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German Pages 406 Year 2011
Edgar Schmitz · Peter Voreck Einsatz und Rückzug an Schulen
Edgar Schmitz · Peter Voreck
Einsatz und Rückzug an Schulen Engagement und Disengagement bei Lehrern, Schulleitern und Schülern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Kea S. Brahms | Eva Brechtel-Wahl VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Jens Ossadnik; www.rundumtext.de Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17889-9
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Eine Institution, die Kritik nicht toleriert, verliert die Kraft zur Erneuerung. Dieser Band ist den zahlreichen engagierten Lehrerinnen und Lehrern gewidmet, die tagtäglich ihren Dienst gegen viele Hindernisse mit Zuversicht versehen. Dafür sei ihnen unser Respekt, unsere Anerkennung und unser Dank ausgesprochen!
Einsatz und Rückzug in Schulen ist das Thema dieses Buches, dem ein umfangreiches Forschungsmaterial zu Engagement und Disengagement von Lehrern, Schulleitern und von Schülern zu Grunde liegt. Darin eingeschlossen ist die bisherige Forschung zur Inneren Kündigung bei Lehrern. Das Ziel dieser Studie ist es, etwas über die engagierte, professionelle Lehrkraft zu erfahren. Eine Identität macht sich an Unterschieden fest. So liegt es nahe herauszufinden, worin sich engagierte von disengagierten Lehrpersonen unterscheiden. Von diesen Unterschieden handelt ein großer Teil des Buches. Engagement kennzeichnet Menschen, die beharrlich ein Ziel im Auge behalten, ein Ziel oder eine Hierarchie von Zielen anstreben. Im weiteren Sinn meint Engagement die Verantwortung für etwas und die Identifikation mit etwas. Engagiert sein bedeutet, ein starkes persönliches Interesse an etwas haben, sich verpflichtet und gebunden fühlen, sich für etwas einsetzen und einen geistigen Standpunkt vertreten. Das LehrerEngagement ist auf die berufliche Tätigkeit und auf die berufliche Kompetenz im Berufs(um)feld „Schule“ bezogen, d. h. konkret, auf die Tätigkeit mit den Schülern, also im Wesentlichen das Unterrichten, auf die Arbeit mit der Schulleitung und mit den Kollegen. Doch für eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit reicht Engagement allein nicht aus. Engagement ist eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für den Erfolg eines Lehrers. Disengagement durch Innere Kündigung kennzeichnet Menschen, Mitarbeiter, eben auch Lehrkräfte, die kein Engagement (mehr) bei der Arbeit zeigen und keine Initiative. In ihrer beruflichen Tätigkeit tun sie nur das Nötigste, ziehen sich innerlich zurück Sie überlassen Entscheidungen auch einfachster Art anderen, warten auf Anordnungen vom Vorgesetzten, anstatt Verantwortung selbst zu übernehmen. Insgesamt verhalten sie sich passiv. Sie vermeiden jede Auseinandersetzung. Damit tut sich die Frage auf, warum die einen sich engagieren und die anderen nicht. Das ist die Leitfrage dieser Studie. Im Kapitel 1 wird das Disengagement durch Innere Kündigung auf der Grundlage der vorliegenden Studien zur Inneren Kündigung analysiert. Innere Kündigung ist eine Art des Disengagements. Im 2. Kapitel wird eine Theorie zur psychologischen Erklärung von Engagement und Dis-
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engagement entwickelt. Sie soll zum Verständnis dieser Phänomene beitragen. Im 3.Kapitel wird das Disengagement bei Lehrpersonen entlang der Leitfrage behandelt, warum einige Lehrer zum inneren Rückzug neigen, während sich die anderen – die große Mehrheit – ihr Engagement bewahren. Was sind die Gründe für das eine und für das andere? Daraus resultiert das Problem der Datenerhebung und der Messung von Graden des Disengagements und der Verbreitung (Kapitel 4). Um einer Beantwortung der Leitfrage näher zu kommen, werden die Rahmenbedingungen der Lehrertätigkeit analysiert (Kapitel 5), und es werden engagierte und disengagierte Lehrkräfte in verschiedenen Bezügen miteinander verglichen (Kapitel 6). Im 7. Kapitel werden die personalen Bedingungen herausgearbeitet, das sind die individuellen Risikofaktoren und gesundheitlichen Gefährdungen. Schließlich können verschiedene Formen des Disengagements differenziert werden (Kapitel 8). Disengagement bei Schulleitern (Kapitel 9) und bei Schülern (Kapitel 10) werden erörtert. Ziel und Höhepunkt des Bandes sind in Kapitel 11 die großartigen Leistungen von Lehrkräften in den verschiedenen Facetten des Engagements. Diese Studie ist eine interdisziplinäre, empirische und explorative Studie, gänzlich aus der Sicht der Betroffenen, nämlich der Lehrer, der Schulleiter und zum Teil der Schüler. Die Studie ist interdisziplinär, da neben zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulleitern auch – direkt und indirekt – Pädagogen, Psychiater, Psychologen, Arbeitswissenschaftler und andere mitgearbeitet haben. Die Studie ist empirisch, das heißt, dass alles, was hier mitgeteilt wird, dem naturwissenschaftlichen Denkansatz verpflichtet und empirisch gestützt ist. Theorien werden nur sparsam genutzt, sofern sie helfen, Zusammenhänge zu verstehen nach dem Motto: Nichts ist praktischer als eine knappe Erklärungstheorie. Theoretische Spekulationen hebe man sich für meditative Stunden der Muße auf. Explorativ ist die Studie insofern, als zu Beginn fast nichts bekannt war über den systemischen Zusammenhang von Engagement und Disengagement bei Lehrern, außer ein paar ungestützte Ansichten über engagierte Lehrer. Vielfach war es nicht einmal möglich, Vermutungen und Hypothesen über mögliche Zusammenhänge aufzustellen. Engagement, Professionalität und Qualität des Unterrichts bilden eine Trias von untrennbaren Faktoren, die den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule erst ermöglichen. Fehlt einer der drei Faktoren, so kann der Auftrag nicht erfüllt werden. Professionelle Lehrer ohne Engagement können zwar einen qualifizierten Fachunterricht halten, aber nicht den Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllen. Ohne Engagement kann man ein bestimmtes Lernprodukt erzwingen, aber das Potenzial an Lernleistung, an Fantasie und an Lernmotivation der Schüler wird unerschlossen bleiben. Es ist das Engagement an den Schülern und an der Tätigkeit des Unterrichtens die Bedingung – unter dem Aspekt einer modernen Pädagogik – von qualifiziertem Unterricht. Wir danken den vielen Kolleginnen und Kollegen, die uns durch Beratung und durch Hilfe bei der Datenerhebung unterstützt haben. Nicht zuletzt soll den ca. 2500 Lehrerinnen und Lehrern gedankt werden, die uns bereitwillig Rede und Antwort
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standen so wie mehr als 240 Schulleitern/innen, weit über 200 Referendaren und Lehramtsstudierenden und rund 600 Schülern. Insbesondere danken wir für zahlreiche Hinweise Herrn Dr. Peter Jehle, den leitenden Studiendirektoren Ernst Rutzinger und Dr. Klaus Hermann, Herrn Chefarzt Professor Dr. Andreas Hillert, Dr. Dirk Lehr sowie Kollegen und Freunden. Für die Erhebung der Daten und für weitere Hinweise danken wir den Damen und Herren Peter Abt, Bernhard Burzler, Robert Fischer, Paula Amalia Kästner, Manuela Meier, Hildegard Möller, Gisela Niedermeyer, Sina Rothe, Manuela Scherer, Bernhard Staffler, Stefan Thurn, Christine Tomerl und Katrin Tomerl. Irgendwelchen Auftragsgebern und Geldgebern sind wir nicht verpflichtet. Adressaten dieses Textes sind alle, die im Bereich Schule tätig sind, und alle am Thema Interessierten sowie alle, die mit dem Personalwesen, Personalmanagement, Gesundheitsmanagement etc. befasst sind. Ein Hinweis zum Lesen: In einer empirischen Studie sollten alle Aussagen belegt sein. Deshalb ist ein Corpus von statistischen Tabellen nötig. Wer im Lesen von Statistiken nicht besonders geübt ist, kann diese getrost übergehen. Zahlreiche Abbildungen verdeutlichen die statistischen Zusammenhänge.
Anschriften der Autoren: StD Peter Voreck, vormals Städtische Berufsoberschule Augsburg Prof. Dr. Edgar Schmitz Gernotstr. 8 80804 München E-Mail: [email protected]
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Annäherung an ein Konstrukt...................................................................................... 15 1.1 Lehrer-Engagement ................................................................................................. 15 1.2 Facetten des Disengagements ................................................................................ 19 1.2.1 Typische Merkmale .......................................................................................... 19 1.2.2 Definitionen der Inneren Kündigung.............................................................. 21 1.3 Bisherige Erklärungen zu Ursachen und Genesen .............................................. 28 1.3.1 Führungsverhalten und Pessimismus ............................................................. 28 1.3.2 Das tauschtheoretische Paradigma und der Psychologische Vertrag .............. 30 1.3.3 Kontrollverlust ................................................................................................ 32 1.3.4 Unzufriedenheit mit der Arbeit ....................................................................... 33 1.3.5 Vermeidungsstrategien .................................................................................... 33 1.3.6 Innere Kündigung als Entfremdung ............................................................... 35 1.3.7 Zweipolige Konstruktionen ............................................................................. 35 1.3.8 Gesellschaftliche Veränderungen ..................................................................... 36 1.3.9 Personale Gründe ............................................................................................ 38 1.4 Begleiterscheinungen, Ursachen oder Folgen? .................................................... 38 1.5 Gibt es verschiedene Erscheinungsweisen oder Formen? .................................. 40 1.6 Waren innerlich Kündigende vormals engagierte Mitarbeiter? ........................ 41 1.7 Innere Kündigung – ein unmoralischer Akt?....................................................... 41
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Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung .................................... 43 2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie ........................................................................ 45 2.1.1 Das Prinzip der Selbstregelung ........................................................................ 46 2.1.2 Handlung und Rückmeldung ........................................................................... 46 2.1.3 Der hierarchische Aufbau des Verhaltens ......................................................... 47 2.1.4 Die Aufmerksamkeit ......................................................................................... 48 2.1.5 Hindernisse ...................................................................................................... 49 2.1.6 Affektive Konsequenzen der Ziel-(Nicht)Erreichung ....................................... 51 2.2 Kontrollverlust und Disengagement ..................................................................... 52 2.2.1 Erwartungen .................................................................................................... 53 2.2.2 Handlungen, Ergebnisse und Folgen ............................................................... 54 2.2.3 Disengagement zum Schutz des Selbstbildes ................................................... 56 2.2.4 Die Strategie des begrenzten Disengagements ................................................. 58
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Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern ........................................... 61 3.1 Was ist Disengagement bei Lehrern? .................................................................... 62 3.1.1 Engagement und Disengagement .................................................................... 62 3.1.2 Was beobachtbar ist: Typisches Verhalten ....................................................... 64 3.1.3 Indikatoren aus Sicht der Schulleiter und Kollegen ....................................... 66 3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern ....... 66 3.2.1 Definition von Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern ........... 66 3.2.2 Erklärung durch Verletzung der Reziprozitätsnorm....................................... 68 3.2.3 Erklärung durch Reaktionen auf Kontrollverlust............................................ 71 3.2.4 Erklärung durch das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse ................... 75 3.2.5 Erklärung durch Sinnverlust .......................................................................... 77 3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm ................................................................. 78 3.3.1 Formen der Störung des reziproken Gleichgewichtes ...................................... 78 3.3.2 Reaktionen auf die Störung des Gleichgewichtes ............................................ 81 3.3.3 Folgen bei Störung der Reziprozität ................................................................ 83 3.4 Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Reaktanz ........................................................ 84 3.4.1 Kontrollverlust und Hilflosigkeit bei Lehrkräften ........................................... 84 3.4.2 Kontrollverlust und Reaktanz ......................................................................... 85 3.5 Verlaufsskizzen zum Disengagement: das Fünf-Phasen-Modell ...................... 87 3.6 Angrenzende Probleme .......................................................................................... 94 3.6.1 Lehrer-Disengagement und Ethik ................................................................... 94 3.6.2 Dienst nach Vorschrift? .................................................................................. 98 3.6.3 Langeweile, „Boreout“ und Burnout............................................................. 100
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Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung ........................................................................................................ 103 4.1 Die Entwicklung des Instrumentes ..................................................................... 103 4.1.1 Das Messverfahren ........................................................................................ 104 4.1.2 Die Modelltestung ......................................................................................... 108 4.1.3 Weitere Instrumente ...................................................................................... 111 4.1.4 Die Skalenwerte ............................................................................................. 112 4.1.5 Kritische Betrachtung der Items .................................................................... 115 4.2 Die Durchführung der Untersuchung ................................................................ 116 4.2.1 Die Untersuchungsgruppe ............................................................................ 116 4.2.2 Die Erhebung der Daten ............................................................................... 116 4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern ............ 117 4.3.1 Bisherige Schätzungen zur Verbreitung der Inneren Kündigung ................ 117 4.3.2 Die Häufigkeitsverteilungen von Engagement/Disengagement .................. 118 4.3.3 Verbreitung bei Lehrerinnen und Lehrern ..................................................... 120 4.3.4 Die Verbreitung in Schularten ....................................................................... 123 4.3.5 Vergleich der einzelnen Schulen ..................................................................... 125 4.3.6 Der Verlauf nach Dienstjahren ...................................................................... 126
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Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule ................................. 133 5.1 Die äußeren Arbeitsbedingungen ........................................................................ 134 5.1.1 Die gesellschaftlich-ökonomischen Arbeitsbedingungen ................................ 134 5.1.2 Die betrieblichen Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen .............................. 138 5.1.2 (1) Die formalen betrieblichen Arbeitsbedingungen ....................................... 138 5.1.2 (2) Die materialen betrieblichen Arbeitsbedingungen .................................... 143 5.2 Soziale Bedingungen ............................................................................................. 151 5.2.1 Allgemeine soziale Arbeitsbedingungen ........................................................ 151 5.2.2 Das Führungsverhalten der Schulleiter ........................................................ 151 5.3 Personale Arbeitsbedingungen ............................................................................ 156 5.3.1 Allgemeine personale Arbeitsbedingungen .................................................... 156 5.3.2 Leistungsvoraussetzungen: Ausbildung und Können ................................... 157 5.3.3 Technologiedefizit-Hypothese und Hilflosigkeit ............................................. 162 5.3.4 Lehrer als ‚Einzelkämpfer’ .............................................................................. 164 5.4 Reziproke Erwartungen ........................................................................................ 165 5.4.1 Typische informelle Erwartungen der Schulleiter an Lehrer......................... 165 5.4.2 Typische Erwartungen der Lehrer an die Schulleitungen ............................. 167 5.4.3 Erwartungen an die Kollegen und Enttäuschungen ..................................... 171 5.4.4 Erwartungen an die Schüler und Enttäuschungen ....................................... 171
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Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet ................................................ 173 6.1 Die Zuordnung der Fälle: Engagierte vs. Disengagierte .................................. 174 6.2 Die soziografischen Merkmale beider Gruppen ................................................ 176 6.3 Brüche der Psychologischen Verträge................................................................. 177 6.3.1 Inhalte der Psychologischen Verträge: Typische Lehrer-Erwartungen .......... 177 6.3.2 Brüche der Psychologischen Verträge: Nicht-realisierte Erwartungen .......... 180 6.3.2 (1) Nicht realisierte Erwartungen an die Schulleitung .................................. 180 6.3.2 (2) Nicht-realisierte Erwartungen an die Schüler .......................................... 181 6.3.3 Wie die Vertragsbrüche erlebt werden ............................................................ 182 6.4 Markante Unterschiede zwischen Engagierten und Disengagierten .............. 185 6.5 Belastung bei engagierten und disengagierten (IK-) Lehrern .......................... 186 6.5.1 Belastungen und Beanspruchungen ............................................................... 187 6.5.2 Was von den Belastungen belastet am meisten? ............................................ 191 6.5.3 Beispiel: Wochenarbeitszeit und geschätzte Arbeitszeit ................................. 194 6.6 Belastungsfolgen bei Engagierten und IK-Lehrkräften .................................... 194 6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern ............................ 196 6.7.1 Messung und Vorkommen der negativen Einstellung ................................... 196 6.7.2 Disengagement und negative Einstellung ..................................................... 199 6.7.3 Exkurs: positiv und negativ eingestellte Lehrer ............................................. 203 6.7.4 Klinische Merkmale der negativen Lehrkräfte ................................................ 206 6.7.5 Ursachen negativer Einstellungen ................................................................. 209
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Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken ........................................................ 211 7.1 Die Problemlage ..................................................................................................... 211 7.1.1 Sind Lehrer mehr gefährdet als andere? ......................................................... 211 7.1.2 Gesundheitsrisiken und Disengagement ....................................................... 214 7.2 Modell und Methode ............................................................................................. 216 7.2.1 Untersuchungsgruppe und Instrumente........................................................ 217 7.2.1 Engagierte und Disengagierte ....................................................................... 218 7.3 Ergebnisse ............................................................................................................... 219 7.3.1 Überblick ....................................................................................................... 219 7.3.2 Depressive Tendenzen ................................................................................... 222 7.3.3 Erfolgserleben, Feedback und Resignation .................................................... 226 7.3.4 Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout .............................................. 229 7.3.5 Lehrer-Selbstwirksamkeit ............................................................................. 231 7.3.6 Psychosomatische Beschwerden.................................................................... 235 7.3.7 Emotionale Labilität ..................................................................................... 236 7.3.8 Verausgabungsbereitschaft oder Angst vor Kontrollverlust? ....................... 238 7.4 Arztbesuche und Pensionierungsabsichten. ...................................................... 240 7.5 Fehltage und Krankmeldungen ........................................................................... 242
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Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehrern .................. 251 8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit............................................... 251 8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch ............................................ 264 8.3 Belastungserleben: Eine Bedingung der Inneren Kündigung? ........................ 272 8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung ............................................. 275 8.4.1 Innere Kündigung ohne Emotionale Erschöpfung? ........................................ 276 8.4.2 Innere Kündigung mit vs. ohne Erschöpfung ................................................ 277 8.4.3 Vorkommen der EE in den drei IK-Gruppen ................................................... 283 8.4.4 Belastung und Erschöpfung ............................................................................ 285 8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer .......................................................................... 286
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Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern.................................. 293 9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz ............................................................... 294 9.1.1 Das Aufgabenspektrum von Schulleitern ....................................................... 294 9.1.2 Was Schulleiter von Schulleitern erwarten .................................................... 296 9.1.3 Die Rahmenbedingungen der Schulleiter-Lehrer-Beziehung ......................... 298 9.1.4 Der theoretische Ansatz ................................................................................. 303 9.2 Methode .................................................................................................................. 304 9.2.1 Untersuchungsgruppe .................................................................................... 304 9.2.2 Die Methode der Datenerhebung.................................................................... 304 9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht................................................... 305 9.3.1 Die Inhalte der Psychologischen Verträge ...................................................... 305 9.3.2 Präferenzen der vertraglichen Erwartungen .................................................. 306
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9.4
9.5
9.6 9.7
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9.3.3 Welche Lehrer-Erwartungen Schulleiter vermuten ....................................... 308 9.3.4 Unangemessene Erwartungen an die Schulleitung ...................................... 309 9.3.5 Unerfüllte Vertragsverpflichtungen ............................................................... 309 Vertragsbruch und Disengagement durch Innere Kündigung........................ 312 9.4.1 Die Verbreitung von Disengagement und IK unter Schulleitern .................. 312 9.4.2 Der erlebte Bruch des Psychologischen Vertrags............................................ 315 Einsatz oder innerer Rückzug .............................................................................. 316 9.5.1 Die Prüfung der Gruppenzugehörigkeit der Fälle .......................................... 317 9.5.2 Gruppendifferenzen in der Realisierung von Erwartungen ........................... 318 9.5.3 Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung ............................. 321 Folgen der Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung ............ 323 Personale Gründe für Innere Kündigung bei Schulleitern............................... 324
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Disengagement bei Schülern ...................................................................................... 327 10.1 Ziele und Problemlage .......................................................................................... 327 10.2 Der theoretische Ansatz ........................................................................................ 330 10.3 Untersuchungsgruppe und Datenerhebung ...................................................... 331 10.3.1 Voruntersuchungen ....................................................................................... 331 10.3.2 Die Hauptuntersuchung ............................................................................... 334 10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK) ................................. 335 10.4.1 Die Verbreitung des Disengagements (IK) unter Schülern.......................... 335 10.4.2 Disengagement bei weiteren Schülerstichproben ......................................... 336 10.4.3 Gründe für ein Disengagement: Nicht-Erfüllung von Erwartungen .......... 341 10.5 Engagierte und disengagierte Schüler ................................................................ 347 10.5.1 Die Prüfung der Gruppenzugehörigkeit der Fälle ....................................... 347 10.5.2 Die Erwartungen der engagierten und der disengagierten Schüler ............. 349 10.5.3 Realisation der Erwartungen bei den Schülern ............................................ 351 10.6 Weitere Vergleiche von engagierten und disengagierten Schülern ................ 354 10.6.1 Identifikation mit der Schule ........................................................................ 354 10.6.2 Zufriedenheit ................................................................................................ 355 10.6.3 Frustration ................................................................................................... 356 10.6.4 Enttäuschung durch die Lehrer .................................................................... 356 10.7 Zusammenfassung ................................................................................................. 357
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Engagierte Lehrer – erfolgreicher Unterricht ........................................................... 359 11.1 Theoretische Skizze zum Engagement ................................................................ 359 11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement ..................................................... 365 11.2.1 Engagierte Lehrer aus Sicht der Schuladministration.................................. 366 11.2.2 Engagierte Lehrer aus Sicht von Schulleitern .............................................. 367 11.2.3 Engagierte Lehrer aus der Sicht ihrer Kollegen ............................................ 369 11.2.4 Die Merkmale engagierter Lehrer aus Schülersicht...................................... 372 11.2.5 Lehrer aus der Sicht von Studierenden......................................................... 374
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Inhaltsverzeichnis 11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement ............................................................................................... 375 11.3.1 Lehrerpersönlichkeit ..................................................................................... 376 11.3.2 Personenbezogenes Engagement: Schule, Schulleitung, Kollegium ............. 378 11.3.3 Personenbezogenes Engagement: Lehrer-Schüler-Beziehung....................... 378 11.3.4 Tätigkeitsbezogenes Engagement und Professionalität ................................ 380 11.4 Warum manche Lehrer sich disengagieren und andere nicht. ........................ 382
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Ausblick.......................................................................................................................... 385
Bibliografie............................................................................................................................. 387 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 399 Tabellenverzeichnis.............................................................................................................. 402
1 Annäherung an ein Konstrukt 1 Annäherung an ein Konstrukt
1.1 Lehrer-Engagement 1.1 Lehrer-Engagement Engagiert zu sein bedeutet, ein starkes persönliches Interesse an etwas haben, sich für etwas verpflichtet und an etwas gebunden fühlen, sich für etwas einsetzen und einen geistigen Standpunkt vertreten (vgl. Duden). Das Lehrer1-Engagement ist auf die berufliche Tätigkeit im Berufs(um)feld „Schule“ bezogen, d. h. konkret, auf die Tätigkeit mit den Schülern, also im Wesentlichen das Unterrichten, auf die Arbeit mit der Schulleitung und mit den Kollegen und – soweit es sich um nicht volljährige Schüler handelt und der Kontakt gewünscht wird – mit den Eltern und, bei Berufsschulen, mit den Ausbildungsbetrieben. Lehrer-Engagement ist Einsatz für die Schule, für die Schüler und für einen professionellen Unterricht im Gegensatz zum Rückzug von diesem Einsatz. Lehrer-Engagement ist als ein positiver motivationaler Zustand definiert, sich für die Schule und die Schüler einzusetzen und sich für diese verpflichtet zu fühlen. Dazu gehören die Einstellung, wesentliche Anteile der Arbeitskraft in diese zu investieren, das Interesse an Neuem in der Schule und in der Schulentwicklung und die Identifikation mit der schulischen Tätigkeit und mit der Organisation Schule. Wesentliche Kenzeichen des Lehrer-Engagements sind Verantwortung und Einsatzbereitschaft statt Rückzug, verbunden mit dem Gefühl der Verpflichtung für die amtlichen Aufgaben des Unterrichtens, des Lernerfolgs und der charakterlichen Förderung der Schüler. Wichtige Begleitemotionen des Engagements sind die Freude am Unterrichten, die Begeisterung für die schulische Tätigkeit und gelegentlich – bei Erfolgen mit den Schülern – eine gewisse Hochstimmung. Bei der Beobachtung engagierter Lehrpersonen während des Unterrichts und bei Diskussionen sind diese Begleitemotionen oft zu spüren. Diskussionen können leidenschaftlich geführt werden, etwa wenn es um das Schicksal einzelner Schüler geht; während der Ruhephasen, nach Feierabend, am Wochenende und in Zeiten der Erholung breitet sich Zufriedenheit aus. Die Nähe des Begriffs des Engagements zu den theoretischen Begriffen Identifikation, Commitment und Involvement, auf die später eingegangen wird, ist offenkundig. Engagement gilt als eines der bedeutsamen Merkmale professioneller Lehrer. Das wird u. a. dadurch unterstrichen, dass „Engagement“ der Titel einer Lehrerzeitschrift2 1 Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwenden wir die jeweils männlichen Formen, also Lehrer, Schüler, Schulleiter usw., wobei wir selbstverständlich die Lehrerinnen, Schülerinnen, Schulleiterinnen usw. stets einschließen. 2 Die Zeitschrift wird vom Arbeitskreis Katholischer Schulen herausgegeben.
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Annäherung an ein Konstrukt
ist. Ulich (1996b) fragt, ob (hohe) Erwartungen junger Lehrer nicht eigentlich sinnvoll, ja für einen pädagogischen Beruf notwendig sind (S. 99f) und antwortet zu Recht, dass sie einerseits eine einigermaßen realistische Einstellung brauchen, um mit den oft belastenden Bedingungen zurecht zu kommen, „andererseits dürfen Idealismus und Engagement in der Berufstätigkeit nicht völlig verloren gehen, weil der Beruf sonst zum Job verkommt.“ Engagement ist ein zentrales Element im theoretischen Ansatz von Rauner et al. (2009) und Engagement ist auch ausdrücklich im AngebotsNutzungs-Modell von Helmke als Merkmal der professionellen Lehrer ausgeführt. (Helmke, 2005; 2009, S. 73; S. 116). In diesem Modell werden die Merkmale des Unterrichts professioneller Lehrkräfte integriert. Viele Merkmale, die in Helmkes Modell auftreten, wären ohne das Engagement der Lehrer gar nicht möglich: die gute Klassenführung, die Qualität der Lehr-Lern-Prozesse, das Klassenklima, die Aktivierung und Motivierung der Schüler, die Schülerorientierung und die Angebotsvielfalt. Engagement hat sich in der Forschung zum Unterrichtserfolg als wirksame Variable erwiesen, beobachtbar an Gestik, Modulation in der Stimme, Blickkontakt mit den Schülern, Standortwechsel, Humor, klare und durchdachte – offenkundig vorbereitete – Erklärungen von Zusammenhängen, so dass seitens der Schüler kaum Verständnisschwierigkeiten auftauchen, zweckmäßiger Medieneinsatz, angepasste Methoden und Methodenvielfalt und bildhafte, illustrierende Beispiele (vgl. Helmke, 2009, insbesondere Professionsstandards S. 105ff). Das ist aber bei weitem nicht alles. Viele Merkmale des engagierten Lehrers werden noch zu erörtern sein. Ein Merkmal des Engagements ist jedoch zentral: Engagement könnte mit einer gesundheitsfördernden psychischen Funktion verbunden sein, denn engagierte Lehrer neigen weder zur persönlichen Enttäuschung noch zur emotionalen Erschöpfung und zu Zynismus. In zwei voneinander unabhängigen Studien (Schmitz, 1998; Schmitz & Leidl, 1999) an Sozialwissenschaftlern (Studie I) und an Lehrern (Studie II) wurde die These widerlegt, dass entflammt gewesen sein muss, wer später enttäuscht wird und ausbrennt. Es zeigte sich ganz im Gegenteil, dass jene Lehrer, die bei Berufsbeginn engagiert und begeistert waren, ca. zehn Jahre später weder enttäuscht waren, noch zur Enttäuschung, zur Erschöpfung oder zum Zynismus neigten. Enttäuscht und vom Burnout gefährdet waren vielmehr jene Lehrer, die mit unrealistischen, unklaren Ansprüchen in den Beruf gegangen waren. Die „unrealistischen Ansprüche“ haben später im Berufsleben eine enge Beziehung zum Merkmal Enttäuschung. Das Engagement bei Berufsbeginn hat dagegen keinerlei Beziehung zur späteren Enttäuschung (vgl. Studie I und Studie II in beiliegendem Kasten). Die Daten wurden einer statistischen Reanalyse unterzogen: Als Konsequenz einer schrittweisen Diskriminanzanalyse wurden von sieben unabhängigen Variablen in Schritt 3 nur noch die zwei Variablen „unrealistische Ansprüche“ und „Engagement“ berücksichtigt. Die Koeffizienten mit der Gruppierungsvariable (Enttäuschung) sind für die „unrealistischen Ansprüche“ 0,69, für das Engagement -0,65: Diese Zahlen sind deutlich. Von den Personen wurden 83,5% korrekt klassifiziert. Damit wurde zweimal unabhängig voneinander belegt, dass
1.1 Lehrer-Engagement
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Engagement und Begeisterung eine puffernde Wirkung gegen Enttäuschung und Burnout zukommt (Schmitz, 1998; Schmitz & Leidl, 1999). Die Studien I und II: In Studie I an 207 Sozialberuflern wurden anhand einer retrospektiven Befragung folgende Zusammenhänge gefunden: Die „unrealistischen Ansprüche“ („Ich wollte Einfluss nehmen, ...die Welt verbessern, ...hatte Träume“ (α = 0,69) korrelieren signifikant mit „Enttäuschungen“ (r = 0,45; p < ,000) und mit Burnout (r = 0,33; p < 0,000); die „Enttäuschungen“ korrelieren ihrerseits mit Burnout (r = 0,47, p < 0,000). Die Enttäuschung wurde mit den Fragen erkundet: „Haben Sie irgendwann das Gefühl gehabt, dass es nicht so klappt, wie Sie es sich vorgestellt hatten ?, ... dass andere von Ihnen enttäuscht waren ?, ... dass Sie von sich selbst enttäuscht waren ?, ... den hohen Erwartungen nicht nachkommen konnten ?“ u. ä. (α = .0,79). Der Burnout wurde nach Pines et al. (1981) gemessen. Alle anderen erfragten personalen Merkmale weisen keine Korrelationen in nennenswerte Höhe zur Enttäuschung bzw. zum Burnout auf. Die Begeisterung wurde mit Items thematisiert wie: „Ich war total begeistert“, „ ... fühlte mich sehr optimistisch“, „ ... hatte Erfüllung gefunden“, „ ... fühlte mich an der richtigen Stelle“, „ ...war voll entflammt“ und „Ich war sehr engagiert“ (α = 0,87). In der Strukturanalyse (LISREL 7.20) wird die Bedeutung der „unrealistischen Ansprüche“ für das spätere Ausbrennen deutlich. Der Pfadkoeffizient zwischen „unrealistischen Ansprüchen“ und „Enttäuschungen“ ist 0,43, zwischen „Enttäuschungen“ und Burnout 0,39, während alle anderen Koeffizienten (incl. Begeisterung und Enttäuschung) zwischen 0,00 und 0,11 liegen. Damit wird eine klare strukturelle bzw. hypothetisch „kausale“ Beziehung – in der Sprache der Strukturanalyse – von den „unrealistischen Ansprüchen“ über „Enttäuschungen“ zum Burnout dominant. Das Modell kann mit χ2 = 7,82 (p = 0,.65) und den Fit-Werten von 0,99 und 0,96 als bestätigt gelten. Studie II: (Download möglich unter: www.edgar-schmitz.de) Zwecks Replikation der Studie I wurden 103 Lehrpersonen verschiedener öffentlicher Schulen (73% Männer) retrospektiv nach ihren Gefühlen zum Lehrerberuf bei Berufsbeginn vor 5 - 10 Jahren befragt. Engagement und Begeisterung bei Berufsbeginn sowie die spätere Enttäuschung wurden wie in Studie I erhoben, der Burnout mit dem MBI (25 Items, an die schulische Tätigkeit adaptiert, α = 0,85). Die Korrelationskoeffizienten bzw. die Pfadkoeffizienten (LISREL) sind zwischen unrealistischen Ansprüchen und Enttäuschung: 0,38** bzw. 0,35**; zwischen Engagement bzw. Begeisterung und Enttäuschung: -0,47** bzw. –0,39**. Das Modell wird mit χ2 = 2,65, p = 0,62, df 4, GFI 0,99, Residualwert 0,02, angenommen.
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1 Annäherung an ein Konstrukt
Der mögliche Einwand, dass eine hohe Begeisterung im Sinne von Enthusiasmus während des Unterrichts auf die Dauer eher lächerlich wirken könnte, wird durch die Verteilung (Abbildung 1.1) insofern eingeschränkt, da dieser Extremwert, den man mit „Enthusiasmus“ bezeichnen könnte, nur bei knapp 2% der Lehrer erscheint. Abbildung 1.1: Prozentsatz der Lehrkräfte und Grade der Begeisterung
50 40 30 20 10 0 Begeisterung
nie
se lten
m itte l
oft
stets
1,9
11,7
46,6
37,9
1,9
*Anmerkung: Items für Begeisterung siehe Kasten. Tätigkeitsbezogenes Engagement mit Freude und Begeisterung korrelieren also negativ mit beruflicher Enttäuschung und mit dem Erschöpfungssyndrom bei Lehrern (Schmitz & Leidl, 1999). Ähnlich belegen die Befunde von Moyle (1995) und von anderen dort zitierten Autoren, dass die Lehrerwahrnehmung der beruflichen Anforderungen und Ressourcen wesentlich durch ihre eigene emotionale und motivationale Konstitution gefärbt ist. Auch für Unternehmen gilt: Tätigkeitsbezogene Einstellungen und Gefühle haben offenkundig eine wichtige Bedeutung für die Arbeitnehmer und für die Organisation. In mehreren Publikationen ist gut belegt, dass hoch motivierte und engagierte Mitarbeiter die Produktivität eines Betriebes deutlich erhöhen können, während negative Gefühle und eine geringe Motivation einerseits mit einer Gefährdung der Gesundheit der Mitarbeiter einhergehen können und andererseits mit steigenden Kosten für den Betrieb verbunden sind (beispielsweise Klusmann et al., 2008, dort weitere Literatur). Tätigkeitsbezogenes Engagement hat erst in letzter Zeit die Aufmerksamkeit einiger Forscher auf sich gezogen. Eine Umorientierung hat stattgefunden von einer Defizit-Forschung (z.B.Burnout) hin zur Erforschung von Professionalität, Kompetenzen und eben auch Engagement. In der internationalen Forschung wurde die Rolle von Engagement in Kategorien wie Involvement und Commitment beschrieben. Das trifft ebenso auf die deutschsprachige Forschung zur Inneren Kündigung zu.
1.2 Facetten des Disengagements
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Wenn man nahe am Begriff des Engagements bleibt, dann ist die logische Verneinung von Engagement das Disengagement (oder, je nach sprachlicher Präferenz, das Deengagement). Auch unter empirischem Gesichtspunkt ist das Engagement, als Einsatz für etwas, der Gegenpol zum Disengagement, als Rückzug von etwas. Sobald man zu den oben genannten Facetten des Begriffs des Engagements, einschließlich Involvement und Commitment, das negative Pendant rekonstruiert, erhält man einen neuen Begriff: Zum äußeren Rückzug kommt der innere Rückzug von der beruflichen Tätigkeit, die Verneinung der Verpflichtung (Commitment), die Ablehnung der inneren Bindung (Involvement in den unterschiedlichen Facetten) an die Tätigkeit bzw. an die Organisation, die Aufgabe der Identifikation mit einem positiven geistigen Standpunkt und der Verlust des Interesses am Beruf. Und jetzt folgt eine erstaunliche Entdeckung: Das alles taucht in den Definitionen der Inneren Kündigung auf, und zwar ziemlich genau und zum Teil sogar wörtlich: Höhn, der erste Autor der Inneren Kündigung, definierte diese als den „bewussten Verzicht auf Engagement und Eigeninitiative im Unternehmen und damit die Ablehnung einer der wichtigsten Anforderungen, die an einen Mitarbeiter zu stellen sind. Der Mitarbeiter will zwar seine Stellung im Unternehmen behalten, beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren. Er distanziert sich vielmehr innerlich vom Betriebsgeschehen und verhält sich soweit wie möglich passiv.“ (1983, 17). Diese Definition wird bis heute im Kern allgemein akzeptiert. Folglich ist es sachlich richtig, Engagement und Disengagement gegenpolig auf einem Kontinuum zu verorten, wobei die Innere Kündigung – mehr oder weniger, was noch zu klären sein wird – das Extrem des Disengagements kennzeichnet. Diese Entdeckung ist ein Grund dafür, dass wir uns den Facetten des Disengagements zuwenden. Mit der Klärung dessen, was Disengagement ist, wird das Ziel der Klärung von Engagement bei Lehrern verfolgt.
1.2 Facetten des Disengagements 1.2 Facetten des Disengagements 1.2.1 Typische Merkmale In Wirtschaftsunternehmen wurde beobachtet, dass einige Mitarbeiter kein Engagement (mehr) bei der Arbeit und keine Initiative zeigten. Sie überließen Entscheidungen auch einfachster Art den Kollegen oder dem Vorgesetzten. Sie warteten auf Anordnungen vom Vorgesetzten, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Insgesamt verhielten sie sich passiv. Mitarbeiter, die früher kritisch mit dem Vorgesetzten diskutiert hätten, zögen sich zurück und seien zu Jasagern geworden. Sie vermieden jede Auseinandersetzung. Erstmals wurde dieses Verhalten von Höhn (1982) unter dem Begriff „innere Kündigung“ geschildert. Einen Katalog typischer Merkmale oder Indikatoren, manche sprechen sogar von Symptomen (Brinkmann und Stapf, 2005) der innerlich Kündigenden haben Echterhoff, Poweleit, Schindler (1994, 216-220) und Poweleit, Schindler, Krenz (1997, 33-37) sowie Krystek et al. (1995, S. 45) zusammengestellt: „Ein Mitarbeiter hat
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1 Annäherung an ein Konstrukt
innerlich gekündigt, wenn er kein Interesse mehr an Auseinandersetzungen hat, zum typischen Ja-Sager geworden ist, sich stets bei der Mehrheit befindet, keine Vorschläge und keine Kritik mehr einbringt, Entscheidungen von Vorgesetzten kommentarlos akzeptiert, seine Kompetenzen nicht mehr völlig ausschöpft, Eingriffe in seinen Delegationsbereich hinnimmt, äußerlich noch irgendwie mitspielt, die Grenzen der Auffälligkeit genau kennt und sie geschickt unterschreitet“. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen ihren Einfallsreichtum, ihre Arbeitslust, das positive Miteinander mit ihren Kollegen und Vorgesetzten auf und zeigen dafür mehr angepasstes Verhalten ohne ehrliche, spontane engagierte Reaktionen. ... Mit innerer Kündigung stellt sich ein Klima der Distanz, der Unterkühlung und der Pseudoharmonie ein. Humor und Bereitschaft der Mitarbeiter, sich gegenseitig zu helfen und Informationen bereitwillig zu geben, sind nur geringfügig oder gar nicht ausgeprägt.“ Nur geringe Abweichungen zeigen sich bei Krystek, Becherer und Deichelmann (1995). Die folgenden Verhaltensweisen können als Symptome für Innere Kündigung betrachtet werden: „Der innerlich Kündigende versucht, seine Arbeit auf ein Minimum zu reduzieren, ohne aufzufallen, d.h., er muss seine wirkliche Arbeitsleistung geschickt tarnen. Wegen des Tarnungsverhaltens und der Komplexität des Phänomens ist die Innere Kündigung nur schwer zu erkennen.“ Hinzu kommen Verhaltensweisen wie: kein Karriereinteresse, Ablehnung jeglicher Aufstiegsmöglichkeiten, zunehmende Fehlzeiten wegen Familie und Krankheit, übetrtrieben angeneh im Umgang, zurückhaltendes Auftreten und Nutzen von Freiräumen während der Dienstzeit für persönliche Interessen.Vor der Gefahr aufkommender Lustlosigkeit durch Routine im Lehrerberuf hat bereits 1908 der Pädagoge Matthias (1908) gewarnt. Was ist beobachtbar an der Inneren Kündigung? Nur was jemand tut, ist beobachtbar. Manche Beschreibung der Merkmale der IK gehen weit über Beobachtbares hinaus: Beispielsweise über Beamte schreibt Höhn: „Der Beamte hält sich strikt an die Regelarbeitszeit“ und andererseits „nimmt er jetzt jede Gelegenheit zur Krankmeldung wahr“, „während er früher zu denjenigen gehörte, die selbst in typischen Grippezeiten nicht auffielen“, „Besprechungen . . . geht er aus dem Wege“, „Freiräume während der Dienstzeit nutzt er für seine persönlichen Interessen aus“, „er zeigt auch keinerlei Interesse mehr an den in seinem Bereich erzielten Ergebnissen und ist auch nicht bereit, einzuspringen, wenn sich Schwierigkeiten ergeben“. (1989, S. 22f). Nach einer Befragung von Personalleuten ermittelten Krystek et al. (1995, S. 59) folgenden Befund: 81% gaben höhere Fehlzeiten an, 71% nachlassende Bereitschaft zur Fortbildung außerhalb der Arbeitszeit, 69% Verschlechterung des Qualitätsniveaus, 63% sinkende Produktivitätszahlen bei steigender Bearbeitungszeit, 62% steigende Reklamationen, 56% rückläufige Verbesserungsvorschläge, 42% steigende Fluktuation. Merkmale wie Absentismus, Fluktuation, Anstrengungsbereitschaft u. ä. werden mit (mangelndem) Commitment ebenso erklärt wie mit Involvement (vgl. Kanungo, 1982). Dem gemäß wurde von verschiedenen Autoren zwischen beiden Merkmalen signifikante Korrelationen von r = 0,18 bis 0,61 gefunden (Lauck, 2003, S. 122; 2005, S.151). Entsprechende negative Beziehungen zur IK wären plausibel. Eine ebenfalls an Personalleuten erhobene Befragung von Brinkmann und Stapf (2005, S. 20f) ergab eine
1.2 Facetten des Disengagements
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Zustimmung von 66% zu der Aussage: „Unter innerer Kündigung verstehe ich ... den stillen und bewussten Entschluss eines Mitarbeiters – der seine Stelle behalten möchte – sich in keiner Weise mehr einzusetzen ...“, „ - den lautlosen Prozess der bewussten Verweigerung von Engagement ...“ (33%), „ - die gedankliche Vorstufe des Mitarbeiters, dem Unternehmen zu kündigen ..“ (28%), „ - eine Dienst-nach-VorschriftMentalität...“ (17%), und „- ein drastisches Zurücknehmen der Leistungsbereitschaft.“ (15,5%). Die Autoren fassen zusammen: Die innere Kündigung „wird bewusst vollzogen, der Mitarbeiter möchte die Stelle behalten, die wesentliche Ursache sind enttäuschte Erwartungen an die Arbeitssituation, die nicht verändert werden kann“ (S. 21). Manche Vorgesetzten schätzen derartige Verhaltensänderung. Das ist in der Handlungspsychologie im Sinn einer negativen Verstärkung für die Vorgesetzten aufzufassen. Gelegentlich werde dieser Mechanismus von Mitarbeitern strategisch eingesetzt. Sie äußern anfangs Bedenken, zögen sie dann zurück, um dem Vorgesetzten das Gefühl und die Genugtuung zu verschaffen, über die besseren Argumente zu verfügen. Manche Mitarbeiter schöpfen ihre Kompetenzen nicht aus und nicht selten werden Aufgaben an den Vorgesetzten zurückdelegiert mit dem Hinweis, er verfüge über langjährige Erfahrung. Indirekt ist das ein Verweigern der Übernahme von Verantwortung. Die Übertragung von neuen Aufgabenbereichen und erweiterten Kompetenzen, die andere als Auszeichnung betrachten, würden abgelehnt, sogar Aufstiegschancen würden zurückgewiesen. Damit einher gehe eine Zunahme von Fehlzeiten aus nichtigen Anlässen. Mitarbeiter mit Leitungsfunktion neigen zum Führungsstil des Laissez-faire In der Kommunikation mit Kollegen zeige sich eine Abnahme der Aktivitäten. Diese Verhaltensweisen sind Signale, sie verdichten sich zu einem Verhaltensmuster.
1.2.2 Definitionen der Inneren Kündigung Für dieses Verhaltensmuster des Disengagements, das er wiederholt beobachtet hatte und das ihm auch von anderen beschrieben wurde, wählte Reinhard Höhn den Begriff „Innere Kündigung“ (1982; 1983, S. 35, 58f, 70). Dieser Begriff wurde erstmals von ihm in der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) vom 18.01.1982 verwendet und von Vertretern des „Bad Harzburger Modells“ benutzt (Höhn, 1983, 1989; Raidt, 1987). Die Innere Kündigung sei an Signalen der beschriebenen Art in der Interaktion des Mitarbeiters mit Kollegen und Vorgesetzten erkennbar (Höhn,1983, 35). „Die Innere Kündigung beschreibt eine Distanzierung von der beruflichen Pflichterfüllung und eine Minimierung des Arbeitseinsatzes.“, sie sei der bewusste Verzicht auf die persönliche Einsatzbereitschaft im Unternehmen. In Bezug auf seine Beschreibung muss zugegeben werden, dass Höhn sich nicht immer exakt auf der Ebene der Verhaltensbeschreibung bewegte. Vielmehr ließ er Deutungen und interpretative Begriffe in seine Erläuterungen des Begriffs der Inneren Kündigung einfließen. Bereits der Ausdruck „innere“ Kündigung ist
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1 Annäherung an ein Konstrukt
eine Interpretation. Der „Erfinder“ der Inneren Kündigung, Höhn, tut sich schwer, die beobachtbare Seite dieses Phänomens in einer nachvollziehbaren Beobachtungssprache zu beschreiben. Seine Ausführungen sind nicht frei von (pseudo-) psychologischen Deutungen. Termini wie „bewusst“, „Absicht“, „schizophren“ u. dgl. tauchen in seinen Texten ohne klaren theoretischen Bezug auf. Er benutzt die Termini als alltagssprachlichen Jargon. Höhn definierte: „Die Innere Kündigung eines Mitarbeiters ist der bewusste Verzicht auf Engagement und Eigeninitiative im Unternehmen und damit die Ablehnung einer der wichtigsten Anforderungen, die an einen Mitarbeiter zu stellen sind. Der Mitarbeiter will zwar seine Stellung im Unternehmen behalten, beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren. Er distanziert sich vielmehr innerlich vom Betriebsgeschehen und verhält sich soweit wie möglich passiv.“ (Höhn, 1983, 17). Der Ausdruck „bewusst“ meint zweifellos „beabsichtigt“, denn „der bewusste Verzicht auf Engagement“ wird im zweiten Satz erläutert: „ . . . beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren.“ Bewusster Verzicht und Ablehnung sowie innere Distanzierung sind motivationale bzw. mentale Ereignisse. Die innerlich kündigende Person weiß, was sie tut, und sie will/ hat die Absicht, zu tun, was sie tut, nämlich innerlich, aber nicht äußerlich-formal, zu kündigen und sich entsprechend zu verhalten. Somit ist die Innere Kündigung ein innerer, motivationaler prozessualer Zustand, dem ein bestimmtes Verhaltensmuster zugeschrieben wird. Die Ausführungen von Reinhard Höhn sind auf eine theoretische Definition hin angelegt, die einige Verhaltensmerkmale – nicht Symptome – impliziert. Damit begibt er sich in den Rahmen der Motivationspsychologie. IK ist demnach ein Phänomen der Demotivierung oder, m. a. W. des Disengagements. Sie ist eine bewusste, beabsichtigte Reaktion, und zwar, wie Höhn weiter ausführt (1983, 23ff), auf demotivierendes Führungsverhalten durch Vorgesetzte. Aber eine stringente Theorie der Inneren Kündigung legt Höhn nicht vor. Innere Prozesse können allein durch äußere Indikatoren wie eben Verhaltensmerkmale bzw. Verhaltensmuster erschlossen werden. Offenbar werden bestimmte äußere Merkmale oder beobachtbare Indikatoren der Inneren Kündigung implizit mitgedacht, ohne sie in der Definition Höhns ausdrücklich als solche zu kennzeichnen, nämlich Indikatoren für ein reduziertes Engagement, für verminderte Initiative und passives Verhalten im Unternehmen. Höhn hat noch eine zusätzliche Facette der Inneren Kündigung eingeführt: Die Selbstpensionierung erfolgt, im Unterschied zur IK, ohne erkennbaren betrieblichen Anlass. Im Fall der Selbstpensionierung liegt kein Fehlverhalten etwa von Vorgesetzten oder Kollegen vor. Der Selbst-Pensionist ist der Auffassung, genug gearbeitet zu haben und dass nun andere etwas leisten müssten. Er wolle nunmehr seine Lebensqualität erhöhen und habe ein Recht darauf (Höhn, 1983, S. 93f). Der Grund für diese Einstellung liege in der „Pseudo-Revolution“ in den 60er und 70er Jahren, speziell im Jahr 68, die zur Ablehnung der Leistungsgesellschaft und zu Fehlvorstellungen von Freiheit und Selbstverwirklichung geführt hätten (ebd. S. 129).
1.2 Facetten des Disengagements
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„Die in der Arbeitssituation auftretende Problematik der ‚inneren Kündigung’ aus praktischen und theoretischen Perspektiven zu beleuchten und sich dabei nicht auf einzelne Dimensionen (z. B. Führungsproblematik) zu beschränken . . .“, vielmehr die im sozialen System stehende Wechselwirkung von Mitarbeitern und Unternehmung zu betrachten, um beiden eine wissenschaftlich fundierte und zugleich praxisrelevante Informationsbasis aus wirtschaftspsychologischer Sicht zu verschaffen, war das Ziel von Winfried Löhnert (1990, S. 7). Er leitet den Begriff der inneren Kündigung von dem der offenen Kündigung her. Generell handle es sich bei der IK um Einstellungen und Verhaltensweisen, die auf einem bewusst gefassten Entschluss beruhen, ebenso wie bei der offenen Kündigung (S. 13; 29f). Damit begegnen Mitarbeiter einer dauerhaft als aversiv erlebten Arbeitssituation. „Faktisch unterscheidet sich der Zustand der IK von dem der offenen Kündigung dadurch, dass der Mitarbeiter im Fall der IK weiterhin im Unternehmen anwesend ist, dort die ihm übertragenen Aufgaben mit Routine aber wenig Engagement löst und als Gegenleistung Lohn oder Gehalt bezieht. Zu vermuten ist, dass die Einstellung zur Arbeit bei der offenen und der inneren Kündigung in weiten Teilen identisch ist: ‚Ein Mensch verliert die Lust und das Interesse an der Arbeit’“, er ist disengagiert (S. 26), aber aus welchen Gründen auch immer kann er nicht offen kündigen. Der Unterschied zur offenen Kündigung liegt darin, dass der Mitarbeiter im Fall der offenen Kündigung das Unternehmen verlässt. Löhnert gelangt zur folgenden Definition: „Unter der inneren Kündigung ... wird eine Einstellung, die sich in Wechselwirkung zwischen Meinungen und Erwartungen der Mitarbeiter herausbildet, und zugleich ein auf dieser Einstellung beruhendes Verhalten verstanden. Unterschiedliche Ausprägungen der inneren Kündigung führen jeweils ... zu einer dauerhaften, bewussten Verweigerung gegenüber Arbeitsaktivitäten, die über die von der Unternehmung aufgrund von Sanktionen durchsetzbaren Minimalanforderungen hinausgehen.“ Kennzeichnend für den zur IK führenden Prozess „ist ein Verhalten, welches sich zunehmend an der Vermeidung von negativen Konsequenzen orientiert. Dieses geht einher mit einer sich im Laufe der Zeit immer mehr verringernden Bereitschaft ehemals aktiver Mitarbeiter, sich über die noch kontrollierbar empfundenen Bereiche hinaus für die Arbeit im Unternehmen zu engagieren“ (S. 39). Die „Einstellung“ eines Mitarbeiters zu seiner Arbeit kann als seine subjektive Bewertung der Arbeit definiert werden. Der Wert kann positiv, neutral bis negativ, mit Abstufungen, sein. Diese Einstellung existiert nicht isoliert, sondern es bestehen Beziehungen zu den Bewertungen durch das Unternehmen, die Führungspersonen, die Kollegen etc. (S. 29). IK wird nicht als individuelles Defizit betrachtet, sondern als Anzeichen einer krisenhaften Arbeitswelt. Der Grund für eine negative Bewertung der Arbeit liegt nach Löhnert angesichts des massiven Auftretens nicht einfach in einer subjektiv verzerrten Wahrnehmung, sondern in den objektiv aversiven Gegebenheiten der Arbeitssituation (ebd. S. 26). Weitere Gründe für eine negative Bewertung der Arbeit sind negative „schmerzhafte Erfahrungen in der Arbeitssituation“ (S. 30), „dauerhafte, negative Erfahrungen von Einschränkungen“ der eigenen „Entwicklungsmöglichkeiten und der Zurückweisung
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1 Annäherung an ein Konstrukt
bereits entwickelter Handlungspotentiale“ (S. 32), die Erfahrung, dass Engagement und Investitionen keine oder nur negative Konsequenzen mit sich bringen, dass aber umgekehrt eine Förderung der eigenen Ziele bzw. Entwicklungsziele nicht erfolgt, insgesamt ein intensives und permanentes Erleben von Misserfolgen in der Arbeit (S. 33). Im Zuge der dauerhaft negativen Erfahrungen wächst zunehmend die Überzeugung, keine Kontrolle mehr über das Auftreten von verstärkenden Ereignissen zu haben, d. h. das Auftreten und die Art und Weise der Rückmeldungen ist nicht mehr abhängig vom Verhalten der Mitarbeiter. Die Reaktion auf den Kontrollverlust ist oft eine Vermeidung von aversiven Situationen in der Arbeit. So ist die Funktion der IK der Schutz des Selbstwertes. Die Bereitschaft, den Entschluss zur IK zu fassen, taucht nach Löhnert nicht plötzlich auf, sie wächst im Laufe der Zeit aufgrund negativer, „schmerzhafter Erfahrungen in der Arbeitssituation“ an (S. 30). Insofern ist ein Entschluss zur IK von zyklischen Schwankungen der Motivation zu unterscheiden (solche Motivationsschwankungen in der Arbeit sind seit Kraepelin, 1902, bekannt; ebd. Fußnote 33, S. 30). In der Arbeitssituation laufen zwei Prozesse ab: (a) Veränderungen der Arbeitssituation, die sich unabhängig von den Mitarbeitern vollziehen, (b) Veränderungen der Meinungen und Einstellungen der Mitarbeiter zur Arbeit. Die Arbeitssituation entwickelt sich im Wechselspiel zwischen Person- und Situationsfaktoren. Die dauerhafte negative Erfahrung von Einschränkungen der persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und der Zurückweisung bereits entwickelter Handlungspotentiale bedingen geänderte Meinungen, das sind Ansichten zur Arbeitssituation, und sie führen schließlich zur negativen Einstellung gegenüber der Arbeit (32). Dies schlägt sich in einem breiten Spektrum von unterschiedlichen Reaktionen und Verhaltensweisen nieder, dessen Grenzfälle anhand der Schilderung von zwei gedachten Gruppen aufgezeigt werden:
Gruppe A: Viele Mitarbeiter reagieren auf die geschilderte Situation mit einer stets weiter abnehmenden Bereitschaft, sich über die von ihnen kontrollierbaren Bereiche hinaus zu engagieren. Sie tun exakt das, was ihnen aufgetragen wird, zeigen keinerlei Initiative, erledigen die Routinearbeiten und lernen, ihr Verhalten so auszurichten, dass sie für sich negative Konsequenzen vermeiden. Wenn sie permanent erfahren, dass Engagement keine oder nur negative Konsequenzen für sie bringt, beschränken sie sich schließlich auf Minimalanforderungen bei der Arbeit, verlieren das Interesse daran und suchen in der Freizeit Interessenschwerpunkte zu generieren (S. 32). Disengagement dominiert das Verhalten. Gruppe B versteht es, auf aktive Art eine raffinierte Form der Selbständigkeit zu erhalten. Stellten die Mitarbeiter fest, dass sie selbst mit Engagement zur Erreichung der Ziele des Unternehmens beitrügen, von Seiten des Unternehmens
1.2 Facetten des Disengagements
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aber eine Förderung ihrer persönlichen Zielsetzung nicht in entsprechendem Maße erfolgt, empfänden sie dieses Ungleichgewicht als ungerecht. Folglich ist es Ziel dieser Gruppe, Schwächen des Unternehmens auszunutzen (z. B. die Unflexibilität der Bürokratie: Sie führen die Arbeit mit übertriebener Akribie aus). Aufgrund dieser aktiv betrieben Strategie können sie zu einer „gewissen Art der Zufriedenheit“ gelangen (S. 33). Der weitere Prozess wird – spekulativ – mittels eines VierPhasen-Schemas beschrieben (S. 33-40). Über eine empirische Basis verfügt er, abgesehen von 21 Fragebögen, nicht. Seine Hypothese, dass erfolgsorientierte Mitarbeiter bei intensiver Misserfolgserfahrung dazu tendieren, innerlich zu kündigen, konnte nicht nachgewiesen werden. Aber ein paar Hinweise deuten einen Zusammenhang von Un-Kontrollierbarkeit und Innerer Kündigung an. Eine ausschließlich theoretische Studie zu möglichen Ursachen und Folgen der Inneren Kündigung hat Michael Faller (1991; 1993) vorgelegt. Auch er konzipiert die IK als Gegenpol zum Engagement. Aus dem Fundus von Theorien der Psychologie referiert er, wie vorher Löhnert (1990), eine Palette von theoretischen Ansätzen aus der psychologischen, empirischen Forschung zur Arbeitszufriedenheit, zu Stress, Frustration, Hilflosigkeit u.a. für seine kausalen und genetischen Erklärungen der IK. Er hält sich bezüglich Definition und Merkmalsbeschreibung an die früheren Autoren, wesentlich an Höhn (S. 89). Innere Kündigung ist eine Einstellung, an der die drei üblichen Komponenten unterschieden werden können: (1) Die kognitive Komponente mit dem Wissen über betriebliche Bedingungen, über die Arbeitssituation und über die Person des Vorgesetzten, (2) die affektive Komponente mit emotionalen (Unlust, Frustration, depressive Tendenzen bis zur Apathie, Resignation) und wertenden (unbefriedigende und unkontrollierbare Arbeitssituation) Teil-Komponenten und (3) die konative Komponente. Sie betrifft die geringe Bereitschaft zum Engagement und die Bereitschaft zu Fehlzeiten. Auslösende Ursachen sind die Unkontrollierbarkeit der Arbeitssituation und Misserfolgs- mit Hilflosigkeitserfahrung. Unter Situationskontrolle „wird der Grad bzw. die Möglichkeit verstanden, durch eigenes Handeln die Fortdauer aversiv erlebter Arbeitsbedingungen beseitigen bzw. ihr zukünftiges Eintreten verändern zu können.“ (S. 217). Die psychische Ursache liege im Bruch des psychologischen Arbeitsvertrages. Darin stimmt er mit Löhnert (1990), Echterhoff et al. (1994), Krenz (1996) und Richter (1999) überein. Die erste empirisch fundierte Studie auf der Basis einer Befragung von Mitarbeitern hat Anja Krenz (1996) vorgelegt. Das Befragungsinstrument musste sie erst erstellen. Theoretisch steht sie in der Tradition von Echterhoff et al.(1994) und von Höhn (1983). Danach bezeichnet IK „einen persönlichen Zustand, der durch innerliches Abrücken von der Arbeitsumgebung, durch Verweigerung von Eigeninitiative und
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1 Annäherung an ein Konstrukt
Einsatzbereitschaft in Unternehmen gekennzeichnet ist. Innere Kündigung erfolgt nicht offen oder gar formal, sondern informell und ohne Kenntnis des anderen Vertragspartners. Innere Kündigung stellt ein unsichtbares und stilles Sich-Zurückziehen aus Engagement und Verantwortung dar“ (Echterhoff, Poweleit, Schindler & Krenz, 1996, S. 2; Krenz, 1996, S. 2). Mit dieser knappen Definition ist alles bisher Gesagte auf den Punkt gebracht. IK ist ein motivationaler Zustand des Disengagements mit entsprechendem Bezug auf das Verhalten. Auf dieser Grundlage gelingt es Krenz, IK mittels valider Items zu operationalisieren. In der Tradition von Löhnert (1990) und Faller (1991) versteht Gregor Richter (1999) IK als die legitime Reaktion eines Mitarbeiters auf den Bruch eines Inneren Vertrags (S. 122). In seinem Modell sind auf der „Suche nach Anpassungsreaktionen“ unter Abwägung von Opportunität, Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeit drei Reaktionsarten möglich: Widerspruch, Abwanderung oder Innere Kündigung (S. 123, Abb. 1). Er befragte die Belegschaft eines Unternehmens mit dem Kern-Item, ob ernsthaft in Erwägung gezogen wurde zu kündigen. Wer bejahte, d.s. 16,6%, wurde gebeten, die wichtigsten Gründe anzugeben. Diese waren: wenig Aufstiegsmöglichkeiten 50%, Probleme mit Vorgesetzten 29,7%, Unterforderung bei der Arbeit 25%, zu wenig Herausforderungen 21%, Überforderung und Probleme mit Kollegen je 11,5%. Folgende wichtige Ergebnissse gibt er an: IK sei „kein nicht-reversibler Prozess“, findet sich auf allen Ebenen der Organisation, geht mit Arbeitsunzufriedenheit und mit geringem Kontrollerleben einher und mit einem negativen Gesundheitszustand, den er allerdings als Konsequenz der IK versteht. Doch dafür fehlt der Beleg. Mit den angegebenen Gründen könnten Inhalte des inneren Vertrags angedeutet sein. Kai von Massenbach (2000) legte nach Krenz und Richter eine weitere empirische Studie zur IK an einer größeren Untersuchungsgruppe vor. Er hat Daten in einer Bank, einer Versicherung und einer öffentlichen Verwaltung erhoben und definiert IK als Mangel an Commitment und an Involvement. Bindung an die Arbeitsstelle oder Commitment bezeichnet das Motiv, Handlungen, Rollenverhalten oder Beziehungen im beruflichen Tätigkeitsbereich fortzusetzen und in diese zu investieren, weil dieses die Person befähigt, Ziele, Werte und Normen auszudrücken oder zu erreichen (S. 99). Involvement meint hier die Bereitschaft zur Leistung, zu Mehrarbeit, Genauigkeit und die emotionale Beteiligung (Engagement). Diese Merkmale können wenig ausgebildet sein, wenn die aktuelle Arbeitssituation unbefriedigend ist. Die Mitarbeiter distanzieren sich von ihrer Arbeit und Arbeitsstätte zunehmend. Resignation breitet sich aus. Eigene Kritik wird kaum mehr geäußert, solche, auch wenn sie unberechtigt ist, ohne Reaktion hingenommen. Äußere Zeichen sind zum Beispiel erhöhte Fehlzeiten und Fluktuation von gut qualifizierten Mitarbeitern. In Feedback-Modellen so wie nach regelungstheoretischer Auffassung kann Involvement sowohl als Bedingung/ Antecedens von Anstrengungsbereitschaft und hohem Anspruchniveau betrachtet werden wie auch als Wirkung von Kompetenz- und Selbstwerterleben. „Das Selbstwertgefühl steigt mit guter Leistung und sinkt mit schlechter Leistung.“ (S. 69). Commitment wird mittels vier Items operationalisiert: „Ich bin froh, dass ich mich für
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diese Stelle entschieden habe“, „Anderen von meiner Stelle zu erzählen, erfüllt mich mit Stolz“, „Wenn man mir 10 % mehr Lohn anbieten würde, wäre ich ohne weiteres zu einem Stellenwechsel bereit“ (-), „Für mich ist meine aktuelle Stelle die beste von allen, die ich mir vorstellen kann“. Involvement wird mittels zwei Items gemessen: „Ich fühle mich schlecht oder unglücklich, wenn ich feststelle, dass ich eine schlechte Leistung erbracht habe“ und „Meine Meinung von mir selbst steigt, wenn ich meine Arbeit gut erledige“. Die Antwort erfolgte anhand einer fünfstufigen Ratingskala. Durch Dichotomisierung, also Aufteilung in je 2 Gruppen am Scheitelpunkt der Ratingskala (Midpoint), entsteht eine Vierfeldertafel: Personen mit und ohne Commitment bzw. mit und ohne Involvement, d. h. rund 6 % fallen in die Kategorie Innere Kündigung. Involvement und Commitment kennzeichnet 293 (61 %) Mitarbeiter, mit Commitment und ohne Involvemet 62 (13 %) Personen und kein Commitment bei Involvement 96 (20 %) Mitarbeiter. Dieser Befund wird für uns später wichtig sein. Kein Involvement und kein Commitment kennzeichnet 27 (5,7%) von 478 Personen, Abbildung 1.2:
Involvement und Commitment
300 250 200 150 100 50 0 ja
nein Involvement Commitment ja
Commitment nein
Hoch gesteckte Ziele strebte Gero Lauck an (2003), nämlich „Burnout besser zu definieren“, ein Instrument zur Erfassung von IK zu erstellen, für Burnout und IK „unterscheidbare Konstrukte zu konzeptualisieren“ und u. a. „diese Differenzierung empirisch zu verifizieren“. Das ist nicht gelungen, was bei der bekanntlich hohen Korrelation von IK und Emotionaler Erschöpfung sensu Maslach nicht anders zu erwarten war. Diese Studie an 333 gewerblichen Lehrern enthält einige methodische und statistische Schwächen (vgl. Rezension in Empirische Pädagogik, 2005, 19, 2, 221-223). Mittels einer Re-Analyse des Datensatzes (Lauck, 2005) kam er auf 25 IK-Lehrer (vorher 13-15). Innere Kündigung wurde durch niedriges Engagement definiert, im einzelnen
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durch niedriges Work- und Job-Involvement und affektives Commitment, und durch hohe Werte im „fortsetzungsbezogenen“ Commitment (Festhalten am beruflichen Status) und ebenfalls hohe „Intentionalität“ (z.B. Dienst nach Vorschrift). Die IKGruppe wurde aus der Schnittmenge der Fälle zusammengesetzt, die in allen fünf Variablen unter (bzw. über) dem Median lagen. Das ist bei der offenkundigen Schiefe der Verteilungen ebenso fragwürdig wie die Prüfung auf Unterschiede zu den NichtIK-Fällen mit dem t-Test. Dem Leser ist es nicht möglich, die Selektion der IK-Fälle nachzuvollziehen, weil wichtige statistische Werte (Streuung, Median, Schiefe) nicht mitgeteilt wurden. Laucks Daten enthalten bei mehreren Merkmalen (dazu später) bedeutsame, aber von ihm unbemerkte, relative Mittelwertdifferenzen, die allerdings der Leser selbst errechnen muss. Eine formal-präzise, deskriptive Begriffsdefinition legte Elsik (1994) vor: „Im Gegensatz zur offenen Kündigung wird bei der inneren Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, sondern die Erbringung jener Leistungen von Arbeitnehmern aufgekündigt, die über das vorgeschriebene und mittels Sanktionen rechtlich durchsetzbare Mindestmaß hinausgehen“. Ähnlich äußerten sich Echterhoff, Poweleit, Schindler (1994, 216-220) und Poweleit, Schindler, Krenz (1997, 33-37): „Innere Kündigung bezeichnet einen persönlichen Zustand, der durch innerliches Abrücken von der Arbeitsumgebung und durch Verweigerung von Eigeninitiative und Einsatzbereitschaft in Unternehmen gekennzeichnet ist. Innere Kündigung erfolgt nicht offen, sondern informell und ohne Kenntnis des anderen Vertragspartners. Innere Kündigung stellt ein unsichtbares und stilles Sich-zurück-ziehen aus Engagement und Verantwortung dar.“
1.3 Bisherige Erklärungen zu Ursachen und Genesen 1.3 Bisherige Erklärungen zu Ursachen und Genesen 1.3.1 Führungsverhalten und Pessimismus Nahezu alle Autoren vermuten eine Störung der sozialen Reziprozität zwischen Mitarbeitern und Führungspersonen. Die Störung geht, zumindest in der Wahrnehmung der Mitarbeiter, von den leitenden Personen aus. Die Mehrzahl der Autoren macht denn auch Führungsfehler für das Auftreten von IK verantwortlich. Das Führungsverhalten ist für Höhn (1983; 1989) die Hauptursache für die Entstehung der IK. Autoritäres Führen sei kennzeichnend für wirtschaftliche Krisensituationen, aber genau das sei falsch, da in Krisensituationen Kreativität und Engagement besonders hilfreich seien. Er konstruiert sieben Führungsfehler, die nach seiner „Erfahrung“ am Entstehen der IK ursächlich beteiligt seien. Krenz (1996) hat die entscheidenden Führungsfehler aufgelistet: mangelnde Information, einsame, autoritäre Entscheidungen, wenig Gesprächs- und Diskussionsbereitschaft, kaum Lob und Anerkennung, Dreinreden und sonstige Kommunikationsfehler seitens der Führung, aus Sicht der Mitarbeiter wenig bzw. fehlende Mitwirkungsmöglichkeiten, keine Beteiligung an Entscheidungen, unzulängliches Erklären von Ent-
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scheidungen. Hinzu kommen Eingriffe in den Aufgabenbereich der Mitarbeiter. Erfolge schreibt sich die Führungsperson selbst zu, Misserfolge den Mitarbeitern. Ungerechtigkeiten bei der Beurteilung, emotionale Labilität wie Launenhaftigkeit, demotivierende Kontrolle durch Willkür, Einschüchterung und Schuldzuweisung. Diese Fehlerkomponenten wirken ineinander und verstärken so die negative Wirkung. (u. a. Höhn, 1989; Volk, 1989, S. 124 f; Raidt, 1989; Echterhoff et al, 1996; Krystek et al., 1995). „Die Gründe für fehlerhaftes Führungsverhalten werden häufig in der mangelnden sozialen Sensibilität und Kompetenz der Vorgesetzten“ vermutet (Volk, 1989). Diese Nennungen sind sicher nicht falsch, doch sie erwecken einen etwas diffusen und beliebigen Eindruck. Eine Systematik der Führungsfehler haben, im Anschluss an Höhn (ebd.) Brinkmann und Stapf (2005, S. 79f) vorgelegt. Die fünf häufigsten sind angeblich:
geringe Gesprächsbereitschaft, Eingriffe in den Kompetenzbereich des Mitarbeiters, schlechtes Informationsverhalten, mangelnde/ fehlerhafte Kommunikation und unzureichende Partizipation der Mitarbeiter.
Wenn die wenigen „verordneten“ Gespräche „in rigider und herablassender oder herabsetzender Weise geführt“ werden, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Leistungsminderung (Krystek et al., 1995, S. 83). Ähnlich wirke „das Gefühl, einer unberechenbaren Willkür von oben ausgesetzt zu sein“, hat schon Höhn (ebd.) festgestellt. Entscheidungen des Vorgesetzten über den Kopf des Mitarbeiters hinweg, halten 88% von 651 der von Brinkmann und Stapf (2005, S. 89) befragten Personalleute für die wichtigste im Führungsverhalten begründete Ursache für eine Innere Kündigung. Unzureichende Information und mangelnde Bereitschaft zur offenen Diskussion fanden bei 80% Zustimmung. Demotivierende Kontrollen werden als gravierende Führungsfehler empfunden. Eine zweite Klasse von Ursachen sieht Höhn in einer pessimistischen Grundhaltung unter Mitarbeitern wie auch unter Vorgesetzten. Pessimismus fördere die Genese der IK. Dieser sei auf die „Pseudo-Revolution“ der 68er zurückzuführen, die Selbstverwirklichung gegen Leistungsgesellschaft gestellt hätten. Ist ein Kennzeichen der IK „der bewusste und auch der unbewusste“ Verzicht auf Engagement? Eine bewusste Entscheidung zur Distanzierung postuliert Höhn (1983, S.9). Dagegen nimmt Raidt, der wie Höhn an der Harzburger Akademie für Führungskräfte gearbeitet hat, eine „bewusste und/ oder unbewusste Distanzierung von Engagement und Initiative“ an (1989, 68) und begibt sich damit – bewusst oder unbewusst? – in den theoretischen Rahmen des tiefenpsychologischen Denkmodells; vermutlich meint er jedoch „nicht-bewusst“, denn es existieren keine Anzeichen dafür, dass er tiefenpsychologisch zu argumentieren beabsichtigte. Auch Löhnert (1990), der ansonsten die Ausführungen Höhns kritisiert, favorisiert die Bewusstheit der Leistungsreduzierung als wesentliches Attribut der Inneren Kündigung. Eine „bewusste
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Verweigerung“ von Arbeitsaktivitäten im Verlauf des zur IK führenden Prozesses sei „zunehmend an der Vermeidung von negativen Konsequenzen orientiert.“ (Löhnert (1990, S. 109f). Dem schließt sich Richter (1999) an. Doch „Verzicht auf Engagement und selbständiges Anpacken“ könne nach Echtehoff, Poweleit, Schindler und Krenz (1996) auch unbewusst sein. Wie man sich diesen unbewussten Verzicht vorstellen soll, ist im Text nicht erkennbar. Möglich, dass „vorbewusst“ oder „nicht-bewusst“ zu denken wäre. Da der Terminus „unbewusst“ anderweitig besetzt ist, sei es kognitionspsychologisch, sei es tiefenpsychologisch, wo er stets mit „Verdrängung“ verknüpft ist, wird dieser Begriff hier nicht empfohlen. Aber auch ein nicht-bewusster Verzicht ist kaum vorstellbar.
1.3.2 Das tauschtheoretische Paradigma und der Psychologische Vertrag Zur Analyse der Beziehung zwischen den Vertretern einer Organisation und den Mitarbeitern eignet sich das Konzept des Psychologischen Kontrakts (Rousseau, 1989, S. 123ff), denn Arbeitsverhältnisse sind nicht nur durch einen formal-rechtlichen, sondern überwiegend durch einen informellen, sog. Psychologischen Vertrag geregelt. Zur Beschreibung dieses Sachverhaltes wurde der Begriff „Psychological Work Contract“ nach Argyris (1960; zit. n. Hornung, 2005) benutzt. Levinson et al. (1962) definierten den Begriff des Psychologischen Kontraktes als unausgesprochene, beidseitige Erwartungen, welche Beschäftigte und Organisation gegenseitig hegen. Rousseau fokussiert die psychischen Prozesse und klärt den Psychologischen Vertrag als die Annahmen einer Person hinsichtlich der Bedingungen einer wechselseitigen Austauschvereinbarung zwischen der betroffenen Person und der anderen Partei. Die schriftlich nicht fixierten Erwartungen und Wünsche der jeweils beiden Parteien bezüglich Kosten und Nutzen sind im Psychologischen Vertrag gemäß der Reziprozitätsnorm geregelt. Danach sollen Aufwand und Nutzen der einen Partei dem Aufwand und Nutzen der anderen Partei ungefähr entsprechen (das ist das Equity-Prinzip; vgl. Hornung, 2005). Für die Erklärungskonzepte der IK ist dieser tauschtheoretische Grundgedanke bis heute typisch, nämlich dass von zwei Parteien eine nicht bereit ist, einen entsprechenden Gegenwert zu leisten. Bei Höhn sind Beamte dazu nicht bereit, obwohl, wie er meint, sie allen Grund hätten, diesen Gegenwert zu erbringen. Er schreibt zur IK bei Beamten, was uns besonders interessiert, da Lehrer in den meisten Fällen Beamte sind: „Die innere Kündigung eines Beamten ist der bewusste Verzicht auf Engagement und Einsatzbereitschaft in seinem Beruf und damit die Ablehnung der wichtigsten Anforderungen, die heute in Wirtschaft wie Verwaltung an einen Mitarbeiter zu stellen sind. Der Beamte, der innerlich kündigt, will zwar seine Stellung behalten, beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren. Er ... beschränkt sich in seiner Tätigkeit auf das unbedingt Notwendige. Er will zwar die Rechte, die ihm seine Position bietet, insbesondere die Sicherheit, die ihm die Ernennung als Beamter auf Lebenszeit gewährt, in Anspruch nehmen, ist aber nicht bereit, den Gegenwert durch die entsprechende Leistung zu erbringen.“ So
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Höhn (1989, S. 21), der hier wohlgemerkt nur den disengagierten Lehrer meint. Diese Charakterisierung der IK im Rahmen des tauschtheoretischen Paradigmas der Sozialwissenschaften gilt bis heute und darf in dieser Allgemeinheit auch auf die disengagierten und innerlich kündigenden Lehrpersonen bezogen werden. Zumindest Krystek, Becherer und Deichelmann (1995, S. 8-12) und Kirstges und Krieger (1999, S.450) so wie Richter (1999, S.114) folgen Höhn. Wie man sieht, lassen sich Definition und theoretischer Ansatz kaum von einander trennen. Die Aussagen zur IK von Höhn und Raidt wurden u. a. von Faller (1993, S. 80; 99) heftig kritisiert u.a. als voreingenommen zu Gunsten der Vorgesetzten. Man kritisierte das sog. Harzburger Führungskonzept, weil dieses Konzept die IK verursache und manche warfen Höhn vor, zu praktizieren, was er verwerfe (zu dieser wirtschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung vgl. Lauck, 2003, S. 67-69). Der journalistischdiskursive Stil Höhns wurde in vielen Artikeln zur IK, in Vereinsblättern und praxisorientierten Zeitschriften gepflegt. Im Unterschied zu anderen hat er nie mit hypertrophen Theorie-Entwürfen kokettiert. Löhnert (1989, S. 39) verfolgt ebenfalls den tauschtheoretischen Grundgedanken: „Unter der inneren Kündigung von Mitarbeitern ... wird eine Einstellung, die sich in Wechselwirkung zwischen Meinungen und Erwartungen der Mitarbeiter herausbildet, und zugleich ein auf dieser Einstellung beruhendes Verhalten verstanden.“ Und weiter: Wenn „Arbeitnehmer sich in einer für sie wichtigen Situation äußerst ungerecht behandelt fühlen und dies nicht ändern können“, reagieren sie mit dem Versuch, „über eine bewusst vollzogene ‚innere Kündigung’ die Situation wieder ‚gerecht’ werden zu lassen.“ Der Grundgedanke ist der Bruch des Psychologischen Vertrags und der Versuch der Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichtes zwischen zwei Parteien, das durch Nichterfüllung der reziproken Erwartungen durch eine der beiden Parteien gestört wurde. Die Wiederherstellung dieses Gleichgewichtes (Equity) wird durch Verzicht auf Engagement und Rückzug auf die Erfüllung von Minimalforderungen bewerkstelligt. Mit diesem Konzept arbeiten ausdrücklich Löhnert (1990), Faller (1993), Echterhoff et al. (1994), Krenz (1996), Schmitz, Gayler, Jehle (2002), Fisch (2003), Schmitz, Jehle, Gayler (2004), Brinkmann, Stapf (2005), Jehle, Schmitz (2007). Innere Kündigung in der Agency-Theorie Jan Hendrik Fisch analysiert das Phänomen der IK mittels einer Kombination des Stewardship-Ansatzes mit der Agency-Theorie. Diese favorisiert ein rationalökonomisches Menschenbild, wonach der Mensch nach Maximierung seines Nutzens strebt und sich durch materielle Anreize steuern lässt. Dem entspricht ein Führungsstil durch Kontrolle. Dagegen liegt dem Stewardship-Ansatz das Bild eines Menschen zugrunde, der nach Selbstverwirklichung, Zugehörigkeit, Leistung und Verantwortung strebt. Der Vorgesetzte kann ihm Spielräume zu Engagement und Entfaltung einräumen, ohne opportunistisches, eigennütziges Verhalten befürchten zu müssen. In wechselseitigen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Stewardship-Beziehungen herrscht
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ein kooperativer, „einbindungsorientierter“, den Psychologischen Vertrag beidseitig erfüllender Führungsstil vor. Eine nicht auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung fördert opportunistisches Verhalten. Mindestens eine Partei fühlt sich betrogen. Der Psychologische Vertrag ist verletzt. Dieses pragmatische Konzept besticht durch Einfachheit und Klarheit, aber was erklärt es?
1.3.3 Kontrollverlust In den theoretischen Spekulationen zur IK taucht immer wieder der Terminus Kontrollverlust auf. Was hat es damit auf sich? Fragen wir Winfried Löhnert. Er greift zum Zweck der Ursachenerklärung der IK auf das psychologische Konzept der Verstärkerkontrolle im Rahmen der Regulationstheorie (nach Oesterreich) und Handlungspsychologie zurück (1990, S. 34 ff) und erstellt ein Phasenschema. Danach strebt der Mensch im allgemeinen eine Situationskontrolle darin an, als er Verstärkungen dem eigenen Handeln als Verursachung zuzuschreiben trachtet, wodurch Handlungs- und Erfolgskontrollen indirekt einbezogen werden. Der Verlust der Situationskontrolle wird aversiv erlebt. Schwindet nun diese Einflussmöglichkeit, so wird in einer ersten Phase versucht, durch Einholen neuer Informationen die Kontrolle wieder zu gewinnen. Schlägt dieser Versuch wiederholt fehl, wird in Phase II die Anstrengung zur Rückgewinnung der Situationskontrolle erhöht. Mitarbeiter mit hoher Kontrollüberzeugung vermutet Löhnert in der von ihm postulierten Gruppe A, die versuche, durch aktives Ausnutzen der Schwächen des Unternehmens eine Ausgewogenheit i. S. des o.g. Equity-Prinzips (Adams, 1965) wieder herzustellen durch Wiedergewinnung der Kontrolle bzw. der Illusion davon. In diesem Fall spricht er von Innerer Kündigung, obwohl die dritte Phase nicht erreicht wird. In die dritte Phase gelangen jene, die mit den geschilderten Versuchen wiederholt Misserfolge erlebten (Gruppe B). Sie verlieren die Überzeugung, die Situation noch kontrollieren zu können und treffen höchstwahrscheinlich die Entscheidung, ihre Leistung so weit wie möglich dauerhaft auf einen möglichst misserfolgsfreien und kontrollierbaren Bereich zu reduzieren und auf diesem Wege Ausgewogenheit („Equity“) wieder herzustellen. Schließlich wird, in der vierten Phase, diese Entscheidung in konkretes Handeln umgesetzt, beispielsweise durch Abgeben von Arbeitsaufgaben, ohne den formalen Arbeitsvertrag zu gefährden. Diese Genesen erfolgen auf dem Hintergrund der tätigkeitstheoretischen Konzeption von Winfried Hacker (1998), der zwischen gesellschaftlich-ökonomischen und betrieblichen Verhältnissen einerseits und personalen Bedingungen andererseits unterscheidet. Unter der gesellschaftlichen Bedingung drohender Arbeitslosigkeit ist die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels bei aversiven betrieblichen Bedingungen beschränkt, so dass der Weg in die IK bewusst gewählt wird. Intrapersonale Bedingungen wie die Leistungsmotivation können diese Entscheidung fördern. Eine wahrgenommene Diskrepanz von Leistungsvermögen und Tätigkeitsanforderungen beschleunigt den Entschluss zur IK, insbesondere wenn Arbeitnehmer nicht gemäß ihrer Qualifikation an Entscheidungen und am Informationsfluss
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beteiligt werden. In späteren Teilen seiner Arbeit versteht es Löhnert, die Ursachenerklärung anhand mehrerer Motivationstheorien (Heckhausen, Vroom, Atkinson), der Attributionstheorie (Weiner) und der Theorie der Hilflosigkeit (Seligman) durchzuspielen. Diese Kapitel (5./6.Kapitel) sind anregend, setzen aber gute Kenntnisse der Psychologie voraus. Allerdings verfügt auch er nicht über eine nennenswerte empirische Basis; 21 Fragebögen konnte er auswerten. Der Autor vermutet eine mögliche Abhängigkeit zwischen (geringer) Kontrollierbarkeit und Innerer Kündigung (S. 230).
1.3.4 Unzufriedenheit mit der Arbeit Zwei zentrale Ursachen für die Innere Kündigung sieht Faller (1993): (a) die Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation und (b) die geringe Möglichkeit zur Situationskontrolle mit Misserfolgs- und Hilflosigkeits erfahrungen als Auslöser (S. 93; ähnlich Richter, 1999, S. 128ff). Zwecks Beschreibung der Einzelheiten der Genese bewegt er sich in mehreren Theorien, die er zum Teil parallel nutzt. „Das Ausmaß der Unzufriedenheit ergibt sich aus der Größe der Differenz zwischen eigenem Anspruchsniveau (Erwartungen) und erlebter ... Erwartungserfüllung oder im Sinne der Equity-Theorie aus der Größe der Differenz zwischen eigenen und fremden Outcome/ Input-Relationen“ (205). Gemäß der Equity-Theorie stelle die IK den Versuch dar, Ungleichheit zu beseitigen, indem die eigene Leistung gesenkt wird, um den eigenen Beitrag der unbefriedigenden Arbeitssituation anzupassen. Der weitere Verlauf wird anhand des Prozessmodells der Arbeits(un)zufriedenheit von Bruggemann beschrieben. Bei Wahrnehmung von IstSoll-Diskrepanzen ergäben sich unterschiedliche Ausprägungen der Inneren Kündigung: die „fixierte Arbeitsunzufriedenheit“, die „Pseudo-Arbeitszufriedenheit“ und die „resignative Arbeitszufriedenheit“. Bei der weiteren Beschreibung des Prozesses der IK hält er sich im Wesentlichen an Löhnert (1990, S. 195; vgl. Faller, 1993, S. 255).
1.3.5 Vermeidungsstrategien Verlaufsdaten zur Genese der IK liegen nicht vor. Doch mittels überprüfter psychologischer Modelle wurden Prozesse der Genese der IK entwickelt. Beispielsweise geht Massenbach vom allgemeinen Coping-Modell aus, wonach bei Konfrontation mit einem Hindernis entweder eine meidende oder eine aktive problemorientierte Coping-Strategie gewählt werden kann. Das Folgende wird nicht durch Daten gestützt, sondern ist Resultat einer Kalkulation der gegebenen Möglichkeiten und gilt unter der Annahme, dass das Hindernis nicht beseitigt werden kann. Hinsichtlich der Vermeidung können zwei Strategien differenziert werden:
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1.
Vermeidung unter Beibehaltung der Ziele, die aber mangels Selbstvertrauen nicht weiter verfolgt werden, verbunden mit dem Gefühl der Überlastung und Hilflosigkeit. Diese Variante kann zu negativen gesundheitlichen Folgen führen. Vermeidung mit Reduktion oder Aufgeben der Ziele, womit die Bedeutung des Hindernisses und damit die Belastung heruntergespielt wird. Das ist die passive IKVariante.
2.
Beim aktiven Coping lassen sich folgende Strategien unterscheiden: 1.
2.
Nach missglückten aktiven Problemlöseversuchen kann eine der drei Alternativen gewählt werden: (a) andere Versuche, das Problem zu lösen, (b) Lösungsversuche aufgeben und kündigen und (c) Lösungsversuche aufgeben und die Ziele durch Reduzieren anpassen; das entspricht ungefähr der aktiven Form der IK nach Löhnert, anscheinend von jüngeren Arbeitnehmern bevorzugt und von Massenbach als geglückte Anpassung ge deutet, jedoch nicht als geglückte Integration in die Arbeitswelt. Die bisherige aktive Problemlösung wird beibehalten, bis man erschöpft ist und den Zustand des Burnout erreicht hat. Erst dann wird der Einsatz reduziert. Die emotionale Er schöpfung ist hoch und kann bis in die Privatsphäre reichen.
Mit „Zielanpassung“ ist eine „flexible, der Situation angepasste Stressbewältigung, die in der Lage ist, die Belastung zu reduzieren“ gemeint (S. 149). Vermutlich ist damit die Reduktion des Einsatzes und der persönlichen Bereitschaft zur Leistung, zur Mehrarbeit und zur persönlichen Beteiligung bzw. zum Engagement zu verstehen , denn je höher die „Ich-Beteiligung“ ( i. S. von „Ego-Involvement“), desto stärker werden bekanntlich Misserfolge als Belastung und Niederlage erlebt, während umgekehrt bei geringer Ich-Beteiligung auch die Belastung geringer erlebt wird. Die Vermeidung hat auch im Konzept von Ralf Brinkmann und Kurt Stapf eine bedeutende Funktion. Sie unterscheiden die passive und aktive IK-Form. Die passive, resignativ-reaktive Form bedeutet den bewussten Rückzug: Der Mitarbeiter hat die Erfahrung gemacht, dass Leistungszurückhaltung keine negativen Folgen hat oder sich sogar positiv auswirkt. Aktiv wird die innere Kündigung vollzogen, wenn Arbeitnehmer das Gefühl haben, ungerecht behandelt worden zu sein: Sie versuchen, eine "gerechte" Situation für sich herbeizuführen. Was das heißt? Sie sind lustlos, mit hohem Anspruchsdenken behaftet, pflichtvergessen, nicht ganz bei der Sache, arbeiteten auf Sparflamme oder machen "Dienst nach Vorschrift". Die Betroffenen wollten auf diese Weise Konflikte vermeiden, denn im schlimmsten Fall drohe die Kündigung. Die Autoren hatten Mitarbeiter und Vorgesetzte offenkundig mit dem Ziel befragt, ein Praxis-Buch für Führungskräfte zu verfassen.
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1.3.6 Innere Kündigung als Entfremdung Einen völlig anderen Begriff mit einer langen, bis ins Mittelalter reichenden eigenen Tradition, führt Hilb zusätzlich ein, nämlich den Begriff der Entfremdung. „Die Innere Kündigung zeigt sich dabei in einem lautlosen Protest von Menschen, die den Konflikt weder offen austragen noch die Äußere Kündigung einreichen können oder wollen. Sie sind von ihrer Arbeitsrolle entfremdet“ (Hilb, 1992, S. 5). Hilb setzt ausdrücklich einen Konflikt voraus. Gegen den Konfliktgegner wird lautlos protestiert. Da nicht offen protestiert werden kann, sind die Arbeitnehmer „von ihrer Arbeitsrolle entfremdet“. Man ist von den eigenen Zielen, Wünschen bzw. von der eigenen Persönlichkeit (dem „Ich“) aufgrund der eigenen Machtlosigkeit entfremdet, weil man eine aufgezwungene Arbeitsrolle als Arbeitnehmer spielen muss. Auch Nachbagauer und Riedl (1999) zitieren den Begriff.
1.3.7 Zweipolige Konstruktionen Der Begriff der Entfremdung (Alienation) taucht etwas früher in der amerikanischen humanwissenschaftlichen Forschungsliteratur auf, vorausgesetzt, dass man Alienation mit Entfremdung gleich setzt. Kanungo (1982, 75f) sieht die Konzepte von Involvement und Alienation als die beiden gegenüberliegenden Pole (opposite sides) des selben Phänomens. Involvement meint hier die Bereitschaft zur Mehrarbeit, Genauigkeit und die emotionale Beteiligung. Er schreibt, dass Sozialwissenschaftler oft die Konzepte von Involvement und Alienation zur Beschreibung von Problemen wie geringe Produktivität, geringe Moral und Absentismus (S.59) benutzen. Das sind Merkmale, die man auch bei der IK findet. Diesen Gedanken aufgreifend meint Massenbach (2000, 56 ff), dass Alienation der IK entspräche, und diese die Gegenseite von Involvement sei. Er hätte damit auf den ersten Blick eine handliche Methode, um die IK in einen bipolaren Bezug zu integrieren und dieses begrifflich auszudrücken. Alienation und Innere Kündigung können nur dann einander begrifflich entsprechen, wenn sie genau gleich definiert werden. Aber angesichts der vielfachen theoretischen Besetzung des Entfremdungsbegriffs ist diese Gleichsetzung nicht zu empfehlen, denn mit der Hereinnahme von „Entfremdung“ käme ein großer historischer Ballast von theoretischen Vorstellungen aus Marxismus, Soziologie, Psychoanalyse u.a. in die Diskussion um die IK. Vielfache begriffliche Abgrenzungen wären erforderlich. Das alles ist höchst unpraktisch. Es ist einfacher, mit theoretisch wenig belasteten Begriffen zu arbeiten. Der Kerngedanke von Kanungo und Massenbach könnte möglicherweise anhand des Begriffspaares „Engagement und Disengagement“ fruchtbar gemacht werden. Dieses Konzept übernimmt weitgehend Lauck (2003, 117ff; 2005). Er will IK indirekt u. a. mittels mangelndem Engagement, d.i. Involvement und Commitment, messen. Ein weiterer Vorschlag, Innere Kündigung als Teil eines zweipoligen Kontinuums aufzufassen, stammt von der Gruppe um Krystek (Krystek et al., 1995, S.13-18): Der Gegenpol zum „Inneren Emigranten“ ist der Workaholic. Beide unterscheiden sich
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gegenpolig auf mehreren Ebenen. Während dieser sich mit hohem Engagement bis zur Aufopferung einsetzt, beschränkt sich jener auf das Nötigste. Während dieser Unternehmensinteressen verfolgt, wenn vielleicht auch nur scheinbar, so verfolgt jener hauptsächlich Eigeninteressen. Das Ausmaß der Distanz zur Arbeit ist bei der IK maximal, beim Workaholic überhaupt nicht ausgeprägt. Während einmal eine pathologische Arbeitssucht mit Selbstüberlastung vorliegt, ist zum anderen die IK ein bewusster Rückzug von der Arbeit. Doch auch dem Workaholic gelingt nur eine begrenzte Leistung und er „dürfte ... wegen seiner völlig fehlenden, aber letztlich notwendigen Distanz zur Arbeit kaum noch in der Lage sein, kreativ in seiner Tätigkeit zu wirken ..“ (S. 15). Deshalb bevorzugt er kurzfristige Lösungen wie der innere Emigrant, jedoch aus anderen Gründen (S. 18). In anderer Hinsicht wurde anscheinend von Riedl (1996) sogar erwogen, Burnout und IK als Extreme eines Kontinuums aufzufassen, dessen mittlerer Teil, wie bei Krystek, den Normalzustand umfasst. Hilb (1992) hat im Anschluss an das Ablaufmodell der Arbeits(un)zufriedenheit von Agnes Bruggemann3 ein sechsstufiges Modell erstellt, an dessen Ende der „progressive Arbeitszufriedene“ durch Engagement gekennzeichnet ist, das abnehmend bei gleichzeitig zunehmender Innerer Kündigung beim „resignativ Arbeitsunzufriedenen“ endet. Dabei dürften die IK-Personen unter den resignativ Arbeitsunzufriedenen, unter den fixiert Arbeitsunzufriedenen und unter den Pseudo-Arbeitsunzufriedenen vorkommen, während die Engagierten unter den „konstruktiv Unzufriedenen“, den „stabilisiert“ und den „progressiv Arbeitszufriedenen“ zu finden sind. Allerdings verweist Krenz (1996, S. 45) darauf, dass empirische Überprüfungen des Bruggemann-Modells bis dato eher negativ ausfielen. Trotzdem besticht das Hilb-Diagramm durch Einfachheit und Klarheit. Das alles sind Versuche, zum psychischen Zustand der IK gegenpolig einen anderen inneren Zustand zu etablieren. Formal wäre der Gegenpol einfach die innere Nicht-Kündigung. Sofern der innerlich Kündigende in gleicher Hinsicht der NichtEngagierte ist, wäre am Gegenpol der Engagierte zu etablieren. Die Lösung wäre das Kontinuum: Engagement – Disengagement.
1.3.8 Gesellschaftliche Veränderungen Vier Ursachenebenen der IK unterscheiden Brinkmann und Stapf (2005, S. 52-130): die Persönlichkeit des Mitarbeiters, sein unmittelbares Arbeitsumfeld mit Vorgesetzten und Kollegen, die Organisation oder Institution und schließlich die Gesellschaft. Auf der gesellschaftlichen Ebene werde seit den 70er Jahren ein Wertewandel festgestellt. Dieser sei deshalb für das Phänomen der IK bedeutsam, weil Werten eine verhaltenssteuernde Funktion zukomme, so die Autoren. Allerdings ist man sich über die Inhalte vor allem der neueren Werte nicht ganz einig. Es wurde behauptet, dass die Orientierung an Selbstverwirklichung, persönlichem Glück und Kontakten diejenige an Leistung, An3
Bruggemann, A., Grosskurth, P., Ulich, E. (1975) Arbeitszufriedenheit. Bern: Hans Huber
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strengung und Herausforderung übersteigen. Tatsächlich aber werden heute von vielen Werte wie Leistung und Herausforderung hoch geschätzt, jedoch im Zusammenhang mit Selbstbestimmung und Selbstentfaltung. Hinzu kommt, dass weniger die Arbeit an sich an Wert verloren hat, sondern die Ansprüche an Vielfalt und Abwechslung bei der Arbeitstätigkeit sind gestiegen. Im Rahmen des Psychologischen Vertrags betrachtet entstehen damit bei den beiden Parteien gegenseitige Erwartungen, die oft nicht erfüllt werden können. Die Folge sind Stresserleben und Frustration. Eine weitere Entwicklung verschärft das Konfliktpotenzial zwischen den betrieblichen Partnern: Auf den Führungsetagen vieler Betriebe hat sich in den letzten Jahren eine Tendenz zu wirtschaftlichem Erfolg als höchstem Wert entwickelt, wobei Werte wie ethische bzw. moralische Verpflichtung für die Mitarbeiter oder gar für die Gesellschaft mitunter vorsätzlich negiert werden. Es wird behauptet, Moral sei keine ökonomische Kategorie. Das „Freistellen“ von langjährigen Mitarbeitern und Wiedereinstellen als Leiharbeiter mit geringem Einkommen ist ein Beispiel dafür. Ein anderes: Abteilungen werden aufgelöst, „verkauft“ und neu gegründet, womit alle formalen Verträge incl. Kündigungsschutz außer Kraft gesetzt werden. Seit langer Zeit geltende informelle Verpflichtungen werden von vielen Arbeitgebern aufgegeben. Damit werden informelle Psychologische Verträge in großem Stil einseitig gebrochen. So ist es nicht verwunderlich, dass beispielsweise in den Gallup-Umfragen der letzten Jahre die Bereitschaft der Beschäftigen zur Bindung an den Betrieb drastisch gesunken ist. Während noch vor wenigen Jahren Brinkmann und Stapf (2005, S. 58) bei den Arbeitnehmern einen „Trend zur Anspruchsgesellschaft“ gesehen haben, muss man heute einen Trend zur Angst vor Arbeitslosigkeit und davor, die finanzielle Grundversorgung zu verlieren, feststellen. Vielen Leiharbeitern, ihre Zahl wird auf eine Million geschätzt, ist ein menschliches Leben mit Familie und persönlicher Befriedigung nicht möglich. Da haben sich Maßnahmen wie „Sinn-Management“ für Vorgesetzte und Maßnahmen gegen eine angebliche Orientierungslosigkeit der Arbeitnehmer in des Wortes einfacher Bedeutung schlicht überlebt. Über die negativen Folgen für die Gesellschaft insgesamt wird in der Öffentlichkeit geschwiegen. Viele Betriebe stehen infolge zunehmend rascher Entwicklung der Technologien und zunehmender Globalisierung der Märkte unter Anpassungsdruck. Diese erfordern Anpassungsprozesse wie technische Rationalisierung. Ob damit auch personale Rationalisierungsmaßnahmen mit sog. „Personalfreisetzungen“, sprich Entlassungen, verbunden sein müssen, ist fraglich. Enttäuschungen über misslungene Anpassungsprozesse führen bei den Arbeitnehmern, insbesondere bei den „Überlebenden“ solcher Maßnahmen, oft zur IK (vgl. auch das Fallbeispiel: Die enttäuschte Projektgruppe, Brinkmann & Stapf, 2005, S. 68-71). Negative Merkmale betrieblicher Systeme sind unflexible Organisationsstrukturen mit zahlreichen Vorschriften und überflüssigen Hierarchie-Ebenen.
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1.3.9 Personale Gründe Die Wahrscheinlichkeit des Aufkommens der IK wird auch durch bestimmte Merkmale der Persönlichkeit erhöht. Das gilt für die Persönlichkeit des Vorgesetzten ebenso wie für die der Mitarbeiter. Manche Vorgesetzte sind beispielsweise narzisstisch veranlagt, d. h. sie überbewerten die eigene Wichtigkeit, sind abhängig von Anerkennung und Bewunderung durch die Umgebung und beziehen Ereignisse auf sich selbst. Mitarbeiter können auch Opfer von Mobbing durch Vorgesetzte werden, die innerlich gekündigt haben. Umgekehrt können IK-Mitarbeiter ein Bedürfnis nach „Rache“ durch bewusste Leistungsminderung entwickeln. Als ein weiterer Persönlichkeitsfaktor wurden „unrealistische Erwartungen an den Beruf“ ins Spiel gebracht (Faller, 1991). Auch das Alter der Betroffenen wurde diskutiert. Wenn man einen Perspektivenwechsel vornimmt und Arbeitnehmer befragt, verschiebt sich das Gewicht der potenziellen Ursachen nicht unerheblich. Richter (1999, S. 134) fand bei Mitarbeiterbefragungen folgende Gründe für die Innere Kündigung: Probleme mit Kollegen (11,5%) und mit Vorgesetzten (29,7%), Unterforderung bei der Arbeit (25,0%), Überforderung bei der Arbeit (11,5%), wenig Aufstiegsmöglichkeiten (50,0%) und zu wenig Herausforderung (20,9). Auch bei der Frage nach den individuellen Gründen ist die Antwort `wenig Aufstiegsmöglichkeiten` am häufigsten genannt worden.
1.4 Begleiterscheinungen, Ursachen oder Folgen? 1.4 Begleiterscheinungen, Ursachen oder Folgen? Von mehreren Autoren werden Begleiterscheinungen bzw. Folgen für die innerlich Kündigenden in die Diskussion gebracht. Bei einigen „Begleiterscheinungen“ ist nicht ganz klar, ob sie überhaupt unmittelbar mit der IK in Beziehung stehen. Andere können ebenso Antecedenzen der IK sein. So kann eine psychosomatische Krankheit sowohl Ursache als auch Folge und im Einzelfall sogar eine anderweitig verursachte Krankheit sein. Begleiterscheinungen und Folgen können positiv oder negativ sein. Eine positive Begleiterscheinung wäre beispielsweise die psychische Entlastung. Negativ wären ein durch Schuldgefühle belastender seelischer Zustand, eine soziale Isolierung in der Arbeitsgruppe oder eine gesundheitliche Gefährdung. Beispiele für negative Begleiterscheinungen bzw. Folgen gibt dieses Zitat: „Emotionale Abkehr von der Berufsarbeit führt zu einem Verlust von Zielen innerhalb der wichtigsten Arbeitsbereiche unseres Lebens. Diese Distanzierung kann zu Unlustgefühlen, Trägheit und Depression führen“, meinen Echterhoff und Mitarbeiter (1994, S. 83), wobei statt ‚Depression’ wohl eher eine deprimierte Stimmung gemeint sein dürfte. Wer innerlich kündigt, lehnt seine Arbeitssituation ab und empfindet oft beim bloßen Gedanken an den Arbeitsplatz ein innerliches Unwohlsein. Mögliche Folgen können, so die Autoren, von Frustration, Resignation bis hin zur Depression reichen. Diese Gefühle entstehen dadurch, dass eine förmliche Auflösung des Arbeitsvertrages als unmöglich oder nicht opportun empfunden wird. (Krenz,
1.4 Begleiterscheinungen, Ursachen oder Folgen?
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1998; Echterhoff, Poweleit, Schindler, 1994; und andere Autoren). Nach Höhn (1983, 41ff) müssten die innerlich Kündigenden unzufrieden und unglücklich sein, da ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im betrieblichen Kontext brachlägen. Diese Unzufriedenheit wirke sich auch auf’s Freizeitverhalten und auf die Familie negativ aus. Er drückt sich ziemlich drastisch aus: „Die Innere Kündigung führt auf alle Fälle zu einem schizophrenen Zustand“ (ebd., S.44). Es fällt wieder der unbedenkliche Gebrauch von fachfremden theoretischen Begriffen auf. Hilb (1992b, S.18) sieht die „Selbstpensionierung“, wie er die Innere Kündigung auch nennt, mit vielfältigen Persönlichkeitsveränderungen verbunden, wie „Stresstoleranzlosigkeit, Desinteresse, Leistungsminimalismus, Kreativitätsarmut, Passivität, Selbstachtungslosigkeit“ und „psychosomatische Krankheiten“. Der psychische Zustand der innerlich Gekündigten wurde auch als „demotiviert, resigniert, depressiv [gemeint ist wohl: deprimiert], bis hin zu entfremdet“ beschrieben. „Qualifikationsverlust und Freudlosigkeit bei der Arbeit bis hin zur Apathie und Sinnverlust sind die Folgen.“ Und „Die Auseinandersetzung mit Problemen reicht von einem konfliktvermeidenden oder -scheuen Verhalten ... bis hin zum ...Absentismus ...“ (Nachbagauer, Riedl; 1999). Das alles sind Folgen oder Begleiterscheinungen der IK, von denen einige in den psychopathologischen Bereich hineinreichen. Faller (1992) nimmt klinische Symptome wie Depression mit Verzweiflung und Apathie an, psychosomatische Beschwerden wie muskulöse Verspannungen, Kopfschmerzen u. ä. sowie Minderung der Leistungsfähigkeit und der Kreativität. Auch Massenbach (2000) nimmt ausdrücklich „negative gesundheitliche Folgen“ an, Gefühle von Hilflosigkeit und starkes Belastungserleben im Fall eines Vermeidungs-Coping unter Beibehaltung der Ziele, die jedoch mangels Selbstvertrauens nicht weiter verfolgt werden. Positive Folgen der Inneren Kündigung ergeben sich nach Höhn (1983, 44ff), wenn ein Vorgesetzter die angepasste Unauffälligkeit honoriert. Die innerlich Kündigenden können auch weitere Vorteile für sich verbuchen. Sie verfolgen ihre Eigeninteressen bei minimalem Arbeitsaufwand für das Unternehmen (Krystek et al., 1995, S. 13), sie vermeiden negative Konsequenzen, indem sie Konflikten und Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen (Löhnert, 1989, S. 109f) und sie erledigen private Angelegenheiten während der Arbeitszeit und insofern teilweise auf Kosten des Arbeitgebers (Richter, 1999). Eine Minderung des Stresserlebens vermutet Massenbach (2000). Die Folgen für die Unternehmen werden von der Arbeitgeberseite selbstverständlich als negativ und „erheblich“ gewertet (Brinkmann, Stapf, 2005). Das ist nicht überraschend, da behauptet wurde, dass 40% der Mitarbeiter innerlich gekündigt hätten (Raidt, 1989; Hilb, 1992). In den Bilanzen tauchen die resultierenden Kosten allerdings nicht auf. Zählbare Kosten entstehen u. a. bei der Verletzung von Vertragsrechten etwa bei der Auseinandersetzung mit Kunden, mit Lieferanten und Zulieferern und mit den eigenen Mitarbeitern. Hohe Kosten werden für Fehlzeiten veranschlagt. Wie viel Kosten infolge mangelnder und mangelhafter Kommunikation entstehen, wird häufig diskutiert, kann aber nicht ermittelt werden.
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1 Annäherung an ein Konstrukt
1.5 Gibt es verschiedene Erscheinungsweisen oder Formen? 1.5 Gibt es verschiedene Erscheinungsweisen oder Formen? Höhn beschreibt divergente Annahmen zur Entstehung und Erscheinung der Inneren Kündigung, ohne Formen zu nennen. Dagegen verweist Löhnert auf „zum Teil erheblich differierende Verhaltensweisen“ (1990, S. 13), die auf passive Verhaltensformen einerseits und auf „ausgeklügelten aktiven Verweigerungsstrategien“ andererseits beruhen. Damit führt er zumindest zwei klar unterscheidbare Formen der IK ein, die er an Mitarbeitergruppen festmacht (S. 32-34). Die eine Gruppe reagiere auf die Beschränkung von Handlungsspielräumen durch Vorgesetzte „mit einer stets weiter abnehmenden Bereitschaft, sich über die von ihnen kontrollierbaren Bereiche hinaus für die Unternehmung zu engagieren“ (S. 32). Sie führe exakt das aus, was ihr aufgetragen wurde und zeige keine Initiative. Diese Selbstbeschränkung habe die Funktion der Vermeidung negativer Konsequenzen. Damit argumentiert er im Sinn der verhaltenspsychologischen Theorie. Der passive Typ entspricht dem durch die vorhergehenden Autoren geschaffenen Bild (Höhn, 1990; Kirstges, Krieger, 1999, S. 450). Die aktive Gruppe versuche, wenigstens die Illusion der Situationskontrolle zu erhalten, indem sie wahrgenommene Schwächen des Unternehmens in raffinierter Weise systematisch ausnutzt, um so die Situation für sich gerechter zu gestalten und zu einer relativen Zufriedenheit zu kommen. Diese Mitarbeiter führen ihre Aufgaben auf eine grade noch korrekte Weise aus, „die gezielt bis an den Grenzbereich einer möglichen Sanktion ... heran reicht“ (S. 33). Mit dieser Illusion und der Senkung der Ansprüche verschafften sie sich eine „resignative Arbeitszufriedenheit“. Die Reduktion der Arbeitsleistung findet in beiden Gruppen ihr Ende, wenn „sie ihren Aktionsraum auf einen weitgehend misserfolgsfreien, aber kontrollierbaren Bereich reduziert haben.“ (S. 38; vgl. Richter, 1999, S. 120). Hier wird nicht der innere Rückzug praktiziert, sondern initiativ auf den eigenen Vorteil geachtet. Man könnte überspitzt das Motto formulieren: „Wenn ich vom Betrieb nicht erhalte, was mir zusteht, nehme ich mir einfach, was ich bekommen kann“. Kurz zusammengefasst könnte man sagen, dass der innerlich Gekündigte, aufgrund der Unmöglichkeit zu kündigen oder in Pension zu gehen, versucht das Beste aus seinem negativ erlebten Berufsalltag zu machen, entweder passiv durch Meidung oder aktiv durch Ausnutzen. Einen „bewussten oder unbewussten Verzicht auf Engagement am Arbeitsplatz“ unterscheidet Hilb (1992), woraus allerdings nicht verschiedene Formen der IK resultieren müssen. Ähnliches gilt für seine Vorstellung der Abstufung von Engagement zur Inneren Kündigung anhand von sechs Stufen von „progressiven Arbeitszufriedenen“ bis hin zu „resignativ Arbeitsunzufriedenen“. Zu klären wäre, ob das Bezugsobjekt ausschlaggebend für die Ausformung der IK ist. Auch Kanungo (1982) beschäftigte sich mit dergleichen Differenzierungen hinsichtlich des Bezugs und unterschied Job-Involvement (Identifikation mit der Arbeit in der aktuellen Arbeitssituation) und Work-Involvement (Bedeutung der Arbeit im Leben, Zentralität der Arbeit für das Leben und die entsprechende Identifikation). Ob diese Differenzierungen einem bedeutsamen Erkenntnisgewinn dienen, ist diskutabel.
1.7 Innere Kündigung – ein unmoralischer Akt?
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1.6 Waren innerlich Kündigende vormals engagierte Mitarbeiter? 1.6 Waren innerlich Kündigende vormals engagierte Mitarbeiter? Höhn (1983, 35) meint, Mitarbeiter, die früher kritisch diskutiert hätten, seien zu Jasagern geworden. Auch Löhnert schreibt: „offensichtlich“ sind es „gerade ehemals engagierte Mitarbeiter, die innerlich kündigen“ (S 31; ähnlich S. 39). Doch seine anfängliche Annahme, dass die erfolgsorientierten Mitarbeiter, die selbstverständlich engagiert sind, „bei intensiver Misserfolgserfahrung dazu tendieren, innerlich zu kündigen, konnte [in seiner Studie empirisch] nicht bestätigt werden.“ (230). Von Löhnert (1990, S. 110) wird der Gedanke geäußert, dass der Prozess hin zur IK „mit einer im Laufe der Zeit immer mehr verringernden Bereitschaft ... sich für die Arbeit ... zu engagieren“ einhergehe, und zwar bei „ehemals aktiven Mitarbeitern“. Höhn (1989, S. 22f) betont diesen Gedanken bezüglich der Beamten mehrmals nachdrücklich. Daraus wird gelegentlich gefolgert: „Innerlich kündigen können nur diejenigen Personen, die sich früher einmal engagiert hatten.“ (Echterhoff, Poweleit, Schindler und Krenz (1997 S. 34). Bei Brinkmann und Stapf (2005) gibt es ebenfalls in diese Richtung deutende Hinweise (u. a. S. 67). Diese Aussagen mögen plausibel erscheinen, weil sie sich einfach aus dem Sprachgebrauch ergeben und auf den ersten Blick begriffslogisch impliziert sind. Richtig ist lediglich: wer innerlich gekündigt hat, muss vorher in einem Zustand gewesen sein, in welchem er nicht innerlich gekündigt hatte. Damit ist aber nicht gesagt, dass er vorher in einem Zustand des Engagements gewesen ist. Bisher hat niemand diese Aussagen empirisch belegt. Es ist denkbar, dass jemand ein Arbeitsverhältnis beginnt und bereits Vorbehalte mitbringt. Für den schulischen Bereich wird zu untersuchen sein, ob nicht manche Referendare sich schon bei Dienstbeginn in einem motivationalen Zustand der inneren Distanzierung befinden, der in die Richtung der IK weist und diese als einen künftigen Prozess andeutet. Rauin (2008) beschreibt eine Gruppe von Referendaren, die von vornherein in ihrer beruflichen Tätigkeit nicht engagiert waren. Wenn jedoch gemeint ist, dass diejenigen zur IK neigen, die früher an überhöhten, unklaren Zielen orientiert waren, dann findet sich dafür beim ähnlichen Phänomen, dem Burnout, eine empirische Bestätigung (Schmitz, 1998; Schmitz & Leidl, 1999). Es ist denkbar, dass bei der Genese von Disengagement und IK individuell eine ähnliche motivationale Konstellation von Bedeutung ist. Ob diese Konstellation auf alle disengagierten Personen zutreffen muss, sei dahingestellt. Eine AllAussage kann bekanntlich nur mit statistischer Näherung behauptet werden.
1.7 Innere Kündigung – ein unmoralischer Akt? 1.7 Innere Kündigung – ein unmoralischer Akt? Bereits die Definition der IK von Höhn (1983) betont die bewusste Absicht von Mitarbeitern und enthält damit indirekt eine Schuldzuweisung an die „mimosenhaften Mitarbeiter“ und „Wohlstandskinder“ und ihre „Lust am Untergang“. Eine Ursache der IK ist nach Höhn in einer pessimistischen Grundeinstellung sowohl unter Mitarbeitern wie auch unter Vorgesetzten zu sehen. Pessimismus fördere die Genese der IK. Höhn (1983, S. 129) erhebt den Vorwurf gegen die Intellektuellen der 68er, die in ihrer „Pseudo-
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1 Annäherung an ein Konstrukt
Revolution“ die Selbstverwirklichung gegen die Leistungsgesellschaft gestellt und eine Fehlvorstellung von Freiheit gefördert hätten, d. h. sie hätten Vorstellungen verbreitet, die schließlich zum Pessimismus im beruflichen Bereich geführt hätten. Die „Wohlstandskinder“ wollten den Zusammenhang von Leistung und Lohn nicht wahrhaben und schadeten damit sich selbst, da Minderleistung zur Unzufriedenheit führe (Höhn, 1983, 135). Auch eine schlechte Informationspolitik der Vorgesetzten fördere das Gerüchtewesen in einem Betrieb und somit die „Krankheitskeime des Pessimismus“ (Höhn, 1983, S. 141). Diese Aussagen wurden u.a. von Faller heftig kritisiert (1993, S. 99). Höhn erhebt indirekt moralische Vorwürfe gegen eine ganze Generation. Das sieht nach Echterhoff et al., 1996) so aus: „Der . . . Verzicht auf Engagement und selbständiges Anpacken betrieblicher Probleme ist ein deutliches Zeichen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen ihren Einfallsreichtum, ihre Arbeitslust, das positive Miteinander mit ihren Kollegen und Vorgesetzten auf und zeigen dafür mehr angepasstes Verhalten ohne ehrliche, spontane und engagierte Reaktionen.“ Damit wird u. a. ausgesagt, dass die innerlich kündigende Person nicht mehr ehrlich agiert. Löhnert (1990, S. 109ff) spricht mehrmals von der bewussten Verweigerung. Raidt (1989) assoziiert mit dem Phänomen „sattsam bekannte Zeiterscheinungen wie ‚Dienst nach Vorschrift’, Leistungsverweigerung . . . (und) passiver Widerstand“. Brinkmann und Stapf (2005, S. 40) fragen, ob es ein Kainsmal der IK gäbe. „Grassierende Lustlosigkeit“ und „mentale Verweigerung“ kennzeichnen nach Derschka (1988) die IK. Die Zitate zeigen unter anderem auch, dass nicht selten, manchmal zwar verdeckt aber doch erkennbar, moralische Bedenken ausgedrückt werden. Erkenntnisse:
Die Dimension Engagement – Disengagement kann bipolar aufgefasst werden. Innere Kündigung kann als Teilmenge des Disengagements erklärt werden. Im Gegensatz zur offenen Kündigung wird bei der inneren Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, sondern die Erbringung jener Leistungen von Arbeitnehmern aufgekündigt, die über das vorgeschriebene Mindestmaß hinausgehen. Innere Kündigung erfolgt nicht formal, sondern informell und ohne Kenntnis des Vertragspartners und stellt einen unsichtbaren Rückzug aus Engagement und Verantwortung dar. Die Entstehung von Disengagement incl. Innerer Kündigung könnte prinzipiell durch Verletzung der Reziprozitätsnorm und des Psychologischen Vertrags erfolgen, im einzelnen offenkundig durch Führungsfehler der Vorgesetzten Kontrollverlust Unzufriedenheit mit der Arbeit Vermeidungsstrategien Gesellschaftliche Veränderungen Persönlichkeitsfaktoren und personale Gründe. Die Annahme mehrerer Formen von Disengagement ist plausibel.
2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung 2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
Die entscheidende Erkenntnis aus dem vorigen Kapitel liegt darin, dass der Zustand von Disengagement und Innerer Kündigung (IK) durch Ablehnung von Engagement und Initiative und durch inneren Rückzug gekennzeichnet ist. Darin stimmen die meisten IKAutoren überein (Höhn, 1983, S. 17, 23f; Löhnert, 1990, S. 39; Faller, 1993, S. 89; Elsik, 1994; Echterhoff et al., 1994, S. 216; 1996, 1997, S. 33-37; Krenz, 1996, S. 2; Massenbach, 2000, S. 99; Lauck, 2005, u. a.). Die Ablehnung von Engagement bzw. der Gegenpol zum Engagement ist das Disengagement. Innere Kündigung kann deshalb als ein Fall von Disengagement aufgefasst werden. Engagement im Gegensatz zu Disengagement und Innerer Kündigung rekonstruiert bedeutet: Einsatzfreude, Initiative, Offenheit für Neues und eine gewisse, überdurchschnittliche aber nicht maximale Begeisterung für die berufliche Tätigkeit, ferner die Identifikation mit der Organisation, das entsprechende Verantwortungsbewusstsein (Commitment & Involvement) und Leistungsverhalten. In diesem Kapitel soll versucht werden, Innere Kündigung als Disengagement im Rahmen des kontrolltheoretischen Konzepts psychologisch zu erklären. Eine wissenschaftliche Erklärung ist stets eine theoretische Erklärung. Theorien kommt die Funktion zu, Zusammenhänge zu erklären oder zumindest plausibel zu machen. Stehen mehrere Theorien zur Erklärung eines bestimmten Zusammenhangs zur Verfügung, so kann der Forscher jene auswählen, die ihm in Hinblick auf seine Datenbasis passend erscheint. Er kann sich auch in mehreren Theorien gleichzeitig bewegen. Dieses Vorgehen ist nicht nur intellektuell reizvoll, es kann auch zu neuen Einsichten führen. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung erscheint es hilfreich, eine umfassende Theorie zu wählen, die uns in die Lage versetzt, vorhandene theoretische Konzepte, insbesondere aus der Motivationspsychologie, zu integrieren. Nach Möglichkeit sollen am Ende der Einsatz für etwas und die psychische Bindung an etwas so wie der innere Rückzug versuchsweise plausibel erklärt werden können. Für das Nachfolgende halten wir uns im wesentlichen an Carver und Scheier (1981; 2001; Wrosch et al., 2003a, 2003b) und an Autoren, die sich zustimmend oder kritisch zu deren Konzept geäußert haben (u. a. Duval et al., 1992; Schmitz & Hauke, 1992; Nelson, 1993; Kanfer, Reinecker, Schmelzer, 1996; Wyer, 1999). Dort finden sich auch die Hinweise auf die empirischen Belege der folgenden Tatsachen- und Zusammenhangsbehauptungen. Auf die wiederholte Darstellung dieser Belege wird hier verzichtet. Unser Ansatz betont die aktive Rolle von Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens. Menschen streben nach Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Selb-
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
ständigkeit, eben nach Engagement. Menschliches Handeln und Verhalten ist deshalb zweckorientiert und zielgerichtet. Die allgemeinen, übergeordneten Ziele sind die Optimierung der psychischen und physischen Zustände, deren Sicherung und die Abwehr von Gefährdungen dieser Zustände. Im Rahmen des System-Modells des Verhaltens, das auf nonlinearen Weiterentwicklungen mit dynamischen, antizipatorischen Zyklen der Grundformel4: S O R K basiert, geht es darum, positive Konsequenzen zu erzielen und negative Konsequenzen zu vermeiden. In dem Maße des Gelingens hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit Kontrolle über die Situation, über das Verhalten und über die Konsequenz. Das Problem wird im schulischen Bereich für manche Lehrkräfte deutlich verschärft, wenn positive Konsequenzen kaum noch zu erwarten sind. Die einfachste Lösung bestünde darin, das Feld bzw. das System zu verlassen. Genau das ist Lehrern im Beamtenstatus nicht möglich, ohne schwerwiegende Verluste zu erleiden. Die zweite Lösung wäre: (a) sich langfristig auf das Aushalten negativer Konsequenzen einzustellen und (b) die Anstrengung (Verausgabung) zu erhöhen, um langfristig doch noch einen positiven Effekt zu erzielen. Doch dabei kann es geschehen, dass der Organismus O einschließlich der physiologischen und psychologischen Variablen (die β- und γ-Variablen) versagt. Damit bricht das System zusammen. Das wäre der Zustand schwerer körperlicher und psychischer Erschöpfung. Statt dieser beiden extremen Möglichkeiten könnte auch die Anstrengung (Verausgabung) reduziert werden, um das System am Leben zu erhalten: Man stellt sich auf langfristiges Aushalten negativer Konsequenzen ein (z. B. das Nicht-Erreichen von erwarteten positiven Konsequenzen wie etwa die Nicht-Erfüllung des Psychologischen Vertrags von der anderen Partei oder das Ausbleiben erwarteter Gratifikationen (nach Siegrist, 1997), man senkt gleichzeitig die Anstrengung(sbereitschaft oder Verausgabungsbereitschaft) und senkt das Anspruchsniveau des langfristig erwarteten positiven Effekts. Im System-Modell des Verhaltens wäre der Bruch des Psychologischen Vertrags eine spezifische Form von Misserfolg bzw. negativer Konsequenz, nämlich das Nicht-Erzielen von erwarteten positiven Effekten. Ähnliches trifft auf das Ausbleiben erwarteter Gratifikationen zu. Sowohl das Verhaltensmodell als auch das Konzept des psychologischen Vertrags könnten durch das Element der Verausgabung als Erhöhung der Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft erweitert werden. Bekanntlich wird auf das Ausbleiben erwarteter positiver Effekte zunächst meist mit vermehrter Anstrengung reagiert. Im Verhaltensmodell entspräche das der Einführung einer speziellen β-Variablen (Kanfer et al., 1996, S.39f). Die bisherige theoretische Skizze demonstriert, dass das Phänomen des Disengagements durch Kombination einfacher
S steht für Stimulus und auf R bezogene Situation; O steht für β = psychologische und γ = biologische/ physiologische Organismus-Variablen, später für das Selbstregulations-System, R steht für Reaktion bzw. Handlung; K steht für Konsequenz, Handlungsergebnis und Handlungsfolgen. Später wurden diverse Feedback- und Feedforward-Schleifen eingeführt und Kombinationen mit dem Attributionskonzept und der Leistungsmotivation vorgenommen.
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2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie
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Modelle ganz gut beschrieben werden kann. Etwas umfassender sind die Modelle der Selbstregelung. In den theoretischen Modellen des Handelns spielt das Verfolgen von Zielen eine zentrale Rolle. Diese Modelle versuchen jene Mechanismen zu klären, anhand derer Ziele selektiert, verfolgt und dann erreicht oder aufgegeben werden; sie werden unter dem Begriff der Selbstregelung diskutiert. Im Grunde genommen ist Selbstregelung eine Bezeichnung für ein Selbst-Korrektursystem, das daran arbeitet, einen Menschen „auf der Spur“ zu halten, um ein selbst gesetztes Ziel zu erreichen. Ein Ziel ist die geistige Vorwegnahme eines künftigen Ereignisses in der Gegenwart. Das Modell von Carver und Scheier, das sich in vielen Studien bewährt hat, basiert auf den Prinzipien der Kontrolltheorie des Handelns. In diesem Modell wird das ziel- und zweckgerichtete Verhalten als eine selbstregulierende, hierarchisch aufgebaute Reihe aus Feedback-Schleifen konzeptualisiert.
2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie 2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie Verhalten ist die „Kontrolle der Wahrnehmung“, was bedeuten soll, dass die Menschen mit Hilfe ihres Verhaltens danach streben, die Stimuli, die sie wahrnehmen, so zu kontrollieren, dass diese Stimuli den intern vorgegebenen Standards entsprechen. Bemerkt eine Person eine Abweichung von einem dieser Standards, wird sie zu einem Verhalten motiviert, dessen Ziel es ist, ihre Umgebung derart zu verändern, dass die wahrgenommenen Stimuli wieder dem Standard entsprechen. M. a. W.: die Aufgabe besteht darin, eine Ist-Soll-Diskrepanz zu verringern bzw. den Ist-Zustand so zu verändern, dass er dem Soll-Zustand nahe kommt. Auf die Möglichkeit, den Soll-Zustand den schwierigen Bedingungen anzupassen und zu reduzieren, wird später eingegangen. Menschliches Verhalten wird als eine Ursache für das nachfolgende Verhalten betrachtet, und dieses wiederum für dessen Folgeverhalten in einem System aus geschlossenen Schleifen. Der Vorteil des Modells liegt in der Fähigkeit, längerfristig angelegtes Verhalten ausreichend zu erklären. Betrachten wir das folgende Beispiel zur Veranschaulichung: Nehmen wir an, wir spazieren durch ein Einkaufszentrum. Ziel ist es, von einer Abteilung in die nächste zu gehen, ohne an Wände, Bänke oder andere einkaufende Menschen zu stoßen. Die meisten Menschen bewältigen dies ohne größere, „bewusste“ Anstrengung. Lassen Sie uns diesen simplen Vorgang ein wenig weiter unterteilen: Während wir so spazieren, übermitteln die Augen dem Gehirn Informationen über die Entfernungen des Körpers zu den anderen Objekten. Zur gleichen Zeit werden von den Muskeln Richtungsänderungen ausgeglichen: ein Verlangsamen oder Erhöhen der Gehgeschwindigkeit, oder ein Anhalten dienen dazu, dem Standard „Gegenständen oder anderen Menschen nicht zu nahe kommen“ gerecht zu werden. Wie „wissen“ die Muskeln, wann sie ihre Geschwindigkeit oder Richtung ändern sollen? Dies wird durch die Wahrnehmung von Abweichungen von dem internen Referenzwert für „die normale Entfernung von Objekten in einem Einkaufszentrum“
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2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
erreicht. Wir mögen einen Referenzwert von ca. 1,0 m als die niedrigste Entfernung zu einem anderen Menschen oder einem Objekt in einem Einkaufszentrum haben. Falls wir wahrnehmen, dass der Abstand zu anderen Menschen oder Objekten weniger als der Referenzwert von 1,0 m beträgt, wird das Gehirn den zuständigen Muskeln ein Signal senden, das uns veranlasst, uns dieser Veränderung anzupassen (langsamer werden oder sich von der Person oder dem Objekt weg bewegen), so dass der wahrgenommene Abstand in etwa wieder dem Standard entspricht. In dieser Weise werden Wahrnehmungen mit Standards verglichen, um eine Kontinuität des zielgerichteten Verhaltens aufrechtzuerhalten.
2.1.1 Das Prinzip der Selbstregelung Carver und Scheier übernahmen viele der Prinzipien der Kontrolltheorie als konzeptionelle Grundlagen für die Formulierung ihres eigenen Modells der Selbstregelung. Im wesentlichen betrachten sie jenes Verhalten als selbstregulierend, bei dem sich Menschen aktiv an der „Selbstkorrektur“ von Verhalten beteiligen, damit eine Übereinstimmung zwischen der Wahrnehmung der Umgebung und der Referenzwerte (oder Standards) beibehalten wird. In ihrem Konzept wird Verhalten wie das Handeln als zielgerichtet betrachtet, und wahrgenommene Abweichungen von einem Zustand des „Zielgerichtet-Seins“ lösen ein Verhalten aus, das wiederum darauf abzielt, einen wahrgenommenen, zielgerichteten Zustand zu erreichen. Selbstregelung setzt dann ein, wenn entweder eine fortlaufende Aktivität (etwa eine berufliche Tätigkeit) unterbrochen wird, oder wenn Handlungsziele nicht erreicht werden. Es ist wichtig zu beachten, dass Verhalten in diesem Modell nicht das Endprodukt der Selbstregelung darstellt. Vielmehr ist Verhalten der Prozess, durch den der Mensch sich selbst „reguliert“, indem er seine Wahrnehmungen (durch sein Verhalten) derart verändert, dass sie dem jeweiligen Standard entsprechen. Standards – oder Referenzwerte – für Verhalten können von externen Quellen auferlegt werden (z.B. eine Mindestpunktzahl, die erreicht werden muss, um zum Psychologiestudium zugelassen zu werden), oder durch eigene Vorstellungen zustande kommen (was man sich unter dem minimalen Lebensstandard vorstellt, den man aufrecht zu erhalten wünscht). Änderungen können auch durch ein Zusammenwirken der beiden Quellen zustande kommen.
2.1.2 Handlung und Rückmeldung Wenn jemand wahrnimmt, dass Elemente der Umgebung, die für ein Verhaltensziel relevant sind, nicht dessen Standard für die Durchführung dieses Verhaltens entsprechen, initiiert die Selbstregelung eine Verhaltensänderung. Selbstregelung meint „selbstkorrigierende“, bewusste Handlungen, die darauf abzielen, die wahrgenommene
2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie
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Kontinuität des zielgerichteten Verhaltens wieder herzustellen. M. a. W.: Menschen streben danach, die Abweichungen der Wahrnehmungen ihres Verhaltens von den Standards für dieses Verhalten auf einem niedrigen Niveau zu halten, und dies wird durch einen Vergleichsprozess mit integrierter Rückkoppelung erreicht. Menschen bewerten immer wieder, wie der Vergleich ihrer Wahrnehmungen des IstZustandes mit den Referenzwerten für das relevante Handeln ausfällt (Das ist die Vergleichs-Funktion). Wenn eine Abweichung bemerkt wird, d.h. die Wahrnehmungen erreichen die relevanten Standards nicht, wird eine Person zu einem Verhalten motiviert, welches darin resultieren wird, dass die Wahrnehmung des Ist-Zustandes dem Referenzwert näher kommt. Da sich das Verhalten auf die Umgebung auswirkt, wird es seinerseits von äußeren Einflüssen, wie z.B. anderen Menschen, beeinflusst. Diese Auswirkung auf die Umgebung wird dann anhand von Wahrnehmungsprozessen beurteilt und die Schleife schließt sich, da wir uns wieder am „Anfang“ der Sequenz befinden. Dem Modell ist die Annahme eigen, dass Selbstregelung ein kontinuierlicher, dynamischer Prozess ist, der niemals endet. Das Erreichen eines Zieles verursacht Verschiebungen am System, und neue Ziele sowie auch neue Referenzwerte werden geschaffen.
2.1.3 Der hierarchische Aufbau des Verhaltens Carver und Scheier übernehmen in ihr Modell Powers’ Vorschlag, wonach das Handeln hierarchisch, in einer kaskadenartigen Schleifenstruktur organisiert ist. Bewegungen, Verhalten, Handlungen werden stets von der übergeordneten Ebene gesteuert. An der Spitze der Hierarchie ist die Systemebene. Sie enthält die Vorstellungen, die Menschen von sich haben, also ihr Selbstbild, auch ihr berufliches Selbstbild, ihre zentralen Werte und Überzeugungen. Diese bilden die Referenzwerte für wichtige Entscheidungen im Leben, etwa für die Berufswahl. Diese Selbstbeschreibungen sind, sofern sie in einem reflexiven Konstruktionsprozess überhaupt erworben wurden, gemäß dem Kohärenzprinzip ziemlich stabil in der Zeit (dazu die Gruppe um Antonovsky, z. B. Pallant & Lae, 2001). Technisch ausgedrückt ist auf dieser System-Ebene der Metaprozessor des ganzen Systems der Person angesiedelt. Die praktische Bedeutung dieses übergeordneten, handlungssteuernden Systemkonzepts der Person für die Gesundheit wird im Gesundheitsmodell von Helmut Heyse (2004) deutlich. Danach ist die Lehrergesundheit abhängig vom (1) Sollen, d.s. die beruflichen Anforderungen, vom (2) Können, d.s. die Kompetenzen und Ressourcen der Person, und (3) vom Wollen, das sind die übergeordneten Ansprüche der Person, ihr Engagement und ihre Ziele. Auf der nächst niederen Ebene, der Prinzipien-Ebene, sind abstrakte Merkmale des Verhaltens angesiedelt, die allgemeine Richtwerte für das Verhalten und Handeln liefern, wie z.B. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Kollegialität, Tüchtigkeit und ArbeitsEngagement. Auf der nächstniederen Ebene, der Programm-Ebene, befindet sich das Verhalten incl. seiner Ziele bzw. das Handeln. „Programme“ oder Schemata (Skripte)
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2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
können Aktivitäten enthalten wie: zur Post gehen, Essen zubereiten, eine Unterrichtsstunde halten oder der Hausputz. Darunter liegen die Ebenen der bloßen Motorik wie Kartoffeln schälen, Tafel abwischen, Schülern Anreize vermitteln u. dgl. mehr. Die Hierarchie der Handlungskontrolle mag folgendes Beispiel demonstrieren: Jemand gießt einem Gast ein Getränk ein: Er möchte zeigen, dass er ein guter Gastgeber (Selbstbild) ist und den Gast wertschätzt (Prinzipienebene); entsprechend kommt es zur Ausführung des Programms, wobei die Feinmotorik kontrolliert wird, um nichts daneben zu schütten. Dabei können auch Fehler geschehen, und zwar auf jeder Ebene: Zum Selbstbild einer Lehrkraft gehört die Vorstellung, sich in der Klasse durchsetzen zu können (Prinzipienebene); in einer angespannten Situation greift sie zu drastischen Mitteln, um Ruhe zu erzwingen. Bei der anschließenden Reflektion bemerkt sie, dass sie ihre Vorstellung, eine professionelle Lehrkraft zu sein, durch die falsche Wahl der Mittel verletzt hat. Mittels Suche und Anwendung von pädagogisch besseren Mitteln bewältigt sie die Diskrepanz von Handeln und Selbstbild. Es werden an dieser Stelle nur jene Ebenen von Powers Hierarchie vorgestellt, die hier benötigt werden. Das Ergebnis der Arbeit auf einer übergeordneten Schleife bildet den Referenzwert für die nächst niedere Schleife. Zum Beispiel liefert die Aktivierung eines Prinzips gleichzeitig den Referenzwert für ein Programm. Ob die Durchführung eines Programms erfolgreich war, wird durch einen Vergleich zwischen dem Programm-Ergebnis und dem Referenzwert ermittelt. Hier ist es wichtig zu beachten, dass Menschen sich natürlich nicht fortwährend mit Aktivitäten beschäftigen, die auf solch hoch stehende Ziele wie auf die Verwirklichung des idealisierten Selbstbildes als Lehrer ausgerichtet sind. Das Modell geht davon aus, dass die jeweils vorherrschende Ebene jene ist, die für den einzelnen Menschen zu einer gegebenen Zeit am wichtigsten ist. Gewöhnlich wird Verhalten auf der Programm-Ebene reguliert, wobei Handlungen, die höhere Ebenen betreffen, solange aufgeschoben werden, bis die Aufmerksamkeit auf diese gerichtet ist. Prinzipiell kann eine Handlung, auch im Kontext länger dauernder Tätigkeit, gleichzeitig auf mehreren Ebenen kontrolliert werden. Die Auswirkungen von Aufmerksamkeit und von Ergebniserwartung wurden von Carver und Scheier zusätzlich in das Modell aufgenommen.
2.1.4 Die Aufmerksamkeit Dem Modell zufolge kann die Aufmerksamkeit auf die Umgebung eines Menschen oder auf ihn selbst gerichtet sein (Self-Focus). Die Aufmerksamkeit ist gewöhnlich auf die Umgebung gerichtet, z. B. auf die Lernergebnisse der Schüler, und nur gelegentlich richtet sie sich auf den Menschen selbst, nämlich wenn Wahrnehmungen und Standards verglichen werden. Folglich bemerkt ein Mensch nur periodisch, wie gut sein Verhalten dem jeweiligen Standard für dieses Verhalten entspricht.
2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie
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Die Richtung der Aufmerksamkeit hat sich als ziemlich wichtig für den Vorgang der Selbstregelung erwiesen. In einer Reihe von Experimenten demonstrierten Carver und Scheier, unter welchen Bedingungen die Wahrnehmungen eines Menschen die Verhaltensdimension eines Zieles hervorheben (wie z. B. bei einem wichtigen Vorstellungsgespräch oder bei der ersten Unterrichtsstunde in einer neuen Klasse), wann die Selbstaufmerksamkeit die Tendenz fördert, die Vergleichsfunktion der FeedbackSchleife zu aktivieren, d.h. den gegenwärtigen Zustand des Individuums mit dem relevanten Referenzwert zu vergleichen, mit dem Ziel die Abweichung der beiden voneinander zu reduzieren. Eine beträchtliche Menge von Belegen stützen diese Ergebnisse. Typische schulische Situationen wären beispielsweise das Unterrichten im Beisein des Schulrates oder eines Elternvertreters oder die Lehrprobe eines Referendars; ein anderer Fall wäre die Provokation durch einen Schüler, wobei die ganze Klasse gespannt ist, ob die Lehrkraft eine Niederlage erleidet, während die Aufmerksamkeit stets darauf gerichtet ist, wieweit die eigenen pädagogischen Standards erreicht werden. Das Problem der fluchtartigen Vermeidung der Selbstaufmerksamkeit dagegen hat Roy Baumeister in mehreren Beiträgen (u. a. 1991) als Dekonstruktion der Hierarchie der Selbstregelung beschrieben.
2.1.5 Hindernisse Stellen sich dem zielgerichteten Handeln wiederholt Hindernisse in den Weg, dann können sich negative Einflüsse oder Zweifel ergeben, und die Selbstregelung wird unterbrochen. Diese Unterbrechung dauert so lange an, wie das Individuum benötigt, die Ergebniserwartung des Vorgangs „Hindernis bewältigen und Ziel erreichen“ zu beurteilen. Eine Erwartung ist die Antizipation und zugleich Vergegenwärtigung eines wahrscheinlich kommenden Ereignisses; sie enthält Wissen über künftige Zielzustände und über Mittel und Wege, sie zu erreichen. Eine Ergebniserwartung ist die subjektive Wahrscheinlichkeit von Erfolg bzw. Misserfolg. Was passiert, falls eine Person an ihren Ressourcen und am Erfolg zweifelt, ob sie dem Standard entsprechen kann? Wird sie nach wiederholten Fehlversuchen es trotzdem weiter versuchen, in einer vergeblichen Anstrengung den Standard zu erreichen? Die Forschungsergebnisse verneinen diese Frage. Wenn man Versuchspersonen einen Standard für die Durchführung einer Aufgabe vorsetzte, ihnen viele Versuche ließ, die Aufgabe zu bewältigen, und ihnen wiederholt Fehlversuchs-Rückmeldungen gab, wurde ihre Ergebniserwartung bedeutend beeinträchtigt. Das heißt, sie erwartete nicht mehr, dass weitere Handlungsversuche zum Ziel der Übereinstimmung mit dem Standard führen würden. An diesem Punkt tendierten die Probanden dazu, sich von dem Selbstregelungsprozess zu lösen und sich innerlich zu disengagieren. Was wird demnach eine Lehrkraft tun, der es wiederholt nicht gelungen ist, beispielsweise die Provokationen einiger Schüler mit pädagogisch-psychologischen Mitteln zu bewältigen? Sie könnte zu unpädagogischen Mitteln greifen und versuchen, das Provo-
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2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
kationsproblem durch subtile Methoden der Repression zu lösen, oder sie könnte, falls sie dies ablehnt, den Rat und die Hilfe anderer Experten einholen, oder schließlich könnte sie aufgeben, sich dem Problem zu stellen und sich disengagieren. Aber dabei müsste sie einen inneren Rückzug von den eigenen übergeordneten Werten als „professionelle Lehrkraft“ vollziehen, eine „Dekonstruktion“ von wichtigen Teilen der eigenen, selbst konstruierten Persönlichkeit, wie Roy Baumeister (ebd.) das nennen würde. Abbildung 2.1: Darstellung der Prozesse, wenn Hindernisse auftreten (Carver und Scheier, 1991)
Selbstregulation
zielgerichtetes Verhalten
NEIN Schwierigkeiten
Ziel erreicht
JA Unterbrechung und Bewertung
JA zufrieden NEIN
Disengagement
Schwierigkeiten und Hindernisse können bei einzelnen Handlungen auftreten, aber auch bei Handlungsketten und länger dauernden Tätigkeiten. Typische Beispiele aus dem Bereich Schule sind das Störverhalten von Schülern, ihre mangelnde Mitarbeit, die das Erreichen von gesetzten und erwarteten Lehrzielen behindern, aber auch häufiger Eingriff durch die Schulleitung kann ein dauerhaftes Hindernis darstellen.
2.1 Die Prinzipien der Kontrolltheorie
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2.1.6 Affektive Konsequenzen der Ziel-(Nicht)Erreichung Die wahrgenommene Fähigkeit, ein erwünschtes Verhalten mit erwünschten Ergebnissen auszuführen, m. a. W., die gesetzten Handlungsziele zu erreichen, nennt Bandura (1977) die Selbst-Wirksamkeits-Erwartung. Die entstehende Erfolgserwartung ist nach Carver & Scheier (2001, 204f) absolut notwendig für die wahrgenommene Kontrolle; sie ist eine wichtige Determinante einer erfolgreichen Anpassung an belastende Ereignisse bzw. für deren Bewältigung. Das gilt natürlich auch für die Lehrer-Selbstwirksamkeit (G. S. Schmitz, 2001). Den Versuch einzustellen, die Wahrnehmungen durch förderliches Verhalten an den unerreichbaren Standard anzupassen, ist eine übergeordnete Funktion, die Rückkoppelungs-Systemen eigen ist. Sie ermöglicht es einem Menschen, die Rückkoppelungs-Schleife zu verlassen und den entsprechenden Standard nicht länger zu beachten. Wenn diese vorrangige Funktion zusammenbricht, ergeben sich einige unterschiedliche affektive Konsequenzen. Pyszczynski und Greenberg (1992) haben Belege gesammelt, aus denen sich folgern lässt, dass die Unfähigkeit oder der Unwille eines Menschen, das Erreichen eines unerreichbaren Standards aufzugeben, zu Depressionen führen kann, da dieser Mensch kontinuierlich an dem Versuch scheitern wird, diesen Standard zu erreichen. Offenbar hat auch das Tempo, in dem Diskrepanzen reduziert werden, direkte affektive Auswirkungen auf das Individuum: Wenn die Abweichung des gegenwärtigen Zustands vom Standard schneller reduziert wird als der Referenzwert für das Tempo vorsieht, ergibt sich ein positiver Affekt. Falls das Tempo dem Standard entspricht, ergibt sich weder ein positiver noch ein negativer Affekt. Falls dagegen das Tempo der Diskrepanzreduzierung langsamer ist als der „Tempostandard“ des Individuums, ergibt sich ein negativer Affekt. Da zweckgerichtetes Verhalten durch Ziele auf mehreren Komplexitätsstufen gekennzeichnet ist, gelingt es gut, sowohl sehr einfaches als auch sehr komplexes Verhalten zu erklären, je nachdem, ob das Verhalten im Dienste der Annäherung an den Referenzwert auf der Ebene der System-Konzepte, der Prinzipien, der Programme oder auf einer einfacheren Ebene der Hierarchie stattfindet. Einer der Vorteile dieser Perspektive der Verhaltensanalyse liegt darin, verschiedene theoretische Konstrukte unter einem abstrakten Theorierahmen zu integrieren. Der Begriff Standard wird einfach als Vergleichspunkt oder Referenzwert auf den verschiedenen Ebenen des Verhaltens verwendet. Er hat nicht automatisch die Bedeutung von Idealzustand. Der „Self-Focus“ fördert ein Verhalten, von dem das Individuum glaubt, es solle durchgeführt werden, ob es nun wertbezogen ist, wie z. B. die Wahrheit zu sagen, oder einfach die bestmögliche Leistung in einer Prüfung darstellt (etwa als Referendar in einer Prüfungs-Lehrprobe oder als Lehrer bei einer Visitation oder Evaluation). Moralische Werte könnten als eine Unterkategorie in der größeren Kategorie der Verhaltensstandards betrachtet werden. Auf jeden Fall ist ein Standard eine Repräsentation einer Handlung. Insofern sind Ziele implizit zu denken.
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2 Disengagement in der Kontrolltheorie der Selbstregelung
Diese interne Repräsentation wird durch wahrgenommene Informationen (Stimuli) aktiviert. Standards können miteinander konkurrieren. Die höchste Ebene, die System-Ebene eines Individuums, ist durch ein mehr oder weniger reflektiertes und durchaus nicht immer harmonisches Wertesystem gekennzeichnet. Das hat Hans Arne Stiksrud zu der ironischen Frage veranlasst: Steuern Werte das Verhalten? Wie entsteht überhaupt ein Wertesystem? Es wird – kurz gesagt – mittels des Modell-Lernens aus verschiedensten Referenzgruppen erworben, d.h. es sind andere Menschen an seiner Entwicklung beteiligt, und es ist auch Veränderungen zugänglich. Das System selbst ist jedoch „internally based“, d.h. es ist – zumindest bei den meisten Erwachsenen – im Kern über die Zeit ziemlich stabil und kaum beeinflussbar, vergleichbar dem Begriff der Substanz. Es ist das, woran ein Mensch sich als sich selbst bzw. als different zu anderen Personen und als in der Zeit stabile Person wiedererkennt. Die meisten Menschen sind bereit, ihr Selbstbild zu verteidigen. Gefährdungen können Existenzängste auslösen.
2.2 Kontrollverlust und Disengagement 2.2 Kontrollverlust und Disengagement Denken und Fühlen gehören zusammen. Manchmal führen Gefühle direkt zu Gedanken, zum Beispiel Traurigkeit zu Zweifeln, Glücksgefühl zu Zuversicht und Vertrauen, Hoffnung zu Optimismus, und umgekehrt. Der Meta-Mechanismus dafür ist die Kontrolle. Kontrolle ist durch die Kontingenz von situativer Reaktion (Verhalten oder Handeln) und den Folgen definiert. Das Gelingen von Kontrolle ist mit guten Kognitionen und Gefühlen verknüpft; das Kontrollerleben vermittelt Sicherheit und Zuversicht. Das Vorliegen von Nicht-Kontrolle ist mit negativen Kognitionen und Gefühlen verknüpft. Negative Kognitionen und Gefühle werden durch unangenehme Ereignisse ebenso aktiviert wie durch das Nicht-Eintreten erwarteter positiver Ereignisse. Wenn Menschen beim Versuch, ihr Ziel zu erreichen, m. a. W. die Diskrepanz zu reduzieren, Widrigkeiten erfahren, setzen sie ihr Verhalten kurzzeitig aus bzw. stoppen sie ihren Handlungsfluss und bewerten es bewusster als während der Handlung. Eine Erklärung liegt darin, dass der negative Affekt und der Zweifel, die vom Metaprozessor ausgehen, den Stimulus für den Abbruch darstellen. Ein Beispiel für das Gegenteil ist das FlowErleben, wo das Verhalten nie für eine Erwartungs-Bewertung unterbrochen wird, weil Ist-Zustand und Referenzwert übereinstimmen, d. h. dass eine Passung besteht zwischen den Anforderungen der Umwelt und der Kompetenz der Person. Menschen variieren die Tendenz, ihre Handlungen zu unterbrechen und eine Erwartungsbewertung vorzunehmen. Einer der Gründe liegt in den unterschiedlichen, individuellen Graden an Zuversicht bzw. Zweifel. Der Punkt ist offenbar nicht nur, ob jemand eine Aufgabe unterbricht, sondern auch, ob er sie überhaupt beginnt, beispielsweise wenn die Person weiß, dass die Aufgabe schwer sein wird, und sie an ihren Fähigkeiten, sie zu bewältigen, starke Zweifel hat. Der dafür verantwortliche psychische Mechanismus kann sehr einfach sein: Ohne sein summarisches Gedächtnis zu
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bemühen ist jemand sogleich der Überzeugung: „Das kann ich nicht“ – „Das schaffe ich so wie so nicht“ – „Die Menschen mögen mich nicht“. In anderen Fällen wird eine Analyse der Möglichkeiten vorgenommen, die Szenarien mit den möglichen Handlungsergebnissen und Handlungsfolgen werden im Rahmen des kognitiven Prozesses automatisch durchgespielt. Diese Prozesse wirken auf die Erwartungen. Das kann zu Folgerungen führen: „Falls ich diesen Weg anstatt jenen wähle, könnte es besser gehen.“ Diese veränderten erwartungsrelevanten Überlegungen könnten die Zweifel oder die Zuversicht fördern oder hemmen, je nachdem welche Folgerungen das geistige Durchspielen der möglichen Szenarien zulässt (Carver, Scheier, 2001, 175 ff).
2.2.1 Erwartungen Erwartungen existieren auf den verschiedenen Ebenen der Verarbeitungs-Hierarchie. Man kann Erwartungen haben bezüglich künftiger situativer und arbeitsspezifischer Handlungen (auf das Tafelbild achten) und bezüglich bestimmter bereichsspezifischer Handlungs-Ergebnisse (die Lehrer-Schüler-Beziehung pflegen können) oder auf der Ebene wichtiger Lebenseinstellungen (Optimismus vs. Pessimismus; das Selbstbild einer guten Lehrkraft mit der Zuversicht hinsichtlich der eigenen Selbstwirksamkeit). Selbstwirksamkeits-Erwartungen beziehen sich auch auf die Wahrscheinlichkeit der künftigen Aufeinanderfolge von Ereignissen, nämlich: Handlung Ergebnis Konsequenz oder Folge. Komplizierter wird diese Kette in einer sozialen Situation. Als Lehrer erwarten wir von den Schülern Mitarbeit und Lernerfolge. Mitarbeit als Folge unseres Handelns ist für uns eine positive Konsequenz. Positiv wird auch eine angemessene Reaktion der Schulleitung erlebt. Die Erwartungen einer VerarbeitungsHierarchie sind auf einander bezogen. Die situativen, arbeitsspezifischen Erwartungen aggregieren zu „höheren“ bereichsspezifischen Erwartungen. Das scheint in der Theorie einfach zu sein, ist aber in der Praxis kompliziert: So kann es zu unterschiedlichen Gewichtungen des Beitrags einer Fertigkeit (z. B. Schülern gezielt richtige und emotional angemessene Rückmeldungen geben können) hinsichtlich der Bedeutung für den breiten Bereich des Unterrichtens kommen. Es ist also wichtig, dass die Erwartungen (a) über alle Hierarchie-Ebenen und (b) auf der sozialen Ebene zueinander passen. Die wahrgenommene Fähigkeit, ein erwünschtes Verhalten so auszuführen, dass es zu erwünschten Ergebnissen führt, nennt Bandura die Selbst-Wirksamkeits-Erwartung (1977). Die entstehende Erfolgserwartung ist nach Carver und Scheier (2001, 204f) absolut notwendig für die wahrgenommene Kontrolle; sie ist eine wichtige Determinante einer erfolgreichen Anpassung an belastende Ereignisse oder – m. a. W. – für deren Bewältigung. In der pädagogischen Ausbildung zum Lehrerberuf kann beobachtet werden, dass auf der Ebene der Prinzipien abstrakte Erwartungen formuliert werden (z. B. grundlegende pädagogische Prinzipen), dass aber auf den unteren Ebenen der Ausführungsprogramme konkrete Erwartungen, z. B. Wenn-Dann-Relatio-
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nen bezüglich Handlung, Handlungsergebnis und Handlungsfolgen, gar nicht oder kaum formuliert und überhaupt nicht geübt werden. Folglich kann eine Selbst-Wirksamkeits-Erwartung gar nicht entstehen. Folgerichtig gelangen Rothland und Terhart, Universitäts-Pädagogen, zu der Diagnose, die praktische Tätigkeit der Lehrer zeichne sich „nicht durch eine spezifische Arbeitsweise oder gar Technologie aus“ (2007, S.17). Man bedenke die Konsequenzen für die Verarbeitungs-Hierarchie: Referenzwerte wären vorhanden, aber ein Handlungswissen auf der Programm-Ebene nicht!
2.2.2 Handlungen, Ergebnisse und Folgen Handlungen und ihre Ergebnisse haben Folgen; diese besitzen positive oder negative ‚Anreizwerte’ von unterschiedlicher Stärke. Die Schemata oder Muster von ‚HandlungsErgebnis-Folgen’ werden antizipiert und motivieren bei positiven Anreizwerten zum weiteren Handeln. Sofern eine Arbeitsaufgabe als lösbar betrachtet wird, d. h. Kontrollierbarkeit angenommen werden kann, wird die Kontingenz, das ist der hochwahrscheinliche Bedingungszusammenhang, nicht bezweifelt (Heckhausen, 1980, S. 500f; ähnlich Kanfer et al., 1996, S. 38). Umgekehrt werden durch negative Anreizwerte Flucht oder Meidung evoziert. Mit anderen Worten: Das Handeln lässt sich von der Instrumentalität leiten, die es für das Erscheinen erwünschter oder für das Nicht-Eintreten unerwünschter Folgen hat. Instrumentalität bezeichnet den Grad der Erwartung, dass ein Handlungsergebnis die betreffende Ergebnis-Folge nach sich zieht oder ausschließt – In diesem Fall ist die Instrumentalität negativ ausgerichtet. Mitarbeiter wie eben Lehrer sind, wie andere Berufstätige auch, dann motiviert, wenn sie erwarten können, dass ihre Anstrengung und Leistung am Arbeitsplatz zu den gewünschten Ergebnisse führen, sei es der Lernfortschritt der Schüler oder die Unterstützung durch die Schulleitung. Entsprechendes gilt für die Schüler. Handeln tritt erst auf, wenn eine bestimmte Erfolgswahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen, besteht und wenn dieses Ziel eine gewisse positive Valenz hat. Hohe Instrumentalität liegt vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine positive Rückmeldung zu erlangen, nach erfolgreich erbrachter Leistung hoch ist. Gering ist die Arbeitsmotivation, wenn die Erwartung bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass die Leistung tatsächlich erbracht werden kann oder die Wahrscheinlichkeit, dass die Belohnung auch wirklich der Mühe wert ist, gering sind. Vroom war es, der die Instrumentalität des Handelns nachdrücklich verdeutlicht hat, aber neu war sein Denkansatz nicht (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2006, S. 537). Wenn nun Lehrer mehr und mehr zu der Überzeugung gelangen, dass sie gar nicht über die Verhaltenstechnologie verfügen, die notwendig wäre, um ihre Arbeitsziele zu erreichen, wenn damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Leistung überhaupt erbracht werden kann, sinkt, dann sinkt auch der Grad ihrer Arbeitsmotivation; oder wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Belohnung bzw. die Art einer positiven Rückmeldung, falls überhaupt eine Rückmeldung erfolgt, auch wirklich der Mühe wert ist, gering ist (geringe Valenz), dann sinkt ebenfalls die Motivation, während Zweifel und negative Gefühle aufkommen.
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Die Bedeutung der Wirkung von Erwartungs-Bewertungen wird nach Carver und Scheier (2001, S. 181f) wie folgt beschrieben: Wenn die Erfolgserwartungen bezüglich einer Tätigkeit hinreichend positiv ausgeprägt sind, wird die Person ihre Mühe in Richtung Ziel verstärken. Sind sie dagegen wiederholt ausreichend negativ, ist das Resultat der Bewertung ein Anlass, (a) von weiteren Anstrengungen (Verausgabungen) und (b) möglicherweise sogar vom Ziel selbst abzulassen. Da Ziele meist auf verschiedenen Hierarchie-Ebenen angesiedelt sind, wie ausgeführt wurde, liegt es nahe, vom Ablassen oder Rückzug von Zielkomplexen zu sprechen. Ein erster Schritt ins Disengagement oder gar in die Innere Kündigung ist getan. Das soll nicht heißen, dass Menschen bei einzelnen Frustrationen ihre Ziele aufgeben. Frustrationen sind als die Blockade von Wünschen, Erwartungen und Zielen definiert, sie sind Signale dafür, dass die situative Erwartung in eine negative Richtung wechselt. Wiederholte Frustrationen werden eine Festigung der negativen Erwartungen bewirken. Abbildung 2.2: Möglichkeiten der Selbstregulation als Folge ungünstiger Erwartungen in auswegloser Situation (in Anlehnung an Carver und Scheier, 1991) Konsequenzen aufgrund ungünstiger Erfahrungen
Impetus, sich zu disengagieren
JA
NEIN Rückzug möglich
Rückzug auf Verhaltensebene
mentales Disengagement
Zwang, sich erneut mit dem Ziel auseinander zu setzen NEIN
Erfolgreiches Loslösen
JA
Neue Anstrengungen, Unterbrechungen, erneutes Wachrufen von ungünstigen Erfahrungen
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Aber der situative Einfluss ist nicht die einzige Determinante von Erwartungen. Eine situative negative Erwartung kann bei einer selbstsicheren Person infolge der Aktivierung des Selbstfokus durch eine fest etablierte Zuversicht „überschrieben“ (Overriding) und so außer Kraft gesetzt werden. Wenn umgekehrt die Zielerwartungen hinreichend stark ungünstig sind, dann vergrößert der Selbstfokus die Tendenz zum Disengagement vom Ziel. Das sind Folgen der Interaktion von Erwartungen und Selbstfokus in der Zeit. Der Selbstfokus kann die Wirkung sowohl von Zuversicht als auch von Zweifeln auf die Erwartungen und somit auf das Handeln erhöhen. Offenkundig erleichtern attraktive alternative Optionen das Aufgeben von Referenzwerten. Beispielsweise tendieren Menschen eher dazu, Karrierewünsche aufzugeben, wenn dafür erstrebenswerte Alternativen, welche die Zeit und die Aufmerksamkeit der Person erfordern, zur Verfügung stehen (z. B. Teilzeit-Arbeit, um Zeit für die Familie zu haben). Außerdem unterscheiden sich Menschen darin, wie leicht sie früher gesetzte Ziele oder Absichten aufgeben und sich neuen zuwenden, beziehungsweise ob sie Ziele für immer oder nur temporär aufgeben. Einige Menschen disengagieren sich schnell und scheinen dabei relativ wenig Unannehmlichkeiten zu empfinden, während andere mehr über die Ziele grübeln, mehr Zeit und Anstrengung für ein Disengagement benötigen und mehr negative Empfindungen dabei verspüren. Das Disengagement kann verschiedene Grade erreichen, angefangen vom temporären und /oder partiellen Rückzug bis hin zur nahezu vollständigen Aufgabe der vormals verhaltensführenden Prinzipien (Carver & Scheier, 2001, S. 83f, 93ff, 175). Typisch ist dann das in Kapitel 1 geschilderte Verhalten, das für die Innere Kündigung kennzeichnend zu sein scheint (Das lehrertypische Verhalten wird im nächsten Kapitel behandelt).
2.2.3 Disengagement zum Schutz des Selbstbildes Man kann offensichtlich nicht generell behaupten, dass Disengagement schlecht sei. Manchmal ist es unbedingt notwendig. Disengagement ist ein natürlicher und unverzichtbarer Teil der Selbst-Regulation. Menschen müssen zum Disengagement fähig sein, falls sie vor unerreichbaren Zielen stehen. Die Bedeutung von Disengagement wird deutlich an Zielen auf den unteren Hierarchie-Ebenen. Beispielsweise müssen wir umkehren, falls ein planmäßiger Zug ausfällt, falls wir bei einem Lösungsversuch in eine Einbahnstraße geraten sind oder falls mit einer neuen Unterrichtsmethode nicht der erwartete Effekt erreicht wird. Aber auch bei höheren Zielen kann ein Umkehren oder Loslassen nötig sein, zum Beispiel beim Verlust einer engen Bindung, bei Verlust des Arbeitsplatzes, beim Tod eines Angehörigen. Manchmal müssen Ziele aufgegeben werden, weil man sonst in einen heftigen Konflikt gerät, etwa falls eine Arbeitstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen bedenklich wird. In der schulischen Tätigkeit kann es Zielkonflikte in Bezug auf Schüler versus Schulleitung geben. Falls der Lebenspartner dauerhaft krank wird, müssen gemeinsame Ziele des Zusammenlebens aufgegeben
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werden und andere, verwirklichbare Ziele gesetzt werden. Andere lieb gewordene Ziele müssen aufgegeben werden aufgrund von Veränderungen in der Umgebung oder weil neue, attraktivere Ziele präferiert werden. Aus diesen Überlegungen folgt zwingend: Disengagement kann nötig sein zur Anpassung an neue Situationen, oder es kann wichtig sein zum Schutz des Selbstbildes. Viele Beispiele aus der Entwicklung des Einzelnen über die Lebensspanne belegen, dass Disengagement (Rückzug) vom Ziel ein entscheidender Aspekt der effektiven Selbstregulierung ist. Ferner ist gut belegt, dass das Disengagement von Nutzen sein kann, um psychisches Wohlbefinden zu unterstützen. Disengagement bedeutet nicht nur Aufgeben der Anstrengung, sondern auch von Commitment und Engagement. Disengagement ist sogar ein nützlicher Anpassungsprozess, wenn es dazu führt, neue sinnvolle Ziele zu verfolgen. Wrosch et al. (2003) berichten von drei Studien zum Disengagement von Zielen, auch von Lebenszielen. Zunächst berichteten 115 Studenten über das Ausmaß, in dem sie in der Lage waren, unerreichbare Ziele aufzugeben und ihre Bemühungen in alternativen Zielen zu re-engagieren. Diese Fähigkeit war mit einem hohen Grad an Selbst-Management und mit niedrigen Niveaus von wahrgenommenem Stress und störenden Gedanken verbunden. Die Ergebnisse zeigten auch, dass die Tendenz, sich in neuen Zielen zu re-engagieren, ein subjektives Wohlbefinden vorhersagen, und darüber hinaus es einer Person erleichtern unerreichbare Ziele aufzugeben. Ebenso konnte an 45 Eltern krebskranker Kinder gezeigt werden, dass Ziel-Disengagement besonders stark verbunden ist mit einem niedrigen Niveau von depressiven Symptomen. Die Bedeutung von Disengagment und Re-Engagement wurde an 120 jungen und älteren Erwachsenen untersucht. Die Unfähigkeit, sich in neuen Zielen zu engagieren, war mit besonders niedrigem emotionalen Wohlbefinden verbunden. Schließlich zeigen die Ergebnisse, über die bisherige Literatur hinaus, dass es in der Fähigkeit, sich von unerreichbaren Zielen zu disengagieren, erhebliche Unterschiede gibt, und dass diese individuellen Unterschiede mit dem subjektiven Wohlbefinden in Verbindung gebracht werden können. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass kontextuelle Faktoren eine wichtige Rolle bei der Ermittlung adaptiver individueller Prozesse in der Selbstregulierung der persönlichen Ziele spielen. Zusammen genommen zeigen diese Befunde, dass die Fähigkeit, neue Ziele zu finden, sich darauf einzustellen und neue Ziele zu verfolgen ein Schutzfaktor ist, der einer Person hilft, mit unerreichbaren Zielen umzugehen. Diese Tendenzen können eine erfolgreiche weitere Entwicklung in der Lebensspanne fördern. Aber die Studie belegt auch, dass die Unfähigkeit bzw. die Unmöglichkeit, sich an neuen Zielen zu re-engagieren, mit besonders niedrigem emotionalen Wohlbefinden verbunden ist. Genau dieses ist die Situation der verbeamteten Lehrer.
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2.2.4 Die Strategie des begrenzten Disengagements Ziele stehen untereinander in Beziehung. Manche Ziele können nicht verändert werden ohne schwere Nachteile. Wenn ein Schüler ein Berufsziel anstrebt, das die Mittlere Reife voraussetzt, bleibt ihm kein anderer Weg, als entweder dieses Ziel „Mittlere Reife“ zu erreichen oder das Berufsziel aufzugeben. Falls in einem fächerübergreifenden Projekt Hindernisse auftreten, die kaum beseitigt werden können, müssen einige Ziele vorübergehend gestrichen und andere Ziele gesetzt werden, die helfen, diese Hindernisse zu bewältigen. Wenn beispielsweise Dreiergruppen nicht beibehalten werden können, weil immer wieder einer der Schüler fehlt und somit Aufgaben nicht erfüllt werden, so dass das Projekt in Verzug gerät, muss eine andere Gruppeneinteilung gewählt werden, um das Projekt zu sichern. Falls jemand seinen Job verliert, müssen sogar bestimmte Lebensziele so lange aufgegeben werden, bis eine neue Verdienstquelle gefunden ist. Regulationstheoretisch bedeutet das, dass eine derzeitig inadäquate Rückkoppelungsschleife mit ihrem Ziel aufgegeben wird zu Gunsten eines anderen, leichter zu erreichenden Ziels mit der entsprechenden Schleife. Das Erreichen des Qualifizierenden Hauptschulabschlusses erfordert bei sonst gleichen Bedingungen weniger Leistungsaufwand und hat eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit als das Erreichen des mittleren Bildungsabschluss. Dabei kann dann anschließend – zeitlich verzögert – der Realschulabschluss bzw. die „Mittlere Reife“ doch noch erreicht werden. Das sind Beispiele für ein partielles bzw. zeitlich limitiertes Disengagement. Kennzeichnend ist eine verlangsamte Geschwindigkeit, mit welcher das angestrebte Ziel bzw. der angestrebte Referenzwert erreicht wird. Unter bestimmten Umständen ist es unhaltbar, ein Ziel aufzugeben: Eine scheue Person möchte am liebsten aus einer Versammlung flüchten, weil sie bezweifelt, einen guten Eindruck zu machen. Doch den Saal zu verlassen verursacht Verlegenheit und konfligiert mit anderen sozialen Zielen. So ist es nicht vertretbar, das Ziel aufzugeben. Prüfungsängstliche würden auch gerne die Situation während der Prüfung verlassen. Manche lassen sich deshalb vorher aus irgendwelchen Gründen oder Schein-Gründen entschuldigen. Auch einige inkompetente oder misserfolgsängstliche Lehrkräfte verlassen die Situation, etwa durch Krankmeldung, wenn sie merken, dass sie die Situationskontrolle verlieren. Aber damit wird die Kluft zur Zielerreichung nur noch größer. Disengagement auf niedrigen Ebenen der Wertehierarchie ist auf den ersten Blick einfach, wirkt sich aber auf die höheren Ebenen aus: das Verlassen von Teilzielen eines Programms, z. B. eines Vorhabens oder Projektes, ist nur möglich, wenn das ganze Programm (Vorhaben oder Projekt) nicht gefährdet ist. Ist das Erreichen des Teilzieles notwendig, würde Disengagement zur Erweiterung der Ist-Soll-Diskrepanz führen, das Hauptziel also nicht erreicht werden. Das wäre schlimm, denn das übergeordnete Ziel ist wichtig, da es einen zentralen Platz in der ganzen Lebensplanung hat. Andernfalls müsste das gesamte Wertesystem geändert und das Lebensprojekt aufgegeben werden. Das wäre ein Fall von hartem Disstress. Daraus folgt: Je bedeutsamer ein Ziel für eine Person ist mit den entsprechenden Erwartungen, desto schwie-
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riger ist es, dieses Ziel aufzugeben und sich davon zu disengagieren. In Bezug auf dominierende Persönlichkeitsmerkmale ist zu bemerken: Deprimierte und zur Depression neigende Menschen könnten eher als Optimisten dazu neigen, auch jene Ziele aufzugeben, die man nicht aufgeben sollte (Carver & Scheier, 2001, S. 195). Der Rückzug von einem bedeutsamen Zielkomplex ist oft nur mit einer Veränderung der Selbstdefinition und des Selbstbildes der Person möglich. Obwohl es Fälle gibt, in denen ein Disengagement genau die richtige Antwort auf ein Problem darstellt beziehungsweise in denen auf keinen Fall aufgegeben werden sollte, gibt es eine Vielzahl von Fällen, die sich nicht eindeutig einordnen lassen und die somit in eine gewisse Grauzone zwischen diesen beiden Extremen fallen. Eines der größten Probleme (und eines der fundamentalsten) im Leben ist daher zu wissen, wann aufgegeben und wann weitergemacht werden sollte. Zusammenfassung und Folgerungen
Welche Folgerungen aus den bisherigen Ausführungen sind empirisch gestützt? Engagement und Disengagement sind bipolar angelegt. Disengagement ist ein verbreiteter psychischer Mechanismus. Disengagement ist in vielen Situationen erforderlich. Disengagement kann bei der Bewältigung schwieriger Situationen ebenso wie bei Lebenszielen (z.B. Entwicklungsaufgaben) temporär hilfreich sein. Disengagement setzt häufig ein, wenn die Situationen und Handlungsfolgen als unkontrollierbar wahrgenommen werden. Disengagement kann zum Schutz des Selbstbildes der Person nötig sein. Menschen unterscheiden sich in der Neigung zum Disengagement. Emotional labile oder zur Depression neigende Menschen tendieren bei Hindernissen eher zum Disengagement als psychisch robuste Menschen. Disengagement ist auch abhängig von der Attraktivität neuer Ziele. Disengagement kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen: auf den unteren Ebenen der motorischen Ausführung, auf der Programmebene, auf der übergeordneten Ebene der handlungsführenden Prinzipien und sogar auf der höchsten Ebene des Selbstbildes und der Lebensplanung. Sofern Disengagement als Reaktion auf unkontrollierbare Situationen, etwa in der Arbeitstätigkeit, erfolgt, hat es oft nichts mit einer moralisch-ethischen Wertung zu tun. Disengagement kann aber auch unangemessen sein und Schaden für andere, etwa für Schüler, bedeuten.
Ob die Innere Kündigung als eine Teilmenge des Disengagements zu klassifizieren ist, soll im folgenden Kapitel geprüft werden.
3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern 3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
In den vorigen Kapiteln wurden Engagement und Disengagement gegenpolig, auf einer skalenförmig abgestuften Geraden verortet, konstruiert. Die Skala reicht von hohem Engagement über Unentschiedenheit und Disengagement bis zu dessen Extrem, der Inneren Kündigung. Disengagieren ist ein gradueller Prozess des Rückzugs vom Engagement. Der Terminus Disengagement impliziert damit den Begriff Innere Kündigung (IK) als Teilmenge. IK ist dann der Zustand des vollzogenen Disengagements. In diesem Kapitel wird nun versucht, das Disengagement und die IK bei Lehrpersonen, aufbauend auf den Erkenntnissen des vorigen Kapitels, aus psychologischer Sicht theoretisch zu erklären. Dabei geht es um die Leitfrage: Warum neigen die einen zum Disengagement bzw. zur IK und die anderen unter gleichen Bedingungen nicht? An dieser Stelle wäre zu erörtern, was es bedeutet, etwas theoretisch zu erklären. Theorien sind im Idealfall Erklärungen möglicher Zusammenhänge von Beobachtungen. Sie sind Gebilde von Aussagen, in denen empirische Tatsachen (beobachtete Fakten) in ihrer Unterordnung unter dazu passende Gesetze erkannt und ihre Verbindung aus diesen Gesetzen – oder gesetzesähnlichen Zusammenhangsaussagen – zu erklären versucht wird. Eine Theorie ist nicht wahr, sondern allenfalls eine Übereinkunft über eine „brauchbare“ Erklärung. Prinzipiell ist es möglich, einer Theorie eine andere gegenüberzustellen, und es ist möglich, einen Sachverhalt mittels konkurrierender Theorien zu verdeutlichen. Da mag mancher eine gewisse Beliebigkeit argwöhnen. Doch falls mehrere Theorien miteinander konkurrieren, sollte die einfachere gewählt werden (Dieses Prinzip ist als „Occams Rasiermesser“ bekannt,5 – sofern keine Erklärungslücken entstehen. Theorien sind jedoch fast immer Vereinfachungen. Oft lassen sich aus Theorien Prognosen herleiten, was die Brauchbarkeit einer Theorie erhöht. Stellt sich eine Prognose als falsch heraus, muss – vorausgesetzt, die Prognose wurde einwandfrei aus der Theorie entwickelt – die Theorie modifiziert oder fallengelassen werden. Im Unterschied zu Theorien sind vgl. M. J. Mahoney, 1977, Kognitive Verhaltenstherapie. München: Pfeiffer. S. 33. Er beschreibt auf faszinierende Weise die schrittweise Ablösung vom klassischen linearen Modell der Verhaltensanalyse nach Skinner und - auf der Basis fundierter wissenschaftstheoretischer Kenntnisse - den Beginn des Weges der Öffnung der Verhaltens-Psychologie für die Anforderungen der Neuzeit - allerdings erst sieben Jahre nach dem Erscheinen von „Plans and the Structure of Behavior“ von Miller, Galanter und Pribram. 5
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Modelle lediglich abstrakte theoretische Vorstellungen, die sich bislang nicht auf Beobachtungen stützen können. Im Fall des Disengagements und der Inneren Kündigung muss sich erst herausstellen, ob wir über mehr als über ein Modell verfügen. Angesichts der komplexen Materie wird es nicht möglich sein, alle Facetten des Phänomens des Disengagements und der IK mit hinreichender Deutlichkeit zu erhellen. Manches bleibt Spekulation, doch ein nicht geringer Teil der Aussagen wird in den nachfolgenden Kapiteln empirisch gestützt. Zunächst wird der Sachverhalt mittels Beobachtungsdaten geklärt. Bei der Erklärung von Gründen und Genesen der IK und des Disengagierens im Lehrerberuf sollte die Ebene der formalen Bedingungen der interpersonalen Beziehung zu Kollegen bzw. zur Leitung und Organisation (und zu den Schülern) von den intrapersonalen Prozessen unterschieden werden. Die sozialen, interpersonalen Prozesse, die zur IK führen, werden mittels des Modells der Reziprozität des Psychologischen Vertrags zu erklären versucht, für die intrapersonalen Prozesse mit den individuellen Differenzen (Formen der IK und andere Reaktionen) nutzen wir die Kontrolltheorie der intrapsychischen Regelung von Carver und Scheier (1981; 2001, vgl. Schmitz, Jehle, Gayler, 2004; Jehle & Schmitz, 2007). Diese Theorie kann als eine Ausformung des Coping-Konzeptes angesehen werden. Die einzelnen Prozesse werden je nach Bedarf nach Heckhausen, Vroom, Rousseau und anderen erklärt. Da die IK ein praktisches Problem ist, soll sie aus den wechselnden Blickwinkeln einer flexiblen Sichtweise des Praktikers betrachtet werden, wobei es nicht auf das konsequente Bewahren eines bestimmten theoretischen Standpunktes ankommt, sondern auf die flexible, integrierte Anpassung der theoretischen Konzepte an die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden Erfordernisse.
3.1 Was ist Disengagement bei Lehrern? 3.1 Was ist Disengagement bei Lehrern? 3.1.1 Engagement und Disengagement Engagement gilt als eines der wichtigsten Merkmale professioneller Lehrer. Viele Merkmale wären ohne das Engagement der Lehrpersonen gar nicht möglich – das wurde in Kapitel 1 ausgeführt. Ebenso wurde dort gezeigt, dass die Merkmale des Disengagements sich mit jenen Merkmalen weitgehend decken, die unter dem Begriff der Inneren Kündigung zu finden sind. Seit den Anfängen der IK-Forschung wurde die Innere Kündigung als Gegenpol zum Engagement aufgefasst, wie die folgenden Zitate belegen: „Die Innere Kündigung beschreibt eine Distanzierung von der beruflichen Pflichterfüllung und eine Minimierung des Arbeitseinsatzes.“, sie sei der bewusste Verzicht auf die persönliche Einsatzbereitschaft im Unternehmen. „Die Innere Kündigung eines Mitarbeiters ist der
3.1 Was ist Disengagement bei Lehrern?
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bewusste Verzicht auf Engagement und Eigeninitiative im Unternehmen und damit die Ablehnung einer der wichtigsten Anforderungen, die an einen Mitarbeiter zu stellen sind. Der Mitarbeiter will zwar seine Stellung im Unternehmen behalten, beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren. Er distanziert sich vielmehr innerlich vom Betriebsgeschehen und verhält sich soweit wie möglich passiv.“ (Höhn, 1983, 17). Obwohl das Wort Disengagement nicht erscheint ist, ist doch der Begriff impliziert. Der bewusste Verzicht auf Engagement ist nichts anderes als eine Form des Disengagements. Engagement bei Lehrern kann nun als Gegensatz zum Disengagement und zur Inneren Kündigung (Höhn, Löhnert u. a) rekonstruiert werden und bedeutet dann: Einsatzfreude, Verantwortung, Initiative, persönliche Einsatzbereitschaft, Offenheit für Neues und eine gewisse, überdurchschnittliche aber nicht maximale Begeisterung für die berufliche Tätigkeit, ferner die Identifikation mit den Schülern, mit der Schule (Schulleiter und Kollegen) mit dem entsprechenden Verantwortungsbewusstsein (Commitment, Involvement, Loyalität). Auf dem Weg zu einer Definition: Arbeitsverhältnisse sind nicht nur durch formal-rechtliche, sondern auch durch psychologische Verträge geregelt. Disengagement durch Innere Kündigung (synonym: Psychologische Kündigung) stellt im Unterschied zur formalen Kündigung die Verweigerung derjenigen Leistungen dar, die nicht ausdrücklich formal-vertraglich, sondern „nur“ informell im Psychologischen Arbeitsvertrag festgelegt sind. Diese Leistungen und die korrespondierenden Verpflichtungen umfassen u.a. Einsatzbereitschaft, Initiative, Engagement so wie Verantwortung für und Bindung an eine berufliche Tätigkeit, an eine Institution und an deren Menschen. Das alles lässt sich nahtlos auf das Arbeitsverhältnis im Schuldienst übertragen. Disengagement durch Innere Kündigung wird in der IK-Forschung traditionell definiert als der „Verzicht auf Engagement und Eigeninitiative im Unternehmen und damit als die Ablehnung einer der wichtigsten Anforderungen, die an einen Mitarbeiter zu stellen sind.“ – „Der Mitarbeiter will zwar seine Stellung im Unternehmen behalten, beabsichtigt aber, sich in keiner Weise zu engagieren. Er distanziert sich vielmehr innerlich vom Betriebsgeschehen und verhält sich soweit wie möglich passiv.“ (Höhn, 1983, 17). „Die Innere Kündigung beschreibt eine Distanzierung von der beruflichen Pflichterfüllung und eine Minimierung des Arbeitseinsatzes“ (ebd. S. 35). Anstatt Distanzierung hätte er auch Disengagement schreiben können, aber dieser Begriff war damals noch nicht in den Diskurs eingeführt. Dem liegen die Beobachtungen zu Grunde, dass einige Mitarbeiter, eben auch Lehrkräfte, kein Engagement (mehr) bei der Arbeit zeigen und keine Initiative. Sie überlassen Entscheidungen auch einfachster Art anderen, warten auf Anordnungen vom Vorgesetzten, anstatt Verantwortung selbst zu übernehmen. Insgesamt verhalten sie sich passiv. Mitarbeiter ziehen sich zurück und werden zu Jasagern. Sie vermeiden jede Auseinandersetzung. Manche Vorgesetzte, auch Schulleiter, schätzen diese Verhaltensänderung (im Sinn einer negativen Verstärkung). Gelegentlich wird dieser Mechanismus von Mitarbeitern strategisch eingesetzt. Manche Mitarbeiter schöpfen ihre Kompetenzen nicht aus, und nicht selten werden Aufgaben an den Vorgesetzten zurück delegiert mit dem Hinweis,
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
dieser verfüge über langjährige Erfahrung. Indirekt ist das ein Zurückweisen der Verantwortung.Die Übernahme von Sonderfunktionen wird abgelehnt. Gelegentlich lassen sich Fehlzeiten aus nichtigen Anlässen beobachten.
3.1.2 Was beobachtbar ist: Typisches Verhalten Gespräche und Befragungen von Lehrkräften ergaben eine breite Palette von Verhaltensweisen, angefangen von Hinweisen auf ein Engagement, teils bis hin zur Selbstaufgabe, über leichte Formen des Disengagements bis hin zur Inneren Kündigung (IK) und zur offenen Verweigerung. In anfangs unsystematischen Gesprächen und Diskussionen, dann in gelenkten Interviews mit Lehrern, Seminarlehrern und Schulleitern sowie bei Beobachtungen in Schulklassen wurde der Sachverhalt weitgehend geklärt. Das typische Verhalten bei Lehrkräften im Zustand des Disengagements durch Innere Kündigung ist wesentlich durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet:
Man erbringt möglichst keine Leistung über die Unterrichtszeit hinaus. Man hält sich strikt an die Regelarbeitszeit (hier: Stundendeputat). Für Arbeiten außerhalb des Deputats hält man sich nicht zuständig oder verantwortlich. Man zeigt kein Interesse an Auseinandersetzungen und Diskussionen über schulische Belange im Kollegenkreis. Man hält sich mit der geäußerten Meinung stets an die Mehrheit. Man äußert keine Vorschläge und bringt keine Kritik (mehr) ein. Entscheidungen „von oben“ werden kommentarlos akzeptiert. Die eigenen Kompetenzen werden nicht ausgeschöpft. Freiwillig werden keine zusätzlichen Aufgaben übernommen (Aufgaben in der Verwaltung, Vertretung erkrankter Kollegen, die per Dienstordnung vorgeschriebene Betreuung erkrankter Schüler, Unterrichtsvertretungen, Mitgliedschaft in Prüfungskommissionen, usw.). Gelegentlich kommt es zur Verweigerung. Das trifft weniger die Schulleitung, sondern die Kollegen. Schüler werden nicht über den Unterricht hinaus gefördert. Man lässt Schüler auf die Rückgabe von Korrekturen lange warten. Schüler werden mit Stillarbeit oder – ganz modern – mit Gruppenarbeit beschäftigt, während man Privates erledigt. Bewusste IK-Lehrer haben für den Fall einer Hospitation einige Musterstunden in der Tasche. Gewiewte Schulleiter erscheinen deshalb erst 20 min nach Unterrichtsbeginn. Schüler werden gezielt auf Leistungsstichproben getrimmt. Sie sind es zufrieden, die Schulleitung freut sich über die Noten und kaum jemand bemerkt, dass man die Schüler um eine fundierte Ausbildung betrügt. Man nimmt unauffällige Gelegenheiten zur Krankmeldung wahr und lässt sich schon mal für ein paar Tage krank schreiben.
3.1 Was ist Disengagement bei Lehrern?
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Die Pausen zwischen den Unterrichtstunden werden ausgedehnt. Die Grenzen der Auffälligkeit werden geschickt unterschritten. Gespräche mit der Schulleitung außerhalb der Regelarbeitszeit werden vermieden; man versucht, den Kontakt zur Schulleitung auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die Freiräume, die der Lehrerberuf bietet, werden nach Möglichkeit voll ausgeschöpft, z. B. durch die Forderung, den Stundenplan so zu gestalten, dass ein unterrichtsfreier Tag in der Woche bleibt. Das wird dann noch mit pädagogischen Spitzfindigkeiten begründet: „Im Betrieb müssen die Auszubildenden auch neun Stunden arbeiten, es entspricht der Realität in den Betrieben, wenn sie auch einen neunstündigen Arbeitstag in der Fachpraxis haben“. Man geht nach Ende der Ferien auf Kur. Man meidet möglichst schulbezogene Aktivitäten außerhalb des Unterrichts, indem man beispielsweise die Vorbereitung von Schulfesten und Klassenfahrten und die Teilnahme daran „wegen zu viel Arbeit“ ablehnt. Manche Personen, die eher einer passiven Form der IK zuneigen, verhalten sich überangenehm im Umgang. Die aktiv innerlich Kündigenden äußern unter Gleichgesinnten auch offen ihren Unmut und ihr Desinteresse an innerschulischen Aktivitäten. Darüber hinaus nutzen sie Lücken im Beamtenrecht zum eigenen Vorteil. Sie suchen sich Quellen zum Nebenverdienst, einige gründen sogar eine Firma, andere führen Fortbildungen durch, wieder andere nutzen die Unterrichtszeit für private Tätigkeiten, während die Schüler mit einer Arbeit beschäftigt werden. Allgemein: Jedes Engagement wird vermieden, und manche äußern das Gefühl, früher engagierter gewesen zu sein und das Engagement reaktiv aufgegeben zu haben. Engagement wird verweigert. Dieses Verweigerungsverhalten wird bisweilen mit Nachdruck und vorgeschobenen Argumenten verteidigt. Oft scheint den innerlich Kündigenden gar nicht bekannt zu sein, dass sie gegen die Dienstordnung verstoßen. Klassische Antworten sind dann beispielsweise diese: „Die Schüler wollen gar keine Abschlussfeier“. – „Bevor ich längere Zeit ausfalle, bleibe ich einige Tage zu Hause und kuriere mich aus“. – „Für mich steht der Unterrichtserfolg im Vordergrund, außerunterrichtliche Aktivitäten bringen dafür nichts“. – „Wozu soll ich mich für das Image unserer Schule stark machen? Wir sind eine Pflichtschule, die Schüler müssen zu uns kommen, da gibt es keine Marktmechanismen“. In einigen Fällen lässt sich eine innere Zurückhaltung bereits während der Studienzeit, etwas massiver während des Referendariats, beobachten. Manche Referendare fragen bereits bei Antritt, wann die nächsten Ferien sind.
(Quelle: Eigene Erhebungen anhand von Gesprächen mit Lehrpersonen, Schulleitern, Seminarlehrern und Referendaren, Auszug. Aus Gründen der Vergleichbarkeit haben wir uns möglichst an die Ausdrücke von Echterhoff et al., 1996, Krenz, 1996; Faller, 1991; 1993, Krystek et al., 1995, S. 43-51, und Höhn, 1989, S. 22f. gehalten).
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
3.1.3 Indikatoren aus Sicht der Schulleiter und Kollegen Wenn man Schulleiter und Kollegen nach typischen, beobachtbaren Indikatoren von Disengagement und IK fragt, werden genannt: tendenzielles Desinteresse an Fortbildungen bzw. an der Mitarbeit in Fortbildungen, Verweigern bzw. Abwehr der Übernahme von Sonderaufgaben (etwa Vertretungen), fehlende Mitarbeit an schulischen Aktivitäten außerhalb des Unterrichts (Beispiel: Klassenreisen), Krankmeldungen bei günstigen Gelegenheiten (sog. Brückentage; Tage mit viel Unterricht); lange Bearbeitungszeiten für Korrekturen von Klassenarbeiten, Verschlechterung des Qualitätsniveaus des Unterrichts, verminderter Lernerfolg und häufigere Wiederholer, vermehrte Reklamationen durch Schüler bzw. Eltern oder Ausbildungsbetriebe, vermehrte Klagen über das Schülerverhalten, verdeckte Unmutsäußerungen, etwa an Betriebsfeiern, jedoch keine Verbesserungsvorschläge, mangelndes Interesse an Betriebsfeiern, Schulausflügen und an schulischen Aktivitäten außerhalb des Unterrichts, Entstehung von „Jammerclubs“ in den Lehrerzimmern und gelegentlich höhere aber keine hohen Fehlzeiten, wie oft behauptet wird. Hohe Fehlzeiten würden dem Motiv, nicht auffallen zu wollen, widersprechen. Von Kollegen und Schulleitern wird dieses Verhalten als egoistisch und unkollegial gewertet. Einschränkend muss vermerkt werden, dass einzelne der genannten Merkmale auch bei Engagierten vorkommen können, ferner dass eine IK-Person nicht alle Merkmale aufweisen muss, und schließlich, dass diese Angaben lediglich die Wertung von Kollegen und Vorgesetzten wiedergeben. Die Angaben gleichen jedoch deutlich jenen von Echterhoff et al. (1996) und Krystek et al. (1995). (Quelle: Eigene Erhebung, Aussagen von Schulleiterteams und Lehrern).
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern 3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern 3.2.1 Definition von Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern Formal betrachtet sind Arbeitsverhältnisse im Schuldienst nicht nur durch formalrechtliche, sondern auch durch informelle, psychologische Verträge geregelt. Disengagement durch Innere Kündigung (synonym: Psychologische Kündigung) stellt im Unterschied zur formalen Kündigung die Verweigerung derjenigen Leistungen dar, die nicht ausdrücklich formal-vertraglich, sondern „nur“ informell im Psychologischen Arbeitsvertrag festgelegt sind. Diese Verweigerung des psychologischen Vertrags setzt die innere Distanzierung, wie frühere IK-Forscher gesagt hätten, oder ein inneres Disengagement voraus. Disengagement reicht vom Ablassen von beruflichen Zielen bis hin zum völligen inneren Rückzug und zur Aufgabe dieser Ziele. Disengagement durch Innere Kündigung tritt aber nicht ohne eine Ursache in Erscheinung. Immer gehen unangenehme, belastende Ereignisse voraus, oder Hindernisse tauchen auf, die einer Zielerreichung im Wege stehen. Disengagement durch IK sind Reaktionen darauf. Dis-
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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engagement (einschließlich Innere Kündigung) bei Lehrkräften ist ein komplexes Muster von mentalen Vermeidungsreaktionen mit emotionalen und Verhaltensaspekten zum Schutz der eigenen Person, ihrer Autonomie und ihres Selbstbildes als Lehrer-Persönlichkeit. Die Lehrkraft versucht, aversive Situationen, Ereignisse und Hindernisse prospektiv zu vermeiden und das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse zu kompensieren, u. z. unter der Prämisse, dass sie nicht aus dem System aussteigen kann und will. Denn ein Ausstieg ist Lehrern kaum möglich, sofern sie ihren Beamtenstatus und damit den sicheren Arbeitsplatz mit Pensionsanspruch nicht aufgeben möchten. Zudem ist die Lehrerausbildung so angelegt, dass sie kaum zu adäquaten Tätigkeiten außerhalb der Schule qualifiziert. Während aufgrund der mangelhaften Personalsituation Naturwissenschaftler und Ingenieure aus der Industrie in den Schuldienst eingestellt werden, ist der umgekehrte Weg äußerst selten. Unter dieser Prämisse beschränkt die Person ihr Vermeidungsverhalten (a) auf die mentale Distanzierung und (b) auf – in der Regel – kaum beobachtbares Vermeidungsverhalten, sofern das formal-rechtliche Dienstverhältnis nicht oder kaum merklich verletzt wird. Aversive Ereignisse werden als Störung des sozialen Gleichgewichtes wahrgenommen, wenn sie zur Verletzung der Reziprozitätsnorm führen, sei es durch die Schulleitung, durch die Schüler und durch andere Agierende, die auf den Arbeitsplatz Schule einwirken können (Eltern, Schulaufsichtsbehörde, Öffentlichkeit). Die gegenseitigen informellen Verpflichtungen widerspiegeln die subjektiven Erwartungen, die Mitglieder der einen Partei gegenüber der anderen Partei hegen, und insofern SollZustände, die sich mit dem Ist-Zustand der tatsächlichen Wirklichkeit decken können, die aber auch Diskrepanzen aufweisen können. Wahrgenommene Diskrepanzen werden als Störung erlebt und lösen Reaktionen zur Reduktion derselben aus. Des Weiteren wird das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse aversiv erlebt, meist als Verlust der Kontrolle über die Folgen des eigenen beruflichen Handelns bzw. als Verlust der Selbstwirksamkeit, oft verbunden mit dem Gefühl von Ungerechtigkeit. Oft wird zunächst mit verstärkter Anstrengung reagiert. Die Anstrengungsbereitschaft kann als Verausgabungsbereitschaft habituiert werden. IK ist auch denkbar ohne Wahrnehmung eines Vertragsbruchs. Aus dem bisher Gesagten resultiert die folgende Definition: Das mentale Disengagement durch Innere Kündigung ist ein komplexes Reaktionsmuster des inneren Rückzugs mit kognitiven, emotionalen und Verhaltensaspekten von selbst- und fremd gesetzten Zielen zwecks Wiedererlangung von Kontrolle durch prospektive Vermeidung lang dauernder, nicht beeinflussbarer negativer Ereignisse, und zwar
ein Reaktionsmuster auf die Störung des sozialen Gleichgewichtes, ein Reaktionsmuster auf Kontrollverlust, ein Reaktionsmuster auf das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
zum Schutz der eigenen Persönlichkeit, d.h. zum Schutz des Selbstbildes einer Person, ihrer Autonomie (Selbstbestimmung), Selbstkontrolle und Selbstregulation und ihrer Eigenverantwortung. Im Modell von Carver und Scheier ist die hierarchisch höchste Ebene des System-Konzepts, die zentrale Steuerungsfunktion der Person, betroffen. IK als konsequentes Disengagement ist keine psychologische oder medizinische Diagnose und kein krankheitswertiges Leiden im Sinne der nosologischen Systeme ICD-10 bzw. DSM-IV6; IK ist auch nicht ein populärmedizinischer Begriff. IK hat mit der Medizin nur dann Berührungspunkte, wenn sie gemeinsam mit psychosomatischen Beschwerden und/oder mit krankheitswertigen Leiden auftritt. IK ist ein Problem der Motivation und der Einstellung und insofern ein psychologisches Problem. Die Kategorisierung als krankhaftes Symptom ist falsch und enthält die Gefahr eines Kategorienfehlers. Historisch ist IK ein Begriff aus der Arbeitswissenschaft, gegenwärtig ein Konstrukt der Arbeitspsychologie. Disengagement durch IK ist ein Reaktionsmuster mit verschiedenen Ausprägungen und nicht einfach bloß ein resignativer Rückzug, sondern der Versuch der Rückgewinnung bzw. der Erlangung von Kontrolle in einer als unkontrollierbar erlebten Arbeitssituation durch Meidung aversiver Situationen. Die konsequente Meidung aversiver Situationen bewahrt vor einem Abgleiten in die hilflose Resignation. Die Beobachtung dieses Vermeidungsverhaltens wird oft vom Beobachter als ein Rückzug erlebt. Die Beobachtung des Rückzugsverhaltens ist nicht falsch, sie bleibt jedoch an der Oberfläche des beobachtbaren Verhaltens als Erscheinung. Ob allerdings, gleichgültig ob Rückzug oder Vermeidung, diese ‚resignativ’ sind, ist fragwürdig und zumindest nicht immer notwendig zutreffend. Disengagement durch IK ist aus einem Komplex von Vermeidungsreaktionen zum Selbstschutz der Konstruktion des Selbstwertes der eigenen Persönlichkeit zusammengesetzt. Der Selbstwert, im Modell auf der System-Ebene verortet, wird gegen Gefährdungen aus der Umwelt verteidigt. Die Vermeidungsreaktion erfolgt „im Auftrag“ der System-Ebene und ist auf Auseinandersetzungen auf der Prinzipienebene bezogen. Durch die partielle oder gänzliche Aufgabe von auf die Berufstätigkeit bezogenen Prinzipien werden Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten, Kollegen und/ oder Schülern vermieden. Aus diesen Gründen kann die Innere Kündigung auch keine Vorform von Burnout sein, denn beim Burnout wird an den übergeordneten pädagogischen Prinzipien festgehalten.
3.2.2 Erklärung durch Verletzung der Reziprozitätsnorm Die Arbeitstätigkeit von Lehrern ist wesentlich eine Tätigkeit mit Personen, d. h. eine interpersonale Tätigkeit mit Schülern, Kollegen, mit der Schulleitung und oft mit den 6 ICD-10 ist eine internationale Klassifikation psychischer Störungen, nachzulesen bei Dilling, (2005). DSM-IV ist das Diagnostische Statistische Manual Psychischer Störungen n. Saß et al., (2003).
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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Eltern oder Ausbildungspartnern. Die schriftlich nicht fixierten Erwartungen und Wünsche der beiden Parteien bezüglich Kosten und Nutzen sind im Psychologischen Vertrag gemäß der Reziprozitätsnorm ungefähr geregelt. Die Referenzgruppen der Psychologischen Verträge aus Lehrersicht sind
die Schulleiter/innen, einzelne Kollegen oder das gesamte Kollegium und die Schüler (und ggf. die Eltern und die Ausbildungsbetriebe).
Das Modell des Psychologischen Vertrags hat deshalb einen Erklärungswert, weil es auf einer allgemein akzeptierten psychosozialen Gesetzmäßigkeit beruht, nämlich auf dem Prinzip der Reziprozitätsnorm, deren Gültigkeit empirisch belegt ist (Zimbardo & Gerrig, 2006, S. 783; 787) und die besagt: wenn A etwas für B tut, dann sollte auch B etwas für A tun, das gebieten Anstand und Gerechtigkeitsgefühl (Fairness). Im Vertrags-Modell wird angenommen, dass eine Partei glaubt, durch ihre Leistung die andere Partei für gleichwertige Gegenleistungen verpflichtet zu haben. Grundlegend ist das Prinzip der individuellen und der sozialen Ausgewogenheit von Kosten und Nutzen bzw. von Arbeitsleistung und Gewinn (vertikale und horizontale Dimension von Equity); das Streben nach Ausgewogenheit gemäß der Reziprozitätsnorm ist eine notwendige, strukturelle Bedingung für das Entstehen einer Inneren Kündigung bzw. für Disengagement. Das auslösende Ereignis (triggering cause, nach Dretske, 1988) ist die Wahrnehmung von Unausgewogenheit und des Vertragsbruchs durch Ungerechtigkeit, die Wahrnehmung eines Ungleichgewichtes zwischen Investition an Arbeitsleistung und zurück erhaltenem persönlichen Gewinn. Das Streben nach Ausgewogenheit ist eine Voraussetzung dafür, dass eine Person einer Unausgewogenheit überhaupt Beachtung schenkt. Auslösende Bedingungen wären dann das Auftreten und Wahrnehmen von Unausgewogenheiten. Solange die reziproke Beziehung zwischen den Parteien, also die gegenseitigen Investitionen, subjektiv wahrnehmbar sich im Gleichgewicht befinden, sind die Bedingungen für IK und Disengagement nicht gegeben. Dagegen wird die Nichterfüllung dieser Erwartungen hinsichtlich der Vertragsverpflichtungen der anderen Partei als Vertragsbruch gewertet. Die Reziprozitätsnorm ist verletzt, die erwarteten Standards sind nicht erreicht. Eine Störung der Reziprozität ist kognitiv mit Zweifeln an der Kontrollierbarkeit der zwischenmenschlichen Beziehung und mit negativen Kognitionen und Gefühlen verknüpft, d. h. mit Zweifeln und mit Gefühlen der Enttäuschung, Wut und Frustration. Diese Gefühlslage führt oft zur Leistungsminderung, wie Hornung (2005) empirisch belegt hat, und zum Disengagement, gleichgültig ob total oder partiell. Högl (2005) hat belegt, dass bei multivariater Analyse (mit AMOS 4) allein die Erfüllung des psychologischen Kontraktes im Vergleich zu anderen Merkmalen einen signifikanten Effekt auf die seelische und körperliche Gesundheit aufweist. Der Gewinn, der aus der erwarteten gleichwertigen Gegenleistung der anderen Partei resultiert, ist mit Gefühlen von Zuversicht, Vertrauen und mit der
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
kognitiven Wertung von Kontrollierbarkeit verknüpft. Das Vorliegen von Kontrolle ist mit guten Kognitionen und Gefühlen verknüpft; durch das Erleben von Kontrolle wird Sicherheit vermittelt. Kontrolle sichert die Autonomie der eigenen Persönlichkeit. Das Ungleichgewicht durch Bruch des Psychologischen Vertrags in der sozialen Beziehung kann auf vielfache Weise wahrgenommen werden: (1a) in der bilateralen Beziehung zum Schulleiter bzw. (1b) zu Kollegen, (2a) in der Beziehung der ganzen Gruppe zum Vorgesetzten bzw. (2b) zu einzelnen Kollegen und/ oder (3a) im Vergleich mit Kollegen, genauer im Vergleich der Behandlung von einzelnen oder mehreren Kollegen durch die Leitung bzw. (3b) an der Behandlung durch Kollegen, die man selbst erfährt, wahrgenommen werden. Dabei ist die Annahme selbstverständlich, dass die Wahrnehmung ein Prozess der aktiven, individuellen Konstruktion ist. Man sieht nur das Verhalten. Absichten etc. werden konstruiert. Auch individuelle Differenzen in dieser Reaktion müssen als selbstverständlich angenommen werden. Das Prinzip, dass stets eine Ausgewogenheit von Kosten bzw. Aufwand und Nutzen bzw. Gewinn angestrebt wird, gilt notwendig und grundlegend für alle weiteren Annahmen. Die beidseitigen Verpflichtungen können hinsichtlich beziehungs(relational contracts) und transaktionsbezogener „Verträge“ (transactional contracts) bzw. Relationen differenziert werden. Transaktionale Relationen sind an bloßen administrativen und ökonomischen Kriterien orientiert wie z. B. präzise Erfüllung des Stundendeputats, Verwaltungsarbeiten, spezifizierte Leistung und Gegenleistung; diese sind bei Lehrern und Schulleitern zum Teil in den Anstellungs- bzw. Dienstverträgen, in der Regel nach Beamtenrecht, und in den entsprechenden Schulgesetzen fixiert. Unter diesen formal-organisatorischen bzw. transaktionalen Aspekten ist die Schulleiter-Lehrer-Relation bi-funktional und daher konfligent angelegt: Lehrer sind gleichzeitig untergeordnete Mitarbeiter und gleichberechtigte Kollegen. In beiden Funktionen kommt der Aspekt der sozial-emotionalen Beziehung hinzu. Da der Schulleiter in „pädagogischen Fragen der Bildung und Erziehung gemeinsam mit den Lehrkräften“ verantwortlich und auf die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und somit auf gemeinsame Entscheidungen angewiesen ist (BayEUG, Art. 59), was nach Aussage von Lehrern einige Schulleiter gerne vergessen, wird der Aspekt der beidseitigen, sozio-emotionalen Verpflichtungen virulent. In den beziehungsbezogenen Relationen steht eine längerfristig angelegte sozio-emotionale Beziehung zu den Werten der Organisation, hier der Schule mit ihren Schülern, und ihren Vertretern, im Vordergrund. Im Rahmen gelungener Tauschformen sind beziehungsbezogene psychologische Beziehungen eher durch eine positiv-affektive Bindung, durch Vertrauen, Arbeitszufriedenheit und durch die Absicht langfristigen Verbleibs in der Organisation gekennzeichnet. Die Störung des reziproken Gleichgewichtes kann sehr unterschiedlich sein. Allgemein wird angenommen, dass innerlich Kündigende dazu tendieren, die Situation zu ihren Gunsten umzugestalten, um sie für sich wieder gerechter werden zu lassen.
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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Exkurs Der Bruch des Psychologischen Vertrags wurde auch zur Erklärung des Burnouts herangezogen (Horn, Schaufeli, Enzmann, 1999). Der Grundgedanke des Psychologischen Vertrags taucht ebenfalls in der Pädagogik auf, wenn auch verdeckt. In den sog. professionstheoretischen Ansätzen zur Lehrerprofessionalität (vgl. Ophardt, 2006, 1. Kapitel) wird die Professionellen-KlientDyade als „Arbeitskontrakt“ oder „Arbeitsbündnis“ verstanden. Das ist die reziproke Kooperation zwischen Profi und Klient. Danach wird die professionelle Praxis als (a) Handlungs- und (b) Beziehungspraxis aufgefasst, die durch die o. g. reziproke Kooperation als Arbeitsbündnis etabliert wird. Die Bearbeitung von individuellen Problemlagen, die konstitutiv für das Arbeitsbündnis ist, „geht einher mit der Etablierung einer durch wechselseitiges Vertrauen getragenen Interaktionsbeziehung, innerhalb der der Professionelle nicht ausschließlich als Rollenträger, sondern auch als Person interagiert.“ Damit wird der über das Formelle hinaus führende Gedanke der teils diffusen persönlichen Beziehung ins Spiel gebracht. Das wechselseitige Vertrauen wird als notwendig vorausgesetzt. Entsprechend den ungeschriebenen, ungefestigten Erwartungen im Rahmen des Psychologischen Kontraktes wurde im Lehrer-Schüler-Arbeitskontrakt dem Schüler eine „Ungefestigtheit von Rollenhandlungsfähigkeit“ zugeschrieben, während Lehrer über normiertes Rollenverständnis verfügten. Die „diffusen Beziehungsanteile“ im Arbeitsbündnis beziehen sich auf die Konfrontation mit Lernproblemen und -krisen der Schüler. Das Konzept des Arbeitsbündnisses richtet sich gegen eine angebliche „Verengung des Lehrerbildes als ,Mischung aus lernpsychologischem Instruktionsexperten und gruppendynamisch kundigem Sozialingenieur’“ (nach Terhart). Wird hier ein, angeblich systemisch begründetes, Technologiedefizit gewollt und sogar als Technologieverdikt traditionsfähig gemacht? Das kann wohl niemand wollen. Aus Lehrersicht wäre das ein reichlich praxisfernes Konzept, das mit dem Schulalltag nichts gemeinsam hat und nichts erklärt.
3.2.3 Erklärung durch Reaktionen auf Kontrollverlust Die allgemeinen Ziele des menschlichen Handelns sind die Optimierung des psychischen und physischen Zustandes bzw. deren Sicherung und die Abwehr von Gefährdungen. Im regelungstheoretischen Prozessmodell von Carver und Scheier (1981, 2001) fällt die Regelung dieser Aufgaben der hierarchisch übergeordneten Instanz der „Systemebene“ zu. Dieses System ist langfristig im wesentlichen stabil: Die Person nimmt sich trotz aller Veränderung als mit sich substanziell identisch wahr und versucht stets Gefährdungen, etwa durch Kontrollverlust, zu vermeiden (Die Annahme des Elements „System-Ebene“, das im Verhaltens-Modell völlig fehlt, ist der Grund unserer Präferenz des CarverScheier-Modells).
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Sofern eine Person mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Kontrolle über die Abfolge: Situation Handeln Konsequenz hat, ist der optimale Zustand der Person gesichert. Voraussetzung dafür ist, dass die Person über die von der Situation geforderte Handlungskompetenz (beispielsweise im Umgang mit den Schülern) verfügt. In der regelungstheoretischen Sprache gelingt dann die Reduktion wahrgenommener Ist-Soll-Diskrepanzen: der Situation entspricht der Ist-Zustand, dem Ziel der SollZustand. Die Reduktion erfolgt durch das Handeln. Der Kontrollverlust lässt sich einfacher mittels des System-Modells des Verhaltens bzw. mittels Handlungstheorie beschreiben. Mehrere Grundmuster der Kontrolle lassen sich unterscheiden: (1) Mit einer situationsspezifischen Handlung (Tätigkeit) wird eine erwartete positive Konsequenz erreicht (der Ausdruck positive Konsequenz steht für Zielerreichung, positiver Zustand oder Effekt). (2) Mit einer Handlung wird ein negativer Zustand beendet. (3) Mit einer Handlung wird eine erwartete negative Konsequenz (Gefährdung, negativer Zustand, Misserfolg) vermieden. Regelungstheoretisch geht es in den drei Fällen um Reduktionsvorgänge. Im Lehrerberuf gibt es Situationen, in welchen weder eine positive Konsequenz unmittelbar erreicht noch eine negative Konsequenz unmittelbar vermieden werden kann. Doch zumindest die Wahrscheinlichkeit oder Option kann für beide Fälle offen gehalten werden, so dass das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, gewahrt werden kann. Zwei Grundmuster lassen sich unterscheiden: (1) Der Aufschub einer positiven Konsequenz bzw. einer Diskrepanzreduktion, um damit langfristig die Möglichkeit, doch noch einen positiven Effekt zu erlangen, offen zu halten. Beispiel: Verzicht auf Zigaretten, um die Gesundheit zu erhalten. Ein anderes Beispiel: vorläufiger Verzicht auf angenehme Dinge, um das Geld für den Urlaub zu sparen. Verzicht auf Bewerbung auf eine ausgeschriebene Funktionsstelle in der Hoffnung, in absehbarer Zeit eine attraktivere zu erhalten. (2) Ein zweites Grundmuster der Kontrolle besteht darin, kurzfristig negative Konsequenzen auszuhalten, um damit langfristig einen positiven Effekt zu erzielen. Beispiel: Zum Zahnarzt gehen, um im Urlaub nicht von Schmerzen geplagt zu werden (Kanfer et al., 1996, S. 38ff). Oder möglichst schnell eine Schulaufgabe korrigieren, um davon in den Schulferien verschont zu bleiben. In beiden Fällen liegt ein Kontrollverlust (noch) nicht vor, aber wirkliche Kontrolle auch nicht. Kontrollverlust droht. Zweifel mit Gefühlen von Unsicherheit machen sich breit. Die Problematik wird deutlich verschärft, wenn positive Konsequenzen kaum noch zu erwarten sind. Mehrere Probleme können auftreten: Die Kontingenzen der Abfolge: Situation Handlungs- und Ergebniserwartungen Handeln
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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Konsequenz sind nicht (mehr) gegeben. Das System funktioniert nicht. Das ist ein wirklicher und umfassender Kontrollverlust. Dafür kann es mehrere Gründe geben.
Die Lehrkraft verfügt nicht über die Handlungskompetenz (Wissen und Können), um die erwünschte Diskrepanzreduktion bzw. um einen positiven Effekt zu erlangen. Trotz Verzichts oder Aufschubs positiver Konsequenzen (Diskrepanzreduktion) stellt sich langfristig kein positiver Effekt ein. Auch bei dauerhaftem Aushalten negativer Ereignisse stellt sich kein positiver Effekt ein. Die Arbeitssituation ist von vornherein aversiv und scheint kaum beeinflussbar zu sein, bzw. die Anforderungen übersteigen die individuellen Ressourcen. In allen vier Fällen sind positive Effekte nicht oder kaum noch zu erwarten. Prinzipielle Unkontrollierbarkeit ist gegeben. Allerdings ist kritisch zu fragen, ob das System langfristig nicht positiv beeinflussbar wäre (Mediation, Supervision, Fortbildung etc., Therapie).
Die einfachste Lösung bestünde darin, das Feld bzw. das System zu verlassen. Genau das wäre Lehrern im Beamtenstatus nur möglich, wenn sie schwerwiegende Verluste (Arbeitsplatz, Pension) in Kauf nehmen. Eine Versetzung an eine andere Schule ist meist keine Lösung. Die zweite Lösung wäre: (a) sich auf langdauerndes Aushalten negativer Konsequenzen einzustellen und (b) die Anstrengung (Verausgabung) zu erhöhen, um langfristig doch noch einen positiven Effekt zu erzielen. Doch dabei kann es geschehen, dass psychische und/oder physische Organismusvariablen versagen. Damit bricht das System zusammen. Das wäre der Zustand schwerer körperlicher und psychischer Erschöpfung. Damit das System am Leben erhalten werden kann, wird die Anstrengung (Verausgabung) reduziert: (a) Man stellt sich auf langfristiges Aushalten negativer Konsequenzen ein (z. B. das Nicht-Erreichen von erwarteten positiven Konsequenzen wie etwa die NichtErfüllung des Psychologischen Vertrags von der anderen Partei oder das Ausbleiben erwarteter Gratifikationen, und man senkt gleichzeitig die Anstrengung(sbereitschaft oder Veraus gabungsbereitschaft) oder (b) senkt das Anspruchsniveau des langfristig erwarteten positiven Effekts. Im System-Modell des Verhaltens wäre der Bruch des Psychologischen Vertrags eine spezifische Form von Misserfolg bzw. negativer Konsequenz, nämlich das NichtErzielen von erwarteten positiven Effekten. Situationen mit schwindenden Einflussmöglichkeiten und Ereignissen, die vom eigenen Verhalten nicht beeinflussbar sind, werden als unkontrollierbar erlebt und belastend erfahren. Als unkontrollierbar wird das Auftreten von negativen Ereignissen
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
erlebt, wenn man positive Ereignisse erwartet hat. Eine Lehrkraft hat eine Unterrichtseinheit präzise vorbereitet und erwartet damit eine lebhafte Mitarbeit und einen guten Lernerfolg seitens der Schüler. Das tritt nicht ein. Die Folge: Handlungsplan/ Projektplan Handlung positive Konsequenz funktioniert nicht. Das ist Kontrollverlust auf der ganzen Linie. Folglich erlebt sie Misserfolg. Das Vorliegen von Nicht-Kontrolle ist mit negativen Kognitionen und Gefühlen verknüpft. Der Verlust der Situationskontrolle wird aversiv erlebt. Wenn Menschen beim Versuch, ihr Ziel zu erreichen, m. a. W. die Diskrepanz zu reduzieren, Widrigkeiten erfahren, setzen sie ihr Verhalten kurzzeitig aus bzw. stoppen sie ihren Handlungsfluss und bewerten es bewusster als während der Handlung, d. h. sie aktivieren ihre Selbstaufmerksamkeit (Selbstfokus). Der Selbstfokus schärft den Blick auf die übergeordneten Standards bzw. auf den Vergleich von gegenwärtigem Verhalten und den Referenzwerten. Man versucht, durch Einholen neuer Informationen die Kontrolle wieder zu gewinnen (bei Löhnert, 1990, in einer ersten Phase). Wenn man Personen im Experiment in der Vorphase Erfolg suggeriert, reagieren sie mit Erweiterung des Selbstfokus; wenn man ihnen Misserfolg durch Fehler vermittelt, tendieren sie zur Vermeidung des Selbstfokus und auch von Testnormen. Das bedeutet, der Selbstfokus interagiert mit der Manipulation der Erwartungen von Erfolg bzw. Misserfolg (Carver, Scheier, 2001, 182). Wiederholte Misserfolge und Widrigkeiten führen zu andauerndem Grübeln, das oft in Selbstzweifeln mündet. Bei Menschen mit Selbstzweifeln verstärkt der Selbstfokus das negative Grübeln. Falls Menschen mit Widrigkeiten konfrontiert sind, tendieren viele zunächst automatisch zu früher erworbenen Informationsquellen bezüglich der Erwartungen über den möglichen Ausgang und zu vermehrter Anstrengung. Das kann günstig oder ungünstig sein. Ein andauernder unrealistischer Optimismus kann die Ursache sein, Zeit, Energie und Mühe zu verschwenden. Übrig bleibt nicht Vertrauen, sondern Zweifel. Wenn das lange so geht, wird die Person bei geringsten Anzeichen von Widrigkeiten einen Impuls „aufgeben“ spüren. Falls die Zweifel tief eingeschliffen sind, wird man weniger dafür aufmerksam sein, was gerade geschieht, und man wird vielleicht übersehen, dass die Schwierigkeiten nur gering sind. Das Ablassen von Aufgaben, für die man sich verpflichtet fühlt (Commitment), kann schwierig sein (Carver & Scheier, 2001, 203). Seit langem ist bekannt, dass nicht zu Ende geführte Aufgaben die Tendenz auslösen, sie zu beenden (der sog. ZeigarnikEffekt), d. h. das Aussetzen des Verhaltens bedeutet nicht, dass die Person auch die innere Verpflichtung für diese Aufgabe aussetzt. Meist wird deshalb (bei Löhnert in Phase II) die Anstrengung zur Rückgewinnung der Situationskontrolle erhöht. Falls dann keine neue Konfrontation mit dem Ziel erfolgt bzw. ein Ablassen vom Ziel, ist das Disengagement erfolgreich. Falls es doch zu einer Konfrontation mit dem Ziel kommt und am Ziel festgehalten wird, erfolgt erneute Anstrengung. Das kann zwei völlig unvereinbare Gründe haben: Bei Menschen mit Zuversicht führt der Selbstfokus zunächst zu vermehrter Anstrengung. Übermäßige Verpflichtung, Anstrengung und
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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Verausgabungsbereitschaft (Overcommitment) können der Ausdruck von Besorgnis und der Angst zu scheitern sein. Es gilt zu bemerken, dass das Problem der Identifizierung der Variablen und der Beziehungen derjenigen Faktoren, die einen erneuten Versuch oder eine Vermeidung, und das Ausmaß der Tendenz dies oder jenes zu tun, vorhersagen, nicht nur auf die Theorien beschränkt ist, die davon ausgehen, dass der Selbstfokus ein notwendiges Antezedens für Versuche ist, das Selbst dem Standard anzugleichen oder die Situation zu vermeiden. Zum Beispiel behauptet die Sozialkognitive Theorie (Bandura, 1986), dass wahrgenommene, negative Diskrepanzen zwischen ausdrücklichen Zielen und persönlichen Leistungen in „Selbst-Unzufriedenheit“ resultieren. Bandura sagte, „Je selbst-unzufriedener Menschen mit ihren, unter ihrem eigenen Standard liegenden Leistungen („substandard performances“) sind, desto mehr verstärken sie ihre Anstrengungen“ (S.469). Er wies jedoch ebenfalls darauf hin, dass die Beziehung zwischen dem Grad, der unter dem eigenen Standard liegenden Leistungen und der Motivation, Ziele zu erreichen, nicht linear ist. Zu dem Maß, zu dem die Diskrepanz zwischen Leistung und Standard einen gewissen Wert übersteigt, verringert ein Feedback über eine negative Diskrepanz die Anstrengungen, das Ziel zu erreichen, da eine solche Information die wahrgenommene Fähigkeit (d.h. die Selbst-Wirksamkeit) reduziert, das gewünschte Ziel zu einem Punkt unter einem gewissen kritischen Wert zu erreichen (zum Verlauf siehe 3.5). Führt die vermehrte Anstrengung nicht zum Erfolg, sinkt die Erfolgserwartung bis Misserfolgserwartung einsetzt. Negative Erwartungen bewirken einen Impuls zum Disengagement. Ist ein offener Rückzug nicht möglich, erfolgt der Weg ins mentale Disengagement. Wenn ein Ziel unerreichbar ist und die Person das auch weiß, dann ist Disengagement nötig. Aufgeben und sich zurückziehen kann also richtig sein.
3.2.4 Erklärung durch das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse Lehrer haben, wie alle Menschen, das Bedürfnis nach Erfolg und Wohlbefinden bei erträglicher Anstrengung. Wird die subjektive Bilanz in einem Lebensbereich als unbefriedigend erlebt, spricht man von einer Gratifikationskrise (Siegrist, 1997; Larisch et al., 2002; Peter, 2002; Sieland, 2004, 145). Das langfristige Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse bzw. das Ertragen dauernd wiederholter negativer Konsequenzen einschließlich zeitweiliger Wiederholung erhöhter Anstrengung ist, wie bereits dargestellt, die typische Ausgangslage für ein berufliches Disengagement. Genau das ist der Grundgedanke des GratifikationsModells: Drei Elemente sind für das Gratifikationsmodell unabdingbar:
Das langfristig wahrgenommene Ungleichgewicht von persönlichem Einsatz am Arbeitsplatz, verbunden mit
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern habituierter hoher Anstrengung und Leistungsbereitschaft, d. h.. hohe Verausgabung und geringer erfahrener oder erwarteter Belohnung, was psychosozial belastend wirkt.
Das Zusammenwirken dieser drei Elemente wird als „berufliche Gratifikationskrise“ bezeichnet. Auf den ersten Blick scheint dieses Modell auch das Disengagement im Problemfeld Schule zu treffen. Unsere Ausführung sei auf den Arbeitsplatz Schule beschränkt. Siegrist geht davon aus, dass im beruflichen Kontext ein unausgesprochener gesellschaftlicher Vertrag besteht, der für berufliche Leistungen entsprechende Vergütungen verspricht, und somit auf der Norm sozialer Reziprozität basiert. Diese „beruflichen Gratifikationen“ können im Lehrerberuf im wesentlichen erhalten werden durch
Arbeitsplatzsicherheit und klar geregelte berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, ohne die Gefahr eines beruflichen Abstiegs, Anerkennung und Wertschätzung, ein festes Gehalt plus – seit einigen Jahren – Leistungsprämien.
Grundsätzlich kann eine Belohnung für Leistungen durch materielle und nichtmaterielle Entschädigung erfolgen. Eine Verletzung der sozialen Reziprozität ist mit negativen Emotionen wie Wut und Enttäuschung assoziiert. Diese gehen mit einer zentralnervösen Aktivierung einher, so dass eine biologische Stressreaktion entsteht, die schließlich zu einem erhöhten Krankheitsrisiko führen kann. Unter drei Bedingungen wird ein Ungleichgewicht im Lehrerberuf aufrechterhalten:
Jene Lehrer, die sich durch den Beamtenstatus veranlasst sehen, an ihrem Arbeitsplatz festzuhalten, und die gleichzeitig mit einer unzureichenden eigenen Qualifikation ausgestattet sind, müssen ein Ungleichgewicht von Verausgabung und Belohnung hinnehmen. Allerdings fallen einige der gering qualifizierten Lehrer, die außerhalb des öffentlichen Dienstes kaum eine Chance hätten, nicht durch erhöhte Verausgabung auf; sie dürften kaum das o.g. Ungleichgewicht wahrnehmen. Lehrer können aus strategischen Überlegungen momentan ein Ungleichgewicht akzeptieren, da sie für gegenwärtige Vorleistungen langfristig Belohnungen (z.B. spätere Beförderung) erwarten. Manche Menschen tragen durch ihr persönliches Bewältigungsverhalten, nämlich durch habituierte „übersteigerte Verausgabungsneigung“ („Overcommitment“) bezüglich beruflicher Aufgaben selbst zu einer Aufrechterhaltung des Ungleichgewichts bei. Dieser dritte Aspekt wird besonders betont, hat sich aber im Laufe der Zeit gewandelt. Kennzeichnend seien Merkmale wie „Berufliches Kontrollbestreben“, exzessives Bedürfnis nach Anerkennung, latente Feindseligkeit im
3.2 Die Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung bei Lehrern
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Wettbewerb, erhöhtes Zeitdruck-Empfinden u. a. und mangelnde Distanzierungsfähigkeit bezüglich beruflicher Anforderungen. Dieses kognitiv-motivationale Muster kann in beruflichen Anforderungssituationen zu einer Fehleinschätzung von eigenen Bewältigungsmöglichkeiten und externen Leistungsanforderungen führen, etwa durch die Überschätzung eigener Bewältigungskompetenzen und die gleichzeitige Unterschätzung externer Leistungsanforderungen. Ferner werden erbrachte Anstrengungen nicht adäquat bei der Abwägung von Verausgabungen und Belohnungen einkalkuliert. Diese Fehleinschätzungen führen dazu, dass Personen mit hohem Kontrollstreben dazu neigen, sich stark zu verausgaben. Übersteigerte Verausgabungen werden unter einem für die Person unvorteilhaften Verhältnis von Verausgabung relativ zu Belohnungen aufrechterhalten, so dass keine Korrektur des Verausgabungsverhaltens erfolgt. Das Merkmal, sich nicht von beruflichen Verpflichtungen zurückziehen zu können, stellte sich als wesentlich für das Modell heraus. Overcommitment wird daher als autonomer Bestandteil des Modells betrachtet. Overcommitment kann auch für sich alleine auf lange Sicht erschöpfend wirken und somit unabhängig Gesundheitsrisiken fördern, auch wenn strukturelle Bedingungen eines Ungleichgewichts nicht gegeben sind. Offenkundig ist das Modell a priori auf eine bestimmte Gruppe von Menschen beschränkt, nämlich auf jene, die stark zur Verausgabung bzw. zum Kontrollstreben neigen. Hohe berufliche Verausgabungen können aber auch durch von außen vorgegebene Anforderungen und Verpflichtungen entstehen. Nur wenn beide Bedingungen gleichzeitig auftreten, ist die Vorhersage einer Gesundheitsgefährdung möglich, da eine Bedingung alleine für eine Vorhersage nicht ausreicht. Die Ähnlichkeit des Gratifikationsmodells zum Modell des Psychologischen Vertrags ist offensichtlich. Die Beziehung zur Gesundheit ist empirisch gut belegt (Lehr et al., 2004; 2006). Wir haben mit dem Modell aus zwei Gründen nicht gearbeitet: (a) weil die Messung des Konstruktes mit zahlreichen Items bis dato unökonomisch war (zumindest nach Siegrist, mit der Teilskala VB des AVEM von Schaarschmidt, 2004, eher machbar), und (b) weil das Merkmal, sich nicht von beruflichen Verpflichtungen (Overcommitment) zurückziehen zu können, das zur Modell-Definition gehört, eine Contra-Indikation zum Disengagement darstellt. Dagegen ist das Ausbleiben erwarteter Belohnungen bzw. das langfristige Aushalten negativer Konsequenzen auch für Disengagierte ein typischer Anfangszustand.
3.2.5 Erklärung durch Sinnverlust Die Person definiert sich, wie oben ausgeführt, über ihre Prinzipien. Diese stellen die Referenzwerte für die Rückkoppelung des Handelns bei der Duchführung von Projekten dar. Bei der Projektdurchführung erlebt der Mensch Kontinuität. Dieses Erleben von Kontinuität stiftet Sinn (Näheres bei Schmitz & Hauke, 1992). Der Soziologe
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Antonovsky (Högl, 2005; Pallant & Lae, 2001) definiert sein Konstrukt des Kohärenzsinns als die Fähigkeit einer Person, die Welt als sinnvoll, verständlich und beeinflussbar zu erleben. Vier Dinge sind bei der Fortführung dieser Gedanken zu bedenken:
Bekanntlich unterscheiden Menschen sich darin, wie sinnvoll, beeinflussbar etc. sie die Welt erleben. Bei andauerndem Misserfolg in der Verfolgung ihrer Projekte gehen Verständlichkeit, Beeinflussbarkeit und Sinn verloren. In diesen Unterschieden gibt es eine „normale“ Bandbreite ohne Einschränkung des psychischen und körperlichen Wohlbefindens, das ein Definiens von Gesundheit (nach WHO) ist. Diese Bandbreite wird verlassen, wenn sich krankheitswertige Merkmale einstellen. Die sozialen Systeme (Lehrerkollegium mit Schulleitung) unterscheiden sich in Bezug auf Sinnhaftigkeit, Verständlichkeit und Beeinflussbarkeit. Auch die Organisationen, hier das schulische System mit seinen Lehrplänen, Verordnungen, Gesetzen etc., unterscheiden sich in ihrer Transparenz („Verstehbarkeit“), in ihrer Bindekraft („Sinnhaftigkeit“) und in ihrem Führungsstil („Beeinflussbarkeit“) sowie im Grad an Vertrauen (vgl. Badura, 2002).
Fazit: Sinnverlust kann ohne Vertragsbruch zur Inneren Kündigung führen.
3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm 3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, was das bedeutet: die Störung des reziproken Gleichgewichtes, die Reaktionen darauf und die Folgen einer solchen Störung.
3.3.1 Formen der Störung des reziproken Gleichgewichtes Unsere Auffassung von Disengagement ermöglicht die psychologische Differenzierung verschiedener Formen der Störung des reziproken Gleichgewichtes. Hier folgt ein Überblick; dabei beschränken wir uns auf die Position der Mitarbeiter bzw. der Lehrer: (1) Die Schulleitung oder die vorgesetzte Schulaufsicht kommt den objektiven Verpflichtungen nicht nach. „Objektiv“ meint jene Verpflichtungen, die unter sonst ähnlichen Bedingungen zu erfüllen sind. Hierzu gehören ungerechte Beurteilungen, die z. B. durch Tendenzfehler (zentrale Tendenz oder Tendenz zur Mitte, die zu mangelnder Differenzierung führt oder die Tendenz zur Strenge, die möglicherweise einen Aufstieg verbaut) verursacht werden, Verzögern von Beförderungen, fehlende Anrechnungsstunden trotz faktischer Ausübung von Funktionsstellen usw.
3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm
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(2) Der Schulleiter kommt aus Sicht der subjektiven Wahrnehmung des Mitarbeiters den erwarteten Verpflichtungen nicht nach, obwohl dieser sie tatsächlich erfüllt. (3) Eine Störung der Wahrnehmung des Gleichgewichtes ist auch denkbar, wenn der Mitarbeiter/ die Lehrperson glaubt, seinerseits den Verpflichtungen gegenüber dem Schulleiter nicht nachkommen zu können. Dies kann bei überhöhten, unklaren oder unrealistischen Erwartungen seitens der Schulleitung der Fall sein. Uns ist der Fall eines Schulleiters an einem Gymnasium bekannt, der in Nachtschichten alle Schulaufgaben seiner Lehrer nachkorrigierte und sie dann den Lehrern mit entsprechenden Kommentaren zurück gab. Bei vulnerablen, selbstunsicheren und misserfolgsängstlichen Lehrern ist dieser Effekt stärker als bei widerstandfähigen, selbstsicheren und erfolgssicheren Lehrpersonen. (4) Eine Störung des Gleichgewichtes ist denkbar, wenn der Mitarbeiter aus eigener Sicht seine Verpflichtungen gegenüber dem Schulleiter erfüllt, aber glaubt, dass der Schulleiter der Ansicht ist, dass der Mitarbeiter seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Dies findet sich häufig, wenn die Leistungen eines Lehrers von der Schulleitung nicht beachtet oder nicht genügend öffentlich gewürdigt werden oder die Würdigung in einer Art erfolgt, dass sie ihren Zweck total verfehlt. Beispiel: Ein Kollege, von dem bekannt war, dass er aus gesundheitlichen Gründen keinen Alkohol trinkt, bekam als Anerkennung für besonderen Einsatz eine Flasche Wein. (5) Die Verletzung der Reziprozitätsnorm kann so schwer sein, dass ein Disengagement aus Rache denkbar wäre, was bisher aber nicht zu beobachten war. (6) Manche Lehrer hegen irrationale Erwartungen an die Schulleitung: „Gute“ Klassen, günstiger Stundenplan u. ä.; eine Lehrkraft äußerte allen Ernstes gegenüber dem Schulleiter: „Ich muss am Montag nachmittags unterrichtsfrei haben, da kommt meine Putzfrau“. (7) Die Lehrperson hat überhöhte, unklare und damit unrealistische VerpflichtungsErwartungen an den Schulleiter, die dieser gar nicht erfüllen kann. Damit schafft die IK-Person sich eine Exkulpierung für die eigene schwache Leistung: „Die da oben tun nichts für mich, also muss ich auch nichts leisten“. In diesem Fall spielen sich IstSoll-Diskrepanzen allein im Kopf der IK-Person ab, ohne dass der Vorgesetzte auch nur den Anschein eines Vertragsbruchs verschuldet hätte. (8) Die Lehrperson hat überhöhte, unklare und unrealistische Erwartungen an die eigene Leistung, die sie gar nicht erfüllen kann, und nimmt an, dass die Schulleitung genau diese Erwartungen gegenüber der Lehrperson hegt. Hier besteht eine besondere Gefährdung durch Erschöpfung (auch durch Burnout). (9) Eine zusätzliche Belastung bzw. Störung des Gleichgewichtes stellen ständige Veränderungen in den Vorgaben durch die Lehrpläne dar. Lehrplanänderungen werden teilweise überstürzt durchgeführt, ohne dass die Lehrer auf den neuen Stoff oder neue Unterrichtsformen (Lernfelder) vorbereitet werden können. Dazu eine Lehrerin: „Ich habe bereits zweimal eine überstürzte Lehrplanänderung im Fach Technologie/ Informatik erlebt. In einem Fall wurden wir im November (Beginn des
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Schuljahres war Mitte September) über eine Änderung des laufenden Lehrplans informiert. Schulleitern bleibt oft nur übrig, dies durchzudrücken“. (10) Lehrer vermissen Loyalität: „So, wie ich als Lehrer eine Loyalität gegenüber meinem Schulleiter habe, fordere ich sie auch von ihm ein. Ich erwarte, dass ich z. B. bei Konflikten mit der Schulaufsichtsbehörde unterstützt werde“. (11) Wenn an der Stelle der Schulleitung die Kollegen oder die Schüler stünden, müssten weitere Fälle unterschieden werden. Auch unter Kollegen existieren ungeschriebene gegenseitige Verpflichtungserwartungen. Eine Lehrperson springt für eine andere ein, die ihren Unterricht ausfallen lassen müsste, und erwartet umgekehrt das entsprechende Verhalten. Manche Lehrer provozieren Vorleistungen der Kollegen: Man legt Arzttermine so, dass Unterricht ausfällt. Kuren werden so gelegt, dass sie zu Ferienbeginn enden oder zu Ferienende beginnen. Da in Schulen die Arbeit nicht einfach liegen bleiben kann, muss der Unterrichtsbetrieb gewährleistet sein. (12) Es kommt nicht selten vor, das eine Lehrkraft mit dem Beruf insgesamt nicht klar kommt und unzufrieden ist. Der Beruf erfüllt nicht die Erwartungen, die man sich vorgestellt hatte, bzw. die eigenen Ansprüche erweisen sich als unrealistisch, sei es, dass man die eigene Leistung überschätzt hat, sei es, dass man „die Mitarbeit“ der Schüler falsch verstanden hatte. Hier liegen „irgendwie“ vage Diskrepanzen vor. Das Problem könnte durch Eignungskontrollen von Studienanfängern reduziert werden. Dazu sind die Praktika zu Beginn des Studiums nicht geeignet, denn viele als erfahren geltende Praktikums-Lehrer neigen dazu, „die – um sich nicht zu blamieren – pflegeleichten Klassen vorzustellen.“ Die Berufswirklichkeit sieht häufig anders aus. Der Härtefall wird nicht dargestellt, geschweige denn geprobt. Vermutlich könnte diese Liste verlängert und differenziert werden. Bedeutsam ist wohl auch die Intensität der gegenseitigen Verpflichtungserwartungen und deren emotionale Verknüpfung. Manche Personen fühlen sich ernsthaft übervorteilt und gekränkt, manche fühlen sich belastet, einige können sehr emotional reagieren. Verlierer ist auch der Lehrer, der keine Freude an seiner Arbeit hat, der tagtäglich versucht, seine Demotivation zu verbergen und in Folge von Dauerstress vielleicht Depressionen und psychosomatische Störungen entwickelt. Ähnliches könnte für Schulleiter angenommen werden. Ferner variieren die Erwartungen hinsichtlich Klarheit vs. Unklarheit. Ein weiterer Faktor ist die inhaltliche (In)Konsistenz. So ist beispielsweise der Wunsch nach mehr Mitsprache und Einbindung in die Entscheidungen der Schulleitung inkompatibel mit dem Wunsch, nur an solchen Besprechungen teilnehmen zu müssen, welche die eigene Person betreffen. Manche Erwartungen sind eher situationsgebunden, andere entsprechen eher überdauernden Einstellungen. Auch wird eine mehr autoritär eingestellte Lehrperson dazu neigen, klare, detaillierte Anweisungen zu erwarten, während andere einen Führungsstil des Delegierens wünschen. Kurz: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten der Störung der Reziprozitätsnorm.
3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm
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3.3.2 Reaktionen auf die Störung des Gleichgewichtes Der bisherige Überblick zeigt, dass das soziale Gleichgewicht der gegenseitigen informellen Verpflichtungen bzw. der Verpflichtungserwartungen auf vielerlei Weise und relativ leicht gestört werden kann. Entsprechend vielfältig sind vermutlich auch die Reaktionen bzw. die Bewältigungsversuche der Mitarbeiter auf die Wahrnehmung solcher Ist-Soll-Diskrepanzen, gleichgültig, ob nun wirkliche oder angebliche Vertragsverletzungen vorliegen. Jede der beteiligten Personen reagiert auf das, was sie glaubt, wahrgenommen zu haben, sie reagiert auf die eigene, durch Lebensgeschichte und Charakter beeinflusste Deutung und Re-Konstruktion der beobachteten Wirklichkeit, wie sie ihr erscheint. Was beispielsweise ein Schulleiter mit seinem Verhalten beabsichtigt und meint, und welche Verpflichtungserwartungen sich dahinter verbergen, kann schwerlich direkt wahrgenommen werden; es wird bestenfalls intuitiv erschlossen. Wie bereits angesprochen: Teamarbeit ist eher die Ausnahme und wird nicht trainiert. Damit fallen alle Regulationen weg, die über permanente Kommunikation erfolgen. Wahrgenommene Ist-Soll-Diskrepanzen lösen Versuche zur Diskrepanzreduktion aus. Eine gelungene Reduktion wird als ein Erfolg erlebt, weil sie die Bewältigung eines sozialen Ungleichgewichtes darstellt. Es dürfte interessant sein zu überlegen, welche Formen von Bewältigungsversuchen unterschieden werden können: (1) Eine sichere Bewältigung ist nur möglich bei Verfügbarkeit entsprechender kommunikativer Kompetenzen bei allen Parteien. (2) Eine mögliche Reduktion der Diskrepanzen wäre die Aufklärung der Schulleitung über ihre überhöhten Erwartungen an die Lehrpersonen mit dem Ziel, dass sie ihre Verpflichtungserwartungen an die Lehrer reduziert. Dieser Fall wäre aus Lehrersicht vermutlich die beste Lösung. Doch eine gute, dauerhafte Lösung sollte beide Parteien in die Pflicht nehmen und nicht nur eine Partei belasten. Dies würde jedoch ein hohes Maß an selbstkritischem Verhalten seitens der Schulleiter voraussetzen. Hinzu kommt, dass – zumindest im Idealfall – Schulleiter auf diesen Posten berufen wurden, weil sie als Lehrer besonders gut waren, und entsprechend hohe Ansprüche in ihre Erwartungen transferieren. (3) Mit dem Lösungsansatz (2) könnte eine Veränderung der Verpflichtungserwartungen des Lehrpersonals gegenüber der Schulleitung einhergehen. Die Anpassung beider Parteien hinsichtlich ihrer gegenseitigen Erwartungen führt mit Sicherheit zur Reduktion der Diskrepanzen. Dieses Vorgehen hinterlässt weder Sieger noch Verlierer. Das ist leider wegen der starken Reglementierung des Schulbetriebs besonders bei jenen an der Administration orientierten Schulleitern kaum durchführbar (Schmitz & Voreck, 2008). Es besteht die Hoffnung, dass dieses Problem durch Verfahren des Qualitätsmanagements relativiert werden kann. (4) Ein Bewältigungsversuch kann darin bestehen, dass an den eigenen wirklichen bzw. vermeintlichen Verpflichtungen als Soll-Vorstellungen bezüglich der eigenen Person festgehalten und versucht wird, die (wirklichen oder vermeintlichen) Erwartungen
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des Schulleiters zu erfüllen, indem die eigenen Leistungsanstrengungen permanent erhöht werden. Dieser Bewältigungsversuch dürfte langfristig zum Scheitern verurteilt sein. Ein Grund, unter anderen, des Scheiterns liegt darin, dass mit erhöhter Anstrengung die eigenen Investitionskosten steigen. Damit steigen in der Regel auch die Ertragserwartungen. Diese sind an den Schulleiter gerichtet (oder an die Kollegen, an die Schüler). Somit kann die Ist-Soll-Diskrepanz gar nicht reduziert werden. Der Weg der Leistungssteigerung kann in diesem Fall nur dann erfolgreich sein, wenn von der Schulleitung deren Erwartungen ihrerseits als erfüllt signalisiert werden. Das kann etwa durch eine besondere Anerkennung und Auszeichnung vor den Kollegen erfolgen, d. h. durch eine Maßnahme im Sinne des Verstärkungsprinzips. Falls aber diese Erfolgserwartung der Lehrperson nicht erfüllt wird, gerät sie in einen sich aufschaukelnden Regelkreis mit andauernder oder sogar fortschreitender Ist-Soll-Diskrepanz. Damit würde die Lehrkraft einen ziemlich sicheren Weg in die Überlastung, Überforderung und in die Erschöpfung einschlagen. „Bei einer Befragung unseres Kollegiums (anonym über ein Forum im Schulnetz) wurde mehrfach erwähnt, dass gute Leistungen zur Folge haben, dass man mit noch mehr Arbeit eingedeckt wird“. Irgendwann erleben das die Kollegen nicht mehr als Belohnung, sondern als Bestrafung oder zumindest als Belastung: „So lange ich mich erinnern kann – mindestens aber seit 15 Jahren – bin ich auf Wunsch der Schulleitung Hauptorganisator der Abiturfeier. Das bedeutet im Klartext: Vormittags Unterricht, anschließend Aufbau der Musikanlage, der Bühne, Probe usw. 10 Minuten vor Beginn der Abiturfeier ziehe ich mir dann – total durchgeschwitzt und fertig – den Anzug an, empfange die Eltern usw.. Dieses Jahr wäre ich beinahe zusammengeklappt.“ (5) Möglich wäre der physische „Rückzug aus dem Feld“: Der Mitarbeiter lässt sich versetzen, er geht vorzeitig in den Ruhestand, er flieht in eine Krankheit (eine schonende Krankheit wie die Laryngitis), und schließlich bleibt die formale Kündigung. „Die ist natürlich nur eine theoretische Alternative. Welche Möglichkeiten habe ich als beamteter Lehrer?“. (6) Eine – ebenfalls einseitige – Reaktion ist die Anpassung der Wahrnehmung der Lehrpersonen an den realen Ist-Zustand. Offensichtlich erwarten manche Schulleiter genau diese Reaktion: „So ist das eben – das war schon immer so“ – „Zählt nach meinen Erfahrungen zu den Problemen im Lehrerberuf. Nur wenige Schulleiter haben die richtigen Skills für Konfliktprävention, Lehrer im Regelfall bestenfalls im Umgang mit Schülern.“ (7) Schließlich erfolgt eine Diskrepanzreduktion durch das Aufgeben der Sollvorstellungen von Lehrpersonen bezüglich ihres pädagogischen Auftrags und/ oder bezüglich ihrer Zusammenarbeit mit der Schulleitung bzw. mit dem Kollegium. Dieser Rückzug ist der Fall des Disengagements durch Innere Kündigung.
3.3 Die Verletzung der Reziprozitätsnorm
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3.3.3 Folgen bei Störung der Reziprozität Die Störung der Reziprozität durch den Bruch des Psychologischen Vertrages kann von unterschiedlicher Schwere und Dauer sein. Danach richtet sich die weitere Entwicklung: (1) Eine leichte Störung muss nicht zur Wahrnehmung eines Vertragsbruchs führen. Vielmehr ist anzunehmen, dass zahlreiche Psychologische Verträge quasi um einen zufrieden stellenden oder fast zufrieden stellenden Bereich oszillieren, wobei die dabei auftretenden Abweichungen noch keine ernsthafte Störung und keinen Vertragsbruch bedeuten. (2) Anders ist es bei stärkerer Störung der Reziprozität durch Vertragsbruch und bei deren Fortdauern. Auch dann muss es noch nicht zur IK kommen. Ein Vertragspartner kann nämlich u. U. eine Lösung darin sehen, durch Gespräche mit dem Vertragspartner, Inanspruchnahme von Hilfe, durch Solidarisierung das Gleichgewicht wiederherzustellen, so dass kein Bedarf nach einer IK besteht. (3) Bestehen keine günstigen Umstände für diese beiden Strategien, weil Widerstände gegen Korrekturversuche zu stark oder die subjektiven Kosten zu hoch sind, wird versucht, ein neues Gleichgewicht des Psychologischen Vertrags herzustellen, indem die eigenen Verpflichtungen reduziert und somit der eigene Aufwand an Arbeit und die immateriellen Kosten gesenkt werden. (4) In einer günstigen ökonomischen Lage kann man das Problem durch eine formale Kündigung beenden. (5) Eine weitere Strategie kann darin bestehen, den Psychologische Vertrag mit der Absicht zu kündigen, bei Gelegenheit auch den formalen Vertrag aufzulösen. (6) Nicht zu verschweigen ist die Gruppe derjenigen, die aus unlauteren Absichten und zum Zweck des eigenen Wohlergehens ihre Leistung reduzieren (Agent-Typ bei Fisch 2003). (7) Es gibt Schulen, in denen beide Parteien gegenseitig keine pädagogischen Erwartungen bezüglich Engagement, Einbindung, Vertrauen etc. (mehr) hegen und jeweils nach Maximierung des eigenen Nutzens streben. Die Begleiterscheinungen der IK sind nicht nur für die andere Partei negativ, sie können auch für die Betroffenen selbst unangenehm sein. So gab in der Studie von Richter (1999, S. 130 f.) die Gruppe der aktuell innerlich Gekündigten bei neun von zehn psychosomatischen Beschwerden statistisch signifikant höhere Werte an als die Gruppe der innerlich noch nie Gekündigten. Genannt wurden u. a. Konzentrationsprobleme, Erschöpfung, Magen- und Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, zunehmend schlechter Gesundheitszustand, reduzierte Kommunikationsfähigkeit sowie Suchttendenzen, schlechte Laune, Überreiztheit. (Quellen: Richter 1999, S. 130 f. und die Beiträge von Kündig S. 29 und Weber S. 38 in Hilb, 1992; Schmitz u. a. 2004).
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3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
3.4 Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Reaktanz 3.4 Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Reaktanz 3.4.1 Kontrollverlust und Hilflosigkeit bei Lehrkräften In der Diskussion um Stress, Überlastung und Erfahrung von mangelnder Selbstwirksamkeit von Lehrpersonen wird nicht selten „Hilflosigkeit“ ins Feld geführt (Hillert, Schmitz, 2004, 65, 71, 209, 240f; Rothland, 2007, u. a.). Das Konzept war mittels Tierversuchen entwickelt und in Laborexperimenten an Menschen bestätigt worden. Die ersten theoretischen Erklärungen waren an den Konditionierungsprinzipien orientiert. Doch bald wurde klar, dass der entscheidende Punkt die Erwartung einer Person ist, dass es unter widerstreitenden Bedingungen unmöglich ist, die Handlungsergebnisse zu kontrollieren, d. h. Erfolg oder Misserfolg vorherzusagen. Im Fall von Hilflosigkeit wird die Wahrscheinlichkeit, mit einer Reaktion Erfolg zu erreichen, gleich hoch eingeschätzt wie die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis auch ohne diese Reaktion eintritt. Gelernte Hilflosigkeit beginnt also mit der Wahrnehmung des Verlustes von Kontrolle. Einige selbstunsichere, zur Hilflosigkeit neigende Personen entwickeln die Überzeugung, dass sie positive Handlungsergebnisse eigenen Handelns nicht vorhersagen können, weil die Ergebnisse in keinerlei Beziehung zu ihren Handlungen stehen: „Die Erfahrung, dass eigene Handlungen keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge haben und die erwünschten Handlungsergebnisse nicht herbeiführen, festigt die Erwartung von der Unkontrollierbarkeit der Handlungsergebnisse.“ Das Lernergebnis ist dann eine Hilflosigkeitserwartung, die auf neue Situationen generalisiert wird, obwohl neue Situationen vielleicht durch bestimmte Reaktionen kontrollierbar wären. In diesem Fall stellen die individuellen Erwartungen von Unkontrollierbarkeit und nicht objektive Bedingungen die entscheidende Determinante für Hilflosigkeit dar (Heckhausen, 1980, S. 496). Das hat ein dreifaches ‚Defizit’ zur Folge: das motivationale Defizit besteht in verzögerten Ansätzen einzugreifen, das kognitive Defizit besteht in einer größeren Schwierigkeit, später noch umlernen zu können, dass in ähnlichen Situationen, die tatsächlich kontrollierbar sind, eigenes Handeln wirkungsvoll ist. Das emotionale Defizit besteht in deprimierter (nicht depressiver) Stimmung als Folge der Nutzlosigkeit eigenen Handelns. Das Hilflosigkeits-Verhalten ist also nicht durch Vermeidung gekennzeichnet, sondern dadurch, sich aus Hilflosigkeit der Gefahr zu überlassen. Gelernte Hilflosigkeit ist folglich von der Inneren Kündigung deutlich unterschieden. Genau diese Zusammenhänge lassen sich an manchen Lehrern beobachten: Mäßig leistungsmotivierte und gleichzeitig eher leistungsschwache und selbstunsichere Lehrpersonen geben sich Mühe bis zu einem mittleren Anstrengungsgrad, ohne sich überanstrengen zu müssen, und ohne in die Innere Kündigung zu gehen, und sie liefern sich hilflos der Situation aus, da sie diese doch nicht beeinflussen können. Das ist hauptsächlich eine Reaktion auf dauernd unkontrollierbare Arbeitssituationen, beispielsweise durch vermeintlich unkontrollierbares, beispielsweise provokantes und aggressives Schülerverhalten. Aber auch kompetente Lehrer können durch unvorhersehbare Reaktionen der Schulleitung und schließlich durch unvorhersehbare An-
3.4 Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Reaktanz
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ordnungen von der Schuladministration Unkontrollierbarkeit wahrnehmen und erleben. Diese letztgenannte Situation steht in keinerlei Beziehung zum eigenen Handeln, vielmehr kommen solche Anordnungen „von oben“, die manchmal als widersinnig beurteilt werden, „wie aus heiterem Himmel“. Auch hier ist schließlich die Erwartung von der Unkontrollierbarkeit der entscheidende Faktor. Viele Lehrer haben die Überzeugung erworben, dass viele ihrer pädagogischen Ziele – natürlich, sofern sie diese haben – unerreichbar sind. In attributionstheoretischer Sicht führt internal zugeschriebene Hilflosigkeit zur Minderung des Selbstwertgefühls und dauert umso länger an, je stabiler die Ursachenzuschreibung ist. Dagegen kann external zugeschriebene Hilflosigkeit zur Wut gegen bestimmte Personen und zur Inneren Kündigung führen. Allen Erklärungsansätzen der Hilflosigkeit ist gemeinsam, dass Menschen, die unsicher sind, ob sie ihre Ziele erreichen, dazu tendieren, ihre Lösungsversuche aufzugeben, während Menschen, die sicher sind ihr Ziel zu erreichen, an solchen Versuchen festhalten und höchst wahrscheinlich zur Reaktanz neigen. Aber zwei Punkte sind zu beachten: Das Konzept Hilflosigkeit bietet kein einheitliches Bild, und Hilflosigkeit ist nur ein Teil des Verhaltensmusters, Handlungsziele aufzugeben. Das Aufgeben ist mehr ein Aufgeben der Anstrengung und weniger ein Aufgeben der Ziele. Der Grund liegt darin, dass im Fall wirklicher Hilflosigkeit das Ziel zu wichtig ist (von der System-Ebene aus betrachtet) und es keinen verfügbaren Ersatz gibt. Deshalb kann der Hilflose nicht völlig disengagiert sein. (Carver & Scheier, 2001, 196).
3.4.2 Kontrollverlust und Reaktanz Der Psychologische Vertrag kann dadurch gebrochen werden, dass dem Kollegium oder einzelnen Lehrern gewisse Freiheiten genommen, dass sie eingeschränkt oder sonst wie bedroht werden und dass in ihre Autonomie als Person eingegriffen wird. M. a. W. Kontrollverhalten und Kontrollmaßnahmen werden bedroht. In diesem Fall wird bei vielen eine Motivation zum Widerstand bzw. zur Reaktanz angefacht. Die psychologische Reaktanztheorie ist eine mehrmals empirisch bestätigte Theorie. Sie geht davon aus, dass Menschen gewisse persönliche Freiheiten erwarten. Bei Lehrern kann das die Erwartung sein, den Unterricht mit Methoden, die man für angemessen hält, zu gestalten; die Freiheit, bei der Stundenplanung mitzuwirken, u.v.a.m. (siehe Kapitel 6.3 zu Lehrererwartungen). Im Fall einer Einschränkung oder Bedrohung bzw. Blockade von erwarteten Freiheitsspielräumen kommt die Motivation auf, die Freiheit wieder zu erlangen und die Bedrohung abzuwehren bzw. rückgängig zu machen. Das ist ein Motivationszustand. Reaktanz ist der Widerstand einer Person gegen den von einer anderen Person ausgeübten Druck in Richtung auf eine Beschränkung der Wahl zwischen Handlungsalternativen.
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Eine Einengung der Freiheit kann besonders stark erlebt werden, falls sich die eine Person der anderen gegenüber verpflichtet fühlt (Commitment). Das Reaktanzverhalten kann in Abhängigkeit von der bedrohten Freiheit, von der Art der Druckausübung usw. und von der Person, welche die Freiheit bedroht, sehr unterschiedlich sein: Geht der Druck von der Schulleitung aus, von einer anonymen Behörde oder von den Schülern. Reaktanz führt häufig zur Ablehnung einer Einstellung oder eines Verhaltens, das der Person aufgedrängt wurde. Die Theorie zur Erklärung der Reaktanz ist durch die Annahme erweitert worden, dass der Verlust der Kontrolle über – die Person betreffende – Ereignisse eine zusätzliche Quelle für Reaktanz sei. Reaktanz-Effekte sind um so höher
je wichtiger die bedrohte Freiheit für jemanden ist (z. B. eine Einschränkung der pädagogischen Freiheit, die gemäß Lehrerdienstordnung gewährt werden muss), je höher die Erwartung ist, diese Freiheit auch kompetent ausüben zu können, je stärker die Bedrohung / der Druck ist, je größer das Ausmaß der Freiheits-Einschränkung ist.
Regelungstheoretisch beinhaltet die Reaktanz drei Merkmale, die für eine positive Rückkoppelungsschleife typisch sind: (1) Eine Distanzierung vom (z. B. von der Schulleitung) erwarteten Wert und von der geforderten Einstellung; (2) eine Diskrepanzerweiterung im Dienste eines übergeordneten, Diskrepanz reduzierenden Systems, denn niemand wird seine Freiheit ohne Grund verteidigen und jeder wird sie zur Wahrung der eigenen Identität schützen. (3) Wird die Freiheit wieder gewonnen, endet der Reaktanzzustand. Hinzu kommt, dass die Reaktanzreaktion durch den Wahrnehmungsfokus auf die eigene Person (Self Focus) verschärft wird. Auch das betonte Festhalten an der eigenen Überzeugung gegenüber Einflüssen oder Überredungsversuchen von außen ist eine reaktante Haltung (nach Carver, Scheier, 1981, S. 157-160; 2001, S. 55f). Diese Merkmale wurden durch ein viertes erweitert: Werden durch andauernde Erfahrung von der Nutzlosigkeit des eigenen Handelns und durch Unkontrollierbarkeit der Ergebnisse und Folgen die Einsicht und die Überzeugung gefestigt, dass Kontrollierbarkeit nicht mehr gegeben ist, und bestehen keine Kontrollerwartungen mehr, dann setzt das Gefühl von Hilflosigkeit ein. Durch diese Überlegung haben Wortman und Brehm (1975) die Konzepte von Reaktanz und Hilflosigkeit zu einem Stadienmodell vereinigt. Allerdings muss nicht jede Person, die anfangs mit Reaktanz reagierte, auch das zweite Stadium durchlaufen. Im Rahmen einer partiellen inneren Kündigung kann der Widerstand i.S. einer Reaktanzreaktion auch über längere Zeit aufrecht erhalten werden, wenn es für den Schutz des Selbstwertes als nötig erachtet wird.
3.5 Verlaufsskizzen zum Disengagement: das Fünf-Phasen-Modell
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Nach Carver und Scheier (2001) liegt ein anderes Problem in der Divergenz von Verhaltens- und kognitiven Responses auf günstige vs. ungünstige Erwartungen. In einer erwartungsbasierten Sicht der Handlung existieren mehrere Wege, auf denen Vertrauen und Verhalten bzw. Zweifel und Verhalten in Beziehung stehen können. Diese Beziehungen sind nicht linear. Die Reaktionen auf Widrigkeiten sind entweder (a) dauernder Vergleich von gegenwärtigem Zustand und Ziel, verbunden mit andauernder Anstrengung; oder (b) Disengagement vom Vergleich und von der Anstrengung. Die Reaktionen folgen einem disjunktiven Modell, d. h. sie können jeweils nur zu einer der beiden Klassen gehören. Einer der Gründe für eine der beiden Reaktionsklassen scheint nach Ansicht von Carver und Scheier (2001, 198) im Ergebnis der Informationssuche zu liegen. Im Modell von Wortman und Brehm (1975), das in der Überlegung von Carver und Scheier als ein disjunktives Modell aufzufassen ist, stammen beide Reaktionen, Hilflosigkeit und Reaktanz, von Problemen mit der Kontrolle, aber sie unterscheiden sich im Ausmaß des wahrgenommenen Problems:
Bedrohung der Kontrolle produziert Reaktanz und den Versuch einer Rückgewinnung der Kontrolle. Reaktanz wie auch Burnout finden jedoch nur statt, wenn die subjektive Bedeutung der Ereignisse hoch ist, bei Burnout gilt das insbesondere vor dem Hintergrund unrealistischer bzw. überhöhter Ziel-Erwartungen (Schmitz 1998, Schmitz & Leidl, 1999). Was die Reaktanz anbetrifft, so kann man mit Löhnert (1990, 176f) annehmen, dass ein (anfängliches) geringes Ausmaß an erlebter Nichtkontrolle mit Reaktanz verbunden ist, ein (späteres) hohes Ausmaß jedoch mit Effekten der Hilflosigkeit einhergeht. Ist die subjektive Bedeutung der Ereignisse gering, resultieren Interesselosigkeit, manchmal Langeweile. Dagegen produziert die ohnmächtige Wahrnehmung von Kontrollverlust Hilflosigkeit.
Typisch für die Reaktanz ist also die Einschränkung oder Bedrohung von erwarteten Freiheitsspielräumen, für die Hilflosigkeit der Kontrollverlust. Die Ausgangslagen der beiden Reaktionsmuster sind also unterschiedlich. Daher ist die Annahme von Stadien im Sinne der Aufeinanderfolge von Reaktanz und Hilflosigkeit möglich, jedoch keineswegs zwingend.
3.5 Verlaufsskizzen zum Disengagement: das Fünf-Phasen-Modell 3.5 Verlaufsskizzen zum Disengagement: das Fünf-Phasen-Modell Auf der Basis der Befundlage zum Disengagement und auf der Basis der theoretischen Rekonstruktion der intra- und interpsychischen Prozesse soll die für viele innerlich kündigenden Lehrpersonen idealtypische Phasenabfolge zum Disengagement durch Innere Kündigung rekonstruiert werden. Das sind keine Phasen im strengen Sinn. Auch sollte nicht vergessen werden, dass solche Konstruktionen stets Vereinfachungen sind. Tatsächlich können die individuellen Prozesse sehr unterschiedlich sein. In der Grob-
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gliederung dieser Verlaufsskizze sind Übereinstimmungen mit vorhandenen Phasenmodellen (z.B. Löhnert, 1990, Faller, 1993, Brinkmann & Stapf, 2005) erkennbar. Allerdings verfügt niemand über empirische Verlaufsdaten. Eine weitere Einschränkung: Alle hier aufgeführten Differenzierungen sind psychologisch plausibel; dennoch haben sie einen idealtypischen Charakter. Es muss eingeräumt werden, dass nicht jede Person Störungen des sozialen Gleichgewichtes und Ist-Soll-Diskrepanzen völlig klar wahrnimmt und beschreiben könnte. Manche haben lediglich ein nebulöses negatives Gefühl im Umgang mit Schulleitung, Kollegen oder Schülern. Infolgedessen ist auch kaum zu erwarten, dass die entsprechenden Items eines Frageninventars von allen Befragten befriedigend klar beantwortet werden. Eingangsstufe – Eingangskönnen Der Mensch strebt im allgemeinen in dem Sinn die Kontrolle von Situationen, von Handlungsdurchführung, Handlungsergebnis und Handlungsfolgen (Konsequenzen) an, als er für sich einen optimalen psychischen Zustand zu gewinnen sucht und den Gewinn der eigenen Person als Verursacher zuzuschreiben trachtet. Bereits die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Berufswahl ist bei den meisten ein langwieriger Prozess der Abwägung des Für und Wider. Manche scheinen einerseits den Lehrerberuf als gemütlichen Job mit vielen Ferien („Halbtagsjobber“) anzusehen, doch gleichzeitig schwingt eine gewisse Unsicherheit und Angst mit, sich täglich vor einem kritischen Publikum bewähren zu müssen. Für viele Studierende ist typisch, die erste selbständig zu haltende Unterrichtsstunde so weit wie möglich hinauszuschieben. Der Lehrerberuf wird offenkundig nicht nur von jenen gewählt, die über ein sicheres Selbstvertrauen verfügen.
Vorherige individuelle Erfahrungen führen zu unterschiedlichem Vertrauen und Zuversicht in die eigene Wirksamkeit, zu unterschiedlicher Ausprägung des Bedürfnisses nach Kontrolle, zu unterschiedlichen Wertungen von Vertragsbrüchen (individuelle Wertepräferenzen). zu unterschiedlicher Erfolgs- und Misserfolgsorientierung und bei einigen Personen, die bereits zu Versagensängsten tendieren, zu Misserfolgsängstlichkeit, zu unterschiedlicher Sensibilität für Kränkungen bei Vertragsbrüchen (die Folge bei Sensiblen ist die Tendenz zu psychosomatischen Erkrankungen), zu individuell unterschiedlicher sozialer Kompetenz, zu individuell unterschiedlicher Anfälligkeit bezüglich Belastungen (Sensibilität, Vulnerabilität versus Belastungsfähigkeit, Frustrationstoleranz), zu individuell unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Ausprägung der Situationskontrolle, der Handlungskontrolle, der Erfolgskontrolle und der Kontrolle von Handlungsfolgen (Konsequenzen),
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zu individuell unterschiedlichen Kontrollmöglichkeiten von Situationen, von Handlungsdurchführung, Handlungsergebnissen und Handlungsfolgen (incl. der Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit).
Die Entwicklung zur Inneren Kündigung ist komplex. Lehrpersonen streben in der Regel danach, den vorgefundenen Ist-Zustand, zum Beispiel den Lernzustand und das Verhalten der Schüler, in Richtung auf die vorgegebenen pädagogischen Standards erfolgreich zu verändern, was ihre Aufgabe ist, oder, falls diese nicht vorhanden sind, in Richtung auf ihre persönlichen Standards zu verändern, und gleichzeitig die Kontrolle über die Abfolge von Handlung, Handlungsergebnis und Handlungsfolgen zu halten. Dabei hilft ihnen ihr Selbst-Korrektursystem, ihr Handeln „auf der Spur“ zu halten. Falls bei der Ausübung des Lehrerberufs Hindernisse auftreten, resultieren diese in den meisten Fällen aus dem Verhalten von Personen, das sind u. a. die Schüler, die Kollegen und die Schulleitung. Auch wenn bei bestimmten Lehrpersonen auf den ersten Blick „nur“ eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Arbeitstätigkeit vorzuliegen scheint, liegt der Ausgangspunkt dafür bei näherem Hinsehen in den meisten Fällen im personalen Bereich. Da das Verhalten von Personen untereinander stets wechselseitig ist, kann der Anfang eines Prozesses ins Disengagement und in die Innere Kündigung nicht immer einfach bei einer Partei festgemacht werden. Insofern wird man annehmen dürfen, dass ein Auftreten bereits erster Hindernisse etwas mit der Verletzung von Inneren Verträgen zwischen den Parteien zu tun hat. Die folgenden Stufen oder „Phasen“ eines Prozesses, der in der Inneren Kündigung mündet, können unterschieden werden: Phase I: Der Einstieg in die IK erfolgt stets bei Wahrnehmung einer Diskrepanzvergrößerung. Das bedeutet: bei Aufkommen einer Störung durch Hindernisse setzt die Selbstaufmerksamkeit ein, diese fördert die Aktivierung des Ist-Soll-Vergleichs mit dem Ziel, die wahrgenommene Abweichung zu reduzieren. In concreto bedeutet das: Sammlung von Informationen (etwa: Wo stehe ich, was ist der Fall? Welche Möglichkeiten habe ich wozu?). Dieser Beginn weist enorme individuelle Unterschiede auf. (a) Der Einstieg in die IK erfolgt zum Zeitpunkt, ab welchem aversiv erlebte Arbeitsbedingungen durch Kontrollverlust im formal-organisatorischen Bereich eintreten. Die erste Reaktion: Einholen von Informationen. Es kann funktionale Hilflosigkeit entstehen, bei pessimistischen, misserfolgsorientierten Personen rascher als bei optimistisch und erfolgsorientierten Personen. Oder (b) Einstieg zum Zeitpunkt, ab welchem aversiv erlebte Arbeitsbedingungen durch Kontrollverlust im personalen Bereich (Kollegen, Schüler, Schulleitung, Schuladministration) eintreten, und zwar infolge Wahrnehmung des Bruchs des Psychologischen Vertrags. Zunächst erfolgt das Einholen von Informationen, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Es kann eine kurze Phase funktionaler Hilflosigkeit entstehen, deren Dauer von der Ausprägung der jeweiligen Handlungskontrolle abhängt. Im Fall der Administration (meist Schulaufsicht, oft Ministerium) wird sich
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(c)
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Beim Erscheinen erster Hindernisse setzt zunächst die Selbst-Aufmerksamkeit (SelbstFokus) ein: Wo stehe ich eigentlich, wo die anderen. Die Selbst-Aufmerksamkeit fördert die Tendenz, die Vergleichsfunktion der negativen Feedback-Schleife zu aktivieren, d.h. den gegenwärtigen Zustand des Individuums mit dem relevanten Referenzwert zu vergleichen, mit dem Ziel, die Abweichung der beiden voneinander zu reduzieren. Die Selbstregelung wird unterbrochen. Die Person versucht, neue Informationen einzuholen. Diese Unterbrechung dauert so lange an, wie das Individuum benötigt, die Ergebniserwartung des Vorgangs „Hindernis bewältigen und Ziel erreichen“ zu beurteilen. Fällt dieser erste Vergleich nicht positiv aus, können erste Zweifel auftauchen. Stellt sich bei dieser ersten Bewertung der Situation heraus, dass die Kontrolle schwindet, wird versucht, durch vermehrte Anstrengung zur Informationsbeschaffung die Kontrolle wieder zu gewinnen. Schlägt dieser Versuch fehl, was in den meisten Fällen zutrifft, wird zunächst die Anstrengung erhöht. Bei erfolgsgeleiteten Personen können vorübergehend Erfolgszuversicht zur Erhöhung der Anstrengung führen. Misserfolgsängstliche Personen neigen früher zum Disengagement (Heckhausen, 1980, S. 242 f, 268 ff), insbesondere wenn Fehlschläge oder Minderleistung auf die eigene Person attribuiert werden (ebd., S. 515 ff). Phase II: Wie auch immer die erste Phase individuell endet, das Schwinden der Kontrolle wird aversiv als Misserfolg und oft – vermutlich nicht immer – als Belastung erlebt. Auch dauernd sich wiederholende geringe Misserfolge werden aversiv erlebt. Der Grad der Aversion ist individuell unterschiedlich. Der Grad oder die Intensität des Erlebens von Aversion usw. und von Misserfolg ist abhängig von individuellen Erwartungen und von der Valenz dieser Erwartungen (individuelle Wertepräferenzen).
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Schlägt die Informationsbeschaffung zur Rückgewinnung der Kontrolle fehl, wird in Phase II anfangs die Anstrengung zur Rückgewinnung der Kontrolle durch Handeln erhöht. (a) Bei überwiegender Handlungserfolgsorientierung: gesteigerte Anstrengung mit dem Ziel einer Änderung der störenden Arbeitsbedingungen im personalen Bereich (Problemlösung). (b) Bei störenden Arbeitsbedingungen im formal-organisatorischen Bereich erfolgt verstärkt aktives Einholen von Informationen bezüglich Änderungsmöglichkeiten und vermehrte Anstrengung zur Änderung des formal-organisatorischen Zustandes. Bei wiederholtem Misserfolgserleben neigen misserfolgsängstliche Personen mit ausgeprägter Angst vor Kontrollverlust weiter zur funktionalen Hilflosigkeit, insbesondere wenn Fehlschläge oder Minderleistung auf die eigene Person attribuiert werden. Wenn die Erfolgserwartungen bezüglich einer Tätigkeit wiederholt ausreichend negativ sind, ist das Resultat der Bewertung ein Anlass, von weiteren Anstrengungen und möglicherweise sogar vom Ziel selbst abzulassen. Bei anhaltendem Misserfolgserleben durch Kontrollverlust im personalen Bereich und wenn die Erfolgserwartungen bezüglich einer Tätigkeit mit einem bestimmten Personenkreis (Schüler, Kollegen, Schulleiter; Bruch des Psychologischen Vertrags und Wahrnehmung von Inequity) wiederholt ausreichend negativ sind, kann ein partielles Disengagement im Umgang mit diesem Personenkreis folgen. Bei ausreichender Handlungserfolgsorientierung folgt der Entschluss zu partiellem Disengagement hinsichtlich der Personengruppe, die den psychologischen Vertrag gebrochen hat. Bei anderen folgt der Entschluss, sich von misserfolgsvermittelnden Problemen in der personalen Arbeitssituation abzuwenden (beispielsweise den Kontakt zur Schulleitung einzuschränken oder möglichst umfassend zu meiden). Gleichzeitig erfolgt ein Aufgeben von übergeordneten beruflichen und ethischen Prinzipien in bestimmten Bereichen (z. B. im Umgang mit der Schulleitung oder mit einigen Mitgliedern des Kollegiums) und Neuorientierung der persönlichen Zielsetzung, zum Beispiel, sich voll und ganz den Schülern zu widmen. Das ist der Fall einer partiellen Inneren Kündigung, die zwecks Selbstschutz des eigenen Selbstwertes (auf der System-Ebene) erfolgt. In der Folge stellt sich eine emotionale Entlastung ein. Dieser Fall dürfte als IK mittleren Ausprägungsgrades erkennbar sein. In beiden Fällen wird von jenen Mitarbeitern mit hoher Kontrollüberzeugung versucht, durch aktives Ausnutzen der Schwächen des Schulsystems eine Ausgewogenheit i. S. des Equity-Prinzips wieder herzustellen und so die Kontrolle bzw. die Illusion davon wieder zu gewinnen. Bei anhaltendem Misserfolgserleben durch Kontrollverlust – auch der Abwehr von Innovation – in allen Bereichen erfolgt eine umfassende Aufgabe der übergeordneten beruflichen, ethischen und u. U. der pädagogischen Ziele, speziell das Prinzip der Innovation wird aufgegeben, und statt dessen die Konzentration auf eigene Ziele im
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privaten Lebensbereich verlegt. Wenn die Lehrpersonen permanent erfahren, dass Engagement keine oder nur negative Konsequenzen für sie bringt, beschränken sie sich schließlich auf Minimalanforderungen bei der Arbeit, verlieren das Interesse daran und suchen in der Freizeit neue Interessenschwerpunkte zu generieren. Das ist ein Fall Innerer Kündigung I. Eine weitere Gruppe versteht es, auf aktive Art eine raffinierte Form der Selbständigkeit zu erhalten. Stellen die Lehrer fest, dass sie selbst mit Engagement zur Erreichung der Ziele der Schule beitragen, von Seiten der Leitung bzw. der Administration aber eine Förderung ihrer persönlichen Zielsetzung nicht in entsprechendem Maße erfolgt, nehmen sie dieses Ungleichgewicht als ungerecht wahr. Folglich nutzt diese Gruppe die Schwächen des Systems aus. Die Unkündbarkeit bei Beamtenstatus erlaubt eine willkürliche Erweiterung der Handlungsspielräume, ohne ernsthafte Folgen fürchten zu müssen. Aufgrund dieser aktiv betriebenen Strategie kann eine „gewissen Art der Zufriedenheit“ erlangt werden. Dadurch wird eine scheinbare Wiedergewinnung der Kontrolle erlangt und somit eine Wiedergewinnung der Ausgewogenheit i. S. des Equity-Prinzips (Adams, 1965; vgl. Löhnert, 1990, 32f; Faller, 1993; ähnlich Richter, 1999). Auch das ist ein Weg in die Innere Kündigung I. Aufgrund des raschen Vermeidungsverhaltens dürften geringere Belastungswerte und ein mittlerer IK-Wert vermutet werden. Falls durch partielle Innere Kündigung oder durch Innere Kündigung I Erfolge erreicht werden, wird der emotionalen Hilflosigkeit entgegengewirkt. An dieser Phase wird erkennbar, dass man für den Lehrerberuf a priori mehrere Schattierungen oder Formen von Disengagement incl. Innerer Kündigung postulieren sollte. Phase III: In die dritte Phase gelangen jene, die mit den geschilderten Versuchen wiederholt oder gar dauerhaft Misserfolge und Kontrollverlust erlebten. Bei nicht realisierbarer IK in der Arbeitssituation und anhaltendem Kontrollverlust mit dem entsprechenden Misserfolgserleben folgt der Weg in die völlige funktionale Hilflosigkeit, d.h. man setzt sich der aversiven Arbeitssituation apathisch aus. Bei starrem Festhalten an den übergeordneten – pädagogischen und ethischen Prinzipien – kann Burnout folgen. Bei anhaltendem Kontrollverlust mit dem entsprechenden Misserfolgserleben und Zweifeln, die Kontrolle jemals wiedererlangen zu können, und bei ausreichender Handlungsorientierung folgt der Entschluss, sich dauerhaft von der gesamten Arbeitssituation innerlich zurückzuziehen, die Leistung so weit wie möglich dauerhaft auf einen möglichst misserfolgsfreien und kontrollierbaren Bereich zu reduzieren und auf diesem Wege Ausgewogenheit („equity“) wieder herzustellen. Gleichzeitig erfolgt, aufgrund der geänderten Zielsetzung, eine bewusste Verlagerung des Engagements in außerbetriebliche erfolgsversprechende Bereiche. Das ist die Innere Kündigung II, gekennzeichnet durch völliges Disengagement in allen innerbetrieblichen Bereichen und durch hohe Skalenwerte. In dieser Phase können Versuche unternommen werden, unvermeidlich erscheinende Misserfolge weniger
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wichtig zu nehmen, um auf diese Weise die Intensität des Kontrollverlustes zu mindern. Phase IV bezeichnet eher einen Zustand als einen Punkt in einer Zeitreihe. Im Laufe der Zeit verlieren die meisten Betroffenen die Überzeugung, die Situation noch kontrollieren zu können und treffen höchstwahrscheinlich die Entscheidung, ihre Leistung so weit wie möglich dauerhaft auf einen möglichst misserfolgsfreien und kontrollierbaren Bereich zu reduzieren und auf diesem Wege Ausgewogenheit („equity“) wieder herzustellen. Schließlich wird diese Entscheidung in konkretes Handeln umgesetzt, ohne den formalen Arbeitsvertrag zu gefährden. Man richtet sich ein, so gut es geht. Die Person befindet sich in einem Zustand dauernder Innerer Kündigung mit allen persönlichen Nachteilen, aber auch Vorteilen, den dieser Zustand bietet. Phase V: Bei vulnerablen, sich leicht verletzt fühlenden Personen kann sich infolge fortdauernd erzwungener Konfrontation mit misserfolgsvermittelnden Problemstellungen in der Arbeitssituation, trotz IK, eine Phase zunächst nur situationsspezifischen Lernens von Hilflosigkeit mit völliger emotionaler Resignation und mit der Tendenz zur Depression ergeben. Dieser Zustand kann sich verschlimmern mit Merkmalen allgemeiner Erschöpfung, Leistungsminderung, Abgeben von Arbeitsaufgaben, ohne den formalen Arbeitsvertrag zu gefährden, sozialer Entfremdung und tiefer Resignation. Spätestens auf dieser Stufe erfolgt die Manifestation psychosomatischer Symptomatik, oft verbunden mit der Selbstdiagnose als „psychosomatisch krank“ und als behandlungsbedürftig. Der Zustand gleicht dann dem terminalen Stadium des Burnouts. Manche Betroffene stellen einen Antrag auf Dienstunfähigkeit oder zumindest auf stationäre Behandlung mit dem möglichen Endziel einer Dienstunfähigkeitsbestätigung. Der Weg in die Formen der Innere Kündigung verläuft auf natürliche Weise in den verschiedenen Gruppen unter differenten Voraussetzungen in unterschiedlichen Schritten. Ähnliche Abläufe sind aus der Belastungs-Bewältigungs-Forschung bekannt (vgl. Ulich, 1996, 63, 73f). Von Phasen zu sprechen ist vielleicht übertrieben, da es sich per definitionem nicht um Phasen, sondern einfach um eine vermutete „stufenförmige“ Abfolge von meist internen Ereignissen und seelischen Zuständen im Rahmen eines Prozesses handelt. Ein Grund für den Weg in die Innere Kündigung liegt in der negativen Bewertung der gesamten Arbeitssituation. Der Grund für eine negative Bewertung der Arbeit liegt angesichts des massiven Auftretens in den objektiv und dauerhaft aversiven Gegebenheiten der Arbeitssituation an Schulen, die vielen Lehrkräften nicht kontrollierbar erscheinen. Viele haben den Eindruck, dass ihr pädagogisches Handeln unwirksam ist, und sie verfügen nicht über wirksame Handlungsschemata, die geeignet wären, die Kontrolle über die Ereignisse in unterrichtlichen Situationen zu erlangen. Das würde bedeuten, dass auf den unteren Ebenen der Ausführungsprogramme des pädagogischen Handelns nicht über die notwendigen Wenn-Dann-Regeln und Handlungsschemata bezüglich des Zusammenhangs von Handlung, Handlungsergebnis und Handlungsfolgen verfügt wird. Folglich können viele Lehrer keine
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konkreten Erwartungen über ihr Handeln produzieren. Viele werden versuchen, sich „irgendwie irgendwelche“ Handlungsschemata zu überlegen oder in bestimmten Anforderungssituationen zu erzeugen, in der unbestimmten Hoffnung, damit ihre pädagogischen Zielen zu erreichen. Dabei stellen sich laufend Misserfolge ein. Das ist nicht anders zu erwarten bei Lehrern, die nicht für das ausgebildet wurden, was von ihnen verlangt wird. Im Zuge der dauerhaft negativen Erfahrungen wächst zunehmend die Überzeugung, keine Kontrolle mehr über das Auftreten von verstärkenden Ereignissen zu haben, d. h. das Auftreten und die Art und Weise der Rückmeldungen ist nicht mehr abhängig vom Verhalten der Lehrkräfte. Die Reaktion auf diesen Kontrollverlust besteht in der Vermeidung von aversiven Situationen in der Arbeit. So ist die Funktion der IK auch in diesem Fall der Schutz des Selbstwertes. Auch hier wird wiederholt deutlich: Disengagement und speziell Innere Kündigung ist nicht einfach ein Defizit von Mitarbeitern, sondern eher ein Merkmal einer defizitären betrieblichen Umgebung. Jemand könnte, oberflächlich betrachtet, einfach „die Lust am Job“ verloren (oder nie gehabt) haben. Tatsächlich handelt es sich, wie der Ausdruck schon andeutet, um ungestillte Bedürfniserwartungen an die Arbeitssituation oder Arbeitstätigkeit und insofern um Misserfolge. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass jemand sich vor Eintritt in den Lehrerberuf falsche Vorstellungen über die Berufstätigkeit, die ihn erwartet, gemacht hat. Über weitere Gründe lässt sich spekulieren. Wie auch immer: In der Regel darf wohl angenommen werden, dass der Ausgangspunkt durch eine mittlere Stärke der Kontrollerwartungen gekennzeichnet ist. Besteht diese jedoch nicht, kann ziemlich rasch Hilflosigkeit eintreten. Hilflosigkeit wird aversiv erlebt und deshalb abgewehrt (Wortman & Brehm, S. 308).
3.6 Angrenzende Probleme 3.6 Angrenzende Probleme 3.6.1 Lehrer-Disengagement und Ethik Den Gedanken des gesellschaftlich unerwünschten Verhaltens im Zusammenhang mit der Inneren Kündigung hat Raidt geäußert. Er assoziiert mit IK „sattsam bekannte Zeiterscheinungen wie `Dienst nach Vorschrift´, `Leistungsverweigerung´ (...)(und) `passiver Widerstand (Raidt, 1989, S. 68). Bereits Höhn hatte sich drastisch geäußert (vgl. Kapitel 1). Den Gedanken des moralisch Anfechtbaren haben wohl Echterhoff et al. (1996) in die Debatte eingeführt. Danach „zeigen [IK-Mitarbeiter] ... angepasstes Verhalten ohne ehrliche, spontane und engagierte Reaktionen“. Ob ehrliche Reaktionen auch engagiert sein müssen, bleibe dahingestellt. Entscheidend ist der Hinweis, dass die innerlich Kündigenden sich angepasst verhalten „ohne ehrliche Reaktionen“. Durch diese Aussage wurde mit der Inneren Kündigung der moralische Vorwurf der Unehrlichkeit verbunden. Moralische Bedenken scheinen bei anderen Autoren zumindest im Subtext auf.
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Die Verpflichtungen der Lehrerschaft, soweit sie formal vertraglich gelten, sind im Beamtengesetz, in den Dienstordnungen der Länder usw. festgelegt. Bei darüber hinausgehenden Verpflichtungen handelt es sich um Fragen des moralischen Handelns (Die Lehre vom moralischen Handeln ist die Ethik). Die vertraglichen Verpflichtungen der Lehrerschaft (hier am Beispiel Bayern) sind im wesentlichen in der Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern (Lehrerdienstordnung – LDO), die für alle staatlichen bzw. anerkannten Schulen gilt, geregelt. Da heißt es hinsichtlich der Allgemeinen Dienstpflichten der Lehrkraft (§ 9): „Die Lehrkraft ist verpflichtet, ihre Arbeitskraft dem Dienst als Lehrkraft zu widmen. Dies verlangt erzieherischen Einsatz der Lehrkraft auch außerhalb des Unterrichts.“. Sie soll also ihre ganze Arbeitskraft für den Schuldienst einsetzen. Denn sie trägt, nach § 2 der LDO „die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und den Unterricht ihrer Schüler“. Der Klassenleiter trägt überdies „in besonderer Weise Verantwortung für die Erziehungsarbeit in seiner Klasse“ (§ 6). Ergänzt wird diese Verpflichtung durch das Beamtengesetz BBG § 54: „Der Beamte hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. ...“, und er ist zur Loyalität dem Staat gegenüber verpflichtet (Diensteid BBG § 58). Diese vertraglichen Verpflichtungen sind in manchen Punkten bis in die Einzelheiten geregelt. Beispielsweise sind die Lehrpersonen zu „erzieherischem Einsatz“ auch außerhalb des Unterrichts verpflichtet, außerdem, sich fortzubilden und an dienstlichen Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, unbeschadet ihres Urlaubsanspruchs in den Ferien aus dienstlichen Gründen in zumutbarem Umfang zur Verfügung zu stehen, etwa zur Erledigung von Verwaltungsgeschäften. Bei Bedarf kann die Lehrkraft auch für den Unterricht in Fächern eingesetzt werden, für die sie keine Prüfung abgelegt hat und u.a. Hausunterricht zu erteilen. Diese Verpflichtungen sind mit Sicherheit nicht allen Lehrpersonen bewusst. Wo wurde beispielsweise einem kranken Schüler Hausunterricht erteilt? Während die vertraglichen Verpflichtungen einerseits zum Teil bis in die Einzelheiten geregelt sind, bleiben sie in anderen Teilen vage und lassen Raum für Deutungen. Die ungeschriebenen Inhalte dessen, was ein „erzieherischer Einsatz ... auch außerhalb des Unterrichts“ sei, können aus Sicht der Lehrer ziemlich anders aussehen als aus Sicht der Schulleitung. Manche Lehrer fühlen sich auch außerhalb des Unterrichts moralisch verpflichtet, etwa bei Disziplinproblemen, erzieherisch einzuwirken, sofern sie sich innerhalb der Mauern des Schulgebäudes und des Schulhofes aufhalten, andere fühlen sich zu erzieherischem Einsatz lediglich in ihrem Klassenraum, etwa in den Pausen, verpflichtet. Dagegen wird die Schulleitung dazu tendieren, den Raum des erzieherischen Wirkens ihrer Lehrer auch auf den schulischen Umkreis und vielleicht sogar auf die Freizeit der Schüler auszudehnen. Diese Beispiele müssen an dieser Stelle nicht vollständig diskutiert werden; sie sollen lediglich zeigen, wie sich Vorschrift und Moral berühren. Hier berühren sich formales Gesetz bzw. formale Dienstordnung und schriftlich nicht fixierter moralischer Anspruch. Folglich können die Auslegungen des Textes durch Schulleitung/ Schuladministration und durch die Lehrer sehr verschieden ausfallen. Die Wahrnehmung von Brüchen der Psychologischen Verträge ist für beide
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Parteien ziemlich sicher gegeben, u.z. gerade weil die Auslegungen unterschiedlich ausfallen. Die Orientierung für „richtiges“ Verhalten ist nicht immer leicht. Einerseits sind die Vorschriften nicht für jede mögliche Situation hinreichend klar, andererseits will niemand, dass noch mehr Vorschriften erlassen werden. Im Gegenteil: Die meisten Bürger streben zu Recht eine Eindämmung der Flut von Vorschriften an. Folglich ist es sinnvoll, nach Orientierungshilfen Ausschau zu halten. Das Beamtengesetz und die Dienstordnung sind normative Sätze. Einen normativen Satz zu akzeptieren bedeutet, bereit zu sein, danach zu handeln. Diese Bereitschaft wurde mit dem Amtseid versprochen. Nun gibt es gerade im Lehrerberuf eine Anzahl von Verhaltensnormen, die vorschreiben, was geboten ist. Sie werden auch im wesentlichen allgemein akzeptiert und die meisten Lehrer handeln danach. Aber es ist weder die Anzahl dieser normativen Regeln bekannt, noch ist explizit definiert, was genau der Ausdruck bedeutet: „Es ist geboten, dass ...“. Niemand kennt eine solche explizite Definition. So kann man in eine Situation geraten, in der unklar ist, ob eine normative Regel existiert oder nicht, und wie sie lauten könnte. Wie könnte man sich behelfen? Grundsätzlich gilt, dass Lehrer nicht nur verpflichtet sind, den schriftlichen Vertrag „formal“ zu erfüllen, sondern sie sind auch verpflichtet, die implizierten Erwartungen der Schulleiter zu erfüllen, sofern diese in den formalen Vorschriften etc. logisch impliziert sind. Das ergibt sich aus dem Prinzip der Konsistenz (Tetens, 2006). Das Prinzip besagt: Wenn es geboten ist, Z zu erfüllen, dann ist es geboten, Z’ zu erfüllen, sofern Z’ in Z logisch impliziert ist. Nun kann es möglich sein, dass Lehrer L nicht der Meinung ist, zu Z’ verpflichtet zu sein, obwohl Z’ in Z logisch impliziert ist. Doch aufgrund des Dienstverhältnisses ist Lehrer L moralisch verpflichtet, Z’ zu erfüllen. Lehrer L’s Meinung, durch die Erfüllung von Z den Buchstaben des Gesetzes erfüllt zu haben und zu mehr nicht verpflichtet zu sein, ist falsch, weil sie dem Prinzip der Konsistenz widerspricht. Aber möglicherweise kann Lehrer L nachweisen, dass seitens der Schulleitung eine Erwartung, nennen wir sie Z’’, in Z nicht logisch impliziert ist. Der Grund kann darin liegen, dass die Prämissen falsch sind oder die logische Ableitung fehlerhaft. Dann wäre L moralisch verpflichtet, einen Versuch zu unternehmen, die Schulleitung zu überzeugen, dass Z’’ in Z nicht logisch impliziert ist. Falls tatsächlich ein logischer Ableitungsfehler vorliegt, dürfte das nicht übermäßig schwierig sein, sofern beide Parteien logisch denken können. Bleibt die Schulleitung aus anderen als logischen Gründen bei ihrem Ansinnen, sollte L eine öffentliche Diskussion im Kollegium veranlassen. Unter Umständen wäre die Schulleitung moralisch verpflichtet, Z’’ zurückzunehmen. Notfalls könnte sie im Kollegium dazu verpflichtet werden. Leider gehen manche Mitarbeiter „aus dem Felde“, sie vermeiden die geistige Auseinandersetzung ebenso wie die Diskussion. Sie ziehen es vor, nach außen beizugeben und sich innerlich zurückzuziehen. Somit verweigern sie ihre moralische Verpflichtung. Dann liegt auch hier ein Fall von Innerer Kündigung vor. Eine etwas andere Argumentation, die hier nur skizziert wird, folgt dem Prinzip der Verallgemeinerung: Es sei angenommen, Lehrperson L fühlt sich überfordert und
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fürchtet um die Gesundheit. Sie beschließt, sich nicht mehr anzustrengen, kümmert sich kaum noch um den Lernerfolg der Schüler und vernachlässigt die erzieherischen Aufgaben. Das Disengagement ist offenkundig. Dass sie damit gegen Beamtenpflicht und Lehrerdienstordnung verstößt, sei nur erwähnt. Wichtig ist hier Folgendes: Person L handelt nach der Maxime: Wer sich überfordert fühlt, schone sich, kümmere sich weniger um die Schüler und um die erzieherischen Aufgaben. Dieses Verhalten ist weit verbreitet und hinlänglich belegt. Was wäre die Folge? Die Schüler würden weniger lernen, die Versetzungsquote würde sinken, das Verhalten der Schüler wäre zunehmend undiszipliniert. Das Argument basiert im Kern darauf, dass man sich überlegt, was geschähe, wenn alle so handelten wie die einzelne Person L, und ob man die Folgen wirklich wollen kann. Weil das niemand wirklich wollen kann, ist das Verhalten von L nicht erlaubt. Ob dieses Verhalten auch ein Verstoß gegen formale Verpflichtungen ist, wäre zu diskutieren. Bei dieser Argumentation ist nicht zu vergessen, dass Lehrkräften, die sich überfordert fühlen, Verhaltensalternativen zur Verfügung stehen. Der Prozess ist möglicherweise noch nicht beendet. Denn für Lehrer L und einige Kollegen erfüllt sich, was nicht selten behauptet wird: Die Schüler heutzutage sind unkonzentriert, lernfaul, demotiviert und undiszipliniert. Die Ineffektivität von L wird auf die Schüler attribuiert; d. h. den Schülern wird die Ursache für den Misserfolg von L angelastet. Das ist, wie man sieht, falsch, weil Ursache und Wirkung vertauscht wurden. Wenn alle Lehrkräfte einer Schule sich verhalten würden, wie Person L sich verhält, dann wäre diese Schule ineffektiv. Dass es ineffektive Lehrer gibt, ist hinreichend sicher nachgewiesen (u. a. Schmitz et al., 2006) wie ebenso, dass es ineffektive Schulen gibt (van Dick, Wagner, Christ, 2004). Da die vermutlich wenigen ineffektiven Schulen mehr auffallen als die guten Schulen und das Bild in der Öffentlichkeit prägen, entsteht auch für solide Kritiker der Eindruck, „die“ Schule sei ineffektiv (beispielsweise K. Neuhoff & G. Kruip, 2008, Stimmen der Zeit, Augustheft). Daraus resultiert, neben der oben geschilderten Abwehr der einzelnen Lehrperson L, die Tendenz einer zweiten Abwehr, diesmal einer kollektiven Abwehr. Diese zeigt sich in der Tendenz einiger Pädagogen, Kritik an der Schule pauschal als ungerechtfertigt abzutun. Die „Lehrerschelte“ habe „eine lange Tradition“ und insbesondere die Medien fallen durch „eine negativ geprägte Berichterstattung zum Beruf des Lehrers“ auf, argwöhnen Rothland und Terhart (2007, S. 23, 25). Eine Abwehr der geschilderten Art ist bedauerlich, denn eine Institution verliert ihre Fähigkeit zur Regeneration und zur Verbesserung der Zustände, wenn sie Kritik nicht erträgt. Was ist aber, wenn Lehrer nicht können, was sie sollen? Einerseits wird das moralische Prinzip: „Sollen impliziert Können” allseits anerkannt. Aber bei einem Teil der Lehrkräfte kann dieses Prinzip offensichtlich nicht zur Geltung kommen. Wenn es nämlich stimmt, dass Lehrer nicht über eine spezifische Arbeitsweise verfügen (Rothland & Terhart, 2007, S. 17), dann kann auch nicht verlangt werden, dass Lehrer beispielsweise die Technologie des Motivierens, der Wissensvermittlung usw. usf. beherrschen. Unmögliches ist nicht verpflichtend. Denn wer etwas tun soll, muss dazu
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prinzipiell in der Lage sein. Ist er es nicht, hat er guten Grund, die Anforderungen zurückzuweisen. Dazu ein Beispiel: Ein gesunder dreißigjähriger Nichtschwimmer sieht und hört, wie ein Kind im See nach Hilfe ruft. Er ist also körperlich prinzipiell in der Lage zu helfen, seine besondere Beschränkung – er hat nie das Schwimmen gelernt oder gar geübt – verhindert es. Niemand wird ihm einen Vorwurf wegen unterlassener Hilfeleistung machen können. Ebenso wenig wird ein gesunder dreißigjähriger Lehrer, ohne über eine hinreichende berufliche Technologie – er hat nie das Motivieren und die Techniken der Wissensvermittlung gelernt oder gar geübt – zu verfügen, förderbedürftigen Schülern helfen können. In diesem Fall kann das Sollen das Können nicht garantieren. Mit einer entsprechenden Ausbildung wäre er prinzipiell dazu in der Lage. Dann würde ihn das Prinzip: „Sollen impliziert Können” moralisch zur Hilfe verpflichten. Doch gilt: Zu Unmöglichem ist niemand verpflichtet. Aber unser Lehrer ist zu etwas Anderem verpflichtet. Da man annehmen kann, dass er – wie die meisten anderen Menschen – das Prinzip kennt, ist er verpflichtet, Schritte zu unternehmen, um das notwendige berufliche Können in für seine berufliche Tätigkeit hinreichendem Maße zu erwerben. In seinem Fall ist das Prinzip abzuwandeln: „Sollen impliziert die Pflicht zum Könnenserwerb.“ Nun steht unser Lehrer vor der Frage, wo er etwas Brauchbares zur Verbesserung seiner sozialen Handlungskompetenz, das ist eine praktische, handwerkliche Fertigkeit, denn um diese geht es in den meisten Fällen, erwerben kann. Die üblichen offiziellen Fortbildungen erschöpfen sich oft in Referaten. Damit kann man sich keine Handlungskompetenz erarbeiten. Somit bleibt unser Lehrer, wie so oft, hilflos sich selbst überlassen. Ihm bleibt aber die Möglichkeit, sich an niedergelassene Psychologen, Therapeuten und an solche Kliniken zu wenden, die dergleichen Maßnahmen anbieten.
3.6.2 Dienst nach Vorschrift? Die Fünf-Item-Skala „Innere Kündigung“ enthält das Item: Ich mache nur noch Dienst nach Vorschrift. Innere Kündigung ist aber nicht einfach nur Dienst nach Vorschrift. Zwar tritt der Begriff schon früh in Zusammenhang mit dem Begriff der Inneren Kündigung auf: Löhnert (1990, S. 32-34) beschreibt diesen so: „Sie tun nur das, was ihnen aufgetragen wird – Dienst nach Vorschrift – und entwickeln ansonsten keinerlei Eigeninitiative.“ Ähnlich äußern sich Echterhoff und Coautoren: „Mitarbeiter, die innerlich kündigen, beschränken ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz auf das Notwendige und leisten Dienst nach Vorschrift.“ (1994; Krenz-Maes, 1998, S. 48,). In diesem Sinne ist Dienst nach Vorschrift lediglich ein operationales Beispiel für Personen, die innerlich gekündigt haben: sich übergenau an die Regeln halten und weder Eigenverantwortung noch persönliche Initiative zeigen. Folgerichtig hat Krenz (1996, S. 65) das Item: „Ich mache oft Dienst nach Vorschrift“ in ihrer Studie verwendet. Dieses Item bezeichnet ein Verhalten.
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Doch die Auffassungen von „Dienst nach Vorschrift“ sind so eindeutig nicht. Der „Dienst nach Vorschrift“ galt für den Beamten und insbesondere für den Polizeibeamten in Preußen um das Jahr 1892 als selbstverständliche Voraussetzung, da er andernfalls „die Achtung ... des Publikums“ verlöre und „das Ansehen seiner Stellung“ herabsetze, heißt es in den „Instruktionen eines preußischen Gendarmen“ (Ritter & Kocka, 1977). Ferner ist zu beachten, dass in einigen Berufsfeldern „Arbeit nach Vorschrift“ als Qualitätsmerkmal zu sehen ist. Man denke nur an Elektriker, für deren Arbeit es klare Vorschriften gibt, die einzuhalten sind, oder Berufe des Baugewerbes, die klare Vorschriften (Leistungsverzeichnis und DIN) für die Ausführung einer Arbeit haben. Die andere Facette des Begriffs wird in Folgendem deutlich: Manche Beschäftigte, die sich für Dienst nach Vorschrift entschieden haben, tendieren dazu, bei ihrer Tätigkeit nur die für sie geltenden Anweisungen umzusetzen und sich dabei eng an die Dienstvorschriften zu halten. Aber eine stärkere Wandlung des Begriffs mit Folgen für die Fassung von IK deutet sich an: Auf die heute erwartete Initiative, etwa zur Lösung anstehender Probleme, z. B. durch Nutzung des „kurzen Dienstweges“ per Telefonat usw., wird verzichtet, Auslegungs- oder Ermessensspielräume, auch da, wo dies sinnvoll erscheint, werden nicht genutzt, anstehende – insbesondere zusätzliche – Dienstaufgaben werden bis an die Grenzen des Möglichen verzögert. Der Grund liegt darin, dass Arbeitgeber ihre Erwartungen bezüglich Leistung und Arbeitszeit steigern und damit das Gleichgewicht des Psychologischen Vertrags zu ihren Gunsten verschieben. Mit Arbeitsplatzverlust wird offen gedroht. Aus dieser Gleichgewichtsverschiebung resultieren die Zahlen mangelnder Bindung an die Unternehmen, die wiederholt in den Medien gemeldet wurden. Danach sollen in Deutschland in der Wirtschaft angeblich sieben von zehn Arbeitnehmern „nur noch“ Dienst nach Vorschrift machen. Genaues weiß niemand. Von dieser Entwicklung wurden auch die Lehrer erfasst. Da Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst schwere willkürliche Benachteiligungen weniger zu befürchten haben als Mitarbeiter in der Wirtschaft, könnte vermutet werden, dass hier Dienst nach Vorschrift häufig vorkommt. Einzelne Beispiele liegen vor: Vor einigen Jahren wurde bei der damaligen Deutschen Bundespost und bei den damals verbeamteten Fluglotsen „Dienst nach Vorschrift“ als Arbeitskampfmethode gezielt eingesetzt. Auch die Lehrerverbände klagen in den letzten Jahren über „massive Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen“. Es mehren sich in den Kollegien die Stimmen, die deshalb einen „Dienst nach Vorschrift“ vorschlagen, meldet der Verband Bildung und Erziehung VBE. Damit solle zum Ausdruck gebracht werden, dass man zuvor mehr gearbeitet habe als die Vorschrift es vorsehe, und dass damit jetzt Schluss sei. Was bedeutet nun aber „Dienst nach Vorschrift“ für Lehrer? Druck durch organisierte Leistungsminderung verbietet schon der Diensteid, durch den sich der Beamte verpflichtet, seine „Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen.“ Nach § 54 des Bundesbeamtengesetzes „ist die Pflicht verbunden, sich mit voller Hingabe seinem
100
3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Beruf zu widmen und sich ganz für den Dienstherrn (Dienst) einzusetzen und diesem seine volle Arbeitkraft zur Verfügung zu stellen." Alle Dienstvorschriften stehen unter diesen beiden Prämissen. Wird gegen sie gehandelt, so kann darin eine Verletzung der Beamtenpflichten gesehen werden. Da bleibt kaum ein Spielraum. Ein VLB-Mitglied rät u. a. zur „Verringerung der Kontrollen bei Hausaufgaben sowie die Herabsetzung der Anzahl der zu korrigierenden Übungsarbeiten und Klassenarbeiten, auch wenn dieses möglicherweise zu irgendwelchen Qualitätsverlusten im Unterricht führt.“ (Latussek, 2008). Das aber geht eindeutig zu Lasten der Schüler und dürfte eine Verletzung der Amtspflichten darstellen. Beamte, die zur Leistungsminderung aufrufen und jene, die sich daran beteiligen, können disziplinarrechtlich belangt werden. Mindestens liegt eine intensive Form des Disengagements und der Inneren Kündigung vor. Lehrern stehen andere außerdienstliche Mittel zur Verfügung, um auf ihre zunehmend schwierigere Tätigkeit aufmerksam zu machen.
3.6.3 Langeweile, „Boreout“ und Burnout Langeweile und Innere Kündigung sind völlig verschiedene Konstrukte. Während die Langeweile auf die gesamte Persönlichkeit bezogen ist, wird die IK auf das Erleben und Verhalten im betrieblichen Bereich eingeschränkt. Wohl könnte IK aus einem gesamtseelischen Zustand der inneren Langeweile resultieren, etwa aus einer wahrgenommenen Diskrepanz von erwarteter Anregung für das Erleben von Wohlbefinden beim schulischen Agieren und dem tatsächlichen Erleben in der Schule. Nach neuerer Auffassung (Schmitz, 2000) tritt existentielle Langeweile im Zustand der Selbstaufmerksamkeit – im Selbstfokus – auf als eine wahrgenommene Diskrepanz von erwarteter Anregung für das Erleben von Wohlbefinden und dem tatsächlichen Erleben. Mit der Wahrnehmung dieser Diskrepanz wird innere Leere erlebt. Eine Reduktion der Diskrepanz kann (1) durch Erschließen von Verstärkungsquellen erfolgen oder (2) durch Abzug der Selbstaufmerksamkeit von den Werten, über die das Selbst definiert wird, bei gleichzeitiger Flucht zu Pseudoverstärkern. „Boreout“7 ist angeblich ein Phänomen in der Arbeitswelt, das aus Unterforderung resultiert. Die Unterforderten sollen mit 44% die größte Gruppe der beruflich Unzufriedenen stellen (s. Fußnote). Kennzeichnend sollen Müdigkeit, Langeweile, Lustlosigkeit, Gereiztheit sein sowie Frustration bis hin zu Anzeichen von Depression, was wohl Deprimiertheit bedeuten soll. Wer an Boreout leide, möchte eigentlich arbeiten. Doch einerseits suche man die Arbeiten so rasch wie möglich zu erledigen, um die gewonnene freie Zeit für sich privat zu nutzen, andererseits werde Arbeit vorgetäuscht, wo keine ist. Die einen im Team arbeiten zu viel und für die anderen bleibe 7 Quelle: Rothlin, Ph. & Werder, P.R., 2007, Diagnose Boreout: Warum Unterforderung im Job krank macht. Heidelberg: Redline Wirtschaft/ Südd. Verlag. S.17.
3.6 Angrenzende Probleme
101
keine Arbeit mehr. Während jene vom Burnout gefährdet seien, fänden diese Gefallen an der erlangten freien Zeit und versuchten in der Folge, Arbeit zu vermeiden. Doch damit verlängerten sie den Zustand des Boreout. So entstehe „ein Kreislauf“: Weil die Unterbeschäftigten ausgelastet erscheinen, erhalten sie weniger Arbeit, die jenen aufgebürdet wird, die schon gestresst sind und nun noch mehr belastet werden (so die Autoren). Warum die ausgeruhten Unterforderten einen überarbeiteten Eindruck erwecken sollen und die Gestressten, durch Burnout Gefährdeten nicht, bleibt ein Geheimnis der Autoren. Das ist nicht der einzige Widerspruch in dem Buch. Die beiden Unternehmensberater wollen vermutlich demonstrieren, wie eine kreativ erfundene Symptomatik Kreise zieht und Leser beeindruckt. Die erste universitäre Facharbeit scheint bereits gefertigt zu sein. Eine Arbeit über gelangweilte, unterforderte Arbeitslose (Jugendliche) wäre nützlicher gewesen. Das Buch ist ein Jux. Burnout wird als Erschöpfungszustand definiert mit dem Gefühl der Minderleistung und der Depersonalisierung (Dehumanisierung) als Reaktion auf andauernde Überlastung (Burisch, 1989, im Anschluss an Maslach). Bis heute fehlt eine exakt operationalisierte Definition. Auch bei strikter Beschränkung auf diese drei Dimensionen ändert sich daran nichts. Das liegt an der Geschichte des Begriffs. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger (1927-1999) publizierte im Jahr 1974 im „Journal of Social Issues“ einen kurzen Beitrag mit dem Titel „Stuff Burnout“. In diesem Artikel reflektierte er sein eigenes Befinden, nachdem er jahrelang einen mehr als 15-stündigen Arbeitstag hatte. Er beschrieb das Gefühl ständiger Verausgabung, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und Müdigkeit bei gleichzeitigem Festhalten an seinen Sollensvorstellungen („Je müder ich wurde, um so mehr trieb ich mich an“) und dass er unter Infektanfälligkeit, Kopfschmerzen, Magen-Darmproblemen und Schlaflosigkeit litt. Im Kontakt mit Kollegen erlebte er sich als reizbar, zu emotionalen Ausbrüchen neigend und im Denken rigide. Alle diese Symptome hätte er unter der etablierten Diagnose „Depression“ bzw. depressive Störung (ICD-10, F 41) zusammenfassen können; dass er dies nicht tat, hatte mehrere Gründe: Wer sieht sich selber schon gerne als psychisch krank oder „neurotisch gestört“? Freudenberger erklärte sich seinen „ausgebannten“ Zustand nicht im Rahmen seiner Biografie (Migration etc.), sondern als Folge seiner langfristigen Überforderung und als typisch für unsere von Hektik und Stress beherrschten Zeit. Burnout beträfe vor allem diejenigen, „die ein extensives, über die Zeit hinweg unrealistisches Bedürfnis haben, anderen etwas zu geben“. Damit hat er eine Diagnose gefunden, der jede Person, die sich überfordert fühlt, gerne zustimmen kann (Hillert & Schmitz, 2010). Sich für andere bis zur Erschöpfung verausgabt zu haben, hat eine gewisse Attraktivität, den Hauch des Heroischen. „Nur wer entflammt war, kann ausbrennen“, hieß es wenig später, wenn auch falsch (Schmitz & Leidl, 1999), und teilweise bis in die Gegenwart (z. B. Brinkmann & Stapf, 2005; Wikipedia noch im August 2009). Burnout breitete sich epidemisch aus. Seine Akzeptanz wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich nicht nur ein Drittel aller Lehrer als „ausgebrannt“ bezeichnen, sondern schon ein Drittel aller Lehramtsreferendare.
102
3 Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern
Zweifellos ist es legitim, etwas über die Verbreitung dieses Phänomens erfahren zu wollen. Maslach hat dazu einen praktikablen Fragebogen erstellt, der das Akquirieren von Forschungsmitteln erleichterte, eine rasche Verbreitung fand und ihr einen guten Platz im informellen Ranking der Zitationen verschaffte. Im Dezember 2006 konnten über Google mehr als 21 Mill. Einträge gesichtet werden. Viele Betroffene begaben sich, teils mit schwerer Symptomatik, wegen „Burnout“ in klinische Behandlung. Die Kliniker stießen auf die Unzulänglichkeit dieser Diagnose per Fragebogen. Es ist auch denkbar, dass man in einer Klinik andere Menschen befragt als in einer Feldstudie oder bei einer Stichprobenerhebung. Was aber bisher aber kaum bedacht wurde, ist die Tatsache, dass Maslachs Burnout Inventory keineswegs die gesamte, von Freudenberger beschriebene Symptomatik erfasst, sondern nur die o.g. drei Dimensionen, die sich im Rahmen etlicher statistischer Analysen als relativ stabile Faktoren herausstellten, die aber dennoch inhaltlich unpräzise sind. Das bedeutet, der Burnout, der mit der Maslach-Methode erhoben wird, ist offenkundig nicht der Burnout, den Freudenberger beschrieb, sondern bestenfalls eine unscharfe Teilmenge davon. Das Instrument wurde für die Befragung von Stichproben entwickelt und nicht dafür, klinische Individualdiagnosen zu stellen. Wenn man den „Maslach-Burnout“ mit dem Symptomkomplex von Freudenberger gleichsetzt, begeht man einen Kategorienfehler. Dem kann man nur entgehen, wenn man den „Maslach-Burnout“ (ggf. unter Einbezug der Version von Pines) als arbeitspsychologisches Konstrukt kategorisiert und Freudenbergers Burnout in seiner Gesamtheit unter den klinischen bzw. psychiatrischen Symptomkomplex der Depression fasst. Burnout, in der Maslach-Tradition, wird neuerdings mittels Erschöpfung und Zynismus definiert und kann gegenpolig zum Engagement konstruiert werden (Gonzales-Roma et al., 2006; Klusmann et al., 2008). Im arbeitspsychologischen Kontext kann Burnout, zumindest die Dimension des Zynismus, ähnlich wie die Innere Kündigung, als eine Reaktion des Disengagements auf Überforderung und Erschöpfung aufgefasst und problemlos mit bestehenden Stressmodellen der Psychologie und mit ihren gesundheitlichen Konsequenzen wie Depression oder somatische Erkrankungen, wie jene des Herz-Kreislaufsystems, verknüpft werden. Dann ist Burnout eine allgemeinpsychologisch erklärbare Reaktion und kein Krankheitsbild. Der Unterschied zur Inneren Kündigung liegt in den Besonderheiten des Reaktionsmusters, etwa im Festhalten an übergeordneten Zielen und leistungsbezogenen Soll-Vorstellungen, die erst im Endstadium aufgegeben werden und dann mit der Inneren Kündigung konvergieren. Von einem interdisziplinären Standpunkt aus betrachtet sind zur Vorsorge und Behandlung, je nach Mischung und Schweregrad der Symptomatik, Methoden der Psychiatrie und der Psychologie, insbesondere Verhaltenstherapie, angezeigt (Nil et al., 2010).
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung 4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Eine Vorbemerkung: Dieses Kapitel wäre ohne die Darstellung von Tabellen mit statistischen Daten zum Beleg der Aussagen nicht vollständig. Das kann den Textfluss beim Lesen stören. Wer jedoch den Text fließend lesen möchte, kann die Tabellen fortlassen, ohne Verständniseinbußen befürchten zu müssen. Ebenso kann man KlammerAusdrücke, die statistische Daten enthalten, übergehen.
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes 4.1 Die Entwicklung des Instrumentes Eine Datenerhebung zu Engagement und Disengagement durch Innere Kündigung bei Lehrern ist mit besonderen Schwierigkeiten behaftet. Ein standardisiertes Gespräch als Diagnose-Instrument, wie es Büchli (1992) vorschlug, ist bekanntlich für eine Studie größeren Umfangs bei allen Vorteilen, die ein solches Gespräch hat, aus nahe liegenden Gründen nicht geeignet. Zunächst gilt die Bedingung der Freiwilligkeit der Teilnahme. Diese hat eine Beschränkung der Stichprobenerhebung unbekannter Art zur Folge. Manche zur IK neigende Person „vergisst“ oder verweigert den Gesprächstermin bzw. die Rückgabe des Fragebogens. Infolge dessen musste die Befragung unter geschickter Ausnutzung möglicher Motive der Befragten durchgeführt werden. Sie wurden u. a. um Hilfe und Beistand für künftige Kollegen bei einer Arbeit gebeten, die jedem Lehrer aus eigener Erfahrung persönlich bekannt ist. Zusätzlich wurde möglichst jede Person persönlich angesprochen, um deren Interesse an ein Thema zu fördern, dessen Diskussion zur Anerkennung der Schwierigkeiten im Lehrerberuf sowohl durch Vorgesetzte als auch durch die Öffentlichkeit beitragen könnte. Der Fragebogen musste schließlich so gestaltet werden, dass nicht mehr als ein Doppelblatt zu vier Seiten mit ca. 160 Items durch Ankreuzen zu bearbeiten war. Die Erfahrung hatte gelehrt, dass ein Doppelblatt von den meisten befragten Lehrern als ein ökonomisches Maximalmaß akzeptiert wurde. Sobald dieses Maß überschritten war, schrumpfte die Rücklaufquote der auswertbaren Bögen erheblich. Allerdings machte diese „ökonomische“ Maßnahme eine robuste Reduzierung der Items erforderlich. Das betrifft auch die Items zur IK, wenn gleichzeitig andere Merkmale erhoben werden sollten. Schließlich mussten einige Items in Fragen mit anderer Thematik „verpackt“ werden, so dass ein Befragungsziel nicht erkennbar ist. Die Rücklaufquote ist mit rd. 60% noch befriedigend.
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
4.1.1 Das Messverfahren Im Folgenden werden die Ausdrücke Disengagement und Innere Kündigung insofern synonym benutzt, als die IK den extremen Bereich auf einer Ratingskala betrifft. Richter (1999, S. 126) stellte seinen Probanden als Indikator für IK die Frage, ob irgendwann seit Eintritt in die Organisation eine Situation bestanden habe, in der die formale Kündigung ernsthaft erwogen worden sei. Zusätzlich erfolgte die Sicherung des Phänomens durch die Erfassung weiterer Merkmale (z.B. über die Messung von Arbeitszufriedenheit, Kontrollüberzeugung u.a.). Dagegen hatte Löhnert (1990, 222 f.) versucht, das Phänomen indirekt etwa über Freizeitorientierung, berufliche Schwierigkeiten und Zukunftsaussichten zu erfassen. Er konnte sich auf nur 25 Fälle stützen. Den indirekten Zugang wählte auch Lauck (2003; 2005) bei einer Befragung von 333 Lehrern an gewerblichen Schulen, indem er versuchte, IK mit Items aus Skalen zu Work- und Job-Involvement und Commitment zu messen zuzüglich einer Eigenkonstruktion von einigen „Ergänzungsitems“ zur IK. Ein überzeugendes Verfahren entwickelte Krenz (1996). Sie nutzte eine Skala von 16, anfangs 21, Items, darunter ein Item, das direkt auf die Frage, ob sich eine Person in einem Zustand innerer Kündigung befinde, bezogen war (Interne Konsistenz α = 0,90; Split-Half-Reliabilität r = 0,85; die Validität – gemessen am Item ,Ich habe innerlich gekündigt‘ – betrug r = 0,78; Krenz, 1996, S. 96f.). Diese Items stellen Operationalisierungen von intuitiven Verhaltensbeschreibungen dar, die Mitarbeiter kennzeichnet, die sich in bestimmten Situationen am Arbeitsplatz in einer Weise verhalten, dass auf sie die Deutung zu passen scheint, sie disengagierten sich, d.h. sie zögen sich mental von ihrer Tätigkeit zurück. Wir haben uns an die Erhebungsmethode von Krenz gehalten, da ihre Operationalisierungen dem Forschungsstand entsprachen. Von den ursprünglich 16 Items wurden zunächst 10 Items an die schulischen Anforderungen angepasst. Diese Version wurde in einem ersten Versuch 115 Lehrpersonen vorgelegt (α = 0,79; Details: Schmitz, Gayler, Jehle, 2002). Eine exploratorische Faktorenanalyse (Varimax Rotation, Kaiser Normalisierung, 5 Iterationen) extrahierte drei Faktoren (siehe Tabelle 4.1). Die Items des Faktors I repräsentieren inhaltlich und statistisch im wesentlichen die Kernaussagen und das Konzept von Disengagement durch Innere Kündigung im Lehrerberuf. Diese Skala ist nicht zu diagnostischen Zwecken, sondern lediglich zu Zwecken der Datenerhebung größeren Umfangs geschaffen worden.
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
105
Tabelle 4.1: Faktorenstruktur der Skala „Disengagement durch Innere Kündigung“. Grundlage: 10 Items mit Trennschärfekoeffizienten ≥ 0,40 und Faktorladungen ≥ 0,60 sowie Zweitladungen ≥ 0,30. Bezeichnung und Wortlaut der Items SIK5 Ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen. SIK1 Im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren. SIK4 Ich mache oft Dienst nach Vorschrift. SIK6 Früher war ich viel engagierter. SIK3 Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen. SIK9 Im Kollegium unterhalten wir uns oft über die Macken des Schulleiters. SIK7 In der Schule mangelt es an Humor und Gelassenheit. SIK2 Es ist einfacher, ja zu sagen, als immer wieder mit meinen Ideen vor die Wand zu laufen. SIK8 Ich freue mich auf die Pausen. SIK10 Ich bin froh, wenn ich nach der Arbeit...nach Hause gehen kann. Eigenwerte Aufgeklärte Varianz (insges. 63,1%)
Faktor I 0.82 0,78
Faktor II
Faktor III
0,75 0,70 0,61 0,86 0,33 0,49
0,68 0,65 0,83 0,73
0,30 3,93 39,2%
1,33 13,3%
1,06 10,6%
Anmerkung: zur besseren Übersicht sind die höchsten Ladungen kursiv gesetzt.
Der Kernfaktor (fünf Items, s. Tab.4.2) und weitere 14 Items zur Feststellung des Engagements, das sind Commitment- und Involvement-Items, Items zur Identifikation mit der Schule, zur beruflichen Identifikation, zur Verantwortung für die Schüler, zur Zufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit incl. sieben Items zum Bruch des psychologischen Vertrags (Inequity) dienten in der vorliegenden Erhebung an teils 2020, teils 1643 Lehrpersonen zur Ermittlung des Konstruktes des Disengagements durch IK: Alle Items haben Trennschärfekoeffizienten ≥ 0,40 und Faktorladungen ≥ 0,61. Die Skala soll ein länger dauerndes, über Tage und Wochen anhaltendes Verhaltensmuster und mentalen Zustand erfassen. Tabelle 4.2: Die Kern-Items zur Erfassung von Disengagement durch IK bei Lehrern (Rating: 1 – 6) 1. 2. 3. 4. 5.
Im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren. Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen. Ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen. Früher war ich viel engagierter. Ich mache oft Dienst nach Vorschrift.
Die Items 1; 4 und 5 betreffen in erster Linie den Mangel an Engagement bei der schulischen Tätigkeit und damit das wichtigste Kennzeichen der IK. Alle Autoren, die
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4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
sich zur IK geäußert haben, stimmen darin überein. Die Items 1, 3 und 4 deuten auf eine frühere prozessuale Entwicklung bis zum gegenwärtigen mentalen Zustand. Als Synonyme der Inneren Kündigung sind die Items 2 und 5 zu verstehen. Item 5 bezeichnet ein unmittelbar beobachtbares Verhalten. Eine Besonderheit von Item 2: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen“ liegt darin, dass diese Aussage eine Konditionalaussage ist. Für die meisten Lehrer ist es, wegen des Quasi-Bildungsmonopols des Staates und ihrer arbeitsrechtlichen Stellung (in den meisten Bundesländen ist ein Großteil der Lehrer verbeamtet) bei gleichzeitig starker Affinität zum Beamtenstatus, geradezu unvorstellbar, formal zu kündigen, wenn sie an die erheblichen Nachteile einschließlich des Verlustes einer guten Pension denken. Überlegt sich ein Lehrer, der sich im Prozess des Disengagierens befindet, eine Kündigung oder bedauert er, dass dies nicht möglich ist, so muss der Zustand schon weit fortgeschritten sein. Daher stellt die Zustimmung zu dieser Aussage das Eingeständnis eines Wunschtraumes dar. Das vermittelt uns eine valide Information über den mentalen Zustand der befragten Person. Sie erlaubt eine Introspektion, wie sie mit kaum einem anderen Item möglich wäre. Dieser Einblick in das derzeitige Seelenleben des Probanden wird ergänzt durch die einfache Aussage: „Ich mache oft Dienst nach Vorschrift“, die einer ungeschminkten, realen Beobachtung des eigenen Verhaltens im mentalen Zustand des Disengagements sehr nahe kommt. Diese Aussage wird synonym zur Inneren Kündigung benutzt (so auch Krenz, 1996, S. 67). Die ausdrückliche Verneinung bedeutet das Gegenteil, nämlich Dienst über das Vorgeschriebene und Erwartete hinaus, also Engagement. Die Aussage 2: „Wenn ich kündigen könnte ...“ hat eine zweite wesentliche Besonderheit. Wenn man nämlich die Frage stellt, welches von den fünf Items der Skala und welches Item aus allen bisher vorgeschlagenen Items zur Erhebung der IK wirklich notwendig ist, oder, m. a.W. auf welches Item keinesfalls verzichtet werden kann, so bleibt allein dieses Item übrig. Nur wer dieser Aussage zustimmt, hat innerlich gekündigt. Wer dagegen diesen Satz nicht bejaht und nicht auf die eigene Person zutreffend denkt, hat nicht oder nur partiell innerlich gekündigt oder ist mittleren Grades disengagiert. Von allen anderen Sätzen, die IK zum inhaltlichen Gegenstand haben, kann man die Notwendigkeit nicht behaupten. Eine Messung der IK ohne diesen Satz dürfte kaum als valide beurteilt werden. Zum Beleg für diese Behauptung schauen wir uns ein paar andere Items zur IK an, zum Beispiel den Satz: „Mein Interesse an Betriebsfeiern ist nicht mehr so stark wie früher“ (sinngemäß in der Selbst-Checkliste von Brinkmann & Stapf, 2005, S. 46). Zweifellos kann dieser Satz ohne jeden Bezug zur Inneren Kündigung wahr und zutreffend sein. Verschiedene Menschen können aus ganz unterschiedlichen Gründen kein besonderes Interesse an Betriebsfeiern haben: Jemand hat wegen andauernder Arbeitsüberlastung keine Lust auf eine Betriebsfeier. Ein anderer ist durch seine Familie gefordert, ein Dritter damit beschäftigt, ein Projekt vorzubereiten, das ihn geistig und seelisch völlig in Anspruch nimmt. Viele weitere Gründe mag es geben. Das alles bedeutet nicht, dass dieses Item in der o.g. Checkliste überflüssig wäre. Im Verbund mit den übrigen Aussagen liefert diese Aussage einen wichtigen Hinweis auf das Verhältnis der befragten Person zu ihren Kollegen. Auch
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
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der Satz: „Ich bin heute nicht mehr so engagiert wie früher“ muss für sich stehend keineswegs auf die IK hinweisen. Vielleicht war ja der Sprecher früher einmal übermäßig und einseitig für den Betrieb bzw. für seine Schule engagiert, die ihm alles bedeutete. Aber dann hat er eine Familie gegründet. Für die ist er natürlich mehr engagiert als für den Betrieb. Oder jemand hat sich einer Therapie unterzogen, um zu lernen, auch für sich selbst Zeit einzufordern und nicht mehr die gesamte Freizeit im Betrieb zu verbringen. Auch diese Person sagt zu Recht, sie sei nicht mehr so engagiert wie früher. Wichtig und notwendig für die Operationalisierung der IK ist jedenfalls die Aussage: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen.“ Denkbar wäre eine mehr verhaltensbezogene Version: „Ich denke – täglich – mehrmals die Woche – einmal die Woche – nie: Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen.“ Am Gegenpol der Skala Innere Kündigung gilt: Wer das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule eben nicht verloren hat, wer die Aussage: „wenn ich kündigen könnte, ...“ ablehnt, und wer mehr als vorgeschrieben und erwartet arbeitet, denjenigen darf man als engagiert bezeichnen, was nicht bedeuten soll, dass damit alle Charakteristika des Lehrer-Engagements benannt wurden8. Diese Skalen-Auffassung ist durch die Forschung zur Likert-Skala gerechtfertigt, die jene Beantworter, die sich beim Ankreuzen auf einer Likert-Skala an die Mitte halten, als „ambivalent“ und „unsicher“ hinsichtlich ihrer Bewertung des gerade vorliegenden Items einstuft. Denn theoretisch sollte eine Antwort-Tendenz zum Mittelpunkt die Einstellung derjenigen darstellen, die damit, was sie gerade bewerten, gleich starke Gefühle der Zustimmung und der Ablehnung haben (Harter, 1997). Daraus resultiert der psychometrische und der theoretische Nutzen des Skalenmittelpunktes (Midpoint) einer Likert- bzw. RatingSkala: Er eignet sich sowohl zur rechnerischen als auch zur inhaltlichen Trennung jener Personen, die mittels ihres Ankreuzens entweder eine Zustimmung oder eine Ablehnung des gerade zur Frage stehenden Items ausgedrückt haben. Das Engagement wurde in Teilgruppen zusätzlich mit Skalen zur Identifikation mit der schulischen Tätigkeit und mit der Schule, zur Loyalität, zu Commitment und Involvement erhoben. Job-Involvement bezeichnet die psychische Identifikation mit der Arbeit in der aktuellen Arbeitssituation (Work-Involvement bezeichnet die positive Einstellung gegenüber der Arbeit im allgemeinen); Commitment meint die affektive Bindung und Loyalität und das Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Schule (Krenz, 1996; Schmitz, Gayler, Jehle, 2002; siehe Tabelle 4.3). Wie bereits begründet wurde, muss das gesamte Skaleninventar nicht bei jeder Erhebung benutzt werden, weil die Beziehungen zwischen den Skalen gut bekannt sind, wie u.a. die nachfolgende Modelltestung aufweist.
8 Dazu dienen die Items zur Identifikation mit der Schule, mit Job Involvement, Work Involvement, Commitment, Bedeutsamkeit und Zufriedenheit (siehe Schmitz et al., 2002).
108
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
4.1.2 Die Modelltestung Zweimal wurde über die Prüfung unseres theoretischen Konzepts der IK mit den oben ausgeführten Erklärungen berichtet (Schmitz u. a. 2002; Schmitz u. a. 2004) und zwar über die Feststellung der Testgütekriterien der IK-Skala und über die Modelltestung. Die Daten stammen aus einer Erhebung an psychosomatisch erkrankten Lehrpersonen (Jehle u. a. 2002), aus der ursprünglichen Erhebung von Krenz (1996) an Personen außerhalb des Schulbereichs sowie aus der Erhebung München I an Lehrern (Schmitz u. a. 2002; vgl. Tab. 4.3). Die oben vorgestellten fünf Kern-Items der IK gelten als die eigentlichen Indikatoren des Disengagements durch IK. In einigen Teilstichproben wurden neben diesen fünf Items ein paar weitere IK-Items zusätzlich benutzt, die oben in Tabelle 4.1 genannt wurden. Daneben geben Items zum Bruch des Psychologischen Vertrags mit Wahrnehmung einer Störung des sozialen Gleichgewichtes (Inequity) indirekte Hinweise zur IK. Zur konvergenten Validität: Unseren Annahmen entsprechend korrelieren IK mit der Skala Bruch des Psychologischen Vertrags in drei Erhebungen ρ = 0,54 bis 0,74; die Korrelation der IK mit der Skala Inequity am Arbeitsplatz beträgt ρ = 0,52 bis 0,65. Hohe Korrelationen mit den Faktoren, die inhaltlich für den Bruch des Psychologischen Vertrags und für Inequity am Arbeitsplatz stehen, festigen die Gültigkeit der IK-Skala (vgl. Tabelle 4.3). Für eine gute divergente Validität können die hohen negativen Korrelationen zwischen IK und Job-Involvement (r = -0,41** und –0,66**), IK und den Commitment-Faktoren Identifikation mit der Schule (r = -0,48** und –0,54**) sowie IK und Loyalität zur Schule (r = -0,63**; r = -0,63**) herangezogen werden. Reliabilität: Die innere Konsistenz der fünf Items beträgt in den Studien α = 0,84 bis 0,74, im Mittel 0,82 (Details Schmitz u.a. 2002, 53). In zufälligen Teilstichproben von N1 = 1045 ist α = 0,80 bei einer mittleren Korrelation der fünf Items ρ = 0,45** und N2 = 598 bei einer mittleren Korrelation ρ = 0,43, α = 0,80. Tabelle 4.3: Korrelationen ρ der IK-Skala mit Skalen zur Erkundung der Schulkultur Diagnose Innere Kündigung (IK) korreliert mit Bruch des psychologischen Arbeitsvertrags Inequity am Arbeitsplatz Mangel an kooperativer Führung Mangel an fachl. Einbindung in den Schulbetrieb Mangel an Mitbestimmung und Beteiligung Mangel an freundlicher Zuwendung Mangel an gegenseitigem Feedback Mangel an Kontrolle im Unterricht Job Involvement
Prien (N = 29) 0,74** 0,52** 0,25 n. s. 0,59** 0,22 n. s. 0,26 n. s. 0,30 n. s.
Krenz 1996 (N= 205) 0,55** 0,58** 0,68** 0,46** 0,69** 0,63** 0,60**
- 0,21 n. s.
- 0,41**
München I (N = 115) 0,54** 0,65** 0,56** 0,44** 0,64** 0,65** 0,57** 0,51** -0,66**
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
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Fortsetzung von Tabelle 4.3 Diagnose Innere Kündigung (IK) korreliert mit
Prien (N = 29) - 0,43** - 0,51**
Identifikation mit der Schule/dem Unternehmen Loyalität zur Schule/zum Unternehmen
Krenz 1996 (N= 205) - 0,48** - 0,63**
München I (N = 115) -0,54** -0,63**
Anmerkung: ** = p < 0,001 Abbildung 4.1: Korrelation der IK-Skalen nach Tabelle 4.3 Loyalität zur Schule/zum Unternehmen Job Involvement Mangel an gegenseitigem Feedback Mangel an Mitbestimmung und Beteiligung Mangel an kooperativer Führung Bruch des psychologischen Arbeitsvertrags -0,8
Prien
-0,6
Krenz 1996
-0,4
-0,2
0
0,2
0,4
0,6
0,8
München I
Die Verteilung der IK-Skalen-Werte (5 Items, 2020 Personen) lässt sich wie folgt beschreiben: Mittelwert 2,66 (Rating 1 - 6), Varianz 1,25, Standardabweichung 1,118. Das Schiefemaß (Skewness) deutet mit dem Wert 0,584 (S-E Skew 0,054) auf eine linksgipfelige Verteilung (bei 0 wäre die Verteilung symmetrisch). Das Steilheitsmaß (Exzess, Kurtosis) deutet mit dem Wert -0,279 auf einen deutlichen Unterschied zur Normalverteilung. Dieser Eindruck wird durch die Testung auf Normalverteilung mit dem Ein-Stichproben-Kolmogorow-Smirnow-Test bestätigt. Die Goodness-of-Fit-Werte deuten auf erhebliche und signifikante Differenzen (pos. 0.092, neg. –0,069, K-S Z = 4,14, p = 0,000). Allerdings ist für unsere Untersuchungszwecke eine Normalverteilung der IK-Werte nicht notwendig. Eine Normierung der Skala ist nicht beabsichtigt. Weder die 5-Item-Version noch die 10-Item-Version ist für die Nutzung als diagnostisches Testverfahren vorgesehen.
110
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Modelltestung: Die Modelltestung mit der Maximum-Likelihood-Methode (AMOS) für Strukturanalysen bestätigt die Passung unserer Modellannahmen mit den empirischen Daten. Die Zusammenhänge von Disengagement (IK) mit empirisch belegten Merkmalen sind im Strukturmodell in der Abbildung 4.1 dargestellt. Dieses Modell ist statistisch gesichert: Abbildung 4.2: Ergebnisse der Modelltestung Mangel an Mitbestimmung
Mangel an Rückmeldung
Mangel an Zuwendung
Mangel an fachlicher Einbindung
Mangel an kooperativer Führung
„Inequity“ Ungleichgewicht Belastung
Mangel an Kontrolle im Unterricht
Disengagement Innere Kündigung
Berufl. Identität und Erfüllung
Identifikation
χ2 24,22
df 16
p 0,09
GFI 0,961
Involvement
AGFI 0,870
Loyalität
RMR 0,077
Hoelter 151
Eine Replikation der Modelltestung an 210 Lehrkräften resultierte in ähnlichen Werten: χ2 19,7
df 16
p 0.41
GFI 0.97
AGFI 0.91
RMR 0.034
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
111
4.1.3 Weitere Instrumente Zur Erfassung von personalen Merkmalen der Lehrerpersonen wurden 15 Skalen bzw. Kurzskalen benutzt. Einige Kürzungen waren nötig, um Raum für möglichst viele Items zu persönlichen Merkmalen zu bekommen. Die Kürzung erfolgte durch Eliminierung von Items mit geringer Trennschärfe (Index ≤ 0,60). Dadurch wurde die Rücklaufquote erhöht. Die beigefügten teststatistischen Kennwerte stammen aus der vorliegenden Studie. Über die Skala Innere Kündigung (5 Items, α = 0,80), ihre Items und statistischen Parameter zur Validität und Reliabilität, wurde berichtet (Schmitz, Gayler, Jehle, 2000). Das Leit-Item ist dabei: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen“. Im Bereich „Engagement – Disengagement“ wurden erhoben: Skala Job-Involvement, drei Items, sechsstufiges Rating, Beispiel: „Ich fühle mich als Teil der Schule“ (α = 0,73); WorkInvolvement („Es würde mir schwer fallen, meine Arbeit mit den Schülern aufzugeben; ich erlebe meine berufliche Tätigkeit als sinnvoll“; drei Items, α = 0,76), Zufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit (drei Items, α = 0,84), Commitment: Bedeutsamkeit – Verantwortung (Ich empfinde ein hohes Maß an Verantwortung für meine Schüler: drei Items, α = 0,76); Items zum Gerechtigkeits-Prinzip (Equity) in den Psychologischen Verträgen in Bezug auf (a) Vorgesetzte, (b) Schüler, (c) Kollegen; Items zum persönlichen Engagement und zu Erwartungen (Erfüllung bzw. Enttäuschungen) an (a) Vorgesetzte, (b) Schüler, (c) Kollegen. Ferner wurden erhoben: Der Belastungstest Schulische Belastungsfaktoren (SBF) aus dem Lehrerprojekt Prien (Lehr, 2004, 130 ff.; 2008) ist aus 13 Items (α = 0,81) mit 4-stufigem Rating zur Belastung durch Schüler, Klassengröße, Verwaltungsaufgaben, Kritik von außen, zu Problemen mit fachfremdem Unterricht, inhomogenen Klassen, Eltern und Kollegen zusammengesetzt. Die Skalen Emotionale Erschöpfung als Kern- und Leitsymptom des Burnout (Densten, 2001), (α = 0,89) und Dehumanisierung (α = 0,81) wurden dem Maslach Burnout Inventory entnommen (Näheres in der einschlägigen Literatur, u. a. Schmitz, 2004, 51ff; Hillert & Marwitz, 2006, S.82ff). Die Kurzform der Allgemeinen Depressions-Skala (ADS), 15 Items (α = 0,89): mittels 4-stufigem Rating („selten oder überhaupt nicht“= 0 bis „meistens, die ganze Zeit“= 3) kann die Auftretenshäufigkeit depressiver Symptome in der letzten Woche angegeben werden. Itembeispiel: „ ... war ich deprimiert/ niedergeschlagen“. Für epidemiologische Studien in der Schnittmenge von nicht-klinischen, subklinischen und evtl. klinischen Populationen wie der vorliegenden wird die Skala empfohlen (Hautzinger & Bailer, 1993; Hillert, 2007, 148; Lehr, Hillert, Schmitz, Sosnowsky, 2008). Die Skala Emotionalität (emotionale Labilität/ Neurotizismus) aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar, von Fahrenberg, Hampel, Selg, revidierte Fassung (FPI-R) mit 2-stufigen Ratings, umfasst 14 Items (α = 0,81) zur Feststellung der Stabilität bzw. Labilität des Gefühlslebens. Beispiel: „Meine Laune wechselt ziemlich oft.“ Die Skala Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout beschreibt, wieweit eine Person sich mit dem Merkmal Burnout identifiziert bzw. sich dieser Kategorie zugehörig fühlt. Vier Items mit 5-stufigem Rating; α = 0,94 (ein Produkt aus dem Priener
112
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Lehrerprojekt, Hillert & Marwitz, 2005). Beispiele: „Ich sehe mich selbst als jemanden, der unter Burnout leidet.“ „Wenn von ausgebrannten Lehrern die Rede ist, zähle ich mich selbst dazu.“ Die Skalen Identifikation mit dem Beruf (α = 0,79) und Identifikation mit der Schule (α = 0,73) sind aus jeweils drei Items zusammengesetzt, vgl. Schmitz, Gayler, Jehle (2002). Itembeispiele: „.. erlebe meine berufliche Tätigkeit als sinnvoll“, „ ... fühle mich als Teil der Schule“. Das Erfolgserleben im Beruf (Lehrerprojekt Prien) betrifft die individuelle Fähigkeit, eigene Erfolge wahrzunehmen und zu erleben. Die Skala enthält drei 4stufige Items (α = 0,63) (Lehr, 2004 S.138), Beispiel-Item: „Durch meine Arbeit habe ich viele Erfolgserlebnisse“. Resignationstendenz bei Misserfolg ist dem AVEM-Inventar von Schaarschmidt (2004) entlehnt. Sie umfasst hier sechs Aussagen (α = 0,90) mit 4stufigem Rating (Lehr, 2004, S. 135). Beispiel: „Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell“. Psychosomatische Beschwerden werden mit der Symptom-Checkliste (SCL-K9) von Klaghofer & Brähler (2000) mittels 9 5-stufigen Items (α= 0,82) erhoben. Itembeispiel: „Wie sehr litten Sie ... unter Verletzlichkeit in Gefühlsdingen?“ Das Wissen über die Zielerreichung der eigenen Arbeit (Feedback-Defizit) wird mit dem Job Diagnostic Survey (JDS; 6 Items; α=.63) nach Schmidt & Kleinbeck erhoben (Lehr, 2004, S.138). Itembeispiel: „Die Arbeit ... gibt mir kaum Hinweise, ob ich ... Leistungen erziele“. Die Skala Lehrer-Selbstwirksamkeit, 10 Items (α = 0,81), Itembeispiel: „Ich traue mir zu, die Schüler für Neues zu begeistern.“ (G. S. Schmitz, 2001) Neben den genannten Itemanalysen wurden Chi-Quadrat-Tests für nominale und nonparametrische Tests (Mann-Whitney, Kolmogorow-Smirnow), in Ausnahme auch tTests für metrische normal verteilte Variablen, gerechnet. Zum Zweck der Gruppendifferenzierung wurden t-Tests, Diskriminanzanalysen und einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA, Tests nach Scheffe’ und Bonferroni) und nonparametrische Tests gerechnet. Ferner wurden die Effektgrößen d, die absolute und die prozentuale Effektstärke aES berechnet. Diese Berechnung ist deshalb sinnvoll, weil die Unterschiede von Engagement versus Disengagement durch IK die Folge von effektiven Ereignissen sind. Zum Nachweis einer gewissen Zuverlässigkeit dieses Effektes gehört neben dem statistischen Nachweis eines signifikanten Unterschieds zwischen den Gruppen der Engagierten und Disengagierten als Maß für die Bedeutsamkeit von Unterschieden die Bestimmung der Effektgrößen. Bei den Berechnungsmethoden halten wir uns an Bortz & Döring (2006, S. 569), Lind (2008) und Jacobs (2005).
4.1.4 Die Skalenwerte In der anschließenden tabellarischen Übersicht werden die Parameter der Skala der Inneren Kündigung (fünf Items) mitgeteilt. Damit beim Vergleich der Schularten die Gruppen möglichst groß bleiben, wird die ursprüngliche Gesamtstichprobe (N = 2020) zu Grunde gelegt. Diese Gruppe ist wie folgt zusammengesetzt: 863 (42,8%) Lehrkräfte sind weiblich und 1157 (57,2%) männlich. Das mittlere Alter beträgt 46,18 (Median 47) Jahre,
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
113
die vier Jüngsten sind 25 Jahre alt, die 2 Ältesten 65. 110 Lehrpersonen (5,4%) unterrichten an Grundschulen (GS), 339 (16,8%) an Hauptschulen (HS), 178 (8,8%) an Realschulen (RS), 268 (13,3%) an Gymnasien, Fachoberschulen und Berufsoberschulen (GY), 1090 (53,9%) an Berufsschulen (BS) und 36 (1,8%) an Förderschulen (FS). Tabelle 4.4: Skalenkennwerte (5 Items) in der Gesamtstichprobe (N = 2020) Gruppe gesamt weiblich männlich Schularten: GS HS RS GY FOS BOS BS
Μ Min Max N 2020 2,66 1,98 3,01 865 2,61 2,01 2,92 1157 2,69 1,96 3,08
α s² 0,17 0,80 0,14 0,79 0,19 0,80
110 339 178 268 1089
0,16 0,13 0,11 0,12 0,22
2,37 2,73 2,83 2,61 2,65
1,73 2,17 2,28 2,01 1,90
2,69 3,10 3,18 2,88 3,13
0,73 0,79 0,82 0,84 0,80
Abbildung 4.3: Mittelwerte bei Lehrerinnen und Lehrern 5 4 3
2,61
2,69
weiblich
männlich
2 1
Abbildung 4.4: Mittelwerte in Schularten
5 4 3
2,37
2,73
2,83
2,61
2,65
2 1 GS
HS
RS GY FOS BOS
BS
114
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Tabelle 4.5: Innere Konsistenz der Skala zur IK 5 Items mit Mittelwerten, Varianzen und Alpha-Werten.
Altersgruppen 25 - 40 41 - 50 51 - 65
Μ Min N 576 2,19 1,64 741 2,72 2,06 702 2,98 2,17
Max 2,69 3,05 3,29
s² 0,17 0,16 0,21
α 0,78 0,80 0,78
Tabelle 4.6a: Teststatistische Parameter der fünf Items der Skala IK
(N = 1643): Mittelwerte, Median, Standardabweichung, Varianz, Trennschärfe. 1 2 3 4 5
Item Im Laufe der Zeit Wenn ich kündigen könnte Genug aufreiben lassen Früher viel engagierter Dienst nach Vorschrift
Μ 3,11 1,97 2,98 2,79 2,69
Median 3,00 1,00 3,00 2,00 2,00
s 1,49 1,42 1,50 1,57 1,66
s² 2,23 2,01 2,24 2,47 2,75
Trennschärfe 0,52 0,57 0,61 0,61 0,55
Abbildung 4.5: Mittelwerte zum Disengagement (Rating 1-6). 3,5 3 2,5 2 1,5 1
3,11
2,98
2,79
2,69
1,97
Im Laufe der Wenn ich Zeit kündigen könnte
Genug aufreiben lassen
Früher viel Dienst nach engagierter Vorschrift
Die Minimum-/Maximum-Werte sind für jedes Item in dieser und der beiden folgenden Tabellen bzw. Gruppen 1,00/6,00. Standardabweichungen und Varianzen sind weitgehend homogen. Die Trennschärfekoeffizienten dürfen als ausgezeichnet bewertet werden. Tabelle 4.6b: Teststatistische Parameter der Items: Frauen (N1 = 598) 1 2 3 4 5
Item Im Laufe der Zeit Wenn ich kündigen könnte Genug aufreiben lassen Früher viel engagierter Dienst nach Vorschrift
Μ 3,06 1,99 3,01 2,74 2,60
Median 3,00 1,00 3,00 2,00 2,00
s 1,50 1,46 1,51 1,58 1,62
s² Trennschärfe 2,26 0,51 2,13 0,60 2,27 0,60 2,49 0,56 2,61 0,55
4.1 Die Entwicklung des Instrumentes
115
Tabelle 4.6c: Teststatistische Parameter der Items: Männer (N2 = 1045) 1 2 3 4 5
Item Im Laufe der Zeit Wenn ich kündigen könnte Genug aufreiben lassen Früher viel engagierter Dienst nach Vorschrift
Μ 3,13 1,96 2,97 2,82 2,74
Median 3,00 1,00 3,00 2,00 2,00
s 1,48 1,39 1,49 1,57 1,68
s² Trennschärfe 2,21 0,52 1,94 0,54 2,23 0,62 2,46 0,64 2,83 0,56
Abbildung 4.6: Mittelwerte nach Geschlecht 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00
Im Laufe der Zeit
Wenn ich kündigen
Genug aufreiben
Früher viel engagierter
Dienst nach Vorschrift
Frauen
3,06
1,99
3,01
2,74
2,60
Männer
3,13
1,96
2,97
2,82
2,74
4.1.5 Kritische Betrachtung der Items Kritisch ist anzumerken, dass die Items messen, was die befragten Personen zum Zeitpunkt der Befragung über ihr Verhalten und ihren psychischen Zustand glauben oder meinen, beobachtet zu haben; aber sie messen keine Ereignisse. Ereignisse lassen sich beobachten und in Beobachtungssätzen ausdrücken. Der Satz: „Ich denke, wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen – täglich, 1mal pro Woche, 1mal pro Monat, nie“ ist auf stattgefundene Ereignisse bezogen. Insofern gibt er ein selbst beobachtetes – allerdings kein objektiv beobachtbares – Verhalten wider. Gegen dieses Verfahren wurde kritisch eingewandt, dass Personen, die sich gerade im Prozess der IK befinden oder schon gekündigt haben, Formulierungen wie: „Ich denke ...“ eher als eine Abschwächung sehen. Die Aussage: „Ich mache Dienst nach Vorschrift – täglich, 1mal pro Woche, 1mal pro Monat, nie“ wäre ebenfalls ein Beobachtungssatz. Dieser Satz hat den unbestreitbaren Vorteil, dass er ein Beobachtungsprotokoll über stattgefundene Ereignisse wäre, wenn auch nur im subjektiven Rückblick. Wenn in der vorliegenden Studie trotzdem
116
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
mentale Aussagen operationalisiert werden, dann deshalb, weil diese Aussagen einen unmittelbaren Bezug zum realen Verhalten haben. Dafür sprechen die Befunde zur externen Validität. Deshalb sollte die bisherige Methode von Krenz (1996) bzw. Schmitz et al. (2002) beibehalten werden.
4.2 Die Durchführung der Untersuchung 4.2 Die Durchführung der Untersuchung 4.2.1 Die Untersuchungsgruppe Die Untersuchungsgruppe, die allen folgenden Berechnungen zu Grunde liegt, ist aus 1643 Personen zusammengesetzt, davon sind 598 (36,4%) weiblich und 1045 (63,6%) männlich. Das mittlere Alter beträgt 46,18 (Median 47) Jahre, die vier Jüngsten sind 25 Jahre alt, die zwei Ältesten 65. Das mittlere Dienstalter ist 17,7 Jahre. 32 Lehrpersonen (19%) unterrichten an Grundschulen (GS), 256 (15,6%) an Hauptschulen (HS), 126 (7,7%) an Realschulen (RS), 176 (10,7%) an Gymnasien, Fachoberschulen und Berufsoberschulen (GY), 1036 (63,1%) an Berufsschulen (BS) und 17 (1,0%) an Förderschulen (FS). Rund 40% haben zusätzlich irgendeine Funktion angegeben, sei es im Schulleitungsteam, als Fachleiter, als Beratungslehrer oder eine offiziöse Funktion im Schulbetrieb.
4.2.2 Die Erhebung der Daten Die Untersuchungsgruppe stammt aus allen Regierungsbezirken Bayerns. Nach Einholen der Erlaubnis von den zuständigen Behörden und nach Absprache mit den Schulleitungen wurden die Fragebögen in der Regel persönlich abgegeben und wieder eingeholt. Die Beteiligung der Lehrer an der Befragung war freiwillig und anonym. Auch die Schulen bleiben anonym. Alle einschlägigen Bestimmungen wurden präzise beachtet. Unvollständig ausgefüllte Fragebögen (2,8%) wurden nicht berücksichtigt. Die Rücklaufquote betrug rund 57%, war jedoch in den Schulen unterschiedlich. In einigen Schulen lehnte die Schulleitung bzw. der Personalrat jee Befragung ab, an einer Schule betrug die Rücklaufquote 3%. Jedoch waren die meisten Kollegien und Schulleitungen der Befragung gegenüber aufgeschlossen. Der Fragebogen umfasste 164 Fragen, die mit Ausnahme der demografischen Daten durch Ankreuzen von 5- bis 6-stufigen Ratingskalen beantwortet werden konnten.
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
117
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern 4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern 4.3.1 Bisherige Schätzungen zur Verbreitung der Inneren Kündigung Die bisherigen Angaben zur Verbreitung der Inneren Kündigung unter Arbeitnehmern fallen unterschiedlich aus. Tatsächlich liegen nur wenige empirische Daten vor. Die meisten Angaben sind Schätzungen von Personalleuten und damit kaum zufriedenstellend. Die Verbreitung wird in unterschiedlichen Branchen und je nach Führungsqualität und Unternehmenskultur verschieden sein. Die Verbreitung „innerer Emigranten“ glaubte Hilb für Arbeitnehmer auf 40% in der Bundesrepublik, 50% in den neuen Bundesländern und für Großbetriebe in der Schweiz auf 20% (1992, S.4f) schätzen zu können. Bei Raidt (1989, S. 72) sind es 41%. Die empirische Basis dieser Schätzungen ist unklar. Sie sind nichts weiter als Vermutungen. Hohe Zahlen könnten auch zur Exkulpation eigener Leistungsschwächen dienen. Krystek et al. (1995) befragten Personalverantwortliche von 147 Unternehmen und kamen u. a. zu dem Schluss, dass Zahlen um die 40-50% unrealistisch seien. Sie kamen auf 24 % der Mitarbeiter, die „Dienst nach Vorschrift“ verrichten (S. 24; 56f). Brinkmann und Stapf scheinen ihnen zuzustimmen. Löhnert äußert sich nicht. Nach der 2010 veröffentlichten Gallup-Umfrage haben 20% der deutschen Arbeitnehmer innerlich gekündigt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Der Wert solcher Umfragen wird weiter unten deutlich. Im allgemeinen herrscht eine unausgesprochene Übereinkunft darüber, dass die Ausdrücke „innere Kündigung“ und „Dienst nach Vorschrift“ in diesem Zusammenhang mehr oder weniger synonym benutzt wurden. Dabei ist aber zu beachten, dass in einigen Berufsfeldern „Arbeit nach Vorschrift“ als Qualitätsmerkmal zu sehen ist. Eine Studie an 651 Mitarbeitern von Banken über die Schätzung der Verbreitung der IK kam auf rund 32% in der eigenen Bank in den alten und auf 25% in den neuen Bundesländern sowie auf 41% in Behörden (Brinkmann & Stapf, 2005, 35f). Die Schätzungen für das eigene Unternehmen waren stets niedriger als die für andere. Die Methode des Schätzens lässt bestenfalls Rückschlüsse auf die Schätzer zu und kaum auf die eingeschätzten Arbeitnehmer. Empirische Daten hat Krenz (1996, 106f), die nicht Vorgesetzte, sondern Mitarbeiter befragte. Dem Item „Ich habe innerlich gekündigt“ stimmten, auf einer 4-stufigen Skala, 14,1% mit „ja“ zu, 9,8% mit „eher ja“ (zusammen 23,9%). Bei Richter, der 408 Fragebögen (47%) der Totalerhebung einer Institution auswertete, beantworteten die entsprechende Frage 16,6% mit ja, 62,5% hatten noch nie innerlich gekündigt und 20,9% befanden sich zu einem früheren Zeitpunkt im Zustand der Inneren Kündigung, hatten diesen aber überwunden oder die Verhältnisse hatten sich gebessert. Massenbach (2000), der IK mittels Involvement und Commitment ermittelte, kam auf 6 % innerlich kündigender Arbeitnehmer, Lauck (2005), der ähnlich vorging, jedoch mit der fragwürdigen MedianTechnik, kam auf 7,5% von 333 Lehrern. Ob die Ergebnisse dieser unterschiedlichen Methoden vergleichbar sind, ist fraglich. Wir halten uns an die Methode der direkten Erhebung der IK von Krenz und Richter. Für Lehrer liegen keine Daten aus direkten, repräsentativen Befragungen zur IK vor (Weiteres vgl. Schmitz, Gayler, Jehle, 2002, S. 41 f).
118
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
4.3.2 Die Häufigkeitsverteilungen von Engagement/Disengagement Die Häufigkeiten der Personen und deren Prozentwerte pro Skalenwert und die statistischen Kennwerte sind in der folgenden Tabelle für die Analysestichprobe (n =1643) dargestellt. Mit dieser Stichprobe wird künftig gearbeitet (Bei der Gesamtstichprobe, N = 2020, konnten aus technischen Gründen nicht immer alle nötigen Daten erfasst werden). Tabelle 4.7: Häufigkeiten der Personen (N = 1643) und deren Prozentwerte pro Skalenwert der Skala „Innere Kündigung“ (5 Items).
Value 1,00 1,20 1,40 1,60 1,80 2,00 2,20 2,40 2,60 2,80 3,00 3,20 3,40 3,60 3,80 4,00 4,20 4,40 4,60 4,80 5,00 5,20 5,40 5,60 5,80 6,00 Total Mean 2,708 Variance 1,279 Skewness 0,526 Valid cases 1643
Frequency 88 75 83 101 101 120 113 111 101 114 93 66 74 67 63 50 52 40 34 27 20 22 11 8 4 5 ------1643 Median 2,600 Kurtosis -,406 SE Skew 0,060 Missing cases 0
Valid Percent 5,4 4,6 5,1 6,1 6,1 7,3 6,9 6,8 6,1 6,9 5,7 4,0 4,5 4,1 3,8 3,0 3,2 2,4 2,1 1,6 1,2 1,3 0,7 0,5 0,2 0,3 ------100,0 Std dev 1,13 S E Kurt ,12 Minimum 1,00 Maximum 6,00
Cum Percent 5,4 9,9 15,0 21,1 27,3 34,6 41,4 48,2 54,4 61,3 67,0 71,0 75,5 79,5 83,4 86,4 89,6 92,0 94,1 95,7 97,0 98,3 99,0 99,5 99,7 100,0 ------100,0
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
119
Die Verteilung der Häufigkeitswerte zu Engagement und Disengagement incl. Innere Kündigung, mittels Fünf-Item-Skala gemessen, ist linksgipfelig (Skewness = 0,526; bei symmetrischer Verteilung müsste sie den Wert 0 haben). Deutlich ist erkennbar, dass der Mittelwert (2,708) und der Median (2,600) weit unter dem Skalenscheitel (Midpoint = (xmax + xmin)/2 ) liegen, der in der sechsstufigen Ratingskala den Wert 3,50 hat. Nur bei Personen, die über diesem Wert liegen, kann man sicher eine Haltung des Disengagements, das sind 24,5%, annehmen, und nur jene Personen, die unter diesem Wert liegen, das sind 75,5%, können zu den Engagierten gezählt werden. Diese Feststellung ist wichtig, falls man die gesamte Untersuchungsgruppe in die Gruppen der Engagierten und der Disengagierten trennen möchte. Bereits Golembiewski und Munzenrieder (1988) hatten, unter Bezug auf die Burnout-Forschung, von einer Teilung am Median abgeraten. Die grafische Darstellung macht die Häufigkeitsverteilung anschaulich. Abbildung 4.7: Häufigkeiten in Prozent pro Skalenwert Skala Innere Kündigung, n = 1643
Midpoint=3,5
14
13,4
12
13 ,7
13
1 1,2
1 0 9,9
9,7 8,6
8 6,8 5,8
6 4
3,7 2,5
2
1 ,2 0,3
0 1,2
1,6
2
2,4
2,8
3 ,2
3,4
E ng agierte
3 ,8
4,2
4, 6
5
5,4
5,8
0,2 6
Disengagierte
Die Teilung der gesamten Stichprobe am Skalenmittelpunkt der Ratingskala (Midpont) ist auch durch die Forschung zur Likert-Skala gerechtfertigt (vgl. Bemerkung in 4.1.1). Daraus resultiert der psychometrische und der theoretische Nutzen des Skalenmittelpunktes einer Rating- bzw. Likert-Skala: Er eignet sich sowohl zur rechnerischen als auch zur inhaltlichen Trennung jener Personen, die mittels ihres Ankreuzens entweder
120
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
eine Zustimmung oder eine Ablehnung des gerade zur Frage stehenden Items ausgedrückt haben (Harter, 1997). Die Item-Mittelwertdifferenzen zwischen Frauen und Männern sind, wie in der folgenden Tabelle ausgewiesen ist, bei keinem Item überzufällig. Tabelle 4.8: Differenzen (Mittelwerte) zwischen Männern und Frauen (N = 1643)
Item Im Laufe der Zeit Wenn ich kündigen könnte Genug aufreiben lassen Früher viel engagierter Dienst n. Vorschrift
Männer 3,13 1,96 2,97 2,82 2,74
Frauen Diff Z 3,06 0,072 -0,919 1,99 -0,032 -0,184 3,01 -0,039 -0,536 2,74 0,079 -1,151 2,60 0,138 -1,455
Sign.* 0,34 0,85 0,59 0,25 0,15
*Anmerkung: Wilcoxon Rangsummentest
Abbildung 4.8: Item-Mittelwerte 3,50 3,00 2,50
Frauen
2,00
Männer
1,50 1,00 Im Laufe der Zeit
Genug aufreiben lassen
1
3
Früher viel Dienst nach engagierter Vorschrift
4
5
Wenn ich kündigen könnte 2
Lehrer und Lehrerinnen unterscheiden sich hinsichtlich der Grade des Disengagements durch IK, verglichen anhand der mittleren Ränge (Wilcoxon), in den fünf Items nicht. Auch die Effektgrößen waren völlig bedeutungslos.
4.3.3 Verbreitung bei Lehrerinnen und Lehrern Die Stichprobenbeschreibung mittels der Fünf-Item-Skala ergibt, dass etwa 75,5% der Lehrkräfte zu den Engagierten gezählt werden dürfen und 24,5% zu den Disengagierten. Die Geschlechtsdifferenzen sind unerheblich. Wenn aber nur das eine Item: „Wenn ich
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
121
kündigen könnte, würde ich kündigen“ zur Messung benutzt wird und am Midpoint zwei Gruppen generiert werden, dann sind 81,7% engagiert und 18,3% disengagiert (Mittelwerte: 2,38 und 4,17; mittlere Differenz 1,80; p < 0,000). Schauen wir uns die Skalenstufen genauer an! In Tabelle 4.9 wurden in den Spalten links die Daten der Ein-Item-Erhebung mitgeteilt, in den übrigen Spalten die Daten aus drei Mehr-Item-Erhebungungen. Ergebnis: Nur die Zahlen zur IK im engeren Sinn, d.s. die Antworten „trifft voll zu“ und „trifft oft zu“, passen über alle Spalten zueinander. Von allen Personen befinden sich 4% im aktuellen Zustand der Inneren Kündigung („trifft voll zu“), weitere 3% geben an, dass sie sich „oft“ in diesem Zustand befänden. Mithin kann man 7% der Lehrer/innen als im engeren Sinn innerlich gekündigt bezeichnen. Ein Blick auf Tabelle 4.9 zeigt, dass diese Zahl auch bei Verwendung von fünf Items herauskommt, u.z. bei drei Stichproben. Die Häufigkeiten, die mit der Fünf-Item-Skala ermittelt wurden, sehen ein wenig anders aus als jene, die aus der Ein-Item-Erhebung resultieren (siehe Tab. 4.9). Die Erklärung des Unterschieds findet sich in Abbildung 4.8: Der Mittelwert des einen Items: „Wenn ich kndigen könnte, ...“ ist geringer als die Mittelwerte der übrigen vier Items. Auch bei Krenz (1996, S. 107) führte eine Ein-Item-Befragung zu anderen Resultaten als die ganze Skala: Von 205 befragten Arbeitnehmern haben der Aussage: „Ich habe innerlich gekündigt“ 14,1% mit „ja“ und 9,8% mit „eher ja“ zugestimmt, das sind 23,9%. Dagegen haben bei der Mehr-Item-Skala „Innere Kündigung“ 9,5% mit „ja“ geantwortet und 21,6% mit „eher ja“, das sind 31,1% der Untersuchungsgruppe. Die Tendenz dieser Prozentwerte ähnelt jener unserer Zahlen. In Tabelle 4.9 werden die absoluten und prozentualen Zahlen je Grad des Engagements und Disengagements incl. IK auf der Basis von drei Stichproben bestimmt: n = 2020; Analysestichprobe n = 1643 und eine per Zufall generierte Gruppe dieser Stichprobe mit n = 852 Personen. Tabelle 4.9: Verteilungen von Disengagement durch IK 1 Item
Skala (5 Items)
Stichproben n = 2020
n = 2020
n =1643
n = 852
Rating-Skala
% cum % % cum% % cum% %
1 überhaupt nicht
55
55
16
16
15
15
2 kaum
19
74
34
50
33
3 selten
8
83
27
78
4 manchmal
11
93
15
5 oft
3
96
6 völlig, aktuell
4
100
cum% 14
48
14 35
49
27
76
28
77
93
17
92
16
93
6
99
7
99
6
99
0
99
1
100
1
100
122
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Abbildung 4.9 Verteilung von Engagement/Disengagement (Prozent)
60 50 40 30 20 10 0 1 überhaupt nicht
2 kaum
1 Item, n=2020
3 selten
5 Items, n=2020
4 manchmal
5 oft
5 Items, n=1643
6 völlig, aktuell
5 Items, n=852
Zusammenfassung: In allen Stichproben haben 6-8% innerlich gekündigt (im strengen Sinn), disengagiert sind 21-25%. Für die weiteren Analysen wird ausschließlich die Fünf-Item-Skala herangezogen.
Die am Mittelwert der Ratingskala (Midpoint = 3,5) generierte Teilung in Engagierte und Disengagierte ist eine theoretisch begründete empirische Maßnahme. In die Kategorie der Disengagierten (incl. die IK-Lehrer) gehören, mit der 5-Item-Skala gemessen, 21,5% (bei N = 2020), 24,5% in der Analysestichprobe (N = 1643), in der nach Zufall generierten Stichprobe (N = 852) 23,0% der Befragten. Insgesamt gehören durchschnittlich rund 22-24% der Lehrpersonen zu den Disengagierten. In die Kategorie der Inneren Kündigung, im engeren Sinn, fallen, wieder bei diesen drei Gruppen, 6,3% bzw. 7,9% oder 6,8%. Diese IK-Lehrer sind eine Teilmenge der Gruppe der Disengagierten (Massenbach, 2000, S. 75, gibt 6% von 478 Personen an, Lauck , 2005, 7,5% von 333 Lehrkräften). Zur Kategorie der Engagierten gehören 75,47% der Lehrer/innen; in den anderen beiden Stichproben sind es 77,5% bzw. 76,9% der Lehrpersonen. Männer und Frauen: Anhand der IK-Skala zeigen die Männer eine leichte Tendenz zu höheren Werten in der IK als die Frauen, allerdings mit unbedeutender Mittelwertdifferenz (0,08). Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist unbedeutend. Aber einzelne Schulen haben nur männliche Lehrkräfte.
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
123
Engagement und betriebliche Hierarchie Es war behauptet worden, dass mit der Höhe der betrieblichen Hierarchieebene die Tendenz zu Disengagement bzw. IK sinkt (u. a. von Krystek et al,.1995). In unserer Studie tendieren von 240 Schulleitern, bei identischem Auswertungsmodus, nur 3,8% zur Kündigung, wenn sie könnten (Quelle: Schmitz & Voreck, 2006). Somit wird diese Behauptung bestätigt. Das mag einerseits erstaunlich sein, da der Aufwand an Arbeitszeit und an persönlichen Kosten bei den Schulleitern sehr viel höher ist als bei ihren Mitarbeitern. Andererseits verfügen Schulleiter, trotz vieler Sachzwänge, über eine weit reichende Kontrollfunktion im sozialen Feld. Trotzdem haben manche Schulleiter Kontrollängste, andere haben große Probleme mit ihrem Kollegium (Details in Kapitel 9).
4.3.4 Die Verbreitung in Schularten Tabelle 4.10 zeigt die entsprechenden Zahlen anhand des Items „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen“ für die verschiedenen Schularten. Tabelle 4.10: Disengagment (IK) im Vergleich der Schularten: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen“ (Angaben in Prozent; Mittelwerte und Streuung) für Grund-, Haupt-, Real-, Berufs- und Förderschulen sowie zusammengefasst für Gymnasien, Berufsoberschulen und Fachoberschulen.
überhaupt nicht kaum selten manchmal oft trifft voll zu Μ s
gesamt 54,9 19,4 8,4 10,6 3,1 3,5 1,98 1,9
GS 60,0 20,9 9,1 7,3 0,9 1,8 1,74 1,3
HS 48,1 21,2 10,3 11,8 2,9 5,6 2,17 2,2
RS 49,6 20,3 10,7 14,1 6,2 4,0 2,29 2,2
GY 55,2 20,5 6,3 9,0 3,7 5,2 2,01 2,2
BS 58,1 17,9 7,9 10,7 2,8 2,5 1,89 1,7
FS 55,6 30,6 8,3 0,0 0,0 5,6 -
Die Schularten unterscheiden sich hoch signifikant (ohne Förderschulen: p < 0,000, χ = 18,94, df = 4; Kruskal-Wallis 1-Way ANOVA). Die Förderschulen (FS) sind hier wegen der geringen Stichprobengröße von 36 nicht berücksichtigt. Über dem Mittelwert der Gesamtgruppe liegen die Realschulen, gefolgt von Hauptschulen und Gymnasien. In diesen Schularten ist die IK relativ am stärksten. Am besten schneiden die Grundschulen und die Berufsschulen ab mit vergleichsweise geringen Werten in der IKAusprägung.
124
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Abbildung 4.10: Prozentuale Verteilung des Disengagements (5 Items) anhand der Rating-Stufen in den einzelnen Schularten*.
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
GS
HS
RS
GY
BS
aktuell
0,9
1,2
0,6
2,2
0,7
oft
0,9
5,6
9
4,9
7
manchmal selten
6,4
16,2
16,9
16
15,2
30,9
31
27,7
23,1
27,4
kaum
41,8
32,2
33,9
33,6
33,3
nicht
19,1
13,9
11,9
20,1
16,3
*Anmerkung: GS = Grundschule, HS = Hauptschule, RS = Realschule, GY = Gymnasium, BS = Berufsschule.
Die Mittelwerte vereinfachen den Vergleich der Schularten, deshalb werden in der folgenden Tabelle zum Vergleich der Schularten Mittelwerte und Streuung zum Disengagement mitgeteilt. Tabelle 4.11: Mittelwerte und Streuung (5-Item-Skala) in den Schularten Schulart
GS
HS
RS
GY
BS
FS
ges.
m
2,38 2,73 2,83 2,61 2,65 2,48 2,66
s
0,83 1,20 1,29 1,46 1,25 0,86 1,25
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
125
Die Schularten unterscheiden sich signifikant (p < 0,01, χ = 12,98, df = 4; Kruskal-Wallis One-Way Anova; die mittleren Ränge betragen für GS: 869; HS: 1039; RS: 1080; GY: 952 und BS: 985). Die höchsten IK-Werte (Mittelwerte und Rangwerte) weisen auch hier die Hauptschulen (HS) und die Realschulen (RS) auf, während die Gymnasien auf den ersten Blick etwas besser abschneiden, doch haben sie die höchsten Streuungswerte. Wie man sieht, kann die Frage, wie viel Prozent der Mitarbeiter zu Disengagement und zur Inneren Kündigung neigen, nicht einfach mit nur einer Zahl solide beantwortet werden. Eine solche Angabe ist schon allein bei Benutzung einer Ratingskala unmöglich. Doch nur eine Ratingskala ermöglicht eine nach Rating-Stufen differenzierte Antwort. Weitaus differenzierter und der Wirklichkeit angemessen wird die Antwort, wenn eine Mehr-Item-Skala benutzt wird. Damit wird aber auch die Angabe der Ergebnisse komplizierter.
4.3.5 Vergleich der einzelnen Schulen Die einzelnen Schulen unterscheiden sich im Auftreten von Disengagement beträchtlich: 861 Schulen verschiedener Schularten wurden verglichen. In 6,3% der Schulen sind unter 10% der Lehrer disengagiert, in 15,6% der Schulen sind es 11-20%, in 46,9% der Schulen sind es 21-30%, in 12,5% der Schulen 31-40% und in 18,8% der Schulen sind 41-50% der Lehrer disengagiert. Eine Schule ohne disengagierte Lehrer (unter dem Mittelwert der Ratingskala) gibt es nicht; 6,3% ist der niedrigste Prozentwert, 48% der höchste. Unter der Annahme, dass die Anzahl der engagierten Lehrer einer Schule m. E. ein Hinweis auf das Schulklima und auf die Führungsqualität ist, kann man „gute“ (bis 20% disengagierte Lehrer) mit „schlechten“ (40-50% der Lehrer sind disengagiert) Schulen vergleichen. Diese Schulen differieren in folgenden Merkmalen signifikant: Lehrerbelastung (z = 2,8; p< 0,000), Unterstützung durch die Schulleitung (z = 4,1; p< 0,000), soziale Belastung (z = 4,5; p< 0,000), berufliche Zufriedenheit (z = 5,03; p< 0,000), Fehltage (z = 2,8; p< 0,01), Commitment (z = 2,9, p< 0,001), Erschöpfung (z = 3,6; p< 0,001), persönliche Investition und Enttäuschung (1) durch die Schüler (z = 1,9; p< 0,04), (2) durch die Schulleitung (z =2,4; p< 0,01), (3) durch die Kollegen (z = 2,3; p< 0,03), Disengagement (z = 4,4; p< 0,000). Zitat eines Schulleiters (!): „Ein unfähiger Schulleiter kann ... eine ganze Schule verderben, den Lehrern die Freude am Beruf rauben und damit sogar deren Gesundheit aufs Spiel setzen“. Ähnliches gilt für weitere Merkmale (u. a. Work und Job Involvement). Das Stundendeputat, der Arbeitsaufwand insgesamt, die Klassengröße, das Alter bzw. Dienstalter weisen keinerlei Unterschiede auf. Unter den „schlechten“ Schulen befinden sich Städtische und Staatliche Haupt- und Berufsschulen, Fach- und Berufsoberschulen und u.a. Gymnasien. Einschränkend, wie oben angedeutet, muss bedacht werden, dass neben dem Schulklima und der Führungsqualität auch andere Variablen an diesen Unterschieden der Schulen ursächlich beteiligt sein können. Nachgewiesen ist die Bedeutung des Einzugsgebietes, in dem die Schule liegt. Der Bildungsvergleich der Bundesländer, der vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag
126
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
der Kultusministerkonferenz für 2009 durchgeführt und im Juni 2010 veröffentlicht wurde, belegt an Schülern der neunten Jahrgangsstufe u.a., dass deren Leistungen sich von Schule zu Schule je nach Einzugsgebiet von ärmeren oder reicheren Familien deutlich unterscheiden (http://www.iqb.hu-berlin.de). Beispielsweise zeigen in Großstädten wie München, Hamburg und Berlin die Schüler aus Stadtteilen, die von eher ärmeren Familien bewohnt werden, deutlich niedrigere Leistungen als Schüler aus Stadtteilen, die von reichen und eher gebildeten Familien bewohnt werden. Damit unterscheiden sich auch die einzelschultypischen Anforderungen an die Lehrer. Abschließend muss festgestellt werden, dass die Daten einer der letzten GallupStudien (Gallup, 2006) auf Lehrer nicht zutreffen. Danach arbeiten nur 13% der Arbeitnehmer in Deutschland produktiv. Sie haben „eine hohe emotionale Bindung“ an das Unternehmen. Eine „geringe emotionale Bindung“ zeigen 68%, sie verhalten sich passiv und verrichten ihren Dienst nach Vorschrift. 19% der Arbeitnehmer haben „keine emotionale Bindung“, was als innere Kündigung gewertet werden könne; 20% nennt die neueste Studie von 2010. Sie fehlen häufig, machen kaum Verbesserungsvorschläge, verschlechtern das Innovationsklima und empfehlen ihr Unternehmen bzw. dessen Produkte weniger als die anderen. Dagegen sind die Zahlen für unsere Lehrkräfte deutlich günstiger ausgefallen.
4.3.6 Der Verlauf nach Dienstjahren Über biografische Verlaufsformen, sei es zum Engagement, zum Disengagement, zur Inneren Kündigung, zu Commitment oder zu Involvement, liegen keine empirischen Daten vor. Nach Krenz (1996, S. 7) soll Strümpel (1989, S. 52; zit. n. Kenz) gefunden haben, dass – in den 80er Jahren – jüngere Arbeitnehmer sehr viel stärker von IK betroffen gewesen seien als ältere, dies besonders bei Berufsanfängern mit hohen Ansprüchen. Krystek et al. (1995) kamen zu dem Ergebnis: „Je höher die hierarchische Stellung ... um so geringer ist .... [die] Anfälligkeit für Innere Kündigung“. Da sich auf den höheren Positionen eher Ältere befinden, wäre Strümpel indirekt bestätigt. Aber das sind Vermutungen. Kommen überhaupt IK-Personen in höhere Positionen? Angaben selbst über einfache Verlaufsdaten existieren bis heute nicht. Dienstjahre sind Jahre der Berufserfahrung. Hier wird ein Vergleich von AltersKohorten hinsichtlich der Dienstjahre geliefert. Verlaufsdaten im Sinne von Messwiederholungen liegen nicht vor. Die Korrelation zwischen Disengagement und Dienstjahren ist mittelstark (0,29; p < 0,000). Die Dienstaltersgruppen sind mit zunehmendem Alter durch zunehmende IK-Mittelwerte und Minima-Maxima, z. T. auch durch zunehmende Varianzen gekennzeichnet. Das alles deutet auf eine stetige Zunahme der IK mit dem Alter. Die statistische Differenz zwischen den Dienstaltersgruppen ist signifikant (p < 0,000; χ2 = 173,2; df = 2, Kruskal-Wallis). Alter bzw. Dienstalter können jedoch nur indirekt als „Prediktor“ angesehen werden, keinesfalls als ein irgendwie wirksames Merkmal. Eine Zeitskala an sich bewirkt überhaupt nichts. In den
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
127
nächsten zwei Abbildungen wird das Augenmerk auf die Kohorten gerichtet, dann auf den Verlauf. Tabelle 4.12: Dienstjahre und Anzahl der Personen Dienstjahre ≤ 5 6 -10 11 - 20 21 - 30 > 30 Personenzahl 280 202 456 553 152 Abbildung 4.11: Dienstjahre und Anzahl der Personen 9%
17% < =5 6 -10 12%
11 - 20
34%
21 - 30 > 30
28%
Die Personenzahlen pro Alterskohorte sind groß genug, um statistische Vergleiche durchführen zu können. Die Gesamtzahl ist N = 1643. Abbildung 4.12: Der Verlauf der IK (5-Item-Skala) nach Dienstjahren in Prozent der Personen 100% 80% 60% 40% 20% 0%
bis 5
6 bis 10
ja
0,6
4,9
8,7
9,5
8,5
manchmal
25,6
30,6
39,3
53,1
55,7
nicht
73,7
64,5
51,9
37,5
35,8
nicht
11 bis 20 21 bis 30
manchmal
ja
ab 3 1
128
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Mitgeteilt werden (in Abb. 4.12) für fünf Alterskohorten die Personen in Prozent. Dabei wurde das 6-stufige Rating zwecks besserer Übersicht auf ein 3-stufiges Rating reduziert:
„ja“ = IK, entspricht den Skalenwerten (6) „Trifft voll zu.“ bis (5) „Trifft oft zu.“ „manchmal“ entspricht den Skalenwerten (4) „manchmal“ bis (3) „selten“, das sind die Prozentwerte der Disengagierten ohne IK; „nicht“ entspricht den Skalenwerten (2) „Trifft kaum zu.“ bis (1) „Trifft nicht zu.“, das sind die Prozentwerte der Engagierten.
Beispiel: Mit 31 Dienstjahren und mehr haben 8,5 % der Lehrer bei allen fünf Items „ja“ bzw. „trifft voll/ oft zu“ angekreuzt. Wenn man den Verlauf des Disengagements mit IK anhand nur des einen Items betrachtet, sehen die Zahlen etwas anders aus. Abbildung 4.13: Der Verlauf der Inneren Kündigung anhand des einzelnen Items: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen.“ nach Dienstjahren (n = 2019)* in Prozent der Personen 100%
80%
60%
40%
20%
0%
bis 5
6 bis 10
11 bis 20
21 bis 30
ab 31
würd e kündi gen
2,8
4,1
7,8
8,1
7,5
vielleich t
12,3
13,9
18,9
22,7
22,9
nicht k ündigen
84,8
82
73,3
69,2
69,7
* Anmerkung: würde kündigen 5 - 6 = trifft voll/ oft zu (= Innere Kündigung); vielleicht 3 - 4 = trifft manchmal/ selten zu (= Disengagierte ohne IK); nicht kündigen 1 - 2 = trifft kaum/ überhaupt nicht zu (= Engagierte).
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
129
Beim Vergleich der beiden Abbildungen fällt auf, dass die Prozentwerte für die IK sich kaum unterscheiden. Beide Abbildungen und Tabellen stimmen bezüglich der IK (obere Zeile) gut überein: Gegen Ende der Dienstzeit nach 31 Jahren würden 7,5% (bzw. 8,5%) kündigen, wenn sie könnten. Die anderen zwei Kategorien (Disengagement und Engagement) differieren dagegen sehr. Auch hier zeigt sich: Wegen der Differenz zwischen der Skala (5 Items) und dem einzelnen Item (Wenn ich kündigen könnte ...) ist eine genaue Prozentangabe zum Verlauf der drei Kategorien (IK, Disengagement und Engagement) kontrafaktisch. Ferner fällt auf, dass ab 31 Dienstjahren die IK übereinstimmend leicht rückläufig zu sein scheint. Dazu muss man bedenken, dass viele Lehrer bereits in die vorzeitige Pensionierung gegangen sind, so dass sie das 31.Dienstjahr gar nicht erreichen (Jehle, 1997; Weber, 2004); allerdings veränderten sich in letzter Zeit die Zahlen der vorzeitigen Pensionierungen und der Regelaltersgrenzen. Allein in den fünf Jahren 20012006 hätten sich die Zahlen des Erreichens der Regelaltersgrenzen vervierfacht (vgl. Gehrmann, 2007, S. 194f), aber die o.g. Tendenz bleibt. In der folgenden Abbildung (4.14) wird die Ausprägung des Verlaufs der einzelnen Items der IK im Laufe der Dienstjahre dargestellt. Frauen und Männer unterscheiden sich darin nicht (Differenz: 0,10, F: 5,32 n. s.; p = 0,16). Die stärkste Veränderung zeigt Item 5: „Ich mache oft nur noch Dienst nach Vorschrift“, es setzt auf dem höchsten Niveau bereits in den ersten fünf Dienstjahren ein und endet auf dem höchsten Niveau. Das deutet auf eine im Berufsleben sehr früh einsetzende Resignation hin. (Wenn man nicht der ältesten Kohorte a priori eine hohe Resignationsrate unterstellen möchte.) Es könnte zusätzlich auch auf Unzulänglichkeiten während des Referendariats hinweisen. „Wer als Referendar bereits erlebt, dass Duckmäusertum und Angepasstheit sich als erfolgreicher erweisen als Innovation, wird sein Engagement bald aufgeben.“ (Zitat eines Lehrers in leitender Position). Duckmäusertum kann sich aber nur unter autoritärer Führung entwickeln. Dagegen nimmt Item 1 einen flachen Verlauf. Die Aussage: „Im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren“ deutet weder auf geistige Offenheit noch auf Diskussionsbereitschaft im System Schule hin. Da dürfte beruhigend sein, dass die Mittelwerte nicht hoch sind. Dagegen nehmen die Items 3 „Ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen“ und Item 4: „Früher war ich viel engagierter“ einen rasanten Anstieg ab etwa 6 Dienstjahren. Auch Item 2: „Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen.“ zeigt einen ähnlichen Anstieg bereits ab dem 5. bis 6. Dienstjahr. Diese wenig ermutigenden Verläufe zeigt die gesamte Stichprobe. Wie sehen sie aus, wenn nur die Gruppe der Disengagierten betrachtet wird?
130
4 Messung und Verbreitung des Disengagements durch Innere Kündigung
Abbildung 4.14: Mittelwerte der IK-Items nach Dienstjahren
3,5 3 2,5 2 1,5 1
bis 5
6 bis 10
11 bis 20
21 bis 30
ab 31
Item 1
2,56
2,79
3,1
3,23
3,00
Item 2
1,56
1,71
2,04
2,17
2,12
Item 3
2,36
2,54
2,86
3,32
3,22
Item 4
1,90
2,42
2,82
3,03
3,21
Item 5
1,79
2,17
2,55
2,98
3,18
* Anmerkung: Rating 1 bis 6. N = 1643 Item 1: Im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren. Item 2: Wenn ich kündigen könnte, würde ich kündigen. Item 3: Ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen Item 4: Früher war ich viel engagierter. Item 5: Ich mache oft Dienst nach Vorschrift
Die Abbildung 4.14 mit Tabelle zeigt recht drastische Differenzen zwischen den einzelnen Items. Alle Items insgesamt dürften jedoch ein ziemlich genaues Bild zum Verlauf der Einstellung des Disengagements incl. IK abgeben. Abschließend sollen die Prozentwerte der Personen dargestellt werden, die zum Engagment oder zum Disengagement neigen. Die beiden Gruppen wurden am Mittelpunkt der Ratingskala (Midpoint) generiert (Abbildung 4.8):
4.3 Die Verbreitung von Engagement und Disengagement bei Lehrern
131
Abbildung 4.15: Prozentwerte der Engagierten und der Disengagierten in Abhängigkeit von den Dienstjahren 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
bis 5
6 bis 10
11 bis 20
21 bis 30
ab 31
Disengagierte
8,9
17,3
25,7
32,5
30,3
Engagagierte
91,1
82,7
74,3
67,5
69,7
Zusammenfassung der Ergebnisse:
Die entwickelte Skala Innere Kündigung als eine Form des Disengagements von Lehrern erfüllt alle erforderlichen inhaltlichen und statistischen Kriterien. Die Modelltestungen belegen die Übereinstimmung von theoretischem Modell und empirischen Daten. Die Skalenkennwerte der Skala Innere Kündigung (Mittelwerte, Trennschärfe der Items, usw.) werden differenziert nach Geschlecht, Schulart, einzelnen Schulen und Altersgruppen dargestellt. Die Analysestichprobe wird beschrieben, ebenso die Verbreitung von Disengagment durch IK unter Lehrpersonen, der Verlauf von Disengagement durch IK nach Dienstjahren.
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule – oder: Schule im Wandel 5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
Disengagement durch Innere Kündigung wird in der Regel als Problem der Mitarbeiter behandelt. Wenn aber die Ursachen der IK im Arbeitsumfeld angesiedelt sind, müssen die Bedingungen des Arbeitsumfeldes analysiert werden. Drei Kategorien von Bedingungen (unabhängige Variablen) des Disengagements sind grob zu unterscheiden: (1) Die objektiven, gesellschaftlichen und betrieblichen Arbeitsbedingungen, (2) die sozialen betrieblichen Bedingungen (z. B. Führungsstil, externe Erwartungen) und (3) die inneren, personalen oder individuellen Arbeitsbedingungen wie Kompetenz, Ausbildung, interne Erwartungen, Neurotizismus (Kapitel 7). An diesen können die mitgebrachten Leistungsvoraussetzungen von den aktuellen prozessbedingten Bedingungen differenziert werden (vgl. Hacker, 1998, S. 36ff). Bedingungen können als Herausforderung wahrgenommen werden; dies führt zu Engagement. Sie können als Kontrollverlsut und als Ungleichgewicht von Investition und Ertrag wahrgenommen werden; das führt zu Enttäuschung und Disengagment. In der Arbeitssituation an Schulen laufen zwei Prozesse ab: (a) Veränderungen der Arbeitssituation im Lehrerberuf, die sich unabhängig von den Lehrern vollziehen, (b) Veränderungen der Wahrnehmung, der Meinungen und Einstellungen der Lehrer zu ihrer Arbeit. Die äußeren (formalen und materialen) und die äußeren sozialen Arbeitsbedingungen stellen den realen Rahmen dar für das subjektive Erleben der Mitarbeiter (ähnlich Löhnert, 1990, S. 78) bzw. der Lehrpersonen. Schule heute befindet sich in Verhältnissen raschen Wandels. Viele Lehrer und auch Schulleiter haben das Unbehagen, dass irgendetwas nicht passt im Schulsystem. Oft wird das Unbehagen an persönlichen Einzelerfahrungen festgemacht. Hier soll versucht werden, an die Strukturen der Arbeitsbedingungen in Schulen zu kommen, um damit nach Möglichkeit dieses Unbehagen aufzulösen. Die Beschreibung der Arbeitsbedingungen im Lehrerberuf ist nötig, denn die Arbeitstätigkeit von Lehrern vollzieht sich unter komplexen, in raschem Wandel befindlichen Bedingungen, die untereinander in komplizierter Wechselwirkung stehen. Sie determinieren die Arbeitstätigkeit. Ob ein Sachverhalt im Folgenden als Arbeitsbedingung identifiziert wird, hängt davon ab, ob eine Veränderung desselben eine erkennbare Veränderung der Arbeitstätigkeit bzw. eine Veränderung der Einstellung zur Arbeitstätigkeit nach sich zieht. Darüber hinaus könnten alle schulischen Anforderungen, Belastungen und Beanspruchungen, die als Verursacher von Burnout, psychosomatischen Erkrankungen, Depression u. dgl. gelten (Hillert & Schmitz, 2005; Schönwälder et al., 2003; Uhlig, 2005,
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
134
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
u. a.), auch Grund für ein Disengagement durch IK sein – müssen es aber nicht. Innere Kündigung ist nur eine von mehreren möglichen Reaktionsformen. Das ganze Gefüge der Arbeitsbedingungen ist für jede einzelne Lehrperson individuell existent. Wir gehen mit Carver und Scheier (1981; 2001) und anderen, wie beispielsweise Mazur (2006), davon aus, dass Menschen ein Kontrollstreben eigen ist, das ist im Rahmen des Strebens nach Sicherheit, das ein Grundbedürfnis ist, ein Streben nach Erhalt und Erhöhung der Kontrolle von tätigkeitsbedingten positiven bzw. negativen, aversiven Ereignissen, das schließt die Konsequenzen des eigenen Verhaltens ein. Es darf angenommen werden, dass ein Erleben von Sicherheit durch Kontrolle mit Zufriedenheit und Erfolgserleben korrespondiert, während ein Kontrollverlust in der Arbeitssituation zu Unzufriedenheit und zu negativem Erleben, z. B. von Misserfolg, führt und letztlich dazu führen kann, die Stelle zu kündigen oder, falls das mit großen Nachteilen für den Arbeitnehmer verbunden ist, sich innerlich zu distanzieren und innerlich zu kündigen. Ziel der folgenden Kapitel wird es sein, auf der Basis von Erfahrungswerten, Interviews und Gesprächen mit Lehrern, vom Referendar bis zum Schulleiter, diejenigen Arbeitsbedingungen zu identifizieren, die mit Engagement, mit Disengagement und Innerer Kündigung in protektiver Beziehung stehen könnten.
5.1 Die äußeren Arbeitsbedingungen 5.1 Die äußeren Arbeitsbedingungen Die Bedingungen für das Engagement der Lehrer und für das Entstehen von Disengagement incl. IK können auf den verschiedenen Systemebenen des Arbeitsplatzes Schule angesiedelt sein. Zu diesen Bedingungen gehört das gesellschaftlich-ökonomische System.
5.1.1 Die gesellschaftlich-ökonomischen Arbeitsbedingungen Die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse sind gegenwärtig durch vielerlei Veränderungen gekennzeichnet. Globalisierung, Wirtschaftskrise, Finanzkrise sind nur einige bestimmende Faktoren. Ihnen ist gemeinsam, dass sie kaum von jemandem wirklich durchschaut werden. Nichtsdestotrotz schlagen sie auf die Arbeitsbedingungen der Lehrpersonen, wie eben auch auf alle anderen Berufe, mit ziemlicher Wucht durch. Das macht sich bemerkbar in veränderten Anforderungen an die Lehrer. Die Probleme einer zunehmend „entgrenzten“ Wirtschaft mit u. a. dynamischen Marktveränderungen, verkürzten Produkt-, Dienstleistungs- und Beschäftigungsverhältnissen und finanziellen wie organisatorischen Einschränkungen im öffentlichen Dienst schlagen auch auf die öffentlichen Schulen durch. Die Stärkung des Wettbewerbsprinzips im öffentlichen Dienst, das angeblich zu mehr Flexibilität und Leistungsorientierung führen soll, kommt bei den Lehrern (und Schulleitern) u. a. als Mehrarbeit zur Erledigung immer weiterer Anforderungen an, als Personalmangel, als Erhöhung des Lehrdeputats, als Kürzung des
5.1 Die äußeren Arbeitsbedingungen
135
Weihnachtsgeldes, als Fortfall von Urlaubsgeld und Essenszuschuss etc. (in Bayern z. T. bereits vor dem Jahr 2007). Die Delegierung von Aufgaben nach unten ist aus Lehrersicht mit einer Zentralisierung von Verpflichtungen nach oben verknüpft. Eine weitere, vom Vorigen unabhängige Herausforderung ist der in vollem Gange befindliche Generationenwechsel in der Lehrerschaft als Folge des gewaltigen Einstellungsschubs vor etwa 30 Jahren. Damit ist der Verlust von Erfahrungen einer Lehrergeneration verbunden, aber auch die Chance für substanzielle Veränderungen im Schulsystem durch frische Ideen der jungen Lehrer – und die budgetäre Entlastung (junge Lehrer verdienen weniger als ältere). Die daraus resultierenden neuen Anforderungsprofile, die neben Mobilität, der Anpassung der Arbeitszeiten an die „Auftragslage“ auch eigenverantwortliches, proaktives und über formale Anforderungen hinausgehendes Engagement umfassen und den „ganzen Menschen“ fordern (Kratzer, 2003), gelten m. E. zunehmend – in der Öffentlichkeit kaum beachtet – für Schulleiter und Lehrer (u. a. Uhlig, 2005): Unterrichten an verschiedenen Orten in verschiedenen Schulen mit der Verpflichtung zur Teilnahme an sämtlichen Konferenzen, fachfremder Unterricht auch in Fächern, deren Studium für das Lehramt überhaupt nicht angeboten wird, z. B. in einigen Bundesländern Ethik, Anpassung der Arbeitszeiten je nach „Auftragslage“ beispielsweise durch Sprachkurse für ausländische Schüler, durch Supervidieren und durch nötige Aktivitäten außerhalb der Unterrichtsdeputate, z. B. bei außergewöhnlichen, dennoch zunehmenden Schülerproblemen; Kompensation nicht besetzter Lehrerstellen, Anpassung u. a. an kaum kalkulierbare Prüfungszyklen; Unterrichten in übergroßen Klassen, Arbeiten mit wachsenden Zahlen solcher Schüler, die mit der landesüblichen Auffassung von Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und von Toleranz nicht vertraut sind9 (Schmitz, Doppler, Voreck, 2006) etc. und Verpflichtung zum Hausunterricht, erzieherischer Einsatz auch außerhalb des Unterrichts. Das Ganze geschieht unter durchaus merkwürdigen Rahmenbedingungen: Wegen des Lehrermangels werden Studenten, Eltern und Pensionäre als „Hilfslehrer“ und sog. „Seiteneinsteiger“10 eingesetzt. Bei den Hauptamtlichen verbleiben dann die gesamten administrativen Aufgaben inclusive Organisation usw. und Klassenleitungen. An Gymnasien in Bayern – und das ist symptomatisch für das gesamte System – kam die überhastete Einführung des G8Modells hinzu, das auf unvorbereitete Lehrerkollegien traf. Der Lehrplan wurde chaotisch, das Unternehmen ein Fiasko. Auch unabhängig davon steht fest: Auf vielen Schülern, besonders auf den Gymnasiasten, lastet ein kaum vorstellbarer Leistungs9 Bei einer Umfrage gaben 14% der Schulleiter von Grundschulen an, dass über 25% ihrer Schüler eine nicht-deutsche Muttersprache haben. In Deutschland leben rund 7,3 Millionen im Ausland Geborene (rd. 9 % der Gesamtbevölkerung). Etwa 1/3 der neugeborenen Kinder hat einen Migrationshintergrund (vgl.: OECD 2004 und http://isc.bc.edu/pirls2001i/pdf). 10 In 2001 waren rd. 3% aller neu eingestellten Lehrer in öffentlichen Schulen, insbesondere in Berufsschulen, Seiteneinsteiger. Die Einstellungstendenz ist steigend, das Echo in den Lehrerkollegien selten positiv. Seiteneinsteiger haben eine geringere fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Ausbildung als Lehrer mit Vollstudium. Ihre Berufswahl ist oft nicht pädagogisch motiviert.
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5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
druck, der ihnen ihre Kindheit nimmt; niemand sieht sich dafür in der Verantwortung. Daraus resultierten für Lehrer und für Schüler örtlich und zeitweise absolut unzumutbare Zustände. Anstelle des zu Recht geforderten erweiterten Handlungsspielraums resultiert eine Verringerung des Kontrollspielraums. D. h. der vielfach beklagte Kontrollverlust ist teilweise bis wesentlich durch die Systemveränderungen bedingt. Diese Veränderungen lassen veränderte implizite Erwartungen und Störungen der Psychologischen Verträge mit den Mitarbeitern vermuten. Ein Teil der Lehrer fühlt sich bei der Bewältigung der Veränderungen von der Schuladministration im Stich gelassen und konstatiert einen Vertragsbruch. Beispielsweise wurden die Beförderungsrichtlinien nachteilig geändert. Zusammen mit der Überalterung hat dies in vielen Kollegien fatale Folgen. Es gibt Kollegen, die seit 10 Jahren eine Funktionsstelle inne haben und hier engagiert und erfolgreich sind. Trotzdem haben sie wegen des Altersaufbaus im Kollegium und der Stellenschlüssel keine Chance, in absehbarer Zeit befördert zu werden. Da Gefühle nicht an abstrakten Institutionen festgemacht werden können, sondern nur an bestimmten Personen, richten sich Wut und Gefühle der Enttäuschung oft gegen die Schulleiter, die symbolisch für die Vertreter der Ebene des Schulsystems und der Schulpolitik herhalten müssen. Die Schulleiter reagieren in solchen Situationen eher hilflos resignativ in einem Dilemma zwischen Loyalität gegenüber der Schulaufsicht und gegenüber dem Kollegium und ziehen sich auf Formalpositionen zurück (Zitat: „So sind einfach die derzeitigen Gegebenheiten“). Zur Erfahrung einer geringen Anerkennung in der Gesellschaft kommt die Erfahrung der Lehrer, dass einige Verbände meinen, über DIE Lehrer klagen und mitreden zu müssen. Es dürfte kaum einen Bereich geben, in dem so viele „PressureGroups“ sich tummeln wie im Bereich Schule. Neben Schulpolitikern seien genannt: Elternvertreter (Zitat eines Lehrers: „Landeselternvereinigung, eine schöne Spielwiese für nicht ausgelastete Eltern“), Schülervertreter, in NRW Schülerräte, die werden in Bayern ein- oder zweimal zu Tagungen mit dem Kultusminister eingeladen, „ein beliebter Karrierestart für angehende Berufspolitiker“ (beispielsweise als Minister für Schule, Kultus etc.); Vertreter berufsständischer Organisationen (GEW, sowie jeweils ein Verband für die entsprechende Schulform usw.). „Beliebt“ unter Lehrern sind die Wirtschaftsverbände wie BDI, DIHK, Arbeitgeberverband, die sich je nach Anlass (Bildungsbericht der Bundesregierung, Vergleichstests wie PISA, Statistiken der Ausbildungssituation durch die BA) darüber beklagen, dass unsere Schüler bei ihrem Start in das Berufsleben zu wenige Kenntnisse bzw. Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbrächten. Exemplarisch seien: fehlende elementare Kenntnisse in den Grundlagenfächern Deutsch und Mathematik; mangelndes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge; fehlende Medienkompetenz; geringe Kenntnis von Berufen und Berufsfeldern; zu viel auswendig gelerntes Faktenwissen, kaum ausgeprägte „Soft-Skills“ (Schlüsselqualifikationen); unzureichende Strategien bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz (Bewerbungsschreiben, Bewerbungsgespräch); Zitat: „Schule wird als wohlfeiler Gegenstand für Änderungsvorschläge und Aktionismus angesehen. Man denke hier an die laufenden Diskussionen in den einzelnen Bundesländern über Ganz-
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tagsschulen oder – bedingt durch den demografischen Faktor – an die Versuche von Kommunalpolitikern, die örtliche Hauptschule zu erhalten und dafür jahrgangsübergreifende Klassen in Kauf zu nehmen und das sogar als pädagogischen Gewinn zu bezeichnen.“ All diesen Veränderungen und Einflüssen sind die Lehrer hilflos ausgesetzt. Einerseits schützend, andererseits einschränkend wirkt sich der Beamtenstatus der Lehrer aus. An den gesellschaftlich-ökonomischen Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen ist der Beamtenstatus von zentraler Bedeutung. Sie sind – außer bei schweren Verfehlungen – unkündbar und sind meist selbst nicht in der Lage zu kündigen, weil damit ein lebenslanger Arbeitsplatz incl. Pension verloren ginge. Das QuasiBildungsmonopol des Staates lässt ihnen nur wenige Alternativen offen. Damit unterscheiden sie sich grundsätzlich von allen Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft. Sie können ihre Arbeitstätigkeit nicht wechseln oder verändern. Lehrpersonen ist es nur unter großen Schwierigkeiten möglich, den Arbeitsplatz nach eigenem Wunsch zu wechseln. Allerdings sollte die Wechselwirkung zwischen dem Sicherheitsbedürfnis und der Attraktivität des Beamtenstatus nicht übersehen werden. Daraus resultiert, dass beamtete Lehrer ihr Arbeitsverhältnis auch unter Bedingungen aufrechterhalten, unter welchen sie in anderen Arbeitsbereichen kündigen würden. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist die veröffentlichte Meinung, die von den Medien repräsentiert wird (nicht die Meinung von Menschen). Die typische Tendenz ist die Fokussierung auf negative Schlagzeilen. Positive Berichte sind, falls sie überhaupt erscheinen (erst in letzter Zeit kamen positive Berichte z.B. im Bayerischen Rundfunk und Fernsehen), so dargestellt, dass sie als Folie der allgemein negativen Verhältnisse an den Schulen herhalten müssen. Da jeder einmal eine Schule besucht hat, glaubt auch jeder, über Lehrer und Schule urteilen zu können, und da jeder auch negative Erfahrungen in der Schule gemacht hat, und da Negatives leichter behalten wird als Positives, tendieren manche dazu, ihre früheren schulischen Verletzungen durch eine besonders scharfe Kritik am Lehrerverhalten zu kompensieren. Das bewirkt nicht nur ein generelles Unbehagen vieler Lehrer, sondern leider eine häufige Unfähigkeit zur Kommunikation mit Kritikern am Schulsystem (Beispiel: Einem Buchhändler in der Nähe Bremens wurde mit Boykott gedroht, falls er ein Buch über psychosomatische Erkrankungen im Lehrerberuf nicht aus dem Schaufenster nähme). Man wehrt Kritik am Schulsystem ab und „fühlt sich gescholten“. Rothland und Terhart (2007, S. 23) beschweren sich, dass in den Medien eine negativ geprägte Berichterstattung zum Beruf des Lehrers verbreitet sei11. Ist das wirklich so einfach? Verfügen Lehrer wirklich über die Kompetenzen, die sie in ihrer Arbeitstätigkeit unbedingt benötigen? Werden in der Lehrerausbildung überhaupt diese Kompetenzen vermittelt?
11 Von 42 Berichten in zwei Magazinen (SPIEGEL und FOCUS, 1990 bis 2004) würden 32 Artikel ein negatives Bild vermitteln (nach der Studie von Blömeke, 2005) und gäben Vorurteile und Klischees wider.
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Hier wollen wir klarstellen: Die Ursachen an der Misere der Schule liegen – bis auf Ausnahmen – nicht einfach bei den Lehrern.
5.1.2 Die betrieblichen Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen Bei den betrieblichen Arbeitsbedingungen von Lehrern unterscheiden wir die formalen betrieblichen Arbeitsbedingungen von den materialen betrieblichen Arbeitsbedingungen. Die formalen Bedingungen sind durch das System Schule bestimmt, wie es in den Gesetzen und Verwaltungsvorschriften der Länder festgelegt ist. Dazu gehört ein in Verordnungen festgelegtes Deputat an zu leistenden Unterrichtsstunden innerhalb der gesamten zu erbringenden Arbeitszeit. Die materialen betrieblichen Bedingungen im Bereich Schule lassen sich differenzieren in die schulischen Umgebungsbedingungen, die Arbeitsplatzbedingungen, schulorganisatorische Bedingungen und die tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen. Hierzu gehört insbesondere die Schülerzahl in den Schulklassen. Wegen seiner Bedeutung wird dieser Punkt gesondert behandelt. Unter den betrieblichen Arbeitsbedingungen wird nur jeweils die für Lehrkräfte entscheidende Bedingung hervorgehoben.
5.1.2 (1) Formale betriebliche Arbeitsbedingungen Die formalen Bedingungen im Lehrer-Schulleiter-System sind im Rahmen der Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Konferenzbeschlüsse des jeweiligen Bundeslandes (hier am Beispiel Bayern) geregelt: „Die Lehrkräfte tragen die unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die Erziehung der Schüler.“ (BayEUG, Art. 59). „[ ...] Der Schulleiter ist für einen geordneten Schulbetrieb und Unterricht sowie gemeinsam mit den Lehrkräften für die Bildung und Erziehung der Schüler sowie die Überwachung der Schulpflicht verantwortlich; er hat sich über das Unterrichtsgeschehen zu informieren. In Erfüllung dieser Aufgaben ist er den Lehrkräften ... dem pädagogischen Personal sowie dem Verwaltungs- und Hauspersonal gegenüber weisungsberechtigt. [...]“ (BayEUG, Art. 57; ähnlich in Sachsen, Thüringen und sinngemäß in den anderen Bundesländern). Im Einzelnen sind die formalen Rahmenbedingungen (Bayern) im wesentlichen in der Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern (Lehrerdienstordnung – LDO), die für alle staatlichen bzw. staatlich anerkannten Schulen gilt, geregelt. Da heißt es hinsichtlich der Allgemeinen Dienstpflichten der Lehrkraft (§9): „Die Lehrkraft ist verpflichtet, ihre Arbeitskraft dem Dienst als Lehrkraft zu widmen.“. Dieser Passus wird durch das Beamtengesetz verschärft, wo es heißt: BBG § 54 „Der Beamte hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. ...“.und Loyalität dem Staat gegenüber (Diensteid BBG § 58). „Dies verlangt erzieherischen Einsatz der Lehrkraft auch außerhalb des Unterrichts.“. Sie soll also ihre ganze Arbeitskraft für den Schuldienst einsetzen, u. z. ausdrücklich auch
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außerhalb des Unterrichts. Denn sie trägt, nach §2 der LDO „die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und den Unterricht ihrer Schüler“. Der Klassenleiter trägt überdies „in besonderer Weise Verantwortung für die Erziehungsarbeit in seiner Klasse“ (§6). Wie das in der Praxis aussieht, beschreibt eine Lehrkraft so: „An Berufsschulen ist es der Regelfall, drei und mehr Klassenleitungen zu haben. Wenn ich dann (je nach Organisationsform) in der Klasse pro Woche nur zwei Stunden oder alle drei Wochen mal sechs Stunden Unterricht habe, bleibt die Erziehung auf der Strecke. Ich hatte letztes Jahr die Klassenleitung in einer BOS-Klasse mit einer Unterrichtsstunde pro Woche. Die ging häufig mit Organisationsarbeiten drauf (Statistiken, Kontrolle der Unterrichtsversäumnisse, usw.)". Nach § 9, Abs. 4 „kann die Lehrkraft auch für den Unterricht in Fächern eingesetzt werden, für die sie keine Prüfung abgelegt hat.“. Dazu zählen z. B an beruflichen Schulen die Fächer Deutsch, Englisch und Ethik. Wichtig ist nur, dass die Lehrkraft die Lehrberechtigung für diesen Schultyp hat. Dieser fachfremde Unterricht ist allgemein üblich und für manche Betroffene eine besondere Belastung. Hinzu kommt nach § 9 (2) „Die Lehrkräfte sind verpflichtet, sich selbst fortzubilden und an dienstlichen Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen“ (vgl. § 55 der Laufbahnverordnung, Art. 20 des Bayerischen Lehrerbildungsgesetzes). Die folgenden „Allgemeinen Dienstpflichten der Lehrkraft“ (§9) dürften nicht allgemein bekannt sein: (zu 3) Die Lehrkraft „ist verpflichtet, auch außerhalb ihres planmäßigen Unterrichts und – unbeschadet ihres Urlaubsanspruchs – in den Ferien aus dienstlichen Gründen in zumutbarem Umfang zur Verfügung zu stehen; die Anwesenheit in der Schule kann angeordnet werden; darüber sind die Lehrkräfte frühzeitig zu informieren. 3Zu diesen Verpflichtungen gehören insbesondere die Vorbereitung sonstiger schulischer Veranstaltungen (vgl. § 4 Abs. 1), die Vorbereitung des neuen Schuljahres, die Übernahme von Vertretungen, die Erledigung von Verwaltungsgeschäften, die Teilnahme an dienstlichen Besprechungen, an Veranstaltungen für die Erziehungsberechtigten, an Sprechstunden oder Sprechtagen für die Ausbildenden, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Beschäftigungsbetriebe, die Teilnahme an dienstlichen Fortbildungsveranstaltungen sowie die Mitwirkung an der Ausund Fortbildung der Lehrkräfte und an staatlichen Prüfungen. (zu 5) Durch Anordnung der Schulaufsichtsbehörden kann eine Lehrkraft verpflichtet werden, an mehreren Schulen Unterricht zu erteilen. (zu 6) Die Lehrkräfte sind verpflichtet, im Rahmen der Zuständigkeit der Schule, an der sie tätig sind, Hausunterricht zu erteilen (§ 4 der Verordnung über den Hausunterricht vom 29. August 1989, GVBl S. 455, ber. S. 702). Ähnlich sind die Verhältnisse in Sachsen, Thüringen u. a. Bundesländern. In einigen Ländern, beispielsweise NRW, gibt es diverse Mitspracherechte von Elternräten und Schülerräten, mit denen sowohl Lehrer als auch Schulleitungen sich auseinander zu setzen haben. Hinzu kommt, dass die Schulsysteme der Bundesländer durch unflexible bis starre Organisationsstrukturen gekennzeichnet sind mit zahlreichen Vorschriften,
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Regeln, Verordnungen und Gesetzen, in denen die Entscheidungsbefugnis in der Hierarchie oben und das Entscheidungswissen ganz unten angesiedelt sind. So wird die Sachlage zumindest von den Lehrern gesehen. Aufstiegsmöglichkeiten außerhalb von Routinebeförderungen (z. B. vom Studienrat zum Oberstudienrat) oder der Aufstieg in eine Funktionsstelle, z. B. die des Fachbetreuers oder des Beratungslehrers) sind so gut wie nicht vorhanden. Eine Karriere außerhalb der Schulhierarchie ist nur wenigen möglich. Dadurch wird das Statusdenken in den „oberen Rängen“ der Schulaufsichtsbehörden gefördert. Von diesen wird für die „unteren Ränge“ des Lehrers vor Ort (immerhin Besoldungsgruppe A11 bis A15) auf striktes Einhalten des Dienstweges gedrungen. Dadurch sind die oberen Hierarchieebenen für Lehrer, teilweise auch für die Schulleiter, in der Praxis kaum erreichbar. Die untere Führungsebene, die Schulleitung, ist dadurch permanent überfordert, weil sie sich „um alles“ kümmern muss. Auch sind viele Schulleiter darauf bedacht, dass über sie und ihre Schule keine negativen Nachrichten nach oben bzw. nach außen gelangen. Denn daraus könnte ein Nachteil im Verteilungskampf ums Geld oder um sonstige Vergünstigungen entstehen. So werden vielfach die Informationen nach oben gefiltert. Dafür werden in die Schulen „Evaluatoren“ geschickt, um eventuelle Mängel zu identifizieren. Die Evaluationen könnten durch ein an der Schule eingerichtetes und an den Gegebenheiten dieser Schule orientiertes Qualitätsmanagement-System kompensiert werden. Da man sich dadurch dem Zugriff der vorgesetzten Dienststelle entziehen kann, ist das offensichtlich „oben“ nicht erwünscht. Diese Kultur des Misstrauens resultiert aus den Systemmerkmalen und ist systemtypisch. Und der Bürger wundert sich, wenn wieder einmal eine Erfolgsmeldung aus dem Ministerium kommt, obwohl jeder irgendwie Beteiligte, sei es durch schulpflichtige Kinder, sei es beruflich, weiß, dass die Meldung nicht stimmen kann. Beispiel: Im September 2008 behaupteten Vertreter des zuständigen Ministeriums eines süddeutschen Bundeslandes, dass jährlich eintausend Lehrkräfte neu eingestellt würden. Nicht gemeldet wurde, dass diese nur Ein-Jahresverträge erhielten. Im Jahr 2010 wurde das Ende dieser Maßnahme gemeldet.
Pflichtstunden und Gesamtarbeitszeit Das Verhältnis von Pflichtstunden zur Arbeitstätigkeit außerhalb des Unterrichts soll nach einer von Dorsemagen, Lacroix und Krause (2007) zitierten Studie etwa 40% zu 60% betragen, wobei allerdings die Erhebungsmethode unerwähnt ist. Die vorliegenden Studien belegen weitgehend übereinstimmend, dass die wöchentlichen Arbeitszeiten von Lehrern generell oberhalb der Regelarbeitszeit im öffentlichen Dienst liegen (Lange, 2004, S. 196). Deputat und Gesamtarbeitszeit als quantitative Werte sagen noch wenig über die psychische Beanspruchung aus. Trotzdem bilden sie selbstredend die empirische Basis für eine Analyse ihrer Bedeutung für das psychische Erleben von Arbeitszeiten.
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Pflichtstunden: Die Höhe der Deputatsverpflichtung variiert je nach Lehramt, Schulart und Bundesland zwischen 22 und 28 Stunden pro Woche; sie nimmt von der Grundschule bis hin zum Gymnasium ab. In unserer Studie (in Bayern) wird die Anzahl der Pflichtstunden pro Woche (Stundendeputat) im Schnitt mit 22 (Median 24) angegeben (Min: 4 bei Schulleitern, Max: 38; Streuung 25,7). 2,6% der Lehrpersonen gaben mehr als 28 Unterrichtsstunden pro Woche an, während ebenfalls 2,6% unter 10 Stunden angaben, d. s. Lehrer mit besonderen Aufgaben, Lehrkräfte in leitender Position oder Teilzeitkräfte im Angestelltenstatus. Zum Pflichtstundendeputat können sich weitere Stunden für dienstlich erforderliche Mehrarbeit zur Sicherstellung von ordnungsgemäßem Unterrichtsbetrieb oder zur Vermeidung von krankheitsbedingtem Unterrichtsausfall – z. T. zeitweise – addieren. Beispiel: Ein stellvertretender Schulleiter an einer Berufsschule (Stundendeputat 12 Unterrichtsstunden), der Wert auf seine Vorbildwirkung legt, oder aus Not, unterrichtet 17 Stunden pro Woche. Die oft behauptete Beziehung zwischen Pflichtstundenzahl und Disengagement/ IK existiert nicht (r = .04; n.s.). Auch am Median der Anzahl der Pflichtstunden oder durch Drittelung generierte Gruppen zeigen keine Tendenz (Varianzanalyse: mittlere Differenz der Mittelwerte: 0,006; K-S Z: 0,83; p = .50). Ebenso ist die Beziehung zwischen Pflichtstunden und Belastung unbedeutend (r = .11, p < .000). Abbildung 5.1: Pflichtstunden pro Woche Nach Angaben der Lehrer
12% 22%
15%
bis 15 Std. 16-20 21-25 > 25 Std.
51% Der Anzahl der Pflichtstunden pro Woche kommt hinsichtlich der Ausprägung von Disengagement und IK und Belastung bei N = 1643 Personen definitiv keinerlei Bedeutung zu. Aber die Korrelation zwischen der Selbsteinschätzung „zu viele Unterrichtsstunden“ zu haben und dem Disengagement/ IK beträgt 0,27 (.000), die Korrelation mit der Stundenzahl r = 0,34 (.000).
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Gesamtarbeitszeit: Offenkundig ist der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit weitgehend unabhängig vom Deputat. Dafür verantwortlich sind objektiv unterschiedliche Anforderungen ebenso wie individuell unterschiedliche Möglichkeiten, die eigene Arbeit zu organisieren. Die Lehrerarbeit ist nur schwer in den Referenzrahmen der Regelarbeitszeit des öffentlichen Dienstes einzupassen (Lange, 2004, 196). Die Arbeitszeit der Lehrer ist wesentlich höher als die vorgeschriebene Pflichtstundenzahl (Deputat). Die außerunterrichtliche Arbeitstätigkeit soll ca. 60% der Gesamtarbeitszeit betragen und enthält u. a. Unterrichtsvor- und Nachbereitung, Korrekturen, das Ausfertigen von Zeugnissen, Besprechungen, Beratungen, Elterngespräche bzw. Gespräche mit dem Ausbildungsbetrieb, Aufsichten, Vertretungen, administrative Arbeiten und die Vorbereitung und Durchführung von Schulveranstaltungen usw. und Klassenfahrten. Hinzu kommt, dass beispielsweise in Bayern das Lehrdeputat um wöchentlich eine Stunde erhöht wurde, u. z. vor dem Jahr 2008. Viele Lehrer haben zusätzliche Pflichtaufgaben zu erledigen (z.B. Betreuung von Anfängern, Evaluationen). Deshalb wurde in dieser Studie nach dem gesamten Arbeitsaufwand für die Schule einschließlich der Pflichtstunden pro Woche (ferienbereinigt) gefragt:
Die Untersuchungsgruppe gibt im Mittel 40 Stunden an, 61% arbeiten 42 Stunden, 10% geben mindestens 50 Stunden pro Woche an.
Nach einer Studie an Lehrpersonen aller Schularten in der deutschsprachigen Schweiz soll die Arbeitszeit ferienbereinigt zwischen 44,4 und 47,8 Wochenstunden liegen (Oelkers, 2004). Nach Medienberichten im Febr. bis Apr. 2009 gaben die österreichischen Gymnasiallehrer durchschnittlich 49 Arbeitsstunden pro Woche an bei einem Unterrichtsdeputat von nur 13 Stunden. Dass 36 Stunden für Vor- und Nachbereitung und für sonstige Aufgaben gebraucht würden, wurde dort allgemein bezweifelt. Die zuständige Ministerin hat eine Erhöhung des Unterrichtsdeputats innerhalb der unveränderten Gesamtarbeitszeit um zwei Stunden gefordert, dies aber nicht durchsetzen können. Einer Meta-Analyse von 20 Untersuchungen zur Arbeitszeit der Lehrer zufolge arbeiten diese etwa 10 Stunden mehr, als die durchschnittlich bezahlte Wochenarbeitszeit in der Industrie beträgt (Schönwälder, 2001). Bei dieser Diskussion sollte aber berücksichtigt werden, dass Lehrer sich hinsichtlich Ausbildung und Bezahlung mit Mitarbeitern zumindest des mittleren Managements (z. B. Konstrukteure, Gruppen- oder Teamleiter) vergleichen lassen müssen, deren tatsächliche Arbeitszeit über die tarifliche im Regelfall weit hinausgeht. Interessant ist die Frage nach der vergleichenden Bewertung des Arbeitsaufwandes der Kollegen zum eigenen Aufwand. Auf die Frage: „Wie schätzen Sie Ihre Wochenarbeitszeit im Vergleich zum Durchschnitt Ihrer Kollegen an Ihrer Schule ein?“ antworteten 4,6% unserer Untersuchungsgruppe: „weit darüber“, 18,4% „darüber“, 73,7% „im Durchschnitt gleich“ und 3,3% antworteten „darunter“. Die Antwort: „weit darunter“ wurde nicht bestätigt. Diese Schätzung wird durch die realen Daten gestützt:
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Diejenigen, die ihre Arbeitszeit im Vergleich zu den Kollegen mit „weit darüber“ und „darüber“ geschätzt haben, kommen in der realen Wochenarbeitszeit im Mittel auf nahe 44 Stunden, während die anderen auf 37,7 Stunden kommen (Differenz 6 Stunden.; p < .004). Jene Gruppe kommt auch auf tendenziell höhere Werte in der erlebten Belastung, in der Neigung zur depressiven Verstimmung und zur emotionalen Erschöpfung. In allen anderen physischen und psychischen sowie psychosomatischen Merkmalen, die im Fragebogen erhoben wurden, zeigen sich keinerlei Differenzen. Damit ist zu folgern: Im Vergleich der Bedeutung von Pflichtstunden und Gesamtarbeitszeit für die Belastung bzw. für die psychische Beanspruchung und Disengagement incl. Innere Kündigung kommt der erlebten Gesamtarbeitszeit ganz klar die wichtigere Funktion zu. Innerhalb dieser ist die erlebte außerunterrichtliche Tätigkeit der entscheidende Faktor. Obwohl beide Gruppen, Disengagierte und Engagierte, die gleiche Gesamtarbeitszeit angeben, glauben die disengagierten Lehrer mehr zu arbeiten als die anderen. Deshalb dürften sie versuchen, Unterrichtsstunden, die über das Pflichtmaß hinausgehen, zu umgehen. Auch was die außerunterrichtlichen Aktivitäten anbetrifft, ist zu vermuten, dass sich disengagierte Lehrkräfte eher zurückhalten.
5.1.2 (2) Die materialen betrieblichen Arbeitsbedingungen Die äußeren, materialen Arbeitsbedingungen stellen den realen Rahmen dar für das subjektive Erleben der Mitarbeiter bzw. der Lehrer. Den betrieblichen Arbeitsbedingungen in der Wirtschaft entsprechen formal die schulischen Arbeitsbedingungen, sie zählen zu den materialen, äußeren Bedingungen. Unter dem Begriff der betrieblichen Arbeitsbedingungen im Bereich Schule lassen sich differenzieren: die schulischen Umgebungsbedingungen, die Arbeitsplatzbedingungen, schulorganisatorische Bedingungen und die tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen.
Die schulischen Umgebungsbedingungen wie Schulgebäude, Pausenhof, Raumverhältnisse, Licht, Wärme, Lüftungsmöglichkeiten bzw. Luftverunreinigung usw. und Lärm. In Deutschland wurden viele Schulgebäude in der Zeit zwischen 1950 und 1970 gebaut und seither nie modernisiert. Veraltete Sanitäranlagen und Heizungen, Wände, von denen der Putz bröckelt, schlecht gedämmte Fenster, unbelüftbare Klassenräume, die sich nicht verschatten oder verdunkeln lassen, bilden häufig den Normalzustand. Die sanitären Anlagen sind in manchen Schulen katastrophal. Die Arbeitsplatzbedingungen sind dadurch gekennzeichnet, dass anstelle des bisher meist festen Arbeitsplatzes mehr und mehr ein wechselnder Arbeitsplatz zur Normalität gehört. Manche Lehrer unterrichten an zwei verschiedenen Schulen, manchmal in verschiedenen Städten. Dies führt zu teils chaotischen Stundenplänen, die weder den unterrichtsorganisatorischen noch den pädagogischen Anforderungen genügen. Viele moderne Unterrichtsverfahren setzen
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5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule längere Rüstzeiten und Absprachen innerhalb des Kollegiums voraus, die hier nicht möglich sind. Nicht immer steht dem Lehrer ein entsprechender Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Aufbewahrungsmöglichkeiten zur Verfügung. Für die Zukunft bleibt prinzipiell zu klären, ob die Grundstruktur des zwei- bis dreiteiligen Arbeitsplatzes im Rahmen einer Halbtagsschule unter steigenden Anforderungen im und außerhalb des Unterrichts überhaupt noch ein Leben lang sinnvoll ist. Die arbeits- bzw. schulorganisatorischen Bedingungen wie Einbindung in die schulorganisatorische Hierarchie von Schulleitung, Kollegium, Kollegen mit Leitungsfunktion, Schulaufsichtsbehörde sind in den verschiedenen Schultypen sehr unterschiedlich. Die Einbindung von Schulleitung und Kollegium in die Hierarchie ist von Schule zu Schule äußerst verschieden gelungen. Auf die Organisation von Arbeitszeiten, Freizeiten etc wird ausführlich eingegangen werden. Die tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen: Mit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ändern sich auch die Werte in der Gesellschaft und nachfolgend die schulischen, tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen. Mit dem Streben nach Wachstumsraten, das für unsere Leistungsgesellschaft typisch ist, wird bei Lehrern der Belastungsdruck immer stärker: Durch die im Zuge zunehmender Globalisierung erfolgende Zuwanderung wird die Heterogenität der Schulklassen (Ethnie, Sprachfähigkeit, Werte) verschärft. Lehrer müssen sich ihre persönliche Autorität erst erwerben; sie haben die „Autorität von Amts wegen“ verloren. Oft verfügen sie nicht einmal über den nötigen Wissensvorsprung, wenn sie zum Beispiel fachfremden Unterricht erteilen müssen. Die Erziehungsstile der Eltern sind von Werten wie Durchsetzungs- und Kritikfähigkeit und Ablehnung von Autoritäten bestimmt. Gleichzeitig herrscht in manchen Migranten-Familien häufig ein autoritärer, teils gewalttätiger Erziehungsstil, der in unserer Gesellschaft nicht geduldet werden darf. Im Bereich der Hauptschulen und Berufsschulen haben sich die Eltern – aus Lehrersicht – inzwischen größtenteils – aus Unsicherheit, Belastung und Überforderung – aus der Erziehung ausgeklinkt. In manchen Hauptschulklassen ist es kaum noch möglich, Kandidaten für die Elternvertretung zu finden. Typisch für die tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen der Lehrer sind ferner die Vereinzelung der Arbeit, die Einzelarbeit der „Einzelkämpfer“, die Klassengröße und die Arbeitsteilung infolge Fachunterrichts.
Zusammensetzung und Herkunft der Schüler wirken sich auf das Lern- und Sozialverhalten der Schüler aus. Disziplinprobleme sind die Regel. Schüler, die zu Hause einen
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autoritären Erziehungsstil erleben oder Erfahrung mit dem Schulsystem in ihren Heimatländern gemacht haben, finden sich häufig in der Freiheit einer modernen Pädagogik nicht zurecht. Auch die zur Selbstverwirklichung – oft unter Bedingung der Wohlstandsverwahrlosung – erzogenen Einzelkinder machen Probleme. Dadurch ergeben sich negative Auswirkungen auf bestimmte Methoden wie Projektunterricht usw. und Gruppenarbeit. Aber auch manche Lehrer kommen mit der Erweiterung des Methodenspielraumes einmal durch Nutzung neuer Technologien wie Computer etc. und zum Zweiten durch Einführung von neuen Unterrichtsmethoden nicht klar. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade die Einführung neuer Medien nicht von entsprechenden didaktischen Konzepten begleitet wurde. Viele Lösungsansätze in den letzten 20 Jahren wirken eher aktionistisch als zweckgerichtet. Waren entsprechende Haushaltsmittel vorhanden, wurde in Computer-Hardware investiert, ohne dass die Lehrer entsprechend darauf vorbereitet waren. Sie wurden auch später kaum vorbereitet. Diese Entwicklung wird von einigen als Verunsicherung und sogar als Einengung der bisherigen Handlungs- und Entscheidungsspielräume erlebt. Tatsächlich widerspricht diese Entwicklung der bisherigen strengen Hierarchisierung und der Perfektionierung bürokratischer Steuerungssysteme. Diese Probleme führen zu erlebbaren Veränderungen von Arbeitsauftrag und Arbeitsaufgabe des Lehrers. Aus diesen Gründen werden manche sinnvollen Neuerungen nicht akzeptiert. Die Klassengröße Die Schülerzahl pro Schulklasse beträgt im Mittel 24,1 Schüler in der gesamten Stichprobe (N = 2019 Schulklassen in Bayern). Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 24 Schülern, in den OECD-Ländern bei 23,8 Schülern. Das Problem bei uns ist offenkundig nicht die durchschnittliche Klassengröße, sondern die breite Streuung. Es gibt zu viele Klassen mit zu hoher Klassengröße (Mittelwert = 24, Median = 25, Min 9, Max 37). Die Streuung beträgt 20 Schüler mit hohen Minima-Maxima-Differenzen: Wenigen kleinen Klassen mit 10 Schülern stehen solche mit 37 Schülern gegenüber. Klassen mit 10-11 Schülern finden sich je eine in Grund-, Haupt-, Förderschulen und in Fachklassen von Berufsschulen (auch für Berufsschüler ohne Ausbildungsplatz). Die Situation hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Die Schulaufsichtsbehörde (z. B. die Schulabteilung der Bezirksregierung) achtet darauf, dass keine kleinen Klassen gebildet werden. 4,5% der Lehrpersonen haben unter 15 Schüler in ihren Klassen, aber rund 11% der Lehrer haben >30 Schüler und rund 60% der Lehrer haben >25 Schüler. 60,4% der Klassen liegen über dem OECD-Durchschnitt (OECD, 2004). Von Lehrerverbänden werden oft Stundendeputat, Zeitaufwand außerhalb des Unterrichtes und Schülerzahl bzw. Klassengröße als Ursachen für Lehrerbelastungen und für Burnout beklagt. Bestätigungen scheint die Forschung zu liefern: Über 80% von nahezu tausend befragten Lehrern fühlten sich durch zu große Klassen stark belastet. Die Angabe korreliert tatsächlich mit der Klassengröße (r = .40, p< .01; van Dick, 2004).
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Dieser Zusammenhang wurde auch in der Forschung zur Belastung/ Beanspruchung (Schaarschmidt, 2004, S. 105) und in der Burnout-Forschung belegt (Schmitz, 2004, S. 59). Allerdings konnte unter psychisch erkrankten Lehrpersonen kein Zusammenhang zwischen Klassengröße und Beschwerdemaßen (SCL-90-R und GBB) nachgewiesen werden (Lehr, 2004, S. 129). Dass mit zunehmender Schülerzahl auch die Belastung wächst, liegt auf der Hand, aus dem einfachen Grund, weil mit jedem zusätzlichen Schüler der Lärmpegel überproportional zunimmt. Dass einer Referendarin im zweiten Jahr 37 Schüler zugemutet werden, ist ein Skandal. Da aus Lehrersicht erwartet werden darf, dass die Verantwortlichen für Bedingungen einer guten pädagogischen Arbeit sorgen, werden die resultierenden Belastungen der Schuladministration/ Schulaufsichtsbehörde und der Schulleitung angelastet (i. S. der Ursachenzuschreibung des Attributionsmodells) und demzufolge als Störung der Reziprozität infolge Bruchs des Psychologischen Vertrags wahrgenommen. Nach dieser Sicht müsste die Abhängigkeit des Disengagements von der Klassengröße belegt werden. Tatsächlich beklagten in einer älteren Befragung 76% von 9129 Lehrern aus 137 Schulen in Hessen, dass die Klassenstärke zu groß sei, 22% hielten sie für richtig und 2% für zu klein (die sog. Knight-Wegenstein-Studie, vgl. v. Saldern & Katz, 1990). Nach Rudow (1995, S. 64) wird eine Klasse mit mehr als 27 Schülern als zu groß wahrgenommen und mit zunehmend subjektiver Belastung erlebt, angemessen seien 21-25 Schüler. Im Folgenden soll die Klassengröße als unabhängige Variable und als eine formale Bedingung der beruflichen Tätigkeit von Lehrkräften betrachtet werden. Dabei soll die objektive Klassengröße von der subjektiven Wahrnehmung derselben unterschieden werden. Bereits bei bloßen korrelativen Analysen fällt die Beziehung von Klassengröße und einigen substanziellen Merkmalen auf. Die Höhe der Korrelationskoeffizienten ist zwar gering aber statistisch signifikant. Zum Beispiel korrelieren der Arbeitsaufwand für die Schule bzw. die Belastung jeweils mit der Klassengröße nur r = 0,12 (p < 0,000) und r = 0,13 (p < 0,000); auch andere niedrige Korrelationen mit der Klassengröße und unerhebliche Effektstärken fallen auf: Disengagement r = 0,07; p < 0,01; Unterrichtsstunden pro Woche r = 0,04; p < 0.06; Fehltage r = 0,06; p < 0,02. Auch die Korrelation zwischen der 5-Item-Skala IK und der Variablen Klassengröße ist gering (r = 0,07, aber p < 0,01), jedoch bei hohen Minima-Maxima-Differenzen bzw. Streuungsdaten. Mit zunehmender Klassengröße nehmen sowohl die subjektiv erlebte Belastung als auch die Tendenz zum Disengagement zu. Diese Beobachtung führte zu der Überlegung, die möglichen Auswirkungen der Klassengröße durch Vergleich von Schulklassen unterschiedlicher Größe zu analysieren. Wenn man nämlich das Merkmal Klassengröße auf drei Gruppen reduziert (Gruppe 1: 26 *Effekt*EffektSchüler Schüler stärke nein ja stärke Mittelwerte Diff. d Mittelwerte Diff. d 2,10 2,27 0,17 0,57 1,94 2,45 0,51 1,85 2,91 3,15 0,25 0,21 2,79 3,62 0,83 0,78 3,81 3,85 0,04 0,05 3,37 4,00 0,63 0,74 2,23 3,51 0,20 0,18 1,94 2,72 0,78 0,50 2,58 2,82 0,24 0,18 2,42 2,97 0,55 0,41 4,94 4,75 0,18 0,15 5,08 4,57 0,51 0,38 4,81 4,58 0,22 0,22 5,08 4,79 0,29 0,36 4,68 4,41 0,27 0,22 4,80 4,37 0,43 0,36 3,70 3,64 0,06 0,05 4,05 3,83 0,21 0,35 40,88 43,10 2,21 0,11 40,09 43,69 3,60 0,03 3,23 4,07 0,84 0,04 2,64 3,65 1,01 0,03
*Anmerkung: Bedeutsamkeit der Größe der Effektstärke d: 0,2= klein; 0,5= mittel;0,8= hoch (Bortz & Döring, 1995)
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Beim Vergleich der Effektstärken der Differenzen zeigt sich, dass der Effekt der wirklichen Klassengrößen nur bei vier Merkmalen nennenswert ist, nämlich bei der Lehrerbelastung, Identifikation mit der Schule, bei der emotionalen Erschöpfung und Unterstützung durch die Leitung. Dagegen sind die Effektstärken bei den geglaubten Klassengrößen nahezu bei allen Merkmalen mit d > .30 klein bis mittel, mehrmals nahezu hoch. Außerordentlich hoch ist die Bedeutung des Unterschieds in der Lehrerbelastung. Das bedeutet, dass die subjektive Einschätzung oder der Glaube, zu viele Schüler in den Klassen zu haben, mit deutlichen Effekten auf die Belastung, auf die Unzufriedenheit, Erschöpfung usw. verbunden ist, während die objektive Klassengröße nahezu keine Auswirkungen hat. Das deutet – mit aller Vorsicht – an, dass der subjektiven Rekonstruktion der Wirklichkeit eine stärkere Wirkung auf die genannten Merkmale zukommt als der objektiven Wirklichkeit. Klassengröße und Unterrichtsdeputat Für eine abschließende Prüfung eignet sich eine Diskriminanzanalyse. Mit dieser Analyse werden die für Engagement/ Disengagement bedeutsamen Merkmale herausgestellt. Die Lehrer werden am Scheitelpunkt der Ratingskala, an dem die engagierten von den disengagierten Lehrern getrennt werden (Midpoint) in zwei Gruppen geteilt. Diese am Midpoint generierten Gruppen dienen als abhängige Variable. Als unabhängige Merkmale wurden eingeführt: die Klassengröße, das Unterrichtsdeputat, die Einschätzung, zu viele Schüler bzw. zu viele Unterrichtsstunden zu haben, das Geschlecht und zwei weitere Variablen. Die schrittweise Diskriminanzanalyse aus der Größe der Gruppen berücksichtigte schließlich weder die objektive Klassengröße noch das objektive Unterrichtsdeputat, sondern nur die subjektive Einschätzung, (a) zu viele Schüler bzw. (b) zu viele Unterrichtsstunden zu haben.
χ Eigen Canon. λ df Signif wert Korr. .058 .23 .945 61,09 2 .000 Mit diesen beiden subjektiven Merkmalen werden 75,09 % der Fälle den beiden Gruppen korrekt zugeordnet. Das Ergebnis besagt, dass weniger die objektiven Merkmale (Klassengröße, Unterrichtsdeputat) mit der Differenzierung von Engagement und Disengagement korrespondieren, sondern dass dafür hauptsächlich die entsprechenden subjektiven Einschätzungen der Lehrer verantwortlich sind.
5.2 Soziale Bedingungen
151
5.2 Soziale Bedingungen 5.2 Soziale Bedingungen Während bei den äußeren Arbeitsbedingungen der Fokus auf das objektive und reale Ausmaß an Situationskontrolle lag, ist nunmehr der Fokus auf diejenigen Bedingungen zu richten, die das Ausmaß der individuell wahrgenommenen Kontrolle beeinflussen können. Das ist die individuelle Ebene der eigenen Personmerkmale und der Beziehung zu den Kollegen, Schülern und unmittelbaren Vorgesetzten.
5.2.1
Allgemeine soziale Arbeitsbedingungen
Lehrer und Schulleiter sind ebenso wie Lehrer und Schüler einer dauernden Wechselwirkung ausgesetzt. Daraus resultieren bei diesen Personengruppen zahlreiche Veränderungen. Zum Beispiel entstehen im Lehr-Lernprozess und in Wechselwirkung mit dem Lernergebnis der Schüler als Arbeitsergebnis der unterrichtenden Lehrer zahlreiche Veränderungen bei den Lehrern und natürlich auch bei den Schülern. Diese Veränderungen sind psychischer, geistiger und emotionaler Natur und schließen Veränderungen der jeweiligen Erwartungen mit ein, wodurch Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Bewertung der Arbeitstätigkeit und der Arbeitsbedingungen beeinflusst werden. Diese Bewertung kann irgendwo auf einer Skala von ‚sehr gut’ bis ‚sehr schlecht’ ausfallen und dem entsprechend ändert sich die Einstellung der Lehrer, der Schulleitung und der Schüler zur Arbeitstätigkeit und gegenüber den Arbeitsbedingungen. Falls die Arbeitsbedingungen sich in negativer Richtung verändern, wird der Arbeitstätige versuchen, sich diesen Veränderungen zu widersetzen, denn jede negative Veränderung wird aversiv erlebt. Nun ergeben sich zwei Möglichkeiten: Dem Arbeitstätigen, gleichgültig welcher Personengruppe er zugehört, gelingt – wie auch immer – eine Änderung der Arbeitsbedingungen in positiver Richtung. Er wird das als Verbesserung seiner Kontrollkompetenz erleben und wahrscheinlich seine Anstrengung in diese Richtung erhöhen. Im anderen Fall gelingt ihm eine positive Veränderung der Arbeitsbedingungen nicht, er wird Misserfolg erleben und eine Minderung oder den Verlust seiner Kontrollkompetenz. Eine Möglichkeit, Kontrolle und Gerechtigkeit wenigstens teilweise oder anderweitig zu erlangen, ist die Entscheidung, offen zu kündigen. Ist dieser Ausweg versperrt, wie im Fall verbeamteter Lehrpersonen, bleibt u. a. der Weg in die Innere Kündigung.
5.2.2
Das Führungsverhalten der Schulleiter
Seit den Anfängen der Diskussion um die Innere Kündigung von Mitarbeitern wurde dem Verhalten der Vorgesetzten große Aufmerksamkeit zuteil. Ein mangelhafter Führungsstil wurde vielfach als bedeutsam für die Genese der IK der Mitarbeiter betrachtet. So wurde dem Führungsverhalten, der Fähigkeit, Mitarbeitern eine gewisse
152
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
Mitsprache bei Entscheidungen einzuräumen, der Fähigkeit, positive Rückmeldungen zu geben, sie zu informieren usw. usf. unter die Lupe genommen (dazu u.a. Höhn, 1983, S. 58, 70, 99; Faller, 1991). Von mehreren Autoren (u. a. Krystek u. a., 1995; Echterhoff u. a. 1997; Döring, 2006) wird IK mit dem Gefühl von Kontrollverlust und Machtlosigkeit als Auswirkung eines nicht-kooperativen Führens und von Fehlern im Führungsverhalten (Zurückhalten relevanter Informationen, intransparente Entscheidungsprozesse von oben, wenig Gesprächsbereitschaft der Vorgesetzten, kontrollzentrierte Managementinstrumente) betrachtet. Auch Lehrer kritisieren das Führungsverhalten der Schulleiter. Dafür gibt es objektive, systemische Gründe. Beispiele: Schulleiter müssen ihre Lehrkräfte regelmäßig beurteilen. Die „Beurteilungskriterien“ sind vage, unklar und manchmal konfus. So soll u. a. unter der Rubrik „Eignung“ „die geistige Beweglichkeit“ der Lehrkraft nach Punkten beurteilt werden. „Merkmal in besonderer Weise erfüllt“, „... erheblich über den Anforderungen liegend“, „... teilweise“ oder „... unzureichend erfüllt“. Diese Stufen sind aber nicht definiert. Ähnlich sollen die beförderungswirksamen „schulischen Funktionen“ wie Sachkompetenz, Sozialkompetenz und Handlungskompetenz mit je 1 bis 16 Punkten bewertet werden (gemäß KMBek v. 28.03.2000). Kein Mensch kann seine Kollegen mit solchen „Kriterien“ sinnvoll beurteilen! Erst durch eine subjektive Re-Definition werden solche Worthülsen hinreichend konkret. Am Ende suggerieren die genauen Punktezahlen eine „Objektivität“ der Beurteilung, die nicht im geringsten gegeben ist. Schließlich sollen diese Punkte über alle Beurteilten eine Normalverteilung ergeben. Damit ist der Nonsens auf die Spitze getrieben. Das Verfahren erfüllt kein einziges Kriterium einer ordentlichen Beurteilung. Ein weiteres Beispiel: Die manchmal noch an traditionellen Strukturen hängenden Schulleiter und Schulräte müssen Arbeitstätigkeiten beurteilen, die viele von ihnen selbst nicht kennen und deshalb nicht selten falsch einschätzen. So hat ein Schulleiter an einer Berufsschule ohne jede unterrichtliche Computererfahrung die Qualität von CAD-Unterricht zu beurteilen. Während gleichzeitig viele Lehrer, etwa in Fortbildungen, neue Erfahrungswerte und neues Wissen sammeln (Leistungsvoraussetzungen), damit Erfolge erleben und die persönliche Entwicklung pflegen (aktuelle, prozessbedingte Arbeitsbedingung), müssen sie über sich ergehen lassen, dass bei Beurteilungen, die auf die berufliche Laufbahn einen entscheidenden Einfluss haben, weniger die Innovationsbereitschaft als die – natürlich auch leichter beobachtbare und damit quantifizierbare – Erfüllung formaler Anforderungen fokussiert wird. Kann von diesen Lehrern noch Engagement erwartet werden? Lehrer klagen über Belastungen, die man sich gut als ungünstige Umstände für einen Psychologischen Vertrag vorstellen kann und die oft von der Schulleitung ausgehen. Mit anderen aber ähnlichen Zielsetzungen wurde auch der Einfluss von Schulleitern auf das Wohlbefinden bzw. auf Verhaltens- und Gesundheitsprobleme ihrer Lehrkräfte untersucht. Auch hier wirken Merkmale des Leitungsstils, der Unterstützung und weitere Faktoren auf die abhängigen Variablen wie Berufszufriedenheit, Stress und einhergehende Gesundheitsproblemein negativer Weise: Merz (1979, 199f) fand bei Lehrern eine vorwiegend positive Einschätzung der dienstlichen und persön-
5.2 Soziale Bedingungen
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lichen Beziehung zur Schulleitung. Etwa 15 % der wenig positiv Urteilenden gaben an, dass ein schlechter Leitungsstil und die fehlende pädagogische Unterstützung ihre Zufriedenheit beeinträchtigten. Rudow (1986, zitiert aus 1994, 163 f.) ermittelte auf der Basis von 60 Lehrpersonen einen sehr signifikanten Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Schulleitung und dem Wohlbefinden der Lehrer (r = 0,49) und eine negative signifikante Beziehung zu neurotisch-funktionellen Störungen (r =- 0,28). Jehle, Gayler, Hillert, Seidel (2002) fanden bei 29 wegen psychosomatischer Probleme stationär behandelten Lehrpersonen am Therapiebeginn eine vorwiegend positive Einschätzung ihres Verhältnisses zur Schulleitung. Auf einer vierstufigen Skala urteilten 10 mit „positiv“, 14 mit „eher positiv“. Doch so trivial es klingt, es scheint darauf anzukommen, wie die Schulleitung sich verhält und wie qualifiziert sie ist. Rudow (1994, 115/6) berichtet mit Bezug auf Schubert (1983), dass 40 % einer Lehrergruppe es als belastend empfanden, wenn ihr Entscheidungs- und Handlungsspielraum eingeschränkt war, ein Umstand, auf den die Schulleitung Einfluss nehmen kann. Dworkin berichtet (Dworkin 1994, S. 5923) von einer Studie, in der das Ausmaß von Burnout bei Lehrpersonen gemessen worden ist, und zwar in Abhängigkeit davon, ob die Lehrer einer Schule mit einer Schulleitung arbeiten mussten, die als unterstützend oder als nicht-unterstützend eingeschätzt wurde. Das Burnout-Niveau von Lehrern in Schulen mit unterstützenden Schulleitern – unabhängig davon, ob sie durch einen hohen Standard an Verwaltungstätigkeit belastet waren oder nicht – war niedriger als mit nicht-unterstützenden Schulleitern (bei gleich hohem Berufsstress in beiden Gruppen der Schulen). Wenn aber Burnout in Schulen mit unterstützenden Schulleiten deutlich auftrat, dann waren eher individuelle Lehrer-Merkmale auffällig als Berufsstress. Die unterstützende Schulleitung "durchbricht die funktionale Verbindung zwischen Stress und Burnout" (S. 63). Lehrer in Schulen mit unterstützenden Schulleitern berichteten seltener und weniger von schweren Erkrankungen als solche in Schulen mit nicht-unterstützenden Schulleitern. In einer Vergleichsanalyse zeigte sich eine deutliche Wirkung der Unterstützung der Schulleiter auf niedrigere Krankheitswerte, die für die Unterstützung durch die Kollegien nicht ermittelt werden konnte. Beide Studien belegen, dass Lehrer mit Schulleitern, die als unterstützend gelten, niedrigere Grade von Burnout und Erkrankung berichteten. Die stärkere Wirkung der Schulleiter stützt das wirtschaftliche Argument, dass ein Training zur Förderung günstigen Leitungsverhaltens der vergleichsweise kleinen Zahl von Schulleitern erheblich weniger kostet als das direkte Training Tausender von Lehrpersonen in ihrer Bewältigungskompetenz. In unserer eigenen Studie zur Lehrer-Schulleiter-Relation wurden an einer Teilstichprobe von 860 Lehrpersonen u. a. die folgenden Befunde erhoben:
16,7% finden das Schulklima schlecht, 13,0% meinen, dass die Schulleitung sie unvollständig informiert, 22,9% sind der Auffassung, dass sie gerne befiehlt,
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5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule 20,8%, dass sie Änderungsvorschläge ohne Begründung zurückweist, 22,2%, dass die Schulleitung Arbeitsgebiete und Aufgaben der Kollegen ändert, ohne es vorher besprochen zu haben, 26,7%, dass die Schulleitung ohne Absprache mit dem Kollegium Entscheidungen trifft, 74,3% beklagen, dass sie bei wichtigen Entscheidungen nicht die Zustimmung des Kollegiums einholt, 72,9% geben an, dass sie die Lehrkräfte nicht als gleichberechtigte Partner behandelt (wozu sie laut Dienstordnung verpflichtet ist), 70,1% geben an, nicht unterstützt zu werden.
Die Frage nach der Wahrnehmung von Gerechtigkeit i. S. des Equity-Prinzips bejahten nur 34,7%. Einen Bruch des Psychologischen Vertrages haben 39% der Lehrer wahrgenommen, keinen Bruch 23,6%. Die Daten bestätigen z. T. die Angaben von Rudow, wonach 78,3% unzufrieden mit dem Führungsstil der Schulleitung sind und über aktuelle Konflikte mit der Leitung klagen; über die Einschränkung des Entscheidungs- und Handlungsspielraums klagen 75%; über zeitweise Überforderung in bestimmten Zeitabschnitten im Schuljahr 70%; fehlende/ unzureichende soziale Hilfe 66,6%; über Rechtfertigungsdruck eigener Entscheidungen 56,6%, unzureichende Wertschätzung eigener Arbeit 50% und Verantwortungsdruck 46,6 % (Rudow 1994, S. 86, Tab. 11). Wir fanden, dass die einzelnen Schulen in mehreren Merkmalen (Lehrerbelastung, Unterstützung durch die Schulleitung, berufliche Zufriedenheit, Erschöpfung u. a.) erhebliche Unterschiede aufweisen (Kapitel 4.3.5 dieses Bandes). Als Ursache dafür sind wesentlich die Schulleitungen anzusehen. Als Grund für Unzufriedenheit und Disengagement werden gelegentlich relativ einmalige Ereignisse genannt: Einer Klasse wurde von der Schulbehörde eine Schülerin altersgemäß, jedoch ohne hinreichende Sprachkenntnisse zugewiesen. Einem Lehrer wird der Besuch eines Theaterstücks mit seinen Schülern verwehrt (Quelle: Zitate von Lehrern). Van Dick u. a. (1999) befragten 424 Lehrer unter anderem über erfahrene praktische und emotionale Unterstützung durch Kollegium, Schulleitung, Schüler sowie privat. Unter den zahlreichen Ergebnissen ist für uns besonders interessant die hohe kompensatorische Wirkung, die von der Schulleitung ausgeht, d. h. bei hoher Unterstützung seitens der Schulleitung wurden Beschwerden als vergleichsweise niedrig berichtet. Insgesamt erweist sich die Schulleitung als die wirkungsvollste Unterstützungsquelle. Mittels unserer vergleichsweise sehr viel größeren Untersuchungsgruppe kann dieser Befund voll bestätigt werden: In Abbildung 5.3 wird das Ausmaß des Disengagements in Abhängigkeit vom Grad der Unterstützung durch die Schulleitungen dargestellt. Sie demonstriert das erwartete Ergebnis, dass die Tendenz der Lehrkräfte zum Disengagement geringer war, je stärker sie von der Schulleitung Unterstützung erfahren hatten.
5.2 Soziale Bedingungen
155
Abbildung 5.3 : Prozentualer Anteil: Unterstützung durch die Schulleitung Kündigende, der vielleicht kündigende und der nicht kündigende Lehrer (SL).
100% 90% 80% 70%
52,8 75,5
60%
86,7
50% 40% 30%
31
20% 10%
16,2
0%
18,2
10,2
6,3
3,1
SL unterstützen nicht SL unterstützen selten
L kündigen
vielleicht
SL unterstützen oft/ immer
L kündigen nicht
Wenn aber die Schulleitung fundamentale Führungsmängel aufweist, kann sie die stärkste Quelle für eine Innere Kündigung sein. Beim Vergleich der belastenden Wirkungen von Klassengröße, Arbeitsstunden, Schülerverhalten und Verhalten der Schulleitung schneidet diese am schlechtesten ab. Die statistische Prüfung erfolgte an zwei unabhängigen Stichproben (N1 = 115; N2 = 525 Lehrer) mittels einer statistischen Strukturanalyse (AMOS) bzw. mit einer Diskriminanzanalyse. Dargestellt wird in Abbildung 5.4 das Verhältnis der anteiligen Wirkung (Koeffizienten) der vier Belastungsfaktoren. Gut zu erkennen ist die relativ hohe Wirkung des Verhaltens der Schulleitungen (Säulen 3) und der Schüler (Säulen 2), und die vergleichsweise unbedeutende Wirkung von Arbeitsaufwand (1) und Klassengröße (4) auf Disengagement und Innere Kündigung.
156
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
Abbildung 5.4: Das Verhältnis der Wirkungen von Belastungsfaktoren auf das Disengagement in 2 unabhängigen Studien 20 15 10 5 0 1
2 Studie I
3
4
Studie II
Anmerkung: 1 = Arbeitsstunden; 2 = Schülerverhalten aus Lehrersicht; 3 = Verhalten der Schulleitungen; 4 = Klassengröße. Die statistische Prüfung erfolgte an zwei unabhängigen Stichproben mittels einer statistischen Strukturanalyse (AMOS) bzw. mit einer Diskriminanzanalyse. Auf die Darlegung der Statistik-Daten haben wir hier verzichtet.
5.3 Personale Arbeitsbedingungen 5.3 Personale Arbeitsbedingungen 5.3.1 Allgemeine personale Arbeitsbedingungen Mit dem Ausdruck „personale Arbeitsbedingungen“ wird die Gesamtheit der zur Erfüllung des pädagogischen Arbeitsauftrags nötigen physischen und psychischen Merkmale einer Lehrperson bezeichnet. Dazu gehören Gesundheitszustand, Einstellungen, Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Vorerfahrungen sowie persönlichkeitstypische, habituelle Leistungsvoraussetzungen (Intelligenz, Anpassungsvermögen usw.). Hier werden nur jene Merkmale behandelt, für die gesicherte Daten vorliegen. Zuvor eine kurze Reflektion zum Wertewandel: Die intrapersonale oder SelbstKontrolle in Form von Werthaltungen und Einstellungen beziehen sich auf das Verhalten und Handeln der Lehrpersonen. Werthaltungen, Einstellungen usw. werden durch den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel verändert. Die derzeitigen Veränderungen während der Krisensituation in Wirtschaft und Finanzen wirken sich auch auf den Zustand der betrieblichen Arbeitsbedingungen (Zustand der Gebäude und technische Ausstattung) noch negativer in den Schulen aus, als das bisher der Fall war. Diese negative Entwicklung verstärkt das Gefühl einer geringen Anerkennung und Wertschätzung durch die Gesellschaft, das unter Lehrern seit langem weit verbreitet ist. Das ist ein weiterer protektiver Faktor des Disengagements. Aber dass das Image der Lehrer, gemessen etwa anhand der Daten der Berufsprestige-Skala des
5.3 Personale Arbeitsbedingungen
157
Demoskopischen Institutes Allensbach, eigentlich gar nicht so schlecht ist, hat bisher kaum ein Lehrer bzw. Lehrer-Verbandsvertreter bemerkt. Bis in die 70er Jahre waren Werthaltungen wie Präzision, Pflichterfüllung, Pünktlichkeit und Fleiß für die meisten Arbeitnehmer einschließlich der Lehrer wichtig; diese Werthaltungen wurden abgelöst oder erweitert, je nach Perspektive, von kommunikativen Tugenden wie Teamfähigkeit, Offenheit und Durchsetzungsfähigkeit (Literatur bei Löhnert, 1990, S. 97f). Für viele Lehramtsanwärter sind materielle Werte, beispielsweise ein sicherer Arbeitsplatz, wegen der prekären wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft (Bedürfnisse nach Überleben und Sicherheit) wichtiger als ideelle Werte bzw. Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Autonomie, Selbstachtung, Selbsterfüllung und Selbstentfaltung im pädagogischen Arbeitsbereich. Bezüglich des Lehrerberufs resultiert die neueste Entwicklung in einer Flucht in den Beamtenstatus mit seinem sicheren Arbeitsplatz, gleichgültig, ob man als Pädagoge geeignet ist oder nicht. Viele – darunter viele sog. Quereinsteiger – glauben aus ihrer Schüler-Erfahrung zu wissen, was eine Lehrkraft zu tun hat. Deshalb messen sie nicht allzu viel Bedeutung der pädagogischen und psychologischen Ausbildung bei. Somit gelangen junge Menschen in den Lehrerberuf, die von vornherein distanziert zum Arbeitsplatz Schule, zur pädagogischen Arbeitstätigkeit und zu den Schülern stehen. Zum Erlernen der Mechanismen der Vermeidung von Kontrollverlust ist der Weg nicht weit. Die folgenden personalen Probleme sind besonders deutlich:
Die pädagogischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der jungen Lehrkräfte entsprechen aufgrund einer berufsfernen pädagogischen Ausbildung oft nicht den schulischen Anforderungen. Die in der schulischen Situation vorgefundenen Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung entsprechen nicht der Bedürfnisintensität und Bedürfnisqualität der Lehrerschaft. Erschwerend wirken eine abstrakte Fremdkontrolle durch Erlasse des zuständigen Ministeriums und seiner nachgeordneten Dienststellen. Auch die Schulaufsicht und Schulleitung, Quelle häufiger Fehler bei der Personalführung, werden als hinderliche Fremdkontrolle wahrgenommen.
5.3.2 Leistungsvoraussetzungen: Ausbildung und Können In der Lehrerausbildung wird von den meisten Experten seit langer Zeit ein erheblicher Reformbedarf gesehen (u. a. Ulich, 1996a,b, Terhart, 2000, 2003; GEW, 2003; Döbrich et al., 2003; Christ et al., 2004; Rauin & Maier, 2007; Beck et al., 2007; Rauin, 2008). Die Lehrerausbildung ist bis zum Ersten Staatsexamen weitestgehend den Universitäten überlassen, wenn auch die globalen Lehrziele (z. B. „Lernpsychologie“) vom Ministerium vorgegeben werden. Im Gegensatz zum OECD-Bericht (2004, Absatz 99) kann in dieser Phase von einer Kontrolle durch die Schuladministration nicht die Rede sein. Erst in der
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5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
zweiten Ausbildungsphase (während des Referendariats) ist diese Kontrolle stark. In dieser Phase könnte die Schuladministration auf die Bedürfnisse der Schulen in Zeiten raschen Wandels reagieren, falls sie anpassungsfähig und innovationsoffen wäre. Nach aller Erfahrung reagiert dieser Verwaltungsapparat schwerfällig, bei der Einstellungspraxis (im Bereich berufliche Schulen in den 90er Jahren) hilflos – vermutlich wegen seiner straffen hierarchischen Organisation. Zum beruflichen Selbstbild seiner Beamten gehört sicher Innovation, jedoch nur nach Anweisung. Dieser institutionelle Rahmen bietet zwar „eine außergewöhnliche Gelegenheit zur unmittelbaren Verknüpfung wichtiger Teile der Lehrerausbildung mit der Schulpraxis ...“ (ebd., Absatz 100), aber de facto existiert diese Verknüpfung nicht zwischen den Agenden der ersten und der zweiten Ausbildungsphase, d. h. zwischen Universität und Studienseminar. Ein Grund liegt darin, dass die Universitäten fast ausschließlich Forschungsinteressen verfolgen und bei Rankings auch eher an Forschungsergebnissen gemessen werden. Die Lehrerausbildung erfolgt an vielen Orten „nebenher“. Erst in allerjüngster Zeit können Aktivitäten zur Überwindung dieses Defizits beobachtet werden. Aber auch die Einrichtung von „Didaktikzentren“ oder „Schools of Education“ werden keine Verbesserung bewirken, wenn Psychologen nicht aktiv beteiligt sind und wenn eine praxisnahe Grundausbildung in Handlungs-Psychologie nicht zentral verankert ist. Das allgemeine Ziel der Lehrerausbildung muss darin bestehen, dass Lehrer die Folgen ihres unterrichtlichen Handelns und Verhaltens im wesentlichen kalkulieren können. Wenn einer Lehrkraft eine Wirkung gelingt, dann sollte sie wissen, warum dieser Effekt eingetreten ist (Beispiel: ein Schüler arbeitet mit, der vorher nicht mitgearbeitet hat, und vice versa). Die psychosozialen Regeln oder Gesetzmäßigkeiten ihrer Maßnahmen und ihres Handelns müssen ihr bekannt sein. Wenn eine Lehrkraft handelt, sollte sie wissen, warum sie in dieser bestimmten Situation so und nicht anders handeln sollte, um mit hoher Wahrscheinlichkeit das zu erreichen, was sie erreichen möchte. Ein Schema ist beispielsweise das Wissen, wie man ein Restaurant betritt und eine Bestellung aufgibt. Eine professionelle Lehrkraft muss über situationsgeleitete (prozessuale) Handlungsschemata verfügen. Sie müsste das Wie und Warum ihres Handelns und Verhaltens, auch das der Schüler, mit den theoretischen Instrumenten der Pädagogischen Psychologie hinreichend klar erklären können – und falls sie den Zusammenhang von Handeln und Konsequenz nicht erklären kann, muss sie erklären können, warum das in diesem Fall nicht möglich ist. Diese Fähigkeit ist das, was wir die Selbstwirksamkeit von Lehrpersonen nennen. M. a. W., es muss Lehrern möglich sein, zu erklären, warum sie die Kontrolle über die Konsequenzen ihres Verhaltens haben oder – im negativen Fall – warum sie die Kontrolle verloren haben. Genau das macht im Kern die soziale Kompetenz von Lehrkräften aus, und genau das wird – mit Ausnahmen – nicht vermittelt. Wenn man Lehramtsstudierende der Examensemester, Studienabsolventen oder Referendare fragt, was sie im erziehungswissenschaftlichem Studium für ihren nunmehrigen Lebensabschnitt und speziell für den Umgang mit Schülern an praktischen
5.3 Personale Arbeitsbedingungen
159
Kompetenzen gelernt haben, erhält man durchweg keine ermutigenden Antworten. Folgerichtig fühlen sich fast alle bei dem Gedanken, demnächst vor der Klasse stehen zu müssen, unsicher. Zwar haben die meisten Studierenden im ersten Studienabschnitt im Rahmen der Lehrveranstaltungen zum Beispiel in Lernpsychologie Vorlesungen über Lernformen gehört, über den Aufbau des Gedächtnisapparates und die Funktionen des Gedächtnisses, über Bedingungen des Vergessens und Gedächtnishemmungen usw. usf. und auch in Sozialpsychologie über Konflikte, ihre Entstehung, Formen, Maßnahmen zur Vorbeugung und zur Bewältigung. Doch für den Transfer in die praktische Anwendung wird wenig getan. Dies mag u. a. daran liegen, dass vielen akademischen Lehrern der Bezug zur Schulpraxis fehlt, aber vor allem daran, dass die Lehrkapazitäten fehlen. Die nötige Kommunikation an den Schnittstellen zwischen den Lehrstühlen und engagierten Praktikern ist allerdings auch die Ausnahme. Auch die Hoffnung trog, im Rahmen der Pädagogik und Didaktik etwas über die Anwendung der Gesetze und Prinzipien der Psychodynamik und der soziopsychischen Prozesse im schulischen Bereich zu lernen. In den höheren erziehungswissenschaftlichen Semestern war ein Bezug auf die psychologischen Grundlagen und auf die psychischen Mechanismen und Prinzipien für die wenigsten erkennbar. Bezüglich der Einwirkung auf die Lernprozesse und deren Steuerung beschränkt man sich auf „die Anregung von Lernen“. Wenn man dagegen die Forderungen, die aus den von den Kultusministerien erstellten Lehrplänen resultieren, ansieht, dann wird rasch das Dilemma der angehenden Lehrkräfte deutlich. Sie wurden auf Mythen vorbereitet, nicht auf die Realität. Denn dort haben sie in relativ kurzer Zeit für Lerneffekte zu sorgen. In einer Befragung künftiger Gymnasiallehrer gaben Studierende und Referendare einmütig an, dass sie für ihren Beruf von den Fachwissenschaften, aber nicht von den fachdidaktischen und „schon gar nicht“ von den erziehungswissenschaftlichen Studien profitiert haben. 91% der Referendare, die sich nicht gut auf die nun obliegenden Aufgaben vorbereitet sehen, begründen dies mit Defiziten in fachdidaktischer und vor allem allgemein-pädagogischer Ausbildung (Lersch, 2006, S.171 ff). Alle wünschen in den Erziehungswissenschaften „weniger Theorie und mehr Praxisbezug“ (S. 176). Eine gute fachdidaktische Ausbildung erhalten zu haben, verneinen 67%; von deren Wichtigkeit sind jedoch „alle Befragten zutiefst überzeugt“, nämlich Studierende zu 99% und Referendare zu 93% (177). Die wörtlichen Zitate von Betroffenen zur Ausbildung, die Ulich (1996a) mitteilte, gelten bis heute unverändert. Am meisten wird der fehlende Praxisbezug der Ausbildung, sogar während des Referendariats, bemängelt. Nur ein Drittel der Studierenden haben ihre Lehrpersonen, bei denen sie ein Praktikum absolvierten, als Profis bewertet (Sonderegger, 2008). Das ist keine ermutigende Beobachtung. So überrascht es nicht, wenn das Referendariat als der Abschnitt der Lehrerausbildung mit den stärksten Belastungen gilt (Christ, van Dick, Wagner, 2004, 113 ff). Auf der Suche nach weiteren Gründen für diesen negativen Befund könnte man meinen, dass die befragten Auszubildenden nicht gut genug studiert haben. Aber kann
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diese Annahme überhaupt auf alle zutreffen? Nein, denn es müsste wenigstens eine Minderheit mit guten Studienergebnissen geben. Folglich kann die gesuchte Ursache nicht einfach nur bei den Studierenden und Anwärtern zu finden sein. Auf der Suche nach Gründen kommt uns die neuere pädagogische Forschung zu Hilfe. Der Züricher Erziehungswissenschaftler Fritz Oser hat eine empirische Untersuchung zum Kompetenzerwerb in der Lehrerbildung vorgelegt. Er entwickelte Kompetenzprofile oder Standards für zwölf Bereiche des Lehrerhandelns, dazu gehörten beispielsweise "Lehrer-Schüler-Beziehungen mit fördernder Rückmeldung", "Diagnose von Lernergebnissen und darauf aufbauendes unterstützendes Handeln" oder "Umgang mit Disziplinproblemen und Schülerrisiken". Das entscheidende Ergebnis der Studie ist, dass auf nur wenige der beruflich relevanten Bereiche vorbereitet wird – und auf diese nur unzureichend, und dass die Ausbildung beliebig ist (Oser & Oelkers , 2001). Damit wurden die Klagen der Studienabsolventen und Referendare – zumindest für die Schweiz – bestätigt. Die Studie hat einen heilsamen Schock ausgelöst. Es folgten weitere Studien zur Lehramtsausbildung, auch in Österreich und in Deutschland. In einer Längsschnittstudie eines kompletten Jahrgangs der Absolventen der pädagogischen Akademien in Österreich (Mayr, 2006) gaben 19% von 500 ehemaligen Studierenden drei Jahre nach Beendigung des Studiums an, über „unterschiedliche Fälle von Disziplinprobleme zu regeln“ „gar nichts gehört“ hätten, 45% hätten nur theoretisch davon gehört. Darüber, wie man spezifische Lernprobleme diagnostizieren kann, hatten 18% „gar nichts gehört“, 52% sich nur theoretisch damit beschäftigt. Was für eine valide Ausbildung erforderlich wäre, so der Autor, nämlich die Vertiefung durch Verbindung von „Theorie, Übung und intensiver Auseinandersetzung in der Praxis“, hätten jeweils nur 1-2% erlebt, d. h. nur von ihnen kann man annehmen, dass sie die entsprechende Kompetenz beherrschen (S. 157). Folgerichtig fordern die deutschen Studienabsolventen in der o. g. Untersuchung von Lersch mehr Schulpädagogik, Didaktik und Psychologie in den erziehungswissenschaftlichen Studien (S. 174). Insgesamt muss festgestellt werden, dass die erziehungswissenschaftlichen Studien den künftigen Lehrern nicht die Kompetenzen vermitteln, die sie zur erfolgreichen Ausübung ihres Berufes benötigen. So darf sich niemand wundern, dass so viele Lehrpersonen überfordert sind, auch nicht, dass die Einsicht in die eigene Unfähigkeit weitgehend fehlt, da über das dazu nötige Wissen nicht verfügt wird. Oft wird der Mangel an Professionalität, der den Lehrern nicht angelastet werden kann, m .a. W. der Mangel an Techniken der Einflussnahme, beispielsweise die Unfähigkeit zu motivieren, nicht auf die eigene Unfähigkeit, sondern auf die Schüler als die Ursache von Störungen attribuiert. Das angeblich negative Klischee, das den Medien angelastet wird, hat offenkundig reale Gründe. So lange in der Pädagogik das TechnologieVerdikt vorherrscht, wie Tenorth (2006) belegt hat, fehlt ein Konsens über die Ausbildung und es kann kein verbindlicher Berufskodex entstehen. Während des Lehramtsstudiums findet im Bereich der Erziehungswissenschaften keinerlei Auswahl statt. Die ersten Auswahlverfahren sind das Erste und das Zweite
5.3 Personale Arbeitsbedingungen
161
Staatsexamen. Betrachtet man die Prozeduren der Auswahl von Lehrkräften und die Qualitätsprüfung ihrer Arbeit genauer, dann wird ein bislang zwar allgemein bekanntes aber zu selten beachtetes Problem, auf das Rauin (2008) verwies, sichtbar: Verbindliche Gütemaßstäbe und darauf aufbauende Verfahren der Beurteilung ihrer Leistungen gibt es derzeit nicht, obwohl sie seit längerer Zeit verfügbar wären (dazu die Arbeiten von Helmke, 2006, 2009; Rauin, 2008). Das betrifft sowohl die genannten Staatsexamen als auch die Beurteilung der Lehrproben und die sonstigen Beurteilungen durch Schulleiter/innen, Betreuungslehrer, Seminarleiter usw. und Schulräte. Die Einstellung neuer Lehrkräfte hängt mehr von der jeweiligen Bewerberlage für Schulstufen oder Fächer ab, als von beruflich relevanten Kriterien der Eignung. Besteht Mangel an Lehrkräften für bestimmte Fächerkombinationen, muss oft ein fachfremder Lehrer, auch ein Referendar, den Unterricht geben. Dieses unzureichende Verfahren, so Rauin, hat langfristige negative Wirkungen, weil zu oft geeignete Bewerber abgewiesen und häufig weniger geeignete Bewerber eingestellt werden, die dann über viele Jahre die Arbeit an Schulen belasten. Rationale Entscheidungen wären aber nur möglich, wenn sachlich begründete und graduierbare Kriterien für die Qualität der Lehrerarbeit vorlägen und wenn Bewerber anhand dieser Kriterien überprüft werden könnten. Diese existieren aber nicht. Bereits die Referendare werden verwirrt, weil ihre Lehrproben in den verschiedenen Schul-Bezirken nach den individuellen Kriterien der Beurteiler, mangels vereinbarter Standards, oft völlig unterschiedlich bewertet werden, so dass sie nicht wissen können, was denn nun richtig wäre und was nicht. Von vielen wird hier der erste Schritt in den inneren Rückzug vollzogen. Aber auch die fachliche Ausbildung ist nicht immer angemessen. Beispiel Berufsschule: Zum Studium für das höhere Lehramt an beruflichen Schulen haben die Studierenden sich für zwei Fächer zu entscheiden. Ein Fach muss einem gewerblichen Berufsfeld angehören (z. B. Metalltechnik, Bau- und Holztechnik, Elektrotechnik, Hauswirtschaft) und verleiht die Lehrberechtigung in allen beruflichen Schulen und allen Berufen dieses Berufsfelds. Ein zweites Fach kann entweder ebenfalls ein gewerbliches Berufsfeld umfassen oder ein wissenschaftliches Fach (z. B. Deutsch, Sozialkunde, Mathematik, Physik) und verleiht die Lehrberechtigung für dieses Fach in allen weiterführenden Schulen einschließlich Sekundarstufe 2. Hat der Kandidat eine Berufsausbildung abgeschlossen, sich in diesem Beruf persönlich immer auf dem aktuellen Stand gehalten, während seiner Referendarzeit vornehmlich in Klassen seines Berufs unterrichtet und erhält er anschließend entsprechende Klassen, so sind fachlich keine Probleme zu erwarten. Problematischer sieht es für angehende Lehrer ohne Berufsausbildung aus. Sie müssen zwar berufliche Praktika nachweisen, die Qualität dieser Praktika ist jedoch höchst unterschiedlich. Während des Studiums erfolgen die Lehrveranstaltungen häufig zusammen mit Studenten von Diplom-Studiengängen auf einem Niveau, das jeden Bezug zum Berufsalltag und den Berufsanforderungen des Facharbeiters oder auch des Industriemeisters oder Technikers vermissen lässt. Noch größer werden die Probleme, wenn es um die Diversifizierung der Berufe innerhalb eines Berufsfelds
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5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
geht. Der Bereich Bau-/Holztechnik beispielsweise umfasst zur Zeit ca. 20 Ausbildungsberufe, vom Stuckateur bis zum Gestalter für visuelles Marketing, vom Schreiner bis zum Fliesenleger. Es handelt sich hierbei um hoch spezialisierte Berufe; die meisten wurden während des Studiums nicht einmal erwähnt. Der junge Studienrat, der vor einer solchen Klasse steht, schafft es nur in den seltensten Fällen, sich in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit in die Materie einzuarbeiten. Die Angst jedes Einsteigers ist der mit Sicherheit zu erwartende Kommentar eines Schülers: „Wir machen das in der Firma ganz anders“. Aus der Erfahrung eines Lehrers mit der Fächerkombination Bautechnik/ Mathematik: „Mir ist das noch als alt gedientem Lehrer passiert: Fachrechnen bei Fliesenlegern, Datenbanken bei Fachinformatikern“. Hinzu kommt, dass die Schule mit der raschen Entwicklung der Technik im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft selten mithalten kann. Die Schüler kennen die neueste Methode, soeben in der Firma eingeführt, die Lehrkraft nicht. Es sei denn, sie unterhält einen engen persönlichen Kontakt zu diversen Firmen in der örtlichen Umgegend, so dass sie die Möglichkeit erhält, sich ständig vor Ort über den neuesten technologischen Stand zu orientieren. Das mangelhafte Können mancher Lehrkräfte im Umgang mit Schülern ist erschreckend. In der Studie zum negativen Lehrerverhalten (Schmitz et al., 2006) findet sich eine Menge von Negativ-Beispielen – und man findet sie immer wieder. Eine Lehrerin, Grundschule, 4. Klasse, ist erbost, weil ihre Schüler unruhiger sind als die Schülerinnen. Geschlechtsspezifische entwicklungsbedingte Bedürfnisse sind ihr offenkundig unbekannt. Als Strafe hat sie sich etwas Besonderes ausgedacht: Wenn die Jungen wieder einmal unruhig sind, bestraft sie Jungen und Mädchen mit dem Ausfall der Sportstunde. Wer kann sich eine dümmere individuelle Theorie vorstellen?
5.3.3 Technologiedefizit-Hypothese und Hilflosigkeit Das Technologiedefizit behindert die Handlungspraxis tätiger Lehrer und die Ausbildung. Worum geht es? Aus professionstheoretischer Sicht ist die Anforderungsstruktur professioneller Handlungspraxis durch „Ungewissheit“ hinsichtlich der Dynamik der Situation, hinsichtlich der zu wählenden Strategie und des mutmaßlichen Ausgangs geprägt. „Die Konfrontation mit Ungewissheit als einem Merkmal professioneller Praxis geht aus systemtheoretischer Perspektive einher mit dem für soziale Systeme charakteristischen, strukturell bedingten Technologiedefizit.“, führt Ophardt (2006, S.23f) aus unter Bezug auf die Systemtheorie Luhmanns, wonach es für soziale Systeme keine „ausreichende Kausalgesetzlichkeit“ gäbe, „da es ... keine Kausalpläne der Natur gibt, gibt es auch keine objektive Technologie, die man nur erkennen und dann anwenden müsste“, und Ophardt weiter: Der Umgang damit werde „dadurch verkompliziert, dass Akteure im sozialen System trotz der Irrelevanz objektiver Zusammenhänge auf der Basis von subjektiven ‚Kausalplänen’ handeln“, die im Grunde falsche Vereinfachungen darstellten. Folglich bliebe nur noch die Reflektion als zentraler Bestandteil von Professionalität. Reflektionskompetenz sei als Schlüsselkompetenz der
5.3 Personale Arbeitsbedingungen
163
professionellen Handlungspraxis aufzufassen. Die Profi-Klient-Dyade, die als professionelles Arbeitsbündnis auf reziproker Kooperation und wechselseitigem Vertrauen beruhe, sei in Bezug auf die Leistungserbringung von einer „durch ein Technologiedefizit geprägte Ungewissheit“ gekennzeichnet (a.a.O., 44). Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die tätige Lehrkraft soziale Systeme planvoll gestalten kann. Lehrer sind nicht einfach Elemente der Natur sozialer Systeme. Vielmehr können sie kausalgesetzlich, selbst Teil eines Systems, in dessen Gestaltung einwirken. Voraussetzung ist die Verfügbarkeit einer wirkungsvollen Technologie. Die Ablehnung von Technologie ist offenkundig ein seit langem mit der Pädagogik als Wissenschaft verknüpftes traditionelles Motiv. Das – zweifellos vorhandene – Technologieproblem wird nach einem Urteil von Luhmann „als Technologieverdikt traditionsfähig gemacht und habitualisiert“ (zit. n. Ophardt, a.a.O., 47). Zur Verblüffung vieler wird dieses Verdikt bis heute ernsthaft vertreten. Die Technologiedefizit-Hypothese ist kritisch zu hinterfragen: Bei ihrer Begründung aus professionstheoretischer Perspektive handelt es sich um eine intendierte theoretische Rekonstruktion. Eine solche hat, sofern sie dem Erkenntnisgewinn dienen soll, die Anforderungen einer logischen Ableitung zu erfüllen. Die Begründung der Technologiedefizit-Hypothese enthält logische Widersprüche und unklare Prämissen:
Unklar ist die Beziehung von „Ungewissheit“ und Technologiedefizit. Wenn Ungewissheit mit Technologiedefizit „einhergeht“ (S. 23), ist sie dann ursächlich für das Technologiedefizit oder ist umgekehrt Ungewissheit die Folge, da durch ein Technologiedefizit „geprägt“ (S. 44). Wegen dieser Unklarheiten ist die ganze Argumentation unschlüssig. Die Behauptung eines Technologiedefizits professioneller Handlungspraxis ist auf einen empirischen Sachverhalt bezogen. In der Kausallogik muss wenigstens eine Prämisse einen empirisch belegten Sachverhalt beinhalten und eine weitere eine gesetzesähnliche Zusammenhangsaussage. Die Existenz eines empirischen Sachverhalts kann also nicht durch eine rein theoretische Rekonstruktion bewiesen werden. Der Versuch, einen empirischen Bezug durch die Behauptung herzustellen, dass es für soziale Systeme keine ausreichende (was immer das heißen soll) Kausalgesetzlichkeit gäbe, ist gescheitert, denn diese Behauptung ist empirisch nicht gestützt; sie ist aus der Theorie Luhmanns abgeleitet und stellt deshalb bestenfalls eine theoretische Hypothese dar. Die Aussage, dass es für soziale Systeme keine Kausalgesetzlichkeit gäbe, ist durch zahlreiche empirische Befunde aus der Sozialpsychologie widerlegt, die entweder Kausalgesetze oder gesetzesähnliche Zusammenhangsaussagen stützen. Selbstverständlich lassen sich aus beobachteten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen bzw. Ursache-Wirkungs-Kontingenzen sowohl in sozialen als auch in personalen Systemen Handlungs-Schemata entwerfen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Zielerreichung führen.
164
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
Das Technologieverdikt ist offensichtlich falsch. Praktizierende Pädagogen halten es ohnehin für Unsinn. Das Technologieverdikt hat aber dazu geführt, dass die Pädagogik ein Technologieproblem hat. Sie hat es versäumt, pädagogische, handwerkliche Technologien zu entwickeln und zu gestalten. Ein Grund dafür liegt darin, dass manche Universitäts-Pädagogen sich nicht in der Lage fühlen, die Psychologie mit ihren zahlreichen Erkenntnissen als Grundlagenwissenschaft der Pädagogik zu akzeptieren. Das Technologiedefizit ist Resultat eines Rezeptionsdefizits. Die vorhandenen Ressourcen der Psychologie – man denke nur an die Lehrbücher für die Lehrerausbildung (z. B. Lukesch, 2001) – werden weitgehend ignoriert. Die Pädagogik versäumt es, darauf aufzubauen. Offenkundig liegen bei manchen Kollegen psychische Widerstände vor. Die Folgen sind an der Hilflosigkeit, Unwirksamkeit und Überforderung nicht nur der Berufsanfänger, sondern auch vieler Lehrkräfte zu erkennen.
5.3.4 Lehrer als ‚Einzelkämpfer’ Der Lehrerberuf ist ein Interaktionsberuf. Lehrer sollten in der Gestaltung von Interaktionen ausgebildet sein. Aber eine harmonische Zusammenarbeit unter Kollegen im Lehrerberuf ist schon aufgrund des Systems nicht selbstverständlich. Der Grund liegt darin, dass Lehrkräfte die meiste Zeit als Einzelperson vor einer Gruppe von Schülern agieren. Die Kollegen sieht man, abgesehen von den gemeinsamen Konferenzen, in den kurzen Pausen im Lehrerzimmer. Da stellt sich jeder auf die nächste Unterrichtsstunde ein. Für Kontakte bleibt kaum Zeit. Auch die Unterrichtsvorbereitungen kann meistens nur jeder für sich selbst tätigen. Eine Abstimmung mit den anderen ist oft nicht nötig und wird auch nicht als nötig erachtet – außer bei modernen Unterrichtsformen wie etwa dem handlungsorientierten Unterricht. Die nach den Rahmenrichtlinien erforderliche Koordination (etwa bei der Beurteilung etc., Gestaltung der Stundenplanung etc.) wird eher als Eingriff in die Unterrichtsautonomie wahrgenommen. Daher ist es wenig überraschend, dass viele Lehrer sich als „Einzelkämpfer“ charakterisieren, wobei der Begriff „Kämpfer“ für sich spricht. Ein Kämpfer hat Gegner. Die „Gegner“ können, je nach Konstellation der individuellen Einbindung, die Schüler sein, Kollegen oder die Schulleitung. In der Konsequenz wurde denn auch folgerichtig der Lehrerberuf als durch „soziale Isolation gekennzeichnet“ charakterisiert (Rothland, 2004, S. 161 ff; Hillert & Schmitz, 2004). Diese Konstellation ist natürlich problematisch und sie birgt Risiken bezüglich der Beziehung zwischen der Lehrperson und den drei Bezugsgruppen der Schüler, Schulleitung und der Kollegen, auch der Eltern bei jüngeren Schülerjahrgängen. Diese drei Bezugsgruppen bzw. sozialen Partner bilden die entscheidenden sozialen Bedingungsfaktoren für die Entstehung von Innerer Kündigung. Nach unserer Theorie des Disengagements durch IK ist die Wahrnehmung eines Bruchs des Psychologischen Vertrags von entscheidender Bedeutung für das Entstehen der IK. Deshalb geht es in diesem Kapitel um den empirischen Beleg der theoretischen Annahme, dass der Bruch des Psychologischen Vertrags, indiziert in der Nicht-
5.4 Reziproke Erwartungen
165
erfüllung von Erwartungen gegenüber den sozialen Partnern, mit der Inneren Kündigung korrespondiert. Das muss aber nicht auf jeden einzelnen Betroffenen zutreffen. Es ist gut vorstellbar, dass jemand aus Gründen, die ausschließlich in seiner eigenen Person liegen, zur IK neigt, und nicht aufgrund von Enttäuschung durch den sozialen Partner.
5.4 Reziproke Erwartungen 5.4 Reziproke Erwartungen 5.4.1 Typische informelle Erwartungen der Schulleiter an Lehrer Die Nicht-Erfüllung der gegenseitigen Erwartungen, als Vertragsbruch wahrgenommen, ob berechtigt oder nicht, werden allgemein als spezielle Bedingung für die Auslösung von IK betrachtet (Echterhoff u. a. 1997; Richter, 1999; Schmitz et al., 2002). Dysfunktionalitäten in den SL-Lehrer-Beziehungen, wie z. B. mögliche Enttäuschung und Disengagement, werden u. a. von (Levinson et al., 1962; Rousseau, 1995; Schmitz, Jehle, Gayler, 2004) dargestellt bzw. erörtert. Die Differenzierung zwischen formalem und psychologischem Vertrag hinsichtlich einzelner gegenseitiger Verpflichtungen ist nicht immer eindeutig, da – wie die formalen Bedingungen zeigen – die Inhalte der Verpflichtungen oft in abstrakter Sprache ausgedrückt werden. Aufgrund unserer Erhebungen an 240 Schulleitern (Schmitz & Voreck, 2006) erwarten diese von ihren Lehrpersonen häufig, dass sie
„Verantwortung“ übernehmen sich für die Schüler engagieren und sie wirksam fördern kollegial zusammenarbeiten verschiedene Unterrichtsmethoden beherrschen eine gewisse Belastungsfähigkeit mitbringen Disziplinverstöße der Schüler nicht tolerieren zusätzliche Arbeit (u. a. Verwaltungsaufgaben) freiwillig übernehmen den Anordnungen voll nachkommen und sie nach außen vertreten sich außerhalb des Unterrichts engagieren.
Hinsichtlich der Kompetenz im Umgang mit den Schülern erwarten Schulleiter von ihren Lehrern, dass sie
ihre Schüler motivieren können, das Prinzip der Verstärkung bzw. der positiven emotionalen Rückmeldung in der Anwendung beherrschen, die Probleme der Gedächtnisinterferenzen (z. B. Ähnlichkeitshemmung) berücksichtigen,
166
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule den Schülern Zusammenhänge gut verstehbar erklären können, verschiedene Unterrichtsmethoden beherrschen, den Unterricht präzise vorbereiten, eine natürliche Autorität ausstrahlen und sich durchsetzen, ohne tadeln und strafen zu müssen, beim Unterrichten eine eigene Kreativität entwickeln.
Ferner äußerten Schulleiter die Erwartungen, dass die Lehrer nicht auf Anweisung warten, nicht überall dreinreden, nicht warten, gelobt zu werden und wichtige Entscheidungen der Schulleitung überlassen. Darin unterscheiden sich Schulleiter verschiedener Schularten nicht (Einzelheiten siehe Kapitel 9). Dagegen zeigen sich deutliche Differenzen zwischen kooperativ führenden und kontrollorientierten Schulleitern (n = 240). Letztere klagen darüber, dass ihre Erwartungen an die Lehrpersonen nicht oder nur teilweise erfüllt werden. Das entscheidende Ergebnis dieser Studie sind die Diskrepanzen zwischen den Erwartungen und der Erfüllung dieser Erwartungen. Diese Diskrepanzen sind in der nächsten Abbildung dargestellt. Bei den kontrollierenden Schulleitern sind die Diskrepanzen deutlich größer als bei den kooperativ führenden Schulleitern. Abbildung 5.5: Erwartung und Erwartungserfüllung Ist-Soll-Diskrepanzen von bei kooperativ führenden vs. kontrollierenden Schulleiterteams.
2 1,5 1 0,5 0 Motiv.
Method.
Mitarb.
kooperativ
Selbst.
L-disz.
Sch-disz.
kontrollorientiert
Anmerkung: Rating (1= trifft überhaupt nicht zu bis 5= trifft voll zu)
Die Erwartungen der kontrollorientierten Schulleiter werden in allen Hauptkomponenten weniger erfüllt als die der kooperativ führenden Schulleiter. Dargestellt sind die Komponenten Motivation (Motiv), Methodenkompetenz (Method), Mitarbeit (Mitarb), Selbständigkeit (Selbst) und Disziplin der Lehrer (L-disz) sowie Disziplin der Schüler (Sch-disz). Die Differenzen sind statistisch bedeutsam. IK tritt unter Schul-
5.4 Reziproke Erwartungen
167
leitern selten auf, aber eine nicht geringe Gruppe zieht sich – ohne innerlich kündigen zu müssen – auf einen kontrollierenden Leitungsstil zurück, anstatt kooperativ und einbindungsorientiert zu führen. Da die meisten Lehrkräfte kooperatives Führen erwarten, liegt hier eine wichtige Ursache für das Disengagement und IK der Lehrer vor.
5.4.2
Typische Erwartungen der Lehrer an die Schulleitungen
(a) Erwartungen von Referendaren Viele Lehrkräfte äußerten in Vorgesprächen und in schriftlichen Vorbefragungen zur vorliegenden Studie, dass ihnen bei Berufsbeginn von der Schulleitung Unterstützung zugesagt worden war, dass sie entsprechend auch Unterstützung von der Schulleitung erwartet hätten, aber dass ihnen lediglich genügend Unterrichtsmaterialien bereit gestellt worden wäre. Anscheinend hatte die Schulleitung unter „Unterstützung“ etwas anderes verstanden als die Referendare. Jene hatten Unterstützung als Loyalität verstanden, diese dachten an konkrete Hilfen in bestimmten Situationen. An so etwas hatten Schulleiter überhaupt nicht gedacht. Im Schulalltag ist das auch eher die Aufgabe der Fachbetreuer. Lehramtskandidaten äußerten oft ziemlich allgemeine, manchmal nebulöse Vorstellungen. Die Schulleitung solle „Charakter“ haben u. ä. und eine „persönliche Autorität“, ihr Verhalten soll korrekt, motivierend, informierend, gerecht, honorierend usw. sein. Andere erwarteten ganz konkret Tipps und Hilfestellung für den Unterricht, Verständnis bei Fehlern, „faire, transparente Noten bei der Beurteilung der Lehrproben (jeder bekommt täglich eine neue Chance)“, die Möglichkeit zur freien, individuellen Unterrichtsgestaltung („Dass mir die Möglichkeit gegeben ist, den Unterricht so zu gestalten, dass ich positiv auf die Schüler eingehen kann, genügend Zeit zum Wiederholen habe, und etwas Spaß und Spiel u. a. in jüngeren Jahrgangsstufen mit einzubringen“) und Unterstützung bei Lehrmittelbeschaffung wie Folien für den Unterricht u. dgl. und Anerkennung, wenn etwas geklappt hat. Alles in Allem sind die Vorstellungen und Erwartungen vieler Berufsanfänger bezüglich der Schulleiter einerseits ziemlich nebulös und zum anderen etwas hoch gegriffen. Dass – abgesehen von seinen anderen Aufgaben – ein Schulleiter in einem Kollegium von 50 Lehrern und mehr damit überfordert wäre, liegt auf der Hand, ist aber auch ein Hinweis dafür, wie wenig Dienstanfänger mit dem Schulalltag vertraut sind. Da kann folgerichtig nur Enttäuschung auftreten. (b) Lehrer-Erwartungen Lehrer haben die Inhalte des Psychologischen Vertrags mit der Schulleitung, das sind ihre Erwartungen an die Schulleitungen, genannt (Schmitz & Voreck 2006). Die wichtigsten werden mitgeteilt. Danach sind Schulleiter aus Lehrersicht informell vertraglich verpflichtet
168
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule zu einem kooperativen und möglichst konfliktfreien Führungsstil, zur Schaffung eines „angenehmen“ Arbeits- und Schulklimas, zur fachlichen Einbindung der Lehrpersonen bei wichtigen Entscheidungen, zur laufenden Information über wichtige Ereignisse, zur „objektiven“ Beurteilung und baldigen Höhergruppierung der Lehrer, zur Gewährung freien Entscheidungs- und Handlungsspielraums, zur Entlastung von Sonderaufgaben, zur lobenden Anerkennung des Arbeitseinsatzes, die Arbeit zu akzeptieren, ohne einen Rechtfertigungsdruck auszuüben, zu Humor und Gelassenheit, zur frühzeitigen Informierung über Wichtiges, zur gleichberechtigten Diskussion schwieriger Probleme, zur Unterstützung neuer pädagogischer Methoden.
Ferner sollen Schulleitungen mehr Beratung anbieten, weniger Kontrolle ausüben, die Kollegialität fördern, kompromissfähig sein, über organisatorische Fähigkeiten verfügen, ihre Entscheidungen transparent machen, den Stundenplan faire gestalten, neue Ideen und Innovationen zulassen, Fortbildung nach freier Wahl ermöglichen, neue Lehrformen mitentwickeln und fördern, die Entwicklung eines Schulprofils initiieren, ihre eigene Tätigkeit hinterfragen, Selbstkritik üben, usw.; auch irrationale Erwartungen wurden genannt: nur „gute“ kleine, angenehme Klassen einrichten, für regelmäßige freie Nachmittage sorgen und keine Arbeit außer der Unterrichtszeit zulassen (Schmitz et al., 2004, S. 69; Schmitz & Voreck, 2006) (Referendare stellen einen Sonderfall dar.). Entscheidend für eine mögliche Verursachung von Disengagement ist die Frage: Wieweit werden die Erwartungen erfüllt bzw. nicht erfüllt? Diese Frage ist theoretisch wichtig. Eine Nichterfüllung wichtiger Erwartungen könnte als Bruch des Psychologischen Vertrags gedeutet werden. Dies könnte den Einstieg in die Entwicklung zu Disengagement und zur IK sein. Die Ergebnisse sind zusammengefasst nach Inhalt (aufgrund einer explorativen Faktorenanalyse der Erwartungen) geordnet. Die Vorstellungen, die unter Erwartung eines kooperativen Führungsstil zusammengefasst werden können, werden zuerst vorgestellt. Hohe Werte bedeuten einen hohen Grad an Erfüllung. Dann würde das bedeuten, dass disengagierte Lehrer ihre Erwartungen durchgängig signifikant weniger erfüllt sehen. Nachdem die Daten quer über die Schulen gehen, also von der Person des Schulleiters unabhängig sind, gibt es m. E. nur zwei Erklärungen:
Die Erwartungen der disengagierten Lehrer sind höher, vielleicht auch unrealistischer als die der engagierten Lehrer Disengagierte Lehrer sind in den Schulalltag weniger integriert oder integrieren sich weniger.
5.4 Reziproke Erwartungen
169
Tabelle 5.4: Erfüllung der Erwartungen zum kooperativen Führungsstil bei Engagierten und Disengagierten (Rating: 1 - 5).
Merkmal Engag. Diseng Über Wichtiges früh informiert 3,38 2,87 Einbindung bei Entscheidungen 3,24 2,61 Anerkennung 3,66 3,06 Kooperative Führung 3,55 2,97 Maßnahmen begründet 3,61 3,07 Rückmeldungen gibt 3,41 2,93
Diff. 0,51 0,62 0,60 0,58 0,53 0,48
Signif*. 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000
ES% 10,2 12,4 12,0 11,6 10,6 9,6
*nonparametrische Tests, ab ES = 10% gilt die Differenz als sehr bedeutend
Anschließend werden zwecks Demonstration die statistischen Parameter von fünf weiteren Erwartungen im Vergleich von engagierten und disengagierten Lehrern tabellarisch vorgestellt. Auffallend ist, dass die Erwartungserfüllung zum kooperativen Führen bei den IK-Lehrern meist unter dem Skalenmittelpnkt von 2,5 (midpoint) und damit im negativen Skalenbereich liegt. Die Differenz macht im Schnitt einen halben Skalenpunkt aus. Das ist eine deutliche Differenz. Abbildung 5.6: Wie weit wird diese Erwartung erfüllt?
4 3 2 1
1
2
3
4
5
Disengag
2,97
2,61
3,06
2,93
3,08
Engag.
3,55
3,27
3,71
3,45
3,63
Ich erwarte von meinem Schulleiter, dass er 1 kooperativ führt 2 mich bei seinen Entscheidungen einbindet 3 meine Leistung wahrnimmt und anerkennt 4 Rückmeldungen gibt 5 Maßnahmen begründet (Mittelwerte, Rating 1-5)
170
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
Tabelle 5.5: Vergleich der engagierten und disengagierten Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Sicht des Schulklimas. Items Mein Schulleiter informiert mich unvollständig
Mittelwerte* Engag Diseng 1,56 2,27
Diff. 0,71
p 0,000
ES% 17,8
Mein Schulleiter befiehlt gern
1,61
2,20
0,59
0,003
14,8
Ich ärgere mich häufig im schulischen Alltag
2,10
2,78
0,68
0,000
17,0
Unser Schulklima halte ich für schlecht
1,33
1,91
0,58
0,000
14,5
In meiner Schule funktionieren nur wenige Dinge richtig
1,51
2,07
0,55
0,000
13,8
Bei mir bleibt viel Unangenehmes hängen
1,87
2,51
0,54
0,000
13,5
Anmerkung: Engag = Engagierte; Diseng = disengagierte, innerlich gekündigte Lehrer. Rating: 1 = nein ... 4 = ja, trifft voll zu. Der Effekt is ab 10% sehr bedeutsam, nonparametrisch.
Wenn man die Erwartungen der Lehrer mit denen der Schulleiter vergleicht, wird erkennbar, wie die Psychologischen Verträge zweifach gegenseitige und oft wenig kompatible Verpflichtungs-Erwartungen enthalten. Es ist unwahrscheinlich, dass einer Partei die Erwartungen der anderen Partei gänzlich bekannt sind. Das wäre zu prüfen. Problematisch ist auch der Beurteilungsmodus, an den die Schulleiter gebunden sind, weil die Beurteilungsbereiche, zumal bezüglich der beförderungswirksamen Funktionen (Beispiel: Bayer. KMBek v. 28.03.2000) keinerlei Kriterien enthalten. Die Lehrer fühlen sich oft fehlbeurteilt. Das ist nicht nur eine „gefühlte“ Fehlbeurteilung, sondern es liegt ein objektiver Grund vor, wenn für die Beurteilungen in einem Kollegium von der Schulaufsicht eine Normalverteilung um einen vorgegebenen Mittelwert verlangt werden. Das ist eine völlig sinnwidrige Maßnahme! Ihr Zweck liegt darin, der Schulaufsicht eine objektive Vergleichbarkeit vorzugaukeln. Das Vorgehen ist nichts weniger als grotesk. Wenn möglicherweise administrativ-kontrollierende Schulleiter eher am Menschenbild eines rational-ökonomischen Typs (Agency-Typ, vgl. Fisch, 2003) orientiert sind, viele Lehrpersonen dagegen am Bild eines Menschen, der nach Einbindung und persönlichen Zielen strebt (Stewardship), könnten weitere Inkompatibilitäten resultieren. Schulleiter können aber auch durch gelegentliche Fahrlässigkeiten die gegenseitige Ausgewogenheit empfindlich stören. So hat eine Schulleiterin einen Stundenplan akzeptiert, wonach eine bestimmte Lehrperson einmal pro Woche zehn Unterrichtsstunden an einem Tag halten musste. Vielleicht war sie formal dazu berechtigt,
5.4 Reziproke Erwartungen
171
kollegial war ihr Verhalten nicht. Möglicherweise hat sie diese Fehlplanung gar nicht so bewusst wahrgenommen, weil sie sich auf den dafür Beauftragten verlassen hat. Aber die Lehrkraft, der die zehn Stunden zugemutet wurden, ärgerte sich ein ganzes Schuljahr lang. Da kann man schon innerlich kündigen.
5.4.3 Erwartungen an die Kollegen und Enttäuschungen In mehreren Studien wird über berufliche Konflikte und Mobbing unter Lehrern berichtet (Thora 2004; Kretschmer 2004, u. a.). Diese deuten stets auf eine Störung der Reziprozität, auf falsche Investitionen und auf Enttäuschungen. Die 1643 Lehrer, davon 1240 Engagierte und 403 innerlich Gekündigte, äußerten sich zu der Aussage: „Ich investiere bei weitem mehr, als ich von den Kollegen zurück bekomme“ im Schnitt eher ablehnend (M: 2,35, sd 1,04) bzw. die IK-Personen tendenziell mit „teils, teils“ (M: 2,69, sd 1,05; Diff.: 0,72; F: 0,73 n.s.; p < .000). Die Aussage: „Meine Erwartungen an sie (die Kollegen) werden meist enttäuscht.“, wurde von den Engagierten mit „eher nicht“ abgelehnt (M: 1,98, sd 0.88), von den Disengagierten ebenfalls tendenziell mit „teils, teils“ (M: 2,37, sd 0,95; Diff.: 0,71, F: 3,85*; p < .000) beantwortet. Die Differenzen betragen jeweils fast einen Skalenwert und sind signifikant und bedeutsam.
5.4.4 Erwartungen an die Schüler und Enttäuschungen Zieht man das Abhängigkeitsverhältnis der Schüler in Betracht, wird klar: Ein Lehrer sollte keinen reziproken Ausgleich von seinen Schülern erwarten, ein Arzt nicht von seinem Patienten, ein Psychologe nicht von seinen Klienten. Ähnliches gilt für viele andere Berufe. Lehramtskandidaten sehen das offenkundig anders: Lehramtskandidaten, die von uns qualitativ befragt wurden, erwarteten von ihren Schülern ziemlich übereinstimmend an erster Stelle Aufmerksamkeit im Unterricht, dann eine lebhafte Mitarbeit und Interesse. Dazu ein Kandidat. „Schüler sind wissbegierig. Deshalb hatte ich erwartet, dass sie im Unterricht mitarbeiten würden.“. Dabei ist der Begriff „Mitarbeit“ häufig nebulös. Oft wurden genannt: Interesse, Neugier, Engagement, Lernbereitschaft u. ä., ferner Aufrichtigkeit, Disziplin, Respekt vor der Lehrperson, auch Mut, Fragen zu stellen und Kooperationsbereitschaft. Ein Kandidat: „Dass sie auf vielleicht ungewohnte (neue) Methoden nicht mit Ablehnung reagieren, sondern sich mit Freude engagieren“. Schließlich wurde erwartet, dass sie die Grundregeln des sozialen Verhaltens beherrschen, gewaltlos im Umgang miteinander seien und Humor mitbringen. Auch Selbständigkeit und Selbstverantwortung wurden genannt. Diese Erwartungen als All-Aussagen verstanden sind ziemlich unrealistisch. Entsprechend werden von
172
5 Bedingungen und Anforderungen am Arbeitsplatz Schule
vielen Referendaren unrealistische Forderungen gestellt. Daher sehen sich viele bereits während ihres Referendariats von ihren Schülern enttäuscht. Tabelle 5.6: Investition in die Schüler Merkmal Engag. Diseng Diff. Signif. ES % Investiere mehr, als ich zurück erhalte 3,13 3,57 0,44 0,000 8,8 Meine Erwartungen ... meist enttäuscht 2,26 2,60 0,34 0,000 6,8 Die Hälfte, bei uns 48,3%, der Lehrer, geben später eine Selbstwertbedrohung durch Schüler an. Mehrere Autoren kommen unabhängig voneinander zu der Erkenntnis, dass bereits Lehramtsstudierende im Studium und in den Praktika überfordert und zu wenig motiviert sind, und dass sie zu wenig Begeisterung für ihren Beruf entwickeln (Schaarschmidt, 2004; Rauin, 2008). Die andere Hälfte sieht sich im wesentlichen in ihren Erwartungen bestätigt. Sie meinten, dass es oft auf das Lehrerverhalten ankäme, ob die Schüler aufmerksam mitarbeiten würden oder nicht. Ausnahmen gäbe es, aber im Großen und Ganzen waren sie mit ihren Schülern zufrieden. Grob geschätzt war ungefähr die Hälfte der Referendare und Junglehrer zufrieden. Sie fühlen sich mit ihrer Berufswahl sehr wohl. Unprofessionelles Lehrerverhalten, zum Beispiel ungenaues Erklären von Zusammenhängen, schlechter Vortrag usw. wird von den Schülern als die Nicht-Erfüllung des Psychologischen Vertrags wahrgenommen. Das Stören durch die Schüler kann eine Reaktion auf die Wahrnehmung einer Störung der Reziprozität seitens der Lehrer sein, und es kann Auslöser für die Wahrnehmung der Lehrer einer Reziprozitätsstörung durch die Schüler sein.
6
Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
In diesem Kapitel werden die entscheidenden Unterschiede zwischen den engagierten und disengagierten Lehrkräften beschrieben. Dazu müssen beide Gruppen zuerst statistisch generieret werden. Dann wird geprüft, ob – wie theoretisch zu erwarten wäre – tatsächlich Brüche der Psychologischen Verträge bei den Disengagierten häufiger vorkommen als bei den Engagierten. Voraussetzung dazu ist die Beschreibung der Inhalte der Psychologischen Verträge. Zunächst müssen die theoretisch bedeutsamen Variablen in bezug auf die Dimension Engagment – Disengagement vorgestellt und in die Empirie integriert werden: Die statistischen Zusammenhänge von theoretisch bedeutsamen Merkmalen mit der Dimension Engagement – Disengagement sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle 6.1: Korrelationen mit dem Disengagement Rang
ID Merkmal
ρ
1
3 Zufriedenheit mit dem Beruf
2
13 Lehrer-Belastung (11 Items)
0,43
3
8 Erwartungen an die Schulleitung wurden enttäuscht
0,39
4
1 Identifikation mit der Schule
5
14 negative Einstellung gegenüber Schülern
6
12 Unterstützung durch die Schulleitung
7
9 Schulleitung hat Versprechen (Psychol. Vertrag) gebrochen
0,36
8
7 glaubt, in Schulleitung mehr zu investieren als zurück zu erhalten
0,36
9
2 Identifikation mit dem Beruf
-0,28
10
4 Erleben der beruflichen Arbeit als sinnvoll
-0,27
11
11 Erwartungen an die Kollegen wurden enttäuscht
0,24
12
5 glaubt, in Schüler mehr zu investieren als zurück zu erhalten
0,24
13
6 Erwartungen an die Schüler wurden enttäuscht
0,22
14
10 glaubt, in Kollegen mehr zu investieren als zurück zu erhalten
0,19
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
-0,52
-0,38 0,37 -0,37
174
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Bedeutende Effektstärken haben Engagement und Commitment, Involvement und die enttäuschte Investition in die Schulleitung. Den höchsten Effekt haben die Lehrerbelastung und die Zufriedenheit mit dem Beruf. Alle Zusammenhänge sind theoriekonform.
6.1 Die Zuordnung der Fälle: Engagierte vs. Disengagierte 6.1 Die Zuordnung der Fälle: Engagierte vs. Disengagierte In diesem Kapitel werden die Besonderheiten der Disengagierten (IK-Lehrkräfte) gegenüber den engagierten Lehrpersonen herausgearbeitet (Die Innere Kündigung wird als Extremfall und Teilmenge des Disengagements aufgefasst). Zum Zweck dieser Prüfung müssen die mit Sicherheit Disengagierten von den Engagierten getrennt werden. Zur Trennung wurde der Skalenwert 3,50 (Rating 1 - 6) gewählt. Das ist der rechnerische Mittelpunkt (Midpoint) oder definierte Scheitelpunkt der sechsstufigen Ratingskala, mit der die Ausprägung des Disengagements gemessen wird. Wegen der schiefgipfeligen Verteilung des Disengagements mit IK eignet sich der Mittelwert nicht für diese Trennung. Auch den Median zu verwenden verbietet sich, würde dies doch bedeuten, dass man 50% aller Befragten Disengagement unterstellt, was, wie in Kap. 4 bewiesen wurde, nicht der Fall ist. Alle Fälle mit Werten ≤ 3,50 zählen zu den Personen ohne kritische Werte, die wir die Engagierten nennen; sie bilden die Gruppe 1. Jene Fälle mit einem Skalenwert ab 3,51 zählen zur Gruppe der Disengagierten (einschließlich der IKLehrer). Diese Personen haben mindestens „manchmal“, „oft“ oder „aktuell“ innerlich gekündigt. Das sind 403 Fälle oder 24,5% der Gesamtgruppe. Mit Hilfe dieser Maßnahme wurde die mehrstufige Ratingskala, die eine Rangskala ist, dichotomisiert. Das ist eine Vereinfachung des Messmodells, was zwar einen gewissen Informationsverlust bedeutet, aber die Zuordnung erleichtert. Anschließend wurde mittels einer Diskriminanzanalyse geprüft, ob und wie viele Fälle prozentual einer der beiden Klassen korrekt zugeordnet werden können. Damit wird auch die Frage beantwortet, welche Merkmale als unabhängige Variablen zur Erklärung von Disengagement und Innerer Kündigung herangezogen werden können. Dem theoretischen Erklärungsansatz gemäß liegen die unmittelbaren Ursachen von Disengagement durch Innere Kündigung in der Wahrnehmung von Brüchen der Psychologischen Verträge. Ein Vertragsbruch wird unmittelbar ausgedrückt durch das Item: „Die Schulleitung hat viele Versprechen gebrochen, während ich meinen Teil erfüllt habe“. Vertragsbrüche sind auch in der geringen Realisierung von Lehrer-Erwartungen durch die Partei der Schulleiter manifestiert. Daraus resultiert der Eindruck der Lehrer, in die Schule bzw. in das Lehrerkollegium an Mühen und Aufwand mehr zu investieren, als sie zurück bekommen. Das wird anhand der Items ausgedrückt: „Ich investiere (in die Schule/ Schulleitung) bei weitem mehr, als ich zurückbekomme“. Die Begleitemotion Enttäuschung wurde operationalisiert durch das Item: „Meine Erwartungen an die Schule/Schulleitung werden meist enttäuscht“.
6.1 Die Zuordnung der Fälle: Engagierte vs. Disengagierte
175
Die genau entsprechenden Items wurden für die Lehrerbeziehung zu den Schülern und zu den Kollegen konstruiert. Da nicht a priori erwartet werden kann, dass Disengagement durch Innere Kündigung allein eine Folge von wahrgenommenen und kognitiv realisierten Vertragsbrüchen sind, sondern auch aus dem Gefühl resultieren können, den falschen Beruf gewählt zu haben, wie oben ausgeführt wurde, oder aus dem Gefühl des Kontrollverlustes im eigenen Handeln, war das Item hinzugefügt: „Ich fühle mich bei meiner beruflichen Arbeit oft so sinnlos“. Damit sind die wichtigsten möglichen Ursachen für eine Erklärungstheorie von Disengagement mit Innerer Kündigung zusammengestellt. Ein guter Beleg für diese Zusammenhänge besteht darin nachzuweisen, dass die Fälle mit hoher Erwartungsrealisierung, mit Ausgewogenheit von Aufwand und Gewinn und mit geringer Enttäuschung der Gruppe der Engagierten zugeordnet werden können und die anderen Fälle der Gruppe der disengagierten Personen. Folglich interessiert uns, wie genau die Lehrer einer der beiden Gruppen zugeordnet werden können. Mittels einer Diskriminanzanalyse wird ein Individuum aufgrund der Ausprägung seiner Merkmale einer der beiden Gruppen, der Gruppe der Engagierten oder der Gruppe der innerlich auf dem Rückzug befindlichen Lehrer/innen, zugeordnet. Das Ziel ist, dass die Werte der Diskriminanzfunktion beide Gruppen möglichst gut trennen. Aus der Tabelle gehen auch jene Merkmale hervor, die besonders für die Trennung von Engagierten und Disengagierten verantwortlich sind. Tabelle 6.2: Zusammenfassende Ergebnisse der Diskriminanzanalyse Rang 1 2 3 4 5
Merkmal Ich erlebe die schulische Arbeit als sinnlos Schulleitung hat Psychologische. Verträge gebrochen Investiere mehr in die Schulleitung Bin von der Schulleitung enttäuscht Von Kollegen enttäuscht
λ .883 .818 .797 .792 .788
Signif .000 .000 .000 .000 .000
Canonische Diskriminanzfunktionen Eigen- Canon. Wilks’ χ2 df Signif. wert Korrelation Lambda 0,27 0,46 ,788 256,79 5 .000 79,06 % korrekt zugeordnet Insgesamt wurden 79,06 % der Fälle einer der beiden Gruppen korrekt zugeordnet. Das bedeutet, dass die überwältigende Mehrheit der einzelnen Lehrkräfte der Stichprobe den beiden Gruppen der Engagierten und der Disengagierten mit Hilfe der fünf Merkmale korrekt zugeordnet werden kann. Das bedeutet ferner, dass wir mit der
176
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Unterscheidung von engagierten und disengagierten Lehrern eine statistisch gut begründete Unterscheidung gefunden haben. Dass die ausgeschlossenen Merkmale weniger deutlich diskriminieren, bedeutet nicht, dass ihre Auswirkungen gering sind. Zum Zweck der Prüfung auf mögliche Merkmalsunterschiede zwischen den Gruppen werden nonparametrische Verfahren angewandt, weil die Daten die Voraussetzungen für parametrische Verfahren, z. B. Mittelwertsvergleiche, nicht erfüllen.
6.2 Die soziografischen Merkmale beider Gruppen 6.2 Die soziografischen Merkmale beider Gruppen Beide Gruppen sollten sich in den soziografischen Merkmalen möglichst wenig unterscheiden. Die Belege dazu sind in diesem Teilkapitel zusammengefasst: Tabelle 6.3: Soziografische Daten Merkmal
Prüfgröße
χ2 (df) / M-W Z Geschlecht Familienstatus Kinder Schulart Deputat
0,001 1,39 3,24 5,33
df=1 df=2 df=1 df=5 z = 0,58
Signif p .97 .50 .08 .38 .56
Der Familienstatus ist gleich verteilt: Von den Engagierten sind 85,3% verheiratet, 12,4 % allein lebend und 2,3% geschieden, von den Disengagierten sind es 87%, 10 % und 3%. Somit sind die beiden Gruppen in bezug auf das Geschlecht und den Familienstatus, aber auch in der Anzahl der Kinder, der Schulart und dem Deputat homogen. Sowohl eine evtl. private Belastung (Anzahl der Kinder) als auch die formale schulische Belastung (Deputat) sind in beiden Gruppen gleich. Signifikante Unterschiede sind nicht zu erkennen. Doch in einigen anderen Merkmalen zeigen sich die ersten Unterschiede: Die Engagierten sind durchschnittlich etwas mehr als vier Jahre jünger als die Disengagierten und haben mehr als vier Jahre weniger . Die IK-Lehrer geben die Anzahl der Schüler in ihren Klassen etwas größer an als die Engagierten. Die Differenzen sind nicht erheblich, im Fall der Klassengröße ist es (mit 0,71) nicht einmal ein Schüler. Wie gering die Unterschiede zwischen den Gruppen sind, wird in der folgenden Abbildung demonstriert.
6.3 Brüche der Psychologischen Verträge
177
Abbildung 6.1: Alter, Dienstalter, Klassengröße und Arbeitsaufwand (Mittelwerte)
50 40 30 20 10 0
Engag. IK
Alter
Dienst-jahre
Klassengröße
Arbeits-zeit
44,99
16,58
23,77
42,67
49,31
21,30
24,48
42,07
Drei Merkmale (Alter, Dienstjahre und Klassengröße) differieren zwar statistisch signifikant, aber wegen der geringen Differenzen praktisch unbedeutend, wie die Effektstärken d zeigen (d 1, Kaiser Normalisierung). Die Rechnung ergab zwei Faktoren mit einer mäßigen Varianzaufklärung von 46,3%. Faktor 1 „Arbeitsbelastung“ ist aus 8 Aussagen zusammengesetzt: (1) „Es fällt zu viel Arbeit an“, (2) „zu viele verschiedene Aufgaben in der bzw. für die Schule neben dem Unterricht“, (4) „Schwierigkeiten, Privatleben und Beruf von einander zu trennen“. (5) „zu wenig Zeit, um alle Aufgaben zufrieden stellend erledigen zu können“, (6) „zu viele Unterrichtsstunden“, (9) „zu wenig Zeit, um sich zu erholen“, (10) „zu wenig Zeit um Freundschaften und Kontakte zu pflegen“, (11) „zu viele Schüler“. Die Faktorladungen sind > 0,60, nur die Items (4) und (11) weisen geringere Ladungen auf, während sie gleichzeitig auf Faktor 2 > 0,30 laden. Faktor 1 kann man den Arbeitsfaktor nennen, weil alle Items auf Überlastung durch die schulische Arbeit weisen. Die statistischen Daten sind gut (mittlere Inter-Item-Korrelation: 0,34 (0,15/ 0,63), Trennschärfe: 0,30- 0,64, α = 0,80). Faktor 2 „Soziale Belastung“ ist aus drei Items zusammengesetzt: (3) „Angespanntes Verhältnis zur Schulleitung“, (7) „Mangel an emotionaler Unterstützung durch Kolleg/innen“, (8) „das Gefühl, bei der Arbeit innerlich leer zu sein“. Die statistischen Daten sind mäßig: mittlere Inter-Item-Korrelation: 0,24 (0,17/ 0,30), Korrelation mit der Skala (Trennschärfe): 0,27- 0,36; entsprechend niedrig ist α = 0,490, Welcher der beiden Faktoren ist der bedeutsamere für die Differenz von engagierten und disengagierten Personen? Tabelle 6.13: Soziale und Arbeitsbelastung bei Engagierten und Disengagierten
Merkmal
Mittelwerte Engag. Diseng. Diff. Arbeitsbelastung 2,39 2,78 0,30 Soziale Belastung 1,50 2,18 0,68 Belastung ges. 2,08 2,54 0,46 *Anmerkung: Rating 1 - 4.Kruskal-Wallis
Prüfgröße χ2 (df = 1) 84,73 314,94 207,35
Signif. P 0,000 0,000 0,000
Effekt ES % 7,5 17,0 11,65
6.5 Belastung bei engagierten und disengagierten (IK-) Lehrern
191
Abbildung 6.7: Soziale und Arbeitsbelastung
3 2,5 2 1,5 1 Arbeitsbelastung
Soziale Belastung
Engagierte
Belastung ges.
Disengagierte
Die höchste Differenz zwischen Engagierten und Disengagierten zeigt sich bei der sozialen Belastung, d.i. vor allem die Belastung/Beanspruchung durch die Schulleiter, erst nachgeordnet jene durch Kollegen. Sehr hohe Werte ergeben sich aus dem Gefühl der Sinnlosigkeit bei der schulischen Arbeit. Dieses Gefühl kann die Folge der Wirkungslosigkeit des eigenen Tuns sein, die aus der mangelhaften bis fehlenden Verfügbarkeit von wirksamen pädagogischen Handlungsschemata (und Verhaltenstechniken) resultiert. Das ist erlebter Kontrollverlust, eine der zentralen Ursachen von Disengagement durch IK.
6.5.2 Was von den Belastungen belastet am meisten? Diese Frage haben wir zunächst mittels des Lehrer-Belastungs-Fragebogens (LBF) untersuchen wollen. Einen ersten Eindruck über die Bedeutung der Belastungen im Einzelnen vermittelt die Rangreihe der Belastungs-Items des LBF anhand der Mittelwerte. Tabelle 6.14: Rangreihe der Aussagen anhand der Mittelwerte (Rating 1 - 4) (b1) (b2) (b5) (b6) (b9) (b8) (b4) (b7) (b3)
Es fällt zu viel Arbeit an. Zu viele verschiedene Aufgaben in bzw. für die Schule neben dem Unterricht. Zu wenig Zeit, um alle Aufgaben zufrieden stellend erledigen zu können. Zu viele Unterrichtsstunden. Zu wenig Zeit, um sich zu erholen. Das Gefühl, bei der Arbeit innerlich leer zu sein. Schwierigkeiten, Privatleben und Beruf von einander zu trennen. Mangel an emotionaler Unterstützung durch Kollegen. Angespanntes Verhältnis zur Schulleitung.
3,02 3,01 2,89 2,72 2,72 2,21 2,14 2,09 1,99
192
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Die drei am höchsten bewerteten Aussagen sind ziemlich allgemein: zu viel Arbeit, zu verschiedene Aufgabe und zu wenig Zeit. Darüber könnte jeder Arbeitnehmer klagen. Zu den Unterrichtsstunden ist zu bemerken, dass deren Anzahl in allen Gruppen gleich verteilt sind und die Klage über zu viele Unterrichtsstunden objektiv nicht belegt werden kann. Die restlichen zwei Items (b10: zu wenig Zeit, um Freundschaften/Kontakte zu pflegen und b11: zu große Klassen) bilden das Schlusslicht der Rangreihe. Um weiter zu ergründen, was – unter inhaltlichen Gesichtspunkten – zur Belastung beitragen kann, wurden an einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Lehrpersonen (n = 135) der Zusammenhang von unterschiedlichen Belastungen und IK überprüft. Dazu wurde ein Fragebogen der schulischen Belastungs-Situationen (SBS) benutzt, der eine inhaltliche Differenzierung der Belastungen erlaubt. Die Lehrkräfte wurden gefragt: Wie stark erleben Sie aktuell die im Folgenden genannten Belastungsfaktoren? (1) mangelnde Motivation und Konzentration der Schüler? (2) geringe Lernbereitschaft der Schüler? (3) Disziplinprobleme? (4) zu große Klassen? (5) Verwaltungsarbeiten? (6) ständige Kritik am Lehrerberuf und fehlende Anerkennung in der Öffentlichkeit? (7) Ärger mit Behörden bzw. Institutionen? (8) Vor- und Nachbereitung des Unterrichts? (9) Probleme mit den Eltern? (10) fachfremder Unterrichtseinsatz? (11) Probleme mit ausländischen Schülern? (12) Unterschiedliche Lernvoraussetzungen der Schüler? (13) Probleme mit den Kolleginnen und Kollegen? Die Antworten konnten auf einer vierstufigen Skala angekreuzt werden. Mittels einer explorativen Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse, Varimax Rotation, Kaiser- Normalisierung) wurden die Daten des SBS (13 Items) auf drei Faktoren (alle Faktorladungen > 0,40) reduziert. Es war gefragt worden, wie stark folgende Belastungsfaktoren erlebt würden: Faktor F1 ist aus diesen Items zusammengesetzt: mangelnde Motivation und Konzentration der Schüler, geringe Lernbereitschaft, Disziplinprobleme (α = 0,71). Faktor F2 weist mit Belastungen durch fachfremden Unterricht, ausländische Schüler, unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Probleme mit Kollegen und Eltern typische schulinterne Komponenten auf (α = 0,65). Faktor F3 enthält Belastungen durch Verwaltungsarbeiten, Ärger mit schulischen Behörden bzw. Institutionen und ständige negative Kritik am Lehrerberuf so wie mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit (α = 0,66). Belastungen durch zu große Klassen und durch Vor- und Nachbereitung des Unterrichts mussten eliminiert werden und spielen in den Angaben der Lehrer keine herausragende Rolle für die Belastung. Die 3 Faktoren können mit dem Merkmal IK korreliert werden. Danach stehen eine mangelnde Schülermotivation, mangelnde Lernbereitschaft und schlechte Disziplin der Schüler (F1) mit IK in relativ enger Beziehung (ρ = 0,37**). Es folgt Faktor 2 aus fachfremdem Unterricht, unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, ausländischen Schülern und – wohl daraus resultierend – Probleme mit Kollegen bzw. mit Erziehungsberechtigten (ρ = 0,22*). Dagegen scheint einer Belastung,
6.5 Belastung bei engagierten und disengagierten (IK-) Lehrern
193
die aus Verwaltungsarbeiten, aus Aufforderungen der Schulbehörden und aus negativer Kritik resultiert, bezüglich der IK eine relativ geringe Bedeutung zuzukommen (ρ = 0,15, n. s.). Die nachfolgende Diskriminanzanalyse bestätigt diesen Eindruck. Eine Diskriminanzanalyse zwecks Trennfunktion dieser Faktoren hinsichtlich der Gruppierung nach Personen mit bzw. ohne IK-Tendenz ergibt folgende Werte (Tabelle 6.15): Tabelle 6.15: Univariate Trennfähigkeit der Variablen. Wilks Lambda (U-Statistik) und univariates F-Ratio (df 1/150)
Variable Standardisierte kanon. Diskrim. F1 0,86 F2 0,33 F3 0,21
Wilks
F
Sign.
λ 0,864 203,57 0,000 0,954 70,18 0,008 0,992 10,20 0,274
Ein Test auf Gleichheit der Gruppen-Covarianzen mit Box’s M ergab keine Signifikanz (p = 0,86). Der Datensatz enthält keine fehlenden Werte. 67,11% der Fälle wurden korrekt klassifiziert. Einzelheiten zeigt die Ergebnis-Tabelle zur Gruppenmitgliedschaft. Tabelle 6.16: Vorhergesagte Gruppenmitgliedschaft Gruppe Fälle 1 2 G1 71 57,7% 42,3% G2 81 25,9% 74,1% Zusammenfassend kann man feststellen, dass (trotz der hohen Lambda-Werte) mit guten Gründen angenommen werden darf, dass zum Disengagement eine Belastung beiträgt durch (a) vom Lehrer wahrgenommene Mängel in Motivation, Lernbereitschaft und Disziplin der Schüler, sowie (b) durch fachfremden Unterricht, unterschiedliche Lernvoraussetzungen etc. Dagegen haben vergleichsweise die Belastungen im Sinn von Faktor 3 kaum eine Bedeutung. Während Punkt (a) ganz wesentlich die Lehrer-Schüler-Beziehung betrifft, deutet (b) auf interne Gründe des Schulsystems und der Führung durch die Schulleiterteams.
194
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
6.5.3 Beispiel: Wochenarbeitszeit und geschätzte Arbeitszeit An einer Teilstichprobe von 265 Lehrkräften wurden die tatsächliche Wochenarbeitszeit und die geschätzte Wochenarbeitszeit mit einander verglichen. Die Frage lautete: Wie schätzen Sie Ihre Wochenarbeitszeit im Vergleich zum Durchschnitt der Kollegen an Ihrer Schule ein? Die Antwort konnte angekreuzt werden: Meine Arbeitszeit liegt im Vergleich zum Durchschnitt ...weit darüber _, darüber _, im Durchschnitt _, darunter _, weit darunter _. Das ist eine Likert-Skala von 1 bis 5. Die tatsächliche Wochenarbeitszeit war von disengagierten Lehrern und von Engagierten nahezu gleich angegeben worden. Die Engagierten gaben 39 Wochenstunden an, die IK-Lehrer rund 38 Stunden (Differenz 1,54 Stunden, z = -92, p = 00,36 nicht signifikant, Wilcoxon Rangsummen Test). Die Wochenarbeitszeit ist also in beiden Gruppen objektiv gleich. Gleichzeitig glauben aber die Disengagierten, dass ihre Wochenarbeitszeit im Vergleich zu ihren Kollegen höher ist. Damit unterscheiden sie sich von den Engagierten signifikant (auf der Likert-Skala gaben die Engagierten einen mittleren Wert von 2,75 an, die Disengagierten 2,56,die Differenz ist 00,18 auf der Skala 1 - 5, z = -2,23, p = 00,025; Wilcoxon). Das bedeutet, dass bei tatsächlich gleicher Wochenarbeitszeit die disengagierten Personen glauben, mehr zu arbeiten als der Durchschnitt der Kollegen, während die Engagierten das von sich selber nicht oder kaum glauben. Insgesamt nehmen 26,3% der Lehrkräfte an, mehr als der Durchschnitt ihrer Kollegen zu arbeiten. Im Vergleich der Geschlechter zeigt sich ein ähnlicher Effekt. Während Männer und Frauen mit 40 bzw. 39 Stunden kaum bedeutsam unterschiedliche Wochenarbeitszeiten angeben (Differenz 1,48 Stdn., z = -1,89, p = 00,059 Wilcoxon), schätzen die Männer ihre Arbeitszeit im Vergleich mit dem Durchschnitt der Kollegen höher ein. Die Differenz zwischen Männern und Frauen ist statistisch bedeutsam (p = 0,000. M-W Wilcoxon Rangsummen Test). Wenn man Männer und Frauen der Disengagierten vergleicht, wird deutlich, dass der oben genannte Effekt wesentlich auf die IK-Männer zurückzuführen ist. Sie schätzen ihre Arbeitszeit im Kollegenvergleich nahezu ausnahmslos höher ein, während die IK-Lehrerinnen ihre Arbeitszeit als durchschnittlich einschätzen (m: 2,22 w: 2,95; Diff. 00,73; K-S Z 2,36; p = 00,059). Offenkundig glauben die disengagierten Lehrer an Arbeitszeit mehr zu investieren als ihre Kollegen, während die engagierten Lehrerinnen annehmen, dass ihre Arbeitszeit im Durchschnitt der Kollegen liegt.
6.6 Belastungsfolgen bei Engagierten und IK-Lehrkräften 6.6 Belastungsfolgen bei Engagierten und IK-Lehrkräften Außer den Differenzen zwischen Engagierten und IK-Lehrkräften in den inhaltlichen Dimensionen des Belastungserlebens interessieren die vermutlichen Belastungsfolgen. Dazu muss einschränkend vermerkt werden, dass die Daten gleichzeitig erhoben wurden. Es ist also keineswegs empirisch gesichert, ob wir hier wirklich Folgen von etwas darstellen. Gesichert ist lediglich die korrelative Beziehung zwischen den
6.6 Belastungsfolgen bei Engagierten und IK-Lehrkräften
195
Merkmalen. Es ist aber theoretisch sinnvoll, die Merkmale der Erschöpfung und Dehumanisierung, der Zufriedenheit mit dem Beruf und die Anzahl der Fehltage als Folgen von Belastungen zu postulieren. Das wird in der Burnout-Forschung bekanntlich nicht anders gehandhabt. Tabelle 6.17: „Belastungsfolgen“ bei engagierten und disengagierten Lehrkräften
Skalen Belastungsfolgen Erschöpfung Dehumanisierung Zufriedenheit Fehltage
Mittelwerte Engag Diseng 2,76 4,07 2,13 3,21 5,13 3,87 2,96 5,61
Diff. Prüfgröße χ2 (df = 1) 1,31 438,02 1,08 126,48 1,26 212,35 2,65 49,20
Signif. Effekt p d 0,000 10,63 0,000 00,69 0,000 10,02 0,000 0,15
*Anmerkung: Kruskal-Wallis, d ist ab 00,5 mittelstark, ab 00,8 sehr bedeutsam.
Möglicherweise gibt eine kurze Analyse der Erschöpfungs-Items aus dem MBI einige Hinweise zur Deutung: Tabelle 6.18: Erschöpfungs-Items bei Engagierten und Disengagierten geordnet nach Effektstärken
Items
Mittelwerte Engag. Diseng frustriert 2,36 3,90 Emot. erschöpft 2,77 4,27 am Ende 1,76 3,19 ausgelaugt 2,35 3,69 verhärtet 2,25 3,53 verbraucht 3,12 4,32 belastet 2,00 3,00 anstrengend 3,18 4,17 zu hart arbeite 3,01 4,01 gesamt 2,76 4,07
Diff. Prüfgröße χ2 (df = 1) 1,55 351,00 1,50 346,72 1,43 230,27 1,34 270,08 1,28 149,01 1,20 207,33 1,00 111,81 0,99 135,09 1,00 111,16 1,31 438,02
Signif Effekt p ES % 0,000 25,83 0,000 25,00 0,000 23,83 0,000 22,33 0,000 21,35 0,000 20,00 0,000 16,67 0,000 16,50 0,000 16,50 0,000 21,83
*Anmerkung .Kruskal-Wallis; Skalenbreite 1 - 6.
Die geringsten Differenzen zwischen Engagierten und Disengagierten weisen diese Aussagen auf: Den ganzen Tag mit den Schülern zu arbeiten ist wirklich anstrengend; Der direkte Kontakt mit den Schülern bei meiner Arbeit belastet mich zu stark; Ich habe das Gefühl, dass ich ... zu hart arbeite. Dagegen differieren die Gruppen am stärksten bei folgenden Items: Ich fühle mich durch die Arbeit in der Schule frustriert; Ich fühle
196
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
mich ... emotional erschöpft. Die Gruppendifferenzen sind bei den Belastungsitems weniger gravierend, während sie bei den Erschöpfungsitems stark sind. Dieser Befund deutet darauf hin, dass Disengagement durch IK weniger – aber auch – durch Belastung (mit)verursacht wird als vielmehr durch eine allgemeine emotionale Erschöpfung. Für die Interpretation der Ergebnisse kommt neben den oben angedeuteten Einschränkungen erschwerend hinzu, dass das Belastungserleben selbst in der Folge von allgemeiner Erschöpfung auftreten kann. Beide Merkmale können sich gegenseitig verstärken.
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern 6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern 6.7.1 Messung und Vorkommen der negativen Einstellung In diesem Teilkapitel geht es um Unterschiede in der negativen Einstellung zu den Schülern und um die Unterschiede in der Fähigkeit, mit Störverhalten von Schülern pädagogisch sinnvoll umzugehen. Beide haben eine schwerwiegende Wirkung auf das Befinden bzw. auf die mentalen Zustände und auf das Verhalten der Lehrer. Beide stellen einen Risikofaktor mit deutlicher Wirkung auf die subjektiv erlebte Beanspruchung und auf das Verhalten dar. Die Unfähigkeit, mit Störverhalten von Schülern umzugehen, bewirkt das Erleben von Überlastung, Stress, Hilflosigkeit mit Kontrollverlust. Eine negative Einstellung zu den Schülern als Referenzwert erlaubt aggressive Handlungen gegen Schüler. In der Studie mit dem Titel „Positives und negatives Lehrerverhalten aus Schülersicht“ (Schmitz, Voreck, Hermann, Rutzinger, 2006) fanden wir, dass eine wichtige Ursache negativen Lehrerverhaltens weder Hilflosigkeit noch Überlastung und was immer sein kann, sondern eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft gepaart mit einer negativen Einstellung gegenüber den eigenen Schülern. Verschiedene Motivationsmodelle, die wir logisch durchgerechnet und in der zitierten Untersuchung dargestellt haben, lassen keine andere Schlussfolgerung zu. In der Studie wird ausgeführt: Die Aussage, hier sei Aggression aus Hilflosigkeit entstanden, ist kein schlüssiges Erklärungskonzept. Mindestens zwei weitere Annahmen sind nötig: (a) Eine Lehrperson, die zum Beispiel gerade um Disziplin in der Klasse ringt, weiß sich nicht anders zu helfen und greift aus Verzweiflung auf aggressive Maßnahmen zurück, um sich bei den Schülern durchzusetzen. Möglicherweise ist sie selbst mit dieser Maßnahme unglücklich. Aggression wäre die Folge von Hilflosigkeit und Verzweiflung. Aggressivität aus Angst, Ausweglosigkeit und aus Verzweiflung ist in zahlreichen Tierversuchen und in Humanexperimenten nachgewiesen. Beim Menschen scheint das „Umkippen“ von Angst in Angriff auf jedem Niveau der Angst-Eskalation ein gut funktionierender Mechanismus zu sein. Aber nicht jeder
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
197
Mensch reagiert in Angst, Ausweglosigkeit etc. mit Aggression. Deshalb ist eine zweite Annahme nötig. (b) Die zweite Annahme setzt eine Aggressionsbereitschaft seitens der Lehrperson voraus: Erst durch die Annahme einer erheblichen Aggressionsbereitschaft seitens des Lehrers wäre die obige Folgerung schlüssig. Andere Autoren nehmen statt dessen eine instinktgesteuerte, aggressive Reaktion an. Doch in vielen Fällen kommt es nicht zu aggressiven Akten, weil die Lehrperson aus Überzeugung ablehnt, aggressiv zu handeln. Der Mensch scheint also doch über bestimmte Freiheitsgrade bei seinen Entscheidungen zu verfügen. Die Erklärung aggressiven Lehrerverhaltens aus Hilflosigkeit ist also nur mit Hilfe der Annahme einer entsprechenden negativen Einstellung bzw. mit der Annahme von Aggressionsbereitschaft möglich (wenn man nicht eine pure Instinktsteuerung akzeptieren möchte). Aus diesen Überlegungen folgt die Notwendigkeit eines Instruments zur Diagnose der negativen Einstellung gegenüber den eigenen Schülern. Ein solches Instrument ist nicht leicht herzustellen. Direkte Fragen zur negativen Einstellung werden kaum wahrheitsgetreu beantwortet werden. Da uns keine andere Möglichkeit als eine Befragung gegeben war, mussten entspreche Fragen entwickelt werden. Zur Erfragung einer negativen Einstellung eignen sich nur indirekte Fragen. Der Grundgedanke für dieses Fragenkonzept besagt, dass Fragen gestellt werden, die jede Lehrperson zustimmend beantworten kann. Zum Beispiel wird kaum eine Lehrkraft der Aussage zustimmen: „Viele Schüler sind für die schulische Arbeit zu wenig motiviert“. Viele können aber einer Aussage zustimmen wie: „Einige Schüler sind zeitweise ... zu wenig motiviert“, weil sie ihrer täglichen Erfahrung entspricht. Entscheidend für die Diagnose einer negativen Einstellung ist der Grad der Zustimmung! Antworten wie: „Trifft kaum zu“ oder „selten“ sind akzeptabel, vielleicht auch noch „manchmal“, aber die Antwort „trifft genau zu“ deutet auf eine grundlegend negative Einstellung. Mit dieser Antwort wird indirekt ausgesagt, dass der Antwortgeber seine Antwort im Sinn einer AllAussage auffasst, was meint, dass alle Schüler für die schulische Arbeit zu wenig motiviert sind. Wenn dieser Antwortgeber darüber hinaus jenen Aussagen voll zustimmt, die im Grunde nur Vorurteile wiedergeben („früher waren ...“), dann scheint die Diagnose einer negativen Einstellung gegenüber den Schülern gesichert zu sein. Es kann angenommen werden, dass eine durchschnittliche, psychisch gesunde und widerstandsfähige Lehrkraft diesen Aussagen (bis auf Item 3) mit 2 = „trifft kaum zu“ bis 3 = „trifft selten zu“ zustimmen kann. Bliebe zu klären, ob der Zweck der Fragen nicht durchschaut werden kann, wodurch es zu Antwortverzerrungen kommen könnte. Doch da indirekt gefragt wurde, dürfte diese Befürchtung überflüssig sein. Die folgenden Aussagen basieren auf einem Pool von 15 Items in Vorversuchen. Die Skala „Negative Einstellung zu den Schülern“ enthält diese Aussagen: (1) Die Schüler machen meine Arbeit zur Belastung, (2) Ich könnte viel mehr leisten, wenn die Schüler besser mitarbeiten würden,
198
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet (3) Von meinen Schülern fühle ich mich akzeptiert und anerkannt (-), (4) Viele Schüler sind für die schulische Arbeit zu wenig motiviert, (5) Die Schüler verhalten sich nicht so, wie ich gerne möchte, (6) viele Schüler stören dauernd, (7) die Schüler sind heutzutage wenig motiviert, (8) früher haben die Schüler besser mitgearbeitet, (9) Einige Schüler hindern mich daran, so zu arbeiten, wie ich gerne möchte.
Ratingskala: 1= trifft genau zu 2=trifft oft zu 3=trifft manchmal zu 4=trifft selten zu 5=trifft kaum zu 6= trifft überhaupt nicht zu. Die Ratingskala wurde zwecks Verrechnung invertiert. (Kennzeichen der Skala: Item-Mittelwert: 3,84; Median 3,88; Standardabweichung .93, Varianz .86; Max/Min 1/6; mittlere Inter-Item-Korrelation: 0.41 (.14 -.62), Item-Korrelation mit der Gesamtskala .54 - .69; α = .87).
Tabelle 6.19: Verteilung der Personen nach dem Grad der negativen Einstellung 1 2 3 4 5 6
trifft zu absolut Prozent Cum % überhaupt nicht 9 0,5 0,5 kaum 114 6,9 7,5 selten 403 24,5 32,0 manchmal 688 41,9 73,9 oft 364 22,2 96,0 trifft genau zu 65 4,0 100,0 1643 100,0
32% der Lehrer haben mit Sicherheit keine negative Einstellung zu ihren Schülern, weitere 41,9% geben „manchmal“ an. Der Rest von 26,2% der Lehrer ist hochgradig negativ eingestellt. Wenn die Untersuchungsstichprobe (N = 1643) am Mittelpunkt der Ratingskala (Midpoint = 3,50) geteilt wird, befinden sich 62,7% der Personen über dem Midpoint, d.h. sie haben auf der Ratingskala der Items mehrheitlich über dem von 3,50 votiert. Von den 403 disengagierten Lehrern sind 80,4% negativ eingestellt, von den Engagierten 56,9%.
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
199
Abbildung 6.8: Verteilung der Häufigkeitswerte (%) der negativen Einstellung zu den Schülern auf der Basis einer sechsstufigen Ratingskala*
25
22,1
20
18
17,6
15
13 10,5
10
7,2
5,9 5 0,1
0,9
2,5
2,5
0 1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
4,5
5
5,5
6
*Anmerkung: Die Skalenwerte auf der Basis der Gesamtgruppe (1643 Personen): Mittelwert: 3,84, Median: 3,875; Sd: 0,93, Varianz: 0,86, min/max 1,00/6,000, Das Rating (x-Achse) ist 6-stufig. Die y-Achse in Prozent.
6.7.2 Disengagement und negative Einstellung Disengagement (incl. Innere Kündigung) und die 9-Item-Skala „Negative Einstellung“ korrelieren r = 0,38 (p < 0,000, zweiseitig, Spearmans ρ = 0,37; p < 0,000). Die Mittelwerte dieses Merkmals in Abhängigkeit von den Graden des Disengagements sind in der nächsten Abbildung dargestellt. Je höher der Mittelwert, desto stärker ist die negative Einstellung.
200
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Abbildung 6.9: Negative Einstellung zu den Schülern Mittelwerte in Abhängigkeit vom Grad (1-6) des Disengagements (Innere Kündigung)* 4,99
5 4,8 4,46
4,6 4,4
4,25
4,2 3, 93
4 3,8 3,6
3,61 3,38
3,4 3,2 3 1
2
3
4
5
6
*Anmerkung: Die Grade des Disengagements durch IK sind: 1= trifft überhaupt nicht zu; 2= trifft kaum zu; 3= trifft selten zu; 4= trifft manchmal zu; 5= trifft meist zu; 6= trifft immer zu (aktuell).
Ein Vergleich der Rangwerte der negativen Einstellung in Abhängigkeit von den Graden des Disengagements ergibt signifikante Differenzen (χ2 = 223,31, df = 5, p < .000) (Der Test nach Bonferroni zeigt, dass jeder Mittelwert von allen anderen überzufällig verschieden ist). Der Anstieg der negativen Einstellung ist nahezu linear. Eine kausale Aussage zur Beziehung der beiden Variablen lässt sich nicht treffen. Die gesamte Untersuchungsgruppe kann man anhand des Merkmals „Einstellung zu den Schülern“ am Median in zwei Gruppen teilen. In diesem Fall einer linksgipfeligen Verteilung ist der Mediansplit strenger als die Trennung am Skalenmittelwert, weil dieser mit 3,5 deutlich unter dem Median mit 3,88 liegt. Wir können nun mit gutem Grund annehmen, dass diejenigen Personen mit Werten über dem Median eine deutlich negative Einstellung gegenüber den Schülern haben als diejenigen, die unter diesem Wert liegen. Unter dem Median der Skala „negative Einstellung“ befinden sich 874 Personen, das sind 53,2% von 1643 (100%), darüber sind 769 (46,8%) Personen. Von den 403 Disengagierten haben 80,4% sehr hohe Werte (über dem Midpoint) in der negativen Einstellung zu den Schülern. Die restlichen 39,6% sind gegenüber ihren Schülern positiv eingestellt. Sie haben unter dem Skalenmittelpunkt von 3,50 votiert. Es gibt also disengagierte Lehrkräfte ohne eine ausgeprägte negative Einstellung gegenüber ihren Schülern. Von den 1240 Engagierten gehören 503 Personen, das sind 40,6%, zu den negativ Eingestellten. Die Differenz zwischen Engagierten und Disengagierten im Merkmal „negative Einstellung“ ist zwar hoch signifikant (χ2 = 79,06, df = 1, p< ,0000), aber der Anteil der negativ Eingestellten mit 40% der Engagierten ist doch erheblich.
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
201
Bevor wir auf diesen Befund zurück kommen, soll die Beziehung der negativen Einstellung zu anderen Merkmalen geprüft werden. Man könnte vielleicht erwarten, dass die negative Einstellung zu den Schülern mit dem Alter bzw. Dienstalter zunimmt. Das trifft nicht zu. Die negative Einstellung korreliert nicht mit dem Dienstalter (ρ = 0,09). Die negative Einstellung scheint bei den Lehrerinnen häufiger vorzukommen als bei den Lehrern. 53% der Lehrerinnen im Vergleich zu 43,3% der Lehrer sind gegenüber den Schülern negativ eingestellt (χ2 = 14,54; df = 1; p= 0,0001). In der Gesamtgruppe N= 1643 gibt es unter den 598 Frauen 317 mit einer negativen Einstellung, unter den 1045 Männern 452. Dahingegen ist das Geschlecht auf die Engagierten und die Disengagierten gleich verteilt (Männer 75,5% vs. 24,5%; Frauen 75,4% vs. 24,6%; χ2 = 0,0015, df = 1, p= 0,97). Die negative Einstellung korreliert nicht mit der Klassengröße (ρ = 0,02, n.s.) und auch nicht mit dem Unterrichtsdeputat (ρ = 0,03, n.s.), wie man vermuten könnte. Die negative Einstellung korreliert jedoch relativ hoch mit dem Disengagement (0,38; p < 0,000) und den MBI-Dimensionen „Dehumanisierung“ (ρ = 0,36; p< 0,000) und Emotionale Erschöpfung (ρ = 46, p< 0,000). Sie korreliert dagegen erwartungsgemäß negativ mit der beruflichen (ρ = -0,32, p = 0,000) und schulischen Identifikation (ρ = 0,23, p = 0,000). Die negative Einstellung korreliert sehr schwach negativ – dennoch signifikant – mit der Unterstützung durch die Schulleitung (ρ = -0,09, p = 0,004) und positiv mit der Lehrerbelastung (ρ = 0,27, p = 0,000). Tabelle 6.10 zeigt die Werte im Überblick. Abbildung 6.10: Negative Einstellung korreliert mit anderen Merkmalen Disengagement
0,38
Belastung Schulleitung
0,27 0
-0,23 schulische Identif berufl Identif
-0,32
Erschöpfung
0,46
Dehumanisierung
-0,5
-0,3
0,36
Deputat
0,003
Klassengröße
0,002
-0,1
0,1
0,3
0,5
0,7
202
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Nun könnte den Leser interessieren, wie die einzelnen Aussagen zur negativen Einstellung im Vergleich von Engagierten und Disengagierten abschneiden. Die negative Einstellung zu den Schülern wurde mit neun Fragen geprüft. Es werden die 1240 Engagierten mit den 403 disengagierten Personen anhand der Mittelwerte jedes Items verglichen. Die mittleren Antwortwerte der psychisch gesunden und gegenüber ihren Schülern vorurteilsfreien Lehrer müssten unter diesem Wert liegen. Tatsächlich liegen alle Werte der disengagierten Lehrer darüber. Sogar bei den engagierten Lehrern liegen ein paar Werte, insbesondere von Aussagen, die eher Vorurteile enthalten, darüber. Belege sind in der folgenden Tabelle mitgeteilt. Tabelle 6.20: Einstellung zu Schülern bei Engagierten und Disengagierten: Mittelwerte, mittlere Differenz, Signifikanz, geordnet nach den Effektstärken der Gruppendifferenzen. Item gesamt
Mittelwerte Diff. Prüfgröße Sign. Effekt p ES % Engag Diseng aES χ2 (df = 1) 3,68 4,34 0,66 143,85 .000 11,00
1 Schüler Belastung 2 könnte mehr leisten 9 einige Schüler hindern 8 früher besser mitgearbeitet 6 stören dauernd 5 verhalten nicht so 7 heutzutage wenig motiviert 4 zu wenig motiviert 3 bin akzeptiert
3,14 3,77 3,34 3,57 3,22 3,69 4,05 4,55 1,88
3,99 4,53 4,06 4,29 4,00 4,25 4,58 4,99 2,03
0,85 0,76 0,72 0,71 0,68 0,56 0,53 0,44 0,15
108,41 106,77 80,62 80,03 78,56 80,08 72,41 62,35 11,85
.000 .000 .000 .000 .000 .000 .000 .000 .001
14,17 12,67 12,00 11,83 11,35 9,35 8,83 7,35 2,50
*Anmerkung: Rating 1 - 6 (1 = trifft nicht zu) .Kruskal-Wallis
An der Spitze der Rangreihe (Mittelwerte) der Klagen seitens der disengagierten Lehrer über die Schüler steht die Aussage: (4) „Viele Schüler sind für die schulische Arbeit zu wenig motiviert.“ mit einem Mittelwert von 4,99 auf der 6-stufigen Skala. Diese Aussage steht auch bei den Engagierten an der Spitze. Mit diesem Item korrespondiert die Aussage: (7) „Die Schüler sind heutzutage zu wenig motiviert.“ Besonders aussagekräftig dürften die Items mit den höchsten Mittelwertdifferenzen sein. Die Disengagierten haben deutlich höhere Zustimmungen abgegeben zu diesen Aussagen: (1) „Die Schüler machen meine Arbeit zur Belastung.“, (2) „Ich könnte viel mehr leisten, wenn die Schüler besser mitarbeiten würden.“, (9) „Einige Schüler hindern mich daran, so zu arbeiten, wie ich gerne möchte.“ Diese Aussagen sind indirekte Selbstaussagen über die eigene Sozialkompetenz. In diesem Licht sind sie Selbstaussagen über die eigene Unfähigkeit, das Schülerverhalten so weit zu
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
203
kontrollieren, dass ein geordneter Unterricht gewährleistet ist. Das ist natürlich eine schwerwiegende Tatsachenfeststellung. Die Aussagen (5) „Die Schüler verhalten sich nicht so, wie ich gerne möchte“ und (6) „Viele Schüler stören dauernd.“ bestätigen diesen Eindruck, sofern sie einen Mittelwert über dem Skalenmittelwert (midpoint) von 3,5 erreichen. Das ist bei den Disengagierten der Fall. Dagegen sind die Aussagen, die auf Vermutungen über die Schüler von früher verweisen, zum Beispiel (8), indirekt (7), nur sehr indirekte Anspielungen auf selbst ausgesagte Inkompetenz als vielmehr der Ausdruck eines entlastenden Vorurteils. Insofern ist das Ausmaß der Zustimmung zu diesen Aussagen nicht ungewöhnlich. Tatsächlich existiert keine Studie zur Motivation früherer Schülergenerationen, die diese Vorurteile bestätigen könnte. Passend zum Bild, das sich bisher ergeben hat, ist die geringe Zustimmung zu der zusätzlich geprüften Aussage: „In meiner Arbeit mit Schülern habe ich mehr Erfolge als Enttäuschungen erlebt,“ und zum Item „Von meinen Schülern fühle ich mich akzeptiert und anerkannt“ (3), Die Werte drücken ein „trifft kaum zu“ aus.
6.7.3 Exkurs: positiv und negativ eingestellte Lehrer In diesem Exkurs weichen wir von der Fragestellung nach den Besonderheiten von engagierten und disengagierten Lehrkräften ab und vergleichen negativ versus nicht negativ eingestellte Lehrer. Die beiden Gruppen wurden am Midpoint der Ratingskala generiert. Bezüglich Vergleichbarkeit ist wichtig, dass beide Gruppen sich hinsichtlich Klassengröße, Stundendeputat und Arbeitsaufwand für die Schule außerhalb des Unterrichts nicht unterscheiden. Beide Gruppen arbeiten also weithin unter vergleichbaren äußeren Bedingungen. Auch im Lebensalter differieren die Gruppen nicht (mittleres Alter der positiven: 46 Jahre, der anderen ebenfalls, Differenz: .6; p = .22). Im Folgenden werden die theoretisch interessanten Merkmale im Überblick verglichen. Die Variable „positive bis negative Einstellung zu den Schülern“ (6-stufiges Rating) ist annähernd normalverteilt. Die Prüfung dieses Merkmals auf Normalverteilung (KolmogorowSmirnow Goodness of Fit Test) bei einer Teilstichprobe (n = 478 Fälle, ca. 30% der gesamten Untersuchungsgruppe) zeigt unbedeutende Differenzen zwischen empirischer und Normalverteilung (abs.: 0,042, positiv: .026, negativ: -0,043; K-S Z: 0,927, p = 0,356). Folglich konnte der t-Test für den Mittelwertvergleich unabhängiger Stichproben angewandt werden. Die gegenüber den Schülern positiv eingestellten Lehrpersonen haben signifikant höhere mittlere Skalen-Werte in der Identifikation mit der Schule und mit der beruflichen Tätigkeit (Tabelle 6.17). Gleichzeitig geben sie im Lehrer-Belastungsfragebogen deutlich niedrigere Werte an als die negativ Eingestellten und belegen eine höhere Unterstützung durch die Schulleitungen. In den Merkmalen der Skalen zum Disengagement incl. Innere Kündigung, zur emotionalen Erschöpfung und zur Dehumanisierung geben sie sehr niedrige Werte an, während die negativen Lehrkräfte
204
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
jeweils über den Skalenmittelpunkten liegen, d. h. sie haben innerlich gekündigt, sind emotional erschöpft und neigen zur Dehumanisierung. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigt sich auch in der beruflichen Zufriedenheit und an den Fehltagen zu Gunsten der positiv eingestellten Lehrer (Tabelle 6.21): Tabelle 6.21: Positiv und negativ eingestellte Lehrkräfte
Merkmal
Mittelwerte Positive Negative Lehrer Lehrer Dehumanis. 2,08 2,85 Erschöpfung 2,73 3,48 Zufriedenheit 5,10 4,40 Ident. Beruf*** 3,88 3,34 Innere Kündig 2,41 3,04 Ident. Schule 4,88 4,52 Belastung ** 2,08 2,32 Schulleiter 4,62 4,46 Fehltage 3,10 3,91
Diff. aES
K-S Z
Signif. ES %
0,78 0,75 0,70 0,54 0,63 0,36 0,23 0,16 0,71
4,90 6,33 3,96 5,43 5,23 3,53 4,00 1,60 2,21
0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,008 0,025
13,0 12,5 11,6 10,8 10,5 6,0 5,7 2,6 00,016*
Anmerkung: Rating 1 bis 6; **Rating 1-4;***Rating 1-5. *ES = d.
Abbildung 6.11: Positiv und negativ eingestellte Lehrkräfte 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 Dehumanis. Erschöpfung Zufriedenheit
Positive Lehrer
Negative Lehrer
Ident. Beruf***
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
205
5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 Innere Ident. SchuleBelastung ** Schulleiter Kündig Positive Lehrer
Fehltage
Negative Lehrer
Mit hinreichender Deutlichkeit ist belegt, dass die negative Einstellung gegenüber den Schülern gepaart mit dem Unvermögen, mit störenden Schülen umgehen zu können, substanzielle Auswirkungen auf das psychische Befinden, sogar auf die Wahrnehmung von Belastung hat und sich auf die Menge der Fehltage auswirkt. Schauen wir uns anschließend ein paar exemplarische Erwartungen der Lehrer an ihre Schüler an und die Erfüllung dieser Erwartungen in der Sicht der positiv bzw. negativ eingestellten Lehrkräfte. Die negativ eingestellten Lehrkräfte erwarten etwas mehr als die positiv Eingestellten, dass die Schüler sich Mühe geben, im Unterricht mitzuarbeiten und dass sie diesen nicht stören. M. a. W. sie setzen bei den Schülern mehr Motivation voraus als die positiv Eingestellten. In zwei anderen Erwartungen an die Schüler existieren keine Differenzen. Anders verhält es sich bei der Realisierung der Erwartungen. Die negativ eingestellten Lehrkräfte sehen ihre Erwartungen an das Schülerverhalten substanziell weniger erfüllt als die positiv Eingestellten. Die Differenzen in der Erwartungserfüllung sind ziemlich hoch. Da kaum anzunehmen ist, dass die „braven“ Schüler auf die beiden Lehrergruppen ungleich verteilt sind – nicht bei dieser großen Zahl an Lehrern – ist anzunehmen, dass die negative Einstellung auch auf die Wahrnehmung der Erfüllung der Erwartungen an das Schülerverhalten in einer Weise einwirkt, dass in der Tat das Schülerverhalten schlechter beurteilt wird als von den positiv eingestellten Lehrkräften.
206
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
Tabelle 6.22: Erwartungen an die Schüler und Realisierung der Erwartungen bei positiv und bei negativ eingestellten Lehrpersonen: Mittelwerte, mittlere Differenz, und Signifikanz
Erwartungen Mittelwerte Von den Schülern positive negative erwarte ich, dass sie Einstellung Einstellung nicht stören 4,47 4,60 sich Mühe geben 4,45 4,55 Anerkennung 3,69 3,73 Lehrer respektieren 4,51 4,49 Realisierung der Erwartungen nicht stören 3,46 sich Mühe geben 3,36 Anerkennung 3,64 Lehrer respektieren 4,15
2,75 2,74 3,14 3,69
Diff. K-S Z
Signif Effekt
0,13 0,10 0,04 0,01
0,41 0,46 0,70 0,45
0,99 0,98 0,71 0,99
ES % 2,6 2,0 0,8 0,2
0,71 0,62 0,50 0,46
6,51 6,35 3,69 3,61
0,000 0,000 0,000 0,000
14,2 12,4 10,0 9,2
Negativ eingestellte Lehrkräfte berichten mit sehr hoher Sicherheit von einer deutlich geringeren Realisierung ihrer Erwartungen an die Schüler als positiv eingestellte Lehrer. Die Effektstärken für die Differenz der Realisierung der Erwartungen ist im Unterschied zu den bloßen Erwartungen sehr bedeutsam. Dieser Befund ist an einer großen Stichprobe (1643 Lehrer/innen) statistisch gut gesichert.
6.7.4 Klinische Merkmale der negativen Lehrkräfte Wenn man den statistischen Zusammenhang der negativen Einstellung zu den Schülern mit diversen psychischen und psychosomatischen Symptomen anschaut, kann man eine verblüffende Entdeckung machen. Die negative Einstellung korreliert nämlich mit einer nicht geringen Anzahl klinischer Symptome. In der folgenden Abbildung sind die Korrelationskoeffizienten nach Spearman dargestellt. Es handelt sich um mittlere (d = .5) bis starke Effekte (d = .8).
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
207
Abbildung 6.12: Negative Einstellung und psychische Symptome (Korrelationen) Gefühl der Verausgabung
0,41
Resignation
0,34
Depressionen
0,32
Überbeanspruchung durch Schüler
0,63
emotional labil Selbstwirksamkeit
-0,49
-0,5
Gefühlsausbrüche
0,3
innere Unruhe
0, 29
kurz vor Explosion
0,24
Laune wechselt oft
0,24
Erfolgserleben
-0,41 -0,7
0,31
-0,3
-0,1
0,1
0,3
0,5
0,7
Besonders auffällig ist das Gefühl der Überbeanspruchung durch die Schüler. Auch das Gefühl der mangelnden Selbstwirksamkeit und die Unfähigkeit, Erfolge wahrzunehmen, fallen auf. Unter den spezifisch klinischen Symptomen fallen neben der Neigung zur Depression und der Tendenz zur raschen Resignation nach Misserfolg die Neigung zu Gefühlsausbrüchen, zur emotionalen Explosion und Labilität auf. Man kann sich vorstellen, dass Lehrer mit dergleichen psychischen Problemen keine tragfähige Beziehung zu ihren Schülern aufbauen können. So gesehen ist die Überbeanspruchung durch die Schüler ein Ausdruck der rückgekoppelten Schülerreaktionen auf das neurotische Lehrerverhalten. Offenkundig ist die emotionale Labilität einschließlich Launenhaftigkeit und Gefühlsausbrüchen ein häufiges Merkmal negativer Lehrer. Von diesen sind 47% emotional labil. Umgekehrt sind von den emotional Labilen 73,7% deutlich negativ gegen ihre Schüler eingestellt (N = 265; χ2 = 18,34, df = 1; Signifikanz p = .000) und 42,1% sind disengagiert (χ2 = 18,34; df = 1; p = .000). Von den disengagierten Lehrkräften sind 72,7% emotional labil (χ2 = 41,6; df = 1; p = .000). Insgesamt ergibt sich das Bild einer ausgeprägten neurotischen Symptomatik bei vielen negativ eingestellten Lehrern. Diese kann nicht einfach als das Reaktionsmuster auf schwierige Schüler angesehen werden, vielmehr muss man von einer andauernden klinischen Symptomatik ausgehen, die höchstwahrscheinlich bereits während des Studiums oder während des Referendariats vorgelegen hat. Sicherlich wäre eine früh-
208
6 Was Disengagierte von Engagierten unterscheidet
zeitige Diagnose möglich gewesen. Deshalb muss auf die ungenügende oder gänzlich fehlende Personalauswahl verwiesen werden. Die Konturen dieses Bildes werden schärfer bei Betrachtung der gesamten Korrelationen der psychischen Symptome. Tabelle 6.23: Korrelationen der psychischen Symptome 1 2 3 4 5 6
Symptom Depression emot. Labilität Disengagement psychosomatisch Resignation negat. Einstellung
1 1,00 0,66 0,59 0,80 0,58 0,38
2
3
4
5
6
1,00 0,55 0,72 0,48 0,37
1,00 0,54 1,00 0,45 0,55 1,00 0,40 0,28 0,40 1,00
Da eine explorative Faktorenanalyse Aufschluss über die Struktur der Korrelationen geben kann, wurde eine Hauptkomponenten-Analyse gerechnet. Es wurde ein Faktor extrahiert (Eigenwert 3,63, aufgeklärte Varianz 60,5%). Die folgende Tabelle vermittelt die Faktorladungen und Kommunalitäten, dem Maß des Zusammenhangs zwischen der Variablen und allen anderen Variablen. Tabelle 6.24: Faktorladungen Symptom Ladung Kommunalität Depression 0,88 0,78 psychosomat 0,86 0,74 emot. Labilität 0,83 0,68 Disengagement 0,75 0,57 Resignation 0,74 0,55 negat. Einstellung 0,56 0,31 Die Ein-Faktor-Lösung der Faktorenanalyse belegt, dass die Tendenz zum Disengagement und die negative Lehrereinstellung zusammen mit den Skalen, die auf Neurotizismus deuten, einen Symptomkomplex bilden, der als eine Einheit betrachtet werden muss. Die Skalen, die auf Neurotizismus deuten, sind Operationalisierungen der klinischen Symptome Depression, psychosomatische Beschwerden, emotionale Labilität und Resignationstendenz nach erfahrenen Misserfolgen. Damit wird eine empirisch belegte Persönlichkeitsstruktur mathematisch rekonstruiert, die offenkundig viele disengagierte, negativ eingestellte Lehrkräfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kennzeichnet.
6.7 Disengagement und negative Einstellung zu den Schülern
209
6.7.5 Ursachen negativer Einstellungen Negative Einstellungen und negatives Lehrerverhalten sind komplex verursacht; das wurde ausführlich von Schmitz et al., 2006, diskutiert. Neben den hier bewiesenen (1) persönlichkeitsspezifischen Ursachenfaktoren existieren (2) situative Ursachen und (3) systemische Ursachen. Dazu gehört die von Referendaren als mangelhaft eingestufte Ausbildung (u.a. Mayr, 2006; Schmitz et al., ebd. S.103) in angewandter Pädagogik. Offensichtlich wird die Vermittlung u.a. von sozialen Techniken abgelehnt (das sog. Technologieverdikt). Daraus resultiert als eine sekundäre Ursache die mangelhafte Kompetenz zur Lösung von Konflikten. Gelegentlich wird eine mangelhafte Sozialkompetenz a priori mitgebracht. Von Fall zu Fall sind aber auch die Schüler an der Genese von negativen Vorbehalten gegen Schüler ursächlich beteiligt. Manche Schüler, auch – aber weniger – Schülerinnen, fallen durch verbale Attacken und Psychoterror gegen ihre Lehrer auf. 3% der Lehrer und 7,4% der Lehrerinnen eines Schulzentrums fühlen sich von Schülern „manchmal bedroht“, jedoch 12% durch Kollegen (Hanke, 2002). Jede neunte Lehrkraft wurde im Laufe ihrer Schullaufbahn mindestens einmal beleidigt, 0,5% gaben an, schon einmal körperlich bedroht worden zu sein (Fuchs, 2001). 15% der Schüler (von 500) gaben an, auf negatives Lehrerverhalten „manchmal“ bis „immer“ aggressiv gegen die Lehrkraft zu reagieren (Schmitz et al., 2006, S. 65). Seit einigen Jahren ist das Mobbing gegen Lehrer im Internet zu beobachten. Fotos von Lehrpersonen mit anzüglichen Bemerkungen, Pornomontagen, simulierten Hinrichtungen und rufschädigenden Äußerungen führen zur Verunsicherung und zur Suche nach Unterstützung und Rechtsschutz mancher Lehrkräfte. In der Studie von Vettenburg (2002) berichteten 8.6% von 1.432 befragten belgischen Lehrkräften, dass sie sehr bis sehr stark solche Attacken fürchten. Im Hinblick auf die Einschätzung der eigenen Aktivitäten schildern 90,6% der Schüler, bei Aggressionen gegen Lehrpersonen regelmäßig mindestens einmal in der Woche mitzumachen (Hayer, Scheithauer, Petermann, 2004). Bei derartigen Attacken ist es nicht damit getan, den Lehrkräften freundlicherweise „eine dickere Haut“ zu empfehlen. Auch die resignative Bemerkung, Lehrer hätten schon immer mit Kritik leben müssen, hilft nicht weiter. Vielmehr ist eine klare Regel angesagt: Die Würde der Lehrperson, wie auch die des Schülers, ist unantastbar. Zwecks Durchsetzung dieser Regel muss dem Kollegium, nicht der einzelnen Lehrkraft, ein wirksames Instrument verfügbar gemacht werden. Eine weitere, auf lange Sicht unabdingbar notwendige Maßnahme ist die Einführung von berufsbildgeleiteten Beratungen und von Personalauswahlverfahren für den Lehrerberuf.
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken 7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
7.1 Die Problemlage 7.1 Die Problemlage 7.1.1 Sind Lehrer mehr gefährdet als andere? Gesundheitliche Gefährdungen durch psychische Erkrankungen sind in der Bevölkerung so häufig, dass die Wahrscheinlichkeit – zumal für Menschen in sozialen Berufen wie eben Lehrkräfte – hoch ist, regelmäßig mit Phänomenen dieser Art bei Schülern oder Kollegen konfrontiert zu werden. Epidemiologische Untersuchungen zur Frage, ob Lehrer häufiger und intensiver krank sind und daraus resultierend längere Fehlzeiten haben als andere Berufsgruppen, gibt es bislang erst in Ansätzen. Grundsätzlich ist fraglich, mit welcher Berufsgruppe Lehrer überhaupt sinnvoll verglichen werden können. So war vage vermutet worden, dass Lehrer mehr als andere Berufsgruppen zu klinischen Auffälligkeiten neigen. Eine seriöse Bestätigung – allerdings an einer kleinen Lehrerstichprobe – liefert eine Studie, die im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchgeführt wurde; danach wurden 34.343 Erwerbstätige nach ihren gesundheitlichen Symptomen gefragt, die zeitlich während oder direkt nach der Arbeit auftreten. Hochgerechnet erfüllten 32,1% der erwachsenen deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren in den zwölf Monaten vor der Befragung die Kriterien zumindest von einer psychischen Störung. Vergleichbare Untersuchungen auch in anderen Ländern bestätigen diese Größenordnung. Die Ergebnisse dieses Surveys von 1998/1999 lassen sich für die 366 Lehrerinnen und 339 Lehrer an allgemein bildenden Schulen wie folgt zusammenfassen: Der Anteil der weiblichen Lehrkräfte, welcher unter allgemeinen Müdigkeitssymptomen leidet, ist ungefähr zweimal so hoch wie der Anteil anderer weiblicher Erwerbstätigen. So geben 40% der Lehrerinnen unter 45 Jahren an (über 45 Jahre: 37.0%), Müdigkeitserscheinungen zu erleben, hingen nur 18% der altersgleichen Frauen (> 45 Jahre: 19.0%) anderer Berufssparten.
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
212
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Abbildung 7.1: Müdigkeitssymptome/Reizbarkeit 40%
40%
20%
20%
0%
0% < 45 Jahre >=45 Jahre < 45Jahre Lehrerinnen
>= 45 Jahre
Frauen allgemein
Allgemeine Müdigkeit (w)
< 45 Jahre >=45 Jahre < 45Jahre Lehrerinnen
>= 45 Jahre
Frauen allgemein
Nervosität/Reizbarkeit
40% 20% 0% < 45 Jahre >=45 Jahre < 45Jahre Lehrer
>= 45 Jahre
Männer allgemein
Nervosität/Reizbarkeit
Die gleiche Tendenz zeigt sich bei Nervosität/ Reizbarkeit (Lehrerinnen: < 45 Jahre: 25.7%; > 45 Jahre: 30.3%; andere weibliche Erwerbstätige: < 45 Jahre: 10.7%; > 45 Jahre: 13.2%). Auch die männlichen Lehrkräfte geben in stärkerem Ausmaß an, unter Nervosität und Reizbarkeit zu leiden (Lehrer: < 45 Jahre: 19.4%; > 45 Jahre: 26.2%; die anderen männlichen Erwerbstätigen: < 45 Jahre: 10.1%; > 45 Jahre: 14.8%). Der Anteil der Lehrer über 45 Jahren, welcher eine niedergeschlagene Stimmung angibt, ist mit 9.4% fast doppelt so hoch wie der Anteil, der sich bei den restlichen männlichen Erwerbstätigen über 45 Jahren ergibt (4.9%). Wenn ein Drittel der Lehrer betroffen ist, kann man sicher von einer Norm sprechen (Rose, 2004). Das heißt: Müdigkeitssymptome, Nervosität und Reizbarkeit gehören zum – relativ stabilen – Normalbild von Lehrern. Kein schöner Befund! Wenn man aber Lehrkräfte mit anderen Beamten und Angestellten hinsichtlich körperlicher Symptome vergleicht (Krankheiten der Atemwege, des Kreislaufsystems, der Verdauungsorgane, des Skeletts und der Muskulatur und Stoffwechselkrankheiten), dann schneiden die Lehrer durchweg besser ab (Hillert & Schmitz, 2004). Dagegen ist es sinnvoll, verschiedene Lehrergruppen mit einander zu vergleichen. Unsere eigenen empirischen Ergebnisse sind eindeutig: Gesunde und erkrankte Lehrer unterscheiden sich im Zusammentreffen einiger weniger Muster. Lehrern, denen es schwerfällt, sich gedanklich von belastenden Arbeitssituationen zu distanzieren, die nach Misserfolgen resignativ reagieren und die darüber hinaus ein wenig tragfähiges soziales Netz besitzen, in bzw. aus dem heraus im Bedarfsfall moralische wie praktische Unterstützung mobilisiert werden kann, sind Hoch-Risikokandidaten für psychosomatische Erkrankungen (z. B. Lehr, 2004; vgl. Schaarschmidt, 2005).
7.1 Die Problemlage
213
Zudem: wer einen flexibel-kompensierenden Bewältigungsstil im Umgang mit schulischen Belastungen pflegt, also sich nicht abkapselt und aktiv, mit anderen gemeinsam nach Lösungen und positivem Erleben sucht, der ist unter den Erkrankten eine Ausnahmeerscheinung. Lehrer hingegen, die mit Problemen ruminativselbstisolierend umgehen, sich fatalistisch in den Rückzug begeben und von sich aus weder Entspannung noch positive Lebensinhalte finden, sind unter erkrankten Lehrern häufig (Lehr, 2004, 120ff; Lehr et al., 2006; Hillert, 2007; Lehr, Schmitz, Hillert, 2008; Christ et al., 2004, S. 113ff; Schaarschmidt & Fischer, 2001). Wenn man nach aller klinischen Erfahrung davon ausgeht, dass die Bewältigungs- bzw. Verarbeitungsmuster relativ, wenn auch individuell unterschiedlich, zeitstabil sind, dann darf vermutet werden, dass bereits viele Berufsanfänger im Lehrerberuf zur o. g. Risikogruppe gehören und entweder das Merkmal Disengagement schon mitbringen oder zumindest die Disposition dazu. Udo Rauin (2008) wies nach, dass etwa 60 Prozent jener, die sich den Anforderungen des Lehrerberufs nicht gewachsen fühlen, auch schon im Studium überfordert und wenig engagiert waren. Insofern hat es über die Jahre hinweg offenbar niemanden überrascht, dass sich bereits ein Drittel aller Lehramtsreferendare, entsprechenden Befragungen zur Folge, als „ausgebrannt“ erleben (Schaarschmidt & Fischer 2001). Auch die Studie von Frank Lipowsky (2003) weist in diese Richtung. Er befragte 831 ehemalige Lehramtsstudierende (nicht mit einem standardisierten Verfahren, wie ein Rezensent irrtümlich meint) zu zwei Erhebungszeitpunkten mit dem Ziel zu klären, ob Ereignisse, wie etwa der Eintritt in das Referendariat oder der endgültige fest angestellte Berufseinstieg, die berufbezogenen Kognitionen nachdrücklich beeinflussen. Er fand u. a., dass 60 Monate nach Ende des Examens nur 74% der Befragten in den Schuldienst eingetreten sind, u. z. 63% vollzeitlich, 11% befristet. Insgesamt gingen 80% der Absolventen einer „adäquate(n) Erwerbstätigkeit entweder als Lehrer oder als Nichtlehrer“ nach (194), die übrigen Absolventen waren „nur geringfügig oder inadäquat erwerbstätig“ (195). Zum ersten Messzeitpunkt waren rund 32% „selbstbewusst und optimistisch“, 38% „aufgeschlossene Mitspieler“. Die übrigen 30% der Befragten zählen zur Gruppe der "belasteten Lehrer". Der Autor deutet etwas euphemistisch, was den Rezensenten freute, dass in den Schuldienst eher jene eintreten, die schon zum ersten Messzeitpunkt ein positiveres Selbstbild hatten. Allerdings ist nichts über das Selbstbild der 26% (von anfangs 831 Personen) bekannt, die nicht in den Schuldienst eingetreten sind. Jedenfalls deckt sich Lipowskys Befund mit unseren eigenen (Schmitz, 2004, S.56) und mit den Befunden anderer (Hillert & Schmitz, 2004; Schaarschmidt, 2004, S.106; Rauin, 2007; 2008), dass rund 30% der Lehrkräfte von Berufsbeginn an zur Gruppe der Gefährdeten zählt. Die schulische Tätigkeit änderte so gut wie nichts daran. Dies spiegelt offenkundig eher individuelle Dispositionen als Überlastungen durch berufliche Tätigkeiten. Dagegen ist für Disengagment duch IK eine deutliche Zunahme über die Dienstjahre festzustellen (vgl. Kap 5 dieses Bandes).
214
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
7.1.2 Gesundheitsrisiken und Disengagement Die Lehrpersonen sind die bedeutendste Ressource im Schulsystem. Zum einen beeinflussen sie wie kaum jemand sonst das Denken und die Einstellungen der Erwachsenen von morgen. Auch die Leistung der Schüler ist substanziell vom Können der Lehrer abhängig. Zum anderen machen ihre Gehälter den weitaus größten Posten in den Kosten des gesamten Bildungssystems12 aus. Ein zusätzlicher Kostenfaktor kann die Innere Kündigung werden (am Ende der als Kontinuum aufgefassten Dimension Engagement – Disengagement), denn dieses Phänomen wird – abgesehen von finanziellen Verlusten durch unprofessionelle Arbeit von Lehrern – als potenziell gesundheitsgefährdend eingeschätzt: „Emotionale Abkehr von der Berufsarbeit führt zu einem Verlust von Zielen innerhalb der wichtigsten Arbeitsbereiche unseres Lebens. Diese Distanzierung kann zu Unlustgefühlen, Trägheit und Depression führen“ meinen Echterhoff und Mitarbeiter (1994, S. 83 ff). Ferner nennen die Autoren konkrete psychosomatische Symptome wie Magen-, Darm-, Herzund Kreislaufprobleme, Schlafstörungen, depressive Verstimmung und allgemeine Nervosität. Handfeste psychische Auffälligkeiten werden genannt wie „frei aufsteigende Angst, quälende Spannungen und unkontrollierbarer Stress ... Abbau von ... intellektueller Leistungsfähigkeit, tiefe, beinahe lähmende Ermüdung und nicht mehr auszugleichende Erschöpfungszustände“ (ebd. S. 87). Auch die Veränderung von psychischen Zuständen bis hin zu Persönlichkeitsmerkmalen kommt ins Spiel: Hilb (1992b, S.18) sieht die „Selbstpensionierung“, wie er die Innere Kündigung auch nennt, mit vielfältigen Persönlichkeitsveränderungen verbunden: „Stresstoleranzlosigkeit“, „Desinteresse“, „Leistungsminimalismus“, „Kreativitätsarmut“. „Passivität“, „Konformismus“, „Selbstachtungslosigkeit“ und „psychosomatische Krankheiten“. Der psychische Zustand der innerlich Gekündigten wurde auch als „demotiviert, resigniert, depressiv“ beschrieben. „Qualifikationsverlust und Freudlosigkeit bei der Arbeit bis hin zur Apathie und Sinnverlust sind die Folgen.“ (Nachbagauer, Ried; 1999). Die meisten Autoren nennen als Folgen der IK für die Betroffenen nach Echterhoff et al. (1994, S. 8385) und Krenz (1996, S. 13) u. a. Unlustgefühle, Arbeitsunzufriedenheit, Anzeichen von Frustration, Gereiztheit bis Wut und klinische Symptome wie „Depression, Verflachung aller Lebensbereiche, psychosomatische Beschwerden; Verzweiflung, Apathie, Sinnverlust“13. Die Palette der in der IK-Literatur beschriebenen Folge-Symptome ist 12 Die Personalausgaben machten im Jahr 2000 85,7 % der laufenden Ausgaben für das gesamte Bildungssystem aus (OECD-Ländermittel 80,3 %), die sonstigen Ausgaben wie Sachmittel 14,3 % (OECD 19,7 %). Die Ausgaben je Schüler sind bei uns deutlich geringer, die Lehrergehälter um rd. 1/3 höher als im OECD-Mittel (OECD, 2004). 13 Diese Schilderung ähnelt sehr derjenigen des terminalen Burnout-Stadiums, unbesehen der Frage, wie sinnvoll eine „Diagnose“ Burnout überhaupt ist. Über einen Berufsgruppenvergleich zum „Personal Burnout“ berichten Krause und Dorsemagen (2007). Die Bewertung solcher Zahlen sind schwierig, hängt sie doch von der Frage ab, mit welchen Berufsgruppen Lehrer sinnvoller Weise zu vergleichen wären (Hillert, 2007).
7.1 Die Problemlage
215
breit, nichts davon ist wirklich belegt. Mehrmals wurde die Annahme geäußert, „dass nicht zu bewältigende Schwierigkeiten in der Arbeitssituation krankheitsanfällig machen“ (Löhnert, S. 154, der sich auf Bruggemann et al., 1988, beruft, die aber selbst keine Belege hat). Wenn man bedenkt, dass das alles Vermutungen sind, oder besser: Arbeitshypothesen zur IK, so beeindruckt die bis in die Details gehende rege Phantasie. Selbst wenn man von den angegebenen Sachverhalten ausginge, bliebe dennoch völlig unklar, ob die genannten Symptome und Verhaltensmerkmale wirklich Folgen sind oder zeitgleiche Erscheinungen, oder ob sie selber zu den Mitverursachern von Innerer Kündigung gehören. Zweifellos ist die Problematik ernst zu nehmen. Richter (1999), der eine Befragungsstudie an Betroffenen durchgeführt hat, fand, dass unter den aktuell innerlich Kündigenden bei 9 von 10 psychosomatischen Beschwerden statistisch signifikant höhere Werte angegeben wurden (S. 130f), die durchaus ursächlich interpretiert werden können. Er fand mit seiner Befragung von Betroffenen, dass IK-Personen höhere Werte aufweisen bei Erschöpfung, Niedergeschlagenheit,, Nervosität, Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Magen-Darm-Problemen und Appetitlosigkeit (in dieser Reihenfolge absteigend) und sieht diese Symptome als „Konsequenzen“ der IK; Belege dazu nennt er nicht. Nach Brinkmann und Stapf (2006) setzen bei den persönlichkeitsbedingten Ursachen von IK die Befragten wenig Durchsetzungsfähigkeit auf den ersten Rang. Dann folgen Probleme mit Konflikten, soziale Unsicherheit und das Unvermögen, sich neue Ziele zu setzen. Mehrere neuere Forschungsberichte lassen vermuten, dass gesundheitliche Belastungen, körperliche Erkrankungen und psychische bzw. psychosomatische Symptome fördernd auf Zustände wie Burnout oder eben auch Disengagement mit Innerer Kündigung wirken können, zumindest beeinflussen sie das entsprechende Antwortverhalten in Fragebögen. Wenn man schließlich bedenkt, dass bereits ein Drittel der Referendare sich als ausgebrannt einschätzt und sich diese Quote über die Berufsjahre hinweg nur geringfügig erhöht, spiegelt dies offenkundig eher individuelle Dispositionen wider als berufliche Überlastungen (Hillert & Schmitz, 2009a, b). Auch die weiteren, in Kapitel 7.1.1 genannten Befunde bestärken die Vermutung, dass eher am Anfang eines Prozesses in den inneren Rückzug eine Erkrankung vorliegt als an dessen Ende. Definitionsgemäß setzt die Diagnose einer psychischen Störung voraus, dass die Konstellation „auf der individuellen und oft auch auf der Gruppen- oder sozialen Ebene mit Belastungen und Beeinträchtigungen von Funktionen verbunden ist“ (Dilling, Mombour & Schmidt, 1991: ICD-10, S. 19), m. a. W.: Psychische Störungen schränken Betroffene zumindest in Teilbereichen deutlich ein, bedeuten oftmals erhebliches Leid und haben akut und/oder perspektivisch negative Konsequenzen, und sie sind oft über die Zeit ziemlich stabil. Ausgehend von den Ergebnissen des BundesGesundheitssurveys stellt sich die Situation wie folgt dar: Angststörungen (Phobien, generalisierte Angststörungen und Panikstörungen), somatoforme und depressive Störungen sowie Alkoholerkrankungen sind mit teils mehr als 10% der Betroffenen relativ häufig. Psychotische – schizophrene – Störungen sind mit 2,6% deutlich seltener, Zwangs- und Essstörungen liegen jeweils unter einem Prozent. 48% aller erkrankten
216
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Personen erfüllten die Kriterien von zwei oder mehr Diagnosen. Über die Altersstufen hinweg ist die Erkrankungsrate insgesamt relativ konstant, wobei aber die Häufigkeitsgipfel der verschiedenen Diagnosen in unterschiedlichen Altersgruppen liegen (u.a. Essstörungen eher bei jungen, Depressionen eher bei älteren Menschen). Die Geschlechterverteilung weist Unterschiede auf: Depressionen sind bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern; bei Suchterkrankungen, zumal Alkohol, ist es umgekehrt. Der Lehrerberuf ist häufiger betroffen als andere Berufe. Das alles passt viel besser zu der Annahme, dass gesundheitliche Gefährdungen nicht die Folge eines inneren Rückzugs sind, sondern dass sie am Beginn eines Prozesses in das Disengagement incl. IK ebenso stehen wie am Beginn eines Prozesses in den Burnout. Aber nur etwa 10% der Betroffenen (auch der Lehrer) nahmen eine „im weitesten Sinne adäquate Therapie“ in Anspruch. Für viele ist es keineswegs leicht, sich den Zustand eigener therapiebedürftiger Hilfsbedürftigkeit einzugestehen und dieses ggf. mit Angehörigen und Kollegen zu kommunizieren. D. h., dass krankheitswertig seelisch belastete Mitmenschen, deren Problematik mehr oder weniger unerkannt ist, Teil unserer aller Alltagsrealität sind. Bereits die ausgesprochene Vermutung, es könnte eine psychische Erkrankungen vorliegen, kann eine Stigmatisierung bedeuten und von manch einem als eine strafrechtlich relevante Beleidigung aufgefasst werden. Die Konsequenz solcher unerkannter seelischer Erkrankungen ist, dass die daraus resultierenden Beeinträchtigungen respektive Eigenheiten der Betroffenen durch die Brille vermeintlicher Normalität gesehen werden. Wird das Vorliegen einer seelischen Störung übersehen, dann sind oft unlösbare und letztlich unsinnige Konflikte vorprogrammiert. Die Betreffenden erscheinen dann als unzureichend engagiert, faul, unfähig, launisch, aggressiv usw., d. h. sie weisen Merkmale von Disengagement inclusive IK auf.
7.2 Modell und Methode 7.2 Modell und Methode Drei Modelle14 bieten sich für eine Analyse der Daten der vorliegenden Studie an: (1) A D B: Extremes Disengagement fördert die Innen-Wahrnehmung negativer psychischer Zustände bis hin zu psychosomatischen Symptomen. Diese Auffassung teilen die meisten IK-Autoren. (2) B D A: Negative psychische Zustände wie psychosomatische Symptome, depressive Tendenzen, negative Affektivität usw. mit den entsprechenden inneren Ereignissen und/ oder äußeren Anlässen fördern die Tendenz zum Disengagement bis hin zur IK. (3) A ⇔ B: Beide Faktorenkomplexe stehen in dauernder Interaktion. Eine unmittelbare kausale Struktur soll mit diesen Modellen nicht ausgedrückt werden, denn prinzipiell gilt, dass nur Ereignissen eine kausale Wirkung zukommen kann, nicht aber Zuständen.
14
7.2 Modell und Methode
217
Aus den eingangs diskutierten Gründen werden hier Modell 2 und Modell 3 gewählt und damit wird für statistische Analysen die zweiseitige Fragestellung favorisiert.
7.2.1 Untersuchungsgruppe und Instrumente Die Untersuchungsgruppe: Den Daten in den Teil-Kapiteln 7.4 bis 7.6 liegt die große Untersuchungsgruppe zu Grunde (N = 1640). Die Basis von 7.3 stellt eine kleinere Stichprobe von 265 Lehrpersonen (37,4% m; 62,6% w), davon 20,8% Disengagierte. Das mittlere Alter ist 47,9 Jahre (min 31; max 62), das mittlere Dienstalter beträgt 22,8 (4/ 40) Jahre. Die mittlere Klassengröße liegt bei 25 Schülern, maximal 33. Diese Daten entsprechen ziemlich genau jenen der o. g. Untersuchungsgruppe. Diese Untersuchungsgruppe ist nicht repräsentativ für Lehrer. Der Anteil der disengagierten Lehrer (gemäß IK-Skala, s. Kap.4) ist geringer als in der großen Untersuchungsgruppe. Aber die Personenzahl (N = 265) ist groß genug, um gezielte Vergleiche von Engagierten und Disengagierten (n2 = 55) durchzuführen (vgl. Bortz & Döring, 2008; S. 628). Die Instrumente werden an dieser Stelle nur genannt und zwecks besserer Übersicht in den entsprechenden Teilkapiteln genauer beschrieben. Disengagement durch Innere Kündigung wurde mit der hauseigenen Skala erhoben (Einzelheiten in Kapitel 4). Die Skala zur Emotionalen Erschöpfung stammt aus dem Maslach Burnout Inventory (MBI). Diese Skala betrifft das Kern- und Leitsymptom des Burnout (Densten, 2001), α = .89 (alle Angaben zur Konsistenz stammen aus unserer Studie). Die Skala Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout wurde von Hillert (2004) und Hillert und Marwitz (2005) genauer beschrieben. Das Erfolgserleben im Beruf betrifft die individuelle Fähigkeit, eigene Erfolge wahrzunehmen und zu erleben. Die Skala enthält drei 4-stufige Items (Lehr, 2004, S.138) (α = .64). Das Wissen über die Zielerreichung der eigenen Arbeit (Feedback-Defizit) wird mit dem Job Diagnostic Survey (JDS; 6 Items; α = .63) erhoben (Lehr, 2004, S.138). Die Skala Lehrer-Selbstwirksamkeit, (G.S. Schmitz, 2001) enthält 10 Items (α = .81). Die depressiven Tendenzen wurden mittels der Kurzform der Allgemeinen Depressions-Skala (ADS nach Hautzinger & Bailer, 1993; Lehr, Hillert, Schmitz, Sosnowsky, 2008) erhoben. Genaueres und Items siehe unten. Die Psychosomatischen Beschwerden werden mit der Symptom-Checkliste (SCL-K9) von Klaghofer & Brähler (2000) ermittelt. Die Resignationstendenz bei Misserfolg ist dem AVEM-Inventar von Schaarschmidt (2004) entlehnt. Sie umfasst hier sechs Aussagen (α = .90) mit 4-stufigem Rating (Lehr, 2004, S. 135). Die Skala Emotionalität (Labilität/ Neurotizismus) aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung (FPI-R) mit 2-stufigen Ratings, umfasst 14 Items (α = .81) zur Feststellung der Stabilität bzw. Labilität des Gefühlslebens (Fahrenberg, Hampel, Selg, 1994). Die sechs Items zur Verausgabung sind dem Gratifikationsfragebogen von Siegrist (1997) entnommen. Statistik: Neben den genannten Itemanalysen wurden Chi-Quadrat-Tests für nominale und nonparametrische Tests (Mann-Whitney, Kolmogorow-Smirnow), in
218
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Ausnahme auch T-Tests für metrische normal verteilte Variablen, gerechnet. Zum Zweck der Gruppendifferenzierung wurden Diskriminanzanalysen und einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA und Tests nach Scheffé und Bonferroni) gerechnet. Zwecks Klärung der Effektstärken halten wir uns weitgehend an Lind (2008) und Jacobs (2005).
7.2.1 Engagierte und Disengagierte Die Trennung in Engagierte und in Disengagierte (incl. IK-Lehrer) erfolgt am Mittelpunkt der Ratingskala (1 bis 6, Scheitel 3,5). Die Trennung am Median wäre falsch, weil damit die Stichprobe in zwei gleich große Gruppen geteilt wird ohne jeglichen theoretischen Bezug. Da der Median an der Anzahl der Personen orientiert ist und nicht am Schweregrad der Inneren Kündigung, würde in die Gruppe der disengagierten Personen eine nicht geringe Gruppe von Engagierten gelangen (Näheres in Kapitel 4.3.2, dort Grafik mit Erläuterung). In unserer Studie kämen 22 engagierte Personen zusätzlich in die Gruppe der Disengagierten, wodurch die Ergebnisse erheblich verzerrt werden würden. Die Trennung nach Engagierten und Disengagierten mit IK-Werten ab 3,5 auf der Ratingskala ergibt 210 (79,2%) Engagierte und 55 (20,8%) disengagierte Lehrer. Homogenisierung: Um in den folgenden Teilkapiteln Konfundierungen zumindest mit den soziografischen Merkmalen zu vermieden, werden die beiden Gruppen der Engagierten und der Disengagierten hinsichtlich Alter usw., insgesamt acht Merkmalen, homogenisiert. Der folgenden Tabelle ist zu entnehmen, dass die beiden Gruppen sich in den soziografischen Merkmalen nicht unterscheiden; nur das Deputat ist bei den IK-Lehrern etwas geringer: Tabelle 7.1: Homogenisierung der zwei Gruppen Merkmale Stundendeputat* Kinder Klassengröße Familienstatus** Alter Dienstjahre Wochenarbzeit*
Engagierte Μ s 23,07 1,56 24,58 75,7% 47,55 22,39 39,82
4,25 0,85 3,99 6,71 7,31 10,04
Disengag. Μ 20,69 1,67 25,93 67,3% 49,25 24,18 37,22
s
Effekt abs
Signif p
Effekt d
5,33 1,23 3,84
-2,38 0,12 1,35
7,75 8,49 12,77
1,71 1,79 -2,61
0,03 0,22 0,07 0,22 0,11 0,12 0,11
0,099 0,093 0,088 0,059 0,035 0,028 0,019
*Anmerkung: Angaben des Unterrichtsdeputats und der geschätzten Wochenarbeitszeit in Stunden. ** Status: verheiratet., allein lebend, ledig, verwitwet, geschieden; C’V (Cramer’sV: 0.22). Da der eheliche Status eine Nominalvariable ist, ist eine Angabe zum Mittelwert nicht zulässig.
7.3 Ergebnisse
219
Das Geschlecht ist ebenfalls gleich verteilt. Die Engagierten sind zu 36,7% männlich, die Disengagierten zu 40%, die Differenz ist unbedeutend (χ2 = 0,21, df = 1, p = .65). Auch die Anzahl der Kinder, wenn man sie als privaten Belastungsfaktor ansehen will, ist nicht unterschiedlich (Signifikanz p = .22). Sowohl die absoluten Effektgrößen als auch die klassische Effektgröße d sind völlig unbedeutend. Somit werden beide Gruppen in den neun wichtigen soziografischen Merkmalen als homogenisiert akzeptiert. Das Merkmal ehelicher Status weist eine interessante Auffälligkeit auf: Der Anteil der Geschiedenen oder getrennt Lebenden ist unter den IK-Lehrpersonen mit 20% deutlich höher als bei den Engagierten mit 12,1%. Der Unterschied ist allerdings statistisch unbedeutsam.
7.3 Ergebnisse 7.3 Ergebnisse 7.3.1 Überblick Zunächst interessieren die korrelativen Beziehungen zwischen der Ausprägung von Disengagement einerseits und jener der psychosomatischen und personalen Merkmale andererseits. Acht klinische Symptome bzw. personale Merkmale wurden überprüft: die Resignationstendenz nach Misserfolg, die psychosomatischen Beschwerden, die erlebte Lehrer-Unwirksamkeit im Unterricht, das klinische Symptom der emotionalen Labilität (Neurotizismus), mangelhaftes Erfolgserleben, das sog. Feedbackdefizit (Wissen über die Wirksamkeit der eigenen Arbeit) und die Symptomatik der allgemeinen emotionalen Erschöpfung. Sie alle könnten gemäß Modell 2 ursächlich für ein Disengagement sein. Abbildung 7.2: Disengagement und psychosomatische Merkmale Korrelationen Resignation
0,41
psycho-somat. Störung
0,50
Selbstunwirksamkeit
0,45 0,52
emot. Labilität mangelh. Erfolg
0,38
Feedback-Defizit
0,30
Erschöpfung
0,54
Depression
0,58 0
0,1
Anmerkung: N = 265; Spearman’s ρ
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
220
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Die praktische Bedeutung der Effekte kann als mittel (ρ > 0,3) bis stark (ρ > 0,5) eingestuft werden. Offenkundig korreliert die Tendenz zur depressiven Symptomatik am höchsten mit dem Disengagement, gefolgt von der Tendenz zur allgemeinen emotionalen Erschöpfung, der emotionalen Labilität und der psychosomatischen Symptomatik. Die insgesamt hohen Korrelationen deuten auf einen einfaktoriellen Zusammenhang von Disengagement und den übrigen Merkmalen. Mit diesem Überblick tut sich die Frage auf, welche Variablen bei Anwendung von Modell 2 am meisten an der Aufklärung der Differenz der Gruppen der Engagierten und der Disengagierten beteiligt sind. Dazu wurde eine schrittweise Diskriminanzanalyse gerechnet. In die Analyse wurden die acht o. g. Variablen einbezogen. Nach dem zweiten Analyseschritt verblieben zwei Variablen in der Analyse: die Tendenz zur Depression und die Lehrer-Selbstunwirksamkeit. Tabelle 7.2:Diskriminanzanalyse Eigenwert kanonische λ df Signifikanz χ2 Korrelation 0,61 0,62 0.621 51,83 2 p .000 Die Klassifikationsergebnisse: 95,9 % für die Gruppe der Engagierten, 54,5% für jene der Disengagierten. Insgesamt wurden 88,85 % aller Fälle korrekt klassifiziert. Fazit: In dem Reigen der klinischen Symptome als individuelle Dispositionen und somit als personale Merkmale hat sich die Wirkmacht der Variablen Depression und LehrerSelbstunwirksamkeit durchgesetzt. Anhand dieser beiden Variablen lassen sich die beiden Gruppen der engagierten und der disengagierten Lehrer dieser Untersuchungsgruppe am besten trennen. Im Weiteren werden ohne Berücksichtigung ursächlicher Spekulationen die beiden Gruppen der Engagierten und der Disengagierten miteinander verglichen. Einen ersten Eindruck vermittelt die folgende Tabelle:
7.3 Ergebnisse
221
Tabelle 7.3: Psychosomatische Merkmale bei Engagierten und Disengagierten Engag Merkmal
Diseng
Mittelwerte
5 Emot Labilität 6 Identif. mit Burnout 1 Depression 8 Resignation 7 Psychosomatisch 3 Erfolg 2 Feedback 4 Selbstwirksamkeit
1,30 1,39 1,34 1,67 1,52 3,05 3,02 3,52
1,59 2,42 2,09 2,29 2,24 2,63 2,68 3,15
K-S p**
Diff, a ES
0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000
0,29 1,08 0,74 0,62 0,71 0,42 0,34 0,37
Skalenbreite 1-2 1-5 1-4 1-4 1-5 1-4 1-4 1-5
relat. ES in % 58,0 21,6 18,4 15,5 14,2 10,5 8,5 7,4
Anmerkung: 1= Allgemeine Depression (Skala von Hautzinger ADS-K); 2 = Feedback über Zielerreichung (Job Diagnostic Survey n. Schmidt & Kleinbeck); 3 = Erfolgserleben im Beruf. (Priener Lehrerprojekt, A. Hillert); 4 = Lehrer-Selbstwirksamkeit; 5 = Emotionale Labilität; 6 = Identifikation mit dem Konzept Burnout; 7= Psychosomatishe Beschwerden, 8 = Resignation bei Misserfolg (AVEM, Skala von Schaarschmidt); Ratingskala (Likert-Skala) ** der p-Wert basiert auf dem nonparametrischen Vergleich unabhängiger Stichproben nach Kolmogorow-Smirnow. aES ist die absolute Effektstärke anhand der mittleren Differenz der Mittelwerte, die Merkmale sind geordnet nach der relativen ES.
1
Depression
2
Feedback
3
Erfolg
4
Selbstwirksamkeit
5
Emot Labilität
6
Identif. mit Burnout
7
Psychosomatisch
8
Abbildung 7.3: Psychosomatische Merkmale: Engagierte vs. Disengagierte
Resignation 1
1,5 Engagierte
2
2,5 Innerlich gek.
3
3,5
Skalenbreite
4
4,5
5
222
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Die Angaben zur prozentualen Effektstärke erlauben einen unmittelbaren Vergleich der Merkmale unter Bezug auf die Skalenbreite der Rating- bzw. Likert-Skalen (Lind, 2008). Die Gruppendifferenz in der Emotionalen Labilität beträgt 58,0% der Skalenbreite. Dieser Wert hat eine enorme praktische Bedeutung, denn er besagt, dass Engagierte und Disengagierte sich in diesem Merkmal um eine Differenz von 58% auf der Skala unterscheiden. Aufgrund der (oben mitgeteilten) Befunde werden die Emotionale Labilität und die Tendenz zur Depressivität, gefolgt von psychosomatischen Erkrankungen, gemäß Modell 2 als die bedeutsamen Faktoren einer individuellen Disposition für persönliches Disengagement betrachtet. Ferner sind die folgenden Verhaltensmerkmale wirksam: mangelnde Wirksamkeit im Umgang mit den Schülern, die Tendenz zur Resignation nach Misserfolg, die mangelnde Fähigkeit, Erfolge wahrzunehmen und auf Erfolge hin wirken zu können ebenso wie die Unfähigkeit, positives Feedback zu erlangen. Wir nehmen für unsere Befunde zu den personalen Merkmalen der Lehrer eine gewisse zeitliche Stabilität an. Dafür spricht auch die Längsschnittstudie von Klusmann, Kunter, Trautwein (2009). Sie untersuchten Schaarschmidts (2004) Typologie beruflicher Verhaltensstile, bei der Personen auf Basis ihres beruflichen Engagements, ihrer seelischen Widerstandskraft und der berufsbegleitenden Emotionen vier Typen (Gesundheitstyp, mit Disengagement einhergehender Schontyp, Risikotyp A und Risikotyp B) zugeordnet werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die vier Stile differenzierte Zusammenhänge mit dem Beanspruchungserleben noch ein Jahr später (N = 158 Lehrer) aufweisen, die auch bei Berücksichtigung der Lehrer-Selbstwirksamkeitserwartungen bestehen bleiben. Eine Bestätigung dieser Stabilitätsannahme findet sich bei Lipowsky (2003), der mittels zwei Zeitstichproben im Abstand von sechs Monaten an mehr als 800 ehemaligen Lehramtsstudierenden mehrerer Examensjahrgänge fand, dass 60 Monate nach Ende des Examens nur 63% vollzeitlich im Schuldienst arbeiteten und dass eher diejenigen dahin gelangten, die bereits im ersten Messzeitpunkt „ein positiveres Selbstbild“ hatten (S. 194), das waren aber nur 31,5%. Von den psychosomatisch „Gefährdeten“ (23,4%) ist ebenfalls eine große Anzahl in den Schuldienst gelangt, auch von jenen, die sich belastet gefühlt (6,8%) hatten. Eine „eklatante Änderung“ der Selbstbeschreibung bzw. eine Wanderung von einer in eine andere Gruppe wurde nicht festgestellt (S. 366).
7.3.2 Depressive Tendenzen Neigen disengagierte IK-Lehrer häufiger zu depressiven Zuständen als engagierte Lehrer? Gehen beide seelischen Zustände einher? Oder bedingen sie sich gegenseitig? Gemäß Modell 2 fördern negative psychische Zustände wie psychosomatische Symptome, depressive Tendenzen, negative Affektivität usw. mit den entsprechenden inneren Ereignissen und/ oder äußeren Anlässen die Tendenz zum Disengagement. Schon die IK wurde von einer „pessimistischen Grundhaltung“ gefördert, äußerte (Höhn,
7.3 Ergebnisse
223
1983), ohne dies zu belegen. Motivationale und Einstellungsprobleme wie IK und Disengagement können – aus klinischer Sicht – auf der Basis depressiver Tendenzen entstehen bzw. durch sie gefördert werden. Depressionen sind von Niedergeschlagenheit, gedrückter Stimmung, Interessenverlust, Konzentrations-, Antriebs- und Leistungsstörungen gekennzeichnet. Ein- und Durchschlafstörungen sind häufig, die Erschöpfbarkeit ist hoch. Mit Traurigkeit haben diese Zustände wenig zu tun. Insbesondere schwerere Fällen dominiert oft ein im normalen Leben so nicht vorkommender, merkwürdig gedrückter Zustand, eine Art Gefühlsvakuum. Arbeiten, die zuvor locker von der Hand gegangen sind, werden zu unlösbaren Bergen, alles Zusammenreißen hilft nicht mehr. Die aktuellen Depressions-Diagnosekriterien der WHO im Sinne der International Classification of Diseases ICD-10 (Dilling, Mombour, Schmidt, 1991) und des Diagnosesystems der amerikanischen Psychiatervereinigung (Diagnostical and Statistical Manual – DSM-IV: Saß, Wittchen und Zaudig, 1996) fassen diese Aspekte in einem Diagnose-Algorithmus zusammen: Mindestens fünf der folgenden Symptome bestehen während derselben ZweiWochen Periode und stellen eine Änderung gegenüber der vorher bestehenden Leistungsfähigkeit dar:
Depressive Verstimmung täglich, für die meiste Zeit des Tages, vom Betroffenen selber berichtet oder von anderen beobachtet vermindertes Interesse oder verminderte Freude an Aktivitäten verminderter oder gesteigerter Appetit oft mit Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung fast täglich Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen Gefühle von Wertlosigkeit und Schuldgefühle (die auch wahnhaftes Ausmaß annehmen können) Verminderte Fähigkeit sich zu konzentrieren oder Entscheidungen zu treffen Gedanken an Tod und Suizid oder Suizidversuch
Depressive Störungen gehen mit starkem individuellem Leiden einher und sind gesundheitsökonomisch von hoher Relevanz. Die „Global Burden of Disease“Studie (Mathers, Lopez & Murray, 2006) identifiziert depressive Störungen als eine zentrale Ursache für „verlorene“ Lebensjahre („Disability Adjusted Life Years“).
224
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Depressivität stellt einen Negativprädiktor für den Verlauf verschiedener Erkrankungen dar. Der Zusammenhang von Belastung und depressiven Störungen ist gut belegt (Überblick bei Tennant, 2001). Die gesundheitsökonomische Bedeutung wird nicht zuletzt angesichts langer, durch Depressionen bedingter Arbeitsunfähigkeitszeiten deutlich (Lehr, Hillert, Schmitz, Sosnowsky, 2006). Das mag auch für das Disengagement gelten. Wir werden versuchen, diese Fragen ansatzweise zu behandeln. Für einen ersten Schritt benötigen wir je eine Gruppe von engagierten und von disengagierten Lehrern. Die Gruppen sollten für einen statistischen Vergleich geeignet sein. Instrument: Der o. g. Gruppe von 265 Personen (w 62,6%; m 37,4%) wurde die Allgemeine Depressions Skala (ADS-K), Kurzform (15 Items, α = .89) vorgelegt. Die Skala ist die deutsche Form der „Center for Epidemiological Studies Depression Skale“ (CESD). Sie ist ein Selbstbeurteilungs-Instrument, das speziell für den Einsatz bei epidemiologischen Studien an nicht-klinischen und subklinischen Bevölkerungsgruppen entwickelt worden (Hautzinger & Bailer, 1993; Hillert, 2007, 148; Lehr, Hillert, Schmitz, Sosnowsky, 2008).). Durch diese Charakterisierung ist die Skala genau für unsere Zielsetzung geeignet, nämlich das Vorkommen von depressiven Tendenzen unter disengagierten Lehrern zu untersuchen. Die Skala wird hier als Screening-Instrument eingesetzt, nicht als Diagnose-Instrument. Das bedeutet, dass diejenigen, deren Summenwert über dem Wert 17 lag, möglicherweise zur depressiven Verstimmung neigen und dass unter diesen Personen sich solche mit einer Depression befinden können. Die Befragung erfolgte mit der Aufforderung: „Bitte kreuzen Sie bei den folgenden Aussagen die Antwort an, die Ihrem Befinden während der letzten Woche am besten entspricht/ entsprochen hat.“. Das Antwort-Rating: 0 = selten oder überhaupt nicht (weniger als 1 Tag); 1 = manchmal (1 bis 2 Tage lang); 2 = öfters (2 bis 4 Tage lang); 3 = meistens (5 bis 7 Tage lang). Dann folgen 15 Aussagen, z. B.: „Während der letzten Woche ... (4.Item) war ich deprimiert/niedergeschlagen 0 = selten“ usw. Für jede Person wird ein Summenwert errechnet. Von den 265 Lehrer sind 210 (79,2%) engagierte Personen, 55 (20,8 %) haben innerlich gekündigt. Die Teilung der Gruppe erfolgte mittels des Mittelwertes (midpoint) der Rating-Skala. Ergebnisse: Allgemein ist festzustellen, dass die Variablen „Disengagement/ IK“ und „Tendenz zur Depression“ miteinander stark korrelieren (ρ = 0.58, p< .000). Die Effektstärke des Unterschieds der Engagierten und Disengagierten beträgt auf der vierstufigen Ratingskala der Depression 18,4%, das ist ein sehr bedeutsamer Unterschied (vgl. Abb. & Tab. oben). Unter den 210 Engagierten befinden sich 4 Personen, d. s. 1,5%, mit einem Summenwert über 17; unter den 55 IK-Personen befinden sich 26 Personen, d. s. 47,3% dieser Gruppe, mit dem entsprechenden Summenwert über 17, also mit starken depressiven Tendenzen. Diese Verteilungsunterschiede sind statistisch hoch signifikant (χ2 = 115,18, df = 1; p < .0000). Das bedeutet, dass – zumindest in dieser Lehrergruppe – bei nahezu jeder zweiten disengagierten Person die Möglichkeit einer ernsthaften depressiven Störung gegeben ist. Eine differenziertere Diagnose, etwa
7.3 Ergebnisse
225
„Depression“ als psychische Störung im Sinne des ICD-10 (Dilling et al., 2000) wurde nicht angestrebt. Eine entsprechende Studie an disengagierten Lehrern wäre Erfolg versprechend. (Die Skalenwerte fallen in unserer Lehrergruppe deutlich günstiger aus als in den Gruppen von Hautzinger: Mittelwert M und Standardabweichung Sd bei uns: 7,11 bzw. 6,97, bei Hautzinger: 10,72 bzw. 8,03). Abbildung 7.4: Prozentuale Anteile von Gesunden und Depressiven unter Disengagierten und Engagierten
Engagiert
Disengagiert
98,1
52,7
1,9
49,3
gesund
depressiv
Geschlecht: Bei Männern ist die statistische Beziehung zwischen Disengagement und der Tendenz zur Depression (ρ =.74**) deutlich enger als bei den Frauen (ρ = .44**). Doch ein Vergleich des Ausprägungsgrades der depressiven Tendenz bei Lehrern und Lehrerinnen ergibt keine statistische Differenz (Μ = 1,54 vs. 1,44; mittlere Diff. 0,102, KS Z -,025; Signifikanz p = .29). Unter den Disengagierten zeigen die Männer (40,0%) statistisch höhere Mittelwerte als die Frauen (μ = 2,29 vs. 1,72, Diff. 0,57, K-S Z = 1,88, p = 0,002). Bei den Engagierten haben die Männer unbedeutend geringere Testwerte, die insgesamt unter dem Depressionspegel liegen (μ = 1,29 vs. 1,36, Diff. -0,06, K-S Z 1,38, p = 0,046). Das ist bemerkenswert. In den Untersuchungsgruppen von Hautzinger haben die Frauen jeweils statistisch bedeutsam höhere Summenwerte auf der Depressionsskala als die Männer. Die Werte dürfen als relativ zeitstabil betrachtet werden (a.a.O.). Warum dieser Trend im Lehrerberuf nicht verifiziert werden konnte, ist schwer zu sagen. Mehrere Erklärungsansätze wären möglich. Man könnte etwa annehmen, dass im Lehrerberuf Männer mit depressiven Tendenzen stärker repräsentiert sind als in der Bevölkerung, oder dass in den Lehrerberuf mehr Männer mit depressiven Tendenzen streben als in andere Berufe. Man könnte auch annehmen, dass im Lehrerberuf gerade diejenigen sozialen Fähigkeiten stärker gefragt sind, die besonders die Frauen auszeichnen, so dass sie mehr Erfolge und Befriedigung erleben als ihre männlichen Kollegen. Umgekehrt könnte man annehmen, dass Männer wegen ihrer vermutlich geringeren sozialen Sensibilität im Umgang mit den Schülern häufiger negative Rückmeldungen erhalten als die Frauen. Man kann auch vermuten, dass die erhöhten Testwerte mit der Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout einhergehen und insofern ein Artefakt sind. Das alles sind Spekulationen.
226
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
7.3.3 Erfolgserleben, Feedback und Resignation Das Erleben von Erfolgen wird in der Forschung unterschiedlich gedeutet. Es kann aus der Sicht der pädagogischen Schulforschung als Indikator für erfolgreiches schulisches Handeln und für die Ausbildungsqualität angesehen werden (Mayr, 2006) und aus der Sicht des Klinikers als die Fähigkeit, Erfolge überhaupt wahrzunehmen (Hillert et al., 2006). Mayr legte im Rahmen eines Längsschnittdesigns Lehramtsstudierenden, Referendaren und jungen Lehrpersonen sieben Jahre nach dem Examen Aussagen zum Erleben von Erfolg in der pädagogisch-didaktischen Arbeit vor, jedoch im Unterschied zu Schwarzer und G. Schmitz (1999) wurden nicht die Erwartungen von Erfolg erfragt, sondern der eingeschätzte, tatsächlich stattgehabte Erfolg. Hier wurde das „Erleben von Erfolgen als Indikator dafür gesehen, wie stark die Kompetenz als dispositionsartiger Personen-Standard sich in der real gegebenen Situation in wirksamem Handeln und entsprechendem Befinden der Lehrperson niederschlägt.“ (S. 155). Allerdings wurden Resultate nur für den korrelativen Zusammenhang zwischen den Zeitpunkten drei und sieben Jahren nach Abschluss des Studiums für zwei Items mitgeteilt. Dabei hat man sich auf die statistisch bedeutsamen Korrelationen beschränkt. Merkwürdig ist, dass Unterschiede, etwa um eine Veränderung im Laufe des Längsschnitts zu belegen, nicht geprüft wurden. Auch über eine Längsschnittsmessung, etwa Regressionsanalysen oder BoxJenkins-Verfahren (Bortz & Döring, S. 569), wird nicht berichtet. Die Fähigkeit, positives Feedback wahrzunehmen und Erfolge zu erleben, ist offenkundig wichtig für die seelische Widerstandskraft im Umgang mit Belastungen (Belege eingangs). Das Erleben von Erfolg in der eigenen schulischen Arbeit kann retrospektiv durch Einschätzung der Befragten erhoben werden. Das Erfolgserleben im Beruf (die Skala wurde im Lehrerprojekt Prien entwickelt, vgl. Lehr, 2004, S.138) betrifft die individuelle Fähigkeit, eigene Erfolge wahrzunehmen und zu erleben. Das Erfolgserleben wird durch drei einfache 4-stufige Items (α = .64) erhoben: „Durch meine Arbeit habe ich viele Erfolgserlebnisse“, „wirkliche Erfolgserlebnisse im Beruf habe ich nur selten“, „Meine Arbeit als Lehrer/in gelingt mir überwiegend gut“. Die Antworten: 1= selten, max. einmal pro Woche, bis 4= meistens, mindestens an 5 Tagen pro Woche. Die Korrelation zwischen Erfolgs- und Feedbackskala beträgt in unserer Studie ρ = 0,59 (p = .000). Das Feedback, d. h. das Wissen über die Zielerreichung der eigenen Arbeit, wird mit dem Job Diagnostic Survey (JDS; 6 Items) nach Schmidt & Kleinbeck erhoben (Lehr, 2004, S.138). Itembeispiel: „Durch die Arbeit an sich erhalte ich eine Rückmeldung darüber, wie gut ich meine Arbeit mache“, „Die Arbeit ... gibt mir kaum Hinweise, ob ich ... Leistungen erziele“, „... erhalte ich kaum Hinweise, ob ich gute oder schlechte Leistungen erreiche.“; „Andere geben mir Rückmeldung darüber, wie gut ich meine Arbeit mache“, „ ... geben mir nie Rückmeldung darüber, wie gut ich meine Arbeit mache ...“; „Ich finde es oft schwierig zu beurteilen, ob ich meine Arbeit gut oder schlecht mache.“ (α =.63 in der vorliegenden Studie).
7.3 Ergebnisse
227
Die Resignationstendenz nach Misserfolg wurde mit sechs Items des AVEM (Schaarschmidt) erhoben. Beispielitems: „Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell ...; Misserfolge kann ich nur schwer verkraften ..; ich verliere leicht den Mut, wenn ich trotz Anstrengung keinen Erfolg habe ..“. (vierstufiges Rating. α = .90). Es ist zu erwarten, dass das Erfolgserleben und die Wahrnehmung von positivem Feedback mit dem Grad an Disengagement abnehmen, während die Tendenz zur Resignation zunehmen müsste. Tatsächlich sind die Korrelationen negativ: ρ = -0,23 (p = .01) für die Beziehung zwischen der IK-Skala und der Feedback-Skala und ρ = -0,35 (p = .000) zwischen IK und der Erfolgsskala. Die theoriegeleiteten Hypothesen werden in der folgenden Tabelle bestätigt. Tabelle 7.4: Merkmale in Abhängigkeit von Graden des Disengagements
Disengag.Grade nie kaum selten manchmal oft immer
% Häufigkeiten 14,7 35,8 29,1 10,9 8,7 0,8
Feedback s Μ 3,05 3,08 2,93 2,82 2,51 2,16
0,32 0,43 0,55 0,52 0,36 0,23
Μ
Erfolg s
3,30 3, 08 2,86 2,79 2,47 2,00
0,47 0,53 0,48 0,46 0,66 0,00
Resignation s Μ 1 ,39 1,71 1,77 2,02 2,63 2,58
0,41 0,67 0,63 0,56 0,68 0,83
Die drei Merkmale Feedback, Erfolg und Resignation sind auf die Grade des Disengagements signifikant ungleich verteilt (p = .000, non-parametrische Testung Kruskal-Wallis 1-Way ANOVA ). Deutlich ablesbar ist die Abnahme der Mittelwerte des positiven Feedbacks und des Erfolges bei gleichzeitiger Zunahme des Grades des Disengagements, während die Resignationstendenz mit dem Grad des Disengagements anwächst. In der Kurvendarstellung (Abbildung 7.5) kommt das Profil besser zum Ausdruck als im eigentlich üblichen Balkendiagramm. Diese Beziehungen entsprechen den theoretischen Erwartungen, wonach Disengagement mit den Zustände des Erlebens von positivem Feedback und Erfolg in negativer Beziehung stehen, dagegen mit der Tendenz zur Resignation in positiver Beziehung. Bei dieser Beziehung handelt es sich vermutlich um eine ursächliche Beziehung gemäß Modell 2.
228
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Abbildung 7.5: Feedback, Erfolg und Resignation nach Misserfolg in Abhängigkeit von den Graden des Disengagements
3,5 3 2,5 2 1,5 1 nie
kaum
se lten Feedback
manchmal Erfolg
oft
immer
Resign
In der nächsten Tabelle stehen die Daten für einen Vergleich von Engagierten und Disengagierten: Die zwei Gruppen, getrennt anhand des Skalenscheitels der Ratingskala (midpoint) der IK-Verteilung, werden mit nonparametrischen Tests für unabhängige Gruppen verglichen. Die Differenzen sind für drei Merkmale hoch signifikant. Die Effektstärken der Unterschiede sind hoch bedeutsam. Die Mittelwerte der Erfolgsskala ohne IK sind 3,07 und mit IK 2,69, die Differenz beträgt 0,38 und ist mit p < .000 hoch signifikant. Die Mittelwerte der Feedback-Skala sind 3,04 bzw. 2,73; die Differenz von 0,31 ist ebenfalls hoch signifikant (p < .000; siehe untenstehende Tabelle). Das Disengagement (incl. Innere Kündigung) schließt offenkundig eine stark negative Dimension ein: die Resignationstendenz nach Misserfolg; sie resultiert aus der Überzeugung einer mangelnden Selbstwirksamkeit (self-efficacy bei Bandura, 1997) und gleichzeitiger negativer Ergebniserwartung (outcome expectancies) beim Handeln. Der Prozess kann so vorgestellt werden: Wird irgendeine Anforderung nicht bewältigt, so besteht im Normalfall eine eher optimistische Tendenz zum erneuten Bewältigungsversuch. Zunächst stellt man sich der Herausforderung mit vermehrter Anstrengung, um einem Kontrollverlust entgegenzuwirken. Bei wiederholt gescheiterten Bewältigungsversuchen erwirbt – in der Abfolge: Situation Handlung Ergebnis – bereits die Anforderungssituation einen bedrohlichen Charakter, bevor überhaupt die Handlung begonnen wurde. Der Handlungsausgang und das zu erwartende Handlungsergebnis werden immer stärker mit negativen Kognitionen und Emotionen verknüpft. Bei fortdauernd erzwungener Konfrontation mit misserfolgsvermittelnden Problemstellungen in der Arbeitssituation kann sich ein Zustand von Hilflosigkeit mit
7.3 Ergebnisse
229
völliger emotionaler Resignation und mit der Tendenz zur Depression entwickeln, wie er für die Innere Kündigung theoretisch typisch sein soll (Belege s. oben). Hohe Resignationstendenz ist das herausragende Kennzeichen des Risikomusters B (Schaarschmidt, 2004, S.101f). Auch in Lehrerbiografien wird der Resignationstyp beschrieben (Sieland, 2004, S. 157f), dessen Personen durch Selbstzweifel bezüglich ihrer Kompetenz, Effektivität und Professionalität gekennzeichnet sind. Wegen der Stabilität dieser Merkmale auf der Zeitachse kann es sich um Antezendenzen von Disengagement handeln. In der folgenden Tabelle sind die Differenzen in drei Merkmalen zwischen Engagierten und Disengagierten dargestellt. Die absoluten Differenzen sind wenig anschaulich, aber anhand der relativen Effektstärken werden die Unterschiede sichtbar. Sie betragen für die Erfolgsdimension 10,5% der vierstufigen Skalenbreite, für die Feedback-Dimension 8,5% und für die Resignationstendenz nach Misserfolg 15,5%. Das sind gemäß der üblichen Konvention für die Bedeutung von Effektstärken (Lind, 2008) bedeutende bis sehr bedeutende Effekte. Tabelle 7.5: Vergleich von Engagierten vs. Disengagierten (Mittelwerte und Varianzen) im Erfolgs- bzw. Feedback-Erleben und bei Resignation
Engag
Disengag
Merkmal
Μ1
s
Μ2
s
Erfolg Feedback Resignation
3,05 3,04 1,67
0,28 0,23 0,40
2,63 2,73 2,29
0,34 0,24 0,46
12
K-S
Signif
Diff.
z
p*
a ES
relat.ES in %
1,94 2,36 1,72
0,000 0,000 0,000
0,42 0,31 0,62
10,5 8,5 15,5
22
*Anmerkung: Non-parametrische Tests Kolmogorow-Smirnow; Skalenbreite 1 - 4.
Die Effektstärken d nach Glass, sofern sie hier überhaupt interessant sind, betragen in der Reihenfolge der Tabelle: 1.49 (1.18 - 1.82); 1.45 (1.13-1.77) und 1.55 (1.23-1.87).
7.3.4 Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout Beim Vergleich der Statistiken der Gesundheitsreporte fällt die Zunahme der psychischen Symptomatik in den letzten Jahren auf. Wie diese Zunahme zu erklären ist, dürfte bisher unklar sein. Zugenommen hat die Tendenz unter Patienten, psychische Symptome zu akzeptieren. In ähnlicher Richtung hat sich das Diagnose-Verhalten der Ärzte in den letzten Jahrzehnten verändert, und nicht zuletzt das Abrechnungsverhalten der Krankenkassen. Diese Tendenz ist auch bei Lehrern zu beobachten. So hat das „Allgemeine Erschöpfungssyndrom“, worunter auch der Burnout gerechnet wird,
230
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
eine allgemeine Akzeptanz gefunden. In Kliniken mit dem Schwerpunkt Psychosomatik wurde unter Lehrer-Patienten sogar ein Trend zur „Identifikation mit dem Burnout“ (Hillert, 2004) festgestellt. Der zu Beginn dieses Kapitels beschriebenen Stichprobe von 265 Lehrern (37,4% m; 62,6% w) mit einem Durchschnittsalter von 47,9 Jahren (Min 31; Max 62) wurde die Skala Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout vorgelegt. Die Vorstellung von der Tendenz mancher Lehrpersonen, ein persönliches Konzept zu entwickeln, das einer Identifikation mit dem Leiden „Burnout“ gleichkommt, stammt von der Forschergruppe um Andreas Hillert (2004). Die Skala aus vier Items beschreibt, wieweit eine Person sich mit dem Merkmal Burnout identifiziert bzw. sich dieser Kategorie zugehörig fühlt. Vier Items mit 5-stufigem Rating. Beispiele: „Ich sehe mich selbst als jemand, der unter Burnout leidet“ – „ich leide aktuell unter Burnout; Wenn von ausgebrannten Lehrern die Rede ist, zähle ich mich selbst dazu“. Die Items sind durch eine hohe innere Konsistenz (α = 0,86 bis 0,94) ausgezeichnet. Manche Lehrer greifen aus Selbstschutz bei Misserfolgen zum Mittel einer zeitgemäßen und allseits modisch anerkannten „Krankheit“, ohne genau sagen zu müssen, was sie damit genau meinen, denn diese Symptomatik ist so bekannt, dass ohnehin jeder zu wissen glaubt, was gemeint ist. Der Griff zu dieser „Diagnose“ mag auch in Einzelfällen den Weg in die vorzeitige Pensionierung erleichtern (vgl. Hillert & Marwitz, 2006, insbesondere Kapitel 7). Die statistischen Kennwerte dieses Merkmals in unserer Studie sind (Rating 1 - 5): Mittelwert: 1,50; Median 1,00; Varianz 0,50 (Min/Max 1,00/ 4,00). Die Disengagierten unterscheiden sich von den Engagierten in der „Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout“ ganz erheblich: Die absolute Effektstärke (aES) ist 1.08, der relative Effekt beträgt 21,6% der fünfstufigen Skalenbreite, das ist ein mehr als sehr bedeutender Effekt. Tabelle 7.6: Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout Merkmal
Mittelwerte Engag
Selbstkonzept Burnout
1,39
Diff.
K-S z
Signif. p
relat.ES in %
1,08
3,86
0,000
21,6
Diseng 2,47
7.3 Ergebnisse
231
Abbildung 7.6: Identifikation mit dem Selbstkonzept „Burnout“ (Mittelwerte; Rating 0 - 5) in Abhängigkeit von den Ausprägungsgraden der IK (N = 265)
3,25
3,5
2,92
3 2,5
2,11
2 1,5 1
1,19
1,34
1,56
kaum
selten
0,5 0 nie
manch-mal
oft
immer
Eine non-parametrische Testung (Kruskal-Wallis 1-Way ANOVA) anhand der Gruppierungsvariable Innere Kündigung (6 Ratingstufen) resultierte in stetig aufsteigenden Rangzahlen (55,6; 74,7; 78,2; 104,3 und 142,6; χ2 = 27,13; df= 4) der BurnoutIdentifikation bei hoher Signifikanz (p < 0,000). Das bedeutet, dass die Identifikation der Lehrer mit dem Selbstkonzept Burnout signifikant deutlich mit den ansteigenden Werten des Disengagements einhergeht. Der statistische Zusammenhang beider Merkmale zeigt sich auch in einer Korrelation von ρ = 0,49 (p< .000). Der Befund besagt nicht, dass eine Burnout-Identifikation und das Disengagement identisch sind, aber beide Merkmale treten offensichtlich bei vielen Personen gemeinsam auf. Vielsagend sind die Korrelationen der Burnout-Identifikation mit Merkmalen wie z. B. Arztbesuche (0,34**), die Erwartung, nicht bis zum regulären Pensionierungsalter berufstätig zu sein (0,44**) und die relativ dichten statistischen Zusammenhänge mit klinischen Variablen: Tendenz zur depressiven Verstimmung (0,59**), zu psychosomatischen Beschwerden (0,54**), zur Resignation bei Misserfolg (0,46**) zur emotionalen Labilität (0,45**) und der negative Zusammenhang mit der Fähigkeit, Erfolge wahrzunehmen und zu erleben (-0,40**) und Vertrauen in die eigene Handlungswirksamkeit zu haben (-0,37**).
7.3.5
Lehrer-Selbstwirksamkeit
Die Erwartung oder Überzeugung, in einer bestimmten Situation aufgrund der eigenen Fähigkeit und Kompetenz die erwünschte Handlung ausführen und die dazu nötige Leistung aufbringen zu können, nennen wir mit Bandura (1997) die SelbstwirksamkeitsErwartung. Das damit verknüpfte Gefühl von Erfolg bzw. Misserfolg beeinflusst die Wahrnehmung und die Motivation auf vielfache Weise. Die Wirkung der Veränderung von berufsspezifischen Selbstwirksamkeitserwartungen auf das Befinden hat G. Schmitz (2001) in einer Längsschnittstudie an Lehrkräften belegt. Selbstwirksamkeitsüberzeugung
232
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
und Handlung wirken – positiv wie negativ – zirkulär aufbauend. Die Erwartung, nicht über die nötige Kompetenz zu verfügen, um die erwünschten Handlungen ausführen zu können, resultiert im Gefühl von Kontrollverlust, d. h. die Fähigkeit zur Kontrolle der Handlungsergebnisse wird nicht mehr der eigenen Person zugeschrieben (internal locus of control), sondern anderen oder einer anderen Person oder das Ergebnis wird auf Zufall oder Glück attribuiert. Die Entstehung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen erfolgt in (1) einer Aneignungsphase mit Aufmerksamkeits- (Hinsehen) und Gedächtnisprozessen (Einspeichern) und (2) in einer Ausführungsphase mit motorischer Reproduktion (Nachmachen) und mit Verstärkungs- und Motivationsprozessen. In der dazu parallel verlaufenden Selbstbeobachtung und Selbstbewertung erfolgt dann die –positive oder negative – Überzeugung von Selbstwirksamkeit. Fördernde Quellen positiver Erwartungen sind gute Modelle (beispielsweise erfolgreiche Kollegen), soziale Unterstützung (durch Evaluatoren, Kollegen, Schulleiter) und – nicht zuletzt – die eigene Meisterung schwieriger Situationen. Internalisierte negative Selbstwirksamkeitserwartungen und die gewonnene Überzeugung von Kontrollverlust bezüglich arbeitsspezifischer Situationen und Handlungsausführungen sind mit Innerer Kündigung fest verknüpft (vgl. Kapitel 3). Somit steht zu erwarten, dass die Antworten von disengagierten Lehrern auf einer entsprechenden Skala zur Selbstwirksamkeit deutlich schlechter ausfallen müssten als jene Antworten von engagierten Lehrern. Zwecks Prüfung dieser Annahme wurde die Skala Lehrer-Selbstwirksamkeit (10 Items; α = .81 bei uns) von R. Schwarzer und G. Schmitz (G. Schmitz, 2001) 327 Lehrpersonen vorgelegt, davon 55 Personen, die über dem Skalenscheitel (midpoint) der IK-Skala liegen und damit verdächtig sind, disengagiert zu sein. Die Bestätigung der Vermutung zeigt Tabelle 7.7: Tabelle 7.7: Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten Engag
Disengag
Merkmal
Μ1
s
Selbstwirksamkeit
3,52
0,19
2
Μ2 3,15
s
K-S z
Signif p*
Diff. a ES
Effekt in %
0,30
2,51
0,000
0,37
7,4%
2
Anmerkung: Non-parametrische Tests K-S; Skalenbreite 1 - 5
Die absolute Effektstärke beträgt 0,37. 7,4% der Skalenbreite (1-5) beträgt die effektive Differenz in der Lehrer-Selbstwirksamkeit zwischen Engagierten und Disengagierten, das ist eine bedeutsame Effektstärke. Die zehn Items lauten:
7.3 Ergebnisse
233
(S1) Ich weiß, dass ich es schaffe, selbst den problematischsten Schülern den prüfungsrelevanten Stoff zu vermitteln. (S2) Ich weiß, dass ich zu den Eltern guten Kontakt halten kann, selbst in schwierigen Situationen. (S3) Ich bin mir sicher, dass ich auch mit den problematischen Schülern in guten Kontakt kommen kann, wenn ich mich darum bemühe. (S4) Ich bin mir sicher, dass ich mich in Zukunft auf individuelle Probleme der Schüler noch besser einstellen kann. (S5) Selbst wenn mein Unterricht gestört wird, bin ich mir sicher, die notwendige Gelassenheit bewahren zu können. (S6) Selbst wenn es mir mal nicht so gut geht, kann ich doch im Unterricht immer noch gut auf die Schüler eingehen. (S7) Auch wenn ich mich noch so sehr für die Entwicklung meiner Schüler engagiere, weiß ich, dass ich nicht viel ausrichten kann. (S8) Ich bin mir sicher, dass ich kreative Lösungen entwickeln kann, mit denen ich ungünstige Unterrichtsstrukturen verändere. (S9) Ich traue mir zu, die Schüler für Neues zu begeistern. (S10) Ich kann gute Ideen auch gegenüber skeptischen Kollegen durchsetzen. (Skala zur Lehrer-Selbstwirksamkeitserwartung © R. Schwarzer & G. Schmitz, 1999, zit. n. [email protected]; Schwarzer & Jerusalem, 2001, Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen, korrig. Web-Version). Likert-Skala 1-5.
Die Aussagen drücken die subjektive Gewissheit eines Lehrers („Ich“) aus, im schulischen Arbeitsfeld etwas erfolgreich tun zu können, auch wenn eine Barriere im Weg steht. Je höher die Werte sind, desto zuversichtlicher ist die Kontroll- bzw. Selbstwirksamkeitserwartung. Die Werte für die einzelnen Items der Skala zeigt Tabelle 7.8: Tabelle 7.8: Items zur Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten Merkmal
Mittelwerte
Diff
z
Sig.
Engag.
IK
p
Skala gesamt
3,57
3,19
0,37
5,72
0,000
S8
Kreative Lösungen entwickeln
3,55
3,05
0,50
4,87
0,000
S10
Gute Ideen durchsetzen
3,42
3,00
0,42
4,71
0,000
S9
Für Neues begeistern
3,72
3,36
0,35
4,48
0,000
S4
Auf individuelle Probleme einstellen
3,44
2,99
0,46
4,46
0,000
S3
Guten Kontakt mit problematischen Schülern
3,77
3,34
0,43
3,85
0,000
S2
Guten Kontakt zu Eltern
3,76
3,31
0,45
3,57
0,000
234
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Fortsetzung von Tabelle 7.8 Merkmal
Mittelwerte
Diff
Engag.
IK
z
Sig. p
S6
Gut auf Schüler eingehen
3,71
3,32
0,38
3,54
0,000
S5
Gelassenheit bei Störung
3,62
3,27
0,34
3,10
0,002
S7
Nichts Ausrichten trotz Engagement
2,68
2,92
0,24
2,03
0,042
S1
Problematischsten Schülern Stoff vermitteln
3,39
3,23
0,15
1,81
0,070
Abbildung 7.7: Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten (Mittelwerte)
S8 S10 S9 S4 S3 S2 S6 S5 S7 S1 1,00
1,50
2,00
2,50
Engagierte
3,00
3,50
4,00
IK-Lehrer
Die Aussagen S1 (Ich weiß, dass ich es schaffe, selbst den problematischsten Schülern den prüfungsrelevanten Stoff zu vermitteln) und S7 (Auch wenn ich mich noch so sehr für die Entwicklung meiner Schüler engagiere, weiß ich, dass ich nicht viel ausrichten kann) sind nicht widerspruchsfrei: S1 ist utopisch und S7 dürfte bei realistischer Sicht von allen Befragten akzeptiert sein, und deshalb sind beide Differenzen auf dem 1%-
7.3 Ergebnisse
235
Niveau nicht eindeutig. In allen übrigen Aussagen der Skala zur Selbstwirksamkeitserwartung unterscheiden sich die Engagierten von den Disengagierten. Das heißt, dass die IK-Lehrer bedeutsam geringere Erwartungen an ihre Wirksamkeit in der Schule und damit an ihre soziale Kompetenz haben als die Engagierten. Insbesondere in den Items S3 und S4 sind die Differenzen hoch, d. h. hinsichtlich ihrer Fähigkeit, mit Schülern umgehen zu können, trauen sie sich selbst wenig zu. Sie trauen sich auch nicht zu, gute, kreative Ideen zu entwickeln (S8) und diese dann durchzusetzen (S10).
7.3.6
Psychosomatische Beschwerden
Mit der Tendenz zur depressiven Symptomatik korrelieren die psychosomatischen Beschwerden ziemlich hoch (ρ = 0,75**). Diese wurden mit der Symptom-Checkliste SCL-K9 von Klaghofer und Brähler (2000) mittels neun 5-stufigen Items erhoben. Die neun Items weisen in unserer Untersuchungsgruppe eine hohe Innere Konsistenz (α = .82) auf. Thematisch geht es um die Neigung zu Gefühlsausbrüchen, Vulnerabilität, Gefühle von innerer Spannung, Aufregung, Sorgen, Nervosität und um Einsamkeitsgefühle. Itembeispiel: „Wie sehr litten Sie ... unter Verletzlichkeit in Gefühlsdingen“. Die Skala korreliert außer mit der Neigung zur Depression mit Maslachs Skala zur Emotionalen Erschöpfung (ρ = 0,50**), mit der Emotionalitätsskala des Freiburger Persönlichkeitsinventars (ρ = 0,68**), mit der Neigung zur Resignation bei Misserfolg des AVEM von Schaarschmidt (ρ = 0,51**), mit der „Skala zur Identifikation mit dem Burnout“ von Hillert (ρ = 0,54**), mit der Lehrerbelastung (ρ = 0,32**) und mit der Lehrerselbstwirksamkeit nach G. Schmitz (ρ = -0,28**). Die Skala korreliert leicht mit der negativen Einstellung gegenüber den Schülern (ρ = .12, n. s.). Die Beziehung zur Inneren Kündigung ist mit einer mäßigen Korrelation ausgewiesen (ρ = 0,42**). Alle Korrelationen sind hoch signifikant. Alle Zahlenangaben sind auf unsere Untersuchungsgruppe zu beziehen. So entsteht ein plastisches Bild klinischer bzw. psychosomatischer Auffälligkeiten in Verbindung mit Disengagement und eine zumindest teilweise empirische Bestätigung jener Autoren, wie beispielsweise die Gruppe um Echterhoff oder des Autors Hilb, die derartige Beziehungen mit der Inneren Kündigung vermutet hatten. Nun wird geprüft, ob und wie die Engagierten sich von den Disengagierten mit IK bezüglich der psychosomatischen Beschwerden nach Klaghofer und Brähler unterscheiden. Tabelle 7.9. : Psychosomatische Beschwerden
Psychosom.
Mittelwerte Engag IK 1,52 2,24
Anmerkung: Ratingskala 1 - 5
Diff. 0,72
K-S Z 3,15
Signif p 0,000
ES % 14,4
236
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Die Prüfung auf Unterschiede erfolgte mit einem non-parametrischen Verfahren (Kolmogorow-Smirnow). Offenkundig weisen die Disengagierten hoch signifikant höhere Werte auf der Symptom-Checkliste auf. Dagegen unterscheiden Männer und Frauen sich nicht (Mittelwerte 1,66 beide Geschlechter, K-S Z 1,21, p = 0.11). Einschränkend muss festgestellt werden, dass kausale Aussagen nicht gestattet sind. Es bleibt also nach wie vor unbekannt, ob die gefundenen Zusammenhänge auf Ursachen, Begleiterscheinungen oder Folgen verweisen. Denkbar ist, dass psychosomatische Beschwerden im Gefolge von Belastungen und von Disengagement auftreten, aber ebenso kann man sich vorstellen, dass Menschen mit der Neigung zu psychosomatischen Beschwerden weniger belastbar sind und deshalb mehr als andere u. a. zum Disengagement als Verarbeitungsstrategie bei Kontrollverlust neigen.
7.3.7
Emotionale Labilität
Die emotionale Labilität ist für den Neurotizismus, eine der fünf Grunddimensionen, der sog. Big Five im Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit, charakteristisch (De Raad, 2000). Es gibt Menschen, die emotional eher rasch reagieren, oft mit einer Tendenz zur Impulsivität, während andere eher ruhig bleiben (emotionale Stabilität). Emotionale Labilität ist gekennzeichnet durch starke Stimmungsschwankungen, die bei geringstem Anlass ausgelöst werden können, und durch allgemein leichte Erregbarkeit. Stimmung und Verhalten sind sehr abhängig von Ereignissen in der Umwelt, aber nicht angepasst. Oft können labile Menschen die eigene Laune nicht erklären. Schüler klagen nicht selten über die Launen ihrer Lehrer im Zusammenhang über negatives Lehrerverhalten (Schmitz et al., 2006). Emotional labile Lehrpersonen haben offenkundig eher Schwierigkeiten mit Schülern und Kollegen als emotional stabile Lehrkräfte. Zwecks Prüfung der emotionalen Labilität wurde die Skala Emotionalität (Labilität/ Neurotizismus) aus dem Freiburger Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung (FPI-R) mit 2-stufigen Ratings, genutzt. Sie umfasst 14 Items (α = .81) zur Feststellung der Stabilität/ Labilität des Gefühlslebens...“(Fahrenberg, Hampel, Selg, 1984). Die Items:
Fp19 Ich habe manchmal ein Gefühl der Teilnahmslosigkeit und der inneren Leere. Fp28 Ich bin oft nervös, weil zu viel auf mich einströmt. Fp42 Meine Familie und meine Bekannten können mich im Grunde kaum richtig verstehen Fp45 Ich fühle mich oft wie ein Pulverfass kurz vor der Explosion Fp49 Termindruck und Hektik lösen bei mir körperliche Beschwerden aus Fp55 Ich mache mir oft Sorgen um meine Gesundheit Fp79 Ich bin häufiger abgespannt, matt und erschöpft
7.3 Ergebnisse
237
Fp82 Manchmal habe ich ohne eigentlichen Grund ein Gefühl unbestimmter Gefahr oder Angst Fp106 Es gibt Zeiten, in denen ich ganz traurig und niedergedrückt bin Fp110 Ich träume tagsüber oft von Dingen, die doch nicht verwirklicht werden können Fp112 Ich grüble viel über mein bisheriges Leben nach Fp115 Oft rege ich mich zu rasch über jemanden auf Fp126 Meine Laune wechselt ziemlich oft Fp130 Ich habe häufig das Gefühl, im Stress zu sein
Das Rating: 1 = stimmt nicht; 2 = stimmt (ggf. invertiert). Tabelle 7.10: Emotionale Labilität bei Engagierten und Disengagierten Merkmal Fp79 abgespannt Fp55 Gesundheit F49 Beschwerden Fp28 oft nervös Fp130 Stress Fp45 vor Explosion Fp110 Tagträume Gesamtskala Fp42 Familie Fp19 Teilnahmslosigkeit Fp112 grüble viel Fp126 Laune wechselt Fp106 traurig Fp115 oft aufgeregt Fp82 unbest. Gefahr
Mittelwerte Engag. 1,38 1,20 1,30 1,35 1,54 1,15 1,31 1,30 1,20 1,17 1,26 1,18 1,50 1,49 1,25
Diff IK 1,86 1,66 1,75 1,73 1,91 1,49 1,64 1,59 1,46 1,42 1,51 1,42 1,64 1,61 1,35
0,48 0,46 0,45 0,38 0,37 0,34 0,32 0,29 0,26 0,25 0,25 0,24 0,14 0,12 0,10
K-S z 3,24 3,06 3,00 2,53 2,49 2,28 2,19 3,41 1,73 1,71 1,68 1,64 0,89 0,78 0,65
Signif p 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,005 0,006 0,007 0,010 0,40 0,58 0,80
ES in % 24,0 23,0 22,5 19,0 18,5 17,0 16,0 14,5 13,0 12,5 12,5 12,0 7,0 6,0 5,0
Die größten Differenzen weisen folgende Items, in dieser Reihenfolge, auf: Fp79 Ich bin häufiger abgespannt, matt und erschöpft; Fp55 Ich mache mir oft Sorgen um meine Gesundheit; Fp49 Termindruck und Hektik lösen bei mir körperliche Beschwerden aus; Fp28 Ich bin oft nervös, weil zu viel auf mich einströmt; Fp130 Ich habe häufig das Gefühl, im Stress zu sein; Fp45 Ich fühle mich oft wie ein Pulverfass kurz vor der Explosion. Wenig differenzieren die Items Fp82 Manchmal habe ich ohne eigentlichen Grund ein Gefühl unbestimmter Gefahr oder Angst; Fp106 Es gibt Zeiten, in denen ich ganz traurig und niedergedrückt bin; Fp115 Oft rege ich mich zu rasch über jemanden auf.
238
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Abbildung 7.8: Emotionale Labilität – siehe Tab. 7.10 Fp55 Gesundheit Fp28 oft nervös Fp45 vor Explosion Fp42 Familie Fp112 grüble viel Fp106 traurig Fp82 unbest. Gefahr 1
1,2
IK
1,4
1,6
1,8
2
Engagierte
In allen Items sind die auf die Differenzen bezogenen Effektstärken zwischen Engagierten und disengagierten Lehrern bedeutsam und meist hoch bedeutsam. Disengagierte Lehrer sind eindeutig emotional labiler als engagierte Lehrer. M. a. W., disengagierte Lehrer neigen hoch signifikant mehr zum Neurotizismus. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass diese Neigung mehrheitlich bereits vor dem Prozess ins Disengagement bestand.
7.3.8 Verausgabungsbereitschaft oder Angst vor Kontrollverlust? Aus dem Gratifikationsfragebogen von Siegrist (1997) wurden sechs Items übernommen, die nach unserer Überzeugung einen Teilschritt in der psychischen Entwicklung zum Disenagement und in der Genese der Inneren Kündigung kennzeichnen. Die Items lauten: (P1) Beim Arbeiten komme ich leicht in Zeitdruck ... (P2) Es passiert mir oft, dass ich schon beim Aufwachen an Arbeitsprobleme denke ... (P3) Wenn ich nach Hause komme, fällt mir das Abschalten von der Arbeit sehr leicht ...(invertiert: sehr schwer); (P4) Diejenigen, die mir am nächsten stehen, sagen, ich opfere mich zu sehr für meinen Beruf auf ... (P5) Die Arbeit lässt mich selten los, das geht mir abends noch im Kopf rum ... (P6) Wenn ich etwas verschiebe, was ich eigentlich heute tun müsste, kann ich nachts nicht schlafen ...
7.3 Ergebnisse
239
Das Rating ist vierstufig. Haben diese Items eine Verausgabungsbereitschaft im Sinne des „Overcommitment“ zum Inhalt oder etwas anderes? Nicht abschalten können, Schlafstörungen, weil einem dauernd etwas „im Kopf rum geht“, nämlich Probleme bei der Arbeit, die man offenkundig nicht in einem vorgegebenen Zeitrahmen schafft, denn an zwei Stellen ist das Zeitproblem genannt, das alles deutet auf eine Erwartungsangst, etwas nicht schaffen zu können. M a. W.: Wer diesen Aussagen voll zustimmt, scheint sich deshalb dauernd mit der Arbeit zu beschäftigen, weil er fürchtet, die Kontrolle über die zu lösenden Aufgaben zu verlieren. Die Inhalte dieser Items drücken keineswegs eine Bereitschaft aus, sich zu verausgaben, sondern die Erwartungsangst, die Kontrolle über die Arbeitsaufgabe zu verlieren. Mit diesen Items wird keine Verausgabungsbereitschaft (Overcommitment) ausgedrückt, dazu bräuchte man andere Items, sondern Angst vor Kontrollverlust. Es fällt auf, dass die Zustimmung zu diesen Items hohe Korrelationen mit der Emotionalen Labilität aufweist (0,66), ebenso mit der Tendenz zur Depression (0,53), mit der Tendenz zur Resignation bei Misserfolgen (0,52) und mit der Erschöpfung (0,51). Die Effektstärken sind entsprechend hoch. Damit wird angedeutet, dass bei vielen, die diesen Items zugestimmt haben, offenkundig eine starke Emotionalität beteiligt war. Und es wird die These, die Items können für Angst vor Kontrollverlust stehen, erhärtet. Damit wäre nicht ein Zustand etablierter Innerer Kündigung betroffen, sondern vielmehr ein Zustand während des Prozesses ins Disengagement. Eine Bestätigung ist die nur mittelstarke Korrelation (0,30) mit dem Disengagement. Auch die absoluten Effektstärken für die Differenz von Engagierten und Disengagierten sind folgerichtig nur mittleren Ausmaßes. Tabelle 7.11: Arbeitsprobleme bei Engagierten und Disengagierten Merkmal Probleme ges. P2 P5 P6 P3 (-) P4 P1
M1 2,48 2,28 2,62 2,30 2,62 2,75 2,30
M2 2,83 2,82 3,16 2,76 2,89 3,00 2,36
aES 0,35 0,54 0,54 0,46 0,27 0,25 0,06
p 0,000 0,000 0,000 0,000 0,046 0,046 0,450
ES% 8,75 13,50 13,50 11,50 6,75 6,75 1,50
240
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Abbildung 7.9: Arbeitsprobleme bei Engagierten und Disengagierten
P5 P2 P6 P4 P3 (-) P1 1,00
1,50
2,00 Engagierte
2,50
3,00
3,50
IK-Lehrer
Kontrollverlust droht im Umgang mit Schülern ebenso wie mit Kollegen und mit der Schulleitung. Die Inhalte des drohenden Kontrollverlustes können anhand der vorliegenden Items nicht benannt werden, sie müssen anhand der Lehrer-Erwartungen (Kapitel 6) geklärt werden.
7.4 Arztbesuche und Pensionierungsabsichten 7.4 Arztbesuche und Pensionierungsabsichten Von der gesamten Untersuchungsstichprobe (n = 2019) gaben 13,5% der Lehrpersonen an, gesundheitliche Beschwerden zu haben, diese waren bei ca. 52% dieser Untergruppe bereits fünf Jahre vor der Befragung und früher aufgetreten, bei 14,3% vor vier Jahren, bei 4,5% vor drei, bei 19% vor zwei, bei 9,5% vor einem Jahr aufgetreten und bei den übrigen im laufenden Jahr. Bei 13% waren im letzten halben Jahr die physischen Beschwerden so stark, dass die Personen begonnen haben, darunter zu leiden. Auf die Arbeit innerhalb der letzten sieben Tage vor der Befragung haben sich diese Beschwerden kaum ausgewirkt. Die Engagierten gaben an, an 4,82 Tagen gearbeitet zu haben, die IK-Lehrer sogar an 4,96. Die Differenz ist unbedeutend (p = .31, nicht signifikant). Arztbesuche: Ein möglicher Hinweis auf eine subjektiv erlebte gesundheitliche Gefährdung ist die Anzahl der Arztbesuche in den letzten sechs Monaten. 327 Lehrer wurden nach der Anzahl der Arztbesuche in den letzten sechs Monaten gefragt. 70,9% hatten keinen Arzt aufgesucht, 10,7 % waren einmal beim Arzt, 11,6 % zweimal, 3,7% dreimal, und mehr als drei Arztbesuche hatten 3,0% dieser Gruppe. Die disengagierten Personen geben tendenziell etwas mehr Arztbesuche an als die Engagierten (M-W-Test: Diff.: 0,34; p < .06). Männer und Frauen unterscheiden sich in der Anzahl der Arztbesuche nicht (p = .12).
7.4 Arztbesuche und Pensionierungsabsichten
241
Tabelle 7.12: Arztbesuche in den letzten 6 Monaten Kein 70,9%
1mal 10,7%
2mal 11,6%
3mal 3,7%
3mal 3,0%
Pensionierungsabsichten: Der Anteil vorzeitiger Pensionierungen aufgrund von Dienstunfähigkeit lag im Jahr 2001 bundesweit im Lehrerberuf mit 54% deutlich höher, als dies in anderen verbeamteten Berufsgruppen mit durchschnittlich 37% der Fall war, schreibt Lehr unter Berufung auf das Statistische Bundesamt (Lehr, 2004, S. 120). Von allen Berufstätigen in der gewerblichen Wirtschaft erreichten in den letzten Jahren jeweils etwa 17% das reguläre Rentenalter, von den Lehrern 5-7% ansteigend bis zur Zeit ca. 25%. Der Grund für diesen Anstieg liegt wohl bei den Pensionierungsabschlägen. Ob diese Entwicklung als Zunahme des sog. „fortsetzungsbezogenem Commitment“ ist, sei dahingestellt. Uns haben die Pensionierungsabsichten unserer Untersuchungsgruppe interessiert. Die Verteilung der Antworten auf die Frage, ob sie annehmen, dass sie bis zum Erreichen des regulären Pensionierungsalters berufstätig sein können, ist Tabelle 7.13 und Abb. 7.10 zu entnehmen. Die Differenz zwischen engagierten und disengagierten Lehrkräften ist statistisch hoch bedeutsam (χ2 = 54,12; df = 4, p < .000). Männer und Frauen der disengagierten Personen unterscheiden sich nicht (p = 0,18). Tabelle 7.13: Erreichen des Pensionierungsalters (Prozent) ja, sicher Engag. 23,5 Disengag. 3,6
eher ja 47,8 32,7
uneher auf keisicher nein nen Fall 16,5 8,8 3,3 18,2 42,5 3,0
Abbildung 7.10: Werden Sie das reguläre Pensionierungsalter erreichen?
50 40 30 20 10 0 sicher
eher ja
unsicher
Engagierte
eher nein auf keinen Fall
Disengagierte
242
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Die Frage, ob sie ihre Erwerbsfähigkeit auf die Dauer als gefährdet betrachten, wurde von 96,7% der Engagierten verneint gegen 63,6% der disengagierten Lehrer, die zu 36,4% mit „ja“ geantwortet haben. Einen Antrag auf vorzeitige Pensionierung haben 1,1 % der engagierten und 36,4% der disengagierten Lehrer gestellt. Der Unterschied ist bedeutsam (χ2 = 61,85; df = 1, p < .000).
7.5 Fehltage und Krankmeldungen 7.5 Fehltage und Krankmeldungen Psychische Belastungen am Arbeitsplatz können mit hohen Fehlzeiten verbunden sein. Daraus entstehen für die Wirtschaft angeblich jährlich Kosten in Milliardenhöhe (Dietrich, Vetter, Nah, 2000). Die Anzahl von Fehltagen bzw. Krankmeldungen wird nicht selten als typische Folgeerscheinung der IK betrachtet, aber auch als Folge von Burnout oder von Mobbing am Arbeitsplatz. Den Befunden, über die Zapf & Kuhl (2000) berichten, ist zu entnehmen, dass die Fehlzeiten infolge Mobbing am Arbeitsplatz erheblich sein können. Zum IK-Verhalten im Behördenalltag von Beamten schreibt Höhn u. a.: der innerlich Gekündigte „nimmt jetzt jede Gelegenheit zur Krankmeldung wahr“, während „er früher zu denjenigen gehörte, die selbst in typischen Grippezeiten nicht ausfielen“ (Höhn, 1989, S. 22f). Ausdrücklich wird „Das Fernbleiben vom Arbeitsplatz bei geringstem Anlass“ genannt (Höhn, 1983, S. 58f; 93ff). „Hohe Fehlzeiten“ wurden ausdrücklich auch von Faller (1993, S. 89) als eines von 6 Symptomen aufgeführt – gleichzeitig dem widersprechend: „Dienst nach Vorschrift ohne aufzufallen ...“. In der Studie von Krystek et al. (1995, S. 59) gaben 81% der Personalbeauftragten „häufigere“ Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter an. Aber andererseits halten sich IK-Beamte strikt an die Regelarbeitszeit (Höhn, 1989, S. 22f). Die genannten Autoren meinen auch, dass der innerlich Kündigende nicht auffallen möchte. Nicht auffallen und häufiges Fehlen – das dürfte ein Widerspruch sein. Der Widerspruch könnte sich auflösen, wenn man bedenkt, dass alle genannten Autoren lediglich Schätzungen, meist von Vorgesetzten, angaben; empirische Befunde haben sie nicht. Die medialen Meldungen über Fehlzeiten und Krankenstand von Lehrern sind offenkundig unzuverlässig; möglich ist auch, dass die Statistiken unterschiedlich geführt werden: Der Krankenstand bei Lehrern soll viermal so hoch sein wie in anderen Berufsgruppen, meldet eine Tageszeitung für Berlin (www.tagesspiegel.de/berlin/ Zugriff Okt. 08), der Krankenstand bei Lehrern ist mit 8,5% dreimal so hoch wie bei anderen Arbeitnehmern, melden andere (www.3sat.de/ Zugriff Okt. 08 ). Die Daten von 7.000 Beschäftigten zeigen, dass Lehrer häufiger krank sind als die Versicherten der BEK insgesamt, wurde für Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2005 gemeldet (www.thieme-connect.ejournals/abstract/gesu/ Zugriff Okt. 08). Im Unterschied zu den bisher zitierten Meldungen lag der Krankenstand 2005 und in den Vorjahren mit 3% deutlich unter den Krankenständen aller bei der IKK pflichtversicherten Beschäftigten mit 4,1% (www.ikk.de/generator/fuer-arbeitgeber/download-service/ Zugriff Okt. 08).
7.5 Fehltage und Krankmeldungen
243
Die Angaben über Fehlzeiten der Lehrer schwanken, sie liegen aber dennoch unter dem Durchschnitt, denn nach dem letzten Bericht des Bundesverbandes der IKK (2008) kommen die Lehrkräfte im Schnitt auf 10,9 Krankheitstage im Vergleich zu 14,9 aller bei der IKK pflichtversicherten Beschäftigten. Im regelmäßig veröffentlichten Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK für 2004 gehörten damals die Lehrer für musische Fächer mit 5 Fehltagen zu den fünf Berufsgruppen mit den niedrigsten Krankenständen, während der Bundesdurchschnitt aller Berufe bei 16,4 Tagen (AOK) bzw. 11,4 Tagen (BEK) lag (vgl. auch Badura, Schröder, Vetter, 2008). In Österreich werden die Fehltage der Lehrkräfte zur Zeit mit durchschnittlich 6 Tagen angegeben, allgemein mit 12-14 Tagen (Sept. 09). Doch für eine realistische Gesamtschau der Zahlen dürften die Angaben des Bundesverbandes der Krankenkassen BKK gelten, er kommt in seinem Gesundheitsreport von 2006 auf 8 bis 10 „Unfähigkeitstage“ für Lehrerinnen und Lehrer15. Nach Angaben der Betriebskrankenkassen auf der Basis von 6,9 Millionen Versicherten werden 12,4 bis 13,6 Fehltage für 2007/8 gemeldet (am 02.02.09). Gleichzeitig meldet der DGB, die Menschen gingen immer häufiger krank zur Arbeit. Der Wochentag mit den meisten Arbeitsunfähigkeitsfällen ist übrigens nicht der Montag, wie oft sprichwörtlich angenommen wird, sondern der Freitag. Den Lehrern werden allgemein und den langzeitkranken Lehrkräften im Besonderen indirekt ziemlich deutlich unlautere Motive unterstellt, wenn man im Zusammenhang mit ihren Fehlzeiten daran erinnert, dass sie im Krankheitsfall als Beamte unbegrenzt die volle Lohnfortzahlung erhalten. Die Gruppe um Ulrich Wagner meldet, dass bei den Fehltagen jene Lehrer-Gruppe mit doppelt so viel Fehltagen heraus fällt, die sich gar nicht mit dem Beruf identifiziert, also die disengagierten Lehrer, im Vergleich zu den Lehrern, die sich in einem mittleren bis hohen Ausmaß mit ihrem Beruf identifizieren (van Dick, Wagner, Christ, 2004, S. 48). Nach dem letzten Fehlzeiten-Report 2010 vom Wissenschaftlichen Institut der AOK und der Universität Bielefeld auf der Basis von 9,7 Mill. erwerbstätigen Versicherten und der deutschen Angestellten Krankenkassen auf der Basis von 2,5 Mill. Versicherten nehmen Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen deutlich zu. In den letzten 15 Jahren sei deren Anteil um 80% gewachsen. Hier soll durch eine direkte Befragung der Lehrer geprüft werden, wie hoch die mittlere Anzahl ihrer Fehltage während des letzten Schuljahres war, und ob ein Zusammenhang mit dem Disengagement durch Innere Kündigung zu Recht angenommen werden darf oder nicht. Nahezu 1900 Lehrpersonen wurden gefragt: „Wie viel Tage im letzten Schuljahr haben Sie gefehlt? ___Tage.“. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Korrelation zwischen IK und Fehltagen niedrig ist, sie beträgt ρ = .20 (p < .000). Die Fehltage und das Stundendeputat bzw. Fehltage und Gesamtarbeitszeit für die Schule (ρ = .01; n.s.) bzw. (ρ = -.05; n.s.) weisen keinerlei Beziehung auf. Anstelle der Angaben über korrelative Beziehungen vermitteln uns die Häufigkeiten einen besseren Einblick: 15 Weiteres können Interessierte möglicherweise der Arbeit von Tanja Reinke (2007) entnehmen, die jedoch hier weniger von Bedeutung ist.
244
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Alle befragten Lehrpersonen haben durchschnittlich 3,61 (sd: 6,72) Tage im letzten Schuljahr gefehlt bzw. waren im Krankenstand; bei einem Minimum von 0 Tagen und einem Maximum von mehr als 99 Tagen (siehe folgende Tabelle). Lehrer fehlten im Schnitt etwas weniger (3,06 Tage, sd: 5,97) als Lehrerinnen (3,74; sd: 7,66). Überhaupt nicht gefehlt haben 43,8% der gesamten Lehrkräfte; bis 3 Tage haben 69,1% gefehlt oder sich krank gemeldet. Langzeiterkrankungen ab drei Wochen haben 1,9% der Lehrkräfte angegeben. Die gesamten Lehrkräfte haben im Mittel 3,61 Tage gefehlt (min 0/ max 99), die Engagierten haben 1,5 Tage (min 0/ max 80) und die Disengagierten 5,62 Tage (min 0/ max > 99) gefehlt. Von den Disengagierten haben die Frauen mit 7,01 Tagen (min 0/ max > 99) tendenziell öfter gefehlt als die Männer mit 4,8 Tagen (min 0/ max 55) (Differenz 2,21 Fehltage; K-S z = 0,78; p = 0.56 nicht signifikant). Die Werte streuen in beiden Gruppen sehr stark und sind nicht normal verteilt. Wenn man Langzeiterkrankungen ab sechs Wochen rechnet, dann liegt der Anteil der Langzeiterkrankungen aller Krankheitsfälle nach Angaben der IKK bei 3,2%. Das entspricht bei unseren Zahlen dem Anteil bei den disengagierten Lehrern, die anderen liegen bei 1,51,9% deutlich darunter (Tabelle 7.13). Tabelle 7.13: Fehltage nach Selbstauskunft der Lehrpersonen Fehltage 0 1 2 3 4 5 6-10 11-20 21-99 mittel min/max
gesamt % cum 43,7 6,3 50,0 10,5 60,5 8,6 69,1 4,8 73,9 7,9 81,8 10,4 92,4 5,7 98,1 1,9 100,0 3,61 0/99
Engagierte % cum 47,5 6,5 54,0 10,6 64,5 9,1 73,6 4,7 78,3 6,7 85,0 9,1 94,5 4,0 98,5 1,5 100,0 2,96 0/80
Disengagierte % cum 32,3 5,7 38,0 10,2 48,1 7,2 55,3 5,0 60,3 11,7 72,0 13,9 85,9 10,9 96,8 3,2 100,0 5,62 0/99
Die disengagierten Lehrer haben im Mittel im letzten Schuljahr nach eigenen Angaben 5,6 Tage im Dienst gefehlt, die Engagierten 3 Tage. Am meisten fehlten die innerlich gekündigten (oft bis aktuell/ immer) Lehrer mit im Schnitt 7,52 (sd: 14,57) Tagen; die immer/ aktuell kündigenden Personen fehlten rund 10 Tage, das sind 4 bis 5 mal soviel wie die engagierten Lehrpersonen. Mit diesen Zahlen liegt unsere Lehrer-Untersuchungsgruppe unter den Daten, die im BKK Gesundheitsreport von 2006 angegeben wurden. Danach werden für Lehrende
7.5 Fehltage und Krankmeldungen
245
8 bis 10 „Unfähigkeitstage“ angegeben, für öffentliche Verwaltungen 14,7 Tage. Im Vergleich mit anderen Beamten und Verwaltungsangestellten sehen die Zahlen für die Lehrerschaft damit deutlich günstiger aus, als mancher gemäß dem in diesem Punkt vorherrschenden Negativ-Image der Lehrer erwarten dürfte (BKK Bundesverband, 2006, S. 44, S. 66). Allerdings operieren wir nur mit Selbstaussagen von Lehrkräften. Da ist schwer zu sagen, ob es manchen Lehrern so geht wie ihren Schülern, die „eigentlich“ nie zu spät zum Unterricht kommen. Vielleicht haben auch einige Lehrpersonen „eigentlich“ nie oder nur wenige Tage gefehlt. Gehrmann (2007, S.197), der sich auf den neuesten BKK Gesundheitsreport von 2006 beruft, urteilt zu Recht: „danach gehörte die Lehrerschaft im Jahre 2005 zur Gruppe mit den geringsten Arbeitsunfähigkeitstagen. Im Durchschnitt wurden acht Fehltagen für dieses Aggregationsniveau gemessen“. Nach unseren Lehrer-Selbstberichten liegen deren Zahlen innerhalb dieses „Aggregationsniveaus“ noch niedriger. Wichtig ist der Befund, dass auch unter den Engagierten einige Fälle (1,5%) mit Langzeiterkrankungen bis zu 80 Tagen vorkommen (siehe vorstehende Tabelle, letzte Zeile). Das alles bedeutet, dass weder die Krankmeldungen und Fehltage noch die Langzeiterkrankungen ein sicheres Indiz für das Vorhandensein von Disengagement durch Innerer Kündigung sind. Eine Differenzierung der Befunde ist möglich, wen nach Schulen unterschieden wird. Van Dick, Wagner & Christ (2004) verglichen die mittlere Fehlquote. von ca. 60 Schulen in den Jahren 1999 bis 2001; die Fehlquote wurde aus der Anzahl durchschnittlich pro Tag fehlender Lehrpersonen im Verhältnis zur Größe des Kollegiums einer Schule gebildet. Die Fehlquote betrug 3,0 bis 4,0. Der entscheidende Befund liegt in den Minima-Maxima-Angaben, diese betrugen 0/21 bis 0/25, d. h. während in manchen Schulen im Schnitt pro Tag nahezu keine Lehrkraft fehlte, waren es in anderen Schulen bis zu 21 bzw. 25 Lehrkräfte, relativ zur Größe des Kollegiums (bei der Quote vorzeitig pensionierter Lehrkräfte wurden ganz ähnlich entsprechende Verhältnisse aufgedeckt). Dazu meinen die Autoren: Die großen Unterschiede zwischen den Schulen sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Einzelschule, quasi als Individuum, eine wichtige Rolle bei der Erklärung von Merkmalen der Lehrergesundheit einnimmt (ebd. S. 43). Eine weitere Perspektive tut sich auf, wenn man die sechs Schweregrade der IKSkala („nicht“ bis „immer/aktuell“) als Gruppierungsvariable nutzt. Es ergibt sich das Bild einer stetigen Zunahme der Fehltage mit dem Ausprägungsgrad des Disengagements.
246
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Abbildung 7.11: mittlere Anzahl der Fehltage bei IK 9,83 10 9 7,22
8 7 6 4,26
5 3,43
4 3
2,17
2,48
1
2
2 1 0 3
4
5
6
Ausprägungsgrad der IK: 1 = nie, 2 = kaum, 3 = selten, 4 = manchmal, 5 = oft, 6 = immer
Tabelle 7.14: Fehltage im vergangenen Schuljahr anhand der Grade der IK-Skala IK-Grade Nicht kaum selten manchmal oft aktuell Gesamtgruppe
Fälle 302 636 516 292 124 17 1887
M* 2,17 2,48 3,43 4,26 7,22 9,83 3,61
s 4,59 4,54 6,41 6,24 12,99 23,52 6,72
Min 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
Max 45,0 40.0 80,0 55,0 99,0 99,0 99,0
(Fälle, Mittelwerte, Standardabweichung und Minima/ Maxima Anmerkung: M = anstelle der mittleren Rangwerte wurden die Mittelwerte der Fehltage und die Standardabweichung angegeben. Die Berechnung erfolgte mit der Kruskal-Wallis-1-way ANOVA; n = 1887; χ2 = 62,51; df = 5; p < .0000).
Eine Kruskal-Wallis-1-way ANOVA (nonparametrisch) ergab hoch signifikante Differenzen zwischen den Gruppen der Gruppierungsvariable, die sich aus den Graden der IK ergeben (χ2 = 62,51; df = 5; p < .0000). Die mittlere Anzahl der Fehltage nimmt von 2,17 Tagen bei denjenigen, die engagiert sind und nie innerlich gekündigt haben, bis zu denjenigen, die aktuell/ immer innerlich kündigen mit durchschnittlich 9,82 Tagen progressiv zu (siehe Tabelle und Abbildung). Während die Minima für jede Gruppe gleich 0,00 sind, nehmen die Maxima mit den IK-Graden zu bis zu denjenigen Personen, die oft bzw. aktuell/immer innerlich kündigen. Höchstwerte sind 99 und
7.5 Fehltage und Krankmeldungen
247
mehr gefehlte Tage. Damit scheint zunächst die Meinung bestätigt worden zu sein, dass Fehltage ein Indiz für die IK im Lehrerberuf sind. Ist das wirklich so? Aber was genau ist mit den Lehrkräften, die „oft“ bis „immer/ aktuell“ innerlich kündigen? Im Folgenden beschränken wir uns nur auf diese 141 IK-Lehrpersonen, die sich am Ende der Ratingskala zum Disengagement befinden: Sie haben im Schnitt 7-8 Fehltage. Doch 30,5% von ihnen haben null Fehltage (!), einen Fehltag haben 7,1%, 2 Fehltage haben 11,3%, 3 Fehltage haben 6,4% dieser Lehrer und mehr als 3 Fehltage haben 44,7% dieser Gruppe. M. a. W.: nahezu ein Drittel der im strengen Sinn innerlich Gekündigten hat null Fehltage und etwa 55,3% haben nur bis zu 3 Fehltage. Eine sichere psychologische Erklärung für den mangelnden Zusammenhang von IK und prognostizierten Fehlzeiten, zumindest für die o. g. 30,5% der IK-Lehrpersonen ohne Fehltage, ist schwer zu finden. Mitarbeiter, die innerlich kündigen, vermeiden in der Regel ein auffälliges Verhalten. Das wiederholte Fehlen an einem sog. Brückentag fällt mit Sicherheit auf. Auch sonst ist das „Krankfeiern“ und Nichterscheinen zum Unterricht mit persönlichen Nachteilen verbunden: Schwerwiegend ist wohl für die meisten der Ärger mit den Kollegen, die dann einspringen und „Überstunden“ machen müssen. Diesen gegenüber ist man verpflichtet ebenso einzuspringen, wenn sie nicht zum Unterricht erscheinen. So gleichen sich augenblicklicher Nutzen und spätere Kosten aus, und man hat nichts davon. Darüber hinaus ist häufiges Fehlen für das Kollegium ein offensichtliches Schonverhalten, das im Kollegenkreis nicht gerne gesehen wird. Man läuft Gefahr, vom Kollegium isoliert zu werden. Folglich scheint es für eine große Gruppe von innerlich Kündigenden zweckmäßig, regelmäßig zur Arbeit zu erscheinen und auf Fehlzeiten bzw. Krankmeldungen zu verzichten. Eine andere Gruppe innerlich Kündigender scheint sich von der möglichen Reaktion der Kollegen weniger beeindrucken zu lassen; sie zeigt das „typische“ Verhalten. Insofern sind die oben mitgeteilten Statistiken zu den Fehltagen plausibel. Offenkundig verhalten IKLehrpersonen sich nicht einheitlich. In einer Zwischenbilanz ist festzustellen, dass einerseits die Anzahl der Fehltage mit dem Schweregrad der IK zunimmt, dass aber andererseits die Hälfte der Gruppe von Lehrern mit starker IK ohne Fehltage bzw. bis zu drei Fehltagen auskommt und sich somit von den IK-freien Personen in diesem Punkt nicht unterscheidet. Folglich kann die Abwesenheit von Fehltagen nicht als ein sicheres Merkmal für eine Abwesenheit von IK gelten. wenn man unsere Befunde mit denen von Van Dick, Wagner & Christ (2004) zusammenbringt, darf man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehemn, dass die Fehltage zwar kein Indiz für IK ist, wohl aber ein Indiz für ein schlechtes Schulklima mit IK. Eindrucksvoll ist die Entwicklung der Fehltage in Abhängigkeit von den Merkmalen Innere Kündigung, Belastung, Erschöpfung und deren Kombination. Um diesen Eindruck zu vermitteln, werden Mittelwerte, Streuung und die Entwicklung bis zu fünf Fehltagen in der Gesamtgruppe (n = 2019 Fälle) mitgeteilt.
248
7 Personale Merkmale und Gesundheitsrisiken
Tabelle 7.15: Fehltage 0 bis 5 und Mittelwerte, Streuung in der Gesamtstichprobe (N= 2019), in den Gruppen ohne IK, mit IK, mit IK und Erschöpfung sowie mit IK, Erschöpfung und Belastung (diese Angaben in Prozent).
Fehltage Μ s 0 1 2 3 4 5
Gesamt 3,34 45,18 47,6 5,8 9,8 8,1 4,7 7,5
ohne IK 2,17 17,97 57,8 7,3 10,4 6,3 3,6 5,2
mit IK 2,67 25,82 55,3 3,2 7,4 8,5 4,8 9,6
IK+E 5,00 86,81 36,7 5,0 10,2 8,7 4,8 8,8
IK+E+B 5,32 84,46 33,4 4,4 10,0 9,2 5,7 9,4
Abbildung 7.12: Fehltage: Mittelwerte, Streuung in der Gesamtstichprobe (N= 2019), in den Gruppen ohne IK, mit IK, mit IK und Erschöpfung sowie mit IK, Erschöpfung und Belastung*
6 5 4 3 2 1 0 Gesamt
ohne IK
mit IK
IK+E
IK+E+B
*Anmerkung: Die Balken geben die Mittelwerte M an (Skala 1-6). Das Liniendiagramm gibt die Streuung s2 (0-100) an.
In Tabelle 7.15 und Abb. 7.12 wird die Zunahme der Mittelwerte und der Streuungswerte mit der ebenfalls zunehmenden Anwesenheit der Merkmale IK, Erschöpfung und Belastung demonstriert. Die Zunahme der Mittelwerte ist in der ersten Zeile der Tabelle zu sehen. Gleichzeitig nimmt der prozentuale Anteil jeweils für null Fehltage, für einen Fehltag usw. mit der Anzahl der Merkmale ab. Während die Personen ohne IK, Erschöpfung und ohne Belastung (Spalte 3) zu 57,8% null Fehltage aufweisen, haben die Personen mit allen drei Merkmalen nur zu 33,4% null Fehltage. In der
7.5 Fehltage und Krankmeldungen
249
Gruppe ohne diese Merkmale haben nur 9,4% der Lehrkräfte mehr als fünf Fehltage (letzte Zeile), in der Gruppe mit den drei Merkmalen sind es 27,9%. Während die Differenz der Mittelwerte zwischen den Gruppen ohne und mit IK mit 0,40 nicht hoch ist, erscheint mit dem Auftauchen des Merkmals Erschöpfung ein Sprung mit einer Differenz von 2,33 auf einen Mittelwert von 5,00, der durch den Faktor Belastung nicht wesentlich erhöht wird. Die Erschöpfung stellt sich als derjenige Faktor heraus, der am meisten für ein Ansteigen der Fehltage verantwortlich ist, nicht das Disengagment durch Innere Kündigung. Beachtenswert ist der Befund, dass der prozentuale Anteil der Personen mit null Fehltagen in allen Gruppen erheblich ist. Insgesamt gesehen erweist sich die zunehmende Anzahl von Fehltagen, aufgefasst als Ergebnisvariable oder als bloßes Korrelat, zwar als ein Hinweis sowohl auf Innere Kündigung als auch auf emotionale Erschöpfung und erlebte Belastung, doch eine ausschließende Funktion haben sie bei keinem dieser Merkmale. Die Palette von Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten ist breit. Das am häufigsten eingesetzte Instrument ist das persönliches Gespräch mit auffälligen Mitarbeitern. Aber auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Einführung einer detaillierten Fehlzeitenerfassung und -analyse haben sich in einer Studie von Dietrich, Vetter, Nah (2000) als effektiv erwiesen. Zusammenfassung: Die Anzahl der Fehltage ist kein sicheres Indiz für Innere Kündigung bei Lehrern bzw. bei Beamten, denn es gibt IK-Lehrer ohne Fehltage. Aber mit dem Grad der IK nimmt auch die Anzahl der Fehltage zu. Auch die Anzahl der Arztbesuche eignet sich nicht zur Charakterisierung von IK-Lehrkräften. Ein deutlich besseres Indiz ist die Absicht zur Frühpensionierung. Weitere Indizien liefern personale Merkmale und klinische Symptome. Allerdings bleibt unklar, was vorher war, was Begleiterscheinung und was Folge der Inneren Kündigung ist. Einige der geschilderten klinischen Symptome gelten als zeitlich dauerhaft; sie können deshalb als ursächlich in Betracht gezogen werden. Dazu gehören sicher die Neurotizismus-Variable und mit Einschränkungen die Tendenz zur Depression. Demnach sind es also in hohem Maße in der Persönlichkeit und in der Lerngeschichte (incl. Ausbildung) der betreffenden Personen verankerte Muster, die wesentlich über das gesundheitliche Wohl oder Wehe von Lehrpersonen mitentscheiden. Angesichts dessen ist es bis heute um so erstaunlicher, dass weniger als zehn Prozent der Lehrer-Patienten jemals – z.B. im Rahmen von Supervisionen – ihre eigenen Erlebnis- und Verhaltensmuster reflektiert und gegebenenfalls konstruktiv-professionell an deren Modifikation gearbeitet haben. In anderen Sozialberufen gehört dies seit Jahren zum Standard beruflicher Professionalität; erfreulicherweise gibt es aktuell in vielen Bundesländern mehr oder weniger zaghafte Ansätze zur Integration entsprechender Inhalte in die Lehrerausbildung und in die Lehrerweiterbildung. Aber noch immer spekulieren viele mit einer vorzeitigen Pensionierung.
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehrern 8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
In diesem Kapitel wird belegt, dass hinsichtlich des Ausprägungsgrades und der Genese des Disengagements durch Innere Kündigung (IK) verschiedene Erscheinungsweisen unterschieden werden können. Schon früher wurde vermutet, dass einige Formen der IK differenziert werden können. Löhnert (1990, S. 32-34) unterschied eine aktive und eine passive Spielart. Bei der aktiven IK versuche der Arbeitnehmer, die Schwächen des Unternehmens systematisch auszunutzen, um so seine Arbeitssituation, die er als ungerecht empfinde, für sich gerechter zu gestalten und zu einer relativen Zufriedenheit zu kommen. „Andere Mitarbeiter entscheiden sich für die passive, resignativ-reagierende Form der Inneren Kündigung. Sie tun nur das, was ihnen aufgetragen wird – Dienst nach Vorschrift ... Sie lernen, ihr Arbeitsverhalten so einzurichten, dass sich für sie keine negativen Konsequenzen ergeben.“ Der passiven Spielart entspreche oft eine funktionale und emotionale Hilflosigkeit, gelegentlich mit einer Tendenz zur Emotionalen Erschöpfung. Der aktive Typ achtet auf den eigenen Vorteil (Kirstges, Krieger, 1999, S.450) und nutzt gezielt betriebliche „Schwachstellen“ (Richter, 1999, S. 120) zum eigenen Vorteil, etwa für die Besorgung privater Dinge, zum Telefonieren, Verschicken von Emails, Surfen im Internet einschließlich Spielen u. ä als Reaktion auf eine ungerecht empfundene Behandlung (Jehle & Schmitz, 2007). Zu klären wäre, was für die Ausformung der IK ausschlaggebend ist. Die Involvement-Forschung bietet einige Möglichkeiten an (Kanungo, 1982; z.B. Task-, Occupational-, Job-, Work-Involvement etc). Wir unterscheiden ein auf die Organisation bezogenes Disengagement von dem auf die Tätigkeit bezogenem Disengagement. Der Ausdruck Disengagement durch IK wird oft durch IK abgekürzt.
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit 8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit Zunächst soll geprüft werden, ob es möglich ist, Formen der IK statistisch zu belegen. Das ist bisher kaum ansatzweise geschehen. Wenn man annimmt, dass die IK (1) einmal auf die eigene Schule als Organisation mit ihren Vorgesetzten und Kollegen bezogen werden kann und (2) zum anderen auf die berufliche Tätigkeit als Lehrer/in im Allgemeinen, dann müssten sich verschiedene typische Formen des Disengagements ergeben. An der Skalenmitte (Midpoint = 3,50, sechsstufige Rating-Skala) werden, wie bereits beschrieben, die 403 (24%) Disengagierten ausgewählt. Eine Clusteranalyse mit
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
252
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
den Variablen Innere Kündigung, Identifikation mit der beruflichen Tätigkeit und Identifikation mit der Schule (5 Iterationen, Minimum Distance 4,69) der 403 Disengagierten ergibt drei Cluster. Die Disengagierten werden mittels der drei Cluster in drei Gruppen zu 10%, 6% und 8% der Gesamtstichprobe geteilt. Die prozentualen Anteile der Engagierten und der drei Gruppen (durch Clusterung) der Disengagierten sind in der folgenden Abbildung grafisch dargestellt. Abbildung 8.1: Gesamtstichprobe 1643 Personen,
davon 1240 (76%) Engagierte, 403 (24%) Personen mit Innerer Kündigung, davon
-
G1: 170 Personen 42,2% (10% der Gesamtstichprobe), G2: 96 Personen 23,8% ( 6%), G3: 137 Personen 34,0% ( 8%). G2 6%
G3 8%
G1 10%
Engag. 76%
Alle drei Cluster sind durch hohe Werte im Disengagement durch Innere Kündigung gekennzeichnet, Cluster 1 durch hohes Job- und Organizational Involvement, Cl 2 durch niedrige Werte in beiden Dimensionen und Cl 3 durch niedriges Job Involvement bei hohen Werten im Organizational Involvement. Abbildung 8.2 demonstriert die Differenzen zwischen Engagierten einerseits und den drei Gruppen (Clustern) in der Inneren Kündigung, in der Einstellung zur Organisation Schule und zur schulischen Tätigkeit. Das Zahlenmaterial im Detail ist dann in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
253
Abbildung 8.2: Mittelwerte der Engagierten und der drei IK-Formen 5 3 1
Engag
G1
G2
G3
Innere K
2,19
4,19
4,65
4,25
S ch ule
4,88
4,83
2,66
4,52
Tätigkeit
4,29
4,02
2,99
2,56
Anmerkung: Schule = Identifikation mit der Schule ; Tätigkeit = Identifikation mit der beruflichen Tätigkeit (Rating 1-6).
Die Engagierten haben einen niedrigen Mittelwert in der Dimension Innere Kündigung und hohe Werte im Job- und Organizational Involvement. IK-Gruppe 1 unterscheidet sich von ihnen nur in der IK. Nur die IK-G2 weist erwartungsgemäß einen hohen Grad an IK auf und niedrige Werte in den beiden Identifikations-Dimensionen. IK-G3 distanziert sich von der schulischen Tätigkeit mit den Schülern, nicht von der Schule und ihrer Leitung. Das ist ein partielles Disengagement. Bereits dieser Befund belegt, dass die disengagierten Lehrer keine homogene Gruppe bilden. In Tabelle 8.1 finden sich die Daten zu den drei Clustern. Die Unterschiede zwischen den drei IK-Gruppen sind hoch signifikant. Tabelle 8.1: Kennziffern der drei Cluster der IK-Personen: absolute und prozentuale Häufigkeiten, Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (s) der Gruppen und die prozentualen Differenzen auf den Ratingskalen (prozentuale Effektstärken) zwischen den Gruppen (Cluster) der disengagierten Lehrkräfte. ges.
Clusterzugehörigkeit CL-I CL-II CL-III absolut 403 170 96 137 Prozent 100 42,2% 23,8% 34,0% Innere K. M 4,19 4,65 4,25 s 0,53 9,64 0,56 Tätigkeit M 4,02 2,99 2,56 s 0,45 0,97 0,48 Schule M 4,83 2,65 4,52 s 0,62 0,67 0,57
Prüfgröße
Effekt in %/ Bonferroni I vs II I vs III II vs III
χ2(df=2) 33,57**
8,6 **
4,0
238,71**
20,6 ** 29,2**
8,6 **
229,78**
23,6 **
37,2 **
6,4 **
8,2 **
Anmerkung: Schule = Identifikation mit der Schule ; Tätigkeit = Identifikation mit der beruflichen Tätigkeit (Rating 1-6). Effektstärke in Prozent der Ratingskala. Signifikanz zwischen den Gruppen, bei gleichen Varianzen (Test nach Levene), nach Scheffè/ Bonferroni. ** = 1%-Niveau
254
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Nun soll nach weiteren Unterscheidungsmerkmalen der drei Gruppen der Disengagierten geforscht werden. Nach der Theorie der IK müssten die IK-Personen sich von den Engagierten dadurch unterscheiden, dass sie annehmen, in die berufliche Beziehung zu Schülern, zur Schulleitung und zu den Kollegen mehr zu investieren, als sie zurück erhalten. Damit wäre der Bruch des Psychologischen Vertrags belegt. Tatsächlich zeigen die Befunde, dass unsere Hypothese in den drei sozialen Bezügen bestätigt wird und sie zeigen charakteristische Gruppen-Unterschiede: Abbildung 8.3: Investitionen in die Beziehung zu den Schülern (Sch), zur Schulleitung (SL) und zu den Kollegen (Koll) mittels der Aussage „Ich investiere bei weitem mehr als ich zurück bekomme“. (Mittelwerte) in 3 IK-Gruppen und bei den Engagierten (Engag). 4,00
3,00
2,00
1,00
Engag
IK-G1
IK-G2
IK-G3
Schüler
2,90
3,49
3,41
3,78
Schulleitung
2,74
3,41
3,87
3,33
Kollegen
2,35
2,83
2,41
2,63
Tabelle 8.2: Investitionen in die Schüler, die Schulleitung und Kollegen: „Ich investiere bei weitem mehr als ich zurück bekomme“. Mittelwerte der drei disengagierten Gruppen, statistische und prozentuale Differenzen zwischen den 3 Gruppen
Diseng. Gruppen G1 G2 G3 Schulleiter M 3,41 3,87 3,33 s 1,02 1,15 1,02 Schüler M 3,49 3,41 3,78 s 0,95 0,91 0,80 Kollegen M 2,83 2,41 2,63 s 1,05 0,95 1,05
Prüfgröße χ2(df=2) 9,08**
Effekt in %/ Bonferroni I vs II I vs III II vs III 9,2* 1,6 10,8*
5,70*
1,6
5,8
7,4*
6,23*
8,4*
4,0
4,4
Anmerkung: Kruskal-Wallis Rangsumments, LeveneTests auf Varianzhomogenität n .s.
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
255
Die prozentualen Differenzen zwischen den Engagierten und den 403 Disengagierten betragen in Bezug auf die Schulleitungen 14,4%, in Bezug auf die Schüler 9,0% und in Bezug auf die Kollegen 14,4% auf der Likert-Skala. Das sind bedeutsame Unterschiede. Bei den Schulleitern ist die Differenz zu Gruppe 2 mit 22,6% hoch bedeutsam. In die Schüler glaubt IK-Gruppe 3 am meisten zu investieren, ohne Entsprechendes zurück zu erhalten, in die Schulleitung Gruppe 2 und in die Kollegen Gruppe 1. Jede Bezugsgruppe ist am Bruch des Psychologischen Vertrags beteiligt. Aber jede IK-Gruppe nimmt den Bruch des Psychologischen Vertrags schwerpunktmäßig an einer anderen Bezugsgruppe wahr. Aus diesem Ergebnis resultiert die Frage, ob die erste Konsequenz des Bruchs des Psychologischen Vertrags, die Enttäuschung, ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt ist. Aus den vergeblichen Investitionen resultiert die Frage nach den Enttäuschungen. Abbildung 8.4: Enttäuschungen durch die Schüler (Sch), durch die Schulleitung (SL) und durch Kollegen (Koll): „Meine Erwartungen an ... werden meist enttäuscht“ (Mittelwerte; Rating 1-5) in 3 IK-Gruppen und bei den Engagierten (Engag).
4
3
2
1
Engag
IK-G1
IK-G2
IK-G3
Schüler
2,2
2,45
2,63
2,86
Schulleitung
2,18
2,8
3,29
2,91
Kollegen
1,91
2,38
2,45
2,33
256
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Tabelle 8.3: Enttäuschungen durch die Schüler, durch die Schulleitung und durch Kollegen: „Meine Erwartungen an ... werden meist enttäuscht. Mittelwerte der drei disengagierten Gruppen, statistische und prozentuale Differenzen zwischen den 3 Gruppen
Disengag. Gruppen G1 G2 G3 Schulleiter M 2,80 3,26 2,90 s 1,01 1,14 0,92 Schüler M 4,44 2,63 2,86 s 0,76 0,80 0,77 Kollegen M 2,38 2,45 2,33 s 0,92 1,07 0,92
Prüfgröße
χ2(df=2) 5,88*
Effekt in % / Bonferroni I vs. II I vs. III II vs. III 9,2* 2,0 7,2
15,43**
3,8
8,4*
5,6
0,25 n.s.
1,2
1,6
1,8
Anmerkung: Kruskal-Wallis Rangsummentest, LeveneTests auf Varianzhomogenität n. s.
Für die stärkste Enttäuschung sind die Schulleitungen verantwortlich, gefolgt von den Schülern. Unter den disengagierten Lehrern ist IK-Gruppe 2 am stärksten enttäuscht; diese Lehrer hatten auch in die Schulleitung am meisten investiert, und sie fühlt sich von der Schulleitung (nächste Abbildung) am wenigsten unterstützt. Alle drei IKGruppen haben Probleme mit den Schülern, wie Abbildung 8.5 zeigt: Abbildung 8.5: Mittelwerte der 3 disengagierten Gruppen Unterstützung durch Schulleitung und Probleme mit Schülern (Rating 1-6)
5,00 4,00 3,00 2,00 1,00
Engag. IK-G1 IK-G2 IK-G3
Schulleiter
4,76
4,15
2,98
4,17
Schüler
3,60
4,05
4,54
4,55
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
257
Tabelle 8.4: Mittelwertsvergleiche der drei disengagierten Gruppen und prozentuale Differenzen: Unterstützung durch Schulleitung und Probleme mit Schülern (Rating 1-6)
Disengagierte Gruppen G1 G2 G3 Schulleiter M 4,15 2,98 4,17 s 1,03 1,27 1,11 Schüler M 4,05 4,54 4,55 s 0,88 0,88 0,82
Prüfgröße 32,48**
Effekt in %/ Bonferroni I vs II I vs III II vs III 19,5* 0,33 19,83*
29,33**
8,0
χ2(df=2)
8,33*
6,67
Kruskal-Wallis 1-Way ANOVA
Es folgt ein grafischer Überblick über die Ausprägung der Merkmale Zufriedenheit mit dem Beruf, emotionale Erschöpfung, Dehumanisierung und negative Einstellung zu den Schülern. Anschließend können die Werte im Detail in der Tabelle 8.5 überprüft werden. Abbildung 8.6: Zufriedenheit mit dem Beruf emotionale Erschöpfung, Dehumanisierung und negative Einstellung zu den Schülern bei Engagierten und drei Gruppen (Cluster) von Disengagierten (Mittelwerte)
6 5 4 3 2 1 Engag
G1
G2
G3
Zufriedenheit
Erschöpfung
Dehumanis.
Negat. Einst.
Auffällig ist die hohe Zufriedenheit bei Gruppe 1 der Disengagierten bei gleichzeitig hohen Erschöpfungswerten. Ohne diese hohen Zufriedenheitswerte käme diese
258
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Gruppe den Burnout-Lehrern nahe. Zur Erinnerung: sie haben hohe Werte in der Identifikation mit der Schule und mit der schulischen Tätigkeit. Alle drei IK-Gruppen weisen hohe Werte in den Merkmalen emotionale Erschöpfung und negative Einstellung zu den Schülern auf. Tabelle 8.5: Zufriedenheit mit dem Beruf emotionale Erschöpfung, Dehumanisierung und negative Einstellung zu den Schülern bei drei Gruppen (Cluster) von Disengagierten (Mittelwerte, Prüfgröße und Effektstärken)
Zufriedenheit Erschöpfung Dehumanisierung Negative Einst.
M s M s M s M s
disengag. Gruppen G1 G2 G3 4,44 3,12 3,30 1,05 1,20 1,08 3,94 4,29 4,08 0,78 0,92 0,97 2,90 3,26 3,72 1,25 1,62 1,29 4,05 4,53 4,55 0,88 0,89 0,82
Prüfgröße 67,36**
Effekt in % / Bonferroni I vs II I vs III II vs III 22,0%* 19,0%* 3,0%
10,34**
5,83%*
2,33%
3,5%
18,90**
6,0%
13,7%*
7,7%
29,33**
8,0%*
8,3%*
0,3%
χ2(df=2)
* Anmerkung: Testung auf Differenzen der 3 IK-Gruppen mit Kruskal-Wallis-1-way ANOVA Ratings 1-6 , LeveneTests auf Varianzhomogenität alle n. s.
Nachfolgend können weitere Einzelheiten der vier Merkmale aus Tabelle 8.5 betrachtet werden. Die Skala Zufriedenheit mit dem Beruf ( Rating: 1 - 6) bei den Engagierten und drei IK-Formen (G1; G2; G3). Skalen-Items: „Ich würde erneut Lehrer/in werden.“, „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Beruf.“, „Ich bereue manchmal, Lehrer/in geworden zu sein.“. Von den Engagierten sind 93,4% der Personen mit ihrer beruflichen Tätigkeit zufrieden, nur 6,6% sind es nicht. Von den IK-Lehrern sind dagegen nur 65,6% zufrieden, 34,4% nicht. Tabelle 8.6: Zufriedenheit mit dem Beruf (Personen in Prozent) Merkmal gesamt Engagierte IK ges. IK Gr1 IK Gr2 IK Gr3 Zufriedenheit 86,4% 93,4% 65,6% 83,8% 39,1% 48,8%
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
259
Abbildung 8.7: Zufriedenheit mit dem Beruf (Personen in Prozent)
100% 80% 60% 40% 20% 0%
gesamt Engag IK ges IK Gr1 IK Gr2 IK Gr3
Zufriedenheit 86,40% 93,40% 65,60% 83,80% 39,10% 48,80% In IK-Gruppe 1 sind 83,8% der Personen mit ihrem Beruf zufrieden, der Mittelwert ihrer Zufriedenheit ist hoch (4,44), wie Abbildung 8.6 bzw. Tab. 8.5 zu entnehmen ist. In IK-Gruppe 2 sind 39,1% der Personen zufrieden mit einem Mittelwert von 3,12; in Gruppe 3 sind es 48,8% mit einem mittleren Wert von 3,03. Die drei IK-Gruppen unterscheiden sich in der Ausprägung der Zufriedenheit hoch signifikant (Kruskal-Wallis 67,36 ; df = 2; p< .000). Die Differenzen gehen hauptsächlich auf die Beziehung G1 - G2 und G1 - G3 zurück (multipler Rangtest n. Bonferroni). Die negative Einstellung zu den Schülern ist bei vielen Lehrkräften und zwar besonders bei disengagierten Lehrpersonen auffällig. Tabelle 8.7: Negative Einstellung zu den Schülern (Personen in Prozent) Merkmal Engag Negative Einst. 56,9
IK IK Gr1 IK Gr2 IK Gr3 80,4 72,9 83,3 87,6
χ2 Df Signif. 11,02 2 .004
Anmerkung: Testung auf Differenzen der 3 IK-Gruppen mit Kruskal-Wallis-1-way ANOVA
260
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Abbildung 8.8: Faktor „negative Einstellung zu Schülern“ 9 Items, Mittelwerte (Rating 1-5)
5 4,8
4,53 4,55
4,6 4,4 4,05
4,2
Engagierte IK Gr1
4 3,8
3,68
IK Gr2 IK Gr3
3,6 3,4 3,2 3 negative Einstellung
*Anmerkung: y-Achse verkürzt. Testung auf Differenzen der 3 IK-Gruppen mit Kruskal-Wallis ist hoch signifikant ausgefallen χ2(df=2) = 29,27, p-Wert 0,000.
In der folgenden Tabelle sind wichtige Daten zur Differenzierung der IK-Gruppen miteinander und mit der Gruppe der engagierten Lehrer zusammengefasst: Tabelle 8.8: Zusammenfassung der Befunde Merkmal Innere Kündigung ges. im Laufe der Zeit wenn ich kündigen könnte genug aufreiben lassen früher viel engagierter nur Dienst nach Vorschrift
Mittelwerte G1 G2 4,19 4,62 4,29 4,88 3,24 4,16 4,51 4,83 4,54 4,65 4,48 4,58
G3 4,21 4,30 3,56 4,38 4,45 4,37
Prüfgröße χ2(df=2) 33,57** 26,32** 23,87** 12,92** 3,86 3,99
M Engag 2,19 2,68 1,46 2,48 2,23 2,11
Belastung insgesamt Belastung d. Tätigkeit Belast durch Kollegen Fehltage Alter Dienstjahre Klassengröße Arbeitsaufwand Unterricht pro Woche
2,47 2,70 2,00 4,79 51,06 22,62 24,28 41,87 22,41
2,51 2,82 2,06 5,45 49,03 21,31 24,54 43,11 22,50
14,74** 5,80* 18,11** 10,56** 18,63** 26,32** 1,76 1,79 1,95
2,08 2,39 1,50 2,96 44,99 16,58 23,77 42.67 22,41
2,70 2,92 2,32 7,27 46,60 18,98 24,75 40,83 22,09
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
261
Die definierenden Unterschiede der Gruppen sind die Referenzgruppen: IK-G3 investiert am meisten in die Schüler (Item 10) und ist von diesen am stärksten enttäuscht (11). Während IK-G2 die entsprechenden Probleme mit den Schulleitern hat (12; 13). Dafür kann ein handfester Grund verantwortlich sein, nämlich die Tatsache, dass diese Lehrer mit einem Alter deutlich unter 50 Jahren noch der Regelbeurteilung durch die Schulleiter unterliegen. IK-G1 hat die Probleme bezüglich der Investition eher mit den Kollegen (14), ohne jedoch mehr enttäuscht zu sein als IK-G3. Auch beziehen IK-G1 und G3 von den Schulleitern in etwa die gleiche Unterstützung (16), G2 fällt da völlig raus. G1 und G3 werden nicht mehr beurteilt; was die Konflikte mit der Schulleitung sicherlich reduziert. Entsprechend ihre Einstellung (Zitat): „Es ist für mich unerheblich, wer unter mir Schulleiter ist“. Man hat sich mit der Schulleitung arrangiert. Das ist natürlich auch eine Form der IK. Auch bezüglich der Commitment-Variablen zeigen sich gruppenspezifische Differenzen: IK-G1 zeigt sich am stärksten mit Beruf (21) und Schule (22) identifiziert, IK-G3 am geringsten mit dem Beruf aber relativ hoch mit der Schule, was mit der relativ hohen Unterstützung durch die Schulleitung korrespondiert (16). IK-G2 hat die geringsten Commitment-Werte, erlebt Vertragsbrüche in der Beziehung zu allen drei Personengruppen, den Schülern, Leitern und Kollegen. So muss festgestellt werden, dass die Differenzen der drei IK-Gruppen über die Referenzgruppen und über die Vertragsbrüche definiert sind. G3 erlebt zu allen drei Referenzgruppen Vertragsbrüche und fühlt sich in der Arbeit und am Arbeitsplatz am wenigsten verantwortlich. G1 ist die älteste Gruppe und jene mit dem höchsten Dienstalter. Die übrigen Variablen haben keine gruppendefinierende Funktion für die Unterscheidung von G1 und G3, jedoch fast alle für die Differenzen zu G2. fast alle signifikanten Differenz zwischen den drei Gruppen gehen, außer bei den genannten Variablen, zu Lasten von G2 (Nachweis nach Bonferroni). Ausnahme: Bei der Einstellung zu den Schülern liegt G3 ganz vorne (10, 11) und teilweise nahe bei G2 (17, 21). G2 tendiert mehr zur emotionalen Erschöpfung, G3 zur Dehumanisierung. Rückschlüsse in Richtung Burnout sind aber nicht angebracht. Wirkt sich die mangelnde Unterstützung durch den Schulleiter hier aus? Bei den Fehltagen liegt ebenfalls G2 vorne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst bei G2 die 7 Fehltage bei ca. 200 Schultagen keineswegs ungewöhnlich sind. Medienberichten zufolge habe in der Wirtschaft der Krankenstand ein absolutes Minimum erreicht: 3 %. Bei Beamten, die ja durch die derzeitige Wirtschaftskrise kaum betroffen sind, haben wir damit ausgesprochen „normale“ Werte. Das Problem, das sich in der Öffentlichkeit zeigt, nämlich der Unterrichtsausfall, dürfte zum einen ein Problem der selektiven Wahrnehmung sein (Schulen, in denen praktisch kein Unterricht ausfällt, eignen sich nur bedingt für Schlagzeilen). Außerdem entstehen zahlreiche Fehltage durch die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Tätigkeiten in Lehrplankommissionen, Prüfungsausschüssen usw.. In der Wirtschaft käme niemand auf die Idee, die Folgen daraus den Mitarbeitern anzulasten. G1 und G3 liegen bei den meisten Merkmalen relativ nahe beisammen. Tatsächlich gehen die statistischen Unterschiede der drei Gruppen oft zu Lasten von G2 (Bonferroni).
262
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Die Unterschiede zwischen Engagierten und IK-Lehrern und zwischen den drei IK-Gruppen sind hoch signifikant. Die signifikanten Differenzen zwischen den IKGruppen 1 bis 3 sind nach Bonferroni auf die Unterschiede zwischen Gruppe 1 und 2 sowie zwischen 1 und 3 zurückzuführen. Tabelle 8.9: Überblick über Merkmale der drei IK-Formen G1
G2
G3
IK „wenn ich kündigen könnte,..“ Dienstjahre
geringste
höchste
hoch
älteste
jüngste
mittel
Identität mit dem Beruf
hoch
niedrig
niedrigste
Identität mit der Schule
hoch
niedrig
noch hoch
Zufriedenheit mit dem Beruf
sehr hoch
niedrig
niedrig
Unterstützung durch Schulleiter
mittel
geringste
mittel
Enttäuschung Schulleiter
mittel
höchste
mittel
Enttäuschung Kollegen
höchste
mittel
mittel
Enttäuschung Schüler
niedrig
mittel
höchste
Negative Einstellung zu Schülern
mittel
hoch
hoch
Anmerkung: im Vergleich mit den Engagierten sind alle Unterschiede signifikant.
IK-Gruppe 1 (n = 170) ist aus den ältesten Lehrpersonen zusammengesetzt. Sie hat die geringsten IK-Werte, die höchsten Commitment-Werte (Identifikation mit der Schule und mit dem Beruf) und die höchsten Zufriedenheitswerte (stets relativ zu den anderen IK-Gruppen). Im sozialen Bereich hat sie die relativ geringsten Probleme mit den Schülern; mit der Schulleitung hat sie sich arrangiert, aber mit den Kollegen hat sie die relativ größten Probleme. Alle übrigen Merkmale befinden sich im mittleren Skalenbereich. Diese Gruppe scheint sich trotz aller Misslichkeiten im Beruf eingerichtet und mit den anderen Partnern, außer mit den meisten Kollegen, arrangiert zu haben. Sie erzielt für sich bei guter Zufriedenheit den höchsten Gewinn. Man könnte vermuten, dass jene Lehrer, die diesen Zustand nicht erreichen, im Laufe der Zeit in die Dienstunfähigkeit geflüchtet sind. Was die Kollegen anbetrifft, kann man merkwürdige Situationen erleben: Die generelle Überalterung (bereits angesprochen) und eine gewisse Larmoyanz vieler Lehrer hinsichtlich ihrer Karriere-
8.1 Formen hinsichtlich Organisation und Tätigkeit
263
möglichkeiten führt dazu, dass ältere Lehrer sich vom Kollegium abschotten: „Du wirst schief angesehen, wenn du nicht die Möglichkeiten einer Altersteilzeit in Anspruch nimmst, sondern voll im Geschäft bleibst. Dir schlägt Neid entgegen, wenn mal wieder Beurteilungen anstehen und du aus Altersgründen nicht mehr beurteilt wirst. Den Schülern gegenüber hast du kaum Autoritätsprobleme (zumindest im Bereich Sekundarstufe 2), in vielen Dienstjahren hast du dir im Regelfall einen hohen pädagogischen Wirkungsgrad angeeignet. Mit der Schulleitung gibt es wenig Reibungspunkte, die ist froh, wenn du angesichts der derzeitigen dünnen Personaldecke bei der Unterrichtsversorgung hilfst“.(Zitat). IK-Gruppe 3 (n = 137) bringt die niedrigste berufliche Identität auf und hat – passend – die höchsten Probleme mit den Schülern. Gleichzeitig ist die Identität mit der Schule mittel bis noch hoch, die Unterstützung durch die Schulleitung und durch Kollegen im mittleren Bereich. Auffällig sind die hohen Dehumanisierungswerte zusammen mit hohen Werten in der negativen Einstellung zu den Schülern. Die Gruppe hat eine mittlere Bindung an die Schule mit Schulleitung und Kollegen, ist dagegen Beruf und Schülern gegenüber negativ und zynisch eingestellt. Man könnte vermuten, dass diese Lehrer im Laufe ihrer Berufstätigkeit festgestellt haben, dass ihr Lebensplan („hat vormittags recht und nachmittags frei“) nicht aufgeht. Im Gegensatz zu den Lehrern der Gruppe 1 ist ihnen klar, dass sie dieser ungeliebten Tätigkeit noch weit über ein Jahrzehnt werden nachgehen müssen. Sie versuchen, im Kollegium eine „Gemütsoase“ zu etablieren. Typisch sind die Pausengespräche im kleinen Kreis (sog. „Jammer-Ecken“), die sich entweder um die „Dummheit und Faulheit“ der Schüler drehen oder um Ferienplanungen und Freizeitaktivitäten. IK-Gruppe 2 (n = 96) ist die Gruppe mit den meisten Negativwerten. Sie hat die höchsten Werte in Innerer Kündigung bei gleichzeitig niedrigen Identitätswerten in Beruf und Schule, höchste Enttäuschung durch die Schulleiter und geringster Unterstützung durch diese, höchste Werte in Belastung, Emotionaler Erschöpfung bei geringster beruflicher Zufriedenheit. Die negative Einstellung zu den Schülern ist am stärksten ausgeprägt. Das ist die jüngste Gruppe. Man kann spekulieren, dass diese Gruppe dem Beruf weder psychisch noch bezüglich der sozialen Kompetenz gewachsen ist und vermutlich mit unangepassten Erwartungen die falsche Berufswahl getroffen hat. Das ist wohl nicht nur eine Spekulation. Negative Einstellungen gegenüber Schülern, ohne dass man von ihnen besonders enttäuscht wurde, ist schon ein starkes Indiz für diese These. Möglicherweise spielen hier auch Defizite in der Lehreraus- und weiterbildung herein. Moderne Unterrichtskonzepte (Stichwort „Handlungsorientierter Unterricht“) mit entsprechenden Methoden setzen eine gewisse Unterrichtspraxis voraus. Gerade die fehlt aber den jungen Kollegen. Eine Unterrichtsstunde glückt nicht notwendiger Weise nur deshalb, weil sie mit „modernen“ Methoden unterfüttert ist. Partielle Innere Kündigung: Aus Gesprächen mit Lehrern wurde ersichtlich, dass einige Lehrer nur in einem Teilbereich der schulischen Tätigkeit einen Rückzug vollziehen, nämlich in der Zusammenarbeit mit der Schulleitung/ Schuladministration,
264
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
aber eher selten hinsichtlich ihrer Lehr- und Bildungstätigkeit mit den Schülern. Während offiziöse Veranstaltungen, Besprechungen u. ä. eher gemieden werden, engagieren sie sich an Projekten, Reisen, Veranstaltungen u. ä. mit den Schülern. Diese Lehrer begeben sich in eine informelle Halb-Pensionierung, ohne ihre übergeordneten Werte des pädagogischen Handelns aufzugeben. Statistische Belege hierzu liegen nicht vor. Diese Beobachtung trifft zumindest teilweise auf die IK-Gruppe 1 zu. Alle drei Gruppen weisen signifikant höhere Tendenzen (relativ zu den Engagierten) zu irrationalen Erwartungen gegenüber der Schulleitung und gegenüber den Schülern auf. Nun tut sich die Frage auf, ob hier einfach inhaltlich unterschiedliche IK-Formen gefunden wurden, oder ob auch unterschiedliche Stadien im Prozess der Ausbildung von IK eine Bedeutung haben könnten. Die Befunde, dass Gruppe 2 die niedrigsten Werte in den Commitment-Variablen (Identität mit Beruf und Schule) und gleichzeitig die höchsten Werte in den Merkmalen Emotionale Erschöpfung und Belastung aufweist, könnte so gedeutet werden, dass diese Gruppe einen Bezug zum terminalen Stadium des Burnout hat. Allerdings wären die „nur“ mittleren Werte im Merkmal Dehumanisierung eine Gegenindikation zu dieser Annahme. Dagegen spräche der Befund einer stärkeren Bewertung der zeitbezogenen Items in der IK-Skala für die Stadien-Hypothese. Zeitbezogen sind drei Items, aber nur zwei kommen hier in Frage, u. z. das Item: „Im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren“ und: „Ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen“. Beide Items deuten auf einen Veränderungsprozess in Richtung einer Verstärkung der Ausprägung der IK. Das dritte zeitbezogene Item: „Früher war ich viel engagierter“ unterstellt, früher ein stärkeres Engagement gehabt zu haben bzw. früher besonders, d. h. wohl mehr als andere, engagiert gewesen zu sein. Aber nicht alle innerlich Kündigenden müssen vormals besonders engagiert gewesen sein, jedenfalls nicht mehr als andere Kollegen. In der statistischen Prüfung zeigt sich, dass die Mittelwerte der Ausprägung der IK tatsächlich für die beiden genannten Items in IK-Gruppe 2 statistisch signifikant höher sind als in den beiden anderen Gruppen.
8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch 8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch Innere Kündigung wird allgemein, wie oben ausgeführt wurde, mittels des Konzeptes des Bruchs des Psychologischen Vertrags theoretisch erklärt. Danach müssten die disengagierten Lehrkräfte in der Beziehung zu einer der wichtigen Referenzgruppen, nämlich Schulleiter, Kollegen oder Schüler, einen Bruch des Psychologischen Vertrags wahrgenommen haben. Der Vertragsbruch wird im Antwortverhalten durch einen Wert auf der Ratingskala über dem Skalenmittelwert der fünfstufigen Ratingskala belegt. Das entscheidende Item lautet: „Ich investiere bei weitem mehr, als ich zurück erhalte“. Dieses Item wurde drei mal angekreuzt, nämlich unter Bezug auf je eine der drei Referenzgruppen. Personen, die in keiner der drei Versionen über dem Skalenmittelwert
8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch
265
liegen, scheinen hinsichtlich dieser Referenzgruppen keinen Bruch des Psychologischen Vertrags wahrzunehmen. Dennoch gehören sie zur Gruppe der IK-Personen. Von den IK-Lehrkräften, die als solche mittels der IK-Skala (fünf Items) eindeutig identifiziert wurden, haben 85,6% einen Bruch des Psychologischen Vertrags angegeben, während 14,4% dieser Personengruppe anscheinend keinen derartigen Bruch wahrgenommen haben. Der Beleg, dass alle Investitionen dieser Gruppe (Gr 2) unter dem Skalenmittelpunkt (3,00) liegen, ist Tabelle 8.10 zu entnehmen. Das Entsprechende trifft auf die Enttäuschung zu. Damit ist hinreichend klar belegt, dass diese IK-Personen bezüglich der drei Gruppen, nämlich der Schulleiter, der Schüler und Kollegen nicht annehmen, mehr zu investieren, als sie zurück erhalten. Tabelle 8.10: Investitionen und Enttäuschungen bei Disengagierten mit (Gruppe 1) und ohne (Gruppe 2) Bruch des Psychologischen Vertrages: Mittelwerte, mittlere Differenz und Signifikanz (Mann-Whitney) der IK-Werte (N = 403)*.
Mittelwerte Item Gr 1 Gr 2 Investiere mehr ... Schulleiter 3,79 2,54 Investiere mehr ... Schüler 3,88 2,67 Investiere mehr ... Kollegen 3,01 2,05 Enttäuscht von Schulleiter 3,01 2,61 Enttäuscht von Schüler 2,70 2,30 Enttäuscht von Kollegen 2,51 1,97
M-W p 0,000 0,000 0,000 0,005 0,000 0,000
Diff. 1,24 1,21 1,96 0,40 0,40 0,54
ES % 24,8 24,2 39,2 8,0 8,0 10,8
Anmerkung: Die Items bedeuten, dass in die Schulleitung, in die Schüler und in die Kollegen mehr persönliche Investitionen erfolgt sind, als man zurück bekommen hat und dass man deshalb von diesen Personengruppen enttäuscht ist. Rating 1-5. Midpoint = 3,00.
Die folgende Abbildung illustriert den Befund. Disengagierte, die einen Bruch des Psychologischen Vertrags nicht oder kaum wahrnehmen, weisen geringere Werte in den Investitionen als auch in der Enttäuschung auf.
266
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Abbildung 8.9: Investitionen und Enttäuschungen bei IK-Lehrpersonen mit (Gruppe 1) und ohne (Gruppe 2) Bruch des Psychologischen Vertrages (N = 403) 5 4 3 2 1
Investition
Enttäuschung Investition
Schulleiter
Enttäuschung Investition Kollegen
Enttäuschung Schüler
Gr 1
3,79
3,01
3,01
2,51
2,7
3,88
Gr 2
2,54
2,61
2,05
1,97
2,3
2,67
In den soziografischen Daten gibt es keinen Unterschied zwischen den IK-Lehrkräften mit und ohne Vertragsbruch. Beide Gruppen sind rund 50 Jahre alt, 22 Jahre im Schuldienst, ihre Klassen enthalten 24 bis 25 Schüler im Durchschnitt. Auch die Zahlen der eigenen Kinder, der Verheirateten, Geschiedenen, Alleinlebenden und mit Partner Lebenden unterscheiden sich nicht statistisch bedeutsam, sie sind sogar nahezu gleich. Beide IK-Gruppen sind jedoch deutlich älter bzw. länger im Dienst als die Engagierten. Nun kommt die Frage auf, ob und ggf. wieweit diese Gruppe der IK-Lehrer von den anderen IK-Lehrern in den IK-Items zu unterscheiden ist. Zunächst ist festzustellen, dass die Ausprägung der Inneren Kündigung in der IK-Gruppe ohne Bruch etwas geringer ist als bei den anderen. Dafür sind, wie die nächste Tabelle illustriert, in erster Linie Items Nr. 3 und 4 verantwortlich. Damit ist sicher belegt: es gibt IK ohne Bruch des Psychologischen Vertrags. Tabelle 8.11: IK-Lehrpersonen Disengagement mit (Gruppe 1) und ohne (Gruppe 2) Bruch des Psychologischen Vertrages: Mittelwerte, mittlere Differenz und Signifikanz (Mann-Whitney) Skala Innere Kündigung
Mittelwerte Gr1 Gr2 IK gesamt 4,39 4,22 1 Im Laufe der Zeit 4,54 4,30 2 Wenn ich kündigen 3,57 3,49 3 mich genug aufreiben 4,67 4,29 4 früher viel engagierter 4,66 4,31 5 Dienst nach Vorschrift 4,59 4,66
Diff. M-W. p 0,17 0,05 0,17 0,140 0,08 0,68 0,38 0,004 0,34 0,053 0,15 0,85
8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch
267
Abbildung 8.10: Grade der Inneren Kündigung Disengagement bei Personen (1) mit und (2) ohne erlebten Vertragsbruch (Mittelwerte) 5 4,5 4 3,5 3
IK gesamt
Im Laufe der Zeit
Wenn ich kündigen
mich genug aufreiben
früher viel engagierter
Dienst nach Vorschrift
Gr1
4,39
4,54
3,57
4,67
4,66
4,59
Gr2
4,22
4,3
3,49
4,29
4,31
4,66
*Anmerkung: y-Achse verkürzt
Das Antwortverhalten der beiden Gruppen zeigt für die Gruppe 1 mit wahrgenommenem Bruch des Psychologischen Vertrages bei den Items 3 (ich habe mich genug für die Schule aufreiben lassen) und 4 (früher war ich viel engagierter) höhere Mittelwerte als die Gruppe 2 ohne Bruch des Psychologischen Vertrages. Diese Items zeigen auch die höchsten Differenzen. Die Differenzen sind nur bei diesen Items signifikant. Das bedeutet offenbar, dass die IK-Lehrkräfte der Gruppe 1 glauben, früher engagierter gewesen zu sein und – vermutlich – erst nach der Wahrnehmung des Bruchs des Psychologischen Vertrags sich von den schulischen Aktivitäten innerlich zurückzogen. Aber auch bei den anderen Items liegen die Mittelwerte bei Gruppe 2 etwas niedriger. Insgesamt ist folglich die Innere Kündigung bei der Gruppe, die keinen Bruch des Psychologischen Vertrages wahrnimmt, etwas weniger ausgeprägt als in der anderen IK-Gruppe. Gibt es irgend einen Hinweis auf einen typischen Unterschied zwischen den IKGruppen, die sich in der Wahrnehmung eines Bruchs des Psychologischen Vertrags unterscheiden, und der uns eine Deutung der Gruppe ohne diesen Bruch ermöglicht? Um diese Frage zu klären ist zu prüfen, ob theoretisch relevante Merkmale wie die Identifikation mit der Schule bzw. mit dem Beruf und ob mit der IK korrespondierende Merkmale wie die Belastung, Arbeitszeit und die Einstellung zu den Schülern einen entsprechenden Hinweis geben könnten. Die soziografischen Merkmale Alter, Dienstjahre, Klassengröße, auch Belastung privater Natur und Geschlecht unterscheiden sich nicht.
268
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Tabelle 8.12: IK-Lehrer mit und ohne Bruch des Psychologischen Vertrages Mit (Gruppe 1) und ohne (Gruppe 2) Vertragsbruch: theoretisch relevante und korrespondierende Merkmale
Rating Mittelwerte Gr1 Gr2 Identifikation mit Beruf 1-6 3,46 3,53 Identifikation mit Schule 1-6 4,44 4,46 Belastung 1-4 2,66 2,32 Arbeitszeit d= 43,0 39,4 Schulleitung 1-6 3,88 4,18 Einstellung zu Schülern 1-6 4,23 3,96 Zufriedenheit 1-6 3,79 4,10
Diff. M-W p 0,07 0,50 0,02 0,84 0,34 0,000 3,62 0,01 0,30 0,07 0,27 0,03 0,32 0,07
Effekt % 1,67 0,33 8,5 00,35 6,0 4,5 5,33
Anmerkung: M-W Mann-Whitney-Test
Die Differenzen zwischen den Gruppen sind in den Merkmalen Belastung, Unterstützung durch die Schulleitung und Zufriedenheit mit dem Beruf bedeutsam (Effekt% > 5,0). Abbildung 8.11: IK-Lehrer mit und ohne Bruch des Psych. Vertrages Mit (G1) und ohne (G2) Bruch des Psychologischen Vertrages
5 4 3 2 1
Identif. Beruf
Identif. Schule
Belastung
Arbeitszeit
Schulleitung
Einstellu ng
Zufriedenheit
Gr1
3,46
4,44
2,66
4,30
3,88
4,23
3,79
Gr2
3,53
4,46
2,32
3,94
4,18
3,96
4,10
Es zeigt sich, dass die Identifikations-Variablen in beiden Gruppen gleich verteilt sind. Eine statistisch signifikant stärkere Belastung gibt die IK-Gruppe 1 (mit Vertragsbruch) an, ebenso eine deutlich längere Arbeitszeit von fast vier Stunden pro Woche. Obwohl bei der Arbeitszeit die Effektstärke d wegen der hohen Varianzen (G1 85,75; G2 127,46) unbedeutend ist, wird dieser Unterschied doch als bedeutsam erlebt. In der Gruppe 2
8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch
269
sind diese Merkmale geringer ausgeprägt. Insbesondere die Belastung und die Arbeitszeit sind geringer. Das ist ein erster Hinweis auf die Gruppenunterschiede und auf einen Vertragsbruch; aber sind sie bedeutsam? Damit erhebt sich die Frage nach der Art der Belastung. Die Werte können Tabelle 8.13 entnommen werden. Folgende Aussagen werden verglichen: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11)
„Es fällt zu viel Arbeit an“, „zu viele verschiedene Aufgaben in der bzw. für die Schule neben dem Unterricht“, „Angespanntes Verhältnis zur Schulleitung“, „Schwierigkeiten, Privatleben und Beruf von einander zu trennen“, „zu wenig Zeit, um alle Aufgaben zufrieden stellend erledigen zu können“, „zu viele Unterrichtsstunden“, „Mangel an emotionaler Unterstützung durch Kolleg/innen“, „das Gefühl, bei der Arbeit innerlich leer zu sein“, „zu wenig Zeit, um sich zu erholen“, „zu wenig Zeit um Freundschaften und Kontakte zu pflegen“, „zu viele Schüler“.
In allen Aussagen zur Belastung gibt Gruppe 2 (ohne Bruch des Psychologischen Vertrages) geringere Werte an. Nur bei vier Items sind die Gruppendifferenzen statistisch signifikant, bei fünf Items von elf sind sie über 5% (Effektstärke) und somit deutlich, aber nicht bedeutsam. Die Statistik ist in Tabelle 8.13 zusammengestellt. Tabelle 8.13: Items des Lehrer-Belastungsfragebogens IK-Lehrer mit (Gruppe 1) und ohne (Gruppe 2) Bruch des Psychologischen Vertrages:.
Item 2 Zu viele Aufgaben 6 zu viele Stunden 1 Zu viel Arbeit 9 zu wenig Erholung 7 Kollegen 5 zu wenig freie Zeit 10 zu wenig Zeit für Freunde 8 innerlich leer 3 Schulleitung 4 Privates 11 zu viele Schüler
Mittelwerte Gr 1 Gr 2 3,22 2,70 2,89 2,40 3,12 2,67 2,81 2,36 2,24 1,91 2,96 2,67 2,66 2,34 2,28 2,10 2,13 1,96 2,23 2,10 2,97 3,03
Anmerkung: Rating 1-4, Mann-Whitney
Diff. M-W Sign. 0,52 0,000 0,49 0,000 0,45 0,000 0,45 0,000 0,33 0,009 0,32 0,001 0,32 0,012 0,18 0,12 0,17 0,24 0,13 0,47 0,06 0,67
ES % 13,0 12,2 11,2 11,2 8,3 8,0 8,0 4,5 4,2 3,2 1,5
270
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Obwohl die Belastung bei Gruppe 2 (ohne Vertragsbruch) oft geringer ist als bei G1, fällt doch auf, dass die Belastungswerte bei den Items 1; 2; 5 und 11 über dem Skalenmittelpunkt (Midpoint 2,5) liegen. Doch für beide Gruppen gilt, dass die subjektive Einschätzung, zu viel Arbeit, zu wenig Freizeit und zu viele Schüler zu haben, zu den Ursachen für das Disengagement gehören. Der eigentliche Unterschied der Gruppen dürfte darin liegen, dass G1 (mit Vertragsbruch) dazu tendiert, die Belastung auf Personen, hauptsächlich Schulleiter, zu attribuieren, während G2 das nicht tut. Im Anschluss an diese Befunde wären die Folgen der Belastung zu klären. Das sind die Merkmale Erschöpfung, Dehumanisierung, Zufriedenheit mit dem Beruf und die Fehltage. Es zeigt sich, dass die beiden Gruppen sich in den Belastungsfolgen nicht bedeutsam unterscheiden. Die tendenziell stärkere Erschöpfung der G1 war zu erwarten, ebenso wie die geringere Zufriedenheit. Auffallend ist die höhere durchschnittliche Menge der Fehltage bei Gruppe 2. Dieser Befund ist deshalb auffällig, weil diese Gruppe anscheinend weniger belastet ist, weniger unter Erschöpfung leidet und weil ihre Erwartungen besser erfüllt sind. Die Differenzen sind statistisch unbedeutend. Die Fehltage differieren statistisch nicht, weil sie eine hohe Streuung aufweisen. Tabelle 8.14: Belastungsfolgen Mittelwerte Gr 1 Gr 2 Erschöpfung 4,24 4,03 Dehumanisierung 3,26 3,06 Zufriedenheit 3,79 4,10 Fehltage 4,35 6,90 Item
Diff. M-W ES % 0,21 0,20 0,32 2,56
0,07 0,31 0,05 0,75
3,5 3,3 5,3
*Anmerkung: Mittelwerte, Mann-Whitney
Abbildung 8.12: Belastungsfolgen (Mittelwerte) 8 7 6 5 4 3 2 1 Erschöpfung
DehumanisieZufriedenheit rung
Fehltage
Gr 1
4,24
3,26
3,79
4,35
Gr 2
4,03
3,06
4,1
6,9
8.2 Disengagement ohne erkennbaren Vertragsbruch
271
Wenn man die Belastungs-Items anschaut, ergibt sich der Eindruck, dass G2 das Gefühl hat, einfach zu viel zu arbeiten, ohne dafür eine Personengruppe verantwortlich zu machen. Aber sie kompensiert die gefühlte Mehrarbeit u. a. durch Fehltage. Damit ist ein gewisser Ausgleich hergestellt (Abb. 8.12). Zum bisherigen Eindruck passt der Befund, dass die Gruppe 2 (ohne Bruch des Psychologischen Vertrages) die meisten Erwartungen als eher erfüllt wahrnimmt. Relativ gut erfüllt sind die Erwartungen, dass die Schulleitung die persönlichen Wünsche bei der Stundenplangestaltung berücksichtigt, die Aufgaben gerecht verteilt, von Sonderaufgaben entlastet, keine unangenehmen Klassen zuweist, keine Zusatzbelastung außerhalb des Unterrichts zumutet und für persönliche Belange Verständnis zeigt. Die Mittelwerte der Erfüllung dieser Erwartungen an die Schulleitung liegen bei Gruppe 2 stets über dem Skalenmittelpunkt von 3,00 auf der fünfstufigen Ratingskala, während sie bei Gruppe 1 fast ausnahmslos darunter liegen. Dieser Befund lässt den Schluss zu, dass die Lehrkräfte der Gruppe 2 es mehrheitlich versteht, sich mit der Schulleitung zum eigenen Nutzen zu arrangieren. Interessant ist, dass die entsprechenden Schulleitungen einen kooperativen Führungsstil pflegen, denn die für diesen Stil typischen Erwartungen sind bei Gruppe 2 ebenfalls signifikant besser erfüllt. Das sind die Erwartungen, dass die Schulleitung für kollegiales Zusammenarbeiten offen ist, dass sie mit Humor und Gelassenheit auftritt, die Leistung wahrnimmt und anerkennt, kooperativ führt und die Lehrkräfte bei Entscheidungen einbindet. Die Gruppe 2 ohne Bruch des Psychologischen Vertrages scheint offensichtlich mit sehr entgegenkommenden, verständnisvollen Schulleitungen zu arbeiten. Wenn noch berücksichtigt wird, dass die Anzahl der Fehltage erhöht ist, kann diese Gruppe mit ihrer Tendenz zur IK als Schontyp (vgl. Schaarschmidt) bezeichnet werden (statistische Belege können im Internet eingesehen werden) Ein entscheidender Grund für die IK kann den nun folgenden Aussagen entnommen werden. Das sind Items zur Zufriedenheit mit dem Beruf, zur Bewertung der beruflichen Tätigkeit und zur Berufswahl. Die IK-Lehrkräfte ohne Vertragsbruch (Gruppe 2) bewerten ihre berufliche Tätigkeit als sinnlos und bereuen eher, überhaupt Lehrer geworden zu sein. Allerdings sind die Differenzen nicht sehr bedeutsam. Tabelle 8.15: Sinnlosigkeit und falsche Berufswahl Item
Mittelwerte Diff. M-W ES Sign. % Gr 1 Gr 2 Fühle mich bei meiner Arbeit sinnlos 3,66 3,91 0,25 0,06 5,0 Bereue, Lehrer geworden zu sein 3,55 4,06 0,51 0,011 10,2
272
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Abbildung 8.13: Sinnlosigkeit und falsche Berufswahl
5
4
3
2
Fühle mich bei meiner Arbeit sinnlos
Bereue, Lehrer geworden zu sein
Gr 1
3,66
3,55
Gr 2
3,91
4,06
Anmerkung: y-Achse verkürzt.
Es ist nicht das Gefühl, in Schulleitung, Kollegen oder Schüler mehr zu investieren, als man zurückerhält, auch nicht die Enttäuschung durch diese, es ist auch nicht etwa eine zu hohe Belastung, nicht eine allgemeine emotionale Erschöpfung oder die NichtErfüllung von Erwartungen, die diese Lehrkräfte zum Disengagement durch IK motiviert, es ist auch nicht das Gefühl, dass eine andere Personengruppe den Psychologischen Vertrag gebrochen hat. Das Sinnlosigkeitserleben bei der beruflichen Tätigkeit und das Gefühl, den falschen Beruf gewählt zu haben und zu viel zu arbeiten, bilden, mehr als in der anderen Gruppe, die Ursache für die Innere Kündigung dieser Personengruppe. Damit ist der eigentliche Grund für die IK dieser rund 15% der IKLehrkräfte gefunden worden. Vermutlich stehen dahinter offene ErwartungsDiskrepanzen. Nach Richter (2003) gibt es den umgekehrten Fall: Bruch des Psychologischen Vertrags, der nie zustande gekommen ist.
8.3 Belastungserleben: Eine Bedingung der Inneren Kündigung? 8.3 Belastungserleben: Eine Bedingung der Inneren Kündigung? Ist das Belastungserleben eine notwendige Bedingung der IK? Zweifellos kann das Belastungserleben in die Wahrnehmung einer Störung der Reziprozität und damit in das Disengagement durch IK münden. Die Frage taucht allerdings auf, ob das zwingend so ist. Es geht um nichts weniger als um die theoretisch bedeutsame Frage, ob die Innere Kündigung eine Reaktion auf eine Belastung ist bzw. sein muss, oder ob es Fälle Innerer Kündigung ohne erkennbare Belastung gibt?
8.3 Belastungserleben: Eine Bedingung der Inneren Kündigung?
273
Messinstrument: Der Lehrer-Belastungsfragebogen (LBF), der sich bereits bewährt hat (Hillert & Schmitz, 2004), ist aus Aussagen zusammengestellt wie: „Es fällt zu viel Arbeit an; zu wenig Zeit, um alle Aufgaben zufriedenstellend erledigen zu können, zu viele Unterrichtsstunden“ usw. (vgl.Kapitel 4). Die innere Konsistenz des LBF ist gut (α = .80), die Trennschärfe der Items mit Korrelationen zwischen .45 bis .65 ist befriedigend. Die Aussagen werden als valide gewertet. Die Analysestichprobe (N = 1643) wurde in die Gruppen der Belasteten und der Nicht-Belasteten am Skalenmittelpunkt 2,50 der Ratingskalen (1-4) geteilt. Die Teilung in engagierte und disengagierte Lehrer ist bereits beschrieben worden. Der Median eignet sich nicht zur Gruppenbildung, weil er mit 2,20 deutlich unter dem Skalenmittelpunkt liegt, und weil somit auch Nicht-Belastete in die Gruppe der Belasteten geraten wären. Nicht belastet sind 1216 (74%) Personen und belastet 427 (26%) der Analysestichprobe. Die Engagierten und die IK-Lehrer einerseits sowie die Belasteten und Nicht-Belasteten andererseits ergeben vier Gruppen (Tabelle 8.16). In der VierFelder-Tafel unterscheiden sich die Gruppengrößen signifikant (χ2 = 168, 43, df = 1, p = .000). Die prozentualen Anteile der vier Gruppen sind grafisch dargestellt. Tabelle 8.16: Belastung und Innere Kündigung Innere Kündigung ja nein Summe Belastung ja 12% 14% 26% nein 12% 62% 74% Summe 24% 76% 100% Anmerkung: (χ2 = 168, 43, df = 1, p = .000).
Abbildung 8.14: Belastung und IK bei N = 1243 Lehrern
12%
12%
14%
62%
ohne IK ohne Belastung ohne IK mit Belastung mit IK mit Belastung mit IK ohne Belastung
274
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Das entscheidende Ergebnis besagt: Es gibt Lehrpersonen, die durch Innere Kündigung gekennzeichnet sind und gleichzeitig keinerlei Belastungsmerkmale aufweisen: Von den 403 IK-Lehrern berichten 204 (50,6%) Personen von Belastungserleben, während 199 (49,4%) keinerlei Belastung angeben. Das bedeutet offensichtlich, dass rund 50% der Personen, die tendenziell bis akut innerlich kündigen, dieses nicht aus Gründen von oder im Zusammenhang mit erlebter Belastung tun. Das Belastungserleben ist also eine sehr häufige aber keine notwendige Bedingung von Disengagement und Innerer Kündigung. Die subjektive Wahrnehmung irgendwelcher Diskrepanzen wird von diesem Personenkreis offensichtlich nicht mit einer Belastung assoziiert. Die IK dieser Personen kann möglicherweise ein bewusster Akt des psychischen Rückzugs darstellen, weil ihnen irgendetwas am Schulbetrieb oder an den Schülern, Kollegen, Vorgesetzten nicht passt, ohne dass es sie emotional berührt. Eine Ist-Soll-Diskrepanz kann auch aus überhöhten eigenen Ansprüchen und Idealvorstellungen resultieren, die später reduziert werden, so dass dann subjektiv eine Art von psychischem Rückzug und IK wahrgenommen wird. Nur am Rande mag interessant sein, dass 13,6% dieser Gesamtgruppe sich belastet fühlen, ohne zur IK zu neigen, während 61,9% weder von Belastung noch von der IK berührt sind. Disengagierte mit versus ohne Belastung In welchen Merkmalen unterscheiden sich IK-Personen mit versus ohne Belastung? Die belasteten IK-Lehrer sind durchschnittlich 2,3 Jahre jünger (p < .01) als die NichtBelasteten. Entsprechendes gilt für das Dienstalter (Differenz 2,62 Jahre, p < .01). Keine Gruppendifferenzen finden sich bei den Merkmalen Klassengröße, Unterrichtsdeputat und Fehltagen. Damit bestätigt sich auch hier, dass diese Merkmale als notwendige objektive Ursache bzw. im Fall der Fehltage als Folge von IK ausfallen. Die IK-Lehrer (G2) mit Belastung haben etwas höhere Werte im Disengagement durch IK, in der Emotionalen Erschöpfung (Maslach, MBI) (p < .000) und in der negativen Einstellung zu den Schülern (p < .01). Dagegen haben die unbelasteten IK-Lehrer tendenziell höhere Werte in der beruflichen Identifikation und in der Identifikation mit ihrer Schule. Fazit: Disengagierte mit Belastung haben bedeutsam höhere Erschöpfungswerte als unbelastete Disengagierte. Tabelle 8.17: Vergleich von IK-Lehrern ohne (G1) vs. mit Belastung (G2). Dimension A Innere Kündigung B Emot. Erschöpf. C Neg. Schülerwahrn. D Identif. mit Schule E Berufl. Identifikation
G1 4,13 3,60 4,14 4,32 3,45
Anmerkung: Mann-Whitney
G2 4,36 4,25 4,44 4,16 3,22
Diff. Sign. 0,23 .001 0,65 .000 0,27 .01 0,16 n.s. 0,23 n.s.
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
275
Abbildung 8.15: Disengagierte Lehrer ohne und mit Belastungserleben.
4,5
4
3,5
3
A
B
C
D
E
G1 ohne Belastung
4,13
3,59
4,14
4,32
3,45
G2 mit Belastung
4,36
4,25
4,44
4,16
3,22
*Anmerkung: y-Achse verkürzt A: Innere Kündigung B: Emotionale Erschöpfung C: negative Schülerwahrnehmung D: Identifikation mit der Schule E: berufliche Identifikation
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung 8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung Ein Merkmal hat eine besonders enge Beziehung zur Inneren Kündigung, das ist die allgemeine emotionale Erschöpfung, die mit ρ = .67 mit der IK korreliert. Bereits nach Augenschein liegt die Annahme einer Beziehung zwischen der IK-Skala und den Skalen des Maslach Burnout Inventory MBI nahe. Wenn man die Items der IK-Skala und die der Skalen der Emotionalen Erschöpfung und der Dehumanisierung des MBI vergleicht, fällt die inhaltliche Nähe der Items auf. Auch die Beschreibung der Symptome des Burnout ergibt Überschneidungen zur IK (Demotivierung, Leistungsrückgang; so auch Brinkmann/Stapf 2005, S. 139). Konzentrieren wir uns auf die Emotionale Erschöpfung (EE). Sie entsteht bei schwerer Belastung bzw. Beanspruchung und ist dafür ein unzulänglicher RegulationsMechanismus. Von mehreren Autoren wurde die EE als der zentrale Faktor des MBI (Maslach Burnout Inventory) und als das Kernsymptom des Ausbrennens bezeichnet. Andere sehen die EE als den robustesten MBI-Faktor an. Von den MBI-Faktoren hat sie offenbar die engste Beziehung zur psychischen Beanspruchung und zu körperlichen Beschwerden. Diese Dimension weist die besten teststatistischen Daten des BurnoutKonstruktes auf. Diese Einschätzung wurde auch nach den interpretativen Ver-
276
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
änderungen der anderen beiden MBI-Dimensionen beibehalten (Literaturbelege bei Densten, 2001; Schmitz, 2004). Wir fanden in unserer ersten Lehrer-Studie zur IK (N = 115 Personen) hohe statistische Korrelationen zwischen unserer IK-Skala und der Emotionalen Erschöpfung ( ρ = 0.67, p< .000) bzw. der Dehumanisierung (0.59, p< .000) des MBI (Schmitz, Gayler, Jehle, 2002; 2004, S 76). Die Höhe der Korrelation wirft die Frage auf, inwieweit Personen existieren, die zwar innerlich gekündigt haben, aber nicht so stark emotional erschöpft sind, dass ihre entsprechenden Werte unter dem Scheitelpunkt der Ratingskala dieser Burnout-Dimension liegen. Damit wäre möglicherweise eine „reine“ Form der IK gefunden.
8.4.1 Innere Kündigung ohne Emotionale Erschöpfung? Mittels einer Befragungserhebung an 200 Lehrkräften kam Georg Stöckli (1999) zu der Erkenntnis, dass die stressbedingte emotionale Erschöpfung EE keine notwendige Bedingung für sog. „pädagogisches Ausbrennen“ darstellt. Als Merkmale des „pädagogischen Ausbrennens“ hat er eine innere Distanzierung von den Schülern, Misstrauen und die Tendenz zur Konrolle und Gereiztheit mit Ungeduld identifiziert. Dieser Befund legt eine entsprechende Prüfung auch hinsichtlich emotionaler Erschöpfung und IK nahe, u.z. aus zwei Gründen: Stöcklis innere Distanzierung könnte eine inhaltliche Nähe zur IK aufweisen und bekanntlich besteht zwischen EE und IK eine ziemlich hohe statistische Korrelation (ρ = 0.67). Das ist ein Grund zu prüfen, ob es IK-Personen ohne EE gibt, oder ob EE für alle IK-Personen angenommen werden muss. Dazu wird die Analysestichprobe nach dem bewährten Midpoint-Verfahren in die Gruppen ohne und mit EE geteilt, ebenso wie sie nach dem selben Verfahren in Engagierte und IK-Personen geteilt worden war. Die Stichprobe (N = 1643 Personen) ist aus 1240 engagierten Personen (75,5%) und 403 (24,5%) IK-Personen zusammengesetzt. Von den Engagierten sind 78,3% (971 Personen) ohne EE und 21,7% sind emotional erschöpft (siehe Abbildung). Dieser Befund ist ein Beleg dafür, dass ein Teil der Engagierten emotional erschöpft ist, und dass diese Personen trotz ihrer Erschöpfung weiterhin engagiert arbeiten. Von den 403 innerlich Kündigenden sind 75,7% (305 Personen) emotional erschöpft; 24,3% (98 Personen) sind es nicht. Damit ist belegt, dass rund ein Viertel der IK-Personen nicht emotional erschöpft ist. Die Verteilungsdifferenzen sind hoch signifikant.
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
277
Abbildung 8.16: Emotionale Erschöpfung bei Engagierten und IK-Lehrern (Prozent)
80 60 40 20 0
Engagierte
IK-Lehrer
ohne EE
78,3
24,3
mit EE
21,7
75,7
Der Befund lässt die Deutung zu, dass die erschöpften Engagierten vom Burnout bedroht sind, während andere emotional Erschöpfte sich in die Innere Kündigung „retten“. Hier ist die Flucht in die Innere Kündigung eine Vermeidungsreaktion. Es wird vermieden, noch mehr an Mühe und Anstrengung zu investieren, weil man glaubt, nichts Gleichwertiges zurück zu erhalten.
8.4.2 Innere Kündigung mit vs. ohne Erschöpfung Nun ist zu prüfen, in welchen Merkmalen die erschöpften von den nicht erschöpften IKLehrern sich unterscheiden. An erster Stelle werden die fünf IK-Items analysiert. Tabelle 8.18: IK-Lehrpersonen ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) Emotionaler Erschöpfung: Mittelwerte, mittlere Differenz, M-W* Z und Signifikanz der IK-Werte. Basis 403 IK-Personen
Mittelwerte Gr1 Gr2 ohne mit EE IK gesamt 4,06 4,38 1 Im Laufe der Zeit 4,48 4,42 2 Wenn ich kündigen 3,30 3,65 3 mich genug aufreiben 4,29 4,62 4 früher viel engagierter 4,50 4,56 5 Dienst nach Vorschrift 3,92 4,64 *Anmerkung Mann-Whitney-Test.
Diff.
M-W Sign. Z
0,32 0,06 0,36 0,34 0,06 0,72
4,76 0,05 2,04 2,76 1,99 5,21
0,000 0,95 0,039 0,01 0,04 0,000
278
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Das Antwortverhalten der beiden IK-Gruppen zeigt für die Gruppe 1 (ohne erlebte emotionale Erschöpfung) auf der Gesamtskala und, wenn man die einzelnen Items betrachtet, in vier Items der IK-Skala signifikant geringere Mittelwerte als die emotional erschöpften IK-Lehrer. Die Differenzen sind hinreichend groß. Die Aussagen Item 1 (im Laufe der Zeit habe ich das Interesse an Auseinandersetzungen in der Schule verloren), und tendenziell Item 4, die den Blick in die Vergangenheit öffnen, deuten an, dass beide Gruppen glauben, dass sie in diesen Punkten früher deutlich positiv eingestellt wären. Insgesamt ist die Innere Kündigung bei der Gruppe ohne Erschöpfung weniger ausgeprägt als in der anderen IK-Gruppe. Gibt es irgend einen Hinweis auf einen typischen Unterschied zwischen den IKGruppen, die sich im Erleben der emotionalen Erschöpfung unterscheiden, und der uns eine Deutung der Gruppe ohne dieses Erleben ermöglicht? Zunächst ist festzustellen, dass die systemischen Merkmale Klassengröße, Unterrichtsstunden pro Woche und Arbeitszeit für die Schule außerhalb des Unterrichts keine Differenzen aufweisen. Dagegen sind Alter und Dienstalter verschieden. Die IK-Lehrer ohne Erschöpfung sind mit 52 vs. 49 Jahren im Schnitt drei Jahre älter als die Erschöpften. Für die Dienstjahre gilt das Entsprechende (24 vs. 21 Jahre). Nun ist zu prüfen, ob theoretisch relevante Merkmale wie die Identifikation mit der Schule bzw. mit dem Beruf und ob die mit der IK korrespondierenden Merkmale wie die Belastung, Arbeitszeit und die Einstellung zu den Schülern einen entsprechenden Hinweis geben könnten. Diese Befunde werden in der nächsten Tabelle zusammengefasst. Tabelle 8.19: IK-Lehrer: Merkmale bei emotionaler Erschöpfung. ohne Erschöpfung (Gruppe 1) und mit Erschöpfung(Gruppe 2): Theoretisch relevante und korrespondierende Merkmale Merkmal
Mittelwerte* Gr1 Gr2 Belastung 2,21 2,64 Negative Einstellung zu Schülern 3,91 4,47 Arbeitszeit Wochenstunden 43,9 41,6 Identifikation mit dem Beruf 3,39 3,25 Identifikation mit der Schule 4,34 4,16 Unterstützung Schulleitung 3,94 3,96
Diff. 0,43 0,56 2,32 0,14 0,17 0,01
M-W Z 7,06 5,09 1,76 1,46 1,56 0,01
Sign. p 0,000 0,000 0,07 0,10 0,12 0,99
*Anmerkung: Rating 1 - 6. Mann-Whitney
Die erschöpften IK-Lehrer (Gr2) weisen etwas geringere Werte bei der Identifikation mit dem Beruf und mit der Schule auf, signifikant höhere Belastungswerte und eine sehr negative Einstellung zu den Schülern, und das, obwohl ihre Arbeitszeit etwas geringer ist und obwohl sie die gleiche Unterstützung durch die Schulleitung erfahren wie die nicht erschöpften IK-Lehrer (Gr1).
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
279
Damit erhebt sich die Frage nach der Art der Belastung. Diese kann der folgenden Tabelle entnommen werden. Die Items des Lehrer-Belastungsfragebogens LBF werden zwecks besserer Lesbarkeit nochmal mitgeteilt: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11)
„Es fällt zu viel Arbeit an“, „zu viele verschiedene Aufgaben in der bzw. für die Schule neben dem Unterricht“, „Angespanntes Verhältnis zur Schulleitung“, „Schwierigkeiten, Privatleben und Beruf von einander zu trennen“, „zu wenig Zeit, um alle Aufgaben zufrieden stellend erledigen zu können“, „zu viele Unterrichtsstunden“, „Mangel an emotionaler Unterstützung durch Kolleg/innen“, „das Gefühl, bei der Arbeit innerlich leer zu sein“, „zu wenig Zeit, um sich zu erholen“, „zu wenig Zeit um Freundschaften und Kontakte zu pflegen“, „zu viele Schüler“.
Rating 1 = trifft auf mich gar nicht zu bis 4 = trifft auf mich zu.
In allen Aussagen zur Belastung gibt Gruppe 1 (ohne Emotionale Erschöpfung) erwartungsgemäß meistenteils signifikant geringere Werte an; sie sieht sich weniger belastet. Die statistischen Belege sind in Tabelle 8.20 zusammengestellt. Tabelle 8.20: Items des Lehrer-Belastungsfragebogens IK-Lehrpersonen ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) Erschöpfung Item 8 innerlich leer 5 zu wenig Zeit 4 Schwierigkeit, zu trennen 6 zu viele Stunden 9 zu wenig Erholung 11 zu viele Schüler 7 Kollegen 10 zu wenig Zeit für Freunde 2 Zu viele Aufgaben 1 Zu viel Arbeit 3 negatives Verhält. zur Schulleitung
Mittelwerte Gr 1 Gr 2 1,63 2,40 2,48 3,03 1,73 2,27 2,34 2,86 2,41 2,83 2,65 3,06 1,80 2,18 2,29 2,67 2,77 3,09 2,84 3,08 1,87 2,02
Diff. M-W Z 0,77 7,67 0,55 5,24 0,53 4,84 0,52 4,36 0,42 3,94 0,41 3,85 0,38 3,76 0,39 3,45 0,32 2,89 0,24 2,45 0,16 1,49
Sign. p 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,006 0,000 0,000 0,012 0,014 0,14
Merkwürdig sind folgende Widersprüche: Obwohl die „objektiven“ Merkmale Klassengröße, Unterrichtsstunden pro Woche und Arbeitszeit für die Schule außerhalb des Unterrichts zwischen den beiden Gruppen keine Differenzen aufweisen (siehe vorletzte Tabelle), klagen die emotional erschöpften IK-Lehrkräfte in der letzten Tabelle heftig
280
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
darüber, dass zu viel Arbeit, zu viele verschiedene Aufgaben usw. usf. und zu wenig Zeit für Erholung und für Freunde blieben, und sogar, dass sie innerlich leer seien. Bei gleicher Belastung ist das Erleben der Belastung für sie stärker. Schauen wir uns die Folgen des Belastungserlebens an. Das sind die Merkmale Erschöpfung, Dehumanisierung, Zufriedenheit mit dem Beruf und die Fehltage. Die substanziell stärkere Erschöpfung der Gruppe 2 ist gemäß er Auswahldefinition selbstverständlich zu erwarten. Zu erwarten sind auch höhere Werte in den übrigen Merkmalen. Die GruppenDifferenzen sind sehr bedeutsam. Tabelle 8.21: Belastungsfolgen bei IK-Lehrern ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) emotionaler Erschöpfung: Mittelwerte, mittlere Differenz, M-W Z und Signifikanz Item Erschöpfung Dehumanisierung Zufriedenheit Fehltage
Mittelwerte Gr 1 Gr 2 2,88 4,45 2,23 3,44 4,44 3,73 4,15 5,93
Diff. 1,57 1,21 0,71 1,34
M-W Z 14,94 5,66 3,89 1,30
Sign. p 0,000 0,000 0,000 0,190
ES% % 26,17 20,17 11,83
Der folgenden Tabelle ist zu entnehmen, dass die persönliche Wahrnehmung, in die Schulleitung, in die Schüler und in die Kollegen mehr zu investieren als man zurück erhält, nur in Bezug auf die Schüler unterschiedlich ist. Genau das selbe zeigt sich in der Enttäuschung. Das heißt, dass ein Bruch des Psychologischen Vertrags von den emotional erschöpften IK-Lehrern bei der Beziehung zu den Schülern deutlicher ausgeprägt ist als bei den IK-Lehrern ohne Erschöpfung. Tabelle 8.22: Investitionen und Enttäuschungen bei IK-Lehrern ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) emotinaler Erschöpfung: Mittelwerte, mittlere Differenz, Z und Signifikanz Mittelwerte ohne EE mit EE Item Gr 1 Gr 2 Investition in die Schulleitung 3,50 3,45 Investition in die Schüler 3,27 3,64 Investition in die Kollegen 2,87 2,65 Enttäuschung durch Schulleiter 3,04 2,88 Enttäuschung durch Schüler 2,25 2,68 Enttäuschung durch Kollegen 2,44 2,35
M-W Sign. Diff. 0,05 0,37 0,21 0,16 0,43 0,09
Z 0,41 2,59 1,15 0,81 3,55 0,77
p 0,68 0,01 0,25 0,42 0,000 0,44
Anmerkung: Die Items bedeuten, dass in die Schulleitung, in die Schüler und in die Kollegen mehr persönliche Investitionen erfolgt sind, als man zurück bekommen hat und dass man deshalb von diesen Personengruppen enttäuscht ist.
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
281
Dieser Befund führt zu der Frage nach der Erfüllung von Erwartungen der Lehrkräfte an die Schüler und damit indirekt nach der Einstellung gegenüber den Schülern. Lehrkräfte erwarten, wenn man sich auf einige substanzielle Erwartungen beschränkt, dass die Schüler sich Mühe geben mitzuarbeiten, den Unterricht nicht stören, die Person der Lehrkraft respektieren und ihr Anerkennung zollen. Selbstverständlich kann diese Liste deutlich verlängert werden, aber darauf kommt es hier nicht an. An dieser Stelle ist nur wichtig, ob die Lehrer-Erwartungen an die Schüler von diesen auch erfüllt werden. Hinsichtlich der Mittelwerte auf den fünfstufigen Ratingskalen der Erfüllung der Erwartungen unterscheiden sich die beiden Gruppen bei jedem Item hoch signifikant. Tabelle 8.23: Erfüllung von Erwartungen bei IK-Lehrern ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) emotinaler Erschöpfung: Mittelwerte, mittlere Differenz, ZWert und Signifikanz
Items zu Erwartungserfüllung Lehrer erwarten, dass Schüler 1. mitarbeiten 2 den Unterricht nicht stören 3 die Lehrperson respektieren 4 Anerkennung geben
Mittelwerte Gr 1 Gr 2 3,18 2,81 3,35 2,90 4,06 3,72 3,54 3,15
Diff. M-W Z 0,37 3,59 0,45 4,22 0,34 3,20 0,39 2,87
Sign. p 0,000 0,000 0,001 0,004
*Anmerkung: Rating 1 bis 5.
In Tabelle 8.23 wird gut belegt, dass die IK-Lehrpersonen ohne Erschöpfung (Gr 1) in allen Fällen signifikant höhere Erwartungserfüllungen angeben als die IK-Lehrer mit Erschöpfung. Wenn man alle bisherigen Befunde dieses Teilkapitels zusammen nimmt, stellen die Schüler sich als das zentrale Ursachenproblem für die emotionale Erschöpfung der disengagierten Lehrkräfte heraus. Aus diesem Grund bietet es sich an, die Einstellung gegenüber den Schülern zu prüfen. Bisher hatte sich gezeigt, dass IKLehrer eine substanziell negativere Einstellung gegenüber ihren Schülern haben als die Engagierten, die eine durchweg positive Einstellung angaben. Alle IK-Lehrer haben Probleme mit ihren Schülern. Nicht wenige haben aber auch offensichtlich eine starke negative Einstellung. Die Aussagen über die Einstellung zu den Schülern lauten: (1) (2) (3) (4) (5)
Die Schüler machen meine Arbeit zur Belastung, Ich könnte viel mehr leisten, wenn die Schüler besser mitarbeiten würden, Von meinen Schülern fühle ich mich akzeptiert und anerkannt, Viele Schüler sind für die schulische Arbeit zu wenig motiviert, Die Schüler verhalten sich nicht so, wie ich gerne möchte,
282 (6) (7) (8) (9)
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren viele Schüler stören dauernd, die Schüler sind heutzutage wenig motiviert, früher haben die Schüler besser mitgearbeitet, einige Schüler hindern mich daran, so zu arbeiten, wie ich gerne möchte.
Die Ratingskala reicht von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“, 2 = „trifft kaum zu“, 3 = trifft selten zu“ usw. bis 6 = „trifft voll zu“. (Das Rating wurde zwecks Verrechnung invertiert, es war also in der Befragung umgekehrt). Der Mittelpunkt der 6-stufigen Ratingskala ist 3,5. Diesen Aussagen sind absichtlich pauschal gehalten, weil keine Tatbestände erfragt werden sollten, sondern die Einstellung zu den Schülern. Die Antworten sagen etwas über die Beantworter aus, kaum über die Schüler. Was heißt beispielsweise (8) früher haben die Schüler besser mitgearbeitet; früher war vor 10 oder vor 50 Jahren? Eine kritische Lehrkraft kann diesem Item nicht zustimmen. Mehrere Aussagen deuten die Unfähigkeit der zustimmenden Lehrkraft an, einen interessanten Unterricht zu halten und Schüler zu motivieren, insbesondere Item 2, 4, 5 und 9. Selbstverständlich könnten in fast jeder Unterrichtsstunde einige Schüler besser mitarbeiten und mehr Motivation zeigen. Insofern könnte jede professionelle Lehrkraft diesen Aussagen in Maßen zustimmen. Es ist akzeptabel, dass eine durchschnittliche Lehrkraft diesen Aussagen (außer Item 3) mit 2 = „trifft kaum zu“ bis 3 = trifft selten zu“ zustimmen kann. Auch kann es einer sog. „schwierigen Klasse“ zeitweise zutreffen, dass Schüler „manchmal“ (Ratingstufe 4) stören. Aber wenn es „oft“ zutrifft (Ratingstufe 5), dass viele Schüler dauernd stören, dann beherrscht die Lehrkraft ihr Handwerk nicht. Das Entsprechende gilt für die meisten anderen Aussagen dieser Skala. Die mittleren Antwortwerte für psychisch gesunde und gegenüber ihren Schülern vorurteilsfreie Lehrer liegen durchschnittlich unter 3,5. Dagegen liegen die Werte bei allen IK-Lehrern darüber, die der IK-Lehrer mit emotionaler Erschöpfung liegen (mit Ausnahme von Item 3) sogar über dem mittleren Wert von 4,00. Die Belege sind in der folgenden Tabelle mitgeteilt. Tabelle 8.24: Einstellung zu Schülern bei IK-Lehrern ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) emotinaler Erschöpfung: Mittelwerte, Differenz der Mittelwerte, Z-Wert, Signifikanz und Effektstärke
Item Gesamtskala 1 Schüler machen Arbeit zur Belastung 9 einige Schüler hindern mich 2 könnte bei besserer Mitarbeit mehr leisten 4 Für schulische Arbeit wenig motiviert 5 Schüler verhalten sich nicht so, wie ich möchte
Mittelwerte ohne mit EE EE Gr 1 Gr 2 3,91 4,47 3,41 4,18 3,59 4,24 4,10 4,67 4,60 5,11 3,87 4,38
Diff.
MW Z
Signifikanz. p
ES
0,56 0,77 0,73 0,56 0,51 0,51
5,09 4,68 4,46 3,66 4,35 3,69
0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000
11,20 19,25 18,25 14,00 12,75 12,75
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
283
Fortsetzung von Tabelle 8.24
Item 6 Viele Schüler stören dauernd 7 Schüler heutzutage weniger motiviert 8 früher haben Schüler besser mitgearbeitet 3 bin akzeptiert und anerkannt
Mittelwerte ohne EE mit EE Gr 1 Gr 2 3,62 4,12 4,21 4,70 3,97 4,39 1,83 2,08
Diff.
M-W SigniZ fikanz. p
ES
0,49 0,49 0,42 0,26
3,24 3,94 2,66 2,42
12,25 12,25 10,50 6,50
0,001 0,000 0,006 0,015
Ein grundlegendes persönliches Problem dieser Lehrkräfte liegt im Mangel an persönlichem Einsatz. Die Aussage: „Sich für etwas einzusetzen lohnt sich nicht“ erreichte einen mittleren Wert von 3,27 bei den IK-Lehrern mit emotionaler Erschöpfung. Das ist eine hohe Zustimmungsrate. Bei den anderen sind es 2,63; die Differenz ist bedeutsam. Ein systemisches Problem kommt hinzu: Diesen Lehrern fehlt das Leitbild einer selbstbestimmten Schüler-Persönlichkeit, und es fehlt diesen Lehrern ein Lehrerbild, wonach der Lehrer als Berater, Coach und Unterstützer arbeitet. Die Schule benötigt einen Paradigmenwechsel.
8.4.3 Vorkommen der EE in den drei IK-Gruppen Zunächst ist zu prüfen, wie die allgemein emotional Erschöpften auf die drei IK-Gruppen verteilt sind. Gruppe IK-G1 enthält 170 (42,2%) Personen, IK-G2 96 (23,8%) Personen und IK-G3 137 (34%) Personen, insgesamt 403. Der nachfolgenden Abbildung ist die Verteilung zu entnehmen. IK-Gruppe 1 ist zu 27,1% aus Personen ohne EE und zu 72,9% aus Personen mit EE zusammengesetzt, IK-Gruppe 2 entsprechend zu 18,8% und 81,3%, und IK-Gruppe 3 ist zu 24,8% aus Personen ohne EE und zu 75,2% aus Personen mit EE zusammengesetzt. Die Verteilung weist keine überzufälligen Mengen auf (χ2 = 2,329, df = 2; p = .31). Das Merkmal „Innere Kündigung ohne emotionale Erschöpfung“ ist also über alle drei IK-Gruppen gleich verteilt.
284
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Abbildung 8.17: IK-Gruppen mit und ohne Emotionale Erschöpfung (Prozent)
G3 G2 G1 0%
50%
100%
G1
G2
G3
mit EE
72,90%
81,30%
75,20%
ohne EE
27,10%
18,80%
24,80%
Von der Emotionalen Erschöpfung ist in allen drei IK-Gruppen ungefähr der gleiche prozentuale Anteil an Personen betroffen, nämlich im Schnitt 75,7%. Die Personen mit bzw. ohne Emotionaler Erschöpfung sind auf die drei IK-Gruppen nicht überzufällig ungleich verteilt. Allerdings weist Gruppe 2 tendenziell 6-8% mehr emotional betroffene Personen auf als die anderen beiden Gruppen. Umgekehrt betrachtet ist festzustellen, dass in allen drei IK-Gruppen etwa 19 bis 27% der Personen keine Anzeichen einer Emotionalen Erschöpfung aufweisen. Das bedeutet, dass die Emotionale Erschöpfung zwar ein häufiges aber kein notwendiges Merkmal der Inneren Kündigung ist. Ein anderes Problem betrifft die Frage, ob auch die Intensität der EE in den Gruppen gleich verteilt ist. Wir vermuten, dass die Emotionale Erschöpfung im Schnitt bei Gruppe 2 am stärksten ausgeprägt ist. Zur Prüfung sollen die Mittelwerte der Ausprägungsgrade der EE und der Dehumanisierung verglichen werden. Die nachfolgende Abbildung belegt, dass die allgemeine emotionale Erschöpfung bei den Engagierten deutlich geringer ausgebildet ist als bei allen drei IK-Gruppen, und hier am stärksten bei Gruppe 2. Dagegen erreicht die Dehumanisierung bei Gruppe 3 den höchsten Mittelwert. Die Differenzen zwischen den IK-Gruppen einerseits und den Engagierten sind jeweils statistisch signifikant, die zwischen den IK-Gruppen nur teilweise.
8.4 Innere Kündigung und Emotionale Erschöpfung
285
Abbildung 8.18: Emotionale Erschöpfung (MBI) und Dehumanisierung (MBI) (Mittelwerte, Rating 1 - 6) bei den Engagierten und bei drei IK-Formen.
4,5 4 3,5 3 2,5 2
Engag.
G1
G2
G3
Emot. Ersch.
2,76
3,91
4,3
4,08
Dehuman.
2,13
2,9
3,25
3,71
Tabelle 8.26: Zufriedenheit, EE, Dehumanisierung und Belastung in den drei IK-Gruppen
Zufriedenheit Beruf Emotionale Erschöpfung Dehumanisierung Belastung
IK-G 1 höchste mittel mittel mittel
IK-G 2 niedrigste höchste mittel höchste
IK-G 3 niedrig mittel höchste mittel
Das könnte eine Bestätigung der Annahme sein, dass die alt gedienten Lehrer, diejenigen, die das System Schule durchschauen (Gruppe 1) in ihrem Beruf auch als Disengagierte (oder gerade deswegen) durchaus zufrieden sind. Ihre IK (insbesondere gegenüber dem Kollegium) erlaubt es ihnen, die Widrigkeiten des Schulalltags ohne größere Folgen zu ertragen.
8.4.4 Belastung und Erschöpfung Emotionale Erschöpfung (EE) entsteht nach allgemein übereinstimmender Auffassung bei schwerer Belastung bzw. Beanspruchung und ist dafür ein unzulänglicher Regulations- Mechanismus (Hobfoll & Freedy, 1993). Ist diese Behauptung des kausalen Zusammenhangs von Belastung / Beanspruchung und EE überhaupt zwingend? Dazu bieten wir zwei Ergebnisse. Wir fanden (1) einerseits, dass von den 1216 Nicht-Belasteten
286
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
unserer Analysestichprobe 299 Personen, d. s. 24,6%, emotional erschöpft sind, und (2), dass von den 427 schwer Belasteten, mit Belastungswerten über dem Skalenmittelpunkt, 35,6% keinerlei emotionale Erschöpfung aufweisen. Das bedeutet, (1) dass die emotionale Erschöpfung nicht immer aus schwerer Belastung bzw. Beanspruchung resultiert, und (2), dass schwere Belastung bzw. Beanspruchung nicht zwingend zur emotionalen Erschöpfung führen muss. Die Formel: „Belastung/Beanspruchung emotionale Erschöpfung“ trifft nur bei 64,4% der belasteten Lehrkräfte zu. Belastete müssen nicht immer erschöpft sein. Und: Emotionale Erschöpfung ist nicht immer eine Reaktion auf die psychische Beanspruchung. Man kann offenbar auch ohne schulische Belastung/ Beanspruchung erschöpft sein. Mögliche persönlichkeitsspezifische Faktoren wurden in Kapitel 7 erörtert.
8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer 8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer Nach unseren eigenen theoretischen Annahmen müsste es junge Lehrer geben, die zwar zur IK neigen, aber sonst keine schwerwiegenden emotionalen oder andere Probleme wie Belastungen u. dgl. m. aufweisen. Bliebe zu klären, wie groß der Anteil der IK-Lehrer unter den Junglehrern mit einem Dienstalter ≤ 5 Jahre ist. Von 403 IK-Lehrern, deren IKWerte über dem Skalenscheitel liegen, sind 25 Personen, d. s. 6,2 % bis zu fünf Jahre im Dienst. 23 Personen haben einen durchschnittliche IK-Ausprägung der Rating-Stufe 4, und 2 Personen haben die höchste IK-Ausprägung auf der Ratingsstufe 5. Diese 25 Junglehrer zeigen also eine sehr ausgeprägte Innere Kündigung, obwohl zwei Personen erst ein Jahr im Dienst sind, 4 Personen 2 Jahre, 6 Personen 3 Jahre und der Rest bis 5 Jahre. Welche weiteren Merkmale weisen diese 25 Junglehrer noch auf? Um erste Ergebnisse zu erhalten, haben wir ihre IK-Ausprägungen mit den verschiedensten Merkmalen korreliert (Spearman) und fanden folgende Zusammenhänge: Diese disengagierten Junglehrer erwarten – umsonst – einen kooperativen, kollegialen Führungsstil (ρ = 0,57, p = 0,04), sie sind nicht erschöpft (ρ = -0,12, n. s.), sie sind kaum dehumanisiert (ρ = 0,20 , n.s.), fühlen sich durch die schulische Tätigkeit nicht belastet (ρ = -0,17, n.s.), eher durch die Schulleitung (ρ = 0,30 , n.s.; dass diese mittleren Korrelationen nicht signifikant sind, ist eine Folge der geringen Zahl von 25 Personen). Ihre IK-Werte weisen keinerlei Korrelation mit der beruflichen Identifikation auf (ρ = -0,05, n.s.) oder mit der betrieblichen Identifikation (ρ = -0,34, n.s.), ebenso wenig mit der negativen Einstellung gegenüber Schülern (ρ = -0,07, n.s.). Ihre IK-Werte weisen keinerlei Korrelation mit der Unterstützung durch die Schulleitung auf (ρ = -0,18, n.s.), mit der Klassengröße (ρ = -0,14, n.s.), weder mit der Arbeitszeit (ρ = -0,30, n.s.) noch bedeutsam mit der Gesamtstundenzahl (ρ = -0,32, p = 0,12), obwohl dieser Wert als Tendenz aufgefasst werden kann und bei einer größeren Gruppe als 25 sicher signifikant ausfallen würde. Mit den Fehltagen korreliert die IK mit Tendenz zur Signifikanz (ρ = 0,53, p = 0,06). Diese Junglehrer geben in keinem Fall an, mehr zu investieren, als sie zurück erhalten, weder bezüglich der Schüler noch der Kollegen.
8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer
287
Weil offenkundig außer einer nicht bedeutenden Tendenz zur Belastung durch die Schulleitung keinerlei Zusammenhänge nachweisbar sind, ist man genötigt, anzunehmen, dass diese IK-Junglehrer ohne einen weiteren Grund, der im schulischen Bereich angesiedelt wäre, zur IK neigen. Infolge dessen könnte angenommen werden, dass sie diese Einstellung bereits vor ihren Einstieg in das Berufsleben hatten, die vielleicht durch die Schulleitung und durch den sog. Praxisschock verstärkt wurde. Die negative Korrelation mit der Identifikation mit der Schule (Kollegium, Schulleitung) , die hohe Korrelation mit den Fehltagen und die hohe Korrelation mit – vermutlich wenig erfüllten – Erwartungen eines kooperativen, kollegialen Führungsstils weisen auf Führungsdefizite der Schulleitung. Die Korrelationswerte erlauben keinen Rückschluss auf die Ausprägung (z. B. Mittelwerte) der Merkmale. Es zeigt sich, dass die Korrelationen weniger aussagefähig sind als die Vergleiche der Mittelwerte (gerechnet wurde mit den mittleren Rangwerten, Kruskal-Wallis). Wir haben die Werte der 25 jünsten IK-Personen mit denjenigen der Engagierten und der übrigen IK-Lehrer verglichen. Einige Daten im Vergleich sind in der anschließenden Abbildung dargestellt. Legende zu Abbildung 8.19 und der Tabelle 8.27 Die Abkürzungen bedeuten: „erwart01“ ist auf das kooperative Führen des Schulleiters bezogen (Ich erwarte, dass er/sie kooperativ führt, mich bei seinen Entscheidungen einbindet, mich über alles Wichtige frühzeitig informiert, mir Rückmeldungen gibt, Maßnahmen begründet). „erwart04“ meint teils irrationale Erwartungen und die Befürchtung von Ungerechtigkeit (Ich erwarte, dass die Aufgaben gerechter als bisher verteilt werden, dass man von Sonderlasten entlastet werde, keine unangenehmen Klassen zugewiesen bekomme und keine Zusatzbelastung außerhalb des Unterrichts erhalte und dass persönliche Wünsche bei der Stundenplangestaltung berücksichtigt werden). „Schul Id“ ist die Identifikation mit der Organisation Schule (organizational commitment). „Berufl Id“ meint die Identifikation mit der schulischen Tätigkeit, hauptsächlich des Unterrichts (job involvement). „Schulleitung“ ist die Unterstützung durch die Schulleitung. „Negativ Einst“ ist die negative Einstellung zu den Schülern (die Schüler machen meine Arbeit zur Belastung; früher haben die Schüler besser mitgearbeitet, die Schüler sind heutzutage wenig motiviert). Die übrigen Abkürzungen dürften eindeutig sein.
288
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
Abbildung 8.19: Engagierte, IK-Lehrer, jüngste IK-Lehrer (Mittelwerte)
Erwart04 Erwart01 Fehltage Belastung Zufriedenheit IKj
Schulleitung
IK Negativ Einst
Engag
Faktor IK Schul Id Berufl Id Erschöpf Dehuman 1
2
3
4
5
6
Dabei fallen die IK-Jüngsten auf durch die höchsten Werte im Merkmal Belastung. Sie fühlen sich signifikant stärker belastet als die übrigen IK-Personen. Sie geben auch die höchste Klassenstärke an, im Schnitt zwei Schüler mehr als die Engagierten und 1,5 Schüler mehr als die übrigen IK-Lehrer. Die Identifikation mit der Schule ist deutlich geringer als bei den anderen IK-Personen. Ihre Zufriedenheits-Werte sind am schlechtesten ausgefallen. Sie haben aber hoch signifikant geringere Fehlzeiten als die übrigen IK-Lehrer und unterscheiden sich darin nicht von den Engagierten. Auffallend ist auch, dass sie ebenso wie die Engagierten geringe Erwartungen im „irrationalen“ Bereich haben, wie zum Beispiel: „Ich erwarte von meinem Schulleiter, dass er mich von Sonderaufgaben entlastet, mir keine Zusatzbelastungen außerhalb des Unterrichtes zumutet, meine Wünsche bei der Stundenplangestaltung berücksichtigt“ etc. Bei diesen Erwartungen unterscheiden sie sich signifikant von den übrigen IK-Lehrern, jedoch nicht von den Engagierten. In allen weiteren Merkmalen wie Dehumanisierung, Erschöpfung, negative Einstellung gegenüber den Schülern, Unterstützung durch die Schulleitung und
8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer
289
sonstigen Erwartungen unterscheiden sie sich deutlich von den Engagierten und gar nicht von den übrigen IK-Lehrern. Tabelle 8.27: Engagierte, Disengagierte und Junglehrer Merkmal Dehuman Erschöpfung Berufl Identif Identif Schule IK gesamt Negativ Einst Schulleitung Zufriedenheit Belastung Erwart01 Erwart04 Klassenstärke Arbeitsaufw. für d.Schule Fehltage im letzten Jahr Alter total 46,9
Mittelwerte und s Engag Diseng Gr1 Gr2 2,13 3,19 1,09 1,38 2,75 4,07 0,91 0,91 3,75 3,29 1,05 0,89 4,88 4,24 0,88 1,06 2,19 4,33 0,69 0,60 3,68 4,34 0,88 0,90 4,76 3,95 0,99 1,19 5,14 3,88 0,89 1,25 2,08 2,52 0,51 0,49 4,30 4,35 0,59 0,60 4,15 4,10 0,64 0,70 23,8 24,4 4,6 4,8 42,7 41,9 11,1 9,9 2,63 5,06 4,61 10,5 45,8 51,2 9,3 7,0
Jung Gr3 3,54 1,28 4,06 0,51 3,18 0,88 3,75 1,11 3,89 0,32 4,43 0,75 4,08 0,82 3,69 1,08 2,76 0,61 4,60 0,51 4,10 0,53 25,8 4,6 44,9 10,7 3,92 4,26 34,8 8,6
Prüfgröße K-W* χ2 (df=2) 127,3**
Bonferroni Signifikanzen 1vs2 1vs3 2vs3 * *
288,1**
*
*
90,1**
*
*
146,1**
*
*
*
915,5**
*
*
*
144,4**
*
*
99,8**
*
*
212,9**
*
*
208,8**
*
*
*
6,2* 1,46 n.s. 14,39**
*
2,09 n.s. 23,31**
*
91,25**
*
*
*
*Anmerkung: K-W Kruskal-Wallis
Wir haben hier eine IK-Form gefunden, die offensichtlich typischerweise unter Junglehrern vorkommt: relativ hohe Belastungswerte, hohe negative Einstellung zu den Schülern, niedrigste Zufriedenheitswerte, trotzdem geringe Fehlzeiten und keine „irrationalen“ Erwartungen, was für eine realistische Grundhaltung spricht. Entsprechend
290
8 Formen des Disengagements durch Innere Kündigung bei Lehreren
gering sind die Erwartungen, von den Schulleitungen unterstützt zu werden, geringe Identifikation mit der Schule und mit der beruflichen Tätigkeit. Sie scheinen nach dem Motto vorzugehen: „Ein Gesunder hält’s aus, ...“. Bei dieser Gruppe könnte die Tendenz zum inneren Rückzug als eine Schutzreaktion gedeutet werden. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass diese jungen Lehrer anfangs überhöhte, unklare Zeile bezüglich ihres Berufes gehabt haben, die dann enttäuscht wurden. Diesen Befund hatten wir seinerzeit in zwei voneinander unabhängigen Studien unter ausgebrannten Lehrern und Sozialberuflern erhalten (Schmitz, 1998; Schmitz & Leidl, 1999), doch in der jetzigen Studie wurde mit den Junglehrern eine andere Generation befragt. Die damalige ältere Lehrergeneration war von den Idealen der Jugendlichen des 68er Jahres geprägt, die heutige junge Lehrergeneration scheint eher von der Realität der Globalisierung und des wirtschaftlichen Abschwungs geprägt zu sein. Ihr „Ideal“ ist der sichere Arbeitsplatz Schule mit gesichertem Einkommen als Beamter. Man wählt den Lehrerberuf ohne Engagement und Bindung und richtet sich darin mit einer gewissen inneren Distanz ein. Nach 3 Jahren erfolgt im Regelfall die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit. Damit hat die Gruppe 2 das primäre Berufsziel erreicht. Zusammenfassung der wichtigsten Befunde
Personen mit der Tendenz zum Disengagement durch Innere Kündigung bilden keine homogene Gruppierung, vielmehr lassen sich unter verschiedenen Aspekten unterschiedliche Formen der IK unterscheiden. Es gibt IK-Formen mit Schwerpunkt Organisation und mit Schwerpunkt Tätigkeit und mit reduzierten Werten in beiden Dimensionen. Diese drei IK-Formen unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe der informell vertraglichen Investitionen (im Sinne des Psychologischen Vertrags ) in die Schüler, in die Schulleitungen und in die Kollegen. Diese drei IK-Formen zeigen Differenzen in verschiedenen weiteren Dimensionen wie berufliche Zufriedenheit, Enttäuschungen infolge Bruchs des Psychologischen Vertrags, in der Unterstützung durch die Schulleitung, im Ausmaß von Problemen mit den Schülern, in Erschöpfung und Dehumanisierung (Depersonalisation), in der Art der Belastung und Beanspruchung, jedoch nicht in der Klassengröße, im Dienstalter, im Arbeitsaufwand und Unterrichtsdeputat. Es gibt weitere Formen des Disengagements durch Innere Kündigung. Es gibt ein Disengagement durch Innere Kündigung ohne erkennbaren Vertragsbruch. Es gibt die Innere Kündigung ohne Emotionale Erschöpfung. Disengagierte mit und ohne Emotionale Erschöpfung unterscheiden sich in der Erfüllung der Erwartungen an die Schüler erheblich. Disengagierte mit und ohne Emotionale Erschöpfung unterscheiden sich in ihrer Einstellung zu den Schülern substanziell.
8.5 Unsere Jüngsten: Die Junglehrer
291
Es gibt eine Form der Inneren Kündigung ohne schulische Überbeanspruchung. Manche Junglehrer (≤ 5 Dienstjahre) gehen in den Lehrerberuf mit dem primären Berufsziel, den Beamtenstatus zu erwerben, ohne pädagogisches Engagement und ohne einen Psychologischen Vertrag einzugehen. Die Gruppe der disengagierten Junglehrer unterscheidet sich von den übrigen Disengagierten in mehreren Dimensionen bedeutsam.
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern 9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Georg G., 52 Jahre alt, verheiratet, war dynamisch, zupackend und zielorientiert. Nach nur fünf Jahren im normalen Schuldienst an einer Berufsschule engagierte er sich in diversen Projekten für pädagogische Innovationen, u. a. für Zusammenarbeit mit Betrieben, wobei Meister und Lehrer gemeinsam mit den Schülern arbeiteten, und in der Gewaltprävention in Schulen. Zuletzt führte er selbst Fortbildungen zu diesen Themen durch. Nach relativ wenigen Dienstjahren wurde er zum Schulleiter bestellt. Auch in dieser Position war er sehr erfolgreich, verbesserte nachhaltig das Klima an der Schule, war allseits beliebt und erhielt viel Unterstützung aus dem Kollegium. Eines Tages wurde er an eine Schule versetzt, wo es, nach seinen Worten, „aufzuräumen“ galt, wie ihm bedeutet wurde. Das Kollegium hatte sich unter dem Vorgänger, der permanent überarbeitet war und die Übersicht verloren hatte, einige Verhaltensweisen angewöhnt, die mit der Lehrerdienstordnung (LDO) nicht vereinbar sind. Dazu gehörten u. a. Besprechungen während der Unterrichtszeit; Pausen wurden überzogen, wobei die Schüler sich selbst überlassen wurden. Gelegentlich wurde auch einmal eine Klasse vorzeitig nach Hause entlassen. An den sog. Brückentagen („Zwickeltage“) stieg die Rate von Krankmeldungen sprunghaft an. Fehltage waren unter einigen Kollegen offenkundig abgesprochen. Bei der Benotung sollte es Ungereimtheiten gegeben haben. Die Rückgabe von Korrekturen schriftlicher Arbeit erfolgte verspätet. Aufgaben, die über die Unterrichtszeit hinaus gingen, wurden verschleppt. Diese Liste könnte erweitert werden. Georg G. sollte nun diesen Schlendrian, der sich über die Jahre eingeschlichen hatte, beenden und das Kollegium zu einer „Corporate Identity“ führen. Unter anderem kontrollierte er daher genau, wer von den Kollegen morgens zu spät kam, wer die Pausen überzog und die Schüler unbeaufsichtigt ließ, wer zusätzliche Aufgaben abwies oder verschleppte bzw. diese genau – „nach Vorschrift“ im negativen Sinn – ausführte. Konsequent pochte er auf der Verpflichtung, die LDO einzuhalten und nutzte alle Mittel, die ihm zur Verfügung standen, wie persönliche Gespräche, Ermahnungen und Ermunterung bis hin zur Beurteilung, Leistungszulage, Abmahnung und Disziplinarverfahren, um wieder Ordnung zu erzwingen. In der Folge hatte er das Kollegium gegen sich. Erreicht hat er wenig. Dem Mann ist eine gute Vitalität und Gesundheit gegeben, so dass ein inneres Ausbrennen nicht zu befürchten steht. Aber gewisse Anzeichen von Disengagement sind unübersehbar. Mit einer bestimmten Gruppe von Lehrern kommuniziert er nur
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
noch unter strikter Beachtung der formalen Vorschriften. Schlendrian ahndet er unnachsichtig. Inzwischen musste der Personalrat und sogar ein Beauftragter des Ministeriums zu mehreren Schlichtungsversuchen eingeschaltet werden. Hilfe „von oben“ hat er nicht erhalten. Das Kollegium beklagt sich über das schlechte Klima an der Schule. Im Sinne des Psychologischen Vertrags ist jeweils die andere Partei schuldig, ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein. Die Situation scheint völlig verfahren. Die übergeordnete Dienststelle hat offenkundig eine sehr unbedarfte Vorstellung von der Bearbeitung eines derartigen Konfliktes. Eine erfolgreiche Konfliktlösung ist ohne Eingriff in die personelle Zusammensetzung dieser Schule und ohne eine professionelle psychologische Hilfe von außen nicht zu erwarten. Da erfolgreiche Lösungsmöglichkeiten offenkundig aber nicht vorgesehen sind, aus welchen Gründen auch immer, werden Kollegium und Schulleiter sich über die Jahre, ausgebrannt und emotional erschöpft oder in die Innere Kündigung rettend, dahinschleppen, möglicherweise die nächste Lehrer-Generation infizierend, bis die letzte betroffene Person altersbedingt oder frühpensioniert diese Schule verlassen hat. (Die Fallbeschreibung wurde konstruiert, wurde aber von mehreren Schulleitern als durchaus denkbar bewertet)
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz 9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz Auch Vorgesetzte können sich disengagieren und ihren Mitarbeitern innerlich kündigen16. Allerdings ist dieser Fall eher selten. Das hatte bereits Höhn, der den Begriff Innere Kündigung als erster publizierte, beschrieben: „Die Innere Kündigung von Seiten des Chefs gegenüber einem Mitarbeiter bedeutet, dass er zu dem betreffenden Mitarbeiter auf Distanz geht. Er arbeitet zwar noch mit ihm, aber unter veränderten Bedingungen, die nur ihm bekannt sind.“ (Höhn, 1983, 99). Das Verhalten der Vorgesetzten war für Höhn die bedeutsamste Ursache der Inneren Kündigung der Mitarbeiter. Schulleiter, aus deren Sicht dieses Kapitel verfasst wurde, können sich in zwei Richtungen disengagieren: (1) gegenüber ihren Lehrern und (2) gegenüber ihrer Schulaufsichtsbehörde.
9.1.1 Das Aufgabenspektrum von Schulleitern Das Spektrum der Aufgaben, die Schulleiter tagtäglich zu bewältigen haben, findet sich z. B. im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) und in der Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern. Daneben existieren kenntnisreiche Analysen aus Pädagogik und Bildungsforschung zum weiten Spektrum disengagieren und innerlich kündigen werden wie Disengagement und Innere Kündigung (IK) synonym verwendet.
16
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz
295
der Schulführung wie Verwaltung, Organisationsgestaltung, Personalmanagement, Qualitätsentwicklung usw. usf.17 Unabhängig davon soll hier allein die Sicht der Schulleiter berücksichtigt werden: Neben Aufgaben aus dem (a) (b) (c) (d) (e) (f)
administrativ-organisatorischen Bereich und der Repräsentation der Schule nach außen fallen Führungs- und Leitungsaufgaben sowie (sozial-) pädagogische Aufgaben an und schließlich haben sie Unterrichtsaufgaben zu tätigen. Neuerdings kommen Aufgaben der Schulentwicklung hinzu.
Alle diese Tätigkeiten erfordern jeweils für sich genommen sehr unterschiedliche Kompetenzen. Unter (a) fällt die Durchsetzung von vorgegebenen Verordnungen und Gesetzen, die Kontrolle von Verwaltungsabläufen einer bürokratischen Organisation ebenso wie die Sicherung eines störungsfreien Unterrichts. Zu diesen Aufgaben gehören die Verwaltung der Haushaltsmittel, auch die Instandhaltung der Gebäude und die Personalplanung incl. Anwerbung von Mitarbeitern. Zu ihren zentralen Aufgaben gehört es, einen geregelten Ablauf des Schulalltags zu ermöglichen, förderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten zeitnah und umfassend informiert werden. Der Bereich (b) enthält Aufgaben der Außendarstellung der Schule, das Akquirieren von Ressourcen und die Anforderung von Personal, das Durchsetzen von Beförderungen bis hin zur Zusammenarbeit mit der Schulaufsichtsbehörde. (c) enthält die Aufgaben der innersystemischen Kommunikation, Kooperation, der Dienstbeurteilung, die ihnen in allen Schularten obliegt, außer in Grund- und Hauptschulen, wo sie z.T. durch die Schulräte erfolgt, Aufgaben der Bewältigung von innerbetrieblichen Konflikten und die gleichmäßige Verteilung der Dienstaufgaben so wie Aufgaben der Schul- bzw. Organisations- und der Personalentwicklung. Schulleiter leiten ein Unternehmen mit bis zu 100 akademisch ausgebildeten Mitarbeitern und tragen somit u. a. die Verantwortung für das Erreichen und Bewahren eines hohen Qualitätsstandards. Diese Aufgaben überschneiden sich mit (d) den (sozial-) pädagogischen Aufgaben der Beratung, Förderung der Unterrichtsarbeit, beispielsweise auch die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund, und die Aufgaben der pädagogischen Schulentwicklung. Da erleben manche Schulleiter (e) die Unterrichtsaufgaben als eine willkommene Unterbrechung.
17 Um aus der Vielzahl nur einige zu nennen: Buchen, H., Rolff, H.-G. (2009, 2.Aufl.). (Hrsg.). Professionswissen Schulleitung. Weinheim: Beltz. Wissinger, J., Huber, S. (2002). Schulleitung Forschung und Qualifizierung. Leverkusen: Leske & Budrich. Altrichter, H., Maag-Merki, K. (2010). Handbuch neue Steuerung im Schulsystem. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
(f) Schulen werden mehr und mehr zu selbständig handelnden Organisationen (u.a. Rolff & Schmidt, 2002), wobei jede Schule ihre eigene Individualität entwickelt. Dabei ist zur Zeit offen, ob der Kompetenzzuwachs nur die Schulleitung stärkt oder das gesamte Kollegium. Im ersten Fall würde es sich um die Delegation von Aufgaben an die Schulleitung handeln und damit um eine Stärkung der Schulaufsicht bis in die Schule hinein. Die kollegiale Rolle des Schulleiters verschwände und er würde gänzlich zum verlängerten Arm der Schuladministration. Der zweite Fall wäre eine Stärkung des demokratischen Prinzips in der Schulhierarchie, resultierend in mehr Selbständigkeit und Zufriedenheit der Lehrer. Die pädagogische Schulentwicklung wäre eine Aufgabe des gesamten Kollegiums und eine Quelle der Motivation zur schulischen Tätigkeit. Zentrale Aufgabe der Schulleitung wäre die Förderung der Kollegialität mit gemeinsamen pädagogischen Wertvorstellungen. Das Jonglieren zwischen den mitunter nicht widerspruchsfreien Positionen und das souveräne Ausspielen systematisch erarbeiteter Managementkompetenz machen diese Tätigkeiten auch zur Herausforderung. Die Schulleitungsaufgaben überlappen sich vielfältig und stellen unterschiedlichste Anforderungen. Auch mit noch so viel Engagement und energischem Einsatz können sie letztlich von niemandem wirklich bewältigt werden. Schulleiter/in sollte ein eigenständiges Berufsbild sein, aber eine Ausbildung existiert nicht. Die erforderliche Fortbildung setzt erst nach der Ernennung ein und erschöpft sich zumeist auf das Anhören von Referaten. Das nötige prozedurale Wissen (Können) kann somit nicht erworben werden. Jeder Schulleitung eignet es sich mit mehr oder weniger Erfolg durch Trial and Error an.
9.1.2 Was Schulleiter von Schulleitern erwarten Hier werden einige Merkmale zur Selbst-Charakterisierung von Schulleitern vorgelegt, die völlig theoriefrei, das heißt auch ohne theoriebelastete Vorurteile, zustande kamen. Danach erwarten Schulleiter von Schulleitern in erster Linie Führungskompetenz und Führungsverantwortung (Quelle: Eigene Interviews von Schulleitern). Das deckt sich mit den allgemeinen Erwartungen an Schulleiter (Überblick bei Lohmann & Minderop, 2003):
Ein „gestandener“ Schulleiter sollte einerseits eine gewisse Führungs- und Durchsetzungskraft aufbringen und andererseits „ein ganz normaler Mensch sein“, das heißt u. a., dass er/ sie eben keine Führungsallüren haben darf. Dies setzt in erster Linie eine gute Sozialkompetenz voraus, d. i. eine hohe Kommunikationskompetenz mit Einfühlungsvermögen und mit „guter Menschenkenntnis“ auf der Basis „einer guten Allgemeinbildung“. Ein Schulleiter ist Erster unter Gleichen. Wer sich als „Chef“ versteht, hat die Schulleiterfunktion nicht begriffen. Sie tragen zwar „die letzte Verantwortung“, aber nur nach Absprache mit dem Kollegium (Rechtsrahmen siehe 9.1.3).
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz
297
Schulleiter ohne Engagement sind kaum vorstellbar. Begeisterung (nicht Enthusiasmus und kein dauernder Höhenflug) und Begeisterungsfähigkeit für die Schüler sind offenkundig unabdingbar. Sie sollen „vor allem aber Liebe zur Schule“ haben, „Liebe zu seinen Fächern, Liebe zu den Lehrern und zu den Schülern, das muss sein“, so das Urteil eines Schulleiters. Trotzdem gibt es, wie sich zeigen wird, auch disengagierte Schulleiter. Schulleiter sollten mit einer guten Belastungsfähigkeit und einer robusten seelischen Gesundheit ausgestattet sein. Schulleiter „müssen Charakter haben“, soll heißen, sie müssen zuverlässig und aufrichtig sein, über klare Wertvorstellungen verfügen, für Verbindlichkeit im Kollegium sorgen, Klarheit schaffen, Gerüchten entgegen treten, die Mitarbeiter gegen „Eingriffe von oben“ oder von außen schützen (natürlich nur, wenn das angebracht ist), Mitarbeitern in biografisch kritischen Phasen zur Seite stehen und u. U. eine gewisse Toleranz aufbringen. Schulleiter verfügen – in der Regel – über eine fundierte pädagogische Kompetenz, da sie ausgebildete Lehrer sind und auch selbst unterrichten. Sie sorgen für die Erfüllung des Bildungsauftrags, fördern die Professionalität des Kollegiums und die Qualität des Unterrichts. Auch im Umgang mit den Kollegen ist ihnen die Pädagogische Kompetenz hilfreich: sie fördern eine tiefe Kollegialität z. B. durch gemeinsames Erarbeiten eines verbindlichen Wertekanons und sie geben Verstärkungen, etwa in Form von Anerkennung usw. und stärken das Bewusstsein von Selbstwirksamkeit. Sie sollen „keine Flausen“, „keine spitzfindigen pädagogischen Theorien im Kopf“ haben, sondern ein Gespür dafür, „was geht“. „Unrealistische, idealistische Vorstellungen des Direktors sind das Schlimmste“. Schulleiter sollen über eine gewisse Rechtskompetenz verfügen, zumindest überblicken sie den für die Schule, die Schüler und das Kollegium relevanten Rechtsrahmen und die Verwaltungsvorschriften. Schulleiter müssen über Organisations- und Managementkompetenz verfügen, weil sie für einen reibungslosen, transparenten und für alle akzeptablen Ablauf des Schulalltags zu sorgen haben. Strategische Managementkompetenz bedeutet, über ein in die Zukunft gerichtetes Konzept zur Schulentwicklung „mit praktischem Hausverstand“ verfügen. Dazu gehören Beschaffung von Ressourcen und Qualitätssicherung, u. a. mittels schulinterner, gegenseitiger Evaluation, der sich auch die Schulleitung zu stellen hat. Schulleiter sollten unter noch zu definierenden Bedingungen vom Kollegium abwählbar sein bzw. von ihrem Amt zurücktreten können.
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9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
9.1.3 Die Rahmenbedingungen der Schulleiter-Lehrer-Beziehung Auf dem Hintergrund des Aufgabenspektrums der Schulleiter (9.1.1) ist die SchulleiterLehrer-Beziehung durch einige markante Merkmale gekennzeichnet (vgl. Schmitz, Voreck, 2008, dort weitere Quellenangaben): (1) Die zunehmende Veränderung der Anforderungsprofile beider Personengruppen infolge gesellschaftlichen Wandels, der massiv in die Schulen hineinwirkt. (2) Die Position der Schulleiter liegt (2a) vertikal zwischen Schulaufsicht und Lehrern; und (2b) horizontal besetzen sie formal gleichzeitig zwei Positionen, nämlich die Leitungsposition in fachlicher wie administrativer Hinsicht und die Position des Kollegen, so dass sie eine merkwürdige „Zwischen- und Doppelposition“ innehaben. (3) Aus (2) folgt eine sich komplex überlappende Aufgabenvielfalt. Die SchulleiterTätigkeit ist z.T. schwer belastend, da sie im Vergleich zu den Lehrern mit objektiv höherem Einsatz, mit mehr Verantwortung und Zeitaufwand verknüpft ist. (4) Schulleiter verfügen aber auch über mehr Freiheit und vor allem über Macht bei ihrer Tätigkeit. Aus (1) bis (4) resultieren typische Erwartungen i. S. von verpflichtenden Anforderungen an die Mitarbeiter im Rahmen der Psychologischen Verträge. Ein Teil dieser Erwartungen und deren Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung wird in diesem Kapitel dargestellt. Zu (1): Die Probleme einer zunehmend „entgrenzten“ Wirtschaft mit u. a. dynamischen Marktveränderungen, verkürzten Produkt-, Dienstleistungs- und Beschäftigungsverhältnissen und Einschränkungen im öffentlichen Dienst schlagen auch auf die Schulen durch. Die neuen Anforderungsprofile an Arbeitnehmer, die neben Mobilität, Anpassung an Arbeitszeiten je nach Auftragslage auch eigenverantwortliches, proaktives und über formale Anforderungen hinausgehendes Engagement umfassen und die mehr und mehr die ganze Kraft des Menschen fordern, gelten m. E. zunehmend – in der Öffentlichkeit kaum beachtet – für Schulleiter und ihre Mitarbeiter. Ein weiterer Grund für diese Entwicklung liegt in der Entgrenzung einer ungenauen Tätigkeitsanforderung an Schulleiter. Ein Hinweis auf diese Entgrenzung mag darin liegen, dass für die Position des Schulleiters der Einsatz von BWL-Fachkräften gefordert wurde. Zumindest sollte dem Schulleiter größerer Schulen eine solche Fachkraft an die Seite gestellt werden (Kratzer, 2003; Huber, 2002; Schmitz & Voreck, 2008). Zu (2a) Die o. g. Zwischen- und Doppelposition der Schulleiter im schulischen System ist Folge der schulrechtlichen Festlegungen der Länder der Bundesrepublik, wonach Schulleiter gleichzeitig Untergebene, Kollegen als Lehrer und Vorgesetzte sind. In einigen Bundesländern hat sich im Zuge zunehmender Selbstverwaltung zusätzlich das Organ der Schulkonferenz gebildet, dem neben Vertretern des Kollegiums und der Schüler auch Vertreter anderer Gruppen angehören können. Schulleiter sind der Schul-
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz
299
aufsicht verantwortlich. Deren Aufgabe besteht darin festzustellen, ob und wie die vorgegebenen Rahmenbedingungen eingehalten und die Standards erfüllt werden. Die bisherige Form der „Inputsteuerung“ durch Anordnungen, Vorgaben etc. erreicht die schulische Praxis nicht, weil sie die Auswirkungen der gesellschaftlichen Veränderungen in die Schulen hinein wenig oder gar nicht im Blick hat. Es ist erstaunlich beobachten zu müssen, dass die Schulleiter kaum konsultiert und schon gar nicht zur Mitbestimmung eingeladen werden. Das ist ein Indiz dafür, dass die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaft in der Schulhierarchie nicht akzeptiert werden. Dieser strukturelle Fehler führt dazu, (1) dass die Kollegien von der Schulaufsicht nichts erwarten, und (2) dass die Erwartungen der Schulleiter im Sinne des Psychologischen Vertrags nach Unterstützung permanent unerfüllt bleiben. Daraus resultiert eine Resignation als Dauerzustand. Die von manchen Wissenschaftlern diagnostizierte Entwicklung der Schule zur mehr und mehr selbständig handelnde Organisation wird von Schulleitern oft nur als eine Reihe von Anordnungen wahrgenommen, wie beispielsweise ein modernes „Personal Management“ und eine regelmäßige Evaluation zur Schulentwicklung einzuführen. (2b) Schulleiter sind als Dienstvorgesetzte, in Grundschulen als Vorgesetzte (Art.4 Abs. 2 und Art. 57 Abs. 2, BayBG, Quelle: Bayer. Staatsministerium f. Unterricht etc., 2006) in der Hierarchie zwischen Schuladministration (Schulaufsicht, Schulverwaltungsamt) und Lehrern eingebunden und im Rahmen der Gesetze, Vorschriften und Konferenzbeschlüsse diesen gegenüber weisungsbefugt, und sie sind gleichzeitig als Lehrer tätig (BayEUG, Art. 57, 1. Satz; §88 Abs. 4 HSchG;; die Beispiele stehen für Bayern, Thüringen und Hessen, ähnlich ist m. E. die Lage in den anderen Bundesländern; vgl. Bayer. Staatsministerium f. Unterricht etc., 2006; Jehle, Hillert, Seidel, Gayler, 2004, 172f). Die Weisungsbefugnis beschränkt sich auf sachliche Anordnungen zum Zweck des reibungslosen Ablaufes der Diensttätigkeiten und ist vor allem durch die pädagogische Freiheit und Verantwortung der Lehrer begrenzt (§ 88 Abs. 4 S. 3 HSchG; vgl. Jehle et al., ebd., 172; LDO §27, § 28), denn „Die Lehrkraft trägt ... die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und den Unterricht ihrer Schüler“ (LDO, §2; BayEUG, Art. 59). So ist unter formalen Aspekten die SchulleiterLehrer-Relation bifunktional angelegt, nämlich vertikal (Schulleiter als Dienstvorgesetzte) und horizontal (Schulleiter als Mitarbeiter). Diese gesetzliche Konstruktion bewahrt einerseits die nötige „Bodenhaftung“, sie führt andererseits zur Rollendiffusion auch aus der Sicht des Kollegiums und zu Rollenkonflikten. Das SchulleiterLehrer-System ist störanfällig. In beiden Funktionen ist der Aspekt der sozial-emotionalen, kollegialen Beziehung zu unterscheiden. Unter den Schulleitern gibt es viele, die mit besten Vorsätzen und viel Engagement Schulleiter sind, ohne sich je der Frage, wo sie sich zwischen Schulaufsicht und dem Lehrer-Kollegium, zwischen transaktionalen und transformationalen Funktionen positionieren, dezidiert ausgesetzt zu haben. Es ist natürlich, dass viele Schulleiter in ihrem Führungsstil eher der einer oder der anderen Seite zuneigen, d. h. eher kooperativ oder eher autokratisch führen. Unter diesen befinden sich auch die
300
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Ängstlichen vor der Obrigkeit, die den Druck der Schulbehörde und Schulaufsicht nach unten weiter geben. Die Grenzen der Weisungsbefugnis scheinen Schulleiter aus Lehrersicht gerne zu übersehen, die Schulleiter sehen das in der Regel anders. (Jehle u. a. 2004, S. 172; Schmitz 2006). Auch in den übergeordneten Behörden muss der eine oder andere Beamte sich profilieren und Druck erzeugen. Manche „Empfehlung“ läuft inoffiziell und mündlich. So wird für manche Schulleiter die Doppelposition zu einer Zange aus Druck von oben und Gegendruck von unten. Die daraus resultierende Belastung wird manchem Schulleiter zur Überbeanspruchung, wenn anscheinend kein Ausweg aus dieser Zwickmühle führt: So erlebte sich etwa Helga F., Schulleiterin einer Grundschule (ca. 57 Jahre, alleinstehend), durch den Wunsch der Eltern, ihre Kinder mögen Gymnasialempfehlungen bekommen und der von der Schulbehörde erwarteten, niedrigeren Quote, damit eine Hauptschule nicht wegen Schülermangels geschlossen werden muss, in einer existenzielle Krise respektive in einer – ihrer Wahrnehmung nach – „in den Burnout“ treibenden Zwickmühle (Hillert & Schmitz, 2009). Angenehm sind Konflikte dieser Art nicht. Ihre Wahrnehmung einer Ausweglosigkeit ist sicherlich ein Problem ihrer „Schulleiterpersönlichkeit“ – um es so vage auszudrücken. Als Außenstehender fragt man sich verwundert nach dem Rückgrat dieser „Führungsperson“ und man fragt sich, warum nicht alle Schulleiter sich geschlossen gegen solche, ihre fachliche Autorität untergrabenden, offiziell natürlich gar nicht existenten Quoten, wehren. Offenkundig geht es hier um die von den Schulleitern selbst zu leistenden Identitäts- und Standortbestimmung. Zu (3): Schulleiter sind in der Mehrzahl durch ihre Arbeit hoch belastet; ihre mittlere Wochenarbeitszeit betrug nach Selbstaussagen 48,3 Stunden (Döbrich, Huck, Roth 1995, S. 26f; damals waren 38,5 Stdn. für den öffentlichen Dienst tariflich vereinbart). Schulleiter in Schulen ab 900 Schülern kamen auf 54 bis 56,6 Stunden. Kürzlich wurden diese Zahlen bestätigt (Schmitz, Voreck, Hermann, Rutzinger, 2006). Aus den Angaben von Schulleiterteams mehrerer Schularten zum Stundendeputat und zur Arbeit über den Unterricht hinaus errechnet sich eine Gesamtarbeitsbelastung von im Schnitt 50,1 (s = 8,9; min 40/ max 77) Wochenstunden für GS/HS-Schulleiter und für BSSchulleiter; 10 Personen gaben 65 und mehr Stunden an. 12 % unserer Schulleiter arbeiten mehr als 60 Stunden, weitere 40 % über 50 Stunden. Ferientage sind unberücksichtigt. Die Gesamtarbeitsbelastung ist in den Schularten gleich verteilt (KolmogorowSmirnow-Test: Z = 0,53; p = .94). Für die Richtigkeit dieser Angaben spricht die Übereinstimmung der Schularten untereinander und die Nähe zu den Angaben bei Döbrich, Huck und Roth (1995, S. 26f). Allerdings existiert keine objektive Prüfung der Angaben.
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz
301
Abbildung 9.1: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 240 Schulleitern in Prozent. Zwischen Engagierten und Disengagierten existiert kein signifikanter Unterschied.
80
61,5
60 40
26,4
20
8,7
3,4
61-70 Std.
71-77 Std.
0 40-50 Std.
51-60 Std.
Aus den genannten, das Tätigkeitsspektrum umreißenden, Aspekten resultieren Belastungen, die von Schulleiter zu Schulleiter in unterschiedlichem Maße zu subjektiven Beanspruchungen führen. Besonders belastend wirkt die „Fragmentarisierung“ des Arbeitsablaufs, der in einer „Vielzahl von herangetragenen, ungeplanten, sich überlappenden, unterbrochenen Vorgängen“ besteht (Baumert, Leschinsky, 1986, S. 250;) und in den gegenwärtig wachsenden Aufgaben (Uhlig, 2005). „In diesem Schulsystem, als Prellbock zwischen Behörde, Kollegium und Eltern muss man als Schulleiter einfach krank werden“, urteilt ein 54-jähriger Rektor eines Gymnasiums (Hillert & Schmitz, 2010). Hinsichtlich möglicher Belastungsfolgen muss man Vorsicht walten lassen, denn eine tragfähige empirische Forschung zur Schulleitertätigkeit existiert bis heute nicht. Folglich gibt es bislang keine belastbaren Befunde, denen zufolge Schulleiter ein berufsbedingt größeres Gesundheitsrisiko tragen als in anderen Berufen tätige Menschen (u.a. Rose et al. 2005; Hillert et al. 2007). Einige Aufgaben, die Schulleiter regelmäßig zu lösen haben, sind eine Zumutung. Ein Beispiel ist die regelmäßig erforderliche Beurteilung ihrer Lehrkräfte; die vorgegebenen „Beurteilungskriterien“ sind vage, unklar und manchmal konfus. So soll u. a. unter „Eignung“ „die geistige Beweglichkeit“ der Lehrkraft beurteilt werden: „Merkmal in besonderer Weise erfüllt“, „... erheblich über den Anforderungen liegend“, „... teilweise“ oder „... unzureichend erfüllt“. Diese Stufen sind aber nicht definiert. Genau so sollen die beförderungswirksamen „schulischen Funktionen“ wie Sachkompetenz, Sozialkompetenz und Handlungskompetenz mit je 1 bis 16 Punkten bewertet werden (gemäß KMBek v. 28.03.2000). Kein Mensch kann seine Kollegen mit solchen „Kriterien“ sinnvoll beurteilen! Erst durch eine subjektive Re-Definition werden solche Worthülsen hinreichend konkret. Am Ende suggerieren die genauen Punktezahlen eine „Objektivität“ der Beurteilung, die nicht im geringsten gegeben ist. Je apodiktischer und unflexibler solche Formulierungen dann aber aufgefasst und internalisiert werden, etwa im Sinne von „ein Schulleiter darf sich keine Fehler erlauben, er muss immer optimal vorbereitet sein“, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass das individuelle emotionale System nicht nur der Beurteilten sondern auch der Schulleiter aus dem Gleichgewicht gerät. Zudem werden häufig – zumindest informell – Durch-
302
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
schnitte in der Beurteilung vorgegeben, die zum Taktieren verleiten. Lehrer A wird besser beurteilt als der gleich gute Lehrer B, weil A in wegen seines Dienstalters absehbarer Zeit befördert werden kann und B noch nicht. Ein sichtbarer Beleg ist die Anzahl jener Schulleiter, die sich wegen ihrer psychischen und psychosomatischen Probleme in therapeutische Obhut begeben müssen (Hillert & Schmitz, 2010). Zu 4) Andererseits verfügen Schulleiter bei ihrer Tätigkeit über ungleich mehr Freiheitsgrade als ihre Lehrer. Vermutlich haben sie sich deshalb um die Position beworben, wenn auch die Attraktivität der Position eines Schulleiters begrenzt zu sein scheint18. Sie dürfen Stellen ausschreiben, ihre Lehrer beurteilen und zur Beförderung vorschlagen, sie dürfen die Lehrer zu Einzelgesprächen oder in Konferenzen „vorladen“, diese jederzeit auf Versäumnisse ansprechen, ob unter vier Augen oder coram publico, sie dürfen Lehrer mit Sonderaufgaben, Vertretungsunterricht, fachfremden Unterricht u. v. a. m. beauftragen. Schulleiter sind Machtfaktoren, ob sie es selber so sehen oder nicht, und sie wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich um die Position des Schulleiters bewerben oder ein entsprechendes Angebot annehmen. Kaum einer sieht sich als Manager wider Willen, denn die Leitungsposition hat durchaus ihre angenehmen Seiten – man muss sie nur zu schätzen wissen: Einladungen zu festlichen Veranstaltungen, Repräsentationsaufgaben, bei einigen sog. „Respektspersonen“ das Gefühl, wenn nicht immer, so doch meistens, Recht zu haben. Über die zahlreichen gesundheitsfördernden Merkmale der Schulleitertätigkeit ist bislang weder nachgedacht noch geforscht worden. Dass nicht wenige Schulleiter ihren Beruf ganz anders, weniger schillernd, vielmehr nüchtern und als ständige potenzielle Überforderung erleben, ist ein offenes Geheimnis. Die Verlautbarungen verschiedener Schulleiterverbände sind kaum anders zu verstehen, die Nachwuchs-Probleme sprechen Bände und nicht wenige Schulleiter begeben sich, von psychischen oder psychosomatischen Problemen gebeutelt, in psychotherapeutische Behandlung. Das Problem ist hierzulande bisher kaum erkannt worden. Es gibt derzeit nur eine einzige Untersuchung, die sich dezidiert erkrankten deutschen Schulleitern widmet: Andreas Weber hat über drei Jahre hinweg in Bayern alle amtsärztlichen Untersuchungen dokumentiert, in denen es um die Frage von Frühpensionierung von Beamten mit Leitungsfunktion ging (Weber, 2004; Weber et al., 2004). Von den 408 zur Feststellung der Dienstunfähigkeit erfassten Schulleitern und Stellvertretern, 30% davon Frauen, im Durchschnittsalter von 58 Jahren, wurden 84% als dauerhaft dienstunfähig beurteilt. Die Quote lag zwar deutlich höher als die von parallel erfassten Lehrern ohne Leitungsfunktion, dort waren es 74%; letztere waren allerdings auch um einige Jahre jünger. In 45% der Fälle wurde eine psychische oder
18http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2004/Germany_Country_Note_Endfassung_ deutsch.pdf, S.28. Gábor Halász, Paulo Santiago, Mats Ekholm, Peter Matthews und Phillip McKenzie: Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern Länderbericht: Deutschland September 2004
9.1 Problemlage und theoretischer Ansatz
303
psychosomatische Erkrankung diagnostiziert und als Kriterium für Dienstunfähigkeit bewertet; in knapp 20% wurden Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in ca. 10% Muskelund Skeletterkrankungen als für die Dienstunfähigkeit entscheidend dokumentiert. Das Spektrum der Erkrankungen ist noch breiter. Es wurden u. a. ein verbreitetes Erschöpfungssymptom, depressive Tendenzen und in Einzelfällen Angst- und Panikstörungen gefunden. So wichtig diese Daten als Indikator für eine generell hohe StressBelastung der Schulleiter-Tätigkeit sind, so schwierig bleibt ihre weitergehende Interpretation. Erfasst wurden zum einen nur dezidiert zur Feststellung der Dienstunfähigkeit vorgestellte Beamte, woraus ja u. a. kaum geschlossen werden kann, dass alle anderen, nicht-untersuchten Personen gesund waren. Zum Disengagement und zur Inneren Kündigung bei Schulleitern existiert bisher keine Untersuchung.
9.1.4 Der theoretische Ansatz Schulleiter sind im schulischen System als Vorgesetzte in der Hierarchie zwischen Schuladministration (Ministerialbeauftragter, Schulverwaltungsamt) und Lehrern eingebunden, diesen gegenüber weisungsbefugt und jenen gegenüber weisungsabhängig und rechenschaftspflichtig, und sie sind gleichzeitig als Lehrer tätig. Das ist zweifellos eine schwierige Position mit vorprogrammierten Rollenkonflikten. Beide Parteien, Schulleiter und Lehrer, streben größtmöglichen Nutzen für sich an, d. h. sie investieren Kosten an Mühe und Aufwand in die andere Partei und erwarten dafür einen entsprechenden Gewinn und Nutzen von ihr. Die Operationen und Erwartungen (expectations) beider Parteien wirken reziprok (Levinson et al., 1962). Sie sollten gemäß dem Equity-Prinzip im Rahmen des tauschtheoretischen Paradigmas (Rousseau, 1995) hinsichtlich Kosten und Nutzen für Lehrer und Schulleiter ausgewogen sein; sind sie es nicht, können Enttäuschung und Frustration folgen, die dann in Störungen des Systems resultieren. Typische Indikatoren eines gestörten Systems zeigen sich in einem übermäßigen Hang zur Kontrolle, in Misstrauen (vgl. Döring, 2006) und in unerfüllten Erwartungen bezüglich der Disziplin der Lehrer. Es existieren auch andere Konstellationen: Wenn ein Schulleiter vom Kollegium vornehmlich als Mensch und Kollege geschätzt werden möchte, ist seine Gratifikationskrise mehr oder weniger sicher, einerseits, weil er unrealistische Erwartungen weckt, andererseits, weil er jenen zum Disengagement neigenden Lehrern signalisiert, dass sie die Situation für sich nutzen können. Die Diskrepanzen von Erwartungen und deren Erfüllung, wie auch immer sie entstanden sein mögen, sind stets als Hinweis auf eine Störung der Reziprozität zu werten. Das wurde in den Kapiteln 2 und 3 ausgeführt.
304
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
9.2 Methode 9.2 Methode 9.2.1 Untersuchungsgruppe 240 Schulleiterinnen und Schulleiter, davon einige in stellvertretender Funktion, wurden befragt, davon sind 54 (22,5%) weiblich und 186 (77,5%) männlich. 49,6% kommen von Grund- (GS) und Hauptschulen (HS), (66,4% m, 33,6% w), 50,4% von Berufsschulen (BS) (88,4% m, 11,6% w). Die Befragung erfolgte in Bayern bei diversen Fortbildungsmaßnahmen und – ergänzend – postalisch. Das Alter ist wie folgt verteilt: 1,7% sind unter 40 Jahre alt; 19,6% < 50; 72,5% zwischen 50 - 60; 6,3% sind über 60 (Abbildung 9.2): Abbildung 9.2: Altersverteilung der Schulleiter (Prozent)
80
72,5
70 60 50 40 30
19,6
20 10
6,3
1,7
0 < 40
< 50
< 60
> 60
Die Frauen sind kaum jünger (χ2-Test, p = 0.06). Das durchschnittliche Dienstalter stellt sich so dar: Die Schulleiterinnen sind mit 26,7 Jahren nahezu ebenso lange im Dienst wie die Männer mit durchschnittlich 27,3 Jahren. Die mittlere Differenz beträgt 1,7 Jahre (p = .07). Die GS/HS-Schulleiterinnen (n = 40) sind 5 Jahre weniger im Schuldienst als diejenigen an Berufsschulen (p < .01). Die Schulleiter in GS/HS und in BS sind im Schnitt 27 Jahre im Schuldienst (mittl. Diff. 0,7, n. s.). Die Korrelation von Lebens- und Dienstalter ist hoch (ρ = 0,55, p < .00). Für die Berufsschul-Gruppe sind die Daten für Bayern mit 180 Berufsschulen repräsentativ, für die Grund/Hauptschul-Gruppe kann Repräsentativität u. E. beansprucht werden (vgl. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2006). Eine umfassende empirische Untersuchung von Schulleitern existiert bisher nicht.
9.2.2 Die Methode der Datenerhebung Dem theoretischen Ansatz entspricht das methodische Vorgehen. Höhn (1983, 99) hatte geschrieben – wie eingangs berichtet – die Innere Kündigung von Seiten des Chefs
9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht
305
gegenüber einem Mitarbeiter bedeute, dass er zu ihm auf Distanz gehe. Er arbeite zwar mit ihm, aber „unter veränderten Bedingungen, die nur ihm bekannt sind.“. Um zu eruieren, was das für Bedingungen sind, die nur dem Schulleiter bekannt sind, müssen die Schulleiter befragt werden. Ob und wieweit sie gegenüber ihren Lehrern auf Distanz gehen, wäre ein Problem einer Befragung von Lehrern. Hier werden nur die Schulleiter befragt. Anfangs wurden in einer Vorstudie im Rahmen von qualitativen Interviews u. a. Erwartungen erfragt, die Schulleiter an ihre Mitarbeiter haben. Anhand dieser Daten wurde ein Fragebogen erstellt mit dem Ziel, eine größere Gruppe von Schulleiterteams zu befragen. Zunächst werden neben Daten zu emotionalen (z. B. Enttäuschung) und zu Verhaltens-Reaktionen etc. (a) die Erwartungen der Schulleiter an ihre Mitarbeiter und (b) der Grad der Erfüllung bzw. Nichterfüllung erfragt. Die Höhe der Diskrepanz von Erwartung und deren Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung gilt als Hinweis auf den Grad der Störung der Reziprozität (Schmitz & Voreck, 2008). Zur Berechnung von Zusammenhängen wurde die Korrelation nach Spearman, zur Berechnung von Unterschieden nonparametrische Tests, z. B. Rangsummentests, herangezogen. Außerdem wurden die Effektstärken (ES) angegeben. Diese werden in der Regel zur Verdeutlichung von therapeutischen Effekten in Vorher-Nachher-Plänen verwendet. Im Fall der Schulleiter kann angenommen werden, dass der Effekt, der zum Bruch des Psychologischen Vertrags geführt hat, durch bestimmte vorherige Ereignisse bewirkt worden ist. Deshalb ist die Angabe von ES gerechtfertigt; ein zweiter Grund ist die praktische Vergleichbarkeit von Prozentwerten, ein dritter die Klärung der Bedeutsamkeit der Wirkung von Ereignissen, die zum Vertragsbruch führten.
9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht 9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht 9.3.1 Die Inhalte der Psychologischen Verträge Die folgenden Daten resultieren aus Gruppendiskussionen und aus jeweils mehrstündigen Interviews von Schulleitern und Lehrkräften in Leitungsfunktionen (Grund- u. Hauptschulen, Berufsschulen) bezüglich der Erwartungen gegenüber ihren Lehrern im Rahmen der Psychologischen Verträge. Ferner haben viele Befragte im Fragebogen im dafür vorgesehenen Teil ihre persönlichen Erwartungen niedergelegt. Die Psychologischen Verträge lassen sich den Inhalten zufolge in sechs Kategorien bündeln: Lehrerdisziplin, Gesundheit und Belastbarkeit, Disziplin der Schüler, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Engagement:
Disziplin der Lehrer: Schulleiter erwarten, dass Lehrer sich verpflichtet fühlen zu Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit, Loyalität, Offenheit, Innovation, Selbständigkeit. Sie sollen Selbstsicherheit ausstrahlen, Humor, Souveränität, natürliche Autorität und im positiven Sinne „pädagogischen Eros“. Daneben erwarten sie, dass die Lehrer den Schulleiter über Probleme etc.
306
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern informieren, die Aufsichtspflicht gewissenhaft wahrnehmen, sich an Abmachungen (Termine) halten, Verwaltungsaufgaben pünktlich und zuverlässig erledigen, beispielsweise das Führen von Schülerbögen. Diese administrativen Aufgaben sind es aber, die objektiv kontrollierbar sind und daher einen hohen Stellenwert bei der Erstellung von Beurteilungen haben. Ob sie etwas über die pädagogische Befähigung der Lehrer aussagen, dürfte fraglich sein. Gesundheit & Belastbarkeit: Lehrer sollen gesund sein, allgemeine Lebensfreude und eine hohe Frustrationstoleranz haben, nervlich belastbar sein, eine natürliche Autorität ausstrahlen und sich durchsetzen, ohne unangemessen tadeln und strafen zu müssen. Disziplin der Schüler: Lehrer sollen strengstens auf Disziplin und Pünktlichkeit achten, Störungen/ Disziplinverstöße nicht tolerieren. Methoden- und Fachkompetenz: Lehrer sollen über gutes Fachwissen verfügen, die verschiedenen Unterrichtsprinzipien und moderne Unterrichtsmethoden beherrschen, und anwenden, gut erklären können, den Unterricht präzise vorbereiten, „denn ein guter Unterricht schafft Zufriedenheit, zufriedene Schüler arbeiten mit und stören nicht“, professionell arbeiten. Notentransparenz. Die Fachkompetenz i. e. S. wird nicht bezweifelt. Sozialkompetenz: Schüler motivieren können und „dort abholen, wo sie stehen“, („ein türkischer Lehrer konnte es mit einer Klasse mit türkischen Schülern hervorragend, wo vorher ein erfahrener Lehrer gescheitert war“), das Prinzip der Verstärkung beherrschen („Das ist äußerst wichtig, z. B. dass ein schwacher Schüler bei einer falschen Antwort ermutigt und nicht getadelt wird, denn bereits eine einzige falsche Reaktion lässt eine negative Spirale entstehen“), Vorbild, Gerechtigkeit. Kollegial zusammenarbeiten (Teamgeist), etwas geben (an Kollegen), ohne etwas dafür zu fordern, sich gegenseitig entlasten. Zurückstellen eigener Bedürfnisse zum Wohl der Gemeinschaft (keine Arztbesuche während der Unterrichtszeit). Engagement: Begeisterung für den Beruf, sich bei Aktionen der Schule außerhalb des Unterrichts engagieren: Sie müssen eine besondere eigene Leistung erbringen, jeder muss eine Aufgabe übernehmen (z.B. Wartung der PC, Sport-Geräteverwaltung, Stundenplanung, Planung von und Betreuung bei Ausflügen, Reisen usw.), Einsatzfreude, Offenheit für Innovationen, an Fortbildungen aktiv teilnehmen.
9.3.2 Präferenzen der vertraglichen Erwartungen Auf der Grundlage der qualitativen Befunde wurde zum Zweck einer systematischen Befragung eine Liste von Verpflichtungserwartungen vorgegeben. Den Schulleitern wurde im Fragebogen folgender Text vorgelegt: „Ich erwarte, dass meine Lehrer auch ohne mein besonderes Zutun ...“, dann folgte die Liste der Items. Jedes Item konnte auf
9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht
307
einer fünfstufigen Likert-Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft aktuell/ genau zu“ beantwortet werden. Nachstehend das Ranking der 26 wichtigsten Erwartungen: Tabelle 9.1: Rangplätze 1-26 der Erwartungen anhand der Mittelwerte, absteigend* Rang
Item
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
10 03 13 22 14 21 04 18 20 01 19 23 02 12 17 05 16 25 26 15 06 24 11 09 07 08
Ich erwarte, dass meine Lehrer auch ohne mein besonderes Zutun ... Verantwortung übernehmen sich für die Schüler engagieren kollegial zusammenarbeiten Schüler wirksam fördern können Interesse an der Arbeit zeigen verschiedene Unterrichtsmethoden beherrschen selbständig arbeiten eine gewisse Belastungsfähigkeit mitbringen vom Sinn ihrer Arbeit überzeugt sein sich die für schulische Belange voll einsetzen Disziplinverstöße der Schüler nicht tolerieren gründliche Unterrichtsvorbereitung meinen Anordnungen voll nachkommen meine Anordnungen auch nach außen vertreten bei besonderen Aufgaben Arbeit freiwillig übernehmen nicht auf Anweisungen warten Verstärkungsprinzip anwenden & beherrschen auf ihre äußere Erscheinung achten bei Schülern strengstens auf Pünktlichkeit achten auch außerhalb des Unterrichts voll engagieren mir über Vorkommnisse sofort Bericht erstatten Verwaltungsaufgaben nicht scheuen mich fragen, bevor sie etwas Neues einführen nicht überall dreinreden wollen nicht darauf warten, von mir gelobt zu werden Entscheidungen mir überlassen
Μ
s**
4,71 4,69 4,62 4,61 4,57 4,55 4,51 4,47 4,46 4,44 4,41 4,40 4,38 4,31 4,30 4,23 4,15 3,92 3,88 3,73 3,68 3,65 3,02 2,89 2,63 2,60
0,55 0,54 0,62 0,55 0,56 0,61 0,62 0,57 0,68 0,70 0,67 0,71 0,73 0,80 0,71 0,74 0,76 0,91 0,85 0,95 1,00 0,97 1,20 1,15 1,20 1,03
*Rating: 1= trifft gar nicht zu - 5= trifft genau zu; **s = Standardabweichung
Die folgende Abbildung illustriert, ohne mitgeteilten statistischen Beleg, dass die Erwartungen der Schulleiter verschiedener Schularten an ihre Lehrer sich nicht bedeutsam unterscheiden.
308
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Abbildung 9.3: Die Erwartungen der Schulleiter in Berufsschulen (BS) und Grund- und Hauptschulen (GS/HS), geordnet anhand der Rangreihe in der gesamten Untersuchungsgruppe
5 4 3 2 1 0 10
3
13 22 14 21
4
18 2 6 1 5
6
2 4 11
9
7
8
It em -N r BS
GS/H S
(Antworten erfolgten durch Ankreuzen von +2= trifft voll zu, +1= trifft zu, 0= teils teils, -1= eher nicht, -2= trifft gar nicht zu, und wurden zwecks Verrechnung auf eine Ratingskala 1-5 umcodiert).
Diese Rangreihe der Schulleiter-Erwartungen gilt für die gesamte Stichprobe. Nicht zu übersehen ist die Tatsache, dass mit der Abnahme des Ranges einer vertraglichen Erwartung die Standardabweichung stetig größer wird. Das bedeutet, dass diese Vertragsinhalte, etwa ab dem 18. Rangplatz, nach unten für viele Schulleiter an Wichtigkeit verlieren, während einige Schulleiter diese Aussagen durchaus als wichtige Verpflichtungen der Lehrer annehmen. Während zum Beispiel einige Wert darauf legen, dass sie um Erlaubnis gefragt werden, lassen andere ihren Lehrern einen breiten Raum für die eigene Verantwortung. Hier deutet sich eine Gruppierung unter den Schulleitern an. Dem wurde in einer weiteren Studie genauestens nachgegangen (Schmitz, Voreck, 2008).
9.3.3 Welche Lehrer-Erwartungen Schulleiter vermuten Schulleiter wurden auch nach den vermutlichen Vertragsvorstellungen der Mitarbeiter gefragt. Sie vermuten seitens der Lehrkräfte mit dem gleichen Recht Erwartungen, wie sie Erwartungen an die Lehrer haben. Allerdings glauben die Schulleiter auch, dass die Lehrer auch ein Recht auf Erfüllung ihrer Erwartungen haben. Lehrer dürfen erwarten: die gerechte Verteilung der Unterrichtsstunden im Stundenplan, gerechte Verteilung der
9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht
309
Haushaltsmittel, gerechte Behandlung, Sachverstand, Einflussmöglichkeiten z. B. bei der Gestaltung von Aktionstagen, Organisationstalent, menschliches Verständnis, Rückhalt in Gesprächen gegenüber Außenstehenden, Aufstiegschancen, Einbezug in Planung und Entscheidungsfindung, Unterstützung bei der Unterrichtsentwicklung, bedarfsorientierte Fortbildung, Anerkennung (Zitat eines Schulleiters: sie erwarten Lob „wie die Kinder“), von „Verwaltungskram“ entlasten, bessere Absprachen, ehrlicher Umgang und eine gerechte, „objektive“ Beurteilung. Die meisten Schulleiter geben an, diese Erwartungen prinzipiell akzeptieren zu können. Sie meinen auch, diese Erwartungen im Sinne des Psychologischen Vertrags des reziproken Ausgleichs im Wesentlichen zu erfüllen. Doch es gibt gelegentlich auch unangemessene und geradezu irrationale Erwartungen an Schulleiter.
9.3.4 Unangemessene Erwartungen an die Schulleitung Neben diesen, von den Schulleitern akzeptierten Erwartungen, betrachten sie die folgenden Erwartungen, die sie den Lehrern zuschreiben, als unangemessen und teilweise irrational. Wenn Lehrer beispielsweise erwarten, dass Schulleiter immer zur Verfügung stehen, über alles Bescheid wissen müssen, für alles sofort eine Lösung parat haben, keine Fehler machen dürfen, ständig loben sollen, eine Lehrkraft trotz ihres Fehlverhaltens gegenüber Schülern unterstützen. Der Schulleiter soll dafür sorgen, dass man als Lehrkraft nur „gute“, kleine, angenehme Klassen bekomme, einen freien Tag pro Woche und keine Arbeit außerhalb der Unterrichtszeit. Er soll auch falsche Entscheidungen der Lehrer nach außen vertreten, SL soll anstelle der Lehrkraft Verwaltungsaufgaben übernehmen, SL soll sich zu Gunsten der Kollegen über „bürokratische Hemmnisse“, sprich: Verwaltungsvorschriften, hinwegsetzen. Einige Erwartungen widersprechen sich: Einerseits wird „hartes Durchgreifen“ angemahnt, andererseits Verständnis und kooperatives Führen. Ferner „angestammte Privilegien“ berücksichtigen, z. B. bestimmte Einsatzwünsche, Musterstundenpläne mit wöchentlich einem freien Tag u. dgl.; Beförderungen forcieren, ungerechtfertigte Dienstbefreiung (z. B. „hitzefrei“), „intuitiv“ das Befinden einzelner Lehrkräfte erspüren, möglichst wenige Lehrerkonferenzen und Besprechungen bei gleichzeitig optimaler Information, Berücksichtigung individueller und familiärer Probleme, mehr Engagement, usw. usf., die Liste könnte erweitert werden.
9.3.5 Unerfüllte Vertragsverpflichtungen Entscheidend im Sinne der theoretischen Annahmen sind weniger die gegenseitigen Erwartungen und der Grad der Intensität dieser Erwartungen als vielmehr der Grad der Realisierung der Erwartungsinhalte des Psychologischen Vertrags. Denn damit entscheidet sich, ob der Psychologische Vertrag von der anderen Partei erfüllt wird oder
310
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
nicht. Die Diskrepanz von Erwartung und deren Realisierung wird als Grad für die Vertragserfüllung bzw. für den Vertragsbruch angesehen; ein praktisches Maß für die Stärke des Vertragsbruchs ist die prozentuale Effektstärke. In der folgenden Tabelle werden die Diskrepanzen in eine Rangreihe gebracht. Die absolute Diskrepanz oder absolute Effektstärke (aES) ist 1,24 für Item 21 auf Rangplatz 1; die relative Effektstärke ist in Prozent angegeben: 24,8% beträgt die prozentuale Effektstärke und somit die Diskrepanz zwischen Erwartung Nr.21 und deren Realisierung, d. h. der Psychologische Vertrag ist mit 24,8% untererfüllt, nur 75,2% wurden erfüllt. Mittels der relativen Effektstärke kann die Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung der Psychologischen Verträge ziemlich genau beziffert werden. Tabelle 9.2: Erwartungen und deren Realisierung * nach der Höhe der Effektstärken (aES) geordnet. Alle Diskrepanzen sind statistisch signifikant (p< .000). Rang Item-Nr Item-Inhalt
Ich erwarte, dass meine Lehrer...
Erwartet
Erfüllt
Mittelwerte
Diskrepanz aES
relative ES in %
01
21
verschiedene Unterrichtsmethoden beherrschen
4,56
3,32
1,24
24,8
02
10
Verantwortung übernehmen
4,71
3,52
1,19
23,8
03
22
Schüler wirksam fördern können
4,61
3,43
1,18
23,6
04
13
kollegial (im Team) zusammen arbeiten
4,63
3,47
1,16
23,2
05
01
sich für die Schule voll einsetzen
4,44
3,39
1,05
21,0
06
03
sich für die Schüler engagieren
4,69
3,69
1,00
20,0
07
04
selbständig arbeiten
4,52
3,55
0,97
19,4
08
23
gründliche Unterrichtsvorbereitungen
4,40
3,44
0,96
19,2
09
14
Interesse an der Arbeit zeigen
4,57
3,62
0,95
19,0
10
18
eine gewisse Belastungsfähigkeit mitbringen
4,47
3,54
0,93
18,6
11
05
nicht auf Anweisungen warten
4,23
3,32
0,91
18,2
12
16
das Verstärkungsprinzip beherrschen
4,15
3,27
0,88
17,6
13
17
Arbeit freiwillig übernehmen
4,30
3,43
0,87
17,4
9.3 Psychologische Verträge aus Schulleiter-Sicht
311
Fortsetzung von Tabelle 9.2 14
20
vom Sinn ihrer Arbeit überzeugt sind
4,46
3,65
0,81
16,2
15
02
meinen Anordnungen voll nachkommen
4,39
3,68
0,71
14,2
16
19
Disziplinverstöße der Schüler nicht tolerieren
4,42
3,75
0,67
13,4
17
24
Verwaltungsaufgaben nicht scheuen
3,64
3,08
0,56
11,2
18
12
meine Anordnungen nach außen vertreten
4,32
3,78
0,54
10,8
19
15
Sich außerhalb des Unterrichts engagieren
3,72
3,21
0,51
10,2
20
26
3,88
3,47
0,41
8,2
21
06
3,69
3,52
0,17
3,4
22
25
auf ihre äußere Erscheinung achten
3,92
3,95
+0,27
+5,4
23
07
nicht warten, von mir gelobt zu werden
2,64
3,19
+0,55
+11,0
24
09
nicht überall dreinreden wollen
2,93
3,58
+0,65
+13,0
25
11
mich fragen, bevor sie Neues einführen
3,01
3,71
+0,70
+14,0
26
08
Entscheidungen mir überlassen
2,60
3,37
+0,73
+14,6
bei Schülern strengstens auf Pünktlichkeit achten mir über Vorkommnisse sofort Bericht erstatten
Anmerkung: Rating für Erwartungen: 1=stimmt gar nicht; 2=stimmt eher nicht; 3=teils – teils; 4=stimmt meist; 5=stimmt genau; Rating für Erfüllung: 5=trifft auf alle zu; 4=trifft auf die meisten zu; 3=teils – teils; 2=trifft auf wenige zu; 1=trifft auf gar keinen zu. Wilcoxon Matched-Pairs Signed-Ranks Test. (z-Werte siehe download).
Bis Rangplatz 21 wurden die Erwartungen untererfüllt. Erst ab Rangplatz 22 (Item-Nr. 25, auf die äußere Erscheinung achten) bis Rang 26 sind die Verpflichtungserwartungen der Schulleiter erfüllt und sogar übererfüllt (in der Tabelle durch ein PlusZeichen ausgedrückt). Der Grund dafür dürfte (a) am Inhalt liegen, und (b) darin, dass die Erwartungen am Ende der Tabelle ohnehin nicht hoch sind. Die Vertragsbrüche sind an den hohen relativen Effektstärken (Spalte ganz rechts) erkennbar. Eine Effektstärke, die 5% und mehr der Skalenbreite ausmacht, gilt als bedeutend. Ab 10% sind die Effektstärken sehr bedeutend, d. h. ab Rangplatz 20 bis Rangplatz 1 liegen bedeutende bis sehr bedeutende Vertragsbrüche vor. Die Schulleiter fühlen sich im Durchschnitt in ihren meisten Erwartungen von den Lehrern hintergangen. Deutliche Vertragsbrüche zeigen sich im Methodeneinsatz, in Engagement und Verantwortung (Commitment) und in der kollegialen Zusammenarbeit. Bei 77,1%
312
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
der Schulleiter liegen sehr bedeutende relative Effektstärken vor, und bei 92,5% eine mindestens bedeutende Effektstärke.
9.4 Vertragsbruch und Disengagement durch Innere Kündigung 9.4 Vertragsbruch und Disengagement durch Innere Kündigung 9.4.1 Die Verbreitung von Disengagement und IK unter Schulleitern Da aus Sicht der Schulleiter der Großteil ihrer Erwartungen an die Lehrer von diesen nicht erfüllt und damit der Psychologische Vertrag gebrochen wird, sollte nun geprüft werden, ob Schulleiter überhaupt zu Disengagement bzw. zur IK neigen und wieweit, bei positivem Befund, diese sich in den Erwartungen an ihre Lehrer und hinsichtlich der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung der Erwartungen von den engagierten Schulleitern unterscheiden. Dazu wurde 240 Schulleitern die Frage gestellt: „Würden Sie kündigen, wenn Sie kündigen könnten?“ Es antworteten:
73,8% (177 Personen): nein, überhaupt nicht. 11,3% (27 Personen): kaum. 5,8% (14 Personen): manchmal. 5,4% (13 Personen): oft. 3,8% (9 Personen): ja, aktuell, immer
Abbildung 9.4: Würden Sie kündigen, wenn Sie kündigen könnten
3,8% 5,4% 5,8% 11,3%
73,8%
nein kaum selten manchmal ja
Das bedeutet, dass 73,8% sicher nicht kündigen, weitere 11,3% kaum. 5,8% zögern unentschlossen. 5,4% tendieren mit „oft“ zum Disengagement und weitere 3,8% würden eindeutig kündigen, wenn sie könnten oder den Mut dazu aufbrächten, das sind zusammen 9,2%. Diese 9,2% sind eindeutig disengagiert. Die Begriffe Disengagement und Innere Kündigung können hier synonym benutzt werden. Die Zahlen sind repräsentativ für Schulleiter in Bayern. Die Daten sind für Frauen und Männer getrennt nachfolgend abgebildet:
9.4 Vertragsbruch und Disengagement durch Innere Kündigung
313
Abbildung 9.5: Verbreitung von Disengagement unter Schulleitern (in Prozent)
80% 60% 40% 20% 0%
1
2
3
4
5
Männer
73,10%
12,90%
5,40%
7,00%
1,60%
Frauen
75,90%
5,60%
7,40%
0,00%
11,10%
*Anmerkung: Würden Sie kündigen, wenn Sie kündigen könnten? 1 = nein, 2= kaum, 3 = selten, 4 = ja, manchmal, 5 = ja, aktuell.
Die Verteilung von Disengagement incl. IK ist für beide Geschlechter nahezu identisch: Der Unterschied zwischen den Mittelwerten 1,51 für Männer und 1,65 für Frauen ist bei einer mittleren Differenz von -0,14 minimal. Auch die Mittelwerte für Schulleiter in Grundschulen (GS) und Hauptschulen (HS) (n = 119; 49,6%) einerseits und in Berufsschulen (BS) und Berufsoberschulen (BOS) (n = 121; 50,4 %) andererseits sind ähnlich; die Differenz beträgt 0,23 und ist unerheblich. Dagegen weist die prozentuale Verteilung von Männern und Frauen in Bezug auf die Grade der IK einige Differenzen auf (Abbildung 9.3). Von den Lehrerinnen bezeichnen sich 11,1% als aktuell/immer innerlich gekündigt, von den Männern nur 1,6%. Jedoch „manchmal“ haben 7% der Männer innerlich gekündigt, 0,0% der Frauen. Die Frage, ob ein Beamter kündigen würde, wenn er könnte, ist allerdings reichlich theoretisch; sie ist eine Konditionalfrage, die lediglich eine unwahrscheinliche Möglichkeit betrifft. Realistisch für beamtete Schulleiter erscheint uns die Frage: „Haben Sie schon daran gedacht, dass Sie am liebsten die ganze Sache hinschmeißen möchten?“. Die Korrelation mit der Inneren Kündigung ist ρ = 0,61 (p < .000). Es haben geantwortet:
55,8% (134 Personen) nein, überhaupt nicht. 27,9% (67 Personen) kaum. 11,3% (27 Personen) manchmal, das ist eher unentschieden.
314
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern 01,7% ( 4 Personen) oft, könnte auch „eher ja“ bedeuten. 03,3% (8 Personen) ja, aktuell voll zutreffend.
4 Personen (1,7 %) mit der Antwort „manchmal“, die auch „eher ja“ lauten könnte, und 8 Personen (3,3 %), die „ja, aktuell“ antworteten, zusammen 5 %, möchten „am liebsten die ganze Sache hinschmeißen“. Frauen und Männer differieren nur leicht (nächste Abbildung): Abbildung 9.6: Vergleich der männlichen und weiblichen Schulleiter
(Personen in Prozent)
60% 40% 20% 0%
1
2
3
4
5
Männer
57%
30,10%
10,20%
1,10%
1,60%
Frauen
51,90%
20,40%
14,80%
3,70%
9,30%
Anmerkung: Rating 1 = nein, gar nicht ... 4 = oft, 5 = trifft voll zu.
Diese Aussage ist deutlich vom Gefühl geprägt und scheint eher die derzeitige persönliche Situation zu kennzeichnen als die Aussage: „wenn ich könnte, würde ich kündigen“. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist mit den Mittelwerten 1,60 (SD 0,84) für Männer, 1,98 (SD 1,29) für Frauen (mittlere Differenz: 0,38) auf Basis der mittleren Ränge nicht bedeutsam. Auch der Unterschied zwischen den Schularten ist statistisch unbedeutend. Aber wenn man die prozentuale Verteilung in Bezug auf die Grade des Disengagements (IK) betrachtet, sieht man die Unterschiede zwischen Frauen und Männern, wie ein Blick auf Abbildung 9.4 bestätigt (χ2 = 11,48; df= 4, p = 0.02). Schulleiterinnen bejahen die Aussage, die ganze Sache am liebsten hinschmeißen zu wollen, deutlich stärker als Schulleiter.
9.4 Vertragsbruch und Disengagement durch Innere Kündigung
315
9.4.2 Der erlebte Bruch des Psychologischen Vertrags Die Tendenz zu Disengagement bis zur Inneren Kündigung ist offensichtlich eine Folge der Wahrnehmung von Brüchen des Psychologischen Vertrags, d. h. die betroffenen Personen haben den subjektiven Eindruck, dass sie in die Arbeit an der Schule mehr an persönlichem Aufwand und Einsatz investieren, als sie von der anderen Partei, den Lehrkräften, zurück erhalten. Die prozentuale Verteilung der Personen ist hier zu sehen: Tabelle 9.3: Wie viele Schulleiter (in %) investieren mehr, als sie zurückerhalten? Merkmal gar nicht eher nicht teils..teils eher ja trifft voll zu Investieren mehr 22,5% 25% 22,9% 17,1% 12,5% Abbildung 9.7: Ich investiere mehr, als ich zurück erhalte
12,5%
22,5% gar nicht eher nicht
17,1%
teils .. teils eher ja 25,0%
trifft voll ztu
22,9% Der Unterschied zwischen Schulleiterinnen und Schulleitern ist unbedeutend. Auch die Angehörigen verschiedener Schularten unterscheiden sich nicht (p = 0,63). Eine häufige Begleitemotion des Eindrucks, zu viel zu investieren, ist die Enttäuschung von den eigenen Mitarbeitern. Die Aussage: „Eigentlich habe ich den Eindruck, dass ich von der anderen Seite enttäuscht bin“, stimmen zu: Tabelle 9.4: Wie viele Schulleiter (in %) sind von den Lehrern enttäuscht? Merkmal gar nicht eher nicht teils..teils eher ja trifft voll zu enttäuscht 44,6% 33,3% 12,9% 7,1% 2,1%
316
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Abbildung 9.8: Ich bin von meinen Lehrern enttäuscht
7,1%
2,1%
12,9% gar nicht eher nicht teils .. .
44,6% 33,3%
Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist unbedeutend (mittlere Differenz 0,05). Auch zwischen den Schularten herrscht Übereinstimmung (mittlere Differenz 0,03). Abbildung 9.9: „investiere mehr ..“ und „bin enttäuscht“ (Prozent).
50 40 30 20 10 0
1
2
3
4
5
investiere mehr
22,5
25
22,9
17,1
12,5
bin enttäuscht
44,6
33,3
12,9
7,1
2,1
Anmerkung: Rating 1 = nein, gar nicht ... 5 = trifft voll zu.
9.5 Einsatz oder innerer Rückzug 9.5 Einsatz oder innerer Rückzug Ausgesprochen interessant ist die Frage, wie sich die Schulleiter, die innerlich disengagiert sind oder gar innerlich gekündigt haben, von jenen, die zu Einsatz und Engagement neigen, u. a. in der Erfüllung ihrer Erwartungen unterscheiden. Dazu wird die Gesamtgruppe der Schulleiter am Mittelpunkt der fünfstufigen Ratingskala (Midpoint) zur Inneren Kündigung geteilt. Personen mit den Skalenwerten 1 bis 3,0 werden den engagierten Schulleitern zugeordnet, diejenigen mit einem Skalenwert über 3,0 den Disengagierten. In Gruppe 1 befinden sich 218 (90,8 %) engagierte Schulleiter,
9.5 Einsatz oder innerer Rückzug
317
während 22 Personen (9,2 %) sich disengagiert haben, davon haben 9 (3,8 %) dauerhaft innerlich gekündigt.
9.5.1 Die Prüfung der Gruppenzugehörigkeit der Fälle In unserem theoretischen Erklärungsansatz liegen die unmittelbaren Ursachen der Inneren Kündigung in der Wahrnehmung von Brüchen der Psychologischen Verträge. Die Vertragsbrüche sind in der geringen Realisierung von Erwartungen durch die andere Partei, hier die Lehrer/innen, manifestiert. Daraus resultiert der Eindruck der Schulleiter/innen, in die Schule bzw. in das Lehrerkollegium an Mühen und Aufwand mehr zu investieren, als sie zurück bekommen, zusammen mit der Begleitemotion der Enttäuschung. Ein guter Beleg für diesen Zusammenhang bestünde darin, nachzuweisen, dass die Fälle mit hoher Erwartungsrealisierung, mit Ausgewogenheit von Aufwand und Gewinn und mit geringer Enttäuschung, der Gruppe der Engagierten zugeordnet werden können und die anderen Fälle der Gruppe der disengagierten Personen. Folglich interessiert uns, wie genau die 240 Schulleiter den beiden Gruppen der Engagierten und der Disengagierten zugeordnet werden können. Dazu wurden die drei theoretisch bedeutsamen Variablen gewählt, nämlich die Realisierung von Erwartungen hinsichtlich der Disziplin der Mitarbeiter, die Investition und die Enttäuschung. Die erste Variable ist auf die Diskrepanz von Erwartung und Erwartungserfüllung bezogen, operationalisiert anhand von beispielsweise folgenden Aussagen: Ich erwarte, dass meine Lehrer auch ohne mein Zutun meinem Anordnungen voll nachkommen, ...mir ... sofort Bericht erstatten, ... nicht überall dreinreden wollen, .. freiwillig Arbeit übernehmen, usw. und ... Entscheidungen mir überlassen. Die Wahrnehmung dieser Diskrepanzen ist die Ursache für die beiden folgenden Merkmale. Die zweite Variable wird mit Hilfe des Items gemessen: Alles in allem habe ich den Eindruck, dass ich an persönlichem Aufwand und Einsatz mehr investiere, als ich zurück bekomme. Die Enttäuschung wurde operationalisiert mittels der Aussage: Eigentlich habe ich den Eindruck, dass ich von der anderen Seite enttäuscht bin. Der individuelle Eindruck, in die andere Partei, hier die Lehrerschaft, mehr zu investieren, als man zurück erhält, und die resultierende Begleitemotion der Enttäuschung von der anderen Seite sind die in der Erklärungstheorie der Inneren Kündigung a priori angenommenen Ursachen der Inneren Kündigung. Mittels einer Diskriminanzanalyse wird ein Individuum aufgrund der Ausprägung seiner Merkmale einer der beiden Gruppen, der Gruppe der Engagierten oder der Gruppe der innerlich auf dem Rückzug befindlichen, disengagierten Schulleiter zugeordnet. Das Ziel ist es, dass die Werte der Diskriminanzfunktion beide Gruppen möglichst gut trennen. Von den 240 Fällen wurde keiner von der Analyse ausgeschlossen. Die Zwischenergebnisse wie beispielsweise die Mittelwerte und deren Standardabweichungen der Gruppen so wie die Covarianzen und die Korrelationskoeffizienten innerhalb der Gruppen interessieren hier nicht. Eine einfache Varianzanalyse ergibt für beide Merkmale, nämlich Investition und Enttäuschung, einen hoch
318
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
signifikanten Unterschied (p < .0000) zwischen den Gruppen. Die Gruppen werden gut getrennt (Diskriminanzanalyse im Download). Tabelle 9.5: Zusammenfassende Tafel Merkmal Enttäuschung Investition
λ Signif 1 ,906 .0000 2 ,889 .0000
Eigen Canon. Wilks’λ χ2 df Signif. Wert Korr. 0,12 0.36 0.860 27,76 2 .0000 92,5 % (100 % / 81,8 %) der Fälle korrekt zugeordnet Insgesamt wurden 92,5 % der Fälle einer der beiden Gruppen korrekt zugeordnet. Das bedeutet, dass die einzelnen Schulleiter mit Ausnahme von rund 7 % der Stichprobe den beiden Gruppen der Engagierten und der Disengagierten mit Hilfe der zwei Merkmale korrekt zugeordnet werden können. Die wenigen Ausnahmen können toleriert werden, da eine individuelle Diagnose nicht vorgesehen ist. Das bedeutet ferner, dass mit der Unterscheidung von engagierten und disengagierten Schulleitern eine statistisch gut begründete Unterscheidung gefunden worden ist. In den soziografischen Merkmalen Alter bzw. Dienstalter, Stundendeputat, Schulart und Geschlechterverteilung differieren beide Gruppen nicht bedeutsam.
9.5.2 Gruppendifferenzen in der Realisierung von Erwartungen Zunächst interessiert, ob die Gruppen sich in der Höhe der Erwartungen und ob sie sich in der Wahrnehmung der Realisierung ihrer Erwartungspräferenzen an die Lehrer unterscheiden. Mit den folgenden Tabellen wird demonstriert, dass die Erwartungen für sich keinerlei Gruppendifferenzen anzeigen, während die Erwartungsrealisierungen, also die Vertragserfüllung, bei fast allen Items signifikant differieren. Unter der Rubrik Erwartungen ist nicht eine einzige signifikante Differenz zwischen engagierten und disengagierten Schulleitern vorhanden. Es fällt aber auf, dass die Erwartungen der Disengagierten oft etwas höher ausfallen als die der Engagierten. In der Tabelle der Erwartungserfüllung ist es umgekehrt: Die Engagierten geben ohne Ausnahme höhere Werte für die Realisierung ihrer Vertrags-Erwartungen an als die Disengagierten. Dieser Befund trifft auf alle Items zu. Ferner wird demonstriert, dass die Erwartungserfüllung keineswegs mit der Höhe der Erwartungen korreliert, wie mancher Kritiker vielleicht meinen mag. Auch bei den
9.5 Einsatz oder innerer Rückzug
319
restlichen Items gibt es keine Differenzen im Ausprägungsgrad der Erwartungen zwischen engagierten und disengagierten Schulleitern. Die Items sind in der unten stehenden Tabelle ausgeführt: Ich erwarte, dass meine Lehrer... (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11)
Interesse an der Arbeit zeigen, meine Anordnungen auch nach außen vertreten, meinen Anordnungen voll nachkommen, mir über Vorkommnisse sofort Bericht erstatten, nicht überall dreinreden wollen, mich fragen, bevor sie etwas Neues einführen, eine gewisse Belastungsfähigkeit mitbringen, bei den Schülern strengstens auf Pünktlichkeit achten, nicht darauf warten, von mir gelobt zu werden, sich für die schulischen Belange voll einsetzen, kollegial zusammen arbeiten.
Tabelle 9.6: Vergleich der Mittelwerte der Erwartungen bei engagierten und disengagierten Schulleitern
Erwartungen Mittelwerte Engag. Diseng. 1 Interesse zeigen 4,57 4,59 2 Anordnungen außen 4,32 4,27 3 Anordnungen voll .. 4,37 4,59 4 Bericht erstatten 3,66 4,02 5 Nicht dreinreden 2,89 3,32 6 mich fragen 3,01 3,09 7 Belastungsfähigkeit 4,46 4,55 8 Pünktlichkeit 3,88 3,95 9 nicht auf Lob warten 2,67 2,32 10 Für Belange einsetzen 4,45 4,32 11 kollegial 4,65 4,45 Aussagen
M-W p 0,60 0,67 0,10 0,16 0,13 0,77 0,23 0,58 0,22 0,44 0,48
Anmerkung: Items im Originaltext oberhalb der Tabelle; Signifikanzprüfungen erfolgten non-parametrisch (Mann-Whitney-Test).
Engagierte und disengagierte Schulleiter unterscheiden sich in der Höhe ihrer Erwartungen an die Lehrer nicht. Nicht ein einziges Item zeigt statistisch signifikante Unterschiede (Tabelle 9.6, rechte Spalte). Aber die meisten Erwartungen liegen über dem Skalenmittelpunkt und sind damit ziemlich bedeutsam.
320
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Tabelle 9.7: Vergleich der Mittelwerte der Realisierung der Erwartungen bei engagierten und disengagierten Schulleitern mit Effektstärken (aES & relative ES)
Erwartungserfüllung Mittelwerte Diskrep M-W* p Engag Diseng AES 1 Interesse zeigen 3,64 3,36 0,28 0,07 2 Anordnungen außen 3,82 3,50 0,32 0,05 3 Anordnungen voll .. 3,70 3,50 0,20 0,01 4 Bericht erstatten 3,58 2,95 0,63 0,00 5 Nicht dreinreden 3,60 3,36 0,24 0,23 6 mich fragen 3,75 3,32 0,43 0,08 7 Belastungsfähigkeit 3,57 3,27 0,20 0,01 8 Pünktlichkeit 3,44 3,77 +0,33 0,08 9 nicht auf Lob warten 3,24 2,72 0,52 0,09 10 Für Belange einsetzen 3,42 3,09 0,33 0,03 11 kollegial 3,50 3,18 0,32 0,07 Aussagen
relative ES in % 5,8 6,5 4,0 12,6 4,8 8,6 4,0 +6,6 10,4 6,6 6,4
* Anmerkung: Items im Originaltext oberhalb der Tabelle; Signifikanzprüfungen erfolgten nonparametrisch (Mann-Whitney-Test). Relative Effektstärken ab 5% gelten als bedeutsam.
In der Realisierung der Erwartungen unterscheiden sich die engagierten von den disengagierten Schulleitern fast immer bedeutsam. Nahezu alle Effektstärken sind über 5% und damit bedeutsam. Die disengagierten Schulleiter berichten über deutlich geringere Erwartungsrealisierungen. Die Mittelwerte jener Erwartungen sind bei den disengagierten Schulleitern meistens höher als bei den engagierten Schulleitern, die auf Kontrolle abzielen, d. h. dass jene ein wenig mehr Kontrolle über ihre Lehrkräfte anstreben als die engagierten Schulleiter. Dagegen ist die Erfüllung der Erwartungen bei den disengagierten Schulleitern tendenziell bis signifikant geringer als bei den Engagierten. Unabhängig von diesen Befunden wurde festgestellt, dass die Schulleiter annehmen, dass auch die Lehrkräfte ihnen gegenüber berechtigte Erwartungen hegen. Die engagierten Schulleiter glauben mehr als die disengagierten Schulleiter, dass sie selber diese Erwartungen erfüllen.
9.5 Einsatz oder innerer Rückzug
321
Abbildung 9.10: Glauben die Schulleiter, die Erwartungen zu erfüllen? 80% 60% 40% 20% 0%
1
2
3
4
5
Engagierte
0,00%
2,30%
29,80%
62,40%
5,50%
Disengagierte
0,00%
13,60%
27,30%
59,10%
0,00%
Anmerkung: 1 = nein, gar nicht; 2 = eher nicht; 3 = teils...; 4 = eher ja; 5 = ja, trifft voll zu
In der Verteilung der Personen differieren Engagierte von Disengagierten auf dem 5%Niveau. 13,6% der disengagierten Schulleiter glauben eher nicht, im Unterschied von nur 2,3% der engagierten, dass sie die Erwartungen ihrer Lehrer erfüllen.
9.5.3 Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung Genauer als die bloßen Erwartungsrealisierungen sind die Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungsrealisierung, weil diese Diskrepanz den Ausprägungsgrad der Erwartungen in die Berechnung mit einbezieht. Deshalb wäre zu klären, ob die Gruppen der Engagierten und der Disengagierten in diesen Diskrepanzen differieren. Bei der Prüfung dieser Frage zeigt sich, dass die Disengagierten in einer Reihe von Items deutlich höhere EE-Diskrepanzen aufweisen (Alle nachfolgenden Werte wurden mit nonparametrischen Tests ermittelt). In der Summe (von 26 Items) der mittleren Differenzen von Erwartung und Erwartungserfüllung unterscheiden sich die engagierten Schulleiter (Mittelwert: 0,79) von den disengagierten Schulleitern nur tendenziell (Differenz = 0,21; Signifikanz p = 0,15). Signifikante Differenzen zeigen sich in den Items, die auf Kontrolltendenzen im Verhalten der Schulleiter deuten: Bei der Aussage: „Ich erwarte, dass meine Lehrer auch ohne mein besonderes Zutun meinen Anordnungen voll nachkommen“ ist die EE-Diskrepanz bei den Disengagierten signifikant größer als bei den Engagierten, d. h. jene wähnen ihre Erwartungen signifikant weniger erfüllt als die Engagierten (vgl. Tabelle 9.8). Die disengagierten Schulleiter sehen ihre Erwartung, dass man ihnen „sofort Bericht zu erstatten“ habe, signifikant häufiger nicht erfüllt als die Engagierten (Differenz = 0,67, Signifikanz p < 0,00). Die disengagierten Schulleiter erwarten auch, dass ihre Lehrer ihnen “nicht überall dreinreden wollen”. Auch bei dieser Erwartung ist die Diskrepanz
322
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
zwischen Erwartung und Erfüllung signifikant höher als bei den engagierten Schulleitern (Differenz = 0,41, Signifikanz p = 0,000). Schulleiter erwarten, dass sie gefragt werden, bevor ihre Lehrer “etwas Neues einführen”, etwa neue Unterrichtsmethoden u. dgl.; in dieser Aussage unterscheiden sich die beiden Schulleitergruppen nicht. Die Erwartung, dass ihre Lehrer ihre „Anordnungen auch nach außen vertreten“, wird bei den engagierten Schulleitern deutlich mehr erfüllt als bei den disengagierten (Differenz = 0,34; Signifikanz p < 0.05). Tabelle 9.8: Diskrepanzen zwischen Erwartungen und deren Erfüllung (6 Items) bei engagierten und bei disengagierten Schulleitern Variable
Mittelwerte Engag. Disengag. 0,47 1,14 0,90 1,43 0,76 1,18 0,18 0,59 0,62 0,96 0,19 0,46
2 sofort Bericht erstatten 6 Belastungsfähigkeit 1 Anordnungen voll nachkommen 3 nicht überall dreinreden 5 Anordnungen nach außen vertreten 4 fragen, bevor Neues
Diff. aES 0,67 0,53 0,43 0,41 0,34 0,27
Signif. p 0,00 0,01 0,01 0,000 0,050 0085
relative ES % 13,4 10,6 8,6 8,2 6,8 5,4
Anmerkung: Prüfung mit Mann-Whitney
In der nachfolgenden Abbildung sind die Differenzen zwischen den Gruppen hinsichtlich einiger typischer EE-Diskrepanzen zur besseren Veranschaulichung grafisch dargestellt. Dabei fällt auf, dass es sich durchweg um Kontroll-Inhalte handelt. Abbildung 9.11: Diskrepanzen zwischen Erwartung und deren Erfüllung in 7 Items. Die Unterschiede zwischen engagierten und disengagierten Schulleitern sind signifikant. 1,5
1
0,5
0
1
2
3
4
5
6
7
engag. Schulleiter
0,95
0,61
0,76
0,46
0,18
0,17
0,9
diseng. Schulleiter
1,24
0,97
1,19
1,15
0,61
0,47
1,43
* Anmerkung: Ich erwarte, dass meine Lehrer auch ohne mein besonderes Zutun ... 1 = Interesse an der Arbeit zeigen, 2 = meine Anordnungen auch nach außen vertreten, 3 = meinen Anordnungen voll nachkommen, 4 = mir über Vorkommnisse sofort Bericht erstatten, 5 = nicht überall dreinreden wollen, 6 = mich fragen, bevor sie etwas Neues einführen, 7 = eine gewisse Belastungsfähigkeit mitbringen.
9.6 Folgen der Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung
323
Alle bisher genannten Erwartungen beziehen sich auf die Kontrolle des Lehrerkollegiums durch die Schulleiter. Da ist überraschend, dass eben die disengagierten Schulleiter von ihren Lehrern ein Interesse an der schulischen Arbeit erwarten. Die disengagierten Schulleiter meinen, dass ihre Mitarbeiter „deutlich weniger Interesse an der Arbeit zeigen“ (Item 1) als sie, die Schulleiter, erwarten (mittlere Differenz = 0,27; Signifikanz p = 0,11). Außerdem fällt auf, dass die EE-Diskrepanz bei dem Item Belastungsfähigkeit besonders unterschiedlich ist, was andeutet, dass die disengagierten Schulleiter, die sich offenkundig nicht durch einen besonders kommunikativen Führungsstil auszeichnen, die von ihnen verursachten negativen Folgen einer geringeren Belastungsfähigkeit ihren Lehren anlasten. In allen übrigen EE-Diskrepanzen unterscheiden sich die beiden Gruppen nicht. Abschließend ist festzustellen, dass die disengagierten Schulleiter bei im Wesentlichen gleich hohen Erwartungen wie die engagierten Schulleiter sehr viel häufiger und höhere Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung in den Kontroll- und Disziplin-Items berichten. Dieser Befund darf im Rahmen unseres theoretischen Ansatzes so gedeutet werden, dass die disengagierten Schulleiter im genannten Bereich häufiger einen Bruch des Psychologischen Vertrags wahrnehmen als die engagierten Schulleiter. Die nachfolgend (in Kapitel 9.6) berichteten korrespondierenden Merkmale bzw. zeitlich verzögert erscheinenden emotionalen Merkmale verstärken diesen Eindruck.
9.6 Folgen der Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung 9.6 Folgen der Diskrepanzen von Erwartung und Erwartungserfüllung Bei den teils nicht unerheblichen Diskrepanzen zwischen Erwartungen und deren Realisierung wäre zu vermuten, dass die disengagierten Schulleiter subjektiv mehr investieren, als sie von den Lehrern erhalten. In der Tat glauben sie hoch signifikant mehr in die schulische Arbeit zu investieren, als sie zurück erhalten. Die Mittelwerte differieren deutlich (Differenz 1,26; p < 0,000). Die disengagierten Schulleiter sind auch hoch signifikant stärker enttäuscht von ihren Lehrern als die engagierten Schulleiter (Differenz = 1,07; p < 0,00). Das führt dazu, dass zumindest die disengagierten Schulleiter manchmal daran denken, „am liebsten die ganze Sache hinschmeißen“ zu möchten (Differenz = 1,85; p < 0,000). Viele der disengagierten Schulleiter leiden unter psychosomatischen Erkrankungen, und sie litten bzw. leiden entscheidend darunter, vom Kollegium nicht hinreichend unterstützt und akzeptiert zu werden. Keinesfalls wollten sie als Autokraten wahrgenommen werden (Hillert & Schmitz, 2009).
324
9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
Tabelle 9.9: Folgen wahrgenommener Diskrepanzen (3 Merkmale) bei engagierten und bei disengagierten Schulleitern.
Mittelwerte Diff. M-W p z Engag. Disengag. 1 investiere mehr 2,61 2 Enttäuschung 1,78 3 „hinschmeißen“ 1,51
3,87 2,88 3,40
1,26 4,08 1,07 3,90 1,84 5,94
relative ES
0,000 25,2% 0,000 21,4% 0,000 36,8%
Abbildung 9.12: Folgen wahrgenommener Diskrepanzen (3 Merkmale) bei engagierten und bei disengagierten Schulleitern.
5 4 3 2 1
1
2
3
engag. S L
2,61
1,78
1,51
diseng S L
3,87
2,88
3,4
Merkmale: 1 = persönliche Investition höher als der Gewinn, 2 = Grad persönlicher Enttäuschung, 3 = Tendenz, „die ganze Sache hinschmeißen“ zu wollen.. Rating: 1= „gar nicht“ bis 5.
Insgesamt sind die Werte zum Disengagement (IK) bei Schulleitern deutlich weniger ausgeprägt als bei den Lehrkräften. Das ist nicht verwunderlich. Es ist allgemein bekannt, dass Führungskräfte weniger zur IK neigen als Mitarbeiter.
9.7 Personale Gründe für Innere Kündigung bei Schulleitern 9.7 Personale Gründe für Innere Kündigung bei Schulleitern Über die personalen Gründe für Disengagement und Innere Kündigung bei Schulleitern wurden einige Informationen aus qualitativen Interviews zusammengestellt. Aus diesen Informationen lassen sich ein paar typische Gruppierungen abstrahieren: (1) Zutreffend scheint die Beobachtung zu sein, dass einige jener, die aus einer anderen Laufbahn, sei im administrativen oder im akademischen Bereich, auf die Position des Schulleiters bestellt wurden, in ziemliche Probleme geraten. Das können
9.7 Personale Gründe für Innere Kündigung bei Schulleitern
325
Pädagogen sein, die mehrere Jahre an der Universität gearbeitet haben, im Ministerium oder in anderen Institutionen und Akademien, ohne selbst jemals vor der Klasse gestanden und mit den Schülern gearbeitet zu haben. Sie haben auch nicht den Schulbetrieb – vor allem auch die Veränderungen, die sich in den letzten Jahren ergeben haben – „von innen“ erlebt. Insbesondere gilt: Wer sofort nach der Lehrerausbildung, Studium und Referendariat, der Schule entflohen ist in eine der o. a. Institutionen, meist auch um Karriere zu machen, ausschließlich als geführter Mitarbeiter tätig war und dann erst im Alter von etwa 40 - 50 Jahren auf die Position eines Schulleiters gesetzt wird, oder sich per Verwaltungsgerichtsprozess eine Stelle als Schulleiter erstreitet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Der Grund dafür liegt meist in fehlenden oder unrealistischen und unpraktikablen Vorstellungen über den alltäglichen Schulbetrieb, mit denen sie sich selbst und der ganzen Schulfamilie (Lehrern, Schülern, Eltern, Verwaltungspersonal usw.) den Alltag schwer machen. Einige Schulleiter urteilen über jene Kollegen: „Die sind schlicht und einfach unbrauchbar und meist sogar untragbar als Schulleiter. Unter ihnen leiden alle: Lehrer wie Schüler“. Andererseits ist es ein Vorteil, wenn ein Schulleiter vorher an verschiedenen anderen Schulen und Institutionen Dienst gemacht hat. Er läuft weniger Gefahr, der Betriebsblindheit zu unterliegen, wie sie häufig bei hausinternen Berufungen auftritt. Eine Teilgruppe bilden diejenigen, die als junge Lehrer der Schule entflohen sind, weil sie sich den Anforderungen der Schule nicht gewachsen fühlten. Sie versuchen beispielsweise in der Schulverwaltung für einige Jahre unterzukommen und vielleicht sogar Karriere zu machen. Irgendwann „kommen sie dann als Besserwisser in die Praxis“. Sie haben Angst vor den Schülern, Angst vor der Unterrichtsstunde und arbeiten lieber am späten Nachmittag im leeren Schulhaus in ihrem Büro allein. (2) Ehemalige Seminarlehrer oder Seminarrektoren haben einen besonderen Status: Wer jahrelang junge Lehrkräfte erfolgreich angeleitet, ausgebildet, geführt, betreut, beurteilt und geprüft hat, verfügt meist über hervorragende Voraussetzungen für die Schulleitertätigkeit, besonders für deren pädagogischen Aspekt. Gleichzeitig verfügt er über eine große Erfahrung im administrativen Bereich, besonders auch in der Lehrerbeurteilung. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Wer als erfolgreicher Seminarlehrer zum Schulleiter wird und nicht umdenken kann, scheitert. Von hauptamtlichen Lehrkräften im Alltagsgeschäft kann man niemals den „ganzen pädagogischen Firlefanz“ (O.-Ton eines Schulleiters, der selbst früher Seminarlehrer war) verlangen, der nun mal zur Lehrerausbildung, zu den Lehrproben und zum Prüfungsgeschäft dazu gehört („Du fährst im Alltag auch nicht so mit deinem Auto wie bei der Führerscheinprüfung“.). Diese und die folgenden Aussagen stammen nicht von Lehrkräften, sondern von tätigen Schulleitern: „Du musst als Schulleiter nicht nur froh sein, wenn ‚der Laden läuft’, sondern du musst täglich deinen Leuten mit dankbarer Wertschätzung immer wieder Lob und Anerkennung und weitere Motivation für das nicht leichte Geschäft geben, selbst wenn die Arbeit nicht so wie im methodisch– didaktischen Lehrbuch erledigt wird“. Wer als Schulleiter „falsche“ und theoretisch überfrachtete Erwartungen an seine Lehrer hegt, wird bald die Erfahrung machen
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9 Disengagement durch Innere Kündigung bei Schulleitern
müssen, dass seine Erwartungen nicht erfüllt werden, oft auch nicht erfüllt werden können, und dass insofern der Psychologische Vertrag gebrochen wird. (3) Eine dritte Kategorie von disengagierten, innerlich kündigenden, sogar resignierten, Schulleitern bilden jene, die in gewisser Weise narzistisch und „auf dem Ego-Trip“ sind und ihre Leute nicht am Erfolg teilhaben lassen. Sie scheitern. „Du stehst im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Du bist in der Presse abgebildet mit Honoratioren, Kommunalpolitikern, Bankern usw. Du stehst im Rampenlicht bei Festen und Feiern“. Da besteht die Gefahr, all diese öffentliche Zuwendung sich selbst zuzuschreiben, auf sich selbst zu attribuieren. „Aber du darfst dir nicht einbilden, dass du als Person so ein großer Erfolgsmensch bist. Du wirst geehrt als Repräsentant der Schule“. Anstatt sich selbst zu überschätzen, muss man die Anerkennung, den Respekt und den Dank der Öffentlichkeit an die Mitarbeiter und Lehrpersonen weitergeben. Sie sind es, die das alles durch ihre Arbeit verdient haben. Manche Schulleiter, die sich selbst in eigener Selbstüberschätzung zu viel einbilden, scheinen der Versuchung zum Selbstlob erlegen zu sein, während sie gleichzeitig die Fehler und Schwächen der Lehrer vor dem Kollegium gnadenlos aufdecken. Dann kann es geschehen, dass das gesamte Kollegium die Gefolgschaft verweigert. Wenn dem Schulleiter ein Umdenken nicht gelingt, kommt es zu schwerwiegenden Missverständnissen, zu Frustration und Resignation bei allen Beteiligten. Das Klima im Kollegium ist verdorben. An ein Geben und Nehmen im Sinne des Psychologischen Vertrags ist nicht zu denken. Letztendlich tritt ein Zustand ein, in welchem auch das Kollegium dem Schulleiter kündigt. (4) Eine Gruppe bilden jene Schulleiter, die sich als mittleres Glied zwischen Schulaufsicht (mit Schuladministration) und Lehrerschaft aufgerieben fühlen (wie der eingangs geschilderte Georg G.). Gerade die im Rahmen der Globalisierung erscheinenden Veränderungen und neuen Aufgaben, wobei ‚die Globalisierung’ manchmal als bloße Argumentationshilfe – gelegentlich parteipolitisch motiviert – dient, und der damit einhergehenden Verschärfung von Anforderungen aus der Administration, die an die Lehrer weitergeleitet und bei ihnen durchgesetzt werden müssen, stellen für viele Schulleiter eine schwerwiegende Belastung dar. Verschärft wird die Lage, wenn die Schule im Einzugsgebiet von sozial Schwachen liegt. Gelegentlich müssen angebliche Neuerungen und Innovationen argumentativ für bloße Sparmaßnahmen herhalten ohne erkennbaren substanziellen Gewinn für die Schüler. Da erfolgt auch schon mal ein telefonischer Rundruf mit einer dringenden Empfehlung „von oben“ unter Vermeidung eines nachweisbaren Schriftsatzes. „Unlautere Machenschaften“ aus einer Richtung, von der man Unterstützung erwartet und für die man sich gegenüber den Lehrern einsetzt, verbittern manchen leitenden Schulmann.
10 Disengagement bei Schülern 10 Disengagement bei Schülern
Wir danken Frau Paula Amalia Kästner und Frau Manuela Scherer für ihre Mitarbeit und u. a. Herrn StD Dr. Klaus Hermann für fachlichen Rat und tatkräftige Unterstützung.
10.1 Ziele und Problemlage 10.1 Ziele und Problemlage Die Ziele dieser Studie hängen mit den Fragen zusammen, ob überhaupt unter jugendlichen Schülern so etwas wie Disengagement durch Innere Kündigung nachweisbar ist und wie, im positiven Fall, deren Verbreitung beschrieben werden kann. Daraus folgen die Fragen nach einer möglichen Erklärung dieser Muster und nach möglichem Folgeverhalten. Die Studie ist an Berufsschülern durchgeführt worden. Wenden wir uns zunächst einer Skizzierung der Problemlage jugendlicher Schüler zu. Die Lebenssituation von jugendlichen Schülern ist aus zwei Klassen von Gründen besonders anfällig für Reaktionen der Abwehr und des inneren Rückzugs: (a) einmal aus Gründen des Entwicklungsstadiums des Jugendalters, das von vielerlei Konflikten gekennzeichnet ist, (b) und zum anderen aus Gründen der derzeitigen ökonomischen Entwicklung. Zu (a) Jugendliche entwickeln ihre Wertesysteme mit teils idealen ethischen Vorstellungen, was die Wahrnehmung von informellen Vertragsbrüchen fördert. Infolge dessen sind die Konflikte mit den Erwachsenen, eben auch mit den Lehrern, zahlreich und – in unserer Gesellschaft – normal (Schmitz & Stiksrud, 1994, S. 219, S. 225-234). Aber auch die Erwachsenen haben Schwierigkeiten, mit den Heranwachsenden „mitzuwachsen“ bzw. ihre Erwartungen dem jeweils veränderten Jugendlichen anzupassen. Der Bruch des Psychologischen Vertrags kann dann die Störung des Generationenvertrags verschärfen. Doch diese Störung hat ihre Wurzeln weitgehend, wie oben angedeutet, außerhalb der Schule. Zu (b) Die Lebenssituation der Schüler hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend geändert. Das betrifft vor allem die älteren unter ihnen, die Schüler aus schwächeren sozialen Schichten und die rasch zunehmende Zahl von Schülern mit Migrationshintergrund. Im Zuge der zunehmenden Globalisierung mit verstärkter weltweiter Konkurrenz und der labilen ökonomischen Situation entwickeln auch die Schüler, teils bereits in sehr jungen Jahren, Angst vor Misserfolg, Versagen und Arbeitslosigkeit. In vielen Berufsschulen gibt es Klassen für Schüler ohne Ausbildungsvertrag, die unabhängig von dieser Tatsache berufsschulpflichtig sind, sog. JoA-Klassen (je nach Bundesland und
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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10 Disengagement bei Schülern
Organisationsform existieren noch zahlreiche ähnliche Akronyme und Abkürzungen). Unter diesen Schülern, besonders aber unter nicht-deutschsprachigen Berufsschülern ohne Ausbildungsvertrag, ist die Innere Kündigung weit verbreitet. Darüber wurde berichtet (Doppler, Voreck, Schmitz, 2005; Schmitz, Doppler, Voreck, 2006). Diese Entwicklung wird verschärft durch die psychosozialen Mechanismen im mehrgliedrigen Schulsystem. Denn hier besteht die Versuchung, schwächere Schüler mit fadenscheinigen Argumenten auszugliedern, wie die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss zeigt, anstatt ihnen durch intensive Förderung Erfolge zu vermitteln. Weil alle bisher gescheiterten Schüler in den beruflichen Schulen aufgefangen werden, haben diese in besonderer Weise mit den negativen Folgen zu kämpfen. Die schulsystemischen Bedingungen der Jugendlichen sind unbefriedigend. Eine Schule ohne Wiederholer einer Klasse, den sog. „Sitzenbleibern“, ist in unserem System kaum denkbar, weil alternative Gedanken zum Schulsystem nicht toleriert werden. Dass die Kehrseite von Auslese die Ausgrenzung ist, wird nur von wenigen realisiert. Das System ist ideologisch festgezurrt. Eine sachliche Diskussion ist auf politischer Ebene zur Zeit nicht möglich, weil man unfähig ist, eigene Vorurteile zu hinterfragen. Wenn ein Schüler sich erst einmal auf einem Bildungsweg befindet, etwa auf dem Gymnasium, ist ihm ein Wechsel auf einen anderen Weg kaum möglich, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die immer wieder behauptete Durchlässigkeit ist in den mittleren Jahrgängen weitgehend ohne praktische Bedeutung für die Schüler. Viele derjenigen, die später über die Berufsoberschule oder über andere Wege zum Abitur gelangt sind (in Bayern ein Großteil der Abiturienten), haben vorher die Erfahrung gemacht, persönlich versagt zu haben. Manche müssen ein Schuljahr wiederholen, weil sie in einem einzigen Fach nicht die erforderlichen Leistungswerte erreicht haben. In den anderen Fächern langweilen sie sich. Welch eine Vergeudung! Jahr für Jahr wird eine riesige Menge an Versagern produziert. Einmal mit dem Makel des Scheiterns behaftet, verlieren viele betroffene Schüler jeden Ansporn zur Lernmotivation. „Die Frage der Schulzugehörigkeit nimmt damit ... ständische Züge an. Am Ende der vierten Klasse, spätestens nach dem Ende des neunten Jahrgangs, zeigt sich, wohin man gehört: ob man einmal zu den Gebildeten gehören wird, ob man sich mit einer mittleren Position abfinden oder sich zu den Versagern rechnen muss.“, schreiben Katja Neuhoff und Gerhard Kruip (2008) in einer für Gleichmacherei unverdächtigen Zeitschrift. Das Versagen resultiert aus dem mehrgliedrigen Schulsystem, sofern es auf Auslese beruht19. Zu den Versagern zu gehören, heißt Dauerarbeitslosigkeit, Hartz IV usw. und die Gewissheit, an vielen Dingen, die unsere Gesellschaft bietet, nicht teilnehmen zu können. Das wissen die Jugendlichen, und das sind keine motivierenden Faktoren. Systemische bzw. strukturelle Schwierigkeiten werden dann als individuelle Leistungs- und Motivationsdefizite gewertet, punktuelle Erfolge werden dagegen dem System zuDenkbar ist ein mehrgliedriges System, in welchem Schüler nicht wegen Versagens zurückbleiben, sondern wegen guter Leistungen aufsteigen können, ein System, das an markanten Stellen mit einem Abschluss verlassen werden kann, ein Abschluss mit einer praktischen Bedeutsamkeit.
19
10.1 Ziele und Problemlage
329
geschrieben, wie wiederholt an der Diskussion von PISA und Ländervergleich beobachtet werden konnte. Ein weiterer Grund liegt im Unterrichtsstil: Professionelle Lehrer geben Informationen zur Anregung der Schüler i. S. der Zielsetzung von Lernerfolg und Bildung in das System, das sind Informationen, die geeignet sind, das Interesse der Schüler zu wecken, ihre Bedürfnisse zu treffen, ferner Hinweise auf die erwartete Leistung und den Lernerfolg (Hinweis-Stimuli), die das Lernen anregen, präzise Darbietung der Inhalte und Verständlichkeit, Anleitungen zum Lösungsverhalten. Die entsprechenden Rückmeldungen signalisieren Aufmerksamkeit der Schüler, Mitarbeit, Neugiermotivation. In diesem Punkt unterscheiden sich professionelle und schlechte Lehrer entscheidend: Während unprofessionelle Lehrer dazu neigen, das Interesse, die Motivation und die Leistung von den Schülern zu fordern, geben gute Lehrer den Schülern Unterstützung und ermöglichen ihnen Entscheidungsspielräume. (Laut PISA ist der Unterricht in den Nationen mit geringer Schülerleistung – Deutschland, Polen, Ukraine – dadurch gekennzeichnet, dass überwiegend Forderungen an die Schüler gestellt werden bei gleichzeitig geringer Unterstützung und geringer Förderung (Quelle: MPIB, 2003). Dazu kommt, dass die Schulaufsicht bestimmte Notendurchschnitte zumindest erwartet. Das führt zu der absurden Situation, dass eine Klasse mit vergleichsweise guten Leistungen denselben Notendurchschnitt erhalten soll wie eine Klasse mit relativ mageren Leistungen. Schüler der leistungsstärkeren Klasse werden sich beim Vergleich mit den anderen benachteiligt fühlen. Sie sehen sich ungerecht behandelt. Lehrer, die solche Fehler vermeiden wollen, geraten unter Rechtfertigungsdruck. Das kann zu merkwürdigen Reaktionen führen. So ließ, nach Medienberichten, eine Lehrerin (Bremen) ihre Klasse, die zu 80% aus Migranten-Kindern zusammengesetzt war, Diktate von der Tafel abschreiben, um die Fehlerquote zu senken. Auch andere Tricks, die Statistik zu schönen, um sich nicht rechtfertigen zu müssen, sind bekannt. Eine weitere Quelle für die Wahrnehmung von Störungen des Psychologischen Vertrags bietet der politische Bereich. Wenn Schüler, durch gute Lehrer dazu ausgebildet, an politischen Prozessen teilhaben wollen, zum Beispiel durch Teilnahme an einer Demonstration auf der Straße, kann dieses Vorhaben gestoppt werden, indem just an diesem Tag „von oben“ mittels mündlicher „Empfehlung“ eine schriftliche Leistungsprüfung angesetzt wird20. Eine Jubeldemonstration hätte man wohl erlaubt. Da wird mit einem Schlag eine positive demokratische Einstellung der Schüler, die vorher mühselig aufgebaut worden war, zunichte gemacht. Bei solchen Vorkommnissen erhebt sich die Frage, ob zu den Zielvorstellungen der schulischen Bildung heute noch der mündige, selbst bestimmte, demokratisch denkende Bürger passt. Es sind nicht wenige Jugendliche, die Fragen stellen und derartige Mechanismen durchschauen. Sie sind sensibel für diese Ungerechtigkeit. Die Folgen kann man sich leicht ausmalen.
20
So geschehen am 12.11.08 in der bayerischen Landeshauptstadt.
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10 Disengagement bei Schülern
10.2 Der theoretische Ansatz 10.2 Der theoretische Ansatz Das Lehrer-Schüler-System stellt ein kommunikatives, lernendes System mit reziproken Beziehungen dar. Seine übergeordneten Ziele aus Lehrersicht sind Bildung mit Lernerfolg und Erziehung der Schüler. Die Ziele geben dem System Sinn. Die Schülersicht ist in der Regel nicht grundsätzlich anders als die Lehrersicht, zumindest nicht bei älteren Schülern, wie gut belegt wurde (Abbildung 10.1 und Schmitz, Voreck, Hermann, 2005). Man kann davon ausgehen, dass beide Parteien größtmöglichen Nutzen für sich anstreben, d. h. sie investieren Kosten an Mühe und Aufwand in die andere Partei und erwarten dafür einen entsprechenden Gewinn und Nutzen von ihr. Die jeweiligen Operationen und Erwartungen wirken reziprok. Sie sollten gemäß dem Equity-Prinzip im Rahmen des tauschtheoretischen Paradigmas (Rousseau, 1995) hinsichtlich Kosten und Nutzen für Lehrer und Schüler m. E. „ausgewogen“ und „gerecht“ sein; sind sie es nicht, können Enttäuschung, Frustration und nachlassende Identifikation mit der Schule folgen, die dann in Störungen des Systems resultieren, d. h. in Verhaltensweisen, die typisch für die Innere Kündigung sind, beispielsweise Stören des Unterrichts und Fehlzeiten, etwa durch Schwänzen (Schmitz, Voreck & Hermann, 2005). Aber der Begriff „ausgewogen“ (Equity) gilt hier sichtlich nicht für gleichberechtigte Partner, denn Schüler befinden sich anders als Mitarbeiter eines Betriebes in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis, das für noch formal minderjährige Jugendliche, zumindest unter 18 Jahren, typisch ist. Auf der anderen Seite haben Lehrer ihnen gegenüber einen formalen Erziehungsauftrag und die Verantwortung „von Amts wegen“. Dem gemäß gibt es zwischen Schülern und Lehrern unausgesprochene beidseitige, jedoch unsymmetrische Erwartungen (Mutual Expectations) im Sinne eines informellen Psychologischen Vertrags (Levinson et al., 1962, S. 207). Diese gegenseitigen Verpflichtungserwartungen können unterschiedlich und inkongruent sein (Rousseau, 1995; Hornung, 2005; Schmitz & Voreck, 2008). Beim Abhängigkeitsgefälle von Lehrern und Schülern sind sie es a priori. In diesem Fall können die gegenseitigen Erwartungen nur unter Anerkennung des Abhängigkeitsgefälles ausgewogen sein. Die Investition der Schüler sind – aus Schülersicht – Lernanstrengung, Mitarbeit im Unterricht, Mühe bei den häuslichen Arbeiten, Verzicht auf Freizeit und Engagement für alles, was mit dem Schulbesuch und dem Schulbetrieb zu tun hat. Im Gegenzug erwarten sie in erster Linie Gerechtigkeit. Beispiel: Schüler M hält ein kurzes Referat und bekommt eine kurze Kritik. Anschließend hält Schüler N ein Referat. Als er fertig ist, wendet die Lehrerin ihre Aufmerksamkeit unverzüglich dem dritten Referat zu. In der Eile hat sie Schüler N vergessen. Hier wurde der Psychologische Vertrag verletzt. Als Schüler O für das dritte Referat eine Kritik erhält, ist Schüler N gänzlich enttäuscht. Die Lehrerin hat einen Fehler begangen, der, obwohl oberflächlich unbedeutend, für den betroffenen Schüler schwerwiegend ist. Leider kommt diese Art von Verletzung des Psychologischen Vertrags, von manchen Lehrern nicht bemerkt, oft vor. Weitere bedeutsame Erwartungen sind: Unterstützung bei den Lernprozessen, die Einbettung der schulischen Arbeit in ein emotional angenehmes Unterrichtsklima mit Auflockerungen und Humor sowie Verständnis und Sachkompetenz mit der Fähigkeit
10.3 Untersuchungsgruppe und Datenerhebung
331
der Lehrer, Zusammenhänge verständlich erklären zu können. Das Wichtigste aus Schülersicht ist eine gute, emotionale Lehrer-Schüler-Beziehung (Schmitz et al., 2006). Andere Erwartungen, die hier nicht behandelt werden, richten sich an die Welt der Erwachsenen insgesamt. Die Schüler der vorliegenden Studie befinden sich mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren in einer Lebensphase, in welcher die Erwachsenenwelt, in die sie gerade hineinwachsen, besonders kritisch betrachtet wird. Hier interessiert nur die Seite der Schüler. Das Modell: Vertragsbruch Enttäuschung Disengagement Fördernde Faktoren der Wahrnehmung eines Vertragsbruchs sind neben einigen personalen Faktoren Ungerechtigkeit, mangelnde Unterstützung in schwierigen Situationen, Negativverhalten der Lehrer und ein ungutes Klassenklima.
10.3 Untersuchungsgruppe und Datenerhebung 10.3 Untersuchungsgruppe und Datenerhebung Ein Überblick über die bisherigen Methoden zur Erfassung von Schülererwartungen und Schülerurteilen liegt vor (Schmitz, Voreck, Hermann, Rutzinger, 2005; 2006). Die fraglos sicherste Methode der direkten Beobachtung war wegen mangelnder personaler Ressourcen nicht möglich. Neben der Aufsatzmethode (Terhart, E., Czerwenka, K., Ehrich, K., Jordan, F. & Schmidt, H.J., 1994; Sava, 2002;) und Gruppendiskussionen (Haselbeck, 1999) wurden die Fragebogen- und die Interviewmethoden angewandt (Tausch & Tausch, 1970 u. v. a). Wir fanden, dass die Vorstellungen vom „professionellen“ Lehrer und seinem Verhalten im Vergleich von befragten Schülern und von Lehrern sich nicht unterscheiden; es gab keinerlei statistische Differenzen (Schmitz, Voreck & Hermann, 2005). Das Für und Wider von Aufsatzmethode und Fragebogenmethode hinsichtlich Validität, Wahrnehmungsverzerrung, Ambivalenz von Schülererwartungen (Schunk, 1992) u. a. wurde bereits erörtert (Schmitz et al., 2006). Für die Voruntersuchungen der vorliegenden Studie wurde die Aufsatzmethode gewählt, für die Hauptuntersuchung aus ökonomischen und methodischen Gründen die Fragebogenmethode.
10.3.1 Voruntersuchungen Voruntersuchungen 1: Mehrere Voruntersuchungen wurden durchgeführt mit dem Ziel der Erstellung eines geeigneten Fragebogens zur Erfassung von typischen Schülererwartungen im schuli-
332
10 Disengagement bei Schülern
schen Bereich. Dabei wurde empiriegeleitet vorgegangen. Gespräche mit Schülern anhand von Impulsen in Form von Fragen („Wie wünscht ihr euch das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern?“) brachten die häufigsten Wünsche und Erwartungen, die Schüler an ihre Lehrer haben, zutage. Folgendes wurde oft geäußert:
Gerechtigkeit in der Notenvergabe ist eine zentrale Erwartung. Lehrer sollen den Unterricht interessant gestalten, Lehrer sollen langweilige Themen auflockern, sie sollen Humor haben und über sich selbst schmunzeln können, sie sollen bei Prüfungsvorbereitungen helfen und bei schlechten Noten keine Vorwürfe machen, sondern den Schüler ermutigen. Ferner wünschen sich die Schüler, dass Lehrer gut und geduldig erklären und prinzipiell zu den Schülern halten, Verständnis für die Bedürfnisse der Schüler haben und die Meinungen der Schüler ernst nehmen. Didaktische und methodische Professionalität werden nur am Rande erwähnt. Sie werden offensichtlich als notwendige Fähigkeiten vorausgesetzt, allerdings leider im Widerspruch zur derzeitigen Lehrerausbildung.
Zur weiteren Recherche wurden zahlreiche Schüleraufsätze zu verschiedenen Themen ausgewertet wie z. B.: „Was können Lehrer tun, damit mir das Lernen leichter fällt?“ – „Wie stelle ich mir einen guten Berufsschulunterricht vor?“. Die Ergebnisse deckten sich mit den Erkenntnissen aus früheren Studien (Schmitz et al, 2006). Ferner wurden die Formulierungen von 37 Fragen (Items) in Form von kurzen Fragebögen für Schüler getestet. Es sollte herausgefunden werden, wie die Schüler mit den Items umgehen, ob sinnvolle Ergebnisse möglich sind und ob die Fragestellung überhaupt bedeutsam ist. Voruntersuchungen 2: In einer weiteren Voruntersuchung wurde u. a. geprüft, ob überhaupt Ansätze für die Wahrnehmung von Brüchen des Psychologischen Vertrags zwischen Schülern und Lehrern auffindbar sind. Es wird postuliert, dass in der Wahrnehmung der Schüler das reale Lehrerverhalten gegenüber dem erwünschten Lehrerverhalten abfällt. Erst wenn eine Lücke zwischen realem und erwünschtem Lehrerverhalten nachgewiesen ist, sind die Psychologischen Verträge objektiv gefährdet. Allerdings verbirgt sich in dieser Fragestellung eine methodische Schwierigkeit. Wenn man nämlich Schüler sowohl nach dem realen als auch nach dem erwünschten oder idealen Lehrerverhalten befragt, dürfte das Ergebnis von Anfang an feststehen. Selbstverständlich würde eine Lücke zwischen beidem sichtbar werden. Wenn aber (1) neben den Schülern auch die Lehrer nach aus ihrer Sicht realem und idealem Lehrerverhalten befragt werden, und wenn (2) zwischen dem realen Lehrerverhalten aus Schülersicht und dem angeblichen realen Lehrerverhalten aus Lehrersicht eine Diskrepanz besteht, dann ist die Basis für die Annahme von nicht erfüllten Psychologischen Verträgen objektiv nachgewiesen. Zur Überprüfung der
10.3 Untersuchungsgruppe und Datenerhebung
333
Hypothese der Nachweisbarkeit von Vertragsbrüchen wurden die acht aus Lehrersicht wichtigsten Verhaltenweisen professioneller Lehrer gewählt. Das reale Lehrerverhalten nach Einschätzung durch die Schüler ist stets ganz rechts in der Säule D eingezeichnet. Das reale Lehrerverhalten nach Selbsteinschätzung der Lehrer ist jeweils ganz links unter A eingetragen. In sieben Bereichen ist die Diskrepanz deutlich und statistisch signifikant. Abbildung 10.1: Mittelwerte der Lehrer-Selbsteinschätzungen (Reihung anhand des Idealverhaltens (B), absteigend) und der Schülersicht des Lehrerverhaltens (fünfstufige Skala 1 bis 5).
4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 1
2
3
4
5
6
7
8
A = reales Lehrerverhalten aus Lehrersicht
B = ideales Lehrerverhalten aus Lehrersicht
C = von Lehrern vermutete Erwartungen
D = reales Lehrerverhalten aus Schülersicht
1 = Leistung gerecht bewerten; 2 = faire Klausuren; 3 = Schüler auf Prüfungen vorbereiten; 4 = in schwierigen Situationen ruhig und gelassen reagieren; 5 = Gespür für Probleme der Schüler haben; 6 = Abwechslung im Unterricht; 7 = Spaß verstehen; 8 = über sich selbst lachen können.
In Abbildung 10.1 sind die wichtigsten Verhaltenweisen professioneller Lehrer, die aus den Schülerbefragungen resultieren, dargestellt. Das ideale Lehrerverhalten aus Lehrersicht (B) stimmt weitestgehend mit dem Verhalten überein, das aus Lehrersicht vermutlich ihre Schüler wünschen (C). Dagegen fällt das reale Lehrerverhalten aus eigener Sicht der Lehrer (A) deutlich ab. Den Lehrern ist also mehrheitlich klar, dass sie die Schülererwartungen nicht erfüllen. Ob ihnen damit auch klar ist, dass sie möglicherweise einen Bruch des Psychologischen Vertrags verursachen, kann wohl verneint werden, denn die Voraussetzung für diese Erkenntnis wäre die Einsicht in die Dynamik von Psychologischen Verträgen. Dass ein Psychologischer Vertrag zwischen ihnen und den Schülern existiert und dass diesem Gültigkeit zukommt, dürfte den wenigsten bewusst sein. Ein weiterer Beleg für einen Vertragsbruch ist die Tatsache, dass das reale Lehrerverhalten aus der Sicht der Schüler (D) gegenüber allen anderen Schätzungen deutlich abfällt. Ein erster Beleg für das Vorliegen von Brüchen des
334
10 Disengagement bei Schülern
Psychologischen Vertrags zwischen Lehrern und Schülern ist damit anhand von zwei Hinweisen mit schlüssigen Argumenten und guten Belegen dargetan worden.
10.3.2 Die Hauptuntersuchung Das Ziel der Hauptuntersuchung ist die Klärung der ungefähren Verbreitung von Disengagement incl. Innerer Kündigung bei jugendlichen Schülern und die Beschreibung der Inhalte der Psychologischen Verträge zwischen den Schülern und ihren Lehrern. Endlich sollen typische Differenzen zwischen engagierten und disengagierten Schülern in Bezug auf die Psychologischen Verträge untersucht werden. Die Stichprobe: 520 Schüler/innen, 206 (39,6%) männlich, 314 (60,4%) weiblich, wurden in Berufsschulen anonym befragt (Nach Genehmigung durch die zuständige Schulbehörde). Das durchschnittliche Alter beträgt 18,7 Jahre (Min 16/ Max 27; 15 Schüler sind über 24 Jahre alt; Median: 18,0). Zwei Schulleiter verweigerten die Befragung, während alle anderen an den Ergebnissen interessiert waren. Die Schüler waren offen und kooperativ, sie füllten alle bereitwillig die Fragebögen aus. Neben den demografischen Daten (Alter, Geschlecht) wurden drei Skalen, die theoriegeleitet konstruiert wurden, erhoben. Die Skalen: (1) Die Skala Disengagement (IK) ist aus 8 Items zusammengesetzt, beispielsweise: „Wenn ich mit der Schule aufhören könnte, würde ich sofort aufhören und nur noch arbeiten“, „Ich nutze jede Gelegenheit, um nicht in die Schule zu müssen“, „Ich habe keine Lust mehr auf die Schule“, „Früher habe ich .. besser mitgearbeitet“, usw. (Die internen Korrelationen liegen zwischen 0,19 bis 0,67, die Trennschärfe 0,32 – 0,54, α = 0,70). (2) Die Skala „Enttäuschung“ ist aus drei Items zusammengesetzt: „Meine Erwartungen an die Lehrer werden meist enttäuscht“, „Die Lehrer entsprechen eigentlich meinen Erwartungen“, usw. (Die inneren Korrelationen betragen 0,39 - 0,3, die Korrelationen mit der Skala 0,39 – 0,61, damit ist eine gute Trennschärfe gegeben, α = 0,77). (3) Die Skala „Identifikation mit der Schule“ enthält drei Aussagen wie: „Ich finde es sehr gut, dass ich in diese Schule gehe“, „die Darstellung meiner Schule nach außen ist mir sehr wichtig“. (Interne Korrelationen 0.32 - 0.63, Korrelationen mit der Skala 0.40 - 0.61). Alle Items aller Skalen konnten durch Ankreuzen auf einer fünfstufigen Ratingskala (Likert) beantwortet werden. Schließlich wurden die Schüler nach ihren Erwartungen
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
335
hinsichtlich Gerechtigkeit, Unterrichtsklima, Unterstützung und Förderung sowie nach Erwartungen negativen Verhaltens von Lehrern gefragt und danach, wieweit diese Erwartungen erfüllt werden. Die Auswahl der Fragen (Items) zu den Erwartungen und zur Erfüllung der Erwartungen wurde, ausgehend von den beschriebenen Voruntersuchungen, anhand der größten Häufigkeiten theoriefrei getroffen.
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK) 10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK) 10.4.1 Die Verbreitung des Disengagements (IK) unter Schülern Die Verbreitung von Disengagement bzw. Innerer Kündigung unter Schülern ist in der nachfolgenden Abbildung 10.2 dargestellt. Beide Termini werden hier synonym benutzt. (Statistik: Die Verteilung von Disengagement (Acht-Item-IK-Skala) ist durch einen Mittelwert von 2,78 gekennzeichnet, dem ist der Median mit 2,75 nahe (Standardabweichung. 0,66, Varianz: 0,44, Min/Max. 1,0/5,0; Kurtosis: 0,377, Skewness: 0,307). Die innere Konsistenz der Skala ist mit α = .70 suboptimal. Der Skalenmittelpunkt (Midpoint) liegt bei 5 Ratingstufen auf der 3,0. Für die AchtItem-Skala kann m. E. die Normalverteilung angenommen werden; die Prüfung einer Teilstichprobe von 255 Fällen (ca. 50 % der Gesamtstichprobe) erbrachte keine statistisch bedeutsame Differenz zur Normalverteilung (abs.: 0,076, pos.: 0,076, neg.: -0,041; Kolmogorow-Smirnow Z: 1,22, p = 0.10). Für die doppelt so große Gesamtstichprobe (N = 520) ist die Differenz auf dem 5%Niveau signifikant (abs.: 0,063, pos.: 0,063, neg.: -0,047; K-S Z: 1,45, p = 0.03). Um die Verbreitung des Disengagements (IK) unter Bezug auf die Ratingsstufen anschaulich zu machen, wurde die Verteilung entsprechend gestuft , siehe folgende Abbildung 10.2.).
Abbildung 10.2: Verbreitung von Disengagement (IK) unter Schülern 57,3
60 50 40 27,3
30 20 10
12,5 1,2
1,5
0 1
2
3
4
5
*Anmerkung: Skala aus 8 Items; Ratingstufung: 1=trifft auf gar keinen zu (1,5 %); 2=trifft auf wenige zu (27,3 %); 3=teils – teils (57,3 %); 4=trifft auf die meisten zu (12,5 %); 5=trifft auf alle zu (1,2 % der Schüler/innen). N = 520 Schüler/innen.
336
10 Disengagement bei Schülern
Abbildung 10.2 zeigt, dass 13,7% (das sind die Skalenstufen 4 und 5) der Schüler zu Disengagement (IK) neigen. Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich im Merkmal Disengagement nicht (χ2 = 1,97; df = 1; p < 0,16). 44,7 % der Schüler und 51 % der Schülerinnen haben Disengagement- bzw. IK-Werte unter dem Skalenmittelpunkt der Ratingskala (3,0) angekreuzt. Entsprechend haben 55,3 % der Schüler und 49 % der Schülerinnen Werte über dem Skalenscheitelpunkt angegeben. Die Merkmale Disengagement (IK) und Alter korrelieren nicht (N = 520; ρ = -0,08; p = 0,08).
10.4.2 Disengagement bei weiteren Schülerstichproben Das Ausmaß von Disengagement wurde bei
nicht-deutschsprachigen Berufsschülern, bei Berufsschülern mit Ausbildungsplatz und bei Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz erhoben.
Neben den Erkenntnissen über diese Schülergruppen ist eine Replikation der Befunde zu Disengagement und IK an unabhängigen Stichproben bedeutsam als eine Bestätigung der bisherigen Ergebnisse und als eine Bestätigung der Gültigkeit der IKSkala für Schüler. Drei Items, die als direkte Indikatoren der Inneren Kündigung bei Schülern gelten, und ein Item zur Enttäuschung wurden an drei unabhängigen Schülerstichproben überprüft. Die Gruppe I ist aus 378 Schüler beruflicher Schulen ohne Ausbildungsvertrag zusammengesetzt. 59,8 % sind männlich, das mittlere Alter ist 16,5 (15/19) Jahre, das Alter ist bei Jungen und Mädchen gleich verteilt. 20 % haben einen qualifizierenden Hauptschulabschluss, 22 % haben keinen Abschluss, die übrigen einen Hauptschulabschluss. Über diese Studie wurde berichtet (Doppler, Voreck, Schmitz, 2005). Die Gruppe II ist aus 252 nicht-deutschsprachigen Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz zusammengesetzt. 62,7 % sind männlich, das mittlere Alter ist 16,6 (15/19) Jahre, das Alter ist bei Jungen und Mädchen gleich verteilt. Die Schüler stammen aus 41 Nationen. Nur 8,7 % geben an, in ihrer Familie deutsch und die Muttersprache zu sprechen, die übrigen sprechen dort nur die Muttersprache. Sie leben im Schnitt 9,9 (1 / 19) Jahre in Deutschland, einige sind hier geboren (Schmitz, Doppler, Voreck, 2006). Die Gruppe III ist mit der obigen Gruppe von 520 Schülern identisch. In den folgenden Abbildungen werden die Werte dargestellt. Die IK-Items lauten:
Ich nutze jede Gelegenheit, um nicht in die Schule zu müssen; Wenn ich mit der Schule aufhören könnte, würde ich sofort aufhören und nur noch arbeiten;
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
337
Ich habe keine Lust mehr auf die Schule. Die Rating-Skala ist fünfstufig.
Abbildung 10.3a: Vergleich des Disengagements bei drei Schülergruppen Nutze jede Gelegenheit, um nicht in die Schule zu müssen
nicht-deutschspr BS ohne Ausbildungsplatz BS ohne Ausbildungsplatz
BS mit BS ohne Ausbildungsplatz Ausbildungsplatz
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
BS mit Ausbildungsplatz
nicht-deutschspr BS ohne Ausbildungsplatz
immer
5,6
9,2
5,7
oft
3,8
5
6,2
teils
10,6
11,3
12,8
selten
24,6
20,5
15,9
nie
55,4
54
59,5
Anmerkung: Mittelwerte und Varianz bei nicht-deutschsprachigen Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz: 1,83 (1,46), bei Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz (BS ohne): 1,95 (1,69), bei Berufsschülern mit Ausbildungsplatz (BS mit Ap): 1,79 (1,25). (Rating 1 = nie, ... 5 = immer).
338
10 Disengagement bei Schülern
Abbildung 10.3b: Vergleich von drei Schülergruppen:
Wenn ich mit der Schule aufhören könnte nicht-deutschspr BS ohne BS ohne Ausbildungsplatz BS mit Ausbildungsplatz 0% 10% 2 0% 30% 40% 50 % 60% 70% 80% 90% 100 %
BS mit BS ohne nichtAusbildungspla Ausbildungspla deutschspr BS immer
16,3
28,9
26,7
oft
14,1
12,2
11,3
teils
29
24,8
24,3
selten
19,6
12,7
13,4
21
21,4
24,3
nie
Anmerkung: Mittelwerte und Varianzen bei nicht-deutschsprachigen Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz: 3,03 (2,29), bei Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz (BS ohne): 3,15 (2,24), bei Berufsschülern mit Ausbildungsplatz (BS mit Ap): 2,85 (1,81). (Rating 1 = nie, ... 5 = immer).
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
339
Abbildung 10.3c: Vergleiche von drei Schülergruppen:
Ich habe keine Lust mehr auf die Schule nicht-deutschspr BS ohne BS ohne Ausbildungsplatz BS mit Ausbildungsplatz 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90% 100%
BS mit Ausbildungsplatz
BS ohne Ausbildungsplatz
nicht-deutschspr BS ohne
16
19,9
15,7
oft
13,7
8,6
8,4
teils
34,2
24,7
24,1
selten
21,7
12,6
14,1
nie
14,4
34,1
37,8
immer
Anmerkung: Mittelwerte und Varianzen (keine Lust mehr auf die Schule) bei: nicht-deutschsprachigen Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz: 2,50 (2,12), bei Berufsschülern ohne Ausbildungsplatz (BS ohne): 2,68 (2,27), bei Berufsschülern mit Ausbildungsplatz (BS mit Ausbildungsplatz): 2,95 (1,57). (Rating 1 = nie, ... 5 = immer). Die innere Konsistenz der Skala ist für unsere Stichprobe α = 0,70, für Berufsschüler ohne Schulabschluss und ohne Ausbildungsplatz α = 0,72; für Berufsschüler mit qualifizierendem Schulabschluss und ohne Ausbildungsplatz α = 0,68.
Welche Bedeutung haben die in den drei Abbildungen dargestellten Befunde?
In drei Abbildungen weisen drei Aussagen auf Aspekte des Disengagements. Die nicht-deutschsprachigen Berufsschüler ohne Ausbildungsplatz haben die geringsten Werte im Disengagement. Es scheint, als hätten die Migranten tendenziell ihre Chance erkannt, dass sie in der Schule an neue Informationen gelangen, die ihnen beruflich nützen. Dabei sind die Mädchen cleverer als die Jungen (Details Schmitz, Doppler, Voreck, 2006).
340
10 Disengagement bei Schülern Die Schüler mit einem Ausbildungsplatz stimmen am wenigsten der Aussage zu: Wenn ich mit der Schule aufhören könnte, würde ich sofort aufhören und nur noch arbeite. Das ist verständlich, denn sie haben bereits Arbeit und sehen den Unterricht an der Berufsschule in der Regel als Abwechslung. Die stärkste Neigung zum Disengagement (IK) weisen die Schüler ohne Ausbildungsplatz auf; sie haben wohl am meisten resigniert. Bei Schülern ohne Lehrstelle dürfte auch die Angst vor der Zukunft ihre Auswirkungen haben. Es ist möglich, dass die Schüler ohne Ausbildungsplatz sich hilfreiche Informationen von ihren Lehrern erhoffen, um bald eine Lehrstelle zu erhalten. Denn aus den zitierten Studien geht hervor, dass ihr ganzes Streben darauf gerichtet ist, möglichst bald einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Einschränkend gilt allerdings: Der Prozentsatz der Ausbildungsverweigerer ist nicht gering. 11 % der nicht-deutschsprachigen Schüler lehnt eine Lehrstelle ab (hier nicht abgebildet). Ein Grund liegt darin, dass sie in der Regel im elterlichen Betrieb bzw. bei Verwandten arbeiten sollen oder wollen (siehe Schmitz, Doppler und Voreck, 2006).
Die Theorie besagt, dass Enttäuschung der Wahrnehmung eines Bruchs des Psychologischen Vertrags folge und dem Disengagement voraus gehe. In Abbildung 10.4 werden die Werte für Enttäuschung (ein Item) mitgeteilt.
BS mit Ausbildungsplatz
Abbildung 10.4: Vergleich der Schülergruppen hinsichtlich Enttäuschung
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90% 100%
BS mit Ausbildungsplatz
BS ohne Ausbildungsplatz
nicht-deutschspr BS ohne
immer
12,5
13,9
13,7
oft
16,3
13,1
12,8
teils
31,9
27,6
31,1
selten
25,8
15,9
18,1
nie
13,5
27,3
26,4
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
341
Die nahezu völlige Übereinstimmung der beiden Gruppen ohne Ausbildungsplatz bezüglich der Enttäuschung fällt auf. Ein Viertel von ihnen gibt an, von ihren Lehrern nie enttäuscht worden zu sein; das deutet auf die Bedeutung, welche die Schüler den Lehrern beimessen. Bei den Schülern mit Lehrstelle sind es dagegen nur 13,5 %. Offenkundig wird der Status, ohne Ausbildungsplatz zu sein, nicht den Lehrern angelastet. Bezüglich der Skalen ist festzustellen: Die gute Übereinstimmung der Befunde dieser zwei Replikationsstudien an Schüler-Randgruppen ohne Lehrstelle bestätigen die Gültigkeit (Validität) der IK-Skala für Schüler im Sinne einer Validierung an Extremgruppen.
10.4.3 Gründe für ein Disengagement: Nicht-Erfüllung von Erwartungen Der Psychologische Vertrag wird als unausgesprochenes beidseitiges Erwartungsmuster definiert (Levinson, 1962, S. 207), dabei sind unterschiedliche Verpflichtungserwartungen möglich (Rousseau, 1995). Hier interessieren nur die Erwartungen und ihre Realisierung aus der Sicht der Schüler. Eine Auflistung der Schüler-Erwartungen vermittelt einen Eindruck von den Inhalten des Psychologischen Vertrags hinsichtlich der Verpflichtungen der Lehrer aus Schülersicht. Bei Anwendung des Prinzips der Reziprozität geht es theoretisch darum, ob und wieweit Erwartungen aus Schülersicht erfüllt werden. Die Nicht-Erfüllung von Erwartungen wird als Bruch des Psychologischen Vertrags gewertet. Hier wird also der empirischen Frage nachgegangen, ob die Psychologischen Verträge in der Sicht der Schüler vom Lehrpersonal erfüllt werden oder nicht. In Tabelle 10.1 werden die Inhalte des Psychologischen Vertrags und ihre Realisierung mitgeteilt. Die praktische Bedeutung ihrer Realisierung ist an der absoluten Differenz und an den relativen Effektstärken ersichtlich. Tabelle 10.1: Schüler-Erwartungen und deren Erfüllung Geordnet nach den relativen Effektstärken** (rechte Spalte). Item Item-Inhalt Nr Ich erwarte von meinen Lehrern/innen, dass sie...
Mittelwerte Erwartet
Erfüllt
abs. Differenz
p
relative ES in %
1
... gerecht sind
4,75
2,46
2,29
.000
45,8
9
... nicht gleich ausflippen/schimpfen.
4,35
2,50
1,85
.000
37,0
5
... den Unterricht abwechslungsreich gestalten
4,55
2,91
1,64
.000
32,8
14 ... einem etwas gut erklären können.
4,71
3,19
1,52
.000
30,4
12 ... faire und gerechte Noten geben.
4,67
3,24
1,43
.000
28,6
10 ... mir helfen, meine Noten zu verbessern.
4,43
3,01
1,42
.000
28,4
342
10 Disengagement bei Schülern
Fortsetzung von Tabelle 10.1 Item Item-Inhalt Nr Ich erwarte von meinen Lehrern/innen, dass sie...
Mittelwerte
abs. Differenz
p
relative
Erwartet
Erfüllt
4,61
3,21
1,40
.000
28,0
13 ... alle Schüler gleich behandeln
4,60
3,24
1,36
.000
27,2
... Verständnis haben, wenn ich nicht gut drauf 17 bin
4,00
2,74
1,26
.000
25,2
11 ... meine Meinung ernst nehmen
4,59
3,36
1,23
.000
24,6
4
... im Unterricht auch mal Spaß mitmachen.
4,59
3,37
1,22
.000
24,4
7
... mich loben, wenn ich mich anstrenge.
3,87
2,68
1,19
.000
23,8
2
... merken, wenn ich mich anstrenge.
4,32
3,17
1,15
.000
23,0
18 ... geduldig sind.
4,23
3,18
1,05
.000
21,0
3
... uns Wichtiges für das Leben beibringen
4,12
3,14
0,98
.000
19,6
8
... uns mitbestimmen lassen.
4,21
3,28
0,93
.000
18,6
15 ... immer gut drauf sind.
3,58
2,88
0,70
.000
14,0
16 ... erreichbar sind (Telefon, Email etc.).
2,22
1,92
0,30
.000
6,0
6
... faire Schulaufgaben stellen.
ES in %
Anmerkung: Rating für Erwartungen: 1=stimmt gar nicht; 2=stimmt eher nicht; 3=teils – teils; 4=stimmt meist; 5=stimmt genau; Rating für Erfüllung: 5=trifft auf alle zu; 4=trifft auf die meisten zu; 3=teils – teils; 2=trifft auf wenige zu; 1=trifft auf gar keinen zu. N = 520. Wilcoxon Matched-Pairs Signed-Ranks Test.(z-Werte siehe im Download). ** relative Effekte ab 5% gelten als bedeutend, ab 10% als sehr bedeutend.
In Abbildung 10.5 sind die Differenzen von Erwartungen und deren Erfüllung sichtbar. Die einzelnen Items (Aussagen) sind Tabelle 10.1 zu entnehmen. Diese Tabelle und Abbildung 10.5 verdeutlichen, (1) dass die Erwartungen der Schüler hauptsächlich die Lehrer-Schüler-Beziehung betreffen, und (2), dass sie mit Ausnahme von ERW16 recht sind. Auf der fünfstufigen Skala liegen sie fast alle auf den Stufen vier und fünf. Das bedeutet, dass diese Erwartungen von den Schülern als sehr bedeutsam betrachtet werden. Das ist ein Grund, diesen Erwartungen eine hohe Validität zuzusprechen. Die als unwichtig eingestuften Erwartungen wurden gar nicht in den vorliegenden Kanon der 18 Erwartungen aufgenommen. Außerdem zeigen die Zahlen, dass aus der Sicht der Schüler keine ihrer Erwartungen völlig erfüllt wird. Man könnte bei Berücksichtigung der Streuung folgern, dass wohl nur wenige Schüler ihre Erwartungen als erfüllt ansehen und/oder bei einigen Schülern die wahrgenommenen Differenzen sehr groß sein müssen. Die Erwartungen beziehen sich mehrheitlich auf das Lehrerverhalten. Aber es gibt auch prinzipielle, an die Institution Schule gerichtete Erwartungen, beispielsweise jene, etwas Wichtiges für das Leben lernen zu wollen. Die
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
343
älteren Schüler bemängeln, dass in der Schule vieles nicht gelehrt wird, was man im Leben benötigt. Diese Tendenz zeigen verstärkt Schulen im Einzugsgebiet schwächerer Familien. Beispiel: In nahezu allen Berufen benötigt man Wissen über Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber das wird nur in wenigen Zweigen rudimentär gelehrt. Die Gesetze des logischen Argumentierens, die in allen Lebensbereichen benötigt werden, erscheinen in keinem Lehrplan. Gleichzeitig bemängeln fast alle Ausbilder, dass die jungen Leute nicht denken können (vgl. dazu die wichtigen Untersuchungen von Astleitner et al., 2002). Auch gibt es naturwissenschaftliche Fächer, aber das rationale, naturwissenschaftliche Denken wird nicht gelehrt. Den Schülern wird nicht einmal beigebracht, die richtigen Fragen zu stellen. Ein Beweis für diese Mängel liegt in der Tatsache, dass noch heute viele Menschen glauben, ihr Leben würde entscheidend durch die Sterne beeinflusst. Es wäre leicht und für viele Schüler sehr spannend, etwas über das Bewältigen von sozialen und von anderen Konflikten anwendungsfähig zu lernen. In Bezug auf die genannten und auf viele andere Felder kann man die Institution Schule nicht vom Vorwurf des Versagens entlasten. Allerdings gibt es zumindest im Bereich der beruflichen Schulen in den letzten Jahren Tendenzen, die in Richtung selbstständiges Arbeiten und logisches Denken gehen. Als Stichworte seien Lernfelder und handlungsorientierter Unterricht genannt. Abbildung 10.5: Erwartungen und deren Erfüllung
Erwartungen und deren Erfüllung 5 4 3 2 1 ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ERW ER W 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Erwartung Anmerkung: Mittelwerte, fünfstufige Ratingskala, N = 520.
Abbildung 10.5 und Tabelle 10.1 vermitteln anhand der relativen Effektstärken (rechte Spalte) und der größten Diskrepanzen von Erwartung und deren Erfüllung einen Eindruck davon, wo sich die Schwachstellen der Lehrer aus Schülersicht befinden. Bei Item 1 „Gerechtigkeit“ zeigt sich die größte Lücke. Die Erwartung von Gerechtigkeit und die Erfüllung dieser Erwartung klaffen weit auseinander; die Lücke beträgt 45,8% der Skala! Damit korrespondiert Item 6 „faire Schulaufgaben“. Auch Item 12 (gerechte
344
10 Disengagement bei Schülern
Noten) passt dazu. Doch es ist schwierig, in Tabelle und Abbildung eine Struktur zu erkennen. Deshalb wurde eine Faktorenanalyse gerechnet. Das Ziel einer Faktorenanalyse ist es, die Vielzahl der Beziehungen der Merkmale untereinander auf eine kleinere Zahl von übergeordneten Merkmalen zu reduzieren. Die Faktorenanalyse resultiert in vier Faktoren bezüglich der Diskrepanzen von Erwartungen und deren Erfüllung: (1) Unterstützung der Schüler durch die Lehrer, (2) Gerechtigkeit bei Behandlung der Schüler und Notengebung, (3) negatives bis aggressives Lehrerverhalten und (4) ein harmonisches Klassenklima. Der Datenpool ist aus 22 Items zusammengesetzt:
Faktor 1 ist aus 7 Items zusammengesetzt, die sich auf die Erwartungsdiskrepanzen hinsichtlich Unterstützung der Schüler durch die Lehrer beziehen: Lehrer helfen, die Noten zu verbessern, können gut erklären, merken, wenn man sich anstrengt, geben Rückmeldungen, gestalten den Unterricht abwechslungsreich. Faktor 2 ist aus 4 Items zusammengesetzt, welche die Erwartungsdiskrepanzen in puncto Gerechtigkeit betreffen: Lehrer geben faire und gerechte Noten, behandeln alle Schüler gleich usw. Faktor 3 ist aus 5 Items zusammengesetzt, die auf Erwartungsdiskrepanzen hinsichtlich des Vermeidens und Nicht-Auftretens negativen Lehrerverhaltens bezogen sind: Lehrer „flippen nicht gleich aus“, schimpfen nicht usw., sind nicht ungerecht, ungeduldig, ihnen sind die Noten nicht gleichgültig. Faktor 4 enthält 6 Items, die Erwartungsdiskrepanzen in Hinsicht auf ein besonders harmonisches Klima kennzeichnen: unsere Lehrer sind immer gut drauf, immer erreichbar (Telefon), geduldig, lassen uns mitbestimmen (z. B. Schulausflug). Faktorenanalyse: Zum Zweck eines besseren Einblicks in die Struktur der Erfüllung der Erwartungen der Schüler wurde eine explorative, d. h. theoriefrei und ohne Voreinstellungen, Faktorenanalyse (Hauptkomponenten-Analyse, Varimax Rotation, Eigenwerte > 1, Kaiser Normalisierung) der Werte der Erfüllung der Erwartungen gerechnet. Sie reduzierte diese auf vier Komponenten (57% Varianzaufklärung). Nachfolgend werden die Statistiken der vier Faktoren zusammengefasst.
10.4 Verbreitung und Begründung des Disengagements (IK)
345
Tabelle 10.2: Kennwerte der rotierten Hauptkomponentenlösung (K1 Unterstützung, K2 Gerechtigkeit, K3 negatives Lehrerverhalten, K4 harmonisches Klassenklima)
Kennwert/ Komponente
K1
K2
K3
K4
Anzahl Items Eigenwert Varianzaufklärung Ladungen Mittelwert Inter-Item-Korr. Cronbachs Alpha
7 6,0 17,82% 0,77-0,45 3,07 0,42 .84
4 3,6 14,83% 0,71-0,58 3,34 0,38 .71
5 2,5 13,16% 0,70-0,54 2,67 0,30 .69
6 1,4 8,47% 0,75-0,69 2,87 0,35 .76
Nachdem die Anzahl der Merkmale reduziert wurde, kommen die tragenden Themen der Schülererwartungen deutlich ans Licht. Zu beachten ist die relative Effektstärke (ES). Tabelle 10.3: Bereiche von Schülererwartungen und deren Erfüllung Item-Bereich
Mittelwerte Diskrepanz: z Signif. relative p ES in % Erwartet Erfüllt Differenz Negativverhalten 4,33 2,67 1,66 -19,33 0,000 33,2% Unterstützung 4,46 3,06 1,40 -19,18 0,000 28,0% Gerechtigkeit 4,47 3,34 1,13 -18,48 0,000 22,6% Harmonie 3,79 2,86 0,93 -17,46 0,000 18,6% *Anmerkung:fünfstufiges Rating für Erwartungen und deren Erfüllung. N = 520. Wilcoxon Matched-Pairs Signed-Ranks Test.(z-Werte) für verbundene Stichproben, relative Effekte ab 5% gelten als bedeutend, ab 10% als sehr bedeutend.
Die höchste Effektstärke weist das Negativverhalten der Lehrer auf mit 33,2%. Das heißt, dass zwischen dem Wunsch der Schüler, die Lehrer mögen nicht ungeduldig sein, nicht immer gleich „ausflippen“, respektlose Bemerkungen machen, schimpfen und schreien etc. einerseits und andererseits der Realisierung dieses Wunsches eine Lücke klafft, die 1/3 der fünfstufigen Skalenbreite ausmacht. Dabei darf nicht vergessen werden, dass ein Recht auf gewaltfreie Erziehung die gesetzlich vorgeschriebene Norm ist (Details bei Schmitz et al., 2006). Die Nicht-Erfüllung von Erwartungen bezüglich Gerechtigkeit ist ein anderer sicherer Indikator für den Bruch des Psychologischen Vertrags zwischen Schülern und Lehrern. Die beabsichtigte ungerechte Benotung bzw. Beurteilung der Leistung eines Schülers bewirkt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Minderung seines Aufwandes an
346
10 Disengagement bei Schülern
Engagement, an Mühe, Arbeit und an Investition. Damit wird vorsätzlich ein Ungleichgewicht (Inequity) im Sinn der Theorie des sozialen Austauschs zwischen dem Schüler und der Lehrkraft hergestellt. Dieses Lehrerverhalten ist also objektiv ein Vertragsbruch. Entsprechendes gilt für ungerechte und ungerechtfertigte Bemerkungen und für das negative Lehrerverhalten insgesamt: Angefangen von der langweiligen Unterrichtsstunde einer schlecht vorbereiteten Lehrkraft, ihre unverständlicher Erklärungsversuch eines Sachverhaltes, die Ungleichbehandlung von Schülern, und anderes mehr. Das sind deshalb Vertragsbrüche, weil die Lehrkraft sichtbar und beobachtbar ihre Investition an Vorbereitungsarbeit für den Unterricht nicht geleistet hat. Ertappte Lehrkräfte, zur Rede gestellt, suchen sich durch die Ausrede zur verteidigen, die Schüler hätten auch nicht den Lehrer-Erwartungen entsprochen, indem sie sich zu wenig vorbereitet, zu wenig mitgearbeitet hätten, oder den Unterricht gestört hätten. Damit erklären sie nichts anderes, als dass sie Gleiches mit Gleichem vergelten. Dagegen ist es ihre Pflicht, pädagogisch zu handeln und sinnvoll mit den Techniken der Motivierung und der Verhaltensänderung zu arbeiten, nicht zuletzt, da sie dafür bezahlt werden. Doch ein Lernen mit Lust und Neugier ist in vielen Schulen eine Illusion. Manchmal kann das Verhalten jener, die für die schulischen Belange verantwortlich sind, nicht einfach als Vertragsbruch gegenüber den Schülern klassifiziert werden, vielmehr muss es nicht anders denn als fahrlässig bezeichnet werden. Ein Beispiel: Im Zuge der Umstellung auf das G8-Gymnasium wurde berichtet, dass an einer Schule zehnjährigen Schülern zweimal pro Woche neun Schulstunden Unterricht zugemutet wurde, die dazu Hausaufgaben, beispielsweise Lernen von Lateinvokabeln, zu erledigen hatten. An „Kleinigkeiten“ wie die, dass nach dem Unterricht kein Schulbus mehr fuhr, war erst gar nicht gedacht worden. Weitere Unzumutbarkeiten kamen hinzu. In der Folge stellten sich bei vielen Schülern Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche ein. Für viele war ein Leben ohne Medikamente kaum noch möglich. Die Lage war durch eine Dauerbelastung für beide Parteien, Lehrer und Schüler, gekennzeichnet. Entsprechend rauer wurde der Ton. Für viele Schüler wurde die Schule ein Ort der Kränkungen. Anstatt den Lehrplan an die neue Situation anzupassen und zu kürzen, wurde er ohne Rücksicht auf die körperliche und seelische Gesundheit der Schüler durchgezogen. Man darf das ein subkriminelles Verhalten der Verantwortlichen nennen. Auch andere Beispiele unzumutbarer Zustände in Schulen sind bekannt. Die Frage tut sich auf, wie die bundesweit besten Schülerleistungen zustande kommen. Oft werden Konzentrationsschwäche und Fettleibigkeit vieler Schüler beklagt. Als wichtige Ursachen werden häufiges Fernsehen und Computerspielen genannt. Die Ursache wird damit dem Elternhaus zugeschoben. Die eigentliche Ursache wird verschwiegen: Wenn es zutrifft, dass der Bewegungsdrang des jüngeren Menschen vergleichsweise einen Fußmarsch von täglich 30 km erfordert (Müller-Limroth), dann ist zumindest eine Ursache für die oft beklagte Unruhe, für Fettleibigkeit und für den Mangel an Konzentration erkennbar. Diese Ursache liegt u. a. darin, dass in den
10.5 Engagierte und disengagierte Schüler
347
Schulen kaum die Möglichkeit für ausreichende Bewegung vorhanden ist. Kaum zu glauben, aber manche Schulen haben keinen Sportlehrer. An manchen Schulen gibt es nicht einmal eine Sport- oder Turnhalle. Bei Bedarf fallen vielerorts zuerst die Sportstunden aus. Das ist ein unglaublich verantwortungsloser Umgang mit den anvertrauten jungen Menschen und gleichzeitig eine Ursache für selbst erzeugten Stress für diese und für die Lehrer. Die Merkmale Gerechtigkeit, Verständlichkeit des Erklärens von Zusammenhängen und das Merkmal Geduld haben sich bereits in früheren Studien als zentrale Merkmale aus Schülersicht erwiesen (beispielsweise Schmitz, Voreck, Hermann, 2005; Schmitz et al., 2006). Es ist bemerkenswert, dass in unterschiedlichen Studien wiederholt die gleichen oder doch sehr ähnlichen Erwartungen und Wünsche bzw., je nach Perspektive, Klagen und Kritik aus Schülersicht gefunden wurden. Diese replizierten, empirischen Befunde scheinen auf die akademische Pädagogik wenig Eindruck zu machen. Auch im Vorbereitungsdienst spielen sie eine eher untergeordnete Rolle.
10.5 Engagierte und disengagierte Schüler 10.5 Engagierte und disengagierte Schüler Erleben die disengagierten Schüler die Schule anders als die engagierten? Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Zwecks Vergleichs wurde die Gesamtheit der Schüler am Skalenscheitelpunkt (Midpoint) der Ratingskala der Inneren Kündigung in die Gruppe der vorwiegend Engagierten und die Gruppe der zum Disengagement neigenden Schüler geteilt. Vorher muss geprüft werden, ob die Schüler mit Hilfe der theoretisch angenommenen prognostischen Variablen den Gruppen korrekt zugeordnet werden können.
10.5.1 Die Prüfung der Gruppenzugehörigkeit der Fälle Im theoretischen Erklärungsansatz, der in Kapitel 10.2 dargestellt wurde, liegen die unmittelbaren Ursachen des Schüler-Disengagements (IK) in der Wahrnehmung von Brüchen der Psychologischen Verträge. Die Vertragsbrüche sind in der geringen Realisierung von Erwartungen durch die andere Partei, hier die Lehrer, manifestiert. Diese beziehen sich auf das negative Lehrerverhalten, auf wahrgenommene Ungerechtigkeit, geringe Unterstützung und schlechtes Klassenklima. Die unmittelbaren Folgen, die schließlich eine Innere Kündigung bewirken, sind die Enttäuschung und eine abnehmende Identifikation mit der Schule. Ein guter Beleg für diesen Zusammenhang bestünde darin nachzuweisen, dass die Fälle mit hoher Erwartungsrealisierung hinsichtlich Gerechtigkeit, Unterstützung, gutem Klassenklima und gutem Lehrerverhalten sowie mit hoher Identifikation und mit geringer Enttäuschung der Gruppe der Engagierten zugeordnet werden können und die anderen Fälle mit umgekehrt geringer Erwartungsrealisierung, geringer Identifikation und mit hoher Enttäuschung der
348
10 Disengagement bei Schülern
Gruppe der IK-Personen. Folglich interessiert uns, wie genau die 520 Schüler den beiden Gruppen der engagierten und der disengagierten Schüler eingegliedert werden können. Mittels einer Diskriminanzanalyse wird ein Individuum aufgrund der Ausprägung seiner Merkmale einer der beiden Gruppen zugeordnet. Entscheidend dabei ist die gute Trennfähigkeit der Merkmale. Diese ist vor Durchführung der Diskriminanzanalyse keineswegs klar. Das Ziel ist es also, dass die Werte der Diskriminanzfunktion beide Gruppen möglichst gut trennen. Von den 520 Schülern wurde ein Fall von der Analyse ausgeschlossen, weil eine der diskriminierenden Variablen fehlte. Die Zwischenergebnisse wie beispielsweise die Mittelwerte und deren Standardabweichungen der Gruppen so wie die Covarianzen und die Korrelationskoeffizienten innerhalb der Gruppen interessieren hier nicht. Eine einfache Varianzanalyse mit Wilks’ Lambda (univariates F-ratio mit 1/519 Freiheitsgraden) ergibt für jedes Merkmal einen hoch signifikanten Unterschied (p < 0,000) zwischen den Gruppen. Einige Merkmale wurden bei schrittweiser Analyse im letzten Analyseschritt wegen suboptimaler Trennfähigkeit nicht mehr berücksichtigt. In der zusammenfassenden Tabelle verbleiben die Merkmale Gerechtigkeit, Enttäuschung und Identifikation mit der Schule. Das bedeutet lediglich, dass diese Merkmale für eine statistisch bedeutsame Zuordnung der Fälle der Stichprobe zu den beiden Gruppen genügen; es bedeutet nicht, dass die anderen aufgeführten Merkmale etwa ihre theoretische Bedeutung zur Erklärung der Inneren Kündigung verlören. Tabelle 10.4: Zusammenfassende Tafel Merkmal Identifikation Enttäuschung Gerechtigkeit
1 2 3
Wilks’ Lambda 0 ,774 0,748 0 ,741
Signifikanz 0,0000 0,0000 0,0000
Tabelle 10.5: Canonische Diskriminanzfunktionen Eigen Canonische Wilks’ λ wert Korrelation 0,35 0,51 0,711 78,23 % der Fälle korrekt zugeordnet
χ2 153,55
df
Signif.
3
0,0000
Die mittleren Werte der Diskriminanzfunktion nach schrittweisem Vorgehen trennen die Gruppen gut, wie die Tabelle zu den canonischen Diskriminanzfunktionen ausweist. Insgesamt wurden 78,23 % der Fälle einer der beiden Gruppen korrekt zugeordnet. Das bedeutet, dass nahezu 80 % der Schüler der Stichprobe den beiden Gruppen der Engagierten und der IK-Schüler mit Hilfe der sieben genannten Merkmale bis auf einen Fall sehr korrekt zugeordnet werden können. Da hier nur statistische Trends zur Frage stehen und Einzelfalldiagnosen nicht angestrebt werden,
10.5 Engagierte und disengagierte Schüler
349
darf toleriert werden, dass nicht alle Fälle eindeutig zugeordnet werden. Durch Einschluss der Variablen Zufriedenheit kann die korrekte Zuordnung der Fälle auf 89,5 % verbessert werden. Der Einschluss dieser Variablen ist allerdings nur sinnvoll, wenn angenommen werden darf, dass infolge von Enttäuschung und mangelnder Gerechtigkeit die Zufriedenheit abnimmt. Das wird im Fall der Identifikation seit den Anfängen der Forschung zur IK angenommen (z. B. Kanungo, 1982). Der Befund bedeutet ferner, dass mit der Unterscheidung von disengagierten IK-Schülern und engagierten Schülern eine statistisch gut begründete Unterscheidung gefunden wurde, mit der sinnvoll weiter gearbeitet werden kann Im Folgenden kann nun geprüft werden, ob die weiteren theoretisch bedeutsamen Variablen in den beiden Schülergruppen unterschiedliche Ausprägungsgrade aufweisen. Die in beiden Gruppen unterschiedlichen Ausprägungsgrade würden wichtige Hinweise für die Beschreibung der Gruppe der engagierten Schüler als auch für die der disengagierten Schüler geben.
10.5.2 Die Erwartungen der engagierten und der disengagierten Schüler Zum Vergleich kamen die 18 Erwartungen der Schüler an ihre Lehrer, die bereits oben besprochen wurden: Ich erwarte von meinen Lehrern/Lehrerinnen, dass ... (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18)
sie gerecht sind, sie merken, wenn ich mich anstrenge, sie uns Wichtiges für das Leben beibringen, sie im Unterricht auch mal Spaß mitmachen, sie den Unterricht abwechslungsreich gestalten, sie faire Schulaufgaben stellen. sie mich auch mal loben, wenn ich mich anstrenge, sie uns mitbestimmen lassen, sie nicht gleich ausflippen/schimpfen, sie mir helfen meine Noten zu verbessern, sie meine Meinung ernst nehmen, sie faire und gerechte Noten geben sie alle Schüler gleich behandeln, sie einem etwas gut erklären können (z.B. Mathe, Theorie, etc.), sie immer gut drauf sind, sie erreichbar sind (Handy, Email, Telefon), sie Verständnis haben, wenn ich mal nicht gut drauf bin, sie geduldig sind.
350
10 Disengagement bei Schülern
Statistik der Verteilung: Die Verteilung der IK (8 Item-Skala) weicht von der Normalverteilung nur wenig ab. Der Vergleich einer Teilstichprobe von 255 Fällen (50%) mit der Normalverteilung nach Kolmogorov-Smirnov brachte minimale Differenzen (abs.. 0,08, neg.: -0,04; K-S Z = 1,22, p = 0.10). Bei einer kleineren Stichprobe von 155 Fällen (ca. 30%) gibt es keine Differenzen (abs.: 0,08, pos.. 0,08; neg.: -0,08, K-S Z = 0,98, p = 0.29). Doch der Vergleich der gesamten Stichprobe mit der Normalverteilung weist eine noch signifikante Abweichung auf (abs: 0,06; pos.: 0,06, neg.: -0,05, K-S Z = 1,45, p = 0.03). Um einem strengen Maßstab zu genügen, werden wir deshalb beim Vergleich von engagierten und IK-Schülern in der Regel mit non-parametrischen Tests arbeiten. Diese Wahl der Testung wirkt sich auf die Signifikanzwerte nur bedingt aus. Die entscheidenden Werte sind ohnehin die Differenzen und die Effektstärken. Tabelle 10.6: Vergleich von engagierten und disengagierten Schülern bezüglich der Höhe der Erwartungen an Lehrer und Schule
Merkmal
Mittelwerte
Differenz Signif. p Engag. Diseng.
ERW1 ERW2 ERW3 ERW4 ERW5 ERW6 ERW7 ERW8 ERW9 ERW10 ERW11 ERW12 ERW13 ERW14 ERW15 ERW16 ERW17 ERW18
4,77 4,32 4,25 4,58 4,55 4,62 3,99 4,13 4,31 4,43 4,61 4,70 4,57 4,73 3,55 2,36 3,96 4,20
4,74 4,33 4,00 4,59 4,55 4,60 3,75 4,28 4,39 4,42 4,58 4,65 4,63 4,69 3,60 2,98 4,03 4,26
0,03 0,01 0,25 0,01 0,00 0,02 0,25 0,15 0,08 0,01 0,04 0,05 0,06 0,03 0,05 0,28 0,07 0,06
0,49 0,89 0,01 0,88 0,96 0,74 0,01 0,06 0,30 0,84 0,56 0,37 0,38 0,55 0,64 0,01 0,44 0,49
Anmerkung: (1 = stimmt gar nicht....5 = ja, stimmt genau) In den Erwartungen an die Lehrkräfte unterscheiden sich die engagierten und die disengagierten, innerlich kündigenden Schüler in der Regel nicht statistisch signifikant.
10.5 Engagierte und disengagierte Schüler
351
Die Differenzen sind völlig unbedeutend. Ausnahmen bilden die Aussagen: (3) Ich erwarte von meinen Lehrern/Lehrerinnen, dass... sie uns Wichtiges für das Leben beibringen, (7) dass sie mich auch mal loben, wenn ich mich anstrenge, (16) dass sie erreichbar sind (Handy, e-mail, Telefon). Allerdings sind die Erwartungen zu (16) relativ niedrig und die Diskrepanzen nicht hoch. Die relative Effektstärke, bezogen auf die Differenz, ist jedoch mit 5,6% nicht unbedeutend! Die disengagierten Schüler möchten ihre Lehrer etwas häufiger erreichen können, wenn sie sich an sie wenden wollen. Das zeigt, dass sie die Lehrer – oder zumindest einige von ihnen – als wichtig für ihr Leben erachten und dass sie ihnen ein gewisses Vertrauen entgegenbringen. Dass genau dieses auf die Disengagierten stärker zutrifft als auf die Engagierten, ist ein wichtiger Hinweis: Jene suchen offenkundig in schwierigen Situationen jemanden, an den sie sich wenden können. Leider sind bei weitem nicht alle Lehrkräfte für ihre Schüler außerhalb des Unterrichts erreichbar. Dass ihnen Wichtiges für ihr Leben vermittelt werde, erwarten die Disengagierten deutlich weniger als die Engagierten. Insgesamt gesehen haben die disengagierten Schüler Erwartungen in gleicher Höhe an die Lehrer wie die engagierten Schüler. Die möglicherweise auftretende Vermutung, dass die disengagierten Schüler überhöhte Erwartungen im Vergleich zu den engagierten haben, kann nicht bestätigt werden.
10.5.3 Realisation der Erwartungen bei engagierten und disengagierten Schülern Bei Anwendung des Prinzips der Reziprozität geht es darum, ob und wieweit die Erwartungen aus Schülersicht realisiert werden. Denn Erfüllung der Erwartungen bedeutet Erfüllung der entsprechenden Psychologischen Verträge, Nicht-Erfüllung bedeutet einen Bruch derselben. Die Aussagen lauten: Meine Lehrer (1) sind gerecht, (2) merken, wenn ich mich anstrenge, (3) bringen uns Wichtiges für das Leben bei, (4) machen im Unterricht auch mal Spaß mit, (5) loben mich, wenn ich mich anstrenge, (6) gestalten den Unterricht abwechslungsreich, (7) stellen faire Schulaufgaben, (8) lassen uns mitbestimmen (z. B. beim Schulausflug, (9) flippen gleich aus/ schimpfen, (10) helfen mir, meine Noten zu verbessern, (11) geben faire und gerechte Noten, (12) behandeln alle Schüler gleich, (13) können einem etwas gut erklären, (14) sind immer gut drauf, (15) sind immer erreichbar (Handy, Email, Telefon), (16) haben Verständnis, wenn ich mal nicht gut drauf bin, (17) ist es egal, welche Noten ich habe, (18) sind geduldig, (19) nehmen meine Meinung ernst. Das Rating: 1 = trifft auf gar keinen zu .... 5 = trifft auf alle zu. Die nachstehende Tabelle zeigt die unterschiedliche Erfahrung bei Engagierten und bei IKSchülern anhand der Mittelwerte und der Rangreihe der mittleren Differenzen.
352
10 Disengagement bei Schülern
Tabelle 10.7: Vergleich von Engagierten und Disengagierten bezüglich der Realisierung der Erwartungen an Lehrer und Schule* (Kruskal-Wallis 1-Way ANOVA) geordnet nach der Differenz. Item 1 Ungerechtigkeit 10 helfen 18 geduldig 7 faire Aufgaben 11 gerechte Noten 19 ernst nehmen 3 bringen Wichtiges bei 12 alle gleich 9 schimpfen 16 Verständnis 13 gut erklären 5 loben Anstrengung 4 im Unterricht Spaß 17 egal (gleichgültig) 2 merken Anstrengung 6 abwechslungsreich 14 immer gut drauf 8 mitbestimmen 15 erreichbar
Mittelwerte Engag. Diseng. 2,27 2,87 3,18 2,63 3,35 2,81 3,37 2,86 3,51 3,02 3,36 2,88 3,29 2,81 3,39 2,92 2,35 2,82 2,88 2,43 3,32 2,90 2,81 2,39 3,48 3,12 2,67 3,01 3,35 2,94 3,01 2,68 2,98 2,65 3,38 3,08 1,99 1,77
Differenz 0,61 0,55 0,54 0,50 0,49 0,48 0,48 0,47 0,46 0,45 0,42 0,42 0,37 0,34 0,33 0,33 0,33 0,29 0,22
Prüfgröße χ2(df = 1) 30,61 34,19 35,07 30,89 25,98 23,53 22,64 18,11 20,79 26,01 22,48 18,97 14,10 8,81 15,72 14,25 11,59 5,36 5,72
Signif p .0002 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0000 .0002 .0030 .0001 .0002 .0000 .0207 .0167
Anmerkung: 1 = trifft auf keinen zu .... 5 = trifft auf alle zu. Kruskal-Wallis, anhand der Differenzen geordnet
Die Tabelle 10.7 liefert deutliche Ergebnisse zu den Realisierungen der Erwartungen an das Lehrerverhalten aus Schülersicht. Die Erwartungen der Engagierten werden auf höherem Niveau erfüllt bzw. realisiert als jene der IK-Schüler. Die Differenzen der Realisierungen sind hoch signifikant. Bei den disengagierten Schülern werden die Erwartungen an die Lehrer deutlich weniger erfüllt als bei den Engagierten. Die größte Differenz von 0,63 und 0,51, das sind 12 bzw. 10% der Ratingskala, zeigt sich in der Realisierung von Gerechtigkeit (Item 1 und 12). Die Gruppe 2 (innerlich gekündigt) ist weniger der Meinung, dass ihre Lehrer alle Schüler gleich behandeln. Die IK-Schüler aus Gruppe 2 (3,25) fühlen sich nicht so unterstützt wie Gruppe 1 (2,78; Item 10). Die anderen Items folgen diesem Bewertungsmuster. Deutlich ist zu erkennen, dass bei allen Items die Disengagierten die Erfüllung ihrer Erwartungen signifikant geringer einschätzen als die engagierten Schüler/innen. Das Ganze ist aber etwas unübersichtlich. Deshalb soll versucht werden, die Ergebnisse übersichtlich zu ordnen. Der beste Weg dazu ist eine explorative Faktorenanalyse, d. h. eine Faktorenanalyse ohne einschränkende Voreinstellungen.
10.5 Engagierte und disengagierte Schüler
353
Obwohl alle Items zur Erwartungsrealisation bereits auf Gruppendifferenzen geprüft worden sind, kann mit den mittels Faktorenanalyse gewonnen Merkmalen Unterstützung, Gerechtigkeit, negatives Lehrerverhalten und harmonisches Klassenklima (siehe oben) eine weitere Prüfung auf Gruppendifferenzen zwischen Engagierten und disengagierten Schülern unternommen werden, um die strukturellen Trends sichtbar zu machen. In Tabelle 10.8 sind die Ergebnisse: Tabelle 10.8: Realisation von Erwartungsclustern Variable
Mittelwerte Diff. Prüfgröße χ2 (df = 1) Engag. IK-Schüler Gerechtigkeit 3,50 2,98 0,52 47,72 Negativverhalten 2,52 3,00 0,48 51,60 Unterstützung 3,20 2,78 0,42 42,36 Harmon. Klima 2,99 2,61 0,38 32,04
Signif. relative p ES % 0,000 10,4 0,000 9,6 .0000 8,4 0,000 7,6
Anmerkung: Variable Gerechtigkeit, negatives Lehrerverhalten, Unterstützung, harmonisches Klassenklima. Kruskal-Wallis.
Abbildung 10.6: Realisation von Erwartungsclustern 5 4 3 2 1 Gerechtigkeit
Negativverhalten Engag.
Unterstützung
Harmon. Klima
IK-Sch
Im Bereich Gerechtigkeit ist die Differenz der Realisierung der Erwartungen zwischen engagierten und disengagierten Schülern sehr bedeutend. Die Differenz macht 10,4% der Skala aus, wie die Effektstärke (linke Spalte) ausweist. Die engagierten Schüler berichten eine bedeutend bessere Realisation ihrer Erwartungen von Gerechtigkeit als die disengagierten Schüler (Lehrer geben gerechte und faire Noten, behandeln alle gleich), d. h. dass die Gerechtigkeits-Erwartungen der disengagierten Schüler bedeutend weniger erfüllt werden als die der engagierten Schüler. Die engagierten Schüler berichten auch über eine bedeutend geringere Realisation der Befürchtung
354
10 Disengagement bei Schülern
negativen Lehrerverhaltens (schimpfen, „ausflippen“, ungeduldig usw.), eine ebenfalls bedeutend bessere Realisation ihrer Erwartungen von Unterstützung durch die Lehrer und eine deutlich bessere Realisation ihrer Erwartungen eines harmonischen Klassenklimas. Damit sind auch die Gründe für das Disengagement vieler Schüler angezeigt: Das Erleben von Ungerechtigkeit, von aggressivem bis „nur“ negativem Lehrerverhalten und von ausbleibender Unterstützung.
10.6 Weitere Vergleiche von engagierten und disengagierten Schülern 10.6 Weitere Vergleiche von engagierten und disengagierten Schülern 10.6.1 Identifikation mit der Schule Die Identifikation mit der Schule, die theoretisch bei den Engagierten höher sein muss als bei den anderen, weil sie eine theoretisch bedeutsame Kontraindikation zum Disengagement darstellt. Beide Merkmale sind mit dem Faktor ρ = -0,56 negativ korreliert. Die Skala zur Identifikation könnte als Teil der Skala zur IK eingeführt werden zum Zweck der Dokumentation einer divergenten Validität der IK-Skala. Wir begnügen uns hier mit der Auswahl von drei wichtigen Items. Die Items lauten: (1) Ich finde es sehr gut, dass ich in diese Schule gehe. (2) Ich fühle mich als Teil dieser Schule. (3) Die Darstellung meiner Schule nach außen ist mir wichtig. In der nachstehenden Tabelle belegen die hoch signifikanten Mittelwertdifferenzen die Richtigkeit unserer Annahme. Die unten stehende Grafik macht die Werte anschaulich. Tabelle 10.9: Identifikation mit der Schule bei Engagierten und IK-Schülern Item 1 finde es gut, in diese Schule zu gehen 2 fühle mich als Teil der Schule 3 Darstellung nach außen ist wichtig
Mittelwerte Engag. IK-Sch. 3,82 2,92 2,72 2,09 2,99 2,30
χ2 Signif. (df = 1) p 0,93 88,62 0,000 0,63 36,95 0,000 0,69 38,19 0,000
Diff.
10.6 Weitere Vergleiche von engagierten und disengagierten Schülern
355
Abbildung 10.7: Identifikation mit der Schule bei Engagierten und IK-Schülern
5 4 3 2 1 Diese Schule
Teil dieser Schule Engag
Darstellung nach außen
IK
10.6.2 Zufriedenheit Das Merkmal Zufriedenheit mit emotionaler Bindung stellt bei hoher Zustimmung, ebenso wie die Identifikation mit der Schule, eine theoretisch bedeutsame Kontraindikation zum Disengagement dar. Zufriedenheit weist eine negative Korrelation ρ = 0,56 zur IK auf. Die Merkmale Zufriedenheit und Disengagement scheinen sich einander auszuschließen. Die Items: F4: Schule macht mir Spaß; F5: Mein Lieblingsfach macht mir Spaß. Tabelle 10.10: Emotionale Bindung an die Schule und an das Fach Nr F4 F5
Item
Mittelwerte Engag. IK Schule macht Spaß 3,27 2,03 Fach macht Spaß 4,42 3,85
Diff 1,24 0,56
K-S z 5,55 2,73
Signif p .000 .000
relative ES 24,8% 11,2%
Anmerkung: (1=stimmt gar nicht....5=ja, stimmt genau), ein vom Schüler genanntes Fach
Die Differenzen sind hoch signifikant. Den Engagierten macht Schule leicht überdurchschnittlich Spaß (F4), den Disengagierten nicht. Die Differenz ist mit einer Effektstärke von 25% auf der Skala sehr bedeutsam. Das Lieblingsfach macht den Engagierten sehr viel Spaß, auch die Disengagierten stimmen deutlich zu, aber die Differenz beträgt 11% auf der Ratingskala.
356
10 Disengagement bei Schülern
10.6.3 Frustration Innere Kündigung und Gefühle von Frustration sind mit einander korreliert (ρ = 0,37 bis 0,46, n = 520 Schüler). Das Merkmal Frustration wurde mit zwei Items gemessen. Ein Item ist auf die Frustration durch die schulische Arbeit bezogen, das andere auf diejenige durch Lehrer: (1) Ich fühle mich durch die Arbeit in der Schule frustriert. (2) Ich fühle mich durch die Lehrer frustriert. Tabelle 10.11: Frustration bei Engagierten und IK-Schülern. Items 1 2
Arbeit Lehrer
Mittelwerte Engag. IK 1,92 2,60 2,10 2,88
Diff. 0,65 0,78
Prüfgröße χ2(df = 1) 38,87 58,42
Signif. p .000 .000
relative ES 13,0% 15,6%
Anmerkung: (1=stimmt gar nicht....5=ja, stimmt genau)
Die disengagierten, innerlich gekündigten Schüler sind hoch signifikant (alle p < 0,000) stärker frustriert als die engagierten Schüler. Besonders durch die Lehrer fühlen sie sich frustriert. Die Differenz macht 15,6% der Skala aus und ist sehr bedeutsam.
10.6.4 Enttäuschung durch die Lehrer Enttäuschung deutet auf die Wahrnehmung eines Bruchs des Psychologischen Vertrags (Inequity). Die Enttäuschung müsste also bei den IK-Schülern deutlich größer sein als bei den engagierten Schülern. Die Korrelation ist positiv (r = .44). Die Items zur Erhebung der Enttäuschung: (1) Meine Erwartungen an die Lehrer werden meist enttäuscht. (2) Die Lehrer entsprechen eigentlich nicht meinen Erwartungen. (3) Ich fühle mich von einigen Lehrern ungerecht behandelt. Tabelle 10.12: Enttäuschungen bei Engagierten und IK-Schülern Items
Mittelwerte Engag Diseng. 1 enttäuscht 2,52 3,33 2 entspr. nicht 2,83 3,43 3 ungerecht 2,38 3,01
Diff Prüfgröße χ2 (df = 1) 0,81 38,40 0,60 45,72 0,63 15,84
Signif. relative p ES .000 16,2% .000 12,0% .000 12,6%
Anmerkung: (1=stimmt gar nicht....5=ja, stimmt genau), Kruskal-Wallis
10.7 Zusammenfassung
357
Erwartungsgemäß fühlen sich die disengagierten Schüler signifikant stärker enttäuscht als die Engagierten, auch ihre Erwartungen an die Lehrer werden nicht bestätigt und sie fühlen sich deutlich ungerechter behandelt. Die Werte der disengagierten Schüler liegen alle deutlich über dem Skalenmittelpunkt.
10.7 Zusammenfassung 10.7 Zusammenfassung Jugendliche Schüler heutzutage sind aus mehreren Gründen anfällig für Reaktionen der Abwehr und des inneren Rückzugs: Aus Gründen ihres Entwicklungsstandes, ihrer Herkunft aus ärmeren, zum Teil bildungsferneren Familien, aus Gründen des globalen ökonomischen Abschwungs mit der einhergehenden beruflichen Unsicherheit und schließlich aus Gründen, die im schulischen System und bei seinen Lehrkräften, die ebenso den ökonomischen Veränderungen ausgeliefert sind, liegen. Probleme von Schülern aus Migrantenfamilien wurden untersucht (Doppler et al., 2005). Das Vorkommen von Disengagement durch IK unter jugendlichen Schülern, zum Teil nach Einzugsgebiet und Schule unterschiedlich, ist sicher belegt. Wichtige Gründe dafür sind nicht-realisierte Erwartungen. Alle Erwartungsverpflichtungen – im Sinne des Psychologischen Vertrags – an die Lehrer werden von diesen aus der Sicht der disengagierten Schüler deutlich weniger realisiert als aus der Sicht der engagierten Schüler. Diese geben häufiger an, in einem harmonischen Klassenklima gerecht behandelt und unterstützt zu werden und sie beobachten seltener negatives Lehrerverhalten als die disengagierten Schüler. Entsprechend sind die Merkmale Enttäuschung und Frustration durch die Lehrkräfte, Identifikation mit der Schule und Zufriedenheit in beiden Gruppen mit bedeutsamen Unterschieden ausgeprägt. Die Ausprägung dieser Merkmale hängt ursächlich nicht nur mit dem Lehrerverhalten zusammen, sondern m.E. auch mit der sozialen Herkunft. Allein in der Stadt München schwanken die Zahlen der Schüler, die den Sprung auf das Gymnasium schaffen, je nach Schule extrem, angeblich z. T. zwischen 16 und 97%, teilweise bei gleicher Intelligenz. Die meisten, die den Sprung schaffen, kommen aus den wohlhabenden Quartieren. Aus den ländlichen Gebieten schaffen es nur ca. 36 bis 41% (Quelle: Südd. Zeitung v. 24.06.10). Die Zahl der Jugendlichen, die keinen Schulabschluss schaffen, beträgt 7 bis 9%. Das alles deutet auf eine Menge ungelöster, zentraler Probleme im schulischen System.
11 Engagierte Lehrer – erfolgreicher Unterricht 11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
Engagement allein bewirkt nichts. Das belegen u. a. zahlreiche Beispiele aus der BurnoutForschung. Aber auch am Fach orientierte Professionalität allein reicht nicht für einen guten Unterricht aus. Viele kennen aus eigenem Erleben den – manchmal etwas einseitig – an seinem Fach orientierten Lehrer, der über hervorragende Kenntnisse verfügt, aber einen miserablen Unterricht hält, sei es, dass er seine Rolle als Lehrer falsch interpretiert, sei es aus persönlichem Disengagement oder aus Unfähigkeit. Nur wer über UnterrichtsProfessionalität und Engagement verfügt, hat die Voraussetzungen dafür, einen erfolgreichen Unterricht zu halten. Die Trias aus Engagement, Professionalität und Unterrichtsqualität ist es, die einen fähigen Lehrer ausmacht und damit einen erfolgreichen Unterricht ermöglicht. Diese drei Dimensionen sind notwendige, wenn auch für sich allein nicht hinreichende Voraussetzungen für einen effektiven Unterricht. In diesem Kapitel soll beschrieben werden, was bisher in unserer Forschungsarbeit über engagierte Lehrer zutage gekommen ist. Mit der Klärung dieser Frage wurde bereits im ersten Kapitel begonnen. Professionalität und Unterrichtsqualität hat Andreas Helmke (2009) in seinem hervorragenden Lehrbuch auf empirischer Basis erarbeitet. Daher können wir uns auf das Engagement beschränken. Zunächst wird das Lehrer-Engagement aus der Sicht der unmittelbar betroffenen Personengruppen beschrieben, das sind die Schulleiter, die Kollegen in der Schuladministration, die Lehrer selbst und nicht zuletzt die Schüler. Dann werden die empirischen Befunde, die in diesem Band in den einzelnen Kapiteln erarbeitet wurden, dargestellt.
11.1 Theoretische Skizze zum Engagement 11.1 Theoretische Skizze zum Engagement Die bipolare Konzeption von Engagement und Disengagement ist in der Theorie von Carver und Scheier (1984; 2001, u.a.) grundgelegt. Das wurde in Kapitel 2 dieses Bandes ausgeführt. Kahn (1990) hat wohl als erster in einer Feldstudie, in der das Rollenverhalten in betrieblichen Organisationen abgebildet wurde, Engagement und Disengagement bipolar angelegt. Im Rahmen seiner Rollentheorie hat er die individuellen Bedingungen von Engagement und Disengagement bei der Arbeitstätigkeit beschrieben. Er konstituiert drei psychische Bedingungen des Engagements: Bedeutsamkeit, Sicherheit und Verfügbarkeit. Dabei wurde das Disengagement als Ausdruck der Verteidigung der persönlichen Identität (des Ich) konzipiert. May et al. (2004) bestätigten diese Zusammenhänge mittels empirischer Überprüfung. Die Ergebnisse
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
360
11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
ergaben, dass alle drei psychologischen Bedingungen signifikante positive Beziehungen zum Engagement haben. Bedeutsamkeit der beruflichen Tätigkeit wies die stärkste Beziehung auf. Anerkennung, Entlohnung und Unterstützung durch die Betreuer bzw. Vorgesetzten waren positiv mit psychischer Sicherheit verbunden. Psychische Verfügbarkeit war positiv mit Ressourcen verbunden. Als theoretischer Terminus wurde der Begriff Engagement auch von Rauner und seinen Mitarbeitern (2002, Bd.1; Heinemann & Rauner, 2008) zentral verortet. Sie haben Items zur Messung vorgelegt. Beispiel-Items zum betrieblichen Engagement (Organizational Commitment) lauten: „Der Betrieb ist für mich wie ein Stück Heimat“, „Ich erzähle anderen gern von meinem Betrieb“ (S. 124), Items zum beruflichen Engagement (Occupational Commitment): „Ich bin stolz auf meinen Beruf“, „Ich möchte auch in Zukunft in meinem Beruf arbeiten“ (S. 125). Der Bezug zur Identifizierung mit Beruf und Organisation als Voraussetzung von Engagement ist bei diesen Items leicht nachvollziehbar, auch wenn Daten zur Validität anhand von Außenkriterien nicht geliefert wurden. In den letzten Jahren waren weitere Aktivitäten zur direkten Messung von Engagement zu beobachten. M. F. Scheier et al. (2006) haben ein Verfahren zur Erhebung von Engagement über die Lebensspanne vorgelegt. Die Autoren beschreiben eine 6-Item-Skala, den Life Engagement Test, der entworfen wurde, um das Engagement in Bezug auf Lebensziele zu messen. Vorgelegt werden die unter testtheoretischen Gesichtspunkten erforderlichen Parameter wie Psychometrische Daten einschließlich Angaben über die Struktur der Faktoren der Skala, der inneren Kohärenz, Retest-Reliabilität, konvergente Validität, Diskriminanzanalyse, prognostische Validität und Normen. Der Test ist für den breiten Einsatz in Verhaltensmedizin und Gesundheitspsychologie geeignet Die Gruppe um Carver und Scheier arbeitet an der theoretischen Integration von Engagement in ihr Konzept der Selbst-Regelung (z.B. Carver, 2004, Wrosch et al., 2003). Einige Vertreter der Burnout-Forschung (Hallberg & Schaufeli, 2006; Klusmann et al., 2008) haben „Work Engagement“ als Gegenpol zu den Kernvariablen des Burnout, Erschöpfung und Zynismus, definiert „as a positive, fulfilling work-related state of mind“, gekennzeichnet durch drei Dimensionen: (1) hohe Energie, Kraft, Dynamik („Vigor“) und mentale Stärke während der Arbeitstätigkeit sowie Ausdauer bei Schwierigkeiten und der Wille, Anstrengung in die Arbeit zu investieren. (2) Hingabe (Dedication) im Bewusstsein der Bedeutung der Tätigkeit mit Enthusiasmus, Einfallsreichtum und Stolz, die Herausforderung zu bewältigen. (3) Absorbtion von der Tätigkeit und Konzentration während derselben, was dem Flow-Erleben sensu Csikszentmihalyi (1970) nahe zu kommen scheint. Das alles sind innere, psychische Zustände.
11.1 Theoretische Skizze zum Engagement
361
Als ein entsprechend gegliedertes Messinstrument stellten Schaufeli et al. (2008) die „Utrecht Work Engagement Scale“ (UWES) vor. Das damit gemessene Engagement korreliert mit dem MBI21 nicht besonders einheitlich, nämlich mittel bis stark negativ (r = -0.30 bis -0.65). Dieses Engagement-Konzept ist offenkundig breit angelegt, so dass der Umfang des Konzeptes den ursprünglichen Umfang von „Engagement“ sehr erweitert mit der Gefahr, vage zu sein. Im Unterschied zu jenen Personen, die unter Burnout leiden, haben engagierte Mitarbeiter genügend Kraft und Energie und die Fähigkeit, mit den Anforderungen ihrer Arbeit fertig zu werden. Soweit passt die Bipolarität. Ob die Burnout-Dimensionen im „Work Engagement“ nach Schaufeli wirklich gegenpolig abgebildet bzw. rekonstruiert werden kann, dürfte diskutabel sein. Denn Ausgebrannte in den meisten Stadien des Burnout-Prozesses geraten genau deshalb in die emotionale Erschöpfung (der Kernvariablen des MBI), weil sie am Engagement an der Arbeit und an der Organisation festhalten. Erst im terminalen Burnout-Stadium werden bekanntlich Engagement und Identifikation aufgegeben, und erst in diesem Zustand setzen Emotionen wie Verzweiflung und Zynismus ein. Lehrer-Engagement Engagement im Lehrerberuf ist so zentral und selbstverständlich, dass der Begriff in fast allen Publikationen über Lehrer – mehr oder weniger reflektiert – verwendet wird. In unserem Buch über psychosomatische Erkrankungen im Lehrerberuf (Hillert & Schmitz, 2004) kommt der Begriff rund 30mal vor. Der Begriff wird nahezu von allen Autoren benutzt, deren Forschung um schulische Probleme kreist. Deshalb wäre eine theoretische Reflektion nötig. Autoren, die weder auf methodische Probleme, etwa auf die Messbarkeit von Engagement, eingehen noch empirische Daten liefern, werden hier nicht berücksichtigt. Das theoretische Konzept eines realistischen Lehrer-Engagements fußt auf den Ausführungen des 2. und 3. Kapitels und auf den empirischen Befunden dieses Bandes. Erst in neuester Zeit ist die emotionale Kompetenz als notwendiges Merkmal des professionellen Lehrers in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt worden (Klippert, 2004; Sieland, 201022). Emotionale Kompetenz ist ausschließlich bei engagierten Lehrern denkbar. Vielleicht kann der Begriff synonym mit dem des personenbezogenen Engagements gebraucht werden. Engagement heißt zunächst, ein Ziel oder eine Hierarchie von Zielen anstreben und dann auf das Ziel hinarbeiten, beharrlich das Ziel im Auge behalten. Erst im weiteren Sinn meint Engagement die Verantwortung für etwas (Commitment) und die Identifikation mit etwas (Involvement). Engagiert sein bedeutet, ein starkes persönliches Interesse an etwas haben, sich verpflichtet und gebunden fühlen, sich für etwas einsetzen und einen geistigen Standpunkt vertreten. Das Lehrer-Engagement ist in der hierarchischen Regelungstheorie auf der höheren Ebene des Selbstbildes und der ver-
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www.arpm.org/download/anr/1b_Vortrag_Sieland.pps aufgerufen am 16.02.2010
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
haltenssteuernden Prinzipien einem Standard verpflichtet, der wie folgt beschrieben werden könnte: Ich als verantwortungsbewusster Pädagoge stehe schwächeren Schülern bei, u.ä. und nehme meinen Dienstauftrag ernst. Viele Lehrkräfte werden dem zustimmen. Daraus folgen innere Handlungsanweisungen wie etwa: Wenn ich darum gebeten werde, erkläre ich erneut einen Sachverhalt. Oder: wenn ich beobachte, dass ein Schüler offenbar persönliche Probleme hat, etwas, das ihn bedrückt, kümmere ich mich um ihn. Mit diesem Verhalten wahrt die Lehrkraft die Kontinuität ihres Selbstbildes. Lehrer-Engagement ist (1) auf die berufliche Tätigkeit und auf die berufliche Kompetenz im Berufs(um)feld „Schule“ bezogen, d. h. konkret, auf die Tätigkeit mit den Schülern, also im Wesentlichen das Unterrichten, aber auch auf schulische Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts, (2) auf die Organisation Schule bezogen, d.h. auf die Arbeit mit der Schulleitung und mit den Kollegen und – soweit erforderlich – mit den Eltern und im Bereich der beruflichen Schulen mit den Partnern im dualen Ausbildungssystem. Dazu gehört auch die Mitverantwortung in der Außendarstellung der Schule. LehrerEngagement ist Einsatz für die Schule, für die Schüler und für einen professionellen Unterricht im Gegensatz zum Rückzug von diesem Einsatz. Engagement ist also ein Aspekt der Motivation, (3) abhängig von positiven Rückmeldungen und Verstärkungen, von Ermutigungen und von Unterstützung aus dem System Schule. Unter dauerhaft widrigen Umständen im Arbeitsumfeld kann das Engagement keinen Bestand haben. Definition: Lehrer-Engagement wird von uns definiert als ein Zustand der Motivation und als Prozess der Motivierung zu beruflicher Verantwortung, Aktivität und Bindung an die Schüler, an die Schule und als Begeisterung für die unterrichtliche Tätigkeit. Dabei sind die zu unterrichtenden Schüler und diejenige Schule gemeint, mit der eine Lehrkraft sich identifiziert und an der sie ihre berufliche Tätigkeit ausübt; Begeisterung bloß für das Fach oder gar Enthusiasmus sind nicht gemeint. Wir unterscheiden das auf die berufliche Tätigkeit bezogene Engagement, das auf die Schüler und das auf die Schule bezogene Engagement. Der Ausdruck „Prozess der Motivierung“ deutet an, dass von Zeit zu Zeit neue Situationen und positive Ereignisse nötig sind, um die Motivation zur beruflichen Aktivität und Verantwortung aufrecht zu erhalten und zu fördern. Falls diese erwarteten positiven Ereignisse über eine längere Zeitstrecke ausfallen, kann ein Prozess ins Disengagement eingeleitet werden (vgl. Kapitel 2 und 3 in diesem Band). Disengagieren ist der Prozess, der darin endet, dass Menschen aufhören, sich für Aktivitäten und/oder für Organisationen einzusetzen. Engagement ist in der bisherigen Forschung mittels Skalen zu Commitment und Involvement operationalisiert worden (Schmitz, Gayler, Jehle, 2002). Bindung an die Arbeitsstelle oder Commitment bezeichnet das Motivmuster, Handlungen, Rollenverhalten oder Beziehungen im beruflichen
11.1 Theoretische Skizze zum Engagement
363
Tätigkeitsbereich fortzusetzen und in diese zu investieren, weil dieses die Person befähigt, Ziele, Werte und Normen auszudrücken oder zu erreichen. Involvement meint hier die Bereitschaft zur Leistung, zur Arbeit, die – mit emotionaler Beteiligung – über ein vorgeschriebenes Regelmaß hinausgeht. Menschen, die ihre Ziele beharrlich anstreben, haben allein schon dadurch die Möglichkeit, nicht nur die Ziele zu erreichen, sondern sie auch mit ihrem übergeordneten Selbstbild in Einklang zu bringen. In der Sprache der hierarchischen Regelungstheorie von Carver und Scheier (vgl. 2. Kapitel dieses Bandes) heißt das, dass die Zielerreichung auf der Ebene der Ausführungsprogramme auch zur Zielerreichung auf der Systemebene des Selbstbildes der Person führen kann. Diese Bestätigung des Selbstbildes kommt einer positiven Verstärkung auf den verschiedenen Ebenen der Kontrollhierarchie gleich, da die Referenzwerte auf allen Ebenen erreicht und die Diskrepanzen von Ist- und Soll-Zuständes geschlossen werden. Dies ist mit Erlebnissen der Befriedigung und Zufriedenheit verknüpft und stärkt die Zuversicht auf Erfolg des eigenen Handelns. Im Gegensatz dazu haben Disengagierte diese Möglichkeit nicht, weil sie bestimmte Ziele aufgegeben und damit auch die Verstärkung durch Zielerreichung ausgeschlagen haben. Aber was geschieht, wenn sich dem zielgerichteten Handeln Hindernisse in den Weg stellen? Viele Personen beginnen, an ihren Ressourcen und am Erfolg zu zweifeln, bis sie sich schließlich von ihren Zielen disengagieren (vgl. Abbildung 2.1 im 2. Kapitel). Völlig konträr zu diesem Verhalten wird eine engagierte Person versuchen, sich umzuschauen und andere Ressourcen neu erschließen. Dazu ein Beispiel: Eine engagierte Lehrkraft wird sich nicht damit begnügen, dass störende Schüler eben stören und sie wird nicht einfach Ruhe fordern, sondern sie wird danach suchen, wie und mit welchen Mitteln sie diese Schüler zur Mitarbeit motivieren könnte. Sie wird, um ein Bild zu gebrauchen, ihren pädagogischen Werkzeugkasten nach pädagogischen Instrumenten durchsuchen, die dazu geeignet sind, die Antecedenzen des Störverhaltens, etwa Desinteresse am Thema, Langeweile oder was immer die Ursache des Störens sein könnte, zu beseitigen und für Bedingungen zu sorgen, die dazu geeignet sind, Mitarbeit und Motivation zu fördern. Eine engagierte Lehrkraft bringt auch die Geduld auf, die nötig ist, um das verlangsamte Tempo der Diskrepanzreduktion, m. a. W., um den Prozess der Motivierung der Schüler abzuwarten. Die Lehrkraft weiß, dass eine Tempoverzögerung für sie selbst demotivierend wirken kann. Im Rahmen des Stress-Bewältigungs-Modells (Zimbardo & Gerrig, 2006) würde man sagen: eine engagierte Lehrkraft nimmt das Hindernis „Störverhalten“ als eine Herausforderung wahr, weil sie über die erforderlichen Bewältigungstechniken verfügt. Außerdem will sie vermutlich ihr Selbstbild als „eine professionelle Lehrkraft“ bewahren. Dagegen wird eine wenig engagierte Lehrkraft mit einem unklaren Selbstbild und unklaren Zielen eher wenig für ihre Kenntnis von Bewältigungstechniken unternehmen, schließlich scheitern und noch mehr zum Disengagement neigen. Eine Voraussetzung dafür, dass ein Hindernis als Herausforderung wahrgenommen werden kann, ist die Überzeugung, dass man über die erforderlichen – von
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
manchen Hochschulpädagogen geschmähten – „Verhaltenstechnologien“ verfügt. Wie kein Künstler ein guter Künstler werden kann, ohne über die erforderlichen Instrumente und Techniken zu verfügen, so kann kein Lehrer eine professionelle Lehrkraft ohne diese technologische Kompetenz werden. Diese technologische Kompetenz ist eine Voraussetzung für die anderen nötigen Kompetenzen des Lehrerberufs. In dieser Hinsicht ist der Lehrerberuf ein – im übertragenen Sinne – Handwerksberuf ebenso wie die Berufe des Juristen, des Psychologen, Psychiaters und viele andere mehr. Welche Verhaltenstechnologien sind denn überhaupt für den Lehrerberuf unentbehrlich? Im Kern handelt es sich um nur vier Prinzipien, die sicher beherrscht werden müssen: (1) (2) (3) (4)
das Regellernen, die Verhaltenssteuerung durch Rückmeldungen (Verstärkungsprinzip), die Gesetzmäßigkeit der diskriminativen Hinweise und die Gesetzmäßigkeiten der Gedächtnisinterferenzen.
Zu (1) Regeln sind Verhaltensrichtlinien, die für bestimmte Situationen bestimmte Handlungen oder Handlungsschemata vorschreiben. Einige Regeln werden explizit auf Schilder (EINBAHNSTRASSE – RADELN IN BEIDE RICHTUNGEN MÖGLICH) geschrieben, andere gelten implizit (wie man mit Messer und Gabel isst; wie nahe man bei einer fremden Person stehen darf). Regeln werden an Vorbildern gelernt oder durch direkte Instruktion. Ein dritter Lernweg bietet sich für ältere Schüler an: Zu Beginn eines Schuljahres bestimmen die Schüler selbst in Absprache mit der Lehrkraft, welche Regeln sie für so wichtig halten, dass sie für alle verbindlich schriftlich fixiert werden sollen. Die Zahl sollte überschaubar sein. Zu (2) Verstärkungen umfassen das gesamte Areal von Bedürfnissen, Wünschen, Interessen und Motiven. Einen Schüler zu verstärken ist also weitaus mehr als Lob und Ermutigung. In den einschlägigen Lehrbüchern kann man sich dazu informieren (Lukesch, 2001, S. 352 ff; Zimbardo & Gerrig, 2006, und andere). Zu (3) Eine engagierte Lehrkraft wird ihr pädagogisches Leitbild – mehr oder weniger reflektiert – durch ihr authentisches Verhalten den Schülern vermitteln, indem sie beispielsweise den Schülern zeigt, dass sie als selbstbestimmte Personen gewertet werden. Durch ihr Verhalten sendet sie die Botschaften aus: Ich gebe euch Sicherheit, ich bin zuverlässig, ich versuche, gerecht zu sein. Diese Botschaften, in der Theorie sind es diskriminative Stimuli, fördern das Engagement der Schüler. Das daraus resultierende Schülerverhalten stellt Verstärkungen für die Lehrkraft dar. Zu (4) Die präzise Beachtung der Gesetzmäßigkeiten von Gedächtnisinterferenzen fördert das Lernen und behindert es nicht. Diese Gesetzmäßigkeiten werden weithin wenig beachtet, was Lernstörungen bewirken kann. Diese Gesetze sollen zum Programm einer jeden Didaktik gehören. Leider sind manche Lehrbücher voll davon, und manch einer wundert sich, dass die Schüler mit dem Fach Schwierigkeiten haben.
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement
365
Ein klassisches Beispiel für die Anhäufung von Auslösern von Gedächtnisstörungen sind die Schulbücher zum Erlernen der lateinischen Sprache (Beispiel: die gleichzeitige Darbietung der Grundform eines Verbs mit den verschiedenen Vorsilben) – was ein Lateinlehrer, bedingt durch die Tradition der Didaktik des Latein-Unterrichts, sicher in Abrede stellen wird. Gute Informationen liefert Helmut Lukesch (2001, S. 82-85, 176 ff, sowie die oben angegebene Literatur). Nach unserer Auffassung ist vom gesunden Engagement, das ein zeitweiliges, partielles Disengagement einschließt, das überhöhte Engagement abzugrenzen. Dieses führt zur Überforderung und resultiert in verminderter Widerstandskraft. Ähnliches könnte für übersteigerten Enthusiasmus gelten. Typisch für das Risikomuster A im Fragebogen zum Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM) nach Schaarschmidt und Fischer (2003; Schaarschmidt, 2004; Schaarschmidt & Kieschke, 2007) ist das überhöhte Engagement. Es ist gekennzeichnet durch hohe Werte in der subjektiven Bedeutsamkeit der Arbeit (Beispiel-Item: Die Arbeit ist für mich der wichtigste Lebensinhalt), in Verausgabungsbereitschaft (Wenn es sein muss, arbeite ich bis zur Erschöpfung) und im Perfektionsstreben (Was immer ich tue, es muss perfekt sein). Bemerkenswert ist der vergleichsweise niedrigste Wert in der Distanzierungsfähigkeit (Beispiel-Item: Nach der Arbeit kann ich ohne Probleme abschalten). Damit ist angezeigt, dass es den Personen dieses Profils am schwersten fällt, Abstand zu den Problemen von Arbeit und Beruf zu gewinnen. Dagegen kann das G-Muster als Ausdruck von Gesundheit gelten. Mit erhöhten aber nicht extremen Werten in den oben genannten Dimensionen bei gleichzeitiger Distanzierungsfähigkeit drückt es hohes und „gesundes“ Engagement aus. Ein valides Maß für Lehrer-Engagement ist das Engagement außerhalb des Unterrichts. In unseren eigenen Erhebungen korreliert Disengagement durch Innere Kündigung negativ mit Job Involvement (ρ = -0,66), Identifikation mit der schulischen Tätigkeit (ρ = -0,59) und Loyalität zur Schule (ρ = -0,63; jeweils N = 115 Lehrer). Das sind sehr bedeutsame statistische Korrelationen (vgl. Kapitel 4 in diesem Band; Schmitz, Gayler, Jehle, 2002).
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement 11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement Die Beurteilung des engagierten Lehrers enthält je nach Sicht der beurteilenden Gruppe unterschiedliche Akzente. Aus verschiedenen Perspektiven (Schuladministration, Schulleitung, Schüler) werden unterschiedliche Merkmale des guten Lehrers in den Vordergrund gerückt. Aus Sicht der Schulleitung sind beispielsweise Pünktlichkeit, Disziplin u. ä. wichtig, während Schüler diese Merkmale gar nicht beachten oder nur bei mangelnder Reziprozität beanstanden (Lehrer sanktioniert Unpünktlichkeit, kommt aber selbst häufig zu spät).
366
11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
11.2.1 Engagierte Lehrer aus Sicht der Schuladministration Grundlage für das Schulwesen in Deutschland sind das Grundgesetz (Art. 7; 1) und die einzelnen Länderverfassungen, z.B. die Verfassung des Freistaats Bayern, Art. 128 – 138 und die Landesverfassung Hessen, Art. 55 – 62, wo die obersten Bildungsziele enthalten sind. Der Gemeinsamen Erklärung der Kultusminister der Länder bzw. der Kultusministerkonferenz und der Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrergewerkschaften, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Beamtenbundes vom 05.10.2000 kann man (mit Terhart, 2006) entnehmen, was seitens der Kultusbürokratie und der Interessenverbände von professionellen Lehrern erwartet wird: Lehrpersonen sind Fachleute für das Lernen, ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion der Lehr- und Lernprozesse. Damit sind das deklarative und das prozedurale Wissen und somit das Können der Anregung, der Einleitung und Förderung von Lernprozessen impliziert, also Anwendungswissen, das uns die Psychologie des Lernens und Lehrens sehr präzise bereit stellt. Nicht ausgeführt sind die Voraussetzungen, nämlich die Verfügbarkeit der Gesetzmäßigkeiten des Lernens, des Motivierens und der Funktionsweisen des Gedächtnissystems im Unterricht. Dazu gehört u. a. die Fähigkeit, jederzeit gezielt die verschiedenen Facetten des Verstärkungslernens zur Anwendung bringen zu können, dazu gehört die präzise Kenntnis der Gedächtnisinterferenzen, die Kenntnis der möglichen Beurteilungsfehler, die genaue Kenntnis der Prozesse der Wahrnehmung unter anderem zur präzisen Planung von Instruktionen und sonstiger Maßnahmen zur Präsentation des Lernstoffes, kurz: ein breiter Ausschnitt aus der Lern- und Motivationspsychologie. Wer über dieses Wissen und seine prozeduralen Anwendungsschemata nicht hinreichend verfügt, kann die o. g. Kernaufgaben nicht in Ansätzen richtig lösen. Bei der Einstellung von Junglehrern zählt nahezu ausschließlich die Prüfungsnote, die sich in der Regel aus erstem und zweiten Staatsexamen zusammensetzt. Für die Note für das 2. Staatsexamen wird z. B. beim Lehramt für berufliche Schulen in Bayern neben Lehrproben und mündlichen Prüfungen und einer Hausarbeit eine Beurteilung erstellt, deren Kriterien eine Bewertung der Unterrichtskompetenz, der erzieherischen Kompetenz und der Handlungs- und Sachkompetenz enthalten.23 Der Begriff des Engagements tritt nirgends auf.
23 http://www.km.bayern.de/km/lehrerbildung/berufliche_schulen/vorbereitungsdienst/index.shtml, aufgerufen am 22.02.2010.
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement
367
11.2.2 Engagierte Lehrer aus Sicht von Schulleitern Eine Gruppe von Personen MUSS von Amts wegen wissen, was ein guter Lehrer ist, gleichgültig, ob sie dazu in der Lage ist oder nicht. Zu dieser Gruppe gehören neben den Angehörigen der Schulaufsicht (je nach Bundesland Bezirksregierung, Oberschulamt o.a.), die qua Amt ihren Schwerpunkt in administrativen Aspekten sehen und in jüngster Zeit externe Evaluatoren, die sich an Checklisten (z. B. EFQM, QmbS, BMS-Methode, Nürnberger Modell) orientieren und vor allem die Schulleiter. Was neben den Kernaufgaben der Lehrtätigkeit, des Bildens und des Unterrichtens wichtig ist, wissen erfahrene Schulleiter aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung und ihrer alltäglichen Arbeit. Sie sind die unmittelbar verantwortlichen (z.T. beurteilenden) Dienstvorgesetzten und im Rahmen der Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften 24weisungsbefugt (Beispiel: BayEUG, Art. 57). Schulleitern unterstellt man relativ klare Erwartungen an ihre Lehrer, zumal wenn die Anfertigung von Beurteilungen (Allmann, 2000) und die Personalauswahl (Buhren, 2002, Treptow & Rothland, 2005) in ihre Kompetenz fällt. Diese Tätigkeiten sind, sollen sie erfolgreich sein, nur bei einer klaren Vorstellung vom professionellen Lehrer möglich. Allerdings sind die Handreichungen zur Unterstützung der Schulleiter in ihrer Funktion als Beurteiler ihrer Lehrer dürftig. Laut KMBek (Bayern) v. 28.03.2000 sollen „der Beurteilung Tatsachen aus dem ganzen Beurteilungszeitraum und dem gesamten Aufgabenbereich der Lehrkraft“ zugrunde liegen. Quellen der Beurteilung sollen Unterrichtsbesuche sein, mehrfach in allen Fächern der Lehrbefähigung und in unterschiedlichen Jahrgangsstufen. Dabei sei die „Mitwirkung von Stellvertreter und Fachbetreuern“ möglich. Kein Schulleiter, der ca.100 Lehrkräfte zu betreuen und zu beurteilen hat, kann diese Aufgabe, auch nicht unter Hinzuziehung von Stellvertreter und Fachbetreuern, lösen, jedenfalls nicht auf seriöse Weise. Dem stimmt jeder Schulleiter (aber nur mündlich !) unumwunden zu. Völlig unzureichend sind die inhaltlichen so genannten „Beurteilungskriterien“. Diese sind vage, unklar und manchmal konfus. So soll u. a. unter „Eignung“ „die geistige Beweglichkeit“ der Lehrkraft nach Punkten beurteilt werden. „Merkmal in besonderer Weise erfüllt“, „... erheblich über den Anforderungen liegend“, „... teilweise“ oder „... unzureichend erfüllt“. Diese Stufen sind aber nicht definiert. Bezüglich der schulischen Funktion, deren Beurteilung ausdrücklich beförderungswirksam ist, sollen „Sachkompetenz bez. der wahrgenommenen Funktion, Sozialkompetenz, Handlungskompetenz“, was immer das hier heißen soll, ohne weitere Erläuterung, je mit bis zu 16 Punkten bewertet werden. An anderer Stelle soll „Eingehen auf den einzelnen Schüler“ entsprechend eingestuft werden. Andernorts soll die „Pädagogische Befähigung“ eingestuft werden (gemäß KMBek v. 28.03.2000), als ob jedermann wüsste, was das sein soll. Kein Mensch kann seine Kollegen mit solchen „Kriterien“ hinreichend genau bewerten. Die zahlreichen Sammlungen Konferenzbeschlüsse sind für das Kollegium bindend. Das erfolgt aber nicht basisdemokratisch, d. h. sie binden nicht den Schulleiter.
24
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
an Textbausteinen zur Erstellung von Beurteilungen, die im Internet angeboten werden, sind ein viel sagender Beleg hierfür. Am Ende werden Punkte addiert und so wird (Test-) Genauigkeit vorgegaukelt. Gleichzeitig wird dem Schulleiter mehr oder weniger direkt klar gemacht, dass ein bestimmter Punktekorridor erwartet wird. Kurzum: Diese Aufgabe ist für den ehrlichen Schulmann seriös nicht zu bewältigen. Sie ist Nonsens! Umgekehrt bietet sie die Gelegenheit für eine Willkür, die mangels systemimmanenter Unbeweisbarkeit nicht geahndet werden kann. Man darf fragen, ob dahinter Absicht steckt. In unserer Erhebung wurden 240 Schulleiter verschiedener Schularten (mittleres Dienstalter: 27 Jahre; 22,5 % weiblich) befragt. Das Instrument war vorher mittels Interviews und Gruppendiskussionen entwickelt worden; es fußt auf Spontanantworten. Ziel war die Beschreibung der Erwartungen an ihre (guten) Lehrer und der Grad der Erfüllung dieser Erwartungen (Details: Schmitz & Voreck, 2006): Schulleiter erwarten Lehrerdisziplin, Gesundheit und Belastbarkeit, Sorge für Disziplin der Schüler, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Engagement. Diese Kategorien wurden in Kapitel 9.3 ausgeführt. Hier werden nur jene Kategorien fortgeführt, die das Lehrer-Engagement aus Sicht der Schulleiter betreffen:
Disziplin der Lehrer: Neben den selbstverständlichen Merkmalen wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit erwarten Schulleiter darüber hinausgehendes Engagement wie Identifikation mit ihrer Schule und Loyalität und dass sie den Schulleiter über Probleme, Vorfälle etc. sofort informieren und sich jederzeit an der Aufsicht gewissenhaft beteiligen. Schulleiter, die generell mit Verwaltungsaufgaben überlastet sind, erwarten oft die freiwillige Übernahme von bei Lehrern meist ungeliebten Verwaltungsaufgaben. Begeisterung für den Beruf, Engagement bei Aktionen der Schule außerhalb des Unterrichts: Jeder muss eine besondere eigene Leistung erbringen, eine Aufgabe übernehmen (z.B. Wartung der PC, Sport-Geräteverwaltung, Stundenplanung, Planung von und Betreuung bei Ausflügen, Reisen usw.), Einsatzfreude zeigen und Offenheit für Innovationen. Gesundheit und seelische Belastbarkeit haben unter Schulleitern einen hohen Stellenwert, wobei Belastbarkeit durch zusätzliche Aufgaben gemeint ist. Körperliche und seelische Gesundheit sind die Voraussetzung für Humor, Lebensfreude, Ausstrahlung und Engagment. Schulleiter erwarten, dass Lehrer an Fortbildungen teilnehmen, engagiert an der Entwicklung ihres Fachwissens ebenso arbeiten wie an der Verbesserung der Unterrichtsmethoden, „denn ein guter Unterricht schafft Zufriedenheit, zufriedene Schüler arbeiten mit“. Sozialkompetenz: engagierte Lehrer können Schüler begeistern, mitreißen, für etwas motivieren. Dazu müssen sie das Prinzip der Verstärkung beherrschen, „das ist äußerst wichtig, z. B. dass ein schwacher Schüler bei einer falschen Antwort er-
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement
369
mutigt und nicht getadelt wird, denn bereits eine einzige falsche Reaktion lässt eine negative Spirale entstehen“. Kollegialität: engagierte Lehrer sind keine Einzelkämpfer, z. B. sie geben etwas, ohne etwas dafür zu fordern, und entlasten sich gegenseitig. Man kann von ihnen verlangen, dass sie auch einmal eigene Bedürfnisse zum Wohl der Gemeinschaft zurückstellen. Engagement im engeren Sinn bedeutet: Liebe zum Beruf, sich bei Aktionen der Schule außerhalb des Unterrichts engagieren, die Darstellung der Schule soll ihnen ein Bedürfnis sein.
Wie man sieht, geraten die Schulleiter bei der Beschreibung von engagierten Lehrkräften in die Gefahr, den idealen Lehrer zu fordern. Das wurde schon in Kapitel 9 gezeigt. Ideale Lehrer gibt es ebenso wenig, wie es ideale Menschen gibt. Selbstverständlich wird man auch bei engagierten Lehrern Schwächen und Unvollkommenheiten beobachten können. Die 20 wichtigsten, konkreten Erwartungen der Schulleiter sind in Tabelle 9.1 (Kapitel 9) aufgelistet. Sie geben die Inhalte der Psychologischen Verträge von Schulleitern und Lehrern aus der Sicht der Schulleiter wieder. Dabei fällt auf, dass neben Erwartungen, die auf Kontrolle und Disziplin abzielen, die meisten Erwartungen das Engagement implizieren und auf die Selbst- und die Sozialkompetenz bezogen sind, d. h auf Kompetenzen, die in der Lehrerbildung kaum ein Gewicht haben, und die aus Sicht der Bildungsexperten anscheinend nicht zu den Kernkompetenzen gezählt werden. Etwa die Hälfte aller Nennungen impliziert das Engagement im Sinn von Commitment und Involvement. Das ist mehr an Nennungen, als auf die typischen Lehrer-Kompetenzen entfallen und belegt die Bedeutung des Engagements aus der Sicht von Schulleitungen. Umso unbegreiflicher ist es, wenn dies bei der Erstellung von Beurteilungen nur einen geringen Stellenwert hat.
11.2.3 Engagierte Lehrer aus der Sicht ihrer Kollegen Befragt man im Berufsleben stehende Lehrer, bei welchen beruflichen Tätigkeiten sie Schwierigkeiten haben und daher Unterstützung benötigen, so entsteht eine Rangreihe jener Tätigkeiten, die sie ganz offensichtlich als wichtig erachten: Erziehungsarbeit, Beurteilungen/ Selektionen, Umgang mit schwierigen Situationen, Betreuung/ Beratung, individuelle Förderung, Umgang mit heterogenen Klassen, Zusammenarbeit mit Eltern und Ausbildungsbetrieben, Weiterbildung, persönliche Organisation und Zeitmanagement. Dieser Katalog zeigt, dass nicht methodische Probleme im Vordergrund stehen, auf die man während des Studiums und im Referendariat vorbereitet wird, sondern Probleme der sozialen Interaktion, für die es auch keine einfachen Rezepte gibt. Interessant ist es auch, dass die Probleme der sozialen Interaktion bei Lehrerzimmer-
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
gesprächen im Vordergrund stehen, während Referendare noch nahezu ausschließlich mit methodischen Problemen beschäftigt sind. Die Lehrer ... tragen die unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die Erziehung der Schüler.“ (BayEUG, Art. 59; ähnlich in allen Bundesländern). Nachdem in Vorstudien (1) die Schülerpräferenzen hinsichtlich des Lehrerverhaltens identifiziert worden waren, wurden nun (2) auf dieser Basis sowohl Schüler als auch Lehrer (a) nach den gewünschten und (b) nach den realen Lehrermerkmalen aus Sicht der Schüler und aus Lehrersicht befragt mit dem Ziel, diese Erwartungen und Bewertungen statistisch zu vergleichen (Schmitz, Voreck, Hermann, 2005). Die Schülerpräferenzen bezogen sich auf (1) Prüfungsvorbereitung mit gerechter Leistungsbewertung, (2) guten Unterricht (Methodik) und (3) auf die Lehrer-Schüler-Beziehung. Hier werden die Aussagen der Lehrer gemäß ihren Gewichtungen referiert. Abbildung 11.1: Mittelwerte der Lehrer-Selbsteinschätzungen (Reihung anhand des Idealverhaltens (B), absteigend) und der Schülersicht des Lehrerverhaltens (fünfstufige Skala).
4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 1
2 A reales V
3
4
B ideales V
5 C vermutet
6
7
8
D real Schü
A = reales Lehrerverhalten aus Lehrersicht B = ideales Lehrerverhalten aus Lehrersicht C = von Lehrern vermutete Erwartungen der Schüler D = reales Lehrerverhalten aus Schülersicht 1 = Leistung gerecht bewerten; 2 = faire Klausuren; 3 = Schüler auf Prüfungen vorbereiten; 4 = in schwierigen Situationen ruhig und gelassen reagieren; 5 = Gespür für Probleme der Schüler haben; 6 = Abwechslung im Unterricht; 7 = Spaß verstehen; 8 = über sich selbst lachen können.
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement
371
In Abbildung 11.1 sind die acht wichtigsten (aus Schülersicht) Handlungsweisen engagierter Lehrer dargestellt. Das erwünschte Verhalten aus Lehrersicht (B) ist nahezu identisch mit dem Verhalten, das aus Lehrersicht vermutlich ihre Schüler wünschen (C) und passt zu den o. g. Aufgaben gemäß Schulordnung (alle p < .000). Allerdings fallen das wirkliche Lehrerverhalten aus der Sicht der Lehrer (A) und das reale Lehrerverhalten aus der Sicht der Schüler (D), dieses deutlich, ab. Auch hier fällt auf, dass an der Spitze der gemeinsam präferierten Items Inhalte genannt werden, die in den oben zitierten Idealvorstellungen vom sog. guten Lehrer (Schuladministration/ Schulleiter) nicht vorkommen: Die hier von Lehrern und Schülern präferierten Items zielen auf die Prüfungsvorbereitung und Leistungsbewertung (Items 1-3), gefolgt von Items zur Lehrer-Schüler-Beziehung (Items 4; 5) incl. Humor (Items 7-8) und Methodenkompetenz (Item 6). Die Differenzen stehen in der folgenden Tabelle.
Tabelle 11.1: Einschätzung des Lehrerverhaltens in acht Kategorien: Differenzen in Prozent auf den Likert-Skalen (1-5)
geschätztes Verhalten* 1** 2 3 4 5 6 7 8 A reales Verh.: Lehrer vs. Schüler 15,0 18,6 31,5 14,5 8,6 3,2 13,0 8,8 B reales vs. ideales Lehrersicht 9,4 3,2 2,6 12,2 18,8 11,6 2,8 37,8 C ideales Lehrer vs. Schüler 0,4 0,4 1,0 1,4 1,0 1,4 1,0 1,4 * A = reales Lehrerverhalten: prozentuale Differenz zwischen Lehrersicht versus Schülersicht B = prozentuale Differenz: reales versus ideales Lehrerverhalten aus Lehrersicht C = ideales Lehrerverhalten: prozentuale Differenz zwischen Lehrersicht vs. von Lehrern vermutete Schülersicht **1 = Leistung gerecht bewerten; 2 = faire Klausuren; 3 = Schüler auf Prüfungen vorbereiten; 4 = in schwierigen Situationen ruhig und gelassen reagieren; 5 = Gespür für Probleme der Schüler haben; 6 = Abwechslung im Unterricht; 7 = Spaß verstehen; 8 = über sich selbst lachen können.
Das reale Lehrerverhalten wurde einmal von den Lehrern und zum anderen von den Schülern angegeben (Tabelle 11.1, Zeile A). Die prozentualen Differenzen sind in fünf Kategorien hoch bedeutsam. Die Lehrer schätzen ihr reales Verhalten bedeutsam besser ein, als es von den Schülern beurteilt wird. Die Einschätzung durch die Schüler muss dem wirklichen Lehrerverhalten nicht objektiv näher kommen als die SelbstEinschätzung durch die Lehrer. Aber für die Schüler spricht der Befund, dass die Lehrer selbst in der Bewertung ihres realen Verhaltens in fünf Kategorien bedeutsam unter ihren eigenen, idealen Einschätzung liegen (B). Dagegen sind die Differenzen zwischen dem eigenen Idealverhalten und dem idealen Verhalten, dass sie den Schülern unterstellen (C), in allen acht Kategorien völlig unbedeutend. Insgesamt lässt sich zweierlei feststellen:
Das reale Lehrerverhalten liegt bedeutsam unter ihren eigenen Ansprüchen (bis zu 37,8% in Kategorie 8).
372
11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht Das reale Lehrerverhalten wird von den Schülern hoch bedeutsam weniger gut eingeschätzt als von den Lehrkräften selbst. Offenkundig schätzen die Lehrkräfte ihr pädagogisches Verhalten besser ein, als es ist; sie sind nicht die optimalen Beurteiler ihres eigenen Unterrichtens; so auch Helmke (2009, S. 140). Dort wird über den von Lehrkräften selbst eingeschätzten und tatsächlichen, per Video ermittelten, Sprechanteil im Unterricht berichtet. Etwa 36% der Lehrer glauben bis unter 40% Sprechanteil zu haben, tatsächlich liegen alle darüber. 10% glauben, bis zu 80% der Unterrichtszeit zu sprechen, tatsächlich sind es über 30% der Lehrer. Die Lehrkräfte insgesamt unterschätzen ihre eigenen Sprechanteile deutlich. In der empirischen Schulforschung zeigt sich der Trend, dass Daten aus unterschiedlichen Perspektiven (Schüler, Hospitanten, Videos) hoch miteinander konvergieren, mit Ausnahme der Lehrerangaben. Auf diesem Hintergrund kommt in unserer Studie der Evaluation durch die Schüler (Zeile A in Tab. 11.1 und Säule D) eine prägnante Aussagekraft zu.
11.2.4 Die Merkmale engagierter Lehrer aus Schülersicht Um nicht nur Erwartungen an Lehrer zu ergründen, sondern zu ergründen, was die realen Merkmale engagierter Lehrer aus Schülersicht sind, arbeitet man am besten mit offenen Fragen zum beobachtbaren Verhalten. Es wurden ausdrücklich nicht die subjektiven Theorien über „gute Lehrer“ erfragt. 412 Schüler (berufliche Schulen, 273 m, 139 w, mittleres Alter: 17,9; min 15; max 29) zuzüglich einer Kontrollgruppe von 100 Lehramtsstudierenden (60 m, 40 w, mittl. Alter 26,5; min 20; max 33) wurden gebeten sich an Lehrer zu erinnern, die sie gut behandelt und gefördert haben (Beispiel: Sie haben dir geholfen, etwas gut erklärt, dich gelobt) und zu notieren, was genau sie getan haben (einige freie Zeilen für eine frei gestaltete Antwort). Die frei gestalteten Antworten wurden anschließend vom Rater-Team anhand von Rating-Kriterien, die an einer Vorgruppe erarbeitet worden waren, eingestuft. Die Inter-Rater-Reliabilität bei drei Ratern (r = .78 bis .84, jeweils p < .01) ist gesichert. Es wurde beobachtbares Verhalten und Handeln beschrieben und nicht bloß subjektive Theorien erhoben. Die Häufigkeiten sind in Abbildung 11.2 (siehe unten) mitgeteilt (Schmitz et al., 2006; 2007). Ergebnisse: 5,6% der Schüler und 6,0% der Studierenden machten keine Angaben zu guten Lehrern, weil sie über keine positiven Erfahrungen (in Abbildung 11.2 Säule 1) verfügten. (1) Allgemein freundlich und höflich (Säulen 2) beurteilen 6,6% der Schüler und 2,0% der Studenten ihre Lehrer/innen; diese respektieren Schüler, halten einen interessanten „guten“ Unterricht und erklären gut: „Er hat alles gut erklärt.“ (FB 380), „Er / Sie hat Themen so lange wiederholt, bis es jeder verstanden hat. (FB 415)
11.2 Empirische Belege zum Lehrer-Engagement
373
(2) Lehrer/in kann motivieren und verbreitet positive Stimmung (34,4% bzw. 22,0%) (Säule 3), ist selbst motiviert, emotional stabil, verständnisvoll und „menschlich erreichbar“, hat Humor, bringt persönliche Erlebnisse ein, zeigt Verständnis, behandelt Schüler gerecht und gleich ( / , leistungsunabhängig), nimmt Schüler ernst, ist wohlwollend, drückt auch mal ein Auge zu (z.B. Hinweis auf Fehler in Klausur), ist offen für Fragen und Diskussionen: „Er / Sie hat die Interessen der Schüler wahrgenommen.“ (FB 176); „Zeit zum Erklären genommen bis es wirklich jeder verstanden hat, auch wenn er noch so unter Zeitdruck mit dem Lernstoff war. Eine Ex, auf die keiner (wirklich keiner) gelernt hatte, nach dem Korrigieren vor unseren Augen weggeschmissen (ø ca. 5,4).“ (FB 328); „Er / Sie hat was von mir gehalten / an mich geglaubt.“ (FB 359) (3) (Säule 4) motiviert Schüler (34,6% bzw. 38,0%), lobt, ermutigt (Verstärkungsprinzip), geht auf Schülerfragen ein, nachvollziehbare und faire Notengebung, glaubt an Schüler und deren Fähigkeiten, auch bei Leistungstiefs, gibt eine zweite Chance (Zielorientierung für Verhaltensänderung, Notenverbesserung); Weckt Interesse am Fach, vermittelt Werte und Perspektiven; organisiert Ausflüge, Klassenfahrten: „Er hat mich gelobt, geholfen wenn ich oder andere Schüler etwas nicht verstanden haben, alle Schüler gleichberechtigt, sich für jeden interessiert“ (FB 114); „Der hat uns beigebracht andere die nicht so gut sind wie z.B. Werken, Sport, Theorie nicht zu verarschen sondern zu respektieren.“ (FB 225); „Er hat mir klargemacht, was und wie ich richtig lernen kann, wie wichtig es für meine Zukunft ist und mir auf einen richtigen Weg geholfen.“ (FB 363) (4) (Säule 5) Lehrer/in zeigt besonderes Engagement, Einsatz über Unterricht hinaus (18,9%; 32,0%): nimmt sich Zeit (in Pausen, außerhalb des Unterrichts/ der Sprechstunde, spricht mit Schülern über persönliche Probleme (Vertrautheit als Grundlage), bietet Hilfe und Beratung an, unterstützt Schüler bei Lernschwierigkeiten, motiviert zu Weiterbildung (Abi nachholen, Studium). Setzt sich für einzelne/ für die Klasse gegen Widerstände (andere Lehrer), für deren Ziele (z.B. Klassenfahrt) ein, feiert mit Schülern; wendet außergewöhnliche Verstärkungsmaßnahmen an: Lehrer zahlt bei gutem Notendurchschnitt in Klassenkasse, kleine Geschenke bei besonderen Anlässen (z. B. Weihnachten, vor Ferienbeginn), verzichtet auf mögliche Sanktionsmaßnahmen und Strafen. Beispiele: „Als mein wichtiges Familienmitglied gestorben ist fand ich es gut das mein damaliger Lehrer mir geholfen hat und erklärt hat wies weiter geht.“ (FB 497); „Sie hat aus eigenem Antrieb mit mir über persönliche Probleme gesprochen.“ (FB 361); „Er hat mir geholfen, als ich in der Hauptschule […] ein bisschen Mist gebaut
374
11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht hab`. Er hat dafür gesorgt, dass ich keine Anzeige bekomme. Außerdem hat er mir Mathe immer genau erklärt, bis ich es konnte. Und er hat mir Mut gegeben weiter zu machen (also die Schule).“ (FB 273).
Abb. 11.2: Positives Lehrerverhalten aus Sicht von Schülern und Studierenden in Prozent (n = 481; 381 Schüler, 100 Studierende; pro Person wurde jeweils die Antwort mit dem höchsten Wert gezählt).
38
40 34,4
35
34,6
32
30 22
25
18,9
20 15 10
5,5 6
6,6
5
2
0 1
2
3
Schüler
Studierende
4
5
1= keine positive Erfahrung; 2= allgemein freundlich zugewandt; 3= positiv interessiert; unterstützt, lobt, motiviert; 5= Einsatz über den Unterricht hinaus.
4=
11.2.5 Lehrer aus der Sicht von Studierenden Wenn man Lehramtsstudierende nach Kriterien für professionelles Lehrerverhalten fragt, dann erhält man ziemlich klare Vorstellungen – auch davon, was nicht professionell ist. Jürg Sonderegger (2008) hat eine solche Studie durchgeführt. Nur ein Drittel der Studierenden hat die Lehrer, bei denen sie ein Praktikum absolvierten, als Profis bewertet. Nach ihrer Darstellung sind professionelle Lehrer an erster Stelle engagiert, sie sind ferner offen, lernwillig, und sie versuchen, gerecht zu sein. Der Umgang mit den Schülern ist durch Wertschätzung gekennzeichnet, durch ein „stimmiges“ Maß von Nähe und Distanz und der Beachtung des Einzelnen, der Unterricht neben den üblichen Kriterien durch Lernzielorientierung, durch eine erfolgreiche Vermittlung. Typisch ist die Verknüpfung von Theorie und Praxis und das kritische Reflektieren des eigenen Verhaltens.
11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement
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Die engagierte, professionelle Lehrkraft hat „ein gewisses Etwas“, d. h. Ausstrahlung und Begeisterungsfähigkeit. Dieser Befund ist empirisch belegt und hat insofern eine m. E. wissenschaftliche Bedeutung. Oftmals werden in der Pädagogik solche Aussagen als bloß subjektive Theorien abgewertet, wobei das Faktum der Intersubjektivität übersehen wird, die aber bei der professoralen subjektiven Theorie anscheinend nicht vorliegt. Der Autor folgert: „Im Alltag und in der Ausbildung bestehen also durchaus Kriterien für Professionalität, entgegen all der ungelösten Diskussionen in wissenschaftlichen Kreisen“.
11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement 11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement Eine spezifische Skala zum Lehrer-Engagement wird hier nicht vorgelegt, wie bereits erwähnt wurde. Wir haben jedoch die Merkmale Identifizierung, Commitment, Involvement und Loyalität in die Absicherung unseres Modells mit einbezogen, wie in Kapitel 4 dargelegt und auch vorher präsentiert wurde, und die Dimension Engagement – Disengagement mit einer besonderen Skala gemessen (Schmitz, Gayler, Jehle, 2002). Diese Skala basiert auf der ursprünglichen Skala zur Messung der Inneren Kündigung. Da mittels dieser Skala zuzüglich der Skalen zur Identifikation mit der Organisation, zur Loyalität, zu Involvement und Commitment sowohl das Ausmaß an Engagement als auch an Disengagement hinreichend valide gemessen werden kann, konnte darauf verzichtet werden, eine eigene Skala „Engagement“ zu erstellen. Im Folgenden wird nicht DAS Lehrer-Engagement als eine „Eigenschaft“ von Lehrern beschrieben, was ebenso unsinnig wäre, wie DIE Persönlichkeit des Lehrers beschreiben zu wollen, sondern es wird das beobachtbare Handeln und Verhalten engagierter Lehrer anhand der empirischen Befunde geschildert, die in diesem Buch vorgelegt wurden: Einen ersten Einblick über 1240 engagierte Lehrpersonen verschafft Tabelle 11.2. Danach würden von ihnen 82,5% erneut Lehrer werden, nur 2,8% antworteten mit nein und 14,7% sind unentschlossen. Tabelle 11.2: Identifikation der engagierten Lehrer (in Prozent) Von den engagierten Lehrern ja/eher ja unentschlossen nein würden erneut Lehrer werden 82,5 14,7 2,8 sind sehr zufrieden mit Beruf 81,9 17,5 0,6 bereuen, Lehrer geworden zu sein 1,8 19,8 78,4 sich einzusetzen lohnt nicht 1,9 25,5 72,7 erleben berufl. Tätigkeit sinnvoll 74,2 19,3 6,5 finden Erfüllung im Beruf 61,3 34,0 4,7 Identifikation mit dieser Schule 91,0 6,0 3,0 Loyalität 94,2 4,5 1,3 Darstellung nach außen wichtig 86,4 12,1 1,5
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht
Engagierte Lehrer übernehmen und tragen Verantwortung, setzen sich ein, fühlen sich gebunden jeweils in Bezug auf die Schüler, auf die Schule und auf das Kollegium incl. Schulleitung. Damit wir uns davor schützen, einfach den idealen Lehrer zu beschreiben, halten wir uns im Folgenden hart an unsere empirische Befunde, die alle auf Beobachtungsdaten und Befragungen basieren.
Die Befunde belegen, dass wir nicht zu wenig über engagierte, professionelle Lehrer wissen können und wissen. Die gegenteilige Behauptung ist definitiv falsch. Die Frage nach dem engagierten (disengagierten) Lehrer ist eine empirische Frage, die allein mit den Möglichkeiten des empirischen Erkenntnisgewinns beantwortet werden kann. Auch über professionelle (unprofessionelle) Lehrer liegen seit ca. 30 Jahren wichtige Befunde vor. Die Zusammenstellung ist nach folgenden Gesichtspunkten gegliedert: (1) (2) (3) (4)
Merkmale von engagierten Lehrerpersönlichkeiten; Organisationsbezogenes Engagement: Schule, Schulleitung, Kollegium; Personenbezogenes Engagement: Lehrer-Schüler-Beziehung; Tätigkeitsbezogenes Engagement und Professionalität.
11.3.1 Lehrerpersönlichkeit (zu diesem Punkt vgl. Kapitel 7 dieses Bandes)
Positives Lehrerhandeln im Unterricht ist durch Gestaltung und Stützung des Lehrer-Schüler-Systems und durch Minimierung von Störungen desselben gekennzeichnet. Die „schlechte“ Lehrperson wird – möglicherweise in guter Absicht – eher Informationen produzieren, die das System nicht stützen und Konflikte eher verschärfen, Störungen nicht minimieren. Auch ein disengagierter Lehrer kann effektiv sein, aber oft mit negativen Nebeneffekten. Entscheidend für den Unterschied von engagierten und disengagierten Lehrern sind die Wertesysteme der Lehrer hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung, hinsichtlich der Einstellung zu den Schülern, des Umgangs mit Störsignalen seitens der Schüler und hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Beziehung. Diese individuellen Wertesysteme der Lehrkräfte, m. a. W. ihre verhaltensführenden Einstellungen, entscheiden über das Ob und das Wie der Informationen, die sie in das System geben. Das engagierte Vorbild der Lehrkraft, ihre Begeisterung sowohl für das Unterrichtsthema als auch für die Art der Vermittlung (fachdidaktische Kompetenz) kann eine hohe motivierende Wirkung auf die Schüler haben, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Lehrkraft als Person von den Schülern akzeptiert wird.
11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement
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Engagierte Lehrer sind in ihrer beruflichen Tätigkeit nicht durch eine krankheitswertige körperliche und/oder seelische Auffälligkeit in dem Maße behindert, dass die Lehrer-Schüler-Relation und das Unterrichten beeinträchtigt werden. Dabei ist auch hier zu differenzieren: Schüler erkennen an, wenn sich ein Lehrer auf Krücken in die Schule schleppt, um sie in den letzten Wochen vor einer Abschlussprüfung vorzubereiten, haben aber wenig Verständnis, wenn der Lehrer nicht einsatzbereit ist, aber trotzdem unterrichten will (Originalzitat einer Klasse Sekundarstufe 2: „Der soll sich erst mal auskurieren, so bringt das nichts“) Engagierte Lehrer nehmen Erfolge wahr und verfügen über eine gewisse Zufriedenheit. Engagierte Lehrer sind tatkräftig, d. h. sie tun etwas, wenn sie sehen, dass etwas getan werden muss oder sollte. Sie können sich aber auch kurzfristig distanzieren. Seelisch gesunden engagierten Lehrern ist eine konstruktive Durchsetzungskraft zu eigen, d. h. sie verstehen es, andere zu überzeugen und für ihre Sache zu gewinnen, ohne andere in der Klasse und im Kollegium zu beschädigen. Sie lassen sich aber auch selbst durch gute Argumente überzeugen. Engagierte Lehrer verfügen über erfolgreiche Bewältigungsmuster. Sie verfügen über die psychischen und mentalen Ressourcen, die nötig sind, um Hindernisse zu überwinden. Engagierte Lehrer sind seelisch widerstandsfähig (Hardiness nach Maddi). Engagierte Lehrer haben ein gesundes Selbstvertrauen in Verbindung mit der Fähigkeit zur Selbstkritik. Engagierte Lehrer bleiben in schwierigen Situationen gelassen und zielstrebig. Engagierte Lehrer haben Humor und können auch mal über sich lachen. Emotionales: engagierte Lehrer haben eine ausgeglichene, stabile und kontrollierte Emotionalität. Das bedeutet u. a. auch, dass sie in schwierigen Situationen „den Kopf bewahren“ und besonnen, den Anforderungen angemessen handeln können. Das soll nicht heißen, dass sie nicht wütend oder freudig erregt sein dürfen. Das würde in einer Versandung des Gefühlslebens münden. Sie dürfen in entsprechenden Situationen ihre Enttäuschung, ihren Zorn, ihre Aufregung und ihre Freude reflektieren und auch verbal zum Ausdruck bringen. Eine „gute“ Lehrkraft sollte in ihrer Grundstimmung nicht depressiv sein ( i. S. einer klinischen psychologischen oder psychiatrischen Diagnose gemäß ICD-10, F 41 bzw. F 48; vgl. Kap. 3.6.3 dieses Bandes; ICD = International Classification of Diseases, vgl. Dilling, 2005). Das bedeutet nicht, dass sie nicht bei gegebenem Anlass deprimiert sein darf. Der Unterschied von Depression und Deprimiertsein muss klar sein. Aber selbstverständlich können Personen, die an einer Depression erkrankt sind, engagiert und professionell sein. Das ist hier nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass Personen mit einer psychisch krankheitswertigen Diagnose in einer plötzlich eintretenden schwer belastenden Situation oft nicht angemessen handeln können oder sich nicht zutrauen, angemessen handeln zu können.
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht Engagierte Lehrer tendieren dazu, bei Misserfolg diskriminativ zu reagieren: unbedeutende Misserfolge kann man ignorieren. Dagegen wird ein für die Person und ihr Selbstbild bedeutsamer Misserfolg die Suche nach den Ursachen auslösen. Selbstsichere Personen wenden sich aktiv den möglichen Ursachen zu, unsichere Personen meiden sie eher. Selbstsichere Personen sehen einen Misserfolg eher als die Herausforderung, es künftig besser zu machen und als Aufforderung nach der Suche nach besseren Handlungsmöglichkeiten. Engagierte Lehrer haben bei Berufsbeginn realistische Erwartungen an ihre Berufstätigkeit und keine unrealistischen Ansprüche. Trotz ihres Arbeitsengagements erhalten engagierte Lehrer sich ihre Distanzierungsfähigkeit.
11.3.2 Personenbezogenes Engagement: Schule, Schulleitung, Kollegium
Seelisch gesunde Lehrer neigen nicht dazu, jede zusätzliche Aufgabenübertragung als eine Benachteiligung und als Bruch des Psychologischen Vertrags zu sehen. Sie besitzen genügend Selbstsicherheit, um das auch als Auszeichnung anzusehen oder aber sich gegebenenfalls wehren zu können. Engagierte Lehrer setzen sich für die Belange ihrer Schule ein, ohne dabei außergewöhnlich enthusiastisch zu sein, sie zeigen Interesse am Tagesgeschäft der Schule, melden sich zu Wort, wenn sie es für nötig halten, und diskutieren Probleme Engagierte Lehrer fordern von der Schulleitung eine kooperative Führung und Einbindung in wichtige Entscheidungen und eine gewisse Mitbestimmung. Sie sehen den Schulleiter nicht als „Chef“ und Führer, sondern sie sehen ihn als Primus inter Pares, als Ersten unter Gleichen, der die Legitimation seines Handelns aus dem Wollen des Kollegiums bezieht. Aber diese Wahrnehmung des Schulleiters aus Lehrersicht setzt eine professionelle Schulung der Schulleitung voraus. Eine engagierte, professionelle Lehrkraft verhält sich gegenüber ihrer Schule incl. Kollegium, Schülern und Leitung loyal. Allerdings ist es nicht immer leicht, sich gegenüber den drei Gruppen in je gleicher Weise loyal zu verhalten. Konflikte innerhalb oder zwischen den Gruppen können u. U. ein loyales Verhalten unmöglich machen. Dies gilt z. B., wenn innerhalb des Kollegiums die Ansichten über tolerierbares Schülerverhalten differieren.
11.3.3 Personenbezogenes Engagement: Lehrer-Schüler-Beziehung
Das Handeln professioneller Lehrer enthält Informationen und Signale zur Förderung und Stabilisierung des Lehrer-Schüler-Systems. Beispiele dieser Kategorie sind: Förderung der aktiven Mitarbeit und der Beteiligung am Unterricht,
11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement
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Motivierung durch Verstärkungen, Produktion positiver Gefühle. Lehrpersonen, die sich in der Verantwortung für die schulische Entwicklung ihrer Schüler sehen, werden über ihren Einsatz im Unterricht hinaus das persönliche Gespräch suchen, Beratung anbieten und sich für ihre Schüler einsetzen (für die Schüler „da sein“ kann konkret heißen, ihnen für mögliche Problemsituationen die Nummer seines Handys zu geben. Erfahrungen haben gezeigt, dass solche Angebote bei einem intakten Lehrer-Schüler-Verhältnis praktisch nie missbraucht werden). Die entsprechenden Rückmeldungen sind Lernerfolg, positives Verhalten gegenüber dem Lehrer und indirekt: positive Einstellung zum Lehrer. Engagierte Lehrer wissen: die individuelle Persönlichkeit des Schülers ist unantastbar – und sie können auch in Extremsituationen damit umgehen. Engagierte Lehrer fördern die Zuversicht und das Selbstvertrauen der Schüler, d. i. auch die Zuversicht in das eigene Können im Sinne der Selbstwirksamkeit; gute Lehrer wissen nicht nur, wie man das macht, sie tun es auch. Unprofessionelle Lehrer verfügen oft nicht einmal über das Wissen „wie“. Professionelle Lehrer evozieren eine positive Stimmung in der Klasse und lassen drohen- de Konflikte erst gar nicht aufkommen, das sind Signale von Ruhe und Gelassenheit, Humor, Verständnis für gelegentliche „Ausrutscher“ der Schüler (Beispiele: „mal ein Auge zudrücken“, bei lässlichen Provokationen Spaß verstehen, über sich selber lachen können, Fehler zugeben und Widerspruch zulassen). Engagierte Lehrer beherrschen die vielfältigen Möglichkeiten der Motivierung: intrinsische Motivierung durch Wecken von Sach- und Tätigkeitsinteressen, von Neugier, Freude am Fach, Leistungswille etc.; extrinsische Motivierung durch systematische Verstärkungen, durch Hinweis auf die Nützlichkeit für die Lebenswelt der Schüler (falls vorhanden), durch Angebote von Modellen, durch Engagement und Begeisterung der Lehrkraft. Engagierte Lehrer sind in der Lage, Provokationen jugendlicher Schüler auf deren pubertäre Probleme zu attribuieren und nicht auf die eigene Person zu beziehen, was nicht heißt, dass sie eventuelle Entgleisungen ungestraft durchgehen lassen. Engagierte Lehrer sind den Schülern gegenüber grundsätzlich freundlich zugewandt. Sie strahlen positive Emotionen aus. Das gehört zu ihrem Habitus. Seelisch gesunde Lehrer sind in der Lage, im Unterricht und bei Störungen ihre Emotionen zu kontrollieren, ohne dabei gefühlskalt zu wirken. Engagierte Lehrer sind fähig, die eigene Person, ihr Auftreten und Handeln, in der Sicht der Schüler mit positiven Gefühlen und Erwartungen zu verknüpfen. Sie können einen Stoff, bestimmte Unterrichtsinhalte etc. mit positiven Gefühlen verknüpfen, so dass ein intrinsisches Interesse an der Sache entstehen kann. Sie besitzen die innere Freiheit zur Evaluation durch die Schüler („Schülerfeedback“) und lassen sie nach Möglichkeit in angemessenem Rahmen mitbestimmen.
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht Professionelle, engagierte Lehrer können beobachten. Ohne diese Kompetenz können die Kernaufgaben des Lehrerberufes gar nicht bewältigt werden (Denner, 2005). Sie bemerken auch, wenn ein Schüler außerhalb der Schule Probleme hat: Ein Lehrer gab seelische Unterstützung bei einem Todesfall in der Familie, ein anderer half bei einer anstehenden polizeilichen Anzeige. Engagierte Lehrer lassen ihre Schüler zur Ruhe kommen, entlassen sie auch einmal aus der Beschleunigung unserer Zeit und hetzen sie nicht von Leistung zur Leistung. Engagierte Lehrer haben im Unterricht einen zeitlich bedeutsam geringeren Sprechanteil als ihre Schüler.
11.3.4 Tätigkeitsbezogenes Engagement und Professionalität
Engagierte Lehrer bemühen sich aktiv um Professionalität des Unterrichtens. Lehrer-Professionalität ist die Fähigkeit, Bildung nachhaltig zu vermitteln. Dazu gehört eine moderne Didaktik (Stichwort „Handlungsorientierter Ansatz“), die Integration moderner Medien und die Beachtung der Gesetzmäßigkeiten des Lernens und Lehrens. Engagierte Lehrer leisten mehr, als nur den fachbezogenen Stoff dar- und anzubieten. Sie bieten die fachlichen Inhalte so an, dass die Schüler davon beeindruckt und im besten Fall motiviert sind, sich auch außerhalb der Schulzeit mit dem Fach oder dem Thema zu beschäftigen. Engagierte Lehrer bemühen sich immer wieder darum, auch komplexe Problemstellungen ihres Faches gemäß den Kenntnissen und Fähigkeiten ihrer Schüler zu vereinfachen (Techniken der Reduktion). Engagierte Lehrer sind fähig, ihren Unterricht in Gliederung und Ablauf zu kontrollieren und nach Möglichkeit den vorgesehenen Zeitplan einzuhalten (das so genannte Zeit-Management). Engagierte Lehrer setzen klare, für die Schüler verstehbare, Ziele für jede Unterrichtseinheit. Damit eröffnen sie sich und den Schülern die Möglichkeit von lernzielbezogenen Rückmeldungen. Engagierte Lehrer verfügen über die Fertigkeit, die Unterrichtsangebote nach Kriterien der Wahrnehmungspsychologie zu gestalten. Förderung aktiven, selbstständigen Lernens durch z.B. vielfältige Sprech- und Lerngelegenheiten, denn gut ist ein Unterricht, „in dem mehr gelernt als gelehrt wird.“ (Franz E. Weinert, 1996). Die Fachkompetenz wird im Regelfall hinreichend sicher vorhanden sein. Eher liegt Überqualifizierung vor. Ein Fachlehrer muss im Unterricht weit unter seinen Kenntnissen bleiben, was oft frustrierend ist. Daraus resultieren manche Aggressionen gegen Schüler. Engagierte Lehrer verstehen es, Schülern in ent-
11.3 Zusammenstellung der empirischen Befunde zum Lehrer-Engagement
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sprechenden Situationen komplexe Sachzusammenhänge ihres Faches, ggf. auch über den Lehrplan hinaus, nahe zu bringen. Engagierte Lehrer beherrschen das Variieren von Methoden und Sozialformen, je nach Lernziel, Fach und Schülerbedarf, wie z.B. die Gruppenarbeit, die Methode der modularen Förderung, d.h. der Teilung in kleinste Gruppen, so dass sie bereichsspezifisch fördern können, etwa das Erlesen von Texten, das logische Analysieren von Aussagen, das mathematische Analysieren, die freie Rede u.dgl. m.. Engagierte Lehrer fördern nicht das bloße Funktionieren, sondern sie legen Wert auf Bildung, auf die Vermittlung von Werten, auf Erziehung, wie Sie ja auch von den einschlägigen Länderverfassungen formuliert werden (vgl. Art. 131 Abs. 1, Verfassung des Freistaates Bayern). Engagierte Lehrer können mit der Unbestimmtheit der pädagogischen Situation umgehen, das Unplanbare des Unterrichts ungefähr – mit möglichen Abweichungen – antizipieren, mit der Alltäglichkeit von Überraschungen rechnen (Thenorth, 2006), weil sie über entsprechende – allerdings oft subjektiv generierte – Handlungs-Schemata verfügen. Die Unbestimmtheit ist kein Spezifikum des Unterrichtens. Von Unbestimmtheit ist beispielsweise die psychotherapeutische Situation gekennzeichnet, auch die des Klinikers und des Arztes, die nach der treffenden Diagnose suchen. Unbestimmt ist die Situation der Urteilsfindung in einem Prozess für Kläger, Verteidiger, Angeklagtem, Anwälten und Richter. Ähnliches gilt für viele andere Berufe. Der Unterschied zur Situation des Pädagogen liegt darin, dass alle diese Berufe über ein präzises handwerkliches Instrumentarium und über beschreibbare Handlungsschemata verfügen (man beachte in diesem Zusammenhang die Etablierung der Psychologie, die sich im Zuge der Entwicklung von erfolgreichen psychologischen Therapie-Techniken vollzog). Sofern man am Technologieverdikt festhält, wird die Pädagogik im Dilemma von Bildungsauftrag und Könnensdefizit verbleiben. Die richtigen Fragen zu stellen setzt eine gute Schulung in naturwissenschaftlichem Denken voraus. Das soll nicht heißen, dass nicht auch aus der geisteswissenschaftlichen Perspektive, etwa aus derjenigen der Logik, schlüssige Antworten auf schwierige Fragen geliefert werden könnten. Aber gelegentlich werden geistreiche und wortreiche, schön formulierte Reden vorgetragen und keine schlüssigen Antworten geliefert. Die Verknüpfung von Fachkompetenz und Engagement für das Fach wird, zumindest von Schülern der Sekundarstufe 2, vorausgesetzt. Von einem DeutschLehrer ist zu erwarten, dass er regelmäßig für seine Schüler Theaterbesuche organisiert und diese auch vorbereitet. Ein Englischlehrer, der seit Jahren keinen Kontakt nach Großbritannien oder in die USA hält, verliert aus Schülersicht seine Fachkompetenz ebenso wie der Informatik-Lehrer, der zu Hause keinen InternetAnschluss hat oder der Erdkunde-Lehrer, der seine Sommerferien alljährlich im Wohnmobil im benachbarten Landkreis verbringt.
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht Entscheidend ist nicht die Begeisterung für das eigene Fach, sondern entscheidend ist, ob eine Lehrperson für die Tätigkeit des Lehrens begeistert ist. Engagierte Lehrer legen Wert sowohl auf den Unterrichtsprozess als auch auf das Unterrichtsprodukt (dazu Helmke, 2006, S.25). Die moderne Prozessbeurteilung fokussiert nicht nur die herkömmlichen pädagogischen Kriterien wie Aufbau der Stunde, „handwerklich“ saubere Durchführung und Einhalten des Zeitplans, „egal, ob Schüler noch Fragen haben“, sondern das Klassenmanagement als vorausplanendes Handeln, die Zeitnutzung, die Klarheit der Darbietung, Angebotsvielfalt, Sicherung, die zahlreichen Möglichkeiten der Motivierung, die systematische Nutzung der Gesetzmäßigkeiten des Lernens, Lehrens und des Vergessens (!) usw. usf. (vgl. Lukesch, 2001; Helmke, 2006, Kapitel 4). Engagierte Lehrer verfügen über die Fähigkeit und das Können, die Verhaltensdiversität ihrer Schüler, auch Störverhalten, unter Schemata begrifflich zu ordnen und sich so eine Grundlage für ihr Antwortverhalten zu schaffen. Beispielsweise verfügen sie über hinreichende Kenntnisse über entwicklungspsychologische Stadien (Stufen), um das Verhalten und Handeln von Kindern und jugendlichen Schülern verschiedenen Alters einordnen und verstehen zu können. Eine engagierte Lehrperson wird niemals ihre pädagogische Selbstverwirklichung nur im rein wissenschaftlichen Sektor suchen, obwohl die hohe fachliche Qualifikation dazu verführen könnte. Fachlehrer haben häufig das Gefühl, weit unter ihrer Qualifikation arbeiten zu müssen. Engagierte Lehrer kümmern sich um ihre fachdidaktische Kompetenz. Nach Beurteilung der Schüler achten sie darauf, Zusammenhänge so präzise zu erklären, dass jeder Schüler geistig folgen kann, sie unterstützen, ermuntern und geben positive Rückmeldungen. Notfalls arbeiten sie mit der Klasse an einem Thema so lange, bis es jeder verstanden hat (vgl. Schülerzitate). Zur Erinnerung: Das war kein Katalog erwünschter Merkmale des „guten“ oder idealen Lehrers. Auch muss nicht jede engagierte Lehrkraft alle diese Merkmale haben. Diese Merkmale basieren auf den empirischen Befunden dieses Buches.
11.4 Warum manche Lehrer sich disengagieren und andere nicht 11.4 Warum manche Lehrer sich disengagieren und andere nicht Abschließend soll die Frage, warum unter sonst gleichen Bedingungen manche Lehrer sich disengagieren und andere nicht, stichwortartig behandelt werden. Diese Frage wurde implizit in verschiedenen Kapiteln bereits beantwortet. Zur Erinnerung: Disengagement ist in den meisten Fällen ein Selbstschutz. Hier sollen nur ein paar markante Punkte für das Disengagement zusammengestellt werden: Das Ausbleiben erwarteter positiver Ereignisse gilt allgemein grundlegend für die meisten anderen Ursachen von Disengagement, denn Erwartungen sind Antizipationen von Ereignissen im Rahmen beruflicher Scenarien in der Unterrichtstätigkeit. Aber Zukunft, ob antizipiert oder nicht, findet nicht statt, nur die
11.4 Warum manche Lehrer sich disengagieren und andere nicht
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Gegenwart findet statt. Die Zukunft ist – je nach Können – kaum planbar. Es findet selten genau das statt, was man antizipiert und gewünscht hatte. Die Wahrnehmung von Verletzungen der Reziprozitätsnorm (informeller Vertragsbruch) ist ein sehr häufiger Grund für ein Disengagement. Bei einigen Formen des Disengagements kann angenommen werden, dass die Psychologischen Verträge von unterschiedlichen Bezugsgruppen gebrochen werden, von Schulleitern, Kollegen oder von Schülern. Aber nicht alle Disengagierten nehmen solche Vertragsbrüche wahr. Die Wahrnehmung von Kontrollverlust infolge andauernder Misserfolge, die wiederum aus den mangelhaft ausgebildeten Kompetenzen resultieren, ist der entscheidende Grund für den Weg ins Disengagement. Weitere Gründe sind: Sinnverlust infolge der Intransparenz der Entscheidungen „von oben“. Die persönliche Enttäuschung bei der entsprechenden psychischen Disposition. Bei einer Teilmenge der Disengagierten sind Persönlichkeitsfaktoren wie emotionale Labilität, Neigung zu Neurotizismus bzw. zur Depression wirksam. Diese Dispositionen können eine Verzerrung der Wahrnehmung derart bewirken, dass die andere Partei als potenziell gefährlich wahrgenommen wird, oder dass Erfolge nicht erkannt werden. Eine Teilmenge der disengagierten Lehrer hat frühzeitig erkannt, dass sie den falschen Beruf gewählt hat. Doch wer auf diese Schiene geraten ist, hat kaum eine Möglichkeit, einen anderen Beruf zu wählen (kaum eine Universität bot die Möglichkeit, wie die TU München, das Lehramts-Studium als Diplom-Pädagoge zu beenden). Die jetzt angelaufenen Bachelor-/Master-Studiengänge erlauben noch keine Prognosen. Einige der später Disengagierten wurden von ihren Vorgesetzten vorsätzlich bereits während des Referendariats in übergroße und schwierige Klassen gesetzt, so dass sie früh überfordert waren. In diesem Fall ist das Prinzip der gleichen Bedingungen durchbrochen. Einige Lehrer haben das Pech, unter einer unfähigen Schulleitung arbeiten zu müssen. Sie sind für den Weg ins Disengagement besonders prädestiniert. Bei einigen Lehrern führte die Nichterfüllung von anfangs überhöhten, unklaren Zielen (Ich möchte ein besserer Lehrer sein als die meisten anderen) zu Misserfolgen und Verzweiflung. Das Disengagement ist bei diesen Personen ein zwingender Selbstschutz. Andernfalls führt der Weg in den Burnout. Bei einigen ist der Lehrerberuf eine Verlegenheitswahl. Sie wählen diesen Beruf, weil sie glauben, ihn zu kennen („viel Freizeit, eine lebenslange, sichere Anstellung“). Personen unterscheiden sich in der Fähigkeit, Situationen unter Regeln zu bringen und diese in Praxis umzusetzen. So gelingt nicht jedem der Transfer des motivationspsychologischen Wissens in die praktische Anwendung. Die Folge kann nur Misserfolg sein.
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11 Engagierter Lehrer – erfolgreicher Unterricht Augenscheinlich sind fast alle Ursachen von Disengagement in den Personmerkmalen begründet. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn ebenso ursächlich wirken die widrigen Umstände am Arbeitsplatz, in der Ausbildung und im Personalmanagement. Die Folgerungen für Maßnahmen zur Förderung des beruflichen Engagements von Lehrern aus den Befunden, die in diesem Band erarbeitet wurden, dürfte für niemanden, der in diesem Feld arbeitet, eine Überforderung sein.
12 Ausblick 12 Ausblick
Das Ziel dieser Studie war es, etwas über die engagierte, professionelle Lehrkraft zu erfahren, und zwar mittels Unterscheidung vom Disengagement. Da über diese Bereiche kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vorlagen, ist es notwendig gewesen, ausschließlich mit empirischen Methoden zu arbeiten, denn mit der Empirie hebt der Erkenntnisgewinn an. Auf dieser Grundlage kann man, wer das möchte, mit anderen Methoden des Erkenntnisgewinns weiter arbeiten. Prinzipiell herrscht folgender Grundsatz: Die Merkmale des Verhaltens eines Schülers oder seiner Beziehung zu anderen Schülern oder zur Lehrkraft ändern sich in gesetzmäßiger Abhängigkeit (im Sinn von Ursache und Wirkung bzw. von Wechselwirkung) von Änderungen der Merkmale des Verhaltens und Beziehungen anderer Schüler oder der Lehrkraft. Dabei ist die Ebene der bloßen Wenn-Dann-Relation zu unterscheiden von der Ebene der theoretischen Bedeutungszusammenhänge. Das Engagement für die Tätigkeit des Unterrichtens und für die Individualität des Schülers führt unmittelbar zur Beobachtung des eigenen Tuns und zur Beobachtung der Wirkung des eigenen Tuns. Das führt zur Entdeckung von Gesetzmäßigkeiten der psychosozialen Zusammenhänge. So entwickelt sich eine empirische Orientierung, ohne die das Unterrichten ein mehr oder weniger „bloßes Herumtappen“ (nach einem Wort von Immanuel Kant) bleibt – was leider bis heute auf viele Lehrer zutrifft. Das Handeln des Lehrers ist ohne eine theoretische Orientierung wenig erfolgreich. Das heißt, der Lehrer sollte sein Tun und die Wirkungen seines Tuns in jeder Situation als einen Wenn-Dann-Zusammenhang unter eine passende Theorie bringen können, die ihm diese Abfolge erklärt. Er muss also ein über ein Verständnis der elementaren Grundlagen des Lernens und des Vergessens, der Motivierung und der Aktivierung verfügen, wenn er in seinem Beruf eine gewisse Zufriedenheit erleben und Erfolg erfahren, und wenn er sich sein Engagement erhalten möchte. Die beste Methode, die das Erlernen der genannten Fertigkeiten ermöglicht, ist die Video-Beobachtung. Sie ermöglicht nicht nur die Aufzeichnung des Geschehens, sondern die Reflektion des eigenen Handelns, und sie ist eine Methode des Einübens des zielgerichteten Handelns im Unterricht. Viele Lehrkräfte kennen einige der psychosozialen Gesetzmäßigkeiten, weil sie während der Vorbereitung auf das Erste Staatsexamen gepaukt wurden. Das ist totes Wissen, so lange es nicht in der alltäglichen Praxis angewandt wird. Lehrer müssen ihr Handwerk beherrschen. Voraussetzung ist aber, dass sie genügend Gelegenheiten erhalten, um dies erlernen zu können. Das sind allein Gelegen-
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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heiten zum praktischen Erproben, zum Beobachten und zum Nachmachen. Dazu müssen die erforderlichen Einrichtungen an den Universitäten und an den Schulen für Referendare geschaffen werden. Ohne diese Ausbildung wird ein professionelles Unterrichten auch weiterhin eher die Ausnahme sein. Der Kern aller Maßnahmen muss die Förderung des prozeduralen Wissens (Fertigkeiten, Können in der Anwendung) sein im Sinn einer Verbesserung der Schlüsselqualifikation in der sozialen Kompetenz und im didaktischen Handlungswissen. Das sind konkrete Handlungsschemata etwa unter der Thematik: Wie erklärt man jüngeren Schülern die Unbekannte x?, wie fördert man die Elaboration neuer Informationen und wie meidet man Gedächtnisinterferenzen? Oder Schemata zur sozialen, operativen Kompetenz: Wie entschärft man einen interpersonalen Konflikt? Welche Maßnahmen eignen sich zur Motivierung (welche Maßnahmen sind dazu auf Dauer ungeeignet?). Wer einen Roman schreiben möchte, sollte die Orthografie beherrschen. Die Orthografie der Lehrer ist die soziale operative Kompetenz, der Roman ist das Unterrichtsprodukt am Ende des Schuljahres. Je mehr professionelle, engagierte Lehrer an unseren Schulen arbeiten und einen qualifizierten Unterricht halten, desto höher werden Akzeptanz und Anerkennung in der Gesellschaft sein. Unsere Jugend hat das verdient.
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Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.1:
Prozentsatz der Lehrkräfte und Grade der Begeisterung .................................... 18
Abbildung 1.2:
Involvement und Commitment ............................................................................... 27
Abbildung 2.1:
Darstellung der Prozesse, wenn Hindernisse auftreten ....................................... 50
Abbildung 2.2:
Möglichkeiten der Selbstregulation ........................................................................ 55
Abbildung 4.1:
Korrelation der IK-Skalen ...................................................................................... 109
Abbildung 4.2:
Ergebnisse der Modelltestung ............................................................................... 110
Abbildung 4.3:
Mittelwerte bei Lehrerinnen und Lehrern ........................................................... 113
Abbildung 4.4:
Mittelwerte in Schularten ....................................................................................... 113
Abbildung 4.5:
Mittelwerte zum Disengagement (Rating 1-6)..................................................... 114
Abbildung 4.6:
Mittelwerte nach Geschlecht.................................................................................. 115
Abbildung 4.7:
Häufigkeiten in Prozent pro Skalenwert .............................................................. 119
Abbildung 4.8:
IK-Mittelwerte ......................................................................................................... 120
Abbildung 4.9
Verteilung von Disengagement durch IK (Prozent) ........................................... 122
Abbildung 4.10:
Prozentuale Verteilung des Disengagements ...................................................... 124
Abbildung 4.11:
Dienstjahre und Anzahl der Personen.................................................................. 127
Abbildung 4.12:
Der Verlauf der IK (5-Item-Skala) nach Dienstjahren ......................................... 127
Abbildung 4.13:
Der Verlauf der Inneren Kündigung .................................................................... 128
Abbildung 4.14:
Mittelwerte der IK-Items nach Dienstjahren ....................................................... 130
Abbildung 4.15:
Prozentwerte der Engagierten und der Disengagierten..................................... 131
Abbildung 5.1:
Pflichtstunden pro Woche...................................................................................... 141
Abbildung 5.2 :
Ausmaß des Disengagements (incl. IK)................................................................ 147
Abbildung 5.3 :
Prozentualer Anteil: Unterstützung durch die Schulleitung ............................. 155
Abbildung 5.4:
Das Verhältnis der Wirkungen von Belastungsfaktoren .................................... 156
Abbildung 5.5:
Erwartung und Erwartungserfüllung .................................................................. 166
Abbildung 5.6:
Wie weit wird diese Erwartung erfüllt? ............................................................... 169
Abbildung 6.1:
Alter, Dienstalter, Klassengröße und Arbeitsaufwand ...................................... 177
Abbildung 6.2:
Investitionen und Enttäuschungen ....................................................................... 183
Abbildung 6.3:
Kritische Merkmale bei Engagierten und Disengaierten ................................... 184
Abbildung 6.4:
Engagierte und disengagierte Personen in Prozent ............................................ 185
Abbildung 6.6:
Zusammenhang Beanspruchung mit IK-Stufe .................................................... 188
E. Schmitz, P. Voreck, Einsatz und Rückzug an Schulen, DOI 10.1007/978-3-531-92803-6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
400
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 6.7:
Soziale und Arbeitsbelastung ................................................................................ 191
Abbildung 6.8:
Verteilung der Häufigkeitswerte (%) der negativen Einstellung ...................... 199
Abbildung 6.9:
Negative Einstellung zu den Schülern; ................................................................ 200
Abbildung 6.10:
Negative Einstellung korreliert mit anderen Merkmalen .................................. 201
Abbildung 6.11:
Positiv und negativ eingestellte Lehrkräfte ......................................................... 204
Abbildung 6.12:
Negative Einstellung und psychische Symptome............................................... 207
Abbildung 7.1:
Müdigkeitssymptome/Reizbarkeit........................................................................ 212
Abbildung 7.2:
Disengagement und psychosomatische Merkmale ............................................ 219
Abbildung 7.3:
Psychosomatische Merkmale: Engagierte vs. Disengagierte ............................. 221
Abbildung 7.4:
Prozentuale Anteile von Gesunden und Depressiven........................................ 225
Abbildung 7.5:
Feedback, Erfolg und Resignation nach Misserfolg............................................ 228
Abbildung 7.6:
Identifikation mit dem Selbstkonzept „Burnout“ ............................................... 231
Abbildung 7.7:
Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten ................................... 234
Abbildung 7.8:
Emotionale Labilität ................................................................................................ 238
Abbildung 7.9:
Arbeitsprobleme bei Engagierten und Disengagierten ...................................... 240
Abbildung 7.10:
Werden Sie das reguläre Pensionierungsalter erreichen? .................................. 241
Abbildung 7.11:
mittlere Anzahl der Fehltage bei IK ...................................................................... 246
Abbildung 7.12:
Fehltage: Mittelwerte, Streuung in der Gesamtstichprobe ................................ 248
Abbildung 8.1:
Gesamtstichprobe 1643 Personen, ......................................................................... 252
Abbildung 8.2:
Mittelwerte der Engagierten und der drei IK-Formen ....................................... 253
Abbildung 8.3:
Investitionen in die Beziehung .............................................................................. 254
Abbildung 8.4:
Enttäuschungen ....................................................................................................... 255
Abbildung 8.5:
Mittelwerte der 3 disengagierten Gruppen ......................................................... 256
Abbildung 8.6:
Zufriedenheit mit dem Beruf ................................................................................. 257
Abbildung 8.7:
Zufriedenheit mit dem Beruf (Personen in Prozent) .......................................... 259
Abbildung 8.8:
Faktor „negative Einstellung zu Schülern“.......................................................... 260
Abbildung 8.9:
Investitionen und Enttäuschungen ....................................................................... 266
Abbildung 8.10:
Grade der Inneren Kündigung .............................................................................. 267
Abbildung 8.11:
IK-Lehrer mit und ohne Bruch des Psych. Vertrages ......................................... 268
Abbildung 8.12:
Belastungsfolgen ..................................................................................................... 270
Abbildung 8.13:
Sinnlosigkeit und falsche Berufswahl ................................................................... 272
Abbildung 8.14:
Belastung und IK bei N = 1243 Lehrern ................................................................ 273
Abbildung 8.15:
Disengagierte Lehrer ohne und mit Belastungserleben. .................................... 275
Abbildung 8.16:
Emotionale Erschöpfung bei Engagierten und IK-Lehrern ............................... 277
Abbildung 8.17:
IK-Gruppen mit und ohne Emotionale Erschöpfung (Prozent) ........................ 284
Abbildung 8.18:
Emotionale Erschöpfung (MBI) und Dehumanisierung (MBI) ......................... 285
Abbildung 8.19:
Engagierte, IK-Lehrer, jüngste IK-Lehrer (Mittelwerte) ..................................... 288
Abbildungsverzeichnis
401
Abbildung 9.1:
Durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 240 Schulleitern ............................... 301
Abbildung 9.2:
Altersverteilung der Schulleiter (Prozent) ........................................................... 304
Abbildung 9.3:
Die Erwartungen der Schulleiter ........................................................................... 308
Abbildung 9.4:
Würden Sie kündigen, wenn Sie kündigen könnten .......................................... 312
Abbildung 9.5:
Verbreitung von Disengagement unter Schulleitern .......................................... 313
Abbildung 9.6:
Vergleich der männlichen und weiblichen Schulleiter ....................................... 314
Abbildung 9.7:
Ich investiere mehr, als ich zurück erhalte........................................................... 315
Abbildung 9.8:
Ich bin von meinen Lehrern enttäuscht ................................................................ 316
Abbildung 9.9:
„investiere mehr ..“ und „bin enttäuscht“ (Prozent). ......................................... 316
Abbildung 9.10:
Glauben die Schulleiter, die Erwartungen zu erfüllen? .................................... 321
Abbildung 9.11:
Diskrepanzen zwischen Erwartung und deren Erfüllung ................................. 322
Abbildung 9.12:
Folgen wahrgenommener Diskrepanzen (3 Merkmale)..................................... 324
Abbildung 10.1:
Mittelwerte der Lehrer-Selbsteinschätzungen ..................................................... 333
Abbildung 10.2:
Verbreitung von Disengagement (IK) unter Schülern ........................................ 335
Abbildung 10.3a: Vergleich des Disengagements bei drei Schülergruppen .................................. 337 Abbildung 10.3b: Vergleich von drei Schülergruppen: ..................................................................... 338 Abbildung 10.3c: Vergleiche von drei Schülergruppen: ................................................................... 339 Abbildung 10.4:
Vergleich der Schülergruppen hinsichtlich Enttäuschung ................................ 340
Abbildung 10.5:
Erwartungen und deren Erfüllung ....................................................................... 343
Abbildung 10.6:
Realisation von Erwartungsclustern ..................................................................... 353
Abbildung 10.7:
Identifikation mit der Schule ................................................................................. 355
Abbildung 11.1:
Mittelwerte der Lehrer-Selbsteinschätzungen ..................................................... 370
Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.1:
Faktorenstruktur der Skala "Diagnose Innere Kündigung". .................................... 105
Tabelle 4.2:
Die Kern-Items zur Erfassung von Disengagement und IK ..................................... 105
Tabelle 4.3:
Korrelationen ρ der IK-Skala ........................................................................................ 108
Tabelle 4.4:
Skalenkennwerte (5 Items) in der Gesamtstichprobe (N = 2020) ............................. 113
Tabelle 4.5:
Innere Konsistenz der Skala zur IK ............................................................................. 114
Tabelle 4.6a:
Teststatistische Parameter der fünf Items der Skala IK............................................. 114
Tabelle 4.6b:
Teststatistische Parameter der Items: Frauen (N1 = 598) ......................................... 114
Tabelle 4.6c:
Teststatistische Parameter der Items: Männer (N2 = 1045) ...................................... 115
Tabelle 4.7:
Häufigkeiten der Personen ........................................................................................... 118
Tabelle 4.8:
Differenzen (Mittelwerte) zwischen Männern und Frauen ...................................... 120
Tabelle 4.9:
Verteilungen von Disengagement durch IK ............................................................... 121
Tabelle 4.10:
Disengagment (IK) im Vergleich der Schularten: ...................................................... 123
Tabelle 4.11:
Mittelwerte und Streuung (5-Item-Skala) in den Schularten ................................... 124
Tabelle 4.12:
Dienstjahre und Anzahl der Personen ........................................................................ 127
Tabelle 5.1:
Disengagement incl. IK ................................................................................................. 147
Tabelle 5.2:
Statistische Differenzen zwischen Klassengrößen ..................................................... 148
Tabelle 5.3:
Wirkung wirklicher und geschätzter Klassengrößen ................................................ 149
Tabelle 5.4:
Erfüllung der Erwartungen zum kooperativen Führungsstil .................................. 169
Tabelle 5.5:
Vergleich der engagierten und disengagierten Lehrkräfte....................................... 170
Tabelle 5.6:
Investition in die Schüler .............................................................................................. 172
Tabelle 6.1:
Korrelationen mit dem Disengagement ...................................................................... 173
Tabelle 6.2:
Zusammenfassende Ergebnisse der Diskriminanzanalyse ...................................... 175
Tabelle 6.4:
Kennwerte der Komponentenlösung .......................................................................... 178
Tabelle 6.5:
Skalen 1-4 bei Engagierten und Disengagierten ....................................................... 179
Tabelle 6.6:
Befürchtung von Ungerechtigkeit ............................................................................... 179
Tabelle 6.7:
Realisierung der Erwartungen an die Schulleitung .................................................. 180
Tabelle 6.8a:
Erwartungen an die Schüler ......................................................................................... 181
Tabelle 6.8b:
Realisierung der Erwartungen ..................................................................................... 182
Tabelle 6.9:
Investitionen und Enttäuschungen.............................................................................. 183
Tabelle 6.10:
Kritische Merkmale bei Engagierten und Disengagierten ........................................ 184
404
Tabellenverzeichnis
Tabelle 6.11:
Männliche/ weibliche Personen in Prozent ................................................................ 185
Tabelle 6.12:
Unterschiede zwischen Engagierten und Disengagierten ........................................ 189
Tabelle 6.13:
Soziale und Arbeitsbelastung....................................................................................... 190
Tabelle 6.14:
Rangreihe der Aussagen anhand der Mittelwerte (Rating 1 - 4) ............................. 191
Tabelle 6.15:
Univariate Trennfähigkeit der Variablen. ................................................................... 193
Tabelle 6.16:
Vorhergesagte Gruppenmitgliedschaft....................................................................... 193
Tabelle 6.17:
„Belastungsfolgen“ ........................................................................................................ 195
Tabelle 6.18:
Erschöpfungs-Items bei Engagierten und Disengagierten ....................................... 195
Tabelle 6.21:
Positiv und negativ eingestellte Lehrkräfte ................................................................ 204
Tabelle 6.22:
Erwartungen an die Schüler und Realisierung der Erwartungen ........................... 206
Tabelle 6.23:
Korrelationen der psychischen Symptome................................................................. 208
Tabelle 6.24:
Faktorladungen .............................................................................................................. 208
Tabelle 7.1:
Homogenisierung der zwei Gruppen ......................................................................... 218
Tabelle 7.2:
Diskriminanzanalyse ..................................................................................................... 220
Tabelle 7.3:
Psychosomatische Merkmale bei Engagierten und Disengagierten........................ 221
Tabelle 7.4:
Merkmale in Abhängigkeit von Graden des Disengagements ................................ 227
Tabelle 7.5:
Vergleich von Engagierten vs. Disengagierten .......................................................... 229
Tabelle 7.6:
Identifikation mit dem Selbstkonzept Burnout.......................................................... 230
Tabelle 7.7:
Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten .......................................... 232
Tabelle 7.8:
Items zur Selbstwirksamkeit bei Engagierten und Disengagierten......................... 233
Tabelle 7.9.:
Psychosomatische Beschwerden .................................................................................. 235
Tabelle 7.10:
Emotionale Labilität bei Engagierten und Disengagierten....................................... 237
Tabelle 7.12:
Arztbesuche in den letzten 6 Monaten........................................................................ 241
Tabelle 7.13:
Erreichen des Pensionierungsalters (Prozent)............................................................ 241
Tabelle 7.13:
Fehltage nach Selbstauskunft der Lehrpersonen ....................................................... 244
Tabelle 7.15:
Fehltage 0 bis 5 ............................................................................................................... 248
Tabelle 8.1:
Kennziffern der drei Cluster der IK-Personen: .......................................................... 253
Tabelle 8.2:
Investitionen in die Schüler, die Schulleitung und Kollegen: .................................. 254
Tabelle 8.3:
Enttäuschungen ............................................................................................................. 256
Tabelle 8.4:
Mittelwertsvergleiche der drei disengagierten Gruppen ......................................... 257
Tabelle 8.5:
Zufriedenheit mit dem Beruf........................................................................................ 258
Tabelle 8.6:
Zufriedenheit mit dem Beruf (Personen in Prozent) ................................................. 258
Tabelle 8.7:
Negative Einstellung zu den Schülern (Personen in Prozent) ................................. 259
Tabelle 8.8:
Zusammenfassung der Befunde .................................................................................. 260
Tabelle 8.9:
Überblick über Merkmale der drei IK-Formen .......................................................... 262
Tabelle 8.10:
Investitionen und Enttäuschungen.............................................................................. 265
Tabelle 8.11:
IK-Lehrpersonen ............................................................................................................ 266
Tabellenverzeichnis
405
Tabelle 8.12:
IK-Lehrer mit und ohne Bruch des Psychologischen Vertrages .............................. 268
Tabelle 8.13:
Items des Lehrer-Belastungsfragebogens ................................................................... 269
Tabelle 8.14:
Belastungsfolgen ............................................................................................................ 270
Tabelle 8.15:
Sinnlosigkeit und falsche Berufswahl ......................................................................... 271
Tabelle 8.16:
Belastung und Innere Kündigung ............................................................................... 273
Tabelle 8.17:
Vergleich von IK-Lehrern ohne (G1) vs. mit Belastung (G2). .................................. 274
Tabelle 8.18:
IK-Lehrpersonen ohne (Gruppe 1) und mit (Gruppe 2) ........................................... 277
Tabelle 8.19:
IK-Lehrer: Merkmale bei emotionaler Erschöpfung. ................................................ 278
Tabelle 8.20:
Items des Lehrer-Belastungsfragebogens ................................................................... 279
Tabelle 8.21:
Belastungsfolgen bei IK-Lehrern ................................................................................. 280
Tabelle 8.22:
Investitionen und Enttäuschungen bei IK-Lehrern ................................................... 280
Tabelle 8.23:
Erfüllung von Erwartungen bei IK-Lehrern ............................................................... 281
Tabelle 8.24:
Einstellung zu Schülern bei IK-Lehrern ...................................................................... 282
Tabelle 8.26:
Zufriedenheit, EE, Dehumanisierung und Belastung ............................................... 285
Tabelle 8.27:
Engagierte, Disengagierte und Junglehrer ................................................................. 289
Tabelle 9.1:
Rangplätze 1-26 der Erwartungen Mittelwerte ........................................................ 307
Tabelle 9.2:
Erwartungen und deren Realisierung ......................................................................... 310
Tabelle 9.3:
Wie viele Schulleiter investieren mehr, als sie zurückerhalten? .............................. 315
Tabelle 9.4:
Wie viele Schulleiter (in %) sind von den Lehrern enttäuscht? ............................... 315
Tabelle 9.5:
Zusammenfassende Tafel (Diskriminanzanalyse) ..................................................... 318
Tabelle 9.6:
Vergleich der Mittelwerte der Erwartungen .............................................................. 319
Tabelle 9.7:
Vergleich der Mittelwerte der Realisierung der Erwartungen ................................ 320
Tabelle 9.8:
Diskrepanzen zwischen Erwartungen und deren Erfüllung ................................... 322
Tabelle 9.9:
Folgen wahrgenommener Diskrepanzen ......................................................................... 324
Tabelle 10.1:
Schüler-Erwartungen und deren Erfüllung................................................................ 341
Tabelle 10.2:
Kennwerte der rotierten Hauptkomponentenlösung ............................................... 345
Tabelle 10.3:
Bereiche von Schülererwartungen und deren Erfüllung .......................................... 345
Tabelle 10.4:
Zusammenfassende Tafel ............................................................................................. 348
Tabelle 10.5:
Canonische Diskriminanzfunktionen ......................................................................... 348
Tabelle 10.6:
Vergleich von engagierten und disengagierten Schülern ......................................... 350
Tabelle 10.7:
Vergleich von Engagierten und Disengagierten ........................................................ 352
Tabelle 10.8:
Realisation von Erwartungsclustern ........................................................................... 353
Tabelle 10.9:
Identifikation mit der Schule bei Engagierten und IK-Schülern.............................. 354
Tabelle 10.10: Emotionale Bindung an die Schule und an das Fach ................................................ 355 Tabelle 10.11: Frustration bei Engagierten und IK-Schülern. ........................................................... 356 Tabelle 10.12: Enttäuschungen bei Engagierten und IK-Schülern ................................................... 356