzmittlern und Hersteller. Auf der anderen Seite sind in jüngster Zeit Arbeiten veröffentlicht worden, die den Automobilvertrieb aus der Perspektive des Multikanalmanagements betrachten. Beide Ansätze werden im Folgenden auf ihre Tauglichkeit als konzeptionelle Basis der vorliegenden Arbeit geprüft.
2.2.1 Vertikale Marketing Systeme Von den Begriffen Distribution und Distributionspolitik ist das Vertikale Marketing zu differenzieren. OLBRICH identifiziert zwei gängige Begriffsauffassungen des Vertikalen Marketing:47 Vertikales Marketing i.w.S. stellt die handelsgerichtete Absatzpolitik dar, setzt jedoch Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittlern nicht zwingend voraus.48 Es
43 44
45 46 47
48
Vgl. Meinig 1995, S. 57. Vgl. u.a. ebenda, S. 57f.; Florenz 1992, S. 8. Handelsvertreter nach §§84ff. HGB bzw. Kommissionsagenten nach §§ 383ff. HGB. Handelsvertreter werden in der Literatur auch als „ständige Vermittler“ bezeichnet, die für ein Mitglied der Vertriebsorganisation Fahrzeuge vertreiben. Vgl. Genzow 2003, S. 33. Vgl. o.V. 2002a, S. 50. Vgl. Busch/Dögl/Unger 2001, S. 329; Dallmer 1995, S. 480. Vgl. Olbrich 1995, S. 2615. DECKER weist darauf hin, dass eine große Anzahl an Definitionsvorschlägen in der Literatur existiert, die sich im Spannungsfeld der beiden zitierten Begriffsauffassungen bewegen. Vgl. Irrgang 1989, S. 64-65; Müller-Hagedorn et al. 1999, S. 61; Decker 2000, S. 31. Vgl. u.a. Irrgang 1989, S. 2ff.; ebenso: Meffert 2000a, S. 360. Bei sehr weiter Auslegung des Begriffs Vertikales Marketing wird er zuweilen auch synonym mit Distributionspolitik gesehen, dieser Ansicht soll hier nicht gefolgt werden. Der begriff Trade Marketing wird ähnlich wie vertikales Marketing i.w.S. verstanden. Vgl. Böhlke 1995, S. 2483; ebenso: Olbrich 1995, S. 2615.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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umfasst die systematische Planung, Durchführung und Kontrolle von Marketingmaßnahmen, die sich auf alle in den Marketing- bzw. Absatzweg eingeschalteten Akteure richten. Vertikales Marketing hat insofern das Ziel, die Akteure zu abgestimmtem Verhalten zu bewegen, um den Markt optimal bearbeiten zu können. Vertikales Marketing i.e.S. umfasst einen spezifischen Ausschnitt des Marketings von Hersteller und Handel, dessen „Absicht in der Schaffung eines Systems zur effizienten und effektiven Zielerreichung im Marketing von Hersteller und Handel liegt“49. Dabei wird von einer Kooperation zwischen Hersteller und Handel ausgegangen, die auch als Vertikales Marketing-System (VMS) beschrieben wird.50 Der Automobilabsatz über den Vertragshandel nach traditioneller Prägung kann als VMS angesehen werden und wurde von FLORENZ begrifflich und inhaltlich ausgearbeitet und spezifiziert. Dabei stellt er folgende Begriffsinhalte von VMS heraus:51 • Begriffsimmanent: Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel, Mehrstufigkeit sowie endverbraucherorientierte Planung, Durchführung und Kontrolle marktlicher Unternehmensaktivitäten • Begriffszugeordnet: Rechtlich und wirtschaftliche Unabhängigkeit bzw. Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit, zentrale Koordination, Dauerhaftigkeit in der Zusammenarbeit, In- bzw. Extensität der Zusammenarbeit sowie wertorientierte, partnerschaftliche Vertrauensbasis. Ziel ist es, die Vorteile integrativer Ausgestaltung von Distributionsaufgaben zu realisieren, ohne auf Vorteile eigenverantwortlich wirtschaftender Vertiebsorgane zu verzichten. Er stellt heraus, dass zu diesem Zweck prinzipiell vier unterschiedliche Typen der VMS-Gestaltung zur Verfügung stehen: der marktgesteuerte, administered, contractual und corporate Typ. Wettbewerbspolitische Relevanz schreibt er jedoch lediglich den beiden letztgenannten Typen zu, die ein auf Vertragsbeziehungen bzw. ein auf Direktvertrieb beruhendes VMS darstellen.52 FLORENZ bezeichnet das Vertragshandelssystem in der Automobilwirtschaft als ein Beispiel für kontraktbasiertes VMS mit kooperativer Orientierung, dessen Grundgedanke die „zentrale Verhaltensabstimmung […] vom Point of Production bis hin zum Point of Purchase“53 ist. Es wurde bereits herausgestellt, dass sich der Automobilvertrieb in einem Veränderungsprozess befindet. Dieser Prozess hat auch Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des auf FLORENZ zurückgehenden VMS-Begriffs in der automobilspezifischen Distributionsforschung:54
49 50 51 52
53 54
Vgl. Florenz 1992, S. 9. Vgl. u.a. Thies 1976, S. 17; Florenz 1992, S. 19ff.; Irrgang 1989, S. 64ff.; Kotler/Walther 1999, S. 820-825. Vgl. Florenz 1992, S. 22-36. Vgl. ebenda, S. 103-104. Unter ähnlichen Prämissen untersucht Wöllenstein die Betriebstypen des Automobilvertriebs als Elemente eines Systems mit „langfristigen, umfassend konzipierten vertraglichen Regelungen“, vgl. Wöllenstein 1996, S. 57. Die Arbeiten von JENSEN und DECKER sind ebenfalls Beispiele für Distributionsforschung, die kooperative und kontraktbasierte VMS als Grundlage des Automobilvertriebs setzen. Vgl. Jensen 2001, S. 36-37; Decker 2000, S. 38 und 70ff. Florenz 1992, S. 328. Vgl. Böhme 2006; Olbrich 1995, S. 2614; Florenz 1992, S. 22 und 44.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
• „Durchführung und Kontrolle marktlicher Unternehmensaktivitäten“: Liberalisierung im Rahmen der GVO 1400/02 hat unter anderem dazu geführt, dass die Aktivitäten des Händlers in bestimmten Bereichen nicht mehr durch den OEM bestimmt werden dürfen.55 Die Hersteller haben zwar i.d.R. versucht über höhere Vertragsstandards diese Freiheit zu kompensieren, jedoch sind die Handlungsspielräume durch den Wettbewerbsdruck begrenzt.56 • „Zentrale Koordination“: Die Regelungen der GVO 1400/02 zielten vielfach darauf ab, die rechtlich und wirtschaftliche Selbständigkeit der Händler zu stärken. Sie schwächen somit die „zentrale Koordination“ des Herstellers auf Basis der Regelungen im Handelsvertrag.57 Daneben findet horizontale und vertikale Konzentration statt – es bilden sich im Einzelhandel Ketten, die mehr vertriebspolitische Macht auf sich vereinigen. Die Durchsetzung zentraler Koordination – über vertragliche Regelungen und/oder Marktmacht – wird erschwert.58 • „Zusammenarbeit“: Wie u.a. noch in Kapitel 5.5 zu zeigen sein wird, agiert eine Reihe nicht-autorisierter Distributionsorgane im Markt. Dazu zählen insbesondere Autohäuser ohne Vertrag zum Hersteller oder verschiedene Arten von Vermittlern. Darüber hinaus ist eine horizontale und vertikale Desintegration zu beobachten. Es bilden sich Spezialisten heraus, die einzelne (neue) Funktionen im Vertriebssystem wahrnehmen. Es entstehen neue Absatzkanäle und Distributionsorgane, Wechselwirkungen und (notwendige) Transaktionen zwischen den unterschiedlichen Absatzkanälen sind jedoch kaum Gegenstand der Forschung des VMS-Ansatzes.59 Ein VMS-fokussierter Ansatz könnte folglich nur einen Teil des aktuellen Vertriebs beschreiben, FLORENZ schreibt dem Begriff jedoch lückenlose Zusammenarbeit in einem festen, langfristig angelegten Rahmen zu.60 Zusammenfassend wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass der Begriff nur auf Teile aktueller Absatzsysteme vollständig anwendbar ist.
2.2.2 Multikanalmanagement „Klassische Distributionsansätze, [wie der VMS-Ansatz,] die sich in ihren Empfehlungen zumeist auf den einzelnen Absatzkanal beschränken, werden der mit Multikanalsystemen verbundenen Komplexitätszunahme nicht mehr gerecht.“61 Ausgehend von dieser These versucht der Multikanal-Ansatz im Unterschied zum VMS-Ansatz die Konkurrenzsituation der einzelnen Absatzkanäle untereinander stärker zu berücksichtigen. Es wird eine breitere Perspektive eingenommen, dabei werden folgende Fragen stärker berücksichtigt:62 • Welche Absatzkanäle sollten ausgewählt werden?
55 56 57 58 59 60 61
62
Vgl. Kapitel 3 und insbesondere folgende dort erarbeitete Thesen zur Entwicklung des Automobilvertriebs: T-3.3 (Quersubvention), T-5.1 (Reduktion Systemführerschaft) und T-5.5 (Mehrmarkenvertrieb). Vgl. ebenda Thesen: T-3.6 (Franchise Attractiveness) und T-5.4 (Eintritt neuer Wettbewerber). Vgl. ebenda Thesen: T-3.2 (Machtverschiebung) und T-5.1 (Reduktion Systemführerschaft). Vgl. ebenda These: T-3.1 (Konsolidierung). Vgl. ebenda Thesen: T-3-7 (Multikanalstruktur), T-3.8 (Zielkundenportfolios), T-5.3 (Neue Geschäftsmodelle) und T-5.4 (Neue Wettbewerber). Vgl. Florenz 1992, S. 30. Bauer/Smend 2005, S. 338; vgl. Schögel 1997, S. 23. Beispiele für die Anwendung des Multikanal-Ansatzes im Automobilvertrieb sind Dreier 1999; Schögel/Sauer 2002; Methner 2002; Smend 2004; Splett-Henning 2004; Markmann/Benze 2004; Bauer/Smend 2005. Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 171-175.
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• Wie sollten die Absatzkanäle im Gesamtkontext des Distributionssystems konfiguriert werden? • Wie ist die Koordination des Vertriebssystems zu gestalten? „The use of multiple channels is probably the most common distribution strategy nowadays.“63 Dennoch liegt bisher keine einheitliche Begriffsauffassung der Multikanaldistribution vor. I.d.R. werden ihr jedoch folgende Attribute zugeschrieben:64 • Die Distribution erfolgt unter kombiniertem Einsatz von mindestens zwei institutionell unterschiedlichen, stationären oder nicht-stationären Absatzkanälen. • Die Absatzkanäle führen vertriebliche Aktivitäten – insb. Kaufanbahnung, -aushandlung und -abschluss – selbständig aus. • Die Kanäle haben ein ähnliches Sortiment und/oder treten unter einem einheitlichen Namen auf – sie sind insofern von der Diversifikation abzugrenzen. Ziel der Multikanaldistribution ist die Ausschöpfung des gesamten Marktpotenzials, indem entsprechend den Bedürfnissen unterschiedlicher Kundengruppen und unterschiedlicher Phasen des Kaufprozesses angepasste Absatzkanäle angeboten werden. „Today’s consumers are not one dimensional in their shopping behavior. They want options that fit their particular needs, circumstances, and situations.”65 Daher halten WIRTZ/KROL fest: „Nur wenn es Unternehmen gelingt, ihre Absatzkanäle kunden- und produktspezifisch zu optimieren und daher i.S. einer Multi-Channel-Strategie zu agieren, kann die Wettbewerbsfähigkeit sichergestellt werden.“66 Kern der Multikanaldistribution ist das Management der verschiedenen Absatzkanäle: „Multikanal-Management ist das ganzheitlich betrachtete und aufeinander abgestimmte Entwickeln, Gestalten und Steuern von Produkt- und Informationsflüssen über verschiedene Vertriebskanäle.“67 Insofern stehen Steigerung von Umsatz und Gewinn, Risikoausgleich zwischen den Absatzkanälen, Verbreiterung der Kundenbasis bzw. Marktabdeckung sowie Vertiefung der Geschäftsbeziehung im Fokus eines Multikanalmanagements.68 Es findet demzufolge eine Integration von horizontaler und vertikaler Sichtweise statt: • Vertikale Sicht: In einem Absatzkanal greifen verschiedene Aufgaben und Aktivitäten von Hersteller, Absatzmittlern und Absatzhelfern zusammen. Dabei wird die distributive Gesamtaufgabe als Werte- bzw. Wertschöpfungskette aufgefasst.69 Die vertikale Sichtweise erlaubt, Phänomene der (Dis-) Intermediation zu beschreiben und in der Distributionssystemgestaltung zu berücksichtigen. 63 64
65 66 67 68 69
Coelho/Easingwood 2003, S. 22. Vgl. Schögel 1997, S. 22-25; Hurth 2001, S. 463-464; Schramm-Klein 2003, S. 16-23; Scholl 2003, S. 9-11; Passenheim 2003, S. 121-130; Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 7; Bauer/Smend 2005, S. 338-339. Alternative Begriffe für Multikanaldistribution sind: Multi-Channel-Distribution, Multi-Channel-Marketing, multiple Distribution, differenzierte Distribution, Polidistribution, Mehrwegsystem oder Mehrkanalsystem. Rosenbloom 2003, S. 23. Wirtz/Krol 2002, S. 92. Specht/Fritz 2005, S. 166. Vgl. Hurth 2001, S. 463-465. Vgl. Schögel 1997, S. 26-27; Wirtz 2002a, S. 677; Wirtz/Schilke/Büttner 2004, S. 48-49; Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 7-8. Vgl. unteren Teil in Abbildung 3 in Kapitel 2.1; Schögel 1997, S. 21-22.
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• Horizontale Sicht: Im Multikanalsystem werden mehrere Absatzkanäle respektive Wertschöpfungsketten parallel betrieben. Diese sind abhängig vom Integrationsgrad des Multikanal-Systems miteinander verknüpft, so dass die Institutionen aller Absatzkanäle ein Netzwerk bilden, welches Hersteller und Endkunde auf verschiedenartige Weise verbinden kann. SMEND stellt die historische Entwicklung der Multikanal-Forschung dar: Auf die Entwicklung von Begriff und Konstrukt in den 1970er bis 1990er Jahren erlangte das Konzept mit der Integration des E-Commerce große Popularität. Derzeit findet eine Konsolidierung der Forschung statt, die sich mit neuen „Spielarten der marktseitigen Integration […] sowie mit der betrieblichen Integration von Systemen und Prozessen, die auf die Realisierung von Synergiepotenzialen abzielt“70 beschäftigt. Viele Untersuchungen behandeln die Frage, wie die oben genannten Vorteile bzw. Ziele des Multikanalvertriebs erreicht werden können, ohne durch die potenziellen Risiken Nachteile zu erlangen:71 • Marktsegmentierung und Multikanal-Konflikte: Ansatz für erfolgreiches Multikanalmanagement ist die Segmentierung des Absatzmarktes in mehr oder weniger homogene Kundengruppen. Die Marktsegmentierung orientiert sich i.d.R. an Kundensegmentierungskriterien und an den Kundenbedürfnissen entlang des Kaufprozesses. Entsprechend dieser Segmentierung sollte die Differenzierung der Distributionsleistungen im Absatzkanalsystem erfolgen, um eine möglichst große Übereinstimmung von Kundenbedürfnissen und kanalspezifischem Angebot zu erreichen. Es entsteht die Gefahr ungenauer Abgrenzung der Marktsegmente, in der Folge können Konflikte zwischen den Absatzkanälen auftreten. • Verwirrung der Kunden: Konkurrieren mehrere Absatzkanäle um den gleichen Kunden sollte eine Verwirrung des Kunden beim Kanalwechsel ausgeschlossen werden. Es müssen insofern Marktstrategien der Absatzkanäle koordiniert und die Übergabe von Kunden (-daten) sichergestellt werden: Es ergeben sich diesbezüglich Herausforderungen in der Gestaltung, Integration und Koordination der Absatzkanäle. • Steuerungskomplexität: Mit der Anzahl der eingesetzten Absatzkanäle steigt die Komplexität des Multikanalmanagements. Der Hersteller muss zwischen starker Angleichung und Vernetzung der Absatzkanäle i.S. einer Vermeidung von Absatzkanalkonflikten und der Erhaltung der Diversizität der Absatzkanäle i.S. der Erhaltung individueller Vorteile wählen. • Kontrollverlust: Der Hersteller könnte durch den Einsatz von bestimmten Kanälen, auf die er geringen Einfluss ausüben kann, insgesamt die Kontrolle bzw. die Möglichkeit des aktiven Vertriebs-Managements verlieren. SCHOLL differenziert drei wesentliche Forschungsfelder des Multikanalmanagements:72 1. Identifikation von Determinanten der Vertriebswegewahl: Dieses Forschungsfeld beschäftigt sich vornehmlich mit der Identifikation von unabhängigen Variablen, die den Grad der vertikalen Integration (eines Vertriebskanals) bestimmen.
70 71
72
Bauer/Smend 2005, S. 340. Vgl. Schögel 1997, S. 28-30; Webb 2002, S. 97-101; Specht/Fritz 2005, S. 168-170; Wirtz 2002a, S. 681; Wiedmann et al. 2003; Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 8-9; Wirtz/Defren 2007, S. 9-31; von der Oelsnitz 2007, S. 323-351; Göttgens/Smend 2007, S. 653-668. Vgl. Scholl 2003, S. 13-41, daneben: Schögel/Tomczak 1999; Oggenfuss/Peter 2001; Schögel/Sauer 2002; Wirtz/Büttner/Schwarz 2003; Smend 2004; Sauer 2005.
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2. Gestaltung des Vertriebssystems bzw. einzelner Absatzkanäle: In diesem Forschungsfeld werden Fragen zur strukturellen Gestaltung einzelner Vertriebskanäle – also z.B. Länge, Tiefe und Breite des Absatzkanals – sowie zu Gestaltungsdimensionen des gesamten Vertriebssystems behandelt. Diesem Forschungsfeld ordnet SCHOLL auch Arbeiten zur Typologie von Multikanalsystemen zu. Bei der Durchdringung von Distributionssystemen in konzeptioneller, empirischer und theoretischer Sicht sind in den letzten Jahren Erkenntnisfortschritte erzielt worden.73 3. Steuerung und Koordination des Vertriebssystems: Die Forschung konzentriert sich hier auf verhaltensorientierte Steuerungsaspeke – ähnlich der VMS-Forschung, wobei die Konstrukte Macht, Konflikt und Kommunikationsbeziehungen das Forschungsfeld dominieren. Für das Feld der Steuerung von Multikanalsystemen konstatiert SCHOLL einen eher unterentwickelten Forschungsstand.74 An der Schnittstelle der Felder 2 und 3 ist das sog. Multi-Channel-Retailing einzuordnen, welches sich auf die Konfiguration der Einzelhandelsebene fokussiert und den parallelen Einsatz mehrerer Betriebstypen untersucht.75 Die Gestaltung von Multikanalsystemen ist stark von der individuellen Ausgangssituation des jeweiligen Unternehmens abhängig. Wirtz/Lütje haben ein generisches „Multi-ChannelDesign“ konzipiert, welches den drei Phasen „Zieldefinition des Channel-Design“, Strukturbestimmung des Channel-Systems“ und „Channel-Relationship-Management“ folgt.76 Wie in Abbildung 4 dargestellt, schlagen BAUER/SMEND ein ähnliches Vorgehen für den Automobilvertrieb vor: 77 • Phase 1 des Multikanalmanagements ist die Analyse der bestehenden Vertriebssituation. Die Distributionssystemanalyse unter Multikanalsystem-Gesichtspunkten unterscheidet sich nicht wesentlich von der allgemeinen Analyse der Distributionssituation.78 • Phase 2 ist die Entwicklung des Soll-Multikanalsystems unter Berücksichtigung bestehender sowie potenziell zusätzlicher Absatzkanäle vor dem Hintergrund der Ziele des Unternehmens. Absatzkanäle bestehen aus einem oder mehreren Distributionsorganen, außerdem arbeiten sie häufig interdependent anstatt autark – sie bilden also ein Distributionsnetzwerk.79 Es ist daher zweckmäßig den von BAUER/SMEND vorgeschlagenen Prozessschritt um die Analyse der Distributionsorgane zu konkretisieren. • Phase 3 ist die Festlegung der Multikanalmanagement-Strategie. Dabei werden nicht nur Schnittstellen und Koordinationsmechanismen definiert, sondern auch Konfliktszenarien aufgestellt.
73 74 75 76 77 78 79
Vgl. u.a. Schmidt/Schögel/Tomczak 2003; Easingwood/Coelho 2003; Wiedmann et al. 2003; Smend 2004; Bauer/Smend 2005; Billen/Weiber 2007; Schröder/Bohlmann 2007; Wirtz/Defren 2007; Wirtz/Lütje 2007. In der Zwischenzeit sind jedoch einige Arbeiten erschienen, vgl. u.a. Böing/Huber/Schotte 2002; Dahmen 2004; Plé 2006; Sauer 2005; Gadde/Hulthén 2007; von der Oelsnitz 2007. Vgl. Schramm-Klein 2003, S. 21; Passenheim 2003, S. 122; Ahlert/Hesse 2003, S. 13-14; Ambros 2001. Vgl. Wirtz/Lütje 2007, S. 175-191. Vgl. Bauer/Smend 2005, S. 350-352. Vgl. z.B. Ahlert 1996 S. 40; Specht/Fritz 2005 S. 219-236; Rosenbloom 1999 S. 199-200 und 212-219. Vgl. Cespedes/Corey 1990, S. 72; Schögel 1997, S. 141-146.
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Phase 1
Analyse der Ist-Situation
• Analyse heutiger Marktabdeckung • • Analyse der heutigen Zielgruppen • • Analyse der Ist-Zuordnung der Produkte/ Leistungen zu den Kanälen • Analyse aktueller und potenzieller Wechselwirkungen • Identifikation zusätzlicher erreichbarer Kundenpotenziale und Märkte • Analyse vertriebs- und kanalspezifischer Kundenbedürfnisse • • Analyse der Machtverhältnisse im Distributionssystem • • Ableitung von Zielen und Leitlinien für die Multikanalstrategie • •
Phase 2
Phase 3
Entwicklung des Soll-Multikanalsystems
Festlegung der Multikanalstrategie
Identifikation potenzieller • Absatzkanäle Bewertung aktueller und potenzieller Kanäle hinsichtlich: • - Potenzial zur Erfüllung segmentspezifischer Anforderungen • - Potenzial zur Unterstützung der Multikanal-Ziele • - Markenadäquanz Durchführung von Kosten-Nutzen• Analyse Identifikation notwendiger Managementanforderungen und Kompetenzen Erstellung Business Cases Ableitung des idealen Soll-KanalPortfolios
Definition Multikanal-adäquater Kunden-Leistungs-Kombinationen (externer Channel-Fit) Festlegung der zentralen Aktionsparameter des Multikanalsystems Festlegung von Aufgaben und Schnittstellen der Kanäle Systemspezifische Anpassung von Vertriebsorganisation und IT-Systemen (interner Channel-Fit) Identifikation von Konfliktszenarien und Ableitung verhaltensbeeinflussender Maßnahmen • Ausarbeitung des Umsetzungsplans
Abbildung 4: Dreistufige Konzeption von Multikanalsystemen80
2.2.3 Kritische Würdigung Der VMS-Ansatz ist aus zwei Gründen als alleinige Basis für die vorliegende Arbeit wenig zweckdienlich: Zum einen betrachtet er primär einen Absatzkanal isoliert. Zum anderen führen die Veränderungen im Automobilvertrieb dazu, dass die Voraussetzungen eines vollständig kooperativen, kontraktbasierten und herstellergeführten VMS nur noch bedingt vorliegen.81 Demgegenüber wendet der Ansatz des Multikanalmanagements eine breitere Betrachtung an und kann dadurch den Anforderungen der vorliegenden Arbeit eher gerecht werden. Horizontale und vertikale Sichtweise werden integriert und die Gestaltung des gesamten Distributionssystems steht im Vordergrund. Ähnlich des VMS-Ansatzes fordert auch der Multikanal-Ansatz systematische und kontinuierliche Abstimmung im Distributionssystem, diese Perspektive ist jedoch auf alle Akteure des Distributionssystems anzuwenden.82 Die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit sollen daher im Kontext der Multikanalmanagement-Forschung beantwortet werden. Die drei Begriffe Multikanal-Vertriebssystem, Absatzkanal und Distributionsorgan sind zusammenfassend wie folgt gegeneinander abzugrenzen. Absatzkanäle sind Bestandteile des Distributionssystems, sie bestehen ihrerseits aus Distributionsorganen, welche vertikal innerhalb des Absatzkanals und i.S. eines vernetzten Distributionssystems Austauschbeziehungen
80 81 82
Vgl. Bauer/Smend 2005, S. 351. In Bezug auf die mit der GVO 1400/02 veränderte Beziehung zwischen Vertragshandel und Hersteller deutet sich Forschungsbedarf an, welcher jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Vgl. Wirtz/Schilke/Büttner 2004, S. 49; Wirtz/Büttner/Schwarz 2003, S. 80. Die Aussagen des VMS- und des Multikanal-Ansatzes schließen sich daher nicht aus. Vielmehr können Überlegungen des VMS-Ansatzes in der vertikalen Sicht des Multikanalmanagements integriert werden.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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zu Distributionsorganen anderer Absatzkanäle haben. Abbildung 5 verdeutlicht diesen terminologischen Zusammenhang. Multikanal-Vertriebssystem, Fragestellungen z.B.: Steuerung und Führung Vertikale und horizontale Kooperation der Absatzkanäle und Distributionsorgane
Absatzkanäle, Fragestellungen z.B.: Einsatz von/Besetzung mit Distributionsorganen (Vertikale) Austauschbeziehungen, Führung und Koordination Integration von Absatzfunktionen und Kooperation entlang des Absatzkanals
Distributionsorgane, Fragestellungen z.B.: Gestaltung der (Kern-) Leistungen und Organisation Gestaltung der USP ggü. Kunden und des Marketing-Mix Kooperation und Kommunikation mit Kunden und anderen Organen Abbildung 5: Terminologische Abgrenzung innerhalb des Distributionsmanagements
Themen entlang eines Absatzkanals haben die Distributionsforschung lange Zeit beherrscht.83 Herausforderungen, denen im Rahmen eines Multikanalmanagements zu begegnen ist, richten sich stärker auf das Netzwerk der Distributionsorgane bzw. das Nebeneinander der Absatzkanäle. Es wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass Multikanalmanagement – bzw. Fragestellungen, die das gesamte Distributionssystem im Fokus haben – die systematische und konsistente Erfassung der Distributionsorgane respektive Absatzkanäle voraussetzt. In Kapitel 3.3 wird der Charakter des Multikanalsystems des Automobilvertriebs weiter konkretisiert.
2.3 Stand der Forschung Kapitel 1 deutet bereits an, dass zum einen das Thema Multikanalmanagement und zum anderen das Thema Differenzierung von Distributionsorganen eine wesentliche Rolle in der vorliegenden Arbeit spielen werden. Der Forschungsstand zum ersten Thema wurde in Kapitel 2.2 bereits weitgehend erfasst und wird in Kapitel 3.3 in Bezug zum Automobilvertrieb wieder aufgegriffen. Kapitel 4 wird einen Überblick zu Ansätzen der Differenzierung von Distributionsorganen leisten. Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits auf den Unterschied VMS- und Multikanalbasierter Forschungsansätze bzgl. des Automobilvertriebs verwiesen. Die Literatur zum Automobilvertrieb innerhalb der Distributions- und Marketingforschung kann überdies mehreren inhaltlichen Forschungsschwerpunkten mit Relevanz für die Problemstellung zugeordnet werden – vgl. Tabelle 1.
83
Hier ordnet sich auch ein Großteil der VMS-Literatur ein. Es wurde explizit oder implizit unterstellt, dass ein Monokanal-Absatzsystem vorliegt.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
Schwerpunkt Gestaltung des Distributionssystems
Optimierung und Management der Hersteller-Absatzmittler-Beziehung Optimierung des Kontakts zum Endkunden E-Commerce und neue Distributionsorgane
Monographien und Aufsätze Florenz 1992; Kröger 1995; Kollenbach 1995; Ahlert/Kollenbach/Korte 1996; Diez 1999; Stautner 2001; Methner 2002; Schögel/Sauer 2002; Niemand/Zyder/Kralj 2002; Geiseler 2002; Beutin/Fürst/Finkel 2003; Smend 2004; Holweg/Pil 2004; Markmann/Benze 2004; Bauer/Görtz/Exler 2005; Bauer/Smend 2005; Breitkopf/Schögel 2007 Florenz 1992; Hartermann 1994; Meffert/Wöllenstein/Burmann 1996a; Brockmeier 2000; Dietz/Klink/Laib 2000; Diez 2000a; Decker 2000; Jensen 2001; Meinig 2004a; Böhme 2006; Göttgens/Smend 2007 Heise 1997; Unger 1998; Krüger 1999; Diez 2000b; Gaus 2000; Dittmar 2000; Jensen 2001; Heider 2001; Wehr 2001; Lorenz 2001; Bartholatus 2002; Wecker 2004; Splett-Henning 2004; Röttig 2004; Diez 2005; Holland 2006; Pietsch/Strunkmann-Meister 2005; Josko/Dietz 2006; Brandt 2006 Rennert 1994; Wöllenstein 1996; Hoffmeister 1998; Rennert 1998; Dreier 1999; Strauß 1999; Diez/Schwarz 2000; Bauer/Grether/Brüsewitz 2000; Klink/Heiss/Feldmann 2002; Betz 2003; Regelmann 2004; Ebel/Hofer/Al-Sibai 2004; Thiemer 2004
Tabelle 1: Ausgewählte Monographien und Aufsätze zum Automobilvertrieb
Dabei werden sowohl aktuelle Trends, wie etwa im Sammelband von EBEL/HOFER/AL-SIBAI oder im Beitrag von LANDMANN,84 als auch in zahlreichen Zeitschriften und Monographien praktische Handlungsempfehlungen und wissenschaftliche Modelle entwickelt und geprüft. Der Arbeitsstand stellt sich wie folgt dar.
2.3.1 Gestaltung des Distributionssystems KRÖGER und GEISELER beleuchten die Gestaltungsmöglichkeiten von Distributionssystemen des Automobilvertriebs aus rechtlicher und systematischer Sicht, wobei GEISELER ein System von Einflussfaktoren der Vertriebssystemgestaltung entwirft.85 METHNER untersucht die Kontaktkette vom OEM zum Endkunden und leitet empirisch aus dem angebotenen Leistungsportfolio Handlungsempfehlungen für die Gestaltung eines Distributionsformenportfolios ab.86 DIEZ spiegelt die Möglichkeiten der Prozessoptimierung an den unterschiedlichen Schnittstellen zwischen OEM und Handel an verschiedenen theoretischen Ansätzen, während AHLERT/KOLLENBACH/KORTE auf die Gestaltung des Distributionssystems in Bezug auf die Ziele des OEM und des Handels abheben.87 KOLLENBACH untersucht Möglichkeiten des Positionierungsmanagements von Vertragshandelsbetrieben.88 BEUTIN/FÜRST/FINKEL analysieren empirisch Erfolgsfaktoren der Kundenorientierung des Distributionssystems.89 Zwei Beispiele für die praktische Steuerung im Vertriebssystem sind der Beitrag von
84 85 86 87 88 89
Vgl. Ebel/Hofer/Al-Sibai 2004; Landmann 1999. Vgl. Kröger 1995; Geiseler 2002. Vgl. Methner 2002. Der zugrunde liegende Typologieansatz wird in Kapitel 4.2 diskutiert. Vgl. Diez 1999; Ahlert/Kollenbach/Korte 1996. Vgl. Kollenbach 1995. Vgl. Beutin/Fürst/Finkel 2003.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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NIEMAND/ZYDER/KRALJ zur Sales Scorecard und die Arbeit von BAUER/GÖRTZ/EXLER zur Preispolitik im Distributionssystem.90 STAUTNER und HOLWEG/PIL beschäftigen sich mit der Optimierung des Distributionssystems mit Blick auf Logistik und Auftragsmanagement, beide stellen die Wechselwirkungen von Fahrzeugfertigung beim OEM und der daran anschließenden physischen Distributionspolitik in den Mittelpunkt.91 Alle zitierten Arbeiten fokussieren sich meist auf die Untersuchung eines Absatzkanals, die Existenz mehrerer Absatzkanäle wird implizit oder explizit aus der Untersuchung ausgeschlossen. Ausgehend von den in Kapitel 1 aufgezeigten Veränderungen im Automobilvertrieb, wird die Gestaltung des Distributionssystems von SCHÖGEL/SAUER, BAUER/SMEND und MARKMANN/BENZE aus der Perspektive des Multikanalmanagements betrachtet, wobei SMEND erstmals empirisch gesicherte umfassende Gestaltungsoptionen für verschiedene Gruppen von OEM vorschlägt.92 Die Arbeit von BREITKOPF/SCHÖGEL ordnet sich zwar in den Kontext des Multikanalvertriebs ein, fokussiert indes die Entwicklung des „Stammkanals“ des vertragsgebundenen Autohandels.93
2.3.2 Hersteller-Absatzmittler-Beziehung Die meisten Arbeiten gehen explizit oder implizit von der Prämisse des Vertikalen MarketingSystems aus: hohe vertikale Einflussmöglichkeit des Herstellers auf seine Absatzmittler wird vorausgesetzt. Das Konzept des VMS wurde von FLORENZ erstmals umfassend analysiert und auf den Automobilvertrieb übertragen.94 Darauf haben die meisten nachfolgenden Arbeiten aufgebaut. Ein Beispiel ist die von DECKER, DIEZ und MEINIG analysierte Händlerzufriedenheit als Zielgröße der Distributionssystemgestaltung.95 JENSEN untersucht hingegen die Zusammenhänge von Kundenzufriedenheit und der Beziehungsgestaltung zwischen OEM und Händler.96 MEFFERT/WÖLLENSTEIN/BURMANN fokussieren das Konfliktverhalten in der Hersteller-Absatzmittler-Dyade.97 Daneben finden sich Überlegungen zur Ausnutzung unternehmerischen Engagements bei HARTERMANN.98 Ein darüber hinaus wenig beachtetes Gebiet wird von BROCKMEIER wissenschaftlich analysiert, nämlich die Beziehung zwischen Herstellern und Importeuren respektive deren Steuerung.99 Neben zunehmender Pluralität der Distributionsorgane, haben sich – wie in Kapitel 2.2 ausgeführt – aus Herstellersicht die VMS-Gestaltungsmöglichkeiten und die Machtgrundlage 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Vgl. Niemand/Zyder/Kralj 2002; Bauer/Görtz/Exler 2005. Vgl. Stautner 2001; Holweg/Pil 2004. Vgl. Schögel/Sauer 2002; Smend 2004; Bauer/Smend 2005; Markmann/Benze 2004. Vgl. Breitkopf/Schögel 2007, S. 4. Vgl. Florenz 1992; Irrgang 1989. Vgl. Decker 2000; Diez 2000a; Meinig 2004a. Vgl. Jensen 2001. Vgl. Meffert/Wöllenstein/Burmann 1996a. Vgl. Hartermann 1994. Vgl. Brockmeier 2000.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
verändert. Dessen ungeachtet behalten die VMS-orientierten Arbeiten im Grundsatz ihre Gültigkeit, sie müssen jedoch heute vor dem Hintergrund fortgeschrittener Liberalisierung betrachtet werden. Es ist die Validität für andere Varianten von Distributionsorganen zu prüfen und ggf. zu adaptieren. Weiterhin sind sie in den Kontext des Multikanalmanagements zu stellen, GÖTTGENS/SMEND betrachten das Konfliktmanagement als Teilaspekt der Hersteller-Absatzmittler-Beziehung erstmals in diesem Zusammenhang.100 BÖHME bringt das Konstrukt Franchise Attractiveness in die Diskussionen ein und liefert damit ein der aktuellen Situation angepasstes Modell. Das Modell stellt die Zufriedenheit des Absatzmittlers in den Vordergrund, es berücksichtigt indes stärker den gewachsenen Handlungsspielraum des Händlers.101 Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass bisher wenige Arbeiten existieren, welche die durch Liberalisierung entstandenen neuen Freiheitsgrade der verschiedenen Player in der Automobildistribution ausloten. Entsprechend wird kaum auf die Möglichkeiten herstellerseitiger Koordination von Distributionsorganen eingegangen, die sich außerhalb der traditionellen hierarchischen oder vertraglichen Beziehung befinden.
2.3.3 Kontakt zum Endkunden Kundensegmentierung, -bindung und Markenpolitik sind in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten behandeltb worden. Beiträge zur Differenzierung von Kundengruppen als Grundlage der zielgerichteten Gestaltung von Kundenbeziehungen haben bspw. HEISE, GAUS und WIEDMANN/JUNG geliefert.102 Die Arbeiten von KRÜGER, HEIDER, WEHR, WECKER und BRANDT berühren die Themen Image, Marke und Markenmanagement:103 Während WEHR einen kausalanalytischen Ansatz zur Imagegestaltung entwickelt, konzentriert sich HEIDER auf die Problematik der Markenbewertung. WECKER untersucht das Zusammenspiel von OEM-Markenportfolios und dem Ziel der Kundenbindung. Eine grundlegende Arbeit zur systematischen und empirisch fundierten Abbildung des Automobil-Kaufprozesses hat UNGER verfasst.104 Das Thema Kundenbindungsmanagement wird von BARTOLAUS und DIEZ mit besonderem Fokus auf die Möglichkeiten des Internet behandelt, während HOLLAND den Kaufentscheidungsprozess und die Arten der Kundenbindung stärker in den Fokus rückt.105 Die Themen Kundentreue und CRM für Privatkunden werden von RÖTTIG und DITTMAR aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchtet.106
100 101 102 103 104 105 106
Vgl. Göttgens/Smend 2007. Vgl. Böhme 2006. Vgl. Heise 1997; Gaus 2000; Wiedmann/Jung 2001. Vgl. Krüger 1999; Heider 2001; Wehr 2001; Wecker 2004; Brandt 2006. Vgl. Unger 1998. Vgl. Bartholatus 2002; Diez 2000b; Diez 2005; Holland 2006. Vgl. Dittmar 2000; Röttig 2004.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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Entgegen der hohen absatz- und unternehmenspolitischen Bedeutung werden Geschäfts- bzw. Großkunden und das Downstreambusiness kaum wissenschaftlich behandelt: PIETSCH setzt sich allgemein mit Geschäftskundenbedürfnissen auseinander, während SPLETT-HENNING speziell das Key-Account Management aufgreift.107 LORENZ und JOSKO/DIEZ behandeln die Profitgenerierung im Downstreambusiness über Finanzdienstleister oder Value-AddedServices.108
2.3.4 E-Commerce und neue Distributionsorgane Innovative Ausgestaltungsformen von Distributionsorganen sowie deren Abgrenzung wurden vor dem Hintergrund der neuen Möglichkeiten des Internet und der Liberalisierung rechtlicher Rahmenbedingungen behandelt, insbesondere DREIER und BETZ haben hier einen wissenschaftlichen Beitrag geleistet.109 DREIER untersucht die Einsatzmöglichkeiten und potenziellen Vorteile des E-Commerce für OEM und Absatzmittler in Kombination mit sowie als Alternative zu traditionellen Distributionsorganen. Er nimmt dabei insbesondere die Perspektive der Transaktionskostenökonomie ein. BETZ untersucht die Akzeptanz von ECommerce primär aus Sicht von Privatkunden. BAUER/GRETHER/BÜSEWITZ geben einen Überblick der Einsatzmöglichkeiten des ECommerce im Automobilvertrieb. STRAUß, KLINK/HEISS/FELDMANN und REGELMANN nehmen indessen eher praxisorientierte Perspektiven ein und identifizieren insbesondere Kundenwünsche und Wettbewerb als dominierende Marktkräfte zur Durchsetzung von Internettechnologie in allen Bereichen des Distributionssystems.110 Die folgenden Arbeiten legen den Schwerpunkt nicht auf den E-Commerce: WÖLLENSTEIN geht unter Anwendung des Betriebstypenansatzes erstmals umfassend auf den Themenkomplex Systematisierung, Differenzierung, Erfolgswirkungen und strategische Entwicklungsrichtungen von Distributionsorganen ein. Dabei wird das Autohaus in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Eine ähnliche Schwerpunktsetzung hat RENNERT, der alternative Betreibungskonzepte für Autohäuser systematisiert.111 HOFFMEISTER fokussiert sich ebenfalls auf das Distributionsorgan vertragsgebundenes Autohaus und betrachtet dabei die Multi-Franchise- respektive Mehrmarken-Konzepte.112 DIEZ/SCHWARZ und THIEMER untersuchen neue Formen der Gestaltung von Distributionsorganen, wie Brandlands und erlebnisorientierte Kommunikationsplattformen.113
107 108 109 110 111 112 113
Vgl. Pietsch/Strunkmann-Meister 2005; Splett-Henning 2004. Vgl. Lorenz 2001; Josko/Dietz 2006. Vgl. Dreier 1999; Betz 2003. Vgl. Bauer/Grether/Brüsewitz 2000; Strauß 1999; Klink/Heiss/Feldmann 2002; Regelmann 2004. Vgl. Rennert 1994; Rennert 1998; Wöllenstein 1996. Vgl. Hoffmeister 1998. Vgl. Diez/Schwarz 2000; Thiemer 2004.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
2.3.5 Defizite bisheriger Forschung In Kapitel 1 wurden die vielfältigen Veränderungen und daraus resultierenden Herausforderungen des Automobilvertriebs angedeutet. Nicht zuletzt die Untersuchung von SMEND zeigt, dass die Veränderungen der Distributionssituation zukünftig die Anwendung von Multikanalmanagementstrategien im Automobilvertrieb erfordern.114 Daraus leitet sich die erste der beiden grundlegenden Hauptthesen der vorliegenden Arbeit ab: • H-I: Der europäische Automobilvertrieb muss aktives Multikanalmanagement betreiben, um den Herausforderungen und Veränderungen im Markt zu begegnen. Wie bereits in Kapitel 2.1 und 2.2 und insbesondere im Ansatz von BAUER/SMED dargestellt, ist die Kenntnis der aktuell eingesetzten bzw. potenziell einsetzbaren Distributionsorgane Voraussetzung für ein Distributionsmanagement im Allgemeinen bzw. Multikanalmanagement im Speziellen. Aus Sicht des Herstellers müssen also die Absatzkanäle bzw. die sie konstituierenden Distributionsorgane identifiziert werden. In der Fachliteratur zum Automobilvertrieb werden vorwiegend gängige Analysekonstrukte der Handelslehre – wie z.B. der Betriebstypen-Ansatz – eingesetzt. Wie in Kapitel 4.2 noch im Detail zu zeigen sein wird, sind die Typologien von Distributionsorganen, wie sie etwa von WÖLLENSTEIN oder METHNER entwickelt wurden, für diesen Zweck unzureichend.115 Überdies sind die in 2.3.4 zitierten Erkenntnisse zunächst in eine einheitliche Typologie zu überführen, um als Basis eines konsistenten Multikanalmanagement-Ansatzes in Anlehnung an Abbildung 4 auf Seite 9 fungieren zu können. Die zweite grundlegende Hauptthese der Arbeit ist daher wie folgt zu formulieren: • H-II: Weder Literatur noch Praxis bieten bisher adäquate theoretische Konstrukte als Grundlage des Multikanalmanagements an, um die institutionellen Strukturen im europäischen Automobilvertrieb auf Groß- und Einzelhandelsebene sowie deren Veränderung konsistent und umfassend beschreiben und analysieren zu können. Mit wenigen Ausnahmen ist den zitierten Arbeiten die explizite oder implizite Fokussierung auf das Privatkundengeschäft gemein. Diese Fokussierung findet ihren Ursprung darin, dass im traditionellen Automobilvertrieb die vertragsgebundenen Absatzmittler mit ihren Autohäusern sowohl Privat- als auch Geschäftskunden gleichermaßen bedient haben. Erst mit zunehmender Bedeutung überregional oder international agierender Abnehmer sowie der massiven Bedeutungszunahme geschäftskundenspezifisch ausgerichteter Distributionsorgane – allen voran Leasinggesellschaften, verändert sich dieses Bild. Die in Kapitel 3.2 genauer beschriebenen Veränderungen haben indessen kaum Berücksichtigung in der Forschung zum Automobilvertrieb gefunden. Es ist somit Anliegen der vorliegenden Arbeit eine stärker gleichberechtigte Sichtweise einzuführen. Es beschäftigen sich nur wenige Arbeiten mit den Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes und den europaweit einheitlichen rechtlichen Rahmenbedingungen im Spannungsfeld 114 115
Vgl. Smend 2004. Vgl. Wöllenstein 1996; Methner 2002.
2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
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sozio-kultureller und z.T. struktureller Unterschiede in den Ländern der Europäischen Union. Die vorliegende Arbeit soll daher bewusst eine europaweite Perspektive einnehmen.
2.4 Forschungsfragen und Gang der Untersuchung Ausgehend vom erläuterten Stand der Forschung gilt es – unter Berücksichtigung von Hauptthese H-I – strategische Implikationen für die Gestaltung von Multikanalsystemen im Automobilvertrieb abzuleiten. Gängige Ansätze des Distributionsmanagements116 im Allgemeinen, sowie die von BAUER/SMEND vorgeschlagene idealtypische Konzeption von Multikanalsystemen117 im Speziellen setzen die Kenntnis bzw. Analyse der aktuellen respektive zukünftigen Distributionssituation voraus. Daraus ergeben sich zwei Forschungsfragen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu behandeln sind: • F-I: Welche endogenen/exogenen Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren spielen bei der Vertriebssystemgestaltung durch den Hersteller eine Rolle? • F-II: Welche Trends sind heute erkennbar, die Einfluss auf die Vertriebsstrukturen haben? Daneben ist die in Kapitel 2.3.5 entwickelte Hauptthese H-II anhand von Anforderungen an eine Typologie bzw. ein Analysekonstrukt von Distributionsorganen zu prüfen. Aus ihr ergeben sich zwei weitere Forschungsfragen: • F-III: Welches theoretische Analysekonstrukt kann die sich verändernden Distributionsorgane auf den verschiedenen Ebenen der Vertriebssysteme konsistent und umfassend beschreiben? • F-IV: Welche typischen Varianten von Distributionsorganen liegen heute im Vertriebssystem vor und welche zukünftigen Formen sind denkbar? Bei der Beantwortung der Forschungsfragen F-I bis F-IV kommt folgenden Parametern besondere Bedeutung zu: • Kunden: Wichtigster Treiber des Multikanalmanagements ist der verbesserte Zugang zu definierten Kundengruppen. Es muss insofern geklärt werden, welche Kundengruppen durch welche Kanäle respektive Distributionsorgane erreicht werden. Dementsprechend muss neben der Auswahl des passenden Dienstleistungsangebots die zielgruppengerechte Kommunikations- und Anreizstrategie des jeweiligen Kanals gestaltet werden. • Marke: Die Marke ist elementarer Differenzierungsfaktor im Automobilvertrieb. Dementsprechend müssen die Kanäle auf ihren jeweiligen „Marken-Fit“ bzw. „ChannelFit“118 untersucht werden. Welcher Kanal eignet sich besonders, um das jeweilige Markenversprechen einlösen zu können? Der Absatzkanal muss Teil einer ganzheitlichen identitätsorientierten Markenführung sein.119 • Steuerung: Aufgrund limitierter finanzieller Ressourcen der Hersteller ist es für die Mehrheit auf absehbare Zeit nicht möglich, einen flächendeckenden Direktvertrieb zu errichten. Deshalb wird der Vertrieb auch zukünftig selbständige Absatzmittler einschließen, die sinnvoll in ein Koordinations- und Kooperationskonzept eingebunden werden müssen. 116 117 118 119
Vgl. Kapitel 2.1 und spezieller Kapitel 3. Vgl. Abbildung 4, Seite 9. Vgl. Wirtz 2002b, S. 50. Vgl. Meffert/Burmann 2002a, S. 40-41; Böing/Huber/Schotte 2002, S. 29-30.
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2 Grundlagen und konzeptioneller Rahmen
Eine Antwort auf die Forschungsfragen F-I bis F-IV vorausgesetzt, ergibt sich unter Berücksichtigung von H-I die letzte Fragestellung: • F-V: Welche institutionellen Strukturen sollte der Hersteller vor dem Hintergrund seiner individuellen Marktpositionierung wählen, um erfolgreich am Markt agieren zu können?120 Mit Hilfe der fünf Forschungsfragen und zwei Hauptthesen soll das formulierte Ziel der vorliegenden Arbeit erreicht werden: Vor dem Hintergrund der veränderten Wettbewerbsbedingungen soll nach der systematischen Erfassung und Beschreibung des europäischen Automobilvertriebs – unter Verwendung eines geeigneten Analysekonstrukts – strategische Implikationen für Automobilhersteller zur Gestaltung ihrer Vertriebssysteme abgeleitet werden. Damit soll gleichzeitig ein Beitrag zur weiteren Ausarbeitung des Multikanalmanagement-Ansatzes bzw. -Prozesses geleistet werden. Gang der Untersuchung Die Gliederung ist entlang der Forschungsfragen angelegt. Kapitel 3 widmet sich F-I und F-II. Ziel ist es, auf Basis von Literaturrecherche Thesen abzuleiten, welche für die Zwecke des Multikanalmanagements die aktuelle respektive zukünftige Distributionssituation zu erfassen. Die wichtigsten Thesen sollen im Verlauf der Untersuchung einer empirischen Untersuchung zugänglich gemacht werden. Kapitel 4 widmet sich F-III. Dazu wird in 4.1 zunächst die Kategorisierung von Distributionsorganen betrachtet, um in Kapitel 4.2 H-II zu belegen. Kapitel 4.2 liefert zugleich die Entscheidungsgrundlage für ein Analysekonstrukt, mit dem Distributionsorgane im Automobilvertrieb für die Zwecke des MKM typologisiert werden können. Kapitel 4.3 bis 4.4 operationalisieren das ausgewählte Analysekonstrukt, um schließlich in Kapitel 4.5 eine theoretisch abgeleitete Typologie der Distributionsorgane des Automobilvertriebs vorzuschlagen. Letztere wurde zusammen mit den Thesen zur Distributionssituation einer empirischen Analyse zugeführt, die in Kapitel 5 beschrieben ist. Die empirische Untersuchung verfolgt zwei Ziele: Zum einen sollen die Aussagen zur Distributionssituation bestätigt, konkretisiert und erweitert werden. Zum anderen soll die Typologie der Distributionsorgane konkretisiert und ggf. adaptiert sowie erweitert werden, um schließlich F-IV beantworten zu können. Kapitel 6 greift alle Ergebnisse auf und fügt diese im Sinne von F-V zusammen. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Ausblick in Kapitel 7.
120
Insbesondere mit Forschungsfrage F-V wird für die gesamte Arbeit primär die Sicht des Automobilherstellers eingenommen, welcher vor den genannten Herausforderungen der Multikanal-Vertriebssystemgestaltung steht.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs Das vorliegende Kapitel soll einen Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfragen F-I und F-II liefern: Welche Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren spielen bei der Vertriebssystemgestaltung eine Rolle? Und, welche Trends sind heute erkennbar, die Einfluss auf diese Gestaltung haben? Die Antworten auf diese Fragen bilden den Rahmen, in dem die Distributionsorgane des Automobilvertriebs aktiv sind und welcher im Distributionssystemgestaltungsprozess (DSG-Prozess) zu berücksichtigen ist. Dieser Rahmen stellt gleichzeitig den Hintergrund dar, vor dem die Distributionsorgane differenziert und hinsichtlich ihrer Entwicklung und Interdependenz analysiert werden. Nachdem zunächst ein Ansatz zur Systematisierung der Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren ausgewählt wird, erfolgt dessen Anwendung auf den europäischen Automobilvertrieb. Ansatz zur Systematischen Erfassung der Distributionssituation „Da für sozioökonomische Systeme keine generell gültigen optimalen Handlungsalternativen bestimmt werden können, kommt es darauf an, Handlungsalternativen zu finden, die einer spezifischen Situation angemessen sind.“121 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren distributionspolitischer Entscheidungen (Ahlert 1996) Produktbezogene Faktoren Kundenbezogene Faktoren Konkurrenzbezogene Faktoren Absatzmittlerbezogene Faktoren Unternehmensbezogene Faktoren Sonstige Umweltfaktoren
Situationsanalyse des Distributionssystems (Specht/Fritz 2005) Leistungspaket/Objekte der Distribution Zielgruppen/Adressaten der Distributionskanäle
Evaluating the Variables Affecting Channel Structure (Rosenbloom 1999) Product Variables
Weitere Betrachtung Kap. 3.1 Kap. 3.2
Market Variables
Wettbewerber Distributionskanäle Eigene/Fremde Distributionsorgane Unternehmen/internes Umfeld der Distribution Externes Umfeld der Distribution
Intermediary Variables
Kap. 3.3
Behavioral Variables Company Variables
Kap. 3.4
Environmental Variables
Kap. 3.5
122
Tabelle 2: Ansätze der Distributionssituationsanalyse
Bei der Gestaltung des Distributionssystems wirken eine Reihe von endogenen und exogenen Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren, die unterschiedlichen Perspektiven der Distributionssituationsanalyse zugeordnet werden können. Tabelle 2 stellt exemplarisch drei Ansätze nebeneinander.123 Die Übersicht macht leichte Unterschiede in Benennung und Abgrenzung der Kategorien sichtbar, inhaltlich ergibt sich indes große Ähnlichkeit. 121 122 123
Specht/Fritz 2005, S. 217. Vgl. Ahlert 1996, S. 40 und S. 175; Specht/Fritz 2005, S. 219-236; Rosenbloom 1999, S. 212-219. Ähnliche Systematiken finden sich bei Eichmann 1993, S. 28-30 oder Kotler/Walther 1999, S. 830-832. BARTH weist darauf hin, dass der funktionenorientierte Forschungsansatz in allen sechs Faktorengruppen einen
26
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Abbildung 6 visualisiert, dass nicht alle Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren in gleicher Weise durch den Hersteller beeinflussbar sind. Desgleichen können die Faktoren nicht überschneidungsfrei voneinander abgegrenzt werden, weil zahlreiche Interdependenzen vorliegen. Endogene Faktoren Unternehmensbezogene Faktoren (Kap. 3.4)
Objekt der Distribution (Kap. 3.1)
Exogene Faktoren Distributionssystem (Kap. 3.3)
Zielmärkte der Distribution (Kap. 3.2)
Politisch-rechtliches und technologisches Umfeld der Distribution (Kap. 3.5)
Abbildung 6: Beeinflussbarkeit der Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren
Aktuelle und zukünftige Distributionssituation Eine Analyse endogener und exogener Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren des Distributionssystems muss auch zukünftige Entwicklungen berücksichtigen. Veränderungen bzw. Wandel soll dabei so verstanden werden, dass es sich nicht nur um „Störungen und Widersprüche [handelt], welche in einer oder mehreren Alltagsarenen den alltäglichen (oder zukünftig antizipierten) Vollzug der Wirklichkeitskonstruktion erschweren und in Frage stellen“124. Vielmehr können aus Wandel unausgeschöpfte Optimierungs- oder Erneuerungspotenziale entstehen, die letztlich die Bildung innovativer Distributionssysteme gestatten. Beispielsweise in der Konsumforschung wird vor dem Hintergrund eines stetigen Normenund Wertewandels in der Gesellschaft regelmäßig eine Vielzahl von Trends identifiziert, die z.B. mit Hilfe der Szenariotechnik zusammengefasst und strukturiert werden.125 Trends werden hier als gesellschaftliches Wandelphänomen verstanden, welches in der Gegenwart auszumachen ist und unter anderem Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln hat. Trends sind insofern von Innovationen – z.B. innovativen Geschäftsmodellen – abzugrenzen, die eine vom Unternehmen initiierte und vermarktete Antwort auf einen Trend darstellen und ggf. ihrerseits neue Trends auslösen können.126 Trends sollten in der DSG Berücksichtigung finden. Kapitel 3 greift folglich die Bestimmung von Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren analog der Gliederung in Tabelle 2 auf und identifiziert jeweils relevante Trends. Die Spiegelung der allgemeinen Faktoren an aktuellen Trends geht auf den situativen Ansatz zurück: Dem könnte entgegengehalten werden, dass die gewonnenen Erkenntnisse nur zum Zeitpunkt der Studie Gültigkeit hätten. Jedoch muss die Gestaltung eines Vertriebssystems als
124 125
126
wichtigen Beitrag liefert. Aufgrund der übergreifenden Bedeutung ist er demzufolge keiner Gruppe direkt zuzuordnen. Vgl. Barth 1982, S. 108-110 oder Müller-Hagedorn/Spork 2000a, S. 67. Vgl. Rüegg-Stürm 2001, S. 269. Eine stringente Ableitung dieser allgemeinen Konsumtrends bzw. Szenarien im Hinblick auf die Auswirkungen auf Automobilvertriebsstrukturen findet bisher nur ansatzweise statt. Aus Gründen der Forschungsökonomik soll in der vorliegenden Arbeit keine neue explorative Konsumtrendforschung erfolgen. Es sollen demgegenüber lediglich solche Kundentrends berücksichtigt werden, die in Literatur und Praxis bereits eindeutig ausgemacht wurden. Vgl. Hamm 2003, S. 19.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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Managemententscheidung immer auf eine situative und zugleich prognostische Berücksichtigung der Umweltsituation aufbauen. Die vorliegende Arbeit zeigt diese Herangehensweise daher allgemein und verbindet die wichtigsten Thesen mit der Prognose im Rahmen einer Delphi-Untersuchung.127 Hersteller- bzw. markenspezifisch werden sich dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und etwaige zusätzliche Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren des DSG zeigen.
3.1 Perspektive Distributionsobjekt Bei der zweckgerechten Gestaltung des Absatzweges muss das zu vertreibende Produkt berücksichtigt werden. Diese Perspektive ist stark vom warenorientierten Ansatz (commodity approach) der Distributionsforschung beeinflusst. Automobile sind technisch komplexe und wartungsbedürftige Produkte, nicht zuletzt deswegen ist diese Perspektive besonders wichtig.
3.1.1 Automobil als Distributionsobjekt Insbesondere für den Konsumgüterbereich werden die drei Warentypen Convenience Goods, Shopping Goods und Specialty Goods des Commodity Approach differenziert.128 Automobile können als Specialty Goods129 aufgefasst werden und erforderten demzufolge tendenziell eher einen exklusiven oder direkten Vertrieb. Bis zur Einführung der GVO 1400/02 herrschte im Automobilvertrieb eine Kombination aus selektivem und exklusivem Vertrieb vor – aktuell haben sich fast alle Hersteller für das selektive System entschieden.130 Die Nachfrage nach einem Automobil stellt oft eine abgeleitete Nachfrage dar und die Kaufentscheidung erfolgt durch das Buying Center eines gewerblichen Kunden. Es werden dann wichtige Charakteristika des Investitionsgütermarktes erfüllt, so dass der Commodity Approach ohne weiteres nicht anwendbar ist.131 Es wird deutlich, dass die Komplexität der Distributionsentscheidung hier größer ist, als dass sie mit dem warenorientierten Ansatz vollständig erfassbar wäre. Folgende automobilspezifische Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren sind demzufolge genauer zu untersuchen: gebrauchstechnische, kulturelle und soziale Eigenschaften des Produkts.132 Gebrauchstechnische Eigenschaften Zu den gebrauchstechnischen Eigenschaften gehören die technisch-funktionalen Merkmale, die sich im Automobilvertrieb besonders ausprägen: Automobile haben eine hohe Erklärungs, 127
128 129 130 131
132
Der Prognosezeitraum der in Kapitel 5 dargestellten Delphi-Untersuchung ist für die Jahre 2005 bis 2015 festgelegt. Aus forschungs-ökonomischen Gründen werden nicht alle Thesen aus Kapitel 3 im Delphi-Fragebogen zur Beurteilung gestellt, da einige durch bereits vorhandene und ausreichend abgesicherte Studien belegt sind. Vgl. Ruhfus 1976, S. 23 und Cremer 1983, S. 79. Vgl. Hoffmeister 1998, S. 84. Vgl. Kapitel 3.5. Das trifft besonders auf gewerblich genutzte Automobile und leichte Nutzfahrzeuge (LCV) zu. Einen Grenzfall stellen die so genannten Flottenverkäufe dar, weil sich in diesem Fall Charakteristika des Konsum- und Investitionsgütermarktes überschneiden. Vgl. Kapitel 3.2. Vgl. Ahlert 1996, S. 40-41.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Montage- und Wartungsbedürftigkeit, die aus ihrer technischen Komplexität und Beanspruchung resultieren.133 Außerdem führt der Wert der Fahrzeuge dazu, dass gerade Privatkunden ein relativ hohes Kaufrisiko wahrnehmen. Automobile sind für Privatkunden High-Involvement-Güter.134 Fahrzeugfunktionen sollten dem Kunden vor und nach dem Kauf erklärt werden können, die vielfältigen Zusatz- und Sonderausstattungen müssen bei der Distribution berücksichtigt werden und eine flächendeckende Wartungs- bzw. Reparaturmöglichkeit wird angestrebt. Diese Aspekte erfordern fahrzeugmodellspezifisch geschultes Verkaufs- und Servicepersonal. Die technisch-funktionale Komplexität der Fahrzeuge legt somit eine enge Abstimmung zwischen Hersteller und Distributionsorganen nahe. Bezüglich der chemisch-physikalischen Merkmale von Automobilen sind weniger die Lebensdauer oder Haltbarkeit relevant, als vielmehr die Nutzungsdauer bevor das Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt erscheint. Die Kaufentscheidung für einen Neuwagen fällt sowohl zeitlich, als auch finanziell i.d.R. mit dem Verkauf eines Gebrauchtwagens zusammen. Bei Flottenkunden hat der möglichst garantierte Rückkauf zum festen Wiederverkaufswert eine hohe Bedeutung. Die gegenseitige Abhängigkeit von Neu- und Gebrauchtwagenmarkt sollte daher bei der Planung des Distributionssystems berücksichtigt werden. Hinsichtlich Transport und Logistik ergeben sich folgende Charakteristika: Erstens sind Automobile sperrig, schwer und kostenaufwendig zu transportieren bzw. zu lagern. Zweitens bieten Automobilhersteller i.d.R. umfangreiche Spezifikationsmöglichkeiten, welche nach dem Produktionsprozess meist nicht mehr verändert werden können. Daher müssen die Produkte individuell dem Point-of-Sale zugeliefert werden. Diese beiden Aspekte legen eine Prädisposition für möglichst kurze, flexible Absatzwege nahe, um dem Kunden in kurzer Zeit das gewünschte Fahrzeug anbieten zu können. Ferner führen Fahrzeuge mit wenig nachgefragten Spezifikationen regelmäßig zu erheblich niedrigeren erzielbaren Marktpreisen, sofern der spezifische Abnehmer nicht (schnell) gefunden werden kann. Diese Herausforderung spricht für eine enge Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittler in Bereichen des Auftragsmanagements, der Logistik und Disposition von Fahrzeugen. Kulturelle und soziale Eigenschaften Qualitative und technologische Unterschiede zwischen Automobilen eines Preissegments werden zunehmend geringer. Aus Sicht der Nachfrager gewinnen indessen Images an Bedeutung. Sie dienen der Marktorientierung und Selbstbestätigung sowie dem Ausdruck und der Inszenierung der eigenen Persönlichkeit. Aus Anbietersicht hat das Image daher einen hohen Stellenwert für die Differenzierung und Absatzstimulierung im Markt.135 Bei der Gestaltung des Distributionssystems ist folglich nicht nur die Entwicklung von Markenimages durch Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen der Absatzmittler zu 133 134 135
Vgl. Diez 2001a, S. 308. Vgl. Smend 2004, S. 63. Vgl. Wehr 2001, S. 1-2; Brandt 2006, S. 17.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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beachten, auch die Irradiation des Einkaufsstättenimages auf das Qualitäts- und Markenimage ist relevant. Automobile werden bisher vornehmlich in spezialisierten Einkaufsstätten verkauft. Weil der Aufbau eines bestimmten Markenimages neben Produktqualität und -technologie als wesentlicher Hebel zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen angesehen wird, versuchen Automobilhersteller über die Setzung von Standards für eine bestimmte Automobilmarke eine einheitliche Anmutung am Point-of-Sale durchzusetzen.136 Je höher der am Markt angestrebte Markenwert ist, desto größeren Einfluss wird die Markenpolitik auf die Gestaltung des Vertriebssystems haben müssen. Ein weiterer Aspekt ist das preispolitische Verhalten gegenüber den Kunden. Im heute vornehmlich indirekt selektiven Vertriebssystem nehmen Automobilhersteller über Rabattaktionen, subventionierte Inzahlungnahmen, Direkt-Rabatte, Sondermodelle, Ausstattungspakete, Tageszulassungen, Sonderkonditionen für Versicherungen, Eroberungsprämien oder Leasing- und Sonderzinsen wesentlichen Einfluss auf die Preisgestaltung.137 Ein System aus Margen- und Bonuszahlungen mit der (noch) geringen Einkaufsmacht der Händler begrenzt die Möglichkeiten einer wesentlichen Abweichung von der herstellereigenen Preisstrategie. Insofern müssen Hersteller entscheiden, ob bei der Gestaltung des Distributionssystems die aktuell vergleichsweise hohe preispolitische Einflussmöglichkeit erhalten – respektive ausgebaut – werden soll.
3.1.2 Distributionsobjektbezogene Trends Technisch-funktionale Komplexität Kaum eine andere Branche wendet so viele Ressourcen für die Weiterentwicklung ihrer Produkte auf, wie die Automobilindustrie.138 Der technologische Fortschritt findet derzeit vor allem in der Entwicklung neuer elektronischer Bauteile im Automobil statt, welche Sicherheit und Fahrkomfort erhöhen. Damit geht die ständige Zunahme technischer Komplexität des Produktes einher, die bei der Gestaltung des Vertriebssystems berücksichtigt werden muss: neue Funktionalitäten müssen dem Kunden vor und nach dem Kauf vermittelt sowie bei der Wartung der Fahrzeuge berücksichtigt werden. Bedeutungszunahme GW-Geschäft Das Neuwagengeschäft besitzt eine zunehmend engere Verbindung zum Gebrauchtwagengeschäft. Während die technische Komplexität der Fahrzeuge zunimmt, verlängern sich seit Jahren die Wartungsintervalle der Fahrzeuge. Zugleich erfahren Fahrzeugflotten ein professionelleres Management, welches an der Optimierung der Differenz zwischen Volumeneinkaufsrabatt und möglichst hohen Restwerten nach kurzer Nutzungszeit, orientiert ist. In der Folge kommen regelmäßig große Mengen junger Gebrauchtwagen in den Markt. 136 137 138
Vgl. Krüger 1999, S. 100-102 und 114; Jensen 2001, S. 56; Lademann/Gutknecht 2004, S. 55-56; Plate 2004e, S. 12. Vgl. Mallad/Brauchle 2004, S. 1. Die europäische Automobilindustrie gab 2002 ca. €19 Mrd. für Forschung und Entwicklung aus, das entspricht 5% des Umsatzes. Vgl. o.V. 2004a, S. 30.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Diese werden von Privatkunden immer häufiger als mögliches Substitutionsprodukt für einen Neuwagen angesehen. In der Konsequenz muss bei der Gestaltung des Neuwagen-Vertriebssystems nicht nur die Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen ermöglicht, sondern auch deren Wieder-Vermarktung berücksichtigt werden. Aufgrund des im Vergleich zum Neuwagengeschäft nach wie vor hohen Renditepotenzials des Gebrauchtwagengeschäfts, ist dieses Geschäftsfeld auch als strategische Komponente der Distributionsorgane in Betracht zu ziehen.139 Logistische Anforderungen Hersteller können bei der strategischen Ausrichtung ihrer Vertriebssysteme theoretisch zwischen zwei alternativen Ausprägungen wählen: • Build-to-Stock-Ansatz (BtS): In der Ausrichtung als Stock-Push-System beruhen der Modellmix und die Auswahl der unterschiedlichen Spezifikationen für die Fahrzeugproduktion im Wesentlichen auf Absatzprognosen und Marktforschung. Diese Systemgestaltung ermöglicht eine sehr effiziente und langfristige Planung der Upstream-Wertschöpfungskette sowie der Verteilung der Fahrzeuge auf die Distributionsorgane. Nachteilig am reinen BtS-System ist, dass mitunter spezielle Wünsche des Kunden nicht berücksichtigt oder zu spät erkannt werden. Die Differenz zwischen Kundenwunsch und am Point-of-Sale verfügbarem Sortiment muss dann durch Preisnachlässe kompensiert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund immer differenzierterer Modellpaletten und Ausstattungsoptionen stößt die rein prognostische Absatzplanung an ihre Grenzen. HOLWEG/PIL verbinden daher mit dem Stock-Push-Ansatz generell eine Entfernung des Herstellers von den wahren Kundenwünschen.140 • Build-to-Order-Ansatz (BtO): Im reinen Customer-Pull-System beruht die Produktion jedes Fahrzeugs auf einer zuvor erfassten Kundenbestellung, an dessen Ende das Fahrzeug individuell zum Kunden bzw. Auslieferungsort transportiert werden muss. Diese Konzeption fördert den Werterhalt von Fahrzeugen und Marken, indem es seltener zu Preisnachlässen oder anderen Kompensationen zwingt. Überdies kann die durch den Kunden gewünschte Individualität in der Fahrzeuggestaltung wesentlich leichter realisiert werden. Demgegenüber sind Produktions- und Logistikplanung oft aufwendiger und kostenintensiver. Produkt respektive Marke müssen daher ausreichend attraktiv sein, so dass der Kunde höhere Preise und ggf. längere Lieferzeiten toleriert.
139 140
Vgl. Abbildung 3 und Bräutigam/Schulz 2004, S. 96-98; Purohit/Staelin 1994 sowie Kapitel 3.2.2.2. Vgl. Holweg/Pil 2001, S. 74-75 und S. 81; Kreutzer/Schindler/De La Bedoyere 2002, S. 18.
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Push-Ansatz Build-to-Stock (BtS) • Fertigung und Gestaltung des Modellmix auf Basis von langfristigen Absatzprognosen (auch: Make-toForecast) • Reaktive Lageroptimierung zur Produktionsoptimierung
Hybride Strategien Locate-to-Order (LtO) • BtS mit erhöhter • Transparenz und Zugriffsmöglichkei t über/auf Lagerbestände • (ggf. regionales) Pooling von Lagerkapazitäten
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Pull-Ansatz
Build-to-Order Hybrid BtO Amend-to-Order (BtO) (AtO) • Fahrzeuge mit hohem Marktanteil • Fertigung und Unspezifizierte Gestaltung des werden weiterhin ProduktionsModellmix auf aufträge können im nach BtS-Ansatz Basis von realen produziert ProduktionsBestellungen von prozess in • Wenig Kunden Kundenaufträge nachgefragte gewandelt werden • Kundenwünsche Fahrzeuge ausschließlich nach sind für die gesamte dem BtO-Ansatz Wertschöpfungskette transparent
Abbildung 7: Ziele der BtS- bzw. BtO-Strategien im Automobilvertrieb141
DIEZ stellt in Zusammenhang mit der Fragmentierung von Kundenbedürfnissen den sich verstärkenden Wunsch nach individualisierten Fahrzeugbestellungen heraus. Diese Entwicklung werde derzeit durch den teilweise sehr hohen Anteil an Fahrzeugen, die nicht auf Kundenwunsch hin produziert werden, konterkariert. Lange Lieferzeiten stellten eine Akzeptanzschwelle für die individuelle Fahrzeugbestellung dar, so dass im Automobilvertrieb, einhergehend mit potenzieller „resignativer Kundenunzufriedenheit“, unnötige Rabatte für den Verkauf von BtS-Fahrzeugen gezahlt würden. Die rasante Zunahme an Fahrzeugmodellvielfalt sowie die verstärkte Nutzung alternativer Vertriebskanäle – ohne Anbindung an BtO-Systeme – führten zu einer geringeren Realisierungsquote von BtO. 142 Eine Evolution vom Push- zum Pull-Ansatz wird von diversen Autoren empfohlen und müsste folglich mit der Ausnutzung alternativer Absatzkanäle harmonieren.143 STAUDNER betont, dass sich diese Notwendigkeit nicht nur die Vernetzung und (zentrale) Koordination der Elemente des Vertriebssystems untereinander nahe lege, sondern auch erfordere, dass jedes Element des Vertriebssystems selbst geeignete Koordinations- und Kooperationsmechanismen sowie Ansätze zur Antizipation des Fahrzeugbedarfs einsetze.144 Es kann zusammenfassend konstatiert werden, dass Vertriebssysteme der Zukunft auf eine transparente, enge und zugleich flexible Vernetzung zwischen dem Kunden bzw. dem regionalen Marktgeschehen am Point-of-Sale, dem Absatzmittler und einer zentralen Absatzplanung angewiesen sind, um eine möglichst effiziente und kostenoptimale Produktions- und
141 142
143
144
Vgl. Holweg/Pil 2001, S. 81. Lediglich Hersteller von Luxusfahrzeugen fertigen ausschließlich auf Kundenwunsch. Demgegenüber setzen Hersteller ohne Produktionskapazitäten in Europa aufgrund etwaiger langer Wartezeiten für Kundenbestellungen eher auf Build-to-Stock-Strategien. Grundsätzlich verfolgen die meisten Volumenhersteller pushorientierte Absatzstrategien. Vgl. Diez 1999, S. 27-29; Brown 2001, S. 28; Pietsch 2002, S. 46; Geiseler 2002, S. 14-15; Williams 2003, S. 26; Plate 2005d, S. 10; Williams/Bozon 2006. Vgl. Landmann 1999, S. 79 und 93; Diez 1999, S. 110-120; Holweg/Pil 2001, S. 76; Brown 2001, S. 22-29; Stautner 2001, S. 186-189; Kreutzer/Schindler/De La Bedoyere 2002, S. 20; Pietsch 2002, S. 48-49; Williams 2003, S. 10-12 und 26; Holweg/Pil 2004, S. 209-214. Vgl. Stautner 2001, S. 190-191.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Logistikplanung realisieren zu können. Sie werden dazu auf hybride Systeme, wie in Abbildung 7 dargestellt, zurückgreifen müssen.
3.1.3 Zusammenfassende Thesen Die Ausführungen machen deutlich, dass produktspezifische Aspekte des Automobilvertriebs bei der Gestaltung des Vertriebssystems berücksichtigt werden müssen. Folgende Thesen können zusammengefasst werden: • T-1.1: Die technische Komplexität und die Erklärungsbedürftigkeit von Automobilen nehmen zu und erfordern somit eine enge Abstimmung zwischen, dem Hersteller und den übrigen Elementen des Vertriebssystems. • T-1.2: Die Marke ist elementarer Bestandteil der Automobilkaufentscheidung; demzufolge werden Hersteller der markenspezifischen Gestaltung des Distributionssystems weiterhin besondere Bedeutung beimessen. • T-1.3: Je höher der am Markt angestrebte Markenwert ist, desto größeren Einfluss wird die Markenpolitik des Herstellers auf die Gestaltung des Point-of-Sale (PoS) auszuüben versuchen. • T-1.4: Die Aufnahme und Wieder-Vermarktung von Gebrauchtwagen ist bei der Gestaltung eines Vertriebssystems bzw. eines Geschäftsmodells im Vertriebssystem zu berücksichtigen und ggf. als strategisches Element einzusetzen. • T-1.5: Bei der Distributionssystemgestaltung muss die Orientierung an BtO- respektive BtS-Strategien berücksichtigt werden. • T-1.6: BtO-orientierte Vertriebssysteme sollten eine enge Vernetzung zwischen den Distributionsorganen und der herstellereigenen Absatz- und Distributionsplanung ermöglichen.
3.2 Perspektive Marktstruktur Das Absatzsystem muss sich an die Marktstruktur und dabei insb. an die Kunden anpassen.145 Neben dem unmittelbaren und kurzfristigen Einfluss, den das Verbraucherverhalten auf die Distributionspolitik hat, gibt es demographische und psychographische Marktcharakteristika, die mittel- bis langfristig die Entscheidung im Hinblick auf die Wahl und die Gestaltung des Vertriebssystems beeinflussen.
3.2.1 Kunden im europäischen Automobilmarkt In Europa konkurrieren derzeit weit über 50 Marken um Kunden, allerdings gehören 99% der verkauften Fahrzeuge zu 35 Marken von 16 Konzernen.146 In Abhängigkeit von Kundengruppe, Preissegment, Modell und Marke überwiegt stärker der Preis- oder Leistungswettbewerb.147 Mit dem Ziel einer systematischen segmentspezifischen Marktbearbeitung werden in der Automobilwirtschaft Kundensegmentierungen verwendet. In erster Linie werden damit Entscheidungen bezüglich Produktdesign und Auswahl der Kommunikationsinstrumente getroffen. Im europäischen Automobilvertrieb wird indes weder funktions- noch 145 146 147
Vgl. auch die Überlegungen zur Customer-based view der Unternehmung in Kapitel 4.3.2.5. Quelle: Polk Marketing Systems im Juli 2006 bzgl. Länder der EU. Vgl. u.a. Heß 1997, S. 28; Hilzenbecher 2004, S. 26-27.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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herstellerbezogen ein einheitliches Segmentierungskonzept verwendet. Vielmehr werden je nach Aufgabenstellung kunden-, produkt- (z.B. Preisklassen oder technische Merkmale) oder nutzenbezogene (z.B. Fahrverhalten, Nutzungszeiten) Kriterien der Segmentierung verwendet. Tabelle 3 zeigt eine Auswahl möglicher kundenbezogener Segmentierungskriterien, die in der Automobilwirtschaft Bedeutung haben.148 Institutionell − Privatkunden − Geschäftskunden
Soziodemographisch − Demographie − Sozioökonomie − Geodemographie
− − − − −
Kauf/Informationsverhalten Markenwahl & -treue Produktartenwahl Preisverhalten Mediennutzung Wahl der Einkaufsstätte
Psychographisch − Wahrnehmungen − Kundennutzen − Lifestyle (z.B. Aktivitäten, Interessen, Meinungen) − Persönlichkeit (z.B. Motive, Einstellungen, Wertvorstellungen)
Tabelle 3: Beispiele kundenbezogener Segmentierungskriterien149
Dementsprechend ist auch die Begriffsverwendung bei der Kennzeichnung der Kundengruppen heterogen, Beispiele sind End-, Privat-, Flotten-, Groß- und Geschäftskunden sowie gewerbliche Kunden und Konsumenten.150 Daneben existiert die aus der angloamerikanischen Literatur stammende Unterscheidung in Business-to-Business-Geschäft (B2B)151 und Business-to-Consumer-Geschäft (B2C). Letztere erfasst den z.T. erheblichen Unterschied im Vertrieb an Geschäfts- und Privatkunden. Geschäftskunden Die in Tabelle 4 dargestellten Differenzierungskriterien werden bei der Differenzierung von Geschäftskunden in Literatur und Praxis häufig verwendet und sollen in der vorliegenden Arbeit Anwendung finden. Institutionelle Abgrenzung − Privatwirtschaftliche Unternehmen − Öffentliche Institutionen
Kaufentscheidung − Stark rational und kostenorientiert − Wie Privatkunden
Flottengröße (Einkaufvolumen p.a.) − Kleine Flotte (1-10 Fzg. p.a.) − Mittlere Flotte (11-100 Fzg. p.a.) − Große Flotte (>100 Fzg. p.a.)
Tabelle 4: Differenzierungskriterien für Geschäftskunden
Es sind privatwirtschaftliche Unternehmen und öffentliche Institutionen zu unterscheiden, letztere charakterisieren sich durch stärker formalisierte Kaufentscheidungsprozesse. Weiterhin werden Geschäftskunden bezüglich ihres jährlichen Einkaufvolumens
148
149 150 151
Vgl. Heise 1997, S. 7; Freter/Obermeier 2000, S. 741-742; Beutin/Fürst/Finkel 2003, S. 24-26. Zu allgemeinen Zielen und Nutzen von Marktsegmentierung vgl. z.B. Freter 1983, S. 16ff.; Holland 1999, S. 477-487; Krafft/Albers 2000, S. 515ff.; Wiedmann/Jung 2001, S. 220-227; Specht/Fritz 2005, S. 247-248. Vgl. Heise 1997, S. 193 und Diez 2001a, S. 35ff. Vgl. Kapitel 3.1.6 und Diez 2001a, S. 38; Gutknecht/Lademann/Zenner 2004, S. 51; Splett-Henning 2004, S. 20. Die gelegentlich differenzierte Gruppe Administration soll hier mit der Gruppe Business zusammengefasst werden, weil sich keine relevanten Unterschiede bei dem hier zu Grunde gelegten Forschungsdesign ergeben. Zur Unterscheidung B2A vgl. zu Knyphausen-Aufseß/Meinhardt 2002, S. 29.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
unterschieden. Mit dem Einkaufvolumen steigen i.d.R. die Professionalität der Einkaufsprozesse und die Möglichkeiten der Ausnutzung von Skalenvorteilen.152 Überdies sind Kaufabwicklung und Fahrzeugmanagement während der Nutzungszeit – deutlich stärker als bei Privatkunden – rational, kostenorientiert sowie durch institutionalisierte, professionalisierte Prozesse charakterisiert. Aspekte wie Preis, Reparaturhäufigkeit, Serviceverfügbarkeit, Wertstabilität oder Benzinverbrauch haben tendenziell höhere Bedeutung, als beim Privatkundenkauf. Das Differenzierungsmerkmal „Kaufentscheidung“ ist schwierig zu erfassen und abzugrenzen, aber dennoch von hoher Bedeutung. Geschäftskunden werden von einem Buying-Center153 repräsentiert, deren Ausprägung respektive Kaufentscheidung höchst unterschiedlich ausfallen kann und hier durch zwei Extrema charakterisiert werden soll: • Kaufentscheidung wie Privatkunden: In vielen Fällen sind Fahrzeugnutzer fester Bestandteil des Buying-Centers. Bei sog. User Chooser-Kunden154 wird die Kaufentscheidung im Hinblick auf die Produktwahl stark vom Nutzer des Fahrzeugs getroffen, wie z.B. bei bestimmten Dienstwagen und Leasingfahrzeugen. Die Kaufentscheidung ist in Bezug auf die Bedeutung von Markenimage und -prestige sowie Beratung und Anmutung am PoS ähnlich der Kaufentscheidung von Privatkunden. • Kaufentscheidung stark rational und kostenorientiert: Geschäftskunden, bei denen sich neben Kaufabwicklung und Fahrzeugmanagement auch die Produktwahl durch eine stark rationale und z.T. habitualisierte Kaufentscheidung charakterisieren lässt, sind dem anderen Extremum zuzuordnen. Wie bspw. bei Lieferwagen-, Montage- oder Außendienstflotten, ist der Fahrzeugnutzer selten Teil des Buying-Centers. Zwischen diesen beiden Extrema existieren Geschäftskunden, bei denen die Produkt- und Markenwahl zwar nach stark rationalen Gesichtspunkten verläuft und durch den Nutzer nicht/kaum beeinflussbar ist, jedoch Markenimage und -prestige gezielt zur Motivierung der Fahrzeugnutzer oder zur öffentlichen Präsentation des Unternehmens genutzt werden. Das trifft beispielsweise für Dienstwagenflotten für Außendienstmitarbeiter zu. Zusammenfassend können für das Distributionssystem folgende Charakteristika von Geschäftskunden konstatiert werden:155 • Die Kostenbeurteilung unter Berücksichtigung des gesamten angestrebten Nutzungszeitraums eines Fahrzeugs156 ist deutlicher ausgeprägt, als bei Privatkunden. • Die Nachfrage nach integrierten Dienstleistungsangeboten über das reine Fahrzeug hinaus (z.B. Finanzierung, Versicherung, Wartung, Flottenmanagement etc.) hat sich etabliert. • Geschäftskunden nutzen oftmals die großen Abnahmevolumen, resultierende Einkaufsmacht und pan-europäische Preisunterschiede systematisch aus.157
152 153 154 155 156 157
Zu Skalenvorteilen respektive Economies of Scale, vgl. Christensen 2001, S. 106-107. Vgl. Backhaus 1999, S. 65ff. Vgl. Splett-Henning 2004, S. 79. Vgl. Kiff 2005b, S. 28-32. Total Cost of Ownership. Im Fall von Leasingunternehmen wird diese Einkaufsmacht durch die GVO 1400/02 unterstützt, weil darin die Berücksichtigung als Endkunde – analog Vermietflotten – festgeschrieben ist. Dennoch werden Leasingunternehmen bisher nur vereinzelt hohe Rabatte gewährt, weil Hersteller und Leasingunternehmen um die Preisstabilität im Markt fürchten.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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• Geschäftskunden können bestimmte Elemente des Kaufprozesses gepoolt und professionalisiert abwickeln. • Professionelle Flottenbetreiber treten immer häufiger als Händler für junge Gebrauchtwagen auf und bieten Fahrzeuge gezielt als Substitutionsprodukt für Neuwagen an. Eine Geschäftskunden-spezifische Anpassung der Geschäftsprozesse auf Anbieterseite liegt nahe, jedoch ist die Gestaltung des Distributionssystems traditionell stark von PrivatkundenBedürfnissen beeinflusst. Es bleibt zu klären, in welchem Umfang zukünftig Geschäftskunden-spezifische Distributionsorgane entstehen, welche einerseits spezifische Bedürfnisse von User Choosern und andererseits Anforderungen von prozess- und kostenoptimiert arbeitenden Buying-Centern befriedigen können. Privatkunden Privatkunden unterscheiden sich von Geschäftskunden durch die eher konsumtive Fahrzeugnutzung und die stärkere Berücksichtigung nicht-rationaler Entscheidungsparameter beim Automobilkauf. UNGER ermittelte empirisch, dass beim privaten Erstkauf eine stark extensive Kaufentscheidung vorliegt, die sich geringfügig in Richtung einer limitierten Kaufentscheidung beim wiederholten Kauf entwickeln kann.158 In der Praxis hat die von UELZHÖFFER/FLAIG entwickelte Milieu-Segmentierung besondere Bedeutung erlangt. Unter der Annahme, dass besonders in reifen, postmodernen Konsumgesellschaften die sozialkulturelle Identität des Verbrauchers bei der Wahl von Marken, Produkten oder Dienstleistungen hohen Einfluss hat, werden unter folgenden Prämissen mit Hilfe psychographischer Kriterien sozialästhetische Segmente identifiziert. Die soziale Gesellschaftsstruktur lässt sich nicht mehr in erster Linie über schichtbezogene Variablen beschreiben, vielmehr haben „alltagsästhetische Beziehungswahlen“ der Menschen sowie deren Wertorientierungen hohe Aussagekraft über die Gesellschaftsstruktur. Es lässt sich eine „sozialästhetische Segmentierung“ durch soziale Milieus ableiten. Die Milieus bilden charakteristische Lebensorientierungen, Lebensziele, Wertorientierungen und Einstellungen durch den integrierten Einsatz subjektiver und objektiver Merkmale ab. Soziale Milieus sind in ihrer Abgrenzung unscharf, zugleich jedoch zeitlich stabil. Dabei wird unterstellt, dass Individuen im Rahmen „subjektiver alltagsästhetischer Beziehungswahlen“ u.E. Einfluss auf die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus nehmen können.159 Die Operationalisierung dieses Ansatzes i.S. eines gesellschaftlichen Strukturmusters, erfolgt über die Abbildung der sozialen Milieus in einem zweidimensionalen Raum. Wie in Abbildung 8 werden bzgl. des Automobilvertriebs die soziale Lage (i.S.v. Preis-Premium-Bereitschaft bzw. Zahlungsbereitschaft für ein Fahrzeug) und die subjektive Wertorientierung (i.S.v. Einstellungen, Werten, Lifestyle und Geschmack, die sich im Automobilkauf niederschlagen) abgebildet. 158 159
Vgl. Unger 1998, S. 59ff. Vgl. Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997, S. 11-32, 44-50; Heise 1997, S. 251ff.; Ueltzhöffer 1999, S. 4-7; Pepels 1999, S. 488-524; Diez 2001a, S. 45-48; Hoyer/MacInnis 2001, S. 331-342; Wecker 2004, S. 132ff. und S. 168; Ascheberg/Arnold 2005, S. 19-23; Rickens 2006, S. 84-91. Einen alternativen, konzeptionell ähnlichen, jedoch weniger populären Ansatz bieten ZANGER/BAIER/GAUS an. Vgl. Zanger/Baier/Gaus 2004, S. 208ff.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Insofern wird „der in der Alltagswirklichkeit multidimensionale Raum […] auf die beiden modellkonstitutiven Dimensionen […] reduziert“160. Social Status / Upper Price Class Upper Premium Middle Divider Class (PreisPremium- Middle Bereit- Class schaft) Lower Middle Class
Upper Conservative (7,6%) Traditional Mainstream (14,4%)
Upper Liberal (9,4%) SocioCritical (3,3%)
Social Climber (10,9%) Conventional Modern Mainstream (10,9%)
Traditional Blue Collar (9,2%)
Lower Class
Underprivilidged (10,7%)
Traditional
Modern
Postmodern (7,1%)
Progressive Modern Mainstream (9,3%) Counter Culture (7,4%)
Postmodern
Aesthetics Divider (Automobil-bezogene Wertorientierung) Abbildung 8: SIGMA-Milieus Europa 2005161
3.2.2 Trends im Automobilmarkt Ähnlich wie in anderen Branchen ist der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt im europäischen Automobilvertrieb bereits vollzogen. Die Frage nach den „wahren“ Kundenwünschen wird kontrovers diskutiert.162 Indessen wird nahezu einhellig die Meinung vertreten, dass die Veränderung des Kundenverhaltens bzw. der Kundenbedürfnisse einen wichtigen Treiber für die Entstehung und Durchsetzung neuer Absatzkanäle bzw. neuer Distributionsorgane im Automobilvertrieb darstellt.163 Zunächst sollen relevante Entwicklungen in der Kundenstruktur aufgezeigt werden, bevor das Kundenverhalten und Kundenbedürfnisse behandelt werden.
160
161 162
163
Ueltzhöffer 1999, S. 9. Die Gesellschaften in den Mitgliedsländern der EU unterscheiden sich z.T. deutlich, folglich liegt auch für jedes Land eine andere Milieuverteilung der Privatkunden vor. Trotz unterschiedlicher sozialästhetischer Fragmentierung der einzelnen Länder lassen sich für den europäischen Automobilvertrieb transnationale Milieusegmente identifizieren. Vgl. Ueltzhöffer 1999, S. 8. Vgl. Ascheberg/Arnold 2005, S. 21. Vgl. u.a. Diez 1999, S. 32ff.; Betz 2003, S. 4; Jullens/Smend 2003, S. 98; Beutin/Finkel/Fürst 2003, S. 66-67; Wecker 2004, S. 7; Splett-Henning 2004, S. 62-72. Bei der Erfassung des Wandels im Konsumentenverhalten können zwei Strömungen identifiziert werden: Zum einen wird die Analyse, Auswertung und Extrapolation aktueller Kundendaten aus allen Distributionsstufen verfolgt. Zum anderen wird dieses Vorgehen um prognostische Verfahren der Trendforschung ergänzt, was u.E. die Antizipation des Kundenverhaltens in der Zukunft zulässt. Vgl. Meffert 2000b, S. 151. Vgl. Schögel/Tomczak 1999, S. 12; Schögel/Birkhofer/Tomczak 1999, S. 288; Meffert 2000b, S. 151; Betz 2003, S. 2; Smend 2004, S. 173.
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3.2.2.1 Kundenstruktur Bedingt durch rückläufige Geburtenraten und medizinischen Fortschritt steigt das Durchschnittsalter europäischer Fahrzeugnutzer, somit gewinnen ältere Kunden eine höhere Bedeutung als relevante Zielgruppe – ein Trend, der auch als Altersbeben bezeichnet wird.164 Neben einem angepassten Produkt- und Dienstleistungsangebot, müssen auch Absatzsysteme dieser Entwicklung Rechnung tragen und die Ansprüche der „Jungen Alten“ bedienen. Durch den demographischen Wandel werden die Gesellschaften große Anstrengungen bezüglich des Umbaus der Sozialsysteme unternehmen müssen. Der finanzielle Spielraum der jüngeren Bevölkerung wird dadurch sinken.165 Gleichzeitig ist eine Polarisierung der Einkommen sowie Verlust mittlerer Einkommensgruppen festzustellen.166 Ein weiterer Trend zeigt sich in sinkenden Haushaltsgrößen: Der steigende Anteil an SingleHaushalten und die damit verbundene Individualisierung und Flexibilisierung der Lebensmodelle spiegelt sich in veränderten Bedürfnissen wider. Beispiele sind das Bedürfnis nach längeren Öffnungszeiten, die flexibilisierte Fahrzeugnutzung, ständige Kostentransparenz oder der häufigere Fahrzeugwechsel. Das Bedürfnis nach schnellem Fahrzeugwechsel zeigt sich in der Suche nach Mobilitätskonzepten ohne langfristige monetäre Bindung und flexibler Fahrzeugwahl, was für die Bildung adaptierter Vertriebskonzepte spricht.167 Neben Veränderungen im Privatkundengeschäft ist seit einiger Zeit eine Verschiebung des Absatzschwerpunktes von Privatkunden zu Geschäftskunden sichtbar. Der Anteil an Geschäftskunden am Neuwagenverkaufsvolumen steigt in den letzten Jahren stetig.168 Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig: Privatkunden decken ihre Mobilitätsbedarfe vermehrt durch Fahrzeuge des Arbeitgebers bzw. Dienstwagen, Privatkunden substituieren stärker als früher den Kauf eines Neuwagens durch einen jungen Gebrauchtwagen, Privatkunden setzen vermehrt auf nutzungs- anstatt besitzorientierter Mobilität z.B. durch Leasing oder andere Finanzierungsformen, so dass der Finanzdienstleister Erstbesitzer des Fahrzeugs wird. Darüber hinaus betreiben Geschäftskunden professionelleres Fahrzeugmanagement. Fahrzeuge werden nach spätestens vier Jahren durch neue ersetzt.169 Mit der Verschiebung des Schwerpunktes gewinnen Geschäftskunden stärker an Bedeutung und bewirken einen intensiveren Wettbewerb um diese Kundengruppe.
164 165 166 167 168
169
Vgl. u.a. Meffert 2000b, S. 152; Roloff 2005, S. 13-16. Vgl. o.V. 2003b, S. 45; Dietz 2004, S. 193ff. Vgl. u.a. Mattes et al. 2004, S. 18. Vgl. Dreier 1999, S. 24. Vgl. Splett-Henning 2004, S. 13ff. In Deutschland wurden bspw. 2004 46% der Fahrzeuge an Privat- und 54% an Geschäftskunden vertrieben. Vgl. John 2005e, S. 12. Der Vertrieb an Geschäftskunden macht in Frankreich derzeit ca. 41% in Italien 26% in Spanien 24% und im UK 51% des Gesamtmarktvolumens aus. Vgl. Bozon/Kiff 2004, S. 6. Vgl. Bozon/Kiff 2004, S. 6; John 2005e, S. 12; Kiff 2005b, S. 12-16. Dieser Trend hat für die weit entwickelten, westeuropäischen Märkte der EU besondere Bedeutung.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
3.2.2.2 Kundenverhalten und Kundenbedürfnisse „Während in der Automobilindustrie bisher von einem eher rationalen Informations- und Kaufentscheidungsprozess ausgegangen wurde, zeichnen sich in den letzten Jahren […] kundenseitig zahlreiche Veränderungen ab: hoher Informationsgrad über das Angebot am Markt und über die Produkte, breiter Erfahrungsschatz, ausgeprägtes Preisbewusstsein, impulsives Kaufverhalten, Erlebnisorientierung sowie großes Bedürfnis nach individuellem und für Dritte erkennbarem Lebensstil.“170 Zum einen können diese und andere Trends i.S. einer Fragmentierung bzw. Individualisierung der Bedürfnisse unterschiedlichen Kundengruppen zugeordnet werden. Zum anderen kann zugleich hybrides und zum Teil sogar multioptionales Kundenverhalten beobachtet werden.171 MEFFERT/GILOTH visualisieren diese branchenübergreifend sichtbare Entwicklung mit Abbildung 9 und weisen dabei besonders auf die abnehmende Prognosesicherheit des Konsumentenverhaltens hin.172 Prognosesicherheit ? paradoxer Konsument
Handlungsprinzip
? gering
mehrdimensional bi-polar ein-dimensional
mittel hoch
konsistenter Konsument einheitlich
multioptionaler Konsument
hybrider Konsument
differenziert
divergierend
Auswahlverhalten
?
Abbildung 9: Wandel im Konsumentenverhalten173
Damit ergeben sich nicht nur mehrere Kundensegmente, welche stärker als früher voneinander abgegrenzt, erforscht und bedient werden müssen. Der individuelle Kunde ist zudem weniger zeitstabil einem bestimmten Segment und somit einer Bedürfniskonstellation zuzuordnen. Individuelle Ansprüche, Suche nach Orientierung und Selbstverwirklichung Fahrzeuge und die von ihnen repräsentierten Marken werden zur Darstellung individueller Persönlichkeit genutzt und tragen gleichsam zur Orientierung der Konsumenten bei. Ausgangspunkt ist die Abkehr von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten, die sich in idealistischer Gesellschaftskritik, Hedonismus und Individualismus zeigen.174 Diesen Wertewandel versuchen Hersteller mit der Bildung von Marken und der Erzeugung von Markenerlebnissen aufzugreifen. Die Kommunikation von Marken wird daher 170 171 172 173 174
Schögel/Sauer 2002, S. 93. Vgl. Schüpperhauer 1996, S. 6ff.; Wiedmann/Jung 2001, S. 211-212; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 925; Mattes et al. 2004, S. 18-20; Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 3-4; Otto 2006, S. 489. Vgl. Meffert/Giloth 2002, S. 120f. Vgl. ebenda, S. 120. Vgl. Klages 1985, S. 18; Meffert 2000b, S. 155; Gräßler 2000, S. 5-8; Mattes et al. 2004, S. 18.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
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auch in Zukunft ein wichtiger Teil des Automobilvertriebs sein. Die Abbildung und Inszenierung von identitätsstiftenden Produkt- und Markenwelten kann sich in Zukunft auch in der Gestaltung der Distributionsorgane stärker herausbilden. Die stärkere Individualisierung des Produkt- und Dienstleistungsangebots stellt insofern ein wichtiges Differenzierungsmerkmal für zukünftige Vermarktungskonzepte an Privatkunden dar. Stärkere Preisorientierung Die Penetration moderner IuK-Technologie führt zu einem höheren Informationsstand der Kunden. Eine hohe Preis- und Markttransparenz der Kunden führt zu Verbesserung ihrer Verhandlungsposition, so dass die Anbahnungskosten preisorientierter Kunden bei der Suche nach dem günstigsten Angebot sinken.175 Diese Entwicklung trifft auf eine generell stärkere Preisorientierung von Privatkunden. • Arten von Preisorientierung: Ein Grund ist die stagnierende oder nur schwach ansteigende Entwicklung realer Einkommen breiter Bevölkerungsschichten in Verbindung mit dem Wunsch bestehende Konsumstandards zu halten. Dies führt bei Privatkunden zu Preisorientierung, die unterschiedlich ausgeprägt sein kann.176 Die von PABST/BRAMBACH für die Modebranche genutzte Matrix in Abbildung 10, ist auch für den Automobilvertrieb anwendbar.177 Im Sinne einer Individualisierung und Fragmentierung des Kundenverhaltens im Zusammenhang mit weiterer Polarisierung der Einkommen ist zukünftig verstärktes Smart-Shopping-Verhalten einiger Kundensegmente zu erwarten, während andere Segmente weiterhin als klassische Markenkäufer einzuordnen sind. Markenorientierung stark
Preisorientierung
schwach
Smartshopper
Schnäppchenjäger
schwach
stark
„klasssicher Markenkäufer“
„desorientierter Bedarfskäufer“
Abbildung 10: Konsumentenklassifikation nach MEER 1995178
• Global Cheap: Ein weiterer Erklärungsansatz für eine verstärkte Preisorientierung berücksichtigt zwei alternative Handlungsmotive von Privatkunden: Zum einen resultiert die Reduzierung der Konsummitte, in preissensibleren Verhalten der Mehrheit der Bevölkerung. Zum anderen zeigen Konsumenten, die sich mehr leisten könnten, als Reaktion auf den Kaufkraftverlust der Bevölkerungsmehrheit gezielt Understatement bzw. „selektive Bescheidenheit“ als Teil ihrer Persönlichkeitsdarstellung.179 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nicht nur im B2B-Geschäft sondern auch im klassischen B2C-Geschäft Entscheidungsfaktoren wie günstige Preise, Cost-of-Ownership, 175 176 177
178 179
Vgl. Dreier 1999, S. 122; Bünger et al. 2004, S. 2-3. Allgemeine Kritik dieser These bei Rese/Gräfe 2002, S. 351-352. In diesem Zusammenhang wird auch von Anspruchsinflation bei gleichzeitig sinkender Preisbereitschaft der Kunden gesprochen. Vgl. Diez, W. (1999), S. 42; Mattes, B. et al. (2004), S. 14 und, S. 18-20. Vgl. Pabst/Brambach 1999, S. 166; Diez 1999, S. 42-45; Meffert 2000b, S. 153; Meckes 2004, S. 516. Desorientierte Bedarfskäufer existieren im Automobilvertrieb kaum, das Schnäppchenjäger-Verhalten ist indes zu beobachten. Vgl. Pabst/Brambach 1999, S. 166. Vgl. Dreier 1999, S. 24.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
kalkulierbare Dienstleistungsangebote und Mobilitätsgarantien an Bedeutung gewinnen werden. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Preisorientierung werden daher eine entsprechende Differenzierung von Distributionsorganen weiter fördern. Variety Seeking und abnehmende Loyalität Automobile sind für Privatkunden High-Involvement-Güter. Durch den Rückgriff auf vertraute Absatzkanäle wird versucht, das wahrgenommene Kaufrisiko zu kompensieren. Aufgrund erhöhter Informationstransparenz bei steigender „Kauf- und Gebrauchserfahrung“ sinkt jedoch das wahrgenommene Risiko und der Wechsel des Vertriebskanals wird erleichtert. Im Automobilvertrieb wird abnehmende Loyalität gegenüber Marken und Einkaufsstätten bei Privatkunden und Geschäftskunden beobachtet.180 PETER weist gleichsam für den Automobilvertrieb eine stärkere Ausprägung des sog. Variety-Seeking-Verhaltens bei Privatkunden nach. Variety Seeking bezeichnet das Wechseln von Marken und/oder Einkaufsstätten – trotz Zufriedenheit – aufgrund von Neugier oder Langeweile.181 D.h. der Kunde verhält sich über die Zeit instabil und unvorhersehbar, wobei das Angebot nur eingeschränkt auf diese Verhaltensänderung Einfluss hat. Die Abnahme der Kundenloyalität gegenüber Marken und Einkaufsstätten sowie das VarietySeeking-Verhalten unterstützen die Bildung neuer Distributionsorgane. In Verbindung mit Trends wie Preisorientierung, Variety Seeking, Individualisierung und Dienstleistungsorientierung kann abnehmende Loyalität zu sog. Channel Hopping-Verhalten182 führen – also die bewusste Ausnutzung des Multikanal-Angebots über den gesamten Kaufprozess. Dementsprechend leitet sich die Herausforderung für Hersteller ab, die Vorteile spezifisch gestalteter Absatzkanäle gegenüber dem Kunden herauszustellen und zugleich eine kanalübergreifende Steuerung und Kundenbindung i.S. eines kombinierten oder integrierten Multikanalansatzes zu erreichen.183 Convenience-Orientierung Mit dem Begriff Convenience Shopping wird meist die steigende Nutzung von bequemen und ständig verfügbaren Distributionsorganen wie z.B. Tankstellen, Kiosken oder E-Commerce beschrieben. Dieses Verhalten wird mit der Zunahme von Einpersonenhaushalten sowie der von Kunden wahrgenommenen Zeitverknappung erklärt. An Convenience-orientierten Einkaufsstätten können verhältnismäßig hohe Preisbereitschaften ausgeschöpft werden.184 Der Trend des „Kaufens-im-Vorbeigehen“ hat sich im Automobilkauf bisher nicht durchgesetzt, weil es sich um ein typisches High-Involvement-Gut handelt. Für die Entwicklung 180 181 182 183 184
Vgl. Landmann 1999, S. 78; Diez 1999, S. 41; Smend 2004, S. 173; Landmann 2004, S. 27; Böhme 2006, S. 47. Vgl. Peter 2001, S. 99ff.; Bänsch 1995, S. 344; Brandt/Heise 2002, S. 38; Mattes et al. 2004, S. 14 und 18-20; Schögel/Tomczak 1999, S. 15; Meffert 2000a, S. 852; Dreier 1999, S. 25. Vgl. Nunes/Cespedes 2003, S. 96ff.; Smend 2004, S. 61 und, S. 208; Wirtz/Schilke/Büttner 2004, S. 48; Kracklauer/Wagemann 2004, S. 133. Vgl. Wirtz/Büttner/Schwarz 2003, S. 70. Vgl. Schögel/Tomczak 1999, S. 15; Meffert/Giloth 2002, S. 114f.; Swoboda/Schwarz 2006, S. 399.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
41
innovativer Distributionsorgane sind im Automobilvertrieb indes ähnliche Entwicklungen für ausgewählte Teile des Kaufprozesses denkbar: So hat sich bereits heute das Internet in der Vorkaufphase z.B. zur Sammlung von Vergleichsinformationen etabliert.185 Außerdem kann bspw. die Zunahme sog. Fast-Fit-Angebote im Servicegeschäft mit diesem Konsumtrend erklärt werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit zukünftig ebenfalls flexible Mobilitätsangebote i.S.v. Verfügungsrechten über Fahrzeuge, innovativen Leasingangeboten oder den Automobilkauf flankierende (Finanz-) Dienstleistungen über Convenience-Geschäftsmodelle vertrieben werden, die Annehmlichkeit, Bequemlichkeit und Verfügbarkeit als unique selling proposition (USP) definieren.186 Emotionalisierung und Erlebnisorientierung Für einige Privatkundengruppen wird eine Veränderung des Konsums von reiner Versorgung zu einem Element der Freizeitgestaltung konstatiert.187 Der Automobilkauf ist für Privatkunden i.d.R. weit mehr als nur die Abholung eines Guts zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen. So wird ein Trend zu stärkerer Nachfrage nach Erlebnismarketing-Angeboten188 sowie Lifestyle- und Markeninszenierung prognostiziert. Einige Schritte des Kaufprozesses werden durch die Kunden bewusst zelebriert. Beispiele sind die Informationssuche im Rahmen von Events der Absatzorganisation oder die inszenierte Fahrzeugabholung am Produktionsstandort.189 Eng mit der Erlebnisorientierung ist auch die Emotionalisierung von Marken verbunden. BRANDT/HEISE konstatieren erhebliche Schwächen an der unmittelbaren Schnittstelle zum Nachfrager, da beim Absatzmittler vielfach ein diffuses Markenbild vorherrscht.190 Insbesondere für Automobilmarken mit Premiumanspruch ist daher die Gestaltung der Distributionsorgane auf Einzelhandelsebene im Hinblick auf Emotionalität und Erlebnisorientierung von hoher Bedeutung. Dabei ist auf die Kongruenz zwischen inszenierter Marken- bzw. Erlebniswelt und Kunden-Lifestyle zu achten. Aufgrund zunehmender Fragmentierung der Kundensegmente ist dies kaum mit Hilfe eines einzigen Geschäftsmodells für alle Distributionsorgane auf Einzelhandelsebene zu bewältigen.
3.2.3 Zusammenfassende Thesen Folgende Thesen können bzgl. Privat- und Geschäftskunden abgeleitet werden: 185 186 187 188
189
190
Vgl. Kapitel 5.2.9; Diez 2000b, S. 22f.; Meinig/Mallad 2001, S. 161ff.; Bartholatus 2002, S. 60; Betz 2003, S. 282; Reindl 2004a, S. 12. Vgl. u.a. Seidel/Richter 1999, S. 202ff.;Betz 2003, S. 283; Reiner 2004, S. 66f. Vgl. Meffert/Giloth 2002, S. 115; Meckes 2004, S. 516; Otto 2006, S. 490. Unter Erlebniswert wird der durch die Kommunikation oder Einkaufsstätte vermittelte, subjektiv erlebte Beitrag zur Lebensqualität des Konsumenten verstanden. Vgl. Weinberg 1995, S. 607; Meffert/Wöllenstein/Burmann 1996b, S. 189; Dreier 1999, S. 24. Veranstaltungen in Autohäusern oder an öffentlichen Orten werden gezielt genutzt, um Kunden (nebenbei) über das Produkt- und Dienstleistungsangebot zu informieren. Vgl. Thiemer 2004, S. 104-120; Mehl/Hans 2003, S. 60. Die Marken Mercedes Benz, BMW, Audi, Volkswagen bieten die inszenierte Übergabe der Fahrzeuge in sog. Brandlands. Viele Autohäuser zelebrieren die Fahrzeugübergabe in spezifischen Räumen mit einem festgelegten (Show-)Programm. Vgl. Brandt/Heise 2002, S. 39.
42
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
• T-2.1: Die Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen – insb. Privat- und Geschäftskunden – müssen differenziert betrachtet werden. • T-2.2: Sowohl bei Privat-, als auch bei Geschäftskunden findet eine stärkere Preisorientierung statt. Dabei spielen unterschiedliche Ausprägungen und Motive eine Rolle. • T-2.3: Kunden verfügen über eine verbesserte Verhandlungsposition aufgrund von erhöhter Preis- und Markttransparenz, wodurch der durchschnittliche erzielbare Verkaufspreis sinken wird. • T-2.4: Die Loyalität von Privat- und Geschäftskunden gegenüber Marken und Einkaufsstätten nimmt ab. • T-2.5: Es findet eine Individualisierung und Fragmentierung von Privat- und Geschäftskunden-Bedürfnissen statt. Nachfolgend sind Thesen zusammengestellt, die Privatkunden gelten: • T-2.6: Das durchschnittliche Alter der Kunden steigt und damit die Nachfrage nach altersspezifischen Produkt- und Dienstleistungsangeboten. • T-2.7: Die Polarisierung des Kaufverhaltens bzw. die Trennung von Premium- und Niedrigpreiskäufern führt zur Etablierung spezialisierter Distributionsorgane. • T-2.8: Die Nachfrage nach Mobilitätskonzepten ohne langfristige finanzielle Bindung mit ständiger Kostentransparenz und flexibilisierter Fahrzeugnutzung steigt. • T-2.9: Die Markeninszenierung gewinnt an Bedeutung. • T-2.10: Die Nachfrage nach Inszenierung und Zelebrierung bestimmter Abschnitte des Kaufprozesses hält an. • T-2.11: Channel Hopping nimmt über den gesamten Kaufprozess zu. • T-2.12: Smart-Shopping-Verhalten nimmt zu. • T-2.13: Variety-Seeking-Verhalten gewinnt an Bedeutung. • T-2.14: Convenience-Orientierung gewinnt an Bedeutung. • T-2.15: Prestige-Shopping-Verhalten von Privatkunden nimmt zu. Im Folgenden sind Thesen zum Vertrieb an Geschäftskunden zusammengestellt: • T-2.16: Einige Geschäftskunden nutzen Skaleneffekte aus, indem bestimmte Elemente des Kaufprozesses zusammengefasst und professionalisiert abgewickelt werden. • T-2.17: Das Buying-Center einiger Geschäftskunden wird bzgl. Produkt-, Service und Dienstleistungsbedürfnissen stark durch den Fahrzeugnutzer (User-Chooser) beeinflusst. • T-2.18: Geschäftskunden mit großen Abnahmevolumen verfügen potenziell über größere Einkaufsmacht und können diese im pan-europäischen Sourcing ausnutzen.
3.3 Perspektive Distributionssystem Im vorliegenden Kapitel werden allgemeine Charakteristika von Markt, Vertriebssystem und Wettbewerb thematisiert. Als Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der DSG sind besonders absatzmittlerbezogene Aspekte zu berücksichtigen. Indes werden nur marktübergreifende Entwicklungen aufgezeigt – spezifische Aussagen zu den Distributionsorganen folgen in Kapitel 5.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
43
3.3.1 Distributionssysteme im Automobilvertrieb Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in den osteuropäischen Ländern der EU, stagniert das Gesamtmarktvolumen. Unterdessen wächst die Anzahl der im Markt verkauften unterschiedlichen Marken, Modelle und Fahrzeugvarianten. Das Umsatzvolumen der Branche wurde im Jahr 2000 auf ca. €1.300 Mrd. geschätzt. Abbildung 11 zeigt, dass sich das größte Renditepotenzial im Downstream-Geschäft befindet.191 Rendite1
8%
FlottenService Vermietung Management Teilemarkt Leasing Versicherung
Upstream-Wertschöpfung Downstream-Wertschöpfung 1: in % vom Umsatz
Zuliefer6% geschäft
Finanzierung
4% Gebrauchtwagen
2%
Neuwagen Hersteller
0%
0
200
400
600
Umsatz
800
1.000
1.200
1.400
Abbildung 11: Umsatz- und Renditepotenzial in Europa192
Abbildung 12 zeichnet für den deutschen Automobilvertrieb im Jahr 2004 ein ähnliches Bild: In Europas umsatzstärkstem Markt liegt der größte Profitanteil in Geschäftsfeldern, die dem Neuwagenkauf nachgelagert sind. Mit abnehmender Tendenz entfallen drei Viertel des Profits auf von Herstellern kontrollierte bzw. stark beeinflusste Marktsegmente.193 Unterdessen stehen die Hersteller trotz vielfältiger Kooperationen und Konzentrationsbewegungen relativ hohen Vermarktungskosten gegenüber. Derzeit fällt rund ein Drittel der Kosten eines Fahrzeuges für Vertrieb und Marketing an: 13% entfallen auf die Handelsmarge, 4% auf die Logistik, 3% auf Betreuung der Distributionsorgane und 9% auf allgemeine Werbemaßnahmen.194
191 192 193 194
Vgl. o.V. 2003a, S. 5; Diez 2004b, S. 674; Joas/Bosch/Bentenrieder 2005, S. 4-5. Vgl. o.V. 2003a, S. 5. Vgl. Joas/Bosch/Bentenrieder 2004, S. 4-5; Diez 2004b, S. 674. Vgl. Jullens/Smend 2003, S. 97; Lademann/Gutknecht 2004, S. 54; o.V. 2003c, S. 10. Angesichts der hohen Vertriebskosten können Automobilhersteller zwischen einer aktiven Vertriebsstrategie, mit gleichzeitiger Erschließung größtmöglicher Renditepotenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette, und einer Strategie des Rückzugs auf Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen wählen. Ein Beispiel für eine Rückzugsstrategie gibt es indes bisher nicht, lediglich einige Zulieferer (z.B. Karmann oder Valmet) verfolgen seit Jahrzehnten eine Strategie der reinen Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen für andere Automobilhersteller. Im Folgenden wird eine Strategie der aktiven Vertriebsoptimierung unterstellt.
44
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Neuwagen (5%1)) Finanzdienstleistungen3) (36%1))
Gebrauchtwagen6) (1%1)) 41%2)
41%2) 100%2)
Marktanteil
100%
Teile4) und Zubehör5) (58%1)) 12%2)
0%
88%2) 59%2)
59%2)
Anteil am Gesamtprofit ( €4,1 Mrd.)
Legende: 1) Anteil am Gesamtprofit 2) Marktanteil in Deutschland 2004 3) Leasingraten und Zinserträge aus Neu- und Bestandsgeschäft 4) inkl. Lacke und Autoglas, ohne Schmierstoffe, Reifen und Löhne 5) ohne Tuning und Löhne 6) inkl. Händlergeschäft
100%
Profit des von OEMs dominierten Marktes ¦ 3,2 Mrd. € (78%) Profit des freien Wettbewerbs ¦ 0,9 Mrd. € (22%)
Abbildung 12: Systemprofit in Deutschland 2004195
Die Mehrheit der in Europa vertriebenen Neuwagen wird über selbständige Absatzmittler – i.d.R. Vertragshändler – angeboten. Automobilhersteller haben in der EU rund 44.000 Verträge mit Absatzmittlern, die ca. 73.000 Verkaufsstellen betreiben.196 Der daraus resultierende theoretische Machtüberhang weniger Hersteller gegenüber vielen Absatzmittlern, wird durch Konzentrations- und Konsolidierungsentwicklungen197, die GVO 1400/02 und andere rechtliche Bestimmungen relativiert. Die zu Grunde liegenden vertraglichen Bindungen sind sehr unterschiedlich, sichern dem Hersteller dennoch vergleichsweise hohe Einflussmöglichkeit auf den Absatzmittler. Herausragende Merkmale sind die regelmäßige Verpflichtung auf jährliche Absatzvolumina, die Vorschrift diverser Gestaltungsmerkmale des Handelsbetriebs, wie bspw. Investitionsstandards sowie die Verpflichtung zum Bezug bestimmter Anzahlen an Lager- und Vorführfahrzeuge.198 Demgegenüber erwächst aus der hohen Kundennähe und des nur eingeschränkten Austauschs von Kundendaten mit dem Hersteller – ein wichtiges Machtpotenzial für den Vertragshandel.
3.3.2 Trends im Distributionssystem Als stärkste Treiber struktureller Veränderungen im Automobilvertrieb bestimmt eine Expertenbefragung aus dem Jahr 2003 den Wettbewerbs- und Kostendruck der Hersteller
195 196 197
198
Vgl. Joas/Bosch/Bentenrieder 2004, S. 5. Vgl. Wade/Brown 2005, S. 16. Einem großen Anteil kleiner, mittelständischer und eher finanzschwacher Vertragshändler mit einem durchschnittlichen Absatzvolumen von unter 200 Fahrzeugen p.a. steht ein ständig wachsender Anteil Handelsgruppen gegenüber, die relativ große Absatzvolumen auf sich vereinigen können und somit ein wesentlich größeres Machtpotenzial gegenüber den Herstellern besitzen. Vgl. Kapitel 3.3.2. Dadurch sind Hersteller bisher in der Lage Stock-Push-Strategien zu verfolgen. Vgl. Kapitel 3.2.2.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
45
sowie den Umsatzdruck im Automobileinzelhandel.199 Darüber hinaus sehen sich die Akteure auf Einzelhandelsebene einem starken Intra- und Interbrandwettbewerb ausgesetzt, welcher auch in Zukunft zu ertrag- und potenziell imageschädigendem Preiswettbewerb führen wird. Demzufolge ergibt sich angesichts eines weitgehend gesättigten Marktumfeldes Handlungsdruck für die Hersteller, ihre Profitbasis weiter zu verbreitern sowie i.S.v. „Lean Distribution“200 den Neuwagenvertrieb profitabler und attraktiver zu gestalten. Hersteller versuchen, das gewachsene dreistufige Distributionssystem zu verändern, um den Kontakt zum Kunden besser kontrollieren, die systemimmanenten Kosten senken und Marktanteile ausbauen zu können.201 Währenddessen suchen Vertragshändler vor dem Hintergrund sinkender Profitabilität des klassischen Vertragshandels nach alternativen Umsatzquellen und (Synergie-) Potenzialen zur nachhaltigen Kostensenkung. Tabelle 5 zeigt zu diskutierende Trends in der Übersicht. − − − − − − −
Strukturwandel Konsolidierung Konzentration Preisdruck Downstreambusiness und neue Wettbewerber Franchise Attractiveness Mehrere Absatzkanäle Neue Geschäftsmodelle
Professionalisierung − Ausnutzung von Synergiepotenzialen − Markenmanagement − Customer Relationship Management
Tabelle 5: Veränderungen im Distributionssystem
3.3.2.1 Strukturwandel Konsolidierung Seit den 1990er Jahren findet ein stetiger Konsolidierungsprozess der Vertragshandelsnetze statt, der seitens der Hersteller über „quantitative Ausdünnung und qualitative Straffung“202 beeinflusst wird. Unterstützt wird diese Entwicklung durch die GVO 1400/02, die obligatorische Verbindung von Neuwagenverkauf und Service in einem Handelsvertrag verbietet, gerät das dahinter liegende traditionelle Quersubventionssystem unter Druck – Abbildung 13 stellt diesen Zusammenhang in Anlehnung an TONGUE/WHITEMAN dar.203 In den saturierten europäischen Märkten wurden vor der GVO 1400/02 mit dem Neuwagenvertrieb meist geringere Profite erwirtschaftet als mit Werkstattservice und Ersatzteilhandel.204 Demgegenüber ermöglichten die Bereiche Service und Ersatzteile eine Quersubvention des Neuwagenvertriebs. Die obligatorische Bindung von Vertrieb und Service sowie die Kontrolle der Servicenetze durch den Hersteller unterstützten gleichsam die Kundenbindung zum Vertragshändler und zur jeweiligen Marke. Daraus konnte sich ein 199 200 201 202 203 204
Vgl. Smend 2004, S. 173. Jensen 2001, S. 60. Vgl. Jullens/Smend 2003, S. 96-97; Landmann 1999, S. 78; Tongue/Whiteman 2003a, S. 13-19. Meinig 2004a, S. 438. Vgl. Schögel/Sauer 2002, S. 95f. Vgl. Tongue/Whiteman 2003a, S. 19-23; Kapitel 3.5.1.4. In Deutschland trug der Service 2003 nur ein Fünftel zum Umsatz, jedoch zwei Drittel zum Gewinn bei. Vgl. John 2004b, S. 31; John 2004a, S. 18; Abbildung 12.
46
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
robustes Quersubventionssystem etablieren, welches trotz geringer Profite des Absatzmittlers im Neuwagengeschäft, hohe Kundenbindung und Stock-Push-Strategien der Hersteller ermöglichte. Geringe Profite
Hohe Margenrelevanz
„Volume Push“
Neuwagenvertrieb
Kunde Service und Ersatzteile Kundenbindung Quersubvention
Kontrolle der Anzahlen
Bindung zum Handel
Quersubvention
Hohe Profite
Folge
Abbildung 13: Quersubvention vor der GVO 1400/02205
Mit der GVO 1400/02 hat der Hersteller keinen Einfluss mehr auf Anzahl und Verteilung von Servicebetrieben. Durch Wettbewerb provozierte Preissenkungen im Service-Bereich erlauben seltener die Quersubvention206, wodurch ein für sich tragfähiger Neuwagenvertrieb aufgebaut werden muss. Die vormals sichere Ertragssäule vieler Autohäuser erodiert ferner wegen geringerer Reparaturanfälligkeit der Fahrzeuge. Der Ausleseprozess im Vertragshandel wird verstärkt. Abbildung 14 zeigt, dass der seit Ende der 1990er Jahre sichtbare Trend der Vertriebsnetzreorganisation durch den Erlass der neuen GVO beschleunigt wurde.207
205 206 207
Vgl. Tongue/Whiteman 2003b, S. 20. Vgl. John 2005c, S. 10. Vgl. Wade/Brown 2004, S. 6 und Wade/Brown 2005, S. 97-98.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
47
120.000
105.000
90.000
75.000
60.000
45.000
30.000 1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Anzahl Verkaufsstützpunkte
Anzahl Servicestützpunkte
Anzahl Handelsverträge
Anzahl Serviceverträge
2004
2005
2006
Start GVO 1400/02
Abbildung 14: Konsolidierung europäischer Vertragshandelsnetze208
Konzentration Teil bzw. Folge des Konsolidierungsprozesses ist die Konzentration auf Einzelhandelsebene. Händler fusionieren oder kooperieren, so dass professionell geführte Gruppen entstehen.209 In Großbritannien lag 2003 der Marktanteil der 50 größten Handelsgruppen bei 37% der Neuwagenzulassungen, in Kontinentaleuropa ist der Konzentrationsgrad geringer, jedoch verzeichnen die Gruppen dort steigende Marktanteile – vgl. Abbildung 15.210 Hohe Absatzvolumen der Handelsgruppen ermöglichen die Ausnutzung von Skalenvorteilen. Untersuchungen zu Handelsgruppen zeigen, dass das Gruppenkonzept betriebswirtschaftlich nicht zwingend gegenüber einem kleineren Betrieb überlegen ist, dennoch werden kleine bis mittelgroße Händler weiter Anteile des Geschäftsvolumens zugunsten finanzstarker Handelsgruppen verlieren.211 Die Konzentration geht dabei zunehmend mit dem Vertrieb mehrerer Marken verschiedener Hersteller einher.212 Konzentration im Automobileinzelhandel reduziert das Machtpotenzial des Herstellers.
208 209 210 211
212
Vgl. Wade/Brown 2006, S. 5. Vgl. Buzzavo 2003, S. 7; John 2003, S. 35. Vgl. Bozon/Navarro/Thomas 2005, S. 7ff.; Wade/Brown 2004, S. 43ff. Vgl. Plate 2004a, S. 14; Ura 2002, S. 7-8; Buzzavo 2003, S. 64-66; Wimmer/Bauer 2004, S. 34; Diez/Reindl 2005b, S. 100. Fusionen von Handelsgruppen folgen unterschiedlichen Zielen: Einige suchen die regionale ggf. markenübergreifende Marktführerschaft, andere bauen international tätige Gruppen auf. Konzentration findet indes nicht nur über den gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss zu Handelsgruppen statt, sondern ebenfalls über Kooperationen in Teilbereichen, wie bspw. die Bildung von Einkaufsgemeinschaften oder den Bau gemeinsamer Autohausstandorte mit besonderer Größe und Markenauswahl. Einzelne Unternehmen werden in der Literatur mit dem Begriff „Megadealer“ belegt, alternativ ist die Kooperation über das Geschäftsmodell Automall zu nennen. Vgl. Kapitel 3.4.7 und Kapitel 5.2.3; Schögel/Sauer 2002, S. 94; Tietz 1999, S. 586-593; Diez 2001b, S. 83-85. Vgl. Bozon 2005, S. 11-12.
48
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
40 35
37 33
30 25 20
21
22
21
19
15
15
14
10
10
5
8
11 6
0 UK
Marktanteil (in %)
Frankreich
Deutschland
Italien
Neuwagen-Absatzvolumen p.a. (in 1.000 Einheiten)
Anzahl Verkaufsstätten Abbildung 15: Entwicklung 50 größten herstellerunabhängigen Handelsgruppen213
Preisdruck Preis- und Rabattdruck werden im europäischen Neuwagenvertrieb weiter zunehmen und zu den wichtigsten Herausforderungen der Branche zählen.214 MEINIG führt folgende Gründe selbstverstärkender Preiserosion an:215 • Überkapazitäten und neue Wettbewerber: Ein Grund für Preiswettbewerb ist die Überproduktion seitens der Hersteller im gesättigten Marktumfeld.216 Es treten neue preisgünstige Wettbewerber aus Asien in den Markt, während etablierte Hersteller z.T. erhebliche Überkapazitäten besitzen. Der Käufermarkt ist durch erhöhte Markt- und Preistransparenz gekennzeichnet (vgl. T-2.3 Verhandlungsposition). Dementsprechend sind Inter- und Intrabrandwettbewerb so hoch, dass regionale inoffizielle Preisabsprachen regelmäßig scheitern.217 • Verkaufsförderungsmaßnahmen: Es kann gezeigt werden, dass vor dem Hintergrund langfristiger Modellzyklen und steigenden Wettbewerbsdrucks immer häufiger kurzfristig wirkende Verkaufsförderungsmaßnahmen zur Glättung von Nachfrageschwankungen flexibel eingesetzt werden. Das führt zur Senkung des durchschnittlichen Preisniveaus. • Anreizsysteme: Nach wie vor wird ein Großteil der Fahrzeuge im indirekten Vertrieb über Vertragshändler abgesetzt. Die zugrunde liegenden Verträge sind mit Anreizmechanismen ausgestattet, die auf die Einhaltung von Jahresabsatzzielvereinbarungen, weniger jedoch auf Preis- oder Renditezielen aufbauen. In ähnlicher Weise wirken branchenübliche, provisionsbasierte Anreizsysteme des Verkaufspersonals. Dadurch entsteht z.T. ein größerer Anreiz für die reine Steigerung von Absatzzahlen als für die Erreichung von Renditezielen.218
213 214 215 216 217 218
Vgl. ebenda, S. 8-9. Vgl. Wimmer/Bauer 2004, S. 34. Vgl. Meinig 2004b, S. 77. Vgl. ebenda, S. 75. Vgl. Wimmer/Bauer 2004, S. 34. Vgl. Al-Sibai/Hofer 2004, S. 478-485.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
49
• Arbitrage: Die Ausnutzung von Arbitrageeffekten beim Verkauf sog. EU-Fahrzeuge führt zu einer Senkung des durchschnittlichen Preisniveaus in einem Markt, in den EUFahrzeuge eingeführt werden.219 • Preissensibilität: Der steigende Anteil preissensibler Kunden zeigt eine größere Bereitschaft intensive Preisverhandlungen zu führen und senkt das durchschnittliche Preisniveau (vgl. T-2.2 Preisorientierung). • Absatz an Geschäftskunden und junge Gebrauchtwagen: Das wachsende Direktgeschäft mit Geschäftskunden schließt oft größere Preisnachlässe ein, als es im indirekten Vertrieb mit Privatkunden üblich ist (vgl. T-2.16 Skaleneffekte und T-2.18 Einkaufsmacht). Diese Fahrzeuge gelangen nach kurzer Nutzung zu sehr günstigen Konditionen als Substitutionsgüter für preissensible Kunden in den Markt.220 Dadurch sinkt das Neuwagenpreisniveau. Darüber hinaus reduziert sich das Fahrzeugabsatzvolumen des indirekten Vertriebs an Privatkunden, was die Nutzung von Verkaufsförderungsmaßnahmen kurzfristig provoziert und somit ebenfalls Druck auf das Preisniveau ausübt. Auch für das Servicegeschäft wird weiter steigender Preis- und Rabattdruck erwartet. Eine herstellerseitige Steuerung und Führung der Preispolitik im gesamten Vertriebssystem sollte bei der Gestaltung des Distributionssystems angestrebt werden. Desgleichen muss preispolitischer Handlungsspielraum der Absatzmittler gewahrt werden.221 Profit im Downstreambusiness Eine Studie von JOAS/BOSCH/BENTENRIEDER für den deutschen Markt zeigt, dass ein erheblicher Teil des in Abbildung 16 dargestellten potenziellen Renditevolumens zwischen Hersteller-dominierten und freien Marktteilnehmern stark umkämpft ist und auch zukünftig die Profitpotenziale eher im Downstreambusiness liegen.222 Das heute für die Hersteller hoch profitable Geschäft mit Finanzdienstleistungen sowie Ersatzteilen und Zubehör könnte durch attraktive Angebote freier Anbieter reduziert werden. Vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten Kostensituation223 müssen Automobilhersteller sowohl an der Optimierung der Kostenstruktur, als auch an der Erschließung von Renditepotenzialen i.S.v. Cross Selling224 entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Vertrieb arbeiten. Das Automobil oder die Mobilitätsdienstleistung selbst wird zum Kernprodukt, um das eine Reihe renditestarker Zusatzprodukte angeboten werden. Beide Aspekte haben gleichsam Einfluss auf die DSG.
219 220 221 222 223 224
Vgl. Kapitel 5.5.1.3. Vgl. John 2005e, S. 12; Niemand/Eirich 2006, S. 54. Vgl. Ebel/Hofer 2004, S. 27. Vgl. Joas/Bosch/Bentenrieder 2005, S. 4-5 und 10-11. Vgl. Fußnote 194, S. 43. Vgl. Homburg/Schäfer 2004, Homburg/Schäfer/Scholl 2002, S. 313ff.; Mattes et al. 2004, S. 34-35.
50
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Neuwagen (11%1)) Finanzdienstleistungen3) (41%1))
100% 27%2)
Teile4) und Zubehör5) (43%1))
Gebrauchtwagen6) (5%1))
13%2)
40%2)
Marktanteil
57%2)
45%2)
0%
46%2)
32%2)
30%2) Anteil am Gesamtprofit
Legende: 1) Anteil am Gesamtprofit 2) Prognostizierter Marktanteil in Deutschland 2015 (Minimum) 3) Leasingraten und Zinserträge aus Neu- und Bestandsgeschäft 4) inkl. Lacke und Autoglas, ohne Schmierstoffe, Reifen und Löhne 5) ohne Tuning und Löhne 6) inkl. Händlergeschäft
100%
Profit des von OEMs dominierten Marktes 39%-72% Profit des freien Wettbewerbs 28%-61% Umkämpfter Profit ca. 33%
Abbildung 16: Für 2015 prognostizierte Renditeverteilung in Deutschland225
Franchise Attractiveness Die o.g. Konzentration und Konsolidierung auf Einzelhandelsebene hat Absatzmittler mit umfangreichen Markenportfolios geschaffen.226 Mit Einführung der GVO 1400/02 wurde die Aufnahme zusätzlicher Automobilmarken für Vertragshändler erleichtert. Die Abhängigkeit des Vertragshändlers vom herstellerspezifischen Vertriebssystem sinkt und stärkt somit dessen Machtpotenzial. Bei der DSG muss demzufolge die Substitutionalität der angebotenen Marke aus Sicht des Absatzmittlers berücksichtigt werden. Der Wettbewerb um den Kunden entwickelt sich insofern in Teilen zu einem Wettbewerb um die höchste Franchise Attractiveness, also um leistungsfähige und loyale Absatzmittler.227 Dadurch steigt das Machtpotenzial leistungsstarker Absatzmittler. Mehrere Absatzkanäle Unter dem Einfluss steigenden Wettbewerbs, Marktliberalisierung und fragmentierter Kundenbedürfnisse entwickelt sich der europäische Automobilvertrieb langsam zu einem Multikanalvertrieb. Die Komplexität der Gestaltung und Steuerung des Vertriebssystems wird für den Hersteller dadurch zunehmen.228 Im Folgenden wird der Automobilvertrieb in bereits vorhandene Multikanal-Vertriebssystem-Typologien (MKV-Typologien) eingeordnet: 225 226 227
228
Vgl. Joas/Bosch/Bentenrieder 2005, S. 11. Vgl. u.a. Diez/Reindl 2005b, S. 100. Franchise Attractiveness ist der vom Absatzmittler wahrgenommene Wert der Geschäftsbeziehung mit dem Hersteller und bildet sich aus der wahrgenommenen Unterstützung durch den Hersteller, dessen Netzstrategie sowie des erwarteten Ertragspotenzials. Vgl. Böhme 2006, S. 49. Vgl. Kapitel 1; Jullens/Smend 2003, S. 105; Mattes et al. 2004, S. 30-31; Smend 2004, S. 208-217. Zum Begriff Multikanalvertrieb vgl. Kapitel 2.2.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
51
• Differenzierung der verwendeten Absatzkanäle: Neben den klassischen Abgrenzungskriterien der Distributionsforschung erfolgt die Differenzierung der Absatzkanäle über eine aktivitätsorientierte und eine institutionelle Perspektive. In der ersten Dimension wird nach der Initiative des Anbieters unterschieden: aktiver Vertrieb setzt die Initiative des Vertriebskanals voraus, während sich der passive Vertrieb auf das Engagement der Kunden verlässt. In der zweiten Dimension wird nach der Einschaltung von Medien, zwischen persönlichem und medialem Vertrieb unterschieden.229 Im Automobilvertrieb kommen primär die drei in Abbildung 17 markierten Absatzkanaltypen vor. aktiv
Initiative des Anbieters
relevant im Automobilvertrieb
passiv
Bsp. Fahrzeugvertrieb über Außendienste
Bsp. Telesales, Telefonagenturen
Bsp. Autohäuser
Bsp. BestellHomepages
Persönlicher Vertrieb
Einsatz von Medien
Medialer Vertrieb
Abbildung 17: Differenzierung nach Aktivität und Medieneinsatz230
• Verwendung direkter und indirekter Absatzkanäle: Es kann zwischen direkten und indirekten Absatzkanälen unterschieden werden, vgl. Abbildung 18. Im Automobilvertrieb findet eine Ausdifferenzierung mehrerer unterschiedlicher Absatzkanäle statt (Typ 6). Einige Hersteller betreiben indessen ein sehr stark Händler-geprägtes MKV-System (Typ 5).
Anzahl der direkten Vertriebskanäle
>1
Multipler Direktvertrieb (Typ 2)
Anbieter-geprägtes Multikanalsystem (Typ 3)
Differenziertes Multikanalsystem (Typ 6)
1
Reiner Direktvertrieb
Duo-Channel (Typ 1)
Händlergeprägtes Multikanalsystem (Typ 5)
Reiner indirekter Vertrieb
Multipler indirekter Vertrieb (Typ 4)
0 relevant im Automobilvertrieb
0
1 >1 Anzahl der indirekten Vertriebskanäle
Abbildung 18: Differenzierung nach Anzahl der Absatzkanäle231
• Überlappung der Vertriebskanäle: Im MKV ist die Überlappung der Absatzkanäle von Bedeutung, denn dem Multikanal-Konzept ist die differenzierte Kundenansprache inhärent. Es wird unterstellt, dass dadurch eine höhere Gesamtmarktabdeckung sowie eine größere individuelle Kundenzufriedenheit bei segmentspezifischer Kundenansprache erreicht werden können. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung des Downstreambusiness, ist eine differenziertere Abbildung der Leistung sinnvoll – bspw. in Fahrzeug, 229 230 231
Vgl. Scholl 2003, S. 9-10. Vgl. ebenda, S. 10. Vgl. ebenda, S. 62.
52
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Mobilitätsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Service, Zubehör etc. Der Automobilvertrieb ist demzufolge als Typ 4 in Abbildung 19 zu charakterisieren.
Kanal 1 Kundengruppe 1
Kundengruppe 2
Leistung 1
Leistung 2
Kanal 1
Kanal 2
Kanal 2
Leistung
Typ 1 Kundengruppe
relevant im Automobilvertrieb
Leistung 2
Kundengruppe 2
Typ 2
Kundengruppe 1
Kanal 1
Kundenüberlappung
Leistung 1
Kanal 2
Kanal 1
Leistung
Kanal 2
niedrig
Typ 4
Typ 3 Kundengruppe
hoch hoch
Leistungsüberlappung
niedrig
Abbildung 19: Differenzierung nach Überlappung der Absatzkanäle232
• Multi-Composition-Marketing: Neben der Differenzierung von Kundengruppen und Leistungen können auch die Befriedigung komplexer Konsumprobleme sowie die Koordination und Integration der Absatzkanäle betrachtet werden. Sind beide Parameter erfüllt, so spricht man vom Multi-Composition-Marketing. Ein Beispiel für die Berücksichtigung komplexer Konsumprobleme der Konsumenten ist die Berücksichtigung der gesamten Mobilitätsbedürfnisse des Kunden unter Einbeziehung seiner individuellen finanziellen Möglichkeiten. Koordiniert der Hersteller das gesamte Distributionssystem als Systemkopf, so kann darüber eine abgestimmte Koordination der Absatzkanäle in Abhängigkeit ihrer Leistungen erfolgen.233 Die Vertriebssysteme der Automobilhersteller entwickeln sich langsam vom Multiple-Channel-Retailing hin zum Multi-CompositionMarketing. Diese von AHLERT/HESSE in die Diskussion eingebrachte Kategorisierung erscheint im Hinblick auf These T-2.5 (Individualisierung und Fragmentierung) derzeit eher den Charakter einer Zieldefinition, denn einer typologischen Einordnung zu haben.234
232 233
234
Vgl. ebenda, S. 66. Diesen Parameter nutzt auch SCHÖGEL, indem er Multikanalsysteme mit autarker (unkoordiniert, jeder Kanal erbringt selbständig alle Aufgaben) und interdependenter (koordiniert, Kanäle nehmen bestimmte Aufgaben als integriertes System wahr) Aufgabenverteilung differenziert. Vgl. Schögel 1997, S. 140ff. Vgl. Ahlert/Hesse 2003, S. 11 und 25-29; Ahlert/Blut/Michaelis 2007, S. 280-286. Zur Komplexität von Konsumentenverhalten vgl. Kapitel 3.2.2.2.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Koordination
relevant im Automobilvertrieb Entwicklungsrichtung im Automobilvertrieb
Integrierter und koordinierter Einsatz verschiedener Absatzkanäle Betrieb der Absatzkanäle nur schwach integriert und / oder koordiniert
MultiChannelRetailng
53
MultiCompositionMarketing
MultipleChannelRetailing Kaum Orientierung an komplexen Konsumproblemen
Orientierung an komplexen Konsumproblemen der Konsumenten Problemorientierung
Abbildung 20: Differenzierung nach Konsumorientierung und Koordination235
Im Automobilvertrieb liegt ein differenziertes MKV vor, welches ferner durch relativ hohe Heterogenität und geringe Integration der Absatzkanäle charakterisiert ist – Kapitel 6.2 nimmt diese Aspekte wieder auf. Neue Geschäftsmodelle Neben horizontaler und vertikaler Konzentration, d.h. der Vorwärtsintegration236 durch die Hersteller einerseits und Konsolidierung im Einzelhandel andererseits, finden auch Spezialisierungen statt:237 • Horizontale Spezialisierung: Getrieben durch die Fragmentierung der Kundenbedürfnisse (T-2.5 Individualisierung) findet nicht zuletzt im Zeichen des steigenden Wettbewerbsdrucks horizontale Spezialisierungen i.S. der Bildung spezialisierter Distributionsorgane statt. Deren Geschäftsmodelle richten sich an einzelnen Kundengruppen respektive Marktnischen aus.238 • Vertikale Spezialisierung – Desintegration: Die Entwicklungen in der IuK-Technologie haben auch zu Veränderungen innerhalb der Wertschöpfungs- und Vertriebskette geführt. Neue Wettbewerber spezialisieren sich im Rahmen neuer Geschäftsmodelle bspw. auf die Vermittlung von EU-Fahrzeugen und ermöglichen die effiziente Ausnutzung von Preisdifferenzen innerhalb Europas. „Alternative Absatzkanäle [bzw. Distributionsorgane] bieten aufgrund ihrer unterschiedlichen Charakteristika auch unterschiedliche Ansatzpunkte für die Erzeugung von kundenseitigem Mehrwert.“239 Abbildung 21 zeigt schematisch die Ausbildung unterschiedlicher Distributionsorgane auf Groß- und Einzelhandelsebene i.S.v. horizontaler Spezialisierung aufgrund der in Kapitel 3.2 dargestellten Kundentrends. 235 236
237 238 239
Vgl. Ahlert/Hesse 2003, S. 11. „Die Übernahme von Aktivitäten der Vertriebspartner oder Kunden wird als Vorwärtsintegration […] bezeichnet. Entsprechend versteht man unter Rückwärtsintegration […] die Übernahme von Lieferantenaktivitäten.“ Picot 1991, S. 337. Zur Vorwärtsintegration vgl. Kapitel 3.4. Allgemein zu neuen Angebotsbündelungen und -formen bspw. Zentes/Swoboda 1999a, S. 76-78; Bauer 2000, S. 19-22. Vgl. u.a. Lademann/Gutknecht 2004, S. 51-52; Mattes et al. 2004, S. 135; Göttgens/Smend 2007, S. 657-659. Billen/Weiber 2007, S. 48.
54
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Fragmentierung / Individualisierung der Kundenbedürfnisse
Höhere Preissensibilität und sinkende Preisbereitschaft
Provokation der individuelleren Befriedigung von Kundenbedürfnissen mit unterschiedlichen Distributionsorganen / Geschäftsmodellen Prestige/Image Spezialisierung auf best. Bequemlichkeit Produkte/Dienstleistungen Zeitersparnis
Hoher Informationsstand
Ausprägung 2
Smart-Shopping versus Prestige-Shopping Abnehmende Loyalität ggü. Marken und Einkaufstätten Variety-Seeking
Beratung Information
Preisorientierung
Channel Hopping Convenience-Orientierung Erlebnisorientierung und Markeninszenierung Emotionalität
Ausprägung 1
individualisiertes Angebotsbündel
multioptionales Kundenverhalten
Markeninszenierung Erlebnis
Abbildung 21: Distributionsorgane aufgrund divergierender Kundenbedürfnisse
Die in Kapitel 5 und 6 genauer untersuchte Vielfalt von Geschäftsmodellen im Automobilvertrieb kann durch Hersteller und Absatzmittler ausgenutzt werden, um Zielkundenportfolios gezielt anzusprechen. Sie ist gleichsam Kern des Multikanalmanagements. Die Ergebnisse deuten bereits an dieser Stelle darauf hin, dass H-I begründet ist. Mit Hilfe der empirischen Untersuchung und den Überlegungen in Kapitel 5 wird die These weiter untermauert. 3.3.2.2 Professionalisierung Markenmanagement In Kapitel 3.1 und 3.2 wurde bereits auf die besondere Bedeutung der Kommunikation von Fahrzeugmarken am PoS eingegangen (vgl. T-1.3 Point-of-Sale und T-2.9 Markeninszenierung). Hersteller versuchen, Vertriebskanäle als Kernbestandteil ihres Markenauftritts zu begreifen und das Distributionssystem getreu ihrer strategischen Grundkonzeption auszugestalten. Insbesondere Hersteller von Marken mit hohem Markenwert versuchen, markenbildende Prozesse vor Kunde markenexklusiv auszugestalten.240 Mit dem Trend zum Mehrmarkenhandel, steigendem Wettbewerb im Automobileinzelhandel, sinkender Fahrzeugmarkenloyalität der Privatkunden und gleichzeitigem Bedürfnis nach wertorientierter Kundenbetreuung im Autohaus, rückt die Kommunikation von Eigenmarken der Absatzmittler stärker in den Fokus ihrer Unternehmensstrategie. Absatzmittler mit stark regionalem Kundenstamm und strategischer Ausrichtung auf Dienstleistungs- und Servicequalität versuchen, mit der Bildung eigener Kommunikations- und Markenkonzeptionen eine
240
Vgl. Strehlau/Heider 2000, S. 154-162; Smend 2004, S. 215.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
55
stärkere Kundenbindung unabhängig von der Fahrzeugmarke herzustellen – nicht zuletzt um ihr jeweiliges Fahrzeugmarken-Portfolio kommunikativ zu umklammern.241 Ausnutzung von Synergiepotenzialen Vor dem Hintergrund einer schlechten Renditesituation242 im Vertragshandel, relativ hoher Kosten des Automobilvertriebs, Konzentration und Konsolidierung sowie größeren Markenportfolios der Absatzmittler, steigt das Bestreben markenübergreifend Skaleneffekte durch die gezielte Kombination von Funktionen auszunutzen. Insbesondere Prozesse, die der Kunde nicht direkt sehen bzw. erleben kann, werden gebündelt, um Synergien bspw. in Kundenmanagement, IT-Infrastruktur, Buchungs- und Abrechnungsprozessen oder Logistik zu heben.243 Sowohl Hersteller als auch Absatzmittler haben Anreize derartiger Prozessoptimierungen durchzusetzen: • Absatzmittler können Kosten verringern und somit ihre Ertragslage verbessern sowie Wettbewerbsvorteile erreichen. Konzentration hat regelmäßig die Ausnutzung von Skaleneffekten zum Ziel.244 • Hersteller können durch die Verringerung von Kosten im Distributionssystem ihre Franchise Attractiveness steigern und somit Wettbewerbsvorteile generieren. Voraussetzung für die Ausnutzung der Prozesszusammenlegung ist Prozessähnlichkeit. Daher sind Skalenvorteile innerhalb von Markenportfolios eines Herstellers häufig leichter auszunutzen.245 Für Hersteller mit mehreren im Markt angebotenen Fahrzeugmarken steigt daher der Anreiz nicht-markenbildende Prozesse zu vereinheitlichen, um die Franchise Attractiveness zu steigern. Customer Relationship Management Customer Relationship Management (CRM) verfolgt primär zwei Ziele: Zum einen versuchen Anbieter durch CRM ihre Kunden besser zu verstehen, um das Angebot und dessen Präsentation zu optimieren. Zum anderen soll eine engere, langfristigere Kundenbindung den Wechsel zum Wettbewerb für den Kunden unattraktiver machen.246 Im Automobilvertrieb spielt CRM eine wichtige Rolle. Selbständige Absatzmittler hatten bisher geringen Anreiz zur Übergabe ihrer Kundendaten an den Hersteller, so dass CRM bisher primär durch das jeweilige Distributionsorgan individuell und kaum vernetzt betrieben wird.247 Die herstellerseitig angestrebte kundesegmentspezifischere Anpassung des
241
242 243 244 245 246 247
Vgl. Wastl/Osegowitsch 2005, S. 12; Radl 2006, S. 16-17. No-Name-Automobile oder Automobile mit einer ausschließlichen Markierung durch den Handel kommen bisher nicht vor. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft Handelsmarken entstehen. Der Einkauf komplett entwickelter Fahrzeuge inklusive Produktion wird in der Automobilindustrie in Form von Kooperationen zwischen den Herstellern bereits praktiziert. DIEZ schließt jedoch einen derartigen Paradigmenwechsel in „absehbarer Zukunft“ aus. Vgl. Diez 2001a, S. 611-612. Vgl. Kapitel 3.3.1 Vgl. Kapitel 3.4.2; Reindl 2004a, S. 14. Vgl. Kapitel 5.2.3; Meunzel 2004, S. 12-14; Fußnote 152, S. 34. Vgl. Kapitel 3.4.2. Vgl. Sexauer 2002, S. 218ff.; Becker 2002, S. 628-635; Hippner 2001, S. 6-12; Jensen 2001, S. 66-72; Homburg 2004, S. 289-292. Selbst im Autohaus werden Kundendaten zwischen Vertrieb und Service oft nur sehr eingeschränkt ausgetauscht. Vgl. Lademann/Gutknecht/Cornelius 2004, S. 53.
56
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Marketing-Mix (T-2.1 Kundenbedürfnisse und T-2.5 Individualisierung), das häufigere Auftreten von Channel Hopping-Verhalten (T-2.11 Channel Hopping), die Notwendigkeit zur Erschließung des Downstreambusiness über Cross Selling sowie der hohe Wettbewerbsdruck legen indes eine Distributionssystem-übergreifende Gestaltung des CRM unter Einbeziehung aller relevanten Distributionsorgane nahe.248
3.3.3 Zusammenfassende Thesen „Es wird angenommen, dass die Reaktion auf den strukturellen Wandel in eine Heterogenität der Vertriebssysteme mündet, da die Unternehmen die ihnen zur Verfügung stehenden Spielräume verschiedenartig nutzen. Grund für diese Annahme sind Unterschiede in der Ausgangssituation (Marktposition, Marktmacht, Marktabdeckung) und in der Bedeutung zentraler marketingpolitischer Determinanten auf das Kaufverhalten (Preis, Marke, Service) zwischen den Herstellern.“249 Im Folgenden sind die entwickelten Thesen zur DSG zusammengestellt. Strukturwandel • T-3.1: Im Automobilhandel werden Konzentration und Konsolidierung anhalten. • T-3.2: Das Machtgleichgewicht verändert sich, die Marktmacht des Herstellers sinkt. • T-3.3: Die bisher im Autohaus übliche Quersubvention zwischen Verkauf und Service wird zukünftig nicht mehr Grundlage des Vertriebssystems sein können, indessen müssen beide Geschäftsbereiche profitabel geführt werden können. • T-3.4: Preis- und Rabattdruck halten im Fahrzeugverkauf (Neuwagen, Gebrauchtwagen) weiter an und weiten sich auf After Sales und Finanzdienstleistungen aus. • T-3.5: Ertragspotenziale befinden sich derzeit vor allem im Downstreambusiness. Die Hersteller erfahren dort hohen Wettbewerbsdruck bei der Ausnutzung ihrer Cross Selling Potenziale. • T-3.6: Der Wettbewerb um leistungsfähige, loyale Absatzmittler steigt – es entsteht ein Kampf um Franchise Attractiveness. • T-3.7: Der Europäische Automobilvertrieb wird eine Multikanal-Struktur ausbilden. • T-3.8: Die Vielfalt von Geschäftsmodellen im Automobilvertrieb kann durch Hersteller und Absatzmittler ausgenutzt werden, um Zielkundenportfolios gezielt anzusprechen. Professionalisierung • T-3.9: Insbesondere Hersteller von Marken mit hohem Markenwert versuchen den PoS markenexklusiv auszugestalten. • T-3.10: Der Aufbau von Eigenmarken rückt stärker in den Fokus der Unternehmensstrategie der Absatzmittler. • T-3.11: Für Hersteller und Distributionsorgane steigt gleichermaßen der Anreiz nichtmarkenbildende Prozesse markenübergreifend zu vereinheitlichen, um Skalenvorteile auszunutzen. 248
249
Vgl. Diez 2001a, S. 459-464; Hippner 2001, S. 12-13; Schneider 2002, S. 42-43; Ahlert/Wunderlich 2002, S. 45; Beutin/Finkel/Fürst 2003, S. 66ff.; Mehl/Hans 2003, S. 60ff.; Diez 2004b, S. 687-690; Lademann/Gutknecht 2004, S. 55; Röttig 2004, S. 498ff.; Mattes et al. 2004, S. 34; Diez/Reindl 2005b, S. 100. Smend 2004, S. 140-141.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
57
• T-3.12: Die Bedeutung von Customer Relationship Management wird zunehmen und erfordert eine Vernetzung des Distributionssystems.
3.4 Perspektive Unternehmen Das absatzkanalpolitische Entscheidungsfeld wird immer auch durch die Ressourcen und Ziele des Herstellers selbst bestimmt. Bei den unternehmensbezogenen Faktoren handelt es sich um endogene Faktoren, wenngleich einige Parameter kurzfristig nicht veränderbar sind. Wesentliche Merkmale unternehmensbezogener Faktoren leiten sich aus Aspekten, wie Finanzkraft, Standort, Distributionserfahrung, Management, Machtpotenzial, Beziehung zum Absatzmittler etc. ab. Im Folgenden werden unternehmensübergreifend geltende Aussagen zusammengefasst.
3.4.1 Automobilhersteller im europäischen Markt Ein Charakteristikum der Automobilindustrie ist die fortschreitende Konzentration auf Herstellerebene. Einzelne Hersteller vertreiben häufig mehrere Marken und sind überdies mit anderen OEM durch vielfältige Kooperationen verbunden.250 In Kapitel 3.3.2.2 wurde bereits auf Synergiepotenziale zwischen Konzernmarken bei der im Grundsatz markenexklusiven DSG hingewiesen. Ein Hersteller muss demzufolge gegensätzliche Ziele verbinden: Einerseits sollte die DSG Markenexklusivität fördern, um über die Gestaltung und Steuerung der Distributionsorgane – insb. die markenspezifische Inszenierung am PoS – Wettbewerbsvorteile zu erreichen.251 Andererseits sind Synergien zwischen den Distributionssystemen der Marken eines Konzerns zu heben, um über Kosteneinsparungen respektive Skaleneffekte und dadurch Wettbewerbsvorteile zu erlangen.252
3.4.2 Herstellerbezogene Trends bis 2015 Derzeit kann in Europa eine leichte Zunahme der Vorwärtsintegration auf Groß- und Einzelhandelsebene beobachtet werden, obwohl dies mit hohem finanziellem Aufwand verbunden ist. Mit der Errichtung des europäischen Binnenmarktes sinkt die Notwendigkeit für den Einsatz selbständiger nationaler Importeure. Die hohe Integration europäischer Märkte, als auch die vertriebspolitische Relevanz größerer EU-Märkte, haben dort zu einer Vorwärtsintegration auf Großhandelsstufe geführt.
250 251 252
Vgl. Diez/Reindl 2005a, S. 125-126. Vgl. T-1.2 (Markenspezifische Gestaltung); T-1.3 (Gestaltung des PoS); T-3.9 (Markenwert). Vgl. T-3.11 (Skalenvorteile).
58
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 1998 2005 GM Konzern
Toyoza / Lexus
Ford Konzern
Reanaut / Nissan
Volkswagen Konzern
Daimler Chrysler
Fiat Konzern
PSA Konzern
Andere
Absatzanteil über herstellereigene Vertriebsgesellschaften in der EU (Mitgliedstaaten von 2005) Absatzanteil über Joint Ventures in der EU (Mitgliedstaaten von 2005) Absatzanteil über selbständige Importeure in der EU (Mitgliedstaaten von 2005)
Abbildung 22: Großhandelsstufe in EU in Anteil des Absatzvolumens
Abbildung 22 zeigt, dass der größte Teil der in der EU abgesetzten Fahrzeuge über nationale Vertriebsgesellschaften der Hersteller vertrieben werden – lediglich wenige Marken mit geringem Marktanteil nutzen primär selbständige Importeure.253 Die Vorwärtsintegration der Großhandelsstufe hat verschiedene Motive: Es sollen (1.) Vertriebskosten gesenkt sowie (2.) der direktere Durchgriff auf den Einzelhandel gesichert werden.254 Zudem kann (3.) mit Hilfe eigener Gesellschaften leichter eine Optimierung der Großhandelsprozesse (z.B. Logistik, Disposition oder Ordermanagement) über nationale Grenzen hinweg erfolgen. Aus der GVO ergeben sich zwei weitere Gründe für Vorwärtsintegration: Zum einen darf (4.) dem Importvertragsinhaber der Verkauf der Fahrzeuge im Geltungsbereich der GVO nicht eingeschränkt werden. Das läuft der traditionellen Marktbearbeitung auf Basis nationaler Marktgebiete jedoch zuwider. Zum anderen gelten (5.) auf Großhandelsebene ähnliche Selektionskriterien wie im Einzelhandel. Diese Machtverschiebung zugunsten der Absatzmittler kann durch Vorwärtsintegration entgegengewirkt werden (siehe auch Kapitel 3.5.2.2). Dem stehen Argumente für den Einsatz selbständiger
253 254
Die Daten entsprechen dem Stand von 1.1.2005 bzw. 1.1.1998, vgl. Wade/Brown 2005; Harbour/Wade/Brown 1998. Vgl. Kapitel 5.2.1; Landmann 1999, S. 78; Bauer 2000, S. 23-24; Dietz/Klink/Laib 2000, S. 57-59; Diez/Reindl 2005b, S. 100.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
59
Importeure entgegen, welche im Kern auf der potenziell größeren Marktkenntnis, dem Einsatz eines selbständigen Unternehmers und dem geringeren finanziellen Risiko basieren.255 Auf Einzelhandelsebene zeigt sich ein wesentlich differenzierteres Bild. Obwohl nur ein geringer Anteil des Fahrzeugabsatzes über Niederlassungen abgewickelt wird, kann auf Einzelhandelsebene eine Tendenz hin zur Vorwärtsintegration ausgemacht werden:256 Zum einen versuchen viele Hersteller das Geschäft mit Geschäftskunden stärker in die eigene Organisation zu integrieren, was z.T. durch die Integration der Großhandelsstufe automatisch erfolgt. Zum anderen werden Niederlassungen an strategisch wichtigen Plätzen etabliert. Hersteller versuchen also, den direkten Kontakt zum Endkunden – durch den Direktvertrieb an Geschäftskunden und bei höherwertigen Marken durch Niederlassungen auch an Privatkunden – auszubauen.257
3.4.3 Zusammenfassende Thesen • T-4.1: Auf Großhandelsebene findet Vorwärtsintegration statt. • T-4.2: Hersteller versuchen, den direkten Kontakt zum Endkunden durch den Direktvertrieb an Geschäftskunden und durch Niederlassungen auszubauen. • T-4.3: Es findet Konzentration der Hersteller (Konzerne) statt, während die Vielfalt der Marken bestehen bleibt.
3.5 Weitere Umweltfaktoren Nachfolgend sind die politisch-rechtlichen und technologischen Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der DSG zusammengestellt.
3.5.1 Politisch-Rechtliche Situation des europäischen Automobilvertriebs Die DSG wird durch den EG-Vertrag (EGV), die Verordnungen der EU-Kommission und durch nationale Gesetzte beeinflusst. Artikel 81 des EGV schließt die Vereinbarung von Verträgen aus, welche die „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken“258, weil diese geeignet sind den innereuropäischen Handel zu beeinträchtigen. Qualitativ und quantitativ selektive Vertriebssysteme sowie vertraglich festgeschriebene Absatzgebiete u.ä., wie sie im europäischen Automobilvertrieb bis 2003 üblich waren, stellen Wettbewerbsbeschränkungen dar, da sie Artikel 81 EGV zuwiderlaufen. Der EGV ermächtigt jedoch die Europäische Kommission, einzelne Verträge oder ganze Branchen mittels Verordnungen von bestimmten Regelungen des europäischen Kartellrechts freizustellen.259 Die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Automobilvertrieb ist eine solche Freistellung und stellt neben 255 256 257 258 259
Vgl. die weitere Diskussion in Kapitel 5.2. Der Anteil herstellereigener Vertriebsstützpunkte differiert markenspezifisch zwischen 0% bis 16%. Vgl. Wade/Brown 2005, S. 16. Vgl. Dietz/Klink/Laib 2000, S. 57-59; Lademann/Gutknecht 2004, S. 54-55; Mattes et al. 2004, S. 33-34; Smend 2004, S. 216. Vgl. Artikel 81(1) o.V. 2002b. Dem liegt wirtschaftstheoretisch die Annahme zugrunde, dass in einigen Fällen die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt per Saldo durch eine derartige Freistellung vergrößert wird. Vgl. o.V. 2000a, S. 9.
60
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
nationaler Gesetzgebung den wesentlichen rechtlichen Rahmen für die institutionelle Gestaltung der Distributionssysteme in der EU dar. 3.5.1.1 Gruppenfreistellungsverordnungen der EU-Kommission vor 2002 Basierend auf der Einzelfreistellung des BMW-Händlervertrages von 1974 veröffentlichte die Europäische Kommission am 12. Dezember 1984 die erste GVO (Nr. 123/85) für den Kraftfahrzeugsektor. In der GVO 123/85, als auch im Nachfolgewerk 1475/95, wurde eine Reihe von erlaubten („weißen“) sowie verbotenen („schwarzen“) Klauseln für Automobilhandelsverträge definiert.260 Motivation für den Erlass der GVO 123/85 war erstens die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die zu dieser Zeit üblichen Händlerverträge und zweitens „to monitor the sector so as to ensure that manufacturers were not abusing their privileged position of dominance over their appointed [distribution] networks“261. Die Europäische Kommission folgte der Argumentation der Automobilindustrie, welche den gesamtwirtschaftlichen Vorteil der formal wettbewerbsfeindlichen Verträge begründen soll: Automobile stellten ein wichtiges, zugleich kapitalintensives und komplexes Gut für den Verbraucher dar, welches darüber hinaus regelmäßig professionelle Wartung erfordere sowie dessen Gebrauch die Einhaltung nicht unerheblicher Sicherheits- und Umweltschutzanforderungen bedürfe. Automobilhändler müssten daher flächendeckend und einheitlich einen großen Katalog an Dienstleistungen aus einer Hand anbieten, der von professionellem Verkauf über die sachgemäße Wartung bis hin zur Inzahlungnahme und Bewertung gebrauchter Fahrzeuge reicht. Daher müssten Automobilhersteller über geeignete Verträge die Einhaltung von qualitativen Standards bei der Erfüllung dieser Aufgaben sicherstellen, während im Gegenzug für die nicht unerheblichen finanziellen Investitionen des Absatzmittlers exklusive Vertriebsrechte in einem geographischen Gebiet gewährt werden müssten.262 Dementsprechend waren Vertriebssysteme bis vor Ablauf der GVO 1475/95 sowohl selektiv, als auch exklusiv: • Selektivität: Die Vertriebssysteme waren selektiv, weil der Hersteller den Handelspartner nach qualitativen und quantitativen Kriterien aussuchen konnte und zudem in der Lage war, den Weiterverkauf von Fahrzeugen an andere Händler durch den Vertragshändler zu unterbinden. • Exklusivität: Die Systeme waren zugleich exklusiv, weil Handelspartnern das exklusive Vertriebsrecht für einen geographisch bestimmten Teilmarkt zugesichert wurde und weil sie auf den exklusiven Vertrieb einer bestimmten Marke verpflichtet wurden. Die Hersteller konnten durch diese Kombination maximalen Einfluss auf die Ausgestaltung des Vertriebssystems – insb. des PoS – erlangen. Gleiches galt auch für Verträge zwischen Importeuren und ihren Vertragshändlern sowie zwischen Herstellern und ihren Importeuren.
260 261 262
Vgl. die Verordnungen o.V. 1984 und o.V. 1995a. Vgl. Tongue/Whiteman 2003b, S. 8. Vgl. o.V. 2000b, S. 2; Tongue/Whiteman 2003b, S. 8; Erwägungsgründe 5 und 6 in o.V. 2002c.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
61
3.5.1.4 Die aktuelle GVO 1400/02 Motiv und Begründung der Gruppenfreistellungsverordnungen induzieren bereits, dass die Tragweite der Verordnungen über rein rechtliche Gesichtspunkte hinausgeht und der GVO eine gesamtwirtschaftliche Regulierungswirkung zukommt. So bemerkte die EU-Kommission bereits im Leitfaden zur GVO 1475/95: „Mit den in der Verordnung enthaltenen Änderungen sollen der Wettbewerb im Kfz-Sektor angeregt, die Funktionsweise des Binnenmarktes verbessert und die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten neu gewichtet werden.“263 Die GVO 1400/02 soll von der EU-Kommission identifizierte Schwächen der Marktsituation vor 2003 beseitigen – dazu gehören: 264 • Neue bzw. alternative Geschäftsformen konnten im Automobilvertrieb bis 2002 kaum entstehen, da die Automobilhersteller selektive und gleichzeitig exklusive Vertriebsnetze unterhielten, deren Struktur zudem in bestimmten Teilen durch die sog. Weißen Klauseln determiniert waren. • Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Händler (z.B. im Bezug auf die Möglichkeit frei zu expandieren oder andere Marken ins Programm zu nehmen) war aufgrund der Kombination von Selektion und Exklusivität sowie aufgrund der in der Praxis weit reichenden Verpflichtungen der Händler stark eingeschränkt. • Der Zugang für neue Marktteilnehmer war durch die vorherrschenden Vereinbarungen, bspw. für freie Werkstätten (z.B. Zugang zu elektronischen Diagnosegeräten) oder unabhängige Ersatzteilhersteller (z.B. überlegene Anreize für Vertragswerkstätten lediglich Originalersatzteile vom Automobilhersteller zu verwenden), stark eingeschränkt. • Die EU-Kommission nahm die zum Teil starken Preisunterschiede265 gleicher Pkw im EU-Binnenmarkt zum Anlass, ein Versagen des europäischen Marktes zu vermuten, so dass durch die GVO 1400/02 unter anderem ein stärkerer, grenzüberschreitender Preiswettbewerb hervorgerufen werden soll.266 Am 1. Oktober 2002 trat die GVO 1400/02 nach einem intensiven „lobbying and drafting process“267 in Kraft. Hauptcharakteristikum ist, dass Auswirkungen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen am Markt stärker fokussiert werden, als die zu Grunde liegenden 263
264 265 266
267
o.V. 1995b, S. 6. Vgl. o.V. 2002d, S. 1. Die weit reichende Regulierungskompetenz der EU Kommission wird auch kritisch gesehen (Vgl. z.B. Gottschalk 2002, S. 115). Denn die aktuelle GVO 1400/02 hat einen so stark regulierenden Einfluss, dass eher von einer Marktordnung, denn von einer reinen Kartellverordnung für die Branche gesprochen werden kann. Denn sie beinhaltet ein – gegenüber der GVO 1475/95 – wesentlich umfangreicheres System von Maßnahmen, durch die Angebot und Nachfrage sowie Preisentwicklungen in bestimmter Weise gelenkt werden sollen. Überdies werden nicht allein vertikale Vertragsbeziehungen reglementiert, sondern auch horizontale Beziehungen der Marktteilnehmer außerhalb des vertraglichen Vertriebssystems festgelegt. Letztere sind z.B. freie Werkstätten, Automobilclubs, Zulieferer, der freie Ersatzteilehandel und Leasingunternehmen. Vgl. Gottschalk 2002, S. 118; Lademann/Gutknecht 2004, S. 50. Obwohl in der Literatur in Bezug auf die GVO 1400/02 regelmäßig von Deregulierung gesprochen wird, muss dem entgegengehalten werden, dass die weit reichende Verordnung eher eine Ausweitung der Regulierung darstellt. Wie bereits in Teilen erörtert und noch zu zeigen sein wird, entfaltet die GVO 1400/02 liberalisierende Wirkung, indem der Wettbewerb unter den Marktteilnehmern sowohl horizontal, als auch vertikal gestärkt wird. Vgl. u.a. Erwägungsgründe in o.V. 2002c, o.V. 2002a, S. 11-15 und ergänzend o.V. 2000a, S. 9ff.; Cesarini 2005, S. 2-4. Vgl. u.a. o.V. 2003d, S. 1; Kapitel 3.3.2. Kritiker sehen als Hauptursache der Preisunterschiede vor Kunde die fehlende Harmonisierung nationaler (Steuer-) Gesetzgebung und unterstellen der EU-Kommission hier die bewusste Nutzung der GVO als Hebel für Harmonisierungsinitiativen für Steuern in Europa. Tongue/Whiteman 2003b, S. 8.
62
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Vereinbarungen selbst. Die GVO 1400/02 muss im Kontext mit der so genannten SchirmGVO 2790/99 gesehen werden, die für übrige Branchen mit selektiven Vertriebssystemen gilt. In der Schirm-GVO werden keine weißen, sondern lediglich schwarze Vereinbarungen aufgezählt. Daneben werden den Marktteilnehmern allgemeine Vertriebssystemvarianten zur Auswahl gestellt sowie ein System von Tests eingeführt, welches relevante Marktanteile messen und beurteilen kann.268 Entsprechend wählt der Automobilhersteller in Abhängigkeit der Marktanteile seiner Marken eines von drei Vertriebssystemen. Für die Bereiche Neuwagenverkauf und Service muss jeweils getrennt entschieden werden269, ob das Vertriebssystem qualitativ selektiv, qualitativ und quantitativ selektiv oder exklusiv sein soll bzw. darf. Abbildung 23 zeigt, bei welchen Marktanteilen welche Vertriebssysteme erlaubt sind. Bei der Bestimmung der Marktanteile gelten ähnliche Bestimmungen, wie in der Schirm-GVO 2790/99: „Die Anwendung der Verordnung auf Vertriebsvereinbarungen [...] erfordert daher erstens die Abgrenzung der von ihnen betroffenen relevanten Märkte und zweitens die Bestimmung der Marktanteile.“270 Es sollen die Stückzahlen der verkauften Automobile (bzw. Geldwerte der verkauften Ersatzteile oder Servicedienstleistungen) aller Marken eines Konzerns zu Grunde gelegt werden, wenngleich die produktbezogene und geographische Abgrenzung des „relevanten Marktes“ in der Verordnung nicht eindeutig geklärt werden.271
268 269
270 271
Vgl. Artikel 9 und 10 in o.V. 1999. Vgl. Überlegungen zur Aufgabe der Quersubvention in Kapitel 3.3.2. Die traditionelle Verbindung von Neuwagenverkauf und Service wird somit formal aufgehoben – der Handelspartner des Herstellers muss reiner Automobilverkäufer, reiner Servicestützpunkt oder reiner Ersatzteilehändler respektive eine Kombination daraus sein dürfen. Die Verträge bleiben getrennt und der Hersteller darf auf die Wahl des Handelspartners keinen Einfluss nehmen. Vgl. o.V. 2002a, S. 24. Vgl. ebenda Punkte 7-8; o.V. 2002a, S. 77 und Artikel 8; o.V. 2002c. Gerichtsurteile werden diese Frage endgültig klären. Prinzipiell gilt das Prinzip der Nachfragesubstituierbarkeit: Es sollen für den Verbraucher verfügbare Produkte, die von ihnen als substituierbar angesehen werden, zur gleichen Produktkategorie gehören. Dazu wird die Bildung von Marktsegmenten als ein geeignetes Mittel angesehen, obwohl weder die Segmentabgrenzungen noch die Behandlung sog. Cross-over-Fahrzeuge geklärt ist. Geographische Märkte können der EU-Markt, nationale oder u.U. regionale Märkte sein, wenngleich in der bisherigen Praxis jeweils nationale Märkte zu Grunde gelegt wurden. Bspw. ist der Marktanteil der Marke Skoda am Neuwagenabsatz in Tschechien höher als 40%, so dass Skoda in Tschechien lediglich qualitative Merkmale zur Selektion seiner Vertragshändler einsetzen darf.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
40%
Nationaler Marktanteil der jeweiligen 30% Marke
Neuwagengeschäft Servicegeschäft
5% 0%
Sonderregeln für „Vereinbarungen von geringer Bedeutung“ (de minimis)
63
EinzelFreistellungen möglich
Exklusiver Vertrieb
Qualitativ und Quantitativ Selektiver Vertrieb
Qualitativ Selektive Distribution
Abbildung 23: Marktanteilsbeschränkungen der GVO 1400/02
Im Folgenden werden kurz die Optionen des Automobilherstellers bei der Wahl des Vertriebssystems dargestellt:272 • Qualitativ selektiver Vertrieb: Diese Option ist für den Neuwagenverkauf und den Servicebetrieb immer möglich.273 Der Hersteller bzw. Importeur kann qualitative Standards für die Ausgestaltung vertraglich gebundener Distributionsorgane festlegen, die „wegen der Beschaffenheit der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich sind, für alle sich um die Aufnahme in das Vertriebssystem bewerbenden Händler oder Werkstätten einheitlich gelten, in nicht diskriminierender Weise angewandt werden und nicht unmittelbar die Zahl der Händler oder Werkstätten begrenzen“274. Es können unterschiedliche Standards für verschiedene Gebiete definiert werden: z.B. niedrigere für den ländlichen Raum.275 Überdies kann vom Hersteller der Weiterverkauf der Produkte an nicht-autorisierter Händler verboten werden. Allerdings können weder die Anzahl der Vertriebspartner limitiert, noch Absatzgebiete vergeben werden. • Qualitativ und quantitativ selektiver Vertrieb: Diese Option ist für den Neuwagenverkauf bis zu einem Marktanteil von 40% und für Servicebetriebe bis zu 30% Marktanteil erlaubt.276 Zu den Bestimmungen des qualitativ selektiven Vertriebs kommt hinzu, dass quantitative Standards durch den Hersteller oder Importeur gesetzt werden dürfen, durch welche die Zahl der Händler im Markt bestimmt werden kann. Das können zum Beispiel 272
273 274 275 276
Obwohl die GVO 1400/02 die Anwendung unterschiedlicher Vertriebssystemoptionen in den unterschiedlichen nationalen Märkten der EU nicht verbietet, legt sie jedoch fest, dass kein Vertragsinhaber in seinen Rechten eingeschränkt werden darf, so dass diese Möglichkeit aufgrund der jeweiligen Gültigkeit für den gesamten Geltungsbereich der GVO eher von theoretischer Natur ist. Die GVO 1400/02 bezieht sich ausdrücklich auch auf die Beziehung zwischen Hersteller und Importeuren (Vgl. Artikel 1-1(c), 2-2 und 2-3 o.V. 2002c), wenngleich diese Beziehung in den Dokumenten kaum genauer beschrieben wird. Es sollen dieselben Grundsätze gelten wie auch auf Einzelhandelsebene. Die Verwendung selbständiger Importeure zum Vertrieb in bestimmten Ländermärkten, wird durch die GVO nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Jedoch stellt Artikel 1-1(c) klar, dass die Wahl der Vertriebssystemsoption (qualitativ selektiv, qualitativ und quantitativ selektiv oder exklusiv) für das gesamte Vertriebssystem, also auch für die Großhandelsstufe gilt und somit der vertraglich gebundene freie Importeur die Vertragsgestaltung mit der an ihn gebundenen Einzelhandelsebene dieser Wahl anpassen muss. Vgl. Tongue/Whiteman 2003b, S. 35. Vgl. Abbildung 23. Vgl. Artikel 1-1(h) o.V. 2002c. Voraussetzung sind fest definierte Abgrenzungskriterien, die im gesamten Geltungsbereich der GVO in gleicher Weise angewendet werden. Vgl. Artikel 1-1(g) o.V. 2002c und Abbildung 23.
64
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Mindestabsatzzahlen sein, die ein Händler erreichen muss, um Mitglied im Vertriebssystem zu bleiben. Zudem darf der Hersteller die maximale Anzahl der vergebenen Verträge bestimmen und zudem „places of establishment“ – also die geographische Lage des Hauptstützpunktes des Vertragsinhabers vorgeben.277 Indessen ist es dem Hersteller nicht erlaubt, exklusive Absatzgebiete zu definieren. Der Inhaber eines solchen Vertrages darf allerdings seit dem 1. Oktober 2005 seine Waren nicht nur in der gesamten EU absetzen, sondern auch zusätzliche Nebenstützpunkte (sog. Verkaufs- und Auslieferungsstellen) aufbauen, ohne dafür eines neuen Vertrages zu bedürfen solange diese den qualitativen Standards des jeweiligen Teilmarktes genügen.278 Daher kann mit dieser Vertriebsoption seit Oktober 2005 die Anzahl der Stützpunkte durch den Automobilhersteller nicht mehr exakt gesteuert werden.279 • Exklusiver Vertrieb: Bis zu einem Marktanteil von 30% ist diese Option zulässig.280 Es ist dem Automobilhersteller bzw. Importeur möglich, exklusive Absatzgebiete zu definieren und diese einem Vertragshändler zuzuordnen. Dem Vertragshändler kann jedoch nicht vorgegeben werden, an wen er die Produkte innerhalb seines Absatzgebietes vertreibt. Daher kann die Einhaltung von Qualitätsstandards am PoS durch den Hersteller nicht sanktioniert werden. Aufgrund der Entkopplung von Händler- und Werkstattverträgen, muss der Hersteller Verfahren entwickeln, welche die Kommunikation bzw. Datenübergabe bei Rückrufaktionen, Garantiefällen oder Ähnlichem zwischen Händlern ohne Werkstatt sowie Werkstätten ohne Verkauf und dem Hersteller bzw. dem Importeur regeln.281 Der Europäische Verband des Kraftfahrzeuggewerbes (CECRA) schätzt den Anteil ausreichend finanzstarker Händler, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und gegebenenfalls ortsansässige schwache Händler verdrängen könnten, auf maximal 20%.282 In Abbildung 24 ist überdies dargestellt, dass seit dem Fall der Niederlassungsklausel im Oktober 2005 die GVO 1400/02 die Eröffnung von Verkaufs- und/oder Auslieferungsstellen ermöglicht.
Verkaufs -vertrag Ersatzteilhandels-vertrag
GVO 1475/95 1995 bis 2003
GVO 1400/02 Wirkung seit Oktober 2003
Abbildung 24: Fall der Niederlassungsklausel durch GVO 1400/02
277 278 279 280 281 282
Vgl. Artikel 4-1(e) ebenda. Vgl. Artikel 5-2(b) ebenda. Vgl. o.V. 2002d, S. 5. Vgl. Abbildung 23. Vgl. Tongue/Whiteman 2003b, S. 30. Vgl. Creutzig 2002, S. 42.
Ermöglichung
Vertragshändlervertrag
Aufsplittung
Service -vertrag
GVO 1400/02 Wirkung seit Oktober 2005
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
65
Der Mehrmarkenvertrieb ist durch die Regelungen der GVO 1400/02 wahrscheinlicher geworden, da qualitative Standards für markenspezifische Verkaufsbereiche aufgestellt werden können, Räume oder Gebäude allerdings nicht durch Vertragsklauseln auf eine Marke beschränkt sein dürfen. Etwaige Extrakosten für „markenspezifisches“ Verkaufspersonal in einem Mehrmarkenvertrieb muss vom Hersteller getragen werden. Generell dürfen keine qualitativen Vertragsklauseln den Mehrmarkenvertrieb bzw. -service behindern.283
3.5.2 Trends im politisch-rechtlichen Umfeld Deregulierung wird als eine der derzeit wichtigsten Determinanten des Wandels interpretiert.284 Sie findet in Europa insb. durch den Abbau innereuropäischer Handelsbarrieren statt, die nicht nur durch Zölle, sondern auch durch nationale Produktvorschriften, Subventionen u.ä. dargestellt werden.285 Veränderungen im europäischen Umweltrecht, Verbraucherschutz oder Produkthaftungsrecht spielen bei der Gestaltung des Vertriebssystems nur indirekt eine Rolle und sollen folglich nicht weiter berücksichtigt werden. Demgegenüber zählen Umfang und Ausmaß der Liberalisierung durch die GVO zu den wichtigsten Treibern des Strukturwandels im Automobilvertrieb.286 3.5.2.1 Abbau von Handelshemmnissen und Deregulierung Der Umfang mit dem Handelshemmnisse und steuerliche Unterschiede im europäischen Binnenmarkt abgebaut werden hat Einfluss auf die Strukturveränderungen des Automobilvertriebs. Preisdifferenzen haben ihre Ursache in landesindividueller Steuergesetzgebung, unterschiedlicher Kaufkraft, differierenden Verbraucherpräferenzen und technischen Vorschriften sowie abweichenden Vermarktungsstrategien und Transportkosten in den Ländern der EU.287
283
284 285 286 287
Ausnahme: Die GVO 1400/02 verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff Lieferant und meint dabei den Konzern, so dass de facto ein Konzern den Mehrmarkenvertrieb seiner eigenen Marken einschränken und reglementieren kann. Darüber hinaus kann ein Automobilhersteller seinen Vertragspartner verpflichten, bis zu 30% seines jährlichen Einkaufs dem jeweiligen Konzern/Lieferanten zu widmen. Vgl. Bieger 2002, S. 15; Wirtz 2007, S. 5. Vgl. Dudenhöffer 1999, S. 93. Vgl. Smend 2004, S. 173. Vgl. Becker 1998, S. 8.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
Unterschied in % vom teuersten zum günstigsten Marktpreis (vor Steuern)
40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 1997
1998
1999
Kleine Pkw, Segmente A&B Durchschnitt über alle Klassen
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Große Pkw, Segmente D,E,F Mittelgroße Pkw, Segment C (Jeweils 5 absatzstärkste Modelle in EU)
Abbildung 25: Entwicklung der Preisunterschiede (vor Steuern) in der Euro-Zone288
In Kapitel 5.5.5 wird am Beispiel des Handels mit EU-Fahrzeugen gezeigt, wie sich neue Geschäftsmodelle aufgrund des Abbaus von Handelshemmnissen bei gleichzeitig unterschiedlichen Fahrzeugpreisen etablieren. Abbildung 25 lässt zwar auf eine langsame Angleichung der Preise vor Steuern schließen, jedoch zeigen WOLTERMANN et al., dass wegen der schon heute verhältnismäßig niedrigen Handelsbarrieren, die Preispolitik der Hersteller nur sekundär durch weitere Liberalisierung beeinflusst werden dürfte. Vielmehr werden Hersteller Preisdifferenzen aufgrund sozioökonomischer Marktunterschiede mittelfristig erhalten.289 Die gezielte Ausnutzung von Arbitrageeffekten durch einige Marktteilnehmer wird daher auch in Zukunft ein Phänomen des europäischen Automobilvertriebs bleiben. 3.5.2.2 Veränderungen durch die GVO 1400/02 Mit der Umstellung zur neuen GVO 1400/02 wurden weitgehend vollständig neu entwickelte Handelsverträge vergeben. Oftmals ging diese Veränderung auch mit einer Restrukturierung des Händlernetzwerkes einher.290 Im Neuwagenverkauf sind die nationalen Marktanteile der Konzerne höchst unterschiedlich, aber selten über 40%. Dementsprechend hat die Mehrheit der Hersteller für den gesamten europäischen Markt das qualitativ und quantitativ selektive System gewählt.291 Der Hauptgrund für die Ablehnung der exklusiven Vertragsoption liegt im 288 289 290 291
Eigene Darstellung basierend auf halbjährlichen Preisberichten der EU-Kommission. Vgl. Woltermann/Weller/Breyer 2005, S. 77; Lademann 2002, S. 53-54. Vgl. Tongue/Whiteman 2003b, S. 50 und Überlegungen zur Konsolidierung der Handelsnetze in Kapitel 3.3.2. Ausnahme ist die Marke Suzuki, die das exklusive Vertriebssystem gewählt hat. Für die Vertragsgestaltung mit Servicebetrieben gelten die gleichen Regeln: qualitativ und quantitativ selektive und exklusive Verträge sind nur bis zu einem Marktanteil von 30% erlaubt. Entsprechend der Nachfragesubstituierbarkeit wird bei der
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
67
Bestreben der Hersteller begründet, den Markenwert zu sichern. Das exklusive Vertriebssystem lässt kein Verbot des Verkaufs der Automobile an Wiederverkäufer durch den Vertragshändler zu, so dass Automobilhersteller wesentlichen Einfluss auf das Absatzsystem verlieren. Die GVO 1400/02 schafft einen rechtlichen Rahmen, in dem sich schon existierende Veränderungstendenzen weiter ausprägen – sie ist nicht nur Ursache, sondern auch Treiber des Wandels.292 Grundsätzlich werden folgende Entwicklungen erwartet:293 • Durch das Verbot der Verbindung von exklusivem und selektivem Vertrieb sowie die Erleichterung des Mehrmarkenhandels, haben Hersteller heute weniger Kontrolle über das angeschlossene Vertragshändlersystem. Nahezu alle Hersteller versuchen dieses mit hohen Standards im selektiven Vertrieb zu kompensieren. Das erfordert eine komplexere und somit potenziell kostenintensivere Steuerung und Kontrolle der Vertriebs- und Servicenetze.294 • Der Wegfall der Niederlassungsklausel im Oktober 2005 fördert die Angleichung paneuropäischer Preise sowie die weitere Konsolidierung hin zu größeren finanzkräftigeren Unternehmen im Automobilvertrieb.295 Auf Groß- und Einzelhandelsebene werden insb. finanzkräftige Unternehmen europaweit Marktchancen ausnutzen können. • Die GVO schafft Raum für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und/oder Wettbewerber, die sich auf bestimmte Teilmärkte spezialisieren können.296 Die Bildung paralleler oder zusätzlicher Absatzkanäle wird wahrscheinlicher. • Inter- und Intrabrandwettbewerb wurden durch die GVO 1400/02 stimuliert.297 Die GVO hat sich in ihren Grundzügen verändert und eine Verschiebung der Handlungsspielräume der ihr untergeordneten Marktteilnehmer induziert. Das vorliegende Kapitel hat gezeigt, dass der rechtlich gegebene Spielraum der Hersteller geringer, jener der Händler und sonstigen freien Marktteilnehmer eher erweitert worden ist. Obwohl die GVO quasi eine Marktordnung darstellt, kann von einer Liberalisierung des europäischen Automobilvertriebs gesprochen werden. Die weitere Entwicklung insb. nach dem 31.05.2010 wird im Wesentlichen vom Erfolg der GVO 1400/02 aus Sicht der EU-Kommission298 bzgl. erzielter Liberalisierungseffekte sowie von der zukünftigen wirtschaftspolitischen Ausrichtung der EU-Kommission abhängen. Derzeit erwarten Experten prinzipiell eine Fortschreibung der Liberalisierungspolitik. Unter
292 293 294 295 296 297 298
Marktanteilsbestimmung das gesamte Serviceangebot der Werkstätten betrachtet. In der Praxis fallen markenspezifische Werkstätten meist lediglich im Dienstleistungssegment der Fast-Fit-Werkstätten unter einen Marktanteil von 30% der Serviceleistungen an Fahrzeugen einer Marke. Daher ist die Verwendung qualitativ und quantitativ selektiver Verträge unmöglich – das rein qualitativ selektive System dominiert. Vgl. Lademann 2002, S. 52. Vgl. u.A. Genzow 2002, S. 88ff.; Gottschalk 2002, S. 114ff.; Tongue/Whiteman 2003a, S. 8; Berg/Welzel 2004, S. 419ff.; Genzow 2004a, S. 405ff. Vgl. Diez 2002a, S. 68; Genzow 2004b, S. 26. Vgl. Kapitel 3.3 sowie Diez 2002a, S. 71; Diez 2004a, S. 12; Lademann/Gutknecht 2004, S. 51.; Cesarini 2005, S. 2; Woltermann 2005, S. 14-15 und 27; o.V. 2006, S. xviii. Vgl. Zielke/Preißner/Wierich 2002, S. 134; Cesarini 2005, S. 2; o.V. 2006, S. xvi und xix. Vgl. o.V. 2006, S. xx-xxi. Vgl. Erwägungsgründe in Kapitel 5.2.2.1; Cesarini 2005, S. 10-11, 16-17.
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3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
sonst gleichen Bedingungen würde ein ersatzloser Wegfall der GVO kaum zur Liberalisierung beitragen, weil der Automobilvertrieb dann in den Anwendungsbereich der Schirm-GVO fallen würde. Das würde Herstellern wieder mehr Marktmacht verleihen und somit den marktregulierenden Intentionen der EU-Kommission zuwiderlaufen, so dass die GVO im Kern bestehen bleibt oder weiter ausgebaut werden dürfte.299 Aus Sicht der EUKommission wird die rein qualitative Selektion im Servicemarkt als Erfolg gesehen, so dass eine Senkung der Marktanteilsschwellen für den Neuwagenverkauf oder der gänzliche Wegfall der quantitativen Selektion als möglich erscheinen. Es bleibt zu klären, ob das Nachfolgeregime (a) die vollständige Abschaffung quantitativer Selektion (der Vertragshändler durch Hersteller), (b) die Einschränkung qualitativer Selektion (der Vertragshändler durch Hersteller), (c) weitere Forcierung der Trennung von Neuwagenverkauf, Service- und Ersatzteilgeschäft, (d) einheitliche Werksabgabepreise innerhalb der Europäischen Union und/oder andere Ziele hat.
3.5.3 Einfluss des technologischen Umfelds „The Internet has created some new industries, such as online auctions and digital marketplaces. However, its greatest impact has been to enable reconfiguration of existing industries that has been constrained by high costs for communication, gathering information, or accomplishing transactions.”300 Technologisierung – insb. in Form globaler Verbreitung von Informations- und Kommunikations-Technologie (IuK-Technologie) – wird als einer der wesentlichen Treiber von Wandel identifiziert.301 Auch für den Strukturwandel im Automobilvertrieb trifft diese Feststellung zu. Dabei muss zwischen zwei Entwicklungen unterschieden werden – vgl. Abbildung 26:302 Distributionsorgane des Kunden
Interaktionspartner
Innerhalb des Distributionssystems
Ziel: z.B. Modellübersicht im Internet
z.B. E-Commerce
z.B. Übersicht der Verkaufsförderungen des Herstellers
z.B. Transparenz über NW-Lagerbestände
informationsNutzung eher… orientiert
E-Commerce Geschäftsmodelle bis hin zu Direktvertrieb über das Internet Prozessoptimierung, Verbesserung von Kooperation und Koordination
transaktionsorientiert
Abbildung 26: Wirkungsbereiche von IuK-Technologien 299 300 301 302
Vgl. Plate 2005b, S. 60. Es ist ebenso denkbar, dass die Regelungen der GVO 1400 mit unter das Dach einer branchenübergreifenden „Schirm-GVO“ integriert werden. Porter 2001, S. 66. Vgl. Bieger 2002, S. 15; Bauer 2000, S. 1; Die Expertenbefragung von Smed bezieht sich auf den B2C-Bereich und stellt die informationsorientierte Nutzung von IuK-Technologien als wesentlich wichtigeren Treiber des Strukturwandel heraus, als die transaktionsorientierte Nutzung. Vgl. Smend 2004, S. 174.
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
69
• Einige Innovationen richten sich eher auf die Kommunikation mit dem Kunden. Internettechnologien eröffnen neue Chancen in der direkten Kommunikation mit dem Kunden, Beispiele sind elektronisch unterstütztes CRM oder der E-Commerce von eSEAT.303 Die Kommunikation mit dem Kunden kann sowohl einseitig, als auch zweiseitig erfolgen. Letzteres bildet die Basis für transaktionsorientierte Nutzung von IuK in der Kommunikation mit dem Kunden. • Daneben werden IuK-Technologien zur Kostensenkung und Prozessoptimierung im Distributionssystem genutzt. Funktionen, deren abgestimmtes Zusammenspiel früher nur über zentralisierte und stark integrierte Absatzkanalstrukturen möglich war, können potenziell dezentral ausgeführt werden, solange der zweiseitige Informationsfluss im Netzwerk des Vertriebssystems gesichert ist. DREIER weist mit Hilfe der Transaktionskostentheorie nach, dass der Einsatz von IuK-Technologien marktliche oder marktnahe Koordinationsmechanismen zu geringeren Kosten ermöglicht, so dass einige Probleme, die vormals effektiver mit hierarchienahen Koordinationskonzepten gelöst wurden, heute mit marktnahen Konzepten effizienter funktionieren.304 Die Vernetzung mit IuKTechnologie ist gleichsam Voraussetzung für die absatzkanalübergreifende Steuerung logistischer Prozesse.305
3.5.4 Zusammenfassende Thesen Es können zusammenfassend folgende Thesen bzgl. der Auswirkungen von Liberalisierung im europäischen Automobilvertrieb aufgestellt werden: • T-5.1: Die GVO 1400/02 führt zur Reduktion der vertragsbasierten Marketing- und Systemführerschaft der Hersteller auf Großhandels- und Einzelhandelsebene. • T-5.2: Der Kosten- und Wettbewerbsdruck auf alle Mitglieder des Automobilvertriebs wird weiter hoch bleiben. • T-5.3: Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen werden die Entstehung und Etablierung neuer Geschäftsmodelle im Automobilvertrieb weiter begünstigen. • T-5.4: Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen werden den Eintritt neuer Wettbewerber in den Automobilvertrieb weiter begünstigen. • T-5.5: Die Etablierung von Formen des Mehrmarkenvertriebs auf Einzelhandelsebene ist wahrscheinlicher geworden und für den Hersteller aufwendiger zu unterbinden. • T-5.6: Die nur moderat fortschreitende Preis- und Steuerharmonisierung innerhalb der EU wird mittelfristig weiterhin Geschäftsmodelle ermöglichen, die auf der Ausnutzung von Arbitrageeffekten aufbauen. • T-5.7: Anstatt des Wegfalls der GVO 1400/02 wird eine neue GVO bzw. ein ähnliches Regime für die Zeit nach dem 1.10.2010 entwickelt werden.306 Folgenden Thesen ergeben sich aus der Analyse des technologischen Umfelds: • T-5.8: IuK-Technologien bietet neue Möglichkeiten der Koordination und Kooperation im Vertriebssystem – auch unter Verzicht auf zentralisierte Strukturen mit Hilfe von Netzwerkarrangements.
303 304 305 306
Vgl. Schögel/Sauer 2002, S. 93; Dammenhain/Amann 2001, S. 343-344, 350-352; Regelmann 2004, S. 531; Schiemer 2004, S. 539ff. Vgl. Dreier 1999, S. 88-90; Hummel 2002, S. 727; Solf 2004, S. 165. Vgl. T-1.1 (Abstimmung); T-1.6 (Vernetzung); Dammenhain/Amann 2001, S. 352-355; Zadek 2002, S. 14ff. Die Ausgestaltung eines etwaigen Nachfolgeregimes ist nicht sicher abzuleiten, indes soll die Prognose im Delphi hier Aufschluss bringen – vgl. Kapitel 4.
70
3 Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren der Gestaltung des Automobilvertriebs
• T-5.9: IuK-Technologien können zur Prozessoptimierung und somit zur Kostensenkung im Vertriebssystem eingesetzt werden. • T-5.10: IuK-Technologien ermöglichen neue Modelle in der Gestaltung der Kundenbeziehung, so dass die Wertschöpfung erhöht oder auf neue Bereiche ausgedehnt werden kann.
3.6 Zwischenfazit: Forschungsfragen F-I und F-II Im Kapitel 3 wurden Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren zur Gestaltung von Vertriebssystemen des europäischen Automobilvertriebs im Kontext aktueller Trends herausgearbeitet. Das Ergebnis stellt den ersten Schritt zur Beantwortung der Forschungsfragen F-I und F-II dar. Auf die theoretische Ableitung der Thesen folgt eine empirische Überprüfung in Kapitel 5.
4 Analyse von Distributionsorganen
71
4 Analyse von Distributionsorganen Ausgangspunkt von Kapitel 4 stellt die Notwendigkeit der Kenntnis potenzieller Distributionsorgane für erfolgreiches Multikanalmanagement in Verbindung mit Hauptthese H-II dar. Das vorliegende Kapitel wird H-II belegen und zugleich Forschungsfrage F-III beantworten: „Welches theoretische Analysekonstrukt kann die sich verändernden Distributionsorgane auf den verschiedenen Ebenen der Vertriebssysteme konsistent und umfassend beschreiben?“ In Kapitel 4.1 wird zunächst auf die allgemeine Kategorisierung von Distributionsorganen eingegangen, bevor im weiteren Verlauf von Kapitel 4 ein geeignetes Analysekonstrukt für Distributionsorgane ausgewählt und für die Problemstellung operationalisiert wird.
4.1 Kategorisierung von Distributionsorganen Wie in Kapitel 2.1 bereits beschrieben, besteht das Distributionssystem aus Distributionsorganen, welche am Distributionsprozess beteiligt sind und in vielfältigen horizontalen und vertikalen Beziehungen rechtlicher, ökonomischer und kommunikativ-sozialer Art zueinander stehen. Sie bilden das Distributionsnetzwerk und überbrücken die Spannung zwischen Hersteller und Endkunde. Sie können in fünf Gruppen kategorisiert werden:307 1. Absatzorgane der Hersteller bzw. Produzenten: Dazu zählen (1.) Verkaufsabteilungen, in denen Distributionsaktivitäten geplant, entschieden bzw. deren Durchführung angeordnet und kontrolliert wird. Automobilhersteller unterhalten große Verkaufsabteilungen aus denen oft auch Sonderkunden, wie etwa berühmte Persönlichkeiten (V.I.P.), Journalisten, staatliche und soziale Institutionen, direkt betreut werden. (2.) Verkaufsstellen werden werkseigen, -gebunden oder rechtlich und wirtschaftlich ausgegliedert betrieben. Sie nehmen die Gestalt eines Groß- oder Einzelhandelsbetriebs ein, verfügen indes nicht über die wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit von Absatzmittlern im indirekten Vertrieb. Im Automobilvertrieb haben ausgegliederte Verkaufsstellen als Groß- und Einzelhandelsbetriebe Bedeutung, es kommen sowohl werkseigene Niederlassungen als auch rechtlich selbständige Vertriebsgesellschaften im Eigentum der Hersteller vor, die in Betriebsformen des Groß- oder Einzelhandels auftreten.308 Franchisesysteme mit enger Bindung an den Franchisegeber309 oder Factory Outlets existieren im Automobilvertrieb derzeit nicht. (3.) Verkaufspersonen als angestellte Reisende oder selbständige Handelsvertreter spielen im Automobilvertrieb eine untergeordnete Rolle. Distributions- bzw. Absatzmittler „sind wirtschaftlich und rechtlich selbständige Betriebe, deren Hauptzweck die Übertragung wirtschaftlicher Verfügungsmacht über Güter gegen Entgelt ist.“310 Dem Handelsbetrieb können vier zentrale Merkmale zugeschrieben werden: 307 308
309 310
Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 66-111; Rosenbloom 1999, S. 34-73; ähnlich Wirtz/Defren 2007, S. 14-17. Organe der Distributionslogistik spielen im Kontext dieser Arbeit keine Rolle und sind daher nicht berücksichtigt. Vgl. T-4.1 (Vorwärtsintegration) und T-4.2 (Direktvertrieb). Einige Vertriebsgesellschaften weden derart eigenständig geführt, dass sie wesentliche Charakteristika der Distributionsmittler auf Groß- bzw. Einzelhandelsebene erfüllen. Hier findet die GVO 1400/02 Anwendung, so dass kein Unterschied zum Vertragshandelssystem besteht. Vgl. Kapitel 5.5.13. Specht/Fritz 2005, S. 71; vgl. Kapitel 2.1.
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4 Analyse von Distributionsorganen
Erstens das Herbeiführen von Austauschprozessen, also Handel im funktionalen Sinn, zweitens der Handel mit Sachgütern und/oder Dienstleistungen, drittens der Handel mit privaten, öffentlichen oder gewerblichen Nachfragern als Kunden und viertens die Tatsache, dass die Handelsware selbst nur im beschränkten Maß durch den Handelsbetrieb verändert wird.311 Anknüpfend an das dritte Merkmal kann weiter gehend zwischen Einzelhandels- und Großhandelsbetrieben unterschieden werden, während letztere ihre Ware ausschließlich an Wiederverarbeiter und -verkäufer sowie Großabnehmer absetzen.312 2. Distributionsmittler auf Großhandelsebene: Im Großhandel werden verschiedene Betriebsformen unterschieden, dabei stellen Umfang übernommener Distributionsfunktionen, Sortimentspolitik, Belieferungspolitik und Marktgebiet (Binnen- und Außengroßhandel) wichtige Abgrenzungskriterien dar. Mit Abbildung 22, Seite 58 wurde bereits auf die Bedeutung von Importeuren im europäischen Automobilvertrieb eingegangen. Im Einzelhandel haben Konzentrationen zur Übernahme einzelner Aufgaben des Großhandels – wie Lagerhaltung und Marktpflege – durch Handelsgruppen o.ä. Kooperationsformen geführt.313 3. Distributionsmittler auf Einzelhandelsebene: Im Einzelhandel kann allgemein eine große Vielfalt an jeweils verwendeten Marketing-Konzeptionen und Betriebsformen festgestellt werden. Dominierende Betriebsform auf Einzelhandelsebene ist das im Vertragshandel gebundene Fachgeschäft.314 Kooperationsformen mit und ohne räumliche Konzentration von Verkaufsstätten gewinnen an Bedeutung. Im Gegensatz zu Distributionsmittlern, übernehmen Distributionshelfer kein wirtschaftliches Risiko am Distributionsobjekt, d.h. sie betreiben keinen Eigenhandel i.S. der Übernahme von Absatzrisiko bzw. sie verkaufen Fahrzeuge nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.315 4. Distributionshelfer: Aufgrund der großen Dominanz und Homogenität des Vertragshandels im Automobilvertrieb haben sich Spezialisten bzw. alternative Distributionsorgane meist als Absatzhelfer gebildet, indem sie für andere Distributionsorgane vermittelnd tätig sind. 5. Beschaffungsorgane der Endkunden: Die in einigen Branchen zu beobachtende Verlagerung von Distributionsfunktionen zum Konsumenten316 hat im Automobilvertrieb kaum Einzug gehalten. Lediglich die Ausnutzung verschiedener elektronischer Medien zur Sammlung von Information und Vergleich von Angeboten hat an Bedeutung gewonnen.317 Wie bereits in Kapitel 2.2 respektive Abbildung 5 dargestellt, besteht ein Distributionssystem aus 1 bis n Absatzkanälen, die ihrerseits aus 1 bis n Distributionsorganen konstituiert sind. Die im vorliegenden Kapitel dargestellte Kategorisierung von Distributionsorganen 311
312 313 314 315 316 317
Insbesondere der vierte Punkt erzeugt Abgrenzungsprobleme, MÜLLER-HAGEDORN spricht von „branchenüblicher Manipulation“, was jedoch problematisch wird, sobald eine Branche starken Veränderungen ausgesetzt ist. Vgl. Mattmüller 1993, S. 84. Vgl. Müller-Hagedorn/Toporowski 2006, S. 8; Müller-Hagedorn 1998, S. 31ff.; Täger 1995, S. 257; Mattmüller 1993, S. 86; Wirtz/Defren 2007, S. 15. Vgl. Kapitel 3.3.2, T-3.1 (Konsolidierung) und Kapitel 5.5.12. Vgl. Kapitel 3.3.1. Vgl. Müller-Hagedorn/Toporowski 2006, S. 5. Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 110. Vgl. T-2.3 (Verhandlungsposition).
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verwendet drei Differenzierungsparameter: erstens die Frage nach dem Eigentümer des Distributionsorgans (also Hersteller bzw. Produzent, Endkunden oder ein Dritter) und zweitens die Frage, ob das Distributionsorgan Absatzrisiko übernimmt, das heißt ob ein doppelter Eigentumsübergang am Distributionsobjekt – also Handel im funktionalen Sinne – stattfindet. Distributionsorgane, die als Distributionsmittler identifiziert sind, werden drittens im Hinblick auf die Kundenstruktur und übernommenen Distributionsfunktionen in Distributionsmittler auf Einzel- bzw. Großhandelsebene differenziert. Zusammenfassend stellt Abbildung 27 die Kategorisierung von Distributionsorganen im Kontext der Distributionssysteme dar. *: Differenzierungsparameter:
Distributionssystem Absatzkanäle 1 2
...
n
Distributionsorgane 1 2
...
1.)
Eigentümer des Distributionsorgans Æ Hersteller, Endkunde oder Dritter
2.)
Übernahme Absatzrisiko Æ Distributionsmittler oder -helfer
3.)
Groß- oder Einzelhandelsebene
n Kategorisierung*
Hersteller Produzent
Distributionsmittler (Großhandel)
Distributionsmittler (Einzelhandel)
Distributionshelfer
Endkunde
Abbildung 27: Distributionsorgane als Elemente des Distributionssystems
Kritische Würdigung Zur weiter gehenden Differenzierung von Distributionsorganen innerhalb der fünf Gruppen wird in der Literatur u.a. der Begriff Betriebsform bzw. -typ verwendet. Die Ausweisung eines allgemeingültigen Betriebsformenkatalogs für die genannten fünf Gruppen bereitet aus zwei Gründen Probleme: zum einen ist die uneinheitliche Differenzierung von Betriebsformen und zum anderen ist der unterschiedliche Fokus der Untersuchungen zu nennen. • Betriebsformendifferenzierung: Wie in Kapitel 4.2.1 noch weiter ausgeführt wird, besteht in der Literatur Uneinigkeit bzgl. der Abgrenzung der Begriffe Betriebsform und -typ, über die Auswahl der Differenzierungskriterien sowie deren Ausprägungen. • Fokus der Untersuchungen: Insbesondere Literatur in der Tradition der Handelslehre legt den Schwerpunkt auf die Beschreibung und Analyse selbständiger Absatzmittler – also Handelsbetriebe. Distributionshelfer werden dabei als Handelsvermittler berücksichtigt.318 Herstellergebundene bzw. -eigene Distributionsorgane und Distributionsorgane der Endkunden werden nicht immer separiert betrachtet.319 Ferner treten bei Anwendung der Differenzierungssystematik auf den Automobilvertrieb spezifische (Abgrenzungs-) Probleme auf. Etwa bereitet die Abgrenzung zwischen Absatzmittlern und -helfern Schwierigkeiten, denn im Automobilmarkt existieren beispielsweise
318 319
Vgl. z.B. Müller-Hagedorn/Toporowski 2006, S. 4ff.; Müller-Hagedorn 1998, S. 31ff. Bspw. führen MÜLLER-HAGEDORN/TOPOROWSKI Factory Outlets oder Fabrikladen in der Liste der Betriebsformen des Einzelhandels. Vgl. Müller-Hagedorn/Toporowski 2006, S. 9.
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4 Analyse von Distributionsorganen
Autohäuser, also Fachgeschäfte, die sich ggü. der gängigen Ausprägung als Vertragshändler (Distributionsmittler auf Einzelhandelsebene) lediglich darin unterscheiden, dass sie auf fremde Rechnung und z.T. auf fremden Namen Fahrzeuge verkaufen oder im Eigentum des Herstellers befinden.320 Die Betriebsform Fachgeschäft tritt insofern in den Kategorien Distributionsorgan des Herstellers, Distributionsmittler Einzelhandel und Distributionshelfer (auf Einzelhandelsebene) auf. Ein anderes Beispiel stellen Absatzmittler dar, die einen wesentlichen Umsatzanteil mit dem Vertrieb von Fahrzeugen an Großabnehmer erwirtschaften und bzgl. ihrer Erscheinung vor Kunde, Übernahme von Distributionsfunktionen und sonstigen Marketing-Mix wie ein Einzelhandelsfachgeschäft auftreten. Letztere übernehmen überdies häufig für einige Fahrzeugverkäufe das wirtschaftliche Risiko und für andere nicht, eine klare Zuordnung fällt daher schwer. Wie im folgenden Kapitel u.a. anhand Tabelle 6 noch zu zeigen sein wird, werden in der Literatur zum Automobilvertrieb unterschiedlichste Typologien zur Differenzierung von Distributionsorganen angewendet.
4.2 Analysekonstrukte zur Differenzierung von Distributionsorganen Im Folgenden sollen Analysekonstrukte diskutiert werden, die potenziell für die Beantwortung von Forschungsfrage F-III zur Verfügung stehen und die sich verändernden Distributionsorgane auf den verschiedenen Ebenen der Vertriebssysteme konsistent und umfassend beschreiben können. Zunächst werden die Anforderungen an das Analysekonstrukt aus zwei Perspektiven spezifiziert: zum einen allgemeine Anforderungen und zum anderen spezielle Anforderungen i.S.d. Problemstellung bzw. im Kontext des Multikanalmanagements. Allgemeine Anforderungen an Typologien Das Analysekonstrukt übernimmt in der DSG die Aufgabe der Erfassung, Ordnung und typologischen Darstellung zur Verfügung stehender Distributionsorgane. Das Analysekonstrukt sollte demzufolge prinzipiellen Anforderungen an eine Typologie genügen. Typologien und Morphologien sind wissenschaftliche Erkenntnismethoden, die funktional sowohl als heuristische Methode Zusammenhänge entdecken helfen, als auch Beiträge zur Erklärung der Wirklichkeit liefern sollen. Als meist zeitbezogenes Abbild der Realität321 bilden sie das Charakteristische einer Gruppierung ab und dienen mit Hilfe einer mehrdimensionalen Merkmalskombination der Komplexitätsreduktion. Der Prozess der Typologisierung umfasst zwei Schritte: erstens Definition der Merkmale (Kapitel 4.4) und zweitens Typenbildung durch sinnvolle Kombination der Merkmalsausprägungen (Kapitel 4.5 und 5.5). Es existiert in der Literatur keine einheitliche Auffassung über die allgemeinen
320 321
Vgl. Kap. 5.5.1. Vgl. Leitherer 1965, S. 653
4 Analyse von Distributionsorganen
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Anforderungen an Typologien, folgende Kriterien erscheinen jedoch für die vorliegende Arbeit als zweckmäßig:322 • Typologien werden zur Komplexitätsreduktion eingesetzt, sie sollten daher möglichst wenige, aber mindestens eine finite Anzahl an Typen aufweisen. Vorteilhaft sind offene Merkmalssysteme, denen leicht weitere, im Zeitablauf wichtiger werdende, Merkmale hinzugefügt werden können. • TIMMERS konstatiert bezüglich der Typologie von E-Commerce Geschäftsmodellen: “While this systematic approach leads to a large number of potential business models, in practice only a small number of these can be observed being implemented.”323 Für Typologien wird daher regelmäßig das Dominanzprinzip angewendet, zweckmäßige bzw. tatsächlich beobachtbare Typen werden dann aus der Menge der theoretisch möglichen Merkmalskombinationen herausgegriffen und weiter verfolgt. • Eine Typologie wird zweckbezogen zur Erkenntnisgewinnung genutzt, in der vorliegenden Arbeit sollte sie daher die Distributionsorgane des europäischen Automobilvertriebs abbilden können. Für diesen Zweck sollte sie eine möglichst erschöpfende Erfassung darstellen, also alle wesentlichen Distributionsorgane einordnen. Das Kriterium der Zweckbezogenheit bildet sich hier in den spezifischen Anforderungen des Multikanalmanagements ab. • Im Gegensatz zur Klassifikation werden Typen aus der sinnvollen Kombination mehrerer Merkmale gebildet, ohne ein Subordinationsverhältnis der Merkmale festzulegen.324 Die beschreibenden Merkmale bzw. Dimensionen sollten auf alle erfassten Typen anwendbar sein, obwohl sie nicht für alle Typen gleiche Wichtigkeit haben werden. • Die Typen sollten sich durch eine möglichst hohe interne Homogenität und hohe externe Heterogenität charakterisieren. WIRTZ stellt für die Abgrenzung von Geschäftsmodellen heraus, dass die Abgrenzung nicht ohne Überlappungen in einzelnen Bereichen auskommen wird. „Die Geschäftsmodelle sollten jedoch innerhalb eines Typus relativ homogen und zwischen den Typen möglichst heterogen sein, damit die Typologie eine ausreichende Orientierungs-, Differenzierungs- und Klassifizierungsmöglichkeit bietet.“325 • Typologien nutzen die Abstraktion praktischer Erfahrung und die gezielte Deduktion theoretischer Konzepte.326 Folglich sollte die Anwendung theoretischer Ansätze begründet sein. • Typologien sollten konsistent und logisch aufgebaut sein. Spezifische Anforderungen an eine Typologie für das Multikanalmanagement Ein Grund für die Vielfalt an Systematisierungsansätzen in der Literatur ist der jeweils unterschiedliche Zweck. Aus den Überlegungen zum Multikanalmanagement in Kapitel 2.2 ergeben sich folgende Anforderungen: • Differenzierung der Distributionsorgane: MKM erfordert die Kenntnis über die Vielfalt der unterschiedlichen Distributionsorgane erstens in der gesamten Branche und zweitens auf allen Ebenen des Distributionssystems mit einer konsistenten Systematik. Drittens ist 322 323 324 325 326
Zur Kriteriendiskussion vgl. Knoblich 1972, S. 142-145; Carper/Snizek 1980, S. 66-70; Lehmann 1984, S. 3941-3948; Knoblich/Beßler 1985, S. 562-563; Doty/Glick 1994, S. 146-247; Kluge 1999, S. 23ff. Timmers 2000, S. 32 Vgl. Barth/Hartmann/Schröder 2002, S. 83. Wirtz 2001, S. 217. In Anlehnung an KNOBLICH wird der Unterschied von Real- und Idealtypen hier als eher graduell verstanden und keiner Grundsatzdiskussion zugeführt. Vgl. Knoblich 1972, S. 145.
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es zweckmäßig wenn mit dem Analysekonstrukt auch potenziell einsetzbare Distributionsorgane erfasst werden können, die entweder von anderen Branchen übertragen oder neu kreiert werden. • Management der Distributionsorgane: Das Analysekonstrukt sollte das strategische und operative Management der Distributionsorgane unterstützen: zum einen übergreifend im Distributionsnetzwerk (z.B. Schnittstellen bei der Zusammenarbeit der Distributionsorgane oder Koordinationsmechanismen) und zum anderen bezogen auf das einzelne Distributionsorgan (z.B. Kunden und Leistungsspektrum eines Distributionsorgans). Das Management schließt die Beschreibung, Bewertung i.S. der Distributionsziele und Identifikation von Entwicklungspotenzialen mit ein. In wissenschaftlichen Beiträgen zum Automobilvertrieb wurden je nach Fragestellung unterschiedliche Ansätze respektive Analysekonstrukte zur Typologisierung und Beschreibung der unterschiedlichen Distributionsorgane verwendet. Zugleich erschweren die Vielzahl der Erscheinungsformen und die z.T. geringe zeitliche Stabilität der Differenzierungsmerkmale die Systematisierung. Tabelle 6 zeigt die Vielfalt verwendeter Analysekonstrukte und Typologien. Analysekonstrukt Betriebsform (Wöllenstein 1996)
Betriebstyp und Absatzkanal (Jensen 2001)
− − − − −
Distributionssystem/ Absatzweg (Lademann/Seidel/Petersen 2001)
Distributionsform (Methner 2002)
Absatzkanal (Schögel/Sauer 2002)
Betriebsform (Zielke/Preißner/Wierich 2002)
Typen − Ambitionierter Händler − Kundendienstfokussierter Händler − Markenstützpunkt − Absatzkanäle: Betriebstypen (i.S.v. Automobilfachgeschäften): − Niederlassungssystem Herstellereigene Niederlassung − Einstufiges Händlersystem Haupt-/Direkthändler − Zweistufiges Händlersystem Nebenhändler/Vertragswerkstatt − Gemischtes Vertriebssystem (Handelsvertreter) − Handelsvertretersystem Vertragshändler − Leasinganbieter Niederlassung (Direktvertrieb) − Mehrmarkenhändler (Marken konkurrierender Hersteller) Reimporteur (Parallelhandel) − Unabhängiger Internethändler Branchenfremder Händler
− Handelsspezialist − Automobil-Center − Klassisches Autohaus
− − − − − − − − − −
NW-Zentrum GW-Zentrum Werkstatt Internet Finanz-Outlet Komplettbetrieb
− E-Commerce (InternetDirektverkauf) − Außendienst Großkundengeschäft − Werksniederlassungen − Franchise-System − Car-Broker/Online-Agenten − Branchenfremde Händler − Pkw-Discounter − Pkw-Fachmarkt − Pkw-Fabrikverkauf
− − − − − − − − − −
Brand Park, Firmenmuseum Autofachmarkt Repräsentanz, Info-Outlet Merchandising Shop Fast-Fit- Betrieb, Reifenfachhändler Tuner Supermärkte, Intermediäre, Vermieter Mega-Dealer/Internationale Groß-Distributoren Vertragshändler Unterhändler
− Einmarken-Pkw-Fachhändler − Mehrmarken-Pkw-Fachhändler − Pkw-Vollsortimenter
4 Analyse von Distributionsorganen Analysekonstrukt Betriebsform (Betz 2003) Absatzweg/ Vertriebsweg (Diez 2003b)
− − − − − − − − − −
Betriebsform und Absatzkanal (Smend 2004)
− − − − − − − − − −
Online-Information-Sites Online-Quoting-Sites Vertragshändler exklusiv Vertragshändler Mehrmarken Großkundenzentren NW-Auslieferungslager Vertragswerkstätten Autorisierte Werkstätten Autorisierte Ersatzteilstützpunkte Unabhängige Leasinggesellschaften Niederlassungen Flagshipstores Brand Lands Niederlassung Vertragshandel Markenerlebniszentrum Factory Outlet Center Mehrmarkenhandel Mega Dealer/Category Killer Branchenfremder
77 Typen − Online-Transaction-Sites − Brand Locations/Spots − Kundencenter − Speditionelle Auslieferungszentren − Vermittler − Re-Importeure − Internet-Broker − Internetbörsen − Freie Werkstätten − Werkstattkonzepte − Werkstattketten − Teile- und Zubehörfachmärkte − Originalteilespezialisten − − − − − −
Einzelhandel Online-Direktvertrieb Online-Angebot des Händlers Online-Broker Online-Mehrmarkenhandel (Reimporthändler)
Tabelle 6: Auswahl institutioneller Typologien des Automobilvertriebs327
Die exemplarische Auswahl in Tabelle 6 macht deutlich, dass selbst unter den Autoren, die das gleiche Analysekonstrukt gewählt haben, keine Einigkeit über die Bezeichnung und Abgrenzung der Distributionsorgane herrscht. Die Anforderung der Konsistenz ist also nicht erfüllt. Außerdem kann festgestellt werden, dass ein klarer Schwerpunkt auf der Betrachtung der Einzelhandelsebene liegt. Die Auswirkungen vertikaler Desintegration und Spezialisierung werden daher kaum berücksichtigt. Zusammen mit der Argumentation in Kapitel 4.1 kann H-II somit als weitgehend bestätigt angesehen werden: Weder Literatur noch Praxis bieten bisher adäquate theoretische Konstrukte als Grundlage des Multikanalmanagements an, um die institutionellen Strukturen im europäischen Automobilvertrieb auf Groß- und Einzelhandelsebene sowie deren Veränderung konsistent und umfassend beschreiben und analysieren zu können. Im Folgenden werden vier alternative Analysekonstrukte auf ihre Anwendbarkeit in der vorliegenden Arbeit untersucht, um dann bezüglich der weiteren Verwendung gegeneinander abgewogen zu werden.
327
Vgl. Wöllenstein 1996, S. 284; Lademann/Seidel/Petersen 2001; Jensen 2001, S. 48; Zielke/Preißner/Wierich 2002, S. 138; Methner 2002, S. 58; Schögel/Sauer 2002, S. 91; Betz 2003, S. 35; Diez 2003b, S. 25; Smend 2004, S. 91-99.
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4 Analyse von Distributionsorganen
4.2.1 Ansatz „Betriebsformen“ Tabelle 6 zeigt, dass der Begriff Betriebstyp bzw. Betriebsform in der Literatur zum Automobilvertrieb häufig verwendet wurde. „Die wissenschaftliche Diskussion leidet [allerdings] an einer uneinheitlichen Verwendung der zentralen Begriffe Betriebsform, Betriebstyp und Vertriebsform. Teilweise werden die Begriffe synonym verwandt oder gar mit entgegengesetzten Inhalten belegt.“328 WÖLLENSTEIN identifiziert die historische Entwicklung der Handelsforschung bzw. des Handelsmarketings als wesentliche Ursache dieser Bedeutungsunschärfe. BURKHARDT diskutiert sehr umfassend die unterschiedlichen Begriffsauffassungen von Betriebsform bzw. -typ. Er differenziert dabei funktionale, institutionale sowie funktionale/institutionale Ansätze:329 Die funktionale Sichtweise fasst Elemente zusammen, die einen gleichen oder ähnlichen Einsatz von Marketinginstrumenten oder Handelsfunktionen verfolgen. Die institutionale Sichtweise differenziert nicht streng klassifikatorisch, sondern fasst Elemente unter Bezug auf wechselnde Merkmale wie Standort, Größe, Sortiment, Preisniveau u.a. zusammen. Die eher institutionale Begriffsauffassung von MÜLLER-HAGEDORN und des Ausschuss für Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft hat sich weitestgehend etabliert:330 Eine Betriebsform ist danach die „mehrdimensionale Kennzeichnung der Unternehmenspolitik“ zur Beschreibung und Typologisierung von Handelsbetrieben, deren gleiche oder ähnliche Kombination von konstitutiven Merkmalen hinsichtlich Struktur, Leistungsspektrum und Marktauftritt „über einen längeren Zeitraum“ beibehalten wird.331 Betriebstypen werden dabei z.T. als Varianten von Betriebsformen aufgefasst, um die Variation innerhalb der konstitutiven Merkmale erfassen zu können.332 Insofern stellt dann die Wahl der Betriebsform zum einen die Umsetzung einer strategischen Grundkonzeption und zum anderen den Rahmen für die Gestaltung einer Betriebstypenstrategie sowie der Marketinginstrumente dar. WÖLLENSTEIN schlägt eine Brücke zwischen Betriebstypenmarketing und strategischem Management, indem Betriebstypen „ex post [...] als Ergebnis und ex ante als Basis von Profilierungsstrategien verstanden werden“333 können. Handelsbetriebe profilieren sich über ihren Betriebstyp gegenüber dem Wettbewerb im Rahmen einer Differenzierungs-, Anpassungs-, Umarmungs-, Imitations-, Marktausschöpfungs- oder Innovationsstrategie. Zur
328 329 330 331 332
333
Wöllenstein 1996, S. 14. Vgl. Woratschek 1992, S. 5. Vgl. Burkhardt 1997, S. 14-20. Vgl. Wöllenstein 1996, S. 15; Müller-Hagedorn/Toporowski 2006, S. 5. Vgl. Müller-Hagedorn 1998, S. 31; Jaspert/Klein-Blenkers/Müller-Hagedorn 1995, S. 29; Wöllenstein 1996, S. 15; Geßner 1992, S. 109-110. Vgl. Mathieu 1980, S. 116; Drexel 1981, S. 57-58; Rudolph/Dautzenberg 1996, S. 111; Burkhardt 1997, S. 2021; Hoffmeister 1998, S. 58-59; Meffert 2000a, S. 1193; Weinberg/Purper 2004, S. 44; Barth/Hartmann/Schröder 2002, S. 45. Bspw. unterscheiden OLBRICH und MÜLLER-HAGEDORN zwischen Betriebsform und -typ nicht explizit und fassen ähnliche Betriebstypen zu Gruppen zusammen. Vgl. u.a. { Olbrich 1996, S. 90; Jaspert/Klein-Blenkers/Müller-Hagedorn 1995, S. 29-30; Müller-Hagedorn, 2006 #2833}, S. 7. Wöllenstein 1996, S. 24.
4 Analyse von Distributionsorganen
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Abgrenzung von Betriebsformen/-typen können verschiedene Merkmale zugrunde gelegt werden:334 • Merkmale gesamtwirtschaftlicher Einordnung, z.B. ökonomische Position der Abnehmer, Stufigkeit im Absatzweg, Stellung im Wirtschaftsablauf oder räumliches Betätigungsfeld • Merkmale der Unternehmens- bzw. Betriebsstruktur, z.B. Betriebsgröße, Rechtsform, Kostenstruktur, Abhängigkeit von außer- bzw. innerbetrieblichen Entscheidungszentren oder Zusammenschlussform • Merkmale der absatzwirtschaftlichen Funktionen • Merkmale des absatzpolitischen Instrumentariums, z.B. Größe der Verkaufsfläche, Sortimentspolitik, Preispolitik, Bedienungsprinzip, Inkassoverfahren, Standort, Distanzüberwindung, Integration in eine Agglomeration MÜLLER-HAGEDORN weist darauf hin, dass Merkmalskataloge zur Abgrenzung von Betriebstypen unterschiedlich fein angewendet werden können, so dass sich keine alleingültige Abgrenzung finden lässt. Vielmehr wird branchenabhängig unterschiedlich differenziert und ein unterschiedlicher Sprachgebrauch angewendet.335 BARTH stellt heraus, dass die Wahl der Abgrenzungskriterien i.d.R. dem jeweiligen Zweck der Systematik gefolgt sind, wodurch auch die Vielfalt erklärt werden kann.336 Beispielhaft sei ein Systematisierungsansatz von DIEZ mit folgenden Abgrenzungskriterien zitiert:337 • • • • • •
Grad der Herstellerbindung (stark versus schwach) Betriebsgröße (klein versus groß) Art der Leistungserbringung (Bündelung versus Spezialisierung) Räumliche Gestaltung (zentral versus dezentral) Anzahl vertretener Marken (Exklusivität versus Mehrmarkenhandel) Ausprägung einer Profilierungsstrategie (Handelsspezialist, Automobil-Center, klassisches Autohaus, ambitionierter Händler, kundendienstfokussierter Händler, Markenstützpunkt)338 In der Literatur werden Kataloge von Betriebsformen, die jeweils ihren Schwerpunkt im Einzel- bzw. Großhandel haben, verwendet. Dennoch werden mit dem Betriebsformenbegriff auch Distributionsorgane des Herstellers sowie der Distributionshelfer beschrieben.339 Basierend auf der Abgrenzung von SPECHT/FRITZ können die in Tabelle 7 dargestellten Betriebsformen von Distributionsorganen abgegrenzt werden.
334
335 336 337 338 339
Vgl. Algermissen 1976, S. 108ff.; Mathieu 1980, S. 116 und S. 125; WEINBERG weist nach, dass die verwendeten Differenzierungsmerkmale aus Konsumentensicht nicht immer Bedeutung haben, vielmehr sogar andere Merkmale wichtiger sind. Vgl. Weinberg/Purper 2004, S. 46-47 und 57-58. Vgl. u.a. Müller-Hagedorn 1995, S. 240-241; ein Beispiel für einen Katalog findet sich bei Pepels 2001, S. 153155 und Müller-Hagedorn 2002, S. 69. Vgl. Barth/Hartmann/Schröder 2002, S. 81 und S. 92. Vgl. Diez 2001a, S. 356-359. Vgl. Wöllenstein 1996, S. 191ff. Vgl. Kapitel 4.1.
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Großhandel − Zustellgroßhandel − Cash- and CarryGroßhandel − Rack Jobber − Streckengroßhandel − Sortimentsgroßhandel − Spezialgroßhandel
− − − − − − − − − − − − −
Einzelhandel Fachgeschäft Spezialgeschäft Waren- und Kaufhäuser Traditionelle Versandhäuser Supermärkte Verbrauchermärkte, SB-Warenhäuser Discounter Verkaufsautomaten Fachmärkte Convenience Stores Internet Shops Teleshops Kooperationsformen mit (Shopping-Center, Gemeinschaftswarenhäuser, Ladengemeinschaften, Verbrauchermärkte mit Konzessionären, Bahnhofseinkaufszentren, Warenhaus-Mitgliederklubs, Electronic Malls) und ohne (Einkaufsvereinigungen, Freiwillige Ketten, Konsumgenossenschaften) räumlicher Konzentration von Verkaufsstätten
Tabelle 7: Betriebsformenkatalog nach SPECHT/FRITZ340
Die angesprochene Vielfalt in der begrifflichen Abgrenzung von Betriebsformen hat ihren Ursprung u.a. in zeitlicher Instabilität der Erscheinungsformen. Daher haben sich auch dynamisch orientierte Betriebsformentheorien – z.B. der Lebenszyklusansatz oder das sog. Wheel of Retailing – gebildet, welche Veränderungen ex post erklären und zukünftige Entwicklungen prognostizieren helfen.341 Kritische Würdigung Vorteil des Ansatzes Betriebsform/-typ ist, dass es sich um ein in der Literatur etabliertes, theoretisch begründetes, komplexitätreduzierendes, offenes Merkmalssystem handelt, welches zweckmäßigerweise das Dominanzprinzip anwendet, um Abgrenzungsproblemen zu begegnen. Die Anforderung an Konsistenz ist indes nur dann gegeben, wenn der Differenzierung eines einzelnen Autors gefolgt wird, da die jeweils unterschiedliche Anwendung der Merkmale unterschiedlicher Autoren zwangsläufig zu Inkonsistenz führt. Das bereits in Kapitel 4.1 angesprochene Problem, dass insbesondere die bedeutendste Betriebsform des Automobilvertriebs – das vertragsgebundene Fachgeschäft (Autohaus) – auch als Distributionsmittler und als Distributionsorgan des Herstellers auftritt, führt zu einer erheblichen Einschränkung des Anspruchs an externe Heterogenität der Typen. Ein grundsätzliches Problem bei der Verwendung des Begriffs Betriebsform zur Typologisierung des Automobilvertriebs besteht darin, dass die Begriffsdefinition ursprünglich zur Beschreibung von Handelsbetrieben geschaffen wurde. Handelsbetriebe sind jedoch nur solche, welche Handel im funktionalen Sinne durchführen, nämlich Beschaffung 340 341
Vgl. Specht/Fritz 2005, S. 74-75 und S. 83ff. Vgl. Woratschek 1992, S. 18ff.; Müller-Hagedorn 1998, S. 226-229; Müller-Hagedorn 1995, S. 251-253.
4 Analyse von Distributionsorganen
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von Handelswaren (auf eigene Rechnung) und Absatz an Dritte.342 Diese Einschränkung kann auch damit begründet werden, dass die Distributionsforschung zunächst als Teil der Handelsforschung aufgetreten ist. Insofern liegt eine „terminologische Dominanz“ des Handels vor, obwohl von einigen Autoren ausdrücklich anerkannt wird, dass Handelsfunktionen auch durch andere – nicht im funktionalen Sinne Handel treibende – Wirtschaftssubjekte übernommen werden.343 Letztere werden als Absatzhelfer abgegrenzt, für diese Gruppe wird die Typologie selten angewendet. Überdies dominiert dabei die ex post-Betrachtung, es müsste deswegen sichergestellt werden, dass eine zukunftsgerichtete Anwendung im Multikanalmanagement ebenfalls möglich ist. Im traditionellen Automobilvertrieb vor Einführung der GVO 1400/02 gab es kaum Alternativen zur Automobildistribution über Vertragshändler. Daher eignete sich der Betriebsformenbegriff mit seiner terminologischen Nähe zum Handelsbegriff als Analysekonstrukt. Folgerichtig schränkt DIEZ seine Aussagen zu den unterschiedlichen Abgrenzungen von Betriebsformen auf sog. Automobilfachgeschäfte, also Vertragshändler – als spezielle Form von Fachhandelsbetrieben – ein.344 In jüngster Zeit gewinnen Wirtschaftssubjekte, die keinen Handel im funktionalen Sinne betreiben, im Automobilvertrieb eine immer größere Bedeutung – Beispiele sind Vermittler im Internet oder der Direktvertrieb der Hersteller.345 Die Beantwortung von F-III erfordert eine möglichst umfassende Abbildung des Automobilvertriebs und lässt daher eine Einschränkung auf Handel treibende Wirtschaftssubjekte nicht zu. Nicht zuletzt sollte die Typologie auf alle fünf in Kapitel 4.1 genannten Gruppen anwendbar sein, um seinen Zweck zu erfüllen. Die Übernahme des Begriffs Betriebstyp bzw. Betriebsform erscheint daher ungeeignet, um eine konsistente, zweckbezogene und umfassende Typologie aufzubauen. Er müsste zunächst eine Präzisierung erfahren.
4.2.2 Ansatz „Distributionsformen“ METHNER untersucht die Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren im Automobilvertrieb und differenziert zunächst drei Beziehungsverhältnistypen: Niederlassungen, Handelsmittler und Vertragshändler.346 Als Distributionsform fasst er „alle Betriebe [zusammen], welche durch die Übernahme von Handelsfunktionen innerhalb des Vertriebssystems eines Automobilherstellers in den direkten Kontakt mit dem Endkunden eingebunden sind und sich in Bezug auf die Ausgestaltung der konstitutiven Leistungsmerkmale gleichen“.347 Die Leistungsmerkmale beziehen sich auf die Art der Dienstleistung gegenüber dem Endkunden in den automobilspezifischen Geschäftsbereichen Neu- und Gebraucht342 343 344 345
346 347
In der Literatur spricht man auch vom sog. konstitutiven Merkmal des zweifachen Eigentumsübergangs. Vgl. z.B. Mattmüller 1993, S. 83. Vgl. dazu bspw. Oberparleiter 1955, S. 5ff.; Schenk 1970, S. 13; Kaapke 2003, S. 157. Vgl. Diez 2001a, S. 354. Vgl. Kapitel 5. Daher ist bspw. die Differenzierung von Automobil-Vertriebsstrukturen im E-Commerce von Betz aufgrund der weit gedehnten Verwendung des Begriffs Betriebsform sehr kritisch zu sehen. Vgl. Betz 2003, S. 34ff. Ein anderes Beispiel stellt die Analyse von Meffert/Wöllenstein/Burmann 1996b dar. Vgl. Methner 2002, S. 19-22. Vgl. ebenda, S. 12.
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4 Analyse von Distributionsorganen
wagen, Werkstatt und Service, Ersatzteile und Zubehör, Finanzdienstleistungen sowie Sonstige. Daraus leitet er analog zur Betriebsformentypologie eine Distributionsformentypologie ab.348 METHNER führt den Begriff der Distributionsform ein, um auch solche Betriebe erfassen zu können, die Teil des Automobilvertriebs sind, jedoch keine Handelsfunktion i.S. des charakteristischen Eigentumsübergangs übernehmen. Er nutzt den Begriff quasi synonym mit dem Begriff Betriebsform. Kritische Würdigung Die Begriffsauffassung von METHNER ist der Versuch, den Begriff Betriebsform/-typ weiter zu entwickeln, um neue Elemente der Automobildistribution zu erfassen. Das Konstrukt hat jedoch keinen festen Platz in der allgemeinen Distributionsforschung bzw. der spezifischen Forschung zum Automobilvertrieb gefunden. Begreift man Distribution im akquisitorischen Sinne, also bzgl. verkaufsorientierter Aufgaben, scheint die Begriffswahl gerechtfertigt zu sein, da in der Tat unterschiedliche Formen akquisitorischer Distribution beschrieben werden. Bzgl. der Anwendung des Begriffs Distributionsform in der vorliegenden Arbeit sind jedoch zwei Dinge problematisch: Zum einen ist der Begriff auf den Verkauf an Privatkunden ausgerichtet, was angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Fahrzeuge an Groß- und Sonderkunden abgesetzt wird, nur ein unvollständiges Abbild des europäischen Automobilvertriebs erzeugt.349 Zum anderen kann die Großhandelsebene bzw. jedes Distributionsorgan innerhalb der Vertriebskette, ohne Endkundenkontakt durch diesen Begriff nicht erfasst werden. Die vorliegende Arbeit soll sowohl das Geschäft mit Groß- und Sonderkunden, als auch die Großhandelsebene einschließen. Die Verwendung dieses Begriffs würde also keine zweckmäßige und erschöpfende Erfassung der Distributionsorgane liefern. Überdies wäre zu prüfen, ob das Konstrukt eine ausreichende theoretische Begründung erfahren kann.
4.2.3 Ansatz „Absatzkanal“ In der Literatur zum Automobilvertrieb wird häufig zwischen unterschiedlichen Absatzkanälen unterschieden, wenngleich inhaltlich meist nur auf einzelne Distributionsorgane abgehoben wird.350 Somit wird ein Kernelement des Begriffs Absatzkanal, nämlich die Beteiligung mehrerer Akteure, nicht berücksichtigt. Der Begriff wird also vielfach unscharf genutzt, obwohl er in der Literatur relativ unumstritten ist. Der Absatzweg351 ist die Art und Weise, wie Güter aufgrund der Arbeitsteilung zwischen den beteiligten Distributionsorganen vom Hersteller zum Endkunden gelangen. Der Absatzkanal umfasst insofern die rechtlichen, ökonomischen und 348 349 350 351
Vgl. ebenda, S. 46-70. Vgl. Kapitel 3.2.1 und T-2.1 (Kundengruppen). Vgl. u.a. Kaapke 2003, S. 160. In Kapitel 1.4 wurde bereits auf die synonyme Verwendung der Begriffe Distributionsweg, Distributionskanal, Distributionskette, Handelskette, Vertriebsweg, Marktkanal, Marketing Channel bzw. Absatzkanal hingewiesen.
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kommunikativ-sozialen Beziehungen aller am Distributionsprozess beteiligten Institutionen, während besonders die Aufteilung der Distributionsfunktionen zwischen Hersteller, Endkunde, Absatzmittlern und Absatzhelfern interessiert.352 Kritische Würdigung Die Wahl des Multikanal-Ansatzes als konzeptionelle Basis für die Beantwortung von F-III legt die Verwendung des Begriffs Absatzkanal nahe. Insbesondere in Bezug auf MultikanalStrategien und bei der Untersuchung von Multikanalsystemen eignet sich der Begriff Absatzkanal vortrefflich. Bezogen auf die Anwendbarkeit für F-III, werden aus der Begriffsdefinition jedoch zwei Aspekte deutlich, die eine Anwendung ungeeignet erscheinen lassen: • Zweckbezogenheit: Der Begriff umfasst immer mehrere Akteure respektive Institutionen entlang des Absatzkanals und betont deren Zusammenspiel.353 F-III zielt jedoch auf die Analyse und mithin das Management einzelner Distributionsorgane ab. • Theorieanwendung: Der Begriff dient als Konstrukt bei der Formulierung von Strategien zur Überbrückung der Spannung zwischen Hersteller und Endkunde. In den Kapiteln 2.2.2 und 3.3 wurden bereits wichtige Entscheidungsfelder der Konstitution des Absatzkanalsystems beschrieben: Absatzkanallänge, -breite, -tiefe, -Koordination sowie institutionelle Ausgestaltung. Die Typologisierung von Distributionsorganen ist mit dem Begriff indes nicht intendiert. Der Begriff Absatzkanal eignet sich deshalb nicht als Analysekonstrukt und beantwortet somit nicht F-III. Er besitzt jedoch Bedeutung für die Beantwortung der Fragen F-IV und F-V.
4.2.4 Ansatz „Geschäftsmodell“ „Der Begriff 'Geschäftsmodell' bzw. ‚business model’ wurde vor allem in der Zeit von 1996 bis 2000 parallel zum Aufstieg des Electronic Commerce zunehmend in den Medien und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendet, ohne dass der Begriff ausreichend präzise bestimmt oder einheitlich verwendet worden wäre.“354 Den Ursprung hat der Begriff in der Wirtschaftsinformatik der 1970er Jahre. Seitdem wird unter Business Modelling das Abbilden von Informationsströmen im Unternehmen, die für die Modellierung von Informationssystemen relevant sind, bezeichnet. In der jüngeren Vergangenheit wird mit dem Begriff die grobe Beschreibung einer Geschäftstätigkeit insgesamt verstanden, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Schlagworten E-Commerce, Start-up oder Existenzgründung. Der Begriff wird teilweise auch synonym mit dem Begriff Business Plan verwendet. SCHÖGEL stellt heraus, dass der Begriff Geschäftsmodell zum einen oft im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Wert, Wertschöpfung und Wertschöpfungsprozess sowie zum anderen mit dem Themenkomplex Dekonstruktion von (traditionellen) Wertschöpfungsketten verwendet
352 353 354
Vgl. Meffert 2000a, S. 600. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1997, S. 11 und, S. 466. Rentmeister/Klein 2003, S. 18. Vgl. Wirtz 2001, S. 210; Wirtz/Loscher 2001, S. 451; Stähler 2001, S. 36-40; Schögel 2002, S. 374; Hedman/Kalling 2003, S. 49.
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wird.355 Im Folgenden werden diverse Interpretationen des Geschäftsmodell-Begriffs kurz dargestellt, Tabelle 8 stellt die relevanten Autoren zusammen.356 Autoren Boulton/Libert/Samek 2001 Gordijn/Akkermans/Vliet 2000 Timmers 2000 Stähler 2001 Rentmeister/Klein 2003
Schögel 2001 Hedman/Kalling 2003
Wirtz 2001
Ahlert/Backhaus/Meffert 2001 zu KnyphausenAufseß/Meinhardt 2002 Meinhardt 2002 Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002
Betz 2002
Inhaltlicher Schwerpunkt Wertorientierte Auffassung: Geschäftsmodelle als individuelle Kombination materieller und finanzieller Vermögenswerte (alternativ: Value Model) Geschäftsmodell als Analysekonstrukt der Strategieforschung: Geschäftstätigkeit und Rollen der Beteiligten Akteure, Nutzen und Einnahmequellen im Fokus. Geschäftsmodell und Unternehmen sind nicht gleichgesetzt, ein Unternehmen kann mehrere Geschäftsmodelle betreiben. Operationalisierung in Value Proposition, Leistungserstellung und Ertragsmodell. Geschäftsmodell als Analysekonstrukt der Strategieforschung in Verbindung von market und resource based view. Bei SCHÖGEL ist zentrale Fragestellung auf das Management von Geschäftsmodellen unter dynamischen Umweltbedingungen gerichtet. HEDMAN/KALLING operationalisieren das Konstrukt über sieben Kategorien. Ähnliche Begriffsauffassung wie bei TIMMERS und STÄHLER, jedoch z.T. Gleichsetzung von Unternehmen und Geschäftsmodell. Operationalisierung des Begriffs über die Partialmodelle: Kapital-, Beschaffungs-, Leistungserstellungs-, Distributions-, Markt- und Leistungsangebotsmodell Übertragung der Definition von WIRTZ auf alle Branchen. Operationalisierung erfolgt über die Kategorien Nutzenstiftung, Erlösmodell und Architektur Geschäftsmodelle als Weiterentwicklung des Strategiekonzepts, indem die Kategorien Produkt-/Markt-Kombination, Wertschöpfungskettenkonfiguration und Ertragsmechanik zur Beschreibung von Unternehmen herangezogen werden Geschäftsmodell-Definition ähnlich SCHÖGEL und TIMMERS, STÄHLER, RENTMEISTER/KLEIN. Synoptischer Ansatz zur Operationalisierung und Differenzierung von Geschäftsmodellen über acht Dimensionen Geschäftsmodell als Analysekonstrukt der Strategieforschung: Prozessorientierte Input-Output-Betrachtung basierend auf den Faktoren resources, sales, profits, und capital, die zur Wertgenerierung kombiniert werden.
Branchenfokus übergreifend, Schwerpunkt Electronic Business Electronic Business
übergreifend
Electronic Business
übergreifend
übergreifend
übergreifend
übergreifend
Tabelle 8: Ausgewählte Definitionen des Geschäftsmodell-Begriffs
BOULTON/LIBERT/SAMEK präsentieren eine stark wertorientierte Auffassung von Geschäftsmodellen. Geschäftsmodelle werden als „einzigartige Kombination von materiellen und finanziellen Vermögenswerten, welche die Fähigkeit einer Organisation bestimmt, Wert zu schaffen oder zu zerstören“357 definiert. Sie differenzieren dabei unter Nutzung des so genannten Value Imaging zwischen physischen und finanziellen Vermögenswerten, Mitarbeitern und Lieferanten, Kunden sowie der Organisation. Eine ähnliche Ausrichtung besitzt der Ansatz von GORDIJIN, welcher stark auf die Anforderungen des E-Business ausgerichtet ist. Das Geschäftsmodell (auch: Value Model) wird als konzeptionelles Modell 355 356 357
Vgl. Schögel 2002, S. 375-377. Weitere Beispiele sind die Arbeiten von Kandampully 2003, S. 443 oder Blake/Cucuzza/Rishi 2003, S. 9. Weitere Geschäftsmodell-Ansätze finden sich z.B. bei Hedman/Kalling 2003 und Schögel 2001. Boulton/Libert/Samek 2001, S. 49-68 und 287.
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verstanden, welches aufzeigt, wie ein Netzwerk von Akteuren wertbehaftete Objekte erstellt, austauscht und konsumiert.358 RENTMEISTER/KLEIN bezeichnen ihre auf STÄHLER und TIMMERS zurückgehende Begriffsdefinition als am weitesten verbreitet: Ein Geschäftsmodell bezieht sich danach auf genau ein Unternehmen, während ein Unternehmen mehrere Geschäftstätigkeiten respektive Geschäftsmodelle gleichzeitig verfolgen kann. „Es ist ein Modell, das bezogen auf die Geschäftstätigkeit [erstens] die beteiligten Akteure, ihre Rollen und ihren Beitrag zur Wertschöpfung, [zweitens] den Nutzen, den Kunden oder andere Akteure aus der Geschäftstätigkeit ziehen können, und [drittens] die Einnahmequellen, die die Geschäftstätigkeit eröffnet, abbildet.“359 Es ist ein Instrument der strategischen Planung und der Kommunikation zwischen den Stakeholdern, jedoch nicht mit Strategie gleichzusetzen. RENTMEISER/KLEIN stellen heraus, dass die Beurteilung von Unternehmen allein über das Geschäftsmodell verkürzt sei. Dennoch eigne sich der eigenständige Geschäftsmodell-Begriff, um eine Analyseeinheit für neue Wertschöpfungsarchitekturen als Basis von Unternehmensstrategien benutzen zu können, die besonders in Unternehmensnetzwerken (ohne klassische KundenLieferanten-Beziehung) nützlich ist. Sie schlagen daher den Begriff Geschäftsmodelltyp als Abstraktionsebene unter dem Begriff Geschäftsmodell vor. TIMMERS nutzt das Geschäftsmodell-Konstrukt, um systematisch Geschäftsmodell-Architekturen und die speziell im Electronic Commerce sichtbare „deconstruction and reconstruction“ der Wertschöpfungskette abzubilden. Darüber hinaus führt er den Begriff des Marketing Model ein, welches das Geschäftsmodell und dessen individuelle Marketingstrategie zusammenfasst. STÄHLER nutzt für die Operationalisierung drei Kategorien: • Value Proposition, welche Nutzen und Wert des Geschäftsmodells für die Stakeholder abbildet • Architektur der Leistungserstellung, welche das Produkt-/Leistungsbündel sowie die interne und externe Leistungserstellungsarchitektur analysiert • Ertragsmodell, welches die Quellen des Einkommens betrachtet SCHÖGEL geht ebenfalls auf den Unterschied zwischen Strategie und Geschäftsmodell ein, betont jedoch stärker die Interdependenz beider Konstrukte. „Unter einem Geschäftsmodell ist die typische oder charakteristische Realisierung der Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens zu verstehen, die sich aus der unternehmensspezifischen Konstellation von Unternehmenskontext (d.h. insb. Ressourcen und Fähigkeiten) und Unternehmensumfeld ergibt.“360 Es wird der Versuch unternommen, Erkenntnisse aus der 'Market-based View' (MBV) und der 'Resource-based View' (RBV) des strategischen Managements bei der Beschreibung des Geschäftsmodells in einem Bezugsrahmen aus Strategie, Unternehmens-
358 359 360
Vgl. Gordijn/Akkermans/Vliet 2000, S. 257ff. Rentmeister/Klein 2003, S. 19-20. Vgl. Timmers 2000, S. 31-35; Stähler 2001, S. 36-52. Vgl. Schögel 2002, S. 393.
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kontext, unternehmerischem Umfeld und Wettbewerbsvorteilen zusammen zu bringen.361 SCHÖGEL macht deutlich, dass der Erfolg eines Geschäftsmodells durch den „harmonischen“ Abgleich der in Abbildung 28 dargestellten Bezugspunkte bestimmt wird. Strategie Unternehmenskontext
Unternehmerisches Umfeld
Wettbewerbsvorteil
Abbildung 28: Bezugsrahmen der Geschäftsmodellierung nach SCHÖGEL362
Die vier Bezugspunkte erweitern zugleich die Vielfalt möglicher Geschäftsmodelle erheblich und lassen eine einfache Imitation aller Aspekte eines Geschäftsmodells unmöglich erscheinen. HEDMAN/KALLING stellen wie SCHÖGEL die Integration von market- und resource-based view in den Vordergrund und entwickeln ein Analysekonstrukt mit sieben interdependenten Kategorien: (1) customers, (2) competitors, (3) offerings, (4) activities and organisation, (5) resources, (6) supply of factor and production inputs, (7) scope of management. Mit der letztgenannten Kategorie versuchen die Autoren eine zeitbezogene dynamische Betrachtung zu integrieren.363 Die von WIRTZ verwendete Begriffsdefinition ist ähnlich der von SCHÖGEL, wenngleich WIRTZ den Begriff ausschließlich für das Electronic Business nutzt und den Wertschöpfungsaspekt stärker herausstellt: Er bezeichnet das Geschäftsmodell als „Abbildung des betrieblichen Produktions- und Leistungssystems einer Unternehmung“, das in aggregierter Form die Transformation von Ressourcen im innerbetrieblichen Leistungserstellungsprozess zu vermarktungsfähigen Informationen, Produkten und/oder Dienstleistungen darstellt. Es zeigt, „durch welche Kombination von Produktionsfaktoren die Geschäftsstrategie eines Unternehmens umgesetzt werden soll und welche Funktionen den involvierten Akteuren dabei zukommt“364. Zur Differenzierung und Beschreibung von Geschäftsmodellen werden folgende Partialmodelle herangezogen: (1) Kapital-, (2) Beschaffungs-, (3) Leistungserstellungs-, (4) Distributions-, (5) Markt- und (6) Leistungsangebotsmodell. In den Beiträgen von WIRTZ bezeichnet das Geschäftsmodell eher eine individuelle Ausprägung des betrieblichen Leistungs- und Produktionssystems, während der Begriff (Basis-) Geschäftsmodelltyp bei der Typologisierung von Geschäftsmodellen herangezogen wird. Zudem nutzt
361 362 363 364
Ein Weg, der quasi bei STÄHLER bereits vorgezeichnet, aber noch nicht umfassend umgesetzt ist. Vgl. Stähler 2001, S. 31ff. Vgl. Schögel 2001, S. 35. Vgl. Hedman/Kalling 2003, S. 52-54. Vgl. Wirtz 2001, S. 210-216; Wirtz/Kleineicken 2000, S. 629; Wirtz/Loscher 2001, S. 451; Wirtz 2003, S. 104.
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er den Begriff Geschäftsmodellvariante, um unterschiedliche Ausprägungen eines Geschäftsmodelltypus zu differenzieren.365 AHLERT/BACKHAUS/MEFFERT nutzen die gleiche Geschäftsmodelldefinition wie WIRTZ, schränken ihre Gültigkeit jedoch nicht auf das Electronic Business ein, sondern weisen darauf hin, dass die Bildung neuer Geschäftsmodelle „seit jeher integrativer Bestandteil dynamischer Wettbewerbswirtschaften“366 ist. Sie gestehen indes ein, dass neue Geschäftsmodelle häufig durch die Nutzung von IuK-Technologie i.S. einer Virtualisierung von Leistungen und Organisationsstrukturen entstehen. Die IuK-Technologie führt ihrer Ansicht nach regelmäßig zum Ausgliedern und Aufkommen neuer Intermediäre im Absatzkanal, was eine Erosion des traditionellen Machtgefüges im Absatzkanal auslöst und somit neue Geschäftsmodelle entstehen lässt. Sie nutzen die Dimensionen Nutzenstiftung, Erlösmodell und Architektur zur Beschreibung von Geschäftsmodellen und unterstellen, dass sich neue Geschäftsmodelle durch die Veränderung von mindestens zwei der drei Dimensionen auszeichnen. ZU KNYPHAUSEN-AUFSEß/MEINHADT sehen das Geschäftsmodell-Konzept als Weiterentwicklung des Strategiekonzepts, welches sie stärker auf einzelne Unternehmen, anstatt auf Netzwerke beziehen. Sie folgen einer Begriffsdefinition von SLYWOTZKY: „A business design is the totality of how a company selects its customers, defines and differentiates its offerings, defines the tasks it will perform itself and those it will outsource, configures its resources, goes to market, creates utility for customers, and captures profit.“367 Demnach bestehen Geschäftsmodelle aus den folgenden drei Elementen, die zusammen Kundennutzen generieren und Wettbewerbsvorteile erhalten: (1) Produkt-/Markt-Kombination, (2) Wertschöpfungskettenkonfiguration und (3) Ertragsmechanik. Der Ansatz beinhaltet den Versuch Geschäftsmodelle anhand dieser drei Dimensionen zu systematisieren.368 YIP sieht das Geschäftsmodell-Konzept ebenfalls im engen Zusammenhang mit dem Strategiekonzept bzw. als Abbild von Strategie, jedoch nicht mit dieser gleichzusetzen. Für ihn fassen Geschäftsmodelle „target customers, the nature of the business and how revenues (and hopefully profits) are generated“369 zusammen. Er hebt dabei stark auf dynamische Umweltbedingungen ab. Ohne die Unterscheidung zwischen „routine“ und „radical“ bzw. „transformational strategy“ ausführlich zu definieren, weist er Geschäftsmodellen die Eigenschaft zu, sich unter der Anwendung von Routinestrategien nicht zu verändern – womit er gleichzeitig den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Konstrukten herausstellt: „We can conclude […] that the distinction between ‘business model’ and ‘strategy’ is more than one of semantics.”370 365 366 367 368 369 370
Vgl. Wirtz 2003, S. 107-108; Wirtz 2001, S. 217. Wirtz geht also mit der Hierarchisierung von zwei Begriffen ähnlich wie RENTMEISTER/KLEIN vor. Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 33. Vgl. zu Knyphausen-Aufseß/Meinhardt 2002, S. 65. Vgl. Meinhardt 2002, S. 29ff. Yip 2004, S. 19. ebenda, S. 24.
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Ähnlich wie RENTMEISTER/KLEIN und SCHÖGEL haben sich BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR mit bestehenden Begriffsdefinitionen auseinandergesetzt. Sie bieten schließlich einen synoptischen Strukturierungsansatz mit strategisch-systemischem Charakter an, welcher der Definition von SCHÖGEL sehr nahe kommt. „Ein Geschäftsmodell ist [danach] die Darstellung der Art und Weise, wie ein Unternehmen, ein Unternehmenssystem oder eine Branche am Markt Werte schafft.“371 Die Darstellung erfolgt über acht Gestaltungsdimensionen: (1) Leistungskonzept, (2) Kommunikationskonzept, (3) Ertragskonzept, (4) Wachstumskonzept, (5) Kompetenzkonfiguration, (6) Organisationsform, (7) Kooperationskonzept und (8) Koordinationskonzept (vgl. Abbildung 29). Organisationsform
Kooperationskonzept
Anspruchsgruppen Kommunikationskonzept
Kooperationsfelder Beziehungskonfiguration
Leistungsangebot
Ressourcenkonfiguration
Leistungssystem
Synthese
Koordinationskonzept
Kompetenzkonfiguration Kernkompetenzen
Wertschöpfungsfokus Ertragskonzept
Wachstumskonzept
Kompetenzkonfiguration
RüeggStürm 2001 Bieger/RüeggStürm 2001
Abbildung 29: Synoptischer Geschäftsmodellbegriff372
Zuletzt sei die Systematik generischer Geschäftsmodelle als alternative Analyseperspektiven von Organisationen von BETZ erwähnt, der folgende Prämisse aufstellt: „Business models are abstracts about how inputs to an organization are transformed to value-adding outputs.“373 Er identifiziert die Faktoren resources, sales, profits und capital, die er zu sechs generischen „strategic business models“ kombiniert, wobei jede dieser sechs Analyseperspektiven alternativ zu verwenden ist, um bestimmte Aspekte der Strategie einer Organisation analysieren zu können: „The appropriate model to be used depends upon the strategic policy one wants to emphasize in strategic thinking: financial, production, market, information, innovation, or diversification strategic policy.“374 Entsprechend der sechs Betrachtungsperspektiven fungieren jeweils zwei der vier Faktoren als Input- bzw. Output-Faktor. 371 372 373 374
Vgl. Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 50. Vgl. Bieger et al. 2002. Betz 2002, S. 21. ebenda, S. 27.
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Kritische Würdigung Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Begriff Geschäftsmodell fast inflationär verwendet wird, aber nicht im gleichen Maße Präzisierung oder Definition erfahren hat. Viele Autoren nutzen den Begriff ohne oder nur mit diffuser Begriffsklärung375 – gleichfalls lässt sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur keine anerkannte Definition erkennen. Trotz der unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung nutzen fast alle Autoren das Konstrukt, um das Ergebnis (neuer) Marktstrategien von Unternehmen zu beschreiben. Die Schwäche des Konstrukts im Hinblick auf seine vermeintlich beliebige Anwendung ist gleichzeitig seine Stärke. Denn es ermöglicht die Integration unterschiedlichster Sichtweisen verschiedener Forschungsrichtungen i.S. eines offenen Merkmalsystems. Entsprechend betonen diverse Autoren den Vorteil gegenüber traditionellen Analysekonstrukten – insb. im Hinblick auf die Berücksichtigung dynamischer Umweltsituationen und der Verbindung von resource- und market-based-view.376 Zugleich wird auch auf die prinzipielle Schwierigkeit hingewiesen, „einerseits das Geschäftssystem ganzheitlich zu erfassen und andererseits zugleich die Komplexität der Geschäftstätigkeiten auf die essenziellen Aspekte [zu] reduzieren“377. Dieser Schwierigkeit sind Typologien indes immer ausgesetzt. Der Begriff besitzt insofern Potenzial einer gezielt theoretischen Ableitung und zweckbezogenen sowie konsistenten Operationalisierung. Obgleich der Begriff Geschäftsmodell nicht in der Distributionsforschung entwickelt wurde, haben die beschriebenen „neuen“ Geschäftsmodelle im Zuge der Internet-Revolution sehr häufig eine enge Verbindung zum Handel oder sind durch die Reorganisation traditioneller Handelsfunktionen gekennzeichnet.378 Der Ursprung steht somit der hier verfolgten zweckbezogenen Ausgestaltung und Nutzung nicht entgegen. Die Anwendung des Begriffs erfolgt nach wie vor schwerpunktmäßig im Electronic Business: Neben den bereits zitierten Autoren, ist HUMMEL als Beispiel zu nennen, der verschiedene transaktionsorientierte Geschäftsmodelle des Internets charakterisiert und auf Erfolgsfaktoren untersucht.379 Die Abgrenzung der Geschäftsmodelle – Marktplatz, Shop, Auktion und Tauschbörse – erfolgt dabei eher intuitiv-deskriptiv anhand der Aspekte Gegenstand des Geschäftsmodells, Nutzen für Anbieter, Nutzen für Nachfrager sowie Wertschöpfungsquellen für den Betreiber. WIRTZ et al. nutzen den Begriff Geschäftsmodell, um Basisgeschäftsmodelle des Electronic Business zu differenzieren.380 KOLLMANN nutzt es zur Beurteilung von jungen Unternehmen des E-Business.381 DEINLEIN bewertet damit elektronische B2B-
375 376 377 378 379 380 381
Vgl. u.a. Diez 2001a; Barabba et al. 2002; Deinlein 2003; Chahabaghi/Fendt/Willis 2003; Meier/Schramm 2004. Vgl. u.a. Schögel 2001, S. 33-35; Caspers 2002, S. 260-263; Hedman/Kalling 2003, S. 51. Jonda 2004, S. 104. Vgl. Müller-Hagedorn/Spork 2000b, S. 253. Vgl. Hummel 2002, S. 714-718. Vgl. u.a. Wirtz/Kleineicken 2000, S. 628ff.; Wirtz 2001, S. 217ff.; Wirtz/Becker 2002, S. 142ff. Vgl. Kollmann 2003, S. 59ff.
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Märkte.382 SCHNEIDER und KOSCHATE untersuchen in ihren Beiträgen Geschäftsmodelle der Internet-Ökonomie.383 Es lassen sich neben diesen Beispielen auch Anwendungen außerhalb des Electronic Business finden: RUDOLPH verwendet beispielsweise das Analysekonstrukt Geschäftsmodell zur Kategorisierung von international tätigen Handelsunternehmen der Lebensmittelbranche. Dabei steht die Markt-Strategieanalyse im Vordergrund der Untersuchung, so dass StrategieCluster identifiziert werden, welche die Grundlage für eine Typologie darstellen.384 HAGENHOFF untersucht mit dem Konstrukt Geschäftsmodell Kooperationen von Universitäten.385 MEINHARD nutzt das Konstrukt, um dynamische Industrien wie die Biotechund Pharmaindustrie zu analysieren.386 Relativ unspezifisch wird der Begriff im Herausgeberband von MEIER zu dienstleistungsorientierten Geschäftsmodellen des Maschinen- und Anlagenbaus verwendet.387 Bezüglich des Automobilvertriebs kann keine konsistente Verwendung des Begriffs identifiziert werden. Lediglich DIEZ nutzt den Begriff Geschäftsmodell zur Beschreibung des Vertriebs über das Internet.388 Aufgrund dieser Vielfalt erscheint es gerechtfertigt, der Forderung von RENTMEISTER/KLEIN nachzukommen, den Begriff als Analysekonstrukt anzuerkennen.389 Trotz z.T. widersprüchlicher Operationalisierungen hat das Konstrukt – weitere Ausgestaltung vorausgesetzt – das Potenzial einer konsistenten, zweckbezogenen und erschöpfenden Erfassung von Distributionsorganen.
4.2.5 Diskussion der Ansätze Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Begriff Betriebstyp bzw. -form ist stark auf die Beschreibung von Handelsbetrieben ausgerichtet, was angesichts der Entwicklungen im Automobilvertrieb der letzten Jahre und dem Anliegen der Arbeit zu kurz greift. Der Begriff Distributionsform hebt die Einschränkung auf Handelsbetriebe auf, wird jedoch in der Literatur fast nicht verwendet und hat in der einschlägigen Arbeit von METHNER keine eindeutige Definition erfahren. Vor einer Verwendung in dieser Arbeit müsste eine Neudefinition stehen, weil der quasi-synonyme Gebrauch mit dem Begriff Betriebsform zu Abgrenzungsproblemen führen dürfte. Zudem beschränkt METHNER seine Aussagen auf Institutionen der Einzelhandelsebene – eine Einschränkung, die in der vorliegenden Arbeit nicht erfolgen soll und auch für weiter gehende Studien hinderlich erscheint. Tabelle 9 fasst die Überlegungen zu den beiden Ansätzen zusammen.
382 383 384 385 386 387 388 389
Vgl. Deinlein 2003, S. 39ff. Vgl. Schneider 2001, S. 125; Koschate 2002, S. 119 ähnlich auch Klein 2001, S. 111ff. Vgl. Rudolph 2000, S. 17. Vgl. Hagenhoff 2002, S. 76ff. Vgl. Meinhardt 2002, S. 42-130. Vgl. Meier/Schramm 2004, S. 7-9. Vgl. Diez 2001a, S. 333-339; Ansätze finden sich auch bei Ebel/Hofer/Al-Sibai 2004, S. 11. Vgl. Rentmeister/Klein 2003, S. 23.
4 Analyse von Distributionsorganen
Theoretische Einordnung Einsatz und Verwendung
Vertreter in der Literatur zum Automobilvertrieb Kritik bzgl. Befriedigung der allgemeinen und spezifischen Anforderungen an Typologien
Bewertung
91
Betriebsform/-typ Begriff der klassischen Handelsforschung
Distributionsform Begriffsschöpfung als Erweiterung des Bergriffs Betriebsform/-typ Typologisierung und Charakterisierung der Handels- Untersuchung der Einzelbetriebe nach unterschiedlichen Merkmalen handelsebene bzgl. der Optimierung des Kundenkontaktes entlang des Kaufprozesses u.a. Wöllenstein 1996, Hoffmeister 1998, Diez 2002b, Methner 2002 Betz 2003 − Einschränkung auf (Fach-) Handelsbetriebe erzeugt nur unzureichendes Abbild der Realität (zweckbezogen, aber nicht erschöpfend) − Übertragung auf Distributionsorgane ohne Handel im funktionalen Sinn kann zu Inkonsistenz und Inkompatibilität mit der Theorie führen. Das Konstrukt steht in der Tradition der Handelslehre, eine Anwendung auf gesamtes Distributionssystem ist u.E. möglich − Das Konstrukt diente selten im Kontext des Management von Distributionssystemen, etwa die Betrachtung von Schnittstellen zwischen den Distributionsorganen müsste ergänzt werden nur unter starken Einschränkungen geeignet
− Problematische Begriffsabgrenzung (begründete Anwendung der Theorien bisher nicht erfolgt) − Einschränkung auf den Einzelhandel (zweckbezogen, aber nicht erschöpfend)
ungeeignet
Tabelle 9: Vergleich von möglichen Analysekonstrukten, Teil 1 von 2
Der Begriff Absatzkanal kommt ebenfalls nicht als Analysekonstrukt in Frage, da im Vordergrund der Forschungsfrage F-III die Abgrenzung und Beschreibung der Distributionsorgane des Automobilvertriebs selbst und nicht deren vertikales Zusammenspiel steht. Der Begriff Geschäftsmodell wurde für den Automobilvertrieb bisher nicht einheitlich verwendet. Kapitel 4.2.4 zeigt, dass der Begriff Geschäftsmodell in anderen Forschungsbereichen eine umfassende Bestimmung und sogar eine Operationalisierung im Hinblick auf die Abgrenzung unterschiedlicher Typen erfahren hat. Somit erscheint er für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit am geeignetsten. Besonderer Vorteil des Konstrukts ist, dass es eine Brücke zwischen der Distributions- und der Strategieforschung schlägt und zudem unterschiedliche Forschungsansätze zu integrieren vermag, was im Hinblick auf die Verwendung im Multikanalmanagement zweckmäßig ist. Tabelle 10 zeigt die Unterschiede der beiden Ansätze im Überblick.
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Theoretische Einordnung Einsatz und Verwendung Vertreter in der Literatur zum Automobilvertrieb Kritik bzgl. Befriedigung der allgemeinen und spezifischen Anforderungen an Typologien
Bewertung
Absatzkanal Begriff der klassischen Distributions-/ Handelsforschung
Geschäftsmodell Begriff findet u.a. Anwendung in Marketing, Organisationsforschung und strategischem Management390 U.a. Beschreibung von (oftmals neuartigen) Geschäftstätigkeiten und -formen Diez 2001a, Ebel/Hofer/Al-Sibai 2004
U.a. Untersuchung von Fragen der Verknüpfung von Distributionsfunktionsträgern u.a. Lademann/Seidel/Petersen 2001, Jensen 2001, Dammenhain/Amann 2001, Schögel/Sauer 2002 − Betont Zusammenspiel mehrerer − Keine Beispiele für die Verwendung Akteure und eignet sich somit nicht als bezüglich des Automobilvertriebs, Analysekonstrukt für die Teilfrage F-III weitere Ausgestaltung in Anlehnung an (nicht zweckbezogen) bestehende Definitionen erforderlich − Begriff wurde für anderen Zweck − Erfüllung der formalen Kriterien für geschaffen und ist kaum übertragbar Typologien möglich (Theoriebezug) − Bei der Erfüllung der spezifischen Anforderungen an die Typologie kann die enge Verbindung zur Strategieforschung helfen ungeeignet geeignet, Operationalisierung notwendig
Tabelle 10: Vergleich von möglichen Analysekonstrukten, Teil 2 von 2
Das Analysekonstrukt Geschäftsmodell soll zur Beantwortung von Teilfrage F-III im Folgenden weiter spezifiziert werden. Aufbauend auf den Definitionen von RENTMEISTER/KLEIN, SCHÖGEL, HEDMAN/KALLING, WIRTZ, AHLERT/BACKHAUS/MEFFERT und BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR in Kapitel 4.2.4 soll ein Geschäftsmodell als Darstellung einer typischen oder charakteristischen Realisierung von Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens oder eines Unternehmenssystems391 definiert sein, welche sich aus der unternehmensspezifischen Konstellation von Unternehmenskontext (d.h. insb. Ressourcen und Fähigkeiten) und Unternehmensumfeld ergibt. Das Geschäftsmodell beschreibt also Wertschöpfungsarchitekturen i.S. der vier von SCHÖGEL dargestellten Bezugspunkte – Strategie, Unternehmensumfeld und -kontext sowie Wettbewerbsvorteil – es ist nicht mit dem Begriff Strategie gleichzusetzen. Der Begriff Geschäftsmodelltyp soll alternativ zum Begriff Geschäftsmodell (GM) genutzt werden. Unter Geschäftsmodellvarianten (GMV) werden unterschiedliche Ausprägungen eines Geschäftsmodells verstanden.
4.3 Geschäftsmodell als Analysekonstrukt In dem vorliegenden Kapitel wird der als Analysekonstrukt von Distributionsorganen ausgewählte Ansatz bezüglich der zu verwendenden Differenzierungskriterien weiter ausgearbeitet.
390 391
Vgl. Schögel 2002, S. 374. Alle zitierten Arbeiten zum Thema Geschäftsmodell unterstellen, dass Unternehmen respektive Unternehmensgruppen mehrere Geschäftsmodelle gleichzeitig betreiben können bzw. die Grenzen des Geschäftsmodells nicht den Grenzen eines Unternehmens entsprechen.
4 Analyse von Distributionsorganen
93
4.3.1 Differenzierungsansätze des Geschäftsmodellbegriffs Die in Tabelle 11 dargestellten Differenzierungsansätze des Geschäftsmodellbegriffs werden auf ihre Anwendbarkeit für eine Typologisierung der Distributionsorgane des europäischen Automobilvertriebs geprüft. Autoren Timmers 2000
Wirtz/Loscher 2001 Wirtz/Kleineicken 2000, Wirtz 2001, Wirtz 2003 Ahlert/Backhaus/Meffert 2001 Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, Deinlein 2003, Jonda 2004 Stähler 2001
zu KnyphausenAufseß/Meinhardt 2002 Hedman/Kalling 2003
Bach/Buchholz/Eichler 2003 Yip 2004
− − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − −
Differenzierungskategorien Business activities − Marketing strategy Potential benefits − Marketing mix Sources of revenues Leistungsangebot − Leistungsangebotsmodell Marktmodell (Nachfrager- und Wettbewerbsmodell) − Distributionsmodell Beschaffungsmodell − Kapitalmodell (Finanzierungs- und Leistungserstellungsmodell Erlösmodell) Nutzenstiftung − Architektur Erlösmodell − Kompetenzkonfiguration Leistungskonzept − Organisationsform Kommunikationskonzept − Kooperationskonzept Ertragskonzept − Koordinationskonzept Wachstumskonzept Value Proposition (Wert für Kunden und Wertschöpfungspartner) Architektur der Leistungserstellung (Produkt-/Marktentwurf, interne und externe Architektur, Stabilität der Architektur) Ertragsmodell (Quelle der Erträge) Produkt/Marktkombination − Wertekettenkonfiguration Erlösmechanik Customers − Resources Competitors − Supply of factor and production inputs Offerings − Scope of management Activities and organisation
Prozessmodell Teilnehmermodell Value proposition Nature of inputs How to transform inputs (including technology) − Nature of outputs
− − − − − − −
Transaktionsmodell Erlösmodell How to organise Vertical scope Horizontal scope Geographic scope Nature of customers
Tabelle 11: Differenzierungskriterien von Geschäftsmodellen verschiedener Autoren
In der Übersicht wird schon deutlich, dass die hier vorgestellten Ansätze insb. im Differenzierungsgrad variieren, wenngleich deutliche Überschneidungen der Kriterien auftreten. RÜEGG-STÜRM/ACHTENHAGEN weisen darauf hin, dass Kriterien bzw. Kategorien zur Beschreibung von Geschäftsmodellen grundsätzlich stark interdependent sind und insofern – dem Ziel der Geschäftsmodellanalyse entsprechend – immer das gesamte Bild herangezogen werden muss, um ein Geschäftsmodell zu beschreiben.392 Die Unterschiedlichkeit der Ansätze spiegelt auch die Anwendungen auf verschiedene Untersuchungsobjekte und
392
Vgl. Rüegg-Stürm/Achtenhagen 2000, S. 10. Ähnlich auch Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 32.
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Branchen wider. Die wichtigsten Ansätze werden im Folgenden auf ihre Anwendbarkeit in der vorliegenden Arbeit hin untersucht. TIMMERS nutzt die in Tabelle 11 dargestellten Differenzierungskriterien nicht konsistent, vielmehr werden sie lediglich als Überschriften verwendet, um die Einzigartigkeit der von ihm identifizierten Geschäftsmodelle zu beschreiben. Sie bilden kein konsistentes Konstrukt, überdies sind die Merkmale nicht auf alle Typen anwendbar. Das Konstrukt ist daher kaum für die vorliegende Arbeit geeignet.393 WIRTZ verwendet meist sechs Partialmodelle zur aggregierten Darstellung und Konzeption von Geschäftsmodellen des Electronic Business:394 • Marktmodell: Das Marktmodell definiert, welchen Akteuren das Unternehmen in welchen Märkten gegenübersteht und welche Struktur diese aufweisen. Es ist in zwei Aspekte gegliedert: Zum einen zeigt das Nachfragermodell, wer welche Leistung in welcher Menge vom Geschäftsmodell nachfragt und welche Preisbereitschaft dieser aufweist. Zum anderen erörtert das Wettbewerbsmodell Marktstruktur und -verhalten im Wettbewerbsumfeld jeweils für jeden Absatzmarkt des Geschäftsmodells. • Beschaffungsmodell: Das Beschaffungsmodell definiert, welche Produktionsfaktoren in welcher Menge von welchen Lieferanten beschafft werden. Es charakterisiert zudem Marktstruktur und -verhalten auf dem Beschaffungsmarkt. • Leistungserstellungsmodell: Es bildet die Kombination von Gütern und Dienstleistungen sowie deren Transformation in Angebotsleistungen ab, indem die ökonomischen Beziehungen zwischen den Produktionsfaktoren und der erzielbaren Ausbringungsmenge aufgezeigt werden. • Leistungsangebotsmodell: Zeigt welches Leistungsspektrum welchen Nachfrager- bzw. Kundengruppen angeboten werden soll. Demzufolge wird unterstellt, dass ein Geschäftsmodell seine Leistungen im Markt i.d.R. unterschiedlichen Kundengruppen anpasst. • Distributionsmodell: Es definiert, welche Produkte und Dienstleistungen in welcher Weise in welcher Zeit zu welchem Preis vom Anbieter zum Nachfrager transportiert werden. • Kapitalmodell: Das Kapitalmodell bildet ab, welche finanziellen Ressourcen der Unternehmung zugeführt werden und welche Formen der Refinanzierung zur Verfügung stehen. Insofern werden zwei Bereiche untersucht: Erstens gibt das Finanzierungsmodell Auskunft darüber, aus welchen Quellen das eingesetzte Kapital stammt. Zweitens zeigt das Erlösmodell, welche Erlösformen im Unternehmen angewendet werden (direkte versus indirekte bzw. transaktionsabhängige versus -unabhängige Erlösgenerierung). Anhand dieser sechs Partialmodelle unterscheidet WIRTZ vier Basisgeschäftsmodelle des Electronic Business: Content, E-Commerce, Context und Connection. Derzeit liegt keine Veröffentlichung mit einer Anwendung für eine andere Branche vor. Das Konstrukt ist sehr umfassend und bildet weite Teile dessen ab, was auch für die Differenzierung von Geschäftsmodellen im Automobilvertrieb von Bedeutung ist. Insofern kann DEINLEIN zugestimmt werden, der konstatiert: „Die Geschäftsmodell-Konzeption von WIRTZ ist gegenüber der von TIMMERS […] deutlich erweitert. Durch zusätzliche Elemente, die als 393 394
Vgl. Timmers 2000, S. 47-114. Vgl. Wirtz 2001, S. 210-216; Wirtz/Kleineicken 2000; Wirtz 2003; Wirtz/Lihotzky 2003.
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Partialmodelle eingeführt werden, wird insb. der Ganzheitlichkeitsanspruch adäquater erfüllt.“395 Er kritisiert das Konstrukt allerdings als wenig nützlich für Geschäftsmodelle, welche einen kritischen Teil der Wertschöpfung über Unternehmensgrenzen hinweg betreiben.396 Diesem Argument muss auch für die Automobilindustrie Rechnung getragen werden, da Netzwerkaspekte in die Geschäftsmodell-Analyse Eingang finden sollten. Für die vorliegende Arbeit tritt dieser Aspekt vor allem beim Automobilvertrieb über das Internet, aber auch im klassischen „Brick-and-Mortar-Business“ auf: Das angebotene Dienstleistungsbündel wird zu einem Teil über Kooperationen mit anderen Marktteilnehmern abgewickelt. Der Merkmalskanon von WIRTZ müsste daher erweitert werden. Der Ansatz von AHLERT/BACKHAUS/MEFFERT nutzt die gleiche Geschäftsmodelldefinition wie WIRTZ und stellt die drei interdependenten Dimensionen Nutzenstiftung, Erlösmodell und Architektur in den Vordergrund.397 Als aggregierte Darstellungsform eignet sich diese Dreiteilung gut, allerdings soll im Rahmen dieser Arbeit ein differenzierterer Analyserahmen genutzt werden, um die einzelnen Geschäftsmodelle schärfer gegeneinander abgrenzen zu können. ZU KNYPHAUSEN-AUFSEß/MEINHADT sehen das Geschäftsmodell-Konzept als Weiterentwicklung des Strategiekonzepts, welches sie stärker auf einzelne Unternehmen, anstatt auf Netzwerke beziehen. Dennoch räumen sie der Betrachtung von Wertschöpfung über Unternehmensgrenzen hinweg einen separaten Punkt ein. Dabei nutzen sie zur Beschreibung und Differenzierung von Geschäftsmodellen folgende drei Dimensionen:398 • Produkt-/Markt-Kombination: Diese Dimension zeigt auf, in welchen (Teil-) Märkten die Geschäftsmodelle mit welchen Produkten/Dienstleistungen konkurrieren wollen und wie die Transaktionsbeziehungen zum Kunden idealer Weise gestaltet werden sollen. Dabei wird auf die Kundengruppen Business, Customer und Administration abgehoben. • Durchführung und Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten: Es wird bestimmt, wie Werte geschaffen werden, ob in vertikal integrierten Unternehmen, Unternehmensnetzwerken oder in Unternehmen, die auf Bereiche der Wertschöpfungskette spezialisiert sind. • Ertragsmechanik: Die Ertragsmechanik charakterisiert, wie und wo im Unternehmen nutzungsabhängige und -unabhängige Erträge generiert werden. Diese Dimension erstreckt sich auf Teilbereich des Kapitalmodells von WIRTZ. Dieser Ansatz ist vorteilhaft, weil zur einfachen Gegenüberstellung unterschiedlicher Geschäftsmodelle ein Raum mit lediglich drei Kategorien aufgespannt wird. Allerdings ist das nur dann sinnvoll, wenn genau diese drei Dimensionen im Fokus der Betrachtung stehen. Für die vorliegende Arbeit werden diese Dimensionen eine Rolle spielen, jedoch müssen auch andere Aspekte zur Gegenüberstellung herangezogen werden. Die Unterscheidung der drei
395 396 397 398
Deinlein 2003, S. 40. Vgl. ebenda, S. 40-41. Vgl. Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 36. Vgl. zu Knyphausen-Aufseß/Meinhardt 2002, S. 82; Meinhardt 2002, S. 29.
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Kundengruppen ist hier weder ausreichend differenziert, noch trifft es den Kern der Problematik im Automobilvertrieb.399 Der synoptische Ansatz von BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR nutzt acht Differenzierungskriterien zur Darstellung und Analyse von Geschäftsmodellen:400 1. Leistungskonzept: Betrachtet werden das Leistungssystem und der Funktionsumfang, die den unterschiedlichen Kundengruppen angeboten werden. 2. Kommunikationskonzept: Stellt dar, wie die Leistung im relevanten Markt kommunikativ verankert wird. 3. Ertragskonzept: Zeigt auf, wie Einnahmen erzielt werden und Verrechnungssysteme bezüglich Haupt- und Nebenleistungen aufgebaut sind. 4. Wachstumskonzept: Betrachtet, wie Wachstumsziele erreicht werden sollen und welche Mechanismen dabei wirken. 5. Kompetenzkonfiguration: Stellt dar, welche (Kern-) Kompetenzen zur Verfügung stehen und wie sie eingesetzt werden sollen. 6. Organisationsform: Zeigt auf, wie die Kompetenzen organisiert sind, um das Leistungssystem anbieten zu können, aber auch wo Unternehmensgrenzen und Schnittstellen liegen. 7. Kooperationskonzept: Stellt dar, welche Kooperationspartner mit dem Unternehmen im Hinblick auf das Leistungssystem zusammenarbeiten und wie die Kooperationen inhaltlich ausgestaltet sind. 8. Koordinationskonzept: Stellt dar, wie unternehmensinterne und -externe Transaktionen zwischen den Kooperationspartnern im klassischen Aktionsfeld zwischen Markt und Hierarchie koordiniert werden. Diese Differenzierung in acht Merkmale ist am ehesten als Analysekonstrukt operationalisierbar, weil auch die im vernetzten Automobilvertrieb bedeutenden Kooperationen über die Dimensionen 7 und 8 abzubilden sind. Desgleichen werden die schon von WIRTZ vorgeschlagenen Dimensionen in ähnlicher Weise abgebildet. Der Ansatz von HEDMAN/KALLING sieht sieben Dimensionen vor und unterscheidet sich inhaltlich jedoch kaum vom synoptischen Ansatz von BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR. HEDMAN/KALLING stellen deutlich heraus, dass eine derart holistische Sichtweise unterschiedliche Theorieansätze berührt – darauf ist im folgenden Kapitel näher einzugehen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich der Ansatz von BIEGER/RÜEGGSTÜRM/VON ROHR am besten für das vorliegende Forschungsvorhaben eignet und daher zugrunde gelegt werden soll.
4.3.2 Theoretischer Rahmen der Operationalisierung des Analysekonstrukts Wie bereits erläutert, soll das Geschäftsmodell als Darstellung einer typischen oder charakteristischen Realisierung von Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens oder eines Unternehmenssystems definiert sein, welche sich aus der unternehmensspezifischen Konstellation von Unternehmenskontext (d.h. insb. Ressourcen und Fähigkeiten) und Unter399 400
Vgl. T-2.1 (Kundengruppen) und insb. die Kundensegmentierung in Kapitel 3.2. Vgl. Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 50ff.und Abbildung 29.
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nehmensumfeld ergibt. Diese Definition verweist bereits auf zwei Ansätze der Strategie- und Unternehmensforschung, der sog. market-based view (MBV) und resource-based view (RBV) of the firm. Sie finden sich auch in den skizzierten acht Dimensionen des Analysekonstrukts wieder. Beide Ansätze werden im Folgenden kurz erläutert, um den theoretischen Hintergrund der Ausdifferenzierung und Anwendung des Analysekonstrukts abzustecken. Darüber hinaus deuten die Dimensionen auf weitere theoretische Ansätze hin, nämlich die Neue Institutionenökonomik im Allgemeinen bzw. den Transaktionskostenansatz im Speziellen sowie Verhaltenstheoretische Ansätze und die sog. Customer-based view der Unternehmung. 4.3.2.1 MBV: market-based view of the firm Der Theorieansatz der market-based view of the firm (MBV) rückt die Bedingungen im Umfeld von Unternehmen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die MBV wurde stark durch die Veröffentlichungen von PORTER in den 1970er und 1980er Jahren geprägt, der Erkenntnisse der Industrial Organization-Theorie (I/O) von BAIN und MASON mit Überlegungen zur Business Policy-Theorie kombinierte. Unter Rückgriff auf das StructureConduct-Performance-Paradigm (SCP) der Industrieökonomik401 wird gezeigt, dass die Branchenstruktur402 das Verhalten eines Unternehmens beeinflusst, woraus letztlich das Unternehmensergebnis resultiert. Der MBV liegen folgende zentrale Annahmen zugrunde: Zum einen beeinflussen die Eigenschaften der Branche und mithin die Wettbewerbskräfte maßgeblich die Wahl der Wettbewerbsstrategie. Zum anderen sind Unternehmen in ihren strategisch relevanten Inputfaktoren identisch, brancheninterne Unterschiede in der Ausstattung mit Inputfaktoren verschwinden nach kurzer Zeit aufgrund hoher Mobilität der Inputfaktoren.403
structure
conduct
performance
Struktur der Branche
Verhalten des Unternehmens
Ergebnis des Unternehmens
Feedback
Wirkung
Abbildung 30: Structure-Performance-Conduct-Paradigma404
Der Wettbewerb wird in Unternehmen versucht sich schützen. Entsprechend der zunächst die Branche bzw. 401 402 403 404
der MBV als Positionierungswettbewerb interpretiert, ein bestmöglich gegen die Wettbewerbskräfte (5-forces, s.u.) zu grundsätzlichen SCP-Logik der MBV wird ein Unternehmen den Markt untersuchen, daraufhin eine (generische) Strategie
Vgl. Mason 1939, S. 69-70; Bain 1968; Porter 1981, S. 610-616. Unter dem Begriff Branche werden Unternehmen zusammengefasst, die Produkte am Markt anbieten, welche vom Kunden als substituierbar angesehen werden. Vgl. Porter 1999a, S. 64ff.; Wiedenhofer 2003, S. 12-13. Vgl. Porter 1981, S. 611 und 616.
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wählen und entsprechend das Verhalten und die Struktur des Unternehmens anpassen. Die Struktur des Marktes bestimmt die durchschnittliche Rentabilität der Branche. Erfolgspotenziale für Unternehmen ergeben sich aus der Wahl attraktiver Branchen, die gegen neue Wettbewerber durch Markteintrittsbarrieren – wie z.B. Produktdifferenzierungsvorteile – Kostenvorteile, Skaleneffekte oder Kapitalanforderungen, geschützt sind. Zentraler Bestandteil der MBV ist insofern die Analyse des Wettbewerbs – das 5-forces-Modell405 von PORTER ist besonders prominent. Diese Überlegungen wurden von CAVES/PORTER weiterentwickelt, indem auch die Wahl einer adäquaten Wettbewerbsstrategie innerhalb einer Branche zu Unterschieden im Markterfolg führen. Sie führen das Konzept der Strategischen Gruppen ein, wonach einzelne Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen Wettbewerbsstrategien wählen können, die ihnen nachhaltig höheren Unternehmenserfolg sichern, als anderen Unternehmen der Branche. Strategische Gruppen errichten somit ihrerseits Eintrittsbarrieren gegenüber anderen Marktteilnehmern und erschweren somit die Imitation ihrer Wettbewerbsvorteile.406 In einem gegebenen Markt verfolgen Strategische Gruppen vergleichbare Wettbewerbsstrategien, ihr Erfolg basiert auf ähnlichen Unternehmensstrukturen und ähnlichem -verhalten. PORTER identifiziert drei generische Wettbewerbsstrategien:407 • Differenzierungsstrategie: Es ist strategisches Ziel, dass der Kunde ein Angebot gegenüber dem Wettbewerb vorzieht, weil die Wünsche des Kunden stärker befriedigt werden, als durch Wettbewerbsangebote. Idealerweise akzeptiert der Kunde überdies eine höhere Preisstellung. Dabei ist sekundär, ob die Produkteigenschaften, das angebotene Dienstleistungsbündel, das Image, die Markierung o.ä. vom Kunden als überlegen angesehen werden. • Kostenführerschaft: Ziel des Unternehmens ist es, ein Angebot am Markt zu den niedrigsten Kosten anzubieten. Daraus ergibt sich ein Wettbewerbsvorteil, weil die erzielbare Marge höher ist als beim Wettbewerber. • Konzentration auf Schwerpunkte innerhalb eines Marktes (Nischen408): Beide genannten Strategien können jeweils auch auf bestimmte Marktsegmente angewendet werden. Durch die Konzentration auf eine Nische können Vorteile über Lerneffekte ausgenutzt werden. Die Unternehmensstruktur ist das Ergebnis der Wahl einer Wettbewerbsstrategie und wird auf diese hin optimiert. PORTER bildet das Unternehmen als ein System von Wertaktivitäten ab und schafft so die Grundlage einer ganzheitlichen Unternehmensanalyse. Bezogen auf die interne Unternehmensstruktur schlägt PORTER das value chain-Modell vor, welches die grundlegenden Aktivitäten identifiziert und in einem Prozess darstellt – siehe Abbildung 31.
405 406 407
408
Vgl. Porter 1999a, S. 33-69. Vgl. Caves/Porter 1977, S. 250; Porter 1999a, S. 183ff.; Homburg/Sütterlin 1992, S. 637-638; Bartölke 2000, S. 18ff.; von der Oelsnitz 2000, S. 1314-1316; Raisch 2004, S. 30. Vgl. Porter 1999a, S. 70-85. Vgl. beispielhaft für die umfangreiche Forschung zu generischen Strategien, die größtenteils aus der PORTER’schen Typologie entwickelt wurden Fleck 1995, Weishäupl 2003, Powers/Hahn 2004 und die dort zitierte Literatur. Zum Nischenbegriff vgl. Porter 1999a, S. 342-343; Spiegel 1999.
Unterstützende Aktivitäten
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Unternehmensinfrastruktur
Gew
Personalwirtschaft Beschaffung
Operationen
Marketing & Vertrieb
AusgangsLogistik
Kunden-Dienst
ne
EingangsLogistik
inn- span
Technologieentwicklung
Primäre Aktivitäten
Abbildung 31: Modell der Wertkette409
Mit diesem Modell sollen Unternehmensaktivitäten entsprechend der Unternehmensstrategie ausgerichtet werden – die Differenz aus Kosten und Wert bzw. Erträgen aller Aktivitäten ergibt das Unternehmensergebnis. Das Modell ist auch geeignet, um bspw. die Auslagerung einzelner Aktivitäten an Dritte oder die Fokussierung eines Unternehmens auf bestimmte Aktivitäten zu diskutieren.410 PORTER/FULLER erörtern im Rahmen der Branchenstrukturanalyse auch Kooperationen eines Unternehmens mit Konkurrenten (horizontal) bzw. mit Lieferanten und Abnehmern (vertikal). Sie identifizieren vier Gründe für Kooperationsstrategien:411 • Skalenvorteile: Die gemeinsame Koordination und Konzentration von Aktivitäten führt zu Kosteneinsparungen und Erfahrungskurveneffekten. • Absolute Kostenvorteile: Die Kostenvorteile eines Unternehmens werden anderen zugänglich gemacht. • Kapitalbedarf: Der individuelle Kapitalbedarf bzw. das jeweilige finanzielle Risiko der Kooperationspartner wird gesenkt. • Beeinflussung der Marktstruktur: Die Kooperation ist dazu angelegt, die Wettbewerbsposition der anderen Marktteilnehmer aktiv zu beeinträchtigen. Daneben wird der zu erwartende Zeitvorteil durch den gemeinsamen Aufbau von Wettbewerbsvorteilen hervorgehoben.412 Eine Kooperation ist immer dann vorteilhaft, wenn die Koordinationskosten niedriger sind als die erreichten Erträge der Kooperation und die Wettbewerbsposition nachhaltig gestärkt wird. Das Konzept von PORTER wurde vielfach aufgegriffen und modifiziert. PORTER selbst hat sein Modell auf die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs erweitert.413 Darüber hinaus hat er das Modell auf Konzerne übertragen, die im Rahmen eines Portfoliomanagements unterschiedliche Branchen und Märkte bedienen.414 Dabei werden zwei Quellen von Verbundvorteilen identifiziert: solche, die auf der Nutzung gemeinsamer Produktionsfaktoren 409 410 411 412 413 414
Vgl. Porter 1999b, S. 66. Vgl. ebenda, S. 63-96. Vgl. Porter/Fuller 1989, S. 375 und Porter 1999a, S. 379ff. Vgl. Porter/Fuller 1989, S. 381. Vgl. Porter 1989. Vgl. Porter 1987.
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beruhen und solche, die durch die unternehmensinterne Diffusion von Erfahrungswissen entstehen. Kritik Wichtige Kritikpunkte an der MBV sind: • Insbesondere das SCP-Paradigma hat Anlass zur Kritik gegeben: Eine Untersuchung des Wettbewerbs kann nie vollständig sein, weil sie in der Praxis auf unvollständiger Information beruht und/oder mit eingeschränkter Informationsverarbeitungsmöglichkeit zusammentrifft. Insofern ist die Wahl der Strategie eine Entscheidung unter hoher Unsicherheit. • Darüber hinaus werden organisationale und verhaltenswissenschaftliche Erklärungsansätze zwar nicht ausgeschlossen, zumindest aber durch die Dominanz ökonomischer Marktbeurteilung unterrepräsentiert. • Gerade die Wahl der Unternehmensstrategie i.S.d. drei generischen Wettbewerbsstrategien basiert primär auf der Marktanalyse, nicht jedoch auf der Analyse unternehmensinterner Stärken und Schwächen – an dieser Stelle setzt die RBV an. Denn es kann gezeigt werden, dass nicht nur Brancheneffekte, sondern auch unternehmensspezifische Effekte eine Rolle bei der Erklärung von Marktperformanceunterschieden spielen.415 • Die MBV sieht die strategisch relevanten Ressourcen der Unternehmen als mobil an, so dass Heterogenität im Unternehmenserfolg innerhalb einer Branche oder Strategischen Gruppe langfristig nicht existiert. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch Unterschiede auf, deren Ursache u.a. in unterschiedlicher Ressourcenallokation begründet sein dürfte. Zudem drängen nicht alle Unternehmen ständig in die Eroberung attraktiver Märkte.416 • Der Branchenbegriff ist auf die Substituierbarkeit von Produkten fokussiert. Komplementäre Produkte werden nicht berücksichtigt. Desgleichen spielen Innovationen in der Modellierung von PORTER keine Rolle.417 Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand Die MBV im Allgemeinen, die Logik der Wertkette sowie die Theorie der generischen Wettbewerbsstrategien im Speziellen können eine theoretische Basis bei der Geschäftsmodell-Differenzierung bilden. Die Geschäftsmodell-Analyse zielt auf die Identifizierung typischer oder charakteristischer Realisierung von Wettbewerbsvorteilen ab. Das Konzept der Strategischen Gruppen in der MBV stellt, als „eine Analyseperspektive zwischen der gesamten Branche und den einzelnen Unternehmen“418, eine vergleichbare Herangehensweise dar. Die Abgrenzung der Geschäftsmodell-Typen ist indes nicht auf die Identifikation der generischen Wettbewerbsstrategie beschränkt. Das Konzept der Wertkette hat bereits Eingang in die Distributionsforschung gefunden und dient bspw. bei der Zuordnung von Distributionsfunktionen auf Distributionsorgane.419
415 416 417 418 419
Vgl. u.a. Rumelt 1991; Riess 1998, S. 90. Vgl. Rumelt 1991, S. 167ff.; Riess 1998, S. 103-105; Wiedenhofer 2003, S. 13. Vgl. Stieglitz 2004, S. 55. Bartölke 2000, S. 60. Vgl. bspw. Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 13; Specht/Fritz 2005, S. 178.
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4.3.2.2 RBV: resource-based view of the firm Nicht zuletzt die Kritik an der MBV im Hinblick auf vermeintlich unzureichende Berücksichtigung unternehmensinterner Aspekte bzw. des idiosynkratischen Charakters von Unternehmen bei der Erklärung von Markterfolgen, hat zur Ausprägung der RBV geführt. Sie hat besonders ab den 1990er Jahren in der Wissenschaft Bedeutung erlangt.420 Im Mittelpunkt des RBV-Ansatzes stehen die Ressourcen und Kompetenzen von Unternehmen.421 Ansatzpunkt der RBV ist die Beobachtung, dass:422 • bestimmte Unternehmen am Markt bzw. in einer Branche erfolgreicher agieren als andere, • diese Unternehmen i.d.R. über spezifische Wettbewerbsvorteile und -nachteile verfügen sowie • Unternehmen in Bezug auf ihre zur Verfügung stehenden Inputgüter, angewendeten Prozesse und erstellten Marktleistungen unikal und beschränkt mobil sind. Es wird insofern als Prämisse gesehen, dass Unsicherheit im wirtschaftlichen Handeln auf unvollkommenen Märkten vorliegt sowie dass Information, Wissen und Fähigkeiten zwischen den Wirtschaftssubjekten ungleich verteilt sind.423 In der Literatur zur RBV werden unterschiedlichste Begriffsabgrenzungen vorgenommen. Im Folgenden soll sich weitgehend FREILING angeschlossen werden:424 • Inputgüter: Inputgüter werden als Güter verstanden, die einem Unternehmen zum Einsatz in Prozessen und zur Erstellung interner und externer Leistungen dienen. Inputgüter sind auf Märkten beschaffbar und Voraussetzung für Ressourcen-Bildung. • Ressourcen: Ressourcen sind solche Inputgüter, die eingeschränkt mobil, rar, wertvoll, schwer imitier- oder substituierbar sind. Sie dienen zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen und der spezifischen Rentabilitätssituation eines Unternehmens. Ressourcen sind Inputgüter, die durch unternehmensinterne Veredelung425 entstanden sind. • Kompetenzen: „Kompetenzen kennzeichnen die wiederholbare, nicht auf Zufälligkeiten basierende Möglichkeit zum kollektiven Handeln in einer Unternehmung, welches darauf beruht, verfügbare Inputgüter in auf Marktanforderungen ausgerichteten Prozessen so zu kombinieren, dass dadurch ein Sich-bewähren-können gegenüber der Marktseite gewährleistet wird.“426 Kompetenzen fassen insofern individuelle Fähigkeiten von Mitarbeitern im organisationalen Kontext zusammen. • Kernkompetenzen: Kernkompetenzen stellen eine spezielle Form von Kompetenzen dar, die der Unternehmung zu einer Behauptung gegenüber der Konkurrenz durch die Herbeiführung nachhaltiger, dauerhafter Wettbewerbsvorteile verhelfen. 420 421 422 423 424
425 426
Vgl. Wernerfelt 1984, S. 171; Barney 1991; Priem/Butler 2001b, S. 22; Vgl. Kapitel 3.3.2.4. Vgl. Freiling 2001, S. 5-6; Hoopes/Madsen/Walker 2003, S. 889; Barney 1991, S. 101. Vgl. Freiling 2000, S. 15; Freiling 2001, S. 85. Vgl. Freiling 2001, S. 11-27; Rasche 1994, S. 91ff.; Hammann/Freiling 2000, S. 3-5; Freiling 2002. FREILING fasst die Diskussion um die unterschiedliche Begriffsabgrenzung von Ressourcen zusammen. WERNERFELT und BARNEY sind zwei prominente Vertreter derer, die Kernkompetenzen unter dem Ressourcenbegriff subsummieren, eine Differenzierung hat sich jedoch mittlerweile als zweckmäßig erwiesen. Vgl. Wernerfelt 1984; Barney 1991. Vgl. Proff 2000. Freiling 2002, S. 27. Die Begriffe Kompetenzen und Fähigkeiten sollen synonym verwendet werden. Vgl. Freiling 2002, S. 24.
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Kernkompetenzen verhelfen den Leistungen eines Unternehmens, die am Markt angeboten werden, zu einem wahrnehmbaren Kundennutzen und mittelbar zu langfristiger Kundenbindung.427 Zukunftsmärkte und deren Anforderungen
Input Veredelungsprozess
Ressourcen Aktivierungsmöglichkeiten
Kompetenzen
Prozesse
Aktivierungsprozesse
Performance
Wirkung im Markt
Beeinflussung
Wirkung
428
Abbildung 32: Argumentationslogik des Kompetenzansatzes
Aus Abbildung 32 wird deutlich, dass – im Gegensatz zum SCP-Paradigma der MBV – Ressourcen und Kompetenzen einen unternehmensinternen Aspekt darstellen, jedoch die endgültige Bewertung dieses Wertbündels erst im Markt stattfindet, wo die angebotene Leistung zu einer höheren Rente als beim Wettbewerb führen soll. D.h., die spezifische Ressourcenallokation führt zu niedrigeren Kosten oder zu der Möglichkeit einen höheren Preis durchzusetzen – Wettbewerb wird daher in der RBV primär als Ressourcenwettbewerb verstanden. In Abgrenzung zur MBV werden Diversifikationsentscheidungen unter einer anderen Perspektive gesehen: Während bei der MBV die Attraktivität des Marktes und der passenden Positionierung im Zentrum steht, liefert die RBV eine Begründung für den Eintritt in weniger attraktive (Teil-) Märkte. Dieser ist nämlich dann vorzunehmen, wenn die vorhandenen Ressourcen bzw. Kompetenzen nicht vollständig genutzt sind und durch deren Nutzung bei Markteintritt ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil entsteht. Ebenso ist ein Markteintritt attraktiv, wenn dadurch neue Ressourcen akkumuliert oder kreiert werden. In der Logik der RBV nutzen Unternehmen die unterstellte Ressourcenheterogenität im Markt aus und versuchen diese zu erhalten oder auszuweiten.429 Ressourcen sind potenziell dann besonders wertvoll für ein Unternehmen, wenn sie nicht imitierbar sind, also auf historisch einmaligen Bedingungen basieren oder sozial komplex sind, wie bspw. Humanressourcen, interpersonale Beziehungen oder Organisationskultur.430 Das bekannteste Konzept zur Abgrenzung erfolgskritischer Kompetenzen – also Kernkompetenzen – und Ressourcen stammt von BARNEY:431 • Value: Ressourcen bzw. Kernkompetenzen müssen für den Kunden wertstiftend wirken. • Rareness: Sie sind nicht auf Beschaffungsmärkten erhältlich, sondern ergeben sich aus der unternehmensspezifischen Kombination oder Veredelung von Inputgütern. 427 428 429 430 431
Vgl. Homp 2000, S. 169. Vgl. Freiling 2004, S. 62. Vgl. Hamel/Prahalad 1995, S. 231ff.; Ensign 2004, S. 125ff.; Proff 2000, S. 143. Vgl. Barney 1991, S. 107-112. Vgl. ebenda, S. 106ff.; Burr 2004, S. 453. Man spricht auch von VRIO-Konzept.
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• Imitability: Konkurrenten können sie nicht imitieren oder substituieren. • Organizational Specifity: Sie sind an das Unternehmen in der Weise gebunden, als dass sie in einem anderen Kontext nicht den gleichen Ertrag liefern. Die RBV ist indes kein geschlossenes Theoriegebäude, sondern wurde über die Jahre immer weiter ausgebaut. Waren zunächst lediglich Ressourcen im Fokus der Betrachtungen, so entwickelte sich später die competence-based view (CBV), mit der Kompetenzen – insb. Kernkompetenzen – sowie das Kompetenz-Management fokussiert wurden.432 Zu der CBV trat im Zeitverlauf auch die sog. knowledge-based view (KBV), welche das Konzept der RBV um Elemente wie Organisationsstruktur, Rolle der Unternehmensleitung, Allokation von Entscheidungsbefugnissen, Innovation und Lernen erweitert hat.433 „Unternehmen können gemäß dieser Sichtweise als Institutionen begriffen werden, in denen Wissen (im Rahmen von Lernprozessen) produziert und (von außen) akquiriert, getestet und (in Produkten und Prozessen) angewendet und (nach außen) transferiert wird.“434 Der Ressourcen-Begriff wird also in CBV und KBV weiter gefasst respektive differenziert. Ein Vorteil der CBV liegt in der Robustheit unter dynamischen Wettbewerbsbedingungen, während die klassische MBV und RBV eher auf die Analyse dauerhafter Wettbewerbsvorteile fokussiert ist. Das Management von Ressourcen und (Kern-) Kompetenzen wird als entscheidender Wettbewerbsfaktor begriffen, denn Lernprozesse müssen die im Zeitverlauf unvermeidliche innovations- oder immitationsinduzierte Degeneration von Ressourcen und Kernkompetenzen vermeiden bzw. zum Aufbau neuer Ressourcen und wettbewerbsrelevanter Kompetenzen beitragen. Dennoch können nicht alle Ressourcen respektive Kernkompetenzen selbst aufgebaut werden, daher sind Unternehmen regelmäßig gezwungen, Zugang zu neuen Inputgütern zu bekommen. Dazu kann sich ein Unternehmen über Märkte, Hierarchie oder Netzwerke Zugang zu potenziellen Ressourcen bzw. Kernkompetenzen verschaffen oder diese gemeinsam mit anderen Unternehmen aufbauen. Insbesondere die Bildung von Kooperationen ist vor diesem Hintergrund zu betrachten.435 Kollektiven Strategien – also der gemeinsame Aufbau von Ressourcen bzw. Kernkompetenzen oder deren Nutzung im Netzwerk – haben aufgrund der höheren Entwicklungsgeschwindigkeit und flexibleren Nutzung Vorteile im dynamischen Wettbewerbsumfeld.436 Kritik Folgende zentrale Kritikpunkte werden in der Literatur angeführt: • Die Unschärfe der Begriffsverwendung in den Arbeiten zur RBV führt regelmäßig zu Unschärfe in der Ableitung von Erkenntnissen.
432 433 434 435 436
Vgl. Prahalad/Hamel 1990; Hamel/Prahalad 1995; Teece/Pisano/Shuen 1997; Vgl. Zahn/Foschiani/Tilebein 2000, S. 51-53; Freiling 2001, S. 34-39. Zahn/Foschiani/Tilebein 2000, S. 52. Zur Abgrenzung von CBV und KBV vgl. Mildenberger 2002, S. 301ff. Vgl. Duschek/Sydow 2002, S. 427-428; Ensign 2004; von der Oelsnitz 2005. Weitere Entwicklungen bzgl. dynamischer Fähigkeiten finden sich bei Eisenhardt/Martin 2000; Rasche 2000; Burr 2003; Forcadell 2004; Schreyögg/Kliesch 2004; Rasche 2004.
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• Es fehlt bisher an einem geschlossenen Rahmenwerk der RBV, dennoch attestiert FREILING einen breiten Grundkonsens in der Literatur über zentrale Fragen, so dass dieses Defizit weniger schwer wiegt. Er zeigt weiterhin, dass der Vorwurf unzureichenden analytischen Tiefgangs in vielen Teilen zurückzuweisen ist.437 • Die RBV befindet sich in einem frühen Forschungsstadium, so dass einige Autoren einen Mangel an Messmethoden, qualitativen und quantitativen Analyseinstrumenten und normativen Konzepten konstatieren.438 • Quasi spiegelbildlich zur Kritik an der MBV, wird die starke Fokussierung auf den unternehmensinternen Kontext bemängelt. Dieser Vorwurf ist dann zurückzuweisen, wenn beide Ansätze als komplementär gesehen und perspektivisch ggf. integriert werden.439 • Der Vorwurf mangelnder empirischer Bestätigung gilt als weitgehend widerlegt.440 • Aus der RBV wurden Fokussierungsstrategien für Unternehmen entwickelt, die – mittlerweile teilweise als „Management Mode“ verschrien – nicht immer den erhofften Erfolg gebracht haben. Die Kritik an den im Einzelfall nicht immer erfolgreichen Strategien wird mitunter auf die RBV als theoretischen Ansatz zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen übertragen. Die Beurteilung des Theorieansatzes ist jedoch von der verkürzten Beurteilung im Markt beobachteter Unternehmensentwicklungen zu trennen. Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand Im Rahmen der vorliegenden Arbeit bietet es sich an, die RBV bei der Operationalisierung des Geschäftsmodell-Konstrukts im Hinterkopf zu behalten. Eine einseitige Sicht i.S. der MBV würde unternehmensspezifische Aspekte, wie Wissen, Kompetenz und Ressourcen unzureichend berücksichtigen. Zudem sind Mehrkanalsysteme und Absatzkanalbeziehungen nach der RBV-Logik dazu geeignet, Wettbewerbsvorteile zu begründen.441 Ferner lässt sich mit der RBV leichter erklären, warum im Automobilvertrieb viele verschiedene Distributionsorgane respektive Geschäftsmodelle koexistieren können. Die RBV ist in dieser Hinsicht wichtig zur Begründung des Multikanalvertriebs.442 Grundgedanke der RBV ist die Identifikation von unternehmensspezifischen Gütern, Eigenschaften oder Fähigkeiten – Ressourcen und Kernkompetenzen –, die einen Wettbewerbsvorteil begründen. Die Analyse von Inputgütern, Fähigkeiten und Kompetenzen potenzieller Geschäftsmodelle von Distributionsorganen kann einen Beitrag zur Typologisierung des europäischen Automobilvertriebs leisten. Denn die Unternehmensspezifität kann auch als Spezifität einer Gruppe von Unternehmen bzw. von Distributionsorganen aufgefasst werden, die gemeinsam einen Geschäftsmodelltyp begründen.443 Von besonderer Bedeutung in der DSG sind Ressourcen und Kernkompetenzen, weil sie die Einzigartigkeit im Wettbewerb der Geschäftsmodelle definieren helfen. Die RBV kann insofern – bezüglich der fünften Analysedimension – als theoretisches Grundgerüst dienen, 437 438 439 440 441 442 443
Vgl. Freiling 2001, S. 42-44; Priem/Butler 2001b, S. 36; Priem/Butler 2001a. Vgl. Haertsch 2000, S. 107; Freiling 2001, S. 45; Priem/Butler 2001b, S. 34; Hoopes/Madsen/Walker 2003, S. 889 und 897; Stieglitz 2004, S. 126-127; Raisch 2004, S: 73. Vgl. Kapitel 3.3.2.4; Porter 1991, S. 108; Freiling 2001, S. 49. Vgl. Rasche 2000, S. 71; Raisch 2004, S. 67. Vgl. Wirtz/Lütje 2007, S. 175. Vgl. Überlegungen zum Eintritt in Teilmärte und T-3.7 (Multikanalvertrieb). Zur Diskussion um die Identifikation von Gruppen aus dem Blickwinkel der RBV vgl. Rese 2002, S. 265ff.
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wenn Unterschiede in der Inputgüter- und Kompetenzausstattung der Geschäftsmodelle aufzeigt werden. 4.3.2.3 Transaktionskostenansatz als Teil der Neuen Institutionenökonomik Wie bereits erläutert, sehen PORTER/FULLER im Rahmen der klassischen MBV Kooperationen zwischen Unternehmen unter den Gesichtspunkten Erlangung von Skalenvorteilen und Kostenvorsprüngen, Beeinflussung der Marktstruktur sowie Senkung des Kapitalbedarfs. Im Rahmen der RBV wird die kooperative Nutzung von Kompetenz und Wissen sowie Inputgütern thematisiert. Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) stellt einen Theorieansatz dar, womit u.a. erarbeitet werden kann, wann kooperatives und wann individuelles Agieren vorteilhaft ist.444 Die NIÖ entstammt wie die Neoklassik der mikroökonomischen Theorie und nimmt den methodischen Individualismus als Ausgangspunkt. Sie geht im Gegensatz zur Neoklassik von begrenzter Rationalität bei Entscheidungen sowie von Informationsasymmetrie der Marktteilnehmer aus. Allen Ansätzen der NIÖ ist die Behandlung von Organisationsfragen – also die Bestimmung und Koordination arbeitsteiliger Aufgaben – und das „Denken in Verträgen“445 gemeinsam. Einer Transaktion muss nicht immer ein Vertrag im juristischen Sinne zu Grunde liegen. Der Transaktionskostenansatz (TAK-Ansatz) wird neben dem Principal-Agent-Ansatz, dem Property-Rights-Ansatz und dem Konzept relationaler Verträge der NIÖ zugeordnet:446 • Unter der Annahme asymmetrischer Informationsverteilung und Unsicherheit ist es das Ziel der Principal-Agent-Theorie, aus Sicht eines Auftraggebers (Prinzipal) die optimale Ausgestaltung von Kooperations- und Delegationsbeziehungen zum Auftragnehmer (Agent) zu entwickeln.447 • Der Transaktionskostenansatz (TAK-Ansatz) untersucht die Effizienz von Koordinationsmechanismen institutioneller Arrangements wirtschaftlicher Leistungsbeziehungen. Der TAK-Ansatz hat seinen Ursprung in den Arbeiten von COASE und wurde von WILLIAMSON in den 1970er und 1980er Jahren stark geprägt.448 Er kann einen Beitrag zur Erklärung des Übergangs von „eher marktlichen zu eher hierarchischen“ Kooperationsformen liefern. Grundlegende Hypothese des TAK-Ansatzes ist, dass die Höhe der Transaktionskosten von individuellen (bestimmt durch die involvierten Transaktionsparteien) und von transaktionsspezifischen (charakteristisch für die betrachtete Austauschbeziehung) Faktoren abhängig ist.449 „Die Transaktionskostentheorie [stellt damit] ein mikroanalytisches Instrumentarium zur Verfügung, das die Entwicklung
444 445 446 447 448 449
Vgl. Woratschek/Roth 2005, S. 143. Fischer 1993, S. 40. Vgl. Coase 1937; Williamson 2000; Richter/Furubotn 2003; Göbel 2002, S. 60ff. Vgl. Meinhövel 2004, S. 471; Göbel 2002, S. 62. Vgl. Göbel 2002, S. 63. Vgl. Williamson 1996, S. 1; Picot/Schneider/Laub 1989, S. 361 und 364; Picot/Reichwald/Wigand 2001, S. 41; Coase 1960, S. 1-44; Picot/Schneider/Laub 1989, S. 360; Picot/Dietl 1990, S. 178; Fischer 1993, S. 82ff.; Gümbel/Woratschek 1995, S. 1013; Bogaschewsky 1995, S. 159ff.; Gerhardt 1995, S. 83-126; Williamson 1996, S. 11ff.; Jung 1999, S. 25ff.; Jacob 2002; Durth 2000, S. 637; Tunder 2000; Erlei/Jost 2001; Hummel 2002, S. 714. Speziell bezüglich des Automobilvertriebs vgl. Diez 2001b, S. 54.
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institutioneller Ordnungsmuster erklärt und als Grundlage zwischenmenschlicher Leistungsbeziehungen dient.“450 • Der Property-Rights-Ansatz soll den Einfluss von Verfügungsrechten451 auf wirtschaftliche Phänomene wie der Organisation oder Vertragsgestaltung klären. Er basiert auf dem methodologischen Individualismus, der Verhaltensannahme individueller Nutzenmaximierung, der Einbeziehung von Transaktionskosten und externen Effekten. Dabei ist diejenige Allokation von Property-Rights am effizientesten, welche die Summe aus TAK und durch externe Effekte hervorgerufenen Wohlfahrtsverlust minimiert. • Relationale Verträge treten insb. dann auf, wenn Transaktionen mit hohem Spezifitätsgrad vorliegen. Dabei lassen die Vertragspartner vor Vertragsschluss (ex ante) bewusst Lücken im Vertrag, da nicht alle zukünftigen Ereignisse antizipiert werden können. Daraufhin kann es ex post zu Nachverhandlungen kommen, bei denen eine Partei von den schon getätigten spezifischen Investitionen der anderen profitiert. In Abbildung 33 sind die Komponenten der Neuen Institutionenökonomik im Überblick dargestellt. Neoklassik Neue Institutionenökonomik
Informationsökonomik
Rechtskomponente
Bewertungskomponente
Property Rights
Transaktionskostenansatz
Spezialfall: Principal-Agent-Ansatz
Vertragliche Konzepte: relationale Verträge
Mess-theoretische Konzepte
452
Abbildung 33: Komponenten der Neuen Institutionenökonomik
Wegen seiner Aussagekraft bzgl. Kooperationen ist der TAK-Ansatz hier von herausgehobener Bedeutung. Bei der Entscheidung über den Kooperationsmechanismus bzw. den Transaktionspartner müssen sowohl Leistungskosten als auch Transaktionskosten berücksichtigt werden. Transaktionen werden als die Übertragung von Verfügungsrechten definiert, bei der sowohl im Vorfeld der Vertragsschließung (ex ante), als auch nach bzw. während der Transaktion (ex post) Transaktionskosten anfallen. Transaktionskosten hängen von den Eigenschaften der zu Grunde liegenden Leistung und von der gewählten Koordinationsform ab. In der Literatur ist eine Vielzahl von Vorschlägen zur Differenzierung und Operationalisierung von Transaktionskosten zu finden. I.d.R. werden diese in ex ante und ex post Transaktionskosten kategorisiert, in Abhängigkeit davon, ob sie vor oder nach Vertragsschluss anfallen.453
450 451
452 453
Picot/Dietl 1990, S. 178. Vgl. auch bspw. Picot/Schneider/Laub 1989, S. 361 Property-Rights können als Handlungs- und Verfügungsrechte über Ressourcen übersetzt werden. Zentrale Annahme des Property-Rights-Ansatzes ist, dass die Ausgestaltung der Handlungsrechte die Allokation und Nutzung von Gütern beeinflusst – der Gütertausch wird insofern als Tausch von Handlungsrechten beschrieben. Vgl. Gümbel/Woratschek 1995, S. 1008. Unter Leistungskosten fallen Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebskosten, die mit dem klassischen Rechnungswesen erfasst werden. In der Literatur werden Schätzungen zitiert, die den Anteil der Transaktions-
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Zur Auswahl des geeigneten Koordinationsmechanismusses wurde von WILLIAMSON das in Abbildung 34 dargestellte Organisational faliure framework entwickelt, welches die Einflussgrößen des TAK-Ansatzes zusammenfasst. Verhaltensannahmen (1) beschränkte Rationalität
Transaktionsatmosphäre/ Verfügbarkeit von Kapital und Know-how/ Transaktionshäufigkeit
Informationsverkeilung
(2) Opportunismus
Umweltfaktoren (1) Unsicherheit/ Komplexität
(2) Spezifität
Abbildung 34: Organisational Faliure Framework454
Die erste Verhaltensannahme des TAK-Ansatzes stützt sich auf die Erkenntnis, dass Menschen mit beschränkter Rationalität handeln. Der erste Umweltfaktor erfasst die Unsicherheit, Komplexität und Unvorhersehbarkeit der Umwelt – d.h., die Umwelt ist durch Menschen nicht vollständig erfassbar und durchschaubar. Entscheidungssituationen sind insofern immer dann kritisch, wenn die beschränkte Rationalität des Menschen aufgrund einer unsicheren und komplexen Umwelt an ihre Grenzen stößt. Die zweite Verhaltensannahme unterstellt dem Menschen opportunistisches Verhalten: Wirtschaftssubjekte verhalten sich dementsprechend nicht ausschließlich verständigungsorientiert, sondern handeln häufig strategisch und opportunistisch, um den eigenen Nutzen zu maximieren – ggf. auch zum Nachteil anderer, unter Missachtung sozialer Normen.455 Opportunismus führt zu kritischen Situationen, wenn er auf den zweiten Umweltfaktor trifft: Spezifität idiosynkratischer Investitionen.456 Der Spezifitätsgrad einer Transaktion ist umso höher, je größer der entstehende Wertverlust ist, wenn die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen nicht in der angestrebten Verbindung eingesetzt, sondern einer anderen Verbindung zugeführt werden. „Von den genannten Einflussgrößen wird übereinstimmend die Spezifität als Haupteinflussgröße bezeichnet.“457 Das parallele Auftreten der Verhaltens- und Umweltfaktoren führt regelmäßig zum Versagen klassischer marktlicher Koordinationsmechanismen – andere Koordinationsmechanismen werden dann attraktiv.
454 455 456
457
kosten mit bis zu 50% beziffern. Vgl. Literatur bei Osterheld 2001, S. 101 und Jung 1999, S. 32. Zur Diskussion um die Abgrenzung und Definition der TAK-Arten vgl. z.B. Osterheld 2001, S. 101-111; Picot/Dietl/Franck 1997, S. 66; Picot 1991, S. 334. Vgl. Picot et al 2001, S. 42. Vgl. Williamson 1999, S. 1099. Vgl. Picot/Dietl 1990, S. 179. WILLIAMSON weist auf die besondere Bedeutung der sog. fundamentalen Transformation, also der Entwicklung einer spezifischen Transaktionsbeziehung aus einer ex ante unspezifischen Ausgangslage, hin. Vgl. Williamson 1996, S. 16 sowie Kapitel 3.4.8. Fischer 1993, S. 93. Vgl. zudem u.a. Picot/Reichwald/Wigand 2001, S. 43. Es können verschiedene Arten der Spezifität unterschieden werden. Vgl. Williamson 1991, S. 281; Williamson 1996, S. 14. Neben den sechs „klassischen“ TAK-Arten wurden immer wieder weitere Versuche der Abgrenzung vorgenommen. Vgl. bspw. Fein/Anderson 1997, S. 30ff.
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Basierend auf dem Principal-Agent-Ansatz führen, neben den genannten vier Faktoren, Situationen asymmetrischer Informationsverteilung zur sog. Informationsverkeilung. D.h., es besteht die Gefahr, dass ein Transaktionspartner seinen Informationsvorsprung opportunistisch ausnutzt und somit marktliche Koordinationsmechanismen gefährdet. Darüber hinaus sind drei weitere Einflussgrößen zu berücksichtigen: • Die Transaktionsatmosphäre umfasst alle für den Koordinationsmechanismus relevanten sozialen, rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen. Dazu können z.B. auch technische Infrastrukturen gehören, die Transaktionskosten senken. • Eine hohe Transaktionshäufigkeit reduziert die Amortisationszeit und erhöht damit die ökonomische Vorteilhaftigkeit hierarchischer Kooperationsmechanismen. Für gelegentliche oder einmalige Transaktionen bieten sich tendenziell einfachere institutionelle Lösungen an. • Besitzt ein Unternehmen das erforderliche Kapital und Know-how zur Eigenerstellung spezifischer und unsicherer Leistungen nicht selbst, wird es zur Reduktion seiner Transaktionskosten Kooperationen eingehen. Mit zunehmender Spezifität erhöhen sich die TAK bzw. steigt das Bedürfnis nach Absicherung des gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses. Dieser „Lock-in-Effekt“ ist nach der fundamentalen Transformation relevant, wenn also die transaktionspezifischen Investitionen zu einer dem Monopol ähnlichen Beziehung geführt haben. Diese Beziehung ist kritisch, wenn sie auf asymmetrisch spezifischen Transaktionen beruht und sich der Partner mit dem geringeren Investitionsvolumen opportunistisch verhält. In diesem Fall neigt der abhängigere Partner zu stärker hierarchischen Kooperationsmechanismen und es besteht die Gefahr der Nachverhandlung durch den weniger abhängigen Partner.458 Es lässt sich der in Abbildung 35 dargestellte allgemeine Zusammenhang zwischen Spezifität, Transaktionskosten und Kooperationsmechanismus ableiten. Transaktionskosten
Marktliche Koordination
Koordinationsformen mittleren Grades
Hierarchische Koordination
Spezifität
Abbildung 35: Koordinationsformen und Spezifität459
Kooperationen basieren auf der freiwilligen und zumeist vertraglich gefassten Zusammenlegung von Ressourcen unabhängiger Unternehmen mit dem gemeinsamen Ziel der Transaktionskostenreduktion. Kooperationen sind durch rechtliche und z.T. wirtschaftliche Selbständigkeit der beteiligten Partner, Freiwilligkeit, Koordination des Verhaltens der 458 459
Williamson spricht von „hold up“; vgl. Jung 1999, S. 42-43 und 46ff. Vgl. Picot et al. 2001, S. 45.
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Partner sowie durch Motivation einer besseren Zielerreichung anstelle individuellen Vorgehens charakterisiert.460 Die Koordination zwischen den Partnern bedient sich typischer Weise sowohl marktlicher, als auch hierarchischer Elemente sowie Institutionen, die das ökonomische Handeln der Partner kanalisieren.461 Die Motive für Kooperationen sind vielfältig, darunter finden sich:462 • Schaffung des Zugangs zu Märkten und Ressourcen • Erzielung von Spezialisierungs- und Skalenvorteilen sowie Lernkurveneffekten • Zugang zu notwendigen Fähigkeiten und Fachkenntnissen • Verringerung von Risiken durch Teilung von Kosten • Einflussnahme auf den Wettbewerb • Umgehung von Handelshemmnissen • Komplementärer Technologieaustausch • Gewinnung von Zeitvorteilen Eine einheitliche Systematisierung der Kooperationsformen ist in der Literatur nicht etabliert, gleichwohl existieren diverse Systematisierungsansätze:463 1. Closing Gap versus Critical Mass: Die Closing-Gap-Allianz entsteht zwischen Kooperationspartnern, die sich auf unterschiedliche Ressourcen- und Kompetenzportfolios spezialisieren und somit über die Kooperation gegenseitig Kompetenzdefizite ausgleichen. Demgegenüber werden Critical-Mass-Allianzen eingegangen, um neue Ressourcen und Kompetenzen durch gemeinsame Investitionen zu erhalten, gemeinsam die Time-to-Market zu reduzieren oder gemeinsam von Skalenvorteilen oder Lernkurveneffekten zu profitieren.464 2. Formale versus informale Arrangements: Es kann allgemein zwischen informalen, vertrags-basierten und Kooperationen, die auf der Verflechtung von Kapital aufbauen, unterschieden werden. 3. Koordinationsformen oder Beziehungsintensität: Kooperative Engagements werden häufig auch unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden Koordinationsmechanismusses unterschieden – sie werden insofern dem Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie zugeordnet.465 Die Festlegung des Integrationsgrades eines Unternehmens wird dabei als strategische, kurzfristig irreversible Make-or-BuyEntscheidung verstanden. „Ihre Komplexität liegt darin, dass sie in gleicher Weise von kostenbezogenen wie auch von absatzwirtschaftlichen Zielen bestimmt wird, zwischen denen wiederum Zielkonflikte angelegt sind.“466 Abbildung 36 zeigt die Differenzierung der Koordinationsformen nach MORSCHETT.467
460
461 462 463 464 465 466 467
Vgl. Morschett 2005, S. 379-380. Zur Diskussion des Begriffs sowie verwandter Begriffe, wie Allianz, Netzwerk, Koalition etc., vgl. u.a. Meyer 1995, S. 157-170; Picot/Reichwald/Wigand 2001, S. 302ff.; Woratschek/Roth 2005, S. 144. Sie wird insofern als hybride Organisationsform bezeichnet. Vgl. Williamson 1990. Vgl. Morschett 2005, S. 382. Vgl. ebenda, S. 382ff. Vgl. Bolten 2000, S. 150-153; von der Oelsnitz 2005, S. 195. Eine andere Bezeichnung ist Transaktionsform oder Grad (vertikaler) Integration. Diez 2001b, S. 54. Die Darstellung von MORSCHETT ist insofern vorteilhaft, weil sie der Tatsache Rechnung trägt, dass sich die einzelnen Formen in der Praxis je nach Ausprägung z.T. deutlich überlappen. Vgl. Morschett 2005, S. 385-386.
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Marktlösung
hybride / vertragliche Koordinantion
Spontaner Kauf (Markt) Tauschgeschäft Lieferkontrakt Patentlizenzvertrag Konsortium Know-How-Lizenzvertrag Virtuelle Allianz und Dynamische Netzwerke Verbundgruppen Franchise-Systeme Management-Vertrag Joint Venture Kapitalbeteiligung 100%-ige Tochter Fusion (Hierarchie)
Hierarchielösung Bindungsintensität / Grad der Integration
Abbildung 36: Koordinationsformen zwischen Markt und Hierarchie468
4. Bilaterale Bindungen versus komplexe Netzwerke: Über die Anzahl der Kooperationspartner kann der Komplexitätsgrad der Beziehung charakterisiert werden. Bi- oder Trilaterale Bindungen sind von niedrigerer Komplexität in der Koordination als einfache Netzwerke, bei denen ein Partner genau eine Beziehung zu allen anderen Netzwerkteilnehmern hat. Komplexe Netzwerke bestehen aus Bindungen zwischen allen beteiligten Partnern. 5. Horizontale versus vertikale Kooperation: Stehen die Kooperationspartner in einer Branche auf derselben Wertschöpfungsstufe, so spricht man von horizontalen Kooperationen, die i.d.R. als Closing-Gap-Allianz ausgeführt sind. Vertikale Kooperationen – meist als Critical-Mass-Allianz ausgeführt – verbinden Partner auf aufeinander folgenden Wertschöpfungsstufen. Eine weitere Ausprägung ist die diagonale Kooperation, die Partner einer Branche unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen zusammenbringt.469 6. Langfristige versus temporäre Kooperation: Kooperationen können befristet oder unbefristet, lang- oder kurzfristig angelegt sein. Dynamische Netzwerke werden abgegrenzt als diskontinuierlich, flexibel und sich immer wieder neu konstituierend. 7. Regionale versus internationale Kooperation: Mit der geographischen Reichweite der Kooperation steigt – trotz Einsatzes von IuK-Technologie – i.d.R. der Koordinationsaufwand. Kritik Ein wichtiger Verdienst der NIÖ ist die Relativierung der neoklassischen Annahme der Existenz des immer rational und allwissend handelnden Homo Oeconomicus. Zudem wurde das Verständnis von Märkten und Koordinationsstrukturen umfassend systematisiert und erweitert, ohne auf Interdisziplinarität (z.B. durch Öffnung ggü. den verhaltens-
468 469
Andere Abgrenzungen finden sich bei Picot 1982; Picot 1991, S. 340; Fischer 1993; Meyer 1995, S. 123ff.; Gerhardt 1995, S. 152-155; Picot/Reichwald/Wigand 2001; Osterheld 2001, S. 132; Göbel 2002, S. 195ff. Vgl. Morschett 2005, S. 386. Vgl. Benkenstein/Beyer 2005, S. 801-802.
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wissenschaftlichen Ansätzen) zu verzichten. Dennoch haben die NIÖ und darin der TAKAnsatz Kritik hervorgerufen: • Ein Hauptkritikpunkt des TAK-Ansatzes ist die scheinbar unmögliche Quantifizierung und (mathematisch saubere) Operationalisierung der TAK, insofern wird stattdessen häufig der (qualitative) Vergleich der TAK unterschiedlicher institutioneller Arrangements vorgeschlagen.470 Dem muss entgegengehalten werden, dass gerade die Öffnung gegenüber eher qualitativen Einflüssen auf TAK auch als Vorteil gedeutet werden kann. Außerdem geht es bei der Wahl der Beziehungsform selten um die Frage exakter TAK-Bestimmung, sondern eher um den Vergleich verschiedener institutioneller Arrangements. • Es wird zudem die Frage aufgeworfen, ob ein Koordinationsmechanismus überhaupt rein durch Kosten zu erfassen ist, ob z.B. das Machtphänomen ausreichend reflektiert wird.471 • Mithin wird argumentiert, dass unter der Verhaltensannahme beschränkter Rationalität (interpretiert als quasi nicht vorhandene Rationalität) die Optimierung von Koordinationsmechanismen nicht möglich ist.472 • Weiterhin wird angeführt, dass die Erkenntnisse eher deskriptiven, statusbezogenen Charakter haben und überdies bspw. Erlöswirkungen alternativer Koordinationsdesigns vernachlässigt werden, so dass daraus nur eingeschränkt komplexere Handlungsempfehlungen ableitbar sind.473 Dieser Nachteil kommt jedoch im Rahmen einer deskriptiv angelegten Geschäftsmodell-Analyse nicht zum Tragen. Beachtet man, dass es sich um einen nicht vollständig geschlossenen, geradezu bewusst offenen, nicht omnipotenten Theorieansatz handelt und dieser nur in Kombination mit anderen Ansätzen betriebswirtschaftliche Probleme lösen hilft, so müssen die genannten Einwände stark relativiert werden.474 Die NIÖ kann die Existenz von Kooperationen nicht vollständig erklären475, liefert jedoch einen wichtigen Beitrag. Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand Die NIÖ im Allgemeinen und die Transaktionskostentheorie im Speziellen eignen sich um Kooperationsbeziehungen sowie Koordinationsmechanismen zu erfassen. Daher findet die Perspektive des TAK-Ansatzes – gerade wegen ihres eher deskriptiven Charakters – Eingang in die achte Analysedimension des Geschäftsmodellansatzes, um Antworten auf folgende Fragen zu liefern: • Durch welche Koordinationsmechanismen ist das jeweilige Geschäftsmodell charakterisiert? • Welche Koordinationsmechanismen wenden die Geschäftsmodelle typischer Weise in den unterschiedlichen Bereichen vertikal und horizontal an? Aus der Beantwortung dieser Fragen ist ableitbar, warum ein Geschäftsmodell ggf. einen bestimmten Leistungsbereich effizienter abwickeln kann, als ein anderes. Darüber hinaus 470 471 472 473 474 475
Vgl. Picot/Dietl 1990, S. 183; Woratschek/Roth 2005, S. 161. Vgl. Picot/Dietl 1990, S. 183; zitierte Literatur bei Fischer 1993, S. 124-125; Osterheld 2001, S. 134. Vgl. Freiling 2004, S. 50. Vgl. Williamson 1999, S. 1100-1101. Vgl. Meyer 1995, S. 85; Gerhardt 1995, S. 125-126; Williamson 1999, S. 1106; Woratschek/Roth 2005, S. 160. Vgl. Woratschek/Roth 2005, S. 160.
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kann gezeigt werden, wie sich die Ausdifferenzierung neuer Geschäftsmodelle i.S.v. Desintegration in der Bildung veränderter Transaktions-Designs darstellt. 4.3.2.4 Verhaltenstheoretischer Ansatz Ausgangspunkt dieses interdisziplinär und problemorientiert ausgerichteten Ansatzes ist das Wissen über Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Im Marketing hat insb. die von DICHTL, KROEBER-RIEL, MEFFERT und RAFFÉE stark beeinflusste Konsumentenforschung einen besonderen Stellenwert erlangt. Das Konsumentenverhalten i.e.S. erfasst Verhalten von Menschen bei Kauf und Konsum, während die weitere Begriffsauffassung allgemein das Verhalten von „Letztverbrauchern“ materieller und immaterieller Dem verhaltenstheoretischen Wissenschaftsprogramm bzw. Güter erfasst.476 neobehavioristischen Paradigma liegen nach SCHANZ fünf Leitideen zugrunde:477 • Gesetzesidee: Soziales Geschehen folgt Gesetzmäßigkeiten, welche ihr Abbild in beobachtbaren Verhalten finden. Über die Erfassung von Verhalten und Einstellungen können empirisch-positivistisch Hypothesen bzw. Theorien über die Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden. • Methodologischer Individualismus: Individuen verhalten sich nach Gesetzmäßigkeiten, die erfasst und beschrieben werden können. Kollektive Verhaltensweisen oder soziale Systeme sind als Aggregation individuellen Verhaltens aufzufassen. • Nutzenidee: Individuen orientieren ihr Verhalten an der Befriedigung von Bedürfnissen – insofern rücken Bedürfnis- und Motivationstheorien als zentrale Erklärungsmuster von individuellen Verhalten in das Zentrum des theoretischen Ansatzes. • Steuerungsidee: Verhalten von Wirtschaftssubjekten kann zu einem gewissen Grad durch verschiedene institutionelle Arrangements – z.B. Anreizsysteme, Strukturen, Verordnungen – kanalisiert werden. • Idee der Freiheitssicherung: Die Mitgliedschaft von Individuen in Institutionen ist i.d.R. mit partiellem Freiheitsverzicht verbunden. Die Eröffnung partieller Spielräume für selbstbestimmtes Verhalten kann für Institutionen vorteilhaft sein. Die Verhaltenswissenschaft setzt Modelle und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen, wie bspw. Psychologie, Soziologie und Sozialpsychologie, vergleichende Verhaltensforschung oder physiologische Verhaltenswissenschaft ein.478 Weite Teile der Theorien über Kommunikations-, Marken- und Kundenbindungsstrategien basieren auf verhaltenswissenschaftlichen Hypothesen.479 Mit neobehavioristischen Ansätzen können u.a. Modelle des Kauf- und Kundenverhaltens aufgestellt werden, welche z.B. in der Marktsegmentierung von Bedeutung sind.480
476 477 478 479 480
Vgl. Meffert 1999, S. 15-17; Kubon-Gilke 2002; Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 3; Haase/Kleinaltenkamp 2004; Wiedmann 2004. Vgl. Schanz 1990; Kaas 2000, S. 64. In der Konsumentenforschung existieren zwei Forschungsrichtungen: der positivistische und der verstehende Ansatz. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 14-15. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 8. Vgl. z.B. Unger 1998, S. 47; Meffert/Burmann/Koers 2002b, S. 6; Meffert/Burmann 2002b, S. 24. Vgl. Kapitel 3.2.1; Freter 1983, S. 17ff.; Bauer 1989, S. 28-30; Meffert 1999, S. 16.
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Kritik Seit den 1960er und 1970er Jahren stellt die Entwicklung des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes „ein wichtiges Element im Kontext der kritischen Auseinandersetzung mit dem bis dato vorherrschenden ökonomischen Forschungsprogramm und speziell der Mikroökonomik sowie neoklassischer Markttheorie“481 dar. Mittlerweile sind Aussagen der verhaltenswissenschaftlich fundierten BWL fester Bestandteil innerhalb der Marketingwissenschaft. Als Kritik des verhaltenstheoretischen Programms wurden Probleme des Dilettantismus und der Integration interdisziplinärer Forschungsansätze sowie die Spezialisierung und Unterschiedlichkeit verschiedener Forschungsansätze angeführt.482 Darüber hinaus kann auch mit sehr komplexen Modellen multioptionales und zuweilen paradoxes Konsumentenverhalten nur eingeschränkt erklärt werden.483 Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand Die segmentspezifische Marktbearbeitung wird auch im Automobilvertrieb angewendet, es erscheint daher zweckmäßig die Differenzierung der Geschäftsmodelle auch im Hinblick auf das jeweils bearbeitete Marktsegment vorzunehmen. Dabei wird auf die in Kapitel 3.2.1 dargestellten Ansätze zurückgegriffen, welche zumindest in Teilen auf verhaltenswissenschaftlich geprägter Logik und Erkenntnis basieren. Ein Beispiel ist die Privatkundensegmentierung in soziale Milieus. Diese Perspektive ist für das Leistungskonzept der Geschäftsmodell-Differenzierung zweckmäßig: Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs unterscheiden sich im Hinblick auf die Definition ihrer Zielkunden, indem Privat- oder Geschäftskunden bzw. der Gesamtmarkt oder Marktsegmente bearbeitet werden. Außerdem hat sich das Modell des Kaufprozesses als geeignetes Analyseinstrument im Automobilvertrieb etabliert. Wie in Kapitel 4.4.1 zu zeigen sein wird, kann es auch für die Geschäftsmodell-Differenzierung eingesetzt werden. Weiterhin bietet es sich an, bei der Analyse des Kommunikationskonzepts von Geschäftsmodellen Aspekte aufzunehmen, welche sich des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes bedienen: In Kapitel 4.4 wird erörtert, warum es zweckmäßig ist, die Kommunikationsinstrumente, die das Geschäftsmodell in besonderer Weise nutzt sowie den Umgang mit Fahrzeugmarken und etwaigen Eigen- bzw. Handelsmarken bei der Geschäftsmodellanalyse zu berücksichtigen. Diese Arbeit bedient sich dementsprechend nicht nur durch die in Kapitel 5 angewendete empirische Methode „verhaltenswissenschaftlich geprägter Forschungsprogrammatik“484. 4.3.2.5 Consumer-based view der Unternehmung Bei der Customer-based view der Unternehmung handelt es sich um eine Grundperspektive des Managements, welche die markt- bzw. kundenorientierte Sicht des Managements mit dem Ressourcenansatz der Strategielehre (RBV) und dem Ansatz der wertorientierten 481 482 483 484
Wiedmann 2004, S. 11. Kaas 2000, S. 65; Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 7; Wiedmann 2004, S. 17 und 19. Vgl. Schüpperhauer 1996, S. 67-71. Vgl. Wiedmann 2004, S. 12-14.
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Unternehmensführung verknüpft. Dabei werden vier Annahmen in den in Abbildung 37 dargestellten kausalen Zusammenhang gebracht:485 • Kundenzufriedenheit beeinflusst den Unternehmenswert • Kundenzufriedenheit wird durch den vom Kunden wahrgenommenen Wert der vom Unternehmen angebotenen Produkte und (Dienst-) Leistungen bestimmt. Die wahrgenommenen Produkte und Dienstleistungen werden in diesem Zusammenhang Customer Value genannt. • Inwieweit Unternehmen in der Lage sind Customer Value zu schaffen, wird durch zwei Elemente bestimmt: Erstens muss die Ressourcenausstattung des Unternehmens die Schaffung von Customer Value ermöglichen. Zweitens werden sich Effizienz und Effektivität des Ressourceneinsatzes zur Schaffung von Customer Value in Abhängigkeit der vorhandenen Kernkompetenzen unternehmensindividuell unterscheiden. • Die Entwicklung derartiger Kernkompetenzen setzt die Zufriedenstellung der finanziellen Ansprüche der Stakeholder und insbesondere der Kapitalgeber voraus, sodass das notwendige Kapital zur Verfügung gestellt werden kann. +
Kundenzufriedenheit
+
Customer Value
Unternehmenswert
+
Kernkompetenzen
+
Abbildung 37: Kausalzusammenhang der Customer-based view der Unternehmung486
Zusammenhang Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert MATZLER/STAHL487 stellen heraus, dass der Unternehmenswert in Abhängigkeit von vier Treibern gesteigert werden kann – nämlich Beschleunigung, Erhöhung und Verringerung der Volatilität des Cash-Flows sowie Erhöhung des Residualwertes. Es wird gezeigt, dass erhöhte Kundenzufriedenheit positiv auf den das Wiederkaufverhalten wirkt, die Empfänglichkeit für Cross-Selling Angebote erhöht, zu niedrigerer Preissensibilität führt und positive Mundwerbung hervorruft. MATZLER/STAHL zeigen, dass diese vier Wirkungsmechanismen sieben Einflussfaktoren – nämlich verringerte Akquisitionskosten, niedrigere Bezugskosten, stabile Kundenbasis, höhere Preise, höhere Verkaufszahlen, raschere Marktpenetration und positive Reputation – bestimmen, welche wiederum die vier genannten Treiber des Unternehmenswertes und somit den Unternehmenswert selbst positiv beeinflussen.
485 486 487
Vgl. Matzler/Stahl/Hinterhuber 2006, S. 6. Vgl. ebenda, S. 7. Vgl. Matzler/Stahl 2000, S. 636-638.
4 Analyse von Distributionsorganen
115
Zone der Übertreibung „Overservicing“
hoch
Unternehmenswert
Zone der Begeisterung
Erwartungen enttäuscht
Erwartungen übertroffen
Zone der Enttäuschung niedrig
Indifferenzzone
Hohe Unzufriedenheit
Abwesenheit von Zufriedenheit
Hohe Zufriedenheit
keine Unzufriedenheit
Abbildung 38: Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert488
Zusammenfassend vermuten sie einen nichtlinearen, sattelförmigen Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Unternehmenswert, wie er in Abbildung 38 qualitativ dargestellt ist. Zusammenhang Customer Value und Kundenzufriedenheit „Der vom Kunden […] einem Produkt oder einer Dienstleistung zugeschriebene Wert […] resultiert aus der Wahrnehmung zweier Faktoren: der wahrgenommenen Qualität und dem wahrgenommenen Preis.“489 Über beide Faktoren hat der Kunde eine Erwartung, werden Kundenerwartungen durch ein Unternehmen relativ besser/schlechter erfüllt, als durch ein anderes, ergibt sich unterschiedlicher Customer Value. Die Erwartung beeinflusst die Kundenzufriedenheit: Wird die Erwartung übererfüllt, steigt die Zufriedenheit. Wird die Erwartung getroffen ergibt sich Indifferenz, während bei Untererfüllung der Erwartung Unzufriedenheit entsteht. Dabei sind der wahrgenommener Preis und wahrgenommene Qualität mehrdimensional sowie der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Wichtigkeit des Kundenzufriedenheit-bestimmenden Attributes nichtlinear und asymmetrisch. Das Konzept erlaubt nicht nur einzelne Produkte oder (Dienst-) Leistungen miteinander zu vergleichen, sondern auch das vom Kunden wahrgenommene Angebot eines gesamten Unternehmens. Ähnlich den Überlegungen der MBV können mehrere Unternehmen mit ähnlich strukturiertem Customer Value zu Strategischen Gruppen zusammengefasst werden. Wie in Abbildung 39 dargestellt, führt das Bestreben der Unternehmen sich im Wettbewerb zu differenzieren und zu profilieren langfristig zur Veränderung der Wettbewerbssituation über den Ausbruch aus einer Strategischen Gruppe, die Bildung neuer oder die Verschiebung Strategischer Gruppen. 488 489
Vgl. Matzler/Stahl/Hinterhuber 2006, S. 15. Vgl. ebenda, S. 16.
116
4 Analyse von Distributionsorganen
Niedriger Customer Value Relativer Preis 1,0
Strategische Gruppe A
Gleichgewichtslinie: wahrgenommener Customer Value gleich Mögliche Entwicklungsrichtungen eines Unternehmens
Strategische Gruppe B
Mögliche neue Position der Strategischen Gruppe A im Zeitverlauf
Hoher Customer Value Strategische Gruppe C
Relative Qualität
1,0 490
Abbildung 39: Wettbewerb um Customer Value
Zusammenhang Kernkompetenzen und Customer Value Ausgangspunkt ist die RBV, d.h. der Unternehmenserfolg wird insbesondere durch die unternehmensindividuelle Verfügbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen bestimmt. Herausforderung eines Unternehmens ist die Entwicklung oder Beschaffung von Kernkompetenzen, die in ihrer Kombination die effiziente und effektive Schaffung von Customer Value ermöglichen. Ist die Ausstattung eines Unternehmens mit Ressourcen und Kompetenzen relativ zum Wettbewerb nicht dazu geeignet über Customer Value Kundenzufriedenheit sicherzustellen, verfügt es entweder über zu wenige oder im relevanten Markt nicht nutzbare Ressourcen bzw. Kompetenzen. Desgleichen kann über die relativ zum Wettbewerb bessere Ausstattung mit Ressourcen und Kompetenzen, welche den Customer Value im Branchenvergleich übermäßig erhöhen – also mit Kernkompetenzen, Differenzierung zum Wettbewerb erreicht werden. Zusammenhang Unternehmenswert und Kernkompetenzen Der Aufbau von Kernkompetenzen erfordert langfristige Investitionen, welche im Unternehmen nur dann getätigt werden, wenn die Befriedigung von „normalen“ Renditeerwartungen der Kapitalgeber kurz- bis mittelfristig befriedigt, der zumindest langfristige überdurchschnittliche ROI einer Investition in Kernkompetenzen ausreichend sicher erwartet werden kann. Letzteres erfordert letztlich die Anerkennung des in Abbildung 37 dargestellten Zusammenhangs durch die Kapitalgeber. Kritische Würdigung Bei der Customer-based view der Unternehmung handelt es sich um ein relativ junges Modell, welches die Ansätze der RBV, der wertorientierten Unternehmensführung und der kundenorientierten Sicht der Unternehmung integriert. Die Stärke des Modells resultiert in der empirisch gesicherten Kombination der genannten Ansätze vor allem für wettbewerbs-
490
Vgl. ebenda, S. 17.
4 Analyse von Distributionsorganen
117
intensive Branchen. Es ist jedoch zu früh, um von einem weitgehend ausgebauten und ausreichend empirisch geprüften Managementansatz zu sprechen.491 Das Modell kann empirisch zeigen, dass der Unternehmenswert durch die genannten vier Treiber des Unternehmenswertes beeinflusst wird. Letztere werden im Modell durch Einflussfaktoren bestimmt, die insbesondere durch ihren Bezug zum Konstrukt Kundenzufriedenheit charakterisiert sind. Allerdings ist zu fragen, ob zusätzlich auf die Treiber des Unternehmenswertes respektive auf den Unternehmenswert selbst, noch andere Einflussfaktoren wirken, die im vorliegenden Modell (noch) nicht berücksichtigt sind. Die prinzipielle Aussagekraft würde dadurch indes kaum geschmälert. Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand Die Customer-based view der Unternehmung hat insbesondere als Argumentationslogik Bedeutung für die Operationalisierung des Geschäftsmodell-Konstrukts und das Multikanalmanagement. Es ergeben sich drei aufeinander aufbauende Überlegungen. • Kundenzufriedenheit und Multikanalmanagement im Allgemeinen: Hersteller haben bei der Gestaltung des Distributionssystems u.a. die Kundenzufriedenheit im Auge, weil sie den in der Customer-based view formulierten positiven Effekt auf den Unternehmenswert unterstellen. Weiterhin wird angenommen, dass nicht nur die vertriebenen Produkte – also Fahrzeuge und Dienstleistungen, sondern auch deren „Art der Vermarktung“ auf den vom Kunden wahrgenommenen Customer Value Einfluss hat. Die „Art der Vermarktung“ resultiert aus der Gestaltung des Distributionssystems im Allgemeinen und der Gestaltung der Distributionsorgane im Speziellen. Die Auswahl der „richtigen“ Distributionsorgane ist in dieser Hinsicht mit der Auswahl des „richtigen“ Geschäftsmodell-Portfolios gleichzusetzen. Mithin wird die Zusammensetzung der Absatzkanäle bzw. des Multikanalsystems beeinflusst. Hersteller können folglich versuchen, sich über die in Abbildung 39 dargestellte Logik gegenüber Kunden zu profilieren, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen.492 • Geschäftsmodelle zur Steigerung des Customer Value: Ähnlich der Darstellung in Abbildung 39 können relativ zum Wettbewerb unterschiedliche Ausgestaltungen der Distributionsorgane unterschiedlichen Customer Value beim Kunden begründen.493 Umgekehrt werden verschiedene Kundengruppen den individuellen Customer Value eines Distributionsorgans bzw. Geschäftsmodells unterschiedlich beurteilen. Ein Hersteller wird also zur Befriedigung unterschiedlicher Kundengruppen verschiedene Geschäftsmodelle parallel einsetzen, womit wiederum der Zweck von Multikanalmanagement begründet ist. Außerdem sind die Geschäftsmodelle selbst im Sinne der Steigerung des Customer Value zu optimieren, so dass positive Differenzierung vom Wettbewerb möglich wird. • Geschäftsmodellvielfalt als Kernkompetenz: Ausgehend vom vorangegangenen Argument sollte ein Unternehmen seine Ressourcen- und Kompetenzausstattung u.a. dahingehend optimieren, die – für die jeweilig anzusprechenden Kundengruppen „richtigen“ – Geschäftsmodelle im Multikanalmanagement integrieren zu können. Mithin ist der 491 492 493
Vgl. Matzler/Stahl 2000, S. 637-638. Danach würde ein Hersteller mit seinem individuellen Geschäftsmodell-Portfolio in Abbildung 39 einen Punkt innerhalb einer Strategischen Gruppe repräsentieren. Danach würde jedes Distributionsorgan einen Punkt innerhalb einer Strategischen Gruppe in Abbildung 39 repräsentieren. Die Strategische Gruppe selbst entspricht dabei jeweils einem Distributionsorgan-Typ respektive einem Geschäftsmodell.
118
4 Analyse von Distributionsorganen
effiziente und effektive Einsatz des Multikanalmanagements im Allgemeinen und der Wahl des optimalen Geschäftsmodell-Portfolios im Speziellen Ausdruck von Kernkompetenz. Bezogen auf die Kreislauflogik der Customer-based view in Abbildung 37, ist im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung in die notwendigen Kernkompetenzen zur Bildung des im Wettbewerb superioren Geschäftsmodell-Portfolios bzw. Multikanalmanagements zu investieren. 4.3.2.6 Theoretische Ansätze als Basis der Ausgestaltung des Analysekonstrukts Sowohl MBV als auch RBV versuchen Wettbewerbsvorsprünge von Unternehmen zu erklären, um Wege zur Sicherung bzw. zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen beschreiben zu können. In diversen Aufsätzen wird die RBV als komplementäre Forschungsrichtung der MBV bezeichnet.494 „Birgt die anfängliche Euphorie die Gefahr, nur Einseitigkeit durch Einseitigkeit zu ersetzen, reift nach und nach die Erkenntnis, dass MBV und RBV weder konkurrierende, noch disjunkte, sondern komplementäre, stellenweise interdependente Erklärungsansätze darstellen.“495 Wie bereits erläutert, stehen bei der RBV unternehmensinterne Aspekte im Zentrum der Überlegungen, während die MBV i.S.d. SCP die Wahl der Strategie basierend auf einer Marktstrukturanalyse in das Zentrum rückt. Keiner der beiden Ansätze lässt die jeweils andere Perspektive vollständig unberücksichtigt: Die RBV betrachtet implizit auch die Unternehmensumwelt496, während die MBV bspw. mit dem Wertkettenansatz auch unternehmensinterne Aspekte497 untersucht. Insofern kann allenfalls von einer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der Ansätze gesprochen werden. FRIDRICH/MATZLER/STAHL verdeutlichen die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Unternehmensforschung in Anlehnung an HOSKISSON et al. mit der Bewegung eines Pendels.498 Unternehmen
Markt/ Markt/ WettbewerbsWettbewerbsUnternehmen Unternehmen umfeld umfeld
Business Policy
I/O bzw. MBV
Zeit
Markt/ Markt/ WettbewerbsWettbewerbsUnternehmen umfeld umfeld
NIÖ
RBV
Abbildung 40: Entwicklungen der Strategie- und Unternehmensforschung499
Je nach Auslenkung des Pendels in Abbildung 40 konzentrieren sich die Erklärungsmuster für Übergewinne eher auf das Unternehmen selbst – wie bei der RBV – oder auf dessen Markt-
494
495 496 497 498 499
Vgl. u.a. Haertsch 2000, S. 147; Rasche 2000, S. 71; Schögel 2001, S. 33; Freiling 2001, S. 11; Spanos/Lioukas 2001; Friedrich/Matzler/Stahl 2002, S. 34; Rasche 2002, S. 34; Peteraf/Bergen 2003, S. 1027ff.; Slotegraaf/Moorman/Inman 2003, S. 307; Kalmlage/Seuring 2003, S. 12; Wiedenhofer 2003, S. 16; Leask 2004, S. 22. Friedrich/Matzler/Stahl 2002, S. 34. Vgl. Kapitel 3.3.2.2.; Freiling 2000, S. 18; Freiling 2001, S. 8; Priem/Butler 2001b, S. 34. Vgl. Abbildung 31. Vgl. Hoskisson et al. 1999; Friedrich/Matzler/Stahl 2002, S. 34-35. Vgl. Hoskisson et al. 1999, S. 421.
4 Analyse von Distributionsorganen
119
bzw. Wettbewerbsumfeld – wie bei der MBV. Die beiden Autorenteams argumentieren, dass jede Pendelbewegung die Forschung auf ein höheres Erkenntnisniveau bringt. Folgt man dieser Betrachtung, ist es einleuchtend, die MBV und die RBV, als komplementäre Sichtweisen verstanden, anzuwenden: „Attraktive Marktpositionen lassen sich nur mit überlegenen Fähigkeiten einnehmen und halten. Gleichzeitig sind die Stärken eines Unternehmens nutzlos, wenn sie sich nicht in der differenzierten Stiftung von Kundennutzen niederschlagen.“500 Der TAK-Ansatz bietet eine fokussierte Perspektive auf institutionelle Arrangements zwischen Markt und Hierarchie. Wie bereits erläutert, bietet diese Sichtweise einen tieferen Einblick in die Koordinationsmechanismen und bildet somit eine Basis der GM-Analyse. Gleichsam können stark vom verhaltenstheoretischen Ansatz beeinflusste Methoden und Modelle bei der Geschäftsmodellanalyse bzgl. Leistungs- und Kommunikationskonzept angewendet werden. Nicht zuletzt bietet die Customer-based view der Unternehmung eine wichtige Grundperspektive für das Multikanalmanagement im Allgemeinen und die Auswahl und Entwicklung der Distributionsorgane bzw. zugrundeliegenden Geschäftsmodelle im Speziellen. Ziel des GM-Ansatzes ist die umfassende Darstellung einer Geschäftstätigkeit, folglich sollten sich ergänzende Sichtweisen, zugunsten der Fokussierung auf ein bestimmtes Forschungsprogramm, nicht unberücksichtigt bleiben. Vielmehr erscheint es zweckmäßig, sich derjenigen Forschungsansätze zu bedienen, die hohes Erklärungspotenzial für die Praxis haben.501 Für die vorliegende Arbeit sollen daher die unterschiedlichen Perspektiven im Geschäftsmodell-Ansatz verwendet werden und so das synoptische Vorgehen von BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR konsequent weiter verfolgt und ausgearbeitet werden.502 Das Analysekonstrukt Geschäftsmodell fungiert insofern als Klammer und soll die Betrachtung, Differenzierung und Beurteilung der Absatzkanal-konstituierenden Distributionsorgane aus verschiedenen (z.T. komplementären) Perspektiven zusammenhalten. Dabei wird es sich je nach Geschäftsmodell anbieten, die eine oder andere Perspektive stärker zu berücksichtigen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es nicht das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist, die verschiedenen Ansätze503 in einem übergeordneten Theorieentwurf zu integrieren. 500 501 502
503
Zahn/Foschiani/Tilebein 2000, S. 51. Vgl. Meffert 1999, S. 236. HEDMANN/KALLING zeigen, dass den meisten Geschäftsmodell-Ansätzen letztlich mehrere Dimensionen zu Grunde liegen. Darin sehen sie einen wesentlichen Vorteil der GM-Analyse. Vgl. Hedman/Kalling 2003, S. 49 und S. 51. Beispiele für die gleichzeitige Anwendung mehrerer Theorie-Ansätze sind Laurent 1996; Haertsch 2000, Pehrsson 2000, Mayer 2000, Fearns 2004, Proff 2004, Smend 2003, Smend 2004, Ossadnik/Dorenkamp/Wilmsmann 2005. Der in der Literatur geführten Diskussion, ob es sich bei den dargestellten Ansätzen um geschlossene, offene oder überhaupt um Theorien handelt soll in dieser Arbeit nicht nachgegagen werden. Vgl. dazu bspw. Porter 1991; Freiling 2001; Priem/Butler 2001b; Priem/Butler 2001a; Barney 2001. Zur Bewertung von Theorien vgl. u.a. Heubes 1980; Kaas 2000.
120
4 Analyse von Distributionsorganen
Vielmehr bilden die einzelnen Ansätze parallel und zielgerichtet im Rahmen ihrer jeweilig größten Erklärungskraft den Hintergrund des GM-Konstrukts.504
4.4 Operationalisierung des Analysekonstrukts für den Untersuchungsgegenstand Die Diskussion um die Anwendung des Analysekonstrukts Geschäftsmodell im Rahmen des Multikanalmanagements sowie dessen inhaltliche Präzisierung war zunächst theoriegeleitet angelegt. Dabei wurde der theoretische Rahmen für die in Kapitel 4.3 ausgewählten Untersuchungskriterien nach BIEGER/RÜEGG-STÜRM/VON ROHR abgesteckt. Im folgenden Kapitel wird die Operationalisierung des Geschäftsmodell-Ansatzes auch unter Berücksichtigung der in Kapitel 3 erarbeiteten Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren vorgenommen.
4.4.1 Leistungskonzept Das Leistungskonzept betrachtet Leistungssystem und Funktionsumfang, die den unterschiedlichen Kundengruppen angeboten werden. Es ist das zentrale Differenzierungsinstrument des Geschäftsmodells gegenüber dem Wettbewerb, in dem die Zusicherung einer bestimmten Kombination dominanter Nutzenkriterien wie Preis, Qualität, Leistung, Auswahl, Bequemlichkeit etc. gegenüber den relevanten Kundengruppen erfolgt.505 Im Rahmen der Leistungskonzeptanalyse müssen demzufolge drei wesentliche Fragen beantwortet werden: • Welches sind die relevanten Kundengruppen, gegenüber denen Leistungen erbracht werden? • Welche Angebote werden direkt gegenüber den Kunden entlang des Kaufprozesses gemacht? Aus der Beantwortung dieser Frage ergibt sich die Beschreibung der unique selling proposition (USP)506 aus Kundensicht. • Welcher Ausschnitt der Distributionsfunktionen entlang der Wertschöpfungskette wird erfüllt? Daraus ergibt sich der sog. Value Add des Geschäftsmodells im Distributionssystem.507 In den folgenden drei Unterkapiteln werden diese Facetten des Leistungskonzeptes genauer ausgeführt.
504
505 506
507
Eine Integration der Ansätze wird vor allem durch die unterschiedlichen Prämissen der Ansätze erschwert. Eine Reihe von Autoren argumentiert daher, dass eine Integration nicht bzw. allenfalls partiell oder auf einem höheren Abstraktionsniveau möglich ist. Vgl. Meffert 1999, S. 36; Freiling 2001, S. 62-81; Literatur bei Wiedmann 2004, S. 15-17. Andere warnen z.T. sehr deutlich vor „akademischem Silodenken“ und favorisieren den gezielt kombinatorischen Einsatz der Theorie-Ansätze. Vgl. Rasche 2002, S. 384-394; Filser/McLaughlin 1989, S. 197-199; Schanz 1990, S. 229; Lengnick-Hall/Wolff 1999; Hoskisson et al. 1999, S. 446; Spanos/Lioukas 2001; Leask 2004, S. 23; Haase/Kleinaltenkamp 2004; Raisch 2004. Vgl. Treacy/Wiersema 1995, S. 10; Becker 2002, S. 248. Der Begriff wurde in den 1940er Jahren von REEVES geprägt. Er meint ursprünglich das für eine bestimmte Zielgruppe einzigartige Verkaufsversprechen im Rahmen einer Werbebotschaft, beschreibt heute jedoch i.d.R. allgemein das Leistungsversprechen mit Alleinstellungsanspruch. Vgl. Reeves 1969; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1997, S. 90; Becker 2002, S. 207. WIRTZ betrachtet diesen Aspekt im Leistungserstellungsmodell und definiert es als die ökonomische Beziehung zwischen Einsatzmengen der Produktionsfaktoren und der damit erzielbaren Ausbringungsmenge. Vgl. Wirtz 2001, S. 213.
4 Analyse von Distributionsorganen
121
4.4.1.1 Kundengruppen Bisher spielte das Merkmal „Einkaufsstättenwahl“ aufgrund des vorherrschenden Monokanalvertriebs in Europa praktisch keine Rolle.508 In Kapitel 3.3 wird gezeigt, dass von einem Monokanalvertrieb nicht mehr gesprochen werden kann und es für Automobilhersteller daher in Zukunft sehr wichtig sein wird, über welche Absatzkanäle bzw. über welche Geschäftsmodelle sie ihre Zielgruppen am besten erreichen. Daher sollen in der empirischen Untersuchung die erarbeiteten Geschäftsmodelle den relevanten Kundengruppen zugeordnet werden.509 In Kapitel 3.2.1 wurden bereits die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Segmentierungskriterien im Kontext aktueller Trends vorgestellt. Abbildung 41 fasst die drei Kriterien jeweils für Privat- bzw. Geschäftskunden zusammen. Flottengröße Institution Kaufentscheidung
Endkundendifferenzierung Geschäftskunden (B2B-Geschäft)
Privatkunden (B2C-Geschäft)
Davon abzugrenzen: Geschäftsmodelle, die primär innerhalb des Distributionssystems tätig sind und nicht an Endkunden absetzen
PreisPremiumbereitschaft Automobilbezogene Wertorientierung Markenorientierung
Abbildung 41: Kundensegmentierung der vorliegenden Arbeit
Nicht dargestellt sind Kunden innerhalb des Vertriebssystems, wie z.B. Wiederverkäufer oder Vermittler, die durch eigene Geschäftsmodelle repräsentiert werden, die hier vorgestellte Kundesegmentierung bezieht sich auf Endkunden. Endkunden kaufen Automobile, um sie selbst bzw. in der von ihnen repräsentierten Organisation zu nutzen.510 Die drei Merkmale zur Differenzierung von Geschäftskunden sind bereits in Kapitel 3.2.1 bzw. Tabelle 4 dargestellt. Für Privatkunden soll neben der Markenorientierung das SIGMA-Milieu-Modell basierend auf den Kriterien automobilbezogene Wertorientierung und Preis-Premium-Bereitschaft zur Differenzierung herangezogen werden.511 Die Segmentierung der Privatkunden bezüglich 508 509 510 511
Vgl. Heise 1997, S. 215. Vgl. T-2.1 (Kundengruppen), T-2.5 (Individualisierung), T-3.7 (Multikanal-Strukturen), T-3.8 (Zielkundenportfolios). Kunden werden demzufolge als Endverbraucher gesehen. Vgl. Ahlert 1995, S. 501; Ahlert 1996, S. 9-11; Specht/Fritz 2005, S. 312. Vgl. Ascheberg/Arnold 2005. Die Anwendung des Modells ist zweckmäßig, weil es in der Automobilindustrie vielfach genutzt wird und den Teilnehmern der empirischen Untersuchung bekannt sein dürfte. Allerdings wird dabei die Logik umgekehrt. Das SIGMA-Modell geht davon aus, dass in der Gesellschaft unterschiedliche Milieus differenziert sind, denen zudem durch Kundenbefragungen unterschiedliches Verhalten beim Automobilkauf zugeordnet werden kann. Mit der Erfassung diverser Einstellungs- und Verhaltensparameter, welche das SIGMA-Modell in Beziehung setzt, werden individuelle Personen Milieus zugeordnet bzw. Milieus gebildet. Die in Abbildung 8 abgebildete Milieudarstellung vereinfacht zwecks Visualisierung diese Zuordnung auf zwei Dimensionen. Der Untersuchung der vorliegenden Arbeit ist keine Kundenbefragung zu Grunde gelegt, dementsprechend kann das Aggregationsverfahren des SIGMA-Modells nicht angewendet werden. Es wird jedoch unterstellt, dass die befragten Experten aufgrund ihrer Markt- und Modellkenntnis Aussagen darüber machen können, wie die Kunden eines bestimmten Geschäftsmodells anhand der beiden genannten Segmentierungskriterien des SIGMA-Modells einzuordnen sind. Dabei handelt es sich um eine verhältnismäßig unscharfe Aussage, die lediglich einen ersten Anhaltspunkt über das Kundenprofil liefern kann, jedoch unbedingt einer Validierung über das klassische Vorgehen der Milieu-Zuordnung bedarf. Für nachfolgende Forschungen erscheint insofern eine Kunden-zentrierte Analyse sinnvoll.
122
4 Analyse von Distributionsorganen
Markenorientierung soll in Anlehnung an das in Kapitel 4.4.2 dargestellte Konzept erfolgen: Privatkunden werden danach segmentiert, ob sie eher Luxus- respektive Premiummarken oder Marken geringeren Werts nachfragen. Die Geschäftsmodelle sollen nicht nur bezüglich der aktuell bedienten Kundengruppen eingeordnet werden. Es ist zudem zu klären, welche Kundengruppen für das Geschäftsmodell zukünftig unter Berücksichtigung der Marktveränderungen relevant sein werden. Verglichen mit der in Kapitel 4.1 eingeführte Unterscheidung in Distributionsmittler auf Einzelhandels- und Großhandelsebene, geht die Geschäftsmodelltypologie differenzierter vor. Es wird zwischen Geschäftsmodellen, die erstens primär Absatz an Endkunden i.S.v. Privatkunden, die zweitens Absatz an Endkunden i.S.v. Geschäftskunden betreiben und Geschäftsmodellen, die drittens innerhalb des Distributionssystems tätig sind, also gar nicht oder kaum an Endkunden absetzen, unterschieden. 4.4.1.2 Kundennutzen im Kaufprozess Das Automobil kann zumindest im Vertrieb an Privatkunden als ein High-EnvolvementProdukt mit ausgeprägten Such- und Erfahrungseigenschaften charakterisiert werden.512 Abgesehen von Wiederholungskäufen von Flotten- oder Geschäftskunden kann der Automobilprozess dem extensiven Kaufentscheidungstyp zugeordnet werden. Dabei richtet sich der Grad der kognitiven Informationsverarbeitung nach den situativen Rahmenbedingungen der Kaufentscheidung und den Präpositionen des Käufers im Hinblick auf das wahrgenommene kaufspezifische Risiko und die damit verbundenen Informationsbedarfe.513 Im B2B-Bereich liegt dagegen eine quasi habitualisierte und stark kostenorientierte Kaufentscheidung vor. UNGER weist darauf hin, dass aufgrund verschiedener Kaufentscheidungstypen auch kein für alle Automobilkäufe gültiger Kaufprozess identifiziert werden kann. Vielmehr lässt sich lediglich ein siebenstufiger idealtypischer Kaufprozess charakterisieren, der von den unterschiedlichen Kundengruppen vollständig oder teilweise durchlaufen wird (vgl. Abbildung 42).514 In der GM-Analyse soll die USP aus Sicht des Kunden abgebildet werden. Dabei bietet es sich an, den USP in Bezug zur Phase des Kaufprozesses zu setzen, denn nicht alle GM bieten ihren Kunden Leistungen entlang des gesamten Kaufprozesses an.515 Es muss also einerseits festgestellt werden, in welchen Phasen das GM ggü. dem Kunden aktiv wird und andererseits
512 513 514
515
Vgl. Diez 2001a, S. 63. Vgl. Unger 1998, S. 56-63. Vgl. ebenda, S. 66-67; Diez 2001a, S. 66ff.; Methner 2002, S. 120 und 124; Diez 2004b, S. 682. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Neuwagenvertrieb, insofern sind bei der Geschäftsmodellanalyse die Phasen eins und sieben weniger stark zu berücksichtigen. Diez geht in einem erweiterten Konzept stärker auf den Übergang zwischen Phase sieben und eins ein. Er betont, dass bei Privatkunden zwischen Kauf und Wiederholungskauf bis zu 54 Monate liegen. Vgl. Diez 2004b, S. 681-682. Durch Channel Hopping-Verhalten nutzen Privatkunden das Unbundling von Distributionsfunktionen aus. Vgl. T-2.11 (Channel Hopping); Schögel/Sauer 2002, S. 104; Schögel 1997, S. 141.
4 Analyse von Distributionsorganen
123
welche USP jeweils aus Kundensicht vorliegt. Die Verknüpfung von Kaufprozessbetrachtung und Absatzkanalgestaltung ist ein gängiger Ansatz des Multikanalmanagements.516
7. Phase Nutzungsphase im Alltag - Erlebnis der Alltagstauglichkeit - Service-WartungsErfahrungen - Stärken-/SchwächenErlebnis (Total-Cost-ofOwnership) - Weitergabe der Erfahrungen - Ggf. Entwicklung Markenloyalität
2. Phase
3. Phase
Entscheidungsfindung, Strukturierte, gezielte Alternativenbewertung Informationssuche, Konkretisierung der - Konsequentere Kaufabsicht Kontakte mit Absatzorganisation - Aktive Informationsbeschaffung - Informationsverdichtung - Bildung Kaufinteresse - Preisverhandlungen, - Phase der AngebotsFinanzierung, differenzierung u.a. nach Versicherung etc. Nutzenerwartung, Preis und Servicenetz - Gespräche mit Fachleuten - Erste Kontakte mit Absatzorganisation - Probefahrt - Gespräche mit Meinungsführern
6. Phase
4.Phase: Kaufabschluss bzw. Transaktion
1. Phase Unstrukturierte passive Informationsaufnahme - Kaufanregung, Bedürfnisweckung - Anregungen durch Freunde, Bekannte und Familie sowie Medien - Situativ, selektive Informations-aufnahme
5. Phase
Kaufvollzug, Übergabe, erste Warten auf Auslieferung Produkterfahrung - Suche nach Kaufbestätigung - Übergabe, ggf. (personale, mediale zusätzliche Kosten Kommunikation) - Erstes Fahr-, - Ggf. Anpassung der Produkterlebnis Bestellung - Suche nach Kaufbestätigung - Erste Kontakte bzgl. Service, Zubehör, Tuning etc.
Abbildung 42: Idealtypischer Automobil-Kaufprozess517
4.4.1.3 Value Add des Geschäftsmodells im Distributionssystem Die Kaufprozesses-Perspektive gibt einen ersten Eindruck dessen, welche Distributionsfunktionen das jeweilige GM übernimmt. Die Differenzierung der GM anhand des jeweiligen USP entlang des Kaufprozesses ist allerdings nur auf solche GM anwendbar, die Endkundenkontakt haben. Zudem kann daraus nicht abgeleitet werden, welche Anteile des Distributionsprozesses zwischen Hersteller und Endkunde tatsächlich ausführt. Um ein besseres Verständnis vom Leistungskonzept des GM zu erhalten, ist daher neben der Kundenperspektive auch die Geschäftsprozess- bzw. Wertschöpfungskettenperspektive erforderlich, welche auf den in Kapitel 4.3.2.1 dargestellten Wertkettenansatz von PORTER zurückgeht.
516
517
Vgl. u.a. Diez 2001a, S. 330348; Smend 2003, S. 96-99; Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 4; Markmann/Benze 2004, S. 330. Beide Aspekte eignen sich nicht für die Berücksichtigung in der Expertenbefragung, vielmehr werden lediglich Teilaspekte in Form einzelner Fragen diskutiert. Der USP als zentrales Element der GMCharakterisierung wird in der Geschäftsmodellbeschreibung der empirischen Untersuchung vorgegeben. Vgl. Unger 1998, S. 66.
124
4 Analyse von Distributionsorganen
Dieses Konzept wird von vielen Autoren zur Unternehmens- oder GM-Analyse verwendet.518 Es eignet sich zudem für die Beschreibung intermediärer Geschäftsmodelle, die nicht gegenüber Endkunden agieren. In Abbildung 43 sind die wichtigsten Aktivitäten idealtypisch dargestellt, welche in der Neuwagendistribution zwischen der Fertigung und der Auslieferung beim Kunden stehen. Zu den strategischen Produktmanagementaktivitäten zählen Modellsortiments-, Volumen- und Preisplanung, während das strategische Netzmanagement insbesondere Vertriebsnetzadministration und -finanzierung sowie Rechtsberatung umfasst. Die operative Vertriebsnetzbetreuung steht an der Schnittstelle zwischen strategischem Vertriebsmanagement und kundenbezogenen Aktivitäten, dazu zählen etwa Personalentwicklung, Bereitstellung von Produkt- und Preisinformationen ggü. Kunden, Sicherstellung notwendiger IT-Unterstützung im Kaufprozess. Unter den übergreifenden kundenbezogenen Prozessen werden Key Account Managementaktivitäten und das Management zusätzlicher Dienstleistungsangebote vor Kunde subsumiert. Demgegenüber werden unter übergreifenden produktbezogenen Prozessen vor allem Auftragsmanagement, Fahrzeugdisposition und Beschaffung verstanden. 519 Die Analyse der geschäftsmodellspezifischen Schwerpunktsetzung der Übernahme von Distributionsfunktionen erleichtert die Abgrenzung und Bewertung der Geschäftsmodelle in der DSG. In Kapitel 5 soll mit diesem Ansatz vor allem für Geschäftsmodelle ohne Kundenkontakt aufgezeigt werden, welche Aktivitäten520 das jeweilige Geschäftsmodell in der Wertschöpfungskette bzw. im Distributionssystem übernimmt bzw. welche Distributionsfunktionen dadurch übernommen werden. Für die zukünftige Entwicklung dieser GM ist überdies von Interesse, ob der Anteil des GM an der Wertschöpfungskette sinken oder steigen wird.
518
519
520
Vgl. u.a. Rayport/Sviokla 1996, S. 109; Albers/Peters 1997, S. 70; Timmers 2000, S. 39ff.; Evans/Berman 2001; Schögel 2001, S. 10-11; Diez/Reindl 2005b, S. 71ff.; Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 56-57 sowie zitierte Literatur in Kapitel 3.2.4. In Kapitel 3.2.1 wurde bereits auf die Bedeutung dieses Ansatzes für das Multikanalmanagement eingegeangen. Vgl. Schögel/Sauer 2002, S. 89. Die Darstellung ist auf den Neuwagenvertrieb bezogen und umfasst somit keine Dienstleistungen über den reinen Neuwagenvertrieb hinaus. Somit sind Standardprozesse eines Gescheschäftsmodells respektive einers Unternehmens, wie etwa Personalverwaltung, IT-Unterstützung, Buchhaltung und Organisation nicht ausgewiesen. Ebensowenig sind zusätzliche Dienstleistungen aus der Nachkaufphase dargestellt, da diese durch die kaufprozessbezogene Betrachtung erfasst werden. PORTER spricht in seinen Veröffentlichungen von Aktivitäten in der Wertkette. Vgl. Porter 1999b, S. 63ff. Mit der vielfachen Übernahme dieses Konzeptes in der Literatur wurden die Aktivitäten auch als Aufgaben (vgl. z.B. Schögel/Sauer 2002, S. 89) oder (Wertschöpfungs-) Prozesse (vgl. z.B. Rayport/Sviokla 1996, S. 105) bezeichnet. In der vorliegenden Arbeit sollen die Termini Prozess und Aktivität in diesem Zusammenhang synonym gebraucht werden.
4 Analyse von Distributionsorganen
125
Strategisches Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement ) Kundenkontaktaufnahme
4
3
2
1
Verkaufsprozess
6
5
7
9
8
Nachkaufphase
11
10
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
1 produktbezogene Prozesse
3
2
Kundenbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 2. Werbung und direktes Marketing 3. Außendienst 4. Eventmarketing 5. Messen und Ausstellungen 6. Kundenpflege, CRM 7. Marktforschung 8. Produktberatung und -demonstration 9. Kaufberatung und Vertragsabschluss 10. Orderabwicklung 11. Übergabe an den Kunden & Nachkaufbetreuung
4
5
6
Back-OfficeProzesse
Produktbezogene Prozesse: 1. Transport ab Werk 2. Eingangsprüfung, nat./regionale Lagerung 3. Transport zum PoS 4. Eingangsprüfung, Aufbereitung, Zwischenlagerung 5. Ausstellung 6. Aufbereitung für Übergabe an bzw. Transport zum Kunden
Abbildung 43: Distributionsprozesse im Neuwagenvertrieb521
4.4.2 Kommunikationskonzept Das Kommunikationskonzept stellt dar, wie die Leistung im relevanten Markt kommunikativ verankert wird. Die Kommunikationspolitik setzt das Kommunikationskonzept am Markt um. Sie erfasst die systematische Gestaltung der Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Einstellungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.522 Es handelt sich also um einen Planungs- und Organisationsprozess, der den Adressaten ein konsistentes Erscheinungsbild des Geschäftsmodells bzw. seines Leistungskonzepts vermitteln soll. Folgende Kommunikationsinstrumente können in Anlehnung an BRUHN und MEFFERT abgegrenzt werden:523 • Mediawerbung ist eine Form der unpersönlichen, mehrstufigen und indirekten Kommunikation, welche sich öffentlich und ausschließlich über technische Verbreitungsmittel (den Medien) einseitig, mittels Wort-, Schrift-, Bild und/oder Tonzeichen, an ein disperses Publikum richtet.
521 522 523
Eigene Darstellung in Anlehnung an Porter 1999b, S. 66. Vgl. Bruhn 2003, S. 1. Vgl. ebenda, S. 276-349; Diez 2001a, S. 487-568; Meffert 2000a, S. 684-685; Kotler/Walther 1999, S. 668.
126
4 Analyse von Distributionsorganen
• Verkaufsförderung sind meist zeitlich begrenzte Aktionen mit dem Ziel, auf nachgelagerten Vertriebsstufen durch zusätzliche Anreize Kommunikations- und Vertriebsziele eines Unternehmens zu erreichen. • Messen und Ausstellungen umfassen zeitlich und räumlich begrenzte Veranstaltungen mit Marktcharakter, auf denen dem Publikum ein umfassendes Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige dargeboten wird. • Direct Marketing umfasst dialogische Kommunikationsmaßnahmen, die eine individuelle Ansprache des Adressaten initiieren oder ein Responseangebot in einer zweiten Stufe anbieten. • Sponsoring beinhaltet die Förderung von Personen, Organisationen oder Veranstaltungen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt oder Medien durch die Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Know-how oder Dienstleistungen. • Multimediakommunikation ist der Einsatz verschiedener elektronischer Medien, die integriert und z.T. interaktiv gestaltet sind, um Adressaten zu informieren oder mit ihnen in Kontakt zu treten. • Event Marketing ist die erlebnis- und dialogorientierte Inszenierung von unternehmensoder produktbezogenen Ereignissen oder Veranstaltungen, um durch emotionale und physische Stimulans Aktivierungsprozesse in Bezug auf das Leistungskonzept des Geschäftsmodells auszulösen. • Persönliche Kommunikation bezeichnet hier die wechselseitige Kontaktaufnahme und -abwicklung in einer Face-to-Face-Situation, in der verbale und nonverbale Kommunikationshandlungen durchgeführt werden. • Public Relations umfasst die planmäßig Gestaltung der Beziehung zu ausgewählten internen und externen Zielgruppen. Aufgrund der Vielfalt der Kommunikationsinstrumente, soll die vorliegende Untersuchung in der GM-Darstellung lediglich auf solche Instrumente eingehen, die das GM in typischer Weise charakterisieren. Im Automobilvertrieb ist die Markenpolitik von herausragender Bedeutung und stellt im Hinblick auf die Kommunikation von Image und Marken der Fahrzeuge einen herausragenden Erfolgsfaktor dar. Automobilhersteller differenzieren sich stark über Aufbau, Pflege und strategische Positionierung von Marken bzw. Markenportfolios.524 Sie versuchen eine kontinuierliche Kundenbindung an die Fahrzeugmarke über den gesamten Kaufprozess aufrecht zu halten und zu verstärken. Wodurch nicht zuletzt die Preisbereitschaft gegenüber der jeweiligen Marke erhöht werden soll. Das Ziel ist es daher, eine möglichst markenexklusive respektive markenzentrierte Ausrichtung des Kommunikationskonzeptes zu erreichen. Die Bemühungen zur nachhaltigen Kundenbindung unter dem Eindruck der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Kundengruppen mit Hilfe von Markenportfolios ist Kernelement der Herstellerstrategien.525 Dessen ungeachtet etablieren Absatzmittler als Ergänzung 524
525
Zur Bedeutung von Marken im Automobilvertrieb vgl. u.a. Diez 2001a, S. 489, 575-578 und 609; Wehr 2001, S. 7ff.; Zielke/Preißner/Wierich 2002, S. 137; Meffert/Burmann/Koers 2002a, S. 203; Wecker 2004, S. 20ff.; Löffler 2005, S. 548. Zu den Zielen der Markenpolitik vgl. bspw. Meffert 2000a, S. 848-850; Becker 2002, S. 188ff.; Meffert/Burmann/Koers 2002a, S. 9-13. Vgl. T-1.2 (Markenspezifische DSG), T-1.3 (Gestaltung am PoS); T-2.4 (Markenloyalität); T-2.9 (Markeninszenierung bei Privatkunden); T-3.9 (Markenwert am PoS).
4 Analyse von Distributionsorganen
127
zu den Fahrzeugmarken eigene Marken – bspw. Autohaus Müller –, um insb. im regionalen Umfeld Kunden zu binden.526 Insofern ist das Markenkonzept in der GM-Analyse von besonderem Interesse. Dabei soll einerseits die Integration der Fahrzeugmarken und andererseits die Integration einer Eigenmarke in das Kommunikationskonzept betrachtet werden. Im Rahmen des Markenmanagements werden subjektive Merkmale, wie z.B. Emotionalität, Qualität, Sportlichkeit, Prestige, Informationsfunktion, Vertrauen, und objektive Merkmale, wie bspw. Marktanteil, Preispositionierung zur Markendifferenzierung herangezogen. In der Praxis werden häufig Kombinationen aus subjektiven – auf Kundenbefragungen basierenden – und objektiven Merkmalen verwendet. Ein Beispiel stellt die in Abbildung 44 dargestellte Segmentierung in Anlehnung an DIEZ und DIETZ/KLINK/LAIB dar, welche bewusst mehrere Segmentierungskriterien integriert, um die Marken in einer zweidimensionalen Matrix abbilden zu können:527
Markenwert aus Kundensicht
Luxusmarken
Premiummarken
Qualitätsmarken
Randmarken
Volumenmarken
EmergingBrands
Marktanteil
Abbildung 44: Markensegmentierungsmatrix528
• Randmarken und „Emerging Brands“: Randmarken sind im Markt weniger bekannt oder verfügen über ein schlechtes Image. Sortimentsbreite und Produktqualität dieser Marken sind eher unterdurchschnittlich, während Wettbewerbsvorteile i.d.R. über eine günstige Preispositionierung angestrebt werden. Ein flächendeckendes Verkaufs- und Servicenetz liegt nicht immer vor. Eine besondere Stellung nehmen die sog. Emerging Brands529 ein, welche neu in den Markt eintreten und über eine günstige Preispositionierung zu Volumenmarken aufsteigen wollen. • Volumenmarken und Qualitätsmarken: Der Unterschied zwischen Volumen- und Qualitätsmarken ist fließend. Beide verfügen über hohe Marktanteile; Volumenmarken verfügen über einen geringeren, vom Kunden wahrgenommenen, Markenwert und werden daher eher mit einer niedrigeren Preispositionierung vermarktet. • Premiummarken und Luxusmarken: Premiummarken verfügen aus Kundensicht über einen sehr hohen Markenwert. Die Produkte werden i.d.R. mit überdurchschnittlichem Angebot hinsichtlich Ausstattung, Qualität und Technologie sowie hoher Preis526 527 528 529
Vgl. Wastl/Osegowitsch 2005; Diez/Eickmeier/Meunzel 2004, S. 47; T-3.10 (Eigenmarken). Vgl. Diez 2001a, S. 605; Dietz/Klink/Laib 2000, S. 57-58 und ähnlich Smend 2004, S. 141-143. Vgl. Dietz/Klink/Laib 2000. Dazu zählen derzeit besonders ausländische Marken, wie KIA oder Cadillac sowie chinesische Marken, die ein volles Produktsortiment anbieten können und in ihren Heimatmärkten ein gutes Image genießen.
128
4 Analyse von Distributionsorganen
positionierung vermarktet, weshalb der erreichte Anteil am Gesamtmarkt entsprechend geringer ausfällt. Luxusmarken sind durch sehr geringe Absatzzahlen und hohe Preispositionierung gekennzeichnet. Der vom Kunden zugeordnete Markenwert basiert auf einer Reihe von Faktoren, die dem gesamten Marketing-Mix zuzuordnen sind. Im Rahmen der Distributionsstrategie ist insb. von Bedeutung, wie die Fahrzeugmarke vom Kunden beim Kontakt mit den Distributionsorganen erlebt wird. Der betriebene Aufwand am PoS ist bei hochwertigen Marken i.d.R. höher als bei geringerwertigen Marken.530 Mehrmarkenstrategien erlauben es Herstellern bspw. regionalen Unterschieden gerecht zu werden oder mehrere Kundengruppen individueller ansprechen zu können. Dem stehen die Risiken der Mehrmarkenstrategie gegenüber, welche sich nicht zuletzt in der Kannibalisierung durch gegenseitige Marktanteilssubstitution oder in negativen Imagetransfers zeigen. Fast alle Automobilhersteller versuchen die Vorteile von Mehrmarkenstrategien zu nutzen, ohne auf Synergien und Skaleneffekte vollständig zu verzichten. Sie stehen dabei folgendem Zielkonflikt gegenüber:531 • Kostenreduzierung durch Skaleneffekte und Synergieausschöpfung: Durch die markenübergreifend einheitliche und vernetzte Gestaltung des Vertriebssystems respektive der gesamten Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik können Skaleneffekte generiert werden. Demgegenüber können nicht nur vor dem Hintergrund zunehmender Produktkonvergenz gleichzeitig die Probleme der Markenspreizung532 und mangelnder Markendifferenzierung aus Kundensicht auftreten. Der Positionierungswettbewerb über Marken wird somit erschwert. • Exklusive Markenpositionierung: Eine gezielte, exklusive Markenführung erfordert die konsistente und weitgehend markenindividuelle Gestaltung des Marketing-Mix, um eine optimale Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb zu erreichen.533 Insofern wird für das Vertriebssystem ein Höchstmaß an Markenexklusivität vor Kunde gefordert, was teilweise der Nutzung von Skaleneffekten bzw. Synergiepotenzialen zuwider läuft.534 WECKER konstatiert, dass „Automobilhersteller […] nur mit Unterstützung der Händler sowie durch den Einsatz einer Mehrmarkenstrategie und der damit verbundenen Führung eines Markenportfolios in der Lage sein werden, die unterschiedlichen und individuellen Ansprüche der Nachfrager zu befriedigen und diese langfristig zu binden“535. Die Herausforderung des Herstellers in der Distributionspolitik ist daher auf der einen Seite die optimale Inszenierung der individuellen Marke vor Kunde unter dem Eindruck von Kostenrestriktionen und auf der 530 531 532 533 534
535
Vgl. T-1.2 (Markenspezifität) und T-3.9 (Markenwert). Zu den Chancen und Risiken von Mehrmarkenstrategien vgl. Diez 2001a, S. 581-582; Meffert/Burmann/Koers 2002a, S. 208-214; T-1.2 (Markenspezifische DSG); T-3.11 (Skalenvorteile). Vgl. Diez 2001a, S. 600; Meffert/Burmann/Koers 2002a, S. 208-214. Vgl. Mayer-Johanssen 2006, S. 7-8; Brandt 2006, S. 19; Böing/Huber/Schotte 2002, S. 29-30. Relevant ist hier insb. die Exklusivität aus Kundensicht – Synergieeffekte können u.E. in Bereichen, die für den Kunden unsichtbar sind, ausgenutzt werden. Ein besonderes Konzept ist die sog. Herstellerexklusivität: Für einen Hersteller mehrerer Marken sind Wanderungen der Kunden zwischen seinen Marken weniger problematisch als die Abwanderung zum Wettbewerb. Auf die Gestaltung der Geschäftsmodelle hat diese Differenzierung allerdings nur bei der Detailplanung Bedeutung und soll daher nicht weiter berücksichtigt werden. Vgl. Wecker 2004, S. 175. ebenda, S. 121.
4 Analyse von Distributionsorganen
129
anderen Seite die Integration individueller Markenstrategien in eine Markenportfoliostrategie, wenn mehr als eine Marke eines Herstellers auftreten. vollständig Vom Kunden erlebte Fahrzeugmarkenexklusivität
keine Konzentration Konzentration auf Parallele auf FahrzeugEigenmarke des Strategie marke(n) Geschäftsmodells Kommunikationspolitik des Geschäftsmodells
Abbildung 45: Differenzierung der Kommunikationskonzepte
Die Geschäftsmodelle sind folglich auf die vom Kunden erlebte Markenexklusivität und die Bedeutung der Eigenmarke hin zu beurteilen – vgl. Abbildung 45.
4.4.3 Ertragskonzept Das Ertragskonzept zeigt auf, wie Einnahmen erzielt werden und wie Verrechnungssysteme bezüglich Haupt- und Nebenleistungen536 aufgebaut sind. MEINHARDT weist darauf hin, dass GM selten eine einzelne Ertragsquelle nutzen, vielmehr gibt es ein Geflecht an Ertragsmechaniken.537 Die Erträge können dabei nutzungsabhängig oder -unabhängig sein: Im Automobilvertrieb spielen nutzungsabhängige Erträge – bspw. gekoppelt an den Grad der Fahrzeugnutzung bzw. -abnutzung – lediglich dann eine Rolle, wenn das Fahrzeug nicht in das Eigentum des Nutzers übergeht oder wenn bestimmte fahrzeugbezogene Dienstleistungen – z.B. Versicherungen – nutzungsabhängig gestaltet sind. I.d.R. fallen jedoch nutzenunabhängige Erträge an. Es kann zudem grundsätzlich in direkte und indirekte sowie in transaktionsabhängige und transaktionsunabhängige Erlösgenerierung unterschieden werden.538 Direkte Erlöse werden direkt vom Nutzer bzw. Endkunden bezogen, indirekte Erlöse werden über Dritte generiert. Transaktionsabhängige Erlöse basieren auf einer einzelnen, vermarktungsfähigen Transaktion zwischen dem Nutzer einer Leistung und dem Geschäftsmodell. Transaktionsunabhängige Erlöse sind i.d.R. Leistungsangebote im Rahmen von Dienstleistungs- oder Kooperationsverträgen, diese spielen vor allem dann eine Rolle, wenn das GM z.B. zur Optimierung seines
536 537 538
Vgl. u.a. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 580; Hummel 2002, S. 715; Wirtz/Lihotzky 2003, S. 37. Vgl. Meinhardt 2002, S. 21-24. Vgl. Wirtz 2001, S. 214; Meinhardt 2002, S. 30.
130
4 Analyse von Distributionsorganen
Angebotes sog. Downstreambusiness integriert.539 Tabelle 12 ordnet Beispiele aus dem Automobilvertrieb dieser zweidimensionalen Matrix zu.
transaktionsabhängig
transaktionsunabhängig
direkt − Handel im funktionalen Sinne: Neufahrzeuge werden gekauft und wieder verkauft. − Verkauf einer Dienstleistung: Gegen eine Gebühr wird z.B. eine Vermittlungs- oder Informationsdienstleistung erbracht. − Nutzungsunabhängige Leasingrate − Zugangsgebühr zu Dienstleistungsportalen im Internet, z.B. B2B-Onlinemarktplatz
indirekt − Provision für die Vermittlung eines Fahrzeugs − Vermittlung einer Dienstleistung (z.B. Versicherungsvertrag) − Festes Entgelt bzw. Entschädigung für Verkaufsförderungsmaßnahmen o.ä.
Tabelle 12: Beispiele für Erlösmechaniken
Bezogen auf die in Kapitel 4.1 eingeführte Unterscheidung in Distributionsmittler und -helfer, ist es zweckmäßig die Übernahme wirtschaftlichen Risiko am Distributionsgut bzw. damit einhergehend den typischen doppelten Eigentumsübergang von Handel im funktionalen Sinne zu berücksichtigen. Geschäftsmodelle, die auf direkten Erlösmodellen basieren, können daher Distributionsmittler oder Distributionsorgane des Herstellers sein. Entsprechend gilt für Distributionshelfer, dass ihnen keine direkte Erlösgenerierung am Distributionssubjekt Automobil möglich ist.
4.4.4 Wachstumskonzept Das Wachstumskonzept betrachtet, wie Wachstumsziele erreicht werden sollen und welche Mechanismen dabei wirken. Das Wachstumskonzept ist eng mit der strategischen Ausrichtung bzw. der Wettbewerbsstrategie verbunden. Das Wachstumskonzept soll in diesem Zusammenhang auf zwei Aspekte fokussiert werden – siehe Abbildung 46 und Abbildung 47: • Welche Basisstrategie verfolgt das Geschäftsmodell? Dieser Aspekt ist für den Automobilvertrieb von Bedeutung, weil selbständige Absatzmittler ihre GM u.U. mit Wettbewerbsstrategien betreiben, welche der Distributions- und Marketingstrategie des Herstellers zuwider laufen. Dazu eignet sich im ersten Schritt die Unterteilung in Kostenund Differenzierungsstrategie bzgl. Gesamtmarkt oder Nische nach PORTER.540
539 540
Vgl. Josko/Dietz 2006, S. 59-61; T-3.5 (Downstreambusiness). Vgl. Porter 1999a, S. 70-78 bzw. Kapitel 3.3.2.1. Die klassische Wettbewerbsstrategie von PORTER eignet sich aufgrund ihrer Bekanntheit, denn daher ist sie auch in der empirischen Untersuchung leicht operationalisierbar. Neben diesem Ansatz wurden noch diverse andere Wettbewerbsstrategien entwickelt, die Gegenstand einer differenzierteren GM-Analyse sein könnten. Vgl. Überblick z.B. bei Weishäupl 2003, S. 21-57. FILSER/MCLAUGHLIN präsentieren ebenfalls differenzierte Ansatzpunkte, die erst bei der strategischen Weiterentwicklung von Distrubutionsorganen eine Rolle spielen dürften, vgl. Filser/McLaughlin 1989, S. 201.
4 Analyse von Distributionsorganen
Strategisches Zielobjekt
Branchenweit
Differenzierung
Segmentspezifisch
131
Umfassende Kostenführerschaft
Konzentration auf Schwerpunkte (Nischen) Singularität Kostenvorsprung aus Kundensicht ggü. Wettbewerb Strategischer Vorteil
Abbildung 46: Basisstrategien nach PORTER541
• Wächst das Geschäftsmodell durch die Ausdehnung im eigenen Markt oder durch die Erschließung neuer Märkte?542 Der Markt kann als Menge von Anbietern, Gütern und Nachfragern – inklusive deren Bedürfnisse – verstanden werden.543 Die Erschließung neuer Märkte erfolgt daher entweder über die Ansprache zusätzlicher Kundengruppen oder über die Erweiterung des Güter- bzw. Leistungsangebots. Neue Kunden können durch eine geographische Ausdehnung544 oder über die Veränderung des Leistungskonzeptes angesprochen werden. verändert Leistungskonzept unverändert
Wachstum über neue Kunden mit verändertem Leistungskonzept
Wachstum über beide Hebel
Wachstum nur über Marktwachstum
Wachstum in neuen Märkten mit unverändertem Leistungskonzept
alter Markt neue Märkte Geographische Perspektive
Abbildung 47: Wachstumsstrategien – geographische Perspektive545
4.4.5 Kompetenzkonfiguration Die Kompetenzkonfiguration stellt dar, welche (Kern-) Kompetenzen zur Verfügung stehen und wie sie eingesetzt werden sollen. Der VRIO-Ansatz ist das Kernstück zur Identifikation von Ressourcen und Kernkompetenzen. Ressourcen sind mit dem VRIO-Ansatz gut abzugrenzen. BARNEY hat bei der Einführung des Ansatzes indes keinen Unterschied zwischen Inputfaktoren und Kompetenzen gemacht, vielmehr werden letztere erst in der Weiterentwicklung der RBV berücksichtigt. Aufbauend auf der in Kapitel 4.3.2.2 dargestellten Definition sind Kompetenzen immer im Zusammenhang mit Ressourcen zu sehen, denn sie ergeben sich erst aus der individuellen, zielgerichteten und schwer nachahmbaren Kombination von Inputgütern mit Fähigkeiten. Kernkompetenzen sind als Kompetenzen zu definieren, die neben den VRIO-Kriterien einen langfristig zu 541 542 543 544 545
Vgl. Porter 1999a, S. 75. Vgl. Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 55. Vgl. z.B. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 81f.; Mankiw 1999, S. 70; Hansen/Bode 1999, S. 276-280. Darunter fällt auch die Verlagerung ins Internet, die eine geographische Bindung aufheben kann. Vgl. Porter 1999a, S. 75.
132
4 Analyse von Distributionsorganen
verteidigenden und i.S.v. Kundennutzen wahrgenommen Wettbewerbsvorteil546 begründen und insofern eine besondere Bedeutung zur Erreichung der Ziele des Unternehmens haben. Überdies sind Kernkompetenzen dazu geeignet, in verschiedenen (Teil-) Märkten erfolgreich eingesetzt zu werden.547
4.4.6 Organisationsform Geschäftsmodelle als integrierte, in sich arbeitsteilige Gebilde, können nur dann langfristig existieren, wenn sie in ihrem Binnenbereich die mit jeder arbeitsteiligen Leistungserstellung verbundenen Koordinationsprobleme besser lösen können, als dies bei einer Abwicklung mit externen Partnern der Fall wäre. Die Organisationsform zeigt auf, wie Ressourcen und Kompetenzen organisiert sind, um das Leistungssystem anbieten zu können und wo Unternehmensgrenzen und Schnittstellen liegen. Demzufolge können zwei Aspekte betrachtet werden, die interne Organisation, als auch die Position in der Wertschöpfungskette: Die interne Organisation von Kompetenzen spielt in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand eine untergeordnete Rolle, denn bei der Beurteilung der unterschiedlichen Geschäftsmodelle im Rahmen einer Distributionsstrategieplanung ist diese Information für den Hersteller zunächst sekundär. Dieser Aspekt wird daher hier nicht weiter berücksichtigt. Demgegenüber ist die Position des GM in der Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung. Die GM sind potenzielle Elemente einer Multikanal-Distributionsstrategie. Insofern muss die Interaktion und relative Positionierung der GM geplant werden. Insbesondere durch den vermehrten Einsatz des Electronic Business wurden zahlreiche Veränderungen in Vermarktung und Distribution ausgelöst, die Auswirkungen auf die Konstitution von Wertschöpfungssystemen haben bzw. zu neuen Organisationsformen von Distributionsorganen führen. Insbesondere neue Geschäftsmodelle zeichnen sich durch die vollständige oder teilweise Dekonstruktion traditioneller Wertschöpfungsketten aus.548 Dabei können zwei dichotome Entwicklungsrichtungen unterschieden werden:549 • Intermediation: Intermediation beschreibt die Aufspaltung eines Absatzkanals insb. durch den Einsatz moderner IuK-Technologie und/oder neuer Organisationsformen.550 Neue Geschäftsmodelle konzentrieren sich mithin auf Kernkompetenzen bzw. einen für sie strategisch bedeutenden Ausschnitt des Wertschöpfungsprozesses. Die Strategie der Intermediation bedeutet jedoch nicht unbedingt die Einschränkung des Leistungskonzepts 546 547
548 549 550
Vgl. Homp 2000, S. 169; Nasner 2004, S. 21-26. Wie auch die anderen Begriffe der RBV bzw. ihrer Ableger ist der Begriff Kernkompetenz keineswegs fest umrissen. Die dargestellten Eigenschaften sind jedoch der zitierten Literatur gemein. Vgl. Kapitel 3.3.2.2 und die dort zitierte Literatur, sowie Prahalad/Hamel 1990, S. 83-84; Müser 1999, S. 59-72; Rose 2000, S. 35-38; Faix/Kupp 2002, S. 65-78; Kalmlage/Seuring 2003, S. 14-17; Marquardt 2003, S. 31-34; Thoma 2003, S. 3351; Ostendorf 2005, S. 13-20; Lauterbach 2005, S. 81ff. Ferner werden von einigen Autoren weitere Begriffe abgegrenzt, wie z.B. dynamischen Kernkompetenzen (Rose 2000, S. 35f.) oder Metakompetenzen (Nasner 2004, S. 27; Ostendorf 2005, S. 14), die hier nicht berücksichtigt werden sollen. Vgl. u.a. Schögel 2001, S. 11; T-3.8 (Zielkundenportfolios); T-5.8 (Möglichkeiten der Koordination); Kapitel 3.3.2. Vgl. Schögel/Birkhofer/Tomczak 1999, S. 292-296; Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 42; Wirtz/Krol 2002, S. 94-96; Fritz 2004, S. 245-246. Vgl. Evans/Wurster 1997, S. 79; Tomczak/Schögel/Birkhofer 2000, S. 224.
4 Analyse von Distributionsorganen
133
auf die Aktivitäten einer Wertschöpfungsstufe, da das Leistungssystem über Kooperationen und Vernetzung erweitert werden kann – bspw. durch die OrchestratorOrganisation.551 Ziel dieses Vorgehens ist die Realisierung von Kosteneinsparungen und Spezialisierungsgewinnen. • Disintermediation: Als Gegenteil der Intermediation beschreibt diese Entwicklung die Eliminierung von Zwischenstufen einer Wertschöpfungskette insb. durch den Einsatz von IuK-Technologie und/oder neuer Organisationsformen.552 Durch die Umgehung von Absatzmittlern oder -helfern und der selbständigen Koordination der Distributionsaktivitäten können Kosteneinsparungspotenziale und somit Wettbewerbsvorteile realisiert werden. Für die vorliegende Analyse soll auf eine Differenzierung von MEINHARDT zurückgegriffen werden, welche an den Untersuchungsgegenstand angepasst wurde.553 „Integrator“
„Spezialist“
Endkunde
Market-Maker
Hersteller
„Market-Maker/Broker“ Endkunde
Hersteller
Endkunde
Hersteller
Hersteller
Endkunde
„Orchestrator/Koordinator“
Abbildung 48: Organisationsformen unterschiedlicher Wertkettenkonfiguration554
Kernelement der Überlegung ist, dass die Wertkette eines Geschäftsmodells – insb. als Teil einer Multikanal-Distributionsstruktur – nicht isoliert von anderen Geschäftsmodellen gesehen werden kann. Das GM ist eingebettet in ein Netzwerk aller Distributionsorgane. Von Bedeutung sind daher insb. die Schnittstellen zwischen den GM. Die vier in Abbildung 48 dargestellten Organisationsformen können wie folgt umschrieben werden:555 • Integrator: Das GM führt einen Großteil der Wertschöpfung in Eigenregie aus. Das GM ist vertikal integriert und stützt sich daher auf hierarchische Koordination – die Kontrolle über große Teile der Wertschöpfungskette kann in Optimierungsvorteile übersetzt werden.556 Im Gegensatz zu den drei anderen Organisationsformen kann dieser Typ die Entwicklung der Disintermediation widerspiegeln. 551 552 553 554 555 556
Vgl. u.a. Meyer 1995; Mayer 2000, S. 430-438; Jacob 2002, S. 16-17; Hansmann/Ringle 2004 sowie Kapitel 3.4.7. Vgl. Albers/Peters 1997, S. 69-70; Wirtz 2001, S. 160-164; Specht/Fritz 2005, S. 200; T-5.9 (Prozessoptimierung). Vgl. Meinhardt 2002, S. 17; Meinhardt/Schweizer 2002, S. 95; ähnlich bereits Porter 1999b, S. 63-67. Vgl. Meinhardt 2002, S. 17. Vgl. Heuskel 1999; Meinhardt 2002, S. 16-19; Bieger/Rüegg-Stürm/von Rohr 2002, S. 54-55; Schubert/Selz/Haertsch 2003, S. 158-164. Vgl. Abbildung 36 und Kapitel 3.4.8.
134
4 Analyse von Distributionsorganen
• Spezialist: Diese Organisationsform charakterisiert GM mit geringer vertikaler Integration respektive Spezialisierung auf eine bzw. wenige Wertschöpfungsstufen. Der Wettbewerbsvorteil dieser Organisationsform basiert meist auf Skaleneffekten oder der Ausnutzung von Know-how-Vorsprüngen. • Orchestrator/Koordinator: GM dieser Organisationsform kennzeichnet die Konzentration auf geringe Teile der Wertschöpfungskette, die in Eigenregie durchgeführt werden. Gleichzeitig koordinieren sie vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen durch den Einsatz unterschiedlicher Koordinationsformen.557 Die Organisationsform differenziert sich ggü. dem Wettbewerb durch die Spezialisierung und Optimierung der selbst erstellten Wertschöpfung sowie durch das für Kunden vorteilhaft kombinierte bzw. zusammengestellte Leistungskonzept. Sie versucht den Trade-Off von Flexibilität im Netzwerk versus enge Bindung der Netzwerkteilnehmer optimal zu managen. • Market-Maker/Broker: Der Broker stellt sich in besehenden Wertketten auf und schafft einen funktionierenden Markt, indem er Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Vor dem Eintritt dieses Intermediärs war der marktliche Austausch für die etablierten Marktteilnehmer ineffizient. Der Market-Maker schafft – oft durch den Einsatz von IuKTechnologie – Markttransparenz über Angebot und Nachfrage und setzt dabei auf dynamische Koordinationsformen oder auf den reinen Markt.558 Wie bereits in der Differenzierung der hier zu betrachtenden Organisationsformen deutlich wird, hängt die gewählte Organisation eng mit dem zugrundeliegenden Koordinationskonzept zusammen, vgl. Kapitel 4.4.8. Zusammenfassend können die Organisationsformen Orchestrator/Koordinator und Market-Maker/Broker als netzwerkartig organisierte GM aufgefasst werden. Sie setzen voraus, dass einzelne Wertschöpfungsstufen über eine einheitliche Definition von Input und Output definiert und somit kombinierbar sind.
4.4.7 Kooperationskonzept Während in der Analysedimension Organisationsform die Wertkettenkonfiguration im Mittelpunkt steht, verschiebt sich der Fokus beim Kooperationskonzept auf die Schnittstelle zwischen den in Interaktion stehenden Geschäftsmodellen. Das Kooperationskonzept stellt dar, welche Kooperationspartner mit dem Geschäftsmodell im Hinblick auf das Leistungssystem zusammenarbeiten und wie die Kooperationen inhaltlich ausgestaltet sind. Wie Kapitel 5 zeigen wird, existieren im Automobilvertrieb vielfältige Kooperationen, die sich bezüglich ihrer Motive und Ausprägungsformen entsprechend der in Kapitel 4.3.2.3
557 558
Im Gegensatz zum Market-Maker/Broker werden die Spielregeln der Industrie nicht wesentlich verändert. Vgl. Meinhardt/Schweizer 2002, S. 95 Die Begriffe Market-Maker und Broker sollen synonym verwendet werden. Broker werden auch als Handelsmakler nach HGB §§ 93ff. bezeichnet, allerdings soll hier bewusst vom Rechtsbegriff abstrahiert und lediglich die Organisation bezeichnet werden. Vgl. Müller-Hagedorn 1998, S. 48-49; Rosenbloom 1999, S. 53; Schliffenbacher 2000, S. 35-39; Specht/Fritz 2005, S. 293. Der Unterschied zwischen den Konzepten Orchestrator und Broker sind mitunter fließend: Der Begriff Broker ist entliehen aus der Finanzwirtschaft und bezeichnet ursprünglich einen Wertpapierhändler, der im Kundenauftrag an einem nahezu perfekten Markt Effektengeschäfte ausführt. Der Begriff ist folglich semantisch nahe marktlichen Austausches in Abbildung 36. Demgegenüber hat der Begriff Orchestrator im Englischen u.a. die Bedeutung von „zu maximalem Ertrag arraggieren, verbinden“. Dementsprechend legt die Wortbedeutung eher eine Organisationsform nahe, die auf langfristigen Beziehungen oder Verträgen mit klarer Weisung durch den Orchestrator basiert. Dementsprechend sollen beide Konzepte hier getrennt voneinander behandelt werden. Vgl. Meinhardt 2002, S. 18-19.
4 Analyse von Distributionsorganen
135
dargestellten Differenzierung zuordnen lassen. Aus forschungsökonomischen Gründen wird nur eine Auswahl an Systematisierungsansätzen angewendet, nämlich: • • • •
Motiv und Inhalt der Kooperation Grundtyp der Kooperation bzgl. Closing Gap- respektive Critical-Mass-Allianz Komplexität der Beziehungen Stellung der Partner in der Wertschöpfungskette bzw. horizontale versus vertikale Kooperation Der Wert bzw. die Qualität einer Geschäftsbeziehung spielt für das Management von Geschäftsbeziehungen eine Rolle, ist jedoch für die Beschreibung von Geschäftsmodellen nicht relevant und daher nicht Gegenstand der Analyse. Die Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung wird auch durch das zu Grunde liegende Koordinationskonzept determiniert, auf das in Kapitel 4.4.8 eingegangen wird.
4.4.8 Koordinationskonzept Das Koordinationskonzept stellt dar, wie unternehmensinterne und -externe Transaktionen zwischen den Kooperationspartnern im klassischen Aktionsfeld zwischen Markt und Hierarchie koordiniert werden. Bei der Beschreibung der Geschäftsmodelle in Kapitel 5 soll aufgezeigt werden, welche Koordinationsformen angewendet werden. Zwei Perspektiven sind relevant: die Koordination des Distributionsorgans respektive Geschäftsmodells durch den Hersteller und die Koordination zwischen dem Geschäftsmodell und anderen relevanten Kooperationspartnern. Bezogen auf die in Kapitel 4.1 dargestellte Unterscheidung in Distributionsorgane des Herstellers, der Endkunden und von Dritten, ergibt sich folgende Differenzierung. Distributionsorgane des Herstellers sind durch eine hierarchische oder quasi-hierarchische Bindung gekennzeichnet. Dritte können entweder vertraglich oder marktlich mit dem Hersteller in Verbindung stehen, während Distributionsorgane des Endkunden über dem Markt mit dem Distributionssystem Austausch betreiben.
4.5 Zwischenfazit: Hauptthese H-II und Forschungsfrage F-III Ausgehend von der in Kapitel 4.1 und 4.2 bestätigten Hauptthese H-II war es das Ziel des vorliegenden Kapitels Forschungsfrage F-III zu beantworten: Identifikation und Definition eines zweckgerichteten Analysekonstrukts zur Erfassung der Distributionsorgane im europäischen Automobilvertrieb. In Kapitel 2.2 wurde der konzeptionelle Rahmen vorgegeben, für den dann in Kapitel 4.1 und 4.2 ein geeignetes Analysekonstrukt – das Geschäftsmodell – ausgewählt wurde. In Kapitel 4.3 und 4.4 wurde das Merkmalssystem für den Untersuchungsgegenstand konkretisiert und zusammengesetzt. Die inhaltliche Differenzierung des Analysekonstrukts wurde auf acht Dimensionen festgelegt, welche jeweils mehrere Untersuchungsaspekte beinhalten. Aus Gründen der Handhabbarkeit wurde die Analyse auf die diskutierten Aspekte beschränkt – der Prüfung weiterer Themen steht die vorliegende Auswahl indes nicht entgegen. Der DSG-Prozess ist immer unternehmens- bzw.
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4 Analyse von Distributionsorganen
markenspezifisch sowie muss im Zeitablauf ggf. neuen/ zusätzlichen Anforderungen genügen – insofern kann dieses Analysekonstrukt als offenes Merkmalssystem um spezifische Aspekte erweitert oder modifiziert werden. Zusammenfassend sind die zu untersuchenden Aspekte in Tabelle 13 dargestellt. Differenzierungskriterium Leistungskonzept
Kommunikationskonzept
Ertragskonzept Wachstumskonzept Kompetenzkonfiguration Organisationsform Kooperationskonzept Koordinationskonzept
− − − − − − − − − − − − − −
Analyseaspekte Kundengruppen USP entlang des Kaufprozesses Value Add im Distributionsprozess Typische Nutzung von Kommunikationsinstrumenten Markenpräsentation vor Kunde Verwendung von Eigenmarken Erlösmodell Generische Wettbewerbsstrategien nach PORTER Geographische Wachstumsstrategie Ressourcen Kernkompetenzen Externe Organisation: Position in Wertkette bzw. Distributionssystem Typen der relevanten Kooperationen Koordinationsform
Tabelle 13 : Aspekte der Differenzierungskriterien
Die Anwendung des Merkmalssystems auf den Automobilvertrieb resultiert in den in Tabelle 14 dargestellten Geschäftsmodellen bzw. Geschäftsmodellvarianten. Die Benennung ist z.T. an den „klassischen“ Bezeichnungen der Betriebsformentypologie angelehnt.
4 Analyse von Distributionsorganen
Distributionsorgane des Herstellers
Distributionsmittler primär Großhandel Distributionsmittler primär Einzelhandel
Distributionshelfer
137
Vorläufige Geschäftsmodell-Typologie − Nationale Vertriebsgesellschaft (herstellereigen) − Autohaus (herstellereigen) − Factory Outlet − Vertrieb von Mobilität* − Nationale Vertriebsgesellschaft (Vertrag) − Vertrieb von Mobilität* − Geschäftskundenspezialist − Autohaus (Vertrag)* − Autohaus (ungebunden) − Downtownshop* − E-Commerce (Transaction)* − Vertrieb von Mobilität* − Eventvertrieb − Franchiseverträge im freien Automobilhandel Einkaufsgemeinschaft − Nationale Großhandelsdienstleister − Autohaus (Vertrag)* − Downtownshop* − Vermittlung an Wiederverkäufer − Vermittlung (branchenfremd) − Vermittlung (branchennah) − Vertrieb von Mobilität* − E-Commerce (Quoting/Vermittlung) − E-Commerce (Transaction)* − Auktionen − Automall − Kataloge − Tele-Shopping
Tabelle 14: Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs559
Mit der Bildung der Typologie in Tabelle 14 ist indes weder Forschungsfrage F-III noch F-IV vollständig beantwortet: Das Ergebnis der in Kapitel 5 dargestellten empirischen Untersuchung mit dem Ziel der Bestätigung und Konkretisierung der Typologie wird zeigen, ob im Sinne von F-III und F-IV ein zweckgerichtetes (weil die Distributionsorgane des Automobilvertriebs umfassend, differenziert und konsistent erfassend) sowie handhabbares (weil komplexitätreduzierend und auf eine überschaubare Anzahl an Typen beschränktes) Analysekonstrukt erarbeitet wurde.
559
Die mit * gekennzeichneten Geschäftsmodelle müssen je nach Ausprägung unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. Die vorläufige Beschreibung der Geschäftsmodelle ist Anhang 2 zu entnehmen.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
139
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer DelphiStudie Das vorliegende Kapitel erläutert Ziel, Durchführung und Ergebnis der empirischen Studie zum europäischen Automobilvertrieb.
5.1 Ziel der Untersuchung Im Rahmen der empirischen Untersuchung soll ein Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfragen F-I bis F-IV560 geleistet werden. Dabei sind folgende Teilziele zu unterscheiden: • In Kapitel 3 wurden entsprechend F-I und F-II Thesen zur Distributionssituation aufgestellt, diese sollen im Rahmen der Studie geprüft werden (explanative Funktion561). Darüber hinaus sollen die Thesen ggf. angepasst respektive neue Thesen zur Distributionssituation identifiziert werden (explorative Funktion). Aus forschungsökonomischen Gründen werden nicht alle Thesen in der empirischen Untersuchung aufgenommen, um einer Überstrapazierung der Befragungsteilnehmer – und damit dem potenziellen Nonresponseproblem – entgegen zu wirken.562 Tabelle 32 in Anhang 2 zeigt die ausgewählten Thesen. • Aufbauend auf Kapitel 4.5 soll die empirische Untersuchung die vorgeschlagene Geschäftsmodelltypologie prüfen, diskutieren und ggf. anpassen (explorative und explanative Funktion) sowie etwaige bisher unberücksichtigte Geschäftsmodelle identifizieren (explorative Funktion), um schließlich F-IV beantworten zu können. Anhang 2 zeigt die aus Kapitel 4 übernommene Geschäftsmodelltypologie inklusive der im Fragebogen verwendeten Geschäftsmodell-Beschreibungen in der Übersicht. F-III wird indirekt berührt: Sollte sich die empirische Prüfung und Präzisierung der in Kapitel 4 entwickelten Typologie als brauchbar herausstellen, wäre damit gezeigt, dass das Geschäftsmodell-Konstrukt als ein mögliches Konstrukt zur Typisierung von Distributionsorganen anzusehen ist und somit F-III zugunsten des GeschäftsmodellKonstrukts beantwortet. In Kapitel 5.2 soll zunächst gezeigt werden, warum sich zur Erreichung dieser Ziele die Delphi-Methode anbietet. Danach werden Durchführung und Ergebnisse der empirischen Untersuchung in den Kapiteln 5.3 bis 5.5 dargestellt.
5.2 Methodik Bei der Auswahl der Methode zur empirischen Fundierung der vorliegenden Arbeit sind neben den allgemeinen Auswahlkriterien563 zwei Prämissen durch Gegenstand und Ziel der Untersuchung gegeben: Einerseits soll der europäische Automobilvertrieb anhand eines bisher nicht konsistent angewandten Geschäftsmodell-Konstrukts beschrieben bzw. systematisiert 560
561 562 563
F I: Welche endogenen/exogenen Bestimmungs- und Begrenzungsfaktoren spielen bei der Vertriebssystemgestaltung durch den Hersteller eine Rolle? F II: Welche Trends sind heute erkennbar, die Einfluss auf die Vertriebsstrukturen haben? F III: Welches theoretische Analysekonstrukt kann die sich verändernden Distributionsorgane auf den verschiedenen Ebenen der Vertriebssysteme konsistent und umfassend beschreiben? F IV: Welche typischen Varianten von Distributionsorganen liegen heute im Vertriebssystem vor und welche zukünftigen Formen sind denkbar? Vgl. Bortz/Döring 2002, S. 360. Vgl. u.a. Häder 2006, S. 130. Vgl. z.B. Kreibich 1995, S. 2825; Schnell/Hill/Esser 1999, S. 297-299; Bortz/Döring 2002, S. 53-62.
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werden. Die empirische Methode soll demzufolge eine in Form von vorläufigen Geschäftsmodell-Definitionen vorbereitete Systematisierung prüfen können. Darüber hinaus soll sie auch diskursive, partizipative Elemente enthalten, so dass sowohl die GeschäftsmodellAbgrenzungen, als auch die Thesen zur Distributionssituation angepasst und in der Studie identifizierte Ideen zu neuen oder ergänzenden Thesen verdichtet werden können. Andererseits soll eine Aussage über die zukünftige Entwicklung der Geschäftsmodelle respektive der Distributionssituation getroffen werden. Dementsprechend sollte die Methode auch prognostische Funktionen übernehmen.
5.2.1 Auswahl der Methode Der europäische Automobilvertrieb steht unter dem Einfluss dynamischer und bisher kaum systematisch erfasster Einflussfaktoren, insofern kann hier kein Prognoseverfahren angewendet werden, welches auf der reinen Fortschreibung von Vergangenheitsdaten basiert. Es sollen vielmehr theoretisch erarbeitete Thesen verifiziert und ergänzt werden. Etwaige, von mathematischer Extrapolation nicht erfassbare Strukturbrüche, sollen gezielt aufgespürt werden, was durch den Einsatz offener Fragen erreicht werden kann. Es erscheint wenig zielführend, Endkunden des Automobilvertriebs nach Distributionssystem-spezifischen Trends oder einer Kategorisierung der Distributionsorgane zu befragen. Es bietet sich daher die Verwendung einer Expertenbefragung an. Experten sind – aufbauend auf ihren Erfahrungen, Einsichten und Meinungen – in der Lage, ein umfassenderes Bild der aktuellen und zukünftigen Struktur des Untersuchungsgegenstandes zu zeichnen.564 Die Expertenbefragung nach der Delphi-Methode stellt eines der gebräuchlichsten intuitiven Prognoseverfahren dar.565 Sie eignet sich für das Ziel der Untersuchung, denn sie verbindet explorative, prognostische, modellprüfende und beschreibende Elemente. Gleichwohl handelt es sich bei der Delphi-Methode nicht um einen rein qualitativen Ansatz. Durch den Einsatz eines schriftlichen Fragebogens und die Aufbereitung von Thesen, kann eine systematische Modellprüfung und -entwicklung auf Basis mehrheitlich quantitativer Daten erfolgen. Die Mehrstufigkeit und damit verbundene Rückkopplung von Zwischenergebnissen stellen zwei der Hauptcharakteristika der Delphi-Methode dar. Die Delphi-Methode zeichnet sich demzufolge durch kommunikativ-partizipatives566, interaktives Vorgehen aus und fördert so die Entwicklung der Geschäftsmodell-Systematik sowie die Prognose zukünftiger Strukturen des Automobilvertriebs. Im folgenden Kapitel werden die Grundzüge der Delphi-Methode differenzierter dargestellt.
5.2.2 Grundzüge der Delphi-Methode Die Delphi-Methode ist nach dem Orakel der griechischen Stadt Delphi benannt, welches ab dem 8. Jahrhundert vor Christus erheblichen politischen Einfluss entfalten konnte. Die 564 565 566
Vgl. Gisholt 1976, S. 114; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 1999, S. 263. Vgl. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 764. Vgl. Gisholt 1976, S. 140; Kreibich 1995, S. 2824; Häder 2000a, S. 191.
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Orakelsprüche bauten sowohl auf Intuition und Raten, als auch auf profunden Kenntnissen der politischen Lage auf. Diese bezog das Orakel aus einem landesweiten Informationsnetzwerk. Insofern stellt es eine frühe Form der Expertenbefragung dar.567 Die Delphi-Methode wurde als empirische Methode in den USA kurz nach dem zweiten Weltkrieg erstmals durch die US Air Force angewendet und von der RAND Corporation in den 1950er und 1960er Jahren zu einer wissenschaftlichen Prognosemethode ausgebaut.568 Seitdem wird sie weltweit in unterschiedlichen Ausprägungen und Sachzusammenhängen, wie z.B. Technologie-, Bildungs-, Tourismusforschung, Militär, Medizin und Betriebswirtschaft eingesetzt.569 Als intuitive, strukturierte Expertenbefragung ist die Delphi-Methode ein heuristisches Prognoseverfahren570, welches an der Grenze zwischen qualitativer und quantitativer Forschung angesiedelt ist. Durch die Verbindung „einer standardisierten Erhebung und den Möglichkeiten zur Formulierung ausführlicher Statements“571 ist sie für die wissenschaftliche Vorausschau, Ideenfindung und -Diskussion geeignet. Die Methode unterstellt572, dass Experten durch die Kombination von Wissen über die Vergangenheit sowie Erfahrung, Verarbeitung komplexer Einflüsse und Urteilsfähigkeit Prognosen erstellen können, welche der rein mathematischen Extrapolation quantitativer Daten überlegen ist – zumindest dann, wenn es sich um einen bisher kaum erforschten oder sehr dynamischen Prognosegegenstand handelt.573 „Eine Prognose stellt eine Aussage über ein Ereignis oder mehrere zukünftige Ereignisse dar, die sowohl auf Beobachtungen als auch auf einer Theorie beruhen.“574 Jede Prognose muss empirisch fundiert sein, d.h. auf einer Analyse der Vergangenheit basieren. Zudem muss sie eine sachlogische Begründung einschließen, d.h. unter Formulierung von Prämissen erstellt sein. Diesem Dualismus wird hier Rechnung getragen, indem einerseits ein Strukturmodell des Automobilvertriebs den Experten vorgegeben wird und andererseits dessen Entwicklung diskutiert wird. Die Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen hat LINSTONE/TUROFF veranlasst eine sehr allgemeine und viel zitierte Definition der Delphi-Methode zu formulieren: „Delphi may be characterized as a method for structuring a group communication process so that the process is effective in allowing a group of individuals, as a whole, to deal with a complex problem.“575 OKOLI/PAWLOWSKI ergänzen die Definition von LINSTONE/TUROFF mit
567 568 569 570 571 572 573 574 575
Vgl. Häder 2002, S. 14-15. Vgl. ebenda, S. 15; Häder 2002; Parenté et al. 2005, S. 402. Vgl. De Meyrick 2003, S. 14; Häder/Häder 2000, S. 13-15; Parenté et al. 2005, S. 402. Vgl. Kerksieck 1972, S. 55-56; Hansmann 1995, S. 2174; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 1999, S. 264. Florian 2000, S. 213. Einen Beleg dafür zeigt bspw. Häder 2000a, S. 191. Vgl. Linstone 1975, S. 574, 579; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 1999, S. 253-254; Florian 2000, S. 196-197; Schnell/Hill/Esser 1999, S. 62-63. Vgl. Hansmann 1995, S. 2172 Linstone/Turoff 1975, S. 3. Einige Autoren stellen weniger den Gruppenprozess, als vielmehr den Problemlösungs- oder den Prognosecharakter in den Vordergrund. Vgl. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 764. Aufgrund der Vielfalt sowie der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen wird es auch in Zukunft keine
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besonderem Bezug auf die Kernelemente der Delphi-Methode und erfassen somit den Charakter ihrer häufigsten Ausprägung: „There is provided some feedback of individual contributions of information and knowledge; some assessment of the group judgement or view; some opportunity for individuals to revise views; and some degree of anonymity for the individual responses.“576 Eine kaum überschaubare Anzahl an Veröffentlichungen beruft sich auf die Delphi-Methode. In den Elementen des Untersuchungsdesigns weisen sie jedoch z.T. große Abweichungen auf. Uneinheitlich ist die Ausgestaltung insb. hinsichtlich: • Ziel der Untersuchung: Konsens oder Pluralität der Meinungen • Anzahl der Befragungsrunden • Gestaltung der Rückkopplung • Anonymität und Selbsteinschätzung (self-rating der Experten bzgl. ihrer Kompetenz) • Auswahl und Anzahl der Experten • Fragetypen Auf diese Punkte wird im Folgenden näher einzugehen sein. Ziel der Untersuchung MULLEN zeigt, dass mit der Vielzahl der unterschiedlichen Interpretationen der Methode keine konsistente Abgrenzung und Terminologie möglich ist.577 Tabelle 15 gibt einen Überblick der wichtigsten Ausprägungen. Typ Standard Delphi
Alternative Begriffe Klassisches Delphi, Konventionelles Delphi, Conventional Delphi, Experten-Delphi
Real-Time Delphi
Policy Delphi
Delphi Conference Decision Delphi Virtuelles Delphi
E-Delphi
Kernelemente Gruppenprozess mit Experten, fragebogenbasiert, mehrere Runden, Rückkopplung der Zwischenergebnisse, Anonymität, Papier- und/oder internetbasiert Gruppenprozess mit Experten, Standardisierte Informationsübermittlung, zeitgleiche Ergebnisrückkopplung über Computer, Anonymität Modifikation des Standard Delphi mit dem Ziel „to identify the widest possible range of valid solutions to a policy problem“578. Anwendung des Standard Delphi auf einer Konferenz Modifikation des Standard Delphi mit Anwendung für Entscheidungsträger Durchführung des Standard Delphi ausschließlich im Internet (WWW oder E-Mail)
Tabelle 15: Ausprägungen der Delphi-Methode bzgl. des Untersuchungsdesigns
Die dargestellten Varianten beziehen sich auf Typen alternativer Untersuchungsdesigns, womit bereits Unterschiede im jeweiligen Ziel der Delphi-Anwendung sichtbar werden. Die Mehrheit der Anwendungen ist darauf ausgelegt, einen Konsens über ein Thema zu erreichen,
576 577 578
einheitliche Definition geben können, vielmehr lohnt es, sich mit den Kernelementen der Delphi-Methode auseinanderzusetzen. Vgl. Sackman 1975, S. 10; Häder/Häder 2000, S. 13. Okoli/Pawlowski 2004, S. 16. Ähnlich auch Häder 2002, S. 22. Vgl. Mullen 2003, S. 37-39; Sackman 1975, S. 5. De Meyrick 2003, S. 12.
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welcher sich durch die Formulierung oder Priorisierung gemeinsamer Thesen ausdrückt.579 Andere Autoren sehen gerade in der Abbildung von Komplexität, Meinungsvielfalt und/oder alternativen Handlungspfaden den Wert der Methode.580 HÄDER definiert deswegen vier alternative Ausprägungen bzgl. des verfolgten Untersuchungsziels:581 1. Ideenaggregation: Ausschließlich qualitative Fragen zur Sammlung von Ideen ohne die im Standard Delphi übliche Verdichtung der Aussagen über quantitative Urteile. 2. Bestimmung eines Sachverhalts: Das Standard Delphi wird als Prognoseinstrument zur möglichst exakten Vorhersage eines unsicheren Sachverhalts eingesetzt. 3. Ermittlung von Expertenmeinungen: Das Standard Delphi wird genutzt, um Meinungen einer Expertenrunde über einen unsicheren oder unbestimmten Sachverhalt abzubilden und zu qualifizieren, so dass daraufhin Schlussfolgerungen abgeleitet werden können. 4. Konsensbildung: In einem Entscheidungsprozess wird die Bildung eines Konsens’ durch das Delphi vorbereitet und unterstützt. Die vorliegende Untersuchung orientiert sich im Untersuchungsdesign eng am Vorgehen des Standard Delphi und ist an den Typ 3 nach HÄDER angelehnt. Die Studie hat Prognosecharakter, soll aber auch einen bisher unzureichend bestimmten Sachverhalt erhellen – die Konsensbildung steht dabei nicht im Vordergrund, hat aber als Abbruchkriterium Relevanz. Anzahl der Runden Delphi-Untersuchungen bestehen per definitionem aus mehreren Runden, dabei kommen verschiedene Abbruchkriterien in Frage:582 • Kosten/Nutzen-Überlegungen: Grundsätzlich sollten die Kosten einer zusätzlichen Runde den zusätzlichen Nutzen nicht übersteigen – ist der Nutzen nicht klar messbar, sollten die monetären Kosten, zeitliche Beschränkungen oder psychologische Faktoren als Restriktion genutzt werden. Abbruch tritt ein, wenn eine zusätzliche Runde voraussichtlich zu erhöhter Panelmortalität führen und/oder das gleiche Ergebnis erzielen würde, also kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Grundsätzlich sollte die Anzahl der Runden so klein wie möglich gehalten werden. „Ultimately, a trade-off exists: as the number of iterations or rounds increases, the tendency for high error rates decreases, while attrition levels increases.“583 WECHSLER stellt heraus, dass ein ressourcenbedingter Abbruch frühestens nach zwei Runden erfolgen sollte, jedoch eine Beurteilung des Informationswertes – mit einem der folgenden Kriterien – vorzuziehen ist.584 • Ex-ante-Festlegung: In der Literatur werden von diversen Autoren zwei585, drei586 oder mehr587 Runden als optimale Rundenzahl genannt. Nur ein Teil dieser Aussagen stützt sich auf Experimente, deren Allgemeingültigkeit überdies schon aufgrund der Vielzahl der Delphi-Varianten bezweifelt werden muss. Ein weiteres Ex-ante-Kriterium beinhaltet die 579 580 581 582 583 584 585 586 587
Vgl. Okoli/Pawlowski 2004, S. 16. Vgl. Scheibe/Skutsch/Schofer 1975, S. 262; Buckley 1995, S. 17; Passing 1997, S. 53; Mullen 2003, S. 43. Vgl. Häder 2002, S. 30-36. Vgl. Wechsler 1978, S. 127-144. Bradley/Stewart 2003, S. 275. Vgl. Wechsler 1978, S. 128-129, ähnlich die Argumentation bei Häder 2002, S. 119. Vgl. u.a. Wechsler 1978, S. 129; Bradley/Stewart 2003, S. 275; Pelka 2003, S. 167; Beck/Glotz/Vogelsang 2000, S. 36. Vgl. z.B. Gisholt 1976, S. 153; Sackman 1975, S. 51. Vgl. Diskussion der Literatur bei Wechsler: Wechsler 1978, S. 129-137.
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Entscheidung über die Anzahl der Runden durch die Teilnehmer der Studie.588 Das ist indes nur selten praktisch umsetzbar, weil es vorab eine umfangreiche Auseinandersetzung der Teilnehmer mit dem Instrument Delphi-Methode voraussetzt. • Ex-post-Festlegung: Auch bei dieser Methode werden unterschiedliche Verfahren angewendet: DE MEYRICK zählt in 126 Veröffentlichungen 33 unterschiedliche Vorgehensweisen einer ex-post-Bestimmung von Aussagenstabilität und/oder Konsens.589 Häufig werden Maße zur Bestimmung der Streuung um Median und/oder Mittelwert als Abbruchkriterium verwendet, indem mit ihnen der Grad des erreichten Konsens bestimmt wird.590 Dort setzt i.d.R. auch Kritik an:591 PARENTÉ et al. stellen z.B. heraus: „There is little evidence that consensus correlates with accuracy.“592 Hat eine Delphi-Untersuchung nicht den Konsens als Ziel, dann ist auch die „Ermittlung einer bimodalen Verteilung […] ein denkbares Ziel“593. „Indeed, considering that there is a strong natural tendency in the Delphi for opinion to centralize, resistance in the form of unconsensual distributions should be viewed with special interest.“594 Daher werden auch Stabilitätskriterien, welche die Änderung der Antworten von Runde zu Runde messen, zur Bestimmung des Abbruchs verwendet – bspw. weniger als 15% Änderung.595 WECHSLER schlägt den WilcoxonTest596 vor, um die Veränderung auf einem vorgegebenen Signifikanzniveau zu bestimmen. SCHMIDT schlägt den Konkordanz-Koeffizienten (W) nach Kendall als Test der Konvergenz vor.597 Uneinigkeit herrscht in der Literatur nicht nur über das Abbruchkriterium selbst, sondern auch über die Frage, ob es auf den gesamten Fragebogen oder einzelne Items angewendet werden sollte.598 HÄDER stellt heraus: „Es leuchtet […] ein, dass es wenig sinnvoll ist, eine Fragestellung zu wiederholen, wenn zum erfragten Sachverhalt unter den Experten eine einheitliche Ansicht vorliegt.“599 Es ist außerordentlich schwierig zu ermitteln, welche spezifischen Abbruchkriterien in veröffentlichten Delphi-Untersuchungen tatsächlich angewandt wurden. Die Weiterentwicklung der Methode ist jedoch nur auf Basis ausreichender Dokumentation und Freiheit in der Anwendung möglich. MULLEN schließt ihre Ausführungen zur Delphi-Methode daher mit der
588 589 590 591 592 593 594 595
596 597
598
599
Vgl. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 766. Vgl. De Meyrick 2003, S. 11. Bspw. ein Interquartilsabstand von maximal zwei Skalenpunkten auf einer zehnstufigen Skala. Vgl. Scheibe/Skutsch/Schofer 1975, S. 277. Vgl. z.B. Sackman 1975, S. 49; Scheibe/Skutsch/Schofer 1975, S. 277. Parenté et al. 2005, S. 403. Häder 2002, S. 118. Scheibe/Skutsch/Schofer 1975, S. 277. Netto-Änderungen bezogen auf die Anzahl der Teilnehmer. Ein Beispiel für Stabilitätsüberlegungen ohne festen Algorithmus ist Bradley/Stewart 2003, S. 276. Dagegen nutzt Florian die Beziehung zwischen Quartilbereich und Median als Abbruchkriterium. Vgl. Florian 2000, S. 201. Vgl. Wechsler 1978, S. 140. Vgl. Schmidt 1997, S. 765. Er nutzt den Koeffizienten bei sog. Ranking Delphi-Methode mit dem Ziel, einen Konsens über die relative Wichtigkeit von Themen zueinander zu erreichen. Diese Anwendung liegt hier nicht vor. Bspw. Wechsler oder Vorgrimmler/Wübben zeigen die Verwendung von differenzierten Abbruchkriterien für einzelne Fragen und/oder Fragenbogenteile. VETTER nutzt dagegen kein Item mehrfach, sondern konsolidiert den Inhalt von Runde zu Runde in neue (allgemeinere) Thesen/Fragen. Vgl. Wechsler 1978, S. 127-142; Vetter 2002, S. 199; Vorgrimler/Wübben 2003, S. 766. Häder 2002, S. 119.
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Aussage: „However, in order to realise this [development] potential it is essential to avoid over-restrictive narrow descriptions of Delphi.“600 Rückkopplung Die Rückmeldung der Zwischenergebnisse an die teilnehmenden Experten ist ein wesentlicher Bestandteil der Methode, wenngleich die Techniken hier variieren. Ziel der Rückkopplung ist, den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, das eigene Urteil zu überdenken, anzupassen und insb. die Gruppenmeinung mit ihren Vorstellungen abzugleichen. Oftmals werden Mittelwerte, Streuungsmaße oder Schaubilder zurückgegeben. Graphisch aufbereitete Feedbacks in Form von Diagrammen o.ä. zeichnen sich dabei durch schnell nachvollziehbaren Informationsgehalt aus, demgegenüber wird der Fragebogenumfang sehr groß.601 GISHOLT betont, dass zusätzlich auch das vom Experten in der Vorrunde abgegebene Urteil zurückgekoppelt werden sollte. Das ist sinnvoll, da die Experten aufgrund der Vielzahl der Items kaum die eigene Antwort erinnern werden. Im Übrigen wird die Auseinandersetzung zwischen eigener Meinung in Runde I, Gruppenmeinung und ggf. geänderter aktueller eigener Meinung gestärkt. Die Gefahr, dass ein Experte sich u.U. unreflektiert einfach der Mehrheit anschließt wird dadurch gemindert.602 Es kann ferner situativ die individuelle Aufforderung zur Explikation von Extremmeinungen sinnvoll sein, um Verständnisprobleme auszuräumen und neue Gedankenansätze aufzuspüren. Denn insb. freie Kommentare werden in der Rückkopplung ebenfalls berücksichtigt, indem daraus neue Thesen formuliert werden. FLORIAN zeigt, dass eine gezielte Kombination von standardisierten Befragungsverfahren mit offenen Fragetechniken sinnvoll sein kann, um einen Zugewinn an Information zu erreichen sowie „die Bedeutung des Expertenstatus der Befragten für die Delphi-Methode tatsächlich ernst zu nehmen“603. Darüber hinaus wird so das diskursive Moment der Methode gestärkt. Anonymität Die Anonymität der Teilnehmer zueinander ist wesentliches methodisches und gleichzeitig legitimierendes Design-Element der Delphi-Technik. Es findet sich in allen in Tabelle 15 auf Seite 142 dargestellten Ausprägungen wieder. Die Delphi-Methode wurde aus den Methoden der Gruppenbefragung bzw. Gruppendiskussion entwickelt, weil sich Gruppenbefragungen besonders gut für Prognosezwecke eignen. Es wird unterstellt, dass erstens eine Gruppe mindestens so viele Informationen besitzt, wie eine einzelne Person. Zweitens wird angenommen, dass Gruppen i.d.R. weit größere Mengen an Information und Einflussfaktoren berücksichtigen können, als einzelne Personen. In Gruppendiskussionen werden jedoch regelmäßig sozio-psychologische Prozesse beobachtet, die dazu führen, dass Teilnehmer ihre 600 601 602 603
Mullen 2003, S. 50. Vgl. Florian 2000, S. 210. Vgl. Gisholt 1976, S. 153; Bradley/Stewart 2003, S. 276 Vgl. Florian 2000, S. 209. So konnte z.B. in der zitierten Studie die Unterschiedlichkeit der Begründung für gleichartig prognostizierte Entwicklungen aufgedeckt werden.
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persönliche Meinung bzw. Einschätzung über ein Problem nicht vollständig wiedergeben oder ändern, weil sie durch andere Gruppenmitglieder beeinflusst werden. Die Anonymität als Design-Element der Delphi-Methode soll daher zum Beispiel Meinungsführerschaften, empfundenem Prestigeverlust, Zurückhaltung vor unsicheren Urteilen, Verstärkungseffekten und Auftreten irrelevanter Kommunikation vorbeugen. Die Delphi-Methode sucht also die Vorteile qualitativer Gruppenprognoseverfahren zu nutzen und gleichzeitig deren Probleme zu reduzieren. Experten „The Delphi panel composition and selection is of the utmost importance to the successful execution of a Delphi study.“604 Die meisten Autoren fordern „Fachwissen, Überblickswissen in Nachbardisziplinen und Kommunikationsbereitschaft, […] komplexe Relevanzsysteme“605 sowie Interdisziplinarität und Pluralität in der Gruppenzusammensetzung bzgl. der Teilnehmerauswahl. LINSTONE zeigt, dass der Expertenstatus in Abhängigkeit vom untersuchten Thema auf jede Personengruppe in der Gesellschaft auszudehnen ist, solange die Personen „relevant input“ geben können.606 Somit konstatiert HÄDER, dass die „abgebbaren Regeln für die Rekrutierung von Experten […] auf einem relativ allgemeinen Niveau“607 sein werden. Neben Überlegungen zur notwendigen Größe und Zusammensetzung der Expertengruppe, ist zu klären, ob die Grundgesamtheit der in Frage kommenden Experten bestimmbar ist und ob eine Totalerhebung oder Stichprobenziehung erfolgen soll. Die optimale Größe der Expertengruppe ist nicht allgemein bestimmbar, vielmehr argumentieren diverse Autoren, dass eine kleinere und daher leichter zu organisierende Panelgröße Vorteile habe. Dessen ungeachtet ist bei bewusster Auswahl der Experten und relativ hoher Unsicherheit über den Prognosegegenstand eine größere Gruppe von Vorteil.608 Diverse Autoren schlagen vor, in die Delphi-Methode eine Selbsteinschätzung der Teilnehmer bzgl. ihrer problemrelevanten Expertise einzufügen.609 HÄDER fasst zusammen: „Die Delphi-Methode hat sich – unabhängig vom Grad der Kompetenz der befragten Experten – bewährt, um latent vorhandenes Wissen zu aktivieren bzw. zu reproduzieren.“610 Das Delphi-Design löse einen Erkenntnisprozess zum gewählten Sachverhalt aus.
5.2.3 Kritik der Delphi-Methode Wenngleich die Delphi Methode seit Jahrzehnten in der wissenschaftlichen Forschung etabliert ist, ist sie mindestens ebenso lange heftiger Kritik ausgesetzt. MULLEN hebt hervor, dass diese Kritik immer auch „part of the wider debate about quantitative v qualitative
604 605 606 607 608 609 610
Bradley/Stewart 2003, S. 275. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 765. Zitiert nach Mullen 2003, S. 40. Häder 2000b, S. 2. Vgl. Häder/Häder 2000, S. 19; Häder 2000b, S. 8. Vgl. Literatur bei Mullen 2003, S. 41 und z.B. Bradley/Stewart 2003, S. 275. Häder 2002, S. 199.
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research“611 ist. Diese Diskussion soll an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Delphi-spezifischen Kritikpunkte aufgegriffen und eingeordnet. Zwei Hauptkriterien zur Beurteilung einer empirischen Methode stellen Reliabilität und Validität dar. Beides zweifelt SACKMANN in Bezug auf Delphi an: „It should be abundantly clear that conventional Delphi neglects virtually every major area of professional standards […]. In no sense is Delphi found to be a serious contender in scientific questionnaire development.“612 Dem muss insofern zugestimmt werden, als dass der Beweis von Reliabilität und Validität durch den teilweise qualitativen, prognostischen Charakter und die situative Unterschiedlichkeit in der Anwendung der Methode erschwert wird – einige Autoren behaupten, er werde dadurch obsolet.613 Reliabilität SACKMANN behauptet zu Recht, dass es nicht gelingen wird, mit einem Retestexperiment dasselbe Ergebnis für dieselbe Teilnehmergruppe zu erhalten. Beispielsweise werden Lerneffekte oder neue Erkenntnisse über den Prognosegegenstand den so geführten Nachweis der Reliabilität unmöglich machen. Demgegenüber argumentiert WECHSLER, dass im Gegensatz zur experimentellen eine informationale Reproduzierbarkeit nachgewiesen werden kann, indem zur gleichen Zeit mehrere Expertengruppen mit den gleichen Fragen konfrontiert werden – in mehreren Studien konnten signifikante inhaltliche Übereinstimmungen verschiedener Gruppen gezeigt werden.614 Damit ist Reliabilität für die Methode weder grundsätzlich bewiesen, noch widerlegt. Situativ muss auf die reliable Anwendung der Methode hingearbeitet werden, beispielsweise durch die Nutzung zweier vergleichbarer Panels. Validität WECHSLER argumentiert ferner, dass objektive Validität durch den ex-post Vergleich von Prognose und Wirklichkeit immer situativ unterschiedlich ist, jedoch für diverse Studien615 nachgewiesen werden konnte. Die individuelle Studie kann erst nach Ablauf des Prognosezeitraums auf objektive Validität hin untersucht werden – also mitunter erst Jahrzehnte später. Deswegen wird der vielfachen Kritik Recht gegeben, dass objektive Validität zum Zeitpunkt der Anwendung der Methode nicht grundsätzlich nachgewiesen werden kann. WECHSLER schlägt daher die subjektive Validitätsprüfung vor.616 Als subjektive Validitätsmerkmale werden logische Konsistenz, Überprüfung der getätigten Annahmen und Vergleich mit
611 612 613 614 615 616
Mullen 2003, S. 40. Sackman 1975, S. 27. Vgl. De Meyrick 2003, S. 13. Vgl. Wechsler 1978, S. 176; Rowe/Wright/McColl 2005, S. 396. Vgl. z.B. Literatur bei Wechsler 1978, S. 181; Häder/Häder 2000, S. 21. Vgl. Wechsler 1978, S. 178-185.
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Ergebnissen anderer Methoden angeführt. Insofern kann auch Validität für die Methode weder generell angenommen, noch abgelehnt werden. Sie ist stattdessen individuell zu prüfen. Letztendlich ist die Methode zwischen qualitativer und quantitativer Forschung angesiedelt und muss in der individuellen Anwendung auf Reliabilität und Validität hin untersucht werden.617 Die Diskussion um Delphi wurde in der ersten Zeit ihrer Anwendung weitaus aufgeregter geführt, als heute. SALINGER/KUNZ führen aus: „Da das Ergebnis der DelphiMethode bei allen Ausprägungen des tatsächlichen wahren Wertes also mindestens genauso gut und bei mindestens einer Ausprägung echt besser im Vergleich zum Ergebnis des ‚zufälligen Expertenurteils’ als beste Alternative zu beurteilen ist, kann man die DelphiMethode auch als effizientes Prognoseverfahren bezüglich des Abstandes zum wahren Wert bezeichnen.“618 HÄDER versucht daher mit kognitionspsychologischen Untersuchungen die These der Vorteilhaftigkeit weiter zu untermauern.619 Anonymität und Expertenwahl Die Anonymität ist nicht nur eines der wichtigsten Merkmale der Methode, sondern birgt auch die in Kapitel 5.2.2 dargestellten Vorteile. Dennoch können damit einhergehend auch Nachteile ausgemacht werden: Teilnehmer könnten unseriöse oder nicht durchdachte Antworten geben, darüber hinaus werden Lernprozesse durch den formalisierten Austausch von Argumenten erschwert. HÄDER zeigt, dass dieser Vorwurf zumindest in dem von ihm untersuchten Beispiel unbegründet ist.620 Im Übrigen ist ein generelles Problem von Befragungen weiter ungelöst: Experten könnten ihre Ideen aus Wettbewerbsgesichtspunkten und Vorteilsdenken zurückhalten.621 Dieser Problematik ist die Delphi-Methode genauso ausgesetzt, wie andere Formen der Expertenbefragung. Der Begriff Experte ist umstritten, ebenso die zumeist nicht zufallsbasierte Auswahl der Experten anhand von gewählten Kriterien.622 Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass vielfach gezeigt werden konnte, dass die Expertenprognose tatsächlich eingetreten ist und die Anwendung von hypothesengeleiteten Auswahlverfahren und Selbsteinschätzungen zu respektablen Ergebnissen geführt haben.623 MEUSER/NAGEL weisen darauf hin, dass der Expertenstatus in gewisser Weise vom Forscher verliehen wird, da er stets im Zusammenhang des Forschungsinteresses zu beurteilen ist.624 Darüber hinaus konnte vielfach gezeigt werden, dass die Ergebnisqualität mit der Expertise der Teilnehmer steigt.625
617 618 619 620 621 622 623 624 625
Vgl. Häder 2002, S. 192; Rowe/Wright/McColl 2005, S. 395. Salinger/Kunz 1981, S. 479. Vgl. Häder 2002, S. 41ff. Vgl. Häder 2000a, S. 191. Vgl. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 766-767. Vgl. Kapitel 5.3.2. Vgl. Literatur bei Mullen 2003, S. 40-41 oder Häder/Häder 2000, S. 18. Indes wird immer wieder auf die begrenzte Aussagekraft von Selbsteinschätzung der Expertise hingewiesen: vgl. Häder 2000d, S. 112 Vgl. Meuser/Nagel 1991, S. 443-444, 453. Vgl. Rowe/Wright/McColl 2005, S. 397; Literatur bei Bradley/Stewart 2003, S. 275.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
149
Rückkopplung In Kapitel 5.2.2 wurde bereits darauf hingewiesen, welche Funktion und welche Vorteile mit der Rückkopplung in der Delphi-Methode beabsichtigt werden. Auch dieses Element wurde vielfach dahingehend kritisiert, dass die Rückkopplung einen Beitrag zur Konsensbildung bringt, obwohl dieser Effekt nicht immer gewünscht ist.626 Dem ist entgegen zu halten, dass z.B. BLIND/CUHLS zeigen, dass Teilnehmer höherer Expertise sich eher gegen die Durchschnittsmeinung stellen als andere. Zudem zeigen sie, dass Teilnehmer mit geringerer Expertise eher aus der Studie aussteigen als andere.627 Außerdem kann HÄDER zeigen, dass sich Experten in Delphi-Studien sehr intensiv mit den Randbedingungen und daraus abgeleiteten Prognosen auseinandersetzen, wenngleich die Auseinandersetzung mit der Gruppenmeinung nicht immer zugegeben wird oder erfolgt.628 Überdies wurde mehrfach bestätigt, dass die Rückkopplung die Ergebnisqualität steigert.629 Darüber hinaus stellt DRILLING heraus, dass die Delphi-Methode auch das Erkennen unterschiedlicher Positionen zu einem Thema unterstützt.630
5.2.4 Zwischenfazit zur Methodik Es kann konstatiert werden, dass die Delphi-Methode nicht frei von Defiziten und Kritik ist. Desweiteren befindet sie sich – ähnlich anderer Methoden – im kontinuierlichen Prozess der Verbesserung, tieferen Erforschung und methodischen Absicherung. Dennoch zeigen die vorangegangenen Ausführungen, dass sie zum einen gut auf das Anforderungsprofil der vorliegenden Studie passt und dass zum anderen potenzielle Probleme kontrolliert werden können. Die Flexibilität der Methode, die Vorteile aufgrund von Anonymität, die Beherrschbarkeit einer großen Zahl von Experten an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten sowie nicht zuletzt das hervorragende Prognose- und Modellentwicklungspotenzial sprechen für die Anwendung der Methode in der vorliegenden Arbeit.
5.3 Durchführung der empirischen Untersuchung Die empirische Untersuchung der vorliegenden Arbeit ist wie in Abbildung 49 dargestellt, in drei Phasen gegliedert.
626 627 628 629 630
Vgl. Diskussion bei Mullen 2003. 42-44; Rowe/Wright/McColl 2005, S. 397. Vgl. Blind/Cuhls 2001, S. 77-78; Rowe/Wright/McColl 2005, S. 397. Vgl. Häder 2000a, S. 190-191; Häder 2000d, S. 99, 103, 113. Vgl. z.B. Parenté et al. 2005, S. 409 Vgl. Drilling 2000, S. 176.
Runde I
Vorbereitung
150
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Theoretische Erarbeitung ÖGenerierung von Thesen/Typologie
Pretest ÖMethodische/inhaltliche Konstruktion
Fragebogendesign
Auswahl der Experten
Experten-Akquise und Aussendung (n=136)
1. Nachfassen (E-Mail)
Auswertung der Ergebnisse (n=61)
2. Nachfassen (Telefon)
Runde II
Fragebogenmodifikation ÖEliminierung von Konsens-Items ÖHinzufügen neuer Thesen Aussendung Fragebögen (n=61)
1. Nachfassen (E-Mail)
Auswertung der Ergebnisse (n=45)
2. Nachfassen (Telefon)
Abbildung 49: Ablauf der empirischen Untersuchung
In Kapitel 5.3.1 wird der Pretest vorgestellt. Kapitel 5.3.2 geht dann auf die Expertenauswahl ein, bevor in Kapitel 5.3.3 das Fragebogendesign der Hauptuntersuchung erläutert wird.
5.3.1 Pretest Eine Vielzahl von Autoren stellt heraus, dass sozialwissenschaftliche Studien ohne die Verwendung von inhaltlichen und instrumentellen Voruntersuchungen nicht auskommen.631 Im Rahmen der Zweiten World Marketing Conference des Volkswagen Konzerns wurde ein Pretest für die Delphi-Studie durchgeführt.632 Dabei wurde ein teil-standardisierter schriftlicher Fragebogen verwendet, der drei Ziele erfüllen sollte:633 • Einordnung von Trends des europäischen Automobilvertriebs: Dazu wurden den Experten theoretisch abgeleitete Trends in Form von 18 Thesen vorgelegt. Die Beurteilung erfolgte
631 632
633
Vgl. u.a. Bortz/Döring 2002, S. 359; Schnell/Hill/Esser 1999, S. 10; Presser et al. 2004. Die Veranstaltung wurde von rund 250 Marketing- und Vertriebsverantwortlichen aus den beiden obersten Führungsebenen sowie ausgewählten Fachleuten besucht. Dabei wurden aktuelle Themen zur Weiterentwicklung von Marketing und Vertrieb des Volkswagen Konzerns in Workshops und Plenarveranstaltungen diskutiert und erarbeitet. Der Pretest wurde als Bestandteil einer Workshopveranstaltung „Wholesale – Reaktionen der Volkswagen AG auf neue Geschäftsmodelle und Absatzkanäle im Automobilvertrieb“ durchgeführt. Der Fragebogen wurde zu Beginn des Workshops von den Teilnehmern ausgefüllt, um sowohl die Meinung zu neuen Geschäftsmodellen und Trends im Automobilvertrieb zu erfassen, als auch die Teilnehmer für das Thema des Workshops zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck wurden die Experten ferner gebeten, eine Einschätzung über die strategische Vorbereitung des Volkswagen Konzerns auf die zuvor im Fragebogen genannten Trends und Geschäftsmodelle zu geben. Die Ergebnisse dieser Frage haben für den Pretest bzw. für die Delphi-Studie keine Bedeutung. Der Fragebogen ist in Anhang 1 dargestellt.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
151
anhand einer auf sieben Stufen erweiterten Likert-Skala634. Die Ergebnisse sollen die inhaltliche Konzeption der Delphi-Studie erleichtern. • Einordnung von Geschäftsmodellen: Den Experten wurden zehn neue bzw. innovative Geschäftsmodelle vorgelegt. Der Pretest soll erste Hinweise auf die zukünftige Bedeutung der Geschäftsmodelle geben sowie weitere bisher unberücksichtigte Geschäftsmodelle aufzeigen. Daher wurden ebenfalls Vorschläge und Anregungen bzgl. unberücksichtigter Geschäftsmodelle aus Vorträgen und der Gruppenarbeit im Verlauf des Workshops übernommen. Beide Ergebnisse sollen die inhaltliche Fokussierung der vorliegenden Arbeit verbessern. • Test des Fragebogendesigns: Der Pretest soll die auf Thesen basierende Fragebogenkonstruktion im Hinblick auf Darstellungsweise, Formulierung und Verständlichkeit testen.635 Im Folgenden wird zunächst die Implikation des Pretests auf die Hauptuntersuchung erläutert. Instrumentelle Perspektive Der Pretest wurde mit Hilfe einer deutschen und einer englischen Version des Fragebogens durchgeführt, um den deutschen Teilnehmern die Fragebogenbeantwortung zu erleichtern und somit eine höhere Rücklaufquote636 und stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Fragen zu erreichen. Es kann ex post gezeigt werden, dass die Antworten englischer und deutscher Fragebögen eng miteinander korrelieren.637 Die Anordnung der Thesen sowie die Befragung nach Zustimmung mit Hilfe einer LikertSkala haben sich als praktikabel erwiesen. Inhaltliche Perspektive Da alle Teilnehmer eine hohe Position in der Unternehmenshierarchie bekleiden und somit weit reichende Entscheidungskompetenz im Bereich Marketing und Vertrieb besitzen, wird der Expertenstatus aus inhaltlicher Perspektive als gegeben angenommen. Im Pretest dienten 18 Thesen bzw. 31 Items der Generierung einer ersten Einschätzung bzgl. Trends im politisch-rechtlichen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umfeld. Anhang 1 fasst die inhaltlichen Ergebnisse des Pretests zusammen. Es zeigt sich, dass die Experten der Trendeinschätzung weitgehend folgen. In der Hauptuntersuchung sollen daher aus forschungsökonomischen Gründen nur umstrittene und vage Trends Berücksichtigung finden. Der Automobilvertrieb ist bzgl. Geschäfts- und Privatkunden differenziert zu betrachten. Daher wurden Trends, für die diese Unterscheidung relevant ist, getrennt abgefragt. Um etwaige Fehlinterpretationen durch die Teilnehmer auszuschließen, wurde diese
634
635 636 637
Die Skala reichte von „keine Zustimmung“ (1) über „geringe Zustimmung“ (2) bis zu „hoher Zustimmung“ (7). Es wird sich hier der Annahme angeschlossen, dass die Likert-Skala als Intervallskala interpretiert werden kann. Vgl. u.a. Bortz/Döring 2002, S. 222-224; Stier 1996, S. 86; Schnell/Hill/Esser 1999, S. 185. Vgl. Häder 2002, S. 138-139; Schnell/Hill/Esser 1999, S. 324-325. Durch die Integration in den Workshop wurden 19 von 20 ausgegebenen Fragebögen ausgefüllt. Die Wahl der Sprache war etwa gleich verteilt (9 deutsche zu 10 englischen Fragebögen). Mit Hilfe des MannWhitney-U-Tests kann bei einem zugrunde liegenden Konfidenzintervall von 99% für alle Items angenommen werden, dass die Ergebnisse nicht von der Fragebogensprache beeinflusst werden.
152
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Unterscheidung bereits in der Einleitung zum Fragebogen erläutert und mit Beispielen belegt. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Pretest-Ergebnis Der Pretest hat sich als sehr hilfreich erwiesen, die formulierten Ziele wurden erreicht. • Die Trends wurden offenbar von den Experten als bedeutend angesehen, da kein prognostizierter Trend eine durchschnittliche Zustimmung unter dem Skalenwert 4 erhielt. Unumstrittene Thesen brauchen in der Hauptuntersuchung nicht berücksichtigt zu werden. • Die Nutzung einer Likert-Skala erscheint für die Hauptuntersuchung sinnvoll. • Der Pretest hatte einen Umfang von 20 Thesen, deren Beantwortung circa fünf bis sieben Minuten Zeit in Anspruch nahm. Für die Hauptuntersuchung muss daher der Umfang so klein wie möglich gehalten werden. • Die Verwendung von zwei Sprachversionen hat sich als vorteilhaft und beherrschbar erwiesen. • In der Hauptuntersuchung sollte eine umfangreiche Beschreibung der Geschäftsmodelle erfolgen. Zwei neue Geschäftsmodelle wurden durch den Workshop identifiziert. Vier der Pretest-Teilnehmer haben letztlich an der Hauptuntersuchung teilgenommen. Die Design-Anregungen aus dem Pretest wurden in der Hauptuntersuchung berücksichtigt.
5.3.2 Expertenauswahl „The first, and arguably most important, stage in an effective Delphi study is the assembly of a comprehensive and representative panel of experts who are in a position to offer sound observations.“638 In der vorliegenden Studie wurden 136 Personen für Runde I kontaktiert, davon haben 61 teilgenommen. Aus dieser Gruppe haben 45 an Runde II teilgenommen.
638
Gibson/Miller 1990, S. 35.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
153
50% 45% 40% 35%
42% 36%
30% 25% 20%
18%
15%
23% 22%
20%
16%
10%
9%
5%
5% 4%
0% Hersteller
Wissenschaft
Beratung
Handel (Einzelund Großhandel)
Balkendarstellung: Anteil
Verband
Runde I (n=61)
2% 2% Medien
Runde II (n= 45)
Abbildung 50: Berufliche Zuordnung der Teilnehmer 60%
50%
56%
58%
40%
43%
44%
30%
20%
16% 18% 10%
8%
11% 7%
9%
0%
Europa und International
Nord-WestEuropa
Nord-OstEuropa
Balkendarstellung: Anteil (Mehrfachnennungen möglich)
Süd-OstEuropa Runde I (n=61)
Süd-WestEuropa Runde II (n= 45)
Abbildung 51: Arbeits- und Wirkungsgebiet der Teilnehmer
Abbildung 50 und Abbildung 51 zeigen die Zusammensetzung der Expertengruppe in der Übersicht. In Anhang 7 ist eine Namensliste der Studienteilnehmer aufgeführt.
154
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
5.3.3 Fragebogen-Design Die Hauptuntersuchung folgt dem so genannten mixed-mode Design.639 Der Fragebogen wurde allen Experten postalisch zugesendet, parallel dazu wurde den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, den gleichen Fragebogen im Internet auszufüllen. DE LEEUW konstatiert, dass mixed-mode Designs zwar immer beliebter werden, methodischwissenschaftlich bisher jedoch nicht ausreichend Beachtung gefunden haben.640 Ausgangspunkt für die parallele Nutzung von Internet und Papier-Fragebogen ist die Annahme, dass die Rücklaufquote und die Identifikation der Teilnehmer mit der Studie höher sind, als unter Einsatz nur einer der beiden Datenerhebungstechniken.641 In der vorliegenden Studie haben in der 1. Runde 33% der Teilnehmer über das Internet teilgenommen – in der 2. Runde betrug der Anteil 24%.642 Eine allgemein gültige Datenvergleichbarkeit kann beim simultanen Einsatz unterschiedlicher Datenerhebungstechniken nicht angenommen werden, vielmehr muss die Vergleichbarkeit individuell nachgewiesen werden – vgl. Kapitel 5.6.643 In der Hauptuntersuchung wurde ein teilstandardisierter Fragebogen verwendet – vgl. Anhang 3 und 4. Dabei wurden vier Typen von Überzeugungsfragen644 angewendet: 1. Zustimmungsfragen: Ähnlich wie im Pretest wurde mit Hilfe einer Likert-Skala die Zustimmung zu vorformulierten Thesen bzgl. Geschäftsmodellen und insb. Trends erhoben.645 Die verwendete Likert-Skala reicht von 1 = „keine Zustimmung“ bis 5 = „volle Zustimmung“. 2. Semantisches Differenzial: Die Geschäftsmodelle wurden vornehmlich durch die Verwendung des semantischen Differenzials646 bzgl. ihrer zukünftigen Ausprägung durch die Experten charakterisiert. Die verwendete Skala reicht von 1 = „These A trifft zu“ bis 5 = „These B trifft zu“. 3. Auswahlfragen: Geschlossene Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien wurden etwa bei Fragen nach Kongruenz zwischen Herstellerzielen und Geschäftsmodellen sowie geographischer Einordnung der Geschäftsmodelle verwendet. 4. Offene Fragen: In der ersten Fragebogenrunde wurde mit offenen Fragen nach Kommentaren, zusätzlichen Trends und Meinungen gefragt. Durch diesen Fragetyp sollte dem explorativen Charakter der Studie Rechnung getragen werden.
639 640
641
642 643 644 645 646
Vgl. Dillman 2000, S. 217ff.; Kirsch 2000, S. 222; Brennan 2005, S. 1; Vgl. De Leeuw 2005, S. 234-235. Mixed-mode Design bezieht sich nicht nur auf den Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsmedien, wie in diesem Fall, sondern kann sich auch durch die Unterschiedlichkeit anderer Aspekte des Untersuchungsdesigns ausdrücken. Vgl. De Leeuw 2005, S. 238. Zu den Vor- und Nachteilen von Papier-basierten bzw. Online-basierten Befragungen vgl. u.a. Bandilla/Hauptmanns 1998; Dillman 2000; Couper 2000; Florian 2000; Couper/Traugott/Lamias 2001; Bandilla/Bosnjak/Altdorfer 2001; Manfreda/Batagelj/Vehovar 2002; Faas 2003; Raab/Unger/Unger 2004, S. 94-127. Fünf Teilnehmer haben in den beiden Runden unterschiedliche Medien genutzt (in RI das Internet und in RII den schriftlichen Fragebogen). Vgl. De Leeuw 2005, S. 247; Brennan 2005, S. 9-11. Vgl. De Leeuw 2005, S. 247. Vgl. Schnell/Hill/Esser 1999, S. 304; Bortz/Döring 2002, S. 212ff. Vgl. Häder 2002, S. 131; Raab/Unger/Unger 2004, S. 100. Vgl. Schnell/Hill/Esser 1999, S. 169-171; Bortz/Döring 2002, S. 184-186; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 84; Raab/Unger/Unger 2004, S. 86-88.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
155
Der Fragebogen ist in vier Teile gegliedert. In Teil I wurde die Distributionssituation diskutiert. Tabelle 32 in Anhang 2 zeigt die verwendeten Thesen aus Kapitel 3 und deren Formulierung im Fragebogen in der Übersicht. Teil II diente der Diskussion der Geschäftsmodelle mit Fokus auf drei Elemente: Erstens wurden relevante Kundengruppen des GM diskutiert, indem zunächst die Verteilung von Geschäfts- zu Privatkunden thematisiert und dann mit jeweils drei bipolaren Merkmalsausprägungen differenziert wurde. Zweitens wurden die strategische Orientierung und die Entwicklung des Geschäftsmodells mit einer Reihe bipolarer Strategieausprägungen erfasst. Drittens wurde in Runde I mit offenen Fragen nach weiterführenden Thesen zu den Geschäftsmodellen gefragt.647 Die frei formulierten Thesen und Statements wurden anschließend für Runde II redaktionell aufbereitet und den Teilnehmern zur Bewertung vorgelegt.648 Anhang 2 zeigt die Definition der Geschäftsmodelle im Fragebogen. Der Teil III des Fragebogens konzentriert sich auf die Identifikation und Diskussion weiterer innovativer Geschäftsmodelle, deren Struktur noch nicht genauer bestimmt werden kann. Daneben werden die Absatzentwicklung, die geographische Verbreitung der Geschäftsmodelle sowie ihre Kongruenz mit den Zielen des Herstellers untersucht. Teil IV des Fragebogens beinhaltet eine fachliche Selbsteinschätzung der Teilnehmer bzw. fragt Informationen zur Administration der Untersuchung ab.
5.3.4 Abbruchkriterien Kern einer Delphi-Studie ist die Rückkopplung der Ergebnisse und erneute Befragung der Teilnehmer, mit dem Ziel, eine anonymisierte, aber zugleich strukturierte Diskussion über ein bestimmtes Themengebiet zu führen.649 Folgt man der von HÄDER vorgeschlagenen Systematik für Delphi-Befragungen, so ist die vorliegende Untersuchung dem Typ 3 zuzuordnen:650 Ziel ist die Erhebung und Qualifizierung der Meinung einer Expertengruppe zu einem diffusen Sachverhalt – ein Konsens zu allen Items ist indes nicht das Ziel. In Kapitel 5.2.2 wurde bereits auf die Klassen möglicher Abbruchkriterien eingegangen. Die vorliegende Studie schließt sich dem Vorgehen von VORGRIMLER/WÜBBEN an:651 Zunächst werden alle Items auf die Gruppenmeinung hin untersucht, um dann lediglich solche Items weiter zu verwenden, für die das ex-post-Abbruchkriterium nicht erfüllt ist. Für die erste Runde besteht dieses Abbruchkriterium aus einer statistischen und einer inhaltlichen Beurteilung: 647 648 649
650 651
75% der Teilnehmer haben frei formulierte Kommentare, Thesen und Statements abgegeben. Vgl. Häder 2002, S. 136, 155. Ähnlich u.a. bei Scholl et al. 2004, S. 21; Drilling 2000, S. 176; Vgl. u.a. Linstone/Turoff 1975, S. 3; Sackman 1975, S. 48; Zerres 1994, S. 152; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 1999, S. 264; Häder/Häder 2000, S. 13; Bortz/Döring 2002, S. 261-262; Bradley/Stewart 2003, S. 274. Hier wird Bezug auf das „Conventional Delphi“ (entspricht „Standard-Delphi“ in Tabelle 15) genommen, in der Literatur wird eine Vielzahl von Varianten beschrieben, wie z.B. Delphi-Konferenzen, Tele-Delphi u.ä. Den Begriff „Conventional Delphi“ prägen Linstone/Turoff 1975, S. 5. Vgl. Häder 2002, S. 31 und Kapitel 5.2.2. Vgl. Vorgrimler/Wübben 2003, S. 766; Vorgrimler/Wübben 2001, S. 8. Ähnlich u.a. Florian 2000, S.199 und 205; Neiger et al. 2001, S. 114; Roberts-Davis/Read 2001, S. 37 und 39; Häder 2002, S. 186; Arnold 2005, S. 69; Padel/Midmore 2005, S. 628
156
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Für die statistische Beurteilung werden Standardabweichung, Mittelwert und Verteilung berücksichtigt. Dabei muss die Skalengestaltung Berücksichtigung finden. Für Zustimmungsfragen soll als Abbruchkriterium Folgendes gelten: erstens soll die Standardabweichung unter dem Wert 1 liegen und zweitens soll der Mittelwert über 3,5 liegen oder mehr als 50% der Teilnehmer die Werte 4 bis 5 gewählt haben. Für den Abbruch von Items basierend auf dem Semantischen Differenzial sollen folgende Bedingungen erfüllt sein: erstens soll die Standardabweichung unter 1 liegen, zweitens soll die Verteilung zeigen, dass mehr als zwei Drittel der Teilnehmer einer These zugestimmt haben (Wert 1 oder 2 bzw. 4 oder 5) oder der Mittelwert soll über 4 bzw. unter 2 liegen. Dichotome Items sollten eine Zustimmung zu einer Antwort von über 50% aufweisen. • Die inhaltliche Beurteilung identifiziert Items für den Verbleib in der Folgerunde, welche für das Untersuchungsergebnis eine besondere Bedeutung haben oder in den Kommentaren der Teilnehmer kritisch gesehen wurden. Für Items mit Mehrfachauswahl bzw. dichotome Items kann nur die Stabilitätsbeurteilung angewendet werden. Itempaare sollen nur dann abgebrochen werden, wenn das statistische Abbruchkriterium für beide erfüllt ist.652 Für 27 Items führten sowohl die statistische, als auch die inhaltliche Beurteilung entsprechend der in Abbildung 52 dargestellten Entscheidungslogik nach Runde I zum Abbruch. Für diese Items wird Konsens unter den Teilnehmern unterstellt, sie wurden als erstes Arbeitsergebnis in Runde II ausgegeben. Wie in Kapitel 5.3.3 erläutert, entfielen in Runde II zudem die offenen Fragen, stattdessen wurden zusätzlich 46 neue – aus den freien Statements aufbereitete – Thesen aus Runde I zur Diskussion gestellt.
652
Ein Beispiel für ein Itempaar ist die Beurteilung der Kunden nach Preisbereitschaft und Wertorientierung. Vgl. Abbildung 8 bzw. Anhang 3.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie ja/nein
Runde I
i (*)
i = 441 (27*)
Statistische Beurteilung
ja
Inhaltliche Beurteilung
nein
ja
(Bedeutung, Itempaare)
Aufbereitung freie Neue Thesen i=54 Statements
1
i = 35
(Mittelwert, Verteilung, Standardabweichung)
Fragen zur Person1
Runde II
ja
Statistische Beurteilung Inhaltliche Beurteilung
i = 35
(Wilcoxon-/McNemarTest)
ja nein ja
i = 332
nein
ja
i = 21 i = 24 ja
Kosten-Nutzen-Beurteilung (Anzahl Items, Bereitschaft)
i = 27
i = 54
nein
(Bedeutung, Itempaare)
Items Bestandteil RI und RII Stabilitätsbeurteilung
= Abbruchkriterium erfüllt/nicht erfüllt = Anzahl Items = Anzahl offene Fragen = Runde I enthielt u.a. Fragen zu Arbeitsgebiet und Expertise
nein
i = 409 (3*) (Mittelwert, Verteilung, Standardabweichung)
157
nein
i = 53 i = 308
Ende
nein
Runde III Abbildung 52: Verwendung von Abbruchkriterien im Delphi
Abbildung 52 zeigt, dass nach Runde II neben der Konsens-Überprüfung auch eine Untersuchung auf Stabilität mit Hilfe des nichtparametrischen Wilcoxon-Tests bzw. des McNemarTests für zwei verbundene Stichproben durchgeführt wurde. Der McNemar-Test wurde für alle dichotomen Items (Auswahlfragen) gewählt, während für die übrigen Items der Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test angewendet wurde. Folgende Ergebnisse wurden beobachtet: • Statistische und inhaltliche Beurteilung: Für 53 Items der Runde II war das statistische und das inhaltliche Abbruchkriterium erfüllt, so dass diese keiner etwaigen dritten Runde zuzuführen waren. Von diesen Items entsprechen 23 den in Runde II hinzugekommenen Thesen, welche offenbar sofort eine breite Zustimmung unter den Experten erfahren haben. • Stabilitätsuntersuchung: Die Anwendung des Wilcoxon- bzw. McNemar-Test zeigt, dass für lediglich 24 der 332 untersuchten Items die H0-Hypothese auf einem SignifikanzNiveau von 95% zurückgewiesen werden konnte. Für diese Statements kann also angenommen werden, dass sich von Runde I zu Runde II eine signifikante Veränderung im Antwortverhalten ergeben hat. Dazu wurde die asymptotische Signifikanz bestimmt, liegt der errechnete Wert unter 0,05, ist H0 – also die Annahme, dass kein Unterschied zwischen den Wertepaaren vorliegt – zurückzuweisen.653
653
Vgl. Siegel/Schüle/Rennert 2001, S. 60-65 und 72-80; Wechsler 1978, S. 138-141.
158
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Kosten-Nutzen-Beurteilung: Die beiden vorherigen Beurteilungen zusammengenommen, bleiben für eine etwaige dritte Runde 45 Items zur näheren Bestimmung. Dabei handelt es sich bei 17 der 45 zu beurteilenden Items um dichotome Items, zur geographischen Einordnung der Geschäftsmodelle. Hier ist nicht für alle Geschäftsmodelle ein eindeutiges oder stabiles Antwortverhalten zu erwarten, da es sich z.T. um neue Geschäftsmodelle handelt. Unter Berücksichtigung des zu erwartenden Aufwands und der einzukalkulierenden Panelmortalität wird die Iteration abgebrochen, weil der etwaige Nutzen der 28 Items den Aufwand deutlich übersteigt. In Kapitel 5.4 und 5.5 werden die Ergebnisse der Erhebung dargestellt, bevor in Kapitel 5.6 abschließend die Güte der Untersuchung beurteilt wird.
5.4 Ergebnisse zu allgemeinen Trends Mit Hilfe der Delphi-Studie wurden entsprechend der Zieldefinition in Kapitel 5.1 Thesen zur Distributionssituation aus Kapitel 3 bestätigt bzw. durch weitere ergänzt. Bereits in Runde I konnten die in Tabelle 16 dargestellten Thesen entsprechend der in Kapitel 5.3.4 dargestellten statistischen und inhaltlichen Beurteilung bestätigt werden. Index T-2.9
Thesen Die Inszenierung von Markenwelten gewinnt im Privatkundengeschäft an Bedeutung.
%
Ø
S
66
3,72
0,940
T-2.4p
Die Loyalität der Privatkunden gegenüber Marken und Einkaufstätten nimmt ab.
67
3,78
0,940
T-2.4g
Die Loyalität der Geschäftskunden gegenüber Marken und Einkaufstätten nimmt ab.
70
3,96
0,906
T-2.11
Channel Hopping nimmt über den gesamten Kaufprozess von Privatkunden zu.
68
3,85
0,943
T-2.12
Smart-Shopping-Verhalten von Privatkunden nimmt zu.
78
4,05
0,899
T-2.13
Variety-Seeking-Verhalten gewinnt im Privatkundengeschäft an Bedeutung.
66
3,62
0,904
T-2.14
Convenience-Orientierung gewinnt im Privatkundengeschäft an Bedeutung.
70
3,83
0,785
T-3.7
Der Europäische Automobilvertrieb wird eine Multikanalstruktur ausbilden. (These B)
92
4,42
0,700
T-5.6
Die europäischen Neuwagen-Preisunterschiede werden abnehmen. (These B)
93
4,25
0,756
Tabelle 16: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (bestätigt nach Runde I)654
Die in Tabelle 17 dargestellten Trends und Rahmenbedingungen wurden nach Runde II statistisch und inhaltlich bestätigt. Unterstrichene Werte zeigen in den Tabellen an, dass das jeweilige (statistische) Prüfkriterium erfüllt ist. Index
Thesen
T-2.5p
Es findet eine Individualisierung und Fragmentierung der Privatkunden-Bedürfnisse statt.
T-2.5g
Es findet eine Individualisierung und Fragmentierung der Geschäftskunden-Bedürfnisse statt.
654
%
Ø
S
E
77I
4,03I
1,008I
nein
86II
4,16II
0,713II
ja
60I
3,63I
0,981I
ja
52II
3,57II
0,789II
ja
Spalte „Index“ zeigt die jeweils korrespondierende These aus Kapitel 3 – vgl. Kapitel 5.3.3 und Anhang 2. Der in Spalte „%“ dargestellte Wert entspricht dem Anteil der Experten, welche die Frage beantwortet und der jeweiligen These zugestimmt haben (Wert 1 oder 2 bzw. 4 oder 5). Der in Spalte „Ø“ dargestellte Wert entspricht dem arithmetischen Mittel auf einer Skala von 1 (keine) bis 5 (volle Zustimmung). Der in Spalte „S“ dargestellte Wert entspricht der Standardabweichung.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
159
Thesen
%
Ø
S
E
72I
3,88I
0,976I
ja
T-5.3p
Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. die GVO 1400/02) werden die Entstehung und Etablierung neuer Geschäftsmodelle im Automobilvertrieb an Privatkunden weiter begünstigen.
82II
3,98II
0,792II
ja
Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. die GVO 1400/02) werden die Entstehung und Etablierung neuer Geschäftsmodelle im Automobilvertrieb an Geschäftskunden weiter begünstigen.
59I
3,70I
0,944I
ja
T-5.3g
77II
3,82II
0,724II
ja
T-5.4p
Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. die GVO 1400/02) werden den Eintritt neuer Wettbewerber in den Automobilvertrieb an Privatkunden weiter begünstigen.
74I
3,90I
1,069I
nein
82II
3,95II
0,914II
ja
T-5.4g
Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. die GVO 1400/02) werden den Eintritt neuer Wettbewerber in den Automobilvertrieb an Geschäftskunden weiter begünstigen.
69I
3,85I
0,936I
ja
74II
3,91II
0,840II
ja
T-5.7
Es wird ein Nachfolgeregime der GVO 1400/02 geben. (Dichotomes Item: Ja = 1, Nein =2)
69I
n.a.
n.a.
ja
76II
n.a.
n.a.
ja
T-5.2.a
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Stimulierung des Inter- und Intrabrand-Wettbewerbs
77I
3,95I
1,008I
nein
82II
3,97II
0,684II
ja
Index
Tabelle 17: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (bestätigt nach Runde II)
655
Tabelle 18 stellt Thesen dar, die nach Runde II nach statistischer und inhaltlicher Beurteilung nicht für den Abbruch qualifiziert wurden. These T-1.5 müsste wegen des zu hohen bzw. zu niedrigen Mittelwertes formal abgelehnt werden, da aber beide Ergebnisse eine relativ niedrige Streuung und eine formal ausreichende Zustimmung aufweisen, sollen diese beiden Thesen u.E. weiter verfolgt werden. Wegen der geringen Zustimmung zu den Thesen T-2.15, T-5.1.a bis T-5.1.d wird das Ergebnis inhaltlich als Ablehnung interpretiert.
655
Unterstrichene Werte zeigen die Erfüllung der jeweiligen statistischen Prüfung an. In der Spalte „E“ ist dargestellt, ob eine einheitliche Meinung entsprechend der statistischen Beurteilungskriterien vorliegt: „ja“ bedeutet „Abbruchkriterien erfüllt“, „nein“ bedeutet „Abbruchkriterien nicht erfüllt“.
160 Index
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie Thesen
%
Ø
S
T-1.5
Volumenhersteller werden primär Stock-Push-Strategien verfolgen. Orientierung an Marktanteilssteigerung. (These A)
62I
2,53I
1,135I
68II
2,32II
0,800II
T-1.5
Nischen- und Premiumanbieter werden primär Pull-Strategien verfolgen. Orientierung an Deckungsbeitragssteigerung. (These B)
73I
3,98I
0,938I
86II
3,91II
0,772II
T-2.1.a
Der Neuwagenabsatz wird primär an Geschäftskunden erfolgen. (These B)
45I
3,47I
0,878I
57II
3,52II
0,590II
T-2.15
Prestige-Shopping-Verhalten gewinnt im Privatkundengeschäft an Bedeutung.
49I
3,43I
0,957I
48II
3,43II
0,801II
T-5.1.a
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Vollständige Abschaffung quantitativer Selektion (der Vertragshändler durch Hersteller)
57I
3,44I
1,246 I
52II
3,36II
1,168II
T-5.1.b
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Einschränkung qualitativer Selektion (der Vertragshändler durch Hersteller)
45I
3,10I
1,252I
45II
3,09II
1,071II
T-5.1.c
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Weitere Forcierung der Trennung von Neuwagenverkauf, Serviceund Ersatzteilgeschäft
45I
3,34I
0,990I
55II
3,45II
1,063II
T-5.1.d
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Einheitliche Werksabgabepreise innerhalb der Europäischen Union
28I
2,81I
1,065 I
45II
3,09II
1,071II
W/M 0,213 0,686 0,750 1,000656 0,185
0,186
0,822 0,018
Tabelle 18: Allgemeine Trends im Automobilvertrieb (ohne einheitliches Meinungsbild)657
Wie in Kapitel 5.3.4 erläutert, wurde neben der statistischen und inhaltlichen Beurteilung auch eine Stabilitätsuntersuchung durchgeführt. Tabelle 18 zeigt die asymptotische Signifikanz des Wilcoxn-Tests zur Stabilitätsbeurteilung. Entsprechend der in Kapitel 5.3.4 postulierten Regel, wird für alle – außer T-5.1.d – in Tabelle 18 dargestellten Thesen stabiles Antwortverhalten unterstellt. In Tabelle 19 und Tabelle 20 sind die Ergebnisse aus Runde II zu den von den Teilnehmern in Runde I frei formulierten Thesen dargestellt, eine Stabilitätsuntersuchung ist daher nach Runde II nicht anzufertigen. Etwa die Hälfte der Thesen entspricht den in Kapitel 3 bereits formulierten Thesen, siehe Tabelle 19. Die von den Experten eingebrachte These zur „Etablierung von Handelsmarken“ entspricht T-3.10 aus Kapitel 3. Die These ist zwar aufgrund der beobachteten Streuung über 1 formal zurückzuweisen, allerdings sollen die hohe Zustimmung von 62% und die nur sehr knappe Überschreitung der Streuungsgrenze um 0,014 zum Anlass genommen werden, diese
656
657
Für insgesamt drei Itempaare ergeben sich identische positive und negative Rangsummen, was bereits auf hohe Ähnlichkeit des Antwortverhaltens in Runde I und II hindeutet. Der Wilcoxon-Test ist bei dieser Datenlage indes strenggenommen nicht anwendbar, vgl. Bortz/Lienert/Boehnke 2000, S. 266. Zur Stützung der These hoher Ähnlichkeit des Antwortverhaltens, wurde der t-Test durchgeführt und ergab für dieses Itempaar ein Sigma von 0, 812. Hypothese H0 ist daher nicht zurückzuweisen. Es wird daher angenommen, dass in Runde I und II kein signifikant unterschiedliches Antwortverhalten aufgetreten ist (für die anderen beiden Items ergibt sich ein vergleichbarer Befund). Spalte „W/M“ gibt die asymptotische Signifikanz des Wilcoxn-Test bzw. McNemar-Tests auf Stabilität zwischen Rund I und II wieder.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
161
These u.E. weiterzuverfolgen. Die Thesen T-5.6 erfährt keine eindeutige Beurteilung durch die Experten und wird daher verworfen. Index
Thesen
%
Ø
S
E
T-2.7
Die Polarisierung des Kaufverhaltens bzw. Trennung von Premium- und Niedrigpreiskäufern führt zu Etablierung spezialisierter Geschäftsmodelle.
73
3,78
0,670
ja
T-3.1
Konzentration/Konsolidierung im Automobilhandel, Wegfall kleiner Händler.
93
4,16
0,673
ja
T-3.6
Aus Sicht der Hersteller steigt der Wettbewerb um leistungsfähige Vertriebspartner im Einzelhandel.
78
3,96
0,767
ja
T-3.8
Es wird Unternehmen geben, die regional gezielt mehrere der Geschäftsmodelle in Kombination einsetzen.
64
3,56
0,943
ja
T-3.10
Die Etablierung von Handelsmarken nimmt zu.
62
3,51
1,014
(ja)
T-4.3
Es findet Konzentration der Hersteller (Konzerne) statt, während die Vielfalt der Marken bestehen bleibt.
76
3,80
0,726
ja
T-5.2.b
Liberalisierung der Märkte und Wettbewerb nehmen zu. (These B)
84
4,00
0,769
ja
T-5.6
Steuersätze (Preise ggü. Endkunden) bleiben weiterhin divergent. (These B)
57
3,41
1,019
nein
Tabelle 19: Weitere Trends im Automobilvertrieb (durch Experten eingebracht)
Die in Tabelle 20 dargestellten Thesen wurden in Kapitel 3 nicht vorab behandelt. Es wird deutlich, dass nicht alle von den Experten zusätzlich eingebrachten Thesen658 unter rein statistischer Beurteilung eine klare Zustimmung finden, insofern werden die Thesen T-II.1 bis T-II.4 und T-II.9 bis T-II.11 nicht weiter verfolgt. Die These T-II.5 verfehlt minimal die erforderliche Hürde bzgl. des Mittelwertes, so dass sie u.E. weiterverfolgt werden soll. Diese Annahme wird durch die jährlichen Erhebungen des DAT-Reports gestützt, der seit 1985 abnehmenden Reparatur- und Wartungsbedarf pro Fahrzeug ausmacht, welcher aufgrund der wachsenden Komplexität der Fahrzeuge nicht zu einem monetär geringeren Aufwand führte.659
658 659
Die zusätzlich eingebrachten Thesen sind mit „II“ in der Spalte „Index“ markiert. Brachat/Meunzel 2006, S. 51.
162
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Index
Thesen
%
Ø
S
E
T-II.1
Das Nachfolgeregime der GVO 1400/02 wird zum Ziel haben: Totale Liberalisierung im After-Sales-Bereich
50
3,26
1,214
nein
T-II.2
Automobilvertrieb fällt nach 2010 unter Schirm-GVO (heute GVO 2790/1999)
30
2,79
1,166
nein
T-II.3
Stagnation der Neuwagen-Nachfrage (trotz neuer EU-Mitglieder) (These A)
40
2,96
0,928
nein
T-II.4
Die Produktionskapazitäten der Hersteller für den europäischen Markt werden gesteigert.
24
2,53
1,079
nein
T-II.5
Abnehmende Serviceintensität der Fahrzeuge und somit Abnahme des Umsatzvolumens im Service.
58
3,49
0,944
(ja)
T-II.6
Technische Komplexität der Fahrzeuge nimmt zu, dadurch zunehmende Konsolidierung und Segmentierung im After-SalesGeschäft.
71
3,82
0,684
ja
76
3,89
0,745
ja
T-II.7
Steigende Nachfrage der Endkunden nach individualisierten Dienstleistungen und Produkten.
T-II.8
Kosten und Abgaben für Fahrzeug- bzw. Straßennutzung werden steigen.
89
4,31
0,733
ja
T-II.9
Zunahme des Direktvertriebs auf z.T. 50% des Absatzvolumens der Volumenhersteller.
38
2,93
1,074
nein
T-II.10
Aufbau der Vertriebsnetze chinesischer Marken mit unkonventionellen Mitteln (z.B. Vertrieb über Service-Ketten).
56
3,42
1,033
nein
T-II.11
Vertrieb von kleinen Fahrzeugen bzw. an Privatkunden folgt StockPush-Strategie, während der Vertrieb von großen Fahrzeugen bzw. an Geschäftskunden Pull-Strategie folgt.
60
3,42
1,097
nein
Tabelle 20: Weitere Trends im Automobilvertrieb (durch Experten neu eingebracht)
5.5 Geschäftsmodelle im europäischen Automobilvertrieb BAUER spricht mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen von einer zweiten ökonomischen Revolution und spielt dabei neben der Verbreitung von Informationstechnologie auf den „Drang zur schlanken, wirtschaftlichen Wertschöpfung“660 an. Er stellt heraus, dass sich daraus neben Material-, Stoff- und Produktinnovationen vor allem auch organisatorisch institutionelle Innovationen ergeben, die sich auch in der Bildung neuer Geschäftsmodelle ausdrücken. Im vorliegenden Kapitel werden, unter Einbeziehung der Delphi-Ergebnisse, etablierte und zukünftige Geschäftsmodelle des europäischen Automobilvertriebs abgebildet. Entsprechend F-IV ist das Ziel, unter Verwendung des erarbeiteten Analysekonstrukts, einen konsistenten Überblick relevanter Geschäftsmodelle zu geben. Tabelle 21 markiert solche Geschäftsmodelle, die unter dem Eindruck der empirischen Ergebnisse umbenannt oder neu hinzugefügt wurden. Einige Geschäftsmodelle wurden aufgrund der Ergebnisse neu spezifiziert: So wird in Kapitel 5.5.7 für das Geschäftsmodell Mobilität genauer erläutert, dass erstens ein systematischer Unterschied zwischen der Variante für Privat- respektive Geschäftskunden besteht und zweitens sich das Geschäftsmodell Geschäftskundenspezialist vom Geschäftsmodell Mobilität (Geschäftskunden) nicht 660
Bauer 2000, S. 1.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
163
wesentlich unterscheidet. Ebenso zeigen die empirischen Ergebnisse in Kapitel 5.5.8.3, dass das Geschäftsmodell Vermittlung an Wiederverkäufer besser als Variante des E-Commerce Geschäftsmodells zu charakterisieren ist. Ferner wird das Geschäftsmodell Teleshopping aufgrund der Begriffsdefinition von E-Commerce in Kapitel 5.5.8 mit dem Geschäftsmodell E-Commerce zusammengefasst.
Umbenannt
Neu Spezifiziert
Vor der empirischen Untersuchung (Kapitel 4.5) Nationale Vertriebsgesellschaft (herstellereigen) Autohaus (herstellereigen) Franchiseverträge im freien Automobilhandel Autohaus (ungebunden) Nationale Großhandelsdienstleister Kataloge Einkaufsgemeinschaft Vertrieb von Mobilität Geschäftskundenspezialist Vermittlung an Wiederverkäufer E-Commerce Teleshopping
Hinzugefügt
Nach der empirischen Untersuchung Nationale Vertriebsgesellschaft (Hierarchie) Autohaus (Hierarchie) Franchising im freien Autohandel Autohaus (Markt) Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen Versandhandel (offline) Einzelhandelskooperation Mobility (Geschäfts-/Privatkunden) E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) E-Commerce Hard Selling Network-Marketing
Tabelle 21: Redefinition der Geschäftsmodelle auf Basis der empirischen Untersuchung
In Anlehnung an Kapitel 4.1 stellt Tabelle 22 unter Rückgriff auf die Abgrenzungskriterien der fünf Gruppen von Distributionsorganen die empirisch untersuchten Distributionsorgane in der Übersicht dar. Im Folgenden werden die Geschäftsmodelle auf Basis der Delphi-Ergebnisse differenziert dargestellt. Dabei wurden ähnlich Kapitel 5.3.4 und 5.4 Abbruchkriterien angewendet: Tabelle 48 in Anhang 6 stellt diejenigen geschäftsmodellspezifischen Thesen zusammen, die bereits nach Runde I statistisch und inhaltlich als bestätigt bewertet werden. Anhang 6 gibt überdies eine Übersicht der Items, für die unter Anwendung des Wicoxon- respektive McNemar-Tests keine Stabilität im Antwortverhalten der Runden I und II festgestellt werden konnte.
164
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Distributionsorgane des Herstellers
Distributionsmittler primär Großhandel
Distributionsmittler primär Einzelhandel
Distributionshelfer
Distributionsorgane des Endkunden
− − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − −
Autohaus (Hierarchie) Factory Outlet Hard Selling* Mobility (Geschäfts-/Privatkunden)* Nationale Vertriebsgesellschaft (Hierarchie) Franchising im freien Autohandel Mobility (Geschäftskunden)* Nationale Vertriebsgesellschaft (Vertrag) Autohaus (Markt) Autohaus (Vertrag)* Downtownshop* E-Commerce (Transaktion)* Einzelhandelskooperation Eventvertrieb Mobility (Privatkunden)* Auktion Autohaus (Vertrag)* Automall Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen Downtownshop* E-Commerce (Quoting) E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) E-Commerce (Transaktion)* Hard Selling* Mobility (Geschäfts-/Privatkunden)* Vermittlung (branchenfremd) Vermittlung (branchennah) Versandhandel (offline) Network-Marketing
Tabelle 22: Geschäftsmodelle des Automobilvertriebs der vorliegenden Untersuchung661
5.5.1 Geschäftsmodell Autohaus Unter dem Geschäftsmodell Autohaus soll in Anlehnung an MEINIG eine Einzelhandelsverkaufsstätte für fabrikneue Automobile sowie verwandter Produkte (insb. Zubehör, Ersatzteile und Accessoires) und Dienstleistungen (insb. Service und Finanzdienstleistungen) verstanden werden, deren Angebot sich über den gesamten Kaufprozess erstreckt.662 Das Autohaus ist das bedeutendste Geschäftsmodell auf Einzelhandelsebene im Automobilvertrieb,663 drei Geschäftsmodellvarianten (GMV) werden differenziert: Hierarchie, Vertrag und Markt.
661 662 663
Die mit * gekennzeichneten Geschäftsmodelle müssen je nach Ausprägung unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. Vgl. Meinig 1995, S. 51-52. Vgl. Breitkopf/Schögel 2007, S. 8.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
165
Leistungskonzept Das Geschäftsmodell Autohaus kann mit der Betriebsform Fachhandelsbetrieb beschrieben werden, es richtet sich sowohl an Geschäfts-, wie an Privatkunden.664 Autohäuser bieten i.d.R. ein breites Sortiment an Fahrzeugmodellen im Neu- und Gebrauchtwagenbereich mit unterschiedlichen Qualitäten und Preislagen. Abbildung 53 gibt einen Überblick, wie das Fahrzeugangebot durch qualifizierte Beratung sowie ergänzende Dienstleistungen – wie bspw. Finanzdienstleistungen, Vermietgeschäft, Inzahlungnahme oder Serviceleistungen durch eine angeschlossene Werkstatt – ergänzt wird. Daneben werden u.a. Tuningartikel, Fahrzeugzubehör, Ersatzteile, Merchandise-Artikel u.ä. angeboten.
7. Phase Nutzungsphase im Alltag Kommunikation in Fahrzeugnutzungsphase: - Betreuung im Service-Fall inkl. Durchführung der Reparatur, Ersatzwagen - Beratung, Betreuung, Kundenbindung Angebot von Zubehör, Tuning, Wartung, Pflege - Fahrzeugpräsentation bei Werkstattbesuch, Zubehör/Teilekauf oder Ersatzwagennutzung
2. Phase Strukturierte, gezielte Informationssuche, Konkretisierung der Kaufabsicht Aktive Informationsbeschaffung: - Angebot von Beratungsleistungen - Fahrzeug- und Zubehörausstellung
6. Phase
3. Phase Entscheidungsfindung, Alternativenbewertung Kontakte mit Absatzorganisation: - Probefahrt - Fachberatung am Produkt mit Preisverhandlung (Integration von Finanzdienstleistungen) - Angebot der Inzahlungnahme
4.Phase: Kaufabschluss bzw. Transaktion
1. Phase Unstrukturierte passive Informationsaufnahme Kaufanregung, Bedürfnisweckung: - Exponierter Standort, auffällige Signalisation und Sortimentpräsentation - Publikumswirksame Events im Autohaus
5. Phase
Kaufvollzug, Übergabe, erste Warten auf Auslieferung Produkterfahrung Suche der Kaufbestätigung: Übergabe, Fahrerlebnis, - Inszenierung des Produkterlebnis, Suche nach Kaufprozesses Kaufbestätigung, Reaktionen - Angebot von auf das Produkt: Anpassungen der - Inszenierung der Bestellung (Ausstattung, Übergabe, technische Zubehör etc.) Einweisung - Angebot von Zubehör
Abbildung 53: Angebotsspektrum des GM Autohaus
Der USP ergibt sich daher aus dem umfangreichen Produkt-, Beratungs- und Dienstleistungsangebot über den gesamten Kaufprozess.665 Das GM hat insofern je nach Ausgestaltung und Kooperation mit dem Hersteller die Möglichkeit auf Trends im Automobilhandel zu reagieren, wie z.B. das Angebot hochqualifizierter Beratungsintensität (T-1.1), die 664 665
Vgl. Diez 2001a, S. 354; Kaapke 2006, S. 367. In der Literatur wird auch von Vollfunktionsbetrieben gesprochen, da Angebote entlang des gesamten automobilbezogenen Kaufprozesses angeboten werden. Vgl. Kaapke 2006, S. 364-367; Diez 2001a, S. 359-363; Methner 2002, S. 70.
166
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Inszenierung des Kaufprozesses (T-2.9 und T-2.10), die Bedürfnisbefriedigung bei PrestigeShopping- oder Convenience-Verhalten (T-2.14 und T-2.15) sowie das Bedürfnis nach individualisierten Dienstleistungen und Produkten. Außerdem können Autohäuser das GWGeschäft strategisch einsetzen (T-1.24). Desgleichen können die zitierten Trends bei unprofessionellem Management zu Quellen von Unzufriedenheit der Kunden werden.666 (Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement )
Verkaufsprozess
Kundenkontaktaufnahme
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Nachkaufphase
10
11
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
4 produktbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 2. Werbung und direktes Marketing 3. Außendienst 4. Eventmarketing 5. Messen und Ausstellungen 6. Kundenpflege, CRM 7. Marktforschung 8. Produktberatung und -demonstration 9. Kaufberatung und Vertragsabschluss 10. Orderabwicklung 11. Übergabe an den Kunden & Nachkaufbetreuung
5
6
Nicht durchgeführte Prozesse Produktbezogene Prozesse: 4. Eingangsprüfung, Aufbereitung, Zwischenlagerung 5. Ausstellung 6. Aufbereitung für Übergabe an bzw. Transport zum Kunden
Abbildung 54: Neuwagen-Distributionsprozesse des GM Autohaus
Das GM Autohaus übernimmt insb. Distributionsprozesse des Neuwagenvertriebs mit Endkundenkontakt. Abbildung 54 gibt einen Überblick – der Schwerpunkt liegt auf kundenbezogenen Prozessen, die regelmäßig einen festen Kundenstamm und somit hohe regionale Marktausschöpfung ermöglicht. Produktbezogen sind die Ausstellung der Fahrzeuge in Kombination mit Beratungsangeboten und die z.T. inszenierte Übergabe an den Kunden als wichtige Prozesse hervorzuheben. Kommunikationskonzept Autohäuser bedienen sich traditionell aller Arten von Kommunikationsinstrumenten. Die drei Geschäftsmodellvarianten unterscheiden sich indes deutlich in der jeweiligen Ausgestaltung der Markeninszenierung bzw. markenexklusiven Präsentation der Produkte und Dienst-
666
Vgl. Jullens/Smend 2003, S. 98-99.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
167
leistungen. In Anlehnung an HOFFMEISTER können folgende Typen der Markenpräsentation unterschieden werden – vgl. Abbildung 55:667 • One-Brand-Konzept: Ein Unternehmen vertreibt eine Fahrzeugmarke an einem oder mehreren Standorten mit dem Geschäftsmodell Autohaus. Der Kunde erlebt die Fahrzeuge in ihrer Markenwelt, ohne gleichzeitig mit anderen Marken konfrontiert zu werden. Bei der Präsentation der Fahrzeuge in der Markenwelt werden CI/CD-Richtlinien668 des Herstellers vollständig erfüllt. Es handelt sich um das Konzept maximal erlebter Markenexklusivität. • Händlergruppen-Konzept: Das Unternehmen vertreibt mehrere Marken an jeweils unterschiedlichen Standorten, an denen der Kunde jeweils volle Markenexklusivität über das Geschäftsmodell Autohaus erlebt. Die Verbindung der Autohäuser wird ggf. über eine Eigenmarke des Unternehmens öffentlich kommuniziert. Für den Unternehmer sind die Synergieeffekte, die aus der markenübergreifenden Funktionszusammenlegung resultieren eher gering. Es müssen hohe spezifische Investitionen getätigt werden. (Vgl. GM Einzelhandelskooperation) • Dealer Cluster Site-Konzept: Ein Unternehmen betreibt an einem Standort AutohausGeschäftsmodelle mehrere Marken mit markenspezifischer Infrastruktur (insb. Ausstellungsräume). Der Kunde erlebt Markenexklusivität im jeweiligen Autohaus, sieht jedoch zugleich die anderen Markenauftritte am Standort. Somit kann er leicht mehrere Marken erleben und vergleichen. Die Synergieeffekte für den Unternehmer sind aufgrund geographischer Nähe größer als beim Händlergruppen-Konzept, da weitere Funktionen des Geschäftsmodells, die nicht relevant für das Markenerlebnis sind, potenziell zusammengelegt werden können – z.B. Gebrauchtwagen-Verkauf und Management, Waschplatz oder Lagerhaltung.669 • Multipling-Konzept: Das Unternehmen vertreibt an einem Standort mehrere Marken mit einem für mehrere Marken gemeinsam genutzten Gebäude – das Geschäftsmodell Autohaus wird insofern markenübergreifend betrieben. Der Kunde erlebt die Marken in deutlich (ggf. baulich) getrennten markenspezifisch gestalteten Bereichen desselben Gebäudes bzw. Ausstellungsraumes. Die markenübergreifenden Synergieeffekte sind entsprechend größer, als beim Dealer-Cluster-Konzept.670 • Full-Multi-Franchising: Das Unternehmen betreibt ein vollständig markenübergreifendes Geschäftsmodell Autohaus, indem mehrere (ggf. sehr viele) Marken an einem Standort in einem gemeinsam genutzten Ausstellungsraum vertrieben werden. Der Kunde erlebt keine oder nur geringe Markentrennung – er erhält die Möglichkeit zum direkten Marken- bzw. Produktvergleich am PoS. Die Synergieeffekte sind besonders hoch, da kaum markenspezifische Investitionen erforderlich sind. • Automall: Das GM Automall wird in der vorliegenden Arbeit eigenständig behandelt. • Autorow: Dieses Konzept spielt bzgl. der Attraktivität von Standorten aus Kundensicht eine Rolle. Im Hinblick auf Synergieausschöpfung ist es nur in Kombination mit dem GM Einzelhandelskooperation von Bedeutung.671
667 668 669 670 671
Vgl. Hoffmeister 1998, S. 76-79; außerdem: Dreier 1999, S. 38-39; Diez 2003a, S. 12-13; Diez 2003c, S. 20-21; Meunzel 2004, S. 14; Reindl 2004b, S. 13-14; Mattes/Zillessen/Koers 2005. CI = Corporate Identity; CD = Corporate Design. Ein Dealer Cluster kann sich auch durch die freiwillige Kooperation durch mehrere Unternehmer bilden. In der Praxis werden häufig zwei (Dualling) oder drei (Tripling) Marken in einem gemeinamen Ausstellungsraum platziert. Vgl. Plate 2005e, S. 40. Eine sog. Autorow entsteht auch duch die Raumordnungspolitik der Baubehörden. Vgl. Hamprecht 2005.
168
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Differenzierungskriterien:
Standort
One-BrandKonzept
gemeinsam ein
Inhaberprinzip Unternehmen
DE
A
A
BC
Händlergruppenkonzept nicht gemeinsam ein od. mehrere Unternehmen
A B DealerCluster-Site
AB Dualling-/ MultiplingKonzept
AB Full-MultiFranchising
A
DE
A
DE
BC
F
BC
F
Automall (Kap. 5.3.2)
Autorow
gemeinsam
gemeinsam
gemeinsam
ein Unternehmen
ein Unternehmen
ein Unternehmen
Gem. Gelände, Infrastruktur mehrere Unternehmen
z.T.
z.T.
z.T.
z.T.
z.T.
z.T.
i.d.R. ja
z.T.
nein
ja
ja
ja
nein
nein
eine Straße mehrere Unternehmen
Funktionszusammenlegung in folgenden Bereichen:
Absatzförderung
-
Service / Kundendienst
-
GW-Management
-
i.d.R. nein i.d.R. nein z.T.
Teile-Management/-Verkauf
-
z.T.
NW-Verkauf
-
nein
andere Funktionen
-
z.T. Verwaltung, Management
z.T.
z.T.
z.T.
markenexkl. Gebäude z.T. Verwaltung, Management
markenexkl. Gebäudeteile i.d.R. Verwaltung, Management
markenexkl. Raumteile i.d.R. Verwaltung, Management
i.d.R. nein vollständig markenexkl. z.B. Event und Facility Management
i.d.R. nein
nein vollständig markenexkl. nein
Abbildung 55: Multi-Franchise-Konzepte im Automobilhandel672
Die dargestellten Typen der Markenpräsentation sind insb. im Vertragshandel relevant und legen weite Teile der strategischen Ausrichtung des Geschäftsmodells Autohaus (Vertrag) fest. Gründe für die Nutzung von Mehrmarkenstrategien im Vertragshandel sind:673 • Kostendegressionseffekte insb. durch die bessere Ausnutzung von nicht-markengebundenen Ressourcen • Umsatzsteigerung durch die Erschließung zusätzlicher bzw. gezielter Ansprache von Kundengruppen im lokalen Absatzgebiet • Erhaltung von Kundenbeziehungen beim Fahrzeugmarkenwechsel • Risikominderung durch Reduktion der Abhängigkeit von der Vertriebs- und Produktpolitik eines Herstellers • Aufbau von Markteintrittsbarrieren ggü. anderen Automobilhändlern im Absatzgebiet sowie Stärkung der regionalen Marktmacht und Verhandlungsmacht ggü. Herstellern, insb. wenn mehrere Marken eines Herstellers integriert sind Grundsätzlich kommen Mehrmarkenkonzepte i.S. von Herstellerexklusivität, im Vertragshandel häufiger vor, als Mehrmarkenkonzepte mit Marken verschiedener Konzerne.674 Das liegt am höheren Synergiepotenzial, welches aus der Verbindung zum Hersteller entsteht. So können bspw. IT-Schnittstellen, Prozessabläufe im Austausch mit dem Hersteller oder Schulungsprogramme für unterschiedliche Marken eines Herstellers identisch gestaltet sein.
672 673 674
Vgl. Hoffmeister 1998, S. 77. Vgl. Mattes/Zillessen/Koers 2005, S. 13-14. Vgl. Wimmer/Bauer 2004, S. 50. Full-Multi-Franchising unter Wahrung der Herstellerexklusivität wird es i.d.R. nicht geben, da zum Schutz der Markenidentitäten eine „Verwandtschaft“ von Marken durch die Hersteller selten offen kommuniziert wird und da ein Konzern den Mehrmarkenvertrieb von Konzernmarken im Rahmen der GVO 1400/02 einschränken und reglementieren kann. Bspw. warben die Marken SEAT und Skoda nach Eingliederung in den Volkswagen Konzern (1986 bzw. 1990) nur kurzfristig mit der Zugehörigkeit zur „Volkswagen-Gruppe“, um Transfereffekte von Markenattributen wie „Zuverlässigkeit“ und „technologische Perfektion“ von der Marke VW auszunutzen.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
169
Einige Hersteller versuchen ihre Franchise Attractiveness trotz Maximierung der Markenexklusivität vor Kunde durch gezielte Ermöglichung der Synergieausschöpfung zu steigern.675 Ertragskonzept Im Neuwagenverkauf sowie beim Gebrauchtwagenhandel und im Servicegeschäft (Hauptleistungen) liegen transaktionsabhängige direkte Erlösmechaniken vor. Autohaus-Geschäftsmodelle sind in der Lage, schlechte Erträge in bestimmten Geschäftsbereichen durch Erträge in anderen Bereichen temporär auszugleichen. Diese Geschäftspolitik wird jedoch in Zukunft nur in Ausnahmefällen Erfolg haben.676 Indirekte Erlösgenerierung kommt bei bestimmten Dienstleistungen und Produkten (Nebenleistungen) vor: bspw. werden Versicherungen und Finanzierungsangebote i.d.R. über Provisionen vermittelt.677 Wachstumskonzept Die Wachstumsmöglichkeit von Autohäusern ist eng verknüpft mit der individuellen Kapitalverfügbarkeit. Konzentration und Konsolidierung haben insb. vertragsgebundene Autohäuser getroffen, während die Anzahl der frei tätigen Autohäuser zunächst zugenommen hat. Die Wachstumskonzepte unterscheiden sich zwischen den GMV. Kompetenzkonfiguration Die wichtigsten Ressourcen des Autohauses sind Standort, Grundstück und Gebäude, Kapitalausstattung, Kundenstamm sowie Sortimentsbreite respektive Markenportfolio, die jeweils Einfluss auf den beschriebenen USP haben. Zu den Kernkompetenzen von Autohäusern zählen die intensive regionale Marktkenntnis und Kundenbeziehung. Weiterhin sind der Umgang mit Spezifität – bspw. von Immobilien und technischer Ausrüstung – und mit der hohen Kapitalbindung in Umlauf- und Anlagevermögen zu nennen.678 Autohäuser können Kernkompetenzen auch in bestimmten Fahrzeugsegmenten aufbauen, wie z.B. Freizeitfahrzeuge, Wohnmobile oder Geländewagen. Abbildung 56 zeigt jedoch, dass im Delphi einer auf Fahrzeugsegmente spezialisierten GMV nur kleine bis mittlere Marktbedeutung zugeschrieben wird. Prognose der Marktbedeutung
keine
Fachmarkt: Autohaus mit segmentspezifischem Angebot (z.B. Sportwagen, Gelände-/ Freizeitfahrzeuge)
44% 2,8
ø 1
2
3
4
5 S
hoch
,933 27%
Abbildung 56: Prognose der Marktbedeutung für fahrzeugsegmentspezifisches Autohaus
Organisationsform Das Autohaus tritt vor Kunde als Spezialist für Bedürfnisse rund um das Thema Automobil auf. Es haben sich unterschiedliche Strategien zur geographischen und organisationellen Abbildung der Geschäftsbereiche herausgebildet. So kann das Autohaus als reiner Komplett675 676 677 678
Vgl. T-3.6 (Franchise Attractiveness). Vgl. T-3.3 (Quersubvention). Vgl. Eder 2004, S. 7; Schwickal 2004c, S. 32-33. Vgl. Diez 2001a, S. 361.
170
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
betrieb oder im Betriebsverbund nach dem sog. „Satellitenkonzept“ geführt werden.679 Betriebsverbundkonzepte gestatten die Konzentration bestimmter Leistungsbündel auf spezifische Standorte, wie z.B. die Bildung eines Gebrauchtwagenzentrums oder einer zentralen Werkstatt für Lackierarbeiten. Kooperations- und Koordinationskonzept Die Kooperationsbeziehungen des GM sind vielfältig und existieren in horizontaler und vertikaler Richtung. Letztere wird innerhalb der drei GMV thematisiert. Die horizontalen Kooperationsbeziehungen von Autohäusern treten als bilaterale oder multilaterale ClosingGap-Allianzen auf – Tabelle 23 stellt Beispiele zusammen. Kooperationspartner Finanzdienstleister Tuningspezialisten und Spezialfahrzeugausrüster Zubehör-, Tuning- und Ersatzteilhersteller bzw. -lieferanten Behörden, TÜV u.ä.
Inhalt der Kooperation Kfz-Versicherungen Kredite und Leasingverträge Andere Finanzdienstleistungen Befriedigung spezieller Tuning- und Ausrüstungswünsche − Erweiterung des Teilesortiments − − − −
− Fahrzeuganmeldung − Fahrzeuguntersuchungen
Tabelle 23: Beispiele für horizontale Closing Gap-Kooperationen des GM Autohaus
Daneben existieren Critical Mass Allianzen mit anderen Autohäusern – siehe GM Einzelhandelskooperation oder Franchising im freien Autohandel. 5.5.1.1 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Hierarchie) Die Geschäftsmodellvariante Autohaus (Hierarchie) wird als spezielle Form des Geschäftsmodells Autohaus verstanden und ist durch die hierarchische Bindung an einen Automobilhersteller (meist im handelsrechtlichen Status der Niederlassung) gekennzeichnet. Dieser Typ Distributionsorgan ist insofern dem Direktvertrieb zuzuordnen.680 THIEMER hebt hervor, dass Hersteller, vor dem Hintergrund sinkender Markenloyalität und Produktdifferenzierung sowie steigender Wettbewerbsintensität im Automobileinzelhandel, immer größere Anstrengungen unternehmen, eine kundenrelevante und -wahrnehmbare Differenzierung ihrer Marken durch Kommunikationsinstrumente durchzusetzen. Ein Instrument ist dabei der Aufbau von Markenerlebnisplattformen insb. in Großstädten bzw. an strategisch wichtigen Standorten.681 Dabei handelt es sich um besonders aufwendig gestaltete Autohäuser (sog. Flagship-Stores).
679 680 681
Vgl. Dreier 1999, S. 43-46; Diez 2001a, S. 369-371. Im Folgenden sollen die Begriffe Autohaus (Hierarchie) und Niederlassung synonym verwendet werden, eingeschlossen sind Autohäuser mit Mehrheitsbeteiligung und aktiver Geschäftsbeeinflussung des Herstellers. Vgl. Thiemer 2004, S. 86, 92 und 105-114.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
171
Daneben versuchen Hersteller folgende Chancen eines Direktvertriebs über Niederlassungen umzusetzen:682 • Steuerung der Vertriebspolitik auf Einzelhandelsebene • Aufbau des direkten Kundenkontaktes zur Nutzung in der CRM-Strategie und Erschließung des Downstreambusiness • Prüfung neuer Vertriebsstrategien • Sicherung des Absatzes und Aufbau von Verhandlungsmacht ggü. vertragsgebundenen Mittlern Dem stehen Risiken wie hohe Kapitalbindung, die Übernahme der Absatzrisiken, der Verzicht auf Vorteile des Unternehmertums, wie z.B. Motivation und Kreativität in der Gestaltung und Führung des PoS, und die notwendige Bereitstellung von Managementkapazitäten gegenüber. In 2005 waren in der EU lediglich 3% aller Vertriebsstandorte im Eigentum der Hersteller.683 75% der befragten Experten erwarten jedoch eine steigende Marktbedeutung dieses GM. Abbildung 57 zeigt die Delphi-Ergebnisse in der Übersicht.
682
683
Vgl. T-1.3 (Gestaltung des PoS), T-3.2 (Machtverschiebung), T-3-5 (Downstreambusiness), T-3-13 (CRM), T-4.2 (Direkter Kundenkontakt), T-5.1 (Reduktion Systemführerschaft); Diez 2001a, S. 313; Meffert/Burmann/Koers 2002a, S. 345; Diez 2002b, S. 21. Vgl. Wade/Brown 2005, S. 16. Das Potenzial des Direktvertriebs über Niederlassungen wird z.T. auf bis zu 20% geschätzt. Vgl. Lademann 2002, S. 56.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Geschäftskunden
Privat2,7 40% kunden
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
staatl./öffentl. Institutionen wie Privatkunden 21% ,833 (User-Chooser) Marken mit 2% ,695 geringem Wert 5% ,618
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1)
5%
0%
0%
0%
2
12%
42%
7%
2%
0%
3
0%
7%
12%
2%
0%
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel
4
0%
2%
0%
5%
0%
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2)
Down- 5 Market
0%
0%
0%
0%
0%
1
2
3
4
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
3
5%
traditionell
Wertorientierung
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
Strategien
2
rational / stark 2,8 37% kostenorientiert Luxus- / Pre2,0 78% miummarken
Kaufentscheidung ist eher
Premium-/ Up-Market 1
1
ø
Fokus auf Kundensegment 2,7 47%
Kundenansprache
Privatkunden 2,9 32%
Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum
C) Marktpotenzialprognose Absatzentwicklung
geographische Perspektive1)
Nord-West-Europa 69% Nord-Ost-Europa 31%
5
1
2
3
4
5
S Erweiterung 26% ,978 Kundenportfolios 25% ,960 Geschäftskunden
7%
Differenzierungs88% ,874 strategie
9%
70% ,912 Erweiterung
ø fallend Ô 3,7
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
postmodern
Kundenansprache
Kosten- / Preisführerschaft 4,2 Konzentration 3,8 (Nischenstrategie)
Geschäftskunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Privatkunden
A) Kundenperspektive
1
2
3
4
5
9% Süd-West-Europa 11% Süd-Ost-Europa 0%
Strategien
172
S 75% ,701
Ò steigend
Einheitlich in EU 28% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 57: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Hierarchie)
Leistungskonzept Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass diese GMV nach Ansicht der Experten eine leicht höhere Bedeutung für Privat-, als für Geschäftskunden hat, prinzipiell aber beide Kundensegmente angesprochen werden. Es wird konstatiert, dass Privatkunden eher höherwertige Marken kaufen, was jedoch von der Tatsache beeinflusst sein dürfte, dass heute insb. höherwertige Volumen- und Premiummarken signifikant in Niederlassungen investiert haben. Entsprechend stellt sich auch das Bild bzgl. Wertorientierung und Preis-Premium-Bereitschaft der Privatkunden dar: der Schwerpunkt korrespondiert mit Milieusegmenten, die i.d.R. von diesen Marken besetzt werden. Im Geschäftskundenbereich wird der Schwerpunkt eher bei kleinen Unternehmensflotten gesehen, da große Fahrzeugflotten und Behördenfahrzeuge häufig über andere Wege des Direktvertriebs abgewickelt werden. Die Experten halten offensichtlich eine derart breite Aufstellung der GMV auch zukünftig für tragfähig, indem keine klare Fokussierung auf ein bestimmtes Kundensegment empfohlen wird.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
173
Niederlassungen tragen häufig den Charakter von Flagshipstores. Der Kunde kann vom Auftritt in besonders großen und kompetenten Filialen mit Vorzeige-/Imagefunktion profitieren, indem ein besonders umfangreiches Produkt- und Dienstleistungsangebot entlang des Kaufprozesses unter besonderer Beachtung der Markenexklusivität und -inszenierung angeboten wird. Daher werden oft auch Events, Veranstaltungen oder Lifestyle-Attraktionen zur Marken- bzw. Kundenbindung /-akquise angeboten, die i.d.R. in das übergeordnete Marketing-Konzept der jeweils vertretenen Marke eingebunden sind – das Mercedes-BenzCenter München registriert daher beispielsweise 60% Fremdfabrikatsfahrer unter den jährlich 200.000 bis 300.000 Besuchern.684 Kommunikationskonzept Die Niederlassung ist für den Hersteller in der Wertschöpfungskette besonders wertvoll, weil er durch die hierarchische Einbindung alle Vorteile aus dem engen Kundenkontakt und regionalen Markt-Know-how der Niederlassung nutzen kann. Zudem kann der Hersteller an der Niederlassung die gewünschte Markeninszenierung vollständig umsetzen. Dementsprechend ist der Hersteller in der Lage diese GMV in eine holistische Markenkommunikations- und Kundenbindungsstrategie unter Verwendung aller erforderlichen Kommunikationsinstrumente vollständig einzubinden. Dazu gehören insb. überregional vernetzte Verkaufsförderungs- und Marktbearbeitungsmaßnahmen sowie der aktive Austausch von Kundendaten zur Durchführung von Direkt Marketing und CRM. Die GMV setzt stark auf die Kommunikation von Markenbotschaften, insofern wird es i.d.R. als One-Brand-Konzept oder herstellerexklusives Händlergruppen- bzw. Dealer ClusterKonzept mit einem Maximum an erlebter Markenexklusivität ausgeführt. Eigenmarken spielen daher keine Rolle. Ertragskonzept Niederlassungen werden i.d.R. als eigenständige Gesellschaften geführt, so dass transaktionsabhängige direkte Erlösmechaniken dominieren. Durch das hierarchische Koordinationskonzept kann vom Hersteller Einfluss auf die Erlösmechanik genommen werden, so dass bspw. die lokale Preispolitik der überregionalen oder nationalen Vermarktungspolitik des Herstellers untergeordnet wird. Wachstumskonzept Die GMV sollte sich nach Ansicht der befragten Experten auch zukünftig an einer qualitätsorientierten Differenzierungsstrategie orientieren, wobei das Angebotsspektrum tendenziell eher erweitert werden sollte. Das Geschäftsmodell wird sich je nach Strategie und Kapitaleinsatz des Herstellers durch Multiplikation in weitere Marktgebiete ausdehnen. Aufgrund des hohen Kapitaleinsatzes und der damit verbundenen Kapitalbindung, engagieren sich die Hersteller bisher nur sehr gezielt im Aufbau eines Niederlassungsnetzes. Abgesehen von 684
Vgl. Brachat 2004b, S. 40.
174
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Mercedes-Benz mit rund 14% der 1.615 Vertriebsstätten und Peugeot mit 9%, besitzt die Mehrheit der Hersteller 2005 deutlich weniger als 5% ihrer Vertriebsstützpunkte selbst.685 Das Delphi sieht das Marktpotenzial dieser GMV insb. in Nord-West-Europa. Kooperations- und Koordinationskonzept Per definitionem kooperiert die GMV eng mit dem Hersteller, daneben sind jedoch auch Closing-Gap-Allianzen über marktliche oder vertragliche Koordination möglich, um das breite Angebotsspektrum zusammenstellen zu können. Das Koordinationskonzept in der Geschäftsbeziehung mit dem Hersteller ist hierarchisch. Das Autohaus (Hierarchie) wird demzufolge in seiner Unternehmenspolitik maßgebend vom Hersteller beeinflusst. Die Investition in eine Niederlassung durch den Hersteller stellt ein außerordentlich hohes Maß an spezifischer Investition dar. Daher gründen Hersteller Niederlassungen i.d.R. nur an Standorten mit hohem Marktpotenzial bzw. hoher Marktrelevanz i.S. ihrer Markenstrategie. 5.5.1.2 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Vertrag) Die Geschäftsmodellvariante Autohaus (Vertrag) wird als spezielle Form des Geschäftsmodells Autohaus verstanden und ist durch die vertragliche Bindung an einen Automobilhersteller (ggf. mittelbar über ein anderes Autohaus) gekennzeichnet. Die Vertragsbeziehung hat i.d.R. den handelsrechtlichen Status des Vertragshändlers. Andere Formen, wie Handelsvertreter, Kommissionsagentur oder Vermittler existieren ebenfalls.686 Das vertragsgebundene Autohaus ist nach wie vor die dominante Geschäftsmodellvariante im europäischen Automobilvertrieb.687 Dennoch erwartet die Mehrheit der befragten Experten einen Rückgang der Bedeutung dieser GMV.688 Von der Mehrheit der Befragten wird das Marktpotenzial der GMV für ganz Europa einheitlich gesehen – vgl. Abbildung 58.
685 686 687 688
Vgl. Wade/Brown 2005, S. 16. Die handelsrechtlichen Detailunterschiede sind für die folgenden Ausführungen von geringer Relevanz. Vgl. u.a. Meinig 1995, S. 51-52. Vgl. Heß/Meinig 1996, S. 291-292; Diez 2001a, S. 359; Zielke/Preißner/Wierich 2002, S. 129. Die empirische Studie von BREITKOPF/SCHÖGEL widmet sich empirisch der Entwicklung des „Stammkanals“ Automobilfachhandel. Vgl. Breitkopf/Schögel 2007.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
0%
traditionell
S
5
7% ,534
Premium-/ Up-Market 1
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
2
rational / stark 2,9 37% kostenorientiert Luxus- / Pre2,9 78% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
Strategien
1
Geschäftskunden
Geschäftskunden
Privat2,3 40% kunden
Privatkunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Strategien
A) Kundenperspektive
175
ø
k.Z. 1
Ò steigend
Einheitlich in EU 49% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
2,8 51%
36% 1,259
3,5 18%
60% 1,057
Abbildung 58: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Vertrag)
Leistungskonzept Aus Sicht der Experten ist diese GMV gegenüber Privat- und Geschäftskunden breit aufgestellt. Der Schwerpunkt wird jedoch im Vergleich zur Variante Autohaus (Hierarchie) deutlicher für den Bereich der Privatkunden gesehen. Das Delphi konstatiert Relevanz für alle Marken und Kundensegmente: Im Geschäftskundenbereich dominiert der Vertrieb an Unternehmen mit geringem Einkaufsvolumen, wobei sowohl Käufe mit User-Chooser, als auch mit stark rationalen Kaufentscheidungsverhalten auftreten. Ganz konkret wird vom Delphi eine
176
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Fokussierung auf kleine Unternehmen mit starker regionaler Bindung empfohlen. Die breite Aufstellung der GMV wird von den Experten auch für die Zukunft als tragfähig angesehen, wobei 60% eine stärkere Fokussierung auf Privatkunden empfehlen. Kommunikationskonzept Mit der vertraglichen Bindung geht i.d.R. ein mehr oder weniger markenexklusiver Auftritt vor Kunde einher. Bei dieser GMV sind fast alle für den Mehrmarkenvertrieb relevanten Konzepte im Markt existent: Die GVO 1400/02 lässt dem Hersteller lediglich die Möglichkeit das echte Multi-Franchising zu verhindern.689 67% der Experten empfehlen den Geschäftsmodellbetreibern eine Erweiterung des Markenspektrums, um die in Kapitel 5.5.1 genannten Chancen ausschöpfen zu können. Gleichzeitig raten 70% der Teilnehmer zum verstärkten Aufbau von Eigenmarken, um die lokale Differenzierungsstrategie zu stützen und einen Rahmen für den Mehrmarkenansatz zu bieten.690 REINDEL versucht in seinem Beitrag einen Vollkostenvergleich der unterschiedlichen Markenkonzepte von Vertragshändlern für den deutschen Markt aufzustellen – die Ergebnisse identifizieren das Händlergruppenkonzept als prinzipiell kostenintensiver als das DuallingKonzept. Beide Konzepte sind bei Absatzvolumen über 600 Fahrzeugen p.a. dem One-BrandKonzept vorzuziehen. Die Musterkostenrechnung kann jedoch nur den Beginn umfänglicher Vergleichsanalysen markieren.691 REINDEL zielt in seinen Ausführungen besonders auf die Vorteile eines komplementären konzernübergreifenden Markenportfolios ab, um Absatzschwankungen und Abhängigkeiten zum Hersteller zu minimieren. BRACHAT beschreibt an Praxisbeispielen, wo die Haupthindernisse für den effizienten Betrieb mehrerer Marken an einem Standort liegen:692 • Standards: Jede Marke verlangt unterschiedliche Investitionsstandards. Daher ergibt sich ein komplexes Anforderungsprofil an die Autohausgestaltung, wie z.B. im Bereich Gebäude, Personalentwicklung und Service. • Organisation: Die markenexklusive Ausbildung und Führung von Neuwagen-Verkaufspersonal wird als Management-Herausforderung herausgehoben – insb. wenn es um Kannibalisierungseffekte bei der Aufteilung des Kundenstamms des Autohauses geht. • Back-Office-Prozesse: Ein großer Vorteil von Mehrmarkenansätzen ist die Ausnutzung von Skaleneffekten im Back-Office durch die Zusammenlegung identischer Prozesse. 689 690 691
692
Vgl. Kapitel 3.5.2 und 5.5.1. Vgl. T-3.10 (Eigenmarken). Als Referenz wurde ein markenexklusiver Musterbetrieb (One-Brand-Konzept) mit einem jährlichen Absatzvolumen von 500 Neuwagen herangezogen. Dabei wird für die anderen Konzepte die Verwendung von lediglich zwei Marken unterstellt. Der jeweils angegebene Kostenindex zeigt, wie die Kosten pro Fahrzeug vom Referenzszenario bei unterschiedlichem jährlichem Absatzvolumen pro Marke abweichen. Folgende Kosten wurden in der Betrachtung berücksichtigt: Kosten der Fahrzeug-Präsentation, Personalkosten, Werbemaßnahmen, Verkaufsfinanzierung und Gemeinkosten. Kritisch ist an der Berechnung zu bemerken, dass das Kostenniveau keine direkt ableitbaren Aussagen über den jeweiligen Gewinn der unterschiedlichen Szenarien machen kann. Zudem werden die Konzepte des Multipling oder insb. des Full-Multi-Franchising häufig mit mehr als zwei Marken angewendet, so dass tendenziell ein geringerer Kostenindex pro Marke möglich sein dürfte. Vgl. Reindl 2004b, S. 12-15. Vgl. Brachat 2005, S. 28-29.
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177
Dem steht jedoch entgegen, dass nach wie vor Prozessdesigns selbst zwischen Marken eines Konzerns divergieren und somit Skalenvorteile ausschließen oder erschweren. • Kommunikationskonzept: Die Durchführung von markenübergreifenden Werbeinitiativen können – soweit es sich nicht um vom Hersteller geförderte markenspezifische Aktionen handelt – zusammengelegt werden, um weitere Synergiepotenziale zu erreichen. Dabei gewinnt die Kommunikation der Eigenmarke des Autohauses zunehmend an Bedeutung. Sowohl aus der empirischen Untersuchung, als auch aus den zitierten Untersuchungen wird deutlich, dass die GMV Autohaus (Vertrag) zukünftig eher selten als traditionelles OneBrand-Konzept ausgeführt werden wird – vielmehr werden Unternehmer darauf drängen, Kostendegressions- und Synergiepotenziale stärker auszunutzen.693 Inwieweit Hersteller das exklusive Markenerlebnis am PoS im Rahmen des Multipling- oder Cluster-Konzeptes weiterhin flächendeckend durchsetzen können, hängt daher von der Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen und der gewählten Kooperationsstrategie bzw. Führung des Distributionssystems ab.694 Ertragskonzept Das Ertragskonzept der GMV basiert im Neuwagenverkauf auf transaktionsabhängiger direkter Erlösmechanik. Der Hersteller nimmt dabei über Sonderverkaufsaktionen, Preisgestaltung, Abnahmeverpflichtungen, Margensysteme u.ä. erheblichen Einfluss auf die Erlösmechanik. Dieser Zusammenhang wurde durch die GVO 1400/02 insoweit verändert, als dass sie den Einkauf von Neuwagen über Mitglieder der Absatzorganisation in ganz Europa erleichtert, so dass Unternehmer in Hochpreisländern der EU Fahrzeuge über Länder mit niedrigem Werksabgabepreis einkaufen können, um die Preispolitik ihrer GMV flexibler gestalten zu können. Zugleich werden somit die Einflussmöglichkeiten des Herstellers auf die Preisgestaltung eingeschränkt.695 Wachstumskonzept Das Delphi schlägt eine stärkere Differenzierung der GMV über Leistungsqualität und -breite vor. Vertragsgebundene Autohäuser wachsen derzeit insb. über Kooperationen oder Fusionen, um die Rendite bzw. Effizienz zu steigern – vgl. GM Einzelhandelskooperation. Markterschließung i.S.v. Multiplikation findet indes nur dort statt, wo eine unzureichende Netzdichte vorliegt, also vor allem mit Emerging Brands oder in neuen respektive stark prosperierenden Ländern der EU. Mit der GVO 1400/02 erweitert sich das Spektrum der Wachstumsstrategien: Neben den traditionellen Strategien der Erschließung weiterer Absatzgebiete über Kauf, Fusion oder Kooperation oder dem Aufbau eines E-CommerceGeschäftsmodells ermöglicht die Niederlassungfreiheit den Aufbau von Verkaufs- und Auslieferungsstellen in der gesamten EU. Für diese Form der multiplikativen Markterschließung wird kein zusätzlicher Verkaufsvertrag benötigt.
693 694 695
Vgl. T-3.1 (Konsolidierung) und T-3.11 (Skalenvorteile), T-5.5 (Mehrmarkenvertrieb). Vgl. Kapitel 6.2.3. Vgl. T-5.6 (Arbitrageeffekte).
178
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Kompetenzkonfiguration Unter dem Eindruck der dargestellten Mehrmarkenstrategie des GMV entwickelt sich das Markenportfolio zu einer wichtigen Ressource sowohl im Hinblick auf den damit verbunden Aufbau von regionalen Markteintrittsbarrieren, als auch bzgl. der Attraktivität des Autohauses. Das Management der Markenvielfalt und gleichzeitigen Ausnutzung markenübergreifenden Synergiepotenzials wird somit zur Kernkompetenz des Autohauses, indem die markenübergreifend unterschiedlichen Transaktionsschnittstellen und Gestaltungsanforderungen in der Weise bedient, koordiniert und erfüllt werden müssen, so dass Synergiepotenziale und Kosteneinsparungen realisiert werden können. Kooperationskonzept Die Investition in ein markenexklusives Autohaus durch den Unternehmer stellt ein außerordentlich hohes Maß an spezifischer Investition dar, das nicht nur Mindestanforderungen an das Umsatzvolumen stellt, um rentabel wirtschaften zu können, sondern auch erhebliche potenzielle Wechselkosten birgt. Um die Höhe der daraus resultierenden Transaktionskosten für den Unternehmer zu senken, bieten sich Kooperationen i.S.d. GM Einzelhandelskooperation an. Koordinationskonzept Definitionsgemäß ist die Kooperationsbeziehung zwischen Hersteller und der GMV über einen Vertrag geregelt. Die häufigsten Formen sind Handelsvertrag sowie Vermittlungs- und Agenturverträge. Beide fallen unter das Primat der in Kapitel 3.5.2 vorgestellten GVO 1400/02. Je nach Gestaltung der Standards der Hersteller und Geschäftspolitik des Unternehmers kann auch eine Verkaufs- und/oder Auslieferungsstelle i.S.d. GVO 1400/02 den Charakter eines vertragsgebundenen Autohauses annehmen.696 Über den Vertragsinhalt wird das Autohaus insofern in seiner Unternehmenspolitik beeinflusst. Verträge sind markenspezifisch und unterscheiden sich im Hinblick auf Grad und Art markenspezifischer Investition und Prozessgestaltung. Im Vertrag werden nahezu alle Aspekte der Gestaltung des Verkaufs berührt, wie bspw. architektonische Anforderungen, Stellfläche der Fahrzeuge, Kleidung und Schulung des Verkaufspersonals, Anordnung, Auslage und Gestaltung der Werbemittel, Anzahl und Modellauswahl der Ausstellungs- und Vorführfahrzeuge sowie das Angebot von zusätzlichen Dienstleistungen. Hersteller nutzen neben dem vertraglichen Koordinationsmechanismus eine Reihe weiterer Anreizsysteme und Loyalitätsprogramme zur Steuerung des Distributionssystems.697 Das GM Autohaus kennzeichnet die Verbindung aus Neuwagen-Vertrieb und Werkstatt-Geschäft, so dass i.d.R. neben einem Neuwagenverkaufsvertrag ein Servicevertrag für dieselbe Marke besteht. Die
696
697
Vgl. Kapitel 3.5; Plate 2004c, S. 20; Breithaupt/Ehrlichmann/Imping 2004; Woltermann/Weller/Breyer 2005; Plate 2005c. An dieser Stele wird deutlich, dass das GM als handelsvertragsgebundener Distributionsmittler im Einzelhandel oder als Distributionshelfer i.S. eines Agenten auftreten kann – vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Huber 2002; Kapitel 6.2.3.
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rein qualitative Selektion im Servicegeschäft hat dazu geführt, dass viele Autohäuser zudem Serviceverträge anderer Marken besitzen. 5.5.1.3 Geschäftsmodellvariante Autohaus (Markt) Die Geschäftsmodellvariante Autohaus (Markt) wird als spezielle Form des Geschäftsmodells Autohaus verstanden, welche keine dauerhaften vertraglichen oder hierarchischen Bindungen zu einem Automobilhersteller unterhält.698 Autohäuser dieser GMV werden – bezogen auf das Neuwagengeschäft – auch als Grauhändler, Wiederverkäufer699 oder, im Falle von Handel mit Fahrzeugen aus anderen EU-Ländern, als Re-Importeure, ParallelImporteure, EU-Importeure oder EU-Händler bezeichnet.700 Der Terminus Grauhändler hat seinen Ursprung in der Tatsache, dass fast alle Hersteller in den Handelsverträgen den Weiterverkauf an gewerbliche Wiederverkäufer außerhalb ihrer autorisierten Absatzorganisation ausschließen.701 In der Praxis findet dieser Handel dennoch statt. Freie Autohäuser bauen ihr Geschäftsmodell nicht immer auf den EU-Fahrzeug-Handel auf, nutzen jedoch diese Bezugsquelle häufig um Kostenvorteile gegenüber vertragsgebundenen Autohäusern erzielen zu können.702 Es existiert eine Reihe an Beispielen dieser GMV: Die Autohaus-Gruppe Cardoen in Belgien bietet bspw. Neuwagen im Autohaus nach dem Full-Multi-Franchising-Konzept an. Ähnlich arbeitet das Autohaus Juetten&Koolen in Heinsberg, welches Wettbewerbsvorteile sowohl in der Preisposition, als auch in der Dienstleistungsqualität sucht.703 Unter den befragten Experten besteht Uneinigkeit über das Entwicklungspotenzial dieser GMV. 30% prognostizieren niedrigere und 40% prognostizieren eine steigende Bedeutung der GMV – Abbildung 59 stellt die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zusammen. Das Marktpotenzial wird überwiegend für ganz Europa einheitlich gesehen.
698 699 700
701
702
703
Diese Geschäftsmodellvariante soll im Folgenden auch als freies oder unabhängiges Autohaus bezeichnet werden. Der Begriff Wiederverkäufer wird u.a. von der EU-Kommission genutzt. Vgl. z.B. Frage 29 im o.V. 2002a, S. 46. Gelegentlich beziehen sich die Ausdrücke Re-, Parallelimporteur oder EU-Händler auch auf andere GM, bspw. GMV E-Commerce (Aushandlung) oder GMV (EU-Vermittler). Das zeigt, welche terminologischen Unterschiede in der Diskussion um den europäischen Automobilvertrieb vorherrscht. Vgl. Kapitel 5.2.1. Vgl. Regelungen dazu in der GVO 1400/02 (o.V. 2002c) unter Artikel 4, Absatz 1, Buchstabe b sowie in Kapitel 5.2.2.2. Vgl. auch Antina/Bergen/Dutta 2004, S. 63; Fischer/Richter/Baumgartner 2004, S. 59; Kapitel 6.2.4. Laut Stellungnahme des Bundesverband freier Kfz.-Importeure e.V. (BfI) liegt bspw. der Anteil der 2004 in Deutschland, über ca. 15.000 freie Kfz-Handelsbetriebe zugelassenen Neuwagen, bei ca. 22% (€ 8,5 Mrd. Umsatz) des Gesamtmarktes. Unabhängige, europaweite Marktanteilsschätzungen sind nicht bekannt. Bzgl. des EU-Fahrzeughandels kann folgendes Beispiel angeführt werden: Ca. ein Drittel der von Herstellern nach Dänemark gelieferten Neufahrzeuge (insgesamt knapp 200.000) wird wieder exportiert. Ein Großteil wird davon indes über vertragsgebundene Absatzmittler abgesetzt, denn der Handel mit Neuwagen ist EU-weit innerhalb der autorisierten Absatzorganisation eines Herstellers erlaubt. Vgl. Dichert/Nikolic/Laing 2004; Widmann 2005, S. 12; Plate 2005f, S. 12; Breitgoff 2006. Vgl. Plate 2004d, S. 24; Tilp 2004, S. 46-47.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Geschäftskunden
Privat1,8 89% kunden
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
staatl./öffentl. Institutionen wie Privatkunden 22% ,920 (User-Chooser) Marken mit 82% ,741 geringem Wert
2%
0%
0%
0%
2
0%
0%
2%
0%
0%
3
0%
0%
11%
0%
0%
4
0%
0%
2%
61%
0%
Down- 5 Market
0%
0%
2%
9%
9%
1
2
3
4
Wertorientierung
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
ø
Fokus auf 2,8 50% Kundensegment
Kundenansprache
Privatkunden 1,9 78%
Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
C) Marktpotenzialprognose
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel; % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
5
1
2
3
4
23% ,943
Erweiterung Kundenportfolios
5% ,945 Geschäftskunden
Differenzierungsstrategie
1,7 87%
5% ,840
3,1 32%
34% 1,011 Erweiterung
4,4
0%
4,5
2%
ø
Nord-West-Europa 19% Nord-Ost-Europa 31%
S
5
Erweiterung (Multi Brand) Aufbau 93% ,747 Eigenmarke 84% ,758
1
2
3
4
40% ,925
Süd-West-Europa 8% Süd-Ost-Europa 14%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen Sog. Frequenzbringer (Reifen, Öl...) sind zur Erweiterung des Leistungsspektrums dieses Geschäftsmodells denkbar.
S
5
fallend Ô 3,1 30%
Absatzentwicklung
geographische Perspektive1)
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1)
postmodern
Kundenansprache
Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
Geschäftskunden
0% ,652
0%
traditionell
S
5
2% ,680
Premium-/ Up-Market 1
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
2
rational / stark 2,8 33% kostenorientiert Luxus- / Pre3,9 7% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
Strategien
1
Geschäftskunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Privatkunden
A) Kundenperspektive
Strategien
180
ø
k.Z. 1
3,6 23%
Ò steigend
Einheitlich in EU 61% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
64% 1,066
Abbildung 59: Delphi-Ergebnisse GMV Autohaus (Markt)
Leistungskonzept Aus Sicht von 89% der Experten besitzt die GMV einen deutlichen Fokus auf das Privatkundengeschäft, wobei tendenziell Marken mit geringerem Markenwert nachgefragt werden sowie geringe bis mittlere Preis-Premium-Bereitschaft und eine eher moderne Wertorientierung vorliegen.704 Geschäftskunden dieser GMV werden als Unternehmen mit eher
704
Die Mehrheit der Antworten zeigt eine geringe Überlappung mit den europäischen Kundenmilieus. Dies dürfte in Teilen an der nur eingeschränkten Integrierbarkeit der Werte liegen (vgl. Fußnote 511, S. 121). Zudem muss berücksichtigt werden, dass das Milieu-Modell auf Befragungsergebnissen basiert, die von Herstellern lediglich über die GMV Hierarchie und Vertrag erfasst sind.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
181
geringem Abnahmevolumen und stark rationaler Kaufentscheidung charakterisiert. Für die Zukunft halten 78% der Befragten eine Konzentration auf Privatkunden für zweckmäßig. Die USP entlang des Kaufprozesses wird durch das preiswerte, offensiv markenunabhängige Produkt-, Beratungs- und Dienstleistungsangebot bestimmt. Das Autohaus differenziert sich i.d.R. über den Preis. Beratung oder Produktausstellung findet in Vor- und Nachkaufphase ohne markenspezifische Inszenierung bzw. Ausgestaltung statt. Angebotsbreite und -tiefe des Produkt-, Beratungs- und Dienstleistungsangebots sind z.T. etwas niedriger, als bei den anderen Autohaus-GMV, um Kostenvorteile zu erhalten. Freie Autohäuser sind nicht an Sortimente einer Marke gebunden, sondern bieten im Showroom i.d.R. primär umsatzstarke Fahrzeugvarianten an. Nichtsdestotrotz können spezifische Kundenwünsche bspw. über Kooperationen mit anderen ungebundenen Autohäusern befriedigt werden. Das Neuwagensortiment wird häufig durch junge Gebrauchtwagen705 erweitert, weil diese für Privatkunden m.E. als Substitutionsprodukt für einen Neuwagen wahrgenommen werden. In der Praxis wird daher insb. bei Smart-Shoppern Channel Hopping-Verhalten beobachtet: Markenexklusive Beratung und Ausstellung wird vom Kunden in einer der beiden anderen GMV wahrgenommen, während der Kauf schließlich im preisgünstigeren Autohaus (Markt) stattfindet. Die GMV profitiert insofern von den diskutierten Trends T-2.2 (Preisorientierung), T-2.7 (Polarisierung), T-2.11 (Channel Hopping), T-2.12 (Smart Shopping). Die GMV ist per se nicht in der Lage Gewährleistungsansprüche über den Hersteller abzuwickeln. Der Kunde ist also darauf angewiesen eine autorisierte Werkstatt oder ein markengebundenes Autohaus aufzusuchen – somit wird die Kundenbindung in der Fahrzeugnutzungsphase erschwert. Im Rahmen der qualitativen Selektion im Service ist es jedoch möglich, dass ungebundene Autohäuser autorisierten Service in ihr Geschäftsmodell integrieren und somit Gewährleistungsansprüche abwickeln können. Mit dem gleichen Kalkül schlägt die Mehrheit der Experten die Erweiterung des Leistungsspektrums um sog. Frequenzbringer, wie bspw. Reifengeschäft oder Ölwechsel, vor. Kommunikationskonzept Die GMV verzichtet auf Markeninszenierung, indem das in Kapitel 5.5.1 vorgestellte FullMulti-Franchising-Konzept angewendet wird. Um die Differenzierung im Wettbewerb zu verbessern, halten 93% der Befragten den Aufbau einer Eigenmarke für zweckmäßig.706 Wachstumskonzept Infolgedessen gibt es Ansätze zur Standardisierung und Professionalisierung des Leistungskonzepts über Franchisesysteme ungebundener Autohäuser. Darüber sollen etwaige Nachteile 705
706
Dazu zählen Tageszulassungen – Fahrzeuge die im juristischen Sinne Gebrauchtwagen sind, jedoch nie in Nutzung waren sowie Rückläufer aus Dienstwagenbeständen der Hersteller und Vermiet- und Leasinggeschäften – Fahrzeuge, deren Alter z.T. deutlich unter zwei Jahren liegt und im neuwertigen Zustand sind. Vgl. T-1.4 (Gebrauchtwagen). Vgl. T-3.10 (Eigenmarken).
182
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
in der Dienstleistungsqualität ggü. den anderen beiden Autohaus GMV ausgeglichen werden.707 87% der Experten halten auch für die Zukunft die Preisführerschaftsstrategie für tragfähig. Uneinigkeit herrscht bei den Befragten, ob eine Nischenstrategie von Vorteil ist oder nicht. Ein Beispiel für eine Nischenstrategie ist die Konzentration auf das Kundensegment Familie, z.B. im Autohaus Family Cars bei Münster.708 Die Mehrheit der Experten schlägt eine Wachstumsstrategie über die Erweiterung des Leistungskonzepts vor. Die geographische Ausrichtung der Wettbewerbsstrategie ist durch den Unternehmer frei wählbar. So erweitern einige freie Autohäuser ihre geographische Abdeckung durch Multiplikation oder durch E-Commerce. Franchiselösungen sind Beispiele für überregionale Multiplikation.709 Kompetenzkonfiguration Als Kernkompetenz dieser GMV ist die dauerhafte Möglichkeit zur Beschaffung preiswerter Fahrzeuge zu nennen. In der Vergangenheit basierte die Beschaffung i.d.R. auf bilateralen, gewachsenen Ad-hoc-Geschäftsbeziehungen. Mit zunehmender Institutionalisierung dieses Fahrzeughandels, bspw. über das GM E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) oder die Etablierung des EU-Fahrzeughandels innerhalb der autorisierten Distributionssysteme einer Marke, ist die Verteidigung dieses Wettbewerbsvorteils schwieriger geworden: Die Preisführerschaft muss somit stärker über Skaleneffekte und den Verzicht auf Markenexklusivität sichergestellt werden – die GMV steht damit stärker im Wettbewerb mit der Variante Autohaus (Vertrag). Kooperations- und Koordinationskonzept Eine direkte Geschäftsbeziehung zwischen Hersteller und dem unabhängigen Autohaus ist offiziell nicht existent. Dessen ungeachtet nutzen Hersteller und ihre angeschlossene Absatzorganisation dessen freie Autohäuser, um ad hoc Überkapazitäten zu niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen.710
5.5.2 Geschäftsmodell Automall Das Geschäftsmodell Automall bietet mehreren Betreibern von Geschäftsmodellen der Automobilwirtschaft eine (teil-) standardisierte Infrastruktur.711 Diese ist für die Betreiber der 707 708 709 710 711
Vgl. GM Franchising im freien Autohandel in Kapitel 5.2.4. Vgl. Meunzel 2006b. Als Beispiel für die Geschäftserweiterung durch E-Commerce siehe o.V. 2004b. Zur Multiplikation siehe Tilp 2004, S. 47. Gegenstand dieser inoffiziellen Transaktionen sind oft Tageszulassungen. Vgl. Plate 2003a; Plate 2004d, S. 24; Jagels 2004, S. 6; Plate 2005f, S. 12. Vgl. Meinig 1995, S. 291; Hoffmeister 1998, S. 77-78; Hamprecht 2005; Abbildung 55. Die Bezeichnung des Geschäftsmodells leitet sich vom Betriebstyp Mall ab. PEPELS schreibt der Mall sehr breites und sehr tiefes Sortiment zu – vgl. Pepels 1998, S. 159. DILLER nutzt den Begriff Mall nur zur Bezeichnung der USamerikanischen Form von Einkaufszentren – vgl. Diller 1992, S. 637. Beispiele sind die Automeile Düsseldorf, geplante Projekte im Rhein-Ruhr-Gebiet und Hannover. Vgl. Finsterwaldner-Reinecke 2004; Bauer 2004; Finsterwaldner-Reinecke 2005. In der Literatur taucht auch der uneinheitlich verwendete Begriff Megadealer auf. U.E. entspricht er dem Geschäftsmodell Automall, sofern die darin zusammengefassten Geschäftsmodelle
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
183
Geschäftsmodelle attraktiv, weil sie Endkunden ein umfangreiches Angebot über den gesamten Automobil-Kaufprozess an einem Standort bietet. Das Angebot übertrifft in Tiefe und Breite das Angebot eines Geschäftsmodells Autohaus. Insofern ist das Geschäftsmodell sowohl von der sog. Autorow, als auch von der Cluster Site bzw. dem Mega Dealer – ein Unternehmer betreibt an einem Standort mehrere markenexklusive Autohäuser gleichzeitig – abzugrenzen. Abbildung 60 und Abbildung 61 stellen die geschäftsmodellspezifischen Ergebnisse der Delphi-Studie dar: 84% der befragten Experten erwarten eine steigende Absatzentwicklung für dieses GM.
Geschäftskunden
Privat1,9 82% kunden
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
Premium-/ Up-Market 1
traditionell
5
staatl./öffentl. 0% ,626 Institutionen wie Privatkunden 25% ,873 (User-Chooser) Marken mit 55% ,759 geringem Wert
rational / stark 2,9 23% kostenorientiert Luxus- / Pre3,6 7% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
Privatkunden
1
Geschäftskunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1) Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel; % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Privatkunden
A) Kundenperspektive
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
5
postmodern
Abbildung 60: Delphi-Ergebnisse zum GM Automall, Teil 1 von 2
in der Hand eines einzelnen Unternehmens sind. Vgl. Schögel/Sauer 2002, S. 94; John 2005a; Plate 2005f, S. 12.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung Kundenansprache
Strategien
Kundenansprache Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
1
2
3
4
Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
91% ,795
3,2 25%
Differenzierungs43% 1,097 strategie
4,1
7%
77% ,969 Erweiterung
4,5
3%
Erweiterung (Multi Brand) Aufbau 59% 1,043 Eigenmarke 84% ,910
3,6 18%
ø
Nord-West-Europa 42% Nord-Ost-Europa 22%
Erweiterung Kundenportfolios
5% ,734 Geschäftskunden
1
2
3
4
40% ,925
Süd-West-Europa 6% Süd-Ost-Europa 3%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen „Discounter-Automalls“ mit nicht-markenexklusivem Angebot zahlreicher Einheiten/ Modelle im unteren Preissegment auf der "grünen" Wiese (etwa wie heute sog. "Trader" in China) werden an Bedeutung gewinnen.
S
5
fallend Ô 3,1 30%
Absatzentwicklung
S
5
7%
Privatkunden 2,1 75%
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
ø
Fokus auf 4,2 Kundensegment
Strategien
184
ø
k.Z. 1
3,1 32%
Ò steigend
Einheitlich in EU 47% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
48% 1,104
Abbildung 61: Delphi-Ergebnisse zum GM Automall, Teil 2 von 2
Leistungskonzept Das Geschäftsmodell Automall ist hinsichtlich seiner Konzeption primär auf Privatkunden ausgerichtet. Als etwaige Geschäftskunden dieses Geschäftsmodells kommen lediglich Unternehmer mit geringem Einkaufsvolumen in Frage, bei denen private und berufliche Bedürfnisse ineinander fließen – z.B. Freiberufler. Neben der starken Fokussierung auf Privatkunden deuten die Untersuchungsergebnisse eine Tendenz hin Volumenmarken, mittlerer bis geringer Preis-Premiumbereitschaft und eher moderner Wertorientierung der Kunden an. Dazu passt das prominenteste deutsche Beispiel des GM Automall – die Düsseldorfer „Automeile Höherweg“. Sie bietet bisher primär Volumenmarken wie z.B. VW, Toyota, Ford und Opel an, Premiummarken wie BMW, Mercedes und Audi sind dagegen (noch) nicht vertreten.712 Das Geschäftsmodell Automall bietet Kunden unterschiedlicher Marken ein sehr tiefes und breites Angebotssortiment über den gesamten Kaufprozess. Insbesondere durch die Markenvielfalt können Kunden leichter die markenspezifischen Angebote vergleichen.713 Zugleich wird das Erlebnis der jeweiligen Markenwelt ermöglicht, denn in der Praxis sind primär die GMV Autohaus (Hierarchie) und Autohaus (Vertrag) in das GM Automall integriert. Das GM nimmt dadurch Kundentrends wie Individualisierung von Bedürfniskonstellationen (T-2.5), Suche nach Markeninszenierung (T-2.9) und Variety Seeking (T-2.13) auf. Neben der Markenvielfalt bietet das GM Endkunden eine standortbezogene Agglomeration zusätzlicher Dienstleistungen rund um das Thema Automobil als USP, wie bspw. einen 712 713
Insgesamt werden an der Automeile 22 Marken angeboten – die Luxusmarke Bentley ist dagegen Exot auf der Automeile. Vgl. Bauer 2004.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
185
Automobilclub, Fast-Fit-Service, eine Zulassungsstelle, Fahrsicherheitstraining oder Angebote aus dem Freizeit- und Entertainment-Bereich.714 Insofern ist das GM den Trends Emotionalisierung, Erlebnis- und Convenience-Orientierung (T-2.14) angepasst. Damit verfolgt das GM Automall einen ähnlichen Ansatz, wie Regionale Shopping-Center. OTTO schreibt dieser Erscheinungsform fast paradiesische Attribute wie hell, freundlich, sauber, sicher, modern, entspannend, natürlich und elegant durch „Tageslicht durchflutete Innenhöfe und Rotunden […], attraktive Illuminierung […] Ruhezonen und Springbrunnen mit Wasserspielen“715 sowie umfassendes kulinarisches Angebot zu. Inwieweit im Automobilvertrieb derartig aufwendige „Vertriebspaläste“ entstehen werden, bleibt abzuwarten, die Regionalen Shopping-Center modellieren jedoch die konzeptionelle Zielrichtung des Geschäftsmodells Automall.
7. Phase
2. Phase Strukturierte, gezielte Informationssuche, Konkretisierung der Kaufabsicht Aktive Informationsbeschaffung, Phase der Angebotsdifferenzierung, erste Kontakte mit Absatzorganisation: - Agglomeration eines sehr breiten Markenangebots - Unabhängige Experten: z.B. Automobilclub TÜV
3. Phase Entscheidungsfindung, Alternativenbewertung Informationsverdichtung, Preisverhandlungen, Finanzierung, Gespräche mit Fachleuten, Probefahrt: - Markenangebot ermöglicht Vergleichbarkeit - Hohe Beratungsqualität - Unabhängige Experten: z.B. Automobilclub, TÜV
6. Phase
4.Phase: Kaufabschluss bzw. Transaktion
1. Phase Unstrukturierte passive Informationsaufnahme Kaufanregung, Bedürfnisweckung: - Angebot markenübergreifender Veranstaltungen - Zusätzliche Dienstleistungs- und Freizeitangebote
5. Phase
Kaufvollzug, Übergabe, erste Warten auf Auslieferung Nutzungsphase im Alltag Produkterfahrung Suche der Kaufbestätigung: Serviceerfahrungen, Übergabe, Fahrerlebnis, Kundenbindung: - Unabhängige Experten: Produkterlebnis, Suche nach z.B. Automobilclub, - Anlaufpunkt im Alltag: Kaufbestätigung, Reaktionen TÜV Automobilnahe auf das Produkt: Dienstleistungen inkl. Service, Zubehör, Automobilclub, - Forum für die Zulassung, TÜV etc. Inszenierung der Fahrzeugübergabe - Event- und Freizeitangebote stützen Kundenbindung
Abbildung 62: Zusätzliches Angebot des GM Automall ggü. GM Autohaus
Abbildung 62 stellt in der Übersicht dar, welche Angebote der Kunde entlang des Kaufprozesses716 durch das Geschäftsmodell Automall erhält, soweit sie über das klassische Angebot des Geschäftsmodells Autohaus hinausgehen.
714 715 716
Vgl. Zöller 2006. Otto 2006, S. 490. Vgl. Kapitel 3.4.1.2.
186
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Der Vorteil für Mieter bzw. Betreiber der Geschäftsmodelle in der Automall ist insb. die Bereitstellung einer hochwertigen Infrastruktur mit hoher Kundenfrequenz für das jeweils eigene Geschäftsmodell. Das GM Automall kann Elemente wie Eventmanagement, Werbung, Center und Facility Management vorsehen, die den Mietern angeboten werden. Selbst die Bereitstellung von Standardprozessen eines Autohauses könnte das GM Automall zentral und kostenoptimiert anbieten – ein Beispiel gibt es dafür im Markt bisher jedoch nicht. Daneben ist die sog. Frequenzbringer-Funktion717 Hauptvorteil für Mieter in der Automall, nicht nur aus Sicht der Neukunden-Akquise, sondern auch aus Sicht der kontinuierlichen Kundenbindung. Weitere Vorteile können aus etwaiger Zusammenarbeit der Mieter beim Gebrauchtwagen- oder Ersatzteilmanagement entstehen. Kommunikationskonzept Das für den Automobilvertrieb relevante Kommunikationskonzept entspricht weitestgehend dem des Geschäftsmodells Autohaus (Hierarchie bzw. Vertrag). I.d.R. wird der AutomallBetreiber selbst nur im markenübergreifenden Kontext Kommunikationsinstrumente nutzen, wobei Mediawerbung, Public Relations, Messen und Events von herausragender Bedeutung sind.718 59% der Experten halten es für sinnvoll, zu diesem Zweck mit einer fahrzeugmarkenneutralen Eigenmarke zu werben.719 Das Markenportfolio des Geschäftsmodells Automall determiniert auch die Kundenstruktur. Deshalb ist neben einem Markenportfolio mit Qualitäts- bis Randmarken ebenso eine Konzentration auf Premium- bis Luxusmarken denkbar. In beiden Fällen steht das Erlebnis der Markenexklusivität im Vordergrund. Eine einheitliche Baugestaltung ist so gewählt, dass sie nicht mit den Anforderungen der Markeninszenierung unterschiedlicher Hersteller kollidiert und soll für einen harmonischen Auftritt der Automall sorgen. Ob sich im Markt eine Geschäftsmodellvariante Automall unter Fokussierung auf Discount-orientierte Kunden durch Konzentration auf günstige Fahrzeuge, Aufgabe der Markenexklusivität und Reduktion der Dienstleistungen durchsetzen kann, ist unter den Experten umstritten. Ertragskonzept Die Erlösmechanik der Automall ist i.d.R. direkt sowie transaktions- und nutzungsunabhängig, indem die Betreiber der unterschiedlichen GM Miete zahlen und ggf. darüber hinaus gemeinsam bestimmte Kosten des Betriebs übernehmen. Wachstumskonzept Generell folgt das Geschäftsmodell Automall einer Differenzierungsstrategie, indem den Kunden gezielt ein Mehrwert i.S.v. Sortimentsbreite und zusätzlichen Dienstleistungen geboten wird. Aufgrund des festen Standortes kann das GM nur über eine Verbesserung des 717 718 719
Vgl. Pepels 1998, S. 159. Vgl. Plate 2005g, S. 48-49. Die relativ hohe Streuung von über 1 deutet jedoch auf eine gewisse Uneinigkeit zwischen Experten hin, inwieweit eine Eigenmarke Sinn macht.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
187
Leistungskonzeptes oder über Multiplikation in andere Marktgebiete wachsen.720 77% der Befragten halten eine Ausdehnung des Leistungsspektrums zukünftig für tragfähig. 84% sehen die Erweiterung des Markenspektrums als zukünftig sinnvolle Strategie an. Die Experten erachten zudem eine weiterhin klare Fokussierung auf Privatkunden sowie gleichzeitig eine Erweiterung der Privat-Kundengruppen als sinnvolle Strategie. Kompetenzkonfiguration Ressourcen des Geschäftsmodells sind die Immobilie bzw. der Standort und das Markenportfolio. Der erhebliche Kapitalaufwand zur Umsetzung des GM macht es potenziellen Wettbewerbern schwer das GM in direkter Nachbarschaft profitabel zu kopieren. Facility und Event Management gehören zu den Kernkompetenzen des Geschäftsmodells. Im Zeitablauf ist es von hoher Bedeutung, die Quelle des USP – Immobilie, Marken- und Dienstleistungsportfolio, Exklusivität und Events – zu erhalten respektive anzupassen. Die Knappheit von Kapital und geeigneten Immobilien sowie deren Spezifität und schwierige Immitierbarkeit werden dem GM allein keine nachhaltigen Wettbewerbsvorteile bringen. Insofern kann erneut die Parallele zu Regionalen Shopping-Centern gezogen werden, welche spätestens alle zehn Jahre durch Revitalisierungsmaßnahmen aktuelle Trends erfassen und moderne Vertriebsund Unterhaltungskonzepte aufgreifen müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.721 Organisationsform Das GM Automall ist ein klassischer Intermediator, welcher über die Bereitstellung von Immobilien hinaus Teile der Wertschöpfung seiner Mieter übernehmen kann. Das GM kann der Organisationsform Orchestrator/Koordinator zugeordnet werden, weil es diverse GM aus unterschiedlichen Stufen der Distributionskette bzw. des Kaufprozesses physisch zusammenbringt, ihre Beziehungen managet oder katalysiert sowie überdies Agglomerationsvorteile erzeugt. Kooperations- und Koordinationskonzept In seiner Funktion als Orchestrator baut das GM Automall eine typische Critical-MassAllianz zwischen den einzelnen Mietern auf. Nur durch die physische Konzentration und Pluralität des Angebots ist das GM Automall für Kunden besonders attraktiv, so dass Events, Freizeitangebote u.ä. kostendeckend angeboten werden können. Das GM managet dabei ein komplexes Netzwerk zwischen allen Mietern des GM. Die Netzwerkteilnehmer kommen dabei von verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette, so dass diese multilateralen Kooperationsbeziehungen aus Sicht der Mieter als Closing-Gap-Allianz fungieren, weil dadurch dem Kunden theoretisch alle denkbaren Angebote entlang des Kaufprozesses bzw. der Wertkette gemacht werden können – es handelt sich demzufolge um ein langfristiges Unternehmensnetzwerk. Das dominierende Koordinationskonzept zwischen den Mietern und 720 721
42% der Experten sieht das Marktpotenzial des GM eher in Westeuropa, während 47% – also fast die Hälfte – ganz Europa als potenziellen Markt sehen. Vgl. Otto 2006, S. 491-492.
188
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
ggü. dem Betreiber sind langfristige Verträge, während einzelne Dienstleistungen gegenseitig marktlich angeboten werden können. Eine direkte Kooperationsbeziehung zwischen dem GM Automall und Herstellern liegt lediglich dann vor, wenn der Hersteller selbst als Mieter ein eigenes GM in der Automall betreibt oder das GM Automall in Eigenregie unterhält. Im ersten Fall liegt zwischen GMBetreiber und Hersteller die gleiche vertragliche Koordinationsform wie zu anderen Mietern vor. Konzernmarkenexklusive Automalls sind denkbar, aber in Bezug auf die erzielbaren Skalen- und Agglomerationseffekte von begrenzter Attraktivität für Hersteller und Kunden. Demzufolge ist dieses GM im Rahmen der Distributionssystemplanung des Herstellers schon allein wegen der prognostizierten Absatzsteigerung zu berücksichtigen, jedoch nur mittelbar beeinflussbar.
5.5.3 Geschäftsmodell Downtownshop Das Geschäftsmodell Downtownshop ist durch Konzentration auf die Bedürfnisse von Privatkunden, eine vergleichsweise kleine Ausstellungsfläche in hoch frequentierter Lage sowie exklusive Shopping-Atmosphäre charakterisiert. Beispiele für diese Art des Automobilverkaufs finden sich primär in Großstädten, wie z.B. das Automobilforum unter den Linden in Berlin oder der Mercedes Benz Vertrieb in der Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Dabei handelt es sich um Ausprägungen der von THIEMER untersuchten „Erlebnisbetonten automobilen Kommunikationsplattformen“, die primär zur Markeninszenierung genutzt werden.722
722
Weitere Beispiele sind das Maybach Atelier in Sindelfingen oder die Gläserne Manufaktur in Dresden. Vgl. Thiemer 2004, S. 105-142.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
3
4
11%
7%
0%
2
0%
14%
5%
2%
0%
3
0%
0%
7%
0%
0%
4
0%
0%
0%
0%
0%
Down- 5 Market
0%
0%
0%
0%
0%
1
2
3
4
Wertorientierung
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung Kundenansprache Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
Fokus auf Kundensegment Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel; % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
5 postmodern
ø
1
2
3
4
5
5%
2,3 66%
Erweiterung (Multi Brand) Aufbau 7% ,955 Eigenmarke 7% ,829
1,9 75%
ø
Nord-West-Europa 67% Nord-Ost-Europa 17%
S Erweiterung 5% ,872 Kundenportfolios Differenzierungs92% ,765 strategie 11% ,991 Erweiterung
1,9 91%
1
2
3
4
45% ,734
Süd-West-Europa 6% Süd-Ost-Europa 6%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen Es ist zukünftig sowohl eine markenexklusive, als auch eine markenübergreifende, segmentspezifische Variante dieses Geschäftsmodells denkbar. Dieses Geschäftsmodell wird eher von Herstellern zur Markenpositionierung initiiert und finanziell getragen.
S
5
fallend Ô 3,3 16%
Absatzentwicklung
Marken mit geringem Wert
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1)
1,5 90% 3,4
S
5
0% ,698
41%
traditionell
Strategien
2
14%
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
Premium-/ Up-Market 1
1
Privatkunden
ø
Luxus- / Pre1,4 89% miummarken
Kunden kaufen eher
ø
k.Z. 1
Ò steigend
Einheitlich in EU 22% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
2,8 47%
36% 1,224
4,0
78% ,917
7%
Strategien
A) Kundenperspektive
189
Abbildung 63: Delphi-Ergebnisse zum GM Downtownshop
„Eine Verkaufsstelle umfasst einen Ausstellungsraum und die erforderliche Infrastruktur für den Verkauf neuer Kraftfahrzeuge. Dazu gehören zum Beispiel ein Raum zur Präsentation der neuen Kraftfahrzeuge, die nötigen Büros, Verkaufspersonal und Vorführwagen.“723 Mit dieser Definition ist in der GVO 1400/2002 ein Geschäftsmodell umrissen, welches sich auf den Verkauf von Neuwagen konzentriert. Dennoch, die Verkaufsstelle i.S.d. GVO hat nicht zur umfassenden Etablierung des Geschäftsmodells Downtownshop geführt.724 Die in Abbildung
723 724
Frage 53 in o.V. 2002a, S. 59. Die Vertriebsstandards der Automobilhandelsverträge sind aus juristischer Sicht die obere Grenze der Standards für Verkaufsstellen, lediglich die Marke Kia hat niedrigere Standards für Verkaufsstellen definiert. Vgl. Brossette 2004, S. 16; Meunzel/Stadler 2005, S. 27; Woltermann/Breyer/Weller 2005.
190
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
63 dargestellten Ergebnisse zeigen indes, dass 45% der Experten für das Geschäftsmodell eine steigende Bedeutung im Markt prognostizieren.725 Leistungskonzept Das Geschäftsmodell Downtownshop richtet sich definitionsgemäß an Privatkunden. Das Delphi sieht vor allem Kunden mit hoher Preis-Premium-Bereitschaft und eher traditionellen Werten im Fokus dieses Geschäftsmodells. Für kein anderes der untersuchten GM erwarten die Experten eine so klare Fokussierung auf hochwertige Fahrzeugmarken. 90% der Experten empfehlen auch zukünftig die Beschränkung auf dieses Kundensegment. Der USP ergibt sich für den Kunden primär aus der (marken-)exklusiven und qualifizierten Beratung, u.a. bzgl. Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen, Tuning und Zubehör. Die Ausstellung eines breiten Sortiments an neuen und gebrauchten Ausstellungsfahrzeugen wird durch dieses GM nicht verfolgt, stattdessen spielen individuelle Beratung und der Einsatz virtueller Präsentationstechniken, wie Computer-Animationen, Prospekte und Materialproben, eine besondere Rolle. Das physische Erlebnis des Fahrzeugs kann in der Vorkaufphase über Kooperationspartner sichergestellt werden, die individuell für Probefahrten oder zur Ansicht bereitgestellt werden. Das Geschäftsmodell bietet in der Nachkaufphase selbst keine Reparaturdienstleistungen an, entsprechend kann auch diese Dienstleistung über Dritte abgewickelt werden. Inwieweit die Ladenfläche zukünftig für flankierende Angebote wie bspw. Bankgeschäfte, Reisen, Kommunikationsdienste u.ä. genutzt werden könnte, bleibt offen.726 Das Geschäftsmodell baut insofern auf der seit langem prognostizierten Entbündelung von Autohaus-Basisfunktionen auf und ist daher auf Kooperationen angewiesen.727 Kommunikationskonzept Persönliche Kommunikation im Rahmen individueller und ggf. exklusiver Beratung stellen das Zentrum der Kommunikationsstrategie dieses GM dar. Das GM setzt dabei per definitionem auf ein Höchstmaß an erlebter Fahrzeugmarkenexklusivität. Der Aufbau einer Eigenmarke wird dementsprechend von 75% der Experten abgelehnt. Zudem empfehlen 91% der Befragten die Einschränkung des Markenspektrums auf eine oder wenige Marken. Ob sich zu diesem GM auch eine Variante entwickeln wird, welche sich anstatt auf eine Marke auf ein Fahrzeugsegment spezialisiert, geht aus den Befragungsergebnissen nicht eindeutig hervor.728
725
726 727 728
In 1998 sahen 65% der Hersteller bzw. 73% der Händler NW-Center in der Innenstadt als realistisches Konzept für die Zukunft. Vgl. Dudenhöffer 1999, S. 101. Die Euphorie für dieses Geschäftsmodell hat insofern nachgelassen. Vgl. John 2005b, S. 27. Vgl. Dudenhöffer 1999, S. 100-102. Der Mittelwert von 2,8 bzgl. dieser These deutet zwar auf eine Ablehnung hin, zugleich ist jedoch die hohe Streuung Indiz für eine stark uneinheitliche Meinung.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
191
Ertragskonzept Als direkte Folge starker Fokussierung auf Markenexklusivität und -inszenierung halten 78% der Experten dieses GM nur dann für wettbewerbsfähig, wenn es finanziell von Herstellern über transaktionsunabhängige Transferzahlungen unterstützt wird. Das Erlöskonzept des GM baut ansonsten auf einem transaktionsabhängigen Modell auf, indem Fahrzeuge und Mobilitätsdienstleistungen verkauft oder vermittelt werden. Inwieweit dieses GM also auf eine direkte oder indirekte Erlösgenerierung aufbaut, hängt vom unterliegenden Kooperationskonzept ab. Es sind sowohl die Vermittlung von Fahrzeugen aus einem anderen GM oder der direkte Verkauf von Fahrzeugen denkbar. Wachstumskonzept 92% der Befragten halten eine Differenzierungsstrategie unter Konzentration auf ein spezifisches Leistungsspektrum (66%) für Erfolg versprechend. Daher kommt für dieses GM als Wachstumsstrategie lediglich die Multiplikation in neue Marktgebiete in Frage. Dennoch sehen 67% der Befragten lediglich in Nord-West-Europa Marktpotenzial. Kompetenzkonfiguration Zu den Ressourcen des GM zählen ein frequentierter Standort, der Kundenstamm und die (marken-) exklusive Gestaltung des Ladenlokals. Prinzipiell ist dabei auch eine Shop-inShop-Lösung – z.B. in einem Warenhaus – denkbar. Als Kernkompetenzen sind die Beratungsleistung sowie die effiziente Einbindung in das Distributionsnetzwerk zu nennen. Letzteres ist von hoher Bedeutung, um einerseits notwendige Distributionsfunktionen, wie bspw. Fahrzeugaufbereitung vor der Auslieferung, und andererseits die über Kooperationspartner erbrachten Dienstleistungen sicherzustellen. Organisationsform, Kooperations- und Koordinationskonzept Das GM kann als Spezialist bezeichnet werden, indem es nur einen Ausschnitt der Distributionsleistungen selbst ausführt und andere ggf. über Kooperationen dem Kunden anbietet. Es bedient sich primär horizontaler Closing-Gap-Allianzen zur Ergänzung des Angebots. Dementsprechend muss das GM ein komplexes Beziehungsgeflecht auf Basis unterschiedlicher Koordinationskonzepte steuern.
5.5.4 Geschäftsmodell Factory Outlet Factory Outlets sind i.d.R. durch folgende Attribute charakterisiert: niedrige Preisstellung, das Sortiment wird durch Zweite-Wahl-Artikel, Auslaufmodelle, Restposten und Retouren bestimmt; teilweise werden auch Testkollektionen vermarktet. Factory Outlets sind dem Direktvertrieb zuzuordnen. Dessen ungeachtet existieren verschiedene Ausprägungen: Das Spektrum reicht vom Fabrikladen, welcher überschüssige oder defekte Produktionsware vermarktet, bis zu Factory Outlet Centern, welche bestimmte Käufergruppen gezielt ansprechen:
192
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Fabrikladen/klassisches Factory Outlet: Fabrikläden existieren seit der industriellen Revolution: An Produktionsstandorten wird überschüssige, veraltete oder leicht defekte Ware zu niedrigen Preisen verkauft, um einen Teil der Produktionskosten zu decken. Im Katalog E wird die Betriebsform Fabrikladen bzw. Factory Outlet als „Einzelhandelsbetrieb mit einfacher Ausstattung [beschrieben], über den ein Hersteller im Direktvertrieb insb. Waren zweiter Wahl, Überbestände und Retouren der Waren seines Produktprogramms […] meist in Selbstbedienung an fabriknahen oder verkehrsorientierten Standorten absetzt“729. Der klassische Fabrikverkauf hat sich z.T. zu professionelleren Fabrikläden entwickelt, welche auch handelsübliche Waren vermarkten. Preisvorteile als Resultat eingesparter Logistikkosten und Handelsmargen bilden dabei den USP. Z.T. sind derartige Läden exklusiv für Mitarbeiter des Unternehmens zugänglich bzw. diesen werden spezielle Rabatte gewährt. • Factory Outlet Center (FOC): Das FOC bietet Markenartikelherstellern die Möglichkeit des Fabrikverkaufs in standardisierten Ladeneinheiten als Teil einer Mall ohne geographische Nähe zur Produktion. Das Konzept wurde in den USA etabliert und gehörte dort bis in die 1990er Jahre zu einem der am schnellsten wachsenden Betriebsformen, besonders für Kleidung und Accessoires. Während in den USA heute schon erste Anzeichen der Marktsättigung zu beobachten sind, breitet sich das Konzept in Europa – vor allem in UK – nach wie vor aus. Die in Europa etablierten FOC haben bisher nur z.T. die qualitative Aufwertung erfahren, die in den USA zu beobachten ist, vielmehr wurde zunächst vornehmlich das Discount-Geschäft bedient. Das Wachstum der FOC hat einige Hersteller veranlasst gezielt für diesen Markt zu produzieren, Smart-Shopper und Schnäppchenjäger anzusprechen.730 PABST/BRAMBACH sehen die Vorteile des Factory Outlet in der Bedienung preissensibler Kunden und in der Möglichkeit Überhänge und Restanten zu geringen Kosten im Markt abzusetzen, insb. wenn der Markt durch nachlassenden Konsum, gepaart mit steigender Preissensibilität sowie durch Überkapazitäten in der Produktion, gekennzeichnet ist. Sie konstatieren ein Wachstum dieses GM in der Mode- und Accessoires-Branche aufgrund der immer stärkeren Bedeutung von Smartshoppern und der Notwendigkeit das Dispositionsrisiko zu senken.731 Anwendung im Automobilvertrieb Das Geschäftsmodell Factory Outlet ist im europäischen Automobilvertrieb bis heute nicht etabliert732, dennoch wird in diversen Beiträgen zur Zukunft des Automobilvertriebs auf dessen mögliche Errichtung hingewiesen.733 Die genannten Marktcharakteristika anderer
729 730 731
732
733
Jaspert/Klein-Blenkers/Müller-Hagedorn 1995, S. 45. Vgl. Pepels 1998, S. 87. Vgl. Fernie/Fernie 1997, S. 342ff.; Fernie 1996; Maier 2001, S. 21-32; Otto 2006, S. 493-494. Vgl. Pabst/Brambach 1999, S. 164-165. In der Modebranche liegt der über Factory Outlets abgewickelte Umsatzanteil z.T. über 50%. Vgl. auch Zentes/Swoboda 1999b, S. 42; Meffert/Giloth 2002, S. 113-114; Otto 2006, S. 494. Einziges dem Autor bekanntes Factory Outlet im Automobilvertrieb wird durch die Marke Volkswagen in Shanghai, China betrieben. Mit dem Ziel der Vermarktung von veralteten Modellen und Lagerwagen werden in einer ehemaligen Fabrikhalle und in Kooperation mit lokalen Handelspartnern Fahrzeuge an Privatkunden der Region Shanghai zu Fixpreisen verkauft. Dabei wird auf intensive Beratung, Probefahrten, Finanzdienstleistungen und Markeninszenierung vollständig verzichtet.Teilweise werden bestimmte Fahrzeuge Werksangehörigen zu besonderen Konditionen direkt ab Werk angeboten, dabei handelt es sich aber i.d.R. um temporär begrenzte Verkaufsaktionen. Vgl. u.a. Diez 2002b, S. 21; Göttgens/Smend 2004, S. 17.
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Branchen treffen u.E. auch auf den Automobilvertrieb zu, vgl. T-2.2 (Preisorientierung), T2.4 (Loyalität), T-2.7 (Polarisierung), T-3-2 (Machtgleichgewicht), T-3.4 (Preis- und Rabattdruck). Die Anwendung dieses Konzepts in einem Geschäftsmodell für den Vertrieb von Neuwagen erscheint daher prinzipiell möglich. Dennoch gelten folgende Einschränkungen: • Sortiment: Neuwagen müssten bei der Auslieferung/Zulassung in einem sicherheitstechnisch einwandfreien Zustand sein, daher kann es nur bedingt ein „Zweite-Wahl-Fahrzeug-Angebot“ geben. Sofern es der Vertriebsstrategie des Herstellers entspricht, eigneten sich jedoch Auslaufmodelle und Produktionsüberhänge prinzipiell für den Vertrieb im Factory Outlet – heute werden diese Fahrzeuge teilweise mit hohen Rabatten über traditionelle Absatzkanäle vertrieben.734 Aufgrund der umfangreichen Sortimentstruktur735 der Automobilindustrie müsste das Geschäftsmodell Factory Outlet dem Kunden einen einfachen Überblick über die jeweils verfügbare Sortimentsbreite und -tiefe geben. Darüberhinaus würde die Konzentration auf Auslaufmodelle in einer stark wechselnden Sortimentsstruktur resultieren. • Logistik und Standort: Automobile werden global gefertigt, insofern ist der Stammsitz eines Herstellers oder einer Marke selten auch der Produktionsort aller angebotenen Fahrzeugmodelle. Zwangsläufig würden für den Hersteller Transportkosten anfallen, um die Fahrzeuge am/an den Factory Outlet(s) zusammenzubringen. Dieses Problem träte umso deutlicher hervor, wenn Fahrzeuge bereits im Rahmen der üblichen Disposition in Lager transportiert worden wären und erst später für den Verkauf in einem Factory Outlet bestimmt würden. Das Geschäftsmodell Factory Outlet wäre demzufolge auf eine enge Integration in die Dispositionsprozesse des Herstellers angewiesen. In anderen Branchen ist zu beobachten, dass Factory Outlets z.T. nur temporär und an wechselnden Orten betrieben werden, um eine höhere Effizienz der eingesetzten Mittel zu erreichen.736 Für das Geschäftsmodell Factory Outlet im Automobilvertrieb wäre eine derartige Lösung ebenfalls denkbar. • Preis und Dienstleistungsangebot: Neuwagen werden zu einem hohen Anteil über unterschiedliche und z.T. beratungsintensive Finanzierungsmodelle gekauft. Um ein kostengünstiges Geschäftsmodell etablieren zu können, müsste entweder auf das Angebot von Finanzdienstleistungen verzichtet oder in standardisierter Form angeboten werden.737 • Rechtssituation: Die GVO1400/02 fördert die Liberalisierung des Automobilvertriebs. Dennoch haben nicht alle Automobilhersteller in der einhergehenden Neugestaltung der Handelsverträge die Etablierung eines Direktvertriebskanals vorgesehen. Ein Factory Outlet würde deshalb die vertraglichen Beziehungen im jeweiligen Vertriebssystem berücksichtigen müssen. Das Geschäftsmodell Factory Outlet soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit als der Verkauf von Überkapazitäten, Lagerfahrzeugen und Auslaufmodellen an wenigen logistisch optimalen Standorten (unter Integration in die Logistik- und Fahrzeugbestellprozesse) unter Verzicht auf
734
735 736 737
LADEMANN/GUTKNECHT weisen darauf hin, dass einige Absatzmittler sich auf diese Fahrzeuge spezialisiert haben und bspw. die Cardoen-Gruppe in Belgien ein Quasi-FOC betreibt. Vgl. Lademann/Gutknecht 2004, S. 58. In den letzen zwei Dekaden betreiben fast alle Automobilhersteller eine intensive Ausweitung ihrer Produktund Modellportfolios. Vgl. Diez 2001a, S. 159. Vgl. Pabst/Brambach 1999, S. 165. Als Vorbild können an dieser Stelle internetbasierte Geschäftsmodelle der Finanzdienstleistungsbranche dienen, z.B. Online-Banken.
194
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spezielle Dienstleistungsangebote, wie z.B. Beratung, Probefahrt oder GW-Inzahlungnahme, oder Markeninszenierung und intensive Werbung charakterisiert werden. Abbildung 64 stellt die geschäftsmodellspezifischen Ergebnisse der Delphi-Studie dar. Nur 43% der befragten Experten erwartet eine steigende Absatzentwicklung für dieses GM.
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
0%
traditionell
S
5
0% ,651
Premium-/ Up-Market 1 Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
2
rational / stark kostenorientiert 1,8 82% Luxus- / Pre3,9 11% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
Strategien
1
Geschäftskunden
Geschäftskunden
Privat1,8 89% kunden
Privatkunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Süd-West-Europa 11% Süd-Ost-Europa 6%
Differenzierungsstrategie Erweiterung
Strategien
A) Kundenperspektive
Erweiterung (Multi Brand) Aufbau Eigenmarke
S 43% ,727
Ò steigend
Einheitlich in EU 28% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 64: Delphi-Ergebnisse zum GM Factory Outlet
Leistungskonzept Das Geschäftsmodell Factory Outlet schließt zwar konzeptionell den Vertrieb an Geschäftskunden nicht aus, dennoch benennen die Experten hauptsächlich Privatkunden als relevante Zielgruppe. Ausnahmen bilden kleine Unternehmen, die sehr preisorientiert Fahrzeuge einkaufen. Zugleich erwarten 75% der Studienteilnehmer eine Affinität der Privatkunden zu geringer wertigen Marken. Das steht z.T. im Gegensatz zu den zitierten FOC-Studien, welche
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195
besonders Smartshopper und somit markenbewusste und zugleich preissensible Kunden als primäre Kundengruppe von FOC ausmachen.738 Das Geschäft mit günstigen NW oder Tageszulassungen von Qualitätsmarken deutet zudem darauf hin, dass nicht nur Kunden von Randund Volumenmarken potenziell Affinität zu diesem GM haben würden. Dem ist indes entgegenzuhalten, dass Hersteller höherwertiger Marken kein Interesse am systematischen Vertrieb zu niedrigen Preisen haben. Schließlich erfüllt dieses GM aus Herstellersicht nicht das Ziel der Markenpositionierung am PoS – vgl. T-3.9.739 Das GM bedient primär die Phasen 4 und 6 des Kaufprozesses: Kaufabschluss und Auslieferung. Der Kundennutzen ist somit durch die Einschränkung des Dienstleistungsangebots und die geringe Flächenpräsenz, bspw. gegenüber dem GM Autohaus, erheblich eingeschränkt. Die konsequente Preisorientierung ist daher zugleich Kompensation und primärer Kundennutzen des Geschäftsmodells.740 Ein Value Add in der Wertkette ergibt sich ausschließlich für den Hersteller – für andere Akteure des Distributionssystems entsteht durch das GM Factory Outlet ein Wettbewerbsnachteil. Der Hersteller profitiert in erster Linie aus der Reduktion von Prozesskosten sowie Einsparung eines Teils der Preisnachlässe, die bei traditioneller Vermarktung des Sortiments über selbständige Absatzmittler anfielen. Abbildung 65 gibt einen Überblick, welches schmale Distributionsprozess-Portfolio durch das Geschäftsmodell erbracht wird. In Teilen müssen daher fehlende Aktivitäten – wie bspw. Beratung – durch andere Marktteilnehmer übernommen werden: Das GM impliziert Channel Hopping. Es steht zugleich in direkter Konkurrenz zu anderen preisorientierten GM, wie z.B. dem GM Autohaus (Markt). Daraus leitet sich für Hersteller der Vorteil kontrollierter Konkurrenz zu unauthorisiertem Vertrieb und gleichzeitig der Nachteil einer Schwächung des traditionellen GM Autohaus (Vertrag) ab.
738
739
740
Besonders auffällig an den Delphi-Ergebnissen ist der Vergleich der Privatkundencharakterisierung der Experten mit der europäischen Millieuverortung. Der von den Experten prognostizierte Schwerpunkt wird in der Milieu-Differenzierung nicht ausgemacht. Hier ergibt sich weiterer Forschungsbedarf. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass sich das GM eher an moderne, preissensible Privatkundenrichtet. 56% der Experten erwarten, dass chinesische Marken unkonventionelle Vertriebskonzepte für den schnellen Markteintritt wählen. Die Delphi-Ergebnisse deuten darauf hin, dass die allgemeine FOC-Kundensegmentierung im Automoilvertrieb nur eingeschränkte Gültigkeit hätte – weitere Forschung zur Kundensegmentierung erscheint erforderlich. Bspw. weisen KARANDE/GARNESH in den USA drei Typen von FOC-Kunden nach: den Freizeit-orientierten Kunden, den rein preisorientierten Kunden sowie den Käufer mit wenig Zeit und hoher Affinität zu günstigen Angeboten. Vgl. Karande/Ganesh 2000, S. 38-39. Kein einziger Experte weist dem GM diese Funktion zu, dagegen sehen jeweils 67% der Experten, dass das Factory Outlet potenziell zu den Zielen Volumensteigerung und Renditesteigerung bzw. Kostensenkung beiträgt. Dabei spielen sowohl der tatsächliche Rabatt, als auch der erlebte „Deal“ eine Rolle. Überträgt man die Käufertypologie nach KARANDE/GARNESH auf den Automobilvertrieb, passte der erste Teil der Aussage auf den EchtPreis-orientierter Kundentyp und zweite Hälfte auf die anderen beiden Typen. Die Übertragung der explorativempirisch ermittelten Käufertypologie amerikanischer FOC auf den europäischen Automobilvertrieb ist jedoch nicht unproblematisch und insofern weiter gehender Untersuchung zu unterziehen. Vgl. Karande/Ganesh 2000.
196
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
(Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement )
Verkaufsprozess
Kundenkontaktaufnahme
9
Nachkaufphase
11
10
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
4 produktbezogene Kundenbezogene Prozesse Prozesse Kundenbezogene Prozesse: 9. Vertragsabschluss 10. Orderabwicklung 11. Übergabe an den Kunden & Nachkaufbetreuung
6
Nicht durchgeführte Prozesse Produktbezogene Prozesse: 4. Eingangsprüfung, Aufbereitung, Zwischenlagerung 6. Aufbereitung für Übergabe an bzw. Transport zum Kunden
Abbildung 65: Distributionsprozesse des GM Factory Outlet
Kommunikationskonzept Aus der Charakterisierung des Leistungskonzepts wird bereits deutlich, dass das Geschäftsmodell weitgehend auf den Einsatz von Kommunikationsinstrumenten verzichtet. Wie viele Marken das GM ins Portfolio aufnimmt, ist nicht vorbestimmt: Das oben zitierte Beispiel aus China führt ausschließlich eine Marke, wenngleich die Integration anderer Konzernmarken möglich erscheint. 64% der Experten sehen für dieses GM eine aktive Multimarkenstrategie als sinnvoll an. Demgegenüber ist der Aufbau einer Eigenmarke unter den Teilnehmern umstritten. Ertrags- und Wachstumskonzept Das Geschäftsmodell baut auf eine nutzungsunabhängige, direkte und transaktionsabhängige Erlösgenerierung auf. Überdies ist die Vermittlung standardisierter Finanzdienstleistungen denkbar. Es ist konzeptionell auf eine Kostenführerschaft-Strategie ausgerichtet, welche zudem als Nischenstrategie für Smartshopper und andere besonders preissensible Privatkunden ausgelegt ist.741 Kompetenzkonfiguration Zu den Ressourcen und Kernkompetenzen des GM Factory Outlet zählen die Integration in die logistischen Prozesse des Distributionssystems – ohne die die angestrebte Preisstellung nicht möglich ist. Das erfordert die Abwicklung der Fahrzeugverkäufe zu minimalen Kosten und die dafür notwendige Prozessstandardisierung. Zur Erreichung dieser Kompetenzkonfiguration sind Investitionen in IuK-Technologie i.S. einer Integration in das Dispositions741
86% der Expeten empfehlen für das GM eine Preisführerschaftstrategie, 64% sehen das GM als Nischenanbieter.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
197
und Ordersystem des Herstellers, eine weitgehend elektronische Abwicklung der Verkaufsprozesse, inkl. etwaiger Vermittlung von Finanzdienstleistungen und/oder Abbildung des Sortiments im Internet notwendig.742 Eine weitere Kernkompetenz dieses GM ist die direkte Ansprache preissensibler Kundengruppen: Gelingt es dem GM diese Kunden anzusprechen und gleichzeitig das Absatzpotenzial von GM mit hohen Investitionen in Markeninszenierung nicht zu gefährden, erwächst daraus ein Wettbewerbsvorteil für das gesamte Distributionssystem der relevanten Marke. Kooperations- und Koordinationskonzept Die Kooperation mit dem Hersteller ist sehr eng und basiert daher entweder auf einer langfristig vertraglichen oder hierarchischen Beziehung. Im Fall einer vertraglichen Beziehung wird der Absatzmittler nicht nur wegen der notwendigen Investition in spezifische Infrastruktur, sondern auch aufgrund der komplexen Interaktionsbeziehung einen sehr hohen Integrationsgrad mit dem Hersteller wählen.
5.5.5 Geschäftsmodell Vermittlung (branchennah) Das Geschäftsmodell Vermittlung (branchennah) ist durch die Vermittlung von Neuwagen an Endkunden in einer automobilnahen Umgebung – bspw. einer Servicewerkstatt oder Ersatzteilhandel – mit eingeschränktem Beratungs- und Dienstleistungsangebot gekennzeichnet. Das Geschäftsmodell bietet weder die Angebotsvielfalt eines GM Autohaus (Markt), noch einen Showroom, sondern setzt auf die Ausnutzung seiner Kundennähe resultierend aus anderen Geschäftsaktivitäten. Handelsrechtlich arbeitet das Geschäftsmodell als EU-Vermittler743 oder Handelsvertreter. Abbildung 66 gebt die Ergebnisse des Delphi zu diesem GM wieder: lediglich eine Minderheit erwartet eine steigende Marktbedeutung dieses GM.
742
743
Vgl. T-5.9 (Koordination). Inwieweit die Einsparung von Logistikkosten tatsächlich umsetzbar ist, hängt von der individuellen Konstitution des Distributions- und Produktionssystems des Herstllers ab. Während Lagerfahrzeuge bzw. NW aus einer veralteten Modellreihe i.d.R. bereits im Rahmen der normalen Disposition transportiert worden sind und insofern nur mit zusätzlichen Kosten an einem Ort zusammengebracht werden können, sind Fahrzeuge aus Überproduktion zu relativ geringen Kosten an einem Ort konzentrierbar. Asiatische Hersteller ohne Produktionsbasis in Europa könnten ggf. bereits nach Europa transportierte, aber wegen Marktschwankungen schwer absetzbare Fahrzeuge über dieses GM am Hafen vermarkten. 68% der Experten erwarten die Verfolgung von Stock-Pushstrategien für Volumenhersteller. 40% der Teilnehmer erwarten eine Stagnation der NW-Nachfrage (trotz der Integration neuer EU-Mitglieder) und immerhin 24% der Experten erwarten trotzdem eine Ausweitung der Produktionkapazitäten. 56% der Experten sind der Ansicht, dass insb. chinesische Hersteller zu unkonventionellen Maßnahmen zur Markteroberung greifen werden. „Vermittler sind Personen oder Unternehmen, die ein neues Kraftfahrzeug für einen Verbraucher kaufen, ohne Mitglied des jeweiligen Vertriebsnetzes zu sein. Sie dürfen nicht mit unabhängigen Wiederverkäufern verwechselt werden, die ein Fahrzeug zum Weiterverkauf erwerben und nicht im Namen eines bestimmten Verbrauchers tätig werden. Ferner sind sie von Handelsvertretern zu unterscheiden, die Kunden für einen oder mehrere Händler finden.“ Zitat aus GVO 1400/02 (o.V. 2002a, S. 50). Vgl. Erwägungsgrund 14 in o.V. 2002c.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Privat1,8 84% kunden Luxus- / Pre3,7 62% miummarken
3
4
0%
0%
0%
0%
2
0%
2%
2%
0%
0%
3
0%
2%
23%
7%
0%
4
0%
7%
23%
14%
0%
Down- 5 Market
0%
0%
5%
2%
12%
1
2
3
4
Wertorientierung
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
ø
Fokus auf 2,4 58% Kundensegment
Kundenansprache
Privatkunden 2,1 67%
Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
C) Marktpotenzialprognose Absatzentwicklung
geographische Perspektive1)
Geschäftskunden Marken mit 7% ,835 geringem Wert Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1) Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2)
5
1
2
3
4
9%
2,4 53% 2,3 60%
,870
Erweiterung Kundenportfolios
2%
,774 Geschäftskunden
7%
,870
7%
,832 Erweiterung
Differenzierungsstrategie
Erweiterung 35% ,949 (Multi Brand) Aufbau 60% 1,052 Eigenmarke
3,7 21% 3,4 23%
ø
S
5
1
2
3
4
5
fallend Ô 3,3 11% Nord-West-Europa 23% Nord-Ost-Europa 37%
S
postmodern
Kundenansprache
Marktstrategie
5
0% ,699
0%
traditionell
Strategien
2
Premium-/ Up-Market 1 Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
Kunden kaufen eher
1
Privatkunden
A) Kundenperspektive
Strategien
198
Süd-West-Europa 23% Süd-Ost-Europa 23%
S 36% ,649
Ò steigend
Einheitlich in EU 40% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 66: Delphi-Ergebnisse zum GM Vermittlung (branchennah)
Leistungskonzept Das Geschäftsmodell ist auf die Bedürfnisse von Privatkunden ausgerichtet, entsprechend sieht keiner der Experten den Schwerpunkt bei Geschäftskunden. Das Delphi beurteilt die relevanten Privatkunden als eher modern und mit geringer Preisbereitschaft ausgestattet. Es sieht eher Käufer geringwertiger Marken als Kunden. Für die Zukunft wird die Fokussierung auf dieses Kundensegment empfohlen. Das GM bildet die Phasen 2 bis 6 des Kaufprozesses ab: Unter Verzicht auf Markenexklusivität und Ausstellungsfahrzeuge wird der Kunde – analog zum GM Autohaus (Markt) – persönlich beraten und kann Preisvergleiche anstellen. Die Auslieferung erfolgt entweder über den Vermittler oder direkt durch den Verkäufer. Die USP wird durch den Preisvorteil bestimmt, den der Vermittler aufgrund geringerer Infrastrukturinvestitionen und europaweiter Fahrzeugvermittlung erlangt. Entsprechend nutzt das GM den Trend zu Preissensibilität (T-2.2) aus.
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199
Kommunikations- und Ertragskonzept Eine gezielte Fahrzeugmarkeninszenierung ist für den Vermittler nur eingeschränkt möglich. Häufig profitiert er von der Markierung eines anderen Geschäftsfelds, z.B. eines Werkstattbetriebs. Handelt es sich um einen autorisierten Servicebetrieb, kann eine Fahrzeugmarkenspezifische Signalisation z.T. darüber erfolgen. Grundsätzlich raten die befragten Experten eher zu einem breiten Markensortiment und der Pflege einer Eigenmarke. Die Ertragsmechanik ist transaktionsabhängig und indirekt, indem eine Provision entweder mit dem Kunden oder mit dem Lieferanten vereinbart wird. Wachstumskonzept und Kompetenzkonfiguration Die Mehrheit des Delphi empfiehlt als Wachstumsstrategie die Beibehaltung der Konzentration auf Kosten- und Preisführerschaft in der Nische. Damit kommt als Wachstumsstrategie nur die Multiplikation in neue geographische Märkte in Frage. Ressource des GM ist der Betrieb eines automobilnahen Geschäftsmodells außerhalb des Neuwagenverkaufs (Hauptgeschäft), was als Basis für das vorliegende GM dient. Das GM Vermittler (branchennah) ist auf die Kundenbindung im Hauptgeschäft angewiesen. Demzufolge liegen die Kernkompetenzen im Aufspüren und der Pflege von „Quellen günstiger Fahrzeuge“ sowie in der Entwicklung bzw. Vertiefung der Kundenbindung aus dem Hauptgeschäft. Kooperations- und Koordinationskonzept Das GM ist i.d.R. kein offizieller Teil der Absatzorganisation des Herstellers. Insofern existiert auch keine direkte, vertikale Beziehung. Die wichtigste horizontale Kooperationsbeziehung besteht mit den Lieferanten der Fahrzeuge. Analog zum GM Autohaus (Markt) kann das GM E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) bei der Bildung dieser Geschäftsbeziehungen unterstützen. Dementsprechend werden etablierte bilaterale Geschäftsbeziehungen bisweilen von Kooperationen in geschlossenen oder offenen Netzwerken ergänzt oder ersetzt. Feste vertragliche Lieferbeziehungen schließen die Hersteller in der Gestaltung der Handelsverträge regelmäßig aus.
5.5.6 Geschäftsmodell Vermittlung (branchenfremd) Das Geschäftsmodell Vermittlung (branchenfremd) ist durch den Fahrzeugverkauf in einer nicht-automobilnahen Einkaufsumgebung an Privatkunden charakterisiert. Das Einzelhandelsunternehmen, welches die Fahrzeuge in das Sortiment integriert, verkauft die Fahrzeuge i.d.R. nicht direkt, sondern vermittelt sie für einen Lieferanten, der selbst ein GM des Automobilvertriebs betreibt. Das GM basiert insofern auf der Kooperation zwischen einem Lieferanten und dem branchenfremden Vermittler. Beispiele für dieses GM sind der Neuwagenverkauf in Kaufhäusern, Baumärkten oder Lebensmittelmärkten, bei denen Fahrzeuge z.T. 30% unter Listenpreis angeboten werden.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
ø
Luxus- / Pre4,4 miummarken
2
3
4
0%
0%
0%
2
0%
2%
0%
0%
0%
3
0%
0%
2%
2%
0%
4
0%
0%
2%
33%
0%
Down- 5 Market
0%
0%
0%
19%
40%
1
2
3
4
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung Kundenansprache Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
Fokus auf Kundensegment Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel; % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
5 postmodern
ø
1
2
3
4
5
2,3 65% 1,6 85% 2,2 77%
Erweiterung (Multi Brand) Aufbau 37% 1,100 Eigenmarke 67% ,860
3,1 33%
Nord-West-Europa 50% Nord-Ost-Europa 29%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen Im Rahmen dieses Geschäftsmodells werden zukünftig zielgruppenorientiert Fahrzeuge mit speziellem Bezug zum Sortiment des branchenfremden Vermittlers angeboten. Z.B. Freizeitfahrzeuge über „Jack Wolfskin“ oder andere freizeitorientierte Marken.
Erweiterung Kundenportfolios Differenzierungs5% ,924 strategie
9% ,814 Erweiterung
3,7 12%
ø
S 12% ,865
1
2
3
4
S
5
fallend Ô 2,8 30%
Absatzentwicklung
Marken mit geringem Wert
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1)
0%
Wertorientierung
S
5
93% ,853
0%
traditionell
Strategien
1 2%
Premium-/ Up-Market 1
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
Kunden kaufen eher
Privatkunden
A) Kundenperspektive
14% ,734
Süd-West-Europa 21% Süd-Ost-Europa 12%
ø
k.Z. 1
3,1 32%
Strategien
200
Ò steigend
Einheitlich in EU 35% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
44% 1,136
Abbildung 67: Delphi-Ergebnisse zum GM Vermittlung (branchenfremd)
Das GM ist in Deutschland bisher als temporäres Angebot mit geringer Sortimentsbreite charakterisiert, wobei häufig ein großes Kontingent eines bestimmten vorkonfigurierten Modells in vielen Filialen gleichzeitig angeboten wird.744 Unterdessen hat sich in Spanien und Frankreich die Vermittlung in Kaufhäusern stärker etabliert, indem permanent Verkaufsfläche für die Ausstellung von Neufahrzeugen zur Verfügung gestellt wird.745 Die Mehrheit der befragten Experten sieht für dieses GM zukünftig keine Veränderung in der absatzbezogenen Marktbedeutung. Heute ist das GM insb. in Nordwest-Europa bedeutend. Für die Zukunft wird durch die Befragung keine Schwerpunktverschiebung offenbar – Abbildung 67 fast die Befragungsergebnisse zusammen. 744
745
Beispiele für das GM in Deutschland sind die Vermittlung über Discout- (z.B. Plus oder Norma), Baumärkte (z.B. Marktkauf) oder die Einzelhandelskette Tchibo (Tchibo hat gänzlich auf Ausstellungsfahrzeuge verzichtet, stattdessen lediglich über den Katalog geworben und informiert).Vgl. Beukert/Schlautmann 2002; Justern 2002, S. 16; Fischer/Richter/Baumgartner 2004, S. 59. Vgl. Kersting 2002, S. 10; Nalpantidou 2003, S. 51.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
201
Leistungskonzept Das Ergebnis der Expertenbefragung stellt deutlich heraus, dass die Kunden des GM primär Marken mit geringerem Wert nachfragen und eine niedrige Preis-Premium-Bereitschaft haben. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass weniger Smart Shopper, als eher sog. Schnäppchenjäger dieses GM nutzen. Eine deutliche Mehrheit von 65% der Experten empfiehlt darüber hinaus eine stärkere Fokussierung auf diese Privatkundengruppe. Der These eines teilnehmenden Experten, das GM auch auf markenbewusste Kundengruppen anzuwenden – bspw. freizeitorientierte Fahrzeugmodelle in einem Geschäft der Marke Jack Wolfskin oder The Northface anzubieten – ist umstritten. Es stimmen zwar 44% der Experten zu, gleichzeitig zeigen aber sowohl die Ablehnung durch 32% als auch die hohe Streuung, die uneinheitliche Meinung zu dieser Variante. Der Vermittler selbst bietet dem Kunden nur geringen Nutzen entlang des Kaufprozesses: Das Ausstellungsfahrzeug (bzw. lediglich eine Abbildung davon) übernehmen dabei eine zentrale Rolle in den Phasen 1 und 2 i.S.v. Bedürfnisweckung und Kaufanregung. Der Kunde wird mit dem Thema Automobilkauf konfrontiert, während er sich in einem Konsumumfeld anderer Waren bewegt – z.B. Lebensmittel, Baustoffe oder Elektronikartikel. In den Phasen 2 und 3 dienen das Ausstellungsfahrzeug, Prospektmaterial und teilweise zusätzlich Call-CenterAngebote der Information – es findet i.d.R. keine individuelle persönliche Beratung, Probefahrt oder Preisverhandlung statt. Das Fahrzeug wird nur in einer kaum spezifizierbaren Standardkonfiguration angeboten.746 Der Kaufakt wird beim Vermittler durchgeführt. Die Übergabe findet jedoch durch den Lieferanten statt, welcher auch in der Nachkaufphase Ansprechpartner ist. Der USP ergibt sich daher lediglich über den Preis ohne notwendige Preisverhandlung. Der Vermittler übernimmt, abgesehen von wenigen kundenbezogenen Prozessen, wie z.B. Bedürfnisweckung, eingeschränkte Produkt- und Kundenberatung sowie Auslösung der Transaktion, keine Distributionsaktivitäten. Der Lieferant bzw. Kooperationspartner bildet lediglich notwendige produktbezogene Prozesse ab. Kommunikations- und Ertragskonzept Die Kommunikation des Angebots baut auf dem jeweiligen Kommunikationskonzept des Vermittlers seines übrigen Sortiments auf. Fahrzeugmarkeninszenierung bzw. Nutzung geschützter Zeichen sind am PoS nicht möglich. Der Vermittler setzt insofern die ihm zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle und -instrumente (z.B. Katalog oder Webauftritt) und die Stärke seiner Handelsmarke(n) ein. Das Delphi empfiehlt daher die Erweiterung des Fahrzeugmarkenportfolios, während der Aufbau einer Eigenmarke umstritten ist.
746
Ausnahmen bilden teilweise die zitierten Beispiele mit permanenter Fahrzeugpräsentation im Kaufhaus.
202
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Das Geschäftsmodell ist auf einer Vermittler-Lieferanten-Beziehung aufgebaut, d.h. der Vermittler agiert auf Basis einer indirekten transaktionsabhängigen Erlösmechanik, während der Lieferant direkt, transaktionsabbhängige Erlöse erwirtschaftet. Die oftmals außerordentlich niedrige Preispositionierung des GM ist durch den Verzicht auf umfängliche Beratung, Inszenierung und die Einschränkung des Sortiments sowie gleichzeitige Ausnutzung von Skaleneffekten möglich. Wachstumskonzept und Kompetenzkonfiguration 85% der Experten empfehlen die zukünftige Beibehaltung der Preisführerschaftstrategie. Zugleich regen sie die Erweiterung des Markenspektrums in Richtung einer Full-MultiFranchise-Strategie an. Die bisher etablierten Beispiele arbeiten mit sehr eingeschränkten Sortimenten (häufig nur ein Modell einer Marke). Es bleibt abzuwarten, inwieweit zukünftig eine Strategieverschiebung z.B. in Richtung GM Downtownshop stattfindet. Ressourcen des Geschäftsmodells sind die häufig hohe geographische Abdeckung, die hohe Attraktivität der Einkaufsstätte sowie die hohe Reichweite für Kommunikationsinstrumente. 77% der Experten empfehlen die Positionierung in der Nische, so dass allenfalls eine behutsame Wachstumsstrategie durch höhere Marktausschöpfung möglich erscheint. Kernkompetenz ist die Kooperation mit dem Lieferanten, über den wesentliche Teile des Kaufprozesses, wie Fahrzeuglagerung, Bereitstellung von Beratungskompetenz, Fahrzeugaufbereitung, Übergabe und Fahrzeugtransport, abgewickelt werden. Organisationsform und Kooperationskonzept Das Geschäftsmodell betreibt eine Intermediationsstrategie und tritt als Market-Maker auf. Eine vertikale Beziehung zwischen GM und Hersteller existiert i.d.R. nicht. Dagegen profitieren Vermittler und Lieferant von der bilateralen, horizontalen Kooperation i.S. einer Closing Gap Allianz: Der Lieferant bietet das eingeschränkte Modellsortiment gleichzeitig über viele Filialen des Vermittlers an und erreicht somit eine hohe geographische Abdeckung seines Angebots, woraus Umsatzsteigerung und etwaige Skalenvorteile erwachsen. Er profitiert ferner davon, dass der Vermittler Ausstellungsfläche und Werbemedien zur Verfügung stellen kann. Der Vermittler kann zugleich ohne Übernahme wirtschaftlichen Risikos oder Sicherstellung von fahrzeugbezogenen Prozessen Sortiment und Umsatzbasis erweitern.
5.5.7 Geschäftsmodell Mobility Der Begriff Mobilität kann unterschiedlich weit definiert werden: Bspw. unterteilen DIEZ und REINDL Mobilitätsdienstleistungen nach den drei Kategorien Mobilität schaffen, sichern und erweitern.747 Für die vorliegende Arbeit soll der Begriff auf die Bereitstellung von Mobilität durch ein Automobil eingeschränkt werden. Das GM bietet im Kern eine Dienstleistung, deren Ergebnis die temporäre Überlassung eines Fahrzeugs für den Kunden darstellt. 747
Vgl. Diez 2001a, S. 183; Reindl 2005, S. 424-459.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
203
78% der Experten erwarten, dass der Trend hin zur Fahrzeugnutzung ohne Eigentum zunehmen wird. Abbildung 68 zeigt, dass das GM lediglich die Vermittlung des Nutzungsvertrages oder auch den Besitz des Fahrzeugs umfassen kann, respektive Anbieter und Eigentümer nicht identisch sein müssen. Fahrzeugnutzer und Käufer der Dienstleistung müssen indes nicht deckungsgleich sein, bspw. könnte ein Unternehmen ein Fahrzeug für die private Nutzung durch einen Angestellten leasen. Vertrieb von Mobilität (= Geschäftsmodell) Anbieter der Dienstleistung Eigentümer des Fahrzeugs
€ (Entgelt) (Nutzungsrecht und temporärer Besitz)
Kunde Käufer der Dienstleistung Fahrzeugnutzer
Abbildung 68: Funktionsweise GM Mobility
Die Gestaltung der Dienstleistung bzgl. Fahrzeugwahl, Vertragsdauer, Versicherungsschutz, Service, Vertragsflexibilität, Umfang zusätzlicher Dienstleistungen ist dagegen unterschiedlich. Beispiele für Dienstleistungspakete im Privatkundengeschäft sind die kurzfristige Fahrzeugmiete, Car Sharing-Angebote, Privatkundenleasing sowie intramodale Mobilitätsangebote, welche die Nutzung von Pkw oder Lkw748 einschließen. Im Geschäftskundenbereich sind Leasingangebote749 und kurzfristige Fahrzeugmiete von Bedeutung. 77% der Studienteilnehmer prognostizieren für das GM Mobility eine steigende Bedeutung – insb. in Nordwest-Europa. Abbildung 69 stellt die Befragungsergebnisse zusammen.
748 749
Bspw. Deutsche Bahn mit MobilityCard 100. Leasingangebote können bspw. durch Ersatzwagendienste, Reparaturen oder Flottenmanagementlösungen erweitert sein.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
A) Kundenperspektive
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Privat4,0 kunden
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
Strategien
Kundenansprache
Privatkunden 3,8 Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
C) Marktpotenzialprognose
2
3
4
79% ,636
1
2
3
4
5
3,8
5% 3%
Differenzierungsstrategie
72% ,804 Erweiterung Erweiterung (Multi Brand) Aufbau 67% 1,075 Eigenmarke 75% ,864
1
2
3
4
77% ,695
Kunden nutzen zukünftig vermehrt Miet-/Leasingangebote, anstatt Eigentum zu erwerben. Hersteller werden stärker in das Leasinggeschäft einsteigen, um ihr Markenportfolio optimal anzubieten. Dieses Geschäftsmodell wird sich bezüglich Privatkunden und Geschäftskunden unterschiedlich entwickeln.
Ò steigend
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 3% Süd-Ost-Europa 0%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
S
5
2%
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Nord-West-Europa 81% Nord-Ost-Europa 28%
S Erweiterung 26% 1,076 Kundenportfolios
49% ,900
3,8 14%
fallend Ô 3,9
Geschäftskunden
60% ,742 Geschäftskunden
0%
4,1
S
5
3,4 16%
ø
Absatzentwicklung (allgemein)
geographische Perspektive1)
ø
Fokus auf 2,7 40% Kundensegment
Kundenansprache
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
1 0%
Strategien
204
ø
k.Z. 1
Einheitlich in EU 19% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
3,8
9%
78% ,777
3,7
9%
69% ,809
3,9
9%
76% ,842
Abbildung 69: Delphi-Ergebnisse zum GM Mobility
Keiner der befragten Experten sieht den aktuellen Schwerpunkt des GM im Privatkundengeschäft, 79% erwarten ihn im Bereich Geschäftskunden. Darüber hinaus wird für die Zukunft weiterhin die Fokussierung auf bestimmte Kundensegmente, insb. Geschäftskunden empfohlen. Vor allem die steuerliche Absetzbarkeit, die Konzentration auf Kernkompetenzen (zu denen selten das Management von Fahrzeugflotten gehört) sowie die angestrebte Reduktion von Fixkosten und finanziellen Risiken haben zu einem erheblichen Anstieg der Nutzung dieser Dienstleistung im gewerblichen Bereich geführt.750 Demgegenüber verlangen Privatkunden andere Dienstleistungsumfänge. 76% der Teilnehmer prognostizieren eine unterschiedliche Entwicklung der Mobilitätsangebote für Privatkunden und Geschäftskunden voraus. In Kapiteln 5.5.7.2 und 5.5.7.1 werden die beiden Varianten separat betrachtet. Leistungs- und Kommunikationskonzept Bezogen auf den Nutzen des Kunden entlang des Kaufprozesses besteht der wesentliche Unterschied zu anderen GM in zwei Aspekten: Zum einen existieren heute i.d.R. keine eigenen physischen Ausstellungsräume, die den Beratungsprozess in der Vorkaufphase unterstützen könnten – das GM ist insofern derzeit auf Kooperationspartner angewiesen. Zum anderen wird nicht das Fahrzeug, sondern ein Nutzungsrecht verkauft. Das GM ermöglicht
750
Relevant sind an dieser Stelle insb. Leasing-Verträge, die teilweise um Aufgaben des Flottenmanagements erweitert werden. Vgl. Kapitel 5.5.7.1.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
205
dem Kunden die Nutzung des Fahrzeugs, ohne Eigentum erwerben zu müssen – das Geschäftsmodell übernimmt somit Investitionsrisiken sowie Aufgaben der Finanzierung und z.T. des Unterhalts. Gleichzeitig übernimmt das Fahrzeug Transport und Imagefunktion für den Kunden. Abbildung 70 stellt die wichtigsten Abgrenzungsmerkmale zum traditionellen Kauf zusammen.751 Privatkunden
Trad. Käufer Privatkunden
Geschäftskunden
Flottenmanagement / Outsourcing
Trad. Käufer Geschäfts-kunden
PrivatkundenMobilität
UserChooser1)
Fahrzeug- Fzg. als Nutzung Transportmittel und Imageträger
Fzg. als Transportmittel und Imageträger
Fzg. als Transportmittel und Imageträger
Fzg. primär als Transportmittel
Fzg. primär als Transportmittel
Fahrzeug- Privatkunde Eigentum
MD oder FD
MD oder FD
MD oder FD
Geschäftskunde
Teilen sich Endkunde und MD bzw. FD
Teilen sich Arbeitgeber und MD bzw. FD
Teilen sich Geschäftskunde und MD bzw. FD
Trägt Geschäftskunde
Kostenrisiko bei MD Umlage auf Nutungsentgelt
Kostenrisiko bei MD Umlage auf Nutungsentgelt
Kostenrisiko bei MD Umlage auf Nutungsentgelt
Kosten (-risiko) trägt End- bzw. Geschäftskunde
Miete, PrivatkundenLeasing, Car-Sharing
Leasing, Miete, ggf. inkl. Flottenmanagement
Leasing, Miete, ggf. inkl. Flottenmanagement
Kauf, kreditfinanzierter Kauf
Investitions- Trägt End- bzw. risiko2) Privatkunde Fahrzeug- Kosten (-risiko) Unterhalt trägt End- bzw. Privatkunde (z.B. Wartung, Reparatur) Zusätzliche Kauf, Angebote kreditfinanzierter Kauf Produkte
GMV Mobilität für Privatkunden
GMV Mobilität für Geschäftskunden
MD = Mobilitätsdienstleitser; FD = Finanzdienstleister; 1) Selten werden Flotten für User-Chooser durch Unternehmen selbst gehalten, Fahrzeug ist Entgeltbestandteil; 2) inkl. Restwertrisiko
Abbildung 70: Kunden des GM Mobility
Das GM muss zur Erfüllung der angebotenen Dienstleistungspakete insb. kunden- und produktbezogene Prozesse abbilden – z.T. über Kooperationspartner. Viele FinanzleasingAnbieter vertreiben ihre auf Privat- oder Geschäftskunden fokussierten Produkte über Autohäuser, indem das Autohaus als Vermittler und Provisionsempfänger auftritt. Die Dienstleistung ist dann vollständig in das Kommunikationskonzept des jeweiligen AutohausGeschäftsmodells eingebettet Der Kunde nimmt den Mobilitätsanbieter nicht zwingend als separaten Anbieter wahr. Diese Variante ist hier somit zu vernachlässigen.752 Autark agierende Mobility-Geschäftsmodelle nutzen im Vertrieb an Geschäftskunden Außendienstmitarbeiter und Online-Auftritte, jedoch (noch) keine physischen Verkaufsstellen, für die Vermarktung ihrer Dienstleistungen. Das GM ist dann i.d.R. nicht fahrzeugmarkenexklusiv ausgestaltet – 75% der Experten empfehlen eine Beibehaltung dieser Strategie für die Zukunft. Zugleich wird der Ausbau einer Eigenmarke befürwortet. Desgleichen bieten fast
751 752
Bzgl. User-Chooser vgl. Schwickal 2006, S. 16. Während bspw. in Deutschland rund 79% der Finanzdienstleistungen (Kreditfinanzierung und Mobilitätsdienstleistungen zusammen) über das GM Autohaus vermittelt werden, sind es im zweitgrößten europäischen Markt, United Kingdom, nur 33%. Vgl. Buzzavo/Bozon 2004, S. 3.
206
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
alle Hersteller bereits über angeschlossene (sog. Captive) Unternehmen speziell FinanzLeasingprodukte markenexklusiv an. Fast 70% der Experten erwarten, dass die Automobilhersteller stärker als bisher Mobilitätsdienstleistungen in ihr Angebotsportfolio übernehmen werden. Ziele sind dabei die Erweiterung von Angebot und Umsatz, Kundenbindung über den gesamten Fahrzeugnutzungszeitraum, Realisierung von Cross-Selling-Potenzialen z.B. durch das Angebot von Versicherungen und Refinanzierungsmöglichkeiten durch das Bankgeschäft.753 Ertrags- und Wachstumskonzept Das Erlösmodell ist direkt und transaktionsabhängig und basiert auf der Übernahme von Investitionsrisiko und Finanzierung des Fahrzeugs. Je nach Ausgestaltung des Dienstleistungspakets werden monatliche Prämien und/oder Anfangszahlungen vereinbart, die nutzungsabhängig gestaltet sein können. Unter den befragten Experten herrscht über die Entwicklung des GM Einigkeit, indem 72% die Erweiterung des Leistungsspektrums empfehlen. Im Markt herrscht eine große Angebotsdichte für Finanz-Leasing und Mietangebote. Darum empfehlen die Delphi-Teilnehmer die Orientierung an Differenzierungsstrategien. Kompetenzkonfiguration Zu den Ressourcen dieses GM zählen das Einkaufsvolumen, die Finanzdienstleistungskompetenzen und das Flottenmanagement. Insbesondere große, international tätige Leasinggesellschaften sind in der Lage im Fahrzeugeinkauf Mengenrabatte zu erzielen und die innereuropäischen Preisunterschiede auszunutzen. Große Fahrzeugflotten ermöglichen die breitere Streuung und exakte Kalkulation der Investitionsrisiken. Zweifellos die wichtigste Ressource ist die Kundenbindung: Mobilitätsdienstleister sind in der Lage das Fahrzeugnutzungsverhalten des Endkunden zu analysieren und die finanzielle Bonität des Kunden abzuschätzen. Zudem kennen sie den Endpunkt der Fahrzeugnutzungszeit und können den Wiederkauf der Dienstleistung gezielt fördern. Folglich sollte CRM zu den Kernkompetenzen des GM gehören. Bereits in Abbildung 70 wird deutlich, dass die Kernkompetenz des GM die Bereitstellung von fahrzeugbezogener Mobilität in Abhängigkeit der jeweiligen Bedürfniskonstellation des Kunden ist. Das Fahrzeug wird vom Kunden dadurch primär nach folgenden Gesichtspunkten beurteilt: Nutzwert, Image und Prestige sowie Kostenbelastung – das Restwertrisiko übernimmt der Dienstleister. Organisationsform Mobility-GM sind meist als Spezialisten positioniert: Fahrzeuge werden in großen Stückzahlen gekauft, gelangen in den Nutzungszyklus beim Kunden, welcher i.d.R. nicht länger als vier Jahre dauert und danach direkt verkauft. Sixt entwickelt sich derzeit zu einem Integrator, 753
Vgl. T-2.8 (Mobilitätskonzepte für Privatkunden), T-3.5 (Downstreambusiness), T-3.12 (CRM).
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
207
indem neben den verschiedenen Mobilitätsangeboten auch die Wiedervermarktung durch eigene Autohäuser zum Kompetenzbereich des Unternehmens gehört. Bisher integriert jedoch noch keines der bekannten GM After-Sales Dienstleistungen oder Zubehörverkauf. Es existieren auch GM, die als Orchstratoren/Koordinatoren einzuordnen sind – insb. wenn das Eigentum des Fahrzeugs nicht beim GM liegt, sie also als Distributionshelfer auftreten:754 Beispielsweise bietet das Unternehmen Fleet Logistics International Unternehmen die Koordination der Fahrzeugflotte an, indem für den Kunden Fahrzeugkonfigurationen und Leasingvertragsverhandlungen, die Überwachung und Optimierung des Flottenbetriebs, das Management der Beziehungen zwischen dem Kunden und den Leasinggebern durchgeführt werden. Dennoch verleast oder wartet das Unternehmen selbst keine Fahrzeuge, sondern stellt lediglich den effizienten Flottenbetrieb sicher. Kooperations- und Koordinationskonzept Die Positionierung als Spezialist erfordert die Etablierung sowohl eines Up-, als auch Downstream-Kooperationsnetzwerkes. Neben der Vermarktung der Mobilitätsdienstleistung selbst, werden je nach Ausgestaltung bspw. die physische Präsentation, die Aufbereitung der Fahrzeuge nach der Nutzung, die regelmäßige Wartung und Reparatur, die Versicherung, Flottenmanagement oder Finanzdienstleistungen über Kooperationsvereinbarungen i.S.v. Closing-Gap-Allianzen abgewickelt. Lange Zeit wurden Mobilitätsdienstleistungen im vorliegenden Kontext nur aus dem Blickwinkel der Finanzdienstleistung betrachtet. Ein Großteil des Leasinggeschäfts wird über Leasinggesellschaften, die Banken angeschlossen sind, abgewickelt. Automobilhersteller bauen seit Jahren über eigene Banken bzw. Leasinggesellschaften ein GM im hier betrachteten Sinne auf bzw. versuchen diesen Vertriebsweg zu beeinflussen. Letztere können aufgrund ihrer Nähe zum Automobilhersteller einen privilegierten Zugang zu den Distributionssystemen der Hersteller ausnutzen.755 Das GM tritt mit unterschiedlicher Beziehung zum Hersteller auf: es kann etwa als Captive-Leasinganbieter als ein Distributionsorgan des Herstellers kategorisiert werden. Demgegenüber ist indes der Auftritt als Distributionsmittler oder -helfer ebenso im Markt beobachtbar. 5.5.7.1 Geschäftsmodellvariante Mobility (Geschäftskunden) Kennzeichen dieser GMV ist die Spezialisierung auf gewerbliche Kunden bzw. die Orientierungen an deren spezifischen Bedürfnissen. 89% der Experten prognostizieren eine steigende Marktbedeutung dieser GMV bis 2015. Der Schwerpunkt der Entwicklung wird in Nordwest-Europa erwartet – vgl. Abbildung 71.
754 755
Vgl. Kiff 2005a, S. 2. Vgl. Soliman/Dieterich 2004, S. 58 und 64; Buzzavo/Bozon 2004, S. 8.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
ø
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
staatl./öffentl. Institutionen wie Privatkunden 2% ,746 (User-Chooser) 7% ,817
1
2
3
4
5
S Erweiterung Kundenportfolios Differenzierungs34% ,998 strategie 11% ,904
75% ,878 Erweiterung 1
2
3
4
89% ,625
ø
Fahrzeugmarken stehen nicht im Zentrum von KommunikationsStrategien dieses Geschäftsmodells.
Ò steigend
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 0% Süd-Ost-Europa 0%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
S
5
2%
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Nord-West-Europa 78% Nord-Ost-Europa 41%
S
5
Unternehmen 2,6 37%
Kaufentscheidung ist eher
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
2
rational / stark 2,3 80% kostenorientiert
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
geographische Perspektive1)
1 2%
Geschäftskunden
Geschäftskunden
A) Kundenperspektive
Strategien
208
k.Z. 1
Einheitlich in EU 22% 1)
Mehrfachantworten möglich
2
3
4
5 v.Z.
3,5 13%
S
62% ,914
Abbildung 71: Delphi-Ergebnisse der GMV Mobility (Geschäftskunden)
Leistungskonzept Die Experten sehen tendenziell Flottenkunden mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von über 10 Fahrzeugen als Kunden. Diese sind meist als Unternehmen gekennzeichnet, welche eine eher rationale Kaufentscheidung treffen. Die Mehrheit der Befragten empfiehlt die zukünftige Fokussierung auf eine bestimmte Kundengruppe. Der Dienstleistungsumfang des GM kann unterschiedlich gestaltet sein, Abbildung 72 gibt in Anlehnung an DIEZ einen Überblick.756 Zusatzleistungen Fuhrparkmanagement
Kernleistung Full-ServiceLeasing
FinanzLeasing
• Fzg.-Verteilung auf Standorte
• Technischer Service • Dimensionierung Flotte / Wartung
• Fahrzeugeinsatzregelung
• Verbrauchsstoffe
• Tourplanung
• Nutzungsdatenerfassung
• Informations- / kommunikation
• Fahrzeugersatz
• Kostenrechnung
• Konfiguration / Auswahl Fahrzeuge • Finanzierung
Zusatzleistungen Mietgeschäft
Intramodale Mobilitätsangebote
• Kurzfristige Fahrzeugvermietung für geschäftliche Nutzung
Integration von:
• Ersatzwagen bei Fzg. Ausfällen
• Flugzeug
• Öffentlicher Personen Nahverkehr • Bahn
• Ausgleich Kapazitätsengpässe
Abbildung 72: Potenzielle Aufgabenumfänge der GMV Mobility (Geschäftskunden)
PIETSCH/STRUNKMANN-MEISTER stellen heraus, dass im Vertrieb an Geschäftskunden zwei unterschiedliche Ansprechpartner eines Kunden zu berücksichtigen sind: Fuhrparkmanager, die als Buying-Center mit stark rationalen Entscheidungsverhalten charakterisiert werden 756
Vgl. Diez 2001a, S. 181-209; Soliman/Dieterich 2004, S. 60-61; Reindl 2005, S. 446-449; Pietsch/StrunkmannMeister 2005, S. 17.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
209
können, sowie Fahrzeugnutzer, die, sofern sie einen Beitrag zur Fahrzeugwahl treffen dürfen, als relevante Anspruchsgruppe zu berücksichtigen sind. Daher sind Geschäftskunden in zwei Gruppen zu teilen: • Reine Flottenkunden (in Abbildung 70 auf Seite 205 gekennzeichnet als „Flottenmanagement/Outsourcing): Für diese Gruppe spielt die physische Demonstration der Produktvarianten und die Vermittlung von Fahrzeugmarkenwelten eine untergeordnete Rolle. Vielmehr liegt hier eine stark rationale und kostenorientierte Kaufentscheidung eines Buying-Centers757 vor, so dass ein auf diese Kundengruppe spezialisiertes GM i.d.R. auf markenexklusiv gestaltete Ausstellungsräume verzichten kann. Stattdessen stehen Total Costs of Ownership, die Kosten entlang des gesamten Kaufprozesses, im Vordergrund der Kaufentscheidung. Besondere Bedeutung haben sog. „Weiße Flotten“, also Flotten mit vielen gleichartigen Fahrzeugen, bspw. Speditionen der Kundendienstanbieter. • User-Chooser: Diese Kundengruppe zeichnet sich dadurch aus, dass neben den Fuhrparkmanagern in Buying-Centern auch der Fahrzeugnutzer definierte Entscheidungsfreiheiten bei der Fahrzeugwahl hat. Das Fahrzeug ist oft Entgeltbestandteil, mitunter verschwimmen daher private und geschäftliche Nutzung: in der Vorkaufsphase spielt daher die individuelle Beratung des Fahrzeugnutzers eine größere Bedeutung. Die Mehrheit der befragten Experten ist der Meinung, dass diese GMV weniger die Kommunikation von Fahrzeugmarken verfolgt. Zur Ansprache dieser Kundengruppe muss die GMV also mit Kooperationspartnern arbeiten (vgl. Fußnote 752). Abbildung 73 zeigt, dass auf Flottenmanagement fokussierte Geschäftsmodelle an Bedeutung gewinnen. Prognose der Marktbedeutung
Flottenmanagement: Geschäftsmodell, welches zwischen (großen) Flottenbetreibern und Leasinggesellschaften bzw. Mobility-Providern agiert. Es übernimmt im Rahmen eines Master-Service-Agreements „Brokerfunktionen“ und führt sog. „Multibidding“ durch, um die Kosten des Flottenbetreibers zu optimieren.
keine
7%
ø 1 3,8
2
3
4
5 S
hoch
,706 80%
Abbildung 73: Delphi-Ergebnisse zum Flottenmanagement
5.5.7.2 Geschäftsmodellvariante Mobility (Privatkunden) Die Entwicklung einer eigenständigen Geschäftsmodellvariante für Privatkunden steht noch am Anfang. Anbieter kurzfristiger Mobilität, wie bspw. Automobilvermieter oder CarSharing-Unternehmen, stehen nicht im Fokus dieser Arbeit. Dennoch existieren auch im Privatkundengeschäft Nutzungsverträge für die kontinuierliche Sicherstellung von Mobilität.758 Zwei Varianten haben bisher Marktrelevanz: Privatkunden-Leasing und Finanzierungen mit garantiertem Rückkauf – beide Varianten werden als Finanzdienstleistungsprodukte im Rahmen des GM Autohaus vertrieben. Eine eigenständige GMV, ähnlich der Variante für Geschäftskunden existiert bis dato nicht. Die GMV wurde in der Studie nicht separat untersucht, sondern als perspektivisch mögliches GM behandelt. Folgende Definition wurde vorgegeben: „Kunden schließen einen Mobilitätsvertrag, welcher die Nutzung eines Neu- oder Gebrauchtwagens gegen eine feste monatliche Gebühr 757 758
Vgl. Pietsch/Strunkmann-Meister 2005, S. 17-20 und Kapitel 2.3. Vgl. Abbildung 70.
210
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
ermöglicht. Der Nutzungsvertrag beinhaltet variable Kosten und ermöglicht den Fahrzeugwechsel.“ Lediglich 40% des Delphi erwartet, dass sich eine eigenständige GMV unter diesen Prämissen entwickelt – vgl. Abbildung 74. Die Studienergebnisse zeigen weder eine klare Zuordnung zum Premiummarken-, noch zum unteren Markensegment. Es kann jedoch konstatiert werden, dass Kunden mit eher moderner Wertorientierung für diese GMV in Frage kämen. ø
Luxus- / Pre3,1 14% miummarken
1
2
3
4
0%
0%
0%
0%
0%
2
0%
5%
5%
12%
2%
3
0%
0%
9%
40%
7%
4
0%
0%
5%
7%
7%
Down- 5 Market
0%
0%
0%
0%
2%
1
2
3
4
traditionell
Wertorientierung
C) Marktpotenzialprognose
Absatzentwicklung / Marktbedeutung
S
5
21% ,697
Premium-/ Up-Market 1 Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
Kunden kaufen eher
ø
1
Marken mit geringem Wert
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1) Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel; % = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Privatkunden
A) Kundenperspektive
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
5
postmodern 2
3
Niedrige 3,1 31% Bedeutung
4
5
S
40% ,889 Hohe Bedeutung
Abbildung 74: Delphi-Ergebnisse zur GMV Mobility (Privatkunden)
5.5.8 Geschäftsmodell E-Commerce Internet-Marketing wird als die „systematische Nutzung der Internet-Dienste für die Zwecke des Marketing“759 verstanden, während E-Commerce als Anbahnung, Aushandlung und/oder Abwicklung von Transaktionen unter Nutzung digitaler Dienste abgegrenzt wird.760 Das Geschäftsmodell E-Commerce wird daher, in Anlehnung an WIRTZ, als die Anbahnung, Aushandlung und/oder Abwicklung des Verkaufs von Neuwagen definiert, wobei die Phasen des Kaufprozesses durch die Fähigkeiten des Internet so stark unterstützt, ergänzt oder substituiert werden, so dass es nicht durch andere traditionelle Geschäftsmodelle abgebildet werden kann.761
759 760 761
Fritz 2004, S. 26. Zur Abgrenzung des Begriffs E-Commerce bzw. Electronic Commerce vgl. u.a. Dreier 1999, S. 80ff.; Haertsch 2000, S. 9ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2001, S. 317; Fritz 2004, S. 25ff. Vgl. Wirtz 2003, S. 110-111.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
211
In einer Arbeit zur Akzeptanz des E-Commerce in der Automobilwirtschaft differenziert BETZ Geschäftsmodelle unter Verwendung des Betriebsformenbegriffs. Er unterscheidet dabei folgende drei Varianten:762 • Online-Information-Sites bilden Teile der Beratungsfunktionen des Kaufprozesses ab. Informationen über Modellvarianten, Preise und technische Daten bestimmen das Angebot und nur in eingeschränktem Umfang findet zweiseitige Kommunikation statt. BETZ weist darauf hin, dass es sich daher nicht um einen Distributionskanal handelt, sondern primär als verkaufsunterstützendes Instrument im Rahmen der Kommunikationspolitik angewendet wird. • Online-Quoting-Sites bieten Kunden neben den Funktionalitäten der Information-Sites die Möglichkeit online-gestützter Abwicklung der Verhandlungsfunktion. Der Betreiber einer Quoting-Site tritt vor Kunde nicht als Verkäufer, sondern als Vermittler des Fahrzeugs auf. • Bei Online-Transaction-Sites tritt der Site-Betreiber direkt als Verkäufer bzw. Vertragspartner auf, die vollständige Kauftransaktion wird im Internet ausgelöst. Die von BETZ aufgeführten Beispiele wickeln die Transaktion weitgehend über das Internet ab, treten jedoch aus rechtlichen Gründen bisher als Vermittler auf. Abbildung 75 zeigt die Zuordnung der Betriebsformen von BETZ zum Kaufprozess. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an der Systematik von BETZ, allerdings unter Verwendung des Geschäftsmodellbegriffs.763 Im Markt sind bisher nicht alle Varianten abgebildet.
Phase 4: Auftrag und Zahlung
Online Information Site1)
Online Quoting Site
Bsp.: smart.de, forddirect.com, autobytel.com, autoprice.de
Phase 3: Spezifikation und Verhandlung
Geschäftsmodellystematik E-Commerce Geschäftsmodelle
(vgl. Betz 2003, S. 37-44)
Online Transaction Site
Phase 1&2: Information und Beratung
Betriebstypensystematik nach Betz
Bsp.: carsdirect.com, oneswoop.com
Kaufprozess (Ausschnitt)
Kunden Privatkunden
existent
existent
existent (i.d.R. kein Kaufvertrag im Internet)
Geschäftskunden
existent
existent
existent
Wiederverkäufer
keine Marktrelevanz
selten
existent
Information
Quoting
Transaktion
Instant
Phasen 5&6: Logistik und Auslieferung
Geschäftsmodellvarianten
Phase 7: Aftersales 1) Bsp.: auto-motor-sport.de
Abbildung 75: Integration der BETZ-Typologie in die Geschäftsmodellsystematik 762
763
Vgl. Betz 2003, S. 34-44. WIRTZ unterscheidet drei generische E-Commerce Geschäftsmodellvarianten, an die die automobilspezifische Abgrenzung von BETZ angelehnt ist: Anbahnung (Attraction), Aushandlung (Bragaining/Negotiation) und Abwicklung (Transaction). Vgl. Wirtz 2003, S. 110-111. An dieser Stelle wird der Vorzug des Geschäftsmodell-Begriffs ggü. dem Betriebstypen-Begriff erneut deutlich: Keines der von BETZ zitierten Beispiele fußt auf Handel im funktionalen Sinne, vielmehr spielen Kooperationen und Virtualität eine herausragende Rolle. In der vorliegenden Arbeit soll eine derart weite begriffliche Auslegung des Betriebstypen-Begriffs vermieden werden. Vgl. Kapitel 3.2.
212
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
BETZ wendet seine Systematik ausschließlich auf das Privatkundengeschäft an, in der vorliegenden Arbeit sollen jedoch auch Geschäftskunden und Wiederverkäufer berücksichtigt werden. Folgende GMV werden daher unterschieden:764 • GMV Information: Die Anbahnung von Geschäftstransaktionen mit Hilfe des Mediums Internet findet im Automobilvertrieb eine breite Anwendung.765 Die GMV bezieht sich besonders auf die Phasen eins bis drei des Kaufprozesses, also den Vergleich von Angeboten und Anbietern und die Abwägung von Produktmerkmalen. Dabei werden Informationen über Fahrzeuge, Preise, Ausstattungen, Finanz- und Dienstleistungsangebote u.ä. dem Nutzer in aufbereiteter Form zur Verfügung gestellt. Bei spezifischen Angeboten für Privatkunden kommt auch die Integration von Nachrichten, Infotainment o.ä. als Inhalt des Geschäftsmodells in Frage. Mit Hilfe des Internet werden Angebot und Nachfrage zusammengebracht. Wegen der geringen Nähe zu Kauf oder Transaktion wird diese GMV im Folgenden nicht weiter betrachtet. Der Übergang zur Geschäftsmodellvariante Quoting ist indessen fließend, da immer mehr Anbieter ihre Funktionalität im Hinblick auf das Quoting erweitern.766 DUDENHÖFFER zeigt, dass „Informationsorientierte“-Geschäftsmodelle zunehmend zu Quoting-Sites weiterentwickelt werden, indem bspw. ausgefeiltere Strategien zur Verbindung von Autohaus-Geschäftsmodellen mit E-Commerce-Geschäftsmodellen etabliert werden.767 • GMV Quoting: Geschäftsmodellvarianten dieses Typs erweitern die reine Informationsdarstellung um die (interaktive) Abbildung von Geschäftsbedingungen und Preisen – der Kunde erhält Leistungstransparenz und kann sich an den Anbieter direkt wenden.768 BETZ unterscheidet in zwei Quoting-Varianten: Beim sog. Instant-Quoting kann der Kunde aus vorgefertigten Angeboten direkt auswählen und die Transaktion auslösen, welche i.d.R. durch einen Vertragsabschluss bei einem Kooperationspartner – z.B. ein Autohaus – rechtskräftig wird. Demgegenüber fragt der Kaufinteressent beim sog. Refering-Ouoting ein Verkaufsangebot nach, welches ihm dann individuell – ggf. von Dritten – unterbreitet wird. Der Kaufvertrag wird i.d.R. später schriftlich unterzeichnet.769 Die GMV Quoting unterscheidet sich im Grundsatz nicht bzgl. Privat- und Geschäftskunden. • GMV Transaktion mit Endkunden: Bei dieser Geschäftsmodellvariante legt sich der Kunde mit dem verbindlichen Auslösen der Transaktion auf den Endpreis fest. • GMV Transaktion für Wiederverkäufern: Geschäftsmodelle mit Spezialisierung auf die Vermittlung von Fahrzeugen zwischen Automobilverkäufern, können dieser Kategorie 764
765 766
767 768 769
Vgl. Betz 2003, S. 24ff. Ähnliche Abgrenzungen allgemein zum E-Commerce, vgl. Pechtl 2002, S. 401; Fritz 2004, S. 28-29. Da unter dem Begriff E-Commerce häufig auch die Nutzung anderer digitaler Dienste neben dem Internet subsumiert wird, sind hier Interaktives Fernsehen oder Mobile Commerce sowie andere Formen des Electronic Data Interchange in die GMV eingeschlossen. Vgl. Fritz 2004, S. 30-31; Wirtz/Sammerl 2006, S. 434-436. Vgl. Betz 2003, S. 34 oder Dudenhöffer 2001, S. 83. Einige der von BETZ aufgeführten Beispiele für Online-Information-Sites haben ihr Angebot weitestgehend i.S.v. Online-Quoting-Sites ausgebaut. Die Internetauftritte der Hersteller können meist als Quoting-Sites charakterisiert werden. Vgl. Dudenhöffer 2001, S. 84-85. Vgl. Diez 2005, S. 383-386. In der Automobilwirtschaft werden i.d.R. Kaufverträge unter Ausschluss des Widerrufs- bzw. Rückgaberechts nach §355 bzw. §356 BGB abgeschlossen, die bei Fernabsatzverträgen nicht ohne weiteres umgangen werden können. Insofern sehen die Geschäftsmodelle i.d.R. die schriftliche Vertragsunterzeichnung beim Händler vor, wie bspw. beim Geschäftsmodell von eSEAT.com. Vgl. Gaide 2000, S. 44; Bartholatus 2002, S. 60-61; o.V. 2004c, S. 6. Da jedoch das Instant-Quoting den Transaktionsprozess beeits auslöst, soll diese Variante in der vorliegenden Arbeit der GMV Transaction zugeordnet werden. Zu weiteren Problemen der verbindlichen Online-Bestellung beim Automobilkauf siehe Betz 2003, S. 29-30; Schröder 1999, S. 63ff.; Meub 2002.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
213
zugeordnet werden. Diese GMV ist – anders als die vorangegangenen – aufgrund ihrer Positionierung innerhalb der Absatzkette nicht dem Einzelhandel zuzuordnen. Folgende Charakteristika des GM E-Commerce gelten für alle GMV. Leistungskonzept 2001 untersuchten MEINIG/MALLAD Privatkunden im deutschen Automobilvertrieb. Sie konnten zeigen, dass ältere Kunden eine geringere Akzeptanz von E-Commerce-Angeboten besitzen. Demgegenüber hat das Geschlecht nur geringen Einfluss auf die E-CommerceAkzeptanz. Außerdem stellten sie heraus, dass ein höheres Bildungsniveau tendenziell mit höherer Akzeptanz des E-Commerce im Automobilvertrieb einhergeht.770 Vorteile für Kunden − (Transaktions-) Kostenersparnisse (keine geographische Limitation, leichte Identifikation von Angeboten, schnelle/einfache Transparenz über Sortiment) − Hohe Verfügbarkeit (24/7) − Anonymität beim Leistungsvergleich − Bequemlichkeit − Aktualität − Informationen oft markenübergreifend dargestellt
Vorteile für Anbieter − Kosteneinsparung durch Verzicht auf physische Präsenz, günstiges Informations- und Transaktionsmedium − Ubiquität, Angebot 24/7 − Verknüpfungsmöglichkeit mit zusätzlichen Leistungen (z.B. Vermittlung von Versicherungen) − Kostengünstige Darstellung eines breiten Sortiments − CRM-Potenziale i.S.d. One-to-One-Marketing
Tabelle 24: Nutzenpotenziale des E-Commerce im Automobilvertrieb
Wie bereits erläutert, fokussieren sich die GMV auf bestimmte Phasen des Kaufprozesses. Tabelle 24 gibt einen Überblick zu potenziellen Vorteilen des E-Commerce für Kunden und GM-Betreiber.771
770 771
Vgl. Meinig/Mallad 2001, S. 161-164; Bauer/Sauer 2004, S. 46. Vgl. Bauer/Grether/Brüsewitz 2000, S. 403; Dammenhain/Amann 2001, 349; Schumann 2002, S. 15-16; Pechtl 2002, S. 407-408 und 415-426.
214
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
(Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement )
Kundenkontaktaufnahme
1
Verkaufsprozess
7
6
2
Nachkaufphase
9
8
10
11
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking) 6 produktbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 2. Werbung und direktes Marketing 6. Kundenpflege, CRM 7. Marktforschung 8. Produktberatung und -demonstration 9. Kaufberatung und Vertragsabschluss* 10. Orderabwicklung 11. Übergabe an den Kunden & Nachkaufbetreuung*
Nicht durchgeführte Prozesse
Produktbezogene Prozesse: 6. Aufbereitung für Übergabe an bzw. Transport zum Kunden*
*: z.T. über Kooperationspartner
Abbildung 76: Distributionsprozesse des GM E-Commerce
Entsprechend des Dienstleistungsangebots entlang des Kaufprozesses variiert die Abbildung von Distributionsfunktionen der unterschiedlichen E-Commerce GM. Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass maximal die in Abbildung 76 dargestellten Funktionen übernommen werden. Insbesondere fahrzeugbezogene Prozesse werden entweder gar nicht oder über Kooperationspartner abgewickelt.772 Kommunikationskonzept Das Geschäftsmodell wird im B2C- und B2B-Geschäft eingesetzt. Durch die Möglichkeiten personifizierter Websites treten bei diesem GM sowohl persönliche, als auch unpersönliche, gerichtete und ungerichtete sowie zwei- und einseitige Kommunikationsformen auf. Portallösungen oder personifizierte Angebote spielen mit dem Ziel individualisierter Angebotspräsentation, aktivem CRM oder des One-to-One-Marketing eine immer größere Rolle. So wird beispielsweise das Portal eSEAT auch dafür genutzt, exklusiven Kundengruppen gezielt spezielle Konditionen anzubieten.773
772
773
Demgegenüber bietet Mercedes Benz beim vollständig internetgestützten Verkauf von ehemaligen Dienstwagen den Transport vor die Haustür bei gleichzeitiger Mitnahme des alten Autos an. Derzeit integriert das Beispiel den größten Umfang an Distributionsprozessen in ein E-Commerce Transaktion Geschäftsmodell. Vgl. Tilp 2006a, S. 20. Bspw. wurde im Rahmen von Werbeaktionen in einer Fitnessclubkette den Mitgliedern des Fitnessclubs ein Sonderrabatt gewährt.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
215
Markeninszenierung findet in Abhängigkeit der Zielrichtung des jeweiligen Geschäftsmodells statt: Durch Hersteller betriebene Geschäftsmodelle774 bieten ihre Angebote mit einem markenexklusiven Internetauftritt an, während die Mehrheit der Geschäftsmodelle den markenunabhängigen Preis- bzw. Produktvergleich in den Vordergrund stellt und lediglich eine Eigenmarke bewirbt.775 Kompetenzkonfiguration Zentrale Ressource des GM ist die elektronische und somit oftmals kostengünstigere Abbildung aller notwendigen (kundenrelevanten) Prozesse sowie die teilweise Loslösung von regionaler bzw. physischer Bindung. Überdies können Angebote von Kooperationspartnern kostengünstig in Websites integriert werden – das GM kann somit der Individualisierung und Fragmentierung von Kundenbedürfnissen entsprechen.776 Zu den Kernkompetenzen zählt die bequeme, übersichtliche Bereitstellung von Informationen für Kunden. Unabhängig davon, ob im Internet der Kauf ausgelöst wird oder nicht, gewinnt der Kunde mit verhältnismäßig geringen Aufwand einen marken-, anbieter- und produktübergreifenden Leistungsüberblick. Diese Information mündet in die Eingrenzung der Kaufabsicht, bevor der Kunde ggf. andere GM – wie bspw. das GM Autohaus – zum Kaufabschluss nutzt. Der Endkunde stärkt so seine Verhandlungspositon und stimuliert den Interund Intra-Brand-Wettbewerb.777 Vor dem Hintergrund steigender Preisorientierung (T-2.2) trägt das GM dazu bei, dass sich die Verhandlungsposition der Kunden verbessert und Transaktionspreise tendenziell sinken (T-2.3). Organisationsform Herstellerunabhängige E-Commerce-GM sind klassische Beispiele für Intermediation im Automobilvertrieb: Teile der Informationssuche in der Vorkaufphase des Kaufprozesses werden durch diese GMV gezielt unterstützt. Es kann gezeigt werden, dass kontinuierlich mehr Menschen das Internet mindestens als zusätzliche Informationsquelle beim Autokauf nutzen.778 Die GMV E-Commerce (Quoting) ist i.d.R. als Spezialist oder Market-Maker mit einer umfänglichen Zusammenstellung an Informationsangeboten rund um den Automobilkauf aufgestellt. Kooperations- und Koordinationskonzept „Nicht zuletzt durch die Nutzung der Internettechnologie als ‚Enabler’ und der damit verbundenen gleichzeitigen Erhöhung der Reichweite und Reichhaltigkeit von Informationen ist die netzwerkartige Zusammenarbeit in vielen Branchen zu einem wichtigen Thema
774 775 776 777 778
Dabei handelt es sich i.d.R. um die GMV E-Commerce Quoting, siehe Kapitel 5.5.8.1. Vgl. z.B. das Gemeinschaftsangebot von Carplus und quelle.de, autoprice.de, autoscout24.de oder das D&W Angebot auf http://eu-neuwagen.duw.de. Vgl. T-2.5 (Individualisierung); T-2.7 (Polarisierung); T-II.7(Individualisierte Dienstleistungen). Vgl. Bauer/Grether/Brüsewitz 2000, S. 407; Bartholatus 2002, S. 60-61; Betz 2003, S. 282. Vgl. Maderner 2006, S. 25; Watson/Holmes/Taylor 2003, S. 19-21; o.V. 2005, S. 8-9.
216
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
geworden.“779 E-Commerce-Geschäftsmodelle insb. im B2B-Geschäft des Automobilvertriebs bilden mit ihren Geschäftspartnern professionalisierte oder strategische Netzwerke i.S.d. Definition von BACH/BUCHHOLZ/EICHLER. Derartige Netzwerke nutzen hybride Koordinationsformen zwischen Markt und Hierarchie. Kern des GM ist der Betrieb des Internetauftritts, während das Dienstleistungsspektrum oftmals mit Hilfe eines Netzwerks von Closing-Gap-Allianzen über Kooperationspartner sichergestellt wird. Kooperationspartner profitieren über die Generierung sog. Leads bzw. Kundenkontakte.780 Voraussetzung solcher Kooperation ist die Vermeidung von Problemen bei der Datenübergabe oder dem Wechsel der Corporate Identity sowie des Medienbruchs, so dass das Netzwerkmanagement auch zu einer Kernkompetenz des GM werden kann.781 Die meisten GM im E-Commerce sind weder durch die Automobilhersteller initiiert, noch gefördert. Daher sind sie nicht Teil des autorisierten oder gesteuerten Distributionssystems der Hersteller. 5.5.8.1 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Quoting) 57% der Experten erwarten bis 2015 eine steigende Bedeutung der GMV im europäischen Automobilvertrieb. Schwerpunkt dieser Entwicklung dürfte danach Nordwest-Europa sein – Abbildung 77 zeigt die Delphi-Ergebnisse im Überblick.
779 780 781
Vgl. Bach/Buchholz/Eichler 2003, S. 1. Vgl. Diez 2005, S. 384; Kiff 2005a, S. 3-4. Ergebnisdaten eines Fahrzeugkonfigurators müssen bspw. an einen Anbieter versendet, beim Anbieter verarbeitet und schließlich in Form eines Angebots über andere Medien und Kommunikationsformen zurück zum Kunden gelangen. Es könnte zu einer Verwirrung des Kunden oder zur gezielten Preisnachverhandlung kommen. Vgl. Dreier 1999, S. 124.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
0%
Marktstrategie
5
staatl./öffentl. 5% ,736 Institutionen wie Privatkunden 5% ,650 (User-Chooser) Marken mit 65% ,747 geringem Wert
Premium-/ Up-Market 1 Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
2
rational / stark kostenorientiert 2,4 65% Luxus- / Pre3,7 7% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
Strategien
1
Geschäftskunden
Geschäftskunden
Privat2,4 60% kunden
Privatkunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Strategien
A) Kundenperspektive
217
1
2
3
4
5
9% Süd-West-Europa 15% Süd-Ost-Europa 0%
S 57% ,789
Ò steigend
Einheitlich in EU 35% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 77: Delphi-Ergebnisse der GMV E-Commerce (Quoting)
Leistungskonzept Die Studienergebnisse machen deutlich, dass sich diese GMV schwerpunktmäßig an Privatkunden mit tendenziell geringer Preis-Premium-Bereitschaft und eher moderner Wertorientierung sowie Interesse für geringer wertige Automarken richtet. Die relevanten Geschäftskunden werden als Unternehmen mit eher kleinem Fahrzeugeinkaufvolumen und stark rationalem Kaufverhalten charakterisiert. Die Mehrheit der Experten empfiehlt, zukünftig eine Konzentration auf das Privatkundengeschäft beizubehalten, indes herrscht keine eindeutige Meinung bzgl. einer etwaigen Erweiterung des Kundenkreises. Die GMV konzentriert sich auf die Vorkaufphase des Automobilkaufprozesses, Transaktionen werden nicht ausgelöst. Das Angebot endet mit der virtuellen Produkt-
218
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
demonstration und/oder Produkt- und Preisinformationsübersicht. Zusätzlich bieten GMV dieser Art auch Übersichten zu Gebrauchtwagen-, Zubehör- und Finanzdienstleistungsangeboten sowie die graphische Simulation und Darstellung technischer Zusammenhänge. Beratung findet nur in begrenztem Umfang über die Einbindung von Produktbeschreibungen, Testergebnissen, Call-Center-Angeboten oder Kontaktangaben zum eigentlichen Fahrzeugverkäufer statt.782 Dementsprechend entfällt die Übernahme produktbezogener Distributionsfunktionen. Wichtiges Element der USP ist die Anonymität bei der Informationsbeschaffung: Der Kunde kann Fahrzeugkonfigurationen und Preisabfragen durchführen, ohne sich einem Verkäufer direkt offenbaren zu müssen. Dadurch gewinnt der Kunde bei tatsächlichem Verkäuferkontakt einen Informationsvorsprung.783 Ertragskonzept Im Fall Hersteller-betriebener GM werden mit dem Internet-Auftritt keine direkten Erlöse erwirtschaftet, vielmehr ist der Internetauftritt fester Bestandteil der markenzentrierten Kommunikationspolitik. Herstellerunabhängige GM nutzen jedoch unterschiedliche, oftmals mehrere Erlösmechaniken parallel. Bisher existiert keine Variante, bei der Endkunden direkt für das Angebot zahlen, stattdessen finanziert sich das GM etwa über Werbebanner, die Auswertung und Vermarktung von Kundendaten und/oder transaktionsunabhängige Gebühren für das Einstellen von Verkaufsangeboten. Wachstumskonzept und Kompetenzkonfiguration Die wichtigste Ressource eines GM E-Commerce (Quoting) ist daher der Betrieb einer Website mit hoher Bekanntheit und hohem Sitetraffic. Zum Ausbau dieser Ressource empfehlen 81% der Experten Preis-/Kostenführerschaft als Basisstrategie. Die Preisführerschaft bezieht sich dabei nicht auf die o.g. Erlösmechanik, sondern auf die Listung günstiger Fahrzeugangebote aus Endkundensicht, um ausreichend Sitetraffic generieren zu können. Demzufolge wird von der Expertenmehrheit die Erweiterung bzw. Beibehaltung eines breiten Markenspektrums, flankiert durch die Entwicklung einer starken Eigenmarke, vorgeschlagen.784 Tendenziell raten die Teilnehmer nicht zur Ausweitung des Leistungsspektrums.
782
783
784
Vgl. Bader 1999, S. 311. Beispiele sind autoscout24.de, webauto.de oder autobild.de. Bisher bietet kein Automobilhersteller – mit Ausnahme von SEAT – den direkten Kauf von Neuwagen im Internet an, indes können Fahrzeuge, Spezifikationen und Preise sowie Kontaktinformationen des Automobilhändlers abgerufen werden. Vgl. ebenda, S. 313; Dudenhöffer 2001, S. 83-84; Bartholatus 2002, S. 60; Betz 2003, S: 282; Diez 2005, S. 384. Eine Privatkundenstudie für den Automobilvertrieb konnte feststellen, dass zu den drei wichtigsten Funktionalitäten von Automobil-Websites umfangreiche Produktinformation, Konfiguration und Preisangaben zählen. 69% der europäischen Automobilkäufer nutzen Websites der Hersteller, 62% solche von Drittanbietern. Vgl. o.V. 2005, S. 19. Die Aussagen beziehen sich nicht auf die herstellergeführten Quoting-GM.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
219
5.5.8.2 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Transaktion mit Endkunden) Eine Kundenbefragung aus dem Jahr 2003 zeigt, dass in den fünf größten Absatzmärkten Europas und den USA lediglich 6% der Fahrzeugverkäufe von Automobilhändlern über ECommerce GM ausgelöst wurden.785 Dennoch prognostizieren – ähnlich wie bei der GMV Quoting – 52% des Delphi insb. für Nordwest-Europa eine steigende Bedeutung transaktionsbasierter GM. Abbildung 78 fasst die Ergebnisse zusammen.
Kunden kaufen
500 Fzg. (p.a.)
staatl./öffentl. Institutionen wie Privatkunden 5% ,675 (User-Chooser) Marken mit 51% ,757 geringem Wert 0% ,506
Premium-/ Up-Market 1
0%
0%
0%
0%
0%
2
0%
0%
2%
2%
0%
3
0%
0%
16%
19%
2%
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel
4
0%
0%
5%
37%
5%
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2)
Down- 5 Market
0%
0%
0%
5%
7%
1
2
3
4
Preis-/PremiumBereitschaft
Privatkunden
2
rational / stark kostenorientiert 2,2 74% Luxus- / Pre3,6 2% miummarken
Kaufentscheidung ist eher Kunden kaufen eher
traditionell
Wertorientierung
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
Strategien
1
ø
Kundenansprache
Fokus auf Kundensegment 2,4 58%
Kundenansprache
Privatkunden 2,9 28%
Marktstrategie Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kommunikation
Kosten- / Preisführerschaft Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Fzg.-Marken
C) Marktpotenzialprognose Absatzentwicklung
geographische Perspektive1)
1
Die Grafik zeigt den Anteil der Experten in %, die Privatkunden entsprechend der Parameter Preis/Premium-Bereitschaft und Wertorientierung charakterisieren. (vgl. Kapitel 3.2.1)
5
postmodern 2
3
4
5
2,9 33%
7%
,859
Differenzierungsstrategie
26%
1,037
Erweiterung
Erweiterung 63% ,976 (Multi Brand) Aufbau 62% 1,018 Eigenmarke
3,6 14% 3,5 17%
1
2
3
4
S
5
fallend Ô 3,5 11% Nord-West-Europa 67% Nord-Ost-Europa 22%
S Erweiterung 12% ,900 Kundenportfolios 26% ,910 Geschäftskunden
2,0 79%
ø
Geschäftskunden
Geschäftskunden
Privat3,0 23% kunden
Privatkunden
ø
Geschäftsmodell bedient insb.
Strategien
A) Kundenperspektive
Süd-West-Europa 14% Süd-Ost-Europa 0%
52% ,761
Ò steigend
Einheitlich in EU 33% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 78: Delphi-Ergebnisse der GMV E-Commerce (Transaktion mit Endkunden)
Die Ergebnisse in Abbildung 78 beziehen sich auf internetbasiertes E-Commerce. Trotz der Einführung durch Unternehmen wie bspw. Jütten&Koolen oder QVC in Deutschland,786 785 786
Vgl. Watson/Holmes/Taylor 2003, S. 19. Vgl. John 2005c, S. 26; Kapell 2006, S. 28; andere Beispiele existieren z.B. in U.K.
220
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
prognostizieren 55% der Experten für eine Teleshopping-Variante keine bzw. eine niedrige Marktbedeutung (siehe Abbildung 79). Diese GMV wird also bis auf Weiteres eher in der Nische existieren. Prognose der Marktbedeutung
keine
Tele-Shopping: Neuwagenvertrieb über spezielle Tele-Shopping-Sender bzw. Sendungen, ggf. in Verbindung mit interaktiver Kommunikationstechnologie
55% 2,5
ø 1
2
3
4
5 S
hoch
,848 11%
Abbildung 79: Delphi-Ergebnis zur GMV Tele-Shopping
Leistungskonzept Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass sich diese GMV sowohl an Geschäfts- als auch an Privatkunden richtet. Unter den Geschäftskunden erwarten die Experten primär Unternehmen mit geringerem Einkaufsvolumen und eher rationalem Kaufverhalten. Privatkunden werden ähnlich charakterisiert, wie bei der GMV Quoting: als Käufer eher geringer wertiger Marken mit tendenziell niedrigerer Preis-/Premiumbereitschaft und moderner Wertorientierung. Das Geschäftsmodell nutzt insofern Trends wie Preisorientierung (T-2.2), abnehmende Markenund Einkaufsstättenloyalität (T-2.4), Smart-Shopping- (T-2.12) und Variety-SeekingVerhalten (T-2.13) aus. Die Mehrheit der Experten empfiehlt eine stärkere Fokussierung auf bestimmte Kundensegmente. Dabei werden sowohl das Privat- als auch das Geschäftskundensegment als sinnvoll angesehen. Die meisten GM dieser Art bieten die Lieferung des Fahrzeugs vor die Haustür an. Als Beispiel kann das Geschäftsmodell der CarMeile AG dienen: Kunden können im Internet neben Preisen, Finanzdienstleistungsangeboten und Ausstattungsmerkmalen auch die Verfügbarkeit der Fahrzeuge einsehen und den Bestellvorgang direkt auslösen. Der Kaufvertrag wird sodann per Post verschickt.787 Beratungsleistungen während des Kaufprozesses werden über ein Call-Center abgewickelt. Die Übergabe des Fahrzeugs sowie eine etwaige Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens erfolgen durch den Lieferanten, da CarMeile handelsrechtlich als Vermittler auftritt. Ein anderes Beispiel ist das Internetportal eSEAT, wobei hier der Hersteller selbst das GM betreibt und Fahrzeuge direkt an den Endkunden verkauft. Der Kaufvertrag über ein im Internet ausgewähltes und reserviertes Fahrzeug kommt im Rahmen der Fahrzeugübergabe beim SEAT Autohaus direkt zwischen dem Hersteller und dem Kunden zustande. Die Auslieferung erfolgt ebenfalls durch das SEAT Vertragsautohaus, gegen eine finanzielle Aufwandsentschädigung vom Hersteller an das Autohaus. Das GM Autohaus (Vertrag) tritt hier also als Kooperationsparter zur Abwicklung produktbezogener Prozesse auf.
787
Diese GMV sieht keinen direkten Verkauf im Internet vor, um bspw. Regelungen des deutschen Fernabsatzgesetzes zu umgehen. Stattdessen wird der Vertrag bei Fahrzeugübergabe unterzeichnet, im Internet löst der Kunde daher i.d.R. lediglich einen Vermittlungsauftrag für das Fahrzeug aus, welches dann durch Dritte verkauft wird (Beispiele sind autoprice.de, carmeile.de oder oneswoop.com). Alternativ wird ein Angebotserstellungsprozess für Fahrzeuge initiiert. Beispiele sind die Anbieter juetten-koolen.de, motena.de oder das einzige herstellereigene GM eSEAT. Vgl. Plate 2005a, S. 25; Lulei 2006, S. 24; Markmann/Benze 2004, S. 331332.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
221
Kommunikations-, Ertrags- und Wachstumskonzept Die Mehrheit der Experten empfiehlt ähnlich wie bei der GMV Quoting die Beibehaltung bzw. Ausweitung der Fahrzeugmarkenvielfalt und die Stärkung des eigenen Auftritts über eine Eigenmarke. Diese GMV nutzt auch transaktionsabhängige Erlösmodelle i.S.v. Provisionsvereinbarungen für die Vermittlung des Fahrzeugkaufs. Analog zur Quoting-Variante empfiehlt die Mehrheit der Experten auch für diese Variante die Orientierung an einer Preisführerschaftsstrategie. Tatsächlich kann gezeigt werden, dass alle genannten, nicht-Hersteller-geführten Beispiele den günstigen Preis in das Zentrum ihrer Kommunikationsstrategien stellen. Keine Einigkeit herrscht im Delphi dahingehend, ob zukünftig das Leistungsspektrum eher erweitert oder fokussiert werden sollte. 5.5.8.3 Geschäftsmodellvariante E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern) Diese GMV ist dadurch gekennzeichnet, dass keine Endkunden bedient werden, sondern die GMV als Intermediator zwischen anderen Distributionsorganen auftritt. Aktuell tritt sie im Markt vor allem bei der Vermittlung von EU-Fahrzeugen auf und ist daher von Preisdifferenzen im europäischen Binnenmarkt abhängig.788 Beispiele für diese Variante sind eln.de, tradelinx.org oder car trader.789 Die zukünftige Marktbedeutung dieser GMV wird als leicht höher als heute prognostiziert – Abbildung 80 stellt die Ergebnisse zusammen.790
Strategien
Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kompetenzkonfiguration
Wertschöpfungskette Organisationsmodell
Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Kernkompetenzen Fokus auf kleineren Teil Desintegrativ (eher kooperativ)
C) Marktpotenzialprognose Absatzentwicklung Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
geographische Perspektive1)
ø
1
2
3
4
3,9
16%
1,074
Erweiterung
Erweiterung (Multi Brand) Erschließung 14% 1,055 Kompetenzfelder Erweiterung auf 7% ,922 weitere Teile Integrativ (eher 9% ,982 hierarchisch)
9%
77%
2,5 51%
2,2 72% 2,2 74%
ø
S
5
2,6 51%
1
2
3
4
5
fallend Ô 3,2 11%
1,074
Strategien
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
S 30% ,668
Ò steigend
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2)
Nord-West-Europa 23% Nord-Ost-Europa 14%
Süd-West-Europa 23% Süd-Ost-Europa 14%
Einheitlich in EU 57% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 80: Delphi-Ergebnisse zur GMV E-Commerce (Transaktion mit Wiederverkäufern)
Leistungs- und Ertragskonzept Die GMV stellt einen elektronischen Marktplatz zur Verfügung, der Neuwagen oder andere automobilnahe Angebote vermittelt. Das Geschäftsmodell übernimmt somit Teile der 788 789 790
Vgl. T-5.6 (Arbitrageeffekte). Vgl. Maderner 2005, S. 34; Tilp 2006b, S. 41. 59% erwarten keine Änderung, 30% prognostizieren eine höhere, 11% eine niedrigere Bedeutung im Markt. Die GMV ist dem Großhandel zuzuordnen, wurde jedoch aus systematischen Gründen dem GM E-Commerce untergeordnet.
222
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Informations- und Sortimentsaufgaben der Betreiber anderer Geschäftsmodelle im Automobilvertrieb. Durch Ausnutzung des Baligh-Richartz-Effekts sinken die Anbahnungskosten der Transaktion. Beispielsweise bringt eln.de Anbieter bzw. Lieferanten von Neufahrzeugen mit Wiederverkäufern zusammen und ermöglicht dem Wiederverkäufer automatisiert oder manuell Fahrzeuge in das eigene Sortiment zu übertragen, welche dann vom Wiederverkäufer vermarktet werden. Erst der Verkauf durch den Wiederverkäufer an einen Endkunden löst den Kauf- und Bestellprozess beim Lieferanten aus – eln.de tritt dabei als Vermittler auf.791 72% der Experten empfehlen auch für die Zukunft die Fokussierung auf einen kleinen Teil der Wertschöpfungskette. Im Fall von eln.de liegt eine transaktionsunabhängige, direkte Erlösmechanik vor, indem befristete Nutzungsrechte von Fahrzeugmarktplätzen verkauft werden. Daneben sind auch transaktionsabhängige, indirekte Erlösmechaniken i.S.v. Provisionen üblich. Wachstumskonzept, Kompetenzkonfiguration und Organisationsform Die GMV tritt im Markt als Market-Maker auf und ist Beispiel für Intermediation im Automobilvertrieb, die durch Preisunterschiede, den Abbau von Handelsschranken und die Entwicklung des Internet ausgelöst wird. Die Mehrheit der Experten empfiehlt auch für die Zukunft den Verbleib in der Nische unter Konzentration auf Kernkompetenzen. Kernkompetenz der GMV ist die Vernetzung möglichst vieler Anbieter und Nachfrager, um eine große Sortimentsbreite sicherstellen zu können. Insofern liegt es nahe, dass die Experten eine Mehrmarkenstrategie empfehlen.
5.5.9 Geschäftsmodell Einzelhandelskooperation Mit dem Ziel der Ausnutzung von Skalen- und Lerneffekten sowie des gegenseitigen Austausches von Kompetenzen, entwickelt sich zwischen Distributionsorganen auf Einzelhandelsebene eine bedeutende Zahl unterschiedlicher Kooperationen. Das Geschäftsmodell Einzelhandelskooperation fasst diese Entwicklungen zusammen. Die Kooperation besteht meist zwischen den Geschäftsmodellen Autohaus (Vertrag),792 die Integration anderer Geschäftsmodelle ist jedoch nicht ausgeschlossen. Vielmehr ist es denkbar, dass das Geschäftsmodell Einzelhandelskooperation selbst die Basis für den gemeinsamen Betrieb anderer GM bildet – bspw. Automall, E-Commerce o.ä. In Abbildung 81 wird deutlich, dass 66% der Delphi-Teilnehmer eine steigende Bedeutung dieses Geschäftsmodells bis 2015 erwarten. Der Fokus dieser Entwicklung wird insb. für Nordwest-Europa gesehen, 47% der Experten rechnen mit einer Ausdehnung des GM über nationale Grenzen.
791 792
Vgl. Maderner 2005, S. 34; Lulei 2003, S. 26; Schwickal 2004b, S. 28. Beispiele sind die Car Active Gruppe in Baden Würtemberg, die Automobile Süd AG in Bayern oder die Automobilgruppe Niedersachsen - Mitte AG. Vgl. Radl 2003, S. 24; Adami 2003, S. 31; Brachat 2004a, S. 12.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Strategien
Entwicklung Leistungsspektrum
Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Kernkompetenzen Fokus auf kleineren Teil Desintegrativ (eher kooperativ)
Fzg.-Markensprektrum Kompetenzkonfiguration
Wertschöpfungskette Organisationsmodell
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
2
3
4
47% ,948 Erweiterung Erweiterung 64% 1,087 (Multi Brand) Erschließung 37% 1,096 Kompetenzfelder Erweiterung auf 45% 1,063 weitere Teile Integrativ (eher 20% ,970 hierarchisch)
3,2 20% 2,6 52% 1
2
3
4
Ò steigend
33%
Regionaler Fokus
1,104
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 3% Süd-Ost-Europa 6%
Das Geschäftsmodell wird auf andere Bereiche ausgedehnt, z.B. gemeinsame Marketing-Strategien oder After-Sales. Geschäftsmodell wird Aktivitäten outsourcen, die nicht zur Kernkompetenz Automobilvertrieb gehören: z.B. Call-Center, IT.
66% ,787
Temporäres 20% ,851 Phänomen
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
S
5
9%
Inter2,9 47% nationalisierung Zwischenschritt zur 2,7 52% Fusion
Nord-West-Europa 53% Nord-Ost-Europa 28%
S
5
2,9 40%
ø
Geographische Ausrichtung
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
1
3,6 16%
fallend Ô 3,6
Absatzentwicklung
Langfristigkeit des Geschäftsmodells
ø 3,4 19%
Strategien
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
223
ø
k.Z. 1
Einheitlich in EU 39% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
3,1 33%
49% 1,125
3,5 16%
58% ,824
Abbildung 81: Delphi-Ergebnisse des GM Einzelhandelskooperation
Leistungskonzept Dieses GM hat keinen Endkundenkontakt, sondern operiert nur zwischen den Kooperationspartnern. Der Umfang der kooperativ durchgeführten Distributionsfunktionen variiert – Abbildung 82 stellt eine Übersicht potenzieller Funktionen dar.
224
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
(Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung
Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement )
Verkaufsprozess
Kundenkontaktaufnahme
1
2
3
4
5
6
Nachkaufphase
7
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
2
produktbezogene Prozesse
3
Kundenbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 2. Werbung und direktes Marketing 3. Außendienst 4. Eventmarketing 5. Messen und Ausstellungen 6. Kundenpflege, CRM 7. Marktforschung
4
Back-OfficeProzesse
6
Nicht durchgeführte Prozesse
Produktbezogene Prozesse: 2. Eingangsprüfung, nat./regionale Lagerung 3. Transport zum PoS 4. Eingangsprüfung, Aufbereitung, Zwischenlagerung 6. Aufbereitung für Übergabe an bzw. Transport zum Kunden
Abbildung 82: Potenzielle Distributionsprozesse des GM Einzelhandelskooperation
• Back-Office- und Produktbezogene-Prozesse: Teilziel der Kooperation kann im Aufbau regionaler Marktmacht und Ausschaltung von Inter-Brand-Wettbewerb bestehen, so dass ein koordiniertes regionales strategisches Vertriebsmanagement möglich ist, bspw. der koordinierte Einsatz der verbundenen Betriebsstätten. Kostendegressionseffekte können durch die Zusammenlegung von Back-Office-Prozessen und Logistik erreicht werden, weil diese i.d.R. kein Markenerlebnis vor Kunde implizieren und daher markenübergreifend abgewickelt werden können. Ein Beispiel ist die regionale Fahrzeugdisposition für mehrere Betriebsstätten. Kostendegression erwarten die Kooperationspartner überdies von der Zusammenlegung im Einkauf, so dass verbesserte Konditionen verhandelt und neue Bezugsquellen erschlossen werden können.793 • Kundenbezogene Prozesse: Aus Herstellersicht ist dieser Bereich zweifellos der sensibelste, da Anforderungen an Markenexklusivität vor Kunde berührt werden.794 Beispiele sind die gemeinsame Durchführung von Marktforschung oder Events zur Kundenbeziehungspflege. 64% der Experten empfehlen für das GM die Nutzung markenübergreifender Kooperationen. 49% der Befragungsteilnehmer erwarten, dass horizontale Kooperationsmodelle auf weitere Bereiche ausgedehnt werden. 58% gehen davon aus, dass generische Prozesse, die nicht zu den Kernkompetenzen des Automobilvertriebs gehören, im Rahmen der Kooperation an Dritte vergeben werden.
793 794
Vgl. T-3.11 (Skalenvorteile). Vgl. T-3.9 (Markenwert).
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
225
Wachstumskonzept und Kompetenzkonfiguration 47% der Experten empfehlen die Ausweitung des Leistungsspektrums, allerdings ist die Meinung bzgl. der Fokussierung oder Erweiterung der Kompetenzen des GM uneinheitlich – 40% halten eine Fokussierung, 37% eine Erweiterung für zweckmäßig. Organisationsform 52% der Teilnehmer empfehlen die Beibehaltung von kooperativen bzw. desintegrativen Organisationsmodellen, anstelle hierarchischer Koordination. Das GM ist Beispiel für disintegrative Veränderungen des Automobilvertriebs, wobei das GM als Orchestrator/ Koordinator auftritt, indem die Kernkompetenzen der kooperierenden Partner gewinnbringend zusammengebracht werden. Kooperationskonzept Definitionsgemäß ist das GM als horizontale i.d.R. langfristige multilaterale Kooperation angelegt. Dabei hat es meist den Charakter einer Critical-Mass-Allianz, in der Kostendegressionseffekte in der Gemeinschaft durch die Ausnutzung von Skaleneffekten erreicht werden sollen – bspw. durch den gemeinsamen Einkauf. Oftmals ist das jedoch der Beginn einer Closing-Gap-Allianz, da Know-how geteilt wird oder gegenseitig Kernkompetenzen nachgefragt werden. Koordinationskonzept Das GM unterhält i.d.R. keine separate vertikale Beziehung zum Hersteller. Die horizontale Kooperation kann unterschiedliche Beziehungsintensitäten beinhalten – 52% der Experten sehen die heute vielfach multilateral vertraglich angelegte Kooperation als ein Zwischenschritt zu Fusionen im Einzelhandel. Im Folgenden sind die wichtigsten Kooperationsformen des markengebundenen Autohandels in Anlehnung an 795 WOLTERMANN/BREYER zusammengestellt: • Punktuelle Zusammenarbeit: Einfachste Form der Kooperation ist die sachlich begrenzte und u.U. zeitlich befristete Zusammenarbeit selbständiger Unternehmen. Beispiele sind gemeinschaftliche Werbeaktionen oder der zusammengefasste Einkauf. Diese Form der Kooperation ist nur z.T. vertraglich institutionalisiert und stellt insofern eine Vorstufe des Geschäftsmodells dar. • Vertriebsgesellschaft: Diese Kooperation baut auf der Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft auf, welche den Handelsvertrag direkt mit dem Automobilhersteller schließt. Die Kooperationsaktivität wird über die gemeinsame Gesellschaft abgewickelt und erstreckt sich über ein oder mehrere Geschäftsfelder, z.B. Vertrieb Neuwagen und Gebrauchtwagengeschäft. Die Kooperationspartner treten dann als Vermittler der gemeinsamen Gesellschaft auf. Sie nutzen ihr eigenes Personal und ihre eigenen Verkaufsflächen für den Vertrieb der vermittelten Fahrzeugmarke im Namen und auf Rechnung der gemeinsamen Vertriebsgesellschaft, um das unternehmerische Engagement und die regionale Marktkenntnis der Kooperationspartner stärker auszunutzen. Die Kooperationspartner halten i.d.R. einen eigenen Servicevertrag mit dem Hersteller. 795
Vgl. Woltermann/Breyer 2005, S. 471-478; Radl 2003, S. 24-25; Vgl. Kapitel 3.2 und 5.5.8.
226
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Vertriebsgemeinschaft: Wie bei der Vertriebsgesellschaft schließt eine Gesellschaft der Kooperationspartner den Handelsvertrag mit dem Hersteller. Die Verflechtung der Kooperationspartner ist höher, da die gemeinsame Gesellschaft mit eigenem Verkaufspersonal die Geschäftstätigkeit in angemieteten Verkaufsräumen der Kooperationspartner durchführt. Die Kooperationspartner geben somit einen größeren Teil ihrer Selbständigkeit auf und agieren lediglich im Werkstattgeschäft autonom. • Holding: Hier bringen die Kooperationspartner die Geschäftsanteile ihrer vormals eigenen Betriebe in eine Dachgesellschaft ein, welche die strategische Steuerung der als Tochtergesellschaften geführten Betriebe ausübt, während die operative Steuerung in den Standorten verbleibt. Die Handelsverträge bleiben weiterhin zwischen Hersteller und den einzelnen Betrieben bestehen. • Fusion/Händlergruppe: Die Kooperationspartner gründen eine gemeinsame Gesellschaft, welche alle Geschäftstätigkeiten in der einen Organisation vereinigt. Die ehemals selbständigen Betriebe können als Filialen weitergeführt werden. Die Kooperationspartner geben dabei ihre Selbständigkeit in allen Geschäftsbereichen auf. Beispiele international agierender Handelsgruppen sind Pendragon plc, AVAG Holding und Inchcape plc – vgl. auch Abbildung 83. Die Marktentwicklung von Händlergruppen wird von den Experten sehr positiv gesehen, 73% prognostizieren eine hohe Bedeutung für die Zukunft.796 Prognose der Marktbedeutung
Händlergruppe: Fusion/Integration mehrerer (ehemalig) selbständiger Unternehmer im Einzelhandel, um ggü. Herstellern Einkaufsmacht aufzubauen sowie insb. Skaleneffekte und Proffessionalisierungsvorteile in der Marktbearbeitung auszunutzen. Oft Einsatz mehrerer Geschäftsmodelle. Bsp. Pendragon plc, AVAG Holding, Inchcape plc
keine
4%
ø 1 3,9
2
3
4
5 S
hoch
,775 73%
Abbildung 83: Delphi-Ergebnis zu Händlergruppen
5.5.10 Geschäftsmodell Nationale Vertriebsgesellschaft Das Geschäftsmodell Nationale Vertriebsgesellschaft (NVG) wird vielfach als Importeur oder Landesgesellschaft bezeichnet. Im Auftrag des Herstellers übernimmt das Geschäftsmodell die Vertriebsverantwortung für mindestens einen nationalen Markt. Dazu werden Distributionsprozesse auf Groß- und Einzelhandelsebene durchgeführt und/oder koordiniert. Das Geschäftsmodell Nationale Vertriebsgesellschaft hängt eng mit der Markteintrittsstrategie des jeweiligen Herstellers in Verbindung mit nationalen marktspezifischen Anforderungen zusammen. Die von BROCKMEIER für den Automobilvertrieb konkretisierten Besonderheiten des internationalen Vertriebs, zeigen die Motive eines Herstellers zum Einsatz dieses Geschäftsmodells.797 Sie gelten im Grundsatz auch innerhalb Europas, sind jedoch in Teilen aufgrund des europäischen Integrationsprozesses neu zu bewerten: • Komplexität, die aus Zoll-, Währungsgrenzen und landesspezifischen technischen Regelungen resultiert, ist im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses deutlich zurückgegangen. Die Komplexität des Vertriebs ist jedoch durch eine hohe Anzahl
796 797
Vgl. John 2005a, S. 3; Plate 2004a, S. 13. Vgl. Brockmeier 2000, S. 12-15.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
227
landesspezifischer Transaktions- und Interaktionspartner sowie landesspezifischer Preisund Steuerpolitik798 weiterhin höher als im Inland. • Informationsprobleme resultieren weiterhin aus Marktspezifika i.S. unterschiedlicher Kundenbedürfnisse und Wettbewerbsstrukturen sowie rechtlicher und steuerlicher Besonderheiten, wenngleich hier Homogenisierung stattgefunden hat. Das Geschäftsmodell leistet daher einen Beitrag, nationalen Spezifika durch Anpassung der Kommunikationspolitik gerecht zu werden sowie nationale Produktanforderungen systematisch zu erfassen. Letzteres zeigt sich innerhalb Europas primär in marktspezifischen Ausstattungspaketen/-varianten, jedoch nicht in speziellen Fahrzeugmodellen. • Kulturelle Spezifika sind auch weiterhin zu berücksichtigen, NVG leisten einen Beitrag zur Übersetzung der Herstellerstrategien in den nationalen oder ggf. regionalen Kulturkontext. • Risiken aufgrund von Wechselkursschwankungen oder unsicheren politischen Regimes können dagegen in Europa ausgeschlossen werden. Dennoch übertragen Hersteller beim Einsatz vertragsgebundener NVG regelmäßig Absatzrisiken auf den Absatzmittler. • Die Wettbewerbsvoraussetzungen sind durch die europaweit geltende GVO und andere im Binnenmarkt etablierte rechtliche Rahmenbedingungen weitgehend identisch. Unterschiede resultieren weiterhin aus national divergierender Steuer- und Subventionspolitik. • Ein essentieller Grund für den Einsatz von Importeuren ist die Reduktion des Ressourceneinsatzes. Die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen der Hersteller bestimmt auch weiterhin die Entscheidung, ob herstellereigene NVG eingesetzt werden können. Die Motive für den Einsatz des Geschäftsmodells Nationale Vertriebsgesellschaft sind im Grundsatz erhalten geblieben: Überwindung und Respekt nationaler Besonderheiten sowie Senkung des Absatzrisikos. Nach der allgemeinen Geschäftsmodellcharakterisierung werden zwei Varianten zu unterscheiden sein: die vertraglich und die hierarchisch an den Hersteller gebundene Variante. Leistungskonzept Das GM Nationale Vertriebsgesellschaft tritt nur sehr eingeschränkt gegenüber Endkunden auf, insofern definiert sich das GM über den Wertbeitrag im Distributionssystem. Welchen Umfang der Distributionsfunktionen das Geschäftsmodell im Einzelnen abdeckt, wird durch die Marktstrategie der Hersteller und den Betreiber des Geschäftsmodells bestimmt. Abbildung 84 gibt einen Überblick der von NVG traditionell ausgeübten Distributionsprozesse: • Back-Office-Prozesse: Wie bereits in den Motiven zum Einsatz des GM deutlich wird, setzt das GM marktspezifisches Wissen im nationalen strategischen Vertriebsnetzmanagement und im nationalen Produktmanagement ein. Die genannten Back-OfficeProzesse sind notwendig für den Betrieb des Geschäftsmodells. • Kundenbezogene Prozesse: Die kundenbezogenen Distributionsprozesse werden durch national spezifische Marktkenntnis stark erleichtert bzw. ermöglicht. Dabei werden i.d.R. allgemeine Vorgaben des Herstellers kulturraumspezifisch angepasst und umgesetzt. 798
Vgl. Kapitel 3.5.2.1.
228
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Produktbezogene Prozesse: Das Geschäftsmodell übernimmt traditionell wichtige Aufgaben der physischen Distribution, so dass der Transport der Fahrzeuge vom Werk zum PoS inkl. etwaiger Zwischenlagerung koordiniert und beauftragt wird. (Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement )
Verkaufsprozess
Kundenkontaktaufnahme
1
2
3
4
5
6
Nachkaufphase
7
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
1 produktbezogene Prozesse
2
3
Kundenbezogene Prozesse
Back-OfficeProzesse
Nicht durchgeführte Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: Produktbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 1. Transport ab Werk* 2. Werbung und direktes Marketing 2. Eingangsprüfung, nat./regionale Lagerung 3. Außendienst* 3. Transport zum PoS 4. Eventmarketing* 5. Messen und Ausstellungen 6. Kundenpflege, CRM *: je nach Ausprägung 7. Marktforschung Abbildung 84: Distributionsprozesse des GM Nationale Vertriebsgesellschaft
Eine landes- oder kulturraumspezifische Gestaltung des Vertriebs wird durch die zu berücksichtigenden Marktcharakteristika (nationale Regelungen, Anforderungen, Marktkenntnis und kulturelle Spezifika) weiterhin nahe gelegt.799 Mit Bezug auf Prozesse wie bspw. Public Relations und Werbung weist WEHR auf die kulturbedingt länderspezifische Wahrnehmung von Markenimage im Automobilvertrieb hin.800 Wie bereits angedeutet, gelten nicht alle Motive des internationalen Vertriebs in gleicher Weise innerhalb Europas. Aus Sicht der Experten ermöglicht der europäische Integrationsprozess die Zentralisierung nicht-marktspezifischer, skalierbarer Prozesse – wie bspw. Transport und Lagerung, vgl. Abbildung 85. Auch vor dem Hintergrund beständigen Drucks zur Kostenoptimierung der Distributionssysteme801 nimmt die Mehrheit der Experten an, dass nicht-marken- und nicht-marktprägende Prozesse zukünftig konzentriert werden. Sie erwarten folglich, dass NVG die (markenspezifische) Marktausschöpfung stärker in den Vordergrund ihrer Politik stellen, anstatt (skalierbare) Prozesse wie bspw. Logistik sicherzustellen.
799 800 801
Lediglich kleine Hersteller – wie bspw. Bentley – bedienen den gesamten kontinental-europäischen Markt aus einer zentralen Gesellschaft. Vgl. Wehr 2001, S. 329. Vgl. T-3.11 (Skalenvorteile), T-4.1 (Vorwärtsintegration), T-5.2 (Wettbewerbsdruck), T-5.9 (Prozessoptimierung).
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
ø
k.Z. 1
2
3
4
229
5 v.Z.
S
Auf Großhandelsebene werden nicht-markenprägende Prozesse stärker konzentriert abgewickelt – auch marktübergreifend. (z.B. in zentralen „Center of Competence“)
3,8
9%
75% ,815
Nationale Vertriebsgesellschaften werden sich zukünftig stärker auf markenspezifische Marktausschöpfung bzw. akquisitorische Funktionen, anstatt auf logistische Funktionen fokussieren.
3,8 11%
73% ,830
Abbildung 85: Delphi-Ergebnisse zum GM Nationale Vertriebsgesellschaft
Es ist daher für alle Distributionsprozesse individuell zu klären, welche Gründe jeweils für eine regionale, nationale, internationale oder EU-weite Zentralisierung sprechen. Daraus könnte sich auch die Bildung neuer Geschäftsmodelle auf nationaler Ebene entwickeln. Das Geschäftsmodell Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen stellt eine mögliche Ausprägung dar. Kommunikationskonzept Das GM hat nur im geringen Umfang Kontakt mit Endkunden,802 gleichwohl kann die Gestaltung einer NVG – analog eines Geschäftsmodells auf Einzelhandelsebene – markenexklusiv, konzernexklusiv oder i.S.d. Multi-Brand-Ansatzes gestaltet sein.803 Denn eine der Aufgaben einer NVG ist die Übersetzung der jeweiligen Marke in den landes- bzw. regionsspezifischen Kontext. Eine nicht vollständig markenexklusiv angelegte NVG, muss insofern den Antagonismus zwischen gezielt markenspezifischer Marktentwicklung und Ausnutzung von Kostendegressionseffekten durch markenübergreifende Prozessgestaltung lösen. Es sind zunächst die Distributionsprozesse der NVG zu identifizieren, welche die Markenexklusivität im Auftritt vor Kunde beeinflussen. Danach müssen die Prozesse bzgl. ihres Wirkungspotenzials auf das Erlebnis der Marke charakterisiert werden. Um Skaleneffekte ausnutzen zu können, besteht die Möglichkeit Prozesse zu definieren, die markenunspezifisch abgewickelt werden, gleichzeitig jedoch vor Kunde markenexklusiv wirken.804 Organisationskonzept NVG traditioneller Prägung bauen auf einem stark integrierten Organisationskonzept auf: in einem Unternehmen und zumeist an einem Standort sind alle Prozesse gebündelt und in einer zentralisierten oder divisionalen Struktur organisiert. Die Reorganisation der Distributionsprozesse macht die Anwendung stärker desintegrativer Netzstrukturen möglich. Bspw. können Prozessschritte durch Dritte oder in Profitcentern ausgeführt werden. Kompetenzkonfiguration Zu den Ressourcen einer NVG gehören die logistischen Prozesse und Strukturen für Fahrzeuge und Ersatzteile, wobei auf nationaler Ebene Skaleneffekte ausgenutzt werden. T-4.3 (Herstellerkonzentration/Markenvielfalt) könnte diese Effekte noch stärken, indem eine 802 803 804
Z.B. nationale Werbekampagnen und Public Relations, Käufer großer Fahrzeugflotten und nationale Messen. Vgl. Kapitel 3.4.2. Bspw. arbeitet die Volkswagen Financial Services AG als Direktbank vor Kunde markenexklusiv als Škoda Bank respektive Audi Bank, während skalierbare Prozesse in der Bank gemeinsam abgewickelt werden.
230
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Bündelung der NVG-Geschäftsmodelle durch die Hersteller induziert wird. Ebenso von Bedeutung ist die Geschäftsbeziehung zu nachgelagerten Distributionsorganen – insbesondere die vertragliche Beziehung zu Autohäusern. Mit dieser Beziehung sind nicht nur die Steuerung des Absatzes und des Marktauftritts vor Kunde direkt beeinflussbar, die NVG besitzt mittelbar den Zugriff auf die Endkundenbeziehung. Die Kernkompetenzen haben ihren Ursprung im Baligh-Richartz-Effekt805 und werden durch nationale Marktkenntnis und Kooperationsbeziehungen zu Absatzmittlern im Markt spezifiziert. Koordinationskonzept Die wichtigsten Kooperationspartner einer NVG sind Hersteller auf der einen und nachgelagerte Distributionsorgane auf der anderen Seite. Es existieren zwei Geschäftsmodellvarianten (GMV), die über das unterschiedliche Koordinationskonzept in der Beziehung mit dem Hersteller abgegrenzt sind: • Die Beziehung mit dem Hersteller ist entweder hierarchisch oder i.S. der GVO 1400/02 vertraglich geregelt. In der GVO wird nicht zwischen Großhandels- und Einzelhandelsebene unterschieden. Exklusive Vertriebsrechte in einem Gebiet, welches kleiner als die EU ist, können unter dem selektiven Vertriebssystem nicht vergeben werden.806 Vertraglich gebundene NVG bzw. Importeure betreiben ihr Geschäftsmodell zwar derzeit vor allem in ihren ehemaligen Vertragsgebieten, dennoch haben die Hersteller keine rechtlich verbindlichen Möglichkeiten das Geschäft darauf zu beschränken. Demzufolge kreist die Argumentation für und wider des jeweiligen Koordinationskonzepts um diese Kriterien: Für den Einsatz vertragsgebundener Absatzmittler sprechen die Übergabe hoher finanzieller und absatzpolitischer Risiken an den Absatzmittler sowie die Ausnutzung dessen marktspezifischen Know-hows und unternehmerischen Engagements. Für die Vorwärtsintegration sprechen indes die spezifischere Marktsteuerung, Erleichterung der Prozessoptimierung über nationale Grenzen hinweg und die Vermeidung von Konflikten durch die Aufhebung exklusiver Absatzgebiete. Grundsätzlich kann konstatiert werden, dass der Einsatz vertraglich gebundener NVG eine indirekte Beziehung zwischen Hersteller und Distributionsorganen auf Einzelhandelsebene determiniert. • Die Beziehung zwischen NVG und Einzelhandelsebene ist identisch mit der Koordinationsbeziehung zwischen Autohaus (Vertrag) und Hersteller – vgl. Kapitel 5.5.1. 5.5.10.1 Geschäftsmodellvariante Nationale Vertriebsgesellschaft (Hierarchie) Charakteristisches Merkmal dieser GMV ist die hierarchische Bindung an den Hersteller, so dass dieser in der Lage ist, nationale bzw. regionale Vertriebsaktivitäten direkt zu beeinflussen, ohne Regelungen der GVO 1400/02 berücksichtigen zu müssen. Trotz der damit verbundenen erheblichen Investitionskosten und Absatzrisiken prognostizieren 55% der Experten bis 2015 eine Zunahme der Bedeutung dieser GMV im Markt.
805 806
Vgl. z.B. Toporowski 1999, S. 81ff.; Müller-Hagedorn/Spork 2000b, S. 253ff.; Müller-Hagedorn/Spork 2000a, S. 56ff. Im europäischen Automobilvertrieb betreiben fast alle Hersteller ein selektives Vertriebssystem i.S. der GVO 1400/02. Vgl. Kapitel 3.5.1.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Strategien
Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kompetenzkonfiguration
Wertschöpfungskette Organisationsmodell
Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Kernkompetenzen Fokus auf kleineren Teil Desintegrativ (eher kooperativ)
C) Marktpotenzialprognose Absatzentwicklung Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
geographische Perspektive1)
ø
1
2
4
5
Erweiterung 38% 1,307 (Multi Brand) Erschließung 33% 1,115 Kompetenzfelder Erweiterung auf 35% 1,045 weitere Teile Integrativ (eher 24% 1,042 hierarchisch)
2,7 47%
3,1 30% 2,8 43%
ø
S 38% 1,122 Erweiterung
3,0 36%
fallend Ô 3,6
1
2
3
4
5
S 55% ,730
7%
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2)
Nord-West-Europa 41% Nord-Ost-Europa 26%
3
3,1 29%
Strategien
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
231
Ò steigend
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 3% Süd-Ost-Europa 3%
Einheitlich in EU 62% 1) Mehrfachantworten
möglich
Abbildung 86: Delphi-Ergebnisse zur GMV NVG (Hierarchie)
Bezüglich der Entwicklung des – wie in Abbildung 84 dargestellten – bereits sehr umfangreichen Leistungsspektrums, empfehlen zwar mehr Befragungsteilnehmer dessen Ausweitung, doch die hohe Streuung zeugt von uneinheitlicher Meinung in diesem Punkt. Uneinheitlich zeigt sich das Bild im Hinblick auf Markenspektrum und Kompetenzkonfiguration. Die Experten raten tendenziell zur Konzentration auf Kernkompetenzen bei gleichzeitiger Erweiterung der Wertschöpfungskette und Erweiterung des Leistungsspektrums. Das Geschäftsmodell zöge also weitere marktspezifische Aktivitäten zu sich heran. Eine einheitlichere Meinung ist bezüglich der vorgeschlagenen organisatorischen Weiterentwicklung der GMV auszumachen: 43% der Experten empfehlen eine desintegrative Organisationsstruktur, welche z.B. das Outsourcing skalierbarer, einfacher Prozesse oder das bewusste Aufteilen in markenspezifische und nicht-markenspezifische Teile des GM implizieren könnte. 5.5.10.2 Geschäftsmodellvariante Nationale Vertriebsgesellschaft (Vertrag) Die Geschäftsmodellvariante NVG (Vertrag) ist durch ihre vertragliche Bindung an den Hersteller charakterisiert, der Begriff Importeur soll hier synonym verwendet werden.807 Hersteller wickeln einen Großteil ihres Absatzvolumens über eigene NVG ab – der konstatierte Trend zur Vorwärtsintegration (T-4.1) schlägt sich auch im Delphi nieder: Während 55% der Teilnehmer eine Bedeutungszunahme der GMV NVG (Hierarchie) erwarten, prognostizieren lediglich 18% die Zunahme der GMV NVG (Vertrag) – 43% erwarten eine Abnahme. Das Marktpotenzial wird von den Befragungsteilnehmern primär in Südeuropa gesehen. Abbildung 87 fasst die Befragungsergebnisse zusammen. 807
Mit dem Begriff Importeur werden bisweilen Hersteller bezeichnet, die in einem Markt nicht heimisch sind, z.B. Toyota in Deutschland. Vgl. Meinig 1995, S. 207-208. Wenngleich diese Hersteller i.d.R. über eine Importeursgesellschaft, also NVG, in dem jeweiligen Land repräsentiert werden, ist diese Definition irreführend und wird in dieser Arbeit nicht verwendet.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
Strategien
Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kompetenzkonfiguration
Wertschöpfungskette Organisationsmodell
Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Kernkompetenzen Fokus auf kleineren Teil Desintegrativ (eher kooperativ)
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
1
2
3
4
45% ,995 Erweiterung Erweiterung (Multi Brand) Erschließung 37% ,999 Kompetenzfelder Erweiterung auf 47% ,972 weitere Teile Integrativ (eher 26% ,916 hierarchisch)
3,5 19%
60% ,994
3,0 33%
3,2 23% 3,1 21%
ø
1
2
3
4
18% ,803
Dieses Geschäftsmodell ist ein Auslaufmodell, dessen Funktionen durch große Händler respektive den Hersteller übernommen werden. Hersteller streben nach stärkerer Kontrolle der Vertriebsnetze.
Ò steigend
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 38% Süd-Ost-Europa 47%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
S
5
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Nord-West-Europa 0% Nord-Ost-Europa 6%
S
5
fallend Ô 2,8 43%
Absatzentwicklung Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
ø 3,3 17%
Strategien
232
ø
k.Z. 1
3,4 29%
Einheitlich in EU 47% 1) Mehrfachantworten
2
3
4
möglich
5 v.Z.
S
56% 1,053
Abbildung 87: Delphi-Ergebnisse zur GMV NVG (Vertrag)
Das Delphi empfiehlt tendenziell die Erweiterung des Leistungsspektrums sowie die Aufnahme von Aktivitäten in weiteren Bereichen der Wertschöpfungskette. Letzteres kann sich z.B. durch die direkte Betreuung von Geschäftskunden oder den Aufbau von Niederlassungen ausdrücken. In der Tat besitzen viele Importeure z.T. große Teile des Einzelhandelsvertriebsnetzes.808 Demgegenüber ist eine knappe Mehrheit der Befragungsteilnehmer der Meinung, dass die Hersteller die NVG (Vertrag) aufkaufen und/oder zugunsten einer optimierten Verteilung der Distributionsprozesse auflösen werden. 60% der Teilnehmer empfehlen die Orientierung am Mehrmarkenkonzept, also die möglichst umfassende Ausnutzung von Kostendegressionseffekten markenübergreifender Zusammenlegung von Prozessen. Im Hinblick auf Organisationsmodell und Kompetenzkonfiguration lässt die Studie keine eindeutige Interpretation zu.
5.5.11 Geschäftsmodell Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen Eine Folge der Konzentration der NVG auf Kernkompetenzen – also die marktspezifische Marktbearbeitung – und des anhaltenden Kostendrucks809 kann die Auslagerung von NVGGeschäftsprozessen an Dritte sein. Dabei handelt es sich um solche Prozesse, die durch potenziell hohe Skaleneffekte sowie geringe Markt- und Markenspezifität charakterisiert sind. Daraus leitet sich das vorliegende GM ab.
808 809
Bspw. kontrolliert Porsche Austria über eine Tochtergesellschaft 60% des Absatzvolumens der vertriebenen Marken VW, Audi, Skoda, Seat und Porsche auf Einzelhandelsebene. Vgl. T-5-2 (Kosten- und Wettbewerbsdruck).
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie C) Prognose der Marktbedeutung
keine
Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen: Kein Handel, sondern nur die Bereitstellung von ausgewählten „Importeurs“- Dienstleistungen für den Hersteller. Beispiel: SEAT in Portugal
30% 3,0
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
ø
ø 1
k.Z. 1
2
3
233
4
5 S
hoch
,762 27% 2
3
4
5
v.Z. S
Skalierbare Prozesse und Funktionen nationaler Vertriebsgesellschaften werden zukünftig outgesourct (z.B. PDI, Logistik, Lagerung)
3,7
7%
64% ,795
Große/starke Einzelhändler(-ketten) übernehmen z.T. heutige Großhandelsfunktionen (z.B. Transport, Flottenverkäufe, Finanzangebote).
3,5 13%
56% ,815
Abbildung 88: Delphi-Ergebnis zum GM Dienstleister für nationale Distributionsfunktionen
Das GM existiert bisher nur in Ansätzen, könnte jedoch eine nicht unerhebliche Bedeutung im Markt gewinnen. Ein Beispiel ist die Übertragung der Ersatzteillogistik und -disposition für viele Länder Europas von General Motors Europe auf den international tätigen Dienstleister Caterpillar Logistics. Zwar prognostiziert das Delphi zunächst nur eine mittlere Bedeutung des GM im Markt, dennoch erwarten 64% der Teilnehmer, dass skalierbare Prozesse und Funktionen der NVG an Dritte ausgelagert werden: • Kernkompetenzen: In Kapitel 5.5.10 wurde herausgearbeitet, dass die NVG aufgrund ihrer nationalen/regionalen Marktkenntnis und Marktnähe auch im stärker vereinigten Wirtschaftsraum der EU von Bedeutung sein werden. NVG werden also ihre Kernkompetenz auch in Zukunft ausüben, unabhängig vom zugrunde liegenden Koordinationskonzept – Hierarchie oder Vertrag. • Kostendegression: Das umfassende Leistungsspektrum der NVG beinhaltet Prozesse, die über die Ausnutzung von Economies of Scale günstiger zu erbringen sind. Kostendegression ergibt sich dabei abhängig davon, inwieweit diese Prozesse marken- und/oder marktübergreifend erbracht werden können.810 • Koordination des Absatzes: Hersteller drängen in Europa auf die direkte Kontrolle ihrer Vertriebsnetze811, dem jedoch finanzielle Ressourcen und Absatzrisiken entgegen stehen. Die Marktmacht von NVG kann durch die Herauslösung von Geschäftsprozessen verringert werden, so dass die Steuerung der NVG erleichtert wird. Die Entwicklung von IuK-Technologien erleichtert die Errichtung dazu notwendiger desintegrativer Organisations- und Koordinationsstrukturen.812 • Transaktionskosten: Die marktliche Vergabe von markt- und markenunspezifischen, leicht skalier- und repetierbaren sowie marktstrategisch weniger relevanten Geschäftsprozessen besitzt das Potenzial zur Reduktion von Transaktionskosten. Eine Aufsplittung der Distributionsprozesse und teilweise Verlagerung auf unabhängige Dienstleister erscheint insofern nahe liegend.
5.5.12 Geschäftsmodell Franchising im freien Autohandel Analog zu Werkstattsystemanbietern wie Bosch Partner, A.T.U. oder Kwik-Fit813 stellt dieses Geschäftsmodell ein Franchisesystem für die Vermarktung von Neuwagen und/oder Geschäftsbereiche des Automobilvertriebs dar. Franchisenehmer (Franchisees) sind Auto810 811 812 813
Vgl. T-3-15 (Skalenvorteile). Vgl. T-1.3 (Gestaltung am PoS). Vgl. T-5.8 (Möglichkeiten der Koordination) und T-5-9 (Prozessoptimierung). Vgl. John 2005d.
234
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
mobilhändler, die keine vertragsgebundenen Absatzmittler eines Herstellers sind – das GM grenzt sich deswegen vom GM Einzelhandelskooperation ab. Ziele des Franchisesystems sind die qualitative Standardisierung und die Aufwertung der Prozess- und Dienstleistungsqualität der Franchisepartner sowie die Ausschöpfung von Verbundvorteilen, z.B. durch gemeinschaftlichen Einkauf von Fahrzeugen. „Die engste Form vertraglicher Bindung im Vertrieb, die zu einer ‚Quasi-Filialisierung’ der Absatzmittler führt, ist das Franchisesystem.“814 Das im Neuwagenvertrieb übliche Vertragshandelssystem ist als eine Unterform des Franchisings zu betrachten. Die Regeln der GVO 1400/02 führen dazu, dass die vertikale Bindung zwischen Hersteller und Absatzmittler nicht so eng sein können, wie beim klassischen Franchising. Das Geschäftsmodell Franchising im freien Autohandel kann horizontale und/oder vertikale Bindungen ohne Beteiligung der Hersteller beinhalten. Beispiele sind die in Großbritannien und Frankreich aktive D.car oder die Sixt-Autoland-Kette in Deutschland.815 Aus der Expertenbefragung ist keine eindeutige Tendenz bzgl. des Marktpotenzials dieses GM ablesbar, tendenziell wird der Erfolg angesichts des hohen Investitionsbedarfs skeptisch gesehen – Abbildung 89 stellt die Ergebnisse zusammen.
Strategien
Entwicklung Leistungsspektrum Fzg.-Markensprektrum Kompetenzkonfiguration
Wertschöpfungskette
Konzentration (Nischenstrategie) Verkleinerung (Exklusivität) Konzentration auf Kernkompetenzen Fokus auf kleineren Teil
C) Marktpotenzialprognose
geographische Perspektive1)
1
2
3
4
45% ,954 Erweiterung Erweiterung 60% ,929 (Multi Brand) Erschließung 37% ,819 Kompetenzfelder Erweiterung auf 47% ,908 weitere Teile
3,6 19% 3,3 33%
3,2 23%
ø
1
2
3
4
20% ,680
Dieses Geschäftsmodell ist von hoher finanzieller Liquidität abhängig.
Ò steigend
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Süd-West-Europa 6% Süd-Ost-Europa 12%
D) Geschäftsmodell-spezifische Thesen
S
5
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
Nord-West-Europa 26% Nord-Ost-Europa 15%
S
5
fallend Ô 3,0 25%
Absatzentwicklung Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
ø 3,3 17%
Strategien
B) Strategische Geschäftsmodellentwicklung
ø
k.Z. 1
Einheitlich in EU 59% 1) Mehrfachantworten
2
3,0 21%
3
4
möglich
5 v.Z.
S
26% ,740
Abbildung 89: Delphi-Ergebnisse zum GM Franchisegeber im freien Autohandel
Leistungskonzept Das Geschäftsmodell hat selbst keinen Kundenkontakt, die Kooperationspartner betreiben i.d.R. die GMV Autohaus (Markt) – vgl. Kapitel 5.5.1.3. Wie in Abbildung 90 dargestellt, bieten sich folgende Prozesse zur kooperativen Abwicklung im Rahmen des Geschäftsmodells an: 814 815
Specht/Fritz 2005, S. 296. Vgl. zu Franchising z.B. Posselt 1999, S. 347ff.; Meffert 2000a, S. 620-624; Ehrmann 2002, S. 1134ff. Vgl. Schwickal 2004a; Tilp 2005, S. 36; Kiff 2005a, S. 2.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
235
• Back-Office- und Produktbezogene-Prozesse: Der Franchisegeber wird Franchisees i.d.R. nach Gesichtspunkten der optimierten Marktbearbeitung auswählen, er betreibt insofern strategisches Vertriebsnetzmanagement. Der Transport der Fahrzeuge vom Verkäufer zum PoS kann über das GM abgewickelt werden, so dass gemeinsames Auftragsmanagement und gemeinsame Disposition aufgebaut werden. • Kundenbezogene Prozesse: Kern der Zusammenarbeit ist die Optimierung kundenbezogener Prozesse, die sich im Austausch von Markt- und Kundendaten oder gemeinsamen Kommunikations- und Werbeaktivitäten ausprägen kann. (Strategisches) Produktmanagement Strategisches Vertriebsnetzmanagement Vertriebscontrolling Operative Vertriebsnetzbetreuung
Übergreifende kundenbezogene Prozesse (z.B. Kundendatenmanagement ) Verkaufsprozess
Kundenkontaktaufnahme
1
2
3
4
5
6
Nachkaufphase
7
Übergreifende produktbezogene Prozesse (z.B. Ordertracking)
3 produktbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse
Kundenbezogene Prozesse: 1. Presse und allg. PR 2. Werbung und direktes Marketing 3. Außendienst 4. Eventmarketing 6. Kundenpflege, CRM 7. Marktforschung
Back-OfficeProzesse
Nicht durchgeführte Prozesse
Produktbezogene Prozesse: 3. Transport zum PoS
Abbildung 90: Distributionsprozesse des GM Franchising im freien Autohandel Vorteile (für Franchisee) − Verminderung des Geschäftsrisikos durch Nutzung eines erprobten GMV Autohaus (Markt) − Gemeinsame Gestaltung und Optimierung der Kommunikation − Nutzung eines erprobten und bekannten Markennamens bzw. CI-/CD-Konzeptes − Nutzung günstiger Einkaufsmöglichkeiten und Anschluss an etablierte Bestellsysteme − Nutzung von Markt- und Management-Know-how − Ggf. Zugang zu verbesserten Finanzierungskonditionen − Fahrzeugkäufer als potenzielle Kunden im After-Sales-Geschäft Vorteile (für Franchise-Geber) − Wachstums- und Ertragssteigerungsstrategie − Geringes eigenes Absatz- und Investitionsrisiko − Geringe Kapitalbindung − Steigerung der Bekanntheit der Eigenmarke
Nachteile (für Franchisee) − Aufgabe von selbständigem Handlungsund Gestaltungsspielraum − Absatz- und Investitionsrisiko − Zwang zur Standardisierung − Zwang zur primären Nutzung des vorgegebenen Fahrzeugeinkaufs − Kosten und Gebühren für das Franchisekonzept
Nachteile (für Franchise-Geber) − Starke Marktstellung erforderlich − Management und Führungskompetenz erforderlich
Tabelle 25: Vor- und Nachteile eines Franchise-Systems im freien Autohandel816
Tabelle 25 stellt die Vor- und Nachteile der Partnerschaft zusammen. 816
Eigene Darstellung in Anlehnung an Specht/Fritz 2005, S. 298.
236
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Kommunikationskonzept Da das GM im freien Autohandel tätig ist, spielt Fahrzeugmarkenexklusivität keine Rolle. Vielmehr rückt die Eigenmarke in das Zentrum des Kommunikationskonzepts. Das Franchisesystem ist seinerseits auf die Exklusivität und CI-/CD-konforme Umsetzung der Eigenmarkenstrategie angelegt. 60% der Experten sehen den Ausbau des Fahrzeugmarkenspektrums als vorteilhaft an. Ertragskonzept Das Erlösmodell besitzt sowohl transaktionsabhängige als auch -unabhängige Elemente. Mit jeder Fahrzeugbestellung des Franchisees verdient der Franchisegeber direkt am Fahrzeug. Sein Erlös steigert sich zudem indirekt über den Fahrzeugverkauf des Franchisees, indem transaktionsabhängige Abgaben und/oder -unabhängige Lizenzgebühren für die Verwendung des Franchisekonzeptes anfallen. Auf die Preisgestaltung der Fahrzeuge ggü. Endkunden nimmt der Franchisegeber nur indirekt über die Einkaufskonditionen des Franchisees Einfluss. Wachstumskonzept und Kompetenzkonfiguration Vorteil des GM ist für den Franchisegeber die verhältnismäßig leichte Erschließung neuer Absatzmärkte: In Bezug auf das Leistungskonzept empfehlen 44% der Experten den Ausbau des Leistungsspektrums eines Franchise-Systems. 42% befürworten die Erschließung neuer Kompetenzfelder als Strategie zur Differenzierung im Wettbewerb.817 Organisationsform 40% der Experten halten die Ausdehnung des GM auf weitere Teile der Wertschöpfungskette für sinnvoll818 – ein Beispiel ist das Sixt Autoland-Konzept. Sixt profitiert dabei im Leasingund Vermietgeschäft vom kontrollierten Verkauf der Flottenrückläufer. Das Sixt Autoland ist insofern neben der Verauktionierung an Endkunden und Händler sowie dem Direktverkauf von Leasing- und Mietwagenflottenfahrzeugen ein zusätzlicher Vertriebskanal. Es ist die Verlängerung der Wertschöpfung am Automobil i.S.d. Disintermediation, beginnend mit der Vermietung, über den Verkauf an den Franchisee und die Partizipation am Verkauf an den Endkunden. Das zitierte Beispiel kann dem Integrator-Modell zugeordnet werden. Obwohl keine hierarchische Koordination stattfindet, ist die vertikale Bindung zwischen Franchisegeber und Franchisee sehr hoch. Kooperations- und Koordinationskonzept Das GM impliziert keine Kooperation mit den Fahrzeugherstellern, Kooperation findet innerhalb des GM statt. Das Franchisesystem ist eine Kooperationsform mit tendenziell hoher Bindungsintensität, denn der Franchisee investiert in die spezifische Gestaltung seines Betriebes und ordnet sich der Kommunikationspolitik im Franchisesystem unter. Im 817 818
23% der Teilnehmer sind gegen die Erweiterung des Leistungsspektrums, für eine Nischenstrategie. 16% der Teilnehmer halten die Konzentration auf bestehende Kernkompetenzen für zweckmäßig. 21% der Experten empfehlen die Fokussierung auf einen kleineren Teil der Wertschöpfungskette.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
237
Vergleich mit dem Vertragshandelssystem fällt derzeit die real umgesetzte Spezifität in der Praxis hinter den juristischen Möglichkeiten des Franchisesystems zurück. Bspw. findet keine Ausdehnung auf spezifische Investitionen in die Gebäudearchitektur statt.
5.5.13 Weitere Geschäftsmodell-Ansätze Abbildung 91 gibt einen Überblick zu GM, welche von den Teilnehmern in die DelphiDiskussion eingebracht wurden. Prognose der Marktbedeutung
keine
Auktionen: öffentliche (Bsp. eBay) oder geschlossene Auktionen (ähnlich GWAuktionen)
25% 3,2
,914 39%
Versandhandel (offline): Neuwagenvertrieb über Kataloge. Bsp. Quelle Katalog
86% 1,8
,834 7%
Event Vertrieb: Verkauf von Neuwagen im Rahmen eines (Freizeit-)Events, welches u.a. zur Kommunikation und Inszenierung der Marke sowie zur Vertiefung der Geschäftsbeziehung angelegt ist.
43% 2,8
,937 20%
Network-Marketing: Geschäftsmodell für den Vertrieb von Luxusautos, das sich rein auf die Nutzung persönlicher Beziehungen stützt.
51% 2,7
,973 24%
Hard Selling: Privatkunden wird durch Außendienst an der Haustür der Kauf von „Low-Budget“-Marken bzw. -Fahrzeugen angeboten (z.B. Dacia Logan, VW Fox)
76% 2,0
,866 7%
Legende: S = Standardabweichung; ø = arithmetisches Mittel;
% = Anteil Teilnehmer (Werte 4-5 bzw. 1-2) k.Z./v.Z. = keine bzw. volle Zustimmung
ø 1
2
3
4
5 S
hoch
unteres Quartil, Mittelwert, oberes Quartil
Abbildung 91: Alternative Geschäftsmodelle im Einzelhandel
Keines dieser alternativen Geschäftsmodelle ist heute im größeren Umfang im Neuwagenvertrieb etabliert, so dass eine vollständige Geschäftsmodellanalyse nicht möglich ist. Im Folgenden werden Möglichkeiten der Ausgestaltung diskutiert. 5.5.13.1 Geschäftsmodell Auktion Auktionen sind spezielle Formen der Preisermittlung.819 Demzufolge handelt es sich in erster Linie um ein bestimmtes transaktionsabhängiges, direktes Erlösmodell. Im B2B-Gebrauchtwagenhandel existieren Geschäftsmodelle, die wesentlich durch das Erlösmodell einer offenen oder geschlossenen Auktion gekennzeichnet sind. Für beide Varianten prognostizieren die Experten bzgl. des Neuwagenvertriebs eine mittlere Bedeutung im Markt: 39% erwarten eine hohe Bedeutung des Geschäftsmodells. Im Gebrauchtwagengeschäft gewinnen B2B-Auktionen insb. in Großbritannien, aber zunehmend auch in den anderen europäischen Märkten, an Bedeutung.820 Das Geschäftsmodell weist folgende Charakteristika auf und kann als Modell für eine Umsetzung im Neuwagenvertrieb gelten: • Leistungskonzept: Höher wertige Fahrzeuge, insb. aus Flottenbeständen, werden im Auftrag ihrer Eigentümer an Gebrauchtwagenhändler in geschlossenen Auktionen vermarktet. 819 820
Vgl. bspw. Specht/Fritz 2005, S. 211. Der europäische Marktführer BCA verauktionierte in 2005 1,3 Mio. Fahrzeuge in 11 Ländern. Vgl. Plate 2004b, S. 26-27; Schwickal 2006, S. 20; Meunzel 2006a, S. 30.
238
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
• Kommunikationskonzept: Die Auktionen werden unter Einsatz moderner IuK-Technologie durchgeführt. Die meisten sehen eine Besichtigung der Fahrzeuge an einem zentralen Standort vor, andere werden vollständig elektronisch über das Internet abgewickelt. Fahrzeugbewertungen werden standardisiert durch unabhängige Gutachter vorgenommen. Fahrzeugmarkenexklusivität existiert in diesem B2B-Umfeld nicht. • Kompetenzkonfiguration: Kernkompetenz des GM ist die schnelle und kostenoptimierte Abwicklung der Versteigerung, welche zwei Ressourcen erfordert: Zum einen muss ständig ein großer Bieterkreis angesprochen werden, um adäquate Marktpreise erzielen zu können. Zum anderen speist sich das zu versteigernde Fahrzeugvolumen i.d.R. aus großen Flottenverbänden mit möglichst hoher und gleich bleibender Fahrzeugqualität. Für den Neuwagenvertrieb wäre ein derartiges GM als Hersteller-initiierte B2B-Lösung denkbar, um gezielt Fahrzeuge aus Überproduktion unter kontrollierter Einbeziehung nichtautorisierter Distributionsorgane zu vermarkten. Hersteller könnten dadurch hohe Absatzförderungen vermeiden sowie den sog. Graumarkt – z.B. die Geschäftsmodelle Autohaus (Markt) oder Vermittlung (branchenfremd) – gezielt bedienen, anstelle deren unkontrollierte Belieferung zu tolerieren. Die zweite im Gebrauchtwagenmarkt etablierte Variante ist die offene Auktion von Fahrzeugen an Endkunden vornehmlich im Rahmen des Geschäftsmodells E-Commerce (Transaktion mit Endkunden).821 Verkäufer sind der professionelle Handel sowie private Fahrzeugeigentümer. Perspektivisch ist auch der Neuwagenvertrieb über Plattformen wie ebay denkbar. 5.5.13.2 Geschäftsmodell Versandhandel (offline) Eine große Mehrheit von 86% der Experten räumt diesem Geschäftsmodell nur geringe Marktchancen bis 2015 ein. Klassische Katalogversandanbieter, wie Quelle oder D&W822, sind in den Vertrieb mit EU-Fahrzeugen eingetreten. Sie wickeln das Geschäft über das ECommerce (Transaktion mit Endkunden) Geschäftsmodell eines Kooperationspartners ab. Der Kooperationspartner selbst tritt nicht als Verkäufer, sondern als Vermittler auf, um die Regelungen des Fernabsatzes zu umgehen.823 Der Katalog dient lediglich als Werbemedium, ohne das jeweils aktuelle Sortiment abbilden zu können. 5.5.13.3 Geschäftsmodell Eventvertrieb Der Vertrieb von Neuwagen an Privatkunden im Rahmen von Events wird heute insb. im Luxussegment praktiziert, wobei es sich jedoch primär um eine Kommunikationsstrategie des Geschäftsmodells Autohaus oder des Herstellers selbst handelt. Einem exklusiven Kundenkreis wird bspw. im Rahmen eines freizeitorientierten Events das aktuelle Fahrzeugsortiment vorgestellt. Der Kaufvertrag findet während des Events oder später ggf. im Autohaus statt. Vorteil eines solchen Geschäftsmodells ist die gezielte und zugleich unverbindliche 821 822 823
Bspw. wurden in 2004 weltweit 2,4 Mio. Fahrzeuge und 10 Mio. Fahrzeugteile über ebay verkauft. Vgl. Boos 2005, S. 18. Vgl. Plate 2003b, S. 16. Zum Offline-Versandhandel vgl. Wirtz/Sammerl 2006, S. 432-433. Vgl. Kapitel 5.5.8.2.
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
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Ansprache bestimmter Kundengruppen. Trends wie Individualisierung der Bedürfnisse (T-2.5 und T-II.7) sowie Convenience-Shopping- (T-2.14) und Prestige-Shopping-Verhalten (T-2.15) werden mit diesem GM befriedigt. Die Mehrheit der Experten rechnet jedoch nicht damit, dass sich zukünftig daraus ein eigenständiges Geschäftsmodell entwickelt – nur 20% der Experten erwarten eine höhere Bedeutung bis 2015. 5.5.13.4 Geschäftsmodell Network-Marketing – Kunde wirbt Kunde In diversen Branchen – etwa bei der Vermarktung von Printmedien-Abonnements – erhalten Kunden Prämien für die Werbung bzw. Vermittlung neuer Kunden. Dabei handelt es sich zunächst um eine spezielle Form der Absatzförderung, um neue Kunden zu erreichen. Es existieren auch Varianten, die auf der persönlichen Beziehung zwischen Menschen aufbauen – z.B. das Sammelbestellerkonzept nach dem „Kunden werben Kunden“-Prinzip im Versandhandel oder die einfache Prämierung von vermittelten Verkäufen.824 Nur 24% der Experten erwarten, dass sich daran ein Geschäftsmodell für den Vertrieb von Neuwagen orientieren und Marktbedeutung erlangen wird. 5.5.13.5 Geschäftsmodell Hard Selling Das GM Hard Selling825 bedeutet den Aufbau eines Außendienstnetzwerks zum Vertrieb preisgünstiger Neuwagen an Privatkunden. Eine deutliche Mehrheit von 76% räumt diesem Geschäftsmodell nur geringe Marktchancen ein. Außendienste werden heute bereits im Vertrieb an Geschäftskunden eingesetzt, allerdings als Teil eines anderen Geschäftsmodells, z.B. Autohaus oder Mobility. Der Aufbau eines Geschäftsmodells rein auf dem Hard Selling Prinzip erscheint somit vorerst unwahrscheinlich.
5.6 Güte der empirischen Ergebnisse Nach der Geschäftsmodell-übergreifenden (Kapitel 5.4) und -spezifischen (Kapitel 5.5) Darstellung der Delphi-Ergebnisse, wird im vorliegenden Kapitel die Güte der empirischen Ergebnisse diskutiert. Die Hauptgütekriterien eines Tests sind nach LIENERT/RAATZ Objektivität, Reliabilität und Validität. Als Nebengütekriterien sind Normierung, Vergleichbarkeit, Ökonomie und Nützlichkeit zu nennen.826
5.6.1 Objektivität Objektivität – Unabhängigkeit der Untersuchungsergebnisse von den an Durchführung und Auswertung beteiligten Personen – wird als weitgehend erfüllt angesehen. Für die Gültigkeit dieser Annahme spricht, dass die Durchführung und Auswertung der Daten zu jedem Zeitpunkt neutral, standardisiert und dokumentiert erfolgte.827
824 825 826 827
Vgl. Wirtz/Sammerl 2006, S. 436; Porter/Golan 2006, S. 31. Vgl. Blois/Albers 2000, S. 292. Vgl. Lienert/Raatz/Lienert 1994, S. 7ff.; Bortz/Döring 2002, S. 192. Vgl. Lienert/Raatz/Lienert 1994, S. 8; Bortz/Döring 2002, S. 194-195; Häder 2006, S. 109.
240
5 Distributionsorgane des Automobilvertriebs im Spiegel einer Delphi-Studie
Die redaktionelle Zusammenfassung der frei formulierten Antworten für Runde II – vgl. Anhang 5 – könnte indes als potenzielle Quelle eingeschränkter Interpretationsobjektivität angesehen werden. Wie in Kapitel 5.3.3 dargestellt, folgt auf die Aggregation der frei formulierten Statements eine quantitative Beurteilung in Runde II.828 Dadurch wurde die Gefahr der Misinterpretation einzelner frei formulierter Statements zwar nicht eliminiert, allerdings wurde die jeweils aggregierte These durch die Teilnehmer anschließend quantitativ beurteilt.829 Somit wurden etwaige Fehler in der Interpretation frei formulierter Statements aus Runde I durch das allgemeine Expertenurteil aufgedeckt. Etwaige Überbewertung von Einzelmeinungen wurde durch das Vorgehen ausgeschlossen.
5.6.2 Reliabilität Reliabilität gibt den Grad der Genauigkeit einer Untersuchung an und bezieht sich daher insbesondere auf die Anwendung des Erhebungsinstruments. Zur Prüfung der Reliabilität werden mehrere Verfahren vorgeschlagen: Die Testhalbierungsmethode und die Konsistenzanalyse bieten sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Items nicht an.830 Die ParalleltestMethode ist aufgrund eines fehlenden zweiten Tests ebenfalls nicht anwendbar. In Kapitel 5.3.4 wurde bereits ausgeführt, dass lediglich bei 24 von 332831 der in beiden Runden untersuchten Items ein signifikanter Unterschied im Antwortverhalten zu beobachten ist. Die Prüfung über zwei Runden erinnert insofern stark an das Test-Retest-Design der Reliabilitätsprüfung. Nach HÄDER sollten für dessen Anwendung drei Bedingungen erfüllt sein:832 • Stabilität des zu messenden Sachverhaltes: Es wird unterstellt, dass im Befragungszeitraum (acht Monate) keine wesentlichen Entwicklungen im Automobilvertrieb stattgefunden haben, welche Einfluss auf die grundsätzliche Beurteilung der Vertriebssituation bezogen auf den Prognosezeitraum von zehn Jahren haben. • Keine kontextuelle Veränderung am Instrument: Durch die Herausnahme bzw. Addition einzelner Fragen wird diese Voraussetzung des Test-Retest-Designs nicht vollkommen erfüllt. Allerdings blieben die Struktur des Fragebogens und die Fragenformulierung bei den in beiden Runden abgefragten Items unverändert. • Zeitabstand und Beeinflussung durch Runde I: Der Zeitabstand sollte Lern- und Gedächniseffekte minimieren, jedoch verfolgt die bewusste Rückkopplung von Ergebnissen ein entgegengesetztes Ziel. Die Delphi-Methode setzt gerade die Auseinandersetzung mit der vorangegangenen Runde als gestalterisches Element ein. Da dieser Effekt jedoch auf alle Teilnehmer in gleicher Weise wirkt, soll diese Voraussetzung des Test-Retest-Designs als erfüllt angesehen werden. Die eingeschränkte Erfüllung der Voraussetzung bzgl. kontextueller Gleichheit einmal vernachlässigt, wäre die Korrelation zwischen den Itemergebnissen der Runden I und II für
828 829 830 831 832
Das Vorgehen ist an HÄDER orientiert, vgl. Fußnote 648, S. 155. Vgl. Häder 2000c, S. 8; Häder 2002, S. 155. Vgl. Häder 2006, S. 113. Das entspricht 92,7% der untersuchten Items, vgl. Abbildung 52, S. 157 in Kapitel 5.3.4. Vgl. Häder 2006, S. 110-111.
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die 332 Items durchzuführen, die in beiden Runden abgefragt wurden. Dabei ist analog der Stabilitätsuntersuchung in Kapitel 5.3.4 zwischen Items auf Nominalskalenniveau – also Auswahlfragen – und Items mit Ordinalskalenniveau – also Zustimmungsfragen und Fragen auf Basis des semantischen Differenzials – zu unterscheiden. Für die zweite Gruppe bieten sich die Korrelationskoeffizienten rs nach SPEARMAN oder taub nach KENDALL an. Für Daten auf Nominalskalenniveau wird in der Literatur der Kontingenz-Koeffizient C zur Korrelationsbestimmung angeboten. Dieser besitzt jedoch zwei wesentliche Schwächen:833 Zum einen ist er mit den Korrelationskoeffizienten nach SPEARMAN oder KENDALL nicht vergleichbar, d.h. der in der Literatur vorgeschlagene Richtwert 0,8-0,9834 zur Beurteilung von Reliabilität ist nicht anwendbar. Zum anderen kann der Koeffizient den Maximalwert 1 nicht erreichen. Der einzige zur Verfügung stehende Koeffizient ist daher hier unbrauchbar. Folglich werden lediglich Items auf Ordinalskalenniveau auf Korrelation hin untersucht. Anzahl Items rs taub
>0,8 7 0
0,7 bis 0,8 41 22
Wert des Koeffizienten 0,6 bis 0,7 0,5 bis 0,6 66 39 61 51
0,4 bis 0,5 15 30