Geld- und Kreditwesen im Spiegel der Wissenschaft (German Edition) [1 ed.]
 9783211238752, 9783211281086, 3211238751 [PDF]

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Zitiervorschau

W

Ulrike Aichhorn (Hrsg) Geld- und Kreditwesen im Spiegel der Wissenschaft

SpringerWienNewYork

ao.Univ.-Prof. Dr. Ulrike Aichhorn Universität Salzburg, Österreich Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien und Unterstützung der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität, Salzburg Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2005 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Satz: Reproduktionsfertige Vorlage der Herausgeberin Druck und Bindearbeiten: Börsedruck, 1230 Wien, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier - TCF SPIN: 11353508 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN-10 ISBN-13

3-211-23875-1 SpringerWienNewYork 978-3-211-23875-2 SpringerWienNewYork

Für die Unterstützung und Förderung der Drucklegung dankt die Herausgeberin besonders dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg

Inhalt Abkürzungsverzeichnis Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren Alexander G. Keul Sc Anton Kühberger Zur Psychologie des Geldes - Sicherheit und Illusion

IX XVII 1

Alois Halbmayr Die subjektive und die objektive Macht des Geldes. Eine theologische Perspektive im Anschluss an Georg Simmel

23

Joachim Hagel Die Funktionsweise monetärer Märkte in ethischer Perspektive

53

James Bruton Bankenethik: Bedeutung, Implementierung und Management

95

Andreas Michael Weiß Zinsen und Wucher. Das kirchliche Zinsverbot und die Hindernisse auf dem Weg zu seiner Korrektur

123

Marcus Hanke Zinsverbot und islamische Bank. Von Datteln und Kreditkarten

157

Renate Prochno Materialwert - Geldwert - Kunstwert im späten Mittelalter. Beispiele aus Burgund

177

Alfred Rinnerthaler Mons Pietatis Civitatis Salisburgensis. Die Geschichte des milden Leihhauses in Salzburg und dessen wirtschaftliche Bedeutung

217

Sonja Pa//aw/ Das erste österreichische Versatzhaus und seine soziale Funktion - dargestellt anhand seines „Gründungspatentes"

261

VIII

Inhalt

Christian Dirninger Zur historischen Dimension der Corporate Social Responsibility (CSR) der Sparkassen und Genossenschaftskassen

279

Walter Scherrer Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen in Österreich seit den 1960er Jahren

309

Johann J. Hagen Der Geldschleier. Ein Beitrag zur Soziologie des Geldes

327

Nikolaus Dimmel Land der Schuldenberge. Zur politischen Ökonomie und Soziologie des Lebens auf Pump

349

Ulrike Aichhorn Kredite von Ehepartnern und Lebensgefährten. Ein Überblick über Schutzbestimmungen und rechtliche Unterschiede

381

Peter Mader Entwicklung und Rolle der Bankgarantie im internationalen Handel

403

Soni?i Janisch Bankgeschäfte im 21. Jahrhundert. Neue Technologien und rechtliche Problemfelder

421

Martin Auer Zum geänderten Entwurf einer neuen Verbraucherkreditrichtlinie

449

Abkürzungsverzeichnis aA aaO ABB ABGB ABl Abs AcP ADCO ADN AGB akt Am aM Anh Anl Anm AnwBl ao ARD Art Ass.-Prof. ÄStA ATS ATTAC Aufl AußStrG BA-CA BaFin BAG-SB BB Bd Bde Beil bes BG BGB BGBl BGH

andere Ansicht am angegebenen Ort Allgemeine Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditinstitute Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt Absatz Archiv für civilistische Praxis (Zeitschrift) Archives departementales de la Cöte-d'Or Archives departementales du Nord Allgemeine Geschäftsbedingungen aktuelle Amos (biblisches Buch) am Main (Frankfurt) Anhang Anlage(en) Anmerkung(en) Anwaltsblatt (Zeitschrift) außerordentlich, -e, -er, -es ARD-Betriebsdienst (Zeitschrift) Artikel Assistenzprofessorin, Assistenzprofessor Archiv der Stadt Salzburg, älteres Archiv österreichischer Schilling Association pour une taxation des transactions financieres pour l'aide aux citoyens Auflage Außerstreitgesetz Bank Austria Creditanstalt Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung eV Der Betriebsberater (Zeitschrift) Band Bände Beilage(n) besonders Bezirksgericht (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof

X

Abkürzungsverzeichnis

BWG

Bruttoinlandprodukt Bank für internationalen Zahlungsausgleich Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates Bundesminister(ium) Bundesministerium für Justiz Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Bundesministerium für Unterricht und Kunst Bibliotheque Nationale de France British Beispiel, Beispiele Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bankwesengesetz

c C Cap CIC CR CSR

Canon Causae Capitel Codex Iuris Canonici Computer und Recht (Zeitschrift) Corporate Social Responsibility

d ders dh dies Dipl-Arb Diss Dkfm Dtn dzt

denier derselbe das heißt dieselbe(n) Diplomarbeit Dissertation Diplomkaufmann Deuteronomium (biblisches Buch) derzeit

E EA ebd, ebda EB EBRV

Entscheidung Erstausgabe ebenda Erläuternde Bemerkungen Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage (juristische Fachzeitschrift) Editor(s) (Herausgeber) Ehe- und familienrechtliche

BIP BIZ BlgNR BM BMJ BMSG BMUK BNF Brit Bsp BVerfG BVerfGE

ecolex Ed(s) EF

Entscheidungen

Abkürzungsverzeichnis

EheG EGV EMRK engl EO ERAG

XI

EVÜ EWR EWS Ex Ez EZB

Ehegesetz Vertrag über die Europäische Gemeinschaft Europäische Menschenrechtskonvention englisch Exekutionsordnung Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien (siehe auch URDG) erweiterte et alienas et cetera et sequens Europäische Union Europäischer Gerichtshof eingetragener Verein Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in ÖJZ) (Zeitschrift) Europäisches Vertragsstatutübereinkommen Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Währungssystem Exodus (biblisches Buch) Ezechiel (biblisches Buch) Europäische Zentralbank

f,ff FemFinG FH fl FMA FN,Fn fol fr FS FSAP FSF

der (die) folgende(n) Fem-Finanzdienstleistungs-Gesetz Fachhochschule Gulden Finanzmarktaufsicht Fußnote Folio franc Festschrift Aktionsplan für Finanzdienstleistungen Financial-Stability-Forum

g GATT geb gern GeWO ggf GP GS GSG GVO

gros General Agreement on Tariffs and Trade geboren gemäß Gewerbeordnung gegebenenfalls Gesetzgebungsperiode Gesammelte Schriften Georg Simmel Gesamtausgabe Gruppenfreistellungsverordnung

erw etal etc et seq EU EuGH eV EvBl

XII

Abkürzungsverzeichnis

GW

Gesammelte Werke

h H hA HBCI hg Hg HGB hL hM HRG HS

Heller Heft herrschende Ansicht Homebanking Computer Interface herausgegeben Herausgeber Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Halbsatz

ibid iBr ICC idF idR insb IPR iSd iSv ITRB iUe iVm IWF iwp izbw

ibidem, ebenda im Breisgau (Freiburg) International Chamber of Commerce in der Fassung in der Regel insbesondere Internationales Privatrecht im Sinne des/der im Sinne von IT Rechtsberater (Zeitschrift) im Unterengadin (Freiburg) in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds Institut Österreichischer Wirtschaftsprüfer Blätter des Informationszentrums 3. Welt

JAB JAP

Justizausschussbericht Juristische Ausbildung und Praxis (Zeitschrift) Juristische Blätter (Zeitschrift) Jahrgang Jahrhundert Journal Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik (Zeitschrift)

JBl Jg Jh Jnl JurPc K KAS KG

Krone(n) Konsistorialarchiv Salzburg Kreisgericht Kommanditgesellschaft

Abkürzungsverzeichnis

KO kr K&R KRES KSchG KWG KZfSS 1 lat LG Lev lit Lk LThK MEW MGH MGSLK MittAB MMR MS mwN ND NGO NJW Nr NPM NR NStA Nw ÖA ÖBA

XIII

Konkursordnung Kreuzer Kommunikation und Recht, BetriebsBerater für Medien, Telekommunikation, Multimedia (Zeitschrift) Konsumentenrecht Entscheidungssammlung Konsumentenschutzgesetz Kreditwesengesetz Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie livre lateinisch Landesgericht (Österreich), Leviticus (Buch der Bibel) litera Landgericht (Deutschland) Evangelium nach Lukas Lexikon für Theologie und Kirche Marx-Engels-Werke Monumenta Germaniae Historiae Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Multimedia und Recht (Zeitschrift) Mitgliedstaat(en) mit weiteren Nachweisen Nachdruck Non-Govemmental Organizations Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer New Public Management Nationalrat Archiv der Stadt Salzburg, neueres Archiv Nachweis(e) Der Österreichische Amtsvormund (Zeitschrift) Österreichisches Bank-Archiv (Zeitschrift)

XIV

OECD OeNB OFX OGH oJ ÖJZ OLG

östz

Abkürzungsverzeichnis

Organization for Economic Co-operation and Development Österreichische Nationalbank Open Financial Exchange Oberster Gerichtshof ohne Jahr Österreichische Juristenzeitung (Zeitschrift) Oberlandesgericht Österreichische Steuerzeitung (Zeitschrift)

pf PhG PIN Pkt Pkte PSK

pagina Proceedings of the Aristotelian Society (Zeitschrift) Pfenning(e) Philosophie des Geldes Personal Identification Number Punkt Punkte Postsparkasse

q QD

quaestio (Decretum Gratiani) Quaestiones disputatae

RdW RGBl RIW

Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie retum on equity (Eigenkapitalrentabilität) Regierungsvorlage Randzahl, -ziffer Österreichische Richterzeitung (Zeitschrift) Österreichische Richterzeitung (Entscheidungsübersicht)

P PAS

RL ROE RV Rz RZ RZ-EÜ s S SaThZ SCHUFA SH SJZ SMS Sp SSL

siehe bzw im Beitrag Prochno sol Seite Salzburger Theologische Zeitschrift Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung Sonderheft Schweizerische Juristenzeitung (Zeitschrift) Short Message Service Spalte Secure Socket Layer

Abkürzungsverzeichnis

XV

STS SZ

Salzburger Theologische Studien Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- (und Justizverwaltungs) Sachen

t TAN Tb ThPQ TRE

toumois TransAction Number Taschenbuch Theologisch-Praktische Quartalschrift Theologische Realenzyklopädie

u ua uam UN UNCITRAL

und und andere und anderes mehr United Nations (Vereinte Nationen) United Nations Commission on International Trade Law (Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht) Universität Universitätsprofessorin, Universitätsprofessor und öfter Uniform Rules for Demand Guarantees (Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien = ERAG) Uniform Resource Locator unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

Univ Univ.-Prof. uö URDG URL uU UWG

VuR VWT

von vergleiche Verein für Konsumenteninformation Verordnung Volumen Vorbemerkung(en) Informationen zum Verbraucherrecht (Zeitschrift) Verbraucher und Recht (Zeitschrift) Der Wirtschaftstreuhänder (Zeitschrift)

WA WAG WAP wbl

Weimarer Ausgabe der Werke von Luther Wertpapieraufsichtsgesetz Wireless Application Protocol Wirtschaftsrechtliche Blätter (Zeitschrift)

V

vgl VKI VO vol Vorbem VRInfo

XVI

WISO WKÖ WM WStLA WTBG WTO

zzB ZBB ZIP ZI ZIK zugl ZVglRWiss

Abkürzungsverzeichnis

Wirtschafts- und Sozialpolitische Zeitschrift (Zeitschrift) Wirtschaftskammer Österreich Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wiener Stadt- und Landesarchiv Wirtschaftstreuhandberufsgesetz (Bundesgesetz über die Wirtschaftstreuhandberufe) Welthandelsorganisation Ziffer zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis (Zeitschrift) Zahl Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz (Zeitschrift) zugleich Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Zeitschrift)

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren Ulrike Aichhorn ao.Univ.-Prof. an der Universität Salzburg, habilitiert für Rechtsgeschichte und Frauenrecht, Forschungsschwerpunkte: Frauenrechtsentwicklungen, Ehe- und Scheidungsrecht, Namensrechtsentwicklungen; zahlreiche Vorträge und Publikationen, etwa: Das Recht der Lebenspartnerschaften. Ehe und Lebensgemeinschaft, Springer Verlag 2003; (Hg), Unterhalt - Obsorge - Kinderbetreuungsgeld: aus frauen(rechtlicher) Perspektive, Verlag Österreich 2003. Martin Auer geb. 1973, Mag.Dr.iur, Ass.-Prof. am Fachbereich Arbeits,- Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Salzburg, Forschungsund Arbeitschwerpunkt im Österreichischen und Internationalen Handels- und Wirtschaftsrecht, Publikationen vornehmlich zum Deutschen und Österreichischen Handels- und Gesellschaftsrecht und Bürgerlichem Recht. James Bruton geb. 1952 in Irland. FH-Prof. Dkfm. Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Augsburg sowie an der LMU München. Steuerberater. Mehrjährige Tätigkeit in der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung sowie in unterschiedlichen Wirtschaftsuntemehmen. Seit 1998 Leiter des Studiengangs Betriebswirtschaft und Informationsmanagement an der FH-Salzburg. Nikolaus Dimmel geb. 1959; Univ.Prof.DDr. lebt, wohnt und arbeitet in Salzburg; verheiratet; drei Kinder; Dr.jur., Dr.phil.; Diplomierter Sozialmanager; Strafverteidiger; arbeitet zu Fragen der Sozialpolitik, Sozialwirtschaft und Soziologie des Sozialrechts; 1990-95 Amtsleiter des Sozialamtes der Stadt Salzburg; 1995-1996 APART-Stipendiat der österreichischen Akademie der Wissenschaften; seit 1997 Hochschullehrer; umfangreiche Projekterfahrung; zahlreiche Publikationen. Christian Dirninger geb. 1952 in Bad Aussee, Studium der Geschichte und Germanistik an den Universitäten Wien und Salzburg (Mag. phil. 1979; Dr. 1984). Habilitation für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (1997). Ao.Uni V.Prof, am Fachbereich Geschichts- und Politikwissenschaft

XVIII

Kurzbiographien

der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Geschichte der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Geschichte der Geld- und Kreditwirtschaft, Geschichte der Wirtschaftstheorie, Regionale Wirtschaftsgeschichte, Historische Dimension der Europäischen Wirtschaftsintegration. Joachim Hagel O.Praem. geb. 1961 in Münster/Westfalen, Ordenspriester; Studium der Katholischen Theologie und der Volkswirtschaftslehre in Münster; 1992 Promotion im Fach Volkswirtschaftslehre in Münster; 1998 Habilitation für das Fach Moraltheologie in Salzburg; gegenwärtig Dozent an der Theologischen Fakultät Salzburg. Johann J. Hagen o.Univ.Prof. für Rechtssoziologie am Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Salzburg, wichtige Veröffentlichungen: Verschuldet (zusammen mit R. Böhm), Frankfurt aM 1997; Datenanalyse mit MS Excel. Eine Einführung in die Statistik für Sozialwissenschaftler, Wien 2003; Strukturen der Gesellschaft. Familie, soziale Kontrolle, Organisation und Politik (zusammen mit K. Dimmel), Wien 2005. Alois Halbmayr geb. 1961, Dr. theol.; Studium der Theologie in Salzburg und Tübingen, Studienleiter im Bildungshaus St. Virgil (1989-1994), dzt Ass.Prof. am Fachbereich Systematische Theologie; Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen zu den Themenbereichen: Monotheismus, theologische Anthropologie, Religion und Kultur; Theorie der Moderne; Mitherausgeber der Salzburger Theologischen Zeitschrift. Marcus Hanke geb. 1963 in Essen, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg; Ass.Prof. am Fachbereich für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Juridischen Fakultät in Salzburg. Spezielle Forschungsgebiete: Geschichte des Völkerrechts, rechtliche Zeitgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Entwicklung des Umweltschutzes.

Kurzbiographien

XIX

Sonja Janisch Studium der Rechtswissenschaften in Salzburg und Teramo. Postgraduate Studium am European University Institute Florenz (LL.M.). Universitätsassistentin für privates Wirtschaftsrecht an der Universität Klagenfurt. Seit 2002 Universitätsassistentin am Fachbereich Privatrecht an der Universität Salzburg. Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Bürgerliches Recht, insbesondere Verjährungsrecht, Bankrecht und privates Informatikrecht. Internationale Vortrags- und Publikationstätigkeit, zB Online-Banking (2001), ausgezeichnet mit dem Wolf Theiss-Award; Online-Werbung (2004). Alexander G. Keul Doktoratsstudien der Meteorologie an der Universität Wien und der Psychologie an der Universität Salzburg. Ass.Prof. in Salzburg und Honorarprofessor an der Technischen Universität Wien. Schwerpunkt an beiden Universitäten in Forschung und Lehre: Angewandte Psychologie (Wirtschafts-, Umwelt-, Architektur-, Freizeitpsychologie). Aktuelle Projekte: psychische Folgen der EuroWährungsumstellung (gem. mit Anton Kühberger), Nachhaltiges Wohnen und Energiesparen, städtische Lebensqualität und Kommunikation über den Klimawandel. Kontakt: Universität Salzburg, Fachbereich Psychologie, Hellbrunnerstraße 34, A-5020 Salzburg. [email protected]; http://www.sbg.ac.at/psy/people/keul.htm. Anton Kühberger Studium der Psychologie an der Universität Salzburg, seit einigen Jahren Außerordentlicher Universitätsprofessor für Psychologie an der Universität Salzburg, Fachbereich Psychologie. Forschungsinteressen: hauptsächlich im Bereich von Entscheiden und Urteilen. Zentral sind dabei Fragen des Umgangs mit Unsicherheit und Risiko, sowie Fragen des Einfluss von Emotionen auf Entscheidungen. Weiter untersucht er die Grundlagen der Fähigkeit, sich in das Gefühlsleben von anderen Personen hinein zu versetzen, sie zu verstehen und ihr Verhalten vorherzusagen. Kontakt: Universität Salzburg, Fachbereich Psychologie, Hellbrunnerstr. 34, A-5020 Salzburg, [email protected]; http://www.sbg.ac.at/psy/ people/kuehberger.htm. Peter Mader Professor für Römisches Recht und Bürgerliches Recht und Leiter des Fachbereiches Privatrecht an der Universität Salzburg. For-

XX

Kurzbiographien

schungsschwerpunkte: Sämtliche Bereiche des Bürgerlichen Rechts, insbesondere Kaufrecht, Recht der Kreditsicherheiten, Amtshaftung, Rechtsinformatik und privates Informatikrecht, Rechtsmissbrauch und Normenumgehung. Er ist außerdem Lehrbeauftragter im Universitätslehrgang für Wirtschaftsjuristen an der Universität Salzburg (Untemehmensfinanzierung; EDV-Zugang zu juristischen Informationen) und Präsident der Salzburger Juristischen Gesellschaft. Sonja Pallauf geb. 1966 in Salzburg, Mag. Dr. iur., Universität Salzburg, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (Bereich Rechtsgeschichte); Forschungsschwerpunkte: Österreichische Verfassungsund Verwaltungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, Entwicklung der Kommunalverfassung, Entwicklung des Forstrechts; Geschichte des Arbeitnehmerschutzes (Frauen- und Kinderarbeit). Kontakt Universität Salzburg, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, A-5020 Salzburg, Churfürststraße 1; [email protected]. Renate Prochno studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Erziehungswissenschaften in Münster, London und München, Promotion über J. Reynolds 1987; danach Getty fellow in Baltimore. 1988-1996 wissenschaftl. Angestellte bzw Assistentin in München, Lehraufträge in Bamberg. 1996 Habilitation zu burgundischer Kunst um 1400, danach Vertretungen in München und Hamburg, visiting fellow in Melbourne. Seit März 2000 Professur für Kunstgeschichte an der Universität Salzburg. Alfred Rinnerthaler geb. 1951, Dr. iur., ao.Univ.-Prof., Universität Salzburg, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (Bereich Rechtsgeschichte). Kontakt: Universität Salzburg, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, [email protected]; A-5020 Salzburg, Churfürststraße 1. Walter Scherrer geb. 1957 in Salzburg, Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz, Mag. (1981) und Dr.rer.soc.oec. (1987), ao. Univ.-

Kurzbiographien

XXI

Prof. für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft, stellvertretender Leiter des Fachbereichs Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Salzburg, Leiter des Universitätslehrgangs „Executive Master in Management"; Gastprofessor an der Fudan Universität Shanghai (2001). Andreas Michael Weiß geb. 1965, Dr. theol.; Assistenzprofessor für Moraltheologie am Fachbereich Praktische Theologie der Universität Salzburg; Arbeitsschwerpunkte : Normierungstheorie, Umweltethik, Bioethik, Ethische Fragen am Lebensende; Mitherausgeber der Salzburger Theologischen Zeitschrift. Publikationen: Sittlicher Wert und nichtsittliche Werte. Zur Relevanz der Unterscheidung in der moraltheologischen Diskussion um deontologische Normen (Studien zur theologischen Ethik 73), Freiburg iUe/Freiburg iBr 1996. Anthropozentrik in der Defensive? Anmerkungen zur Typologie umweltethischer Ansätze, in: Haering, St./Kandler, J./Sagmeister, R. (Hg), Gnade und Recht. FS für Gerhard Holotik, Frankfurt aM ua 1999, 249-271. Menschen nach Maß? Entschlüsseltes Genom und manipuliertes Leben, in: SaThZ 5 (2001) 14-38.

Alexander

G. Keul & Anton

Kühberger

Zur Psychologie des Geldes - Sicherheit und Illusion Geld als Kulturprodukt (Keul) Geld als Entscheidungshilfe und Risiko (Kühberger) Geld als Illusion (Keul) Der hiermit charakterisierte zeitpsychologische Zug, der sich in so entschiedenen Gegensatz zu dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden, gefühlsmäßigen Wesen früherer Epochen stellt, scheint mir in enger kausaler Verbindung mit der Geldwirtschaft zu stehen. Sie bewirkt von sich aus die Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehr. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt. ... Erst die Geldwirtschaft hat in das praktische Leben ... das Ideal zahlenmäßiger Berechenbarkeit gebracht. Georg Simmel (1900). Money frees youfrom doing things you dislike. Since I dislike doing nearly anything, money is handy. Groucho Marx (Alokesahu, 2004) Geld als Kulturprodukt Alexander G. Keul Wer noch nichts über Geld wüsste und sich mittels Intemetsuche fortbilden wollte, würde bald erkennen, dass es sich um ein für die irdische Gesellschaft zentrales und wichtiges Phänomen handelt. Eine Google-Suche zum Stichwort „Geld" im ganzen Web erbringt Ende 2004 über 35 Millionen Treffer, auf deutsch fast 20 Millionen, auf Österreich beschränkt noch immer 2,5 Millionen. Die englischsprachige Datenbank Global books in print, Ausgabe November 2004, listet 6.312 Buchtitel auf, das deutschsprachige Verzeichnis lieferbarer Bücher, Ausgabe Oktober 2004, immerhin noch 927. Psyndex, die Psychologie-Datenbank in Trier, nennt zwischen 1977 und September 2004 429 wissenschaftliche Artikel und Bücher, in deren Titel oder Abstract „Geld" vorkommt.

I. Magie und Historie Die wichtigste sozialwissenschaftliche Quelle für das historische Halbdunkel, aus dem der Begriff „Geld" heraustritt, ist das „Hand-

2

Alexander G. Keul & Anton Kühberger

Wörterbuch des deutschen Aberglaubens" {Bächthold-Stäubli et al, 1927-1942, Bd 3, S 590-626). Zum Wort „Geld" bemerken die Autoren, dass es ursprünglich nicht Zahlungsmittel, sondern die Zahlung selbst meinte. Erst in mittelhochdeutscher Zeit wird das Symbol der Transaktion, die Münze als Geld bezeichnet. Geld spiele deshalb eine bedeutende Rolle im Aberglauben, weil Geld reale Macht über das Leben und Schicksal von Menschen entfaltet. Bächthold-Stäubli und Hoffmann-Krayer geben zur Magie des Geldes folgende Bereiche an: Geld wirkt schützend als Amulett, etwa in Form der Brakteaten. Die Münze ist ein Erzeugnis übernatürlicher Mächte, wie zB im Geldgefäß am Fußpunkt eines Regenbogens oder beim Geld des Teufels. Die Münze wirkt magisch durch ihr Metall oder durch ihre Bilder und Symbole. Gewinn und Verlust von Geld begleiten eine Unzahl abergläubischer Empfindungen und Handlungen - so verheißt etwa ein Jucken der linken Hand Geld. Durch Klopfen auf die Geldbörse bei einem Kuckucksruf, durch Linsenessen zu Karfreitag oder Neujahr bekommt man Geld. In Geldlade oder -beutel muss immer eine Münze zurückbleiben, damit das Geld nicht ausgeht. Auf das erstverdiente Geld muss gespuckt werden, um es zu segnen. Geldmünzen werden zur magischen Heilung von Krankheit verwendet, durch Auflegen, Vergraben (nach dem Übertragen der Krankheit) oder als Kirchenopfer. Geld schützt vor dem „bösen Blick" und ist bei wichtigen Riten wie Taufe, Hochzeit, Beerdigung unentbehrlich. Geld dient als Grabbeigabe, ob es nun für den Fährmann ins Reich der Toten benötigt wird oder als „Zehrpfenning", damit der Verstorbene nicht wiederkehrt. Am Weihnachtsmorgen legt man den Kühen ein Geldstück in den Wassertrog, am Neujahrstag tut man sich selbst Münzen in die Waschschüssel. Beides hält gesund. Schon die Römer werfen Geld als Opfergaben in Gesundbrunnen oder Quellen. Zaubersprüche und Geisterbeschwörungen verhelfen zu vergrabenem Geld und Schätzen. Wer selbst Geld vergräbt, muss nach dem Tode spuken, bis es wieder gefunden wird. Vergrabenes Geld blüht oder leuchtet. Teuflisches Geld glüht oder wärmt wenigstens die Hand. Übernatürliches Münzgeld kann sich in andere Stoffe (Laub, Papier, Obst, Mist) verwandeln. Geld ins Haus bringt auch das Geld- oder Heckemännchen, ein Hauskobold oder Alraun, die Figur des noch heute zu Sylvester gern verschenkten „Geldscheißers". Neben der „Geldhummel" aus dem Egerland verhilft auch der Drak, ein Feuerdrache, dem Hausbesitzer zu Reichtum - in christlicher Sicht der Teufel persönlich, der dafür aber die Seele als Hypothek nimmt. Wer hier Ähnlichkeiten mit eigenen Kindheitserinnerungen oder noch heute verstohlen gepflegtem Kulturgut erkennt, muss nicht erschrecken, denn die magische

Zur Psychologie des Geldes

3

Sicht der Welt wurde durch die Aufklärung zwar bekämpft, aber nie wirklich abgeschafft (vgl Crawford, 2000). Psychologische Quellen zeichnen den Ursprung des Geldes ähnlich - es sei ambivalent {Kirchler, 1995), polymorph (Snelders et al, 1992), hatte primär Schmuck-, Status- und Signalfunktion, erst später kommerzielle Bedeutung (Polanyi, 1957; Pryor, 1911 \ Wiswede, 1995). Die ökonomische Geld-Definition ist dagegen kurz und trocken: „Anything that will be accepted by virtually anyone in exchange for goods and Services" (Lipsey, 1971). Vom Warengeld - Nutzgeld zum Tausch (pecunia von lat pecus Nutzvieh), zB Kamele, Kauri, Wodka, oder Schmuckgeld, zB Perlen, Muscheln - führte die Entwicklung kulturell weiter zum Wägegeld (Edelmetallbarren/stäbe), dann zum Bargeld - Münzgeld oder Papiergeld (eigentlich Banken-Quittungen ersatzweise für Edelmetall) - und schließlich zum Giralgeld, dem heute meist immateriellen, elektronischen, virtuellen Binärcode-Geld auf Girokonten, Chipkarten, im Internet. Geld erfüllt als Tauschmittel, Recheneinheit und Aufbewahrungsform mehrere Funktionen gleichzeitig. Der Nutzen von Gütern wird abstrahiert, was universellen Tauschhandel möglich macht (Kirchler & Rodler, 1997). Ware verdirbt, Geld nicht, oder „pecunia non ölet", wie Kaiser Vespasian laut Sueton zu seinem Sohn Titus gesagt haben soll, als sie über die neue staatliche Toilettensteuer verschiedener Meinung waren. II. Geldwert und Symbolwert Als sicheres, zeitüberdauemdes Austauschmedium setzt Geld Vertrauen seiner Nutzer (vgl Strümpel & Katona, 1983) voraus - entsprechend bemüht sind die nationalen Notenbanken um ein gutes Image der von ihnen gehüteten Währungen. Nationalökonomisch bestimmt die Fisher-FormQl (MV = PT: Je mehr Geld M vorhanden ist und je rascher V es zirkuliert, umso höher sind die Güterpreise P und umso häufiger werden Güter gegen Geld getauscht T; Kirchler, 1995) den Geldwert, psychologisch ist es komplexer: Neues Geld ist zunächst suspekt, hat geringeren subjektiven Wert (siehe Leiser & Izak, 1987). Die soziale Stellung und Persönlichkeitseigenschaften verändern den erlebten Geldwert (Bruner & Goodman, 1947) - so überschätzen arme Kinder systematisch die Größe von Geldmünzen. Was macht Geld als Kulturprodukt psychologisch so interessant? Es ist ein schillernder Objekt- und Handlungsbereich. Als „Joker aller Waren" (Gesell, nach Wiswede, 1995, S 160), als Tauschgut für alle Objekte, die nach Marx „Warencharakter" angenommen haben, ist Geld nicht nur ein blasses Stück Papier, eine Transaktionssumme, sondern erhält selbst Symbolwert, wird psychologisch

4

Alexander G. Keul & Anton Kühberger

zum Verstärker, weil Bedürfnisse befriedigbar werden, sich der persönliche Handlungsspielraum erweitert, die Umwelt steuerbar, kontrollierbar erscheint und Geld damit zum Teil der Identität wird {Wiswede, 1995; Kirchler, 1995). Zwar führt Reichtum zu Sättigungseffekten und auch der Dümmste lernt einmal, dass er nicht alles für Geld kaufen kann, doch als Machtmittel taugt es allemal sehr gut. III. Geld in der Psychologie Die psychologische Theoriebildung zum Phänomen Geld ist StücWerk: Psychoanalytisch wird die symbolische Transformation von Geld aus Exkrementen postuliert. Plaget beschäftigte sich mit der kognitiven Entwicklung, die erst relativ spät „Geldverständnis" und -praxis ermöglicht. Laut Lemtheorie wird Geld als neutraler Reiz durch Kopplung mit einem primären Verstärker zu einem sekundären Verstärker. Beispiel: Für ein Kind bedeuten Geld und Geldbörse selbst nichts. Zückt aber ein Eltemteil immer vor dem ersehnten Eiskauf die Geldbörse, liegt für das Kind bald der Schluss nahe, beim bloßen Anblick der Geldbörse zu fragen: „Bekomme ich ein Eis?" Wolfe (1936) hat ein solches Verstärkungsexperiment erfolgreich mit Schimpansen unternommen. Für damit verwandte psychologische Austauschtheorien ist Geld ein symbolisches Tauschmedium. Ein Modell mit tauschbaren Ressourcenklassen stammt von Foa und Foa (1980; Kritik Lea et al, 1987). Besonders am Geld ist nach Wiswede (1995), dass es - bis auf Geldwechsel - nicht gegen Geld, sondern gegen Informationen, Güter oder Dienstleistungen getauscht wird. Der kulturelle Umgang mit Geld wird dabei zwar mitreflektiert - so erwähnt Wiswede soziale Konventionen - , aber nicht systematisch analysiert. Dazu ist die Terminologie der Kulturpsychologie (Boesch, 1980) hilfreich: Geld hat gleichzeitig Denotation (objektiven Tauschwert) wie situativ Konnotation (subjektiv-emotionale Bedeutung). So erlebte der Verfasser, dass vom Autostopper im nordöstlichen Niederösterreich gerne ein „kleiner Schein" als Gegenleistung angenommen wird, während derselbe Schein im Südsteirischen entrüstet abgelehnt wurde. Diese „Feinregulation" von finanziellem sozialem Austausch - die Netzwerkforschung spricht von „materieller sozialer Unterstützung" - ist ein spannendes, teilweise noch wenig bekanntes Gebiet. Die junge Wirtschafts- und Finanzpsychologie beschäftigt sich mit dem menschlichen Umgang mit „Geld und Geldeswert" und reflektiert dabei besonders die Phänomene Preis, Einkommen, Sparen, Kredit, Börse, Steuern und Inflation {Wiswede, 1995). Für

Zur Psychologie des Geldes

das Alltagsleben besonders spannend ist dabei das Themenfeld Preis, IV. Preis und Preiswahrnehmung Felser et al (1999, S 63-64) sehen im Preis einen „wahmehmungspsychologischen Anwendungsfall". Er ist für Konsumenten ein Nutzenaspekt (je niedriger der Preis, desto höher der Nutzen), aber auch eine Produktinformation nach der Preis-Qualitäts-Regel (je höher der Preis, desto höher die Qualität). „Zwischen diesen beiden Bedeutungen moderiert die Kenntnis des Produktes." Beispiel'. Sucht ein technischer Laie eine Bohrmaschine, schaut er hilfesuchend auf die Preise. Profis dagegen gehen nach ihnen bekannten Qualitätsklassen und kaufen in der sie interessierenden Kategorie dann das preiswerteste Produkt. Bei Marktsättigung (zB bei Handies, Kaffeemaschinen, Videorecordern) wird der Preis auch für Laien zum „notwendigen Übel", das sie minimieren wollen. Der vertraute „Dauer-Ausverkauf ist die Folge. Der rationale homo oeconomicus aus dem volkswirtschaftlichen Lehrbuch bewegt sich auf einem vollkommenen Markt vollständiger Konkurrenz und Transparenz. Er weiß über alle Preise Bescheid und kauft dort, wo Güter am billigsten sind. Nachfrage ist eine inverse Funktion des Preises, die Angebotskurve verhält sich spiegelbildlich, und am Schnittpunkt der beiden Funktionen stellt sich Marktgleichgewicht ein. Die Alltagsrealität sieht freilich anders aus. Kirchler (1995) resümiert zur PreisbewusstseinS'¥orsch\mg, dass Personen mit hohem oder sehr geringem Einkommen, Personen mit hoher Schulbildung, Singles und Berufstätige im allgemeinen preisbewusster agieren. Bei neuen, selten gekauften, ungewohnten Gütern und bei geringer Markentreue wird dem Preis besondere Beachtung geschenkt. Bei Möbeln, Urlaub, Geschenkartikeln sind Österreicher sehr preisaufmerksam, bei Babynahrung, Tageszeitungen, Tabakwaren und Alkoholika nicht. Speziell Preise für Konsumgüter des täglichen Bedarfs können spontan richtig angegeben werden. Die Orientierung im „Preisdickicht" funktioniert aber nicht wie bei einem Roboter, der Einzelpreise mathematisch vergleicht und optimiert, sondern wie in der „fuzzy logic" über Preisintervalle als geistige Anker zur Beurteilung von Einzelpreisen. Konsumenten besitzen klare Vorstellungen über akzeptable und faire Preisspannen (Kirchler, 1995). Das heißt, die Nachfrage variiert nicht wie beim klassischen homo oeconomicus kontinuierlich mit dem Preis, sondern es ergibt sich eine Treppenfunktion mit Preisschwellen, die an das Weber-Fechnersche Gesetz der Psychophysik erinnert. Die Wirtschaft macht sich dieses Phänomen zu-

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nutze und verwendet Schwellenpreise, sogenannte gebrochene Preise (zB € 0,98; € 1,39; € 4,98), die knapp unter einer Preisschwelle (hier € 1,40; € 4,50) oder einem Glat^reis (€ 1,00) liegen {Högl 1989). Weitere Einzelhandelstricks der „Preisoptik" beschreibt Berekoven (1995, S 191): Variation der Packungsmenge, Sonderangebote (mit Reizworten, anderer Aufmachung), „Preisschaukelei" (regelmäßige Preisvariation), „Mondpreise" (Vergleich mit Richtpreis, Mitbewerb), Standort/Platzierung (zB neben hochpreisigen Artikeln). Die Händler verstehen, auf dem „Klavier der Psychophysik" intuitiv geschickt Melodien zu spielen. Für Kotler und Bliemel (1995) ist daher der Preis das flexibelste Element im MarketingMix, und dazu noch jenes, das keine Ausgaben verursacht. V. Preis zwischen Qualität und Status Wie schon erwähnt, erhält der Preis besonders bei mangelnder Expertise der Konsumenten eine wichtige Signalfunktion. Ein klassisches Experiment unternahm dazu McConnel (1968), der studentische Versuchspersonen jeweils drei qualitativ gleichwertige Biermarken mit scheinbar verschiedenen Preisen testen ließ. Die teuerste Sorte wurde präferiert, die billigste abgelehnt. Anders als der homo oeconomicus präferiert der moderne Verbraucher nicht nur preisgünstige „Schnäppchen", sondern auch bewusst teure „Prestigeprodukte" - der nachfragefördemde Einfluss eines erhöhten Preises auf den Absatz wird Veblen-Effekt genannt (Kroeber-Riehl, 1992), nach dem „demonstrativen Konsum" in Thorsten Veblens „Theorie der feinen Leute" (vgl Distinktion bei Bourdieü). Der Preis ist daher ein wesentliches Standbein einer erfolgreichen Markenpolitik {Sattler, 2001) zur öffentlichen Positionierung von Produktimages. Denn Konsum ist kein individuelles Ereignis, sondern steht im familiären und weiteren sozialen Kontext. Kaufentscheidungen im privaten Haushalt {Kirchler, 1989) sind Ergebnisse sozialer Verhandlungen und damit Kompromisse. Zurück zum Preis. Kirchler (1995, S 149): „Der Preis eines Gutes wird vor allem dann als Qualitätsindikator erlebt, wenn keine deutlich wahrnehmbaren Qualitätsmerkmale vorhanden sind, oder die Zusammensetzung und Qualitätsbeurteilung eines Produktes übermäßig komplex ist, wie beispielsweise bei Kosmetikprodukten oder Arzneimitteln. Weiters wird der Preis häufig in riskanten Kaufentscheidungen als Qualitätsmaß angesehen. Daß allerdings der Preis nicht immer mit Qualität korreliert, zeigen Ergebnisse der Stiftung Warentest in Deutschland, wo in einem Drittel der Tests nicht die teuerste Marke das beste Qualitätsurteil erhielt. Häufig wurde die billigste Marke mit der Bestnote ausgezeichnet." Ähnliche Beispiele sind auch im österreichischen „Konsument" zu

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finden. Allerdings zeigte eine Erhebung von Prähauser (2004) über Salzburger Haushaltselektronik-Käufe, dass der kritische Preisvergleich vorab durch mündige Konsumenten eher die Ausnahme als die Regel ist. Geld und Preis als kulturelle Erfindung erweisen sich wie alle menschlichen Produkte als emotional ambivalent. Während das Geld den Tauschhandel durch zeitliche Entkopplung der Warentransaktionen florieren ließ, entstand mit dem Preis eine psychologisch eigengesetzliche Entität, die sich wie ein Falschfarbenfilter zwischen Konsument und Ware schieben kann. Auch das Geld kann, wie noch im Unterkapitel „Geld als Illusion" darzustellen ist, ein seltsames Eigenleben entfalten und sogar die Wirtschaft ängstigen. Aus mythologischer Sicht läßt sich mutmaßen, dass Prometheus wohl mit dem Feuer auch gleich das Geld zu den Menschen gebracht hat. Geld als Entscheidungshilfe und Risiko Anton Kühberger Finanzielle Entscheidungen zu treffen und Beurteilungen abzugeben gehört zu unseren täglichen Aufgaben. Wir beurteilen Leistungen, Personen, Lebensmittel und entscheiden uns, meist mit bemerkenswerter Leichtigkeit, für oder gegen Produkte. Manche dieser Entscheidungen scheinen, von außen betrachtet, relativ einfach zu sein: die Auswahl der Kleidung beispielsweise, oder der Kauf eines Liters Milch, wird normalerweise kaum Schwierigkeiten bereiten. Andere Entscheidungen scheinen schwierig zu sein: soll man diese oder jene Investition tätigen; soll man eine Partnerschaft eingehen? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass alle diese Entscheidungen auf recht komplexen Prozessen beruhen; sie unterscheiden sich lediglich in der Wichtigkeit der Konsequenzen. Wie sieht es aus mit der Qualität unserer finanziellen Entscheidungen? Um diese Frage zu beantworten, muss man zuerst klären, wie man Entscheidungen überhaupt beurteilen kann. Nachdem auch bei schlechten Entscheidungen ein positives Ergebnis möglich ist, kann das Ergebnis der Entscheidung nicht für die Qualität Ausschlag gebend sein. Üblicher Weise wird argumentiert, dass eine Entscheidung dann gut ist, wenn der Entscheidungsprozess gut ist. Die Güte des EntScheidungsprozesses wird meist über die Konsistenz der Präferenzen definiert: Präferenzen dürfen sich logisch nicht widersprechen. Nun hat die Forschung inzwischen eine Unzahl von Befunden zusammen getragen, die zeigen, dass unsere Präferenzen oft alles andere als konsistent sind. Allerdings zeigt

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die Forschung nicht nur zufallig inkonsistentes Verhalten, sondern systematische Abweichungen von konsistentem Verhalten. Die wichtigsten dieser Befunde im Zusammenhang mit finanziellen Entscheidungen werden im Folgenden beschrieben. Wahrscheinlichkeit: Logik des Hausverstandes? Das St.-Petersburg-Paradox brachte den ersten großen Konflikt zwischen dem Konzept der rationalen Erwartung und dem gesunden Menschenverstand. Es wurde von Nicholas Bernoulli 1713 erstmals veröffentlicht und eine Lösung wurde 1738 in den Jahrbüchern der St. Petersburger Akademie veröffentlicht; daher der Name. St.-Petersburg-Spiel: Anton und Alexander spielen ein Glückspiel mit einer Münze. Wenn das Ergebnis des ersten Wurfes „ Ziffer" ist, muss Anton an Alexander 1 Euro zahlen und das Spiel ist beendet. Wenn „Ziffer" erst beim zweiten Wurf kommt, erhält Alexander 2 Euro; wenn dies erst beim dritten Wurf geschieht, gewinnt er 4 Euro und so weiter. Wie hoch ist der faire Preis, den Alexander zahlen sollte, um das Spiel zu spielen? Wie viel sollte man bieten? Der faire Preis ist jene Summe, bei der eine Person unentschieden ist, welche Rolle sie lieber einnehmen würde. Nach der klassischen Theorie der Rationalität ist der faire Preis durch die mathematische Erwartung definiert: EV = [{Vi X 1 €) + (%X2€) + (^8 X4€) + ... + QA""x 2^' €)] = 14 +72 + 1/2+... + Vi = 00. Gemäß der Theorie, dass die Erwartung der faire Preis ist, sollte jeder von uns sein ganzes Vermögen einsetzen, um dieses Spiel zu spielen - und dies würde sogar noch von Vorteil sein, da sein Vermögen ja nur endlich groß ist. Kein vernünftiger Mensch ist jedoch bereit, mehr als eine kleine Summe (meist zwischen 5 € und 10 €) für dieses Spiel zu bieten. Daniel Bernoulli (der Bruder von Nicolas) löste dieses Problem 1738, in dem er anstelle der mathematischen Erwartung die „moralische Erwartung" des umsichtig abwägenden Kaufmannes einführte. Diese definierte er als das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, und dem, was später sein „Nutzen" genannt werden sollte. Die Grundidee ist leicht nachvollziehbar: (i) ein Gewinn von 200 € ist meist nicht doppelt so viel wert wie ein Gewinn von 100 €; (ii) man muss umso mehr bekommen, um glücklich zu werden, je reicher man schon ist. Meist wird die Nutzenfunktion als logarithmisch angenommen [N(x)=ln(:iöi|lm/lo(6öeJo5rnmj

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^66. 1 Titelseite der Gründungs Statuten des städt. Leihhauses, 1747 (NStA 500,01).

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Abb. 2 Kupferstich aus den Gründungsstatuten, darstellend die Caritas in zweifacher Form: als stillende Mutter und als Pelikan, der sich Fleisch aus der Brust reißt, um damit die Jungen zu füttern, 1747 (NStA 500,01).

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Abb. 5 Maria Vinzenz Süß (Leihhausverwalter 1841-1863), Bildnis (Original verloren) von Sebastian Stief, SMCA/ Fotosammlung InvNr 17.865.

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Abb. 4 Der Makartplatz mit dem städtischen Leihhaus (Postkarte, 1903).

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Abb. 5 Das städtische Leihhaus am Makartplatz, ca 1900 (Bildarchiv der ÖNB, Wien).

Sonja Pallauf Das erste österreichische Versatzhaus und seine soziale Funktion - dargestellt anhand seines „Gründungspatentes^^ Einleitung Das Pfandleihgeschäft ist die ursprünglichste Art des Kreditgeschäftes. ^ Seine Spuren gehen bis ins Mittelalter zurück. Das gewerbsmäßige Geben von verzinslichen Gelddarlehen gegen Verpfändung beweglicher Gegenstände war im Mittelalter die allgemein übliche Form und zwar für jede Art von Kredit, also nicht nur für Not- und Überbrückungsdarlehen, sondern auch für Geschäftsdarlehen, die Fürsten, Adel, Städte, Gewerbetreibende und Handwerker gleichermaßen in Anspruch nahmen. Ohne Pfand und Bürge gab es keinen Personalkredit. Die Unabdingbarkeit eines Pfandes im Rahmen der Darlehensgewährung war im damaligen Prozessrecht begründet: Der Pfandinhaber hatte in dem Pfand ein sicheres Beweismittel der Schuld. Der Schuldner hatte nicht die Möglichkeit, seine Schuld durch Eid zu leugnen. Zudem hatte der Pfandinhaber das Recht, die Höhe der Schuld und der Zinsen durch einen Eid auf das Pfand zu erhärten.^ Das Geld- und Kreditgeschäft befand sich wegen des Verbots der katholischen Kirche, Darlehen gegen Zinsen zu gewähren, geradezu ausschließlich in den Händen der Juden. Unter Ausschaltung des Groß- und Kleinhandels hatte man den Juden nur dieses gelassen. Die rechtlichen Regelungen für das Pfandleihgeschäft fanden sich in den einzelnen Stadtrechten^, die in ihrer Normierung der Zinssätze und der Beleihungswerte regional differierten. Sie dienten vorrangig dem Schutz der Pfandgeber vor Entartungen durch Wucherzinsen. Im ausgehenden Mittelalter stieg trotz des kanonischen Zinsverbotes die Akzeptanz der Bevölkerung in Bezug auf das Zinsennehmen - bedingt durch die kontinuierlich breiter gewordene Kreditentwicklung. Das Wechslergeschäft, der Rentenkauf, die Darle1 Dazu Bernhard Mewes, Leihhäuser, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, hg E. Beckerath/H. Bente/E. Gutenberg, 6. Bd, Göttingen 1959, S 570-571. 2 Näher Gustav Schmoller, Die öffentlichen Leihhäuser, sowie das Pfandleih- und Rückkaufsgeschäft überhaupt; in: Jahrbuch fiir Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg F. V Holzendorff/L. Brentano, 4. Jg, 1. H, Leipzig 1880, S 89. 3 Karl Hurst, Gemeindeeinrichtungen; in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Bd, Göttingen/Heidelberg 1957, S 895.

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hensvergabe durch Wechsel etc spielten eine immer wichtiger werdende Rolle. Nichtsdestotrotz blieben die Tendenzen insbesondere kirchlicher Kreise, die Juden aus dem Pfandleihgeschäft zu verdrängen, weiterhin bestehen, was letztlich dazu führte, dass seitens der Kirche öffentliche Pfandleihanstalten (Leihämter, Leihhäuser, Versatzämter) errichtet wurden. Es handelte sich hierbei um - in der Regel mit Klöstern - verbundene bankähnliche Anstalten, die insbesondere der öffentlichen Wohlfahrtspflege dienten und ihren Ausgangspunkt im Italien des 15. Jahrhunderts nahmen. Die Aufgaben dieser italienischen in der Literatur als Monti di pieta' oder Monti pii^ bezeichneten Institute, die von katholischen Orden, allen voran den Franziskanern, ins Leben gerufen worden waren, bestanden zum einem darin, Bedürftigen und in materielle Notlage geratene Bürger durch günstige Darlehen unter die Arme zu greifen, zum anderen den um sich greifenden Wucher einzudämmen, der Einzelexistenzen ebenso wie das gesamte Wirtschaftsleben bedrohte. Die Monti di pieta' suchten anfänglich das dazu benötigte Startkapital durch Geschenke, Stiftungen und Zuwendungen der öffentlichen Hand zu erhalten, bis man schließlich begann, Darlehen gegen Zinsen aufzunehmen. Mit der Zeit überschritt die Kreditnachfrage die Kapitalausstattung deutlich. Somit sicherte man das Überleben der Leihhäuser, und sie schössen wie Pilze im nord- und mittelitalienischen Raum aus dem Boden.^ Bei den von den geistlichen Leihhäusern ausgegebenen Kapitalien handelte es sich um nicht vollkommen zinsenfreie Pfanddarlehen. Vielmehr waren die monatlichen Zinsen so bemessen, dass die Leihhäuser zumindest kostendeckend geführt werden konnten. Die Zinsen beliefen sich ungefähr auf 8 %-15 % des erhaltenen Darlehens. Das Pfand durfte bei Nichterfüllung der Verpflichtungen im Wege der Selbsthilfe zwecks Deckung verkauft werden. Die Darlehen wurden auf ein oder mehrere Monate, maximal auf ein Jahr gegen Pfand gegeben. Da die Laufzeit der Kredite kurz bemessen war, handelte es sich bei diesen Krediten primär um Not- bzw Überbrückungsdarlehen im Unterschied zu jenen der Privatbanken und der Sparkassen. In den Genuss solcher Darlehen kamen nicht nur niedere Einkommensgruppen, sondern alle durch Krieg oder persönliche Um„Werke der Barmherzigkeit"; Mons = Ansammlung von Kapital, das fiir bestimmte öffentliche Zwecke herangezogen wurde. Giuseppe Felloni, Kredit und Banken in Italien, 15.-17. Jahrhundert; in: Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, hg M. North, KölnAVien 1991, S 23.

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stände wie Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit in Not geratene Personen, welche sich insbesondere auch aus dem Mittelstand rekrutierten. Nur jene waren ausgenommen, welche mit dem Geld in kaufmännischer Absicht spekulieren wollten. Die spätmittelalterlichen Leihhäuser standen in jedem Fall unter kirchlicher Aufsicht - unabhängig davon, ob sie von Klöstern oder Städten gegründet und betrieben wurden. Ihre aus dem Pfandleihgeschäft resultierenden Gewinne sollten basierend auf ihrer Gemeinnützigkeit ihnen selbst zugute kommen.^ In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass es der Verdienst der Kirche im ausgehenden Spätmittelalter und der beginnenden Frühneuzeit war, erstmals soziale Gesichtspunkte in einen Geschäftsbereich einfließen zu lassen, der primär von zins- bzw gewinnorientiertem Denken privater Bankiers^ geprägt war. Der soziale Verdienst der Kirche war in ihrer Lehre selbst begründet. Der Zins - die Vergütung für die Kreditvergabe - war für die Kirche seit jeher ein Konfliktthema. Aus der heiligen Schrift wurde abgeleitet, dass Einkommen nur mit Arbeit erworben werden könne und Gewinne aus dem Kapitalverleih daher verboten waren. Auch soziale Gründe erklären die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber Zinsforderungen. Geldverleih gegen Zinsen verführe zu Machtmissbrauch und störe so die von Gott gewollte gesellschaftliche Harmonie.^ Nur langsam konnten sich die in Ober- bzw Mittelitalien entstandenen Pfandleihhäuser nach Westen^ und Norden ausbreiten. Im deutschen Sprachraum entstanden derartige Einrichtungen erst im ausgehenden 16. bzw beginnenden 17. Jalu-hundert.^^ Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren im deutschen Raum die staatlich bzw städtisch organisierten Leihhäuser vorherrschend. Der Einfluss der Kirche auf dem Kreditsektor nahm kontinuierlich ab. Private Leihhäuser standen unter strenger staatlicher Aufsicht. Sie erlebten ihren wirtschaftlichen Aufschwung erst im Liberalismus des 19. Jahrhunderts mit Einführung der Gewerbe- und Zinsfreiheit. 6 Schmoller, Öffentliche Leihhäuser (wie Anm 2), S 93f. 7 Dazu H. Krasensky, Bankwesen; in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hg A. Erler/E. Kaufmann, Sp 300-306. 8 Ausfuhrlich zur Geschichte der Wucherlehre Wilhelm Endemann, Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, 1. Bd, Aalen 1962, S 9-71. 9 Frankreich, Belgien, Niederlande; Dazu Schmoller, Öffentliche Leihhäuser (wie Anm 2), S 94. 10 1591 Gründungs des Augsburger Leihhauses, 1618 Gründung des Nümberger Leihhauses mit jeweils eigenen Leihhausordnungen.

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Diese für Versatzhäuser maßgeblichen Rahmenbedingungen prägten die Entwicklungsgeschichte des ersten österreichischen Leihhauses. I. Die Gründung des ersten österreichischen Versatzhauses unter besonderer Einbeziehung der damit verbundenen Armenversorgung Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Wiens Amtsstellen verstärkt über die Schaffung eines Versatzhauses beraten. Die missliche wirtschaftliche Lage - verursacht durch die zweite Türkenbelagerung - und die daraus resultierenden Probleme sozial schwächerer Bevölkerungsgruppen löste eine in direktem Kontext mit der Armenfürsorge und dem wachsenden Bettlerunwesen stehende Diskussion aus. Unter der Regierungszeit Leopold l}^ wurde im Jahre 1693 zwecks Unterbringung und Versorgung der zahlreichen Wiener Bettler, Waisen, Obdachlosen und Invaliden aus den Türkenkriegen ein Armenhaus ^^ errichtet. Diese Institution sollte finanziell durch die Gründung eines Leih- bzw Versatzhauses abgesichert werden. Aus diesem Grund steht das Armenhaus am Beginn der Geschichte des Wiener Versatzamtes.^^ Die Kosten der Erhaltung des Armenhauses expandierten fortan, sodass sich Leopold L und der Wiener Stadtrat gezwungen sahen, andere Wege der Finanzierung als jene privater Stiftungen, Zuschüsse und Steuem^^ zu gehen. Es war daran gedacht, aus Mitteln des Armenhauses nach dem Vorbild anderer Städte Europas ein Versatz- und Fragamt zu schaffen, welches auf Namen und Rechnung des Armenhauses zinsgünstige Pfandkredite ge\Yähren sollte. Die aus dem Pfandkreditgeschäft erwirtschafteten Überschüsse sollten dann wiederum ausschließlich dem Armenhaus zugute kommen. Die Devise hieß also, Zahlungen von Armen für die Versorgung der noch Ärmeren heranzuziehen. Zugleich sollte mit dem Versatzamt ein Fragamt verknüpft sein, welches Verkäufe gegen Gebühr zu vermitteln hatte. 11 Regierungszeit Leopold I: 1658 - 1705. 12 Das Große Wiener Armenhaus nahe dem Schottentor; dazu Felix Czeike, 275 Jahre Dorotheum; in: Wiener Geschichtsblätter (Beiheft 2), Wien 1982, S 4. 13 Felix Czeike, Das Dorotheum. Vom Versatz- und Fragamt zum modernen Auktionshaus, Wien-München 1982, S 28. 14 So war zB das Lohnwagengefälle (= die von den Lohnfuhrwerkem zu entrichtenden Abgaben) die finanzielle Grundlage für das Wiener Großarmenhaus.

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Inwieweit diese Pläne auf Basis des von Kaiser Joseph l}^ im März 1707 erlassenen Patentes zur Gründung eines Versatz- und Fragamtes^^ umgesetzt werden konnten, erfahren wir in der näheren Auseinandersetzung mit genannter Rechtsquelle. Wien erhielt als erste Stadt der cisleithanischen Reichshälfte ein Versatzamt^^. Am 1. April 1707 öffnete es seine Pforten. ^^ Mit dieser Gründung verfolgte Joseph I. insbesondere zwei Ziele: Zum einem war, wie erwähnt, beabsichtigt, die erwarteten Überschüsse des Versatzamtes den Bedürftigen des Armenhauses zur Verfügung zu stellen. Das Patent spricht wörtlich von der Versorgung einer sehr grossen Anzahl allhier befindlicher allerhand armer, mühseelig und elend, deß Allmosen würdig befiindener leuth. Zum zweiten musste die Bevölkerung vor Wucher geschützt werden. Dieser stellte für Wiens Bürger eine nicht zu übersehende Gefahr dar. Die unerhörte Wucherey der allen orten herumblaufenden händlerwerber galt es einzudämmen. Jene Personen mussten unterstützt werden, welche auff eine kurtze Zeit eines Geldes bedürftig wären, ... umb sich auß ihren äussersten Nothstand zu retten ... Derley Geld nöthig und bedörfftigen Partheyen sollte auff jedmahliges Verlangen mit einem Darlehen würcklich geholffen und gegen Versetzung eines Pfands und Bezahlung eines geringeren Interesse auch Verschaffung aller Sicherheit wegen deß beschehenen Versatz an die Hand gegangen werden. ^^ Bei der hier angesprochenen Personengruppe handelt es sich primär um eine nicht als „arm" zu bezeichnende Bevölkerungsschicht. Die in finanzielle Not Geratenen gehörten in erster Linie dem Mittelstand an. Erst sie waren in der Lage, Gegenstände von einem gewissen Wert zu hinterlegen. Eine realistische Chance, ihre Wertgegenstände binnen eines Jahres einlösen zu können, musste bestehen. Im Folgenden zeigt das Patent sehr genau die eminenten Missstände des damaligen Kapitalmarktes auf. So wird berichtet von Krediten, die für jeden geliehenen Gulden pro Woche ein bis zwei Kreuzer forderten.^^ Des Weiteren ist von Pfandkrediten die Rede, für deren Pfänder keine Übemahmsbestätigungen ausgestellt wur15 Regierungszeit Kaiser Joseph L: 1705 - 1711. 16 Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Patente, A 1, Nr 1011, 14.3.1707. 17 Vergleichsweise spät wurden in Graz, nämlich 1747, und im erzbischöflichen Salzburg 1755 Leihhäuser gegründet. 18 Näher Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 35. 19 WStLA, Patente, Al, Nr 1001, 14.3.1707, fol 4 und fol 5. 20 Der Zinssatz betrug über 100 % im Jahr.

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den. In diesen Fällen war es für die Pfandgeber ein Leichtes, den Erhalt der Pfänder zu bestreiten.^1 Um solchen Machenschaften Einhalt gebieten zu können, sah das „Gründungspatent" detaillierte Geschäftsbedingungen vor: Die Untergrenze der Darlehenshöhe wurde mit einem Gulden bestimmt. Die Obergrenze wurde auf hundert Gulden festgesetzt. Der Darlehenswerber musste nach Anmeldung beim Amtmann (Amtsvorsteher) sein Pfand durch einen beamteten Schätzmeister bewerten lassen, welcher auf wertbeständige Pfänder zwei Drittel, auf andere aber nur die Hälfte des Schätzwertes als Kredit gewähren durfte. Dabei wurden die im Laufe eines Jahres auflaufenden Zinsen mitberücksichtigt.^^ Die Schätz-Leuth stellten dem Darlehenswerber einen SchätzZetteß^ aus, auf welchem Wert und Beschaffenheit des Pfandgegenstandes genauestens vermerkt waren. Mit diesem ging der Darlehenswerber wieder zum Amtmann, der bei gleichzeitiger Aushändigung des Darlehens und einer Amtsbestätigung das Pfand in Verwahrung übernahm. In der Amtsbestätigung wurde die Übernahme des Pfandgegenstandes vermerkt. Sie diente ausschließlich der Sicherheit des Darlehensnehmers. Die Übergabe des Pfandes fand im Geheimen statt, sodass auch die Anonymität des Darlehensnehmers gewährleistet war.^^ Das Versatzamt gewährte abhängig von der Art der Pfandgegenstände unterschiedliche Kreditkonditionen: Wertbeständige Pfandobjekte, wie beispielsweise Gegenstände aus Gold und Silber bzw Juwelen, konnten - wie oben erwähnt - mit bis zu zwei Drittel ihres Wertes belehnt werden. Ein Heller wurde pro Woche für jeden kreditierten Gulden eingehoben. Der Zinssatz belief sich also auf fast 11 % im Jahr - ein für damalige Verhältnisse vergleichsweise günstiger Zinssatz.^^ Auf wertbeständige Gegenstände (zB Sachen aus Metall wie Kupfer, Zinn, Messing etc), welche aufgrund ihres Umfanges nicht unerhebliche Lagerkosten verursachten, wurden auch Darlehen in Höhe von zwei Drittel ihres Wertes gewährt. Der höhere Manipulations- und Lageraufwand schlug sich im Zinssatz nieder. Er belief sich auf einen Pfennig pro Gulden wöchentlich - auf das Jahr umgerechnet waren das etwa 21,5 %. Hier wird deutlich, dass sich die Darlehen bei größeren Pfandobjekten massiv verteuerten. Trotz-

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Siehe WStLA, Patente (wie Anm 19), fol 4. Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 32. WStLA, Patente (wie Anm 19), fol 6. Siehe WStLA, Patente (wie Anm 19), fol 8. 1 Gulden = 240 Pfennige, ca 10,8 % per anno.

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dem lag auch in diesem Fall der Zinssatz oft weit hinter jenem privater Geldverleiher.^^ Zu guter Letzt konnten auch Kauffmanns-Waaren item Kleyder, Spallier, Bilder, Bücher, Gewähr und dergleichen^^ in Pfand genommen werden. Sie wurden lediglich mit der Hälfte ihres Schätzwertes belehnt. Der Zins betrug hier ebenfalls ca 21,5 % per anno. Bei Kürschnerwaren war die Belehnung aufgrund der oft schwierigen Aufbewahrung auf sechs Wochen limitiert. Bettwäsche durfte überhaupt nicht angenommen werden. Sie war zu kompliziert in der Lagerung. Hygienische Gründe spielten wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Zur Absicherung der Liquidität des Versatzamtes sah das Gründungspatent nicht nur eine Limitierung der Darlehenshöhe, sondern auch der Dauer vor. So blieb die Belehnung auf eine Zeitspanne von einem Jahr und sechs Wochen beschränkt. Die Zinssumme durfte den Pfandwert nicht erreichen. Kam es zu keiner fristgerechten Auslösung des Pfandes durch den Schuldner, so musste der Pfandgegenstand nach vorheriger Kundmachung zwangsweise versteigert werden. Die Lizitationen fanden nach öffentlicher Ankündigung vierteljährlich an unterschiedlich festgelegten Orten in der Stadt statt. Sie wurden öffentlich in Beysein eines Amts-Bediensteten durch den hierzu auffgenommenen Außruffer nach dreymahlig außgeruffener Feilbietung jedoch wenigist um die Schätzungs-Summa dem Meistbietenden gegen also gleich paarer Bezahlung verkauft?-^ Der Meistbietende erhielt demnach den Zuschlag. Dieser hatte sofort - also bar - zu zahlen. Der Ausrufungspreis durfte den Schätzwert des Pfandgegenstandes nicht unterschreiten. Konnten im Zuge des Pfandverkaufes nicht nur die Schulden abgedeckt, sondern auch ein zusätzlicher Gewinn erzielt werden, so stand dieser dem Pfandschuldner zu. Er hatte die Auszahlung eines allfälligen Überschusses binnen einer Frist von drei Jahren zu beantragen. Nach Ablauf dieser Frist verfiel der überschüssige Betrag zugunsten des Wiener Armenhauses.^^ Es fällt auf, dass die Versteigerungsbedingungen in ihrem Grundkonzept kaum an Aktualität eingebüßt haben. Der Umstand jedoch, dass Überschüsse des Versatzamtes in jedem Fall an das Armenhaus abzuliefern waren, zeigt, wie eng damals die Verknüpfung dieser beiden Institutionen war. Die finanziellen Überschüsse des Versatzamtes waren zu einem überwie26 27 28 29

Näher zu den Kreditkonditionen WStLA Patente (wie Anm 19), fol 6. WStLA (wie Anm 19), fol 6. WStLA (wie Anm 19), fol 10. WStLA (wie Anm 19), fol 11.

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genden Teil nicht vorhersehbar. Sie sollten jedoch ihren Beitrag leisten, dem „kleinen Mann" finanziell unter die Arme zu greifen. Derartige Unterstützungen an das Armenhaus sind im Gründungspatent auch an anderer Stelle vorgesehen: So sieht das Patent neben Zwangslizitationen freiwillige Versteigerungen vor. Zum einen konnte der Erwerber ein ersteigertes Pfand bei der nächstfolgenden Versteigerung feilbieten lassen, zum anderen fand bei Effekten die Möglichkeit einer Versteigerung auf Begehren im Patent lediglich eine beiläufige Erwähnung.^^ Die Frage, ob freiwillige Versteigerungen auch auf Pretiosen ausgedehnt werden konnten, bleibt hier unbeantwortet. Das Patent lässt auch die Frage, wer hier den Rufpreis festzusetzen hatte, offen. Wohl aber wird normiert, dass in Fällen freiwilliger Versteigerung von jedem Gulden des Verkaufserlöses ein Kreuzer an das Armenhaus abzuführen war. Auch hier fungierte soziale Fürsorge als Geschäftszweck Überlegungen, welche aus heutiger Sicht ziemlich ungewohnt und fremd anmuten. Im Gründungsjahr wurde gleichzeitig mit dem Versatzamt ein Fragamt ins Leben gerufen.^^ Im aktuellen Verständnis lässt sich dieses Amt am besten mit einer Agentur vergleichen. Hier wurden mittels öffentlich zugänglicher Bücher Liegenschaften und Fahrnisse gleichermaßen feilgeboten. Zur letzteren Gruppe zählten sperrige bzw schwer zu transportierende Güter, wie beispielsweise Bibliotheken, Musikinstrumente, Fuhrwerke oder Tiere.^^ Eine Provision im heutigen Sinne war bei Zustandekommen des Geschäftes nicht zu leisten. Vielmehr hatte der Verkäufer eine Schreibgebühr^^ für die Eintragung des Verkaufsgegenstandes in das öffentliche Amtsbuch zu entrichten. Der Kaufwillige wiederum hatte bei Einsichtnahme in das Buch gleichfalls eine Gebühr zu begleichen. Jeder Kaufabschluss musste in weiterer Folge dem Amt gemeldet werden, um daraufhin das Kaufanbot im öffentlichen Buch streichen zu können. Die Gewinnhöhe des Wiener Armenhauses an den Gebühren des Fragamtes wurde im gegenständlichen Patent nicht explizit formuliert. Dass es eine solche gab, kann hier nur vermutet werden. Immerhin war das erste Wiener Versatz- und Fragamt eine dem Armenhaus eingegliederte öffentliche Anstalt, welche zweifelsfrei mit Geldern des Armenhauses ins Leben gerufen worden war. Das Interesse des Armenhauses an einer Gewinnbeteiligung des Ver-

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Siehe WStLA (wie Anm 19), foll2. Näher Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 34. Siehe WStLA (wie Anm 19), fol 14 u. fol 15. Die Schreibgebühr betrug 17 Kreuzer.

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Satz- und Fragamtes in allen seinen Geschäftssparten ist belegt und erscheint auch in diesem Kontext ein durchaus logisches zu sein. Gewinnbeteiligungen kann es aber nur geben, wenn es Gewinne gibt. Diese waren in den ersten Betriebsjahren des Versatz- und Fragamtes nicht vorhanden. Der Anspruch des Armenhauses an dessen Reingewinn bestand daher nur auf dem Papier. Der sogenannte „kleine Mann" konnte vorerst von der neuen rechtlichen Konstruktion der Integrierung des Versatzamtes als Teil des Armenhauses nicht profitieren. Das Versatzamt litt also in seiner Anfangsphase unter chronischem Geldmangel. Die mangelnde Liquidität war zum einem bedingt durch fehlendes Betriebskapital, femer durch wachsenden Personalbedarf^^, zum anderen nicht zu übersehen durch hohe Verschuldung - letztere entstanden durch den Ankauf einer großzügigen zentral gelegenen Heimstatt^^, auf deren Lokation und Finanzierung hier nicht weiter eingegangen werden kann. Die Unterbringung des Amtes war zwar auf eine durchaus akzeptable Weise gelöst worden, doch traten durch die Aufnahme des Geschäftsbetriebes Probleme in der organisatorischen Abwicklung auf, die Karl Vl}^ im Jahre 1713 dazu veranlassten, Reorganisationsmaßnahmen einzuleiten. Es kam immer wieder zu Beschwerden der Pfandeinbringer, welche die Kredite für ihre Pfander für zu gering bemessen hielten. Das Versatzamt trug das Risiko für verfallene Pfander, die bei abermaliger Versteigerung zu einem unter der Darlehenssumme liegenden Preis angeboten werden mussten. So waren Auseinandersetzungen zwischen Einbringen! und Schatzmeistern, die verständlicherweise auf eine so gering wie mögliche Kreditsumme drängten, an der Tagesordnung. Diesem Konflikt wurde mit der von Karl VI. im Jahre 1713 erlassenen Versatz- und Fragamts-Renovation^'^ ein Ende bereitet, da man zu dem Schluss gelangte, dass denen nothleidenden Partheyen gar wenig oder fast nicht geholfen würde}^ Gemäß dem kaiserlichen Erlass wurden die Zinsen vom Darlehensbetrag für die gesamte Laufzeit von 58 Wochen sogleich in Abzug gebracht. Damit versuchte man das Geschäftsrisiko des Amtes bestmöglich einzudämmen. Dem Einbringer wiederum wur-

34 Personalstand des Versatzamtes von 1709 laut Staats- und Standeskalender: 8 Beamte, davon 1 Amtmann, 1 KontroUor, 1 Buchhalter, 1 Protokollist, 1 Pfandverwahrer und 2 Schätzmeister. 35 „Kaiserliches Gießhaus". Heute: Eckhaus Annagasse 20. 36 Regierungszeit Kaiser Karl VI.: 1711 -1740 . 37 WStLA, Patente, Al, 2. Reihe, Nr 41, 2.1.1713. 38 WStLA, Patente, Al, 2. Reihe, Nr 41, 2.1.1713, fol 1.

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de mit dieser Lösung zugesichert, dass auf jedes Pfand der volle Schätzwert geliehen werden konnte. 1713 war auch das Jahr, in welchem die Pest in Wien grassierte. Dadurch kam es zu einer massiven Einschränkung des laufenden Geschäftsbetriebes. Sämtliche Textilien wie Kleidung und Wäsche durften aus sanitären Gründen für einen Zeitraum von drei Jahren nicht verpfändet werden. Der insbesondere in der Startphase des Versatzhauses so schmerzliche wirtschaftliche Einbruch wurde durch den Umstand verstärkt, dass Pfandobjekte wie Textilien durch ihre meist aufwendige Lagerung höhere Zinsgewinne abwarfen als Edelmetalle und Juwelen. Gerade diese gesundheitspolitische Maßnahme wirkte sich auch nachhaltig auf den sozial schwächer gestellten Pfandeinbringer aus, der in Ermangelung des Besitzes von Edelmetallen, Juwelen und sonstigen Wertgegenständen kaum eine Möglichkeit mehr hatte, Gegenstände belehnen zu lassen. Zu diesen eher ungünstigen Rahmenbedingungen kam noch, dass die Wiener Bevölkerung von Beginn an wenig Notiz von dieser neuen Institution nahm - ungeachtet des Umstandes, dass die Zinsen der angebotenen Pfandkredite weit unter jenen privater Geldgeber lagen. Die wirtschaftlichen Anfangsschwierigkeiten schienen langsam überwunden zu sein, und es stellte sich im Jahre 1716 erstmals ein leichter Gewinn für das Versatzhaus ein. In dieser ersten Konsolidierungsphase kam es bereits zu einer Senkung des Zinsniveaus. Für sämtliche Pfandobjekte wurde ein einheitlicher Zinsfuß von ca 11 % festgesetzt. Vor allem sozial Schwächere profitierten von dieser Maßnahme. Von Beginn an war es Karl VI. ein besonderes Anliegen, die ärmere Bevölkerung in den künftigen Kundenstock des Versatzhauses einzubinden. Dieser Trend, das Leihhaus als humanitäre Anstalt zu führen, ist unverkennbar, hielt jahrzehntelang an und wirkte in der weiteren Geschäftsentwicklung jahrhundertelang nach. II. Resümee und Ausblick Mit dem Gründungspatent von 1707 wurde erstmals ein rechtliches Fundament für ein Versatzhaus im Habsburgerreich geschaffen ein Patent, das sowohl von der Bevölkerung als auch von den zeitgenössischen Journalen kaum wahrgenommen wurde. Dem Wiener Versatzhaus gelang es dennoch seinen Bekanntheitsgrad allmählich zu steigern, sodass es immerhin im Jahre 1719 in der Historischen Beschreibung von der Kayserlichen Residenz-Stadt Wienn und Ihren Vorstädten Erwähnung fand: Banco della Pieta' wird das Pfandt-Amt genandt, wie es dergleichen auch anderwerts hat; Allda kan man in Zeit der noth versetzen und ver-

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pfänden, was man will. Das ist ein Trost für diejenige, welche in höchst-dringender Nothdurfft Geld haben müssen. Eben dessentwegen ist solches von Armen zu Hülff und Trost vor einigen Jahren auffgerichtet worden. In allen wohlbestellten Städten pflegt man dergleichen zu haben; und solt es nur zur Verhütung des grossen Wuchers dienen.^^ In vielen europäischen Hauptstädten gab es seit dem beginnenden 16. Jahrhundert Versatzhäuser, welche von Armen für Arme ins Leben gerufen worden waren. Wien nahm sich daran erst spät ein Vorbild. Ursprünglich als Institution des Wiener Armenhauses gegründet, entwickelte sich das Versatzhaus Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer rechtlich und administrativ selbständigen Organisationseinheit. Maria Theresia verlieh dem Amt 1753 den Status eines öffentlichen Fonds. In weiterer Folge wurde es 1762 als „privilegiertes" Kredithaus der Finanzbehörde unterstellt. Durch diese administrativen Umstrukturierungsmaßnahmen zugunsten staatlicher Aufsichtsbehörden wurden die Pfandkreditgeschäfte der Einflusssphäre der Stadt Wien weitgehend entzogen. Die Bande zum Wiener Armenhaus wurden nur in einem ganz wesentlichen Punkt nicht zerrissen: Das Armenhaus hatte weiterhin jegliche Ausfallshaftung für das „k.k. Versatzamt"^^ zu übernehmen. Joseph IL setzte den von Maria Theresia eingeleiteten Kurs im Wesentlichen fort, das Versatzamt aus dem Naheverhältnis zur Stadt Wien zu lösen und gänzlich in den staatlichen Einflussbereich überzuleiten."*^ Ganz im Sinne des aufgeklärten Absolutismus - die staatliche Gewalt bei gleichzeitiger Zurückdrängung kirchlichen Einflusses und der städtischen Autonomie zu stärken - regelte Joseph IL den Geschäftsbetrieb des Versatzamtes^^ sowie die staatlichen Aufsichtsrechte^^ neu. So ordnete er unter anderem an, die Annahme 39 40 41 42

Zitiert nach Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 41. So die offizielle Bezeichnung des Instituts seit 1765. Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 51. Näher Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 52 f. Seit 1785 ist das Versatzamt eine rechtlich selbständige Anstalt - eine juristische Person. Die Reorganisation umfasste viele Details des Geschäftsbetriebes, so beispielsweise die Art der belehnbaren Pfandobjekte, der Schutz der Pfandgeber in Bezug auf ihre Anonymität, die Leistungen des Versatzamtes für die Armenkasse usw. 43 Die „Hofkommission" als Aufsichtsbehörde wurde 1785 durch die der Niederösterreichischen Regierung unterstellten „Stiftungsoberdirection" ersetzt. Dieser unterstand die gesamte Armenpflege und das in ihrem Rahmen den Humanitätsanstalten zugerechnete Versatzamt.

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von Pfandobjekten minderen Wertes^^ zu akzeptieren, was eine neuerliche Erweiterung des Pfandleihgeschäftes auf sozial schwächere Bevölkerungsgruppen zur Folge hatte. Wirtschaftlich gesehen florierte das Pfandkreditgeschäft Mitte des 18. Jahrhunderts. Die zu dieser Zeit erfolgten wirtschaftlichen, technischen und vor allem sozialen Umstrukturierungen^^ eröffneten dem Versatzamt neue Möglichkeiten, die es zu nutzen verstand. Nicht nur Privatpersonen zählten zum Kundenstock des Versatzamtes, sondern auch staatliche Ämter. Die Liquidität des Instituts wurde insbesondere auch durch die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf das Geldeinlagegeschäft sichergestellt. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Instituts zusehends. Die Gründe hiefür waren vielschichtig. Gemeinsam war ihnen, dass sie alle außerhalb des Hauses zu suchen waren. Die Napoleonischen Kriege^^ und die damit verbundene Kapitalknappheit, das hohe Zinsniveau, der Finanzkrach 1811 und die nur schleppend voranschreitende Konsolidierung der Währung hinterließen Wunden im Geschäftsbetrieb des Versatzamtes, die trotz staatlicher Stützungsmaßnahmen schwierig zu überwinden waren. Durch die Schaffung der Conventions-Münze^^, welche die wertlos gewordene Wiener Währung ersetzte, und überhaupt durch die allgemeine Beruhigung der Situation auf dem Sektor der Geldbeschaffung konnten sich die Bilanzen des Versatzamtes allmählich wieder erholen. Die stagnierende Wirtschaft Anfang des 19. Jahrhunderts wirkte sich natürlich auch auf Konsumentenebene aus. Durch die zunehmende Verarmung des unteren Mittelstandes war der Andrang beim Versatzamt enorm. Die rasant ansteigende Anzahl von Pfandgegenständen minderen Wertes Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts lieferte den Beweis für die durch geringe Löhne, steigende Preise und drückende Steuern gekennzeichnete missliche soziale Lage weiter Bevölkerungskreise. Die Kundenfrequenz konnte daher im ausgehenden Vormärz und insbesondere auch bei 44 Pfandobjekte unter dem Wert von zwei Gulden. 45 Zahlreiche Manufakturen wurden Mitte des 18. Jahrhunderts im Wiener Raum angesiedelt. Sie belebten die Wirtschaft - veränderten aber auch die soziale Ordnung massiv. Parallel zu den wirtschaftsfördernden Maßnahmen ergriff der Staat finanz- bzw währungspolitische Maßnahmen. Die erstmalige Ausgabe moderner Banknoten 1762 sei hier nur am Rande erwähnt. 46 1. Koalitionskrieg (1792-1797), 2. Koalitionskrieg (1799-1802), 3. Koalitionskrieg (1805), die französische Invasion (1809). 47 Näher Anton Tautscher, Wirtschaftsgeschichte Österreichs, Berlin 1974, S 366 f.

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Ausbruch der Revolution 1848 weiter ausgebaut werden, wenngleich der Durchschnittswert der Pfander sukzessiv zurückging. In der Revolutionsphase waren die dem Versatzamt zur Verfügung stehenden Geldmittel naturgemäß besonders beschränkt. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten waren dem Versatzamt die beträchtlichen Leistungen^^, die es an den Allgemeinen Versorgungsfonds von jeher zu entrichten hatte, ein Dom im Auge. So stellte das Institut 1852 ohne gesetzliche Ermächtigung die Zahlungen an die Armenkasse ein. Im Jahr 1860 wurde diese eigenmächtige Handlungsweise mit kaiserlicher Ermächtigung sanktioniert. Damit konnten die Liquiditäts- und Finanzierungsprobleme, die sich wie ein roter Faden das gesamte 19. Jahrhundert durchziehen, zumindest einigermaßen eingedämmt werden. Nicht gerade günstig für die weitere Geschäftsentwicklung des Yersatzamtes wirkten sich die nach Ende der neoabsolutistischen Ära propagierten liberalen Bestrebungen, möglichst in allen Bereichen der Wirtschaft eine Konkurrenzierung herbeizuführen, aus. Die Konkurrenz hielt sich jedoch in überschaubaren Grenzen. Das Versatzamt blieb das einzige Institut in Wien, das eine seriöse Zinspolitik betrieb und absolute Sicherheit gerade auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten - in diesem Zusammenhang sei der Börsenkrach von 1873 genannt-bot. Um die Jahrhundertwende kam es zur Neustrukturierung des k.k. Versatzamtes bei gleichzeitiger Ausweitung der Geschäftszweige. In Verbindung mit den grundlegenden inneren Reformen stand auch der hier nur nebenbei erwähnte Neubau der Hauptanstalt anstelle des ursprünglichen Dorotheerklosters."*^ Das Institut übte seit 1901 neben dem Pfandleihgewerbe und der Führung von Kundschaftsbüchem im Sinne des seinerzeitigen Fragamtes das Verwahrungsgewerbe sowie das Versteigerungsgewerbe aus. Letzteres umfasste nunmehr auch die freiwilligen Versteigerungen. So durften in weiterer Folge Antiquitäten, Kunstobjekte, Gemälde und Pretiosen höheren Wertes bei den Feilbietungen nicht mehr fehlen. Auch wenn der Erste Weltkrieg und die daraus resultierenden Umstellungsprobleme am Versatzamt nicht spurlos vorübergingen, so konnte der Ausbau und die Intensivierung der neuen Geschäftszweige vorangetrieben und das Ansteigen der Publikumsfrequenz vor allem bei den Kunstauktionen weiter forciert und gefördert werden. In der Ersten Republik ist die wirtschaftliche Entwicklung durchaus eine positive. Man expandierte in viele Wiener Gemein48 Seit 1785 den halben Reinertrag. 49 Dazu Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 97-101.

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debezirke^^. Über die Stadtgrenzen hinaus wurde ein Filialnetz gelegt, das zunächst die Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich und Kärnten^ 1 umfasste. Der Kundenstock wurde mit fortschreitender Dezentralisierung erweitert, die Kundenkontakte dadurch intensiviert. Besonders die Kunstauktionen erfreuten sich regen Publikumsinteresses. Nach dem Ende der Monarchie mehrten sich Verkaufsangebote vor allem aus Kreisen des Hochadels. Es wurden damit noch nie da gewesene Maßstäbe am Kunstsektor gesetzt. Die gedruckten Auktionskataloge bezeugen die exklusive Stellung, die die Anstalt auf diesem Sektor nunmehr einnahm. Das Versatzamt erhielt 1923^^ eine neue Organisationsform. An die Stelle der hoheitlichen Verwaltung trat die mit geringeren Eingriffen verbundene staatliche Aufsicht. Die Einstufung des Amtes als juristische Person war gegenüber monarchischen Vorstellungen nicht neu. Neu jedoch war, dass der um die Jahrhundertwende entstandene Anstaltstitel „Versatz-, Verwahrungs- und Versteigerungsamt" durch die im Sprachgebrauch weit verbreitete Bezeichnung ,yDorotheum'' ergänzt wurde. Der Name Dorotheum erlangte somit offizielle Bedeutung und erinnert an die seinerzeitige „Herberge" des Versatzamtes in der Dorotheergasse - nämlich an das 1786 im Zuge der josephinischen Klosterreform aufgelassene Chorherrenstift St. Dorothea.^^ Aufgabenbereiche und Zielsetzungen des Dorotheums blieben im Großen und Ganzen unverändert aufrecht. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges begann für das Dorotheum ein harter Überlebenskampf. Die Nationalsozialisten erachteten eine Wohlfahrtseinrichtung im Stil eines Versatzamtes in einem ohnehin prosperierenden Staatswesen für überflüssig. Nur der Umstand der doch hohen Steuerleistungen des Instituts retteten es vor der Schließung. Nach jahrelangen Kontrollen, Schikanen und Beschränkungen insbesondere im Auktionsbereich durch das national-sozialistische Regime gestaltete sich der Weg zurück in die sogenannte Normalität schwierig.

50 Näher Czeike, Dorotheum (wie Anm 13), S 112f und 130. 51 1920 Mödling und Wiener Neustadt, 1921 St. Polten, 1922 Linz, 1924 Baden, 1924 Klagenfurt. 52 Statut V 12. JuU 1923 (kein Bundesgesetz). 53 1899 wurde das ehemalige Klostergebäude St. Dorothea zum Abbruch freigegeben und an dessen Stelle ein viergeschossiger Neubau im Stil des Wiener Barock nach Plänen Emil von Försters errichtet und 1901 fertig gestellt.

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Der Krieg verursachte enorme Verluste und Schäden an Gebäuden, wertvollen Kunstobjekten und sonstigen Sachwerten. Darüber hinaus war der Kundenstock so stark reduziert worden, dass sich das Dorotheum in seiner Existenz nach wie vor massiv bedroht sah. Der materielle Wiederaufbau gestaltete sich schwierig. Als die Kriegsschäden einigermaßen behoben waren, wurde der Geschäftsbetrieb auf fast alle österreichischen Bundesländer^'* ausgeweitet - ungeachtet der fortdauernden durch geringe Eigenkapitalausstattung und hohe Pensionslasten verursachten finanziellen Probleme. Erst in den achtziger Jahren kam es schlussendlich zu einer Entspannung der wirtschaftlichen Lage und somit zur Sicherstellung einer ausgeglichenen Gebarung. Der Auktionsbetrieb wurde kundenattraktiver gestaltet. Sonderauktionen zB für Pretiosen wurden eingeführt. Eine Art „Servicebank" in Verbindung mit dem Versteigerungsbetrieb wurde aufgebaut. Der sogenannte „Freihandverkauf' etablierte sich erfolgreich, wobei letzterer nur durch die 1979 erfolgte Umwandlung der Anstalt in eine Gesellschaft des Handelsrechts, deren alleinige Gesellschafterin die Republik Österreich war, eingeführt werden konnte. Das ursprünglich auf Basis des öffentlichen Rechts entstandene Versatzamt wandelte sich erstmals in seiner geschichtlichen Entwicklung zu einem dem Finanzministerium zugeordneten Staatsbetrieb mit privatrechtlicher Grundlage^^. Die Privatisierung sollte eine Anpassung an die ökonomischen und sozialen Verhältnisse ermöglichen und zugleich eine Neuorientierung der Geschäftspolitik eröffnen. Das einstige Versatzhaus wurde zum Auktionshaus mit internationaler Reputation. Die letzte große Umwandlung seiner fast dreihundert Jahre alten Geschichte hat das Dorotheum im Jahre 2001 erfahren, als es zum Verkauf durch die Republik Österreich kam. Das Dorotheum wurde in eine „GmbH &Co KG" gekleidet und befindet sich nunmehr zur Gänze in privater Hand. Das international vernetzte Unternehmen gehört zu den größten Auktionshäusem im deutschsprachigen Raum. Ziele der neuen Eigentümer - so die Homepage^^ des Unternehmens - sei der weitere Ausbau Wiens als Auktionsstandort, die Ausweitung internationaler Kontakte^^ und die Profilierung im In54 1950 Salzburg, 1952 Graz, 1971 Innsbruck. 55 Der Firma 1979 lautete „Dorotheum Auktions-, Versatz- und BankGes.m.b.H". 56 http://dorotheum.internationalauctioneers.com. 57 Das Dorotheum ist Gründungsmitglied der International Auctioneers - eines Zusammenschlusses von neun international beachteten Auk-

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temet und IT-Bereich als Treffpunkt für Kunstinteressierte und Sammler. Derzeit werden etwa sechshundert Versteigerungen pro Jahr in Österreich abgehalten. Im Blickpunkt des Interesses stehen neben Spezialauktionen zu Kunst- und Sammelthemen vor allem Sonderauktionen mit ausgesucht hochwertigem Angebot in den Bereichen Antiquitäten und bildende Kunst, die dem Unternehmen weltweite Aufmerksamkeit garantieren sollen. Neben dem Auktionssektor konnte sich vor allem der Handelsbereich (Freihandverkauf) als zweite Stütze des Unternehmens erfolgreich etablieren. Den einst so wichtigen in der historischen Tradition verankerten Pfandgeschäften kommt im aktuellen Geschäftsbetrieb des Dorotheums nur mehr untergeordnete Bedeutung zu - bedingt insbesondere dadurch, dass der klassische althergebrachte Pfandkredit als Finanzierungsinstrument im heutigen Bank- und Kreditwesen fast ganz von der Bildfläche verschwunden ist und höchstens bei kurzfristigen Finanzierungslösungen zum Tragen kommt. Das Dorotheum hat sich den neuen Herausforderungen am Kreditsektor zu stellen. Mit den klingenden Slogans - so die Homepage - „Geld sofort, einfach, dislaet, ohne Bank und ohne Schulden" wird der Dorotheum-Pfandkredit beworben. Das Dorotheum konnte im Pfandkreditgeschäft nach wie vor seiner marktführenden Rolle in Österreich gerecht werden. Der Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte des Wiener Versatzamtes lässt mühelos erkennen, dass der Umsatz des Dorotheums insbesondere im Bereich der Pfandkreditgewährung die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung gleichermaßen indiziert. Zumal die Kreditnachfrage der sozial schwächeren Bevölkerungsschicht in wirtschaftlichen Krisenzeiten seit jeher stark zunahm und das Versatzamt ohnedies nicht frei von konjunkturellen Schwankungen sein konnte, ergaben sich naturgemäß Interessenskonflikte und Diskrepanzen innerhalb der einzelnen Aufgabenbereiche des Dorotheums, welche es seit seiner Gründung 1707 zu erfüllen hatte. Hielt man noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts an dem einstigen josephinischen Grundsatz fest - Aufgabe des Dorotheums sei es den sozial Schwächeren im Sinne einer Wohlfahrtseinrichtung zinsgünstige Kredite einzuräumen - so rückte in weiterer Folge die kommerzielle Erwerbstätigkeit immer stärker in den Vordergrund. Das Auktionshaus und das aus dem ursprünglichen Depotgeschäft entstandetionshäusern in Wien, Mailand, Rom, Madrid, Köln, Zürich, Paris, Stockholm und New York.

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ne Bankhaus waren jene beiden Säulen, welche es dem Dorotheum finanziell ermöglicht hatten, die soziale Funktion des Versatzamtes bis ins ausgehende 20. Jahrhundert aufrechtzuerhalten. Spätestens seit dem Verkauf aus staatlicher Hand im Jahr 2001 wurde klar, dass gerade diese soziale Funktion infolge neuer Herausforderungen und geänderter Rahmenbedingungen keine Rolle mehr im Serviceangebot des Dorotheums spielen konnte. Literatur und Quellen Czeike, Felix, 275 Jahre Dorotheum, in: Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 2, 1982 ders. Das Dorotheum - Vom Versatz- und Fragamt zum modernen Auktionshaus, Wien/München 1982 Endemann, Wilhelm, Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, 2 Bde, Aalen 1962 Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hg), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 5 Bde, Berlin 1971-1998 Fleischmann, Max, Pfandleihe, in: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, 3. Bd, Tübingen 1914 Mewes, Bernhard, Leihhäuser; in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 6. Bd, Göttingen 1959 North, Michael, Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, Köln/Wien, 1991 Sandgruber, Roman, Ökonomie und Politik, Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart; in: Wolfram, Herwig (Hg), Österreichische Geschichte, Wien 1995 Schmoller, Gustav, Die öffentlichen Leihhäuser; in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 4. Jg, Leipzig 1880 Tautscher, Anton, Wirtschaftsgeschichte Österreichs auf der Grundlage abendländischer Kulturgeschichte, Berlin 1974 Wiener Stadt- und Landesarchiv: WStLA, Patente, Al, Nr 1011/14.3.1707 WStLA, Patente, A 1, 2. Reihe, Nr 41/2.1.1713

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TMY historischen Dimension der Corporate Social Responsibility (CSR) der Sparkassen und Genossenschaftskassen I. Standortbestimmung von Sparkassen und Genossenschaftskassen im Rahmen von CSR Seit ab den späten 1960er Jahren bzw im Verlauf der 1970er Jahre im Rahmen der „Tendenz" zur „Universalbank" sowie im Zuge der Beseitigung der Standort und Konditionen regulierenden Zweigstellen- und Zinsvereinbarungen die in der Wiederaufbauzeit etablierte korporatistisch akkordierte Segmentierung und Aufteilung der Märkte, sowohl hinsichtlich der Geschäftszweige als auch hinsichtlich der regionalen Marktgebiete, weitgehend abgebaut wurden 1, lassen sich für die Entwicklung der Geld- und Kreditwirtschaft im späten 20. und beginnenden 21. Jahrhundert im Grunde zwei entwicklungsbestimmende Tendenzen erkennen. Das ist erstens eine rasch zunehmende Konkurrenz, die in einem verstärkten Konditionen Wettbewerb, einer tendenziellen Überbesetzung in der Bankstellendichte und einer zunehmenden Auflösung der Sektorgrenzen und Sektorprofile hinter einem allgemeinen bankmäßigen Angebots- und Leistungsprofil ihren Ausdruck fand, wobei sich auch zunehmend die Grenzen gegenüber dem klassischen Versicherungssektor auflösten. Und das ist zweitens in Folge dessen in jüngerer Zeit ein zunehmendes Bemühen der „Sektoren" um spezifische Profilierung. Dabei fällt auf, dass dazu auch in bestimmtem Ausmaß auf einschlägige „Wurzeln" und „Traditionen" in der Geschichte des jeweiligen Sektors zurückgegriffen wird. So proklamierte beispielsweise der Generaldirektor des Spitzeninstituts des österreichischen Sparkassensektors, der ERSTE-Bank, Andreas Treichl, anlässlich der Jahrestagung der österreichischen Sparkassen im Mai 2004 unter anderem eine „back to the roots"Strategie. Mit der Aussage „Wir müssen uns unserem Gründungsgedanken wieder stärker verpflichtet fühlen'' zielte er darauf ab, 1 Eigner, Peter: Österreichische Bankengeschichte nach 1945. Ein Blick von innen, in: Teichova, Alice/Matis, Herbert/Resch, Andreas (Hg): Business History. Wissenschaftliche Entwicklungstrends und Studien aus Zentraleuropa Veröffentlichungen der Österreichischen Gesellschaft für Unternehmensgeschichte Bd 21), Wien 1999 S 101125; Pohl, Hans (Hg): Europäische Bankengeschichte, Frankfurt aM 1993.

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dass die Sparkassen, basierend auf einer erreichten höheren Profitabilität ,,sich ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Förderung wohltätiger Zwecke, wieder stärker bewusst werden'' und dabei die Dimension der sozialen Verantwortung in der Geschäftspolitik verstärken sollten.^ Ein anderes Beispiel für einen bewussten Rückgriff auf historische Traditionen findet sich im Raiffeisensektor. So erscheint beispielsweise das Untemehmensleitbild des Raiffeisenverbandes Salzburg angesichts der kritischen Entwicklung auf den internationalen bzw globalisierten Finanz- und Kapitalmärkten am Ende der 1990er Jahre bzw zur Wende ins 21. Jahrhundert sehr stark von einer Fokusierung der Geschäftspolitik auf die regionale Wirtschafts- und Strukturentwicklung sowie genossenschaftliche Prinzipen geprägt. So postulierte der dortige Generaldirektor Manfred Holztrattner etwa im Geschäftsbericht 2001 unter anderem, unter Bezugnahme auf die Wurzeln des genossenschaftlichen Kreditwesens in der regionalen Selbsthilfe, eine Strategie der regionalen Verantwortlichkeit des Geld- und Kreditgeschäftes als Kemelement einer regionalen Gemeinschaft: ,yDie massiven Börsen-Kursverluste der vergangenen beiden Jahre haben zumindest eines bewirkt: Die frühere Goldgräberstimmung ist längst dem Katzenjammer und der Ernüchterung gewichen ...In Zeiten fortschreitender Globalisierung kommt demgegenüber einer starken Regionalbank wie dem Raiffeisenverbarid Salzburg eine enorme Bedeutung zu ... Die Geschäftspolitik von Raiffeisen Salzburg wird bestimmt durch den Einsatz für die örtliche Gemeinschaft, für den Mittelstand und für die breite Bevölkerung. Das ist die Philosophie, die Raiffeisen von den Mitbewerbern unterscheidet. Um in der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung des Wettbewerbs Orientierungspunkte zu geben und die Menschen zu gewinnen, aktiv an der Lösung dieser Probleme mitzuwirken, muß in Zukunft größeres Gewicht auf die Fähigkeit von Regionen, Städten und Gemeinden gelegt werden, die eigenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu bewältigen.''^ Diese Bestrebungen, spezifische soziale und auch regionale Relevanz des Geld- und Kreditgeschäfte zu definieren und zu positionieren fügen sich ein in einen sich seit einiger Zeit etablierenden generellen Diskurs zur Reichweite und inhaltlichen Dimension sozialer Verantwortlichkeit von Unternehmungen bzw ihrer geschäftlichen Aktivität. Diese, letztendlich auf konkrete unternehmerische Strategien ausgerichtete Dimension der „Wirtschaftsethik" bzw „Untemehmensethik" wird seit einiger Zeit unter dem 2 Salzburger Nachrichten 21.5.2004. 3 Raiffeisenverband Salzburg Geschäftsbericht 2001.

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Begriff „Corporate Social Responsibility" (CSR) nicht nur in theoretischer Weise diskutiert, sondern auch in zunehmendem Maße als Leitlinie für die Etablierung neuer ordnungspolitischer Konzeptionen auf der Ebene der Europäischen Union kommuniziert. II. Historische Ansatzpunkte in der CSR-Kampagne der Europäischen Kommission 2002 wurde von der Europäischen Kommission ein Grünbuch mit dem Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen" vorgelegt.^ In diesem Grünbuch ist Corporate Social Responsibility definiert als ,,ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren." Dabei wird die Erkenntnis von Unternehmen vorausgesetzt, ,,d(^ss verantwortliches Verhalten zu nachhaltigem Unternehmens erfolg führt. CSR dient auch der sozial verantwortlichen Bewältigung des Wandels auf Unternehmensebene. Sozial verantwortlich handelt ein Unternehmen, wenn es anstrebt, ein für alle Beteiligten akzeptables Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen und Bedürfnissen der verschiedenen Stakeholder herzustellen. Gelingt es den Unternehmen, den Wandel in sozial verantwortlicher Weise zu bewältigen, dann wird sich dies auf makroökonomischer Ebene positiv auswirken.'' In einer längerfristigen historischen Perspektive erscheint dies als Einbindung der untemehmenspolitischen Strategie in einen, seit dem Ende des „Goldenen Zeitalters" des Wiederaufbauwachstums in den Krisen Mitte der 1970er Jahre bzw in den frühen 1980er Jahren^ einsetzenden Wertewandel, der durch einen, durch wachsende Konkurrenz einerseits und wachsende soziale Problemlagen andererseits entstandenen Handlungsdruck innerhalb des sein Reifestadium bereits überschreitendes Industriesystems letztendlich erzwungen wird. Dabei resultiert dieser Handlungsdruck bzw Zwang insbesondere daraus, dass der Staat bzw staatliche Institutionen als Instanz für das Abfangen bzw Ausgleichen derarti4 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Brüssel 2.7. 2002. Diesem zugrunde liegt ein Grünbuch der Kommission mit dem Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen". 5 Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1995.

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ger Friktionen im sozialen und wirtschaftlichen System in immer eingeschränkterem Maße zur Verfügung stehen. Zum einen aus finanz- und währungspolitischen Gründen, zum anderen im Zuge der seit Mitte der 1980er Jahre ordnungspolitisch wirksam werdenden antikeynesianischen „konservativen Wende", wobei ersteres letztendlich als Folge bzw substanzieller Kern dieser Wende gelten kann. In diese Richtung heißt es in dem dem Grünbuch folgenden Kommissionspapier: ,,Neue Formen des sozialen Druckes und Marktdruckes bringen jedoch einen allmählichen Wertewandel und Wandel der unternehmenspolitischen Ausrichtung mit sich. Die Unternehmen erkennen zunehmend, dass der Weg zu dauerhaftem wirtschaftlichem Erfolg und Shareholder Value nicht allein über eine kurzfristige Profttmaximierung führt, sondern vielmehr über marktorientiertes, aber verantwortliches Handeln, Und die Unternehmen wissen: zur nachhaltigen Entwicklung können sie beitragen, wenn sie ihre Tätigkeit so gestalten, das sie Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördern und gleichzeitig Umweltschutz und soziale Verantwortung praktizieren; dies schließt auch die Verbraucherinteressen ein/'^ Wesentlich ist, dass Corporate Social Responsibility als Teil der Ertragsorientierung bzw die Ertragsorientierung als durch Corporate Social Responsibility determiniert konzipiert wird: ,,CSR ist nicht etwas, was dem Kerngeschäft von Unternehmen aufgepropft werden soll. Vielmehr geht es um die Art des Unternehmensmanagements.'' Wird damit in gewisser Weise an die „historische" Tradition der sozialen Verantwortung der Unternehmungen, wie sie etwa im Rahmen der „bürgerlichen Sozialreform" im späten 19. Jahrhundert, insbesondere im mitteleuropäischen Raum, postuliert und vielfach auch praktiziert wurde, angeknüpft, so wird zugleich auch darüber hinausgegangen. ..Sozial verantwortliches Handeln von Unternehmen hat eine lange Tradition in Europa. Was das heutige CSR-Verständnis von den Initiativen der Vergangenheit unterscheidet ist das Bemühen, CSR strategisch einzusetzen und zu diesem Zweck ein geeignetes Instrumentarium zu entwickeln. Sie ist damit Komponente eines Ansatzes, der die Erwartungen der Stakeholder und das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung und Innovation zu Kernelementen der Unternehmensstrategie macht.''^ Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Brüssel 2.7.2002. Ebenda.

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Die dahinter stehende Intention bzw Interpretation der historischen Form der „betriebUchen Sozialpolitik" geht offenbar dahin, dass die soziale Verantwortung damals primär in direkten sozialen Maßnahmen, in der Regel der größeren Unternehmungen, wie innerbetrieblicher Versicherungseinrichtungen oder Förder- und Unterstützungsleistungen in der sozialen hifrastruktur des näheren und weiteren Umfeldes der Unternehmen Ausdruck fand, während es nunmehr, darüber hinausgehend, darum geht, die „Social Responsibility" insbesondere in den Produkten, Angeboten und im Markt- und Konkurrenzverhalten zum Ausdruck kommen zu lassen. Und gerade dafür lassen sich in der Geschichte der Sparkassen und der Genossenschaftskassen durchaus Anknüpfungspunkte finden. Dies indem die Sparkassen, über die ihnen vorgeschriebene Verwendung eines Teiles des geschäftlichen Überschusses für soziale Zwecke hinaus in ihren Leistungsangeboten im Passiv- und Aktivgeschäft generell von sozialen bzw gemeinwohlorientierten Gestaltungsparametem bestimmt waren, etwa was die Größenordnungen von Einlagen, Krediten, Besicherungskriterien, Fristigkeiten, Zinsen usw betraf Dies in analoger Weise auch bei den Genossenschaftskassen, bei denen dazu noch ein spezifisches Solidaritätselement, bezogen auf den durch die Einzahlung definierten Mitgliederkreis, kam. Letzteres wird sogar explizit in dem zitierten Kommissions-Papier thematisiert: ^.Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften und Vereine haben als mitgliederorientierte Organisationen eine lange Tradition darin, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialer Verantwortung zu kombinieren. Sie erreichen dies durch den Dialog der Stakeholder und partizipatives Management und sie können deshalb wichtige Referenzgrößen für andere Organisationen liefern.''^ Analog kann man in historischer Perspektive aber auch bei den Sparkassen einen funktionellen Zusammenhang der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ihrer gemeinwohlorientierten Leistung im kommunalen Bereich sehen. Die sich an das Grünbuch der Kommission anschließende Debatte, an der sich Unternehmen, Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, Verbraucherorganisationen bis hin zum Europäischen Parlament beteiligten, zeigt zweierlei: Generell die Tatsache, ,,dass die Unternehmen in ihren Erwartungen an die CSR sich weitgehend einig sind: CSR wird von strategischer Bedeutung sein für die langfristige Sicherung des Unternehmenserfolges.'' Dies im Grunde dadurch, dass gemeinwohlorientiertes Verhalten das betriebliche Umfeld stabilisiert und damit in der Folge auch kostensenkende Effekte zeitigt. Im Speziellen kreist die Debatte hinsichtlich der Umsetzung um die Frage, inwieweit Corporate Social 8 Ebenda.

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Responsibility einerseits eine freiwillige gemeinwohlorientierte Leistungserbringung ist und inwieweit sie andererseits in einen normativen Rahmen eingebunden sein sollte bzw ein solcher vorgegeben und damit eine gewisse Art von gemeinwohlorientiertem Auftrag konstituiert werden sollte. Die historische Forschung zeigt, dass in der Geschichte von Sparkassen und Genossenschaftskassen, insbesondere in deren Entstehungsgeschichte und deren erster Entwicklungs- und Expansionsphase im Verlauf des 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende, sowohl die soziale als die regionale Verantwortlichkeit wesentliche Parameter für die geschäftliche bzw untemehmerische Entwicklung und damit die weitere Ausformung dieser Institutionen gewesen sind.^ Zum einen sind sie aus spezifischen Bedarfslagen, die sich im Zuge der Industrialisierung ergeben haben, entstanden. Zum anderen wurde ihre Aktivität in einen normativen Rahmen eingebunden, der jeweils einen spezifischen gemeinwohlorientierten Auftrag enthalten und beide Institutionen damit in funktioneller Hinsicht in das sozial- und wirtschaftspolitische System, speziell in regionaler Hinsicht eingebunden hat. Derartige „historische" Bezüge lassen es daher durchaus nahe liegend erscheinen, dass diese sowohl im Sparkassen- wie im Genossenschaftssektor bei der Formulierung von CSR-Konzepten explizit aufgegriffen werden. In der Ausgabe vom Dezember 2004 des vom World Savings Banks Institute und der European Savings Banks Group herausgegebenen Newsletter wird von einer im November 2004 in Brüssel stattgefundenen Konferenz der European Savings Banks Group zum Thema CSR berichtet. Die dabei als Leitmotiv gewählte Begriffskombination .yRetail, Regional, Returnorientet, but also ResponsibW steckt plakativ den bei der Entwicklung einer CSRStrategie im Sparkassenwesen angestrebten argumentativen Rahmen ab. ..Corporate social responsibility (CSR) at a local and regional level exists and what's more it is effective and should be fostered'' Zum einen wird dabei ein bewusstes Gegenkonzept zum Shareholder-Value und dem Primat der Großuntemehmung in der Globalisierung postuliert: ,,CSR is a fundamental concept governing business's relationship with their stakeholders however the current dabate at EU level has, for to long, been dominated by 9 Europäische Sparkassengeschichte 2 Bde, Stuttgart 1996, 1998; Handbuch des Genossenschaftswesens, Wien 1986; BmckmüUer, Ernst: Landwirtschaftliche Organisationen und gesellschaftliche Modernisierung. Vereine, Genossenschaften und politische Mobilisierung der Landwirtschaft Österreichs vom Vormärz bis 1914, Salzburg 1977.

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large multinational businesses. In order to re-dress this balance, ESBG brought together 90 European policymakers, regional stakeholders and savings bank representatives to raise awareness of the regional aspect of CSR, and offered savings banks' wealth of experience as a reference to help other stakeholders learn about how CSR at a local and regional level works and can be boosted:'^^ Zum anderen wird dabei explizit die historische Dimension als strategische Orientierungskategorie angesprochen: ^.Savings banks have been successfully realising CSR initiatives based on their commitment to society for years before the CSR Concept was even evented. Their approach to undertake relatively small, but longterm projects is a key to their success'' Dass die Thematik in letzter Zeit zunehmend Bedeutung sowohl im Bereich der Unternehmen als auch im Bereich der Wissenschaft findet, zeigt eine vermehrte Präsenz dieses Themas in den Medien ebenso wie einschlägige Symposien und Publikationen. So wurde auf einem im September 2003 in Köln veranstalteten sparkassenhistorischen Symposium des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes das Thema „Der Vorsorgegedanke im Wandel" mit Blick auf die aktuelle Positionierung der Sparkassen im Rahmen des sozialpolitischen Systems in Deutschland behandelt. Dabei wurde von den Veranstaltern von einem ursprünglichen ^.öffentlichen Auftrag'' der Sparkassen, ..breiten Bevölkerungskreisen die finanzielle Vorsorge gegen elementare Lebensrisiken zu ermöglichen'' ausgegangen und dieser als unternehmerische Aufgabe in einem sich restriktiver gestaltenden Sozialstaat neu positioniert, ,/m 19. Jahrhundert, als die meisten Sparkassen entstanden, hatten wir als Umfeldbedingung eine stark wachsende Bevölkerung, die mit einem rasanten sozialen und wirtschaftlichen Wandel konfrontiert war. Es galt damals, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Heute haben wir es in Deutschland mit einer tendenziell schrumpfenden, überalterten Gesellschaft zu tun, und es geht primär nicht mehr darum, Not zu lindern und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Es handelt sich jetzt vielmehr darum - so die Erwartungshaltung -, den hohen Lebensstandard, an den man sich in den Jahren des Aufbaus und des Aufschwungs gewöhnt hat, dauerhaft zu sichern. Es geht darum, sich gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit und auch gerade gegen die Risiken des Alters abzusichern. Der Sozialstaat, der letztlich eine Antwort auf die Probleme der Industrialisierungsepoche war, stößt in diesem Zusammenhang ganz eindeutig an seine Grenzen." Eine unternehmerische Aufgabe 10 World Savings Banks Institute, European Savings Banks Group: News-Letter December 2004 N 98.

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der Sparkassen wird in der durch den Rückbau des Sozialstaates bedingten Aufwertung der individuellen Daseinsvorsorge gesehen, angesichts dessen, ,4ciss dieser Sozialstaat an Grenzen gestoßen ist und dass es nunmehr darum geht, mehr Selbstverantwortung zu übernehmen, mehr individuelles Tun in den Vordergrund zu stellen, als darauf zu warten, dass der Staat, wenn es denn nicht mehr so klappt, wieder eingreift,''^^ Auf der internationalen genossenschaftswissenschaftlichen Tagung im September 2004 in Münster „Wettbewerbsfähigkeit des genossenschaftlichen Netzwerkes" wurde in einem Beitrag betont, ,,dass es sich bei Corporate Social Responsibility keinesfalls um Altruismus handele, sondern dass es darauf ankäme, die Lösung gesellschaftlicher Probleme mit dem Nutzen für das Unternehmen zu verbinden. Ziel dieser Strategie sei in erster Linie die Steigerung des wirtschaftlichen Erfolges des Unternehmens. Offen bleibe allerdings, ob die Corporate Social Responsibility den Unternehmenserfolg begründe oder ob umgekehrt der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens die Voraussetzung für Aktivitäten in diesem Bereich sei. Im Hinblick auf die Genossenschaften sei die Corporate Social Responsibility eine Möglichkeit zur Wiederbelebung des Förderauftrags und zur Stärkung ihrer Existenzberechtigung aus gesellschaftspolitischer Sicht."^^ Eine wesentliche überbetriebliche Dimension des CSR-Konzeptes liegt darin, dass darin ein ordnungspolitischer Paradigmenwechsel insofern zum Tragen kommt, als sie im Grunde auf eine substanzielle Stärkung der privaten Trägerelemente im sozial- und regionalpolitischen System hinausläuft. Es wird dabei eine neue Form von Govemance insofern postuliert, als der Primat der staatlichen Institutionen deutlich relativiert und der gemeinwohlorientierten Leistung privater Institutionen und im Speziellen privater Unternehmungen konstitutive Bedeutung beigemessen wird. Es wird dabei eine spezifische Form von „Civil Society" insofern konstruiert, als es bei CSR primär nicht um die Erfüllung gesetzlich vorgegebener sozialer Leistungen geht, sondern um über diesen gesetzlichen Rahmen hinaus gehende freiwillige soziale Aktivitäten der Unternehmungen.

11 Sparkassenhistorisches Symposium 2003. Der Vorsorgegedanke im Wandel (Sparkassen in der Geschichte Abt 1: Dokumentation Bd 26), Stuttgart 2004. Die Zitate stammen aus der Begrüßungsrede des geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes des Deutschen Sparklassenund Giroverbandes Christoph Schulz. 12 Newsletter des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität, Münster 2/2004 S 35.

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Innerhalb dieser spezifischen ordnungspolitischen Konzeption kristallisiert sich in der Geld- und Kreditwirtschaft als dem speziell für die Finanzierung zuständigen Teilbereich des sozioökonomischen Systems, vor allem in dessen regionaler Dimension, eine spezifische funktionelle Positionierung der Institutionen „Sparkasse" und „Genossenschaftskasse" heraus, die in zunehmendem Maße im Lichte ihrer „historischen" Wurzeln und Traditionen thematisiert wird. In diesem Zusammenhang scheint ein wirtschaftshistorischer Blick auf diese Wurzeln und Traditionen durchaus zweckmäßig und sinnvoll, wobei im Rahmen des vorliegenden Beitrages dafür aber nur einige Ansatzpunkte aufgezeigt werden können. III. Ansatzpunkte zur Konstruktion der „historischen Dimension^^ von CSR bei Sparkassen und Genossenschaftskassen Es ist davon auszugehen, dass sowohl Sparkassen (früher) wie Genossenschaftskassen (später) Institutionen sind, die im Zusammenhang mit den sozialen Effekten des säkularen Industrialisierungsprozesses in den Regionen zur Wahrnehmung spezieller Funktionen, insbesondere hinsichtlich des Ausgleichs sozialer Defizite bzw Erfordernisse, entstanden sind. Zugleich ist aber davon auszugehen, dass sie im Zuge des Wachstums und des strukturellen Wandels des „Industriesystems" gleichsam mitgewachsen sind und sich auch in ihren Funktionen bzw ihrem Leistungsspektrum den geänderten Erfordernissen angepasst und damit gewandelt haben. Dieser institutionelle Wandel erscheint von zumindest drei Parametern bestimmt, die auch für die aktuelle Diskussion und Konzeption von Corporate Social Responsibility von zentraler Bedeutung sind. Dies ist erstens die Maßgabe, dass die in Form von Subventionen bzw Transfers bereitgestellten gemeinwohlorientierten Leistungen aus den erwirtschafteten Erträgen zu finanzieren waren und diese zunächst in ausreichendem Maße erwirtschaftet werden mussten. Das ist zweitens die Tatsache, dass die Konditionen im Passiv- wie im Aktivgeschäft in ihrer Gesamtheit und ihrer Struktur gleichsam einen Kompromiss aus Ertragsorientierung und Gemeinwohlorientierung sein mussten, was, angesichts wachsender Konkurrenz im späteren 19. Jahrhundert und zur Jahrhundertwende, eine oft nicht einfache Anforderung an die sich langsam professionalisierenden Kassenverwaltungen darstellte. Und das ist drittens die Beobachtung, dass die geschäftliche Entwicklungsdynamik quantitativ und strukturell über die jeweiligen rechtlichen

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Rahmenbedingungen hinaus tendierte, was in der Folge zu einem normativen und damit legistischen Anpassungsdruck führte. Daraus ergeben sich mehrere relevante Ansatzpunkte für die Analyse der „historischen Dimension" von CSR im Bereich von Sparkassen und Genossenschaftskassen. Erstens das Aufzeigen „historischer Wurzeln und Traditionen" in der Entstehung von Sparkassen und Genossenschaftskassen und der dabei maßgeblichen sozialen und regionalen Komponente, wobei jeweils die zeitspezifische Kontextualisierung sehr wesentlich ist, also die Berücksichtigung der spezifischen relevanten Zeitumstände. Zweitens das Aufzeigen des institutionellen und funktionellen Wandels von Sparkassen und Genossenschaftskassen im Rahmen des Wachstums und der Ausdifferenzierung des Industriesystems, speziell im Hinblick auf die oben angesprochene Kombination aus Ertragsorientierung einerseits und Gemeinwohlorientierung andererseits sowie in Bezug zu den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen. Und drittens die Positionierung einer derartigen Entwicklung von Sparkassen und Genossenschaftskassen im Rahmen eines säkularen ordnungspolitischen Wandels im Verhältnis von staatlicher und privatrechtlicher bzw privatwirtschaftlicher Komponente im Wirtschafts- und Sozialsystem. Was die historische Analyse sicher nicht leisten kann und soll, ist die argumentative Einbindung einer derartigen „historischen Dimension" in eine konkrete Untemehmensstrategie bzw in unternehmerische Leitbilder. Dies scheint auch angesichts des in den vergangenen Jahrzehnten im Zeichen von Universalbank, Wachstum, Intemationalisierung bzw Globalisierung, Fusionierungen, Veränderung der Untemehmensformen (insbesondere Umwandlung in Aktiengesellschaften) und vor allem der Deregulierung und Auflösung sektoraler Grenzen und Märkte eingetretenen Dynamisierung der Geld- und Kreditwirtschaft ein sehr schwieriges Unterfangen. Ist doch die kommunale Bindung der Sparkassen ebenso wie die kleinräumige Mitgliederorientierung der Genossenschaftskassen dadurch in Richtung bankwirtschaftlicher und damit primär ertragsorientierter Gestion weitestgehend überlagert bzw überformt worden. Es ist aber durchaus denkbar, dass im Zuge der nunmehrigen Bemühungen zur inhaltlichen und untemehmensstrategischen Formulierung von CSR die Betrachtung historischer Wurzeln und Traditionen Ansatzpunkte liefern kann. Dies etwa im Sinne von Eric Hobsbawm: „Der Wert historischer Forschung über die Vergangenheit, 'wie sie eigentlich gewesen', zur Lösung dieses oder jenes Problems der Gegenwart und Zukunft ist unbestritten und hat manchen ziemlich altmodischen historischen Akti-

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vitäten zu neuem Leben verhelfen, sofern sie mit möglichst neumodischen Problemen verbunden wurden."^^ IV. Methodisch-theoretischer Ansatz Da es sich bei der historischen Betrachtung von Sparkassen und Genossenschaftskassen im Kern um die Entstehung und den Wandel von Institutionen des sozioökomischen Systems handelt, erscheint die Institutionenökonomik als adäquater methodisch-theoretischer Ansatz. 14 Dabei geht es, vereinfacht ausgedrückt, um die Ausbildung und den Wandel von Institutionen zur Wahrnehmung von Funktionen nach dem Prinzip der Transaktionskosten im Rahmen von sich in spezifischer Weise verändernden Anforderungspotenzialen und Rahmenbedingungen. Demnach sind die für die Bewältigung eines Anforderungspotenzials erwarteten Transaktionskosten das theoretische Entscheidungskriterium für Entstehung und Veränderung von Institutionen. Dabei ist der Begriff der Transaktionskosten insoweit sehr weit zu fassen, als es dabei um die für die Interessen einer bestehenden Gesellschaftsform günstigste Form der Institutionalisierung funktioneller Bedarfslagen geht. In diesem Sinne geht es im Falle der Entstehung und Entwicklung der Sparkassen und Genossenschaftskassen im Rahmen der Effekte des Industrialisierungsprozesses des 19. Jahrhunderts um drei Funktionen von zentraler Bedeutung für die Entfaltung des wirtschafts- und sozialpolitischen Systems. Das ist erstens die Organisation von Daseinsvorsorge im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen bzw regionalwirtschaftlichen Sparquote, zweitens die Finanzierung öffentlicher und privater Investitions- und Konsumquote im Kreditwege und drittens die Subventionierung öffentlicher Infrastruktur im Wege eines säkularisierten Mäzenatentums, von Spenden, und letztendlich spezifischen Formen des Sponsoring. AU dies primär in Bezug auf die Gestaltung und Entwicklung regionaler Finanzierungskreisläufe. Entsprechend dem an den Transaktionskosten orientierten theoretischen Modell des institutionellen Wandels sind es letztendlich die für die faktische Geschäftstätigkeit und die normative Reglementierung maßgeblichen

13 Hobsbawm, Eric: Wieviel Geschichte braucht die Zukunft, München/Wien 1998 S 36. 14 Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik: Neue Institutionenökonomik. Eine Einführung und kritische Würdigung, Tübingen 1996; Ackermann, Rolf: Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform, Tübingen 2001.

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Veränderungen im sozioökonomischen Anforderungspotenzial, die die Entwicklung und deren Phasen bestimmen.

V. Entwicklungsphasen Historisch liegen sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Genossenschaftskassen die Entstehungszusammenhänge im Rahmen der Auswirkungen der sich entfaltenden Industrialisierung bzw der Entfaltung des kapitalistischen Industriesystems (Industriekapitalismus). Dabei liegt der funktionelle Ansatzpunkt für die Entstehung von Sparkassen und deren sozialpolitischer Funktion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in dem sich vorwiegend im städtischen Bereich ausbildenden „Pauperismus", also der tendenziellen Verelendung der im Zusammenhang mit der Ausbildung industrieller Produktionsstrukturen und Produktionsverhältnisse anwachsenden städtischen Unterschichten, und dem Fehlen von Institutionen zur sozialen Absicherung in diesem Bereich. ^^ Der funktionelle Ansatzpunkt für die Entstehung von Genossenschaftskassen und deren sozialer Funktion liegt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in den, insbesondere im ländlichen Raum im Bereich von klein- und mittelbetrieblicher Landwirtschaft und Gewerbe aufgetretenen „Modemisierungsverlusten". Einerseits durch die Auflösung tradierter Sicherungsinstitutionen, wie Grundherrschaftssystem und zünftischer Organisationsformen, andererseits durch den Finanzierungsbedarf zur investiven Anpassung an die neuen wirtschaftlichen Erfordernisse. Diese funktionellen Ansatzpunkte wiederum stehen im Rahmen umfassenderer ordnungspolitischer Entwicklungszusammenhänge. Diese beginnen beim Übergang vom „Ancien Regime" in das frühindustrielle Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, wobei es zu einem Bedeutungsverlust tradierter Institutionen und zur Etablierung industrieller Produktionsstrukturen in spezifischen Wachstumszonen, vor allem im städtischen Raum, gekommen ist. Parallel dazu entwickelten sich Ansätze einer spezifischen Form von „Civil Society" auf der Basis von Vereinen und Selbsthilfeorganisationen, zum einen zur Wahrung von Interessen, zum anderen zur Übernahme wirtschafts- und sozialpolitischer Funktionen. Diese wurden bald in obrigkeitliche Normierung gekleidet. Einerseits, um Kontrolle über diesen Bereich zu haben. Andererseits, um 15 Cipolla, Carlo/Borchardt, Knut: Europäische Wirtschaftsgeschichte Bd 3. Die industrielle Revolution; Bd 4. Die Entwicklung der industriellen Gesellschaften, Stuttgart/New York 1976, 1977; Matis, Herbert: das Industriesystem. Wirtschaftswachstum und sozialer Wandel im 19. Jahrhundert, Wien 1988.

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diese Institutionen funktionell in die Bewältigung anstehender wirtschafts- und sozialpolitischer Anforderungen einzubinden. Die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Liberalisierung und Konstitutionalisierung des politischen Systems war infolge der Entfaltung der Industrialisierung in zunehmendem Maße mit der „Sozialen Frage" im Bereich der Arbeiterschaft und wachsendem Druck auf die klein- und mittelbetriebliche Landwirtschaft und das traditionelle handwerkliche Gewerbe, speziell hinsichtlich sozialer Sicherung und betrieblicher Finanzierung, konfrontiert. Nach der großen Krise des Liberalismus 1873 verstärkte sich der wirtschafts- und sozialpolitische Staatsinterventionismus zusehends ebenso wie eine umfassende Kommunalisierungswelle Platz griff. Parallel dazu kam es durch die dynamische Entwicklung des Verkehrswesens (Eisenbahn) zur Aufschließung regionaler Kleinräumigkeit mit der Konsequenz der Ausweitung der Märkte, Betriebsgrößenwachstum und wachsendem privatwirtschaftlichem und öffentlichem Finanzierungsbedarf, sowohl in volkswirtschaftlicher wie vor allem auch in regionalwirtschaftlicher Hinsicht. Dieser wachsende Finanzierungsbedarf verlangte als Basis den Aufbau einer wachsenden gesamtwirtschaftlichen Sparquote und zum anderen die Schaffung geeigneter Institutionen der Geldleihe, darunter auch geeignete Kreditformen und Zinskonditionen für den klein- und mittelbetrieblichen Bereich sowie den „sozialen Kredit." Zugleich war die wachsende Sparquote die notwendige Basis für die Gestaltung des infolge zunehmender Dringlichkeit der „Sozialen Frage" wachsenden sozialen Sicherungsbedarfes. An den sich im späten 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert entfaltenden wirtschafts- und sozialpolitischen Staatsinterventionismus und das institutionelle und funktionelle Hineinwachsen der Sparkassen und Genossenschaftskassen in dieses System lässt sich eine für die aktuelle Diskussion um Corporate Social Responsibility interessante säkulare ordnungspolitische Perspektive anknüpfen, deren Kern das Spannungsverhältnis von „Staat" und „Privat" bzw „Markt" ist. So lassen sich in dieser säkularen Perspektive hinsichtlich der oben angeführten Funktionen im Bereich der Daseinsvorsorge, Finanzierung und Subventionierung primär im regionalen Zusammenhang zwei institutionelle Bedarfskonstellationen von spezifischer Relevanz für die sozialpolitische Funktion von Sparkassen und Genossenschaftskassen erkennen. Diese Bedarfskonstellationen können jeweils als Jnstitutional gap'' gesehen werden. Die erste dieser Bedarfskonstellationen formierte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Folge des „Herauswachsens" des wirtschafts- und sozialpolitischen Systems aus dem Absolutismus, dem damit verbundenen Zerfall der Wirtschafts- und Sozial-

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Ordnung des „ancien regime" und der Entfaltung der kapitalistischliberalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung. In diesem Jnstitutional gap'' hinsichtlich Daseinsvorsorge, Finanzierung und Subventionierung entstanden primär im regionalen Zusammenhang zunächst die Sparkassen und etwas später die genossenschaftlichen Spar- und Darlehenskassen als Teile einer spezifischen Form von „Civil Society". In der sich nach der Krise des Liberalismus 1873 entfaltenden staatlichen Durchdringung des wirtschafts- und sozialpolitischen Systems durchliefen die Sparkassen sowie die genossenschaftlichen Spar- und Darlehenskassen mehrere Anpassungsprozesse und entwickelten dabei auch eine Verbreiterung ihres Geschäftsspektrums in den bankwirtschaftlichen Bereich hinein. So wurde etwa mit der staatlichen Sozialversicherung die private Daseinsvorsorge in ihrer Bedeutung relativiert, was mit einer forcierten Erweiterung der Erspamisbildung für Konsumzwecke korrelierte. Die auf diese Weise zustande kommende Relativierung der ursprünglich primären sozialen Funktion im Geschäftsspektrum der Sparkassen und der genossenschaftlichen Spar- und Darlehenkassen setzte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts weiter fort und erfuhr insbesondere ab den späten 1960er Jahren im Zuge des Trends zur „Universalbank" eine besondere Dynamik, in der sich, wie eingangs erwähnt, die tradierten Sektorgrenzen in der Geldund Kreditwirtschaft zusehends auflösten. Ausgehend von der Wachstumskrise in der Mitte der 1970er Jahre und dann nachhaltig verstärkt von der Strukturkrise des Industriesystems in der ersten Hälfte der 1980er Jahre setzte als „konservative Wende" eine tendenzielle „Entstaatlichung" des wirtschafts- und sozialpolitischen Systems ein, die sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts nachhaltig verstärkt hat. Hier liegt nun die oben angesprochene zweite „historische" Bedarfslage, also der zweite Jnstitutional gap'\ Und zwar in Form eines neuen Bedarfes an privatwirtschaftlich-privatrechtlichen Institutionen zur Bewältigung der Funktionen Daseinsvorsorge, Finanzierung und Subventionierung. Und hier knüpft, primär im regionalen Zusammenhang, auch die Diskussion um die Positionierung von Sparkassen und Genossenschaftskassen im Rahmen von „Corporate Social Responsibility" und „neuer" Regionalisierung" an, im Zuge derer versucht wird, an „historische Wurzeln und Traditionen" anzuknüpfen. Dies kommt beispielsweise sehr deutlich in dem bereits angesprochenen Bemühen im Sparkassensektor zum Ausdruck, der historischen Funktion der individuellen Daseinsvorsorge im Wege der Erspamisbildung neuen Stellenwert in der Untemehmensstrategie zu geben. Exemplarisch sei hier nochmals der Generaldirektor der ERSTE-Bank, Andreas Treichl in einem Zeitungsinterview Ende

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Oktober 2004 zitiert: ,,Die Leute müssen sich daran gewöhnen, dass sie ihr Einkommen nicht mehr zur Gänze zu ihrem Lebensunterhalt zur Verfügung haben. Sie müssen einen Teil bewusst als Vorsorge ansehen und weglegen; darum wird die Spargesinnung immer wichtiger....Viele glauben aber immer noch, dass sie ein Anrecht auf Arbeit haben, dass der Staat und / oder Arbeitgeber dafür sorgen müssen, dass sie bis zur Pensionierung einen Job haben. Den Menschen muss bewusst werden, dass das Leben ein persönliches Risiko darstellt. Deshalb muss der einzelne auch sparen."^^ Im Lichte dieser langfristigen Perspektive sollen nun exemplarisch einige wenige konkrete Ansatzpunkte für eine derartige „historische Dimension" von Corporate Social Responsibility in der Entstehungsgeschichte der österreichischen Sparkassen und der genossenschaftlichen Spar- und Darlehenskassen aufgezeigt werden. VI. Historische Bezüge von CSR bei den Sparkassen in der Habsburgermonarchie Bei den Sparkassen kann der erste konkrete Ansatzpunkt in deren privatrechtlicher bzw privatwirtschaftlicher Institutionalisierung in der Form der Vereinssparkasse gesehen werden. So entstanden, beginnend mit der Ersten Österreichischen Spar-Casse im Jahr 1819, im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in etlichen Provinzialhauptstädten des Habsburgerstaates Sparkassengründungsvereine. ^^ Die Vorbilder dafür stammen aus Paris und England. Die Erste österreichische Spar-Casse fungierte dabei gewissermaßen als Prototyp, der dann bei den folgenden Gründungen nachgebildet wurde. Der Trägerverein verstand sich als Gesellschaft von .Menschenfreunden'', stand also letztlich in der Tradition der aufgeklärten Societäten und nahm zugleich die Institution des „bürgerlichen" Vereines vorweg, der in den folgenden Jahrzehnten in vielen Bereichen ein wesentlicher Faktor der kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung werden sollte. Typisch für diese Übergangszeit ist, dass die Mitglieder dieses Sparkassengründungsvereins sowohl aus dem Bürgertum als auch aus dem 16 Der Standard 30.10.2004. 17 150 Jahre Sparkassen in Österreich, hg Vom Hauptverband der Österreichischen Sparkassen Bd 1, Wien 1972; Schmidt, Walter: Das Sparkassenwesen in Österreich, Wien 1930; Thausing, Friedrich: Hundert Jahre Sparkasse. Anlässlich des hundertjährigen Bestandes der Ersten Österreichischen Spar-Casse 1819 bis 1919, Wien 1919.

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Adel und dem Klerus stammten. Der Verein bedurfte der staatlichobrigkeitlichen Genehmigung, die bereitwillig erteilt wurde, wurde hier doch eine dringend erforderliche soziale Aktivität auf privater Basis in Gang gesetzt und damit dem ohnehin unter schweren finanziellen Problemen leidenden Staat abgenommen. Die entscheidende materielle Klammer war die freiwillige Bereitstellung des Gründungskapitals für einen Fonds, auf dem die Tätigkeit der Sparkasse in Form der Verzinsung von Einlagen und der Vergabe von Krediten basierte. Dabei gab es eine von mehreren spezifischen Verbindungen mit dem Staatskredit. Denn der größte Teil dieser .freiwilligen unwiderruflichen Gaben'' wurde in Form der Zession von Staatsobligationen gestellt. ^^ Eine zweite spezifische Verbindung zum Staatskredit bestand darin, dass die Wiederveranlagung der bei der Sparkasse deponierten Spargelder zum Teil wiederum beim Staatskredit erfolgte. Dazu kam auch die Veranlagung in Aktien der 1816 gegründeten Nationalbank sowie später in Eisenbahnwerten, Bankwerten und Kommunalobligationen. Der zweite Ansatzpunkt liegt in der primär sozialpolitischen Motivation der Gründung derartiger privater Trägervereine und der von diesen errichteten und betriebenen Sparkassen. Dies fand in der Präambel zur ersten Fassung der Statuten der Ersten österreichischen Spar-Casse vom 9. August 1819 folgendermaßen Ausdruck: ,Mit Bewilligung einer hohen k.k. Nieder-Österreichischen Landesregierung vom 9. Juli 1819 ... vereinigt sich eine GeSeilschaft unter dem Namen „Erste österreichische Spar-Casse in der Leopoldstadt in Wien ", die den Zweck hat, dem Fabriksarbeiter, dem Handwerker, dem Taglöhner, dem Dienstboten, dem Landmanne oder sonst einer gewerbefleißigen und sparsamen minderjährigen oder großjährigen Person die Mittel in die Hand zu geben, von ihren mühsamen Erwerb von Zeit zu Zeit ein kleines Kapital zurückzulegen, um solches in späteren Tagen, zur Begründung einer besseren Versorgung, zur Aussteuer, zur Aushilfe in Krankheit, im Alter oder zur Erreichung irgendeines löblichen Zweckes zu verwenden/'^^ Es wurde hier also das Prinzip der individuellen Daseinsvorsorge durch verzinsliche Veranlagung von Ersparnissen bzw Rücklagen für Heirat bzw Familienstand, Krankheit und Alter umgesetzt. Und zwar für jene zentralen Bereiche der sozialen Sicherung, für die es unter den, insbesondere in den größeren Städten, in der Frühphase der Industrialisierung gegebe-

18 § 4 und § 5 der Statuten der Ersten Österreichischen Spar-Casse 1819, abgedruckt in: 150 Jahre Sparkassen in Österreich Bd 1, Wien 1972 S253. 19 Ebenda S 252.

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nen Umständen keine ausreichenden institutionellen Vorkehrungen gegeben hat. Für die Einlagen bzw Rücklagen wurde ein so genanntes ,^w^zugsbuch'' vorgesehen, das nach dem Prinzip des Inhaberpapiers gehandhabt wurde: ,,Die Kasse zahlt ohne Rücksicht auf den Namen des Erlegers, welcher daher nach Willkür eingetragen werden kann, an den Inhaber des Buches, den sie solange für den rechtmäßigen Inhaber ansieht, als das Gegenteil nicht rechtsbeständig erwiesen und ihr nicht förmlich angezeigt ist; weshalb jeder Besitzer eines solchen Buches dieses sorgsam aufzubewahren angewiesen wird. Bedingt sich ein Einleger ausdrücklich, dass nur an ihn gezahlt werden dürfe, so ist diese Bedingung sowohl bei den Büchern der Kasse als auch auf dem Auszugsbuche des Erlegers (Interessenten) von ihm eigenhändig oder rechtsbeständig anzumerken und wird sonach die Zahlung nur unter den gesetzlichen Vorsichten an den Inhaber geleistet."^^ Ausgehend vom Wiener Prototyp wurde die derart sozialpolitisch konzipierte „Sparkassenidee", den damaligen Möglichkeiten entsprechend, medial propagiert. Ein Medium, das sehr große Verbreitung gefunden hat, war die 1821 erschienene Broschüre: „D/e Sparcasse, eine fassliche Darstellung des Zweckes der Vorteile für das Allgemeine und der Einrichtung einer Sparcasse-Anstalt, mit Rücksicht auf die erste österreichische Anstalt dieser Art für das Volk und dessen nähere Vorsteher''.'^^ Darin wurde das mit der Einrichtung der Sparkasse zu institutionalisierende Prinzip der individuellen Daseinsvorsorge im Bereich der unteren Volksschichten erläutert. Dabei wurden die wesentlichsten Kategorien der individuellen Daseinsvorsorge, für die es im tradierten Institutionensystem keine adäquaten Einrichtungen gab, anhand von Beispielen angeführt: Daseinsvorsorge betreffend die Verbesserung der Lebenschancen und beruflicher Aufstiegschancen: „Em Lehrling legt während seiner vier Lehrjahre von dem Gelde, welches ihm seine Eltern geben, wöchentlich 2 ß 30 kr. in die Sparkasse, und während seiner fünf Gesellenjahre wöchentlich 5 fl. von seinem Verdienste. Am Ende dieser neun Jahre behebt er das ganze Kapital und findet, dass er, ohne sich sonst einen merklichen Abbruch getan zu haben, eine Summe von L820 fi., ohne die Interessen mitzurechnen, welche er alle halben Jahre behoben hat, erspart habe. Dieser Geselle muß nun gestehen, dass die Sparkasse, wenn sie auch keine Interessen zahlen würde, eine sehr wohltätige Anstalt wäre. 20 Ebenda S 256. 21 In Auszügen abgedruckt in: 150 Jahre Sparkassen in Österreich Bd 1, Wien 1972 S 120 f.

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Nichtsdestoweniger hat er indessen die Interessen behoben, die mit jedem Jahre bedeutender wurden, und zuletzt gar 72 fl. 48 kr. ausmachten. So sehr wird die Sparsamkeit belohnt ... Einer Familiefällt es nicht schwer, jährlich 50 fl. für einen Sohn zu hinterlegen. Nach zwanzig Jahren gibt dies eine Summe von 2.178 fl. 7 kr., womit der Sohn sehr leicht ein Gewerbe antreten kann, ohne welches er ein ewiger Geselle bleiben müsste.'' Daseinsvorsorge betreffend Hausstandsgründung: .^Der Himmel segnet ein fleißiges und ordnungsliebendes Ehepaar mit einem Töchterchen. Die Eltern beschliessen, bei seiner Geburt ein Patengeschenk von 30 fl. in die Sparkasse niederzulegen und jedes Jahr einen gleichen Betrag abzugeben, bis die Tochter heiratet. Im einundzwanzigsten Jahr verehelicht sich diese und mit dem seit zwanzig Jahren hinterlegten Gelde samt den Interessen, zusammen 933 fl. 18 kr. Sieht sie sich imstande, nicht nur ihre Haushaltung einzurichten, ohne sonst ihren Eltern oder ihrem Manne auf eine empflndliche Art zur Last fallen zu müssen; sondern auch ein kleines Kapital anzulegen, welches durch fernere Sparsamkeit endlich sehr bedeutend werden kann.'' Daseinsvorsorge betreffend Krankheit, Alter und Pflegebedarf: ,,Ein Mensch, der sonst gewohnt war, sein entbehrliches Geld in die Lotterie zu setzen, legt es nunmehr lieber in die Sparkasse. Auf diese Weise hatte er binnen einem Jahre mehr als sechzig Gulden erspart. Eine harte Krankheit, welcher er ohne besondere Pflege erlegen wäre, überraschte ihn zu eben der Zeit. Seine Ersparnis setzte ihn nun in den Stand, sich besser verpflegen zu lassen, und bald sah er sich wieder hergestellt. Ohne die kluge Benützung der Sparkasse wäre er wahrscheinlich ein Raub des Todes geworden, und nun segnet er die Menschenfreunde, welche ihm Gelegenheit gaben, eine Torheit aufzugeben und den Sinn auf das Sparen zu lenken." Daseinsvorsorge betreffend die Absicherung gegen akute Notfälle: ,,Eine Familie übergibt, sobald die Gelegenheit sich so schickt, die von der Haushaltung erübrigten kleinen Geldbeträge der Sparkasse zur Aufbewahrung und Verzinsung. Unversehens trifft sie ein Unglück, wodurch sie einer augenblicklichen Hilfe bedarf. Kein Freund in der Not lässt sich blicken, und Gott, und demnächst ihrer Sparsamkeit sei es gedankt! in der Sparkasse flndet die Familie Hilfe, wofür sie niemandem verpflichtet ist, als ihrem Schöpfer, den Errichtern der Sparkasse und ihrer eigenen Klugheit, nicht aber irgend einem Wucherer, der sich ihre Not zu Nutzen gemacht hätte.'' Ausgehend von diesen Motiven und Funktionen ist die spezifische Konstruktion der Sparkasse als gemeinnütziges Unternehmen ein dritter Ansatzpunkt für eine „historische Dimension" von Cor-

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porate Social Responsibility. Ein besonderes institutionelles Spezifikum ist dabei die Eigentümerlosigkeit der Sparkasse. So war der Verein nicht Eigentümer der Sparkasse, sondern seine Funktion bestand in der Bereitstellung des Gründungskapitals und der Haftungsgarantie. Dies aber nur solange bis aus den Erträgnissen des Sparkassengeschäftes ein entsprechender Reservefonds aufgebaut war. Die Mitglieder des Gründungsvereins hatten keinerlei Ansprüche auf Zinserträge aus der Wiederveranlagung der bei der Sparkasse eingelegten Sparkapitalien: „D/e vereinigte Gesellschaft entsagt jedem Ansprüche auf Nutzen oder Gewinn. Alles was immer nach Bezahlung der Zinsen, Verwaltungskosten und sonstigen nötigen Auslagen erübrigt werden dürfte, bildet einen Reservefond und dient zur Sicherheit sämtlicher Einlagen."^^ Das heißt also, dass die Trägerinstitution, also der Verein, prinzipiell nicht gewinnorientiert war. Dies gilt aber nicht in gleicher Weise für die Sparkasse selbst. Denn diese war zum einen darauf orientiert, aus dem Sparkassengeschäft, also der verzinslichen Hereinnahme von Spargeldem und deren Veranlagung am Kapitalmarkt oder in Darlehen bzw Krediten Überschüsse zu erzielen, aus denen in Form des Reservefonds eine Eigenkapitalbasis aufgebaut wurde, die dann in der Folge ihrerseits durch Veranlagungserträge auszubauen war. Die Sparkasse war also insofern als eigentümerloses Unternehmen von Anfang an ertragsorientiert. Die Substanz der sozialen Dimension lag zum einen in der gemeinwohlorientierten Gestaltung dieser Ertragsorientierung und zum anderen in der Verwendung des erzielten „Reingewinnes" für soziale bzw gemein wohl orientierte Zwecke. Darauf bezogen wurde in der erwähnten Broschüre von 1821 der Charakter der Sparkasse als spezifisch sozialpolitisch ausgerichtetes Geld- und Kreditinstitut gekennzeichnet, das sich von eigentlich bankwirtschaftlichen Geld- und Kreditinstituten in spezieller Weise unterscheidet. Und zwar dadurch, dass die Sparkasse kein Ort der langfristigen Fruktifizierung großer Kapitalien und dass Gewinnerzielung kein finales Untemehmensziel ist, sondern dieser ein instrumenteller Charakter hinsichtlich der gemeinwohlorientierten Untemehmensziele zukommt. Dies schloss eine höchstmögliche Sicherheit bei der Wiederveranlagung der Spargelder ein. ,J?ie Sparkasse zahlt nur vier Prozent Zinsen - Die Sparkasse ist nicht der Ort, wo man größere Summen anlegen kann, um den größtmöglichen Gewinn davon zu ziehen, sondern sie ist eine Anstellt, welche die Ersparnisse sicher verwahrt und auf die Sicherste Art anlegt. Es wird also dem klugen Menschen lieber sein, von seinem Spargeld sichere vier Prozent zu haben, als es gegen fünf 22 § 3 der Statuten der Ersten Österreichischen Spar-Casse.

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und sechs Prozent auf eine unsichere Art in andere Hände zu geben ... Bedarf nun der Interessent seines Geldes, so kann er es gegen Zurückgabe des Sparkassebüchleins auf der Stelle zurückhaben, ohne deswegen die geringsten Unkosten zu erfahren, während er, wenn er sein Geld woanders liegen hat, erst aufkündigen muß und oft den Advokaten nötig hat, um zu seinem Eigentum zu gelangen. Alle diese Plackereien fallen weg, wenn man seinen Notpfennig bei der Sparkasse erliegen hat. Die Sparkasse ist nicht vorhanden, um das Geld reicher Kapitalisten auf die allervorteilhafteste Art anzulegen, sondern um den fleißigen, arbeitsamen und ordnungsliebenden Menschen das Beiseitelegen ihres kleinen Überflusses zu sichern und diesen zu sammeln, damit er nach und nach zu einer verwendbaren Summe anwachse.''^^ In dieser Form erwies sich die Institution der Vereinssparkasse als durchaus erfolgreich, was sich in den Gründungen der folgenden Jahrzehnte beispielsweise in Laibach (1820), Innsbruck (1822), Graz (1825), Prag (1825), Klagenfurt (1835), Lemberg (1844), Linz (1849), Brunn (1852), Salzburg (1856) und deren raschem Wachstum zeigte.^^ Dieses Wachstum war es denn auch, was das obrigkeitliche Kontroll- und Regulierungsbedürfnis des mettemich'sehen Staates zunehmen ließ. Heraus kam letztendlich das irn Jahr 1844 erlassene ..Regulativ für die Bildung, Errichtung und Überwachung der Sparkassen'\^^ In der dortigen Präambel heißt es diesbezüglich: „[/m die Errichtung der Sparkassen, welche sich als ein gemeinnütziges Institut bewährt haben, mit ihrem auf die allmähliche Verbesserung des Zustandes der ärmeren Volksklassen gerichteten Zwecke gehörig in Übereinstimmung zu bringen, und um zugleich die bei diesen Anstalten beteiligten wichtigen öffentlichen und Privatinteressen möglichst zu befördern und vor Missbräuchen sicher zu stellen, haben seine k.k. Majestät mit Allerhöchster Entschliessung vom 2. September 1844, in Absicht auf die Bildung, Errichtung und Überwachung der Sparkassen die nachfolgenden allgemeinen Grundsätze als gesetzliche Richtschnur allergnädigst vorzuzeichnen geruht.'' 23 Die Sparcasse, eine fassliche Darstellung des Zweckes der Vorteile für das Allgemeine und der Einrichtung einer Sparcasse-Anstalt, mit Rücksicht auf die erste österreichische Anstalt dieser Art für das Volk und dessen nähere Vorsteher, 1821. 24 Dirninger, Christian: Ein Vergleich der Gründungsgeschichte der Sparkassen Österreichs und Bayerns im 19. Jahrhundert, in: SparenInvestieren-Finanzieren, Gedeiikschrift für Josef Wysocki, Stuttgart 1997 S 119-174. 25 Abgedruckt in: 150 Jahre Sparkassen in Österreich Bd 1, Wien 1972 S 260 ff. Im Anschluss an das Regulativ wurden 1953 und 1855 Mustersatzungen erlassen.

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Hierin kommt wiederum das vorrangige Interesse des Staates an dieser, ihre soziale und gemeinwohlorientierte Effizienz nachhaltig unter Beweis stellenden Institution zum Tragen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Staat damit eigene Aktivitäten erspart blieben. Gerade in diesem Zusammenhang war dem Staat auch an zwei Dingen besonders gelegen, die demgemäß auch im Regulativ besonders im Vordergrund standen. Zum einen die explizite sozialpolitische Zweckbestimmung der Sparkassen und zum anderen eine möglichst flächendeckende Verbreitung dieser Institution. So wurde die Aufgabenstellung eindeutig auf die sozialpolitische Funktion bezogen definiert: ,,Die Bestimmung der Sparcassen besteht darin, den minder bemittelten Volksklassen Gelegenheit zur sicheren Aufbewahrung, Verzinsung und allmählichen Vermehrung kleiner Ersparnisse darzubieten, um dadurch den Geist der Arbeitsamkeit und der Sparsamkeit bei denselben zu beleben.'' (§ 1) Im Zusammenhang mit dem Ziel einer möglichst großen Verbreitung wurde ein für die Entwicklung der Sparkasse als öffentliche Institution sehr wesentlicher Schritt gesetzt, indem nunmehr neben ,yer einen von Menschenfreunden" auch Gemeinden zur Errichtung von Sparkassen berechtigt wurden. ,^uch Gemeinden kann die Errichtung von Sparkassen unter ihrer Dafürhaftung gestattet werden; doch ist hierzu ein nach den bestehenden Vorschriften gültig zu Stande kommender, die ganze Gemeinde verpflichtender Beschluß erforderlich.'' (§ 3) Die kommunale Sparkasse war damals in Österreich eine neue Form. Im Prinzip war sie der Organisation der Vereinssparkasse nachgebildet, wobei die Gemeinde, sowohl hinsichtlich der Haftung als auch hinsichtlich der Verwaltung praktisch in die Funktion des Gründungsvereins trat. Damit war auch die Tatsache verbunden, dass die Gemeindesparkasse ebenso den Status der Eigentümerlosigkeit hatte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte dann auch tatsächlich die Verbreitung der Institution Sparkasse in die Fläche praktisch ausschließlich in der Form der Gemeindesparkasse. Die ab 1848 bzw 1850 erfolgte Einführung der Gemeindeautonomie schuf dazu eine wesentliche Voraussetzung. In der Normierung der Gestaltung des Sparkassengeschäftes war ebenfalls die soziale bzw gemeinwohlorientierte Zwecksetzung maßgeblich. Ein wesentlicher Ansatzpunkt dabei war die zulässige Höhe der Einlagen, wobei auf die Erspamisbildung der unteren Gesellschaftsschichten abgezielt wurde. „Der geringste als Einlage bei den Sparkassen zulässige Betrag ist so nieder als möglich zu bestimmen, damit auch der ärmsten Klasse die Gelegenheit zur sicheren, wenngleich Anfangs unverzinslichen Verwahrung kleiner Ersparnisse dargeboten werde." (§ 7) Mit einer Maximalbestimmung sollten explizit größere Kapitalanlagen hintan gehalten wer-

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den. ,yFür die Größe der jedesmaligen Einlage ist in den Statuten nach den besonderen Ortsverhältnissen, und mit Rücksicht auf den Garantiefonds ein Maximum festzusetzen, wobei der Erwerb der niederen Volksklassen in dem Bezirke, wo die Sparkasse sich befindet, im Auge zu halten, und darauf zu sehen ist, dass Vermöglichere, welche ihre Gelder selbst fruchtbringend machen können, von der Benützung der Sparkasse zu diesem Zwecke ausgeschlossen bleiben'' (§ 8) Und es wurde eine die kleinen Einlagen begünstigende degressive Verzinsung vorgesehen: ..Übrigens muß in den Statuten, welche verhältnismäßig größere Summen für die Einlagen jeder einzelnen Partei zulassen, der Zinsfuß nach der Größe des eingelegten Kapitales in fallender Progression abgestuft werden." (§ 11) Ein zweiter wesentlicher Ansatzpunkt für die Gemeinwohlorientierung des Sparkassengeschäftes wurde mit der Bestimmung gesetzt, dass ein Teil des Überschusses, ..welcher sich aus der verzinslichen Verwendung der Einlagen nach Gutschreiben der den Einlagen gebührenden Zinsen und Zinseszinsen über Abschlag der Verwaltungskosten ergibt', für ..wohltätige und gemeinnützige Lokalzwecke" verwendet werden konnte. Für das Aktivgeschäft, also Veranlagungen und Ausleihungen, war die Sicherheit der Einlagen oberstes Gebot: .^Die fruchtbringende Verwendung der bei der Sparkasse angelegten Gelder hat nach den obwaltenden Lokalverhältnissen auf eine möglichste Sicherstellung gewährende Weise zu geschehen". Das entscheidende Kriterium war die ..pupillarische Sicherheit", also die Mündelsicherheit. (§ 19) Im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchsen die Einlagenbestände der Sparkassen stark an und gingen dabei auch immer mehr über den Bereich der „minderbemittelten" Schichten hinaus. Zugleich wurden die Sparkassen immer stärker in die Finanzierung des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses einbezogen, wobei sie aber, aufgrund der einschlägigen Bestimmungen, im Wesentlichen außerhalb des spekulativen Bereiches blieben. Dem Wachstum der Sparkassen wurde in der rechtlichen Normsetzung insofern Rechnung getragen, als im Bereich der Spareinlagen die Beschränkung auf minderbemittelte Schichten aufgehoben wurde. So hieß es in § 1 des im Jahr 1872 erlassenen neuen Musterstatuts: .JDer Zweck der Sparkasse in ... ist, jedermann, besonders aber den minder bemittelten Volksklassen die Gelegenheit zu verschaffen, dass sie ihre Ersparnisse ohne Schwierigkeit und Zeitverlust als fruchtbringend anlegen und bei jedesmaligem Bedarfe wieder beheben können" Die degressive Verzinsung wurde aber beibehalten: .JDie Höhe der Verzinsung der Einlagen wird den Geld- und Zeitverhältnissen entsprechend von dem Ausschusse festgesetzt; hiebei ist darauf

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Rücksicht zu nehmen, das der Zinsfuß nach der Größe des eingelegten Kapitals in fallender Progression abgestuft werde.''^^ (§ 11) In der Praxis wurde diese Bestimmung aber bald obsolet und es setzte sich eine einheitliche Verzinsung aller Einlagen durch. Nach der großen Krise des Liberalismus 1873 erfuhren die Sparkassen einen weiteren deutlichen Wachstumsschub und Bedeutungszuwachs. Zum einen hatten sie infolge ihres hohen Standards der Einlagensicherung im Lichte der durch die Krise erzeugten Verunsicherung einen besonderen Stellenwert als Institutionen der individuellen Daseinsvorsorge.^^ Zum anderen hatten die Sparkassen auf der Basis ihres wachsenden Potenzials als Kapitalsammestellen eine ganz wesentliche Bedeutung als Finanzierungsinstitutionen einerseits für die regionale privatwirtschaftliche Investitionstätigkeit und andererseits im Auf- und Ausbau öffentlicher und insbesondere kommunaler Infrastruktur. Eine spezifische gemeinwohlorientierte Komponente lag dabei in der Verwendung der Nettoüberschüsse für die Subventionierung sozialer, kultureller und kommunaler Einrichtungen. So zeigen beispielsweise bei der Salzburger Sparkasse die derartig ,für wohlthätige und gemeinnützige Zwecke ausbezahlten Geldbeträge" eine breite Palette, die von diversen Hilfvereinen über Bildungsinstitutionen bis hin zu Einrichtungen der medizinischen Versorgung reichte.^^ Im Sinne dessen konnte bereits anlässlich des 25-jährigen Bestandes der Sparkasse im Jahr 1880 festgestellt werden, dass es ..endlich die glänzenden Gebahrungsergebnisse" seien, „welche es ermöglichen, Unterrichts- und humanitären Anstalten periodisch oder bei besonderen Anlässen bedeutende Beträge zuzuwenden."^^ Dass es im späteren 19. Jahrhundert im Rahmen des Wachstums in der geschäftlichen Praxis in zunehmendem Maße eine Anforderung an die Sparkassenleitungen wurde, einen Ausgleich zwischen dem bankwirtschaftlichen Kalkül einerseits und dem sozialen Auftrag andererseits zu finden, lässt sich in exemplarischer Weise bei der Salzburger Sparkasse hinsichtlich der Zinsgestaltung bei den 26 Abgedruckt in: 150 Jahre Sparkassen in Österreich Bd 1, Wien 1972 S 282 t 27 Dirninger, Christian: Sparkassen und Staatsinterventionismus im Zusammenhang mit der Krise von 1873 in Österreich, in: Tilly, Richard (Hg): Bankenkrisen in Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert (Geld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte 1999) S 13-48. 28 Umfangreiche Übersichten in den jährlichen Rechnungsabschlüssen bzw Geschäftsberichten der Salzburger Sparkasse. 29 Salzburger Sparkasse Rechnungsabschluss 1880.

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Einlagen beobachten. Bereits zu Beginn der 1890er Jahre legte die allgemeine Geld- und Kapitalmarktentwicklung eine Senkung des seit den 1870er Jahren stabil gebliebenen Einlagenzinses von 4 % nahe. Er wurde aber noch bis 1903 auf diesem, eigentlich überhöhten Niveau gehalten. Erst dann wurde er ,,mit schwerem Herzen'' angesichts der ..sinkenden Tendenz des Kapitalwertes" um 1/4Prozentpunkt auf 3 % % abgesenkt.^^ In den bis dahin im Sparkassenausschuss immer wieder stattfindenden Diskussionen war eines der Hauptargumente gegen die Zinssenkung die Befürchtung, dass durch eine Zinssenkung Sparpotenzial von der Sparkasse abgelenkt würde und dieser damit zuwenig Mittel für die Erfüllung ihrer Aufgaben im gemeinwohlorientierten Bereich zur Verfügung stünden. Dies indem „durch einen solchen Beschluß ein gewiß nicht unbedeutender Theil des Sparvermögens der Anstalt entzogen und in besser verzinslicher Art fructificiert würde, was gerade bei den großen Anforderungen, welche an die Sparcasse in letzter Zeit gestellt worden sind, von den empfindlichsten Folgen begleitet sein könnte, indem dadurch der Geschäftumsatz der Anstalt kleiner und daher auch das jährliche Reinvermögen bedeutend verringert würde.''^^ Und dieses ..Reinvermögen'' war ja die wesentliche Basis für die vielfältige Subventions- und Fördertätigkeit der Sparkasse. Es wird darin deutlich, dass die Sparkasse spezifische Parameter zu berücksichtigen hatte, die über jene eines gewinnorientierten Geld- und Kreditinstitutes hinausgingen. Dies vor allem hinsichtlich regionaler sozial- und wirtschaftspolitischer Aufgaben. Gleichermaßen war auch immer wieder ein möglichst hoher Zinsertrag der Einleger im Sinne der damit bewirkten Daseinsvorsorge ein wichtiger Grund, der gegen eine Senkung des Einlagenzinses sprach. Die diesbezügliche Devise lautete: .J)ie Sparkassa soll kein Bankinstitut, sondern eine Wohlfahrts-Institutfilr die kleinen Leute sein."^'^ Analog kam auf der Aktivseite im Umgang mit Ausständen im Kreditbereich die soziale Verantwortlichkeit des Sparkassengeschäftes zum Tragen. Hier wurden, ausgehend von der Zwecksetzung als gemeinwohlorientiertes Institut, hinausgehend über eine rein bankwirtschaftliche Ertragsorientierung auch Aspekte der Förderung und Unterstützung der regionalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in einem moderaten Umgang mit Zinsrückständen zum Wohl der Schuldner berücksichtigt. Dies wurde beispielsweise im Jahr 1900, als sich Zinsrückstände in zunehmen30 Salzburger Sparkasse Geschäftsbericht 1903. 31 Salzburger Sparkasse, Protokoll des Sparkasse-Ausschusses 1893. 32 Salzburger Sparkasse, Protokoll des Sparkasse-Ausschusses 31.12. 1897.

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dem Maße häuften, von der Sparkassenleitung damit begründet, ,^dass es von jeher Prinzip der Anstalt war, säumigen Schuldnern, welche sich gerade in momentaner Not befinden, in größtmöglichem Entgegenkommen durch Bewilligung von Theilzahlungen u, Gewährung von Fristen die Möglichkeit sich in kürzerer Zeit wieder zu erholen zu geben, insoweit die Sicherheit der Anstalt hiedurch nicht gefährdet war, u. ist durch diese wohlwollende u. am rechten Platze geübte Nachsicht so manche Existenz ohne die geringste Gefährdung der Anstalts-Interessen vor dem sicheren Untergange bewahrt worden."^^ Ebenso stellte sich im sensiblen Bereich der Wechselkredite die keineswegs einfache Anforderung an die Sparkassenleitung, einen Ausgleich zwischen bankwirtschaftlichem Kalkül einerseits und Förderung der regionalen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu finden. Dies indem „m vielen derartigen Fällen es oft schwierig u. dem Zwecke nicht entsprechend erschiene, wenn alle Wechsel sofort eingeklagt würden, da dann der betreffende Schuldner häufig plötzlich ruiniert würde, während eine langsamere Sanierung demselben die Möglichkeit der vollständigen Ordnung seiner Verpfiichtung gibt u. in sichere Aussicht stellt.''^^ Insgesamt gesehen blieb die Reichweite der Sparkassen im ländlichen Raum aber zu gering, um den dort wachsenden Bedarf an adäquaten Finanzierungsinstitutionen zu decken. In diese, im späteren 19. Jahrhundert immer stärker spürbare Bedarfslücke wuchsen sodann die genossenschaftlichen Spar- und Darlehenskassen hinein. VII. Historische Bezüge von CSR bei den Genossenschaftskassen in der Habsburgermonarchie Deren funktionaler Ansatzpunkt lag ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Auswirkungen der Industrialisierung und des sich im Zuge dieser entfaltenden Agrarkapitalismus auf die klein- und mittelbetriebliche Landwirtschaft und das handwerkliche Gewerbe.^^ 33 Salzburger Sparkasse, Protokoll des Sparkasse-Ausschusses 30.5. 1900. 34 Salzburger Sparkasse, Protokoll des Sparkasse-Ausschusses 14.7. 1900. 35 Bruckmüller, Ernst: Landwirtschaftliche Organisationen und gesellschaftliche Modernisierung. Vereine, Genossenschaften und politische Mobilisiemng der Landwirtschaft Österreichs vom Vormärz bis 1914, Salzburg 1977; Bruckmüller, Ernst (Hg): Raiffeisen in Österreich: Siegeszug einer Idee, St. Polten 1998; Baltzarek, Franz: Die geschichtliche Entwicklung der österreichischen Genossenschaften, in: Handbuch des Genossenschaftswesens, Wien 1986 S 3-116.

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Aus dem wachsenden strukturellen Anpassungszwang und den aus der Liquidierung des Grundherrschaftssystems im Wege der so genannten „Grundentlastung", von der die Bauern im Wege der finanziellen Ablöse der bisherigen Abgaben und Dienstbarkeiten ein Drittel zu tragen hatten, resultierenden Kostendruck erwuchs im klein- und mittelbäuerlichen Bereich ein Finanzierungsbedarf, dem keine adäquaten Institutionen gegenüberstanden, der aber andererseits im Zuge wachsender Überschuldung eine in hohem Maße existenzbedrohende und vielfach auch existenzvemichtende Wirkung zeitigte. Eine analoge Situation bestand im gewerblichen Bereich infolge „Gewerbefreiheit" und industrieller Konkurrenz. Das entscheidende Problem war der eklatante Mangel an dringend benötigtem zinsgünstigen Kapital in Form des Personalkredits. Die Einrichtungen mittels derer dies zu bewerkstelligen war, waren aber nicht mehr in dem traditionellen patemalistisch-feudaHstischen Rahmen zu suchen, da dieses System nicht mehr bestand. Gleichermaßen erschienen aber auch nach dem Prinzip der karitativen Hilfeleistung ausgerichtete Institutionen als nicht ausreichend. Was gefragt war, war eine institutionelle Basis für eine nachhaltige und vor allem, auch in finanzieller Hinsicht, sich im regionalen Wirtschaftskreislauf weitgehend selbst tragende Entwicklung der klein- und mittelbetrieblichen Landwirtschaft und des ländlichen Gewerbes. Genau an diesen Punkten setzte um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Konzept an, dessen Realisierung eine durchaus wirksame Veränderung bzw Verbesserung der Entwicklungsbedingungen der klein strukturierten Landwirtschaft brachte und aus der sich in der Folge zugleich eine der tragenden Säulen des modernen Geld- und Kreditwesens mit spezifischem Regionalbezug entwickelte. Es war dies die Konzeption einer auf Gegenseitigkeit, sowohl hinsichtlich der Aufbringung, der Kosten und der Finanzierung als auch hinsichtlich des Nutzens ausgerichteten genossenschaftlicher Kooperationsform grundsätzlich selbstständiger Landwirte bzw Gewerbetreibender. Zum weitaus bekanntesten und erfolgreichsten Protagonisten dieser Konzeption wurde der 1818 in Hamm an der Sieg im Westerwald geborene Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Er erkannte, dass das konkrete Problem vor allem darin lag, dass es zu dieser Zeit eigentlich keine adäquate Institution für den in diesem Zusammenhang primär dringend benötigten zinsgünstigen Personalkredit gab. Dies sowohl was die nötigen Sicherheiten, also die Haftung, als auch was die Zinssätze und Tilgungsmodalitäten betraf. Nur diese Form der Fremdfinanzierung kam aber für die Landbevölkerung in Frage, da für eine hypothekarische Besicherung in den allermeisten Fällen die Substanz fehlte. Die damit be-

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Stehende Angewiesenheit auf kommerzielle Geldverleiher, die meist Wucherzinsen und schwer belastende Tilgungsmodalitäten vorgaben, führte zu einer drastischen Zunahme der ohnedies latenten Verschuldung. Der entscheidende Entwicklungsschritt lag in einer Vereinskonstruktion, bei der die Aufbringung der Kapitalbasis zu einem wesentlichen Teil durch die Betroffenen selbst, die damit auch zugleich den Verein konstituierten, erfolgte. Im Prinzip ergab sich diese Kapitalbasis aus gemeinsamen Einzahlungen, die damit letztendlich auch eine spezifische, zweckorientierte Form des Sparens darstellten. Aus diesem gemeinsamen Sparaufkommen wurden sodann Personalkredite zu entsprechend adäquaten Bedingungen vergeben. Die Haftung erfolgte im Wege der Gegenseitigkeit, so wie auch die Aufbringung und die Inanspruchnahme des daraus resultierenden Nutzens. Die sich daraus ergebende Vereinsform war jene des in Form einer Genossenschaft konstituierten ^,Spar- und Darlehensvereines''. Mit dem von Raiffeisen gegründeten „//erfdesdorfer Wohltätigkeitsverein'\ der 1864 in einen .^Darlehenskassenverein'' umgewandelt wurde, war gewissermaßen der Prototyp der ländlichen Kreditgenossenschaft geschaffen. Diesen propagierte er in zahlreichen Schriften, deren bedeutendste sein 1866 erschienenes und sehr rasch weit verbreitetes Hauptwerk ,J)ie Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Not der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter" war^^. Die darin elaborierte Raiff eis en-Idee erscheint als eine Kombination mehrerer Prinzipien, die zum einen aus der Zeit heraus geboren und damit auf die damaligen Zeitumstände bezogen sind, zum anderen aber über diese Zeit hinaus wiesen und damit wesentliche Elemente des Selbstverständnisses der Raiffeisenorganisation geworden sind.^'^ In der ursprünglichen Konzeption baute die Raiffeisen-Idee auf dem Prinzip der auf Gegenseitigkeit begründeten Selbsthilfe und daraus geschaffener Selbsthilfeorganisationen als Alternative zur patemalistischen karitativen Hilfeleistung auf. Raiffeisen hatte erkannt, „... dass die direkte Hilfe ohne Gegenleistung der Bevölkerung sich überall als nachteilig erwiesen hatte''. Damit wurde persönliches Interesse zur hauptsächlichen Motivation für gemeinschaftliches Handeln. ,J)as persönliche Interesse ist der Kitt, welcher Vereine dieser Art zusammenhalten muß", heißt es bei Raiff36 Abdruck der 5. Aufl in: Raiffeisen und sein Werk in Österreich, hg v Österreichischen Raiffeisenverband, Wien 1986. 37 Koch, Walter: Der Genossenschaftsgedanke Friedrich Wilhelm Raiffeisens als Kooperationsmodell für die moderne Industriegesellschaft, Paderborn/Würzburg 1991.

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eisen. Dieses nutzenorientierte gemeinschaftliche Handeln stellte er in den Rahmen der christlichen Weltanschauung mit dem Ziel der Verbesserung der wirtschaftlichen und damit sozialen Entwicklungschancen, speziell der ländlichen Bevölkerung. ,,Nach meiner festen Überzeugung gibt es nur ein Mittel, die sozialen und besonders auch die wirtschaftlichen Zustände zu bessern, nämlich die christlichen Grundsätze in freien Genossenschaften zur Geltung zu bringen.'' Und bei Hermann Schulze-Delitzsch, der in Preußen eine analoge Organisationsform im gewerblichen Bereich entwickelte, heißt es: ,JVas aber als die eigentliche Blüte des Genossenschaftswesens erscheint, ist die Hebung des Gemeinsinns.''^^ Wesentlich dabei ist, dass eine Hauptstoßrichtung dieser sozialen Stabilisierungsfunktion die Begrenzung des sich vehement ausbreitenden, wenig regulierten freien Kapitalismus - wofür bald der Ausdruck „Manchester-Kapitalismus" geprägt wurde - im ländlichen Raum war. Als vorrangige Strategie dafür erschien die Stärkung kleinräumiger Wirtschaftszusammenhänge. Und hier wiederum lag eben ein entscheidender Ansatzpunkt darin, dass ein tragfähiger regionaler Geldkreislauf in Gang gebracht wurde. In diesem Sinne schien die genossenschaftliche Spar- und Darlehenskasse als die geeignete Institution, in der Region aufgebrachtes Geld dort auch wiederum nutzbringender Verwendung zuzuführen. In dieser Weise entwickelte sich der Typus der landwirtschaftlichen Genossenschaftskasse nach dem „System Raiffeisen" parallel zu der von Schulze-Delitzsch vorangetriebenen analogen Organisationsform im gewerblichen Sektor in expansiver Weise. Sehr wesentlich für diese rasche Verbreitung des Genossenschaftssystems in Deutschland war schlussendlich der Erlass des preußischen Genossenschaftsgesetzes 1867, das 1868 zum norddeutschen Bundesgesetz wurde und in der Folge Vorbild des 1873 in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erlassenen ..Österreichischen Genossenschaftsgesetzes'' war.^^ In der Habsburgermonarchie begann die Genossenschaftsidee in den späten 1860er Jahren Fuß zu fassen. So wurde etwa bei einem großen Agrarkongress in Wien 1873 die .ßildung von Vereinen für Personalkredite nach dem Vorbild Raiffeisens"^^ als dringende Notwendigkeit angesehen. Die Gründung der ersten genossenschaftlichen Spar- und Darlehens-

38 Schulze-Delitzsch, Hermann: Vorschuß- und Kredit-Vereine als Volksbanken. Praktische Anweisung zu deren Errichtung und Gründung, 8. Aufl Berlin 1915. 39 RGBl Nr 70 9.4.1873. 40 Zitiert nach: BruckmüUer, Ernst (Hg): Raiffeisen in Österreich: Siegeszug einer Idee, St. Polten 1998 S 46.

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kassen in Österreich erfolgte 1887/88 in Neustift/Scheibbsbach und in Mühldorf in Niederösterreich.'^l Das konkrete soziale Wirkungsfeld dieser Institutionen kann in den Protokollen der einzelnen Genossenschaften nachgelesen werden. So beispielsweise im Falle einer Auswertung der Protokollbücher der Spar- und Darlehenskasse Mariapfarr im Salzburgischen Lungau: ,J)er Verwendungszweck der Darlehen wird in den meisten Fällen mit Schuldabstattung und Viehankauf angegeben, HofÜbernahme, Erbteilsauszahlung, Futtereinkauf, Arzt- ,Krankenhausund Begräbniskosten, Hausreparatur, Auszahlung der Dienstboten, Grund- und Hauskauf, Materialeinkauf bei Gewerbetreibenden ... scheinen in den Anfangsjahren als weitere Gründe für Darlehensgewährungen auf Die Laufzeit der Darlehen war kurz, sie betrug maximal 4 Jahre. Die Besicherung erfolgte durch Bürgschaften; hypothekarische Sicherstellungen waren eher selten und auf größere Kreditfalle mit schwacher Bonität beschränkt.''^^ Inwieweit es den seit ihrer jeweiligen Gründungszeit und ersten Entwicklungsphase enorm gewachsenen und ausdifferenzierten Sparkassen- und Genossenschaftssektoren nun gelingen kann, im Zuge der Bemühungen zur Definition eines jeweils spezifischen Zuschnitts einer Corporate Social Responsibility auf diese frühen Wurzeln und Traditionen zur rekurrieren, hängt wohl auch sehr stark von einer, auf aktuelle Frage- und Problemstellungen bezogenen adäquaten historischen Analyse dieser Wurzeln und Traditionen ab, an der es weiterzuarbeiten gilt.

41 Sandgruber, Roman: Die Landwirtschaft in der Wirtschaft. Menschen, Maschinen, Märkte, in: Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. Politik-GesellschaftWirtschaft, hg von Franz Ledermüller, Wien 2002 S 191-408, besonders S 368 ff 42 Raiffeisenkasse Mariapfarr 1898-1998, Wegbegleiter durch ein Jahrhundert S 28 f

Walter

Scherrer

Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen in Österreich seit den 1960er Jahren^ I. Überblick Im vorliegenden Beitrag wird mit der Entwicklung der Zahl der Bankstellen ein Aspekt des österreichischen Kreditwesens beleuchtet, in dem sich wesentliche strukturelle Änderungen der Branche spiegeln. Die Zahl selbständiger Kreditinstitute („Hauptanstalten") geht in Österreich seit Jahrzehnten zurück: Gab es 1962 noch 2.167 Hauptanstalten, so waren es zur Jahresmitte 2004 nur noch 894. Dieser Rückgang verlief in den 1960er Jahren langsam, beschleunigte sich in den 1970er Jahren und in der ersten Hälfte der 1980er Jahre und dann nochmals in den 1990er Jahren. Abbildung 1: Bankstellen und Hauptanstalten in Österreich, 1962-2004 6000

5253

5000 4000 2882 3000 4 2000

- Bankstellen - davon Hauptanstalten

2167

1000

894 0 1962 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2004

Die Gesamtzahl der Bankstellen tute (Hauptanstalten und Filialen, im gleichen Zeitraum von 2.882 Bankstellennetzes in den 1960er

der österreichischen Kreditinstiohne Postämter) stieg hingegen auf 5.253 an. Der Ausbau des Jahren erfolgte ausgehend von

Vorarbeiten für den vorliegenden Beitrag wurden im Rahmen des Projektes „150 Jahre Salzburger Sparkasse" geleistet. Der Autor daiJct in diesem Zusammenhang der Salzburger Sparkasse sowie für ihre Mitarbeit Volker Rothschädl und Christian Scherrer B.A.

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Walter Scherrer

einer niedrigen Bankstellenzahl mit Zuwächsen von 4,5 % (19621965) bzw 8,3 % (1965-1970) zunächst vergleichsweise langsam. In den 1970er Jahren beschleunigte sich der Ausbau des Bankstellennetzes merklich; alleine zwischen 1975 und 1980 stieg die Zahl der Bankstellen um ein Drittel an, wobei der Anstieg bei den Aktienbanken mit 86 % und der Sparkassen mit 64 % besonders kräftig ausfiel (vgl Abbildung 2). Das Expansionstempo ging danach zwar etwas zurück, doch auch in den 1980er Jahren stieg die Zahl der Bankstellen in Österreich nochmals um mehr als 700 an. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ist die Zahl der Bankstellen hingegen rückläufig. Aufgrund von Sektorwechseln von großen Kreditinstituten sind in den letzten eineinhalb Jahrzehnten Vergleiche auf der Sektorebene nur mehr eingeschränkt aussagekräftig, weshalb die Veränderungsraten der Zahl von Sparkassen und Aktienbanken ab 1990/95 in Abbildung 2 nicht mehr ausgewiesen werden. Abbildung 2: Bankstellen In Österreich Veränderungsraten 90% n 80%



70% -

Aktienbanken

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Hinter der gesamtösterreichischen Entwicklung verbergen sich zum Teil erheblich unterschiedliche Entwicklungen auf der Bundesländerebene (vgl Abbildung 3). Allein in Niederösterreich bestanden in den Jahren 1962 und 1965 an die 680 selbständige Kreditinstitute, darunter zahlreiche Klein- und Kleinstinstitute insbesondere im Sektor der ländlichen Kreditgenossenschaften, in Oberösterreich gab es ungefähr 370 und in der Steiermark rund 330

Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen in Österreich

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Kreditinstitute. Zum Vergleich sei daran erinnert, dass nunmehr in ganz Österreich knapp 900 selbständige Kreditinstitute bestehen. Der weitaus größte Teil des Rückgangs der Zahl der selbstständigen Kreditinstitute in den 1960er und 1970er Jahren entfiel denn auch auf diese drei Bundesländer. In den meisten anderen Bundesländern ging die Zahl der Kreditinstitute ebenfalls zurück, wenngleich in wesentlich geringerem Umfang. Anders als in den übrigen Bundesländern verlief die Entwicklung der Zahl der selbständigen Kreditinstitute in Wien und in Salzburg: In Wien stieg die Zahl der Hauptanstalten, im Land Salzburg blieb sie über die Jahrzehnte hinweg praktisch unverändert. Während die Entwicklung in Wien auf die Bedeutung als zentraler Bankplatz der österreichischen Volkswirtschaft zurückgeführt werden kann, fällt in Salzburg - neben einer im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ großen Zahl von Spezialbanken auf, dass sich entgegen der Entwicklung in den anderen Bundesländern außerhalb Wiens die Zahl der selbständigen Institute im Raiffeisensektor über den gesamten Zeitraum hinweg kaum verändert hat. Abbildung 3: Hauptanstalten nach Bundesländern

1962 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2004

Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen verlief in den österreichischen Bundesländern einigermaßen einheitlich und folgte weitgehend dem gesamtösterreichischen Entwicklungsmuster. Nach einem vergleichsweise langsamen Anstieg in den 1960er Jahren folgte eine deutliche Beschleunigung des Ausbaus des Bankstel-

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lennetzes in den 1970er Jahren. Danach verflachte das Wachstum des Bankstellennetzes bis es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre stagnierte; seit der Mitte der 1990er Jahre wird das Bankstellennetz in allen Bundesländern kleiner. Ein allen Bundesländern gemeinsamer Entwicklungstrend - allerdings auf unterschiedlichen Niveaus - ist auch bei der Bankstellendichte zu beobachten (vgl Abbildung 4). Im Jahr 1961 lag die Bankstellendichte gemessen an der Zahl der Einwohner, die statistisch auf eine Bankstelle entfallen, zwischen 1.711 in Niederösterreich und 2.796 in der Steiermark. Wien stellt als dicht besiedelte Großstadt einen Sonderfall dar und fand mit einer Bankstelle auf 5.962 Einwohner das Auslangen. Bis 1971 stieg die Bankstellendichte in Wien und in geringerem Maße in der Steiermark deutlich, in den anderen Bundesländern kaum. Erst zwischen Abbildung 4: Einwohner je Bankstelle nach Bundesländern 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 1961

1971

1981

1991

2001

1971 und 1981 kam es in allen Bundesländern zu einem drastischen Anstieg der Bankstellendichte: Sie lag nun zwischen 1.022 im Burgenland und 1.760 in der Steiermark. Auch in Wien war die Bankstellendicht nochmals deutlich gestiegen und lag bereits mit rund 2.500 Einwohnern je Bankstelle nicht mehr allzu weit von jener der „Flächenbundesländer" entfernt. In der Steiermark und in Wien - den Bundesländern mit dem am wenigsten dichten Netz nahm die Bankstellendichte auch in den 1980er Jahren noch weiter zu, in den anderen Bundesländern stagnierte sie. Erst zwischen

Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen in Österreich

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1991 und 2001 ging die Bankstellendichte in allen österreichischen Bundesländern wieder etwas zurück. Bei den weiteren Analysen orientiert sich die Arbeit am dargestellten Verlaufsmuster der Entwicklung von Bankstellen und Hauptanstalten der österreichischen Kreditwirtschaft. Dabei wird gezeigt werden, dass dieses Verlaufsmuster einschneidende wirtschaftspolitische Schritte spiegelt, die die österreichische Volkswirtschaft insgesamt bzw speziell die Kreditwirtschaft betrafen, nämlich grundlegende Änderungen des rechtlichen Rahmens für den österreichischen Kreditapparat sowie die internationale wirtschaftliche Integration der österreichischen Volkswirtschaft und des österreichischen Kreditapparats. So waren die 1970er Jahre aus der Sicht der Kreditinstitute insbesondere durch die Re-Regulierung durch das Kreditwesengesetz 1979 gekennzeichnet, das in mancherlei Hinsicht den rechtlichen Nachvollzug faktisch bereits stattgefundener Änderungen brachte und insbesondere den Weg für verstärkten Wettbewerb im Kreditwesen ebnete. Die Novelle des Kreditwesengesetzes im Jahr 1986, die auf die Stärkung der Eigenkapitalbasis und Ertragskraft der Kreditinstitute abzielte, war der bedeutendste regulatorische Eingriff in den 1980er Jahren. Das Bankwesengesetz 1993 bereitete den Weg für die Integration des österreichischen Kreditwesens in den Europäischen Wirtschaftsraum sowie in die Europäische Union und gab dem Strukturwandel des Kreditwesens weitere Impulse. Dazu eröffnete der Systemwechsel in den vormals planwirtschaftlich verfassten Ländern in Mittel- und Osteuropa den österreichischen Kreditinstituten neue Chancen, die auch in erheblichem Umfang genutzt wurden. Um die Jahrtausendwende schließlich ging der österreichische Schilling in den Euro auf, was an die Geld- und Kreditwirtschaft neue Herausforderungen mit sich brachte. II. Neuordnung des Wettbewerbs und Expansion Bankstellennetzes in den 1970er Jahren

des

In der österreichischen Wirtschaft war in den 1970er Jahren der Staat eng mit den Finanzmärkten verflochten. Als Folge des 1. Verstaatlichungsgesetzes aus 1946 befanden sich die beiden größten Banken (zumindest mehrheitlich) in staatlichem Eigentum, ebenso die Österreichische Postsparkasse, über die der Bund seine Finanztransaktionen abwickelte. Die im Eigentum der jeweiligen Bundesländer stehenden Landes-Hypothekenanstalten fungierten in mancherlei Hinsicht gleichsam als „Hausbanken" der Bundesländer. Auf den Kreditmärkten spielten die öffentlichen Hände aber auch auf der Nachfragerseite eine zentrale Rolle. Auf dem

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Anleihemarkt hatte die öffentliche Hand faktisch eine Monopolstellung, wobei die vom Bund emittierten Anleihen überwiegend von den in Staatseigentum befindlichen oder unter Staatseinfluss stehenden Banken auf dem Markt platziert und in deren Portefeuilles gehalten wurden. Schließlich waren der Wettbewerb und die Möglichkeiten der österreichischen Kreditwirtschaft zum Strukturwandel - insbesondere was die Entwicklung der Kreditinstitute in Richtung Universalbanken betrifft - durch staatliche Regulierungen vorgezeichnet. Ganze Sektoren der Kreditwirtschaft waren in der Art der Geschäfte, die sie durchzuführen berechtigt waren, eingeschränkt. So konnten Sparkassen und Kreditgenossenschaften ihr Eigenkapital nicht durch Emission eigener Anleihen stärken, was ihre Wettbewerbsposition schwächte. Die Geschäftstätigkeit der Landeshypothekenbanken wiederum war im Wesentlichen auf die Ausgabe von Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen beschränkt, weshalb in diesem Sektor nur eine geringe Zahl von Geschäftsstellen erforderlich war. Generell waren die Kredituntemehmungen durch Zinsabkommen in ihrer Preisgestaltung eingeschränkt. Um Marktanteilsverlusten vorzubeugen, wurden daher oftmals „graue Zinsen" auf Einlagen geboten, dh Zinsen, die über dem im Habenzinsabkommen vereinbarten Niveau lagen. Dieses Verhalten der Kredituntemehmen hatte auch Auswirkungen auf das Kreditzinsniveau, wie das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung festhielt: „Die Verringerung der Kreditzinsen scheiterte schließlich an den hohen grauen Zinsen, die die Kreditinstitute auch für jederzeit behebbare Einlagen zu zahlen bereit waren." {Handler, Szopo 1979, 102). Bereits in den 1960er Jahren hatte sich aber die Abgrenzung der Märkte zwischen den Sektoren der Kreditwirtschaft aufzuweichen begonnen. Die Spitzeninstitute der drei mehrstufigen Sektoren (Sparkassensektor, ländliche Kreditgenossenschaften/Raiffeisensektor, gewerbliche Kreditgenossenschaften/Volksbankensektor) begannen, in das Industriegeschäft vorzudringen, und im Gegenzug traten Aktienbanken mit dem „Privat-Klein-Kredit" (Diwok 1982) auf einem traditionell von den Sparkassen und Raiffeisenkassen dominierten Marktsegment in Erscheinung. Während diese Tendenz zur Universalbank anfangs darauf abzielte, für die Kunden im traditionellen Marktsegment ein umfassendes Bündel an Dienstleistungen anzubieten, gingen die Kredituntemehmungen in den 1970er Jahren dazu über, gezielt in neue Kundensegmente vorzudringen (Tichy 1980). Grundsätzlich waren aber bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre die Möglichkeiten der Kreditinstitute zur Expansion des Zweigstellennetzes beschränkt, denn für die Errichtung einer

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Zweigstelle musste eine Genehmigung des Finanzministeriums eingeholt werden. Insbesondere in den mehrstufigen Sektoren galt dazu das „Regionalitätsprinzip", das auf einen Gebietsschutz hinaus lief. Ab 1976 lockerte das Finanzministerium seine bis dahin restriktive Genehmigungspraxis, und in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erlebte Österreich eine sprunghafte Zunahme der Zahl der Bankstellen, die sich insbesondere auf die Jahre 1977 bis 1979 konzentrierte und sämtliche Bundesländer erfasste (vgl Abbildung 5). Besonders stark stieg die Zahl der Bankstellen in den westlichen Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie in Wien. 220 200

Abbildung 5: Bankstellen nach Bundesländern, 1970-1985 1970^100

180

1970

1975

1980

1985

Nach Sektoren betrachtet verzeichneten in diesem Zeitraum die Aktienbanken den relativ größten Zuwachs von Zweigstellen, die mit dem Aufbau eines einigermaßen flächendeckenden Filialnetzes über das gesamte Bundesgebiet begannen. Durch neue Technologien in der Datenverarbeitung wurde das Mengengeschäft wesentlich erleichtert und damit auch für die Aktienbanken attraktiver. Die absolut größten Zuwächse von Bankstellen fanden im Sparkassensektor (dazu zählen auch Zweigstellen Wiener Großsparkassen) und im Raiffeisensektor statt - und damit in jenen Sektoren, die zuvor am stärksten gegen die Liberalisierung der Zweigstellengründung aufgetreten waren {Peischer 1980). Im Laufe der 1970er Jahre hatte sich somit der Druck zur legistischen Neuordnung und insbesondere zur Liberalisierung des öster-

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reichischen Geld- und Kreditwesens verstärkt. Diese Neuordnung wurde schließhch mit den drei Kreditwesen-Organisationsgesetzen Kreditwesengesetz (KWG 1979), Sparkassengesetz und Wertpapier-Emissionsgesetz (beide ebenfalls aus 1979) vorgenommen, die eine Verschärfung des Wettbewerbs in der österreichischen Kreditwirtschaft brachten und die Entwicklung zur Universalbank förderten. So konnten etwa Sparkassen nunmehr als Universalkredituntemehmungen auftreten und nahezu alle Bankgeschäfte betreiben; sie erhielten femer die Möglichkeit zur Verschmelzung, was den Strukturwandel im Sparkassensektor beschleunigte. Generell trugen die neuen Gesetze in vielerlei Hinsicht internationalen Entwicklungen Rechnung oder vollzogen faktisch bereits eingetretene Änderungen nach. Abbildung 6: Zunahme der Geschäftsstellen von fünf Wiener Großbanken Quelle: Händler, Mooslechner (1986); eigene Berechnung 150% 125%

-Wien -Bundesländer ohne Wien

100%

-Österreich insgesamt

75% 50% 25%

0% 4 1960/65

1965/70

1970/75

1975/80

1980/85

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hatte sich in der österreichischen Kreditwirtschaft der Wettbewerb deutlich verschärft. In den Bundesländern war diese Zeit sowohl durch die Expansion der bodenständigen Sektoren (insbesondere des Sparkassen- und Raiffeisensektors) als auch durch das Vordringen großer Wiener Banken gekennzeichnet. Dieses Vordringen wird anhand der Darstellung des prozentuellen Anstiegs der Zahl der Geschäftsstellen von fünf Wiener Großbanken (Creditanstalt-Bankverein, Länderbank, Zentralsparkasse der Gemeinde Wien, Bank für Arbeit und Wirtschaft und Erste Österreichische Spar-Casse; Quelle: Handler, Mooslechner 1986) deutlich: Zwischen 1975 und 1980 weiteten

Die Entwicklung der Zahl der Bankstellen in Österreich

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diese Banken ihr Geschäftsstellennetz in Wien um ein Drittel aus, außerhalb Wiens aber um über 140 % (vgl Abbildung 6). Damit lag in Wien das Geschäftsstellenwachstum dieser Banken in dieser Periode ungefähr gleich hoch wie der prozentuelle Zuwachs in den drei davor liegenden Fünfjahres-Perioden, das Geschäftsstellenwachstum in den Bundesländern außerhalb Wiens erfolgte zwischen 1975 und 1980 aber deutlich rascher als in den Perioden zuvor und danach. Die Zahl der Hauptanstalten ging dagegen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre anders als die Zahl der Zweigstellen zurück, und zwar um 172 oder rund 10 Prozent. Der prozentuelle Rückgang lag in den mehrstufigen Sektoren (Sparkassen, Raiffeisenkassen, Volksbanken) ungefähr bei diesem Durchschnittswert, die Zahl der Aktienbanken stieg dagegen um knapp ein Fünftel. Die erste Hälfte der 1980er Jahre brachte einen deutlichen Rückgang der Zahl der Hauptanstalten von mehr als 20 %; vor allem im Raiffeisensektor verstärkte sich der Konsolidierungsprozess, bei den Volksbanken und Sparkassen setzte er sich fort. Die Zahl der Aktienbanken ging zurück, dagegen gab es Mitte der 1980er Jahre mehr Sonderbanken. Die Konzentrationstendenz im Bankensektor in der ersten Hälfte der 1980er Jahre war auch eine Folgewirkung des KWG 1979, das mit dem „Vier-Augen-Prinzip" auf eine professionelle Besetzung der einzelnen Geschäftsleiterstellen abzielte. Dadurch wurde vor allem in den mehrstufigen Sektoren mit ihren oftmals sehr kleinen Geschäftsstellen der Konzentrationsprozess beschleunigt. Das KWG eröffnete für Sparkassen zudem die Möglichkeit der Umwandlung in Aktiengesellschaften, was Fusionen und damit Strukturbereinigungen in diesem Sektor erleichterte, wenngleich bis zum Inkrafttreten des Bankwesengesetzes 1993 die Mehrheit des Aktienkapitals von einer eigenen Sparkassenholding gehalten werden musste. Mit der Verankerung des Bankgeheimnisses im KWG stieg die Attraktivität Österreichs als Anlageland, was Auswirkungen insbesondere auf grenznahe Betriebe der österreichischen Kreditwirtschaft hatte. Ein Habenzinsabkommen sah zunächst eine detaillierte Reglementierung der Einlagenzinsen vor, wurde aber schon am 1. Juli 1980 durch den Bankenverband gekündigt. III. Abflachen der Bankstellenzunahme in den 1980er Jahren Die Kreditinstitute strebten mehr eine Vergrößerung der Marktanteile als der Gewinne an und lieferten sich einen heftigen Konkurrenzkampf um Einlagen. „Eine der Ursachen dieses Kampfes um die Kunden war wohl die relativ geringe Aufmerksamkeit, die viele der Finanzinstitute der Rentabilität entgegenbrachten - die Spar-

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kassen, die genossenschaftlichen Institute und die Hypothekenbanken haben effektiv keine Aktionäre." (OECD 1986, 57). Dazu wurde das Auslandsgeschäft forciert, um das gewohnte Bilanzsummen-Wachstum aufrecht zu erhalten, als die anderen Geschäftsfelder langsamer zu wachsen begannen (Tichy 1980, 62), weimgleich in den 1980er Jahren „die Intemationalisierung ... die schwache Ertragslage nicht verbessert(e)" (WiFo 1990, 146). Schließlich zwang die Hartwährungspolitik seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zwar den exponierten Sektor zu Produktivitätssteigerungen, im vom internationalen Wettbewerb abgeschirmten Sektor - dem in dieser Zeit auch das Kreditwesen zuzurechnen ist - war dagegen der Druck zu Effizienzsteigerungen weniger stark. Rentabilitätsüberlegungen scheinen daher auch bei der rapiden Expansion des Bankstellennetzes in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nicht im Vordergrund gestanden zu sein, und auch in den 1980er Jahren erhöhte sich die Zahl der Bankstellen nochmals um gut 700, wenngleich die Geschwindigkeit der Ausweitung der Zweigstellennetze abnahm. Insgesamt hatte die Expansion der Zweigstellennetze eine enorme Kostenbelastung für die österreichische Kreditwirtschaft zur Folge. Neue Technologien ermöglichten die Bearbeitung der Kommerz- und Privatgirokonten im Echtzeitverfahren zum Unterschied vom bisherigen Stapelverfahren, wodurch eine Neuausrichtung der Schalter- und Ablauforganisation möglich bzw erforderlich wurde. Jeder Kunde konnte nun seinen persönlichen Berater wählen, bei dem er sämtliche Geschäfte erledigen konnte. Für die Kreditinstitute war diese Neukonzeption aber mit erheblichen Investitionsaufwendungen in die Geschäftsausstattung verbunden: Die Kapazitäten der EDV-Systeme mussten erweitert werden, um ein integriertes Kundeninformationssystem aufzubauen, und die trennenden Theken und Glaswände am traditionellen Bankschalter wurden durch Beratungsschalter für die Erledigung aller Aufträge und für persönliche Gespräche ersetzt. Zusätzlich begann am Anfang der 1980er Jahre die Ausstattung der Zweigstellen mit Geldausgabeautomaten, mit Automaten zur Beschleunigung von Bargeldtransaktionen während der Geschäftsstunden, und mit Kontoauszugdruckem. Zusätzlich zu den Investitionen in die Geschäftsausstattung waren aber auch erhebliche Investitionen in die Ausbildung der Mitarbeiter erforderlich, die mit den neuen Technologien und ihrer Funktion als Kundenberater in einem umfassenden Sinne vertraut gemacht werden mussten. Dies war für die Kreditinstitute mit erheblichen Kosten verbunden, die nicht zuletzt auch aufgrund der Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung für eine steigende Zahl von Mitarbeitern zu tragen waren. Neben der Ausweitung der Zahl der

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Geschäftsstellen fielen somit die zunehmend teurere technische Ausstattung der einzelnen Geschäftsstellen sowie die steigenden Personalkosten im Zusammenhang mit dem Betrieb dieser Geschäftsstellen als Kostenfaktoren ins Gewicht und drückten die Gewinne der österreichischen Kreditinstitute. Mangelndes Ertrags- und Rentabilitätsdenken sowie - damit zusammen hängend - die schwache Eigenkapitalausstattung waren aber kein neues Phänomen im österreichischen Geld- und Kreditwesen, sondern bereits über Jahrzehnte hindurch ein Dauerthema. So hatte 1953 das Eigenkapital der österreichischen Kreditwirtschaft 2,4 % der Bilanzsumme ausgemacht. Dies war Anlass für ein eigenes Gesetz zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung, die sich daraufhin tatsächlich auf 5,2 % im Jahr 1960 verbesserte; Anfang der 1980er Jahre war man aber wieder bei deutlich weniger als drei Prozent angelangt {Tichy 1980). Bereits das KWG 1979 sah die Möglichkeit zur Aufnahme von nachrangigem Kapital zur Stärkung der Eigenmittelbasis der Banken vor, und auch Neuerungen der KWG-Novelle 1986 sollten die Kreditinstitute in ihrer Eigenkapitalkraft stärken. Insgesamt sollte damit eine Umorientierung vom Bilanzsummendenken zur Stärkung der Rentabilität und der Eigenkapitalbasis erreicht werden, wobei allerdings von Anfang an klar war, dass man dem Ziel, die Eigenmittelausstattung auf ein international akzeptables Niveau zu bringen, nur sehr langsam näher kommen würde. Die Eigenkapitalausstattung der österreichischen Kredituntemehmungen blieb denn auch im internationalen Vergleich schlecht (OECD 1986). Am Beginn der 1990er Jahre verfügte Österreich im internationalen Vergleich über eines der dichtesten Bankstellennetze. Mit weitem Abstand wichtigster Bankplatz war (und ist) die Bundeshauptstadt Wien, in der 38 von 55 österreichischen Aktienbanken und 66 von 84 österreichischen Sonderbanken ihren Sitz hatten. Auch die überregionale Reichweite der in Wien ansässigen Kreditinstitute war unvergleichlich größer als die Reichweite der in den Bundesländern bzw Landeshauptstädten ansässigen Kreditinstitute (vgl Mooslechner 1993a,b): Knapp die Hälfte der Zweigstellen der in Wien ansässigen Kreditinstitute befand sich in den übrigen Bundesländern. Umgekehrt richteten die in den Landeshauptstädten ansässigen Kreditinstitute ihre Geschäftstätigkeit überwiegend auf das jeweilige Bundesland aus. Die größte überregionale Ausstrahlung ging von in Linz ansässigen Kreditinstituten aus, die immerhin 29 ihrer 210 Zweigstellen außerhalb Oberösterreichs betrieben; ein Großteil davon entfiel auf die Bank für Oberösterreich und Salzburg. Die in Graz, Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg ansässigen Kreditinstitute hatten im Durchschnitt jeweils weniger als 8 % ihrer Zweigstellen außerhalb ihres jeweiligen Bundeslandes.

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Die größte Dichte von Sonderbanken und Aktienbanken wies (und weist) Salzburg auf, wo auch eine Bausparkasse (die einzige außerhalb Wiens) ihren Sitz hat. Nach Wien verfügt(e) damit Salzburg über den „entwickeltsten Spezialbankenanteil in Österreich" (Moos lechner 1993b). In sechs Landeshauptstädten ansässige Kreditinstitute im Jahr 1990 Klagenfurt

Linz

Salzburg

Innsbruck

17 5 5 1

11 2 1 0

15 2 3 0

142 38 66 3

Graz

Wien

übriges Österreich

Hauptanstalten Gesamt Aktienbanken Sonderbanken Bausparkassen

11 1 3 0

14 2 3 0

1000 5 3 0

Zweigstellen ans ässiger Kredit nstituti3 Gesamt im eigenen Bundesland am Sitz der Hauptanstalt im übrigen Bundesland außerhalb des Bundeslandes außerhalb des Bundeslandes %

110

210

160

151

120

1176

103

181

149

136

119

598

32

84

59

49

77

598

71

97

90

90

42

7

29

11

12

1

6,4% 13,8%

6,9%

7,9%

578

0,8% 49,1%

Quelle: Mooslechner (1993a) Der Wettbewerb in den Bundesländern wurde einerseits von den im jeweiligen Bundesland ansässigen Kreditinstituten und andererseits von großen Wiener Kreditinstituten geprägt, die in die Bundesländer expandiert hatten. So erhob beispielsweise Mooslechner (1993b) für die Stadt Salzburg, dass im Jahr 1992 von den 98 Zweigstellen im Stadtgebiet 56 von Kreditinstituten mit Hauptsitz in Salzburg waren, aber fast ein Drittel der Zweigstellen Filialen von Wiener Großbanken waren; etwa ein weiteres Zehntel waren

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Filialen von Kreditinstituten aus Oberösterreich. Die Ausweitung der Zweigstellenzahl in der Stadt Salzburg zwischen 1980 und 1992 entfiel je zur Hälfte auf Salzburger Kreditinstitute und auf Zweigstellen von Kreditinstituten mit Sitz außerhalb Salzburgs. Unterschiede zwischen Wien und den Bundesländern bestanden auch bei der Auslands Verflechtung der in der jeweiligen Region ansässigen Kreditinstitute {Mooslechner 1993a). Von den in einer Landeshauptstadt ansässigen Kreditinstituten hatte 1990 kein einziges eine Auslandsfiliale, und mit Ausnahme von Innsbruck, wo aufgrund der traditionellen Beziehungen zu Südtirol und damit zu Italien eine besondere Situation besteht, verfügten nur wenige in einer Landeshauptstadt ansässige Kreditinstitute über Auslandsrepräsentanzen oder Beteiligungen an ausländischen Kreditinstituten. Außerhalb Wiens war eine direkte Präsenz von ausländischen Kreditinstituten in Salzburg gegeben (6 von 17 Kreditinstituten standen zu mindestens 50 % in ausländischem Eigentum), und in geringerem Umfang auch in Linz und in Innsbruck (jeweils 2 Kreditinstitute mit mindestens 50 % in ausländischem Eigentum). Zudem hatten 27 ausländische Kreditinstitute Repräsentanzen in Österreich, keine einzige Repräsentanz befand sich aber außerhalb Wiens. Die Auslandsanteile an der Bilanzsumme lagen schließlich sowohl aktivseitig als auch passivseitig bei den in den Landeshauptstädten ansässigen Kreditinstituten deutlich unter den Vergleichswerten der Wiener Kreditinstitute. IV. Stabilisierung und Rflckbau des Bankstellennetzes seit den 1990er Jahren Seit der Mitte der 1990er Jahre ist die Entwicklung der österreichischen Kreditwirtschaft vor allem durch Intemationalisierung, Technisierung, geändertes Kundenverhalten und verschärften Wettbewerb geprägt. Diese Einflussfaktoren und die Interdependenzen zwischen ihnen stellten große Herausforderungen an die Kreditinstitute. Rationalisierung und Bündelung von Kräften standen an erster Stelle bei der Überwindung der Strukturprobleme, was die Tendenz zur Konzentration im österreichischen Kreditwesen verstärkte. Die Kreditwirtschaft hatte zunächst in den 1990er Jahren wichtige Schritte der internationalen Integration der österreichischen Wirtschaft zu verkraften. Am 1. Jänner 1994 wurde Österreich Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), wodurch insbesondere die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Kreditinstitute in den EWR-Ländem verwirklicht wurde und gleiche Marktbedingungen wie in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union noch vor Österreichs Beitritt zur EU mit 1. Jänner 1995 her-

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gestellt wurden. Österreich wurde zudem 1995 Teil des Europäischen Währungssystems (EWS), und der Schilling gehörte - bis zu seiner Ablöse durch den Euro - dem gegenseitigen Wechselkursmechanismus im Rahmen des EWS an. Bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre entstand somit in Folge der Vorbereitung auf die dann folgenden Schritte der internationalen Wirtschaftsintegration ein Druck auf die österreichische Kreditwirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Eigenmittelausstattung zu steigern. Wie schon 1986 hielt die OECD auch in ihrem Länderbericht über Österreich im Jahr 1995 fest, dass die Ertragskraft der österreichischen Kreditinstitute im internationalen Vergleich niedrig sei und stagniere (OECD 1995). Das Bankwesengesetz (BWG 1993) trug nun zum einen den Erfordernissen der internationalen Integration Rechnung und zielte zum anderen auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kreditinstitute. Die österreichische Kreditwirtschaft konnte in der Folge tatsächlich die Eigenmittelausstattung zwischen 1995 und 2000 von 5,9 % auf 6,7 % der Bilanzsumme verbessern; bis 2003 stieg der Eigenmittelanteil weiter auf 7,3 % an. Durch das BWG 1993 und andere Teile des Finanzmarktanpassungsgesetzes wurden, was die Konzession und die Marktabsprachen anlangt, Bankdienstleistungen und banknahe Produkte dereguliert: „Deregulation of the banking sector is thus largely completed" (OECD 1995, 91). „Kein (Haben-) Zinsabkommen, kein Wettbewerbsabkommen, insbesondere mit der Ächtung von Einlagezinsangaben in der Werbung und in der Beschränkung von Preis-Wettbewerben, keine kartellrechtliche Ausnahme für Abkommen, die kundenrelevantes Verhalten, etwa im inländischen Zahlungsverkehr abstimmen, verpflichtende Transparenz bei Bankgeschäften mit Konsumenten und ein schuldnerfreundliches Insolvenzrecht sind wichtige Beispiele dieser Deregulierung" {Raab 1994, 2). Das BWG behielt zwar die Sektorbindung der Kreditinstitute bei und ließ die ursprünglich geplante „Sektoröffnung" fallen, dennoch wurden die Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren der Kreditwirtschaft immer kleiner. Die Wettbewerbssituation im österreichischen Kreditwesen war Mitte der 1990er Jahre durch einen oligopolistischen Wettbewerb gekennzeichnet: Die acht größten Banken verfügten zusammen über einen kumulierten Marktanteil von rund 50 %, womit im Vergleich zu anderen Ländern die Marktkonzentration relativ niedrig war (OECD 1995). Die österreichischen Kreditinstitute - selbst die größten - waren auch nach einigen Zusammenschlüssen, die insbesondere im Hinblick auf den erwarteten verschärften internationalen Wettbewerb vorgenommen worden waren, im internationalen Vergleich klein. Die Mitbewerber aus der Europäischen Union

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verhielten sich zunächst aber sehr zurückhaltend, denn Österreich hatte bereits die höchste Bankstellendichte (Bankstellen je Einwohner) aller OECD-Staaten (OECD 1995). Man fand es „auf Grund der Überbesetzung des österreichischen Marktes offensichtlich nicht für notwendig, mit einem zusätzlichen Angebot ins Land zu kommen." (Stanzel 1995, 181). Immerhin wiesen aber 1996 bereits 45 österreichische Banken eine Auslandsbeteiligung zwischen 25 % und 50 % auf, weitere 30 Banken befanden sich in ausländischem Mehrheitseigentum. Einschließlich der Repräsentanzen und Anmeldungen im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit traten Mitte der 1990er Jahre rund 125 ausländische Anbieter auf dem österreichischen Markt auf. Der Anteil ausländischen Eigentums am Nominalkapital stieg im österreichischen Kreditwesen zwischen 1985 und 1995 von 7 % auf 10,6 % (Mooslechner 1996). Die Intemationalisierung der österreichischen Kreditwirtschaft wurde in besonderem Maße durch die Expansion in die Nachbarländer nach dem Fall der kommunistischen Systeme und der Zentralverwaltungswirtschaften nach 1989 vorangetrieben. Dieser Prozess wurde von großen Wiener Kreditinstituten getragen sowie von einigen regionalen Kreditinstituten, die ihre Geschäftstätigkeit vor allem auf angrenzende Regionen ausweiteten. Mitte 2004 hatten österreichische Kreditinstitute bereits 71 vollkonsolidierte und bei der Oesterreichischen Nationalbank meldepflichtige Auslandstöchter, wobei die meisten Tochterunternehmen auf Ungarn (8), Kroatien und die Tschechische Republik (jeweils 6) entfielen (Dobringer 2004). Diese Tochterunternehmen trugen wesentlich zu den Betriebsergebnissen der österreichischen Kreditinstitute bei; so lag zuletzt das Verhältnis zwischen Kosten und Erlösen („Cost-Income-Ratio") bei Kreditinstituten mit umfangreichen Aktivitäten in den mittel- und osteuropäischen Ländern im Durchschnitt um 5 bis 6 Prozentpunkte günstiger als bei Instituten, die sich weitgehend auf den österreichischen Markt beschränkten (Schandl-Greyer 2004). Der Mitarbeiterstand bei Auslandstöchtem österreichischer Kreditinstitute wächst beständig und liegt mittlerweile bei rund 60 % der Zahl der im Inland Beschäftigten {Dobringer 2004). In der Kreditwirtschaft war der Wettbewerb durch Entwicklungen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite schärfer geworden. Auf der Angebotsseite verstärkte sich der Kosten- und Wettbewerbsdruck, denn der österreichische Markt war nunmehr nicht nur für ausländische Kreditinstitute offen, sondern auch für neue in- und ausländische Anbieter von Finanzdienstleistungen. Neue Technologien zur Verbesserung des Kundenservice und zur Senkung der operativen Kosten zwangen die Kreditinstitute laufend zu Investitionen, die aufgrund der dichten Zweigstellennetze mit gro-

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ßen Belastungen verbunden waren. Finanzdienstleistungsuntemehmen, die keine Zweigstellen betreiben und daher auch keine damit verbundenen Fixkostenbelastung zu tragen haben, konnten so auf den traditionellen Märkten der Kreditinstitute mit gleichartigen Produkten Fuß fassen und schmälerten damit die Provisionserträge in traditionellen Geschäftsfeldem der Kreditinstitute. Auf der Nachfrageseite bekamen es die Kreditinstitute mit anspruchsvolleren und selbstbewussten Kunden zu tun, deren Verhalten sich grundlegend verändert hatte. Hausstammkunden waren zu preisbewussten „Shoppem" geworden, weil aufgrund von Deregulierungen und des Einsatzes neuer Informations- und Kommunikationstechnologien die Markttransparenz gestiegen war. Immer mehr Privatkunden verfügten bereits über mehrere Bankverbindungen und viele Unternehmen hatten Finanzabteilungen geschaffen; die Kreditinstitute mussten in einen verstärkten Wettbewerb bei Konditionen und Service eintreten (Tichy 1991). Gleichzeitig waren für die Kunden neue Vertriebsformen interessant geworden, die weder räumlich an eine Bankstelle noch zeitlich an Öffnungszeiten gebunden waren. Dieses Angebot wurde aber von den Kunden nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den bestehenden Kommunikationskanälen mit ihrem Kreditinstitut wahrgenommen und bald als Selbstverständlichkeit angesehen. Im Ergebnis bewirkten diese Tendenzen seit den 1990er Jahren wieder eine Beschleunigung des Strukturwandels im österreichischen Kreditwesen, was sich sowohl auf die Zahl der selbständigen Kreditinstitute als auch auf die Zahl der Bankstellen auswirkte. War in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Zahl der Hauptanstalten nur um 31 oder 2,5 % zurückgegangen, so betrug der Rückgang in der ersten Hälfte der 1990er Jahre fast 14 % und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nochmals über 11 %. Insgesamt sank damit die Zahl der Hauptanstalten von Kreditinstituten von 1210 im Jahr 1990 auf 923 im Jahr 2000. Ein großer Teil des Rückgangs in absoluten Zahlen entfiel auf den Raiffeisensektor, der prozentuelle Rückgang der Zahl der selbständigen Institute zwischen 1985 und 2000 war bei den Sparkassen mit über 46 % am größten; etwas geringer fiel die prozentuelle Abnahme bei den Volksbanken aus, deutlich geringer bei den Raiffeisenkassen. Im Gegensatz zu den mehrstufigen Sektoren stieg die Zahl der selbstständigen Institute bei den Aktienbanken in diesem Zeitraum an. Zwischen 2000 und Mitte 2004 ging die Zahl der selbständigen Kreditinstitute in Österreich um weitere 3,1 % zurück und liegt nunmehr bei knapp 900. Die Zahl der Bankstellen nahm zwischen 1985 und 1995 nur mehr geringfügig zu und erreichte zur Mitte der 1990er Jahre ihren Höchststand. Am Ende der 1990er Jahre lag die Zahl der Bankstel-

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len ungefähr beim Wert zur Mitte der 1980er Jahre; insbesondere der markante Rückgang von über 100 Filialen von Raiffeisenbanken fiel ins Gewicht. Die Zahl der Bankstellen ging seit dem Jahr 2000 von 5.479 auf 5.253 zur Jahresmitte 2004 zurück. Auf eine Bankstelle entfallen damit in Österreich 1.536 Einwohner, was deutlich unter den Vergleichswerten für die Schweiz (1.992 Einwohner je Bankstelle) und für Deutschland (2.033 Einwohner je Bankstelle) liegt (Dobringer 2004). Österreich ist daher im internationalen Vergleich nach wie vor „overbanked", und ein weiteres Sinken der Zahl der Bankstellen in den nächsten Jahren käme daher nicht überraschend.

Statistische Materialien Oesterreichische Nationalbank: Mitteilungen der Oesterreichischen Nationalbank bzw Statistische Monatshefte. Verschiedene Jahrgänge. Österreichisches Statistisches Zentralamt (1986): Geld- und Kreditwesen, Privatversicherungen 1983. Beiträge zur österreichi^, sehen Statistik, Heft 796, Wien. Österreichisches Statistisches Zentralamt (1991): Geld- und Kreditwesen, Privatversicherung 1988. Beiträge zur österreichischen Statistik, Heft 998, Wien. Statistik Austria: Statistisches Handbuch bzw Jahrbuch der Republik Österreich, Wien. Verschiedene Jahrgänge. Literatur Diwok, Fritz (1982): Struktur des Bankwesens in Österreich. Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main. Dobringer, Ralf (2004): Wesentliche Entwicklungen im Bereich der Finanzinstitute. In: Statistiken, 4. Quartal 2004, Oesterreichische Nationalbank; 22-27. Handler, Heinz/Szopo, Peter (1979): Zahlungsbilanz, Geld und Kredit. In: Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung 3/1979, 101-108. Handler, Heinz/Mooslechner, Peter (1986): Hintergründe und ökonomische Aspekte der Novellierung des Kreditwesengesetzes 1986. In: Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung 12/1986, 762-781.

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Johann J, Hagen Der Geldschleier. Ein Beitrag zur Soziologie des Geldes „Die stetig wiederkehrende Redewendung, das Geld müsse ,hart arbeiten', gibt einen Hinweis darauf, in welch falschen Vorstellungen wir befangen sind, was sich jenseits des Geldschleiers real vollzieht. Das Geld als solches arbeitet natürlich nicht; sondern weil es über die Bank gegen Zins weitergegeben wird, arbeiten andere Menschen, und zwar umso härter, je höher der Zins ist, den das Geld verdienen soll. Geld kann auf diese Weise Herrschaftsverhältnisse und Abhängigkeiten begründen."^ 1. Wenngleich der Ausdruck immer wieder benützt wird,^ eine „Soziologie des Geldes" als etablierte und im Forschungsbetrieb institutionalisierte Disziplin gibt es genau genommen nicht, bestenfalls gibt es Ansätze dazu, die allerdings in allgemeinen und prinzipiellen Erwägungen stecken geblieben sind oder sich in Verständigungsversuchen erschöpfen. Trotzdem sind in den letzten Jahren zunehmende Anstrengungen zu konstatieren, im weitesteten Sinn mit Geld zusammenhängende Phänomene einer spezifisch soziologischen Betrachtung zuzuführen und entsprechende Untersuchungsziele auch für empirische Forschungen zu operationalisieren. Der insgesamt jedoch unerfreuliche Zustand lässt verschiedene Erklärungen zu. Oberflächlich betrachtet geht es dabei auch um Fragen der fachlichen Zuordnung und Abgrenzung. Fraglich und ungeklärt ist etwa die Abgrenzung zu Psychologie und Philosophie des Geldes in der Tradition Simmeis, die die Entfaltung einer eigenständigen Geldsoziologie eher behindert als befruchtet hat. Als schwerwiegenderes Problem stellt sich allerdings die Vereinnahmung durch die Ökonomie dar, repräsentiert und dominiert durch Theorietraditionen, die sich allgemein durch eine geringe gesellschaftliche Sensitivität auszeichnen. Deutschmann^ spricht O. Schily: Flora, Fauna und Finanzen. Über die Wechselbeziehung von Natur und Geld, Frankfurt aM 1996. Vgl etwa K. Heinemann: Soziologie des Geldes, in: K. Heinemann (Hg): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, SH 28 KZfSS, Opladen 1987, S 322 ff; N. Dodd: The Sociology of Money. Economics, Reason and Contemporary Society, Cambridge, 1994; A. J. Haesler: Sociologie de l'argent et postmodernite, Geneve 1995; H. P. Müller: Geld und Kultur. Neuere Beiträge zur Philosophie und Soziologie des Geldes, in: Berliner Joumal fiir Soziologie, Bd 10, Nr 3, 2000, S 423-434. Vgl zB Ch. Deutschmann: Kapitalismus, Religion und Unternehmertum: eine unorthodoxe Sicht, in: Ch. Deutschmann (Hg): Die gesell-

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in diesem Zusammenhang von ,,Oppenheimers Fluch" und meint damit die apodiktische Trennung der Sphären Gesellschaft und Wirtschaft, die sich auch als das Haupthindernis für die Entfaltung einer Wirtschaftssoziologie insgesamt erwiesen hat. Andererseits ist es auch nicht möglich, die Aussagen der ökonomischen Fachdisziplinen zum Geld einfach zu übernehmen und sie in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu entwickeln. Letzten Endes machen die wirtschaftswissenschaftlichen Aussagen zum Geld einen unentschlossenen und hilflosen Eindruck. Mit anderen Worten, die Wirtschaftswissenschaften wissen auch nicht, was Geld eigentlich ist.4 Letzten Endes fällt damit Geld zwischen den Stühlen der Wissenschaften durch. Dabei ist die gesellschaftliche Relevanz des Geldes unbestreitbar. Alle ökonomischen Funktionen des Geldes, als Wertausdruck oder Zahlungsmittel, als Zirkulations- oder Wertaufbewahrungsmittel,^ bewegen sich im Rahmen sozialer Handlungszusammenhänge oder sozialer Mechanismen oder können selbst als solche entschlüsselt werden. Dazu kommt die Möglichkeit, Geld zum Zweck sozialökonomischer Regulierung einzusetzen, also zur bewussten Gestaltung sozialer Verhältnisse.^ Auch die von der Ökonomie gelieferten Begriffsbestimmungen des Geldes sind weitgehend unbrauchbar, weil einmal zu weit und einmal zu eng. Vorherrschend sind funktionale Definitionen (Wertmaß, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel), die aber meistens nicht konsistent sind.^ Letztlich ist es wohl so wie Reddy sagt: „money ... means utterly different things to different people".^ Aber damit sind die scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten einer eigenständigen soziologischen Betrachtung des Geldes nur unzulänglich umschrieben. In Wirklichkeit geht es um Eigenschaften dieses Forschungsgegenstandes selbst, die einer soziologischen Explorierung und Analyse Probleme bereiten. Einerseits

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5 6 7 8

schaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002, S 85 ff (S 91). Vgl dazu 8 H. Riese: Geld - das letzte Rätsel der Nationalökonomie, in: W. Schelkle/W. Nitsch (Hg): Rätsel Geld, Marburg 1998; ähnlich G. Heinsohn/O. Steiger: Eigentum, Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaften, Reinbek 1996. Zu den Funktionen des Geldes vgl V. A. Zelizer: The Social Meaning of Money, Princeton NJ 1997, S i l . S H. Schui: Geld, in: H. J. Sandkühler (Hg): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hamburg 1990, S 255 ff Vgl Ch. Deutschtnann, aaO, S 88, vgl dazu auch H. Riese, aaO, der Geld als „ultimatives Medium der Erfüllung von Kontrakten" definiert. W. M. Reddy: Money and Liberty in modern Europe. A critique of historical understanding, Cambridge 1987, S 32.

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prägt und durchwirkt Geld unübersehbar moderne Lebenswelten, andererseits besitzt es einen oft als illusionär oder schleierhaft umschriebenen Charakter, der seiner imaginären Natur wegen nur schwer fassbar ist (engl „elusive"). Dabei handelt es sich um ein Phantasie und Begehren in gleicher Weise aktivierendes Faszinosum, das häufig in einem religiösen Kontext gesehen und erlebt wird, laut Hörisch als „ontosemiologisches, letzte Wahrheiten kommunizierendes System".^ Dazu treten die feststehenden Verbindungen mit Lebenshoffnungen und Lebensängsten, also Assoziationen mit Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits, die häufig in neuen, von Marketing und Werbung geformten Mythen gipfeln. ^^ 2. Es scheint danach, dass Geld eine Art von Mysterium ist,^^ das zwar in realen Wirkungszusammenhängen steht, aber diese gleichzeitig verzerrt und verschleiert und sich darum herkömmlichen empirischen Forschungsmethoden entzieht. Ist damit der so genannte Geldschleier tatsächlich das Specificum des Geldes? Die Rede vom Geldschleier zieht sich wie ein roter Faden durch die Gelddiskussion und ist aufs Engste mit der Neutralitätsthese verbunden. In klassischer Weise wird dieser Zusammenhang von Schumpeter als Bekenntnis zur „Realanalyse" formuliert: „Die Realanalyse geht von dem Grundsatz aus, dass alle wesentlichen Phänomene des Wirtschaftslebens in Form von Gütern und Dienstleistungen und in Entscheidungen über sie bzw in Beziehungen zwischen ihnen ausgedrückt werden können. Das Geld tritt lediglich in der bescheidenen Rolle einer technischen Erfindung auf, die zur Erleichterung von Transaktionen übernommen wurde. Diese Erfindung kann zweifellos einmal versagen, falls dies eintritt, treten Phänomene auf, die besonders auf den modus operandi dieser Erfindung zurückzuführen sind. Solange sie aber normal funktioniert, beeinflusst sie den Wirtschaftsablauf nicht, der sich ebenso vollzieht wie in einer Naturaltauschwirtschaft: Das ist im wesentlichen der Inhalt des Begriffes des neutralen Geldes, So wurde das Geld also als „Mantel" oder „Schleier" der Dinge bezeichnet, die für die Haushalte oder die Unternehmungen in ihrer täglichen Praxis oder für den beobachtenden Analytiker von wirklicher Be9 J. Hörisch, Jochen, 1996: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes, Frankfurt aM 1996; vgl auch J. Hörisch: Gott, Geld und Medien. Studien zur Medialität der Welt, Frankfurt aM 2004. 10 Man vgl dazu die Roper Starch Wertsurveys; R. SuUivan: Americans and Their Money, Worth 60/1994. 11 B. A. Lietaer: Mysterium Geld. Emotionale Bedeutung und Wirkungsweise eines Tabus. München 2000; B. Senf: Der Nebel um das Geld. Zinsproblematik - Währungssysteme - Wirtschaftskrisen. Lütjenburg 1996. 6. Auf! 2001.

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deutung sind. Und in der Tat kann das Geld bei der Analyse fundamentaler Eigenschaften des Wirtschaftsprozesses nicht nur weggelassen werden, sondern es muß sogar weggelassen werden, ebenso wie ein Schleier weggezogen werden muß, wenn wir das Gesicht dahinter sehen wollen. Demzufolge müssen die Geldpreise hinter den Austauschrelationen zwischen den Waren zurücktreten, die den eigentlich bedeutsamen Tatbestand „hinter" den Preisen ausmachen; die Einkommensbildung muß als Austausch von, sagen wir, Arbeit gegen physische Subsistenzmittel betrachtet werden; Sparen und Investieren müssen verstanden werden als Sparen von realen Produktionsfaktoren und deren Umwandlung in reale Kapitalgüter wie Gebäude, Maschinen und Rohstoffe; und obwohl Anleihen „in der Form von Geld" auftreten, sind es diese physischen Kapitalgüter, die „real" geliehen werden, wenn eine Industrieuntemehmung eine Anleihe aufnimmt."^^ Inhaltlich geht diese These wohl auf Aristoteles}^ zumindest aber auf die Klassiker der Nationalökonomie (Adam Smith, David Ricardo, John St. Mill) zurück.^^ Danach kommt Geld kein Realitätsgehalt zu, sondern es liegt wie ein Schleier über den tatsächlichen Vorgängen - „comme un artefact purement nominel"^^ oder mit den Worten von O. Spann, die „eigentliche Wirtschaft" verbirgt sich hinter diesem monetären Schleier. ^^ In den Varianten der Quantitätstheorie fungiert die angenommene Dichotomie zwischen monetären und realen Bereichen zur Erklärung von Geldeffekten und Transmissionsmechanismen, die die Verbindung zwischen diesen getrennten Sektoren herstellen. Geld dient, so gese12 J. A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd I, Göttingen 1965, Kapitel: Wert und Geld (353-422), S 354 f; man muss allerdings hinzufügen, dass Schumpeter diesen rigorosen Standpunkt wenig später relativiert, wo er schreibt: „Geldpreise, Geldeinkommen und die auf sie einwirkenden Spar- und Investitionsentscheidungen erscheinen nicht mehr als Ausdrücke - manchmal zweckmäßig, manchmal irreführend, immer aber unwesentlich - von Waren- oder Dienstleistungsmengen oder Austauschrelationen zwischen ihnen: Sie erlangen eigenes Leben und eigene Bedeutung, und man muß sich der Tatsache bewusst sein, daß wesentliche Eigenschaften der kapitalistischen Wirtschaft von diesem „Schleier" abhängen können und daß „das Gesicht dahinter" ohne den Schleier unvollständig ist" (356). 13 Vgl G. Ingham: The Nature of Money, Cambridge UK 2004, S 16. 14 Eine ausföhrliche Argumentation findet sich bei A. C. Pigou: The Veil of Money, London 1949. 15 Vgl A. J. Haesler: Sociologie de l'argent et postmodemite, Geneve 1995, S 36. 16 O. Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1923, S 45.

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hen, dank seiner Zahlungs- und Rechenmittelfunktion als ein bloß technisches Quid pro quo, mit dessen Hilfe kommerzielle Transaktionen erleichtert werden. Diese Auffassung von der Neutralität des Geldes liegt auch den neoklassischen Spielarten der Wirtschaftstheorie zugrunde, dort gepaart mit den mehr oder minder irrealen Annahmen einer uneingeschränkten Flexibilität der Preise, Vollbeschäftigung und der Gültigkeit des Saysehen Theorems.^^ In diesem Zusammenhang wurde der Ausdruck „Supemeutralität" des Geldes^^ geprägt, die darin bestehen soll, dass es auch zu keinen Erwartungseffekten kommt, beispielsweise im Fall geldpolitischer Ankündigungen. Aber auch diese Supemeutralität des Geldes gilt nur unter modellplatonischen Annahmen, wie etwa eines gleichen und einheitlichen Informationsstandes der Wirtschaftssubjekte. ^^ Die Vorstellung eines Geldschleiers findet sich auch bei Marx und in der auf Marjc sich berufenden Politischen Ökonomie, wo sie allerdings einen radikal anderen Sinn annimmt: Geldformen sind danach nicht authentischer Ausdruck einer natürlichen Wirtschaft, sondern sie maskieren und verschleiern die dahinter liegende Realität. Hier sind es nicht die wirtschaftlichen Tatsachen, die durch eine monetaristische Betrachtungsweise verschleiert werden, sondern diese wirtschaftlichen Tatsachen sind selbst bereits zu entschlüsseln, dh dahinter verbergen sich bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse. Im Ergebnis haben wir es somit mit mehr als nur einem Schleier zu tun: „As the objectification of human labour, money represents its alienation under capitalist social relations of production; it is these ,social' relations which form the underlying ,reality' which appears as ,economic' relations in a monetized form - that is, fetishized and alienated. For Marx, there is not one, but two veils: behind money lie ,rear economic ,forces', and, in tum, behind these lie the ,rear societal relations that, again, appear as monetary relations";^^ A. J. Haesler^^ unterscheidet zwi17 Die Grundaussage dieses nach Jean Baptiste Say (Traite d'econoinie politique 1803/1830) benannten Theorems besagt, dass jedes Angebot sich seine Nachfrage selbst schafft. Ein erhöhtes Güterangebot generiert daher automatisch eine entsprechend höhere Nachfrage; vgl dazu A. Woll: Allgemeine Volkswirtschaftlehre", 10. Aufl, München 1990, S 527 ff. 18 Vgl R. J. Barro/V. Grilh: Makroökonomie, München 1996, S 206 ff 19 Vgl O. Issing: Einführung in die Geldtheorie, München 2003. 20 Vgl G. Ingham: The Nature of Money, in: European Electronic Newsletter, Vol 5, No 2, January 2004; dazu D. Foley: Money in Economic Activity, in: J. Eatwell et al (Eds): The New Palgrave: Money, London 1987. 21 Sociologie de l'argent, aaO, S 38, FN 5.

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sehen „abstraction echangiste" (Marchandisation) und „abstraction chiffree" (Monetarisation). Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass die monetären Formen zwar die dahinter Hegenden sozialen Beziehungen verhüllen, dass sie aber dennoch in einem bestimmten Sinn Teil der sozialen Wirklichkeit sind. Als spezifische Form von Ware oder besser als Steigerungsform von Ware abstrahiert zwar Geld von gesellschaftlichen Tatsachen, aber nicht in einer beliebigen und irrealen Weise. Ganz im Gegenteil: unter den gegebenen Bedingungen können die Verhältnisse (zB das Lohnverhältnis) gar nicht anders denn in Geldform in Erscheinung treten. So ist der Geldlohn als Preis der Arbeit zwar ein „imaginärer Ausdruck", der die Wertschöpfung der Arbeit nicht wiedergibt, aber einer, der aus den Produktionsverhältnissen selbst entspringt.^2 Sohn-Rethel bezeichnet aus diesem Grund die Geldware treffend als „Realabstrakt".^^ Geld ist für Marx die „unmittelbare Existenzform der abstrakten Arbeit",^^ anders als in Geld lässt sich abstrakte Arbeit nicht ausdrücken. Geld ist also, so gesehen, weit mehr als Rechen- und Zirkulationsmittel, als das es von den Neutralitätstheoretikem dargestellt wird: es ist ein notwendiges Medium der Vergesellschaftung. Geld stellt somit in der Form eines Realabstrakts die Möglichkeit der Vermittlung des Zusammenhangs von getrennt arbeitenden und produzierenden Einheiten, ja der Einheit von Arbeit und Kapital dar. Darüber hinaus erlaubt Geld die „Metamorphose der Ware", also der Umwandlung von Nutzwerten in Tauschwerte, darin eingeschlossen auch die Möglichkeit einer Verselbständigung als eigenständige Wertgestalt, womit dann der Zusammenhalt der gesellschaftlichen Reproduktion zerrissen wird.^^ 3. Betrachtet man Geld in seinen Bewegungsformen, dh als zirkulierendes und fluktuierendes Etwas, das in sozialen Systemen ausgetauscht wird, so liegt es nahe, es als symbolisch generali-

22 MEW23, S559. 23 A. Sohn-Rethel: Das Geld, die bare Münze des Apriori, Berlin 1990, S31,38. 24 MEW13, S42. 25 Für Marx ist damit das Saysche Theorem widerlegt, auf das sich die Behauptung eines im Prinzip krisenfreien Funktionierens der Marktwirtschaft gründet. In Wirklichkeit lässt sich zeigen, dass die Neutralitätsthese nichts andere als die Fiktion einer nichtmonetären Ökonomie darstellt. Vgl dazu MEW 26.2., S 501 ff; vgl zum Ganzen M. Heinrich: Monetäre Werttheorie. Geld und Krise bei Marx, http://www.linksnet.de/artikel.php?id=371.

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sierte Kommunikation aufzufassen.^^ Auch hier kommt eine Form der Imagination und der Schleierhaftigkeit zur Darstellung, in dem Geld auf Symbole reduziert wird, vergleichbar sprachlichen Zeichen.^^ Wenn man von dem grundsätzlich verfügbaren Steuerungsmöglichkeiten des Verhaltens ausgeht, nämlich den vertikalzentralen und den horizontal-dezentralen Formen, so ist Geld dem zweiten Typus zuzuordnen, der sich über Informationsaustausch zwischen prinzipiell gleichen Subjekten abspielt. Man könnte in diesem Sinn Geld zu einem genuin soziologischen Gegenstand erklären, in dem man es im Lichte von gegenseitigen Verhaltenserwartungen und entsprechend orientiertem sozialem Handeln betrachtet.2^ Dabei liegt die Analogie von Geld und Sprache nahe, auf die schon von verschiedenen Seiten hingewiesen wurde.^^ Es sind allerdings einige Unterschiede zu beachten, insbesondere dass das Geld „nicht nur Informationstatbestand, sondern zur Sache gewordenes, normiertes Ausdrucksmittel sozialer Einflusserwartungen ist. Geldgebrauch ist eine Form der Kommunikation, die der Auslösung, Steuerung und Anpassung ökonomischen Verhaltens im Hinblick auf eine Koordination und Integration selbständiger, institutionell, räumlich und zeitlich getrennter, arbeitsteilig differenzierter sozialer Systeme im Rahmen des gesellschaftlichen Subsystems Wirtschaft dient, wobei dieses Subsystem innerhalb der Gesellschaft wiederum nur durch Geld zu lösende Aufgaben der Anpassung an sich ändernde Forderungen der Sachmittelbereitstel26 Vgl H. Ganssmann: Money - a symbolically generalized medium of communication? On the concept of money in recent sociology, Economy and Society 17/1988. 27 Es würde hier zu weit führen, alle Kommunikationsformen des Geldes aufzuführen. Verwiesen sei nur auf die besondere Bedeutung schriftlicher und formularmäßiger Formen, mit t)^ischerweise zahlen- und formelmäßiger Symbolik, die einer gewissen Formalisierung der Kommunikationswege und -inhalte dienen. Auch die Kommunikationswege im Sinne der einfachen oder mehrfachen Übertragbarkeit bzw Nicht-Übertragbarkeit sind in der Regel festgelegt; vgl K. Heinemann: Soziologie des Geldes, in: K. Heinemann (Hg): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, SH 28 KZfSS, Opladen 1987, S 322 ff 28 Vgl dazu K. Heinemann: Grundzüge einer Soziologie des Geldes, Stuttgart 1969, S 4; weiters H. Albert: Soziologie und Entscheidungslogik, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd 114, 1958, S 269 f 29 Vgl A. Müller: Elemente der Staatskunst, I. Halbband, Berlin 1809, wiederabgedruckt in: Herdflamme, hg von O. Spann, Jena 1922, S 353, und T. Mommsen: Das Geld, in: Grenzboten, XXII. Jg 1863, wiederabgedruckt in: T. Mommsen: Reden und Aufsätze, Berlin 1905, S 264 f

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lung ZU erfüllen hat."^^ In diesem Sinne könnte dann Geld als wirtschaftliche Steuerungssprache auftreten, die der Koordination funktionell, institutionell, räumlich und zeitlich getrennter selbstständiger ökonomischer Handlungsfelder dient. Die Steuerungsleistung dieses Kommunikationsmediums besteht insbesondere darin, den Verlust eigener Erfahrungen und Anschauungen sowie gefühlsmäßiger und allgemein persönlicher Bindungen zu kompensieren und so für stabile Verhaltensorientierungen zu sorgen. Durch diese symbolische Generalisierung wird also ein Bereich geschaffen, der weitgehend von seinem subjektiven-personalen Unterbau gelöst ist: „Wenn auch die einzelnen zum Tausch nur bereit sind, weil sie die Tauschgüter unterschiedlich schätzen und begehren, so kann sich dieses Begehren nur mit und an einem Gegenstand ausdrücken, mit dem er den Tausch zu vollziehen beabsichtigt: Der subjektive Vorgang der Bewertung führt zu einem sachlichen, überpersönlichen Verhältnis zwischen Gegenständen. Die zu einem Tausch führenden Wünsche und Schätzungen realisieren sich im Bewusstsein nur noch als Wertverhältnisse, deren Inhalt in den Dingen selbst liegt. Die Qualität der Güter zur Befriedigung von Wünschen und Bedürfnissen reduziert sich auf Quanten des einen Objekts, dessen Wert dem Quantum des anderen Objekts entspricht. Diese Wertrelationen stehen als gleichsam objektiv angemessen jenen persönlichen Motiven gegenüber, von denen sie ausgehen. So zirkulieren in einer ausgebildeten Wirtschaft die Gegenstände nach Normen und Maßen, die festgelegt sind und die dem einzelnen als objektives Reich gegenüberstehen, „er kann an diesem teilhaben oder nicht, wenn er es aber will, so kann er es nur als Träger oder Ausführender dieser ihm jenseitigen Bestimmtheiten."^^ Die symbolische Generalisierung stellt in der Ausdrucksweise Heinemanns^^ einen „Setzungsprozess" dar, in dessen Verlauf „soziale Tatsachen" im Sinne Durkheims^^ geschaffen werden. Dadurch wird ein verobjektiviertes soziales Ordnungsgerüst generiert, das den Individuen als neue Realität gegenübertritt. Es handelt sich also um einen Vorgang, „in dem die Ereignisfülle des Marktgeschehens, die Fülle der Marktvorgänge, Marktbeziehungen, Verkehrsformen, Bewertungen der Objekte, Ziele der Marktpartner usw, sofern sie für die Entscheidungen al-

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K. Heinemann, aaO, S 6. Vgl dazu Simmel: Philosophie des Geldes, S 30 f, Heinemann, S 61. AaO, S 62. Vgl E. Durkheim: Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S 105 f.

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1er relevant sind, zu einer neuen Dimension, zu einem neuen, summarischen Informationsgehalt komprimiert werden."^"* Gegen die Stilisierung von Geld zu einem symbolisch generalisierten Medium der Kommunikation hat Ganssmann mehrere triftige Kritikpunkte eingewendet: zum einen, dass die Analogie von Sprache und Geld die materiell-dingliche Qualität des Geldes vernachlässigt, zum andern, dass der Zusammenhang von Geld und Herrschaft dabei übersehen wird, dass also Geld, wenn schon Kommunikation, dann auf keinen Fall herrschaftsfreie Kommunikation darstellt. Darüber hinaus wird zu Recht die Übergeneralisierung dieser systemtheoretischen Ausdrucksweise kritisiert, die Objekte, Institutionen und Beziehungen in gleicher Weise subsumiert. Geld, Liebe, Macht und noch anderes mehr sind, wenn man will, symbolisch generalisierte Medien der Kommunikation.^^ Am Rande sei dazu angemerkt, dass die Übergeneralisierung systemtheoretischer Begriffsnebel kaum zu bestreiten ist, aber gleichzeitig zutreffend ist, dass Geld mit seiner spezifischen Kommunikation alle Beziehungen durchdringt und damit ein sich ständig generalisierendes Medium darstellt. Im Grunde genommen, ändert allerdings der von Ganssmann vorgeschlagene Paradigmenwechsel nichts Entscheidendes. Auch das „Geldspiel" ist eine Variante der Kommunikation. Auch hier gilt: Geld als sprachanaloges Medium anzusehen hilft nicht weiter, solange die nicht-kommunikativen Aspekte von geldvermittelten Transaktionen nicht geklärt sind. Ganssmann ortet diese Besonderheiten bei den Zugangsbedingungen zum Geldspiel, die offensichtlich, wie ökonomische Beziehungen allgemein, von Knappheitskriterien beherrscht werden. Tatsächlich ist Geld nur im Prinzip oder qualitativ oder seiner Form nach schrankenlos, dh allgemeiner Repräsentant von Reichtum und Vermögen, weil im Wege der Metamorphose in jede beliebige umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur „Kaufmittel von beschränkter Wirkung".^^ Bei genauerer Betrachtung wird somit klar, dass die Probleme des Geldzugangs ohne Zuhilfenahme sozialstruktureller Momente nicht gelöst werden können. Dann wird allerdings aus dem Spiel Ernst: „Dadurch, dass das Geld immer wieder verschwindet, müssen die auf Gelderwerb verwiesenen Akteure ihre Anstrengungen an die zyklischen Reproduktionserfordemisse der Wirtschaft anpassen. Um immer wieder Geld zu erwerben, muss man immer wieder Dienste oder Ressour34 Heinemann, aaO, S 63 ; vgl dazu auch E. Siberski: Untergrund und offene Gesellschaft, Stuttgart 1967, S 130. 35 Vgl H. Ganssmann: Geld und Arbeit, Frankfurt aM 1996. 36 Das Kapital, I, S 147.

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cen als quid pro quo anbieten. Der Gelderwerb wird zu einem allgemeinen, allgegenwärtigen Ziel, weil man es verliert, sobald man es benutzt, weil man es immer wieder braucht. Geld ist die Eintrittskarte zur Teilnahme am Wirtschaftsleben modemer Gesellschaften, das weitestgehend in die Form des Geldspiels gebracht worden ist".^^ Hier vollzieht sich dann auch die Unterscheidung von Geld als Geld und Geld als Kapital, auf die bereits Karl Marx hingewiesen hat. Seine Freiheits- und Lustverheißungen kann Geld nur für jene erfüllen, die es nicht zu ihrer Reproduktion benötigen. Die Teilnahme am Geldspiel vollzieht sich somit unter höchst ungleichen Bedingungen und macht dieses Spiel zu einem ausgesprochen unfairen Spiel: „Die Lohnabhängigen sind ... in einem Arbeit-Geld-Konsum-Zyklus eingebunden, d.h. ihr Zugang zu Geld und damit zu Konsummöglichkeiten erfolgt immer wieder über den befristeten Verkauf ihres Arbeitsvermögens an Unternehmer." Der weitere Verlauf des Spiels lässt sich mit dem Schlagwort Kaleckis^^ beschreiben: Die Unternehmer verdienen das, was sie ausgeben, die Arbeiter geben das aus, was sie verdienen.^^ Hier zeigt sich wiederum die spezifische Natur eines horizontal-dezentralen Steuerungsmittels, das nicht mit direktem Befehl und Zwang arbeitet, sondern mit den subtileren Mitteln der Konditionierung, wodurch der Schein der Herrschaftsfreiheit entsteht - auch dies ein Teil des Geldschleiers. 4. Kapitalistische Gesellschaften entsprechen dem Typus der abstrakten Vergesellschaftung, Damit sind gesellschaftliche Handlungszusammenhänge gemeint, die sich größtenteils nicht bewusst und geplant vollziehen, sondern über soziale Mechanismen und gleichsam hinter dem Rücken der Beteiligten. Abstraktheit ist dabei in einem dynamischen Entwicklungszusammenhang zu sehen. Abstrakt sind diese gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Sinn, dass sie von den jeweiligen Interessen und Bedürfnissen der Individuen getrennt sind. Dabei spielen Geld und Kapital die entscheidende Rolle: „Geld und Kapital sind nicht primär ökonomische Kategorien, es sind Kategorien der politischen Ökonomie. Sie bezeicluien ein Verhältnis von Menschen, dessen wesentliche Eigenschaft darin besteht, von allem Konkreten, das sie verbindet, zu abstrahieren.""*^ Zum sozial gestaltenden Faktor wird Geld erst als 37 H. Ganssmann: Das Geldspiel, in Ch. Deutschmann (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002, S 41 f 38 M. Kalecki: Theorie der wirtschaftlichen Dynamik, Wien 1966. 39 H. Ganssmann, aaO, S 43 f 40 M. Janz: Der Euro und die nationale Identität, in: izbw - Blätter des Informationszentrums 3. Welt, Nr 257.

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Kapital, verstanden als „ein die gesamte Gesellschaft beständig und mit unbekanntem Ziel umwälzender Prozess".'^! Die rastlose Dynamik bezieht sich nicht nur auf das im Prinzip unbegrenzte, von allen realen Bedürfnissen losgelöste und mittlerweile globalisierte Streben nach Profit (als „wertheckender Wert"), sondern auch auf die fortlaufenden Umstrukturierungen und Umgestaltungen der Gesellschaft. Diese über Geldformen vermittelten Veränderungen führen zu einer immer weitergehenden und im Prinzip ebenfalls unbeschränkten Verlängerung der Mittel-Zweck-Reihen, worauf bereits Simmel hingewiesen hat.^^ Insgesamt ist die Problembehandlung Simmeis etwas anders, abstrakter und, wenn man so will, philosophisch. Hauptpunkte in der Simmelschen Argumentation ist einerseits die wachsende Entgrenzung und Fragmentierung des sozialen Lebens, andererseits die komplexe Arbeitsteiligkeit. Im Ergebnis sieht er darin die „Tragödie der modernen Kultur", dass Geld universelle Beziehungen herstellt, aber gleichzeitig alles Persönliche und Individuelle ausschließt. Die Folgen sind eine ständige Durchbrechung des Gegenseitigkeitsprinzips und die Mediatisierung von Beziehungen, die letztlich in einer allgemeinen Entfremdung münden. Eine so verstandene „Entfremdung" hat allerdings mit der marxistischen Terminologie nur wenig zu tun."*^ Diese Verlängerung der Mittel-Zweck-Reihen bringt stets neue Abstraktionsformen hervor, die Zusammenhänge unkenntlich machen und verschleiern. Für die Lebenswelt der Menschen bedeutet dies, dass sie die Gesellschaft in immer mehr peripherer Gestalt erleben. Mit anderen Worten, es kommt im Zuge dieser Wandlungsprozesse zu einer vertikalen Spreizung der gesellschaftlichen Strukturen, die gleichzeitig eine Steigerung an Komplexität bewirkt. Zu den Aufgaben einer kritischen Soziologie gehört es nun, diese Abstraktionen aufzulösen und damit gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar zu machen. Diese Aufgabe kann in diesem Rahmen natürlich auch nicht in Ansätzen gelöst werden. Aber die Komplexität lässt sich reduzieren, wenn man sie in einzelne Dimensionen aufspaltet. Das soll hier in der Weise versucht werden, dass der Längsschnittaspekt der Monetisierung näher betrachtet wird, also die Ausdehnung des Geldnexus und daraus resultierende

41 Vgl Deutschmann, aaO, S 93. 42 G. Simmel: Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe, hg von O. Rammstedt, Bd 6, Frankfurt aM 1989, S 254 f. 43 Vgl dazu N. Dodd: The Sociology of Money. Economics, Reason and Contemporary Society, Cambridge, 1994 , S 47 ff.

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Veränderung im Verhaltensrepertoire und in den Einstellungsmustem der Menschen.^^ Unter Monetisierung soll hier die Verwandlung von Beziehungen in Ware - Geld - Beziehungen verstanden werden. Zunächst handelt es sich dabei um einen Teilaspekt der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, also der Entstehung von Warenproduktion überhaupt. Die Verwendung von Geld als allgemeinem Wertäquivalent wird im allgemeinen aus den Vorteilen erklärt, die der Tauschhandel durch monetäre Formen erlangt. Dadurch wird ein ausgedehntes Netzwerk von Tauschbeziehungen geschaffen, das zuletzt jede Ware gegen jede andere Ware tauschbar macht.^^ Der eigentliche Durchbruch zur Geldwirtschaft erfolgt allerdings erst mit der Monetisierung der Arbeit, weil dadurch die Haushalte in den Geldnexus einbezogen werden. Die Grundlagen dafür sind Lohnabhängigkeit einerseits und Geldlohn andererseits. Von da an sind die Haushalte aller weiteren Subsidien beraubt und zum Le44 Simmel nimmt an, dass die Monetisierung den Sozialcharakter verändert, aaO, Kpt 6; zu diesem „geldförmigen Sozialcharakter" vgl R. Haubl: Money Madness. Eine psychodynamische Skizze, in: Deutschmann, aaO, S 210. Es wäre natürlich unwissenschaftlich und vor allem unsoziologisch, hier eine Art von blindwirkendem Naturgesetz anzunehmen, das sich quasi linear überall und unaufhaltsam durchsetzt. Insofern ist die Kritik von V. A. Zelizer: The Social Meaning of Money. Pin Money, Paychecks, Poor Relief, and Other Currencies, Princeton UP 1997, S 2, durchaus berechtigt: „Money, according to this conception, also destroys, necessarily replacing personal bonds with calculative instrumental ties, corrupting cultural meanings with materialist concerns. Indeed, from Karl Marx to Jürgen Habermas, from Georg Simmel to Robert Bellah, oberservs of commericialization in Westem countries have thought they saw devastating consequences of money's irresistible spread: the inexorable homogenization and flattening of social ties. Conservatives have deplored the moral decay brought by prosperity while radicals have condemned capitalism's dehumanization, but both have seen the swelling cash nexus as the source of evil." Tatsächlich ist anzunehmen, dass die Betroffenen sehr unterschiedlich auf diese Veränderungen reagieren und sich unter Umständen darauf einrichten. Zelizers Untersuchungen beziehen sich im Übrigen auf die Monetarisierung der USA im Zeitraum zwischen 1870 und 1930. 45 Vgl dazu N. Todd, The Sociology of Money. S XXII ff. In der auf Marx zurückgehenden Sozialkritik wird die Ware als Fetisch bezeichnet, allerdings in einem anderen Sinn als die Psychoanalyse diesen Begriff verwendet. Gemeint ist hier, dass persönliche Beziehungen als Beziehungen zwischen Dingen (Güter, Dienstleistungen, Geld) abgebildet werden, wodurch dann im falschen Bewusstsein das Bild einer „verzauberten, verkehrten, auf den Kopf gestellten Welt" entsteht (MEW 25, S 838; vgl dazu M. Heinrich, aaO).

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bensunterhalt auf Geldeinkommen angewiesen, das sie auf den Warenmärkten verausgaben.'^^ Die Monetisierung ist ein extensiver und intensiver Prozess zugleich: die Erfassung immer weiterer Teile der Gesellschaft ist eine Seite, die Art der Einbeziehung in den Geldnexus eine andere. Auf der Basis der verallgemeinerten Geldlohnverhältnisse erfolgte, einmal früher, einmal später, aber letztlich überall, wenngleich auf verschiedene Weise die Einbeziehung der Privathaushalte in den Bank- und Kreditbereich. Der Durchbruch in diese neue Stufe der Monetisierung vollzieht sich in dem Augenblick, wo die „Lohntüte" durch das Lohnkonto ersetzt wird. Die nächsten Stufen ergeben sich dann nahezu zwangsläufig: die Gewährung von Privatkrediten oder automatischer Uberziehungskredite (Dispositionskredite), die zunehmende Kreditfinanzierung der Privathaushalte, Verwendung von Plastikgeld (Bankomat- und Kreditkarten), Cybercash usw^^. Eine andere Richtung des Monetisierungsprozesses betrifft die Bildung zusätzlicher Ware-Geld-Beziehungen, sei es durch Schaffung neuer „geldwerter" Güter und Dienstleistungen, sei es durch die Einbeziehung bestehender Leistungsangebote in den Geldnexus. Im ersten Fall geht es um die durch Wettbewerbsdruck immer wieder neu kreierten Angebote auf den Warenmärkten. Im zweiten Fall geht es um Auslagerungen im weitesten Sinn. Darunter zählen etwa die von Familien an kommerzielle Träger übertragenen Leistungen im Bereich der Kinder-, Pflege- und Krankenfürsorge, aber natürlich auch die Leistungen, die früher von Unternehmen selbst erbracht worden sind und die nach Outsourcing zugekauft werden müssen. Auch Privatisierungen, die getragen von neo-liberalen Konzepten, öffentliche Leistungen in private verwandeln, stellen in der Regel neue Ware-Geld-Beziehungen dar. Im Grunde genommen sind auch die Anwendungen des New Public Management

46 W. G. Runciman: The „Triumph" of Capitalism as a Topic in the Theory of Social Selection, New Left Review 210/1995, S 33 ff, nennt die altrömische Wirtschaft Kapitalismus, obwohl Lohnverhältnisse fehlen oder nur rudimentär vorhanden sind (capitalist in every respect except the dominance of a formally free labour market). Nach allem was wir wissen, ist jedenfalls Geldwirtschaft gemessen am tatsächlichen Umlauf und dem Monetisierungsgrad nur insular vorhanden; vgl dazu G. Ingham: Capitalism, money and banking: a critique of recent historical sociology, Brit Jnl of Sociology 50/1999, S 83 f 47 Vgl dazu A. J. Haesler, Sociologie de l'argent, aaO, S 156 ff.

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(NPM) zumindest indirekt Monetisierungsformen^^ oder stellen sich als Simulationen derselben dar. Das gleiche gilt für betriebsinteme Vorgänge, die über Preise abgewickelt werden, zB via Profit Centers.49^ Eine andere Erscheinungsform der internen und intensiven Monetisierung und zugleich ein weiterer Schritt in Richtung „zunehmende Autonomie des gesellschaftlichen Überbaus gegenüber der ökonomischen Infrastruktur"^^ stellt die Entwicklung und Entfaltung des Kreditwesens dar. In der Anwendung auf produktive und später auch auf konsumtive Vorgänge schiebt sich der Kredit als neue Ebene zwischen die Aktionen der Beteiligten. Letzten Endes wird damit eine neue Ware geschaffen, mit einem eigenen Produktions- und Zirkulationskreislauf. Es handelt sich um eine „Ware sui generis", deren Preis der Zins ist und ebenfalls Marktschwankungen unterliegt. Dasselbe gilt für Aktien und andere Finanztitel, deren Preis sich über Gewinnerwartungen realisiert: „Hier setzt nun ein „Produktionsprozess" ein (der in der historischen Entwicklung immer neue „Finanzinnovationen" hervorbringt), in dem nicht nur solche Ansprüche (auf künftige Zinsen oder Profite) verkauft werden, sondern auch Ansprüche auf Ansprüche (Optionen etc) entwickelt werden, die ihrerseits in ganz unterschiedlichen Weisen verkauft und verliehen werden können (so dass sich das Kreditsystem auch noch ganz eigene Zirkulationsprozesse schafft). Diese spezifischen „Waren", die nichts anderes als Ansprüche auf künftige Zahlungen darstellen, bilden die Grundlage des vom industriellen Kapital zu unterscheidenden „fiktiven Kapitals", mit dem Marx diese Verhältnisse begrifflich zu erfassen sucht. „Spekulation", dh das Spiel mit Erwartungen, ist hier kein Abweg, keine Degeneration, sondern der normale, ja der überhaupt einzig mögliche Umgang mit fiktivem Kapital. Ebenso normal sind auch die Hausse und der nachfolgende Crash."^! Diese Verselbstständigungstendenzen sind für die Ausbildung veränderter Einstellungsund Handlungsmuster verantwortlich, die sich oft zeitgleich mit dem Generationenwechsel einstellen und tendenziell den - seit Max Weber bekannten - asketischen Kapitalismus in einen Casino-Kapitalismus umwandeln: „An die Stelle eines Lebensplanes treten im 48 Für den Hochschulbereich vgl J. J. Hagen: Universitäten zwischen Staat und Wirtschaft. New Public Management als Reformparadigma, Zeitschrift für Hochschuldidaktik 4/2000, S 24 ff 49 Vgl M. Schweitzer: Profit-Center, in: E. Frese (Hg): Handwörterbuch der Organisation, 3. Aufl, Stuttgart 1992, Sp 2078 ff 50 Vgl A. J. Haesler: Irreflexive Moderne. Die Folgen der Dematerialisierung des Geldes aus der Sicht einer tauschtheoretischen Soziologie, in: Deutschmann, aaO, S 177 ff. 51 Vgl M. Heinrich, aaO.

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Casino-Kapitalismus Flexibilität und Risikobereitschaft. Erfolg ist nicht länger das Resultat stetig erbrachter Leistungen, wie das tradierte Arbeitsethos es fordert, sondern das Resultat der Bereitschaft, Erfolgschancen, die sich momentan bieten, sofort und ohne Rücksicht auf bisherige Bindungen - sei es an Personen oder Überzeugungen - zu ergreifen. Indem derart die Gegenwart von der Vergangenheit abgekoppelt wird, beginnt die Lebensführung der Gesellschaftsmitglieder zu „driften"^^. 5. Von Monetisierung als einem strukturierenden Moment zu sprechen, ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie allgemeine, dh massenhaft auftretende Veränderungen auf der Einstellungs- oder der Verhaltensebene erklären kann. Ein solcher Zusammenhang scheint vor allem auf dem Gebiet der Wertvorstellungen nachweisbar. Die Monetisierung scheint grenzenlos.^^ Auch der allgemeine Sager: „Zeit ist Geld" enthält bei genauerem Hinsehen eine tiefere Wahrheit.^^ Im Ergebnis lässt die Monetisierung keine anderen Werte als Geldwerte zu: „Rien ne parait pouvoir limiter ce Processus de monetarisation. En effet, il est dans la «nature» meme de l'argent de pouvoir tout exprimer, tout traduire et donc tout subsumer. Sa fonction d'equivalent general le predispose ä exprimer chaque bien et ä epouser chaque forme rencontree".^^ Aber die Frage ist: geben Geldwerte als Warenpreise die Wertbildung richtig oder zumindest ohne systematische Verzerrung wieder oder verhält es sich nicht so, dass sie die Wertbildung als weitere Folge des Geldschleiers gerade verschleiern? Vordergründig könnte ja dann der Eindruck entstehen, dass Geld sich von selbst bewegt und vermehrt, sozusagen als wertbildender Wert auftritt. Im Mainstream der ökonomischen Theorie wird die Preisbildung aus Knappheitsrelationen abgeleitet. Ein Teil der Wirtschaftssozio52 R. Haubl: Money Madness, aaO, S 223 f; R. Sennent: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998. 53 Gibt es Grenzen der Monetisierung? - zB Kunst, Sport, Liebe, Sex? In Sport und Kunst kann man investieren, wie in andere Geschäftsbereiche. Liebe und Sex? - man muss nur eine query im Internet starten, um zu wissen, wie viel „Waren" zu diesen Suchworten angeboten werden. Bereits Simmel demonstriert die Fähigkeit des Geldes, alles in Waren zu verwandeln, am Beispiel der Prostitution (vgl V. A. Zelizer: The Social Meaning of Money, S 8). Bleibt dann unbezahlte und vielleicht unbezahlbare gesellschaftliche Arbeit von IdeaHsten und NGOs? 54 Vgl Gaston Valdivia: »Zeit« ist Geld und Geld ist »Zeit«. Von der Produktion der »Zeit« zu ihrer marktwirtschaftlichen Dekonstruktion; http://www.krisis.org/g-valdivia zeit-ist-geld krisisl9.html. 55 P. Nicolas-Le Strat, zit in A. J. Haesler: Sociologie de l'argent, S 186.

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logie erklärt im Anschluss an Simmel die Wertbildung etwas konkreter aus Interaktionsvorgängen, in denen die Wirtschaftssubjekte jeweils einen Konsens über Tauschbedingungen erzielen. Dazu Klaus Heinemann: „Die Definition des Preises als Knappheitsindex ist die, wenn auch nur blasse Umschreibung jenes Tatbestandes, daß sich in diesem Preissetzungsprozess ein Informationsgerüst bildet, das den Marktteilnehmern die Möglichkeit einer objektiven Situationsorientierung bei gleichzeitiger Erfahrungsverkürzung ermöglicht."^^ Maßgebend ist dabei zum einen die Stärke des Bedürfnisses, das durch den Erwerb einer Ware befriedigt werden soll, zum anderen die Schwierigkeit der Erreichbarkeit; in der Ausdrucksweise von Nigel Dodd, „distance and resistance".^^ Diese Erklärungen sind soziologisch unbefriedigend; weder Knappheit noch Bedürfnisse können als wertbildend gelten. Bestenfalls wird damit das kurzfristige Schwanken der Preise im Marktgeschehen erklärt. Die ständige Fluktuation der Geldpreise stellt indes nur eine Oberflächenerscheinung dar, hinter der die eigentliche Wertbildung verborgen bleiben mag, sie ist aber gleichwohl Teil modemer Lebenswelten, die von Geld, Waren und Konsum beherrscht sind. Bei aller Unzulänglichkeit und Verbesserungsbedürftigkeit, die man der Marx 'sehen Wertlehre vorwerfen kann,^^ wertschöpfend ist letztlich nur lebendige Arbeit. Daraus folgt, dass Arbeit die stets vorausgesetzte Substanz des Werts ist, der „letzte Horizont, auf den alle unternehmerischen Strategien entworfen werden".^^ Dabei ergibt sich eine überraschende Parallelität von Geld und Arbeit,^^ die beide einen Möglichkeitsraum 56 Grundzüge einer Soziologie des Geldes, Stuttgart 1969, S 63. 57 Vgl N. Dodd, aaO, S 42 ff 58 Vgl dazu Ch. Deutschmann: Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus, Frankfurt aM 2001; Ch. Deutschmann: Kapitalismus, Religion und Unternehmertum: eine unorthodoxe Sicht, in: Deutschmann, aaO, S 96 f. Deutschmann verweist vor allem auf die unzulässige Gleichsetzung tatsächlicher Arbeit mit „gesellschaftlich notwendiger Arbeit" - „aber genau in deren Bestimmung liegt in einer dynamischen Wirtschaft das Problem. Produziert der Unternehmer am Markt vorbei, so kann ihn auch die denkbar höchste Ausbeutungsrate nicht vor dem Bankrott schützen" (aaO, S 96). Darüber hinaus wird zu Recht auf Innovation als schöpferischen, wertbildenden Faktor verwiesen; diese Innovation kommt in einem komplexen sozialen Prozess mit vielfältigen Vemetzungen und stets unsicherem Ausgang zustande. 59 AaO, S 98. 60 Vgl dazu H. Ganssmann: Geld und Arbeit. Wirtschaftssoziologische Grundlagen einer Theorie der modernen Gesellschaft, Frankfurt aM/ New York 1996.

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eröffnen, der im Prinzip unendlich ist. Erst dadurch ist die Gleichsetzung von Geld und Wert möglich, die den Zusammenhang mit dem Wertfaktor Arbeit verschleiert. In der „Schönen Neuen Warenwelt" treten Waren als alles Mögliche auf, als Träger von Image und Prestige, als Statussymbole, als Lustobjekte, als Identifikationen usw, aber immer seltener als Träger nützlicher Eigenschaften oder gar als Arbeitsprodukte.^^ Sie bilden damit einen kulturellen Kontext, durch den Arbeit und Produktion immer weiter ausgeschlossen werden. In dieser „Konsumkultur", die von einer allgegenwärtigen Werbung in die Köpfe gehämmert wird,^^ werden zunehmend ältere kulturelle Traditionen wie zB Religionen verdrängt.^^ Moderne Konsumkulturen sind wesentlich durch konsumorientierte Identitäten charakterisiert, gleichzeitig werden immer mehr soziale Interaktionen über Geld und Waren abgewickelt, und Shopping in den „Konsumtempeln" wird zur wichtigsten Freizeitaktivität. Gleichzeitig tritt der imaginäre Charakter von Waren, als Stil- und Imagemittel, das sich mehr aus der Aufmachung als auch dem Inhalt ergibt, immer stärker in den Vordergrund.^^ Die geschilderte vertikale Spreizung hat nicht nur die Verlängerung der Wirkungsketten im gesellschaftlichen Gefüge zur Folge, sondern erklärt damit auch die Erosion von Wertzusammenhängen. Das lässt sich anschaulich am Beispiel der massenhaften Ausbrei-

61 G. Ritzer: Enchanting a Disenchanted World: Revolutionizing the Means of Consumption, in: G. Ritzer (Ed): Explorations in the Sociology of Consumption, London 2001, S 108-144. 62 Zu Werbung und Mode als „zentrale Definitionsmacht über kulturelle Symbolik" vgl L. A. Reisch: Symbols for Säle: Funktionen des symbolischen Konsums, in: Ch. Deutschmann (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Sonderheft Leviathan 21/2002, S 226 ff (228); vgl weiters G. D. McCracken: Culture and Consumer Behaviour: An Anthropological Perspective, in: Joumal of the Market Research Society 32/1990, S 3-11. 63 Vor einigen Jahren wurde von Young & Rubicam, einer New Yorker Werbeagentur, ermittelt, dass Markenwaren (brands) von Jugendlichen als neue Religion erlebt werden. Inzwischen schwingt, zumindest in den USA, das Pendel wieder zurück, beobachtet Richard Tomkins, Financial Times, 30.6.2004: „Christ replaces Coke as the focus of youthful longing". 64 Vgl dazu D. Slater: Consumer Culture and Modernity, Cambridge 1997; C. Lury: Consumer Culture, New Brunswick, NJ UP 1996; M. Solomon/G. Bamossy/S. Askegaard: Consumer Behaviour. A European Perspective, London 2002, S 462 f.

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tung des Konsumentenkredits zeigen^^, die eine ständige Entwertung des Geldes mit sich bringt. Das Haupthindernis, das für den Durchbruch des Konsumkredits zu überwinden war, ist die traditionelle Verbindung von Arbeit und Geld im Sinne von Einkommen und Konsum, die Manning als „cognitive connect" bezeichnet.^^ In diesem überkommenen Wertsystem, das als Teil des geforderten Arbeitsethos und damit der industriellen Disziplinierung verstanden werden muss, gibt es eine moralische Trennlinie {moral divide) zwischen jenen, die die Tugenden der Sparsamkeit, Genügsamkeit und Enthaltsamkeit pflegen, und jenen, die sich über die Grenzen ihrer Einkommensmöglichkeiten verschulden. In der Puritanischen Spielart der „Protestantischen Ethik" kommt diesen asketischen Tugenden naturgemäß ein besonderer Stellenwert zu.^^ Die Ausbreitung der Konsumfinanzierung in den unteren Einkommensschichten, vor allem im Wege von Kreditkarten und automatischen Kreditrahmen, hat diesen Cognitive Connect einer immer weiter gehenden Erosion ausgesetzt.^^Die Zersetzung des Cognitive Connect, also die Auflösung des Zusammenhangs von Einkommen und Konsum, die der zunehmenden Verschuldung der Haushalte zugrunde liegt, ist Ausdruck eines inneren und tiefer liegenden Widerspruchs, der zugleich verschleiert wird, indem dieses Verhalten in erster Linie als eine Frage der Moral aufgefasst wird.^^ In Wirklichkeit ist es der Gegensatz zwischen Stagnation oder Reduktion der Masseneinkommen (durch MacDonaldisierung der Beschäftigung, zunehmende Verdrängung der Normalarbeitsverhältnisse, Downsizing der großen Industriebetriebe, Globalisie65 Vgl dazu J. J. Hagen: Zur Soziologie des Konsumentenkredits, in: R. Böhm/J. J. Hagen/C. Bachinger-Herzberger (Hg): Verschuldet, Frankfurt aM 1997, S 51 ff. 66 Vgl R. D. Manning: Credit Card Nation. The Consequences of America's Addiction to Credit, New York 2000, S 101 ff 67 Man beachte etwa dazu Benjamin Franklins Ermahnungen in: The Way to Wealth: „Buy what thou hast no need of, and ere long thou shalt seil thy Necessaries"; L. W. Labaree (Ed): The Papers of Benjamin Franklin, Vol 7, Yale UP 1963, S 342 ff 68 Vgl Manning, aaO, S 115 f. Manning hat gleichzeitig gezeigt, dass die ursprüngliche Moral Divide weiterhin besteht, allerdings in einem modifizierten Sinn, nämlich in der Trennung von convenience users, die Kreditkarten nur zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs benützen und für ihre Zahlungsmoral mit niedrigen Zinsen belohnt werden, und den revolvers, die in die Schuldenfalle geraten sind und mit einer Art von Strafzins belegt werden (S 121 f). 69 Vgl D. M. Tucker: The Decline of Thrift in America, New York 1991; G. Ritzer: Expressing America: A Critique of the Global Credit Card Society, Thousand Oaks, Calif 1995.

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rung und Auslagerung von Betrieben etc) auf der einen Seite und der Ausweitung des Konsums mit Hilfe einer immer aggressiveren Werbung auf der anderen Seite, der die Haushalte in den USA ebenso wie in anderen fortgeschrittenen Industriegesellschaften in die Verschuldung treibt. Eine entscheidende Rolle spielen in dieser Entwicklung, als besondere Monetisierungsform, automatisierte Kredite (in Form von Kreditrahmen) und Plastikgeld (Kredit- und Debitkarten). Dabei gehen zwangsläufig auch Kemelemente des herkömmlichen Wertesystems in die Brüche: „... credit cards have fractured the culturally conditioned „cognitive connect" between eamings and consumption. In the process, they have profoundly changed the determinative role of work in defining one's consumption or even employment decisions. This is the key to understanding the social outcomes of the easy access to plastic money"7ö Literatur Albert; H.: Soziologie und Entscheidungslogik, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd 114, 1958 Barro, R. J./Grilli, V.: Makroökonomie, München 1996 Deutschmann, Ch.: Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus, Frankfurt aM 2001 ders: Kapitalismus, Religion und Unternehmertum: eine unorthodoxe Sicht, in: Deutschmann, Ch. (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002 Dodd, N.: The Sociology of Money. Economics, Reason and Contemporary Society, Cambridge, 1994 Durkheim, E.: Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961 Foley, D.: Money in Economic Activity, in: Eatwell, J. et al (Eds): The New Palgrave: Money, London 1987 Ganssmann, H.: Money - a symbolically generalized medium of communication? On the concept of money in recent sociology, Economy and Society 17/1988 ders: Geld und Arbeit. Wirtschaftssoziologische Grundlagen einer Theorie der modernen Gesellschaft, Frankfurt aM/New York 1996 70 AaO, S 292.

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ders: Das Geldspiel, in: Deutschmann, Ch. (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002 Haesler, A. J.: Sociologie de l'argent et postmodemite, Geneve 1995 ders: Irreflexive Moderne. Die Folgen der Dematerialisierung des Geldes aus der Sicht einer tauschtheoretischen Soziologie, in: Deutschmann, Ch. (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002 Hagen, J. J.: Zur Soziologie des Konsumentenkredits, in: Böhm, R./ Hagen, J. J./Bachinger-Herzberger, C. (Hg): Verschuldet, Frankfurt aM 1997 ders: Universitäten zwischen Staat und Wirtschaft. New Public Management als Reformparadigma, Zeitschrift für Hochschuldidaktik 4/2000, S 24 ff Haubl, R: Money Madness. Eine psychodynamische Skizze, in: Deutschmann, Ch. (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Leviathan Sonderheft 21/2002, Wiesbaden 2002 Heinemann, K.: Grundzüge einer Soziologie des Geldes, Stuttgart 1969 ders: Soziologie des Geldes, in: Heinemann, K. (Hg): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, SH 28 KZfSS, Opladen 1987, S 322 ff Heinrich, M.: Monetäre Werttheorie. Geld und Krise bei Marx, http://www.linksnet.de/artikel/php?id=371 Heinsohn, G./Steiger, O.: Eigentum, Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaften, Reinbek 1996 Hörisch, J.: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes, Frankfurt aM 1996 ders: Gott, Geld und Medien. Studien zur Medialität der Welt, Frankfurt aM 2004 Ingham, G.: Capitalism, money and banking: a critique of recent historical sociology, Brit Jnl of Sociology 50/1999 ders: The Nature of Money, Cambridge UK 2004 ders: The Nature of Money, European Electronic Newsletter, Vol 5, No 2, January 2004 Issing, O.: Einführung in die Geldtheorie, München 2003 Janz, M.: Der Euro und die nationale Identität, in: izbw - Blätter des Informationszentrums 3. Welt, Nr 257 Kalecki, M.: Theorie der wirtschaftlichen Dynamik, Wien 1966 Lietaer, B. A.: Mysterium Geld. Emotionale Bedeutung und Wirkungsweise eines Tabus, München 2000

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Lury, C : Consumer Culture, New Brunswick, NJ UP 1996 Manning, R. D.: Credit Card Nation. The Consequences of America's Addiction to Credit, New York 2000 Mommsen, T.: Das Geld, in: Grenzboten, XXII Jg 1863, wiederabgedruckt in: Mommsen, T.: Reden und Aufsätze, Berlin 1905 McCracken, G. D.: Culture and Consumer Behaviour: An Anthropological Perspective, in: Journal of the Market Research Society 32/1990,8 3-11 Müller, A.: Elemente der Staatskunst, I. Halbband, Berlin 1809, wiederabgedruckt in: Herdflamme, hg von Spann, O., Jena 192 Müller, H. P.: Geld und Kultur. Neuere Beiträge zur Philosophie und Soziologie des Geldes, in: Berliner Journal für Soziologie, Bd 10, Nr 3, 2000, S 423-434 Pigou, A. C : The Veil of Money, London 1949 Reddy, W. M.: Money and Liberty in Modem Europe. A critique of historical understanding, Cambridge 1987 Reisch, L. A.: Symbols for Säle: Funktionen des symbolischen Konsums, in: Deutschmann, Ch. (Hg): Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Sonderheft Leviathan 21/2002, S 226 ff Riese, H.: Geld - das letzte Rätsel der Nationalökonomie, in: Schelkle, W./Nitsch, M. (Hg): Rätsel Geld, Marburg 1998 Ritzer, G.: Expressing America: A Critique of the Global Credit Card Society, Thousand Oaks, Calif 1995 ders: Enchanting a Disenchanted World: Revolutionizing the Means of Consumption, in: Ritzer, G. (Ed): Explorations in the Sociology of Consumption, London 2001, S 108-144 Runciman, W. G.: The „Triumph" of Capitalism as a Topic in the Theory of Social Selection, New Left Review 210/1995, S 33 ff Schily, O.: Flora, Fauna und Finanzen. Über die Wechselbeziehung von Natur und Geld, Frankfurt aM 1996 Schui, H.: Geld, in: Sandkühler, H. J. (Hg): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hamburg 1990, S 255 ff Schumpeter, J. A.: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd I, Göttingen 1965 Schweitzer, M.: Profit-Center, in: Frese, E. (Hg): Handwörterbuch der Organisation, 3. Aufl, Stuttgart 1992, Sp 2078 ff Senf, B.: Der Nebel um das Geld. Zinsproblematik - Währungssysteme - Wirtschaftskrisen. Lütjenburg 1996. 6. Aufl 2001 Simmel, G.: Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe, hg von Rammstedt, O., Bd 6, Frankfurt aM 1989 Slater, D.: Consumer Culture and Modemity, Cambridge 1997

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Sohn-Rethel, A.: Das Geld, die bare Münze des Apriori, Berlin 1990 Solomon, M./Bamossy, G./Askegaard, S.: Consumer Behaviour. A European Perspective, London 200 Spann, O.: Die Hauptheorien der Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1923 SuUivan, R.: Americans and Their Money, Worth 60/1994 Tucker, D. M.: The Decline of Thrift in America, New York 1991 Valdivia, G.: „Zeit" ist Geld und Geld ist „Zeit". Von der Produktion der „Zeit" zu ihrer marktwirtschaftlichen Dekonstruktion; http://www.krisis.org/g-valdivia_zeit-ist-geld__krisisl9.html WoU, A.: Allgemeine Volkswirtschaftlehre, 10. Aufl, München 1990, S 527 ff Zelizer, V. A.: The Social Meaning of Money, Princeton NJ 1997

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Land der Schuldenberge. Zur politischen Ökonomie und Soziologie des Lebens auf Pump L Was man schon von weitem sieht Geiz ist nicht geil. Weil die meisten Menschen, die nicht viel mehr zum Markt tragen als ihre Lohnarbeitskraft gar keine andere Wahl haben als knauserig zu sein. Dafür wirft ihre Lohnarbeit nicht genug ab. Was nicht wundert, wenn man zwei oder drei atypische Jobs bedienen muss, langzeitarbeitslos, chronisch krank oder allein erziehend ist. Seit Mitte der 1990er Jahre sind angesichts tiefer sozialer Verwerfungen zunehmend auch Mittelschichten von materieller Knappheit, Unterversorgung und Schuldenmachen betroffen. Nachgerade explodiert sind die Schulden der Privathaushalte in Österreich freilich nach dem Amtsantritt der FPÖVP-Koalition im Jahr 2000 (Lenglachner 2004). Derzeit (Ende 2004) hält die Entwicklung bei etwa 450.000 Haushalten. Darin wohnen 900.000 verschuldete Personen. Das passt in das Bild von 340.000 akut Armen und 910.000 Armutsgefährdeten in Österreich. Der geschäftsführende Ausschuss der österreichischen Industriellenvereinigung im Bundeskanzleramt hat da ^anze Arbeit geleistet. Die politische Ökonomie des modernen Schuldenturms (Backert 2003) ist schnell erzählt: Politik unter dem markt- und neoliberalen Dogma des finanzkapital-getriebenen Shareholder-Kapitalismus reduziert die Lohn- zugunsten der Kapitaleinkommen (Munger 2002). Sie dereguliert und flexibilisiert das Arbeitsrecht, lässt die Arbeitslosenzahlen explodieren und entsichert soziale Risiken. Dadurch werden Teile der Haushalte sozial Schwacher unausweichlich in eine Situation manövriert, in der das laufende Einkommen die laufenden Ausgaben nicht deckt (Böhm 1987; 1997). Es müssen in diesen Haushalten also Schulden gemacht werden, um ein minimales Teilhabe-Niveau zu gewährleisten (Hirseland 1999). Die meisten der sozialpolitischen „Reformschritte" in Österreich seit 2000 lassen sich entlang dieser Logik einer repressiven Individualisierung von sozialen Risiken rekonstruieren. Der Staat begibt sich dabei zentraler Aufgaben der Daseinsvorsorge. Nicht trennscharf auszumachen ist in modernen Gesellschaften indes die Grenze zwischen Subsistenz und relativer Teilhabe. Von absoluter Armut kann freilich hierzulande nicht gesprochen werden. Vielmehr „nur" von einer Armut im Sinne unterdurchschnittlicher Teilhabe, entstanden aus Niedrigeinkommen und lebensweltlichen Mängellagen. Armutsgrenzen sind allerdings im Wesentlichen politisch gesetzt. Dies wird an den

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Laeken-Indikatoren ebenso wie an den Sozialhilfe-Richtsätzen oder den gewichteten Bedarfsannahmen des ECHP sichtbar. I.l Marktreligion und Warenfetisch ,Cum grano salis' nutzt der Neoliberalismus als kapitalistische Ausbeutungsvariante ein mächtiges, von den Individuen intemalisiertes Muster kapitalistischer Sozialisation: die Verwandlung sozialer Beziehungen in Waren und die Subordination der Personen unter die Ligaturen der Warenästhetik. Während Reichtum traditionell vor den Modemisierungsverlierem verborgen blieb, geht es nunmehr um die marktvermittelte, demonstrative Zurschaustellung sozialer Unterschiede. Deren Ästhetik entwickelt sich entlang der ostentativen Ungleichverteilung sozialer Statuspositionen, äußert sich in symbolisch überladenen Einkommens- und Konsumstandards. Dabei geht es weniger denn je um den Gebrauchswert der Waren selbst als vielmehr um deren evidenten Tauschwert. Erst das permanent zur Schau gestellte, distinkte Konsumniveau gibt im Weiteren Auskunft über die soziale Position des Konsumierenden. Zentrales Ziel hierbei ist es, soziale Unterschiede zu markieren, auch wenn dies nicht mit einer aliquot gesteigerten Nutzbarkeit erworbener Güter oder gesteigerter Lebensqualität verknüpfbar ist: letztlich steht man auch mit einem Luxusautomobil im Stau {Dimmel 2003; 2004). Die Teilnahme an dieser Konsumreligion, welche soziale Unterschiede um ihrer selbst Willen zulässt und produziert, können sich aufgrund ihrer Markt- und Einkommensposition nur wenige leisten {Hirseland 1999). Für den Rest stellt dies den Startschuss für ein endloses „rat-race" dar, in dem nach immer neuen Statussymbolen und „Kaufkicks" gesucht wird, die teuer zu stehen kommen und nach dem Kaufrausch vom „Kater" einer umgehend neuerlich entstandenen inneren Leere {Holzinger 1973) abgelöst werden. Hierin wird das Individuum den ideologischen Verbiegungen eines Kreislaufs aus Lohnarbeit und Warenkonsum, einer neurotischen Fixierung auf die Warenästhetik unterworfen {Hang 1990). Freilich sind Konsumchancen und damit verbundene Risiken schiebt- und milieuspezifisch differentiell angelegt. Während in der unteren Unterschicht das unverstellte „Diktat der Not" herrscht, wird in der oberen Unter- und unteren Mittelschicht im Wesentlichen nicht nur zum Zwecke der individuellen Reproduktion, sondern auch um seiner selbst Willen gekauft {Schragl 1991). Hier wird einerseits aus psychischer Not, andererseits um des sozialen Status willen gekauft {Bauer 1999). Dieser Konsum ist allenfalls entlang volkswirtschaftlicher Kriterien „wertschöpfend", oftmals aber haushaltswirtschaftlich gesehen gänzlich sinnlos. 40 % des Gekauften werden in modernen Industriegesellschaften entweder gar nicht ausgepackt oder

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ausgepackt und „verstaut" oder einmal genutzt und dann vergessen oder weggeworfen. Auf „EBAY" lässt sich das sinnlich nachverfolgen. Die Rehgion aus Markt und Konsum {Nelson 2001; Frank 2001) verändert zugleich auch die gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Mehr denn je zuvor prägt das Konsumtionsniveau die Selbst- und Fremdwahmehmung der Subjekte. Bildung, Zeitsouveränität und die Nutzung individueller Spielräume werden gegengleich entwertet. An deren Stelle tritt wiederkehrend die brachiale Logik des Konsums, der Maxime folgend: „ich kaufe, also bin ich" {Brückner 2004). Ihre Klimax findet diese Kultur im samstagnachmittäglichen Konsumspektakel in Shopping Mails, in welchem der Kauf den subjektiven Lebenssinn suppliert {Hellmann 2004). Man arbeitet, um einzukaufen. Folge dieser Supplierung ist eine Umstellung nicht nur der Lebenszeitorganisation, in der man nunmehr Familien- ebenso wie Freizeit in der Lounge eines Einkaufszentrums verbringt. Auch die Präferenzen der Individual- und Haushaltsausgaben verändern sich, wenngleich schichtspezifisch differenziert. Das Ranking der Haushaltsausgaben wird durch die Etablierung differentieller Kaufzwänge umgestellt. Modeagenten, Trendscouts und die Sinnsucherbanden ausgewählter Lebensstilgruppen etablieren stets aufs Neue Gewanduniformen und andere „must-haves", deren Konsumtion man sich nur bei Strafe des Ansehensverlustes entziehen kann. Hier, in den gesellschaftlichen Segmenten, in denen stets sozialer Abstieg, Status- und Identitätsverlust drohen, füllen die fortwährend erstandenen Artefakte das groteske Universum mühsam zusammengezimmerter Teilhabe-Wahnvorstellungen der „kleinen Leute". Ihre Selbstdisziplinierung im Gebäude der Religion kapitalistischer Reichtumsproduktion beruht auf dem gelungenen Auswendiglernen des marktwirtschaftlichen Phrasenbaukastens freier Nachfi-ageentscheidungen. Demnach kann jeder kaufen und investieren wie er will. Analog Anatol France's Diktum, dass das Recht in seiner erhabenen Gleichheit Reichen wie Armen gleichermaßen gestattet unter Brücken zu schlafen. Das fi-eilich gelingt nur dann, wenn das materielle Substrat dieser Kauf- und Entscheidungsmöglichkeiten entweder ausgeblendet, biologisiert oder als Ergebnis individueller „Fitness" interpretiert wird. Auf den inneren Bildschirmen der Betroffenen sind Schulden dann nicht Ausdruck ökonomischer Marginalisierung, sondern paradoxerweise Ausdruck charmanter sozialer Ungleichheit.

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1.2 Der indiskrete Cliarme der Bourgeoisie Verschulden kann sich, wer vermittelt über die Banken von jenen borgen kann, die so viel haben, dass sie es kreditieren können. Warum das so ist, geht darauf zurück, dass demjenigen, der schon hat, zusätzlich gegeben wird. Alleine im ersten Halbjahr 2004 veranlagten private Haushalte hierzulande rund 9,5 Mrd Euro in Finanzanlagen (Einlagenkonten bei Banken). Damit erhöhten private Haushalte ihren Bestand an Bargeld und Sichteinlagen auf 39 Mrd Euro, während Termin- und Spareinlagen ein Volumen von 135 Mrd Euro erreichten. Zugleich kauften diese Privathaushalte verstärkt Anleihen und Investmentzertifikate. Sie wählten dabei vor allem risikoärmere Produkte und konzentrierten sich mit 2,2 Mrd Euro auf Wohnbauanleihen der Banken und Investmentzertifikate von Renten- bzw gemischten Fonds. Nach wie vor große Bedeutung hatte 2004 der Aufbau von Ansprüchen gegenüber Privatversicherungen und Pensionskassen, der im ersten Halbjahr 2004 um insgesamt 2,7 Mrd Euro anstieg. Die Ansprüche dieser Haushalte gegenüber Lebensversicherungen erhöhten sich dabei um 1,9 Mrd Euro und erreichten einen Wert^ von mehr als 45 Mrd Euro. Mitte 2004 verfügte ein Teil der Österreicher auf diese Weise über ein Gesamt-Geldvermögen in Höhe von 320 Mrd Euro^ (während Schulden in Höhe von 115 Mrd Euro ausgewiesen wurden).^ Das ergibt ein Nettofinanzvermögen in Höhe von 205 Mrd Euro^, allerdings höchst ungleich verteilt auf die Haushalte. Dies entspricht immerhin rund dem 2,2Fachen des verfügbaren Jahreseinkommens aller Haushalte. Schön für die davon positiv Betroffenen, unlustig für alle anderen. Wäh-

Nach wie vor die populärsten Sparformen sind Bargeld- und Sichteinlagen (12 %) sowie Termin- und Spareinlagen (38 %), auf die zusammen allein die Hälfte des privaten Finanzvermögens entfällt. Bauspareinlagen stellen 6 %, bereits 15 % Lebensversicherungen und 4 % Pensionskassenansprüche. Auf Investmentfonds entfallen 10%, auf Schuldverschreibungen 7 %, aber auf Aktien lediglich 4 %. Das Finanzvermögen der privaten Haushalte betrug 2003 hingegen „nur" 295 Mrd Euro. Das waren 37.000 Euro pro Kopf bzw 85.000 Euro je Haushalt. Das ist beileibe kein Austriazismus. Die Deutschen verfügen über ein Barvermögen von 4 Billionen Euro. Ihre Erspamisse betrugen Ende 2003 3,92 Billionen Euro gegenüber 3,73 Billionen Euro 2002. An Spar-, Sicht- und Termineinlagen sowie Bargeld besitzen Privathaushalte knapp 1,4 Billionen Euro. Das entspricht exakt der Höhe des Schuldenbergs der Bundesrepublik von 1,373 Billionen Euro 2003. Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Österreichischen Nationalbank (OeNB) für 2004, Wien 2004.

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rend nämlich die österreichische Sparquote 2004 von 7,4 % (2003) auf 7,8 % stieg, verschuldeten sich 450.000 andere private Haushalte in Österreich 2004 mit zusätzlichen 3,5 MrdEuro und erhöhten ihren Schuldenberg auf etwa 47 Mrd Euro. 1.3 Upward Dreams, Downward Mobility^ Folgt man deren Selbstbeschreibungen dann können obere Mittelund Oberschichten ganz im Sinne des EngeVsehen Gesetzes mit diesen soziokulturellen Innovationszyklen aufgrund ihrer überdurchschnittlich hohen Haushaltseinkommen vergleichsweise entspannt oder spielerisch umgehen (Lamont 1992). Erheblich anders verhält es sich mit den darunter angesiedelten sozialen Strata der oberen Unter- und unteren Mittelschicht (Newman 1989; Strobel 1993). Hier muss der „Spaß" mitunter auch kreditiert werden. Zur relativen Deprivation der Einkommen gesellt sich dann noch die Last der Zinsen, welche die Wertschöpfung der Gläubiger unverhältnismäßig steigert {Heinsohn/Steiger 1996, 221). Selbst wer sich Designerjacken in Boutiquen nicht leisten kann und deshalb Junk-Mode in Billigkaufhäusem erwirbt, bezahlt für seine neurotischen Zwänge ungleich teurer als jene Stars, deren Artefaktensammlung (Celine Dion's 1200 Paar Schuhe) hier als Leitbild wirken. Wer nämlich schon weiß, dass er nicht „sozial oben" ist, will wenigstens aussehen als ob. Gerade jene, welche ihre Arbeitskraft mangels Alternative nicht zurückhalten können, können dann auch ihre Kaufimpulse angesichts überbordender Gebrauchswertversprechen {Pohrt 1995) („schön", „kräftig", „anmutig", „ästhetisch", „prestigeträchtig" etc) nicht zurückhalten. Kommen Zweifel vor dem Kauf auf, erledigt das die Verkäuferin mit der arbiträren Floskel: „das ist jetzt modern". Damit wird die Grenzlinie zwischen In- und Outsidern permanent nachgemessen. Im „Einkaufsbummel", während dessen in Kaufhäusern wahllos Artikel erworben werden, verwandelt sich der äußere Zwang der Lohnarbeit in einen inneren Zwang des Statuserwerbs. Besondere Embleme (Logo) auf Kleidungsstücken, Handys mit Photoapparatfunktion oder I-Pods mit 40 GB Speicherkapazität vermitteln die Selbstwahmehmung besonderer Individualität. Die Grenzen der eigenen (bescheidenen) Einkommen werden entweder durch geänderte Präferenzen der Haushaltsausgaben berücksichtigt oder durch Kredite umgangen. So wird soziale Herrschaft rationalisiert, während ihre sozialen Kosten über Verschuldung, sozialen Absturz und Privatkonkurs privatisiert werden. 5 Bedeutet so viel wie: vom sozialen Aufstieg träumen, während man sozial absteigt.

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Vergleichbar der Figur der ,kriminellen Karriere' entsteht hier das Bild einer Schuldnerkarriere mit konsumistischen Selbstbeglückungsmustem, einem Dutzend Umschuldungskrediten und serienweise ungeöffneten ,blauen Briefen'. Das Gegenbild zum Vermögen der Privathaushalte ist der Schuldenberg. Dieser findet sich in den Milieus der kleinen Leute, der absteigenden Mittelschichten und Marginalisierten bzw dauerhaft Ausgrenzten. Schulden haben Sozialhilfeempfänger, Süchtige, Geschiedene, Spieler, Haftentlassene, dann aber auch Niedrigeinkommensempfänger („Working Poor") (Schlomann 1990). Diese Leute haben keine Schulden, weil sie Villen oder Segelboote fremdfinanzieren. Sie haben Schulden, weil sie entweder das ganz normale Leben mit Essen, Bekleiden und Schlafen nicht mehr aus ihrem Einkommen finanzieren können. Oder weil sie aus Gründen der Autoerotik einen BMW chauffieren, ohne sich selbigen auch nur im Entferntesten leisten zu können. Dem Vernehmen nach sind mehr als 80 % aller BMW's in Österreich leasing-finanziert. Über kurz oder lang ist eine logische Folge daraus nicht nur die Zunahme der Exekutionen und Privatinsolvenzen, sondern auch eine enorme Zunahme der Hilfe Suchenden. Folglich stiegen einerseits in Österreich die Privat- (aber auch Firmeninsolvenzen) 2004 enorm an. 2004 stieg die Zahl der Firmeninsolvenzen^ um 15 %, diejenigen der Privatkonkurse um 32 % auf 1.367 Fälle. Darunter befindet sich freilich der „Eisberg" jener Schuldner, die entweder gar nicht erst bei der Schuldnerberatung vorsprechen oder „abtauchen". Die Passiva stiegen bei den Privaten um 21,1 %. Schätzungen des Kreditverbandes zufolge waren in Österreich 2003 rund 100.000 Haushalte überschuldet (Schulden höher als das monatliche Haushaltseinkommen), weitere 250.000 verschuldet. Zugleich stiegen die Erstberatungen etwa der niederösterreichischen Schuldnerberatung 2002 im Verhältnis zu 1999 um

Im ersten Quartal 2004 schlitterten It Kreditschutzverband pro Tag 24 Unternehmen in die Pleite. Die Zahl der Firmeninsolvenzen erhöhte sich im ersten Quartal 2004 im Jahresvergleich um 15,4 % auf insgesamt 1.503 Fälle, die Verbindlichkeiten stiegen um 9,2 % auf 419,4 Mio Euro an. Um 29,3 % auf 760 Fälle explodiert sind die mangels Masse abgewiesenen Konkursanträge. Bei den eröffneten Verfahren gab es ein Plus von 4,1 % auf 743 Fälle. Die Zahl der betroffenen Dienstnehmer ging geringfügig um 0,5 Prozent auf 5.570 Beschäftigte zurück. Alleine die Bauwirtschaft musste in den ersten drei Monaten 2004 270 Insolvenzen mit Passiva von 85,5 Mio Euro verkraften.

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45 %, Folgeberatungen um 61 %7 Sukzessive stellen Schulden keine passagere Lebenskrise mehr dar. Schulden gehören vielmehr zunehmend zum Markenzeichen sozial randständiger Milieus. So wurden 1999 2.978 Schuldner in Niederösterreich längerfristig betreut; 2002 waren es bereits 4.173. Das passt ins Bild. Private Schuldnerhaushalte standen 1996 mit 44 Milliarden Euro in der Kreide. 2001 waren es 59 Milliarden Euro, 2004 115 Mrd. Das entspricht einem Anstieg in Höhe von 161 %. Offenkundig ist wirklich jeder seines Glückes Schmied. Die Durchschnittsverschuldung beträgt 2004 90.000,- Euro pro Haushalt, 72.000,-- Euro pro Person. Bei Jugendlichen, die 10 % der Klienten der Beratungsstellen ausmachen, beläuft sich diese auf 26.000,-- Euro. Über 30 % der Klientinnen von Schuldnerberatungsstellen sind arbeitslos. Etwa 25 % waren zuvor selbstständig. Nur rund 20 % zählen zu den „Häuselbauem". Hier sticht auch die Kumulation und prozessuale Entwicklung sozialer Problemlagen (Reis 1988, 56) heraus. Dazu zählt, dass viele Schuldner vorsätzlich nicht mehr zahlen, weil sie ohne Perspektive gänzlich überschuldet sind, weil sie keine Arbeit mehr haben oder gerade den Job wechseln, weil sie chronisch krank sind, geschieden sind oder weil sie ihr Geld bei 40 und mehr Gläubigem geborgt haben. Dieses Schuldengebirge hat 2004 einen Pleitenrekord in Höhe von etwa 6.000 Fällen verursacht. II. Überschuldung - eine Begriffsklärung Verschuldung kann als jede Form des juristisch formalisierten Eingehens von Geldverbindlichkeiten verstanden werden (Reifner 1998; Korczak/Pfefferkorn 1992). Juristisch gesehen liegt jeder Privat-,, Verschuldung" ein synallagmatischer Vertrag zugrunde, dem zufolge ein privater Haushalt Geldverbindlichkeiten eingeht. Soziologisch gesehen indizieren Schulden eine Störung innerhalb eines definierten sozialen Verhältnisses (Hörmann 1987, 17). Schulden können sich aus Krediten und rückständigen Zahlungsverpflichtungen zusammensetzen (Thiele 1995, 22). Verschuldung kann kurzfristig oder langfristig und von sehr unterschiedlichem Umfang sein. Zum Begriff der „Schulden" zählen etwa die Nutzung einer Kreditkarte, ein Überziehungsdarlehen bei einer Bank, ein Kauf auf Raten, ein Beschaffungsdarlehen der öffentlichen Hand, ein persönlicher Kredit bei Bank oder Kreditvermittler, ein Mietkauf, ein Autoleasing uam (Holzscheck 1982, 57). 7 Presseaussendung LR Christa Kranzl (Niederösterreich) vom 28. 3. 2003.

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Im Allgemeinen stellt der Umstand einer Verschuldung keine Gefahrdung der finanziellen Sicherheit eines Haushaltes dar. Für die meisten Familien etwa sind zusätzliche finanzielle Mittel im Kontext der Familiengründung erforderlich. In der Regel liegt einer Verschuldung ein RückZahlungsplan zugrunde, welcher die Abstattung der Verbindlichkeiten reguliert und überschaubar macht. Von einer Überschuldung lässt sich sprechen, wenn der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen auf Dauer nicht mehr nachkommen kann (vgl Korczak/Pfefferkorn 1992, 21; Kollmann 1994). Das laufende Einkommen reicht dann auch in Verbindung mit der Verwertung des Vermögens des Schuldners zur Deckung der Lebenshaltungskosten sowie zur Tilgung der Verbindlichkeiten nicht mehr aus. Neben dem Einkommen wird nunmehr also auch das gesamte Vermögen den Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Die finanzielle Sicherheit des Haushaltes wird im Weiteren durch Einziehungsmaßnahmen der Gläubiger gefährdet. Dies führt im Regelfall sowohl zu einer ökonomischen als auch psychosozialen DeStabilisierung des Schuldners. Das Phänomen der Überschuldung kann nach subjektiven, relativen und absoluten Aspekten differenziert werden (SCHUFA 2003): - Subjektive Überschuldung: die Person fühlt sich psychisch und finanziell überfordert, Schulden zurückzuzahlen; - relative Überschuldung: trotz einer Reduzierung des Lebensstiles reicht der Einkommensrest nach Abzug der Lebenshaltungskosten nicht zur fristgerechten Schuldentilgung aus. Eine Vermögensverwertung könnte jedoch die Schulden noch decken; - absolute Überschuldung (Insolvenz): Einkommen und Vermögen des Schuldners reichen nicht mehr aus, um die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Schulden entfalten ihre Wirkungen praktisch zumeist haushaltsbezogen, weil sie das zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen reduzieren. Kinder, Ehegatten/Lebensgefährten sind auch dann, wenn sie nicht unmittelbar als Schuldner in Erscheinung treten, von negativen Auswirkungen der Überschuldung erfasst. Gesellschaftspolitisch bedeutsam ist vor allem die relative Überschuldung {Gesa 1992). Hierbei sind die Lebenshaltungskosten zu definieren, die dem Haushalt nach Reduzierung des Lebensstiles in Abhängigkeit von der Haushaltszusammensetzung noch zugestanden werden. In diesem Zusammenhang können die Lebenshaltungskosten nach dem (bedarfsgewichteten) Sozialhilferichtsatz (entsprechend den geltenden Bestimmungen der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes entsprechend den Landes-Sozialhilfegesetzen), alternativ dazu nach den Pfändungsfireigrenzen der Exekutionsordnung herangezogen werden. Beide Systeme operationalisieren ein Subsistenzkonzept (Nettoeinkommen), wobei die Pfändungsfirei-

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grenze personenspezifisch und die Sozialhilfe haushaltsspezifisch definiert ist, wobei bestehende Unterhaltspflichten berücksichtigt werden. Relative Überschuldung eines Haushaltes besteht in diesem Verständnis dann, wenn trotz Reduzierung des Lebensstiles auf das Existenzminimum nach dem gewichteten Sozialhilferichtsatz (Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes) der verbleibende Einkommensrest nicht zur fristgerechten Schuldentilgung ausreicht. Daraus folgt zugleich, dass Haushalte unterschiedlich intensiv bis zum Erreichen des Grades absoluter Überschuldung verschuldet sein können. III. Schulden und Kapitalverwertung Wie gezeigt sind private Schulden keine Entgleisung des Marktes. Sie verkörpern vielmehr das Schmiermittel einer neoliberalen Ökonomie, die sich des Staates als wirtschaftlich steuerndem Akteur sukzessive zu entledigen trachtet. Ebenso wenig indiziert die Beitreibung der Schulden eine Desorganisation des Warenverkehrs. Sie ist ihm vielmehr immanent. III. 1 Private Schulden als Bestandteil des Akkumulationsregimes Auch wenn die Figur des Schuldners eine fortdauernde Institution der Privatrechtsgeschichte darstellt: erst für den Kapitalismus des letzten Viertels des 20. Jhdts stellt diese Schuldenökonomie der Privathaushalte ein wesentliches Segment seiner Wachstumsbewegungen dar (Warburton 1999). Dies gilt sowohl innerhalb der OECDGesellschaften wie auch zwischen ihnen. Während etwa die USA ihren Kaufboom der zweiten Hälfte der 1990er Jahre im Wesentlichen aus den Ersparnissen der Europäer, durch Inflationsexport, ungleiche „terms of trade" sowie durch Währungsabwertung finanzierten, findet selbiges auf spezifische Weise auch innerhalb der kapitalistischen Ökonomien statt. Li dem Maße, in dem der keynesianische Wohlfahrtsstaat durch einen postfordistischen „minimal State", der zentrale Teile seiner Aufgaben ausgelagert oder gänzlich privatisiert hat, verdrängt wird, kommt den Haushalten eine erweiterte Rolle bei der Stabilisierung der Nachfrage und damit der Konjunktur zu. Fällt der Staat als Motor der Nachfragesteuerung aus (etwa durch den Verzicht auf öffentliche Investitionen), können nur noch die Haushalte der Verbraucher an dessen Stelle treten. Schulden werden zum gesellschaftlichen Normale: „Schulden sind ein normales Listrument, das über verschiedene Perioden der Existenz von Einzelpersonen oder Familien hinweg zur Aufrechterhaltung eines gleichbleibenden und den während des gesamten Lebenszyklus zu

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erwartenden Einkünften entsprechenden Konsumniveaus eingesetzt wird. Schulden zu haben - bei offiziellen Kreditgebern oder inoffiziell bei Familienmitgliedern -, stellt ein normales, in vielen Haushalten unvermeidliches Verbraucherverhalten dar, und zwar besonders in der Anfangszeit ihres Lebenszyklus." {Betti 2001, 4). Der keynesianisch inspirierte Fordismus (Einkommensverteilung schafft Wachstum) basierte noch auf einer Zweiteilung, in welcher die Markposition der Subjekte durch staatliche Umverteilungs- und Nachfragestützungspolitik gewährleistet wurde. Der Staat fimgierte solcherart als Motor des Massenkonsums. Er ermöglichte den individuellen Kurzschluss zwischen kultureller Moderne, sozialer Teilhabe und Kauf (Atzmüller 1997). In dem Maße, in dem sich der neoliberale Staat nunmehr aus der Steuerung des Marktes zurückzieht, sollen nunmehr die Haushalte in Vorlage treten. Damit das der Fall sein kann, müssen die Unternehmen eingangs des 21. Jhdts mehr als 21 % ihres Umsatzes in Werbung investieren. Mitte der 1960er Jahre erreichte dieser Wert knapp 1 %. Die Haushalte taten bzw tun das von ihnen Erwartete auch, obgleich sich die sozialen Chancen hierzu aufgrund der wachsenden Einkommensschere immer ungleicher verteilen. Während ein budgetär ausgezehrter Staat sich auf die Kemfunktionen des Sicherheitsstaates sowie die Sicherung der globalen Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes konzentrierte, verschuldeten sich die Haushalte der Mittelschicht im Bemühen, mit auferlegten Konsumstandards mitzuhalten und sich gegen das offenkundig werdende Abrutschen in die Unterschicht zu wehren. So wurde die Überziehung des Girokontos Normalzustand und Zusatzgeschäft der Banken mit 14 % Überziehungszinssatz. III.2 Staat und Schulden Staatliche Politik im Umgang mit Schulden ist in sich widersprüchlich: Helfen und Disziplinieren. Während Verbraucherschulden einerseits als ökonomisches Reproduktionsproblem erkannt werden, stören sie doch den ökonomischen Kreislauf, führen zu erheblichen sozietalen Folgekosten (Arbeitslosigkeit aufgrund wiederholter Lohnpfändungen, Abtauchen in die Schattenwirtschaft, gerichtliche Beitreibung von Schulden, Wohnungs- und Obdachlosigkeit, Produktion von Armut und sozialer Ausgrenzung) {Landesarbeitsgemeinschaft 2002), müssen sie andererseits sozial individualisiert werden. Denn eine kollektiv-rationale Perspektive würde umgehend den Blick darauf eröffnen, dass Verbraucherschulden einerseits zu einem erheblichen Anteil Ergebnis einer strukturell gewalttätigen Umverteilungspolitik ,nach oben' darstellen, andererseits Ergebnis einer Politik zur Maximierung der Gewinne der Geschäftsbanken darstellen. Ein Ausstieg aus dem „Schuldenturm" der Verbraucher

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der unteren Mittel- und Unterschichten wäre also möglich. Allerdings ist er nicht gewollt. Denn Schulden eignen sich ebenso wie die „Knute der Arbeitslosigkeit" (AH Wacker) zur Sozialdisziplinierung potentiell arbeitender Konsumenten. Deshalb erscheinen Verbraucherschulden im Aufmerksamkeitsfenster der Gesellschaftspolitik in erster Linie als Resultat individueller Inkompetenz. Darum auch braucht es ebenso juristisch wie sozialpädagogisch kompetente Schuldnerberatungseinrichtungen, die zu wirtschaftlich vernünftigem Verhalten auch der Subjekte mit geringen Marktchancen erziehen sollen. Dabei geht es keineswegs darum, Personen als ökonomische Subjekte zu eliminieren. Nur die US-Amerikaner proklamieren: „Never give a sucker an even break", wenn sie die Zunahme extremer sozialer Ungleichheit rechtfertigen wollen. Hierzulande werden resozialisierte Schuldner bloß mit einem siebenjährigen Konsumverzicht abgestraft. Dann aber dürfen und sollen sie wieder konsumieren. Werden sie doch als willige Konsumenten von Waren gebraucht. Das Spekulationsregime des Neoliberalismus und die Spirale der Verbraucherverschuldung jeweiliger Schichten und Milieus verkörpern insofern zwei Seiten ein und derselben Medaille. Während der private Reichtum sagenhafte Ausmaße annimmt, bleibt den sozial Ausgegrenzten, den Sozialhilfeempfängem und „Working Poor" die Kultur der Knappheit. Die wird auf zweierlei Weise bewältigt. Nämlich einerseits durch ritualisierten Verzicht, Depression und Autoaggression; andererseits durch Defätismus und soziales „risk taking" (Furedi 2002). Ersteres verkörpert die Kultur der im Winter ungeheizten Wohnungen, die Klientel von Caritas und Licht ins Dunkel. Zweiteres äußert sich durch den Eskapismus (Cohen/Taylor 1993), die Wahmehmungsverweigerungen und eine demonstrative Risikoorientierung der Niedrigeinkommensbezieher (Trimpop 1994). In diesen Milieus der von sozialem Abstieg Gefährdeten fallen die mental erfolgreich Deformierten (Spoiler statt Zweitbuch) dem Piecemeal-Engeneeering der Konsumerismus-Ingenieure zum Opfer, die an ihren fragilen Selbstbildern herumfingem. Auf der verzweifelten Suche nach Sinn liefern hier die von den erbarmungslosen Zumutungen der Lohnarbeit Verstümmelten ihr mediokres Einkommen im Austausch gegen die Sinnsurrogate der AdvertisingIndustry ab. Seine Bestätigung findet der Kaufakt im verbalen Kontrafakt: „Ich bin doch nicht blöd" (Copyright: Media-Markt). Natürlich sind die Leute blöd, wenn sie bei Media Markt kaufen. III.3 Die Bank und ihr Wesen Irgendwo sagt Brecht, dass das Verbrechen des Bankraubes nichts bedeutet im Vergleich zum Verbrechen, eine Bank zu besitzen. Was

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unschwer nachgewiesen werden kann. Die Reform des Bankrechts 1986 initiierte einen Wachstumsschub von Konsumentenkrediten. Seither kennt man das Institut des Girokonto-Überzuges; „Einstiegsdroge" für eine spätere Schuldnerkarriere (Leisering et al 1999). Unter den Augen des wohlwollenden Gesetzgebers drängen Banken ihren Kunden geradezu das Überziehen ihrer Gehaltskonten auf. Phantastische „Überziehungsrahmen" bis zum Zehnfachen des monatlichen Nettobezuges werden eingeräumt (Prahm 1992). Mit einem Brimborium aus Schlagworten und bindungsmächtigen Werbe-Affichen werden potentielle Konsumenten dazu gebracht Geld auszugeben, über das sie hinkünftig nicht verfügen (werden). Zugleich trüben neue Formen des Zahlungsverkehrs wie Bankomatabhebungen, Einziehungsermächtigungen, Ratenvereinbarungen bei Versandhäusern oder Litemet-Versteigerungen den konsolidierenden Überblick über die eigenen Finanzen. Das wirkt insbesondere bei jüngeren und unerfahreneren Kunden. Lisbesondere Jugendliche werden zum Schuldenmachen ermuntert, noch bevor sie ihr eigenes Geld verdienen. Ergebnis dieser finanziellen Fata Morgana sind zunehmend höhere Kontoüberziehungen. Diese können oftmals nur noch mit Kreditaufnahmen abgedeckt werden. Ab da beginnt dann das Kontoüberziehungs-Spiel mit hohen Zinsen und absehbarem Ende. In diesem Kreislauf aus artifizieller Bedürfniserweckung, Propaganda, Täuschung und Verführung gehen die Banken kein Risiko ein. Denn sie wissen den Rechtsstaat an ihrer Seite. Kein Wunder. Erhebliche Teile der politischen Klasse sind selbst (Teil)Eigentümer von Banken. Dessen Ziviljustiz sorgt in Österreich mit jährlich 760.000 Lohnpfändungen und 890.000 Gerichtsvollzieherpfändungen für klare Verhältnisse. Explosionsartig zugenommen hat die Anzahl der Beitreibungsfälle mit der Einführung der Drittschuldabfragung (1986), die eine Lohn- und Gehaltspfändung erleichtert. Seit 1986 können die Banken und Kreditinstitute beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger den jeweiligen Arbeitgeber eines Schuldners erfragen und das Gehalt mit einem Gerichtstitel pfänden. Praxis auf Grundlage bestehender Allgemeiner Vertragsbedingungen ist: gerät der Schuldner mit Rückzahlungen in Verzug, stellt die Bank den gesamten Kredit fällig und leitet die Pfändung ohne Gerichtsbeschluss ein. Wer solcherart arm dran ist driftet oftmals an den gesellschaftlichen Rand. Auf diese Weise erweist sich der Bankensektor als Arbeitsplatzerhalter der Sozialämter. Greift der Rechtsstaat einmal daneben, steht der Mann mit dem Borsalino vor der Tür. De facto verzeichnen die privaten Eintreiber (Inkassobüros) rapide steigende Umsätze. So ist aus dem Zahlungsverzug ein gut gehendes Geschäft geworden.

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IV. Die Schuldenmacher Bis Ende der 1990er Jahre waren Schulden etwas, das vor allem Unternehmen, sog „Häuslbauer" und Sozialhilfeempfanger hatten {Schönbauer 1990; Blaschek 1993). Seither entstand ein neuer Typus: nämlich das Schuldenmachen als Teil der regulären privaten Haushaltsökonomie unterer Mittelschichten {Möller 1994). Daneben sind es vor allem Haushalte mit atypischen Beschäftigungsformen (Teilzeitbeschäftigte, Beschäftigte auf Abruf), in denen das Haushaltsgeld regelmäßig bereits Mitte des Monats zur Neige geht. Ein neuer Pauperismus {Kronauer 1997) ist auch hierzulande entstanden, der unter den Begriffen „neue Armut", „social exclusion" oder soziale Marginalisierung verhandelt wird. Dieser Pauperismus erstreckt sich auch auf die sozial derangierten Milieus der Schuldner {Mingione 1999; BAG 1998). Diese Milieus (von einem kohärenten „Schuldnermilieu" ließe sich in der Tat nicht sprechen) ist wie der Rest der von Armut Bedrohten und Betroffenen großteils weiblich, 'besetzt eine prekäre Position am Arbeitsmarkt, befindet sich in der Phase der Familiengründung (Eltemfamilie) oder hat eine Scheidung hinter sich {Bargfrieder 2003). Selbstredend wollen auch die relativ Benachteiligten konsumieren, wollen auf jenen Märkten als Nachfrager auftreten, auf denen Heils- und Gebrauchswertversprechen als ebenso vulgäre wie zynische Antworten auf die verzweifelte Suche nach dem Sinn der Mittelschichtexistenz gehandelt werden. Freilich ist dieser Marktauftritt dadurch beeinträchtigt, dass die Politik des neoliberalen Regimes Markt- und damit auch Lebens- und soziale Aufstiegschancen zusehends ungleich verteilt. Das betrifft nicht nur die als armutsbedroht oder akut arm Ausgewiesenen. Es betrifft auch die Mittelschichten, die sich gerade noch als Modemisierungsgewiimer des Fordismus der 1970er und 1980er Jahre wähnten. Fraglos aber sind die armutsbedrohten bzw armen Haushalte in erster Linie vom Paradoxon einer Politik negativ betroffen, welche substantiell darin besteht, die destruktiven sozialen Konsequenzen der radikalen Vermarktlichung auf ein Versagen der jeweils davon betroffenen Individuen zurückzuführen. Das gilt im Wesentlichen für jede Form sozialer Randständigkeit, auch für die damit verbundene Verschuldungsspirale {Pötscher 1996). IV. 1 Verschuldete Haushalte Fast 900.000 Menschen stecken in Österreich in einer Schuldenfalle. Jeder neunte Einwohner bzw jeder siebte Erwachsene hat seine Verbindlichkeiten bei Banken, Versandhäusern oder Handybetreibem nicht (mehr) im Griff. Die meisten zahlen monatlich. Aller-

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dings reichen die Ratenzahlungen kaum noch, um den laufenden Zinsendienst abzudecken. Damit wächst der Schuldenberg gegebenenfalls weiter. Jene, die nicht einmal mehr fallige Raten zahlen können werden exekutiert. 740.000 Fälle von Lohn- und Gehaltspfändungen werden im abgelaufenen Jahr (2004) registriert werden, über 925.000 Mal wird ein „Kuckuck" auf Habseligkeiten - Femseher, Stereoanlage, Auto, Mixer oder Sitzgamituren - geklebt werden. Das gibt stattliche 1,65 Mio Pfändungen pro Jahr. Mitte 2004 hatten die privaten Haushalte Österreichs wie erwähnt Schulden in der Gesamthöhe von 115 Mrd Euro. 90.000,— Euro pro Haushalt im Durchschnitt 450.000 verschuldeter Haushalte. 1989 waren es noch etwas mehr als 100.000 gewesen. Das Tempo der Verschuldung steigt. Im ersten Halbjahr 2004 stieg die Verschuldung mit 3,5 Mrd Euro stärker an als im Vergleichszeitraum 2003 (2,6 Mrd Euro). Die vom österreichischen Likassoverband bearbeitete Gesamtsumme aller offenen Aufträge zur Beitreibung inklusive der Klagsfalle stieg bis Ende 2003 um 62 % (zu 2002) auf 2,048 Mrd Euro. Für 2004 werden 2,36 Mrd Beitreibungsvolumen erwartet. Geht man von einem Marktanteil des Inkassoverbandes von 70 % aus, so beläuft sich die Gesamtsumme aller offenen Außenstände in Österreich 2004 auf 3,4 Mrd Euro. Nun, Schulden sind nicht gleich Schulden. Hängt davon ab, wofür sie gemacht werden. Zum einen lassen sich Schulden unterscheiden nach „Problemschulden" und „Reproduktionsschulden" (Kempson 1993). Von Problemschulden kann nur dann gesprochen werden, wenn die Miete, Hypotheken, Rechnungen oder Kreditverpflichtungen nicht bezahlt werden können. Zum anderen lässt sich das Schulden-Machen aufteilen in Wohnschulden und den eigentlichen Konsumentenkredit. Die Neuverschuldung 2004 wurde vor allem durch zusätzliche Wohnbaukredite in Höhe von 2,2 Mrd Euro verursacht. Dabei dürfte vor allem die Verringerung der Effektivzinssätze die Kreditauftiahmen stimuliert haben. Hier baut die obere Mittelschicht.^ Die Wohnbaukredite dieser Haushalte machten zur Jahresmitte 2004 68 Mrd Euro aus. Etwa die Hälfte des Schuldenstandes geht also auf das „Hüslebue" zurück. Mehr als ein Fünftel davon war im Übrigen in Fremdwährungen denominiert. Dass der Schweizer Franken mit einem Volumen von 14 Mrd Euro die ,pole Position' innehat mag nicht erstaunen. Die andere Hälfte des Schulden-

Zugleich ist der Sektor der privaten Haushalte der große Nettogläubiger der österreichischen Volkswirtschaft. Seine Nettovermögensposition, dh der Saldo aus Geldvermögen und Verschuldung, betrug Mitte 2004 205 Mrd Euro.

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berges, also 47 Mrd Euro, verkörpert die eigentliche Verbraucherverschuldung. Etwa 60 % der Kredite entfallen folglich auf Wohnen, etwa 40 % auf Konsumentenkredite. Evaluationen der Wiener Schuldnerberatung machen deutlich, dass sich das Verhältnis jüngst deutlich in Richtung Konsumentenkredite verschiebt. Der Löwenanteil der Schulden fällt dabei auf Bankkredite (70 % der Schuldner), Schulden bei Versandhäusern (42 % der Schuldner) und Mobilfunkbetreibem (27 % der Schuldner). Rund ein Drittel der überschuldeten Haushalte hat Probleme mit den Wohnkosten, oft droht die Delogierung bzw Obdachlosigkeit. Dabei dominiert insbesondere bei Kleinschuldnem das VogelStrauss-Prinzip: betroffene Personen kommen erst dann in die Schuldnerberatung (oder ein Sozialamt), wenn der Räumungsauftrag vorliegt, das Konto gesperrt ist und die familiäre Konfliktlage eskaliert, hiterventionen basieren in vielen Fällen darauf, simple Prioritäten zu setzen, etwa, umgehend die ausständige Miete zu überweisen und weitere Schulden hintanzustellen. IV.2 Finanzielle Analphabeten Durch werbungsgesteuerte Konsumbedürfhisse werden insbesondere Jugendliche zu markenorientiertem Konsumverhalten verleitet, welches nur zum geringen Teil durch eigenes Einkommen gedeckt ist (Plechinger 1995; Merkl/Wachter 2003). Nur teilweise und schichtspezifisch unterschiedlich wird die auf diese Weise entstandene Finanzierungslücke durch (Groß)Eltemtransfers und -verhalten kompensiert (Wohlstandsverwahrlosung). Zum Großteil kann die Suggestion des leicht verfügbaren Geldes mittels Kreditkarten, Girokonto und Kredit nur temporär überdeckt werden, bis die Schuldenlast das verfügbare Einkommen absorbiert. In OÖ sind 20 % der Klientinnen der Schuldnerberatung unter 25 Jahren Jugendliche und junge Erwachsene mit „finanziellem Analphabetismus" {Ferdinand Herndl). Angesichts des Drucks, Dinge besitzen zu müssen, wird, vorangetrieben durch aggressive Kreditwerbung, auf Pump gekauft. Kreditinstitute betreiben diese Werbestrategien aufgrund ihrer hohen Geldreserven und Spareinlagen, abgesichert durch einschlägige Geschäftsbedingungen und fehlende Regelungen im Bankwesengesetz. Girokonto-Überziehungen, „takeoff für eine spätere Schuldnerkarriere, die seit mehreren Jahren Jugendlichen über 14 erleichtert^ werden, Handy-Rechnungen und Autoanschaffungen erweisen sich als Einstieg in Schuldnerkarrieren. Auch Jugendliche ohne Einkommen können derzeit Verpflichtungs9 LGZ Wien, GZ 34 R 425/99.

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erklärungen (Kredite) abschließen. Schadenersatzforderungen über den Umweg des ABGB sind gegenüber ihnen durchsetzbar. 20 % der jungen Erwachsenen zwischen 15 imd 24 sind verschuldet. Davon ist jeder dritte überschuldet, was bedeutet: seine Schulden sind höher als seine durchschnittlichen monatlichen Einkünfte. Während Erwachsene Schulden oftmals besichem können, steht den Schulden Jugendlicher keine Besicherung gegenüber. V. Strukturelle Faktoren der Überschuldung Zweifellos sind die Faktoren der Haushaltsüberschuldung komplex. Unübersehbar sind (neben allgemein wirkenden Faktoren wie etwa der Einkommensarmut bzw der sinkenden Lohnquote sowie der sozialen Inkompetenz marginalisierter Milieus) Arbeitslosigkeit, Scheidung und Straffalligkeit als „life-events" wesentliche Auslöser der Überschuldung. Dementsprechend unterscheidet etwa Reis (1992, 9) zwischen Armutsschuldnem und Krisenschuldnem. Jarmusz (2003) gliedert die „Armutsschuldner" weiter auf: ein Teil der Armutsschuldner, der schon bei Aufnahme eines Kredites überschuldet sind, kann bereits die erste Kreditrate nicht tilgen, ohne den eigenen Lebensunterhalt zu gefährden. Ein zweiter Teil orientiert sich ungeachtet prekärer Einkommen am Lebensstandard der besser Verdienenden und versucht, diesen durch Kreditaufiiahme zu finanzieren. Treten „life-events" wie Arbeitslosigkeit oder familiäre Krisen hinzu, ist binnen kurzer Zeit das Stadium der Überschuldung erreicht. Ein dritter Teil nimmt Kredite zur mittel- oder längerfristigen Einkommens- bzw Vermögensbildung auf und bewirtschaftet oftmals Kredite durch Kredite mit besseren Tilgungskonditionen. „Entgleisen" solche Kreditkonstruktionen, kommt es zu Überschuldung. Sichtbar sind also sowohl sozialstrukturelle Faktoren ebenso wie institutionelle und individuelle. Lebenslagen und „Aspirationshorizonte" der überschuldeten Personen und Haushalte, Verarbeitungsmuster und -möglichkeiten durch die Betroffenen, Strategien der Banken und Gerichte spielen hierbei zusammen. Diese Faktoren bestimmen im Weiteren den Weg in die Überschuldung. Die Wege in die Überschuldung können in zeitlicher Abfolge nach folgenden objektiven Ereignissen strukturiert werden: Aufnahme eines Kredites (Verschuldung), erste Zahlungsstörung, fortgesetzte Zahlungsstörungen bis zur Überschuldung und schließlich die Zahlungsunfähigkeit {Zimmermann 2002). V.l Niedriglöhne Der Zusammenhang zwischen der Höhe des Äquiyalenzeinkommens eines verschuldeten Haushaltes und dessen Überschul-

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dungsrisiko ist ausgeprägt {Zimmermann 2002/ Generell gilt: je niedriger das Äquivalenzeinkommen, desto größer das Überschuldungsrisiko. Zugleich zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen Überschuldung und Berufsgruppenzugehörigkeit. Haushalte, deren Haupteinkommensbezieher der Berufsgruppe der ungelernten und angelernten Arbeiter zuzuordnen ist, laufen das höchste Überschuldungsrisiko. Das geringste Überschuldungsrisiko findet sich in Haushalten von akademisch qualifizierten Freiberuflern. Verteilungsdynamiken mit großem Einkommensgefalle spiegeln sich also nicht nur in einer Zunahme der durchschnittlichen Haushaltsverschuldung, sondern auch in einem steigenden Überschuldungsrisiko {Voges/Weber 1997; Debelle 2004). V.2 Soziale Inkompetenz Überschuldung ist im Regelfall nicht bloß Ausdruck ökonomischer Marginalisierung, sondern zugleich auch Ausdruck sozialer Inkompetenz. Diese Likompetenz drückt sich auch in der Unfähigkeit aus, mit einem gegebenen Einkommen (knappen Ressourcen) rational zu wirtschaften. Ein aktueller Ausdruck dieser sozial-differentiellen Inkompetenz konnte im Übrigen mit der Einführung des Euro beobachtet werden. Insbesondere ältere und sozial schwache Personen haben die „Euroumstellung" nicht hinreichend verinnerlicht. Bei größeren Anschaffungen fehlt das Angemessenheitsempfinden für die Höhe des Preises. Fakt ist, dass die Erfahrungen der Schuldnerberatungen zeigen, dass neben dem Sinken der Kaufkraft und dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit die Euro-Umstellung für viele Haushalte mit einem erheblichen Schuldenanstieg verbunden war. Die Überschuldung Privater kann also auch als Ergebnis ungleicher sozialer Kompetenz zwischen Anbietern und Nachfragern gelesen werden {Hoes 1997). Dies kann einesteils als Ausdruck einer spezifischen „moralischen Ökonomie der Unterschichten" (E. P. Thompson) verstanden werden, ist andererseits und zugleich aber auch Gegenstand sozialer Kontrolle und administrativer Sozialdisziplinierung. Holzer (1993) zufolge, der die administrativen Verarbeitungsmechanismen im Umgang mit überschuldeten Haushalten erläutert, ist Ziel der mit diesen Kontroll-Leistungen befassten Sozialhilfe-Administration die Disziplinierung der Haushalte entlang abgestufter Entschuldungs- und Reintegrationsprognosen. Die meisten der betroffenen Haushalte benötigen im Weiteren intensive sozialarbeiterische oder sozialpädagogische Begleitung in Form von Haushaltsausgaben- und Hilfeplänen (Schruth 2003). Knapp 20 % der Sozialhilfebezieher befinden sich auch aufgrund von Schulden im Sozialhilfebezug (Sommerfeld/Jungck 1999, 8); 3 4 % verschulden sich während des Sozialhilfebezugs weiter.

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VI. Life Events Kritische Lebensereignisse („life-events") können unterschiedlicher Natur sein. Es kann sich dabei um Arbeitslosigkeit, Scheidung, Erkrankung, Geburt eines Kindes, Wohnungsverlust ua handeln. Je knapper Haushaltsbudgets kalkuliert sind, desto anfalliger sind Haushalte für eine durch ein kritisches Lebensereignis ausgelöste Überschuldung. Kritische Lebensereignisse kumulieren oftmals. Dies deshalb, weil Krisen systemischen Charakter haben, also etwa von der Langzeitarbeitslosigkeit zur Scheidung und zum Wohnungsverlust führen. VI.l Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit ist eine Hauptursache der Überschuldung und damit auch der Armut von Haushalten (Fischer/Talos 1986; Adamy/Steffen 1998; Gärtner 1998). 46 % der Klientinnen suchen wegen Arbeitslosigkeit die Schuldnerberatung auf, gefolgt von Trennung und Scheidung (23 %) und gescheiterter Selbstständigkeit (20 %). Schulden und Arbeitslosigkeit hängen folglich eng miteinander zusammen. Überschuldete Arbeitslose bleiben deutlich länger ohne Beschäftigung als Arbeitslose ohne finanzielle Engpässe (im Durchschnitt 72 Wochen im Vergleich zu 29 Wochen).*^ Überschuldung ist ein regelrechtes Vermittlungshemmnis, da Arbeitgeber eine geminderte Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer bei voraussehbaren Lohnpfändungen unterstellen {Jarmusz 1993). Die dabei zu Tage tretenden Probleme sind im Regelfall mit anderen Armutsfaktoren und risiken verknüpft (Alkoholabusus, drohender Wohnungsverlust, familiäre Konflikte etc) {Bonß/Heinze 1984; Hofemann 1991). Treffen Arbeitslosigkeit und Überschuldung aufeinander, so kommt es im Regelfall zu einer psychosozialen Destabilisierung oder Erkrankung der Betroffenen (Büchtemann 1984), welche einen umfassenden Kontrollverlust erleben (Brenner 1979; Brinkmann 1984). Missglücken die angestrebten Lösungsversuche und verfestigen sich sozialen Risken zu „anomischen Lebenssituationen", kommt es zu Fehlanpassungen, die von „erlernter Hilflosigkeit" (Seligman 1992) bis hin zur Entwicklung abweichenden Verhaltens reichen (Brenner 1986). Im sozialen Abstieg werden Zahlungsaufforderungen ignoriert, die „compliance" mit den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsämter sinkt, die Bereitschaft zu riskanter „Geldbeschaffung"

10 Untersuchung der Landesarbeitsämter von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aus dem Jahre 1995.

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steigt {Klein 1987). Die Figur des „pathologischen Schuldners" kommt zum Vorschein. Die Erfahrungen der Arbeitsämter zeigen zudem, dass bei überschuldeten Arbeitslosen eine dauerhafte Reintegration ins Erwerbsleben nicht ohne die Lösung ihres Überschuldungsproblems möglich ist (Bundestag 1996). Dabei stehen selbstredend die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Einkommensverluste im Mittelpunkt {Hupe 1992, 29ff). Diese werden dadurch verschärft, dass Arbeitslose höhere Haushaltsführungskosten als Erwerbstätige haben, ganz dem Motto: „the poor pay more" folgend. Erforderliche Anschaffungen können nicht mehr aus Erspartem finanziert werden, sondern es müssen dafür neue Schulden aufgenommen werden, welche sich die Banken aufgrund der hohen Unsicherheit hoch verzinsen lassen {Jarmusz 1993). Armutsbetroffene Haushalte kaufen zumeist billig, aber qualitativ geringwertig, weisen daher eine hohe Ersatzbeschaffungsrate aus {Hupe 1992). Die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit liegen daher im Regelfall meist weit höher als in der bloßen Einkommensersatzzahlung und spiegeln sich im Verschuldungsausmaß der betroffenen Haushalte {Kieselbach/Wacker 1985; Zilian/Fleck 1990). VI.2 Scheidung und Schulden Jede dritte Ehe scheitert. Finanziell zumeist negativ betroffen sind die Frauen, insbesondere dann, wenn sie Mütter kleiner Kinder mit entsprechenden Kinderbetreuungspflichten sind. Jede vierte Frau mit minderjährigen Kindern ist im Laufe ihres Lebens mindestens einmal allein erziehend {Gutschmidt 1991). Entscheiden sich Frauen zur Trennung (was bei über 90 % der Fall ist) oder trennt sich ihr Partner, kann für sie eine Armutsspirale in Gang kommen. Im Regelfall reichen die alten Ansprüche aus der ehelichen Beziehung nicht aus, um die Existenz zu sichern. Scheidung produziert zumeist Armut in zwei Haushalten. Zugleich sind für die Betroffenen Ansprüche aus Systemen sozialer Sicherung (Sozialhilfe) nicht oder nur unzureichend vorhanden. Nach der Trennung halten die gewichteten Haushaltskosten ihr Niveau (oder steigen an), während die Einkommenslage der Mütter sich extrem verschlechtert. Auch wenn sie die gemeinsam genutzte eheliche Wohnung behalten, muss selbige auch bezahlt werden. Die Kosten der Kinderbetreuung schlagen entweder durch den Verzicht auf eigenes Einkommen oder durch Gebühren bzw Gehälter für Betreuungspersonen zu Buche. Auch Schulden aus zerrütteten Beziehungen werden den Frauen aufgebürdet, wenn die Männer verschwinden. Folglich müssen viele Frauen nach der Trennung Kredite aufnehmen, teils um überhaupt leben zu können, teils um eheliche Altlasten zu tilgen. Der Versuch, den Einstieg in eine längerfristig wirksame Überschuldungsspirale

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ZU vermeiden, gelingt nur selten. Armutsgefahrdung ist die logische Folge. Während im gemeinsamen Haushalt durch sparsame Lebensführung und Verzicht dafür gesorgt werden konnten die Lebenshaltungskosten zu bewältigen, sind die betroffenen Frauen nach der Trennung selbst unter extremem Verzicht und bei höchster Sparsamkeit dazu nicht mehr in der Lage. Die auf der Hand liegende Lösung, nämlich eine neue formelle Bindung an einen Partner birgt im Grunde dasselbe Risiko wie die vorangegangene Bindung. Zugleich verliert die betroffene Frau den Unterhaltsanspruch aus der alten Ehebeziehung. Verschärft wird die Lage für Mütter mit kleinen Kindern, wenn das Kindergeld fortfallt, für die Kinder aber kein Kindertagesbetreuungsplatz verfügbar ist. Dann ist ihnen die Erwerbsarbeit verschlossen, zugleich ist eine hinreichende Absicherung für die Betreuungsarbeit aber ebenfalls nicht vorhanden. Gegebenenfalls sind eigene Unterhaltsansprüche befristet. In etwa zwei Drittel der Fälle werden Unterhaltsansprüche entweder gar nicht oder nur eingeschränkt realisiert. Ebenso armutsgefahrdend ist die Begrenzung der Zahlungen aus der Unterhaltsvorschuss-Regelung. Allein erziehende Mütter befinden sich, das zeigen die verfügbaren Armutsdaten des BSMG, in einer prekären Lage. Weder die vormaligen Partner noch die öffentliche Hand gewährleisten die Existenzsicherung. Kinderarmut ist die logische Folge. In der Zwickmühle zwischen Erwerbssystem (Arbeitsmarkteilnahme) und Sozialsystem (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe-Transfers, Kindertagesbetreuungseinrichtung) . Wegen der Knappheit öffentlicher Kinderbetreuungsplätze ist eine für sie notwendige bevorzugte Aufnahme in öffentliche Einrichtungen an den Nachweis eines Arbeitsplatzes gebunden, eines Arbeitsplatzes, den Mütter aber erst annehmen können, wenn sie die Kinder versorgt wissen. Ein ähnliches Dilemma besteht für allein erziehende Mütter kleiner Kinder beim Arbeitslosengeldbezug. Nur wer dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist berechtigt, ^Arbeitslosengeld zu beziehen: Diese Voraussetzungen können allein erziehende Mütter aber kaum erfüllen, wenn sie keine Kinderbetreuungsplätze haben. Hier zeigt sich wiederum, wie dieses soziale Sicherungssystem auf den Familienemährer abgestimmt ist. Probleme mit der Kinderbetreuung sind gar nicht vorgesehen, weil dafür die von ihm mitemährte Ehefrau zur Verfügung steht. Für die erwerbslos gewordenen alleinerziehenden Mütter kleiner Kinder ist der Sozialhilfebezug die Folge. Trotz guter Qualifikation aus Schule und beruflichen Bildungssystemen münden viele allein erziehende Mütter in den unterem Bereich des Erwerbssystems mit schlechten Verdiensten und geringeren Verbesserungsmöglichkeiten, und die potentielle Armutsspirale im Hinblick auf das Alter beginnt.

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VI.3 Straffälligkeit und Schulden Bei straffällig gewordenen Personen stellt sich das Überschuldungsproblem ungleich schärfer dar als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Bei Straffälligen kommen neben der üblichen Konsumentenverschuldung (Bankschulden, Versandhausschulden, Telephonschulden, Mietschulden) straftatbedingte Schuldverpflichtungen hinzu. Haftentlassene bzw straffällige Personen mit laufender Bewährungshilfe sind zu beinahe 2/3 mit Ver- bzw Überschuldungsproblemen konfrontiert. Deren Überschuldung bedeutet nicht nur, dass nach Abzug der fixen Lebenshaltungskosten der verbleibende Rest des monatlichen Einkommens für die zu zahlenden Raten nicht mehr ausreicht. Er birgt zugleich massive soziale und psychische Konsequenzen in sich {Korczak/Pfefferkorn 1992). Nach einer Stuttgarter Stichprobenerhebung sind 63,1 % der Probanden verschuldet {Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe 2001). Diese Belastungszahl ist relativ stabil {Bewährungshilfe Stuttgart 1987). Verschuldung ist zugleich ein relevanter Faktor für die Rückfälligkeit von Probanden. Deshalb verkörpert die Schuldenabwicklung hinsichtlich Anwaltsund Gerichtskosten, Schadenersatzforderungen von Versicherungen, Geldstrafen und Schadenswiedergutmachungen (Schmerzengeld) knapp 55 % der Tätigkeit von Bewährungshelfem {Schmitt 1998). Folglich ist die Schuldnerberatung (Unterstützung bei Erlangung gesetzlicher Leistungen, Haushaltsplanung, Information in Unterhaltsfragen, Hilfestellung bei der Korrespondenz mit Gläubigem, teilweise oder vollständige Geldverwaltung, Ratenzahlungsvereinbarungen) integraler Bestandteil der Bewährungshilfe. Straffällige sehen sich oftmals mit Lohnpfändungen, Einstellungen der Strom- oder Gaslieferung wegen offener Rechnungen oder Ladungen zum Strafantritt wegen nicht bezahlter Geldstrafe(n) konfrontiert. Geschäft der Bewährungshelfer ist es, Gläubiger über die Zahlungsunfähigkeit zu informieren, um kostentreibende Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden. Bei bestehender Unterhaltsverpflichtung werden im Regelfall Möglichkeiten der Reduzierung des Unterhalts geprüft. Oftmals haben verschuldete Probanden die Briefe der Gläubiger unbeantwortet, manchmal ungeöffnet, in Schubladen oder Kartons gesammelt.

VII. Verbraucherinsolvenz - Rückkehroption im Austausch für Anpassungsleistungen? Im Kontext der seit Mitte der 1990er Jahre aufgeflammten Armutsdebatte wurden Schulden ein sozialpolitisches Dauerthema. So lange dies nur die 10 % der „social underclass" betroffen hatte, die weder wählen noch dank chronifizierter Erkrankungen lange Pensions-

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Zeiten konsumieren (Jencks 1992; Katz 1993), wurde dies noch nicht als strukturelle Herausforderung der Politik wahrgenommen. Handlungsbedarf entstand erst dann, als Kemschichten der Klientelen der Großparteien betroffen wurden. Diese Risiko-Extension konnte von den politischen Eliten nicht ignoriert werden. Handlungskompetenz musste bewiesen werden. Aber wie, ohne grundlegende Spielregeln neoliberaler Deregulierungspolitik oder die strategischen Partner aus der Bankenwirtschaft zu vergrämen? Im Weiteren entstanden zwei einander paradoxierende Stränge staatlicher Intervention: einerseits wurde der zunehmenden Verbraucherinsolvenz mithilfe der Einrichtung (bevorrechteter) Schuldnerberatungsstellen, welche durch den „Privatkonkurs" einen koordinierten Ausstieg aus der Verschuldungsspirale ermöglichen sollten, entgegengewirkt. Andererseits wurden die Möglichkeiten der Kreditierung bzw Verbraucherverschuldung proaktiv im Kontext des Bankenrechts, des E-Commerce aber auch des traditionellen Ratenkaufes erweitert. VII. 1 Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Verbraucherinsolvenz Nur vordergründig verkörpern sozial abstiegsgefährdete oder bereits sozial desintegrierte Kunden für die Banken das Risiko einer Fehlinvestition. Die Annahme, Banken hielten diese Kunden am liebsten fem, ließen sie von der Konkurrenz bedienen oder würden sie mit hohen Zins- und Gebührenforderungen abschrecken, geht in die Irre. Vielmehr können die Banken iln-e Gewinnvorgaben nicht mehr ausschließlich mit den etwa 10 % gewinnbringenden guten Kunden allein erfüllen (Backert/Lechner 2000). Deshalb müssen sie aggressiv bzw offensiv den Markt der mediokren (unteren) Mittelschichten bearbeiten. Ohne die riskante Masse der volatilen 90 % wird der nötige Umsatz nicht erreicht. 1995 wurde deshalb in Österreich der Privatkonkurs ermöglicht. Wer nach einem gerichtlich fixierten Plan fünf bis sieben Jahre hindurch sozial angepasst seinen Zahlungen nachkommt, hat eine Chance auf einen Erlass der Restschuld. 2002 wurden 3830 Privatkonkursanträge gestellt. Fast 22.000 Private waren es 2003. Doch weit weniger als 50 % der Privatkonkursanträge fähren zum gewünschten Ziel. Mehr als die Hälfte kann dem vorgesehenen Zahlungsplan nicht nachkommen und beginnt (wenn überhaupt) wieder von vorne - ohne Aussicht auf einen Erlass der Restschulden.

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VII.2 Zur sozialen Selektivität der Verbraucherinsolvenz Zugleich zeigen die verfügbaren Erfahrungen aus der Privatinsolvenz, dass nur etwa 10 % der Betroffenen versuchen, diese Entschuldungsmöglichkeit zu nutzen bzw ein Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten. Nur 16% davon sind außergerichtlich erfolgreich, in 40 % wird ein gerichtliches Verfahren eingeleitet. Das niedrige Belastungsniveau der Gerichte ist allerdings nicht auf eine überwiegend einvemehmliche Lösung zwischen Schuldnern und Gläubigem zurückzuführen. Ganz im Gegenteil lässt sich in den Verhandlungen vor den Schuldnerberatungsstellen eine überwiegend ablehnende Haltung auf Gläubigerseite nachzeichnen {Hofmeister 1999, 504). In diesem Zusammenhang stellt auch die Finanzierung der Verfahrenskosten ein virulentes Problem für die überschuldeten Haushalte dar. Im Ergebnis nehmen überhaupt nur 1 % der überschuldeten Haushalte Deutschlands die Möglichkeit eines Verbraucherinsolvenzverfahrens wahr (Litschke 2000, 38). Die österreichischen Daten weichen davon kaum ab (Knefz 1996). Ein Zehntel davon kann erfolgreich ein Entschuldungsverfahren abschließen. Eine zentrale Ursache für den niedrigen „take-up" wird in dem komplizierten, langwierigen und kostspieligen Verfahren der Verbraucherentschuldung gesehen. Insbesondere die Überlastung der Schuldnerberatungsstellen aufgrund ihrer unzureichenden Zahl und Ausstattung führt zu erheblichen Verzögerungen (Göbel 1999, 457). Die verfügbaren Daten zeigen eine verstärkte Nutzung des Privatinsolvenzverfahrens von Haushalten mit einer hohen Verschuldung (>50.000 €) und Haushalten mit vielen Gläubigem (>10). Eine geringe Nutzung des Verbraucherinsolvenzverfahrens ist bei überschuldeten Haushalten, die Sozialleistungen (Sozialhilfe) beziehen, zu beobachten. Insgesamt wird deutlich, dass Entschuldungsmöglichkeiten nicht von allen überschuldeten Haushalten gleichermaßen genutzt werden (Litschke 2000; Grote 2000). Die Selektion der erfolgswahrscheinlichen Fälle beginnt bereits in der Schuldnerberatung, welche die erwartbaren Zahlungen und das Selbstdisziplinierungspotential der Klientel während der gesetzlichen Wohlverhaltensperiode abzuschätzen hat. Allerdings ist hierbei darauf zu verweisen, dass nur 30 % aller Verbraucherinsolvenzverfahren in Schuldnerberatungsstellen betreut werden. Erst eine positive Prognose eröffnet den Weg in den außergerichtlichen Einigungsversuch, welcher zum Standardrepertoire der Schuldnerberatung gehört. Der Einigungsversuch, bei dem im Wesentlichen die rechtlichen Vorgaben der Konkursordnung an den Entschuldungsbzw Schuldenbereinigungsplan genutzt werden, hängt wesentlich von der sozialen (verbalen) Kompetenz der Betroffenen ab.

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VIII. Resümee Absehbar ist ein weiteres Ansteigen der Gesamtverschuldung sowie das Herauspräparieren von Risikogruppen wie Jugendlichen, Alleinerziehenden, Arbeitslosen als Kempopulation der Überschuldeten {Müller 2003). Verbraucherverschuldung und individuelle Überschuldung sind entgegen marktliberaler Lesart kein Ausdruck individueller Undiszipliniertheit. Vielmehr muss das Schuldenmachen mehr denn je als Überlebensstrategie von Modemisierungsverlierem verstanden werden. Überschuldung ist für die davon Betroffenen im Regelfall mit finanzieller und sozialer Ausgrenzung verbunden. Der Einsatz von Instrumenten der Schuldnerberatung, die darauf abzielen, den Betroffenen ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zurückzugeben, reicht nicht hin, wenn zugleich institutionell die soziale Realität des Ver- und Überschuldungsprozesses ausgeblendet bleibt. Literatur Adamy, W./Steffen, J.: Abseits des Wohlstands. Arbeitslosigkeit und neue Armutj Darmstadt 1998 Althammer, M.: Überschuldungsursachen und Überschuldungskarrieren privater Haushalte. Eine rechtssoziologische Untersuchung über die Entstehung von Überschuldungssituationen privater Haushalte und deren Verhinderung, Univ.-Diss., Salzburg 1997 Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe Baden-Württemberg: Bewährungshilfe in Baden- Württemberg 2000. Zahlen - Daten - Fakten, Stuttgart 2001 Aßmann, K.: Die Prävention der kritischen Verschuldung von privaten Haushalten - (k)ein Mythos, Univ.-Diss., Innsbruck 1998 Atzmüller, R.: Der integrale Staat. Ideologie- und hegemonietheoretische Überlegungen zum Staat in der Krise des Fordismus, Univ.Diss., Wien 1997 Backert, W./Lechner, G.: ... und befreie uns von unseren Gläubigem, Baden-Baden 2000 Backert, W.: Leben im modernen Schuldenturm. Überschuldung von Privathaushalten und soziale Milieus in den alten und neuen Bundesländern, Frankfurt 2003 BAG - Schuldnerberatung (Hg). Armut und Verschuldung, Kassel 1988 Bargfrieder, C : Die Frau in der Schuldenfalle, Univ.Dipl.-Arb., Linz 2003

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Nikolaus Dimmel

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Land der Schuldenberge

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Ulrike

Aichhorn

Kredite von Ehepartnern und Lebensgefährten. Ein Überblick über Schutzbestimmungen und rechtliche Unterschiede Einleitung Wer kennt nicht die Werbefilmchen, die zur Hauptsendezeit die Geschichte erzählen, wie die junge, glückliche Familie dank eines supergünstigen Kredites nun in ihrem schönen neuen Haus noch glücklicher leben wird. Dass die Geschichte sehr oft böse endet, erzählt die Geschichte nicht, denn Märchen enden grundsätzlich immer dann, wenn es am Schönsten ist. Das häufige Ende vom Lied ist hinlänglich bekannt: Die Liebe geht, die Schulden bleiben. Scheidungsstatistiken, die tendenziell in Richtung einer 50%igen Scheidungsrate gehen, müssten eigentlich gerade dann, wenn eine langfristige finanzielle Belastung im Rahmen einer Partnerschaft ansteht, die Alarmglocken schrillen lassen. Vor allem beim finanziell schwächeren Teil, meist die Frau. Die Gründe, warum sich Frauen trotz häufig fehlenden oder nur geringen Eigeneinkommens auf Kredit(mit)haftungen einlassen, sind vielschichtig und nicht immer rational nachvollziehbar. In der juristischen Beratungspraxis wird man oft mit Aussagen konfrontiert wie: „Ich kann mich doch nicht weigern, einen Kredit für die gemeinsame Zukunft zu unterschrieben, das würde ja so ausschauen, als ob ich meinem Mann nicht vertrauen bzw ihn nicht lieben würde." „Ehefrauen müssen mitunterschreiben, das weiß doch jeder". „Da waren so viele Zettel zu unterschreiben, es hat geheißen, ich muss mich nicht weiter darum kümmern, es sei so üblich". Die Folgen im Falle des Scheiterns einer Beziehung müssen dann aber, gerade auch im Bereich der bisherigen gemeinsamen (ehelichen) Schulden, oftmals von den Frauen alleine bewältigt werden. So zählen nach den Erfahrungen der Schuldnerberatungsstellen zu den häufigsten Gründen, die Menschen in eine finanzielle Notlage bringen, Arbeitslosigkeit, Bürgschaften, die plötzlich schlagend werden und Scheidungen^. Alles Faktoren, die speziell auch auf Frauen zutreffen. Der „Klassiker" ist, dass bei einer Trennung bzw Scheidung sich meist die Frauen mit allen Mitteln bemühen, das kreditfinan1 Die Ursachen der Armut, Salzburger Nachrichten vom 19.2.2005, Die Seite Drei.

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Ulrike Aichhom

zierte bisherige „Familiennest" für die Kinder zu erhalten, um diesen eine Entwurzelung zu ersparen. Kinderbetreuungspflichten ermöglichen nur eine eingeschränkte Erwerbstätigkeit, die Unterhaltsansprüche gewähren auch keinen großen finanziellen Spielraum, da die finanzielle Situation des Ex-Ehemannes häufig angespannt ist, hoch dotierte Jobs finden sind nicht gerade in „Frauendomänen", die finanzielle Bürde wird schwerer - und der „Armutsgefährdungsfaktor" steigt. Der aktuelle „Bericht über die soziale Lage 2003-2004"^ macht einen deutlichen Zusammenhang zwischen familiärer Lebensform und Armut(sgefährdung) deutlich. Als arm gilt statistisch gesehen jemand, der weniger als € 785,- pro Monat (= 60 % des Medianeinkommens) zur Verfügung hat. Vor allem Alleinerziehende, kinderreiche Familien und allein stehende ältere Menschen (meist Frauen) wurden als besonders armutsgefahrdet identifiziert. Beinahe jede dritte Person (31 %) in einem allein erziehenden Haushalt ist armutsgefahrdet, womit Alleinerziehende trotz ihrer sehr hohen Erwerbsbeteiligung (77 %) zu den gefahrdetsten Gruppen zählen^. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Frauen ein höheres Armutsrisiko tragen als Männer. Ein Haushalt mit einer Frau als Hauptverdienerin, zB eine allein erziehende geschiedene Mutter, hat ein beinahe doppelt so hohes Risiko (20 %) als Haushalte mit einem Mann als Hauptverdiener (11 %). Dazu kommt, dass die Armutsgefährdung mit der Zahl der Kinder, insbesondere bis zum Schuleintritt des jüngsten Kindes, deutlich zunimmt^. Dass in aufrechter Beziehung eingegangene gemeinsame Schulden im Fall des Scheiterns der Partnerschaft (geschlechtsspezifische) Härtefälle nach sich ziehen können, die von Gesellschaft und Gesetzgebers nicht einfach negiert werden dürfen, wurde schon vor Jahren erkannt. Als erster Schritt wurde 1985 das „Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen zum Schutz des für einen Kredit mithaftenden Ehegatten getroffen werden"^ geschaffen, das mit 1.1.1986 in Kraft trat. Dieses Gesetz führte insbesondere zwei neue Schutznormen ein, und zwar § 98 EheG und den damaligen § 31a KSchG. § 31a KSchG bestimmte, dass für den Fall einer Kreditaufnahme durch ein Ehepaar für das Kredituntemehmen eine besondere 2 Bundesministerium für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hg), Bericht über die soziale Lage 2003-2004, Wien 2004 (zit Sozialbericht). 3 Sozialbericht 220. 4 Sozialbericht 217, 221, 231. 5 BGBl Nr 481/1985.

Kredite von Ehepartnern und Lebensgefährten

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Belehrungs- und Verständigungspflicht gilt, auch dann, wenn ein Ehepartner „nur" als Bürge haftet. Das Ehepaar war darüber zu belehren, dass für den Fall, dass sie solidarisch haften, von jedem der Schuldner in beliebiger Reihenfolge der volle Schuldbetrag verlangt werden kann, ohne Rücksicht darauf, wem konkret die Kreditsumme zugekommen ist. Weiters musste darüber aufgeklärt werden, dass die Kredithaftung auch im Falle der Ehescheidung aufrecht bleibt. Schließlich musste das Kredituntemehmen die Ehepartner darauf aufmerksam machen, dass das Gericht im Falle der Scheidung die Haftung eines der Ehepartner auf eine Ausfallsbürgschaft beschränken kann (§ 98 EheG). Kam das KreditUnternehmen seiner Belehrungspflicht nicht oder nur ungenügend nach, kam der Kreditvertrag aber gültig zustande, der Bank drohte lediglich eine Geldstrafe bis zu ATS 20.000,--. Der neu ins EheG eingeführte § 98 besagte, dass hinsichtlich ehelicher Schulden, für die beide Ehepartner haften, im Zuge einer Scheidung durch einen Ausspruch des Gerichts der bisherige Solidarschuldner/Bürge und Zahler/schlichte Bürge zum Ausfallsbürgen bestimmt und damit nur mehr unter gewisen Umständen zur Schuldentilgung herangezogen werden kann. § 31a KSchG und § 98 EheG waren über 10 Jahre die tragenden Schutznormen, ehe sich die Arbeiten zur KSchG-Novelle 1997 dem Problembereich der Bürgschaft bzw der direkten Mithaftung von vermögenslosen oder einkommensschwachen Angehörigen widmeten. Der damalige Entwurf lehnte sich stark an die von deutschen Gerichten entwickelten Grundsätze an^. Gerade als der Entwurf der Novelle zur Begutachtung versendet worden war, judizierte der OGH (JBl 1995, 651 mit Anm Mader uö) erstmals^ für das österreichische Privatrecht, dass die Übernahme der Mithaftung durch mittellose Angehörige des Hauptschuldners unter bestimmten Voraussetzungen sittenwidrig und damit nichtig sein kann. Trotz dieser eindeutigen Leitentscheidung entschloss sich der Gesetzgeber nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit dazu, die einschlägigen Bestimmungen auch im Konsumentenschutzgesetz festzuschreiben^. Die KSchG-Novelle 1997^ führte daher die Interzessionsregeln der §§ 25a-d KSchG einl^, wodurch § 31a KSchG durch § 25a KSchG (Kreditgeschäfte von Ehegatten) ersetzt wurde. 6 Insb ByerfGE 89, 214 = NJW 1994, 565f mit Anm Honsell uö. 7 Einen Überblick zur „Sittenwidrigkeitsjudikatur" bieten jüngst etwa Eigner, Interzedentenschutz, 273ff; Rosenmayr, Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften, ZIK 2004/238. 8 RV311BlgNR20. GP, 26. 9 BGBl I Nr 6/1997.

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Während in den ersten Jahren also von den Schutznormen des § 98 EheG und § 31a KSchG lediglich Ehepartner umfasst waren, gibt es nunmehr auch für nichteheliche Lebenspartner oder sonstige nahe Angehörige, zB Geschwister, bestimmte Schutzbestimmungen. Es ist daher grundsätzlich zu unterscheiden, ob es sich um Normen handelt, die ausschließlich für Ehepartner gelten oder um solche mit einem weiter gefassten Adressatenkreis. I. Normen, die ausschließlich für Ehepartner gelten I.l Änderung der Haftungsposition durch Richterspruch gern § 98 EheG Die Voraussetzungen, dass ein Richterspruch gern § 98 EheG erfolgen kann, sind folgende: 1. Es muss sich um eine Kreditverbindlichkeit handeln, 2. für die beide Ehepartner haften, 3. die im Zuge der Scheidung aufzuteilen ist, 4. für die im Aufteilungsverfahren eine Entscheidung des Gerichts (gem § 92 EheG) oder eine Vereinbarung der Ehepartner (gem § 97 bzw § 55a EheG) getroffen wurde 5. und der Antrag muss fristgerecht gestellt werden. Erfolgt der Ausspruch des Gerichts, dann bewirkt dies, dass der bisherige Solidarschuldner/Bürge und Zahler/schlichte Bürge zum bloßen Ausfallsbürgen wird und nur mehr unter bestimmten Umständen zur Schuldentilgung herangezogen werden kann. I.l.l „Eheliche''

Kreditverbindlichkeit

Soll für eine Kreditverbindlichkeit ein Richterspruch gem § 98 EheG erfolgen, so muss es sich jedenfalls um eine Verbindlichkeit handeln, die der (nachehelichen) Aufteilung unterliegt, also mit dem ehelichen Gebrauchsvermögen und den ehelichen Ersparnissen in einem inneren Zusammenhang steht ( § 8 1 ( 1 ) S 2 EheG) bzw einen Konnex zum ehelichen Lebensaufwand aufweist (§ 83 (1) S 2 EheG) (EF 101.058; 94.044). § 98 EheG spricht von „Krediten" und von „Kreditverbindlichkeiten". Darunter fallen sowohl Bankverbindlichkeiten als auch Verbindlichkeiten aus allen Verträgen, in denen die Leistungspflicht des einen Partners gegenüber der des anderen hinausge10 Die Bestimmungen der §§ 25a-d KSchG sind auf Verträge anzuwenden, die nach dem 1.1.1997 geschlossen worden sind (§ 41a (4) Z 2 KSchG).

Kredite von Ehepartnern und Lebensgefährten

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schoben ist, wie etwa aus Ratengeschäften, selbst solchen zwischen Privatpersonen (JBl 2004, 584 = RdW 2004/359 uö; EF 101.056; 81.767/1)11. Schulden, die unter § 98 EheG fallen würden, sind nicht nur Anschaffungskredite, zB für den Kauf der Ehewohnung, sondern auch Rückstände aus laufenden Auslagen, zB Miete, Strom, Gas, Rundfunk usw. Diese und sonstige Schulden, die mit dem gemeinsamen ehelichen Lebensaufwand zusammenhängen, zB Konsumkredite, sind bei der Vermögensaufteilung zu berücksichtigen und auch im Innenverhältnis aufzuteilen (EF 97.408). Untemehmensschulden fehlt generell der innere Zusammenhang zum ehelichen Vermögen (EF 51.725; 57.315). Ausgeschlossen wären also Unternehmens- bzw Geschäftsschulden oder Deliktsschulden (EF 101.060; 94.044). Ehepartner können zwar im Innenverhältnis die Schuldentragung für Geschäftsschulden regeln, Drittwirkung kann aber nur dann verliehen werden, wenn es sich um Schulden iSd § 92 EheG handelt (EF 101.059; 72.478). Auch Schulden, die etwa für Sachen eingegangen wurden, die ausschließlich dem persönlichen Gebrauch nur eines Ehepartners dienen, wie teure Hobby-Geräte, erfüllen nicht das Erfordernis der „ehelichen Kreditverbindlichkeit". Auch Leasingverträge können Kreditverbindlichkeiten iSd § 98 EheG sein. Dafür ist notwendig, dass die Elemente des Kaufs jene des Mietvertrages überwiegen, so dass sich der Leasinggeber wie beim drittfinanzierten Kauf wirtschaftlich in der Rolle des Kreditgebers befindet (EF 81.764 u 81.767/1 = RdW 1997, 70 uö). Da ein Leasingvertrag in der Regel Elemente von Miete und Kauf enthält, kommt es beim Leasingvertrag wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Je nach individueller Ausgestaltung des Vertrages wird er eher dem einen oder anderen Typ entsprechen (EF 72.473). Ist der Leasingvertrag zufolge seines Inhaltes mit einem Bestandverhältnis vergleichbar, so ist keine Regelung iSd § 98 EheG zulässig (EF 75.647; 72.471). Leasingraten, die Charakter eines Bestandzinses haben, sind also keine Kreditverbindlichkeiten iSd § 98 EheG (AnwBl 1993, 703 = RdW 1993, 179). Wird etwa auf unbestimmte Dauer ein PKW-Leasingvertrag abgeschlossen, der durch den Leasingnehmer jederzeit unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist aufgekündigt werden kann, der weiters keine Kaufanwartschaft enthält und bei dem das Entgelt monatlich im Vorhinein zu zahlen ist, so wäre dieser Vertrag als Mietvertrag zu qualifizieren und daher kein Ausspruch 11 AA Koziol, Die Ausfallsbürgschaft des geschiedenen Ehegatten kraft Richterspruchs, RdW 1986, 5ff, der § 98 EheG nur auf Kreditverbindlichkeiten „im eigentlichen Sinn" beziehen will.

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nach § 98 EheG möglich (EF 69.383 = ÖA 1992, 127). Unter § 98 EheG fallen nur sog Finanzierungsleasingverträge, bei denen dem Leasinggeber wirtschaftlich die Funktion eines Kreditgebers zukommt und bei denen nicht die bloß vorübergehende Beschaffung der Gebrauchsmöglichkeit des geleasten Gutes, iSv Miete, sondern dessen dauernder Einsatz im Vordergrund steht (EF 101.057 = ecolex 2003/11). Da § 98 EheG eine den Grundsatz der Vertragstreue beeinträchtigende Ausnahmeregelung darstellt, ist in der Frage des Anwendungsbereiches eine einschränkende Auslegung geboten (RZ-EÜ 2004/89). /. 1.2 Haftung beider Ehepartner Beide Ehepartner müssen zunächst für die Kreditverbindlichkeit persönlich im Außenverhältnis haften (EF 105.012; 101.055; 101.054)12, zB als Hauptschuldner und schlichter Bürge. Haftet lediglich ein Ehepartner nach außen für die Schuld, der andere aber nicht, kann zwar gem § 92 EheG eine Regelung über die Schuldentragung im Innenverhältnis erfolgen, nicht aber ein Ausspruch gem § 98 EheG mit Außenwirkung für den Gläubiger (ÖBA 2002/1081 (OGH); EF 81.763). 1.1.3 Entscheidung oder Vereinbarung über die im Innenverhältnis

Schuldentragung

Vor einem Richterspruch gem § 98 EheG hat über die Frage der Schuldentilgung im Innenverhältnis entweder eine Entscheidung des Gerichts gem § 92 EheG zu erfolgen oder es muss darüber eine Vereinbarung der Ehepartner vorliegen (gem § 97 (2) bzw § 55a (2) EheG). Erst dann kann das Gericht mit Außen Wirkung für die Gläubiger aussprechen, dass jener Ehepartner, der im Innenverhältnis zur Zahlung verpflichtet ist. Hauptschuldner wird, der andere Ausfallsbürge (§ 98 (1) EheG). Die Vorschrift des § 98 EheG bezieht sich also ausdrücklich nur auf Vereinbarungen über die Rückzahlungspflicht im Innenverhältnis. Nur dort bezeichnete Vereinbarungen können Grundlage einer Entscheidung nach § 98 EheG sein. Für eine ausdehnende Auslegung von § 98 EheG besteht kein Raum (RdW 1988, 351 uö).

12 Zulässig wäre eine bloß anteilige Haftung nach außen (§ 889 ABGB).

Kredite von Ehepartnern und Lebensgefährten

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Eine erst nach der Scheidung erfolgte Vereinbarung über die Schuldentragung kann nicht Grundlage für einen Ausspruch gern § 98 EheG sein (EF 57.446 uö). 1.1.4 Antragstellung innerhalb eines Jahres Ein Ausspruch gern § 98 EheG erfordert einen diesbezüglichen Antrag eines Ehepartners (EF 60.451). Die Frist für die Antragstellung beträgt ein Jahr ab Rechtskraft der richterlichen Eheauflösung (§ 98 (1) S 2 iVm § 95 EheG). Bei einer einvemehmlichen Scheidung kann der Antrag bereits vor Erlassung des Scheidungsbeschlusses gestellt werden, dann ist der Ausspruch gern § 98 EheG mit dem Scheidungsbeschluss tunlichst zu verbinden (§ 96 (4) AußStrG 2003). Der Antrg kann aber auch nachträglich erfolgen, wenn die Antragstellung fristgerecht war. Unter bestimmten Umständen kann der Antrag auch noch nach der Jahresfrist gestellt werden. Nach hL^^ kann in einem fristgerecht eingeleiteten Aufteilungsverfahren bis zu dessen Abschluss - und damit möglicherweise auch noch jenseits der Jahresfrist des § 95 EheG - ein Ausspruch nach § 98 EheG beantragt werden. Ein Antrag gem § 98 EheG kann auch für eine Verbindlichkeit gestellt werden, für die bereits ein Exekutionstitel erwirkt wurde bzw zu deren Hereinbringung schon Exekutionsschritte gesetzt wurden. Durch den Ausspruch nach § 98 EheG wird zwar der Exekutionstitel nicht außer Kraft gesetzt, doch kann der Ausfallsbürge Oppositionsklage ( § 3 5 EO) erheben bzw die Einstellung der Exekution beantragen (§ 40 EO) (EF 94.045; EvBl 1993, 452/107 = ecolex 1993, 382 uö; RdW 1991, 15). 1.1.5 Rechtsfolgen eines Ausspruchs gem § 98 EheG für den Gläubiger Die (auch abweisende) Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 98 EheG ist dem Kreditgeber zuzustellen, er ist aber in das Verfahren nach § 98 EheG tunlichst erst durch die Zustellung der Entscheidung erster Instanz einzubeziehen (§ 93 (3) AußStrG 2003; 8 Ob 406/97y). Dem Gläubiger steht das Recht auf rechtliches Gehör und eine Rechtsmittellegitimation zwar zu, er kann dadurch aber nicht die Vereinbarung der Ehepartner hinsichtlich ihrer Schuldentragung im Innenverhältnis bzw die gerichtliche Entscheidung gem § 98 EheG beeinflussen (EF 75.651; 64.550 = JBl 1991, 319 uö). Der Gläubi13 Stabentheiner, in: Rummel, ABGB 11/4^ Rz 3 zu § 98 EheG mwN.

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ger kann erst gegen die erstinstanzliche Entscheidung - bei Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses - ein Rechtsmittel ergreifen. Die Regelung der (aufgeschobenen) Beteiligtenstellung des Kreditgebers ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich, da das Recht auf rechtliches Gehör dem Kreditgeber weder genommen noch beeinträchtigt wird. Im Verfahren außer Streitsachen wird nämlich der Mangel des rechtlichen Gehörs in erster Instanz behoben, wenn der Beteiligte den eigenen Standpunkt im Rekurs vertreten kann. Schon das Neuerungsrecht des § 10 AußStrG aF ließ es den Parteien unbenommen, in Rekursen gegen erstinstanzliche Entscheidungen neue Umstände und Beweismittel vorzubringen (RZ 1988/1 = WBl 1987, 34). Aufgrund der Tatsache, dass der Kreditgeber im Verfahren erster Instanz grundsätzlich nicht teilnimmt, besteht besonders auch durch die erweiterte Neuerungserlaubnis des § 49 AußStrG 2003 kein Spannungsverhälttiis zu Art 6 EMRK. Außerdem steht dem Gericht durch die Verwendung des Wortes „tunlichst" die Möglichkeit offen, unter Umständen den Kreditgeber auch einzubeziehen, wenn es erst klären muss, ob die Verbindlichkeit der Aufteilung unterliegt oder nicht^^. Ein tauglicher rechtlicher Anfechtungsgrund wäre für den Gläubiger die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Ehepartner oder Rechtswidrigkeit. Hingegen könnte der Gläubiger den Umstand, dass durch Richterspruch nun der wirtschaftlich schwächere Ehepartner zum Hauptschuldner wurde, nicht anfechten (EF 81.768; 75.651). Nach dem Willen des Gesetzgebers^^ soll dem Gläubiger nur ausnahmsweise ein für eine Bekämpfung der Entscheidung nach § 98 EheG erforderliches Rechtsschutzinteresse zustehen (EvBl 1990/154 = ecolex 1990, 606 = JBl 1991, 319 uö). Ein Beispiel dafür wäre, wenn gar nicht beide Ehepartner für die Schuld gehaftet haben, sondern nur derjenige bisher Alleinschuldner war, der nun Ausfallsbürge werden soll (EF 101.055; ÖBA 2002/1081 (OGH)). Liegt ein Ausspruch gem § 98 EheG vor, dann muss der Gläubiger^^ zuerst gegen den Hauptschuldner einen Exekutionstitel erwirken, gegen ihn Fahrnis-, Gehalts- oder Exekution auf eine ihm bekannte Liegenschaft führen bzw bestehende Sicherheiten verwerten (§ 98 (2) Z 1-3 EheG). Erst wenn die Erfüllung dieser Verpflichtungen für den Gläubiger nicht möglich oder nicht zu14 Siehe dazu nur Langer, AußStrG, 164f und 106ff 15 JAB 729 BlgNR 16. GP, 3f 16 Gläubiger iSd § 98 EheG ist nur der ursprüngliche Gläubiger, aber nicht zB ein regressierender Bürge (EF 78.770 = ecolex 1996, 443 mit Anm Rabl = RdW 1996, 154 mit Anm Ire uö).

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mutbar wäre, insbes bei Exekutionsmaßnahmen im Ausland, ist der Gläubiger davon befreit (§ 98 (2) S 2 EheG). Auch eine von vornherein aussichtslose Zwangsvollstreckung im Inland ist dem Gläubiger nicht zumutbar, wobei ihn die Beweislast für die Unzumutbarkeit trifft (RdW 1994, 312 = ÖBA 1994/434 (OGH) uö). Der Gläubiger darf den Ausfallsbürgen nur so weit in Anspruch nehmen, als er den geschuldeten Betrag vom Hauptschuldner nicht innerhalb einer angemessenen Frist eintreiben konnte. Der konkrete Umfang der „angemessenen Frist" bestimmt sich im Einzelfall. Der (zeitliche) Aufwand für die Zwangsversteigerung einer Liegenschaft in Relation zur Höhe einer Kreditverbindlichkeit von ein paar Tausend Schilling, die in einem Jahr abgezahlt werden sollten, wäre beispielsweise nicht zumutbar bzw angemessen^^. Eine weitere Einschränkung für den Ausfallsbürgen ergibt sich aus § 1356 ABGB. Der (Ausfalls-)Bürge kann - vorausgesetzt die Hauptschuld ist bereits fällig - primär in Anspruch genommen werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners der Konkurs (§§ Iff, 66ff K0)1^ eröffnet wurde oder der Hauptschuldner zu dem Zeitpunkt, wenn der Gläubiger die Zahlung begehrt, unbekannten Aufenthaltes ist. Durch eine (als Verschulden vorwerfbare) Nachlässigkeit des Gläubigers bei der Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber dem Hauptschuldner wird der Ausfallsbürge aber von seiner Haftung befreit. Für die Erlangung eines Ausspruchs gern § 98 EheG und die Beschränkung auf eine Ausfallsbürgschaft müssen also zusammengefasst folgende Voraussetzungen vorliegen: 1. Es muss eine Kreditverbindlichkeit bestehen, die mit dem ehelichen Gebrauchsvermögen und den ehelichen Ersparnissen in einem inneren Konnex steht bzw mit dem ehelichen Lebensaufwand zusammenhängt. Hingegen wären reine Unternehmens-, Geschäfts- und Deliktsschulden oder auch Schulden, die nur Sachen betreffen, die dem persönlichen Gebrauch eines Ehepartner dienen, zB teure Hobby-Geräte, ausgeschlossen. 2. Beide Ehepartner müssen zunächst für diese Schuld gehaftet haben. Schulden, für die nur ein Ehepartner haftet, sind von § 98 EheG nicht umfasst. 3. Es muss eine Entscheidung des Gerichtes oder eine Vereinbarung der Ehepartner darüber vorliegen, wer den Kredit (im Innenverhältnis) zurückzahlen soll. 17 JAB729BlgNR16. GP,4. 18 Gleichzusetzen mit der Konkurseröffnung sind auch die Ausgleichseröffnung und das Schuldenregulierungsverfahren („Privatkonkurs"), siehe Gamerith, in: Rummel, ABGB II/3^ Rz 1 zu § 1356 ABGB mwN.

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4. Es muss eine Entscheidung gern § 98 EheG von einem der Ehepartner beantragt werden. Dieser Antrag muss innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der richterlichen Eheauflösung gestellt werden. Bei einer einvemehmlichen Scheidung ist der Ausspruch über § 98 EheG tunlichst mit dem Scheidungsbeschluss zu verbinden. 5. § 98 EheG ist Scheidungsfolgenrecht und daher weder bei aufrechter Ehe (auch nicht bei getrennt lebenden Ehepartnern) noch bei Kreditverbindlichkeiten von nichtehelichen Lebensgefährten anwendbar. 6. § 98 EheG und § 25d KSchG schließen sich nicht aus. Neben der Ausfallsbürgschaft gem § 98 EheG kann im Einzelfall ein Ehepartner daher auch noch eine richterliche Mäßigung oder die Erlassung der Haftung gem § 25d KSchG erreichen. 1.2 Belehrungspflicht bei Kreditgeschäften von Ehepartnern (§ 25a KSchG) § 25a KSchG beschränkt sich - anders § 98 EheG - nicht auf Kreditverbindlichkeiten, die mit dem ehelichen Gebrauchsvermögen oder den ehelichen Ersparnissen in einem inneren Konnex stehen bzw mit dem ehelichen Lebensaufwand zusammenhängen (JBl 1990, 593). Vielmehr sind hier eine Reihe von anderen Voraussetzungen zu prüfen: Nimmt ein Ehepaar als Verbraucher bei einem Unternehmen, dessen Untemehmensgegenstand die Gewährung oder Vermittlung von Krediten ist, einen Kredit auf, so ist es durch die Übergabe einer gesonderten Urkunde darüber zu belehren, dass im Fall einer Solidarschuld von jedem Schuldner in beliebiger Reihenfolge und ohne Rücksicht darauf, wem die Kreditsumme tatsächlich zugekommen ist, der volle Schuldbetrag verlangt werden kann (§ 25a Z 1 KSchG). Es ist weiters darüber zu belehren, dass die Kredithaftung auch im Fall der Auflösung (Scheidung) der Ehe aufrecht bleibt (§ 25a Z 2 KSchG) und auch darüber, dass nur das Gericht im Fall der Scheidung die Haftung eines Ehepartners gem § 98 EheG auf eine Ausfallsbürgschaft beschränken kann, wofür eine Antragstellung binnen eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung notwendig ist (§ 25a Z 3 KSchG). Die Ehepartner müssen also den Kredit als Verbraucher (iSd § 1 (1) KSchG) aufnehmen. Verbraucher ist derjenige, für den das in Frage kommende Rechtsgeschäft nicht zum Betrieb seines Unternehmens gehört. Wer über kein Unternehmen verfügt, ist immer Verbraucher (EvBl 1981/189). Es kann aber durchaus jemand, der ein Unternehmen hat, dennoch Verbraucher sein, wenn das in

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Frage stehende Rechtsgeschäft nicht zum Betrieb seines Unternehmens gehört (JBl 2002, 526). Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist kein Verbraucher (ecolex 2004/156; JBl 2002, 527 mit Anm Karollus), Von § 25a KSchG sind zwar nicht alle professionellen kreditgewährenden Unternehmen betroffen, aber jedenfalls Banken, gewerbliche Vermögensberatung (§ 94 Z 75 GewO 1994) und Immobilientreuhänder (Immobilienmakler, Immobilienverwalter, Bauträger), da diese auch Hypothekarkredite vermitteln dürfen (§ 117 (2) Z 5, § 94 Z 35 GewO 1994). Ein Unternehmen, das ohne die erforderliche Konzession gewerbliche Kredite gewährt oder vermittelt, unterliegt dennoch den Pflichten in § 25a KSchGl9. Eine bloß mündliche Belehrung der Ehepartner würde nicht den gesetzlichen Anforderungen in § 25a KSchG genügen, da ausdrücklich eine „gesonderten Urkunde" normiert ist. Dies erfordert einerseits Schriftlichkeit, andererseits darf die Belehrung nicht in der Kreditvertragsurkunde selbst erfolgen, sondern es ist eine eigenen Schriftstücks erforderlich. Zu welchem Zeitpunkt die Belehrung mittels Urkunde zu erfolgen hat, legt § 25a KSchG nicht fest. Die Übergabe der „Belehrungsurkunde" wird sinnvollerweise jedenfalls vor dem Abschluß des Kreditvertrages zu erfolgen haben^^. Auch wird im Gesetz nicht ausdrücklich normiert, dass jeder Ehepartner ein eigenes Exemplar der Urkunde zu erhalten hat. Für den Fall, dass das Kredituntemehmen seiner Belehrungspflicht nicht oder ungenügend nachkommt, berührt dies das gültige Zustandekommen des Kreditvertrages nicht. Die Unterlassung der Aufklärungspflicht ist lediglich mit einer Verwaltungsgeldstrafe bis zu € 1.450,-- bedroht (§ 32 (1) Z 1 lit c KSchG). Nur in Ausnahmefällen wird der Kredituntemehmer bei einer Verletzung der Aufklärungspflicht gegenüber dem nach § 98 EheG oder aus dem Kreditvertrag in Anspruch genommenen Ehepartner ersatzpflichtig werden, da es idR an der Kausalität der Unterlassung fehlen wird. Entsprechendes wird für die Irrtumsanfechtung des Kreditvertrages (gem § 871 (2) ABGB) gelten^!. 19 Dazu und zur Frage, ob § 25a KSchG ausschließlich Geldkredite betrifft oder auch Warenkredite und zur Problematik des unterschiedlich weiten Anwendungsbereiches von § 25a KSchG zu § 98 EheG siehe etwa Krejci, in: Rummel, ABGB II/4^ Rz 3ff zu § 25a KSchG. 20 So auch Unger, ÖBA 2004, 681 mwN. 21 Krejci, in: Rummel, ABGB II/4^ Rz 11 zu § 25a KSchG. Zur Irrtumsanfechtung und zu Schadenersatzansprüchen aus unterbliebener Aufklärung siehe Gruber, Kredithaftung von Ehegatten, ÖBA 1991,

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Die Belehrungspflicht des Kreditgebers gern § 25a KSchG betrifft ausschließlich die Kreditaufnahme durch ein Ehepaar. Nehmen nichteheliche Lebensgefährten einen Kredit auf, gilt § 25a KSchG nicht. II. Schutzbestimmungen für Ehepartner und nichteheliche Lebensgefährten § 98 EheG bietet für eine Reihe von Fallkonstellationen keinen Schutz, so etwa dann, wenn der Hauptschuldner zahlungsunfähig wird, wenn die Ehe noch aufrecht ist und generell nicht für die nichteheliche Lebensgemeinschaft. Diese Lücke füllte (teilweise) einerseits die KSchG-Novelle von 1997, die sich stark an die deutsche diesbezügliche Rechtsprechung anlehnte und eine richtungweisende Judikatur des OGH des Jahres 1995 (ecolex 1995, 638 = JBl 1995, 651 mit Anm Mader uö). Das Höchstgericht hielt damals erstmals fest, dass unter bestimmten Umständen die Übernahme der Mithaftung durch mittellose Angehörige des Hauptschuldners sittenwidrig und damit nichtig sein kann. Zwar seien Bürgschaft, Schuldbeitritt und Garantie nicht schon sittenwidrig, weil einer ungleich verhandlungsstärkeren Gläubigerbank ein gutstehender Angehöriger gegenübersteht, dessen Verpflichtung seine Vermögensverhältnisse weit übersteigt. Aber durch zusätzliche Umstände, die die Entscheidungsfreiheit des Angehörigen beeinträchtigen und der Bank zuzurechnen sind, kann der Bürgschaftsvertrag sittenwidrig sein. Aspekte, die einen Bürgschaftsvertrag sittenwidrig machen können, sind etwa: - wenn ein grobes Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Bürgen und der von ihm übernommenen Haftung vorliegt, - wenn der Hauptschuldner hoffnungslos überschuldet ist, - wenn der Angehörige bei der Bürgschaft überrumpelt oder seine seelische Zwangslage ausgenutzt wurde und - wenn der Bank diese Umstände bekannt waren oder zumindest bekannt sein mussten. Die im Urteil des OGH angeführten Kriterien entsprachen zwar weitgehend den Bestimmungen der KSchG-Novelle 1997. Nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit verankerte man dennoch

56If; Graf, Stille Refinanzierung, Wissenszurechnung und Aufklärungspflicht, ÖBA 1997, 435.

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das richterliche Mäßigungsrecht und anderes (§§ 25a-d KSchG) ausdrücklich auch im Gesetz^^. II.l Richterliches Mäßigungsrecht (§ 25d KSchG) Mit dem richterlichen Mäßigungsrecht des § 25d KSchG kann auf Härtefälle eingegangen werden, ohne dass man den Weg einschlagen müsste, private Kreditaufnahmen von vermögensschwachen Personen generell zu erschweren oder gar zu verbieten. Ist ein Interzedent als Verbraucher eine Verbindlichkeit eingegangen, kann der Richter diese mäßigen oder überhaupt zur Gänze erlassen, wenn sie - unter Berücksichtigung aller Umstände - in einem unbilligen Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Interzedenten steht und dies für den Gläubiger bei Begründung der Verbindlichkeit erkennbar war (§ 25d (1) KSchG). § 25d KSchG kann also sowohl zu einer Mäßigung der Verbindlichkeit führen als auch zu einem völligen Entfall der Mithaftung (ecolex 2000, 271). Das richterliche Mäßigungsrecht gilt nur für Verbindlichkeiten, die der Interzedent als Verbraucher (§ 25c KSchG) eingegangen ist. Hingegen ist es irrelevant, ob der Hauptschuldner den Kredit als Verbraucher oder Unternehmer aufgenommen hat (JBl 2001, 715 = ecolex 2001/271 uö). § 25d KSchG ist auch nicht auf Interzessionen beschränkt, die der Besicherung von Bankforderungen dienen (ÖBA 2001, 346 = ecolex 2000, 869 uö; RdW 2001/21 = ecolex 2000/336 uö). Die Entscheidung des Gerichts ist im Einzelfall eine Entscheidung nach billigem Ermessen. § 25d (2) KSchG bietet hier einen demonstrativen Katalog von Kriterien, die der Richter insbes zu berücksichtigen hat: 1. Das Interesse des Gläubigers an der Begründung der Haftung des Interzedenten, 2. das Verschulden des Interzedenten an den Umständen, die das Missverhältnis zwischen Verbindlichkeit und Leistungsfähigkeit begründet oder herbeigeführt haben, 3. den Nutzen des Interzedenten aus der Leistung des Gläubigers sowie 4. den Leichtsinn, die Zwangslage, die Unerfahrenheit, die Gemütsaufregung oder die Abhängigkeit des Interzedenten vom Schuldner bei Begründung der Verbindlichkeit^^. 22 RV 311 BlgNR 20. GP, 26. 23 Es sind dies die Tatbestandsmerkmale des Wuchertatbestandes in § 879 (2) Z 4 ABGB, ledighch die „Verstandesschwäche" wurde nicht übernommen.

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§ 25d KSchG ist also eine Billigkeitsvorschrift zugunsten vermögensschwacher Familienangehöriger, die für Verbindlichkeiten eines nahen Angehörigen gutstehen (ecolex 2004/6 = RdW 2004/58). Es muss sich dabei aber nicht um ein familiäres Naheverhältnis handeln, das auf einer ehelichen Verbindung beruht, die Bestimmung schützt auch nichteheliche Lebensgefährten (JBl 2004, 522 = RdW 2004/310 uö). Ausschlaggebend bei der Prüfung der Frage, ob ein unbilliges Missverhältnis im Sinn des § 25d KSchG vorliegt oder nicht, sind grundsätzlich jene Verhältnisse, die für den Interzedenten im Zeitpunkt seines Eingehens der Verbindlichkeit bestanden. Mangels Erkennbarkeit für den Gläubiger löst ein späteres Missverhältnis das richterliche Mäßigungsrecht nicht aus. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Interzedenten im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme sind aber insoweit beachtlich, als sie den Umfang der Mäßigung maßgeblich beeinflussen (ÖBA 2001/998 (OGH) = ARD 5194/34/2001 uö). Der OGH stellte klar, dass die Prüfung nach § 25d KSchG eine Kontrolle ex ante und nicht eine Nachprüfung ex post ist (ecolex 2000, 271). Der OGH (ecolex 1999, 263 = ÖBA 1999, 405) bejahte beispielsweise das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses (mangels Vorliegens anderer Voraussetzungen wurde in diesem Fall aber die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft abgelehnt) in einem Fall, in dem die Bürgin (Ehefrau) selbst kein Vermögen hatte, als Entgelt für ihre Mitarbeit im Betrieb des Ehemannes monatlich ATS 3.000,-- bekam und der Haftungsumfang für zwei Kredite bei insgesamt ATS 700.000,- lag. II.2 Hinweis- und Aufklärungspfliciit (§ 25c KScliG) Der Gläubiger (zB die Bank) muss den Interzedenten auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners hinweisen, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht erfüllen können wird^^. Auch wenn der Bürge grundsätzlich selbst schon über die finanzielle Lage des Schuldner Bescheid weiß, besteht die Informationspflicht des Gläubigers (JBl 2004, 522 = RdW 2004/310 uö; ecolex 2004/116 mit Anm Kleteckä). Die Bank kann sich beispielsweise auch nicht darauf 24 Zu einem möglichen Konflikt zwischen Bonitätsauskunft und Geheimhaltungspflichten, insb dem Bankgeheimnis, siehe etwa Eigner, Auslegungsfragen zu den §§ 25c, d KSchG, JAP 2000/2001, 216ff; Krejci, in: Rummel, ABGB 11/4^ Rz 7 zu § 25c KSchG; ders, Konsumentenschutz und Bankgeschäfte, in: Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1996-1997 (1998), 154.

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berufen, dass die Aufklärung durch den Hauptschuldner selbst erfolgt ist, da dieser nicht Verhandlungsbeauftragter des Kreditgebers ist (VRInfo 2004, H 3, 2). Der Anwendungsbereich des § 25c KSchG soll sich auf solche Mitschuldner beschränken, die einer fremden Verbindlichkeit beitreten. Gehen mehrere Personen als sog „echte Mitschuldner" gemeinsam und im gemeinsamen Interesse eine Verbindlichkeit ein, werden sie nicht erfasst. Hat auch der Mithaftende ein Interesse an der Kreditaufnahme, kann man nicht von einer fremden Verbindlichkeit iSd § 25c KSchG sprechen (RdW 2004/532). Die Hinweispflicht des § 25c KSchG gilt nur für Verträge, die der InterZedent als Verbraucher schließt, nicht aber für den Unternehmensbereich. Im Fall der Mitwirkung eines Ehepartners, der selbst nicht (Mit-)Untemehmer ist, im unternehmerischen Erwerb des anderen aber mitarbeitet, wird § 25c KSchG dennoch zur Anwendung gelangen. Denn diese Beiträge des bloß mitwirkenden Ehepartners werden im allgemeinen nicht zum Betrieb eines Unternehmens gehören^^. Verletzt der Gläubiger seine Aufklärungspflicht, entfällt die Haftung des Interzedenten^^. Ausgenommen ist der Fall, dass er diese auch bei entsprechender Information übernommen hätte (§ 25c S 2 KSchG; ecolex 2004/116 mit Anm Kletecka). Hätte sich der Interzedent bei entsprechender Aufklärung nur zu einem geringe(re)n Ausmaß verpflichtet, haftet er nur in diesem Maß. Die Beweislast dafür trifft den Gläubiger (EvBl 2001/10 = ecolex 2001/6 mit Anm Wilhelm uö). II.3 Zustellung von Mahnungen etc an beide Solidarschuldner und Verständigung des Bürgen/Garanten vom Schuldnerverzug (§ 25b KSchG) Ist ein solidarisch haftender Schuldner in Verzug, so ist vom Gläubiger jede Mahnung oder sonstige Erklärung immer auch an den anderen Solidarschuldner zuzustellen (§ 25b (1) KSchG). Auch der Bürge bzw Garant muss für den Fall, dass der Schuldner mit der Rückzahlung des Kredites säumig ist, vom Gläubiger davon innerhalb angemessener Frist verständigt werden (§ 25b (2) KSchG). Wenngleich das Gesetz nicht ausdrücklich von einer 25 EBRV 311 BlgNR 20. GP, 25. 26 OGH V 20.2.2002, 9 Ob 33/02x (JBl 2002, 525 = ÖBA 2002/1038 (OGH) mit Anm Graf uö in einem vom VKI im Auftrag des BMJ durchgeführten Musterprozess; Haas, Zur Aufklärung des Interzedenten über die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners nach § 25c KSchG, JBl 2002,538ff

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schriftlichen Verständigung spricht, wird dies schon aus Gründen der Beweisführung der übliche Weg sein. Die Verpflichtungen in § 25b KSchG sind auf Seiten des Gläubigers auf Kreditinstitute gern § 25a KSchG beschränkt, auf Seiten der Verbrauchers wurde in § 25b KSchG die Beschränkung auf (geschiedene) Ehepartner aufgehoben und der Anwendungsbereich auf alle Verbraucher, also auch auf nichteheliche Lebensgefährten, ausgedehnt. Zu beachten ist, dass die Bank trotz ihrer Informationspflicht die Grenzen des in § 38 Bankwesengesetz (BWG) geschützten Bankgeheimnisses wahren muss. Gibt der Hauptschuldner nicht ausdrücklich und schriftlich seine Zustimmung (§ 38 (2) Z 5 BWG) zu einer umfassenden Information über seine wirtschaftliche Lage, zB bereits im Kreditvertrag selbst oder durch gesonderte Urkunde, darf die Bank dem Interzedenten grundsätzlich nur eine allgemein gehaltene bankübliche Information geben ( § 3 8 (2) Z 6 BWG)^^. Diese wird aber oft nicht ausreichend sein, um die Risiken des Haftungsbeitritts realistisch abschätzen zu können. Daher anerkannte der OGH 1997 ausdrücklich (ecolex 1998, 199 = ÖBA 1998, 301 uö) eine Ausnahme vom Bankgeheimnis für jene Fälle, in denen die Bank erkennt, dass der Bürge von der schlechten wirtschaftlichen Situation des Hauptschuldners nichts weiß, der Bank diese aber bekannt ist. In solchen Fällen würde die sich aus dem Bankgeheimnis ergebende Verschwiegenheitspflicht der Bank gegenüber dem Kreditkunden hinter die Aufklärungspflicht gegenüber dem Bürgen zurücktreten^^. In einer Entscheidung vom 20.10.1999 hingegen löste der OGH die Kollision von Aufklärungspflicht und Bankgeheimnis so, dass die Bank für den Fall, dass mit einer allgemein gehaltenen banküblichen Auskunft (§ 38 (2) Z 6 BWG) nicht das Auslangen gefunden werden könne, die Bank auf die Besicherung zu verzichten habe, selbst wenn dann der Kreditvertrag nicht zustande kommen sollte. Eine „aktive Durchbrechung" der Geheimhaltungspflicht, basierend auf einer vorangehenden Interessenabwägung, wird nicht mehr vertreten (ecolex 2000, 271, mitAnmRabl).

27 RV 311 BlgNR 20. GP, 25. 28 Kritisch dazu etwa Unger, ÖBA 2004, 684; Bydlinski, P., Die Kreditbürgschaft, 114f. Siehe zur Interessenabwägung Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften, ÖBA 1995, 782; Rabl, Risiko Angehörigenbürgschaft, ecolex 1996, 445; Bydlinski, Die Kreditbürgschaft, 112ff; Eigner, Interzedentenschutz, 98ff.

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III. Sittenwidrigkeitskontrolle Gemäß der vom OGH entwickelten Grundsätze zur Frage der Sittenwidrigkeit von Interzessionsverträgen naher Angehöriger (auch nichteheliche Lebensgefährten, ecolex 2003/130) müssen für ein Bejahen der Sittenwidrigkeit wichtige Voraussetzungen vorliegen. Ein Bürgschaftsvertrag zu Gunsten eines Angehörigen kann sittenwidrig sein (nach § 879 (2) Z 4 analog), wenn ein krasses Missverhältnis zwischen Haftungsumfang einerseits und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Bürgen andererseits besteht und folgende Kriterien kumulativ verwirklicht sind (ecolex 2003/130): - die inhaltliche Missbildung des Bürgschaftsvertrags, - die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Bürgen und - die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Gläubiger/Kreditgeber. Die (sittenwidrigen) Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Haftungsübernahme gegeben sein (RdW 2004/261; ecolex 2003/101; JBl 2001, 715). Liegt ein krasses Missverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des InterZedenten als objektives Element vor, bilden die weiteren subjektiven rechtserheblichen Gesichtspunkte ein „bewegliches Beurteilungssystem", in dem vor allem der verdünnten Vertragsfreiheit große Bedeutung zukommt. Liegen entsprechende Indikatoren in den drei Systemelementen vor und ist ihnen gemäß der Umstände des Einzelfalls erhebliches Gewicht beizumessen, kommt man zu einem Sittenwidrigkeitsurteil (ecolex 2003/101; ÖBA 2000/909 (OGH)). Eine Situation verdünnter Willensfreiheit könnte etwa aufgrund der gefühlsmäßigen Bindung der Mutter zu ihrem Sohn bedingt sein, der sie unter Tränen ersuchte, den Kreditantrag mitzuunterzeichnen, da er andernfalls keinen Kredit bekommen würde. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Mutter über die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Sohns Bescheid wusste (ecolex 2003/101). Die Rechtsprechung zur Haftungsbefreiung wegen Sittenwidrigkeit von Bürgschaften vermögensloser Angehöriger ist nicht nur unter Blutsverwandten oder Ehepartnern, sondern grundsätzlich auch unter nichtehelichen Lebensgefährten anwendbar. Dabei ist aber nicht von denselben Grundsätzen auszugehen. So ist insbesondere zu beachten, dass im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern einerseits und Lebenspartnem (Ehepartner ebenso wie nichteheliche Lebensgefährten) andererseits andere

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Bindungen bestehen werden, wie sie nicht ohne weiteres auch in den Beziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern existieren, die üblicherweise räumlich getrennt in voneinander unabhängigen familiären und beruflichen Lebensbereichen wohnen. Daher werden rationale wirtschaftliche Entscheidungen den Geschwistern wesentlich leichter fallen, so dass es bei erwachsenen Geschwistern regelmäßig an einer seelischen Zwangslage mangeln wird, die zu einer Verdünnung der Entscheidungsfreiheit führen könnte. Träfe das einmal nicht zu, hätte der Interzedent jene besonderen Umstände, die zur verdünnten Entscheidungsfreiheit führen, zu behaupten und zu beweisen (JBl 1998, 778 = ÖBA 1998/753 (OGH) mit Anm Grafuö). Die Bestimmung des richterlichen Mäßigungsrechts in § 25d KSchG ergänzt die Sitten Widrigkeitskontrolle des § 879 (1) ABGB. Während § 25d KSchG primär auf das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen Haftung und Leistungsfähigkeit abstellt, hat die Sittenwidrigkeitskontrolle des § 879 (1) ABGB eine Situation verdünnter Entscheidungsfreiheit vor Augen, die für den Gläubiger erkennbar war (JBl 2001, 715 uö; OBA 2001/935 (OGH) mit Anm Graf). Die Regelungskomplexe des § 879 (1) ABGB und des § 25d KSchG können also nebeneinander zur Anwendung kommen (JBl 2001, 715 = ecolex 2001/271 uö; ÖBA 2001/935 (OGH) mit Anm Graf). Ist die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft zu verneinen, kann eine richterliche Mäßigung der Interzessionsverbindlichkeit dennoch möglich sein, wenn ein unbilliges Missverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit und eingegangener Verbindlichkeit besteht, das bei entsprechender Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine Herabsetzung der Forderung angemessen erscheinen lässt (ecolex 2004/156; JBl 2000, 794 = RdW 2001/21 uö). Literatur Avancini, Peter, Der Auskunftsanspruch des Bürgen gegenüber dem Gläubiger, JBl 1995, 193ff Bundesministerium für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hg), Bericht über die soziale Lage 20032004, Wien 2004 Bydlinski, Michael, Entscheidung nach § 98 EheG und anhängiges Verfahren, ÖBA 1991, 106ff ders, Verfahrens- und materiellrechtliche Fragen bei der Ehegattenbürgschaft, ÖBA 1988, 468ff

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Bydlinski, Peter, Die Kreditbürgschaft im Spiegel von aktueller Judikatur und Formularpraxis, 2. komplett überarbeitete und stark erweiterte Aufl, Wien 2003 ders, Wirksamkeit, Reichweite und Beendigung der Bürgenhaftung, ÖBA 1999, 93ff ders. Die Sittenwidrigkeit von Haftungsverpflichtungen, ZIK 1995, 135ff Eigner, Wolfgang, Interzedentenschutz unter besonderer Berücksichtigung der Ehegattenhaftung. Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten des Gläubigers, Haftungsbeendigung und Haftungsbefreiung, Wien 2004 ders, Auslegungsfragen zu den §§ 25c, d KSchG, JAP 2000/2001, 214ff Femer, Konrad, Vorsicht bei Anträgen nach § 98 EheG in Fällen reiner Pfandhaftung!, RdW 1993, 104ff ders, Pfandhaftung und § 98 EheG, RdW 1991, 256ff Fink, Gabriele, Zur Ehegattenbürgschaft, AnwBl 1986, 629ff Gamerith, Helmut, Die Auswirkungen des § 31a Abs 2 und 3 KSchG auf die Solidarschuldner- und Bürgenhaftung, ÖBA 1988, 545ff ders, Die Kredithaftung geschiedener Ehegatten nach § 98 EheG, RdW 1987, 183ff Graf, Georg, Stille Refinanzierung, Wissenszurechnung und Aufklärungspflicht, ÖBA 1997, 428ff ders, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften. Überlegungen zu einem bemerkenswerten OGH-Urteil und einem aktuellen Gesetzesentwurf, ÖBA 1995, 776ff Gruber, Michael, Umfang der Bürgenhaftung, ÖBA 2002, 885ff ders, Kredithaftung von Ehegatten - Zivilrechtliche Folgen einer unterlassen Aufklärung nach § 31a KSchG, ÖBA 1991, 560ff Haas, Susanne, Zur Aufklärung des Interzedenten über die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners nach § 25c KSchG, JBl 2002, 538ff Hofmeister, Lilian, Der weibliche Lebenszusammenhang am Beispiel der Hausfrauenehe im österreichischen Privatkonkursrecht, in: Floßmann, Ursula (Hg), Recht, Geschlecht und Gerechtigkeit, 1997, 178ff Iro, Gert M., Zum Bürgenregreß gegenüber dem Ausfallsbürgen gemäß § 98 EheG, RdW 1996, 154ff

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Jud, Brigitta, Konsumentenschutz in der Rechtsprechung, in: ÖJZ 2004/16 Kolba, Peter, Konsumentenschutz und Banken, in: KonsumentenpoHtisches Jahrbuch 1996-1997 (1998), 173ff Kosesnik-Wehrle, Heinz/Lehofer, Hans Peter/Mayer, Gottfried/ Langer, Stefan, Konsumentenschutzgesetz (KSchG). Mit den geänderten Bestimmungen des ABGB und den EU-Richtlinien. Inkl Nachtrag, 2. Aufl, Wien 2004 Koziol, Helmut, Zur Haftung des geschiedenen Ehegatten für Kredite (§ 98 EheG), RdW 1990, 243ff ders. Die Ausfallsbürgschaft des geschiedenen Ehegatten kraft Richterspruchs, RdW 1986, 5ff Krejci, Heinz, Konsumentenschutz und Bankgeschäfte, Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1996-1997 (1998), 139ff Langer, Hans, AußStrG. Außerstreitgesetz 2003. Textausgabe mit erläuternden Bemerkungen und Anmerkungen des Verfassers zu den neuen Inhalten, Wien-Graz 2004 Marwan-Schlosser, Rudolf, Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme durch vermögenslose Angehörige, RdW 1995, 373ff Mohr, Franz, Neuerungen im Privatkonkiars, ecolex 2002, 802ff Pichler, Helmut, Soll § 98 EheG novelliert werden?, in: Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1992-1993 (1994), 177ff Rabl, Thomas, Verbraucherbürgschaft: der OGH erstmals zu §§ 25c, 25d KSchG, ecolex 2000, 271 ff ders, Sittenwidrigkeitskontrolle von Angehörigenbürgschaften, ecolex 1998, 30ff ders, Risiko Angehörigenbürgschaft: Schlaglichter aus Judikatur und KSchG-Novelle, ecolex 1996, 443ff Rehbein, Dieter, Bürgschaften mittelloser Angehöriger, ÖBA 1996, 25ff Rosenmayr, Martina, Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften. Übersicht zur Judikatur des OGH, in: ZIK 2004/238 Thunhart, Raphael, Informations- und Wampflichten beim Konsumentenkredit in Österreich und den USA, ÖBA 2001, 843ff Unger, Kaja, Rechtliche Unterschiede bei Aufnahme von Krediten durch Ehegatten und Lebensgefährten, ÖBA 2004, 680ff

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Weber, Romana, Frauenspezifische Aspekte des Konkurs- und Exekutionsrechts, in: Deixler-Hübner, Astrid (Hg), Die rechtliche Stellung der Frau, 1998, 145ff Wilhelm, Georg, Der Konsumentenschutz expandiert, ecolex 1995, 613ff

Peter Mader Entwicklung und Rolle der Bankgarantie im internationalen Handel I. Begriff und Konstruktion der Bankgarantie Das österreichische Privatrecht kennt, ähnUch wie auch die meisten anderen kontinentaleuropäischen Privatrechte, zwei grundsätzliche Modelle der Kreditsicherung: Einerseits die Sicherungsform der zusätzlichen Personenhaftung neben der Haftung des eigentlichen Schuldners und andererseits die dingliche, also sachenrechtliche Sicherung. Im Bereich der persönlichen Haftungsübernahme sind im österreichischen ABGB zwei Geschäftstypen ausdrücklich geregelt: Die Bürgschaft als prinzipiell nachrangige und akzessorische Verpflichtung eines Interzedenten (dieser aus dem römischen Recht stammende Begriff wird heute noch allgemein verwendet, auch vom Gesetzgeber) und der Beitritt eines Sicherungsgebers zu einer bestehenden Verbindlichkeit, der zu einer Schuldgemeinschaft führt. Besonders im geschäftlichen Verkehr zwischen Untemehmen hat jedoch eine dritte Form der Personenhaftung besondere Bedeutung erlangt, nämlich die Bankgarantie. Sie stellt den Hauptanwendungsfall des im ABGB nur in Ansätzen (vgl § 880a) geregelten Garantievertrages mit enormer praktischer Bedeutung dar^. Bankgarantien werden als Leistungssicherung im Geschäftsverkehr in erster Linie dann verlangt und bestellt, wenn die Bonität eines Vertragspartners für einen Lieferanten oder einen sonst Vorleistungspflichtigen nicht verlässlich beurteilt werden kann. Eine Bankgarantie ist die im Regelfall unwiderrufliche Verpflichtung einer Bank, eine Geldsumme dann zu bezahlen, wenn ein Dritter - der Garantieauftraggeber - eine bestimmte Leistung nicht erbringt oder andere, im Garantievertrag genannte Voraussetzungen gegeben sind (also der so genannte „Garantiefall" eintritt). Der Garantievertrag ist eine Vertragsbeziehung zwischen einem Gläubiger (der nach dem üblichen Sprachgebrauch als „Begünstigter" der Garantie bezeichnet wird) und einem Interzedenten (Garant) und ein einseitig verpflichtender Vertrag im Rahmen der dreipersonalen Beziehung zwischen Begünstigtem, Garantieauftraggeber und Garanten. Dieses Dreipersonenverhältnis gleicht zu1 Zu Begriff und Rechtsgrundlagen im österreichischen Recht vgl zB Koziol, in: Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II (Wien 1993) Rz 3/1 ff; Harrer, Neue Vertragstypen im Handelsrecht (Wien 2001) 52 ff

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nächst konstruktiv jenem der Bürgschaft. Der Hauptunterschied zur Bürgschaft und das kennzeichnende Element der Garantie ist jedoch die mangelnde Akzessorietät der Garantieverpflichtung. Sie ist grundsätzHch unabhängig vom Grundgeschäft zwischen dem Begünstigten und dem Garantieauftraggeber (Valutaverhältnis), aus dem sich die gesicherte Forderung des Ersteren ergibt. Der Garant haftet also anders als der Bürge nicht nur für die Einbringlichkeit der Gläubigerforderung, sondern darüber hinaus sichert er dem Begünstigten überhaupt den Erhalt der Leistung. Sie wird deshalb auch gerne als „Kind des Misstrauens" bezeichnet^: Ihr Zweck ist es, dem Begünstigten einen möglichst einwendungsund einredefreien Zahlungsanspruch zu verschaffen. Neben dieser primären Sicherungsfunktion kommt der Bankgarantie - ähnlich wie beim Dokumentenakkreditiv - häufig auch eine Liquiditätsfunktion zu^. Der typische Geschehensablauf im Zusammenhang mit dem Einsatz von Bankgarantien sieht dabei aus wie folgt: Im Rahmen eines Lieferungs- oder Leistungsvertrages verlangt der Vorleistungspflichtige (also zB ein Verkäufer) von seinem Vertragspartner eine Bankgarantie zur Sicherung seiner Gegen- bzw allfälligen Rückforderungsansprüche. Bereits in diesem Grundgeschäft wird die entsprechende Verpflichtung des Vertragspartners des Vorleistungspflichtigen zur Beibringung der Garantie statuiert. In weiterer Folge beauftragt der Vertragspartner eine Bank (häufig seine Hausbank) mit der Erstellung der Bankgarantie (und wird damit zum „Garantieauftraggeber"). Die Bank übermittelt die Garantieerklärung an den Begünstigten (Garantenofferte)^. Explizite Annahmeerklärungen des Begünstigten sind in der Praxis allerdings weitgehend unüblich, obwohl am Vertragscharakter von Bankgarantien nicht zu zweifeln ist^. In diesem besonderen Fall wird also das Stillschweigen des Begünstigten ohne weiteres als Annahmeerklärung qualifiziert (was vertretbar erscheint, da die Garantie ja nur Vorteile für den Begünstigten bewirkt). Will man das nicht, so kann mit Koziol^ im Garantieangebot eine Offerte der Bank mit verlängerter Bindungswirkung gesehen werden, die erst durch den 2 Vgl etwa Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht^ (2004) Rz 5.358. 3 Auch dazu Kumpel (Fn 2) Rz 5.361. 4 Für den (seltenen) Fall einer Garantie durch eine Nichtbank hat die Judikatur anerkannt, dass die Formvorschrift der Bürgschaft (§ 1346 Abs 2 ABGB) analog auf den Garantievertrag anzuwenden ist, da hier eine ganz ähnliche Gefahrensituation für den Interzedenten besteht (SZ 65/109). 5 Dazu Koziol (Fn 1) Rz 3/66 mwN. 6 AaO Rz 3/68 (dort auch zu weiteren Erklärungsmodellen für das gültige Zustandekommen des Garantievertrages).

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Garantieabruf des Begünstigten (konkludent) angenommen wird. Gültigkeitsprobleme der Garantie entstehen trotz dieser Besonderheiten jedenfalls nach hA nicht. Ruft der Begünstigte nun den Garantiebetrag bei der Bank ab, so ist es dem Garanten wegen der erwähnten Nichtakzessorietät seiner Verpflichtung zumindest prinzipiell verwehrt, Einreden aus dem Valutaverhältnis geltend zu machen. Das bedeutet, dass er grundsätzlich zunächst einmal an den Begünstigten leisten muss. Nach dem typischen Ablauf wendet er sich in weiterer Folge im Regressweg an den Garantieauftraggeber^. Dieser kann dann - etwa bei Ungültigkeit der gesicherten Hauptverpflichtung - seinerseits bereicherungsrechtlich gegen den Begünstigten vorgehen^. Auch Schadenersatzansprüche des Garantieauftraggebers gegen den Begünstigten kommen bei unberechtigtem Abruf in Betracht. Die Abwicklung erfolgt also grundsätzlich über das Dreieck („pay first, litigate later"). Die Garantie hat damit einerseits die Funktion, dem Begünstigten rasch zu Bargeld zu verhelfen und ihm gleichzeitig in einer allfälligen Auseinandersetzung die Beklagtenrolle zu verschaffen. Andererseits führt ihre abstrakte Ausgestaltung dazu, dass die Auseinandersetzung über den gesicherten Hauptanspruch des Begünstigten in das Valutaverhältnis verlagert wird, in dem sich dann der Garantieauftraggeber mit dem Begünstigten (als seinem Vertragspartner) über den allfälligen Rückforderungsanspruch (und damit über die materielle Berechtigung des Begünstigten im Valutaverhältnis) auseinander zu setzen hat^. Dem Begünstigten verschafft diese Konstruktion die Möglichkeit, gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Garantieauftraggebers Gegenansprüche oder Einreden geltend zu machen, wie sie sich aus der hier bestehenden Vertragsbeziehung nicht selten ergeben können. In diesen Funktionen manifestiert sich der grundlegende Unterschied zu akzessorischen Sicherungsinstrumenten und der historische Entstehungszweck des dreipersonalen Garantievertrages (Ersetzung von Bardepots). Die Rechtsgrundlagen für den Rückgriff liegen idR sowohl im Auftragsrecht (§ 1014 ABGB) als auch in § 1358 ABGB (Legalzession), der nach ganz hA auf den Garantievertrag analog anwendbar ist. Die letztere Anspruchsgrundlage bedingt freilich, dass im Valutaverhältnis tatsächlich eine aufrechte Forderung des Begünstigten bestand, die im Wege der Legalzession übergehen kann. Anspmchsgrundlage ist nach hA § 1431 ABGB analog (weil es nicht auf den Irrtum des Garantieauftraggebers ankommt; vgl OGH ÖBA 1997, 64). Dazu Canaris, Die Bedeutung des „materiellen" Garantiefalls für den Rückfordemngsanspmch bei der Garantie „auf erstes Anfordern", ZIP 1998, 493, 497.

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Die Garantie ist damit nach hA eine abstrakte, von einem Rechtsgrund unabhängige Verpflichtung. Das bedeutet: - Der Garant kann prinzipiell nur Einwendungen aus seinem eigenen Verhältnis zum Begünstigten erheben (zB Ungültigkeit oder Ablauf der Garantie ^^). Ansonsten bleibt ihm nur der „Einwand des Rechtsmissbrauches" (Abruf durch den Begünstigten im [nachzuweisenden] Bewusstsein, dass ihm im gesicherten Valutaverhältnis evidentermaßen kein Anspruch zusteht) ^^ - Die Garantie ist außerdem grundsätzlich unabhängig vom Deckungsgeschäft Bank-Garantieauftraggeber (wie erwähnt, idR ein Auftragsverhältnis), so dass grundsätzlich Einwendungen aus diesem Verhältnis von der Bank gegenüber dem Abruf durch den Begünstigten nicht erhoben werden können. Im Garantievertrag ist zu spezifizieren, wann der Garant zu leisten hat {,,Garantiefair). Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten: Häufig ist lediglich eine bestimmte Erklärung durch den Begünstigten abzugeben. Dies kann eine bloße Mitteilung sein, dass der Hauptschuldner noch nicht geleistet hat; oder auch eine bloße Zahlungsaufforderung gegenüber dem Garanten (Simple-DemandGarantie). Manchmal wird die Inanspruchnahme der Garantie aber auch von der Überbringung bestimmter Dokumente oder Nachweise abhängig gemacht^^. So kann zB vereinbart werden, dass ein Verkäufer als Begünstigter einer Zahlungsgarantie ^^ durch Vorweisung der entsprechenden Lieferdokumente dem Garanten die Absendung der Ware nachzuweisen hat. Erforderlich kann auch der Nachweis einer eigenen Zahlung des Begünstigten oder ein Bedingungseintritt sein^"*. Besondere Abrufvoraussetzungen dieser Art werden als ,yEffektivklauseln" bezeichnet. Den Eintritt des Garantiefalles (das Vorliegen der Abrufvoraussetzungen) hat grundsätzlich der Begünstig10 Andere Einwendungen aus diesem Verhältnis sind jedoch nicht immer unproblematisch; dazu Mader, Überlegungen zur Formulierung von Bankgarantien, in: Kühnelt (Hg), Basel II - Der Notar und die Kreditsicherung im europäischen Umfeld (2005; in Druck). 11 Auch dazu Koziol, Bankgarantie Rz 3/58 ff, 3/100 ff. S aus der jüngeren Judikatur zu dieser Frage zB OGH ÖBA 2000, 325; 2000, 703; 1998, 876; 1997, 384; 1997, 482; 1992, 573; SZ 66/140 (1993). 12 Wird als Garantiefall eine Dokumentenvorlage vereinbart, so ist darauf zu achten, dass die Formulierung so klar ist (Dokumentenbezeichnung!), dass die Bank ohne weitere Erhebungen Sicherheit über das Vorliegen der Abrufvoraussetzungen gewinnen kann. 13 Zu den wichtigsten Garantietypen s unter III. 1. 14 Vgl als Beispiele aus der Judikatur zB ÖBA 2003, 951 (Zahlungseingang beim Garantieauftraggeber) oder ÖBA 2003, 541 (Vorlage eines Buchprüfungsberichtes).

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te zu behaupten und zu beweisen. Die Bank als Garantin prüft vor der Auszahlung die sich aus dem Garantievertrag ergebenden formellen Abrufvoraussetzungen (den „formellen Garantiefall"), nicht aber die materielle Abrufberechtigung des Begünstigten, die sich aus dem Valutaverhältnis zum Garantieauftraggeber ergibt. Die Prüfung der formellen Abrufvoraussetzungen ist nicht nur ein Recht der Bank, sondern auch eine Pflicht aus ihrer Rechtsbeziehung zum Garantieauftraggeber (dem Deckungsverhältnis), deren Verletzung schadenersatzpflichtig machen (bzw zum Verlust des Aufwandersatzanspruches führen) kaim. In der Praxis kommen einfach formulierte Garantiefalle (wie etwa die Vereinbarung bloßer Abruferklärungen) häufiger vor als besonders formulierte Garantiefälle. Das deckt sich mit den Interessen des Begünstigten; auch die Banken als Garanten präferieren nicht selten diese Variante, da sie sich so wenig wie möglich in Streitigkeiten zwischen Begünstigtem und Garantieauftraggeber hineinziehen lassen wollen. Die österreichische Praxis kennt schließlich auch Mischformen zwischen akzessorischen und nicht akzessorischen Sicherungen. Der OGH hat etwa in dem der Entscheidung ÖBA 2000, 418^^zugrunde liegenden Sachverhalt eine besonders ausgestaltete Garantievereinbarung als atypisch angesehen und sie als „bloß formell abstrakte" Garantie bezeichnet. Aus dem Blickwinkel der Privatautonomie sind solche atypischen Gestaltungen natürlich auch zuzulassen. In concreto wurde als Rechtsfolge angenommen, dass eine vom Begünstigten aus der Sicht des Valutaverhältnisses zwar nicht missbräuchlich, aber materiell unberechtigt abgerufene Sicherungssumme vom Garanten vorerst einmal an den Begünstigten bezahlt werden müsse (was der Situation bei einer „vollabstrakten" Garantie entspricht). Stellt sich dann aber nachträglich heraus, dass der abgerufene Garantiebetrag (oder ein Teil davon) im Valutaverhältnis nicht gedeckt bzw gerechtfertigt ist, kann der Garant selbst zurückfordern. Das bedeutet konstruktiv, dass die Abhängigkeit von der gesicherten Hauptverbindlichkeit zwar nicht im Zahlungszeitpunkt, wohl aber im Rückforderungsverfahren durchschlägt: In Letzterem kann sich der Garant auf das Valutaverhältnis berufen. Damit wird eine Zwischenform von Bürgschaft und Garantie anerkannt, die inhaltlich dem vor allem in Deutschland gebräuchlichen und anerkannten Modell der „Bürgschaft auf erstes Anfordern" entspricht^^. 15 1 Ob 208/99S. 16 Der OGH erwähnt in diesem Zusammenhang auch die „Bürgschaft auf erstes Anfordern" (iSd deutschen Leitentscheidung BGHZ 74, 244; dazu zB Schwimann/Mader, ABGB VII^ [Wien 1997] § 1346 Rz 24; Koziol (Fn 1) Rz 3/37; P. Bydlinski, Moderne Kreditsicher-

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Letztlich sei angemerkt, dass die österreichische Judikatur häufig mit Fällen befasst ist, in denen es um die Auslegung unklarer Haftungsklauseln geht^^. Dies liegt daran, dass in der österreichischen Bankenpraxis bei der Formulierung von Garantien bzw Haftungserklärungen häufig auch andere als die für die Bankgarantie typischen Klauseln (Zahlung „auf erstes Anfordern", „ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses" oder „unter Verzicht auf alle Einwendungen") verwendet werden. Besonders für die Insolvenzrisikoverteilung zwischen den drei beteiligten Personen, aber auch für die Frage des Umfanges der Haftung der Bank ist es eine entscheidende Frage, ob nicht- oder teilakzessorische Haftungen vorliegen!^. Für die Beurteilung im Einzelfall ist das herkömmliche Interpretationsinstrumentarium für rechtsgeschäftliche Erklärungen (insbesondere § 914 und § 915 HS 2 ABGB) heranzuziehen. IL Formulierungsbeispiel „Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben davon Kenntnis, dass zwischen Ihnen und Herrn X. ein Kaufvertrag betreffend ... abgeschlossen wurde. In diesem Zusammenhang verlangen Sie vom Käufer eine Bankgarantie in Höhe von € 72.000 mit einer Laufzeit von 12 Monaten. Über dessen Auftrag übernehmen wir Ihnen gegenüber hiermit die Garantie bis zum Höchstbetrag von € 72.000. Wir verpflichten uns, Zahlungen im Rahmen dieser Garantie binnen fünf Bankarbeitstagen nach Erhalt Ihrer schriftlichen Zahlungsaufforderung auf erstes Anfordern und ohne Prüfung des Rechtsgrundes an Sie zu leisten, wobei der Tag des Einlangens der Aufforderung bei der Berechnung der Frist nicht berücksichtigt wird. Die Garantie ist gültig bis zum ... Sie erlischt, wenn hinfällig, auch schon vor diesem Ablauftermin, was Sie uns gegenüber durch Rücksendung der Originalurkunde an uns zum Ausdruck bringen werden. heiten und zwingendes Recht, AcP 190 [1990] 165), ohne allerdings klarzustellen, ob er diese mit der hier anerkannten „bloß formell abstrakten Garantie" gleichsetzt oder nicht. Auf die Bezeichnungen kommt es aber nicht entscheidend an. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern wird freilich in der deutschen Literatur zT als „Systembruch" und „dogmatische Sünde" kritisiert (vgl zB Schnauder, WM 2000, 2073, 2078 ff mwN). 17 Vgl zB OGH ÖBA 1993, 985; 1996, 221; 1999, 306; 2000, 322; 2001, 477; RdW 2002, 147. 18 Vgl dazu Rummel, Auslegung von Bankgarantien, ÖBA 2000, 210 ff

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Eine Inanspruchnahme gegenständUcher Garantie ist ausschUeßhch schriftlich möglich, wobei die schriftliche Zahlungsaufforderung eingeschrieben an uns abzusenden ist und innerhalb des Gültigkeitszeitraumes bei uns einlangen muss. Für diese Garantie gilt österreichisches Recht, Gerichtsstand ist Salzburg, wenn wir nicht einen anderen zuständigen Gerichtsstand wählen. Die Ansprüche aus dieser Garantie können nur mit unserer ausdrücklichen schriftlichen Zustimmung abgetreten werden." III. Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr III.1 Überblick Bankgarantien spielen auch im außenwirtschaftlichen Verkehr eine bedeutende Rolle^^; dies gilt nicht nur für den deutschen Sprach19 Literaturhinweise: Hadding/Schneider (Hg), Recht der Kreditsicherheiten in europäischen Ländern (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Berlin 1976 ff); Dohm, Bankgarantien im internationalen Handel (Bern 1985); Mattout, Droit Bancaire International (Paris 1987); Müller, Die Bankgarantie im internationalen Wirtschaftsverkehr (Wien 1988); Thietz-Bartram, Die Bankgarantie im italienischen Recht (Berlin 1989); Hom/Wymeersch, Bank-Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, in: Hörn (Hg), The Law of International Trade Finance (Deventer 1989) 455 ff; Kleiner, Bankgarantie"^ (Zürich 1990); von Westphalen, Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr^ (Heidelberg 1990; Neuauflage in Vorbereitung); Goode, ICC Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien (Köln 1992); ders, Guide to the ICC Uniform Rules for Demand Guarantees (Paris 1992); Eberl, Rechtsfragen der Bankgarantie im intemationalen Wirtschaftsverkehr nach deutschem und schweizerischem Recht (Baden-Baden 1992); Pierce, Demand Guarantees in International Trade (London 1993); Hasse, Die Einheitlichen Richtlinien für auf Anfordem zahlbare Garantien der Intemationalen Handelskammer, WM 1993, 1985; Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Internationales und ausländisches Wirtschafts- und Steuerrecht, Arabische Staaten, Recht der Bankgarantien (Köln-Berlin 1994); Schütze, Bankgarantien (Bonn 1994); Wood, Comparative Law of Security and Guarantees (London 1995); Wiegand (Hg), Personalsicherheiten (Berner Bankrechtstag BBT Bd 4; 1997); Hom, Die UN-Konvention über unabhängige Garantien, RIW 1997 Heft 9; Bertrams, Bank Guarantees in Intemational Trade^ (Paris-New York 1998); Lienesch, Internationale Bankgarantien und die UN-Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by Letter of Credit (Berlin 1999); Eleftheriadis, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern (Berlin

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räum. Die meisten Industrieländer haben etwa seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine entsprechende Rechtspraxis und verwenden ähnliche, tendenziell einander angenäherte Sicherheiten im Innen-, besonders aber im Außenwirtschaftsverkehr. Die Bankgarantie kann geradezu als eine Schöpfung des internationalen Handelsverkehrs bezeichnet werden^^; weltweit gesehen wird sicherlich die Mehrzahl größerer Auslandsverträge (besonders in den Bereichen Anlagenbau und Export von Investitionsgütern) unter Verwendung von Bankgarantien abgewickelt. Die Verpflichtung zur Stellung einer Bankgarantie wird dem Garantieauftraggeber idR auch hier bereits in dem dem Valutaverhältnis zugrunde liegenden Vertrag mit dem Begünstigten auferlegt; häufig in Form der Garantiebeibringung durch eine „international prime bank". Damit hat sich international ein Typ eines Sicherungsgeschäftes herausgebildet, der fast überall ähnlichen Regeln folgt. Wirtschaftlich gesehen haben Bankgarantien zum Teil die früher üblichen Bardepots, Bankakzepte oder Gewährleistungseinbehalte ersetzt^!. Aus der Sicht des Garantiezwecks erscheinen folgende Typen als vorherrschend^^: - Eine Zahlungsgarantie (payment guarantee, garantie de paiement) ist eine Garantie zu Gunsten eines Exporteurs oder Werkuntemehmers zur Absicherung von Kaufpreis- bzw Werklohnansprüchen. Zahlungsgarantien stehen dann, wenn sie als „Garantiefall" Dokumentenvorlagen vorsehen, dem ebenfalls international gebräuchlichen Dokumentenakkreditiv nahe, haben allerdings anders als dieses nicht primär Zahlungs-, sondern vielmehr Sicherungsfunktion. - Eine Bietungsgarantie (tender bond, bid bond, garantie de soumission) ist häufig im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens gemeinsam mit der Offerte einzureichen. Sie hat idR den Zweck, mögliche Schadenersatzansprüche der ausschreibenden Stelle abzusichern, zB im Fall des Offertenrückzuges oder der Nichtannahme des Auftrages nach dem Zuschlag. Häufig erstreckt sich eine Bietungsgarantie auch auf die Nebenverpfiichtung des Of2001); Affaki, A User's Handbook to the URDG (2001); Zahn/Ehrlich/Neumann, Zahlung und Zahlungs Sicherung im Außenhandel (Berlin 2001); Häberle (Hg), Handbuch für Kaufrecht, Rechtsdurchsetzung und Zahlungssicherung im Außenhandel (München-Wien 2002) 831 ff 20 Vgl von Westphalen, Neue Tendenzen bei Bankgarantien im Außenhandel, WM 1981, 294. 21 Vgl Canaris (Fn 9) 497. 22 Vgl dazu auch die Typenübersicht bei Häberle (Fn 19) 836, 842 ff (mit weiteren Beispielen und einschlägigen Vertragsmustern).

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ferenten, bei Auftragserteilung eine Erfüllungsgarantie beizubringen. - Eine Erfüllungsgarantie (Performance bond, garantie de bonne execution de contrat) ist eine Garantie zu Gunsten eines Käufers oder Werkbestellers für die vom Exporteur bzw Werkuntemehmer geschuldete Lieferung/Leistung. Sie kann - j e nach Ausgestaltung - auch die Absicherung von Gewährleistungsansprüchen umfassen. - Anzahlungsgarantien (advance oder down payment guarantees, garantie de remboursement d'acompte) sichern allfällige Rückerstattungsansprüche geleisteter Vorauszahlungen durch einen Käufer/Werkbesteller im Nichterfüllungsfall. - Gewährleistungsgarantien (guarantee für warranty obligations, garantie de boime fin) sichern Gewährleistungsansprüche eines Warenimporteurs oder Werkbestellers. - Durch Stellung einer Haftrücklassgarantie erreicht ein VerkäuferAVerkuntemehmer, dass ein vereinbarter Haftrücklass nicht einbehalten wird, also der KaufpreisAVerklohn voll ausbezahlt wird. Gesichert ist die (ebenfalls zu vereinbarende) Rückstellungspflicht des Haftrücklassbetrages bei Auftreten von Mängeln. Häufig sind im internationalen Handelsverkehr indirekte Garantien anzutreffen, bei denen die vom Garantieauftraggeber erstbeauftragte Bank eine weitere Bank im Staat des Begünstigten damit beauftragt, die Garantie zu übernehmen. Die Zweitbank geht in diesen Fällen eine eigene Verpflichtung zum Begünstigten ein und lässt sich durch eine entsprechende Rückgarantie der Erstbank (indemnity) absichem^^. Besonders bei Vertragspartnern in Ländern außerhalb der EU wird vom Sicherungsnehmer häufig eine Garantie einer Bank in seinem eigenen Land verlangt. Im Handel mit Partnern aus Ländern der EU sind dagegen auch direkte Garantien üblich. In diesen Fällen wird manchmal dennoch eine zweite Bank im Land des Begünstigten eingeschaltet, zB um Erklärungen des Begünstigten entgegenzunehmen (Avisbank). Als weitere Variante kommt vor, dass die Zweitbank im Land des Begünstigten eine direkte Garantie der Erstbank „gegenzeichnet", dh eine Mithaftung gegenüber dem Begünstigten übemimmt^^. Die Praxis spricht in diesem Fall manchmal von „bestätigten" Garantien. Die vereinheitlichende Tendenz der internationalen Geschäftspraxis ergibt sich sicherlich zu einem guten Teil aus ähnlichen Sicherungsbedürfnissen. Vorherrschend ist die abstrakte und nichtakzessorische Garantie zur Zahlung auf erstes Anfordern (payment 23 Auch dazu von Westphalen (Fn 20) 299 f; aus der Judikatur s zB BGH NJW 2001, 282. 24 Dazu Häberle (Fn 19) 840.

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upon first demand, Abruf also durch bloße Erklärung des Begünstigten). Daneben gibt es (wie in Österreich) Varianten bei den Abrufvoraussetzungen (besonderer Nachweis des Garantiefalles oder andere Effektivklauseln, wie Vorlage von Dokumenten oder Schiedsurteilen). Diese Varianten geben dem Garantieauftraggeber eine etwas größere Sicherheit gegen eine missbräuchliche bzw materiell unberechtigte Inanspruchnahme der Garantie. Gerade aus diesem Grund sind sie allerdings sowohl beim Sicherungsnehmer als auch bei den Banken weniger beliebt. Wie bereits oben erwähnt, haben insbesondere die Banken kein Interesse daran, sich als Garanten in Streitigkeiten des Valutaverhältnisses hineinziehen zu lassen (ihr geschäftliches Interesse an der Ausstellung von Garantien beschränkt sich idR auf die Provisionslukrierung). Fragen der materiellen Berechtigung des Begünstigten im Valutaverhältnis wollen (und können) sie nicht beurteilen. Häufig ist international die Vereinbarung eines Abrufes durch Erklärung des Berechtigten, dass der garantierte Erfolg im Valutaverhältnis (Vertragserfüllung) nicht eingetreten ist (ohne aber dafür einen Nachweis erbringen zu müssen). Neben der grundsätzlichen Nichtakzessorietät der Einstehungsverpflichtung kennen die meisten entwickelten Rechtsordnungen auch den bereits eingangs erwähnten Missbrauchseinwand (fraud exception)^^. Vgl dazu etwa bei Philip R. Woocfl^: „The international consensus in developed countries seems to be that the international trade is fostered by enhancing the liquidity and certainty of bank guarantees, and the only exception should be clear fraud on the part of the benificiary ... But the fraud must be manifest and obvious (in the words of a Dutch court: as clear as the sun) ... This is broadley the position taken by the courts of Belgium, England, France, Italy, Luxemburg, the Netherlands and the United States". Zu ergänzen ist, dass dies auch dem Verständnis der österreichischen Judikatur entspricht, die in diesem Zusammenhang häufig von „Evidenz" oder „liquider Beweisbarkeit" der Missbrauchsvoraussetzungen spricht^^. Prozesstechnisch gesehen steht in vielen Ländern für die Durchsetzung der Missbrauchswertung ein beschleunigtes Verfahren (vergleichbar der einstweiligen Verfügung im österreichischen

25 Vgl auch Häberle (Fn 19) 888 ff zu den Voraussetzungen des Missbrauchseinwandes und Hoffmann, Garantie auf erstes Anfordern im belgischen Recht, RIW 1996, 389, 391 ff 26 Wood (Fn 19) Rz 26-13 ff (mit Beispielsfällen); dazu auch Hom/ Wymeersch(Fnl9)455ff 27 VgldieNwinFnll.

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Verfahrensrecht [§§ 378 ff EO]) zur Verfügung^^. Derartige Prozessmittel können sich - je nach der zur Anwendung kommenden Rechtsordnung - entweder gegen den Begünstigten (Unterlassung oder Widerruf des Abrufes), gegen die Garantin (Zahlungsverbot) oder gegen beide richten^^. Es darf dabei freilich nicht übersehen werden, dass eine nationale Rechtsordnung bzw Gerichtspraxis, die Zahlungsverbote an Garanten in verstärktem Ausmaß zulässt, international durchaus zu Akzeptanzproblemen von Garantien der Banken dieses Staates führen kaim. Aus der Sicht des Begünstigten ist in diesem Fall eine indirekte Garantie (also eine Garantie durch eine Bank in seinem Heimat- oder Sitzstaat) vorzuziehen. Die letztere Überlegung hängt auch mit der kollisionsrechtlichen Situation zusammen: In den Mitgliedsstaaten des EVÜ^^, also etwa im EU-Raum, gilt: Vorbehaltlich einer Rechtswahl nach Art 3 EVÜ unterliegt ein Garantievertrag dem Recht des Staates, zu dem er die engsten Verbindungen aufweist. Nach Art 4 Abs 2 ist das der Staat des Hauptverwaltungssitzes jener Partei, die die charakteristische Leistung erbringt. Das ist beim Garantievertrag zweifellos die Bank, so dass danach idR das Recht am Sitz des Garanten zur Anwendung kommt. In Staaten, welche nicht Mitgliedstaaten des EVÜ sind, ist das jeweilige nationale IPR anzuwenden, das im Ergebnis jedoch ebenfalls häufig zum Recht des Sitzstaates des Garanten führt^^ Der Begünstigte einer ausländischen Bank bewegt sich also idR nur bei Rechtswahl zu seinen Gunsten oder eben bei indirekten Garantien in der eigenen Rechtsordnung, in der er die rechtlichen Möglichkeiten einer Zahlungsverweigerung durch den demselben Staat angehörenden Garanten besser abschätzen kann^^. III.2 Länderspezifische Hinweise a) Deutschland, Schweiz In beiden Ländern ist die Bankgarantie ebenfalls gesetzlich nicht besonders geregelt, hat aber in der Praxis eine vielfaltige und dif28 29 30 31

Auch dazu Wood (Fn 19) Rz 26-17. Vgl zur österreichischen Rechtslage etwa OGH in ÖBA 1997, 384. Europäisches Vertragsstatutübereinkommen (BGBl III 1998/208). Die Banken weisen in ihren Garantieformulierungen außerdem regelmäßig auf die jeweils eigene Rechtsordnung hin. 32 Probleme können sich allerdings daraus ergeben, dass bei indirekten Garantien auf die Rückgarantie der Erstbank gegenüber der Zweitbank nach den genannten Grundsätzen häufig das Heimatrecht der Erstbank zur Anwendung kommen wird (dazu etwa von Westphalen [Fn 20] 300 f).

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ferenzierte Ausgestaltung erfahren^^. Die Rechtslage entspricht weitgehend - mit nur kleinen spezifischen Abweichungen - j e n e r in Österreich^"^. Das gilt insbesondere für die grundsätzliche Konstruktion des Garantievertrages (mangelnde Akzessorietät des Interzessionsgeschäftes) und für das Missbrauchsproblem. b) Andere europäische Länder Hier sei zunächst auf die Länderübersicht bei Welter^^ verwiesen. Daraus ergibt sich, dass die abstrakte Garantie in den meisten europäischen (und vielen außereuropäischen) Ländern einerseits ungeregelt ist (Ausnahmen bieten etwa Polen oder Russland), andererseits aber praktisch überall bekannt ist und ähnlich behandelt wird. Beachte zur Terminologie: - Im englischen Recht bezeichnet der Ausdruck „guarantee" eigentlich eine akzessorische Bürgschaft. Für selbständige Verpflichtungen sind die Bezeichnungen „contract of indemnity", „demand guarantee" oder (first demand) „bank-guarantee" gebräuchlich. - Im französischen Rechtskreis^^ sind die Bezeichnungen „garantie autonome", „garantie de banque" oder „garantie independante" üblich; - in Italien die Bezeichnung „garanzia di pagamento" oder „di fomitura"^^; - in Spanien „contrato autönomo da garantia". 33 Vgl zur deutschen Literatur insbesondere die in Fn 19 angegebenen Werke von Schütze und von Westphalen, s daneben noch Staudinger/Horn, BGB (1997) Vorbem zu §§ 765 ff Rz 194 ff mwN und Kumpel (Fn 2) Rz 5.353 ff. Zur Rechtslage in der Schweiz s besonders die in Fn 19 genannten Bücher von Kleiner, Dohm und Eberl sowie Zobl, Die Bankgarantie im schweizerischen Recht, in: Wiegand, Personalsicherheiten (Fn 19) 23 ff und Schönle, Missbrauch von Akkreditiven und Bankgarantien, SJZ 1983, 53 ff. 34 Formulierungsbeispiele zum deutschen Recht in Hoffmann-Becking/ Rawert (Hg), Beck'sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht^ (München 2001) unter III. J. 6, 7; Häberle (Fn 19) 833 ff 35 MünchKomm/Welter, HGB V (München 2001), ZahlungsV Rz J133 ff; s auch Müller (Fn 19) 121 ff 36 Dazu etwa Celestine, Die Garantie auf erstes Anfordern in der französischen Gerichtspraxis, RIW 1989, 81 ff 37 Vgl zum italienischen Recht Portale, Die vereinigten Senate des italienischen Kassationshofs und der selbständige Garantievertrag, in: Jahrbuch für italienisches Recht 3 (1990) 49 ff; Bartram, Bankgarantie im italienischen Recht, ebenda 73 ff.

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Für die Einordnung bzw Abgrenzung zur Bürgschaft und anderen akzessorischen Haftungen kommt es aber nach dem Recht der meisten Länder ähnhch wie auch im österreichischen Recht weniger auf die Bezeichnung des Rechtsgeschäftes als auf die Formulierung der Haftungserklärung an. Nachstehend einige Beispiele für gängige Formulierungen: ICC Model Form^^: „... pay upon receipt by us on Your first demand". England: „payment unconditional", „exclusive evidence clause" oder „payable without proof of Uability or evidence"^^. Frankreich: „... payer ä premiere demande". Italien: „... a prima domanda senza eccezioni"; „... a prima richiesta scritta" etc. Spanien: „... a primera solicitud"; „... al primer requerimiento" etc. c) US-Praxis Vorherrschend ist hier im Bereich des internationalen Geschäfts die Form des standby letter of credit^^. Dieser hat sich aus der angloamerikanischen Form des Dokumentenakkreditivs entwickelt (das eine ähnliche Konstruktion wie die Garantie aufweist, aber primär als Zahlungsinstrument und nicht zur Zahlungssicherung gedacht ist). Der Grund für die Etablierung dieser Sonderform liegt primär darin, dass nicht alle US-Banken nach den amerikanischen Bankenaufsichtsregeln befugt sind, Garantien zu erstellen. Der standby letter of credit als Akkreditivsonderform ist nicht auf das Warengeschäft beschränkt und soll dem Begünstigten auch nicht primär sofortige Zahlung gewährleisten (also Zahlungsabwicklungsinstrument sein), sondern ihn für den Fall des Ausbleibens der Leistung seines Vertragspartners sichern. Während beim Akkreditiv für den Zahlungsabruf idR eine Dokumentenvorlage erforderlich ist, aus der sich zB die Vertragserfüllung des Abrufenden ergibt, reicht beim standby letter of credit eine Erklärung des Begünstigten darüber aus, dass der garantierte Erfolg nicht eingetreten ist. Damit erfüllt er praktisch uneingeschränkt die Funktion 38 Siehe dazu unten Ill.S.b). 39 In England sollte zum Ausdruck kommen, dass der Garant eine Primärverpflichtung (primary Obligation) übernimmt (zur Abgrenzung von Bürgschaften: secondary Obligation). Vgl dazu Goode, Commercial Law^ (London 1995) 1030 ff 40 Der letter of credit gehört zu jenen Finanzierungsinstrumenten, die bereits auf das Mittelalter zurückgehen (dazu Wood [Fn 19] RZ 281), etwa in Form von traveller's letters of credit.

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einer Bankgarantie und wird manchmal als „Garantie im Mantel eines Dokumentenakkreditivs" bezeichnete^. Der Standby Letter hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der weltweit am meisten in Gebrauch stehenden Sicherungsmittel entwickelt. III.3 Bisherige Versuclie einer Rechtsvereinheitlichung a) UN-Konvention über unabhängige Garantien 1995 Die UNCITRAL hat der internationalen Durchsetzung der nicht akzessorischen Garantieverpflichtung dadurch Rechnung getragen, dass ihre Grundsätze zur Förderung der Rechtsvereinheitlichung kodifiziert wurden^^. Die Ausgestaltung entspricht weitgehend dem Modell der bisher besprochenen Garantie. Als Besonderheit ist anzumerken, dass die UN-Konvention eine ausführliche Regelung des Tatbestandes der missbräuchlichen Inanspruchnahme enthält^^. Das Abkommen ist jedoch bisher^^ nur von sechs Staaten ratifiziert worden, hat also noch keine praktische Bedeutung erlangt. b) ICC Uniform Rules for Demand Guarantees aa) Allgemeines 1992 wurden durch die internationale Handelskammer nach einem Vorläufermodell^^ die „Uniform Rules for Demand Guarantees" (Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien; URDG; gebräuchliche deutsche Abkürzung: ERAG) publiziert*^.

41 Vgl dazu Horn/Wymeersch (Fn 19) 460; Staudinger/Hom (Fn 33) Rz 291; Welter (Fn 35) Rz J214; Eberth, Der Standby Letter of Credit im Recht der USA, ZVglRWiss 1981, 29 ff; von Bernstorffi Rechtsprobleme US-amerikanischer Bankgarantien, RIW 1987, 257; Lienesch (Fn 19) 50 ff. Rechtsgrundlage ist Art 5 Uniform Commercial Code. Vgl auch unten Fn 47 zur möglichen Einbeziehung der ERA. 42 Vgl dazu Hörn, RIW 1997 Heft 9; Staudinger/Hom (Fn 33) Rz 298; Lienesch (Fn 19). Der Text der Konvention ist im Internet unter http://www.uncitral.org/english/texts/payments/guarantees.htm abrufbar. 43 S auch dazu bei Staudinger/Hom (Fn 33) Rz 298. 44 Stand Dezember 2004. 45 Vgl die einheitlichen Richtlinien für Vertragsgarantien 1978 (ICC Publication No 325); zu diesen zB von Westphalen (Fn 20) 298 f 46 ICC Publication No 458; dazu Goode, Guide to the ICC Uniform Rules for Demand Guarantees (Paris 1992); Hasse (Fn 19) 1985; Affaki, A

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Damit sollte eine einheitliche Rechtsgrundlage für die auf erstes Anfordern zahlbare Garantie geschaffen werden^^. Die URDG spiegeln die internationale Praxis für auf Anfordern zahlbare Garantien weitgehend wider. Sie beschreiben eine Zahlungsverpflichtung, die bei bloßer Anforderung oder bei Vorlage von Dokumenten abgerufen werden kann und die nicht durch eine tatsächliche Pflichtverletzung des Garantieauftraggebers im Valutaverhältuis bedingt ist. Nach dem Modell der URDG ist für den Abruf jedoch die Behauptung des Begünstigten erforderlich, dass eine Pflichtverletzung seines Vertragspartners vorliegt. Die grundlegende Ausgestaltung dieses Garantietyps sieht damit vor, dass kein Nachweis des materiellen Garantiefalles (zB Eintritt einer Vertragsverletzung) verlangt wird. Es genügt eine einseitige Erklärung des Gläubigers (formeller Garantiefall), die Folgendes beinhalten muss: - eine schriftliche Zahlungsaufforderung, - die Erklärung des Begünstigten, dass der Vertragspartner (Garantieauftraggeber) seine Pflichten aus dem Valutaverhältnis verletzt hat - und eine Erklärung des Begünstigten, welcher Art diese Verletzungen sind. Damit wird in diesem Modell ebenfalls über das Prinzip einer bloßen „Simple-Demand-Guarantee" (der Praxis, lediglich eine abstrakte Zahlungsanforderung zu verlangen) insofern hinausgegangen, als der Begünstigte zu weitergehenden Behauptungen über den Eintritt des Garantiefalles verpflichtet wird"^^. Zur Rechtsnatur der URDG sei angemerkt: Nach herrschender Auffassung in Deutschland sind die Richtlinien Klauselrecht, die jedenfalls auf Basis der nationalen Rechtsordnung als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen sind^^. Das gilt sicherlich auch für Österreich. Theoretisch möglich wäre auch eine Einordnung als Gewohnheitsrecht bzw Handelsbrauch, was aber eine langjälu-ige und einheitliche Übung voraussetzt. Diese dürfte derzeit mit großer Sicherheit noch nicht gegeben sein. User's Handbook to the URDG (Paris 2001); Staudinger/Hom (Fn 33) Rz 295 f 47 Seit 1993 liegen auch (neue) einheitliche Richtlinien der ICC für Dokumentenakkreditive vor (ERA; ICC Publication No 500). Da dieses Modell, wie erwähnt, dem US-amerikanischen Modell des standby letter of credit entspricht, ist der Anwendungsbereich der ERA auf den standby letter of credit ausgedehnt worden (die Geltung der ERA kann also für standby letters of credit vereinbart werden). 48 S dazu unten bb) zu Art 20 URDG. 49 Dazu zB Müller (Fn 19) 134 oder Hasse (Fn 19) 1989.

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Konsequenz dieses Verständnisses ist, dass eine rechtsgeschäftliche Einbeziehung der rules in den Vertrag notwendig ist. Es muss dafür im Garantietext ausdrücklich auf die Richtlinien hingewiesen werden. Die Bestimmungen der Klauselkontrolle sind naturgemäß anwendbar. Es empfiehlt sich darüber hinaus, die in Artikel 20 der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen für den Abruf der Garantie (dazu unten bb)) auch in den Wortlaut des Garantietextes aufzunehmen. Die URDG finden in der Praxis eine deutlich breitere Akzeptanz als das Vorgängermodell der Internationalen Handelskammer; vielfach werden sie von europäischen Banken allerdings auch nur auf ausdrücklichen Wunsch des Vertragspartners einbezogene^. Inhaltlich wurden sie 1997 von der Organization for the Harmonization of Business Law in Africa übernommen; seit 2002 werden sie etwa auch von der Weltbank verwendet^^ bb) Anmerkungen zu einzelnen Bestimmungen in den URDG Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) hebt in Absatz b) ausdrücklich die Abstraktheit der Garantie hervor (Abgrenzung von akzessorischen Verpflichtungen wie Bürgschaften; diese fallen nicht unter den Regelungsbereich)^^. Artikel 4 befasst sich mit der Frage der Übertragbarkeit (die gesamte Rechtsposition des Begünstigten kann nicht abgetreten werden, sehr wohl aber der daraus resultierende Zahlungsanspruch). Artikel 6 sagt zum Wirksamwerden der Garantie, dass der Zeitpunkt der Erstellung maßgeblich ist. Das korreliert allerdings nicht mit dem kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis (das, wie eingangs erwähnt, einen Vertragsabschluss für die Entstehung einer Garantieverpflichtung verlangt). An die Annahmeerklärung des Begünstigten nach dem Anbot der Bank werden zwar auch nach österreichischem Recht keine besonderen Anforderungen gestellt; auch ein Zugang einer Annahmeerklärung an den Garanten wird allgemein als nicht erforderlich erachtet^^. Notwendig ist allerdings nach dem österreichischen allgemeinen Vertragsrecht und ebenso nach dem Verständnis der meisten anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen jedenfalls der Zugang der Garantieerklärung beim Begünstigten (zweifelhaft in i ^ i k e l 6: „... enters 50 Dazu auch Häberle (Fn 19) 834. 51 Vgl die Pressemeldung unter http://www.iccwbo.org/home/news archives/2002/world%bank.asp. 52 Der Rechtsmissbrauchseinwand wird nach herrschender Auffassung dadurch nicht ausgeschlossen. 53 Dazu oben unter I.

Entwicklung und Rolle der Bankgarantie im internationalen Handel

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into effect as from the date of its issue"). Das URDG-Modell kommt aus dem angloamerikanischen Rechtskreis (sog „MailboxTheorie", nach der die Absendung der Erklärung maßgeblich ist)^^. Diese Unterscheidung kann in der Praxis durchaus von Bedeutung sein, weil ein Widerruf der Garantie schon vor ihrem Zugang beim Begünstigten nach der Mailbox-Theorie nicht möglich ist. Für das nationale Recht sollte es beim Zugangserfordemis verbleiben. Die Artikel 9-16 regeln die Risikoverteilung zwischen den Beteiligten. Enthalten sind hier eine Reihe von Haftungsfreizeichnungen^^. Artikel 20 regelt die Inanspruchnahme des Garanten: Ungeachtet des konkreten Wortlautes der Garantie hat der Begünstigte (bei Direktgarantien) die oben genannten Erklärungen vorzulegen, dass der Vertragspartner und Auftraggeber der Garantie seine Verpflichtungen aus dem zu Grunde liegenden Vertrag verletzt hat und welcher Art diese Verletzung ist. Diese Anforderungen können nach litera c) aber ausdrücklich ausgeschlossen werden. Erklärter Zweck der Regelung ist die Errichtung einer Hemmschwelle für den Begünstigten gegen missbräuchliche Garantieabrufe. Freilich ist damit lediglich eine formale Hürde aufgestellt; Konsequenz ist, dass sich vielleicht in manchen Fällen durch das Erfordernis einer ausdrücklichen Behauptung ein Missbrauch leichter beweisen lässt. Ansonsten handelt es sich um eine eher psychologische Hürde (Abschreckung vor „schriftlicher Lüge"). Für den Garanten bedeutet dieses Modell wohl, dass er zumindest eine Evidenzkontrolle anhand des zu Grunde liegenden Vertragsverhältnisses vorzunehmen hat^^. Das heißt, dass er die Zahlung verweigern muss, wenn eine evident unrichtige Begründung der Inanspruchnahme vorliegt. Wegen dieser Konsequenz (Einfluss des Valutaverhältnisses auf das Einlösungsverhältnis) wurde die Klausel im Entstehungsprozess der URDG von den Banken auch durchaus bekämpft. cc) Fazit Die Vereinbarung einer Anwendbarkeit der ICC-Richtlinien für eine international wirkende Garantie hat jedenfalls den Vorteil eines festen Rechtsrahmens. Andererseits werden damit uU Regelungen wie das zweifelhafte Likrafttreten der Garantie oder die wohl nicht immer gewünschten Risikoverteilungsregeln in Kauf 54 Vergleiche dazu Hasse (Fn 19) 1990 f. 55 Diese können uU in Konflikt mit AGB-Kontrollregeln geraten; auch dazu Hasse (Fn 19) 1992 f. 56 So Hasse (Fn 19) 1992.

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genommen. Wie erwähnt, ist der Abruf zudem nach diesem Modell an die Behauptung einer Rechtsverletzung des Garantieauftraggebers geknüpft. Die Konsequenzen der Einbeziehung der URDG sind daher im konkreten Fall genau abzuwägen. IV. Schlussbemerkung Kreditsicherungen im internationalen Handelsverkehr leiden darunter, dass - j e nach in concreto anwendbarem Recht - die nationalen Eigenheiten der einzelnen Sicherungsgeschäfte für einen der Vertragspartner oft unerwartet kommen und unerwünscht sind (ein Beispiel bietet die unterschiedliche Behandlung der Sicherungsübereignung im österreichischen und deutschen Recht)^^. Demgegenüber stellt die Bankgarantie ein wichtiges und unverzichtbares Sicherungsinstrument des internationalen Rechts- und Handlungsverkehrs dar. Ihre Ausgestaltung wurde durch die Rechtspraxis entwickelt und sie folgt international vergleichbaren Regeln. Sowohl für die international agierenden Banken bei der praktischen Handhabung als auch für die nationalstaatlichen Gerichte bei der Beurteilung von Bankgarantien gilt: Sie sind gut beraten, diese Regeln und Gepflogenheiten zu beachten. Nationale Alleingänge können nämlich schnell dazu führen, Garantien von Banken des betroffenen Landes die internationale Akzeptanz zu nehmen und damit der Wirtschaft dieses Landes das praktisch einzige weltweit anerkannte und honorierte Sicherungsinstrument zu entziehen^ ^.

57 Dazu etwa Koziol/Welser, Bürgerhches Recht I^^ (Wien 2002) 366; Schwimann, Internationales Privatrecht^ (Wien 2001) 141. 58 Vgl dazu von Westphalen, Ist das rechtliche Schicksal der auf „erstes Anfordern" zahlbar gestellten Bankgarantie besiegelt?, BB 2003 Beilage Nr 1, 116 zu BGH ZIP 2002, 1198.

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Bankgeschäfte im 21. Jahrhundert. Neue Technologien und rechtliche Problemfelder Einleitung Ein Klick und das an einer amerikanischen Börse notierte Wertpapier ist gekauft. Zwei Klicks und schon wurde online ein Kredit beantragt. Der Signalton des Mobiltelefons verkündet den Eingang einer SMS, die über den aktuellen Kontostand und die letzten Umsätze informiert. Nun noch schnell mit ein paar weiteren Klicks eine Überweisung beauftragen und den Stand des Bausparvertrages abrufen. Oder sollte man dazu nicht gleich das Mobiltelefon verwenden? Mit der Entwicklung und immer stärkeren Verbreitung neuer Technologien wurde um die Jahrtausendwende eine neue Ära in der Kunde-Bank-Beziehung begründet. So lassen die revolutionäre Verbreitung des Internet sowie die rasch fortschreitende Entwicklung im Bereich von mobilen Endgeräten, insbesondere Mobilfunktelefonen, auch den Bankensektor nicht vor tiefgreifenden Umbrüchen verschont. Bankgeschäfte um die Jahrtausendwende sind davon geprägt, dass die Kreditinstitute im Geschäftsverkehr mit ihren Kunden in ständig steigendem Maße neue Technologien einsetzen. Diese erweitem einerseits den Spielraum der Banken erheblich, da sie beispielsweise ein neues Instrument zur Kundenakquisition darstellen und Nachteile durch ein dünnes Filialnetz reduzieren. Die Banken können weltweit mit Kunden kontrahieren, ohne über eine Vielzahl von Niederlassungen und Filialen verfügen zu müssen. Zudem werden durch die elektronische Übermittlung der Transaktionsdaten beträchtliche Kosteneinsparungen (insbesondere im Bereich der Personalkosten) erreicht, weil die ansonsten vom kontoführenden Institut zu erledigende, elektronische Datenerfassung zum Kunden hin verlagert wird. Andererseits ist der elektronische Geschäftsverkehr auch mit Handlungsbedarf verbunden und führt zu einer verschärften Wettbewerbssituation, da die Angebote und Preise von Konkurrenten nunmehr online leicht beschafft werden können und damit transparenter werden. ^ Der weitgehend anonyme Zugang über elektronische Medien hat darüber hinaus tendenziell eine erhöhte Bereitschaft der Kunden zum 1 Vgl nur Gerpott/Knüfermann, Strategische Marktpositionierung des Intemet-Brokers pulsiv AG nach dessen Übernahme durch die Sparkassenorganisation, ÖBA 2002, 26.

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Wechsel von Bankbeziehungen zur Folge.^ Es bedarf also besonderer Maßnahmen zur Kundenbindung.^ Aus der Sicht des Kunden scheint es auf den ersten Blick vorwiegend begrüßenswert, jederzeit unabhängig von den Öffnungszeiten einer Filiale und von jedem beliebigen Ort aus seine Bankgeschäfte erledigen zu können oder Zugriff auf wichtige Finanzinformationen zu haben.4 Der Kunde erspart sich den Weg zu seiner Filiale sowie etwaige Wartezeiten am Schalter, stattdessen kann er etwa von seinem Wohnzimmer aus verschiedene Angebote einholen, miteinander vergleichen und auswählen. Durch die elektronische Erstellung der Überweisungsaufträge erübrigt sich das mühsame, händische Ausfüllen und Ablegen von Formularen, der Kunde kann seine Transaktionsbelege vielmehr mittels PC einfach und übersichtlich verwalten. Vor allem im Bereich des Wertpapiergeschäfts ergeben sich auch enorme Geschwindigkeitsvorteile, weil etwa rasch auf Kursänderungen reagiert werden kann. Nicht zuletzt geben die Kreditinstitute in einem gewissen Rahmen auch ihre Kostenvorteile weiter und bieten den Kunden damit bessere Konditionen als beim herkömmlichen Geschäftsverkehr. Prima facie scheinen die neuen elektronischen Vertriebswege der Kreditinstitute damit für beide Parteien überwiegend Vorteile zu bringen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch schnell erkennen, dass mit dem Einsatz dieser neuen Informations- und Kommunikationstechniken durchaus auch Nachteile und beträchtliche Risiken verbunden sind.^ Denn mit dem Einsatz neuer Technologien ergeben sich immer auch neue Gefahrenquellen durch den Missbrauch sowie Gefahrdungen durch Schäden, die aus technischen Störungen resultieren. Dieser Beitrag stellt zunächst das mittlerweile recht breite Spektrum von elektronischen Bankdienstleistungen vor, die derzeit von den Kreditinstituten im Privatkundenverkehr angeboten werden. Nach einer kurzen Erläuterung der gebräuchlichen Definitionen für elektronische Bankdienstleistungen werden die bisherige Entwicklungsgeschichte von Internet- und Mobile-Banking dargestellt sowie die Legitimation für diese Vertriebsformen und ihr Funktionsumfang beschrieben. Besonderes Augenmerk wird schließlich auf die Fülle von juristischen Fragestellungen gelegt, 2 Göth, Online-Brokerage, ÖBA 2000, 206. 3 Siehe ausführlich Salmen, Electronic Relationship Marketing - Digitale Kundenbindung im Private Internet Banking und Brokerage, ÖBA 2002, 685 ff 4 Vgl Janisch, Die Risikoverteilung beim Überweisungsverkehr via Intemet, ÖBA 2001, 855 f 5 Vgl Graf, Wer haftet beim Telebanking?, ecolex 1999, 239.

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die durch den Einsatz dieser Technologien neu aufgeworfen werden. Dabei ist freiUch eine detaillierte Analyse in diesem Rahmen nicht möglich. Ziel ist es vielmehr, einen repräsentativen Überblick über die rechtlichen Problemkreise im Bereich des Intemetbzw Mobile-Banking zu geben. Eine genauere Behandlung erfährt schließlich die praktisch relevante Frage der Haftung bei Missbrauch von persönlichen Identifikationsmerkmalen durch dritte Personen. I. Begriffsbestimmungen Vor einer genaueren Beschäftigung mit den neuen elektronischen Vertriebswegen von Bankdienstleistungen ist es nötig, sich kurz mit der Flut von Begriffen auseinanderzusetzen, die sich für die einzelnen Varianten etabliert haben. Die Gesamtheit der Angebote kann unter den Überbegriff Electronic-Banking (E-Banking) zusammengefasst werden. Dieser wird ganz allgemein als die Erbringung von Bankdienstleistungen unter Einsatz von automatisierten, elektronischen Kommunikations- und Verarbeitungssystemen definiert.^ Darunter fallen beispielsweise sowohl Geldausgabeautomaten und Überweisungsterminals, Bankomatkarten mit „Quick"Funktion wie auch sämtliche Varianten des Online-Banking und Mobile-Banking.^ Unter Online-Banking (Telebanking) ist vereinfacht die Nutzung einer Datenleitung zum Erledigen von Bankgeschäften zu verstehen, wobei wesentlich ist, dass der Kunde dabei ohne Notwendigkeit seiner physischen Präsenz an einem Bankstandort agieren kann.^ Abhängig von der Ausgestaltung des Zugangs zum Banksystem lassen sich zwei Untergruppen unterscheiden. Bei der älteren Variante, dem sog Online-Banking mit Finanzsoftware, bekommt der Kunde von seiner Bank eine spezielle Software zur Verfügung gestellt, mit der er seine Aufträge zunächst offline erstellt und dann an das Kreditinstitut versendet.^ Diese Variante wurde mittlerweile im Privatkundenbereich weitgehend durch Internet-Banking (Net-Banking, Web-Banking) abgelöst. Dabei wird 6 Siehe nur Lehmann, Zahlungsverkehr der Banken (1986) 128. 7 Siehe etwa Janisch, Online-Banking (2001) 21 ff 8 Die Terminologie ist in der Literatur uneinheitlich. So wird der Begriff Online-Banking zT enger definiert und nur für die Variante verwendet, in welcher der Kunde über Online-Dienste eines Providers oder mittels einer speziellen Finanzsoftware über geschlossene Netze zur Durchführung seiner Geschäfte auf den Bankrechner zugreifen kann. Vgl nur Krassnigg/Stotter, Rechtliche Entwicklungen im Internetbanking, wbl 2004, 214. 9 Janisch, Online-Banking (2001) 34 ff

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dem Kunden ermöglicht, via leitungsgebundenem Festnetzzugang über das Internet die Verbindung zum Bankrechner herzustellen, um seine Bankgeschäfte online von seinem PC aus zu erledigen. Eine weitere Untergruppe des Electronic-Banking stellt MobileBanking (Mobilfunk-Banking, Wireless-Banking) dar.^^ Hier wird die finanzielle Transaktion mit dem Kreditinstitut mittels eines mobilen Endgeräts - vor allem Mobiltelefon, aber auch Notebook, Personal Digital Assistant etc - über ein digitales Mobilfunknetz getätigt. Mobile-Banking eröffnet dem Kunden damit eine noch stärkere Ortsunabhängigkeit als Internet-Banking, bei dem die Möglichkeit zur Erledigung von Bankgeschäften an das Vorhandensein eines stationären PCs gebunden ist.^^ Internet- und Mobile-Banking sind somit Konkurrenzprodukte, die sich hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche teilweise überlappen. ^^ So bieten beide Varianten dem Kunden die Möglichkeit, seine Bankgeschäfte unabhängig von Geschäftszeiten und ohne Anwesenheit in einer Filiale abzuwickeln. Die Stärken des Internet-Banking liegen in einem idR besseren Bedienungskomfort (wie größerer Bildschirm, Tastatur etc) und einem größeren Angebot von Bankdienstleistungen. ^^ Mobile-Banking ist dem InternetBanking hingegen insofern überlegen, als man damit seine Bankgeschäfte an jedem Ort mit Funlaietzabdeckung erledigen kann. Dies ist vor allem im Bereich des Wertpapiergeschäfts äußerst vorteilhaft, weil auf aktuelle Informationen zur Börsensituation unverzüglich mit Wertpapierorder reagiert werden kann.^^ Zudem ist es bei dieser Methode leichter möglich, dem Kunden auf ihn maßgeschneiderte, personalisierte Produkte und Dienstleistungen anzubieten. ^^ II. Entwicklung des Internet- und Mobile-Banking Seit Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts boomt das Internet in den Industrieländern und entwickelte sich in rasantem Tempo zum Massenmedium. Die steigende Zahl der Nutzer mach10 Siehe ausführlich Gerpott/Knüfermann, Mobilfunk-Banking - Eine neue Variante des Tele-Banking, ÖBA 2000, 956 ff 11 Gerpott/Knüfermann, ÖBA 2000, 956 f 12 Siehe Zober, Mobile-Banking - Grundlagen und Anwendungen, http://www.tu-dresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Thenial3.pdf, 4 [01/2005]. 13 Vgl unten Pkt III. 14 Vgl Gerpott/Knüfermann, ÖBA 2000, 959 f 15 Zober, Mobile-Banking - Grundlagen und Anwendungen, http://www.tu-dresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Themal 3 .pdf, II [01/2005].

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te das Intemet auch für die Banken attraktiv. Während einige Kreditinstitute schlicht damit begannen, den Kunden zusätzHch zum herkömmlichen Angebot auch Dienstleistungen über dieses Medium anzubieten, sahen andere die (alleinige) Zukunft in rein virtuellen Internet-Banken, die ohne jegliche Filialen in der „realen" Welt auskommen. Im Sog der anfänglichen Euphorie rund um das Intemet, die Mitte der neunziger Jahre ihren Höhepunkt hatte, schien alles möglich, und auch Bill Gates verkündete zuversichtlich „Banking is necessary, banks are not". In diesem Sinne gab es viele Stimmen, die herkömmliche Bankinstitute als vom Aussterben bedrohte Dinosaurier ansahen und den Untergang des traditionellen Bankwesens beschworen. Diese Prognosen haben sich freilich nicht erfüllt und werden sich wohl auch in Zukunft nicht erfüllen. Auf die Phase des Enthusiasmus folgte Ende der neunziger Jahre ein Wechsel zu tiefem Pessimismus.^^ Reine Internet-Banken mussten schnell feststellen, dass sie relativ wenig Akzeptanz bei den Kunden finden, die vielfach zumindest die Möglichkeit auf persönliche Betreuung und Beratung in Filialen bevorzugen. Die Strategie, das Intemet als alleinigen Vertriebsweg zu nutzen, blieb also mehr oder weniger erfolglos und es setzte ein Rückwärtstrend zum altbewährten Filialsystem ein.^'^ Ähnlich zeigte sich die Entwicklung im Bereich des MobileBanking. Diese Technologie wurde gegen Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Durchbruchsinnovation im Bankenbereich gefeiert und war der neue Hoffnungsträger der Kreditinstitute, die beträchtliche Summen in den Aufbau von Bankdienstleistungsangeboten über das Mobilfunktelefon investierten.^^ Doch auch hier sah die Realität anders aus und es kehrte bald Emüchterung ein.^^ Hohe Kommunikationskosten, langsame Übertragungsraten und umständliche Bedienung der Endgeräte führten zu wenig Kundenakzeptanz. Mittlerweile wird die Bedeutung der neuen Technologien für Bankdienstleistungen nüchterner und realistischer gesehen. Unbe16 Lucius, Internetbanking - Die Bedeutung für regionale Banken, in: Lucius/Zakostelsky, Internetbanking (2002) 5. 17 Brost, Offline-Banking, in: Die Zeit, http://zeus.zeit.de/text/archiv/ 2000/50/200050_antitrend.xml [01/2005]. 18 Karsch, Mobile Banking: Vor dem Durchbruch in Deutschland, in: Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis, Online-Ausgabe 09/2004, http://www.die-baiik.de [01/2005]. 19 Siehe nur Bartmann/Thymian, Mobile Banking - Vom Hype zur Normalität!, in: Lucius/Zakostelsky, Intemetbankmg (2002) 75 ff; Zober, Mobile-Banking - Grundlagen und Anwendungen, http://www.tudresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Themal3.pdf, 6 [01/2005].

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Stritten besitzen elektronische Bankdienstleistungen ein sehr hohes Marktpotenzial, das in der Zukunft noch steigen wird. So wird das Internet, das zurzeit ein von jüngeren Personen dominiertes Medium ist, mit dem Hineinwachsen dieser jüngeren Generation in höhere Altersgruppen für Bankgeschäfte noch weiter an Bedeutung gewinnen.^" Derzeit betreibt beispielsweise in Deutschland bereits rund die Hälfte der Intemetnutzer über 18 Jahren InternetBanking, was einem Anteil von fast 30 Prozent aller Erwachsenen entspricht.^ ^ Auch in Österreich nimmt die Akzeptanz stetig zu.^^ In jüngster Zeit ist insbesondere bei der Kreditaufnahme per Internet ein starker Zuwachs zu verzeichnen, wobei nach Schätzungen des deutschen Bankenfachverbands bis 2014 jeder zehnte Kredit über das Internet abgewickelt werden wird.^^ Auch im Bereich des Mobile-Banking hat sich die Situation mittlerweile grundlegend geändert und es werden für die nahe Zukunft noch weitere, beträchtliche Zuwachsraten erwartet. Neue Übertragungsstandards erlauben eine rasche und kostengünstige Verfügbarkeit der Daten und die jüngsten Mobiltelefongenerationen bieten wesentlich mehr Benutzungskomfort durch große, hochauflösende Displays und erweiterte Funktionen.^^ Derzeit betreiben bereits fünf Millionen Westeuropäer Bankgeschäfte per Mobiltelefon, wobei die Tendenz stark steigend ist.^^ Insgesamt haben die Banken aber erkannt, dass es trotz dieser neuen Vertriebswege äußerst wichtig ist, den Kunden Wahlfreiheit bei den Zugangswegen zu den einzelnen Dienstleistungen im Rah20 Siehe Bundesverband deutscher Banken, Internet und e-Banking: Die Online-Generation wächst heran, http://bdb.de [01/2005]. 21 Siehe Jung, Internet und Online Banking: Warum *Offliner' Offliner sind, in: Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis, Online-Ausgabe 04/2004, http://www.die-bank.de [01/2005]; ebenso Bundesverband deutscher Banken, Internet und e-Banking: Die Online-Generation wächst heran, http://bdb.de [01/2005]. 22 Laut Aussage eines Mitarbeiters der BA-CA vom 14.1.2005 nehmen etwa 50 Prozent aller Privatkunden dieses Kreditinstituts am Internet-Banking teil, wobei keine genauen Aussagen über die tatsächliche Nutzung möglich sind, da in diese Statistik auch Kunden fallen, die sich lediglich informieren, aber keine Transaktionen online durchführen. 23 Siehe den Bericht „2014 jeder zehnte Kredit online: Internet-Darlehen stark gefragt", in: Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis, Online-Ausgabe 01/2005, http://www.die-bank.de [01/2005]. 24 Siehe Gerpott/Knüfermann, ÖBA 2000, 956; Karsch, Mobile Banking: Vor dem Durchbruch in Deutschland, in: Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis, Online-Ausgabe 09/2004, http://www.die-bank.de [01/2005]. 25 Karsch, aaO.

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men eines MultikanalVertriebs zu bieten. Um im Wettbewerb bestehen zu können ist es also unbedingt nötig, Leistungen im Rahmen von elektronischen Bankdienstleistungen anzubieten,^^ dies darf jedoch nicht der einzige Vertriebsweg sein. Denn Prognosen zufolge werden mittel- bis langfristig nur rund 20 Prozent aller Bankkunden ihre Finanzgeschäfte rein auf elektronischem Wege ohne Inanspruchnahme von persönlichen Beratungsleistungen abwickeln.^^ Ebenso viele Kunden werden ihre Finanzgeschäfte ausschließlich in Filialen erledigen. Eindeutig dominieren wird hingegen mit 60 Prozent die Gruppe der Multikanal-Nutzer, die je nach Bedarf, Situation, persönlicher Vorliebe und konkreter Dienstleistung aus den angebotenen Zugangswegen den für sie am besten geeigneten auswählen.^^ So werden etwa Filialen für persönliche Beratungsgespräche konsultiert, das Mobiltelefon verwendet, um rasch und ortsunabhängig auf Kursänderungen bei Wertpapiergeschäften reagieren zu können und das Internet wird für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Informationsbeschaffung herangezogen. Das breite Spektrum von Zugangswegen lässt die Kunden damit unabhängiger von der Existenz einer Filiale werden, dennoch werden diese nicht entbehrlich, da das Ziel sein muss, dem Kunden „das Beste aus zwei Welten" zu bieten.^^ III. Funktionsumfang und Legitimation fttr die Inanspruchnahme Mittels Internet- und Mobile-Banking können eine Vielzahl von standardisierten Finanzdienstleistungen abgewickelt werden, wobei die konkrete Angebotspalette freilich je nach Kreditinstitut variiert. Generell kann dabei festgestellt werden, dass das Angebot von Bankdienstleistungen, die elektronisch erledigt werden können, bei der Variante des Internet-Banking durchwegs größer ist als bei der Variante des Mobile-Banking, bei der nicht alle Bankanwendungen zur Verfügung stehen. 26 Vgl zur Bedeutung des Anbietens von Internet-Brokerage für Banken Gerpott/Knüfermann, ÖBA 2002, 26. 27 Siehe nur den Bericht „Trends: Gute Aussichten für Online Banking", in: Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis, Online-Ausgabe 10/2004, http://www.die-bank.de [01/2005]. 28 Vgl Seiser/Pawelka, Investment Banking - Internet Brokerage Leading or bleeding future?, in: Lucius/Zakostelsky, Internetbaiücing (2002) 290; Holztrattner, Online-Banking: Neue Geschäftsfelder für Österreichs Banken, in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Intemetbanking (2002) 52 f. 29 Seiser/Pawelka, in: Lucius/Zakostelsky, Internetbanking (2002) 291.

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Im Bereich des Zahlungsverkehrs können Überweisungsaufträge sowohl ins In- als auch Ausland getätigt werden, wobei diese je nach Wunsch sofort oder auf Termin ausgeführt werden. Zudem ist es - via Internet-Banking - möglich, Dauer- und Abschöpfungsaufträge anzulegen, zu ändern und zu löschen sowie Einzugsaufträge zu erteilen. Darüber hinaus können verschiedenste Informationen abgefragt werden. So beispielsweise der aktuelle Kontostand, der Valuta- und Disposaldo, sämtliche Kontoumsätze, der Gesamtkurswert des Wertpapierdepots, die Salden von Bausparverträgen, Namenssparbüchem, Festgeldem, Krediten und die Kreditkartenumsätze. Einige dieser Informationen kann sich der Kunde auch in regelmäßigen Abständen mittels einer SMS-Nachricht an sein Mobiltelefon oder mittels einer e-mail an seinen PC schicken lassen bzw jederzeit per SMS anfordem.^^ Möglich sind daneben vielfach das Beantragen eines Online-Kredits, einer Kreditkarte und eines Bausparvertrages. Der Großteil der Kreditinstitute bietet inzwischen auch die Möglichkeit, Börsengeschäfte via Internet- bzw Mobile-Banking zu erledigen (sog Online-Brokerage). Dabei kann nicht nur der aktuelle Depotstand abgefragt und in die Depotumsätze eingesehen werden, vielmehr ist es auch möglich, Wer^apiere (Aktien, Fonds, Anleihen, Investmentzertifikate etc), die an den Börsen unterschiedlicher Länder notieren, zu kaufen bzw zu verkaufen. Natürlich stehen jederzeit auch Informationen über sämtliche Devisenkurse, Wertpapierdaten etc zur Verfügung. Um Internet- und/oder Mobile-Banking nutzen zu können, benötigt der Kunde zunächst ein Konto bei der entsprechenden Bank,^^ wobei für die Teilnahme am Wertpapiergeschäft überdies ein Wertpapierdepot erforderlich ist. Zu dieser grundlegenden Geschäftsbeziehung muss jeweils eine zusätzliche Vereinbarung geschlossen werden, die den Kunden berechtigt, seine Transaktionen auf elektronischem Wege via Internet oder Mobilfunknetz durchführen zu können. Er erhält daraufhin die erforderlichen Zugangscodes und Berechtigungen für das gewünschte Produkt oder den gewünschten Service. Technisch existieren mehrere Varianten zur Legitimation für Internet-Banking,^^ wobei derzeit das PIN/TAN-Verfahren (noch) 30 Die Vereinbarung zur Inanspruchnahme dieser Leistung wird von manchen Banken (zB BA-CA) als SMS-Banking bezeichnet. 31 Siehe zu den dafür nötigen Verträgen und ihrer rechtlichen Einordnung ausführlich Janisch, Online-Banking (2001) 56 ff 32 So etwa OFX (Open Financial Exchange) oder HBCI (Homebanking Computer Interface). Siehe dazu Schartner, Internetbanking - Technischer Hintergrund, in: Lucius/Zakostelsky, Internetbanking (2002)

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am weitesten verbreitet ist.^^ Dieses Verfahren wurde auch zur Authentifizierung für Mobile-Banking Vorgänge übemommen.^^ Dabei bekommt jeder nutzungsberechtigte Kunde persönhche Identifikationsmerkmale: eine Benutzerkennung (Useridentification)^^, eine persönliche Identifikationsnummer (Pfi^I - Personal Identification Number) und eine Liste von verschiedenen Transaktionsnummem (TAN - TransAction Number). Bei der PIN handelt es sich idR um eine vier- bis sechsstellige Ziffem-ZBuchstabenkombination, durch deren Eingabe der Kunde - in Verbindung mit der Benutzerkennung - Zugriff auf sein Konto erhält. Zur verbindlichen Freigabe der gewünschten Disposition muss zudem eine TAN eingegeben werden. Diese wird nach Ausführung des Auftrages ungültig. Der Kunde erhält in regelmäßigen Abständen oder nach Anforderung eine neue Liste mit TAN über den Postweg^^ bzw zur persönlichen Abholung in seiner Filiale bereitgestellt.

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220 ff; Janisch/Schartner, Internet und Drittmissbrauch - Eine technische und rechtliche Analyse, in: Horster, Elektronische Geschäftsprozesse (2001) 362 ff Abzuwarten bleibt, ob sich in näherer Zukunft Chipkarten mit integrierter digitaler Signatur für Internet-Banking durchsetzen werden. Derzeit finden digitale Signaturen noch kaum Anwendung und Akzeptanz unter den Kunden; es wird aber erwartet, dass sich dies mit der (längst) geplanten Einführung einer chipbasierten Bürgerkarte ändert. Durch den Einsatz von Signaturkarten würde sich das Missbrauchsrisiko erheblich verringern lassen. Siehe Zober, Mobile-Banking - Gmndlagen und Anwendungen, http://www.tu-dresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Themal 3 .pdf, 13 [01/2005]. Bei manchen Banken ist dies auch schlicht die Kontonummer des Kunden. Die Zusendung der TAN-Listen über den Postweg stellt freilich einen nicht geringen Unsicherheitsfaktor dar. Dabei weisen manche Banken in ihren AGB den Kunden das Haftungsrisiko für alle Schäden zu, die aus dem Postversand der Geheimzahlen resultieren (siehe etwa Pkt 6 der Bedingungen für die Teilnahme an Sofa-Banking per Internet, WAP und SMS der PSK [Fassung September 2004]). Wird den Kunden allerdings - wie bei einigen Kreditinstituten - keine Wahlmöglichkeit eingeräumt, die Kennzahlen auch auf eine andere Weise erlangen zu können, ist eine solche Klausel mE gemäß § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend und unwirksam (siehe ausführlicher Janisch, Online-Banking [2001] Fn 72). Einige Banken (zB BA-CA) verlangen mittlerweile die Äußerung eines ausdrücklichen Wunsches seitens des Kunden für die Zusendung der TANBriefe und halten diese ansonsten zur persönlichen Aushändigung in der Filiale bereit. In einem derartigen Fall und bei entsprechender Aufklärung des Kunden über das Risiko einer postalischen

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Da das PIN/TAN-Verfahren allein unsicher ist, wenn die Passwörter unverschlüsselt übertragen werden, wird beim InternetBanking im Regelfall ein zusätzliches Protokoll (SSL - Secure Socket Layer) unter der Verwendung von Public-Key Zertifikaten eingesetzt, um die Authentizität von Kunden-PC und Bankrechner sowie die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Kunde und Kreditinstitut zu gewährleisten.^^ Auch beim Mobile-Banking wird die Übertragung der Daten durch Verschlüsselungsverfahren gesichert.^ ^ IV. Rechtliche Problemfelder IV.l Überblick Aus juristischer Sicht werden durch den Einsatz von Internet- bzw Mobile-Banking eine Reihe neuer Rechtsfragen aufgeworfen. Diese können freilich im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend erörtert, sondern nur skizziert werden. Aus der Vielfalt der Problemstellungen wird allerdings die Missbrauchsproblematik herausgegriffen und ausführlicher behandelt. Einen großen Bereich der Fragestellungen rund um Internet- und Mobile-Banking bilden Haftungs- und Risikotragungsfragen: Trifft die Gefahr eines Missbrauchs der kundenspezifischen Identifikationsmerkmale durch eine dritte Person die Bank oder den Kunden? Haftet die Bank für die Funktionsfähigkeit, Betriebssicherheit und organisatorische Ausgestaltung ihres Systems? So können insbesondere beim Wertpapiergeschäft bei Kursschwankungen große Schäden für den Kunden entstehen, wenn seine Verkauf- oder Kauforder wegen Nichterreichbarkeit des Online-Service nicht umgehend ausgeführt werden kann.^^ Der Kunde kann Versendung wird eine Risikoüberwälzung auf den Kunden zulässig sein. 37 Siehe Schartner in: Lucius/Zakostelsky, Internetbanking (2002) 225. 38 Siehe Zober, Mobile-Banking - Grundlagen und Anwendungen, http://www.tu-dresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Thenial3.pdf, 11 [01/2005]. 39 Siehe zur grundsätzlichen Haftung der Bank für die unbeschränkte Erreichbarkeit ihres Online-Dienstes mangels zulässiger, davon abweichender Nutzungsbeschränkung BGH XI ZR 138/00, CR 2001, 181 (Stögmüller); ebenso LG Itzehoe 1 S 92/01, MMR 2001, 833; siehe zur Haftung bei technischen Schwierigkeiten auch Knobl, Rechtsfragen des Online-Broking, in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Internetbanking (2002) 166 ff; Mai, Wertpapierhandel im Internet, CR 2002, 206 ff; Rössel, Homebanking: Wer haftet für Nichterreich-

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aber etwa auch dann finanzielle Schäden erleiden, wenn nicht durch entsprechende technische und organisatorische Vorkehrungen der Bank dafür gesorgt ist, dass Reklamationen über falsch durchgeführte Aufträge bzw Wertpapierorder unverzüglich bearbeitet werden^^ oder nicht sichergestellt ist, dass elektronisch erteilte unplausible und offensichtlich irrtümliche (Wertpapier-) Aufträge als solche erkannt werden.^^ Auch im Bereich des Überweisungsverkehrs sind erhebliche Schäden denkbar, wenn ein Überweisungsauftrag verspätet durchgeführt wird, weil der Kunde nicht auf die Dienstleistung zugreifen kann oder wenn der Auftrag aufgrund eines Fehlers der bankeigenen EDV-Anlage nicht oder nicht weisungsgemäß ausgeführt wird. Negative Konsequenz für den Kunden kann nicht nur die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen sein, sondern auch die Gefahr, dass sein Vertragspartner den Vertrag (zB Miet- oder Versicherungsvertrag) wegen Zahlungsverzugs auflöst.^^ Eine große praktische Einschränkung im Bereich der elektronischen Erbringung von Finanzdienstleistungen und ein Hemmnis für grenzüberschreitende Bankgeschäfte war lange Zeit die Notwendigkeit eines zumindest einmaligen persönlichen Aufsuchens des Kreditinstituts durch den Kunden für den Abschluss des Rahmen Vertrages.^^ Das Kreditinstitut ist nämlich gemäß § 40 BWG zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verpflichtet, bei Anknüpfung einer dauernden Geschäftsbeziehung, bei Einzeltransaktionen ab dem Betrag von € 15.000,— oder bei jeder Transaktion, wenn der Verdacht besteht, dass der Kunde objektiv an einer Transaktion mitwirkt, die der Geldwäscherei dient, die Identität des Kunden festzustellen. Strittig war insbesondere, ob für die Kundenidentifikation die Verwendung einer sicheren elektronischen Signatur'^^ ausreicht.^^ Dies wurde mittlerweile in

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barkeit?, ITRB 2001, 76; Dieselhorst, Haftung beim OnlineBanking, ITRB 2002, 55. Siehe dazu OLG Schleswig 5 U 171/00, CR 2003, 135. Siehe zur Frage der Haftung der Direktbank bei einem doppelt erteiltem Wertpapierorder via Internet-Brokerage OLG Nümberg 12 U 2572/02, CR 2004, 699; siehe zu den Vertragspflichten einer OnlineBank beim Wertpapiererwerb auch OLG Nürnberg 12 U 1346/02, CR 2003, 769. Ausführlich Janisch, Online Banking (2001) 210 ff. Schopper, Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, RdW 2003, 425; Schopper/Zahradnik, Privat- und aufsichtsrechtliche Aspekte grenzüberschreitender Bankgeschäfte im Internet, ÖBA2003,21 ff Siehe zum Begriff und Zweck der digitalen Signatur sowie zu ihren rechtlichen Regelungen Janisch/Mader, E-Business^ (2002) 66 ff.

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Umsetzung der Geldwäsche-Richtlinie^^ in § 40 Abs 8 BWG ausdrücklich normiert. Es besteht damit also die Möglichkeit, dass nicht nur Transaktionen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung elektronisch beauftragt werden können, sondern auch der Abschluss des entsprechenden Grundvertrages - bei Einsatz einer sicheren elektronischen Signatur zur Identifizierung - ohne eine auch nur einmalige körperliche Anwesenheit des Kunden in einer Filiale erfolgen kann.^^ Zu beachten ist, dass auf derartige Femabsatzverträge über Finanzdienstleistungen, also solche Verträge, bei denen auch der Rahmenvertrag elektronisch abgeschlossen wurde, die Bestimmungen des jüngst in Kraft getretenen Fern-FinanzdienstleistungsGesetzes (FemFinG)^^ anzuwenden sind. Durch dieses wurde die entsprechende EU-Richtlinie^^ umgesetzt und es ist immer dann zu beachten, wenn der Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher iSd KSchG abgeschlossen wird.^^ Das FemFinG enthält insbesondere umfangreiche Informationspflichten, die dem Kunden bereits vor der Abgabe seiner Vertragserklärung zur Verfügung gestellt werden müssen,^ ^ sowie Regelungen über das dem Verbraucher zustehende Rücktrittsrecht.^^ Zur Abwicklungsvereinfachung für das Kreditinstitut finden gemäß § 2 45 AusführUch Schopper, RdW 2003, 425 mwN. 46 Richtlinie 2001/97/EG zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl 2001 L 344 S 76-82. 47 Alternativ zur Identifizierung durch eine sichere elektronische Signatur besteht auch die Möglichkeit der Identifizierung auf dem Postweg; für die Fernidentifikation von Kunden, deren (Wohn-)Sitz außerhalb des EWR liegt, besteht zudem eine Sonderregel. Siehe dazu Schopper, RdW 2003, 426; vgl auch Höfer, Grenzüberschreitender Onlinewertpapierhandel (2004), 52. 48 Bundesgesetz über den Femabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, BGBl I 2004/62. 49 Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl 2002 L 271 S 16-24. 50 Siehe dazu etwa Höfer, Grenzüberschreitender Onlinewertpapierhandel, (2004), 64ff; Zankl, Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz, ecolex 2004, 601; zur deutschen Umsetzung Rössel, Finanzdienstleistungen im Fernabsatz, ITRB 2004, 236. 51 So etwa konkrete Angaben über den Unternehmer, über die Finanzdienstleistung, über den Femabsatzvertrag selbst sowie über etwaige Rechtsbehelfe (siehe §§5 ff FernFinG). 52 Der Kunde hat - von gesetzlich statuierten Ausnahmen abgesehen das Recht vom Vertrag innerhalb bestimmter Fristen (grundsätzlich vierzehn Tage ab dem Tag des Vertragsschlusses) zurückzutreten (siehe §§ 8 ff FernFinG).

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Abs 1 FemFinG bei Reihenvorgängen, die eine Grundvereinbarung (zB Eröffnung eines Wertpapierdepots oder Girokontos) mit daran anschließenden aufeinander folgenden Leistungen umfassen, die Femabsatzregelungen nur auf diese erste Vereinbarung Anwendung und nicht auf die einzelnen Transaktionen (zB einzelne Order, einzelner Überweisungsauftrag). Im Bereich des Wertpapierhandels via Internet- bzw MobileBanking stellt sich die in der Literatur heftig und durchaus kontrovers diskutierte Frage, ob diese Dienstleistungen beratungsfrei oder mit nur eingeschränkter Aufklärung erbracht werden dürfen.^^ Denn grundsätzlich ergeben sich sowohl aus den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts, als auch den Wohlverhaltensregeln des WAG umfangreiche Beratungs- und Informationspflichten der Bank.^"^ Spezifische rechtliche Probleme wirft zudem die Frage auf, welches Recht beim elektronischen Vertrieb von Bankprodukten bei grenzüberschreitenden Transaktionen zur Anwendung kommt, so etwa ob für derartige Wertpapierdienstleistungen österreichisches Aufsichtsrecht zur Anwendung gelangt.^^ Ungelöste Probleme bestehen auch hinsichtlich der steuerlichen Konsequenzen von Wertpapier-Transaktionen via Internet. ^^ IV.2 Keyfactor: Sicherheit und Risikotragung bei Drittmissbrauch IV. 2.1 Allgemeines Eine weitere, praktisch sehr bedeutsame Frage im Bereich von Internet- und Mobile-Banking ist die Frage nach der Sicherheit dieser Vertriebswege. Sie ist ausschlaggebend für ihren Erfolg. Obwohl die Banken ihren Kunden unermüdlich beteuern, dass ihre (Zugangs-)Systeme allerhöchste Sicherheit bieten und eine Mani53 Siehe Knobl in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Intemetbanking (2002) 163 ff mwN; Schopper, Informationspflichten der Bank beim Online-Brokerage, in: Krejci-FS (2001) 1308 ff; Zahradnik/Kremslehner, Aufsichtsrechtliche Aspekte des Intemet-Banking, in: Lucius/ Zakostelsky, Internetbanking (2002) 179 ff; Mai, CR 2002, 203 ff. 54 Siehe nur Schopper in: Krejci-FS (2001) 1302 ff; Höfer, Grenzüberschreitender Onlinewertpapierhandel (2004), 133ff; Honseil, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken bei der Vermögensanlage, ÖBA 1999, 593. 55 Siehe dazu Knobl in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Internetbanking (2002) 142 ff; Zahradnik/Kremslehner in: Lucius/Zakostelsky, Internetbanking (2002) 181 ff; Höfer, Grenzüberschreitender Onlinewertpapierhandel (2004), 71 ff 56 Siehe Thiele, Privater Werpapierhandel via Internet - Steuerfreie Vermögensverwaltung oder Gewerbebetrieb?, ÖStZ 2001, 503 ff.

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pulation durch Unbefugte ausgeschlossen ist, zeigt sich immer wieder die real vorhandene Gefährdung durch Sicherheitslücken und mangelhaftes Gefahrenbewusstsein der Nutzer. Aus rechtlicher und wohl auch praktischer Sicht stellt sich nun die entscheidende Frage, wer das Risiko tragen muss, wenn es einem unberechtigten Dritten gelingt, die persönlichen Identifikationsmerkmale eines Kunden herauszufinden und missbräuchlich zu verwenden.^^ Haftet der Kunde oder fällt ein derartiger Fall in den Risikobereich der Bank? Zunächst ist festzuhalten, dass es sich hier nicht um ein durch diese beiden Vertriebswege neu aufgeworfenes Problem handelt. Drittmissbrauchsfalle gab und gibt es freilich auch im Rahmen des herkömmlichen Geschäftsverkehrs. Durch die elektronische Auftragserteilung via Internet bzw Mobilfunknetz wurden allerdings neue Missbrauchsrisiken geschaffen. Höchstrichterliche Entscheidungen fehlen in diesem Bereich derzeit noch weitgehend.^^ Grundsätzlich gilt, dass die Bank einen Aufwandersatzanspruch gemäß § 1014 ABGB gegen den Kunden erwirbt, wenn dieser einen Überweisungsauftrag erteilt hat. Vice versa ergibt sich aus § 1014 ABGB aber auch, dass dem Kreditinstitut kein Kostenersatz zusteht, wenn der Kunde - wie eben in Drittmissbrauchsfallen - keine entsprechende Weisung erteilt hat. Daraus folgt, dass grundsätzlich die Bank das Missbrauchsrisiko zu tragen hat, wenn sich eine Inanspruchnahme des Kunden für Aufträge, die ein Dritter unter missbräuchlicher Verwendung seiner Kennzahlen erteilt hat, nicht aus anderen Gründen bzw Rechtsinstituten ergibt.^^

57 Die Frage der Verteilung des Missbrauchsrisikos stellt sich freilich immer nur dann, wenn der Dritte nicht ausfindig gemacht werden kann und/oder das transferierte Geld nicht mehr greifbar ist. 58 Dies liegt allerdings wohl weniger an dem Umstand, dass sich derartige Probleme in der Praxis noch nie gestellt haben, sondern vielmehr daran, dass die Banken aus Angst vor Imageschäden tunlichst versuchen, derartige Vorfälle mit dem Kunden gütlich zu lösen und den Gang zu den Gerichten und die damit verbundene Öffentlichkeit zu vermeiden. 59 Siehe zur Beweislast für die Erteilung einer Weisung durch den Kunden sowie zur Beweiserleichterung eines prima-facie-Beweises bei der Beweisführung bezüglich der Frage, ob dem Kunden ein Verschulden an der Kenntniserlangung seiner Identifikationsmerkmale durch einen Dritten trifft Janisch, Online-Banking (2001) 195 ff Vgl jüngst auch BGH XI ZR 210/03, K&R 2004, 586 zur Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises für den grob fahrlässigen Umgang des Bankkunden bei missbräuchlicher Verwendung einer ec-Karte mit PIN.

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IV. 2.2 Kundenverschulden an der Kenntniserlangung der Identifikationsmerkmale Hat der Kunde die Kenntniserlangung seiner Identifikationsmerkmale durch einen Dritten verschuldet, ist es offensichtlich und aus rechtlicher Sicht unproblematisch, dass er den Schaden tragen muss. Die Haftung des Kunden ergibt sich hier unmittelbar aus der schuldhaften Verletzung des Internet- bzw Mobile-Banking-Vertrages {[positive] Vertragsverletzung)^^, Darin ist die (Neben-) Pflicht des Kunden normiert, seine Kennzahlen keiner anderen Person offen zu legen und so sorgfaltig zu verwahren, dass keine dritte Person davon Kenntnis erlangen kann. Fraglich ist allerdings, in welchen konkreten Situationen den Kunden ein Verschulden an der Kenntniserlangung durch einen Dritten trifft. Was genau muss er also getan oder unterlassen haben, damit ihm der Vorwurf gemacht werden kann, er hätte jene Sorgfalt außer Acht gelassen, zu deren Einhaltung er aufgrund des Vertrages mit der Bank verpflichtet gewesen wäre? Nur manche Banken konkretisieren die Sorgfaltspflichten in ihren Geschäftsbedingungen zum Internet- bzw Mobile-Banking genauer. So verlangen einige Kreditinstitute lediglich allgemein, dass der Kunde „größte Sorgfalt bei der Aufbewahrung walten lässt" und er die Bank verständigt, wenn Anlass zur Befürchtung besteht, dass eine unbefugte Person Kenntnis von den Geheimzahlen erlangt hat.^^ Andere Banken statuieren hingegen ein ausdrückliches Verbot des Kunden, seine persönlichen Identifikationsmerkmale - mit Ausnahme des TAN-Briefes, der sorgfaltig und ohne Hinweis auf den Verwendungszweck zu verwahren ist schriftlich aufzubewahren.^^ Meines Erachtens ist es allerdings fraglich, ob tatsächlich wirksam vereinbart werden kann, dass der Kunde alleine durch das (getarnte^ Notieren seiner Geheimzahlen ein schuldhaftes Verhalten setzt."^ Denn jemand, der in heutiger Zeit am gängigen Geschäftsverkehr teilnimmt, besitzt in der Regel eine Vielzahl von Geheim60 Da es hier für die Rechtsfolgen keine Bedeutung hat, ob es sich dabei um eine schlichte oder eine positive Vertragsverletzung handelt, die Verletzung der Geheimhaltung der persönlichen Identifikationsmerkmale also gegen die Hauptvertragspflicht des Kunden verstößt oder nur gegen vertragliche Nebenpflichten, kann eine Erörterung dieser Frage unterbleiben. 61 ZB Pkt 3 der Bedingungen für die Teilnahme an Sofa-Banking per Internet, WAP und SMS der PSK (Fassung September 2004). 62 ZB Pkt 5 der Geschäftsbedingungen zum Online B@nking der Bank Austria Creditanstalt AG (Fassung Mai 2003). 63 Siehe Janisch, ÖBA 2001, 859.

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zahlen (Bankomatkarten-PIN, Kreditkarten-PIN, Passwort zum Einloggen in das System seines Providers bzw in ein sonstiges Netzwerk etc), weswegen es unrealistisch und dem Kunden unzumutbar ist, dass dieser all die Zahlenkombinationen auswendig kennt. Dies gilt vor allem für die Codes, die nicht ständig benötigt werden. In älteren Fassungen der Kreditinstitute für das Intemetbzw Mobile-Banking wurde in diesem Sinne auch nur festgehalten, dass der Kunde seine PIN nicht schriftlich aufbewahren „soll", es wurde also nicht versucht, eine derartige Pflicht zu begründen. Vorwerfbar kann somit nicht das Notieren der PIN alleine, sondern immer nur die unsichere Verwahrung in concreto sein.^^ Bezüglich der Sorgfaltsanforderungen an die Verwahrung der Identifikationsmerkmale kann - mangels einschlägiger Judikatur zum Internet- bzw Mobile-Banking - auf die Judikatur zur Aufbewahrung der Geheimzahlen von ec-Karten bzw Kreditkarten zurückgegriffen werden. Aus diesen Wertungen ergibt sich, dass eine gemeinsame Aufbewahrung von PIN und TAN-Liste grundsätzlich ein grobes Fehlverhalten des Kunden darstellt.^^ Eine Verpflichtung zur getrennten Aufbewahrung der Identifikationsmerkmale kann damit unproblematisch auch in den Nutzungsbedingungen vereinbart werden. Die Geheimzahlen dürfen zudem nicht an leicht zugänglichen Stellen, wie etwa in einem Kalender im Büro oder einem post-it am PC, notiert werden. Grob fahrlässig wäre wohl zudem - auch wenn dies nicht ausdrücklich in den AGB der konkreten Bank festgehalten ist - ein Hinweis auf den Verwendungszweck der notierten Geheimzahl.^^ Insofern bestehen auch keine Bedenken, dass manche Kreditinstitute ihre Kunden verpflichten, die Originalmitteilung der PIN zu vernichten. Speichert der Kunde seine PIN - ohne Hinweis auf den Verwendungszweck - auf der Festplatte seines PC bzw als Telefonnummer getarnt in seinem Mobiltelefon ist dies mE nicht automatisch als Sorgfaltsverstoß zu betrachten. Insbesondere bei der Speicherung am PC kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kunden die Gefahr eines Auslesens dieser Daten durch Viren oder Trojaner bewusst ist. Ein solches Verbot könnte von den Banken aber in ihren Nutzungsbedingungen für Internet-Banking zulässig statuiert werden.^^

64 Janisch, ÖBA 2001, 859 f mwN. 65 Vgl zum Verschulden des Kunden bei der gemeinsamen Verwahrung von ec-Karte und Code BGH XI ZR 42/00, JurPc Web-Dok 252/2000; OLG Nümberg, WM 1989, 405; BG Enns, KRES 9/58. 66 Vgl zum Notieren des Kartencodes auf einem der ec-Karte beigefügten Zettel KG Berlin, NJW 1992, 1052. 67 Vgl Krassnigg/Stotter, wbl 2004, 216.

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Besondere Schwierigkeiten bereitet die Verpflichtung zur sorgfältigen Aufbewahrung der Identifikationsmerkmale beim MobileBanking. Hier bringt das aus stationären Online-Anwendungen übernommene PESf/TAN-Verfahren nicht nur Einschränkungen in der Benutzerfreundlichkeit, sondern auch im Bereich der Sicherheit.^^ Der Kunde ist nämlich gezwungen, seine Identifikationsmerkmale ständig mit sich zu führen, um tatsächlich jederzeit Transaktionen durchführen,zu können. Das erhöht natürlich die Gefahr eines Verlusts oder Diebstahls der Kennzahlen. Fraglich ist, ob es mit dem Verbot der gemeinsamen Aufbewahrung der Kennzahlen vereinbar ist, wenn der Kunde sowohl PIN und TAN als Telefonnummern getarnt in den Speicher seines Mobiltelefons einträgt. Dies wird wohl zu verneinen sein, wenngleich der Eintrag nur einer der beiden Identifikationsmerkmale - freilich ohne Hinweis auf den Verwendungszweck - kein fahrlässiges Verhalten darstellen wird. Es liegt auch im Bereich des Kreditinstituts, eine sicherere und komfortablere Ausgestaltung des Zugangssystems einzuführen, indem sich der Kunde etwa per SMS vor einer gewünschten Transaktion eine TAN übermitteln lassen kann, die nach der Übermittlung nur eine kurze Zeitspanne lang gültig ist.^^ Eine Haftung des Kunden könnte in den Konstellationen der durch ihn verschuldeten Keimtniserlangung durch einen Dritten auch aus vertragsrechtlichen Grundsätzen, nämlich der Anwendung des Gedankens der Anscheinsvollmacht, konstruiert werden.^^ Dies führt dazu, dass eine wirksame Beauftragung der Bank vorliegt und sich deren Anspruch gegen den Kunden somit unmittelbar aus § 1014 ABGB ergibt.^^ Eine Stütze findet dieses Ergebnis auch durch einen allgemeinen Ansatz: Der Kunde muss sich nämlich bei Vorliegen von Erklärungsfahrlässigkeit auch bei mangelndem Erklärungsbewusstsein den objektiven Schein der Erklärung zurechnen lassen.^^

68 Siehe Zober, Mobile-Banking - Grundlagen und Anwendungen, http://www.tu-dresden.de/wwwiisih/ftp/hsss03/HS_SS03_Thenial3.pdf, 13 [01/2005]. 69 Manche Banken haben bereits auf derartige Varianten umgestellt. Siehe dazu auch unten Pkt IV.2.5. 70 Siehe zur Begründung ausführlich Graf, Rechtsfragen des Telebanking (1997) 21; Janisch, Online Banking (2001) 163 ff 71 Siehe zur Konkurrenz der beiden Anspruchsgrundlagen Janisch, Online Banking (2001) 169 ff. 72 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht 1^2 (2002) 100.

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IV. 2.3 Kein Kundenverschulden Identifikationsmerkmale

an der Kenntniserlangung

der

Praktisch nicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch möglich, sind auch Konstellationen, bei denen der Dritte Kenntnis der Geheimzahlen zwar aus dem Bereich des Kunden, aber ohne dessen Verschulden erhält. Dies etwa dann, wenn der Kunde vertragsgemäß eine sorgfältige und getrennte Verwahrung vorgenommen hat und die dritte Person nur durch Anwendung physischer Gewalt (zB gewaltsames Eindringen in dessen Wohnung, Aufbrechen seines Safe oder seiner versperrten Schreibtischlade) Zugriff auf diese erhalten hat. Fraglich ist, ob auch in diesen Fällen eine Haftung des Kunden in Betracht kommt. Denkbar wäre zunächst eine Inanspruchnahme aus § 1014 ABGB, der eine verschuldensunabhängige Risikohaftung des Geschäftsherm für alle mit der Erfüllung des Auftrages verbundenen Schäden des Geschäftsbesorgers statuiert. Diese wird von der hL in solchen Konstellationen aber zu Recht abgelehnt.^^ Auch eine analoge Anwendung des § 1014 ABGB kommt nach einer jüngeren Entscheidung des OGH nicht (mehr)'^^ in Betracht.'^^ Das Gericht hatte die Rechtmäßigkeit einer Klausel^^ in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditinstitute (ABB 2000) zu beurteilen, welche das Risiko für gefälschte Aufträge (Überweisungsaufträge, Wertpapierorder etc) auf den Kunden überwälzte.^'^ Es wurde festgestellt, dass eine derartige Risikoüberwälzung auf den Kunden ohne sachliche Rechtfertigung vom positiven Recht abweicht, den Kunden gröblich benachteiligt und damit gemäß § 879 Abs 3 ABGB unwirksam ist. Denn das § 1014 73 Siehe nur Koziol in: Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht I (1987) Rz 6/50; Graf, Rechthche Probleme der OnlineBanking-AGB, in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Intemetbanking (2002) 67; Hofmann, Bemerkungen zu den neuen Allgemeinen Bedingungen für Bankgeschäfte (ABB 2000), ÖBA 2002, 371 ff 74 Vor dieser Entscheidung ließ sich eine analoge Anwendung dieser Norm unter gewissen Voraussetzungen konstruieren; siehe Janisch, ÖBA 2001, 862. 75 OGH 4 Ob 179/02f, ÖBA 2003, 141. 76 Es handelte sich dabei um Z 3 Abs 1 Satz 1 ABB 2000, lautend wie folgt: „Das Kreditinstitut ist berechtigt, Aufträge, die ihm im Rahmen einer Geschäftsverbindung mit dem Kunden erteilt werden, auf dessen Rechnung durchzuführen, wenn es ohne Verschulden zur Ansicht kommt, dass sie vom Kunden stammen, und der unwirksame Auftrag nicht dem Kreditinstitut zurechenbar ist". 77 Siehe zu sämtlichen vom Gericht zu beurteilenden Klauseln Graf, Jetzt schlägts aber (fast) 13!, ecolex 2003, 1 ff

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ABGB zugrunde liegende Rechtsprinzip könne nur dort zur Anwendung kommen, wo die Geschäftsbesorgung zumindest im überwiegenden Interesse des Auftraggebers Hegt, was schon dann nicht mehr der Fall sei, wenn der mit der Geschäftsbesorgung Beauftragte (das Kreditinstitut) entgeltlich handelt und damit selbst ein Interesse an der Ausführung des Geschäftes hatJ^ § 1014 ABGB (analog) kann somit nicht als taugliche Grundlage für eine Haftung des Kunden in einem derartigen Fall herangezogen werden. Zu einer Schadenstragung des Kunden gelangt man allerdings unter bestimmten Voraussetzungen über die Sphärentheorie, nach welcher jede Partei eines Vertrages jene Gefahren tragen soll, die ihre eigene Sphäre betreffen, weil sie diese besser beherrschen kann7^Die Haftung ist allerdings ziffernmäßig auf den Betrag des Guthabens im Zeitpunkt des Missbrauchs bzw die Höhe des vereinbarten Überziehungsrahmens begrenzt. Zudem stehen dem Kunden bei nicht ordnungsgemäßer Aufklärung über die Missbrauchsrisiken bei Vertragsabschluss Schadenersatzansprüche gegen die Bank aus culpa in contrahendo zu, die im Ergebnis zu einer Mäßigung oder einem Wegfall der aus der Anwendung des Sphärengedanken resultierenden Ansprüche der Bank führen können. Nach Ansicht von Graß^ kommt die Anwendung des Sphärengedankens für derartige Konstellationen seit Inkrafttreten des § 31a KSchG nicht mehr in Betracht. § 31a KSchG regelt den Missbrauch von Zahlungskarten (zB Kreditkarten) im Femabsatz und sieht vor, dass bei einer missbräuchlichen Verwendung einer Zahlungskarte oder von deren Daten bei einem Vertragsabschluss im Femabsatz der berechtigte Karteninhaber vom Aussteller der Karte verlangen kann, dass eine Buchung oder Zahlung rückgängig gemacht bzw erstattet wird.^^ Dieser Bestimmung liegt nach Graf ein - zumindest im Verbraucherbereich - verallgemeinerbares Rechtsprinzip zugrunde, das auch für Intemet-Banking fruchtbar gemacht werden kann.^^ Folgt man dieser - meines Erachtens 78 Kritisch Krassnigg/Stotter, wbl 2004, 218, nach denen der Kunde bei den geringen Beträgen, die bei Überweisungen anfallen, nicht erwarten darf, dass die Bank die Fälschungsrisiken übernimmt. 79 Siehe ausführhch Graf, Rechtsfragen des Telebanking (1997) 27; ders, ecolex 1999, 240; Janisch, Online Banking (2001) 174 ff mwN; dies, ÖBA 2001, 862 f; dem folgend Krassnigg/Stotter, wbl 2004, 219. 80 Graf in: Graf/Gmber, Rechtsfragen des Internetbanking (2002) 63 ff 81 Siehe kritisch dazu Neubauer, Bargeldloser Zahlungsverkehr und Fernabsatzgesetz, ecolex 2000, 708 ff. 82 Ausführlich Graf in: Graf/Gruber, Rechtsfragen des Intemetbanking (2002) 67 ff

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nicht ganz unproblematischen - Ansicht und bejaht damit eine analoge Anwendung von § 31a KSchG auf Missbrauchsfälle bei Internet- und Mobile-Banking, führt dies zu einer Haftungsfreistellung des Kunden in den Fällen, in denen ihn kein Verschulden an der Kenntniserlangung seiner Identifikationsmerkmale aus seiner Sphäre trifft. Da noch keine Judikate zu dieser Problematik vorliegen, bleibt abzuwarten, welchem Lösungsansatz sich die Gerichte anschließen werden. Unstrittig keine Haftung trifft den Kunden jedenfalls dann, wenn sich die dritte Person die für den Missbrauch nötigen Kennzahlen über die Sphäre der Bank (über deren Aufzeichnungen, durch Einbruch in ihre EDV-Anlage, über einen Mitarbeiter etc) beschaffen konnte.^^ IV.2.4 Kenntnis erlangung der Identiflkationsmerkmale Sicherheitslücken des Systems

durch

Trotz vielfach anders lautender Beteuerungen der Bank und umfassender Sicherheitsvorkehrungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es einem Dritten gelingt, sich die Identifikationsmerkmale eines Kunden unter Ausnutzung von Sicherheitslücken des Internet- bzw Mobile-Banking-Systems zu verschaffen.^^ Fraglich ist, ob dieses Risiko dem Kunden zugewiesen werden kann oder ob das Kreditinstitut daraus resultierende Schäden tragen muss. Hauptangriffspunkt und Schwachstelle beim Internet-Banking ist im Regelfall der PC des Kunden, der häufig nicht ausreichend - etwa durch Installation einer Firewall oder entsprechender Konfiguration des Webbrowsers - geschützt ist.^^ Damit läge es zunächst durchaus nahe, an ein Verschulden des Kunden zu denken, was letztlich wiederum zu einer Haftung aus (positiver) Vertragsverletzung führen würde. Es wäre aber wohl lebensfremd anzunehmen, dass jeder Kunde von sich aus Wissen über die technische Funktionsweise seines PC und insbesondere seines Betriebssystems sowie Webbrowsers besitzt und sich der Risiken ausreichend bewusst ist, die sich etwa durch Sicherheitslücken in seinem Be83 Siehe Graf, Rechtsfragen des Telebanking (1997) 30; Janisch, Online-Banking (2001) 178. 84 Siehe zu möglichen Angriffspunkten und -Varianten Janisch, OnlineBanking (2001) 181 ff; Janisch/Schartner, Intemetbanking - Sicherheitsaspekte und Haftungsfragen, DuD 2002, 163 f. 85 Der Bundesverband deutscher Banken hat 07/2004 eine Broschüre mit Sicherheitsregeln für Online-Banking-Nutzer herausgegeben. Diese kann kostenlos bezogen werden und steht auch im Intemet: http://www. bankenverband.de/pic/artikelpic/072004/0407Online_Sicherheit.pdf [01/2005].

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triebssystem, unzureichende Konfiguration seines Webbrowsers, dem Fehlen einer Firewall oder eines aktuellen Virenschutzprogrammes ergeben. Diese aus der fehlenden Kenntnis resultierenden mangelnden Vorkehrungen können einem Kunden - zumindest ohne entsprechende Aufklärung und Anleitung - sicherlich nicht als Sorgfaltsverletzung vorgeworfen werden. Denkbar wäre es aber durchaus, den Kunden im Rahmen des Internet- bzw Mobile-Banking-Vertrages zu verpflichten, bestimmte Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit durchzuführen. Dies wird von einigen Kreditinstituten in Anfängen bereits gemacht: So wird etwa der Kunde in den AGB verpflichtet, die Zertifikatsinformationen der Secure Socket Layer-Verschlüsselung auf einen bestimmten Inhalt zu überprüfen, damit sichergestellt ist, dass er mit der Bank verbunden ist.^^ Bei Nutzung des MobileBanking muss der Kunde dafür Sorge tragen, dass auf seinem Gerät die Verschlüsselungsoption eingeschaltet ist, um zu vermeiden, dass es zu einer Datenübermittlung über eine nicht gesicherte Leitung kommt.^^ Der Kunde ist bei Mobile-Banking per SMS verpflichtet, den Zugang zum Gebrauch des Mobiltelefons bzw den Zugriff auf dort gespeicherte Daten für Nichtberechtigte zu sperren.^^ Die Auferlegung derartiger Vorkehrungen ist praktisch äußerst sinnvoll und auch rechtlich unproblematisch. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Kunde eine genaue und leicht verständliche Anleitung bekommt, wie die einzelnen Maßnahmen durchgeführt werden können. Um jedenfalls eine gültige Einbeziehung derartiger Klauseln zu erreichen, sollte der Kunde zudem bei Vertragsabschluss besonders auf diese Pflichten aufmerksam gemacht werden. ^^ Es spricht somit auch nichts dagegen, den Kunden etwa zu verpflichten, seinen Webbrowser in einer bestimmten Weise zu konfigurieren oder ein Antivirenprogramm zu installieren und re-

86 Pkt 5 der Geschäftsbedingungen zum Online B@nking der BA-CA (Fassung Mai 2003). 87 Pkt 5 der Geschäftsbedingungen zum Online B@nking der BA-CA (Fassung Mai 2003). 88 Pkt 3 der Bedingungen für die Teilnahme an Sofa-Banking per Internet, WAP und SMS der PSK (Fassung September 2004). 89 Ansonsten könnte nämlich uU damit argumentiert werden, dass es sich diesbezüglich um eine Bestimmung ungewöhnlichen Inhalts iSd § 864a ABGB handelt, die dem Kunden nachteilig ist und mit der er nach den Umständen nicht zu rechnen brauchte. Dies würde dazu führen, dass die entsprechende Klausel nicht Vertragsbestandteil wird.

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gelmäßig^^ Updates vorzunehmen.^ ^ Verstößt dann der Kunde schuldhaft gegen diese Anforderungen, kann die Bank einen Schadenersatzanspruch aus (positiver) Vertragsverletzung gegen ihn geltend machen. Keine Haftung des Kunden lässt sich auch hier - aus den oben genannten Gründen - aus § 1014 ABGB (analog) begründen.^^ Kann dem Kunden kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, sind etwaige Schäden in diesen Konstellationen aufgrund des Abwägungsgesichtspunkts der besseren Verteilungs- und Absorptionsmöglichkeiten von der Bank zu tragen.^^ Diese hat zudem die abstrakt bessere Möglichkeit der Gefahrenbeherrschung, da es an ihr liegt, die Systeme sicherer zu machen und insbesondere das aus Sicherheitsgründen problematische PIN/TAN-Verfahren durch andere Methoden zu ersetzen.^"*

90 Fraglich ist freilich, was genau unter „regelmäßig" zu verstehen ist. Hier wird wohl auf die Update-Intervalle von durchschnittlichen Virenschutzprogrammen abzustellen sein. Der Zeitraum liegt im Augenblick - mangels akuter Virenwarnungen - etwa bei einmal in der Woche. Natürlich gibt es Programme, die sich mehrmals täglich automatisch über das Internet updaten; der Erwerb von derartigen Programmen kann allerdings nicht verlangt werden; eine derartige Verpflichtung wäre sicherlich überzogen. 91 AA Krassnigg/Stotter, wbl 2004, 217, nach denen der Kunde deshalb nicht zur Installation eines Virenschutzprogramms verpflichtet werden kann, da er dadurch zumeist gezwungen ist, diese Software käuflich zu erwerben. Dieses Argument geht aber ins Leere, weil es auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr - durchaus üblich und häufig notwendig ist, Investitionen vorzunehmen, um seine (neben-) vertraglichen Schutzpflichten erfüllen zu können. Zudem wird teilweise - zwar wohl etwas problematisch - sogar vertreten, dass jemand, der am Geschäftsverkehr über das Internet (zB durch Versenden von e-mails) teilnimmt, auch im außervertraglichen Bereich verpflichtet ist, ein gängiges Virenschutzprogramm zu verwenden. Ansonsten soll bei Übertragung eines Virus eine Haftung in Betracht kommen. Darüber hinaus besitzt ein durchschnittlicher InternetNutzer mittlerweile wohl ohnehin ein Antivirenprogramm, weshalb er „nicht gezwungen wird" dieses extra zu kaufen. 92 Vgl Krassnigg/Stotter, wbl 2004, 217. 93 Siehe Janisch, Online-Banking (2001) 180 ff; dies, ÖBA 2001, 864. 94 Siehe zu anderen Zugangssystemen, wie etwa über den Einsatz von Miniconqjutem, die TAN-Nummem ermitteln, und biometrischen Verfahren, den Überblick bei Neuhetzki, Banken überlassen Kunden Schutz vor Phishing, http://www.teltarifde/arch/2004/kw50/s 15630.html [01/2005]. Auch die Verwendung von Chipkarten mit sicheren digitalen Signaturen würde zu einer Verringerung der Missbrauchsrisiken beitragen.

Bankgeschäfte im 21. Jahrhundert IV.2.5 Phishing - Verschulden des Kunden oder Informationsdefizit?

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Im Bereich des Internet-Banking gibt es ganz aktuell einen neuen Trick von Online-Betrügern, mit dem diese versuchen, an die Zugangs- und sonstigen Berechtigungsdaten von Kunden zu gelangen. Diese Methode wird als Phishing (Passwort-Fishing) bezeichnet. Dabei werden e-mails an Internet-Nutzer verschickt, die angeblich von ihrer Bank stammen und einer Sicherheitsaktualisierung dienen sollen. Der Empfänger wird darin gebeten, die Homepage seiner Bank aufzusuchen, da diese ihre Computersysteme und/oder ihre Verfahren im Rahmen ihres Internet-Banking geändert, angepasst etc hat. Der entsprechende Link wird im e-mail mitgeschickt. Betätigt der Nutzer diesen, gelangt er auf eine gefälschte Website, die der echten Bank-Homepage täuschend ähnlich sieht. Dort soll er seine Zugangsdaten (Benutzerkennung, PIN und TAN) eingeben, damit sein Intemet-Banking-Zugang reaktiviert wird. Derartige e-mails enthalten teilweise darüber hinaus auch noch Trojanische Pferde, die vom Nutzer unbemerkt beispielsweise Programme zur Protokollierung von Tastatureingaben installieren und die gesammelten Daten an die Intemetadresse des Betrügers schicken.^^ Betätigt der ahnungslose Kunde - wie in dem e-mail gefordert den Link und gibt seine Identifikationsmerkmale auf der vermeintlichen Bank-Homepage ein, werden diese Daten an den Betreiber der gefälschten Seite übermittelt, der damit Transaktionen vom Kundenkonto vornehmen kann. Verschiedensten Meldungen zufolge ist in den USA durch Phishing bereits ein Schaden in Milliardenhöhe entstandene^ und auch in Deutschland sind bereits einige Fälle bekannt geworden.^^ Fraglich ist nun, ob dem Kunden ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, wenn er Opfer eines solchen Phishing-Angriffs wird und seine Identifikationsmerkmale einem Dritten be95 Siehe nur Schmidt, Aufrüstung der Cyber-Kriminellen, http://www. heise.de/biti/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi?artikelnr=18805&mode=print [01/2005]. 96 Siehe etwa Schmidt, Aufrüstung der Cyber-Kriminellen, http://www. heise.de/bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi?artikehir=18805&mode=print [01/2005]. 97 Dort wurden Kunden der Postbank Opfer des Phishing, von deren Konten insgesamt € 30.000,-- abgebucht wurden. Die Transaktionen konnten aber rechtzeitig rückgängig gemacht werden. Zudem konnten bei einer bundesweiten Polizeiaktion Verdächtige festgenommen werden. Siehe Neuhetzki, Fünf Intemet-Banking-Betrüger festgenommen, http://www.teltarifde/arch/2004/kw51/sl5692.html [01/2005].

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kannt gibt, obwohl er ja vertraglich zur Geheimhaltung verpflichtet ist. Der Unterschied zu den Konstellationen, in denen einer dritten Person die Kenntniserlangung der kundenspezifischen Legitimationsmerkmale unter Ausnutzung von Sicherheitslücken des Intemet-Banking-Systems gelingt, liegt darin, dass beim Phishing der Kunde aktiv etwas tut, während er in den anderen Konstellationen nur etwas unterlässt, von dem er grundsätzlich nichts wissen musste und zu dem er ohne entsprechende Vereinbarung nicht verpflichtet ist (zB die Installation eines Virenprogrammes oder eine entsprechende Konfiguration seines Web-Browsers). Der Kunde gibt beim Phishing seine Geheimzahlen also bewusst bekannt, wenn auch freilich nur deshalb, weil er glaubt, dies seinem Vertragspartner gegenüber zu tun. Gegen den Kunden spricht auch, dass er bei entsprechender Sorgfalt - zumindest theoretisch^^ anhand der URL in der Adresszeile des Browsers oder durch Prüfung des Zertifikats erkennen könnte, dass es sich bei der mittels Link aufgerufenen Website nicht um die Original-Website der Bank handelt. Dennoch sprechen wohl - zumindest derzeit noch - die besseren Argumente dafür, dass einem Kunden an der Preisgabe seiner Geheimzahlen im Zusammenhang mit einer Phishing-Attacke nicht ohne weiteres ein Verschulden vorgeworfen werden kann. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher Intemet-Banking-Nutzer über den Einsatz von Phishing-emails und die damit verbundene Gefahr Bescheid weiß.^^ Erst wenn zukünftig angenommen werden kann, dass dieses Wissen durch entsprechende Medienberichte etc auch außerhalb von Expertenkreisen allgemeine Verbreitung gefunden hat, kann einem Kunden, der seine Geheimzahlen auf diese Weise bekannt gibt, 98 Es ist nämlich durchaus auch möglich, eine gefälschte Website zu erzeugen, die im Browser exakt die gleiche URL anzeigt, wie die Original-Website. Ebenso kann auch ein Zertifikat nachgebaut werden. 99 AA Knupfer, Phishing for Money, MMR 2004, 642, nach dem zu Ungunsten des Kunden zu berücksichtigen ist, dass im Internet bereits intensiv über das Vorgehen der Phisher und die genaue Methode berichtet wurde und der einem Internet-Nutzer ein gewisses Grundverständnis für Sicherheitsprobleme unterstellt. Nach Knupfer haftet ein Kunde, der Opfer eines Phishing-Angriffs wird, für etwaige Schäden aufgrund einer schuldhaften Verletzung seiner vertraglichen Sorgfaltspflichten. Ein Mitverschulden der Bank soll allerdings in Betracht kommen, dessen Schwere von deren „Gegenmaßnahmen" und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Dies würde also zu einer Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB führen.

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mangelnde Sorgfalt vorgeworfen werden, die letztlich zu einer Haftung führt. Dies gilt natürlich aber bereits jetzt immer dann, wenn der Kunde durch sein Kreditinstitut über Phishing informiert und gewarnt wurde. 1^^ Derartige Warnungen finden sich mittlerweile auf den meisten Banken-Websites. Teilweise ist ein Einstieg in das Intemet-Banking-System sogar erst dann möglich, wenn der Kunde zuvor per Mausklick bestätigt, dass er die Information gelesen und akzeptiert hat.^^^ In diesen Warnungen wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Bank zum Einstieg (Login) in das System immer nur die Benutzerkennung und PIN anfordert, nie aber auch eine TAN, die erst für die Freigabe einer Transaktion benötigt wird. Möglich wäre es auch, den Kunden in den AGB zu verpflichten, die Website der Bank ausschließlich über die Direkteingabe ihrer URL bzw über einen entsprechenden Bookmark aufzurufen.^^^ Ignoriert dann ein Kunde die Warnung bzw hält er sich nicht an derartige Vertragsklauseln und sucht er die (vermeintliche) Banken-Website anstatt über die Direkteingabe der Bank-URL weiterhin über einen Link auf und gibt er dennoch für das (vermeintliche) Login sämtliche Identifikationsmerkmale preis, haftet er der Bank für Schäden, die aus dem anschließenden Missbrauch entstehen. In Bezug auf die Warnung der Banken stellt sich allerdings noch die Frage, ob ein Hinweis auf der Website alleine tatsächlich ausreichend ist. Freilich, hat ein Kunde einmal die Original-BankenWebsite aufgerufen, kann er sich - zumindest bei entsprechend auffallend gestalteter Warnung oder bei einer Ausgestaltung, bei der er nicht in das System einsteigen kann, ohne die Information zur Kenntnis zu nehmen - nicht darauf berufen, nichts von der Gefahrdung durch Phishing gewusst zu haben.^^^ Hat er InternetBanking aber längere Zeit nicht benutzt und folgt er der Aufforde100 Die Banken sind aufgrund ihrer vertraglichen Sorgfalts- und Aufklärungspflichten auch verpflichtet, den Kunden über neu bekannt gewordene Risiken unverzüglich und adäquat zu informieren. Siehe Janisch, Online-Banking (2001) 130. 101 So etwa bei der Sparkasse. 102 Als Voraussetzung für die gültige Einbeziehung dieser Klausel wird wohl gefordert werden müssen, dass der Kunde ausdrücklich auf diese Verpflichtung hingewiesen wird, weil es im Bereich des Internet ansonsten nämlich durchaus üblich ist, sich mittels Link auf die gewünschten Websites verbinden zu lassen. 103 Da die einzelnen Zugriffe auf das Internet-Banking-System dokumentiert werden, kann der genaue Zeitpunkt des letzten Zugriffs festgestellt werden.

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rung in einem Phishing-e-mail, gelangt er ja gerade nicht auf die Original-Banken-Website, welche die Warnung enthält. Folglich kann ihm dann auch kein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden. Den Banken ist damit anzuraten, ihre Kunden auch in anderer Form (etwa mittels eines Briefes oder einer e-mail ^^4) vor Phishing zu warnen. Kein Verschulden des Kunden lässt sich auch für den Zeitraum konstruieren, in dem bereits Phishing-e-mails versandt wurden, diese Gefahr den Banken aber selbst noch nicht bewusst war und sie folglich noch nicht davor warnen konnten. Es stellt sich damit noch die Frage, wer das Risiko in den Konstellationen trägt, in denen dem Kunden kein Verschulden daran vorgeworfen werden kann, dass er Opfer einer Phishing-Attacke wurde. Der Gedanke der Zuordnung von Gefahren nach Risikosphären^^^ würde zunächst für eine Schadenstragung durch den Kunden sprechen, da sich hier eine Gefahr verwirklicht, die sicherlich dem Bereich des Kunden zuzuordnen ist. Auf der anderen Seite haben die Kreditinstitute die Dienstleistung des InternetBanking vor allem aus eigenem Interesse geschaffen und bewerben dieses gegenüber allen Kunden, obwohl sie wissen, dass eine Intemetumgebung gerade für nicht allzu versierte Nutzer aufgrund vielfaltiger Faktoren stets mit Sicherheitsrisiken verbunden ist.^^^ Realisieren sich dann diese in Kauf genommenen Gefahren, sind diese der Bank zuzurechnen.!^^ Dies gilt umso mehr dann, wenn der Grund für die erfolgreiche Phishing-Attacke eine mangelnde Aufklärung durch das Kreditinstitut war, dieses also auch seine vertraglichen Schutz- und Aufklärungspflichten verletzt hat. Doch selbst in den Fällen, bei denen auch die Bank noch nichts von der Phishing-Methode wusste, scheint die Risikozuweisung an die Bank sachgerechter. Dafür spricht wiederum der - im Rahmen von Risikoschäden durchaus legitime - Abwägungsgesichtspunkt besserer Verteilungs- und Absorptionsmöglichkeiten.^^^ Darüber hin104 Eine Warnung der Bank per e-mail birgt freilich wieder die Gefahr, dass der Kunde auch in Zukunft mit Kontaktaufnahme über dieses Medium rechnet. Damit wird beim Kunden die Misstrauensschwelle verringert und es fällt ihm vielleicht aufgrund der Erwartungshaltung nicht auf, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt ein Phishing-e-mail erhält. 105 Siehe zur Sphärentheorie bereits oben unter Pkt IV.2.3. 106 Knupfer, MMR 2004, 642. 107 Vgl Janisch, ÖBA 2001, 864 zur Kenntniserlangung der Identifikationsmerkmale über Sicherheitslücken des Intemet-BankingSystems. 108 Siehe schon oben bei den Konstellationen, in denen der Dritte die Geheimzahlen über Sicherheitsmängel des Systems herausfindet.

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aus liegt es auch hier wieder bei der Bank, ihre Zugangssysteme zu verbessern. So hat etwa die deutsche Postbank auf die Gefahr des Phishing reagiert und bietet nun eine mobile TAN an. Diese wird dem Kunden vor jeder gewünschten Transaktion per SMS an sein Mobiltelefon geschickt und ist nur fünfzehn Minuten lang gültig. 109 Für die Zukunft ist zu erwarten, dass die Angreifer zu noch raffinierteren Strategien übergehen. So wird bereits von Fällen berichtet, in denen die Phisher nicht mehr nur versuchen, die Kunden zur Eingabe ihrer Daten auf gefälschten Websites zu bewegen, sondern direkt die Websites der Banken manipulieren, indem sie den Inhalt der Originalseiten mit gefälschten Seiten ersetzen.^^^ Der Kunde hat damit auch bei Einhaltung höchster Sorgfalt kaum noch eine Chance herauszufinden, ob er sich auf sicherem Gebiet bewegt. V. Zusammenfassung Die Vertriebsform des Internet- bzw Mobile-Banking erfreut sich in den letzten Jahren wegen der technischen Fortentwicklung und der zunehmenden Verbreitung modemer Femkommunikationsmittel einer steigenden Anwendung und Akzeptanz. Dabei ergeben sich sowohl für den Kunden als auch für die Kreditinstitute eine Reihe von Vorteilen. Dennoch birgt die elektronische Abwicklung von Finanzdienstleistungen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken und wirft eine Fülle neuer Rechtsfragen auf. Eine besondere Gefahr stellt die Sicherheit dar. Die Kreditinstitute haben zwar bereits eine Reihe von Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die einen weitgehend wirksamen Schutz gegen Angriffe bei der Übertragung der Daten über das Internet bzw das Mobilfunknetz bieten. Nötig ist es aber auch, dass der einzelne Kunde seine Systeme schützt und ein gesundes Misstrauen (zB gegenüber ungewöhnlichen Aufforderungen in e-mails) walten lässt. Die besondere Gefahr des Internet- bzw Mobile-Banking liegt darin, dass jemand, der - mit oder ohne Berechtigung - im Besitz der kundenspezifischen Identifikationsmerkmale ist, beliebige Transaktionen durchführen kann. In Drittmissbrauchsfällen haftet der Kunde nicht nur in den Konstellationen, in denen er die Kenntniserlangung durch eine dritte Person schuldhaft ermöglicht hat, 109 Siehe - auch zu anderen Zugangssystemen - Neuhetzki, http://www. teltarifde/arch/2004/kw50/sl5630.html [01/2005]. 110 Schmidt, Aufrüstung der Cyber-Kriminellen, http://www.heise.de/ bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi?artikelnr=18805&mode=print [01/2005].

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sondern uU auch dann, wenn die Kennzahlen aus seiner Sphäre beschafft werden konnten. Risiken, die mit dem Einsatz der neuen Technologien zusammenhängen, haben hingegen grundsätzlich die Kreditinstitute zu tragen. Insgesamt bleibt also abzuwarten, ob die Kreditinstitute nicht in Zukunft doch das damit nicht ganz unriskante PIN/TAN-Verfahren durch andere Legitimationsmethoden ersetzen werden.

Martin Auer Zum geänderten Entwurf einer neuen Verbraucherkreditrichtlinie Einleitung Die Kommission hat mit Datum 11.9.2002 den Entwurf einer neuen VerbraucherkreditRL vorgelegt^. Sie soll die alte, 1990 und 1998 geänderte RL^ ablösen. Der Vorschlag ist zum einen auf er-

Vorschlag für eine Richtlinie (RL) des europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten (MS) über den Verbraucherkredit vom 11.9.2002 KOM (2002) 443 endg im Folgenden kurz Entwurf; vgl dazu etwa schon Auer, Zum Stand und Inhalt der neuen Verbraucherkreditrichtlinie in: Graf/Gruber (Hg), Aktuelle Probleme des Kreditvertragsrechts (2004), 43 ff; Kaiser, Vorschlag der EU-Kommission für eine Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie, VuR 2002, 385 ff; Becker-Melching, Dokumentation Brüssel aktuell, WM 2002, 2260; Franck, Bessere Kreditkonditionen für Verbraucher durch mehr Regulierung? - Zum Paradigmenwechsel im Vorschlag für eine neue Verbraucherkreditrichtlinie vor dem Hintergrund der ökonomischen Theorie, ZBB 2003, 334 ff; Karas, Umstrittene Neufassung der EU-Richtlinie zum Verbraucherkredit sieht eine grundlegende Neuordnung des Verbraucherkreditwesens vor, VWT 2003 H 3, 12; Wild, Updating the Consumer Credit Directive: Will this prove to be the key to ensuring the success off eEurope?, Herdfordshire Law Journal, 1(1), 26 ff. Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit idF Richtlinie 90/88/EWG des Rates vom 22.2.1990 zur Änderung der Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl L 61 vom 10.3.1990, 14 ff, idF Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998, ABl L 101 vom 1.4.1998, 17 ff; vgl dazu für Ö Graf, Mögliche Auswirkungen der EG-Richtlinie „Verbraucherkredit" auf das österreichische Privatrecht, wbl 1989, 141 ff; ders. Die Neuregelung des Verbraucherkredits in Österreich. Ein kritischer Überblick, ÖBA 1994, 4 ff; Knobl, Die europarechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung von Bankverträgen, in: Koppensteiner (Hg), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht. Teil 3/1: Bankenrecht (1996), 82 ff sowie Nentwich, Verbraucherschutz und Bankdienstleistungen im EG Binnenmarkt, in: Griller (Hg), Banken im Binnenmarkt (1992), 593, insb 625 ff, je mwN.

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bitterten Widerstand der europäischen Kreditwirtschaft gestoßen^. Zum anderen hat aber auch der federführende Parlamentsausschuss Recht und Binnenmarkt^, sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss^ gravierende Bedenken angemeldet. Auf Grund derselben wurde vom Parlamentsausschuss um eine neue Einschätzung gebeten. Die Kommission hat einen gewissen Änderungsbedarf, und zwar in 13 konkreten Punkten zugestanden^, ansonsten aber das Ergebnis der ersten Lesung abgewartet.

S etwa nur das im Auftrag der WKÖ (Bundessparte Bank und Versicherung) erstattete Gutachten von Booz/Allen/Hamilton, Auswirkungen des Entwurfs der Verbraucherkredit-Richtlinie auf Konsumenten und Kreditinstitute in Österreich. Kurzgutachten zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit vom 2. Oktober 2003; Kösters/Paul/Stein, Ordnungspolitische Analyse des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine EU-Verbraucherkreditrichtlinie. Statt Verbraucherschutz Gesetz gegen den Verbraucher (Ruhr-Universität Bochum Gutachten 2003) oder etwa auch Presseaussendung des Sparkassenverbandes vom 29.4.2003, Sparkassenverband warnt: Verbraucherkreditrichtlinie der EU noch immer nicht „entschärft", Kostenexplosion bei Privatkrediten befürchtet. Der Richtlinienvorschlag unterliegt dem Mitentscheidungsverfahren nach Art 251 EGV. Zur Kritik vgl Arbeitsdokument über Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher vom 27.6.2003, Berichterstatter Joachim Wuermeling, Teil 1: Der Kommissionsvorschlag, Teil 2: Diskussionspunkte - Zweck, Begriffsbestimmungen und Geltungsbereich, Teil 3: Diskussionspunkte - Kreditvertrag im Folgenden kurz Arbeitsdokument I, II, III. Zuvor hatte der Rechtsausschuss am 29. April 2003 ein Hearing für die beteiligten Kreise veranstaltet. Vgl Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit vom 17.7.2003. Das Kommissionspapier ist auf Generaldirektionsebene erstattet worden, vgl Schreiben der Kommission von GD Robert J. Coleman vom 28.7.2003, D (2003) 240182 JR/ns, im Folgenden kurz Kommissionspapier. Das Schreiben besteht aus insgesamt 7 Seiten. Nur das Anschreiben (Seite 1 und 2) ist paginiert. Für die folgenden Zitate wurde die Seitenzählung einfach fortgeführt. Zu weiteren Verfahrensdetails vgl nur Auer (FN 1), 43 ff.

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Das Parlament hat mittlerweile eine legislative Entschließung^ verabschiedet. Ihr liegt der zweite Bericht des Abgeordneten Wuermeling^ zu Grunde. Darin wird in 152 Punkten nicht nur Änderungsbedarf gesehen, sondern es werden auch neue Bestimmungen vorgeschlagen. Die Kommission ist darauf nur teilweise eingegangen und hat einen geänderten Vorschlag mit Datum 28.10.2004 vorgelegt^. Auf dieser Basis soll laut Einschätzung der Kommission das Gesetzesvorhaben noch im Frühjahr 2005 verwirklicht werden können. Im Folgenden soll der Entwurf dem geänderten Vorschlag gegenüber gestellt werden. Indes würde eine Untersuchung aller Änderungsvorschläge den vorgegeben Rahmen sprengen. Daher konzentrieren sich die nachstehenden Ausführungen vor allem auf jene Bereiche des geänderten Entwurfs, die schon in seiner Erstfassung besonders missfallen haben. Darüber hinaus sollen wesentliche Neuerungen vorgestellt werden. Abschließend wird der geänderte Entwurf insgesamt einer ersten Bewertung unterzogen. I. Der geänderte Entwurf I.l Die Ziele, Motive Die RL soll ausweislich der Materialien zum Entwurf den Wandel von der Barzahlungs- zur Darlehensgesellschaft in rechtlicher Hinsicht nachvollziehen. Dazu sei unabdingbare MaximalharmonisieVgl Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher vom 20.4.2004 (KOM (2002) 443 - C5-0420/2002 - 2002/0222 (COD)) im Folgenden kurz Legislative Entschließung. Vgl Zweiter Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher vom 2.4.2004 (KOM (2002) 0443 - C5-0420/2002 - 2002/0222 (COD)); darin enthalten auch Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft und Währung 91 ff und Stellungnahme des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik 141 ff, im Folgenden kurz Zweiter Bericht. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.10.2004 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG; KOM (2004) 747 endgültig 2002/0222 (COD) im Folgenden kurz Geänderter Entwurf

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rung des Verbraucherkreditmarktes 1^, wie es die Art 1, 30 des Entwurfes zum Ausdruck bringen^ ^, notwendig. Begründend wird angeführt, dass wenngleich Kredite das wirtschaftliche Wachstum und den Wohlstand der Verbraucher fördern, sie doch auch erhebliche Risiken in sich bergen. Zum einen sei an das Ausfallsrisiko des Kreditgebers zu denken. Zum anderen sind aber auch immer mehr Verbraucher von Überschuldung und Übervorteilung bedroht. Deshalb sind verschiedene MS in ihren Umsetzungsvorschriften zum Teil beträchtlich über das in den bisherigen RL als Mindeststandard angesehene Schutzniveau hinausgegangen und haben etwa auch Regelungen hinsichtlich neuer Kreditformen erlassen. Dies führt allerdings zu Wettbewerbsverzerrungen am gemeinsamen Darlehensmarkt und schränkt die Möglichkeiten der Verbraucher ein, grenzüberschreitend Kredit in Anspruch zu nehmen^^. Deshalb sei Maximalharmonisierung erforderlich. Das Parlament kann dieser Stoßrichtung der RL wenig abgewinnen und will vielmehr dem Subsidiaritätsprinzip zum Recht verhelfen. Maximalharmonisierung hält es nur in Teilbereichen, etwa um die Vergleichbarkeit von i^geboten sicherzustellen, für erforderlich^^. So können nach Art 24 Abs 5 der legislativen Entschließung die Mitgliedstaaten (MS) grundsätzlich weitergehende Vorschriften zum optimalen Schutz der Verbraucher aufrechterhalten oder erlassen. Lediglich hinsichtlich der in Artikel 11 festgelegten Regelung des effektiven Jahreszinses ^^ könnten die MS nicht abweichen^^. 10 Die Kommission verweist auf die besondere wirtschaftliche Bedeutung des Verbraucherkreditmarktes: 50-65 % der Verbraucher würden bereits jetzt über einen einschlägigen Kredit verfügen. Rund 30 % der Verbraucher sei ein Überziehungsrahmen eingeräumt. EUweit sind über 500 Milliarden € an Verbraucher vergeben worden. Das entspricht rund 7 % des BIP. In derselben Größenordnung bewege sich auch die jährliche Wachstumsrate des Verbraucherkreditmarktes; vgl dazu Entwurf (FN 1) 3. 11 Vgl dazu Text und Begründung Entwurf (FN 1) 30 und 61. 12 Vgl dazu Entwurf (FN 1) 3. 13 S Legislative Entschließung (FN 7) 3. 14 Dazu noch später Text bei FN 24, 36. 15 Der im zweiten Bericht (FN 8) vorgeschlagene Art 1 brachte die Ablehnung der Maximalharmonisierung noch deutlicher zum Ausdruck: „Diese RL legt Mindeststandards in Bezug auf Verbraucherkreditverträge für den europäischen Binnenmarkt fest." Begründend wird auf Seite 90 angeführt, dass das Prinzip der Maximalharmonisierung dem Subsidiaritätsprinzip und dem Charakter der Richtlinie widerspreche. Um eine Absenkung des Verbraucherschutzniveaus zu vermeiden, hätten alle Instrumente des Verbraucherschutzes in den 25 Mitgliedstaaten für alle verbindlich gemacht werden müssen. Dies

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Die Kommission ist diesem Vorschlag nicht näher getreten. In den Erläuterungen zum geänderten Richtlinienvorschlag findet sich lediglich die Bemerkung, dass die Kommission ua den Änderungsvorschlag betreffend Art 30 des Entwurfes (Nr 140^^) nicht akzeptieren könne^'^. Demnach hält die Kommission - wohl auf Grund der eingangs mitgeteilten Motive - nach wie vor eine Maximalharmonisierung der Gestalt für erforderlich, als die MS keine strengeren Vorschriften aufrecht erhalten oder erlassen dürfen^^. Indes wurde dieser Änderungsvorschlag vom Parlament ganz nachdrücklich vertreten, sodass in diesem wohl zentralen Punkt die Lage auch weiterhin völlig offen ist. 1.2 Begriffsdefinitionen Der Begriffskatalog in Art 2 des Entwurfes ^^ ist besonders kontroversiell diskutiert worden. Eine Darstellung der nunmehr in Aussicht genommenen (sprachlichen und inhaltlichen) Änderungen^^ würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Daher erscheint es für die Zwecke dieses Beitrags sinnvoller auf zwei substantielle Neuerungen einzugehen. Dabei handelt es sich um den Begriff der „Verbundenen Kreditverträge" und die Neudefinition der „Gesamtkosten des Kredits". Unter „Verbundenem Kreditvertrag^^" versteht man nun einen Vertrag, bei dem der betreffende Kredit ausschließlich zur Finanzierung eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder die Erbringung einer Dienstleistung dient und beide Verträge aus objektiver Sicht betrachtet eine wirtschaftliche Einheit bilden. Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Lieferer von Waren oder der Erbringer der Dienstleistung den Kredit zugunsten des Verbrauchers finanziert. Aber auch im Falle der Finanzierung durch einen Dritten liegt ein verbundener Kreditvertrag vor, sofern sich der Kreditgeber bei Vorbereitung oder Abschluss des Kredit-

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hätte zu einer völligen Überregulierung geführt. Für die Ziele des Binnenmarktes ist es ausreichend, Minimumstandards festzulegen. Die Nummer bezieht sich auf die 152 Änderungsvorschläge des Zweiten Berichtes (näher dazu bei FN 8). Vgl Geänderter Entwurf(FN 9) 3 So auch das Bundesministerium für Finanzen, https://www.bmf.gv.at/ finanzmarkt/rechtlichegrundlage753/bankenundbrserechtl582/ novellierungderrichl553/_start.htm. Vgl für Beispiele Auer(FN 1)45 ff S Zweiter Bericht (FN 8), 23 ff Vgl Geänderter Entwurf (FN 9) 5 und Legislative Entschließung (FN 7), 7 - Art 2 lit n.

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Vertrags zur Finanzierung von Waren oder Dienstleistungen der Mitwirkung des Lieferers oder Erbringers derselben bedien?^. Die „Gesamtkosten des Kredits" für den Verbraucher erfassen sämtliche Kosten, einschließlich der Sollzinsen, Provisionen und Gebiihren jeder Art, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag nach den darin festgelegten Bedingungen zu zahlen hat, soweit diese Kosten dem Kreditgeber bekannt sind. Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind darin enthalten, wenn diese Dienstleistung zwingende Voraussetzung für die Gewährung des Kredits oder des angepriesenen Zinssatzes ist und dieser akzessorische Vertrag mit dem Kreditgeber oder mit einem Dritten geschlossen wird und der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler ihn im Auftrag eines Dritten abgeschlossen hat oder das Angebot oder die Dienstleistung selbst dem Verbraucher vorgehalten hat. Ausgenommen sind Kosten, die der Verbraucher bei Abschluss des Kreditvertrags mit anderen Personen als dem Kreditgeber oder dem Kreditvermittler insbesondere Notaren, Steuerbehörden und Grundbuchämtem zu entrichten hat, sowie generell Kosten, die von der für die Registrierung und für Sicherheiten zuständige Behörde verlangt werden^^. Der effektive Jahreszins wird von den Gesamtkosten des Kredits kalkulierte^. Denn der zum Zweck der vorvertraglichen Unterrichtung^^ verwendete effektive Jahreszinssatz soll präzise und transparent sein, und soll dem Verbraucher auf Grund der gleichen Be22 Die hier nicht mehr weiter behandelte Rechtsfolge eines „verbundenen Kreditvertrages" besteht darin, dass der Verbraucher, wenn er das Recht hat, einen Kaufvertrag zu widerrufen, auch einen damit zusammenhängenden Kreditvertrag widerrufen kann. Nicht in der Richtlinie erfasst werden allerdings die Auswirkungen auf den Kaufvertrag, wenn der Kreditvertrag rückgängig gemacht wird. Derartige Folgen in eine Richtlinie aufzunehmen, die ausschließlich Kreditverträge betrifft, erscheint, so die Begründung des Geänderten Entwurfes (FN 9) 5, nicht zweckmäßig. Allerdings sollten die in Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie 87/102/EWG festgelegten Grundsätze (Berechtigung des Verbrauchers, Ansprüche gegenüber dem Kreditgeber geltend zu machen) weiterhin Berücksichtigung finden, da sie von sämtlichen Mitgliedstaaten angewandt werden. 23 Geänderter Entwurf (FN 9) 12 und Legislative Entschließung (FN 7) 13 (Art 11). 24 Beim effektiver Jahreszins (Artikel 12 des Entwurfes) wird den Abänderungen hinsichtlich der Gesamtkosten des Kredites Rechnung getragen. Insbesondere werden jene Kostenelemente nicht mehr aufgefüto, die nunmehr in die Gesamtkosten des Kredits einfließen, vgl dazu Geänderter Entwurf (FN 9) 13. 25 Dazu sogleich Text insbesondere nach FN 36.

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rechnungsgrundlage effektive Vergleichsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Kreditangeboten ermöglichen. Daher muss der in einem Kreditvertrag angegebene effektive Jahreszins auch die Kosten für etwaige obligatorische Versicherungen enthalten - unabhängig davon, wer die Versicherung anbietet^^. 1.3 Der Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der RL sollte wesentlich erweitert werden und ist auf besonders großen Widerstand gestoßen^'^. Nach Art 3 des Entwurfes waren nicht nur Kredit-, sondern auch Sicherungsverträge vom Anwendungsbereich erfasst. Die bisher bestehenden Mindest- und Höchstbeträge (200,- bzw 20.000,-- €) sollten entfallen. Aber auch Mietverträge mit Kaufoption auf Waren und Dienstleistungen, notariell beglaubigte Kreditverträge, und alle Formen von Uberziehungskrediten sollten einbezogen werden^^. Nur in den in Art 3 Abs 2 taxativ aufgeführten Fällen sollte die RL nicht zur Anwendung kommen. Es handelt sich dabei um: lit a) Kreditverträge, die den Erwerb oder die Veränderung einer Liegenschaft, die im Eigentum eines Verbrauchers steht oder die er erwerben will, zum Gegenstand haben und die entweder durch eine Grundstückshypothek oder durch eine Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich zu diesem Zweck genutzt wird, gesichert sind^^. lit b) Mietverträge, nach denen ein Übergang des Eigentums auf den Mieter und seine Rechtsnachfolger ausgeschlossen ist; lit c) Mietverträge, nach denen der Verbraucher den zins- und gebührenfrei gewährten Kredit durch eine einmalige Zahlung binnen einer Frist von höchstens drei Monaten zurückzuzahlen hat; 26 Geänderter Entwurf (FN 9) 12. 27 Vgl Stellungnahmen in FN 3, je mwN. 28 Vgl zu den bisherigen Ausnahmen nur Art 2 der RL 87/102/EWG und nunmehr die Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf (FN 1), 11 f 29 Immobilienkredite sind bereits Gegenstand einer Empfehlung der Kommission vom 1. März 2001 über vorvertragliche Informationen, die wohnungswirtschaftliche Darlehensgeber, den Verbrauchern zur Verfügung stellen müssen. Sie brauchen daher, und weil sie auch eine besondere Form des Kredits seien, nicht mehr in der RL geregelt werden; vgl dazu den Text der 7. Begründungserwägung der RL Entwurf (FN 1), 34 und für die Empfehlung ABl L 69 vom 10.3. 2001, 25.

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lit d) Kredite, bei denen folgende Bedingungen erfüllt sind: sie werden als Nebenleistung, dh außerhalb der beruflichen oder gewerblichen Haupttätigkeit des Kreditgebers, gewährt; sie werden zu niedrigeren effektiven Jahreszinsen als den marktüblichen gewährt; sie werden nicht der breiten Öffentlichkeit angeboten; lit e) bestimmte im Anhang des Entwurfes erläuterte Kreditverträge^^, die mit einer Wertpapierfirma abgeschlossen werden. Indes zeichnet sich hier eine wesentliche Entspannung der Lage ab. Denn nach dem geänderten Entwurf sollen Sicherungsvertrage zur Absicherung von Darlehen für Untemehmen, (gerichtlich) beurkundete Verträge, Kreditverträge, die der Verbraucher binnen 3 Monaten gebührenfrei zurückzahlt, pfandweise gesicherte Darlehen, sowie Kredite von über 100.000,— € aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgeklammert werden^ 1. Überdies werden für Überziehungskredite, Kleinkredite unter 300,— €^^ und bestimmte Sonderkreditformen Vereinfachungen vorgeschlagen. Diese beziehen sich vor allem auf die dem Kreditnehmer beizustellende Information vor Vertragsabschluss und werden im gegebenen Kontext daher an späterer Stelle näher präsentiert werden^^ Art 34 des Entwurfes hat Regelungen zum zeitlichen Anwendungsbereich der RL - insbesondere hinsichtlich von Altverträgen - enthalten. Nach Abs 3 hatten die MS dafür Sorge zu tragen, dass unbefristete und am Tag des Inkrafttretens der einzelstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen bereits laufende Kredit- und Sicherungsverträge binnen zwei Jahren nach Ablauf der Umsetzungsfrist durch neue, dieser RL entsprechende Verträge ersetzt werden. Demnach hätten europaweit mehrere 100 Millionen Kredit- und Kreditsicherungsverträge ersetzt werden müssen, was einen erheblichen Aufwand sowohl für Verbraucher als auch Banken darstellt hätte. Im Übrigen hätte die Bestimmung die Kündigung vieler Verträge zur Folge gehabt, was durchaus auch zum Nachteil des Verbrauchers sein kann^"^. Das Parlament hat sich aus nämlichen Motiven dafür ausgesprochen, dass die RL nicht auf Altverträge anwendbar sei^^. Die 30 Vgl dazu im Einzelnen Entwurf (FN 1) 40 mwN. 31 S dazu Geänderter Entwurf (FN 9) 4. 32 Das Parlament wollte Kreditverträge bis 500,— € ganz vom Anwendungsbereich ausnehmen, vgl dazu Legislative Entschließung (Fn 7) 7. 33 Vgl dazu hinten bei FN 56. 34 So Arbeitsdokument III (FN 4) 6. 35 Art 26 der Legislativen Entschließung (FN 7) lautet: „Diese Richtlinie gilt nicht für die am Tag des Inkrafttretens der einzelstaatlichen

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Kommission hat dem im geänderten Entwurf Rechnung getragen. Damit ist wohl ein wesentlicher Stolperstein beseitigt worden. 1.4 Informations- und vorvertragliche Pflichten Kapitel II des Entwurfes war und ist mit Informations- und vorvertragliche Pflichten überschrieben. Die Regelungen betreffen die Themen Werbung, Haustürgeschäfte und Unterrichtungs- bzw Beratungspflicht. Der geänderte Entwurf sieht zum Teil massive Einschränkungen, als auch Ergänzungen vor. a) Werbung Art 4 des Entwurfes regelte die Werbung. Jede Information zu Kreditverträgen hatte insbesondere klare und verständliche Angaben zum - Sollzins, den als periodischen Vomhundertsatz ausgedrückten Zinssatz, der für einen bestimmten Zeitraum auf den Betrag des in Anspruch genommenen Kreditbetrags angewandt wird, - zum Kreditgebergesamtzins^^, die vom Kreditgeber vereinnahmten Beträge, die als jährlicher Vomhundertsatz des Gesamtkreditbetrags ausgedrückt sind und zum - effektiven Jahreszins, die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die als jährlicher Vomhundertsatz des gewährten Kredits ausgedrückt sind zu enthalten. Darüber hinaus wurde auf die IrreführungsRL^^ verwiesen. Des weiteren müsse der kommerzielle Zweck der Information eindeutig erkennbar sein und sei der Grundsatz der Lauterkeit im Geschäftsverkehr zu beachten. Art 4 soll nach dem geänderten Entwurf gestrichen werden und dafür im weitgehenden Einklang mit den Vorstellungen des ParlaUmsetzungsmaßnahmen bereits laufenden Kredit- und Sicherungsverträge." 36 Vgl aber Kommissionspapier (FN 6) 6, dort hat die Kommission angeführt, die Angabe dieses Zinssatzes, und zwar generell nicht mehr weiter verfolgen zu wollen (Pkt 9. „There are good reasons to inform the borrowers on the borrowing rate, the total lending rate, and the annual percentage rate of charge. Nevertheless, the total lending or TLR, indicating credit cost to be paid to the lender, has met with universal rejection and will therefore, not be further pursued."). 37 RL 84/450/EWG vgl dazu ausführlich Rüffler, Der Einfluss des Europarechts auf das österreichische UWG, in: Koppensteiner (Hg), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht. Teil 6/2: Wettbewerbsrecht - UWG, 253 ff mwN.

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ments^^ eine Bestimmung mit der Überschrift Standardinformationen aufgenommen werden. Nach Abs 1 muss jede Werbung im Zusammenhang mit Kreditverträgen Standardinformationen, darunter Informationen über die Kosten des Kredits enthalten. Zu den Standardinformationen gehören nach Abs 2, in der nachstehend angegebenen Reihenfolge geordnet, in klarer, knapper Form angegeben und durch optische Hervorhebung anhand eines repräsentativen Beispiels verdeutlicht: der Gesamtkreditbetrag, der effektive Jahreszins, die vereinbarte Laufzeit des Kreditvertrags, die Anzahl und Höhe der monatlichen Raten und jede Art von Kosten im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag nach den Bedingungen des Kreditvertrags, soweit der Kreditgeber Kenntnis von diesen Kosten hat. Ist die Inanspruchnahme einer Nebenleistung im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere eine Versicherung, zwingende Voraussetzung für die Gewährung des Kredits oder des angepriesenen Zinssatzes, so ist dieser Umstand in klarer, knapp gefasster Form an optisch hervorgehobener Stelle zusammen mit dem effektiven Jahreszinssatz anzugeben. Werden diese Kreditkonditionen nicht allgemein jedem Kreditnehmer angeboten, so ist der effektive Jahreszins anhand von mindestens zwei repräsentativen Beispielen anzugeben. Wird zu Beginn des Kreditvertrags für einen begrenzten Zeitraum ein niedrigerer Zinssatz angeboten, so ist der für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrags berechnete effektive Jahreszinssatz in der Werbung anzugeben^. b) Haustürgeschäfte Art 5 der RL enthielt ein generelles Verbot der Aushandlung von Kredit- und Sicherungsverträgen außerhalb von Geschäftsräumen unter den in Art 1 der HaustürgeschäftsRL beschriebenen Umständen^O. Nun erlaubt aber die Haustürgeschäftsrichtlinie, wenn auch unter strengen Bedingungen, ausdrücklich solche Geschäfte. Daher

38 Vgl dazu Legislative Entschließung (PN 7) 8 f und Zweiten Bericht (FN 8) 35, wo als wesentlicher Grund der Streichung das Verhältnis zum Anwendungsbereich der IrreführungsRL 84/450/EWG und zur vorgeschlagenen RL/VO zum Lauterkeitsrecht (KOM 2003/356) angegeben wird. 39 Vgl Geänderter Entwurf (FN 9) 6. 40 RL 85/577/EWG, dazu etwa Knobl (FN 2), 151 ff und Spitzer, EuGH zum Verhältnis zwischen Verbraucherkredit-RL und Haustürgeschäfte-RL, ecolex 2002, 398 mwN.

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war das Verhältnis der beiden Regelungen zueinander völlig ungeklärt^l. Das Parlament hat eine völlige Streichung der Bestimmung vorgeschlagen. Die Kommission hat dem unverändert Rechnung getragene^. c) Vorherige Unterrichtungs- und Beratungspflicht Art 6 der RL normierte die „vorherige gegenseitige Unterrichtungs- und Beratungspflicht" des Kreditnehmers und -gebers. Es handelte sich iVm Art 9 des Entwurfes^^ um die am stärksten umstrittenen Regelungen des Entwurfes. Nach Art 6 Abs 1 war der Verbraucher bzw Garant verpflichtet, die Fragen des Kreditgebers bzw -Vermittlers genau und vollständig zu beantworten. Jedoch dürften die Letztgenannten nur insoweit Auskunft verlangen, als dies angemessen und sachdienlich ist und nicht über das hinausgeht, was zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation sowie der Rückzahlungsfahigkeit des Kreditnehmers bzw Garanten erforderlich ist. Überdies war die DatenschutzRL^e zu beachten, was in Summe die generelle Auskunftspflicht des Kreditnehmers sehr stark relativiert hat. Ganz anders verhielt es sich mit der Beratungspflicht des Kreditgebers bzw -Vermittlers. Sie hatten dem Verbraucher genaue und vollständige Auskunft über alles, was er über den in Aussicht genommenen Kreditvertrag wissen muss, zu erteilen. Diese Informationen waren dem Verbraucher auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger auszuhändigen^^. Die Auskunft musste eine kurze, aber klare Beschreibung des Produkts, seiner Vorteile 41 Vgl zur geltenden RL die Besprechung des einschlägigen EuGH-Entscheids Heininger - Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG bei Spitzer (FN 40), 398. 42 S Zweiter Bericht (FN 8) 35 und Geänderter Entwurf (FN 9) 3 (Änderungsantrag Nr 64 als unverändert übernommene Abänderung), sowie 11 (angesichts der Stellungnahme des Europäischen Parlaments schlägt die Kommission als zu verfolgenden Ansatz vor, mit der vorgeschlagenen Richtlinie nichts erneut zu erfassen, was bereits durch bestehende Richtlinien abgedeckt ist). 43 Dazu sogleich Text bei FN 48. 44 RL95/46/EG. 45 Vgl dazu die Definition des dauerhaften Datenträgers in Art 2 lit o) des Entwurfes: „Jeder Träger, der es dem Verbraucher ermöglicht, die ihm persönlich erteilten Informationen so zu speichern, dass er über einen dem Zweck der Informationen entsprechenden Zeitraum hinweg mühelos darauf zugreifen kann, und der eine identische Reproduktion der gespeicherten Informationen erlaubt."

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und gegebenenfalls der damit verbundenen Nachteile enthalten. Insbesondere hatte sie nach Abs 2 folgende Punkte zu betreffen: lit a) Sicherheiten und verlangte Versicherungen lit b) Laufzeit des Kreditvertrags lit c) Betrag und Anzahl der Zahlungen sowie Zeitabstände, in denen sie zu leisten sind lit d) wiederkehrende und nicht wiederkehrende Kosten, einschließlich nicht wiederkehrende zusätzliche Kosten, die beim Abschluss des Kreditvertrags auf den Verbraucher zukommen, insbesondere Gebühren, Verwaltungskosten, Gebühren von Juristen und Sachverständigenkosten für die Schätzung der verlangten Sicherheiten^^. lit e) Gesamtkreditbetrag und Bedingungen für die Inanspruchnahme des Kredits lit f) gegebenenfalls Barzahlungspreis der finanzierten Ware oder Dienstleistung, Anzahlung und Restwert lit g) gegebenenfalls Sollzins, für diesen Zins geltende Bedingungen, Indikatoren oder Referenzzinssätze jeder Art, die sich auf den anfänglichen Sollzins beziehen, femer Zeiträume, Bedingungen und Modalitäten der Anpassung eines variablen Zinses lit h) effektiver Jahreszins und Kreditgeber-Gesamtzins, erläutert durch ein repräsentatives Beispiel unter Angabe aller finanziellen Daten und Annahmen, die bei der Berechnung dieser Zinssätze zugrunde gelegt wurden lit i) Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts Darüber hinaus hatte der Kreditgeber bzw -vermittler nach Abs 3 aus der Palette der Kreditverträge, die sie anbieten oder bei deren Abschluss sie gewöhnlich mitwirken, denjenigen Kredittyp und Gesamtkreditbetrag auszusuchen, der sich in Anbetracht der finanziellen Situation des Verbrauchers, der Vor- und Nachteile des 46 Diese Anforderung wurde besonders kritisiert. Denn Besicherungskosten im weitesten Sinn divergieren von MS zu MS zum Teil erheblich. Daher wurde zumindest das Ziel der RL, die Kreditangebote besser vergleichen zu können, durch die gegenständliche Bestimmung, vor allem auch weil diese Kosten in den effektiven Jahreszins einfließen sollten, eher konterkariert, denn gefördert, vgl dazu die vorgeschlagene Definition der Gesamtkosten des Kredits Text vorne bei FN 23: Nunmehr sind Kosten, die der Verbraucher bei Abschluss des Kreditvertrags mit anderen Personen als dem Kreditgeber oder dem Kreditvermittler insbesondere Notaren, Steuerbehörden und Grundbuchämtem zu entrichten hat, sowie generell Kosten, die von der für die Registrierung und für Sicherheiten zuständige Behörde verlangt werden, nicht einzurechnen, um die Vergleichbarkeit des effektiven Zinssatzes sicher zu stellen.

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vorgeschlagenen Produkts und des Zwecks, dem der Kredit dient, für den Verbraucher am besten eignet^^. Art 9 des Entwurfes^^ führte sodann den Grundsatz der „verantwortungsvollen Kreditvergabe" ein^^. Danach wurde angenommen, dass, wenn ein Kreditgeber einen Kredit- oder Sicherungsvertrag abschließt oder den Rahmen erhöht, er zuvor unter Ausnutzung aller ihm zu Gebote stehenden Mittel zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Verbraucher und gegebenenfalls der Garant vernünftigerweise in der Lage sein werden, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen^^. Der Grundsatz begründete eine allgemeine Sorgfaltspflicht, die insbesondere die Pflicht umfasst, die zentralen Datenbanken abzufragen. Weiters waren die Angaben des Verbrauchers oder Garanten zu prüfen, von diesem Sicherheiten zu verlangen, die Angaben von Kreditvermittlern nachzuprüfen und der richtige Kredit anzubieten. Auf einen bestimmten Erfolg, zB, dass der Verbraucher in Verzug gerät, kam es allerdings nicht an. Die Frage, ob sorgfaltswidriges Verhalten vorliege, war jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalls - im Zweifel von den Gerichten - zu beantworten. Die Pflicht des Kxeditgebers zur Prüfung der Rückzahlungsfahigkeit des Verbrauchers sei aber jedenfalls keine vom Vertrag losgelöste Pflicht. Art 9 lasse überdies die Obliegenheit des Verbrauchers zum umsichtigen Handeln bei der Suche nach Krediten und seine vertraglich eingegangenen Verpflichtungen unberührt^ ^ Die Sanktionen bei Verletzung der Sorgfaltspflicht hatten jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu sein. Art 31 47 S dazu auch die Erläuternden Bemerkungen Entwurf (FN 1), 14, zu den Rechtsfolgen falscher Auswahl sogleich Text bei FN 52. Die Absätze 1, 2 und 3 galten allerdings gemäß Art 6 Abs 4 nicht für Lieferanten von Waren oder Erbringer von Dienstleistungen, die nur in untergeordneter Funktion als Kreditvermittler beteiligt sind. 48 Art 9 findet sich im vierten Kapitel des Entwurfes unter dem Titel „Zustandekommen von Kredit- und Sicherungsverträgen". Auf Grund der Systematik des geänderten Entwurfes muss die Bestimmung bereits an dieser Stelle vorgestellt werden. 49 Dabei handelt es sich für viele MS um einen völlig neues Prinzip, s für eine allerdings nicht vollständige Liste der MS, die einen solchen Grundsatz bereits kennen Entwurf (FN 1) 17 (insb Fn 19). 50 Nach den Materialien (FN 1) 17 bedarf es der Bestimmung nicht nur im Interesse der Verbraucher und Garanten, sondern auch im Interesse aller Kreditgeber. Diese könnten nämlich dadurch geschädigt werden, dass koiiurrierende Kreditgeber später weitere Kredite gewähren und somit die Zahlungsfähigkeit des Verbrauchers oder Garanten stark beeinträchtigen. 51 Entwurf (FNl), 17.

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des Entwurfes nannte beispielsweise den Verlust von Zins- und Kostenansprüchen des Kreditgebers. Desgleichen sei aber auch denkbar, dass das Recht des Verbrauchers auf Ratenzahlung des Gesamtkreditbetrages bestehen bleibt. Den Materialien ist überdies zu entnehmen, dass etwa auch der Entzug der Zulassung oder Lizenz des Kreditgebers bzw -Vermittlers möglich war^^. Die Kommission ist im nunmehr geänderten Entwurf weitgehend den Empfehlungen des Parlaments gefolgt. Demnach wird das Konzept der „verantwortungsvollen Kreditvergabe" gemäß Artikel 9 geändert, aus dieser Bestimmung herausgenommen und in den Teil über die vorvertragliche Unterrichtung eingefügt. Danach müssen die vorvertraglichen Informationen, alle grundlegenden Angaben umfassen, die ein Verbraucher benötigt, um sich auf dem Kreditmarkt zu erkundigen und diverse Kreditangebote, einschließlich Kreditgesamtkosten und effektiven Jahreszins, miteinander vergleichen zu können. Diese Informationen müssen femer einen Hinweis auf den obligatorischen Abschluss eines zusätzlichen Vertrags enthalten, wenn dies in der Werbung angekündigt wurde. Außerdem müssen diese Angaben Informationen über die Rechte des Verbrauchers und den damit verbundenen Kostenaufwand^^ enthalten, damit der Verbraucher seine Entscheidung in voller Sachkenntnis treffen kann. Darüber hinaus haben Darlehensgeber zum einen die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand von Informationen zu beurteilen, die der Verbraucher ihnen offen legt bzw die sie aus den Datenbanken erlangen können. Zum anderen ist es aber laut Begründung der Kommission genau so wichtig, dass Darlehensgeber weiterhin einer umfassenden Verpflichtung zur vorvertraglichen Unterrichtung unterliegen wie auch dem Gebot, aus der gesamten Bandbreite von Kreditverträgen, die sie üblicherweise anbieten, den zweckmäßigsten Kreditvertrag und den bedarfsgerechtesten Gesamtkreditbetrag auszuwählen^^. Die konsolidierte, wohl auch konsensfähige, jedenfalls aber nicht übersichtlicher gewordene Bestimmung lautet demnach wie folgt: (1) Der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler bekennen sich zum Grundsatz der verantwortlichen Kreditvergabe. Verantwortliche Kreditvergabe beinhaltet die Erfüllung der Ver52 Entwurf (FN 1), 17; hinsichtlich Zulassung bzw Lizenz des Kreditgebers s Art 28 f und Entwurf (FN 1), 59 f. 53 Gemeint sind insbesondere das Recht auf vorzeitige Rückzahlung und auf Widerruf sowie die damit verbundenen Auslagen, vgl dazu Geänderter Entwurf (FN 9) 6 und zu den Rechten an sich Text hinten beiFN73. 54 Geänderter Entwurf (FN 9) 7.

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pflichtung zur vorvertraglicher Unterrichtung von Seiten des Kreditgebers und gegebenenfalls des Kreditvermittlers und der Verpflichtung des Kreditgebers, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers auf der Grundlage der von diesem erteilten Informationen und gegebenenfalls anhand von Auskünften aus der in Frage kommenden Datenbank zu beurteilen. Sieht der Kreditvertrag vor, dass der Gesamtkreditbetrag nach Abschluss des Vertrags geändert werden kann, so hat der Kreditgeber die ihm zur Verfügung stehenden Finanzinformationen zu aktualisieren und die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vor jedweder signifikanten Aufstockung des Gesamtkreditbetrags zu bewerten. (2) Rechtzeitig, bevor der Verbraucher durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot gebunden ist, hat der Kreditgeber, gegebenenfalls der Kreditvermittler, die erforderlichen, wesentlichen Informationen, die zum Abschluss des betreffenden Kreditvertrags benötigt werden, auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereitzustellen. Diese Auskünfte müssen sich auf Folgendes beziehen: lit a) Sicherheiten und verlangte Versicherungen; lit b) Laufzeit des Kreditvertrags; lit c) Betrag, Anzahl, Periodizität der Zahlungen, dargestellt, soweit dies möglich ist, anhand eines Tilgungsplans; lit d) gegebenenfalls Kosten für die Führung eines Kontos, auf dem sowohl Zahlungen als auch Kredite verbucht werden, die Kosten für die Verwendung einer Bezahlkarte oder eines anderen Zahlungsmittels, mit dem sowohl Zahlungen als auch Abhebungen getätigt werden können, und die Kosten für Zahlungsvorgänge im Allgemeinen; lit e) Gesamtkreditbetrag und Bedingungen für die Inanspruchnahme des bereit gestellten Kredits; lit f) gegebenenfalls Sollzins, für die Anwendung dieses Zinses geltende Bedingungen und Indizes, soweit vorhanden, oder Referenzzinssatz, der für den anfänglichen Sollzins gilt, sowie Zeiträume, Bedingungen und Modalitäten der Anpassung des Zinses; lit g) effektiver Jahreszins und Gesamtkreditkosten, dargestellt anhand eines repräsentativen Beispiels. Anzugeben sind alle in die Berechnung dieses Zinses einfließenden Finanzdaten und Annahmen. lit h) Kosten, die der Verbraucher bei Abschluss des Kreditvertrags anderen Personen als dem Kreditgeber oder dem Kreditvermittler, insbesondere Notaren, Steuerbehörden und Grundbuchämtem zu zahlen hat, sowie alle sonstigen Kosten, die von der für die Registrierung und die verlangten Sicherheiten zuständigen Behörde verlangt werden. Ist eine Neben-

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dienstleistung im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere eine Versicherung, zwingende Voraussetzung für die Gewährung eines Kredits oder des angepriesenen Zinssatzes und können die diesbezüglichen Kosten nicht im Voraus ermittelt werden, so ist diese Verpflichtung der Inanspruchnahme einer solchen Nebendienstleistung in klarer, laiapp gefasster Form an hervorgehobener Stelle anzugeben; liti) Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts auf Widerruf, Zeitraum, in dem das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, und Verfahren bei der Ausübung dieses Rechts; lit j) Recht auf Unterrichtung über das Ergebnis einer DatenbankRecherche zum Zwecke der Beurteilung der Kreditwürdigkeit gemäß Artikel 9 Absatz 2; lit k) Recht auf vorzeitige Rückzahlung und gegebenenfalls daraus erwachsende Kosten unter Angabe des Betrags und der Berechnungsmethode; lit 1) Verzugszinsen, die zu dem Zeitpunkt gelten, an dem die Information nach dieser Bestimmung erteilt wird, und Vorkehrungen zur Bereinigung der Sachlage sowie anfallende Nichterfüllungskosten. Der Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen nach den Bestimmungen dieses Abschnitts kann auch durch Bereitstellung des Vertragsentwurfs, der die Informationen gemäß Artikel 10 enthält, nachgekommen werden.^^ (3) Dienen bei einem Kreditvertrag vom Verbraucher geleistete Zahlungen nicht der Tilgung seiner Schuld im Verhältnis zum Gesamtkreditbetrag, sondern der Bildung von Kapital innerhalb der Zeiträume und zu den Bedingungen, die im Kreditvertrag oder im Zusatzvertrag zum Kreditvertrag vorgesehen sind, so muss aus den nach diesen Bestimmungen bereitgestellten Informationen klar und präzise hervorgehen, dass derartige Verträge keine Garantie der Rückzahlung des in Anspruch genommenen Gesamtkreditbetrags vorsehen, es sei denn, eine solche Garantie ist gegeben. (4) Der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler suchen nach Möglichkeit aus den Kreditverträgen, die sie üblicher-. weise anbieten oder bei deren Abschluss sie gewöhnlich mitwirken, diejenige Kreditform aus und sehen dabei den Gesamtkreditbetrag vor, der in Anbetracht der finanziellen Situation des Verbrauchers, der Vor- und Nachteile des vorgeschlagenen Produkts 55 Bei fernmündlicher Kommunikation im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2002/65/EG muss diese Information zusätzlich zu den nach dieser Bestimmung verlangten Informationen mindestens die unter den Buchstaben c, e und g dieses Abschnitts aufgeführten Positionen umfassen.

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und des Zwecks, dem der Kredit dienen soll, für den Verbraucher am geeignetsten ist. d) Vorherige vereinfachte Unterrichtungs- und Beratungspflicht Die Kommission hat des Weiteren für Überziehungskredite, Kleinkredite unter 300,— €^^ und bestimmte Sonderkreditformen Vereinfachungen hinsichtlich der vorvertraglichen Unterrichtungsund Beratungspflicht vorgeschlagen. Diese werden in zwei neuen Artikeln näher ausgeführt. Der neue Artikel 6 betrifft Überziehungskredite. Demnach sind bei Verträgen über Kredite in Form von Vorschüssen auf laufenden Konten oder Debetkonten im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 dem Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags (lediglich) der Gesamtkreditbetrag, der Sollzinssatz, der effektiver Jahreszins anhand eines repräsentativen Beispiels^^, sämtliche vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an zu zahlende Kosten und deren Veränderungsmöglichkeiten, sowie die Umstände zur Beendigung des Vertrags mitzuteilen^^. Die zweite vereinfachte Regelung findet sich im neuen Art 7. Sie betrifft Kleinkredite (Kreditbetrag unter 300,— €), Darlehen, die einem begrenzten Klientenkreis zu einem niedrigeren als dem marktüblichen Zinssatz oder sogar zinslos gewährt werden. Des weiteren sind Refinanzierungskredite eines Verbrauchers erfasst, wenn dadurch ein Gerichtsverfahren vermieden werden kann und die Bedingungen die Situation des Verbrauchers (im Vergleich zu seiner Situation vor dem neuen Kreditvertrag) nicht verschlechtern^^. In diesen Fällen hat der Kreditgeber bzw -vermittler rechtzeitig^^ dem Verbraucher auf Papier oder sonstigem dauerhaften Datenträger den Gesamtkreditbetrag, den Sollzinssatz, den effekti-

56 Zum Anwendungsbereich bereits vorne Text bei FN 32. 57 Zusätzlich sind sämtliche in die Berechnung des Jahreszinses einfließender Finanzdaten und Annahmen anzugeben. 58 Vgl dazu Geänderter Entwurf (FN 9) 4 und Zweiter Bericht (FN 8) 32, sowie Legislative Entschließung (FN 7) 10. 59 Überdies sind Fälle, in denen der Kreditgeber kraft gesetzlicher Verpflichtung einen Gemeinwohlauftrag wahrnimmt, sowie von bestimmten Verbänden ohne Erwerbszweck wie zum Beispiel wirklichen Kreditgenossenschaften („credit unions") gewährte Darlehen vom Anwendungsbereich erfasst, vgl dazu Geänderter Entwurf (FN9)5. 60 Rechtzeitig bedeutet, bevor der Verbraucher durch einen Vertrag oder ein Angebot im Sinne von Artikel 3 Absatz 4 gebunden ist, vgl dazu Geänderter Entwurf (FN 9) 4.

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ver Jahreszins anhand eines repräsentativen Beispiels^^, die Laufzeit, sowie die Anzahl und Periodizität der zu leistenden Zahlungen mitzuteilen. 1.5 Schutz der Privatsphäre Das dritte Kapitel des Entwurfes war mit Schutz der Privatsphäre überschrieben. Artikel 7 regelte die Erhebung und Verarbeitung von Daten. Demnach durften persönliche Daten, die im Zuge des Abschlusses oder der Abwicklung von Kreditverträgen erhoben wurden^^, nur zur Einschätzung der finanziellen Situation und RückZahlungsfähigkeit des Kunden verarbeitet werden. Nach Art 8 stellten die MS sicher, dass zwecks Registrierung der Verbraucher und Garanten, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind, in ihrem Hoheitsgebiet eine zentrale Datenbank betrieben wird (sog Negativregister^^). Bevor ein Verbraucher oder Garant irgendeine Verpflichtung eingeht, hatten Kreditgeber in den Grenzen des Artikels 9^^ die zentrale Datenbank abzufragen. Der Verbraucher und gegebenenfalls der Garant mussten auf Wunsch unverzüglich und unentgeltlich über das Ergebnis der Abfrage informiert werden. Der Zugang zur zentralen Datenbank eines anderen Mitgliedstaats war unter den gleichen Bedingungen zu gewähren, wie sie für Unternehmen und Personen dieses Mitgliedstaats vorgesehen waren, und zwar entweder unmittelbar oder durch Vermittlung der zentralen Datenbank des Herkunftsmitgliedstaats (Z 2). Persönliche Daten, die aufgrund von Absatz 1 bekannt geworden sind, durften nach Z 3 nur zum Zweck der Einschätzung der finanziellen Situation des Verbrauchers und des Garanten oder ihrer Fähigkeit zur Rückzahlung verarbeitet werden. 61 Wiederum unter Angabe aller Berechnungsdaten, vgl bereits in FN 57. 62 Es handelte sich insbesondere um die in Artikel 6 Abs 1 des Entwurfes genannten Daten, vgl dazu vorne Text nach FN 43. 63 Art 8 Z 4 sah aber vor, dass die MS auch weiter gehen und zentrale Datenbanken zur Speicherung positiver Daten schaffen können - sog Fositivregister. In diesen werden dann alle von Verbrauchern eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Krediten registriert. Dem Kreditgeber würde dann, so die Materialien ein noch zuverlässigeres Instrument als das Negativregister zur Verfügung stehen. Denn er kann nachprüfen, ob der Verbraucher oder gegebenenfalls der Garant andere Kredit- oder Sicherungsverträge abgeschlossen hat. Damit steht auch fest, ob die Gesamtbelastung schon so hoch ist, dass dem Verbraucher kein weiterer Kredit mehr gewährt werden darf, vgl dazu noch näher Entwurf (FN 1), 16. 64 S Text vorne bei FN 48.

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Diese Daten waren unmittelbar nach Abschluss des JCredit- oder SicherungsVertrags oder nach Ablehnung des Kredits oder der angebotenen Sicherheit durch den Kreditgeber zu löschen^^. Im Geänderten Entwurf ist Kapitel III im Einklang mit den Änderungen des Parlaments nur mehr mit Zugang zu Datenbanken überschrieben. Als Begründung wird genannt, dass die Vorschriften über Datenverarbeitung und Datenschutz in der RL 95/46 DatenschutzRL - geregelt sind, wodurch hier nur die noch offene Frage des Zugangs zu normieren sei. Art 7 des Entwurfes ist demnach komplett entfallen^^. Lediglich der Zugang zu in den Mitgliedstaaten bestehenden privaten und öffentlichen Datenbanken muss grenzübergreifend operierenden Kreditgebern ohne Diskriminierung zugesichert sein. Nach Abs 1 des neuen Art 8 hat daher jeder MS bei grenzübergreifenden Krediten sicher zu stellen, dass Kreditgeber aus anderen MS ohne Diskriminierung Zugang zu den Datenbanken auf seinem Hoheitsgebiet haben. Nach Abs 2 sind der Verbraucher und der Sicherungsgeber, soweit sie darum ersuchen, unverzüglich und unentgeltlich über das Ergebnis jeder Datenbankabfrage zu unterrichten^^. 1.6 Der Vertragsabschluss Das vierte Kapitel des Entwurfes regelte das Zustandekommen von Kredit- und Sicherungsverträgen. Nach Einführung des hier schon früher vorgestellten Grundsatzes der verantwortungsvollen Kreditvergabe (Art 9) sah Artikel 10 zwingende Angaben in Kredit- und Sicherungsverträgen vor. Denn Art 4 Abs 2 der bisherigen RL beinhalte lediglich einen Minimalkatalog. Das habe zu ganz unterschiedlichen Regelungen in den MS geführt. Daher enthalte die vorliegende RL eine vollständige Aufzählung^^. Im nunmehr geänderten Entwurf findet sich dieser Katalog wieder. Die im Kreditvertrag enthaltenen Informationen müssen umfassend sein und alle vor Abschluss des Vertrags erteilten Auskünfte - einschließlich einer ausführlichen Berechnung des effektiven Jahreszinses und der Gesamtkreditkosten - sowie ausführli65 Damit waren sie - etwa zu Beweiszwecken - nicht mehr verfügbar. Schon nach dem Kommissionspapier (FN 6), 5 (Pkt 7) wurde dies als Fehler eingestanden und sollte die Bestimmung ersatzlos gestrichen werden. 66 Vgl Zweiter Bericht (FN 8) 40 und Geänderter Entwurf (FN 9) 3, wo die Änderungsanträge 67 ff als unverändert übernommen ausgewiesen werden. 67 Geänderter Entwurf (FN 9) 12. 68 Entwurf (FN 1), 31 und die einzelnen Punkte ausführlich bei Auer (FN 1) 54 ff

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che Tilgungspläne im Falle eines Kredits mit festem Zinssatz enthalten. Anzugeben sind auch die zu entrichtenden Kosten bei Zahlungsverzug, damit der Verbraucher die Folgen einschätzen kann, wenn er mit seinen Verpflichtungen in Rückstand geraten soUte^^. Demnach sind Kreditverträge und Sicherungsverträge auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu erstellen. Alle Vertragsparteien erhalten eine Ausfertigung des Kreditvertrags. Der Sicherungsgeber erhält eine Ausfertigung des Sicherungsvertrags. Die Verträge müssen Angaben über die Inanspruchnahme außergerichtlicher Beschwerdeverfahren und nähere Informationen über die einzuhaltenden Formvorschriften für den Fall, dass ein Kreditgeber oder Kreditvermittler sich solcher Verfahren bedient, enthalten (Abs 1). Jedenfalls sind im Kreditvertrag in klarer und präziser Form anzugeben (Abs 2): lit a) Namen und Anschriften der Vertragsparteien sowie, falls zutreffend, Name und Anschrift des beteiligten Kreditvermittlers; lit b) Sicherheiten und verlangte Versicherungen; lit c) Laufzeit des Kreditvertrags; lit d) Betrag, Anzahl und Periodizität der zu leistenden Zahlungen; lit e) im Falle einer Kapitaltilgung bei einem Kreditvertrag mit fester Laufzeit und festem Zinssatz: Aufstellung in Form eines Tilgungsplans, aus dem hervorgeht, welche Zahlungen geschuldet werden, in welchen Zeitabständen sie zu leisten sind und welche Bedingungen für diese Zahlungen gelten; lit f) soweit eine Zahlung von Kosten und Zinsen ohne Kapitaltilgung vorgesehen ist, eine Aufstellung mit Angabe der Zeiträume und Bedingungen für die Zahlung der Sollzinsen und der damit verbundenen wiederkehrenden und nicht wiederkehrenden Kosten; lit g) Angabe der Kosten, mit Hinweis auf ihre Zweckbestimmung und der jeweiligen Höhe, die nicht in die Berechnung des effektiven Jahreszinses einbezogen, dem Kreditgeber oder dem Kreditvermittler jedoch bekannt sind und vom Verbraucher getragen werden müssen, insbesondere Verzugszinsen entsprechend der Regelung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der getroffenen Vorkehrungen betreffend Zuschläge für Ausgleichszahlungen, Gebühren oder Verzugszinsen für Überschreitungen des Gesamtkreditbetrags und Nichterfüllungskosten; lit h) Gesamtkreditbetrag und Bedingungen für die Inanspruchnahme des Kredits; 69 Vgl Geänderter Entwurf (FN 9) 9.

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lit i) gegebenenfalls die finanzierten Waren oder Dienstleistungen; lit j) gegebenenfalls Sollzins, für diesen Zins geltende Bedingungen und Indizes, soweit solche vorliegen, oder Referenzzinssätze, die sich auf den anfänglichen Sollzinssatz beziehen, femer Zeiträume, Bedingungen und Modalitäten der Anpassung des variablen Zinses; lit k) Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher und effektiver Jahreszins, berechnet zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags auf der Grundlage sämtlicher Finanzdaten und auf den Kreditvertrag zutreffender Annahmen; litl) Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie, für den Fall, dass ein solches Recht besteht, Widerrufsfrist und Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts; lit m)Recht auf vorzeitige Rückzahlung, Verfahren und ggf daraus resultierende Kosten, mit Angabe des Betrags oder der Berechnungsmethode; lit n) Recht auf Unterrichtung über Ergebnisse aus Datenbankrecherchen zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit gemäß Artikel 9 Absatz 2; lit o) einzuhaltende Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Beendigung des Kreditvertrags; litp) Informationen über die aus Artikel 15 erwachsenden Rechte und über die Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte. Im Sicherungsvertrag sind nach Abs 3 der Höchstgarantiebetrag und die nach dem Verfahren gemäß Abs 2 lit e anfallenden Nichterfüllungskosten anzugeben. Schließlich sah Art 11 des Entwurfes ein Widerrufsrecht des Verbrauchers vor und findet sich auch im geänderten Entwurf wieder. Als Vorbild hat ausweislich der Materialien das Widerrufsrecht der RL über den Femabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher gedient^^. Demnach kann der Verbraucher seine auf den Abschluss eines Kreditvertrags gerichtete Willenserklärung innerhalb von vierzehn Kalendertagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die weiteren Voraussetzungen^^ sollen ausweislich 70 VglRL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Femabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl L 271/16 und dazu etwa Lachmair, Was bringt die neue Fernabsatz-Richtlinie der EU betreffend Finanzdienstleistungen für Verbraucher?, RdW 2003, 184 ff mwN. 71 Gemäß Entwurf (FN 1), 19 beginnt die Frist an dem Tag, an dem der Verbraucher eine Ausfertigung des geschlossenen Kreditvertrags erhält (ZI). Die Frist gilt mit Absendung vor Fristablauf als gewahrt (Z 2). Nach Z 3 ist der Verbraucher im Fall der Ausübung seines Widerrufsrechts verpflichtet, dem Kreditgeber gleichzeitig die Beträge, die er aufgrund des Kreditvertrags erhalten hat, zurückzuzahlen oder

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des geänderten Entwurfes der FemabsatzRL angeglichen werden, um etwaigen widersprüchlichen Regelungen insbesondere im Fall von im Femabsatz geschlossenen Verbraucherkreditverträgen vorzubeugen^^. Damit dürften wohl alle wesentlichen Kritikpunkte an dieser Bestimmung bereinigt sein. 1.7 Erfüllung des Vertrages Schließlich konnte nach Art 16 der RL des Entwurfes der Verbraucher seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag ganz oder teilweise vorzeitig erfüllen. In diesem Fall stand dem Kreditgeber nur insoweit eine Vergütung zu, als diese objektiv gerechtfertigt und angemessen, sowie auf Grundlage mathematischer Grundsätze errechnet war. Keine Vergütung konnte jedenfalls in folgenden Fällen verlangt werden: a) für Kreditverträge, bei denen der Zeitraum für die Festsetzung des Sollzinses unter einem Jahr liegt b) wenn die Rückzahlung aufgrund eines Versicherungsvertrags erfolgt, der vereinbarungsgemäß die Rückzahlung des Kredits gewährleisten soll c) bei Kreditverträgen, welche die Zahlung von Kosten und Zinsen ohne Kapitaltilgung vorsehen Als Begründung wurde genannt, dass angesichts der vielfältigen Möglichkeiten für eine Wiederanlage von Kapital auf den internationalen Kapitalmärkten sich heutzutage eine Vergütung bei vorzeitiger Rückzahlung kaum noch rechtfertigen lasse. Deshalb sei eine Wiederanlagegebühr nur unter den nunmehr vorgeschlagenen strengen Bedingungen zuzulassend^. Dass diese Bestimmung vor allem in Bankenkreisen auf Widerstand gestoßen ist, braucht nicht weiter begründet zu werden. Nach dem geänderten Entwurf soll die Bestimmung beibehalten werden. Dem Verbraucher wird das Recht auf vorzeitige Rückzahlung zu jedwedem Zeitpunkt während der Vertragslaufzeit eingeräumt. Allerdings ist der Kreditgeber berechtigt, eine angemessene und objektiv gerechtfertigte Vergütung zu verlangen. Weiterhin die Waren, die er aus diesem Grund erhalten hat, zurückzugeben, sofern deren Bereitstellung im Kreditvertrag geregelt ist. Des weiteren ist er zur Zahlung der Zinsen verpflichtet, die er für den Zeitraum der Inanspruchnalune des Kredits schuldet und die auf der Grundlage des vereinbarten effektiven Jahreszinses berechnet werden. Sonstige Entgelte können wegen des Widerrufs nicht verlangt werden. Jede Anzahlung, die der Verbraucher aufgrund des Kreditvertrags geleistet hat, ist ihm unverzüglich zu erstatten. 72 Für weitere Einzelheiten vgl Geänderter Entwurf (FN 9), 12 f. 73 Entwurf (FN 1), 23.

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sind die Fälle der lit a und b ausgenommen^^. Was unter „objektiv gerechtfertigt und angemessen" zu verstehen ist, soll bei den Erwägungsgründen noch näher präzisiert werden. Als objektiv gerechtfertigte Vergütung gilt die Entschädigung der vom Kreditgeber in unmittelbarem Zusammenhang mit der vorzeitigen Rückzahlung verauslagten Kosten. Sie ist auch angemessen, wenn sie den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung trägt^^. II. Stellungnahme Eine erste Bewertung des geänderten Vorschlags kann nicht uneingeschränkt positiv ausfallen^^. Zuzugestehen ist, dass im Wesentlichen alle Kompetenzkonflikte/Wertungswidersprüche mit anderen RL ausgeräumt wurden. Zu begrüßen ist auch die Begrenzung des Anwendungsbereiches, insbesondere auf Neuverträge^^. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, dass Kleinkredite, so wie jetzt Kredite jenseits der 100.000,-- € völlig ausgenommen bleiben^^. Das System der vorvertraglichen Unterrichtung, nunmehr gepaart mit der verantwortungsvollen Kreditvergabe gibt nach wie vor Rätsel auf. So ist auch nunmehr nicht klar, ob es sich um ein Aufklärungsgebot oder um ein Kontrahierungsverbot handelt^^. Dass die Bestimmung jedenfalls nicht übersichtlicher geworden ist^^, tut ihr übriges dazu. Des weiteren muss die Zukunft auch des geänderten Entwurfes als ungewiss bezeichnet werden. Wie schon näher begründet wurde hält die Kommission am Prinzip der Maximalharmonisierung fest^^. Das Parlament favorisiert den Subsidiaritätsgedanken. Jedenfalls kann auch nach dem geänderten Entwurf durchaus bezweifelt werden, ob dem Verbraucher wirklich ein Dienst erwiesen wird. Denn durch das oft schwerfällige Verfahren verbunden mit den Risiken des Kreditgebers wird es fortan für bestimmte Verbrauchergruppen (noch) schwieriger sein, „Überbrückungsmittel" von seriösen Stellen zu akquirieren.

74 Vgl dazu Geänderter Entwurf (FN 9), 13, lit c) soll (höchstwahrscheinlich) entfallen. 75 Vgl dazu noch näher Geänderter Entwurf (FN 9), 13. 76 S auch die Stellungnahme des Verfassers zum Entwurf (FN 1) 57 ff. 77 Dazu vorne Text bei FN 34. 78 So auch der Vorschlag des Parlaments, s vorne bei FN 32. 79 Dazu schon Auer (FN 1) 58. 80 S dazu vome Text nach FN 54. 81 Text vorne bei FN 16.

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